The Project Gutenberg eBook of Erzählungen aus dem Ries

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Title: Erzählungen aus dem Ries

Author: Melchior Meyer

Release date: March 22, 2025 [eBook #75688]

Language: German

Original publication: Berlin: Verlag von Julius Springer, 1856

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ERZÄHLUNGEN AUS DEM RIES ***

Anmerkungen zur Transkription

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden.

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Worte in Antiquaschrift sind "kursiv" dargestellt

.

Erzählungen aus dem Ries.


Von

Melchior Meyr.


deko

Berlin, 1856.

Verlag von Julius Springer.



Inhalt.

Seite
Ludwig und Annemarie 1
Die Lehrersbraut 109
Ende gut, Alles gut 277
deko

[S. v]

Vorwort.

Die erste der drei Erzählungen dieses Bandes wurde 1852 im Morgenblatt veröffentlicht. Der Beifall, den sie erhielt, und die freundliche Aufforderung von Seiten der Redaction veranlaßten mich, im letzten Winter die zweite zu liefern. Die dritte, im laufenden Jahr geschrieben, erscheint hier zum erstenmal.

In der Einleitung zur ersten habe ich über das Ries die nöthigen Aufklärungen gegeben und meine Ansicht über das Genre ausgesprochen, das ebenfalls zu cultiviren ich mich berufen fühlte. Zur Unterstützung des dort Gesagten nur wenige Bemerkungen.

Das, was man unter dem Namen »Dorfgeschichte« begreift, ist in Bezug auf idyllische Darstellung im weiteren Verstande des Worts ein Fortschritt, in sofern darin von erträumten Zuständen und schablonenmäßiger Behandlung zur Auffassung der Natur und des wirklichen Lebens übergegangen ist. Man gewann neue, frische Gegenstände und eine neue Behandlung; und das Publikum überzeugte sich, daß die Personen in den gelungensten dieser Erzählungen darum, daß sie lebenswahr und individuell im Bilde stehen, an Reiz und Interesse keineswegs verloren[S. vi] haben. Der Beifall, den diese Erzeugnisse fanden, mag mit daran Schuld sein, daß man Anklagen gegen sie erhoben hat, die nur ihre schwachen Nachahmungen treffen. Die Dorfgeschichte soll freilich das getreue Bild eines wirklich vorhandenen Landlebens aufstellen; allein ist der Erzähler dichterisch begabt, so verhindert ihn nichts, dieses Leben poetisch zu verklären. Er kann das Material, das ihm die Wirklichkeit bietet, zu einem Organismus ausprägen, der auf den Leser alle Eindrücke eines künstlerischen hervorbringt. Er kann es — wenn er der Mann dazu ist.

Von Seiten derer, die in Fragen der Poesie nicht zu entscheiden berechtigt sind, weil sie ihre Begriffe nur von einzelnen Erscheinungen derselben abgezogen haben und das Werdende und das Seinsollende — das Ideal nicht in Anschlag bringen können — von Seiten dieser in Deutschland nicht seltenen Urtheiler ist die Würde und die Bedeutung des Gegenstandes angestritten worden, auf den sich der Dorfgeschichten-Erzähler gewiesen sieht. Allerdings bewegt sich das Leben des Landvolks — und nun gar das eines bestimmten Landvolks! — in genau begränzter Sphäre. Allein innerhalb derselben findet sich gleichwohl alles Menschliche — alle Tugenden und Schwächen des Menschen und eine reiche Bethätigung derselben — wenn auch in eigenthümlichen, nach gewisser Seite hin beschränkenden Formen. Wer das Alles nun klar zu sehen — wer die Tugenden und Fehler in Aufdeckung ihrer Quellen treu zu schildern und in das Licht wahrer poetischer Gerechtigkeit zu erheben, wer dem vorgeführten Conflict in Handhabung dieser Gerechtigkeit einen befriedigenden Schluß zu geben vermag — wie sollte der abgehalten sein, in Darstellung solchen Lebens ein poetisches Werk hervorzubringen?

[S. vii]

Von dem Erzähler, der auf diesem Gebiete dem Ideal sich nähern soll, ist freilich außer der poetischen Begabung noch Eines unabweislich gefordert: er muß unter dem Volke, das er zu schildern unternimmt, gelebt und Leid und Freud mit ihm getheilt haben. Er muß im Innern der Familien heimisch sein und seine Leute in Situationen gesehen haben, die ihre derbere Natur und ihr einfacheres Wesen auch wirklich in Bewegung zu setzen und zu antheilerweckenden Aeußerungen aufzuregen vermochten. Dem flüchtigen Beobachter wird das Landvolk im Guten und im Schlimmen sich nicht offenbaren, und weder im Wirthshaus noch in der Amtsstube kann man den ganzen Bauer kennen lernen, weil hier wie dort nur einzelne Seiten zum Vorschein kommen, und zwar keineswegs die besten. Mit der Kenntniß des Gesammtlebens, wie sie nur der Mitlebende sich erwirbt, muß der Autor zugleich jene Liebe zum Volke verbinden, ohne die es unmöglich ist, das Schöne und Gute in ihm zu sehen und herzgewinnend hervorzubilden. Allein die wahre Kenntniß und die Liebe gehen immer Hand in Hand; denn nur die Liebe ist im Stande, wahre Kenntniß zu erlangen.

Der Dorfgeschichten-Erzähler, in welchem die erforderlichen Eigenschaften vereinigt sind, hat von seinem Gegenstand, der ihn auf der einen Seite beschränkt, auch wieder ganz eigenthümliche Vortheile. Er schildert Menschen, die entschieden ausgeprägt sind, und doch in einer Sphäre der Naivität sich bewegen, die ihren Aeußerungen den Reiz des Kindlichen verleiht und auch bei den ergreifenden uns ein Lächeln entlocken kann. Rührung und Erheiterung — wie dies namentlich auch die Werke Jeremias Gotthelfs beweisen — gehen in seiner Darstellung eng verbunden zusammen. Das unmittelbare Sinnen- und Gemüthsleben, das in der Sphäre unverdorbener Landleute herrschend[S. viii] ist, giebt auch der hier bewußtesten Persönlichkeit und den von ihm entferntesten Eigenschaften noch etwas von seinem Gepräge. Die Natur in ihrer Kraft, in ihrem quellend frischen Leben, das uns umfließt, wie das Wasser des lebendigen Stromes die Glieder des Badenden, sie, die nährende Trägerin alles Lebens ist es, die ihr Füllhorn ausgießt, wenn der Darsteller nur den Geist hat, dem sie liebend und mittheilend entgegen kommt! —

Ist die Möglichkeit einer wesentlich poetisch gehaltenen Dorfgeschichte bewiesen, dann wird es Erzählungen, die in der That poetisch wirken, nicht zum Vorwurf gemacht werden können, daß durch sie zugleich noch andere Zwecke erreicht werden. Wenn sie, von ästhetischer Ergötzung abgesehen, zur Kenntniß des Volkes, seiner Denkweise und Sitten beitragen; wenn sie auf die Frage der Volkserziehung beachtenswerthe Lichter werfen; wenn sie die geistige Scheidewand niederreißen helfen, die zwischen den gebildeten Klassen und den Landleuten noch besteht, und die einseitigen Begriffe, die sich jene von diesen machen, berichtigen — wenn sie den Beweis liefern, daß man sich des deutschen Bauers gerade nicht zu schämen hat, und die gebildeten Classen zu dem Gedanken erheben, daß sie mit dem richtig erkannten und richtig behandelten Bauer Ein Volk zu bilden haben — dann wird dies an solchen Erzählungen kein Mangel, sondern nur eine Tugend mehr sein.

Wie weit ich mich in den folgenden Erzählungen dem Ziele, das ich mir hiernach stecken mußte, genähert habe, das mögen berufene Kritiker und freundliche Leser entscheiden. Kenntniß des Volks, das ich schildere, und Liebe zu ihm wird mir nicht abzusprechen — und das Streben, aus dem ächten Material Kunstwerke zu bilden, wird nicht ganz ohne Frucht[S. ix] geblieben sein. Die Gedanken, die der ersten und der zweiten Erzählung zu Grund liegen und durch sie zur Anschauung gebracht werden sollen, treten dem Urtheilenden so klar entgegen, daß ich über sie nichts weiter zu sagen habe. Auch der dritten, in der ich den ungedämpften Realismus des Riesers in die Sphäre des Humors zu erheben trachtete, wird man vielleicht die Bedeutung eines Gleichnisses zugestehen. Die Aufgabe, die ich mir hier gestellt, bedingte in den Gesprächen die durchgängige Anwendung des Dialekts, worin die geführten Reden allein die erforderliche Natürlichkeit und humoristische Kraft haben. Allein der Rieser Dialekt ist leicht zu verstehen, und einzelne schwierige oder in der Schriftsprache nicht gebräuchliche Ausdrücke sind in Parenthesen erklärt. Bei gewissen Gegenständen ist die Mundart für den geistigen Menschen, was die Landestracht für den leiblichen; und wenn die schönwissenschaftlichen Arbeiten nebenbei die Kenntniß der deutschen Dialekte fördern, so wird das wohl ebenfalls eine löbliche und nicht unzeitgemäße Eigenheit sein.

Zur richtigen Lesung und zum Verständniß jener Gespräche werden folgende Nachweisungen dienen.

Im Rieser Dialekt, ähnlich wie in andern, wird vielfach das n nicht ausgesprochen, aber der Nasenton des ihm vorhergehenden Vokals oder Diphthongen beibehalten. Die »Bahn« wird zur »Bah'«, aber das a darin ebenso durch die Nase wie in dem hochdeutschen »Bahn« — also wie das französische ban ausgesprochen. »Es scheint« wird »es schei't«; der Diphthong behält den Nasenton des »scheint« und das Wort darf keineswegs wie Scheit (Holz) gelesen werden. — Ich habe diesen Ton durch den Apostroph hinter dem betreffenden Vokal oder Diphthongen bezeichnet.

[S. x]

Der Rieser legt bei gewissen Worten nach dem Vocal ein kurz und gleichfalls durch die Nase zu sprechendes a oder e ein. Er sagt statt »gut,« guat oder guet, statt »gern« geara'. Guet läßt etwas feiner als guat.

In »ab«, »herab«, läßt der Rieser das b unausgesprochen; er sagt »ah«, »rah«. Abfallen wird Ahfalla'.

Das au verwandelt man im Ries vielfach in o oder oh, das ei in oe, das a in o, das i in e. Es heißt z. B. statt rauchen rohchen, statt klein kloe, statt Mahl Mohl, statt finden fenden. Weiß man dies, so wird aus dem Zusammenhang der Rede das entsprechende hochdeutsche Wort leicht zu erkennen sein. Das oe habe ich, damit es nicht ö gelesen wird, in den ersten Erzählungen mit trennenden Punkten versehen.

Wie in andern Gegenden Deutschlands, so wird auch im Ries häufig d gesprochen, wo die Schriftsprache t — b, wo sie p hat. Man sagt danza' statt tanzen, doa' statt thun, Bost statt Post etc.

Für »wir« hat der Rieser »o's« (uns) — aber nur da, wo der Nachdruck auf diesem Worte liegt. Er sagt: »O's Rieser« = wir Rieser. »Send o's net so guet, wie ander Leut?« = Sind wir nicht so gut wie andre Leute? — Hat »wir« dagegen nicht den Accent, so wird es zu mer (m'r) oder wer (w'r). »Mer hont scho' gmuag« = wir haben schon genug. »Reißa' mer's raus« = reißen wir's heraus.

Die Betonung hat auch sonst Einfluß auf die Fassung der Worte. »Ich« lautet, wenn es mit Nachdruck gesprochen wird, »ih«. Bei geringerer Betonung wird es zu i, bei der geringsten zu e. Es heißt: »Ih solls do' haba'?« = ich soll's gethan haben? »Soll i's oh doa'? = soll ich's auch thun? »Des hab' e do'«, = Das hab' ich gethan. »Dir« lautet »Dir«, wen es[S. xi] den Accent hat; wo nicht, so wird es zu »Der«, »D'r«. Z. B. »I hab dir's gsakt (gesagt). I hab d'r's gsakt

Die Rieser Mundart braucht einzelne Worte in anderm Geschlecht als die Schriftsprache. »Ich habe keine Lust dazu« heißt: i hab koen (keinen) Luhft derzua'. »Luft« existirt weiblich und männlich. Die Luft ist ruhige Luft; der Luft, active Luft, Wind. Man sagt z. B. »'s got (geht) a starker Luhft!«

In Bezug auf Deklination ist zu bemerken, daß der Rieser statt des hochdeutschen Genitivs ein »von« anwendet; z. B. die Größe meines Sohnes = die Gröaß von mei'm Soh'; — oder nach dem Genitiv ein Fürwort setzt: z. B. des Bauern Haus = d's Baura' sei' (sein) Haus.

In der Conjugation weicht er von der Schriftsprache vielfach ab. Er conjugirt: I hab (ich habe), du host, er hot; o's hont, uir hont, sie hont. I wear (ich werde), du wurscht, er wurd; o's wearet, uir wearet, sie wearet. I sig (ich sehe), du sikst, er sikt; o's sehet (seha't), uir sehet, sie sehet. »Sie wearet« heißt auch, sie weara', und so bei andern Zeitwörtern. Vom Imperfectum braucht der Rieser nicht den Indicativ, wohl aber den Conjunctiv. Statt »ich ging« sagt er: i ben ganga'. Für »ich ginge wohl« hat er aber: i geang wohl. Wenn er das Imperfectum »war« anwendet, so bedeutet es entweder »wäre« oder »ist«. Eigenthümliche Zusammenziehungen sind: Gommer = gehen wir; hommer = haben wir; lommer = lassen wir.

Der Hiatus wird im Dialekt möglichst vermieden. A' = ein wird vor einem Wort, das mit einem Vokal anfängt, zu a'n. Es heißt: a Fueß (Fuß); aber nicht: a' Aug, sondern a'n Aug. —

Das dürfte genügen. Andere Abweichungen, Auslassungen von Buchstaben und Zusammenziehungen, Dehnungen (die mit[S. xii] Einlegung eines h bezeichnet sind) bieten für den Leser keine Schwierigkeit.

Schließlich haben wir nur noch zu bemerken, daß der Schriftsteller in Gesprächen die mehr oder minder gebildeten Landleute durch minder oder mehr entschiedenen Dialekt charakterisiren muß. Wenn man also auch in unsern Erzählungen Variationen antrifft, so wolle man darin keine Nachlässigkeit oder Willkür, sondern vielmehr das Bestreben erkennen, den Modificationen zu folgen, die im Leben selber vorkommen.

Ebermergen bei Harburg im Ries.

Der Verfasser.



[S. 1]

Ludwig und Annemarie.

Das Ries ist ein Gau im Schwabenlande, einige Stunden nordwärts von der Donau. Der größte Theil gehört zu Bayern, der nordwestliche Strich zu Württemberg. Man braucht in diesem Gau nicht geboren zu sein, sondern nur in guter Jahreszeit darin verweilt zu haben, um ihn für einen der anmuthigsten und gesegnetsten in unserem Vaterlande zu halten. Wer an einem schönen Juni-Abend auf einer der westlichen Anhöhen steht und die von bewaldeten Hügeln umschlossene Ebene erblickt in dem glänzenden Reichthum ihrer Feldfrüchte, die alte Reichsstadt Nördlingen mit ihrem hohen Thurm, die fürstliche Residenz Wallerstein mit dem grauen Felsen, der früher die Burg der Grafen von Wallerstein trug, hier und da ein wohlerhaltenes Schloß oder ehemaliges Klostergebäude und die Menge schmucker Dörfer, den wird ein freudiges Gefühl überkommen: er hat nicht nur eine schöne, fröhliche Landschaft vor sich, sondern er fühlt zugleich, daß ihre Bewohner begünstigte Menschen waren und sind.

Das Ries ist eine kleine Welt und birgt eine nicht unbedeutende Mannigfaltigkeit von Lebenserscheiuungen in sich. Daß es theils bayrisch, theils württembergisch ist, scheint zu seinem Wesen zu gehören. Die Bewohner zerfallen in Protestanten und Katholiken, die zerstreut durcheinander wohnen. Im protestantischen Theile und namentlich unter den Geistlichen fanden sich vor einigen Jahrzehnten die Extreme der frommgläubigen und rationalistischaufgeklärten Anschauung vertreten, von denen die erstere eine sehr rege Thätigkeit entwickelte. Auch[S. 2] Juden fehlen nicht in dem wohlhäbigen Landstrich. Sie sitzen an einzelnen Orten, hauptsächlich in Wallerstein, in verschiedenen Abstufungen des Vermögens und Ansehens, vom reichen Kaufmann und Geldverleiher an bis herab zum Schmuser, der sich auf Märkten durch leidenschaftliche Verständigungsversuche seinen Bedarf erkämpft. Der Dialekt ist schwäbisch in besonderer Ausbildung, an einzelnen Punkten von Alters her eigenthümlich modificirt. Nördlingen und Wallerstein liegen kaum eine Stunde auseinander, und doch ist der ächte Nördlinger von dem ächten Wallersteiner an Mundart und Betonung sogleich zu unterscheiden. In Oettingen, wie überhaupt an der nordöstlichen Grenze, herrscht der fränkische Dialekt. Der Menschenschlag ist arbeitsam, gewerbthätig und von gemüthlichem, vergnügtem Wesen, sehr geneigt zu Scherz und Neckerei. Man findet darunter noch viele Exemplare von jenem angenehm drolligen und komischen Gepräge, das der verständigen Ernsthaftigkeit unserer Zeit immer mehr weichen zu wollen scheint. Das schöne Geschlecht macht seinem Namen alle Ehre; auf den Dörfern begegnet man nicht nur stattlichen[S. 3] und tüchtigen, sondern auch gar feinen und zierlichen Gestalten. Die Landestracht ist kleidsam, wenn sie mit Geschmack behandelt und von den Frauen in der Zahl der Röcke ein gewisses Maaß eingehalten wird. Uebrigens greift auch hier die französische Tracht um sich, und in dem Anzug der Frauen und Töchter wohlhabender Landleute findet sich Einzelnes derselben mehr oder minder glücklich mit der Landestracht verbunden.

Der Verfasser hängt an diesem Gau mit begreiflicher Liebe. Er ist darin geboren und hat in ihm die schöne Jugendzeit verlebt. Als Gymnasiast und Student verbrachte er hier die glücklichsten Ferientage. In dem Alter, wo man um so reicher an poetischer Empfindung und Anschauung ist, je weniger man sie noch kunstmäßig auszudrücken vermag, lebte er das fröhliche Rieserleben mit und nahm mit nie versiegender Freude seine Eigenthümlichkeiten in sich auf. Die Landschaft, von dem Duft seiner Jugendgefühle übergossen, hat für ihn einen poetischen Reiz wie keine andere.

Schon einmal im dem ländlichen Gedicht: »Wilhelm und Rosine,« das 1835 erschien und eine Dorfgeschichte in Hexametern genannt werden kann, hat Schreiber dieses seiner Heimath in Schilderung ihres Dorflebens seinen poetischen Dank abgetragen. Er versucht es zum zweitenmal in einer Erzählung. Nach den ächten Darstellungen von[S. 4] von Immermann und Berthold Auerbach ist das Genre der Dorfgeschichten durch Nachahmungen bei uns in die Mode und wieder aus der Mode gekommen. Aber das kann eine getreue Schilderung wirklicher Lebensverhältnisse nicht berühren. Im deutschen Volke sind noch Schätze zu heben von eigenthümlicher Art und Sitte, von eigenthümlichen Freuden und Leiden, von besondern Verbindungen der überlieferten Stammesbildung mit der neuen Zeitbildung. Wer von einem so bestimmten Leben ein dichterisch treues Abbild zu geben weiß, der wird empfänglichen Menschen immer Freude und Nutzen gewähren können. Das Aechte wie das Ewige hat immer seine Zeit; und auch Annäherungen an das höchste Ziel, wie sie dem frischen Streben gelingen, werden nicht unwillkommen sein.

Nun zu unserer Geschichte. Sie hat sich vor einer Reihe von Jahren zugetragen, wo durch die Ebene noch nicht der Dampfwagen brauste und das Leben überhaupt noch ein idyllisches Gepräge trug, wie es jetzt nicht mehr so ganz der Fall sein mag.


Der Geistliche eines Dorfes in der Nähe von Nördlingen wandelte an einem schönen Sommermorgen in seinem Garten, der hinter dem wohlgebauten, zweistockigen Pfarrhause lag. Er hatte schon eine Zeitlang gearbeitet und wollte nun[S. 5] einen Gang in freier Luft machen und nach den Fortschritten der Gewächse sehen. Da dieser Mann in den spätern Verlauf unserer Geschichte bedeutend eingreift, so wollen wir den Leser schon jetzt näher mit ihm bekannt machen. Er war ein Sechziger, bei mittlerer Größe von stattlichem Ansehen und offenbar im Besitz einer stetigen Gesundheit. Aus den regelmäßigen Gesichtszügen sprach Erfahrung, Verstand und eine heitere Freiheit des Geistes. Er hatte auf der Universität neben den theologischen allgemein bildende Studien getrieben, als Hofmeister in vornehmen Cirkeln und auf Reisen die Welt kennen gelernt und die Laufbahn eines Geistlichen von unten auf gemacht, bis er die einträgliche Stelle erhielt, wo er nun seit zehn Jahren ein ruhig glückliches Leben führte. Der Glaube an die Grundlehren der evangelischen Kirche war bei ihm ein Trieb und eine Forderung des Herzens, aber sein Christenthum war liebevoller, freundlicher Art. Die Natur mit Feuer und Schwert austreiben zu wollen, aus einer Mücke einen Elephanten zu machen und die Gemüther durch übertriebene Forderungen zu verwirren, war nicht seinem Charakter gemäß. Er rügte streng, wo es ihm klare Einsicht gebot, aber lieber schilderte er das höhere Leben in einer Weise, daß es durch seine eigene Schönheit die empfänglichen Herzen gewann. Er war milde, weil er zu unterscheiden wußte und das Gute in der Natur und in dem Gehaben des Volks erkannte. Als Seelsorger und im sonstigen Verkehr mit den Gliedern seiner Gemeinde freute er sich, jene brave Klugheit anzuwenden, welche die Menschen mit[S. 6] leichten Mitteln zu lenken versteht. Er war dem Scherz nicht abhold, und aus dem anmuthigen Ausdruck seines Mundes konnte man schließen, das er freundschaftliches Gespräch selber damit zu würzen verstand.

Die Sonne schien heiß vom wolkenlosen Himmel. Dieß hielt den Pfarrer nicht ab, den Schatten der Kastanienbäume am Hause zu verlassen und geschützt durch sei schwarzes Käppchen, unter dem rechts und links ein silbergrauer Haarbüschel hervordrang, erst die Blumenbeete, dann auf dem grasigen Platz die reifenden Kirschen zu betrachten. Aus einem Gesicht, dessen bräunliches Roth sich von dem anderer Landbewohner durch einen feineren, geistigeren Ton unterschied, sah eine innere Freudigkeit, die mit der Schönheit des Sommertags ganz in Harmonie war.

Als er sich eben anschickte, unter die Kastanienbäume zurückzukehren, wurde die Thüre, die vom Pfarrhaus in den Garten führte, rasch aufgemacht und ein schlanker, blonder junger Mensch von etwa sechzehn Jahren ging eilig auf ihn zu. Es war sein Enkel, der Sohn seiner Tochter, die ihren Theodor dem Großvater zur Vorbildung für die letzte Klasse des Gymnasiums zugeschickt hatte. Das sonst gleichmäßig blasse, durch die Sonne nur wenig gebräunte Gesicht war jetzt erhitzt und geröthet, und man sah aus allem, daß er etwas für ihn sehr Bedeutendes zu berichten hatte.

»Großvater,« rief er dem alten Herrn zu, »es ist gut, daß ich dich treffe! Drunten im Dorf — nein, es ist zu arg!« Er hielt inne, um zu verschnaufen. — Der Alte kannte seinen Mann. Er wußte,[S. 7] daß der junge Kopf seine eigenen Ansichten vom Leben hatte, und daß manches, was damit in Widerspruch trat, ihn oft in unverhältnißmäßige Aufregung versetzen konnte. Er war daher nicht erschreckt, sondern fragte ruhig: »Nun, was ist denn schon wieder?« — »Drunten im Dorf,« erwiederte Theodor, »beim Angerbauer gibts Händel, Händel zwischen Vater und Sohn. Ich hab's selber gesehen.« — Der Alte wurde ernsthaft und eine Bewegung seines Kopfes verrieth, daß ihm die Nachricht nicht ganz unerwartet kam. Er sagte: »Erzähle mir, was du gesehen hast, aber in der Ordnung.«

»Ich wollte in's Dorf hinunter, um hinter den Hecken mein Pensum zu lernen. Da sah ich vor dem Hause des Angerbauers einen Haufen Leute stehen, und wie ich hingehe, hör' ich wüthendes Geschrei aus der Stube. Der Alte schmähte den Sohn und schrie wie rasend. Gott, welche Schimpfworte und Flüche! Wie ist es möglich, daß die Menschen so roh sein können!« — »Es ist manches möglich, was du noch nicht begreifst, mein Kind,« sagte der Pfarrer. — »Und dieser Angerbauer,« fuhr der junge Moralist fort, »der immer so gescheidt sprach und sich ein so würdiges Ansehen zu geben wußte — von dem hätt' ich's am wenigsten geglaubt.« — »Der Angerbauer,« bemerkte der Alte mit nachdrücklicherem Ton, »ist ein ehrenwerther Mann und der Sohn deßgleichen. Das wirst du noch einsehen. Aber nun erzähle weiter. Was hat der Bauer seinem Sohn vorgeworfen? Oder hast du das im Eifer vielleicht überhört?« — »Nein, das kann ich dir genau sagen. Ludwig will die Annemarie beim Bäcker heirathen, und der Angerbauer will's nicht zugeben.« — »Ich dacht' es mir,« sagte der Geistliche. — »Wie ging der Streit aus? denn du hast doch wohl das Ende abgewartet?« — »Wie der Alte gerast, der Sohn trutzig geantwortet und die Bäurin umsonst sich Mühe gegeben hatte, sie zu begütigen, hörte man ein Knacken, wie von einem zerbrochenen Stuhl, und der Vater schrie: »Fort! Geh aus meinem Haus und komm mir nie mehr unter die Augen!« worauf Ludwig sagte: »Hab' keine Sorg, du wirst mich nie wieder sehen,« und aus der Stube ging. Dann wurd's stille und ich lief fort, um dir's zu erzählen.«

Der Geistliche schüttelte den Kopf, schien aber von diesem Ausgang[S. 8] doch weniger beunruhigt zu sein, als sein Enkel erwartete. Er sah eine Zeitlang vor sich hin und nickte dann, als ob er einen Entschluß gefaßt hätte. Der junge Mensch sah ihn an und fragte: »Wirst du hingehen und Frieden stiften?« — Der Geistliche erwiederte mit leisem Lächeln über diesen Eifer: »Der Streit ist ja aus, wie du mir sagst.« — »Wenn aber Ludwig auf und davon geht?« — »Daran werd' ich ihn nicht verhindern können.« — »Aber, lieber Großvater« — »Wirst du einem alten Pfarrer lehren, was er zu thun hat, Junge? Komm jetzt zur Großmutter.« Er nahm ihn wohlwollend bei der Hand und führte ihn in's Haus zurück.


Der Angerbauer war nach ländlichen Begriffen ein reicher Mann. Er hatte seiner Tochter, die im Dorfe verheirathet war, sechstausend Gulden mitgegeben, und mehr als das Doppelte hatte er noch am Zins. Sein Sohn Ludwig sollte eben so viel und das jüngste Kind Andres nach der bäuerlichen Erbfolgeordnung den Hof erhalten. Die Familie lebte wohl und glücklich zusammen. Der Vater, ein hochgebauter, stattlicher Mann mit schwarzen Augen und Haaren und gelblichbraunem Gesicht, hielt gute Zucht im Hause, ohne jedoch seinen Kindern den herkömmlichen Lebensgenuß zu verkümmern. Er war ein kluger Oekonom und sein Stolz war, die bestbestellten Aecker im Dorfe zu haben. Seine Wohlhabenheit und sein Ansehen in der ganzen Umgegend gaben ihm ein bedeutendes Selbstgefühl, das sich auch in seiner würdigen Haltung ausdrückte. Er sprach wenig, aber bestimmt, und wie gesetzt er in der Regel war, so sah man doch, daß er, einmal in Leidenschaft gebracht, gewaltig losbrechen konnte. — Die Mutter war in ihrer Jugend sehr hübsch gewesen, und noch immer machte die schlanke Gestalt einen angenehmen Eindruck. Sie hielt mehr auf zierliche Reinlichkeit im Hause, als es sonst in Bauerfamilien der Fall zu sein pflegt; in ihren Stuben und Kammern mußte alles wie geleckt sein, und überdies alles am rechten Platze stehen. Sonst zeichnete sie sich in der Kunst aus, Backwerk zu verfertigen und namentlich »Küchle« zu liefern, die von den jeweiligen Gästen mit entzückten Lobpreisungen verspeist wurden. Fröhlicher und gutmüthiger[S. 9] als der Vater, hatte sie doch auch ihre Portion Stolz und hielt sehr auf das, was sich ihrer Meinung nach für eine reiche Familie geziemte. — Ludwig schlug der Mutter nach, während der neun Jahre jüngere Andres ein gemildertes Abbild des Vaters zu werden verhieß.

Die Hauptperson unserer Erzählung — man sieht, daß dies Ludwig ist — war einer der schönsten und angesehensten Bauernsöhne im ganzen Ries. Tänzer und Sänger, wie es nur einen gab, dazu ein lustiger Bursche voll guter Einfälle, hatte er schon in verschiedenen Dörfern Herzen erobert, wenn er bei Verwandten auf Besuch war oder als Gast eine Hochzeit mitmachte. Es war einer von den Menschen, denen alles wohl ansteht, die Arbeit wie das Vergnügen. Wenn er Sonntags in dunkelgrüner sammtner Juppe (Jacke) mit silbernen Knöpfen, schwarzen, knapp anliegenden Hosen vom schönsten Hirschleder und hohen, über die Knie gezogenen Stiefeln, die Kappe von Fischotter mit grünseidener Troddel auf's rechte Ohr gesetzt und den silberbeschlagenen Ulmer Pfeifenkopf im Munde nach der Stadt, d. h. nach Nördlingen, wanderte, so hätte er einem ruhigen Beobachter wohl gefallen, den Mädchen aber, die ihm begegneten und die er freundlich grüßte, war sein Anblick ein wahres Labsal, und sie konnten sich selten enthalten, sich umzuwenden und ihm nachzusehen. Dann sagte wohl eine in heiterer Anerkennung: »Des Angerbauers Ludwig ist eben doch der schönste,« und die andern stimmten ihr bei, vergnügt oder erröthend, je nachdem.

Auf welches Mädchen durfte ein so Begünstigter nicht Anspruch machen? Welche Schönheit wäre fähig gewesen, ihn auszuschlagen? Indessen jede Lebensstellung hat ihre Pflichten, und Ludwig durfte nicht unter den Schönheiten des Rieses überhaupt, sondern nur unter denen wählen, die eben so viel mitbekamen als er. Dieser Pflicht kommen die jungen Bursche meist instinktmäßig nach. Der Bauer, am überlieferten Brauche haltend, verliebt sich in der Regel nur standes- oder wenigstens vermögensgemäß. Zu dem Ganzen, das ihn an einem Mädchen bezaubern soll, gehört auch die reiche Ausstattung, die Ehre, die begüterte Verwandtschaft. Das Mädchen muß aus einer Familie sein, die eben so ästimirt ist wie die seinige, sonst entbehrt ihre Schönheit des rechten Nimbus oder erweckt höchstens eine gönnerhafte[S. 10] Empfindung in ihm. Für unsern Burschen war die Wahl einer Lebensgefährtin noch besonders eingeschränkt. Da das Stammgut an Andres überging, so mußte er sich einen passenden Hof kaufen, was seine Schwierigkeiten hat. Das Beste war daher, eine einzige Tochter, eine Hoferbin, zu heirathen und in eine schon bereitete Stätte als Herr einzuziehen.

Es war keine geringe Vermehrung der Zufriedenheit, welche der Angerbauer und sein Weib ohnehin empfanden, daß sie für ihren Ludwig solch einen »Anstand« wußten. In der That war dessen Künftige schon gefunden in der einzigen Tochter eines entfernten Verwandten, der im nächsten Dorf einen der stattlichsten Höfe besaß. Die Aeltern hatten darüber gesprochen; die Angerbäuerin hatte zur gehörigen Zeit merken lassen, daß die junge Base Eva eine rechte Frau für ihren Ludwig wäre, und im Vorbeigehen die Summe namhaft gemacht, die sie ihrem Sohn mitgeben könnten, worauf man sich verständigte. Ludwig hatte nichts gegen den Plan. Für einen Geschmack, der auf dem Lande viele Vertreter zählt, war Eva eine Art von Schönheit, nämlich eine große, tüchtige Person mit nicht allzukleiner, etwas gebogener Nase und runden rothen Backen, so eine, die der feinere Mann einen »Dragoner,« die solide Anschauung der Mehrzahl aber »a rechts Mädle« zu nennen pflegt. Ludwig fand in dem Aussehen seines Bäschens keinen Grund, sich in sie zu verlieben, aber auch keinen, sich der Heirath zu widersetzen. Ihr Hof leuchtete ihm ein und warf ein verschönerndes und verfeinerndes Licht auf die Erbin. Er spielte bei Gelegenheit mit Anstand die Rolle eines Verehrers, und die Heirath wäre ohne weiteres vor sich gegangen, wenn der Vater Eva's sich hätte entschließen können, seinen Hof so früh zu übergeben. Allein die erste Person im Hause zu sein, gefiel ihm noch zu sehr, und er wollte wenigstens warten, bis seine Tochter in die Zwanziger getreten wäre. Warum sollte er sich beeilen? Von allen Seiten war man ja einverstanden, und ob früher oder später, sein reicher junger Vetter wurde sein Schwiegersohn.

Kein Projekt der Menschen ist indessen so gesichert, daß nicht noch etwas dazwischen treten könnte. Wenn man ein gewünschtes Gut schon in der Hand zu halten glaubt, kann es noch entschlüpfen, um[S. 11] den Menschen erkennen zu lassen, daß es bei den Dingen dieser Erde noch auf etwas anderes ankommt als auf sein Wollen und Meinen. Als Eva neunzehn, Ludwig dreiundzwanzig Jahre alt war, ereignete sich etwas, das die Fäden, die von den zwei Familien gesponnen waren, zerriß und den Stoff zu unserer Geschichte lieferte.

Dies war der plötzliche Tod eines braven Zimmermanns im nächsten württembergischen Orte. Die einzige Tochter desselben, ein ungewöhnlich schönes Mädchen, wurde dadurch eine Waise. Da sie erst siebzehn Jahre zählte und auf ihr Erbe nicht heirathen wollte, so machte ihr Vormund, der Bäcker unseres Dorfs, das Haus und die paar Morgen Ackerland zu Geld, legte dieses gut an und nahm das Mädchen zu sich.

