Title: Die drei Ostindienfahrer
abentheuerliche Reisegeschichten
Editor: Christian August Fischer
Contributor: Jacob Haafner
Hebelius Potter
Charles François Tombe
Release date: February 13, 2025 [eBook #75362]
Language: German
Original publication: Leipzig: Hartleben, 1817
Credits: Peter Becker, Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)
Anmerkungen zur Transkription
Das Original ist in Fraktur gesetzt; Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Worte in Antiquaschrift sind "kursiv" dargestellt.
Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter erstellt.
Eine Liste der vorgenommenen Änderungen befindet sich am Ende des Textes.
abentheuerliche Reisegeschichten;
herausgegeben
von
Christian August Fischer.
Mit einem Kupfer.
Leipzig 1817.
Hartleben's Verlagsexpedition.
An die Leser.
Wie jeder Künstler, so hat auch der Schriftsteller seine eigenthümlichen Studien. Wenn mir die Kraft zu Allem fehlt; hierzu gebricht sie mir nie. So beschäftigte ich mich auch diesen, für mich so traurigen, Winter hindurch.
Ein Theil dieser Reisegeschichten fand vor sieben bis acht Jahren in einem unserer geschäztesten Tagblätter Plaz. Man erhält jezt das Ganze in einer neuen, veredelten Form. Es ist eine Ueberarbeitung, bei der ich in jeder Hinsicht sehr streng gewesen bin. Möchte die kleine Gabe willkommen seyn!
Wie mit mir, so hat der thätige Verleger, auch mit andern Schriftstellern außerhalb Oesterreich, Verbindungen angeknüpft. Man sieht, wie vortheilhaft dieses, des leichten Tausches wegen, für den gesammten Buchhandel zu werden verspricht. Darum muntere ihn auf, wer es zu thun vermag.
Würzburg, O. M. 1817.
C. A. Fischer.
Die
drei Ostindienfahrer.
Inhaltsverzeichnis
Seite | |
Erste Abtheilung, Jacob Haafner. | 1 |
Zweite Abtheilung, Ch. Fr. Tombe. | 185 |
Dritte Abtheilung, Heinrich Potter. | 231 |
[S. 1]
[S. 2]
Quellen.
L'otgevallen op eene Reize van Madras nar het Eiland Ceilon. Door Jac. Haafner. Haarlem 1814. 8. 2. Aufl.
Reize in eenen Palankin etc. door Jacob Haafner. Amsterdam 1814. 2 Bde. 8. 2. Aufl.
[S. 3]
Ich befand mich als zweiter Steuermannsgehülfe am Bord eines holländischen Compagnieschiffes, das von Chinsura nach Negapatnam bestimmt war. Aber nie hatten wir eine so lange und beschwerliche Reise gehabt. Auf einer Ueberfahrt, die man in fünf Wochen machen kann, brachten wir eben so viel Monate zu. Dazu kam der heftige, grausame Charakter des Capitains, der nach den Schiffsgesetzen an seinem Bord unumschränkt gebot. Eines Tages ließ er unter andern zwei arme schwarze Matrosen (Lascars) um einer Kleinigkeit willen so lange geißeln, daß der eine noch denselben Abend, der andere in der folgenden Nacht verschied. Dies empörte das ganze Schiff. Es ward daher eine förmliche[S. 4] Klage gegen ihn aufgesetzt, und nach der Ankunft zu Negapatnam bei dem Fiscal angebracht. Die Folge davon war, daß dieser uns Unteroffiziere sämmtlich zu sich rufen ließ. Hier ist es, wo meine Geschichte eigentlich anfängt.
Nach Unterzeichnung des Protocolles, kam nämlich der Fiscal noch einmal auf die Klagschrift zurück, und fragte, wer der Concipient davon gewesen sey. Der Wahrheit gemäß ward ich genannt. Er sprach hierauf mit Lobe von der Arbeit. — »Es ist Schade« — wendet er sich zu mir, — »daß Sie in keinen angemessenern Verhältnissen sind. Wenn Sie hier bleiben wollten, hätte ich wohl eine Stelle für Sie.« — Ich gestehe es, dieser Antrag machte nicht wenig Eindruck auf mich. Zwar hatte ich die Aussicht Steuermann zu werden; allein der Civildienst schien mir ungleich bequemer und einträglicher zu seyn. Ueberdem hatte ich des Capitains Rache zu fürchten. — Mit einem Worte, ich blieb am Lande, und erhielt eine Stelle auf dem Hauptcomtoir.
[S. 5]
Von meiner frühesten Jugend an, war ich ein Spiel des Zufalles gewesen, und hatte von dem Leben noch nichts, als das Mühselige desselben kennen gelernt. Jetzt endlich hoffte ich Ruhe und Genuß zu finden, ja ich schmeichelte mir sogar mit der baldigen Rückkehr ins Vaterland. Allein bald sah ich mich in meinen Erwartungen aufs bitterste getäuscht. Spärliche Besoldung, ekelhafte mechanische Arbeit, und so gut als keine Aussicht zu einer Verbesserung! Fast sehnte ich mich nach dem Seeleben zurück. Indessen beschloß ich auszuhalten, und mich auf ein Fach zu werfen, das mir bedeutende Vortheile versprach; ich meine die italienische Buchhaltung.
Dieser Gedanke bot sich mir bei der Lage der holländischen Compagniecomtoirs sehr natürlich dar. Es fehlte nämlich überall an Subjekten dazu. Wir, in Negapatnam, z. B. hatten nur einen einzigen Mann, der die Bücher auf diese Art zu führen verstand, und dafür allein sechshundert Pagoden (zu[S. 6] 4½ Fl.) bezog. Die Sache von ihm zu lernen, war freilich keine Möglichkeit; denn seinen Mangel an Gefälligkeit abgerechnet, stand er überdem viel zu hoch über mir. Ich mußte mir also selbst zu helfen suchen, was freilich mit vielen Schwierigkeiten verbunden war. Indessen, da ich keine Arbeit scheute, ward ich in Jahr und Tag ziemlich vertraut damit.
Ich hoffte nun nichts Geringeres, als zweiter Buchhalter zu werden; allein, wie sehr hatte ich mich abermals getäuscht! Zwar ward mein Fleiß nicht wenig gelobt, und erhielt einen kleinen Monatszuschuß; allein von einer eigentlichen Beförderung war durchaus die Rede nicht. Täglich mehr Arbeit; endlich mußte ich beinahe alles thun. Dies war zu viel, ich verlangte daher meinen Abschied. Da versprach mir der Buchhalter hundert Pagoden jährlich, und nach drei Jahren die förmliche Substitur. Ich gieng es ein, allein was geschah? Im ersten Jahr keine Rupie; im zweiten eben so, im dritten abermals[S. 7] nichts. Ich klagte bei dem Gouverneur, er gab mir Unrecht. Ich mußte die Bücher noch drei Jahre, und abermals unentgeldlich führen, dann erst wollte man weiter sehen. Ich verweigerte es, es sey ganz und gar meine Schuldigkeit nicht.
»Wie?« — rief der Gouverneur zornig — »Ihr wagt es, mir zu widersprechen? Ihr müßt die Bücher führen, sonst nach Batavia, oder außer Dienst!«
»Ich wähle das Letzte, gnädiger Herr!«
»Ist das euer Ernst?« fragte er erstaunt. — »Ueberlegt es wohl!«
»Es ist mein völliger Ernst!«
»Nun gut!« — sagte er hastig — »So seyd ihr hiemit augenblicklich entlassen — Sucht euer Glück anderswo!« — Mit diesen Worten drehte er sich um, und verließ den Saal.
So war ich denn endlich wieder frei; allein wegen der Zukunft allerdings nicht ganz unbesorgt. Ich hatte wenig Geld, und keinen Credit; meine meisten Freunde verließen[S. 8] mich. Indessen hatte ich mir neben dem Französischen auch einige Kenntnisse im Englischen erworben; es schien mir daher am rathsamsten nach Madras zu gehen. Schon hatte ich alle Anstalten dazu gemacht, als ich unvermuthet eine Einladung von Herrn Simons, unserem Magazininspector, erhielt. Dieser brave Mann hatte von meinem Plane gehört, und wollte mir, wie er sagte, einen besseren Vorschlag thun. Sein Bruder war nämlich Oberbuchhalter zu Sadras, und brauchte gerade einen Gehülfen meiner Art. Dieser Antrag war wirklich aller Ehre werth; doch gestehe ich gern, daß mich die Nähe von Madras (12 Meilen) auch mit bestimmen half. Leicht kamen wir daher über die Bedingungen überein. So verließ ich Negapatnam, und langte wohlbehalten in Sadras an.
[S. 9]
In der That, Herr Simons hatte mich nicht getäuscht; ich fand mich wirklich in eine sehr angenehme Lage versetzt. Guter Gehalt, mäßige Arbeit, freundliche Behandlung, herzlicher Umgang; nie hatte ich noch so zufrieden gelebt. Die Luft war gesund, die Gegend angenehm, Sadras selbst ein wohlhabender, und sehr lebhafter Ort. Ich hebe aus dem Ganzen einige Parthien aus.
Zuerst der Bazar, oder Marktplatz, der aus einer breiten, mit Bäumen besezten Straße besteht. Schon Morgens um fünf Uhr strömen von allen Seiten Marktleute herbei. Junge Mädchen und Weiber mit Gemüsen und Früchten; alte Weiber mit Matten und Töpferwaaren; Reis- und Getreide-, Betel-, Areka-, Spezerei- und Tabakshändler; Verkäufer von Palmzucker, Palmblättern und Sandelholz; Korbflechter, Reiskuchenbäcker, Armringsfabrikanten u. s.[S. 10] w.; alle eilen herbei, alle stellen sich in Reihen auf. Zu gleicher Zeit erscheinen Gaukler und Wahrsager, Banianen mit ihren Probiersteinen, Tattowirer mit ihren Nadeln, endlich Sanias und Foguis (Bettelmönche) mit nackten Fakirs vermischt.
So wird es acht Uhr, und alle Buden, und alle Gewölbe öffnen sich. Die Menschenmasse vermehrt sich, das Getümmel nimmt zu, der ganze Bazar ertönt von Geschrei. — Mangas! Reife Mangas! — Tamarinden! Tamarinden! — Areka und Betel! — Büffelkuhmilch! — Eingemachte Früchte! Kauft Früchte in Zucker! — Reife und frische Cocosnüsse! Frischer Palmkohl u. dgl. m. Dazu der Gesang der Mönche, mit Trommeln und Tambourins, die Glöckchen der Putchares (geistliche Balladensänger), die Hörner der Sarpojans (Schlangenbeschwörer), die Schellen der Pandoces (geistliche Bänkelsänger) mit dem Lärm der malabarischen Schulen, dem gellenden hundertstimmigen Ana, Awena, Han, (A. B. C.) und dem fast alles[S. 11] übertäubenden Gekrächz von tausenden von Raben vermischt. Endlich mitten im dicksten Getümmel der Beriesocheng, der weiße heilige Stier, dem alles Platz macht, und alles liebkosend Geschenke reicht.
Das gesellschaftliche Leben war höchst angenehm. Bald giengen wir in einen Palmenbusch, um eben gezapften, frischen, blauen Palmsaft zu trinken; bald machten wir eine Jagd- oder Fischparthie. Ein andermal ritten wir nach den Austerfelsen, oder brachten unsern Tag in stiller Ländlichkeit in einer Chauderie (öffentliche Herbergen an den Landstraßen, in Wäldern u. s. w.) zu. Die hohen, schattigen Pipals, der Weiher mit Cocosbäumen bepflanzt, der nahe Palmenwald, die Menge von Pilgrimen und Reisenden — auch ein solcher »Dia do campo« im noch immer beibehaltenen Portugiesisch so genannt, hatte seinen eigenen Reiz.
Dann die Gesellschaften, wo sich alles der Freude und der Lebendigkeit überließ. Die fröhlichen Abendessen mit allem was Land[S. 12] und Jahrszeit Auserlesenes zu liefern im Stande war. Die von der Liebe geschlossenen Vereine, wo jeder zu den Füßen der Auserwählten saß, und ihr ein süßes Versprechen abgewann. Die blinkenden Becher, die Gesänge, die Tänze und die vaterländische Kraft mit ostindischer Ueppigkeit gepaart!
Fast anderthalb Jahre hatte ich auf diese Art höchst vergnügt in Sadras verlebt, als mein Glück auf einmal vernichtet ward. Es war den 17. Juni 17— ungefähr um vier Uhr Nachmittags. Wir waren bei dem Generaldirector Herrn von Neis, zu einem Geburtstagsschmause, und tranken lustig Gesundheiten herum. »Nun noch eins!« — rief eben unser Wirth — »Noch eins, meine Herren! Auf das Wohlergehen von Sadras!«[S. 13] — In dem Augenblicke trat der wachthabende Sergeant herein und meldete, daß ein englischer Offizier angekommen sey. Er verlange Herrn von Neis zu sprechen, und habe ein weißes Tuch an seinem Stock. — Niemand, und am wenigsten Herrn von Neis fiel das weiße Tuch auch nur im mindesten auf. — »Nur herein!« — antwortete er sehr vergnügt — »Ein neuer Gast macht neuen Durst! — Er soll mit auf das Wohl von Sadras trinken! Nur herein!« —
Der Sergeant gieng, um die Thür zu öffnen, und der Offizier trat in den Saal. — »Es thut mir leid« — hub er an, indem er sich zu Herrn von Neis wandte — »Es thut mir leid, der Ueberbringer einer unangenehmen Botschaft zu seyn. England hat Holland den Krieg erklärt. Der Commandant von Chenglepet (englisches Fort in der Nachbarschaft) steht mit seinen Truppen nur noch eine Stunde von hier. Er läßt Sie hiermit auffordern, das Fort und die Factorei von Sadras auf Diskretion zu übergeben.[S. 14] Dies mein Auftrag; in zwei Stunden bitte ich mir ihre Antwort aus!« — Mit diesen Worten machte er uns eine Verbeugung und entfernte sich.
Welche Nachricht! Bleich und sprachlos saßen wir einige Augenblicke wie vom Donner gerührt. Endlich trug Herr von Neis auf eine Berathschlagung der fünf Hauptbeamten an. Dies wurde so fort genehmigt, und alle übrigen Gäste entfernten sich. Lange sannen wir nun hin und her, was anzufangen sey. Widerstand konnten wir freilich nicht leisten; dazu waren wir viel zu schwach. Aber uns auf Diskretion ergeben, dies durften wir ebenfalls nicht. Wir beschlossen daher auf einer ordentlichen Capitulation zu bestehen. Im Fall dieselbe jedoch verweigert würde, wollten wir uns in das Fort zurückziehen. Bei diesem Entschlusse blieb es, und so ward das Ganze zu Papier gebracht. Nach sechs Uhr gieng ich damit in Begleitung des Oberbuchhalters und des Parlementärs zu dem englischen Commandanten, einen Capitain[S. 15] Mackay ab. Sein Lager war wirklich nur eine Stunde von Sadras entfernt.
Wir kamen an und passirten die Vorposten ohne Schwierigkeit. Alles war still und finster, nie hatte ich noch ein so ruhiges Lager, ohne das mindeste Licht gesehen. Doch kaum waren wir angemeldet, als es etwas lebendiger ward. Man zündete Lichter an und brachte Stühle für uns. Einige Minuten und wir saßen dem Commandanten gegen über, der uns sehr stolz ansah.
»Capitain!« — hub ich an — »hier sind die Bedingungen, auf welche das Fort und die Factorei übergeben werden soll.«
Hastig riß er mir die Capitulation aus der Hand, las sie durch, und warf sie mir wieder zu. — »Sagt eurem Direktor, daß keine seiner Bedingungen angenommen wird. Es bleibe bei der Aufforderung. Ich habe Canonen und Leitern bei mir.«
»Capitain! Sie behandeln uns wie Callouris (indische Räuber). Wir sind Holländer, wissen Sie das?«
[S. 16]
Er that, als verstünde er mich nicht, und schwieg einige Zeit. Endlich fuhr er trotzig auf: — »Nun, habt ihrs gehört, nur auf Discretion! — Versteht ihr mich?«
»Nimmermehr!« — antwortete ich mit Festigkeit! — »Lieber das Aeußerste als dies!« —
»Nun so will ich euch denn zeigen, ihr — ihr!« —
»Gut! Wir wollen's erwarten, Capitain! Aber Sie werden für unser Blut verantwortlich seyn. Eher soll man uns in Stücken hauen!« —
Er antwortete nichts, gieng aber mehrere Minuten nachdenkend auf und ab. Endlich riß er mir die Capitulation aus der Hand, las sie noch einmal durch, unterzeichnete sie sehr bedächtlich, und gab sie mir ganz gelassen zurück. Jezt hieß es: Auf nach Sadras! und augenblicklich war alles mit Lichtern bedeckt, und überall ertönte Trompeten- und Paukenschall. Wir eilten den Truppen voraus, um unsern Bericht abzustatten, zufrieden, daß wenigstens so viel erlangt worden[S. 17] war. Endlich um elf Uhr zogen die Engländer mit klingendem Spiele ein, besezten das Fort, die Packhäuser u. s. w., und brachten die ganze Nacht mit Trinken und Lärmen zu.
Am folgenden Morgen ward unser Schicksal näher bestimmt. Die Garnison mußte Dienste nehmen, wir Compagniebeamten wurden nach Madras geschickt. Indessen fehlte es an Platz, um unser Eigenthum mitzunehmen; alles ward daher vorläufig in die Packhäuser gebracht. Dies war offenbar Treulosigkeit; keiner von uns hat je das Mindeste wieder davon gesehen. Ich selbst verlor auf diese Art ungefähr dreitausend Pagoden an Werth. Eben so kam ich um andere tausende, die mir die Compagnie schuldig war. Alles, was ich noch retten konnte, mochten hundert und einige zwanzig seyn. So kam ich mit meinen Unglücksgefährten in Madras an.
[S. 18]
Aber was nun anfangen? — Ohne Geld, ohne Freunde, ohne Empfehlungen! — Ich fühlte nur zu sehr, wie verlassen ich war. — Endlich fiel mir ein gewisser Herr Franck, ein deutscher Landsmann, ein. Ich hatte ihn zufällig in Sadras kennen gelernt, und ihm selbst einige kleine Gefälligkeiten erzeigt. Diesen suchte ich auf, und fand die herzlichste Theilnahme bei ihm. Sehr bereitwillig bot er mir sogleich sein Haus, seinen Tisch, ja sogar seine Börse an; allein er war selbst nicht reich; ich machte daher nur einige Tage von seiner Güte Gebrauch. Eben war ich im Begriff mit einigen unverheiratheten jungen Leuten zusammen zu ziehen, als ich auf einmal — doch hierüber muß ich etwas umständlicher seyn.
Während meines Aufenthaltes zu Sadras hatte ich einem alten braven Sergeanten, Namens Winter, gegen über gewohnt, und so[S. 19] die Bekanntschaft seiner eben so schönen als sittsamen Tochter Sophie gemacht. Ich wußte, daß der arme kranke Mann bei der Uebergabe nach Madras eingeschifft worden war. Leider hatte ich ihn aber aus dem Gesichte verloren, fand ihn jetzt nur mit Mühe wieder, und traf ihn in den traurigsten Umständen an. Augenblicklich war mein Entschluß gefaßt. Ich miethete ein malabarisches Häuschen, kaufte die nothwendigsten Mobilien u. s. w., und nahm die Familie zu mir. Nur wenig Wochen hatten wir indessen zusammengelebt, als der alte Mann nach einem kurzen Krankenlager in meinen Armen verschied. Ich liebte Sophien heiß und innig, leider war sie aber an einen andern verlobt. Sie theilte meine Empfindungen, sie hatte nur aus Noth eingewilligt, und fürchtete das verhaßte Band. Ich beschloß sie nicht zu verlassen, und die Mutter dankte mir mit Thränen dafür.
Aber um so furchtbarer lag der Gedanke an die Zukunft auf mir. Mein Geld nahm[S. 20] ab; die Gelegenheit zum Verdienste war bei dem stockenden Handel ziemlich beschränkt; ich befand mich bald in großer Verlegenheit. Endlich brachte mich Herr Franck bei einem Mr. Popham als Schreiber an. Aber auch jezt verschaffte uns meine Einnahme täglich nur eine Mahlzeit; die Theurung war gar zu groß. In dieser traurigen Lage ward ich zufällig einen der reichsten portugiesischen Kaufleuten von Madras, Shor. Antonio de Souza, bekannt. Ich hatte ihm nämlich einige Papiere zu überbringen, fand ihn gerade mit Shra de Souza beim Frühstück, und redete ihn englisch (seine Lieblingssprache) an.
»Wie lange sind Sie aus England?« — fiel er mir plözlich ein.
»Ich bin kein Engländer, mein Herr, und war auch niemals dort.«
»So? — Also sind Sie in Indien geboren?«
»Nein! Ich bin ein Holländer, mein Herr, und war Buchhalter zu Sadras.«
»Können Sie die Bücher englisch führen?«
[S. 21]
Ich verbeugte mich.
»Gut! Gut!« — fuhr er mit Lebhaftigkeit fort. »Ich brauche eben einen Buchhalter. Sie sollen monatlich sechzig Pagoden und freien Mittagstisch haben, auch das Frühstück, wenn Sie wollen. Jetzt sagen Sie!« —
»Mein Herr! — Ich bin zu Ihren Diensten. — Aber wie soll ich Herrn Popham.« —
»Das ist meine Sorge. — Treten Sie nur in Gottes Namen an. — Aber Sie sehen so elend aus? — Sind Sie krank?« —
»Das nicht, mein Herr — Aber« — gieng ich aufrichtig über meine Lage u. s. w. heraus, wobei ich auch Sophien nicht vergaß.
»Das ist brav!« — sagte er lebhaft, und schüttelte mir die Hand. — »Bei Gott, das ist brav! — Sie sind ein ehrlicher Mann!« »Hier« — fuhr er fort, indem er in die Casse griff — »Hier sind hundert Pagoden auf Abschlag — Und diesen Abend[S. 22] schicke ich Ihnen zehn Säcke Reis. Gott mit Ihnen, morgen sehen wir uns!«
War es ein Traum? — O überglückliche Veränderung! Sophie weinte vor Freuden. — Abends wurden mir richtig zehn große Säcke mit Reis, und überdem mehrere schöne Stücke Zitz und dergl. für Mutter und Tochter gebracht. Jetzt erst erinnerte ich mich, wie sehr Madame de Souza bei meiner Erzählung gewesen war. Seliger, unvergeßlicher Abend! So waren wir denn auf einmal aller unserer Sorgen los!
Unterdessen war das Carnatik der Schauplatz des Krieges geworden; stündlich kamen mehr Flüchtlinge bei uns an, und die Theurung nahm von Tage zu Tage zu. Vergebens schickte man aus Bengalen eine Menge[S. 23] Schiffe ab; die Franzosen brachten sie fast vor unsern Augen auf. Schon wurden wir daher von dem schrecklichsten Mangel bedroht, als unvermuthet auf der Rhede eine achtzig Segel starke Flotte erschien, die den Feinden unter Begünstigung eines Nebels entgangen war. Entzückender Anblick! Alles eilte an den Strand; alles wollte die kornbeladenen Schiffe sehen; lautes Freudengeschrei erfüllte die ganze Stadt.
Der Eintritt des Regenmonßons war nahe; gleichwohl zögerte man, zu meinem Erstaunen, mit der Ausschiffung. Wirklich wurden, weder den ersten noch den zweiten Tag, nicht die mindesten Anstalten dazu gemacht; der dritte vergieng auf gleiche Art; der vierte brach an; jetzt war es zu spät dazu. Seit zweimal vier und zwanzig Stunden nämlich hatte man alle Vorzeichen eines Orkans bemerkt.
Aengstlich drängten sich die Kühe auf der Weide zusammen, und stöhnend eilte das Wild den dichtesten Büschen zu; die Hunde[S. 24] heulten, die Vögel flogen unruhig umher, die meisten Thiere verkrochen sich. Stoßweis lief der Wind alle Compassstriche durch, und rings am Horizonte schossen feurige Flammen auf. Heftig schien das Meer in seinem Innern zu kochen, und warf eine Menge Muscheln und Seegewächse aus. Auf den schäumenden Wellen zeigten sich unbekannte Ungeheuer, und mit ängstlichem Geschrei flüchteten Tausende von Seevögeln an's Land.
Heute, als am fünften Tage traten alle diese Anzeichen mit verdoppelter Stärke ein. Die Luft war glühend heiß, der ganze Himmel mit schwarzen Wolken bedeckt. Furchtbar, in dumpfem Donnergemurmel, zogen sie gegen einander; tiefer und immer tiefer senkten sich die ungeheuern Massen, und feurige Blitze durchkreuzten die wachsende Finsterniß.
Endlich brach der Orcan mit tausend Donnerschlägen los. Der Regen in Strömen herab; die Cocos-Wälder wie Binsen zerknickt;[S. 25] die Trümmer wie Spreu umher; die schäumende Brandung bergehoch; Blitz auf Blitz; Schlag auf Schlag; ein Donner, eine Flamme; die ganze Natur in Untergang. Wenig Minuten, und die Rhede war mit treibenden Schiffen bedeckt. Bald verschwanden sie in den Abgrund; bald flogen sie wieder himmelan. Die Masten brachen; die Segel zerrissen; die Seiten öffneten sich. Schiff gegen Schiff geschleudert; ein's an dem andern zerschellt. So wirbelten sie in immer schnelleren Kreisen, bis sie endlich der schwarze Abgrund verschlang. Fünf Secunden, und unsere lezte Hoffnung war auf ewig dahin. — Welche Nacht! — Noch jezt denke ich mit Entsetzen daran. Als der Tag anbrach, war der ganze Strand mit Leichnamen und Trümmern bedeckt.
[S. 26]
So brach denn auch diesmal die schrecklichste Hungersnoth aus. Mochten die armen Hindus auch Alles verkaufen, sie fristeten ihr Leben doch nur einige Tage damit. Bald lagen Tausende dieser Unglücklichen, ohne Nahrung, ohne Kleidung, ohne Obdach, bei den heftigsten Regengüssen, auf den Straßen umher. Fürchterlich wüthete der Tod darunter, jeden Morgen fuhren an fünfzig Karren mit Leichnamen aus der Stadt. Endlich trieb man die lezten zweitausend Hindus auf das Glacis. Hier starben sie den langsamen Hungertod. Drey Tage und Nächte stieg ihr Wimmern zum Himmel auf. Endlich ward alles still. — O Menschen, und Menschenleben! — Doch, ich kehre zu meinen eigenen Schicksalen zurück.
Ich hatte meine Stelle bei Herrn de Souza aufgeben müssen; sein Jähzorn war gar zu groß. Noch keiner hatte so lange bei[S. 27] ihm ausgehalten; ich weiß am besten, wie viel ich mir gefallen ließ. Endlich aber ward es gar zu arg, und so brach ich förmlich mit ihm. Dennoch machte er mir noch hundert Pagoden zum Geschenk. Es war einer der sonderbarsten und veränderlichsten Menschen, die mir vorgekommen sind.
Alles machte mir nun den Aufenthalt in Madras unangenehm. Dazu kam die Furcht vor Hyder Ali, dem die schwarze Stadt — wo wir wohnten — am ersten offen stand. Ich dachte also ernstlich an eine Veränderung. Endlich lief ein Doppel-Thony (großer Küstenfahrer) unter dänischer Flagge ein, die nach Tranquebar bestimmt war. Ohne Mühe ward ich mit dem Tandel (Schiffer) einig, ließ unsere Effekten an Bord bringen, geleitete am andern Morgen Sophien mit ihrer Mutter selbst dahin, und kehrte dann, zur Abmachung einer lezten Angelegenheit, noch einmal an's Land zurück.
Unerwartet vergieng mir indessen darüber der ganze Vormittag. Jezt war es drei[S. 28] Uhr, und alles besorgt. Nach einer kurzen Mahlzeit machte ich mich auf, um noch einmal Freund Sabico Lebewohl zu sagen, dessen Haus überdem in meinem Wege lag. Plözlich biege ich um eine Ecke in ein schmales Gäßchen, wo alles mit Leichnamen bedeckt ist. Ein sterbendes Weib windet sich auf der Erde, und zerfleischt den blutigen Leichnam ihres Säuglings. Dieser Anblick, der Gestank, die Hitze, meine Ermüdung, alles überwältigte mich. Ich sank ohnmächtig nieder; ward zu Sabico getragen; und kam erst nach sechs Stunden wieder zu mir.
Mein erster Gedanke war Sophie und das Schiff. Mit einem Schreie raffte ich mich auf, und stürzte durch die finstere Nacht, bei Sturm und Regen, dem Strande zu. Vergebens, nirgends war ein Schiffslicht zu sehen. Ich wollte rufen; meine Stimme ward durch die tosende Brandung übertäubt. So brachte ich eine höchst traurige Nacht im nächsten Wirthshause zu. Endlich mit grauendem Morgen, eile ich wieder an den Strand.[S. 29] Der Nebel zerfließt, die Küsten werden sichtbar, das wogende Meer erhellt sich! — Kein Schiff, so weit das Auge reicht!
Mein Schmerz war grenzenlos; aber zu diesen Seelenleiden kam nun noch Geldverlegenheit. Meine Coffres waren an Bord, kaum hatte ich achtzig Pagoden bei mir. Zwar bot mir der gute Sabico Kost und Wohnung an; auch machte ich wirklich Gebrauch davon; allein wir hatten beide nicht viel. Mein Herz war unaufhörlich in Tranquebar. Tag und Nacht brütete ich über meinen Reiseplan.
Gleichwohl fehlte es immer an Schiffsgelegenheit, denn die französischen Kaper nahmen alle Küstenfahrer weg. Eben so wenig war an die Landreise zu denken; Hyder[S. 30] Ali's Reuter durchstreiften den ganzen Distrikt. Aber die Theurung ward immer größer; ich fühlte, daß ich meinem Freunde lästig zu werden anfieng. Sichtbar griff mich der beständige Kummer an. Was war zu thun? Es galt auch diesmal einen verzweifelten Entschluß. — Ich mußte nach Tranquebar — Tot oder lebendig; ich mußte nach Tranquebar.
Vergebens rieth mir der gute bedächtige Sabico von diesem — wie er's nannte — entsetzlichen Wagstück ab. Ich blieb unerschütterlich, meine Liebe gab mir zu allem Muth. Ohne Zeitverlust kaufte ich so eine alte Chialeng, (Ruderboot) brachte vier Ruderer zusammen, versah mich mit Reis, Fleisch, Wasser, Natten, u. s. w. und stieß endlich am 24. Nov. 17— Nachmittags um 3 Uhr — vom Ufer ab.
Doch kaum hatten wir uns einige Klaftern weit entfernt, als schon das Wasser auf allen Seiten in die Chialeng drang. Sie war sehr lange ungebraucht gewesen,[S. 31] und sog es daher auf allen Fugen ein. Man rieth mir, sie bis zum andern Morgen verquellen zu lassen, doch dies erlaubte mir meine Ungeduld nicht. Ich nahm daher noch einen fünften Mann, einzig zum Ausschöpfen, an, und fuhr so endlich zum zweitenmale ab.
Glücklich waren wir über die Brandung gekommen; zum erstenmal athmete ich wieder mit Leichtigkeit. Jeder Ruderschlag, der mich von Madras entfernte, führte mich der Geliebten zu. Der Himmel war heiter, das Meer vollkommen ruhig, die nach Süden laufende Strömung uns förderlich. Freundlich sank die Sonne in's blaue Meer hinab, und die Spitzen der Pagoden, und die Wipfel der Cocospalmen glänzten im Abendroth. Zufällig blickte ich auf das Fort St. Georges; man ließ die Flagge herab. Wenig Minuten darauf geschah ein Schuß, und pfeifend fuhr die Kugel über die Chialeng hin.
Mehr verwundernd als erschrocken hielten[S. 32] wir einen Augenblick mit Rudern ein. Wir waren allein auf der Rhede, und nirgends ein anderes Fahrzeug zu sehen. — »Wahrscheinlich ein Signalschuß!« — sagte ich ruhig — »Und ein Mißgriff vom Canonier. Aber bei einem Haar hätte er uns doch in den Grund gebohrt. Jetzt in Gottes Namen wieder frisch daran!« —
Herzhaft ruderten wir weiter; doch in demselben Augenblicke geschah ein zweiter Schuß, und die Kugel schlug keine Klafter von uns in's Meer. Jetzt sah ich deutlich, daß es auf unsere Chialeng angelegt war. — »Zurück! — Zurück!« — rief ich meinen Leuten zu — »Arbeitet, was ihr könnt! Um Gotteswillen, ehe der dritte Schuß geschieht!« — Wir thaten nun unser Möglichstes, wiewohl uns die Strömung entgegen war. Man schien es auf dem Fort zu bemerken, und hielt wirklich mit Schießen ein.
Nichts von meinen Empfindungen; ich war außer mir. — Schweigend ruderten wir fort, bis es immer düsterer ward. Bald[S. 33] hörten wir ein anderes Fahrzeug auf uns zukommen, und nicht lange darauf lag eine stark bemannte Chialeng neben uns. — Zwei Srapoys sprangen herüber — »Im Namen des Gouverneurs! — Ihr seyd arretirt. — Vorwärts! Frisch an den Strand!« — Ich vermochte kein Wort zu sagen, meine Gedanken verwirrten sich. — O Sophie! — O Tranquebar!
So langten wir, ohngefähr um zehn Uhr Abends, bei dem am Strande stehenden Hause des Equipagen-Meisters an. Alles war hier mit Menschen angefüllt, alles wollte den Arrestanten sehen. — »Da ist er! Da ist er!« — rief man von allen Seiten, und der ganze Haufe drängte sich um mich. — »Wer seyd ihr?« (who are you?) fragten[S. 34] mich hundert Stimmen zugleich. — »Es ist ein Spion! Es ist ein Franzos!« (It is a spy! It is a French dog!) schrie man hier. — »Nein! Es ist ein Holländer! Ich kenne ihn!« (It is a Dutchman, I know him) antwortete man dort. — Endlich fiel eine mir wohl bekannte Stimme ein. — »Es ist ein ehrlicher Mann, ich bürge dafür!« (It is an honest man; I'll answer for it!) Es war der gute Franck, er erkannte mich erst in diesem Augenblick. Doch eben trat der Equipagen-Meister, Mr. Hall, heraus.
»Wer seyd ihr?« — fuhr er mich mit barscher Stimme an.
»Ein Holländer von Sadraspatnam.«
»Wo ist euer Erlaubnißschein?«
»Ich habe keinen, weil ich es nicht für nöthig hielt.«
»Wie? Keinen Erlaubnißschein? — Also wißt Ihr auch nicht, daß ich der Equipagen-Meister bin, und daß, ohne mein Wissen, Niemand die Rhede verlassen darf?«
[S. 35]
»Sir! Haben Sie die Güte zu bedenken, daß ein Fremder« —
»Was Fremder? Fremder? — Ausflüchte! Nichts als Ausflüchte. — Ihr müßt die Gesetze von dem Lande kennen, worin ihr lebt. — Man schleicht nicht, wie ein Dieb davon, wenn man nichts Böses im Schilde führt. — Ich wette, ihr seyd am Ende ein französischer Spion! — Aber nehmt euch in Acht — He Srapoys! führt ihn« —
In diesem Augenblicke trat der gute Franck hinzu, und sagte ihm etwas in's Ohr. — »Das ist was anderes« — fuhr er jetzt etwas milder fort. — »Aber, was soll ich machen? — Melden muß ich es doch dem Gouverneur! — Nun gehen Sie unterdessen nur auf die Hauptwache. — Nachher wollen wir weiter sehen! Hoffentlich wird es so arg nicht werden! — Gehen Sie nur!«
So gieng ich denn, und brachte ohngefähr eine Stunde auf der Hauptwache zu. Endlich, nach elf Uhr, trat ein wohlgekleideter[S. 36] Mann herein, und fragte nach dem »Gentleman«, der arretirt worden sey. Ich nahm dies Wort für eine gute Vorbedeutung an. Wirklich begleitete er mich auch zum Gouverneur, wo ich in einen großen Saal geführt ward.
Es dauerte wohl eine halbe Stunde, ehe sich jemand sehen ließ. Endlich trat der Plazmajor, Mr. Sydenham herein; er kannte mich unter andern von Herrn Souza her. — »Wie?« — fragte er verwundernd — »Sind Sie es, Haafner? — Welche Tollheit ficht sie an, bei Nacht mit einer Chialeng in See zu gehen? — Wo wollen Sie hin? Was haben Sie vor?«
»Ach, Sir!« — antwortete ich seufzend — »Mangel und Liebe treiben mich fort!« — Zugleich machte ich ihn mit meiner Lage bekannt. — »Sprechen Sie für mich!« — fuhr ich fort — »Ich weiß, daß ein Wort von Ihnen hinreichend ist!« — Meine Erzählung schien ihn gerührt zu haben; er versprach,[S. 37] sein Möglichstes zu thun, und verließ mich.
Doch bald darauf kam er lächelnd zurück. — »Beruhigen Sie sich. Die Sache wird besser gehen, als Sie denken.« — »Hier!« indem er mich in ein Nebenzimmer wies, wo ein kleiner Tisch gedeckt war — »Hier trinken Sie unterdessen ein Glas Wein. In einer halben Stunde bin ich wieder da.« — Ich dankte ihm auf's herzlichste für seine Güte, denn ich war wirklich bis zum Aeußersten erschöpft.
Eben hatte ich das kleine Mahl geendigt, als die Thüre aufgieng, und der Gouverneur, Lord Macartney, in Begleitung des Plazmajors und eines Secretärs, in das Zimmer trat. Er schien keinesweges zornig, fixirte mich indessen mit großer Aufmerksamkeit.
»Wissen Sie nicht?« hub er endlich an, — »daß wer sich in Kriegszeiten heimlich aus einer Stadt zu schleichen sucht, wie ein Spion angesehen werden muß?«
[S. 38]
»Ich weiß es, Mylord, aber ich bitte Ew. Exc. zu bemerken, daß ich nichts weniger als heimlich, sondern bei hellem lichten Tage, und in Beiseyn vieler Zeugen abgefahren bin.«
»Aber doch immer ohne Erlaubnißschein. — Warum machten Sie dem Equipagen-Meister keine Anzeige davon? — Es ist ein Glück für Sie, daß Mr. Sydenham Sie kennt. Um seines Zeugnisses willen, mag die Sache auf sich beruhen!«
Ich machte eine tiefe Verbeugung.
»Nun gut! Sie können abreisen; allein es ist eine Bedingung dabei. Sie müssen einige Briefe für den Obersten Hamilton bei Tranquebar mitnehmen, die ihm eigenhändig zu übergeben sind.«
Ich verbeugte mich abermals.
»Es sind Briefe von der äußersten Wichtigkeit. Sie können leicht denken, daß mir an der richtigen Bestellung derselben sehr viel gelegen ist. Bei der Uebergabe werden Ihnen sofort tausend Pagoden ausgezahlt.[S. 39] Ueberdem werde ich, im Falle ihrer Zurückkunft, auf Ihre Versorgung bedacht seyn.« —
Ich dankte ihm für sein Zutrauen, und versprach mein Möglichstes zu thun. Hierauf händigte er mir die Briefe, in lauter kleinen Röllchen, nebst der Ordre für die tausend Pagoden, ein; wünschte mir glückliche Reise, und entfernte sich. Mr. Sydenham befahl darauf einigen Srapoys, mich an den Strand zu begleiten, und ein Couti (Träger) folgte mir mit einem Korbe voll Lebensmittel nach. So trat ich wieder in meine Chialeng, und kam endlich um zwei Uhr nach Mitternacht glücklich in See.
Wunderbare Veränderung! — Und das alles verdankte ich den Briefen von Lord Macartney. Aber warum legte er so viel[S. 40] Wichtigkeit darauf? Weil die Verbindung mit dem englischen Lager schon seit mehreren Wochen unterbrochen war. Alle Couriers (Harkarrahs) wurden von den mahrattischen Streifparthien ermordet, oder mit verstümmelten Nasen und Ohren zurückgeschickt. Niemand wollte sich mehr zu dieser Reise verstehen. Aber sollte ich den Feinden meines Vaterlandes dienen, oder sollte ich nicht vielmehr — Doch das Wetter war vortrefflich, der Mond stand groß und freundlich am Himmel, und das ruhige Meer glänzte in Silberschein. Wir spannten unser kleines Segel auf, und steuerten fröhlich nach Süden zu.
Als die Sonne aufgieng, befanden wir uns auf der Höhe von Covilom, und schon um zwei Uhr Nachmittags hatten wir mein liebes Sadras im Gesichte. Plözlich tagte im Südost eine Fregatte auf, die mir verdächtig schien. Ich ließ daher zwischen die Brandung rudern, und lief in eine kleine Sandbucht ein. Jezt, so nahe bei Sadras,[S. 41] mußte ich diesen freundlichen Ort doch noch einmal sehen. Ich ließ demnach die Chialeng an den Strand ziehen, und eilte den wohlbekannten Fußsteig hinan.
Allein was fand ich? Alles öde, alles mit Schutt und Trümmern bedeckt. Die Einwohner waren durchs Schwerdt, oder den Hunger umgekommen; die Engländer, die mahrattischen Streifparthien, die Räuberbanden hatten allmählich Alles zerstört. Traurig wandelte ich durch die einsamen Straßen hin, bis ich endlich an mein eigenes Häuschen kam. Noch breitete der hohe, schattige Tamarindenbaum seine kühlenden Aeste darüber aus; aber es hatte das Schicksal der übrigen gehabt. Voll wehmüthiger Erinnerungen eilte ich an den Strand zurück, und beschloß, wo möglich, noch bis Alamparve zu gehen. Es war ohngefähr vier Uhr Nachmittags.
Eine Stunde darauf befanden wir uns auf der Höhe von Arialchery. Aber inzwischen war der Wind weniger günstig geworden,[S. 42] und der Himmel hatte sich mit schwarzen Wolken bedeckt. Die See gieng hohl; die Möwen flogen nach dem Lande; Alles kündigte ein Ungewitter an. Dennoch hoffte ich Alamparve noch erreichen zu können, und ließ daher die Leute rudern, was nur möglich war. Bald aber versank die Küste in Nacht, und der glänzende Schaum der Brandung war das Einzige, was ihre Nähe verrieth.
Noch eine gute Stunde hatten wir ungefähr in dieser Richtung fortgesteuert; als der Wind allmählig aus Norden aufzufrischen anfieng. Bald war er uns völlig entgegen, und Alamparve zu erreichen pure Unmöglichkeit. Zugleich brach das Ungewitter los, und der Regen schoß in Strömen herab. »Ans Land! Ans Land!« — schrien wir alle, und ruderten muthig in die schäumende Brandung hinein. Die Chialeng stieg und sank, bis sie endlich von der lezten Welle, wie ein Pfeil ans Ufer geschnellt ward.
