The Project Gutenberg eBook of Wald
    
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Title: Wald
        Der deutsche Wald und was er raunt und singt

Editor: Ernst Weber

Illustrator: Willibald Weingärtner

Release date: February 1, 2025 [eBook #75267]

Language: German

Original publication: München: Georg D. W. Callwey + Verlag des deutschen Spielmanns, 1927

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WALD ***





    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter
    Text ist _so ausgezeichnet_.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.




    Der deutsche Spielmann

    Eine Auswahl aus dem Schatze deutscher Dichtung
    für Jugend und Volk

    Herausgegeben von Dr. Ernst Weber

    *

    Wald

    Der deutsche Wald
    und was er raunt und singt


    Bildschmuck von Willibald Weingärtner

    Vierte, veränderte Auflage


    *

    München 1927

    Georg D. W. Callwey * Verlag des deutschen Spielmanns




Druck von Kastner & Callwey in München




[Illustration]


    »Der deutsche Wald!« – Wer möchte nicht
    Den Wald der Deutschen lieben?
    Mir steht er wie ein hold Gedicht
    Im Herzen eingeschrieben.
    Die Schauer meiner Kinderzeit,
    Der spätern Jahre Wonne,
    Des Winters frostige Herrlichkeit,
    Des Sommers sengende Sonne,
    Der Herbst im Purpur flammendrot,
    Der Lenz auf blühendem Throne:
    Was mir Natur an Schönheit bot,
    Dem Wald gebührt die Krone.

    Einst gab der Wald uns Herd und Haus
    Und hohe Götterhallen.
    Die Zeit vertrieb uns längst daraus,
    Das Heimweh blieb uns allen.
    Und klingt ein Lied vom deutschen Wald,
    Dann wird die Brust uns enge;
    Aus seinen Weisen fühlst du bald
    Die heimattrauten Klänge;
    Die Waldfei harft mit weicher Hand,
    Du stehst in süßem Lauschen –
    Am schönsten ist mein deutsches Land,
    Wo seine Wälder rauschen.

            Der deutsche Spielmann




Gegrüßt, gegrüßt, ihr trauten Waldeshallen!


    Gegrüßt, gegrüßt, ihr trauten Waldeshallen!
    Hier hört ich einst im Wintersturmesdröhnen
    Zum erstenmal das Hohelied des Schönen
    Wie Orgelbraus durch eure Säulen schallen.

    Hier fühlt ich süß der Sehnsucht erstes Wallen,
    Und, um dem Sein das Träumen zu versöhnen,
    Begann in leisen, ahnungscheuen Tönen
    Der Knabenmund sein erstes Lied zu lallen.

    So mancher Herbst hat seine welken Blätter
    Seit jener Zeit auf dieses Haupt geschüttelt;
    So manchen Winters schneidig kaltes Wetter

    Hat kräftig mich aus manchem Traum gerüttelt –
    Doch nun zu euch mein Wandern mich getrieben,
    Heut fühl ich jubelnd: ich bin jung geblieben!

            Ferdinand Avenarius




Jetzt rede du!


    Du warest mir ein täglich Wanderziel,
    Viellieber Wald, in dumpfen Jugendtagen,
    Ich hatte dir geträumten Glücks so viel
    Anzuvertraun, so wahren Schmerz zu klagen.

    Und wieder such ich dich, du dunkler Hort,
    Und deines Wipfelmeers gewaltig Rauschen –
    Jetzt rede du! Ich lasse dir das Wort!
    Verstummt ist Klag und Jubel. Ich will lauschen.

            C. F. Meyer




Erster Mai


    Erster Mai ist heute,
    Fort Papier und Buch!
    Grüner Wald umbreite
    Mich mit Würzgeruch.

    Schlage deine Blätter
    Mir im Weben auf:
    Unsrer alten Götter
    Sprache steht darauf.

            Martin Greif




Der Herr des Waldes


Der Herr des Waldes machte seinen Morgenspaziergang. Warm lag das
Sonnenlicht ihm auf den Schultern, milde sahen seine Augen an den
Buchen hinauf und freuten sich an dem schwellenden Grün und der
Lichtfülle in den Wipfeln. Und wenn er an eine Stelle kam, an der ein
Unwetter hart gewütet, fuhr er langsam durch den weißen, langen Bart
und sagte:

»Hier müssen wir neuen Wuchs anpflanzen.«

Da sah er auf seinem Wege zu Füßen einen Ameisenhaufen. Ein lustiges,
emsiges, regsames Gekribbel. Die einen bauten Gemächer und Gänge
und trieben Stollen und Schächte in die Erde; die andern schleppten
Wintervorräte heran; und wieder andere schienen mit heftigen Gebärden
in ernstem Disput zu sein.

Plötzlich ging eine Bewegung durch die Massen. Ein armer Sünder wurde
durch die Stadt zum Richtplatz geführt, wo ihn die Schergen zu Tode
bringen sollten.

»Was soll das?« fragte der Herr des Waldes.

»Wir müssen ihn töten«, antwortete jemand aus der Menge, »er hat
gesagt, er glaube nicht an den Herrn des Waldes.«

Und weiter zogen sie mit ihm zum Richtplatz.

Der Herr des Waldes lächelte und fuhr sich durch den greisen Bart.
Milde sahen seine Augen an den Buchen hinauf, und im Weitergehen
freuten sie sich an dem schwellenden Grün und an der Lichtfülle in den
Wipfeln.

            Albert Sergel




Morgens im Walde


      Ein sanfter Morgenwind durchzieht
    Des Forstes grüne Hallen;
    Hell wirbelt der Vögel muntres Lied;
    Die jungen Birken wallen.

      Das Eichhorn schwingt sich von Baum zu Baum;
    Das Reh durchschlüpft die Büsche;
    Viel hundert Käfer im schattigen Raum
    Erfreun sich der Morgenfrische.

      Und wie ich so schreit im lustigen Wald
    Und alle Bäum erklingen,
    Rings um mich alles singet und schallt:
    Wie sollt ich allein nicht singen?

      Ich singe mit starkem, freudigem Laut
    Dem, der die Wälder säet,
    Der droben die luftige Kuppel gebaut
    Und Wärm und Kühlung wehet.

            Karl Egon Ebert




Die Waldkapelle


    Wo tief im Tannengrunde
    So friedlich äst das Wild,
    Steht an geweihter Stelle
    Die kleine Waldkapelle
    Mit ihrem Gnadenbild.

    Der Efeu und die Rose
    Umrankt das Bild von Stein;
    Die Vöglein in den Zweigen,
    Sie laden durch ihr Schweigen
    Hier still zum Beten ein.

    Habt Rast, ihr Hirsch und Rehe,
    Hab Rast, mein Roß, auch du!
    Kein Jagdruf soll euch schrecken,
    Kein Horn den Wald erwecken
    Aus tiefer Mittagsruh.

            Georg Scherer




Waldesstimme


    Wie deine grüngoldnen Augen funkeln,
    Wald, du moosiger Träumer!
    Wie deine Gedanken dunkeln,
    Einsiedel, schwer von Leben,
    Saftseufzender Tagesversäumer!

    Über der Wipfel Hin- und Wiederschweben,
    Wie’s Atem holt und voller wogt und braust
    Und weiter zieht –
    Und stiller wird –
    Und saust.

    Über der Wipfel Hin- und Wiederschweben
    Hoch droben steht _ein_ ernster Ton,
    Dem lauschen tausend Jahre schon
    Und werden tausend Jahre lauschen …
    Und immer dieses starke, donnerdunkle Rauschen.

            Peter Hille




Waldandacht


    Grausilbern jeder Buchenstamm,
    Das Grün mit Gold umzirkt
    Und oben hoch am lichten Kamm
    Von Himmelsblau durchwirkt.

    Ein brauner Teppich deckt den Grund,
    Aus Moos und Laub gewebt,
    Wo durch die dämmerdunkle Rund
    Kein einzig Lüftlein bebt.

    Das ist des Waldes Hochaltar,
    Mit Kerzen reich beschickt,
    Darüber strahlend, groß und klar
    Ein Schöpferauge blickt.

            Ernst Weber




Mittag


      Am Waldessaume träumt die Föhre,
    Am Himmel weiße Wölkchen nur;
    Es ist so still, daß ich sie _höre_,
    Die tiefe Stille der Natur.

      Rings Sonnenschein auf Wies’ und Wegen,
    Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach,
    Und doch, es klingt, als ström ein Regen
    Leis tönend auf das Blätterdach.

            Theodor Fontane

[Illustration]




[Illustration]

Schneeweißchen und Rosenrot


Eine arme Witwe, die lebte einsam in einem Hüttchen, und vor dem
Hüttchen war ein Garten, darin standen zwei Rosenbäumchen, davon trug
das eine weiße, das andere rote Rosen: und sie hatte zwei Kinder, die
glichen den beiden Rosenbäumchen, und das eine hieß Schneeweißchen,
das andere Rosenrot. Sie waren aber so fromm und gut, so arbeitsam
und unverdrossen, als je zwei Kinder auf der Welt gewesen sind:
Schneeweißchen war nur stiller und sanfter als Rosenrot. Rosenrot
sprang lieber in den Wiesen und Feldern umher, suchte Blumen und fing
Sommervögel; Schneeweißchen aber saß daheim bei der Mutter, half ihr im
Hauswesen oder las ihr vor, wenn nichts zu tun war. Die beiden Kinder
hatten einander so lieb, daß sie sich immer an den Händen faßten, so
oft sie zusammen ausgingen; und wenn Schneeweißchen sagte: »Wir wollen
uns nicht verlassen«, so antwortete Rosenrot: »Solange wir leben
nicht«, und die Mutter setzte hinzu: »Was das eine hat, soll’s mit dem
andern teilen.« Oft liefen sie im Walde allein umher und sammelten
rote Beeren; aber kein Tier tat ihnen etwas zuleid, sondern sie kamen
vertraulich herbei: das Häschen fraß ein Kohlblatt aus ihren Händen,
das Reh graste an ihrer Seite, der Hirsch sprang ganz lustig vorbei,
und die Vögel blieben auf den Ästen sitzen und sangen, was sie nur
wußten. Kein Unfall traf sie: wenn sie sich im Walde verspätet hatten
und die Nacht sie überfiel, so legten sie sich nebeneinander auf das
Moos und schliefen, bis der Morgen kam, und die Mutter wußte das und
hatte ihretwegen keine Sorge. Einmal, als sie im Walde übernachtet
hatten und das Morgenrot sie aufweckte, da sahen sie ein schönes Kind
in einem weißen, glänzenden Kleidchen neben ihrem Lager sitzen. Es
stand auf und blickte sie ganz freundlich an, sprach aber nichts und
ging in den Wald hinein. Und als sie sich umsahen, so hatten sie ganz
nahe bei einem Abgrunde geschlafen und wären gewiß hineingefallen, wenn
sie in der Dunkelheit noch ein paar Schritte weiter gegangen wären. Die
Mutter aber sagte ihnen, das müßte der Engel gewesen sein, der gute
Kinder bewache.

Schneeweißchen und Rosenrot hielten das Hüttchen der Mutter so
reinlich, daß es eine Freude war, hineinzuschauen. Im Sommer besorgte
Rosenrot das Haus und stellte der Mutter jeden Morgen, ehe sie
aufwachte, einen Blumenstrauß vors Bett, darin war von jedem Bäumchen
eine Rose. Im Winter zündete Schneeweißchen das Feuer an und hing den
Kessel an den Feuerhaken, und der Kessel war von Messing, glänzte aber
wie Gold, so rein war er gescheuert. Abends, wenn die Flocken fielen,
sagte die Mutter: »Geh, Schneeweißchen, und schieb den Riegel vor«, und
dann setzten sie sich an den Herd, und die Mutter nahm die Brille und
las aus einem großen Buche vor, und die beiden Mädchen hörten zu, saßen
und spannen; neben ihnen lag ein Lämmchen auf dem Boden, und hinter
ihnen auf einer Stange saß ein weißes Täubchen und hatte seinen Kopf
unter den Flügel gesteckt.

Eines Abends, als sie so vertraulich beisammen saßen, klopfte jemand
an die Türe, als wollte er eingelassen sein. Die Mutter sprach:
»Geschwind, Rosenrot, mach auf, es wird ein Wanderer sein, der Obdach
sucht.« Rosenrot ging und schob den Riegel weg und dachte, es wär
ein armer Mann, aber der war es nicht, es war ein Bär, der seinen
dicken schwarzen Kopf zur Tür hereinstreckte. Rosenrot schrie laut
und sprang zurück: das Lämmchen blökte, das Täubchen flatterte auf,
und Schneeweißchen versteckte sich hinter der Mutter Bett. Der Bär
aber fing an zu sprechen und sagte: »Fürchtet euch nicht, ich tue
euch nichts zuleid, ich bin halb erfroren und will mich nur ein wenig
bei euch wärmen.« – »Du armer Bär,« sprach die Mutter, »leg dich ans
Feuer und gib nur acht, daß dir dein Pelz nicht brennt!« Dann rief
sie: »Schneeweißchen, Rosenrot, kommt hervor, der Bär tut euch nichts,
er meint’s ehrlich.« Da kamen sie beide heran, und nach und nach
näherten sich auch das Lämmchen und Täubchen und hatten keine Furcht
vor ihm. Der Bär sprach: »Ihr Kinder, klopft mir den Schnee ein wenig
aus dem Pelzwerk!« und sie holten den Besen und kehrten dem Bär das
Fell rein: er aber streckte sich ans Feuer und brummte ganz vergnügt
und behaglich. Nicht lange, so wurden sie ganz vertraut und trieben
Mutwillen mit dem unbeholfenen Gast. Sie zausten ihm das Fell mit den
Händen, setzten ihre Füßchen auf seinen Rücken und walgerten ihn hin
und her, oder sie nahmen eine Haselrute und schlugen auf ihn los,
und wenn er brummte, so lachten sie. Der Bär ließ sich’s aber gerne
gefallen, nur wenn sie’s gar zu arg machten, rief er: »Laßt mich am
Leben, ihr Kinder:

    Schneeweißchen, Rosenrot,
    Schlägst dir den Freier tot.«

Als Schlafenszeit war und die andern zu Bett gingen, sagte die Mutter
zu dem Bär: »Du kannst in Gottes Namen da am Herde liegen bleiben, so
bist du vor der Kälte und dem bösen Wetter geschützt.« Sobald der Tag
graute, ließen ihn die beiden Kinder hinaus, und er trabte über den
Schnee in den Wald hinein. Von nun an kam der Bär jeden Abend zu der
bestimmten Stunde, legte sich an den Herd und erlaubte den Kindern,
Kurzweil mit ihm zu treiben, soviel sie wollten; und sie waren so
gewöhnt an ihn, daß die Türe nicht eher zugeriegelt ward, als bis der
schwarze Gesell angelangt war.

Als das Frühjahr herangekommen und draußen alles grün war, sagte der
Bär eines Morgens zu Schneeweißchen: »Nun muß ich fort und darf den
ganzen Sommer nicht wieder kommen.« – »Wo gehst du denn hin, lieber
Bär?« fragte Schneeweißchen. »Ich muß in den Wald und meine Schätze vor
den bösen Zwergen hüten. Im Winter, wenn die Erde hart gefroren ist,
müssen sie wohl unten bleiben und können sich nicht durcharbeiten; aber
jetzt, wenn die Sonne die Erde aufgetaut und erwärmt hat, da brechen
sie durch, steigen herauf, suchen und stehlen; was einmal in ihren
Händen ist und in ihren Höhlen liegt, das kommt so leicht nicht wieder
an des Tages Licht.« Schneeweißchen war ganz traurig über den Abschied,
und als es ihm die Türe aufriegelte und der Bär sich hinausdrängte,
blieb er an dem Türhaken hängen, und ein Stück seiner Haut riß auf, und
da war es Schneeweißchen, als hätte es Gold durchschimmern gesehen;
aber es war seiner Sache nicht gewiß. Der Bär lief eilig fort und war
bald hinter den Bäumen verschwunden.

Nach einiger Zeit schickte die Mutter die Kinder in den Wald, Reisig
zu sammeln. Da fanden sie draußen einen großen Baum, der lag gefällt
auf dem Boden, und an dem Stamme sprang zwischen dem Gras etwas auf
und ab, sie konnten aber nicht unterscheiden, was es war. Als sie
näher kamen, sahen sie einen Zwerg mit einem alten, verwelkten Gesicht
und einem ellenlangen, schneeweißen Bart. Das Ende des Bartes war in
eine Spalte des Baumes eingeklemmt, und der Kleine sprang hin und her
wie ein Hündchen an einem Seil und wußte nicht, wie er sich helfen
sollte. Er glotzte die Mädchen mit seinen roten, feurigen Augen an
und schrie: »Was steht ihr da! könnt ihr nicht herbeigehen und mir
Beistand leisten?« – »Was hast du angefangen, kleines Männchen?« fragte
Rosenrot. »Dumme, neugierige Gans,« antwortete der Zwerg, »den Baum
habe ich mir spalten wollen, um kleines Holz in der Küche zu haben; bei
den dicken Klötzen verbrennt gleich das bißchen Speise, das unsereiner
braucht, der nicht so viel hinunterschlingt als ihr grobes, gieriges
Volk. Ich hatte den Keil schon glücklich hineingetrieben, und es wäre
alles nach Wunsch gegangen, aber das verwünschte Holz war zu glatt und
sprang unversehens heraus, und der Baum fuhr so geschwind zusammen,
daß ich meinen schönen weißen Bart nicht mehr herausziehen konnte;
nun steckt er drin, und ich kann nicht fort. Da lachen die albernen,
glatten Milchgesichter! pfui, was seid ihr garstig!« Die Kinder
gaben sich alle Mühe, aber sie konnten den Bart nicht herausziehen,
er steckte zu fest. »Ich will laufen und Leute herbeiholen,« sagte
Rosenrot. »Wahnsinnige Schafsköpfe,« schnarrte der Zwerg, »wer wird
gleich Leute herbeirufen, ihr seid mir schon um zwei zuviel; fällt
euch nichts Besseres ein?« – »Sei nur nicht ungeduldig,« sagte
Schneeweißchen, »ich will schon Rat schaffen,« holte sein Scherchen aus
der Tasche und schnitt das Ende des Bartes ab. Sobald der Zwerg sich
frei fühlte, griff er nach einem Sack, der zwischen den Wurzeln des
Baumes steckte und mit Gold gefüllt war, hob ihn heraus und brummte
vor sich hin: »Ungehobeltes Volk, schneidet mir ein Stück von meinem
stolzen Barte ab! lohn’s euch der Kuckuck!« Damit schwang er seinen
Sack auf den Rücken und ging fort, ohne die Kinder nur noch einmal
anzusehen.

Einige Zeit danach wollten Schneeweißchen und Rosenrot ein Gericht
Fische angeln. Als sie nahe bei dem Bach waren, sahen sie, daß etwas
wie eine große Heuschrecke nach dem Wasser zu hüpfte, als wollte es
hineinspringen. Sie liefen heran und erkannten den Zwerg. »Wo willst
du hin?« sagte Rosenrot, »du willst doch nicht ins Wasser?« – »Solch
ein Narr bin ich nicht,« schrie der Zwerg, »seht ihr nicht, der
verwünschte Fisch will mich hineinziehen!« Der Kleine hatte dagesessen
und geangelt, und unglücklicherweise hatte der Wind seinen Bart mit
der Angelschnur verflochten. Als gleich darauf ein großer Fisch anbiß,
fehlten dem schwachen Geschöpf die Kräfte, ihn herauszuziehen; der
Fisch behielt die Oberhand und riß den Zwerg zu sich hin. Zwar hielt er
sich an allen Halmen und Binsen, aber das half nicht viel, er mußte den
Bewegungen des Fisches folgen und war in beständiger Gefahr, ins Wasser
gezogen zu werden. Die Mädchen kamen zu rechter Zeit, hielten ihn fest
und versuchten, den Bart von der Schnur loszumachen, aber vergebens,
Bart und Schnur waren fest ineinander verwirrt. Es blieb nichts übrig,
als das Scherchen hervorzuholen und den Bart abzuschneiden, wobei
ein kleiner Teil desselben verloren ging. Als der Zwerg das sah,
schrie er sie an: »Ist das Manier, ihr Lorche, einem das Gesicht zu
schänden? nicht genug, daß ihr mir den Bart unten abgestutzt habt,
jetzt schneidet ihr mir den besten Teil davon ab; ich darf mich vor
den Meinigen gar nicht sehen lassen! Daß ihr laufen müßtet und die
Schuhsohlen verloren hättet!« Dann holte er einen Sack Perlen, der im
Schilfe lag, und ohne ein Wort weiter zu sagen, schleppte er ihn fort
und verschwand hinter einem Stein.