Die Ankunft Annemarie's brachte die Jugend des Dorfs in großen Allarm. Wenn der Bauer in Bezug auf die Wahl einer Ehehälfte praktisch denkt, so ist er doch keinesweges unempfindlich für Schönheit; ein sehr schönes Mädchen wird auf dem Lande ausgezeichnet wie ein reiches, nur auf andere Weise. Das Dorf, das eine solche Blume hegt, thut sich was darauf zu gute, und es sagt wohl einer mit einem gewissen Triumphgefühl zu einem Freund aus dem nächsten Dorfe: »So eine habt ihr doch nicht!« Die jungen Leute, bei denen es irgend angeht, sind eifrig, sich bei ihr »wohl dran zu machen;« denn einen schönen Schatz zu haben, ist, abgesehen von der Freude, auch eine Ehre, und es ist höchst angenehm, ihn von andern loben zu hören und sich darum beneidet zu sehen. Annemarie fand außer einer guten Anzahl von Bewunderern und Neiderinnen rasch auch mehrere entschiedene Anbeter; aber sie hatte eine eigene ruhige Art, die Andringlinge zurückzuhalten oder ablaufen zu lassen. Bald hieß es unter den Mißvergnügten: das sei eine Curiose, die sich sehr viel auf ihre Schönheit einzubilden scheine; und doch sei's gar so arg auch nicht damit.

Wie soll ich aber von dieser Schönheit einen Begriff geben? — Mir ist es manchmal so vorgekommen, als ob man eine kindliche, eine jungfräuliche und eine mütterliche oder frauliche Art der Schönheit unterscheiden könnte. Ein Mädchen von der ersten Art wird auch als Frau und Mutter noch ein kindliches Wesen behalten, während die[S. 12] von der dritten schon in der Zeit des jungfräulichen Aufblühens einen mütterlichen Charakter gewinnt. Annemarie gehörte zu der dritten Gattung. Ihr Aeußeres ist kurz beschrieben. Sie hatte etwas mehr als mittlere Größe und eine natürlich schöne Gestalt. Nichts war dürftig an ihr, alles reich, doch würde auch der strenge Kenner nichts hinweggewünscht haben. Die Farbe ihres Gesichts war nußbräunlich, mit mildem, aber entschiedenem Roth; Haare und Augen dunkelbraun. — Allein die wahre Schönheit liegt in der Seele. Wie diese schon im Mutterschooße auf die Formen des Leibes bildend einwirkt, so veredelt und verfeinert sie ihn fortwährend. Der eigenthümliche Reiz, den Annemarie ausübte, kam von der Güte, die aus ihrem Gesichte sprach. Wenn eine Empfindung der Freude oder des Dankes ihr Herz erfüllte, dann ging ein Glanz über ihre Züge und das schöne innere Leben gab ihr eine Anmuth, daß auch der Stumpfe fühlen mußte, hier sei mehr als ein gewöhnlich hübsches Mädchen.

Als Annemarie zu ihrem Vetter übersiedelte, war Ludwig abwesend; er hatte Getreide nach Augsburg gefahren, wo dermalen der Preis höher stand als auf der berühmten Schranne zu Nördlingen. Nach seiner Rückkehr machte ihn das Lob, welches dem Mädchen von seinen Kameraden gesungen wurde, neugierig, und er beschloß sogleich, sie zu sehen, was auf dem Dorfe bekanntlich keine Schwierigkeiten hat. Mit der Leichtigkeit, wie sie etwa ein junger Baron zeigt, wenn er sich herabläßt, der hübschen Tochter eines Bürgers den Hof zu machen, begrüßte er Annemarie, sprach seine Freude aus, daß ein so schönes Mädchen in's Dorf gekommen sei, und sagte ihr mehrere Schmeicheleien in der direkten Art, die für ein feineres Gefühl nichts Angenehmes hat. Annemarie wurde ernsthaft und gab ihm kurze Antworten. Da Ludwig gutmüthig war, so ahnte er, worin er gefehlt hatte. Er griff es das nächstemal besser an, zeigte mehr Achtung vor dem Mädchen und sprach sein Wohlgefallen nicht in Worten, sondern in bescheiden zärtlichen Blicken aus. Dies wirkte. Die Wohlgestalt des jungen Bauers trat nun in ihr Recht ein; dem guten Mädchen ging bei seiner Huldigung das Herz auf und die Freude blickte aus ihrem Gesicht.

Ludwig mußte sich sagen, daß ihm eine solche Schönheit noch[S. 13] nicht vorgekommen sei. Er wiederholte seine Besuche. Bald fing er an Unruhe zu spüren, redete hie und da »aus dem Weg naus« und ließ seine Geschicklichkeit in der Ansprache sehr vermissen, was ihm aber bei Annemarie gar nicht schadete. Die jungen Leute waren glücklich sich zu sehen und zu fühlen, daß eines bei dem andern etwas gelte.

Die erste Zeit einer entstehenden Liebe hat das Schöne, daß man noch nicht fragt, was daraus werden soll. Man hat sich noch kein Ziel gesetzt, darum sieht man auch noch keine Gefahren und Hindernisse. Ein Wohlgefallen an einander haben darf man ja, man läßt daher seine Empfindung gewähren und freut sich und macht Freude. Diese erste Neigung wird auch noch von andern begünstigt. Die Leute lächeln, wenn sie sehen, wie die beiden sich mit den Augen suchen und wieder zusammenzukommen trachten; sie gefallen sich, darin sie gemüthlich zu plagen und eines mit dem andern aufzuziehen. Und da es noch nicht zur Erklärung gekommen ist, so kann das Mädchen einem solchen Plagenden mit Wahrheit erwiedern, er irre sich, oder er sei nicht gescheidt. — Aber in solchem Spiel webt sich aus dem ersten Wohlgefallen nach und nach ein Band, durch das man sich gefesselt fühlt. Es sammelt sich ein Schatz von Gefühlen und mehrt sich täglich, und weß das Herz voll ist, deß muß der Mund übergehen.


Die Gelegenheit zur Erklärung gab eine Hochzeit, die nach Dorfsitte mit Essen und Trinken, Spiel und Tanz im Wirthshause gefeiert wurde. Nach überliefertem Brauche gehört der Tanzboden von Mittag bis Abend den Hochzeitgästen. Hat aber nach der Abendmahlzeit und nach Abgabe der Hochzeitgeschenke der Schullehrer eine Dankrede in Versen gehalten und mit seinen Zöglingen ein geistliches Lied gesungen, dann kündigt ein weltliches Lied, das ein kecker Bursche sich anzustimmen erlaubt, die Herrschaft der jungen Leute des Dorfes an. Die Hochzeitgäste, zumal die aus andern Dörfern, verlieren sich nach und nach, das Brautpaar wird von einem Theil der Musikanten nach Hause begleitet: der zweite Theil der Lustbarkeit, der »Ansing,«[S. 14] hat begonnen und die Jugend des Dorfs nimmt den verlassenen Raum ein.

Ludwig hatte der Hochzeit als Gast beigewohnt, aber wenig getanzt und überhaupt ein nachdenkliches Wesen gezeigt. Als er einmal allein dasaß, kam ein munteres Mädchen auf ihn zu und sagte: »Warum tanz'st du nicht, Ludwig?« Er wußte nichts Gescheidteres zu erwiedern, als, daß es ihm nicht recht gut sei. Das Mädchen sah ihn lächelnd an und sagte: »Die rechte Tänzerin ist nicht da. Aber hab' nur Geduld, sie wird heute Abend schon kommen.« Ludwigs Gesicht erheiterte sich; er wußte allerdings, daß er sie erwarten durfte. — Nach dem Abendessen ging er nach Hause, vertauschte den Hochzeitrock mit der Sammtjacke, kehrte in's Wirthshaus zurück und setzte sich zu einem Burschen, der Regine, die Tochter des Bäckers, zum Schatz hatte, und mit dem er daher in der letzten Zeit vertrauter geworden war. Bald erhielten die beiden einen Wink; sie gingen hinaus, und Hans führte Regine, Ludwig Annemarie unter die Tanzenden.

Wer sich den Moment vergegenwärtigt, wo er zum erstenmal die, welche er liebt, in den Arm fassen durfte, um nach dem fröhlichen Takt eines Walzers durch den Saal zu fliegen, der begreift das Glück des jungen Paares. Geflogen wurde hier freilich nicht; der Bauer bleibt beim Tanz mit seinen Füßen mehr auf dem Boden, als der Städter, und kommt langsamer vorwärts; aber die Wirkung ist dieselbe. Es war eine Freude, den beiden zuzusehen. Sie waren ohne Vergleich das schönste Paar und tanzten auch am schönsten. Dabei war Ludwig so vergnügt, daß er, wie man zu sagen pflegt, den Mund nicht zusammenbringen konnte, und Annemarie lächelte selig in sich hinein. Jene Muntere, die mit ihrem Liebhaber wieder zum Tanz gekommen war, trat einmal zu ihm und sagte: »Ist dir jetzt wieder gut, Ludwig?« Und dieser hatte den Muth zu erwiedern: »Ja wohl, in meinem Leben wünsch' ich mir's nicht besser!«

Auf dem Dorfe tanzt man nicht Touren, sondern Reihen, und zwar deren so viel, als man wünscht und aushalten kann. Ein Bursche singt ein Lied vor — in Altbayern »Schnaderhüpfel,« im Ries »Schelmenliedle« genannt — und die Musikanten spielen es[S. 15] zum Tanz. Ist der Reihen aus, so führt der Bursche sein Mädchen gehend an der Hand, während ein neues Lied einen neuen Tanz einleitet. Diese Sitte verursacht manchmal Streit und die Spielleute kommen in große Noth, wenn zwei tüchtige Bursche verschiedene Lieder singen und jeder verlangt, daß seines aufgespielt werde. In der Regel läßt indeß einer dem andern schon beim Singen den Vorrang und wird auch wohl beim Streite noch zum Nachgeben beredet. — Während man herumging, erklärte Ludwig der Geliebten die Frage jenes Mädchens und seine Antwort; und die Glückliche, die so deutlich sah, wie viel er auf sie hielt und wie ernst es ihm war, konnte sich nicht enthalten, ihm dankbar die Hand zu drücken.

Nachdem sie sich so ziemlich müde getanzt, führten die beiden Kameraden ihre Tänzerinnen in die Stube und boten ihnen zu trinken, worauf die Mädchen, um mit Goldsmith zu reden, »den Rand des Kruges küßten.« Man setzte sich zusammen, um zu plaudern. Ludwig hatte nicht bemerkt, daß während des Tanzes sein Vater auf der Stiege gestanden, ihn mit Annemarie gesehen und sehr verfinsterten Angesichts das Wirthshaus verlassen hatte. Ein boshafter Nachbar hatte ihm gesagt, sein Ludwig tanze heute so schön, und der Alte, dem es ganz recht war, daß sein Sohn auch darin sich auszeichnete, wollte sich das Vergnügen machen, ihn zu sehen. War es ihm nun schon sehr fatal, ihn mit Annemarie tanzen zu sehen, von der man ihm gesagt, daß sein Ludwig ein Aug' auf sie habe, so ärgerten ihn noch mehr die zärtlich glücklichen Mienen des Paars. Er ging sehr verstimmt nach Hause, um zunächst der Ehehälfte seinen Verdruß mitzutheilen, am nächsten Morgen aber mit dem Burschen selbst ein Wörtchen zu reden. — Von alledem ahnte Ludwig nichts, seine Freude blieb daher ungestört. Nach einer Weile kam ein junger Bursche und forderte Annemarie zum Tanz auf. Ludwig sah ihn groß an und hatte gute Lust, ihm zu sagen, er solle sich fortscheeren und eine andere suchen. Allein er besann sich, daß er dazu kein Recht habe, und ließ sie ziehen. Er sah dem Tanzen zu und freute sich an der sittigen Haltung Annemarie's und an der Art, wie sie den etwas unbeholfenen jungen Menschen leitete. Als dieser, der sich gewaltig abgearbeitet hatte, den Schweiß von der Stirne wischte, trat Ludwig zu ihm und[S. 16] sagte: »Du bist müde, ich will dich ablösen.« Ohne Weiteres nahm er das lächelnde Mädchen bei der Hand und mischte sich unter die Paare.

Den ganzen Abend tanzte er nur einmal mit einer andern, nämlich mit jener Muntern, weil er sicher war, daß sie ihn mit der Geliebten aufziehen und von ihr reden würde. Er kam Annemarie beinahe gar nicht von der Seite, und sie hatte dabei ein Ansehen, als ob's nie anders gewesen wäre. Beide waren in jener Stimmung, wo man ganz in dem Lichte seliger Empfindungen lebt und das trunkene Auge in den Menschen umher nur Schattengestalten erblickt, die wie in einer andern Welt ihr Wesen treiben. Sie sahen nicht, wie man um sie her sich in die Ohren zischelte und den Kopf schüttelte; sie bemerkten nicht, wie die zwei langgewachsenen Töchter eines reichen Bauern, vor deren Augen Ludwig ebenfalls Gnade gefunden hatte und die mit Bruder und Vetter da waren, regelmäßig, so oft sie an dem glücklichen Paar vorübergingen, den häßlichen Mund verzogen, wodurch er keineswegs schöner wurde.

Endlich kam Mitternacht heran und die gesammte Jugend begab sich in die große Stube, um sich zum Schmause zu setzen. Ludwig blieb auf dem Tanzboden mit Annemarie zurück; die Talglichter waren herabgebrannt und der Raum beinahe dunkel. Er nahm die Geliebte bei der Hand und führte sie zu einem offenen Fenster, und beide blickten in die laue, trübe Mainacht hinaus. Nachdem sie eine kurze Zeit schweigend vor sich hingesehen, sagte Ludwig: »Was ist das für ein schöner Ansing! In meinem Leben bin ich nicht so vergnügt gewesen, wie heut. Aber du,« setzte er herzlich hinzu, »bist auch die schönste und liebste Tänzerin, die man finden kann.« — »Mach mich nicht roth,« erwiederte sie und wurde roth vor Freude, »du thust mir zu viel Ehr' an.« — »Dir kann man gar nicht zu viel Ehr' anthun,« rief Ludwig, um sein volles Herz durch Lobpreisung zu erleichtern, »du bist das erste Mädchen im ganzen Ries!«

Annemarie schwieg. Mit einem leisen Seufzer und als ob sie die letzten Worte nicht gehört hätte, sagte sie endlich: »Wenn ich deines Gleichen wäre!« — Sie wollte sagen: wenn ich die Tochter eines reichen Bauern wäre! — Ludwig, den Unterschied ohne Weiteres[S. 17] zugebend, erwiederte: »Das ist mir einerlei, du bist mir die liebste, lieber als alle Bauerntöchter miteinander. In meinem Leben wünsch' ich mir keine Bessere wie dich!« — Und er bekräftigte diese Betheurung mit einem zärtlichen Händedruck. — Das war zu viel für das gute Mädchen. Sie erhob sich und sah ihn an. »Ach, Ludwig,« sagte sie mit einer Stimme, die vor Freude zitterte, und mit einem Ton, als ob sie ihre Worte keineswegs für ganz richtig hielte, »ach, Ludwig, ich bin dich nicht werth!« — Statt aller Antwort faßte Ludwig sie um den Hals und drückte einen herzlichen Schmatz auf die schönen Lippen, die nicht in der Stimmung waren, sich zu weigern, sondern vielmehr gleich darauf das schöne Geschenk dankbar mit Zinsen zurückgaben. Niemand war Zeuge dieses Vorgangs. Es war ganz dunkel geworden. Nur die feuchten Augen der Glücklichen leuchteten gegen einander.

Regine trat aus der Stube, sie zu suchen; Annemarie eilte zu ihr und ging mit ihr zurück. Ludwig kam später nach, strahlend vor Vergnügen. Er ließ in der Freude seines Herzens eine Flasche Wein kommen und auftragen, was gut und theuer war. Die beiden Langgewachsenen wurden gelb vor Neid und Aergerniß.

Nachdem in der ganzen Stube die Messer und Gabeln bei Seite gelegt waren, begannen die Spielleute »auf den Tisch hinein zu machen,« nämlich Musik. An jedem Tisch pflegt der Bursche, der's versteht, ein längeres Lied vorzusingen; die Musikanten setzen einen zinnernen Teller auf den Tisch und spielen das Lied nach. Wenn dies ein paarmal geschehen, so wirft jeder Bursche mit Art ein Geldstück auf den Teller — größer oder kleiner, je nachdem es die Ehre und der Beutel leidet — und die Musikanten treten zu einem andern Tisch, um eine neue Ernte zu halten. Der Meister der jungen Leute ist hier derjenige, der mit einem neuen Lied auftreten kann. Denn auch auf dem Lande will man nicht immer dasselbe, sondern was Frisches hören und seine Kenntnisse bereichern. Gewisse alte Volkslieder, die jetzt in gebildeten Kreisen Glück machen, sind bei solchen Gelegenheiten geradezu verpönt; und als diesmal der junge Mensch, der mit Annemarie getanzt hatte, sich ein Ansehen gab und begann:

Es steht ein Wirthshaus an dem Rhein —

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brach ein allgemeines Gelächter aus. »Das hast du wohl von dei'm Aehle (Aehnlein, Großvater) gelernt!« rief ihm Einer zu, und eine runde Dirne an seinem Tisch sagte mit mütterlichem Ausdruck: »Besinn dich auf ein anderes, Jakob; so ein junger Bursch darf kein so altes Lied singen!« Dem verdutzten Jungen fiel jedoch nichts ein, so sehr er auch in die Luft hinstarrte, als ob es dort abzulesen wäre. Er mußte es einem andern überlassen, die Ehre des Tisches zu retten.

Die Zeit nach dem Essen ist überhaupt die, wo verschiedene Späße losgelassen werden. Ein anderes Bürschchen, das zum erstenmal bei einer solchen Gelegenheit war, sang ein bekanntes Lied in herzbrechend falschen Tönen; ein geschickter junger Clarinettist copierte ihn Ton für Ton, was große Heiterkeit verursachte und dem Musikanten von den »Ausgelernten« großes Lob zuzog. Der junge Bursche kam zum erstenmal über seinen Gesang zur Erkenntniß und wurde roth. Ein alter Musikus mit gemüthlicher Kupfernase, der das Horn blies, sagte schmunzelnd: »Laß dich nicht irre machen, Mathes, und halt's nur immer recht mit den Musikanten, dann erleb ich's noch, daß du die andern alle herunterstichst.« Das Bürschchen, das nicht dumm war, verstand den Wink; um sich wenigstens auf eine Art auszuzeichnen, nahm er aus seinem nagelneuen ledernen Beutelchen das Doppelte heraus, was er erst hatte geben wollen, nämlich zwei Sechsbätzner, und warf sie in den Teller, daß es klang. »Siehst du,« sagte der geriebene alte Hornbläser, »der Ton ist schon besser!«

Zuletzt kamen die Musici an den kleinen Tisch, wo Ludwig mit Annemarie, Hans und Regine saß, und spielten eine kleine Einleitung. Ueber das Gesicht des jungen Bauers verbreitete sich ein wohlgefälliges Lächeln. Er hatte von Augsburg ein Lied mitgebracht, das wenigstens für die anwesende Gesellschaft vollkommen neu war, und wollte sich nun gehörig damit zeigen. Als die Musik zu Ende war, setzte er sich in Positur und hub an:

Wir winden dir den Jungfernkranz
Mit veilchenblauer Seide u. s. w.

Allgemeinste Aufmerksamkeit! Die Musikanten, der Clarinettist voran, fanden sich bald in die einfache Weise und nach einigen Mißtönen ging's. Der Erfolg war außerordentlich. Als unter vollkommener[S. 19] Stille das letzte »G'setz« gesungen war, riefen einige Mädchen: »Ah, das ist aber schön!« und sahen mit einer Art von Andacht auf Ludwig. Mehrere Bursche kamen herbei und sagten, das müßten sie auch lernen. Der Sänger wurde der Mittelpunkt der Gesellschaft. Er mußte auf allgemeines Verlangen sein Lied wiederholen und erntete noch größeres Lob. Seine schöne Nachbarin erröthete auf's neue bei den bedeutungsvollen Worten »Jungfernkranz« und »Freiersmann« und zeigte die liebenswürdigste Freude über den Sieg ihres Tänzers. Dieser wollte nach einem solchen Triumph im Singen keinen neuen Versuch mehr machen. Aber noch blieb etwas übrig, was seinen Effekt nicht verfehlen konnte. Er griff ruhig in die Tasche und legte, als wär' es ihm nichts, einen Kronenthaler auf den Teller. Der Kamerad mußte nun ein Uebriges thun und legte wenigstens einen halben dazu. Die Gesichter der Musikanten leuchteten. Sie setzten mit Leidenschaft einen Marsch darauf, der wie ein Tusch klang, und der Hornist blies, daß ihm beinahe die Backen platzten. Als das Stückchen zu Ende war, strich er das Geld ein und sagte mit schelmischem Schmunzeln: »Bleibt gesund, bis ihr's wieder kriegt!«

Es war ein Uhr geworden und die meisten jungen Leute fingen wieder an zu tanzen. Auch Hans zeigte Lust dazu, aber Regine erklärte, sie und Annemarie müßten nach Hause. Die Mädchen nahmen Abschied und Annemarie dankte Ludwig gar schön für die Ehre, die er ihr angethan habe. Sehr gern hätten die Verliebten ihre Mädchen nach Hause geführt, aber die Bäckerstochter bestand darauf, daß sie hier bleiben sollten. Sie durften ihnen nur auf der Treppe noch die Hand geben und gute Nacht sagen.

Ludwig ging in die Stube zurück, um das letzte Glas Wein auszuschlürfen. Er war aber heute zu glücklich gewesen, als daß nicht ein Dämon sich gereizt fühlen sollte, in den Honigtrank einige Tropfen Galle zu mischen; und so trat denn ein solcher in der Gestalt des Vetters der beiden Langgewachsenen zu ihm und sagte: »Du hast dich ja heut recht lustig gemacht, Ludwig. Allen Respekt vor deinem Tanzen und Singen! Dein Vater hat dich mit der schönen Annemarie auch einmal tanzen sehen, aber dem scheints nicht gefallen zu haben, denn er ist gleich wieder fortgegangen.« Diese boshaften Worte gaben[S. 20] Ludwig einen Stich in's Herz und jagten ihm das Blut in's Gesicht. »Meinetwegen!« erwiederte er trotzig; der andere, der seinen Zweck erreicht hatte, ging vergnügt auf den Tanzboden. Alles, was mit seinem Glück in Widerspruch trat, stellte sich dem armen Burschen gespenstisch vor die Seele und eine große Unruhe befiel ihn. Allein für heute war der Strom der Freude in ihm noch zu mächtig und die Sorge wurde von ihm hinweggespült. Eine halbe Stunde später ging er nach Hause, glücklich im Nachgefühl des Erlebten. — —

Nach einem unruhigen Schlaf erwachte Ludwig zur gewöhnlichen Zeit: Sein Bruder, der in derselben Kammer schlief, schnarchte noch, obwohl er gestern schon bald nach Verzehrung des Bratens, den Ludwig vom abendlichen Hochzeitsmahl nach Hause gebracht hatte, zu Bette gegangen war. Als unser Freund überdachte, was gestern geschehen war, fing sein Herz an zu klopfen. Freude und Angst erhoben sich und wechselten in seinem Herzen, bis die Angst zuletzt die Oberhand gewann. Eine Zeit lang ließ er sich ruhig von ihr quälen; dann faßte er einen Entschluß, kleidete sich an und ging mit festem Schritt, dem man aber doch das Absichtliche ansah, in die Stube hinunter. Die Morgensonne schien durch die Fensterscheiben und die friedliche Scene bildete einen eigenen Contrast zu der Verwirrung in seinem Herzen. Er ging in »das Kanzlei,« das in den Bauernhäusern gewöhnliche Nebenstübchen zum besondern Gebrauch der Familie, von der Stube durch eine hölzerne, mit brauner Oelfarbe bestrichene Wand getrennt, welche mit der einen Seite des Ofens zusammenzulaufen pflegt. Der Vater saß an dem Wandtisch mit tiefernstem Gesicht und die Mutter brachte eben den Kaffee. Ludwig bot ihnen mit etwas unsicherer Stimme guten Morgen und setzte sich zum Frühstück. Zu gleicher Zeit kamen die »Ehehalten« (Knechte und Mägde) in die Stube, um die Morgensuppe zu verzehren. Der Oberknecht und die Magd waren auf dem Ansing gewesen; sie blinzelten sich nun zu und sahen auf das Kanzlei mit jenem Vergnügen, welches die schwache menschliche Seele zu empfinden pflegt, wenn unter Höherstehenden ein scandalöser Streit zu erwarten ist. Allein der Angerbauer war nicht der Mann, sich und seine Familie preiszugeben, wenn der Zorn über seinen Verstand nicht Herr wurde. Er wartete mit der[S. 21] Anrede, die er Ludwig zudachte, und erst als der letzte der Ehehalten die Stube verlassen hatte, begann ein Dialog, den wir, um den Lesern eine kleine Probe davon zu bieten, in dem Rieser Dialekt wiedergeben wollen.

Der Alte sagte mit bitterem Spott: »No, du host de ja gestert recht aufg'führt! Machst mer a rechta'n Ehr, des muß i saga'; Aufm A'seng, wo Baura'töchter send, tanzst du da' ganza'n Obed mit'r Magd! Und net gnuag damit, setzst sie oh no' neba' de he' und regalirst sie!« — Ludwig, der sah, daß dem Vater schon geplaudert worden war, und die Thatsache nicht leugnen konnte, hing sich an ein Wort und sagte: »No, a Magd ist sie grad net!«

Der Angerbauer fuhr auf und blickte ihn mit drohenden Augen an. »Schweig, sag i d'r! Mag sie sei', was sie will, sie ist net dei's Gleicha', und es ist a Schimpf und a Schand, daß du di so mit'r ahgeba' host! Wann du d's Nuibaurs Bäbe (die Reichste im Dorfe) so tractirt hättst, so wärs o'schickleng gwesa'! Was wird die Ev' saga' und ihr Vater? Die weara' se recht fräa', wenn sie höara', wie du di aufg'führt host, und (setzte er verächtlich hinzu) mit weam!«

Der Angefahrene war von diesen Worten sichtlich getroffen. Er wußte nichts Besseres zu seiner Entschuldigung zu sagen, als: »Sie tanzt so guat!« — »Tanzt so guat!« rief der Alte mit grimmigem Lachen. »Ist des a'n Ausred? Tanzet ander Mädla' net oh guat? Muaß ma dorom a hergloffens Mädle mit Wei' tractiera? Pfui, schäm di!« — Er war aufgestanden und wendete dem Schuldigen den Rücken zu.

Sein Zorn hatte offenbar den jetzt möglichen höchsten Grad erreicht. Ludwig, entrüstet über den Ausdruck »hergloffens Mädle,« und fühlend, daß jetzt überhaupt nicht mehr mit ihm zu reden sei, verstummte und sah finster vor sich hin. — Nach einer Weile drehte sich der Alte wieder zu dem Tisch und sagte: »I will me ietz net verzürna! Gscheha'n ist gscheha'! Der dumm Stroëch ist gmacht! Aber,« setzte er mit drohend erhobenem Zeigefinger und mit entsprechend verstärktem Tone hinzu, »des roth i d'r in Guatam: loß mi so ebbes net widder höara'! Denn sonst — — du kennst mi!« — Er wendete sich ab und verließ mit festen Schritten die Stube.

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Man sieht, der Vater war nur über das öffentliche Aergerniß entrüstet, welches Ludwig gegeben, und strafte nur dieses. Daß sein Sohn auf Annemarie ernstliche Absichten haben und um ihretwillen die Eva lassen könnte, das kam ihm gar nicht in den Sinn. Hätte er Ursache gehabt, an so etwas nur zu denken, so wäre natürlich ein ganz anderer Sturm losgebrochen.

Der Delinquent athmete auf; denn im Grunde war er noch gut weggekommen. Von der Mutter fürchtete er wenig. Er war ihr Liebling und wußte, daß Frauen solche Verirrungen des Herzens überhaupt glimpflicher aufzufassen pflegen. Er täuschte sich nicht. Während der Alte sprach, hatte die Mutter zu wiederholten Malen ernsthaft mit dem Kopfe genickt, dadurch ihr vollkommenes Einverständniß an den Tag legend. Als er fort war, nahmen ihre Züge einen milderen Ausdruck an, und den Sohn bei der Hand fassend begann sie: »Aber ietz sag m'r nor, Ludwig, wie ist's mögleng, daß du di so host vergessa' und dei'm Vater und mir so ebbes a'thoa' könna'?«

Ludwig hatte seinen ganzen Humor wieder. Da er noch keinen Plan über die Zukunft gemacht hatte, nach welchem er handeln konnte, so folgte er instinktmäßig dem Trieb, sich mit seinen Eltern wieder gut zu stellen, und sagte, allerdings nicht sehr ritterlich: »Du woëst ja, Muater, wie's oëm got, wama' lusteng ist und Bier und Wei' im Kopf hot!« — »Ja wohl,« versetzte die schon halb begütigte Mutter, »aber was zviel ist, ist zviel! Die ganz Nacht mit oëm Mädle ztanza, die oën nex a'got! I hätt' di wärle für gscheidter ghalta'!« — »I hab d'r ja scho' gsakt,« erwiederte Ludwig, »sie tanzt so guat; und,« fügte er nicht ohne schlaue Absicht hinzu, »i hab gseha', daß sie oh geara' mit mir tanzt!«

Die Angerbäuerin konnte nicht umhin, heiterer auszusehen. Sie hielt natürlich ihren Ludwig für den schönsten und geschicktesten Burschen in der ganzen Umgegend, und daß er den Mädchen so sehr gefiel, konnte ihr nichts weniger als unangenehm sein. Sie sagte daher mit dem Lächeln einer etwas eiteln Mutter: »Des glob i, daß e so a Mädle frät, wann du mit'r tanzst; aber des ist koë Entschuldigung für di!« — Eine bessere Regung machte sich in ihr geltend und sie fügte hinzu: »Die Annemarie ist zu guet dafür, daß[S. 23] so a junger Mensch 'n Spaß mit ihr macht. Sie ist brav und ordentlich und 's wird se gwiß a passender Ma' für se finda'. Es wär a Sünd und a Schand, wann du ihr da' Kopf verdreha' und sie in's O'glück brenga' thätst!« — »No,« sagte Ludwig, »so arg wirds net weara'!« — Mit Eifer versetzte die Mutter: »I hoff's oh net! Du host dein Vater ghöart und woëst, er hält was 'r sakt! I hoff, 's ist dei' letzta' Dummheit gwesa'!« — Ruhiger setzte sie hinzu: »So, ietz gang naus zu dei'm Vater und mach'n widder guat!«

Ludwig folgte diesem Rath. Er fand Gelegenheit seinem Vater bei einer Arbeit zu helfen, und da sie nothwendig mit einander reden mußten, so stellte sich zwischen ihnen bald wieder ein äußerlich friedliches Verhältniß her. Als später dem Angerbauer noch einige Einzelheiten vom Ansing zu Ohren kamen, hatte ihn die Mutter schon durch die Versicherung beruhigt, daß es nichts als der Narrenstreich eines jungen Menschen gewesen sei, der etwas im Kopfe gehabt habe. Er verschluckte daher diese nachträglichen Pillen, so bitter sie ihm auch schmeckten. Seine Gedanken waren: »Der Mensch muß mir aus dem Haus, und das so bald als möglich! Mein Andres, das weiß ich, wird mir keine solche Streiche machen.« Auch die Mutter faßte den Entschluß, alles zu thun, um die Heirath Ludwigs mit Eva zu beschleunigen. »Hätte der alte Narr,« sagte sie in ihrem Verdruß, »den Hof abgegeben, so hätten wir diesen Aerger nicht!« Sie wollte aber nun gerade aus dem Vorgefallenen die Gründe schöpfen, die den Vater Evas zum Nachgeben bewegen sollten.

Einige Tage vergingen, ohne daß etwas besonderes vorfiel. Auch auf dem Dorfe pflegt der artige junge Mann die Tänzerin, die er auszeichnete, den andern Tag gelegentlich zu begrüßen und sie zu fragen, wie ihr das Tanzen bekommen sei. Aber Ludwig mußte Scheu tragen, dies zu thun; auch war er nicht in der Gemüthsverfassung dazu. In seinem Herzen stiegen Gedanken auf, die sich wechselseitig bekämpften, seinen Geist verwirrten und ihn zu keinem Entschluß kommen ließen.

Der guten Annemarie war sein Ausbleiben nicht so unlieb, als man denken mochte. Ihr war es ergangen wie ihm. Glückselige und bange Gefühle wechselten auch in ihrem Herzen, und die bangen[S. 24] überwogen zuletzt. Sie dachte an den stolzen Angerbauer, an den Unterschied des Vermögens und Standes, an das Gerede mit der Eva, und schüttelte mit betrübter Miene den Kopf. Indem die Bilder jener Nacht vor ihre Seele traten, machte sie sich Vorwürfe, zu weit gegangen zu sein. Es lastete etwas auf ihr, als ob sie eine Sünde begangen hätte; und dieses Gefühl wurde dadurch nicht gemindert, daß einzelne Mädchen sie nun mit Ludwig in einer Weise zu plagen begannen, die nicht mehr von der Lust zu scherzen, sondern offenbar vom Neide eingegeben war. Selbst Regine sah bedenklich aus, als ob sie mit sich selber unzufrieden wäre, und der Vormund ließ Reden fallen von Leichtsinn und Hoffahrt, die zu nichts Gutem führen würden u. s. w.

Es hatte den Anschein, als ob eben durch das gesprochene Wort der Traum des Glücks für immer zerstört und die innigste Annäherung der beiden Herzen auch die letzte gewesen wäre. — Aber die Liebe, die zwei junge Seelen ergriffen hat, kann von den Bedenklichkeiten des Lebens nicht so leicht unterdrückt werden. Die bänglichen und peinlichen Gefühle mildern sich und verschwinden mit der Zeit, die Liebe bleibt. Die erst so trüben Vorstellungen verlieren nach und nach ihr Schreckendes, die Liebe gewinnt an Muth — und das Menschenkind, das glücklich sein will, folgt wieder dem Zug des Herzens.

Als der fünfte Tag verflossen war, konnte Ludwig seinem Verlangen, Annemarie zu sehen, nicht länger Widerstand leisten. Er ging in das Haus des Bäckers, indem er sich vornahm, diesen, der am Gärteln sein Vergnügen hatte und nach Art solcher Leute seine Liebhaberei gern weiter verbreitete, um Blumensamen zu bitten. Die Täuschung war nicht nöthig, Annemarie war allein zu Hause. Nach einigem Stottern von seiner und Erröthen von ihrer Seite waren die liebenden Herzen bald wieder einig. Man rühmte jene Nacht, wo es so schön gewesen sei; das damals empfundene Glück lebte wieder in ihnen auf und die Augen bestätigten, was sich die Lippen verkündigt hatten. Die Liebe zog wieder als Herrscherin in ihre Seelen und alle entgegenstehenden Gedanken wurden daraus vertrieben. Die Reue, welche die Geängsteten gefühlt, die Vorwürfe, die sie sich gemacht[S. 25] — alles war vergessen. Sie freuten sich eines am andern, und es war ihnen, als ob sie gar nichts Besseres und Schöneres thun könnten.