Die Gegend, wo wir uns befanden, war[S. 43] mit Gebüsch und wilden Palmbäumen bedeckt, und schien gänzlich unbewohnt. Wir zogen die Chialeng so hoch als möglich ans Land, nahmen einige Lebensmittel daraus, und verbargen uns im Gehölz. Der Sturm wüthete mit Heftigkeit fort. Die Palmen rauschten; der Regen schoß zwischen den Zweigen herab; und furchtbar tönte die Brandung vom Ufer her. Keiner von uns vermochte ein Auge zuzuthun.
Gegen Morgen schien das Wetter etwas besser zu werden; doch gieng die See entsezlich hoch. Wir beschlossen daher, ruhig am Lande zu bleiben, worauf sich jeder dem Schlafe überließ. Einige Stunden darauf erwachte ich plözlich von einem Sonnenstrahl, stand auf, und legte mich an einen Baum. — Auf einmal — Menschenstimmen ganz nahe bei mir. — Ich warf mich auf den Boden; der Ton kam vom Strande her — Mit zurückgehaltenem Athem kroch ich an den Rand des Gehölzes, da zogen sie hin. — Zwanzig Mann von einer mahrattischen Streifparthie.
[S. 44]
So ritten sie vorüber, und eilends weckte ich meine schlafenden Leute auf. — Was sollte ich thun? — In See gehen? — Der Sturm hielt noch immer an. — Am Lande bleiben? — Die Gefahr nahm mit jedem Augenblick zu. — Unterdessen hatte sich der Himmel aufgeklärt. — Ich beschloß, mein Schicksal dem Meere anzuvertrauen. — »In See!« — rief ich meinen Leuten zu; sie schüttelten den Kopf. — »So wißt denn« — fuhr ich fort, und theilte ihnen den Vorfall mit. — Mehr bedurfte es nicht; augenblicklich war die Chialeng flott gemacht. Muthig ruderten wir durch die Brandung, und kamen bei dem dritten Versuche glücklich in See.
Das Wetter blieb gut, das Meer wurde von Stunde zu Stunde ruhiger, langsam[S. 45] steuerten wir längs der Küste hin. So hatten wir ungefähr eine Meile zurückgelegt. Plözlich wurden wir am Strande einen Menschen gewahr. Er rang die Hände, warf sich auf die Knie, kurz, er schien unsere Hülfe anzuflehen. — »Wir müssen ihn aufnehmen!« — rief ich meinen Leuten zu, und sie waren sämmtlich dazu bereit. Auf einmal hören wir Pferde wiehern! — »Verrath!« — rief ich heftig — »Zurück! Zurück! Um Gotteswillen zurück!« — Schwer schwebten wir auf der Spitze der zweiten Welle — Einige Minuten später, und die Chialeng würde an den Strand geflogen seyn. Mit gräßlichem Geschrei kam jezt ein Haufen Räuber aus dem Gebüsche. Einer davon schwang sich auf ein Pferd und jagte fort. Doch wir waren schon wieder in offener See.
Gegen Mittag konnten wir bereits das rothe Dach der Chauderie[1] von Alamparve sehen. Gern wäre ich einen Augenblick gelandet,[S. 46] um Wasser einzunehmen, allein der Truppen wegen, beschloß ich, es lieber an einer einsamern Stelle zu thun. Wir ruderten also herzhaft fort, bis wir ungefähr auf der Höhe des Dorfes waren, das mit seinen Baumgruppen gar lieblich vor uns lag. Plözlich sahen wir zwei, dann zehn, dann immer mehr Reiter auf den Strand zueilen, bis er endlich fast ganz damit bedeckt war. Sie riefen uns zu, ans Land zu kommen — »Morgen! Morgen!« (Nalekie! Nalekie!) gaben wir lachend zur Antwort, und hatten nur unsern Scherz damit.
Doch mit wüthenden Geberden wiederholten sie ihre Aufforderung, und legten zu gleicher Zeit ihre Büchsen auf uns an. Jezt fand ich räthlich vom Lande abzuhalten, und gab sofort das Zeichen dazu. Aber in demselben Augenblicke schossen sie, und einer meiner Leute that einen gräßlichen Schrei. — »O Vater! Vater!« (Are appa! Are appa!) — »Wo? Wo?« — rief ich erschrocken, in der Meinung, daß er verwundet sey. Doch es[S. 47] war noch viel schrecklicher — Er zeigte auf zwei Kattamarans[2] — Sie waren mit Srapoys bemannt, suchten uns den Weg abzuschneiden, und ruderten eilig auf uns zu. Wahrscheinlich hatten sie an einer andern Stelle vom Ufer gestoßen, während uns der Räuberhaufen beschäftigt hielt.
Was war zu thun? — Wir arbeiteten was wir konnten, allein nach wenig Minuten hatten sie uns eingeholt. — »Zurück! Ihr Spitzbuben!« (Rirau Bantjot!) — riefen sie uns zu, und legten auf uns an. — Wir waren verloren; ich sah es vollkommen ein. Einen so schrecklichen Augenblick hatte ich noch nie gehabt. Doch plözlich faßte ich wieder Muth. — »Seyd unbesorgt!« — sagte ich zu meinen Leuten — »Ich habe meinen Plan gemacht; es wird euch nichts zu Leid geschehen. Wir haben uns bei Nacht von Madras geflüchtet! Vergeßt es nicht,[S. 48] bei Nacht von Madras!« — In diesem Augenblick waren die Kattamarans neben uns, und fluchend sprangen die Srapoys in unsere Chialeng.
»Ich bin ein Holländer!« — rief ich ihnen zu, ohne daß es jedoch etwas zu helfen schien. Einer war besonders so kühn, daß er seinen Säbel über meinen Kopf schwang — »Nehmt euch in Acht« — fuhr ich fort, — »und bedenkt, was ihr thun wollt. Ich bin ein Abgesandter; ich habe eine äußerst wichtige Botschaft an den französischen Admiral, und an den Nabob Hyder Bahadur. Die geringste Beleidigung, die ihr mir, oder meinen Leuten zufügt, kostet euch euren Kopf, dafür stehe ich euch!« — Dies wirkte, und sie steckten sofort ihre Säbel ein. Zugleich erfuhr ich, daß ich auf Befehl des Jammedaars (Districtscommandanten) eingeholt worden war.
Als ich ans Land trat, ward ich von der ganzen Masse umringt, und mit den niedrigsten Schimpfwörtern überhäuft — »Wie?« —[S. 49] rief ich — »Ihr wagts, den Vakirl (Gesandten) an den Nabob zu schmähen? — Wartet! Es soll euch gereuen!« — »Hier!« — fuhr ich mit gebieterischem Tone zu einem der Offiziere fort — »Hier liegt meine Chialeng! Ich übergebe sie eurer Obhut! Stellt augenblicklich eine Wache dabei! Es sind Briefschaften und Papiere für den Nabob darin! — Daß sie kein Mensch anrührt; hört ihrs! Ich fordere Alles von euch zurück!« —
»Und ihr!« — indem ich mich zu meinen Leuten wandte, — »Ihr bleibt hier, bis ich wieder komme, und wehe dem, der euch etwas zu Leide thut!«
»Jezt!« — zu den Srapoys — »Jezt, laßt uns gehen! — Meine Zeit ist kostbar!«
Wir kamen an, der Jammedaar saß vor der Thüre der Chauderie. Mein Plan war[S. 50] gemacht; nichts konnte mich retten, als die kühnste Entschlossenheit. Stolz und ruhig gieng ich auf ihn zu, grüßte ihn, und sezte mich ohne weiteres neben ihn. Er griff nach seinem Dolche, allein ich kam ihm mit meiner Anrede zuvor. — »Jammedaar!« — sagte ich — »Du kennst mich und meinen wichtigen Auftrag nicht; das entschuldigt dich! Aber ich wünsche um deinetwillen, daß der Nabob nichts davon erfährt. Bei dem allmächtigen Gott! Er würde dich für diese schnöde Behandlung zu bestrafen wissen, ich stehe dir dafür!« —
Was ich voraus gesehen hatte, geschah. Der Jammedaar war überrascht, und sah schweigend und unentschlossen vor sich hin. — »Ich bin ein Holländer!« — fuhr ich im vorigen Tone fort — »Und muß nach Pondichery, — der französische Admiral.« —
»Jammedaar!« — rief hier plözlich ein Srapoy, und trat aus dem uns umgebenden Haufen hervor. — »Jammedaar! Laß dich nicht von diesem Prahler hintergehen! Ich[S. 51] habe seine Leute befragt. Sie kommen von Madras und gehen nach Tranquebar. Es ist gewiß ein englischer Hund, der nach dem Lager von Cudelore will!« — Bei diesem Worten gerieth der ganze Haufen in Wuth — »Ja! Ja! Es ist ein englischer Hund!« wurde von allen Seiten wiederholt.
»Nein!« — rief ich entrüstet — »Kein Engländer! — Ein Holländer von Sadringapatnam bin ich. — Warum die giftigen Worte? — Ihr sagt, daß ich von Madras komme? Wer läugnet es? — Aber warum verschweigt ihr, daß wir bei Nacht von dort geflüchtet sind?« —
»Jammedaar!« — fuhr ich ungeduldig fort, indem ich mich wieder zu ihm wandte — »Halt mich nicht länger auf! Ich muß durchaus noch heute in Pondichery seyn. Die Nachrichten, die ich dem französischen Admiral zu überbringen habe, sind von der äußersten Wichtigkeit. Jede Stunde, die du mich aufhältst, kann dem Nabob gefährlicher werden, als eine verlorne Schlacht!« —
[S. 52]
Er schien verlegen, stand auf und sprach mit einem seiner Offiziere einige Minuten zur Seite. Endlich kam er zurück. — »Du sollst und kannst abreisen, so bald du bewiesen hast, daß du ein Holländer, und kein Engländer bist.«
»Wie, Jammedaar! spottest du meiner? Wie soll ich das beweisen? Sind wir nicht von einer Farbe? Ist in unsern Zügen, unserer Kleidung, unseren Manieren irgend ein Unterschied? Ja, wenn du die Sprachen verständest, aber so? — Weißt du was, Jammedaar! Laß mich nach Pondichery bringen, wenn du mir nicht glauben willst! Hörst du, nach Pondichery!« —
Er konnte nichts darauf erwidern, aber mich reisen zu lassen, dazu hatte er eben so wenig Lust. — »Es ist am besten« — sagte er endlich — »ich lasse dich zu Nabob bringen, der bei Arcot steht. So bin ich von aller Verantwortung frei!« —
»Ei nicht doch!« — erwiederte ich, denn diese Reise war ganz und gar nicht in meinem[S. 53] Sinne. — »Ich sage dir ja, daß ich noch heute in Pondichery seyn muß!« — Allein vergebens. Nur mit der äußersten Mühe brachte ich ihn am Ende noch auf eine andere Idee.
»Azoaf!« — rief er einem seiner Srapoys zu — »Schwing dich auf dein Roß, flieg nach Marampette, und sage Rosan Alichan, daß ein Weißer in meine Hände gefallen ist, der sich für einen Holländer aus Sadringapatnam ausgiebt.« —
»Und sag ihm zu gleicher Zeit« — fiel ich ein — »daß es derselbe Holländer ist, der ihn einmal aus den Händen der Engländer gerettet hat.« —
Bei diesen Worten schrie der Jammedaar auf, während mir der Srapoy zu Füßen fiel. — »Maharadja« (Herr) — rief er — »Verzeih! Ich erkannte dich nicht. Ja! ich war damals bei Rosan Alichan, als du unser aller Retter warst. Jezt flieg ich zu ihm, um ihm zu melden, daß du hier bist!« —[S. 54] So sprach er, schwang sich auf sein Pferd, und eilte im Galopp davon.
Jezt wendete sich auch der Jammedaar zu mir — »Freund!« — sagte er mit Innigkeit, und legte die linke Hand aufs Herz — »Freund! Mache mich zu deinem Sclaven für diese Beleidigung. Ich weiß, welchen Dienst du Rosan Alichan erzeigt hast; er hat mir oft davon erzählt!« — Zu gleicher Zeit bot er mir seine Huka (Pfeife) an, und befahl, meine Leute augenblicklich frei zu lassen, auch sie reichlich mit Lebensmitteln zu versehen.
Nach ungefähr einer Stunde traf Rosan Alichan ein, und begrüßte mich mit vieler Herzlichkeit. — »Warlich!« — rufte er voll Freude aus — »Der Fang ist mir lieber als die halbe englische Armee!«— Hierauf sezten wir uns zum Pillau (Reis mit Fleisch u. s. w.) hin, wobei es nicht an Arrac gebrach. Endlich um vier Uhr ward ich in stattlicher Begleitung ans Ufer getragen, und eine halbe[S. 55] Stunde später befanden wir uns wieder in See.
Der Abend war still und freundlich; singend ruderten meine Leute längs der Küste hin, während ich in tiefe Betrachtungen versank. Man erinnert sich der Briefe von Lord Macartney. Ich hatte geschehen lassen, was nicht zu ändern war; aber sollte ich den Feinden meines Vaterlandes dienen? — Nimmermehr! — Mich band weder Eid noch Pflicht. — Ich beschloß demnach, in Pondichery einzulaufen, die Briefe dort abzugeben, und dann so fort nach Tranquebar zu gehen. Mit Schrecken bemerkte ich indessen, daß das Wasser immer stärker in die Chialeng drang. Ich war daher gezwungen die Nacht am Strande zuzubringen, bis der langersehnte Morgen anbrach. Jezt ward der Leck entdeckt[S. 56] und sorgfältig verstopft. Mit erneuerten Kräften ruderten wir nun weiter, und langten endlich um zehn Uhr auf der Rhede von Pondichery an.
Als wir ans Land gestiegen waren, versammelte sich Alles um uns her. — »Wie, von Madras? Mit dieser Chialeng?« — Es schien allerdings ein halbes Wunderwerk, denn alle Cocosstricke an den Planken waren fast gänzlich verfault. Bei einer schweren Ladung hätten wir dies alte Fahrzeug sicher nicht so weit gebracht. Ich gab es jezt meinen armen Leuten Preis, bezahlte ihnen den bedungenen Lohn, und wanderte langsam in die Stadt hinein. Sofort kam ein Pron (Diener) auf mich zu, und wieß mich zu dem Equipagenmeister, einen Mr. de Salmiac.
Als ich in das Zimmer trat, sah ich ein kleines, rundes, dickbäuchigtes Männchen, bloß in Hemde und Pantalons vor mir. Ich war ein wenig erstaunt, und glaubte unrecht gegangen zu seyn. — »Nein! Nein!« —[S. 57] fiel er mir lebhaft ins Wort — »Ich bin es selbst — Sie sind freilich nicht der erste, der sich über mein Neglige verwundert; aber so laufe ich, der Hitze wegen, immer im Hause herum. Es ist doch ein Herzleid, wenn man so dick ist — Mais l'habit ne fait pas le moine — Was haben Sie anzubringen? — Setzen Sie sich.«
»Ich habe englische Briefe für den Admiral de Suffroin!«
»Wie, englische Briefe für den Admiral?« — rief er mit Verwunderung und Freude aus — »Vielleicht Nachricht vom Frieden? — Sagen Sie, wissen Sie etwas davon? Haben Sie etwas davon gehört?« — So ging es, in einem Athem, wohl eine Viertelstunde lang fort. Er war ganz begeistert von seiner Friedensidee. Endlich erzählte ich ihm den Zusammenhang.
»Bravo! Bravo! « — rief er in die Hände klatschend — »Tausend Pagoden! Warlich, das ist keine Kleinigkeit. Aber Sie haben wahrscheinlich Vermögen?« —[S. 58] »Im Gegentheil, ich bin nichts weniger als reich« — »c'est fort!« — sagte er halblaut für sich, und dann mit Lebhaftigkeit zu mir: »Ma foi, vous êtes un honnête homme!«
»Aber!« — fiel er plözlich in einem anderen Tone ein — »An wen denken Sie Ihre Briefe abzugeben? — Der Admiral ist abgesegelt, wie Sie sehen; der Intendant ist auf einige Tage verreist. Sie wollen gern nach Tranquebar, wie Sie sagen, und da geht eben ein Thony (Küstenfahrer) hin. Ich erwarte den Capitain jeden Augenblick. Wissen Sie was? lassen Sie die Briefe bei mir; so ist es gut!« —
»Sehr gern!« — erwiederte ich, und war im Grunde herzlich froh, sie endlich los zu seyn. Es waren fünf und dreißig zusammen, worüber ich einen Empfangschein erhielt. Zu gleicher Zeit schrieb Mr. de Salmiac meinen Namen, nebst der Adresse eines meiner Freunde zu Tranquebar auf.
Jezt kam der Capitain der Thony, ich[S. 59] ward mit ihm um drey Pagoden eins. Es war mein leztes Geld; Mr. de Salmiac hörte es, blieb aber ganz gleichgültig dabei. — »Essen Sie zu Mittag!« — sagte der Capitain: »Sie haben gerade noch zwei Stunden Zeit!« — Sofort überhäufte mich Mr. de Salmiac mit tausend Entschuldigungen, daß er heute selbst zu Gaste gebeten sey. — »Wenn Sie indessen durchaus Niemand anders kennen« — fuhr er fort — »So werde ich Sie mitnehmen — Ja! Ja! — Ich werde Sie mitnehmen, wenn nämlich der Capitain warten will!« —
Sein zweideutiges Wesen misfiel mir; ich nahm daher augenblicklich Abschied von ihm. — »Mais! — Mais!« — fiel er ein — »J'en suis fâché! J'en suis an desespoir!« — führte mich unter einer Menge Complimente zur Thüre hinaus, und ließ mich auf der Straße stehen. Ich darf es sagen, eine Belohnung verlangte ich nicht; aber ein gutes Mittagsessen hätte mir allerdings Vergnügen gemacht. Ich verkaufte nun einige[S. 60] kleine Pretiosen, aß in einer Taverne, und begab mich hierauf an Bord. Der Wind war günstig; schon um acht Uhr Abends ankerten wir auf der Rhede von Tranquebar. Vor Freude und Ungeduld war ich außer mir.
Alle Chialengs waren indessen bereits in Sicherheit gebracht; ich sah keine Möglichkeit ans Land zu gehen. Endlich vernahm ich Rudergesang. Es waren Fischer; sie kamen aus der See zurück. — »He!« — rief ich ihnen zu — »Wollt ihr einen Weißen mit ans Land nehmen?« — Sie achteten wenig, oder gar nicht darauf. — »Eine Rupie, wenn ihr wollt« — fuhr ich fort, und in wenig Minuten war ich auf dem Kattamaran (Floß). Wohl wußte ich, was ich wagte, und wie gefährlich das Landen war; allein ich dachte an Sophien, und verließ mich auf mein bisheriges Glück.
Jezt waren wir bei der glänzenden Brandung, die sich mit dumpfem Donner am Ufer brach. — »Noch eine Rupie!« — rief ich[S. 61] den Fischern zu, wenn ihr mich glücklich hinüber bringt. Zu gleicher Zeit warf ich mich nieder, und klammerte mich an die Balken an. Glücklich kamen wir über die zwei ersten Wellen hinweg, nicht so über die dritte, so groß auch die Anstrengung der Ruderer war. Sie holte uns ein, hieng, wie ein schreckliches Gewölbe, einen Augenblick über uns, und stürzte dann donnernd auf uns herab. Ich verlor das Bewußtseyn. — Als ich wieder zu mir kam, lagen wir hoch und trocken auf dem Strande von Tranquebar.
Ohne Aufenthalt eilte ich nun vollends in die Stadt hinein, und beschloß bei dem ersten besten nach Sophien Erkundigungen einzuziehen. Eben kam ich bei dem Zollhause vorbei; es war noch Licht darin. —[S. 62] »Guten Abend!« — sagte ich zu den Kannekas (Schreibern) — »Könnt ihr mir nicht sagen, ob die Thony von Maleappa — so hieß der Schiffer — angekommen ist?« —
»O ja, schon vor geraumer Zeit! — Dort liegt sie auf dem Strande — Wenn's Tag wäre, könntet ihr sie gleich vor euch sehen. — Sie wird reparirt; sie hat einen schweren Sturm auszuhalten gehabt.« —
»Wo wohnt Maleappa? Ich muß ihn sprechen.« —
»Wo er wohnt? — Nun vermuthlich bei den Fischern, denn beim Sturme fiel er über Bord.« —
»Und die Frau mit dem jungen Mädchen? — Sie befanden sich als Passagiere auf der Tony. — Sind sie noch in Tranquebar?« —
Die Schreiber sahen einander an; keiner hatte ein Wort von diesen Personen gehört; ich ward leichenblaß. In diesem Augenblicke trat ein Kuli (Träger) auf mich zu. Er hatte bisher an der Thüre gesessen und unserem[S. 63] Gespräche zugehört. — »Aya!« — sagte er — »Gieb mir ein Paar Panams und ich führe dich hin. Ich habe ihre Sachen getragen, und weiß, wo sie eingekehrt sind.« — »Du sollst eine Rupie haben!« rief ich, und eilte mit ihm fort.
»Hier!« — sagte er endlich, indem er auf ein malabarisches Häuschen zeigte — »Hier Aya, hier wohnen sie! Soll ich anklopfen?« — »Nein! Nein!« —sagte ich hastig, und hielt ihn zurück. — »Hier hast du dein Geld, und gute Nacht!« —
In dem Augenblick gieng die Thür auf, und Sophie trat mit einer Lampe heraus. — »O mein Gott!« — rief sie und flog an meinen Hals. Seliger und unbeschreiblicher Augenblick. So fand uns die Mutter in stummer Umarmung. — »Ach! wie haben wir uns geängstiget« — sagte sie. — »Nun Gott sey hoch gedankt!« —
Am andern Morgen dachte ich nun im ganzen Ernste an meine Einrichtung. Alle meine Sachen waren unversehrt; allein Tranquebar[S. 64] bot wenig, oder gar keine Hülfsquellen dar. Der dänische Handel ist unbedeutend; das Comtoir beschäftigt nur wenig Leute! überall herrscht die größte Sparsamkeit. Ich mußte mir einen bedeutenden Plaz wählen, wo ich überdem von dem Kriege sicher war. Es schien mir daher am besten, nach Jaffanapatnam auf Ceylon zu gehen. Die Mutter freute sich über meinen Entschluß, Sophie aber sagte kein Wort dazu. Erst jezt hörte ich von jener, daß der Bräutigam zu Trinconomale sey. — In wenig Tagen hatte ich eine gute, geräumige Chialeng mit einem Sonnendeck gekauft, und tüchtige Ruderer u. s. w. besorgt. Da erschien auf einmal ein alter gutgekleideter Herr bei mir.
»Ich bin der Graf von Bonvoux« — hub er französisch an — »Sie befrachten eine Chialeng nach Jaffanapatnam; ich suche ebenfalls eine Gelegenheit dahin — Wenn Sie mich mitnehmen könnten, wär' es mir angenehm. — Ich habe nur ein Paar Coffers, vier Kisten mit Wein, zwei Ballen Musselin, und zwei[S. 65] weibliche Bedienten bei mir!« — Ich sah an seinem Orden, daß er Maltheser war, und lachte herzlich über seine Dienerschaft.
»Das ist so einmal meine Art!« — gab er jovialisch zur Antwort — »Ich habe immer zwei Mädchen bei mir. Die eine besorgt die Küche, die andere meine Person.« — »D'ailleurs!« — indem er mich sehr bedeutend ansah — »Le nom ne fait rien à la chose. Vous le verrez!«
Ich hatte anfangs wenig Lust zu dieser Reisegesellschaft, und entschuldigte mich durch den Mangel an Plaz, was auch nicht ganz ungegründet war. Allein der alte Ritter wußte mir alles so leicht vorzustellen, und schien zugleich so jovialisch zu seyn; daß ich ihm endlich die Ueberfahrt, und obendrein umsonst zugestand.
»Nun gut!« — sagte er — »So kaufen sie wenigstens keine Provisionen ein! Das will ich auf mich nehmen, und ich denke zu ihrer Zufriedenheit. Geben Sie keinen Sous dafür aus, ich bitte Sie! Verlassen Sie sich[S. 66] ganz auf mich!« — So gieng er, und ich verließ mich wirklich auf ihn.
Beim Mittagsessen erklärte mir die Mutter, daß sie nicht mit zu reisen willens sey. Sie habe ein treffliches Unterkommen als Haushälterin bei einem Hollsteiner erhalten, sie vertraue Sophien meiner Rechtlichkeit an. Zerschlüge sich die Heirath, so hätte ich ihre Einwilligung. Sophie schien über dies alles äußerst vergnügt; man kann denken, wie sehr ich es selbst war.
So schlug es vier Uhr, und wir eilten in die Chialeng. Die gute Mutter begleitete uns an den Strand; wir nahmen herzlichen Abschied von ihr. Der Graf befand sich mit seinen beiden Mädchen bereits an Bord, und war äußerst höflich, wiewohl er einen kleinen Hieb zu haben schien. — Wir richteten uns ein, so gut es möglich war. — Endlich Anker auf! — Da segelten wir lustig die Rhede hinaus.
[S. 67]
So verließ ich denn die Küste von Coromandel, wo ferner kein Glück für mich zu blühen schien. Mit vermischten Gefühlen blickte ich noch einmal auf das verschwindende Gestade zurück. Die Stadt, das Fort, die Pagoden, die Cocos-Wälder — alles glänzte im Dufte des Abendroths; alles sank allmählich in Dämmerung.
Bald war es Zeit zum Abendessen, und der Graf öffnete seinen Speisekorb. Noch jezt sah ich ihn vor mir, wie er vier kleine gebratene Hühner, zehn Sousbrode, und eine Flasche Madera heraus nahm. Da ich dies natürlich nur für eine Art Voressen hielt, expedirte ich mein Huhn, und meine zwei Brode mit gutem Seemannsappetit.
»Parbleu!« — sagte der Graf — »Hätte ich das gewußt, ich hätte mich mit einem Huhn, und einem Paar Broden mehr versehen!« —
[S. 68]
»Wie, Herr Graf?« fiel ich lebhaft ein — »Das ist Alles?« —
»Wie Sie sehen, ja! — Vraiement! J'en suis fâché! — Aber es hat gar nichts zu sagen. Wir frühstücken zu Caix[3], ich stehe Ihnen dafür. Lassen Sie mich nur machen; ich bin ein alter erfahrner Steuermann!«
Ich ließ ihn schwatzen; denn ich merkte wohl, er hatte abermals zu tief ins Glas gesehen. Im Nothfall gab es überdem längs der Küste noch kleine Häfen genug. Völlig unbesorgt streckte ich mich also, wie die ganze Gesellschaft, auf meine Matte hin.
So mochte ich ungefähr bis fünf Uhr Morgens geschlafen haben, als ich von dem Tandel (Steuermann) geweckt ward. — »Steht auf, lieber Herr!« — sagte er sehr betrübt. — »Ich kann keinen Grund mehr finden, und sehe auch kein Land mehr.« —
»Wie?« rief ich erschrocken — »Kein Land? Wie ist das möglich?« — Und mit[S. 69] einem Sprunge war ich auf, und sah leider, daß es gegründet war. — »Aber« — fuhr ich heftig fort — »Warum hast du die Küste verlassen?« — »Um Gotteswillen!« — antwortete er zitternd — »Nicht ich, der Franzose« — »Wie, der Franzose?« — »Ja Herr! Er hat es gethan! — Er zwang mich dazu, er sezte mir die Pistole auf die Brust!« —
Es war in der That ein entsezlicher Streich. Die See gieng hoch; die Strömung lief nach Nordost; das Rudern war äußerst beschwerlich; unsere Richtung gerade entgegengesezt. Hierzu die Hitze, die Windstille, der Mangel an Proviant — Ich gestehe es; ich war außer mir vor Zorn. Ich hätte den gräßlichen Patron über Bord werfen können; so erbittert war ich auf ihn. — »Da!« sagte ich, und weckte ihn ziemlich unsanft auf — »Da! Sehen Sie ihre verdammte Steuermannnskunst! — Wir treiben in offener See.«
»Vous êtes une bête!« — war seine Antwort — »Was verstehen denn Sie davon? Nun ja! Ich habe diese Nacht gesteuert,[S. 70] und danken sollten Sie mir noch dafür. — Parbleu! — So an der Küste hinzuschleichen, wenn man Curs halten kann. In ein Paar Stunden müssen wir zu Caix seyn. Wenn man die Küste nicht sieht, so ist der Nebel daran Schuld.«
Jezt wurde es mir zu arg, und ich bewieß ihm mit der Charte, daß er ein Windbeutel sey. — »Treiben wir die Nordspitze von Ceylon vorbei« — fuhr ich fort — »so ist es um uns geschehen. Also ans Ruder, bis der Wind auffrischt! Geben Sie den Leuten Geld, sonst stehe ich Ihnen für nichts!« —
Er schien mir Recht zu geben, und warf eine Hand voll Rupien hin. Diese theilte ich sofort unter die Ruderer aus, und machte sie wirklich ganz munter dadurch. Zu gleicher Zeit theilte ich Reis und Wasser unter sie aus. Wir andern behalfen uns mit etwas Zwieback und Maderawein.
So kam der Abend heran; der Wind schien aufzufrischen; die armen Ruderer konnten wenigstens etwas ruhen. Ich selbst löste[S. 71] den Tandel am Steuer ab, und war endlich der einzige, der auf der Chialeng wachend blieb. Zu meiner großen Freude ward der Wind immer stärker, und so steuerte ich muthig nach Südwest fort.
Die Sonne gieng auf. Rings umher nichts als Himmel und Wasser, und bald gänzliche Stille, wie vorher. Mit kummervollem Herzen rief ich die armen Malabaren an ihr beschwerliches Tagewerk. — »Noch kein Land?« — fragten sie traurig, als sie die weite, öde Wasserfläche vor sich sahen. — »Noch kein Land, lieber Herr?« — »Diesen Abend gewiß« — antwortete ich mit erkünstelter Heiterkeit, und in dem Augenblicke trieb ein Bananasstamm vorbei. — »Seht ihr?« — fuhr ich fort, und faßte selbst einige Hoffnung — »Seht ihr? Es kann nicht weit mehr seyn!« —
[S. 72]
In diesem Augenblicke stürzte der Graf herbei — »Hier«! — schrie er einem seiner Mädchen aus der Caste der Parias zu — »Hier! Sag den armen Leuten, daß der Mensch da ein Betrüger ist, daß er sie nun und nimmermehr in einen Hafen bringen wird. Von nun an will ich selber steuern, und wette tausend Rupien, daß wir morgen in Caix sind. Wer mir nicht gehorcht, dem jage ich den Degen durch den Leib!« — Mit diesen Worten stieß er den Tandel auf die Seite, und wollte die Chialeng wieder nach Osten drehen.
»Freunde!« — rief ich mit Heftigkeit — »Nehmen wir einen andern Curs, so mag uns Gott beistehen!« — Zu gleicher Zeit packte ich den Grafen beim Kragen, und entfernte ihn etwas unsanft von seinem Platz. Er stolperte, wollte ein Tau fassen, verfehlte es, und flog über Bord. Augenblicklich sprang ihm aber ein Ruderer nach, und brachte ihn wieder herauf, so daß er mit der Abkühlung davon kam.
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Nachmittags ward ich in Osten einige Wolken gewahr. Dies versprach für die Nacht äußerst günstigen Wind. Gegen Abend indessen waren die Ruderer so ermüdet, daß einer nach dem andern zu Boden sank. Es ward finster; noch immer frischte kein Lüftchen auf. Jeder Seufzer Sophiens zerriß mir das Herz. Endlich schlief alles ein, und mir selbst sanken zulezt die Augen zu.
Plözlich — vielleicht nach einigen Stunden — erwachte ich von einem heftigen Stoße der Chialeng, und fand, zu meiner unsäglichen Freude, daß der Wind frisch aus Norden blies. — »Auf Freunde, auf!« — rief ich jezt dem Tandel, und den Ruderern zu — »Der Wind ist da! Der Wind ist da! Jezt lustig das Segel auf! Morgen laufen wir in Caix ein!« — Alle sprangen in Eile auf; alle waren mit neuem Muthe erfüllt. Ich steuerte nunmehr mit fester Hand, und rauschend flog die Chialeng durch die glänzenden Fluthen hin. Sophie kam zu mir, wir sprachen zusammen, bis der Tag anbrach.
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Die Sterne blühten, in Osten fieng es an heller zu werden; mit klopfendem Herzen blickte ich nach der ersehnten Küste, die meiner Rechnung nach, in Süden zu finden war. Da gieng die Sonne auf, und wie ein bläulich glänzender Nebelstreif stieg das Land aus dem wellenden Meer empor. — »Land! Land!« — rief ich freudig, und zeigte mit der Hand dahin! — »Land! Land!« — tönte es durch die ganze Chialeng. — Einige Stunden, und wir konnten schon die dunkeln Waldungen sehen. Endlich kamen wir näher und näher, und ich erkannte die kleine Insel Caradiva, oder Amsterdam, ungefähr zwei Seemeilen von Ceylon.
Gern hätte ich die Chialeng auf den Strand gesezt, allein der Felsenriffe wegen mußten wir vor Anker gehen. Eilig kletterten wir nun, den Grafen ausgenommen, vom Fahrzeuge herunter, wadeten über die Klippen, und langten wohlbehalten am Ufer an. Eine Frau zeigte uns den nächsten Brunnen, und besorgte uns bald ein gutes Mittagsmahl. Der Graf ließ seine Sachen in eine andere Chialeng bringen, und befreite mich so, zu meiner großen Freude, von seiner Gegenwart. Um vier Uhr ankerten wir bei dem Fort Ham an Hiel, und am andern Morgen kamen wir glücklich zu Jaffanapatnam an. Hier ward Sophie die meinige, und hier fand ich auf eine kurze Zeit, ein nie genossenes Glück.
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Zwei Jahre darauf verlor ich meine geliebte Sophie, und mit ihr meine ganze Freude auf der Welt. In tiefer Schwermuth brachte ich vier Monate auf meinem Gartenhause zu, und sah nur einen einzigen Freund. Diesem gelang es endlich, mich durch einen großen Reiseplan zu zerstreuen. Es kam auf nichts Geringeres an, als durch das Innere der Insel nach Colombo zu gehen. Indessen beschlossen wir außer den Sclaven und Trägern, noch einen europäischen Reisegefährten zu suchen, um wenigstens unserer drei zu seyn.
Dies war schwerer, als es scheinen mag; doch mit einiger Mühe fanden wir endlich unseren Mann. Es war ein verabschiedeter holländischer Sergeant, Namens Georgi aus[S. 78] Strasburg. Freilich war er ein wenig taub, und trank für sein Leben gern; aber er kochte vortrefflich, war der lustigste Kauz von der Welt, und fürchtete sich selbst vor dem Teufel nicht. Bei so viel guten Eigenschaften drückten wir gern ein Auge zu. Da er nun überdem selbst nach Colombo wollte, kam der Handel sehr bald in Richtigkeit. Einige Tage nachher gesellte sich noch ein vierter Europäer, ein Mr. d'Allemand zu uns. Er hatte Depeschen vom Admiral Suffrer an den französischen Agenten zu Colombo zu überbringen, und bot sich uns daher zum Gefährten an. Zwar hätte er die Reise gern längs des Strandes gemacht, allein es fehlte an Gelegenheit. Nachdem nun alle Anstalten getroffen waren, wurde der neunte Juni 17— zur Abreise festgesezt.
Unsere ganze Caravane war jezt sechszehn Mann stark; wir vier Europäer, zwei Sclaven, und zehn Trägern, oder Chivias. Drei der leztern, und zwar die stärksten, trugen jeder sechszig Pfund Reis, und zwei andere[S. 79] den Coffre von d'Allemand. Der sechste war mit zwei großen kupfernen Wassertöpfen, der siebente mit zwei Körben voll Zucker, Caffee, Wein u. s. w. bepackt. Der achte trug das Tisch- und Küchengeräth; der eine meine und Templyns[4] Kleider und Wäsche; der zehnte endlich unsere Matten, und die Fougritos oder Raketen, die man auf die wilden Thiere wirft. Templyns, d'Allemand, und ich, wir hatten jeder unsern Hirschfänger an der Seite, eine tüchtige Büchse auf der Schulter, und ein Paar Pistolen im Gurt. Der Sergeant trug seine ganze Bagage auf dem Leibe, und schleppte einen großen Husarenpallasch hinter sich drein. Es versteht sich, daß wir die Oppa nicht vergessen hatten, d. h. den Generalbefehl an die Majorals oder Dorfältesten, uns gegen Bezahlung mit Lebensmitteln zu versehen.
So zogen wir dann am 9. Juni, Nachmittags um drei Uhr, unter einem gewaltigen[S. 80] Zulaufe aus der Stadt. Vorn die beiden Sclaven, als Cymbelschläger; dann wir Europäer; zulezt die Träger, oder Chirias. Um vier Uhr kamen wir zu Colombogamme an. Dies ist ein kleines Fischerdorf, hart am Meerbusen (Passo de Catchai), wo man nach dem eigentlichen Ceylon überfährt. Um sechs Uhr machten wir am andern Ufer unter einem großen Platanus Halt. Es ward beschlossen, hier zu übernachten, indem das nächste Fischerdorf nur aus elenden Hütten bestand.
Unser Sergeant gab uns viel zu lachen, indem er der Flasche gar gewaltig zusprach. Dabei ergoß er sich in einen Strom von Flüchen gegen das weibliche Geschlecht. Er war nicht weniger als fünfmal verheirathet gewesen, und alle seine Weiber hatten ihm entsezlich mitgespielt. Die eine war ein Hausteufel gewesen, der ihm keinen Augenblick Ruhe ließ. Die zweite hatte ihn an preußische Werber verkauft. Die dritte brachte ihn an den Bettelstab. Die vierte hatte ihn holländischen Seelenverkäufern in die Hände[S. 81] gespielt. Die fünfte, eine Paria (gemeines indisches Mädchen) hatte ihm nach dem Leben gestellt. Diese Ehestands-Abentheuer erzählte er uns in einem höchstpossirlichen Gemische von Holländisch und Hochdeutsch, das durch seinen elsaßischen Accent nur noch komischer ward.
Am folgenden Morgen traten wir unsere eigentliche Reise an. Die Luft war kühl; der herrliche Golf glänzte im Morgenroth. Wir verließen die gewöhnliche Straße, um längs der Küste hin zu gehen. So kamen wir gegen neun Uhr, bei einem Ambelan, am Eingange des Dorfes Manur an. Diese Ambelans sind eine Art Schuppen, mit Stroh gedeckt, und zum Besten der Reisenden erbaut. Wir nahmen hier ein Frühstück ein, das aus Reis und Callou, oder Palmwein bestand.[S. 82] Von nun an gieng es wieder landeinwärts, fast immer zwischen waldigen Hügeln hin. Dörfer wurden wir keine, sondern nur einige Gehöfte, und einzelne Hütten gewahr.
Es war gegen elf Uhr, und schon zeigte sich in der Ferne das kleine verfallene Fort Panoryn, als unsere Mittagsstation. Templyn hatte zu Manur frische Cocosmilch getrunken, und seitdem über Leibschmerzen geklagt. Plözlich warf er sich vor einer Hütte nieder, und erklärte, er könne nicht weiter fort. Vergebens suchten wir ihm durch Arrak u. s. w. einige Linderung zu verschaffen, die Krämpfe nahmen mit jedem Augenblick zu. Endlich trat ein alter Mann aus der Hütte, und reichte ihm eine Art Pflanzensamen auf einem Betelblatt. Dies that sofort die beste Wirkung, worauf fröhlich nach Panoryn gewandert ward.
Der Commandant dieses Postens empfieng uns mit vieler Herzlichkeit. Er hieß König, war sieben und siebenzig Jahr alt, und hatte davon drei und dreißig hier verlebt. Danke[S. 83] bar nahmen wir gegen vier Uhr Abschied von ihm. Bald sahen wir nun den ungeheuren Wald in seiner ganzen Ausdehnung vor uns, und kaum eine Stunde, so hatten wir den Eingang desselben erreicht. Unser Führer, der erste Chiria, ein alter erfahrner Elephantenjäger, gieng nun voran. In ungeheuren Massen strebten die hohen, verschlungenen Bäume empor; kaum fiel hier und da ein schwacher Schimmer hindurch. Um vorwärts zu kommen, mußten wir häufig das Beil gebrauchen; bis wir endlich einen schmalen Fußpfad fanden, der sich in einer Schlangenlinie hinwand. Dies war einer von den drei oder vier geheimen Wegen, die durch diese Wälder bis in das Innerste der Insel gehen. Sie sind sämmtlich mit einer dichten Seite eingefaßt.
Wir mußten hier einer hinter dem andern marschiren, so daß man sich, bei den vielen Krümmungen häufig aus dem Gesichte verlor. Ich hatte d'Allemand hinter mir, und sprach über ein gewisses Etwas sehr lebhaft mit ihm.[S. 84] Plözlich springt links ein ungeheurer Bär aus der Hecke, und bleibt quer auf dem Fußsteige stehen. Ich falle über ihn weg, er richtet sich auf, und schlägt seine Tatzen auf mich hin. Schon fühle ich seinen brennenden Athem an meinem Gesichte; als plözlich ein Schuß fällt, der Bär sich abkehrt, und die Flucht ergreift. D'Allemand hatte diesen Schuß gethan; die Kugel sauste mir hart an den Ohren vorbei.
Um indessen dergleichen Vorfälle künftig zu vermeiden, änderten wir die Ordnung unseres Zuges, und ließen die Cymbelschläger, nebst zwei bewaffneten Trägern, zwanzig Schritte vor uns gehen. Ueberdem wurden mit einbrechender Dämmerung Pechfackeln angezündet, und jeder machte sich zum Schusse bereit. Von dem Geräusch der Cymbeln und dem Lichte wurden eine Menge Vögel und Affen munter, so daß alles um uns lebendig war.
Gegen neun Uhr kamen wir bei einem Ambelan an, der aber ganz verfallen war.[S. 85] Da dergleichen Hütten immer voll Schlangen sind, schlugen wir unser Lager unter freiem Himmel auf. Es ward dabei eine gewisse Methode beobachtet, die ich beschreiben will, weil sie bei allen übrigen Nachfolgern dieselbe blieb. Zuerst ward der Platz so weit als möglich vom Wasser gewählt. Dies geschah der wilden Thiere wegen, die hier zu saufen gewohnt sind. Dann wurden die Träger zum Holzfällen abgeschickt, und von zweien von uns escortirt. Hierauf wurden ein großes, und um dasselbe noch drei kleine Feuer angezündet, worauf die ganze Caravane Platz dazwischen nahm. Bald war nun das Abendessen verzehrt, und einer schlief nach dem andern ein. Nur die zwei Wächter mußten sich munter halten, und fleißig nach den Feuern sehen. Daß sie regelmäßig abgelöst wurden, versteht sich.