Es trug sich zu, daß bald hernach die Mutter die beiden Mädchen nach
der Stadt schickte, Zwirn, Nadeln, Schnüre und Bänder einzukaufen.
Der Weg führte sie über eine Heide, auf der hier und da mächtige
Felsenstücke zerstreut lagen. Da sahen sie einen großen Vogel in der
Luft schweben, der langsam über ihnen kreiste, sich immer tiefer
herabsenkte und endlich nicht weit bei einem Felsen niederstieß,
Gleich darauf hörten sie einen durchdringenden, jämmerlichen Schrei.
Sie liefen herzu und sahen mit Schrecken, daß der Adler ihren alten
Bekannten, den Zwerg, gepackt hatte und ihn forttragen wollte. Die
mitleidigen Kinder hielten gleich das Männchen fest und zerrten sich
so lange mit dem Adler herum, bis er seine Beute fahren ließ. Als
der Zwerg sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, schrie er mit
seiner kreischenden Stimme: »Konntet ihr nicht säuberlicher mit mir
umgehen? Gerissen habt ihr an meinem dünnen Röckchen, daß es überall
zerfetzt und durchlöchert ist, unbeholfenes und täppisches Gesindel,
das ihr seid!« Dann nahm er einen Sack mit Edelsteinen und schlüpfte
wieder unter den Felsen in seine Höhle. Die Mädchen waren an seinen
Undank schon gewöhnt, setzten ihren Weg fort und verrichteten ihr
Geschäft in der Stadt. Als sie beim Heimweg wieder auf die Heide kamen,
überraschten sie den Zwerg, der auf einem reinlichen Plätzchen seinen
Sack mit Edelsteinen ausgeschüttet und nicht gedacht hatte, daß so
spät noch jemand daherkommen würde. Die Abendsonne schien über die
glänzenden Steine, sie schimmerten und leuchteten so prächtig in allen
Farben, daß die Kinder stehen blieben und sie betrachteten. »Was steht
ihr da und habt Maulaffen feil!« schrie der Zwerg, und sein aschgraues
Gesicht ward zinnoberrot vor Zorn. Er wollte mit seinen Scheltworten
fortfahren, als sich ein lautes Brummen hören ließ und ein schwarzer
Bär aus dem Walde herbeitrabte. Erschrocken sprang der Zwerg auf; aber
er konnte nicht mehr zu seinem Schlupfwinkel gelangen, der Bär war
schon in seiner Nähe. Da rief er in Herzensangst: »Lieber Herr Bär,
verschont mich, ich will Euch alle meine Schätze geben, sehet die
schönen Edelsteine, die da liegen. Schenkt mir das Leben, was habt Ihr
an mir kleinem, schmächtigem Kerl? Ihr spürt mich nicht zwischen den
Zähnen. Da, die beiden gottlosen Mädchen packt, das sind für Euch zarte
Bissen, fett wie junge Wachteln, die freßt in Gottes Namen.« Der Bär
kümmerte sich um seine Worte nicht, gab dem boshaften Geschöpf einen
einzigen Schlag mit der Tatze, und es regte sich nicht mehr.

Die Mädchen waren fortgesprungen, aber der Bär rief ihnen nach:
»Schneeweißchen und Rosenrot, fürchtet euch nicht, wartet, ich will mit
euch gehen!« Da erkannten sie seine Stimme und blieben stehen, und als
der Bär bei ihnen war, fiel plötzlich die Bärenhaut ab, und er stand
da als ein schöner Mann und war ganz in Gold gekleidet. »Ich bin eines
Königs Sohn,« sprach er, »und war von dem gottlosen Zwerg, der mir
meine Schätze gestohlen hatte, verwünscht, als ein wilder Bär in dem
Walde zu laufen, bis ich durch seinen Tod erlöst würde. Jetzt hat er
seine wohlverdiente Strafe empfangen.«

Schneeweißchen ward mit ihm vermählt und Rosenrot mit seinem Bruder,
und sie teilten die großen Schätze miteinander, die der Zwerg in seiner
Höhle zusammengetragen hatte. Die alte Mutter lebte noch lange Jahre
ruhig und glücklich bei ihren Kindern. Die zwei Rosenbäumchen aber nahm
sie mit, und sie standen vor ihrem Fenster und trugen jedes Jahr die
schönsten Rosen, weiß und rot.

            Brüder Grimm




Im Wald


    Die Winde gehn ums kleine Jägerhaus,
    Die Wälder rauschen in die Nacht hinaus.

    Da drinnen schimmert warmes Lampenlicht,
    Ein stilles Stübchen, traulich-eng und schlicht.

    Geweih und Rehgehörn als Schmuck der Wand,
    Ein Falke drüber, der die Flügel spannt.

    So still, so stille – nur die Wanduhr tickt
    Und vom Kamin der rote Glutschein zückt.

    Bisweilen schlägt im Schlaf der Jagdhund an,
    Er träumt vom Pirschgang wohl im freien Tann!

    Der Jäger sitzt und pafft sein Pfeifchen stumm,
    Der Rauch blaut nebelnd im Gemach herum.

    Die blonde Frau lehnt still im Stuhl zurück
    Und schaut ins Licht mit weitverträumtem Blick.

    Sie hebt den Kopf nur lauschend dann und wann –
    Weint nicht im Schlaf ihr Kindchen nebenan?

    Doch nur die Wanduhr sagt ihr leis Ticktick:
    Es geht – die Zeit, – halt fest – halt fest – das Glück!

    Und nur die Winde gehn ums Jägerhaus,
    Die Wälder rauschen in die Nacht hinaus!

            Lulu v. Strauß-Torney




Waldeinsamkeit


    Waldeinsamkeit!
    Du grünes Revier,
    Wie liegt so weit
    Die Welt von hier!
    Schlaf nur, wie bald
    Kommt der Abend schön,
    Durch den stillen Wald
    Die Quellen gehn,
    Die Mutter Gottes wacht,
    Mit ihrem Sternenkleid
    Bedeckt sie dich sacht
    In der Waldeinsamkeit,
    Gute Nacht, gute Nacht! –

            Joseph von Eichendorff

[Illustration]




Nachts


    Ich stehe in Waldesschatten
    Wie an des Lebens Rand,
    Die Länder wie dämmernde Matten,
    Der Strom wie ein silbern Band.

    Von fern nur schlagen die Glocken
    Über die Wälder herein,
    Ein Reh hebt den Kopf erschrocken
    Und schlummert gleich wieder ein.

    Der Wald aber rühret die Wipfel
    Im Traum von der Felsenwand.
    Denn der Herr geht über die Gipfel
    Und segnet das stille Land.

            Joseph von Eichendorff

[Illustration]




Das Abenteuer im Walde


Es regnete, was vom Himmel herunter wollte. Die Tannen schüttelten den
Kopf und sagten zueinander: »Wer hätte am Morgen gedacht, daß es so
kommen würde!« Es tropfte von den Bäumen auf die Sträucher, von den
Sträuchern auf das Farnkraut und lief in unzähligen kleinen Bächen
zwischen dem Moose und den Steinen. Am Nachmittag hatte der Regen
angefangen, und nun wurde es schon dunkel, und der Laubfrosch, der vor
dem Schlafengehen noch einmal nach dem Wetter sah, sagte zu seinem
Nachbar: »Vor morgen früh wird es nicht aufhören.«

Derselben Ansicht war eine Ameise, die bei diesem Wetter im Walde
spazieren ging. Sie war am Vormittag mit Eiern in Tannenberg auf dem
Markte gewesen und trug jetzt das dafür gelöste Geld in einem kleinen
blauen Leinwandbeutel nach Hause. Bei jedem Schritte seufzte und
jammerte sie. »Das Kleid ist hin,« sagte sie, »und der Hut auch! Hätt
ich nur den Regenschirm nicht stehen lassen, oder hätt ich wenigstens
die Überschuhe angezogen! Aber mit Zeugschuhen in solchem Regen ist gar
kein Weiterkommen!«

Während sie so sprach, sah sie gerade vor sich in der Dämmerung einen
großen Pilz. Freudig ging sie darauf zu. »Das paßt,« rief sie; »das
ist ja ein Wetterdach, wie man es sich nicht besser wünschen kann!
Hier bleib ich, bis es aufhört, zu regnen. Wie es scheint, wohnt hier
niemand – desto besser! Ich werde mich sogleich häuslich einrichten.«
Das tat sie denn auch. – Sie war eben daran, das Regenwasser aus den
Schuhen zu gießen, als sie bemerkte, daß draußen eine kleine Grille
stand, die auf dem Rücken ihr Violinchen trug. »Hör, Ameischen,« hub
die Grille an, »ist es erlaubt, hier unterzutreten?« – »Nur immer
herein!« erwiderte die Ameise; »es ist mir lieb, daß ich Gesellschaft
bekomme.« – »Ich habe heute,« sagte die Grille, »im Heidekrug zur
Kirmes aufgespielt. Es ist ein bißchen spät geworden, und nun freue
ich mich, daß ich hier die Nacht bleiben kann. Denn das Wetter ist ja
schrecklich, und wer weiß, ob ich noch ein Wirtshaus offen finde.«

Also trat Grillchen ein, hing sein Violinchen auf und setzte sich zu
der Ameise. Noch nicht lange saßen sie da, als sie in der Ferne ein
Lichtchen schimmern sahen. Als es näher kam, erkannten sie es als
ein Laternchen, das ein Johanniswürmchen in der Hand trug. »Ich bitt
euch,« sagte das Johanniswürmchen höflich grüßend, »laßt mich die
Nacht hier bleiben. Ich wollte eigentlich nach Moosbach zu meinem
Vetter, habe mich aber im Walde verirrt und weiß weder aus noch ein.«
– »Nur immer zu!« sagten die beiden. »Es ist recht gut für uns, daß
wir Beleuchtung bekommen.« Gern folgte Johanniswürmchen der Einladung
und stellte sein Laternchen auf den Tisch. Der Schein des Lichtchens
führte ihnen bald einen Wanderer zu, der ziemlich ungeschickt über
Laub und Moos herangestolpert kam. Er war ein Käfer von der großen
Art. Ohne guten Abend zu sagen, trat er ein. »Aha!« rief er, »so bin
ich doch recht gegangen und dies ist die Zimmergesellen-Herberge.« –
Mit diesen Worten setzte er sich, holte seinen Schnappsack hervor und
begann sein Abendbrot zu verzehren. »Ja, ja,« sagte er, »wenn man den
ganzen Tag über Holz gebohrt hat, dann schmeckt das Essen!« – Als er
mit dem Essen fertig war, stopfte er sich seine Pfeife, ließ sich vom
Johanniswürmchen Feuer geben, zündete an und fing an, ganz gemütlich
zu rauchen. Unterdessen war es draußen ganz dunkel geworden und das
Wetter schlimmer, als vorher; da traf zu allgemeiner Verwunderung noch
ein später Gast ein. Schon seit längerer Zeit hörte man in der Ferne
ein eigentümliches Schnaufen; dies kam langsam näher und näher, und
endlich erschien unter dem Pilze eine Schnecke, die ganz außer Atem
war. »Das nenne ich laufen!« rief sie; »wie bin ich gejagt, ordentlich
das Milzstechen hab ich bekommen! Ich will nur gleich bemerken, daß
ich im nächsten Dorfe eine Bestellung zu machen habe, die Eile hat.
Aber niemand kann über seine Kräfte, besonders, wenn er sein Haus
trägt. Wenn die Gesellschaft erlaubt, will ich hier ein paar Stündchen
rasten; dann kann ich nachher wieder galoppieren, als gälte es, den
Dampfwagen einzuholen.« Niemand hatte etwas dagegen, daß sich die
Schnecke ein gemütliches Plätzchen aussuchte. Da setzte sie sich vor
ihre Haustür, holte ein Strickzeug hervor und fing an zu stricken.
So waren nun die Fünfe da versammelt, als die Ameise das Wort nahm
und also sprach: »Warum sitzen wir hier so trübselig beieinander und
langweilen uns, da wir uns doch die Zeit auf angenehme Weise verkürzen
könnten? Ich habe daran gedacht, daß wir uns Geschichten erzählen
sollten, und gern würde ich selbst den Anfang machen, wenn ich nur
eine recht hübsche Geschichte wüßte. Nun ist mir aber eben etwas noch
Besseres eingefallen. Ich sehe, daß die Grille ihr Violinchen bei
sich hat. Wenn sie nicht gar zu müde ist, möcht ich sie bitten, uns
ein lustiges Stückchen zu spielen, damit wir eins tanzen können.« –
Dieser Vorschlag der Ameise fand allgemeinen Beifall. Die Grille aber
ließ sich nicht lange nötigen, sondern stellte sich sogleich mit ihrem
Violinchen in die Mitte und spielte das lustigste Tänzchen herunter,
welches sie auswendig wußte, während die andern um sie herumtanzten.
Nur die Schnecke tanzte nicht mit. »Ich bin,« sagte sie, »nicht gewöhnt
an das schnelle Herumwirbeln; mir wird zu leicht schwindelig. Aber
tanzt, soviel ihr wollt, ich sehe mit Vergnügen zu und mache meine
Bemerkungen.« – Die andern ließen sich denn auch gar nicht stören,
sondern jubelten so laut, daß man es auf drei Schritte Entfernung hören
konnte. Aber ach, durch welch ein furchtbares, ungeahntes Ereignis
wurde plötzlich ihr Fest unterbrochen! Der Pilz, unter welchem die
lustige Gesellschaft tanzte, gehörte leider einer alten Kröte. An
schönen Tagen saß sie oben auf dem Dache, wie die Kröten zu tun
pflegen; trat aber schlecht Wetter ein, so kroch sie unter den Pilz,
und es konnte ihretwegen regnen von Pfingsten bis Weihnachten.

Diese Kröte nun war am Nachmittag nach dem nächsten Moor zu ihrer
Base, einer Unke, gegangen und hatte sich mit derselben bei Kaffee und
Napfkuchen so viel erzählt, daß es darüber dunkel geworden war. Jetzt
am Abende kam sie ganz leise nach Hause geschlichen. Über den Arm hatte
sie ihren Arbeitsbeutel hängen, und in der Hand trug sie einen roten
Regenschirm mit messingener Krücke. Als sie in ihrem Hause den Jubel
hörte, trat sie noch leiser auf; so kam es, daß die Leutchen drinnen
sie nicht eher gewahr wurden, als bis sie mitten unter ihnen stand.

Das war eine unerwartete Störung! Der Käfer fiel vor Schreck auf den
Rücken, und es dauerte fünf Minuten, ehe er wieder auf die Beine
kommen konnte. Das Leuchtkäferchen dachte zu spät daran, daß es sein
Laternchen hätte auslöschen sollen, um in der Dunkelheit zu entwischen.

Die Grille ließ mitten im Takt ihr Violinchen fallen, die Ameise sank
aus einer Ohnmacht in die andere, und selbst die Schnecke, die sonst
nicht leicht aus der Fassung zu bringen ist, bekam Herzklopfen. Sie
wußte sich aber schnell zu helfen; sie kroch in ihr Häuschen, riegelte
die Tür hinter sich ab und sprach zu sich: »Was da will, kann kommen!
Ich bin für niemand zu sprechen.« – Nun hättet ihr aber hören sollen,
wie die Kröte die armen Leute heruntermachte! »Sieh einmal an,«
rief sie zornig und schwang ihren Regenschirm, »da hat sich ja ein
schönes Lumpengesindel zusammengefunden? Ist das hier eine Herberge
für Landstreicher und Dorfmusikanten? Ich sag es ja: Nicht aus dem
Haus kann man gehen, gleich ist der Unfug los. Augenblicklich packt
jetzt eure sieben Sachen ein, und dann fort mit euch, oder ich will
euch schon Beine machen!« – Was war zu tun? Die armen Leute wagten
gar nicht, sich erst aufs Bitten zu legen, sondern nahmen still ihre
Sachen auf, riefen der Schnecke durchs Schlüsselloch zu, daß sie
mitkommen solle, und als auch diese sich fertiggemacht hatte, zogen
sie alle zusammen von dannen. Das war ein kläglicher Auszug! Voran das
Johanniswürmchen, um auf dem Wege zu leuchten, dann der Käfer, dann
die Ameise, dann das Grillchen und zuletzt die Schnecke. Der Käfer,
der eine gute Lunge hatte, rief von Zeit zu Zeit: »Ist hier kein
Wirtshaus?« Aber alles Rufen war vergeblich. Als sie ein Stück gegangen
waren, merkten sie, daß die Schnecke nicht mehr bei ihnen war. Sie
riefen alle zusammen in den Wald zurück: »Schnecke, Schnecke! Beeil
dich!« – erhielten aber keine Antwort. Die Schnecke mußte wohl so weit
zurückgeblieben sein, daß sie die Rufe nicht mehr hören konnte. Die
andern zogen betrübt weiter, und nach langem Umherirren fanden sie
unter einer Baumwurzel ein leidlich trockenes Plätzchen. Da brachten
sie die Nacht zu unter großer Unruhe und ohne viel zu schlafen. Waren
sie auch mit heiler Haut davongekommen, es blieb doch immerhin ein
schlimmes Abenteuer, und die mit dabei gewesen sind, werden daran
denken, so lange sie leben.

            Johannes Trojan

[Illustration]




Was den Kindern im Walde passiert ist


    Zwei Kinder gehen ganz allein
    Frühmorgens in den Wald hinein.
    Da springen sie wohl hin und her
    Nach mancher Erd- und Heidelbeer
    Und essen sich gemütlich satt
    Und werden endlich müd und matt,
    Die Hitze ist auch gar zu groß!
    Sie legen nieder sich aufs Moos –
    Kein Bettchen könnte weicher sein;
    Nicht lange währt’s, sie schlafen ein.

    Da kommen aus dem dichten Wald
    Hervor die Tiere mannigfalt.
    Wie sie die beiden Kinder sehn,
    Da bleiben sie verwundert stehn.
    Nehmt euch in acht! Nur nicht zu nah!
    Was für Geschöpfchen schlafen da?
    Sie sind so nett und zart und fein,
    Was mögen das für Tierchen sein?

    Der Hase sagt: »Beseht euch doch
    Die allerliebsten Näschen;
    Die Ohren wachsen ihnen noch,
    Dann sind’s die schönsten Häschen.«
    Eichkätzchen spricht: »Gebt einmal acht,
    Da find ich ein paar Vettern,
    Sie werden, sind sie aufgewacht,
    Mit mir zusammen klettern.«
    »Ei,« sagt das Reh, »was schwatzt ihr da!
    Das sind ja dumme Faxen.
    Rehkälbchen sind’s, man sieht es ja,
    Wie nett sind sie gewachsen!«
    Rotkehlchen ruft: »Ich sah noch nie
    Im Walde solche Gäste,
    Ich nähm sie mit, hätt ich für sie
    Nur Raum in meinem Neste.«
    Da kommt ein Käfer angesummt,
    Der sieht die kleinen Schläfer
    Und fliegt herum um sie und brummt:
    »Hu! Was für große Käfer!«

    So schwatzen sie noch vieles mehr
    Und laufen eifrig hin und her,
    Besehn sich alles mit Bedacht,
    Bis daß die Kinder aufgewacht.
    Hast du gesehn! Mit einem Husch
    Ist alles fort in Wald und Busch.
    Und alle rufen: »Fort von hier!
    Das kann uns nimmer taugen,
    Im ganzen Wald kein einzig Tier
    Hat ja so große Augen.
    Das können keine Tierchen sein!
    Schnell flüchtet in den Wald hinein!«

    Die beiden Kinder sehn sich an:
    »Was man doch alles träumen kann!
    Soeben war’s im Traume mir,
    Als stände alles Waldgetier
    Um uns herum –
    Jetzt ist ringsum
    Nichts mehr zu sehn.
    Komm, komm, laß uns nach Hause gehn,
    Da wartet schon indessen
    Die Mutter mit dem Essen;
    Und sind wir nicht zur Zeit zu Haus,
    Schilt sie uns aus.«

    Da machen sie sich auf alsbald
    Und gehn zusammen durch den Wald.
    Wie ist nun alles still umher,
    Kein einz’ges Tierchen zeigt sich mehr!
    Allein ein Kuckuck, – seht nur, seht,
    Sitzt oben auf der Tanne
    Und ruft: »Kuckuck, da unten geht
    Der Gottlieb mit der Hanne!«

            Johannes Trojan




Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt


    Es ist ein Bäumlein gestanden im Wald
      In gutem und schlechtem Wetter;
      Das hat von unten bis oben halt
      Nur Nadeln gehabt statt Blätter;
      Die Nadeln, die haben gestochen,
      Das Bäumlein, das hat gesprochen:

    »Alle meine Kameraden
      Haben schöne Blätter an,
      Und ich habe nur Nadeln,
      Niemand rührt mich an;
      Dürft ich wünschen, wie ich wollt,
      Wünscht ich mir Blätter von lauter Gold.«

    Wie’s Nacht ist, schläft das Bäumlein ein,
      Und früh ist’s aufgewacht;
      Da hatt’ es goldne Blätter fein,
      Das war eine Pracht!
      Das Bäumlein spricht: »Nun bin ich stolz;
      Goldne Blätter hat kein Baum im Holz.«

    Aber wie es Abend ward,
      Ging der Jude durch den Wald
      Mit großem Sack und großem Bart,
      Der sieht die goldnen Blätter bald;
      Er steckt sie ein, geht eilends fort
      Und läßt das leere Bäumlein dort.