Für diesmal konnte ihr Zusammensein nicht lange dauern. Annemarie erwartete den Bäcker und mahnte den Geliebten, sie zu verlassen. Ludwig fragte, ob er sie denn nicht einmal ungestört sehen könnte, er hätte noch viel mit ihr zu reden. Annemarie sah ihn an; die blauen Augen baten so schön und blickten so treu auf sie her. Nach einigem Zögern erwiederte sie mit leiserer Stimme: »Nächsten Sonntag Nachmittag geht mein Vetter mit Regine nach Wallerstein; sie werden spät wieder kommen; in der Abendstunde, wenn's dunkel geworden ist, will ich in unserm Garten auf dich warten.« Ludwig drückte ihr hocherfreut die Hand. Annemarie setzte hinzu: »Es ist vielleicht nicht recht, was ich thue, aber du willst es haben und es macht dir Freude.« Was konnte Ludwig anders, als die Lippen, die so liebliche Worte gesprochen, entsprechend belohnen? — Er kam unbemerkt aus dem Hause. Wie bisher sein trübseliges, so fiel seinen Eltern jetzt sein vergnügtes Wesen auf, aber sie legten es zu ihren Gunsten aus. »Hab' ich dir's nicht gesagt?« bemerkte die Mutter dem Alten. »So etwas geht bei jungen Leuten schnell vorüber. Sei nur ruhig, es wird noch alles recht werden!«

Der Garten des Bäckers war in Folge der erwähnten Liebhaberei nach dem des Pfarrers der schönste im Dorfe und der Stolz des Besitzers. Er theilte sich in Gemüse- und Baumgarten, und in dem erstern war den Blumen ein größerer Platz eingeräumt, als es bei dem wirthlichen Sinn der Landleute sonst der Fall zu sein pflegt. Eine ziemlich hohe dichte Hecke grenzte das Ganze von den Feldern, zunächst aber von dem Fußweg ab, der sich an dieser Seite des Dorfes hinzog und auf welchen eine hölzerne, für gewöhnlich verschlossene Thüre führte. Durch diese Thüre, die heute nur aufgeklinkt zu werden brauchte, trat Ludwig zur verabredeten Stunde in den Garten, und bald saßen die Liebenden auf einem hölzernen Bänkchen ohnweit der Hecke und des Hauses in traulichem Geplauder. Sie konnten sich diesem in der That mit einer gewissen Sicherheit hingeben, denn wie nach dem Felde zu die Hecke, so schützten gegen das Dorf das längliche[S. 26] Bäckerhaus und mehrere Scheunen, in denen jetzt wohl kein neugieriges Auge zu fürchten war. Der Abend war sehr schön. Von dem reinen Himmel blinkten schon einzelne Sterne, während von Westen her die goldengrünliche Helle sich über ihn ergoß, die Verheißung der untergegangenen Sonne, daß sie morgen einen schönen Tag bringen werde. Die Bäume standen in voller Blüthe und hie und da glänzte einer her wie ein großer weißer Strauß. Die Luft war leicht bewegt und voller Wohlgerüche. Rings herrschte vollkommene Stille und nur Maikäfer surrten zuweilen über die Köpfe der Liebenden hin, um die größere Gesellschaft auf den Bäumen aufzusuchen. — Unserem Pärchen war es über alles heimlich zu Muthe. Ludwig rühmte den Garten, die Blumen, den schönen Abend. Sie sprachen von diesem und jenem. Bald kamen sie wieder auf den »Ansing«, und Ludwig scherzte über den jungen Burschen, der mit Annemarie getanzt und »sich geplagt habe, als ob er im Taglohn arbeitete.« »Der arme Kerl dauerte mich,« setzte er hinzu, »darum kam ich so schnell und löste ihn ab.« Das Mädchen lächelte, sie wußt' es besser. Beide erinnerten sich jetzt verschiedener Gesichter, die um ihretwillen geschnitten worden waren, und die Ausdrücke von Aerger und Neid kamen ihnen sehr lustig vor. Sie übten für das Geschwätz, das über sie ergangen war, eine gemüthliche Wiedervergeltung, indem sie einzelne Exemplare durchhechelten, wie es gutmüthige Menschen in fröhlicher Laune thun. Ludwig fragte dann, ob's denn wahr sei, daß Hans und Regine bald Hochzeit machen wollten. Annemarie erwiederte, so viel sie wisse, auf den Herbst. Dies brachte sie auf ernstere Gedanken. Nach einem Weilchen fragte sie erröthend und mit einem gewissen schüchternen Lächeln: »Ist's denn wahr, daß dein Vater will, du sollst des Kirchbauern Eva von ** heirathen?« Ludwig antwortete: »Ja wohl hat er so was im Sinn gehabt; aber mir ist's nie rechter Ernst gewesen und jetzt denk ich nimmer dran.« Annemarie wurde vor Vergnügen noch röther. Dann sah sie vor sich hin, wie wenn sie über etwas nachdächte, und unwillkürlich entschlüpfte ihr wieder das Wort: »Wenn ich doch ein reiches Mädchen wär!« Ludwig faßte ihre Hand und sagte herzlich: »Es kann nicht alles[S. 27] beisammen sein! Du bist die schönste und die beste und die geschickteste, die ich kenne — das ist mehr werth als Geld!«

Annemarie sah ihn dankbar an und schwieg. Dann sagte sie: »Ist dein Vater wirklich so stolz, wie die Leute sagen? Verzeih mir diese Frage!« — »Mein Vater weiß, was er ist,« antwortete Ludwig, »und läßt sich nichts nehmen. Aber er ist ein braver und gescheidter Mann und giebt auch andern ihre Ehre. Meine Mutter ist gut und hält alles auf mich.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf. Wie verliebte Herzen einmal alles fürchten, dann wieder alles hoffen, so war es ihr die letzten Tage her nicht ganz unmöglich vorgekommen, daß sie doch noch Ludwigs Frau werden könnte. Sie hielt etwas auf sich und glaubte, um ihretwillen könnte wohl eine Ausnahme von der Regel gemacht werden. Aber nun wurde durch das Bild des Angerbauers, dessen Stolz der Sohn zugeben mußte, ihre Hoffnung wieder sehr erschüttert. Sie seufzte und sagte mit leiserer Stimme: »Ich fürchte mich vor deinem Vater, Ludwig, und sehe nicht, was aus uns beiden werden soll!«

Ludwig, der durch die feuchten Augen in das Herz des Mädchens sah, wurde gerührt, Liebe und Großmuth loderten in ihm auf. Er legte wie schützend den Arm um sie und sagte mit dem herzlichsten Ton: »Mach dir das Herz nicht schwer, Annemarie! Ich hab dir gesagt, daß du mir die liebste auf der Welt bist, und ich sag dir's noch einmal. Vertrau auf mich und sorg nicht! Was ich mir ernstlich vornehme, das setz' ich auch durch — darauf verlaß dich!« — »Ich vertraue dir,« sagte Annemarie, »denn sonst hätt' ich das auch nicht für dich gethan. In meinem Leben bin ich noch mit keinem ledigen Bursch so zusammen gekommen. Aber dich hab ich so lieb, daß ich thun muß, was dich freut — ich kann mir nicht anders helfen!« — Entzückt über dieses Geständnis, sah Ludwig das schöne Mädchen an; Thränen traten in seine Augen; sie mit seinen Armen umschließend, rief er aus: »O du liebes, liebes Mädchen! in meinem Leben laß ich dich nicht!«

Dieser innige Ausruf weckte ein seliges Gefühl in dem Herzen Annemarie's, zu gleicher Zeit warf er aber Schrecken in ein anderes.[S. 28] Diejenige, für welche diese Worte am wenigsten bestimmt waren — die Mutter Ludwigs hatte sie vernommen, klar und deutlich vernommen. Die Angerbäuerin war im obern Dorf auf Besuch gewesen und hatte sich verspätet, indem sie zwar zu rechter Zeit in der Stube Abschied genommen, aber auf der Haustreppe mit der Freundin von neuem und erst recht wieder in's Gespräch gekommen war. Da der Fußweg am schnellsten nach Hause führte, so schlug sie diesen ein. Als sie an der Hecke des Bäckergartens hingehend ein leises Reden vernahm, horchte sie und das Ohr der Mutter erkannte gar bald die Stimme des Sohnes. Die letzten Worte, bei welchen die Leidenschaft den Ton vorsichtig zu dämpfen vergaß und von denen ihr keine Silbe entging, sagten ihr alles. Sie erschrack heftig und zitterte an allen Gliedern. Hatte sie doch so eben noch der Freundin versichert, daß an dem Geschwätz wegen der Annemarie gar nichts sei und ihr Ludwig bald Kirchbauer sein werde. Sie glaubte vor Scham und Verdruß in die Erde sinken zu müssen. Da sie nicht mit sich einig werden konnte, was sie beginnen sollte, und im Garten Stille eingetreten war, ging sie weiter. Der Schrecken in ihrem Herzen machte dem Zorn Platz. Sie so schändlich anzuführen, zu dem Mädchen zu gehen wider ihr ausdrückliches Verbot und ihr so gottvergessene Dinge zu sagen! Bevor sie noch in ihren Hof trat, war ihr Entschluß gefaßt. Sie schwieg still und ließ sich nichts anmerken, weder vor dem Vater noch vor dem Sohn, der nicht lange nach ihr heim kam.


Den andern Morgen, als der Angerbauer eben das Haus verlassen hatte und Ludwig ihm folgen wollte, sagte die Mutter, sie habe noch etwas mit ihm zu reden. Sie führte ihn in's Kanzlei zurück und sagte, gerade auf das Ziel losgehend: »Du bist gestern Abend bei der Annemarie gewesen!« — Darauf war Ludwig nicht gefaßt. Er verlor etwas die Farbe und stammelte: »Wie sollt' ich.« — Aber die Mutter fiel ihm in die Rede: »Läugn' es nicht, ich hab mit meinen eigenen Ohren gehört, was du ihr gesagt hast!« — Und indem sie ihn mit bekümmert erzürntem Blick ansah, fuhr sie fort: »Es hilft also kein Reden an dir, du willst dich mit Gewalt in's Geschrei bringen und ein unerfahrenes Mädchen durchaus unglücklich machen!«

[S. 29]

Bei diesem Vorwurf sammelte sich der Betroffene wieder. Er erwiederte: »Wer sagt das? Ich habs ganz anders mit ihr im Sinn!« — »Wie soll ich das verstehen?« — »Wenn ich sie nun heirathen wollte?« — Die Mutter, auf eine solche Rede gefaßt, zuckte die Achseln und sagte: »Du bist nicht gescheidt!« — Ludwig aber versetzte mit Ernst: »Ich weiß es, mit keiner würd' ich so glücklich leben, wie mit der Annemarie. Grade die gefällt mir, und sonst keine andere!«

Die Augen der Angerbäuerin funkelten. »Wie!« rief sie aus, »das unterstehst du dich mir zu sagen, — du, der mit der Ev' so gut wie versprochen ist?« — »Davon weiß ich nichts,« sagte Ludwig. — »So, davon weißt du nichts? — Nun merk auf, was ich dir sag: wenn du von diesen dummen Gedanken vor deinem Vater nur ein Wörtchen merken läßt, so bringt er dich um! Das ist der Rechte, sich von einem Kind so etwas gefallen zu lassen!«

Der Sohn erkannte das Gewicht dieser Worte und schwieg. Dann sagte er in traurigem Ton: »Ich hätt' gedacht, du zum wenigsten würdest nicht so hart gegen mich sein und dich meiner annehmen gegen ihn.« — »So,« rief die Mutter, »auf mich hast du dich verlassen? Du kennst mich also nicht, wie es scheint. Ich sag dirs jetzt ein für allemal: nie werd' ich zu einer solchen Heirath meine Einwilligung geben! Ich will nicht, daß mein Sohn durch seinen Unverstand sich unglücklich macht und der ganzen Freundschaft einen Schimpf anthut! Wenn du nicht von diesem Augenblick an das Caressiren mit dem Mädchen aufgiebst, so sag ichs deinem Vater und du wirst sehen, was dann geschieht! — So, jetzt kennst du meine Meinung und kannst dich darnach richten!« — Nach diesen Worten verließ sie die Stube, indem sie die Thüre etwas unsanfter zumachte, als gewöhnlich.

Es ist eine bekannte Sache, daß der Widerstand, den wir auf dem Weg zu einem ersehnten Ziel erfahren, unsern Eifer und Muth, dahin zu gelangen, oft nur steigert. Zuweilen bewirkt er aber das Gegentheil: er führt zu einer Erwägung, in der uns das Ziel als ein unerreichbares erscheint, so daß wir uns, wenn auch mit schwerem Herzen, zum Rückgang entschließen. Die menschliche Seele ist ein[S. 30] eigen Ding. Namentlich sind die weicheren für die Eindrücke des Entgegengesetzten empfänglich, und wenn sie eine Zeitlang sich ausschließlich nach einer Seite gewendet haben, so werden sie dadurch nur um so offener für die andere. Dies sollte nun auch Ludwig erfahren. So erzürnt war seine Mutter nie gewesen, so heftig hatte sie nie gegen ihn gesprochen. Er fühlte auf's tiefste, daß er sie nicht zum Nachgeben bewegen würde; — und wie sollte ihm das erst bei seinem Vater gelingen! — Die Gründe, aus denen beide gegen eine solche Verbindung sein mußten, stellten sich ihm dar, und er war so sehr Bauer und Sohn seiner Eltern, daß er ihre Vernünftigkeit nicht bestreiten konnte. Annemarie war die Tochter und Verwandte von Söldnersleuten, d. h. sie gehörte einem Stande an, über dem sich der Bauer allenfalls eben so erhaben fühlt, wie der Adelige über dem bürgerlichen. Der Bauer hat einen Hof mit Haus und Stadel und zusammengehörigen Feldgütern, er besitzt Rosse und Rindvieh in gehöriger Anzahl und hält sich Knechte und Mägde. Der Söldner hat nur ein Haus, wenige Grundstücke, kein Roß, im besten Fall einiges Vieh. Um sich besser durchzubringen, lernt er ein Handwerk und hilft dem Bauer bei der Ernte, wodurch geringere Söldnerfamilien zu gewissen Höfen in eine Art von Clientenverhältniß kommen. Daß der Bauer sich nun als zu einer höheren Menschengattung gehörig ansieht, ist beinahe so natürlich, als das Bewußtsein des Aristokraten gegenüber dem Bürgerlichen. Das Vermögen übt freilich auch hier eine ausgleichende Macht, und wenn der Söldner empor, der Bauer heruntergekommen ist, so wird die Verbindung der Familien wieder möglich. Aber auch so kann sich der traditionelle Stolz noch wehren, und mir ist ein Fall bekannt, wo ein verschuldeter alter Bauer nur mit größter Mühe zu bewegen war, seinen Sohn eine wohlhabende Söldnerstochter heirathen zu lassen, indem er den Verwandten, die sie herausstrichen, immer wieder antwortete: »Es ist doch keine Bauerntochter!« — Bei Ludwig und Annemarie kam zu diesem Mißverhältniß noch der große Unterschied des Vermögens, da sie kaum den achten Theil desjenigen besaß, was er nur vorläufig mitbekommen sollte; endlich vollends die Anknüpfung mit Eva. — Der Kopf des jungen Menschen brannte, nachdem er das alles überlegt hatte, und[S. 31] an seine Eltern denkend rief er mit Verzweiflung aus: »Sie thuns nicht, sie thuns nicht!«

Das Bild des Mädchens stand so schön und lieb vor seiner Seele, wie jemals. Er hatte ihr gestanden, wie gern er sie habe, hatte ihr gesagt, sie solle ihm vertrauen, und er wolle nicht von ihr lassen. Aber wenn seine Eltern ihre Einwilligung verweigerten, so machte er Annemarie nur unglücklich — und durfte er das? Ein förmliches Versprechen hatte er ihr nicht gegeben. Bis jetzt war es eben ein Liebeshandel, wie es so manche giebt in der Welt, ohne daß es zum Heirathen kommt; ein Liebeshandel, wo man ja vieles spricht, was man nicht halten kann, ja nicht einmal darf. Andere hatten ganz andere Verpflichtungen gehabt, als er gegen Annemarie, und doch zuletzt ihres Gleichen geheirathet. Auf der andern Seite, — war es denn gewiß, daß Annemarie die Sache so schwer aufnahm? Vielleicht tröstete sie sich bald, heirathete einen andern und wurde glücklich. — Wenn das Herz Ludwigs diesen Gedanken widersprach, so mußte er sie sich doch machen, und sie thaten ihre Wirkung.

Ein Entschluß mußte gefaßt werden. Er hatte mit Annemarie eine neue Zusammenkunft verabredet und er durfte sich nicht einfinden, wenn er sich nicht entschieden hatte, seinen Eltern zu trotzen. Als er nochmals alles hin und her überlegte, siegte zuletzt die Macht der äußern Verhältnisse; der Verstand und die Einschüchterung gewannen die Oberhand, die Liebe und die Leidenschaft gaben sich gefangen. — Er wollte zum wenigsten versuchen, ob er ohne Annemarie leben könnte. Wenns ging, so wollte er in Gottes Namen seinen Eltern folgen.

Er kam nicht zum Stelldichein. Als er Annemarie einen Tag später mit Regine begegnete, sagte er förmlich »guten Tag« und ging vorüber. Das Mädchen war etwas »verhofft« und sah ihm nach mit fragender Miene; aber sie entschuldigte beides. Zu der Bestellung hatte er nicht kommen können und vor der Regine wollte er sich nicht verrathen. Wie er nun aber mehrere Tage nichts von sich hören ließ, und endlich, als sie allein mit ihm zusammentraf, auch nur mit gewöhnlichem Gruß und dazu noch sichtlich verlegen an ihr vorüberging, da erkannte sie ihr Geschick. »So,« sagte sie, indem ihr Herz[S. 32] zu klopfen begann, »so ists gemeint?« Sie sah ihm nach und bemerkte, wie er schneller ging, gleichsam um aus ihrem Bereich zu kommen. Ihre Augen füllten sich mit Thränen. »Das ist der Mensch, der zu mir gesagt hat, daß ich ihm das Liebste wäre auf der Welt! So hält er Wort! O, ich hätt' mir's denken sollen!« Sie ging in's Haus zurück und eilte in ihre Kammer hinauf. Ihre Thränen strömten, sie sah mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes und der bittersten Kränkung vor sich hin. Dann sagte sie: »Es geschieht mir ganz recht, daß es so gekommen ist! Warum bin ich so einfältig gewesen und hab' ihm geglaubt? Warum hab' ich mir eingebildet, ich wär' auch etwas werth? — O, wie dumm!« setzte sie schmerzlich lächelnd hinzu. »Als ob diese Leute von ihrem Stolz lassen könnten! Als ob wir ihnen zu was anderem recht wären, als zum Spielen! Ja, ganz recht geschieht's mir, grad so hat's kommen müssen!«

Regine kam die Treppe herauf und öffnete die Thüre. Annemarie bemühte sich nicht, ihren Schmerz zu verbergen. Die Freundin sah sie mitleidig an und sagte: »Ich weiß, warum du weinst. Ja, ja, 's ist so. Beim Angerbauer hat's was gegeben. Der Alte und der Junge sind hinter einander gekommen, und Ludwig muß die Ev' heirathen.«

»Muß er?« sagte Annemarie, die bei ihrem ruhigen Wesen doch heroischer war, als Ludwig, und unter umgekehrten Verhältnissen sich standhafter gezeigt hätte. — »Ja freilich muß er, wenn sein Vater will,« erwiederte Regine. — »Nun,« versetzte die Gekränkte mit Stolz, »wenn er mich lassen kann, dann kann ich ihn auch lassen!« — Sie trocknete ihre Thränen und ging mit der Freundin hinunter, um sie auf's Feld zu begleiten.

Von da an erschien Annemarie vor andern gefaßt, ohne den Zustand ihres Herzens verbergen zu wollen. Die Freude des Lebens war ihr genommen, und sie wollte nicht thun, als ob's anders wäre. Ihr Gesicht verlor nach und nach die blühende Farbe, bekam aber dafür einen eigenen feierlichen Ausdruck, und ihre braunen Augen erhielten einen Glanz, der selbst dem alten Bäcker auffiel, so daß er den Kopf schüttelte und für sich murmelte: »Es ist Schade, Jammerschade; aber ich kann ihr nicht helfen!« — Ihr Schicksal, wie man es erkannte[S. 33] oder errieth, flößte den Leuten Achtung ein. Selbst diejenigen, die im Dorf wegen eines »bösen Mauls« berufen waren, unterstanden sich nicht, in ihrer Gegenwart Anspielungen zu machen, und kein junger Mensch fand in sich den Muth, ihr schön zu thun und ihr für den erlittenen Verlust einen Ersatz anzubieten.

Ludwig setzte unterdessen den Versuch, ohne Annemarie zu leben, fort. Er hatte zum drittenmal gewagt, sie zu grüßen; aber sie war mit einem Ausdruck von gekränkter Würde an ihm vorüber geschritten, daß er es fortan unterließ. Wenn er nun bei einer unvermeidlichen Begegnung ihre Wangen sich färben und ihr Auge glänzen sah, dachte er wohl: sie würde nicht so bös sein (freilich nicht der rechte Ausdruck für das Gefühl des Mädchens), wenn sie wüßte, wie hart es mich ankommt! — Sein Leben wurde sehr einförmig. Er ging zu Hause und auf dem Felde still seiner Arbeit nach und machte Sonntags, anstatt mit Kameraden fröhlich zu sein, einsame Spaziergänge. Auf einem derselben sagte er zu sich: »Leben kann ich wohl ohne sie, das hab' ich nun gesehen; aber was ist das für ein Leben!« Er schüttelte den Kopf und ging traurig nach Hause.

Am dritten Sonntag nöthigte ihn seine Mutter, mit ihr einen Besuch beim Vetter Kirchbauer zu machen. Sie sah, daß Ludwig ihr und dem Vater ein Opfer brachte und daß es dem armen Menschen schwer wurde; sie war daher auf dem Weg besonders gut gegen ihn und gab sich große Mühe, ihn zu erheitern, indem sie ihm vormalte, welch' einen Herrn er als Mann der Eva spielen könne, wo er schon zum Anfang einen schuldenfreien Hof und Geld am Zins haben würde. — Die Kirchbauerleute hatten natürlich von der Geschichte mit Annemarie gehört. Eva konnte bei der Begrüßung sich nicht enthalten, eine spöttische Miene zu weisen und gegen denjenigen, der einen solchen Streich machen konnte, eine gewisse Geringschätzung an den Tag zu legen. Indessen, der Sünder hatte eine Eigenschaft, die mit Nothwendigkeit Vergebung forderte: er war der Sohn reicher Leute.

Man faßte denn auch die Sache von der heitern Seite auf. Als man beim Kaffee saß, versuchte Eva scherzhafte Anspielungen zu machen, die ziemlich plump herauskamen, und der arme Ludwig mußte nun seine Liebe verleugnen und erklären, daß ja an der ganzen Sache[S. 34] nichts sei, daß er was ganz anderes im Sinn habe u. s. w. Er strengte sich offenbar an und wollte sich zwingen, Eva lieb zu gewinnen. Die Folge war, daß ihm die große Person, die seinem Herzen bisher gleichgültig war, zuwider wurde. Auf dem Heimweg sprach die Mutter davon, die Sache nun bald richtig zu machen. Ludwig bemerkte: »Mit der Zeit wird sich alles geben; aber jetzt, ich bitte schön, laß mich in Ruh und treib nicht an mir!« Die Angerbäuerin fühlte, daß sie still sein müsse.

Die zweite Hälfte des Juni war herbeigekommen und mit ihr die Nördlinger Messe. Diese dauert vierzehn Tage und ist ein Fest für das ganze Ries. Die ländlichen Hausfrauen kaufen sich auf ihr den Bedarf an Kleidungsstoffen, Hausgeräthen und Spielzeug, und an manchem Tag sieht man auf den Hauptplätzen mehr Bauern als Städter. Namentlich ist dies bei den Hafnern der Fall, wo die klugen Bäuerinnen durch wiederholtes Klopfen die Güte der Geschirre prüfen und an großen und kleinen ein Gemisch von Tönen hervorbringen, daß man ein wahres Concert zu hören glaubt. Hat man gehörig eingekauft, so erquickt man sich an den berühmten Nördlinger Brat- oder geräucherten Groschenwürsten, trinkt Bier dazu oder gar ein Schöppchen Wein, und wandert in der Dämmerung, trotz des gefüllten, wachstuchbezogenen »Donaugretzens,« den man zu tragen hat, vergnügt nach Hause. Die Sonntage sind für die »Ledigen,« die namentlich am zweiten, der eben deßwegen der »Bauernsonntag« heißt, von allen Dörfern nach Nördlingen strömen, um in verschiedenen Wirthshäusern der Lustbarkeit nachzugehen.

Ludwig hatte acht Tage vergehen lassen, ohne sich um die Messe zu kümmern. Sein melancholisches Aussehen machte die Mutter besorgt und selbst den Alten bedenklich. Als er gar am Bauernsonntag keine Anstalt machte in die Stadt zu gehen, da hielt sich die Mutter nicht länger. Sie nahm eine kleine Rücksprache mit dem Vater, dann ging sie zu Ludwig, der in seiner Kammer war, und redete ihm mit mütterlichem Ernst in's Gewissen: was denn das wäre, daß er gar nicht mehr unter die Leute gehen wolle? Wenn andere ledige Bursche sich lustig machten, sitze er da und sinnire; ob das eine Art sei für einen jungen Menschen? »Da,« fuhr sie fort, indem sie einen Beutel[S. 35] voll Kronenthaler aus der Tasche zog, »da nimm, geh nach Nördlingen, mach dir einen vergnügten Tag und laß etwas drauf gehen! Du weißt ja, wir haben's!« Ludwig, den Beutel in Empfang nehmend, sagte mit trübem Lächeln: »Nun gut, Mutter, ich will dir folgen.« Das Gesicht der Angerbäuerin erheiterte sich. Sie wußte, daß Eva in der Stadt sein würde, und hoffte, daß die beiden jungen Leute sich treffen, mit einander tanzen und sich vollends verständigen würden.

Ludwig kleidete sich trotz seiner Melancholie festlich an, wie sich gebührte, und schlug nach der Stadt einen weitern und weniger begangenen Fußweg ein, der durch Getreidefelder und Wiesen führte. Der Tag war ausnehmend schön und klar. Die Nachmittagssonne schien warm vom Himmel, aber ein frisches Lüftchen, das von Osten kam, milderte ihre Wirkung. Still, zuweilen ein rührendes Lied summend, wanderte Ludwig den heimlichen Gang durch das hochgewachsene Korn. Als er auf die Wiese heraustrat und die Augen aufschlug, bot sich ihm ein höchst erfreulicher Anblick. Etwa noch eine halbe Stunde entfernt lag die Stadt Nördlingen da, von grünenden Gärten umgeben. Der von grauen Quadern erbaute Thurm der St. Georgienkirche — einer der höchsten und stattlichsten in Deutschland — erhob sich in dem klaren sommerlichen Duft freundlich über die Häuser und bildete mit ihnen ein Ganzes, dem man die Eigenschaften der Solidität und Wohlhäbigkeit von weitem ansah. Und rechts und links, auf Straßen und Feldwegen, zu Wagen und zu Fuß erblickte man geputzte Leute in ländlicher oder städtischer Tracht, welche dem einen Punkte zustrebten. Die Landschaft trug vielleicht eben jetzt ihr farbenschönstes Kleid. Ueberallhin wogende Getreidefelder in mannichfacher Abstufung des Grüns und Wiesen mit Blumen geziert, besonders mit der weißen »Meßblume,« die den Rieserinnen dazu dient, das, »Er liebt mich von Herzen« etc. vorzunehmen, und die in größerer Anzahl darüber verbreitet den Gründen einen besonders heitern Charakter giebt.

Auf Ludwig machte das alles freilich nur traumhafte Eindrücke. Seine Seele lebte in sich selber. Er war in einer Stimmung, wo man traurig ist, aber sich nicht ganz unglücklich fühlt, wo man zugleich[S. 36] mit der Trauer eine Lust der Ergebung empfindet, die alles Schmerzliche in gemildertem Lichte sehen läßt. In dem Menschenherzen sind wunderbare Quellen des Trostes, die sich aber nur öffnen, wenn es bedrückt wird. Dann erhebt sich eine Kraft in ihm, die in sanfter Strömung Linderung bietet, und die, wenn sie die früheren Hoffnungen nicht mehr beleben kann, doch wenigstens ihr Grab verschönt. — Als Ludwig die Erfahrungen der letzten Zeit an seiner erweichten Seele vorüberziehen ließ, regte sich leise und leise sogar die Hoffnung wieder. Die Sehnsucht erblickte in weiter Ferne Bilder des Glücks, und das junge Herz fand ihre Verwirklichung nicht mehr so ganz unmöglich.

In der Stadt angekommen, ohne recht zu wissen wie, ging er zuerst auf den Markt beim Rathhaus und hatte dort kurze Ansprachen mit verschiedenen Kameraden. Dann trieb er sich in bunter Menschenwoge bei den Meßständen umher und kaufte einiges zu Geschenken. Als er müde war, suchte er den »goldenen Ochsen« auf, wo die jungen Leute seines Dorfes einzukehren pflegten. Fröhliche Musik erschallte von den Fenstern des ersten Stocks. Er fühlte keine Neigung, sich unter die Jugend zu mischen, trat in die untere Stube, ließ sich einen Krug Bier geben und setzte sich in eine Ecke. Nach und nach regten die wohlbekannten Töne des Horns und der Clarinette doch eine Neugierde in ihm an, und er ging in den Saal hinauf, um dem Tanze zuzusehen.

Das erste, was ihm in die Augen fiel, war Hans, der sich mit Regine im Tanze drehte. Sein Herz klopfte; er spähte im ganzen Saal umher, um die zu erblicken, die er liebte. Endlich sah er sie in einer Ecke stehen, den Blick auf die Tanzenden gerichtet, die Gedanken aber sichtlich anderswo.

Das Hiersein des verlassenen Mädchens war dadurch veranlaßt, daß Hans erklärter Hochzeiter der Regine geworden war. Als solcher wollte er die Geliebte zur Messe führen, aber diese, die das arme Kind gern wieder bei einem Vergnügen gehabt hätte, erklärte, sie gehe nicht ohne Annemarie. Das gute Mädchen, wenn sie kein Störenfried sein wollte, mußte dem Paar nun wohl Gesellschaft leisten.

Ludwig blieb wie angewurzelt stehen und betrachtete sie, ohne[S. 37] von ihr gesehen zu werden, in erschreckter Freude. Ihr Gesicht war nicht nur blässer, sondern auch etwas schmaler geworden; aber wie schön und fein war es! Die Trennung von ihm machte ihr mehr Herzeleid als ihm selber, das mußte er sehen! Sie hatte ihn nicht vergessen, sie hing treu an ihm, sie grämte sich! Reue, Mitleid, Liebe, Bewunderung stürmten auf ihn ein, seine Wangen glühten, ein unendliches Verlangen ergriff ihn, mit der Geliebten zu reden. Plötzlich faßte er einen Entschluß. Er ging auf sie zu und fragte: ob es nicht erlaubt wäre mit ihr zu tanzen.

Das Mädchen schrak zusammen und starrte ihn an. Sie zog die Hand, die er ergriffen hatte und in der seinen bebte, zurück, aber er ließ sie nicht los. Mit dem herzlichsten Tone sagte er: »Ich bitte dich, Annemarie!« und sah sie mit einem Blick so voll Liebe, Reue und Ergebung an, daß die Kraft zum Widerstand ihr versagte. Erröthend, zitternd, in tiefster Verwirrung ließ sie sich von ihm zum Tanze führen.

Was soll ich weiter sagen? Ludwig fand Gelegenheit, sich gegen Annemarie über alles auszusprechen: wie Vater und Mutter drohend von ihm verlangt, von ihr zu lassen, wie er versucht habe, ihnen zu folgen, wie es ihm aber unmöglich sei, da er keine andere liebhaben könne als sie. Er wolle nun mit seinem Vater sprechen, gleich morgen. Sie müsse sein Weib werden, geh' es wie es wolle. Er verspreche es ihr hoch und heilig, und so wahr ein Gott im Himmel sei, er werde sein Versprechen halten.

Annemarie glaubte ihm: sie fühlte, wie jedes Wort von Herzen kam. Sie verzieh ihm das Vergangene, da sie einsah, welch einen schweren Stand er hatte; sie bewunderte und theilte seinen Muth. Was fragte sie nach der Welt? Er gehörte ihr wieder, ihr Leben, ihr einziges Glück! — Sie glänzte in seliger Schönheit. Die Freude hatte ihre Wangen nicht nur wieder geröthet, sondern schien sie auch plötzlich runder gemacht zu haben. Ludwig hatte sie nie so hold gesehen.

Die jungen Herzen erhob ein Gefühl, das sie vorher nie in dieser Stärke gekannt hatten: der Heldenmuth der Liebe. Sie sahen, was ihnen drohte, aber sie empfanden keine Bangigkeit. Die Kämpfe,[S. 38] die ihrer harrten, waren ihnen beinahe lieb; denn sie wollten sich bewähren, sie wollten zeigen, was wahre Liebe vermöge, und daß man einer solchen nichts anhaben könne. Es war ein Schwung in ihren Seelen, daß ihnen nichts unmöglich erschien. Mögen sie nur kommen, mögen sie nur reden — dachten sie — wir wollen sehen, wer das Feld behauptet! — Mit dem Glück leuchtete nun auch dieses heroische Gefühl aus den Gesichtern und gab ihnen einen eigenen rührenden Ausdruck. Wer sie sah, der wußte, daß sie einig waren und daß man sie nicht mehr auseinanderbringen würde. Die einen schüttelten den Kopf, andere dagegen nahmen frohen Antheil. Ein stattlicher Bursche ging auf das Paar zu, klopfte Ludwig auf die Schulter und sagte: »Brav so! Laß dich nicht irre machen — der Alte muß nachgeben!« — »Ja, Bruderherz,« erwiederte der Entschlossene, »das muß er, ich kann ihm nicht helfen!«

Ludwig führte sich nun gerade am schönsten auf, er strampfte am geschicktesten nach dem Takt vor seiner Tänzerin, er sang Lieder vor, die sich auf ihr Verhältniß bezogen, darunter einige, die er offenbar selber gemacht hatte — er zog die allgemeine Bewunderung auf sich.