Als wir Holz zu fällen anfiengen, belebte sich auf einmal der ganze Wald. Vögel, Affen, Hirsche u. s. w. erfüllten mit ihren Stimmen die Dunkelheit. Die Affen besonders,[S. 86] die sich zu Tausenden versammelten, schrien zwei volle Stunden fort. Endlich ward es wieder still. Kein Blättchen rauschte; kein Lüftchen säuselte; der Wald war todt und öde, wie ein weites Grab. Doch plözlich vernahmen wir in der Ferne ein dumpfes Getös, das immer näher kam. Die Erde erbebte; der Wald rauschte wie vom heftigsten Strome bewegt; krachend stürzten unzählige Bäume zusammen — Was war es? —Ein Trupp Elephanten bahnte sich einen Weg durch den Wald. Sie kamen im heftigsten Trabe, und lautem Geschrei daher. Es war ein donnerähnliches, wie mit Trompetentönen vermischtes Getös. Endlich ward es völlig ruhig; nur dann und wann hörte man einen Tiger brüllen, oder einige Schakals schreien.
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Der Tag brach an, und der ganze Wald war mit Leben und Freude erfüllt. Auf allen Bäumen wimmelte es von Affen, Papagayen, Pfauen und unzähligen andern Vögeln von ausgezeichneter Schönheit. Tausende von bunten Schmetterlingen schwärmten zwischen den Gesträuchen umher. Dabei der liebliche Duft der blühenden Bäume, der uns bei jedem Schritte entgegenschwamm. Und welche Kühle und Frischzeit unter dem dichten grünenden Obdach, nur schwach von der Morgensonne beglänzt.
So zogen wir fort, voll Muth und Heiterkeit, bis ungefähr gegen elf Uhr, wo an einem klaren Bache Halt gemacht, und das Mittagsessen bereitet ward. Templyn hatte hierzu ein Dutzend Hasen geschossen; denn sie liefen uns im eigentlichen Sinne unter den Füßen herum. Auch jezt ward bei der Einrichtung unsers Lagers eine gewisse Ordnung[S. 88] eingeführt; so daß z. B. jeden seine Reihe zum Wachestehen traf. Ich sage zum Wachestehen, weil natürlich einige Stunden Mittagsruhe gehalten ward, was für uns alle, besonders für die Träger so nöthig war.
Erst um drei Uhr Nachmittags brachen wir demnach von diesem Lagerplatze auf. Anfangs war der Wald außerordentlich verwachsen, und kaum noch eine Spur des vorigen Weges zu sehen. Wir mußten uns daher nach dem Compasse richten, und legten es folglich, wie die Schiffer sprachen, auf Südwest an. So erreichten wir mit sinkendem Abend eine bequeme Lagerstelle, wo alles auf oben beschriebene Weise eingerichtet ward. Die Nacht vergieng ohne Abentheuer; nur daß einmal ein Elephant in unsere Nähe kam.
Die folgende Tagereise (12. Juni) bot durchaus nichts Merkwürdiges dar, war aber außerordentlich lang — Wir kamen erst Abends um zehn Uhr bei unserem Lagerplatze an. Ich mußte diese Nacht die erste Wache[S. 89] halten, und mochte vor Müdigkeit wohl ein wenig eingeschlummert seyn. Plözlich wurde ich durch ein lautes Geschrei geweckt — »Ein Tiger! Herr! Ein Tiger!« — riefen die Träger mit Entsetzen, und zeigten auf ein Paar glänzende Punkte, die ich mitten durch die Finsterniß, wie zwei kleine Lichter schimmern sah. Es waren die Augen des Tigers, der auf seine Beute zu lauern schien. Ich nahm meine Flinte und weckte Freund Templyn auf, der ein sehr guter Schütze war. Wir beschlossen gerade auf die Mitte zwischen den beiden Punkten zu zielen, und drückten zu gleicher Zeit ab. Bald darauf vernahmen wir ein Stöhnen, das uns über den Tod des Thieres keinen Zweifel übrig ließ. Wirklich fanden wir den Tiger am andern Morgen, und nahmen seine Haut als Siegeszeichen mit.
Unser Weg ward immer steinigter, wie der Wald lichter zu werden anfieng. Wir waren nämlich kaum einige Meilen von den Gebirgen von Couragahing entfernt. Als[S. 90] wir so einige Zeit fortmarschirt waren, wurden wir auf einem Baume einen Bienenstock gewahr. Sogleich bot sich einer unserer Träger an, hinaufzuklettern, und den Ast abzuhauen. Er thut es, erreicht den Ast, und führt den ersten Streich. Allein plözlich stürzen die Bienen auf ihn los, und hängen sich an seine nackten Glieder an. Brüllend von Schmerz will er heruntersteigen, thut einen Fehltritt, stürzt herab, und bricht das Bein. Um ihm Hülfe zu verschaffen, beschlossen wir uns östlich nach der Küste zu wenden, wo allein Dörfer anzutreffen sind.
Eilends wurde nun der Bienenschwarm mit Rauch vertrieben, eine Tragbahre von Baumästen gemacht, der arme Träger (Kulie) darauf gelegt, und der Marsch fortgesezt. Um ein Uhr Nachmittags hielten wir eine halbe Stunde an, und nahmen etwas Kaltes zu uns. Der Rest der Tagereise war wegen des schlechten Weges, und des Mangels an Wasser sehr unangenehm. Gegen acht Uhr Abends kamen wir endlich aus dem Walde[S. 91] heraus, und gegen zehn Uhr erreichten wir das große Dorf Vedative, wo ein holländischer Posten ist. Hier brachten wir den armen Träger zu einem Töpfer[5], versahen ihn mit dem nöthigen Gelde zur Kur und Heimreise, und nahmen einen andern an seine Stelle an. Hierauf begaben wir uns zu dem Kommandanten des Postens, wo Gesellschaft von Verwandten war.
Wir mußten uns sogleich zum Abendessen niedersetzen, das aus Reis und vortrefflichem Wildpret bestand. Der gute alte Mann hieß Joseph Voit, und hatte bereits fünf und sechzig Jahre hier gelebt. Sein Vater und Großvater hatten jeder die Stelle fünfzig Jahre bekleidet, und er selbst war nicht weit mehr von dieser Zahl. — O Menschenleben! — O Glück der Beschränktheit! —
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Der Tag brach an (14. Juni); bald war Abschied genommen, und Vedative blieb hinter uns. Um zwei Uhr Nachmittags erreichten wir das große und schöne Dorf Mantore, fanden aber keine Lebensmittel daselbst. Ich schickte daher einen unserer Träger mit einem Briefe nach Manaar, an meinen alten Freund, den Ingenieurhauptmann Nagel ab. Unterdessen behalfen wir uns mit einigen übriggebliebenen Rebhühnern, und beschlossen für heute nicht weiter zu gehen. Gegen Abend kam endlich mein Bote mit Arrak, Anisliqueur und Lebensmitteln zurück, worauf es eine recht fröhliche Abendmahlzeit gab.
Am folgenden Morgen ward die Reise mit erneuerten Kräften fortgesezt. Wir durchschnitten eine große, sandige Ebene, auf der wir eine Menge Schakals schwärmen sahen. Bald aber kamen wir an den Strand, wo der Weg äußerst beschwerlich ward. Wir[S. 93] begegneten drei malabarischen Reisenden, die von Colombo kamen, und langten Abends gegen fünf Uhr in Bangala an. Dies ist ein ansehnliches Dorf, das von getauften Singalesen bewohnt wird. Hier übernachteten wir in der katholischen Kirche, die uns der Majoral gegen eine billige Vergütung öffnen ließ.
Unsere siebente Tagereise war höchst unangenehm, und bot überdem durchaus nichts Merkwürdiges dar. Wenig Schatten, höchstbeschwerlicher Fußsteig längs dem Strande hin, und auf dem ganzen langen Wege kein einziges Dorf. Endlich giengen wir Abends um sechs Uhr über den Calear, der beinahe ausgetrocknet war, und fanden am andern Ufer eine Pagode, deren Bramin uns sehr freundlich aufnahm. Wir übernachteten in der Nähe auf die gewöhnliche Art.
Am folgenden Morgen sahen wir einem heftigen Kampfe zwischen zwei Büffeln zu. Sie trafen so gewaltig zusammen, daß jedes[S. 94] Stirn von Eisen zu seyn schien. Ich fühlte mich unpaß; auch fieng es heftig zu regnen an. Wir brachen daher erst um zwei Uhr Nachmittags auf, und legten nur vier Stunden zurück.
Die nächsten zwei Tagereisen führten uns wieder in den Wald, der in geringer Entfernung neben dem Strande hinläuft. Wir sahen die Ruinen einer portugiesischen Kirche und dachten der großen Vergangenheit. Das Wetter klärte sich auf; ich befand mich wieder vollkommen wohl.
Fröhlich traten wir nun am 20. Juni unsere elfte Tagereise an, und erreichten Mittags den Ambelan, Conderipo genannt. Hier sprang uns ein schöner Jagdhund entgegen, und schmiegte sich liebkosend an uns an. Mit Sonnenuntergang glaubten wir, wie gewöhnlich uns lagern zu können, allein diesmal hatte sich unser Wegweiser selbst verirrt. Wir mußten also noch einige Stunden marschiren, bis endlich in der Nähe eines Baches Halt zu machen beschlossen ward. Die Luft war äußerst[S. 95] schwül; endlich brach ein furchtbares Ungewitter los. Der Wald erbebte; krachend stürzten tausende von Wipfeln und Aesten herab. Da schlug der Bliz in eine Gruppe von Cocospalmen, und knisternd loderten sie in hellen Flammen auf. Es war eine schreckliche Nacht, in der keiner von uns ein Auge zuthat.
Am folgenden Tage neue Verlegenheit. Der Fluß, den wir zu passiren hatten, war mit Krokodillen angefüllt. Wir kamen indessen mit Hülfe unserer Cymbeln glücklich hindurch. Gegen Mittag begegneten wir einer kleinen singalesischen Caravane, die aus drei und zwanzig Mann mit siebzehn Stieren bestand. Der Anführer nannte sich Manioppu, und war ein alter sehr verständiger Mann. Er schenkte mir zwei Kuchen, wogegen ich ihm, nach seinem Wunsche, einen Bleistift gab. Abends kamen wir bis zum Dorfe Golgom, wo wir uns mit Lebensmitteln im Ueberflusse versahen.
Unsere dreizehnte Tagereise (22. Juni)[S. 96] führte uns nach Putlan, wo ein holländischer Posten ist. Der Commandant, ein Deutscher, Herr Bodenschatz, war in Colombo; sein Sergeant nahm uns aber sehr gastfrei auf. Wir mußten zwei Tage bleiben, was uns wirklich gar sehr zu statten kam. Putlan ist ein sehr nahrhaftes Dorf. Es werden sehr viel Schaluppen, Thonys, und andere ähnliche Fahrzeuge hier gebaut. Der Hühnerhund, der uns zugelaufen war, gehörte dem Commandanten, und wurde seit länger als einem Monate vermißt. Die drei nächsten Tagereisen waren eben so beschwerlich, als uninteressant. Am 28. Juni hielten wir abermals einen Rasttag.
Am 29. Abends erreichten wir Maravilla, ein sehr ansehnliches Dorf, das nur eine halbe Stunde vom Meere liegt. Alles war hier mit Fremden angefüllt; wir übernachteten daher in einem ziemlich entfernten Ambelan. Ich hatte die Wache von ein bis drei Uhr Morgens, und sah starr in die grause Finsterniß hinaus. Furchtbar tönte das Brüllen[S. 97] der Schakals, das Rauschen des Waldes, das Tosen der Brandung durch die stille Nacht zu mir.
Am 30. Juni marschirten wir abermals längs des Strandes hin. Hier fanden wir eine Reihe Lascars (Seesoldaten) als Küstenwächter aufgestellt. Bei der Annäherung eines Feindes haben sie von Posten zu Posten große Holzhaufen anzuzünden, die deshalb aufgestapelt sind. Um zwei Uhr giengen wir über den Caimella, fanden das schön gelegene Dorf Gannipellie, und hielten mit frischem Seefisch ein stattliches Mittagsmahl. Die Landschaft ward nun äußerst angenehm. Ansehnliche Dörfer, dichte Cocospflanzungen, üppige Wiesen und Felder wechselten in lieblicher Mischung ab. Wir nahmen unser Nachtlager in Topture, das von katholischen, noch aus den Zeiten der Portugiesen herstammenden, Singalesen bewohnt wird. Der Pfarrer, ein Franziskaner aus Dijon, nahm uns sehr freundlich auf.
Unsere folgende Tagereise war eben so[S. 98] angenehm, und die Gegend entzückend schön. Ein Gewitter trieb uns indessen in großer Eile nach Negombo hinein. An dem Commandanten fanden wir einen sehr jovialen Mann. Er machte ganz und gar kein Geheimniß daraus, daß er früher Haushofmeister des Generalgouverneurs gewesen sey. Negombo ist ein sehr fester Plaz, und überflüßig mit süssem Wasser versehen. Der hiesige Zimmet wird für den besten gehalten, die Bäume vermehren sich ungemein. Man schreibt dies, und nicht mit Unrecht, den Raben zu. Diese suchen nämlich die Früchte sehr begierig auf, und geben sie unverdaut von sich. Daher denn auch die Unverlezlichkeit dieser Vögel auf Ceylon und ihre unglaubliche Unverschämtheit.
Am 2. Juli, dieselbe reizende Landschaft; man merkt deutlich, daß man Colombo immer näher kommt. Endlich am dritten, als dem ein und zwanzigsten Tage unserer Reise, langten wir bei guter Zeit daselbst an. Die herrlichen Umgebungen voll Gärten[S. 99] und Landhäuser; die schönen Alleen, die breiten Straßen, die prächtigen Häuser — alles verkündigt eine Hauptstadt.
Drei Monate waren wir bereits in Colombo gewesen, und hatten manchen fröhlichen Tag mit alten Freunden verlebt. Endlich waren Templyns Angelegenheiten geordnet, und wir mußten auf unsere Rückkehr bedacht seyn. Am leichtesten und bequemsten hätte dies zu Wasser geschehen können; allein es war keine Gelegenheit vorhanden, überdem hielt auch der Regenmonßon noch an. Es ward daher beschlossen, den gewöhnlichen Landweg zu nehmen, der längs der Küste hinläuft. Was mich indessen anlangt, so hätte ich vorher noch gern eine Reise in die Gebirge von Boucout gemacht. Allein Templyn war[S. 100] durchaus dagegen, und nannte die ganze Unternehmung abenteuerlich.
Unter diesen Umständen ward ich mit einem Portugiesen, Namens Don Manuel de Sylva, bekannt. Es war ein sehr einnehmender Mann, der durch eine Reihe der sonderbarsten Schicksale nach Colombo verschlagen worden war. Er hatte, wie er sagte, in den Gebirgen von Candy, eine unbekannte Diamantengrube entdeckt, dachte auf eine zweite Reise dahin, und lud mich zur Gesellschaft ein. Allein ich fand die Sache so gefährlich, daß ich den Vorschlag von mir wieß, worauf er sich seinerseits zu unseren Reisegefährten anbot. Wir ließen uns dies gern gefallen, nahmen noch drei Träger an, und brachen endlich Nachmittags um fünf Uhr von Colombo auf.
Der Himmel war mit dicken Wolken bedeckt; von Zeit zu Zeit fielen Regenschauer herab, und der Wind blies mit Heftigkeit. Unsere Träger hatten ein wenig zu viel Talwag (eine Sorte Arrak) getrunken, und kamen daher in der Dämmerung vom rechten[S. 101] Wege ab. So irrten wir die halbe Nacht herum, bis wir endlich das Dorf Werigur erreichten, wo nun den ganzen folgenden Vormittag ausgeruht ward.
Die nächsten zwei Märsche waren nicht weniger beschwerlich, auch ward der angeschwollene Colombo mit vieler Mühe passirt. Abends erreichten wir Negombo. Um jedoch dem Commandanten nicht beschwerlich zu fallen, quartierten wir uns in dem benachbarten Dorfe Sunneput, in einer alten Kirche, ein.
Die beiden folgenden Tage, weitere Reise, und Nachtlager auf die gewöhnliche Art. Templyn verließ mich hier; ein Brief von seiner kranken Frau rufte ihn eilig nach Jaffanapatnam zurück. Don Manuel, der Portugiese, fieng nun zum zweitenmale von seiner Reise an. Er gestand mir jezt, daß es keine Diamantengrube, sondern ein Familienschatz sey. Er hatte die sichersten Anweisungen über die Stelle, wo er vergraben war. Da dies zu meinem Plane, die Gebirge von[S. 102] Bocour zu bereisen, vortrefflich paßte, willigte ich ohne viel Mühe ein. So erreichten wir Chilaw, lohnten unsere Träger ab, machten im Stillen die nöthigen Einkäufe, und brachen endlich am dritten Tage wieder auf.
Anfangs, und um die Einwohner zu täuschen, verfolgten wir den nämlichen Weg; bald aber schlugen wir uns seitwärts in die Wälder, und nahmen unsere Richtung gegen das Gebirge zu. Unsern Reisevorrath hatte der Portugiese schon den Abend zuvor in der Nähe versteckt. Das Ganze bestand aus einem Sacke mit ungefähr zwanzig Pfund Reis; einem Paar Pistolen nebst Pulver und Blei; zwei Calebassen, die eine mit Arrak gefüllt, die andere zum Wasser bestimmt; einem Paar kupferner Schüsseln und Teller; einem Beile und einem kleinen Taue, einigen Feilen und Brecheisen, und einer großen Bärenhaut. Wir passirten den Manasseran, und hatten diesen Tag noch einen erträglichen Marsch.
Am folgenden Morgen erblickten wir die Gipfel der Gebirge in blauem Nebelduft. Der[S. 103] Wald ward nun mit jedem Schritte dichter; bald mußten wir uns mit dem Beile durchhauen. Wir richteten uns sorgfältig nach dem Compasse, und wanderten so immer nach Osten fort. Als es Nacht geworden war, wimmelte es von wilden Thieren um uns her. Doch hielten wir sie durch Feuerbrände und Pistolenschüsse von uns ab.
Mit unserer fünften Tagereise ward der Weg nun je länger, desto beschwerlicher. Hier hatte noch nie ein menschlicher Fuß gewandelt; hier herrschte die Natur noch in ihrer ganzen ursprünglichen Macht. Mit unsäglicher Mühe arbeiteten wir uns durch das Gebüsch hindurch, wo jeden Augenblick der Anfall eines Tigers zu befürchten war. Gegen ein Uhr machten wir Halt, um einige Stunden[S. 104] auszuruhen. Als wir wieder aufbrachen, nahm der Wald allmählig an Dichtigkeit ab. Bald aber sahen wir eine ungeheure, hohe Grasmasse gleich einer Mauer vor uns. Keine Möglichkeit hindurchzudringen, so oft auch der Versuch wiederholt ward. Unterdessen fieng es an dunkel zu werden, und wir mußten auf unser Nachtlager bedacht seyn. An ein großes Feuer war nicht zu denken, kaum hatten wir Holz zum Kochen genug. Wir brachten daher die Nacht auf einem Baume zu, wobei uns unser Tau vortrefflich zu statten kam.
Am folgenden Morgen gelang es uns endlich in der Graswand einen Eingang zu entdecken, der hindurchzuführen schien. Der Schlangen wegen war indessen große Vorsicht erforderlich. Dabei eine erstickende Hitze, ein glänzender Sandboden, eine brennendheiße verpestete Luft. Gegen Mittag fanden wir endlich einen kleinen Raum, verzehrten die Ueberreste unseres Abendessens, und legten uns dann wechselsweise zum Schlafen hin.
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Als wir wieder aufbrachen, bemerkten wir mit Freuden, daß die Graswand immer dünner, und die Anzahl der Oeffnungen immer häufiger ward. Bald sahen wir wieder Bäume, und bald gewann der Wald wieder völlig die Oberhand. In glänzendem Sonnenlichte lagen die Gebirge von Bocour nun ganz vor uns. Nur noch einige Stunden, und der Fuß derselben war erreicht. Mit beflügelten Schritten eilten wir über den obern Boden dahin. — Plözlich! — O Schreck! o Entsetzen! — Plözlich sahen wir einen breiten und tiefen Canal vor uns, der von oben bis unten, mit dichtem, eng verflochtenem Gebüsch angefüllt war.
Neue Hindernisse! neuen Schmerz! Endlich beschlossen wir längs des Ufers abwärts zu gehen, um zu sehen, ob der Uebergang möglich sey. Doch vergebens! Je weiter wir kamen, desto breiter und tiefer ward der Canal. So brach der Abend an; ein Glück für uns, daß Holz im Ueberfluß vorhanden war. Am folgenden Morgen kehrten wir wieder[S. 106] um, und entdeckten endlich eine Stelle, wo wenigstens meinem Gefährten der Uebergang möglich schien. Was ich ihm auch sagen mochte, er bestand darauf. So ließ er sich denn an dem Taue hinab, nachdem es um einen Baum befestigt worden war.
Es dauerte indessen ziemlich lange, ehe er eindringen konnte, dann aber war er mir auch augenblicklich aus dem Gesicht. Unverwandt hatte ich indessen meine Augen auf das andere Ufer gerichtet; als ich plözlich in der Mitte des Dickichts ein starkes Geräusch, und bald darauf sein Angstgeschrei vernahm. Er war in Gefahr; wie wahnsinnig sprang ich die Tiefe hinab, und drang in der Oeffnung vor. Doch alles vergebens! Kein Laut; keine Antwort; nichts gewisser, als daß er von einer Schlange erwürgt worden war.
Mit zerrissenem Herzen, mit thränenden Augen stieg ich wieder hinauf, und fühlte das Elend meiner Lage in seiner ganzen Schrecklichkeit. Ich war allein in dieser Wüste, und auf allen Seiten von Gefahren umringt. Ich[S. 107] war allein! — Die Sonne sank tiefer, ich beschloß in der nämlichen Richtung fortzugehen. War es Instinkt, war es Gleichgültigkeit? es schien mir am besten so. Zum Glück hatte ich noch etwas Reis, nebst der Arrakcalabasse, und den Pistolen bei mir.
Die Nacht brach an; ich machte bei einem Baume Halt, kletterte hinauf, und band mich mit dem Taue an zwei Aeste fest. Bald schlief ich vor Ermüdung ein. Doch mein Schlaf war nicht erquickend; das Bild meines unglücklichen Gefährten schwebte mir unaufhörlich vor.
Als ich erwachte, war es hoher Mittag, und ich fühlte mich an allen Gliedern gelähmt. Nur mit Mühe vermochte ich mich loszubinden, worauf meine traurige Wanderung weiter gieng. Der Weg war mit feinem aschfarbenem[S. 108] Sande bedeckt, der mir bei jedem Schritte entgegenflog; daher ich von heftigem Durste gepeinigt ward. Zum Glück kam ich endlich an einen Bach, wo ich den Rest meines Arrakes mit Wasser vermischte, und so ein kühlendes Getränk erhielt. Unterdessen zogen am Horizonte furchtbare Gewitterwolken auf. Ich eilte daher, einen großen schattigen Baum zu erreichen, den ich in einiger Entfernung vor mir sah.
Es mochte ungefähr um sechs Uhr Abends seyn, als ich glücklich auf dieser Stelle ankam. Sofort bratete ich mir einige gefundene Schnecken, und kletterte dann auf den Baum, wo ich mich wie gewöhnlich mit dem Taue anband. Kaum hatte ich indessen einige Stunden geschlafen; als ich aus einem schrecklichen Traume erwachte, und mich über und über von Feuer umgeben sah. Das furchtbarste Ungewitter war losgebrochen; der ganze Himmel ein wallendes Flammenmeer. Mit unsäglicher Heftigkeit raste der Sturm in den Aesten, und warf mich wie einen Ball hin und her.[S. 109] Den Kopf auf die Knie gestüzt, schloß ich die Augen, und brachte den Rest der Nacht in einer Art Betäubung zu.
Der Tag brach an; der Regen hörte auf, der Himmel ward heiter, und alles glänzte in goldnem Sonnenlicht. Ich trocknete meine durchnäßten Kleider, und machte mich auf den Weg. Allmählig lief der Canal nach Osten, eine Richtung, die sehr erfreulich für mich war. Voll Muth und Hoffnung wanderte ich so bis Nachmittags um 3 Uhr fort. Plözlich stand ich vor einer hohen Felsenwand, die mir den Weg verschloß.
Keine Möglichkeit weiter zu kommen, es mußte denn von Seite des Waldes gewesen seyn. Ich beschloß es daher zu versuchen, und drang auch wirklich zwischen zwei Dornengebüschen durch. Doch in dem Augenblicke schoß eine ungeheure Schlange auf mich los. Wohin sollte ich fliehen? Nirgends mehr Rettung für mich! Rechts hatte ich den Canal, links das Ungeheuer, vor mir die hohe Felsenwand. Ohne zu wissen, warum, eilte[S. 110] ich indessen den vorigen Weg wieder nach derselben zurück.
Unterdessen war die Schlange immer näher gekommen, und kaum war sie noch drei bis vier Fuß von mir entfernt. In dieser entsezlichen Lage folgte ich blos meiner Verzweiflung, und sprang, wie wahnsinnig auf ein hervorragendes Felsenstück. Von diesem arbeitete ich mich, ohne zu wissen wie, allmählich höher hinauf, bis ich endlich oben war. Jezt aber sank ich ermattet zu Boden, und lag eine gute Weile, ehe ich wieder zu mir kam.
Als ich die Augen aufschlug, und in die Tiefe richtete, sah ich die fünfzig Fuß lange Schlange, die sich langsam in den Wald zurück begab. Aber zu gleicher Zeit bemerkte ich mit großem Schmerze, daß mein ganzes Reisegeräthe verloren war. Ich fühlte, daß meine Lage doppelt elend werden mußte, und überließ mich der Verzweiflung. Wohin ich blickte, sah ich ein Felsenchaos vor mir, in dessen Mitte sich ein furchtbarer Abgrund befand.
[S. 111]
Der Abend dämmerte; ich suchte in meinen Taschen, und fand zu meiner großen Freude noch ein Stück Zwieback und mein Feuerzeug. Von wilden Thieren war in dieser Einöde nichts zu fürchten; ich machte daher blos Feuer zur Vertreibung des Gewürmes an. So nahm ich mein Lager auf dem harten Boden, mein Haupt an die Felsen gelehnt. Alles war still und öde um mich; ach! diese Wüste schien mein eigenes Grab zu seyn.
Am folgenden Morgen neues Erwachen; neue Noth. Mein ganzes Frühstück bestand in ein wenig Regenwasser, das ich in einer kleinen Felsenhöhlung fand. Mühsam schleppte ich mich nun in diesem Labyrinthe fort; bis ich endlich gegen Mittag an dem Fuße eines hohen steilen Berges ankam, der mir abermals[S. 112] den Weg verschloß. Indessen nahm ich allen meinen Muth und meine Kraft zusammen, denselben zu erklimmen, in der festen Hoffnung, jenseits werde das Ziel meiner Leiden seyn. Doch wie groß war mein Entsetzen, als ich mich endlich auf dem Gipfel befand, und nichts erblickte, als ein ödes, wildes, mit Klippen besäetes Thal!
Es mochte zwei Uhr Nachmittags seyn; ich war gänzlich erschöpft, und sah mich vergebens nach etwas Nahrung um. Als ich so da saß, erblickte ich eine kleine Schlange, die begierig hinter einer Eidechse herschoß. Ich zerschmetterte die erstere mit einem Steine, schnitt ihr, des Giftes wegen, den Kopf ab, und bereitete mir ein gutes Mahl von ihr. So ist die Existenz der Wesen verknüpft; ein ewiger Kampf der Kräfte, wo eine der andern Opfer ist!
Der Berg war auf dieser Seite fast senkrecht abgeschnitten, und der ganze Abhang mit spitzigen Klippen bedeckt. Gleichwohl mußte ich das Thal zu erreichen suchen, ehe[S. 113] mich auf dem Gipfel die Nacht überfiel. — »Nun, wie Gott will!« — sagte zu mir selbst, sezte den rechten Fuß vorwärts, klammerte mich mit den Händen an, und fand, daß das Herabsteigen wenigstens nicht unmöglich war. Mit unsäglicher Mühe arbeitete ich mich nun immer tiefer und tiefer hinab. Doch die Hand des Allmächtigen leitete mich sicher neben dem Abgrunde hin. So kam ich glücklich an dem Fuße des Berges an.
Als ich das Thal genauer betrachtete, bemerkte ich einen Canal, der aber blos in der Mitte, und selbst da nur ganz dünn mit Gesträuch bewachsen war. Allein, da es düster zu werden anfieng, beschloß ich in einer Felsenhöhle zu übernachten, wo ich zum Glück einige Vogeleier fand. Am folgenden Morgen erquickte ich mich mit etwas Regenwasser, und wanderte anfangs eine gute Strecke längs des Canals hin. Endlich kam ich an eine Stelle, wo der Rand eingestürzt, und die Tiefe zur Hälfte damit ausgefüllt war. Fröhlich stieg ich hinunter, und kam bald auf der[S. 114] andern Seite an. Hier schlug ich einen Reiher nieder, der gebraten wenigstens eßbar war. Von nun an ward der Weg immer ebener, immer bequemer, so daß ich die Gebirge bald sehr weit hinter mir sah.
Am andern Morgen, am 16. August, trieb mich die brennende Sonne etwas tiefer in den Wald, der neben dem Wege hinlief. Unvermuthet finde ich einen gebahnten Weg, und plözlich werde ich frische Fußtapfen gewahr. Bald höre ich in der Entfernung Stimmen, und bald vernahm ich, daß es bekannte Töne sind. — Gott, welcher Augenblick! Es durchbebte mich, wie ein elektrischer Schlag. Ich wollte rufen, ich konnte es nicht. Da stürzte ich fort, und stand in wenig Minuten vor einem Haufen Singalesen, unter denen mein alter Freund Manioppu war.
Sie zogen nach Putlan, um Salz zu holen, wir waren nur noch drei Tagereisen davon entfernt. Nachdem ich daselbst eine Woche ausgeruht hatte, kehrte ich zu Wasser[S. 115] nach Jaffanapatnam zurück. Hier fand ich Gelegenheit ein äußerst vorteilhaftes Geschäft zu machen, wodurch mir mein ausgestandenes Elend sehr reichlich vergütet ward. Als nun endlich die Nachricht von dem Pariser Frieden ankam, hielt ich's fürs beste, wieder nach der Küste zurückzukehren, und kam nach einer sehr kurzen Fahrt, glücklich in Bimilipatnam an.
Ein Jahr lang hatte ich hier meine Geschäfte mit vielem Erfolge betrieben, als ich mich, um dieselben noch mehr zu erweitern, zu einer Landreise nach Madras veranlaßt sah. Dieses geschah in einem Palankin. Man kann in der That durchaus nicht sicherer, bequemer und angenehmer reisen, als auf diese Art. Ein Palankin ist nämlich eine Art von[S. 116] Canapegestell, das ungefähr sieben Fuß lang, und drei Fuß breit zu seyn pflegt. Er hat einen mäßig hohen Rand, vier kleine Füße, und eine gewölbte Decke von Bambusrohr. Inwendig ist er mit einer weißen Matrazze und einigen Kissen belegt, während die Decke entweder mit Tuch oder Wachsleinwand überzogen wird.
In der Mitte dieses zeltartigen Daches, ist außerdem noch ein großes Stück grüner Cattun befestigt, das nach der Länge des Palankins, an beiden Seiten bis auf den Boden reichen muß. Bei Tage wird es aufgerollt, und in eine Wulst zusammengeknüpft; bei Nacht aber, wenn man in dem Palankin schläft, bildet es eine Art Bettvorhang. Ueberhaupt braucht man den Palankin gerade wie ein Canape.
Ein solcher Palankin wird von vier Männern getragen, denen noch vier andere zum Ablösen beigesellt sind. Zwei der Träger gehen vorn, zwei andere hinten, und jene wie diese halten den Palankin vermittelst eines[S. 117] Bambusrohres, das vorn und hinten mitten aus der Decke geht. Sie marschiren indessen nicht neben, sondern hinter einander, wobei das Bambusrohr auf der Schulter ruht. Da sie nun eine Art Takt im Schritte halten, den sie auch von Zeit zu Zeit mit der Stimme angeben, so ist die Bewegung eben so gleichförmig als angenehm. Man kann dabei lesen, schreiben, schlafen u. s. w. wie es einem beliebt. Wäsche, Vorräthe u. s. w. werden theils zu den Füßen, theils unter das Kopfkissen gepackt.
Es war vier Uhr Morgens — »Tschollo!« (Marsch!) — riefen meine Träger, nahmen den Palankin auf, und wanderten lustig die Straße entlang. Als wir Bimilipatnam im Rücken hatten, fieng es eben an vollends Tag zu werden, und überall flogen Schaaren von Krähen von den hohen schattigen Bäumen auf. Bald kamen wir bei einem schönen Mangabusche vorbei. Lieblich schimmerten die goldenen Früchte durch die dunkelgrünen glänzenden Blätter, und zwischen[S. 118] den freundlichen Aesten flatterten girrende Turteltauben herum.
Weiterhin holten wir eine Menge indischer Pilgrime von allen Sorten ein. Sie zogen sämmtlich nach dem heiligen Berge Schiemanchelom, den ich ebenfalls zu besehen willens war. Lange mußten wir zwischen diesen betenden und singenden Haufen bleiben, bis wir endlich das große schöne Thal erreichten, worin sich jener hohe steile Berg erhebt.
Eben sollte am folgenden Morgen das große Jahresfest beginnen, das immer neun Tage zu dauern pflegt. Der Zufluß von Menschen war daher außerordentlich. Nur mit Mühe fand ich noch einen schattigen Platz für meine Palankin, ruhte daselbst bis fünf Uhr, und stieg endlich den Berg auf einer breiten bequemen Treppe hinan. Das Thal, das kleine Dörfchen Chindopillie, der dabei befindliche See, u. s. w. alles bietet die mannichfaltigsten Aussichten dar.
Die ersten 430 Stufen hat man nichts[S. 119] als sanfte Abhänge neben sich. Plözlich aber stößt man auf einen steilen Felsenkranz, den man durch ein ausgehauenes Portal passirt. Von diesem Thore bis zum Gipfel werden noch 1160 Stufen gezählt. So wie man diesen erreicht hat, findet man das Dorf Schiemanchelom, und am südlichen Ende desselben den Tempel, der dem Gotte Appana geheiligt, und einer der ältesten in ganz Indien ist. In der Nähe desselben entspringt die heilige Quelle, die nach der Religion der Hindus für eben so wirksam wie das Wasser des Ganges gehalten wird. Kein Hindu darf sich dem Tempel nähern, wenn er sich nicht vorher in diesem Wasser gebadet, oder wenigstens seinen Kopf einige Minuten unter eine der fünf Adern gehalten hat. Das Gedränge um dieselben war daher außerordentlich, zumal da der ganze Badeplatz kaum hundert Schritt lang, und etwa halb so breit ist. Indessen fand dennoch die größte Ordnung, und das beste Betragen dabei statt.[S. 120] Einer half dem andern, einer machte dem andern Platz.
Noch bunter waren die Gruppen längs dem übrigen Wege, und auf dem Gipfel des Berges selbst. Zu beiden Seiten der Treppe ziehen sich nämlich schöne schattige Rasenplätze hin, wo die wandernde Masse von Zeit zu Zeit auszuruhen pflegt. Eben so ist es oben in der Nähe des Tempels, wo der ganze Haufen zusammentrifft. In dichten Kreisen knieten Männer und Weiber an dem Eingange des Heiligthums. Einige waren in tiefer Betrachtung; andere beteten mit stiller Lippenbewegung; noch andere stimmten Lobgesänge an. Die Luft war mit Weihrauchsdampf erfüllt; schöne Tänzerinnen scherzten mit ihren Liebhabern, und überall ertönten die Dools (Trommeln), und die Chelimbies (Becken).
[S. 121]
Es mochte ungefähr um vier Uhr Morgens seyn, als einer meiner Träger mich zu wecken kam. Noch war es völlig dunkel; gleichwohl hatte sich bereits der ganze Haufen Pilgrime in Bewegung gesezt. Das Geräusch glich dem dumpfen Donner eines Wasserfalles. Alles eilte nach dem Berge, der aufs prächtigste mit Fackeln und Pechkränzen erleuchtet war. Ich folgte dem Menschenstrome auf der von tausend Lichtern flammenden Treppen nach, verließ aber bald das Getümmel, um auf der andern Seite des Berges die Sonne aufgehen zu sehen. Nie habe ich eines schöneren Morgens, nie einer entzückenderen Aussicht genossen; alles war Licht und Klarheit, Leben und Herrlichkeit. Endlich stieg ich auf einem schattigen Fußpfade wieder in das Thal hinab, wo ich verabredetermaßen meinen Palankin fand.
Wir wendeten uns nun südöstlich, und[S. 122] kamen durch eine schön bebaute Ebene nach Nabob Pette, das zwar ein kleines, aber recht artiges Dörfchen ist. Hier hielten wir unser Mittagsessen in einem angenehmen Mangawäldchen, und sezten dann unsere Reise bis Dovigram, einem etwas seitwärts liegenden Dorfe fort, wo eine große und bequeme Chauderie befindlich ist. Unter den Reisenden, die sich bereits dort einlogirt hatten, fielen mir besonders zwei büßende Fakirs auf, wovon der eine ungefähr dreißig, der andere fünfzig Jahre alt war. Jener gieng völlig nackend, und trug in seinem Geschlechsgliede einen dicken und großen eisernen Ring. Der zweite hatte sich die entsezliche Buße aufgelegt, seine Arme und gefalteten Hände, hoch ausgestreckt, unaufhörlich über dem Kopfe zu halten, und es wirklich ausgeführt. Die Arme waren nun völlig steif geworden, und die Hände gleichsam in einander verwachsen, so daß alles ganz unbeweglich stand.
Als ich am andern Morgen in meinem Palankin erwachte, befand ich mich unvermuthet[S. 123] bereits zu Vizagapatnam. Meine Träger hatten ihn nämlich vorsichtig aufgenommen, und in der Kühle die Paar Stunden schnell zurückgelegt. Vizagapatnam ist eine Stadt, oder vielmehr ein Dorf mit einer englischen Factorei. Es ist ein unangenehmer, einsamer, trauriger Ort, der mitten zwischen kahlen Bergen, wie in einem Kessel liegt. Indessen hat es einen schiffbaren Fluß, und viele Baumwollenfabriken; auch sind die Einwohner wegen ihren feinen Elfenbeinarbeiten berühmt. Eben waren meine Geschäfte abgemacht, und ich wollte weiter reisen, als ich von einem Begräbnisse in der Nachbarschaft hörte, das ich mit anzusehen beschloß.
Es war zu Velur, nur anderthalb Stunden von Vizagapatnam. Eine junge Wittwe von der Caste der Chetries sollte sich mit dem Leichname ihres Mannes in einer Grube verbrennen, wie es im südlichen Theile von Coromandel auf einem Scheiterhaufen geschieht. Bei meiner Ankunft ward ich sogleich nach einem Hause gewiesen, wo die Wittwe[S. 124] in der Mitte ihrer sämmtlichen Verwandten, unter einer Art Baldachin saß. Es war ein junges wohlgebildetes Weib von höchstens ein und zwanzig Jahren, mit einer äußerst sanften Physiognomie. Sie bewegte die Lippen, wie eine Betende, theilte dann und wann unter ihre Verwandten Betel aus, und schien vollkommen gefaßt zu seyn. Ich betrachtete sie mit innigem Mitleid; bald aber zog mich die Menschenmasse nach dem zur Feierlichkeit bestimmten Platze fort.
Dieser lag außerhalb des Dorfes, ungefähr eine Viertelstunde davon. In der Mitte desselben befand sich eine Grube, die bei zehn Fuß Länge, acht Fuß breit und tief zu seyn schien. Sie war bereits mit einer großen Menge Kohlen angefüllt, dennoch warf man noch von allen Seiten Holz hinein. Endlich rückte der Leichenzug näher, rund um die Grube wurden Matten aufgehängt, und die ganze Masse der Zuschauer bildete einen unübersehbaren Kreis.
Die Wittwe war aufs prächtigste gekleidet,[S. 125] und überall mit Juwelen bedeckt. In der Hand hielt sie eine kleine, mit Gewürznelken besteckte Citrone, woran sie bisweilen zu riechen schien. Neben und hinter ihr, giengen ihre Verwandten, mit mehrern Braminen, und eine Menge Weiber beschloß den Zug. In einer gewissen Entfernung von der Grube ward Halt gemacht. Die Wittwe legte ihre Prachtgewänder und Juwelen ab, badete sich in dem benachbarten Weiher, den ein dichter Kreis von Freundinnen umschloß, und kam endlich in einem ganz einfachen weißen Gewande zurück. So gieng der Zug bis in die Nähe der Grube, an deren Rande der Leichnam des Mannes auf einer Bahre lag.
Als die Wittwe hier angekommen war, blieb sie einige Augenblicke davor stehen, sah ihn mit zärtlichen Blicken an, schlug sich vor die Brust, und brach in Thränen aus. Zulezt verbeugte sie sich, verließ die Bahre, und gieng dreimal um die Grube herum, wobei sie nie den Leichnam zu begrüßen vergaß. Jezt bei dem Leztenmale blieb sie wieder[S. 126] davor stehen; wendete sich zu ihren Verwandten; nahm mit völliger Ruhe Abschied von ihnen; empfieng von einem Braminen einen Krug mit Oel; goß etwas davon auf den Leichnam; sezte sich das Gefäß auf den Kopf; rief dreimal mit lauter Stimme: Naraina! (Gott) und sprang dann muthig in das brennende Grab hinein. Man hatte in demselben Momente die Matten fallen lassen; zu gleicher Zeit ward auch der Leichnam hineingeworfen, und alles mit tausend bereit gehaltenen Bränden bedeckt. Hoch schlugen die knisternden Flammen in die Lüfte empor, und die Weiber erhoben unter dem Lärm der Trommeln, Trompeten und Becken, ein gräßliches Freudengeschrei.
So sehr ich überzeugt war, daß die Unglückliche sogleich erstickt seyn mußte; so machte das Ganze dennoch einen sehr schmerzhaften Eindruck auf mich. Ich verließ den Platz, und trat meinen Rückweg nach Vizagapatnam an. Schon war es dunkel geworden, und in tiefen Gedanken wanderte[S. 127] ich wohl eine Stunde fort, bis ich endlich bemerkte, daß ich auf dem unrechten Wege war. Ein guter alter Mann, den ich eben einholte, bestätigte mir dieses, rieth mir nach Velur zurückzugehen, und zeigte mir einen kürzeren Fußsteig dahin. Ich kehrte demnach um, gieng einige Zeit auf diesem Fußsteige fort, glaubte aber bald in der Entfernung einige Lichter zu sehen, und beschloß geradesweges darauf zuzugehen. Doch die Lichter verschwanden, und ich fühlte mit Entsetzen, daß der Boden unter mir wich. Vergebens suchte ich mich an einem Busche festzuhalten; der Ast brach, und ich stürzte in einen tiefen Abgrund hinab.