    Das Bäumlein spricht mit Grämen:
      »Die goldnen Blättlein dauern mich;
      Ich muß vor den andern mich schämen,
      Sie tragen so schönes Laub an sich;
      Dürft ich mir wünschen noch etwas,
      So wünscht ich mir Blätter von hellem Glas.«

    Da schlief das Bäumlein wieder ein,
      Und früh ist’s wieder aufgewacht;
      Da hatt’ es glasene Blätter fein,
      Das war eine Pracht!
      Das Bäumlein spricht: »Nun bin ich froh;
      Kein Baum im Walde glitzert so.«

    Da kam ein großer Wirbelwind
      Mit einem argen Wetter,
      Der fährt durch alle Bäume geschwind
      Und kommt an die glasenen Blätter;
      Da lagen die Blätter von Glase
      Zerbrochen in dem Grase.

    Das Bäumlein spricht mit Trauern:
      »Mein Glas liegt in dem Staub,
      Die andern Bäume dauern
      Mit ihrem grünen Laub;
      Wenn ich mir noch was wünschen soll,
      Wünsch ich mir grüne Blätter wohl.«

    Da schlief das Bäumlein wieder ein,
      Und wieder früh ist’s aufgewacht;
      Da hatt’ es grüne Blätter fein,
      Das Bäumlein lacht
      Und spricht: »Nun hab ich doch Blätter auch,
      Daß ich mich nicht zu schämen brauch.«

    Da kommt mit vollem Euter
      Die alte Geiß gesprungen;
      Sie sucht sich Gras und Kräuter
      Für ihre Jungen;
      Sie sieht das Laub und fragt nicht viel,
      Sie frißt es ab mit Stumpf und Stiel.

    Da war das Bäumlein wieder leer,
      Es sprach nun zu sich selber:
      »Ich begehre nun keiner Blätter mehr,
      Weder grüner, noch roter, noch gelber!
      Hätt ich nur meine Nadeln,
      Ich wollte sie nicht tadeln.«

    Und traurig schlief das Bäumlein ein,
      Und traurig ist es aufgewacht;
      Da besieht es sich im Sonnenschein
      Und lacht und lacht!
      Alle Bäume lachen’s aus;
      Das Bäumlein macht sich aber nichts draus.

    Warum hat’s Bäumlein denn gelacht,
      Und warum denn seine Kameraden?
      Es hat bekommen in einer Nacht
      Wieder alle seine Nadeln,
      Daß jedermann es sehen kann;
      Geh naus, sieh’s selbst, doch rühr’s nicht an!
          Warum denn nicht?
          Weil’s sticht.

            Friedrich Rückert

[Illustration]




Das Häslein


      Unterm Schirme, tief im Tann,
    Hab ich heut gelegen,
    Durch die schweren Zweige rann
    Reicher Sommerregen.

      Plötzlich rauscht das nasse Gras –
    Stille, nicht gemuckt! –
    Mir zur Seite duckt
    Sich ein junger Has …

      Dummes Häschen,
    Bist du blind?
    Hat dein Näschen
    Keinen Wind?

      Doch das Häschen, unbewegt,
    Nutzt, was ihm beschieden,
    Ohren, weit zurückgelegt,
    Miene, schlau zufrieden.

      Ohne Atem lieg ich fast,
    Laß die Mücken sitzen;
    Still besieht mein kleiner Gast
    Meine Stiefelspitzen …

      Um uns beide – tropf – tropf – tropf –
    Traut eintönig Rauschen …
    Auf dem Schirmdach – klopf – klopf – klopf …
    Und wir lauschen … lauschen …

      Wunderwürzig kommt ein Duft
    Durch den Wald geflogen;
    Häschen schnubbert in die Luft,
    Fühlt sich fortgezogen;

      Schiebt gemächlich rückwärts, macht
    Männchen aller Ecken …
    Herzlich hab ich aufgelacht –
    Ei, der wilde Schrecken!

            Christian Morgenstern

[Illustration]




Waldabenteuer


    Als ich heut morgens – es war noch bald –
    Einsam spazierte draußen im Wald,
    Sprang plötzlich vor mir etwas Braunes auf
    Und – hast du gesehen – den Baum hinauf.
    Noch sucht ich umher am unteren Ast,
    Da war es auch schon der Krone Gast.
    Dort in einer Gabel hielt sich’s versteckt.
    Wär voller das Laubwerk, kein’ Seel’ hätt’s entdeckt.

    Nun hing ihm aber sein buschiger Schwanz
    Wie ein aufgefangener, loser Kranz
    Vom Ast herab und wehte im Wind.
    So glaubt wohl auch ein bangendes Kind,
    Es bliebe damit schon unentdeckt,
    Wenn’s den Kopf unter Großmutters Schürze steckt.

    Es ward dir wohl sicher längst schon klar,
    Daß jenes Etwas ein Eichhörnchen war.
    Das ist – weiß Gott – ein niedliches Tier!
    Ihm zuzuschauen, macht viel Pläsier:
    Gewandt und schneller wie eine Katz
    Springt es dann meist mit riesigem Satz
    Von Ast zu Ast, von Wipfel zu Wipfel,
    Erfaßt vom Zweiglein kaum noch ’n Zipfel,
    Schnellt auf und ab wie ein Gummiball
    Und kommt doch nimmermehr zu Fall.

    Ja, in der Tat, es muß wohl erbauen,
    Solch einem Künstler zuzuschauen.
    Drum späht auch ich erwartend nach oben.
    Aber wie war’s? – Der Racker da droben
    Tat auf einmal nichts mehr dergleichen,
    Gab nicht das mindeste Lebenszeichen,
    Nur sein Schwänzlein baumelte munter
    Nach wie vor vom Ast herunter.

    Wie mir das lange Stehen zu dumm,
    Sah ich mich nach ’m Plätzchen um,
    Wo ich mich könnte niederlassen,
    Das kommende Schauspiel abzupassen.
    Als ich nun nichts Geeignetes fand,
    Warf ich mich nieder, grad wo ich stand,
    Lag dann gemächlich im weichen Moose,
    Dachte dabei an meine Hose,
    Die, wenn man lang so im Moose liegt,
    Meistenteils grünliche Flecken kriegt.

    Aber trotz alledem blieb ich liegen.
    Mag sie immerhin Flecken kriegen,
    Wenn ihr Träger dafür in der Nähe
    Einmal nur solch Kunststücklein sähe!
    Ewig konnt ja das Warten nicht dauern!
    Also begann ich ihm aufzulauern,
    Recht wie ein Luchs mit blinzelnden Blicken,
    Hielt ich mich mäuschenstill auf dem Rücken,
    Rührte und regte fortab kein Glied. –
    Über mir sang der Wald sein Lied,
    Und das Geäste, noch kahl in der Runde,
    Hob sich dunkel vom Himmelsgrunde,
    Schwankte und wogte bald hin, bald her,
    Wie ein Korallenbaum im Meer.

    Da auf einmal, da kam mir’s vor,
    Zog sich schwupps das Schwänzlein empor,
    Und wo vorerst noch der Flederwisch,
    Sah nun vertraulich, keck und frisch
    Ein neugieriges Köpflein hernieder,
    Schwand und kam und schwand immer wieder,
    Riß gar verwundert die Äuglein auf,
    Nickte herab, ich nickte hinauf,
    Bis es zuletzt sonder Scheu und Scham
    Ruckweis zu mir hernieder kam.

    Aber auf dem untersten Ast
    Hielt es noch einmal längere Rast,
    Schnüffelte mit dem winzigen Näslein,
    Spitzte die Ohren wie ein Häslein,
    Sah mir ins Auge fest und still:
    »Was nur der Kerl da unten will?«

    Was nur das Bürschlein da droben denkt? –
    Haben uns ganz ineinander versenkt.
    Tierlein und Mensch und Mensch und Tier!
    »Was hältst du von mir? Was weiß ich von dir?«
    Sahen uns lange, lange an,
    Hat mir am Ende fast weh getan,
    Weil mich das Sonnenlicht geblendet,
    Hab ich mich ein wenig zur Seite gewendet,
    Hab mir ein bißchen die Wimper gejuckt,
    Hab dann gleich wieder hingeguckt.

    Aber was meinst du? Vom alten Plätzchen
    War auf einmal verschwunden das Kätzchen,
    War auch sonst nicht mehr zu entdecken,
    Ob ich auch brach durch Busch und Hecken,
    Ob ich auch suchte ringsumher,
    ’s war wie verhext, ich fand’s nicht mehr!
    Und hätt es doch gar zu gerne belauscht.
    Aber der Wald nur hat gerauscht,
    Als trieb er selber mit mir sein Spiel,
    War stets nur ein Blatt, das zu Boden fiel,
    Wenn etwas raschelte im Geäste.

    Da hielt ich’s am Ende für das Beste,
    Mich auf den Weg nach Hause zu machen.
    Das tat ich denn, und du würdest lachen,
    Wenn ich nun auch noch zum Schlusse schrieb,
    Was mir als Erinnrungszeichen verblieb.
    Sei’s denn! Nämlich auf heller Hose
    Zwei dunkle Flecken vom grünen Moose
    Und von dem Streifen durch Dünn und Dick
    Rechts überm Knie ein Zickzackflick.

            Ernst Weber

[Illustration]




Der weiße Hirsch


    Es gingen drei Jäger wohl auf die Birsch,
    Sie wollten erjagen den weißen Hirsch.
    Sie legten sich unter den Tannenbaum;
    Da hatten die drei einen seltsamen Traum.


Der Erste:

    »Mir hat geträumt, ich klopf auf den Busch;
    Da rauschte der Hirsch heraus, husch, husch!«


Der Zweite:

    »Und als er sprang mit der Hunde Geklaff,
    Da brannt ich ihn auf das Fell, piff paff!«


Der Dritte:

    »Und als ich den Hirsch an der Erde sah,
    Da stieß ich lustig ins Horn, trara!«

    So lagen sie da und sprachen, die drei,
    Da rannte der weiße Hirsch vorbei.

    Und eh die drei Jäger ihn recht gesehn,
    So war er davon über Tiefen und Höhn.
        Husch husch! piff paff! trara!

            Ludwig Uhland

[Illustration]




Der Schütze


      Mit dem Pfeil, dem Bogen
    Durch Gebirg und Tal
    Kommt der Schütz gezogen
    Früh im Morgenstrahl.

      Wie im Reich der Lüfte
    König ist der Weih,
    Durch Gebirg und Klüfte
    Herrscht der Schütze frei.

      Ihm gehört das Weite;
    Was sein Pfeil erreicht;
    Das ist seine Beute,
    Was da fleugt und kreucht.

            Friedrich von Schiller




Im Waldhof


    Ich war vor Tag und Tau erwacht –
    Mich weckten meines Wirtes schwere
    Schlurfschritte in der Treppen Nacht,
    Umklirrt von seinem Jagdgewehre.
    Dann knirschte drunten kurz das Tor,
    Der Alte riß zurück die Hunde,
    Und lautlos sich sein Pfad verlor
    In nachtumblauter Wälderrunde …

    Denn dieses war der Väter Saat:
    Es schlich wie vor vielhundert Jahren
    Der Bauer den gekrümmten Pfad,
    Den jene schon geschlichen waren.
    Auch er den Wildpfad sich erkor,
    Den Förstern trotzend, um verwegen
    Mit dem vererbten Feuerrohr
    Den besten Brunfthirsch zu erlegen.

    Gewiß, ihn trieb der Väter Lust:
    Seit sie sich hier gesiedelt hatten,
    Bedrückte ihre breite Brust
    Der ungeheure Wälderschatten.
    Sie pflügten ihre Scholle schlicht,
    In ihre Ernte rauschten Föhren –
    Doch still erglänzte ihr Gesicht,
    Begann im Herbst der Hirsch zu röhren.

    Ja, dieser Orgelruf voll Macht
    Ließ ihr verhülltes Lachen steigen:
    Brach er wie heut in kühler Nacht
    Das atemlose Wälderschweigen.
    Und stürzte unter ihrem Schuß
    Rotüberschweißt der Waldeskönig:
    Stand in dem Siegesechogruß
    Der Schütze hoch und jubeltönig. –

    Inzwischen löste sich der Wald
    Aus mürrisch bleichem Morgengrauen;
    Ihr Schleppkleid rafften müd und alt
    Des nahen Flusses Nebelfrauen.
    Doch klang der Hirsche Brunftgeschrei
    Aus Dämmerwegen dicht und dichter;
    Mir war, als säh ich ihr Geweih
    Und ihre zorngetrübten Lichter …

    Und nun ein Schuß, ein Donnerschuß,
    Erschütternd rings die Wälderrunde! –
    Die Nebel sanken in den Fluß,
    Der Hof stand auf im Lärm der Hunde.
    Und fern ein Rudel flüchtend flog –
    Auf eines Zwanzigenders Glieder
    Gewiß ein greises Haupt sich bog
    Gleich seinen Vätern lachend nieder …

            A. K. T. Tielo




Sterben


In dumpfheißer Dickung, von goldgrünen Fliegen umschwirrt, liegt der
starke Hirsch. Sein Atem geht scharf, seine Flanken jagen, immer wieder
und wieder fährt er mit dem Lecker über den schwarzen Windfang. Der
ist trocken und warm – und ferne die kühlende Suhle. Manchmal schlägt
der Wunde nach den gierigen Schmeißfliegen, die so beharrlich die
Stelle belagern, wo das Haar klebrig rot ist und zähe Tropfen sickern.
Sie tasten die Gelegenheit nach einer Brutstätte ab. Selbst unter den
Leib ihres Opfers kriechen sie; dort brennt die Wunde am ärgsten, dort
fließt der Saft reichlicher, darum hat sich der Hirsch auf die linke
Seite gelegt. Aber diesen teuflischen Peinigern vermag er nicht zu
wehren, jede Bewegung läßt den Brand durch all seine Glieder lecken.
Darum hält er still und leidet und denkt an Wasser. Wasser! Wasser!

Nur mehr diese eine Vorstellung ist in allen seinen zuckenden Nerven.
Was geht ihn sein getreuer Freund, der zwölfendige Beihirsch an, was
kümmert ihn die Wonne der großen Zeit, die schon in ihm vorbereitet
war, da er die Kugel empfing! Nur Wasser! Ob er noch die Suhle
erreicht? Sie liegt ferne über dem Hügel, eine halbe Hirschstunde von
hier. Dort ist kühler Schatten, dort möchte er sterben – nur nicht in
diesem stickigen Dunkel.

Keuchend, zitternd, dunstend vor Schmerz wird er hoch. Fast bricht er
auf der Stelle zusammen, so flackert und siedet sein Eingeweide. Und
seine Läufe sind so schwach, so müde, wie zerbrochen.

Aber er tut einen Schritt und einen zweiten und dritten, und siehe,
er kommt besser vorwärts, als es zuerst schien. So zieht er langsam
aus der schwülen Dickung und ins raume Stangenholz hinein, mit krummem
Rücken und hängendem Haupte, fast so, als suchte er des Schmaltieres
Liebesfährte. Aber ihm ist nicht danach. Wie er mit Anstrengung Lauf
vor Lauf setzt, deucht ihn, er schreite hoch über dem Waldboden in
freier Luft, alles ist fern und verschwommen und gleichgültig. In
seinen Flanken tobt das Weh, sein brodelndes Blut will Wasser, seine
trockene Drossel würde nach Wasser brüllen, vermöchte sie es. Und die
grünen Fliegen summen hinterdrein.

Jetzt tritt er ins Altholz. Ferne klingen Axt und Säge, er vernimmt
es, aber er deutet es nicht, er weiß, dort sind Menschen, Menschen,
diese Feinde, grausamer fast als Winter und Seuche – aber er hat sie
nicht mehr zu fürchten. Von seiner Flanke tropft es rotwäßrig, hier
auf Farnkraut, dort auf die Streu; die Wunde ist wieder lebendig, der
Schmerz wühlt in ihm. Fast verspürt er es nicht, solche Stumpfheit,
Bleischläfrigkeit umfängt seine Sinne. Nur weiter, weiter! Hier ist der
Abfuhrweg, den er sonst immer in heller Flucht überfiel; heute zieht er
achtlos drüber hinweg. Jenseits beginnt das enge Stangenholz. Er gibt
sich gar keine Mühe, leise aufzutreten, sein Krongeweih schlägt überall
an, dem Menschen tausend Zeichen hinterlassend. Ein Holzwagen knarrt
hinter ihm durch den Bestand, der Markolf warnt, Stimmen schreien. Das
alles hat keine Schrecken mehr für ihn.

Er kann nicht weiter, niedertun muß er sich, bis wieder ein
allerletzter Rest von Kraft zusammenkommt. Da sind die goldenen
Blutfliegen auch schon wieder; wie Bienen umschwärmen sie die rote
Blume des Todes, die ihnen so honigsüß duftet …

O, er weiß, daß jener Mensch es war, der ihm so wehe getan! Jener
Mensch mit dem grauen Rock und dem grauen Bart, den er durch neun
Winter für gut hielt, weil er ihm Heu brachte und den Schnee wegpflügte
und salzige Steine an seinem Lieblingsstandorte aufstellte. Aber die
Güte dieser Mächtigen ist nicht treuer Art; sie geben nur, um nehmen zu
dürfen …

Weiter, weiter, eh das Blut gerinnt, die Flamme verlischt!

Stöhnend reißt er sich empor.

Stangenholz, Altholz, Stangenort, Abfuhrweg, hohes Holz, Schneise.
Er sieht die Baumreihen wie im Traume an sich vorbeigehen. Er kennt
jedes einzelne Jagen, jeden Stamm. Hier hat er vor zwei Jahren seine
Zwölferstangen abgeschlagen, dort hat er im letzten Sommer sein
Vierzehnergeweih fertiggefegt. Es war das beste, das er je trug, heute
setzte er auf ungerade zwölf Enden zurück. Da der Futterraufen, drüben
die Lecke; in diesem Bestande schlug er damals den Sechzehnendigen
fast zuschanden und trieb ihm dann noch sein Rudel weg. Nun das enge
Jungholz, wo einst der uralte Zehner plötzlich zurückblieb, kurz wurde,
dröhnend ins Reisig brach. Dort stürzte das Schmaltier inmitten der
Richtschneise; hier hat er zum ersten Male heimlicher Herbstminne
gepflogen, während der Achtzehnendige im Farnkraut schlief …

Die Wälder wandern an ihm vorbei wie seine Schicksale. Er wirft nicht
auf, in seinen verglasenden Lichtern spiegelt sich nichts mehr. Er
sieht nur die Waldstreu, die, wie er langsam weiterzieht, unter seinen
Läufen weg nach rückwärts geht. Er ist sich seiner Tritte nicht bewußt,
ohne Wille, ohne Kraft schleppt er sich durch den heißen Spätsommertag.

Nur das eine weiß er irgendwo im Innersten: Dort ist das Wasser, dort
die schwarze Suhle, dorthin drängt ihn ein dumpfer Trieb, eine letzte
Sehnsucht.

Er tritt aus dem Bestande auf den Schlag. Die Luft flackert,
Schmetterlinge schwanken über den Klafterstößen, im blauen Himmel
schwärmen schon die funkelnden Schwalben.

Fast tut ihm die glosende Sonne wohl. Denn in seinen Läufen ist schon
eine Kälte, eine lähmende Schwere.

Weiter, weiter! Da drüben liegt ja das Bruch, die Suhle.

Wieder schlägt tiefer Schatten über ihm zusammen. Es ist doch besser in
dieser Dunkelheit. Hier im Bruch weht es kühl, Moorduft liegt über dem
gurgelnden Boden.

Dann tut er sich im schwarzen Ellernwasser nieder. Jetzt hat er
wenigstens vor den Fliegen Ruhe. Sie können nicht an die rote Stelle
in den Flanken, die liegt im Nassen. Es zwingt ihn, die Lichter zu
schließen; den Äser berührt die schlammige Flut. Bei jedem Atemzuge
gurgelt sie und trübt sich von neuem.

So hat er manchen Sommertag gelegen, wenn im Bestande die Hitze, in der
Dickung die Mückenqual zu unerträglich war. Hier fand er stets Frieden
und Kühlung und Schlummer.

Er schläft nicht, aber seine Lider sind in behaglichem Träumen
geschlossen. Er träumt nicht, aber er ist ohne Bewußtsein. Nur das
Kühlende verspürt er, die Feuchtigkeit vor dem Äser.

Ganz still ist der Wald, still wie die Stube, in der ein Wiegenkind
schlummert. Man vernimmt keine Axt, keines Menschen Ruf. Und von Getier
ist nur die Hummel wach, die draußen im Schlag um den Salbei burrt, und
der Schwarzspecht, der in ferner Eichenkrone seinen wehen Einsamschrei
tut.

