The Project Gutenberg eBook of Franz Schuberts Lebenslied

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Title: Franz Schuberts Lebenslied

Ein Roman der Freundschaft

Author: Joseph Aug. Lux

Release date: March 9, 2025 [eBook #75568]

Language: German

Original publication: Leipzig: Grethlein & Co. G. m. b. H, 1915

Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FRANZ SCHUBERTS LEBENSLIED ***

Anmerkungen zur Transkription

Das Original ist in Fraktur gesetzt; Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden.

Worte in Antiquaschrift sind "kursiv" dargestellt.

Die Verlagswerbung ist an das Ende des Textes verlegt worden.

Franz Schuberts
Lebenslied


Joseph Aug. Lux


Franz Schuberts
Lebenslied


Ein
Roman
der
Freundschaft


Sechzehntes bis zwanzigstes Tausend

Grethlein & Co. G. m. b. H. in Leipzig


Alle Rechte, insbesondere
das der Übersetzung in fremde Sprachen,
von der Verlagsbuchhandlung vorbehalten


Copyright 1915 by Grethlein & Co. in Leipzig
Druck von August Pries
in Leipzig

[S. 7]

deko

Vorwort

Das bringt die Zeit mit sich:

Wir wollen uns auf unser eigenes Wesen besinnen, um unser Selbst uns und den andern zu erklären.

Österreichisches Wesen.

Das will dieser Schubert-Roman. Denn Schubert, das ist das Allerösterreichischste.

Also will das Buch die innerste Natur des Österreichertums erschließen und den durch äußere Verhältnisse und Veranlagung geschaffenen eigentümlichen Seelenzustand des österreichischen Genius darstellen, der treffend als österreichische Seelenwundheit bezeichnet wurde.

Zugleich aber will es der bisher noch fehlende wirkliche Wiener Schubert-Roman sein, der den Genius frei von der ihm mit Unrecht oft angedichteten krankhaften Sentimentalität zeigt. Schubert war kein Sentimentalist und noch weniger war er ein Trunkenbold, wenngleich der von seinen Duzfreunden gelegentlich aufgebrachte neuerdings allzusehr betonte Spottname »Schwammerl« zu diesem Irrtum verführt, der doch einmal aus der Welt geschafft werden sollte.

Als Leitgedanke dient mir, was Bauernfeld im Jahre 1857 schrieb: »Das äußere Leben Schuberts war[S. 8] übrigens äußerst einfach und trieb sich anfangs in den ärmlichen Verhältnissen eines Schullehrers, später eines österreichischen Genies herum, eines exemplar unicum hierzulande, welches, wenn sonst überall, besonders hier gegen Not und Dummheit anzukämpfen hatte. Sein inneres Leben mit Freunden und Gleichgesinnten bietet aber so wenig biographische Züge dar und ließe sich etwa nur in einer poetischen Schilderung darstellen. Schubert war gewissermaßen eine Doppelnatur, die Wiener Heiterkeit mit einem Zug tiefer Melancholie verwebt und veredelt. Nach innen Poet war er und von außen eine Art Genußmensch, dem, persönlich nach der äußeren Erscheinung beurteilt, überdies der herkömmliche Geselligkeitsschliff fehlte, so daß mancher gebildete Alltagsgesell sich etwas weit Besseres dünken mochte als der ungehobelte Sänger der »Müllerlieder« und der »Winterreise««.

Der biographischen Züge sind nicht so wenige, als Bauernfeld meint; aber sie sind nur äußerliche tote Bruchstücke, wenn sie nicht die Seele lebendig macht, die das wesentliche Stück ist, sowohl im Leben wie in der Dichtung.

Bauernfeld gebraucht noch nicht das Wort »Seelenwundheit«, aber dem Sinn nach steckt es drinnen in der Mischung von Wiener Heiterkeit und der veredelnden Melancholie, daraus so tiefe und seelenvolle Schöpfungen entstanden sind.

Die österreichische Seele und besonders meine Wiener Heimat zu erklären, habe ich schon früher in zahlreichen Werken unternommen, ich verweise auf meinen halb autobiographischen[S. 9] Jugendroman: »Der Narr vom Kahlenberg« (Amsel Gabesam) oder auf Grillparzers Liebesroman »Die Schwestern Fröhlich«; — vielleicht darf im ferneren Zusammenhang auch meine Legendendichtung: »Chevalier Blaubarts Liebesgarten« hier noch mitgenannt werden. Doch tragen auch meine anderen Schriften diese eingeborene Tendenz, unser österreichisches Wesen recht verständlich zu machen. Schließlich ist alles in einem gewissen Sinne Selbstdarstellung, auch in scheinbar historischer Form.

Das seelische Fluidum des alten Wien ist ja immer noch heimlich da, die Stimme des Genius loci, die fortklingt in den stillen Vorstadtgassen und ländlichen Orten am Fuß des Kahlenberges, in denselben Worten und Redewendungen, wie sie aus den überlieferten persönlichen Dokumenten der Schubertzeit hervortönen.

Da draußen am Rande der Stadt, wo sich der traumhäuptige Wienerwald, das sonnige Weinland und die blaublickende Donau zu einem unausgesungenen Dreiklang vermählen, zu einer echt Schubertschen Weise, liegt auf den Stirnen der schlicht vornehmen Häuser des schwindenden Alt-Wien manche kostbare Erinnerung.

Sie waren mir seit jeher ein Lebendiges, diese

Denktafeln in Döbling.

Ich las, allwo die letzten Hütten stehen,
Auf Tafeln an den Häuschen, an den schlichten,
Von eurem Wohnen dort und eurem Dichten,
Grillparzer, Schubert, van Beethoven — wehen

[S. 10]

Fühlt' ich den Geisterhauch, der eure Nähen
Umschwebt; es steigt in lieblichen Gesichten
Das Bild von jener Zeit empor, der lichten,
Die eure Sonnen konnt' im Fenster sehen.
Ein stiller Weiheglanz ruht auf den Stätten,
Die als Vermächtnis wahren eure Spuren,
Armselig scheinen fast und tot dagegen
Die reichen Villen hinter Prachtstaketen,
Und schöner leuchten mir ringsum die Fluren,
Seit ich die Spuren sah von euren Wegen — — —

Joseph Aug. Lux.



[S. 11]

I.

Die jungen Bengel sangen im Kirchenchor.

Man konnte nur ihre Köpfe sehen, über der hohen Brüstung der Empore, dicke, kleine, runde Schädel, einer dicht neben dem anderen, braungelockt, schwarzgelockt, blondgelockt, rotwangig, pausbackig, aufgesperrte rote Mäuler, aus vollem Halse singend, jubelnd, schmetternd. Wie die himmlischen Heerscharen. Sängerknaben. So hat Luca della Robbia seine Singerlein geformt aus Lehm, in halb erhabener Arbeit, weißblau glasiert. — Nein! So haben die frommen Bildschnitzer das Gotteshaus geschmückt, mit fleischfarbigen, pausbackigen, lockigen Engelsköpfen, die auf goldenen Flügeln über den Gesimsen und Pfeilern auftauchen, die roten Mündchen zum Singen aufgesperrt, oder das Fäustchen im behaglichen Hinlümmeln in das verschmierte Antlitz gestemmt, kleine, himmlische Flegel, in der Höhe ganz so anzusehen wie die plärrenden Sängerbuben auf der Empore, die aber nicht von Lehm und nicht von Holz sind, sondern richtig von Fleisch und Blut.

Die Orgel plaudert gemütlich mit, brummbärig, drohend, polternd, dann wieder begütigend, zuredend, ermahnend; der Blasebalg ächzt und stöhnt asthmatisch, der Organist[S. 12] arbeitet mit Händen und Füßen, zieht alle Register auf, und jetzt legt die Stimme mit Donnergewalt los aus hundert Pfeifen, daß die Grundfesten erzittern, wie wenn der Herr im Zorn spricht und Schweigen gebietet. Aber stärker noch als dieses Donnern war der helle Sopran der Knabenstimmen, der durchdringt und in die Höhe schmettert, wie Lerchenjubel, höher und höher in die Himmelsbläue des Weltdomes, bis zum hohen C hinauf, klar und rein, daß selbst die Orgel schmunzelnd aufhorcht und gutmütig leise brummt, indessen von den unendlichen Höhen ein eherner Hagel von Tönen niederprasselt, als wollte sich dort oben eine Brust zersingen.

Eine Stimme war es, nur eine, die diesen himmelblauen Lerchenstieg vermochte.

».... Den hat's der liebe Gott gelehrt!« schmunzelte vergnügt Ruczizka, der Dirigent und Lehrer im Konvikt der Sängerknaben. »Verflixter Bub, dieser Schubert Franzl!«

Der Schubert Franzl, das war der, der bis zum hohen C hinaufklettern konnte. Daran war er zunächst zu erkennen.

»Den kann ich nichts lehren, der hat's vom lieben Gott gelernt!« hatte Ruczizka schon einmal früher gesagt.

Das war damals, als der Herr Hofkapellmeister Salieri den Buben dabei erwischte, als er Noten hinkritzelte, wie sie ihm gerade in den Sinn kamen. Er war in dem kahlen Musikzimmer des Konvikts so in sein Sinnen und Kritzeln vertieft, daß er nicht merkte, wie der gewaltige Maestro hereinhuschte. Der war lautlos wie eine Katze, ein hurtiges, graues Männchen, das seine spitze Nase und seine[S. 13] flinken Äuglein überall hatte, wo es etwas zu erschleichen gab.

Schwupp! flog das Blatt in die Höhe und schwebte in den Händen des alten Meisters. Da war jetzt nichts zu machen.

»Sapristi! Wo hat Er das her? Selber gemacht?! Er, Er, Er — alles aus diesem dummen, kleinen, dicken Bauernschädel? Malefizbub!«

Schamrot stand der Kleine da vor dem fuchtelnden Italiener.

»Hat Er noch andere Sachen? Wo, wo hat Er? Subito!«

»Verbrennt!« stieß der eingeschüchterte kleine Kerl halb trotzig, halb zaghaft hervor.

Darüber fing der Maestro zu strampeln an wie ein Polichinell.

»Verbrennt,« pfauchte er, »Er, Er, Er — dummer Esel!«

Und warf wütend die Bücheln und Hefte auf dem Tisch durcheinander, unter denen beschriebene Notenblätter zum Vorschein kamen, die er hastig an sich riß.

»Ecco!« kreischte er auf. Und schon schmiß er die Blätter wütend wieder hin, krebsrot im Gesicht.

»Per bacco!« Sein Mund verzog sich, als wollte er ausspucken vor Ekel, er ballte die Fäuste und hielt sie bebend dem kleinen Franzl dicht unter die Nase, daß dem ganz himmelangst wurde.

»Was hat Er da gemacht?! Wer hat Ihm erlaubt ...?! Er — Malefiz — Malefiz —!«

Zur Entschuldigung wollte das Singerlein sagen, daß es[S. 14] der Übung wegen diese kleine Paraphrase auf eine Sonate Mozarts gemacht hat, aber kaum war der Name des Unsterblichen seinem Munde entschlüpft, da hätte er das Wort gerne wieder zurückgezogen, so fürchterlich war die Wirkung auf den giftigen Maestro.

Das Blatt schmiß er zur Erde, trampelte darauf herum, schrie und schimpfte auf Italienisch.

Der Kleine ahnte nicht, wie es in der Welt zuging. Er wußte nicht, daß Salieri alles haßte, was mit Mozart irgendwie zusammenhing; er wußte nicht, daß er als Opernkomponist und Hauptvertreter der italienischen Richtung ein geschworener Feind der deutschen Musik war und vermeinte, sie in Mozart aufs Haupt schlagen zu können; er wußte nicht, daß die Sage umging, Salieri hätte den Schöpfer des Don Juan vergiftet; er konnte darum auch nicht wissen, daß die Legende einen wahren Kern hatte, denn vergiftet hatte Salieri als rücksichtsloser Gegner alle geistigen Brunnen, alle Seelen, alle Meinungen, er und seine Partei, die dem Genius Kränkung auf Kränkung bereitete und seinen Tod beschleunigen half.

Nichts ahnte der Knabe, daß die Welt dem Auserwählten eine Märtyrerkrone bescherte. Er fühlte nur den schäumenden, perlenden Zaubertrank der Mozartschen Musik in seiner Seele und sah im Geiste den Genius als jungen Gott, vor dem sich die Menschheit in Ehrfurcht verneigt. So war es wohl gewesen auf Mozarts Reise nach Prag, aber nicht in Wien, wo er ein Verkaufter, Verratener, Verlassener, früh dahingerafft, ins Massengrab der Namenlosen sank. Das haben die Gegner getan. Und der[S. 15] Volksmund dichtete die Legende, Salieri habe ihn vergiftet .....

Und nun fügte es das Schicksal, daß derselbe Geist der Verneinung und der Selbstsucht ein junges Genie ans Licht zog, das sein Talent an jenem großen Licht entzündete, das er so beharrlich zu verdunkeln bemüht war.

»Ruczizka, Ruczizka!« gellte das giftige Männlein in die hallenden Gänge hinaus und schärfte dem dienstfertig Herbeigeeilten ein, indem er auf den wie ein armer Sünder dastehenden Franzl hinzeigte: »Fest in Corda nehmen! Kontrapunkt! Capisce?! Kontrapunkt?!«

Mit glühenden Äuglein, heiserer Stimme und geballten Fäusten gab er diese Weisung und verschwand.

War es Lohn oder Strafe? Das wußte der brave Franzl vorderhand selber nicht genau, man ist nicht wehleidig, als Zögling ist man es ja gewohnt, die Wohltaten wie eine Strafe zu empfangen, während die Strafen von den Erziehern mit einem Behagen verabreicht wurden, als wären sie Wohltaten.

Jetzt wußte der wackere Böhme Ruczizka, daß er ein Genie unter seinen Händen hatte. War ihm früher gar nicht aufgefallen, obzwar der Junge seit drei, vier Jahren schon unter seiner Aufsicht stand — wieso denn auch? Ist nicht seine Sache. Als Drillmeister tut man seine Pflicht, daß bei den Messen in der Hofkapelle die Soli und Chorpartien richtig und geschmackvoll ausgeführt werden und der Herr Hofkapellmeister zufrieden ist. Teufel auch, man tut eben seine Pflicht! Man hat sich doch um sonst nichts zu kümmern! Man kann doch nicht in jeden Bengel hineinsehen! Ist doch einer so ein Schmierfink wie der[S. 16] andere! Man hat sich nie weiter gekümmert und ist doch so immer am besten gefahren. Als braver Böhm' und Prügelprofoß.

Also, Pflicht ist Pflicht — man hat seine vorgeschriebenen Stunden — wer mehr tut, ist ein Schuft. Und jetzt Kontrapunkt! Sakramentski, ceski heski Kupferstück! Da könnt' man doch gleich Junge kriegen — eine stehende Redensart Ruczizkas. Also gut, Kontrapunkt! Na wart', Schlingel, wirst dran fressen müssen! Ceski heski — — — —

Aber siehe da, alles geht überraschend leicht und schnell, und es kommt alsbald der Punkt, wo Ruczizka sich lächelnd eingesteht: Den kann ich nichts lehren, der hat's usw. ....

So ähnlich hatte ein anderer vor ihm gesagt. Das war Schuberts Bruder Ignaz, der auf Vaters Geheiß dem Franz den ersten Musikunterricht gab. Es hatte aber nicht lange gedauert, da meinte Franz, es ginge ohne Lehrer besser. So war es auch, denn Ignaz hatte gegeben, was er zu geben hatte, und mußte seinen brüderlichen Schüler als einen »übertreffenden und nicht mehr einzuholenden Meister« anerkennen. Als Knabe meisterte er schon die Violine, die Viola und die Orgel und machte sogar als Tonsetzer einige Gehversuche.

»Faules Zeug,« brummte Vater Schulmeister; »das sind so Flausen, die sich der Junge in den Kopf setzt, und die ihm beizeiten ausgetrieben werden müssen. Soll das eine oder andere Instrument spielen lernen, soweit man's als Schulgehilfe braucht, um auch Sonntags in der Kirche mitzuhelfen, nichts weiter! Soll aus dir ein Taugenichts[S. 17] werden, ein Hungerleider, ein Tagedieb — ein herumstrolchender Musikant?! Da soll ich dir doch gleich eins mit dem spanischen Rohr —! Was mein Sohn ist, muß ein ehrlicher Mensch sein; der wird ein Schulmeister, wie sein Vater einer ist und wie seine Brüder werden. Also kein Wort mehr — ich habe geredet!«

Bald darauf las der Vater in der amtlichen Wiener Zeitung des Jahres 1808, daß in der k. k. Hofkapelle einige Sängerknabenstellen neu zu besetzen wären. Die Bewerber mußten das zehnte Jahr vollendet haben und fähig sein, in die erste lateinische Klasse eintreten zu können. Sie verblieben Zöglinge des Konvikts und wären gleichzeitig Schüler des akademischen Gymnasiums, das mit dem Konvikt in Verbindung steht.

Dem Vater stieg sofort ein ganzer Seifensieder auf. Das wäre ein richtiger Lebensanfang für seinen Franzl! Singen kann er ja, Schulbildung hat er auch — Sopranist in der Hofkapelle, warum denn nicht, wenn er dafür eine Freistelle im Konvikt hat und gratis das Gymnasium absolviert?! Für einen künftigen Schulmeister ein verheißungsvoller Beginn!

Also wanderten Vater und Sohn aus der Vorstadt Liechtental stadtwärts nach dem Konvikt am Universitätsplatz, wo die Aufnahmeprüfung stattfinden sollte. In seinen blauen Sonntagskleidern schritt Franzl neben dem Vater klein und stämmig einher. Ein frisch gebügeltes Hemd gab dem Tag festtägliche Weihe. Das hatte die Mutter bereitgelegt. O, die war gut! Schmuck sah er aus, der kleine Kerl, weiß und blau wie ein Firmling!

Aber der Herr Vater war kritisch. Gab unterwegs allerhand[S. 18] gute Lehren und Ermahnungen, wie man sich zu benehmen habe, was man tun und nicht tun dürfe, nicht auflümmeln, die Ellbogen nicht durchwetzen, nicht nasenbohren, nicht in den Ärmel schneuzen, die Schulbücher nicht verkritzeln und was ähnliche liebe Gewohnheiten der holdseligen Jugend sind.

Der brave Franzl hörte alles geduldig an und schwieg respektvoll. Der Vater wußte schon, daß sein Junge etwas verschlossen und einsilbig war, daß er Fremden gegenüber sich nur sehr schwer auftat und dadurch leicht unartig erscheint.

»Also nicht aufs Grüßen vergessen, immer ein freundliches Gesicht machen, zuvorkommend sein gegen deine Lehrer, verträglich und aufmerksam gegen deine Mitschüler. Was schaust denn schon wieder so finster drein?!«

»Aber Herr Vater, ich schau' ja eh net finster drein!«

Es war halt schon ein Unglück, daß die Menschen immer glauben, man schaut finster drein, wenn man inwendig freundlich und aufmerksam zuhorcht.

Der Vater riß dem Jungen den Hut vom Kopf, um ihm besser ins Gesicht zu sehen.

»Die Haar — wie schaun denn deine Haar aus?!«

Die Haare waren ohnehin in Ordnung, die Mutter hatte sie gekämmt und gebürstet, mit Schweinefett eingeschmiert, daß sie strichweise glänzten — aber sie waren kraus, etwas sehr kraus — und ein bißchen lang, vielleicht schon ein bißchen zu lang; sie waren in den Nacken hinab gewachsen bis unter den blühweißen Hemdkragen. Der Hut hatte sich in den Haarschopf fest eingedrückt, und so[S. 19] konnten sie leicht wirr und unordentlich erscheinen; aber das waren sie wirklich nicht, wenn man mit einem nachsichtigen Blick hinsah; die Mutter hatte sie gescheitelt, so gut es ging, und die Lausallee verlief gerade wie eine Pappelschnur.

»Kraupert schaust aus,« entschied der gestrenge Herr Vater. »Wie dir die Haar da ins G'nack wachsen, so geht man zu keiner Prüfung!«

Ehe man noch ans Glacis kam und den Häusern der Rossauerlände Adieu sagte, wimpelte an einer Stange die Messingschüssel in die Luft mit Strahlenreflexen wie die liebe Frau Sonne, ein Ladenschild prangte mit einem süßlächelnden Puppenkopf und darunter stand: Heinrich Haarzopf, bürgerlicher Bartscherer und Bader.

Und weil noch eine Stunde Zeit war, so entschied der Vater, daß sich der Junge jetzt die Haare schneiden lassen müsse, um sich der hohen Prüfungskommission würdig zu präsentieren.

»Also marsch hinein!«

Bisher hatte die Mutter den üppig wuchernden Haarschopf mit eigener Hand gebändigt. Was eine Mutter nicht alles kann! Hunderterlei Gewerbe muß sie beherrschen vom Kerzengießen bis zum Haarschneiden. Es ist nicht zum sagen! Nun aber saß Franz zum ersten Male bei einem richtigen Friseur wie ein ganz Großer. Mitten unter Spiegeln wie in einem Zauberkabinett und angetan mit einem linnenen Mantel, der einmal weiß war, halb Derwisch, halb Prinz, umdienert von dem dienstfertigen Gehilfen.

»Belieben halbkurz oder ganz fiesko?« Das war eine[S. 20] neue Welt, eine neue Sprache, jedenfalls eine neue Erfahrung. Verlegen wendet sich der Junge an den Vater, der den Dolmetsch macht.

Ziwitt, ziwitt! macht es die Schere in der Hand des Gehilfen, der bei seinen Hantierungen immer die Luft schneidet. Sie macht es wie ein Vögelein, das hungrig den Schnabel aufsperrt und um Futter quietscht, ehe es gierig in den Haarwald hineinfährt. Alsbald liegen die schönen Locken auf dem weißen Mantel und am Boden ringsum, der Junge sieht drein wie ein abgeblättertes Birkenstämmchen, der Vater nickt befriedigt, aber der eifrige Gehilfe ist noch nicht fertig. Er bemerkt einen zarten, ganz schüchternen, weichen Flaum auf des Jungen Oberlippe und stellt mit unerschütterlichem Ernst die gewichtige Frage:

»Rasieren angenehm?«

Heiß schießt es dem Jungen ins Gesicht. Er wird blutrot vor Scham.

»Nein!« haucht er zurück und wendet das Antlitz ab, sich zu verbergen.

Der Vater merkt es, er schmunzelt hinter seinem Rücken, er will den Sohn nicht verletzen, der sich so leicht geniert. Er hat ihn ja so lieb, wenn er auch zuweilen rauh zu ihm ist. Aber nach Vater Schulmeisters Anschauung gehört die Strenge zur Liebe und vor allem der Grundsatz: man darf die Kinder nicht merken lassen, daß man sie so gern hat!

Rasieren angenehm! Das wirkt nach. Das prägt sich unverlöschlich dem Gedächtnis ein. Der Ernst des Lebens kommt jetzt heran! Man ist kein Knabe mehr, man[S. 21] reift der Männlichkeit entgegen, eine neue Zeit will kommen!

Das Hochgefühl sank, als er mit dem Vater am alten Universitätsplatz stand. An den hohen, schwärzlichen Palastfronten der Sonnenfelsgasse waren die beiden entlang gegangen, bis sich ein mäßig geräumiger Platz auftat wie ein schmucker Saal. Rechts die festliche Frontseite der Universität mit Säulen und Fenstern im Geist der Zeit der großen Maria Theresia; links die Prachtfassade der Kirche zur Zeit der Gegenreformation von Ferdinand II. erbaut und dicht an der Kirche anschließend, die ganze Langseite des Platzes bildend, ein kahles Gemäuer mit kleinen vergitterten Fenstern, einem Gefangenhaus gleich: das Konvikt. Nichts Grünes, wohin man sah, nur Mauern in nüchterner Feierlichkeit oder in staats- und kirchenherrlicher Pracht.

Das Herz des Elfjährigen krampfte sich zusammen, ja es beginnt eine neue Zeit, der Ernst des Lebens tritt hier gewaltig in Erscheinung.

Tapfer schritt er an der Seite des Vaters die Stiegen hinauf, wo schon ein heiteres Gewimmel von Knaben war, die, um einen der drei Stiftungsplätze zu erobern, ausgezogen waren. Da gab's sofort eine neue frische Stimmung. Das Empfindsame, Ängstliche, Weichliche verschwand, es lag nicht in Franzls Natur.

»In Gottes Namen!« sagte der Vater Schulmeister, als sich die Türen des Prüfungssaales hinter dem Jungen schlossen. Mehr kann man nicht tun als seine Pflicht, und die war getan; die Entscheidung liegt bei anderen Mächten. In Gottes Namen! Damit vertraute er sich[S. 22] und den Sohn der inneren Führung an, die die Oberleitung hatte. So konnte man ruhig und ergeben den Gang der Dinge abwarten.

Der innere Kompaß hatte gut geführt. Für den gesunden Liechtentaler Buben war die Prüfung ein Kinderspiel, als Erster ging er aus dem Wettbewerb hervor und war Sopranist am k. k. Konvikt und zugleich Schüler der ersten Lateinklasse.

Jahr um Jahr berichteten die Schulzeugnisse von dem guten Fortgang der Studien, und nie fehlte die Anmerkung: »ein besonderes musikalisches Talent«. Ein Schriftstück an den Hofmusikgrafen besagt sogar, daß auf die musikalische Bildung des Franz Schubert, da er ein so vorzügliches Talent zur Tonkunst besitze, eine besondere Sorgfalt verwendet werden solle. So kam der Hofkapellmeister Salieri hinter das kleine Genie, und so kam der Klavierdrillmeister Ruczizka in den Schriftstücken an den Hofmusikgrafen zu den lobenden Anerkennungen wegen der erteilten Nebenstunden, zu denen er, Ruczizka, von Amts wegen nicht verpflichtet gewesen wäre.

Und so kam es endlich, daß der Vater die systematische musikalische Ausbildung des Sohnes gewähren ließ, weil er sie ja auch nicht hindern konnte. In Gottes Namen! Andere Mächte bestimmten das Schicksal, er konnte nur Ja und Amen sagen. Und sich damit trösten, daß für die eigentliche Lebensaufgabe die Lateinschule sorge, die ihm vor allem anderen als die Hauptsache erschien.

Aber büffeln und ochsen, Latein und Mathematik, das war dem Jungen durchaus nicht die Hauptsache. Viel eher ein lästiges Anhängsel, eine unbequeme Draufgabe,[S. 23] die man eben in Kauf nehmen mußte. Ja, wenn man oben saß am Chor ganz nahe bei den geflügelten Engelein, umschauert von dem Weltgesang der Orgel und von dem Jubel der singenden Geigen, da war das Leben herrlich, die eigene Stimme ließ sich von diesen tönenden Fittichen tragen und stieg wohl noch ein wenig höher im Chor der Seligen.

Aber dann in der öden Grammatikalklasse, das war wie ein Sturz aus Himmelsregionen auf die harte Erde. Diese trägen, unergiebigen Stunden mit Cornelius Nepos, mit Plutarch und Ovid. Der klassische Dichtergeist zu langweiligen Schulpräparaten zerstückt und eingetrocknet wie die glanzlosen Schmetterlinge in den Kästen und die gepreßten Pflanzen in den Herbarien. Kein Hauch des Lebens mehr darin. Half also wirklich nichts als stucken, ochsen, büffeln! Aber das Herz, das Herz war nicht dabei. Ein Wunder, daß es dennoch ging, mit Ach und Krach. Nur — wenn es dem Gelehrtenhaupt am Katheder zu holperig vorkam, und die Exerzitien so gar nicht vom Fleck gehen wollten, dann wetterten die saftigsten Schimpfreden auf die Schülerherde nieder.

»Sauknochen, verfluchter! Hast wieder einmal nicht präparieret?! Müßt' man dir doch gleich das Buch ums Maul schlagen, bis dir der Kopf aufgeht, Lümmel, verstockter!«

Tat aber weiter nicht weh, war wenigstens ein derbes Stück Leben. Ein unsanftes Prügelsystem, aber man lernte dabei und kam doch ein Stück vorwärts. So waren die Erzieher, gelehrt und zugleich bauernhaft grob. Was fest eingebläut war, saß fest. Auch in einem widerspenstigen[S. 24] Schädel. Wer gar nicht parieren wollte, wurde hinausgeschmissen. Ein Kamerad war schon geflogen, der mit Franz die Aufnahmeprüfung glänzend bestanden hatte; ein Dritter, der mit ihm kam, stand am Sprung. Gibt nicht viel Federlesen, keine Empfindelei; half auch kein Heulen, kein Bitten und Betteln. Unnützer Ballast, fort damit! War gut für die anderen. Schlechtes System? I wo! Was haben gute Lehrer mit einem schlechten System nicht alles zuwege gebracht! Und konnt' Franzl bei allem inneren Widerstreben nicht alle Jahr ein treffliches Zeugnis ins väterliche Schulmeisterhaus nach Liechtental schicken? Ja freilich, angenehm war der Drill nicht. Fragte auch kein Mensch danach, ob's angenehm war oder nicht, und damit Punktum.

Blieb aber die Musik, die das graue Dasein vergoldete, und blieben die eigenen Träume, das selbständige Empfinden und Komponieren, süß wie eine verbotene und heimliche Liebe, von der der Herr Vater nichts wissen durfte. Das Herz — da drin war es. Und blieben außerdem die Kameraden, die Schulfreundschaften, die so fest geschlossen wurden, daß sie über die Mauern hinaus fürs Leben halten sollten und meinetwegen übers Grab hinaus.

Bim, bim, bim! Des Schuldieners Glocke gellte durchs Haus. Zehn-Uhr-Pause. Da gab es für die Bande kein Halten mehr, die in dem lästigen Zwang nach Freiheit dürstete. Vor allem aber nach Freßlust. Die Zehn-Uhr-Glocke war das Zeichen zum Gabelfrühstück. Mit einem Hallo stürmten die Bengel die Treppen herab nach einem der unteren Gänge. Dort steigt eben wippend die junge[S. 25] Fanny herauf, des Greislers Tochter aus der Bäckerstraße, mit einem großen Korb Fressalien auf dem Kopf, die sie in einer Fensternische des ersten Stockflurs während der großen Pause feilhält.

Wie eine Göttin der Erde, mit nahrhaften Gaben beladen, schwankt sie holdselig herauf, ein braunes, derbes Ding, blatternarbig, barsch und kurz angebunden, und trotzdem nicht unhübsch mit ihren weißblitzenden Zähnen. Dem für handfeste Schönheit empfänglichen Sinn des Klavier- und Knabenbändigers Ruczizka mußte sie tatsächlich als Fee, Nymphe oder Göttin vorgekommen sein, daß er sie in einem schäferhaft oder mythologisch gestimmten Augenblick wie ein verliebter Faun in die nackten, prallen Arme zwickte und der Wehrlosen ein Küßchen zu rauben versuchte, während sie mit dem Korb auf dem Kopf hinaufbalancierte.

Wie es geschah, war ein Geheimnis des menschenleeren Korridors geblieben. Ein Knall, ein Fall, ein Wehgeschrei, so endete das Schäferspiel.

»Sakramentski .....!« Man hat nur den Ausruf gehört, der Liebhaber war verschwunden. Denn eben scholl des Schuldieners Glocke mahnend durchs Haus, wie weiland die Stimme des Herrn im Paradies nach dem Sündenfall, aus den Klassenzimmern wälzte sich die Schuljungenhorde, und die braune Fanny stand keuchend und zornbebend vor dem herabgestürzten Korb, der seinen duftenden Inhalt über die Steinfliesen ergoß, die blonden und braunen, knusperigen Schusterlaberln, die mürben Baunzerln, Kipferln, Girafferln, Kaiserweckerln, Stritzerln, Kaiserlaberln, die Mohnstritzerln und Salzstangerln,[S. 26] den schweren Laib Hausbrot, die dreifach gewundenen Kränze von Knackwürsten, den großen Stritzen Butter, den Paprikaspeck und den frischen Maiprimsen.

Fünfzig, hundert Hände langten jauchzend danach, im Nu war der Korb wieder gefüllt, ein heiteres Intermezzo für die Jugend, eine schmerzliche Viertelstunde für die Fanny, die in wortloser Wut kaum die Tränen meistern konnte.

Niemand wußte recht, was geschehen war, aber die Sage ging von einer wuchtigen Ohrfeige, die locker in Fannys Hand gewesen war, und von einer heißen Wange, die auf einige Stunden das Flammenzeichen der Liebe trug und in nassen Umschlägen Kühlung suchte. An jenem Vormittag ward Ruczizka nicht mehr gesehen.

Während der Eßpause fanden sich die engeren Freunde mit Franz beim Futterkorb zusammen. Holzapfl, der Vordermann der Klasse, der stille, sanfte Spaun, um einige Jahre älter als Franz und zugleich sein wärmster Vertrauter, Senn, der junge Tiroler, der schon damals Verse zu flechten versuchte, und einige andere.

»Einer ist unter uns, der uns einmal alle an Genie überstrahlen wird!« hatte Spaun mit Beziehung auf Schubert gesagt, und ein fester Kreis von Freunden begann sich um den unscheinbaren Franz zu schließen. Wenn man seine helle, jubelnde Stimme auf der Empore hörte, so hätte man nicht dieses unansehnliche Bürschchen erwartet, der auch darin der Lerche glich, daß soviel Himmelsgabe in so schlicht bescheidenem Äußeren steckte.

Wenn man die Sängerknaben nun sah, dann konnte kein Zweifel sein, daß sie nicht aus gebranntem Ton und nicht[S. 27] aus Holz waren, sondern Fleisch und Bein mit vorzüglichen Freßwerkzeugen und unermeßlichem Appetit. Das Dasein unter den himmlischen Heerscharen auf Gottes Chor war beseligend, aber auf der Erde war es auch schön, besonders wenn es etwas zu essen gab.

Da sah man nun die pausbackigen, rotwangigen, schwarz-, braun- und blondgelockten strammen Engelsinger gemütlich eine Knackwurst verzehren, die lieblich roch und den anderen den Mund wässerte, so ihre Barschaft nur zu einem Schusterlaberl hinreichte. Zu einem Schusterlaberl, dick mit Butter bestrichen und so groß und mächtig gediehen, als es für einen Kreuzer Konventionsmünze nur denkbar ist.

Mit gierigen Augen hatte jeder das größte Schusterlaberl im Korb ergattert. Was ein gesunder Bengel ist, erkennt auf den ersten Blick unter Hunderten von Broten jenes, welches das größte Schusterlaberl ist. Daß die wohlgeratensten Exemplare die Größe eines Kinderkopfes erreichen, ist selbstverständlich. Es ist nicht aus feinstem Mehl gebacken, im Gegenteil, es ist so ziemlich das ordinärste Gebäck, aber auf dem ganzen Wiener Boden gibt es keinen Jungen, der nicht nach dem Schusterlaberl greift, wenn er die Wahl hat. Ein Schusterlaberl, mit Butter bestrichen, das ist nach Wiener Volksbegriffen die größte Delikatesse. Daran war nicht zu zweifeln, wenn man die Kerle einhauen sah, daß es nur so patschte. Mit einem Schusterlaberl in der Hand konnte man sich sogar gegen eine Knackwurst oder gegen Wienerwürsteln mit Kren behaupten, und das will gewiß etwas sagen.

»Heiße Forellen!« rief die übermütige Fanny, um ihre[S. 28] Ware noch verlockender zu machen. Richtig, da schwammen sie, die Wienerwürsteln, im brodelnden Kessel hurtig hin und her wie die Forellen, und ein Paar nach dem anderen wurde herausgefischt. Knackwürst! Wienerwürstl mit Kren! Schusterlaberln mit Butter! Hört es! Der Traum vom Paradies ist damit gespickt. Wenn ihr sie nicht genossen habt, dann wißt ihr nicht, was gut ist!

»Nun, und heut gar nichts?« wendete sich Fanny an Franzl. Der hat einen Stein im Brett bei ihr. Ein extra großes Schusterlaberl, extra dick bestrichen, das waren die Zeichen ihrer Gunst. Das braune, herbe, blatternarbige Greislermädel verbarg hinter ihrer rauhen Wesensart ein weiches Gemüt. Eine schöne Stimme hören, und sie war soviel wie verloren. Sie wußte schon, daß Franzl die schönste Stimme unter den Jungen hatte. Sie sah ihn nur mehr durch diese Stimme, und jetzt dünkte ihr der unscheinbare Junge schön wie ein Märchenprinz. In ihren Augen war er, die unansehnliche Lerche, schöner als der herrlichste Paradiesvogel. Sie hatte ihn schon in der Kirche gehört, und als er kürzlich in der Pause dem Freund Spaun ein selbst komponiertes Liedchen leise vorsang, vergaßen ihre flinken Hände, daß sie in wenigen Minuten fünfzig und mehr Schusterlaberln mit Butter zu streichen hatten.

Versteinert stand sie da, Mund und Augen weit auf, ein wenig vorgeneigt, um keinen Laut zu verlieren, weltentrückt, verzaubert, bis zwanzig aufgesperrte hungrige Mäuler, die nach Atzung schrien, sie aus ihrem Traum weckten. Ob er ihr das Lied nicht aufschreiben wollte, war gegen Schluß der Pause die verstohlene Frage. Er[S. 29] sagte nicht ja und nicht nein, er lachte bloß, wohl nur, um seine Verlegenheit zu verbergen.

Es war, als ob eine leise, schier unbewußte Berührung der Seelen stattgefunden hätte, so blieb etwas bestehen, das man nicht leicht irgendwie nennen kann, weil jedes Wort zu schwer dafür ist. Etwas schier Unbewußtes, Heimliches, und doch Gefühltes. Ein Strahl von mütterlicher Sorgfalt ging von ihr auf ihn über, es materialisierte sich in den größten Schusterlaberln mit der dicksten Butter. Aber darüber hinaus war noch etwas wie ein Licht da, das wärmte.

»Nun und heut gar nichts?!« fragte sie noch einmal und streifte ihn leise an, weil er nichts bestellt hatte.

Er schüttelte nur verneinend den Kopf, aber sie wußte schon! Abbrandler! Das heißt, daß er keinen Groschen mehr in der Tasche hatte.

Aber sie schob ihm schon wortlos ein dickbestrichenes Laibchen hin.

Er schob es wieder zurück und sagte halblaut und schier unbefangen, obzwar es ziemlich gepreßt klang: »Heut — nichts!«

Da nahm sie das Brot, drückte es ihm in die Hand, indem sie sich ganz nahe an sein Ohr neigte und leise sagte: »Kost' doch nichts!«

Als ob er glühendes Eisen angefaßt hätte, schleuderte er das herrliche, hochgebähte, goldblonde, knusperige Schusterlaberl, das mit den dicken Butterseiten zusammengeklebt war, neben dem Eßkorb auf das Fensterbrett hin, flammendrot im Gesicht, daß es dort in seine zwei Hälften[S. 30] zersprang und mit den Butterseiten auf dem staubigen Steinboden lag.

Sie sah ihn einen Augenblick betroffen und schmerzlich an, hob dann die Brote auf und legte sie zu den anderen. Mit einem Ruck faßte sie den ziemlich geleerten Korb auf, stellte den kaltgewordenen und ausgefischten Würstelofen hinein und rauschte ab wie eine beleidigte Königin, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

Er war so verdonnert, daß er nicht wußte, wie ihm geschah, eilte hinauf in sein Zimmer, warf sich auf sein Bett, wühlte den Kopf in die Kissen hinein und schluchzte mit halberstickten Ausrufen: »Fanny, Fanny!«

Etwas Seltsames, Beunruhigendes, Niegekanntes, Schmerzvolles, und doch zugleich Beseligendes, Wunderbares war über ihn gekommen. Was war es? Ach ja, das Leben, das Leben! Die schüchternen Regungen wie ein ganz verstohlener Sonnenstrahl und gleich darauf Schauer, Tränenschauer.

Man war kein kleiner Knabe mehr, und auf der Oberlippe sproßte jetzt wirklich ein kleines, winziges, schütteres Bärtchen. Es kommt nun doch eine andere Zeit!

Am Nachmittag schrieb er seinem Bruder Ferdinand, der war Schulgehilfe in der Wiener Vorstadt Lerchenfeld, und schilderte seine Lage. Die paar Groschen, die er monatlich vom Herrn Vater bekomme, seien in den ersten Tagen beim Teufel, was soll man in der übrigen Zeit tun? Bei dem mageren Mittagsmahl, dem erst nach 8-1/2 Stunden ein armseliges Nachtmahl folgt, müsse man sich eben in den Pausen mit etwas Stärkendem aushelfen. Es würde den Bruder Ferdinand nicht arm machen, wenn er ihm[S. 31] monatlich ein paar Kreuzer zukommen ließe. Spricht doch der Apostel Matthäus: Wer zwei Röcke hat, der gebe einen den Armen usw., und dann in Kap. 3, V. 4: Die auf dich hoffen, werden nicht zuschanden werden ..... So schließt die Epistel mit dem Aufruf, Ferdinand möge sich doch des »liebenden, armen, hoffenden und nochmals armen Bruders Franz« erinnern.

Der Brief ist fort und damit ein Stein vom Herzen. Was jetzt? Ja, richtig: das Lied aufschreiben — die Fanny muß das Lied haben! Ein extra schönes Papier für sie, mit kunstvoll verschlungener Schrift und die Noten säuberlich hingesetzt, als ob sie gestochen wären! Darauf ein Suchen und Suchen in allen Laden und Heften, aber kein armseliger Fetzen Notenpapier ist mehr zu finden. Alles verschmiert. Neues kaufen — aber zum Kuckuck, wenn man keinen Groschen in der Tasche hat! Der Mensch ohne Geld ist ein gottverlassenes Geschöpf. Da fehlt es gleich an allen Ecken und Enden. Daß man sich ein Schusterlaberl mit Butter versagen muß, ist hart genug, aber das ist noch das wenigste; den Mangel fühlt man erst, wenn man jemandem was Liebes tun möchte und nicht kann, weil man keinen Knopf Geld hat. Schnöder Mammon!

Da kommt Spaun bei der Tür herein, der liebe, innige! Aufgeschossen ist er wie eine Hopfenstange, den Kopf mit dem sittsam zurückgekämmten Blondhaar und den weiten, wasserblauen Augen hat er vorgeneigt, erwartungsvoll.

»Hast was Neues geschrieben?«

Er ist so furchtbar erpicht auf das Neue, das Franz in Noten dichtet.

[S. 32]

»Hab' kein Papier!« knurrte Franz etwas borstig.

Da macht der andere schon Kehrt-euch und ist wieder draußen bei der Tür.

Franzl sinniert und sinniert, es vergeht eine halbe Stunde, da kommt Spaun wieder angerückt, atemlos, einen großen Pack unter dem Arm, den er auf den Tisch legt und sorgfältig auswickelt.

Notenpapier! Große, schöne, dicke Bogen, ein ganzer Stoß, genug, um die Unsterblichkeit damit zu bestreiten.

»Da hast jetzt und schreib'!« und ist schon wieder draußen.

»Kerl, lieber, guter!«

So lächelt Franz, setzt sich hin und schreibt.

Am anderen Tag geht er in der Zehnuhrpause in sein Zimmer hinauf. Er traut sich nicht herunter, es geniert ihn. Geld hat er ja auch keines auf ein Schusterlaberl.

Aber ein Brief ist da.

Bruder Ferdinand schreibt, Franz wird mit dem Nötigen versorgt werden, er möchte aber vorerst auf ein paar Tage heimkommen. Der Schulurlaub sei unterdessen für ihn schon erwirkt.

So war es auch, auf drei Tage hat er frei.

Und wandert hinaus aus der engen Stadt in die Maiensonne, ins Grüne, wo ihn die Wiesen mit tausend Blumenaugen ansehen. Beim Schottentor ist er draußen, dann übers Glacis, wo der Wind, der richtige Wiener Lausbub, seinen unumschränkten Spiel- und Tummelplatz hat, um diese Zeit kosend als Mailüfterl mit Wolken von Fliederduft sanft beladen; im Sommer als verrückter Derwisch mit wehendem Mantel aus Staub und[S. 33] ebensolchen aufgeplusterten Pumphosen; im Herbst als unwirscher Straßenkehrer, der dürre Blätter und Mist dahinfegt oder mit nasser Regenhand den Leuten ins Gesicht patscht, die Weiberkittel aufwirbelt und die Parapluies umdreht; im Winter ein rauhbeiniger Knecht Ruprecht, der mit flockigem Schneebart daherflattert, daß euch die Augen übergehen. Der kann grantig und boshaft sein wie ein alter Zucht- und Armenhäusler, aber jetzt ist er ein holder Junge, der in den Bäumen säuselt und auf sonnenweißen Wolken in gottseliger Bläue segelt.

Und so ist heut auch dem schulvakanten Knaben zumute, dem das Herz klopft, als er hinter den mächtigen Häuptern der Kastanien die Häuser seiner lieben Liechtentaler Vorstadt auftauchen sieht. Dort hinter den Bäumen mit den vielen weißleuchtenden Kerzeln ist das Vaterhaus »zum schwarzen Rössel« in der Säulengasse.

Geschwind, geschwind um die Ecke und hineingestürmt mit einem Jubelruf. Aber da stockt er schon.

Was ist denn geschehen?

Er spürt ein Zerren im Gesicht, ein Würgen drinnen im Hals; denken kann man's nicht. Eine Draperie hängt am Tor; ein Kerl steht heraußen mit Glotzaugen und Schnapsnase, einen Dreispitz am Kopf, kurze Hose und Strümpfe an den verkrümmten Beinen, ausgelatschte Schnallenschuhe; eine Menge Schnüre und Quasten an dem frackähnlichen Rock, der schief sitzt wie auf einer Vogelscheuche; schwarz alles, ganz schwarz, schwarz die Draperie am Tor, schwarz der aufgedonnerte Frack, der Dreimaster, die Hose, die Strümpfe.

[S. 34]

Unterm Tor kommt ihm schon der Bruder Ferdinand entgegen, er ist ebenfalls schwarz, nur das Gesicht ist rot und die Augen sind verschwollen.

»Die Mutter ist tot!« würgt er hastig und tonlos hervor.

»Au, au!« schreit der Heimkehrende auf wie ein getroffenes Tier; und schon steht er im Winkel abgewendet und flennt in sich hinein.

Und geht dann, so schnell er kann, die paar Stufen hinauf, und ist ihm, als ob er Quadersteine trüge, daß er, von der Last erdrückt, kaum über die Schwelle kann.

Drinnen der Vater, sieht um Jahre älter aus, sagt kein Wort; tätschelt nur den Buben an Schultern und Kopf, scheu und fast widerwillig; schiebt ihn aber gleich von sich zu den Geschwistern hinein.

Die sitzen drin, alle schwarz angezogen, nicht zum Erkennen, stieren vor sich hin, nur eins oder das andere heult laut auf, wie's den Franzl sieht. Reden aber sonst kein Wort — einfache Menschen sind karg mit Gefühl und Worten, verstecken sich lieber voreinander.

Auch Franzl bringt keinen Ton heraus, geht wie im Traum ins Nebenzimmer, das dunkel gähnt mit brennenden Kerzen. Brennen nicht hell und froh wie die Blütenkerzlein draußen auf den Bäumen; brennen dunkel und weh in der schwarzen Luft und in dem toten Geruch der welkenden Blumen. Ist etwas Weißes zwischen dem roten Kerzengefunsel und starrem Blätterzeug, hoch geschichtet; jetzt sieht man's vor den betäubten Augen; braunlackiertes Holz, der Sarg, weiße Seide, ein gefälteltes[S. 35] Brautkleid, wachsgelbe Hände und ein Gesicht, so bekannt und so fremd zugleich, so starr und fern.

Mutter! Der Franz spürt sie, er spürte sie schon von weitem, ehe er ans Haus kam, im Flur unten umwärmte ihn schon ihre Nähe, im Zimmer draußen wußte er sie neben sich, die Luft, die Dinge alle, die Gewohnheit, das war sie. Sie lebte, und für das Totsein gab es keinen Begriff.

Er wollte die Tücher wegreißen, die Fenster aufstoßen, Luft und Licht herein, die Starre aufrütteln, daß sie das Fremde abschüttle und wieder sie sei, die lebte in seinem Fühlen; die ganze fürchterliche Schwere der Wirklichkeit wegwischen, die Lüge war, weil sie so unverständlich blieb; das Herz schrie auf und tobte nein, nein, nein — und dennoch blieb er steif wie gelähmt, unfähig, etwas zu tun, zu sagen, oder zu denken.

Und ging noch die folgenden Tage umher wie betäubt, indessen ein widerwärtiges geschäftiges Etwas vor sich ging, die ganze quälende, niederdrückende, entsetzliche Bestattungszeremonie, die mit dem Herzen nichts zu tun hatte, diese Schaustellung des Schmerzes vor den gaffenden Gassen und Fenstern bis zu dem Moment, wo man in der Kirche saß bei der Einsegnung und die Orgel lind und leise auf die zertretenen Gemüter einsprach. Das war wieder die Stimme der Mutter, bald gutmütig greinend, scheltend, verweisend, dann wieder gut zuredend und liebkosend; die Härte des Krampfes wollte sich lösen; aber dann noch das Schrecklichste, das Niederfahren des Sarges in die Grube, die vereinzelten Aufschreie, das dumpfe Dröhnen der auffallenden Schollen, das man[S. 36] nicht mehr aus den Ohren bringt — als ob jede Handvoll Erde eine Wunde in den eigenen Leib schlüge!

Fluchtartig ging's aus dem Friedhof fort ins Vaterhaus zurück; die Trauerzeichen waren inzwischen weggeschafft worden, die alte Ordnung hergestellt, aber die Ödigkeit hatte sich eingenistet. Das Tor war wie früher und ebenso die Zimmer, aber im Geist sah man immer die Trauertücher draußen hängen und wehen. Im Zimmer tauchte immer der Sarg auf an der Stelle, wo er gestanden, die Funsellichter — schreckhafte Eindrücke, und Visionen, die nicht wegzuwischen waren.

Die paar Tage gehen vorüber in Dumpfheit und Zerschlagenheit; Franzl ist froh, als die Zeit da ist, ins Konvikt zurückzukehren. Auf dem Glacis wirft er sich ins Gras, um, von niemandem gesehen, sich nach Herzenslust ausweinen zu können. Dann wandert er stadtwärts und ein tröstliches Gefühl gewinnt Oberhand.

»Fanny, Fanny,« denkt er, nein, er denkt es nicht; das Unbewußte in ihm denkt es, fühlt es. Das verschnürte Herz, das sich nach Wärme, nach Mütterlichkeit, nach Liebe sehnt und sich so schwer und widerwillig erschließt, sucht Zuflucht bei dem unwillkürlichen Gedanken an Fanny, die jetzt so halb und halb mit dem Bild der Mutter zusammenfließt und ihn doch zugleich so ganz eigen bewegt, daß ihn fast ein Zittern überfällt.

Nun soll sie das Lied mit den Noten haben, denkt er und ist fast aufgeregt in der Vorfreude.

Am anderen Morgen ist er der Erste bei dem Eßkorb, allen anderen Jungen voraus. Niemand soll's merken!

»Das Lied, Fräulein Fanny, das Lied — hier hab'[S. 37] ich's!« stammelte er heiß und verwirrt und steckte ihr das zusammengefaltete Blatt in die Hand.

Sie sieht ihn eine winzige Weile von oben bis unten an, verzieht hochmütig den Mund, schiebt ihm das Blatt zurück und wendet sich ab mit der kurzen Bemerkung:

»Brauch's nimmer!«

Das Blatt fällt zur Erde; einer der anstürmenden Kameraden hat es erwischt, es verschwindet in den Händen der Freunde, wie so vieles, was damals entstanden.

Jetzt hat er Groschen im Sack, aber kaufen tut er nichts; die Knackwurst, die Würsteln, die Schusterlaberln — nein; der Appetit ist ihm vergangen.

Aber weinen, nein, das tut er auch nicht. Warum denn? Das Herz setzt eine Rinde an; daß ein Krampf darinnen bebt, er will's selber nicht wissen.

Gleichmütig plaudert er mit seinen Freunden weiter, bis einer plötzlich sagt:

»Du, hör' einmal, was hast denn du für eine Stimm'?«

Fanny blitzt ihn wiederholt spöttisch an, sie hat es gleich gemerkt. Die Stimme war geborsten, rauh, unmelodisch, ein Wechsel, wie er bei Jünglingen um die Zeit der beginnenden Männlichkeit auftritt. Fanny lächelt spöttisch. Lächelte sie über sich, über den Jungen, oder über ihre Narretei? Der Zauber war gebrochen.

Der Paradiesvogel stand vor dem ernüchterten Blick wieder unansehnlich gleich einer graubraunen Lerche da, ja, er war noch weniger geworden, ein grüner Spatz, der ziemlich unharmonisch piepste. Aber das Gold, das nicht in der Kehle lag, sondern tiefer in der Brust — was verstand das dumme Greislermädel davon?!

[S. 38]

Freilich, ein Sonnenstrahl war erloschen, der zwischen den Mauern schüchtern in des Knaben Gemüt gefallen war.

Im Klassenbuch stand jetzt in der Kolonne des Franz Schubert die Bemerkung: Mutiert. Mit der Sopranistenherrlichkeit im Sängerchor bei den dicken Engelsköpfen war's jetzt vorbei. Das war der natürliche Verlauf der Dinge.

Damit erlosch ein weiteres Licht, und die Schatten der Schulmauern drückten schwerer als je.

Einige Monate später verließ Spaun die Anstalt, er hatte absolviert.

»Glücklicher, daß du aus diesem Gefängnis gehen darfst!« rief ihm Franz zum Abschied nach. Es war ihm jetzt, als müßten die Schulmauern auf ihn stürzen, um ihn ganz zu erdrücken. Die Mathematik, da wollte nicht alles stimmen. Eine schlechte Note — die Scharte war auszuwetzen, wenn der Stiftungsplan mit dem Stipendium erhalten bleiben sollte. Aber wozu ein zweckloses Mühen? Was man eigentlich braucht, hat man vom lieben Gott gelernt, die anderen hatten ihr Bestes längst gegeben und sahen sich als Meister übermeistert. Es gab Wichtigeres zu erfüllen als büffeln und ochsen. So riet die innere Stimme des Genius.

Noch ein Jahr wurde mühselig hingebracht, und dann schlossen sich die Türen des Konvikts hinter einem, der aufatmend draußen stand, einen letzten Blick auf das düstere, kahle Gemäuer warf und innerlich bebte und jubelte: Jetzt kommt eine andere Zeit! Das Leben, das Leben!


[S. 39]

II.

Im Schulmeisterhaus am Himmelpfortgrund war wieder fröhliches Leben. Die Schatten der Trauer waren vertilgt, ein hübsches junges Weib nahm die Stelle der Mutter ein, arbeitete von früh bis abends mit heiterem Sinn und sorgte mit gleicher Liebe für alle, als ob die Verstorbene in diesem Frauenwesen wieder auferstanden wäre.

Vater Schulmeister vermochte nicht lange ohne Gesponsin zu bleiben; kaum ein Jahr nach dem Tode seiner vielgeliebten ersten Ehefrau hatte er die Gumpendorfer Fabrikantenstochter, die »wertgeschätzte Jungfrau Anna Kleienböck«, gefreit; hat's nicht zu bereuen gehabt, und haben alle Kinder, besonders aber der Franzl, eine mütterliche Helferin an ihr gefunden. Den Franzl hatte sie namentlich in ihr Herz geschlossen.

Aber der Vater, der macht Augen, als der Bub wieder heimkommt. Hat jetzt noch so einen Fresser am Brotsack hängen. War vom richtigen Bauernschlag, der Vater Schulmeister, ein dicker, harter Schädel, saß ihm der feste Sinn in dem entwickelten Kinn, war einer, der nicht gerne nachgab und den Kreuzer zehnmal umdrehte, ehe er ihn auslegte. Ein rechtschaffener Mann, der für die[S. 40] Jungen sorgte bis zum Flüggewerden, aber dann sollten sie selber schauen, wie sie zu ihrem Futter kämen. Sparsamkeit bis zu Knickerei und Geiz, das war Bauerntugend. Und die saß fest bei ihm. Wie wär' man denn zu eigenem Grund und Boden gekommen, zu einem selbst erwirtschafteten Häusel, wo die Wirtschaft am Schnürchen ging, bei dem dürftigen Schulkreuzer, wenn man nicht Groschen auf Groschen gelegt hätte?!

Es war an einem schönen Sonntagmorgen, als Franz heimkam. Der Vater saß allein in der unteren Stube und frühstückte. Als er des heimkehrenden Sohnes ansichtig wurde, schob er rasch den schön gebräunten, innen aber dottergelben, flaumigen Gugelhupf unter den Tisch, wo ein Brett als offenes Fach eingelassen war. Dann schlürfte er seinen Kaffee leer weiter, als ob er nichts dazu zu beißen hätte.

Das Gespräch war ziemlich karg; einsilbige Fragen, einsilbige Antworten. Bis der Vater die verfängliche Frage stellte, ob Franz nun gedenke, den anderen Familienmitgliedern den mageren Bissen wegzuschnappen? Worauf der Sohn flink mit der Antwort bereit war: »Meinetwegen, Herr Vater, hätten Sie den Gugelhupf nicht verstecken müssen, ich mag ohnedies keinen.« Worauf Vater Schulmeister den Gugelhupf wieder hervorholte, aus dem Schrank eine Kaffeetasse nahm, dem Franz das Restchen aus den Kannen eingoß und ihm obendrein ein gewaltiges Stück von dem verheimlichten Gugelhupf vorsetzte.

Franz ließ sich's wohl schmecken. Er wußte, der Herr Vater hatte nun einmal solche Eigenheiten, über die das gute Herz doch immer wieder siegte; und dieses gute Herz[S. 41] hatte sich eben seiner bäuerischen Filzigkeit geschämt, bei der es sich ertappen ließ, und wollte den schlechten Eindruck durch um so größere Freigebigkeit verbessern.

An diesem Tag war kein mahnendes Wort mehr gefallen. Am Nachmittag dirigierte Franz das Streichquartett, das sich im musikliebenden Schulmeisterhaus sofort gebildet hatte. Die Brüder Ignaz und Ferdinand kratzten auf der Geige, der Vater schabte das Violoncello und Franz spielte die Viola. Die beiden Violinen knarrten und quietschten vor Lust und Freude, sie taten aber so laut und ungeniert, als ob sie allein auf der Welt wären. Das Violoncello wollte sich die Ungebundenheit der vorlauten Violinen nicht über den väterlichen Kopf wachsen lassen. Es strengt seine wohlig dunkle Stimme aus Leibeskräften an und plagt sich hinter den beiden Wildfangen mit redlichem Schweiß einher, was nicht immer ohne Unfall vonstatten ging; nur die Viola flötet süß und geleitet die drei stolpernden Kumpanen mit gelinder Festigkeit auf unwegsame Höhen, wo man im himmelhohen Jauchzen hätte die Welt umarmen mögen. Aber das gute dicke Violoncello mußte sich des öfteren schnaufend die Seiten halten und konnte das Springen und Jauchzen nicht so flink mitmachen; bleibt öfters im Notengestrüpp hängen, sucht sich zuweilen ebenere Wege und markiert nur so den hüpfenden und schwebenden Gang der Melodie.

Lächelt der Sohn, klopft mit dem Fiedelbogen ab und sagt schüchtern: »Herr Vater, da muß etwas gefehlt sein ...!« Also werden die schwierigen Passagen noch einmal genommen und immer noch einmal, bis es der Viola und den beiden Fiedeln gelingt, das schwerfällige[S. 42] Cello mit Ach und Krach, aber immerhin mit heiler Haut über Stock und Stein zu bringen.

Ist hinterdrein quietschvergnügt über die eigene vermeintliche Leistung und Fortschritte, schmunzelt vor Behagen und Selbstachtung und läßt sich zur Anerkennung herbei: »Das muß man sagen, können tut er was, der Franz, das haut ihm keiner 'runter!«

Und die Brüder sehen voll Bewunderung auf den Franz hin, die Mutter ist gerührt, daß ihr die Tränen in den Augen stehen, und streichelt ihm scheu und zärtlich über den krausen Schädel, glückselig und erstaunt, so plötzlich diese stattlichen jungen Kerle zu Söhnen zu haben und besonders einen solchen Meister darunter, der ganz beschämt dasitzt und alle Lobeserhebungen bescheidentlich ablehnt. Beinahe hätte sie mit ihren warmen, molligen Armen den Lockenkopf abgefangen und ihn nach Herzenslust abgebusselt, aber sie getraute sich nicht des Vaters wegen, der könnt's vielleicht übel auslegen.

Ist übrigens sehr selten, daß der Herr Vater soviel Lob spendet. Hat man kaum je aus seinem Munde gehört. Ist schon genug, wenn er nichts sagt, als ein Zeichen, daß er zufrieden ist. Wenn ihm was nicht gefällt, dem Herrn Vater, ist er gleich mit dem Tadel bei der Hand, dann spart er's nicht, räsoniert, greint, wettert, daß einem angst und bang wird. Man ist also nicht verwöhnt. Aber daß ihm auch einmal der Mund des Lobes voll überfließen könnte, daran kann man sich eigentlich kaum je entsinnen.

Aber das Schönste kommt erst. Der Vater nimmt die Mutter zur Seite, hat eine kleine, heimliche Unterredung[S. 43] mit ihr, man sieht, daß ihr Gesicht in heller Freude aufleuchtet, und draußen ist sie. Vergnügt und ganz erfrischt kehrt der Vater zu den Notenpulten zurück, er ist heute noch tatendurstig. Es ist noch eine Stunde zum Nachtmahl, die will der Vater nicht verlieren. Also wird noch einmal Musik gemacht, bis es finster ist.

Jetzt erscheint wieder die Frau Mutter, ganz erhitzt und fröhlich aufgeregt — mein Gott, das Herdfeuer und die muntere Hast! Der Tisch ist fein säuberlich gedeckt. »Kommt's essen!« ruft der Vater und setzt sich als der Erste in den bequemen Lehnstuhl am oberen Ende.

Die Buben — sind eigentlich schon erwachsene junge Männer, bleiben aber für den Herrn Vater immer noch die Buben — lassen sich das natürlich nicht zweimal sagen und sitzen schon im nächsten Augenblick um den Tisch herum, der heute sogar mit einem weißen Tuch gedeckt ist.

Und Weingläser stehen auch da! Ein jeder spitzt: »Hei, da gibt's was!«

Die Mutter ist schon wieder in der Küche draußen, sie ist in ihrem Element, wenn sie so richtig wirtschaften kann, aus dem Vollen heraus. Inzwischen wird noch eine Weile über die Musik geschwatzt, Musikanten sind leicht durstig und hungrig, besonders aber durstig — man hat das Gefühl, als ob man von einer wunderschönen Landpartie zu Fuß und zu Wagen zurückgekommen wäre, die herrlichsten Gegenden und Aussichten genossen hätte, von fernen Gipfeln, die man nur träumen könnte. In diese ätherblauen Seligkeiten hat der Genius geführt — ja, so[S. 44] ein Streichquartett den lieben Sonntag nachmittag, das ist mehr als ein vierspänniger Wagenausflug.

So, und jetzt sitzt man, in die Wirklichkeit zurückgekehrt, mit erdenfrohem Behagen und Appetit da, die Gabel in der Faust, und wartet mit spähenden Augen der Dinge, die da kommen sollen.

Und da fliegt schon die Tür auf, die junge Frau Mutter rauscht herein, daß die weißgestärkten Unterröcke und die Schürzenbandeln fliegen, die halbnackten, rundlichen Arme tragen hoch eine große Schüssel, eine Duftwolke strömt mit — hm! daß einem das Maul wässert —, jetzt senkt sich die Schüssel auf die Tischmitte herab, ein vierstimmiger Ausruf: »Ah, Backhendeln!«

Wiener Backhendeln mit Gurkensalat!

Den Jungen verschlägt's fast den Atem, keiner würde wagen, zuzugreifen, sie schauen verzückt auf die Backhendeln und dann verwundert auf den Herrn Vater — das hat man noch nicht erlebt, außer bei der Hochzeit mit der jungen guten Stiefmutter — eine solche Freigebigkeit — was muß denn über ihn gekommen sein?!

Den Vater wandelt jetzt ein Schatten an, er fühlt den verwunderten Blick der Söhne, fast dünkt es ihm jetzt eine Verschwendung, er bereut es beinahe schon wieder, sich in solche Unkosten gestürzt zu haben, und blickt eine Weile sinnend und grüblerisch auf seinen leeren Teller. Die Stirn hat Falten, wie immer, wenn er nachrechnet.

Mechanisch erhebt er sich zum Tischgebet. Die jungen Kerle leiern es herunter mit langen Zähnen, im Mund lauft jedem das Wasser zusammen, man sieht's ihnen ordentlich an — die Mutter blickt glückselig von einem auf[S. 45] den anderen — der Vater betet laut und langsam aber wie im Traum, indessen er im Geiste rechnet und rechnet. Er will, bevor er zu essen anhebt, das Exempel lösen, wie er die Mehrkosten von heute im Lauf der Woche wieder hereinbringt, um das knickerische Gewissen zu beruhigen und obendrein so, daß der eine Fresser, der jetzt mehr da ist, dreingeht, ohne daß das Wirtschaftsgeld erhöht werden muß.

Ganz einfach, denkt er, indessen seine Lippen laut und langsam beten, Fleisch gibt's die ganze Woche nicht mehr — Mehlspeisen kosten die Hälfte — sind viel gesünder — Montag Banadlsuppe, kostet fast nichts, heißes Wasser mit Ei und Semmelschnitten, etwas Schmalz; dann Erdäpfelnudel mit Semmelbröseln abgeschmalzen, Zwetschgensauce dazu — ist gut und nahrhaft, können bampfen dabei, die Schlinghälse, daß sie nicht mehr bah sagen können; Dienstag Grießschmarrn mit gekochten Kirschen; Mittwoch Holzhackernockerln aus Wasser und Mehl, läßt man ein Ei darüber spazieren, macht's nahrhafter und sieht nach mehr aus; Donnerstag Linsen, vielleicht Spiegeleier dazu, wenn's reicht; Freitag ist ohnehin Fasttag, gibt's vielleicht Hirsebrei mit geriebenem Lebzelten drauf; Samstag Kipfelkoch oder Semmelschmarrn, Bofesen wären auch nicht schlecht, vielleicht einen Kirschenstrudel — die Leibspeise — wenn sie nur nicht zu teuer kommt —, als Nachtmahl gibt's die ganze Woche nichts weiter als Butterbrot, zur Abwechslung etwa einmal frischen Maiprimsen darauf, und, wenn's hoch kommt, ein paar Kirschen nachher, die jetzt wohl billig genug sind; na, und Sonntag vielleicht wieder einmal einen[S. 46] Schweinsbraten — sein Gesicht klärt sich auf, indessen er das Kreuz schlägt, das Rechenexempel ist gelöst, er kann sich beruhigt mit Frau und Söhnen an den Backhendeln ergötzen: Im Namen Gott des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes, Amen! Mit einem vierstimmigen Echo schließt das Amen.

Dann ein eiliges Sesselrücken, dicht an den Tisch heran, so bequem und fest als möglich, die Serviette unters Kinn gesteckt, in den Halskragen hineingestopft, der Vater langt mit der Gabel zuerst zu und sticht das Pfaffenschnitzel heraus mit etwas gerösteter Petersilie darauf, wegen des Wohlgeschmacks, flink hat ein jeder sein Trum auf dem Teller, der eine ein solches weißes Bruststück, der andere ein Haxerl, ein Stück Flügerl, ein paar Minuten vergehen wortlos, indessen das zarte Fleisch mit der schönen braunen, knusperigen Rinde zwischen den Zähnen mitsamt den weichen Knöchelchen krachend zerbissen wird und Stück um Stück verschwindet. Zu jedem Bissen Fleisch eine tüchtige Gabel voll Gurkensalat.

Vater Schubert stößt vertraulich den Franz an und deutet mit dem Messer auf das Büchschen Paprika, das am Tisch steht.

»Mußt etwas Paprika auf den Gurkensalat tun! Zum Gurkensalat gehört eine Messerspitze Paprika!«

Also streute Franz vorsichtig etwas Paprika auf den Gurkensalat.