Als ich wieder zu mir kam, spürte ich in meiner Nähe einen scheußlichen Verwesungsgeruch.[S. 128] Es war ein todter Büffel, auf dem ich lag. Hastig raffte ich mich auf, und starrte verzweiflungsvoll in die undurchdringliche Finsterniß. Zorn und Wehmuth, Verdruß und Ungeduld; alle diese Empfindungen wechselten unaufhörlich in meiner Seele ab. Doch suchte ich mich endlich zu beruhigen, sezte mich auf den steinigten Boden nieder, und fiel in einen tiefen Schlaf.
Der Tag brach an; die finstere Gruft erhellte sich; ich erwachte, und wurde mit Entsetzen mein ganzes Unglück gewahr. Ich befand mich nämlich in einer Höhle, die sich zu beiden Seiten tief in die Erde zu erstrecken schien. Aus dem Gewölbe war ein großes Stück eingebrochen, und durch diese Oeffnung fiel das Licht hinein. Die hohen Wände waren völlig steil, und auf allen Seiten gleich weit davon entfernt.
Was sollte ich thun? Die Gegend schien durchaus menschenleer. Dennoch beschloß ich zu rufen, und verstärkte die Stimme nach Möglichkeit. Allein vergebens, sie verhallte[S. 129] in dem ungeheuren Raume, der mich umgab. Der Tag vergieng, das tröstende Licht verschwand, und Finsterniß des Grabes hüllte mich abermals ein. Diese zweite Nacht war ungleich schrecklicher für mich. Tausende von Uhus flogen über meinem Kopfe aus und ein, und ganze Haufen heulender Schakals umringten die Oeffnung. So saß ich mehrere Stunden lang, bis endlich ein schwacher Mondstrahl in die Höhle fiel, und meine Stimmung etwas ruhiger ward. Bald darauf sank ich in tiefen Schlaf.
So vergieng die Nacht, und mit dem ersten Sonnenstrahle floß neue Hoffnung in mein Herz. Durch die Oeffnung aus der Höhle zu kommen, war unmöglich; aber durch einen der Seitengänge vielleicht einen Ausweg zu finden, schien, troz der Gefahren, eines Versuches werth. — »Wohlan!« — sagte ich zu mir selbst — »Wohlan! das Aeußerste gewagt!« — So raffte ich mich ungefähr um Mittag auf,[S. 130] und schlug den Weg in einen der düsteren Seitengänge ein.
So lange ich noch etwas Tageslicht hatte, gieng es ziemlich gut. Als aber auch der lezte Schimmer verschwand, hielt ich mit klopfendem Herzen an. Doch auch diesmal trug die Ueberlegung den Sieg davon, und so stürzte ich mich muthig in die unermeßliche Nacht hinein. Die einzige Vorsicht, die ich brauchte, war, mich Schritt vor Schritt an der Wand zu halten, und allen Biegungen derselben nachzugehen.
Der Boden war rauh, und ungleich. Steinhaufen, und einzelne Felsenstücke, Erhebungen und Vertiefungen wechselten unaufhörlich ab. Ich mußte den Weg unaufhörlich mit dem Hirschfänger untersuchen, und rückte daher nur langsam fort. So mochte ich mich ohngefähr zwei Stunden fortgearbeitet haben; als ich plözlich an etwas Bewegliches stieß. Ich befühlte es mit dem Fuße; es schienen Knochen zu seyn. Ich griff es an; es war ein Menschenskelett.[S. 131] Welche Entdeckung! — »Das Bild meines Schicksals!« — sagte ich zu mir selbst, und lehnte mich tief erschüttert an die Wand.
Unterdessen glaubte ich einiges Geräusch zu hören, und rufte laut durch die starrende Finsterniß. Zugleich verdoppelte ich meine Schritte, entschlossen, dem Tode, oder dem Leben entgegen zu gehen. Plözlich ward ich zwei kleine feurige Punkte gewahr. — Vielleicht eine Schlange die auf mich zugeschossen kam. — Aber die Punkte blieben unbeweglich; es schien von zwei Lampen zu seyn. In dem Augenblicke machte die Wand einen starken Abfall, und ich erblickte eine Felsenspalte, die vom glänzenden Abendrothe beleuchtet war. Eilends kappte ich das Gesträuch hinweg, zwang mich mit muthiger Brust hindurch, und athmete nun wie neue geschaffen, in der freien herrlichen Gotteswelt.
Die Sonne gieng unter, und im Purpurglanze lag die ganze liebliche Landschaft, und Vizagapatnam in geringer Entfernung[S. 132] vor mir. Ich eilte dahin, und ward mit großer Freude empfangen; jedermann hatte mich todt geglaubt. Es zeigte sich jezt, daß ich in einer der Höhlen gewesen war, die ehedem mit den Pagoden in Verbindung standen, und deren Eingänge nur noch wenigen Braminen bekannt sind.
Nach einigen Tagen Erholung brach ich von Vizagapatnam weiter auf. Die Hitze war groß, der Weg beschwerlich; mit Vergnügen hielt ich gegen Mittag in dem freundlichen Dörfchen Chieriepille an. Es liegt in einem reizenden Thale, ist mit einer Menge Obst- und Betelgärten umgeben, und hat eine der schönsten und bequemsten Chauderies, die mir vorgekommen sind. Wir fanden hier einen Wahrsager, dergleichen sind in Indien sehr häufig. Zum Spaß ließ ich mir auch die[S. 133] flache Hand besehen, und bekam eine Menge Glück und Segen gewünscht.
Man darf diesen Leuten kein Geld anbieten, weil ihnen dergleichen anzunehmen, nach ihren Geboten nicht erlaubt ist. Man giebt daher Cattun, Musselin u. s. w., auch wohl eine Portion Reis. Alle diese Effekten müssen sie aber erst neun Tage an ihrem Leibe herumtragen, ehe ihnen der Verkauf davon gestattet ist. Was sie dann an Geld dafür lösen, dürfen sie nehmen, weil es auf indirektem Wege gewonnen wird. Der arme Teufel in unserer Chauderie schien die lezten neun Tage über, gewaltig beschäftigt gewesen zu seyn. Er hatte eine solche Menge Zeug, Schnupftücher, Turbans u. s. w. an seinem Gürtel hängen, daß er wie eine wandernde Schnittwaaren-Bude aussah.
Um meine armen Träger zu schonen, beschloß ich erst am andern Morgen weiter zu gehen. Ich benuzte daher den lieblichen Abend zu einem Spaziergange in dem schönen Thale, das mit herrlichen grünenden Bergen eingefaßt[S. 134] ist. Mit einbrechender Dämmerung gieng ich nach meinem Palankin zurück, fand einen vortrefflichen Pillau von Hühnern, und Bananas in Eiern gebacken, zum Abendessen, und schlief endlich unter den Gesängen einiger reisenden Tänzerinnen ein.
Am andern Morgen gieng es nun rasch über Berg und Thal, durch eine Menge Dörfer bis zur Chauderie Darma-Oro, wo zu Mittag angehalten ward. Hier sah ich einen Pandarone oder Mönch, der jedem Reisenden auf Verlangen, einen Trunk Reiswasser (Canje) gab. Dies geschah, indem er es ihm aus einem kleinen kupfernen Topfe in die Hände goß. Kein Hindu pflegt nämlich ein Trinkgefäß an die Lippen zu setzen; er hält es vielmehr so, daß ihm das Wasser, wie ein kleiner Strahl in den Mund schießen muß. Da nun aber eine niedere Caste das Gefäß schon durch die bloße Berührung für eine höhere unrein machen kann, so giebt es der Pandarone lieber Niemanden in die Hand.
[S. 135]
Wir reisten weiter, bekamen bald das Meer zu Gesicht, und langten Abends in einem Fischerdorfe hart am Strande an. Hier ward ich für eine Kleinigkeit mit einem Gericht trefflicher Seefische bewirthet, und konnte die Ankunft der Kattamarans mit großer Bequemlichkeit sehen. Es ist dies in der That ein Schauspiel, das der Mühe lohnt. Man erinnert sich, daß ein Kattamaran ein, fünfzehn bis zwanzig Fuß langes, Floß ist, das aus fünf Balken besteht.
Man weiß, daß immer zwei Männer darauf befindlich sind, wovon der eine vorn, der andere hinten zu rudern pflegt; eben so, daß bei günstigem Winde ein kleines Segel aufgespannt werden kann.
Die Sonne sank tiefer, und von allen Seiten eilten diese Fahrzeuge dem Ufer zu. Es war eine ganze, kleine Flotte, pfeilschnell flog sie zwischen den purpurnen Fluthen hindurch, von tausenden von Möwen umringt, und vom fröhlichen Gesange der Ruderer belebt. Bald näherte sie sich nun der Brandung,[S. 136] die bekanntlich an diesen Küsten ungeheuer ist. Schnell wurden die Segel gestrichen, und die Ruder eingetaucht; da flogen die Kattamarans in die tosenden Wogen hinein. Hier sah man einige auf der Spitze derselben, dort andere wie in einem Abgrunde schweben, der sich darüber zu schließen schien. Aber wenig Minuten, und die ganze Flotte flog in einem Augenblicke auf den sandigen Strand.
Wir hatten unser Nachtlager zwischen den Dünen genommen, wo die angenehmste Kühlung herrschte, und nichts von Moskitos zu fürchten war. Am folgenden Morgen fanden wir uns daher außerordentlich gestärkt, und legten die ganze Tagereise schneller als gewöhnlich zurück. Abends kamen wir bei einem Mangabusche an. Hier hatte sich bereits ein großer Haufen Reisender gelagert, um am folgenden Tage zusammen durch einen Wald zu ziehen, der nicht für ganz sicher gehalten ward. Da ich mit Schießgewehr versehen, und überdem ein Europäer war, so[S. 137] baten sie mich, sie anzuführen, wozu ich dann auch ganz willig war.
Mit Tagesanbruch machten wir uns demnach auf den Weg. Indessen stießen wir auf nichts, als eine Menge rother Affen, von denen der ganze Wald bevölkert war. Als wir denselben hinter uns hatten, nahm ich von meinen Gefährten Abschied, und stieg wieder in den Palankin. Der Weg gieng nun durch eine sehr reizende Landschaft, Dorf an Dorf, und alles mit Tamarinden-, Cocos- und ähnlichen Baumpflanzungen, so wie mit Betelgärten bedeckt. Jezt bekamen wir auch wieder das Meer zu sehen, und athmeten erquickende Kühlung ein.
Ich mußte die Nacht im Palankin zubringen; die ganze Chauderie war mit Kaschie-Kauris angefüllt. Es sind dies eine Art Mönche, die zehn, zwanzig, und mehrere zusammen, nach Kaschie (oder Bonares) wandern, dort Wasser aus dem Ganges holen, und damit beladen, in ihre Heimath zurückgehen. Sie füllen dies heilige Wasser in[S. 138] runde irdene Krüge, wovon jeder zwanzig bis fünf und zwanzig Kannen halten kann. Diese Krüge sind mit dickem Netzwerk umflochten, und mit einem kurzen Halse versehen, der sorgfältig vergipst und versiegelt wird. An dem Siegel des Oberpriesters von Bonares, so wie an dem Certificate jedes Pilgers, erkennt man, ob das Wasser ächt ist. Ein jeder Kaschie-Kauris trägt zwei Krüge, den einen vorn, den andern hinten, an einem Bambusrohr. Dies Wasser wird entweder an Tempel verschenkt, oder an reiche Hindus verkauft. Für leztere ist es ein Gegenstand eines religiösen Luxus. Man benezt Sterbenden Haupt und Lippen damit; giebt es aber auch bei großen Gastmählern herum.
Am folgenden Tage passirten wir die Stadt Mongletur, die auf indische Weise befestigt ist, und langten Abends ziemlich spät in Tallapalar an. Hier mußten wir die Chauderie einer Abtheilung englischer Srapoys überlassen, und trieben nur mit Mühe etwas zum Abendessen auf. Am nächsten[S. 139] Morgen gieng es vollends nach Mazulipatnam. Wir kamen dabei durch das Dorf Pakaat. Hier sah ich einen Barbier, der einen ziemlich dicken Bart, auf das allervollkommenste mit zwei — Glasscherben abnahm.
Nachdem ich meine Geschäfte besorgt hatte, sezte ich meine Reise ohne Verzögerung fort. Vorher hatte sich noch ein Gefährte, ein gewisser holländischer Capitain, Namens Holtrop, zu mir gefunden, der nach dem Verluste seines Schiffes nach Madras zurückging. Wir kamen durch die Dörfer Okalgatta und Sorligatta, und nahmen unser Nachtlager in einer Chauderie hinter Naralcor. Der lezte Theil des Weges war äußerst angenehm; er lief durch eine fruchtbare Ebene, mit den mannigfaltigsten Pflanzungen[S. 140] bedeckt. Kaum hatten wir aber die Chauderie erreicht, als ein heftiges Ungewitter ausbrach. Da sich nun außer uns noch an sechzig Reisenden darin befanden, konnten wir allerdings nicht ohne Besorgnisse seyn. Indessen gieng alles glücklich vorüber, und nach einigen Stunden war der Himmel wieder völlig wolkenleer.
Unsere harmlosen Hindus hatten inzwischen nicht die mindeste Furcht gezeigt. Die Männer lasen oder sprachen; die Weiber und Mädchen schäkerten und kochten; die Kinder spielten mit unbefangener Fröhlichkeit fort. Nach dem Essen wurde erzählt und getanzt, und alles war voll Milde und Fröhlichkeit.
Die folgende Tagereise war entzückend schön; die ganze Landschaft blühte und grünte in üppiger Fruchtbarkeit. Wir giengen über den Kischtna, der in dieser Jahrszeit nicht besonders wasserreich war. Die Ueberfahrt ward wie gewöhnlich, in großen, runden, platten Körben gemacht. Diese Körbe haben ungefähr zwölf Fuß im Umfange, sind mit[S. 141] Leder überzogen, und werden mit Pagaien (kurzen Rudern) in Bewegung gesezt. Man muß sich indessen in diesen Körben sehr ruhig verhalten, indem sie beständig im Kreise drehen. Einige sind groß genug, um zehn bis zwölf Personen zu fassen; allein Hokkeries (indisches Fuhrwerk), Palankins u. s. w. werden niemals auf diese Art übergesezt. Hierzu bedient man sich der sogenannten Sangaries, welches ausgehölte Cocosstämme sind.
Wir ergözten uns während der Ueberfahrt an den herrlichen Uferansichten, und langten endlich in dem freundlichen Dorfe Kischtnapatnam an. Die Chauderie lag in der Nähe des Stromes, was uns der Kühlung wegen höchst willkommen war. Hier hörte ich zum erstenmale die melodischen Minkurwies (eine Art Wasservögel), die, wie man behauptet, in dem Kischtna ausschließend zu finden sind. Ich glaubte die Töne einer Aeolsharfe zu hören, und sank dabei in den süßesten Schlaf.
Nach einem stärkenden Morgenbade sezten wir unsere Reise weiter fort. Die Gegend[S. 142] war eben, und meistens mit Reis- und Gerstenfeldern bedeckt. Nur hie und da ragten aus den gelblichten Aehrenfluten einige glänzend grüne Hügel hervor. Dann folgte eine sandige, mit lichtem Tannengebüsch bedeckte Ebene, von einer Menge Schakals bewohnt. Endlich zeigte sich eine Reihe düsterer Cocoshaine, von Tausenden von Vögeln belebt. So langten wir um ein Uhr in Pampeton an. Dies ist ein großes volkreiches Dorf, das von einer Menge Betelgärten und Baumpflanzungen, Tamarinden und Arekagebüsche umringt ist.
Nachmittags kamen wir bei einer neuen Chauderie, und einem dem Goneisch (Gott der Andacht) geheiligten Tempel vorbei. Das Götzenbild lag indessen noch auf dem Boden; es fehlte noch das nothwendigste Erforderniß seiner Göttlichkeit. Dies waren die Augen, die immer erst der Oberpriester mit vielen Feierlichkeiten einsezt. So lange ein Götzenbild noch dieser entbehrt, wird es blos für einen gewöhnlichen Block angesehen.
[S. 143]
Mit einbrechender Dämmerung kamen wir in einem großen, auf einer Anhöhe gelegenen Dorfe an. Hier quartierten wir uns in einer Trivasel (der kleinsten Art von Chauderies) ein, und fanden zu unserer Freude nur wenig Reisende darin. Allein da es bald darauf heftig zu regnen anfieng, kam in kurzem noch ein ganzer Schwarm dazu. Ich eilte daher mein Abendessen einzunehmen, ließ den Palankin unter einen dickblätterigen Baum stellen, streckte mich hinter den Vorhängen auf meine Matrazze hin, und schlief, troz der Clapper eines Reisfeldhüters, in wenig Minuten ein.
Am folgenden Morgen, das herrlichste Wetter, und alles voll Leben und Heiterkeit. Indessen begegnete mir schon in der ersten Stunde ein Unfall, der wenigstens meinen armen Trägern den ganzen Tag verdarb. Als ich nämlich einmal aus dem Palankin steigen wollte, ward ich einige Schritte vor mir eine ganz still liegende Brillenschlange gewahr; ich hielt sie für todt, und gieng unbesorgt[S. 144] darauf los. Allein wie groß war mein Entsetzen, als sie sich auf einmal mit glühenden Augen, geöffnetem Rachen und blitzender Zunge aufzurichten anfieng! Plözlich flog ich zurück, ergriff die Flinte und drückte los, worauf die Schlange nach einem benachbarten Busche kroch.
Unterdessen war auch Capitain Holtrop und mein Bedienter hinzugeeilt, jeder mit einem Hirschfänger in der Hand. Wir beschlossen den Busch anzuzünden, und auf die Schlange, die dann herauskommen mußte, vereinigt loszugehen. Bald stand der Busch in vollen Flammen, und noch immer erschien sie nicht. Schon glaubte ich mich geirrt zu haben, plözlich schoß sie zwischen meinen Füßen hindurch.
»Herr! Das bedeutet Unglück!« — riefen meine Träger mit kläglicher Stimme, und ich selbst war fast außer mir. Aus gleichem Aberglauben natürlich nicht; nur weil ich einer so großen Gefahr entgangen war. Meine Träger boten jezt alles auf, um mich zum[S. 145] Umkehren zu bewegen, allein ich gab durchaus nicht nach. So legten wir unsern gewöhnlichen Tagesmarsch zurück, und kamen mit Sonnenuntergang Wohlbehalten in Pariatschirli an.
Unter der großen Menge anderer Reisenden, die sich allmählig in der Chauderie zu uns gesellten, befand sich auch ein Trupp herumziehender Tänzerinnen, Sutred-Haries genannt. Es waren ihrer sieben zusammen, wie gewöhnlich von ihrem Tanzmeister (Chelcinbikarea) und ihrem Musikanten (Juntries) begleitet. Nachdem sie sich in dem benachbarten Weiher gebadet, und ihre Tanzkleider angelegt hatten, kam die erste Tänzerin auf mich zu, überreichte mir einen Blumenstrauß und fragte, ob es mir gefällig sey,[S. 146] ihre Gesellschaft tanzen zu sehen. Ich erwiederte ihren Gruß, bestellte sie nach dem Abendessen wieder, und ward dafür von allen Anwesenden mit Danksagungen überhäuft. — »Der gute Herr! Der große Herr!« — tönte es in der ganzen Chauderie wieder; denn tanzen zu sehen, ist für die Hindus, besonders für das weibliche Geschlecht, ein höchst angenehmer Zeitvertreib. Kaum war ich nun mit dem Essen fertig, als alles die Matten bei Seite schaffte, und einen großen Kreis um mich schloß. Bald darauf erschienen die Tänzerinnen, hinter ihnen die Juntries. Die Musik fieng an; die lieblichen Nymphen entschleierten sich, und begangen den kunstreichsten Elfentanz. Sie waren aus Surate, das von jeher für den Geburtsort der schönsten und vorzüglichsten Tänzerinnen galt. Mit großem Vergnügen sah ich ihnen wohl eine Stunde zu.
Aber endlich war es Zeit aufzuhören; ich gab demnach das Zeichen dazu — »Genug, schöne Mädchen!« — sagte ich im indischen[S. 147] Stil — »Genug für diesmal! — Ihr habt mir mit eurem kunstreichen Tanze die höchste Genüge gethan, und mein Herz mit Entzücken erfüllt. Gewiß, Rhambe (die Göttin des Tanzes) selbst übertrifft euch nicht. Seyd ihr nicht zu sehr ermüdet, so vergönnt mir, daß ich nun auch eure lieblichen Stimmen hören kann!« — Dieses Lob gefiel ihnen außerordentlich, zumal, da es von einem Europäer kam. Sofort sezten sie sich in einen Halbkreis, und sangen mir eine der schönsten indischen Romanzen, die Liebesgeschichte des Prinzen Sondor, und der Prinzessin Biddrah vor. Dies dauerte bis Mitternacht. Endlich machte ich der ersten Sängerin ein angenehmes Geschenk, und entließ die ganze Truppe, höchst vergnügt über meine Freigebigkeit.
Alles eilte nun schlafen zu gehen, und ich selbst suchte meinen Palankin auf. Kaum hatte ich aber einige Minuten geschlummert, als ich durch ein leichtes Zupfen am Ueberhange wieder geweckt ward. — »Wer da?« — rufte ich, indem ich denselben aufhob. — »Ich[S. 148] bin es, mein Herr!« antwortete eine leise Stimme — »Die Daja (Aufwärterin) der Sutred-Haries (Tänzerinnen). Ich bringe euch tausend Grüße von dem lieblichen Mädchen, mit dem Kranze von weißen Rosen im Haar. Eure Freundlichkeit hat ihr Herz geöffnet, wie sich die Lilie der Sonne aufschließt. Empfangt diesen Betel; sie bereitete ihn selbst für euch. Sie sizt zu den Füßen eures Lagers und erwartet euren Befehl!« —
Das liebliche Mädchen mit dem Kranze von weißen Rosen war mir allerdings sehr erinnerlich. Es hatte bei seiner Jugend, Grazie und Schönheit, einen sehr lebhaften Eindruck auf mich gemacht. Indessen kannte ich die reisenden Tänzerinnen etwas genauer, beschloß daher auf meiner Hut zu seyn, und fertigte die Daja mit einer ziemlich kalten Antwort ab.
»Wie, mein Herr!« — erwiederte sie lebhaft — »Ihr verschmäht die schöne Mamia? — Ich glaubte doch bemerkt zu haben, daß sie euch nicht gleichgültig war. — Was[S. 149] fürchtet ihr? — Sie ist mein liebstes Kind, und ihr seyd der erste, dem sie den Betel der Liebe[6] schickt.«
Ich mußte lächeln — »In Wahrheit?« — fragte ich etwas spöttisch — »Aber seyd so gut, und laßt mich mit eurem Kampaak in Ruhe, ich bitte euch darum.« — Sie verbeugte sich tief und gieng.
Als ich indessen am folgenden Morgen das schöne Mädchen noch einmal sah, ward ich in meinem Innersten gerührt. Wie viel Liebreiz! Welche Sehnsucht! Und welcher stille Schmerz! Ihre Augen schwammen in Thränen; sie wandte ihr Gesicht von mir ab, und verschleierte sich. Wir brachen auf, ich hoffte die Tänzerinnen nachkommen zu sehen; allein sie hatten andere Stationen gewählt.
Wir aßen Mittags zu Pondipitly, wo wegen eines Festes alles voll Fröhlichkeit war.[S. 150] Unter andern sahen wir einen Schonir (eine Art Bettelmönche), der die Flöte durch die Nase blies. Er steckte nämlich zwei kleine, ungefähr anderthalb Spannen lange, Flöten in die Nasenlöcher, und blies Prime und Secunde mit großer Fertigkeit darauf. Nachmittags kamen wir bei einem schönen Ala[7] vorbei. Er mochte ungefähr erst hundert Jahre alt seyn; gleichwohl bildete er mit seinen unzähligen herabhängenden Aesten bereits ein grünendes Gewölbe, das wenigstens tausend Schritte im Umfange hielt. Abends blieben wir in Palpatte, wo eine der größten Chauderies von ganz Indien ist.
Unsere lezte Tagereise bot wenig Merkwürdigkeiten dar. Wir begegneten einer anderen Truppe Tänzerinnen, und ich dachte lebhaft an die liebliche Mamia. Gegen fünf Uhr kamen wir in Carraconde an. Die Chauderie war bereits völlig besezt, wir lagerten[S. 151] uns daher in einem benachbarten Mangabusch. Um schneller Feuer zu bekommen, raffte ich einige trockene Baumblätter auf. In dem Augenblicke fühle ich einen stechenden Schmerz; ziehe die Hand zurück, sehe, daß eine schwärzliche Schlange daran hängt, und verliehre das Bewußtseyn.
Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich am Feuer, von meinen Trägern umringt. Sie fuhren fort, meinen Finger gegen die Flamme zu halten, um, wie sie glaubten, das Gift heraus zu ziehen; während bereits nach dem Schorpojan, oder Schlangenbeschwörer geschickt worden war. Bald darauf kam der Bote mit der Nachricht zurück, daß derselbe abwesend sey. Indessen brachte er dafür einen mohrischen Waitium (Arzt)[S. 152] mit. Dieser besah meinen Finger mit großer Aufmerksamkeit, und erklärte mir ohne Umschweife, daß ich allerdings nicht außer Gefahr sey. Indessen gab er mir einen Löffel von einer höchst bittern Latwerge ein, versprach den andern Tag wieder zu kommen, und nahm mit den Worten: Gott ist groß! (Tambrane meharse!) Abschied von mir.
Es währte keine halbe Stunde, als mich ein allgemeines Frösteln mit heftigem Schwindel überfiel — »Freunde!« — rief ich mit gebrochener Stimme. — »Es ist vorbei! Ich sterbe! Lebt wohl! Lebt alle wohl!« — Alle schwiegen und weinten; ich fühlte wie es immer düsterer um mich ward. Auf einmal hörte ich ein lautes Pfeifen neben mir. Ich schlug die Augen auf, und erblickte dieselbe Schlange, von der ich gebissen worden war. — »Das ist sie! Das ist sie!« — rief ich mit Entsetzen, während sie langsam an einem vom Feuer beleuchteten Stamme herunterkroch. Meine Leute betrachteten sie nun genauer, und versicherten einstimmig, daß[S. 153] sie nicht giftig sey. Mein Schwindel verlor sich; ich athmete mit leichterer Brust.
Indessen nahm der Schmerz am Finger außerordentlich zu. Bald zeigte sich der Anfang einer Entzündung, die allmählig die ganze Hand zu ergreifen schien. Ich beschloß daher, auf den eigenen Rath des Waitiums nach Naporlie zu gehen, wo ein berühmter Schorpojan wohnhaft war. Wir kamen an, aber leider befand er sich nicht mehr daselbst. In dieser verzweifelten Lage beschloß ich so schnell als möglich nach Madras zu eilen, und brach auch wirklich am folgenden Morgen in aller Frühe auf.
Aber welcher Unterschied! Meine Träger niedergeschlagen; ich von den heftigsten Schmerzen gequält; mein Reisegefährte ebenfalls krank. Schweigend und traurig zogen wir daher; das einförmige Hei! Hei! Hei! der Träger[8] war alles, was von Zeit zu[S. 154] Zeit die melancholische Stille unterbrach. So kamen wir Mittags nach Kalurie, wo wir ganze Heerden calecuttischer Hühner sahen, und übernachteten bei Madupatte unter Bäumen in freier Luft. Mein Schmerz war unerträglich; ich konnte keine Viertelstunde ruhen; wir machten uns daher noch vor Sonnenaufgang auf den Weg.
Der Boden ward sandiger, die Landschaft kahler, die Bevölkerung schwächer; alles kündigte die Nähe des Meeres an. Indessen fanden wir doch noch ein sehr schönes Dorf, Anenabob genannt, wo zu Mittag gegessen ward. Nachmittags passirten wir den Gondakama in einem Sangarie (hohlen Cocosstamme) und kamen Abends nach Pandalur, das ganz mit Betelgärten umgeben ist. Ich hatte eine sehr traurige Nacht. Gegen Morgen indessen bekam ich einige Linderung, und durfte einer erträglichen Tagereise entgegen sehen. Sie bot jedoch nichts Merkwürdiges dar. Wir hielten Mittags zu Binganapilli an, und übernachteten zu Aschacoldindi, das in der[S. 155] Nähe des Meeres liegt. Die Chauderie war völlig leer; ich ließ daher meinen Palankin hineinbringen, und fiel in einen tiefen Schlaf.
Als ich am andern Morgen erwachte, war der Schmerz in meiner Hand beinahe verschwunden, allein der Finger völlig fühllos, folglich der Brand nur zu gewiß. Eilends rief ich meine Träger herbei. — »Ich muß nach Madras, Freunde« — sagte ich — »Nach Madras, oder es ist um mich geschehen. — Ich muß Tag und Nacht durch reisen, oder es ist keine Hülfe mehr für mich!« —
Meine Kulies sahen einander an, und gaben dann einstimmig ihre Einwilligung. — »Ja Herr!« — riefen sie — »Wir wollen bei euch aushalten; wir wollen euch nach Madras bringen, verlaßt euch darauf!« — Ich nahm nun noch sechs andere Träger, theils zum Ablösen, theils zum Fackeltragen an, und die Reise ward fortgesezt.
Dieser Tag war einer der traurigsten meines Lebens, dessen ich mich erinnern kann.[S. 156] Er endigte jedoch mit einer Entdeckung, worüber ich allen meinen Schmerz vergaß. Gegen vier Uhr Nachmittags kamen wir nämlich durch Nebabpent, ein großes, wegen eines alten Tempels berühmtes Dorf. Diesem Tempel gegen über war ein schöner Weiher, mit einer Menge Badender angefüllt, worunter sich an dem einen Ende auch ein Haufen junger Mädchen befand. Ziemlich flüchtig hatte ich auf diese Gruppen hingeblickt, als ich plözlich einen durchdringenden Schrei vernahm. Die Stimme schien mir bekannt, ich sah noch einmal hin, und sah — O gütiger Himmel! — sah Mamia, die liebliche Tänzerin, die eben aus dem Bade gestiegen war.
»Halt! Halt!« — rief ich den Trägern zu, sprang aus dem Palankin, und flog auf das Mädchen zu. — »O Mamia! Geliebte Mamia!« — sagte ich — »Wie oft habe ich an dich gedacht!« — Nie hatte ich sie so reizend gesehen. Sie glich in ihrem feuchten, die schönen Glieder dicht umschließenden Gewande,[S. 157] einer dem Meere entstiegenen Huldgöttin. — »O mein Herr!« — erwiederte sie mit holdem Erröthen — »Aller Augen sind auf uns gerichtet!« — »Wohl süße Mamia!« — gab ich zur Antwort — »Ich spreche dich in der Chauderie.« — Sie bejahte es mit einem himmlischen Lächeln, und eilte mit ihren Gespielinnen zurück. Wir aber nahmen so fort von der Chauderie Besiz.
Indessen war ich nicht wenig verwundert, weder die Juntries (Spielleute) noch die Bagage der Tänzerinnen daselbst zu sehen. War es ein Mißverstand? Hatten sie einen andern Lagerplatz? — Oder waren sie plözlich abgereist? — Beinahe fieng ich an ungeduldig zu werden, als die Daja mit vielen Grüßen von Mamia erschien. Sie waren in einem Mangabusche[S. 158] gelagert, in wenig Minuten würde sie bei mir seyn. Ich gab der Alten einige Rupien, ließ noch mehr Lampen anzünden, und harrte des lieblichen Mädchens am Eingange der Chauderie. Endlich erschien sie, doch des Wohlstandes halber die Daja mit ihr.
Sie verbeugte sich, ohne ein Wort zu sagen; allein das Klopfen ihres Busens verrieth, wie sehr sie in Bewegung war. Ich führte sie sogleich zu einem Teppich, und bot ihr Betel an. — »Freue dich, schöne Mamia!« — sagte ich — »Du bist gerächt!« — Und hiermit erzählte ich ihr die ganze Geschichte meiner Leidenschaft.
»O mein Herr!« — erwiederte sie — »Ich habe sie längst entschuldigt. Ich erkenne mein Schicksal, das mich auch in meiner Liebe verfolgt!« — So erklärte sie mir mit sanftem Erröthen den ganzen Zusammenhang. — »Mein Herz war immer bei Ihnen!« — fuhr sie fort — »Ich klage niemand als mein Unglück an!« — Sie war aus der Caste der[S. 159] Aerzte, und nur aus Noth eine Tänzerin geworden[9], da sie sich nach dem Tode ihrer Eltern gänzlich verlassen sah. Für meine Hand versprach sie mir einen köstlichen Balsam zu bereiten, und eilte deshalb sofort zu dem Lagerplatze zurück.
Während ihrer Abwesenheit unterhielt mich die Daja sehr lebhaft von ihr. Sie konnte mir nicht beschreiben, wie betrübt das gute Kind über meine Gleichgültigkeit und meine Abreise gewesen war. Nach einer kleinen halben Stunde war das liebliche Mädchen schon wieder mit dem Balsam da, und verband meine Wunde mit vieler Geschicklichkeit. Ich konnte mich nicht enthalten, sie an mein Herz zu drücken, und sie erwiederte meinen Kuß mit Zärtlichkeit.
»Ach!« — rief sie wehmüthig aus — »Das ist ja doch das Leztemal, daß ich sie[S. 160] sehen kann!« — »Das Leztemal?« — fragte ich bestürzt — »Wie meinst du das lieblichste Mamia?« — »Ach mein Herr! Ich fürchte es wenigstens!« — erwiederte sie, und erzählte nun, wie weder sie, noch die Daja, noch irgend eine ihrer Gespielinnen jemals in Madras gewesen sey. — »Wie werde ich sie wiederfinden können?« — fuhr sie fort — »Ach nimmermehr! — Ich werde vor Sehnsucht sterben; ich fühle es.« — Ihre Thränen flossen; sie verbarg ihr Gesicht an meiner Brust.
»Nein, bei Gott nicht!« — rief ich mit Lebhaftigkeit aus — »Bei Gott nicht!« — »Hier Mamia!« — indem ich eine Ola[10] herausnahm. — »Hier Mamia, hast du Namen und Wohnung von drei Freunden, bei denen du mich aufsuchen kannst.« — Zu gleicher Zeit schrieb ich ihr noch mein Speisehaus u. s. w. auf. — »So wirst du mich nicht[S. 161] verfehlen, liebstes Herz!« — fuhr ich fort, und hatte die Freude, sie beruhigt zu sehen.
Mein Entschluß war gefaßt, Mamias Zukunft für immer bestimmt. Noch eine Umarmung, und ich stieg in den Palankin. Meine Träger hatten fünf Stunden geruht; mit brennenden Fackeln zogen wir zum Dorfe hinaus. Die Nacht war still und schön; bald schlief ich unter den lieblichsten Erinnerungen ein. Als ich am andern Morgen erwachte, lag die herrliche Landschaft schon in vollem Sonnenglanz. Ich war sehr vergnügt; meine Wunde ließ sich vortrefflich an. Sorgfältig goß ich von Zeit zu Zeit neuen Balsam darauf.
Mittags hielten wir in Jasurpalam, in einer etwas kleinen, aber sehr reinlichen Chauderie an. Bald darauf kamen noch drei andere Reisende zu uns. Es war ein Mr. Harclay mit seinem Intendanten und Secretär. Er kam von Madras, und gieng als Gouverneur nach Mazulipatnam. Wider Gewohnheit der Engländer war er sehr gesprächig,[S. 162] und lud mich zum Mittagsessen ein. Er gestand mit vieler Offenherzigkeit, daß er blos, um ein Paar Plumbs[11] zusammenzubringen, nach Ostindien gekommen sey. Nach einigen Stunden brachen wir wieder auf, und ruhten dann die halbe Nacht zu Kukenpuron. Am folgenden Morgen kamen wir zu Palliacatta, und so am vierzehnten Tage zu Madras an.
Ich war bei meinem alten Freund Frank abgetreten, und lernte durch diesen einen französischen Arzt, Namens Beißer kennen, der seiner Geschicklichkeit wegen, in großem Rufe stand. Doctor Beißer besah meine Wunde, zuckte die Achseln, nahm[S. 163] einige Operationen vor, und legte einen neuen Verband an. Nur Mamias Balsam mußte ich es verdanken, wenn noch Möglichkeit zur Rettung vorhanden war. Während wir so von meinen Abentheuern sprachen, kam endlich Doctor Beißer auf meinen Namen zurück.
»Aber Haafner! Haafner!« — sagte er — »Der Name kommt mir so bekannt vor. War ihr Vater vielleicht aus Kolmar?« — Ich bejahte es. — »Und ihr Großvater Bürgermeister daselbst?« — »Ganz richtig!« — erwiederte ich — »Nun so seyn Sie mir herzlich willkommen, liebster Vetter« — rief er auf einmal zu meiner Verwunderung aus, und umarmte mich. — »Ihres Vaters Schwester war meine Schwiegermutter; ich bin ebenfalls aus dem Elsaß.« — Nun ruhte der gute Mann nicht länger; ich mußte noch denselben Tag zu ihm ziehen.
Er war von Isle de France hierher gekommen, und hatte sich durch einige glückliche Kuren, in kurzer Zeit eine sehr ansehnliche Praxis verschafft. Dies sezte ihn in den[S. 164] Stand auf einem höchst glänzenden Fuße zu leben, so daß sein Haus den reichsten Kaufmannshäusern ähnlich war. Unter seiner Aufsicht ließ sich nun meine Wunde immer besser an, und heilte endlich vollkommen zu. Auch das hatte ich also im Grunde dem lieben Mädchen zu danken, deren Ankunft ich sehnsuchtsvoll entgegensah.
Bald waren indessen vierzehn Tage vergangen, und noch immer hatte ich keine Nachricht davon. Doch endlich kam ein Juntrie, und brachte mir tausend Grüße von ihr. Ich folgte ihm außerhalb der Stadt in ein Wäldchen, wo die ganze Truppe gelagert war. Wenig Minuten und Mamia sank mit süßem Erröthen an meine Brust. — Ich erfuhr nun, daß ihre Ankunft blos durch eine Unpäßlichkeit der Daja verzögert worden war, und daß sie die Gesellschaft verlassen könnte, so bald ich es für dienlich hielt.
»Wohlan denn, liebstes Herz!« — sagte ich — »Das soll den Augenblick geschehen!« — Und so bat ich sie, mich in die Stadt zu begleiten,[S. 165] und die für sie bestimmte Wohnung zu besehen. Ich hatte ihr nämlich in einem malabarischen Hause, bei einer alten Wittwe, ein Paar artige Zimmer gemiethet, und auch für eine Aufwärterin gesorgt. So brachen wir auf; ein Juntrie trug die Sachen des lieben Mädchens, und ehe zwei Stunden vergiengen, war alles in Ordnung gebracht. Noch denselben Tag nahm ich das erste Abendessen bei dem holden Mädchen ein. — Von nun an war der Tag meinen Geschäften, der Abend meiner Liebe geweiht. Doch, ehe wir Madras verlassen, noch einige Bemerkungen über diese Stadt.
Madras, von den Eingebornen Tschinepatnam (Chinesenstadt) genannt, wird in die weiße und schwarze Stadt eingetheilt. Jene von vier bis fünf hundert Häusern, und mit einer Menge großer Magazingebäude, befindet sich in der Mitte der starkbefestigten Citadelle, Fort St. George genannt, das hart am Strande liegt. Diese, durch einen großen Plaz davon getrennt, hat ungefähr eine[S. 166] Stunde im Umfang. Die weiße Stadt ist der Siz der Regierung, auch wohnen die vornehmsten und reichsten Leute daselbst. Die schwarze Stadt wird hauptsächlich von Malabaren, Armeniern, Mestizen u. s. w. bewohnt, doch trifft man auch hier viel Engländer an.
Die englischen Häuser in der weißen, so wie die armenischen in der schwarzen Stadt, zeichnen sich durch ihren Umfang und ihre Nettigkeit aus. Sie sind von Quadern oder Backsteinen, glänzend weiß angestrichen, und mit Balkons, und platten Dächern versehen. Glasfenster findet man nirgends, wohl aber welche von Bambusfäden, auch sogenannte Jalousien; die malabarischen Häuser u. s. w. in der schwarzen Stadt sind äußerst einfach, und haben alle nur ein Erdgeschoß.
Der Boden von Madras ist dürres Sandland, wo man nur mit Mühe einige Produkte ziehen kann. Das Wasser ist schlecht. Man muß sich mit Brunnen- und Teichwasser behelfen, weil das Seewasser alle Quellen[S. 167] verdirbt. Die Rhede ist unsicher; die Schiffe befinden sich wie in offener See, zumal bei Veränderung des Moußon (Jahreszeit). Ehedem mußten daher die englischen Kriegsschiffe, vor Eintritt des Regenmonßon, immer nach Bombay abgehen, und die englischen Besitzungen auf der Küste, blieben allen feindlichen Angriffen von Trinconomale (auf Ceylon) ausgesezt. Seitdem sich aber die Engländer dieses wichtigen Punktes, so wie der ganzen reichen Insel bemächtigt haben, können sie nicht nur ihre Flotten in der Nachbarschaft überwintern lassen, sondern auch vor jedem Angriffe sicher seyn. Die englischen Einwohner von Madras leben im Allgemeinen auf einem sehr glänzenden Fuß. Der Gouverneur giebt den Ton an, und alles ahmt ihm nach, so weit es möglich ist. Dieser asiatische Pomp zeigt sich vorzüglich in einer zahlreichen Dienerschaft, in glänzenden Equipagen, in prächtigen Wohnungen, in schönen Gartenhäusern, in einer vortrefflichen Tafel und einer großen Gastfreiheit.[S. 168] Freilich sezt dies sehr ansehnliche Einkünfte voraus; allein diese fehlen auch nicht. Sowohl die höhern, als die niedern Compagniebeamten beziehen sehr hohe Gehalte, und erwerben überdem durch Handelsgeschäfte außerordentlich viel. Die eigentlichen Kaufleute, die Mäkler, die Aerzte und Wundärzte, die Advokaten u. s. w. alle häufen in kurzem ansehnliche Reichthümer auf.
Mit Anbruch des Tages, d. h. um fünf Uhr Morgens steht man auf, und fährt oder reitet spazieren bis gegen acht Uhr, wo gefrühstückt wird. Dies ist zugleich die beste Zeit, wo man jedermann zu Hause treffen, und Geschäfte machen kann. Die Büreauarbeit hat von neun bis zwei Uhr statt. Jezt wird gespeist, worauf die Siesta (Nachmittagsschlaf) folgt. Um fünf Uhr fangen die Assembleen an. Um neun Uhr wird zu Abend gegessen, was hier die Hauptmahlzeit ist. Selten pflegt man vor Mitternacht, in der Regel, erst gegen ein Uhr schlafen zu gehen.
