Title: Hellas
Griechisches Leben und altklassischer Geist in deutscher Wiedergeburt
Editor: Dr. Ernst Weber
Release date: February 3, 2025 [eBook #75285]
Language: German
Original publication: München: Georg D. W. Callwey + Verlag des deutschen Spielmanns, 1925
Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1925 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
Das Inhaltsverzeichnis wurde der Übersichtlichkeit halber an den Anfang des Buches versetzt.
Der deutsche Spielmann
Eine Auswahl aus dem Schatze deutscher Dichtung für Jugend und Volk
Herausgegeben von Dr. Ernst Weber
⁘
Griechisches Leben und altklassischer Geist in deutscher Wiedergeburt
Zweite, veränderte Auflage
⁘
München 1925
Georg D. W. Callwey + Verlag des deutschen Spielmanns
Druck von Kastner & Callwey in München
Seite
|
|
Geleitspruch des deutschen Spielmanns
|
|
Hyperions Schicksalslied (Hölderlin)
|
|
Iphigeniens Parzenlied (Goethe)
|
|
Prometheus (Goethe)
|
|
Hektor und Andromache (Grimm)
|
|
Hektors Abschied (Schiller)
|
|
Hektors Tod (Voß)
|
|
Achills Tod (Kleist)
|
|
Odysseus und Polyphem (Richter)
|
|
Nächtliche Fahrt (Meyer)
|
|
Die sterbende Meduse (Meyer)
|
|
Griechische Spiele (Pfizer)
|
|
Die Mutter des Siegers (Heyse)
|
|
Die Kraniche des Ibykus (Schiller)
|
|
Der Sieger (Salus)
|
|
Tod des Perikles (Greif)
|
|
Der Bote von Marathon (Gaudy)
|
|
Der junge Themistokles (Alsen)
|
|
Salamis (Lingg)
|
|
Themistokles in Olympia (Greif)
|
|
Ein Dichter in der Schlacht von Salamis (Fischer)
|
|
Grab des Themistokles (Geibel)
|
|
Historischer Adelsklub (Spitteler)
|
|
Die gefesselten Musen (Meyer)
|
|
Der trunkene Gott (Meyer)
|
|
Ist’s ein Narr bloß? Ist’s ein Weiser? (Hebbel)
|
|
Der Ring des Polykrates (Schiller)
|
|
Der befreite Prometheus (Dehmel)
|
|
Alexander Ypsilanti auf Munkacs (Müller)
|
|
Aus dem „Abschied von Griechenland“ (Vierordt)
|
[S. 3]
Andromache:
Hektor:
Andromache:
Hektor:
[S. 16]
[S. 25]
Die Amazonen werden zurückgedrängt, und ihre Königin, durch einen Speerwurf Achills ohnmächtig geworden, fällt in die Hände der Griechen. Nach dem Erwachen hält sie Achilleus, der waffenlos vor ihr steht, für ihren Gefangenen. Sie gesteht ihm ihre Liebe und will ihn mit ins Amazonenreich führen. Achilleus aber weigert sich, mit der Königin zu ziehen; er will Penthesilea mit sich nehmen und auf den Thron seiner Väter setzen. Penthesilea erkennt, daß sie die Gefangene des Peliden ist. Aber schon rücken die Amazonen wieder siegreich vor, und die Königin wird befreit. Der Grieche fordert sie nun zum Zweikampf auf, um die Geliebte wieder zu gewinnen. Sie jedoch erblickt in dieser Forderung den schmählichsten Hohn und zieht als rasende Rächerin mit Hunden und Elefanten dem Peliden entgegen.
Unter allen Helden, die vor Troja gekämpft hatten, war keinem so widriges Geschick beschieden, bevor er in seine Heimat zurückkehrte, wie dem klugen Helden Odysseus.
[S. 36]
Als er mit zwölf wohlbemannten Schiffen von der Küste von Troja absegelte, trieb ihn der Wind zuerst nach Ismaros, der Stadt der Cikonen. Dieselbe eroberte und zerstörte er, und reiche Beute ward unter die Genossen verteilt. Statt aber nach Odysseus’ Rate alsbald weiterzusegeln, schwelgten die Genossen in dem trefflichen Weine, den sie in der Stadt gefunden. Unterdessen hatten die Bewohner der Stadt die in der Nähe wohnenden Cikonen herbeigerufen, die tapfer und stark waren, und es kam zu einem hartnäckigen Kampfe, der vom Morgen bis zum Abend währte. Jedes der griechischen Schiffe verlor in diesem Kampfe sechs seiner Helden, und eilig segelten die noch lebenden von dannen, trauernd, daß sie ihre Gefährten unbegraben mußten liegen lassen.