Nachdem sie genug getanzt hatten, nahmen die befreundeten Paare im einer kleinen Stube Platz und setzten sich zum reichlichen Mahle. Ludwig folgte seiner Mutter: er ließ etwas drauf gehen, und mehrere von den schönen Kronenthalern, die er erhalten hatte, um damit vor Eva zu prangen, blieben im goldenen Ochsen. Gegen eilf Uhr machten sie sich auf den Heimweg. Ludwig führte die Geliebte und Regine hielt Hans mit Fleiß etwas zurück, damit die beiden sich recht ausreden konnten. Die Nacht war so schön wie der Tag; der Mond, beinahe voll, schien hell in's Land, und silberne Nebel zogen sich über die Wiesgründe hin. So wanderten die Glücklichen in dem Feldweg fort, sich wieder und wieder betheuernd, wie lieb sie sich haben, wie glücklich sie seien und wie sie sich treu bleiben wollten bis in den Tod. Vor dem Hause des Bäckers nahmen sie Abschied, und nochmal sagte Ludwig an dem Halse der Geliebten: »Verlaß dich auf mich!«

[S. 39]


Den andern Morgen ersah Ludwig seine Zeit und ging entschlossen in die Stube, wo seine Eltern allein waren. Er trat vor seinen Vater und sagte: »Ich hab' etwas mit dir zu reden.« Der Alte machte ein grimmiges Gesicht, welches zeigte, daß ihm von dem gestrigen Thun des Sohnes bereits etwas zu Ohren gekommen war. »Das trifft sich gut,« erwiederte er, »ich hab' auch etwas mit dir zu reden.« Und indem er ihn mit verachtenden Blicken maß, fuhr er fort: »Nun sag mir, was ich mit dir anfangen soll! Du hast also wirklich alle Scham verloren? Während ich und deine Mutter glauben, daß du bei Leuten bist, die dir Ehre machen, verbankettirst du dein Geld mit einer —«

»Schimpf nicht!« fiel ihm Ludwig in die Rede; »die Annemarie ist das bravste und ordentlichste Mädchen! Und weils doch heraus muß, so sag ich dir jetzt: die und keine andere wird mein Weib! Ich hab' euch folgen wollen, ich hab' mir die größte Müh' gegeben; aber es geht nicht — ich kann ohne die Annemarie nicht leben! Und ich hab' ihr's gestern gesagt, und sie hat mir's gesagt, und wir haben uns versprochen vor Gott im Himmel, daß wir uns treu bleiben wollen, und wir halten unser Wort!«

Der Alte war erstarrt. Er hatte in der Geschichte auch jetzt noch nichts als eine ärgerliche Liebelei gesehen und fürchtete im schlimmsten Fall einen Ausgang, der den Buben in's Geschrei bringen und die Heirath mit Eva verderben konnte. Daß sein Sohn, der Sohn des Angerbauern, daran denken könnte, ein Mädchen wie Annemarie zum Weib zu verlangen, das hätte er sich nicht im Traum einfallen lassen. Er sah ihn ordentlich erschreckt an, wie einen plötzlich Tollgewordenen, und brachte mit Mühe die Worte heraus: »Was — willst du thun?« — Ludwig erwiederte mit entschlossenem und zugleich bittendem Tone: »Ich will die Annemarie heirathen, ich kann nicht anders, Vater!«

Der Angerbauer zuckte und seine Faust ballte sich. Noch hielt er die Wuth, die in ihm aufkochte, zurück, aber mit solcher Anstrengung, daß seine Glieder zitterten. Er fragte: »Wovon wollt ihr denn leben?« — Ludwig versetzte: »Die Annemarie ist nicht so arm, sie hat auch etwas, beinahe tausend Gulden, und mit dem, was ich kriege —« — »So?« sagte der Alte, »wer giebt dir denn etwas?« — »Nun,« versetzte Ludwig, »du würdest mir doch —« —

[S. 40]

Der Alte lachte mit bitterem Hohn. »Wie!« sagte er, »bildest du dir ein, daß ich Geld ausgebe, um eine solche Söhnerin zu bekommen? Bist du von Sinnen? Nicht einen Heller bekommst du von mir!«

»Laß ab, Ludwig!« rief die Mutter, die geängstet zur Seite gestanden hatte, »laß ab, um Gotteswillen! Er thut's nicht, er kann's nicht thun! Hast du denn allen Verstand verloren?« — »Nein,« versetzte Ludwig fest, »ich hab' meinen Verstand noch ganz, und ich laß nicht ab, denn ich hab's wohl überlegt, was ich thu'. Die Annemarie wird mein Weib, mag geschehen was da will — das ist meine letzte Rede!«

Nun war die Kraft, mit welcher der Angerbauer den Ausbruch seiner Wuth niedergehalten hatte, zu Ende. »Wie!« schrie er den kecken Sohn an, »du unterstehst dich mir zu trotzen? So weit treibst du die Unverschämtheit? Du nichtsnutziger Bursche! Du frecher Bube! Heirathen willst du sie? Eine Bettlerin? Du Dummkopf! Siehst du nicht, daß die schlechte Person nur nach deinem Geld angelt?«

Ludwig hatte die Schmähungen, die ihn betrafen, ruhig über sich ergehen lassen; aber bei den letzten Worten fuhr er auf. »Die Annemarie ist das rechtschaffenste Mädchen unter der Sonne! Wer anders sagt, ist ein Lügner!« — Der Alte erhob den Arm und that einen Schritt gegen den rebellischen Sohn, um ihn niederzuschmettern; aber die Mutter fuhr dazwischen. »Um's Himmelswillen,« rief sie dem Rasenden zu, »thu' das nicht! Siehst du nicht die Leute, die draußen stehen?« Der Vater ließ den Arm sinken, aber nur um den Sohn desto grimmiger mit Worten zu treffen.

Ich verzichte darauf, diese Scene weiter zu schildern. Der Zorn ist eine Art von Wahnsinn. Hat er einmal die Dämme der Vernunft und der Sitte durchbrochen, dann kennt sein Wüthen keine Grenzen mehr. Er will den Gegner vernichten und greift darum zu den gröbsten Schmähungen, weil sie die tödtlichsten sind. Der Zornige kann mit dem ehrlichsten Ingrimm und mit der wahrsten Empfindung Dinge sagen, deren Ungerechtigkeit er bei ruhigem Blute besser einsehen würde als irgend ein anderer. Nur die Ungerechtigkeit kann[S. 41] ihm genug thun, er lebt von ihr, er schwelgt in ihr. Die Worte, die dem Angerbauer angreifend und dem Sohn abwehrend an diesem Morgen noch in den Mund kamen, würden in dieser Darstellung keinen Platz finden. Noch einmal ging der Alte auf Ludwig los, um ihn niederzuschlagen; noch einmal trat die Mutter dazwischen und hielt ihm den Arm. Endlich rief er mit schäumendem Munde: »Fort, fort! Aus meinem Hause! Du bist mein Sohn nicht mehr! Fort!« Und Ludwig versetzte: »Sorg' nicht, ich geh', und nie wirst du mich wieder sehen!« Er öffnete die Thüre und ging hinaus. Die Mutter wollte ihm nach, aber der Angerbauer hielt sie mit eisernem Arm. »Laß ihn, er soll fort und mir nie wieder unter's Angesicht kommen!«

In einer Art von heroischer Trunkenheit ging Ludwig in seine Kammer, packte die nothwendigsten Kleidungsstücke in ein Tuch und wanderte mit dem Bündel durch den Garten auf's Feld hinaus. Es war ihm ordentlich wohl zu Muthe. Er wollte sich an seinem Vater rächen, und er wußte, wie er das konnte. Gestern hatte er zufällig gehört, daß ein weitläuftiger Anverwandter im untern Ries einen Knecht brauche. Zu dem wollte er gehen und sich bei ihm verdingen. Er wollte als Knecht dienen, zur Schande seines reichen Vaters, und so lange aushalten, bis dieser ihn selber bäte wieder zu ihm zu kommen und — Annemarie zu heirathen. Dieser wollte er schreiben, ihr ausführlich berichten, wie tapfer er sich gehalten und dadurch gewiß alles wieder gut gemacht habe. Er fühlte sich recht als Mann und war mit sich und beinahe auch mit seinem Schicksal zufrieden.

Das Dorf, in welches er zu wandern gedachte, war etwa drei Stunden entfernt. Auf dem Feldweg, den er zunächst einschlug, begegneten ihm mehrere Leute, die ihn verwundert anschauten, zuletzt auch sein Bruder Andres, der ihn fragte, wo er hingehe. »Fort, in die weite Welt,« rief ihm Ludwig zu. — »Wie soll ich das verstehen?« fragte Andres. — »Der Vater braucht mich nicht mehr: geh' heim und sag ihm, wo du mich getroffen hast!« Und fort eilte er. Andres ging etwas rascher nach Hause als er sonst gethan hätte, und richtete den Auftrag aus. Der Mutter traten auf's neue die Thränen in die Augen; der Alte aber rief: »Mag er laufen, wohin er will, der[S. 42] nichtsnutzige Bursche! — Ich werde nicht nach ihm schicken!« Der ruhige Andres ging zur Mutter und sagte tröstend: »Er wird schon wieder kommen.«

Nach einer heißen Wanderung langte Ludwig im Hofe des Vetters an. Er unterdrückte das Schamgefühl, das ihn anwandelte, und trat äußerlich entschlossen, aber doch mit der Schüchternheit eines Menschen, der sich anträgt, in die Stube. Der Bauer, ein gesundhagerer, sonnverbrannter Mann mit angehenden grauen Haaren, war allein da und rief auf den Gruß des Ankömmlings: »Ludwig! Sieh da! Was führt dich zu uns?« Auf das Bündel blickend, setzte er hinzu: »Bringst du mir etwas?« — »Kann sein,« erwiederte Ludwig. »Ihr braucht einen Knecht?« — »Ja wohl. Weißt du mir einen?« — »Ich weiß einen.« — »Nun?« — »Ich bin's selber.« — »Du? Mach keinen Spaß!« — »Ich mach keinen Spaß, Vetter, sondern sag' Euch die reine Wahrheit.« Und er erzählte ihm das Vorgefallne.

Um den Mund des Schmiedbauern (so hieß der Mann vom Hofe) spielte ein behaglich schadenfrohes Lächeln. Er war einer von denen, die sich für besonders gescheidt halten und denen es höchst fatal ist, wenn sie Einen treffen, der noch mehr Verstand zu haben glaubt als sie. Diesen Verdruß hatte dem Schmiedbauern zu verschiedenen Malen der Angerbauer gemacht, indem er ihm zu Nördlingen, wenn sie nach einer »guten Schranne« beim Bier saßen, keine seiner kühneren Behauptungen durchgehen ließ und ihm hie und da sogar übers Maul fuhr. Den Sohn dieses stolzen und hoffärtigen Mannes nun als Knecht im Hause zu haben und dem Alten gelegentlich einmal vor den Leuten sagen zu können, wie er sich mache, war für ihn ein köstlicher Gedanke. Er beschloß Ludwig zu dingen. Zu seiner Beruhigung sagte er sich: »Wenn ich ihn nicht nehme, geht er vielleicht nach Augsburg, um sich als Hausknecht zu verdingen, oder unter die Soldaten, oder Gott weiß wohin, so daß man ihn am Ende gar nicht mehr findet. Bei mir aber lebt er in der Nähe und kann am ersten wieder zur Vernunft gebracht werden.«

»Ei, ei, ei, ei!« rief er endlich aus, indem er vergnügt den Kopf schüttelte, »was sind das für Sachen! — Nun,« fuhr er nach einer Weile fort, indem er sich zusammennahm und die Miene des Vetters[S. 43] allmählig in die des Herrn übergehen ließ, »wenn du's nicht anders haben willst, so will ich dir nicht entgegen sein. Du sollst mein Handknecht werden und so viel Lohn haben, wie der vorige. Aber eins muß ich dir sagen: ich ding dich nicht zum Spaß. Ich brauch einen Knecht, der ordentlich schafft und nichts vor andern voraus haben will.« — Ludwig versetzte etwas empfindlich: »Ich schaff wie ein anderer und verlang nichts als was mir gehört.« — »Nun, mit dem Beding sind wir Handels eins.«

Michel, des Schmiedbauern einziger Sohn, ungefähr in gleichem Alter mit Ludwig, kam in die Stube und grüßte den Vetter überrascht und freundlich. »Was sagst du dazu,« redete der Alte ihn heiter an, »daß Ludwig unser Handknecht wird?« — »Was nicht noch?« versetzte Michel ungläubig. Der Alte erklärte ihm den Handel, worauf der Haussohn den neuen Knecht mit einem schelmischen und selbstzufriedenen Lächeln betrachtete. Man sah ihm an, daß plötzlich das Gefühl des Höherstehenden in ihn gefahren war. Er eilte in die Küche, um seiner Schwester Madlene, welche seit dem Tode der Bäuerin die Wirthschaft führte, die Neuigkeit mitzutheilen. Als Madlene mit dem Nachmittagskaffee in die Stube trat, grüßte sie den Vetter nur obenhin und mit etwas verzogenem Mäulchen; sie konnte einen Burschen nicht begreifen, der wegen eines geringen Mädchens sich so herabzuwürdigen vermochte. Der Alte sagte zu Ludwig: »Setz dich zu uns; heute kannst du noch mit uns Kaffee trinken. Später freilich —« — »Ich dank' schön,« erwiederte Ludwig rasch, »mich dürstets, ich trink Wasser lieber.« — »Das kannst du dir draußen am Brunnen selber pumpen,« sagte der Alte, vergnügt über die Empfindlichkeit des jungen Burschen, »und trinke so viel als dir schmeckt.« — Die Familie setzte sich im Kanzlei zum Kaffee. Ludwig verließ die Stube, ging zum Brunnen, trank tüchtig und nahm sich vor, muthig auszuhalten und alles was sein neuer Stand natürlicherweise Beschwerliches hatte, mit Geduld zu ertragen.

Nach zwei Tagen wurde an Annemarie von einem Hausirer ein Brief abgegeben, worin der Liebende berichtete, was uns bekannt ist. Der Schluß lautete: »Es geht mir hier recht gut. Ich muß tüchtig[S. 44] arbeiten, aber das ist mir lieb. Bleib mir nur treu wie ich dir und alles, was geschehen ist, wird zu unserm Glück sein.«

Das gute Mädchen hatte eine seltsam gemischte Empfindung. Die standhafte Treue, die Ludwig bewiesen, erfreute und rührte sie inniglich; aber der Gedanke, daß sie an der Uneinigkeit einer solchen Familie Schuld sein sollte, fiel ihr schwer auf's Herz. Sie ergab sich für jetzt in ihr Geschick und tröstete sich mit der Hoffnung, daß der Himmel zwei so treu liebenden Herzen zuletzt doch aus ihrer Noth helfen werde.

Im Dorf hatte natürlich das Davongehen Ludwigs den größten Rumor gemacht, und die beiden Tage lang wurde in den Häusern und auf dem Felde, beim Bier und Nachts auf der Gasse von nichts anderem gesprochen. Alle die gegen die Familie des Angerbauers etwas hatten oder sie beneideten, thaten sich von Herzen gütlich und sorgten dafür, daß die Geschichte mit gehörigen Zusätzen weiter verbreitet wurde.

Unser junger Freund Theodor brachte die Nachricht mit einem gewissen Selbstbewußtsein dem Großvater, indem er ausrief: »Hab' ich's nicht gesagt?« Der alte Pfarrer sah ihn freundlich an und sagte: »Ja, du bist ein ganzer Mann und großer Prophet!« Theodor machte ein etwas verdutztes Gesicht; seine Erwartung, ein mit seinen Gefühlen sympathisirendes »schrecklich! was es doch für Menschen giebt« etc. zu hören, war auf's neue getäuscht. Dieselbe Erfahrung machte er, als er die Kunde brachte, daß Ludwig sich als Knecht verdingt habe. »So?« sagte der alte Herr, »ist die Nachricht gewiß?« — »Ich habe sie von einem Hausirer, der Ludwig selber gesehen hat,« erwiederte Theodor. Und ihn ansehend, fragte er: »Was soll nun geschehen? was willst du thun?« — »Wir wollen ihn dienen lassen,« antwortete der Pfarrer und begab sich in seine Studierstube. Theodor sah ihm kopfschüttelnd nach; bei dieser Gelegenheit konnte er seinen Großvater nicht begreifen.


Das Leben des Bauern hat dadurch einen besonderen Reiz, daß seine Thätigkeit an das Leben der Natur gebunden ist und seine Arbeiten in Folge davon sehr mannigfaltig sind. Im Frühling wird beim Singen der Lerchen das dampfende Feld gepflügt und besät[S. 45] und auf den Wiesen die Streu — die rein gewaschenen Ueberbleibsel des Strohdüngers — zusammengerecht. Gemüse- und Baumgarten erhalten ihre Pflege. In den Sommer und einen Theil des Herbstes fallen die Ernten des Heus, des Winter- und Sommerkorns, des Grummets (im Ries »Ohmad« genannt), des Flachses, Hanfs, der »Erdbirn«, der Rüben und des Krautes, die alle gar verschiedene Fertigkeiten in Anspruch nehmen und insbesondere dem rüstigen Burschen Gelegenheit geben, sich als »Mahder« (Mäher), Schnitter, Garbenbinder, Wagenlader und Pferdelenker auszuzeichnen. Die Einsammlung geschieht in fröhlicher Gesellschaft, die Familienglieder, Knechte und Mägde helfen zusammen und erleichtern sich die Arbeit durch lustige Reden; denn gewöhnlich fehlt in einem Hause weder ein humoristischer Bursche, der Spaß macht, noch eine gemüthlich einfältige oder unbewußt drollige Person, die ihm dazu den hauptsächlichsten Anlaß giebt. Die Hausfrau schickt zu rechter Zeit Speise und Trank auf's Feld und bewirthet die Arbeiter zum Schluß der großen Ernten festlich mit »Schneckennudeln« oder »Küchlein;« mit den verschiedenen Arbeiten sind auch verschiedene herkömmliche Ergötzungen verbunden. — Ackern und Pflanzen hat sich von Zeit zu Zeit wiederholt, bis zuletzt noch die Wintersaat bestellt wird. Der Herbst und der Winter bringen das Dreschen, für die Frauen und Mädchen das Spinnen, womit in wohlgeheizter, schneeumflogener Stube unter dem Hinzutritt unterhaltender Bursche die langen Abende ausgefüllt werden. Durch alle Jahreszeiten hindurch erfordert die Viehzucht, die Besorgung der Rosse, des Rind- und Federviehs, der Schafe und der Schweine besondere Arbeiten und Geschicklichkeiten. Dann ist der Bauer auch Fuhrmann und Handelsmann. Er fährt in Waldungen (im Ries oft in ziemlich entfernte), um Holz zu holen, er fährt sein Korn zur Schranne, er fährt die Seinen und für Geld oder gute Worte auch Andere zu näheren und weiteren Besuchen. Er verkauft, kauft und tauscht, und verbringt auf Märkten, den Reiz der Handelschaft genießend, keine geringe Zeit. Er wird endlich verlockt und genöthigt, in verschiedene Künste zu pfuschen und sich mit allerlei Werkzeugen bei kleinen Verlegenheiten selber zu helfen.

Natürlich sind die Arbeiten ausgetheilt und an Einen kommen[S. 46] nicht alle Arten; doch ist es nicht möglich, jeden einzelnen streng in seinem Kreise zu lassen, und immer bleibt für ihn noch eine Mannigfaltigkeit übrig, durch die er sich von dem Handwerker und zumal von dem Fabrikarbeiter zu seinem Vortheil unterscheidet. Auch der Knecht hat eine erfrischende Abwechselung von Beschäftigungen, und wenn er die hauptsächlichsten Arbeiten vom Ausbund versteht und ein »rechter Schaffer« ist, so kann er sich fühlen und genießt eines rühmlichen Namens.

Jede Existenz in der Welt hat indeß ihre Kehrseite. Unter den mannigfaltigen Geschäften sind solche, die weder sehr leicht, noch sehr reinlich genannt werden können. In glühender Hitze Korn schneiden, ist eine Arbeit, ergötzlicher anzusehen, als selber zu thun, indem das stets wiederholte Hinabkrümmen des Oberleibes zur Erde eine sehr unbehagliche Empfindung im Rücken zur Folge hat. In kalter Winterzeit Morgens um vier aufstehen und beim düstern Schein einer Laterne dreschen zu müssen, würde ebenfalls für Viele nichts Einladendes haben. Den Acker zu bestellen, wenn es tüchtig geregnet hat, bringt mit der Mutter Erde in eine Berührung, die man weniger innig wünscht. Indem der Bauer die extremen Aeußerungen der Natur nicht so zu dämpfen vermag, wie der Städter, und nicht auf gebahnte, sondern auf Wege gewiesen ist, die meist noch in ursprünglicher Schlechtigkeit vorhanden sind, kann er die Eigenthümlichkeit eines »wüsten Wetters« von Grund aus genießen. In der Erntezeit gefällt sich die Natur zuweilen, den Fleißigen zu necken, indem sie die getrocknete Frucht durch einen gehörigen Regen netzt, um neues Umwenden nöthig zu machen, und dieses Manöver so lange wiederholt, bis zuletzt auch dem Gutmüthigsten der Geduldfaden reißt.

Wie jeder weiß, spielt die größte Rolle in der Landwirthschaft der Dünger oder Mist. Denselben in gehöriger Fülle und Fettigkeit zu erzeugen, ist die Hauptsorge des umsichtigen Bauers. Und wo dieser wundersam nährende Stoff hinkommt, da wächst das Gras, da blühen die Blumen, da grünt das Korn und sprießt in die Höhe — da steht die Poesie der Landwirthschaft vor unsern Augen. Kein Wunder, daß der Hofbesitzer mit besonderem Stolz auf seinen Misthaufen sieht und über diesen Gegenstand mit Begeisterung zu reden[S. 47] vermag. Wenn aber die segensreichen Wirkungen dieses Stoffes jeder zugiebt, so ist es doch weniger erfreulich, sich mit demselben unmittelbar zu befassen. Ihn auf einem dazu bestimmten Karren vom Stalle zum Haufen zu fördern, ihn, von Jauche getränkt, auf einen Wagen zu laden und festzupatschen, ihn auf Aecker und Wiesen zu führen und dort herumzubreiten, ist eine Arbeit, welche gern zu thun eine besondere Liebhaberei erforderlich ist.

Natürlich geht es hier wie überall. Die Berufspflicht und die Gewohnheit versöhnen mit Beschwerlichkeiten, die andern groß, ja unerträglich erscheinen. Wer es gewohnt ist, der singt und pfeift bei der genannten Arbeit und ist auf keine Weise davon belästigt, da sie, genau genommen, in der freien Landluft auch weniger Uebelstände mit sich führt, als Unkundige sich vorstellen mögen. Wer sie aber nicht gewohnt ist und sich überdies zu gut dafür hält, den muß sie freilich sehr hart ankommen.

Die Geduld unseres verlorenen Sohnes wurde auf eine schwere Probe gestellt, als die mühseligen und für ihn demüthigenden Arbeiten nach einander anrückten. Er hatte zwar alle Bauernarbeiten gelernt, die beschwerlichen und unreinlichen aber seinen Knechten überlassen, und für das, was die übrigen noch Lästiges mit sich führten wurde der Liebling der Mutter reichlich entschädigt. Nun mußte er sich nicht nur zu einer jeden hergeben, er mußte sie, seiner eigenthümlichen Lage und seinem Versprechen gemäß, auch mit besonderem Fleiß und Eifer verrichten und den andern mit gutem Beispiel vorangehen.

Dies war indeß noch nicht das Schlimmste. Als Handknecht stand er unter dem Befehl des Bauern und seiner zwei Kinder, in gewissem Sinn auch unter dem des Oberknechts. Dieser war zufällig ein brummiger Kerl und machte seine Rechte um so mehr geltend, als er beinahe das doppelte Alter Ludwigs hatte. Wenn es nun hieß: »Komm her! — thu' mir das! — hol' mir jenes!« so mußte der arme Bursche laufen, die Ausrufungen der Ungeduld anhören und Tadel hinnehmen, auch wo er ihn nicht verdiente, sondern wo der Befehlende nur zeigen wollte, daß er sich das Ausgeführte noch besser denken konnte. Seine Herkunft und seine Vetterschaft nützten[S. 48] ihm dabei gar nichts. Der Schmiedbauer hatte seinen Kindern den Plan mitgetheilt, den er in Bezug auf Ludwig befolgen wollte und der so sehr mit seiner Herzensneigung übereinstimmte; die würdigen Sprossen fanden ihn gut und handelten treulich darnach, Michel, um sich einen übermüthigen Spaß zu machen, Madlene, um die Genossenschaft der Bauerntöchter an ihrem Beleidiger zu rächen. Der Oberknecht, der in frühern Diensten von reichen Bauern gehunzt worden war, benutzte die Gelegenheit, bei dem Sohn eines solchen es wieder hereinzubringen. Er that nicht nur so viel als er konnte, sondern mehr als er durfte, und Ludwig, der nicht rechten wollte und überhaupt einmal in der Selbstverläugnung begriffen war, ließ sich möglichst viel gefallen.

Tief in der menschlichen Natur liegt der nicht sehr lobenswerthe Trieb, die Gutmüthigkeit zu necken, die Hülflosigkeit zu mißbrauchen und dem, der den Schaden hat, auch noch den Spott in den Kauf zu geben. Sogar bessere Menschen können dem Reiz dazu nicht widerstehen, wenn der Schaden nicht zu arg ist und der Betroffene ihn zu verdienen scheint. Als Ludwig einmal den Roßstall säuberte und durch etliche Karrenfuhren den Düngerhaufen vergrößerte, kam eben Michel herbei. Er konnte sich nicht enthalten, lächelnd stehen zu bleiben und dem Burschen zuzurufen: »Du kannst ja misten, Ludwig, als ob du nie etwas anderes getrieben hättest!« Dann ging er zum Stall, schaute hinein und rief aus: »Sapperment, hast du sauber gemacht! du bist ein Handknecht, wie wir keinen bessern hätten kriegen können!« Ludwig erröthete und schwieg; er fühlte, daß er den Spott entweder hinnehmen oder in einer Weise beantworten mußte, die zum Bruch führte. Michel trollte selbstzufrieden seiner Wege. Da er nicht sehr erfindsam war, so wiederholte er diese Anrede mit geringen Variationen auch bei andern Arbeiten, und sein Vater stand ihm mit ähnlichen Späßen bei, so daß Ludwig sich mehrmals nur mit größter Mühe enthielt, den Spöttern ein paar tüchtige Ohrfeigen zu langen. Der Oberknecht brach die Gelegenheit vom Zaun, auf ein verzogenes Muttersöhnchen zu schelten und dem Untergebenen zu sagen: mit ihm sei wenig ausgerichtet und er könnte nichts Besseres thun, als wieder zu seinem Vater heimgehen. Am unbarmherzigsten fuhr aber den[S. 49] Unglücklichen Madlene an, wenn er nach ihrer Meinung etwas nicht recht gemacht hatte. Sie zeigte offenbar den meisten Eifer, den Sünder zu bessern. Wenn dann Michel scherzend zu ihr sagte: »Hör einmal, du machst's ihm doch zu arg,« so wurde sie roth und erwiederte: »Was da! es gehört ihm nicht besser!«

Das Essen, das Ludwig erhielt, stand mit den Arbeiten, die er verrichten mußte, nicht im Verhältniß, oder wenn man will, es stand damit im Verhältniß; denn in der Regel bekommt ja doch gerade der, welcher die sauersten Arbeiten thun muß, die magerste oder wenigstens die gröbste Kost. Im Hause des Schmiedbauern, der sich keineswegs durch Freigebigkeit auszeichnete, erhielten die Ehehalten Wassersuppe, sehr einfach bereitete Gemüse in möglichst geringer Abwechselung, grobe Mehlspeisen und allenfalls Speck und Salzfleisch, das vor Alter grün und gelb geworden. Die andern, die es nicht besser gewohnt waren, verschluckten solche Kostbarkeiten mit stets lebhaftem Appetit, der Bauernsohn mußte sich aber, wie man zu sagen pflegt, »einen Zorn einbilden,« um sie hinunter zu bringen. Da seine Mutter sich besonders als Köchin auszeichnete, so war er mehr verwöhnt als andere seines Gleichen: Fleischbrühsuppe, gutes Ochsenfleisch, schmackhafte Gemüse, Eierspeisen und an festlichen Tagen Braten, das war es, was er zu genießen pflegte. Nun mußte er die rohe Kost essen und dabei sehen, wie die Herrlichkeiten, die ihm die Mutter früher mit aufmunternden Worten vorgesetzt, von Madlene in's Kanzlei getragen und dort unter fröhlichem Diskurs verspeist wurden.

In der ersten Zeit erduldete er alle diese Unbilden mit großer Standhaftigkeit. Vor allem hielt ihn sein Trotz oben und er dachte wirklich mit jenem Jungen, der aus Mangel an Handschuhen die Finger erfror: es geschieht meinem Vater ganz recht, warum hat er mich aus dem Hause getrieben? Viel mehr aber stärkte und erhob ihn die Liebe und das Bewußtsein, wie mannhaft er seine Treue bewähre und wie viel er um der Geliebten willen ertrage. Wenn sie mich jetzt sähe, dachte er, wie viel ich mir gefallen lasse um ihretwillen, ein Mensch wie ich bin, es würde ihr gewiß an's Herz gehen! Wenige Tage nach Absendung seines Briefes war von Annemarie[S. 50] eine Antwort gekommen, ein liebliches Echo seiner Gedanken und Versicherungen. Das Vorgefallene beklagend, sprach sie dem, der ihr Muth zugesprochen, wieder Muth zu und schloß mit der sichern Hoffnung auf eine endliche glückliche Wiedervereinigung. Ludwig freute sich innig, von der Geliebten zu hören, was er ihr selber geschrieben hatte. Er malte sich aus, wie es ihnen wohl noch gehen und unter welchen glorreichen Umständen sie wieder zusammen kommen möchten; und solche Gedanken machten ihn allerdings hie und da bei der Arbeit etwas zerstreut und ließen ihn kleine Fehlgriffe begehen, auf welche sich seine Tadler mit einigem Recht berufen konnten.

Wenn Ludwig mehr innerlichen Lebens fähig war als viele seines Gleichen, so war er doch kein Mann der Einbildungskraft von Profession und keineswegs bestimmt, sich durch bloße Vorstellungen über den Verlust reeller Güter trösten zu lassen. Die Wirklichkeit riß ihn oft sehr grob aus seinen Träumen, diese verloren überhaupt nach und nach ihre Kraft, und er fühlte die Erniedrigung seiner Lage, so wie die Klemme, in der er steckte, doppelt und dreifach. Im Hause des Schmiedbauern und im Dorfe fand er keinen Trost. Seinen Mitehehalten blieb er fremd. Ein dritter Knecht und die Mägde hatten ihn zuerst mit einer gewissen Rücksicht behandelt, weil sie glaubten, sein Vater würde bald kommen und ihn abholen. Als das aber nicht geschah und Ludwig still fortarbeitete, verlor sich ihr Respekt; sie nahmen ihn für einen wirklichen verlorenen Sohn und für ihres Gleichen. Wenn er gewollt hätte, so würde ihm sein »feines Gesicht« bei den Mägden gutes Spiel bereitet haben. Die ältere, eine passabel hübsche Dirne, glaubte, so viel wie eine Zimmermannstochter könne sie auch noch vorstellen, und schickte dem Traurigen theilnehmend süße Blicke zu; da er aber nicht in der gewünschten Art darauf antwortete, so erklärte sie ihn für einen Hansnarren und wurde um so »schnötziger« gegen ihn. — Nicht viel besser erging es ihm mit den übrigen jungen Leuten des Dorfes. Es hätte sich unter ihnen wohl ein Kamerad gefunden, wenn er ihn gesucht hätte. Allein eine stolze Scheu hielt ihn zurück und man ließ ihn gehen. Zuerst hatte sein Auftreten als Knecht ein mächtiges Gerede veranlaßt; man begaffte ihn, schüttelte den Kopf und einzelne erlaubten sich mit ihm zu scherzen[S. 51] und ihm zuzurufen, daß sein Dienen nicht lange dauern werde. Nach und nach gewöhnte man sich an seine Stellung und es kam ihm endlich vor, als ob die Leute sie ganz im der Ordnung fänden. Das ärgerte und verletzte ihn noch am meisten. Durch die Tagesarbeit tüchtig ermüdet, suchte er früh das Bett, gegen dessen Reinlichkeit er sonst sehr viel einzuwenden gehabt hätte, und wenn er nicht süß träumte, so schlief er wenigstens.

Als er in der vierten Woche seinen Zustand und sich selber in's Auge faßte, fand er den Geldbeutel leer, den einzigen Anzug den er mitgenommen, abgerissen, seine Hände viel schwieliger und sein Gesicht viel verbrannter als vorher. Er mußte sich sagen, daß es doch seine großen Bedenken habe, mit seinen Eltern zu brechen und sich ohne ihre Hülfe von seiner Hände Arbeit zu ernähren. Es kam ihm vor, als ob er gegen den Vater vielleicht etwas weniger hitzig hätte sein können; allein diesen Gedanken verwarf er gleich wieder und sagte: »Nein, so hab' ich handeln müssen!«

Die Sehnsucht, die Geliebte zu sehen, war unterdessen höher und höher gewachsen. Er konnte ihr zuletzt nicht länger widerstehen und schrieb ein Briefchen, worin er Annemarie bat, am nächsten Sonntag Nachmittag um vier Uhr nach Nördlingen in einen vor dem Reimlinger Thor gelegenen Wirthsgarten zu kommen, er müsse sie wieder einmal sehen und mit ihr reden. Dann ging er zum Bauern und bat ihn um drei Gulden von seinem Lohn. Der Schmiedbauer benutzte die Gelegenheit, ihm zu bemerken, daß er sich doch besser gemacht habe, als er anfänglich geglaubt, und wenn er sich nur das viele Sinniren abgewöhnen könnte, so würde er mit der Zeit ein ganzer Knecht werden. Nach dieser Anerkennung schloß er ein Wandschränkchen auf, nahm eine wohlgetrocknete, mit Geld gefüllte Schweinsblase oder »Blotter« heraus und zählte dem Burschen im kleiner Münze drei Gulden vor, indem er ihn ermahnte, damit hauszuhalten, da er jetzt nicht gleich wieder mit Geld herausrücken würde. Ludwig, von dieser Rede hinwegsehend, empfand ein ungewohntes Vergnügen, als er das selbstverdiente Geld in der Hand hatte, und sein Muth stieg bedeutend. Er beschloß, einen Gulden auf Ausbesserung[S. 52] seiner Kleider zu verwenden, mit den beiden andern aber, wenn's nöthig wäre, seine Geliebte zu regaliren wie ehedem.

Im Hause des Angerbauers ging indeß das alte Leben ohne Ludwig still weiter. Das Geschwätz im Dorf, das Staunen, Vermuthen und Lügen über diesen Gegenstand hatte, wenn nicht aufgehört, doch nachgelassen, und schadenfrohe wie theilnehmende Freunde ließen die Familie mit ihren Fragen und den Versicherungen ihres Bedauerns so ziemlich in Ruhe. Der Angerbauer hatte dafür gesorgt, daß er für seine Person ganz unangefochten blieb, indem er ein paar vorwitzige Frager auf eine Weise abfertigte, daß sie ihm über die Grobheit ordentlich erstarrt nachschauten und ihren Bekannten den Rath ertheilten, ihn gehen zu lassen, sie wären verflucht heimgeschickt worden. Sonst hatte er die würdige Ruhe wieder angenommen, die ihn auszeichnete, und nur ein größerer Ernst und eine gewisse Freudlosigkeit in seinen Zügen deuteten auf den Vorfall. Die Arbeiten der Heuernte — des »Heuets« oder rieserisch »Häats« — zogen ihn von seinen Gedanken ab, und da es Heu in Fülle gab, wurde er sogar wieder ein wenig aufgeheitert. Es hatte den Anschein, als ob er das abgefallene Glied der Familie ohne Umstände liegen lassen und seinen Weg fortsetzen wollte, als hätte es nie existirt. Er verbot den Seinen, mit Einschluß des Schwiegersohns, auf's strengste, dem Ungerathenen Botschaft zu thun oder ihm gar Geld zu schicken, und da alle seinen Zorn fürchteten und dem Entlaufenen mehr oder weniger zürnten, so gehorchten sie ihm. Die Mutter wagte nur, sich durch eine Freundin nach ihrem Ludwig erkundigen zu lassen, wie's ihm gehe.