Ein stehendes Theater giebt es nicht, doch[S. 169] finden zuweilen Vorstellungen von Liebhabern statt. Dafür werden desto mehr Pferderennen mit indischen und arabischen Pferden gehalten, wozu man die kühlen Morgenstunden wählt. Gelegenheit zu Landparthien u. s. w. giebt es mancherlei, z. B. nach dem St. Thomasberge, wo noch ein portugiesisches Kloster ist, nach Emnore, wo man das Seebad brauchen kann, nach Meliapar, wo sehr viel artige Landhäuser sind, und dergleichen mehr.
Eines der angenehmsten Ereignisse für Madras ist die Ankunft eines Indiaman, oder großen Compagnieschiffes, wovon die meisten auf vier und dreißig Canonen gebohrt sind. Dann ist alles voll Leben und Thätigkeit, und überall werden die neu angelangten Waaren zum Verkaufe ausgestellt. Die Beamten der Compagnie haben dabei den Vortheil, daß ihnen Tuch und Maderawein für den Facturenpreis überlassen werden muß. Sehr angenehm ist auch die Ankunft der großen Chinafahrer auf ihrer Rückreise nach England. Sie bringen die schönsten[S. 170] Seidenzeuge, Nankins, Frauenzimmerschuhe, Porcellanwaaren, Gemälde, Fächer, Spielsachen u. s. w. mit.
Ich kehre zu meiner Geschichte zurück. Meine Verhältnisse erlaubten mir, meiner Neigung zum Landleben zu folgen, und mich von allen Geschäften völlig zurückzuziehen. Allein um dieses ausführen zu können, mußte ich durchaus noch eine Reise nach Pondichery machen, wo ich in weitläuftigen Verbindungen stand. Theils der Ersparniß, theils der Schnelligkeit wegen, beschloß ich diesmal zu Wasser zu gehen, und brachte den Abend vor der Abreise, wie gewöhnlich bei Mamia zu.
Sie war mit meinen Angelegenheiten bekannt; sie wußte wie nothwendig diese Reise war. Kaum hörte sie mich aber vom Schiffe[S. 171] sprechen, als sie zu weinen anfieng. Sie fürchtete das Meer, sie bat mich aufs zärtlichste, zu Lande zu gehen. Allein es ließ sich nun nicht ändern, ich suchte sie daher zu beruhigen, und verließ sie endlich nach Mitternacht. Jezt nach einigen Stunden Ruhe begab ich mich an den Strand, um mit einer Chialeng (Ruderboot) nach dem Schiffe zu fahren, das bereits auf der äußeren Rhede lag.
Indem ich mich der Chialeng näherte, erblickte ich zwei Frauenzimmer dabei, und erkannte sie bald für Mamia und ihre Begleiterin. — »Herz meines Herzens!« — sagte sie — »Ich mußte dich noch einmal sehen! Ich wollte dich um Erlaubniß bitten, dich auf das Schiff zu begleiten; es ist mir, als würde ich dann ruhiger seyn!« —
Vergebens suchte ich ihr dies auszureden, besonders der ungewöhnlich hohen Brandung wegen; sie bat nun noch dringender darum — »Gerade deswegen!« — fuhr sie fort — »Wenn dir ein Unglück begegnet, bin ich[S. 172] wenigstens bei dir!« — So willigte ich endlich ein, um ihr nicht wehe zu thun.
Allein, wie groß war mein Erstaunen, als ich die Chialeng fast ganz mit Waarenballen angefüllt sah. — »Was ist das?« — fragte ich unwillig — »Ist das unserm gestrigen Accorde gemäß?« — Der arme Tandel (Steuermann) erzählte mir nun, daß die Chialeng von dem Hafenmeister gepreßt worden sey. Wirklich trat auch in dem Augenblick ein Seecadet auf uns zu, und befahl ihm ungestüm in See zu gehen.
Ich fühlte, daß gegen Gewalt nichts auszurichten war, und schränkte mich daher blos auf Vorstellungen ein. — »Die Brandung geht zu hoch! Es ist unmöglich, daß die schwere Chialeng hinüber kommt.« — Der arme Tandel bestätigte es — »Gott ist groß!« — sezte er bedeutend hinzu — Allein vergebens, der junge tollkühne Midshipmann bestand darauf.
Was sollte ich thun? Alle meine Papiere befanden sich bereits an Bord. Wenn ich[S. 173] das Schiff absegeln ließ, war ich völlig ruinirt. Noch stand ich unschlüßig, als Mamia beherzt in die Chialeng sprang, und so alles entschied. Wir waren nun nebst den sechs Ruderern vier Passagiere zusammen, indem außer dem Seecadet, noch eine alte Mestize dazu gekommen war.
Allein kaum hatten wir uns einige Klaftern vom Ufer entfernt, als die Chialeng kaum eine Hand breit Bord behielt. Ich winkte daher meinem Dobasch (Bedienten) der am Ufer stand, uns ein Paar Kattamarans (kleine Flöße) nachzuschicken, was auch sofort bewerkstelligt ward. Indessen wälzte sich bereits die erste Woge mit donnerndem Getöse gegen die Chialeng. Der Tandel that sein möglichstes derselben auszuweichen; dennoch stürzte sie zum Theil auf uns herab, und die Chialeng sank bis auf einige Zoll ins Wasser. Jeder Augenblick war kostbar — »Komm, Mamia!« — rief ich, und sprang mit ihr Hand in Hand über Bord. — Indem brach die Brandung wie[S. 174] ein niederschmetterndes Gewölbe über mich her. Als ich wieder empor kam, war die Chialeng verschwunden, und Mamia befand sich dicht hinter mir. Muthig schwammen wir nunmehr dem Ufer zu, das ungefähr nur noch hundert Schritte von uns entfernt war.
Plözlich fühlte ich mich in die Tiefe gezogen, und erblickte mit Entsetzen die alte Mestize, die sich an meinen Kleidern festhielt. Vergebens suchte ich mich loszureißen; sie hatte mich im Todeskampfe gefaßt. — »O Mamia!« — rief ich — »Ich bin verloren! Rette dich!« — »Nein!« — erwiederte sie — »Ich verlasse dich nicht.« — In diesem Augenblicke stürzte die lezte Brandung über uns her, und ich verlor das Bewußtseyn.
Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich am Strande, von einer Menge Menschen umringt, in einem Palankin. Ich erblickte meinen Dobasch, und fragte nach Mamia. — »Sie ist gerettet, lieber Herr!« — erwiederte er. — Freudig hieß ich ihn nach dem Schiffe fahren, um meine Sachen zu[S. 175] holen, und ward so glücklich nach Hause gebracht. Bald kam mein Dobasch mit den Coffres zurück. Jezt erfuhr ich, wie alles zugegangen war. Mamia hatte mich mit unsäglicher Anstrengung emporgehalten, bis uns der eine Kattamaran zu Hülfe kam. Indem wir so sprachen, flog sie mit einem lauten Schrei in meine Arme, und drückte mich aufs innigste an sich. Zu ihrer großen Freude beschloß ich nun zu Lande zu gehen.
Alle Anstalten waren gemacht; Mamia lag zum leztenmale an meiner Brust. — »Ach!« — sagte sie weinend — »Ach Freund meiner Seele, komm so bald als möglich zurück, wenn ich dich noch einmal sehen soll!« — »Hier, hier schmerzt es« — indem sie die Hand an ihr Herz legte — »Ich fürchte, du findest mich todt!« — Es war ein wehmüthiger Abschied. — Nach einem langen, heißen Kuße riß ich mich endlich los.
[S. 176]
Es war gerade drei Uhr Nachmittags; langsam zogen wir durch den Schattengang, der von Madras nach St. Thomas (indisch Maliapur) führt. Hinter diesem Dorfe fingen die Verwüstungen des lezten Krieges an, alles war daher mit Ruinen bedeckt. Zum Glück hatten wir uns hinlänglich mit Lebensmitteln versehen.
Am dritten Tage kamen wir durch das Thal Maweliewarom, das seiner wunderbaren Ruinen wegen berühmt ist. Man sieht hier nämlich eine Reihe von Tempeln, Piramiden, Chauderies, Gewölben u. s. w., die sämmtlich aus einem Stücke in den Felsen gehauen sind. Mit Ehrfurcht betrachtet man diese Ueberreste einer eben so kühnen, als romantischen Architektur, aus den ersten Jahrtausenden der Welt.
Am merkwürdigsten sind sieben Tempel, die sich in gerader Linie, einer hinter den[S. 177] andern, vom Strande aus, über eine Meile weit, ins Meer hinausziehen. Der erste steht beinahe noch ganz auf dem Lande, das Wasser steigt nur bei sehr hohen Fluthen hinein. Die vier folgenden ragen immer weniger, die zwei lezten fast gar nicht aus dem Meere empor.
Noch weiter in den See hinaus, erblickt man eine Menge ähnlicher Ruinen, die bei hohem Wasser sehr gefährlich sind. Die sieben Pagoden von Maweliewarom, pflegen daher auf allen Seekarten bemerkt zu seyn.
Alle diese ungeheuren Gebäude hält man für die Ueberreste einer der ältesten und größesten Städte von Indien, deren Geschichte indessen in tiefer Nacht verborgen liegt. Blos ein berühmtes indisches Heldengedicht (Mahebaroth) erwähnt des mächtigen Königs Joudishter, der daselbst residirt haben soll. Wie dem indessen auch seyn mag; die Aufführung solcher Massen beweißt einen hohen Grad artistisch-scientifischer Cultur. Das Ganze muß übrigens von unermeßlichem Umfange gewesen[S. 178] seyn, da nicht nur das Thal, sondern auch ein so beträchtlicher, jezt vom Meere verschlungener, Küstenstrich damit bedeckt war. Mitten unter diesen Denkmälern längstverschwundener Generationen, findet man ein kleines, meistens von Braminen bewohntes Dorf, an dessen Eingange die Chauderie steht.
Indessen pflegen nur wenig Reisende hier zu übernachten, weil alles mit Tigern, Schakals u. s. w. angefüllt ist. Da wir uns aber zu lange aufgehalten hatten, schien es noch weniger räthlich, in der Dämmerung weiter zu gehen. Wir beschlossen daher, vor der Chauderie ein großes Feuer anzuzünden, und wechselweis dabei Wache zu halten, wo mich dann nach dem Abendessen die erste Wache traf.
Es war fast Mitternacht, der Mond gieng hinter den waldigen Gebirgen unter, und goß sein schwindendes Licht auf die gigantischen Ruinen einer Pagode herab. Bald lag nun alles in Dunkelheit; kein Lüftchen wehte; kein Blättchen rauschte; selbst das Heulen der Schakals hatte aufgehört. Da starrte[S. 179] ich hinaus in die schwarze Nacht, und auf das einsame Thal, wie auf das Grab einer entschlafenen Welt. O Menschenleben! O Menschengröße! Augenblicke — Jahrtausende! — Ein Tropfen aus dem Ocean der Ewigkeit.
Am sechsten Tage kam ich durch lauter verwüstete Gegenden in Pondichery an, und fand in dem deshalb bezeichneten Wirthshause bereits einen Brief von Mamia, der den Tag nach meiner Abreise abgegangen[12] war. Sie schrieb mir in den zärtlichsten Ausdrücken, und hoffte mich unverzüglich wieder zu sehen. Ihre Brustbeschwerden schienen zuzunehmen, doch war sie im übrigen vollkommen[S. 180] wohl. Ich selbst ward aber leider nunmehr von einem Fieber befallen, das mich nun alle Tage im Bette hielt. Unterdessen hatte ich dem lieben Mädchen geantwortet, und ihr versprochen, in zehn, zwölf Tagen wieder in Madras zu seyn.
Schon stand ich jezt im Begriffe, meine Rückreise anzutreten, als ich von meinem Dobasch einen Brief mit der Nachricht erhielt, daß Mamia plözlich verschwunden sey. Ein Gunekare (Wahrsager) hatte ihr einige Tage vorher, ihren Horoscop gestellt, und ihr die nahe Trennung von ihrem Geliebten vorhergesagt. Seit diesem Augenblick hatte sie unaufhörlich geweint, und ihre Brustschmerzen dadurch vermehrt. In ihrem Zimmer war jedoch nicht die mindeste Anzeige von einer Reise zu finden; im Gegentheile waren Juwelen, Kleider u. s. w. in der besten Ordnung. Ich gestehe es, ich erschrack über diese Nachricht so sehr, daß ich mich kaum zu fassen im Stande war.
So hatte ich einige Tage in großer Unruhe[S. 181] zugebracht, als eines Abends ein Malabar bei mir erschien, der gerade von Omur kam. Er brachte mir Nachrichten von Mamia; sie war krank, und befand sich in dem Hause seiner Mutter, die ebenfalls von der Caste der Tänzerinnen war. — »Wie?« — rief ich mit wehmüthiger Freude aus: — »Krank, und zu Omur?« — »Ja Herr!« — erwiederte der Juntrie, und erzählte mir den Zusammenhang. Mamia kam wirklich von Madras, und wollte nach Pondichery. Sie hatte diese Reise so eilig angetreten, daß sie nun gefährlich darnieder lag. Die Daja hatte den Juntrie auf ihr ausdrückliches Verlangen abgeschickt: — »Sie wünsche mich vor ihrem Tode nur noch einmal zu sehen.«
Man denke sich meine Empfindungen. — Soviel Liebe, soviel Anhänglichkeit! Und ich sollte sie verlieren, die mein Alles war! — Schnell ließ ich einen Palankin kommen, reiste die ganze Nacht, und kam schon Morgens um sieben Uhr zu Omur an. Da stand ich nun mit klopfendem Herzen vor dem kleinen[S. 182] malabarischen Häuschen, das meine geliebte Freundin verbarg, während der Juntrie hineingegangen war, und der Daja von meiner Ankunft Nachricht gab.
Die gute alte Frau erschien, und erzählte mit thränenden Augen, wie alles zugegangen war. Mamia hatte seit meiner Abreise keinen ruhigen Augenblick gehabt. Nichts war im Stande gewesen, sie von der Reise nach Pondichery abzubringen; sie wollte, sie mußte mich noch einmal sehen. Aber am fünften Tage hatte sie ein heftiges Fieber bekommen, und war halbtodt in Omur angelangt.
Der Juntrie kam uns jezt zu sagen, daß Mamia aufgewacht sey. Die Daja gieng hinein, sie auf meine Ankunft vorzubereiten; ich hörte meinen Namen nennen, und folgte ihr auf dem Fuße nach. Mamia lag auf einer Matte ausgestreckt. Ihr himmlisches Gesicht war todtenbleich; ihr ganzes Ansehen zeigte die höchste Erschöpfung an. Aber kaum ward sie mich gewahr, so richtete sie sich auf, und breitete ihre Arme nach mir aus. — »Ach[S. 183] mein bester Freund!« — rief sie mit heißen Thränen — »Wie bist du so gut! — Nun will ich gern sterben, habe ich dich doch noch einmal gesehen!« —
Ich suchte sie zu trösten, aber vergebens — »Ach Gott!« — fuhr sie fort — »Nein! Für mich ist keine Hülfe mehr, ich fühle es nur zu gut! Mein Schmerz ist tödlich; meine Augenblicke sind gezählt! Geliebtester! Ich habe nur noch eine Bitte an dich!« —
»Und was soll ich für dich thun, o Einzige meines Lebens« — sagte ich. —
»Du bist mir Alles! Ich habe keinen Freund als dich! Zünde du meinen Scheiterhaufen an!« —
Ich versprach es ihr — Sie legte ihr Haupt an meine Brust, und hob ihre brechenden Augen noch einmal voll Zärtlichkeit zu mir empor. — »Leb wohl, Geliebtester! — Leb ewig wohl!« — Dies waren ihre lezten Worte, und so entschlummerte sie.
Nichts von meinen Empfindungen; einen solchen Schmerz hatte ich noch nie gefühlt.[S. 184] Das holde theure Mädchen war das Opfer ihrer Zärtlichkeit. Erst seit jenem schrecklichen Tage, wo sie mich rettete, hatte sie über Brustbeschwerden geklagt.
»Theure, geliebte Seele!« — rief ich mit heißen Thränen — »Ach! Ohne dich ist das Leben nur eine Marter für mich!« — Traurig vergieng der Tag; die Braminen richteten alles zum feierlichsten Begräbnisse ein. — Zum leztenmal sah ich das himmlische Gesicht — die Flamme loderte auf — der unsterbliche Theil meiner Geliebten stieg zu Brama empor. — Lebt wohl, ihr Gestade Ostindiens! — Ich kehrte nach Pondichery, und bald darauf nach Europa zurück!
[S. 185]
[S. 186]
Quelle.
Voyage aux Indes Orientales etc. par Ch. Franc. Tombe. Paris VI. Vol. 8. 1810.
[S. 187]
Ich war Ingenieur-Capitain, und hatte seit 1796 bei der Nord- und Rheinarmee alle Feldzüge mitgemacht. Allein nach dem Frieden von Amiens (1802) ward ich auf Pension gesezt, was für mich, als Familienvater, sehr traurig war. Ich suchte nun irgend eine passende Stelle zu erhalten, meine Bemühungen hatten jedoch keinen Erfolg. Endlich ward ich mit einem Kaufmanne aus Isle de France bekannt, der daselbst ansehnliche Plantagen besaß. Er that mir den Vorschlag, ihn dahin zu begleiten, versprach mich als Supercargo nach Ostindien zu senden, und bestimmte mich ohne viel Mühe zur Annahme seines Antrags. Ich erbat, und erhielt hierauf den nöthigen unbestimmten Urlaub, wieß meiner[S. 188] Familie inzwischen meine Pension an, und schiffte mich endlich am 24. September 1802 mit meinem neuen Freunde, nach unserer Bestimmung ein.
Unsere Ueberfahrt bis nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung bot wenig Merkwürdiges dar. Wir waren neun und dreißig Passagiere, worunter fünfzehn Frauen, an Bord, so daß es gar sehr an Bequemlichkeit gebrach. Am 25. December Vormittags um 4 Uhr, erreichten wir das Cap, wo noch die englische Flagge wehte, aber auch eine holländische Flotte vor Anker lag. Wie gewöhnlich, kamen sofort zwei Gesundheitsbeamten u. s. w. zu uns, ließen uns sämmtlich die Musterung passiren, und erlaubten uns, nach einer kurzen Berathschlagung ans Land zu gehen. Wir hörten jezt, daß der englische Gouverneur, General Dundas, das Cap an die Holländer zurückzugeben im Begriffe war.
Was ich über die Capstadt sagen könnte, ist bekannt; überdem war mein Aufenthalt äußerst kurz. Die Uebergabe war auf den[S. 189] 1. Jan. 1803 festgesezt, die Einwohner bereiteten eine Menge Feierlichkeiten vor. Plözlich am 31. December Nachmittags kam eine englische Corvette an. Sie hatte die Reise von Plymouth in neun und fünfzig Tagen gemacht, und brachte wichtige Depeschen an den General Dundas mit. Er erhielt nämlich Befehl, die Uebergabe aufzuschieben, wenn es noch irgend möglich sey. Schon waren fünfzehnhundert Mann von den englischen Truppen eingeschifft, und sollten in einigen Tagen nach Ostindien unter Segel gehen. Vier und zwanzig Stunden später, und Alles hätte eine andere Gestalt gehabt! So aber wurden die Truppen wieder ausgeschifft, die Posten verdoppelt, und die Holländer in die Caserne gesperrt. Die Bestürzung der Einwohner war unbeschreiblich.
Bald darauf verbreitete sich das Gerücht vom nahen Ausbruche eines neuen Krieges, und einem provisorischen Embargo. In diesem Falle wartete unserer förmliche Kriegsgefangenschaft. Zum Glück ward indessen[S. 190] dem Capitain abzusegeln erlaubt. Wir begaben uns daher noch denselben Abend wieder an Bord. Endlich am 2. Januar kamen wir glücklich in See, und am 6. Februar liefen wir in Port Louis, auf Isle de France ein. So hatten wir die ganze Reise in fünftehalb Monaten gemacht.
Während dieser Zeit war mir mein neuer angeblicher Freund bereits nicht wenig verdächtig geworden, aus Gründen, die ich eher andeuten, als sagen kann. Wirklich fand ich mich auch bei meiner Ankunft auf Isle de France sehr bitter getäuscht; jedermann rieth mir von dieser Verbindung ab. Ich trennte mich daher augenblicklich von ihm, und dachte auf eine Unternehmung auf eigene Hand. Ein Pariser Freund hatte mir mehrere Wechsel auf hiesige Häuser anvertraut. Ich beschloß Waaren dafür einzukaufen, und damit nach Pondichery zu gehen. Allein die Schuldner waren nicht zahlungsfähig; man denke sich daher meine Verlegenheit. Noch war ich dem Capitain achtzehnhundert Livres für[S. 191] meine Ueberfahrt schuldig, und hatte keinen Sol zu meinem Unterhalt. Das einzige, worauf ich hoffen konnte, war eine Anstellung in Pondichery, zu dessen Besizergreifung Admiral Linois eben abgegangen war. Unterdessen nahm ich eine Hofmeisterstelle in einem Hause an, wo ich die liberalste Behandlung fand.
So waren an sechstehalb Monate vergangen, als mein Schicksal plözlich eine andere Wendung bekam. Am 17. August Morgens lief nämlich die französische Fregatte la belle Poule, Capitain Bouillac, hier ein. Sie gehörte zur Division des Admirals Linois, und überbrachte die Nachricht, daß die Uebergabe von Pondichery verweigert worden sey. Da dies den nahen Ausbruch eines neuen Krieges anzudeuten schien, ward sofort auf den Batterien Alles in Vertheidigungsstand gesezt. Nachmittags um zwei Uhr ankerte der Admiral selbst mit seiner ganzen Division. Wenig Tage nach seiner Ankunft auf der Rhede von Pondichery hatte er nämlich Depeschen[S. 192] aus Frankreich erhalten, mit dem Befehle, sogleich nach Isle de France unter Segel zu gehen. Dem zu Folge hatte er in der Nacht die Anker gekappt. Am Bord des Admiralschiffes, befand sich der nach Pondichery bestimmte Generalgouverneur Decaen, und der Colonialpräfect Leger, dessen Familie zu Pondichery zurückgeblieben war. Niemand zweifelte mehr am Kriege; doch wußte Niemand etwas Gewisses davon. Endlich am 28. August kam der Cutter le Berceau, Capitain Holgan von l'Orient an, und brachte die officielle Bestätigung mit. Zugleich war der General Decaen zum Generalgouverneur aller französischen Besitzungen, östlich vom Cap, folglich auch von Isle de France ernannt. Durch ihn, der sich meiner wohl erinnerte, ward ich wieder bei dem Ingenieurcorps angestellt. Dabei erhielt ich den Befehl, mich zu einer geheimen Expedition bereit zu halten, die eben im Werke war.
[S. 193]
Am 9. October bekam ich Befehl mich einzuschiffen, und zwar an Bord der Corvette Le Berceau, Capitain Helgan. Die Expedition bestand aus dem Marengo von 80 Kanonen und einigen Fregatten, sämmtlich unter dem Commando des Admirals Linois. An Landtruppen hatten wir ein Bataillon bei uns; der Ort unserer Bestimmung indessen war noch ungewiß. Unterdessen kamen wir glücklich in See. Hier öffneten die Commandanten ihre versiegelten Befehle, und nun ward alles bekannt. Der Admiral sollte eine Zeitlang in den indischen Gewässern kreuzen, die englische Faktorei auf Sumatra zerstören, und dann nach Batavia gehen. Hier sollten die Truppen, dem Verlangen der Holländer gemäß, als Hülfstruppen bleiben, wie es schon einmal der Fall gewesen war.
Unser Kreuzzug war indessen, wie es meistens zu gehen pflegt, einförmig genug.[S. 194] Wir verloren ein Paar Matrosen; wir hatten einige Windstöße auszuhalten; wir machten mehrere zum Theil sehr reiche Prisen, und dergleichen mehr. Am 1. December bekamen wir die Insel Sumatra zu Gesicht; am 2. näherten wir uns der Bay von Bencoule, am 3. in der Nacht griffen wir die daselbst befindliche Schiffe an. Drei wurden genommen, die übrigen fünf verbrannt. Zugleich wurden sämmtliche Magazine der Faktorei zerstört. Am meisten schien uns zu statten zu kommen, daß man überrascht ward, und uns anfangs selbst für Landsleute hielt.
Am 12. December Morgens näherten wir uns der Rhede von Batavia, und wurden von dem kleinen Fort auf der Insel Onruß, wo sich die Kompagniewerfte befinden, sehr feierlich begrüßt. Indessen machten die Schiffe auf der Rhede eilige Anstalten unter Segel zu gehn. Wahrscheinlich sahen sie uns für Engländer an, denn ihre Bewegungen verriethen Aengstlichkeit. Um sie zu beruhigen, schickte der Admiral unsere Corvette[S. 195] ab. Wir sezten zu diesem Ende Segel auf Segel bei, und so war in kurzem die Wachtfregatte erreicht. Nachdem wir diese unterrichtet hatten, machte sie einige Signale, und alle Schiffe zogen ihre Flaggen auf. Bald war die Ruhe wieder hergestellt, und die ganze Division konnte vor Anker gehn.
Wir Offiziere hofften schon den Nachmittag an's Land zu kommen, sahen uns aber sehr unangenehm getäuscht. Die holländischen Behörden fanden die Forderungen unseres Kommandanten übertrieben, wollten nichts von überzählichen Offizieren wissen, und machten Schwierigkeiten aller Art. Es zeigte sich nachher, daß dies alles von dem holländischen Oberkommandanten, dem Brigadier Sandoley, einem Schweizer, herkam, der das ganze Vertrauen des Generalgouverneurs Syberg besaß, und ein geschworner Feind der Franzosen war. Auf diese Art vergiengen acht Tage, ehe eine Uebereinkunft wegen des Soldes, der Verpflegung u. s. w. zu Stande kam. In Folge derselben wurden[S. 196] wir endlich ausgeschifft, worauf ich meinen Dienst als wirklicher Ingenieur-Capitain antrat.
Die Lage von Batavia ist bekannt. Eben so weiß jedermann, daß es eine der größten und reichsten Städte in ganz Asien, und der Mittelpunkt aller holländisch-ostindischen Besitzungen ist. Endlich giebt es von der regelmäßigen Bauart, den Kanälen, Alleen, Spaziergängen u. s. w. Beschreibungen in Ueberfluß. Ich füge daher nur einige, weniger bekannte Bemerkungen hinzu. Das Clima von Batavia ist an und für sich selbst nicht ungesund, es wird nur bei der Lage und den Umgebungen der Stadt so mörderisch. Die vielen Canäle mit stehenden Wasser, worein man allen Unrath wirft, der morastige Boden, endlich die große Moderbank vor der Mündung des Jacatra[13], sind die vornehmsten Ursachen davon. Die kleinste Unordnung in der Diät, die kleinste Erkältung[S. 197] u. dgl. zieht meistens ein tödtliches Fieber nach sich, der Kranke legt sich, verliert nach fünf bis sechs Stunden die Besinnung, und ist nach andern sechs Stunden todt.
Wahr bleibt indessen, daß man bei einer ungeschwächten Constitution weit weniger zu fürchten hat, sobald man nur mäßig und vorsichtig ist. Würden übrigens die Kanäle gereinigt, die Moräste ausgetrocknet, und die Moderbänke weggeschafft, so würde Batavia ein ganz gesunder Aufenthalt seyn. Doch, wie es scheint, ist hier holländische Politik im Spiel. Man wünscht selbst keine Verbesserung. Jene Moräste und Moderbänke geben nämlich eine natürliche Vertheidigungslinie ab. Eben so zwingt jene Ungesundheit alle Blokadeflotten zulezt zum Abzug. Endlich hält die Furcht vor dem mörderischen Clima, eine Menge Handelsnebenbuhler von der Niederlassung ab.
Die Bevölkerung von Batavia wird auf 160,000 Seelen geschäzt. Hierunter sind 100,000 Chinesen, die in den Vorstädten[S. 198] wohnen, während der Rest aus Armeniern, Arabern, Persern und Europäern besteht. Die leztern, zwölf bis fünfzehnhundert zusammen, sind theils Kaufleute, theils Beamte der Compagnie. Sie leben fast alle auf ihren Landhäusern, eine bis anderthalb Stunden von Batavia, und kommen in der Regel nur Morgens in die Stadt. Alle Geschäfte werden daher gewöhnlich Vormittags von sieben bis acht Uhr abgemacht. Nichts fällt anfangs dem Fremden so sehr auf, als die Gleichgültigkeit, womit man von jenen plözlichen Todesfällen spricht. — »Mynheer, Mevrouv is overleden« — der Herr, die Frau ist gestorben — heißt es, als hätten sie eine Spazierfahrt gemacht. Jeder Europäer hält übrigens immer sein Testament bereit.
Der Handel von Batavia ist sehr bedeutend, so drückend auch für die Fremden seine Eigenheiten sind. Batavia ist nämlich als die Hauptniederlage aller Gewürze von den Molucken, und aller Produkte von Java[S. 199] (Reis, Zucker, Caffee, Pfeffer u. s. w.) anzusehen. Es kommen daher aus allen Theilen Ostindiens, so wie aus China, Amerika, Afrika, Isle de France und Europa, Schiffe hier an. Sie führen die Produkte ihrer Länder ein, und dagegen hiesige aus. Diese Geschäfte werden aber auf folgende für Fremde höchst beschwerliche Weise abgemacht. Es ist ein Schabendar, oder General-Handels-Agent vorhanden, der für alle Nationen den einzigen Mäkler abgiebt. An diesen wenden sich die Capitains und Supercargo's, und theilen ihm ihre Ladungslisten mit. Er wählt davon, was der Compagnie anständig ist, besonders Artikel des Alleinhandels[14] und bietet dagegen andere an. Beide Theile dingen nun mit einander, und schließen nach gemachter Berechnung ab. Dabei muß aber fast jeder Capitain immer ein Drittheil oder Viertheil des Werthes in Gewürzen nehmen, auch wenn es ihm eben nicht anständig[S. 200] ist. Erst dann erhält er die Erlaubniß, den Rest der Ladung an andere Kaufleute abzugeben, was durch öffentlichen Anschlag bekannt gemacht wird. In keinem Falle ist ihm aber die Ausfuhr von baarem Gelde erlaubt. Er muß vielmehr alles in Waaren, oder Barren umsetzen, wenn er es nicht verlieren will. Die Chinesen, die den Zoll gepachtet haben, durchsuchen daher alle abgehende Schiffe mit unglaublicher Genauigkeit.
Man hat häufig behauptet, daß Batavia äußerst leicht zu nehmen sey. Ich kann jedoch versichern, daß diese Meinung ganz irrig ist. Einmal sind die Festungswerke nichts weniger als schlecht; auch wird die Stadt, so wie die Mündung des Jacatra durch eine gute Citadelle gedeckt. Denn ist die ganze Küste mit starken Batterien versehen, und die Besatzung nicht schwächer als fünftausend Mann. Mögen darunter auch immer viel Kranke, viel Feige, viel Unzufriedene seyn; die Localität[S. 201] bietet dem Feinde doch stets sehr große Hindernisse dar.
Er wird die Rhede blokiren; er wird die vorhandenen Schiffe auf den Strand jagen, und vielleicht verbrennen; aber Batavia selbst wegnehmen, das wird er ohne geheime Verständnisse sicher nicht. Aber auch das schlimmste angenommen; er machte sich durch einen Ueberfall u. s. w. wirklich Meister davon. Was würde geschehen? Der Generalgouverneur u. s. w. würde sich nach Samarang (auf der Nordküste) begeben; er würde bei den inländischen Prinzen, die den Holländern keinesweges abgeneigt sind, alle nur mögliche Unterstützung finden; er würde in kurzem eine Armee von 25 bis 30,000 Mann zusammenziehen. Unterdessen hätte es der Feind in Batavia, mit einer ungeheuren, ohnehin höchst unruhigen Volksmenge zu thun. Man brauchte der Stadt nur die Zufuhren abzuschneiden, und der Aufstand der hunderttausend Chinesen, die alle Handwerker, Krämer, Gärtner u. s. w. sind, wäre gewiß.[S. 202] Alles dies wird beweisen, daß Batavia weder leicht zu erobern, noch leicht zu behaupten ist.
Bei den Chinesen fällt mir noch eine artige Bemerkung ein, womit ich dieses Capitel schließen will. Man weiß, wie sehr die wohlhabenderen unter ihnen auf lange Nägel und Zöpfe halten, weil sie ein Zeichen des Ansehens und Reichthums sind. Die holländische Regierung hat dieses nicht unbeachtet gelassen, und auf beides eine ansehnliche Abgabe gelegt. Je länger sie ein Chinese tragen will, desto mehr zahlt er davon. Es ist ein ordentlicher Tarif darüber vorhanden, auch finden von Zeit zu Zeit die nöthigen Messungen statt. Man muß gestehen, daß solche Abgaben die allerbilligsten sind.
So hatte ich ungefähr fünf Monate in Batavia zugebracht, als ich bei einer beschwerlichen[S. 203] trigonometrischen Arbeit krank ward. Zum Glück fiel ich in die Hände eines geschickten deutschen Arztes, des Doctors Raspe aus dem Preußischen, und wurde in kurzem wieder hergestellt. Indessen benutzte ich diesen Umstand, um bei dem General Decaen um meine Zurückberufung anzuhalten, erreichte meinen Zweck, und wartete nun mit Sehnsucht auf Schiffsgelegenheit.
Diese fand sich endlich in der Brigg »le petite Alphonse« Capitain Souriac, die von Isle de France mit Wein und Hüten gekommen, und jezt dahin zurückzukehren im Begriffe war. Der Abrede gemäß, begab ich mich am 14. December 1804 an Bord, und fand noch drei andere Passagiers. Leider aber waren von unsern vierzehn Matrosen kaum drei gesund. Nun ist zwar wahr, daß man die Ueberfahrt in dreißig bis fünf und dreißig Tagen machen kann, ohne daß der beständigen Ostwinde wegen, viel Schiffsarbeit dabei nöthig ist. Demungeachtet hätten wir auf alle Fälle wenigstens[S. 204] noch sechs bis 8 Matrosen gebraucht. Dieser Mangel zeigte sich gleich anfangs, als es am 15. December Nachmittags in See gieng. Wir sämmtliche Passagiere mußten die Anker mit aufwinden helfen, denn die meisten Matrosen waren zu schwach dazu.
Schon in der ersten Nacht kamen wir durch den Eigensinn des wenig erfahrnen Capitains in große Gefahr. Wir trieben nämlich auf eine der vielen kleinen Inseln, so daß das Hintertheil des Schiffes kaum zwei Fuß weit von den zackigten Felsen abstand. Der Capitain gebehrdete sich wie ein Verzweifelter, und schrie nach dem Boot. Zum Glück erhob sich aber plözlich ein leichter Landwind, so das Schiff wieder abgebracht ward. Wir mußten hierauf zwei Tage laviren, und legten in dieser kurzen Zeit keine drei Seemeilen zurück.
Noch nicht genug; troz seinen schönen Versprechungen hatte sich auch der Capitain nur äußerst spärlich mit Vorräthen versehen. Vergebens drangen wir in ihn, doch nach Batavia[S. 205] zurückzukehren; er fürchtete zu viel Demüthigungen für seine Eitelkeit. Hartnäckig bestand er daher darauf, im Gressec, oder Surabaye (an der Nordküste von Java) einzulaufen, wo er Matrosen und Vorräthe zu besorgen versprach. So steuerten wir also bis zum 24. December fort. Endlich befanden wir uns ungefähr zwei Seemeile von der Spitze von Banka, durch welche der Eingang in die Meerenge von Madure bezeichnet wird. Der Capitain beschloß, hier einige Zeit vor Anker zu gehen, um einen der Lootsen zu erwarten, die hier immer vorhanden sind. Da aber keiner davon sichtbar wurde, glaubte er sich noch wenigstens zehn Seemeilen vom Eingange der Meerenge entfernt. Er ließ daher die Anker lichten, und steuerte westwärts. Bald aber ward das Schiff von der heftigen Strömung gegen die Bank von Madure getrieben, so daß die Gefahr mit jedem Augenblicke stieg.
Man hatte uns am vorigen Tage allerdings bei dem Posten von Banka gesehen.[S. 206] Allein die See gieng gar zu hoch; uns zu Hülfe zu kommen, war eine Unmöglichkeit. Wir erfuhren dies von dem Lootsen selbst, der jezt in einer großen Pirogue zu uns kam. Zehn Stunden lang wendete er alles mögliche zu unserer Rettung an. Doch da Wind und Strömung gleich heftig waren, blieb ihm nichts übrig, als uns zu verlassen, und nach Banka zurückzugehen. Wir wurden von nun an, unserer neun zusammen, täglich auf ein Huhn, und jeder für sich, auf einen Zwieback, zwei Tassen Caffe, und ein Glas Wasser eingeschränkt. Erst am 1. Januar 1805 gelang es uns aus der Straße von Baly herauszukommen, worauf längs der Küste fortgesteuert ward.
Um fünf Uhr Nachmittags befanden wir uns einem holländischen Posten gegen über, der mit schönen Pflanzungen bedeckt zu seyn schien. Sobald uns der Commandant ansichtig ward, schickte er eine Pirogue ab, ließ uns Erfrischungen anbieten, und lud uns ein, vor Anker zu gehen. Leider konnten wir[S. 207] aber diese Erlaubniß nicht benutzen, indem selbst unser lezter Anker verloren gegangen war. Am folgenden Morgen befanden wie uns auf der Höhe von Balambouang. Jezt bekamen wir Stille, dann höchst veränderlichen Wind, endlich einen entsezlichen Sturm aus Nordwest. Wir verloren Segel und Masten, und trieben noch wenig Stunden, wie ein Wrack herum. Die Pumpen thaten fast keine Dienste mehr. Dabei waren wir täglich auf ein kleines Glas stinkendes Wasser, und etwas Reis beschränkt. Endlich beschloß der Capitain, die Ladung anzugreifen, die aus Zucker bestand. Er ließ daher ein Faß in die Cajüte bringen, wovon jeder nach Belieben nahm.
In den zwei folgenden Tagen hatten wir unterdessen einen Nothmast, und einige Nothsegel zu Stande gebracht. Auf diese Art hofften wir Timor zu erreichen, wo eine holländische Factorei befindlich ist. Allein vom dritten Februar an, trieb uns ein zweiter Sturm wieder rückwärts, so daß wir schon am sechsten[S. 208] die Spitze von Baly sahen. Am 7. Morgens um fünf Uhr erblickten wir ein großes dreimastiges Schiff, das aus der Meerenge heraus zu kommen schien. Wir hielten es für ein holländisches, oder amerikanisches, und wirklich zog es auch die leztere Flagge auf. Kaum hatte es sich aber etwas genähert, so öffnete es seine Stückpforten, zeigte englische Flagge, und kam mit vollen Segeln auf uns zu.
Jezt sahen wir nur zu deutlich, daß es ein großer englischer Caper war. Augenblicklich warf ich meine Depeschen und Carten über Bord. Noch einige Minuten, und der Capercapitain rief uns durch das Sprachrohr zu — »Strike amain! Strike amain, if you please!« — »Streicht! Streicht! wenn's beliebt!« — Dies war in der That eine satyrische Aufforderung, denn wie konnten wir nur einen Augenblick widerstehen? Bald darauf kam ein Offizier mit acht Matrosen an Bord, nahm von dem Schiffe Besitze; stellte an alle Rudern[S. 209] Schildwachen, und hieß uns an Bord des Capers gehen.
Als wir daselbst ankamen, hörten wir, daß es der Diligent, Capitain Hall von Calcutta war. Der Capitain sagte uns, daß er selbst zweimal von französischen Capern[15] genommen worden sey. Man habe ihn liberal behandelt; er wolle es ebenfalls thun. Alle unsere Bagage u. s. w. bliebe uns daher. Zu gleicher Zeit sezte er uns ein vortreffliches Frühstück vor. Die Prise an 60,000 Franken an Werth, ward auf das Schlepptau genommen, und so lavirten wir längs der Küste hin.
Um vier Uhr Nachmittags bekamen wir ein großes dreimastiges Schiff, und bald darauf[S. 210] noch zwei andere zu Gesicht. Capitain Hall hielt sie für holländische oder französische Fregatten, von den Divisionen der Admirale Hartsink oder Linois. Seine Lage ward gefährlich, die nachzuschleppende Prise hielt ihn im Segeln auf. Er ließ uns daher auf unser Wrak zurückkehren, rief dagegen seinen Prisenmeister, und seine Matrosen ab, und eilte mit vollen Segeln davon. Bald darauf erkannten wir die drei Schiffe für amerikanische Ostindienfahrer, und steuerten so gut wir konnten, auf die Bay von Balambouang zu.
Der Tag brach an. Was sahen wir? Unsern Caper, der an der Küste geblieben war, und nun ganz lustig wieder auf uns zugesegelt kam. In weniger als einer halben Stunde befanden wir uns wieder am Bord desselben, und alles war in den vorigen Zustand versezt. Da der Capitain Wasser einnehmen mußte, behielt er den Curs von Balambouang. Wir erreichten indessen die Bay erst in der Nacht auf den zehnten Februar.[S. 211] Mit Anbruche des Tages erblickten wir den holländischen Posten Bagouwangie, und zogen sofort amerikanische Flagge auf. Zu gleicher Zeit schickte der Capitain einen Offizier ans Land, um zu fragen, wo Holz und Wasser zu finden sey. Die Nachricht war sehr befriedigend, und wir trafen eine vortreffliche Quelle an.
Unterdessen hatte unser Schiff mit seinen Batterien, und der Prise auf dem Schlepptaue, troz der amerikanischen Flagge, bei dem Commandanten von Bagouwangie Verdacht erregt. Er schickte daher zwei seiner Offiziere zu uns an Bord. Beide sprachen englisch; beide sollten die nöthigen Nachrichten einziehen. Capitain Hall war indessen auf alles gefaßt. Er hieß uns in den Raum hinuntersteigen, versicherte sich unseres Ehrenwortes, und wartete die Ankunft der holländischen Pirogue ganz ruhig ab.
Kaum waren die Herren gegen Mittag an Bord angekommen, so lud er sie zum Essen ein, und sprach ihnen dabei reichlich[S. 212] aus der Flasche zu. Als er nun das Geschäft auf diese Art eingeleitet hatte, zeigte er ihnen falsche amerikanische Pässe, und ein eben so ächtes Schiffsjournal vor, speiste sie in Ansehung der Prise mit einem Mährchen ab, und verkaufte ihnen zulezt einige ostindische Waaren für eine Kleinigkeit. Die armen Holländer wurden vollkommen getäuscht, und fuhren seelenvergnügt ans Land zurück.