Aber weit drüben in der Dickung, wo die Schwüle ganz eng
zusammengedrückt liegt, da steht jetzt der graue Mann mit dem grauen
Bart, und an ihm zieht ein glatter Hund, so rot wie ein Hirsch, ein
Hund mit schwermütigen Augen und nachdenklicher Stirn – der Todeshund,
der die Spur des langsamen Sterbens findet und bis ans Ende ausläuft.
Er senkt die Nase tief in die Streu: da liegen rotklebrige Tropfen,
kleine Lachen, aus denen Schwärme funkelnder Fliegen aufbrummen. Allein
Mann wie Hund lassen sich nicht irremachen. Der Graue bückt sich,
prüft, wendet, beriecht die rotgetränkten Fallnadeln. Dann lobt er den
ungeduldigen Gesellmann: »So recht, mein Hund – such verwund’t!«

Dem Hirsche kriecht eisige Starre von den Läufen her immer höher, immer
näher ans Herz heran. Schon sind seine Gelenke steif, nur im Leibe geht
noch kochende Hitze um. Dann erfaßt Kälte auch die Muskeln. Sie tastet
sich spinnebeinig das Rückenmark entlang, umlauert das sprunghaft
schlagende Herz. Plötzlich greift sie zu. Das krallt und krampft,
schwarzes Wasser spritzt von schlagenden Läufen, Schlamm fliegt umher.
Noch einmal hebt der Sterbende das gekrönte Haupt, in der Drossel
raucht’s und gurgelt’s, steil nach unten neigen sich die Stangen –
und nun schießt ein warmer Strom durch den zitternden Leib, die Läufe
strecken sich hart, kleine Wellen schauern an ihnen hin.

Es ist vorbei. Schwer fällt das Haupt ins klatschende Moorwasser: eine
Stange liegt im Schlamm, die andere ragt zackig empor.

Hoch überm Walde steht der heilige Mittag.

            Friedrich von Gagern




Auf der Wacht


Mein Vater litt zu jener Zeit an einer langwierigen Krankheit. Es war
selten wer um ihn als sein ältestes Söhnlein. Auch der Jäger Wolf saß
zuweilen neben auf der Ofenbank und freute sich, wenn dem Kranken der
gespendete Wildbraten recht mundete. Und der Wildbraten stellte meinen
Vater richtig soweit wieder her, daß dieser eines Tages, es war im
August um die Zeit des Maria-Himmelfahrtsfestes, zu mir sagte: »Bub,
jetzt werd ich doch endlich wieder was anfangen müssen. Was meinst, zum
Korbflechten wär ich wohl stark genug?«

Und am nächsten Tage gingen wir schon zur Morgenfrühe aus und gegen die
sogenannte Wildwiese hinauf, wo viele Weiden wuchsen. Die Wildwiese war
oben in den hinteren Waldungen. Oft blieb mein Vater unterwegs stehen,
stützte sich auf seinen Stock, schöpfte Luft, und dann fragte er mich
immer, ob ich ein Schnittchen Brot beißen wolle.

Als wir über die Schafhalde hinaufgekommen waren, wo der junge
Lärchenanwuchs noch im Morgentaue stand, sahen wir im Dickichte einen
Mann dahinhuschen, der ein Stück Hochwild über der Achsel trug und
etwas wie ein Schießgewehr hinter sich herschleppte. Er duckte sich so
sehr, daß nur ein paar kohlschwarze Haarfetzen von seinem Haupte zu
sehen waren.

Als diese Gestalt vorüber war, blieb mein Vater wieder stehen und
sagte: »Hast geguckt? Das ist der schwarz’ Toni gewesen.«

Der schwarz’ Toni war ein Mann, vor dem sie überall die Türen
verriegelten.

»Ja, Kind,« sagte der Vater, als wir uns auf den Stamm eines gefallenen
Baumes gesetzt hatten, »ist hart für einen Menschen, dem’s so geht wie
dem Toni. Der hat sein Lebtag nicht Vater und Mutter gesehen. Als Kind
ist er aus dem Findelhause in unsere Gegend gebracht worden. Freilich
nicht aus christlicher Barmherzigkeit, sondern des Geldes wegen, das
für ihn ausgezahlt worden, hat ihn ein Köhlerweib an Kindesstatt
genommen. Halb erwachsen, hat sich der Toni im Wald herumgetrieben,
kein Mensch hat sich an ihn gekehrt; so ist er verwahrlost und
verwildert. Wie das Köhlerweib sieht, der Ziehsohn bringe nur Schande,
so hat sie gesagt: »Toni, du Lump, bei mir bist nimmer daheim!« – »Wo
denn?« hat sie drauf der Toni gefragt, aber überall, wo er angeklopft,
ist ihm die Tür verschlossen gewesen. Mögen ihn die Menschen nicht,
so gibt er sich mit den Tieren ab – verlegt sich aufs Wildern. Vor
einem Jahr hat ihn der Jäger Wolf in das Zuchthaus gebracht; aber jetzt
wieder frei, mag ihm kein Mensch gern begegnen, gleichwohl ich nicht
glaub, daß er wem was zuleide tät. Schlecht, sag ich, ist er nicht,
aber verkommen durch und durch; und so, mein Büblein, wird oft ein
Mensch hinausgestoßen auf die schiefe Straßen, und so rutscht er ab und
kann sich nicht mehr halten.«

Nach diesen Worten schritten wir wieder langsam dahin, und nachdem
wir durch viel Wald und schattendunkle Schluchten gegangen waren,
kamen wir endlich zur Lichtung der Wildwiese. Teilweise lag sie noch
im Schatten des Teufelssteinberges; die Bachweiden aber, die in einer
langen Reihe hin standen und sich über ein stillrieselndes Wässerlein
wölbten, schimmerten in dem lichten Sonnentag, als ob sie alle silberne
Blätter hätten. Die Wiese war bereits gemäht und das Heu fortgebracht;
sehr still und verlassen lag die Matte. An den Rändern wuchsen blaue
Enzianglocken, und es war schon die Zeitlose da.

Wir kamen um die Weidenruten, die am Bache standen. Wir gingen quer
über die Wiese bis hin zum Rande, wo wieder die sehr hohen Fichten
des Waldes begannen und wo ein rot angestrichenes Kreuz stand, dessen
Dachbrettchen reichlich mit Moos bewachsen waren. Hier wollten wir vor
der Arbeit uns ein wenig setzen, auf die Bäume hinausschauen und ein
Stück Brot verzehren.

Aber noch ehe der Vater sich niederließ, sah er lange und unverwandt
auf eine Stelle hin.

Am Fuße einer Weißtanne lag ein Mann. Ein Jägersmann mit einem
Schießgewehr; die Locken gingen ihm über Stirn und Auge, man wußte
nicht, ob er denn wirklich so fest schlafe, als es aussah.

Mein Vater trat endlich hinzu, schob aber mich mit der Hand hinter sich
zurück. Dann sahen wir es: Der Mann lag in einer Blutlache; der aus
einer Halswunde sprudelnde Quell war bereits gestockt.

Mein Vater legte die Hände ineinander und sagte ganz leise: »Jetzt
haben sie da den Jäger Wolf erschlagen!«

Als ich hierauf zu weinen begann, hob mich mein Vater empor zu
seiner Brust; und wie ruhig er auch scheinen wollte, ich hab es doch
wahrgenommen, wie sein Herz so heftig schlug.

Dann untersuchte er den Erschlagenen – die Augen waren gebrochen, die
Lippen fahl wie trocken Erdreich – das Leben war dahin.

»Mit dem Weidenschneiden ist es heute nichts,« sagte mein Vater, »jetzt
muß einer von uns Leute holen, daß sie den Wolfgang wegtragen; und der
andere wird dieweilen dableiben müssen. Einen Toten kann man nicht
allein lassen, solange er nicht im Grabe ruht. Es könnte auch leicht
ein Tier über ihn kommen. Das beste wird sein, ich holpere hinaus in
den Brandgraben zu den Holzknechten, und du setzest dich schön still da
unter das Kreuz.«

Mir gab’s einen Stich im Herzen. Wie konnte mir mein Vater das antun,
mich stundenlang allein lassen im Walde bei einem Toten! Aber ich wußte
den Weg nicht und hätte die Holzknechte nicht gefunden.

»Freilich, Büblein, ist das ein trauriges Warten da,« fuhr er fort,
»aber wachen muß wer dahier, diese christliche Lieb müssen wir dem Wolf
schon erweisen.«

Ich starrte auf den Toten.

Mein Vater zog seine kleine Axt aus dem Gürtel, mit welcher er die
Weidenruten hauen wollte, und fällte nun Äste von den Bäumen und hüllte
den Jägersmann mit Reisig ein. Dann kniete er nieder vor der grünen
Bahre und betete still ein Vaterunser. Und als er sich wieder erhob,
sagte er: »Und jetzt, mein Knabe, tu unserem Mitbruder den Liebesdienst
und wache! Die Axt laß ich dir da, die halt fest. Fuchsen und Raben
können leicht kommen; andere Raubtiere weiß ich in der Gegend nicht.
Bis zu den Weiden dort magst hingehen, aber weiter weg nicht. Ich
will recht eilen; bis die Schatten anheben zu wachsen, wird schon wer
kommen!«

Dann legte er für mich noch Brot unter ein Bäumchen, und dann ging er
davon. Er ging hin quer über die Wiese, wie wir hergegangen waren, und
er verschwand in dem Dunkel des Waldes.

Nun war ich allein auf der umwaldeten Wiese, und das milde Sonnenlicht
war ausgegossen über die einsame Matte, über die glitzernden Weiden und
über den stillen Reiserhügel am Waldrande. Ich wollte nicht hinblicken
auf die seltsame Bahre; ich schritt gegen das Weidengebüsche, aber mein
Auge wendete sich immer wieder zurück zum roten Kreuze und zu dem, was
daneben lag.

Der arme Jäger Wolf! Ich wußte es noch recht gut, wie er vor wenigen
Jahren mit seiner Braut und seinem Hochzeitszuge an unserem Hause
vorübergezogen war. Die Waldhörner und die Böller schallten, daß die
Fenster unseres Hauses klirrten. Der Wolf war ein hübscher Bursche
gewesen; einen großen Strauß trug er auf dem Hut, und ein rotes Band
ging nieder über seinen Nacken, wo jetzt die Blutstrieme war. –

Ich ging den Weidenbüschen entlang. Manches Zweiglein regte sich und
zitterte fort und fort. Hie und da schnellte ein Heupferdchen. Ich bog
die Äste auseinander und blickte in das Wässerlein; das stand still
unter dem dichten Flechtwerke und glitzerte kaum. Ein großgefleckter
Molch kroch hervor und nahm seine Richtung gegen mich; da floh ich
entsetzt davon.

Dann begann ich mit meinen kurzen Schritten die Schatten der Bäume
zu messen – bis diese zu wachsen anheben, kommen die Leute. – Noch
aber wurden sie kürzer und kürzer. Die Sonne stand hoch über dem
Teufelsstein, und über dem Talgrunde lag ein bläulicher Duft.

Ich kehrte wieder zum Kreuze zurück und setzte mich auf den Stein, auf
welchem sonst andächtige Waldwanderer knien. Das Kreuz war hoch und
hatte keinen Heiland. Weit streckte es seine Arme aus, als wollte es
den Wald umfangen.

Ich wendete mich von dem Pfahle und von dem Bahrhügel und sah hin gegen
den Bergrücken des Teufelssteins. Die Himmelsglocke lag in mattem
Blau, kein Vogel und kaum eine Mücke war vernehmbar. Es war ein fast
traumhafter Frühherbstmittag, durchklungen von einer ewigen Stille. –

Wildschützen haben ihn erschossen. Ich ging über die Wiese und sagte
mir, wenn ich zehnmal über die Wiese gegangen sein würde, dann wollte
ich wieder den Schatten messen. Aber der Schatten duckte sich noch mehr
unter die Bäume als früher.

Dann ging ich hin zu der verhüllten Leiche des Weidmannes und stand
lange vor derselben; ich fühlte kaum ein Schauern mehr. Dann setzte ich
mich wieder unter das Kreuz und aß ein Schnittchen Brot. Da hörte ich
plötzlich ein Knistern; ein Reh stand und guckte durch das Gestämme.

Zuletzt kam das Tier gar zu dem Reisighügel heran und schnupperte;
vor diesem Jägersmanne fürchtete es sich nicht mehr. Erst als es den
Pulvergeruch des Gewehrlaufes gewahrt haben mochte, wendete es sich mit
großen Sätzen dem Dickichte zu.

Endlich, als ich wieder den Schatten maß, hatte er sich um ein Weniges
gedehnt. Ich mußte ja doch schon viele Stunden auf der Wildwiese
geweilt haben.

Wie immer, so hatte mein Vater auch diesmal recht. Ich hörte einen
getragenen Schall und Widerhall im Walde. Es nahten Menschen. Doch
nicht die Holzknechte waren es, die um den Wolfgang kommen sollten,
sondern quer über die Wiese her kam ein junges Weib, das trug einen
Korb am Rücken und führte ein etwa dreijähriges Kind am Arm. Sie sangen
ein lustiges Kinderlied, und das kleine Mädchen lachte dabei und hüpfte
flink über das weiche Gras.

Ich erkannte die Nahenden bald, es waren das Weib und das Kind des
erschlagenen Jägers Wolf.

Sie kamen heran, und als sie mich sahen, sagte die Jägerin zum Mädchen:
»Schau, Agatha, da beim Kreuz sitzt ein Bub, der betet ein Vaterunser;
das ist gar ein braver Bub.«

Dann kniete sie hin auf den Stein, legte die Hände zusammen und betete
auch. Das Kind tat desgleichen und war gar ernsthaft dabei.

Mir war unbeschreiblich weh. Wie hätte ich sagen können, was unter dem
Reisig lag! Ich ging abseits gegen die Weiden.

»So, mein Herz,« sagte das Weib hierauf zur Kleinen, »jetzt geh ich
Enziankraut schneiden, du setz dich dieweilen da auf das G’reisigbrett
und brocke dir Zäpfchen ab. Hernach kommt der Vater vom Teufelsstein
herab, und hernach setzen wir uns zusammen und essen den Schottenkäs,
den ich im Korb hab, und hernach hopsen wir lustig miteinander heimzu.«

Und sie setzte das Kind auf den Reisighaufen – auf die Bahrstätte des
Vaters. Dann ging sie mit dem Korb gegen den Wiesenrain, wo Gebüsche
von Enzian standen. Von dort aus rief sie mich an, was ich denn so
allein mache auf der Wildwiese, ob ich mich verirrt hätte oder etwa
Ziegen suchte?

Ich wußte keine Antwort, deutete auf einen großen, schneeweißen
Schmetterling und sagte: »Jetzt schau das Tier an, wie’s herumfliegt;
schau, wie’s fliegt!«

»Bist ein rechter Närrisch, du!« versetzte die Jägerin lachend und ging
an ihre Arbeit.

Die kleine Agatha spielte auf dem Reisighügel, sie zupfte an den
Zweigen und wühlte in denselben und nestelte etwas hervor. Endlich
wurde ihr bang, und sie hub an nach der Mutter zu rufen.

Nach einer Weile kam das Weib heran, da hielt ihm das Kind einen Ring
entgegen und sagte: »Schau, das hab ich gefunden, das ist des Vaters!«

Die Jägerin tat einen hellen Ruf: »Kind, wie kommst du zu diesem Ring?«

Die Kleine lachte vergnügt.

Das Weib hub das Kind auf die Erde, warf einen Blick auf das Gezweige
und stieß einen gellenden Schrei aus. Sie sah durch das Reisig eine
Menschenhand.

Wie wütend stürzte sie hin auf die Schichtung und raffte die grünen
Zweige auseinander – mit Hast und heißer Angst –, dann sank sie zurück
und schlug sich die flachen Hände in das Antlitz. Vor ihr lag im Blute
erstarrt ihr gemordeter Gatte. –

Zur selben Stunde gingen zwei Holzhauer über die Wiese und brachten
eine Tragbahre mit. Zuerst knieten sie vor dem Toten und beteten still,
dann hoben sie ihn auf die Bahre, legten das Gewehr an seine Seite und
trugen ihn davon.

Der Korb blieb stehen bei dem Enziangebüsche, das Weib folgte der
Bahre; es sagte kein Wort, es vergoß keine Träne, es trug das spielende
Mädchen auf dem Arm. Das blasse, starre Angesicht der Gattin, das
rotwangige, helläugige Lockenköpfchen des Kindes hinter der Bahre her –
das mag ich nimmermehr vergessen.

Ich bin auch hinterdrein gegangen. Die Weiden standen in ihrem
wässerigen Schimmer; die Schatten der Tannen lagen hingestreckt
über die ganze Wiese. Das rote Kreuz ragte regungslos im Dunkel des
Waldrandes.

[Illustration]

Die Bahre schwankte dem entfernten Jägerhause zu. Ich ging gegen unser
Gehöfte. Als ich zu demselben hinabkam, führten handfeste Burschen
einen wüst aussehenden Mann herbei. Es war der schwarz’ Toni. Da wir
ihn am Morgen im Lärchenanwuchs gesehen, so hatte mein Vater auf seine
Spur gewiesen. Der Richter kam, und unter der großen Esche, die vor
unserem Hause stand, wurde das Verhör gehalten. Der Toni war geständig,
den Jäger Wolfgang aus Rache erschossen zu haben. Hierauf wurde
der Bursche in Ketten gegen die Stadt geführt, aus der er einst als
Wickelkind gekommen war.

Als ich in die Stube kam, saß mein Vater an seinem Bette. Er war sehr
bewegt, hub mich zu sich auf das Knie und sagte: »Bübel, das ist
ein böser Tag gewesen. Deinetwegen ist mir ein Stein auf dem Herzen
gelegen.«

Wir gingen in jenem Jahre nicht mehr hinauf zur Wildwiese. Seither
aber bin ich wohl mehrmals auf derselben gewesen. Die Weiden glitzern,
die hohen Fichten stehen noch heute – und ihr Schatten schwindet und
wächst, wie das trübe Erdengeschick, und ihr Schatten wächst und
schwindet, wie das menschliche Leben.

            Peter Rosegger




Mondwanderung


    »Der Förster ging zu Fest und Schmaus!« –
    Der Wildschütz zieht in den Wald hinaus.

    Es schläft sein Weib mit dem Kind allein,
    Es scheint der Mond ins Kämmerlein.

    Und wie er scheint auf die weiße Wand,
    Da faßt das Kind der Mutter Hand.

    »Ach, Mutter, wo bleibt der Vater so lang,
    Mir wird so weh, mir wird so bang!«

    »Kind, sieh nicht in den Mondenschein,
    Schließ deine Augen, schlaf doch ein.«

    Der Mondschein zieht die Wand entlang,
    Er schimmert auf der Büchse blank.

    »Ach, Mutter! und hörst den Schuß du nicht?
    Das war des Vaters Büchse nicht!«

    »Kind, sieh nicht in den Mondenschein,
    Das war ein Traum, schlaf ruhig ein.« –

    Der Mond scheint tief ins Kämmerlein
    Auf des Vaters Bild mit blassem Schein.

    »Herr Jesus Christus im Himmelreich!
    O Mutter, der Vater ist totenbleich!«

    Und wie die Mutter vom Schlummer erwacht,
    Da haben sie tot ihn heimgebracht.

            Robert Reinick




Wo Bismarck liegen soll


      Nicht in Dom oder Fürstengruft,
    Er ruh in Gottes freier Luft
    Draußen auf Berg und Halde,
    Noch besser tief, tief im Walde;
    Widukind lädt ihn zu sich ein:
    »Ein Sachse war er, drum ist er _mein_,
    Im _Sachsenwald_ soll er begraben sein.«

      Der Leib zerfällt, der _Stein_ zerfällt,
    Aber der Sachsenwald, der hält,
    Und kommen nach dreitausend Jahren
    Fremde hier des Weges gefahren
    Und sehen, geborgen vorm Licht der Sonnen,
    Den Waldgrund in Efeu tief eingesponnen,
    Und staunen der Schönheit und jauchzen froh,
    So gebietet einer: »Lärmt nicht so! –
    _Hier unten liegt Bismarck irgendwo._«

            Theodor Fontane




Als die hellen Nächte waren


Der Sommer war heiß gewesen. Das Moos des Waldbodens war fahl und
spröde geworden, und zwischen den Halmgerippen der Gräser sah man auf
den grauen Erdboden. Neben den dürren Nadeln des Waldbodens lagen tote
Ameisen und Käfer. Die Steine in den Betten der Bäche waren trocken und
weiß wie Elfenbein. Wo dazwischen noch ein Tümplein stand, da starb
darin eine Forelle oder ein anderes Tier des Wassers.