Das gibt zu dem Arom eine köstliche Würze, daß man einen brennenden Rachen hat wie ein Feuerschlucker.

Die Schüssel ist leer, nur ein Häuflein Knochen ist übriggeblieben wie auf einer Schädelstätte. Jeder lehnt sich[S. 47] behaglich und von der emsigen Arbeit aufseufzend in den Sessel zurück; die Flammen in der Kehle müssen gelöscht werden. Da langt der Vater nach einem Krüglein, das unter dem Tisch bei seinen Füßen steht, hebt es sorgfältig prüfend ans Licht und schenkt jedem das Glas voll. Gumpoldskirchner!

Zu Backhendeln mit Gurkensalat gehört Gumpoldskirchner, das ist stilgerecht. Es könnte auch ein Grinzinger sein, ein Sieveringer, ein Alsecker, ein Bisamberger, ein Klosterneuburger, ein Weidlinger, ein Kremser, ein Mailberger, ein Haugsdorfer, ja, man würde gar nicht fertig in der Aufzählung der vielen guten Tropfen, die zu einer solchen Wiener Götterspeise gehören. Jeder hat seine eigene Blume, aber jeder paßt dazu. Vater Schubert liebt besonders den Gumpoldskirchner. Er ist goldgelb, etwas schwerer wie die anderen, kostet auch etwas mehr, aber an hohen Fest- und Feiertagen möcht' man halt auch was Besonderes haben.

Glänzen alsbald die Äuglein, wie der Gottestrank die Zunge hinabläuft, inwendig ein behagliches wärmendes Feuer anzündet, daß die Begeisterung wach wird und die Zungen sich lösen. Schwebt schon der heilige Geist auf sie herab und fängt der eine und andere an, mit Engelszungen zu reden. Franz, der wortkarge, der verschlossene, wird gesprächig.

Ist so eine schöne Sache, die Musik, hebt den Menschen ins Himmelreich, daß er in lichter blauer Seligkeit hinschwebt, als ob er Flügeln hätte und wirklich schon im Paradies wäre. Fällt alles Schwere ab, alle Sorge, und selbst was traurig stimmt, wird tröstlich und labesam.[S. 48] Ist neben der Musik aber auch was Schönes, Backhendeln essen mit Gurkensalat, und Gumpoldskirchner dazu zu trinken! Gewiß! Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Die Seele schwingt sich auf, wandert frank und frei im Reich der Töne, aber sie muß wieder zurück, wenn der Leib schwach und hungrig wird, und muß sich wieder stärken mit ihm, denn Leib und Seele gehören nun einmal zusammen. Wie könnte sie so schöne Lieder erfinden und gottselige Gedanken pflegen, wenn sie nicht hin und wieder durch den Leib mit so herrlichem Essen erquickt würde.

Gibt es doch kein Land, wo so erlesene Genüsse zu haben sind, solche Backhendeln, solchen feinen Salat und einen so himmlischen Tropfen wie diesen Wein! Drum kann auch nirgends die Seele so hoch in Begeisterung steigen wie hier, wo sie auch auf Erden sich bereits im Himmelreich wähnt. Womit schmeckt denn der Leib diese wunderbaren Gaben, wenn nicht mittels der Seele, die es zu schätzen versteht, was ihr hier vorgesetzt wird, und die dann noch einmal so herrlich zu singen und sagen weiß. Diese Backhühner, dieser Wein muß nicht allein mit dem Leib genossen sein, wenn es gut anschlagen soll — nein, Speis' und Trank ist es für die liebe Seele!

Die Mutter lächelt verklärt und schaut gedankenvoll aufs Tischtuch, die Brüder schauen mit glosenden Augen bald auf den Vater, bald auf den Franz, der eine so verwunderliche Rede hält; Ignaz, der Älteste, schaut drein wie ein Gelehrter, mit den dunklen, brennenden Augen in dem blassen, schmächtigen Gesicht, der gewaltigen Stirn und dem Grübchen im zwiespältigen Kinn — das haben[S. 49] alle Brüder vom Vater her —, ist selbständiger Schullehrer, hätte aber nie gewagt, vor dem Vater solche freigeistigen Reden zu führen; Bruder Ferdinand, dieweilen noch Schulgehilfe, musik- und sangesbeflissen, lacht mit gutmütigem, verschmitztem Bauerngesicht den geliebten Bruder Franz an, und sitzt ihm die Freude heimlich in den munter blitzenden Äuglein; Karl, der jüngste Bruder, der noch die Kunstschule besucht und Maler werden möchte, schaut mit seinem hellen, offenen Künstlerantlitz bewundernd hin auf Franz und denkt, so muß man's machen, frisch und keck, dann ist der Herr Vater als Wauwau nicht halb so schreckhaft — rückt näher an Franz heran, hängt mit den Augen an seinen Lippen und berauscht sich an dessen Worten; nun und der Herr Vater, dem die Weinseligkeit aus den Augen tropft, sitzt lächelnd da wie Vater Noah, nickt gutmütig zu dem, was der begeisterte Franz faselt, hebt dann selbstvergessen, als ob die Buben da nicht seine Söhne, sondern seine Kameraden aus der Jugendzeit wären, das Glas, um mit Franz anzustoßen!

Man ist baff! Das hat der Vater nie getan!

Der Herr Vater stoßt mit dem Sohn Franz an, dann stoßt er mit der Frau Mutter an, die Gläser klingen zusammen, und jetzt fahren auch die anderen herzu und stoßen alle zusammen an.

»Prosit, Herr Vater!« der Franz sagt's, dann sagt's der Ignaz, dann der Ferdinand und dann der Karl.

Jetzt schreien es alle vier.

»Prosit, Frau Mutter!« Wieder ist es der Franz, der das sagt. Und jetzt fahren wieder die Gläser zusammen,[S. 50] daß es klingt wie ein Glockenspiel, und alle schreien lauter als vorher: »Prosit, Frau Mutter!«

Karl, der Jüngste, ist so aufgeregt, daß er fast seinen Wein verschüttet. Da sind die kostbaren Tropfen auf das Tischtuch gefallen, und schon fliegt sein Blick ängstlich zu dem Vater hinüber, der sich die Gelegenheit sonst nicht hätte entgehen lassen, dem Karl eine ordentliche Predigt zu halten, wie man sich zu benehmen habe. Die schöne Gottesgabe verwüsten — Bub, wirst noch einmal froh sein, wenn du so einen Tropfen hast! Aber heute, nein — der Herr Vater ist gnädig, er tut so, als ob er nichts bemerkt hätte.

Der Schreck ist dem Karl doch gelinde in die Glieder gefahren — wenn der Herr Vater auch heute nichts sagt, das dicke Ende kommt nach! Dem Alten ist nicht zu trauen — er hebt sich's auf morgen auf! Aber mit einem Schluck hat Karl die Bänglichkeit hinuntergeschwemmt, die Keckheit gewinnt jetzt Macht über ihn, an Franzens Beispiel gestärkt.

»Sind wir lustig heut — Prosit, Herr Vater!« und hebt mit knabenhafter Dreistigkeit das Glas, um mit dem Vater aufs neue anzustoßen.

Läßt aber gleich das Glas wieder sinken vor dem strafenden Blick des Vaters.

»Benimm dich!« weist ihn der zurecht. Er kann's nicht leiden, wenn sich Kinder übernehmen. Müssen »Sie« zu den Eltern sagen, damit der Respekt vor der elterlichen Würde gewahrt bleibt, und möcht' dann so ein Junge bei der erstbesten Gelegenheit die strenggezogenen Grenzen mir nichts dir nichts verwischen. Sind doch beide nicht[S. 51] zugleich auf der Schulbank gesessen — na also! Spricht's zwar nicht aus, der Herr Vater, denkt's aber so ungefähr und redet mehr durch die Augen, die mit langem, einschüchterndem Blick auf Karl ruhen, der schon vergeht wie ein allzu keckes Flämmchen unter einem großen Löschhut.

Erhebt sich drauf der Herr Vater und sagt kurz und bestimmt: »So — und jetzt schlafen gehen!«

Also gehen alle schlafen, jedes mit dem seligen Gefühl: war ein schöner Sonntag heute!

Aber es kann nicht immer gleich schön bleiben, kommen auf gutes Wetter immer allemal auch trübe Tage mit Regen und Sturm; und so ist es im Leben ein ewiges Schwanken, und sind die himmelblauen Tage im Jahr karg gezählt.

Nicht alle Sonntag ist Kirchtag, war auch der nächste Sonntag schön, aber nicht ganz so schön. Gab es keine Backhendeln mehr, sondern kaltes Schweinernes abends, das von Mittag übriggeblieben war. Schmeckte aber auch sehr gut. Gumpoldskirchner gab es ebenfalls nicht, dafür billiges Abzugbier — Fensterschwitz. Macht nichts, wenn es frisch ist, ist es recht gut und gesund vor allem, gesund.

Das Streichquartett bleibt jetzt eine ständige Sonntagseinrichtung, nimmt auch der Herr Regens chori von der Liechtentaler Kirche teil, Herr Michael Holzer, bei dem Franz in seiner Knabenzeit Singunterricht genommen hatte. Ist ganz beteppert, der Herr Regens chori, vor lauter Hochachtung für das musikalische Genie, kann sich gar nicht genug tun mit überschwenglichen Worten über[S. 52] Franzens Kompositionen, daß es dem schon zu dumm wird, weil sein alter Lehrer gar so fein und überhöflich mit ihm tut, fast genierlich für ihn, den Jungen.

Meint der Herr Regens chori, daß es ihn halt so viel freuen tät', wenn der Herr Franz die Erlaubnis geben möcht', etwas aufzuführen von ihm nächstens beim hundertjährigen Jubiläum der Liechtentaler Kirche — hätte er doch eine wunderschöne Messe geschrieben noch als Konviktsschüler, die an und für sich schon ein Meisterwerk wäre. Da wollt' er schon lieber was Neues machen, lächelte Franz, die früheren Arbeiten wären doch zu gering, müßt' schon etwas Besonderes werden — zur höheren Ehre Gottes!

Befriedigt blickt der Vater auf den Sohn, ist stolz auf ihn — aber zum Kuckuck auch, ist doch nur brotlose Kunst, was er treibt, und von der Ehr' kann man allein nicht leben; muß auch tüchtig zugesehen werden, daß Franz bald seinen eigenen Brotsack umgehängt bekommt.

War auch nicht viel Zeit vergangen, hat ihn der Vater schon ins Amt hineinbugsiert. Ein paar Monate Präparandenschule, dann Lehramtsprüfung, und jetzt ist er Schulgehilfe. Ist es gleich nebenan in der Säulengasse unter seines Vaters Aufsicht, der sechs Schulgehilfen beschäftigt. Franz kriegt dieselbe Bestallung: freies Quartier und einen Gulden Wiener Währung pro Monat und Schülerkopf. Hat den Vorzug, in Vaters Haus zu wohnen und Kost zu kriegen. Die wird ihm freilich berechnet. Bleibt immerhin noch ein Taschengeld für das bißchen Kleider und sonstige kleine Bedürfnisse.

Das mit der Messe für die Liechtentaler Kirche geht dem[S. 53] Franz nicht aus dem Sinn, in seinem Herzen stürmt es, ist aber eingesperrt den lieben langen Tag in den Schulkäfig — was ist das für ein Leben?! Bloß weil es das Brot ist?! Anstatt wie die Lerche in blauer Seligkeit zu schweben und den Schöpfer zu preisen, muß er sich abmühen von früh bis abends, kleine Rotznasen unterrichten, ABC-Schützen, die auch alles andere lieber täten, als still zu sitzen mit den Händen auf der Schulbank und aufzumerken.

In Franzens Hirn und Herz flutet es, die Gedanken und Gefühle kochen mit eherner Gewalt, sie wollen sich nicht abweisen lassen und flattern heran wie Zaubervögel, die Fuß fassen möchten, gehalten sein, um nicht hilflos ins unendliche Meer des Vergessens zu sinken. Er will sie halten, muß aber an der Schultafel stehen und mit der Kreide Buchstaben hinmalen, a, b, c, die von den Buben auf die Schiefertafel nachgekratzt werden. Und muß ihnen das Einmaleins vorrechnen: einmal eins ist eins, zweimal zwei und so weiter. Dann läßt er es einen nach dem anderen auswendig sagen und kritzelt unterdessen hastig die Gedanken hin, die aus dem Herzen zum Kopf drängen. Der eine Bub sagt zweimal zwei ist drei, der andere zweimal zwei ist fünf — alles stimmt. Haben es die Schüler und der Lehrer gleich gut. Ist ja auch wirklich so: nichts geht im Leben so glatt aus, daß man sagen könnte, zweimal zwei ist vier. Immer wird's ein bißchen zu wenig oder ein bißchen zu viel, jedenfalls ein bißchen anders, so daß zweimal zwei entweder drei oder fünf ausmacht.

Oder es guckt der Herr Lehrer selbstvergessen und dem[S. 54] Liederborn in seiner Brust lauschend zum Fenster hinaus, wo ein blau-goldener Vormittag leuchtet, indessen man in dem kalkweißen Zimmer bei langweiligem Tun hocken muß. Gucken auch die Buben zum Fenster hinaus und empfinden ungefähr dasselbe. Ertappen sich gegenseitig Lehrer und Schüler bei diesen abschweifenden Gedanken, gucken sich gegenseitig an und lachen.

Ein Dichterwort flattert unversehens aus Franzens heimlich klingender Seele auf: »In Grün will ich mich kleiden.« Unwillkürlich entschlüpft es seinen Lippen, sitzen die Buben versteinert da, als ob ein Märchenvogel bei dem offenen Fenster hereingeflogen wäre. Fängt einer von den ältesten Rangen in der letzten Reihe tölpisch zu lachen an, wohl aus Verlegenheit, ducken ihn aber die anderen schon nieder mit heimlichen Knüffen und zugerauntem »Kusch!« Wird aber sofort wieder das Maul gehalten, und sitzen alle atemlos da, wundersam berührt. Geht ein Engel durchs Zimmer, sagen die Leute, wenn plötzlich gespanntes Schweigen eintritt. Jetzt war's so. Ein Engel ist durchs Zimmer gegangen, der Genius, hat sie alle mit dem Finger ans Herz getupft.

Und Franz, der Schulgehilfe, reißt die Violine aus dem Kasten und spielt ihnen sein neuestes Lied vor: »In Grün will ich mich kleiden.«

Nach Hunderten zählen die Schöpfungen, die ihm in diesen Monaten durch das graumaschige Netz der eintönigen Tagespflichten als Geschenke des Himmels durch die Finger gleiten. Einer ist, der hat in der Tiefe des deutschen Herzens das unsterbliche Lied erklingen verspürt — der deutsche Genius hat durch seinen Mund gesprochen:[S. 55] Goethe. Über diesen Dichterquell gebeugt, hat Franz das melodische Rauschen vernommen, darin der Wald raunt, der Bergstrom braust, das Herz aufschreit in Lust und Leid, die Wanderfröhlichkeit jubelt, und die Sehnsucht mit blauem Bande lockt; in sein Inneres hineinhorchend wie in einen tiefen Märchenbrunnen, hat er das Lied singen gehört. Das deutsche Lied. Draußen am Himmelpfortgrund ist es entstanden. Und hat anders geklungen als alles, was man je früher gesungen hat. Tiefer, feuriger, ergreifender.

Die kleinen Schulbuben verstehen nichts von Musik, aber das Lied, dieses und noch manches andere, das ihnen Franz vorspielt und mit halblauter Stimme vorsingt, haben sie gleich begriffen.

Franz legt die Geige sachte wieder hin, da bricht der starre Respekt, der eine künstliche Spannweite zwischen Lehrer und Schüler herstellt, wie eine Eisrinde vor der schmelzenden Glut der Herzen zusammen, die Rotzbuben sind aus den Bänken gestürmt und haben ihn jubelnd umdrängt, die Hand wollen sie ihm küssen, hinaufgeklettert sind sie an ihm, einer über dem anderen. In der Maske des Schulgehilfen haben sie den älteren Mitbruder und Kameraden entdeckt, die Kindheit hat ihn gleich begriffen, wie alles, was menschlich rein und echt ist. Es bedarf keines Nürnberger Trichters, keines Systems, keiner Schulzwangsjacken, keines Ochsens und Büffelns, sie haben es von sich aus verstanden. Somit wäre das richtige Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler, gewissermaßen auf du und du, hergestellt.

»Putz' dir die Nasen!« geht die lachende Ermahnung an[S. 56] einen Knirps, der sich just vor inniger Freude an Franzens Handrücken abwischt. Hat aber kein Bub ein Schneuztuch, macht's ein jeder wie der Bauer mit zwei Fingern und dann auf die Erde damit, was im Schulzimmer nicht angeht. Fährt man also, wie im Notfall immer, einmal mit dem linken Rockärmel um die Nase, dann mit dem rechten, daß die Ärmelenden hart und speckig glänzen, wie glasierte Schweinsschwarteln.

Ist ein neuerliches Hallo über den Rotzbuben, daß es laut in den Schulgang hinausschallt, worauf der Herr Vater beim Türspalt hereinguckt, mißtrauisch über die Ungebundenheit, die gerade nur in Franzens Klasse herrscht. Ein Glück, daß im selben Augenblick die Glocke schallt und der Vormittagsunterricht zu Ende ist. Vater Schulmeister schüttelt den Kopf; er ist gar nicht recht zufrieden mit seinem neuen Gehilfen. Daß ein Lehrer die Anhänglichkeit und Liebe seiner Knaben zu gewinnen weiß, wäre schon recht; aber wo bleibt der schuldige Respekt?! Wo bleiben die Schulreglements?! Der Lehrplan?!

»Lehrplan, Schulordnung, Respekt sind die Hauptsachen, verstanden?!«

In Grün will ich mich kleiden ...! Allein oder mit Bruder Karl, der den rechten Landschaftersinn dafür besitzt, spaziert Franz häufig an Sommerabenden zwischen den Feldern und Weingärten der benachbarten Ortschaften umher! Eine versunkene Welt! Heute ragen nichtssagende Zinskasernen in staubigen, lärmenden Straßen in diesen Gegenden, die einst ländliche Idyllen waren.

[S. 57]

In Grün gebettet zwischen schwellenden Hügeln mit Wein und Wald, liegen Währing, Weinhaus, Gersthof, Pötzleinsdorf, Döbling, ein lieber Kranz von Landschaften rund um die alte Wiener Stadt.

Begeisterte Naturgedichte entstanden in der damaligen Zeit, die frohen Müllerlieder waren hier für Franz Erlebnis geworden, der sie zum erstenmal sang. Er hat sich seine Dichter gefunden, nach Goethe die besten, und hat ihren Worten einen klingenden Mund verliehen, denn alles, was er hier ansah, war schon heimliche Musik. Er spürte sie zutiefst inwendig, und wenn die Dichterworte durch seinen Genius ihr klingendes Gefieder erhalten hatten, dann blieben sie auch nicht lange daheim in der Schublade, sondern flatterten aus, zu den Freunden in die Stadt, zu Spaun, der regelmäßig neue Noten von Franz bekam und sie wieder bewundernden Freunden weitergab.

Ein Legendenkranz hatte sich drinnen in der Stadt um den einen gebildet, »dessen Ruhm alle anderen überstrahlen sollte«. Er war schon berühmt und hatte zahlreiche Anhänger und wußte es nicht, indessen er abends als armer und sehnsüchtiger Schulgehilfe zwischen den Feldern ging. Und war dennoch auf eine heimliche und sehnsüchtige Weise glücklich, wie man es als naturfreudiger Mensch im Schoß solcher entzückender Landschaften nur sein konnte. Lieder, wie sie damals aus dem Herzen der Menschheit sproßten, blühen dem heutigen Geschlecht nicht mehr, die Menschenseele ist unfruchtbar geworden; sie hat den blühenden Garten ringsum in eine Wüste verwandelt und fristet in den Steinhaufen ein innerlich verarmtes[S. 58] Dasein. Das hätte man damals nicht für möglich gehalten.

Eines Spätnachmittags betraten Franz und Karl den Döblinger Friedhof, wo die selige Mutter begraben liegt. Steinerne Engel knien zwischen dunkelgrünen Zypressen in dem Alt-Wiener Friedhof, Urnen und gestürzte Säulen leuchten weiß in ernstem Grün, rote Blumen bluten da und dort auf den Gräbern. Der Vater hat einen einfachen Stein über den Grabhügel setzen lassen, ein frischer Wiesenstrauß liegt dort zu oben auf. Den hat die Stiefmutter niedergelegt, die Jugendfreundin von der Verblichenen. Gute Seele! Die Vögel schmettern in den Gebüschen wie in einem Lustgarten, die Einsamkeit verbirgt ihr Haupt in dem Schoß der Ruhe und des Friedens! Die Trauer war aus dem Herzen geschwunden, die Selige stand im Verklärungslicht.

Franz war ernst und hoch gestimmt. »Wir gehen alle in Gott!« sagt er plötzlich zu Karl, der zustimmend nickte, den Bruder aber nicht ganz begreift. In tiefem Gespräch gehen sie dann in der Dämmerung hin.

Der gläubige Franz! Er ist kein Grübler, kein Eiferer, kein Kirchenfanatiker, aber er besitzt ein frommes Gemüt wie jedes echte Naturkind. Die Seele weiß sich eins mit dem Geist der Dinge, der Natur, der fernen und nahen Lieben. Sie findet ihren inneren Ausgleich in dieser Allgegenwart alles Gutem, geheimnisvoll Wirkendem, geistig Lebendem und am Weltbau Schaffendem. Für ihn gibt es kein anderes hehres Wort dafür als: Gott! Darum gibt es für ihn auch in der Trübnis kein Sinken, kein Sich-verloren-wähnen, immer und überall geht er in[S. 59] Gott. Seine Seele ist wach und hat alle Fenster auf für die magischen Kräfte des Unendlichen, die auf ihn einströmen und das Band waren, das ihn mit allem lebendig verknüpfte, was er liebte und ehrte. Hier ist der Keimpunkt seines Dichtens und Werdens.

Als sie bei sinkender Nacht heimkehren, ist der Plan seiner Messe, die ihm im Kopf herumgeht, fertig. Seine kindliche Dankbarkeit, die Anbetung des Unendlichen, das Gedenken an die Verblichenen, das göttliche Allgefühl, alles will ausströmen als Gesang, als Jubel der Seele. Das hat ihn der liebe Gott gelehrt, dem will er's wieder zuwenden. Dem großen, geheimnisvollen, schöpferischen Etwas, das in und um ihn ist. Ein ganz Großer hat es ihm zuvorgetan, dem er in Ehrfurcht nachblickt; der herrliche, unsterbliche Mozart, dem der kleine, ränkesüchtige Salieri so bitter zugesetzt hatte.

Mozart, das war ein Wegweiser zu dem ganz Großen in ihm, auf das er horchen mußte. Mozart und dann ein anderer ganz Großer: Herr Ludwig van Beethoven, dessen ehrwürdig finsterer Erscheinung er zuweilen auf einsamen Wegen ansichtig wird. Alles weicht dem scheu aus — so gehört es sich, wenn ein Gewaltiger kommt.

Trotz aller Schulnöten ist die Messe in zwei Monaten fertig — gleich in Partitur geschrieben mit sämtlichen Chor- und Orchesterstimmen, die Prim- und Sekundviolinen je dreifach, die Baßstimmen doppelt in F-Dur komponiert — so schön wie es nur einer kann, dem's der liebe Gott eingibt. Gar herrlich soll das Werk am hundertsten Jahrestag der Liechtentaler Kirche vom Chor herab erklingen.

[S. 60]

Franz leitet die Aufführung, Herr Michael Holzer, der Regens chori, sitzt an der Orgel, den Sopransolo singt eine Schöne vom Grund — Therese Grob. In der Kirche unter der Menge, die Kopf an Kopf steht, lauschen die Freunde Schuberts, die eine große Zahl Sinnesgenossen mitgebracht haben. Spaun ist mit einigen Leuten erschienen, die vor Begierde auf den jungen Meister brennen, den sie schon aus seinen Liederkompositionen schätzen und lieben gelernt haben. Sie lieben alle die Musik, der junge Maler Schwind, der Maler Kupelwieser, der weltmännische Herr von Schober, der dem Priesterrock entsprungene, verschlossene, von innerer Leidenschaft glühende Zensurbeamte und Dichter Mayrhofer, von den Konviktsfreunden gar nicht zu reden.

Nun stehen sie in der Kirche und lauschen auf das Trommeln, Pauken und Schmettern, das oben angeht, als ob sich der Himmel geöffnet hätte und die Heerscharen zu musizieren anfingen.

Zuerst ein stammelndes Geplauder in Tönen, wie wenn ein Kind zum Vater redet, zaghaft, dann unbekümmert, vertrauensselig, voll unschuldiger Hingabe. Jetzt erhebt sich ein Sopransolo mit klangvoller Macht; herrlich steigt die Stimme der Therese Grob aus wirbelnden Tonfluten hervor, schlägt schmerzliche Laute, ein demütiges Bitten, die Geigen flehen mit, der Chor tritt dazu, die Gefühlswoge steigt höher und höher, immer wilder entfaltet sich die blühende Stimme, ringt sich über alle Wirren himmelwärts, eine leidenschaftlich Liebende, die zum Herzen schreit, zum unendlichen Gnadenherzen, um Erhörung zu erzwingen.

[S. 61]

Niemand weiß, daß sie längst Erhörung gefunden hat bei dem Meisterlein oben, der das Weltherz in sich fühlt und ganz gerührt und hingerissen ist, nicht so sehr von dem eigenen Werk, als von der einschmeichelnden Stimme der Therese Grob. Jetzt weiß er selbst zu seinem seligen Schmerz, was eine menschliche Stimme bedeuten kann. Er hat wahrscheinlich nicht geahnt, was das einfache braune Greislerkind in der Stadt, die Fanny, um ihn heimlich gelitten hat; nun leidet er um Therese, und ist glücklich, weil er so leidet. Er hat es nicht wissen wollen während der Proben, daß es sein Inneres so mächtig ergreift, aber schließlich gab es kein Vorbeidenken mehr, er ertappte seine Gedanken und Gefühle immer wieder dabei, wie sie mitten im Arbeiten, im Schulhalten, im Träumen, im Wachen und Schlafen auskniffen, und erwischte sie immer wieder bei dem Bild seines Herzens, der Therese Grob und ihrer schönen Stimme.

Nichts nützte es, daß er zählte von eins bis hundert, bis zweihundert, bis fünfhundert, abends im Bett, um ohne müßige Träumerei einschlafen zu können, half eben alles nichts gegen die beschämende Selbsterkenntnis: er war verliebt. Kerl, dummer, närrischer, blöder, verliebter! Möchte sich ohrfeigen, vor sich selber verkriechen, beschimpft sich, verachtet sich, alles umsonst — die eigenen Koboldgedanken lachen ihn aus. Er kann dem Mädel gar nicht mehr ins Gesicht sehen, ist unhöflich mit ihr, verschlossen, fast grob — und möchte zugleich in hilfloser Zärtlichkeit vor ihr vergehen.

Jetzt, wo er als Dirigent oben steht und die Stimme wieder niedersinkt, demütig um Erbarmen bettelnd, fühlt[S. 62] er ganz klar, wie es um ihn steht; er zittert, daß ihm beinahe der Taktstock entfällt. Die Geigen klagen und irren ängstlich umher, ein Fortissimo setzt ein, der Chor tritt mit verstärkter Macht auf, und die Stimme wirft sich verzweifelt empor — und jetzt ist es, als ob sich der Gnadenschoß auftun würde, Engelschöre schmettern aus allen Himmelstiefen die Verkündigung herab, die Stimme der Seligen ertönt süß und heilig, die unendlich erlösende Liebe nimmt die Flehende in ihr unendliches Reich auf.

Die Freunde drängen nach Schluß dem Choraufgang zu, aber Franz ist bereits entschlüpft, einer, der aus dem Gnadenhimmel gestürzt ist und keine Erhörung suchen und finden kann. Heimgerannt ist er, um sich zu verstecken, in sein Zimmer hinauf, heiß und schmerzvoll, da fährt er zurück, ein ungeschlachtes Ding steht da, bleckt ihn mit weißen Zähnen an, ein ausgewachsenes, fünfoktaviges Klavier, ein Geschenk des Herrn Vater zu dem Tag, wo der begnadete Sohn eine Berühmtheit vom Himmelpfortgrund geworden ist. Ja, das ist er imstande, der knickerische, tyrannische, rechnerische Hausvater, der jedem den Bissen vorrechnet und dann wieder das Herz hat, im rechten Augenblick groß zu sein.

Franz steht da wie ein armer Sünder. Ein fürstliches Geschenk! Daß der Vater die Spendierhosen angehabt hat, schier wie ein Verschwender, das rührt ihn fast zu Tränen. Er dankt mit ein paar trockenen Worten, die widerwillig genug klingen. Ja, kann man denn alles sagen, was man inwendig hat?! Lieber soll's einem zersprengen, als so kindische Gerührtheiten! Er muß[S. 63] sich gleich wegwenden, damit man's nicht merkt, was eigentlich in ihm vorgeht.

Aber da kommen schon die anderen angestiefelt, der Herr Regens chori, der Herr Fabrikant Grob, mit ihm die Tochter Therese — o Gott, da verschlägt's ihm völlig die Red'.

Sie kommen alle gratulieren, der Herr Regens chori ist gar stolz, weil er Schubert seinen einstigen Schüler nennen darf und ein Abglanz des Ruhmes auf ihn, den alten Lehrer, fällt; der Herr Fabrikant Grob aus der Liechtensteinstraße bittet den Herrn Vater Schulmeister und namentlich den berühmten Sohn Franz um die Ehr' ihres Besuches, sie hätten selber ein kleines Hausquartett — es könnte sich natürlich nicht messen mit einem solchen vollendeten Meister der Tonkunst, wie der Herr Franz — er möge halt gnädig ein Auge oder alle zwei zudrücken, aber die Freude soll er ihnen nicht versagen, zu kommen, und wenn die Bitte nicht gar zu verwegen ist, sie durch das Vorspielen einiger Sachen zu erfreuen. In der Kirche sei alles hingerissen gewesen, die Leute hätten geweint, und er selber ist dagesessen wie mitten drin in der Seligkeit. So, und jetzt muß er ein wenig verschnaufen.

Therese, schon ein wenig ungeduldig über des Vaters lange Rederei, sie hat selber so viel zu sagen, verpaßt natürlich nicht den Einsatz und legt nun los wie ein Sturzbach, daß dem armen Schubert gar wirr zu Kopf wird. Von ihrem schrecklichen Lampenfieber erzählt sie, daß es ihr die Kehle zugeschnürt hat und wie sie mehrmals auf ein Haar daneben gesungen hätt' — ob er denn gar nichts bemerkt hätt', der Herr von Schubert?

[S. 64]

»Hab' nichts bemerkt,« versetzte er hölzern, »ist ohnehin gegangen wie aus einem Wasserröhrl!«

Wasserröhrl?! — das kühlt auf einen Moment ab wie eine kalte Dusche. Therese wird einen Augenblick blaß, Franz wird über und über rot, weil er denkt, jetzt hat er was Dummes gesagt. Ja mein, Süßholzraspeln ist halt nicht seine Sache. Das muß sie schon verstehen, daß er's gut meint. »Ist ohnehin ganz gut gegangen,« fügt er hinzu und glaubt schon, weiß Gott was für eine Riesenschmeichelei das jetzt wär'. Ist sehr unsicher und beschließt insgeheim, lieber wenig oder gar nichts zu sagen, bevor er wieder einen Schnitzer macht.

Das Mädel ist erpicht auf Komplimente, ein Bonbon, eine Schmeichelei, sind ja so verwöhnt, die jungen Dinger, schaut ihn fast rührend und bittend an, tut gar so schön zu ihm und laßt ihn nimmer aus, damit nicht Vater Grob den Herrn Franz in Beschlag legt. Süß kann sie es wie eine Turteltaube, redet mit holder Schwatzhaftigkeit vom Hundertsten ins Tausendste, redet nicht nur mit dem Plappermäulchen, redet auch mit den hurtig herumspringenden Äuglein, redet vor allem mit den Händen, die jedes Wort ausführlich begleiten, weiß sich gar nicht zu halten vor lauter Temperament — Wiener Mädel vom Grund!

Er steht da, steif und unbeweglich wie ein Sack, strengt sich an, möcht' was Gescheites sagen, fühlt sich ganz blöd, fällt ihm absolut nichts ein. Ganz tramhapert ist ihm zumut, und zugleich ist er ganz seltsam bewegt von dem lebhaften Mädchen, die aufgeschossen und schlank vor ihm steht und sich wiegt wie eine blühende, weißgrüne Staude,[S. 65] duftig und schneeweiß gekleidet mit vielen bauschigen Falben, hellgrün besetzt, weißen Strümpfen und weit ausgeschnittenen Halbschuhen, die mit kreuzweise um das Bein geflochtenen Bändern festgehalten sind. Die Ärmeln sind weit und hoch geschoppt, das gibt ihr etwas Rundung, was sie nötig hat, der Hals trägt im tiefen Brustausschnitt ein farbiges Medaillon an einem schwarzen Samtband, sie scheint um einen Kopf größer, vielleicht wegen der hoch aufgetürmten Frisur, die den Scheitel mit einem Lockenbau krönt. Das Gesicht wäre hübsch zu nennen, wenn die Nase nicht ein wenig zu lang geraten wäre.

Aber ihre Lebhaftigkeit verschönert sie, sie ist immer in Bewegung, das verschleiert die Fehler. Er könnte sie nicht beschreiben, die zum Teil recht unproportionierten Einzelheiten fallen ihm gar nicht auf, er hat nur den Eindruck von etwas sehr Lieblichem als Gesamterscheinung, und die Erinnerung ihrer Stimme im Ohr — so erscheint sie ihm zauberschön. Mit einem Wort: er ist weg, ganz weg! Während ihr das Mundwerk geht wie ein Mühlenrad, denkt sie beiseite: daß er gar so ein Stockfisch ist und nichts sagt als bloß Hm! Ja freilich! Natürlich! So so — ja ja!

»Also Herr von Schubert,« versichert der Schäker beim Abschied, »eine ganze Stunde haben wir verplaudert und lustig war's! Also nicht wahr, Sie kommen ganz bestimmt zu uns — es tät' den Vater halt soviel freuen!«

Franz besann sich.

»Das muß ich mir erst überlegen — wir werden schon sehen .... wissen Sie, ich hab' halt so wenig Zeit!«

[S. 66]

Das Herz schrie zwar: ja, ja, ich komme gleich, lieber heute als morgen, aber die Angst, zudringlich zu erscheinen, legte ihm Worte in den Mund, daß es fast wie eine Absage klang. Der Vater Schulmeister mußte sich ins Mittel legen und an seiner Statt die Zusage geben.

Hinterher stieg's dem guten Franz zu Kopf, daß er sich so geziert hatte. Sie wird doch wohl nicht gekränkt sein? Der Gedanke brachte ihn beinahe zur Verzweiflung. Rannte hinaus in die Einsamkeit, zwischen den Feldern die halbe Nacht umher. »Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide ....« Lust und Schmerz wird Gesang. Ein Glück, daß er schreiben kann. Musik, o Musik! Sprache der Seele, Sprache der Götter! Sprache der Liebe!

Aber Worte müssen dabei sein, Worte! Ein Wort wenigstens. Ein süßes, inniges. Lautet: Therese! Muß es wenigstens vor sich hinsagen können, muß es hören. O Gott und die Qual, mit niemanden darüber reden zu können. Mit den Rötzlingen in der Klasse? Ausgeschlossen! Mit den Brüdern? Das ginge schon gar nicht! Man hat sich ja recht gern, aber man schämt sich seiner Gefühle voreinander, unter Verwandten ist das einmal so. Man läßt nicht gern in sein Inneres hineinschauen.

Bei dem Freund ist das was anderes, den hat man nötig — als Seelengefährten. Ein Glück, daß jetzt einer daherkommt, der Erlösung bringt, sonst müßte man sein Geheimnis ja in ein Erdloch hineinschreien, damit es nicht die Brust zersprenge. Holzapfl ist es, der liebe Kamerad von der Schulbank her. Ein nettes Bürschlein, das Gesicht[S. 67] kugelrund, etwas gschaftelhuberisch von Gebaren, wichtig und eilig.

Schwärmt natürlich gleich von der Messe, haben alle so ungemein bedauert, daß sie den Franz nicht haben sehen können. Hätten gern eine kleine Nachfeier veranstaltet, scheint aber schon ordentlich stolz geworden zu sein, der Franz, jetzt, wo ihn die Sonne des Ruhmes bescheint ..... die Freunde lassen ihn natürlich alle schön grüßen, schöne Grüße unbekannterweise auch von Schwind, von Herrn von Schober, von Mayrhofer, von dem er übrigens ein Gedicht bringt. Der Spaun hat's ihm gegeben, Franz möcht's durchsehen, ob's ihm gefällt, Herrn Mayrhofer tät's riesig freuen, wenn es von einem solchen Künstler vertont würde. »Am Erlafsee« heißt es ....

Franz nimmt das Gedicht, legt es wortlos hin, packt Holzapfl unterm Arm: »Komm, ich muß hinaus an die Luft!« und draußen sind sie alle zwei, in irgendeiner Erdfurche zwischen den Feldern und Hügeln, in einem Weinbergshohlweg verschwunden.

Wovon reden sie? Von dem großen Ereignis natürlich, von der Messe. Franz erklärt und erklärt und beweist ihm haarscharf, daß das Beste des Gelingens ihr zu verdanken sei, ihr allein!

»Wem, ihr?«

»Nun ihr — der Therese. Die Stimm', Freund, daß einem 's Herz in der Brust zergeht! Wie soll ich dir's denn sagen .... mein, ich kann dir's ja nicht sagen! Ich schäm' mich ja — aber es muß doch 'raus! Du — lach' mich aber nicht aus! — Du — hörst mich?!« Er rüttelt den Holzapfl bei den Schultern.

[S. 68]

»Ich lach' dich bestimmt nicht aus!« schaut ihm der Holzapfl gerade ins Gesicht und tut sehr ernsthaft.

Drückt ihn der Franz auf eine Grasböschung nieder.

»Setz' dich nieder, daß du nicht umfallst. Aber du, wenn'st mich auslachst, dann, dann ...«

Der Holzapfl ist platzgespannt im Gesicht vor Erwartung und Neugier. Die klugen Äuglein bohren sich fest und fragend in Franz, als wollten sie bis auf den Grund des Herzens sehen; aufpassen tut er wie ein Haftelmacher, daß ihm kein Wort entginge.

Franz packt ihn jetzt und hält ihn fest. »Du — dir sag' ich's jetzt und niemand auf der Welt! Schwör', daß es unter uns bleibt, schwör'! Also — verschwiegen wie das Grab! So, jetzt will ich dir's sagen — weißt du, wenn ich jetzt könnt' — sie und kein andere!«

Holzapfl springt auf, reißt sich los, schamrot im Gesicht, dem Weinen nahe.

»Franz, du — abtrünnig! Ein Frauenzimmer — das hätt' ich nie geglaubt von dir!«

Sie gehen eine Weile stumm und erregt nebeneinander, Franz begossen wie ein Pudel. Geschieht mir schon recht, denkt er, wozu hab' ich's nötig gehabt .....

»Ein Frauenzimmer — zehn Schritte vom Leib!« beginnt Holzapfl zu fiebern. »Da bist du schon verloren — hat Samtpfoten, stecken aber Teufelskrallen drin, lassen dich nimmer aus — bist ihnen verfallen mit Leib und Seele. Kommt mir keine an den Leib, eher — ich weiß nicht, was ich eher tät'! Fürchtest du dich denn gar nicht, Franz? Tu's nicht, ich bitte dich, tu's nicht! Wir sind deine Freunderln — sind wir nicht genug?! Du uns[S. 69] im Stich lassen, hast nicht genug an uns?! Ich wär' zu stolz an deiner Stell'. Was ein rechter Kerl ist wie du, der soll nicht einmal hinschauen auf sie. Verachten tu' ich's, das ganze Weibergelump!«

So redet der mannesstolze Jüngling in seiner Ekstase der Keuschheit. Franz ist jetzt wirklich beschämt, er empfindet ähnlich, er hat auch seinen herben Jünglingsstolz, aber verachten, verachten kann er sie just nicht, die Holdinnen, und nun gar Therese! Er verteidigt sich und seine Liebe, so gut er kann. Aber es klingt etwas hohl wie eine geschwollene Phrase. »Glücklich, der einen wahren Freund findet!« sagt er. »Glücklicher, der in seinem Weib eine wahre Freundin findet!«

Der andere ist immer mehr aufgebracht.

»Freundin, sagst du? Gibt es nicht! Puppenköpfe! Steht ihnen nur der Sinn nach Bändern und Kram. Tändeln, spielen Fangball mit dir. Ist mit ihnen das Unglück in die Welt gekommen. Hätte glücklich gelebt, der Adam im Paradies, wär' nicht die Schlange dagewesen mit dem Apfel. Wer ist die Schlange? Das Sinnbild des Weibes ist es, ihrer Arglist und Falschheit. Ich beschwöre dich, Franz, bei unserer Freundschaft, bei deiner Kunst, bei allem, was dir heilig ist, laß ab, laß ab — oder du bist hin!«

So kämpft der Knabenstolz gegen etwas, das er nicht kennt, das er fürchtet wie eine dunkle Nacht — er würde sich nicht so wehren dagegen, wenn er ihr nicht schon halb und halb verfallen wäre — im Unbewußten wenigstens.

Sie ringen miteinander mit harten Worten. Franz ist erbost. Er will keine Hofmeisterei, er hat nichts getan,[S. 70] weswegen ihn der andere jetzt maßregeln dürfte. Die Freiheit muß er haben, er selbst muß er sein können — ob so oder so. Nun bäumt er sich zum erstenmal bewußt auf gegen den Freund.

»Laß mich in Ruh'!« braust er auf. »Du, geh — dein Weg ist dort; ich gehe hier, meinen Weg! Servus!«

Und läßt den Verdutzten stehen. Jeder wandert allein fort in Dunkelheit.

Sein Holzpuppengesicht ist knallrot, als er mit den Freunden in der Stadt zusammentrifft. »Ein Abtrünniger ist er!« schreit Holzapfl den Genossen entgegen. »Seine Freunde hat er vergessen, verraten hat er sie, verlassen — einer Circe ist er ins Netz gegangen, der Ehrvergessene!« und erzählt mit fliegendem Atem alles, was er von Franz gehört, und noch viel mehr dazu, was ihm die erhitzte Phantasie eingibt, die in der Ausmalung verbotener Genüsse schwelgt.

Der romantisch angehauchte Schwind ist dabei, der trägt selbst an heimlichem Liebesleid und träumt von einem adligen Fräulein, dem er in stummer, ritterlicher Minne huldigt. Der kann bös und gefährlich werden, wenn ihm einer an dem Idealen rührt. Fährt auch sofort dem sauertöpfigen Holzapfl übers Maul und hält eine Verteidigungsrede auf Franz, obschon er ihn noch nicht kennt.

»Jetzt gefällt er mir erst recht, weil ich weiß, daß er die Frauen ehrt! Grüßt ihn von mir und sagt ihm, daß ich ihn im Geiste schon heute Bruder nenne! Geh', saures Holzapflgesicht!«

»Wie schaut sie denn aus, die Erkorene?« will der[S. 71] stutzerhafte Herr von Schober wissen, der im Gegensatz zu Schwind eine etwas lockere Weltansicht über die Amourschaften hat.

Holzapfl ist gereizt wegen Schwind und tut auf eigene Faust wissend. »Eine Vogelscheuchen ist sie, schielt, hat zwei linke Füß', stoßt mit der Zunge an, und ist dumm wie ein Stock — aber sonst fehlt ihr nichts!«

»Hast du sie gesehen?«

»Nein — gesehen nicht — aber gehört! War doch die, die am Chor gesungen hat!«

Jetzt aber hat der essigsaure Holzapfl auch bei den anderen ausgespielt.

»Der Stimme nach muß sie schön sein wie eine Helena!« versicherte der kennerhafte Herr von Schober, der sich in Schönheitsurteilen auf den jungen Paris hinausspielt.

Ganz zuletzt läßt sich der ernsthafte Spaun vernehmen: wie dem auch sei, es scheint doch etwas Bedenkliches daran zu sein, man müsse sich doch umsehen, um den lieben Franz aus einer womöglich gefährlichen Umschlingung zu befreien; es sei nicht gut für ihn, draußen in der Vorstadt unter kleinen Leuten zu hausen, der Künstler müsse seine innere Freiheit bewahren, man sollte ihm häufiger bei einem Glas Punsch im engen Freundeskreis das Gemüt erheitern. Es wird beschlossen, daß Spaun den Wildling aufsuchen und bewegen soll, öfters in der heiteren Tafelrunde zu erscheinen.

Im flaschengrünen Schulmeisterfrack mit großen Knöpfen, hoher Halsbinde, daß kaum das Kinn herausguckt, frisch gebügelter Nankinghose, derben Halbschuhen mit Schnallen, Notenrollen unterm Arm, so betritt der Schulgehilfe[S. 72] und Meisterkompositeur Franz Schubert den Salon im Hause Grob. Eine Menge Leute sind da, junges Gfliederwerk mit Kichern und Lachen, junge, geckige Herren, Fabrikantenssöhnerln, Therese mitten unter ihnen, dann auch behäbige, gesetzte Leute vom Schlag des Ehepaares Grob — musikalischer Abend.

Des Vater Schulmeisters Hausquartett hat ebenfalls allmählich einen größeren Kreis angezogen, es mußte außer Haus verlegt werden und fand bald bei dem einen oder anderen Musikfreund oder Gönner des jungen Schubert statt, eine Zeitlang in der Dorotheergasse, dann im Gundlhof, zuletzt am Bauernmarkt bei Anton Pettenkofen, dem Vater des berühmten Malers. Es waren schon förmliche Konzerte, die immer mehr Zuhörer anzogen, besonders solche, die Schuberts eigene Kompositionen hören wollten — sie hätten sich, wenn es damals üblich gewesen wäre, Schubertverein nennen können.

Der Abend bei Grob war eine neue Sache, der Anfang jener ungezählten Schubertiaden in Wiener Bürgerhäusern, die so viel von sich reden machten.

Franz, in dem neuen Kreis Menschen ziemlich befangen, machte linkische Verbeugungen nach allen Seiten — elegant sah er ja nicht aus, das war nicht seine Sache — aber die Herzen wendeten sich ihm sofort zu, besonders die weiblichen; von der ersten Minute an war er Hahn im Korb. Therese tat gar liebreich mit ihm, die Noten hatte er für sie gebracht, Neuschöpfungen für ihre Stimme geschrieben, eine Huldigung seitens des Genius, die mehr sagte als alle Worte, aber kaum, daß er das musikalische Angebinde darzubieten sich getraute.

[S. 73]

Er drückte ihr die Notenrollen in die Hand und bat, sie soll's einstweilen beiseite legen, und später einmal vielleicht einen Blick hineinwerfen, es ist keine so eilige Sache. Sie legte denn auch das Geschriebene in unbegreiflicher Achtlosigkeit beiseite, wie er es gewünscht, was ihm jetzt aber auch wieder nicht recht war.

Er machte sich gleich am Klavier zu schaffen, und es dauerte nicht lange, so hatten sich die Musikfreunde herum gruppiert; das Brodeln und Fiedeln konnte angehen.

Therese saß im Halbkreis gegen den dunklen Hintergrund des Zimmers inmitten von jungen Männern, wohlig zurückgelehnt, träumerisch, daß es scheinen mochte, als wäre sie von der Musik ganz berauscht. Franz, der das Klavier bearbeitete, sah durch seine Brille ab und zu einmal hin, wenn eine kleine Pause für ihn kam. Aber was war das! Täuschten seine Gläser ein Trugbild vor? Sah er Phantome?

Er mußte noch einmal schärfer hinsehen. Beinahe hätte er den Einsatz verpaßt und das ganze Orchester umgeschmissen. Richtig, das war kein Blendwerk! Sie saß dort im Kreise der jungen Männer und einer dieser Pomadenhengste hatte verstohlen den Arm um ihre Mitte geschlungen, und sie, sie ließ es ruhig geschehen .... ja noch mehr, sie lehnte sich an seine Schulter, während sie sich unbeobachtet wähnte, und verdrehte wollüstig die Augen, daß er selbst beschämt und betroffen seinen Blick senken mußte.

Das war also keine Täuschung; eine heimliche Liebesszene spielte sich dort im Halbdämmer des Zimmers ab. Sie, die Heilige seines Herzens, in den Armen eines[S. 74] anderen! Er schlug sein Fortissimo ins Klavier hinein, daß die Saiten hätten springen mögen, stärker schrien sie nicht auf als die zersprungenen Saiten seines Herzens. Ja — was war er denn jetzt noch, den die Weibsleute liebten und hätschelten?! Ein bloßer Wurstel — es war zum Weinen — Holzapfl, du hast recht gehabt!

Es war ihm wohl dabei wie einem, der Zahnweh hat und schmerzstillende Mittel versucht. Augenblicklich wirkte es ja als angenehme Betäubung, er fühlte zwar das Toben inwendig, freute sich aber seiner augenblicklichen Empfindungslosigkeit, war sogar guter Dinge den ganzen Abend lang — aber nachher, nachher kam's um so schlimmer.

»Die Liebe hat gelogen —« Er wühlt sein eigenes Wehgefühl in Platens Gedicht und spinnt die Melodie heraus, die seinem verwundeten Herzen recht war. Drum ist soviel Leben daran, weil alles, was er schafft, mit seinem Leben zu tun hat und aus diesen Wurzeln sprießt.

Mit einem Male war's ihm zu eng daheim. Die Schule, das Vaterhaus, alles dünkte ihn freudlos und unersprießlich. Seine Sehnsucht irrte wieder ins Uferlose, er kleidete sie in Lieder und sang wie ein Vogel in der Gefangenschaft. Das Glück, wo blieb das Glück?! Das lag draußen irgendwo, fern, im Unbestimmten. Ein Schluck Freiheit, das wäre auch zugleich ein Schluck Glück!

In Laibach ist die Stelle eines Musiklehrers in einer öffentlichen Musikschule zu besetzen; Bewerber werden gesucht, so meldete die amtliche Wiener Zeitung. Dem guten Franz scheint es wie die Grußhand der Ferne, die ihm winkt. Ist das die Freiheit? Einerlei, es ist einmal[S. 75] etwas anderes, eine Abwechslung in dem ertötenden Gleichmaß. Was ist denn Freiheit? Das Recht, sich von einer Abhängigkeit in die andere begeben zu dürfen. Gut also, von diesem Recht, das mindeste, was der gefesselte Mensch hat, will er Gebrauch machen. Er will sein Glück in der weiten Welt versuchen und bewirbt sich. Braucht der Herr Vater derweil nicht wissen.

Der gute Vater Schulmeister hatte aber schon seinen eigenen Plan gehabt. Der ist klug und vorsorgend und sieht ein, daß der Franz höher muß. Auf eigene Faust wirbt er für den Sohn um die erledigte Lehrerstelle an der Schottenschule. Der Schottenprälat ist sein Gönner, etwas Protektion braucht man immer, und wer es verdient, warum sollte der nicht Protektion haben? Doch er am meisten!

Aber so geht's in der Welt, wer's verdient, bekommt's erst recht nicht, denn gewöhnlich haben die, die's nicht verdienen, die bessere Protektion, und das entscheidet. Kurz, das Gesuch des Vaters Schulmeister für seinen Sohn wird abschlägig beschieden. Franzl, du hast frühes Pech!

Der Franzl ist fast froh darüber, denn er möchte weit, weit weg. Freut sich heimlich auf den Weizen, der ihm in Laibach blühen soll. Um den Schnitt zu machen, bedarf es wohl einer ausgiebigen Empfehlung, und der Mächtigste, der dort die Entscheidung zu bestimmen vermag, wäre der Herr Hofkapellmeister Antonio Salieri.

Die Umstände sind glücklich gefügt; die F-Dur-Messe wird in der Augustinerkirche wiederholt. Wie früher Herr Michael Holzer, ist jetzt Antonio Salieri stolz auf diesen Schüler und nimmt den Löwenanteil seines Erfolges[S. 76] auf sich. Er umarmt Schubert nach der Aufführung: »Franz, du bist mein Schüler, der mir noch viele Ehre machen wird!«

Eine Empfehlung Salieris würde in Laibach die erwünschte Wirkung tun; jetzt kann er sie verlangen. Gesagt, getan! Salieri schreibt: »Io qui Sottoscritto affermo ....« Klingt zwar ziemlich kühl, das Empfehlungsschreiben, aber Salieri braucht nur mit dem kleinen Finger zu winken, man versteht schon .... genügt also!

Diesmal nach der Aufführung in der Augustinerkirche ist Franz den Freunden nicht entschlüpft, es hat ja auch keine Therese am Chor gesungen.

Franz hat ein Notenblatt in der Tasche, das ist für Mayrhofer bestimmt, die musikalische Begleitung für das Gedicht »Am Erlafsee«. Von Spaun an der Hand geführt, betritt er mit dem Freund ein niedriges, langgestrecktes Zimmer in der Wipplingerstraße, das sich halbdunkel wie ein Schlauch hinzieht und in einer kreisrunden Erweiterung endet, die durch viele Fenster einströmendes Licht empfängt.

Stimmungsvoll ist es in dem Raum, dessen weiße Decke vom Tabaksqualm gebräunt ist wie eine gut angerauchte Meerschaumpfeife. Blumen stehen am Fenster, ein Kanarienvogel singt, Tabakspfeifen stehen am Ständer in Reih' und Glied, Bücherschränke an den Wänden, in der Mitte des erweiterten Raumes ein kreisrunder Tisch, gepolsterte Lehnstühle herum, denen allerdings hie und da die Roßhaarfüllung aus dem abgenützten Leder hervorguckt, im ganzen aber hat die Behausung den freundlichen[S. 77] behäbigen Anstrich wie die Wohn- und Studierstube eines alten Pfarrhauses.

Mayrhofer, der im Schlafrock, die Pfeife im Mund, bei einem aufgeschlagenen Buch sitzt, begrüßt die Ankömmlinge in seiner etwas bäurisch priesterlichen Art, die ihm noch vom geistlichen Stift her geblieben ist, handfest und herzlich ungeniert, aber mit einem Rest von überlegener Würde; sieht auch so seelsorgerisch aus, zugeknöpft bis oben, als ob er im Talar dastände.

Ein altes Spinett in der Ecke wird aufgeschlagen, die liebliche Musik, die Franz zu dem Gedicht geschrieben hat, erklingt. Mayrhofer verliert fast seine sonst zur Schau getragene gemessene Beherrschung, so entzückt ist er, und macht in gutmütig scheltender Weise dem stillen Spaun den Vorwurf, daß er ihm Schuberts Schöpfungen nicht hoch genug gerühmt habe. Franz selber sagt nicht viel, er schaut sich nur den Mayrhofer an, der wiederum schaut ihn an, und beide sind von diesem Augenblick an in dicker Freundschaft verbunden gewesen. Hat nicht vieler Worte bedurft.

Fast so geht's mit Schwind und mit Schober, als der ganze Kreis abends mit Schubert beim Wein sitzt. Sie haben ihn alle geliebt, die Freunde, vom ersten Augenblick an. Das ist ein Trost, der für manches Leid entschädigt. Ja, das ist mehr, das ist ein Glück, es ist eine Kraft! Franz hat das beruhigende Gefühl: in diesem Zirkel bist du beschützt, hier kann dich kein Übel anwehen, die feindliche Macht wird an diesem Bollwerk zuschanden werden!

Da war's dem Franz auf einmal hell und weit in der[S. 78] Brust. Und er erkannte: hier ist deine Heimat, wo deine Getreuen sind. Sie saßen mit freudigen Gesichtern um ihn herum und feierten seinen jungen Genius. Durch den goldgelben Wein, mit dem sie ihm zutranken, blickten sie ihn an; stand keiner so hoch wie er und waren ihm doch alle gleich, wenigstens durch das Genie der Freundschaft.

Und wie verstanden sie es, dieses Genie der Freundschaft zu betätigen! Sammelten sorgfältig alles Geschriebene von ihm, dessen sie habhaft werden konnten, und trugen die Freude darüber in alle Welt, als Verkünder des jetzigen Meisterleins. Aber der treueste Johannes war der sanfte Spaun. Hat einen blühenden Strauß von Melodien, die Franz um Goethes Lieder gewoben, an Seine Exzellenz nach Weimar geschickt mit einem längeren, devoten Schreiben dazu. Der Künstler wünsche diese Sammlung Seiner Exzellenz in Untertänigkeit weihen zu dürfen .... Ich, einer seiner Freunde, wage es, Euer Exzellenz in seinem Namen darum zu bitten; für eine dieser Gnade würdige Ausgabe würde gesorgt werden usw. usw.

Die Anerkennung Goethes, die Annahme der Widmung soll den Schöpfungen den Weg in die Öffentlichkeit erleichtern und ihnen den buchhändlerischen Erfolg sichern — aber Goethe gibt keine Antwort. So schwer hat es der werdende Genius bei den Zeitgenossen, den großen und den kleinen! Zeitgenosse, das Wort wird bald einen bösen Klang haben!

»Macht nichts,« tröstet Spaun, »muß auch so gehen. Und wenn du sie eingräbst, deine Werke, so werden sie von selber herauswachsen, so stark ist die Kraft darin.[S. 79] Lauheit, Teilnahmslosigkeit, ja, selbst Widersacherei werden am Schluß Spott und Schande haben!«

»Liegt nichts dran,« nickt Franz, »muß auch so gehen.«

Hebt Schwind sein Glas, trinkt Franz zu, bedeutsam: »Auf unsere Lieben!«

Die anderen verstehen gleich, wo er hinaus will. Aha, denkt der Schober, daher geht der Wind und ist alsbald in seinem Fahrwasser; er hat ja eine so großartige Suada, daß Franz nur so aufhorcht. Und so sind sie gleich mitten drin in der Debatte um Frauenzimmer, um Liebe und Ehe. Gehen's gleich gründlich an, die Neunmalgescheiten!

Da auf einmal läßt sich Franz vernehmen, wettert gar schrecklich gegen das schöne Geschlecht, tut sich wirklich als grimmiger Weiberverächter auf und hat's besonders scharf gegen die Ehe, die er als etwas Schreckliches für den freien Mann schildert, der Herr Naseweis. Alle horchen verwundert auf und schauen jetzt auf den Holzapfl, der dasitzt wie ein Lügner. Kann doch kein wahres Wort dran sein an allem, was er über den ahnungslosen Franz geschwatzt hat! Holzapfl, Holzapfl!

Der schaut ganz dumm drein! Entweder lügt Franz jetzt, oder er hat früher gelogen — Holzapfl kennt sich nicht aus.

»Da sieht man wieder,« ergreift Spaun das Wort, »wie unser Schubert gesund ist, gesund im innersten Kern — und wie dagegen der Holzapfl krank ist, krank und wurmstichig!«

Der springt auf und protestiert lebhaft, daß er krank sein[S. 80] soll. Er sei sein Leben nicht einen Tag krank gewesen, er fühle sich so gesund wie nur je einer.

»Ja, aber,« läßt sich Schwind vernehmen, »du leidest eben an ausschweifender Phantasie, du wurmstichiger Holzapfl, du!«

Darüber ist großes Gelächter, daß der trockene Holzapfl an einer ausschweifenden Phantasie leiden soll, und so bleibt es unter der freundlichen Stimmung des Abends verborgen, daß Holzapfl so wenig reinen Mund halten konnte, ja, daß er Schubert eigentlich ein wenig angeschwärzt hatte. Und wird zur Wiedervergeltung von den anderen als räudiges Schaf behandelt.

Das Verhältnis zu Salieri nimmt eine Wendung, als der Italiener einige der nächsten geistlichen Kompositionen Schuberts zu Gehör bekommt. Hat der Schüler alle Ermahnungen, sich italienische Meister zum Vorbild zu nehmen, in den Wind geschlagen? Die B-Messe zeigt es sehr deutlich. Die war unverkennbar einem Boden entsprossen, den so Mächtige wie Beethoven und vor ihm Mozart und früher Haydn gepflügt und ertragreich gemacht haben. Der Italiener hatte eine feine Witterung: Was Schubert machte, war nicht fremdes Gewächs, künstlich in heimische Erde verpflanzt, das war Ureigenes, an deutschen Meistern Erstarktes, vor allem aber Selbstempfundenes: deutsches Gemüt war darin und außerdem das Köstlichste: Heimatsgefühl.

Jetzt begann ein Nörgeln und Tadeln, dies und jenes war nicht recht, der gepriesene Schüler hatte zu gehorchen und nach Salieris Pfeife zu tanzen, sonst waren die Gnaden verscherzt. Es wäre ja klug gewesen, den Mantel[S. 81] nach dem Wind zu hängen, und jeder Streber hätte zum Schein wenigstens so getan, um die Gunst des Fürsprechers zu erhalten; aber die Heuchelei war dem guten Franz nicht gegeben. Er stand schon zu fest auf eigenen Füßen im Gefühl seiner Meisterschaft und durfte lächelnd den unduldsamen Zuchtmeister über die Achsel ansehen.

Er ließ sich eine Weile gutmütig die Kritik gefallen, verlor dann die Geduld und erklärte, jeder müsse als fertiger Künstler auf seine innere Stimme horchen, nicht auf das Gerede von außen — mit dieser Absage an Salieri war auch der Bruch vollzogen.

Er bekam's bald zu fühlen, der Franz; aus Laibach kam endlich der Bescheid, daß die Stelle schon vergeben sei, ein vorgeschobener Günstling Salieris hatte sie unter der Hand bekommen. Der Traum von Ferne, Welt und Freiheit war vorderhand zerronnen — armer Franz; er hatte wirklich Pech in solchen Dingen von allem Anfang an. Oder war es Glück? War ihm ein anderer Weg vorgezeichnet, der ihn seiner Bestimmung näher führte?

Wer vermag's zu sagen?!

Wohin nun, da alle Auswege verrammelt schienen? Die Freunde in der Stadt, die waren ein Stück Freiheit, die Zuflucht. Aber von diesen war er getrennt durch lästige und drückend empfundene Alltagspflichten im Schulhaus. Die Freiheit, das war die unbekannte Menschheit, die schon auf ihn aufmerksam zu werden begann. Aber kein Weg und kein Steg führte in dieses gesuchte Land. Recht klein und elend kam er sich vor als armer Schulgehilfe vom Himmelpfortgrund. Still war er, wenig froh, die Sonne erschien ihm kalt, die Blüten welkt, das Leben alt, leerer[S. 82] Schall, was sie daheim redeten, ein Fremdling, er, im gewohnten Kreis.

Und das gesuchte Land, das geahnte, nie gekannte, das hoffnungsgrüne, wo seine Freunde gingen, wo und immer wo? Im Reich der Dichtung fand er verwandte Stimmungen und Schicksale; er ergriff sie als Selbsterlebtes und Selbsterlittenes und gab zu den tief empfundenen Versen, die er sich erwählt hatte, gleich sein eigenes singendes Herz dazu.

Was ihm die größte Last war, seine kleinen ungeschneuzten Schulbuben, denen hinten das weiße Tüchel heraushing, das war nicht selten genug auch sein Trost. Die ließen sich gern erzählen, wenn ihm das Herz voll war, und saßen still und aufmerksam und sahen so verzückt drein, daß sie den verschmierten Engelsköpfen glichen, die auf goldenen Flügeln in der Kirchenempore schwebten, wo er selbst einst singend oben gesessen hatte. Er erzählte gern den Buben von den großen Meistern, die er verehrte. Und die Buben liebten ihn, weil er so zu ihnen redete, als ob sie erwachsen und seinesgleichen wären, die ihn verstehen mußten. Sie verstanden ihn vielleicht auch, auf ihre Weise.

»Einer lebte hier, dessen Genius Licht über den ganzen Erdball verbreitet hat,« so predigte er in einer gesegneten Stunde der Kinderschar. »War auch ein Österreicher, wie ich und wie du und du und wir alle hier zusammen. Hatte den schönen Namen Mozart, den ihr mir nimmer vergessen dürft, denkt an ihn, wenn ihr am Sonntag in der Kirche die große Messe hört. Vergeßt nicht, daß er himmlische Klänge ins Leben gebracht hat, die in der Welt[S. 83] nicht mehr vergehen können. Das war aber kein armer Schulgehilfe, wie ich, sondern ein gefeierter Meister. Konnte nicht abends vorlieb nehmen mit einem Stückel Brot und ein paar Äpfeln dazu, und mit den Hennen schlafen gehen, sondern gab ein festliches Gastmahl, mit Kerzen in silbernen Leuchtern, seltenen Blumen und Früchten, schäumenden Bechern, lud die Menschheit zu sich ein und kredenzte ihr den perlenden Trank seines Herzens. Verschenkte sich so allen und der ganzen Welt, berauschte sich an der emporziehenden Sternenpracht vor den geöffneten Türen des Balkons, rief die unendlichen Mächte, zog sie in seinen Bann, bis die Steine unten am Marktplatz zu leben anfingen und der tote Gast schwerfällig vom Monument heraufstieg und, o Schreck, plötzlich im Saal stand, die blaue Nacht mit ihren Sternen als Hintergrund des steinernen Mannes. Zuerst ein Adagio D-Moll, nur einige Takte, dann regnen schon eisige Posaunenklänge durch das nächtliche Blau, die Sterne tropfen, die Töne gellen auf wie ein silberner Hagel im kristallenen Becken, alle Schauer des Himmels und der Hölle umwehen ihn. Furchtbar schmettert der Geist den Choral: ›Dein Lachen endet vor der Morgenröte!‹ Die Furcht befällt ihn — doch ist es bloß die Angst, er könnte nicht vollenden, was er so herrlich begonnen. Wenn ihn diese Nacht der Tod anfiele, und er das Werk bis zu diesem Punkte lassen müßte, er könnte die ewige Ruhe nicht finden. ›Wohlan, toter Gast, stoß' an!‹ und gießt seine Feuerseele in ein letztes Glas. Hat die Menschheit alle Schauer der Unendlichkeit getrunken an seinem Gastmahl, hat in den Finsternissen des Lebens den Himmelsschein[S. 84] der Ewigkeit verspürt, o Mozart, unsterblicher Mozart!«

Da war es in diesem Augenblick, als ob wirklich der steinerne Gast in der Tür stand, so fuhr der Schreck dem begeisterten Schulgehilfen in die Glieder. Der gestrenge Herr Vater war's, der schon die längste Zeit hinter der Tür gehorcht hatte, was denn der Franz nur anstelle, daß es so mäuschenstill in der Klasse wäre. Und hat den Franz mit feurigen Zungen reden gehört. Stand jetzt stumm und drohend in der Tür, und es war wirklich so, als ob alle Schauer der Verdammnis den guten Franz umwehen sollten. War auch schon die Welt entzaubert, die Engelsköpfe, die in Reihen Bank für Bank verzückt gelauscht hatten, sie waren jetzt wieder Schmutzfinken geworden. Die selige Stunde war verströmt, die Welt lag wieder Grau in Grau.

Nachher ging der Tanz los. Was er denn für ein unsinniges Zeug den Jungen vorschwatze, wo keiner noch rechtschaffen lesen, schreiben und rechnen kann?! Heißt man das nicht Zeit vergeuden? Und den Buben die Köpfe verdrehen? Daß sie erst recht untauglich werden zu dem Bißchen, was sie fürs Leben brauchen! Hol' doch der Kuckuck diese Extravaganzen, hat ein ordentlicher Schullehrer auf den Lehrplan zu schauen oder soll sich zum Teufel scheren!

Das läßt sich Franz nicht zweimal sagen.

»Herr Vater, ich bin nichts für einen Schullehrer. Lasen Sie mich gehen!«

Jetzt ist die Reihe an dem Vater, der Verdutzte zu sein.[S. 85] Er zieht sofort andere Saiten auf in der Meinung, er hätte den Jungen zu hart angelassen. Also:

»Was sind das jetzt für Sachen?! Von was willst denn leben, ha? Ein Geschäft muß der Mensch haben; sei froh, daß du in der Schul' sein darfst!«

Franz schüttelt abwehrend den Kopf.