Indessen beschloß der Capitain die reiche Prise in Sicherheit zu bringen, und gab sofort Befehl zu ihrer Ausrüstung. Es wurde auch so eifrig daran gearbeitet, daß sie schon am folgenden Tage abzusegeln im Stande war. Wohin, blieb unbekannt. Unsere Bagage war uns im besten Zustande übergeben worden, doch brachten wir den ganzen Tag, wegen unserer künftigen Bestimmung, in großer Ungewißheit zu.
So mochte es ungefähr acht Uhr Abends seyn, als uns der Capitain zu sich rufen ließ. Er war sehr höflich, und sagte uns, daß er uns diese Nacht ans Land zu setzen Willens sey. Unsere[S. 213] Freude darüber war sehr groß; im Unglück faßt man nur den Augenblick fest. Sofort wurden nun Anstalten zu unserer Ueberfahrt gemacht. Es fand sich aber, daß die Schaluppe für uns nicht groß genug war. Wir mußten daher in zwei Parthien abgehen. Bei der lezten befand ich mich selbst.
Es war Mitternacht; der Mond gieng auf; der Posten lag nur einen Büchsenschuß von uns. Unsere Gefährten kamen uns entgegen, in wenig Minuten langten wir bei dem Commandanten an. Er war ein geborner Brandenburger, und hatte fünf und zwanzig Mann unter sich. Da ich ein wenig Deutsch und Malayisch verstand, verständigten wir uns ohne Schwierigkeit. Rund um ein großes Feuer gelagert, nahmen wir eine derbe Mahlzeit von Fischen und Eiern ein, wobei uns Capitain Halls Madera und Genever trefflich zu statten kam. Unser guter alter Sergeant, sein Name war Bitter, schickte sogleich eine Pirogue mit seinem Berichte nach Bagouwangie ab.
[S. 214]
Die Sonne gieng auf, und eine neue Welt voll Leben und voll Hoffnung breitete sich vor mir aus. Bald langte nun ein Abgeordneter von dem benachbarten Fürsten von Balambouang an. Er sagte uns, daß der holländische Commandant zu Bagouwangie bereits von unserer Lage unterrichtet, und auf der Reise hierher begriffen sey. Indessen verzog sich seine Ankunft bis Nachmittags um drei Uhr. Unser Anblick schien ihn zu rühren, wir selbst waren nicht weniger bewegt. Er allein konnte uns die Mittel zur Rückkehr nach Batavia verschaffen; von ihm allein hieng unsere Zukunft ab. Er sprach und alles verbürgte uns seinen Edelmuth. Er war ein Deutscher; ein Herr von Winckelmann. Wir mußten sogleich seine prächtige Jacht besteigen, wo die Tafel bereits gedeckt war. Endlich um vier Uhr segelten wir ab, während er unser Gepäck in einer Pirogue nachzuführen[S. 215] befahl. So hielten wir See bis Mitternacht, stiegen dann ans Land, und lagerten uns um ein gutes Feuer herum.
Um fünf Uhr Morgens ward weiter gesegelt; drei Stunden und wir kamen zu Bagouwangie an. Sogleich führte uns der Commandant in seine schöne Wohnung, und stellte uns seiner Gemahlin vor. Sie empfieng uns mit vieler Höflichkeit, und ließ ein vortreffliches Frühstück auftragen, das zum Theil aus den herrlichsten Früchten bestand. Am folgenden Tage wurde nun unser Reiseplan festgesezt; indessen erforderten die Anstalten einige Zeit. Wir blieben daher fast zwei Wochen in Bagouwangie. Nach reifer Ueberlegung schien es am besten, bis Surabaye zu Lande, und dann nach Batavia vollends zu Wasser zu gehen.
Bis Surabaye werden achtzig Lieuen gerechnet, zum Theil durch ein wüstes unbewohntes Land. Indessen hatte der treffliche Herr von Winckelmann für alles gesorgt. Fünf und zwanzig Malayen waren zu unserer[S. 216] Bedeckung, und fünf und siebenzig zum Tragen unseres Gepäckes bestimmt. Wir und die Bedeckung waren beritten, und hatten überdem noch fünfzehn Packpferde mit Lebensmitteln bei uns. Endlich waren uns als Wegweiser und Anführer, zwei Malayen-Hauptleute oder Mandors mitgegeben, von denen der eine etwas Deutsch verstand. So traten wir, nach einem herzlichen Abschiede von unserem edeln Freunde, am 23. Februar 1805 unsere Reise an.
Die ersten drei Lieuen gieng es längs der Küste hin. Bald aber kamen wir in die große Wüste, die drei Tagereisen lang ist. Indessen hat die Regierung aller zwölf Lieuen, große Scuoppen von Bambus errichten lassen, die mit Gräben und lebendigen Hecken umgeben sind. Bei jedem dieser Caravansenai's, wie man sie nennen könnte, befindet sich eine Wache von Malayen. Diese müssen Tag und Nacht rund um die Einzäumung große Feuer unterhalten, so daß nichts von wilden Thieren zu fürchten ist.
[S. 217]
Der erste Posten dieser Art heißt Bagnou-Matie. Der Weg dahin war blos ein schmaler Fußsteig, der zwischen hohem Grase hinlief. Ich kann ohne Uebertreibung sagen, daß dieses neun bis zehn Fuß hoch war. Wir sahen mehrere Tiger und Leoparden darin versteckt, langten indessen auf unserer Station ohne Unfall an. Als es finster wurde, verdoppelten wir die Feuer, und hielten auf diese Art die wilden Thiere ab. Indessen hörten wir die Tiger ziemlich brüllen, sobald nur ein Feuer abgebrennt war.
Am folgenden Morgen früh um vier Uhr gieng unser Gepäcke ab; wir selbst aber folgten erst um zehn Uhr nach. Bei dem zweiten Posten Son-bou-rou-arou, fanden wir einige Häuschen von Bambus, nebst einer Ziegen- und Damhirsch-Heerde, auch einer Menge Federvieh. Dies alles gehörte einem Großen am Hofe des Königes von Balambouang. Wir füllten hier unsere Bambusrohre mit gutem Quellwasser, weil man von nun an nur schlechtes trifft. Am 25. verließen[S. 218] wir die Wüste, und kamen durch eine schöne, mit Reisfeldern bedeckte Ebene, nach Panaroukan, was ein kleiner Flecken ist. Hier traten wir bei dem Oberhaupte, einem reichen Chinesen ab, und wurden zu unserer Verwunderung ganz auf europäische Art traktirt. Auch nöthigte er uns so dringend, einen Rasttag bei ihm zu halten, daß es sich durchaus nicht ablehnen ließ.
Am 27. Februar ward nun die Reise fortgesezt. Wir kamen indessen nur bis Besouki, einem großen Dorfe, das ungefähr drei Lieuen von der Küste liegt. Der Weg geht fast durch lauter Wald, und ist äußerst schlecht. Nur in der Nähe von Besouki wird die Landschaft etwas lichter, und bald sieht man Reisfelder mit Baumgruppen vermischt.[S. 219] Bei unserer Ankunft, wurden wir in das Haus des Commandanten (Tomogon) geführt, der eben abwesend war, fanden aber dennoch ein vortreffliches Mittagsmahl daselbst. Am 28. hatten wir eine sehr starke Tagereise bis Bangro. Auch hier fanden wir bei dem Tomogon eine sehr glänzende Bewirthung, und tranken zum erstenmale wieder Bordeauxwein. Zimmer und Betten waren ebenfalls sehr gut.
Die folgende Tagereise bis Paßourang war kurz und angenehm. Die Landschaft ward immer schöner, wir konnten uns nicht satt daran sehen. Um zehn Uhr begegneten wir einem schönen offenen Wagen, mit vier Pferden bespannt. Er kam von Paßourang, gehörte dem dortigen holländischen Commandanten, und war für uns bestimmt. Wir zogen indessen vor, zu Pferde zu bleiben, und langten so bald bei unserem freundlichen Wirthe an. Er hieß Heßetaar, und nahm uns mit vieler Güte auf. Bei einem Einkommen von fünfzehn tausend holländischen[S. 220] Thalern machte er ein ansehnliches Haus. So hat er z. B. an dreißig Sclaven, worunter zehn musikalisch sind. Sie lernten die meisten Instrumente von einem Chinesen spielen, der der Schüler eines Deutschen gewesen war.
Paßourang, an einem schiffbaren Strome gelegen, ist der Hauptort eines ansehnlichen Fürstentums, und mit schönen Caffe- und Pfeffer-Plantagen umringt. Die ostindische Compagnie hat ein Werft für Küstenfahrer daselbst. Zwei Lieuen von Paßourang liegt ein mäßig hoher Berg, an dessen Anhängen alle europäischen Gemüse, ohne alle Ausartung gedeihen, dies giebt zu einem bedeutenden Gemüsehandel nach Surabaye Gelegenheit. Wenig Tage vor unserer Ankunft war der Oberwundarzt unseres Bataillons hier durch gereist. Er wollte im Innern der Insel die Schuzblattern einführen, was von den wohltätigsten Folgen seyn wird.
Am 3. März gieng es bis Bangall; auch[S. 221] diese Tagereise war sehr angenehm. Der Fürst, ein siebenzigjähriger Greis, empfieng uns mit vieler Zuvorkommung. Er sprach viel von Europa, besonders von den lezten Feldzügen in Italien, und schien ein sehr unterrichteter Mann zu seyn. Seinem ältesten Sohn und Nachfolger hatte er von einem Holländer erziehen lassen, daher dieser junge Prinz sehr gute Kenntnisse, besonders in der Mathematik besaß.
Am folgenden Morgen brachen wir nach Surabaye auf. Der Weg war gut, die Gegend schön, der Boden vortrefflich angebaut. Surabaye selbst ist eine kleine artige Stadt, und als erster Posten in der Meerenge von Madure von Wichtigkeit. Sie wird von dem Flusse Calianas durchschnitten, der für Küstenfahrer landeinwärts ziemlich weit schiffbar ist. Am Ausflusse desselben befinden sich zwei Hafendämme, mit Batterien versehen. Gewöhnlich laufen hier alle Schiffe ein, die nach China und den Philippinen bestimmt sind, besonders wegen des[S. 222] Wintermonßuns. Sie finden hier alle mögliche Erfrischungen, worunter auch die vortrefflichen Gemüse von Paßourang. Die Luft von Surabaye ist sehr gesund, und die Gebend entzückend schön.
Bei unserer Ankunft wurden wir zu einem Juden geführt, der eine gar nicht schlechte Herberge hielt. Wir machten die Bekanntschaft eines holländischen Capitains, des Herrn Rußler, und wurden durch ihn, am folgenden Morgen, seinem Schwiegervater, dem Gouverneur, Herrn Rothenthal, vorgestellt. Dieser nahm uns mit vieler Güte auf, und versprach wegen unserer ferneren Reise sein möglichstes zu thun. Wir wünschten nämlich bis Batavia zu Lande zu gehen. Dies erforderte jedoch Bericht an den Generalgouverneur. Ich machte hierauf dem Commandanten, dem Major von Franquemont, aus dem Würtembergischen, einen Besuch. Er empfieng mich aufs beste, räumte mir ein Zimmer in seiner Wohnung ein, und überhäufte mich mit Höflichkeiten aller Art. Dasselbe[S. 223] muß ich von dem Admiral Hartsink sagen, der hier mit seiner Escadre vor Anker lag.
Nach ungefähr vierzehn Tagen traf die Antwort des Generalgouverneurs ein. Sie war, wie wir befürchtet hatten, abschläglich, man fand die Kosten gar zu groß. Herr Rothenthal bekam daher den Auftrag, uns die Ueberfahrt nach Samarang, an Bord einer Brigg zu verschaffen, die ohnehin zu einem Kreuzzuge bestimmt war.
Plözlich mußte es sich fügen, daß ein Schiff von der Escadre des Admirals Hartsink nach Batavia abgieng. Sofort suchte ich nebst meinem Freunde Harsaud um Plätze darauf an. Unsere Bitte ward bewilligt, und so begaben wir uns an Bord, wo uns der Capitain mit vieler Güte aufnahm (5. April).
[S. 224]
Wir waren noch denselben Abend unter Segel gegangen, und kamen bei dem ziemlich günstigen Winde, schon am folgenden Tage aus der Meerenge heraus. Capitain Ruysch hatte uns die Hälfte seiner Cajüte eingeräumt, und wir speisten regelmäßig Mittags und Abends bei ihm. So kamen wir ohne weitere Vorfälle am neunten Tage (14. April) auf der Rhede von Samarang an, welches der Hauptposten auf der ganzen Nordküste ist. Samarang giebt nämlich den Mittelpunkt aller Verbindungen, und die Hauptniederlage aller Erzeugnisse der Insel ab. Die dortige Gouverneursstelle ist, nach der von Batavia, die einträglichste im ganzen holländischen Indien. Sie wirft jährlich an 250,000 Piaster ab. Herr Engelhard, der sie jezt bekleidet, macht daher ein sehr glänzendes Haus. Die Luft von Samarang ist gesund, die Gegend schön, das gesellschaftliche[S. 225] Leben angenehm. Wir lernten unter andern einen Major Keller kennen, der früher General-Adjutant in französischen Diensten, und schweizerischer Kriegsminister gewesen war.
Nach einem achttägigen Aufenthalte giengen wir am 23. April wieder in See, und segelten zwei Tage lang, längs der reizenden Küste hin. Am 26. Mittags ankerten wir auf der Rhede von Tcheribon, und begaben uns sogleich ans Land. Hier wurden wir bei dem Wachtposten sehr feierlich empfangen, und fanden zwei prächtige Wagen bereit. Der Resident, Herr Roose, der anderthalb Lieuen von der Küste wohnt, hatte uns dieselben entgegengeschickt. Wir fuhren hierauf durch eine sehr schöne Landschaft, die einem großen Graben glich, und kamen so bei Herrn Roose an. Er vereinigt asiatischen Luxus, und europäische Eleganz auf eine seltene Art. Der Distrikt von Tcheribon liefert den besten Caffe von ganz Java; die Residentenstelle trägt jährlich an 60,000 Piaster ein.
[S. 226]
Wir blieben drei Tage in Tcheribon, und giengen dann mit mehreren kleinen Küstenfahrern, die wir unter Convoy nahmen, in See. Die Küste wimmelt von Seeräubern aus Banca, Sumatra und Java selbst. Diese fallen kleine Schiffe, besonders chinesische Junken, mit vieler Kühnheit an. Europäer werden ermordet, Asiaten zu Sclaven gemacht. Der Hauptschlupfwinkel dieser Seeräuber ist die Insel Carimon, zehn Seemeilen von der Küste, auf der Höhe von Samarang. Hier sind ihrer oft hundert, ja hundert und fünfzig bis zweihundert beisammen, besonders, wenn ein Hauptschlag ausgeführt werden soll. Vor kurzem hatte man von Batavia zwei Fregatten, und eine Brigg gegen sie abgeschickt. Diese Schiffe kamen gerade zu rechter Zeit an, denn eben war die ganze Bay von Carimon mit Seeräubern angefüllt. Man blokirte daher sogleich den Eingang, und bereitete den Angriff auf den folgenden Morgen vor. Es schien um die Räuber geschehen zu seyn, allein zum Unglück war der[S. 227] Capitain der Brigg nicht wachsam genug. Sie entwischte daher in der Dunkelheit, und waren am andern Morgen längst aus dem Gesichte der Division.
Am 27. April kamen wir endlich auf der Rhede von Batavia an. Kaum zeigte ich mich in der Stadt, als ich mit Freude und Erstaunen aufgenommen ward, denn jedermann hatte mich todt geglaubt. Der Gouverneur wünschte mich von neuem in Dienste zu nehmen; allein alles rief und zog mich nach Europa zurück. Zum Glück befand sich gerade ein Caper von jener Insel auf der Rhede, der dahin zurückzugehen im Begriffe war. Nach einigen Unterhandlungen erhielt ich einen Plaz darauf, und begab mich demnach am 8. Mai an Bord. Diesmal war unsere Fahrt glücklicher; am 1. Juni bekamen wir schon die Insel Bourbon zu Gesicht.
Der Engländer wegen, hatte der Capitain von seinen Rheden den Befehl, mit der größten Vorsicht zu Werke zu gehen. Wir suchten daher die Küste zu gewinnen, um[S. 228] wo möglich Erkundigungen einzuziehen. Allein der Wind war fortdauernd ungünstig; wir brachten also sechs volle Tage damit zu. Endlich erhielten wir Nachricht, daß die englische Escadre verschwunden sey. So sezten wir unsere Fahrt nach Isle de France fort, und erkannten am 8. Juni Morgens, einen der höchsten Berge dieser Insel, Morne Brabant genannt.
Gegen Mittag erblickten wir nicht weit von uns ein dreimastiges Schiff, zogen die Flagge auf, und riefen es an. Es zog ebenfalls französische Flagge auf, und zwar dreimal hinter einander, was uns, da es keine Antwort gab, äußerst verdächtig vorkam. Um acht Uhr Abends waren wir nur noch einige Seemeilen von der Insel entfernt. Plözlich stiegen von einem Bergposten zwei Raketen auf; bekanntlich das Signal, wodurch die Nähe des Feindes angezeigt wird. Wir hielten es indessen für einen Irrthum, und glaubten nicht daran. Als aber das Signal, nach Verlauf von zwei Stunden, der Regel gemäß,[S. 229] wiederholt ward, drehten wir plözlich um, und sezten alle Segel bei. Jezt gieng es abermals auf Isle de Bourbon zu, wo auch am 10. Morgens der Anker fiel.
Mein Aufenthalt auf dieser Insel dauerte jedoch nur kurze Zeit. Schon am 18. gieng ich nämlich, meiner mündlichen Mittheilungen wegen, auf einem Aviso nach Isle de France ab. Dies Fahrzeug war mit Rudern versehen, und ganz zu einer schnellen Ueberfahrt geschickt. Wir entkamen den Engländern glücklich, und liefen am 22. Juni Abends in der Riviere Noire ein. Bei meiner Ankunft zu Port Louis, ward ich von dem General Decaen mit großer Freude empfangen; auch er hatte mich auf den Bericht eines amerikanischen Schiffers todt geglaubt.
Er machte mir Hoffnung, mich in wenig Monaten nach Europa abzusenden, und stellte mich inzwischen wieder bei dem Ingenieurscorps an. Allein es vergieng ein volles Jahr, ehe sich eine passende Gelegenheit zu meiner Rückreise fand. Erst im August 1806 war endlich[S. 230] das dazu bestimmte Schiff segelfertig, und alles gehörig in Richtigkeit. Am 11. August schiffte ich mich ein, am 15. November kam ich, nach einer ziemlich glücklichen Fahrt, in dem spanischen Hafen Passages bei St. Sebastian an. Von dort sezte ich meine Reise über Bayonne, Bordeaux u. s. w. nach meinem Geburtsorte, wo meine Familie lebte, zu Lande fort.
[S. 231]
[S. 232]
Quelle.
L'otgevallen en Ontmoetingen op eene mislukte Reize naar de Kaap de Goede Hoop. Door H. Potter. 1807 — 9. IV. Vol. 8.
[S. 233]
Einleitung.
Der Verfasser war Prediger zu Peins, in der Nähe von Franken, und erhielt im Jahre 1804 einen Ruf nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung. Allein da bald darauf der Krieg wieder ausbrach, so fand sich keine sichere Gelegenheit zur Reise dahin. Erst zu Ende des genannten Jahres bot sich eine solche in einem preußischen Hafen dar. Wir haben uns bemüht, die niederländische Manier des Verfassers sorgfältig beizubehalten, überzeugt, daß es den gemüthlichen Lesern gewiß Vergnügen machen wird.
[S. 234]
Leer Novemb. 1804.
Liebster Freund. Am 15. October erhielt ich Befehl und Anweisung, bis zum 10. November an Bord zu seyn. Ich eilte daher sofort nach Amsterdam, um alle meine Einrichtungen zu treffen, welches Gott sey Dank, über meine Erwartung von statten gieng. Hierauf kehrte ich am 27. October nach Peins zurück, wo meine Frau inzwischen alles eingepackt hatte, und reiste am folgenden Morgen mit ihr und den Kindern nach Dockum ab. Hier sollte sie bleiben, bis sich bequeme Schiffsgelegenheit nach der Capstadt fand.
So war alles in Ordnung gebracht. — Endlich am 5. Morgens — Nie werde ich den Augenblick vergessen, liebster Freund. — »O bleibe bei uns Vater! Verlaß uns nicht!« — riefen meine ältesten drei Kinder, und klammerten sich an mich an, während der Säugling ruhig in der Wiege schlief. — Wäre meine Frau nicht standhafter gewesen,[S. 235] als ich — Ich glaube, ich hätte in diesem Augenblicke auf Alles Verzicht gethan. So riß ich mich endlich mit gepreßtem Herzen los. Meine Sachen wurden jezt in die Schuit[16] gebracht, und ich folgte mit thränenden Augen nach. Zu meiner Freude waren nur noch zwei Personen in dem Roef[17] daher ich ziemlich ungestört blieb. Abends kamen wir so in Gröningen an.
Ich hatte von Gröningen am nächsten Tage mit der Schuit nach Delfzyl zu gehen gedacht, wo ich Gelegenheit nach Leer zu finden sicher war. Allein es fror die Nacht so heftig, daß ich nicht weiter daran denken konnte. Ich ließ daher meine Sachen auf einen Wagen laden, auf dem sich zugleich ein Siz für mich und den Fuhrmann befand. Da es schon zwei Uhr war, als wir abfuhren, kamen wir Abends nicht weiter als Scheemda, ein großes, schönes Dorf, wo Nachtquartier gemacht ward.
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Am folgenden Morgen gieng es bei schönem hellen Wetter, durch den reichsten und fruchtbarsten Theil der Provinz, nämlich das Oldampt. Besonders groß und prächtig sind die Pfarrwohnungen, wie denn die Geistlichen hier solche Einkünfte haben, wie vielleicht nirgends anderes in unserem Vaterland.
In der Nähe von Neuschanz (de Nieuwe Schans) war der Weg außerordentlich schlecht. Indessen kamen wir Abends ohne Unfall an. Hier lohnte ich meinen Fuhrmann ab, weil mit seinem schweren Wagen unmöglich weiter zu kommen war. Ich hielt es fürs beste, zwei kleinere zu nehmen, worauf die Reise am nächsten Tage weiter gieng.
Bald kamen wir nun auf preußischen Boden, indem der Grenzpfahl ganz nahe bei Neuschanz steht. Das Land verräth viel Wohlstand, besonders der Theil, der unter dem Namen, der Preußische Polder bekannt ist. Ueberall herrliches Wiese- und Ackerland, und die schönsten Bauernhöfe, von städtischem Ansehen. Dies machte mich[S. 237] den schlechten Weg vergessen, der bei dem eingetretenen Thauwetter fast ganz ungangbar war. So kamen wir Nachmittags an dem Wirthshause an, das am rechten Ufer der Ems, ungefähr eine Viertelstunde von Leer, gelegen ist.
Ich hätte mich gern noch diesen Abend über den Fluß setzen lassen, allein es war unmöglich, weil er mit Treibeis gieng, und nur das kleine Boot mit großer Mühe hin und wieder fuhr. Da ich nun meine Sachen unmöglich zurücklassen konnte, ließ ich sie abladen, und in einen Schoppen bringen, wo nach der Versicherung des Wirthes alles in Sicherheit war. Bei meinem Eintritt in das Zimmer sah ich sogleich an dem schmutzigen Boden, und der sparsamen Erleuchtung, daß ich mich außer dem Vaterland befand. Ein Dutzend Münsterländer mit langen blauen Hemden, und dicken weißen Schlafmützen, saßen mit dampfenden Pfeifen vor dem Kamine, und erwiederten meinen Gruß in ihrer eigenthümlichen platten Mundart.
[S. 238]
Nachdem man mir an der einen Ecke Plaz gemacht hatte, brachte mir der Wirth eine Pfeife, und stellte einen kleinen Tisch mit einer Flasche Wein vor mich. Hierauf fuhr er in einer Erzählung fort, die durch meine Ankunft unterbrochen worden war. Sie betraf seine Jugend, Verheiratung, und Ehe. Nach dem Tode seiner ersten Frau hätte er gern eine zweite genommen, allein er war zu alt dazu. Eine junge würde ihn nicht gewollt haben, und zu einer von seinen Jahren hatte er selbst keine Lust gehabt.
Auch schmerzte es ihn bitter, daß er in seiner Jugend nicht hatte reisen können, es würde etwas ganz anderes, als ein Landwirth aus ihm geworden seyn. Zum Beweise seiner großen Kenntnisse sprach er dann vom Vorgebirge der guten Hoffnung, was bei ihm Ostindien hieß, und von der unerträglichen Hitze, und den hottentottischen Affen daselbst, und dergleichen mehr. Die guten Münsterländer hörten mit offenen Mäulern und Ohren zu, ganz erstaunt über[S. 239] die unerhörte Gelehrsamkeit des alten dicken Wirths. Indessen muß ich ihm lassen, daß er mir ein Abendessen vorsezte, das gar nicht übel war. Auch bekam ich im oberen Stocke ein reinliches Zimmer mit einem rechten guten Bett.
Am andern Morgen ließ ich mich nun mit meinen Sachen übersetzen, und gelangte in einer Viertelstunde nach Leer, mein vorläufiges Reiseziel. Hier nahm ich ein Zimmer in einem großen Wirthshause, bei einem gewissen Wagner, wo es mir aber durchaus nicht gefiel. Besonders stieß mich der gemeine liederliche Ton des Wirthes ab, den dieser am Gesellschaftstische angab. Ich sahe mich also noch denselben Tag nach einer andern Wohnung um, und fand auch bald ein recht artiges Zimmer mit einer angenehmen Aussicht obendrein.
Es war bei einer Schiffscapitainsfrau, die mir zugleich Kost, Licht und Heizung zu geben versprach. Für alles zusammen, das Zimmer mit eingerechnet, forderte sie nicht[S. 240] mehr als sieben Gulden, die Woche, was gewiß äußerst billig war. Das Schiff ist leider noch nicht angekommen, man erwartet es aber, so bald die Ems vom Eise frei ist. Unterdessen habe ich einen Theil meiner Bücher ausgepackt und beschäftige mich so gut es gehen will. Leer selbst, mit seinen 4000 Einwohnern, und seiner jetzigen Handelsstille, bietet so gut als gar keine gesellschaftlichen Hülfsquellen dar. Indessen kann mein Aufenthalt nicht lange dauern, und so nehme ich mit allem vorlieb.
Leer Feb. 1805.
»Der harte Frost macht alle Schiffarth unmöglich; drum will ich noch einmal Frau und Kinder sehn!« — So rief ich am Neujahrstage aus, und trat sofort die Reise an. Ich überraschte meine Lieben, brachte noch einiges im Haag in Ordnung, und kam vor ungefähr acht Tagen wieder hierher zurück.[S. 241] Seitdem hat es nun so stark getaut, daß die Ems völlig offen ist. Schon liegt ein Schiff nach dem Cap in Ladung, allein das unserige kommt erst übermorgen an. Der Himmel gebe, daß kein neuer Aufenthalt entsteht, damit ich doch endlich einmal meine Gemeinde begrüßen kann.
Unterdessen habe ich Leer ziemlich kennen gelernt. Würden Sie glauben, daß dieser kleine Ort eine lutherische, eine reformirte, eine katholische und eine mennonitische Kirche, so wie eine Synagoge hat? Die Ems fließt hinten daran weg, und ist im Flecken selbst nur von einigen Stellen zu sehen. Indessen trägt sie sehr große Schiffe, so, daß diese vor den Packhäusern ankern können, die an jener Seite befindlich sind.
Als ich gestern fortfahren wollte, kam meine Wirthin, mir zu sagen, daß eben unser Schiff angekommen sey. Sofort ließ ich mich übersetzen, stieg auf den Damm, und sahe es in der untergehenden Sonne gerade vor mir. Bald darauf langte der Capitain[S. 242] mit den übrigen Passagieren an, und wir machten die erste Bekanntschaft bei einer guten Abendmahlzeit. Diesen Morgen kam das Schiff vollends an den Wal, wie man hier sagt, so, daß es die Ladung einnehmen kann. Ich gieng mit einigen Freunden, es zu besehen, und fand, daß es ein gutes, festes, aber etwas kleines Fregattenschiff war. Nun, wir werden uns zu behelfen suchen, so gut es gehen will. Der Capitain, ein geborner Ostfriese, scheint ein recht guter Mann, und sorgt, dem Vernehmen nach, aufs reichlichste für unsern Schiffsbedarf. Er ist das freilich wohl im Stande, da jeder von uns eine sehr ansehnliche Summe für die Ueberfahrt zahlt. Dies ist indessen seine erste große Reise dieser Art. Doch hat er einen erfahrnen Steuermann, einen gebornen Holländer, der schon mehrere Reisen nach Ost-Indien gemacht hat. Eben so erwartet er einen Supercargo, der gleichfalls sehr gute Kenntnisse von diesen Gegenden haben soll. Indessen fand ich die Mannschaft, nur sechszehn[S. 243] Köpfe zusammen, für eine so weite Reise etwas schwach, weil doch immer ein Drittheil davon erkranken kann.
Leer ist der vielen Schiffe und Fremden wegen jezt äußerst lebendig, wobei sich der reiche Theil der Kaufleute besonders in Gastmählern zu zeigen sucht. Gewöhnlich sind es Abendmahlzeiten, von denen man aber oft erst Morgens aufsteht. In diesen legt man hier den größten Luxus zur Schau, besonders was die Weine betrifft. Der Bordeaux macht dabei den Anfang, und der Champagner den Beschluß. Ueberhaupt ist der Ostfriese von ruhigem, gutmüthigem, gastfreundlichem Charakter, so, daß es fast allen Fremden hier sehr wohl zu gefallen pflegt.
Dazu tragen denn auch in vieler Hinsicht die angenehmen Spaziergänge in der Nachbarschaft bei. Der besuchteste davon führt nach Bollinghusen, eine Art Gehöfte mit einem Herrenhause, das dem Baron von Reede gehört. Dabei befindet sich ein schöner Park und Garten, die jedermann offen stehn. Ein[S. 244] großes wohleingerichtetes Wirthshaus mit einem Tanzsaal fehlt ebenfalls nicht. Es ist daher alle Tage, besonders aber Sonntags, große Gesellschaft hier.
Ein anderer angenehmer Weg führt nach Loga, ohngefähr eine halbe Stunde östlich von Leer, auf der großen Straße nach Deutschland. Dieses Loga ist ein ansehnliches Dorf, das aus einigen Straßen besteht und viele stattliche Gebäude hat. Unter diesen befinden sich mehrere Landhäuser, die sehr geschmackvoll eingerichtet sind. Besonders zeichnet sich das Schloß des Grundherrn, des Grafen von Wedel, aus. Es ist fürstlich zu nennen, und mit den herrlichsten Park- und Gartenanlagen versehen.
Eine Viertelstunde nördlich von Leer erhebt sich mitten im freien Felde eine nicht unbedeutende Anhöhe, der Plettenberg genannt. Der Weg dahin führt zum Theil durch eine hohe Ulmenallee, bei den Ruinen eines alten Schlosses vorbei. Man hat von diesem Anhöhe eine sehr ausgebreitete Aussicht[S. 245] auf den schlängelnden Fluß, und einen großen Theil von Ostfriesland. Bei heiterem Wetter kann man selbst Embden, und die Schiffe auf der dortigen Rhede sehn. Nun, in kurzem werden wir selbst dort liegen, und dann mit Gott in offene See.
An Bord, auf der Rhede von
Embden, April 1808.
Da bin ich denn an Bord unserer Anna Wilhelmina, dies ist der Name unseres Fregattenschiffs. Nach Abgang meines lezten blieb ich ohngefähr noch acht Tage in Leer. Unterdessen nahm das Schiff den Rest seiner Ladung ein, und segelte den Fluß hinab. Wir Passagiere, acht zusammen, folgten zu Lande nach. Morgens fuhren wir ab, Mittags kamen wir in Embden an. Die Rhede von Embden hat das Unbequeme, daß kein großes Schiff in der Nähe der Stadt vor Anker gehen kann. Man muß daher oft eine[S. 246] Stunde, ja zwei Stunden fahren, ehe man zu seinem Schiffe kommt. Dies war leider auch unser Fall, doch endlich hatten wir die gehörige Höhe erreicht, und konnten unser Schiff gerade vor uns sehn. Da es aber gerade Ebbe war, entstand ein neuer Aufenthalt. So harrten wir bis sechs Uhr Abends am Strande, bis endlich die Schaluppe uns abzuholen kam.
Sobald wir uns an Bord befanden, wies uns der Capitain, je zwei und zwei zusammen, unsere Hütten an. Mit meinem Gefährten hatte ich schon in Leer Bekanntschaft gemacht. Es war ein alter herzensguter Mann, der als Aufseher der afrikanischen Wallfischfang-Gesellschaft ebenfalls nach der Kapstadt gieng. Ich übernahm die Mühe, unsere Hütte in Ordnung zu bringen, was mir denn auch nicht übel gelang.
Denken Sie sich einen kleinen Verschlag, der höchstens drei Personen fassen kann, und das Licht nur durch ein kleines Fenster in der Thür erhält. Denken Sie sich ferner in der[S. 247] einen Wand derselben zwei Koyen, oder Schlafstellen über einander, so haben Sie unsere Hütte vor sich. Hier muß man denn nun sehn, wie man seine Sachen unterbringt. Ein Glück, daß ich beim Einladen unserer Provisionen zugegen war, so ward alles gleich in die Hütte gesezt.
Was wir daher am nöthigsten brauchten, wie Wäsche, Bücher u. s. w. kam unter die Matrazze, oder fand an den Enden der Koye einen Plaz. Andere Sachen, wie Töpfe mit Eingemachtem, Thee, Kaffee, Zucker, Gläser, Seife, Liqueur u. s. w. wurden in einen Schrank verschlossen, der an der entgegengesezten Wand befindlich war. Einige Kleidungsstücke wurden zwischen die Balken an der Decke der Koye gesteckt. Die größeren Vorräthe, wie die Weinkisten, das Selteserwasser u. s. w. befanden sich im Raume, doch oben aufgesetzt. Auf diese Art war unsere Haushaltung sehr bald in Ordnung gebracht. Wir nahmen hierauf bei dem Capitain das Abendessen ein, und sanken[S. 248] zulezt unter dem Rauschen des Wassers in tiefen Schlaf.
Diesen Morgen gieng ich nur auf das Verdeck, fand aber dort alles in der größten Unordnung. Das Schiff ist so voll geladen, daß man die besten Sachen nicht mehr in den Raum bringen kann. So müssen z. B. die Fleisch- und Gemüse-Tonnen sämmtlich oben bleiben, was den Platz gar sehr beengt, und die Schiffsarbeit nicht wenig erschwert. Dazu kommen die Passagiergüter, alles darunter und darüber, wovon jeder nach dem Seinigen sucht. Man will versuchen, aufzuräumen, ich fürchte aber, daß es wenig helfen wird. Von allen den schönen Vorräthen an Hämmeln, Geflügel u. s. w. die uns der Capitain versprochen hatte, ist nicht das mindeste zu sehen. Mehrere Passagiere denken daher, mit der Schaluppe nach Embden zu fahren, und einzukaufen, was zu bekommen ist. Auch für uns werden Hühner, und einige Ochsenviertel mitgebracht. So eben[S. 249] kommt unser Rheder zum Abschiedsbesuch. Ich muß schließen, man ruft mich.
Morgens 7 Uhr.
Der Wind ist günstig, der Lootse an Bord. Eben wird das Anker aufgewunden, wir gehen in See. So leben Sie denn wohl, herzlich wohl. Die Inlage an meine liebe Frau. Gott gebe, daß wir uns alle glücklich wieder sehn! Noch einmal, leben Sie herzlich wohl, und denken Sie meiner mit Freundschaft, wie Ihrer ewig denken wird.
Ihr P.
In See Mai 1805.
Wir laviren im Kanal; die Küsten von England und Frankreich liegen deutlich vor uns. Besonders sind wir jener so nahe, daß wir die herrlichen Landhäuser zu erkennen im Stande sind. Es ist das herrlichste Wetter von der Welt, nur Schade, daß uns[S. 250] der Wind entgegen ist. Anfangs gieng es sehr gut, wir kamen schon am zweiten Tag in den Kanal. Aber seitdem haben wir schon vier verloren, und Gott weiß, wie lange das dauern kann. Mein Reisegefährte sagt mir, daß auf diese Art oft drei bis vier Wochen vergehn.
Unterdessen suche ich mich zu beschäftigen, so gut ich kann. Ich lese, ich schreibe, ich meditire, bald sitzend, bald stehend, wobei mein kleines Pult in die Koye gesteckt wird. Meistens wachen wir schon um vier Uhr auf. Dennoch bleibt jede Parthei allein bis acht Uhr, wo alles zum Frühstück in der großen Cajüte zusammenkommt. Dann folgt ein Spaziergang auf dem Verdecke, worauf jeder wieder in seine Hütte geht. Um elf Uhr versammelt man sich wieder im Caffehause, das von uns selbst errichtet worden ist.
Wir haben nämlich die Einrichtung getroffen, daß jeder nach seiner Reihe den Wirth machen und die andern mit Genever u. s. w. traktiren muß. Um 12 Uhr wird zu Mittag[S. 251] gegessen, wobei jeder aus seinen Provisionen etwas zum Nachtisch hergiebt, und so die ewigen Kartoffeln und das ewige Pökelfleisch etwas erträglicher macht. Wer eine halbe Stunde Mittagsruhe halten will, mag es thun, ich selbst befinde mich wohl dabei. Von drei bis sieben Uhr beschäftigen wir uns mit Lesen, Schreiben, Kommerzspielen und dergl. mehr. Um sieben haben wir das Abendessen, und dann kleine Wein- oder Punschparthien meistens auf dem Verdeck. Um zehn Uhr ist Schlafenszeit, wenigstens muß es in allen Hütten still seyn. Da haben Sie unsere Einrichtung, Tag für Tag, ohne Abänderung.
Fünf Tage darauf.
Gott Lob, wir haben endlich günstigen Wind bekommen, und nun geht es im Fluge den Kanal hinaus. Schon nähern wir uns dem Cap Lezard, oder der südwestlichsten Spitze von England. Indessen gab es diesen Morgen einen so heftigen Streit an Bord,[S. 252] daß wenig fehlte, wir wären umgekehrt. Ich habe ihnen schon gesagt, wie schlecht es mit den frischen Vorräthen des Capitain bestellt war. Dazu kam, daß er uns bei weitem nicht die kontraktmäßige Tafel gab. Hieraus entstand nun zwischen ihm, und dem Supercargo ein heftiger Wortwechsel, wobei natürlich jeder von uns des lezteren Parthei ergriff. Allein dies sezte den Capitain in solche Wuth, daß er sofort das Schiff wenden, und gegen den günstigen Wind anlaviren ließ. Nach einigen Stunden indessen nahm er seinen unvernünftigen Befehl zurück, und ersäufte seinen Zorn in einigen Flaschen Portwein, wovon er ein großer Liebhaber ist. Sie können jedoch leicht glauben, daß dieser Vorfall einen sehr unangenehmen Eindruck auf uns gemacht hat.
27. Mai.
Das herrlichste Wetter, der günstigste Wind. Gestern Morgens segelten wir bei Teneriffa vorbei. Herrlich war der Wiederschein[S. 253] des majestätischen Pics in der klaren, spiegelnden Fluth. Nachmittags begegneten wir einem englischen Kaper, der uns beilegen hieß. Hierauf kam der Capitain desselben mit einiger Mannschaft zu uns an Bord. Er verlangte die Schiffspapiere, sah sie durch, erklärte sie endlich für gut, und verließ uns. Wir Passagiere hatten uns inzwischen in unseren Hütten verborgen gehalten, und kamen so mit dem bloßen Schrecken davon.
Die Hitze wird nur täglich stärker, wir fühlen sie besonders des Nachts. Schon früh um neun Uhr ist das Holzwerk so heiß, daß man die Hand nicht darauf legen kann. Mit unserem Tische geht es so, so; wir helfen uns mit dem Mitgebrachten aus. Das Meer ist sehr schön, und bietet uns eine Menge wunderbarer Erscheinungen dar. Wir bleiben oft bis Mitternacht auf dem Verdeck. Alles ist dann Glanz und Feuer um das Schiff. Dazu der sternbedeckte Himmel gleich einem reinen ätherischen Lichtmeere![S. 254] Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr dieser Anblick das Herz erhebt!
Eine Stunde darauf.
Während ich obiges niederschrieb, tagte in Südost ein Fahrzeug auf, das bald für ein dänisches Schiff erkannt ward. Es hielt auf uns zu, und kam endlich ganz nahe heran. Es lag drei Wochen in der Tafelbai, und ist nach Rotterdam bestimmt. Unser Supercargo hat eine lange Unterredung mit dem Capitain gehabt, und giebt ihm ein Paket mit. Mein Brief soll darin eingeschlossen werden, daher für diesmal genug. Leben Sie wohl, verehrter Freund; meinen nächsten erhalten Sie wahrscheinlich aus der Kapstadt selbst.
Insel St. Helena, Juli 1805.
Erschrecken Sie nicht, mein werthester Freund, unser Schiff ist von den Engländern[S. 255] genommen, und hier als gute Prise eingebracht. Noch weiß ich nicht, was aus mir werden soll, fast dürfte die weitere Reise unmöglich seyn. Doch ich will Ihnen in der Ordnung erzählen, wie Alles zugegangen ist. Wir hatten den Passatwind bekommen, und rückten nun immer nach der Linie vor. Sonnenaufgang und Untergang, der Mond und die Sterne, es war ein neuer glänzender Himmel in der reinsten Pracht. So sahen wir unter andern einmal einen Regenbogen, der durch den Mond gebildet ward, und dennoch dem schönsten Sonnenregenbogen nur wenig nachgab.
Auf diese Art waren wir ungefähr bis unter den fünften Grad nördlicher Breite gekommen, als wir am sechsten Juni, Morgens, gerade in Südwesten ein großes Schiff auftagen sahen. Wir freuten uns sehr darüber, denn wir hielten es für einen heimkehrenden, holländischen Ostindienfahrer, dem es auch vollkommen in Bauart und Segelwerk glich. Jeder beeilte sich nun Briefe an seine[S. 256] Freunde zu schreiben, und ich selbst fieng einen an Sie Geliebter an. Doch wie schrecklich sahen wir uns in unserer Hoffnung getäuscht! Das Schiff kam näher, und ward bald für ein englisches Kriegsschiff erkannt. Jezt erfolgten die zwei gewöhnlichen Schüsse, das erstemal blind, das zweitemal hinter dem Schiffe hin, und wir waren gezwungen, beizudrehen. Sofort sezten die Engländer ein Boot aus, und schickten zwei Offiziere, nebst ungefähr zwanzig Mann Seesoldaten nach uns ab. Kaum waren nun diese an Bord, so wurden die Schiffspapiere untersucht, unzulänglich befunden, und Schiff und Ladung für gute Prise erklärt.