Nun aber erhob sich ein Sturm, dichte Wolken umhüllten Erde und Meer, und zehn Tage lang wurden die Schiffe auf dem Meere umhergetrieben. Am zehnten Tage gelangten sie zu dem Lande der Lotophagen, die sich von der Lotospflanze nährten. Als die Griechen ans Land gestiegen waren und sich nach der stürmischen Seereise mit Speise und Trank wieder gekräftigt hatten, sandte Odysseus einige seiner Freunde in Begleitung eines Herolds aus, die Beschaffenheit des Landes zu erkunden. Die Lotophagen waren den Fremdlingen freundlich gesinnt und gaben ihnen von der Lotosfrucht zu kosten. Wer aber diese gekostet, der mochte nie wieder etwas anderes zu essen, und so mußte denn Odysseus die ausgesandten Freunde mit Gewalt zu den Schiffen zurückbringen und sie mit Seilen festbinden. Die übrigen Gefährten aber trieb er, eilend weiterzusegeln, damit sie nicht auch, von den Lotos verführt, der Heimat vergäßen.
Von da gelangten die Griechen nach dem Lande der wilden Cyklopen. Das waren Riesen, die weder Gesetz noch Ordnung kannten und bei denen das Volk sich nicht zu gemeinsamer Beratung versammelte. Sie ackerten und säeten auch nicht, sondern genossen nur, was das fruchtbare Land ihnen ohne Arbeit bot. In Felsenhöhlen wohnten sie, und jeder richtete nach Willkür über Mann und Kinder.
Vor dem Lande lag eine kleine wälderreiche Insel, die von keinem Menschen bewohnt war, auf der aber zahlreiche Herden wilder Ziegen umherstreiften. In dunkler Nacht landeten die Griechen an dieser Insel; sie stiegen aus den Schiffen und warteten des Morgens. Als derselbe heraufstieg, wunderten[S. 37] sie sich des fruchtbaren und doch menschenleeren Eilands; die zahllosen Ziegen aber verlockten sie zur Jagd. Die Bogen und die Spieße wurden aus den Schiffen herbeigeholt, und bald war reichliches Wildbret erbeutet. Ein leckeres Mahl ward an einem schnell entzündeten Feuer bereitet, und auch an Wein gebrach es nicht. Reiche Vorräte hatte man von demselben in dem Lande der Cikonen erbeutet, und noch bargen die Schiffe manchen gefüllten Henkelkrug.
Von der Insel aus sahen die Griechen auch das Land, der Cyklopen, von dem an etlichen Stellen Rauch sich zum Himmel erhob. Darum berief Odysseus am nächsten Morgen seine Gefährten um sich, und einen Teil derselben forderte er auf, mit ihm nach dem gegenüberliegenden Lande zu fahren, um zu erforschen, wer da wohne. Die übrigen aber sollten unterdessen auf der Ziegeninsel bleiben.
Die Ausgewählten gingen mit Odysseus zum Schiffe und ergriffen die Ruder. Als sie das Gestade erreichten, erblickten sie eine hochgewölbte Felsenhöhle, die von zahllosen Lorbeerbäumen umschattet war. Ein hohes Gehege, von Felsstücken und Baumstämmen erbaut, umgab dieselbe. In ihr wohnte ein Mann, der am Tage seine Herden auf entlegene Weiden trieb und mit niemand Umgang pflegte. Gräßlich war er gestaltet und glich nicht anderen Menschen; riesenhaft ragte er empor wie ein vereinzelter waldreicher Gipfel eines Gebirges, und fürchterlich war sein Ansehen namentlich dadurch, daß er nur ein Auge hatte, das, groß und gräßlich blickend, mitten auf der Stirn stand.