Die Luft war dicht, und die Berge – auch die nahen – waren blaß. Die
Sonne war des Morgens rot wie das verdorrte Blatt einer Buche, dann
blaß und glanzlos, so daß man ihr ins Gesicht sehen konnte. Matt kroch
sie hin über die graue Wüste des Himmels, als wäre sie erschöpft vor
Durst. Gegen Abend stiegen häufig scharfgeränderte, glänzende Wolken
auf; die Leute fingen zu hoffen an, aber es kam ein Luftzug, und am
anderen Morgen waren die Wolken vergangen und der nächtliche Tau
aufgesogen.

Draußen im Dorfe wurde ein Bittag um Regen angeordnet. Da strömten
aus unserem Walde die Leute davon, nur der alte Knecht Markus und ich
blieben im einsamen Hause, und der Knecht sagte zu mir: »Wenn das schön
Wetter gar ist, wird’s regnen, was hilft der Bittag! Wenn uns ein
Herrgott hergesetzt hat, so wird er keinen schwachen Kopf haben und
unser vergessen. Und hat er keinen Kopf, so daß er die Welt nur mit den
Händen zusammenstellt und mit den Füßen auseinandertritt, nun, so hat
er auch keine Ohren. Wofür hernach das Geschrei! Sagst du’s nicht auch,
Bübel?«

Leute, was läßt sich drauf sagen! »Der Knecht Markus ist ein alter
Spintisierer« – das läßt sich drauf sagen.

Jetzt sprang der Riegelberger Halter zur Tür herein. Er war vor
Aufregung sprachlos, durch das Fenster wies er mit beiden Zeigefingern
auf den Rücken des Filnbaumwaldes hin. Der Knecht sah es und schlug die
Hände zusammen.

Dort hinter dem Waldrücken stieg ein ungeheurer Wirbel von rotem Rauch
auf und verfinsterte den Himmel.

»Das kann ein Unglück geben!« rief der Markus, langte nach einer Axt
und eilte davon.

Der Rauch flutete immer heftiger auf und wurde immer breiter und
dichter. Ich fing doch das Geschrei an, dem der Knecht keine Bedeutung
beilegen wollte. Es hatte auch keine, wie sich’s wies.

An den sonnigen Lehnen des Filnbaumschlages war’s gewesen, wo das dürre
Gestrüppe lag. Nahe, wo der halbverdorrte Lärchenanwachs begann, war
die Flamme entstanden, kein Mensch wußte wie. Zuerst mochte sie leicht
hingehüpft sein von Reisig zu Reisig, dann empor von Ast zu Ast mit
flatternden Flügeln. Sachte entfaltet das Element seine wilde Gewalt,
seine roten, siegreichen Fahnen. Der Wald wird höher und dichter,
an dem Geäste hängen lange Moosflechten nieder, und die vor wenigen
Jahren von einem schweren Hagelschlage geschädigten Stämme sind harzig
bis hinauf zu den Wipfeln. Hei, wie die feurigen Zungen lechzen und
emporlodern! Und in den Gründen züngeln sie wie ein Schlangengezücht,
und allerseits beginnt sich ein fürchterliches Leben zu entwickeln.

Die wenigen Holzhauer rennen in Verwirrung herum und fluchen und rufen
nach Hilfe. Aber der Wald und seine Hütten sind menschenleer, alles
ist bei der Bittprozession. Bis sie nach Stunden endlich kommen, ist
der Hochwald im Brande. Das ist ein Fiebern und Zittern in der Luft,
ein Krachen und Prasseln weithin; Äste stürzen nieder, Stämme brechen
zusammen und sprühen noch einmal auf in den wogenden Rauch. Neu und
frisch blasen glühende Luftströme durch das Gehölz; die Flammen
erzeugen sich selbst den Sturm, auf dem sie fahren. O gewaltiges,
nimmersattes Element! Es zehrt, so lange es lebt, und lebt, so lange es
zehrt, es verzehrt die Welt, und wenn sie erreichbar, tausend Welten,
und hat nimmer genug. Keine Macht kann so ins Unendliche wachsen wie
das Feuer, darum stellt es der Seher als den letzten Sieg über alles
dar, als den Herrscher in Ewigkeit.

Die Menschen arbeiteten und arbeiteten; manchen trugen sie halb
verbrannt von dannen. Der Knecht Markus sah die Folgen, aber er
jammerte nicht, und er verzagte nicht, er war die stille, die ruhige
Tat. Schon begannen seine harzigen Kleider Feuer zu fangen, da eilte
er hinab zum Bachbett und wälzte sich im Sand, bis sich dieser an alle
Teile seines klebrigen Anzuges gelegt hatte. Nun war er gepanzert.
Äste haute er ab, Bäume hieb er um – o Gott, das schlug nicht an.
Der glühende Strom brauste weiter; die kahlen Äste in der Runde, die
rotnadeligen Zweige harrten schon der nahenden Flammenbraut und huben
noch früher zu brennen an, als sie der erste Kuß erreichte.

Nun suchten die Arbeiter, die von allen Seiten herbeigekommen waren,
den Flammen einen Vorsprung abzugewinnen und ihnen durch breite
Abstockungen eine Grenze zu setzen, aber es teilte sich der Brand in
Arme nach verschiedenen Himmelsgegenden. Zur Abendstunde erhob sich
ein Wind und zerzauste die mächtigen Feuerfahnen in tausend Fetzen und
vervielfältigte überall das Element. Das war ein unheimliches Dröhnen
in den Lüften und ein wunderlich Leuchten hin über das weite Waldland.

Erschöpft und ratlos ließen die Männer ihre Hände sinken, die Weiber
räumten ihre Hütten aus und wußten mit der Habe nicht wohin.

In tiefen Tälern war es noch ruhig, da hörte man nichts als das leise
Flüstern der hohen Tannen, aber der nächtliche Himmel war rosig
und zuweilen flog hoch oben ein Feuerdrache dahin. Dann wieder kam
eine zwitschernde Vogelschar und die heimatlosen Tierchen schossen
planlos umher, und die Rehe und Hirsche kamen erschreckt heran zu den
Menschenwohnungen.

»Wie diesen Tieren geht’s uns allen!« klagte ein Weib, »keine
Menschenmöglichkeit, daß der Wald gerettet wird – alles brennt, alles
brennt! O Christi Heiland – es ist das Jüngste Gericht!«

Tagelang währte der Greuel.

Von unserem hochgelegenen Hause aus sahen wir aus den Wäldern des
Filnbaum und der Fresenleiten die Flammen rot und langsam aufsteigen.
Die ganze Gegend lag in einem Schleier, und scharfer Brandgeruch stach
in die Nasen. Unser Berg schien eingewölbt von Rauch, daß es oft schier
dunkel war. Und da stand ein großes, trübrotes Rad über uns, das der
Rauch umwirbelte, verdeckte und doch nicht ganz vertilgen konnte. Es
war die Sonne. Wir sahen aber auch, wie das Feuer allmählich gegen uns
heranrückte, es stieg über die Höhen her, und es stieg in die Täler
nieder, und es stieg endlich an unserem Berghange heran. Wir bedurften
des Abends keines Kienspans.

Das Vieh hatten wir längst auf die Almweide gejagt und die
Einrichtungsstücke des Hauses mitten auf das freie Feld
hinausgeschleppt. Halb wahnsinnige Menschen kamen herbei. Der
Vernünftigsten einer war der uralte Martin, dem die Hütte verbrannt war
und der nun mitternächtig beim Scheine des Waldbrandes Preißelbeeren
pflückte.

Mein Vater kletterte auf den Dächern unseres Gehöftes herum, und mit
einer langen Stange, an deren Ende er einen nassen Lappen gebunden
hatte, schlug er die Funken tot, die herangeflogen kamen und sich auf
das Dach gesetzt hatten.

In der fünften Nacht, als wir in einer Ecke unserer ausgeräumten Stube
kauernd schliefen, wurden wir plötzlich von einem lauten Tosen geweckt,
und der alte Markus, der auf dem Dache Nachtwache hatte, rief: »Das ist
schon recht! Das ist schon recht!«

Ein Wettersturm hatte sich erhoben und wütete in dem brennenden
Walde, daß es eine schreckbare Pracht war. Als ob ein wüstes
Gewässer dahinbrauste zwischen den Stämmen, so toste und dröhnte es.
Aber das Feuer wurde in die entgegengesetzte Richtung von unserem
Hause geworfen, und das war es, was dem alten Markus so recht war.
Die Flammen waren wie auf wilder Flucht; sie übersprangen ganze
Waldpartien, zündeten an neuen, entlegenen Stellen.

Als sich der Orkan gelegt hatte, kam ein Regenguß. Der Regen währte
tagelang, und die Wolken stiegen träge auf und nieder. Lange noch
mischte sich mit ihnen der Rauch der kohlenden Strünke – endlich
aber war alles Feuer ausgelöscht. Über alles legte sich der feuchte,
frostige Nebel – es war die herbstliche Zeit.

So ist die Begebenheit hier erzählt.

Doch endet der Wald mit seinem Untergange nicht, in ihm ist die Urkraft.

Der Nebel des Herbstes spann den Schnee; im Winter sahen wir von
unseren Fenstern aus weit mehr weiße Flächen als sonst. Aber erst
als der Lenz kam, sahen wir, was der Waldbrand angerichtet hatte.
Überall verkohlter Grund, rostfarbige Steine, halbverbrannte Wurzeln,
und darüber ragten die schwarzen Strünke einzelner Baumstämme. – Nun
kamen die Leute und reuteten. Sie stachen den schwarzen Rasen um, sie
säeten Korn in das Erdreich; den Obdachlosen wurden neue Hütten gebaut.
Und als der Frühherbst kam, war’s eine Herrlichkeit. Kein Mensch in
unserem Waldlande hatte je eine so große goldgelbe Pracht gesehen,
als das Kornfeld war, das sich über die Berge hinzog. Wir mußten alle
zusammenhalten, die Flut der Halme, wovon einer sein schweres Haupt
auf die Achsel des anderen legte, einzuheimen. Ich erinnere mich noch
an das Wort, das bei dieser Gelegenheit der Pfarrer sprach: »Der Herr
schlägt die Wunden, aber er spendet auch den Balsam, sein Name sei
gelobt!« – Am nächsten Tage schickte er seine Knechte, um von der
reichen Ernte den Zehnt zu holen, und er hat recht getan.

Gegen dreißig Jahre lang gab der Grund des verbrannten Waldes den
Menschen Brot. Dann kam die Landflucht der Menschen, und neuerdings
sproßt auf den Berghöhen der junge, grüne Wald. Neues unendliches Leben
webt darin – eine üppige Pflanzenwelt, ein lustiges Tierreich, eine
helle Gottesmorgenfreude.

            Peter Rosegger

[Illustration]




Waldkonzert


    Konzert ist heute angesagt
    Im frischen, grünen Wald,
    Die Musikanten stimmen schon;
    Hört, wie es lustig schallt!

    Der Distelfink spielt keck vom Blatt
    Die erste Violin;
    Sein Vetter Buchfink nebenan
    Begleitet lustig ihn.

    Frau Nachtigall, die Sängerin,
    Die singt so hell und zart;
    Und der Herr Hänfling bläst dazu
    Die Flöt nach bester Art.

    Die Drossel spielt die Klarinett,
    Der Rab, der alte Mann,
    Streicht den verstimmten Brummelbaß,
    So gut er streichen kann.

    Der Kuckuck schlägt die Trommel gut;
    Die Lerche steigt empor
    Und schmettert mit Trompetenklang
    Voll Jubel in den Chor.

    Musikdirektor ist der Specht;
    Er hat nicht Rast noch Ruh,
    Schlägt mit dem Schnabel, spitz und lang,
    Gar fein den Takt dazu.

    Verwundert hören Has und Reh
    Das Fiedeln und das Schrein;
    Und Biene, Mück und Käferlein,
    Die stimmen lustig ein.

            Georg Dieffenbach




Jüngst sah ich den Wind


    Jüngst sah ich den Wind,
    das himmlische Kind,
    als ich träumend im Walde gelegen,
    und hinter ihm schritt
    mit trippelndem Tritt
    sein Bruder, der Sommerregen.

    In den Wipfeln, da ging’s
    nach rechts und nach links,
    als wiegte der Wind sich im Bettchen;
    und sein Brüderchen sang:
    »Die Binke die Bank,«
    und schlüpfte von Blättchen zu Blättchen.

    Weiß selbst nicht, wie’s kam,
    gar zu wundersam,
    es regnete, tropfte und rauschte,
    daß ich, selber ein Kind
    wie Regen und Wind,
    das Spielen der beiden belauschte.

    Dann wurde es Nacht,
    und eh ich’s gedacht,
    waren fort, die das Märchen mir schufen.
    Ihr Mütterlein
    hatte sie fein
    hinauf in den Himmel gerufen.

            Arno Holz




Schlechtes Wetter


    Gestern durch den Wald ging ich im Regen
    Einem ungewissen Ziel entgegen.

    Sah, bevor sie tot zu Boden fielen,
    Tausend Tropfen mit den Blättern spielen,

    Die sich lustig mit dem Winde zausten
    Und voll Übermut gewaltig brausten.

    Wie sie in der frischen Nässe blinkten
    Und von allen Seiten mich umringten,

    Ward die Seele mir so frisch und weit,
    So voll Regenwetterlustigkeit,

    Daß ich in das Rauschen unbewußt
    Sang ein Frühlingslied aus tiefster Brust –

    Heut im Tagblatt hab ich dann gelesen,
    Daß das Wetter gestern schlecht gewesen …

            Wilhelm Langewiesche

[Illustration]




Waldlieder


    Arm in Arm und Kron an Krone steht der Eichenwald verschlungen,
    Heut hat er bei guter Laune mir sein altes Lied gesungen.

    Fern am Rande fing ein junges Bäumchen an sich sacht zu wiegen,
    Und dann ging es immer weiter an ein Sausen, an ein Biegen;

    Kam es her in mächt’gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen.
    Hoch sich durch die Wipfel wälzend, kam die Sturmesflut gezogen.

    Und nun sang und pfiff es graulich in den Kronen, in den Lüften,
    Und dazwischen knarrt und dröhnt es unten in den Wurzelgrüften.

    Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine,
    Donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine!

    Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen;
    Alles Laub war weißlich schimmernd nach Nordosten hingestrichen.

    Also streicht die alte Geige Pan der Alte laut und leise,
    Unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise.

    In den sieben Tönen schweift er unerschöpflich auf und nieder,
    In den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder.

    Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken,
    Kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken.

            Gottfried Keller




Gewitter im Walde


    »Steht nun, Brüder, wie ein Turm!«
    Sprach im Forst die alte Eiche;
    »In den Lüften rast der Sturm,
    Und schon naht er unserm Reiche.

    Junges Volk, noch reich belaubt,
    Schließt euch dicht an uns, die Alten;
    Stark den Stamm und hoch das Haupt,
    Laßt uns fest zusammenhalten!«

    »Kinder,« sprach die Weide, »dreht
    Fügsam euch nach allen Winden;
    Schmiegt und biegt euch, wie es geht,
    Daß wir unversehrt uns finden!«

    Rief das Moos: »Was das Gehölz
    Schwatzt von Kämpfen, Schmiegen, Ducken!
    Ich auf meinem grünen Pelz
    Fühl nur ein behaglich Jucken.« –

    Doch die Windsbraut fährt alsbald
    In den Forst, die Bäume zittern;
    Bis zum Grund erbebt der Wald,
    Wipfel brechen, Stämme splittern.

    Aus den Wolken, schwarz verhüllt,
    Wirft der Sturm des Blitzes Schlange,
    Und des Donners Stimme brüllt
    Dumpf ihm nach auf seinem Gange. – –

    Tief gespalten und zerfetzt
    Steht der Baum, ein wunder Streiter;
    Moos und Weiden, taubenetzt,
    Grünen unbekümmert weiter.

            Georg Scherer




Nach dem Gewitter


    Der Sturm hat ausgetobt – es schimmert
    Die Sonne durch die Wolkenwand,
    Ein Regentropfen farbig flimmert
    An jedes Blättchens krausem Rand;
    Es beben noch die rauhen Stämme,
    Die ungestüm der Wind umsaust;
    Aufschäumend gegen Fels und Dämme
    Des Wildbachs trübe Woge braust;
    Und in der Lichtung, wo die Ranken
    Den Boden dornig überziehn,
    Wo tausend zarte Gräser schwanken
    Und tausend kleine Blumen blühn,
    Da liegt, umstrahlt vom Abendlichte,
    Der schönste Stamm in weiter Rund,
    Die alte, dunkelgrüne Fichte,
    Entwurzelt auf dem feuchten Grund.
    Ich streichle die gewalt’gen Äste,
    Die splitternd sich im Fall zerdrückt,
    Die wie zu einem Maienfeste
    Mit roten Knospen noch geschmückt.
    Zum schlanken Wipfel muß ich schauen,
    Der gestern in des Lufthauchs Wehn,
    Sich fröhlich wiegend hoch im Blauen,
    Noch übers weite Land gesehn;
    Muß denken, daß gleich jenem Baume
    Ich sterben möcht – vom Sturm gerafft,
    Umwogt noch von des Frühlings Traume,
    In ungebrochner Lebenskraft.

            Sophie von Waldburg




Regen


    Geht ein grauer Mann
    Durch den stillen Wald,
    Singt ein graues Lied.
    Die Vöglein schweigen alsbald.

    Die Fichten ragen so stumm und schwül
    Mit ihrem schweren Astgewühl.
    In fernen Tiefen
    Vergrollt ein Ton.

            Johannes Schlaf

[Illustration]




Durchlaucht


    Da hilft kein alter Fürstenbrief,
      Daß ich mich bücken kann –
    Doch heute traf im Walde tief
      Ich eine Hoheit an.

    Fest wurzelnd in der Erde Grund
      Steht frei sie und allein,
    Jahrhundertalt, doch kerngesund,
      Im neuen Sommerschein!

    Und ihre Krone blätterdicht,
      Sie strahlt in lauterm Gold,
    Läßt sich durchleuchten von dem Licht,
      Wie Fürsten es gesollt.

    Du bist so herrlich, bist so groß,
      Daß all mein Stolz verraucht –
    Verehrend streck ich mich ins Moos
      Zu Füßen der Durchlaucht!

            Hanns von Gumppenberg




Bei den Holzern


Daß doch der Wald, wie er sich so hinbreitet über Höhen und Täler
– unabsehbar, wie er daliegt, grün und dunkel und weiterhin duftig
blauend am sonnigen Sehkreis – der stille, unendliche Wald –, daß er
doch auch seine Feinde hat!

Wie ist das eine schöne, säuselnde, rauschende, brausende, allebendige
Ringmauer, schützend vor dem wüsten Unfrieden draußen! Aber – Waldfried
ist gestorben.

Im Forste braust der Sturmwind, schlägt manchem jungen Tannling
den lustig winkenden Arm weg, bricht manchem trotzigen Recken das
Genick. Und in der Tiefe rauscht und schäumt in weißen Gischten und
Flocken – wie ein brandender Wolkenstrom – der Wildbach und wühlt und
gräbt und nagt das Erdreich von den Wurzeln, immer weiter und weiter
hinein, daß der wuchtige Baum zuletzt schier in der Luft dasteht und
sich oben mit starken Armen nur noch an den Nachbarn hält, um nicht
zusammenzubrechen, endlich aber doch niederstürzt in das Grab, das ihm
jenes Wasser heimtückisch gegraben hat. Jenes Wasser, welches er durch
seinen Nebeltau gestärkt, durch seine dichte Krone vor dem Lechzen des
Windes geschützt, durch seinen Schatten vor dem zehrenden Kusse der
Sonne bewahrt hat. – Und auf den luftigen Wipfeln hackt der Specht, und
unter den Rinden frißt der Wurm die Borke, und das Sägerad der Zeit
geht allerwege, und die Späne fliegen – im Frühlinge als Blüten, im
Herbste als gedörrte Nadeln und Blätter.

Es geht ewig zu Ende, und im Ende keimt ewig der Anfang.

Da naht nun erst der Mensch mit seiner Zerstörungswut. Da schallt das
Schlagen und Pochen, da surrt die Säge, da klingt das Beil auf das
Stemmeisen im dunkeln Grunde; – wenn du oben hinblickest über das
stille Meer der Wipfel, so ahnst du es nicht, welchen es angeht.

Aber das Stemmeisen und der Keil dringen tiefer und tiefer; da
schüttelt einer der Hundertjährigen sein hohes Haupt, er weiß doch gar
nicht, was die Menschlein wollen da unten, die kleinen possierlichen
Wesen – er kann nicht begreifen und schüttelt wieder das Haupt. Da
geht ihm der Stoß ins Herz; – unten knistert es, schnalzt es, und nun
wankt der Riese, knickt ein, rauschend und pfeifend in einem ungeheuren
Bogen kreist er hin, mit wildem Krachen stürzt er zu Boden. Leer ist
es in der Luft, eine Lücke hat der Wald. Hundert Frühlinge haben ihn
emporgehoben mit ihrer Liebe und Milde; jetzt ist er tot, und die Welt
ist und bleibt ganz auch ohne ihn – den lebendigen Baum.