Ein Makel haftete indeß an der Familie des Bauers, wie er, so weit seine Kenntniß reichte, nie in derselben vorgekommen. Wenn er unter die Leute ging, so drohten ihm wenigstens Anspielungen, die ihn beschämten und quälten. Er mußte Gesichter sehen, die viel kränkender durch ein Lächeln ausdrückten, was der Mund nicht zu sagen wagte. Das stolze Dasein des reichen Mannes war ein gespanntes, verkümmertes geworden; seine Zufriedenheit, die so sehr auf der Geltung seiner Familie bei andern beruhte, war dahin. In der ruhigeren Zeit, die nach dem Heuet eintrat, stellte sich ihm wieder alles recht vor die Seele. Er bedachte, wie verständig sein Sohn[S. 53] sich immer aufgeführt, er konnte nicht begreifen, wie er es vermochte, eine solche Schande über die Familie zu bringen, und der Gedanke, daß Annemarie ihn in eigennütziger Absicht verführt, daß sie eine schlaue Dirne sei, die sich nur so brav anstellen könne und die Leute bisher getäuscht habe, drängte sich ihm in neuer Stärke auf. »Er kann sich nicht so mir nichts dir nichts geändert haben,« sagte er dann zu sich, »es muß etwas Besonderes dahinter stecken.« In einem frühern Jahrhundert hätte er das Mädchen vielleicht für eine Hexe ausgegeben und sie durch einen Proceß verfolgt; jetzt glaubte er wenigstens, daß sie alle natürlichen Mittel eines listigen, zu seinem Unglück schönen Weibsbildes angewendet hätte, um seinen gutmüthigen Ludwig zu bethören. Dafür schienen ihm namentlich auch die geheimen Zusammenkünfte zu sprechen, von denen ihm die Mutter gesagt hatte. Er dachte sich wie es gegangen sein könnte, und nachdem er sich's recht deutlich vorgestellt hatte, zweifelte er nicht länger, daß es wirklich so gewesen. Als er seine Gedanken der Ehehälfte mittheilte, trat diese — froh die eigentliche Schuld von ihrem Sohne genommen zu sehen — eifrig seiner Meinung bei. »Ja ja,« sagte sie, »so wird's sein. Sie macht zwar eine Miene, als ob sie die Beste und Frömmste im Dorf wäre; aber stille Wasser gründen tief. Solche Verführerinnen sind gerade die schlimmsten, und nur so eine konnte den Ludwig so weit bringen!« In der stillen Hoffnung, daß der Sohn nach kurzer Zeit doch wieder zu ihnen kommen würde, getäuscht und über seinen fortdauernden Trotz aufgebracht, entlud sich das Ehepaar nun seines Verdrusses und Zorns nach der Seite des Mädchens. Sie habe das Unglück angestiftet, das über die Familie gekommen; von ihr sei's ausgegangen, das wüßten sie nun gewiß, und was jetzt noch Schlimmes daraus entstehen würde, das hätte man ihr zu danken. Sie sei eine Scheinheilige, die's hinter den Ohren habe und vor der man jeden jungen Menschen von Vermögen warnen müsse. Solche Dinge sagte man zu den Vertrauten; diese sagten es hernach wieder ihren Vertrauten, und in zwei Tagen war das ganze Dorf davon erfüllt. Man erzählte sich, daß die Angerbäuerin ihrer Freundin im obern Dorf weinend geklagt habe, welcher Jammer durch[S. 54] dieses fremde Mädchen über sie gekommen und wie sie verzweifeln müsse, wenn sie ihren Ludwig nicht wieder sähe.

Annemarie hatte seit dem Tage, wo sie den Brief des Geliebten erhalten und beantwortet, entsagend weiter gelebt und die Geschäfte des Tages verrichtet. Man sah, daß etwas auf ihr lastete, aber auch, daß sie entschlossen war, die Last zu tragen. Der alte Bäcker hielt ihr einmal vor, welch schlimme Folgen ihre Bekanntschaft mit dem Ludwig gehabt habe, und wie grausam unlieb ihm diese Geschichte sei. »Vetter,« erwiederte das Mädchen mit bescheidenem, aber festem Ton, »ich weiß, was ich Euch schuldig bin, und ich vergeß' es nicht, darauf verlaßt Euch; aber in der Sache handle ich, wie ich's vor meinem Gewissen verantworten kann, und ich bitt' Euch, redet mir nicht weiter davon.« Der gutmüthige Vormund, von dem Ernst ihres Tones betroffen, versetzte: »Nun meinetwegen! Aber nimm dann auch die Folgen auf dich!« Seit dieser Zeit hatte sie Ruhe vor Einreden von dieser Seite, und sonstiges Geklatsch war ihr gleichgültig.

Als die Vorwürfe, welche die Familie des Angerbauers ihr machte, an sie kamen, wurde diese Festigkeit doch erschüttert. Eine Freundin sagte ihr, welch eine Traurigkeit in jenem Hause sei, nun man sehe, daß Ludwig es ernst gemeint habe mit seiner Rede vom Nichtwiederkommen. Regine erzählte nach gehöriger Einleitung, daß man sie eine Verführerin heiße, die nach einem reichen Manne gefischt habe und an allem Unglück Schuld sei. Bei dieser zweiten Meldung goß sich eine Röthe über das Gesicht des Mädchens und ihr Mund verzog sich zu dem Ausdruck stolzer Verachtung. Bald aber faßte sie sich wieder und sagte mit traurig ergebenem Ton: »Diese Leute dauern mich. Wenn sie solche Dinge über mich ausdenken, so wackre Leute wie sie sind, dann müssen sie wirklich unglücklich sein.« — Sie wurde durch diese neue Erfahrung in eine seltsame Aufregung versetzt. Es that ihr weh, daß sie eine Uneinigkeit zwischen Eltern und Sohn gestiftet haben solle, deren Ende nicht abzusehen war. Dann aber sagte sie sich: »Diese Leute sehen also die Heirath zwischen mir und Ludwig für eine solche Schande an, daß sie lieber unglücklich sein wollen, als sie zugeben! Sie heißen mich[S. 55] ein schlechtes Mädchen und sagen Lügen über mich; sie halten es also in gar keiner Art für mich möglich, daß ich einmal ihre Schwiegertochter werden könnte!« Ein Gedanke durchzuckte sie, sie stand auf und that einige Schritte. Plötzlich hielt sie an; eine Erwägung hatte sich dem Vorsatz entgegengestellt, sie ging still wieder zu einer Arbeit. — Ihre Seele war von da an eine Beute des Zweifels. Man sah sie in Unruhe umhergehen oder tief in Gedanken stehen. Regine überraschte sie einmal, wie sie bittere Thränen weinte.

Die einzige Person unserer Bekanntschaft, welche bei dieser Verwicklung ihre Ruhe behielt, war der Pfarrer. Diese Ruhe war jedoch gegründet auf wahre Theilnahme und auf den Entschluß, das zu unterstützen, was er für das Bessere hielt. Noch hatte er sich nicht entschieden, wie er eingreifen sollte. Aber er unterrichtete sich fortwährend über die Lage der Dinge und lebte des festen Glaubens, seine Pflicht werde sich ihm deutlich vor Augen stellen, so daß er über sie und über die Art ihrer Erfüllung nicht mehr in Zweifel sein könnte.

Eines Morgens überdachte er eben diese Dinge, als an die Thüre seines hellen, im obern Stocke gelegenen Studierzimmers geklopft wurde. Auf sein »Herein« erschien Annemarie. Sie sah angegriffen aus wie wenn sie wenig geschlafen und viel quälende Gedanken gehabt hätte; aber in ihrem ganzen Wesen drückte sich die Ruhe eines gefaßten Entschlusses aus. Nachdem sie mit ernster Anmuth einen Knix gemacht und den Morgengruß gesprochen hatte, sagte sie: »Ich hätt' was mit Ihnen zu reden, Herr Pfarrer, wenn ich Ihnen nicht ungelegen komme.« — Der alte Herr, innerlich erfreut, erwiederte freundlich: »Nein, mein Kind; sag mir, was du auf dem Herzen hast!«

Annemarie, durch ihren Vorsatz über die einem jungen Mädchen gewöhnliche Schüchternheit erhoben, begann mit nur leisem Erröthen: »Sie wissen, Herr Pfarrer, was es beim Angerbauer gegeben hat und wie ich dabei ins Geschrei gekommen bin. Ich will Ihnen die Geschichte nicht wieder erzählen; sie wird Ihnen bekannt sein — man hat ja so viel darüber gesprochen! Nun hab' ich aber dieser Tage gehört, sie sagen beim Angerbauer, ich allein sei an allem Schuld und ich habe den Ludwig verführt. — Her Pfarrer«, sagte sie, indem[S. 56] ihr Ton sich verstärkte und ihre Wangen sich höher rötheten, »ich kann Gott zum Zeugen anrufen, daß das nicht wahr ist! Wir haben uns eben beide von Anfang an gern gesehen, und — — Sie wissen ja, wie's geht, wenn man sich gern sieht und eine Person einem die liebste ist auf der Welt. Ich hab ihn halt liebhaben müssen, grad wie er mich, und so ist's gekommen, daß wir uns endlich gesagt haben, wir wollen nicht von einander lassen und uns treu bleiben, bis wir mit Gottes Hülfe endlich zusammenkommen. Wegen dieses Verspruchs ist Ludwig mit seinem Vater in Streit gerathen und dient jetzt als Knecht. Ich hab das nicht vorausgesehen, aber wenn ichs vorausgesehen, was hätt ich thun können? Ich will Ihnen blos sagen und wills vor Ihnen beschwören, daß ich ihn nicht verleitet habe. Er hat sich einmal seinen Eltern zu lieb fremd gegen mich gestellt und mich nicht mehr angesehen, und ich bin ihm zu dieser Zeit nicht nachgegangen, wie jeder weiß, sondern ich bin ihm ausgewichen. Ich hab ihn nicht wieder gesucht, er hat mich gesucht — und das ist die Wahrheit!«

Der Pfarrer betrachtete theilnehmend das Mädchen, dessen Augen in dem Feuer gerechter Selbstvertheidigung erglänzten, und sagte: »Ich glaube dir und weiß es, mein Kind.« Annemarie, ihn dankbar anschauend, fuhr fort: »Ich hab das nicht gesagt, als ob ich gar keine Schuld haben wollte. Ich hab jederzeit empfunden, daß es Verdruß geben würde, recht viel Verdruß, und daß die Angerbauersleute recht bös auf mich sein würden. Aber, Herr Pfarrer, wenn Sie gesehen hätten, wie gut der Ludwig gegen mich war und wie er mich ansah, — wenn Sie gehört hätten, was er noch auf der Nördlinger Messe zu mir gesagt hat, Sie würden mirs gewiß nicht so übelnehmen, daß ich ihm zur Antwort gegeben habe: »ich wolle ihm gehören und die Seinige bleiben, so lang ich lebe!« — »Es ist eben,« setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »etwas in uns, das mehr Gewalt hat, als unser Wille und unsere Sorgen.«

Der Pfarrer nickte mit ernster Miene, die Thatsache zugebend. Dadurch ermuthigt, ging das Mädchen in ihrer Rede weiter und sagte mit liebenswürdigem Selbstgefühl: »Ich will's Ihnen aufrichtig bekennen, Herr Pfarrer: ich denke nicht so gering von mir, sondern[S. 57] halte auch etwas auf mich. Ich komme von braven Leuten her und glaube, daß ich keiner Familie Schande machen würde. Ich hab' etwas gelernt und bin ein ordentliches Mädchen gewesen mein Lebenlang. Da hab' ich nun gedacht, wenn ich auch keine Bauerntochter und nicht so reich bin, so bin ich doch diejenige, mit welcher der Ludwig am glücklichsten leben würde. Und ich hab' gedacht, sein Vater würde das am Ende einsehen und nachgeben. Aber« — fuhr sie nicht ohne eine gewisse Bitterkeit fort — »das ist eben der Gedanke, den ich mir nicht verzeihen kann. Ach, Herr Pfarrer, das Geld ist alles und der Stand ist alles, und die Tugend ist nichts! Man redet wohl so, als ob die Tugend und die Liebe auch etwas wären, aber wenn's drum und dran kommt, gelten sie doch nichts. Wenn ein Mädchen keinen Verstand und keine Art hat, aber Geld und Gut, dann ist sie die rechte. Wenn eine sich aber auf andere Dinge etwas zu Gute thun will und merken läßt, daß diese eben so viel werth sind als Gut und Geld, dann hält man sie für verrückt!« — Ueber ihren Eifer und den letzten starken Ausdruck erröthend, setzte sie hinzu: »Verzeihen Sie, Herr Pfarrer!«

Der alte Herr lächelte und sagte: »Du hast nicht ganz Unrecht, Annemarie. — Aber nun sage, was begehrst du von mir? Worin kann ich dir helfen?« — »Herr Pfarrer,« versetzte das Mädchen, indem sie sich augenscheinlich zusammennahm, »ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich Ihnen sagen möcht', was ich bei mir ausgemacht habe. Der Ludwig hat mir Lieb und Treu versprochen für alle Zeit. Er hat's freiwillig gethan und mir's zugeschworen bei allem, was heilig ist. Ich könnte also ruhig sein und zusehen, wie der Streit ausginge. Ich hätte nur mein Versprechen zu halten, wie ich's ihm gegeben hab', und könnte das andere Gott überlassen. Aber«, fuhr sie bewegter fort, »ich will diese Leute nicht in's Unglück bringen, wenn sie's dafür nehmen, und ich bilde mir viel zu viel ein, als daß ich mich einer Familie aufnöthigen möchte, die mich nicht haben will. Ich kann's nicht ertragen, Herr Pfarrer, daß die mich verachten, die ich allzeit lieb und werth gehalten hab', und darum will ich jetzt thun, was ich mit gutem Gewissen thun kann.«

Sie hielt ein wenig inne, nahm sich nochmals mit offenbarer[S. 58] Anstrengung zusammen und sagte dann mit einem Tone, dem sie vergebens die erste Festigkeit zu verleihen suchte: »Ich will dem Ludwig sein Wort zurückgeben, er soll von mir aus frei sein und thun können, was er will. Er soll noch einmal die Wahl haben, ob er mich lassen und seinem Vater nachgeben will oder nicht. Ich will durchaus nichts dagegen thun und ihm in keiner Art hinderlich sein, wenn er glaubt, daß er mit einer andern sein Glück findet. Wenn das ist, dann will ich fortgehen von hier, daß ich ihn nicht mehr seh' und er mich nicht mehr. Ich hab' einen Vetter bei Stuttgart, der wird mich zu sich nehmen. Ich will nichts mehr von mir hören lassen, und es soll grad so sein, als ob ich nicht mehr auf der Welt wäre. Ich will für meinen Theil« — — Aber damit war die Kraft des guten Mädchens zu Ende. Ihr Mund zuckte, die Stimme versagte ihr, Thränen waren in ihre Augen gestürzt. Sie gab sich Mühe, das Weinen zu verhindern und kämpfte sichtlich dagegen an, aber doch rollten ein paar große Tropfen über ihre Wangen. Indem sie ausführte, was gekränkter Stolz und Großmuth sie thun hießen, glühte die heißeste Liebe zu ihrem Ludwig in ihr auf; indem sie den Geliebten frei geben wollte, klammerte sie sich an ihn an mit einem schmerzlich innigeren Gefühl als je vorher.

Der Pfarrer erkannte das und sah mit Rührung auf sie, wie sie dastand und ihre Thränen fließen ließ. Er wußte das Herkommen, den Brauch der Welt zu schätzen, denn er kannte die guten Gründe, auf denen er ruht. Er wußte, daß am besten sich Gleiches zu Gleichem gesellt, daß das gleiche Vermögen und die gleiche Stellung mit dem gleichen Gefühl davon sehr bedeutende Mittel zu einer guten Ehe sind. Aber er wußte auch, daß das Recht der äußern Ordnung seine Grenzen hat, und daß es Dinge giebt, vor welchen sie sich bescheiden zurückstellen muß. Er war nicht rasch gewesen, die Partei des Liebespaares zu nehmen, weil er Fälle kannte, wo das Kind reicher Leute den Eltern es später Dank wußte, daß sie dem ersten verliebten Drängen nicht nachgegeben. Allein wie er sah, daß er in Annemarie eine wahrhaft gute Natur vor sich hatte, wie ihr Gemüth sich vor ihm enthüllte in seiner ganzen Bravheit und Schönheit, da dachte er, erfreut und bewegt: »Die Sitte der Welt mag[S. 59] diesmal die Segel streichen! Hier ist mehr als sie und ihre Herrlichkeiten. Der Geist und das Gemüth, die sich so erproben, sind mir Bürgen für alles; und wenn ichs machen kann, sollen sie diesmal die Oberhand behalten.« Er stand auf, trat zu Annemarie und nahm sie väterlich bei der Hand, indem er sagte: »Fasse dich, gutes Mädchen, du hast recht gehandelt und der Lohn dafür wird nicht ausbleiben, in welcher Form er dir auch kommen mag. — Wirst du das alles auch Ludwig zu wissen thun?« — »Ja, Herr Pfarrer,« antwortete Annemarie, die sich wieder gefaßt hatte. »Ganz das Nämliche, was ich Ihnen gesagt habe, will ich ihm schreiben.«

Der alte Herr sah ihr forschend in's Auge und über sein gerührtes Gesicht verbreitete sich ein fast unmerkliches Lächeln. Er glaubte aus der Art, wie das Mädchen diese Antwort gab, schließen zu dürfen, daß der Schritt, den sie that, auch zugleich eine letzte Probe sein sollte für Ludwig, und daß sie die Hoffnung hegte, er werde sie bestehen. Er sagte: »Thu das, mein Kind, und erwarte das Uebrige in Geduld. Hast du sonst noch was auf dem Herzen?«

»Nein, Herr Pfarrer,« erwiederte Annemarie, indem sie sich die letzten stehen gebliebenen Thränen von den Wangen wischte. »Ich dank' Ihnen, daß Sie mich angehört haben, und bitte Sie nur noch darum, daß Sie dem Angerbauer, wenn Sie ihn treffen, sagen, ich sei nicht das Mädchen, für das er mich hält. Sie, Herr Pfarrer, kennen mich besser, und das ist mein Trost. Ich dank' Ihnen nochmals recht schön für Ihre Güte — ich werde sie immer im Gedächtniß behalten!« — Ihre weichen Züge verklärte, indem sie dies sagte, ein schönes Bewußtsein und Dankgefühl. Sie machte einen tiefen Knix und verließ die Stube, nachdem sie noch einen Blick inniger Verehrung auf den Pfarrer geworfen.

Dieser sah ihr mit wahrer Freude nach. »Ja, ja,« sagte er dann zu sich, »das ist eine bessere Schwiegertochter für den Angerbauer als Eva; und wenn er nicht ganz verhärtet ist, soll er sie bekommen.«

Die erste Sorge des alten Herrn war nun, es so einzurichten, daß der Angerbauer ihn ebenfalls zu seinem Vertrauten machte. Dieß mußte geschickt angefangen werden, wenn es gelingen sollte. Denn[S. 60] der Rieserbauer von der Art des unsrigen will sich nicht bevormunden lassen, er hält sich für gescheidt genug, sein eigener Rathgeber zu sein, und es verdrießt ihn über die Maßen, wenn man ihn über Dinge belehren will, die er selber am besten zu verstehen glaubt. Natürlich kann er auch geführt werden, aber nicht so geradezu wie dieser und jener. Wäre der Pfarrer zum Angerbauer in's Haus gegangen und hätte mit einer gewissen beichtväterlichen Miene gefragt, wie es sich denn mit dem Streit zwischen Vater und Sohn verhalte, was der Vater nun zu thun gedenke u. s. w., so wäre dieß das beste Mittel gewesen, ihn verstockt, wo nicht gar unhöflich zu machen. Aber zu dieser Art von Seelsorgern, die im Eifer ihres Herzens Gott mit Unverstand dienen, gehörte der erfahrene alte Herr nicht. Er konnte warten und seine Zeit ersehen. Dießmal erreichte er übrigens seinen Zweck leicht. Er hatte ein Stück Vieh zu verkaufen, und als er dem Angerbauer einmal begegnete, lud er den Sachverständigen ein, es anzusehen und zu taxiren. Der Bauer folgte ihm sehr bereitwillig, denn er wußte den »braven und gescheidten Herrn« sehr zu schätzen und hätte gerne schon einmal von seiner Noth mit ihm gesprochen, wenn es sich nur »gut geschickt hätte.«

In dem kleinen Stalle des Pfarrers angekommen, unterzog er sich dem Taxirungsgeschäft sehr ernsthaft. Er begriff das Stück an den geeigneten Stellen, betrachtete es von allen Seiten und sagte dann genau, wie viel der Pfarrer dafür fordern könne. Dieser dankte und rühmte seine Kenntniß. Er selber, obwohl er immer einige Stück Vieh haben müsse, sei doch unsicher, weil ihm die gerade üblichen Preise nicht recht bekannt wären. Der Bauer versetzte höflich: »Wenn Sie sich damit abgeben wollten, Herr Pfarrer, würden Sie's geschickter machen als unser Einer; aber Sie haben was Besseres zu thun.« Der alte Herr fragte hierauf mit unbefangener Freundlichkeit, was die Angerbäuerin mache und ob bei ihm zu Hause alles gesund sei. Der Bauer erwiederte mit einem Seufzer: »Gesund wären wir alle, Herr Pfarrer; aber Sie können sich denken, wie's uns zu Muth ist nach dem, was bei uns vorgefallen ist.« — »Ja, ja,« sagte der Pfarrer, »ich habe davon gehört und euch recht bedauert.«

[S. 61]

Der Angerbauer, der sein Herz erleichtern wollte, sagte hierauf: »Ich kanns noch immer nicht begreifen, so viel ich auch darüber nachgedacht habe. Lustig und ein bischen auf's Vergnügen aus ist er immer gewesen, aber in der Art und mit seines Gleichen. Runtergegeben hat er sich niemals, was ich gehört hab'. Und nun ist er auf einmal ganz wie verhext und will ein Mädchen heirathen, die — nun, ich will mich nicht ausdrücken vor Ihnen, Herr Pfarrer. Wie ich nicht gleich Ja sage, lauft er davon und verdingt sich als Knecht. Und das thut er in dem Augenblick, wo er einen Hof und ein Weib haben könnte — ein Weib und ein Gut — ein anderer würde Gott auf den Knieen danken, wenn er's kriegte!«

Der alte Herr war versucht, über diesen starken Ausdruck zu lächeln, aber er hielt an sich und machte ein ernsthaftes Gesicht, das der Bauer für zustimmend halten konnte. Dieser, einmal im Zuge, bewies, daß er wohl auch reden konnte, wenn's ihn drückte. »Ach, Herr Pfarrer,« rief er aus, »die Welt muß anders geworden sein, als sie zu meiner Zeit gewesen ist. Ich bin auch jung gewesen und bei der Lustbarkeit grad nicht der Letzte; aber wie meine Zeit zum Heirathen gekommen ist, hab' ich mich unter rechten Mädchen umgesehen und gottlob ein Weib gefunden, mit der ich nun glücklich gehaust habe volle neunundzwanzig Jahr. Wenn ich nun verlange, daß meine Kinder mir nachschlagen und ihr Glück auf dem Weg suchen sollen, wo ich's gefunden hab', ist das nicht in der Ordnung? Muß ich als Vater nicht so handeln?« — »Ja,« sagte der Pfarrer mit nachdrücklicher Beistimmung, »das ist Eure Pflicht!«

Der Angerbauer, dem dieß wohl that, fuhr fort: »Sehen Sie, Herr Pfarrer, in der Familie muß ein Zusammenhalt sein, alle müssen helfen, wenn man weiter kommen soll. Ich hab' von meinem Vater einen schönen Hof bekommen und mein Weib hat mir Geld in's Haus gebracht; wir haben ordentlich gewirthschaftet und unser Vermögen vermehrt, daß wir nun wohlhabende, und ich darf wohl sagen angesehene Leute sind. Ich kann's meinen Kindern besser machen als es uns gemacht worden ist, und nun will ich auch haben, daß sie's noch weiter bringen als wir und daß sie für ihre Kinder noch mehr thun können. Sie müssen sorgen und immer darauf aus sein, in rechter[S. 62] Art etwas zu erwerben. Nur so kommt man empor, man findet ein sicheres Glück und Ehre in der Welt und kann sich im Wohlstand seines Lebens freuen.«

»Wohl,« sagte der Pfarrer, »und es ist nicht bloß der Besitz, der Einen erfreut, sondern das Streben und die Thätigkeit selber. Der Mensch muß sich ein Ziel stecken, das über den Platz, auf den man ihn gestellt hat, hinaus geht. Dann werden seine Tage ausgefüllt mit Arbeit, mit Dichten und Trachten, mit Hoffen und Erwarten, und Schritt für Schritt mit der Freude des Gelingens. Und indem er glücklich ist und sein Leben verschönert, trägt er bei zur Verschönerung und Verbesserung der Welt. Auf die Größe des Besitzes kommt es da nicht an. Der Kleine freut sich am kleinen Gewinn, der Größere am größeren; jeden erquickt das verhältnißmäßige Wachsen und Gedeihen, und so sind alle glücklich, die ein verständiges Ziel vor sich haben. Wer aber nicht vorwärts strebt, der kommt neben den Strebenden zurück und geht dem Mangel und der Unlust zu.«

Der Bauer war dieser Rede mit Aufmerksamkeit gefolgt und rief nun erfreut aus: »So ist's, Herr Pfarrer, grad so ist's, wie Sie sagen! Darum« — fuhr er mit Bedeutung fort — »soll eben jeder in seinem Stand bleiben, namentlich nicht unter seinem Stand und Vermögen heirathen, sondern gleich da so gut als möglich anzukommen suchen. Ich will gern zugeben, daß andere mit Wenigem auch glücklich sein können; aber wer von vermöglichen Leuten herkommt, braucht mehr, weil er's nicht anders gewohnt ist. Und, Herr Pfarrer, Sie wissen's ja selber, um ein rechtes Vermögen ist's halt eine schöne Sache! Wenn ich das habe, so kann ich mich sehen lassen, ich brauch mich nicht zu ducken und nicht um das und jenes zu betteln, und wenn gute Freunde in der Noth sind, kann ich ihnen helfen. In ein Gelump hineinkommen, wo ich nothig thun und knickern müßte, um nur zu bestehen, müßte unser einen desperat machen. — Und,« fuhr er nach kurzem Innehalten fort, indem seine Miene den Ausdruck erzürnter Bekümmerniß annahm, »dieser leichtsinnige, tollgewordene Mensch will sich schlechter stellen, als seine Geschwister, während er's viel besser haben könnte als sie! Er will eine Lumpenwirthschaft anfangen,[S. 63] wo er sich quälen müßte und wo doch nichts herauskommen würde, als ein Haufen von Bettlern!«

Der Geistliche hütete sich wohl, einzuwenden, daß im gegenwärtigen Falle, wenn nämlich der Vater dem Sohn seinen gebührenden Vermögenstheil zukommen ließe, von einer »Lumpenwirthschaft« doch nicht die Rede sein könnte. Er wußte, daß den Erzürnten nichts mehr verdrießt, als wenn man ihm den Grund seiner Klage verkümmern will, und schwieg daher nachdenklich stille. Endlich sagte er: »Vielleicht geht diese Sache doch noch besser aus, als Ihr denkt.« — »Wie so?« fragte der Angerbauer. — »Die Annemarie,« versetzte der Pfarrer, indem er den andern scharf ansah, »ist vor einigen Tagen bei mir gewesen, extra um mir zu sagen, daß sie nicht Schuld sein wolle an der Uneinigkeit einer solchen Familie, wie die Eurige, und daß sie zuviel auf sich selber halte, um sich da aufzudrängen, wo man sie nicht haben wolle. Sie habe sich entschlossen, dem Ludwig sein Versprechen zurückzugeben, und wolle sich in keiner Art dawidersetzen, wenn er sein Glück mit einer andern finde.«

Der Angerbauer horchte hoch auf und wußte nicht was er sagen sollte. Er fragte dann in zweifelndem Tone: »Hat sie das wirklich zu Ihnen gesagt?« — Der Pfarrer erwiederte mit einem Ernst und einem Nachdruck, der jeden Zweifel niederschlagen mußte: »Es sind ihre eigenen Worte, Angerbauer! Sie hat mir versprochen, das Nämliche Eurem Ludwig zu schreiben, und ich verbürge mich dafür, daß es geschehen wird.«

Der Bauer verstummte; er war in die Seele getroffen. Ein im Grunde seines Wesens ehrenwerther Mann, der in der That jedem das Seine gab, konnte ihn nur der Zorn und der tiefe Verdruß zu ungerechtem Absprechen hinreißen. Nun mußte er sehen, daß ein Mädchen, die er eine heuchlerische, gefährliche Person gescholten, brav und rechtschaffen, ja weit über alles Erwarten rechtschaffen gegen ihn handelte. Es zeugte für seine gute Natur, daß ihn diese Nachricht mehr rührte, als erfreute, daß er sogleich sein Unrecht fühlte und seiner stolzen Seele eine gewisse Achtung vor einem solchen Benehmen abgenöthigt wurde. Endlich sagte er mit sehr ernsthaftem Gesicht: »Wenn sie das gethan hat, dann ist sie besser, als ich gedacht[S. 64] habe. Sie mag ein ordentliches Mädchen sein, ich will's nicht bestreiten.«

»Man muß jedermann Gerechtigkeit widerfahren lassen,« versetzte der Geistliche. »Die Annemarie ist brav, geschickt, verständig, wohlerzogen, und würde jeden glücklich machen —« — »Von ihrem Stande!« fiel der Bauer ein. — »Das ist's, was ich sagen will,« erwiederte der Pfarrer: »wenn die äußern Verhältnisse zustimmen.« — »Gut,« sagte der Bauer. »Bei meinem Ludwig ist das aber nicht der Fall, drum kann hier von einer Heirath nie die Rede sein.«

Der alte Herr schwieg. Dann fragte er leichthin: »Wie soll's nun mit Ludwig werden? Was habt Ihr beschlossen?« — Der Bauer konnte sich nicht enthalten, ein wenig aufzufahren. »Beschlossen?« rief er. »Ich glaube, da ist nichts zu beschließen, Herr Pfarrer. Dieser Mensch mag bleiben, wo er will, und gehen, wohin er will! Soll ich ihm nachlaufen? Soll ich ihn vielleicht bitten, daß er wiederkommen und die Zimmermannstochter heirathen soll? Soll ich nachgeben, der Vater dem Sohn?«

»Nein,« erwiederte der Pfarrer mit Ernst, »das sollt Ihr nicht, Angerbauer! Er muß nachgeben, er muß wiederkommen und dem Vater das Recht lassen, das ihm gebührt!« — »Freut mich,« versetzte der Bauer, »daß Sie so denken, Herr Pfarrer. So ein neustudirter Herr hätte vielleicht gemeint, ich sollte meinem Buben seinen Willen lassen; warum? weil die Leute in einander verliebt sind und die Annemarie doch ein ordentliches Mädchen ist. Aber Sie kennen die Welt, Herr Pfarrer, Sie wissen, daß es beim Heirathen noch auf ganz andere Dinge ankommt, und daß der Vater für den Sohn denken und Verstand haben muß.« — Nach diesen Worten lüpfte er die Alltagskappe, an welcher der sonst werthvolle Pelz etwas röthlich geworden war, und fragte: »Kann ich Ihnen sonst noch was dienen?« — »Nein,« versetzte der alte Herr, »ich danke Euch für Eure Gefälligkeit.« — »So wünsch' ich Ihnen guten Nachmittag,« sagte der Bauer und entfernte sich mit langsam würdigen Schritten.

Das Gespräch hatte theils im Stalle, theils in dem heimlichen, mit einer Mauer umgebenen Pfarrhof stattgefunden. Der alte Herr ging in seine Studirstube zurück, mit der Unterredung sehr zufrieden.[S. 65] Er hatte des Bauers Vertrauen gewonnen und wußte, daß dieser nun unter schwierigen Umständen ihn von selber um Rath angehen würde. Dann hatte er mit der Nachricht über Annemarie einen Keim in seine Seele gesenkt, der wachsen und gute Früchte bringen konnte. Er sah voraus, daß der Angerbauer seinem Weib und seinen nächsten Verwandten davon sagen würde, und daß diese, die sich auf ihr Geld und ihr Ansehen allerdings etwas mehr einbildeten, als recht war, in Annemarie ein ihnen ebenbürtiges Gemüth erkennen mußten. Auf die wackeren Leute mußte die Rechtschaffenheit, auf die stolzen das Selbstgefühl des Mädchens einen günstigen Eindruck machen.