Odysseus nahm von den im Schiffe mit ihm angekommenen Gefährten nur zwölf der tapfersten mit sich; den übrigen befahl er, bei dem Schiffe zu bleiben. Mit jenen ging er nach der Höhle. Weil sie aber nicht wußten, ob sie daselbst etwas zu essen fänden, nahmen sie Speise mit, auch einen ziegenledernen Schlauch voll Weines, den Odysseus zu Ismaros von einem Priester erhalten hatte und der so süß und feurig war, daß man beim Trinken einen Becher desselben mit zwanzig Bechern Wasser vermischen mußte.
In der Höhle fanden sie den Riesen nicht daheim; sie gingen aber hinein. Da waren viele junge Lämmer und Zicklein, die noch nicht mit auf die Weide getrieben wurden, und viele Körbe voll Käse standen da. Odysseus’ Gefährten wollten[S. 38] etliche Körbe mit Käsen, auch etliche Lämmer und Zicklein mit sich nehmen und wieder zum Schiffe zurückeilen. Odysseus aber beredete sie, zu warten, bis der Riese heimkehrte. Da zündeten sie ein Feuer an, opferten den Göttern von den Käsen und aßen dann selbst.
Endlich kam der Riese. Schwer bepackt mit einem Bündel Holz, das er krachend auf den Boden der Höhle warf. Nachdem alsdann die Schafe und Ziegen alle in die Höhle getrieben waren, schloß er dieselbe mit einem gewaltigen Steine, den nur seine Riesenkräfte bewegen konnten. Hätte man diesen Stein zerschlagen wollen, so wären wohl zwanzig Wagen nötig gewesen, um die Stücke fortzuschaffen. Als der Riese darauf seine Herde gemolken, an der gewonnenen Milch sich gelabt und die übriggebliebene in Gefäßen aufbewahrt hatte, zündete er Feuer an. Da bemerkte er die Griechen, welche sich in den äußersten[S. 39] Winkel der Höhle versteckt hatten, und zornig redete er sie an: „Wer seid ihr, Fremdlinge? Und woher kommt ihr? Hat euch ein Geschäft über die Wogen des Meeres getrieben oder schweift ihr als Räuber auf dem Meere umher, die ihr Leben verachten und den Völkern feindlich gesinnt sind?“
Die rauhe Stimme des Riesen hatte die Griechen noch mehr erschreckt, Odysseus aber ermannte sich und antwortete: „Griechen sind wir, und von Trojas fernen Gestaden kommen wir, von den Wogen des Meeres und von schrecklichen Stürmen hierher verschlagen, fern von unserem Vaterlande. Nun bitten wir dich, daß du uns freundlich geringe Bewirtung reichst, damit Zeus dich segne, der hilflosen Fremdlingen ein Freund und Beschützer ist.“
Der Cyklop antwortete: „Ein Tor bist du, o Fremdling, daß du mich an Zeus erinnerst. Wir Cyklopen kümmern uns weder um ihm, noch um die übrigen Götter; denn wir sind besser als sie. Sehr irrst du, wenn du meinst, ich werde aus Scheu vor den Göttern deiner oder deiner Gefährten schonen. Aber sage mir, wo das Schiff ist, auf dem ihr gekommen.“
Des Riesen schlimme Absichten durchschauend, erwiderte der kluge Odysseus: „Unser Schiff ist an den Klippen zerschellt, und ich bin allein mit meinen Gefährten dem Unglück entronnen.“
Ohne weiter etwas darauf zu antworten, ergriff der Cyklop zwei der Griechen und zerschmetterte ihnen an den Felsen die Köpfe, daß das Gehirn weit umherspritzte. Dann zerstückte er sie, und Glied um Glied fraß er hinein, wie ein Löwe des Felsengebirges, daß auch kein Restchen Fleisch oder Knochen übrigblieb. Weinend erhoben da die Griechen die Hände zum Zeus, und starres Entsetzen ergriff sie. Der Riese aber streckte sich nach seinem fürchterlichen Mahle auf den Boden der Höhle und fiel in tiefen Schlaf. Da kam Odysseus der Gedanke, dem schlafenden Ungeheuer das Schwert tief in die Brust zu bohren; zur rechten Zeit besann er sich jedoch, daß er dann mit all seinen Gefährten dem sicheren Tode verfallen wäre, denn ihre Hände wären nie imstande gewesen, den Felsen zu beseitigen, den der Riese vor den Eingang der Höhle gehoben hatte.