Still stehen die zwei, drei Menschlein, sie stützen sich auf den
Beilstiel und blicken auf ihr Opfer. Sie klagen nicht, sie jauchzen
nicht, eine grausame Kaltblütigkeit liegt auf ihren rauhen,
sonnverbrannten Zügen, ihr Gesicht und ihre Hände sehen ja aus wie von
Fichtenrinden. Sie stopfen sich ein Pfeiflein, schärfen die Hacken und
gehen wieder an die Arbeit. Sie hauen die Äste von dem hingestreckten
Stamme, sie schürfen ihm mit einem breiten Messer die Rinde ab, sie
schneiden ihn vielleicht gar in klafterlange Stücke; – und nun liegt
der stolze Baum in nackten Klötzen.

            Peter Rosegger

[Illustration]




In der Stadt


    Was ist das für ein Schrein und Peitschenknallen?
    Die Fenster zittern von der Hufe Klang,
    Zwölf Rosse keuchen an dem straffen Strang,
    Und Fuhrmannsflüche durch die Gasse schallen.

    Der auf den freien Bergen ist gefallen,
    Dem toten Waldeskönig gilt der Drang;
    Da schleifen sie, wohl dreißig Ellen lang,
    Die Rieseneiche durch die dumpfen Hallen.

    Der Zug hält unter meinem Fenster an,
    Denn es gebricht zum Wenden ihm an Raum;
    Verwundert drängt sich alles Volk heran.

    Sie weiden sich an der gebrochnen Kraft;
    Da liegt entkrönt der tausendjährge Baum,
    Aus allen Wunden quillt der edle Saft.

            Gottfried Keller




Herbstlicher Wald


    Rings ein Verstummen, ein Entfärben;
    Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
    Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
    Ich liebe dieses milde Sterben.

    Von hinnen geht die stille Reise,
    Die Zeit der Liebe ist verklungen,
    Die Vögel haben ausgesungen,
    Und dürre Blätter sinken leise.

    Die Vögel zogen nach dem Süden,
    Aus dem Verfall des Laubes tauchen
    Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
    Die Blätter fallen stets, die müden.

    In dieses Waldes leisem Rauschen
    Ist mir, als hör ich Kunde wehen,
    Daß alles Sterben und Vergehen
    Nur heimlichstill vergnügtes Tauschen.

            Nikolaus Lenau




Novembersonnenschein


Der Wald wirft seine Blätter ab; viele Bäume sind schon ganz kahl;
andre haben noch etwas Laub; einige sind noch vollbelaubt; aber das
sind wenige.

Vor zwei Wochen, da war es anders. Da hatte der Wald sein rotes
Staatskleid an, das bunteste von allen dreien.

Denn drei hat er; eins aus hellgrüner Foulardseide; das trägt er im
Mai. Dann das aus rotem Atlas, das er Ende Oktober trägt, und das
weiße, mit Silber gestickte, das er nur an sehr schönen Wintertagen
anzieht. Das andere sind alles mehr Alltagskleider, so auch das, was er
jetzt anhat. Aber wenn er Besuch bekommt, vornehmen Besuch, dann macht
er sich trotzdem fein, so gut es geht.

Heute zum Beispiel, denn da kam die Sonne zu Besuch, ein seltener
Gast im November. Da hatte der Wald sich dann schnell hingesetzt und
das fahle Alltagskleid etwas aufgeputzt, einen goldgelben Einsatz
eingenäht, eine hellgrüne Rüsche eingeheftet, einen goldroten Volant
angesetzt, hatte die knallroten Korallen angelegt und eine funkelnde
Brosche vorgesteckt. Fein sah das aus.

Als ich gestern über die Felder ging, war er nicht so fein. Graubraun,
fahlgelb, trübrot, so war sein Kleid, mit stumpfen, dunkelgrünen
Samtaufschlägen. Heute aber ist die ganze Jungbuchenkante ein langer
leuchtender goldroter Strich, als wenn Elbenfeuer brennten. Und im
Walde die Buchenjugenden, die sind bunt wie ein Pantherfell, noch
viel bunter. Denn ein Pantherfell ist rot und schwarz gefleckt; hier
aber ist hellrot und goldbraun, orange und gelb, grün und tiefrot
durcheinander gewirbelt. Von Rechts wegen müßte das unruhig aussehen,
gesucht und augenverwirrend. Aber es wirkt gerade umgekehrt. Es
beruhigt und erfrischt wie sprudelndes Wasser, dieses Sprudeln der
Farben.

Der Querweg ist sauber gefegt, den geh ich nicht. Ich gehe den
laubbedeckten Weg geradeaus. Das ganze Jahr mag ich leise treten im
Walde und gehe um die trockenen Blätter herum; aber im November suche
ich sie, und wo sie am dicksten liegen, gehe ich am liebsten.

Es redet dann so viel, das Rauschelaub. Wenn die Luft grau und der
Himmel tief ist, redet es von Herbst und Sterben, von Vergehen und
Verwesen und predigt das alte Entsagungslied.

Heute aber nicht. Von Ruhe vor neuem Schaffen, von Winterrast vor
jungem Frühling, von stiller Gegenwart und froher Zukunft redet heute
das Rauschelaub.

Hier unter den alten Samenbuchen muß ich stehen bleiben. So schön war
es hier noch nie wie heute, wo die Sonne hier zu Besuch ist an diesem
Novembertag. Ein unendlicher Teppich aus kupferrotem geschorenen Plüsch
bedeckt den Boden; die altsilbernen Stämme der Buchen, der Fichten
tiefviolette Schäfte teilen ihn ein, daß die Augen ihn in Absätzen
genießen sollen.

An vielen Zweigen ist noch Laub, und leise bewegt der Wind diese
Zweige, damit ich sie zuerst sehen soll und mich freuen an ihrem
goldenen Rot und rotem Gold. Langsam schaukeln sie hin und her, und hin
und wieder fällt ein goldenes Blatt von ihnen zu Boden.

[Illustration]

Absichtlich hat der Wind meine Augen abgelenkt; denn jetzt, wo sie dem
einen fallenden Blatt folgten und von ihm weiterwandern, da sahen sie
erst das Allerschönste. Eine Buche ist es, eine schlanke, mit vielen
wagerechten Zweigen. Die hat noch alles Laub. Und darauf fällt die
Sonne mit besonderer Liebe.

Gestern habe ich ihn gar nicht gesehen, diesen goldenen Buchenbaum;
ich bin an ihm vorbeigegangen. Gestern schien die Sonne auch nicht. Es
gibt Menschen, die sieht man auch erst, wenn sie lächeln; da leuchtet
ihr goldenes Herz. Dort unten steht ein junger Ahorn; der leuchtet wie
gelbes Glas. Prächtig sieht er aus und lustig; aber denken kann ich mir
nichts bei ihm, und wenn er auch noch so prahlerisch seine goldgelben,
spreizigen Blätter im Winde dreht. Höchstens, daß es auch solche
Menschen gibt.

Durch das rote, rauschende Laub geh ich weiter. Ein blaugrüner
Brombeerbusch wirft eine rauhe Schlinge um meinen Fuß. Als wenn er
mir etwas sagen wollte. Er will auch etwas sagen, er, der nie blüht
und nie Frucht trägt und Sommer und Winter grünt in demselben harten
Grün. Draußen, am Moorwege oder am sonnigen Rain, wachsen seine Brüder.
Purpurrote Ranken haben sie, prangen im Sommer mit weißen Blüten und im
Herbst mit süßen Früchten und färben im Winter ihr Laub rot und gelb.
Er bleibt aber das ganze Jahr, wie er ist. Denn hier unter dem Schatten
der Buchen kriegt er keine Sonne, hat nicht Luft und Licht. Das bißchen
müde Herbstsonne, das bißchen fahles Winterlicht kann ihn nicht zur
Blüte und Frucht bringen.

Menschen gibt es auch, die so sind. Ihr Leben leben sie im schattigen
Einerlei; sie blühen nicht in ihrem Mai, und wenn sie blühen, es trägt
keine Frucht. Auch der Brombeerstrauch zu meinen Füßen hat wohl einmal
eine Blüte gehabt, aber nie trug er eine Frucht.

Hinter den Fichten an der Waldstraße stehen hohe Kiefern. Schwer,
entsagungsvoll, hängen ihre Zweige. Wenn sie jung sind, sind sie
Himmelsstürmer, langen nach oben mit kecken Zweigen, wachsen und
wachsen, schneller als jeder Baum im Wald, als könnten sie es gar nicht
abwarten. Und wenn sie groß sind, sind sie müde und lassen die Zweige
sinken.

Alles Schnellwüchsige wird früh müde. Unter den Fichten der Adlerfarn,
kraftlos und altersschwach hängt er in den Zweigen des Faulbaums. Und
wie wuchs er im Mai, und wie eilig hatte er es im Juni, und wie gierig
spreizte er im Juli seine Wedel nach rechts und links! Alles Mache,
nichts dahinter!

Wenn ich mir dagegen die winzige Eiche unter ihm ansehe: Drei Jahre ist
sie alt. Dreimal wuchs ihr der freche Farn über den Kopf; aber jedesmal
wurde er auch wieder klein, ganz klein, noch kleiner als die kleine
Eiche.

Ein heller Klang, wie von einer silbernen Glocke, geht durch den
Wald. Der Schwarzspecht ist es. Er lacht den Menschen aus, der in
Novembersonne geht und doch nachdenklich ist. Er hat recht, der
Rotkopf. Nachdenken ist gut genug für graue Tage. An hellen Tagen soll
man leben und lachen.

Rauschelaub, rausch mir das Werdelied von goldener Frühlingszeit, wo
junges Gras aus dir hervorkommt und weiße Blumen zwischen dir winken,
wo alle Vögel singen im sonnigen Frühlingswald!

Gerade hier, wo ich bin, wo das dunkle Schaftheu seine starren Halme
reckt und blanker Efeu schimmert, hier am Grabenrand, da wird es dann
wunderbar sein. Braune Simsenknäulchen werden da zittern; weiß wird
alles sein von Windröschen, und dazwischen wird die goldene Waldnessel
blühn.

Einen großen, runden Fleck malt die Sonne vor mich hin auf rotes Laub
und dunklen Efeu. Und mitten darin blüht es weiß und goldgelb, ein
weißes Sternchen, drei goldene Mäulchen, zwei Frühlingsblüten im späten
Herbst.

Das ist ein Wunder, ein wirkliches Wunder. Alle Windröschen haben im
Frühjahr geblüht; alle Goldnesseln leuchteten im Mai; diese beiden
aber blühen jetzt in dem großen, runden Fleck, den die Sonne auf den
Grabenrand wirft, die Spätherbstsonne.

Denn Sonne bleibt Sonne und behält ihre Kraft. Ringsherum fallen
die Blätter, rund umher welkt das Laub; hier allein blüht ein Stück
Frühling in der Sonne im Wald.

            Hermann Löns




Herbstgold


    Wie war’s im Walde
    Heut wunderhold –
    Die Wipfel alle
    Von rotem Gold!

    Golden der Boden,
    Golden der Duft,
    Fallende Blätter
    Von Gold aus der Luft!

    Und es leuchtet
    Aus Tod und Vergehn
    Golden die Hoffnung
    Aufs Auferstehn.

            Ferdinand Avenarius




Die Zeit der schweren Not


Der Wind pfiff halb von Nord, halb von Ost. Allem, was am Berge lebte,
mißfiel er; alle, Maus und Eichhorn, Has und Reh, Fuchs und Dachs,
blies er in ihre Verstecke, und Bussard und Krähe, Meise und Häher
pustete er über den Kamm des Berges an den Westhang. Es fror, daß es
knackte. Die Weizensaat unter dem Walde winterte aus, die Rinde der
Eiche sprang, still stand der Graben, und der Bach verschwand.

Sieben Tage schnob der bitterböse Wind im Lande umher, dann verlor
er den Atem. Über den Berg stieg eine Wolkenwand, schwarzblau und
schwer, schob sich über den hellen, hohen Himmel und legte sich tief
auf das Land, bis sie sich an den scharfen Klippen des Berges den
Bauch aufschlitzte. Da quoll es heraus, weiß und weich, einen Tag und
eine Nacht und noch einen Tag und noch eine Nacht und so noch einmal,
bis alles zugedeckt war im Lande und auf dem Berge und so sauber
aussah und so reinlich, daß die Sonne vor Freuden lachte. Ihr Lachen
brachte Leben an den Osthang des Berges. Mit einem Male waren die Rehe
wieder da und die Hasen, Fuchs und Dachs fuhren aus ihren Gebäuden,
das Eichhorn verließ den Kobel und die Maus das Loch, Bussard, Krähe
und Häher tauchten auf, und überall wimmelte es von buntem, lustigem
Kleinvogelvolke.

Das Lachen der Sonne war falscher Art, es kündete Blut und Tod. Der
tauende Schnee ballte sich und brach Äste und Bäume; er knickte die
Fichten und krümmte die Jungbuchen, und auf dem Boden überzog der
Schnee sich mit einer Kruste, hart wie Eis und scharf wie Glas. Der
Ostwind hatte ausgeschlafen und blies auf das Neue gegen den Berg. Da
kam die Zeit der schweren Not.

Die Maus hatte ihren Gang unter dem Schnee, das Eichhorn behalf sich
mit Blattknospen und Rinde, der Hase rückte in die Kohlgärten, der
Dachs verschlief die hungrigen Nächte, der Fuchs suchte die Dungstätten
ab. Übel daran aber war das Reh. Die Saat war begraben in steinhartem
Schnee. Die Obermast im Holze war verschwunden. Verschneit waren die
Himbeeren, verweht die Brombeeren, unsichtbar die Heide. Buchenknospen
und dürre Halme, trockene Blätter und harte Stengel, das war alles, was
der Berg an Äsung bot.

[Illustration]

Der Hunger ging durch den Wald. Wo seine Augen ein Reh trafen, da fiel
es ab. Der Hals wurde lang, die Dünnungen tief, rauh die Decke und
immer größer die Lichter.

Langsam und vorsichtig zogen die Rehe am Hange entlang, aber alle
Behutsamkeit half ihnen nichts; eins nach dem anderen trat durch die
Eiskruste des Schnees und zerschabte sich die Läufe. In jedem Wechsel
zeichneten sich blaßrote Flecke ab.

Und wieder baute sich eine schwarzblaue Wand hinter dem Berge auf,
schob sich über den hellen Himmel, legte sich über das Land, riß sich
an den Klippen den Pansen auf und schüttete Schnee auf das Gefilde,
einen ganzen Tag und eine volle Nacht.

Und wieder lächelte die Sonne ihr hinterlistiges Lächeln und machte Eis
aus dem Schnee. Noch langsamer, noch vorsichtiger zogen die Rehe dahin,
mit Hälsen, so dünn wie Heister, schwarze Löcher in den Dünnungen. Und
wo sie zogen, da wurde der Schnee rot.

Der Tod ging durch den Wald. Da war kein Reh am ganzen Berge, das nicht
an den Läufen klagte. Das eine blieb stehen, wo es stand, und zitterte,
bis es fiel. Ein anderes tat sich nieder und stand nicht wieder auf.
Ein drittes stürzte halbverdurstet in die Quellschlucht und erstarrte
im eisigen Wasser.

Noch niemals ging es dem Fuchs so gut, wie da. Sein Tisch war gedeckt,
war reicher beschickt als zur Maienzeit, wenn alle Mäuse hecken und das
Feld von Junghasen wimmelt. Auch der Marder konnte zufrieden sein und
Bussard und Krähe nicht minder; sogar für die bunten Meisen blieb noch
Fraß genug übrig, und die Waldmäuse nagten die letzten Sehnenfetzen von
den Knochen.

Kein Ende der Not kam; jeden Tag ging der Tod seinen Belauf im Berge
ab. Selbst die Hasen schonte er nicht; mancher von ihnen, der sich am
gefrorenen Kohl verdarb, füllte den Pansen des Fuchses, der von Tag zu
Tag mehr in die Breite ging.

Eines Morgens aber fuhr er mit ledigem Leibe zu Baue. Vor der Dickung
lag ein gefallenes Reh, an dem er sich schon eine Nacht gütlich getan
hatte. Doch als er die zweite Nacht heranschnürte, da schlug ihm eine
seltsame Witterung entgegen, ein Geruch, den er nur einmal gewittert
hatte. Rund um den Fleck, wo das gefallene Stück lag, schnürte er, und
eine geschlagene Stunde dauerte es, ehe er sich ein Herz faßte und
heranschlich. Und da stand er und windete und äugte lange Zeit, und
schließlich schnürte er mit hängender Lunte und angelegten Gehören
mißmutig ab; denn sein Reh war fort, war bis auf die Schalen und
einige Deckenfetzen verschwunden, und weiter war nichts da, als die
niederträchtige und dabei doch verlockende Witterung.

Aber der Tod ging immer noch durch den Wald, und er schlug Stück um
Stück mit harter Hand. Der Fuchs verlor den Mut nicht. Behende trabte
er von Wechsel zu Wechsel, bis er einen fand, in dem eine kranke Fährte
stand, und der hing er nach. So ganz leicht war es nicht, sie zu
halten. Es schneite und schneite, und der Wind pfiff böse; er schob
den Schnee von den Blößen vor die Dickungen, fegte ihn hier zusammen,
kehrte ihn dort fort, verdeckte auf weite Strecken die Rotfährte und
verwischte sie endlich völlig. Das ganze helle Holz suchte der Fuchs
ab; er nahm die Fährte wieder auf, wo er sie zuerst gefunden hatte, und
er hing ihr nach bis zu der Stelle, wo sie in der großen Schneewächte
unterging. Da saß er eine ganze Weile auf den Keulen, und dann schnürte
er weiter, hungrig, müde und verdrießlich. Er suchte alle Rehdickungen
ab; sie waren leer. Er schlich durch den Stangenort; da war es tot. Er
trabte den Bach entlang bis zum Vorholze; es war dort unten so wie oben.

Da schnürte er zu Felde, um an der Dieme auf Mäuse zu passen. Als er
dort angelangt war, vergaß er alle Mäuse, denn er fand die kranke
Fährte wieder. Eilig, aber behutsam, nahm er sie auf und hielt sie bis
zu dem Fichtenmantel unter dem Altholze. Immer länger wurde er, denn
immer wärmer wurde die Fährte, und schon war er in den Fichten, da fuhr
er wie besessen heraus und stob in das Feld zurück. Denn in den Fichten
war es nicht geheuer. Es hatte da gebrochen, so laut und so grob, als
wenn ein Mensch da gegangen wäre, und es hatte dort geschnauft und
geschnarcht, wie kein Tier des Waldes zu schnaufen und zu schnarchen
vermag.

In guter Sicherheit stand der Fuchs im Schatten der krausen Feldeiche
und überlegte. Dann holte er sich Wind. In weitem Bogen trabte er
am Vorberge entlang, verschwand bei der Quellschlucht im Altholze,
schnürte hoch über dem Fichtenmantel durch die Räumdungen und schlich
vorsichtig näher. Gerade, als der Mond die Wolken fortschob, kam der
Fuchs bei den Fichten an. Da war es still und einsam. Der Fuchs schlich
näher, den vollen Wind nehmend. Rehwitterung zog ihm entgegen. Langsam
schlich er näher, verhoffte, schlich wieder näher, der guten Witterung
entgegen; da fuhr er zurück. Denn da war eine zweite Witterung, die
fremde Witterung von vorhin, dieselbe, die er bei dem gefallenen Stück
wahrgenommen hatte, das ihm verlorengegangen war, eine unbekannte,
verdächtige, absonderliche, geheimnisvolle, niederträchtige Witterung,
zwar keine von Mensch oder Hund, aber immerhin nicht ungefährlich
und auf keinen Fall vertrauenswert. Und jetzt der Ton! Ein Blasen,
Schnaufen, Schnarchen, wie es nachts oft aus den Ställen bei den
Gehöften kommt. Der Fuchs drehte um und stahl sich davon. Er traute
dem Frieden nicht.

Eine gelbgesäumte Wolke brachte den Mond wieder zu Bett. Das
Schneetreiben setzte abermals ein. Da blies es lauter in den Fichten,
da krachte es im Schnee, brach es in dem Fallholz, und schwarz und groß
schob es sich aus der Dickung, verhoffte, nahm laut schnaubend Wind,
trat dichter an das gefallene Stück, daß der harte Schnee krachend
zerbrach, prüfte noch einmal blasend den Wind und nahm dann den Fraß an.

Der Waldkauz, der allabendlich an dem Tannenmantel entlangstrich, um
eine Maus zu schlagen oder einen Vogel aus dem Verstecke zu klatschen,
rüttelte einen Augenblick neugierig über der kleinen Lichtung, von der
ein lautes, gieriges Schmatzen und Schlabbern erscholl, untermischt mit
dem Knirschen der Schneekruste und dem Krachen von Knochen. Dann strich
die Eule ab; wo es so laut war, gab es für sie nichts zu fangen.