»Nein, nein, Herr Vater, damit geht's nimmer. Mich müßt' eigentlich der Staat erhalten. Ich bin eben für nichts anderes als fürs Komponieren!«

Dem Vater reißt die Geduld.

»Der Staat soll dich erhalten, meinst?« höhnt er. »Du bist mir ein sauberer Patron! Möchtst wohl den ganzen Tag spazieren gehen und dich zahlen lassen dafür, pfui Teufel! Hast etwa keine Zeit zum Komponieren nach der Schul'? Hast du's bisher gekonnt, wirst es weiter auch können, verstanden?«

Aber der Stein ist bereits im Rollen, da gibt es kein Aufhalten mehr.

»Sind's mir nicht bös, Herr Vater, aber keinen Schritt mach' ich mehr ins Schulzimmer. Ich kann nicht mehr — ich kann's einfach nicht!«

Er will's in Freiheit versuchen, auf eigene Faust. Und pocht auf die hundert Gulden, sein erstes verdientes Geld, das er kürzlich von einem Gönner für eine Kantate erhalten hat. Er wird sich schon durchbeißen. Haben's andere gekonnt, warum sollte nicht auch er?! Und wenn's nicht anders ist, lieber den Bettelstab, aber die Freiheit, das hohe, ersehnte Gut, die Lebensluft, die sein Genius braucht, die Freiheit also, die kann er nicht länger opfern.

[S. 86]

Da wird der Alte fuchsteufelswild, die angeborene bäurische Abneigung gegen die Freizügigen bricht in harten Worten hervor. Sein Junge, ein verlorener Sohn, ein herumziehender Musikant ohne festen Halt im Leben, ohne Besitz, ohne Amt — er hat noch vom Dorf her die Verachtung für solche wurzellockere Existenzen — das alles will nicht in seinen kreuzbraven, eigensinnigen, grauen Schädel. Daß der Franz sein Amt vom lieben Gott hat, weiß er wohl, aber um leben zu können, muß man sein Amt von den Menschen bekommen.

»Es leid't mich nimmer zu Haus, Vater, ich muß einmal fort, sonst geh' ich zugrund'!«

Da wird der Vater rauh: »Sollst nicht zugrund' gehen zu Haus, wenn'st lieber in der Fremde zugrund' gehen willst! Dann geh' halt — geh' aber gleich, geh'!«

Der Vater wendet sich ab; der teuerste Sohn hat ihn ins Herz getroffen, man soll nicht sehen, wie weh ihm ist; aber jetzt ist er fertig mit ihm. Der Bruch ist geschehen.

Franz geht. Das Vaterhaus ist zu eng geworden. Er braucht Luft, Freiheit, er will wachsen, in die Welt hinein wachsen. Leben, o Leben!


[S. 87]

III.

Wandert der Jüngling stadtwärts, den Weg, den er als Knäblein an des Vaters Seite gegangen war. Muß daran denken, und will ihn die Rührung fast übermannen. Ist aber bald wieder frohen und leichten Herzens, geht es doch der heißersehnten Freiheit entgegen! —

Freiheit! Den Zauberklang des Wortes kann nur der erfassen, der drückendem Zwang entgangen ist. Alles dunkel Geahnte, innig Ersehnte ist in diesem Wort wie in einem rosafarbenen Nebel eingeschlossen, Welt, Schaffen, das bißchen Ruhm, alles, was das Leben ausmacht. An die Freuden denkt man, nicht an die Leiden, mit denen der Pfad ins Ungewisse belagert ist. Durch! Der Genius muß durch — ein blaues Himmelsziel vor sich, sein Weg.

Wien, einziges, liebes Wien! Wie ein Blumentopf steht es auf grünem Rasen mit seinen Gärten über den Stadtmauern und dem kunstvoll gemeißelten Himmelsstab in seiner Mitte, dem alten Steffel! In der Mitte vom Glacis in der Richtung zum Schottentor heben sich ein paar Hüte grüßend in die Luft, die Leute treten scheu zur Seite vor einem kleinen, stämmigen Mann, der den alten Zylinder tief in das runenhafte Gesicht gedrückt hat und[S. 88] daherstürmt in wogenden Gedanken, und weder hört noch sieht.

Ausweichen, ausweichen! Seiner Eingebung folgend, sprang Franz behend auf die andere Seite des Gehweges und reißt sofort seinen Hut bis zur Erde. Ein verlorener Blick aus dem weltfernen Titanenantlitz streift ihn und macht sein Herz fast stillstehen vor Ehrfurcht und Freude.

Ein gutes Zeichen, ein gutes Vorzeichen! wollte bebend die innere Stimme wissen, die es als glückbringend deutete, daß Franz bei seinem ersten erfolgreichen Schritt dem Gewaltigsten begegnet hatte, den er neben dem Göttlichsten als meisterliches Vorbild anbetete: Herrn Ludwig van Beethoven. Der war kein göttlicher Gastgeber alten seigneuralen Stils in schwarzseidenen Hosen, seidenen Strümpfen, Schuhen mit vergoldeten Schnallen, blauseidener Weste und goldgesticktem braunem Überrock, wie der himmlische Meister Wolfgang Amadeus, sondern der war mit seinem verwühlten Haupt, seinem unordentlich zugeknöpften schlichten Rock ein leidenschaftlicher Himmelstürmer und Götterstürzer, einer, der um das Menschsein wußte, um das Furchtbarste und Erhabenste, um alle Erdenpein und Größe, um alle Verlassenheit und Selbstgottherrlichkeit — ein Offenbarer, ein Verkünder, ein Tragiker! Der trug die Krone der Freiheit, von der der Jüngling nicht wissen konnte, daß es eine Dornenkrone ist.

Was stehst du nun, junges Meisterlein, und starrst ihm nach mit einem visionären Blick, als ob du eine Erscheinung gehabt hättest?!

E — fis — g — h — ais! klang es plötzlich auf in der[S. 89] Brust. Franz konnte das Tiefste, das er empfand, nicht anders denken, als in Noten. Ein Ton, der sich wie eine Erleuchtung einstellte, bang und fragend wie ein schüchternes Pochen am Tor des Unendlichen.

E — fis — g — h — ais — — Der tragische Akkord wollte sich nicht mehr abweisen lassen. Er klang als Grundton immer durch auch in den heitersten Momenten und da am stärksten; er war nun einmal in der Welt und hatte seinen eigenen Sinn wie eine Mahnung, die dann am furchtbarsten war, wenn sie nach Zeiten des Vergessens plötzlich wieder die Seele mit allen Bangnissen zum Aufschauern brachte.

Eine helle Empfindung gewann Oberhand; sie jubelte als lebensfrohe Melodie über den dunklen Schauern.

Franz war gedankenvoll durchs Schottentor gekommen, auf der Freiung stand er aufatmend still. Die schönen Adelspaläste, die Baumkronen über den geheimnisvollen Mauern, umschlossene Gärten mitten in der Stadt! Die Schottenkirche, alle Pracht ergriff ihn, als ob er sie zum erstenmal sehen würde.

»Was möchten's denn, gnä' Herr?!« fleanschte ihn eine schwammige Öbstlerin gutmütig an. Eilig rannte er weiter aus dem Marktgewühl, am tiefen Graben vorbei, wo der Alserbach ging, der klaräugig blickende, gleich einem zwischen Weinbergen und Wiesenrainen spielenden hurtigen Knaben, den es nach der Stadt drängte — was war er dort geworden? Eine schmutzige üble Gosse, die sich scheu in dunklen Gewölben verkroch — wie ein Schrei klang es schmerzlich auf in der Brust: e — fis — g — h — ais!

[S. 90]

Und nun bergan zum Hof, wo der gelbe Stellwagen von der Grinzinger Allee hereinholperte, staubig, von müden, mageren Rossen gezogen, ein Gruß vom Land herein, von Wein und Heurigenmusik; hoch aufgepackt als heitere Fracht alle städtische Sehnsucht nach dem Grünen!

Mein Gott, diese Blumen am Hof, ein ganzer Markt, wie schön! Ja, ja, die Stadt braucht Blumen, man kann nicht genug haben in den Mauern; wenn man draußen lebt, ahnt man gar nicht, wie notwendig sie sind, und daß es soviel auf einem Platz geben kann, und der Duft!

Mit all diesen müßigen Gedanken und verzücktem Umherschauen vergeht die Zeit, die Uhr unter den Atlanten mit der Weltkugel am Hof zeigt bald Zwölf, also weiter, weiter durch die enge Bognergasse zum Graben hinaus.

Herrgott, ist da wieder eine Pracht, diese Frauenzimmer, nein, nicht zum sagen! Mudlsauber — eine schöner wie die andere! Wird einem ganz wurlert! Und die lieben Gesichterln — wie sie lachen und umschauen, und wieder lachen — jetzt weiß er nicht, soll er sie grüßen, kennt er sie, oder kennt sie ihn, oder will sie ihn kennen lernen — er möcht' jedenfalls — aber die vielen Leute — und die eleganten Schwasser, die hinterher scharwenzeln. — Jessas! und jetzt schaut sie wieder um — bocksteif steht er da, weiß sich nicht zu helfen, eng und schwül wird ihm, daß er schwitzt, er schaut ratlos um und um, sein Blick gleitet die Dreifaltigkeitssäule hinauf, die sich mit barocker Ekstase emporwirft voll unendlichem Verlangen.

E — fis — g — h — ais!

»Servus, Servus! Landschulmeister, himmlischer, wie kommst du auf einmal dahergestiefelt um zwölf Uhr mittags[S. 91] am Graben?!« jauchzt plötzlich einer der eleganten Stadtfräcke hinter ihm, hat ihn schon abgefaßt und auf offener Straße umarmt.

»Schober, lieber Schober!«

Kurze, hastige Erzählung Franzens über Woher und Wohin.

»Hast den Schulmeister an den Nagel gehängt, endlich, endlich, es war die höchste Zeit! Wo wohnst du denn?«

Ja, richtig, wo er wohnt, an das hat Franz noch nicht gedacht. »Ich weiß nicht!«

»Köstlich,« ruft Schober, »wohn' bei mir! Ich hab' ein Zimmer frei, kost' dich nichts, kannst bleiben, solang' du magst, mir ist's eine Freud'!«

Franz lehnt lächelnd ab, vorläufig wenigstens — wozu schmarotzen? Hat ja Geld in der Tasche, bare hundert Gulden!

Schober hat es um diese Zeit eilig, der Mittagsbummel am Graben war die Stunde, wo die Löwen auf Beute gehen; soviel Schönes, als es da zu sehen gab — da war nicht zu zaudern. »Also Servus, auf Wiedersehen!«

Beim Stock-im-Eisen, am Ende des Grabens, steht er und schaut sich die vielen Nägel an, die in legendenhafter Zeit die Schmiedgesellen in den Baumstamm eingetrieben haben, und wundert sich in seiner beschaulichen Weise aufs neue, wie die Kerle so ausgezeichnet die Nägel alle auf ihre Köpfe getroffen haben. So muß man's auch machen, die Nägel auf alle Köpfe treffen, dann ist man der richtige Schmied seines Glückes. Aber er denkt nicht daran, daß er ja auch seines Glückes Schmiedgesell ist, und haarscharf,[S. 92] wenn nicht die Nagelköpfe, so doch Notenköpfe trifft, das Meisterstück, worauf es bei ihm ankommt!

»Servus!« tönt eine Stimme weich und einschmeichelnd, er wirft sofort den Kopf herum. »Ach, lieber Hüttenbrenner!« und schaut in das kluge Gesicht des guten philosophischen Anselm, der zuerst Kleriker war, dann Jurist, und zugleich in Schuberts Konviktszeit bei Salieri Kontrapunkt studiert hat. Jetzt hat er seine Seele ganz der Musik verschrieben.

Ein rasches, wechselseitiges Fragen, und alles ist klar.

»Magst bei mir wohnen, ein Kanapee steht zur Verfügung! Nicht? Aber wir sehen uns jetzt öfter, gelt? Du weißt ja, im Café Bogner, bei der lustigen Blunzen, kommen wir täglich zusammen. Kommst bestimmt! Alsdann Pfüat!« Händeschütteln, die Freunde trennen sich.

Über der Stadt schwingen Glocken, eine tönende Flut, ein Bronzeregen, ehern und gewaltig, als ob die Glocken in der Brust schwingen würden. Die Glocken von St. Stephan. Franz kann nicht widerstehen, einen Blick muß er in die Stephanskirche tun, eine liebe, alte Gewohnheit.

Der Dom ist die steinerne Blume der Stadt, der liebe Wienerwald mit seinen Blümelein und seinem Getier lebt in den himmelhohen Kapitälen. Und allerlei spukhaftes Fabelwesen treibt sein Spiel an den steinernen Wurzeln, läuft auf den behauenen Sockeln oder kauert in den schwarzen Nischen. Ein herrliches, steinernes Bilderbuch — die alten Meister hatten Phantasie. Franz fühlt sich ihnen verwandt.

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Eine Hand legt sich auf seine Schulter. »Freund, du hier?«

Franz sieht zu dem Dunklen, Zugeknöpften hinter sich hinauf, die starre, melancholische Maske Mayrhofers schaut ihm entgegen. Arm in Arm schreiten sie aus dem Dom.

»Kannst bei mir wohnen, das Zimmer neben mir wart' auf dich!«

Herrgott, wie sie sich alle um ihn reißen! Er nimmt's nicht an, aber wohl tut's doch!

Später in der Kärntnerstraße trifft er den Pianisten Jenger, mit dem er durch Hüttenbrenner befreundet wurde, und der außerhalb seiner Kanzleistunden mit Frau Musika in der wildesten und beglückendsten Ehe lebt.

Jetzt fängt auch der an:

»Das wär' ein herrliches Dasein, eine Zigeunerwirtschaft unter einem Dach, du, ich und unsere gemeinsame Geliebte, die holde Frau Musika! Schlag' ein!« Es ist schon zum Lachen! Sind liebe, gute Kerle, alle miteinander!

Es ist nicht Zeit, lang Standerln zu machen, Franz will beizeiten nach »Schwindien«.

»Schwindien?«

»Nun ja, freilich; das heißt, zu Schwind, ins Mondscheinhaus, drüben bei der Karlskirche überm Glacis.«

So ist Franz zum anderen Ende der Stadt wieder hinausgegangen, wo drüben die Karlskirche steht, eine Madonna im Grünen. Das graue, einstöckige Haus in nächster Nähe mit dem ummauerten Hof ist das Mondscheinhaus, wo die Romantik blüht. Ein Blick von dort über die[S. 94] Stadt mit dem Kahlengebirge dahinter, das vergißt man nicht mehr. So viele Poesie! Schubert singt es, Schwind malt es, ein anderer dichtet es, jeder wie ihm der Schnabel gewachsen ist, die Hauptsache, daß man's nur spürt.

Die im Mondscheinhaus spüren's. Franz schleicht heran, im Hof hört man schon die drei Brüder Schwind, die sich sehr laut aufführen. Was tun sie? Dreinhauen tun's. Hauen aufeinander, daß es schallt wie bei Dreschern auf der Tenne, oder bei Teppichklopfern, prügeln sich gegenseitig mit alten Säbeln, rostigen Schilden, daß die Köpfe unter den verbeulten Helmen brummen, und schreien dazu, was sie nur aus der Gurgel bringen, volltönende, herrliche Worte, auf die man unwillkürlich hinhören muß. Was sind es? Nibelungenverse. »Er schlug damit den ersten Schlag. Hei, hei! Volker, Spielmann, wie rührst du den Fiedelbogen!«

So macht der fröhliche Knabensinn, der noch unverkümmert in den jungen Männern steckt, aus einer turnerischen Übung ein ganzes Ritterspiel. Ein echter Schwind.

Die Kämpfer sind müde und machen eine Pause. Franz pocht an das Tor. Kein Laut regt sich mehr. Grad' so, als ob das Haus ausgestorben wäre.

Haben sie sich am End' gegenseitig erschlagen, denkt Franz und klettert auf die Mauer hinauf. Das Schauspiel, das sich ihm darbietet, ist wunderlich genug. Die drei Helden, mit altem Rüstzeug angetan wie die Schmierenkomödianten eines Bauerntheaters, schleichen mit aufgeregten Mienen auf den Zehenspitzen ans Tor, der Älteste guckt durchs Schlüsselloch — da hat Moritz den Eindringling schon über der Mauer entdeckt.

[S. 95]

»Kerl, elender, blöder, mistiger, lieber, guter — dein Glück, daß du da bist! Sei aber froh, daß du kein Gläubiger bist!«

Der Jubel ist jetzt erst recht groß, anstatt eines gefürchteten Gläubigers den lieben Freund zu erblicken, der zwar die Mauer hinaufzuklettern vermochte, aber nicht herunterkam. Eine kleine Tracht freundschaftlicher Prügel muß er sich in seiner Hilflosigkeit schon gefallen lassen. Nach diesen stärkenden Leibesübungen kehrt der gewohnte Männerernst wieder zurück. Schön ist es in dem Hof, den die Brüder in ein stimmungsvolles schwindisches Gartenbild verwandelt haben. Mit Rasen ist er bewachsen, eine Fliederlaube steht im Hintergrund, Akazien und Holunderbäume sind hinzugepflanzt, einige Blumenbeete, dazu noch etliche Oleander in Kübeln — das ist »Schwindien«, die Heimat der schönsten romantischen Malerträume. Und weil man nichts tat, ohne den Dingen einen besonderen Sinn zu geben, so nannten die Brüder diesen Gartenhof mitsamt den zu ebener Erde liegenden Wohnräumen ihre Burg Malepartus.

Gewohnt, gelebt, gearbeitet wurde in der schönen Jahreszeit mehr in der Laube als in den Zimmern. Da lag noch das Arbeitszeug herum — Neujahrskarten wurden gezeichnet und Krampusse gemalt — wofür? Dumme Frage, für den kommenden Christkindlmarkt am Hof, Fronarbeit, mit der sich der junge ringende Genius die Freiheit für seine Kunst und seine Studien erkaufen muß. Denn manchmal ist Schmalhans Küchenmeister seit dem Tode des Vaters, und mit Schuldscheinen bewehrte Feinde belagern oft die Burg Malepartus. Aber Künstlerfreude[S. 96] und Jugendsinn lassen keinen Schatten dauernd aufkommen, besonders solange »Goldstaub« im Tabaksbeutel ist — und den hat heute Schubert in reicher Menge mitgebracht.

»Bruder, am besten, du bleibst bei uns! Wir richten uns häuslich ein. Platz ist genug, ein Zimmer kannst du haben, was du singst, male ich — kann man sich ein trefflicheres Accompagnement denken?! In dieser schönen Jahreszeit tragen wir die Matratzen heraus und schlafen nachts im Freien unter duftendem Flieder und niederrieselndem gelben Goldregen. Da blühen Träume, Bilder und Musik — schöner findest du es nirgends!«

Für diese Nacht beschloß Schubert zu bleiben — die Träume unter dem Fliederbaum und Goldregen waren gar zu verlockend. Ein mannshohes Schild mußte weggehoben werden, ein Türke war darauf gemalt noch frisch von Farben.

»Fürs Café Bogner — so bezahlt man seine Schulden!« erklärte Schwind. »Morgen ist die feierliche Hinsetzung dieses ›Kunstwerks‹ — das gibt wieder Kredit auf ein Jahr!«

Gegen Abend wurden in der Laube die Pfeifen entzündet, und die klausnerische Seligkeit begann, von der Schwind immer und immer träumte. Die Wolken stiegen wie Weihrauch, Flieder und Akazien dufteten, die Sterne leuchteten, Träume umwoben die Stirnen, das Glück war vollkommen.

G — d — g — fis — g — a — —

Die Cellos in der Brust erheben den schmerzlich süßen Sang, wohl und wehe ist ihm — das Glück, das Glück!

[S. 97]

Am anderen Morgen geht das Wohnungsuchen an in den engen traulichen Gassen der inneren Stadt. Die Sonne fällt schräg in die blitzenden Fenster der leicht gekrümmten Hauswände, ein Lied trällert, ein Kopf lugt da und dort heraus, ein Tüchlein um die Frisur gebunden, wäschermädelartig, mit zwei koketten Zipfeln nach vorne — sie sind so lustig beim Zimmerfegen in aller Früh, die holden Weiblein! Und auf Reinlichkeit sind sie wie der Teufel: nur gleich zum Fenster hinaus mit dem Staubtuch, die ganze Ladung dem Vorübergehenden auf den Kopf: Unrat, zusammengedrehte Haarbüschel — das ist aber noch nicht das Schlimmste, wenn nicht zufällig auch einmal was Lebendiges dabei ist, ein Läuslein, ein Wänzlein, ein Flöhlein. Sind ja so übertrieben reinlich, dulden nichts Unsauberes, heißt es gleich, hinaus damit! Also gib fein acht, lieber Morgenwanderer, wenn du durch enge Wiener Gassen lustwandelst!

Spaziert Franz unverdrossen die Kreuz und Quer, gaßauf, gaßab, hält an jedem Tor, wo ein weißer Zettel hängt und wie eine Geisterhand winkt: »Elegant möbliertes Zimmer für einen soliden Herrn .....«

Unzählige Treppen gibt es zu steigen, eine Wanderung, die steil hinauf- und hinuntergeht im geklüfteten Stadtgebirge. Das Bilderbuch der Stadt rollt sich auf bei dieser seltsamen Wanderung, die keinem Junggesellen erspart bleibt. Es ist zwar immer dasselbe Bild bürgerlicher Zwischenstufen, ein krampfhaftes Pflanzmachen, dahinter die heimliche Misere, ein elendes Durchfretten, ein ewiges Wursteln ..... immer dasselbe Thema, aber welche Variationen im Menschlichen!

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Eine hübsche Witwe tut sehr fesch, will ihn gar nicht mehr fortlassen, sitzt plaudernd da mit übereinandergeschlagenen Beinen: »O, Sie werden sich sehr wohl fühlen!« Mehr als ihre Worte sagen es ihre Mienen und ihre Augen. Er wäre froh, wenn er schon draußen wäre, er fühlt sich gar nicht wohl, er sitzt wie auf glühenden Kohlen.

Bei einer Witwe, die so hübsch und lustig dreinschaut, nein, das geht doch nicht. Was würden die Leute dazu sagen, die Freunde und nun gar die Brüder, wenn sie kämen, und erst, was Gott verhüte, der gestrenge Herr Vater! Die Hänseleien von den einen, die stillen oder gar lauten Vorwürfe von den andern — er möchte keines von beiden riskieren. Er ist das wirklich, was auf dem Zettel verlangt wird, »ein solider Herr«! Er ist hochrot im Gesicht, als er wieder unten auf der Straße steht, und jetzt ärgert er sich über sich selber. »Dumm von mir ...«, aber man ist manchmal so und manchmal so .....

Und fort geht das Suchen — schließlich wird's ihm ein Bild des Lebens: Suchen und Suchen, kaum ein Finden, schließlich immer nur ein Vorliebnehmen.

Des Auf- und Abkletterns müde geworden, hat er am Schluß vorliebgenommen und sitzt als Zimmerherr in einer geräumigen Stube mit altväterischen wackligen Möbeln. Nun ist er in seiner höchsteigenen Behausung für monatlich dreißig Gulden Wiener Währung samt Frühstück. Ein sündhafter Preis! Warum hat er's genommen? Das Suchen war ihm schon zuwider, vielleicht aber hat ihn auch das Mitleid bestimmt. Er hat ein[S. 99] weites Herz und denkt sich, wegen so ein paar Netsch mehr oder weniger ....

Die Quartierfrau, ein abgehetztes Weib, hat ihm in fünf Minuten ihre ganze Lebensgeschichte erzählt, sie ist eine »bessere Frau«, was sie wiederholt unterstreicht, und die Mali, ihre Tochter, das liebe, gute Kind, lernt Französisch und Klavier und kann eine ausgezeichnete Torte machen!! Sie ist so furchtbar häuslich! Sie behauptet, daß die Erziehung des Kindes so furchtbar viel Geld kostet, aber eine gute Bildung sei wohl die beste Mitgift! Ein vernünftiger Mann würde bei einem Mädchen doch lieber auf Bildung und Häuslichkeit sehen als auf Geld! Der neue Zimmerherr wird sich wie zu Hause fühlen!

Es gelingt ihm endlich, ihrem Wortschwall Einhalt zu gebieten und sie zur Tür hinauszuschieben, dann hört er sie im Hintergrund des dunklen Flures, der von Waschdunst und Küchengerüchen erfüllt ist, mit der Mali, dem guten, lieben Kind, keifen: »Was stehst denn, Trampel, schau', daß d' in Schwung kommst ...« So sieht's mit der Erziehung aus, die furchtbar viel Geld kost' ....

Es ist aber nicht tragisch zu nehmen, das Zünglein hängt gar locker und ist mit einem Schimpfwort rasch fertig. Das kommt bei besseren Leuten auch vor — es gehört zur Gemütlichkeit.

Ein Klavier steht in der Ecke, verstaubt, verstimmt, es muß erst instand gesetzt werden. Ein Glück, daß es überhaupt da ist. Also rasch den Klavierstimmer ins Haus! Die gute Mali — ob die je im Leben eine Klaviertaste angerührt hat? Aber das bißchen Pflanz — es ist ja so notwendig zum Leben, der Traum von Glück, ein goldener[S. 100] Schein, der das graue Elend ein bißchen überleuchtet!

Als dem Klavier wieder wohlgestimmte, klare, reine Töne entsteigen, und die von Arbeitsdrang erfüllte Brust sich in Noten entladen darf, da ist das Gemach hell und freundlich geworden und die Geister der Sorge, die es bewohnten, sind entwichen. Die Seele schwebt in wolkenloser Seligkeit und ein Celloton singt in H-Moll aus blauer Ferne:

G — d — g — fis — g — a .....!

Ein schwebender Klang, der sein hoffnungsreiches Glücksgefühl umspielt. Wenn er in sich hineinhorcht, kann er ihn jetzt wieder vernehmen, immer und immer wieder.

Der Ton entschwebt, wenn er ihn fassen will, verdrängt von dem singenden, rauschenden Quell in seiner Seele, der ins Leben will, der Menschheit zur ewigen Freude. Herrlich ist es, so in Freiheit zu leben und im goldenen Überfluß zu schwelgen! Mit vollen Händen kann er sich verschenken, so stark und schier unerschöpflich ist der innere Quell!

Der graue Vormittag gehört dieser stürmischen Arbeit. Mit allen Kräften der Seele ist er seinem Werk gewidmet, vom frühen Morgen an bis zur Mittagsstunde. Dann ist er erschöpft, leer, ausgepumpt, sucht Erholung und Ablenkung und findet sie bei den Freunden. Schon beim Mittagessen trifft er den einen oder anderen im Gasthaus »zur schwarzen Katze«, »zur Schnecke«, »zur Eiche«, beim »roten« oder beim »blauen Igel«, wo abwechselnd das bescheidene Mittagsmahl eingenommen wird.

Gleicht ein Beisel dem andern, der Fußboden ist voll[S. 101] Flecken und Schmier, der Kellnerfrack ist es ebenso, der einmal schwarz war und jetzt grau ist wie der Boden, der einmal weiß war. Es geht gemütlich her, der Wirt, der Zahlkellner, der Speisenträger, der Pinckerl schießen herum, Herr von Schubert hin, Herr von Schubert her, vier oder sechs Hände entreißen ihm Hut, Stock und Überrock, noch ehe der Ankömmling weiß, wie ihm geschieht, leiert ihn der Pikkolo an wie ein Ratschenbub und zählt alle Getränksorten her, der Speisenträger memoriert die Speisenkarte: Fleckerlsuppe, Nudelsuppe, Kaiserschöberl — schönes Rindfleisch, Herr von Schubert, ein schwarzes Scherzel, ein Kavalierspitz, ein Kruspelspitz, nicht zu fett, ein bisserl unterspickt, Zwiebelsauce oder eingebrannte Erdäpfl dazu, oder rote Rüben, Schnittlauchsauce — vielleicht einen schönen Kalbsschlögel, einen Nierenbraten, Kaiserfleisch, Schöpsernes, Roastbeef —

Halt, halt! Der Kopf wirbelt einem schon! Jetzt kennt man sich in den kulinarischen Genüssen erst recht nimmer aus. Zeit lassen! Die Speisenkarte her!

Inzwischen wird von allen Seiten geschrien, dem einen geht die Bedienung zu langsam, dem anderen, der seine Suppe noch nicht ausgelöffelt hat und schon das Rindfleisch kriegt, geht sie zu schnell, keiner ist zufrieden, ein jeder möcht' etwas anderes — die Aufregung! Das Schimpfen, das Gelächter, das Tellerklappern, das Geschrei, die durcheinander schwirrenden Dissonanzen — wobei sich alles in Wohlgefallen und Gemütlichkeit wieder auflöst — es wirkt auf die abgespannten Nerven doch wieder belebend wie ein erfrischendes Bad. Und hat man heute über den Schlangenfraß geschimpft und es verschworen,[S. 102] das verfluchte Saubeisel nicht mehr zu betreten, so ist man am anderen Tage um so pünktlicher wieder da. Es ist keiner glücklich, wenn er nicht ein bißchen räsonnieren kann. Die Wiener Tugenden und Untugenden, die waren, sind und sein werden — man hat sie in der knappen Mittagsstunde beisammen, während der Fütterung entfalten sie ihre Blüte. Man ist gereizt wie eine hungrige Bestie, wenn man kommt, und wenn man geatzt ist, geht man als friedfertiger Mensch von dannen. Wohin?

Natürlich ins Kaffeehaus zu einem Schwarzen und einer Pfeife Tabak, die der Höhepunkt des Diners ist. Das Essen ist nur der Umweg zu diesem Göttergenuß. Also geradewegs zur »lustigen Blunzen«, wo Schwinds Schild mit dem Türken richtig in ganzer Farbenpracht prangt.

»Schani, trag' den Garten außi!« Also trug an schönen Tagen Schani, der Kellnerjunge, unter Beihilfe des Feuerburschen den Garten hinaus, nämlich die Holzkübel mit den Efeuwänden, die am Trottoir vor dem Café einen kleinen imaginären Gartenbezirk bilden mit einigen Marmortischchen darin. So sitzt man draußen im Freien an schönen Tagen. Fast angenehmer ist es aber drinnen in dem gewölbten Raum, wo der Feuerbursch am Herd die Bohnen röstet, daß der frische Kaffeegeruch stark und würzig den Raum durchströmt. Eine ältliche Kassiererin sitzt im Büfett und liest in einem Romanbüchel, ein paar Herren im dämmerigen Hintergrund halten starr die Zeitung vor sich hin oder sitzen in bequemen Lehnsesseln zurückgelehnt, zuweilen glaubt man sich in eine Sägemühle versetzt, ein verdächtiges Geräusch rasselt von hinten her,[S. 103] steigt höher und höher, und wenn es den Klimax erreicht hat, reißt es plötzlich ab, ein tiefes Schnarchen: jeder macht seinen Nipfetzer.

Der Kellner streicht lautlos hin und her wie auf Samtpfoten, damit er keinen von den Herren aufweckt. Nur vom Billard her tönt das gedämpfte Rollen der Kugeln, nebst dem Summen der Fliegen an den Fensterscheiben, eine angenehme, einschläfernde Musik. Am schönsten ist es, am Fenster zu sitzen, hinauszublicken auf die alten Häuserfronten mit bequemen Portalen, verwittertem, steinernem Wappenschild darüber, schmiedeeisernen Balkonen und ähnlichem, ehrwürdigem Zierat. Da sitzt man in Betrachtung dieser Dinge, schlürft seinen Schwarzen, schmaucht sein Pfeifchen, schaut in die Zeitung, tut zwischendurch selbst so ein kleines Nickerlein, oder ergötzt sich, wenn die Freunde da sind, an dem Gespräch, das alsdann immer munter fließt. Die Welt täglich niederreißen, neu und schöner wieder aufbauen — dadurch wird die schwarze Kaffeestunde ereignisvoll und fruchtbar.

Die paar Stunden nachher während des Nachmittags vergehen auch so; die Blume der Freundschaft entfaltet sich am herrlichsten erst abends. Da sitzt man mit den geliebten Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln, wie Franz seine Getreuen nennt, oft in fröhlicher Tafelrunde über die gewöhnliche Sperrstunde hinaus beisammen, und zuweilen hallen die schlafenden Gassen von der lauten, singfrohen Ausgelassenheit der Jünglinge, die Schwinds Stift in einem übermütigen Augenblick festgehalten hat, wie sie vor einem unvollendeten Neubau stehen und ein Ständchen vor den leeren Fenstern darbringen. Die herrlichsten[S. 104] Lieder steigen in das Nichts empor, die Schöne fehlt, für deren Ohren sie bestimmt sind, die ist nur erträumt da, und an ihrer Stelle antwortet das Echo in den Schatten des leeren Hauses.

So geht es derzeit noch dem Meisterlein, die Freunde sind da, der Genius hat ihn geküßt, aber wo ist die Menschheit, seine Gaben zu empfangen und den schuldigen Dank zu spenden?

Einerlei, der junge Meister denkt nicht daran, es ist ihm vor allem darum zu tun, sich im Schaffen auszuwirken und den inneren Schatz zu heben, der sein Erbteil geworden war. Die Freunde wissen es, die seine Schöpfungen in Abschriften von Hand zu Hand geben, kein Abend vergeht, wo sie nicht bewundernd von den neuen Köstlichkeiten erzählen, die Schubert in seinen fieberhaften Arbeitsstunden an den Tag gefördert hat.

Äußerlich war es nur ein kleines Leben, das der junge Schubert genießerisch führte. Aber in diesen scheinbar nichtigen Dingen war wienerischer Geist, sein vegetatives Sein lebte davon, der innere Mensch, der sich an dieser geheimnisvollen Kraft aufbaute. Ein Narr, der mehr verlangt als diese einfache seelische Hausmannskost, die Mutter Heimat gibt. Schuberts Sein war mit allen Wurzeln in dem Boden dieser Wiener Heimat verwachsen; er lebte im Alltag, wie alle anderen lebten, nur mit dem Unterschied, daß er als der schöpferische Mensch es verstand, aus der groben Alltagskost das geheimnisvolle wienerische Fluidum abzuleiten, aus den Wurzeln in die Krone, wo es liedhaft ertönte, als unsterblicher Sang[S. 105] auf die einzige, süße, liebe, unvergleichliche, schöne Weanastadt!

Ein Ton schwebt über diesem Dasein, darin die Seele der Stadt war, vor allem die Seele Schuberts: g — d — g — fis ...!

Immer wieder klingt dieser milde, tröstliche Satz durch, mannigfach verschlungen und variiert, wie der Anfang einer Sinfonie seines Lebens. Daß man es doch fassen könnte, hinstellen als unvergleichliches Gleichnis seiner selbst! Und immer wieder, mannigfach unterbrochen von dunkleren, schmerzlicheren Gewalten, setzt dieser verhaltene, heiter ernste Takt ein, immer wieder, ohne zu vollenden .......

Aber das fröhliche Herrenleben neigt sich zu einem sehr betrüblichen Ende. In den zwei armseligen und doch so folgenschweren Wörtchen spiegelt sich das Schicksalsbild: kein Geld!

Hundert Gulden dauern nicht ewig, auch nicht in jenen Tagen, wo sich unendlich mehr damit richten ließ. Man ist zwar kein Leichtfuß, aber man ist auch kein Sparer und kein Knicker, und wer sich jede Freude versagt, wird auch wenig Freude geben.

Franz knirscht: Verflucht auch! Die anderen sollen's nicht merken, er will's vor sich selber nicht wissen, will sich nicht stören lassen, nicht beirren lassen, arbeitet drauf los. Die Arbeit hat ja das Gute, daß sie von den Trübnissen erlöst und daß man sich als Herr des Lebens fühlt, solange sie dauert und glückt. Aber dann, in den Stunden der Erschöpfung, dann führt Frau Sorge das Wort. Sollte der Herr Vater recht haben: ein verlorener Musikant?![S. 106] Nein, nein — man muß sich halt tüchtig durchbeißen, fest zusammenhalten die paar Knöpf', die man noch in der Hosentasche hat, und Stunden geben, mehr Stunden!

Einige Schüler hat er schon. Aber die sind halt das Kreuz seines Lebens. Fressen die schönste Zeit und beste Kraft weg für nichts und wieder nichts. Diese Stockfisch', diese vernagelten!

Einige Haustöchter aus guten Familien nehmen Unterricht bei ihm. Sie schrecken vor dem Schwierigsten nicht zurück; was sie am wenigsten können und verstehen, reizt sie am meisten. Es bringt den armen Franz zur Verzweiflung. Dieses Haustöchtergeklimper! Heiliger Beethoven! Muß deine Feuerseele so unters Klavier fallen! Muß es wirklich sein?! Mamsell, Mamsell!

Es muß wirklich sein. Mamsell ist sonst gekränkt und gibt die Stunden auf. So also sieht die Freiheit aus?! Dreimal gefesselt vom Mangel, von der Frone und der Schaffensnot. Die Tage im Schulhaus — was war das für eine sorglose, glückliche Zeit! Er könnte ja zurückkehren, der Vater würde ihn mit offenen Armen aufnehmen, ein reuig heimkehrender Sohn! Aber er schleudert den Gedanken ergrimmt von sich: Feigheit, erbärmliche Feigheit! Einem jungen Menschen geht es nicht schlecht, auch wenn er kein Geld hat. Ein junger Mensch, der Talent hat und arbeiten kann, ist reich. Reich, ja, das ist unser Franz, sitzt bei goldenen Schätzen — nur abbeißen kann er nichts davon!

»Unbegreiflich, daß ein Mensch, wie du, nicht schon längst einen Verleger gefunden hat!« wundert sich Spaun[S. 107] und nimmt die Sache gleich energisch in die Hand. Wozu noch warten? Die Manuskripte stauen sich in Schuberts Mappen und Tischladen. »Ich hab' mit Diabelli gesprochen, er hat von dir schon gehört, geh' nur getrost hin.« So der liebe Freund.

Franz faßt ein Herz. Er ist scheu vor fremden Leuten, und nun gar als einer, der nichts bringt, sondern viel eher fordert! Es kostet viele Überwindung, bis er sich auf den Weg macht.

Endlich sitzt er im Geschäftsladen des Wiener Druckgewaltigen. Er muß warten, ehe sich ihm die Tür des Chefzimmers gnädig erschließt. Eine Viertelstunde vergeht, eine halbe Stunde — das zermürbt den Menschen. Entweder er lehnt sich auf und geht davon, nicht ohne einen kräftigen Fluch zur Tür hineinzuschleudern, oder aber er knickt zusammen und versinkt zu einem Häuflein Elend.

Die Faust geballt, den Fluch auf den Lippen, will der Künstler seiner Menschheitwürde den rechten Ausdruck verleihen, aber der Gedanke an die Geldnot zwingt ihn nieder. Er gibt sich und dem Protzen da drinnen noch fünf Minuten Frist, dann noch fünf Minuten — endlich! es ist ein Glück für den da drinnen, daß er den Künstler nun rufen läßt.

Der steht nun demütig und verzagt vor dem gerissenen Geschäftsmann, der ihn wie einen Bettler empfängt. Fürs erste, daß er auf den schüchternen Gruß des Eintretenden gar nicht antwortet. Er streift ihn nur mit einem flüchtigen Blick aus der Brille, dann sieht er ihn überhaupt nicht mehr an. Es ist ein Geschäftskniff. Man[S. 108] darf den jungen, schaffenden Talenten nicht zeigen, daß man sie braucht. Sonst werden sie in ihren Forderungen unverschämt. Man muß sie so lange als möglich zappeln lassen, bis ihnen das Wasser ins Maul rinnt, dann macht man den Fang! Das ist die Geschäftsethik der Herren Diabelli und Genossen.

Franz stammelt unverständlich etwas vor sich hin und legt ein Notenpack auf den Tisch. Der Verleger blättert oberflächlich eine Weile herum, schiebt das Ganze wieder zurück und sagt:

»Nicht zu brauchen! Viel zu schwer! Das Publikum verlangt leichtere Sachen. Ihr Herren Künstler glaubt immer, es muß durchaus nach eurem Sinn gehen. Wer soll denn das Zeug verkaufen? Aber ihr denkt halt, es tut nichts, wenn der Verleger sein Geld verliert! Es tut ja was! Verstehen Sie mich?! Könnt' verhungern alle miteinand' mit eurem verfluchten Eigensinn! Also lassen Sie sich's gesagt sein, machen's leichtere Sachen, dann können's wiederkommen!«

Draußen war Franz, er wußte nicht wie, der Schädel brummte ihm, das Gesicht war hochrot, es war ihm, als ob er einen Schlag bekommen hätte. Schnurstracks ist er heimgestürmt, aber das Heim ist auch keine rechte Zuflucht mehr. Die Quartiergeberin hat's Grüßen verlernt, wenn sie ihn sieht. Das macht die unbezahlte Wochenrechnung. Aber so geht's: gestern war man noch ein gnä' Herr, heute ist man ein Lump! Das ist die Psychologie der kleinen Leute, die eine feine Witterung für die jeweilige Finanzlage haben. Verfluchte Bagage! Mali, das liebe, gute Kind, ist alle Augenblicke in der Tür gesteckt,[S. 109] hat sich immer was zu schaffen gewußt im Zimmer, war nie um einen Vorwand verlegen, und blieb dann länger als nötig war, weil sie »gern etwas abgespickt hätte beim Klavier ....« Dann bringt sie gelegentlich ein Stück Sonntagstorte eigenes Fabrikat »zum Kosten«!

Franz ist gutmütig und gibt ihr einige Gratisunterweisungen in leichten Klavierübungen. Aber Mali hat dumme Finger und ist ganz talentlos ..... Schließlich ist ihr ja auch nicht ums Klavierspielen zu tun.

Die Mutter steht dahinter und schürt und schürt. Sie hat's schwer im Leben und möchte das liebe, gute Kind gar zu gern versorgt wissen. Aber Franz ist keiner, der sich einlullen läßt mit Schmachten und Sonntagstorten, einspinnen und einnähen, bis es heißt, entweder Schuft oder Trottel! Trottel, wenn man picken bleibt, Schuft, wenn man die Kleine sitzen läßt. Franz ist weder für das eine noch für das andere geboren. Weder Schuft noch Trottel — das hat die arme Frau schließlich doch gemerkt. Sie kuppelt auch nur so lang, als sie glaubt, daß der »gnä' Herr« bei Kasse ist. »Ah, das ist so einer!« tippt sich die Alte an den Kopf. »Ist nicht weit her mit der Marie (Geld)! Ich hab' mir's doch gleich gedacht. Na, wart', mein lieber Gschwuf: so etwas könnt' man brauchen!« So wird das gemütliche Heim allmählich eine Hölle.

Aber auch im Wirtsbeisel verändert sich die Stimmung. Hut, Stock und Überrock wird einem nicht mehr aus der Hand gerissen, der schofle Gast mag sich nur selber bemühen. Der Fraß wird einem ziemlich achtlos hingeschoben, jetzt kannst du drei-, viermal klingeln, bis so[S. 110] ein Lakl die Ohren auftut. Hat man denn einen Geruch an sich, wenn einem das Geld knapp wird? Es muß wohl so sein. Wer kein Geld hat, ist soviel wie ein Pestkranker. Der soll sich nur gleich begraben lassen. Kein Hund nimmt ein Stückel Brot von ihm!

Franz ist nicht der Mann, sich die Misere anmerken zu lassen. Aber da hat er sich verrechnet in der Kennerschaft der dienstbeflissenen Menschheit. Das sind geübte Menschenkenner, die dienstbaren Geister, und wissen genau, was es bedeutet, wenn der Herr von Schubert auf das Fleisch verzichtet und sich mit Linsen und Spiegeleiern begnügt, oder abends bestenfalls Augsburger mit Erdäpfl ißt, ein kleines Glas Bier dazu, wenn auch der Durst noch so groß ist und — was das größte Verbrechen ist — mit dem Trinkgeld zu sparen anfängt. Der Schmutzian, der notige!

Armut ist keine Schande. Sie ist mehr: ein Unglück ist sie, eine Schmach! Zuweilen lastet es mit großer Wucht auf dem empfindlichen Gemüt. Und herzzerreißend klagen die Geigen, Violen und Fagotten in der Brust: e — fis — g — h — ais ....... Wie schwere Gewitterstürme stöhnen die Kontrabässe drohend und unheilvoll tief unten: c — c — c ....

Ist denn in dieser infamen Welt, wo jeder Vogel sein Futter findet, kein Platz für den gottbegnadeten Künstler?

Es ist die Stimmung, in der der Galgenhumor erwacht. Den Freunden geht's mit wenigen Ausnahmen auch nicht besser. Was ist eine Zeit wert, die so ausgezeichnete Kerle darben läßt? Das gemeinsame Leid macht stark.[S. 111] Was sind die Freunde doch für Mutmacher! Der Wert der Freundschaft, nie steht er höher als in solchen Tagen. Es sind ihrer zu viele, einer hält den anderen, sie wissen, die Zukunft gehört ihnen, trotzig fordern sie die Gegenwart heraus. Aus dieser inneren Gewißheit schöpfen sie den Humor, der sie selbst in dieser mißlichen Lage beneidenswert macht.

Das Verlegerunglück wird gehörig belacht und auf diese Weise der Bitterkeit entkleidet. »Der Diabelli wird dich noch um Verzeihung bitten und froh sein, wenn er die Brosamen aufheben darf, die von deinem Tisch fallen, du Reicher im Genieland!« entschied Spaun. »Hilft aber alles nichts, du mußt vorerst mehr in der Gesellschaft herumgereicht werden, bis der Kerl leckere Zähne kriegt!«

Schober hat wichtige Verbindungen angeknüpft. Er hat den Baron Schönstein, der in seinen adeligen Zirkeln als Liedersänger glänzt, für Schubert zu interessieren gewußt. Der aristokratische Amateur erkannte sofort: hier ist ein Besonderer! Er ist Feuer und Flamme für ihn, rührt die Propagandatrommel und erweckt in seinen exklusiven Kreisen die Aufmerksamkeit für den jungen Künstler. Eines Tages empfängt Franz eine Einladung in das Haus der Fürstin Soundso. »Dein Glück ist gemacht!« erklärten die Freunde. Gemach, gemach, ihr lieben Heißsporne, auch damit hat es seine Wege!

Franz sitzt am Klavier, Schönstein singt. Die aristokratische Gesellschaft ist entzückt, besonders aber die Damen. Sie können sich nicht genug tun mit feurigen Anerkennungen und Glückwünschen. Aber die Begeisterung gilt nur[S. 112] dem Sänger, Schubert sitzt am Klavier, unbeachtet, vergessen, niemand von den Herrschaften würdigt ihn eines Wortes oder auch nur eines Blickes. Die Fürstin, ihrer Hausfrauenpflicht eingedenk, erinnert sich des Meisterleins, wenngleich ein wenig spät. Sie will die Vernachlässigung gutmachen, sie spendet dem Unbeachteten freundliche Worte des Lobes; sie ahnt dunkel, daß etwas nicht ganz in Ordnung ist, und tröstet ihn darüber, daß der Sänger seiner Lieder den Lorbeer allein einheimse, der eigentlich zum größeren Teil ihm gehöre, dem Schöpfer der Lieder. Aber die Menschen, die unter dem starken Eindruck eines guten Vortrages ständen, seien nun einmal so.

Franz lehnt bescheiden ab: »Geben Sie sich diesfalls nur keine Müh', Frau Fürstin, ich bin's ja gewohnt, übersehen zu werden; ja, wenn ich aufrichtig sein soll, so ist mir das sogar recht lieb — wissen Sie — ich fühle mich dadurch weniger geniert ......«

Das war kindlich aufrichtig, sogar rührend — ob es die Fürstin verstanden hat? Sie wußte jedenfalls die Form zu wahren und es am Schlusse so zu wenden, daß die jungen Damen der Gesellschaft dem bescheidenen Meister pflichtschuldigst einige Artigkeiten sagten. Dem war es aber erst recht zuwider.

Und als ihn die Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln, die ihn schon desselben Abends in der lustigen Blunzen erwarteten, bestürmten und vor Neugierde brannten, was er vor dem auserwählten Damenkreis für eine Wirkung erzielt habe, da sagte er unwirsch: »Ach, diese Frauenzimmer sind mir zuwider mit ihren Artigkeiten; sie verstehen[S. 113] von der Musik nichts, und was sie mir da sagen, geht ihnen nicht vom Herzen ...«

Der Versuch schien also fehlgeschlagen. Doch Schober hatte schon wieder einen neuen Ausweg gefunden. »Morgen abend seid ihr bei mir eingeladen, und was meinst du, Franz, wer kommt? Kein Geringerer als der Hofopernsänger Vogl, der große Vogl, Philosoph und gewaltiger Sänger — nun, so freu' dich doch, du hast doch nichts sehnlicher gewünscht, als den großen Vogl kennen zu lernen. Ja, weißt du überhaupt, was das heißt, wenn der deine Lieder öffentlich singt? Das heißt soviel, als daß du dann ein gemachter Mann bist .....«

Aber dem Franz ist es heute einerlei, er hat schon so viele Enttäuschungen erlebt; immer, wenn es hieß, dann bist du ein gemachter Mann, war es in der Regel für die Katz'. So mit Goethe, mit Salieri, mit Diabelli, mit Schönstein, mit all den bürgerlichen Kreisen, in denen er verkehrte, und die ihn wie einen Wunderknaben anstaunten, da und dort auch verhätschelten, oder wie ihren lieben Wurstel behandelten, besonders die Frauenzimmer — ein gemachter Mann war er darum noch lange nicht, obzwar es bei jeder neuen Bekanntschaft so oft hieß: wenn sich der oder der für dich interessiert, dann bist du ein gemachter Mann! Das Gegenteil war der Fall. Schulden hatte er auf dem Buckel und wußte sich nicht zu retten vor Sorgen. Jede neue Erfahrung zugleich auch eine Enttäuschung. Kein Wunder also, daß er in einem Augenblick des Mißmuts nicht viel hielt von der oft gewünschten Bekanntschaft mit Vogl, und daß es ihm für diesen Augenblick wenigstens Wurst war.

[S. 114]

»Da hört sich aber doch alles auf,« legte jetzt Schober los, »meinst du, daß es so leicht war, den Vogl soweit zu bringen? Nun kann ich dir ja reinen Wein einschenken — fürs erste wollte er überhaupt von dir nichts wissen! Verstehst du? Nichts wissen wollte er von dir!« Und nun erzählte er weitläufig, was es für Schwierigkeiten gekostet habe, den ablehnenden Sänger umzustimmen.

Ja, warum wollte er denn nichts wissen von unserem Franz? So eine Gemeinheit!

Na, na, na — ist deswegen noch keine Gemeinheit! Es gibt eine Masse junger Genies, die entdeckt werden wollen, in der Regel stellt sich doch immer wieder heraus, daß es nicht weit her ist damit. Ist es da zu verwundern, wenn ein berühmter Sänger, der auf diese Weise schon hundertmal getäuscht worden ist, es sich zum hunderteintenmal gehörig überlegt? Und dann sei nicht zu vergessen, daß ein Künstler wie Vogl mit Musik überfüttert werde; was Wunder also, wenn er sich lieber sehnt, von ihr loszukommen, als immer noch neue zu entdecken ..

Die Erzählung Schobers fand allgemeine Mißbilligung, der Hochmut des Sängers wurde mit scharfen Worten getadelt, nur Schubert ergriff jetzt seine Partei: es sei doch ganz natürlich, daß der Mann seine Ruh' haben will, und es wäre viel eher zu verwundern, wenn die Antwort auf Schobers Begehren anders ausgefallen wäre. »So und nicht anders hab' ich's immer erwartet!« erklärte er zum Schluß nicht ohne pessimistischen Anflug eines, der, durch die Erfahrung gewitzigt, seine Sach' auf nichts gestellt hat. So war er wenigstens vor allzu schwerer Enttäuschung geschützt.

[S. 115]

Am anderen Abend auf dem Weg zu Schober klopft ihm aber doch das Herz aus zweifacher Angst: entweder, daß der Gewaltige nicht kommen würde, oder daß er am Ende wirklich erscheinen könnte ... Beides war für den Weltscheuen und doch sehnlich Begehrenden in gleicher Weise beunruhigend.

Die jungen Kerle saßen bei Schober zusammen, sie hatten schon ein bißchen musiziert, da tat sich um die festgesetzte Stunde die Tür auf und herein schritt mit großer Miene der unnahbar tuende Vogl.

»O Gott! Welche Ehre — die Auszeichnung ....« Franz stammelte einige unzusammenhängende Worte, daß er nun die Ehre der Bekanntschaft haben soll und so weiter. Vogl schaut den Kleinen von oben bis unten an, rümpft die Nase und geht, ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen, gravitätisch an ihm vorbei.

Du lieber Himmel! Der Anfang war unselig genug. Franz war jetzt ganz auf den Mund geschlagen, auch den anderen entsank der Mut. Es herrschte auf einige Augenblicke das Gefühl der tödlichsten Verlegenheit.

Nun war Vogl der erste, der eine Entspannung herbeiführte. »Also, was haben Sie denn da?!« Er sagte es, aber es klang nicht sehr aufmunternd.

Dabei nahm er ein Notenblatt zur Hand, das wie eine Leimspindel für den Vogl aufgerichtet war. Er überflog das Lied, summte es mehr, als er es sang, legte es wieder hin und sagte: »Na, ist grad' nicht so übel!« Das klang nicht sonderlich begeistert.

Aber er wurde wärmer und wärmer bei den späteren Liedern, die er anfangs nur mit halber Stimme sang;[S. 116] schließlich sah er sich den jungen Mann schärfer an und wurde freundlicher und freundlicher. Beim Weggehen klopfte er ihm auf die Schulter und sagte: »Es steckt etwas in Ihnen, aber Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan. Sie verschwenden Ihre schönen Gedanken, ohne sie breitzuschlagen!«

Er ging weg, ohne etwas vom Wiederkommen zu sagen, man wußte nicht recht, wie man dran war mit ihm. Also wieder ein fehlgeschlagener Versuch?

Da gab selbst Schober die Hoffnung auf: »Er ist halt schon zu alt und will sich von der Musik und von der Singerei ganz zurückziehen. Das Kloster steckt ihm noch im Leib; wer im Kloster erzogen worden ist, dem bleibt für sein Leben was hängen. Jetzt sitzt er am liebsten wie der heilige Hieronymus in seiner Klause, hat seine Hund' und Kanarienvögel um sich her, die Nase in der Bibel, im Marc Aurel, im Epiktet — er ist eben ein wunderlicher Kauz! Denkt euch, ein dramatischer Sänger, der in den Theaterpausen lateinische und griechische Klassiker liest in der Ursprache — ist euch schon so etwas vorgekommen?«

»Schade,« sagte Schubert, »ich wollt', es gäbe mehr solcher Leute!« Die Idee eines freien Klosters schwebt ihm oft durch den Sinn, eines weltlichen Klosters, wie er und Schwind oft zusammen träumen; Vogl als Prior — man malt sich jetzt die Sache hübsch aus, Schwinds Phantasie tut das ihrige dazu: jeder in brauner Mönchskutte als Klausner, in herrlicher Waldgegend auf schwellenden Moosbänken sitzend, in sinniger Betrachtung versunken, die Pfeife im Mund, einen Bierkrug neben sich, saftiges,[S. 117] schwarzes Brot, einen Bund Radieschen, von Weltsorgen frei, der Kunst, der Schönheit, der Naturbetrachtung lebend — der Gedanke wäre nicht übel. Aber so halb und halb lebt man ohnehin in Brüdergemeinschaft, wenn es auch bei diesen Klausnern in einem weltlichen Ton hergeht.

Ist übrigens ein wunderlicher Kauz, der Vogl. Er hält mit dem Lob gegen Schubert und seine Freunde sehr zurück, aber durch dritte Personen ward erfahren, wie enthusiastisch er die Lieder des jungen Genius vor anderen rühmte.

Und eines Abends erschien er unangemeldet bei diesen Weltbrüdern und kam dann immer wieder, sang Lied auf Lied von Schubert und fand es immer unbegreiflicher, wie solche Tiefe und Reife aus dem jungen kleinen Mann, der auf den ersten Blick so unbedeutend schien, hervorkommen konnte. Der alte Junggesell, der schon daran dachte, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, hat neue Kunstbegeisterung aus Schuberts Liedern geschöpft — Franz hatte nun wirklich einen neuen Freund und Fürsprecher, dessen Stimme gehört werden mußte.

Aber auch die Beziehungen mit Baron Schönstein erwiesen sich jetzt von einigem Wert — kurz und gut, Franz erhielt den Antrag, die gräflich Esterhazysche Familie zum Sommeraufenthalt auf das Gut Zelez in Ungarn zu begleiten und während dieser Zeit den Musikunterricht der beiden Komtessen zu leiten.

Es war, als ob eine unsichtbare rettende Hand eingegriffen hätte, um den Schmachtenden von dem unerträglichen Druck der niederen kleinen Alltagssorgen, die am schwersten[S. 118] drücken, zu befreien. Ein Sommer auf dem Land, die Ferne, eine neue Welt und noch dazu sorgenfrei — das war die ersehnte Freiheit! Auch Schober ging für eine Zeit weg, Goethes Wilhelm Meister ließ ihm keine Ruh', er wollte es einmal in diesem Stil versuchen, halb Schauspieler, halb Dichter, halb Mäzen, dilettierender Künstler auf allen Gebieten, der seine vielseitigen Gaben im Strome des Lebens versuchen will.

Spaun, Mayrhofer bereiteten sich auf längeren Urlaub vor, Schwind geht auf eine Studienwanderung, der große Kreis von Familien, in denen man verkehrte, geht im Sommer »aufs Land«. Die Fenster in den heißen Gassen schließen sich, sie senken gleichsam die Lider, Wien versinkt in seinen Dornröschenschlaf. Nur wer kein Geld hat und wirklich nicht anders kann, bleibt da.

Die Vorsehung hat diesmal für Franz ein gnädiges Erbarmen gehabt. Auf nach Ungarn! Auf Wiedersehen im Herbst! Adieu, lieber Spaun! Adieu, lieber Schober! Adieu, lieber Schwind! Bruderherz! Grüßt mir den Vogl! Behüt' Gott alle miteinander! Behüt', behüt', behüt'!

Behüt' dich Gott, liebes Wien!


[S. 119]

IV.

Vierzig schnatternde Gänse reißen den guten Franz aus dem Morgentraum. Vierzig ungarische Gänse, die zu gleicher Zeit zu schnattern anfangen, als müßten sie das Kapitol retten — dagegen kann der bleiernste Schlaf nicht bestehen. Franz fährt wirr in die Höhe. Er ist noch gar nicht bei sich.

»Was ist denn los!« Er reibt sich die Augen, schaut um sich — da hängt ein farbig gestickter Klingelzug, in einer halbrunden Nische steht ein zylindrischer glasierter Kachelofen, dort ein Waschtisch, in der Mitte ein einfaches Tischchen mit weißem Tintenzeug aus Steingut, zwei Stühle mit geblumten Polstersitzen, ein geblumtes Fauteuil, ein altes Klavier, durch das kleine Fenster schaut grünes Gezweig herein, silbergrau flimmert es durch das Blattwerk: die Morgendämmerung.

Eine neue, ungewohnte Umgebung. »Wo bin ich?« Franz hat Mühe, seine Gedanken zusammenzuholen. Das ohrenzerreißende Schnattern draußen — reden ungarisch, die Gänse — jetzt hat er sich zusammengeklaubt und zurechtgefunden.

»So also sieht das Zimmerchen aus, das für die Dauer des Sommeraufenthaltes auf Schloß Zelez mir gehört![S. 120] Nicht übel! Das Fenster, das Grün davor, der Ofen, die blumigen Stühle — es hat Stimmung!«

Der Klingelzug — mit heiliger Scheu betrachtet er ihn. Ein breites Band mit bunter Kreuzsticharbeit bedeckt, wahrhaftig eine Zier der kleinen Stube. Er braucht im Bette nur die Hand auszustrecken, ein Riß, und es müssen schon die Diener des Schlosses herbeifliegen, nach den Wünschen des Gastes zu fragen. Es zuckt in seinen Fingern — aber möge ihn der Himmel bewahren, wirklich zu ziehen! Gestern abend bei der Ankunft hat ihm der Herr Kammerdiener gesagt, es sei nicht üblich, die Klingel zu ziehen. »Es wird ohnehin gesorgt werden, daß es zur rechten Zeit da ist, was dem Herrn Professor zukommt. Also, angenehme Nachtruhe, Herr Professor!« Sagt es und zieht sich mit würdevoller Miene zurück.

Der gräfliche Herr Kammerdiener muß wissen, was Sitte ist. Seine Gnaden, der Herr Kammerdiener wünschen auch nicht übermäßig gestört zu werden, ist aber sonst ein umgänglicher Mann, wohlwollend, herablassend, ganz nach Herrenart. Er geizt mit Titeln nicht, er ist den »Professor« gewissermaßen sich selber schuldig; mit geringeren Leuten würde er sich gar nicht abgeben. Franz hätte aus Bescheidenheit ohnehin nie den Klingelzug angerührt, aber jetzt malt ihm seine erregte Phantasie die beschämenden Folgen aus, wenn er sich wirklich vergessen würde. Nein, nein, lieber sollte ihn doch gleich die Erde verschlingen.

Mit einem Satz ist er aus dem Bett heraus, zum Fenster hin. Die wundervolle Morgenluft, die da hereinströmt! Köstlich, das erste Erwachen auf dem Lande! Diese[S. 121] Würze — die Erde hat hier einen anderen Geruch als daheim. Ein fremdes Land. Man ist gespannt auf die Entdeckungen, die bevorstehen. Gestern abend, diese Müdigkeit, man hat gar nicht Zeit und Sinn gehabt, sich umzusehen. Man war ja wie zerschlagen nach der langen Fahrt im Postwagen. Aber schön war es, seltsam schön.

Jetzt kehren die Bilder zurück, die man unterwegs erschaut hat. Auf dieser Fahrt durch die Ebene, die weit geöffnet dalag wie die Hand Gottes, eine riesige Blumen- und Fruchtschale. Unaufhaltsam ging's weiter durch endlose alte Alleen, staubweiße Straßen, vorbei an kühlen, dunklen Kirchen, geduckten Dörfern, hellen Schlössern, immer weiter, weiter gegen Osten. Fliegende Wolkenschatten huschten gleich wandernden Gedanken über das klare Antlitz der Ebene, sie atmete sichtbar und erregt, wenn sich der Wind in die hohen Pappeln legte, und war still und traurig, wenn sich der Himmel trübte, und war ein Lächeln über und über, wenn die Sonne aus den Wolken trat. Die Felder standen fruchtschwer, und die Weiber mit den roten Kopftücheln sahen aus wie Mohnblüten im gelben Stroh. Ein schönes Stück Welt hat man im Flug gesehen, aber das Beste sollte erst kommen, denn hier im Schlosse begann ein neues ungewohntes Leben für Franz.

Dort im Grünen watschelten die weißen Gänse und riefen den heraufziehenden Morgen an. In niedrigen Zeilen gingen die Wirtschaftsgebäude hin bis hinunter zum Ententeich, der, von hier gesehen, wie ein kleiner Handspiegel draußen lag. Uralte Bäume schoben ihre mächtigen Häupter über die hochgezogenen Dächer der[S. 122] Wirtschaftsanlagen empor. Der Park von Zelez! Die Lage war schön, das hat man gestern bei der Ankunft schon gemerkt. Freilich, hier, im Hintertrakt des Schlosses, wo sich das Zimmerchen für den Herrn Musikus befand, war noch nicht viel zu sehen.

Mit dem Schlaf war es jetzt vorbei. Schnell in die Kleider geschlüpft, leise, um niemanden zu stören, und hinaus in die Morgenfrische! Aber draußen war es inzwischen auch schon lebendig geworden. Um vier Uhr früh regt sich schon das Leben auf dem Gutshof. Es ist nicht so wie in der Stadt, wo man sich um acht Uhr morgens den Schlaf aus den Augen reibt.

Da guckt ein hübscher Kopf zur Tür herein. Das Stubenmädchen. »Guten Morgen, Herr Musikdirektor!« Sie hat ihn gestern abend so freundlich angelacht und erkundigt sich nun, ob er gut geschlafen oder ob er schon das Frühstück wünsche, und nach hundert anderen Kleinigkeiten. Wahrhaftig, eine gute, mitfühlende Seele! Man hat Freunde gewonnen auf den ersten Blick, die Gefühle erwachen unter dem Anhauch der Weiblichkeit, man fühlt sich schon wie zu Hause.

Und jetzt durch den Park in einem weiten Bogen um das Herrenhaus, man möchte das Schloßantlitz sehen. Da, über dem tauglitzernden, weiten, grünen Rasen steht es und leuchtet weiß. Ein behäbiger, breiter Mittelbau mit dreieckigem Giebel und französischem Dache, den breiten Flur von dickgepolstertem Efeu flankiert, links und rechts breite Gebäudeflügel mit hohen Dächern, grünen Fensterläden, ländlich, behäbig und zugleich so vornehm!

Franz tritt nicht heraus aus dem Buschwerk, er möchte[S. 123] nicht gesehen werden, er ist so schüchtern. Auf dem Rückweg begegnet er einem jungen Mann im Walde mit einem Buch. Der Sohn des Inspektors. Ein junger Philosoph, der die Ferien daheim zubringt. Sie grüßen sich schweigend. In der Nähe des Gutshofes begegnet ihm der Inspektor selbst. »Guten Morgen, Herr Kapellmeister!« ruft er schon von weitem, bleibt stehen und beginnt ein Gespräch über Musik. Er rühmt sich seiner eigenen Musiktalente. O weh: ist schon gefehlt! Aber man muß gute Miene machen, es sind die Leute, auf die man angewiesen ist.

Im Wirtschaftsflügel erscheint die Frau Inspektor am Fenster. Sie will als Gnädige behandelt sein und gibt sich mit einer gezierten Vornehmheit, als ob sie die Gräfin selber wäre. Sie nickt und setzt mit deutlicher Unterscheidung hinzu: »Morgen, Herr Musiklehrer!«

Man hat so ziemlich schon das ganze Grafengesinde am Morgen begrüßt, den jungen Doktor, der mit seinen vierundzwanzig Jahren kränklich tut wie eine alte Dame, den Rentmeister, der herumsteigt wie ein großer, dicker, roter Puterhahn, den Koch, der sehr fidel tut, die Kammerjungfer, die alte Kinderfrau, den etwas unwirschen Beschließer, die beiden Stallmeister. Das sind die Leute, zu denen man jetzt gehörte. Soviel Menschen, so viele Titel haben sie dem armen Schubert an den Kopf geworfen, daß er wirklich nicht mehr weiß, was eigentlich für eine Rolle am Gutshof er zu spielen bestimmt ist.

Auf dem Zimmer steht bereits das Frühstück: Kaffee, ein Ei, etwas Butter und zwei Brötchen. Sehr splendid![S. 124] Franz hat das dankbare Gefühl, im Schlaraffenland zu sein. Endlich einmal nicht denken zu müssen: wovon werde ich heute leben, wo werde ich das Nötige morgen hernehmen und übermorgen? Wird es reichen für den heutigen Tag? Was kann ich mir vom Mund absparen, um das Dasein zu fristen, so lange, bis das kärgliche Stundengeld wieder bezahlt wird? Das ist jetzt alles von ihm genommen. Er weiß gar nicht, wie ihm geschieht — so frei, so leicht, so unbeschwert von Sorgen, arbeiten können, ohne den fürchterlichen Druck der Lebensnot zu spüren! Von nichts gehemmt kann der Born der Erfindung springen, mächtiger und reichlicher als zuvor!