Beim Grauen des nächsten Morgens zündete der Cyklop wieder Feuer an, molk dann die Herde, und als er damit zu Ende war, packte er abermals zwei Griechen und verzehrte sie wie die am vergangenen Abende. Alsdann trieb er die Herde aus der Höhle, welche er wieder verschloß, indem er den Felsen[S. 40] vor dieselbe setzte. So leicht hob er den Felsen in die Höhe, als ob es nur der Deckel seines Köchers wäre. Da saßen nun die Griechen den ganzen Tag trauernd und auf Rettung sinnend. Endlich reifte in Odysseus’ Seele ein Plan.
In der Höhle lag des Cyklopen Keule, ein gewaltiger Ölbaum. Wohl war sie so lang und dick, daß man sie für einen Mastbaum hätte halten können. Von ihm hieb Odysseus das obere Ende ab, das er dann mit seinen Gefährten zuspitzte und in der Glut des Feuers härtete. Dann verbarg er den Pfahl in dem Miste, der in der Höhle aufgeschichtet lag, vier seiner Gefährten aber erwählte er, daß sie den Pfahl hielten, wenn er ihn dem schlafenden Ungeheuer in sein Auge bohren würde.
Am Abend verschlang der heimgekehrte Riese, nachdem er seine Arbeiten wie am Tage zuvor verrichtet, wieder zwei der Gefährten. Darauf trat Odysseus zu ihm, und in einem hölzernen Becher ihm von dem starken Weine darreichend, den er mit sich gebracht hatte, sprach er: „Nimm, Cyklop, und trinke! Auf Menschenfleisch ist der Wein gut!“ Der Riese trank, und so wohl schmeckte ihm dieser Wein, daß er bat, den Becher noch einmal zu füllen. Wohl hätten, meinte er, die Cyklopen auch Wein, aber nicht solchen, wie ihn der Fremdling ihm reichte. Gern füllte Odysseus den Becher wieder, damit der Riese um so fester schliefe. Nach dem zweiten Becher frug der Riese nach Odysseus’ Namen, auch bat er, den Becher noch einmal zu füllen. Das tat Odysseus, und indem er ihm den Becher reichte, sprach er: „Niemand ist mein Name; so heißen mich alle Genossen.“ Da antwortete der Riese, nachdem er auch den dritten Becher getrunken: „Zum Danke für deine vortreffliche Gabe, lieber Niemand, will ich dich zuletzt verzehren.“ Darauf legte er sich nieder, und ein fürchterliches Schnarchen bewies bald, daß er in tiefen Schlaf gefallen war.
Das war die rechte Zeit für die Ausführung des Planes, den Odysseus entworfen hatte. Am Feuer machte er den vorbereiteten Pfahl glühend, und dann stieß er ihn mit Hilfe der vier Gefährten in das Auge des Cyklopen, und während die Gefährten den Pfahl aufrecht hielten, drehte er ihn aus Leibeskräften in dem Auge herum. Da umquoll heißes Blut die eindringende Spitze, und Wimpern und Brauen versengten. Zischend spritzte das Blut hochauf wie das Wasser, wenn der Schmied die glühende Axt hineinhält.
[S. 41]
Der Riese heulte fürchterlich, und während die Griechen sich in den entferntesten Winkel der Höhle verbargen, riß er sich den Pfahl aus dem Auge und schleuderte ihn weit von sich. Das fürchterliche Brüllen des Cyklopen vernahmen die in der Nähe wohnenden Cyklopen, und sie eilten hierbei, ihm zu helfen. Sie standen vor der Höhle, und auf ihre Frage, wer ihm etwas zuleide tue, wer ihn etwa hinterlistig würge, antwortete er heulend: „Niemand würgt mich, Niemand hat mich hinterlistig angefallen.“ Da sprachen die anderen Cyklopen: „Wenn niemand dir etwas zuleide tut, so können wir dir auch nicht helfen; für innere Schmerzen haben wir keine Mittel.“ Und sie gingen wieder heim. Odysseus freute sich seiner gelungenen List und lachte im Herzen.