Als er, solchen Gedanken hingegeben, behaglich auf seinem Lederstuhl sich dehnte, stürmte plötzlich sein Neffe in die Studirstube. Dieser hatte schon erfahren, daß Annemarie bei seinem Großvater gewesen, aber nichts Bestimmtes über die Unterredung aus ihm herausbringen können. Nun sah er auf dem Heimweg von einem Spaziergang den Angerbauer aus dem Pfarrhofe kommen und glaubte aus seinen Mienen auf eine Entscheidung, ja auf eine glückliche Beilegung des Streites schließen zu können. Von Neugier und gutmüthiger Theilnahme getrieben, eilte er zu dem Großvater und rief aus: »Der Angerbauer ist bei dir gewesen und ganz zufrieden fortgegangen. Ich bin ihm begegnet. — Hast du ihn herumgebracht?« — »Wie so?« fragte der Alte. — »Will er den Ludwig zurückrufen und ihn die Annemarie heirathen lassen?« — »Ei, ei,« erwiederte der Alte heiter, »du hast dich also ganz auf diese Seite geschlagen und willst aus Ludwig und Annemarie durchaus ein Paar machen?« — »Ja,« versetzte der Jüngling bestimmt, »das will ich. Die zwei sind nicht nur die schönsten im Dorf, sondern auch die bravsten. Sie passen so zusammen, als ob sie extra für einander geschaffen wären, und es kann nicht sein, daß sie wegen einer so gemeinen Sache, als das Geld ist, nicht zusammen kommen sollen!« — »Du gehst rasch und machst die Sache kurz ab,« erwiederte der alte Herr. »Wenn aber der Angerbauer nicht will?« — »Der muß,« entschied der Jüngling. — »Wer wird ihn zwingen?« fragte der Alte. »Willst du vielleicht zum Gerichte gehen, einen Befehl auswirken, daß der Angerbauer sich fügen müsse, und die Sache mit Gendarmen abmachen?«

[S. 66]

Theodor, der die heiter fragende Miene des Großvaters nicht aushalten konnte, sah zu Boden. »Ich habe gemeint,« sagte er dann, »du würdest einmal mit ihm reden, wie sich's gehört, würdest ihm klar machen, daß die geistigen Vorzüge viel höher stehen als die weltlichen, würdest ihn überzeugen und ihn zwingen durch deinen Zuspruch.« — »Der alte Angerbauer,« erwiederte der Pfarrer, »ist ein sprödes und zähes Metall; das bischen Feuer, das ich noch besitze, würde ihn nicht zum Schmelzen bringen. Du siehst ja, ich bin alt und theilnahmlos geworden und kann mich einer so schönen Glut, wie du sie hast, nicht mehr rühmen. Wie wär's« — fuhr er gemüthlich fort — »wenn du der Sache dich annähmest? Du willst ein Pfarrer werden und wirst als solcher gewiß gar vieles geschickter anfangen und besser hinausführen als ich. Wenn du beim Angerbauer dein erstes Probestück machtest? Wenn du hingingest, ihm und der Bäuerin eine Rede hieltest über das Verhältniß der ewigen und zeitlichen Güter und ihn durch begeisterte Worte dermaßen in's Feuer brächtest, daß er den Ludwig zurückriefe und ihm sein Liebchen zur Frau gäbe? — Wie?«

Theodor wurde roth und schwieg. Er hatte den Rieser Bauer vom Schlage des in Rede stehenden doch schon zu gut kennen gelernt, um nicht ihm gegenüber seine Unzulänglichkeit zu empfinden und sich zu sagen, daß ein solcher Versuch schmählich scheitern würde. Noch deutlicher erkannte er freilich, wie sein Großvater mit ihm spielte. Er sagte endlich mit gutmüthiger Empfindlichkeit: »Du hast mich zum Besten und behandelst mich wie ein Kind; und doch bin ich kein Kind mehr, sondern ein Mensch, der's gut meint und haben will, daß es andern wohl gehe, wenn sie's verdienen.« — Der Pfarrer sah ihn freundlich an, stand auf, zog ihn zu sich und schloß ihn mit zärtlicher Liebe in seine Arme. »Du bist ein Kind,« sagte er, »aber ein gutes Kind, und mit Gottes Hülfe wirst du auch ein guter Mann werden. Gieb dich zufrieden. Wenn es deinem alten Großvater möglich wird, sollst du deine Wünsche noch erfüllt sehen.«

Der Angerbauer hatte, bald nachdem er in sein Haus zurückgekehrt war, die Bäuerin in's Kanzlei gerufen und ihr von seiner Unterredung mit dem geistlichen Herrn erzählt. Die Nachricht über den[S. 67] Entschluß des Mädchens wirkte auf sie wie auf ihn. Sie sah ein wenig beschämt aus und sagte: »So hätten wir dem Mädchen also doch Unrecht gethan! Ich muß dir jetzt nur sagen: so ganz von Herzen hab' ich nie dran glauben können. Es ist mir immer wieder gewesen, als ob sie am Ende doch nicht so schlimm wäre.« — Das Muttergefühl wußte nun auch auf das umgekehrte Verhältniß eine Entschuldigung für Ludwig zu gründen. »Wenn die Annemarie,« bemerkte sie nach einigem Bedenken, »so gesinnt ist, dann begreif' ich freilich, warum der Ludwig so viel auf sie hält, daß er nicht mehr von ihr lassen will. Die Schönste im Dorf ist sie ohnehin, und wenn sie noch dazu so rechtschaffen ist und solche Gedanken im Kopf hat — das hat ihn eben verführt. — Was meint denn der Pfarrer, daß wir thun sollen?«

Der Angerbauer, dem diese Rede bedenklich mild vorkam, erwiederte streng: »Der Pfarrer ist ganz einverstanden mit mir. Gehen lassen sollen wir ihn, bis er von selber kommt, und nachgeben sollen wir ihm in keiner Art. Ich hab' den Herrn immer für gescheidt gehalten, aber das muß ich sagen, daß er in der Sach' ganz meiner Meinung ist, hat mich besonders gefreut.« — Die Bäuerin, an den Absagebrief des Mädchens und seine Wirkung auf Ludwig denkend, sagte: »Wir wollen das Beste hoffen.« — Dann setzte sie hinzu: »Die Annemarie dauert mich eigentlich. Wenn man nur einen passenden Mann für das Mädchen wüßte! Ich kann mir's aber schon denken, nach dem Ludwig wird ihr keiner gefallen.« — »Bah,« erwiederte der Angerbauer, »bild' dir nicht so viel auf deinen verrückten Buben ein. Es giebt noch Mannsbilder in der Welt, die so ein Mädchen trösten können!« — Nach diesen Worten verließ er die Stube.

Die Mutter hatte nichts Eiligeres zu thun, als zu ihrer Tochter, der Schmalzbäuerin, zu gehen und ihr das eben Erfahrene mitzutheilen. Beide rühmten Annemarie und bedauerten, daß sie keine Bauerntochter sei, indem sonst nichts an ihr auszusetzen wäre. Bald war die ganze Freundschaft in Kenntniß gesetzt und alle sangen das Lob des Mädchens, natürlich unter der Voraussetzung, daß sie's ganz ernstlich meine und jeden Anspruch auf Ludwig aufgebe.

[S. 68]

In der Freundschaft war jedoch eine Person oder vielmehr ein Persönchen, das für die Familieninteressen wenig Sinn hatte, desto mehr für das Glück des Liebespaares. Dies war »Johannesle,« das älteste Kind der Schmalzbäuerin. Dem Ludwig gewogen von seinem ersten Denken an, weil er sich am schönsten mit ihm abzugeben wußte, hielt er auch besonders viel auf Annemarie. Bald nach ihrer Ankunft im Dorf hatte sich diese nämlich in ein Gespräch mit ihm eingelassen und ihn zum Lohn für seine hübschen Antworten so schön gestreichelt, daß er's ihr nicht vergessen konnte. Als das Verhältniß zwischen den beiden sich entspann, erhorchte und erfragte er so viel, daß er darüber so ziemlich unterrichtet war, und ärgerte sich dann in der letzten Zeit nicht wenig, daß man zwei so nette Leute nicht zusammenlassen wollte. Zu wiederholten Malen versicherte er seiner Mutter, die zwei müßten sich kriegen, und endlich trug er ihr auf, sie solle mit dem Großvater reden. Die Mutter antwortete, er möge es doch selber thun. Und Johannesle faßte sich ein Herz, trug dem Großvater die Bitte vor und schloß damit: es ginge nicht anders, die zwei müßten sich heirathen. Der Alte sah ihn verwundert an und fragte, wer ihm diese Dummheit in den Kopf gesetzt habe. Johannesle versetzte ernsthaft: »Ich selber, Aehle,« und wiederholte sein Gesuch. Der Angerbauer, um solche Gedanken im Keim zu ersticken, machte ein böses Gesicht und sagte in erzürntem Ton: »Du bist ein naseweiser Bursch! Diese Dinge gehen dich gar nichts an, und wenn ich dir gut zum Rath bin, so laß mich so was nicht wieder hören!« Eine gewisse Bewegung des Arms ergänzte den Sinn dieser Antwort. Der Knabe, den Großvater angaffend, ging einige Schritte rückwärts, murmelte dann aber, ein zweiter Galilei: »Sie kriegen sich doch!« — Von da an machte er verschiedene kindische Pläne, wie er den beiden helfen wollte. Auf dem Dorfe nämlich, wo man gar vieles offen verhandelt und auf etwa anwesende Kinder nicht immer Rücksicht nimmt, bekommen diese früh von menschlichen Verhältnissen eine Art von Begriff. Der Dorfbube lernt bald die erklärten Liebespaare in seinem Orte kennen, das natürliche Gemüth findet es in der Ordnung, daß der schönste Bursche auch den nettesten Schatz habe, und nimmt an ihrer endlichen Verbindung einen naiv poetischen Antheil;[S. 69] so wie ihm auch früh klar wird, daß zwei Verliebte sich treu bleiben müssen und nicht von einander lassen dürfen. Als Johannesle von seinem Oberknecht hörte, die Annemarie habe sich anders besonnen und dem Ludwig geschrieben, er könne eine andere nehmen, erwiederte er bestimmt: »Ich glaub's nicht!« Und als der Oberknecht bei seiner Behauptung blieb, wurde der kleine Mann ganz hitzig und rief: »Es ist nicht wahr!«

Nachdem der Entschluß des guten Mädchens so in den Häusern der Freundschaft besprochen war, kam er bald im ganzen Dorf herum. Der alte Bäcker, der ihn auch erst auf diesem Wege erfuhr, nahm sein Mündel bei der Hand, sah sie mit gerührtem Blicke an und sagte: »Du hast brav gehandelt, Annemarie! Laß dich's nicht reuen und bleib dabei. Man muß den eingebildeten Leuten zeigen, daß man auch seinen Stolz hat.«

Als Annemarie das Lob erhielt, das wir ihr gleicherweise von der Familie des Angerbauers und ihrem Vormund haben spenden sehen, hatte sie es noch nicht ganz verdient: der Brief an Ludwig war noch nicht geschrieben. Sie hatte mehrere Versuche gemacht, im Kopf und mit der Feder, aber sie konnte die Ausdrücke nicht finden, die ihr genug thaten. Sie wollte einen ehrlichen Brief schreiben, der aus dem Herzen kam; aber was sie zu sagen hatte, wollte dem Geliebten gegenüber nicht aus dem Herzen kommen. Durfte sie, nach allem, was geschehen, ihn nochmal fragen, ob er ihr wirklich treu bleiben wolle? Durfte sie sich den Schein geben, als halte sie es für möglich, daß er ihr Anerbieten annehmen und seinen Eltern folgen könnte? War das nicht eine unverdiente Kränkung für ihn? Wie sollte sie's nun anfangen, daß alles so gut und so schonend als möglich heraus kam? In Bedenken und Fehlversuchen verging eine ganze Woche. Endlich vernahm sie, daß ihre Unterredung mit dem Pfarrer bekannt geworden und wegen ihres Versprechens im Hause des Angerbauers große Freude sei. Dieses Bekanntwerden und diese Freude, sie »los zu werden,« brachte sie wieder in die rechte Stimmung. Sie setzte sich hin und schrieb, ohne abzusetzen, folgendes:

»Herzgeliebter Ludwig! Ich hätt' nicht gedacht, daß ich dir einen Brief schreiben würde, wie ich jetzt thun muß. Aber so geht es in[S. 70] dieser Welt. Man nimmt sich die besten Dinge vor, dann kommt etwas dazwischen und nöthigt uns, anders zu handeln, als wir gedacht haben. Seitdem ich an dich geschrieben hab', ist hier etwas geschehen — so lang ich lebe, hat mir nichts so weh gethan und mich so gekränkt wie das. Ich will dir's nur kurzweg sagen. Dein Vater und deine Mutter, wie sie gesehen haben, daß du wirklich nicht mehr kommst, haben ihren Zorn und ihren Verdruß an mir ausgelassen; sie haben herumgesagt, ich sei darauf ausgegangen, dich zu verführen, weil ich gern die Söhnerin eines reichen Bauern geworden wäre; ich hätte dich listig gelockt, und ihr gutmüthiger Ludwig hätte sich fangen lassen. Ich sei überhaupt eine rechte Duckmäuserin und eine gefährliche Person, vor der man sich hüten müsse. Diese Reden gingen durch's ganze Dorf und in allen Haushaltungen wurde davon gesprochen. Ludwig, du kennst mich, dir brauch' ich nicht zu sagen, wie mir bei diesen Lügen zu Muthe geworden ist. O die reichen Leute! Nimm mir's nicht übel, Ludwig, aber die sind überall die nämlichen. Sie glauben, es gäbe nichts Besseres als das viele Geld, das sie haben, und wenn die andern etwas thun, so thun sie's einzig und allein, um auch so viel Geld zu bekommen. Wenn nun erst ein armes Mädchen den Sohn reicher Leute lieb hat, dann ist natürlich gar kein Zweifel, daß sie nur eine reiche Frau werden will. Daß sie ihn lieb hat, weil er brav und gut ist, daß sie ihn, wenn er arm wäre, grad so lieb, ja vielleicht noch lieber haben würde — das ist natürlich ganz unmöglich!«

»Neben diesen Lügen über mich hab' ich auch noch hören müssen, daß deine Leute ganz unglücklich sind über diese Geschichte, die ich ihnen angerichtet haben sollte, daß Trauer und Kummer in deinem Hause sei. Das ist die Wahrheit, Ludwig! Ja, ja, unglücklich sind sie gewesen! Es ist aber auch gar zu arg! Eine Schwiegertochter zu bekommen wie ich bin, ist das nicht eine Schande und ein Elend, wie es kein zweites mehr gibt? Lieber eine Kröte in's Haus oder eine giftige Schlange! — Als ich das alles gehört hab' — denn es ist mir alles zugebracht worden — was sollt' ich thun? Im Zorn und in der Betrübniß meines Herzens hab' ich dieß und jenes gedacht und bin ganz verzweifelt herumgelaufen. Denn die Sach' ist so gewesen,[S. 71] daß ich nicht hab' ruhig sein können, weil ich ein gutes Gewissen hab'; nein, meine Ehr' hat's nicht gelitten, ich hab' etwas thun müssen. Endlich bin ich mit mir einig geworden. Ich bin zum Herrn Pfarrer gegangen, zu dem ich das rechte Vertrauen hab', und dem hab' ich gesagt: weil die Sachen so stehen, so soll's nun sein, als ob du mir das Versprechen, der Meinige zu sein, gar nicht gegeben hättest; du sollst ganz frei sein und nochmal überlegen, was du thun willst, die arme Annemarie oder die reiche Eva oder eine andere reiche Bauerntochter heirathen, und was du thust, soll mir recht sein. Der Herr ist über die Maßen gut gegen mich gewesen, er hat mir gesagt, ich hätte recht gehandelt, und alles das soll ich auch dir schreiben. Weil ich's ihm versprochen hab' und weil's überhaupt geschehen muß, drum thu' ich's jetzt.«

»Sieh, Ludwig, du hast mich recht lieb gehabt und hast für mich gethan, was wenige thun würden. Und ich hab' mich inniglich gefreut darüber und dir im Herzen tausendmal dafür gedankt. Aber wenn's dir nun doch zu hart ginge in deinem Dienst, wenn du's auf die Länge nicht aushalten könntest und wenn dir der Gedanke käme: es wäre doch besser, wenn du mit deinem Vater dich vertragen und ihm gefolgt hättest — um Gotteswillen, Ludwig! wenn du einen solchen Gedanken hättest, und wenn er wieder käme — schreib augenblicklich an deine Eltern, sag' ihnen, du wollest mich lassen und eine andere heirathen! Denn das kannst du thun, ich geb' dir das volle Recht dazu. Deßwegen, weil du mir das Versprechen gegeben hast, sollst du es nicht halten; ich verlang's von dir, daß du dich daran nicht kehren und handeln sollst, wie du es jetzt für gut findest.«

»Bedenk, wie deine Eltern gegen mich sind! Denn das muß ich dir noch sagen, seitdem dein Vater vom Herrn Pfarrer erfahren hat, was ich zu ihm gesagt hab', glauben sie bei dir, es werde nun bald aus sein zwischen uns, und sind vergnügt darüber, man kann gar nicht sagen wie! Bedenk das, Ludwig! Deine Eltern wollen mich nicht und verachten mich; mit ihrem guten Willen kommen wir nie zusammen, du kannst nie zu gleicher Zeit mit mir glücklich sein und mit ihnen. Du wirst mit mir auch keinen Hausstand bekommen, wie du ihn gewohnt bist, und vieles nicht haben, was du vielleicht nicht[S. 72] wohl entrathen kannst. Bedenk das alles! — Für mich brauchst du nicht zu sorgen. Ich hab' so viel, als ich bedarf, und kann arbeiten und mit Gottes Hülfe werde ich dazu auch gesund bleiben. Und wenn ich kein Glück mehr habe, so kann ich doch sagen, daß ich glücklich gewesen bin, wenn auch auf kurze Zeit, so glücklich, daß es mir immer die größte Seligkeit sein wird, nur daran zu denken. Ich hab' schon dem Herrn Pfarrer gesagt, ich wolle dann fortgehen in's Württembergische, so daß ich euch gar nicht mehr im Wege bin. Und wenn mir dann die Regine zu wissen thut, daß es dir gut geht, das soll meine Freude sein.«

»Lebwohl! Ich hab' mein Versprechen gehalten und gethan, was ich nicht lassen konnte. Ueberleg' nun alles, herzlieber Ludwig! Denk nicht schlimm von mir und glaub' nicht, daß ich anders gegen dich gesinnt bin als sonst! Ich hab' nur nicht anders gekonnt und ergebe mich jetzt in alles, was geschehen mag. Schreib mir ganz ohne Bedenken, was du thun willst, oder laß es mich auf andere Art wissen, wenn's dir lieber ist.«

Als sie diesen Brief — der hier freilich aus der eigenen Mischung von Dialekt und Hochdeutsch, in der er ursprünglich abgefaßt war, möglichst in die Form der Schriftsprache übertragen ist — geendet hatte, las sie ihn durch und empfand eine starke Versuchung, ihn wieder zu zerreißen. Es kam ihr vor, als ob zu viel Aerger darin wäre und zu wenig Liebe. Ihr Geliebter war ja ordentlich angetrieben, sie zu lassen; sie fürchtete, er könnte am Ende doch auf den Gedanken gerathen, sie wolle ihn aufgeben. Sie las wieder und stand im Zweifel da, was sie thun solle. In diesem Augenblick öffnete Regine die Thüre und brachte einen kleinen Brief: es war die Einladung nach Nördlingen. Da Ludwig alles, was er auf dem Herzen hatte, sich für die Zusammenkunft vorbehielt, so bestand die Einladung nur aus wenigen einfachen Worten. Annemarie fühlte, daß sie ein Ende machen müsse. Sie schrieb unter ihren Brief: »Wie ich so weit gekommen bin, bringt man mir deine Einladung auf morgen. Du siehst, daß ich jetzt nicht kommen kann. Lies erst meinen Brief und gib mir Antwort. Lebwohl, lebwohl!« Sie machte das Papier rasch zurecht, »pitschirte« es mit einem kleinen Geldstück und übergab[S. 73] es Regine, die auf den Markt nach Nördlingen ging, zur Besorgung.

Drei Tage vergingen. Ich will nicht schildern, welche Gedanken das gute Kind sich machte, welche Angst sie empfand und wie sie sich selber wieder tröstete und an die Stelle der Bangigkeit die Zuversicht redlicher Liebe trat. Sie war, wie überhaupt seit der Bekanntschaft mit Ludwig, etwas aus ihrem Charakter gegangen und bewegter und erregter geworden, als derjenige, der sie früher gekannt, ihr zugetraut hätte. Wer wird das aber verwunderlich finden? — Am Morgen des vierten Tages erhielt sie die Antwort von Ludwig, die er Sonntags geschrieben und die — in ähnlicher Uebertragung — hier folgt:

»Meine liebste Annemarie! Du hast mir einen Brief geschickt, über den ich mich recht gewundert hab'. Ich will dir aber keine Vorwürfe machen; ich hab' mich nach und nach doch hineingedacht, wie's dir zu Muth ist, ich hab' dich bedauert und schäme mich, daß meine Eltern so gegen dich gehandelt haben. Ja du hast Recht! So sind die reichen Leute, wenn sie auch sonst so gut und so brav sind wie mein Vater und meine Mutter! Ich begreif', wie dich diese Lügen kränken und erzürnen müssen. Ich begreif', was du gethan hast. — Aber nun sag' mir: hast du wirklich geglaubt, daß ich thun könnte, was du mir vorschlägst? Ich hoff's nicht; ich hoff', daß du mich besser kennst. Wie! nach allem, was zwischen uns vorgegangen ist, soll ich dich lassen? Und wenn ich wüßte, daß ich mich unglücklich machen würde für mein ganzes Leben, ich thät's nicht! Und wenn ich's vorher hätte thun können und eine andere nehmen, jetzt könnt' ich's schon gar nicht mehr. Wie viel meinst du denn, daß es Mädchen gibt, die so handeln, wie du gehandelt hast? Und glaubst du, daß ich kein Herz habe und keinen Verstand, das einzusehen? Ich weiß wohl, was ein Sohn seinen Eltern schuldig ist. Ich bin nie ein schlechter Sohn gewesen, wie mir alle bezeugen müssen, und wenn mein Vater verlangt, was er von Gott und Rechtswegen verlangen kann, so will ich's thun. Aber wenn ich, um mit meinem Vater wieder gut zu werden, ein Mädchen verlassen könnte wie du bist, so verdient' ich, daß man mich rädern thäte und meine Glieder auf's Rad flechten![S. 74] Red' mir also nicht mehr von dieser Sache! Wenn dich dein Gewissen und dein Stolz getrieben haben, zum Pfarrer zu gehen und ihm ein solches Anerbieten zu machen, so begreif' ich das jetzt und schätz' dich um so höher. Aber das will ich nicht glauben, daß du mich wirklich für fähig gehalten hast, ein solches Anerbieten anzunehmen. Denn wenn das wäre, dann wär' deine Lieb' zu mir nicht so groß, wie meine zu dir, sondern viel kleiner! Ich hab' auch ein Gewissen und einen Stolz, und die sagen mir, daß ich dir treu bleiben soll gegen alle Welt. Ich hab' kein böses Gewissen, daß ich mein väterliches Haus verlassen hab', sondern ein gutes, denn ich hab' nicht darin bleiben und dir treu sein können. Und wenn ich wüßte, daß ich heute sterben und vor Gott treten müßte, ich wär' ruhig.«

»Ich seh' nun wohl, daß wir für die nächste Zeit nicht zusammen kommen werden, denn du hast deine Gedanken und bleibst dabei. Aber ich vertrau', wir haben nicht nöthig uns zu sehen, um uns grad so lieb zu haben. Ich hab' dich alleweil vor Augen; wohin ich geh', da gehst du mit mir. Wenn ich bei der harten Arbeit müde bin und denk' an dich, dann hab' ich wieder Kraft; es ist gerade, als hätt' ich einen frischen Trunk gethan. Und jetzt nach deinem Brief will ich wieder alles aushalten. Es ist freilich wahr, daß ich schwere Arbeit thun muß und mancherlei Verdrießlichkeiten hab'; aber wenn's mir hier nicht mehr gefällt, so kann ein Mensch, der gesund ist und sein Geschäft versteht, sich überall fortbringen. Ueberall, wo ich bin, werd' ich gegen dich der gleiche sein, und endlich, das weiß ich ganz bestimmt, werden wir zusammenkommen und glücklich sein. Adies, herzgeliebte Annemarie! Bleibe gesund und vertrau' auf Gott wie dein Ludwig!«

Als Annemarie in ihrer Kammer, wohin sie sich zitternd und bebend geflüchtet, diesen Brief las und zu den ersten Versicherungen der Treue kam, rief sie mit freudestrahlendem Gesicht: »Ich habs ja gewußt!« Beim Weiterlesen wurde der Glanz ihrer Blicke getrübt durch wonnige Thränen, die ihr bei den Ausdrücken herzinniger Liebe in die Augen traten, bis endlich die Flamme der Freude auch durch sie hindurch drang und ihr ganzes Wesen verklärte. Regine,[S. 75] von Theilnahme getrieben, erschien an der Schwelle der Kammer. Das überglückliche Kind eilte auf sie zu, fiel ihr um den Hals und rief mit holdseliger Gewißheit: »Nun gehört er mein, und kein Mensch in der Welt wird mir ihn nehmen!« Regine hatte das größte Verlangen, den Brief auch zu sehen; die Freundinnen setzten sich zusammen, Wange an Wange lasen sie und unterbrachen sich selbst durch entzückte und gerührte Ausrufungen. Regine sagte zuletzt: »Gewiß, liebes Mädchen, der gehört dir; den bringt sein Vater nicht mehr herum! Aber nun wirst du auch wissen, was du zu thun hast.« — »Ja,« rief Annemarie, »das weiß ich! Jetzt sind wir stärker als Vater und Mutter und die ganze Freundschaft! Mögen sie sagen und thun was sie wollen — nichts verdrießt mich mehr, ich verzeih ihnen alles im voraus!« Regine sagte: »Nun wird's auch gut gehen.« — »Und wenn's nicht gut ginge,« erwiederte Annemarie, »so wären wir doch glücklich. Jetzt darfs gar nicht schnell kommen, sonst wär's zu viel!«

Als sie noch manches so gesprochen, gingen sie die Stiege hinunter. »Im Tennen,« d. h. in der Hausflur, angekommen, sahen sie einen Buben zur Thür hereinkommen, der sich vorsichtig umsah. Es war der kleine Gönner des Liebespaars, Johannesle. Annemarie, die schon gehört hatte, wie sie bei dem Bürschchen in Gnaden stand, flog auf ihn zu, gab ihm die Hand und fragte, was er wünsche, ob sie vielleicht mit einer guten Birn aufwarten könne. Johannesle schüttelte ernsthaft den Kopf und betrachtete sie mit prüfendem Blick, so daß die Mädchen sich lächelnd ansahen, und Annemarie fragte, was denn sonst sein Begehr sei? Darauf sagte er endlich: »Ich hab' gehört, du willst den Ludwig lassen und einen andern heirathen. Ist das wahr?« — »Nein,« rief das Mädchen unbedacht, »das ist nicht wahr! Entweder den Ludwig oder keinen!« Der Kleine war sichtlich erfreut. »Ich hab's ja gesagt,« erwiederte er selbstzufrieden und wandte sich zum Abgehen, voll Begierde, seinen »Stangenreiter« (Oberknecht) zu beschämen. Annemarie rief: »Bleib doch, liebs Büble, und komm mit in den Garten!« Aber Johannesle rief: »Ich muß fort,« und eilte davon. Regine sagte mißbilligend: »Da hast du's! Der wird's unter die Leute bringen!« — »Es soll auch unter die Leute,« erwiederte Annemarie. »Das kann[S. 76] und darf nicht verschwiegen bleiben. Heute noch geh' ich zum Herrn Pfarrer und sag' ihm alles.«

Sie erfüllte dieses Wort Nachmittags. Der Geistliche las den Brief, den das Mädchen ihm übergab, mit ernster Aufmerksamkeit und mit einer innerlichen Freude, die beinahe durchgebrochen wäre und seine Parteinahme verrathen hätte. »Es ist gut!« rief es in ihm. Wie Annemarie sah, daß er mit dem Lesen fertig war, sagte sie: »Herr Pfarrer, Sie sehen, ich hab' mein Versprechen gehalten. Nun hab' ich in der Sache nur noch eine Pflicht und der will ich nachhandeln, ohne an etwas anderes zu denken.« — »Die Pflicht,« versetzte der Pfarrer, indem er sie lächelnd ansah, »in Geduld zu erwarten, was da kommen soll.«

Der alte Herr achtete es unter den gegenwärtigen Umständen für gerathen, den Angerbauer in seinem Hause aufzusuchen und ihm von dem Stand der Dinge Meldung zu thun. Als der Bauer den Kern der Neuigkeit und ein paar Ausdrücke aus Ludwigs Brief vernommen hatte, rief er aus: »O Unsinn! o Tollheit! o verkehrte Welt! Nehmen Sie mir's nicht übel, Herr Pfarrer, aber womit hab' ich' verschuldet, daß ich mit so einem Menschen gestraft bin? Wenn ich nur im Grab läge, dann könnten sie thun, was sie wollten!« Die Bäuerin ließ sich ähnlich vernehmen, aber in gedämpfteren Tönen. Ihr Schlußwort lautete: »Wer hätte das dem Menschen zugetraut! Man soll doch niemals sagen, daß man sich in Einem auskennt, sogar bei seinem eigenen Kind!« Der Pfarrer versetzte: »Es thut mir leid, daß euch meine Nachricht betrübt; aber da das Mädchen zu mir das Vertrauen hatte und mir den Brief zu lesen gab, so hab' ich's für meine Schuldigkeit gehalten, euch davon zu unterrichten, obwohl ich mich sonst in Familienangelegenheiten nicht gern mische.« Der Angerbauer sagte mit Würde: »Ich dank' Ihnen dafür, Herr Pfarrer. Wir müssens hoch aufnehmen, daß Sie sich selber herbemüht haben.« Nach einer Weile sagte die Mutter: »Was soll nun aber aus dem Ludwig werden, wenn er so gesinnt ist?« — »Was er selber will,« entgegnete der Vater barsch. Die Mutter seufzte und sagte: »Aber —« — »Nichts aber!« rief der Bauer dazwischen. »Willst du etwa haben, daß wir uns durch seinen Trotz einschüchtern lassen und[S. 77] nach ihm schicken sollen? Da, frag den Herrn Pfarrer! — Haben Sie,« fuhr er zu diesem gewandt fort, »nicht neulich zu mir gesagt, wir sollen nicht nachgeben, er müsse zu uns kommen?« — »Ja,« antwortete der Pfarrer, »und das ist noch jetzt meine Meinung.« Der Bauer sah sein Weib triumphirend an und sagte: »Siehst du?«

Nach einigen Worten des Trostes empfahl sich der Geistliche; die Eheleute begleiteten ihn bis zum Hofthor, von wo der Bauer düster, die Frau kopfschüttelnd zurückkehrte.

Seit dem Tage, wo Ludwig das väterliche Haus verließ, war der Angerbauer nicht nach Nördlingen gekommen. Er fürchtete zuerst überhaupt Bekannte aus der Stadt oder aus andern Dörfern zu treffen, deren Fragen er nicht so leicht mit einer Grobheit beantworten konnte. Später scheute er hauptsächlich ein Zusammentreffen mit dem Schmiedbauer, dessen Charakter und Manieren er kannte. Zuletzt konnte er doch eine Fahrt zur Schranne nicht länger vermeiden: er hatte noch altes Korn, der Preis war gut und nach seiner Ansicht keine Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sich lange so halten werde. Er ließ mit einer Partie des Getreides einen Wagen laden und war bald an Ort und Stelle.

Das Gewühl in der Schranne war für diese Zeit groß. Es hatten sich württembergische Händler eingefunden, die bedeutende Einkäufe machten. Der Angerbauer wurde an einen derselben seinen ganzen Wagen Korn los; er war froh und hoffte an diesem Tag nichts Unangenehmes mehr zu befahren. Die Bekannten, die er getroffen, hatten ihn im Drang der Geschäfte nur flüchtig begrüßt und an seine Familienangelegenheit nicht gedacht, wenigstens nicht davon gesprochen. Den Schmiedbauer hatte er gar nicht gesehen. Als das Korn abgemessen war, hieß er den Oberknecht mit dem Wagen zu einem Wirthshause am Thor fahren, wo die Angerbäuerin aufsitzen würde. Diese hatte sich bei dem guten Wetter zu Fuß nach der Stadt begeben, um Einkäufe zu machen, wollte aber für den Nachhauseweg den Wagen benutzen. Der Bauer wollte den Nachmittag in der Stadt verbringen, um nach Bequemlichkeit heimzuwandern. Wie er unter einem Seitenthor der Schranne stehend den Knecht wegfahren sah, hörte er von der andern Seite her plötzlich den hellen Ruf: »Guten Tag, Vetter Angerbauer!« Er sah sich um und erkannte[S. 78] den Schmiedbauer, der ihm begierig zunickte. Augenblicklich ein »danke schön« brummend ging er rasch auf die Straße und verschwand im Gewühl der Menschen und Wagen.

Anfangs war seine Absicht gewesen, zum »Fadenherrn« in der Nähe der Schranne zu gehen, wo er gutes Essen und Bier zu finden gewohnt war. Nun aber hütete er sich wohl, in einem Hause einzukehren, wo er sicher mit dem »boshaften Kerl,« dem Schmiedbauer, zusammenkommen würde. Er vermied aus demselben Grund auch das Wirthshaus am Thor und suchte ein drittes auf, wo er sein spätes Mittagessen in Ruhe verzehren zu können hoffte. Darin täuschte er sich nicht. Er traf zwei Männer aus seinem Dorf, setzte sich zu ihnen und ließ sich Braten und Salat wohl schmecken, während der Schrannentag ergiebigen Stoff zur Unterhaltung bot.

Nach langer Zeit wurde es ihm wieder fast behaglich zu Muthe, wozu der um den Leib geschnallte, gefüllte Geldgurt das Seine beitragen mochte. Er trank nach Durst und übergab eben die blanke zinnerne Bierkanne der behenden Wirthstochter zur zweiten Füllung, als die Thüre aufging und der Schmiedbauer hereintrat. — Dieser hatte ihn in nicht weniger als drei Wirthshäusern vergebens gesucht. Sein Muth wurde dadurch nicht geschwächt, und er war eben im Begriff, in ein viertes zu gehen, als ihm von einem Bekannten das rechte verrathen wurde.