Die Frühstunden bis elf Uhr vormittags gehören ihm und seiner Arbeit. Um elf Uhr erwarten ihn die beiden Komtessen Marie und Karoline im Musikzimmer. Das ist ein großer, hübscher Gesellschaftsraum an der Vorderseite des Schlosses mit dem Blick auf den Rasenteppich; ein schmales, langes Klavier steht in der Ecke und verstellt eine weiße Glastür, die oben in einem halbkreisförmigen Bogen endet, ganz empiremäßig, und mit weißen Linnenvorhängen bespannt ist. In der Fensternische steht eine blumige Polstergarnitur mit Sofa, hohen Fauteuils und einem Tisch in der Mitte, der auf einem Bein mit breitem Sockel steht. Auf der anderen Seite des langen Saales steht ein Schreibtisch beim Fenster, und in der Ecke ein langer, niederer Lesetisch mit vielen bequemen Stühlen herum. Familienbilder hängen an den Wänden in Türhöhe, darunter eine Unzahl Miniaturen, in kleinen Schränkchen an den Pfeilern und in der Ecke befindet sich edles Porzellan. Der glattgewichste Parkettboden blinkt[S. 125] spiegelhell. Freundlich, behaglich und vornehm ist es in dem Raum.

Die beiden Komtessen behandeln ihn wie einen Bruder. Sie sind aufmerksam und liebevoll mit ihm, gar nicht scheu; besonders Karoline geht so liebreich mit ihm um, daß er selbst alle Sprödigkeit verliert und sich alsbald natürlich gibt wie unter seinesgleichen. Auch sie nennen ihn zuerst »Herr Professor«. Seine Verzweiflung darüber gibt ihnen zu lachen, das Eis ist damit gebrochen gewesen, aus dem »Professor« wird wieder der Herr Schubert, er avanciert zum »lieben Herrn Schubert«, der »Herr« fällt als überflüssige Förmlichkeit fort; auf der Stufenleiter zum Komtessenherzen rückt er vor zum »Franzi«, manchmal zum »lieben Franzi«, dies aber nur unter Ausschluß fremder Zuhörer.

Auch die Frau Gräfin ist freundlich, gutmütig, eigentlich nicht herzlich, nicht warm, aber wohltemperiert. Immer gleichmäßig, gleichmäßig lauwarm mit unverändert zur Schau getragener wohlwollender Miene. Sie gibt sich so einfach, so leutselig, dabei so leise und zurückhaltend, daß die Leute sagen: die Gräfin ist ein Engel! Sie tut, als ob sie von Standesunterschieden nichts wüßte, aber hinter ihrer klugbedachten Art liegt die ganze unaufgedeckte Kluft, durch die sie sich von gewöhnlichen Sterblichen fernhält. Ihr Stolz trägt die Maske herzgewinnender Bescheidenheit, aber es ist nicht Herz in ihrem Gehaben, sondern nur die unerhörte Zucht des aristokratischen Selbstgefühls.

Franz fühlt es, wieweit alles Menschliche bei ihr vom Standesbewußtsein bestimmt und abgezirkelt ist; ihre[S. 126] Freundlichkeit hat anfangs etwas Bedrückendes, Demütigendes für ihn, aber man gewöhnt sich daran. Sie liebt die Musik, es ist die einzige Brücke zwischen ihm und der Gräfin — aber sie erkennt in ihm nicht den Genius, der Königen im Range gleichkommt; er bleibt in ihren Augen nur der bessere Diener, der das Klavier bedient, den Unterricht erteilt und nebenher sich in Komposition versucht.

Es liegt ein schmerzlicher Stachel in dieser Erkenntnis, aber die Milde der Gräfin schafft eine solche Linderung um die stille Demütigung, daß die Auflehnung ganz hilflos wird. So großartig versteht sie die Welt in Schranken zu halten und eine Art luftleere Sphäre um sich herum zu schaffen, daß nichts Lebendiges an sie heran kann. Diese aufreizende, ewig gleichgestimmte Freundlichkeit! Franz, der angefangen hatte, sich darüber zu ärgern, muß schließlich damit enden, indem er sie ob dieser Kunst bewundert.

Die zwei Musikstunden am Vormittag vergehen im Flug. Die beiden Komtessen sind ja so gute Kinder! Um halb zwei Uhr wird zu Mittag gegessen. Franz speist mit der Herrschaft. Das ist das einzig Unangenehme in dem Schlaraffenland. Man fühlt sich so geniert. Und gar der Herr Graf! Wenn der kommt, dann sinkt alle Unbefangenheit auf den Gefrierpunkt herab. Wenn Franz vor einem Menschen ein Bangen hat, so ist es dieser robuste Mann mit dem geröteten Gesicht, den herrisch dreinblickenden Augen und dem brutal rücksichtslosen Ausdruck seines Gesichts.

Der Graf küßt der Gräfin die Hand, spricht im Kreis der[S. 127] Familie nie anders als mit gedämpfter Stimme, ist dem armen Franz gegenüber von einer Zurückhaltung, die so eisig ist, daß die wohlgemessene Freundlichkeit der Gräfin dagegen wie ein heißer Quell von Herzlichkeit wirkt. Kaum, daß der Graf fünf Worte je mit ihm gesprochen hat. Während er sich mit leiser Stimme nach den Fortschritten seiner unbekümmert plaudernden Töchter erkundigt, denkt der stillsitzende Franz an die furchtbare Donnergewalt und an die Flut von Schimpfreden, die er am Morgen vom Stallgebäude her aus dem Munde des Grafen gehört hat. Dem seiner Zartheit ist nicht zu trauen!

Das Mittagessen ist so einfach wie möglich. Suppe, Fleisch, Gemüse, etwas Mehlspeise, Obst. Am Freitag gibt es Fisch. Zweimal die Woche entfällt das Fleisch; ab und zu gibt es Entenbraten. Wiener Bürgersleute leben weitaus üppiger, eine Kost wie diese haben auch die gewöhnlichsten Leute der Stadt. Freilich die Zubereitung ist über alle Begriffe gut. Aber dem guten Franz mundet's trotzdem nicht. Das Ungewohnte der Lage — diese verflixte Schüchternheit!

Zu Abend speist Franz ebenfalls mit den Herrschaften. Ein Ei, Butterbrot, ein Glas Milch, später etwas Kompott. Herrgott, ist das eine Sparsamkeit! denkt sich Franz. Grenzt schier an Geiz! Ist aber nicht so. Ist bloß raffinierte Zucht, die solche Prachtexemplare aristokratischer Menschen erzeugt. Die Komtessen Marie und Karoline, was sind das für herrlich blühende Mädchengestalten. Und einfach, einfach — man sollte es nicht glauben! Ein schlichtes, weißes Kleidchen — eine bürgerliche Mutter[S. 128] würde sich ein Gewissen daraus machen, die Tochter so schlicht zu halten. Die Leute würden denken, man habe nichts anzuziehen, also wird die Tochter wie ein Palmesel herausgeputzt. Aber die adeligen Fräuleins können sich den Luxus der allergrößten Enthaltsamkeit und Einfachheit erlauben. Es ist wirklich das Allerkomplizierteste, diese Einfachheit!

Franz wundert sich, keinen Tropfen Wein oder Bier, weder zu Mittag noch zu Abend. Woher nur der Herr Graf sein rotes Gesicht hat?! Der Kammerdiener erklärt es: »No, ganz einfach; fahrt Graf mit Viererzug nach Eisenstadt die Woche drei-, viermal, da fließt Sekt in Strömen — aber zu Hause, nicht einen Tropfen!«

Aber das Gesinde hat eine andere Lebensführung. Da gibt's Bier und Wein zu Abend, mächtigen Schweinsbraten, mittags Geflügel, ja, da lebt man hochherrschaftlich! Der Herr Rentmeister läßt sich nichts abgehen, der Herr Inspektor hält nicht weniger auf guten Tisch, jeder trachtet, daß er nicht zu kurz kommt bei den Genüssen dieser Erde. Nur wenn in der gräflichen Familie Gesellschaft ist, darf Franz auf seinem Zimmer oder im Inspektorflügel essen. Er gehört zur Familie, wenn sonst niemand da ist, im übrigen wird er dem Grafengesinde zugezählt. Hier kann man wieder ganz Mensch sein! Es tut so gut, aus den dünnen Höhen einmal wieder herabzusteigen und festen Fußes auf der Erde zu wandern. Ein Glas Bier zu trinken, einen Becher Wein — der Herr Kammerdiener hat immer einen guten Tropfen auf der Seite und fragt des öfteren, ob er nicht vielleicht ein[S. 129] Glas voll abends aufs Zimmer stellen darf, nach dem frugalen herrschaftlichen Souper.

Die vertrauliche Frage läßt tief blicken, aber die Heimlichtuerei ist dem guten Franz zuwider; er lehnt es ab, obgleich die Zunge danach lechzt — er lebt jetzt als richtiger Puritaner. Nur bei dem Essen im Inspektorflügel, da legt er sich keinen Zwang auf, es geschieht offen und vor aller Augen — du lieber Gott! weswegen hast du denn einen so guten Tropfen wachsen lassen, wenn ihn der Mensch verschmähen soll?! Nur keinen Spott über diese Himmelsgaben — alles, was gut ist und das Herz erfreut, soll der Mensch genießen dürfen, das ist sein Standpunkt. Die übertriebene Frugalität in Ehren, ist aber nicht jedermanns Sache, und der Künstler ist am wenigsten Kostverächter.

Es kommen abends öfters Zigeuner vorbei und spielen beim Inspektorflügel auf, ganz unten, wo die Linde steht, in der Nähe vom Ententeich. Ist das eine Musik, die sich glühendheiß in die Adern ergießt und das entschlafene Feuer weckt! Schwer und sehnsüchtig wird einem dabei. Die braunen Pußtasöhne stehen unter dem Baum und geigen, wie es ihnen der liebe Gott diktiert. Auch die haben's von niemandem sonst gelernt, aber es klingt anders, ganz anders, als es Schubert weiß. Schwermütig, wild aufjauchzend, fortreißend in wilder Leidenschaft, besinnungslos und wieder hinklagend wie der unendliche Sehnsuchtshauch der Pußta. Wild ergreift es die Menschen, die Knechte in weißen, weiten, gefransten Hosen, die bis unters Knie über die Röhrenstiefel hängen, eine enge, kurze Jacke an, ein rundes Hütlein[S. 130] am Kopf, reißen die Mägde an sich, und nun wirbeln sie hin in Raserei.

Eine neue Welt geht vor den Sinnen des jungen Künstlers auf, der fremde Quell von Tönen, der ihm da entgegensprudelt, ist nicht verloren, er weckt einen verwandten Ton in seiner Brust, irgendwie tritt der neue Zufluß in seinem eigenen Melodienstrom verwandelt zutage.

Rosa, das Stubenmädchen, wird elegisch bei der Zigeunermusik. Sie ist nicht mehr ganz jung, hat mancherlei Erfahrung, aber das Herz — das Herz ist noch töricht.

Und dieses Herz hat sie auf der Zunge; sie begleitet ihre Geständnisse mit einem frommen Augenaufschlag: »Ich kann halt nicht nein sagen — die Männer sind so schlimm —« Ob er ein Liebchen in der Stadt gelassen hat, fragt sie Franz, weil er immer so ernst und traurig sei. Sie will ihn trösten.

Warum!

O, sie weiß, was das heißt, wenn man ein Liebchen verloren hat. Da geht man herum wie ein halb Gestorbener. Ihr ist es auch einmal so gegangen. Sie hat geglaubt, sie könnte es nicht überleben. Und hat es doch überlebt. Aber wie — fragt nur nicht wie!

Sie lehnt sich an Franz' Schulter und fährt mit dem Zipfel ihrer Schürze an die Augen.

»So gelockte Haare hat er gehabt wie der Herr Kapellmeister! Drum waren Sie mir gleich so sympathisch — ich habe es Ihnen angesehen. Sie haben ein Herz im Leib — o, auf den ersten Blick habe ich gewußt, wieviel es geschlagen hat!«

Aber Franz schweigt. Er kann Rührseligkeiten nicht[S. 131] leiden, und dann ist dort der Herr Beschließer, der macht schon ganz fürchterliche Augen, er ist eifersüchtig auf den Musikus.

Franz wird sozusagen auf Händen getragen, auf Frauenhänden, das läßt man sich gern gefallen. Warum sollte er unfreundlich sein gegen Rosa. Sie ist hübsch, und Sympathie verpflichtet. Sie leistet ihm gar zu gern Gesellschaft und vertraut ihm ihre Geheimnisse an, wenn sie den Kaffee bringt, und dabei verplauscht sie sich gern ein bißchen. Aber da schleicht schon der argwöhnische Höllenhund von einem Beschließer vor der Tür herum und guckt durchs Schlüsselloch, ob er nicht etwas bemerken könnte, um Skandal zu schlagen. Teufel auch, soll umherschleichen, der schlechte Kerl — soll man etwa nicht ein Wort reden dürfen miteinander?

Aber Franz ist nicht nur von dem weiblichen Gesinde auf Händen getragen, er wird auch von gräflichen Händen auf Rosen gebettet. Die beiden Komtessen haben ihn ins Herz geschlossen. Am meisten Karoline. Die kalte Freundlichkeit der Gräfin, der rohe Hochmut des Grafen — es wird reichlich wett gemacht durch die natürliche, unschuldige, echt menschliche Zuneigung der beiden Komtessen. Wie Kameraden wandern sie mit ihm nachmittags in den Park hinaus, streichen zwischen den Feldern umher, zwischen den Weingärten; zur linken Seite und zur rechten Seite hat sich ein Komteßlein eingehängt, und beide wetteifern im Schöntun. Er muß Fangen mit ihnen spielen, in ihren dünnen, weißen Kleidern jagen sie behend neben ihm her wie die Jagdgöttinnen aus den nachgedunkelten Dianabildern im gräflichen Hausflur.

[S. 132]

Mit seinen kurzen, stämmigen Beinchen rennt er nach, bis ihm der Atem zu kurz wird, er kann die Jungfrauen nicht einholen, die leichtfüßig und schlank wie junge Rehe vor ihm einherspringen. Aber sie machen's ihm leicht, die lassen sich gutwillig fangen, und dann muß er hinknien, sie winden ihm ein Blumensträußlein, er muß sich's aufs Haupt setzen lassen, Karoline streichelt mit zarten, gräflichen Fingern über seinen Scheitel, und beide werden nicht müde, seine wirren Locken zu bewundern.

Es wird ihm ganz heiß und eng, ein so reiner, seliger Hauch von Liebe geht von den beiden Mädchen auf ihn über, er fühlt wie ein arkadischer Schäfer und möchte die beiden Schäferinnen an sein Herz ziehen — aber er bittet die jungen Damen, daß man jetzt heimgehen soll, die Mama könnte sonst schimpfen!

Da lachen ihn beide aus, fassen ihn bei den Haaren und bei den Ohren und knuffen ihn zärtlich ab, und wenn ihm das Herz fast vergeht vor Wonne und Weh, er muß fein schweigen und tun, als ob er so wenig spürt wie etwa der Pudel, der sich ähnliche Liebkosungen ruhigen Gemütes gefallen läßt.

Nur in Noten, in Melodien darf das Geständnis seiner Liebe ausströmen. In Tönen darf er träumen »von Lieb' um Liebe, von einer schönen Maid, von Herzen und von Küssen, von Wonne und Seligkeit ...« Wenn er in seinem Zimmer sitzt, dann wird das Herz noch einmal so wach. Bei den Blättern, die er mit krausen Zeichen, Punkten und Strichen bedeckt, denkt er dem Traume nach, das Herz schlägt geschwind — er sitzt hier allein, aber wenn er die Augen schließt, drängt es sich liebend an[S. 133] ihn — jetzt ist der einsam Schaffende nicht mehr allein. Die Augen schließt er wieder, das Herz schlägt stürmisch und heiß, am Fenster grünen die Blätter, wann — »wann halt' ich mein Liebchen im Arm ...?!« So jubelt ein herzvoll sehnsüchtiger Sang in seiner Brust und hat alsbald Gestalt als Lied, um ewig fortzuklingen in der Welt von Seele zu Seele.

Tra—ra! Tra—ra! Ein Horn schmettert draußen, er schmeißt den Federkiel hin und springt ans Fenster — die Post fährt vorbei. Was hat es nur, das Herz, daß es so hoch aufspringt?

Die Post kommt von der Straße her, die weit, weit zurückläuft — die Post kommt von der Stadt, wo man so glücklich war im Leiden, ja, so glücklich war! Was machen sie alle? Die lieben Freunde, was macht der Herr Vater, die Frau Mutter, was machen die Brüder? In dieser Einsamkeit, in der man lebt, sind einem die Fernen näher als sonst.

Rosa huscht ins Zimmer herein, lautlos wie ein Kätzchen. Und hat sich schon an Franz geschmiegt beim Fenster. »Ein Brief vom Liebchen da?« Sie möchte gar zu gern etwas Näheres über den Herzensbefund des verschlossenen Franz wissen. Ob er nicht doch ein Liebchen hat, daß er so gar nicht verstehen will, wenn sie ihm ihr eigenes Herz schon auf dem Präsentierteller entgegenbringt. Ach, die Rosa ist feurig, sie weiß ihn gehörig in die Enge zu treiben beim dicht umblätterten Fenster, wo der Herr Beschließer durchs Schlüsselloch nicht hinblicken kann. Aber Franz weiß sich immer noch aus der Schlinge zu ziehen, obzwar es ihm manchmal selber schwer genug[S. 134] ankommt. Wenn er sich einmal vergäße, denkt er, dann ist kein Halten mehr! Und wie leicht ist es geschehen.

»Halt, Fräulein Rosa, ich glaube, der Beschließer ..!« das war bisher immer noch von der Wirkung eines kalten Wasserstrahls, um Rosas glühendes Verlangen in geziemenden Schranken zu halten. Aber wer weiß, was jetzt geschehen wäre, wenn nicht der Herr Schwager draußen sein gelbes Gefährt angehalten und Briefe an den Herrn Kompositeur Franz Schubert abgegeben hätte.

Rosa läßt sich alles haarklein berichten, wer geschrieben hat und was in den Briefen steht, sie kann es nicht glauben, daß einer so streng gegen sich und schier ohne Liebesbegehren sein mag, wenn er nicht doch am Ende irgendwo ein Liebchen versteckt hätte. Aber es sind wirklich nur Briefe von den Anverwandten. Der Herr Vater schreibt sogar eigenhändig, es freue ihn, daß es dem Sohn gut gehe und daß er bei so hohen Herrschaften Anerkennung und Stellung gefunden habe — es scheint, daß er sich mit dem Sohn in seinem Herzen ausgesöhnt hat, nachdem dieser doch etwas wie ein Amt bekleidet.

Also, ein ganz verlorener Musikant, das ist der Franz nun doch nicht mehr. Der Bruder Ferdinand berichtet, daß die Frau Mutter den gewünschten Nachtrab von Schnupftüchern, Halstüchern und Strümpfen schickt und daß die bestellten kasimirnen Beinkleider unterwegs seien; sie denke in mütterlicher Sorgfalt an Franz .... Die Briefe klingen alle etwas steif und hölzern, es ist keine rechte Erlösung darin. Wo bleiben die Freunde, daß sie kein Wort schreiben?

[S. 135]

»Die Post bringt keinen Brief für dich, mein Herz, mein Herz, was drängst du denn so wunderlich, mein Herz, mein Herz!«

Die arme Rosa kennt sich gar nicht mehr aus mit dem wunderlichen Musikanten, der ihr dieses eigen komponierte Liedchen von der Post vorträllert; sie hat schon ganz den Kopf verloren, wie wird das noch enden, wie?

»Sie schlimmer Herr Franz!«

Der Sommer vergeht, der Herbst kommt, und immer dieses Leben, dieses wohlgemessene, äußerlich glückvolle, sorgenfreie, innerlich drangvoll begehrende und immer wieder spröd sich versagende! Hundertmal fährt der Postillon vorüber, immer wandern die Gedanken mit, man möchte aufschreien: halt, Schwager, halt, nimm mich mit! Zurück in die Stadt! Zurück in die sehnsüchtig begehrte Wienerstadt, die alles einschließt, was das Leben an Glückseligkeit gewähren kann. O Wien, Wien, Wien!

»Willst wohl einmal herübersehen und fragen, wie es dort mag gehen, mein Herz — mein Herz?!«

Ja, ja, so fragt das Herz, das allzu unruhige, stürmende, pochende! Die Herbstabende sind lau und gnadenvoll, die Bäume im Park prangen in den Farben der Dukaten, alten Münzen, Medaillen, grün und gold — es ist eine Jahreszeit zum träumerischen Sinnen.

Nach dem Abendessen an der gräflichen Tafel wird noch ein kleiner Spaziergang gemacht. Zigeuner treten auf den grünen Plan und bringen der Herrschaft ein Ständchen. Ein schäumender Trank, diese Musik, die das Blut rebellisch macht und den Zwang doppelt unerträglich!

[S. 136]

Komtesse Karoline hatte sich mit Franz unter den dunklen Bäumen des Parks verloren. Er redet etwas von den Empfindungen, die diese Musik auslöst.

»Diese braunen Kerle, sie leben das richtige Künstlerdasein. Das Leben verraucht, verträumt, vergeigt, so ist es auf göttergleiche Art genossen. Und dann kommen sie und spielen einem die Seligkeiten ihres genossenen Glückes vor, daß einem die Brust zerspringen möchte ..«

Er hatte nicht vollendet, da fühlte er sich plötzlich umfaßt, zwei weiße, weiche Arme warfen sich um seinen Hals, ein schlanker, dufthauchender, gertenhaft biegsamer Körper zog ihn an sich, ein frischer Mund suchte seine Lippen und bedeckte sein Gesicht mit Küssen.

»Franz, lieber Franz, ich hab' dich ja so lieb ....«

Er wußte jetzt wirklich nicht, wie ihm geschah. Das schöne, adelige Fräulein — die Liebe hatte ihn jetzt umfangen, diese Seligkeit, die still Angebetete in seinen Armen zu halten, und zugleich die Qual, nein, die Scham, sie spröd von sich weisen zu müssen. Er machte ihre Hände los, die sich um seinen Nacken fest ineinander gekrampft hatten.

»Komtesse Karoline — ich bitte — bedenken Sie doch — ich bin nur ein ganz elender bürgerlicher Erdenwurm, der nicht die Augen so hoch zu erheben sich vermessen darf — meine unbegrenzte Verehrung — aber wir müssen doch vernünftig sein — der Herr Papa — und die Frau Mama ....«

Ja, es war zum Heulen. Und wenn er zugrunde gehen hätte müssen — das Vertrauen mißbrauchen, nein! Der mit allem Schein der Freundlichkeit und Milde verhüllte[S. 137] Abstand, den die Gräfin aufrechtzuerhalten wußte, das wirkte auf ihn mit einer stärkeren Zucht, als es der brutale Hochmut des Grafen oder die Furcht vor dessen Zorn sein konnte; der Graf würde vor nichts zurückschrecken, auch nicht vor einem Totschlag — aber das war nicht der Grund, weswegen Franz sich eine so übermenschliche Herrschaft auferlegen konnte; es war der innere Takt, der bei aller Liebe zu dem Mädchen sich als Hüter ihrer Ehre fühlte und nur zu gut wußte, daß der Abstand zweier Welten zwischen ihm und ihr lag — sie mußte am jenseitigen Ufer bleiben.

Manches liebe Wort ward unter den Bäumen noch gesprochen, es gab Tränen und eine letzte Süßigkeit, die im freiwilligen Entsagen liegt — der Kies knirscht, wie sie mit elastischen Schritten wegeilt, zum Schloß hin, rein und weiß schwebt sie durch das späte Dämmerlicht.

Die Zigeuner spielen jetzt fern, an der Linde beim Ententeich; Franz ist allein in der Einsamkeit seines Zimmers; draußen ist helles frohes Leben, Tanz und Lust bei der Linde — die Welt scheint hier so ruhig und so licht!

Aber so elend, so elend war er nie, wie jetzt; er war es nie, wenn die Stürme tobten, wie er es jetzt ist, in der Stille dieses Lebens.

»Ich wußte, daß Sie hier auf mich warten — alle sind bei den Zigeunern, auch der Beschließer, der gemeine Kerl! Franz, haben Sie denn kein Herz?«

Eher zu viel als zu wenig! Aber es gehört der einzigen Geliebten, mit der er am liebsten allein ist, die er in seinem Zimmer, in seinem Klavier, in seiner Brust verbirgt und die ihm alle Geständnisse abverlangt, alle[S. 138] Prüfungen und Nöte der Liebe, alles sehnsüchtige Verlangen und schmerzliche Entsagen.

Aber die Stunde ist gefährlich, und Jungfer Rosa setzt ihm hart zu. Wie wird dieses Herz bestehen zwischen der keuschen, reinen Liebe des adeligen Mädchens und dem glutvollen Verlangen dieses unbekümmerten Volkskindes? Und diese Musik, die so verführerisch und sinnenerregend herüberklingt — aber man ist kein frivoler Laffe, und man hat es schwer mit sich selbst. Die widersprechenden Empfindungen beschwören einen solchen Konflikt, man kämpft einen schweren Kampf, und die Liebe, wenn sie einmal kommt und ihn segnen will, vermehrt nur seine Pein. Im Lied allein kann er hoffen, seine Erlösung zu finden.

Am anderen Morgen ist Sonntag, Franz ist in der Dorfkirche unten, er hört sich die Predigt an. Wo bleibt diesmal die befreiende Stimmung, die er im Gotteshause immer gefunden? Liegt es an ihm, oder ist der polternde Kapuziner auf der Kanzel schuld, der auf die Bauernschädel herabdonnert, mit Ludern und Kanaillen herumwirft, einen Totenkopf von der Kanzel herab zeigt: »Da seht her, ihr gukerscheckigen Gfrieser, so werdet ihr einmal ausschauen ....« und dann hebt erst recht die Moralpauke an: »Da geht der Bursch mit dem Mensch ins Wirtshaus, tanzt die ganze Nacht, dann legen sie sich besoffen nieder und stehen ihrer drei wieder auf ....«

Dem guten Franz wird es unerträglich, er trachtet hinauszukommen ins Freie. Hier unter den Bäumen ist wahrer Gottesdienst.

Der Schwager Postillon war da und hat Briefe gebracht.[S. 139] Bruder Ferdinand möchte das Klavier von Franz kaufen, er tut dabei so zimperlich, als ob er nicht dem Bruder, sondern einem wildfremden Menschen schriebe. Es ist wirklich zum Ärgerlichwerden — schenken will ihm Franz das Klavier, aber nur nicht so schreiben soll er, so devot und vorsichtig, es ist wirklich kränkend.

Aber aller Ärger ist verflogen, als er den nächsten Brief öffnet, den die Freunde zusammen schreiben. Ein wahres Freudengeschrei erhebt er, es ist, als ob er die Lieben, einen nach dem anderen, selbst in den Armen hielte, so berauscht ist er von Glück.

Die Briefe der Freunde, so spärlich sie auch kommen, sie sind das einzige und wahre Glück, das er in diesen Tagen genießt. Er kann es ihnen nicht dringend genug auftragen, soviel wie möglich zu schreiben, er darbt danach, jede Zeile von ihnen ist Himmelsbrot.

»Lieber Schober! Lieber Spaun! Lieber Mayrhofer! Lieber Schwind! Lieber Soundso! Daß ihr mir ja gleich wieder schreibt, hört ihr? Sonst, sonst, sonst ...«

So stürmt es in seinen Briefen an die Freunde.

Sie fehlen ihm zu seinem vollen Glück.

Das Leben ist hier leicht und schön, Frauengunst blüht ihm, der Sorgen ist er entbunden — aber es ist doch nicht das Rechte. Das Glück, wo ist das Glück? Es ist dort, wo seine Freunde sind. Es ist dort, wo die süße, weiche, melodienreiche, harbe, laute Weanasprach erklingt.

So still verfließt das Dasein hier! Man hat viel freie Zeit, aber es ist nicht die Freiheit, die man braucht. Man steht wie ein Rößlein an der Krippe und ist schließlich des goldenen Hafers überdrüssig. Man zerrt an der Kette[S. 140] und beneidet die wilden Gefährten, die mit dem Sturmwind um die Wette jagen. Wo bleibt der Sturm, das Lebenshaus zu durchrütteln mit seiner prachtvoll schauerlichen Musik, die alle Seelentiefen aufrührt und alle Winkel mit frischem, lebendigem Hauch erfüllt? Der Künstler braucht es, die Geruhsamkeit tut ihm auf die Dauer nicht gut, das Blut wird träg im Wohlleben, und der schöpferische Born droht in der Einförmigkeit des Daseins zu versiegen.

Die Zigeuner, die das Leben verrauchen, verträumen und vergeigen, sie haben nach Künstlerermessen das bessere Los gewählt.

Die späten Herbsttage drücken schwer auf das Gemüt mit ihrer Melancholie. Franz zählt die Tage, Stunden, bis es wieder heimwärts geht nach Wien und die Bürde von Stellung und Beruf wieder von ihm genommen ist, die härter drückt als alle kleinen Lebenssorgen, denen er vor einem halben Jahr entronnen war.

»Ach, daß die Luft so ruhig, ach, daß die Welt so licht! Als noch die Stürme tobten, war ich so elend, so elend nicht!«

Die Post kommt und geht wie immer, und endlich, o glücklicher Tag, nimmt sie Franzens Reisegepäck auf. Die Liederfracht ist schwer, aber das Herz ist leicht. Die Rosa muß es nun wohl glauben, daß er in der Ferne ein liebes Liebchen hat — doch wie es heißt? Sie hätte es gar zu gern gewußt. Sie hat geschmollt, weil er ein gar so sprödes Herz besaß, und endlich hat sie den Beschließer erhört, denn das war ihr Fehler und ihre Tugend, daß sie halt nicht nein sagen konnte!

[S. 141]

Adieu Rosa, »und wenn Sie es durchaus wissen wollen, wie mein liebes Liebchen heißt, so sei es jetzt gesagt: Wien heißt es, Wien, das geschmähte, verlassene, verwünschte — vor allem aber geliebte und mit Sehnsuchtsgedanken behütete!«

Rosa lacht und dreht ihm den Rücken.

Als Franz beim Schwager vorne saß und die lichte Straße in der verhaltenen Stimmung eines graublauen Herbsttages hinfuhr, nahm er immer wieder einen mit Seidenpapier umwickelten Gegenstand aus der Brusttasche, um ihn innig zu betrachten; — eine kleine Meerschaumpfeife mit einem silbernen Wappen darin, ein Abschiedsgeschenk der Komtesse Karoline, für das sie das Nadelgeld eines ganzen Monats aufgewendet hatte.

So endete ein Idyll, dem ewige Fortdauer beschieden sein sollte, denn jedesmal, wenn die Wolken dem Pfeifchen entstiegen, mußte in dem seligen Zustand der Entrücktheit ihr Bild in dem bläulichen Flor der Wolken aufschimmern.

Er mußte lächeln bei diesem Gedanken — das Herz jubelte der Wiener Heimat und den Freunden entgegen, aber in dem Jubel war eine Träne, sie galt der heimlich und entsagend geliebten Gräfin Karoline.


[S. 142]

V.

Die Freunde sitzen wieder beisammen und singen wie die Jünglinge im Feuerofen. »Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser! Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind!«

Der schwärmerische, geheimnisvolle Ton der Männerstimmen zittert weich und kraftvoll, eine tönende Woge, ein sanfter, klingender Hauch, der anschwillt wie Orgelgebraus, wie Waldrauschen, wie Bergstromgetos — so klingt »der Gesang der Geister über den Wassern«. Die eigentümlich ergreifende Schönheit des Männerchors war Schuberts Entdeckung. Aus dem Kreis der Freunde wuchs ein Quartett hervor, das sich zuweilen zu einem achtstimmigen Chor verdoppelte. Jeden Donnerstag fanden sich die jungen Kerle zusammen, um ihrer Singlust zu genügen.

Hier schöpfte Franz die Anregung zu einer neuen Kunstgattung, er war so eigentlich der Begründer des Männerquartetts. Jeden Donnerstag mußte er neue Noten in der Tasche haben, sonst war es gefehlt. Da fielen sie über ihn her: »Was, du hast nichts Neues? Du hast wirklich nichts Neues? Schandkerl, wir schlagen dich tot. Mausetot! Noten her oder das Leben!«

[S. 143]

So erpicht waren sie alle auf neue Gesänge. Herrgott, das war ein Druck, dem schwer zu widerstehen war. Da mußte die schöpferische Ader ergiebig sein, wenn solch gute Geister wachten und die Faulheit zum Teufel jagten. Da gab's also keine Ausrede. Vogel, sing' oder stirb!

Jetzt sitzen sie alle da, wollen den Schnabel aufreißen und brauchen dazu musikalische Atzung. »Ist doch deine Pflicht, Franzl, dafür zu sorgen!«

Ist in tausend Verlegenheiten, der gute Franz, hat an diesem Donnerstag richtig nichts in der Tasche. Hat es vollständig verschwitzt, daß Donnerstag das Quartett stattfindet und um jeden Preis ein neues Stückl singen will. Sie freuen sich ja alle so, die ganze Woche darauf, und jeder ist schon neugierig, was er sich denn zum nächsten Male wieder zusammengedichtet haben wird, der verflixte Herrgottsmusikant!

Aber dieses eine Mal kommt er wirklich mit leeren Händen. Nicht einen Fetzen Noten hat er bei sich. Er sieht das unverhohlene Leidwesen seiner Freunde, sie sind enttäuscht — das geht ihm nahe.

»Enttäuschung? — Nein, das sollt ihr nicht erleben an mir! Laßt mich jetzt fünf Minuten in Ruh' — dann sollt ihr sehen!« Hat er auch die Noten nicht auf dem Papier, so hat er sie doch in der Brust. Ein Gedicht trägt er in der Tasche. »Leise, leise klopf' ich mit gekrümmtem Finger ....« Das Gedicht hat er sich abgeschrieben. Es ist von einem, den sie einmal zu den größten zählen werden. Ein junger Poet, Franz kennt ihn nicht und fühlt sich dennoch mächtig zu ihm hingezogen. Vielleicht daß[S. 144] Mayrhofer, der Zensurgewaltige, Rat weiß. Doch später, später davon! Jetzt das Gedicht und der Gesang! Das Gedicht hat er sich aus einem Musenalmanach abgeschrieben, und jetzt sitzt er in der Ecke, weltvergessend, bezaubert von den Versen, die Noten fliegen und purzeln nur so aus seiner Hand aufs Papier; nach einer Viertelstunde wendet er sich zu den Freunden: »So, jetzt haben wir's!«

»Leise, leise klopf' ich mit gekrümmtem Finger ...«

Bebend vor verhaltener Glut und Kraft, entfalten sich die blühenden Männerstimmen des Quartetts: Leise, leise .. Zuerst wie ein schmeichelnder Windhauch, der mit Blättergeflüster und Fliederduft die Geliebte umschmeichelt und dann immer stürmischer und drängender — wie könnte die Erkorene der werbenden Kraft dieses Ständchens widerstehen?

Eine der blühendsten Schöpfungen ist im Handumdrehen entstanden. So mir nichts, dir nichts. Wo er es nur hernimmt, in dieser Geschwindigkeit, dieser unglaubliche Franz? Das ist das Rätsel. Gibt es ihm ein Gott ein? Wird wohl so sein. Tut unter dem Anhauch eines genialen Dichters, eines persönlichen Erlebnisses, eines rätselhaften Drängens in seiner Brust die Seele weit und horchend auf, daß die himmlischen Geister des Unendlichen auf ihn einströmen. Er hört sie singen, die himmlischen Heerscharen um Gottes Thron, oder wenn ihr so lieber wollt, die sphärischen Mächte, er hört sie singen draußen in der Unendlichkeit und eigentlich tief drinnen in der eigenen Brust, er braucht nur hineinzuhorchen in sich und in Noten abzuschreiben, was er drinnen hört, und gibt es[S. 145] dann hin — sein eigenes Herz und seine Seele ist mit dabei. Ja, seht ihr, so wird's gemacht!

»Teufelskerl, himmlischer, laß dich umarmen!« Schober gebärdet sich wie verrückt; der hohe, schlanke, junge Mann hebt den kleinen, untersetzten Schubert im Sturm der Begeisterung hoch, wirbelt ihn ein paarmal um die eigene Achse herum, auch die anderen müssen ihn stürmisch umarmen, sie gebärden sich wie die Tollhäusler. Dann singen sie wieder wie die Jünglinge im Feuerofen, im Feuerofen der Liebe, der Freundschaft, der Begeisterung.

Man sieht es klar, was diese Freundschaft wert ist. Sind alle junge Kampeln, nicht sehr einflußreich, sie können alle zusammen nicht bewirken, daß dem armen Schubert aus seiner genialen Schaffenskraft ein wenn auch noch so kärglicher Verdienst fließt, wenigstens soviel Lohn, als ein Packträger die Woche verdient — sie geben sich alle Mühe, aber es gelingt nicht, und wirklich scheint es, als ob die Schöpfung Gottes, die so viele unnütze Kostgänger ernährt, gewöhnliche und wertlose Kreaturen, nur für den begnadeten Genius, dem Bringer neuer Schönheit und neuer Kunst, den Tisch zu decken vergessen hätte. Nicht soviel können die Freunde bewirken, daß der gute Franz Kost, Quartier und anständige Kleider bestreiten kann — je reicher die Welt an ihm wird, desto ärmer ist er.

Die Freunde selbst bereichern sich an ihm, es fließt ihnen soviel Schönheit und Kraft von ihm her zu, und sie haben ihren kleinen Egoismus dabei. Die meisten von ihnen sind Dichter, Schober, Mayrhofer und so weiter, sie wissen, daß der Weg zur Ewigkeit ihrer Schöpfungen nur über Schubert geht, der ihre Verse vertont. Andere,[S. 146] wie Vogl und Schönstein, glänzen durch den Vortrag der Lieder, aber den Löwenanteil des Ruhmes ernten sie selbst. Sie geben sich alle Mühe um Franz, sie tun es ja sich selbst zuliebe, nur schade, daß Franz so wenig davon hat.

Es kommt ihm aber auch gar nicht darauf an. Er denkt nicht nach darüber — es täte auch gar nicht gut — der Wert der Freundschaft liegt für ihn wo anders. Daß er zum freudigen Schaffen so gedrängt und gestachelt wird, das verdankt er ihnen. Und das ist das Größte und Wertvollste, das er sich wünschen mag. Darin zeigt sich im rechten Sinn, was Freundschaft bedeuten kann. Sie macht ihm Mut zu sich selbst, zu seinem Können, zu seiner Bestimmung, das ist unendlich mehr als Pump und Borgerei. Vor ihren Augen ist er nicht arm, sondern ein großer und reicher Geber, von dem sie alle empfangen, und wenn sie ihm auch gelegentlich unter die Arme greifen mit dem Nötigsten, was man für den Alltag braucht, so ist keine Rede von Leihen und Zurückgeben, sondern es ist nur eine kleine Erkenntlichkeit in der geringsten Form, für das große Empfangene.

Und wenn sie beisammen sitzen, ist alle Bangigkeit und Schicksalsfurcht vergessen, die in einsamen Stunden jeden überkommt, jetzt ist Freude, Hoffnungsmut und Überwinderstolz um sie, ein Gastmahl von Königen, wenngleich sie nur vom Blatt essen, Wurst in Papier, und dünnes Bier dazu trinken. Eine Kraftquelle sind die Freunde für ihn, ein Ansporn und eine Seelenzuflucht, aber auch er ist Mutspender und Kraftquelle für die Freunde.

Schwind, der tiefe und verstehende, drückt es aus.

[S. 147]

»Nichts ist so wichtig für den Künstlermenschen, als zu wissen, wo er schöpfen muß. Du gehörst da her, Schubert, wo du zu Haus bist! Zelez war nichts für dich! Hier in Wien springen deine Quellen, deine inneren Quellen!«

Schubert schmaucht aus dem Meerschaumpfeifchen. Sein Blick geht den entschwebenden Wölkchen nach, ein süßes Traumbild will vor seinen Augen zerfließen.

»Na na — Zelez hat auch sein Gutes gehabt!« und dabei betrachtet er zärtlich sein Meerschaumpfeifchen.

Aber ganz unrecht hat Schwind nicht. In Zelez hat er gelebt wie der Mops im Paletot — was war denn dabei herausgekommen? Einige Lieder, die von seinen kleinen Schmerzen erzählen. Das Herz der Menschheit ist darin, ja, ja, aber die großen Werke, die er sich vorgenommen hat — wo sind die geblieben? Zelez war ein Stück längst begehrter sorgloser Freiheit — Großes hat er dort gestalten wollen; aber die Zeit zerrann unter seinen Händen. Das Große und Neue erstand erst wieder, als er daheim war in der geliebten Vaterstadt, wo ihn soviel bedrückte, im Kreis der Freunde, die eifersüchtig wachten, daß er sich ja keine Ruhe gönne. Hier war ihm wieder der Knopf aufgegangen — warum nicht dort, wo die Umstände äußerlich viel günstiger waren? Es ist wirklich der Rede wert, er spricht sich mit den Freunden darüber aus.

Der Schwind hat wieder das rechte Wort gefunden.

»Das in Zelez war nicht die Freiheit — das war nicht Herrentum, sondern nur versüßter Lakaiendienst, Herr[S. 148] deiner selbst, deiner Zeit, deiner Wege bist du hier, wo du keinem Geringeren untertan bist als dir selber. Und wenn du hier auch zehnmal nichts hast, so hast du doch die Freiheit, zu leben, zu denken, zu reden, zu singen, wie dir der Schnabel gewachsen ist. Verhungern wirst du nicht. Also kann dir überhaupt nichts geschehen. Der Künstler kann nur einen Herrn über sich vertragen, und das ist er selber. Sei du — du, dann ist Gott mit dir! Man sieht es ja: was hast du alles aus dem Ärmel gebeutelt in den paar Wochen, seit du wieder hier bist. Das sind Gewächse, die im Herrschaftshaus zu Zelez nicht gezogen werden können. Dort gedeihen sie nicht. Na, hab' ich recht, oder hab' ich unrecht?!«

Recht hat er, der gedankentiefe, romantische und doch so weltkluge Schwind. Natürlich hat er recht! Das weiß Schubert ganz genau, so gescheit ist er auch; was Schwind sagt, das hat er längst gefühlt. Wortlos nickt er ihm zu.

Freilich, ein kleiner innerer Vorbehalt ist dabei. Was Zelez nützte, das kann man nicht wissen. Alles Erleben und Umsetzen in Kunst vollzieht sich geheimnisvoll. Oft ist die Zeit des Müßiggangs die fruchtbarste. Man kann nicht mathematisch nachrechnen, ob ein Eindruck, eine Erfahrung auch wirklich befruchtend war. Sie wirkten oft erst in der dritten Potenz, mittelbar. Und wenn es nichts weiter war als die Zeit der Ruhe, der Entspannung, so war es von um so größerem Wert. Seine Kraft hat geruht, seine Gesundheit ist gefestigt, sein Aussehen blühend. Sein Vorrat an schöpferischer Essenz vermehrt.

Der Mensch braucht einen gewissen Überschuß, von dem er zehren kann. Wer weiß, ob er jetzt soviel neue und herrliche[S. 149] Sachen hätte aus dem Ärmel schütteln können, wenn nicht diese kurze Brachzeit vorangegangen wäre.

Wenn er so sein Pfeifchen in Brand hält, geht ein Strom von Liebe und feurigen Gedanken auf ihn ein. Dieses Pfeifchen ist nicht nur ein Nasenwärmer, sondern vor allem ein Seelenwärmer. Und wieviel man ihm verdankt an zarten Empfindungen, die wieder ausklingen und in der menschlichen Seele einen verwandten Ton erwecken, das ist gar nicht zu ermessen. Rosa ist vergessen; sie war von gewöhnlichem Schlag und hatte nichts zu geben, was Wert behielt. Aber das Grafenkind — etwas Liebes und Feines ging von ihr aus, das spürte er jetzt stärker als früher, und das war gut.

Mit diesem Pfeiflein, das Liebe erweckte und die Seele fruchtbar machte, konnte man sich nicht mehr arm fühlen, auch wenn man sonst nichts besaß. Die kasimirne Hose hatte ihren Glanz längst eingebüßt und war ein bißchen zerfranst, die Wäsche, die Frau Mutter geliefert hatte, war nicht immer in bester Ordnung gehalten, und das Geld, das man in Zelez ersparte, hatte wie immer einen heilen Schweif. Es war nicht zu halten.

Der Herr Vater war abermals bös geworden, weil Franz sein herrenloses Musikantenleben aufs neue aufnahm, die Verbindung mit dem Elternhaus war wieder einmal unterbrochen. Eigenes Heim besaß der Franz nicht, er lebte bei Schober in der Tuchlauben, hatte ein Zimmerchen dort mit einem Klavier, einen Tisch, ein paar wacklige Sessel, einen Schrank, eine Bettstelle, alles sehr dürftig und nicht eben freundlich, denn das einzige Fenster[S. 150] des Zimmerchens ging in einen lichtarmen Hof hinaus. Man war eben Gast und mußte sich bequemen.

Franz sah übrigens nicht sonderlich auf diese äußerlichen Dinge, wenn er nur ein Obdach hatte und schreiben konnte — während der Arbeit war er in einer lichtvollen, seligen Welt.

Schober selbst hatte zwei Zimmer nach vorne, ein kleines Schlafzimmer und ein gediegenes Arbeitszimmer mit schweren Empiremöbeln, wie es einem jungen Bonvivant jener Tage angemessen war. Aber ein prunkvolles Arbeitszimmer allein macht nicht glücklich. Auch Schober hatte sein Leid, so gut wie Mayrhofer und alle andern. Sie waren tragische Freunde, nur mit dem Unterschied, daß jeden der Schuh wo anders drückte.

Schober sprach nicht gern von seiner Kunstreise, es war eine Enttäuschung gewesen. Er hatte sich als Schauspieler versucht, aber so leicht ging es doch nicht, als er sich's vorgestellt hatte. Er war mehr Komödiant des Lebens, spielte den verfluchten Kerl, war unwiderstehlich vor den Frauen — aber auf der Bühne versagten die glänzenden Eigenschaften des Weltmannes. Es bedurfte dort anderer, grellerer Mittel, die ihm nicht zu Gebote standen. Kurz und gut, Schober redet nicht gern davon. Er ist begnadeter Dilettant und hat ein neues Steckenpferd, das er jetzt mit Hingebung reiten will: den Pegasus. Eine neue Lust, noch mehr aber ein neuer Schmerz.

Ein anderer ist, dem die Dichtkunst ebenfalls mehr Schmerz ist als Lust: Mayrhofer. Er steht der Literatur nahe von Beruf und aus Neigung. Von Beruf aus ist er dazu verhalten, dem Flügelroß die Schwingen zu beschneiden,[S. 151] daß es nicht allzu freiheitlich ausgreife und die Staatsraison vor den Kopf schlage. So muß er denn von Staats wegen für diesen ungezügelten Renner eine Zwangsjacke bereithalten. Das ist sein Amt als Zensor.

Der geschworene Feind der dichterischen Freiheit ist aber selbst Dichter — hier klafft der Riß. Neigung und Pflicht stehen miteinander in Konflikt. Aber Pflicht ist Pflicht. Seine Dichterneigung ist Privatsache, sie verstößt nicht gegen sein Beamtengewissen. Täte sie es doch! Hier ist der tragische Punkt in seinem Leben. Er fühlt es dunkel: als Dichter lebt er aus zweiter Hand. Der Quell rauscht nicht in seinem Innern, er trinkt aus fremden Bechern. Er ahmt nicht nach, aber es fehlt ihm doch das Echte, Ursprüngliche. Was er schreibt, ist Almanachpoesie. Sein Leben krankt daran. Sein Geist versinkt oft in trübe Melancholie — wenn Schubert nicht wäre, o Leben, es wäre zum Verzweifeln!

Aber Schubert gibt den lahmen Versen Flügel. »Gib uns ein Stück von dir!« So meint Mayrhofer und meint Schober. Vielleicht wäre dann jeder ein ganzer Dichter. Schober findet für das, was ihm fehlt, einen inneren Ausgleich durch seine gesellschaftlichen Triumphe. Er lebt als Mann des guten Geschmacks, der angenehmen Geselligkeit, des Kunstverständnisses, des Sammlers — auch ein Beruf. Er sammelt Spazierstöcke und ist Schuberts Freund — bei Gott, es gibt sehr viele Menschen, die weniger leisten.

Bei Mayrhofer sitzt der Stachel tiefer. Zensor zu sein, ist keine große Ehre, besonders wenn man selber Dichtersmann sein will. Er ringt um den Segen der Muse: »Ich[S. 152] lass' dich nicht, es sei denn ....« Aber die Muse verhüllt schamhaft ihr Angesicht vor ihm, sie wendet sich ab, mehr erschreckt als beglückt von seinen gewalttätigen Liebkosungen. Verbitterung bemächtigte sich seines Gemüts; darunter begannen auch die Freunde zu leiden, besonders Schubert.

Franz liebte den Freund; der war um so und so viele Jahre älter, sehr belesen, tief und ernst angelegt, krankhaft ehrgeizig und wunderlich durch seine unselige Leidenschaft zur Poesie. Als Dichter erging es ihm so wie früher als Priester, er hat es nie zu den letzten Weihen gebracht. Um so härter war er im Urteil über andere. Das war nun gar nicht nach Schuberts Sinn.

Mayrhofer hatte allerlei zu kritisieren an den Versen: »Leise, leise ...« Spürte er den kommenden Genius, den er leugnen wollte, weil er klein gegen ihn erscheinen mußte?

»In diesem Punkte gehen unsere Wege auseinander!« erklärte Schubert resolut. Und bewies, wie herrlich die Verse seien, aus echtem Gefühl entsprungen, aus einem Guß. Das verstimmte Mayrhofer noch mehr. Er vergrub sich in Trotz und Einsamkeit und ließ sich tagelang nicht sehen. Dann kam er wieder — er brauchte ein Stück Schubert, ein bißchen Illusion, neue Hoffnung auf Gelingen, sonst war das Leben nichts wert. Aber alles, was recht ist — in diesem einen Punkt mußte man Franz nachgeben: er duldete nicht, daß man gelungene Leistungen anderer heruntersetzte.

Mit Spaun und Hüttenbrenner betritt Mayrhofer Schuberts Klause in der Tuchlauben. Sie finden ihn eben[S. 153] dabei, als er die »Wanderlieder« von Kreutzer durchspielt.

»Laß das Zeug,« sagt Hüttenbrenner, »und sing' uns lieber ein paar Lieder von dir!« Das ist auch die Meinung der anderen.

Sind aber schön angekommen alle Drei. »Wie kann man so ungerecht sein? Die Lieder sind sehr schön, ich wollte, ich hätte sie geschrieben!«

So war er; er war zu sehr ein Eigener und war zu reich an Können und Gemüt, als daß er auf andere hätte scheel hinsehen mögen. Er vergönnte jedem das Seine und war eher zu einem Lob als zu einem Tadel bereit.

So wäre es ja ein ganz sorgloses Dasein gewesen, man hätte guter Dinge sein können und war es ja auch, wenn man mit den Freunden beisammen saß und die Leistung der arbeitsreichen Tagesstunden zum besten gab. Da war die Sorge und die Furcht vor dem Morgen und Übermorgen verscheucht, aber freilich nur so lange, bis der Alltag mit seinen niederen, hundsgemeinen Anliegen anklopfte.

Aber der Alltag ist schon ein solcher ruppiger Gesell, ein Beutelschneider, der einem schwer auf dem Geldsack liegt und alle fünf Minuten andere Forderungen hat. Er katzenbuckelt, ein grinsender Lakai, wenn man wie ein gnädiger Herr tief hineingreifen und die Goldstücke springen lassen kann; er wird sackgrob wie ein Packträger, aufdringlich wie ein Schuldenmahner und unverschämt wie ein Skandalmacher, wenn man mit den Moneten nicht nachkann.

In aller Früh schon geht es an. Ein Blick in den Spiegel, der stellt sofort die unverschämt vertrauliche Frage:[S. 154] Herr von Schubert, wollen Sie sich nicht vielleicht zum Bartscherer verfügen, gleich links um die Ecke in der Naglergasse? Es wäre schon die höchste Zeit! — Aus notgedrungener Sparsamkeit denkt man, es hat Zeit bis morgen, und geht den ganzen Tag herum wie ein Gezeichneter, ein Sträfling, dem die Stoppeln im Gesicht stehen. Oder der Spiegel sagt: Herr von Schubert, frische Wäsche — ein unsauberer Kragen, ein zerknittertes Hemd, beide kleiden schlecht!

Ja freilich — wo ist denn die Büglerin geblieben, die vor acht Tagen die Wäsche hätte bringen sollen? Es wird doch nicht wegen der lumpigen Rechnung sein, die schon zweimal stehen geblieben ist? Läuft man denn davon, ist das Geld nicht sicher? Ungehöriges Mißtrauen! Soll man deswegen herumrennen wie ein Schwein? — Aber so ist der Alltag: wer nicht zahlen kann, der soll sich schämen, über die Straße zu gehen.

Im Gasthaus, im Café hat man ja etwas Kredit. Ab und zu verdient man auch ein paar Groschen, es wird diese oder jene kleine Komposition bestellt, Kirchensachen, na, das wirft ja gerade soviel ab, um kleine Schulden zu bezahlen, dann lebt man wieder weiter — auf Kreide.

Aber was man notwendig braucht, Theater und Konzert, das kann man nicht auf Pump nehmen. Und teuer sind die Eintrittskarten — als ob wirklich nur reiche Leute ein Kunstbedürfnis hätten, wenngleich es unter den Freunden ausgemacht ist, daß sie von dem wahren Wesen der Kunst am wenigsten verstehen.

Abends singt die Milder in der Hofoper. Bei dem Wort Milder wird allen wonnig zumut. Der Vogl und die[S. 155] Milder. Höheres gibt es nicht in der dramatischen Gesangskunst. In diesem Urteil sind die Freunde einig.

Was die Milder betrifft, so kommt noch hinzu, daß neben der Künstlerin auch das Weib zur Begeisterung und leidenschaftlichen Verehrung entflammt. Sie war früher in Wien und ist jetzt in Berlin; sie kommt nur mehr gelegentlich als Gast an die Wiener Hofoper. Schober kennt sie aus seinen oberflächlichen Beziehungen zum Theater; er hat ihr einige Lieder Schuberts geschickt und besitzt einen sehr herzlichen Brief von ihr; tagelang geht die Schwärmerei um die Sängerin, doch so, daß die Aufzählung ihrer weiblichen Reize den größeren Teil ausmacht und fast wichtiger scheint, als die Bewertung ihrer unzweifelhaft großen künstlerischen Mittel.

Wenn es von einem Frauenwesen hieß: »Du, die hat Augen wie die Milder,« oder: »die lächelt ein Mildersches Lächeln,« so bedeutete es soviel, als daß die Betreffende eine ausgemachte Schönheit sei und daß man nichts Eiligeres zu tun hätte, als sich Hals über Kopf unglücklich in sie zu verlieben. Wer es nun immer war, ein Kind der Dienstbarkeit, ein Mädchen aus dem Volke, eine Dame der Gesellschaft, man sah sie nur mehr durch diese Augen oder durch dieses Lächeln, und dann waren alle unsterblich in sie verschossen. Darin glich einer dem andern.

Die Abende, an denen die Milder sang, zu versäumen, wäre eine solche Kardinalsünde, daß man dafür verdiente, in der Hölle zu schmoren. Das Leid darob wäre für den armen Schubert eine dreifache Hölle gewesen; der muß ein so frommes Gemüt, wie er, zu entgehen[S. 156] wissen. Also muß Freund Schober für die Billette aufkommen.

»Aber selbstverständlich, lieber Freund!« Er ist immer so nett, der scharmante Schober. Es ist freilich etwas dabei, das dem Franz gegen den Strich geht. Er ist und bleibt empfindlich. Ein so harter und schwieliger Schuldenmacher zu werden, der kaltblütig alles für sich begehrt, ohne Entgelt, das kann er nicht.

Er leidet immer mehr unter dem Druck der Verhältnisse. Schober weiß es nicht, er hätte es ihm gewiß ausgeredet. Aber es ist nicht die Art des Franz, sich über so heikle Dinge zu erschließen. Nur zu Schwind äußert er sich gelegentlich und nur ganz beiläufig; denn zu Schwind kann er reden wie zu sich selbst, der steht ihm innerlich am nächsten, mit ihm ist er am meisten verwandt, sie sind beide gleich arm an Gut und Geld und gleich reich an Kunst und gleich groß an Gefühl.

»Nicht wahr,« hebt Franz an, »man kann bei einem guten Freunde wohnen, man kann sich bewirten lassen, aber man kann nicht das Taschengeld von ihm nehmen, man kann nicht seine Stiefel anziehen, man kann nicht seine Beinkleider tragen — mit einem Wort, man kann sich von ihm weder ein Gewand schenken lassen, noch auf seine Kosten einen neuen Anzug machen lassen ....«

Schwind versteht ihn, bei dem bedarf es nicht vieler Worte, der weiß um alle Lebensnot und Künstlersehnsucht, und wenn beide in Schweigen beisammen sitzen, so geht ein Strom von Trost und Linderung von einem auf den andern über.

Einsam ist jeder, aber es tut wohl zu wissen, daß der[S. 157] Mitbruder in der Zelle nebenan um alle Gebundenheit dieses Erdendaseins weiß und mit seinem Mitgefühl nahe ist. Auch darin liegt etwas von der Kostbarkeit der wahren Freundschaft.

Die Abende in der Oper gleichen dem Traum vom Paradies. Die Musik ist Blech, die Bühne ist Pappendeckel, die Sänger und Sängerinnen sind beschmierte Larven, aber Leben, Schönheit, Wohlklang, Seele bekommt alles erst, wenn die Milder auf der Szene steht. Wenn sie geht, sinkt alles wieder in die nichtige Armseligkeit zurück. Wenn sie singt, dann fällt alles Weh ab, man vergißt, daß man ein unruhig klopfendes Herz hat, einen brummigen Schädel von der Hitze, brennende Augen von der schlechten Beleuchtung, einen knurrenden Magen und andere menschliche Übel; man fühlt sich in einer beglückenden Seelengemeinschaft mit der schönen Besitzerin dieser herrlichen Stimme, dieser strahlenden Augen und dieses berückenden Lächelns, und hat nur das eine dumpfe Bedauern, daß, wenn sie jetzt von der Szene abgeht, alles nur holde Lüge war, und daß man wieder in Dumpfheit und Verlassenheit allein dasteht, ein armseliger Schlucker, beschwert mit einer großen, unerfüllbaren Sehnsucht.

Nach der Vorstellung soll Schubert, von Schober geführt, in der Garderobe der Künstlerin erscheinen. Sie will den Schöpfer der Lieder kennen lernen, die sie in Berlin gesungen und mit denen sie viel Aufsehen gemacht hat.

Als Schober sich nach dem Freunde umsieht, war der weg. Einfach entwischt. »Was ist das für eine Art? Was wird die Milder dazu sagen?«

Schober ist außer sich. Er kann die Torheit nicht begreifen.[S. 158] Zuerst Sehnsucht, Begeisterung, Schwärmerei, man könnte sagen Verliebtheit, und wenn es drum und drauf ankommt, reißt er aus und versteckt sich wie ein furchtsames Knäblein. »Schämen soll er sich!«

»Das verstehst du eben nicht!« erklärt Schwind, dem die draufgängerische Art Schobers zuwider ist. »Ich an seiner Stelle hätte es genau so gemacht.«

»Was gibt es da zu verstehen? Feigheit ist es, Mangel an guter Art, Launenhaftigkeit ....« Nein, Schober versteht es wirklich nicht. Aber Schwind versteht es, der blickt tiefer und erkennt Zusammenhänge, die der andere nicht ahnt.

Anna Milder ist abgereist. Ein neuer Stern ist auf dem Horizont der Freunde aufgetaucht, Therese Puffer. Sie ist eine der eleganten Frauen, die in den Wiener Salons verkehrt, wo Musik gepflegt wird. Sie ist Konzertsängerin, aber nicht aus Beruf. Die Kunst ist nicht der Zweck, sondern vielmehr der Schmuck ihres Lebens.

Die Freunde streiten, wer schöner sei, die Milder oder die Puffer.

»Die Milder hat eine schönere Stimme!« sagt der eine. »Aber die Puffer hat die edlere Gestalt!« meint der andere. »Die Augen hat sie von der Milder!« entscheidet der Dritte. »Nein, das Lächeln hat sie von ihr!« behauptet der Vierte.

»Jedenfalls verdient sie, daß man sich so unglücklich als möglich in sie verliebt!« erklärt der kundige Schober. Es war gar nicht nötig, das erst zu sagen, denn heimlich träumt schon jeder von ihr. Schwind zeichnet sie als Melusine, Franz gedenkt ihrer in seinem Lied »Des[S. 159] Schäfers Klage ...« »Da stehet von schönen Blumen, da stehet die ganze Wiese so voll; ich breche sie, ohne zu wissen, wem ich sie geben soll. Und Regen, Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum. Die Türe dort bleibet verschlossen; doch alles ist leider ein Traum ..«

Die Türe dort bleibt verschlossen .... Nämlich die Türe vom »roten Igel«, dem Vereinshaus, wo Konzertabend ist. Da drinnen hinter den hellerleuchteten Bogenfenstern mit weißen Sprossen, die wie Sonnenstrahlen ausgreifen, sitzt eine erlesene Gesellschaft; Therese Puffer singt. — Was singt sie? Ein Lied von Schubert. »Und Regen, Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum ....«

Die schöne dunkle Frauenstimme breitet ihren weichen Flor über die entzückten Hörer, auf den einsam Lauernden draußen fällt noch ein verwehender Klang ab. Der steht draußen und paßt an der Tür, und nun bricht der Sturm los, Händeklatschen und Beifallsjubel der Menge.

Der Beifall will nicht enden, er schwillt an wie ein Orkan, und da ist ihm, als ob er in dem Brausen seinen Namen hörte.

In der Tat, sie rufen drinnen nach ihm! Schubert soll sich zeigen! Sie klatschen wie wütend, sie schreien seinen Namen, sie trampeln mit den Füßen. Er steht draußen und weiß nicht, ob er fliehen soll oder in den Saal hineineilen. Es drängt ihn zur Flucht — ganz wie neulich, als er die angebetete Milder hätte sehen sollen. Warum, Warum? Schwind hat es begriffen. Der — ja, dem ist nichts Menschliches fremd.

Franz sieht sich bei dem armen Öllicht, das vor der Tür hängt, prüfend von oben bis unten an, ehe er es wagen[S. 160] würde, auf die Klinke zu drücken, prüft genau seine abgetragenen Schuhe, seine verknitterte Hose, seinen schäbigen Rock — nein, nein, um keinen Preis da hinein! Er will fliehen, sich verstecken — die Armut bedrückt ihn, er mag sich den Leuten nicht so zeigen, wie es wirklich um ihn steht.

Das ist es, was Schwind sofort verstanden hat, und was Franz doch nicht sagen wollte aus seelischer Schamhaftigkeit. Und diese Schamhaftigkeit hält ihn jetzt wieder ab, dem Ruf zu folgen. »Und Regen, Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum — die Türe dort bleibet verschlossen, doch alles ist leider ein Traum.«

Franz will fort, und doch ist es, als ob der Lärm drinnen eine magische Gewalt über ihn hätte, die ihn festbannt. Er bleibt stehen wider Willen, lauschend auf das, was nun kommt, auf das Stühlerücken und das Stimmengewirr — und da fliegt schon die Türe auf, ein blendender Lichtkegel fällt in die dunkle Straße, ein Strom von Menschen quillt hervor mit erhitzten, geröteten Gesichtern und befeuerter Seele; er hat gerade noch soviel Zeit, sich unter das dunkle Gesims zu ducken — die festlich gestimmten Frauen und Mädchen gehen vorbei, die schwärmen von Schuberts Lied, aber ihn kennen sie nicht, sie gehen achtlos an ihm vorüber, die eine oder andere schaut gleichgültig den wildfremden und unscheinbaren Menschen an, niemand hat eine Ahnung, daß er es ist, von dem sie schwärmen, und den sie sich wahrscheinlich ganz anders vorstellen, als jungen, verklärten Helden im himmelblauen und rosaroten Licht.

Das Glück ist mit Weh gemischt wie immer; die Freude[S. 161] über den Erfolg und die kleine Bitternis, mit seiner Person im Dunkeln stehen zu müssen — Armut ist ein brennendes Hemd, und wer damit bekleidet ist, zeigt sich nicht gern vor Menschen. Vielleicht wäre man schon weiter in der öffentlichen Gunst und in der äußeren Wohlfahrt, wenn man es besser verstände, sich öffentlich zu zeigen, sich zu inszenieren, den Tageshelden zu spielen — aber just das ist ihm verwehrt. Vogl hat recht: »Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan!« Das heißt mit anderen Worten: Sie werden es in dieser Welt schwer haben, sich durchzusetzen. Sie werden für Ihre Kunst leiden und ihr zuliebe die Märtyrerkrone tragen müssen — wie übrigens jeder echte Künstler, der das Tiefste geben will.

Aber Franz hat nicht Zeit, nachzudenken, alles das liegt keimhaft in seinem Gefühl, im winzigen Aufleuchten eines Augenblicks offenbart sich ihm diese ganze Erkenntnis. Dort hört er schon eine wohlbekannte liebe Stimme, die sagt: »Ich möcht' doch eigentlich wissen, wo der Kerl steckt! Wenn mich nicht alles täuscht, so ist es eine heimliche Liebschaft!«

Der so daher redet, das ist ein ganz Feiner, der selber bis über den Kopf in den Techtel-Mechteln steckt. Der Anselm Hüttenbrenner ist es, und zu dem er es sagt, das ist der Salonlöwe Schober. Sie kommen als die Letzten heraus. Jetzt ist das Entrinnen schwer. Im nächsten Augenblick mußten sie ihn entdecken. Da ruft schon der Schober freudig aus: »Da ist er ja!« Und eine süßflötende Frauenstimme wiederholt entzückt: »Da ist er ja!« Es[S. 162] ist die Stimme der Melusine, die sich in Begleitung der beiden Ritter befindet: Therese Puffer.

Von den Freunden ans Licht gezogen, steht er nun vor der Schönen und ist ganz behext von ihren sprechenden Augen und ihrem zauberhaften Lächeln. Er will etwas stammeln, ein paar Worte des Dankes, und geht auf sie zu, sie aber, noch ganz beglückt, förmlich berauscht von dem Triumph, den sie nicht nur ihrer Schönheit, sondern diesmal ganz bestimmt den Schubertschen Liedern verdankt, breitet unwillkürlich die Arme aus und ruft in überströmender Gefühlsseligkeit: »Es war zu schön, ich kann nicht anders, ich muß Ihnen dafür einen Kuß geben.«

Ein paar volle Arme, weich und rund, ein stürmisch atmender Busen, graublaue Nixenaugen, so tief, daß man schwer zurückfindet, ein seltsam verlockendes Lächeln, ein blühender Mund — für den Augenblick ist Franz in diese Herrlichkeiten hineingesunken — ach, es war nur ein einziger, winziger Augenblick, und dann war es vorbei — beide waren etwas verlegen, Franz über und über rot — so muß dem Adam im Paradies zumute gewesen sein.

Gern hätte er die ewige Seligkeit hingegeben für die Wiederholung dieses Augenblicks, der ein ganzes Paradies erschloß, aber es war nun einmal vorbei, die schöne Fee Melusine, wie sie unter den Freunden genannt wurde, faßte sich rasch und ward wieder ganz Dame. Es nützte also nichts, daß die beiden Kavaliere Schober und Hüttenbrenner für sich eine ähnliche Gunst begehrten.

»Es hat dem Künstler gegolten!« sagte sie und verstand[S. 163] es vortrefflich, die aufflammende Begehrlichkeit der beiden Ehrenkavaliere in Schranken zu halten. Oder wenn das Feuerlein gar zu sehr unter die Asche kroch, soweit zu schüren, daß sie wieder in sanftem Glühen standen. In diesem Zustand des Glühens wußte sie die ganze Männergesellschaft zu halten. Wenn aber irgendeiner in verheerenden Brand auszuarten drohte, dann hatte sie auch die kalte Dusche bereit.

»Sie ist eine Kokette!« behauptete Schober ärgerlich und verriet dadurch, daß er nichts erreicht hatte.

»Sie hat ein Fischherz!« lästerte Hüttenbrenner, der noch empfindlicher abgeblitzt war.