Am Morgen hob der Riese den Felsen vom Eingange der Höhle. Damit aber mit der Herde nicht auch einer der Griechen entwische, stellte er sich in den Eingang und tappte mit den Händen umher. Auch das hatte Odysseus längst vorbedacht. Mit schwanken Ruten hatte er immer je drei Widder zusammen und unter dem Bauch des mittelsten allemal einen seiner Gefährten festgebunden. So entkamen alle Gefährten des Odysseus; denn nicht dachte der Cyklop daran, daß ein Grieche am Bauche des Tieres hängen könnte, während er den Rücken desselben betastete.
Am schlimmsten war Odysseus selbst daran, den niemand unter einem Tiere festbinden konnte. Er suchte sich den größten und stattlichsten Widder der Herde heraus, und mit den Händen sich krampfhaft in der Wolle desselben festhaltend, hing er sich unter den Bauch desselben. Als der Widder aus der Höhle hinaus wollte, hielt ihn Polyphem, so hieß der Cyklop, an, und ihn lobkosend, sprach er: „Wie kommst du heute so spät, da du doch sonst immer der erste bist, wenn es zur Weide geht? Geht dir etwa das Schicksal deines Herrn nahe, den der tückische Fremdling geblendet hat? Ach, könntest du doch reden, um mir zu sagen, wo er sich versteckt hält, damit ich ihn am Felsen zerschmettern könnte.“ Dann ließ er den Widder gehen.
Als Odysseus glücklich ins Freie gelangt war, machte er zuerst seine Gefährten los, dann trieben sie gemeinsam etliche der schönsten Tiere zum Strande, wo sie von den Genossen, die bei dem Schiffe geblieben waren, mit Freuden empfangen wurden. Trauernd vernahmen diese, wie Polyphem sechs ihrer Gefährten[S. 42] gemordet und verschlungen habe, dann stießen sie das Schiff vom Gestade und ruderten weiter. Als sie in einiger Entfernung von dem Gestade waren, rief Odysseus dem Cyklopen die höhnenden Worte zu: „Ha, Cyklop, keines schlechten Mannes Genossen fraßest du in deiner Höhle; aber Zeus hat deine Freveltat gerächt.“ Da ergriff Polyphem einen ungeheuren Felsblock und schleuderte ihn grimmig nach der Gegend, von wo die Stimme erscholl. Hochauf schäumte das Meer, als der Fels dicht neben dem Schiffe in dasselbe niederfiel, und von den dadurch erregten Wellen ward das Schiff wieder an das Gestade zurückgetrieben. Mit Anstrengung aller Kräfte ruderten die Griechen wieder ins Meer hinaus, und als sie weiter entfernt waren, als am erstenmal, rief Odysseus wieder: „Höre, Polyphem, was ich dir sagen will. Wenn dich jemand fragt, wer dich geblendet, so sage: Odysseus war es, Laertes’ Sohn, der in Ithaka wohnt.“ Da erinnerte sich Polyphem, wie einst ein alter Seher ihm geweissagt hatte, er würde durch Odysseus’ Hände geblendet werden, und laut rief er: „Wehe, nun ist in Erfüllung gegangen, was mir geweissagt wurde! Ich glaubte aber, ein großer, gewaltiger Mann voll Stärke und Kraft müßte erst kommen. Nun hat ein elender Wicht, ein Schwächling, mein Auge geblendet, nachdem er mich vorher mit Wein berauscht hatte.“ Und wiederum schleuderte Polyphem mächtige Felsblöcke dem Schiffe nach, das aber schon zu weit entfernt war, als daß es die Steine noch hätten erreichen können. Da betete Polyphem zu dem Meerbeherrscher Poseidon, der sein Vater war, daß er Odysseus entweder nie heimkehren lasse oder doch nur nach vielen Gefahren, unglücklich, entblößt von allem Gut und von allen Genossen.
Glücklich gelangte Odysseus mit den ihm gebliebenen Gefährten wieder auf der Ziegeninsel an, wo er den Lieblingsbock des Cyklopen dem Zeus opferte.
Albert Richter
[S. 48]
[S. 65]
[S. 68]
[S. 70]
[S. 71]
[*] Alexander war schief, seine rechte Schulter etwas höher als die schwächere linke.