Der Angerbauer, als er den Gefürchteten erblickte, fuhr zurück, als wenn ihn eine Schlange gebissen hätte. Der Schmiedbauer ging auf ihn zu, das Gesicht von einem Vergnügen belebt, wie es Reineke der Fuchs empfunden haben mochte, als er den ehrlichen Lampe in seiner Höhle sah. Große, blanke Zähne weisend, die man ordentlich wässern sah, rief er seinem Opfer zu: »Guten Tag noch einmal! Du bist heute schwer zu finden, Vetter Angerbauer! Schon in drei Wirthshäusern hab' ich dich umsonst gesucht!«

Der Angerbauer hatte sich wieder etwas gefaßt. Er bot ihm nicht das eben ankommende Bier zum Trinken — eine Höflichkeit, die man eintretenden Bekannten sonst gewissenhaft zu erweisen pflegt, — sondern antwortete trocken und ein wenig den Mund verziehend: »Woher kommt dir denn auf einmal das große Verlangen nach mir?«

[S. 79]

»Da haben wir's!« sagte der Schmiedbauer; »gleich wieder stolz!« — Und indem er die beiden andern listig anblinzelte, fuhr er fort: »Bist du denn gar nicht neugierig, etwas von deinem Ludwig zu hören?« — Der Angerbauer, sich bezwingend, erwiederte: »Nicht im Geringsten!« — »Nun, nun,« versetzte der andere, »stell dich nur nicht so an, ich weiß doch, daß du gern etwas von ihm hören möchtest. Du brauchst dich auch gar nicht zu fürchten: ich kann ihn nur loben. Er macht sich ganz vortrefflich, und ich muß dir nur sagen, ich hätt's dem Sohn eines so reichen Mannes nicht zugetraut, daß er einen so geschickten Handknecht abgäbe. Er sucht wahrhaftig seines Gleichen, namentlich im Futterschneiden und Misten.«

Bei diesen Worten konnten die beiden Unbetheiligten sich nicht enthalten zu lächeln; dem Angerbauer stieg das Blut in's Gesicht. Finster entgegnete er: »Mag er machen, was er will! Er ist mein Sohn nicht mehr und geht mich so wenig an, wie einen von euch!« — »Geh',« sagte der Schmiedbauer, »sei gescheidt! Unser Kind bleibt immer unser Kind.« — »Und ich sag' dir,« versetzte der Angerbauer mit zornigem Nachdruck, »daß ich nichts mehr von ihm wissen will, und bitt' mir's aus, daß du jetzt von ihm das Maul hältst!«

Auf diese verständliche Abweisung zuckte der Schmiedbauer die Achsel. »Mir auch recht,« sagte er. »Wenn du nichts mehr von ihm wissen willst, dann bleibt mir ein Handknecht, wie ich ihn brauche und wie man ihn heutzutage nicht mehr findet. Schaffen thut er für Zwei und gehorchen, als wenn er ein geborener Knecht wäre. Wenn ich, oder mein Sohn, oder meine Tochter, oder mein Oberknecht ihm etwas sagen, läuft er wie ein Wiesel. Wenn du ihn nicht mehr willst, gut! Ich hab' den Vortheil davon.«

Indem er bei den letzten Worten die Zielscheibe seiner Bosheit ansah, fühlte er, daß er für jetzt nicht weiter gehen dürfe. In dem Angerbauer kochte es gefährlich. Seinen Sohn vor den beiden Männern als gehorsamen Knecht loben zu hören, war für ihn schrecklich, und die Absicht des Schmiedbauern, ihn zu verhöhnen, machte ihn wüthend. Wäre er mit diesem allein gewesen, er hätte ihm eine Antwort mit der Kanne an den Kopf gegeben, auf welche kein weiterer Bericht mehr erfolgt wäre. In der vollen Wirthsstube mußte er an sich[S. 80] halten und schwieg daher grimmig still. Der andere fand für gut zu bemerken: »Nun, ich sehe, es ist dir wirklich unlieb, etwas weiter zu hören; lassen wir's also gehen!« Der Angerbauer nickte bedeutsam, als wollte er sagen: »Du thust sehr gescheidt daran!«

Von einem der beiden Bauern wurde das Gespräch wieder auf die Schranne zurückgelenkt und blieb dabei. Auf diese Weise kam jedoch der Angerbauer um eine Nachricht, die ihm lieb gewesen wäre, denn der Schmiedbauer war bekanntlich kein bloßer Bösewicht. Er wollte heute an dem Vetter sein Müthchen kühlen und an den »hoffährtigen Kameraden« ein wenig ärgern; dann aber wollte er ihm sagen, daß der junge Bursch in seinem Hause deßwegen kurz gehalten und tüchtig angespannt werde, damit er sich nach den Eltern sehne und endlich demüthig heimkehre, wie sich's gebühre. Er wollte sich dem Angerbauer von seiner ernsthaften Seite zeigen, ihm Vorschläge machen, seine Wünsche hören. Allein da dieser nach seiner Ansicht gar keinen Spaß verstand, so wollte er sich auch auf den Ernst nicht einlassen. Er dachte: »Es ist der Alte! immer gleich oben aus! Gut, für heute soll er nichts weiter hören!«

Als der Angerbauer die zweite Kanne noch nicht ganz geleert hatte, zahlte er und schickte sich an zu gehen, indem er sagte, er habe noch einen Gang zu machen. Den Schmiedbauern übermannte noch einmal der Muthwille und er fragte den Abgehenden in schelmisch gemüthlichem Ton: »Soll ich also wirklich deinem Ludwig keinen schönen Gruß von dir ausrichten?« Der Angerbauer gab ihm hierauf eine Antwort, die ihm der kindischen Bosheit der Frage allein entsprechend schien, und entfernte sich, indem er die Thüre stattlich zuschlug. Je mehr Zorn jene Antwort verrieth, desto vergnügter lachten die drei Zurückgebliebenen zusammen und schwatzten noch eine Weile über diesen Spaß.

Unser Mann ging geradeswegs nach Hause. Indem er mit wenig gemindertem Zorn in's Kanzlei eintrat, fand er dort sein Weib in einer ähnlichen Stimmung. Ohne vorläufig darauf zu achten, erzählte er, was ihm begegnet, und die Angerbäuerin stimmte in seine Ausrufungen über die Bosheit der Menschen treulich mit ein. Dann bekannte sie, ihr sei beinahe noch etwas Aergeres passirt. Neugierig[S. 81] drängte sie der Mann, zu erzählen. Die Bäuerin hub an: »Ich bin zuerst bei der Melbersbas gewesen und hab' mich etwas länger verweilt, als ich dachte. Dann bin ich zum »Canditor« gegangen und hab' Zucker, Kaffee und Gewürz gekauft. Wie ich aus dem Laden auf die Straße hinausgeh', wer kommt auf mich zu? Die Ev' mit ihrer alten Bas! Ich will dirs nur sagen, ich bin ein wenig verhofft gewesen und es ist mich ordentlich ein Zittern angekommen. Aber doch bin ich gleich auf sie zugegangen, hab' sie freundlich gegrüßt und »guten Tag« geboten. Die alte Bas hat gedankt; die Ev' hat aber nur ihr »Schnäuzle« naufgezogen.« Der Angerbauer, der aus allem abnahm, was kommen würde, bemerkte mit einem gewissen Humor: »Sag' Schnauz, das paßt besser!«

Die Mutter fuhr fort: »Weil ich sie nun seit dem Vorgang nicht wieder gesehen hab', so hab' ich nach etlichen Reden gesagt: »Uns hat halt seitdem ein rechtes Unglück getroffen!« Denn wenn man sich so gut kennt, dann kann man wohl vertraut mit einander reden.« »Ja, ja,« antwortete die alte Bas, »das ist eine böse Geschichte! Wer hätte dem Ludwig das zugetraut!« — »Ja freilich,« hab' ich wieder gesagt, »hätt' man ihm das nicht zugetraut; aber junge Leute machen eben manchmal tolle Streiche. Alles ist deßwegen nicht verloren, er kann sich wieder anders besinnen, kann heimkommen und alles kann noch gut werden.« Da hättest du die Ev' sehen sollen! Roth wie ein welscher Hahn tritt sie vor mich hin und sagt: »Ihr glaubet doch nicht, Frau Bas, daß es mit Eurem Ludwig und mir noch was werden kann? Wenn Ihr so was denkt, dann schlagt's Euch nur aus dem Sinn. Das wär' mir das Wahre! Ein Mensch, der sich so aufführt! Nein, Frau Bas, für so einen bedank' ich mich schön und bin froh, daß ich ihn los geworden bin.« Ich hab darauf gesagt: »Was willst du denn? — hab ich denn davon geredt?« Aber sie hat sich nicht irr machen lassen und höhnisch gesagt »Aufrichtig, Frau Bas, Ihr thätet am besten, wenn Ihr Eurem Sohn seinen feinen Schatz ließet. Sie ist ihm nun einmal die Liebste auf der Welt, und ein ordentliches Mädchen nimmt ihn ohnehin nicht mehr.«

»Was,« rief hier der Angerbauer auffahrend, »das hat sie dir[S. 82] gesagt?« »Ja,« erwiederte sein Weib, »das hat sie gesagt.« — »Gut!« versetzte der Mann, »ganz gut! Also so eine ist die? Ein großes Unglück scheint's nicht, wenn wir die nicht zur Söhnerin bekommen!« — »Das mein' ich auch,« bemerkte die Frau, »und das hab' ich ihr auch gesagt.« »So groß gefehlt wär's nicht,« hab' ich ihr gesagt, »wenn er das Mädchen bekäme. Denn wenn sie auch nicht reich ist, so ist sie doch brav und hat mehr Art als manche reiche Bauerntochter, die ich kenne.« Dabei hab' ich ihr steif in's Gesicht gesehen. Sie aber hat sich nichts daraus gemacht und gesagt: »Nun, da wünsch' ich recht viel Glück dazu! Machts nur bald richtig und vergeßt nicht mich auch auf die Hochzeit zu laden.« Damit hat sie »guten Tag« gesagt und sich umgedreht und die Alte, die den Kopf geschüttelt hat, mit sich fortgezogen.«

Der Angerbauer war ernsthaft geworden und brach nun in die Worte aus: »Eine saubere Person, das muß ich sagen! Da dürfen wir ja von Glück sagen, daß wir sie noch zu rechter Zeit kennen gelernt haben!« — »Sicherlich,« erwiederte die Mutter.

Nach einem längeren Schweigen, während dessen sie nachdenklich vor sich hingesehen hatte, begann sie wieder: »Vater, ich möchte dir etwas sagen, aber du mußt nicht bös werden.« — »Nun,« erwiederte der Bauer mit argwöhnischem Ausdruck, »du wirst hoffentlich nicht im Ernst verlangen, daß wir dem Burschen das Mädchen geben?« — »Behüte,« versetzte die Mutter, »das weiß ich schon, daß das nicht geht. Nein, ich hab' nur sagen wollen, daß mich der Ludwig »a'fanga« dauert (anfängt mich zu dauern). Ich glaub', er wär gern wieder bei uns, aber er hat deinen Kopf: er kommt nur nicht, weil er's einmal gesagt hat.« — »Soll ich ihn,« bemerkte der Bauer, »etwa selber holen, weil er meinen Kopf hat?« — »Auch nicht,« sagte die Mutter. »Ich meine nur, wir ließens ihm unter der Hand wissen, daß er kommen könnte; mit der Ev' wollten wir ihn nicht mehr plagen.« — Der Bauer versetzte: »Nein, das geschieht nicht! um keinen Preis der Welt! Wenn ich da nachgäb', müßt ich mehr nachgeben!« — »Aber deßwegen —« — »Das muß ich besser wissen. Ich thu's nicht, jetzt erst recht nicht, und damit Punktum!« — Wie gewöhnlich[S. 83] wenn er einen solchen Trumpf ausgespielt hatte, stand er auf und verließ die Stube.


Während dieser Erlebnisse der Seinen arbeitete Ludwig mit neuer Kraft und neuem Muthe weiter. Er hatte in Rücksicht auf sein Dienstverhältniß einer Anfeuerung bedurft; das Schreiben der Geliebten und die Abfassung seiner Antwort gewährten ihm diese aber in vollem Maße. Es war ihm ganz, wie er geschrieben. Sein Geist war aufgerichtet; das Bewußtsein, ein solches Herz gewonnen zu haben, das Gefühl, ihrer werth zu sein, und die Hoffnung, die aus diesem Gefühl emporkeimte, ließen ihn alle Mühen mit Freudigkeit ertragen. Er hatte nun auch eine Bekanntschaft gemacht, die ihm angenehm und tröstlich war. Von seinem Bauer zum Pfarrer des Ortes geschickt, antwortete er diesem auf seine Fragen so verständig und gutmüthig, daß der Geistliche das Gespräch verlängerte, so weit es anging, und den jungen Burschen aufforderte, ihn in freien Stunden zu besuchen. Es war dieß ein Mann in mittleren Jahren, der aber ähnliche Ansichten zu haben schien, wie der alte Herr, den wir kennen, da er an den entlaufenen Sohn keine Ermahnungen richtete, die er nicht hätte befolgen mögen, sondern sich unbefangen im Kreise allgemeiner Belehrung hielt.

Die Annehmlichkeiten, die er aus alledem schöpfte, waren Ludwig auch nöthig, um ein Uebel zu bestehen, das immer ärger zu werden schien. Dieß war der Uebermuth Michels, der nicht selten in wirkliche Bosheit ausartete. Verdroß es ihn, daß Ludwig bei seinen Neckereien nicht mehr empfindlich wurde, sondern ihn lächelnd oder mitleidig ansah; war er eifersüchtig auf die Seelenfreude, die verschönernd aus dem Gesichte des Knechts leuchtete, oder auf das Lob, das sein Vater diesem hie und da auf seine Unkosten ertheilte, genug, der junge Schmiedbauer ging in seiner herrischen Anmaßung gegen Ludwig weiter und weiter, so daß er alle die Seinen hinter sich ließ. Die schwache sinnliche Gutmüthigkeit, wie man dieß in der Welt öfter sehen kann, bestand die Probe nicht, die ihr auferlegt wurde, und verwandelte sich unter gewissen Anreizungen geradezu in Gemeinheit. Eine solche Anreizung mochte für den Burschen auch[S. 84] in der Nachricht seines Vaters liegen, daß der Angerbauer seinen Sohn verläugne und, wie es scheine, wirklich nichts mehr von ihm wissen wolle. Konnte man gegen einen Verstoßenen sich nicht gehen lassen nach Belieben?

Als die kleinen Mittel nichts mehr verfingen, wendete Michel die gröberen und plumperen an, und es gelang ihm nun allerdings wieder, den Untergebenen zu ärgern und zu erzürnen. Ungerechte Behandlung zu ertragen ist für gewisse Gemüther das Schwerste; und wenn sie sich's auch vornehmen, bei den Anmaßungen der Dummdreistigkeit ruhig zu bleiben, so glückt's ihnen doch nicht immer. Die Geduld Ludwigs wurde auf harte Proben gestellt; das Betragen Michels erschien ihm so kläglich, daß er den Ausbruch des Zorns und der Verachtung kaum mehr zurückhalten konnte. So sammelte sich nun aber ein Maß von Galle in ihm an, das nur noch berührt zu werden brauchte, um überzulaufen.

An einem Sonntag nach dem Essen kamen »Freunde« — wie, man weiß, Verwandte — des Schmiedbauern zum Besuch angefahren, Vater, Mutter und ein fünfzehnjähriger Sohn. Sie wurden mit Kaffee und »Goglopf« (Guglhupf) traktirt, welchen Madlene und die Magd am Vormittag zu diesem Zweck verfertigt hatten. Als endlich auch der »junge Vetter« dem Nöthigen zu einer neuen Schale nicht mehr Folge leisten konnte, führte man die Gäste im Hause herum und zeigte ihnen Küche und Keller, Kasten und Schreine und deren Inhalt zum Bewundern, welcher Absicht die Bauersleute höflich entgegenkamen. Michel empfand großes Verlangen, ihnen die Ställe zu zeigen, und freute sich namentlich, ihnen die Zierde derselben, einen schönen zweijährigen Braunen vorzuführen. Er eilte voraus in den Roßstall, fand den Oberknecht ausgegangen, Ludwig aber bei der Hand. Bei dem Anblick desselben fuhr der böse Feind in ihn und gab ihm den Gedanken ein, sich selbst in seiner Herrlichkeit und den Sohn des Angerbauern, der mit den Gästen ebenfalls einigermaßen verwandt war, in seiner Erniedrigung zu zeigen. Er rief in barschem Ton: »Ludwig, führ' den Braunen in den Hof!« Ludwig gehorchte und dankte den Verwandten auf den Gruß, den sie ihm boten, mit bescheidener Höflichkeit. Das junge Roß ward im Freien munter und[S. 85] fing an zu laufen. Michel rief ärgerlich: »Nicht so schnell!« Der Angefahrene hielt es zurück; Michel schrie nun: »Zu langsam! Marsch! Zu!« und vexirte den andern so, daß die Gäste bald sahen, worauf es hier angelegt war, den rothgewordenen Ludwig bedauerten und den Sohn des Hauses für einen dummen Prahler hielten. Endlich rief Michel: »Laß ihn laufen! Schnell! schneller!« Ludwig gehorchte; das Roß wurde im Trab übermüthig, sprang auf die Seite, traf mit den Hinterbeinen in eine kleine Kothlache, die vom gestrigen Regen herrührte, und bespritzte den schön gestreiften Rock der Bäuerin.

Auf so etwas hatte Michel gewartet. Den Umstand, daß dieser armselige Zufall nur in Folge seiner Befehle eingetreten war, natürlich außer Acht lassend, ergriff er mit Begierde die Gelegenheit, zugleich seine Machtvollkommenheit und seine Galanterie gegen die Base an den Tag zu legen; er schrie Ludwig zornig an: »Du bist ein Esel! Nicht einmal ein Roß kannst du führen, wie sich's gehört!« — Das war aber dem Burschen zuviel. Während die Gäste Ausrufe des Bedauerns hören ließen, übergab er dem kurz vorher angekommenen dritten Knecht das Roß, trat vor Michel hin und rief: »Du bist der jämmerlichste aller Menschen! Noch ein solches Wort gegen mich, und ich brech' dich zusammen!« Seine Augen funkelten, in seinem Gesicht brannte die Glut des Zorns und der Verachtung, seine Arme zuckten, als ob er seine Rede sogleich wahrmachen wollte. Michel erschrack und trat blaß geworden einen Schritt zurück. Der gemeinschaftliche Vetter stellte sich zwischen sie und ermahnte zur Ruhe. Unterdessen faßte sich Michel wieder, und indem er eine hochmüthige Miene anzunehmen suchte, sagte er zu Ludwig: »Mit dir wird man noch fertig werden, und das bald!« Dann sah er sich um, ob nicht sein Vater oder der Oberknecht in der Nähe wäre. Ludwig folgte dieser Bewegung, und seine Gedanken errathend, rief er: »Schrei keinem, ich rath es dir! Wenn ihr zusammen über mich herfallt, dann ist's Nothwehr, was ich thu', und« — setzte er hinzu, indem er die Hand an die Seitentasche legte — »ich schwör's bei Gott: den ersten der mich anrührt, stoß' ich nieder wie einen Hund!« Der Bauer, dem dieß zu stark war, sagte: »Führ keine solche Reden, das geziemt sich nicht für dich!« — »Für mich geziemt sich alles,« entgegnete der Gereizte,[S. 86] »was sich für einen freien Menschen geziemt! In dem Augenblick bin ich kein Knecht mehr, sondern der Sohn meines Vaters! Aus diesem Haus geh' ich fort, auf der Stelle — das versteht sich von selbst!« Er wandte sich zum Abgehen, drehte sich aber nochmal gegen Michel um und machte mit geballter Faust eine Bewegung, als ob er sagen wollte: Du weißt, was geschieht! Dann ging er in die Stallkammer zu seinem Lager und nahm aus dem daneben liegenden Schrein seine wenigen Habseligkeiten heraus, um sie zur Wanderung zusammenzubinden.

Unterdessen war der Schmiedbauer mit seiner Tochter aus dem Hause gekommen. Auf sein Befragen, welch ein Lärm das sei, erzählte der Vetter den Handel, war aber so gerecht zu sagen, daß Michel dem Ludwig es zu arg gemacht habe, was von der Base mit der Bemerkung bestätigt wurde, daß es wegen des »Spretzers« auf ihrer Schürze nicht der Mühe werth gewesen wäre. Der Schmiedbauer verwies dem Sohn sein Betragen und hieß ihn in die obere Stube gehen: die Sache wolle er nun allein ausmachen. Michel entgegnete, dem Kerl werde er nicht aus dem Wege gehen, entfernte sich aber doch.

Ludwig, sein Bündel unter dem Arm, kam herbei. »Schmiedbauer,« sagte er mit verhältnißmäßiger Ruhe, »Ihr habt wohl schon gehört, was geschehen ist, und werdet begreifen, daß ich in Eurem Hause nicht länger bleiben kann.« — »Das begreif ich,« sagte der Bauer. »Aber wo willst du hin?« Ludwig erwiederte: »Ich geh' nach Augsburg.« Der Bauer bemerkte: »Es wäre gescheidter, wenn du zu deinem Vater heimgingest. Die Gelegenheit wär' gut.« — Ludwig entgegnete unmuthig: »Behaltet Euren Rath für Euch,« und wollte gehen. — »Wie!« rief der Bauer, »ohne deinen Lohn? Du bekommst noch zwei Gulden.« — Ludwig erwiederte, er schenke ihm den Lohn, worauf der Bauer nicht ohne Würde ausrief, er wolle nichts geschenkt von ihm, was er verdient habe, müsse er nehmen. Ludwig ließ sich die zwei Gulden bezahlen, drückte sie dem dritten Knecht in die Hand, der ihn erstaunt ansah, wünschte den Umstehenden wohl zu leben und richtete seine Schritte dem Wirthshaus zu. Da der Abend herannahte, so wollte er hier übernachten und morgen mit dem Frühesten[S. 87] nach Augsburg wandern, wozu er noch beinahe zwei Gulden vom früher eingenommenen Lohn hatte. Sein Gedanke war, an diesem Ort, wie schon so Mancher vom Ries, sein Glück zu machen, Annemarie nachzuholen und sie in eine schöne Stadtwohnung als Frau einzuführen.

Als er in die stark besuchte, von Tabakrauch erfüllte Wirthsstube trat, wurde er von einem Tisch junger Burschen freundlich begrüßt und zwei davon streckten ihm mit der üblichen Frage: »Kann ich aufwarten?« ihre gefüllten Gläser entgegen. Der Streit mit dem jungen Schmiedbauer war von mehreren, die zufällig am Hofe vorübergingen, mit angehört worden, und diese hatten nichts Eiligeres zu thun, als die Geschichte durch's Dorf zu verbreiten. Kurz vorher war sie in der Wirthsstube erzählt worden, und die Zuvorkommenheit der jungen Leute hatte ihren Grund darin, daß Ludwig es dem eingebildeten Michel so hinausgegeben, und — daß er kein Knecht mehr war. Unser Bursche that mit ebenbürtiger Miene Bescheid, aß und trank, sagte dem Wirth, daß er über Nacht bleiben wolle, und ließ sich von ihm in die obere Stube führen. Hier begehrte er Schreibzeug und begann einen Brief an Annemarie, worin er ihr den heutigen Vorgang und seine Pläne mittheilte. Als er fertig war, klopfte es an die Thüre. Die Wirthsmagd brachte Licht mit einem Brief, der so eben unten für ihn abgegeben worden sei.

Ludwig betrachtete die Aufschrift, erbrach das Schreiben und las, zuerst mit allen Zeichen großer Ueberraschung; dann schüttelte er ernst den Kopf, als ob er mit dem Inhalt nicht einverstanden sein könnte. Er las weiter; eine eigenthümliche Empfindung spiegelte sich in seinen Zügen, er sah empor, wie bewegt von einem lockenden und drängenden Gedanken. Auf einmal stand er auf und rief entschlossen: »Ich thu's!« — Er setzte sich wieder, versank in Nachdenken, und sein Gesicht nahm einen wehmüthigen Ausdruck an, wie das eines Menschen, der weiß, daß sein Thun verdammende Urtheile erfahren wird. Er packte sein Bündel aus und ordnete seine Habseligkeiten geschickter, als es in der ersten Eile möglich gewesen. Was der Brief auch enthalten mochte, in dem Beschluß, die Wanderung anzutreten, schien er ihn nur bestärkt zu haben.

[S. 88]


Nach einem in mäßiger Arbeit verbrachten Tage saß der Angerbauer bei seinem Weib im Kanzlei. Die Abendmahlzeit war vorüber, eben so das Läuten der Kirchenglocke, das die Familien zum Abendgebete ruft, und welches darum »Betläuten« genannt wird. Die Ehehalten waren zum größten Theil schon im Bette, weil sie morgen sehr früh wieder heraus mußten; nur der Oberknecht war noch im Roßstall und erzählte dem Andres Geschichten. In der Stube herrschte große Stille, in welcher nur das Ticken der Wanduhr — stärker, als man ihrs bei Tage zugetraut hätte — und das »Spinnen« der großen Hauskatze vernehmlich war. Der Angerbauer hörte nichts von beiden; er ruhte gedankenvoll in dem braunledernen Großvaterstuhl am Ofen. Die Bäuerin saß am Wandtisch, auf dem eine brennende Oelampel stand. Sie sah bekümmert aus und war offenbar mit einem bestimmten Gedanken beschäftigt. Diesen zu äußern brach sie das Stillschweigen, und zwar in einem Tone, als ob sie ein unterbrochenes Gespräch wieder aufnähme. »Was doch das Geld ist!« sagte sie mit einer Art Seufzer. »Wenn das Mädchen nur einen Hof hätte wie die andere, eine bessere Schwiegertochter könnten wir uns nicht wünschen!« — Der Bauer fuhr aus seinen Gedanken auf und erwiederte: »Was redest du da wieder! Sie hat ihn nun einmal nicht! Wenn! Als ob einem damit geholfen wäre!« — Die Bäuerin ließ sich nicht irre machen und fuhr fort: »Ich hab' sie heut' wieder an mir vorbeigehen sehen, und was mir besonders gefallen hat, ist ihre Sauberkeit, und daß ihr alles so wohl ansteht. Das würde eine Haushaltung werden wie unsere.«

Der Alte wurde ernstlich böse. »Ich möchte doch wissen,« rief er aus, »was das für ein Vergnügen ist, sich Dinge vorzustellen, die nicht sein können. Sei doch nicht kindisch!« — »Nun ja,« erwiederte die Frau, »ich weiß ja, daß es nicht sein kann; aber man darf doch wohl davon reden.« — Sie schwieg eine Weile still, konnte oder wollte sich aber noch nicht zufrieden geben, und begann daher: »Wer hätte gedacht, daß es uns so ganz unglücklich gehen würde! Statt einen Sohn gut zu versorgen, müssen wir ihn bei Leuten dienen lassen, die ihn schlecht behandeln, und vielleicht bald hören, daß er in die weite Welt gelaufen ist, wo wir ihn gar nicht mehr sehen!«[S. 89] — Der Vater erhob sich in großem Unmuth. »Ich seh,« rief er, »es ist die höchste Zeit, daß wir in's Bett gehen! Nimm die Ampel und zünde mir, ich geh!« — »Nun,« versetzte die Mutter, »thu' nur nicht gleich so wild!« Sie erhob sich und folgte dem Mann in die Stube.

Als sie eben der Thür sich näherten, hörten sie ein Gebell vom Hofhunde, das sich rasch in ein Freudengeheul verwandelte. Sie horchten. Ein froher Lärm erhob sich vom Stalle her und bald vernahmen sie den lauten Ruf von Andres: »Er ist da! Er ist da!« — Das Herz der Mutter klopfte, mit zitternder Hand öffnete sie die Thüre, sah umher und erblickte an dem Ende des Ganges, der vom Stall in den Tennen führte, den verloren geglaubten Ludwig, von Andres mit jubelndem Eifer vorwärts gezogen. Einen Freudenschrei ausstoßen, die Ampel auf die Ofenbank stellen, dem wiedergefundenen Sohn entgegeneilen, ihn fassen und mit liebenden Worten begrüßen, war bei der guten Frau Eins. Sie nahm ihn beim andern Arm und führte ihn vereint mit Andres der Stube zu.

Der Angerbauer war von dieser, im gegenwärtigen Moment durchaus unerwarteten Heimkehr in die innerste Seele getroffen. Seine Gemüthsbewegung äußerte sich in einer Blässe, die über sein Gesicht ging und eben so wie die Freudenröthe der Mutter das Gefühl für den Sohn verkündete. Damit hatte er aber den Zoll der väterlichen Liebe abgetragen; er faßte sich im Augenblick wieder, unterdrückte seine Bewegung und sah dem Ankommenden in der Würde des häuslichen Richters entgegen, da die Mutter nach seiner Ansicht in der Güte viel zu weit gegangen war. Ludwig stand mit blutrothem Gesicht auf der Schwelle. Er hatte der Mutter »guten Abend« gesagt; vor dem Vater zeigte sich aber die Natur unfähig, den Beschluß des Willens auszuführen; der Mund war ihm wie durch einen Zauber verschlossen. Eben so unfähig war der Vater, diesen Zauber zu lösen durch ein mildes, entgegenkommendes, wenn auch mit väterlicher Rüge entgegenkommendes Wort.

Allein ich darf in dieser Schilderung nicht weiter gehen. Ich kenne die Leser und auch die schönen Leserinnen. Ich weiß, daß namentlich die letzteren am Manne das Heroische, Durchgreifende, stolz[S. 90] Beharrende lieben, und muß nun fürchten, daß unser Freund wegen seiner plötzlichen Nachgiebigkeit in ihrer Achtung gar sehr gesunken ist und ihre theilnehmenden Seelen von dieser Wendung überhaupt unangenehm berührt worden sind. Da es mir nun doch hauptsächlich um ihre Gunst zu thun ist, für mich sowohl als für meinen ländlichen Liebhaber, so muß ich vor allem berichten, wie dieser dazu gebracht wurde, den unerwarteten Schritt zu thun.

Als Ludwig sich vom Schmiedbauer in's Wirthshaus begab und den Brief an Annemarie schrieb, war es bei ihm ausgemacht, am andern Morgen nach Augsburg zu wandern. Eine Aenderung seines Entschlusses wurde durch den Brief herbeigeführt, den er Nachts erhielt und der ihm ein anderes Ziel der Wanderung bezeichnete. Er war geschrieben von dem alten Pfarrer und ihm zugesandt aus dem Hause des jüngeren Amtsbruders, wo er für einen Fall dieser Art schon bereit lag. Ich lasse ihn wörtlich folgen und seine Sache selbst führen. Der alte Herr schrieb:

»Lieber Ludwig! Ich höre von meinem Freunde und Amtsbruder, daß du von dem Bauer, bei welchem du als Knecht dienst, und von seinen Kindern immer übler gehalten wirst, und da ich annehmen muß, du werdest dich über kurz oder lang mit ihm überwerfen, so schreibe ich dir diesen Brief, damit er im Augenblick der Entscheidung das Gewicht eines freundschaftlichen Rathes in die Wagschale werfe, die sich zur Versöhnung neigt. Du weißt selber, Ludwig, daß dein alter Freund nicht zu denen gehört, die mit ihren Ermahnungen lästig werden, wo kein Wille und keine Fähigkeit ist, sie zu befolgen; aber dir muth' ich jetzt etwas zu, weil ich dir die Kraft zutraue, es zu thun. Um es offen zu sagen: du mußt zu deinen Eltern zurückkehren! Du mußt es freiwillig und sobald als möglich thun!«

»Ueber den Streit mit deinem Vater will ich jetzt nicht urtheilen. Ihr seyd aneinander gerathen und du hast das väterliche Haus verlassen — es sind geschehene Dinge. Aber nehmen wir an, es sei an dem Bruche einer so gut Schuld wie der andere — wem steht es zu, die Hand zum Frieden zu bieten, dem Vater oder dem Sohn? Die Antwort hierauf wirst du dir, wenn du unbefangen urtheilen[S. 91] kannst, selber geben. Der Sohn, der nachgiebt, erfüllt die Pflichten kindlicher Liebe und kindlichen Gehorsams; der Vater, der nachgiebt, verletzt die Pflichten der Herrschaft in seinem Hause und gibt sich unmännlich in die Hand des Kindes.«

»Wüßten deine Eltern nicht, daß sie dich aus dieser Ursache nicht zurückrufen dürfen, sie hätten's wahrlich schon lange gethan. Denn sie kümmern und grämen sich, sie verzehren sich in Sorgen und Unruhe, wie wenig sie sich vor andern auch anmerken lassen. Die Freude und die schöne Zufriedenheit ist aus ihrem Hause gewichen. Darf nun der Sohn, der davon Kenntniß erhält, zaudern, seinen Eltern die verlorene Freude wieder zu geben? Darf er zaudern, auch wenn man ihm zeigt, daß es seine Pflicht ist und er allein es vermag? Wenn der natürliche Mensch in dir widerstrebt, wenn er sich dreht und windet und allerlei Ausflüchte macht — um so besser, Ludwig! denn dann hast du Gelegenheit, in Ueberwindung desselben zu beweisen, daß du ein Christ und ein braver, sittlicher Mensch bist.«

»Ich wende mich an den Ludwig, der mir im Unterricht gar oft durch verständige und feine Antworten Freude gemacht. — Wenn ein Sohn, der trotzig davongelaufen, in das Haus seiner Eltern zurückkehrt, weil es ihm draußen schlecht geht und er gern wieder besser essen und trinken möchte, so ist er ein armer Sünder, dem man allenfalls verzeihen, aber keine Achtung schenken kann. Wenn er aber heimkehrt aus Liebe zu den Seinen und in der großmüthigen Absicht, ihnen Freude zu bringen, wenn er heimkehrt, obwohl er sich sagen kann, daß er sich draußen selber zu helfen vermöchte, dann ist er ein braver, edler Mensch und handelt in dieser christlichen Selbstüberwindung viel männlicher, als wenn er trutzig weiter und weiter liefe; denn es gehört viel mehr Kraft dazu, seinen Willen zu brechen, als seiner Leidenschaft zu fröhnen. — Das Christenthum, Ludwig, das ich dich gelehrt, ist nicht einem Gefäße gleich, das man in einen Kasten stellt, um es hie und da seinen Freunden zu weisen; es ist eine Sache zum Brauchen. Und je mehr und je fleißiger man diese Sache braucht, desto besser und schöner wird sie.«

»Erwäge noch etwas anderes! Du strebst nach einem eigenen, in deinen Verhältnissen ungewöhnlichen Preis. Du begehrst ein Mädchen[S. 92] zur Frau, die durch ihr Vermögen und ihre Stellung im Leben nach der hergebrachten Ansicht nicht deines Gleichen ist. Du verlangst, daß deine Eltern ihre Pläne opfern und ihre gewohnten Begriffe aufgeben sollen um deiner Leidenschaft willen. Womit hast du denn das verdient? Was hast du denn dafür gethan? Du forderst dem Vater seine Einwilligung ab, und wie er sie verweigert, brichst du mit ihm und gehst davon. Heißt das von seinen Eltern eine Gunst verdienen? Und wenn du nun ganz fortwandertest in die Fremde, könntest du von dem völlig geflohenen, doppelt gekränkten Vater erwarten, daß er dich dafür durch Erfüllung deiner Wünsche belohne? — Wenn du aber selbst ein Opfer bringst, wenn du dich demüthigst und in freiem Entschluß als gehorsamer Sohn zurückkehrst, dann möchte das wohl die Herzen der Deinen rühren, sie möchten eine Anregung empfinden, nun ebenfalls ein Opfer zu bringen und da zu belohnen, wo ein Verdienst vorhanden ist.«

»Ich will dir keine Hoffnungen machen, denn ich habe kein Recht dazu; noch weniger kann ich für etwas der Art einstehen. Allein wenn du den Segen des Himmels haben willst, so mußt du durch edles Handeln dich seiner werth machen. Und wenn du bei deinem Vater etwas erreichen willst, so darfst du nicht auf eine Schwäche rechnen, die er nicht hat, sondern du mußt die Großmuth zu erwecken suchen, deren er fähig ist.«

»Und nun bedenke, was deine braven Eltern von jeher für dich gethan haben, und frage dich, ob die Aufrechthaltung eines im Zorn gesprochenen Wortes so schwer wiegen darf wie die Pflicht der Dankbarkeit für unberechenbare Wohlthaten. Denke an die Freude, welche du den Deinigen machen wirst — und daneben auch ein wenig an die, welche dein alter Freund haben wird, der dich gar gern wieder in seiner Nähe hätte!«

Ob dieser Brief einen andern umgestimmt hätte? Ich weiß es nicht. Bei Ludwig erfüllte er seinen Zweck, und der alte Herr bewies hier, daß er seinen Schüler kannte. Der Verstand des jungen Burschen konnte den Gründen des Geistlichen nicht Unrecht geben und sein gutmüthiges Herz war empfänglich für die edlen Mahnungen, die er an sich gerichtet sah. Er erkannte klar: geschehen muß etwas, mein[S. 93] Vater thut's nicht, darum muß ich's thun. Er fühlte sich bei diesem Gedanken nicht kleiner als vorher, sondern größer, und deutlich rief es in seinem Herzen, daß der Gang nach Hause der Weg zu seinem Glück seyn werde. Er faßte seinen Entschluß und blieb dabei.