»Sie ist eine Donaufrau,« sagte Schwind, »nixenkühl und gefährlich. Sie trinkt Seelen aus!« Die Seele hat er dazu gegeben, der sie als Melusine zeichnete, und einen Ritter dazu, der unter Felsen und seltsam verschlungenen Baumwurzeln am träumerischen Waldquell ihrer Stimme lauscht. Der Ritter war er selber, verloren an die romantische Melusine. Schubert sagte nichts. Sein Herz stand in weißer Glut. Der selige Augenblick war kurz, aber die Erinnerung blieb — ein heißer Quell, bis ans Lebensende wird er ihn nicht vergessen. Und der heiße Quell drängt brausend empor, wird Lust, wird Leid und wird Genesung.

Der Winter vergeht, der Frühling ist da, mit lichtgrünen Händen winkt der traumhäuptige Wienerwald in die Stadt herein, winkt und winkt, daß einem ganz eng ums Herz wird. Die Mauern sind eine drückende Umschnürung, man will wieder frei atmen können, atmen mit dem[S. 164] Windhauch auf wogenden Wiesen, atmen mit dem tiefen Waldaufrauschen! Hinaus, hinaus!

»Morgen ist Lämmerhüpfen bei der Karoline Pichlerin,« berichtet Schober, »fünfzig junge Mädchen, weiß wie Schnee und rosenrot — die Pichlerin läßt dich grüßen, du sollst kommen. Also Franz, sei kein Narr, das sind Menschen, die du brauchst, lauter junges Mädchenvolk mit Klavierfingern und Piepsstimmen und Herzen wie Vogelnestern, darin deine Liedlein nisten können. Also komm' und leg' deine musikalischen Kuckuckseier hinein!«

»Laßt mich in Ruh'! Soll ich die Augen verdrehen und Süßholz raspeln? Soll ich affig tun und gespreizt und geziert Menuett tanzen, hab' ich diese fade und lächerliche Mode nicht längst auf der Weste? Also, lieber Freund, geh' nur allein, wenn du es nicht lassen kannst!«

Nein! Da müßt' man schon ein Zierbengel sein wie der gute Schober selber, um Gefallen darin zu finden, vor allem müßte man was Anständiges anzuziehen haben, und das hat man eben nicht. Aber der liebe Himmel weiß am Ende vielleicht doch, warum er dem Franz aus einem so lächerlichen und rein äußerlichen Grund vielerlei Entsagung auferlegt. Die Vorsehung verschließt ihm viele Wege und treibt ihn auf andere, wo vielleicht mehr für den inneren Menschen zu holen ist, und der Künstler eine größere Ausbeute gewinnt als im seichten Gesellschaftsgetriebe. Was haben einem die Leute zu sagen? Nichtige Schmeicheleien — die vom wahren Wesen der Kunst was verstehen, die sind doch sehr selten.

Es treibt ihn von den Menschen weg hinaus zum Stadttor, wo ihm der Petrus den grünen Schlüssel gibt; dort[S. 165] bedarf es keiner schönen Kleider, keiner Geckerei, keiner Komplimente, dort kann man sein, wie man mag, dort ist man mit sich und seinem Gott allein. Und wenn einen Gott recht lieb hat, dann gibt er einem ein herziges Mädel dazu. So gehörte sich's zur waldgrünen Einsamkeit.

Ein herziges Mädel — er wüßte schon eins. Hat Augen wie die Melusine, lacht ebenso, nur Kuß hat sie ihm noch keinen gegeben. Aber das kann kommen. Eine große Schranke ist zwischen ihm und Melusine, und alle Sehnsucht fliegt nicht drüber, wohin also Herz mit deiner Liebe? Da muß man sich schon an einfachere Kost halten, die Kinder des Volkes sind nicht so gespreizt, und schön sind sie auch, ebenso schön, und haben solche Augen und ein solches Lächeln. Das ist Fanny im Wirtshaus am Himmel.

»Eine Mühle seh' ich blinken aus den Erlen heraus ..«

Wenn es auch keine Mühle ist, so sind es doch die Erlen am Bach; und ist nicht Rädergebraus, so ist doch Blätterrauschen ums trauliche Haus, und die Fenster sind blank, und Fannys Augen sind so licht, so licht und klar wie die Blumen am Bach. »Ich frage keine Blume, ich frage keinen Stern, sie können mir alle nicht sagen, was ich erführ so gern. Ich bin ja auch kein Gärtner, die Sterne stehen zu hoch, mein Bächlein will ich fragen, ob mich mein Herz belog ...«

Er wandert mit Müllerliedern im Herzen, er gibt ihnen Klang und Ton und denkt dabei an Fanny.

»Ich schnitt es gern in alle Rinden ein, ich grüb' es gern in jeden Kieselstein, ich möcht' es sä'n auf jedes frische[S. 166] Beet mit Kressensamen, der es schnell verrät, auf jeden weißen Zettel möcht' ich's schreiben ....«

Nur seinem Mund gebietet er Schweigen.

»Und ich bleibe dabei, der hat eine heimliche Gspusi,« schwört Stein und Bein der ewig in Liebesnöten schmachtende Hüttenbrenner; »so tut nur einer, der irgendwo ein Mädel hat und es nicht anschaun lassen will, Duckmauser, vertrackter!«

Aber der Franz verrät nicht, mit wem er geht.

Er blinzelt nur listig aus seinen Brillengläsern hervor. »Mit wem ich geh'? Mit wem sonst als mit meinem Stecken, mein Wanderstecken ist mein Gespons!« und lächelt wieder so listig, daß ihm die anderen erst recht nicht glauben.

»Du kannst mir's ja sagen, was du für ein Pantscherl hast!« drängt der Hüttenbrenner, bringt aber nichts heraus und gibt schließlich selber zu: »Gib einem guten Freunde dein Leben in die Hand, deine Ehre, dein Gut und Geld — er wird dich nicht betrügen und belügen; gibst du ihm aber dein Mädel zum Pfand, dann mach's Kreuz drüber!« Er muß es wissen, er hat Erfahrung, der lockere Zeisig! Das hat Franz aber ohne ihn gewußt und hat fein geschwiegen dazu.

Am Hof steht der gelbe Wagen, mit dem fährt man hinaus ins Ätherblaue. Fährt oft hinaus, der stille Franz, und vergißt darob manche Einladung bei guten Leuten, denen er auf vieles Drängen zugesagt hat, und weiß gar nicht, wo er die Entschuldigungen hernehmen soll. »Ach, wenn Sie wüßten, wie unmöglich es mir gemacht wurde,[S. 167] Sie würden mir gewiß verzeihen!« Der liebe Gott, der die Verliebten zusammentreibt, der weiß es, das genügt!

Sitzt also Franz in dem gelben Rumpelkasten und fährt ins Land der Liebe, daß ihm alle Knochen wehtun. Unterwegs springt er aus: »Halt! Muß schauen, was die Frau Mutter macht!«

Und biegt in die Säulengasse ein, nachmittags, wenn der Herr Vater Schule hält. Mit dem ist nicht gut Kirschen essen. Aber die Frau Mutter, die hat allemal ein paar Taler im Strumpf, und da fällt für einen armen, notleidenden Musikanten immer etwas ab.

»Schau' nur, daß dich der Vater nicht sieht! Aber wart', auf ein Schalerl Kaffee kannst noch sitzen bleiben!«

So bleibt er noch sitzen auf die Länge eines Schalerl Kaffee. Hätte sich aber beinahe verplaudert, Himmelfix ...! Guckt richtig der Herr Vater bei der Tür herein.

»Ja schau', der Herr Franz!« Diese förmliche Anrede bedeutete nichts Gutes. Und bald geht's los aus einem anderen Ton.

»Ist doch zum Disparatwerden!« jammert der Alte. »Daß die Kinder so verschieden sind und daß grad' du daneben geraten mußt. Franz, Franz!« Der Alte greift sich an den grauen Schädel und tanzt vor ihm herum.

»Sind doch keine zwei Menschen gleich auf der Welt, warum sollen denn die Kinder nicht verschieden sein, jedes auf seine Art ....?! Ist deswegen noch lange keine Ursache, von daneben geraten zu reden!« wehrt sich der Sohn. Dann mault wieder der Alte. Aber der Sohn beharrt eigensinnig: »Ist doch ein Glück, daß die Menschen[S. 168] verschieden auf die Welt kommen und nicht alle gleich wie die Rechenpfennig, muß daher jedes auf seine eigene Art werden und gehen, wohin es jedes treibt. Bringt doch jedes sein eigenes Schicksal mit auf die Welt, das muß doch der Herr Vater endlich einsehen! Menschen sind keine toten Sachen, mit denen man beliebig schaltet und waltet .... und so ist es mit den Kindern. Die sind auch kein Eigentum, mit dem man beliebig verfährt, vielmehr sind sie den Eltern vom Himmel verliehen worden mitsamt der Pflicht, darauf zu achten, daß jedes in der ihm eigenen Richtung wachsen kann und darf.

Ja, Herr Vater, der liebe Gott weiß schon, was er will, und was der Mensch als sein Eigenstes hat, das hat er nicht vom Herrn Vater und nicht von der Frau Mutter, das hat ihm schon der liebe Gott gegeben, und zwar vom Mutterleib an. Oder soll der Herr Vater das Geheimnis von der wahren göttlichen Empfängnis nicht verstehen, das sich immer und immer wieder bei jeder Mutter vollzieht?! Habt ihr mir das Talent gegeben, hat es irgend jemand in unserer Familie gehabt? Nein. Es ist mir geworden, wie dem Menschen überhaupt je die Gaben werden — das wird kein Sterblicher ergründen! Es ist nicht immer leicht, dem Guten zu dienen, das einem im Leben vorgezeichnet ist — macht mir's nicht schwerer, als es ist, Herr Vater!«

Der Alte war fassungslos über diese Rede. Es muß etwas dabei gewesen sein, das jeden Widerspruch erstickte — er wußte es nicht, was man darauf sagen sollt', und weil ihm wirklich nichts Rechtes einfiel, und der[S. 169] väterliche Respekt doch irgendwie den Schein retten wollte, so tat er ganz erbost und stapfte aus dem Zimmer hinaus.

»Jetzt hast ihn aber wirklich bös gemacht, Franz — aber ganz unrecht hast du nicht in dem, was du sagst ...«

Die Mutter, die selber ein Kind unter dem Herzen trug, war empfänglicher für eine große, einfache Wahrheit.

Franz ging; er litt, weil der Vater litt — aber die Wahrheit mußte heraus, und bei allem Leid war es ihm leichter ums Herz.

Der Flieder duftet, ein Vogel singt, und draußen am Sieveringer Bach singt auch schon das eigene Herz: »War es also gemeint, mein rauschender Freund? Dein Singen, dein Klingen war es also gemeint? Zur Müllerin hin! so lautet der Sinn. Gelt, hab' ich's verstanden? Zur Müllerin hin! Hat sie dich geschickt, oder hast mich berückt? Das möcht' ich noch wissen, ob sie dich geschickt, ob sie dich geschickt. Nun, wie's auch sein mag, ich gebe mich drein, was ich such', ist gefunden, wie's immer mag sein ....«

Ja, in Sievering, da ist's zaubervoll! Da ist der Wind ein Kuß, da rauscht in den Brunnen der Wein, da schaut die Liebe aus jedem Fenster heraus, aus jedem blauen Äuglein! Da kommen ihm schon die alten Weiber entgegen, die Lotterieschwestern vom Agnesbründl, mit bunten Papiermützen auf dem Kopf, das Gesicht voll Rausch, und gewinstsichere Lotterienummern in der Tasche, die sie nachts in der Quelle der heiligen Agnes erschaut haben.

Rechts geht der Gspöttgraben hinauf, der führt zum Himmel. Ein weißer Kleiderzipfel funselt ihm vor den Augen.[S. 170] Schon ist er im Gebüsch verschwunden. Ein Liebespaar, das nicht gesehen werden mag!

Franz denkt: »Nur keine Angst, ich schau' ohnedies nicht hin, also nein, bitte! Geniert euch nur nicht! Ich hab' nur so vorbeigeblinzelt, nicht mehr!« Also nur keinen Spott! Wer im Gspöttgraben spottet, dem passiert leicht was Unangenehmes. Und wer auf Liebeswegen geht, der muß sich ganz besonders vor Unannehmlichkeiten hüten. Überdies, wenn Franz ein Liebespaar sieht, ist er selber mehr verlegen als die Verliebten. Ob's denen auch so geht? Ihm geht es so!

Steil geht's aufwärts. Droben am Himmel rauschen hundertjährige Bäume um den Saal des Gasthauses. Ein Klavier steht drinnen, verstaubt und verstimmt, das nimmt nun Franz, wenn er kommt, fest in die Arbeit. Und was ihm unterwegs eingefallen ist, das blüht jetzt hervor zu einem blühenden Strauß von Tönen. Die lachende Fanny bringt ihm den Wein, sie hört ihm gern zu, dem seltsamen Musikanten.

»Nach Arbeit ich frug, nun hab' ich genug, für die Hände, fürs Herze, vollauf genug, vollauf genug!«

An freien Nachmittagen kommt junges Wienervolk hier zusammen, um zu tanzen. Sie tanzen nicht Menuett wie die feinen Leute in der Stadt, sie tanzen Ländler und Walzer zu einer Klarinette, einer Gitarre und einer Ziehharmonika. Ist das ein Schleifen und Wirbeln, ein rhythmisches Wiegen, Walzer, Walzer! Ach und die herzigen Mädeln, und dazu der Fliederhauch des Abends und der heitere Kuß der Sommernacht, und vor allem die stumme, gotterfüllte Ekstase des Tanzes!

[S. 171]

Sie sind auch nicht geziert und gespreizt, diese kleinen, netten Verkäuferinnen, Modistinnen, Näherinnen und was sie sonst alle sind. Hier fragt man nicht nach Herkommen, nach Stellung und Würde, hier will man tanzen und lieben und weiter nichts. Hier ist man Mensch und genießt den Augenblick, der so reich ist an Glück!

Stolze, schöne Fee Melusine, dort unten in der Stadt, wie sollt' man das vergebliche Sehnen ertragen, wenn nicht deine niederen, aber nicht weniger schönen Schwestern wären, mildtätig genug, dieses Liebessehnen zu stillen!

Wenn man nicht ganz genau hinsieht, so kann man sich einbilden, die Fanny hat genau denselben Mund und dasselbe Lächeln wie Melusine. Der Kuß schmeckt fast ebenso, endlich hat er ihn auch hier bekommen — ist wohlfeil übrigens hier draußen! Und was ihm etwa noch fehlen sollte, das ersetzt er reichlich durch die Menge. Wie feuriger Sternenregen regnen die Küsse durch die blauschwarze Frühlingsnacht, der tramhaperte Wienerwald sieht mit verschränkten Armen gemütvoll zu; unzählbar die Liebespaare, die er in seinen schützenden grünen Falten birgt.

Fanny ist innig und beglückt, als sie mit Franz Arm in Arm auf den einsamen Waldpfaden im Umkreis der Wirtschaft herumspaziert. Mit rührender Aufrichtigkeit gesteht sie: »Es war seit undenklicher Zeit mein innigster Wunsch, einmal so mit einem Herrn zu gehen, und jetzt hat sich der Wunsch erfüllt!«

Süßer Fratz! Was soll man da für eine Antwort geben? Man gibt ihr einen schallenden Kuß, die Leute mögen[S. 172] schauen, wie sie wollen, es ist jetzt die Reihe an den anderen, verlegen zu werden, und obendrein sind ohnehin keine Leute da.

Aber damit war es gefehlt. »Ha!« schreit eine Stimme auf, ein junger Mensch mit einem Mädel im Arm sitzt auf einer halbversteckten Waldbank, zehn Schritte von dem verstörten Franz. Franz glaubt, er müßte in die Erde versinken: »Also du, Hüttenbrenner!«

Der lacht verschmitzt und doch zugleich etwas verlegen und ruft ihm zu: »Hast nicht den Schober gesehen, er ist nicht weit!« und kichert in sich hinein.

Sie erholen sich alle von dem anstrengenden Minnedienst am Hof der schönen Melusine. Hier am Himmel gibt es keine kalte Koketterie, kein feurig tuendes Fischherz — hier ist alles selbstverständliche Erfüllung, nahrhafte Kost fürs Herz, Hausmannskost.

Jetzt weiß man, wo Franz die vielen Tänze her hat, die er schreibt, die sogenannten »Deutschen« und die Walzer, die er jedesmal wie einen Strauß frischer Waldblumen von einer solchen heimlichen Reise ins Land der Liebe heimbringt. Dort draußen sind sie ihm entgegengeblüht, auf all den Schubertschen Wegen, die in den grünen, liebreichen und weinseligen Wienerwald führen.

Schwind steht Kopf vor Entzücken über die Deutschen, über diese Walzer. »Das ist die blühendste Musik, die ich je gehört hab', quellfrisch aus dem Herzen, aus dem Herzen des Wienerwalds —« vor allem aus Schuberts Herzen — Schwind kann nicht genug kriegen, Franz muß sie immer und immer wieder spielen.

Drinnen in der Stadt fangen die feinen Töchter schon an,[S. 173] Walzer zu tanzen. Das haben sie ihm zu danken, der den Tanz im Grünen erlauscht, erlebt und aufs neue zum Erklingen gebracht hat. Jetzt sitzt er ihnen in den Klavierfingern, dann geht er siedend ins Blut und jetzt wirbelt er schon in den Beinen.

Und der den Zaubertrank schöpfte, den geheimnisvollen Jungbrunnen des Wienerwalds — der geht still und unscheinbar dahin, nur im engen Kreis gekannt und geliebt; für die anderen ist er ein Name wie tausend andere, flüchtig genannt, vergessen und verweht. Noch denkt man nicht daran, daß man sich ihn merken müsse.


[S. 174]

VI.

Der Sommer brachte einige Veränderungen. Das Schicksal warf die Freunde durcheinander wie Spielbälle. Den einen riß es dahin, den andern dorthin. Der treue Spaun war bereits seit einiger Zeit nach Linz versetzt worden, in seine Heimatstadt, und schrieb sehnsüchtige Briefe, daß Franz doch kommen und eine Zeitlang in der schmucken Donaustadt verleben möchte. Jenger mußte von Amts wegen nach Graz — in seinen freien Stunden fungierte er als Sekretär des dortigen Musikvereins; Anselm Hüttenbrenner zog ihm nach.

»Zehn Jahre werden vergehen, ehe man dich wieder sieht!« prophezeite Franz dem Hüttenbrenner beim Abschied. Es schien, als sollte er recht behalten.

Anselm suchte eine Stellung, er bekam sie durch Jenger und wurde Dirigent des Steyrischen Musikvereins. Was Franz, der begnadete, trotz aller Anstrengungen, trotz aller vorzüglichen Zeugnisse und Empfehlungen, trotz Meisterschaft nicht erlangen konnte, das fanden die kleinen Talente im Handumdrehen, Würden, Ämter, Einkommen. Es ging mit seltsamen Dingen zu; woran lag es, daß er, der Berufene, nicht den Weg zu den leichten Erfolgen fand. War es ein Verhängnis, war es ein Glück?

[S. 175]

Daß es auch in Graz hübsche Mädchen gebe, das erfuhr man bald aus Anselms Briefen. Auch daß er in einem Zauberkreis festsitze und darüber alle Welt vergäße. Der losen Mädchen wegen die Freunde zu vergessen, das mochte dem Franz nicht gefallen. »So hol' doch der Teufel alle Mädeln,« wetterte er in einem Brief, »wenn du dich gar so von ihnen behexen läßt.«

Erst hinterher kam es heraus, daß es die Position war, die Anselm in Graz festhielt.

Beide, er und Jenger, wollten in Graz den Boden lockern für das Verständnis Schubertscher Schöpfungen. Freilich komponiert Anselm selber, zwei Sinfonien hat er in Arbeit, aber herzeigen tut er nichts, so sehr ihn Franz mit Freundeseifer drängt. Er ist lieb und gut, der Anselm, aber — was soll man denken? »Immer ein wenig versteckenspielen — mir gefällt die Leisetreterei nicht!« polterte Mayrhofer.

Franz bleibt arglos. »Recht hat er, jetzt kann er sagen wie Cäsar, lieber in Graz der Erste, als in Wien der Zweite. Gott gesegne es ihm!«

Also das muß man sagen, Neid kennt der Franz nicht; er läßt jedem seine persönliche Art und bleibt bei der seinigen. Er berichtet ganz offenherzig nach Graz über sein eigenes Leben und Schaffen. Daß er, Franz, auf Vogls Veranlassung die Musik zu einem Singspiel geschrieben hat, daß es aber trotz Vogl schwer sei, »wider Kanaillen wie Weigl, Treitschke usw. zu manövrieren. Drum gibt man statt meiner Operette andere Ludern, wo einem die Haare zu Berg stehen ....« daß ihm aber trotzdem[S. 176] allerhand neue Operngedanken durch den Kopf gehen und so weiter.

Ferner, daß Schober eine Sommerreise unternommen, und daß er, Franz, sein Heim bei Mayrhofer in der Wipplingerstraße aufgeschlagen hat. Sein Zimmer bestünde dort allerdings nur aus einem winzigen Alkoven, gerade groß genug für das Bett und einen grünen Vorhang, aber es sei angenehm und freundlich zu hausen in dem halbrunden Zimmer mit den vielen Fenstern, den schönen Büchern, dem Klavier und dem philosophisch angelegten Freund Mayrhofer.

So führten sie eigentlich ein recht ungeniertes Junggesellenleben zu zweit, das in der Hauptsache der Musik, der Dichtkunst und der philosophischen Unterhaltung gewidmet sei. Der Bruder Anselms sei jetzt häufig da; Joseph Hüttenbrenner, der geradewegs aus der Schule Sokrates-Plato käme und sich liebevoll bemühe, Anselms verwaiste Freundesstelle einzunehmen.

Eine elegische Bemerkung fließt ein über das allzu rasche Schwinden des Liebesfrühlings — daß der wilde Rosenstrauch der Liebe draußen am Himmel am Verblühen ist, sagte er gerade nicht, das gehört auf ein anderes Blatt, aber der Freund mag sich's denken, zumindest kann er es daraus entnehmen, daß Franz so auffallend heftig alle Mädchen zum Teufel wünscht. Er bringt jetzt nur mehr wenig Walzer und Tänze von seinen Streifzügen mit heim — auch das gibt zu denken, wenn Anselm versteht, zwischen den Zeilen zu lesen. Er habe jetzt ernstere Sachen im Kopf, er denke viel an die Milder, und dabei habe er sich immer mehr in die Therese verschaut, Melusine,[S. 177] die er seine tragische Muse nennt. Von einer geht ein sanftes Band zur anderen, das ihn gefangen hält. Man weiß schon, wohin es ihn zieht. Zum Theater.

Unter den Freunden gibt es darüber nicht geringes Aufsehen. Joseph Hüttenbrenner schärft seinem Bruder Anselm in den Briefen ein: »Für dermalen laß dir's angelegen sein, für Schubert ein Opernbuch zu schreiben; es fällt nebstbei auch ein Honorarium aus. Eure Namen werden in Europa genannt werden — Schubert wird wirklich, ein neuer Arion, am musikalischen Himmel glänzen usw. usw.«

Holzapfl, obgleich nur mehr selten im Freundeskreis gesehen, berichtet nach Linz an Stadler, einen gemeinsamen Konviktsfreund: »Ich weiß, er (Franz) schreibt auf Vogls Veranlassung und also nicht ohne Ursache, aufzuführende Operetten, Opern und andere große Dinge, die ich weder weiß noch höre; aber es ist so ....«

Einer sagt's dem andern, keiner weiß was Genaues, alle spitzen die Ohren, jeder dichtet und hat schon einen großartigen Opernstoff in petto — die Zaunkönige möchten mit dem Adler fliegen — das Theater, ja, das Theater ist das Tor zur Weltberühmtheit. Die Freunde ereifern sich, jetzt muß Schuberts Stern leuchtend aufgehen, er lächelt und läßt sie reden in ihrem blinden Enthusiasmus. Was helfen die trügerischen Worte — das Leben macht sich von selbst und meist anders, ganz anders als man denkt.

So stehen die Tage im Hochsommer.

»Kauft's ein'n Lavendel, zwei Kreuzer ein Büschel Lavendel! Ein'n Lavendel kauft's!«

[S. 178]

Der einförmige Klagegesang des Lavendelweibes zieht durch die sommerstillen Gassen.

Das lockt und zieht — ein Gruß aus duftenden Sommerwiesen, Wald und Bergwiesen, die von fern in die Stadt leuchten, grüngoldener Wienerwald. Der läßt einen nicht in Ruh'. Am wenigsten ein sinniges Musikanten- und Poetengemüt, wie es Franz zu eigen war.

Die Liebe liebt das Wandern — also auf und ins Grüne hinaus jeden freien Nachmittag und Abend. »Fanny, liebe Fanny!« so hat es vor kurzem noch geheißen. Aber die Sonnenwende ist herum, oder war es die Herzenswende?

»Fanny, Herzensfanny, was haben sie denn mit dir gemacht?« Das Wienerwaldkind am Himmel hat wenig Zeit für das Singerlein. »Mit so einem Herrn zu gehen, war immer deine größte Sehnsucht, soviel ich weiß — und jetzt?« Die Frage hat er auf der Zunge, sie rutscht ihm endlich heraus.

Sie ist schnippisch, dreht ihm flink den Rücken und sagt: »Ja, das war im Mai — jetzt ist Juli, da ist es mir zu heiß.«

»Dummes Mädel, mich hältst du nicht für einen Narren ...« Er läßt sich eine Zeitlang nicht blicken.

Dann aber treibt ihn wieder ein ungewisses Etwas. Also wandert er mit seinem Stock das Gspöttgräblein wieder hinauf — »denn die Liebe liebt das Wandern.«

Summt sich dabei eins: »O Bächlein meiner Liebe, was bist du heut so stumm, will ja nur eines wissen, ein Wörtchen um und um, ein Wörtchen um und um. Ja, heißt[S. 179] das eine Wörtchen, das andere heißet Nein, die beiden Wörtchen schließen die ganze Welt mir ein.«

Das Haus am Himmel steht einsam an Wochentagen, so ist es der Liebe recht. »Fanny, liebste Fanny, wo steckst du heut?« Sie hat ihn gewiß kommen gesehen und läßt ihn heute zappeln. »Schaut sie auch nicht zum Fenster heraus, so schaue ich doch zum Fenster hinein — ist also einerlei!«

Da steht der kleine Musikus vor dem etwas hochgelegenen Fenster, ein wenig muß er sich an dem Gesims emporziehen, und späht in den Raum hinein.

Nein, Fanny hat ihn nicht kommen gesehen, ahnungslos sitzt sie drin an einem Tisch und neben ihr sitzt so ein frecher Kerl beim Wein und hat den Arm um sie geschlungen. Sie sitzen allein in der Stube, und sie schauen sich so sengend heiß an, als ob sie jeden Moment Feuer fangen müßten.

Auch dem Franz schießt Feuer in die Augen — oder war es das Wasser? Einen kleinen Bremsler hat es ihm doch gegeben, er rennt vom Haus weg und waldein. »Mit so einem Herrn zu gehen, das war immer meine Sehnsucht!« Er hört die Worte noch immer, sie klingen jetzt wie Hohn. Dem andern sagt sie gewiß dasselbe, und der ist bezaubert davon, so wie es auch er war. Ach, der Zauber ist süß, und wer ihn verliert, der ist elend dran.

Franz ist ins Grüne hineingerannt, jeder Weg war ihm recht. Nur immer fort ins Grüne: »In Grün will ich mich kleiden!« Feuer und Wasser stehen ihm in den Augen.

»In Grün will ich mich kleiden, in grüne Tränen weiden[S. 180] — will suchen einen Zypressenhain, eine Heide von grünen Rosmarein —«

Feuer und Wasser, das lebt wie Hund und Katz'. Dem Franz ist jetzt wirklich traurig zumute. Aber es dauert nicht lange, so haben Feuer und Wasser einander aufgefressen, und wären es Hund und Katz' gewesen, so wäre kaum ein Schwanzstückl übriggeblieben.

Jetzt muß Franz schon lachen über sich selber. Er hat nämlich eine Stimme in sich, die in allen lächerlichen oder empfindsamen Situationen erwacht und leise fragt: »Franz, dummer Kerl, schämst dich nicht?« Gegen diese innere Stimme war nicht aufzukommen. Sie pflegte, wenn nichts anderes half, einen schlechten Witz zu reißen, und dann war alles Krankhafte, Sentimentale geliefert. So gesund war Franz innerlich, so kerngesund!

Und jetzt lachte er schon im seligen Humor: »Grabt mir ein Grab im Wasen, deckt mich mit grünem Rasen — kein Kreuzlein schwarz, kein Blümlein bunt, grün, alles grün so rings und rund — so rings und rund —«

Und lief so rings und rund — so rings und rund und lief sich gesund, ganz gesund im grünen Wienerwald. Es war völlig dunkel, als er am Haus am Himmel wieder vorbeiging, die Fenster waren ohne Licht, die Türen geschlossen, alles schlief. Klopfenden Herzens schlich Franz näher, ein kleiner Spotteufel ward in ihm rege, er wollte nicht fortgehen ohne Abschied. »Will dich im Traum nicht stören, wär' schad' um deine Ruh' — schreib' im Vorübergehen ans Tor dir: Gute Nacht! Damit du mögest sehen, an dich hab' ich gedacht!«

[S. 181]

Schreibt also im Vorübergehen ans Tor ihr: Gute Nacht! und hat ein kleines Sterbekreuzel daneben hingemalt.

Gute Nacht! Die Liebe ist gestorben — wo, wo ist sie gestorben im grünen, grünen Wienerwald? Wo findet ihr den Zypressenhain, wo das Grab im Wasen, wo das Kreuzlein schwarz (außer an der Tür!)? Nichts kündet euch den Liebestod, grün ist alles, so rings und rund! Ist die Liebe wirklich gestorben?

Nein, sie lebt, sie lebt in den Tänzen, Liedern und Weisen, die Franz bei seinem Wandern im grünen Land der Liebe heimgebracht hat.

Das grüne Wogen ist darin, die heitere Sinneslust, die gotterfüllte Ekstase, das Schleifen und Wiegen — vielleicht auch die heimliche Träne, die aus dem Herzen hineingeflossen ist, das Schönste und Ergreifendste daran, sein Eigenstes!

Aber es konnte nicht immer bei dem bleiben — denn die Liebe liebt das Wandern — Gott hat sie so gemacht! — von einem zu dem andern — Gott hat sie so gemacht!

Franz steigt zur Stadt ab, in der da und dort noch Lichter glühen. Er ist getröstet und beruhigt. Ein inniger Quell von Trost erquickt ihn, wie immer. Er denkt an die Stadt unten, die so unendlich viel umschließt, und denkt recht eigentlich an die Eine, Unvergleichliche, die unter den Freunden Melusine genannt wird und die alles verkörpert, was das Herz im unbestimmten Verlangen ersehnt: die Kunst, die Liebe, die Stadt, alles dies und noch viel mehr drückt sich in seiner Sehnsucht aus, und diese Sehnsucht hat den Namen Melusine. Wenn ein kleiner Liebeskummer einbricht, dann steht ihr Bild groß[S. 182] vor Augen, eine anziehende magische Kraft, die verhütet, daß sich das Herz in kleinen Liebeständeleien verirrt oder gar verliert.

Todmüde wirft sich Franz um Mitternacht ins Bett, ein bleierner Schlaf drückt ihn nieder, er erwacht am anderen Morgen mit einem katzenjämmerlichen Gefühl. Etwas hat man verloren, und war es auch nur eine Illusion. Aber das Dasein besteht nur aus Illusionen, also hat man ein Stück Dasein verloren. Das Leben ist wieder um einen Schatten tiefer.

Ein Glück, daß ein Brief von Vogl da ist, der sich zum Sommer in seiner Vaterstadt Steyr befindet. Vogl fühlt sich einsam, er möchte sich mit neuer Musik auffrischen, Schuberts Lieder sind ein Jungbrunnen für ihn, Franz möge doch nach Steyr kommen und den Sommer mit ihm in Oberösterreich zubringen.

Wenn von Steyr die Rede ist, geht auch dem Mayrhofer das Herz auf. Er ist ja selber Steyrer. »Die Steyrer singen gern,« rühmt Mayrhofer, »das kommt von der blauen Enns, die so stattlich um die Stadt rauscht, oder von der grünen Steyr, die ihr singend in die Arme stürzt — also merk' auf, Steyr ist was für dich! Vor den Mädeln nimm dich in acht, haben Augen blau wie die Enns, spielen aber die grünen Lichter der Steyr drin — ist ihnen nicht zu trauen, diesem Blau und diesem Grün, haben gefährliche Tiefen, Wirbel und Strudel, es reißt dich hinein, du weißt nicht wie ...« Spielt sich gar zu sehr auf den väterlichen Warner hinaus, der weiberfeindlich gesinnte Mayrhofer.

Jetzt hat die Sonne wieder neues Licht. Vogls Einladung,[S. 183] das läßt man sich nicht zweimal sagen. Man sieht dabei ein Stück Welt, besucht in Linz die Freunde, die schon so oft geschrieben haben, ob er denn gar nicht kommen mag — also jetzt wird es Ernst. Es treibt ihn förmlich hinaus. Kleingeld hat er in der Tasche, »Die Zwillingsbrüder«, wenn auch nicht aufgeführt, haben wenigstens einen Vorschuß gebracht; es langt. Ach, Berge, Städte, Freunde! Die Brust wird wieder weit.

Ja — die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht — von einem zu dem andern, Gott hat sie so gemacht!

Die Reisetasche her: sie hat einen mächtigen Bügel, aber die schöne Stickerei auf der Außenseite ist längst verblichen; die Tasche ist vom Herrn Vater, dem hat sie schon vor langen Jahren auch gedient. Bedachtsam schiebt Franz die wenigen Habseligkeiten hinein, die er braucht, etwas Wäsche, ein Paar Schuhe, einen Anzug — der alte dient auf der Reise und auf der Wanderschaft — so, das wäre jetzt alles, bis auf die Noten und das Notenpapier, es nimmt den größten Raum ein. Zum Platzen vollgestopft ist die Tasche, und schwer! Schwer von der musikalischen Fracht, der geschriebenen und der ungeschriebenen.

Jetzt wird noch das Ränzel gespickt mit allerhand Kleinigkeiten, die man unterwegs braucht, vor allem mit guten Freßsachen. Andächtig schiebt er ein Päckchen ums andere hinein, die er vormittags eingekauft hat, steckt ab und zu einmal die Nase zum Papier, hm! duftet fein! Zwei Paar Tiroler Landjäger, davon kann ein Mensch acht Tage lang leben, ein Stück ungarische Salami, noch etliche[S. 184] andere Wurstzipfel, einen echten Emmentaler, ein Stück ungarischen Paprikaspeck, eine Anzahl Brote, damit ist man versorgt — jetzt kann kommen, was mag, man ist gegen die Wechselfälle des Schicksals für mannigen Tag vorgesehen. Am Abend wird der Abschied gefeiert, Mayrhofer, Schwind, Holzapfl, Joseph Hüttenbrenner sind dabei. Jeder verspricht nachzukommen, in einem Monat vielleicht, in drei Wochen, in vierzehn Tagen. Beim Abschied schwelgt man schon in der Freude des Wiedersehens. Man hat soviel Vorsätze und genießt es im voraus, oft der einzige Genuß. Den lassen sich die Freunde nicht entgehen, sie sitzen und trinken und schwärmen bis tief in die Nacht.

Am anderen Morgen in aller Früh geht der Postwagen. Der Schlaf ist verflogen, als Franz beim Kutscher vorne sitzt und die Linzer Straße hinausfährt. Die Stadt versinkt hinter seinem Rücken: Leb' wohl, schöne Fee Melusine! Der Wienerwald erhebt sich links und rechts schwellend grün, Kuppe über Kuppe, ein wogender Ozean von Grün. Und drüben, ja drüben, ist das versunkene Haus am Himmel. »Leb' wohl, Fanny, leb' wohl auf Nimmerwiedersehen! Der Teufel hol' die Mädels!« So schnell kriegt ihn jetzt keine mehr dran.

Ist das eine Seligkeit, so drauflos zu fahren ins grüne Meer von Niederösterreich. Der Wagen geht dahin wie ein gelbes Schiff durch die grünen Fluten von Wiesen und Wäldern. Alles ist neu und festtäglich, was man sieht, die Bauersleute, die zu Fuß oder zu Wagen dahinziehen, das Treiben in den Herbergen beim Pferdewechsel, es geht zu wie im ewigen Leben. Die Sorgen,[S. 185] die Schmerzen hat man zu Haus gelassen, man fühlt sich wie Gott in Frankreich. Fast so wie auf der Reise nach Zelez, eigentlich aber besser, denn nach Zelez ging's doch in eine wenn auch sanfte Abhängigkeit, hier aber reist man der ungebundenen Freiheit entgegen. Kein Amt, keine Pflicht wartet und legt am Ziel neue Fesseln an. Ein ganzer Sommer steht noch bevor, ein Sommer der Kunst und des heiteren Daseins, der vegetative Mensch lebt und atmet Glück.

Die tausend Fenster rechts, das ist das Melkerstift, die funkelnden Türme gehören dazu, jetzt blitzt der Silberstreifen der Donau auf, weiter draußen das Kirchlein am Berg, das ist Maria-Taferl, weiße Schlösser, Burgruinen, Wein, Strom und Wald — die Augen können sich nicht satt trinken an all diesen Herrlichkeiten, die Augen und das Herz! Kaum hat man es erschaut, ist es schon vorbei, das gelbe Gefährt schwankt wieder in den Wogen von Grün dahin, andere steingraue Städtlein stehen auf, einzelne breite Gehöfte lugen zwischen Obstbäumen hervor. Das Land trägt ein buntes Gesicht und gleicht einem gesegneten Garten, es ist das liebliche Oberösterreich. Ein Fluß wälzt schäumende Fluten daher, das ist die Enns.

Endlich am zweiten Abend schwankt der gelbe Wagen zwischen engen Gassen, hinauf, hinab, über ein holperiges Pflaster, ein Engpaß von Gemäuern schließt sich zusammen, eine Menge Läden sind darin, Menschen und Wagen drängen sich durch, dann tut sich ein unendlich weiter, schmuckvoller Platz auf mit alten, reichverzierten Patrizierhäusern, kunstvoll verschnörkelten Wirtshausschildern aus Schmiedeeisen, rostbraun und golden, hinter den[S. 186] steinernen Toren stille klösterliche Haushöfe mit weißen Arkaden und pendelnden Blumen — das ist die schöne Stadt Steyr, um die sich die blaue Enns und der grüne Steyrfluß zu einer blaugrünen Masche knüpfen.

Man ist am Ziel.

Franz klettert vom Wagen herab, die Knochen im Leib sind ihm förmlich zerdroschen von der Ratterei des Wagens, kaum daß er auf den Beinen stehen kann. Da ist er schon von einer Menge Leute umringt, die ihn herzlich und teils sogar respektvoll begrüßen, der gravitätische Vogl an der Spitze, der ihn gönnerhaft den Honoratioren vorstellt, dem Herrn Silvester Paumgartner, Hausbesitzer, Vizefaktor der Eisengewerkschaft, Besitzer einer wertvollen Instrumentensammlung; dem Herrn Advokaten Schellmann, Freund Vogls und leidenschaftlicher Klavierspieler, in dessen Haus am Platz für Franz ein Zimmer im zweiten Stock reserviert ist; dann dem Herrn Kaufmann Joseph von Koller und seiner Tochter Josephine, die als Sängerin und Pianistin einen k. k. Provinzialruhm genießt; endlich die Frauen, Töchter und deren Freundinnen, eine Schar von Mädchen und alle blitzsauber! Wird ihm gleich etwas bang dabei, die Sehnsucht fängt zu schwellen an, die Traurigkeit gewinnt Oberhand. »Was machen's denn für ein Gesicht!« stößt ihn Vogl an, der immer gern ein wenig hofmeistert.

Franz redet sich auf seine Müdigkeit aus, im übrigen denkt er, der Mensch wird doch ein Gesicht machen dürfen, wie es ihm paßt. Es ist ihm zuwider, daß Vogl gar zu gern den Protektor hervorkehrt. Immerhin, er meint's gut, aber zuwider ist es doch ...

[S. 187]

Eine richtige Schwelgerei in Musik geht los. Die Steyrer sind ganz baff über die Kunst, die Franz im Verein mit Vogl hervorzaubert. Wenn Vogl singt und Franz ihn am Klavier begleitet, so daß sie in solchen Augenblicken eins zu sein scheinen, dann reißen die Zuhörer Mund und Augen auf, fassungslos vor Staunen und Entzücken. Daß es so was gibt, ist für sie völlig neu und unerhört.

Wenn in der k. k. Provinz die Begeisterung entfesselt ist, dann gehen die Wogen sehr hoch. Es sind gesunde, ungebrochene Naturen, die können was leisten. Dem Franz kommt's vor, als ob von nun an alle Tag Sonntag wäre.

Der neue Kreis von lieben, eifrigen Menschen gibt sich alle erdenkliche Mühe, um ihm das Leben so angenehm als möglich zu machen. Am rührendsten ist Silvester Paumgartner. Er führt ihn in der Stadt umher, zeigt ihm diese und jene Besonderheit und weiß von allen Dingen die Geschichte. Am liebsten freilich läßt sich Franz in die Eigentümlichkeiten der Stadt von Josephine einweihen, die ihn immer häufiger zu Spaziergängen einladet. Im Haus bei Schellmann sind allein acht Mädchen, mudlsauber alle, und alle gehen dem jungen Meister liebreich um den Bart. Er ist Hahn im Korb und läßt sich wohl geschehen.

Wenn nicht am hübschesten, aber doch am interessantesten ist die Josephine. Sie gibt sich exzentrisch und spielt sich auf die Weltdame hinaus. Es liegt ihr nichts daran, daß die Leute die Köpfe zusammenstecken und sich ein wenig mokieren über sie. Wenn sie nicht so überschlank wäre, dann könnte man an die Fee Melusine denken, überlegt Franz; freilich mit dem weiteren Unterschied noch,[S. 188] daß Therese im wirklichen Sinn Dame ist, während die exzentrische Josephine trotz ihrer anscheinend freien Art nicht ganz das Provinzielle abstreifen kann.

»Genau so habe ich Sie mir vorgestellt!« sagt sie ihm schon in den ersten Tagen.

Er aber denkt: »Mich kriegst du nicht dran!« Sie gehen am Vormittag über die Ölstiege zur Enns hinab auf den Schiffweg. Der dunkle Stationsweg mit den roten ewigen Lichtlein an den Heiligenbildern in diesem steinernen Schacht hat so eine eigene Stimmung. Das Mädchen bleibt gerne stehen auf den steinernen Stufen in dem halbdunklen Gang, plaudert und schaut ihm ins Gesicht. Ihre Augen geben grüne Lichter — Mayrhofer hat recht: »Nimm dich in acht, der Zauber ist gefährlich ...«

Am Schiffweg unten kommt schon die blaublickende Enns daher mit Singen und Rauschen. Wundervoller Sang, die rollenden Kiesel am Ufer klingen geheimnisvoll mit. Josephine angelt mit den Augen. Die sind jetzt hell und klar und blau wie die Wasser der Enns. Forellen schießen im Strom daher, dem Franz ist es so wohl wie den Fischen im Wasser, und er denkt: »Angle nur zu, mich fängst du so wenig wie die Forellen, solang es vor mir so klar und licht ist ..«

Josephine redet von der Liebe. »Den ich einmal wollte, der ist gestorben, und den ich jetzt möchte, der weiß es nicht, oder tut er vielleicht nur so?«

Franz hütet sich zu fragen: »Wer?« Er greift fest ins Klavier, sie spielen vierhändig. Ein neues Werk wächst unter seinen Händen, das Singen und Rauschen der Enns ist darin, das Schießen der Forellen, das Haschen und[S. 189] Fangenwollen, das hurtige Enteilen; in munteren Läufen trillert eine Stimme, die rollenden Kiesel am Schiffweg singen mit. Sonnenschein und Frohsinn ist darüber — ein volles Glück neigt sich herab, Franz tut es der Forelle gleich, die in glashellen Fluten aufwärts schwimmt — in Laune und Übermut ringt er sich nach heiteren Höhen empor.

Tagelange Fahrten werden ins Land unternommen, nach Kremsmünster, nach Florian in die geistlichen Stifte, überall sind die Sänger, Künstler und Freunde in Ehren empfangen und gefeiert. In Kremsmünster schließt sich ein Student der Sängerfahrt an, er will nach Wien reisen, er verbummelt seine Tage, so stark hält ihn Schuberts Musik gefangen. Endlich reißt er sich los, sonst wird ihm das Geld zu knapp. »Er soll in meinem Bett schlafen für die Tage, die er in Wien weilt!« so schreibt Franz dem Mayrhofer. »Sie haben doch ein gutes Herz!« sagt Josephine, die dabei ist, als Franz dem Studenten den Empfehlungsbrief zum Abschied gibt.

»Sie haben doch ein gutes Herz!« wiederholt sie später öfter, wenn sie die Ölstiege zum Schiffweg hinabgehen, und bleibt stehen: »Sie verdienen dafür belohnt zu werden.« Sie macht dabei so eigentümliche Augen, daß der Franz wegsehen muß, sonst zappelt er wirklich wie die Forelle an der Angel.

»Kriegst mich nicht dran!« denkt er beharrlich, aber so ganz selbstsicher ist er nicht.

Das begonnene Werk wächst weiter, es will sich glücklich vollenden.

»Sie komischer Mensch, wenn ich ein Mann wäre wie[S. 190] Sie, ich würde mir die Trauben nicht in den Mund hängen lassen, ohne sie zu verkosten.«

Die Trauben in den Mund hängen lassen, ohne sie zu verkosten, das will er auch nicht, dazu ist er Mann genug; aber es ist ihm zuwider, wenn sie sich gar so aufdrängen, die Trauben; da verlieren sie an Reiz, und er denkt sich: Justament nicht! Ein Glück, daß er am nächsten Tag nach Linz muß auf ein paar Tage, die Sehnsucht nach den Freunden drängt, sonst hätte er, wer weiß es, wirklich zugeschnappt.

Mayrhofer und Schwind kommen ja doch nicht, trotz aller guten Absichten, aber Spaun in Linz, den man so lange schon nicht gesehen hat, und Stadler, ein Konviktsgenosse, der ihn als Musikfreund näher kennt, die will er bei dieser Gelegenheit sehen. Vielleicht, daß sie dann einen Gegenbesuch in Steyr machen.

Linz an der Donau mit dem Pöstlingberg, das ist eine schmucke Stadtschöne. Mit Spaun und Stadler kommt er zu Linzer Kunstfreunden, er ist da und dort zu Besuch, die Menschen sind stilvoll wie alte Porträts, am Kaffeetisch werden ihm zu Ehren die kostbaren Porzellanschränke aufgetan, er trinkt aus alten vergoldeten und kunstreich bemalten Schalen, er betrachtet die Bilder an den Wänden, die schweren eingelegten Möbel, die schönen illustrierten Bücher in den Schränken, alles, was er sieht und kennen lernt, ist gesättigt mit Kunst und Geschmack; es ist eine neue wundervolle Welt im Kleinen.

Abends vereinigen sich die jungen Freunde in einem alten gewölbten Lokal, wo man den besten Wein kriegt und der aus dem Stift Kremsmünster stammt. Zum Nachtmahl[S. 191] gibt's eine Hausspezialität: »Katzengeschrei.« Dreierlei Fleisch in Würfel geschnitten, Kalbfleisch, Schweinefleisch, Rindfleisch, mit würziger Sauce und großen Semmelknödeln dazu — es schmeckt herrlich. Und dann der Wein drauf — kein Wunder, daß allen das Herz aufgeht und die Zunge überfließt. Was tut man, wenn der Wein endlich Herz und Zunge aufgeriegelt hat? Man singt. Man singt, daß die Gasse klingt und die Leute in den dunklen Fenstern die Köpfe herausstecken und die halbe Nacht lang andächtig zuhören.

Schließlich aber ist der Wein der Stärkere, der Gesang wird übermütig, er gluckst, hopst, lacht, torkelt, lallt — es wird ein richtiges Katzengeschrei. Da schließen sich die Fenster, denn es wird bald wirklich zum Steinerweichen.

Aber es ist nichts Arges dabei, man geht in Seligkeit von dannen. Und merkwürdig. Wie kann man denn, wenn einem die Trauben schon in den Mund hängen, vergessen, zuzubeißen? Es will dem Franz jetzt nicht aus dem Sinn. Blaue Augen mit grünen Lichtern funkeln vor ihm noch im Traum. Die ganze Nacht denkt er an Josephine.

Zappelt jetzt die Forelle an der Angel?

Am nächsten Tag kehrt er nach Steyr zurück. Die Enns rauscht und singt. Er hat ihr Rauschen und Singen eingefangen, ein sonniges, glühendes Werk ist ihm entstanden, die frohen Steyrertage sind darin, sein ganzes Glück dieser Zeit — Forellenquintett heißt es, er schenkt es dem Silvester Paumgartner, der sich trotz des Altersunterschiedes als wärmster und aufmerksamster Freund erwiesen hat.

[S. 192]

Eigentlich wollte er es der Josephine schenken. Aber im letzten Augenblick besann er sich eines anderen. Sie sprach wieder von der Liebe und neckte ihn, weil er tat, wie der keusche Joseph. Er aber hatte schon Feuer gefangen — die Trauben, die so tief hangen, die wollte er nun doch nicht unverkostet lassen.

Aber blitzschnell bog sie ihm aus. »Nein, nein!« In ihren Augen blitzten die grünen Lichter. »Vor einigen Tagen war ich bereit — alles hätte ich gewährt, ich hatte es mir fest vorgenommen — warum sind Sie, anstatt mich zu erwarten, nach Linz gefahren?«

»Warum?« Jetzt wußte Franz, sie spielt gern die Verwegene und Leidenschaftliche, aber sie ist es gar nicht; sie tut nur so und hält ihn zum besten. Sie glaubt, das ist jetzt à la Mode, und meint weiß Gott, was für gefährliche Abenteuer sie überstanden hat.

»Warum? Das will ich Ihnen auf dem Klavier sagen.«

Jetzt hat Franz das Heft in der Hand; ein paar Takte, ein kleiner Sang: »Die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht, von einem zu dem andern, Gott hat sie so gemacht!«

Das Liebesspiel ist aus, wer hat das Nachsehen? Auf alle Fälle hat Franz gewonnen; was er gewonnen, klingt fort in seinem Forellenquintett, fort ins Ewige.

Ade, du muntere, fröhliche Stadt, ade! Der Herbst ist da, aber das Scheiden von hier ist nicht leicht.

Ein so voller, schöner Sommer — und zum Schluß die unausgesprochene bange Frage: »Wann werde ich je wieder so glücklich sein?«


[S. 193]

VII.

Im Gundelhof ist alle Freitag musikalische Soiree bei dem Wiener Rechtsanwalt Dr. Ignaz von Sonnleithner. Der alte Herr von Sonnleithner scheint im Leben ein ziemlich trockener Patron, eine etwas nüchterne und schwunglose Advokatennatur, nur bei der Musik hat er sein Herz entdeckt. Eine kleine Gesellschaft von Musikfreunden findet sich seit Jahren an den Freitagabenden bei ihm ein, der Andrang ist mit der Zeit so groß, daß Eintrittskarten verabreicht werden; was zuerst eine private Liebhaberei war, wird nach und nach eine mehr und mehr öffentliche Einrichtung; die Gesellschaft der Wiener Musikfreunde bildet sich als Pflegestätte edler Musik heraus. Sie wird so groß, daß sie einen Ableger entsendet, den kleinen Musikverein, der sich auf intimere Veranstaltungen verlegt und ebenfalls aus dem Privatsalon in den Konzertsaal hinüberwächst.

Schubert ist dort kein Unbekannter mehr, wenigstens dem Namen nach; als er noch der Schulgehilfe vom Himmelpfortgrunde war, ist eine Kantate von ihm im Gundelhof aufgeführt worden. Der Sohn Leopold von Sonnleithner, ebenfalls Konviktszögling, hat seither eifrig Schubertsche Blätter gesammelt, die in Abschriften von Hand[S. 194] zu Hand gingen, und die ihm neuerdings durch Joseph Hüttenbrenner reichlicher zufließen.

Den Mittelpunkt der Gesellschaft der Musikfreunde bilden drei liebliche Schwestern, die in ihrer Dreieinheit die Wiener Muse des Gesangs verkörpern. Sie heißen Schwestern Fröhlich. Wenn der Name genannt wird, dann leuchten die Gesichter auf, ein freundliches Lächeln erwacht. So groß ist die Wirkung, die von den Schwestern ausgeht.

Zu den Fröhlichs in der Singerstraße kommt Leopold eines Tages mit Noten von Franz. »Die Lieder sind von einem jungen Menschen — vielleicht probiert ihr sie; sie sollen recht gut sein.« Mehr sagt er nicht. Die Schwestern sollen selber sehen, was dran ist.

Die Lieblichste von den Dreien, Kathi, setzt sich gleich ans Klavier, versucht die Begleitung und singt mit halber Stimme. Das erste Lied ist der »Erlkönig«. Im Nebenzimmer befindet sich der Vetter Sonnleithners, der junge und schon vielgenannte Dichter der »Ahnfrau«, Franz Grillparzer, Kathi ist seine Braut. Das ist der, von dem Schubert des öfteren schwärmt und den er so gern zu seinen Freunden zählen möchte. Außer Grillparzer ist Gymnich da, ein junger, blasser Mensch, brustleidend, Besitzer einer außerordentlich schönen Stimme, in seinen Nebenstunden Beamter — die meisten sind Beamte in ihren Nebenstunden, auch so Große wie Grillparzer, die Kunst ist brotlos, und Genies wie Schubert und Schwind müssen darben.

Auf einmal horcht Gymnich auf, tritt ins Klavierzimmer[S. 195] zu Kathi: »Was spielen Sie denn da? Ist das Ihre Phantasie?«

»Nein! Ein junger Mensch hat es gemacht, ich kenne ihn nicht näher, doch warten Sie: wie heißt er? Schubert! Den Namen hab' ich schon nennen gehört, aber ich weiß nicht wann und wo — einerlei. Schön, nicht wahr?«

Gymnich ist außer sich. »Das ist ja herrlich, das ist etwas ganz Außergewöhnliches! Lassen Sie doch sehen!«

Jetzt singt er, Kathi begleitet ihn. Die Männerstimme bringt es jetzt klar heraus, was in dem Lied steckt, alle Schauer, alle Abgründe — die Zuhörer sind hingerissen.

Die anderen Blätter werden durchgespielt, man kann sich kaum mehr trennen davon, den ganzen Abend lang werden diese Lieder gesungen und wieder gesungen.

»Und der Mann lebt in Wien? Und wir kennen ihn nicht? Sonnleithner, das ist eine Schande! Sie müssen ihn zu uns bringen, und zwar gleich, in diesen Tagen noch, morgen, übermorgen. Verstanden?!«

»Ja.« Leopold Sonnleithner hat verstanden. Am dritten Tage kommt er mit Franz, den er am Rockärmel hält. Es war nicht ganz leicht, fast mit Gewalt und Joseph Hüttenbrenners Unterstützung hat man ihn hergeschleppt. Die Aussicht, Grillparzer zu treffen, den er so gern kennen lernen möchte, wirkte eher als Abschreckung, so geniert fühlte er sich. Da standen sich nun die beiden gegenüber, sie waren neugierig aufeinander und fanden nicht das rechte Wort, das die Brücke hätte sein können von Herz zu Herz.

Grillparzer war verschlossen seiner Gewohnheit gemäß,[S. 196] Schubert war scheu und ging gleich ans Klavier; was aber die Worte nicht zu binden vermochten, das vollbrachten die Töne, die unter den meisterlichen Fingern dem Instrument entstiegen, und außerdem wußten die drei Schwestern als freundliche Grazien mit den beiden, die sich schwer taten, so umzugehen, daß allen leicht und wohl wurde. So entstand eine wortlose, zurückhaltende Freundschaft, von der man nicht mehr wußte, als daß sie da war, und daß sanfte und liebreiche Frauenhände die Bande zu einem ganz haltbaren Knoten geschlungen haben. Zu den Schwestern Fröhlich kam nun Franz öfter und öfter.

Bald hernach sang Gymnich den »Erlkönig« im Gundelhof an einem Freitag abend. Die Leute waren bezaubert.

»Wie geht es denn eigentlich zu, daß so ein Mensch nicht schon längst berühmt ist, eine anerkannte Größe in der Welt?!« Dem alten Sonnleithner war es völlig unbegreiflich.

»Wie es zugeht? Ungerecht geht's zu in der Welt, elend — fragen Sie den Herrn Verleger Diabelli oder Haßlinger, dann wird es Ihnen klar sein ...« so redet Joseph Hüttenbrenner, der ein getreuer Famulus Schuberts geworden war und immer eifriger begann, den Verwalter des Genius zu spielen. Er erzählte wahrheitsgetreu, wie die Lage war.

»Unsinn, ist doch ein aufgelegtes, gutes Geschäft, wenn man's so betrachten will, vom Verlegerstandpunkt,« entgegnete der alte Sonnleithner in seiner etwas barschen, trockenen Weise; »da muß halt was getan werden, warum[S. 197] soll denn der Verleger nicht wollen? Werd' einmal selber reden mit ihm.«

Es hat aber dem Herrn Advokaten nicht viel genützt, weder bei dem einen, noch bei dem anderen, keiner traut sich recht, einen Pfennig anzulegen, sind alle mitsamt erbärmliche Drücker, die ein Geschäft erst machen, wenn sie den Profit schon von vornherein gesichert und bar auf dem Tisch liegen haben.

Wenn doch der Herr Doktor und die vielen Freunde sich zusammentäten und die Kosten aufbrächten, dann wollte sich der Herr Verleger schon eher bereit finden lassen, die Sache in Kommission zu nehmen und den Profit einzustecken — nun ja, warum denn nicht! Man tut ja gern was für ein junges Genie; aber auf Verlegerunkosten — nein! Wütend geht Sonnleithner heim, er wendete hin und her, wie sich's machen ließe — jedenfalls, jetzt gibt's kein Lockerlassen mehr!

Inzwischen findet ein öffentlicher Abend im kleinen Musikverein statt, Gymnich singt den »Erlkönig« im Konzertsaal. Das hat jetzt eine durchschlagendere Kraft als alle früheren Veranstaltungen in privaten Zirkeln und Wohltätigkeitsakademien. Das Publikum ist rasend, der Komponist wird herausgestampft, diesmal haben ihn die Freunde nicht entwischen lassen. Hüttenbrenner, Schober, Mayrhofer, sie haben zu tun, ihn vom Künstlerzimmer aus aufs Podium zu bringen. Jetzt steht er oben mit etwas verwursteltem Frack, macht ein paar linkische Kratzfüße vor der begeisterten Menge — und weg ist er, fluchtartig herunter und verschwunden. Keine Macht der Erde bringt ihn mehr herauf, er ist froh, daß es überstanden[S. 198] ist. Aber soviel steht fest, der junge Meister ist entdeckt.

Sein Schaffen im Verborgenen war einem Strom vergleichbar, der viel verzweigte unterirdische Gänge wählt und nur da und dort mit einer prachtvoll strömenden Welle an die Oberfläche tritt. In der Tiefe wühlt er sein Bett und sammelt im Verborgenen seine Gewässer; kann aber nimmer lang dauern, da muß der Strom hervorbrechen ans Tageslicht in voller Kraft und Herrlichkeit, der Welt ein neues Licht zu geben. Wer hineinschaut, sieht Sonne, Mond und Sterne darin, und das eigene Herz und das Rauschen singt jedem, der es hört, in der eigenen Brust drin.

Das war so jetzt um diese Zeit.

Mit einem Male wird es an allen Ecken und Enden lebendig. Der Opernsänger Jäger hat in Wien und in Dresden gesungen, der Vogl singt die herrliche Ballade vor einer adeligen Damenakademie im Konzertsaal, die Zeitungen fangen an, sich zu interessieren, sie bringen spaltenlange Berichte, das Publikum ist wie rasend — Franz ist ein gemachter Mann. Der Hofmusikgraf Dietrichstein, der Operndirektor Mosel, der Hofmusikdirektor Salieri, sie stellen ihm alle glänzende Empfehlungsschreiben aus — schöne Worte, verdientes Geld wäre ihm aber lieber gewesen, dem Franz, der jetzt unter einer wahren Traufe von Anerkennungen steht und dabei arm ist wie eine Kirchenmaus.

Die Freunde feiern den Gefeierten. Sie kommen aus Vogls Konzert ins Stammbeisel, wo sie Schubert erwartet.[S. 199] Sie sind noch ganz aufgeregt und erhitzt von dem Erlebten.

»Vogl hat den ›Erlkönig‹ wiederholen müssen, so begeistert waren die Leute!« schreit ihm der erste gleich entgegen. Und nun geht es an ein eifriges Erzählen und Luftschlösserbauen.

Schwind, der sonst Verträumte und Wortkarge, ist jetzt der Eifrigste, den Erfolg des Freundes zu rühmen und die Wirkung auszumalen, die Schuberts Wunderhorn auf die Seelen ausgeübt hat. Er selber hat Erlkönige in der Mappe, er, der malende Schubert, die Musik ist seine stille Liebe; was Franz geleistet hat, er kann es am besten sagen.

»Da haben die Leute, denen sonst die Ohren verstopft sind, doch endlich gemerkt, daß hier ein völlig neuer, noch nie dagewesener Ton erklungen ist — der hat sie in der Seele gepackt, daß sie auf einmal gar nicht gewußt haben, wie ihnen geschieht ...«

Und nun geht es an ein schwärmerisches Nachgenießen, ein jeder will sagen, worin das Geheimnis Schuberts besteht, am besten gelingt es dem Schwind.

»Franz soll weghören, er könnt' mir am Ende zu eitel werden!« hebt er also an.

Franz denkt tiefer in sein Glas hinein; sie können reden, was sie wollen, er hat seine eigenen Gedankenwege.

»Seht also her!« erklärt Schwind, den sie den Cherubim nennen, sich und den anderen: »Wieviel Musik in der deutschen Sprache ist, das wissen wir jetzt durch unseren verflixten Franzl. Das hat keiner vor ihm verstanden,[S. 200] und wer weiß, ob je einer nach ihm es je wieder vermögen wird.«

Da wirft einer ein: »Nun, und Karl Maria Weber, ist der gar nichts? Und Meister Wolfgang Amadeus? Die beiden haben doch auch Melodien aus dem grauen Dasein herausgeklopft, wie weiland Moses Wasser aus dem Felsen ....« Der kleine Widerspruchsteufel ist der Holzapfl.

»Ganz richtig!« entgegnet der Cherubim und dreht den Spieß um. »Nimm also zum Vergleich Karl Maria und selbst den himmlischen Wolfgang Amadeus. Haben herrliche Melodien erfunden, darüber ist nicht zu streiten. Aber der wundervolle Klang tritt unbekümmert auf dem Text herum, Musik und Worte tun so, als ob sie nichts miteinander zu tun hätten. Bilden zusammen eine schlechte Ehe, darin jedes auf eigene Faust sein Vergnügen sucht. Mit dieser Luderei hat Franzl tüchtig aufgeräumt. Wenn der ein Wort in die Hand nimmt, klingt es auf voll Leben und Musik, daß man ganz betroffen ist. Er setzt es hin, daß es seinen richtigen Tonwert hat, mit einemmal kommt Farbe, Bewegung in die Sprache, du hörst das Gefühl hinter dem Wort aufklingen, und hinter dem Gefühl das Urgefühl, wodurch es mit allen Menschenherzen aufs gleiche verbunden ist. So wie er hat es noch keiner fertig gebracht, in das Innere der Handlung zu greifen.

Vergegenwärtigt euch nur einmal, wie er in der Melodieführung die abwechselnden Gefühle des Vaters, des Kindes und des Erlkönigs dramatisch herausarbeitet, verstärkt, steigert, daß es einem eiskalt über den Rücken läuft,[S. 201] während die Begleitmusik das Äußere der Handlung hinzubringt, den Galopp des Pferdes, das Brausen des Sturmes, daß einem nur so gleich die Haare zu Berg stehen. Das Tragische in dem Gedicht ist nicht durch süßliche Glätte verschmiert, hier wird es im Gegenteil durch eine schroffe, und eher eckige als schmiegsame Melodie zu einem markerschütternden Aufschrei gebracht, der die ganze furchtbare Tiefe der Dichtung aufreißt, das mystische Tor, hinter dem der Tod lauert .... Das haben die versulzten Hirne endlich begriffen — Franz, es kann dir nichts mehr geschehen, du bist oben! Prost! — mir ist wohl und leicht, deinetwegen!«

Der kongeniale Freund war ein guter Fürsprecher, sein Herz schlug im gleichen Takt, ihm kam es zu, das Wesen Schuberts auszusprechen. Das Tiefste freilich vermochte niemand zu sagen, wenn im liebevollen Drängen der Freunde immer wieder die bewundernde Frage auftauchte, wo er sie denn hernimmt, die vielen genialen Gedanken, der Himmelsakra übereinand?!

Je nun, wo er sie hernimmt, der Himmelsakra? Das weiß nur einer, in dem die Himmelsmächte fast ebenso rumoren, wie in dem stillen Franz, von dem ein gutes Wort sagt, der liebe Gott hat's ihm gegeben. Es gibt kein besseres, wenn es nur recht verstanden wird; Cherubim weiß es, er schweigt fein still zu den Fragen und lächelt Franz zu — es geht die anderen nichts an.

Holzapfl setzt einen Dämpfer auf.

»O du essigsaures Holzapflgesicht!«

Er läßt sich aber nicht irre machen, er muß den Tropfen Wermut in den Freudenbecher tun: »Also daß die Begeisterung[S. 202] des Publikums wohl auch für den ›Wanderer‹ auf gleicher Höhe geblieben, aber bei dem ›Gesang der Geister über den Wassern‹ bedenklich herabgesunken und sich eigentlich in Befremden verwandelt hätte.«

»Das ist eben ein Beweis,« braust Schwind auf, »daß die verfilzten Ohrwascheln der lieben Zeitgenossen erst noch ganz gehörig aufgestemmt werden müssen, ehe sie für die Offenbarungen des Genius empfänglich werden. Den ›Erlkönig‹ haben sie glücklich begriffen und meinen, jetzt müßte alles drehorgelhaft im Erlkönigton weitergehen — lauter Erlkönige, damit die faule Bande in ihrer angeborenen Denkfaulheit und Bequemlichkeit nicht gestört werde. Daß sie durch den ›Gesang der Geister über den Wassern‹ durch einen neuen Geniestoß aus der süßen Gewohnheit aufgeschreckt werden, das geht ihnen schon gegen den Strich.

Jetzt kann es zehn Jahre dauern, bis sie diesen zweiten Streich verdauen. Dann stehen sie Kopf voll Entzücken, indessen der Künstler schon wieder weiß Gott wo ist. Bedenkt doch, ihr Lieben, daß der ›Erlkönig‹ schon vor fünf Jahren komponiert worden ist — es ist verhältnismäßig ohnehin schnell gegangen mit seiner Popularität. Es wäre aber interessant, auszurechnen, wie viele Jahrzehnte die Allgemeinheit in der Regel braucht, um den Genius wirklich zu begreifen.« Und mit einem boshaften Seitenblick fügt er hinzu: »Soviel aber wird dem Publikum klar — der Holzapfl fällt nicht weit vom Stamm!«

Der hat jetzt sein Teil.

Dafür rächt sich Holzapfl wieder auf seine Art und bringt in den nächsten Tagen ein Zeitungsblatt mit einer Kritik,[S. 203] die er den Freunden nicht ganz ohne heimliche Genugtuung vorsetzt. »Der Tonsetzer,« so lautet der Konzertbericht, »gleicht in solchen Kompositionen einem Großfuhrmann, der achtspännig fährt, bald rechts, bald links, also ausweicht, dann umkehrt und dieses Spiel immerfort treibt, ohne auf eine Straße zu kommen ....«

In dem geheimnisvollen Auf und Ab und Hin und Her der wallenden Geister will der Kritiker einen Großfuhrmann erkennen, der achtspännig fährt. Darüber erhebt sich im Freundeskreise ein unverlöschliches Gelächter.