Der deutsche Spielmann
herausgegeben von Ernst Weber, eine großangelegte Auswahl aus dem Schatze deutscher Dichtung für Jugend und Volk, schöpft aus dem Besten deutscher Erzählungs- und Verskunst unter Beschränkung auf das Volks- und Jugendtümliche. Die Sammlung gliedert sich in 40 Einzelbände, von denen jeder ein in sich geschlossenes Ganzes bildet und von einem Künstler illustriert ist, dessen Eigenart dem Charakter des jeweiligen Stoffgebietes ungezwungenen Ausdruck verleiht. Die Sammlung eignet sich wie kaum ein zweites Werk zur Anschaffung für öffentliche Bibliotheken, als Mittel zur Belebung des Schulunterrichts und für die Familienbücherei. Der deutsche Spielmann hofft, zum eisernen Bestand jeder Volks- und Jugendbücherei zu werden. Er huldigt ja nicht einer vorübergehenden Mode des Tages. Er schöpft aus dem aufgespeicherten Schatz der Jahrhunderte und wird darum auch seine Geltung für das Jahrhundert behalten.
Bd.
|
1
|
Kindheit (E. Kreidolf)
|
„
|
2
|
Wanderer (J. V. Cissarz)
|
„
|
3
|
Wald (W. Weingärtner)
|
„
|
4
|
Hochland (Franz Hoch)
|
„
|
5
|
Meer (J. V. Cissarz)
|
„
|
6
|
Helden (W. Weingärtner)
|
„
|
7
|
Schalk (Julius Diez)
|
„
|
8
|
Legenden (G. A. Stroedel)
|
„
|
9
|
Arbeiter (Gg. O. Erler)
|
„
|
10
|
Soldaten (Gg. O. Erler)
|
„
|
11
|
Sänger (Hans Röhm)
|
„
|
12
|
Frühling (H. v. Volkmann)
|
„
|
13
|
Sommer (Edmund Steppes)
|
„
|
14
|
Herbst (Karl Biese)
|
„
|
15
|
Winter (Karl Biese)
|
„
|
16
|
Gute alte Zeit (Rud. Schiestl)
|
„
|
17
|
Himmel und Hölle (Jul. Diez)
|
„
|
18
|
Stadt u. Land (J. V. Cissarz)
|
„
|
19
|
Bach u. Strom (E. Liebermann)
|
„
|
20
|
Heide (Adalbert Holzer)
|
„
|
21
|
Arme und Reiche (J. Widnmann)
|
„
|
22
|
Abenteurer (Rud. Schiestl)
|
„
|
23
|
Germanentum (H. Röhm)
|
„
|
24
|
Mittelalter (H. Schroedter)
|
„
|
25
|
Zeit der Wandlungen (C. Roesch)
|
„
|
26
|
Neuzeit (Angelo Jank)
|
„
|
27
|
Gespenster (Julius Diez)
|
„
|
28
|
Tod (Matthäus Schiestl)
|
„
|
29
|
Blumen und Bäume (R. Sieck)
|
„
|
30
|
Nordland (Rudolf Roch-Hanau)
|
„
|
31
|
Italien (Hans Volkert)
|
„
|
32
|
Hellas (Karl Bauer)
|
„
|
33
|
Fremde Zonen (H. Volkert)
|
„
|
34
|
Vaterland (W. Roegge jun.)
|
„
|
35
|
Tierwelt (Ludwig Werner)
|
„
|
36
|
Menschenherzen (Rud. Schiestl)
|
„
|
37
|
Glück und Trost (H. Schwegerle)
|
„
|
38
|
Tag und Nacht (Otto Bauriedl)
|
„
|
39
|
Riesen und Zwerge (R. Schiestl)
|
„
|
40
|
Fabelreich (Ernst Weber)
|
Hinter den Bandtiteln steht der Name des illustrierenden Künstlers in Klammern.
Auch die je vier Bände vereinigenden Sammelbände in schönem farbigen Ganzleinenband wurden wiederum neu ausgegeben: „Deutsches Jahr“, „Deutsche Gestalten“, „Deutsche Natur“, „Deutsche Heimat“, „Deutsches Land“, „Deutsches Volk“, „Deutsches Leben“, „Deutsche Geschichte“, „Deutscher Glaube“ und „Fremde Welt“.