Denken Sie sich, wie uns Passagieren bei dieser Nachricht zu Muthe war! Um keinen Argwohn zu erregen, hielten wir uns während der Untersuchung, troz der erstickenden Hitze, in unsern Hütten auf. Hier brachten wir zwischen Furcht und Hoffnung wohl eine Stunde zu. Endlich erfuhren wir unser Schicksal. Unser Supercargo, Herr Van der Pulten,[S. 257] mußte sich an Bord des Kriegsschiffs begeben; eben so wurden auch unsere sämmtlichen Matrosen dahin gebracht. Unser Capitain verlor das Commando, und an seiner Stelle übernahm es ein englischer Lieutenant. Auch erhielten wir eine englische Schiffsmannschaft. Um uns andere schien man sich wenig oder gar nicht zu bekümmern, wie uns denn auch nicht das Mindeste genommen ward.
Aber welcher Lärm, welche Verwirrung auf dem Verdeck! Alles unter, und durch einander; ein Schreien, Fluchen und Rasen, daß man sein eigenes Wort nicht verstand. Dazu das Ueberpacken der Hangmatten, Kisten u. s. w. Die fremden Gesichter, die fremde Sprache, der ganz veränderte Zustand. Endlich drangen ein halbes Dutzend englische Matrosen in die Cajüte, erbrachen die Kisten unseres Capitains, und bemächtigten sich seines Eigenthums. So gieng es fort bis vier Uhr, wo alles allmählig wieder in Ordnung kam. Bald darauf gab das Kriegsschiff ein Signal, und sogleich ward alles zum[S. 258] Weitersegeln in Bereitschaft gesezt. Endlich steuerte das Kriegsschiff voran, und das unserige hinter demselben drein. Der Curs war südlich; doch wohin es eigentlich gieng, blieb ein Geheimniß für uns.
Am folgenden Tage neue Verwirrung, neue Angst. Die Engländer beschlossen die Ladung Stück für Stück zu untersuchen, um der Prise desto gewisser versichert zu seyn. Da sie nämlich unser Schiff durchaus für ein verkapptes holländisches hielten, vermutheten sie auch Pulver, Blei, Gewehre u. s. w. unter der Ladung, was bekanntlich gegen die Kriegsgesetze ist. Zu diesem Ende wurden nun alle Kisten und Fässer auf das Verdeck gebracht, und theils zerschlagen, theils angebohrt. Sie wurden dabei so hoch aufgestapelt, daß fast das Umschlagen zu befürchten war. Man fand indessen nichts, als einige Fässer Harz, was dann zur Contrebande gestempelt ward. Hierauf ward alles wieder in den Raum geschafft, wiewohl in größter Unordnung. Diese ganze Untersuchung dauerte[S. 259] von Morgens sechs, bis Abends acht Uhr, und zwar während der Himmel mit furchtbaren Gewitterwolken bedeckt war. Ein einziger Windstoß, ein einziger Wetterschlag, und es würde um uns geschehen gewesen seyn.
Die Nacht war still, aber drückend heiß. Endlich gegen Morgen brach das Ungewitter mit tausend Donnerschlägen los. Das Echo in den Wolken war fürchterlich; der Regen floß in Strömen herab; der Sturm peitschte die Wogen himmelan; unzählige Blitze durchkreuzten sich. Zum Glück waren wir auf diese Travate — dies ist der Schiffsausdruck — schon seit dem Abende vorbereitet, so daß sie uns nicht den mindesten Schaden that.
Am 20. Juni passirten wir die Linie, was mit den gewöhnlichen Feierlichkeiten geschah, und steuerten immer tiefer nach Süden hinab. Oft nahm uns das Kriegsschiff nunmehr aufs Schlepptau[18], wobei es natürlich tüchtige[S. 260] Stöße gab. Am 3. Juli verließ uns das Kriegsschiff auf eine kurze Zeit. Es beschloß auf einige Schiffe Jagd zu machen, die man in Osten erblickte, und der Capitain für spanische ansah. Er gab uns den Curs auf, den wir in der nächsten Nacht halten sollten, und versprach am andern Morgen wieder bei uns zu seyn. Allein wir harrten vergebens; selbst am dritten Tage erschien er noch nicht. So kreuzten wir immer in der Irre herum.
Das schlimmste dabei war, daß unser Wasser zu Ende gieng, und daß nun jeder auf eine Kanne täglich gesetzt ward. Zum Unglück hatten sich die Ratten auch schon längst über unser Selteserwasser gemacht; wir waren daher auf Wein und Branntewein eingeschränkt. Gekocht konnte nun durchaus nichts weiter werden, wenigstens in süßem Wasser nicht; dagegen machte das Seewasser alle Speisen beinahe ungenießbar.
Um einmal eine gute Tasse Caffe zu haben, gab ich zwei Flaschen Genever, jede zu sieben bis acht Gulden, für eine einzige Flasche[S. 261] Wasser hin. Zwar hatten wir zuweilen starke Regenschauer, allein dies half uns nichts. Segel, Holz- und Tauwerk waren nämlich so stark mit Salztheilen besezt, daß das herabfließende Wasser durchaus denselben Geschmack bekam. An unserem Mangel waren indessen die englischen Offiziere und Matrosen eigentlich selbst Schuld. Bei dem Umladen hatten sie nämlich mehrere Wasserfässer, die ihnen im Wege waren, zerschlagen; eben so hatten sie den größten Theil unseres Vorrathes zum Waschen verbraucht.
Fünf Tage hatten wir so aufs ungewisse herumgekreuzt, als endlich unser Lieutenant den Kurs nach St. Helena zu nehmen beschloß. Der Wind war heftig, aber auch äußerst günstig für uns. Dies war ein großes Glück, da jeder nur noch ein einziges Glas Wasser erhielt. So durchschnitten wir den ungeheuern Ocean ohngefähr vom Rio de la Plata an bis nach diesem einsamen Eiland. Vierzehn Tage waren vorüber, wir hatten nur noch Wasser auf einen einzigen,[S. 262] was gestern war. Da sahen wir mit aufgehender Sonne die schwarze, verbrannte, tausendfach in sich zerklüftete Felsenmasse vor uns. Aber bald verloren wir den Wind, und kamen nur mit Mühe heran. Doch als wir endlich um die hohen Felsen bogen, welch ein erfreulicher Anblick! Es war St. Jamestown, von hohen tropischen Bäumen beschattet, im Hintergrunde einer herrlichen Bai. Unvergeßlicher Abend! Meere und Himmel glänzten in Rosenglut. Bald erkannten wir auch unser Kriegsschiff, das vor 3 Tagen hier eingelaufen war, und ankerten sofort nicht weit davon.
Abends erhielten wir einen Besuch von einem Hamburger Capitain, der unter dänischer Flagge von Ostindien kommt. Er erbot sich, Briefe von uns mitzunehmen, und so wird ihm auch dieser zugestellt. Eben trifft die Antwort des Gouverneurs auf unser Bittgesuch ein, an's Land zu gehen. Sie ist, wie gewöhnlich, bejahend, und wir machen noch heute Gebrauch davon. — Ich umarme[S. 263] Sie mit Herzlichkeit; nächstens mehr von mir.
Bai von St. Helena,
Juli 1805.
Es ist ein trüber, regnigter Tag, wie immer in dieser Jahrszeit. Ich bin allein in der Cajüte, alle meine Reisegefährten befinden sich am Lande, so werde ich denn von Niemanden gestört. In der ersten Nacht, nachdem wir vor Anker gegangen waren, hatten wir noch einen gewaltigen Schrecken. Denken Sie, im Vertrauen auf den guten Ankergrund, hatte sich der Capitain mit einem einzigen Anker begnügt. Dieser »raakte los«, wie es in der Schiffersprache heißt, und wir trieben in die offene See. Es war kurz vor Mitternacht, als es die Wache zum Glück noch inne ward. Jezt entstand ein entsezlicher Lärm, und alles mußte sofort an die Arbeit. Wir Passagiere[S. 264] fuhren aus dem ersten Schlafe auf, und glaubten anfangs, daß Feuer ausgekommen sey. Mit vieler Mühe ward nun das Schiff wieder gewendet und in Sicherheit gebracht. Wir wurden indessen nicht eher ruhig, als bis auf jeder Seite ein großer Anker gefallen war.
Nachmittags fuhr ich nun mit dem Supercargo, der uns vom Kriegsschiffe aus besucht hatte, ans Land. Wir stiegen an einem schattigen Wege aus, der längs den Batterien bis zu dem Thore hinläuft. Was einem nun zuerst in die Augen fällt, ist Jamestown, zu deutsch Jacobsstadt. So heißt der einzige Ort, der auf der Insel befindlich ist. Denken Sie sich ein schmales, noch keine halbe Stunde langes Thal, auf beiden Seiten mit 2000 Fuß hohen Bergen eingefaßt. In diesem Thale denken Sie sich nun 3 bis 4 Straßen mit zierlichen Häusern besezt, und hier und da mit Bäumen vermischt, und Sie sehen Jamestown in der Natur vor sich. Die vornehmste Straße geht von Süden nach[S. 265] Norden, und endigt in einem sehr schönen Graben, der der Regierung gehört. Hier findet man die besten Häuser, alle in orientalischem Geschmacke, mit platten Dächern, und Gallerien erbaut. Sie haben sämmtlich kleine Gärten, wo man die herrlichsten Blumen zieht. Da das Thal aufwärts steigt, ragen die hintersten Häuser etwas über die vordersten empor, und haben die Aussicht auf die Bai. In der Mitte der Straße befindet sich ein Grasplatz mit Bäumen besezt, auf dem ein schöner Brunnen steht. Ganz am Ende liegt ein schöner schattiger Gottesacker, wo wir einige geschmackvolle Grabmäler sahen.
Als wir die Straße wieder herunter giengen, traten wir einen Augenblick in den oben erwähnten Graben hinein. Er steht jedermann offen, und ist mit den herrlichsten Pflanzen aller Welttheile bedeckt. Ein artiges Haus von Bananas, Citronen, Orangen und Palmen beschattet, zog besonders unsere Aufmerksamkeit auf sich. Es schien uns der beneidenswertheste[S. 266] Aufenthalt auf der Welt. Plözlich hörten wir hinter uns holländisch sprechen, und erfuhren zu unserm Erstaunen, daß ein großer Theil der gefangenen Garnison von Surinam hier in englische Dienste getreten sey. Die Soldaten klagten aber sehr über die Theurung, besonders über den Mangel an frischem Fleisch. Es ist freilich natürlich, daß man alles für die Schiffe aufhebt, und daß sich folglich der gemeine Mann mit seinen gesalzenen Rationen begnügen muß.
Wir giengen nun weiter, um die übrigen merkwürdigen Gebäude von Jamestown zu besehen. Hier wurde uns zuerst das Haus des Gouverneurs gezeigt. Es liegt hart am Strande, mit der Vorderseite nach der Bai gekehrt, wird aber von dem Wege, der an der Batterie hinläuft, durch eine Mauer getrennt. Es ist unstreitig das schönste und größte Gebäude auf St. Helena. Die meisten Zimmer sind mit persischen Teppichen, ostindischen Moußelinbehängen u. s. w. verziert, und mit prächtigen Mobilien von Ebenholz[S. 267] versehen. In einem derselben sind die Bildnisse der englischen Könige von Carl I. bis Georg III. ausgehängt; auch findet man einen schönen Waffensaal. Der Graben enthält eine Menge seltner Pflanzen, und zeichnet sich durch seine trefliche Lage aus. Allein es ist ein eigener Anblick, wenn man die hohen Felsen dahinter so darüber herhängen sieht.
Weiter besahen wir die Kirche, die auf einem freien Platze steht. Sie ist von innen und außen recht zierlich anzusehen, und hat auch einen schönen Thurm mit Glocke und Uhrwerk. Eben so nimmt sich das Schauspielhaus, in geringer Entfernung davon, nicht übel aus. Dasselbe gilt von der Freimaurerloge, der neuen Offizierscaserne, und dem Billiardhaus. Lezteres ist zugleich ein Wirthshaus, wo ich die Nacht zu bleiben beschloß, indem der Supercargo zu einem Bekannten eingeladen war. Mein Abendessen bestand aus Salat, und einem Schinkenbeine, nebst zwei Gläschen Rum. Mein Bett war nicht das beste, und ein Frühstück[S. 268] forderte ich nicht. Jezt rathen Sie einmal, was die Zeche war? O nur eine Kleinigkeit! Nicht mehr als sechs und zwanzig Gulden holl., man kann nicht billiger seyn! — So sah ich denn mit einemmale, wie theuer hier Alles ist. Gegen Mittag fuhren wir an Bord zurück.
Bai von St. Helena,
Juli 1805.
Vorgestern erhielt ich einen unvermutheten Besuch von einem unserer Landsleute, der hier ein artiges Haus und einen großen Kaufladen besizt. Ich mußte ihn an's Land begleiten, und den Sonntag bei ihm zubringen, was ich natürlich sehr gern annahm. Er bewirthete mich aufs Beste, und ganz auf vaterländische Art. Bis auf den Roodkorß[19], nichts, gar nichts fehlte; alles war da.[S. 269] Später nahmen wir den Thee in seinem Garten unter einem herrlichen Orangenbaume ein.
Das Innere der guten Häuser ist sich hier fast durchgehends gleich. Die meisten haben zwei, auch wohl drei Stockwerke, die sehr regelmäßig eingetheilt sind. Um die beiden ersten Stockwerke pflegen Gallerien zu laufen, was sehr viel zur Kühlung beiträgt. Verwundert bin ich indessen, keine steinerne Fußböden zu sehen. Die Möbeln sind alle aus England; doch werden auch Stühle und Kanapees aus einer Art hiesigen ostindischen Binsen gemacht. Diese schönen Häuser sind aber einen großen Theil des Jahrs gänzlich unbewohnt.
Die Eigenthümer halten sich nämlich im Innern der Insel auf ihren Landgütern auf. Diese sind als eben so viele Einsiedeleien zu betrachten, indem jedes von dem andern durch Felsen und Schluchten getrennt ist. Nur wenn die ostindischen Flotten ankommen, eilt alles nach der Stadt. Jedes Haus wird dann ein Gasthaus, wo der Fremde Kost und Wohnung[S. 270] finden kann, sobald er kein Geld zu sparen braucht. St. Jamestown ist dann äußerst belebt; Concerte, Bälle u. s. w. wechseln unaufhörlich ab. Auch werden zu dieser Zeit große Geschäfte in ostindischen und chinesischen Waaren gemacht. Hieraus wird erklärlich, warum die hiesigen Kaufläden so überflüßig damit versehen sind.
Man lebt hier im Allgemeinen ganz auf englische Art. Zum Frühstück: Thee, Butterbrod, kaltes Fleisch, gebackenen Fisch, und Kapwein. Zum Mittag: Rostbeef, oder Beefsteeck, gesottenen oder gebackenen Fisch, Gemüse und Pudding. Der Nachtisch von den auserlesensten Früchten; Kapwein, Madera und Bordeaux. Abends eine Kleinigkeit. Ein kleines Gebäcke, oder auch nur Brod mit einem Glase Milch, Ale, Groy[20], oder Wein. Ich finde dies sehr gesund; man schläft vortrefflich darauf.
Die Insel selbst bringt mancherlei Lebensmittel[S. 271] hervor. Dahin rechne ich außer etwas Weizen, vorzüglich die vortrefflichen Erdäpfel, die man das ganze Jahr hindurch in Ueberfluß hat. Dann die köstlichen Yams, die mit den Erdäpfeln verbunden das beste Brodsurrogat sind. Eben so eine Menge herrlicher Früchte, wie Citronen, Orangen, Melonen, Ananasse u. dgl. mehr. Auch fehlt es nicht an europäischen Gemüsen fast aller Art. Mehrere antiscorbutische Gewächse und Kräuter, wie z. B. eine Art Portulak, und Sellerie, die Petersilie, die Wasserkresse u. s. w. findet man hier das ganze Jahr an der Küste im Ueberfluß.
Das hiesige Rindfleisch ist vortrefflich, aber freilich so theuer, daß es nur der Wohlhabende bezahlen kann. Dieß kommt von den Viehseuchen her, die nicht selten aus Mangel an Wasser entstehen. Noch vor wenig Jahren z. B. kamen mehr als 2000 Stück schöne Rinder bei einer anhaltenden Dürre um. Schaafe und Ziegen giebt es viel, doch ist das Hammelfleisch etwas zäh. Das Schweinefleisch[S. 272] hingegen ist ausnehmend gut. Wir hatten gestern ein Spanferkel von einzigem Geschmack.
An Geflügel und kleinem Wildpret fehlt es ebenfalls nicht. Man hat Rebhühner, Fasanen, Tauben u. s. w. besonders aber Hühner und Enten in Ueberfluß. Der aus Ostindien eingeführte Reisvogel vermehrt sich hier außerordentlich, und zwar sonderbar genug auf den Anhöhen. Auch die Kaninchen und Guineahühner, die der Gouverneur aus Liebhaberei unterhält, dürften in kurzem sehr zahlreich seyn. Seefische werden in ungeheurer Menge gefangen; man zählt nicht weniger als 70 Arten davon. Auch an Schildkröten fehlt es nicht, doch erhält man die größten von der Insel Ascension. Das Trinkwasser ist das treflichste, das man finden kann.
Was St. Helena sonst noch braucht, wird aus Englands vom Kap, aus Brasilien und von Angola zugeführt. Jährlich kommen nämlich wenigstens vier, und zuweilen noch mehr Proviantschiffe mit den nöthigen Artikeln,[S. 273] wie Mehl, Pökelfleisch, Schinken, Zungen, Weizen, Schaafen, Butter, Wein, Manufakturwaaren u. s. w. an. Es fehlt daher in der Regel an nichts in St. Helena, nur daß alles, zumal wenn die ostindischen Flotten da liegen, ungemein theuer ist.
So kostet z. B. ein Huhn nicht weniger als zwölf Gulden holländisch[21], während ein kaum jähriges Ferkel mit hundert siebenzig Gulden bezahlt wird. Ein Pfund Havanah Cigarren kostet 36 Gulden, ein Glas Liqueur einen Gulden, und so fort. Jeder Verkäufer nimmt hier 180 bis 200 pro Cent. So der Einwohner, der an die Schiffe abgiebt, so der Schiffer, der seine Waaren absezt. Man sollte gar nicht glauben, wie viel Geld hier in Umlauf kommt. Vor einigen Tagen z. B. verkaufte nur ein Capitain in weniger als 2 Stunden für 7000 Pagoden[22] an Werth. Die Kriegsschiffe, die hier mit Prisen einlaufen,[S. 274] lassen oft hunderttausende zurück. Auf diese Art leben die Einwohner, wenn man die Beamten abrechnet, durchgehends von der Landwirtschaft und dem Schiffsverkehr.
Bai von St. Helena,
Juli 1805.
Was ich so oft gehört habe, finde ich nun vollkommen bestätigt: das Clima von St. Helena ist wirklich sehr angenehm. Dies kommt besonders von dem Paßatwinde her, der unaufhörlich über die Insel weht, und die Luft beständig rein und kühl erhält. Erdbeben und Orkane, in den tropischen Gegenden sonst so häufig, sind hier unbekannt. Es regnet selten, oft, wie man behauptet, in zehn, zwölf Monaten und darüber nicht. Als Ursache hiervon giebt man die Stätigkeit des Paßatwindes, so wie die abgeschnittene Lage, den geringen Umfang, und die verhältnißmäßige[S. 275] Kahlheit der Insel an. Indessen scheint gewiß, daß die hiesige Atmosphäre seit ungefähr 50 Jahren etwas feuchter geworden ist, daß seit dem vermehrten Anbaue ungleich mehr Regen fällt, und daß man eine anhaltende Dürre immer weniger zu fürchten hat.
Wichtig scheint die Bemerkung, daß die Luft auf St. Helena überall, in den Thälern wie auf den Bergen, an den Küsten wie im Innern der Insel, gleich vortreflich ist. Der Wärmegrad hingegen wechselt natürlich nach den Höhepunkten ab. Auf den höchsten Punkten fällt der Wärmemesser bis unter 54° Fahr. herab, während er im St. Jamesthale bis 84° steigt. Beides wird aber freilich nur selten bemerkt. Der sogenannte Wintermonat, der halbe Juni und Juli, pflegt hier am kühlsten zu seyn. Der Himmel ist dann häufig bedeckt, es fallen ziemliche Regenschauer, und nicht selten ist die ganze Insel in einen leichten Nebel verhüllt.
Wie gesund die Luft von St. Helena sey,[S. 276] beweißt unter andern auch das Ansehen der Einwohner, besonders derer, die hier geboren sind. Da ist keine Spur von jener Totenfarbe, jener Abmagerung und Schwäche, wie man sie in andern Theilen von Asien und Afrika bemerkt. Ohne etwas von schweren Krankheiten oder peinigenden chronischen Uebeln zu wissen, erreichen die meisten Einwohner ein sehr hohes Alter, und zeigen noch oft im 70, ja 80sten Jahre, ungemeine Kraft und Munterkeit. Eben so erholen sich die siechsten Personen, an deren Leben man in Ostindien verzweifelte, auf St. Helena größtentheils mit unglaublicher Schnelligkeit.
Von der gefährlichen Nachtluft, die in den tropischen Ländern oft so tödtlich ist, weiß man hier ebenfalls nichts. Im Gegentheil, man kann sogar am Strande schlafen, ohne daß man das Mindeste davon zu fürchten hat. Dies geschieht denn auch von den Matrosen sehr häufig, indem die Schiffe gerade der Stadt gegenüber vor Anker gehen. So vereinigt sich denn Alles, um St. Helena[S. 277] zu einem macenarischen Posten zu machen, der für den englisch-ostindischen Handel sehr wichtig ist. Hier finden nämlich die nach Europa segelnden Schiffe gleichsam auf halbem Wege, den besten Erfrischungsort. Ich sage, die nach Europa segelnden, weil nur diese über St. Helena gehen. Die aus Europa kommenden legen nämlich am Kap an. Dieser Unterschied wird durch die Abweichung des Paßatwindes bestimmt.
Der Umfang der Insel wird auf höchstens 12 Stunden geschäzt. Die größte Länge soll von 6, die größte Breite von 4 Stunden seyn. Die Bevölkerung giebt man auf 2300 Seelen an, worunter 5-600 Mann Garnison, und 7-800 Neger mit begriffen sind. Für die Sicherheit der Insel ist nach Möglichkeit gesorgt. Nicht genug, daß jede Landung durch die hohen Felsen und die heftige Brandung sehr erschwert wird; es sind auch auf den vornehmsten Punkten Batterien und Bollwerke angelegt.
Zugleich sind auf den benachbarten Felsengipfeln[S. 278] immer große Steinvorräthe in Bereitschaft. Auf dem höchsten Punkte der Insel, auf dem Dianenpik, ist ein Wachthaus, von dem man alle Schiffe in der Entfernung von vielen Stunden signalisirt. Eben so sind rund um die Insel Telegraphen errichtet, die sämmtlich mit St. Jamestown in Verbindung stehn. Die Disciplin der Garnison ist sehr gut, und alle Morgen sorgfältiger Namensaufruf. Sobald man nun einen Mann vermißt, wird sogleich Embargo auf die Schiffe gelegt. Dies macht das Desertiren beinahe unmöglich, indem nicht leicht ein Schiffer die Hand dazu bieten wird.
Der jetzige Gouverneur ist ein sehr thätiger und einsichtsvoller Mann. Er hat sich bereits in vielen Hinsichten um St. Helena sehr verdient gemacht. Unter andern hat er eine Einrichtung getroffen, die äußerst nüzlich geworden ist. Alle Vergehungen werden nämlich mit einer verhältnißmäßigen Strafarbeit gebüßt. So wurden mehrere öffentliche Gebäude aufgeführt, die Inselwege verbessert,[S. 279] wüste Strecken angebaut u. dgl. mehr. Der schöne Compagniegarten z. B. entstand allein auf diese Art. Vorher war es ein wüster Platz, wo aller Unrath von St. Jamestown zusammenfloß. Jezt ist es die herrlichste Pflanzung, die man sehen kann.
Die Feldarbeiten werden hier durch Neger verrichtet, die zum Theil freie Leute sind. Der Sclavenhandel ist schon seit 25 Jahren und darüber abgeschafft. Dies hat auf den Anbau der Insel den glücklichsten Einfluß gehabt. Indessen halten sich auch die freien Neger freiwillig zu den einzelnen Gutsbesitzern, was für beide Theile gleich vortheilhaft ist. Eben so sieht man deren als Bediente, Jäger, Aufwärter, theils auf dem Lande, theils in St. Jamestown. Man rechnet in allem 7-800 zusammen, worunter die Weiber die Mehrzahl sind.
Von diesen leben sehr viele in der Stadt. Sie werden besonders als geschickte Näherinnen, Köchinnen und Wäscherinnen gelobt. Die jüngere und schönere treiben ein bekanntes[S. 280] Nebenhandwerk, das während der Anwesenheit der ostindischen Flotten sehr einträglich ist. Die meisten Negerinnen berechnen ihr Alter theils nach dem Monde, theils nach den Proviantschiffen aus England. — »Ich bin 300 Proviantschiffe alt!« — gab mir eine sehr betagte Frau zur Antwort. Dies macht, 4 Proviantschiffe auf das Jahr gerechnet, nicht weniger als 75 Jahre.
Zwei Tage nachher.
Werden Sie glauben, theuerster Freund, daß von der Fortsetzung meiner Reise nach der Kapstadt die Rede gewesen ist? Hören Sie nur! Vor ungefähr 5 Tagen lief hier ein kleines Kapsches Schiff mit Wein und Butter ein. Der Capitain hörte von uns, und bot uns gegen gute Bezahlung sofort die Ueberfahrt an. Meine sämmtlichen Gefährten entschlossen sich fast augenblicklich dazu, ich aber nahm mir vor, etwas bedächtlicher zu Werke zu gehn.
Den andern Tag ward ich zu dem Capitain[S. 281] unseres Kriegsschiffes eingeladen; was schon mehrmals der Fall gewesen war. Er erklärte mir, er würde in 5, 6 Tagen unter Segel gehn. Ob ich ihn begleiten, meine Reise nach dem Kap fortsetzen, oder auf St. Helena bleiben wolle, sey mir freigestellt. Ich bat um eine Stunde Bedenkzeit, und entschloß mich zur Reise nach — England.
Sie werden erstaunen, verehrter Freund, aber hören Sie meine Gründe an. Zuerst ist das Kapsche Schiff ein kleines, altes und sehr schlechtes Fahrzeug, wie sie es in der Regel fast alle sind. Zweitens sind wir im Regenmonßon, wo es in diesen Gewässern, und gerade in der Nähe des Kaps, sehr heftige Stürme giebt. Drittens ist die Reise von St. Helena nach dem Kap ohnehin schon beschwerlich, da man, um den Paßatwind zu bekommen, einen bedeutenden Umweg machen, und wenigstens einen Monat darauf rechnen muß. Viertens endlich glaubte ich, allen Umständen zufolge, durchaus an mein erstes Schiff und dessen Schicksal gebunden zu seyn.[S. 282] Der Capitain selbst gab mir vollkommen Recht. Ich werde nun noch eine Rundreise um die Insel machen, wozu die Erlaubniß bereits ausgewirkt ist, und dann mit vollen Segeln nach Europa zurück!
Bai von St. Helena,
August 1805.
Jezt erst kann ich sagen, daß mir St. Helena in jeder Hinsicht bekannt geworden ist. Vorgestern in aller Frühe brach ich von St. Jamestown auf. Mein Führer war ein alter ehrlicher Bootsmann, aber in Wahrheit noch rüstig genug. Wir stiegen zuerst einen hohen, kahlen Felsen, den sogenannten Ladderhill, hinan. Von der Bai aus gesehn, faßt er die rechte Seite des Thales ein. Der ziemlich steile Weg ist in den Basalt gehauen, und überall mit einer gemauerten Brustwehr versehn. Gewöhnlich wird bis auf den Gipfel nur eine halbe Stunde abrechnet; wir brauchten aber an drei Viertelstunden dazu.
[S. 283]
Auf dem höchsten Punkte befindet sich eine Batterie, die einen beträchtlichen Theil der Bai bestreicht, nebst einem Flaggenbaum. Daneben sind mehrere Baraken für die Artilleristen, die diesen Posten, wegen der reinen kühlen Luft, allen andern vorziehn. Sie haben ihre Weiber und Kinder bei sich, und bauen ihre kleinen Gemüsegärten sehr sorgfältig an. Die Aufsicht vom Ladderhill ist aber nichts weniger als schön. Auf der einen Seite hat man nichts als nakte Felsen; auf der andern das einsame Meer. Die Stadt selbst nimmt sich in der furchtbaren Tiefe wie ein Haufen Kartenhäuser aus.
Wir erquickten uns mit einem Glase Rum und stiegen dann einen zweiten, gleichfalls ganz kahlen Felsen hinan. Aber wie angenehm werden wir dafür auf dem Gipfel überrascht! Ein liebliches Thal mit grünenden Bergen eingefaßt, lag im glänzenden Morgenlichte vor uns da. Die Pisangs, die Cocospalmen, die Orangen und Bananas; weidende Heerden auf üppigen Wiesen; zierliche[S. 284] Landhäuser zwischen Fruchtbäumen versteckt; alles blühend und grünend, alles in Schönheit und Herrlichkeit; ein irdisches Paradies vom liebenden Himmel geküßt.
Wir wanderten nun am Rande dieses entzückenden Thales immer am Abhange des Berges hin. Der Weg war mit Lorbeer- und Myrthensträuchen, mit Citronen-, Orangen- und Feigenbäumen eingefaßt. Sie bildeten einen so dichten Schattengang, daß uns die Sonne nicht im mindesten beschwerlich fiel. Ich kaufte von einem alten Neger einige Orangen zu einem halben Stüber[23] das Stück, und fand dieselben von vortrefflichem Geschmacke. Gegen Mittag kamen wir an ein schönes Landhaus, das dem Gouverneur gehört. Wir fanden blos einige Neger und Negerinnen daselbst, und konnten es also nach Belieben besehen. Es ist ein treffliches Gebäude, vorn mit einer großen schattigen Kastanienallee, hinten mit[S. 285] einem herrlichen Garten versehen. Am Ende des Gartens befindet sich ein Hügel, auf den man Bäume, Gebüsche und Blumen aus China und aus England vom Kap und von den Südseeinseln beisammen sieht.
Das Innere dieses Landhauses ist sehr geschmackvoll verziert; überall sind die schönsten englischen Möbeln, auch eine Menge ostindischer und chinesischer Kostbarkeiten aufgestellt. Unter andern bemerkte ich ein schönes Fortepiano von Mahagony. Es war, wie ich hörte, auf der Insel selbst gebaut, und zwar von einem Deutschen, der mit den holländischen Truppen aus Surinam hierher gekommen ist. Er besizt bereits ein schönes Haus zu St. Jamestown, und schickt jährlich eine Menge musikalischer Instrumente, besonders aber Pianofortes, theils nach dem Kap, theils nach Batavia. Die wohlfeilsten werden ihm mit 60 Guineen, die theuersten mit 180 bis 200 bezahlt. Leztere sind mit den feinsten ostindischen Holzarten ausgelegt. Nachdem wir dies alles besehen hatten, nahmen[S. 286] wir eine ländliche Mahlzeit von Milch und Eiern zu uns, und sezten nach einem kleinen Mittagsschlafe unsere Wanderung weiter fort. Der ehrliche alte schwarze Castellan fand sich mit einem guten Stück Tabak über seine Erwartung bezahlt.
Wir wendeten uns nun südöstlich, und kamen bald zu einem anderen schönen Landhause, das einem Herrn Vrangham gehört. Die hier gezogenen Früchte und Gemüse sollen die besten auf der ganzen Insel seyn. Kein Wunder, daß daher blos der Obstgarten für 200 Pfund jährlich verpachtet ist. Ich bemerkte viel herrliches Wiesenland, sah aber nirgends Vieh darauf. Gleichwohl befindet sich ein starker Bach in der Nähe, der sich ins Meer ergießt. Das Wasser ist krystallhell, die Ufer sind mit den schönsten Blumen bedeckt.
Wir steuerten weiter nach Sandybay, immer längs einer Reihe mit Lorbeern und Myrthen bedeckter Berge hin. Dies ist der breiteste und bequemste Weg auf der Insel,[S. 287] so daß man selbst zu Wagen fortkommen kann. Allmählig stiegen wir aufwärts, und bald sahen wir das große liebliche Sandybay Thal vor uns. Das Farbenspiel der untergehenden Sonne war entzückend schön; die ganze Landschaft schien in Rosenglut getaucht.
So kamen wir bei dem Landhause eines Herrn Doreton an, das sehr romantisch an dem Abhange liegt. Ich hatte einige Zeilen an den Verwalter, und war daher ein sehr willkommener Gast. Augenblicklich sezte er uns herrliche Milch, frisches Brod und köstliche Früchte vor, während seine Frau ein vollständiges Abendessen versprach. Ich erfrischte mich mit einem Paar Stücken Ananas, und betrachtete die Landschaft, über der jezt der Mond aufgieng.
Nach ungefähr einer kleinen Stunde rief mich der alte ehrliche Neger zum Abendessen hinein. Ich trat in einen freundlichen Gartensaal, der mit den schönsten Kupferstichen verziert war. In der Mitte war ein ziemlicher Tisch gedeckt, und mit allerhand guten[S. 288] Sachen besezt. Wir hatten ein treffliches Stück Rostbeef, eine Schüssel mit Lamscerbonade, zwei andere mit Yams und Erdäpfeln, zwei Teller mit europäischen Pfeffergurken und Eingemachtem, ein Körbchen voll herrlicher Früchte, und eine große Flasche Maderasekt. Hungrig, wie wir nach einer solchen Tagereise waren, langten wir nunmehr herzhaft zu. Es war ein wunderschöner Abend; ich blieb bis nach zehn Uhr auf.
Endlich wieß mir der Verwalter ein Schlafzimmer an. Es war äußerst kühl und reinlich, dennoch that ich die ganze Nacht kein Auge zu. Hieran war eine Legion von Mäusen Schuld, die ihr Unwesen ins unglaubliche trieb. Sie liefen über mich hin und her, gänzlich ungenirt. Endlich kleidete ich mich an, und begab mich auf die Terrasse, wo ich von zwei bis sechs Uhr vollkommene Ruhe fand. Als es Morgen geworden war, brachten die guten Leute ein treffliches Frühstück, auf dem feinsten japanischen Porcellan. Ich beschenkte den Mann mit einem[S. 289] tüchtigen Stücke Tabak, und die Frau mit einigen Briefen Nadeln, nebst einem Röllchen Seidenband, was ihre Erwartung übertraf. So war es fast sieben Uhr geworden; endlich brachen wir auf.
Wir nahmen nun unsern Curs nach Longwood, ein der Compagnie gehöriges Gut, das auf der östlichen Seite der Insel liegt. Der fast zweistündige Weg dahin ist äußerst angenehm, und führt am Fuße des Dianenpik hin. Dies ist der höchste Gipfel von St. Helena, der sich fast 2700 Fuß über die Meeresfläche erhebt. Weiterhin sahen wir die artigen Landhäuser der Herren Pierin und Bazelt mit weitläuftigen Pflanzungen umringt. Hier wird das meiste und vorzüglichste Gemüse auf der ganzen Insel gebaut, was den Besitzern große Summen einträgt. Der Kohl wird für den besten auf der ganzen Welt gehalten, giebt aber keinen Marktartikel ab. Ich sah auch hier eine schöne Rinderheerde, so groß und fett, wie bei uns in Holland.
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Zu meinem Erstaunen ward ich auf diesem ganzen Wege eine Menge Kaninchen gewahr. Sie haben Lager wie die Hasen, und schweifen unaufhörlich umher. Man fängt sie daher fast auf die nämliche Art. Zu gleicher Zeit bekamen wir auch sehr viel Tauben, Fasanen und Rebhühner zu Gesicht. Longwood[24] selbst, ist eine sehr schöne Besitzung. Sie liegt auf der Fläche eines Berges, der nicht weniger als drei englische Meilen[25] im Umfange hat. Das Haus ist mit einem weitläufigen Parke, einem vortrefflich unterhaltenen Garten, und herrlichen Wiesengründen umringt. Von der Gallerie und aus den meisten Zimmern hat man eine entzückende Aussicht auf die benachbarten pittoresken Thäler, auf die Bay von St. James und den Ocean. In der Regel wird Longwood von dem Vicegouverneur bewohnt.
[S. 291]
Von hier aus führen nun wieder zwei Wege nach St. Jamestown; der eine mitten durch die Insel; der andere längs der Küste hin. Jener ist äußerst pittoresk, wegen des beständigen Auf- und Absteigens aber sehr unbequem. Dieser ist weniger romantisch, ja zuweilen sogar unangenehm; doch bietet er nur selten beschwerliche Stellen dar. Ich beschloß den lezteren zu wählen, um auch die minder angebauten Gegenden des Eylandes zu sehen. In der That fanden wir auch nichts als kleine einsame Negerhütten mit Frucht- und Gemüsegärten umringt. So wanderten wir unter Lorbeer- und Cypressenbäumen bis Mittag fort, wo unter einem Pisang Halt gemacht ward. Mein Führer hatte sich nämlich auf Herrn Doretons Gute mit Wein, Brod und Schinken versehen, und wir hielten auf diese Art eine sehr gute Mahlzeit. Auf den benachbarten waldigen Bergen schwärmten Rehböcke herum, und aus der Ferne donnerte ein herrlicher Wasserfall.
[S. 292]
Nach einigen Stunden Ruhe machten wir uns wieder auf den Weg, und bekamen nachher den Wasserfall selbst zu Gesicht. Er stürzt sich an dreihundert Fuß hoch von einem pittoresken Felsen herab, und bildet einen crystallhellen ziemlich starken Bach. Das Wasser wird theils in Röhren nach St. Jamestown geleitet, theils fließt es dem Meere zu, wo es von den Schiffen benuzt wird. Bald näherten wir uns nun wieder der St. James-Bay. Auch hier, wie durchaus längs der Küste, war der Weg mit guten Brustmauern versehen. Endlich ließen wir einen hohen Berg mit einem Fort seitwärts liegen, und stiegen gerade Ladderhill gegenüber wieder nach St. Jamestown herab. So hatte ich denn die ganze Rundreise um die Insel von Westen nach Osten in zwei Tagen gemacht. Morgen und übermorgen besorge ich noch meine Einkäufe, und dann für wenigstens zwei Monate wieder an Bord.
[S. 293]
In See, August 1805.
Gestern verließen wir St. Helena. Ich schlief noch ganz ruhig in meiner Koje[26], als ich durch die Signalschüsse geweckt ward. Schnell zog ich mich an, und eilte auf das Verdeck. Eben stieg die Sonne aus dem Meere auf, und alle Schiffe glänzten im Morgenroth. Wir hatten deren noch sechs in unserer Begleitung, lauter große Ostindien- und Chinafahrer mit Ladungen von unermeßlichem Werth. Der Südostpassat war uns äußerst günstig, bald lag die Insel gleich einem schwarzen Streifen hinter uns, und heute sind wir schon viele Meilen davon entfernt. Ich habe jezt die eine Hütte ganz für mich. So kann ich mich der zweiten Koje als Vorrathskammer bedienen, und bin in allem weit besser daran, als ehedem. Die[S. 294] Kost ist erträglich, das beste müssen aber auch diesmal die eigenen Provisionen thun.
12. August.
Vorgestern segelten wir die Insel St. Ascension vorbei, sie bietet dem Auge nichts als kahle Klippen dar. Das Segeln in Convoy hält unsere Fahrt nicht wenig auf. Immer bleibt ein und das andere Schiff zurück, auf das gewartet werden muß. Dann ist bald dies, bald jenes zu thun. Dann ruft bald dieser, bald jener das Kriegsschiff an. So lagen wir oft drei und mehrere Stunden bei, wobei es nicht an gegenseitigem Besuchen fehlt. Auf dem einen Ostindienfahrer giebt es fast alle Abende große Musik. Es sind besonders Blasinstrumente, was auf der See von ganz eigener Wirkung ist. Morgen passiren wir die Linie, doch finden keine Feierlichkeiten statt.
30. August.
Seit 10 Tagen haben wir den Südostpassat verloren, und rücken nur langsam fort.[S. 295] Der Himmel ist bedeckt, der Barometer gefallen, der Wind veränderlich. Wir sahen unter der Linie einige Wallfische, sie glichen von weitem einem großen umgekehrten Schiffe, das mit den Masten nach unten liegt. Sehr schön nahmen sich die hohen von ihnen ausgeworfenen Wasserstrahlen aus. Sie bildeten, ehe sie wieder niedersanken, einen majestätischen Bogen im herrlichsten Farbenspiel.
Vorige Nacht hätten wir beinahe ein großes Unglück gehabt. Der eine Ostindienfahrer war nämlich vom Curse abgekommen, und schoß in der Nacht kaum anderthalb Fuß vor unserm Vorderstewon[27] vorbei. Wir haben Wassermangel, so eben höre ich aber, daß man uns vom Kriegsschiffe drei große Fässer zugeschickt hat. Nun so will ich mir denn seit 8 Tagen den ersten Thee wieder machen, der mir wie Nektar schmecken soll.
[S. 296]
9. September.
Der Capitain hat die Luken öffnen lassen, um nach der Ladung zu sehen. Es ist viel Seewasser eingedrungen, der Schaden scheint größer als man geglaubt hat. Dies ist aber sehr natürlich, da alles unter einander geworfen worden war. So liegen die Kisten mit den feinen Tüchern oben auf. Auch die meinigen sind bis auf den Grund durchnäßt. Die Bücher z. B. bilden nichts als eine verschimmelte Masse, so daß ich sie nur ins Meer werfen kann. Die Matrosen sind jezt beschäftigt, das Schiff anzumalen, und bringen überall, wo sichs nur schicken will, eine Stückpforte an. Wir sollen von weitem recht furchtbar aussehn, damit sich kein französischer Kaper an uns macht. Unsere Fahrt war bei dem veränderlichen Winde langweilig genug. Allein gegen Ende der vorigen Woche bekamen wir den Westpassat, und nun geht es fröhlich den europäischen Gewässern zu.
[S. 297]
27. September.
Gestern war ein angstvoller Tag für uns. Ohngefähr auf der Höhe von Kap finisterre rief uns am 24. ein englischer Kutter an. Er gab uns Nachricht, daß der ganze Golf von Biscaya, und besonders die Einfahrt des Kanals mit französischen Kriegsschiffen bedeckt sey. Sie hätten den größten Theil eines nach Westindien bestimmten Convoys genommen, und sich sogar an der englischen Küste gezeigt. Der Capitain unseres Kriegsschiffes hielt es daher fürs beste, seinen Kurs so nördlich als möglich zu nehmen, theilte indessen auf jeden Fall die nöthigen Befehle aus.