Als der Fuchs am Spätnachmittage des anderen Tages den Tannenmantel
absuchte, fand er dort, wo das Schmalreh gelegen hatte, nur noch die
Schalen, einige zertrümmerte Knochen und etliche Fetzen der Decke in
dem zerwühlten, niedergetretenen, besudelten Schnee. Alles andere hatte
der von weither zugewechselte, versprengte Schwarzkittel verschlungen.

Der Tod ging immer noch durch den Wald, aber dem Fuchs bescherte er
nicht. Jedes Stück, das Hunger und Hartschnee umwarfen, verschwand im
Gebräche der Sau, so daß auch Reineke empfand, daß sie gekommen war,
die Zeit der schweren Not.

            Hermann Löns




Am Futterplatz


    Still träumt der Wald in tiefem Schnee.
    Ein weißer Dom schließt rings mich ein;
    Durch seine Lücken in der Höh
    Blickt grauer Winterhimmel drein.
    Wie starr der Bäume Säulen stehn!
    Von überall haucht’s kalt mich an;
    Und doch: wie schön, wie wunderschön!
    Ein Märchen, das der Tod ersann.

    Zuweilen wie ein Glöcklein klingt’s:
    Das ist der Meise Silberton;
    Durchs weiße Netzwerk oben schwingt’s
    Und ist im Nu dem Blick entflohn.
    Und dort: ein Werk der Menschenhand –
    Gestützte Dächer, dick verschneit –
    Im unbarmherz’gen Winterland
    Ein Tempel der Barmherzigkeit.

    Im weißen Grunde scharrt das Reh
    Und äugt und wittert langsam fort:
    Kein nährsam Hälmchen überm Schnee,
    Und drunter alles Grün verdorrt.
    Und näher stampft es, da – und da –
    Am nächsten Busche rührt sich’s schon.
    Zum Tempel kommt von fern und nah
    Die hungrig stumme Prozession.

    Der Wärtel hat gedeckt den Tisch:
    Die Raufen füllt das duft’ge Heu.
    Nun quillt’s in schwärzlichem Gemisch
    Und zupft behaglich sonder Scheu …
    Ich späh versteckt; mein Auge hängt
    An ihrer zierlichen Gestalt,
    Bis alles satt und weiter drängt –
    Und wieder einsam träumt der Wald.

            Victor Blüthgen




Fichtennadelduft


    Durch schwülen Wald in Sommertagen,
    Wo der Pirol aus Wipfeln rief,
    Sonst alles ruhte, alles schlief,
    Da ging ich, wo man Holz geschlagen.
    Der sommerlichen Sonne Gluten,
    Sie senkten sich in goldnen Fluten
    Hin auf den unbeschützten Grund –
    Ein süßer Fichtennadelduft
    Erfüllte rings die heiße Luft,
    Still brütend in der Lichtung Rund.
    Und wie auf Schwingen fortgetragen,
    Hinflog mein Geist zu Wintertagen,
    Wo in des Zimmers stillem Kreis
    Der Tannenbaum die harz’gen Düfte,
    Haucht in die sanft durchwärmten Lüfte,
    Und Rauschgold knistert zart und leis.
    Und meinen Busen fühlt ich’s dehnen,
    Und mich befiel ein kindlich Sehnen
    Nach dir, du holde Weihnachtszeit.
    Was darf man in des Sommers Reichen
    Wohl deinem stillen Glanz vergleichen
    Und deiner trauten Heimlichkeit!

    Die Zeit verging. – In Wintertagen,
    Da wurden Buden aufgeschlagen
    Mit all dem sonderlichen Tand.
    Das Wunder stieg vom Himmel wieder
    Auf die verschneite Erde nieder –
    Die heil’ge Weihnacht kam ins Land.
    Es stand die schön geschmückte Fichte
    In farb’gem Glanz, in hellem Lichte,
    Ein goldumglänzter Märchenbaum.
    Doch als der Zweige harz’ges Düften
    Nun schwebte in den warmen Lüften,
    Kam’s über mich gleichwie ein Traum.
    Da ward mein Geist hinweggetragen
    Zu glutgetränkten Sommertagen –
    Ich hört ihn rufen, den Pirol,
    Und Vogelsang und blühende Wälder,
    Und grüne Wiesen, goldne Felder –
    Ein Märchen schienen sie mir wohl. –
    Und meinen Busen fühlt ich’s dehnen,
    Und mich befiel ein tiefes Sehnen
    Mit drängend-lieblicher Gewalt,
    Und als ein Glück, nicht auszusagen,
    Erschien es mir: in Sommertagen
    Zu wandern durch den grünen Wald!

            Heinrich Seidel

[Illustration]




Der vereisete Wald


Da wir endlich gegen den Taugrund kamen und der Wald, der von der
Höhe herabzieht, anfing, gegen unsern Weg herüberzulangen, hörten wir
plötzlich in dem Schwarzholze, das auf dem schön emporragenden Felsen
steht, ein Geräusch, das sehr seltsam war und das keiner von uns je
vernommen hatte – es war, als ob viele Tausende oder gar Millionen von
Glasstangen durcheinander rasselten und in diesem Gewirre fort in die
Entfernung zögen. Das Schwarzholz war doch zu weit zu unserer Rechten
entfernt, als daß wir den Schall recht klar hätten erkennen können, und
in der Stille, die in dem Himmel und auf der Gegend war, ist er uns
recht sonderbar erschienen. Wir fuhren noch eine Strecke fort, ehe wir
den Fuchs aufhalten konnten, der im Nachhauserennen begriffen war und
auch schon trachten mochte, aus diesem Tage in den Stall zu kommen. Wir
hielten endlich und hörten in den Lüften gleichsam ein unbestimmtes
Rauschen, sonst aber nichts. Das Rauschen hatte jedoch keine
Ähnlichkeit mit dem fernen Getöse, das wir eben durch die Hufschläge
unseres Pferdes hindurch gehört hatten. Wir fuhren wieder fort und
näherten uns dem Walde des Taugrundes immer mehr und sahen endlich
schon die dunkle Öffnung, wo der Weg in das Gehölze hineingeht. Wenn es
auch noch früh am Nachmittage war, wenn auch der graue Himmel so licht
schien, daß es war, als müßte man den Schimmer der Sonne durchsinken
sehen, so war es doch ein Winternachmittag, und es war so trübe, daß
sich schon die weißen Gefilde vor uns zu entfärben begannen und in dem
Holze Dämmerung zu herrschen schien. Es mußte aber doch nur scheinbar
sein, indem der Glanz des Schnees gegen das Dunkel der hintereinander
stehenden Stämme abstach.

Als wir an die Stelle kamen, wo wir unter die Wölbung des Waldes
hineinfahren sollten, blieb der Thomas stehen. Wir sahen vor uns
eine sehr schlanke Fichte zu einem Reife gekrümmt stehen und einen
Bogen über unsere Straße bildend, wie man sie einziehenden Kaisern
zu machen pflegt. Es war unsäglich, welche Pracht und Last des Eises
von den Bäumen hing. Wie Leuchter, von denen unzählige umgekehrte
Kerzen in unerhörten Größen ragten, standen die Nadelbäume. Die Kerzen
schimmerten alle von Silber, die Leuchter waren selber silbern und
standen nicht überall gerade, sondern manche waren nach verschiedenen
Richtungen geneigt. Das Rauschen, welches wir früher in den Lüften
gehört hatten, war uns jetzt bekannt; es war nicht in den Lüften;
jetzt war es bei uns. In der ganzen Tiefe des Waldes herrschte es
ununterbrochen fort, wie die Zweige und Äste krachten und auf die Erde
fielen. Es war um so fürchterlicher, da alles unbeweglich stand; von
dem ganzen Geglitzer und Geglänze rührte sich kein Zweig und keine
Nadel, außer wenn man nach einer Weile wieder auf einen gebogenen Baum
sah, daß er von den ziehenden Zapfen niederer stand. Wir harrten und
schauten hin, man weiß nicht, war es Bewunderung oder war es Furcht,
in das Ding hineinzufahren. Unser Pferd mochte die Empfindungen in
einer Ähnlichkeit teilen; denn das arme Tier schob, die Füße sachte
anziehend, den Schlitten in mehreren Rucken etwas zurück.

Wie wir noch dastanden und schauten – wir hatten noch kein Wort
geredet –, hörten wir wieder den Fall, den wir heute schon zweimal
vernommen hatten. Jetzt war es uns aber völlig bekannt. Ein helles
Krachen, gleichsam wie ein Schrei, ging vorher, dann folgte ein kurzes
Wehen, Sausen oder Streifen, und dann der dumpfe, dröhnende Fall,
mit dem ein mächtiger Stamm auf der Erde lag. Der Knall ging wie ein
Brausen durch den Wald und durch die Dichte der dämpfenden Zweige; es
war auch noch ein Klingeln und Geschimmer, als ob unendliches Glas
durcheinander geschoben und gerüttelt würde – dann war es wieder wie
vorher, die Stämme standen und ragten durcheinander, nichts regte sich,
und das stillstehende Rauschen dauerte fort. Es war merkwürdig, wenn
ganz in unserer Nähe ein Ast oder Zweig oder ein Stück Eis fiel; man
sah nicht, woher es kam, man sah nur schnell das Herniederblitzen,
hörte etwa das Aufschlagen, hatte nicht das Emporschnellen des
verlassenen und erleichterten Zweiges gesehen, und das Starren, wie
früher, dauerte fort.

Es wurde uns begreiflich, daß wir in den Wald nicht hineinfahren
konnten. Es mochte irgendwo schon über den Weg ein Baum mit all seinem
Geäste liegen, über den wir nicht hinüber konnten, und der nicht zu
umgehen war, weil die Bäume dicht stehen, ihre Nadeln vermischen und
der Schnee bis an das Geäste und Geflechte des Niedersatzes ragte. Wenn
wir dann umkehrten und auf dem Wege, auf dem wir gekommen waren, zurück
wollten, und da sich etwa auch unterdessen ein Baum herübergelegt
hätte, so wären wir mitten darinnen gewesen. Der Regen dauerte
unablässig fort, wir selber waren schon wieder eingehüllt, daß wir
uns nicht regen konnten, ohne die Decke zu zerbrechen, der Schlitten
war schwerfällig und verglast, und der Fuchs trug seine Lasten – wenn
irgend etwas in den Bäumen um eine Unze an Gewicht gewann, so mochte es
fallen, ja die Stämme selber mochten brechen, die Spitzen der Zapfen,
wie Keile, mochten niederfahren, wir sahen ohnedem auf unserm Wege,
der vor uns lag, viele zerstreut, und während wir standen, waren in der
Ferne wieder dumpfe Schläge zu vernehmen gewesen. Wie wir umschauten,
woher wir gekommen, war auf den Feldern und in der Gegend kein Mensch
und kein lebendiges Wesen zu sehen. Nur ich mit dem Thomas und mit dem
Fuchse waren allein in der freien Natur. Ich sagte dem Thomas, daß wir
umkehren müßten. Wir fuhren dann, so schnell wir konnten, gegen die uns
zunächst gerichteten Eidunhäuser zurück.

            Adalbert Stifter




Winter im Hochwald


    Den Fels erstieg, demantenübersät,
    Im Hermelin des Winters Majestät.

    Die Faust gekrampft in den vereisten Bart,
    Hält sinnend er hier Rast von langer Fahrt.

    Kein Laut, kein Lauscher stört des Alten Ruh.
    Bald fallen ihm die müden Augen zu …

    Ein fernes Fuchsgebell erstirbt im Forst;
    Leis schwebt ein Adler zum verschwiegnen Horst,

    Und tief im Grunde tritt ein scheues Reh
    Lautlos heraus an den erstarrten See. –

    Dies ist die Stunde, wo die müde Zeit
    Zu schlummern scheint im Schoß der Ewigkeit,

    Wo uns der weiterschlossne Himmel still
    Sein wundersam Geheimnis künden will,

    Und durch die Wälder leis von Baum zu Baum
    Ein Flüstern geht, ein goldner Frühlingstraum.

            Paul Wolf




Der Tannenbaum


Draußen im Walde stand ein niedlicher Tannenbaum. Er hatte einen guten,
luftigen Platz, war freundlich von der Sonne beschienen, und ringsumher
wuchsen viele größere Kameraden, Tannen und Fichten. Der kleine
Tannenbaum wünschte aber so sehnlich, größer zu werden! Er achtete
nicht der warmen Sonne und der frischen Luft, er kümmerte sich nicht
um die Bauernkinder, die in den Wald kamen, um Erdbeeren und Himbeeren
zu sammeln. Oftmals kamen sie mit einem ganzen Topf voll und hatten
Erdbeeren an einen Strohhalm gereiht; dann setzten sie sich neben den
kleinen Tannenbaum und sagten: »Wie niedlich klein ist der!« Das mochte
der Baum aber nicht hören.

Im folgenden Jahre wurde er schon um einen Ansatz größer und das Jahr
darauf wieder; denn an den Tannenbäumen kann man an den Ansätzen, die
sie haben, sehen, wie viele Jahre sie alt sind.

»O, wäre ich doch ein großer Baum,« seufzte er, »dann könnte ich meine
Zweige weit umher ausbreiten und mit dem Gipfel in die weite Welt
hinausblicken! Die Vögel würden dann ihre Nester in meinen Zweigen
bauen, und wenn der Wind wehte, könnte ich ebenso vornehm nicken wie
die andern!«

Er hatte keine Freude am Sonnenschein, an den Vögeln und an den
rötlichen Wolken, die morgens und abends über ihn hinsegelten.

War es dann Winter und der Schnee lag blendendweiß ringsumher, so kam
zuweilen ein Hase angesprungen und setzte gerade über den kleinen Baum
weg – o, wie er sich darüber ärgerte! – Aber zwei Winter vergingen, und
im dritten war das Bäumchen schon so groß, daß der Hase um dasselbe
herumlaufen mußte. »O, wachsen, wachsen, groß und alt werden, das ist
doch das einzig Schöne in dieser Welt!« dachte der Baum.

Im Spätherbst kamen Holzhauer und fällten einige der größten Bäume. Das
geschah alle Jahre, und den jungen Tannenbaum schauerte dabei, denn
die großen Bäume fielen mit Prasseln und Krachen zur Erde, die Zweige
wurden ihnen abgehauen, so daß die Bäume ganz nackt aussahen; sie waren
fast nicht mehr zu erkennen. Aber dann wurden sie auf Wagen gelegt, und
Pferde zogen sie davon. Wo kamen sie hin?

Im Frühjahr, als die Schwalbe und der Storch geflogen kamen, fragte sie
der Baum: »Wißt ihr nicht, wohin sie geführt wurden? Seid ihr ihnen
nicht begegnet?«

Die Schwalbe wußte nichts; aber der Storch sah sehr nachdenklich aus,
nickte mit dem Kopfe und sagte: »Ja, ich glaube fast! Mir begegneten
viele neue Schiffe, als ich aus Ägypten flog; auf den Schiffen
waren prächtige Mastbäume; ich glaube, daß sie es waren; sie hatten
Tannengeruch; ich kann vielmals grüßen; sie sahen stolz und prächtig
aus und überragten alles.«

»O, wäre ich doch auch groß genug, um so über das Meer hinfahren zu
können! Wie sieht denn eigentlich das Meer aus?«

»Ja, das zu erklären, ist zu weitläufig,« sagte der Storch und ging
fort.

»Freue dich deiner Jugend!« sagten die Sonnenstrahlen, »freue dich des
jungen Lebens, das in dir ist!«

Und der Wind küßte den Baum, und der Tau weinte Tränen über ihn; aber
das alles verstand der Tannenbaum nicht.

Gegen Weihnachten wurden ganz junge Bäume gefällt, die oft nicht einmal
so groß wie dieser Tannenbaum waren, der weder Ruhe noch Rast hatte,
sondern immer davon wollte. Diese jungen Bäume – es waren gerade die
allerschönsten – behielten immer alle ihre Zweige; sie wurden auf Wagen
gelegt, und Pferde zogen sie fort.

»Wohin sollen die?« fragte der Tannenbaum. »Sie sind nicht größer als
ich, ja einer war sogar noch kleiner! Weshalb behielten sie alle ihre
Zweige? Wohin fahren sie?«

»Das wissen wir! das wissen wir!« zwitscherten die Sperlinge. »In der
Stadt haben wir in die Fenster gesehen! Wir wissen, wohin sie fahren!
O, sie gelangen zur größten Pracht und Herrlichkeit! Wir haben gesehen,
daß sie mitten in der warmen Stube aufgepflanzt und mit vergoldeten
Äpfeln, Honigkuchen, Spielzeug und vielen Hunderten von Lichtern
geschmückt werden.«

»Und dann?« fragte der Tannenbaum und bebte an allen Zweigen. »Und
dann? Was geschieht dann?«

»Ja, mehr haben wir nicht gesehen!«

»Ob ich wohl auch bestimmt bin, diesen strahlenden Weg zu betreten?«
jubelte der Tannenbaum. »Das ist noch schöner, als über das Meer zu
ziehen! Wäre es doch Weihnachten! Nun bin ich groß, wie die anderen,
die im vorigen Jahre weggeführt wurden! – O, wäre ich erst auf dem
Wagen! Wäre ich doch erst in der warmen Stube mit aller Pracht und
Herrlichkeit! Und dann –? Ja, dann kommt noch etwas weit Schöneres,
weshalb würden sie uns sonst so schmücken! Es muß noch etwas
Herrlicheres kommen –! Aber was? O, ich sehne mich, ich weiß selbst
nicht, wie mir ist!«

»Freue dich,« sagten die Luft und das Sonnenlicht, »deiner frischen
Jugend im Freien!«

Aber er freute sich gar nicht und wuchs und wuchs; Winter und Sommer
stand er grün; die Leute, die ihn sahen, sagten: »Das ist ein hübscher
Baum!« Und zu Weihnachten wurde er vor allen zuerst gefällt. Die Axt
hieb tief ein, der Baum fiel mit einem Seufzer zu Boden; er fühlte
einen Schmerz, eine Art Ohnmacht, er konnte gar nicht an das kommende
Glück denken, er war betrübt, von der Heimat scheiden zu müssen; er
wußte ja, daß er die lieben alten Kameraden, die kleinen Büsche und
Blumen ringsum nie mehr erblicken würde, ja vielleicht nicht einmal die
Vögel. Die Abreise war gar nicht angenehm.

Der Baum kam erst in einem Hofe in der Stadt wieder ganz zu sich, als
er einen Mann sagen hörte: »Dieser hier ist prächtig! Wir brauchen nur
diesen!«

Nun kamen zwei Diener und trugen den Tannenbaum in einen großen,
schönen Saal. An den Wänden hingen Bilder, und neben dem Kachelofen
standen große chinesische Vasen. Da gab es Schaukelstühle, seidene
Sofas, große Tische voller Bilderbücher und Spielzeug. Der Tannenbaum
wurde in ein großes, mit Sand gefülltes Faß gestellt; aber niemand
konnte sehen, daß es ein Faß war; denn es wurde mit grünen Zweigen
behängt und stand auf einem großen, bunten Teppich. O, wie der Baum vor
Erwartung bebte! Was wird nun wohl vorgehen? Zunächst kamen Diener und
Fräulein und schmückten ihn. An seine Zweige hingen sie kleine Netze
aus farbigem Papier; jedes Netz war mit Zuckerwerk gefüllt; vergoldete
Äpfel und Nüsse hingen herab, und über hundert rote, blaue und weiße
kleine Lichter wurden in die Zweige gesteckt. Puppen, die wie Menschen
aussahen, schwebten im Grünen, und oben auf der Spitze wurde ein Stern
von Flittergold befestigt. Das war prächtig, ganz unvergleichlich
prächtig!

»Heut abend,« sagten alle, »heut abend wird er strahlen!«

»O!« dachte der Baum, »wäre es doch Abend! Würden nur die Lichter bald
angezündet! Und was dann wohl geschieht? Ob da wohl Bäume aus dem Walde
kommen, um mich anzuschauen? Ob die Sperlinge gegen die Fensterscheiben
fliegen? Ob ich hier festwachse und Winter und Sommer geschmückt
dastehen werde?«

Er hatte ordentlich Borkenweh vor lauter Sehnsucht, und Borkenweh ist
für einen Baum ebenso schlimm, wie Kopfschmerzen für uns andre.

Nun wurden die Lichter angezündet. Welcher Glanz! Welche Pracht! Der
Baum bebte dabei in allen Zweigen so, daß eins der Lichter das Grüne
anbrannte.

»Gott bewahre uns!« schrien die Fräulein und löschten es schnell aus.

Jetzt durfte der Baum nicht einmal mehr beben. Ihm war so bange, etwas
von seinem Schmuck zu verlieren; er war ganz geblendet von all dem
Glanze. Und nun gingen die Zimmertüren auf, und eine Menge Kinder
stürzten herein, als wollten sie den Baum umwerfen; die älteren Leute
kamen langsam nach. Die Kleinen standen ganz stumm, aber nur einen
Augenblick, dann jubelten sie wieder, tanzten um den Baum herum, und
ein Geschenk nach dem andern wurde abgepflückt.