Dem beispiellosen Erfolg hat es übrigens kaum geschadet, daß der »Gesang der Geister über den Wassern« vorderhand unverstanden bleibt. Hat ebensowenig geschadet, daß die beiden ersten Opern Schuberts, »Die Zwillinge« und die »Zauberharfe«, erfolglos geblieben. Geld hat er keines mehr gesehen dafür, es war verlorene Arbeit. Ein erster tastender Versuch. Schlechte Texte, ja, das war das Malheur. Aber einer, der als Lyriker in den vertonten Gedichten eine so gewaltige dramatische Kraft bekundete, der war für die Oper geboren. Von dem war Neues und Unerhörtes zu erwarten, nur Zeit! Zeit, einen guten Stoff, vor allem aber einen sorgenfreien Kopf und ungestörte Arbeitsruhe. Aber da hapert's schon. Zeit, Sorgenfreiheit und Arbeitsruhe, das bedeutet Geld, Geld und wiederum Geld. Woher nehmen und nicht stehlen?

Was ist das für ein Zustand? Ein Mann steht auf der Höhe der Meisterschaft, erntet Ruhm, Anerkennung, aber es hilft alles nichts. Er steht da, gebunden an Händen und Füßen, ohne Geld, ohne Verleger — wie soll da ein Mensch weiter kommen? »Ihr seht, das Beste, was man[S. 204] hat und macht, das ist und bleibt brotlose Kunst.« Aber Schwind weiß es besser: »Brotlose Kunst hat die Eigenschaft, sich mit der Zeit in Gold umzusetzen, man muß nur warten können.«

»Nun ja, warten, warten — meinetwegen; um Gold ist mir nicht zu tun, sondern um Schaffen; aber ein Mensch, der arbeiten will, der muß auch leben können. Anerkennungen, Lobeserhebungen, schöne Worte — davon kannst nicht abbeißen, kannst keinen Zins bezahlen, keinen Schneider entlohnen, nichts, nichts; höchstens das Maul auf den Nagel hängen, als das einzige, das einem übrigbleibt.«

Geduld, Geduld, alles kommt. Die Freunde schießen durcheinander. Joseph Hüttenbrenner geht bei Sonnleithner aus und ein, dort bereitet sich eine ernste Sache vor.

Die beiden Sonnleithner, Vogl, Schönstein, Grillparzer, die Schwestern Fröhlich, ein ganzer Kreis von Verehrern bilden ein Komitee, sie wollen den »Erlkönig« auf eigene Kosten stechen lassen und bei Diabelli kommissionsweise verlegen.

Franz hat sich wieder in seine Arbeit eingesponnen und sitzt in seiner Klause. Ist der einzige Trost, die Übel der Welt gehen an der Tür vorüber, wenn man bei der Arbeit sitzt.

Sonnleithner ist schon ganz ärgerlich, Franz müßte sich mehr zeigen, er sollte einer Sängerin, dem Fräulein Linhardt nämlich, den »Jüngling« einstudieren, für seinen Geisterchor am Freitagabend. »Warum kommt er denn nicht? Warum kommt er denn nicht?!« setzt sich hin und[S. 205] schreibt dem Hüttenbrenner ein paar ärgerliche Zeilen, er müßte sich billig wundern, daß Schubert sich gar nicht bei ihm sehen ließe, da er doch wegen seinem »Erlkönig« und wegen anderer Angelegenheiten ihn dringend zu sprechen habe.

Diese »anderen Angelegenheiten« sind indessen schon im Gang, am nächsten Freitagabend kann Sonnleithner den Gästen verkünden, daß die Ballade erschienen sei — noch am selben Abend haben hundert ihre Namen in die Subskriptionsliste gezeichnet. Macht ein schönes Geld aus, der Preis ist nicht gering, die Kosten kommen glatt herein, ein schöner Überschuß dazu — der fließt in die Tasche Schuberts.

Der Anfang ist gemacht, die Sache zieht, Diabelli merkt, hier kann man einen Schnitt machen. Es dauert nicht lange, erscheint wieder ein Heft und wieder eines, ein Geriß ist darum wie beim Bäcker um die frischen Semmeln. Alle drei, vier Wochen ein neues Heft mit mehreren Liedern. Kein Konzert wird gegeben, wo nicht eine oder mehrere Sachen von Schubert gesungen werden. Die Zeitungen singen sein Lob in allen Tonarten. Das Meisterlein steht auf der Höhe seines Ruhms.

Jetzt klimpern auch die Taler um ihn herum. Es ist ja verhältnismäßig bescheiden, was er einnimmt, aber trotzdem, einen solchen Wohlstand hatte er noch nie gehabt wie jetzt.

G — d — g — fis — g — a — ! —

Der tröstliche Satz klingt immer wieder durch sein Gemüt. Er löst sich auf, verschwebt und kommt unversehens wieder hervor, immer wieder ein verheißender Anfang.

[S. 206]

Jetzt hat die ängstliche Sparerei ein Ende, ein Flascherl Tokaier mehr für die lieben Freunde, was liegt da daran, man läßt die paar Kröten springen, in ein paar Wochen sind sie wieder hereingebracht, es erscheint ein neues Heft, der Born ist unerschöpflich, und wenn ihm wirklich einmal der Draht ausgeht, so ist schon dafür gesorgt, daß andere Quellen springen. Das haben die lieben Freunde getan. »Die Anerkennungsschreiben von den Herren Gönnern, was sind sie denn wert, wenn man sie nicht zu Geld machen kann?«

Der schlaue Hüttenbrenner weiß guten Rat. Er besorgt den Verkehr mit dem Verleger, führt Rechnung, nimmt Franz alle Geschäfte ab, schreibt Briefe für ihn, tut alle Sekretärdienste, und tut es mit einer Hingebung, als ob es um das eigene Wohl und Wehe ginge. Der sorgt auch dafür, daß die Hefte mit Dedikationen erscheinen.

Meistens lassen es die also geehrten Gönner bei schönen Dankesworten bewendet sein, zuweilen aber bringt es einen Ehrensold ein, so von dem Grafen de Fries und von dem Erzbischof Ladislaus von Pyrker, der als Dichter einen nicht unbedeutenden Ruhm genießt und von dem ihm gewidmeten »Wanderer« entzückt und ergriffen ist.

Eine Hand voll Geld fällt bei diesen Gelegenheiten für Franz ab, der kann's gut brauchen, es wächst ihm kein Moos und kein Schimmel darauf.

Unheimlich, wie unter den freundlichen Sonnenblicken des Schicksals die Arbeitsleistung wächst. Der Schädel brummt zwar gewaltig, als ob er zerspringen wollte, nach der Fieberhitze des Schaffens hämmert es drinnen lange nach und will gar nicht zur Ruhe kommen — da hilft[S. 207] nichts als die Zuflucht ins Grüne oder am besten noch in die feuchtfröhliche Tafelrunde der Freunde, um mit einem Glas Wein das Arbeitsfieber zu schlagen. Fieber gegen Fieber — aber am nächsten Morgen ist er wieder geladen mit allen Schöpferkräften der Unendlichkeit, sie zersprengen schier das Gefäß — die Losung ist arbeiten, er meint, es müßte ihn sonst zerreißen.

Sein Ruhm hat mit einemmal schnelle Beine und rennt mit Siebenmeilenstiefeln durch die Welt. Wien, Dresden, Berlin — überall bekommt der Name Schubert einen Klang. Die Hefte gehen reißend ab. Wieviel der Diabelli verkauft, weiß man nicht genau. Der Joseph Hüttenbrenner hat seine liebe Not. »Bandit!« flucht er und wirft eifrig die Angel aus, ob denn nicht ein anständiger reichsdeutscher Musikverleger zu gewinnen wäre.

»Besitzt doch Wien dermalen wieder ein Talent, das bereits die allgemeine Aufmerksamkeit erregt und schon zum Liebling des hiesigen Publikums geworden ist — kurz und ohne Übertreibung gesagt, es ist ein zweiter Beethoven; dieser unsterbliche Mann sagt von ihm gar, dieser wird mich noch übertreffen ....« So schreibt Joseph Hüttenbrenner nach Leipzig an K. F. Peters.

Aber auch dieser Verlagsgewaltige ist harthörig; man müsse doch erst abwarten — welche Menge früherer Werke Mozarts sei überhaupt nicht gedruckt worden, da müsse sich ein junger Künstler schon bescheiden, die Erfahrung allein muß lehren, ob er den ganz Großen gleichzustellen sei, kurz, ein Hin- und Herreden, halb ja, halb nein, man weiß nicht recht, will er, will er nicht, aber soviel steht fest, das ganze Manöver hat doch den einzigen[S. 208] Zweck, den Preis zu drücken. Ist doch der eine einen Groschen, der andere einen Pfifferling wert! Er will bitter werden, aber er besinnt sich. Geduld also — man kann ja warten, bis der Rechte kommt. Es eilt nicht. Einstweilen ist man ja bei Diabelli in sicheren Räuberhänden.

Überall, wo konzertiert wird, erklingt auch Schubert. Graz kann nicht zurückbleiben, wo so treue Eideshelfer wirken wie Jenger und Anselm. Von den Grazer Aufführungen melden alsbald die Zeitungen, ebenso von den Linzer, wo Spaun und Freunde hinter der Sache her sind.

Aber der Anselm ist ein wunderlicher Kauz, den läßt der Ruhm des »Erlkönig« nicht schlafen. Der Ehrgeiz stachelt ihn, er möchte den jungen Meister übermeistern. Fiedelbum! Flugs hat er aus dem »Erlkönig« einen Erlkönigwalzer komponiert. Fiedelbum! Ei verflucht!

Schwind ist ehrlich entrüstet: »Das ist mir aber ein lieblicher Kauz! Der versteht's! Was Schubert fürs Herz entdeckt hat, macht er für die Beine zurecht! Daran mögt ihr erkennen, wie der unseren Franz verstanden hat!«

Für den Spott brauchte der treue Anselm jetzt nicht zu sorgen. Fiedelbum!

»Na, na!« winkt Franz ab. Er rechnet dem Freunde in Graz die Entgleisung nicht allzu schwer an. Fiedelbum! Der hat's selber zu tragen und wird sich ein zweites Mal hüten. Fiedelbum!

Mehr denn je stehen dem Liechtentaler Schulmeisterssohn die Türen der Salons offen — mehr denn je sucht er den Händen zu entwischen, die nach ihm greifen. Die Arbeit[S. 209] und die Freundschaft sind die Gottheiten, deren Dienst er fast ausschließlich geweiht ist. Und selbst die Freundschaft muß sich zuweilen bescheiden, denn eine dritte Gottheit ist, die ihn mit magischer Gewalt zu sich heranzieht — die Einsamkeit. Das können viele nicht begreifen.

Der alte Doktor Sonnleithner wird fast ernstlich bös über die notorische Unverläßlichkeit des Schützlings. »Für den man soviel getan hat!«

»Also warum kommt er nicht? Warum kommt er denn nicht?!«

»Mit Verlaub, der Herr Schubert ist in Atzenbrugg!« entschuldigt Joseph Hüttenbrenner.

»Also immer auf Duliäh — muß denn das Gerstel auf einmal durchgebracht sein!« knurrt der Alte.

»Entschuldigen's, Herr Doktor, aber so ist es auch wieder nicht!« sagt Joseph zur Verteidigung des Freundes.

»Nein, gewiß nicht! Gearbeitet hat er wie ein Pferd, mein Gott, wenn ich das alles denken müßte, mir ging der Kopf auseinander. Ein paar Tage aufs Land, das wird er sich doch vergönnen dürfen, nach all den Strapazen .....«

Dagegen läßt sich allerdings nichts einwenden.

»Auf nach Atzenbrugg!« Das ist ein Ruf, dem Franz nicht widerstehen kann.

Schober ist der Rädelsführer; bei Atzenbrugg hat sein Oheim ein Schloß, dahin werden Wanderfahrten unternommen, an denen fast der ganze Freundeskreis teilnimmt.

Franz fühlt sich müde und ausgepumpt, er weiß nicht recht, soll er oder soll er nicht. An der Wand hängt die[S. 210] Gitarre, eine Saite ist gerissen, das grüne Band fängt an zu bleichen. Sie hat schon lange nicht im fröhlichen Verein gezirpt auf einer lustigen Fahrt ins Grüne und Blaue. »Schade um das schöne, grüne Band, daß es verbleicht hier an der Wand. Ich hab' das Grün so gern, ich hab' das Grün so gern!« Das ist die innere Stimme, die immer guten Rat weiß, es ist gut, ihr zu gehorchen.

»Also auf nach Atzenbrugg!«

Lieblich ist's, zwischen den Pappelreihen hinzufahren, die die weiße Landstraße grün besäumen und mit ihren aus- und eingeschwungenen Zeilen hoch in der Landschaft stehen. Weit, weit kann man die grüne Wand verfolgen, die sich über Tal und Hügel schwingt. Man fährt in einer offenen Chaise, die viele Querbänke hat und ganz besetzt ist mit lustigem Volk. Zeiserlwagen, so nennt ihn ein launiges Wort. Aber die Wiener Laune ist meistens etwas gepfeffert und hält sich an drastische Ausdrücke. Sie zieht es vor, dieses Gefährt vergleichsweise einen Kalbelwagen zu nennen. Der edle Reisewirt, der den Kalbelwagen für den Freundeskreis gestiftet hat, ist Schober, der sich auf der Fahrt nach Atzenbrugg als Mäzen fühlt.

»Ich fahre mit,« erklärt Schubert, »aber eine Bedingung ist dabei — daß Melusine kommt, und daß mir der Platz an ihrer Seite bleibt!«

»Mir blutet das Herz,« versichert Schober treuherzig scheinheilig, »aber den Platz an der Sonne tret' ich dir ab, weil du es bist.«

Franz wohnt im Rossauer Schulhaus bei seinem Bruder Ferdinand, der vom Schulgehilfen längst zum Schulleiter[S. 211] vorgerückt ist und knapp vor der Beförderung zum Schulinspektor steht. Mit Bruder Ferdinand hat Franz seit jeher ein wärmeres Verhältnis gehabt. Aus der Blutsverwandtschaft wird die höher geartete seelisch bestimmte Lebensfreundschaft. Ferdinand ist stolz, den berühmten Bruder zu beherbergen, von dem jetzt alle Welt redet. Er weiß, daß der Herr Vater ganz von Hochachtung erfüllt ist für den genialen Franz, dessen junger Ruhm einen Lichtstrahl auf das bescheidene Elternhaus und dessen Insassen wirft. Der Bruder Ferdinand, der in der Rossauer Schule wohnt, hat sich's nun nicht nehmen lassen, Franz zu beherbergen, solange dieser bei ihm wohnen mag.

Und jetzt das Aufsehen, als Schober zur festgesetzten Stunde mit dem Kalbelwagen vorfährt, zweispännig, Peitsche und Pferdemähnen bändergeschmückt, wie zu einer Maifahrt, und richtig: auf der ersten Bankreihe sitzt groß und stattlich Melusine, märchenhaft anzusehen, wie eine Wald- und Quellennymphe, die geradewegs aus der Legende auf einem Kalbelwagen mitten in die staunende Stadt fährt. Dem Franz pumpert das Herz, als er mit dem Ränzel um die Schultern und der Gitarre in der Hand, an der das grüne Lautenband weht, hinaufsteigt in den Zeiserlwagen und neben der holden Therese Platz nimmt. In allen Fenstern liegen neugierige Köpfe und munkeln über das wundersame Gefährt: »Macht er denn Hochzeit, der Bruder des Herrn Schulleiter?! Ist wohl eine reiche Braut — mein Gott! Und schön zum Verrücktwerden! Schaut sie's an, die wunderbaren Haar, leuchten wie eine Krone, und die Augen sind blau und tief wie zwei Edelsteine, und das liebe Gesichtel, und der[S. 212] Mund wie ein Röserl, und die Gestalt, viel größer als er, gewachsen wie ein Bäumerl und rundum was dran, nun ja, freilich, alles was sich gehört — nur so zum Anbeißen, rein zum Vergaffen!«

Ein Peitschenknall, die Pferde greifen aus, weg sind sie; die Leute der grünen Torgasse haben Gesprächsstoff noch gut für zwei Tage, ein Märchenschimmer war in ihre Gasse gefallen.

Dem Franz ist selig zumut wie einem richtigen Märchenprinzen. Da kommt die Liebe auf dem Zeiserlwagen in seine Gasse gefahren, er sitzt mit der bändergeschmückten Gitarre neben ihr, wie er es geträumt hat, er schaut in ihre rätselhaft tiefen Augen, ein seltsamer, quellfrischer Hauch geht von ihr aus, er ist ganz verzaubert. Aber es wird ihm gleich auch bänglich zumut, denn er findet nicht die rechten Worte, die Schöne zu unterhalten. Wenn er allein ist, dann wüßte er viel zu sagen, aber vor ihr ist er befangen, und er kommt sich stockdumm vor. Ein Glück, daß sie nach kurzer Fahrt wieder vor einem Haus halten.

Da springt ein junges, nicht unhübsches, lebhaftes Mädchen hervor, Netty Hönig, eine Freundin Theresens, und ihr Bruder Hönig, beide geschniegelt und gebügelt, sind ja wohlhabender Leute Kind und geldstolz; reiben sich gern an Künstlern, mit denen sie freilich scharmant umzugehen wissen. Hätte ihnen der Geldstolz auch wenig gefrommt in einem Kreis, wo der einzige gültige Adelsbrief auf die Schubertsche Formel lauten mußte: »Kann er was?«, eine Geniemarke, die im Sprachgebrauch der Freunde auf die Scherzform abgeglättet wurde: »Kanevas?« Hönig war kein Kanevas, und all sein Geld half[S. 213] ihm höchstens zu einem geduldeten niederen Laientum, mit dem besonders der ungeschminkte Schubert nicht viel Geschichten machte: »Also hockt's auf, Gesindel!«

Aber mit dem Aufhocken geht's nicht so schnell. Sie müssen auf eine Dritte warten, die jetzt aus dem Hausflur herauskommt, die liebliche Johanna Lutz, mit ihren blonden Stirnfränschen über den hellen, gescheit blickenden Augen in dem herzigen Gesicht. Das ist die Braut des Leopold Kupelwieser, sie muß sich hinter der Netty Hönig verschanzen, damit kein dummes Gerede entsteht, während hinwiederum die Netty als Gardedame ihren Bruder mit dem Fledermausgesicht hat. Auch für Therese ist Netty das Paravent der Sitte und Ehrbarkeit, kurz eines muß dem anderen Mauer stehen, um solcherart der albernen Konvention ein Schnippchen zu schlagen, darin ja die Jugend nicht verlegen ist.

Da kommt er schon daher, der Leopold »Kupel«, wie ihn die Freunde mit einer beliebten Abkürzung nennen, ein hoher, gerade gewachsener Bursch mit schwärmerisch in die Ferne blickenden Augen, als Maler das klassische Gegenstück zu dem romantischen Schwind. Er schaut nach Rom und nach der Antike aus, genau so schwärmerisch, wie Schwind nach den mittelalterlichen Burgen, nach Rittern, Waldgeistern und Elfen ausschaut.

»Grüß Gott, edler Kupel!« Die Anrede klingt schon wärmer, als sie dem Hönig geklungen hat. Aber der lange Kupel, der sich mit einem Satz hinaufschwingt, dicht neben die zarte Lutz hin und Hand in Hand mit ihr zusammensitzt, der gehört mit in die priesterliche Kaste der Kanevas.

[S. 214]

»Klim bim, klim bim, schrum, schrum!« greift Schubert in die Saiten der Gitarre. Worte hat er nicht viel zu geben, er sagt's lieber in Tönen, was ihn erfüllt. Eine stille Heiterkeit ist über ihn gekommen, er fühlt sich wunschlos glücklich neben der schönen Melusine.

»Die Musik klingt aber traurig!« ist Hönig vermessen genug, zu sagen.

»Dummer Kerl,« brummt Schubert und gibt's ihm zurück, »haben Sie schon eine lustige Musik gehört? Ich nicht!« Der Hönig ist blamiert, man sieht, er ist kein Kanevas, sonst wäre ihm eine so alberne Äußerung nicht passiert. »Wie kann denn Musik lustig sein, wenn sie von dem Herzen singt? Wenn sie von Lust singt, klingt es wie Weh, und wenn sie von Weh singt, ist es die Lust!«

Das könnt' er dem Pfründner jetzt sagen, der sich mit all seinem Geld nicht einen Fuß breit von dem Seelenland kaufen kann, so gern er möchte, wo er, Franz, unumschränkter König und Gebieter ist mitsamt den paar Getreuen, die an seiner Seite sind. Er könnte ihm jetzt das auseinandersetzen, was er denkt, aber wozu denn? Es steht gar nicht dafür!

»Klim bim, klim bim, schrum, schrum!« Mit Gitarregezirp, Gelächter und Fröhlichkeit geht's von Haus zu Haus, wo Freunde wohnen, die mitkommen.

»An mein Herz, geliebter Cherubim!« so lautet der Gruß in Schwindien.

Schwind will sich neben Therese setzen, der heimliche Ritter neben die Quellenfrau Melusine. Aber neben Melusine hat sich bereits das listige Fledermäuslein eingenistet, Hönig, und läßt nicht locker.

[S. 215]

»O du abscheulicher Flederwisch mit den ewig feuchten Lippen, von denen die klebrige Schmeichelrede trenzt — was soll denn das viele Schwatzen?!« Die Schöne wendet sich lachend von ihm ab, aber der Häßliche hat die Gabe der unterhaltenden Worte, sie muß halt immer wieder hinhören, und wenn ein schiecher Kerl hübsch zu plaudern weiß, so dauert's nicht lange, und er gleicht einem Apoll.

»Wirst dir aber wenig herausfetzen, wenn auch deine Rede Honig ist, du garstiges Schwatzmaul!« dachte Franz und zupfte seine Gitarre.

Schwind hat sich neben Netty Hönig gesetzt, es scheint, daß er dem munteren Mädchen sein Herz verpfänden will.

Mit Klimbim und Trara ging's also die Alleen entlang und zwischen Hügeln und Kornfeldern hin.

Klim bim! zirpte die Gitarre, und eine Stimme summte dazu: »Ich hab' das Grün so gern, ich hab' das Grün so gern! Weil unsere Lieb' ist immer grün, weil grün der Hoffnung Fernen blühn, drum haben wir es gern, drum haben wir es gern! Nun schlinge in die Locken dein das grüne Band gefällig ein, du hast ja 's Grün so gern, du hast ja 's Grün so gern! Dann weiß ich, wo die Hoffnung wohnt, dann weiß ich, wo die Liebe thront, dann hab' ich 's Grün erst gern, dann hab' ich 's Grün erst gern!«

Summte und sang es der Fee Melusine ins Ohr.

Sie hatte auch das Grün so gern und ging auf den Spaß ein und ließ das grüne Lautenband um ihre festgesteckten Locken flattern. Dafür band sich Franz die Gitarre mit[S. 216] einem Stricklein über die Schultern fest. »Mit all deinen honigbestrichenen Leimruten, lieber Hönig, wirst du nichts fangen!« Die Musik war die stärkere Lockung, und das Herz hing in dem Lautenband wie das Vöglein in einer Schlinge.

In nächster Nähe von Atzenbrugg thronte auf einem Hügel das Schloß Ochsenburg, dem Bischof Hofrat von Dankesreither gehörig; in diesen Tagen aber machte der elegante Neffe Schober die Honneurs, bewirtete die Wiener Freunde drei Tage lang. Der Wagen fuhr in den Hauptplatz mit der schönen, wolkengetürmten Dreifaltigkeitssäule, die ein kleiner Zwillingsbruder der Säule am Graben in Wien zu sein schien, die Herren sprangen ab, die Dämchen durften sitzen bleiben, indessen der zweispännige Wagen langsam den Hügel hinaufkroch und durch den breiten, kühlen Flur zwischen den gewaltigen, halbrunden Ecktürmen in den weinbewachsenen Hofraum einfuhr. Gott, war es da schön in dem grasbestandenen Hof mit dem alten Ziehbrunnen, so recht ein Schmaus für das romantische Gemüt Schwinds.

Einfach war das Mobiliar in dem langen Speisesaal, den weiten Wohnräumen und den Schlafzimmern, altes, gebrechliches Gerümpel in dicken, gewölbten, weiß getünchten Mauern, in Wänden, sanft gekrümmt unter der Last des Alters, voll Runzeln wie ein Greisenantlitz und zugleich wetterhart und eisenfresserisch in der trotzigen Wucht mit dem gewaltigen Dachhelm und der knarrenden, rostigen Wetterfahne oben.

Jetzt war junges Leben in den alten hallenden Gängen und luftigen Arkaden oder den Hofgewölben und Vorratskammern,[S. 217] drei Tage lang in der Zeit, da der Herr Bischof und Oheim in der Gasteiner Ache sein Zipperlein kurierte. Die Knechte und Mägde rissen Maul und Augen auf über das lustige Leben, in der Küche drehte sich der Spieß, als ob ein ganzer Ochse in der Ochsenburg gebraten werden müßte. Alle Hände der dienstbaren Geister hatten vollauf zu tun, wenn der Herr Neffe als Flottwell mit seinen Freunden kam.

Ein dreitägiges Fest mit Landpartien, Schmaus, Tanz und Musik — es vergeht wie ein Traum. Die Kunst war die Hauptsache bei dem Gastmahl, und Franz ward infolgedessen, ohne es recht zu wollen, oder vielleicht auch ohne es recht zu ahnen, der geistige Mittelpunkt des Festes. Wie immer wurde etwas daraus, das den Namen Schubertiade erhielt. Um Musik, Gesang und Dichtung war die Lebensfreude gruppiert, und siehe da, der Bescheidenste, Borstigste, Scheueste, Einsamste ward zum König des Tages.

Der Kleine am Klavier hatte alle am Bändel — er hätte sich kraft seines Genius als Herrscher fühlen mögen, aber er saß in Demut da und schien zu darben bei dem Fest, dem er so recht eigentlich die seelische Weihe gab. Therese sang seine Lieder, die er begleitete, ihr junger, blühender Körper erbebte unter dem Sturmlied der Leidenschaft und Sehnsucht, die ziellos verströmte. Seine Finger gingen mechanisch über die Tasten, er hatte ein unendlich trauriges und wehmütiges Gefühl.

»Wie kommt es denn nur,« mochte seine innere Stimme fragen, »daß ich nicht weiterkomme mit all meiner Liebe? Da steht sie, die Herrliche, geschüttelt wie ein junges[S. 218] Bäumchen unter dem Frühlingsbrausen, das mit Verzweiflung und Tränengewalt kommt, und ich stehe dabei dreifach geschlagen und gebunden, ein armer, hilfloser Narr, und weiß mir nicht zu helfen, indessen dieser Hönig, der dreiste Bengel, so tun darf, als hätte er gewonnenes Spiel! Warum soll ich nicht auch so tun? Hab' ich nicht zehnmal mehr Recht darauf? Aber —«

Dieses Aber, das er vor sich nicht gelten lassen wollte! Er schlug in die Tasten hinein, der inneren Stimme Schweigen zu gebieten. Bum, bum, bum! Aber der Macht der inneren Stimme kann keine Tongewalt der Erde Herr werden.

»Weil du nichts bist und nichts hast und es deshalb nicht wagen darfst, das schöne Kind aus dem reichen Hause für dich zu begehren. Und wenn du es wolltest, wer sagt dir, daß sie dich liebt und daß sie dich nicht mit einem mitleidigen Lächeln vertröstet und heimschickt mit dem Zuckerbrot einer unverbindlichen Liebkosung wie damals? Wenn es dem Hönig einfiele, ihre Hand zu begehren, der brauchte nicht viel um Liebe zu fragen, der fordert sie einfach, und was er fordert, wird ihm gegeben werden. Warum, warum? Mit welchem Recht? Mit dem Recht der Seele? O nein! Du altmodischer, idealistischer Tor! Mit dem Recht des Geldes, dem schmutzigsten und ungerechtesten Recht —«

So haderte seine Seele mit dem Schicksal und behauptete mit blindem Eigensinn: »Es ist so!« obgleich im verlöschenden Bewußtsein die Erkenntnisspur verblieb: »Es ist auch wieder nicht so!« Aber daran war kein Zweifel, daß seine Lieder und alles, was er schuf, aus dem Aufruhr[S. 219] seiner Gefühle hervorquoll und von dem Schmerz seiner Seele geboren war. Wenn es ihnen auch unbegreiflich schien, so mußten es jene ahnen, die um ihn waren, als er ihnen seinen »Wanderer« vorsang. Am meisten ahnte es vielleicht Therese. Es ist wahr, die Sänger im Konzertsaal sangen das Lied kunstvoll, aber keiner so ergreifend bei aller Schlichtheit als Franz selber. Melusine, die Feine, hatte es sogleich erraten.

»Ich wandle still, bin wenig froh, und immer fragt der Seufzer, wo?«

Noch ehe der Gesang beginnt, dämmert die Wehmut dieser Verse in den einleitenden Akkorden auf. Das heiter-wehmütige Gefühl der Sehnsucht mit all den heftig aus dem Gefühl hervordrängenden Fragen versinkt in die Trostlosigkeit jener dumpfen Akkorde, die alles dunkel Geahnte zur hoffnungslosen, tragischen Gewißheit bringen: »Wo du nicht bist, dort ist das Glück!«

Die Musik gleicht seiner eigenen Seelenlandschaft, hohe, leuchtende Gipfel sind darin, wo alles Selige und Heitere lebt, danach sich das Gemüt sehnt, aber die edlen Schatten der Melancholie lagern auf dem Weg in der Tiefe, den Franz wandert. Doch der Weg der Seele führt über Berg und Tal in stark bewegten Kurven und ist bald im Tale der Tränen und bald wieder auf den lichten Höhen der Seligkeit. Sie stehen dicht beieinander, diese Höhen und Tiefen — das tragische Bild seines inneren Lebens.

»Es ist so,« schreit die Seele auf in ihrer Qual — »es ist wieder nicht so!« lächelt der nächste Augenblick.

Und was er vorhin von Hönig dachte und von Therese, das hat sich jetzt ganz und gar widerlegt, als Melusine[S. 220] beim Gute-Nacht-Sagen das grüne Band hervorzog und ein gutes herziges Wort daran knüpfte.

»Nie hab' ich so frei und leicht gesungen als heute, ich bin abergläubisch — vielleicht hat's dieses da gemacht —«

Dabei schob sie das verblichene Lautenband in ihren Busen: »Hier will ich es tragen — gute Nacht!« und war verschwunden wie eine flüchtige, klingende Welle.

Franz lag im Bett und konnte nicht schlafen.

»Warum hab' ich ihr nicht gesagt, wie es mir ist da drin? Warum?« Aber er hat es so schwer mit sich selbst, er kann sich nicht erschließen. Die Worte sind zu hart, zu dürftig, zu klobig, es müßte über ihn kommen wie ein Gewittersturm, wie ein Erdbeben, das die Klüfte aufreißt — er kann seine Seele nicht zeigen, es sei denn in Einsamkeit, und dann wird es Musik.

Sie versteht ihn, aber sie versteht ihn doch wieder nicht!

Das alte Spiel: es ist so — es ist doch wieder nicht so!

Morgen wird er ihr es sagen, all sein Fürchten, all sein Hoffen. Morgen, wenn der große Augenblick wiederkehrt. Aber er weiß schon wiederum auch: er kehrt nicht wieder ....

Knarr, knarr! singt die Wetterfahne auf dem Dach.

»Sie pfeift dich aus!« denkt der Schlaflose in seiner Kammer. »Es ist des Hauses aufgestecktes Schild — ein Narr, der hier sucht ein treues Frauenbild.«

Der Wind spielt mit seinem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut!

Knarr, knarr!

Das Schicksal pfeift ihn aus, und seine innere Stimme[S. 221] lacht auf wie zum Hohn: »Ha, ha! Laß ab — sie ist eine reiche Braut!«

Er ist nicht der einzige Schlaflose in diesem Gemäuer. In der Kammer nebenan liegt Schwind, auch er hört die Wetterfahne und denkt und denkt. Er hat sein Herz vollends verloren an Netty Hönig.

Knarr, knarr! krächzt die Fahne auf dem Dach mit rostiger Stimme. Das Herz knarrt dazu, als ob der eiserne Stab sich darin um und um drehte. »Ach Netty, Netty — wärst du nicht eine so reiche Braut!«

Ja, sie haben's nicht leicht, diese beiden!

Die Festtage vergehen, der ersehnte Augenblick hat sich nicht wiederholt, das Herz ist voll und schwer von Liebesworten, die nicht gesprochen wurden. Nichts kann mehr brennen als solche feurige Worte, die man hinunterschlucken muß und deren Qual nur gemildert wird von verschluckten Tränen, die nach ihnen geweint werden.

Franz fragt sich vergebens: »Warum ist dies alles?«

Aber nicht einmal dem intimsten Freunde vertraut er sich an, dem Schwind, der die gleichen Schmerzen trägt.

Äußerlich ist es nur eine stille Traurigkeit, die man ihm anmerkt, aber das ist man bei Franz gewohnt, wenn er gerade nicht lichterloh in Flammen steht.

»Es ist einmal so!« sagt eine Stimme inwendig.

Die Abreise kommt, das erlösende Wort ist nicht gesprochen. Es schnürt ihm die Kehle zu, wenn er daran denkt; keinen Laut brächte er hervor. Melusine ist gleichmäßig freundlich und liebreich, aber ihr Wesen ist allzu geglättet, jeder Versuch, ihr näher zu kommen, gleitet ab;[S. 222] wenn sie nicht will, ist es vergebens. Das erfährt auch der Hönig, diese dreiste Hufeisennase.

»Auf der Heimfahrt, auf der Heimfahrt!« denkt Franz und reimt sich schon manches liebe Wort zusammen.

Aber mit der gemeinsamen Heimfahrt wird es nichts. Schober hat es im Rat der Götter anders beschlossen. Man weiß ja: er trägt sich mit einem Opernstoff, den Schubert komponieren soll. Ach ja, das ist der Weg zum neuen Ruhm, zu dem heißersehnten Ziel, wo er stehen möchte neben dem großen Wolfgang Amadeus oder zumindest neben dem volksmäßigeren Karl Maria.

»Du wirst höher greifen als Weber im ›Freischütz‹! Ja, das wirst du!« Die Freunde wissen es.

Einer, der hinter jedem Vers den heroischen Schritt des Dramas aufklingen läßt, der ist berufen, der Oper neues Leben zu geben.

»Es verpflichtet dich, vorsichtig zu sein in der Wahl des Stoffes!« warnt der treue Schwind. »Du brauchst einen Text, darin die Worte sparsam gewählt und mit Kraft gesättigt sind — dann wirst du einen neuen Opernstil schaffen. Verzettle deine Kraft nicht an dem geschwätzigen Schund, der sich fast in allen Werken dieser Art breit macht. Laß dir deine Erfahrungen mit den ›Zwillingsbrüdern‹ und der ›Zauberharfe‹ zur Warnung sein!«

Schober gibt seine halb vollendete Dichtung »Alfonso und Estrella« zum besten, Franz ist entzückt, Schwind schüttelt denklich den Kopf. Der Cherubim ist in einer unangenehmen Zwickmühle. Er möchte Franz vor einer unnötigen Zeitvergeudung der kostbaren Kraft bewahren und andererseits dem geliebten Schober nicht wehe tun.[S. 223] Was tun also? Den Freund dem Freunde opfern? Ein Schuft, wer mit der Wahrheit allzu ängstlich umgeht!

»Tu's nicht, Franz,« ratet Schwind, »es ist nichts daran an der ganzen Großmutsgeschichte. Eine unklare Handlung, ein breites Geschwätz, Liebe, Politik und Langweile durcheinander gemischt. Das spanisch-maurische Kostüm kann es nicht retten. Geh' vorsichtig um mit deiner Kraft, verwende sie aufs beste, sonst kommst du leicht auf den Holzweg. Es wäre schade um dich und um deine gute Sache.«

Aber Franz ist blind und taub gegen diese Einwendungen. So begeistert ist er von Schobers Dichtung.

»Am besten, wir lassen das lose Pack allein heimfahren und richten uns hier häuslich ein!« schlägt Schober vor.

»Im Herbste kommen wir nach Wien zurück und haben die fertige Oper in der Tasche. Dann, Freund, mit fester Hand den Lorbeerbaum geschüttelt, daß es nur so die Dukaten herunterregnet!«

Der Plan ist verführerisch. Warum sollte er nicht gelingen? Schober hat Beziehungen zur Bühne, Vogl wird das Seine tun, die Anna Milder in Berlin hat sich selber angetragen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, wenn eine Rolle für sie darin ist, also bitte, warum denn nicht?

Nun stand Franz als Minneheld zwischen zwei Frauen, der irdischen und der himmlischen Liebe. Und sollte sich für die eine oder andere entscheiden. Es war wirklich schwer, Mensch zu sein.

Soll er nun schmachtend auf dem Kalbelwagen neben der Fee Melusine sitzen und herumdrücken an dem, was er[S. 224] sich doch nicht recht zu sagen getraut, oder soll er dem Wink seiner Muse folgen und den Weg des Einsamen gehen?

Es müßte nicht Franz Schubert sein, wenn er sich nicht sofort des Rechten bedacht hätte. Also tapfer den aufquellenden Schmerz hinuntergewürgt und Adieu gesagt der berückenden Fee Melusine. Den rätselhaft tiefen Blick aus ihren graublauen Augen wird er nicht vergessen, der drückt ihm das Herz nun gar wehvoll zu Boden. Aber eine Hoffnung blüht: mit der neuen Oper in der Hand ist er ein gemachter Mann. Hat sie Erfolg, was gar nicht zu zweifeln ist, dann bedeutet's Ehre und Gewinn. Und dann macht ihm kein Hönig, und wär' er der protzigste Geldsack, sein Recht auf dem Wagen der Liebe streitig. Also vorläufig, und immer vorläufig tapfer entsagen, um den hohen ewigen Preis zu gewinnen.

Er muß sich rasch umwenden, als die Fräuleins mit ihren Rittern tücherschwenkend davonfahren, Hönig neben Melusine.

»Dummer Junge, möchtst heulen wie ein Schloßhund, pfui Teufel, schäm' dich!« meldet sich die Stimme inwendig.

Es reißt ihn auf dem Absatz herum und im Sturm hinauf ans Klavier. Den Schmerz muß er in der Tonflut ersäufen.

»Was vermeid' ich denn die Wege, wo die andern Wanderer gehn, suche mir versteckte Stege, durch verschneite Felsenhöhn? Habe ja doch nichts begangen, daß ich Menschen sollte scheun, welch ein törichtes Verlangen treibt mich in die Wüsteneien? Weiser stehen auf den[S. 225] Wegen, weisen auf die Städte zu, und ich wandere sondermaßen ohne Ruh' und suche Ruh'. Einen Weiser seh' ich stehen unverrückt vor meinem Blick, eine Straße muß ich gehen, die noch keiner ging zurück ....«

Wenn er sein Leben überdachte, dann sah er einen Weg, den keiner ging; unsichtbaren Wegweisern war er gefolgt, sie weisen weiter und weiter, und er wußte schon, daß er folgen werde, wenn er auch allein gehen mußte.

Einstweilen hatte er ja einen lieben Gefährten bei sich.

Schober schmiedete Verse aus Leibeskräften, und Franz ließ herrliche Melodien daraus entstehen, leicht und blühend waren die Gedanken, die aus seinem musikalischen Herzen hervorwuchsen.

»In sehr glücklicher Jugendschwärmerei, aber auch in sehr großer Unschuld des Geistes und Herzens,« berichtet Schober nach Wien, »wird das Werk gezeugt — es gedeiht!«

O Unschuld! Die beiden Kumpane lebten recht vergnüglich hin, was das äußere Leben betrifft. Der Oheim kehrte aus Gastein zurück, den Dichtergenossen wurde es in Ochsenburg zu eintönig, sie verlegten ihr Quartier in das nahe St. Pölten, wo sie sich in einem Zimmer mit zwei Ehebetten, einem Sofa, einem Fortepiano häuslich und heimisch eingerichtet haben. Als sie im Spätherbst nach Wien kamen, konnten sie sich fühlen wie Hans im Glück, der einen Goldschatz im Ränzel trug.

Aber mit diesem Schatz geht das Leiden an. Die Oper wandert von Kanzlei zu Kanzlei, sie hat nach Art der Brieftauben die verhängnisvolle Neigung, immer wieder zum Ausgangspunkte zurückzukehren. Spaun in Linz,[S. 226] der sich immer auf dem Laufenden erhält, brennt vor Neugier.

»Möcht' es doch endlich sein!« wünscht er aus tiefem Herzen. Trübselig genug schreibt Franz dem Freunde: »Mit der Oper ist es in Wien nichts, ich habe sie zurückbegehrt und erhalten. Auch ist Vogl wirklich vom Theater weg. Ich werde sie in kurzem entweder nach Dresden, von wo ich von Weber einen vielversprechenden Brief erhalten, oder nach Berlin schicken. Mir ginge es sonst ziemlich gut, wenn mich die schändliche Geschichte mit der Oper nicht so kränkte ....«

Die Hoffnung auf Berlin hing mit der angebeteten Milder zusammen. Sie schreibt ihm, wie sehr sie seine Lieder entzückten und welchen Beifall sie in der Gesellschaft finden. Sie möchte haben, daß er ein Gedicht eigens für sie komponiert, aber es ist ein Pferdefuß dabei, denn sie fügt hinzu, es müßte für ein großes Publikum berechnet sein. Was heißt das? Sie hat außerdem vernommen, daß er Opern geschrieben hat, und fragt ihn, ob sie sich nicht für ihn bei der Berliner Intendanz verwenden soll.

»Aber natürlich!« Die Protektion ist gut zu brauchen, also flugs mit der Oper nach Berlin.

Aber auch diese Hoffnung ist trügerisch. Die Milder schreibt, daß »Alfonso und Estrella« durchaus kein Glück in Berlin machen würden. Und damit ist die Sache erledigt.

Franz hat ihr den »Gesang der Zuleika« und einige andere Konzertsachen gewidmet, aber es ist nicht das, was die Milder für das große Publikum meint. Sie schreibt ihm darüber: »Zuleikas zweiter Gesang ist himmlisch[S. 227] und bringt mich jedesmal zu Tränen. Es ist unbeschreiblich, allen möglichen Zauber und Sehnsucht haben Sie da hineingebracht, so wie im ersten Gesang der Zuleika und im >Geheimnis<. Zu bedauern ist nur, daß man alle diese unendlichen Schönheiten nicht dem Publikum vorsingen kann, weil die Menge leider nur Ohrenschmaus haben will ....«

Ach du lieber Himmel!

Aber schon der nächste Brief berichtet, daß die Zuleika dennoch unendlich gefallen habe; die Milder war zu ängstlich wie alle Theaterleute, wenn es ums liebe Publikum geht; daran scheitert soviel Kunst.

Aber auch mit Karl Maria von Weber, der sich in Dresden für ihn verwenden soll, ist es eine so eigene Sache.

Karl Maria kommt nach Wien zu den Proben seiner Oper »Euryanthe« und wird als musikalische Berühmtheit, die von »draußen« kommt, in den Salons serviert. Bei Sonnleithner lernt ihn Schubert kennen. Der Meister des »Freischütz« weiß genau, daß der junge Wiener Genius die Welt mit Licht zu überstrahlen berufen sei ... Als Konkurrent hilft man nicht gern einem, der groß zu werden verspricht und das eigene Licht verdunkeln könnte. Kurzum, Karl Maria ist bei aller Liebenswürdigkeit auf der Hut.

Franz weiß nichts von Kollegenneid und ist naiv genug, zu glauben, daß alles mit rechten Dingen zugeht. Er ist begeistert vom »Freischütz« und zollt dem berühmten Genossen unverhohlene Bewunderung. Und gibt zugleich mit seinem Vertrauen das Herz hin.

[S. 228]

»Frau von Chezi, die Textdichterin Ihrer ›Euryanthe‹, hat auch mir ein Buch geliefert — ich bin schon mit Feuereifer an der Arbeit. Sie sehen also, daß wir schon vom Parnaß her verwandt sind ...«

Das ist ein echter Franz. Die Mißerfolge können ihn nicht klein kriegen. Neue Opernwerke wachsen aus Herz und Hirn hervor. »Rosamunde« entsteht, trotzdem Schwind wettert: »Dieser verhängnisvolle Blaustrumpf, den hat der Teufel nach Wien gebracht! Daß gerade du zum Opfer fallen mußt!«

Karl Maria scheint nicht sehr erbaut über die Eröffnung.

Franz hat ihm Stücke daraus vorgespielt. Die Ouvertüre war zuerst für »Alfonso und Estrella« geschrieben, Franz hatte sie als zu aufhauerisch verworfen, in »Rosamunde« war sie gut zu verwenden. Das reizende, schlanke, feingliederige Musikstück entzückte die Freunde.

Nur Weber blieb kühl.

»Hm ja, wirklich nicht übel, ganz hübsche Einfälle — aber soviel kann ich Ihnen voraussagen: der dramatische Versuch als Ganzes wird nicht gelingen.«

Neidhammel!

Schwind war entrüstet über die absprechende Meinung.

Er selbst hatte schwere Bedenken wegen des Textes, aber »Versuch« — das war eine glatte Gemeinheit. Und »hübsch« — ei verflucht! »Hübsch, das sagt man von einem Kravattel!« erboste sich Schwind. »Und Versuch — das müßte er doch wissen, daß die ›Rosamunde‹ kein Versuch ist, der Herr Kollege, der anscheinend an der musikalischen Gelbsucht leidet!«

[S. 229]

Weber dirigierte die Erstaufführung seiner »Euryanthe« selbst. Natürlich ging Franz hinein, fünf Gulden der Platz — er zahlte auch für Schwind das Billett, macht zehn Gulden — davon konnte man damals einen Monat lang leben; aber Franz war kein Sparer und kein Knicker, am allerwenigsten, wenn es um die Kunst ging oder um die Freundschaft. Wer gerade Geld hatte, zahlte — Franz tat es gern, denn Schwind war fast noch schlechter daran, sein Genius konnte in Wien gar keine Anerkennung finden, und Geld hatte er fast nie in der Tasche.

Mit Weber, der sich in den Tagen seines Wiener Aufenthaltes dem Freundeskreis angeschlossen hatte, saßen sie fast täglich im Bognerschen Café und abends im »grünen Anker« zusammen.

»Nun, wie hat Ihnen meine Oper gefallen?!« fragte Karl Maria am Tage nach »Euryanthes« Premiere.

Franz war immer ein Michel Gradaus, er verübelte es auch anderen nicht, wenn sie ihre Meinung rund heraus sagten, nur ehrlich mußte sie sein.

Er nahm sich auch jetzt kein Blatt vor den Mund: »Einiges hat mir recht gut gefallen, aber für meinen Geschmack ist zu wenig Melodie daran — wissen Sie was: Der ›Freischütz‹ ist mir lieber!«

»Bravo!« applaudierte Schwind. Der hätte jetzt hinzufügen können: Der Text ist miserabel, aber daran ist die verflixte Chezi schuld ... Doch Schwind verkniff sich diese Äußerung und legte einen vergifteten Pfeil auf seinen Köcher.

»Hm, ja, nicht übel! Wirklich ganz hübsch! Aber der dramatische Versuch ist doch nicht gelungen!«

[S. 230]

Der Streich war heimgezahlt. Karl Maria erhob sich und verabschiedete sich kalt und gemessen. Das Ende der Bekanntschaft war bedeutend weniger freundlich als der Anfang, und von »Alfonso und Estrella« war in Dresden keine Rede mehr.

Dafür gelangte in Wien die »Rosamunde« zur Annahme.

Bei allem, was Schwind gegen die Textdichterin einzuwenden hatte, die Aufführung war ihr zu danken. Die Chezi hatte nämlich die Gewohnheit, so lange lästig zu fallen, bis man Ja und Amen sagte, um nur Ruh' zu haben vor ihr. So war es in der Oper.

Was Schwind befürchtet hatte, traf ein. Es war ein nicht zu verhüllender Mißerfolg, den der unerträglich geschmacklose Text verschuldet hatte.

Schwind, Joseph Hüttenbrenner, Mayrhofer, alle Freunde und Schubert gingen mit Herzklopfen hinein.

»Diese heillose Frau von Chezi!« so beginnt Schwinds Bericht an Schober, der wieder unterwegs ist und sich selber sucht. »Franz hat wieder einen ganzen Reichtum von Perlen hingestreut, die auch gebührend beachtet wurden, besonders die Ouvertüre. Wie ich immer sage: ein Ziselieren im Kleinen, eine lyrische Ausbeutung des einzelnen Wortes, was in dem geschwätzigen, inhaltslosen Text leider zu lauter verpufften Wirkungen führt. Ein herrliches Feuer, an dem sich das Herz der Menschheit erwärmen müßte, wird hier mißbraucht, um dichterische Wassersuppen gar zu kochen. Sie mundete niemand. Der arme Schubert! Er hätte einen Stoff gebraucht, der machtvoll ist durch die Größe und Einfachheit des Wortes. Hat wieder einen Fehlgriff getan, der sich bitter rächen[S. 231] muß. Daß es ein sanfter Durchfall war, läßt sich leider nicht leugnen. Die Aufführung hat ihm mehr geschadet als genützt, er hat buchstäblich umsonst gearbeitet ....«

Ungefähr so lautete das Urteil des Freundes, der den Schlag härter empfand, als wenn er ihm geschehen wäre.

Auch damit hatte er recht, Franz hatte buchstäblich umsonst gearbeitet. Nach dem Mißerfolg der »Rosamunde« trauten sich die Bühnen erst recht nicht an seine Opern heran. In rascher Folge waren neue Bühnenwerke entstanden, »Fierrabras«, »Die Verschworenen oder der häusliche Krieg«, ein vielversprechendes Fragment »Sakontala«, sie lagen alle neben »Estrella« und »Rosamunde« friedlich in der Tischlade oder kehrten nach vergeblichen Rundreisen über die Theaterkanzleien dahin zurück. Wieviel Lebenskraft und Schöpferwille ward hier fruchtlos vertan!

Auf die Epoche des glänzenden Aufstieges schien eine Zeit der Mißgeschicke gekommen zu sein. Sind es die biblischen sieben Jahre, in denen sich der Schicksalsstern entweder in aufsteigender oder wie jetzt in absteigender Linie bewegt? Man weiß es nicht, man nimmt's gleichmütig hin, man kann nichts Besseres tun als seine Pflicht und warten, bis günstigere Zeiten kommen.

»Wenn nur der Verleger nicht so gewissenlos wäre!«

Damit ist der Diabelli gemeint, der ihm das Verlagsrecht für seine erfolgreichsten Liederhefte für ein Butterbrot abzuluchsen verstand und ihn bei den kommissionsweisen Sachen noch obendrein übers Ohr haute nach Noten. Um der Unverschämtheit die Krone aufzusetzen, schließt er[S. 232] jetzt eine Rechnung ab, bei der Franz, anstatt Geld zu bekommen, noch fünfzig Gulden zu zahlen hätte.

»Ein sauberer Patron!« Franz wirft ihm die ganze Wahrheit an den Kopf. Sie ist knüppeldick genug, um dem Faß den Boden auszuschlagen. Es ist nicht nur die ewige Betrügerei — die Skrupellosigkeit dieses Geschäftsmannes vergreift sich auch an dem geistigen Gut, die Lieder und Tänze kommen vielfach verstümmelt und mit entstellenden Zusätzen heraus, die nach des Verlegers Meinung die Schöpfungen »publikumsreifer« machen sollten. Der geduldige Franz ist darüber aus dem Häuschen; in einer Aufwallung des gerechten Zorns richtet er eine geharnischte Absage an seinen Ausbeuter, und damit war ein für allemal reiner Tisch gemacht.

Das Suchen von Verleger zu Verleger geht nun erst recht an. Wie es manche verstehen, die üble Lage des Künstlers auszunützen! Da sind einige, die würden mit ein oder zwei Stücken den Anfang machen (werden sich freuen!), nur zahlen wollen sie nichts — als Entgelt einige Freiexemplare! Später, ja, wenn sie den Profit gemacht hätten, würden sie ihm für weitere Sachen eine bare Entschädigung geben; er wird mit Phrasen abgespeist, als ob er noch ein blutjunger Anfänger wäre.

Wien schwelgt in Schubertscher Musik, sein Ruhm ist begründet auch in anderen Städten — dabei ist er arm wie eine Kirchenmaus. Ein schwieriges Problem, ohne Amt und ohne festes Einkommen der Kunst zu leben. Er will es fertigbringen!

Ein Es-Dur-Trio, unter Brüdern hundert Gulden wert, bietet er der Firma Probst an.

[S. 233]

Sie möchte gern, o ja! — Nur ein Haken ist dabei.

»Gern sind wir erbötig, zur Verbreitung Ihres Künstlerrufes beizutragen .... leider wird der eigene, sowohl oft geniale als wohl auch mitunter etwas seltsame Gang Ihrer Geistesschöpfungen in unserem Publikum noch nicht genug verstanden ....«

Immer die nämlichen, geschraubten Wendungen, die den Vertrieb der Werke schwierig hinstellen, um den Preis zu drücken.

»Ja, wenn einmal das Eis gebrochen ist ...« Sie versprechen ihm goldene Berge, aber für später, später .... Zukunftsmusik!

Kurz und gut, statt der verlangten hundert Gulden schickt ihm die Firma zwanzig Gulden.

»Wenn es Ihnen zu wenig ist, dann schicken Sie das Geld gefälligst wieder zurück ....«

Wenn die Not am höchsten, ist der Hungerlohn am nächsten! Die zwanzig Gulden haben schon hundert Herren, also ist vom Zurückschicken kaum die Rede! Grausame Heimtücke!

Da ist noch Artaria, aber der ist wirklich anständig, schier ein Mäzen, der zahlt dreihundert Gulden für eine Sinfonie, freilich muß er noch ein kleines Klavierstück darauf kriegen — das Heft kostet sechs Gulden Ladenpreis, hundert Hände greifen danach im Augenblick des Erscheinens — die Zahlen werfen ein Streiflicht auf die Verlegerbriefe.

Nun, Gott sei Dank, wenn es auch nicht Geld regnete, so tröpfelt's doch hin und wieder, und wenn vollständige Dürre eintritt, dann helfen die Dedikationen über das[S. 234] Gröbste hinweg. Der Gesellschaft der Musikfreunde hat er eine Sinfonie gewidmet, sie weist ihm einen Ehrensold von hundert Gulden an. Die Hand Sonnleithners ist dahinter zu spüren. Klingende Münze kann man gut brauchen in so sündteuren Zeiten, aber es glückt nicht immer. Schöne Worte fallen häufiger ab als Dukaten.

Der Herr Bischof von Dankesreither in St. Pölten bedankt sich schönstens und ist freigebig mit schmeichelhaften Redensarten, aber es fällt ihm gar nicht ein, etwas springen zu lassen. Die Linzer Musikfreunde ernennen ihn zum Ehrenmitglied, die Grazer tun dasselbe auf Betreiben Jengers. Anselm Hüttenbrenner tut sehr wichtig mit der Überweisung der Urkunde — es ist eine Ehre für Franz, er kann sich das Blatt vor den Spiegel stecken, er kann aber auch den Mund an den Nagel daneben hängen, er kann es ganz leicht, weil's nicht immer was zu beißen und zu nagen gab.

Aber trotzdem — Franz läßt sich nicht lumpen, er will dem Musikverein ein Geschenk machen, das mit seinem Menschheitswert das Blatt vorm Spiegel himmelhoch übertrumpft.

»Um auch in Tönen meinen lebhaften Dank auszudrücken, werde ich mir die Freiheit nehmen, dem löblichen Verein ehestens eine meiner Sinfonien in Partitur zu überreichen ....«

Er spürt in seiner Brust ein neues Wogen und Singen: einen vertraulichen Klang aus früher Zeit.

G — d — g — fis — g — a .....

Die Geigen in seiner Brust schreien es in die Höhe; und immer wieder kehrt die Melodie, immer wieder reißt sie[S. 235] ab und sucht mit rührender Sorgfalt das Gesangsthema in neuen Variationen zu ergreifen .... Das sinfonische Tongemälde wird ein Abbild seiner Seele, ein erschütterndes Bekenntnis.

Er ist kein armer Mann, er ist ein Krösus, der aus vollen Händen gibt.

Draußen in den Weindörfern, in Währing, Weinhaus, Heiligenstadt, Grinzing, verbirgt einer sein Haupt in grüner Einsamkeit, ein ganz Großer, zu dem Franz jetzt aufsieht wie zu dem einzigen Stern über sich. Der geht auch einem unsichtbaren Wegweiser nach, unbegangene Pfade, weitab von allem Gewöhnlichen und hoch durch unwegsame Gebirge der Seele. Einer, der die Märtyrerkrone um seiner Kunst willen trägt, und zu dem das Meisterlein mit Ehrfurcht emporstarrt. Das ist Ludwig van Beethoven.

Er möchte sich ihm nähern, aber eine unüberwindliche Scheu vor diesem Gewaltigen zwingt ihn, im weiten Bogen auszuweichen. Er getraut sich nicht; heimlich geht er auf den Spuren des Gewaltigen, draußen zwischen den Weinbergen und kleinen Winzerhäusern.

G — d — g — fis — g — a ....

Dieses Lebenslied mit all den hoffnungsvollen Anfängen darin läßt ihn nicht mehr los.

Franz schafft mit Zyklopenhänden. Jahr um Jahr, ohne Unterlaß — das Arbeitsfieber ist sein normaler Zustand, er denkt nicht daran, daß es anders sein könnte. Erlösung, Vergessen, alle Rauschseligkeiten des Glücks gibt ihm diese heiße, verzehrende Arbeit. Sein Genius leuchtet auf wie eine mächtige Flamme, aber Franz merkt[S. 236] nicht, daß er der Kerze gleicht, die an beiden Enden brennt.

»Was ist mit mir?« sagt er eines Tages zu Schober. »Das Essen schmeckt mir nicht, ich kann nachts nicht schlafen, die Töne hämmern mir im Hirn, die Noten fliegen nur so zu, aber wenn ich nachts aufstehe, um sie festzuhalten, sind sie entflohen, ausgelöscht, nicht zu fassen .... Am Morgen ist mir dann der Schädel dumpf und schwer, ich ziehe an der Arbeitslast, als wäre sie ein Wagen voll Pflastersteine, und muß ziehen, ziehen, weil ich muß und nicht anders kann ....«

»Du mußt dich schonen, Freund, du bist überarbeitet, lasse es sein auf kurze Zeit, sammle deine Kräfte, und alles wird wieder flott gehen ...«

Aber der hatte schön reden. Man brauchte Geld und mußte verdienen. Wenn man statt hundert Gulden nur zwanzig bekommt und die hundert braucht, muß man fünfmal mehr machen oder fünfmal so schnell arbeiten.

Aber das ist es nicht allein.

»Weißt du denn nicht, daß Arbeiten das Paradies und Nichtarbeiten die Hölle für mich ist!« und jeden Tag kämpft er sich durch, aus der Hölle in das Paradies empor, um wieder hoffnungslos in die Hölle seiner Ohnmacht zurückzusinken. Aber die Sinfonie muß werden, mag auch ein Stück Gesundheit darauf gehen, das bringt man alles wieder ein, nur das Werk soll nicht erkalten, rein und volltönig muß es erklingen wie eine Glocke, es gibt vorher keine Schonung, und nun alles daran, was an Kraft aufzubieten ist! Ein Lebenslied, diese H-Moll-Sinfonie, sein Höchstes und Tiefstes soll es umfassen ..

[S. 237]

Und wieder jubeln die Geigen in die Höhe: g — d — g — fis — g — a ..... um nach kräftigen, harten Akkorden wieder abzureißen. Er schleppt sich hin, ist krank und weiß nicht, wie und wo. Die Schmerzen sitzen bald da, bald dort, der Kopf ist müde, es ist, als ob die Kraft plötzlich irgendwie einen Knick bekommen hätte.

E — fis — g — h — ais ...

Geigen, Violen und Fagotte brachen in ein herzzerreißendes Klagen aus, die Bässe sinken hoffnungslos herab auf das tiefe C; wie einzelne Lichtblicke brechen Teile des Gesangsthemas durch, um sogleich wieder in dem düsteren Nachtgemälde zu ersterben, die Celli und Kontrabässe wälzen dunkle Tonfluten herauf, c — c — c — gleich gewitterhaften Wolkenmassen, schmetternde Blechakkorde fallen ein wie strahlende Blitze, dazu ein helles Geigenmotiv, das empor will wie zu Anfang, um gleich wieder nach hartem, erbittertem Kampf zusammenzubrechen .... Die Erschöpfung ist eingetreten, noch ehe das sinfonische Gemälde, ein Bild seines Lebens, vollendet ist.

Franz ist zusammengebrochen. Die Nervenkraft ist erschöpft. Seltene Träume suchen ihn heim. Er fühlt sich als Bruder vieler Brüder und Schwestern, die Vergangenheit wogt daher in phantastischen Bildern, er sieht die Leiche seiner Mutter, der Vater erscheint ihm, er hat Streit mit ihm und entflieht; er wandert in ferne, unbekannte Gegenden, es ist ihm, als ob Jahre in dem Traum vorübergingen, seine Lieder umtönen ihn, die Liebe, die er gesungen, fühlt er als Schmerz, und der Schmerz, den er singt, wandelt sich in Liebe. Ein Traumbild jagt das[S. 238] andere. Sie haften in seinem Gedächtnis, er schreibt sie nachträglich auf wie eine allegorische Erzählung und schließt mit den Worten ».... und ich fühle die ewige Seligkeit wie in einen Augenblick zusammengedrängt. Auch meinen Vater sah ich versöhnt und liebend. Er schloß mich in seine Arme und weinte. Noch mehr aber ich.«

Franz liegt im Spital, er hat alle Haare verloren. Als er nach Wochen das Krankenhaus verläßt, präsentiert er sich seinen Freunden in einer gemütlichen Perücke. Er kommt überdies nicht mit leeren Händen. Die Krankheit war im gewissen Sinne eine Wohltäterin. Es war die Zeit der Ruhe und des Kräftesammelns. Aber die Katz' kann das Mausen nicht lassen, im Spitalbett hat er wieder zu komponieren angefangen. Kleine, leichte Sachen zwar, ein paar Dutzend Deutsche, einer schöner als der andere, galante, liebliche, bacchantische und fugierte — zum Entzücken Schwinds, der alles getreulich an Schober berichtet, der noch immer in der Welt herumirrt und es wieder mit der Schauspielerei hat. Er ist in Breslau und möchte genau wissen, wie es Franz geht.

»Er hat wieder seine Perücke abgelegt und zeigt einen lieblichen Schneckerlanflug,« berichtet Schwind nach Breslau.

Und später heißt es, Franz habe sich einer neuen Behandlung unterzogen, und dann erst habe sich die Krankheit gebrochen. Aber er müsse mit sich vorsichtig umgehen wie mit einem rohen Ei ... »— er lebt noch immer einen Tag von Banaderln, den anderen von einem Schnitzel[S. 239] und trinkt schwelgerisch Tee, dazu geht er öfters baden und ist unmenschlich fleißig ....«

Unmenschlich fleißig, das ist er wohl. Er fühlt sich verjüngt und will wieder losstürmen. Aber halt, so wie früher geht's doch nicht mehr. Rasch tritt die Erschöpfung ein, der alte Zustand ist wieder da. Schlaflose Nächte und ein Hirn, das fort und fort rattert wie eine leere Maschine. Ein tüchtiges Glas Wein abends, ja, das hilft noch — den Tee hat er über, etwas Bettschwere abends hilft ihm eher, heitere Geselligkeit, die Freunde; wie in allen seinen Lebenskrisen sind sie Trost und Rettung. An die Liebe wagt er jetzt kaum zu denken. Er hofft auf später. Alles läßt sich noch einholen, alles Versäumte und Verfehlte. Nur Zeit!

Das Lebensbild in H-Moll liegt noch da, unvollendet.

Rasch entschlossen tut er die unfertige Sinfonie in ein Kuvert und schickt sie nach Graz als Geschenk an den Steiermärkischen Musikverein. Er löst sein Wort ein und gibt ein Werk von erschütternder Gewalt hin für einen nichtigen Wisch Papier.

Anselm Hüttenbrenner als Musikdirektor empfängt es und verschließt es in eine Schublade. Was für ein Dämon hat Freund Anselm behext? Das ist ja gerade so, als wollte er den ergreifenden Aufschrei einer Seele mit einem Bahrtuch ersticken?! Wenn Franz das wüßte ... Aber der ahnt nichts und vertraut dem Freunde.

Langsam will er hinaufklimmen zur Höhe seiner alten Kraft. Langsam, langsam. Manchmal hat es ja den Anschein, als wäre er wieder ganz oben, manchmal. Er schreibt schon lange an einem Oktett, es sprüht von Lebenskraft,[S. 240] gerät fast außer Rand und Band, wuchert über an Schönheit und Wohllaut, etwas eigenwillig und barock in der Form, so recht süddeutsch, so recht österreichisch, ein ganzer und echter Schubert. Mit dem größten Eifer schreibt er daran; langsam, langsam geht es vorwärts. Schwind kommt zu ihm, Franz schreibt und schreibt. Er sagt nur, ohne aufzublicken: »Grüß dich Gott! Wie geht's?«

»Gut!« — Jetzt kann aber Schwind lange warten, bis der andere wieder einen Ton von sich gibt. Der schreibt und schreibt und läßt sich nicht beirren. Der liebe Besuch, so lieb er ihm auch ist, er kann getrost wieder gehen. Wenn Franz bei der Arbeit ist, gibt's keine Audienz.

Aber dann kommen Tage, wo er sich wieder von der stolzen Höhe seiner Kraft herabgeschleudert fühlt und wie zerschmettert am Boden liegt.

Vielleicht wenn er aufs Land ginge, die Natur hat verborgene Heilkräfte. Er fühlt etwas Sehnsucht nach Bergen, nach Waldluft. Er möchte sich verkriechen wie ein verwundetes Tier in Einsamkeit. »In Grün will ich mich kleiden ...«

Ein Glück, daß ihn Vogl mitnimmt nach Steyr.

Er fühlt das Leiden wie eine dunkle Nacht über sich, und er findet sich bald ein Gleichnis dazu, dem er aus tiefster Herzensnot eine Stimme geben kann. Ist es nicht, als ob ihm eine Krähe folgt, der sein Leib bereits verfallen ist? Wenn er flieht, dann zieht sie ihm nach.

»Eine Krähe war mit mir aus der Stadt gezogen, ist bis heute für und für um mein Haupt geflogen. Krähe, wunderliches Tier, willst mich nicht verlassen, meinst wohl,[S. 241] bald als Beute hier meinen Leib zu fassen? Nun, es wird nicht weit mehr gehn an dem Wanderstabe. Krähe, laß mich endlich sehn Treue bis zum Grabe!«

Er lebt in Steyr bei Vogl in tiefster Einsamkeit, fast verborgen, und kehrt nach einigen Wochen nach Wien zurück. Die Krähe, die ihm von der Stadt aufs Land gefolgt war, begleitete ihn vom Land in die Stadt.

Franz redet nicht gern über seinen Zustand; er schweigt und brütet vor sich hin, wenn er gefragt wird. Anders ist es, wenn er mit einem abwesenden Freunde brieflich eine Zwiesprache hält. Beim Schreiben drängen die zurückgestauten Gefühle mit Macht hervor, und so kommt der herzergreifende Brief zustande, den er an den Freund Kupel schreibt, der nach Rom gegangen ist, um die Sehnsucht seines Herzens an der Antike zu stillen. Als ob die Entfernung geeignet wäre, die Seelen einander näherzubringen, so schüttet Franz in dem Brief an Kupel sein Herz aus:

».... mit einem Wort, ich fühle mich als den unglücklichsten, elendesten Menschen auf der Welt. Denk' dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will und der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, denk' dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu nichts geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bieten als höchstens Schmerz, dem Begeisterung für das Schöne zu schwinden droht, und frage dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch ist? — Meine Ruhe ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr — so kann ich wohl jetzt alle Tage[S. 242] singen, denn jede Nacht, wenn ich schlafen gehe, hoffe ich nicht mehr zu erwachen, und jeder Morgen kündet mir nur den gestrigen Gram. So freude- und freundelos verbringe ich meine Tage, wenn nicht manchmal Schwind mich besuchte und mir einen Strahl jener vergangenen süßen Tage zuwendete ....«

Sein Gemüt ist düster umwölkt — er trinkt den Leidenskelch auf seinem Ölberg.