Gestern um 9 Uhr Morgens tauchten in großer Entfernung einige Kriegsschiffe auf. Man sah sie allgemein für englische an. Allein um 1 Uhr Nachmittags zeigte sich leider das Gegenteil. Es waren 3 französische Fregatten, von denen die eine mit vollen Segeln auf unser Kriegsschiff zukam. Indessen dauerte es doch noch fast eine Stunde,[S. 298] ehe das eigentliche Gefecht seinen Anfang nahm. Es scheint, daß man auf beiden Schiffen noch mit den Zurüstungen beschäftigt war. Endlich schickte die Fregatte dem Kriegsschiffe einige Kugeln und bald darauf eine ganze Ladung zu, und nun begann der Kampf mit Heftigkeit.
Unser Kriegsschiff leistete den tapfersten Widerstand, selbst als schon in der ersten halben Stunde die zweite, und endlich auch die dritte Fregatte dazu gekommen war. So dauerte das Gefecht, mit einer kleinen Pause bis gegen Abend fort. Jezt aber mußte das Kriegsschiff streichen, worauf es von den Franzosen in Besitz genommen ward. Wir sahen jezt die eine Fregatte auf die Convoy loskommen, benuzten aber den Vortheil des Windes und der Dämmerung, und entgiengen ihr. Doch zweifle ich, ob dies allen Schiffen geglückt seyn mag.
Unsere Offiziere und Matrosen waren über[S. 299] den Sieg der French Dogs[28] vor Wuth ganz außer sich. Sie schwuren, die Prise bis auf das Aeußerste zu verteidigen, und sollte es ihr lezter Augenblick seyn. Die Lichter wurden bedeckt, die Kanonen und Gewehre in Stand gesezt. Jeder hielt sich auf seinem Posten, und spähte in die düstere See hinaus. Indessen bekamen wir nur einige Schiffe und diese sämmtlich nur an der französischen Küste zu Gesicht. Wir erkannten sie in ziemlicher Entfernung an den drei großen Laternen des Hintertheils.
Heute Morgens um 8 Uhr aber erblickten wir ein Schiff, das mit vollem Winde auf uns zugesegelt kam. — »Jezt gilt es Leben oder Tod!« — rief der englische Lieutenant und munterte das Schiffsvolk durch eine kräftige Anrede zum Gefechte auf. Wir Passagiere, der vorige Capitain, der Schiffsarzt und ich, mußten uns in den Raum begeben, und brachten hier eine Stunde in Todesangst[S. 300] zu. Doch endlich hörten wir ein lautes Freudengeschrei, wurden hinaufgerufen, und sahen, daß jenes Schiff ein englischer Kutter von 34 Kanonen war. Er kam uns nun in kurzem zur Seite, und theilte uns allerhand Neuigkeiten mit.
5. October 1805. Morgens.
Wir haben die Küsten von Cornwallis in Gesicht, der Wind ist südost, und also in hohem Grade günstig für uns. Die schönen grünenden Berge mit ihren alten Kastelen glänzen im Sonnenschein, und eine Menge freundlicher Häuser ragen zwischen Baumgruppen hervor. — Ein Amerikaner hat uns mit herrlichem Pökelfleische und Kartoffeln ein erwünschtes Geschenk gemacht. Auch wird so eben ein Netz mit Sardellen aufgefischt. Alles auf dem Schiffe ist Leben und Fröhlichkeit. Wir sehen eine abgehende westindische Kauffartheiflotte von mehr als hundert Segeln, die von zwei Kriegsschiffen escortirt wird. Es ist ein unaussprechlich erhabener Anblick.[S. 301] Noch diesen Abend segeln wir um Cap Lezard herum.
Plymouth, 7 October 1805.
Als ich gestern Morgens erwachte, befanden wir uns in der Cawsandbay. Welcher Mastenwald! Welches Leben und welche Thätigkeit! Ich sage nicht zu viel, es lagen hier an 500 Schiffe zusammen, und dazwischen fuhren unzählige Schaluppen hin und her. Nicht weniger angenehm war der Landprospect. Ein Halbzirkel von herrlichen angebauten Bergen, in den Abhängen mit freundlichen Landhäusern, an dem Fuße mit schönen Dörfern bedeckt. Hier weidende Heerden, dort wohlgekleidete Feldarbeiter, und im Hintergrunde auf der höchsten Spitze ein Telegraphenthurm. Bald kamen nun eine Menge Boote mit Lebensmitteln an unser Schiff. Ich kaufte mir Wasser, Milch, Brod, Butter und Obst, und hielt ein köstliches Frühstück damit. Wenn man so nach drei Monaten zum erstenmal wieder einen frischen[S. 302] Trunk reines Quellwasser kostet — es ist ein Genuß, der sich nicht mit Worten beschreiben läßt.
Unterdessen ward es von Stunde zu Stunde immer lebhafter in der Bay. Ich zählte an 300 Boote, blos mit Frauenzimmer angefüllt. Alle diese Damen hatten die Nacht auf der Flotte zugebracht, und kehrten jezt ans Land zurück. Sie waren in Mäntel und Pelze gehüllt, und schienen äußerst lustig zu seyn. Aber werden Sie wohl glauben, daß die ganze Gesellschaft, wohl an 2000 zusammen, aus feilen Mädchen bestand? Dies gehört zur englischen Marinepolizei. So wie eine Flotte in einem der fünf Haupthäfen eingelaufen ist, werden die Matrosen abgeholt. Den meisten brennt das Geld in der Tasche; es muß so bald als möglich wieder fort. Nun dürfen sie aber nur bei Tage ans Land, also helfen sie sich auf die obige Art. Es ist sogar ein Gesetz vorhanden, daß es ihnen kein Admiral u. s. w. verwehren darf. So kommt das Geld durch diese Mädchen sofort wieder in[S. 303] Umlauf, und die nächtliche Ruhe der Einwohner bleibt ungestört.
Unser Prisenmeister hatte sich inzwischen an Bord des Admiralschiffes begeben, und ließ uns einen ganzen langen Tag in peinlicher Ungewißheit. Endlich kam er Abends spät zurück, und kündigte uns die weitere Fahrt nach Portsmouth an. Das Kriegsschiff war aus diesem Hafen ausgelaufen; also gehörte auch die Prise dahin. Heute früh lavirten wir demnach wieder aus der Bay heraus, so ungünstig sich auch Wind und Wetter anließ.
Vier Stunden waren wir bereits unter Segel gewesen, und hatten doch kaum zwei Seemeilen zurückgelegt; als die Heftigkeit des Windes zum Sturme anwuchs. Der Regen floß in Strömen herab, und die Wellen schlugen unaufhörlich über das Verdeck. Mehrere die Bay einsegelnden Schiffe riefen uns zu, daß See zu halten unmöglich sey, allein unser Lieutenant kehrte sich nicht daran. Bald verloren wir das Boogspriet, und gleich darauf die Stange vom Besaanmast. Jezt erst[S. 304] schien der Lieutenant die Gefahr einzusehen, befahl das Schiff zu wenden, und rief durch Nothschüsse einen Lootsen an Bord. So liefen wir vor einigen Stunden in Plymouth ein, ich erhielt Erlaubniß, mich ans Land zu begeben, und lasse nun diesen Brief sofort über London an Sie abgehen.
Plymouth, 14 October 1805.
Der preußische Consul hat mich anerkannt, und ich bin nun vollkommen frei. Es ist ein geborner Engländer, aber ein sehr wohlwollender Mann, der mir bereits eine Menge Gefälligkeiten erzeigt hat. Ich habe auch bereits eine Privatwohnung bezogen, mit der ich vollkommen zufrieden bin. Für Tisch und alles zusammen, zahle ich nicht mehr, als eine Guinee die Woche, was wirklich sehr billig ist. Meine zwei Coffers habe ich nun auch vom Bord erhalten, und mit großer[S. 305] Freude gefunden, daß wenig oder gar nichts davon verdorben ist. Die Bücherlisten aber mögen in Gottes Namen im Raume liegen bleiben, die verschimmelte Waare ist keine zehn Gulden mehr werth. Doch genug von mir selbst; ich theile Ihnen jezt einige Bemerkungen über Plymouth mit.
Plymouth mit 43,000 Einwohnern liegt am Abhange eines Hügels, der sich zwischen den Mündungen der Tamor und des Plym in die See hinaus erstreckt. Die Mündung der Tamor ist unter dem Namen Hamoare, die des Plym, die zugleich der Stadt den Namen giebt, unter der Benennung Catwater bekannt; die vor der Stadt selbst befindliche Bay heißt Plymouth-Sound. Die Mündung der Tamor ist am weitesten von der See entfernt. In der Regel werden daher alle abgetakelten Kriegsschiffe, und besonders die erklärten Prisen dahin gebracht; auch befinden sich die Gefängnißschiffe daselbst. Catwater, oder die Mündung des Plym ist besonders für Kauffahrer, und noch unter[S. 306] Prozeß liegende Prisen bestimmt; beide Ankerplätze sind wegen ihrer Sicherheit berühmt. Plymouth-Sound hingegen, so wie die benachbarte Cadsandbay pflegen bei stürmischen Wetter gefährlich zu seyn. Was man endlich Sutton Poot nennt, ist eine Art natürlichen Hafens im Catwater, an der einen Seite der Stadt. Er ist mit einem Kay eingefaßt, und bietet zum Ein- und Ausladen der Schiffe große Bequemlichkeiten dar.
Plymouth liegt also, wie gesagt, am Abhange eines Hügels, so daß sich die Straßen von oben nach unten ziehen, und die Häuser fast amphitheatralisch über einander gebaut sind. Die Straßen sind mit wenig Ausnahmen eng und düster, und wie man denken kann, ziemlich steil; eben so sind die Häuser fast durchgängig in altväterischem Stile gebaut, und haben bei den vielen zugemauerten oder mit Brettern vernagelten Fenstern ein doppelt häßliches Ansehen. Es ist dies eine Folge der übermäßigen Fenstertaxe, indem für jedes nicht geblendete Fenster, eine[S. 307] Abgabe von 15 Schillingen[29] bezahlt werden muß.
In dem niedrigsten Theile von Plymouth sind die Häuser am häßlichsten, und selten oder nie mit Gärten versehen. In dem mittleren Theile sind sie schon etwas besser, und haben fast alle jene Annehmlichkeit. Auf dem höchsten Theile des Hügels endlich, sind sie fast durchgehends neu und geschmackvoll, auch mit herrlichen Gärten umringt. Sie haben zu gleicher Zeit eine vortreffliche Aussicht auf die ganze Stadt, die umliegende Gegend, und die ganze Bay. So schlecht sich indessen auch der größte Theil der hiesigen Häuser von außen ausnimmt, im Innern sind sie dennoch sehr bequem eingerichtet, und häufig eben so prächtig, als geschmackvoll verziert.
Plymouth wird durch eine Citadelle gedeckt, die eine Viertelstunde im Umfange hat, und deren 5 Bastionen mit 165 Kanonen vom schwersten Kaliber besezt sind. Dazu[S. 308] kommt noch eine starke Wasserbatterie, die mit 18 24pfündern besezt ist. Im Innern der Citadelle befinden sich unter andern auch die Magazine für die Vorräthe der königlichen Flotte besonders an Mehl, Zwieback und Brod. Zu gleicher Zeit sind zwei große Backhäuser vorhanden, wovon jedes vier Oefen hat. Diese Oefen werden alle 24 Stunden nicht weniger als achtmal geheizt, so daß für 16,000 Mann darin gebacken werden kann.
Der Citadelle gegenüber, befindet sich auf einer kleinen Insel, St. Nicolas genannt, ein anderes Fort, das ebenfalls von großer Wichtigkeit ist, indem es die Mündungen des Plym, und der Tamor deckt. Hierzu trägt besonders die Lage desselben gerade vor der Stadt, und in der Mitte von Plymouth-Sound bei. Auch die Insel selbst wird nicht nur durch ihre felsige Küste, sondern überdem durch mehrere Batterien vertheidigt, wovon jede mit einem Roste zu glühenden Kugeln versehen ist.
Die hiesigen Lebensmittel sind vortrefflich,[S. 309] besonders was Fleisch, Gemüse und Fische anlangt, ohne eben sehr theuer zu seyn. So wird z. B. das Pfund Rindfleisch mit 5 bis 6 Stüvern[30], die Maas Kartoffeln mit einem Stüver; ein großer Schellfisch mit anderthalb bis zwei Stüvern bezahlt. Das Pfund Waizenbrod kostet einen Stüver, das Pfund Wachslichter zehn Stüver, das Pfund Thee von vorzüglicher Güte, noch nicht volle drei Gulden u. dgl. mehr. Ueberhaupt kann man annehmen, daß die ersten Bedürfnisse ziemlich wohlfeil, Luxusartikel aber, wie Wein, Liköre u. s. w. sehr theuer sind. Das leztere scheint auch vor allem zu gelten, was zur männlichen Kleidung gehört, während die gewöhnliche Frauenzimmerkleidung hingegen, sehr wohlfeil ist.
Gesellschaftliche Hülfsquellen trifft man zu Plymouth in Menge an. Zuerst sind mehrere gute Leihbibliotheken vorhanden, worunter[S. 310] ich besonders die von einem Herrn Bornickel, einem Deutschen auszeichnen muß; versteht sich, daß man nur nach englischen Büchern fragen darf. Ferner giebt es eine Menge guter Kaffehäuser und Tavernen, eben so ein recht artiges Schauspielhaus. Endlich fehlt es auch an Concerten, Assembleen und Bällen nicht. Wer Spaziergänge liebt, findet in der umliegenden Gegend hinlängliche Gelegenheit dazu.
Sehr schöne Aussichten hat man besonders von der Citadelle, die auf einem hohen, die ganze Bai beherrschenden Felsen liegt, und wohin der Zugang jedermann offen steht. Eben so auf einem andern hohen Berge, ungefähr eine halbe Stunde von der Stadt, von dessen Gipfel man weit in die See hinaussehen kann. Sehr angenehm sind auch die Parthien nach Catwater, oder der Mündung des Plym, wo man mehrere artige Wirthshäuser findet, eben so nach Plymouth-Dock, und dergl. mehr. Ich behalte mir die[S. 311] Beschreibung dieser Abstecher für die Zukunft vor.
Was meine eigene Lebensart anlangt, so wechsele ich mit Studieren und Beobachten, mit Arbeiten und Vergnügungen ab. So bringe ich z. B. den Vormittag bis ungefähr 11 Uhr zu Hause zu. Dann gehe ich auf eine Viertelstunde in ein Kaffehaus, das der Sammelplatz aller hier befindlichen holländischen Schiffer ist, und dann entweder auf das Rathhaus, um dem öffentlichen Gerichte beizuwohnen, oder in eine Leihbibliothek, oder ins Freie hinaus. Bei diesen öffentlichen Gerichten nehme ich gar sehr in der Sprache zu. Bemerkenswert ist auch, mit welchem Selbstgefühl und welcher Unerschrockenheit hier auch der ärmste Einwohner aus den untersten Classen seine Sache vorzutragen pflegt.
Um zwei Uhr ist bei uns Essenszeit, worauf ungefähr eine Stunde verwendet wird. Gegen 4 Uhr mache ich gewöhnlich allein, zuweilen auch in Gesellschaft einen großen Spaziergang.[S. 312] Um 6 Uhr komme ich zurück, trinke Thee, und bringe den Abend meistens mit Lesen, dann und wann aber auch im Theater zu. Hier ist jedoch immer ein solcher Lärmen, daß man wenig oder gar nichts vom Stücke verstehen kann. Die Zuschauer laufen nämlich beständig von einem Platze zum andern, wo es dann besonders in der Nähe gewisser Damen sehr laut zugeht. Diese benehmen sich indessen mit vieler Züchtigkeit, weil der Zutritt in das Theater nur den beiden ersten Klassen gestattet ist. Man erkennt sie jedoch sehr leicht an ihrer Kleidung, und besonders an ihrer wirklichen bezaubernden Artigkeit. Nichts reizenderes, als wenn ein solches Mädchen ihrem Geliebten eine Weintraube oder Orange aufdringt. Doch genug! denn eben ruft mich unsere gute Wirthin zum Abendessen ab.
[S. 313]
Plymouth, 27 October 1805.
Gestern war hier ein allgemeiner Freudentag. Es liefen nämlich 5 französische, bei Trafalgar genommene, Linienschiffe ein. Majestätisch wehte die englische Flagge vom Quarterdecke, während die französische tief ins Wasser hieng. Der Enthusiasmus des Volkes war unbeschreiblich. Dazu das Glockengeläute, der Donner der Kanonen, und das Freudengeschrei von allen Schiffen ringsumher! Aber bald ward nun auch Nelson's Tod bekannt. — Nelson is killd! — Nelson is killd![31] riefen sich Männer und Frauen, mit Thränen und Händeringen zu. Lebhaft fühlte ich was Volksgeist und Vaterlandsliebe ist.
Seit meinem lezten habe ich nun mehrere Abstecher in die umliegende Gegend gemacht. Zuerst nach Plymouth-Dock, oder gewöhnlich[S. 314] schlechtweg the Dock, nur eine halbe Stunde von hier. Es ist dies eine neue, weit größere und volkreichere Stadt, als Plymouth selbst. Ihr Name zeigt ihren ersten Ursprung, nämlich ein Schiffswerft an. Der Weg dahin ist sehr belebt und angenehm. Zuerst kommt man durch Stonehouse, ein artiges Dörfchen, dessen niedliche Häuser sich fast eine Viertelstunde neben der Straße hinziehen. Dann übersteigt man Stonehouse-Hill, einen ziemlich beträchtlichen Hügel, von dem man eine ausgebreitete Aussicht auf die beiden Nachbarstädte hat. Am Fuße desselben kommt man durch das Dörfchen Stock, und bald tritt man in die schönen, geraden und breiten Straßen von the Dock ein.
In der That, ich ward hier äußerst angenehm überrascht. Alles ist so nett, so freundlich, so lebendig; daß Plymouth wie ein düsteres Gefängniß dagegen erscheint. Wer daher nicht an jenen Aufenthalt gebunden ist, oder von seinen Renten leben kann, zieht in der Regel gewiß diese Stadt vor. Von öffentlichen[S. 315] Gebäuden sind besonders das außerhalb den Thoren liegende Marinehospital, die neuen Kasernen, das schöne Wachthaus, und die prächtigen Schiffswerfte sehenswerth. Die Lebensmittel sind etwas theurer als in Plymouth, man zahlt z. B. ungefähr ein Viertheil mehr als dort. Uebrigens gehen zwischen beiden Städten unaufhörlich eine Menge Postkutschen hin und her, die man zu jeder Stunde des Tages miethen kann.
Eine angenehme Seefahrt machte ich vor einigen Tagen nach Edystone. Dies ist der Name einer Klippenreihe, die sich in der offenen See, gerade vor der Mitte der Bay hinzieht. Auf dem höchsten Punkte derselben, vorzugsweise Edystone genannt, ist ein Leuchtthurm erbaut, der auf den englischen Seekarten, unter dem Namen Edystone-Lighthouse verzeichnet ist, und von den Schiffern sehr sorgfältig beobachtet wird. Ich fuhr in Gesellschaft einiger Bekannten dahin. Wir wählten natürlich einen vorzüglich schönen Tag dazu, weil man diesen gefährlichen Klippen[S. 316] sonst nicht nähern kann. Auch vergaßen wir die nöthigen Vorräthe an Wein, Rum, Rostbeef, Chesterkäse, Brod und Porter nicht.
Das Wetter war vortrefflich, das Meer fast spiegelglatt, der Wind sanfter Ost-Süd-Ost; schon nach einer Stunde langten wir daher bei dem Leuchtthurme an. Einer der Wächter wartete bereits auf uns, befestigte unser Boot an einem eisernen Ringe, und half uns dann durch das stille niedrige Wasser, von Klippe zu Klippe, bis an den Thurm hinan. Hierauf holte er unsere Vorräthe aus dem Boote, und führte uns eine zwar dunkle, aber bequeme Treppe hinauf. Bald öffnete er eine Thür, und wir traten in ein geräumiges Zimmer, das zwar etwas düster, jedoch recht artig meublirt war.
Wir fanden hier seinen Kameraden, einen schon ziemlich bejahrten Mann, der uns mit ungemeiner Freude empfieng. Ein Tag, wo diese armen Leute Besuch erhalten, ist immer ein Festtag für sie. Nach einer kleinen Unterhaltung, die wir mit einem Geschenke von[S. 317] Tabak eröffneten, stiegen wir vollends zur Laterne hinauf, und besahen die Einrichtung zur Erleuchtung, die jezt mit Lampen geschieht. Hierauf folgte eine tüchtige Kollation, von der natürlich unser alter Wirth nicht ausgeschlossen blieb, während dem andern sein Theil zurückgelegt ward. Dies machte denn den guten Alten so gesprächig, daß er uns nicht nur eine kurze Geschichte des Leuchtthurms selbst, sondern auch seine eigenen Lebensumstände zum Besten gab.
Der Leuchtthurm, wie er jezt dasteht, ist eigentlich schon der dritte auf Edystone. Der erste ward in den Jahren 1696 bis 1698 gebaut, stand aber nur bis 1707, wo er bei einem heftigen Herbststurme in einer Nacht von den Wellen verschlungen ward. Der zweite ward 1708 angefangen, und im folgenden Jahre vollendet. Er hielt gegen alle Stürme bis 1755 aus. Hier brannte er ab, und die zwei Wächter fanden einen sehr schrecklichen Tod. Der jetzige Leuchtthurm endlich ward in den Jahren 1756-59 vollendet,[S. 318] und hat seitdem den wüthendsten Orkanen getrozt.
Was den alten ehrlichen Wächter selbst anlangt, so befand er sich schon seit 30 Jahren hier, und trieb zugleich das Schuhmacherhandwerk. Er hatte diese Stelle anfangs aus Bequemlichkeit gesucht, worauf ihm erst die Arbeit lieb geworden war. Troz seinem geringen Gehalte, der nur 25 Pfund betrug, war er dennoch vollkommen zufrieden, und wünschte sich nie von seinem lieben Thurme hinweg.
Mitunter war es ihm freilich manchmal sehr hart gegangen, besonders im Winter, wo die Verbindung oft Monate lang mit dem Lande abgeschnitten ist. So z. B. als einmal sein Mitwächter gestorben war. Sechs und dreißig Tage mußte er den Leichnam bei sich behalten, und obendrein den beschwerlichen Dienst allein versehen. An diese fünf schicklichen Wochen dachte er noch immer mit Entsetzen zurück. Seitdem sind regelmäßig drei Wächter angestellt. Der dritte[S. 319] war gerade auf einige Tage in Plymouth. So hörten wir dem guten Alten einige Stunden mit Vergnügen zu, bis endlich die Nachmittagsfluth eintrat. Jezt machten wir ihm ein kleines Geschenk an Gelde, und segelten mit dem günstigsten Winde nach Plymouth zurück.
Eine andere sehr angenehme Partie machten wir gestern nach Edgecumbe. Dies ist eine Art hohen Vorgebirges, das am jenseitigen Ufer der Tamor liegt, und von der Cadsand-Bay bespült wird. Wir ließen uns über die Tamor setzen, was durch zwei schmucke, rothbäckige Dirnen geschah, wandelten noch eine halbe Stunde zwischen herrlichen Wiesen hin, und langten endlich am Fuße des pittoresken Berges an. Edgecumbe gehört einer der ältesten Familie von England, und bildet im Grunde einen Park, der über eine Stunde im Umfange hat.
So wie wir allmählig aufstiegen, fanden wir nun die herrlichsten Anlagen aller Art. So sah ich z. B. eine Menge Lorbeer- und[S. 320] Myrthen-, Orangen- und Citronen-Pflanzungen, und glaubte mich plözlich wieder nach St. Helena versezt. Sie überwintern hier, wie ich höre, in freier Luft, woraus sich auf die Milde der Temperatur in diesem Theile von England schließen läßt. Auf dem höchsten Punkte, und in der Mitte des Ganzen, befindet sich das große schöne Wohnhaus, mit einer Aussicht, die einen Horizont von 7 bis 8 Stunden, und die herrlichsten Land- und Seeprospekte umfaßt. Das Innere dieser Villa ist eben so bequem als geschmackvoll eingerichtet, und mit Kunstwerken aller Art angefüllt. Der gegenwärtige Besitzer davon ist der einzige Sohn des Grafen von Edgecumbe, Lord Valleton. Er ist unaufhörlich auf neue Anlagen bedacht, so daß Edgecumbe in kurzem unter die ersten Merkwürdigkeiten von England gerechnet werden wird.
Um auf einem andern Wege nach the Dock zurückzugehen, beschlossen wir einen Berg zu übersteigen, an dessen Fuße das Dorf Cadsand, an der Bay gleiches Namens liegt.[S. 321] Auf dem Gipfel jenes Berges fanden wir eine Kirche, auf deren Thurme ein Telegraph befindlich war. Daneben stand ein kleines Haus, für die beiden Wächter bestimmt. Nachdem wir einen sehr beschwerlichen Abhang herunter gestiegen waren, aßen wir zu Cadsand zu Mittag, und kehrten auf einem sehr angenehmen Fußsteige erst nach the Dock, und dann nach Plymouth zurück.
Portsmouth, 7. November 1805.
Ich verließ Plymouth, um geradesweges nach London zu gehen. Zuerst nahm ich meinen Weg nach Exeter, das eine gute Tagereise von Plymouth entfernt ist. Ich that dies in der gewöhnlichen Morning-Coach, deswegen so genannt, weil sie immer des Abends liegen bleibt, während die Evening-Coach Tag und Nacht durchfährt. Es war 5 Uhr Morgens; meine Gesellschaft bestand aus zwei Herren und einer Dame; indessen[S. 322] währte es geraume Zeit, ehe es zwischen uns zum Gespräche kam.
Der erste Ort, wo wir anhielten, war Irybridge, ein vortreffliches Wirthshaus, das nur wenig Schritte von dem Dorfe gleiches Namens, höchst romantisch zwischen baumreichen Hügeln liegt. Wir fanden hier das Frühstück schon bereit, und die ganze Einrichtung äußerst geschmackvoll. Dann fuhren wir durch eine reizende Landschaft bis nach Aschburton, einem Städtchen, wo in einem gleichguten Wirthshause zu Mittag gegessen ward, passirten weiterhin Chudleigh, einen Marktflecken, der seiner Obstgärten wegen berühmt ist, und kamen endlich Abends um 7 Uhr in Exeter an.
Ich trat mit meinen Reisegefährten in einem großen Wirthshause ab, wo auch die Morning-Coach liegen blieb. So einsilbig sie den ganzen Tag über gewesen waren; so redselig wurden sie nach dem Abendessen, als der Portwein zu wirken anfieng. Ich habe dies aber bei allen Engländern bemerkt. Sie[S. 323] pflegen meistens erst bei der Flasche lebendig zu werden, und scheinen dann wirklich ganz andere Menschen zu seyn.
Den andern Morgen gieng ich aus, die Stadt zu besehen. Sie liegt an der schiffbaren Exe, ist im Ganzen nicht übel gebaut, hat mehrere schöne öffentliche Gebäude, und mag ungefähr 2000 Einwohner zählen, deren Hauptnahrung in Wollfabriken und Handlung besteht. An der Nordseite der Stadt befindet sich ein vortrefflicher Spaziergang, Northernhay genannt, der unter die schönsten von England gehört. Sonst sind die Umgebungen von Exeter etwas einförmig, denn sie bestehen blos aus Weideland. Dafür wird aber auch starke Viehzucht getrieben, und sehr viel Butter verführt. Ein artiges Dörfchen ist Drewstington, man kann daselbst mehrere alte Denkmäler sehen. Nicht weit davon fließt der Teign in einer sehr romantischen Gegend, und zwischen hohen Felsen eingepreßt. Ein anderes schönes Dorf[S. 324] ist Exminster an der Exe, deren Ufer mit herrlichen Landhäusern eingefaßt sind.
Am folgenden Abend nahm ich einen Plaz in der großen Londoner Evening-Coach bis Salisbury. Die Gesellschaft war klein, wir schliefen überdem sämmtlich in einem Stücke weg. Um Mitternacht indessen hielten wir an, tranken Thee, und fuhren dann wieder in einem bis Exminster, wo gefrühstückt ward. Dies ist ein Stätdchen, das seiner schönen Teppiche wegen bekannt, und nicht mit obigem Dorfe zu verwechseln ist.
Als der Tag anbrach, befanden wir uns in einer schönen gebirgigen Landschaft, die vortrefflich angebaut zu seyn schien. Wir kamen durch eine Menge Städte, Flecken und Dörfer, deren Namen ich vergessen habe, und erreichten endlich zu Mittag das alte häßliche Dorchester, wo gegessen ward. Meine bisherigen Gesellschafter giengen hier ab, dafür stiegen drei neue ein. Es waren drei junge Leute aus London, von denen besonders der eine mit vieler Selbstgefälligkeit[S. 325] von seiner Vaterstadt spracht: — »Yer in my town!« — hieß es immer, sobald die Rede auf London kam. Abends um 5 Uhr waren wir in Salisbury; ich beschloß hier einen Tag auszuruhen.
Salisbury liegt am Zusammenflusse des Avon, der Nadder, und des Villey, und ist eine finstere, häßliche Stadt. Die Straßen sind eng, winklicht und schlecht gepflastert, die Häuser altväterisch und geschmacklos gebaut. Sehr sehenswerth indessen ist die Kathedralkirche, die mit ihrem herrlichen Thurme für das schönste gothische Gebäude in ganz England gehalten wird. Eine andere Merkwürdigkeit von Salisbury sind die alten Denkmäler aus den Zeiten der Druiden, auf einer ungeheuern wüsten Ebene, Stoneheng genannt.
Ich war jezt willens, ohne weiteren Aufenthalt geradesweges vollends nach London zu gehen. Unvermuthet aber kam in unserem Wirthshause eine Postchaise aus Portsmouth an, und bot mir eine eben so bequeme,[S. 326] als wohlfeile Gelegenheit dahin dar. Ich eilte also davon Gebrauch zu machen, verließ Salisbury noch denselben Abend, und kam am folgenden Morgen über Ramsey in Southampton an. Hier beschloß ich den Tag über zu bleiben, und erst den Abend mit der Evening-Coach weiter zu gehen.
Southampton liegt eben so vortheilhaft als angenehm zwischen den Flüssen Test und Itchin, die beide tief in das Land hinein vollkommen schiffbar sind. Die Stadt ist im Ganzen sehr gut gebaut, und verräth überall Wohlstand und Lebhaftigkeit. Unter den vielen Kirchen und Kapellen, befindet sich auch eine französische, zum Dienst der Einwohner von Jersey und Guernesey, von denen hier immer eine gewisse Anzahl vorhanden ist. Eine andere Merkwürdigkeit von Southampton ist der schöne Spaziergang the Beach genannt. Man findet hier mehrere Reihen herrlicher, schattenreicher Bäume, und hat die Aussicht über die spiegelnde Bay bis auf die gegenüberliegende Insel Wight. Noch größere und mannichfaltigere[S. 327] Aussichten aber hat man auf dem in der Nähe der Stadt befindlichen Bewis-Mount. Hier kann man noch den ganzen Hafen von Portsmouth, und selbst einen Theil des Kanals übersehen.
Abends gieng ich nun, wie gesagt, mit der Evening-Coach nach Portsmouth ab, und kam daselbst am andern Morgen an. Diese Stadt liegt auf einer Halbinsel, Portsey genannt, und kommt fast in allen Stücken Plymouth bei. Bei hohem Wasser, d. h. zur Fluthzeit wird die Halbinsel ganz vom Meere umringt; sie ist daher durch eine eigene Brücke (Portbridge) mit dem festen Lande verknüpft. Der Hafen von Portsmouth kann gegen 1000 Linienschiffe fassen, und ist in jeder Hinsicht einer der ersten in der Welt. Die hiesigen Decken u. s. w. zeichnen sich daher durch Umfang und erstaunenswürdige Thätigkeit aus. Portsmouth ist nämlich als der Centralpunkt der englischen Marine zu betrachten, von wo aus immer die ansehnlichsten Escadern abgehen. Auf dem Hafen[S. 328] hat man übrigens eine herrliche Aussicht auf das gegenüberliegende Gesport, das prächtige Seehospital, Spithead, und die Insel Wight.
London, December 1805.
Ich verließ Portsmouth mit der Evening-Coach, und kam am andern Abend glücklich hier an. Wir fuhren wohl noch eine Stunde lang durch die Stadt. Endlich kamen wir an der St. Paulskirche vorbei, und hielten bei dem Wirthshause zum Doppel-Schwane in Ladlane still. Hier nahm ich ein Zimmer, aß, und schlief vollkommen wohl. Am andern Morgen suchte ich den Prediger an der holländischen Kirche, Herrn Wernink auf, fand ihn, und überzeugte mich in wenig Minuten, daß ich bei einem Freunde, Collegen und Landsmann war.
Jezt gieng es nun an die Erzählung meiner Abentheuer von meiner Abreise von Embden[S. 329] an, bis auf den heutigen Tag. Darauf sprachen wir von meinem Vorhaben, einige Zeit in London zu bleiben, und von der besten Art meiner Einrichtung. In dieser Absicht führte mich Herr Wernink zu einer braven Frau in seiner Nachbarschaft, und miethete ein artiges Zimmer zu einer Guinee monatlich für mich. Von hier giengen wir auf die Börse, wo ich noch mehrere Landsleute kennen lernte, und aßen dann ganz auf vaterländische Art bei einem Herrn Backhuis, der unser erster Kirchenvorsteher ist. Nach Tische, d. h. ungefähr um 7 Uhr Abends, nahmen wir eine Miethkutsche, fuhren nach meinem Wirthshause, berichtigten meine Zeche, und holte meine Sachen ab. Ich mußte hierauf die Nacht bei Herrn Wernink zubringen, und bezog mein neues Logis erst den andern Tag. Was meine Oekonomie anlangt, so aß ich, gegen eine billige Vergütung Mittags mit Herrn Wernink, und finde das übrige, wie Frühstück u. s. w. zu Hause selbst.
[S. 330]
London ist so oft beschrieben worden, daß ich Ihnen in topographischer Hinsicht lieber gar nichts sagen will. Dafür mögen einige Bemerkungen über Clima und Lebensart hier stehen. Das Clima ist feucht und veränderlich. Man rechnet 50 bis 60 Tage, wo die Sonne gar nicht, und 120 bis 130, wo sie nur wenig zum Vorschein kommt. Die Winde wechseln, besonders in den Herbst- und Wintermonaten, wohl zwanzigmal des Tags ab; die herrschendsten scheinen indessen die Nordwest und Südwest zu seyn. Die Winter sind gewöhnlich ziemlich mild, die Felder und Wiesen bleiben fast immer grün. Der Frühling zeigt sich meistens schon im Februar, die Temperatur ist dann sehr angenehm. Die Sommer sind verhältnißmäßig heiß; doch wird die Luft oft nur zu merklich abgekühlt. Der Herbst ist in der ersten Hälfte, sobald die Stürme vorüber sind, fast immer von großer Lieblichkeit.
Was die Lebensmittel anlangt, so finde ich, daß sie im Ganzen zwar vortrefflich, aber[S. 331] auch äußerst theuer sind. In diesem Augenblicke z. B. kostet das Pfund Rindfleisch 30 kr. rhein., das Pfund Kalbfleisch 42 kr. und so fort. Ein guter Kabeljau wird mit 5 Gulden, ein Pfund Lachs mit 54 kr. bezahlt. Ein Pfund Weißbrod kostet 16 kr., ein Pf. Butter 54 kr., eine Kanne Milch 24 kr., ein Pf. Käse 36 kr. und so alles in gleichem Verhältniß. Der theuerste Artikel ist das Geflügel (ein Huhn 3-6 Gulden). Der wohlfeilste dürfte das gewöhnliche Gemüse (Erdäpfel, süße Pasteten und Braunkohl) seyn. Für eine Flasche Bordeauxwein werden 5 Gulden, für eine Flasche alten Rheinwein 10-12 gezahlt.
Von den Preisen anderer Artikel führe ich folgende an. Ein Paar Stiefeln 24 Gulden, ein Paar Schuhe 7-9, ein guter Hut 12-15 Gulden, ein halbes Dutzend feine Hemder 70-80 Gulden u. dgl. mehr. Ein Fremder, der in London nur einigermaßen anständig leben will, braucht zwischen 4 bis 5 Pfund die Woche, und muß dabei[S. 332] doch noch haushälterisch seyn. Für ein meublirtes Zimmer in den besten Theilen der Stadt, wie Chearside, Falbern u. s. w. zahlt man nebst Aufwartung 24 Gulden den Monat, in andern Theilen kommt man mit 12-16 Gulden ab.
Der gewöhnliche Thee zum Frühstück ist sehr mittelmäßig, ob er gleich mit 4-5 Gulden bezahlt wird. Ich wette, daß man bei uns dieselbe Sorte für 2-3 Gulden haben kann. Das Brod ist gut, kommt aber dem Fremden anfangs etwas bitter vor, was von den Hefen herrühren soll. Die Butter ist frisch vortrefflich, nimmt aber schon nach einigen Tagen einen ranzigen Geschmack an. Das Wasser ist schlecht, bleifarbig und immer trüb. Es wird entweder aus der Themse, oder aus dem New River in die Stadt geleitet, wobei man freilich nicht an die ekelhafte Nachbarschaft der Schiffsabtritte, der Schlachthäuser u. s. w. denken muß.
Vorige Woche machte ich auf besondere Veranlassung eine kleine Reise nach Chislehurst.[S. 333] Dieses ist ein artiges, höchst pittoresk gelegenes Dorf, nur ungefähr 6 Stunden von hier. Es befindet sich ein großes Erziehungsinstitut daselbst, das von einem Herrn Mace, einem sehr würdigen Mann, geleitet wird. Ein Fremder, der die Sprache aus dem Grunde kennen lernen will, thut sehr wohl, wenn er auf einige Monate in eine solche Kostschule (Boardings-Schoal) geht. Man nimmt nämlich in allen solchen Instituten auch erwachsene Pensionäre auf. Diese zahlen in Chislehurst für alles 6 Guineen monatlich. In den Boardings-Schoals näher bei London, wie Islington, Chelsea u. s. w. ist man freilich weniger wohlfeil. Die Luft von dem hochliegenden Chislehurst ist sehr gesund, auch scheint das Wasser vortrefflich zu seyn. Nach London giebt es täglich bequeme Postgelegenheiten. — Ich erwarte nur noch einen Brief aus Amsterdam, um sofort nach Holland überzugehen.
[S. 334]
In See, 27. Januar 1806.
Es ist Abends 5 Uhr, der günstigste Wind treibt uns den vaterländischen Küsten zu. Gestern Abend begab ich mich nach Gravesand; diesen Morgen um 11 Uhr segelten wir die Themse hinab. Welche paradiesische Ufer bis hinter Chatham! Dann aber wird der Strom so breit, daß er fast einer Rhede gleicht. Man kann in der nämlichen Ferne nur wenig mehr sehen. Um 3 Uhr kamen wir mit 60 andern Schiffen glücklich in See. — Bald umarme ich Sie.
Helvoetsluis, 28. Jan. Mittag.
Wir gehen vor Anker, ich gebe diesen Brief einem Fischerboote mit, damit er noch um 2 Uhr in Rotterdam abgehen kann. Alles ist wohl und fröhlich an Bord, ich selbst bin höchstvergnügt. Heute vor einem Jahre und nun! O Freunde! o Vaterland! o Geliebte! Morgen bin ich bei Ihnen, und dann keine Trennung mehr!
Fußnoten:
[1] Oeffentliches Wirthshaus.
[2] Flöße, die man mit Ruder und Segel zugleich fortbringt.
[3] Hafendorf von Jaffanapatnam.
[4] So hieß der Freund des Verfassers.
[5] Alle indische Töpfer pflegen zu gleicher Zeit auch Wundärzte zu seyn.
[6] Kampaak genannt. Die Betelblätter sind wie ein Herz geformt, und außer der Areka noch mit Cardamom und Catchu gefüllt. Ein solcher Kampaak ist ein verblümtes Liebesgeständniß.
[7] Pipal, Fiscus indica. Nach der Behauptung der Hindus braucht dieser Baum zu seinem vollen Wachsthum fünfhundert Jahre.
[8] Sie gaben damit den Takt an, um gleichen Schritt zu halten, wie oben gesagt worden ist.
[9] Die herumziehenden Tänzerinnen werden in der Regel wenig geachtet. Ganz anders ist es mit den Devodaschis, die bei den Pagoden angestellt sind.
[10] Getrocknetes Feigenblatt. Man braucht diese Olas als Papier.
[11] Ein Paar hundert Tausend Pfund Sterlings.
[12] Durch die Fußpost, der einzigen, die in Ostindien gebräuchlich ist. Die Postboten heißen Toppals oder Dhaabs. Es gehen immer zwei zusammen, wovon der eine den Briefsack trägt, während der andere eine kleine gellende Trommel schlägt. Die Stationen sind nur zwei Stunden lang, und eigene Hütten dazu erbaut. In Calcutta, Madras, Pondichery, Negapatnam u. s. w. gehen diese Fußposten alle Abende nach allen Gegenden Indiens ab.
[13] Dieser Fluß durchschneidet Batavia.
[14] Wie z. B. Kampfer, Eisen, Opium u. s. w.
[15] Aus Isle de France.
[16] Fahrzeug zur Aufnahme von Personen eingerichtet, das von einem Pferde gezogen wird.
[17] Die hintere Cajüte, die sehr nett eingerichtet ist.
[18] Gerade so, wie an den Donau-, an den Elb-, Main- und Rheinschiffen hinten Kähne angehängt sind, nur daß der Zwischenraum größer ist.
[19] Holländischer Käse von vorzüglicher Güte, mit rother Rinde.
[20] Rum mit Wasser vermischt.
[21] Ein holländischer Gulden ist fl. 1, 4 kr. rhein.
[22] Ostindische Goldmünze, vier holländische Gulden an Werth.
[23] Ungefähr anderthalb Kreuzer rheinisch.
[24] Bekanntlich befindet sich jezt der General Bounaparte als Gefangener daselbst. D. H.
[25] Ungefähr eine Stunde.
[26] Schlafstelle in der Wand, mit Schiebbrettern versehen.
[27] Vordertheil des Schiffs.
[28] Französische Hunde, was der gewöhnliche englische Schimpfname ist.
[29] Neun Gulden Rheinisch.
[30] Ein Stüver ist ungefähr vier Kreuzer Rhein. werth.
[31] Nelson ist todt! Nelson ist todt!
Die erste Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthält die Korrektur.
S. 64
S. 121
S. 263
S. 297
S. 334