»Was machen sie denn?« dachte der Baum. Und die Lichter brannten bis
an die Zweige herunter, und je nachdem eins niederbrannte, wurde es
ausgelöscht, und dann erhielten die Kinder Erlaubnis, den Baum zu
plündern. O, die stürzten auf ihn ein, daß er in allen Zweigen knackte;
wäre er nicht mit der Spitze an der Decke befestigt gewesen, so hätten
sie ihn sicher umgeworfen.

Die Kinder tanzten dann mit ihrem prächtigen Spielzeuge herum. Niemand
sah nach dem Baume, als die alte Kindsfrau, welche zwischen die Zweige
blickte, aber nur, um zu sehen, ob nicht noch eine Feige oder ein Apfel
vergessen worden sei.

»Eine Geschichte! Eine Geschichte!« riefen die Kinder und zogen einen
kleinen, dicken Mann gegen den Baum hin; und er setzte sich gerade
unter denselben, »denn da sind wir im Grünen,« sagte er, »und der
Baum kann Nutzen davon haben, wenn er aufmerksam zuhört! Aber ich
erzähle nur eine Geschichte. Wollt ihr die von Ivede-Avede oder die von
Klumpe-Dumpe hören, der die Treppe herunterfiel und doch die Prinzessin
erhielt?«

»Ivede-Avede!« schrien einige, »Klumpe-Dumpe!« schrien andre; das war
ein Rufen und Schreien! Nur der Tannenbaum schwieg und dachte: »Komme
ich gar nicht mit, werde ich nichts dabei zu tun haben?«

Und der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, welcher die Treppe herunterfiel
und doch die Prinzessin erhielt. Und die Kinder klatschten in die
Hände und riefen: »Erzähle! erzähle!« Sie wollten auch die Geschichte
von Ivede-Avede hören; aber sie mußten sich mit der von Klumpe-Dumpe
begnügen. Der Tannenbaum stand ganz nachdenklich und still, nie hatten
die Vögel im Walde dergleichen erzählt. »Klumpe-Dumpe fiel die Treppe
herunter und bekam doch die Prinzessin! Ja, ja, so geht es in der
Welt!« dachte der Tannenbaum und glaubte, daß es wahr sei. »Ja, ja,
wer kann es wissen! Vielleicht falle ich auch die Treppe hinunter und
bekomme eine Prinzessin.« Und er freute sich darauf, den nächsten Tag
wieder mit Lichtern, Spielzeug, Gold und Früchten geputzt zu werden.

»Morgen werde ich nicht zittern!« dachte er. »Ich will mich recht
meiner Herrlichkeit freuen. Morgen werde ich wieder die Geschichte von
Klumpe-Dumpe oder auch die von Ivede-Avede hören.« Und der Baum stand
die ganze Nacht still und träumte von dem Erlebten.

Am andern Morgen kamen die Diener und das Mädchen herein.

»Nun beginnt das Schmücken aufs neue!« dachte der Baum. Aber sie
schleppten ihn die Treppe hinauf auf den Boden und stellten ihn in
einen dunklen Winkel. »Was soll das bedeuten?« dachte der Baum. »Was
werde ich hier wohl hören sollen?« Und er lehnte sich an die Mauer und
dachte und dachte. Wahrlich, er hatte Zeit genug; denn es vergingen
Tage und Nächte; aber niemand kam herauf. Als endlich jemand kam, so
geschah es nur, um einige große Kasten in den Winkel zu stellen. Nun
stand der Baum so versteckt, als ob er ganz und gar vergessen wäre.

»Jetzt ist es Winter draußen!« dachte der Baum. »Die Erde ist gefroren
und mit Schnee bedeckt, die Menschen können mich jetzt nicht pflanzen,
deshalb soll ich wohl bis zum Frühjahr hier im Schutze stehen! Wie die
Menschen doch so gut sind! Wäre es nur nicht so dunkel hier und so
schrecklich einsam! Nicht einmal ein kleiner Hase kommt zu mir! Das
war doch so hübsch da draußen im Walde, wenn der Schnee lag und der
Hase vorbeilief, ja, selbst als er über mich hinwegsprang; aber damals
konnte ich es nicht leiden. Hier ist es doch schrecklich einsam!«

»Pip, pip!« sagte da eine kleine Maus und huschte hervor, und dann kam
noch eine. Sie beschnüffelten den Tannenbaum und schlüpften zwischen
seine Zweige.

»Es ist eine furchtbare Kälte!« sagten die kleinen Mäuse. »Sonst ist
es hier gut sein! Nicht wahr, du alter Tannenbaum?«

»Ich bin gar nicht alt!« sagte der Tannenbaum, »es gibt viel ältere als
ich bin!«

»Woher kommst du?« fragten die Mäuse, »und was weißt du?« Sie waren
sehr neugierig. »Erzähle uns doch. Bist du schon an dem herrlichsten
Orte auf Erden, in der Speisekammer, gewesen, wo die Käse liegen und
die Schinken hängen, wo man auf Talglichtern tanzt, mager hinein- und
fett herauskommt?«

»Das kenne ich nicht!« sagte der Baum. »Aber den Wald kenne ich, wo die
Sonne scheint und wo die Vögel singen!« Und dann erzählte er alles aus
seiner Jugend, und die kleinen Mäuse horchten auf und sagten: »Wie viel
du doch gesehen hast! Wie glücklich du gewesen bist!«

»Ich?« sagte der Tannenbaum, und dachte über das, was er selbst
erzählte, nach. »Ja, es waren im Grunde recht fröhliche Zeiten!« – Aber
dann erzählte er vom Weihnachtsabend, wo er mit Zuckerwerk und Lichtern
geschmückt war.

»O!« sagten die kleinen Mäuse, »wie glücklich du gewesen bist, du alter
Tannenbaum!«

»Ich bin gar nicht alt!« sagte der Baum, »erst diesen Winter bin ich
vom Walde gekommen! Ich bin nur sehr rasch gewachsen!«

»Wie schön du erzählst!« sagten die kleinen Mäuse. Und in der nächsten
Nacht kamen sie mit vier anderen Mäuschen, die den Baum erzählen hören
sollten, und je mehr er erzählte, desto deutlicher erinnerte er sich
selbst an alles und dachte: »Es waren doch fröhliche Zeiten! Aber sie
können wiederkehren! Klumpe-Dumpe fiel die Treppe hinunter und erhielt
doch die Prinzessin!« Und dann dachte der Tannenbaum an eine niedliche
Birke draußen im Walde; das war für ihn eine wirkliche Prinzessin.

»Wer ist Klumpe-Dumpe?« fragten die Mäuschen. Dann erzählte der
Tannenbaum das Märchen; er konnte sich jedes Wortes entsinnen, und die
Mäuse wollten vor lauter Freude bis an die Spitze des Baumes springen.
In der folgenden Nacht kamen noch mehr Mäuse und am Sonntage sogar zwei
Ratten. Aber die meinten, die Geschichte sei nicht hübsch, und das
betrübte die kleinen Mäuse, denn nun gefiel sie ihnen auch nicht mehr
recht.

»Wissen Sie nur die eine Geschichte?« fragten die Ratten.

»Nur die eine!« sagte der Baum, »die hörte ich an meinem glücklichsten
Abend. Damals dachte ich nicht daran, wie glücklich ich doch war.«

»Das ist eine langweilige, schlechte Geschichte! Wissen Sie keine von
Speck oder Talglicht? Keine Speisekammer-Geschichte?«

»Nein!« sagte der Baum.

»Dann danken wir dafür!« erwiderten die Ratten und gingen fort.

Die kleinen Mäuse blieben zuletzt auch weg, und da seufzte der Baum:
»Es war doch ganz hübsch, als sie um mich herumsaßen und zuhörten, wie
ich erzählte! Nun ist auch das vorbei! Aber ich werde daran denken,
mich zu freuen, wenn ich wieder hervorgeholt werde.« Das dauerte aber
recht lange.

Endlich eines Morgens kamen Leute und wirtschafteten auf dem Boden; die
Kasten wurden weggesetzt und der Baum hervorgezogen; sie warfen ihn
freilich ziemlich hart hin, aber ein Diener schleppte ihn sogleich nach
der Treppe, wo es hell war.

»Nun beginnt das Leben wieder!« dachte der Baum; er fühlte die frische
Luft, die ersten Sonnenstrahlen, und nun war er draußen im Hofe. Alles
ging sehr rasch; der Baum vergaß ganz, sich selbst zu betrachten. Der
Hof stieß an einen Garten, und alles blühte darin; die Rosen hingen
frisch und duftend über das niedere Gitter hinaus, die Lindenbäume
blühten, und die Schwalben flogen umher und zwitscherten: »Quirre-virre
vit, mein Mann ist kommen!« Aber es war nicht der Tannenbaum, den sie
meinten.

»Nun will ich leben!« jubelte dieser und breitete seine Zweige weit
aus; aber ach, sie waren alle vertrocknet und gelb, und er lag da im
Winkel zwischen Unkraut und Nesseln! Der goldene Stern saß noch oben an
der Spitze und glänzte im Sonnenschein.

Im Hofe spielten einige von den Kindern, die zu Weihnachten den Baum
umtanzt hatten und so fröhlich gewesen waren. Eins lief hin und riß den
Goldstern ab.

»Sieh, was da noch an dem alten, häßlichen Tannenbaum sitzt!« sagte es
und trat auf die Zweige, so daß sie unter seinen Stiefeln knackten.

Und der Baum sah all die prachtvollen Pflanzen und Bäume im Garten,
betrachtete sich dann selbst und wünschte, daß er in seinem dunkeln
Winkel auf dem Boden liegen geblieben wäre; er dachte an seine frische
Jugend im Walde, an den lustigen Weihnachtsabend und an die kleinen
Mäuse, die so gerne die Geschichte von Klumpe-Dumpe angehört hatten.

»Vorbei! vorbei!« seufzte der arme Baum. »Hätte ich mich doch gefreut,
als ich es noch konnte! Vorbei! Vorbei!«

Und der Knecht kam und hieb den Baum in viele kleine Stücke; ein ganzer
Haufen lag da; ein großes Bündel wurde daraus gemacht und in die Küche
getragen; hell flackerte es auf unter dem großen Braukessel. Der Baum
seufzte tief, und jeder Seufzer glich einem kleinen Schusse. Deshalb
liefen die Kinder herbei und setzten sich vor das Feuer, blickten
in dasselbe hinein und riefen: »Piff! Paff!« Aber bei jedem Knalle,
der ein tiefer Seufzer war, dachte der Baum an einen Sommertag im
Walde oder an eine Winternacht, wenn die Sterne so hell funkelten;
er dachte an den Weihnachtsabend und an Klumpe-Dumpe, das einzige
Märchen, welches er gehört hatte und zu erzählen wußte, und dann war er
verbrannt.

Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste steckte an die Brust
den Goldstern, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen
hatte. Aber der war vorbei, und mit dem Baum war es auch vorbei!

Vorbei! vorbei! So geht es mit allen Geschichten.

            Hans Christian Andersen




Gefunden


    Ich ging im Walde
    So für mich hin,
    Und nichts zu suchen,
    Das war mein Sinn.

    Im Schatten sah ich
    Ein Blümchen stehn,
    Wie Sterne leuchtend,
    Wie Äuglein schön.

    Ich wollt es brechen,
    Da sagt es fein:
    Soll ich zum Welken
    Gebrochen sein?

    Ich grub’s mit allen
    Den Würzlein aus,
    Zum Garten trug ich’s
    Am hübschen Haus.

    Und pflanzt es wieder
    Am stillen Ort;
    Nun zweigt es immer
    Und blüht so fort.

            Wolfgang von Goethe




Ein kleines Nest


    Ein kleines Nest, o sagt mir an,
    Was uns so herzig rührt daran?
    Ein Halmenkranz ist es doch bloß,
    Ein Züpflein Gras, ein Flöcklein Moos,
    Darin ein Blatt, ein Borkenstück
    Und – eine ganze Welt voll Glück.

            Julius Lohmeyer




Das Blatt im Buche


      Ich hab eine alte Muhme,
    Die ein altes Büchlein hat,
    Es liegt in dem alten Buche
    Ein altes, dürres Blatt.

      So dürr sind wohl auch die Hände,
    Die einst im Lenz ihr’s gepflückt.
    Was mag doch die Alte haben?
    Sie weint, so oft sie’s erblickt.

            Anastasius Grün




Wanderers Nachtlied


    Über allen Gipfeln
    Ist Ruh;
    In allen Wipfeln
    Spürest du
    Kaum einen Hauch;
    Die Vögelein schweigen im Walde.
    Warte nur, balde
    Ruhest du auch.

            Wolfgang von Goethe




Abschied


    O Täler weit, o Höhen,
    O schöner grüner Wald,
    Du meiner Lust und Wehen
    Andächt’ger Aufenthalt!
    Da draußen, stets betrogen,
    Saust die geschäftige Welt,
    Schlag noch einmal die Bogen
    Um mich, du grünes Zelt!

    Wenn es beginnt zu tagen,
    Die Erde dampft und blinkt,
    Die Vögel lustig schlagen,
    Daß dir dein Herz erklingt:
    Da mag vergehn, verwehen
    Das trübe Erdenleid,
    Da sollst du auferstehen
    In junger Herrlichkeit!

    Da steht im Wald geschrieben
    Ein stilles, ernstes Wort
    Von rechtem Tun und Lieben
    Und was des Menschen Hort.
    Ich habe treu gelesen
    Die Worte schlicht und wahr,
    Und durch mein ganzes Wesen
    Ward’s unaussprechlich klar.

    Bald werd ich dich verlassen,
    Fremd in die Fremde gehn,
    Auf buntbewegten Gassen
    Des Lebens Schauspiel sehn;
    Und mitten in dem Leben
    Wird deines Ernsts Gewalt
    Mich Einsamen erheben:
    So wird mein Herz nicht alt.

            Joseph von Eichendorff




Inhalt


                                                               Seite

    Geleitspruch des deutschen Spielmanns                          3

    Gegrüßt, gegrüßt, ihr trauten Waldeshallen! [Avenarius]        4

    Jetzt rede du! [Meyer]                                         4

    Erster Mai [Greif]                                             4

    Der Herr des Waldes [Sergel]                                   5

    Morgens im Walde [Ebert]                                       5

    Die Waldkapelle [Scherer]                                      6

    Waldesstimme [Hille]                                           6

    Waldandacht [Weber]                                            7

    Mittag [Fontane]                                               7

    Schneeweißchen und Rosenrot [Grimm]                            8

    Im Wald [Strauß-Torney]                                       14

    Waldeinsamkeit [Eichendorff]                                  14

    Nachts [Eichendorff]                                          15

    Das Abenteuer im Walde [Trojan]                               16

    Was den Kindern im Walde passiert ist [Trojan]                20

    Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt [Rückert]        22

    Das Häslein [Morgenstern]                                     27

    Waldabenteuer [Weber]                                         28

    Der weiße Hirsch [Uhland]                                     31

    Der Schütze [Schiller]                                        31

    Im Waldhof [Tielo]                                            32

    Sterben [Gagern]                                              33

    Auf der Wacht [Rosegger]                                      37

    Mondwanderung [Reinick]                                       45

    Wo Bismarck liegen soll [Fontane]                             46

    Als die hellen Nächte waren [Rosegger]                        46

    Waldkonzert [Dieffenbach]                                     51

    Jüngst sah ich den Wind [Holz]                                51

    Schlechtes Wetter [Langewiesche]                              52

    Waldlieder [Keller]                                           53

    Gewitter im Walde [Scherer]                                   54

    Nach dem Gewitter [Waldburg]                                  55

    Regen [Schlaf]                                                56

    Durchlaucht [Gumppenberg]                                     56

    Bei den Holzern [Rosegger]                                    57

    In der Stadt [Keller]                                         58

    Herbstlicher Wald [Lenau]                                     59

    Novembersonnenschein [Löns]                                   59

    Herbstgold [Avenarius]                                        64

    Die Zeit der schweren Not [Löns]                              65

    Am Futterplatz [Blüthgen]                                     69

    Fichtennadelduft [Seidel]                                     70

    Der vereisete Wald [Stifter]                                  73

    Winter im Hochwald [Wolf]                                     76

    Der Tannenbaum [Andersen]                                     76

    Gefunden [Goethe]                                             84

    Ein kleines Nest [Lohmeyer]                                   85

    Das Blatt im Buche [Grün]                                     85

    Wanderers Nachtlied [Goethe]                                  85

    Abschied [Eichendorff]                                        86




Der deutsche Spielmann


herausgegeben von _Ernst Weber_, eine großangelegte Auswahl aus dem
Schatze deutscher Dichtung für Jugend und Volk, schöpft aus dem Besten
deutscher Erzählungs- und Verskunst unter Beschränkung auf das Volks-
und Jugendtümliche. Die Sammlung gliedert sich in 40 Einzelbände,
von denen jeder ein in sich geschlossenes Ganzes bildet und von
einem Künstler illustriert ist, dessen Eigenart dem Charakter des
jeweiligen Stoffgebietes ungezwungenen Ausdruck verleiht. Die Sammlung
eignet sich wie kaum ein zweites Werk zur Anschaffung für öffentliche
Bibliotheken, als Mittel zur Belebung des Schulunterrichts und für die
Familienbücherei. _Der deutsche Spielmann hofft, zum eisernen Bestand
jeder Volks- und Jugendbücherei zu werden._ Er huldigt ja nicht einer
vorübergehenden Mode des Tages. Er schöpft aus dem aufgespeicherten
Schatz der Jahrhunderte und wird darum auch seine Geltung für das
Jahrhundert behalten.


    Bd.  1 Kindheit (E. Kreidolf)
    Bd.  2 Wanderer (J. V. Cissarz)
    Bd.  3 Wald (W. Weingärtner)
    Bd.  4 Hochland (Franz Hoch)
    Bd.  5 Meer (J. V. Cissarz)
    Bd.  6 Helden (W. Weingärtner)
    Bd.  7 Schalk (Julius Diez)
    Bd.  8 Legenden (G. A. Stroedel)
    Bd.  9 Arbeiter (Gg. O. Erler)
    Bd. 10 Soldaten (Gg. O. Erler)
    Bd. 11 Sänger (Hans Röhm)
    Bd. 12 Frühling (H. v. Volkmann)
    Bd. 13 Sommer (Edmund Steppes)
    Bd. 14 Herbst (Karl Biese)
    Bd. 15 Winter (Karl Biese)
    Bd. 16 Gute alte Zeit (Rud. Schiestl)
    Bd. 17 Himmel und Hölle (Jul. Diez)
    Bd. 18 Stadt u. Land (J. V. Cissarz)
    Bd. 19 Bach u. Strom (E. Liebermann)
    Bd. 20 Heide (Adalbert Holzer)
    Bd. 21 Arme und Reiche (J. Widnmann)
    Bd. 22 Abenteurer (Rud. Schiestl)
    Bd. 23 Germanentum (H. Röhm)
    Bd. 24 Mittelalter (H. Schroedter)
    Bd. 25 Zeit der Wandlungen (C. Roesch)
    Bd. 26 Neuzeit (Angelo Jank)
    Bd. 27 Gespenster (Julius Diez)
    Bd. 28 Tod (Matthäus Schiestl)
    Bd. 29 Blumen und Bäume (R. Sieck)
    Bd. 30 Nordland (Rudolf Koch-Hanau)
    Bd. 31 Italien (Hans Volkert)
    Bd. 32 Hellas (Karl Bauer)
    Bd. 33 Fremde Zonen (H. Volkert)
    Bd. 34 Vaterland (W. Roegge jun.)
    Bd. 35 Tierwelt (Ludwig Werner)
    Bd. 36 Menschenherzen (Rud. Schiestl)
    Bd. 37 Glück und Trost (H. Schwegerle)
    Bd. 38 Tag und Nacht (Otto Bauriedl)
    Bd. 39 Riesen und Zwerge (R. Schiestl)
    Bd. 40 Fabelreich (Ernst Weber)

Hinter den Bandtiteln steht der Name des illustrierenden Künstlers in
Klammern.

Auch die je vier Bände vereinigenden Sammelbände in schönem farbigen
Ganzleinenband wurden wiederum neu ausgegeben: »Deutsches Jahr«,
»Deutsche Gestalten«, »Deutsche Natur«, »Deutsche Heimat«, »Deutsches
Land«, »Deutsches Volk«, »Deutsches Leben«, »Deutsche Geschichte«,
»Deutscher Glaube« und »Fremde Welt«.




    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WALD ***


    

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Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
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to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
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array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
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The Foundation is committed to complying with the laws regulating
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States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
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While we cannot and do not solicit contributions from states where we
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International donations are gratefully accepted, but we cannot make
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Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
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ways including checks, online payments and credit card donations. To
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Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
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freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
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