Was wird aus diesem Leben — geht es wieder aufwärts, oder kommt es ganz auf den Hund?


[S. 243]

VIII.

Johanna Lutz, die Feine, Liebliche, geht an dem Haus auf der Stubenbastei vorbei, wo jetzt Franz wohnt. Sie hat von Schwind gehört, daß er sich auf Anraten seines Arztes vierzehn Tage einschließen und fasten will. Im Vorbeigehen schaut sie hinauf und ist zu Tod erschrocken.

»Mein Gott, da sind ja alle Fenster offen! Da muß etwas geschehen sein! Das ist rein so, als ob jemand herausgestorben wäre!«

Sie weiß, daß Franz nie ein Fenster öffnet. Solange er zu Hause ist, bleibt alles bumfest zu, so luftscheu ist er.

Sie traut sich gar nicht zur Hausmeisterin hinein, um zu fragen, was denn geschehen ist.

»Dumm von mir!« schilt sie sich, als sie zu Hause ist. Es läßt ihr keine Ruhe. Eilends ein paar Zeilen an Schwind, er soll doch nachsehen, was los ist. Es käme ihr alles so sonderbar vor.

Am Nachmittag kommt Schwind zu ihr, bringt ihr einige neue Schubertsche Lieder und Deutsche und die Nachricht dazu: »Ja, ja, Franz ist ausgeflogen und wird sobald nicht wieder zu sehen sein. Darüber kann ein halbes Jahr vergehen. Tief im Ungarland sitzt er — in Zelez!«

[S. 244]

Die zarte Lutz atmet auf. »Gott sei Dank, mir ist ein Stein vom Herzen!« Sie hat soviel mütterliche Sorge um die Freunde Kupels, besonders um Franz, über den sie fleißig ihrem Verlobten nach Rom berichtet, der im Café Greco sitzt und mit den Gedanken in der Heimat weilt — er will genau wissen, was vorgeht; Franz macht ihm Sorge.

Der Cherubim wettert und flucht über das saure Leben.

»Der Kupel ist fort, der Schober flaniert in Breslau herum, und nun hat auch Franz die Schnapsidee und ist zu den Schnauzbartlern gegangen .... Himmel! Teufel! Da sitzt man mutterseelenallein — ohne Geld, ohne Freund. Uff! Rein zum Verrecken! Die andern Freunderln? Hol' sie der Kuckuck — einer ist pflichtig, der andere zweifelhaft, der dritte fad und der ganze Haufen gar nichts! Franz, Franz, Schober, Kupel — warum habt ihr mir das angetan? Wenn ich jetzt nicht Sie hätte, Johanna, und die Netty Hönig, ach, die liebe Netty, wissen Sie — die Netty — ach, ich kann Ihnen gar nicht sagen — wenn ich nicht wüßte, daß die Netty — — Ich weiß oft gar nicht, bin ich es oder bin ich es nicht — o Franz, Franz, Franz!«

Er ist ganz komisch in seiner Mischung von Ärger und Liebe, Verzweiflung und Seligkeit. Er greint und raunzt über Franz, aber er meint es nicht bös damit, er hat ihm selbst zugeredet, den Antrag des Grafen Esterhazy anzunehmen und wieder nach Zelez zu gehen.

Franz hätte es vielleicht nicht mehr getan. Der erste Aufenthalt war schon nicht sehr ersprießlich gewesen, es war damals eine kleine Zeit des Stillstandes für ihn. Zwar[S. 245] hat er ja manche liebe Erinnerungen mitgenommen und bewahrt — zweimal dasselbe birgt die Gefahr der Ernüchterung. Aber die Zeiten waren jetzt anders, er mußte leben wie eine Pflanze, und der Stillstand war ihm ein Schutz. Er brauchte ein Asyl, regelmäßiges, einfaches Leben unter einem gemessenen sanften Zwang, vor allem keine Sorgen. Er fühlte sich innerlich als Menschenruine; das Lebenshaus war halb eingesunken, der Regen fiel ihm durchs Dach, die Türen und Fenster klapperten, die Dielen ächzten, der Tod ging um, und draußen, ja draußen flog die Krähe um und um.

Das Wankende mußte gestützt werden, Zeit und Ruhe waren nötig, die Schäden auszuflicken, dafür war Zelez der rechte Ort. Ein Asyl, ein Asyl!

Der Bruder Ferdinand, Schulleiter in der Rossau, hat in der schweren Zeit ein wachsames Auge auf Franz. Nun aber waren schon drei Wochen vergangen, die Brüder hatten sich nicht gesehen. Franz kam doch sonst alle Wochen einmal zu ihm hinaus, seit er nicht mehr im Schulhause wohnte; er brachte den Nachmittag und Abend bei Ferdinand zu, und nach dem gemeinsamen Essen ging er beizeiten heim, um noch vor Torschluß sein Quartier auf der Stubenbastei zu erreichen. Allerdings, Franz hatte eine Fastenkur vor, die vierzehn Tage dauern sollte; er wollte einsiedlerisch leben und so wenig als möglich vor die Türe gehen. Nun aber sind es drei Wochen her, das macht den Ferdinand unruhig. An einem schulfreien Tag macht er sich auf, selbst einmal nachzusehen, was denn auf der Stubenbastei los sei.

»Seit acht Tagen ist er fort, nach Ungarn — wie heißt es[S. 246] denn gleich?« sagt die Hausmeisterin, die zugleich bei Franz Bedienerin ist. »Zelez — ja, so hat's geheißen!«

»Daß er mir gar nichts geschrieben hat!« verwundert sich Ferdinand.

»Ja, es war halt ein bisserl geschwind!« erklärt die Hausmeisterin. »Am Tage vorher hat er mir noch gesagt, daß er nach Ungarn gehen soll, er hätte aber wenig Lust dazu; nun, und am anderen Tage war schon der Reisewagen des Herrn Grafen vorm Haus.«

Es ging dem Bruder Ferdinand so wie den andern Freunden; die Stadt war mit einemmal leer und stumm für sie, seit Franz dahin war.

Mit stiller Trauer bog Ferdinand in die Wollzeile ein, dann in die nahe Schulerstraße, die weniger lärmend war, und blieb vor dem Gasthof »König von Ungarn« stehen. Es war knapp vor Zwölf, also beschloß er, hier zu Mittag zu essen. Im Hof drin war es schön zu sitzen unter den Efeuwänden und den Oleanderbäumen. Er zerschnitt ein saftiges Stück Rindfleisch, tunkte es in Semmelkrenn, die Küche war gut, es waren nur wenige Gäste da, und in dem schönen Hofraum herrschte eine patrizierhafte Ruhe und Ordnung. Die Mittagsglocken von dem nahen St. Stephan tönten herüber in hallenden, zitternden Wellenkreisen, es war schön anzuhören, aber Ferdinand war in Gedanken bei seinem Rindfleisch und zugleich bei Franz, und die Stadt hatte schier keinen Klang mehr, weil dieser Genius fort war. Die Glocken schwiegen; in der momentanen Stille fiel es Ferdinand auf, daß feierlich geläutet worden war. Er sah auf, in dem dreieckigen Giebel des weißgetünchten Hofes war eine[S. 247] Uhr zu sehen, die eben jetzt die Mittagsstunde anschlug. Sie begann zu schlagen, und als die zwölf Schläge vorüber waren, spielte sie mit einer feinen, metallenen Stimme ein Musikstück. Einen Walzer.

»O Gott! Was ist denn das? Das ist ja — ein Walzer von Franz? Ein Schubertscher Walzer!« Der Bissen blieb ihm im Munde stecken, dem Ferdinand — unwillkürlich stürzten Tränen aus seinen Augen und fielen salzig auf den Teller vor ihm.

Es war ja gerade so, als ob Franz ihn riefe mit Geisterstimme, die dort oben in der Uhr aufklang!

Das Uhrwerk schwieg, Ferdinand saß noch eine Weile da, ganz ergriffen und wehmutsvoll, dann ging er eilends heim, er mußte schreiben, sofort nach Zelez schreiben, was ihm begegnet war.

Aber die Scheu, sein Innerstes vor dem Bruder zu zeigen, läßt es nicht zu, den Satz zu vollenden; er deutet mit halben Worten an, was er sagen will. Brüder sind oft so zueinander, bei aller Liebe und Freundschaft.

Franz hat in Zelez sein altes Zimmer bezogen; er sieht durch das grünumlaubte Fenster hinaus auf den Ententeich und auf die Straße jenseits der Linden, wo die Post vorüberfährt. Er hört das Horn in der Ferne erklingen — »was hat es, daß es so hoch aufspringt, mein Herz?«

Alles scheint unverändert wie vor so vielen Jahren, dieselben Leute sind noch da, dieselben Gewohnheiten, dieselbe Tageseinteilung, nur statt Rosa, die nicht Nein sagen konnte, bedient ihn eine alte Magd, die mürrisch und halb taub ist. Um so besser — so gibt es keinen[S. 248] Plausch, kein Augenverdrehen, nichts — er ist nicht aufgelegt zu solchen Dingen. Der Kammerdiener behandelt ihn mit wohlwollender Herablassung als guten Bekannten, und im Inspektorflügel ist er ein gern gesehener Gast.

Im Herrenhaus ist regeres Leben als früher, in einem fort gibt's Besuch, Kavaliere und Damen, zu Pferd und zu Wagen, Ausflüge und Jagden werden veranstaltet, sonst aber geht die einfache Lebensweise fort. Die beiden Komtessen Marie und Karoline sind stattlich herangeblüht, aber sie sind noch immer so schlicht und herzgewinnend wie früher, besonders die Karoline. Freilich, mit dem kindischen Herumtollen, Arm in Arm mit Franz, mit dem großen Übermut und Glück der ersten Jugend ist es vorbei. Wenn sie es nicht selbst gesagt hätte, Franz wußte es gleich am ersten Tage durch den mitteilungsbedürftigen Kammerdiener, daß der schlanke, dunkeläugige Kavalier, Graf Folliot von Creeneville, Karolinens Verlobter ist, und daß der junge Graf Breuner, das blonde, schmächtige Gegenstück zu Folliot, für die dunkeläugige Komtesse Marie ausersehen ist, die sich zu einer recht kapriziösen Schönheit herausgemaust hat.

Franz ist ganz steif vor Verlegenheit und Verwirrung, als er sich der Komtesse Karoline wieder gegenübersieht, aber ihre anmutige Unbefangenheit hilft ihm, daß er sich nach und nach wieder erfängt. Im Herbst ist Hochzeit, und Karoline freut sich, daß Franz hier ist; er muß es ihr versprechen, bei der Tafel zu sein, sie möchte ihn in ihrer Nähe wissen.

Er zappelt von einem Bein aufs andere und stammelt so[S. 249] eine Art Glückwunsch daher. Natürlich fängt er es dabei wieder drollig ungeschickt an: »Jessas, Komtesse, wie mich das freut — nun, ich gratuliere herzlich dazu; der Herr Graf, ein so feiner Kavalier — aber daß ich bei der Tafel bin, das wird doch nicht recht gehen — ich schau' ja gar nichts gleich!«

Neben dem eleganten Edelmann schaut er freilich gar nichts gleich, ein ziemlich ruppiges Singerlein, aber die Komtesse hat ein unbändiges Vergnügen an seiner drolligen Unbeholfenheit, und die frühere Herzlichkeit ist im Nu wieder hergestellt.

Daß ihn die Verlobung Karolinens gar so freut, das war doch ein bißchen dick aufgetragen; er hat einen verwunderten Blick Karolinens aufgefangen — ob sie es wohl nicht übelnimmt? Es war das einzige Zeichen, daß die Liebesstunde nicht vergessen ist, ein kleines Geheimnis, von Vertrauen und Freundschaft behütet.

Mit den beiden jungen Edelleuten weiß sich Franz so gut wie nichts anzufangen. Die reden meistenteils von Jagen und Reiten und Pferden und Hunden; davon versteht er nichts; und von der Musik verstehen die anderen nichts.

Unter den Dauergästen befindet sich auch Karl von Schönstein, der einzige, der mit der Schubertschen Musik wirklich vertraut ist und bei der Schicksalsfügung, die Franz wieder nach Zelez gebracht hat, den Drahtzieher gespielt hat; er ist mit dem väterlichen Grafen Esterhazy intim befreundet, die beiden unterhalten sich gern auf eigene Faust; um was es dabei geht, hat Franz an dem zufällig aufgeschnappten Wort erkannt, als der eine von den beiden von seiner herzigen Rozier sprach, die Franz dem[S. 250] Namen nach kannte — eine vom Ballett; die unter Geflüster und Gelächter geführte Unterhaltung war also nichts für fremde Ohren.

Zuweilen kamen Zigeuner und spielten unter der Linde; Franz saß in seinem Zimmer, rauchte sein Meerschaumpfeiflein, dachte vergangener Zeiten und vergaß in diesem wehmütigen Glück die Gegenwart. Oder er komponierte, er hatte Zeit und Ruhe; oft vergingen Tage, ohne daß man ihn begehrte, es sei denn, daß Schönstein singen wollte, oder die Komtesse Karoline eine vierhändige Übung versuchte, aber auch dies nur selten, oder daß er eine seiner Sachen vorspielte, für die indessen außer den beiden Komtessen und Schönstein kaum jemand im Herrenhaus ein besonderes Verständnis aufbrachte.

Verträumt, verraucht, vergeigt, so fließen die Tage gleichförmig hin, einer wie der andere.

Nur wenn die Post vorüberfährt, springt das Herz auf.

Der Vater hat geschrieben, er gibt ihm gute Lehren. Er ist ja Jugendlehrer, der immer gern moralisiert, aber aus dem Tadler ist ein Tröster geworden. »Wir dürfen, ja wir wollen sogar die unschuldigen Lebensfreuden froh und mit dankbarem Gemüte zu Gott mäßig genießen,« ermuntert er den Franz, »wir müssen aber auch in trüben Umständen den Mut nicht sinken lassen; denn auch Leiden sind eine Wohltat Gottes und führen den, der standhaft ausharrt, zum erhabensten Ziel. Wo ist auch ein großer Mann in der Geschichte zu finden, der nicht durch Leiden und standhaftes Ausharren den Triumph errungen hätte. Darum möchte ich auch jene, die ich vorzüglich liebe, zu solchen Gesinnungen stimmen!«

[S. 251]

Daß er soviel Liebe in ein paar Briefseiten legen kann, mehr als man je im Leben aus seinem Munde erfahren hat, das hätte man doch nicht erwartet. Dem Franz gehen fast die Augen über vor Rührung.

Und nun gar der Bruder Ferdinand mit seinen Tränen, als er beim »König von Ungarn« Schuberts Walzer in der Uhr spielen hörte, und sich fast schämt, es hineinzuschreiben, daß ihm richtige Tränen entrollt waren beim Rindfleisch mit Semmelkrenn .....

»Warum getraust du dich nicht, mir das zu schreiben?« erwidert Franz in seinem Brief.

»Es werden die Tränen gewesen sein, die ich so oft geweint habe, und die in meinen Liedern und Walzern klingen, darum ist es so über dich gekommen, als du beim »König von Ungarn« die kleine lustige Sache von mir in der Uhr spielen hörtest .... oder kamen dir alle die Tränen, die du mich schon weinen sahst, ins Gedächtnis? ... Damit dich diese Zeilen nicht vielleicht verführen, zu glauben, ich sei nicht wohl oder nicht heiteren Gemüts, so beeile ich mich, dich des Gegenteils zu versichern. Freilich ist es nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder Gegenstand mit einer jugendlichen Glorie umgeben scheint, sondern jenes fatale Erkennen einer miserablen Wirklichkeit, die ich mir durch meine Phantasie (Gott sei es gedankt!) soviel als möglich zu verschönern suche ..«

Er schreibt sich alles von der Seele herunter, in Briefen und in Musik, und wenn die miserable Wirklichkeit Macht gewinnt, zündet er sein Pfeiflein an und sieht in den blauen Wölkchen die Menschen und Dinge neuerdings von jugendlicher Glorie umgeben. Dann steht die Sehnsucht[S. 252] auf, er muß seiner Bedrängnis Luft machen, nochmals Papier und Feder her, niemals fühlt er die Freunde so nahe als jetzt, da er mit ihnen von Seele zu Seele redet.

»Wären wir nur beisammen, du, Schwind, Kupel und ich,« schreibt er dem Schober, »dann sollte mir jedes Mißgeschick nur leichte Ware sein, so aber sind wir getrennt, jeder in einem anderen Winkel, und das ist eigentlich mein Unglück. Ich möchte mit Goethe ausrufen: Wer bringt mir eine Stunde jener goldenen Zeit zurück! Jener Zeit, wo wir traulich beieinander saßen und jeder seine Kunstkinder den andern mit mütterlicher Scheu aufdeckte, das Urteil, welches Liebe und Wahrheit aussprechen würden, nicht ohne einige Sorgen erwartend; jener Zeit, wo einer den anderen begeisterte und so ein vereintes Bestreben nach dem Schönsten alle beseelte. Nun sitz' ich allein hier im tiefen Ungarland, in das ich mich leider zum zweiten Male locken ließ, ohne auch nur einen Menschen zu haben, mit dem ich ein gescheites Wort reden könnte ...«

Und dem lieben Schwind gelten folgende Worte: »... ich würde mich hier recht wohl befinden, hätte ich dich, Schober und Kupelwieser bei mir, so aber verspüre ich, trotz des bewußten anziehenden Sternes, manchmal eine verfluchte Sehnsucht nach Wien ....«

Vielleicht ist es ein Zeichen der wiederkehrenden Gesundheit, daß er sich heftig fort sehnt. Oder ist es der anziehende bewußte Stern, der still und klar über seinen Träumen steht und nun zitternd zu entschwinden droht?

Eine heftige Unruhe ergreift ihn — die Hochzeitsvorbereitungen[S. 253] nehmen im Herrenhaus ein schnelles Tempo an.

»Ich alter Esel,« schlägt er sich vor die Stirn, »was kümmert's mich?«

Der Herbst ist schön wie damals, das stimmt traurig.

Morgen ist Polterabend, da muß Franz spielen, Schönstein singt und dann wird getanzt. Und übermorgen?

»Aber Sie versprechen mir, bei der Tafel zu sein?!« drängt Karoline.

»Ich möchte schon jetzt alles Glück und Wohlergehen fürs Leben wünschen, aber ich bitt' tausendmal um Verzeihung — nicht wahr, bei der Tafel muß ich nicht sein?! Ich pass' ja gar nicht hin — ich wüßt' nicht einmal, was ich reden sollt'! Die hohen Herrschaften — ja wirklich, da bin ich immer ganz dumm im Kopf!«

Also nein, um keinen Preis wäre er dazu zu bringen.

Karoline gibt ihm die Hand. Er beugt sich nieder, die Hand zu küssen.

»Bleiben wir gute Kameraden!« sagt sie, und ihre Stimme zittert leicht; sie will noch etwas sagen, aber sie hält inne und drückt und schüttelt seine Hand wie ein richtiger lieber Kamerad, der von dannen geht. Franz rennt weg, um nicht aufzuheulen. Es waren die letzten Worte mit Komtesse Karoline. Ein Abschied für immer.

Am Hochzeitstag geht er nicht aus seiner Kammer. Während sie drüben tafeln im Herrenhaus, sitzt er hinten und hat seine eigene, schmerzlich-selige Feier für sich. Er zündet seine Pfeife an, der Opferrauch steigt, der anziehende bewußte Stern tritt aus dem bläulichen Gewölk hervor, die schlanke Komtesse Karoline, wie sie im herbstlichen[S. 254] Park vor so und so vielen Jahren ihre edel geformten Arme um seinen Hals geworfen hat .... er pafft und pafft, das zarte Bild entschwindet — in den dicken Nebeln, die ihm Herz und Hirn umwallen, steht eine andere Erscheinung auf und erfüllt ihn mit brennender Sehnsucht: Melusine ....

Er wischt sich über die Wangen, sie sind trocken, und trocken ist sein Auge. In seiner Brust tönt ein weher Klang, er weiß es nicht, daß seine Tränen nach innen fallen. Aber drinnen sind sie, in seinen Liedern und Gesängen, und die Verse, die er sucht und vertont, die kommen ihm nicht von ungefähr zu; sie sind wie Spiegel, darinnen er seine eigenen Züge erblickt.

»Gefrorene Tropfen fallen von meinen Wangen ab; ob es mir denn entgangen, daß ich geweinet hab'? Ei, Tränen, meine Tränen, und seid ihr gar so lau, daß ihr erstarrt zu Eise wie kühler Morgentau, und dringt doch aus der Quelle der Brust so glühend heiß, als wolltet ihr zerschmelzen des ganzen Winters Eis ....«

Aber das Eis zerschmilzt nicht, es bleibt alles hübsch drinnen in der Brust und in den Gesängen, und nicht jeder spürt's, wie es Bruder Ferdinand einmal, nur einmal gespürt hat, als der Walzer aus der Uhr hervortanzte und plötzlich Tränen niederfielen.

G — d — g — fis — g — a — —

Das Lebenslied klingt so heiter, aber wißt ihr denn, was dahinter steht?

E — fis — g — h — ais — —

In Graz liegt's versperrt in einer Schublade, unvollendet — aber in Franz klingt es weiter, immer klingt es von[S. 255] neuem auf, immer wieder ein Anfang, ein heiter-tröstlicher Aufblick; immer wieder ein hervorquellender Schmerz, ein Zusammenbrechen .... Franz schaut so phlegmatisch drein wie ein wurstiger Gesell; ihm merkt man nichts an.

Schönstein ist wütend auf ihn bei der Heimreise.

»Dieser Schubert mit seinem Phlegma!« Hat er das Wagenfenster am Rückteil eingeschlagen, daß der kalte Ostwind hereinfährt und die herzige Rozier, die dem Schönstein entgegengereist war, beinahe einen Schnupfen gekriegt hätte!

Die Rückkehr nach Wien ist allemal ein Seelenfest für Franz und die Freunde. Johanna Lutz, die Mütterliche, hat ihre helle Freude an ihm, weil er so gut aussieht.

»Schubert scheint gesund und ist himmlisch leichtsinnig ....« schreibt sie ihrem Erwählten nach Rom.

»Daß Kupel noch immer nicht da ist!« klagt Franz. »Und Schober, der schönste Mann Wiens, der Abgott aller Weibsen! Was tut der in Breslau so lange?«

»Den Kasperl spielt er, es ist seine Glanzrolle!« gibt Schwind trocken zurück. »Ist das nicht ein tiefer Fall von der Höhe seiner Pläne und Erwartungen?«

»Er hält die Welt zum besten, die einzig mögliche Art, mit ihr zu verkehren ....« Das ist die Meinung Schuberts.

Sie lassen den lieben fernen Freund hoch leben. Die Gläser klingen zusammen, man ist wie ausgehungert auf heitere Geselligkeit, wenn man nach Wien zurückkommt und hat soviel einzuholen. In Zelez hat man sich kasteit, jetzt darf man das Rädchen wieder ein bißchen laufen[S. 256] lassen. Wein, Punsch, Kaffee, Tabak, die unsterblichen Güter der Heimat — die sind doch für die Seele da und nicht für den Leib, und Franz ist immer mehr für die Seele gewesen. Also lebt man wieder himmlisch leichtsinnig. Oder tut wenigstens so. Dieser Franz mit seinem Phlegma, wer kennt sich denn aus bei ihm?

»Wo nur der Mayrhofer steckt?« Beim Wein, der die Zungen und Herzen löst, kommt es zur Sprache.

»Die Freundschaft mit ihm ist Absterbens, Amen!« erklärt Franz auf die Frage Schwinds.

»Eifern tut er, euretwegen. Er glaubt, es wird ihm was genommen, weil wir, du, Schober, ich und Spaun so gut harmonieren. Er will der einzige und ausschließliche Freund sein, die anderen will er kaltgestellt wissen. Und weil ich dafür nicht zu haben bin, ist er unverträglich geworden. Schad' um ihn, er war mir ein lieber Freund ....«

Hin ist hin. So mancher, der im Laufe der Jahre nicht mithalten konnte, ist abgefallen, sang- und klanglos wie der Holzapfl, aber keiner so beklagt wie der gemütstiefe Mayrhofer, der sich grollend in die Einsamkeit zurückzieht. Sein Verstummen schmerzt Franz, vielleicht bedarf es nur des erlösenden Wortes, um ein neues, besseres Verstehen anzubahnen. Aber jeder schweigt. Es ist auch manchmal so unter denen, die sich lieben und verstehen sollten.

Ein anderer ist dafür gewonnen, der die Freundschaft mit Schubert ernst und heiß nimmt. Der junge Eduard von Bauernfeld. Er ist Dichter und nebenher Beamter, ein Sprudelkopf, der tausend Ideen hat, unzufrieden ist, über die Politik schimpft, und bei all diesen Vorzügen nur[S. 257] einen kleinen Mangel hat, nämlich kein Geld. Er besitzt also alle Eigenschaften, die notwendig sind, um in den Freundeskreis eintreten zu können. Vor allem ist er ein »Kanevas«. Jahrelang ist er auf Schuberts Spuren, endlich gelingt es ihm, die nähere Bekanntschaft zu machen. Schwind ist der Vermittler.

Franz wohnt jetzt in Schwindien, er hat ein hübsches Zimmer gleich im Haus nebenan, wo das Wirtshaus ist. Sie stecken ja sowieso immer beisammen, er und der Cherubim, der einzige Vertraute, den er jetzt in Wien hat; also ergibt sich das von selbst, daß sie so nahe beieinander wohnen.

Abends rückt ihm Schwind mit Bauernfeld auf die Bude. Der neue Bundesgenosse hat einige wenige Sachen mitgebracht, Tagebücher, Entwürfe, Dichtungen. Es wird vorgelesen. Zuerst Stellen aus dem Tagebuch. Bauernfeld hat seit Jahren alle seine Eindrücke aufgezeichnet. Die stärksten heißen Schubert. Franz kann es jetzt hören, was Bauernfeld schon vor Jahren schrieb, »Kärntnertortheater, Goethes ›Laune des Verliebten‹ machte kein Glück, das Beste ein Quartett von Schubert. Ein herrlicher Mensch! Den muß ich kennen lernen.«

So lange hat es gebraucht, bis sich die Wohlgesinnten wirklich finden. Jetzt aber muß der Bund besiegelt werden, man will Bruderschaft trinken. Dazu gehört natürlich edles Getränk. Franz kehrt die Taschen um und um, kein luckerter Zweier fällt heraus, Schwind unterzieht seine Taschen ebenfalls einer vergeblichen Brandschatzung, das gleiche tut Bauernfeld, sie bringen beim besten Willen das Nötige nicht zusammen. Schuldig bleiben!

[S. 258]

»Leicht gesagt, mein Lieber, aber der Wirt hat schon die Kreide verschrieben!«

»Verdient es denn diese infame Welt, so ausgezeichnete Kerle zu besitzen, wie wir drei sind?« haut Bauernfeld auf.

»Gemach, lieber Freund!« gebietet Franz und öffnet ein Fach im Schrank. Hier liegen noch ein paar Stückel Zucker vom Frühstückskaffee. Am Tisch steht eine Flasche Wasser, davon schenkt er drei Gläser voll.

»Warum soll die Freundschaft nicht das Wunder vollbringen und Wasser in Wein verwandeln?« Dann tut er in jedes Glas ein Stück Zucker, jeder rührt mit einem Löffel um und um und dann stoßen sie mit den Gläsern an und trinken Bruderschaft mit Zuckerwasser. Das Feuer der Begeisterung bringen sie aus Eigenem auf, das Zuckerwasser in Schwindien schmeckt besser als der Tokaier in Zelez.

»Laßt Rauch aufsteigen! Die Freundschaft verlangt ein Brandopfer!« gebietet der Cherubim mit priesterlicher Würde und schmeißt seinen Tabaksbeutel hin: »Hier ist der Goldstaub.« Neue Verlegenheit. Eine dritte Pfeife fehlt.

»Was liegt denn dort?« Der spähende Schwind hat ein passendes Ding entdeckt.

»Du, sei so gut — mein Augengläserfutteral!«

»Das hat uns ein Gott gesandt!« erwidert Schwind und hat im Handumdrehen eine Pfeife daraus fabriziert. Franz muß es geschehen lassen. Der Rauch steigt auf, ein wenig brenzlig zwar, aber der Himmel ist dem Opfer gnädig, es ist keinem schlecht geworden dabei. Bei Zuckerwasser[S. 259] und Tabaksqualm wird gelesen bis in die Nacht. Ein Drama ist es, das Bauernfeld zu Gehör bringt.

»Du wärst mir der Rechte für eine neue Oper!« erklärt Franz. Der Löwe hat wieder Blut geleckt. Er denkt an die »bezauberte Rose«. Bauernfeld soll ihm das Gedicht dramatisieren. Aber dem geht ein »Graf von Gleichen« durch den Kopf — Janitscharen und Rittertum, romantische Minne und Gattenliebe, ein türkisch christliches Brouillon.

»Uj jegerl,« schreit Schwind auf, »wenn's nur nicht ein zweiter Fall ›Alfonso und Estrella‹ wird!«

»Laß gut sein!« wehrt Schubert den besorgten Schwind ab. Und nun geht's an ein Entwerfen und Planen die ganze Nacht lang. Und als die liebe Sonne am anderen Morgen warm ins Zimmer scheint, findet sie die drei Kunstzigeuner im tiefen Schlaf, der eine im Bett, der andere auf dem Kanapee, der dritte auf ein paar zusammengeschobenen Stühlen — der Traum von Kunst, Ruhm und Liebe geht weiter.

So läßt sich alles gut an bei seiner Rückkehr. Kann man denn irgendwo glücklicher sein als hier zu Haus? Wenn Franz, als er in Zelez war, an Wien dachte, ging es glühendheiß in seinem Herzen auf. Die Stadt verdichtete sich zu einem Frauenbild, und das Frauenbild, darin er Wien sah, hatte die Züge der Melusine, ihre Augen, ihr Lächeln .... O Liebe, Liebe! War es die Sehnsucht nach Wien, oder war es die Sehnsucht nach Melusine, die ihn trieb? Es war beides in einem. Und er war so kühn in der Ferne, wenn er an die Geliebte dachte, und war so zaghaft, wenn er sie sah, die Liebliche, Hohe, Feine ....

[S. 260]

Die Zeit verschärfte seine Sehnsucht, es ist schon so lange her, daß er Melusine nicht mehr gesehen, er hatte sich geschämt, weil er durch die Krankheit so heruntergekommen ausgesehen hatte — aber jetzt war er, Gott sei es gedankt, so leidlich wieder in Ordnung, er brauchte sich nicht mehr zu verstecken. Nur schade, schade, daß es gerade bei den Hönigs war, wo man Therese begegnen konnte. Sie verkehrte jetzt viel in diesem Haus.

»Ich kann mir nicht helfen, aber der junge Hönig gehört zu den wenigen Menschen, gegen die ich von vornherein eine instinktive Abneigung habe; er hat mir nichts getan, im Gegenteil, er behandelt mich so vorsichtig und apart, wie ein dreckiges Hölzl, immer nur mit Handschuhen, aber es ist etwas an ihm, das mir gegen den Strich geht, ohne daß ich recht weiß was!« erklärt sich Franz dem Schwind, als sie unterwegs sind zu den Hönigs.

»Hm — und die Netty?« wirft Schwind lauernd ein.

»Ach, die ist ja ein ganz lieber Kerl!« meint Franz so oben hin.

Schwind leuchtet auf. »Nicht wahr? Ach, die, sie ist ein herziger Schatz! Die und keine andere! Du mußt wissen: treu wie Gold!«

Franz pfeift leise vor sich hin, ein Lied, das er irgendwo gesungen; er weiß gar nicht mehr, daß es von ihm selber ist. Wo war es nur, daß es ihm zuerst in den Sinn kam? War es nicht in Atzenbrugg? »Er hätt' es eher bemerken sollen, des Hauses aufgestecktes Schild, so hätt' er nimmer suchen wollen im Haus ein treues Frauenbild ...«

»Ja, ja, in Atzenbrugg!« Schwind bestätigt es. Dort war es zum erstenmal gesungen worden.

[S. 261]

Mit leisem Bangen treten sie bei den Hönigs ein. Man hat immer ein leises Bangen, wenn man in der Liebsten Haus eintritt. Aber es ist noch etwas anderes dabei. Eine brennende Unruhe, ein böser Argwohn. Die Netty ist ein lieber Kerl, das ist wahr, aber sie ist zu sehr verzuckert, es ist nicht alles echt — und treu wie Gold, das ist schon ganz und gar ein Unsinn, denn weniger treu als Gold kann auf Erden kaum etwas sein.

Sie ist so zuckersüß, die Netty, aber in ihrem Gesicht sitzen lauter Spotteufeln drin.

Franz sieht sich rasch um, Therese ist nicht da. Seine Unruhe steigert sich, er kann sich schließlich nicht enthalten zu fragen.

»Ja,« lautet etwas gedehnt die Antwort aus Nettys Mund, »wahrscheinlich hat sie keine Zeit — vielleicht auch keine Lust.«

Das hat es neulich auch schon geheißen und jedesmal, wenn Franz gekommen ist. Er bemerkt, wie Netty mit dem Bruder einen raschen Blick wechselt und beide eine höhnische Miene aufsetzen. Franz wird stumm, sein Gemüt verdüstert sich. Die Lustigkeit um ihn herum wird lauter, er versinkt immer tiefer in Trauer. In Gedanken ist er weit, weit weg, er hört die Wetterfahne auf dem Dach, der rostige Stab dreht sich um und um und quietscht auf in der eigenen Brust, als ob er tief drin im Herzen steckte. Der Schicksalswind hat wieder umgeschlagen und spielt drinnen mit dem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut.

»Was fragen sie nach meinen Schmerzen ....«

Unbändiges Gelächter ist um ihn herum. Cherubim wird[S. 262] hereingeführt in Weiberkleidern, die er auf Nettys Geheiß anziehen mußte.

»Hier ist Kolombine,« sagte sie zu Franz, »ich gratuliere Ihnen zu dieser lieblichen Braut. Jetzt müssen Sie aber fein artig sein und brav den Wurstel weiter spielen.«

»Wurstel? Bin ich ein Wurstel?!«

Er sagt es mit einer solchen tragischen Bitterkeit, daß das Gelächter mit vermehrter Heftigkeit hervorbricht. Schwind, von Netty am Narrenseil geführt, spielt die Rolle weiter. Mit verstellter Stimme beteuert er als Kolombine seine Liebe zu dem Wurstel und will ihm um den Hals fallen. Er merkt es nicht, daß dem Franz der ungehörige Spaß über die Hutschnur geht.

Die Komödie ist voll böser Anspielungen, Franz spürt es und steht bleich und ernst unter den Lachenden da. Mit einem Ruck schleudert er den nichts ahnenden Cherubim von sich, rafft seine Noten zusammen und geht schweigend aus dem Zimmer.

Das Gelächter erstarrt, alle sehen sich verlegen an.

»Es war doch nur ein ganz unschuldiger Scherz ...« beteuert Netty etwas beschämt.

»Natürlich, nur ein unschuldiger Scherz!« bestätigt Schwind und eilt dem Freunde nach. »Franz, ein unschuldiger Scherz — geh', komm', sei nicht kindisch ...«

Franz stürmt hinaus und fort.

Unverrichteter Sache kehrt Schwind in das Gesellschaftszimmer zurück, er hat noch immer die Weiberkleider an. Jetzt ist aber allen das Lachen vergangen. Die Netty[S. 263] hat ein böses Gewissen: »Versteht er denn so wenig Spaß?« Schwind zuckt die Achseln: »Man kennt sich nicht aus mit ihm!«

Zum ersten Male, daß eine Verstimmung zwischen den engsten Freunden eingetreten ist. Mit den Hönigs ist er jetzt fertig, Franz. Schwind, der Netty verteidigt, mag jetzt sagen, was er will. Franz ist kein Freund von derben Späßen; sein zur Schau getragenes Phlegma täuscht viele Menschen. Sie halten ihn für einen Dickhäuter. Aber dabei hat sich Netty verrechnet. War nicht die äußerlich zur Schau getragene Rauheit und Wurstigkeit ein bloßer Schutzmantel für die allzu empfindliche Seele? Das Heiligste seines Herzens verträgt keinen Hohn, nicht einmal leisen Spott, wenn er auch sonst für Humor und gute Laune Sinn hat. Hier ist eine Grenze gezogen, er duldet nicht, daß sie jemand verletze. Das demütige Meisterlein kann Unglück und Verkennung duldend hinnehmen, er bleibt gleichmütig gegen die Schläge des Schicksals, sie nennen ihn darum einen Phlegmatiker; aber wehe, wer vermessen genug ist, die Seele herunterzuziehen! Ein gerechter edler Stolz flammt empört auf — man ahnt nicht, welche Hoheitsgefühle in dem bescheidenen Mann wohnen; bei aller Demut, er weiß, wer er ist.

Schwind, der so tief in die Brust des Freundes blickt, hätte es wissen müssen — er weiß es wohl und leidet an dem Unrecht, zugleich ist aber auch der Trotz über ihn gekommen, die Liebe hat ihn geschlagen, und er vergißt darüber fast den Freund. Jetzt ist das Schmollen an den beiden — die Verstimmung ist da, sie dauert fort, weil[S. 264] sich jeder scheut, das Vorgefallene noch einmal zu berühren und reinen Tisch zu machen.

Franz ist entschlossen, sein Dasein auf eine gesicherte Basis zu bringen — er will sein Recht auf Glück in diesem Leben geltend machen. Er geht direkt aufs Ziel los.

Salieri ist in Pension gegangen. Es werden zwei Stellen frei, die eines Vize-Hofkapellmeisters und die eines Opernkapellmeisters. Franz bewirbt sich um die eine wie um die andere. Jetzt können ihm die Zeugnisse und Anerkennungen von Graf Dietrichstein und anderer Machthaber den rechten Dienst erweisen. Er richtet sein Gesuch direkt an den Kaiser. Was aber die stärkste Wirkung tun wird, ist der ausdrückliche Nachweis, daß er bei Hofkapellmeister Antonio Salieri das Komponieren gelernt hat.

Das Gefühl der Beschämung beschleicht ihn einen Augenblick lang, daß er, dessen geniale Meisterschaft in der Welt feststeht, sich auf läppische Schulzeugnisse berufen muß. Aber die Formalität verlangt es. Hat er es denn wirklich von Salieri gelernt? Er hätte besser sagen müssen, daß er es vom lieben Gott gelernt hat! Das müßte man wissen! Wie aber, wenn die Welt der Formalitäten auf Antonio Salieri ein größeres Gewicht legt als auf den lieben Gott selber? Dann konnte von Salieris Gnaden jeder Erstbeste, der kräftigere Protektion besaß, den Vorrang gewinnen ....

Nun aber, man muß nicht gleich das Schlimmste denken, vom inneren Beruf aus war Franz der Erste, daran konnte niemand mehr zweifeln, also hatte man eine schöne und berechtigte Hoffnung. Als wohlbestallter Hofkapellmeister[S. 265] brauchte man sich nicht mehr zu scheuen — und das Glück, das einst auf dem Kalbelwagen märchenhaft in seine Gasse gefahren kam, konnte man dann ohne Umstände ergreifen und festhalten. Melusine hieß das Glück, und der Kalbelwagen konnte dann ein richtiger Brautwagen sein, in dem sie beide zur Kirche fuhren.

G — d — g — fis — g — a — —

Wie in ganz frühen Tagen jubelt aufs neue eine ganz helle Hoffnungsfreude auf.

Es muß was geschehen, auch Schober schreibt es, er meint, der Enthusiasmus für Franz müßte aufs neue im Publikum belebt werden, und es wäre gut, wenn es bald geschähe.

Franz arbeitet ja mit Bienenfleiß. Ein quellender Reichtum von Melodien entsteigt blühend seiner Brust. Aber es ist schwer, die Begeisterung der Menge auf ihrer ursprünglichen Höhe fortzuerhalten. Es bedürfte wieder einer ganz großen Tat — Schober hat vielleicht recht, wenn er andeuten will, daß seit Jahren ein Stillstand eingetreten ist, wenn auch nur scheinbar. Es bedürfte einer ganz großen Tat — einer gelungenen Oper etwa, Bauernfeld ist jetzt seine Hoffnung — oder vielleicht eines großen Konzerts mit einer neuen Instrumentalsache, einer Sinfonie — er trägt sich mit dem Gedanken daran — ein großes Konzert, wie es Beethoven veranstaltet — vielleicht über ein Jahr, dann wird Franz hervortreten, bedeutender, stärker als je. Der Lebensplan ist fertig, mit neuer, entschlossener Kraft schreitet Franz dem Gipfel zu.

Zunächst also diese Sinfonie — Landeinsamkeit will er[S. 266] dazu, grüne Berge, einen Ort, wo man Gutes genossen und einiges Glück erfahren hat.

Im Mai ist Vogl wieder auf sein Steyrer Landgut gegangen, er denkt an Kunstreisen in Oberösterreich und Salzburg und kann Franz dabei nicht entbehren. Dem sind seit seinem Zwist mit Schwind die Wiener Tage leer und unersprießlich geworden, ein paar Tage will er in Linz bleiben, ehe er nach Steyr geht, den lieben Spaun will er ans Herz drücken, einem Freund muß er sich erschließen können, jetzt, wo er in Wien keine Seelenzuflucht hat — kurz, eines schönen Morgens ist er zum Schrecken Schwinds dahin und sitzt alsbald in Linz, wo er sich vor ärgerlicher Verzweiflung die Haare rauft, denn Spaun ist über alle Berge, ein paar Tage vorher ist er von Amts wegen nach Lemberg abgereist und wird vor Jahr und Tag kaum an die Wiederkehr denken können.

»Aufhängen könnt' ich mich vor Kummer und Verzweiflung,« schreibt er im drolligen Ärger dem Freund nach Lemberg. »Da sitze ich jetzt in Linz, schwitze mich halbtot in der schändlichen Hitze, habe ein Heft neuer Lieder, und der Freund ist nicht da! Ein Glück, daß der Jägermayer ein gutes Bier hat und daß auf dem Pöstlingberg ein anständiger Wein zu haben ist, das gibt neuen Lebensmut ...« Ottenwalt, der Schwager Spauns, ist entzückt von dem Gast, der ganze Linzer-Kreis schwelgt in Begeisterung, kein Wölkchen trübt die blauselige Heiterkeit der Linzer Tage. Dazu noch ein lieber, offenherziger Brief von Schwind — das hat gerade noch gefehlt, um das innere Gleichgewicht so halbwegs wiederherzustellen.

Er hat es nicht ausgehalten, der Cherubim; das ganze[S. 267] Ärgernis ist ihm nahe gegangen. Man kann doch eines kleinen Mißverständnisses wegen eine Freundschaft nicht preisgeben, die mit dem ganzen bisherigen Leben verknüpft ist. Oder es geht doch gleichzeitig mit ein Stück Seele darauf. Und das ist schon der halbe Tod. Also frisch von der Leber weg geredet — diese verteufelten boshaften Späße, die er nicht habe unterdrücken können, so sehr sie ihm selber wehe tun. »Da kommen die anderen und spotten und lauern in Verbindung mit Gedanken herum ... und wir lassen sie anfangs gewähren, dann tun wir selber mit .... nun ja, der Mensch ist schon einmal so unüberlegt .... und so verliert sich Unersetzliches um den Spottpreis ....«

Er kann die qualvollen Gedanken nicht los werden, er muß durch ein offenes Bekenntnis seine Seele befreien. Er ist doch gewohnt, solange er Franz und Schober kennt, sich in allen Dingen verstanden und geliebt zu sehen. So möge das Böse aus der Welt geschafft sein, indem man sich ordentlich ausredet. Franz möge ihm hierüber antworten so grob und so aufrichtig, als er es nur vermag, aber nur nicht dieses Schweigen, das ihm ans Herz greift. Dann habe er noch von Netty zu sagen, daß sie es wirklich nicht so arg gemeint habe. Sie bereue schon aufs heftigste ihre unüberlegte Stichelei, sie sei ganz unglücklich darüber, daß Franz schlecht über sie denke, sie ist wirklich nicht so, wie sie scheint.

Es hätte nicht halb so vieler Worte bedurft, um Franz wieder zu versöhnen, der ja nur darauf wartet, daß der andere ein gutes Wort gibt. Er ist ja auch gar nicht bös, und was die Netty betrifft — ach, diese unvermeidliche[S. 268] Netty! — so soll sie sich nur keinen Kummer machen, er denkt ja gar nicht mehr daran, es sei ja ohnedies alles in schönster Ordnung. Schwind zu verlieren, das ist ihm ganz undenkbar. Sie gehören nun einmal zusammen für dieses Dasein, und keine Netty der Welt sei imstande, das Freundschaftsband, das stärker ist als das dickste Tau, zu durchschneiden. Nun wäre auch das wieder ins richtige Geleise gebracht — o Gott, ginge es doch so auch mit anderen Dingen, die man ungeklärt durchs Leben schleppt und die das Herz so schwer machen, daß man ins Gras hinuntersinken möchte und vermeint, nicht mehr aufstehen zu können. Jetzt heißt es wieder: »Grabt mir ein Grab im Wasen, deckt mich mit grünem Rasen, kein Kreuzlein schwarz, kein Blümlein bunt ...« Aber um wieviel schmerzlicher klingt das Lied heute als in den Herzenständeleien vor so und so vielen Jahren.

Die schönen Linzer Tage gehen vorüber wie im Traum, in Steyr wendet sich bereits das Schicksalsblatt.

»Werde ich hier noch einmal so glücklich sein wie einst?«

Er weiß nicht wie, eine geheime Anhänglichkeit an Josephine lockt ihn dabei. Sie ist ja in manchem geziert und unnatürlich, aber sie hat ein gutes Herz, dafür ist er dankbar wie ein Kind. Er ist zum Manne gereift, aber eigentlich ist er im Herzen ein Kind geblieben wie damals, da er noch als Sängerknabe neben den pausbäckigen Engelsköpfen auf der Empore saß.

Unterwegs nach Steyr ist er im Stift St. Florian zu Gast und sitzt in dem gewaltigen Gotteshaus an der Orgel, die ein Wunder an Größe und Klangfülle ist. Himmlische Musik entströmt seinen Händen. Selige Erinnerungen[S. 269] quellen auf aus der Sängerknabenzeit, eine echt Schubertsche Liedweise fließt ein, dann drohende Tremoli und der eigensinnige Aufschrei aus einer geängstigten Seele, der das Menschenherz erschüttern muß.

»Wo er es nur hernimmt, der kleine, unscheinbare Meister?« denken auch die geistlichen Herren im Stift, dasselbe, was alle schon gedacht haben. »Der liebe Gott hat's ihn gelehrt!« es gibt kein schöneres Wort. Aber auch kein tieferes. Für die Welt ist er ein Gebender — in der Stunde der Schöpfung ist er ein Empfangender, ein von Gott Empfangender. Ein Kind ist er geblieben mit seinem naiven Wunderglauben, aber auch mit seinen Fieberträumen, ein Kind in der Hand Gottes. Gerade dieses Kindsein befähigt ihn zum Aussprechen dieses Tiefsten, er stammelt es wie ein Gebet. Es ist nicht mit dem Verstand gemacht, es ist mit dem Herzen gemacht, und darum ist soviel Herzblut darin und soviel aufseufzende kindliche Glückseligkeit, und zugleich sind so viele Tränen darin, die nach innen geweinten ....

Vogl sagt immer, daß er nicht mit Bewußtsein schaffe, und daß ihm das Geschaffene oft selbst nicht verständlich sei. Aber die in Linz, Ottenwalt und der ganze Kreis um ihn, waren bezaubert von der Tiefe und Klarheit seines Erkennens. Franz saß unter ihnen wie Jesus im Tempel. So heiter und jugendlich sorglos war es nicht mehr wie vor Jahren beim Katzengeschrei, aber es war doch auch ein inniges Fest der Seelen. Ottenwalt wußte so schön zuzuhören und mußte immer mehr erstaunen über diesen Geist, dem das Tiefste einfach war wie jede echte Wahrheit. Er verstand Franz besser: »Wie[S. 270] kann man sagen, daß ihm die eigene Kunst kaum offenbar und verständlich sei? Der Schlichtheit und Kindlichkeit seines Gemüts ist mehr offenbar, als wir uns alle in unserer Schulweisheit träumen lassen. Die Kindlichkeit ist ein Beweis seines Genies ....«

Der Ottenwalt verstand es eigentlich besser als Vogl. In Linz hatten sie begriffen, was Franz war. Sie erlebten ihn wie ein Stück Natur, wie einen Baum, einen Berg, den Wind. So erlebte ihn auch Schwind, der ähnlich war, so erlebten ihn Spaun, Schober und Bauernfeld. Darum liebten sie ihn alle so sehr.

Franz an der Orgel in St. Florian phantasierte und dachte an die Linzer Freunde und dachte voraus an das kleine Glück in Steyr, und die Orgel jubelte und sang dazu. Ein vergangenes Glück noch einmal erleben zu dürfen, welche Gnade! Seine Seele war geöffnet dem Unendlichen, sie empfing von Gott und wußte um neue Schätze, die sie zu geben hatte. Sie war zur Fruchtbarkeit gestimmt und kannte nichts Seligeres, als mit all ihrem Reichtum zu verströmen.

Die Sehnsucht trieb ihn weiter, altem Glück entgegen. Er dachte innig an Josephine, das Weibliche zog ihn an, denn es war auch das Mütterliche. Er war wieder ganz Kind und seine Seele suchte Zuflucht bei der Freundin.

Vor zwei Jahren, als er sich in Not und Krankheit im Hause Vogls verbarg, da war sie freilich etwas sonderbar gewesen, die gute Freundin.

»Sie müssen wissen, daß ich ein Tagebuch führe,« hatte sie ihm gesagt, »man erlebt soviel, auch Sie kommen darin vor ...«

[S. 271]

»Schneegans!« hatte er damals gedacht und war ärgerlich über dieses Blaustrumpfgetue. Diese Sentimentalität war ihm zuwider, er machte sich lustig über sie und hatte sie ziemlich schlecht behandelt.

»Es ist nicht mehr dasselbe wie früher,« sagte sie beim Abschied, »etwas ist am Tod da drinnen.« Und dann zog sie das Tagebuch hervor und fügte hinzu: »Meine Liebe ist in diesem Buche begraben.«

»Wird nicht schad' drum gewesen sein ...« dachte er und drehte sich um.

Aber alle diese herzlosen Narreteien waren vergessen, er war von Zärtlichkeit erfüllt, je näher er der Stadt kam.

»Könnte ich wieder so glücklich sein wie damals ... Es wird nicht so ernst gewesen sein mit dem Absterbens-Amen der Liebe, sie kann eben nicht leben ohne Marotte, aber im Grunde ist sie doch eine treue Seele ....« Und er nahm sich vor, recht gut zu sein, er war jetzt dankbar für das bißchen Herz.

Man soll dasselbe nicht zweimal erleben, er hat die Enttäuschung schon in Zelez erfahren und muß nun neuerdings daran glauben.

Wo war die Josephine geblieben mit ihrer Verliebtheit, ihrer Sucht nach den kleinen Abenteuern des Herzens, mit dem Kult, den sie um das Meisterlein trieb?

Sie hatte den Krämer gegenüber geheiratet, sie war steif und dumm geworden, keine Spur von der früheren Originalität, es war wirklich etwas tot in ihrem Herzen ..

»Mein Mann ist Kaufmann, Kaffee en gros ...« Sie legte Wert auf den Zusatz »Kaffee en gros«. Und wiederholte[S. 272] bei jeder Gelegenheit: »Kaufmann, aber ich bitte, Kaffee en gros ....«

Franz lächelte über diese provinzlerische Großmannssucht: »Kaffee en gros ...« Es war doch wirklich zu dumm. »Kaffee en gros —« Schade um sie, oder wenigstens um die hübsche Erinnerung. Aber dieses »Kaffee en gros« zog alles ins Lächerliche.

Und Vogl? Ei, der war auch nicht mehr derselbe. Auch er ging auf Freiersfüßen, der Weltweise, den Alter nicht vor Torheit schützte, und gedachte seine achtzehnjährige Schülerin zu heiraten. So suchte jeder ein Stück realen Glückes zu verwirklichen, und er, der Begnadete, mußte still und arm vorübergehen.

E — fis — g — h — ais — —

Dieser eigensinnige Aufschrei der gequälten Seele.

Das Glück hängt nicht am Ort, wo wir es zu finden wähnen, dachte er, wir können es nicht suchen außerhalb uns; in der eigenen Seele muß es zu finden sein, es existiert nirgends sonst auf Erden.

Und er war fest entschlossen, es aus eigener Kraft zu schöpfen.

Noch einmal zog Vogl aus mit ihm zu Kampf und Sieg. Sich selbst zur Verherrlichung, Franz war nur der Schleppträger seines Ruhms. In Gmunden lebten sie, Franz wohnte beim Kaufmann Traweger, der ein schönes Klavier besaß und ein stiller Verehrer seiner Kunst war. Was in einer seligen Stunde auf der Orgel zu St. Florian erklungen, als er in weltentrückten Träumereien auf der Empore gesessen war, das brach mit neuer, wunderbarer Kraft hervor, indessen der musikfreundliche Herr[S. 273] Traweger aufhorchend auf dem Kanapee saß, andächtig wie in der Kirche, und nicht genug staunen konnte über den wundersamen Gast. Und auch er mochte denken:

»Wo er es denn her hat?«

Der am Klavier stammelte, jauchzte und weinte wie ein Kind. Gott hat es so gewollt. Er hat's ihn gelehrt. Nicht er sang, es sang in ihm, alle Menschenlust und Erdenpein, das Herzblut strömte darin. Stückweise entquoll die sinfonische Dichtung der kindlichen Seele und der meisterlichen Hand.

So war es in Salzburg, und in den Pausen, wo die Unlust und Erdenschwere über ihn kam, schrieb er Reisebeschreibungen für seinen Bruder, ein äußerliches Bild der gesehenen Dinge, uff! daß ihm die Schwarten krachten.

Und dann, Gastein, wo er Gast des Bischofs Pyrker war, seines Gönners, der ihm für die Wandererphantasie einmal eine schöne Handvoll Dukaten zufließen hat lassen. Das war ein bischöflicher Segen, der dem Leib und der Seele wohlgetan hat.

Hier sprang der heiße Quell aus dem Erdinnern, dicht neben dem Eishauch der Gletscher.

Und der Quell, der so heiß im Innern glüht, und der kalte Hauch, der von draußen her weht, die feindlichen Gegensätze des Lebens, sie waren mit drinnen in dem, was er sang und dichtete. Und die Berge waren drinnen, die steingrauen Städte, und was er dort erlebte, das verwehte Glück, die Liebe, der Schmerz.

Gasteiner Sinfonie, so nannte er die Bruchstücke, sie sollten eine Stufe sein zu dem Lebensbau.

[S. 274]

Das große Konzert, vielleicht auch die Oper, die ihm Bauernfeld versprochen, das wohlbestallte Amt eines Vize-Kapellmeisters, das wären Dinge! Das Kind erwachte in der Seele und baute ein luftiges Kartenhaus. In Träumen wohnt alles so schön beisammen. Aber es sind doch alles Dinge, die möglich sind, nicht nur möglich, sondern höchst wahrscheinlich. Er ist jetzt entschlossen, das Glück mit fester Hand zu ergreifen. Er braucht es nur bei sich zu suchen, in seinem eigenen Willen, dann ist das Kartenhaus nicht mehr Kartenhaus, ein festgebautes Schloß, mit einem schönen kupfernen Dachhelm, mit einer Wetterfahne darauf, die knarrt und knarrt, der Wind spielt mit ihr auf dem Dach so laut, daß man es im Schlafen hört, aber der Wind, der Schicksalswind, spielt nicht mehr drin mit dem Herzen, das ist ruhig und in sicherer Hand, in seiner Liebsten Hand, die hält das Glück, die hält sein Herz, er braucht nur zu kommen und sagen: Hier bin ich, das hab' ich, und jetzt nimm mich, nimm mich, wie ich bin, ein ganzes Kind, und du, meine Geliebte, du bist mein Gefährte, mein Stab, meine Zuflucht, mein Trost, mein alles, du, die eine, so bin ich gesegnet mit Weh und Glück, du treues Frauenbild, du geliebte Melusine, zu der mein Genius aufblickt, ich lebe durch dich — für dich — sei mein!


[S. 275]

IX.

Diddel dum, diddel dum, diddel dum — diddel dei, diddel dei, diddel dei — diddel dum, diddel dei! Die Klarinette girrt und gellt vor Lachen, von der brummbärigen Baßgeige in die Höhe geschwenkt beim Tanz, ehrbarlich zappelt das Klavizimbel mit, getreulich geführt von dem behaglichen wohlgesetzten Cello — diddel dei, diddel dei, hei, hei, hei, hei — diddel dum, diddel bum, dum, dum, bum, bum!

Franz schabt das Cello, dunkeltönig jubeln die Saiten, als wären sie vom lieben Gott selber gestrichen, Franz spürte es inwendig, bis in die Gedärme hinein. Er spielt mit einigen Freunden zur Hochzeit auf, Johanna Lutz und Kupel, der endlich aus klassischem Land Heimgekehrte, sind nun ein Paar. Diddel dei, diddel dum!

Das Blondhaar glänzt wie Goldgeschmeide auf dem sinnenden Haupt der zarten Lutz. Sie sieht heute gar elfenhaft aus neben dem großen, gebräunten Kupel, der wie ein junger, iliadischer Krieger anzuschauen ist. Er hat den Arm leicht um die Lutz gelegt: »Vivat Kupel, du hast den Preis gewonnen!« So denkt Franz, der vom Podium herab die Tafel überschaut: Ein schönes Paar die zwei — diddel dum, diddel dum!

[S. 276]

Neben Johanna sitzt Schwind, der ist heute so seltsam, er dreht Brotkügelchen, spielt mit den Fingern, preßt dann fest die Hände ineinander, schaut öfters stier in die Luft — was hat er denn? Er hat was, Franz bemerkt es von oben, wie fleißig er auch fiedelt. Netty Hönig sitzt neben ihm unten, die sind beide so einsilbig, Schwind und die Netty. Da geht was vor. Diddel dum!

Weiter an der Tafel sitzt groß und stattlich wie eine Märchenfee die rätselhaft schöne Melusine. Ein magisches Band ist gewoben von ihm zu ihr, und seine Blicke schweifen immer herunter auf sie. »Ja, ja, weil unsere Lieb' ist immer grün, weil grün der Hoffnung Fernen blühn —« diddel dum, diddel dum! Ob sie noch das grüne Lautenband besitzt? Warum sie es nicht in den Locken trägt — wie damals? Sie hat ja 's Grün so gern?! Diddel dum! Sie hat es wohl tief versenkt in die Nähe des Herzens .... Diddel dum! »Dann weiß ich, wo die Hoffnung wohnt, dann weiß ich, wo die Liebe thront ...« Diddel dei, diddel dei, diddel dum, dum, bum!

Ist der Schober aber redselig, spielt wieder den verfluchten Kerl — alle Weibsen um ihn herum verzückt wie vor einem Halbgott — und dieses verliebte Geschau — hält er sie alle zum besten oder ist es ihm ernst damit? Halb Don Juan, halb Don Quichote — daß er nur wieder da ist! Diddel dum! Musik und Gedanken geraten dem Franz wie italienischer Salat durcheinander, während er das Cello schabt.

Diddel dum! Der Hönig, dieses ausgewässerte Gesicht, gar nicht genugtun kann er sich mit übertriebener Aufmerksamkeit[S. 277] für Melusine. Will sie nach einer Pomeranze greifen, schwupp hat er schon den Fruchtaufsatz in der Hand, die Serviette fällt ihr herunter, wie ein Käsperl ist er in der Versenkung verschwunden. Sie greift nach der Fingerschale, die ohnehin ganz bei ihr steht, aber nein, der zudringliche Kerl greift ihr wieder zuvor, er muß die Schale halten, indessen sie ihre rosigen Fingerspitzen eintaucht — und dieser ekelhaft lüsterne Blick von ihm, hat er nicht etwas Affenartiges? Ja, das ist's, ein kompletter Affe! Merkt er denn noch immer nicht, daß sie, die Wald- und Quellenfee, ihm kaum einmal dankend zunickt, Luft ist er für sie, vollständig Luft, o die Holdselige!

Jetzt schaut sie wieder herüber, Franz senkt sich tiefer auf das Cello, es schluchzt und jubelt. Diddel dum, diddel dum, diddel dum!

In dem Geschrei, Gelächter und Gefiedel schwingt sich eine Stimme empor, die Ruhe gebietet. Das ist einer von den Freunden Hönigs. Franz denkt nicht gut von diesen Freunden. »Was soll mir diese Reihe von ganz gewöhnlichen Studenten und Beamten? Was gehen die mich an? Ist es nicht der Mohn? Oder ist es der Bruchmann? — Nein, der Mohn ist es!« Er bittet um Ruhe.

Alles schweigt, Musik, Gelächter und Geträtsche, mäuschenstill ist alles. »Was sagt der Mohn? Hör' ich recht? Lauter, lauter, oder ich schmeiß' dir meinen Fiedelbogen in das verlogene Maul ...«

Die Stimme Mohns ist klar und vernehmlich: »... das alles möchte ich euch zu wissen geben, ihr lieben Freunde, daß neben dem geliebten und verehrten Hochzeitspaar[S. 278] soeben eine Verlobung stattgefunden hat: Fräulein Therese Puffer und der liebe Freund Hönig, sie leben hoch! Dreimal hoch! Musik! Einen Tusch! Ha, faules Musikantenvolk!« Der Dirigent am Cello rührt sich nicht.

»Dreimal hoch!« Der ganze Chor brüllt es, die Gläser fahren zusammen, die Klarinette, die Baßgeige, das Klavizimbel, sie fallen mit ein, unordentlich, kopflos, es klingt ein klein wenig wie Katzenmusik. Das Cello rührt sich nicht. Schier die Darmsaiten sind ihm abgerissen, heftig und schmerzlich, als ob sie Franz im Leib hätte.

Knarr, knarr! Die Wetterfahne hat sich umgedreht. Knarr, knarr! Als ob der rostige Stab mitten durch die Brust ginge, das Herz ward dabei schier entzweigedrückt. »So hätt' er nimmer suchen wollen, im Haus ein treues Frauenbild! Der Wind spielt drinnen mit dem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut, was fragen sie nach meinen Schmerzen? — Sie ist ja eine reiche Braut!«

Das längst gesungene Lied wacht auf mit allen Schmerzen, jetzt ist es Begebenheit geworden.

Er nimmt sein Cello zwischen die Knie und streicht ganz zärtlich und sacht über die Saiten. Es weint und schluchzt jetzt für ihn, indessen er den anderen zum Tanz aufspielt, die unten mit heißem Atem Brust an Brust herumschwenken. Was im Innern vorgeht, man merkt es ihm nicht an, was kümmert's auch die andern! Er hat sein phlegmatisches Gesicht aufgesetzt. Nur daß der Kopf einige Zoll tiefer und schwerer über dem schluchzenden Cello hängt. Diddel dum!

Melusine, die Nixenkühle, tanzt in des andern Arm. Nicht des Besten Braut ist sie geworden, sondern des[S. 279] Reichsten! Der hat sie ihm vor der Nase weggeschnappt. So geht's im Leben. Diddel dum!

Einer hat sich zu ihm geflüchtet, der Frack ist ihm hinten zerrissen, wie ein Häufchen Elend hockt er am Podium dicht bei Franz.

»Was ist mit dir, Schwind? Geh', schau', du bist ja ganz zerrissen!«

Der hebt ein zuckendes Gesicht zu ihm empor.

»Zerrissen? Ja, das bin ich. Zerrissen — inwendig — ganz in Fetzen zerrissen!«

»So, so!« Franz sagt nicht mehr. Er weiß schon, was los ist. Die Aufregung Schwinds vorhin, der hat einen schwerwiegenden Entschluß gefaßt — mein Gott, wo alles liebt .... »und jetzt bist du ....«

Der Zerknirschte nickt traurig und ergänzt den Gedanken: »— abgeblitzt!«

Fiedelbum!

»Hab' ich's nicht immer gesagt — diese Hönigs!« raunt es vom Cello herab.

Der unten am Podium hockt, möchte vergehen vor Weh und Ach. Traurige Hochzeitsgäste, diese zwei, der Musikant und sein Leidensbruder.

»Du tust, als ob dir nichts geschehen wäre ...« gibt der unten zurück.

»Sei still, sonst ....« klingt's hinter dem Cello hervor.

Fiedelbum!

Nachts am Heimweg gehen die zwei stumm nebeneinander her.

»Mich leidet es nimmer daheim,« fängt endlich der Cherubim[S. 280] an. »Ich muß fort, hier kommt man auf keinen grünen Zweig ... Ich gehe mit meiner Kunst ...«

»Und das Herz? Kannst du das auch mitnehmen? Das ist verwachsen mit dieser Luft, aber auch die Kunst ist verwachsen mit diesem Herzen, mit dieser Luft, mit diesem Boden, mit dieser Stadt, dieser verruchten, miserablen, in Grund und Boden verwünschten, treulosen, undankbaren, launenhaften und leider viel zu sehr geliebten ... Eine Buhlin ist sie, die sich wegwirft an den, der das meiste Geld hat .... man hat zu viel Herz, daran geht unsereiner zugrunde ...«

»Herz?!« Der Cherubim tut, als ob das Herz für ihn keinen Sinn hätte. »Herz? Man hat es in den Staub getreten, zertrampelt, ich fühle nichts mehr da drin als wie eine namenlose Abscheu ....«

Der andere seufzt: »Sie ist eine reiche Braut ...«

»Reden wir nicht mehr darüber, Servus!«

»Servus!«

E — fis — g — h — ais — —

Der Verzweiflungsakkord kommt nicht mehr zur Ruhe.

Das Leben geht fort, es macht sich von selbst. Franz wundert sich jeden Morgen, daß immer wieder ein neuer Tag anbricht, trotzdem er oft meint, es müßte aus sein. Mit seiner Bewerbung um die Kapellmeisterstellen ist er durchgesaust. Ihm ist es einerlei. Ganz Wurst! Er erzählt es mit einer Art Galgenhumor den Freunden.

»Ist doch allen hier so gegangen, die etwas Großes und Ernstes gewollt haben, warum soll's denn mir anders gehen?! Sie haben den Mozart nicht wollen, wie man sieht, wollen sie auch den Grillparzer nicht und setzen ihm[S. 281] einen Dämpfer nach dem anderen auf, daß er sich ganz menschenscheu verkriecht, und Beethoven — für den soll im Ausland gesammelt werden, wie man hört; im Vergleich mit diesen Großen bin ich ja herrlich daran — ich dürfte mich ja eigentlich gar nicht beklagen, wenn ich auf die anderen hinsehe ....«

»Freunde, auswandern! Ich gehe nach München, dort lebt die Kunst!«

Bauernfeld haut fürchterlich auf. Er schimpft über diese Zustände wie ein Rohrspatz. Aber auswandern? »Nein, Freunde —« Er ist durchaus dagegen.

»Wohin soll denn der Österreicher auswandern? Gibt es doch keinen Fleck auf der Erde mehr, der so schön ist als gerade seine Heimat. Hier wurzelt seine Gefühls- und Denkweise, er muß so singen, reden, schreiben, malen können, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Die Stimme des Genius loci will erklingen — sie redet nirgends so laut als hier. Die Welt hat ihr Herz entdeckt — und dieses Herz der Welt ist Wien und Österreich. Was dieses Herz ist, haben wir der Menschheit zu verkünden, Schubert, Schwind, Grillparzer und wir alle zusammen. Wo können wir es besser als hier, wo unsere inneren Quellen springen, wo unsere Kraft wurzelt? Und von hier sollen wir fortgehen? Das wäre eine Viecherei; unser Bestes schöpfen wir hier, vergiß das nicht, lieber Bruder Schwind! Hier sind wir glücklich, obschon wir leiden; und wir leiden, obschon wir glücklich sind ...«

Franz horcht aufmerksam zu, er nickt stumm mit dem Kopf, es ist etwas Wahres daran an dem, was der beredsame Bauernfeld sagt.

[S. 282]

Schober ist auch seiner Meinung, obschon aus einem Grund, der weniger tief liegt. »Man findet es nirgends besser auf der Welt, meistens weit schlechter,« läßt er sich vernehmen; »diesen Tabak, diesen Kaffee, diesen Wein und diese Weiber — so herrlich wachsen sie nicht einmal in Sachsen!«

»Schäker!«

Aber der Schwind wird ernstlich bös über den liebenswürdig eitlen, tändelnden Schober.

»Du hast dir noch nicht ein Stückel Brot selber verdient, also weißt du einen Schmarrn vom Leben! Ein Kerl, der den ganzen Tag nichts tut als vor dem Spiegel stehen und Weiberkitteln nachrennen, der hat hier nicht mitzureden. Um schaffen zu können, muß der Mensch leben, er muß essen, das Nötige verdienen — hier kann der Mensch, wenn er sonst nichts hat als sein Talent, verhungern. Und darum bleibt nichts anderes übrig als zu gehen.«

Mayrhofer, der Lodernde, am inneren Feuer Verglühende, hat Anfälle von Reue; in solchen lichten Augenblicken kommt er aus seiner freiwilligen Verbannung und Einsamkeit hervor, sitzt in dem geselligen Kreis der Jungen, um dann wieder um so menschenscheuer und grollender in seine mönchische Weltflucht zurückzukehren.

Was da geredet wurde, ist Wasser auf seine Mühle. Er hat das Zeug zum Freiheitsapostel und Demokraten und hält jetzt eine wilde Rede gegen Bevormundung, Unterdrückung und Polizeigewalt. »Denkfreiheit, Redefreiheit, Aktionsfreiheit,« das sind seine Schlagworte.

Das wäre alles sehr schön, meint Bauernfeld, wenn es[S. 283] nicht bloß die Faust in der Tasche wäre. Wie es denn käme, daß Mayrhofer trotzdem als Zensurbeamter weiter helfe, den Geist der Freiheit zu knebeln anstatt zu befreien — eine Einwendung, die den zwiespältigen Mayrhofer wieder gehörig verschnupft.

»Daß die lieben Zeitgenossen doch immer nur dazu da sind, sich dem Bedeutenden hemmend in den Weg zu stellen!« eifert Bauernfeld. »Drum, Freund, müssen wir dableiben und gegen diese erbärmliche Welt so lange protestieren, bis sie sich zu schämen anfängt, daß sie es so ausgezeichneten Kerlen, wie wir sind, so sauer hat werden lassen.«

Die Stimmung wird immer lauter und gemütlicher; die Seelenverfassung der Freunde ist dem Gedeihen des Galgenhumors recht günstig. Äußerlich geht es oft bei unbändiger Lustigkeit her; aber das ist äußerlich. Wie es bei Franz innerlich aussieht, das weiß keiner so recht; allerdings, die Lieder sind Verräter. Seine »Winterreise« erscheint, die Freunde schütteln den Kopf, zunächst mehr befremdet als ergriffen.

»Hie und da ist an den Bäumen manches bunte Blatt zu sehn, und ich bleibe vor den Bäumen oftmals in Gedanken stehn; schaue nach dem einen Blatte, hänge meine Hoffnung dran; spielt der Wind mit meinem Blatte, zittr' ich, was ich zittern kann. Ach, und fällt das Blatt zu Boden, fällt mit ihm die Hoffnung ab. Fall' ich selber mit zu Boden, wein' — wein' auf meiner Hoffnung Grab, wein' — wein' auf meiner Hoffnung Grab ...«

Mit heimlichem Grauen starrten die Freunde in dieses[S. 284] Tal der Tränen. Düstere Nachtgemälde rollten sich in den Liedern auf, der Schmerz wühlte darin, und das Licht der Hoffnung schien erloschen.

»Gar so melancholisch ...«, meinte der eine wie der andere. »Mehr Heiterkeit, mehr Lebensfreude — Kopf in die Höhe, Franz!«

Sie haben leicht reden, diese anderen; aber die Melancholie kommt eben daher, daß die Seele den grausamen Nüchternheiten des Lebens allzusehr unbewehrt und verwundbar gegenübersteht; sie leidet, aber dieses Leiden ist zugleich der Zoll, den sie bezahlen muß dafür, daß ihr gegeben ist, soviel auszusagen. So wendet sich alles Leid wieder zum Segen, es wird ein neuer Schatz für die Menschheit — das Herz, das die Welt hier entdeckt hat in der Wiener Heimat, in diesen Liedern zuckt und blutet es.

»Wißt ihr denn auch, wie die Ausgabe der Liederserie ›Winterreise‹ zustande gekommen ist? Fragt den Freund Lachner!«

Lachner ist aus München nach Wien gekommen, ein junger Musiker, der als Feldherrnstab den Dirigentenstock im Tornister trägt. Einstweilen muß der Feldherr des Orchesters buchstäblich das Kalbfell schlagen, er ist aushilfsweise Paukenschläger in der Oper, und das ist auch keine Kleinigkeit. Aber seine Sehnsucht ist zurück auf die Münchener Heimat gerichtet, er wartet nur auf den günstigen Wind, um mit vollen Segeln zurückzusteuern geradewegs zum Dirigentenpult als Ziel. Daß er Schwind mitnimmt, das scheint schon ziemlich abgemacht.[S. 285] Auch Schubert hat er sich dick angefreundet, sie stecken immer beisammen.

Franz ist wie gewöhnlich in Geldnot und will rasch etwas verklopfen. Eine Liederserie liegt bereit, Lachner soll sie zum Verleger Haßlinger tragen und trachten, soviel als möglich herauszuschinden. Von Geschäftssachen versteht er auch soviel wie der Esel vom Zitherspiel, allerdings hat er den guten Willen. Er soll keineswegs ohne Geld kommen, verkitscht muß werden um jeden Preis — also gut.

Mit den Noten unterm Arm macht sich Lachner auf den Weg. Was er da trägt, ist ein Vermögen — in Geld umgesetzt, es kann ein hübsches Sümmchen geben. Siegesbewußt ist er ausgegangen — gedeftet kommt er heim; der Erlös, den er Schubert auf den Tisch legt, beträgt bare — sechs Gulden.

»Ist das alles?« fragt Schubert. »Für alle Lieder?!«

Kleinlaut erwiderte Lachner: »Schmählich, nicht wahr? Das hab' ich schlecht gemacht — ich hätte die Noten nicht dort lassen sollen — weißt du was, ich trag's Geld wieder zurück!«

Kaltblütig steckt Franz das Geld ein. »Zurückgeben?! Was fang' ich denn an? Der Verleger ist zwar schäbig — aber was dich betrifft, du hast es ausgezeichnet gemacht!«

Sechs Gulden — das ist in Anbetracht des hingegebenen Wertes ein Bettelpfennig. Damit macht man keine weiten Sprünge. Und was dann? Morgen, übermorgen, nächste Woche? Man läßt den lieben Gott sorgen dafür. Der schafft Rat. Summt dem Franz[S. 286] schon wieder ein Lied im Kopf — wirklich, der liebe Gott schafft Rat, alle Tag' und alle Stund'.

»Drüben hinterm Dorfe steht ein Leiermann, und mit starren Fingern dreht er, was er kann. Barfuß auf dem Eise wankt er hin und her, und sein kleiner Teller bleibt ihm immer leer. Und er läßt es gehen, alles wie es will, dreht, und seine Leier steht ihm nimmer still. Wunderlicher Alter, soll ich mit dir gehen? Willst zu meinen Liedern deine Leier drehen?«

Die »Winterreise« setzt sich fort, dafür ist gesorgt. Er und der Leiermann — die sind schier eins.

»Ist's euch zu melancholisch, Freunde?!« Wollen sie es nicht begreifen, daß seine Schöpfungen nicht nur aus seinem musikalischen Gefühl entspringen, sondern daß sie auch aus seinen Schmerzen entstanden sind und darin am tiefsten greifen? Sie möchten ihn lustig sehen.

»Nun denn, bin ich nicht auch lustig unter euch?«

Ja, das ist er, fröhlich unter den Fröhlichen. Bauernfeld sagt's ja immer: »Franz, der hat die rechte Mischung von Idealem und Realem — die Erde ist ihm schön ....«

Das Rechte aber weiß eigentlich keiner.

Für die Aufheiterung ist in der Tat auch reichlich gesorgt. Es scheint, daß ein stillschweigender Pakt unter den Freunden besteht. Im Gasthaus zum »grünen Anker« sind sie fast täglich abends zu fröhlicher Runde vereinigt. Spaun ist nach Wien übersiedelt und führt ein großes Haus. Glänzende Schubertiaden finden hier statt, aber nachher geht's immer noch zum »grünen Anker«; die Stimme des Herzens klingt immer erst voll aus, wenn man so gemütlich und zwanglos beieinander sitzt. Man[S. 287] kann sich schwer trennen in solchen befeuerten Stunden, wo der Wein die Zungen löst, und so sitzt man hübsch lange beieinander, das ist begreiflich. Vor Mitternacht denkt keiner ans Heimgehen, meistens wird es geraume Zeit nach Mitternacht.

»Wirtshaus, wir schämen uns — hat uns ergötzt; Faulheit, wir grämen uns — hat uns geletzt!« so jubiliert Bauernfeld.

Zugleich aber schwärmt man fleißig aus ins Grüne, wenn es die Jahreszeit und der Geldbeutel erlauben; Fahrten nach Atzenbrugg werden unternommen, in größerer Gesellschaft oder zuweilen auch im engsten Vereine, Franz, Schwind und Bauernfeld, die in innigster Schicksalsverwandtschaft zueinander stehen und darum ein unzertrennliches Kleeblatt bilden. Der bischöfliche Schloßherr auf Ochsenburg würde das Kleeblatt allzu liederlich finden, man begnügt sich mit der Unterkunft bei der Aumüllerin in Atzenbrugg und nimmt aus Sparsamkeit nur ein Zimmer, sie müssen zu dritt in einem breiten Ehebett schlafen.

Diese äußerlich dürftigen Umstände kitzeln wieder die humoristische Ader, und die Lustigkeit wächst; die Atzenbrugger Tage sind immer eine Festzeit. Man lacht und ist guter Dinge, aber die Seele weint; es ist zwar keine Wetterfahne auf dem Dach, aber man spürt das Knarren inwendig, und die alten Wunden bluten. »Was fragen sie nach meinen Schmerzen?«

Dem Schwind ergeht es ähnlich. Doch einer verbirgt den Schmerz vor dem anderen, jeder tut auf seine Weise rauh[S. 288] und unverwundbar. Sind beide im Herzen große Kinder.

Den einen wie den anderen überkommt gelegentlich das Verlangen, aus der inneren Einsamkeit vollends hervorzugehen, die Seelenkammern weit aufzuschließen und sie dem Auge der Freundschaft und der Liebe zu zeigen. Jeder macht immer wieder einmal einen Anlauf dazu und redet so um die Dinge herum.

Franz, zuweilen philosophisch aufgelegt, macht einen Vorstoß. »Keiner, der den Schmerz des andern, und keiner, der die Freude des andern versteht! Man glaubt zueinander zu gehen, und man geht immer nur nebeneinander. O Qual für den, der dies erkennt!«

Schwind versteht, was er sagen will, er leidet unter derselben Qual. Sie machen beide die Erfahrung, daß die Einsamkeit der innere Schutz der Seele, zugleich aber auch der Kerker dieser Seele ist. Sie rütteln beide an den verschlossenen Türen und reiben sich wund an den ehernen Mauern. Ihr Tiefstes und Bestes möchten sie voreinander aussagen und können es nicht.

»Wir alle gleichen Gefangenen in unterirdischen Burgverließen,« erklärt sich Schwind, »jeder ist verurteilt, mit einem bestimmten Teil seines Wesens allein zu sein in der Kammer seiner Einsamkeit, und wir können uns höchstens durch ein sinnreiches Klopfsystem untereinander verständigen. Die Poesie und Kunst sind in den Verließen der Einsamkeit geboren, sie sind das Klopfsystem, die Gleichnisse, durch die wir einander erraten können ...«

Wie groß auch die Hingabe der Freundschaft ist, wie rein auch das Herz ist von Trug, wie unverbrüchlich auch die[S. 289] Treue ist und die Aufrichtigkeit, sie kommen oft über das Nächste und Einfachste nicht hinaus. In dieser Not suchen sie die Sterne, suchen sie Gott, der sie ihre Kunst gelehrt, suchen sie das Schweigen, denn in dem Schweigen erraten sich die getrennten und doch so verwandten Seelen am leichtesten. Es ist der tiefste Punkt des Verstehens — eine Gemeinsamkeit von Einsamkeit.

In dieser Kunst des beredten Schweigens sind beide Meister. Sie können stundenlang im Grünen sitzen beim Wein und den schweigenden Gedanken zuhören, die durchs Gemüt sinken. Höchstens daß der eine oder andere einmal seufzend unterbricht: »Ja, ja!« oder daß es dem einen oder anderen zu dumm wird und daß er ungeduldig auffährt: »So, jetzt aber schweigen wir von was anderem!«

Nicht weniger eifrig als früher lenkt Franz seine Wanderschritte hinaus nach Heiligenstadt oder Grinzing, wo der liebe Gott mit dem Finger winkt, das heimliche große Licht ist draußen verborgen, Ludwig van Beethoven, um so lieber wandelt man die Wege nach diesem klassischen Wiener Boden.

Sitzt Schwind am Zeichentisch und mag sich nicht trennen von seinen Gesichten, die er mit dem Stift verewigt, dann weiß Franz eine Zauberformel: »Horch, horch, die Lerch' im Ätherblau ...« Dieser Lockung kann Schwind nicht widerstehen. Ein paar Stunden Ätherblau im Grünen ist reicher an künstlerischer Eingebung als viele Tage am Zeichentisch. Also auf und hinaus! Aber sie bleiben nicht allein, der Schober ist mit von der Partie, der Bauernfeld, zuweilen der Spaun oder an seiner Stelle[S. 290] der Lachner. Bald sind sie ihrer fünf und freuen sich im Grünen.

Ein gottseliges Leben ist in den Heiligenstädter, Grinzinger oder Sieveringer Hausgärten, wo der Heurige ausgeschenkt wird. Unter ein paar Bäumen sind rohgezimmerte Bänke und Tische in die Erde gerammt, hier sieht die Welt friedvoll und heiter aus. Der Salamucci geht um mit ungarischer Salami, mit echter Veroneser und Mortadella, mit Emmentaler Käs' und Butter, und wer nicht sein Geselchtes im Papierl mitgebracht hat — es gibt auch Schlemmer, die nicht ohne Brathendel in der Rocktasche auf den Plan treten —, der kann sich für billiges Geld vom Salamucci Wurst und Käse aufschneiden lassen. Es langt fürs leibliche Wohlsein und paßt gut zum Wein. Unaufhörlich kräht der Brotschani mit hellem Sopran: »Schani Brot! Schani Brot!« Es geht zu wie im Himmelreich, alle Mühsal und Pein ist von der Seele genommen.

Franz hebt das Glas, der rauschselige, trostbringende, grüngoldene Wein ist der Hüter seiner Muse, die Vergangenheit wird lebendig, der Traum von Glück verklärt das Herz.

Man ist Gottes voll. Und was tut man, wenn man Gottes voll ist? Man hebt zu singen an, als säße man auf einer lichten Wolkenbank, so ein rechter Himmelsmusikant, und schaut gemütlich auf diese bucklige Welt herab. So gesehen, schaut sie recht schön aus, man könnte schier seine Freude daran haben. Da ist die Stadt, hier der liebe Wienerwald und dann über Berg und Tal noch manches andere, wohlbekannte Städtlein, und wachsen[S. 291] viele schöne Mädchennamen da und dort. Man hat sie alle gekannt, sie sind dem Herzen nahe, eine wie die andere, und jetzt, wo man tief ins Weinglas hineinschaut, sieht man manch holdes Bild aufsteigen.

So sitzen die fünf im Grünen, sie sind augenblicklich ein gar fröhliches Quintett und singen aus Leibeskräften, als säßen sie neben geflügelten Engelsköpfen hoch oben auf einem Kirchenchor. Und ist es auch nichts Heiliges, was sie singen, so ist es darum just auch nichts Schlechtes, denn was sie singen, das sind diese süßen Mädchennamen, die dem Herzen, ach! allzu nahe stehen. Fanny, Therese, Anna, Rosa, Karoline, Josephine, Netty, Melusine!

Am besten von allen singt Franz, der arme Schulmeisterssohn; darum lieben sie ihn auch alle so sehr, die Freunde, die mit ihm zechen, der Forellenbach, der ihm die Geheimnisse von der Mühle und von der schönen Müllerin zuflüstert, und am meisten liebt ihn der Wein, der all sein Elend, all seine Tränen, all seinen Schuldenbettel, all sein Herzeleid in Gold verwandelt. Die süßen Mädchennamen fließen in dem Gesang der Liebe zusammen in eins, es ist die unsterbliche Geliebte, die er besingt, die bald so und so hieß und eigentlich aber nur einen Namen hatte. Es ist die Heimatstadt Wien selbst, die er in Melusine, in Fanny, in Karoline, in Rosa, in Josephine, in Therese so unglücklich liebte, diese unsterbliche Geliebte, die ihm die tiefen Herzenswunden geschlagen, und die ihn mit Schmerz gesegnet, auf daß er seine Freude singen möge.

Die süßen Namen der Liebe, das Herz der Menschheit, die[S. 292] schmerzverklärte Freude, dies alles und noch viel mehr ist in Franz Schuberts Lebenslied.

Die Welt des Haders und der Zwietracht horcht auf, die fünf singen im Grünen wie die Jünglinge im Feuerofen, im Weinbergsfeuerofen — der finster blickende Herr Ludwig van Beethoven, der große Tragiker, der sich in den bäuerlichen Weinbergshäusern versteckt und in seiner großen Menschheitssinfonie das Lied der Freude singt, der hätte ein Vergnügen an dem Quintett gehabt.

Die Seele hat soviel Kraft und Gesundheit, um auch in diesen trüben Zeiten Augenblicke zu finden, wo der Himmel offen steht.

G — d — g — fis — g — a — — —

Aber der schwer erkaufte Frieden hält nicht lange.

Der Himmel über ihm ist wolkenlos, doch am Horizont lauert schon neues Unheil. Es bricht immer dann am stärksten hervor, wenn er glaubt, daß alles überwunden sei. In steilen Linien auf und ab bewegt sich die Schicksalskurve, heute hoch oben, morgen tief unten. Sonnige Werke entstehen neben den Ausbrüchen tiefster Verzweiflung und Seelenqual. Das heitere Es-Dur-Trio neben dem grausigen Nachtstück der »Winterreise«.

»Fröhlich, Freunde, fröhlich! Sagt ihr, es wohne nicht die Fröhlichkeit unter meinem Dach?! Spitzt jetzt gefälligst eure Ohren, dann werdet ihr sie vernehmen!«

Die Freunde rasen vor Entzücken über das Es-Dur-Trio.

»So gefällst uns! Ein echter Schubert! Erfüllt das Herz mit heiterem Glück bis in alle Winkel! Scheucht alles Dunkle auf, jagt alle Nachtgespenster von dannen[S. 293] .... erquickt die Seele mit neuem Lebensmut, reißt den Himmel auf über ihr, daß sie hineinschaue in wogendes Weiß und Blau und Ströme von Glückseligkeit niederstürzen fühlt aus leuchtenden Höhen ...«

Das ist schon wahr, was die Freunde in ihrer überschäumenden Begeisterung sagen.

»Aber diese schauerlichen Lieder der ›Winterreise‹, die wollen mir noch nicht ein ...« meint Spaun.

Sie vermögen es alle nicht zu erkennen, daß in diesen »schauerlichen Liedern« Franz am meisten er selbst ist. Seine tiefsten persönlichen Ahnungen sprechen sich darin aus, in die dunkelsten Abgründe seiner Seele lassen die Lieder hineinblicken. Ihre ergreifende Größe und Schmerzensgewalt läßt sie dem Buch Hiob vergleichbar erscheinen. Ein solcher Leidensmann ist der nun Dreißigjährige, der sich zugleich zu dieser kindlich jubelnden Höhe seines Trios aufzuschwingen versteht.

In diesen jähen Gefühlslinien bewegt sich sein Lebenslied: eine heitere Liedweise als Grundton, dann ein jähes Abbrechen, ein qualvoller Aufschrei der gemarterten Seele: e — fis — g — h — ais .....

Es fehlt nicht an Anlässen, die tief in sein empfindliches Seelenleben hineingreifen und diesen erschreckenden Umschlag bewirken. Er hat die verhängnisvolle Gabe, den Anstoß wie eine rollende Kugel in der gleichen Richtung weiterzutreiben, bis alle Seelentiefen aufgepeitscht sind .... In dieser Widerstandslosigkeit seiner Seele gegen die Schläge des Schicksals ist er Empfangender; er gleicht den Stoß in seinem Innern aus, indem er sich durch sein Schaffen befreit, insofern ist er ein Gebender. Was er[S. 294] dafür hingibt, ist ein Stück Leben. Der Erlös dafür? Dieser Schandlohn von sechs Gulden, wenn es nur der einzige Fall wäre! Ein Werkelmann verdient mehr!

Aber das ist es nicht, was ihn um und um stürzt. Das Leben ist auch sonst gespickt mit tragischen Ansätzen, die die Neigung haben, auszuwachsen und die Seele zu erschüttern.

Daß Jenger aus Graz nach Wien zurückgekehrt, das wäre ja ein freudiger Anlaß. Aber was alles drum und dran hängt! Sein erster Weg ist in das Frühwirtsche Haus auf der Wieden nächst der Karlskirche, wo Franz noch immer wohnt. In Schwindien also. In aller Frühe kommt er angestiefelt, Franz liegt noch im Bett. Die gestrige Nachtschwärmerei — es ist wieder hoch hergegangen im »grünen Anker« — vielleicht geniert er sich auch ein bißchen: »Du mußt wissen, ich bin nicht so ganz auf der Höhe — es wird nimmer so recht mit der Gesundheit — Leib und Seele wollen nicht mehr zusammenhalten — außer bei einem Glas Wein, da hat man ja einen so täuschenden Schein von Kraft und Courage, aber sonst — man gibt zuviel her bei der Arbeit ...« Ist ja auch was Wahres dran.

Franz läßt sich das Schalerl Kaffee mit den zwei Kipferln, die die Quartiergeberin bringt, schmecken, indessen Jenger bei ihm am Bettrand sitzt und erzählt und erzählt. Alle Grazer Neuigkeiten schüttet er aus, einen ganzen Sack voll.

»Also du mußt nach Graz kommen! Du hast Freunde dort, nicht zum sagen! Das Ehepaar Pachler ist geradezu vernarrt in deine Musik, na, wie überhaupt alle. Sind[S. 295] recht liebe Leute, die Pachlers. Wohnen großartig im Hallerschlössel ganz nahe bei der Stadt, das ist was für dich. Grazer Patrizier, mußt du wissen, du sollst ein paar Wochen bei ihnen wohnen, sie laden dich ein, ich möchte ihnen nur gleich schreiben, daß du wirklich kommst ....«

Vom Hundertsten kommt er ins Tausendste, auf einmal sieht er auf die Uhr und springt auf.

Warum er es denn so eilig hat? Er möchte noch vormittags hinaus in die Schwarzspanierstraße — Apropos, es ist wahrscheinlich, daß auch der Anselm Hüttenbrenner her muß. »Gebe Gott, daß es nicht so schlimm wird.«

»Was ist denn los? Schwarzspanierstraße? In die Beethovensche Gegend?«

»Ja, weißt du denn nicht —? Man fürchtet, es geht zu Ende mit ihm .... seit acht Tagen ringt er mit dem Tod. Schindler, sein Vertrauter, hat's geschrieben.«

Mit einem Satz ist Franz aus dem Bett.

»Beethoven am Sterben? O Gott!« Das große Licht, zu dem er anbetend aufblickt, am Erlöschen?

Jenger ist schon bei der Türe hinaus.

Hastig kleidet sich Franz an. Die Gefühle wirbeln durcheinander. Er kann keinen klaren Gedanken fassen. Der Tag vergeht, heute kann er keine Note schreiben. Er versucht dies und das und legt es wieder hin. So voll Unruhe ist er. Er fühlt es ganz genau: es kommt etwas daher, das ihn trifft wie einen persönlichen Verlust. Wie hat er sich hingesehnt nach dem Gewaltigen, der ihm wie ein Wegweiser erscheint nach den höchsten Zielen ... Aber er hat es nicht gewagt, er hat Angst vor dem ganz[S. 296] Großen, seine Erfahrungen mit Goethe haben ihn ganz eingeschüchtert. Wie oft hat er dem Olympier nach Weimar geschrieben, er hat ihm Stöße von Liedern geschickt — mit keiner Zeile hat er geantwortet, Franz existiert für ihn nicht, die Hekatombe hat nicht Gnade gefunden in den Augen des Göttlichen.

Aber das war noch zu ertragen. Beethoven steht ihm näher als Vorbild auf seinem ureigensten Felde. Er fürchtet, es könnte ihm mit dem Schöpfer der »Eroika« und der unsterblichen »Neunten« ähnlich ergehen. Es wäre ein Verdammungsurteil für das zaghafte Meisterlein — nein, er versucht's lieber nicht ....

Und jetzt krampft sich ihm das Herz zusammen bei dem Gedanken, daß er etwas versäumt hatte und daß es etwa zu spät sein könnte .... Da lebt man in derselben Stadt, begegnet einander zuweilen in den Straßen oder in den einsamen Feldwegen, weiß sich im Geist so nahe und kehrt lieber um auf halbem Wege aus begreiflicher Scheu ..... und erfährt erst durch Leute, die von fern kommen, daß der Tod an sein Haus pocht. So groß ist die Einsamkeit um den Titanen, daß keiner den Weg zu ihm findet, bis auf einen .... es greift Franz kalt an die Brust: auch seine Einsamkeit wird keiner durchdringen, bis auf einen .....

»Wann ist es denn gewesen, daß ich Beethoven zuletzt gesehen habe?« Franz denkt nach. »Bei seinem letzten großen Konzert war es, wo er selbst die ›Neunte‹ dirigierte, diese Sinfonie der Menschheit ....«

Ganz richtig, es ist das letztemal gewesen, da man Beethoven am Dirigentenpult gesehen hat. Er ist damals[S. 297] schon entrückt gewesen, menschenentrückt durch seine Taubheit und Unnahbarkeit, weltentrückt durch seinen Genius .... Das waren keine irdischen Klänge mehr, deren Glanz er vor den Hörern ausbreitet, die kamen aus höheren Welten, über den Schrei der verzweifelten Menschheit rauschten die Stimmen der Seligen auf. Er hörte sie nicht mit dem leiblichen Ohr, aber mit dem geistigen vernimmt er sie um so gewisser.

Der letzte Ton verklingt, die Zuschauer wagen es nicht, sich zu rühren vor Andacht und Ehrfurcht, der Meister steht noch oben mit dem Taktstock, blickt starr auf das Pult vor sich hin und dirigiert weiter aus dem Gedächtnis. Die geschriebene Sinfonie ist zu Ende, der letzte Ton verhallt, ein Musiker nach dem andern verläßt still das Podium, nur der Tragiker steht noch oben und gibt den Takt. Seine Taubheit ist so groß, daß er sein eigenes Werk nicht mit dem leiblichen Ohr gehört hat, aber die Hellhörigkeit seiner Seele ist so unendlich, daß er den Weltgesang weiter hört und fort und fort den Takt dazu gibt. Die Sinfonie ist nicht zu Ende für ihn .....

Die Leute sitzen unten und wagen es nicht, sich zu rühren, sie sind erschüttert von dem tragischen Anblick, viele weinen vor Rührung. Da wagt es einer der Musiker, der hinter ihm in den Saal geschlichen ist, den Lauschenden, von ewigen Harmonien Umfluteten leise am Rock zu zupfen. Beethoven wendet sich um, wie aus allen Himmeln gestürzt, mit einem Blick des Entsetzens schaut er sich um und flieht.

Der Vorgang schneidet ins Herz, diesen entsetzten Blick vergißt keiner, der ihn gesehen. Franz sieht alles klar[S. 298] wieder vor Augen. Die bloße Erinnerung ergreift ihn mit der gleichen Heftigkeit wie jener Augenblick. War es nicht so, daß der Geist des großen Meisters damals schon entrückt war über die Menschen hinweg in lichte Seligkeiten und dem himmlischen Wegweiser in seiner Einsamkeit folgte eine Straße entlang, »die noch keiner ging zurück«?

Das Zerren an dem Rock riß ihn zurück in die Wirklichkeit, vor der sich sein Blick entsetzte. Er floh, er vergrub sich vor den Menschen, und jetzt rüstete seine Seele zum letzten Male zur großen Heimreise. »Wird ihn noch einer zurückrufen können, soll er gehen, ohne daß ich ihn gegrüßt und ihm gedankt habe?«

Einige Tage verstrichen. Das große Sterben drüben in der Schwarzspanierstraße machte endlich von sich reden. Die Trauer breitete ihren Flor aus. Das Herz der Stadt zitterte, man hörte den Tod, wie er durch die Gassen ging.

Jenger ließ sich nicht blicken. Endlich, endlich kam er zurück. Anselm mit ihm. Schwarze Röcke, Zylinder, Flöre an dem Arm. Ihre Mienen verkündeten schon von weitem: Beethoven tot!

In der Tiefe wühlte und bohrte der Schmerzensquell, aber er brach nicht hervor unter dem Schutt und Geröll. Das Phlegma, sagen die Leute.

Mit diesem anscheinenden Phlegma ging Franz in der Mitte zwischen Jenger und Anselm Hüttenbrenner.

»Wenn schon nicht im Leben, so will ich im Tod bei ihm gewesen sein!« sagte Franz mitten unter dem Schweigen.

Sie gingen hinüber ins Trauerhaus.

[S. 299]

»Schindler erzählt, daß oft von dir die Rede war bei Beethoven!« weiß Jenger. »Er hat viel Gutes von dir gesagt, es war ihm aber aufgefallen, daß du dich immer versteckst ... ›Der kommt nach mir,‹ soll der Meister einmal gesagt haben.«

Franz ging stumm zwischen den beiden, das Herz schlug ihm gewaltig, je näher sie dem Schwarzspanierhause kamen. Beim Tor wurde ihm ganz schwach, er mußte ein wenig verschnaufen. Keine Macht hätte ihn die Stiege hinaufgebracht, wenn er allein gewesen wäre. Diese zwei nahmen ihn unterm Arm und stiegen hinauf. Im Vorzimmer oben empfing sie ein grauhaariger Mensch, der nur flüsterte und den dreien durch Zeichen mit der Hand bedeutete, einzutreten. Sie durchschritten ein Zimmer; der Flügel stand darin, Stöße von Noten lagen darauf und am Boden umher, eine schreckliche Verwahrlosung und Verödung grinste aus allen Winkeln, Leichengeruch schlug ihnen entgegen ...

Im nächsten Zimmer lag der große Tote. Franz starrte in das zerklüftete Antlitz, in diese Züge, die nach innen gewendet waren und entrückt von dem Hinaushorchen und Lauschen unendlicher Harmonien .... jetzt war es ein zertrümmertes Steingebirge mit den gewaltsamen Spuren eines beendeten Götterkampfes. Einer schreckensvollen Ruine glich dieser irdische Rest, nachdem der Geist entflohen war.

Es war zu qualvoll, in diese Walstatt zu sehen, Franz riß sich los und stürmte fort. Am nächsten Tag ging er im Trauerzug als Kerzenträger. An dem Zyklopentor des Währinger Friedhofs hielt Anschütz eine gewaltige[S. 300] Rede von Grillparzer, der Sarg schwankte wie ein schwarzes Schiff in diesen Hafen, Franz hatte zuweilen das Gefühl, als ging' es mit ihm selber zu Grab. Gottes Finger rührte an sein Herz, aus der dunkelsten Tiefe der Seele antwortete eine Stimme diesem Pochen, und was sie antwortete, sollte später im Hiobsbuch seiner »Winterreise« stehen:

»Auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht. Allhier will ich einkehren, hab' ich bei mir gedacht. Ihr grünen Totenkränze könnt wohl die Zeichen sein, die müde Wanderer laden ins kühle Wirtshaus ein. Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt, bin matt zum Niedersinken, bin tödlich schwer verletzt. O unbarmherzige Schenke, doch weisest du mich ab? Nun weiter denn, nur weiter, mein treuer Wanderstab, nun weiter denn, nur weiter, mein treuer Wanderstab!«

Besonders in diesem letzten Wirtshaus winkt Gottes Finger fast wie beim Heurigen.

Zwei Freunde begleiten Franz am Heimweg. Unterwegs kehren sie noch ein und sitzen in der Weinstube auf der »Mehlgrube«. Franz ist ganz in sich gekehrt. Er schenkt das erste Glas voll, erhebt es und leert es in einem Zug auf das Andenken des Heroen, den sie eben zu Grabe geleitet haben. Er schenkt ein zweites Glas ein, er sieht die beiden anderen ernst an und sagt: »Und jetzt trink' ich das zweite Glas auf den, der ihm von uns als Erster nachfolgt ....«

Damit hat's noch seine guten Wege. So viele Wirtshäuser man schon gesehen und darin zur kühlen Rast geweilt hat, man wird noch durch manches Wirtshäuslein[S. 301] kommen, ehe man zu dem letzten anlangt. Und der sich matt zum Niedersinken fühlt und tödlich schwer verletzt, der muß sich nun schon weiter helfen, weiter, nur weiter, an seinem treuen Wanderstab.

Unter den vielen Wirtshäuslein, die Franz auf seiner Lebensfahrt als erquickliche Stationen befunden hat, gilt das »Blumenstöckel« im Ballgassel als keines der schlechtesten. Es ist ein gemütliches Beisel, wie er es gern hat, mit einem Glassalon nach der Hofseite, wo ein paar Bäume stehen. In dem weißen Glassalon ist es gut zu sitzen in den linden Sommernächten, wenn der herbe Geruch des Götterbaumes durch die geöffneten Fensterflügel hereinstreicht.

Anna Milder ist wieder zum Gastspiel in Wien, ihre Augen, ihr Lächeln, ihre Stimme riegelt alle bittersüßen Erinnerungen auf, ganz traumselig geht Franz mit Spaun und Mayrhofer, dem wieder einmal Umgänglichen, nach dem Opernabend ins »Blumenstöckel«.

Mayrhofer und Spaun schimpfen über die Wiener, die um die warme Jahreszeit nicht mehr ins Theater zu bringen sind. Die »Iphigenie« wurde vor einem fast leeren Hause gesungen. Um so voller war es dafür beim »Blumenstöckel«. Mit Mühe und Not erobert man einen leeren Tisch im weißen Glassalon.

Beim Essen und Trinken vergeht leicht die Zeit, es ist bald an Mitternacht; die Leibesstärkung hat die Seelenkraft erhöht, die Begeisterung über die Eindrücke des Abends strömt in lauten Worten aus. Es geht ziemlich ungeniert her, der Glassalon ist um die späte Stunde fast leer geworden, nur am Nebentisch sitzen einige Gäste, die[S. 302] jedes Wort aufschnappen. Die Augen, das Lächeln, die Stimme der Anna Milder, in allen Tönen der Bewunderung wird sie gepriesen. Vor allem diese Stimme!

Franz schwärmt irgend was von dem Ideal der dramatischen Gesangskunst. Da fängt einer am Nebentisch laut zu höhnen an, Spaun kennt ihn, es ist ein Universitätsprofessor; er hat vielleicht schon zu tief ins Glas geguckt, jedenfalls scheint er zur Stänkerei aufgelegt. Und legt auch schon los, so halb und halb zum Freundestisch herüber.

»Das nennt man Stimme? Gekräht hat sie wie ein Hahn; die kann ja überhaupt nicht singen, weder Läufer noch Triller versteht sie zu machen, ist doch eine Schande, die als Primadonna herzubringen — das soll man sich vorsetzen lassen für sein gutes Geld ....?!«

»So ein unverschämter Kerl!« Fast zugleich springen Mayrhofer und Schubert auf; Franz schmeißt sein gefülltes Glas hin, so kochend vor Wut hat man ihn noch nie gesehen. Er könnte dem Kerl am Nebentisch an die Gurgel springen, mit Mühe wird er zurückgehalten. Es ist nicht das erstemal, daß er ganz aus dem Häuschen gerät, wenn sich einer an dem versündigt, was ihm heilig ist. Ein Schimpfduett hebt an, daß es schauerlich anzuhören ist.

Aber der andere drüben ist auch nicht maulfaul, und ein Dickschädel ist er obendrein, von Nachgeben ist keine Rede. Es gibt einen richtigen Wirtshausskandal. Franz ist kaum mehr zu halten, eine blutige Keilerei scheint unvermeidlich, die Begleiter des ungebärdigen Professors[S. 303] sind besonnen genug, den Halbbetrunkenen unterm Arm zu fassen und hinauszuexpedieren.

Die drei Freunde bleiben allein im Glassalon zurück. Sie haben wohl das Feld behauptet, aber die wüste Wirtshausstreiterei ist gerade auch kein erquickliches Erlebnis. Man fragt sich, wo nimmt denn so ein gemeiner Kerl das Recht her, in den Seelengarten des anderen einzubrechen und die schönsten Blumen zu zerstampfen? Wenn man auch seinen Mann gestellt und den Kerl zu Paaren getrieben hat, so bleibt doch ein widerwärtiges Gefühl zurück.

Man ist in seinen zartesten und reinsten Empfindungen gedemütigt, mißhandelt, besudelt worden, und dazu hat man das niederdrückende Gefühl, daß man der Dummheit und Gemeinheit wehrlos ausgeliefert ist. Da soll doch ein Himmeldonnerwetter dreinfahren! Die ganze erbärmliche Welt könnte man zerschmeißen. Es kocht in Franz, kreideweiß sitzt er vor dem Tisch, eine Zeit vergeht, er redet kein Wort.

Da packt er plötzlich ein Glas und schmeißt es in die Ecke. Klirr! ist es in tausend Scherben. Das wirkt wie eine Entspannung. Ein zweites Glas fliegt nach. Klirr! ist das eine Freude, wenn alles in Scherben geht! Die Wasserflasche, ein Schock Teller, die Karaffe mit Essig und Öl, die Salzfässer, der Senftiegel — klirr, klirr, tschin! Jetzt sind auch ein paar Fensterscheiben des Glassalons durch. Es hagelt Glas.

Die Kellner stürzen herbei, stehen an der Tür, reißen Maul und Augen auf und lassen es gewähren. Sie[S. 304] denken schon mit heimlicher Schadenfreude an die fabelhafte Rechnung, die sie hernach schreiben werden.

Mayrhofer und Spaun sind nicht imstande, Franz zu bändigen, der außer sich ist. Riesenkräfte sind in dem kleinen, etwas aufgeschwemmten Körper lebendig geworden. Elektrische Schläge gehen von den plötzlich straff gespannten und steinhart gewordenen Muskeln aus, die Freunde, die ihm in die Arme fallen wollen, fliegen unter der heftigen Abstoßung weg, als wären sie Spielbälle.

Und nun packt Franz mit seinen zarten Händen den großen Wirtshaustisch, hebt ihn hoch in die Luft und bum! fliegt der schwere Tisch in die Ecke zu den Scherben, daß das Glas aufspritzt wie Wasser. Dann der nächste Tisch, Bum und Krach! die Stühle nach, und nicht eher ist Ruhe, als bis der ganze Glassalon einem Trümmerhaufen gleicht.

Alles Elend, aller Ärger, alle Demütigung und Zurücksetzung, alles Leid und aller Hohn, die ihm in diesem Leben zuteil geworden sind, drängen herauf aus der Seele, die sich befreien will. Und mit jedem Stück, das hinfliegt und in Scherben geht, löst sich ein Stück Unrecht, das man erdulden hat müssen; es ist wie ein Erbrechen aus Ekel über den ganzen Unrat dieser erbärmlichen Welt, den man hinunterwürgen hat müssen. Nur daß er selber am Schluß auf diesem höllischen Misthaufen liegt, ein armer, schmerzverkrümmter Hiob.

So schaut der Franz mit seinem Phlegma aus?! Wer soll sich da auskennen? Man weiß nicht, was in diesem sonderbaren verschlossenen Gemüt steckt!

Kopfschüttelnd lesen die Freunde das unselige Meisterlein[S. 305] auf, das jetzt einem hilflosen Kinde mitten im zerschmetterten Spielzeug gleicht. Er ist kaum seiner Sinne mächtig und kann sich nicht allein erheben. Wie gelähmt ist er am ganzen Körper. Er wird in einen Wagen gehoben, die Freunde bringen ihn heim. Dann liegt er tagelang zu Bett und ist krank. Das Übel, das ihn vor Jahren befallen und ihn nie mehr ganz verlassen hat, ist schlimmer als je geworden. Die Krähe, die Krähe — stärker vernimmt die Seele das Fittichschlagen dieses Todesboten.

»Eine Krähe ... ist bis heute für und für um mein Haupt geflogen ...«

Er summt das Lied aus der »Winterreise« vor sich hin, als ob er Zwiesprach' halten würde mit dem Symbol.

»Nun, es wird nicht mehr weit geh'n an dem Wanderstabe, Krähe, laß mich endlich sehn, Treue bis zum Grabe ....«

Der Skandal beim »Blumenstöckel« hatte flinke Beine wie jeder Skandal und lief besonders hurtig um in einer Stadt wie Wien, die seit jeher ein empfängliches Ohr für solche Chronik hat und mit ihrer angeborenen Göttergabe der Phantasie die Geschichte auszuschmücken versteht, bis sie so klingt, wie es die Leute am liebsten hören. Weil die Menschen sich am größten vorkommen, wenn sie die Schadenfreude in Mitleid hüllen können, so hören sie es am liebsten, daß einer ganz herunter ist, bis auf den Grund; es gewährt ihnen das Gefühl der Erhebung, den leidenden Mitbruder so in Staub zu sehen wie den armen Zöllner — »Herr, ich danke dir, daß ich nicht bin wie jener ...« es ist das fadenscheinige Mäntelchen der Nächstenliebe,[S. 306] aus deren Löchern allzuoft die scheinheilige Selbstgerechtigkeit der sittlichen Entrüstung wie ein schmutziger Hemdzipfel hervorguckt ....

»Haben Sie schon das Neueste gehört? Im Rausch hat er alles krumm und klein geschlagen — der Bsuff!

Schad' um den talentierten Menschen — es geht bergab mit ihm — ein rechter Bruder Saufaus ist er geworden —«

In dieser Form gelangt die Legende den Schwestern Fröhlich zu Ohren. Sie sind von aufrichtigem Mitgefühl bewegt — daß Franz sich vom gesellschaftlichen Verkehr immer mehr zurückzieht und nur mehr im Kreis seiner Wein-, Punsch- und Kaffeebrüderln gesehen wird, wenn er nicht allein herumschwärmt, ist freilich eine bedauerliche Bestätigung der bösen Mär.

Die Schwestern veranstalteten ein Ständchen zu Ehren der Gosmar, ihrer einstigen Schülerin und besseren Freundin, Franz hat für dieses Fest einen Chor nach Grillparzers Versen »Zögernd leise ...« für Mädchenstimmen komponiert — er soll es selbst dirigieren, das war die Verabredung.

Die Schülerinnen der Fröhlich, ein weißer Mädchenflor, werden in drei Stellwagen am Hof gestopft, die gelben Wagen holpern mit Singsang hinaus zum Langschen Haus in Döbling, wo die Gosmar wohnt, ein Klavier wird heimlich unter ihre Gartenfenster geschoben — alles klappt, nur der Musikus ist nicht da. Kathi nimmt sich vor, ihm gehörig den Kopf zu waschen.

Schon am nächsten Tag hat sie ihn aufgestöbert, er lächelt: »Ach ja, ich hab' ganz vergessen darauf!«

[S. 307]

Es bleibt ihm aber nicht geschenkt. In einigen Tagen bringen die Schwestern das Ständchen im Musikvereinssaal in der Tuchlauben zur Aufführung, man sollte schon beginnen — wer wieder nicht kommt, das ist der Franz.

Der Kathi ist gar zu leid. »Schade, daß er es auch heute nicht hören sollte!« sagt sie zu Jenger. Ein Hofrat Walcher ist da, der weiß Bescheid, »Musikanten trinken gern — wahrscheinlich sitzt er wieder bei Wanner ›zur Eiche‹ auf der Brandstätte, dort gibt's gutes Bier, die Musiker kommen dort gern zusammen —«

»Natürlich schon wieder im Wirtshaus!« ruft Kathi ärgerlich aus, Jenger muß sich sofort auf die Strümpfe machen und Franz herbeiholen. Richtig sitzt er dort in aller Gemütlichkeit, aber er hat sich sofort aufgemacht und ist mit Jenger gerade noch zur rechten Zeit ins Konzert gekommen.

»Nun?!« Kathi hat Haare auf den Zähnen, was sie einmal anfaßt, läßt sie nicht mehr locker. »Nun?!« ihre erwartungsvolle Frage nach der Aufführung. Franz ist ganz verklärt: »Wahrhaftig, ich hab' nicht gedacht, daß es so schön wär' ....« Die Stimmung ist so versöhnlich, sie hat wirklich nicht das Herz, jetzt mit der Moralpauke loszulegen — aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Nächstens also, in der eigenen Wohnung, dann wird sie es ihm gründlich besorgen.

Da kann sie aber lang warten. Mit keinem Auge ist Franz zu erblicken. Argwöhnisch, wie Kathi ist, meint sie, er gehe ihr geflissentlich aus dem Weg. Ein Zufall führt sie mit ihm auf der Straße zusammen, sie nimmt ihn gleich ordentlich ins Gebet, die handfest Zupackende.

[S. 308]

Ob er nicht wüßte, wie ihre Adresse laute — und ob er nicht immer offene Türen in ihrem Hause gefunden habe?! Was das also jetzt für eine Art sei?! Und das mit dem Trinken — ein Wirtshausbrüderl, ein Liederlich, ein Nachtschwärmer, ein Trunkenbold — o pfui!

Sie meint es so gut und aufrichtig und möchte ihn auf den rechten Weg zurückbringen, es ist ihr heilig damit. Er spürt die edle Absicht und ist darum gar nicht böse. Er lächelt nur ein bißchen zu ihren Worten und lenkt ganz sachte ab: »Schönen Dank für die gute Meinung, aber soviel als mir die Leute andichten, könnt' ich ja gar nicht vertragen — jetzt schon gar nicht, bei meiner wackeligen Gesundheit — nur grad' soviel, als sich gehört, um ein bißchen bei Stimmung zu bleiben, oder das bißchen Schlaf zu finden — also nur grad' soviel, als der liebe Gott erlaubt hat, keinen Tropfen drüber, ist doch eine heikle Sache wie mit jeder Medizin —«

Er lächelt so weh dazu, daß ihr gleich die Strafpredigt vergeht und daß sie in liebreichen, tröstenden Worten auf ihn einredet, die gütig Verstehende, er möge sich nur nichts abgehen lassen, immer auch kräftig essen dazu und sich's wohl schmecken lassen, die Medizin — —

Das sieht sie jetzt klar; die Leute haben gelogen, ein Bsuff ist er nicht, o nein! Ein ganzer, wirklicher, tiefer und darum leidender Mensch ist er — — sie weiß nicht warum, aber auf einmal stehen ihr die Augen voll Tränen ......

Der September läßt sich wunderschön an, Wetter- und Geldverhältnisse sind gleich gut wie selten im Jahr, die Sorgen, die Krankheit scheinen entrückt — die Krähe[S. 309] schwebt hoch und fern — ein kleines schwarzes Pünktchen, nicht größer wie eine Schwalbe im Himmelblau.

Mit dem Grazer Ehepaar hat ein gar freundlicher Briefwechsel stattgefunden — Jenger ist mit Franz über alle Berge zu Besuch im Hallerschlössel. Vier Wochen sind sie aus — dem Franz hat's wohlgetan. Sein gewitterbanges Herz hat einen Sonnenstrahl empfangen, der trotz der Wolken nicht mehr vergeht — in diesem Sonnenfleck des Herzens taucht das Hallerschlössel mit seinen vier Ecktürmen auf, der Grazer Schloßberg, die Stadt mit ihren Kirchen, das lachende Antlitz der steirischen Landschaft mit grünschwellenden Hügeln, Obstgefilden und Weingärten, das gastfreundlich eifrige Ehepaar Pachler, die Gesangsvereine, die Mädchen und Frauen, das liebevolle Drängen und Feiern um ihn und er mitten drinnen, hochgeehrt und gepriesen — von diesem Sonnenblick kann er auch in den trüben Tagen Freude und Trost schöpfen wie aus einem unerschöpflichen Brunnen von Licht.

»Wien will mir noch nicht recht in den Kopf,« lautete sein Dankbrief an die Pachlerin, »'s ist freilich ein wenig groß, dafür aber leer an Herzlichkeit, Offenheit, an wirklichen Gedanken, an vernünftigen Worten und besonders an geistvollen Taten. Man weiß nicht recht, ist man gescheit oder dumm, soviel wird hier durcheinander geplaudert, und zu einer innigen Fröhlichkeit gelangt man selten oder nie. 's ist zwar möglich, daß ich selbst viel schuld daran bin mit meiner langsamen Art, zu erwärmen. In Graz erkannte ich bald die ungekünstelte und offene Weise, mit- und nebeneinander zu sein ...«

Er tut sich bei seiner Rückkehr diesmal schwerer mit der[S. 310] Heimat als je früher. Ein bedrückendes Gefühl beschleicht ihn jetzt, wenn er durch die Gassen geht, an Wohnungen vorüber, wo einst das Glück gehaust hat. Und kommt er am nächtlichen Heimweg dort einsam vorüber, dann starrt er wohl in die Höh', als müßt' er ein Gesicht erkennen, das er so innig geliebt hat, wie er diese Stadt selber liebt, mit der er in den Stunden des Haders oft bitter und schier ungerecht streng ist. Die einzige, unsterbliche Geliebte, die ihm soviel und noch mehr war wie alle zusammen, die er liebend gekannt hat, sie hat ihn schier vergessen, aber sein Herz will's nicht fassen und geht eigensinnig die alten Wege seiner Qual.

»Still ist die Nacht — es ruhen die Gassen, in diesem Hause wohnte mein Schatz; sie hat schon längst die Stadt verlassen, doch steht noch das Haus auf demselben Platz. Da steht auch ein Mensch und starrt in die Höhe, und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt; — mir graust es, wenn ich sein Antlitz sehe, der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt. Du Doppelgänger, du bleicher Geselle! Was äffst du nach mein Liebesleid, das mich gequält auf dieser Stelle — so manche Nacht in alter Zeit —?«

Das Herz schreit es auf — nach der »Winterreise« der schmerzlichste Akzent seines »Schwanengesangs«, die Seelenbeichte in Tönen — nicht dem liebsten Freund würde er sein tiefstes Geheimnis in dürren Worten preisgeben, so schwer hat er es mit sich — bei seinem Phlegma — bei seiner langsamen Art, zu erwärmen — niemand weiß, was in dem verschlossenen, oft rauh und kurz angebundenen Menschlein steckt — nur wenn er in seiner Sprache redet, in Musik, dann ist alles tief Verborgene klar — —[S. 311] Immer ist es der Schmerz, der der Seele hilft, fruchtbar zu werden. Der Tod Beethovens wirkt tief nach, in einem höheren Leben steht er dem Vollendeten näher als früher im niederen Alltag. Er geht immer weiter seine einsame Straße, den inneren Wegweisern entlang aufwärts zur Höhe, wo er den Verewigten wandern sieht. Aufs äußerste angespannt ist sein inneres Lauschen, gewaltig strömt es auf ihn ein. Ein ganz Großes entsteht, die C-Dur-Sinfonie, gleichsam mit einem Ruck ist er oben, ganz dicht bei Beethoven.

Aber auch in anderer Weise fühlt er die Meisterhand, die ihn führt. Das große Konzert Beethovens war ihm ein Wink gewesen. Damals sagte er den Freunden: »Wenn Gott will, so bin ich auch gesonnen, künftiges Jahr ein ähnliches Konzert zu geben.«

Gott will es; es sind zwar viele Hemmungen zu überwinden, innere und äußere, nach mancher Verzögerung verwirklicht es sich doch, was einmal innerlich so fest beschlossen erscheint. Es ist eine der wenigen Erfüllungen, die ihm von seinen vielen Hoffnungen beschert wird.

Franz wohnt nicht mehr in Schwindien, er hat sein Heim wieder in der Tuchlauben aufgeschlagen, der weite Weg von der Karlskirche her wird ihm zu mühsam, er will wieder im Kern der Stadt sein. Es hat sein Gutes jetzt, wo es soviel zu tun gibt, die Vorbereitungen zum Konzert, der fieberhafte Arbeitsdrang, das Schaffen, das so recht eigentlich ein wehevolles Gebären ist. Vielleicht wäre es mit dem Konzert noch immer nicht soweit gediehen, wenn nicht ein äußerer Hebel mithilft.

[S. 312]

Franz ist ja ein schweres Fuhrwerk und kann sich schwer zu dem bringen, was mit der Öffentlichkeit zu tun hat. Die Wünsche eilen voraus, aber das Fuhrwerk geht langsam und bleibt oft stecken. Mutter Not greift jetzt in die Speichen; der Geldmangel ist empfindlich, es muß endlich einmal wieder etwas Entscheidendes geschehen. Man hat so viele Nöte mit gutem Humor ausgehalten, daß man glauben könnte, er sei es schon so gewöhnt. Denn schließlich bekommt auch die Seele Schwielen und wird abgestumpft gegen die Härten des Daseins.

Aber es zeigt sich jetzt, daß Franz immer empfindlicher wird, seine Seele kann keine Schwielen kriegen. Diese Empfindlichkeit peitscht ihn auf und spornt ihn an, sonst wäre es auch diesmal kaum soweit gekommen. Freilich hat er in Schindler, der so viele Jahre der treue Diener Beethovens war, einen erfahrenen Helfer gefunden. Der läßt nicht locker und treibt immer wieder an, wenn Franz kopfscheu wird. Das ist ein Mann der Praxis. »Nur nicht verzagen, hübsch gescheit handeln und vor allem nicht widerspenstig sein!«

So kutschiert man unter dem Hütt! und Hott! Schindlers allgemach um alle Ecken herum und ist fast schon am Ziel. Das Konzert ist für einen Tag im März angesagt, muß aber verschoben werden und fällt wie durch eine Fügung gerade auf den Tag, an dem ein Jahr vorher Beethoven gestorben ist. Der Erfolg ist ungeheuer, es zeigt sich, daß der Ruhm des jungen Genius auch in diesen scheinbar stillen Jahren gewachsen ist. Ein schönes Stück Geld fließt in die Tasche des kleinen Meisters, die Not hat für ein Zeitlein wieder ein Ende.

[S. 313]

Als der Sommer herankommt, sitzt Franz leider schon wieder ganz auf dem Trockenen. So dringend eine Erholungsreise war, in diesem Sommer ist nicht daran zu denken. Aus Graz kommen süße Locktöne, das Herz möchte ja, aber der Geldbeutel erlaubt's nicht. Wenn man mit der Sehnsucht fliegen könnte, wäre man ja schon über Berg und Tal, indessen sitzt man bangen Herzens in der heißen Stadt und kann höchstens im Geist den hochbeschwingten Flug unternehmen. Das ist ein strenges Glück, die Arbeit — wenn man so recht darein versenkt ist und all ihre Gnaden spürt, geht man Gotteswege; das Irdische, das oft allzu schwere Bürde wird, fällt ab, halb schwebt man schon im Paradies.

Wie ein Rausch kommt es über Franz. Er singt sich von der Erde empor in den Himmel hinein. »Domine Deus«, mit lauter Stimme ruft der Chor den Namen des Herrn — es ist die berühmte Es-Dur-Messe — die Leiden erscheinen im Verklärungslicht, im Agnus Dei klingt — ein Geheimzeichen für den Wissenden! — der Schmerzensakzent des »Doppelgängers« auf: »... da steht auch ein Mensch und starrt in die Höh' und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt; mir graust es, wenn ich sein Antlitz sehe — der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt ...«

In veränderter Gestalt klagt das Liebesleid des Meisterleins zum Himmel empor — im Unendlichen will er Erlösung finden.

Nebenher entsteht das schöne Streichquartett in C-Moll, außerdem vollendet sich der Zyklus seines »Schwanengesangs«. Es ist eine schöne Lebensreise im eigenen Schaffensbezirk, wo Himmel und Erde ineinander ruhen.[S. 314] Es ist das Land, das er als »Wanderer« gesucht und geahnt, »das Land, das Land so hoffnungsgrün, so hoffnungsgrün, das Land, wo meine Rosen blühn, wo meine Freunde wandelnd gehn, wo meine Toten auferstehn, das Land, das meine Sprache spricht ....«

Das sind die Stunden der gesegneten Arbeit mit ihren tröstlichen Augenblicken. Aber diese leuchtenden Höhenwege werden steiler, seltener, kürzer. Der Alltag umklammert ihn mehr denn je mit seinen Leiden und Bedrängnissen. »Die Sonne dünkt mich hier so kalt, die Blüte welk, das Leben alt, und was sie reden, leerer Schall, ich bin ein Fremdling überall ...«

Im Sommer wird sein Zustand so bedenklich, daß sein Arzt ihm dringend nahelegt, außerhalb der Stadt zu wohnen, in einer Gegend, wo er rasch das Grüne erreicht. Franz gibt seine Stadtwohnung auf und mietet sich bei seinem Bruder Ferdinand ein, der jetzt in der Kettenbrückengasse wohnt. Der Wienfluß mit seinen Auen ist in der Nähe; nur ein paar Schritte vom Haus, und er ist im Freien.

Er ist nun aus der Stadt gezogen, die alten Schmerzen hat er gern zurückgelassen, aber das unerträgliche Kopfweh will nicht vergehen. Das Lied von der Krähe kommt ihm immer wieder in den Sinn. »Krähe, wunderliches Tier, willst mich nicht verlassen? Meinst wohl bald als Beute hier meinen Leib zu fassen? Nun es wird nicht weit mehr gehn an dem Wanderstabe ....«

Franz schleppt sich hin von Woche zu Woche, bald liegt er zu Bett, dann rafft er sich auf und sucht Zerstreuung im[S. 315] Freundeskreis, aber es ist nicht mehr das Rechte. Schwind nimmt Abschied, er geht nach München, mit einer trüben Ahnung im Herzen sieht Franz den Freund scheiden, als ob er es für immer wäre. Eine dreitägige Pilgerfahrt mit dem Bruder Ferdinand zu Haydns Grab in Eisenstadt hält er noch mit Mühe und Not aus.

Einige Tage später läßt er im Gasthaus einen Fisch stehen, ein plötzlicher Ekel erfaßt ihn, er muß wieder zu Bett.

Nach einiger Zeit empfängt Schober einen Brief von ihm: »Ich bin krank, ich habe schon elf Tage nichts gegessen und nichts getrunken und wandle matt und schwankend vom Sessel zum Bett und zurück ....« Er bittet ihn um Lektüre — Indianergeschichten, Abenteurerphantasien in fernen Landen; er sucht die Fernen. Die Freunde, Spaun, Lachner, Bauernfeld, Mayrhofer, Hüttenbrenner besuchen ihn, als sie eintreten, wendet er sich im Bett um, deutet mit der Hand an die Wand: »Hier ist mein Ende!«

Am Abend stellen sich Delirien ein, mit Mühe wird er im Bett zurückgehalten. Zwei Tage darauf empfangen die Freunde und alle, die ihn geliebt haben, die erschütternde Nachricht: Franz Schubert am Nervenfieber gestorben!

Bauernfeld rennt klagend von einem zum anderen: »Die ehrlichste Seele, der treueste Freund! Ich wollt', ich läge statt seiner!«

Im Gewand des Einsiedlers, um die Schläfen den Lorbeer, so wird er zu Grab getragen. Er kehrt ein ins letzte Wirtshaus, nach dem er sich so heftig gesehnt. Grüne Totenkränze sind ausgesteckt, fast ähnlich wie beim Heurigen, wo der Herrgott mit dem Finger winkt. »Ihr[S. 316] grünen Totenkränze könnt wohl die Zeichen sein, die müde Wanderer laden ins kühle Wirtshaus ein. Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt? ...«

Diesmal hat sich für ihn eine kühle Kammer aufgetan zur ewigen Rast in der Nähe Beethovens.

Auf dem Heimweg vom Friedhof versammeln sich die Freunde, die ihm am nächsten gestanden waren. Sie möchten so gern sagen, wie ihnen um Franz ist, und bringen es nicht zuwege; jeder möchte es sagen, aber alles Sagen war nur ein Stammeln.

Einer steht plötzlich auf und macht es allen klar, die es wissen möchten: unser großer Freund ist gestorben, aber seine Seele klingt fort, sie ist die tönende Seele dieser Stadt ....... Sage mir keiner, der brave Schulmeistersohn war trunken und darum sei er so früh verdorben, denn das ist falsch. Er war trunken von Seligkeit und Leid, und wenn es die allzu Braven sein »Verderben« nennen, gut, dann war es ein göttliches Verderbnis, daraus seine schmerzlich süßen, unsterblichen Lieder quollen, darin nicht nur der Wein singt, nicht nur die Lerche jubiliert, nicht nur das Bächlein weint und die stummen Forellen mitsingen in dem seligen Quintett, sondern vor allem das eigene Herz, das Herz dieser Stadt, dieser gottgesegneten, verruchten, alten, ewig jungen geliebten Heimat, die er in Not und Tränen zu preisen nicht müde wurde, singend zu preisen wie einer der Jünglinge im Feuerofen, im Weinbergsfeuerofen und so laut, daß seine Stimme über Länder und Meere reichen und in der Wüste gehört werden muß, überall wo ein Mensch ringt in Lust und Qual, mit sich allein, und das Herz aufschreit,[S. 317] dieses gemarterte von sieben Schwertern durchbohrte, aus allen Wunden blutende und in Tränen lächelnde, über allen Jammer dieser Erde triumphierende, über allen Horizonten leuchtende Herz der Welt .......... Darum haben alle den gottseligen Schulmeisterssohn vom Himmelpfortgrund so sehr geliebt, die Namen, die er singt, die Freunde, die mit ihm zechen, der Wirt, der ihm aufkreidet, der Forellenbach, der ihm die Geheimnisse von der Mühle und von der schönen Müllerin zuflüstert, und am meisten liebt ihn der Wein Gottes, der all sein Elend, all seine Tränen, all seinen Schuldenbettel, all sein Herzeleid in Gold verwandelt. Und darum ist er so reich gestorben, daß wir alle seine Schuldner geworden sind, der Freund, der ihm borgte, die Mietfrau, die den Zins nicht gleich bekam, der Wirt, der die Kreide verschrieb, die Mädchen, die mit seinem Herzen spielten, und die ganze große unbekannte Menschheit .......... Wenn er sang, dann stand die Lerche still, dann hielt der Bach den Atem an, dann hoben die munteren Forellen ihre Köpfe aus den Wellen, dann sangen sie leise mit, und ihr, ihr alle sanget leise mit. Und die Welt des Haders, der Zwietracht sang mit und der große Chor schallte aus allen Tiefen, von allen Höhen ....... Immer noch hören wir den Bach glucksen und schluchzen, wir hören die stummen Forellen, die mitsingen, wir hören den Chor der selig Leidenden, wir hören die Weinbergsfreudenstimmen von allen Höhen, wir hören den Sang der Liebe durch die ungezählten süßen Namen rauschen, die ihn als ebenso viele hold weibliche Verkörperungen umgaukeln — er will sie fassen, sie zerfließen,[S. 318] immer wieder fließen sie in eine zusammen, in diese eine große unsterbliche Geliebte; die Heimatstadt, die der Sänger in scheuer Minne wahrhaft geliebt hat ........ Und diese launische, undankbare, vergeßliche, eitle, oberflächliche, einfältige, kindliche, herzensfrohe, tiefe, beglückende und zugleich so betrübende, geschmähte, verfluchte, vor allem aber geliebte Stadt, sie hat uns — sie hat ihm alle Wunden geschlagen, sie hat ihn mit Schmerzen gesegnet, damit er von ihr zu singen und zu sagen wisse und wir mit ihm, diese einzige, große unsterbliche Geliebte — — — — — — — Diese Heimat — kennt ihr sie? Dort sind die Hügel belaubt und schlafen unter Reben, des Gottes voll; dort ist der Wind ein Kuß und der Sturm ein Lied. Dort plaudern die Bäche eine vertraute Sprache wie nirgend auf der Welt; dort fließt in den Brunnen das Wasser des Lebens und in den Gärten blüht die Liebe. Dort grüßen tausend Hände den Verstoßenen, wie sie ihn verstoßen und gegrüßt haben, den Sänger der Heimat, dem sie es so schwer gemacht haben, wie jedem, der Edles und Großes wollte — dem sie es so schwer gemacht haben und von dem sie schließlich ein Lied wie einen Denkstein im Herzen tragen ....... Laßt uns daran denken — immer wieder muß ich daran denken, wenn ich die alten Wege gehe, den Forellenbach entlang, an dem auch er so oft gestanden war, sinnend und lauschend, den Sang der leisen Wellen und der munteren Forellen zu erhorchen und das Summen der Freude, die noch in allen Reben schläft, den ganzen Berg hinan. Laßt mich daran denken, wenn ich sehe, was sie aus der geheiligten alten Heimat gemacht haben ....... Wie[S. 319] sieht es zuweilen wirklich aus, das äußere Bruchstück der Heimat, die wir inwendig im Licht der Verklärung sehen als wesentliches Stück unserer Seele? In der ersten grünen Schenke gibt's Streit, ich gehe vorüber; in der zweiten werden wüste Gassenhauer gesungen, ich gehe wieder vorüber; über duftende Hausgärten her kommt eine keifende Stimme; ein geschminktes Frauenzimmer vertritt mir den Weg. Ach, es ist nicht immer die Liebe, die in den Gärten blüht; es ist nicht immer die Freude, die aus dem Weinglas getrunken wird; es ist nicht immer die unsterbliche Geliebte, die uns begegnet. Und selbst mein unvergeßlicher, klaräugiger Forellenbach ist eine dicke, schmutzige, übelriechende Gosse geworden und es sind längst keine Forellen mehr darin ....... Vielleicht sind niemals Forellen darin gewesen — aber was tut's? Wenn ich über alle diese Ärgernisse und Wirrungen des äußeren Lebens genau hinaushorche, wenn ich genau in mich hineinhorche, dann werden die geliebten Stimmen wieder lebendig, mit tausend unsichtbaren Händen grüßt der Genius loci den Verstoßenen und hält ihn liebevoll geschäftig fest; ich fühle es, daß wir alle, was uns auch trennt, irgendwie zusammengehören in dem großen Seelenkonzert, darin der brave Schulmeisterssohn vom Himmelpfortgrund den Taktstock führt ....... wir sind Brüder und Freunde geworden durch ihn, das Herz der Stadt hat eine Stimme bekommen und diese Stimme ist er, unser Schubert. Er gehört zu jenen, um derentwillen unsere Stadt immer geehrt und geliebt werden wird, trotz — trotz allem ..............

Also sprach der eine und schloß mit den Worten: Brüder[S. 320] und Freunde in Ewigkeit — sind wir mit ihm auch vorläufig zu Ende — so ist es darum noch lange nicht zu Ende. Oh, noch lange nicht zu Ende! Hört es doch — die Seele klingt fort, das Herz singt in seinem Lebenslied, der heimliche Sang der tiefen Brunnen, es singt von ihm und dieser Stadt, der großen unsterblichen Geliebten ................

— Ende —


Vom Verfasser dieses Romans

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