Am andern Morgen zerriß er den Brief an Annemarie und schrieb einen andern, der kurz so lautete: »Liebe Annemarie! Ich bin im Streit vom Schmiedbauer geschieden und folge nun dem Rath unseres guten Pfarrers und kehre aus freien Stücken zu meinen Eltern heim. Er hat mir seine Meinung schriftlich zukommen lassen und du würdest ihm eben so recht geben müssen, wie ich es thue. Ich bleibe dir unabänderlich treu und thu' nur einen Schritt, der uns dem Ziel, das wir beide uns gesetzt haben, näher bringen muß. Und vertrau dem Herrn Pfarrer und mir nur ohne weiteres, wenn ich dich auch in der ersten Zeit nicht gleich besuchen könnte. Es geschieht alles zu unserem Besten. Ich bin dein ewig getreuer Ludwig.«

Nachdem er diesen Brief an Annemarie durch eine sichere Gelegenheit abgeschickt hatte, wo sie ihn noch im Lauf des Tages bekommen mußte, nahm er von den Wirthsleuten Abschied, ging zum Pfarrer des Orts und theilte ihm sein Vorhaben mit. Der Geistliche lobte ihn sehr und wünschte ihm alles Glück, indem er ihm freundlich lächelnd Muth einsprach. Ludwig ging zuerst nach Nördlingen und richtete es so ein, daß er in der Dämmerung auf Feldwegen nach seinem Dorfe wanderte. Als er sich seinem Garten näherte — denn durch ihn wollte er ins Vaterhaus zurückkehren — mußte er erfahren, daß auch bei der größten Willigkeit des Geistes das Fleisch dennoch schwach sein könne. Wie fest er sich vorgenommen, heimzukehren als ein Mensch, der weiß was er will und der seine Pflicht erfüllt, so fing sein Herz doch gar mächtig an zu pochen und er wurde roth vor sich selber. Trotz dieser Anwandlungen des Schämens und Zagens ging er indeß vorwärts, bis er in den Hof und von da in die Stallung kam. Das Uebrige wissen wir.

Als der Alte sah, daß sein Sohn nichts vorzubringen vermöge, brach er das Stillschweigen auf eine Art, wie sie ihm für's erste allein möglich war. Er sagte: »Es scheint, daß es dir beim Vetter Schmiedbauer nicht recht gefallen hat, da du wieder zu einem Mann kommst,[S. 94] wie dein Vater ist. Hat man den Herrn vielleicht nicht gut gehalten? Hat man sich unterstanden, ihm durch den Sinn zu fahren? Wie oder hätte« — Weiter konnte er nicht reden, da die Mutter ihm mit dem Ausruf; »Bist du gleich still?« den Mund zuhielt. Zu Ludwig gewendet, sagte sie dann: »Kehr dich nicht an seine Reden, du kennst ihn ja! Ihm ist's am liebsten von uns allen, daß du wieder da bist!« — »Ja wohl,« bemerkte Andres, »ihm ist ein Mühlstein vom Herzen gefallen!« — Der Alte sah Andres an und sagte: »Ihr seyd Narren, du und deine Mutter!« — Dann faßte er sich und sagte mit Würde: »Freilich ist's mir lieb, wenn ich sehe, daß ein junger Mensch zur Einsicht kommt und seinem Vater nachgibt wie sich's gehört! Wenn ein toller Streich wieder gut gemacht und der Karren wieder ins Gleis geschoben wird, muß das einen vernünftigen Menschen freuen.«

Diese Rede öffnete dem Sohne wieder den Mund; er sagte mit bescheidener Festigkeit: »Vater, ich bin zu dir zurückgekommen aus freien Stücken. Ich hab's nicht nöthig gehabt, denn einem Menschen, wie ich bin, steht die Welt offen, und daß ich etwas ertragen kann, hab' ich bewiesen. Ich bin zu dir zurückgekommen, weil ich mich überzeugt hab', daß das Nachgeben meine Pflicht ist, und nun bin ich auch entschlossen, alles auszuhalten, was mir geschehen mag.« — Der Alte hatte hoch aufgehorcht; die Rede und die Art, wie sie vorgebracht wurde, gefiel ihm. Eben deswegen hing er sich aber an die letzten Worte und erwiederte: »Dummheiten! Man wird dich wohl hier fressen? Du bist noch immer der Alte!« — Damit wandte er sich weg.

Die Mutter dachte nun an etwas anderes. Sie fragte: »Aber du wirst hungrig sein, Ludwig, von dem Marsch! Gleich will ich ein Stück Fleisch richten, das noch von gestern übrig ist!« — Andres, der in bester Laune war, bemerkte: »Du bekommst Kalbsbraten, wie dein Vorgänger im neuen Testament.« — Ludwig, auf den Scherz eingehend, erwiederte: »So wie der komme ich drum doch nicht heim! Indessen hab' ich schon in Nördlingen Kalbsbraten gespeist und muß für dein Anerbieten danken, Mutter.« — »Ah so,« rief Andres, »du hast dich gestärkt zu der großen Anrede! Die Kraft hat aber doch[S. 95] beinahe nicht gereicht.« — »Sei still,« sagte die Mutter, »du bist grad wie dein Alter!« — Sie bot ihren Braten wiederholt an und Ludwig mußte es auf's bestimmteste abschlagen, bevor sie sich beruhigte. Nun lud sie ihn ein, sich an den Tisch zu setzen, wo der Vater schon Platz genommen hatte, und ihr zu berichten, wie's ihm ergangen sey.

Ludwig erzählte seine ganze Geschichte, mehrfach unterbrochen von Ausrufungen der Mutter: wie sie nie geglaubt hätte, daß die Schmiedbauersleute von der Art seyen. Als er den Auftritt mit dem jungen Schmiedbauer schilderte, konnte sein Vater nicht umhin, den Jungen, der hier gezeigt, daß er auch »Schneid« habe, beifällig anzusehen. Bei dem Bericht über die Umwandlung durch den Brief wurde er aber plötzlich ernsthaft. »So, so,« sagte er, »ein Brief von unserem Pfarrer. Darf man ihn vielleicht auch lesen?«

Ludwig bergab ihm den Brief, denn er hatte wohl gemerkt, daß er auch für den Vater geschrieben war. Der Alte rückte die Ampel näher und las, anfangs mit würdevollen Zeichen der Beistimmung und Anerkennung, dann mit sehr bedenklicher Miene. »So, so, so,« sagte er, als er fertig war. »Das schreibt der Herr Pfarrer? — Nun seh ich, wie viel's geschlagen hat!« — »Nun?« fragte die Mutter mit großer Neugierde. — »Jetzt kenn' ich mich aus und bedank' mich schön,« fuhr der Alte mit empfindlicher Miene fort.

Ludwig, seine Gedanken errathend, sagte: »Vater, ich weiß, was du meinst. Aber ich verspreche dir's, nie sollst du von mir eine Bitte hören. Wenn ihr mich nicht mehr mit der Base plagt, so will ich nichts weiter.« — Der Alte versetzte: »Du willst nichts weiter? Gut, schön! Das heißt für die erste Zeit. Du kannst warten! Hab' ich's getroffen?« — Als er Ludwig leicht erröthen sah, setzte er hinzu: »Dein Pfarrer und du, ihr dürft fein nicht glauben, daß der Angerbauer ein Brett vor dem Kopf hat. Ihr seid mir noch lang nicht zu gescheidt! Daß ihr euch nur nicht verrechnet.« — Jetzt rief die Mutter in ernstlicher Ungeduld: »Aber was hast du denn?« — »Ach,« erwiederte der Alte, »die ganze Geschichte ist mir zuwider, ich bin müd' und geh' in's Bett.« Damit stand er auf und ging hinaus in die Schlafkammer.

[S. 96]

Die Mutter »zündete« ihm nicht, wie sie sonst auch unaufgefordert gethan hätte. Sie war zu neugierig, zu erfahren, was in dem Brief stehe, und forderte Ludwig auf, ihn vorzulesen. Dieser las die Hauptstellen: Als er geendet hatte, rief die gute Frau, während Andres sehr schlau dreinsah. »Ei, ei, ei! Nun begreif' ich deinen Vater.« — »Liebe Mutter,« sagte Ludwig, »heut' wollen wir von dieser Geschichte nicht weiter reden.« — »Ja wohl,« bemerkte Andres, »wir wollen uns niederlegen, ich bin schläfrig. Komm, du gehst mit mir in die obere Kammer. Hab' ich doch wieder einen Schlafkameraden!« Er wollte den Bruder mit sich fortziehen, aber die Mutter hielt ihn noch und fragte: »Willst du denn aber wirklich nichts mehr essen heute, Ludwig?« — »Nein,« erwiederte dieser dankbar, gab ihr die Hand und sah ihr zärtlich in's Auge, indem er sagte: »Schlaf wohl, gute Mutter! Führ' meine Sach' beim Vater.«


Die Mittheilungen, die Andres seinem Schlafkameraden gemacht, konnten nur günstig gewesen sein; denn Ludwig zeigte am andern Morgen in seinem Gesicht eine eigene stille Zufriedenheit und Hoffnung. Er wußte, daß der Pfarrer früh aufzustehen pflegte, und wollte ihn daher zuerst besuchen. Auf dem Weg wurde er den verschiedenen Bekannten erstaunt angesehen, von einigen schelmisch begrüßt. Er war jedoch in zu guter Stimmung, um verlegen zu werden; er dankte und antwortete wieder scherzend. — Der alte Herr war sehr erfreut, als er ihn sah. »Ah, brav so!« rief er, ihm die Hand reichend, »du hast meinen Rath befolgt!« — »Ja, Herr Pfarrer.« — »Und bist wohl aufgenommen worden?«

Ludwig erzählte, wie es ihm ergangen. Der Alte hörte mit größter Theilnahme zu und sagte: »Nun, ich kenne ja die Deinen! Es ist gekommen, wie ich's dachte.« — »Ja,« versetzte Ludwig, »Sie haben sich meiner angenommen, Herr Pfarrer. Ich sehe nun wohl, wie Sie's meinen, und weiß, daß wir alles Gute, was uns noch kommen wird, nur Ihnen verdanken.« — »Pst!« rief der alte Herr lächelnd und freundlich warnend. »Still davon!«

Vom Pfarrer ging Ludwig zu seiner Schwester, die er allein[S. 97] in der Stube traf. Sie hatte von seiner Ankunft schon gehört und gab ihm die Hand, indem sie ausrief: »Bist du da, Vagabund? Du machst schöne Streiche, ja!« Ludwig zuckte die Achseln und begrüßte den eintretenden Schwager, der seine Frau fragte: »Hast du nicht den Ofen eingeschlagen bei dem seltsamen Besuch?« — »Wahrhaftig,« sagte diese, »das hätt' ich thun sollen.« — »Nun,« bemerkte Ludwig, »von jetzt an werd' ich schon öfter kommen.« — Die Schwester lächelte. »Du glaubst wohl selbander? Aber das hat noch einen Haken.« — »Man kann nicht wissen,« versetzte Ludwig mit einem gewissen Uebermuth.

Er verließ die Familie sehr aufgemuntert. Aus allem, was er sah und hörte, drängte sich ihm die Ueberzeugung auf, daß sich die Seinen — vielleicht nur den Vater ausgenommen — mit dem Gedanken einer Heirath zwischen ihm und Annemarie schon vertrauter gemacht hatten, als er nur irgend hatte hoffen können. Was würde er gesagt haben, wenn er erfahren hätte, daß er diese Umstimmung zum großen Theil dem Benehmen der Eva verdankte! Dieses hatte namentlich die Schmalzbäuerin empört, und da bei der angestellten Vergleichung Annemarie doppelt gewinnen mußte, so hatte die Schwester gegen ihren Mann und die Mutter zuerst den Gedanken ausgesprochen, es würde am Ende das Beste sein, dem Ludwig das Mädchen zu lassen. — Als er an der Gasse vorüberging, die zu dem Bäckerhause führte, sah er sehnsüchtig hin, und beinahe hätte er dem Drange nachgegeben, zu der Geliebten zu eilen und ihr seine Hoffnungen zu verkünden. Aber er sagte sich: »Nein, es darf nicht sein!« und ging nach Hause.

In derselben Morgenstunde saß Annemarie bei einer Arbeit in der Stube des Bäckers. Sie hatte Ludwigs Brief am gestrigen Tage richtig erhalten, und ohne daß es jemand gesehen. Die Ueberraschung, welche der ausgesprochene Entschluß des Geliebten in ihr hervorrufen mußte, hatte bald einem großen Wohlgefühl Platz gemacht. Die Last, die sie noch zu tragen hatte, war abgeworfen. Sie war nicht mehr eine »Stifterin des Unfriedens zwischen Vater und Sohn;« man konnte ihr den ungerechten Vorwurf gar nicht mehr machen. Die Selbstüberwindung Ludwigs begriff das wackere und[S. 98] begabte Mädchen, und ihr Herz sagte ihr, daß diese Heimkehr ihnen beiden zum Segen sein werde.

Als sie in diesen Gedanken glücklich dasaß, kam Regine athemlos gelaufen und rief: »Weißt du die große Neuigkeit schon?« — »Nun, was ist's?« fragte Annemarie. — »Fall nicht vom Stuhl, wenn du's hörst: der Ludwig ist wieder bei seinem Vater!« — Annemarie erröthete ein wenig und erwiederte: »Das hab' ich schon gewußt, er hat mir's gestern geschrieben.« — »So?« versetzte die Freundin etwas empfindlich, »davon sagst du mir nichts?« — Annemarie sah sie gutmüthig an und erwiederte: »Muß ich dir denn alles sagen? — Auch jetzt muß ich dich bitten, von diesem Brief niemand etwas merken zu lassen.« — »Ich verrath' nichts,« sagte Regine. »Aber wird er dich denn besuchen?« — »Heute nicht,« versetzte Annemarie ruhig, »und morgen auch nicht. Aber ich kann warten.«

Ein gutes altes Sprichwort sagt: »Was sein soll, schickt sich wohl.« Eine Zeitlang kann sich uns auf unserem Lebensweg Hinderniß auf Hinderniß entgegenstellen, und wenn wir uns des Sieges erfreuen wollen, finden wir nur immer neue Arbeit. Plötzlich ist's wie umgekehrt. Alles gelingt, rasch geschehen Dinge, welche den letzten Widerstand beseitigen und der kühnsten Hoffnung Erfüllung verheißen. Es liegt dann in der Luft und jeder fühlt, daß die glückliche Entscheidung kommen soll. — So ging es auch hier.

Zwei Tage nach der Rückkehr Ludwigs wurde bekannt, daß die Hoferbin Eva sich versprochen habe. Der Erkorene war jener Vetter der beiden langen Bauerntöchter, den wir vom »Ansing« her kennen. Obwohl der Gedanke einer Verbindung zwischen Eva und Ludwig vom Angerbauer selber aufgegeben war, so lag in dem Ereigniß doch etwas Günstiges. Die Möglichkeit war nun ganz verschlossen und der rasche Entschluß des Mädchens reizte die schon freundlich gestimmten Seelen, auch ihrerseits an's Werk zu schreiten.

Fast zu derselben Zeit wurde bekannt, daß ein Bauer sich auswärts angekauft habe und sein Hof zu erwerben sei. Nun hielten sich die Angerbäuerin und die Schmalzbäuerin nicht länger. Sie pflogen Raths und förmlich wurde der Beschluß gefaßt, daß man[S. 99] dem Ludwig das Mädchen geben müsse. Die Gründe waren: »Die Annemarie ist brav; vernarrt sind sie in einander; eine andere nimmt er nicht; im Geschrei ist er mit ihr; ein Hof ist zu haben; und endlich: es geht einmal nicht anders!« — Zuerst wurde der Schmalzbauer in's Geheimniß gezogen. Dieser, der mit seinem Weib »gut hauste« und von der »Lieb« noch einen gewissen Begriff hatte, erklärte seine Zustimmung und Beihülfe ohne weiteres. Durch ihn verstärkt rückten die beiden Frauen endlich an einem Nachmittag hinter den Angerbauer.

Obwohl dieser den Vorschlag hatte kommen sehen und selber sah, daß es nicht wohl anders ging, so fuhr er doch gewaltig auf und fragte: ob sie wirklich alle mit einander verrückt geworden seien? Alle Gegengründe wurden von ihm hervorgeholt und ein Ach und O folgte dem andern. Sein letzter Einwand war die »Söldnersfreundschaft.« Den hatte aber der Schmalzbauer leicht zu widerlegen. Der Bäcker war in's Dorf gezogen und in demselben ohne Blutsverwandte. Seine einzige Tochter sollte den Hans, einen Bauern heirathen, wenn auch den kleinsten im Dorfe. Auf diese Art hatte man nur Einen Söldner in der Freundschaft, den Bäcker, und das war doch auch kein gewöhnlicher. Der Köcher des Alten war leer, und da er nach und nach müde geworden war, so rief er: »Nun in's — — in Gottes Namen, er mag sie haben!«

Die Weiber, welche die Angelegenheit ganz zu der ihrigen gemacht hatten, schrieen auf vor Freude und lobten den Alten über die Maßen. Dann sagte die Schmalzbäuerin: »Nun laßt mich machen! Etwas gehört ihm noch!« Sie rief Andres herbei und sagte, er solle Ludwig holen, er sei im Garten. Andres nickte mit dem Kopf, wie einer, der begreift, und richtete seinen Auftrag aus, ohne dem Bruder etwas von seiner Vermuthung zu sagen. Als sie mit einander in die Stube traten, begann die Schwester mit einer Art von Geschäftsmiene: »Ludwig, so eben ist von dir die Rede gewesen. Du weißt, die Ev' heirathet, und wenn man dir auch keine »Spreuer« (Spreu) vor die Thüre streuen wird, so ist's doch keine Ehre für dich. Du mußt auch heirathen; und zum Glück ist unerwartet ein Antrag an uns gekommen, der unsern ganzen Beifall hat,[S. 100] und, wie wir hoffen, auch deinen. Das schönste und reichste Mädchen im ganzen Ries sagt augenblicklich Ja, wenn du willst.« — »Wer ist denn die?« fragte Ludwig. — »Des Wirths Tochter in **.« — In der That war diese, wenn nicht gerade die schönste, doch wenigstens eine der schönsten und reichsten.

Ludwig, ungewiß, was er denken sollte — denn die Schmalzbäuerin hatte ganz ernsthaft gesprochen und die andern eben so ernsthaft dreingesehen, — erwiederte kurz: »Ich dank' schön.« — »Wie?« rief die Schwester, »ist dir die auch nicht recht?« — »Gegen das Mädchen hab' ich nichts, aber ich will überhaupt nicht heirathen.« — »So?« sagte die Schmalzbäuerin, »das ist etwas anderes.«

Nun wurde auch der Alte angesteckt. »Ich hab's euch ja gesagt!« rief er den andern zu. »Sein erster Versuch ist so übel ausgefallen, daß er's ganz verschworen hat. Wenn wir ihm nun auch die schöne Zimmermannstochter geben wollten, die so »guet tanzt« und die mehr werth ist als alle Rieser Bauern- und Wirthstöchter zusammengenommen — er würde auch sagen: ich dank' schön!« — »Wirklich?« fragte die Mutter, zu Ludwig gewendet, »würdest du das?«

Dieser, betroffen, verwirrt, schaute die Gesichter an und verweilte bei dem des Vaters, der aber seine Rolle fest behauptete. Die Mutter konnte sich nicht länger halten. Sie nahm den Sohn bei der Hand und sagte: »Nun, Ludwig, mach einmal ein ganz freundliches Gesicht! Deine Schwester, dein Schwager und ich, wir haben den Vater herumgebracht — du sollst die Annemarie haben!« »Ist's wahr?« rief der Glückliche, drückte der Mutter die Hand, eilte zum Vater und dankte ihm in überfließend zärtlichen Worten. Der Alte machte ein seltsames Gesicht. »Ach!« rief er mit einem großen Seufzer aus, »nun muß man auch den Dank noch hören! — Geh fort,« setzte er hinzu, als Ludwig den andern seine Liebe bezeigte, »geh' und sag's dem Mädchen, damit ein Ende wird!« — Ludwig ließ sich das nicht zweimal sagen. Nach wiederholten Dankreden eilte er davon. Als er hinaus war, sagte die Schmalzbäuerin zu Andres: »Nun, was ist denn dir? du stehst ja da wie ein »Oelgötz!« Freust du dich denn nicht?« — »Gott!« erwiederte Andres, »daß das so kommen wird, hab' ich ja längst gewußt!«

[S. 101]

Ludwig kam zum Bäckerhaus wie im Traum. Als er die Thür geöffnet hatte, sagte sein strahlendes Gesicht alles. Wie durch einen Zauberschlag entzündet, glänzte sein Glück auf dem Antlitz der Geliebten, die bei dem Bäcker und Regine saß; sie flog ihm entgegen und in der zärtlichsten Umarmung flossen selige Thränen von ihren Wangen herab. »Du bist mein, Annemarie, mein mit dem Willen meiner Eltern!« rief Ludwig zum Ueberfluß und drückte die Geliebte fester an sich, deren vor Freude gebeugtes Haupt an seine Brust gesunken war. — Es war einer von den Augenblicken, die man als unverdientes Geschenk empfindet, wenn man in Noth und Sorgen, in Dulden und Sehnen Jahre lang darnach getrachtet hat.

Das Schicksal hatte aber für die Liebenden noch eine Gabe im Füllhorn. Zwei Tage nach der günstigen Entscheidung gelangte in's Bäckerhaus die Nachricht, daß in dem württembergischen Städtchen Bopfingen (dem Abdera oder Schöppenstedt des Rieses) eine Verwandte gestorben sei und der Annemarie zweitausend Gulden vermacht habe. Dies war kein bloßer Zufall, auch kein »Bopfinger Stückle« von der Verstorbenen, sondern eine verständige Handlung, herbeigeführt durch das Mädchen selbst und ihr braves Benehmen. Die kinderlose Base hatte davon gehört, und da sie als eine erfahrene Frau so treu Liebe hoch hielt, so wollte sie sterbend einen Beitrag leisten zu ihrer Belohnung. — Als man dem Angerbauer diesen Glücksfall hinterbrachte, war er zunächst sehr erfreut über den Zuwachs des Vermögens, dann aber auch darüber, daß er erst nach seiner Einwilligung bekannt geworden, so daß Niemand behaupten konnte, er hätte nur um des Geldes willen Ja gesagt. Um so mehr fühlte er sich nun angetrieben, gegen seinen Sohn ganz als Vater zu handeln. Er kaufte den feilgewordenen Hof für Ludwig, der ihn als sein Heirathgut haben sollte, obwohl er um ein gutes Theil mehr kostete als sechstausend Gulden. Ueberdies ergänzte er den Viehstand und das Geräthe, so daß die Besitzung nichts mehr zu wünschen übrig ließ. Dann setzte er den Heirathstag (den Tag der Verlobung) selber fest.

In der Zwischenzeit fanden die ersten Besuche und Gegenbesuche statt. Es war ein großer Augenblick, als Annemarie an der Seite ihres Vormunds zum erstenmal in den Hof des Angerbauers trat.[S. 102] Ludwig war ihnen entgegen geeilt und seine Eltern erwarteten die Gäste auf der Schwelle der Hausthür. Wie muthig das Mädchen war, so kam sie doch ein Zittern an, als sie dem stolzen Bauer, der so lange als die gefürchtetste Person vor ihrer Seele gestanden, zur ersten Begrüßung entgegen ging. Allein sie wurde sehr freundlich empfangen, wie es in der Natur der Sache lag. Sobald der Angerbauer seine Zustimmung zu der Heirath gegeben hatte, war das Verhältniß in seinen Augen auch sanctionirt. Die Strahlen seines Lichtes fielen nicht nur auf Annemarie, sondern auch auf den Bäcker und machten sie zu seines Gleichen. Annemarie war nicht mehr die Tochter und die Verwandte eines Söldners, sie war die künftige Schwiegertochter des Angerbauers, und als solche konnte sie die größten Ehren in Anspruch nehmen. Niemand wäre zu rathen gewesen, daß er jetzt in Gegenwart des Alten über diese Verbindung seine Verwunderung ausgedrückt oder gar über das Mädchen geringschätzig gesprochen hätte.

Als Annemarie die Freundlichkeit der Eltern sah, fand sie ihren Muth wieder und beantwortete die Begrüßungsfragen so anmuthig und bescheiden, daß der Alte sie selber bei der Hand faßte und in die Stube führte. Man würde den Landleuten sehr Unrecht thun, wenn man ihnen nicht ein ihrem Stande entsprechendes Schicklichkeits- und Zartgefühl zutrauen wollte. Als man hier an dem wohlbesetzten Tisch saß, unterhielt man sich, als ob nie ein Streit vorgefallen wäre, nicht eine Hindeutung erlaubte man sich darauf. Dagegen wurden die erfreulichen und ehrenvollen Neuigkeiten besprochen: die Erbschaft, die der Annemarie zugefallen war, der Kauf und die Einrichtung des Hofes. Bei dieser Gelegenheit machte das Mädchen einige Bemerkungen, die der Angerbauer mit vollem Beifall beehrte, indem er hinzufügte: er sehe schon, daß sie die Sache verstehe. Natürlich saß Ludwig bald an der Seite der Geliebten. Als die Angerbäuerin das schöne Paar zum erstenmal beisammen sah, betrachtete sie es mit großem Wohlgefallen, und ein vergnügtes, schlaues Lächeln spielte um ihren Mund, als sie später auch den Vater über einem solchen Blick ertappte. Die Gäste nahmen endlich Abschied, und Ludwig begleitete sie. »Nun,« fragte die Angerbäuerin, »was meinst du zu[S. 103] dem Mädchen?« Der Alte erwiederte ernsthaft: »Das Mädchen ist recht.«

Sonst ist von der Zwischenzeit nichts mehr zu erwähnen, als ein Besuch, den der alte Angerbauer mit Ludwig in Nördlingen machte. Beide hatten sich in ihren besten Staat geworfen, denn eigentlich wollte der Alte nichts, als sich mit seinem Sohne dort sehen lassen. Da er zu diesem Zweck Bekannte treffen mußte, so begaben sie sich zum »Fadenherrn.« Als sie in der Stube sich umsahen, erblickten sie zu ihrer großen Ueberraschung an einem Ecktisch die ganze Familie des Schmiedbauers, Vater, Sohn, Tochter und Magd. Die Reihe, verlegen zu werden, war nun an diesen. Sie waren in der That sehr betroffen und Michel sah tiefbeschämt aus. Der Schmiedbauer faßte sich zuerst; er stand auf, ging den beiden entgegen und sagte: »Nun, wie ich höre, kann man gratuliren?« — »Allerdings,« entgegnete der Angerbauer mit Würde, »das kann man.« — Der Schmiedbauer nahm hierauf eine lächelnde Miene an und sagte: »Vetter Ludwig, du bist wohl bös auf mich zu sprechen? Aber ich bin dein schlimmster Feind nicht gewesen. Wenn ich dich als den Sohn des Angerbauers bei mir gehalten hätte, so stände die Sache jetzt nicht so, wie sie steht.« — »Ja wohl,« rief Michel, der auch aufgestanden war, mit der halb komischen, halb Mitleid erweckenden Verlegenheit eines schlechten Gewissens. »Wenn das nicht unser Gedanke gewesen wär', so wär' manches nicht vorgefallen, am wenigsten die Geschichte am Sonntag.«

Ludwig war zu glücklich, um streng zu sein. Er erwiederte daher mit Ueberlegenheit zwar, aber auch mit Gutmüthigkeit: »So, nun soll ich das am Ende für ein Freundschaftsstück nehmen? Auch gut! Aber daß ich's nicht gleich gethan hab', mußt du mir nicht übel nehmen, Freund Michel: du hast die Sache gar zu gut gemacht.« Hierauf grüßte er Madlene und die Magd. Jene ward glühend roth und sah mit einem Blick zu ihm her, daß er ihr alles verzieh und ihr die Hand zur Versöhnung gab. Die Magd starrte ihn wie einen Prinzen an. Sie konnte gar nicht begreifen, wie sie jemals ihre Augen zu so Einem habe erheben können, und machte sich in der Ecke so klein als[S. 104] möglich. Auf dem Heimwege sagte Ludwig zu seinem Vater: »Es ist mir lieb, daß es so ausgegangen ist.«

Endlich kam der Tag, wo es zwischen Ludwig und Annemarie »schriftlich gemacht« werden sollte. Die Liebenden hatten ihn in der letzten Zeit sehr herbeigesehnt. Ihr Glück war zu groß, als daß sie nicht hie und da die Furcht hatte anwandeln sollen, es möchte wie ein Traum zerfließen, und die Unterschrift war eine neue, große Sicherung und gab ihnen festen Boden unter die Füße. Mit der Zusammenkunft der Familien zu einem »Heirathstag« ist das Glück der Liebenden nicht immer schon außer Frage gestellt. Zuweilen führt die Unterhandlung über die Mitgabe selber noch zum Streit, und ein von der einen Seite begehrter, von der andern verweigerter »Raupe« oder junger Stier kann Anlaß zu einem Bruche werden, der nur allenfalls durch flehentliches Zureden der jungen Leute wieder zu heilen ist. Wenn nämlich der Vater des Burschen nach wiederholter vergeblicher Aufforderung zu dem des Mädchens sagt: »Ich hätt' nicht geglaubt, daß du ein so intressirter Mensch wärst! Wahrhaftig, schämen thät' ich mich« u. s. w. so kanns dieser krumm nehmen, zornig werden, auf den Tisch hineinschlagen, daß die Krüge wackeln und die Gläser umfallen, und erbost ausrufen: »Was? ich hab' für mein Mädle so viel gethan, daß ich's vor meinen andern Kindern gar nicht verantworten kann, und du willst mir so kommen? Himmel-Kreuz« u. s. w. u. s. w.

Im gegenwärtigen Falle war dergleichen freilich nicht zu fürchten. Die Angerbauersleute waren zu vornehm, als[S. 105] daß sie hätten markten sollen; auch lagen die Verhältnisse anders als gewöhnlich. Als man sich nun Nachmittags in der obern Stube des Angerbauers versammelt und den Getränken und Backwerken der Bäuerin die gebührende Ehre angethan hatte, setzte man sich zu einer Verhandlung, die nicht allzuviel Zeit in Anspruch nahm. Der Protokollführer war der Schullehrer des Dorfs, einer von der alten Gattung, ein Mann von etwas über fünfzig Jahren, der sich noch »Schulmeister« nennen hören konnte und weniger nach Ehre als nach einer guten Nahrung trachtete, im übrigen seinem Amte wohl vorstand. Nach einer würdigen Einleitung des Angerbauers wurde ausgemacht, daß Annemarie dem Ludwig ihr Vermögen von 2900 Gulden (bei Nennung dieser Summe nickte der Schullehrer dem Bauer, den er kannte, höflich bedeutsam zu, als wollte er sagen: »Alle Achtung!«) und Ludwig der Annemarie seinen Hof anheirathe, mit Allem darin, wie es geht und steht. Der Bäcker machte die Bemerkung, daß man bei solchen Gelegenheiten zuweilen auch einen »Rückfall« bedinge, wenn nämlich eines der Eheleute sterben sollte, ohne daß Leibeserben vorhanden wären. Ludwig, der sah, daß der Alte damit seinem Vater entgegenkommen oder ihn versuchen wollte, sagte rasch: »Wir hoffen mit Gottes Hülfe zu leben und wollen für so einen Fall nichts ausmachen. Wenn ich sterbe, dann gehört der Hof meinem Weib, wie umgekehrt mir ihr Vermögen. Anders thut's mein Vater nicht.« Der Angerbauer schwieg: er hatte die Möglichkeit vor Augen, daß Annemarie als kinderlose Wittwe die Eigenthümerin des Hofes werden und ihn durch eine zweite Heirath an eine andere Familie bringen könnte. Ludwig rief aber: »Nicht wahr, Vater?« und der Bauer antwortete: »Ja, ja, darüber bedingen wir nichts.« Sein Gesicht sah indeß nachher aus, als wollte er sagen: »Das macht mir so leicht keiner nach!«

Als das Nöthige besprochen war, setzte der Schullehrer die verschiedenen Punkte auf, las sie feierlich in einer Art von Predigerton vor und reichte die eingetauchte Feder zum Unterschreiben. Als dieß von allen nach der Reihe vollzogen war, ergriff Ludwig die Geliebte rasch bei der Hand und hielt und drückte sie, als ob er sie nicht mehr loslassen wollte. Gerührte Glückwünsche ertönten von allen Seiten.

[S. 106]

Unterdessen war der Abend gekommen und nun sollte erst die rechte Festlichkeit angehen. Nicht umsonst waren die Angerbäuerin und ihre Tochter wiederholt ab und zu gegangen. Eine Magd erschien mit zwei brennenden Kerzen in spiegelblanken Messingleuchtern; die Tafel wurde abgeräumt, mit einem schöngewirkten Tischtuch überzogen und gedeckt. Je zwei Teller von Steingut, silberne Bestecke (die, nebenbei gesagt, zum Theil der Schmalzbäuerin gehörten) und sogar Servietten oder »Salveater« ließen auf ein tüchtiges Mahl schließen, was der Schullehrer mit großem Interesse zu bemerken schien. Im Schein der Lichter, die auf der Tafel prangten, sah die schöngeweißte, nett gehaltene Stube sehr heimlich aus.

Nicht lange, so erschien die ganze Familie, und am Ende der Pfarrer mit seinem Neffen. Nachdem sich der Sturm der üblichen Glückwünsche einigermaßen gelegt hatte, fand sich der Pfarrer an der Seite der Verlobten. Er fragte: »Nun, bist du zufrieden, Annemarie?« — »O, Herr Pfarrer!« erwiederte das Mädchen in einem Tone, der mehr sagte als jede Versicherung. — Der alte Herr sah sie liebevoll heiter an und sagte: »Die Tugend, scheint's, ist doch auch etwas in der Welt werth und kann auch zu etwas führen! Das Geld und der Stand sind doch nicht alles!« — Das Mädchen ward roth und erwiederte: »Ich schäme mich der Reden, die ich damals geführt hab'. Ich bin tausendmal glücklicher, als ich's verdiene.« — Der Geistliche nickte beifällig und bemerkte: »Auf diese Art holst du nach, was dir fehlt.«

Als er kurz darauf allein dastand und mit frohen Blicken die Gesellschaft übersah, machte sich der Angerbauer an ihn und sagte: »Sie freuen sich, Herr Pfarrer, und haben auch alle Ursache dazu; an dem heutigen Tag sind doch eigentlich Sie Schuld.« — »Ich?« fragte der Pfarrer. — »Sie,« versetzte der Bauer. »Sie mischen sich nicht in Familienangelegenheiten? Ja freilich: ungeschickt nicht, aber geschickt.« — Der alte Herr fragte mit liebenswürdiger Schalkheit: »Hab' ich's nicht recht gemacht?« — Der Bauer drückte ihm die Hand und rief: »Recht gemacht haben Sie's, Herr Pfarrer!«

Es versteht sich von selbst, daß es die Gastgeber während des Tafelns an keiner Aufmerksamkeit fehlen[S. 107] ließen und namentlich das schickliche »Nöthigen« nicht vergaßen. Am meisten Höflichkeit wurde dem Pfarrer erwiesen, der Gegenstand der freundlichsten und zartesten Ehrenbezeugungen war aber Annemarie. Ihr wurden die besten Bissen auf den Teller gelegt, und wenn ihr zugeredet wurde, nahmen die Stimmen den weichsten und sanftesten Ton an. Man fühlte, daß bei ihr etwas gut zu machen sei, und that mehr und that es besser, als man es für eine reiche Schwiegertochter gethan hätte. Alle Liebe, welche diese Leute in sich hatten, kam gegen das Mädchen heraus, und der Pfarrer sah seinen Enkel, der es zu bemerken schien, mit einem bedeutsamen Blick an.

Annemarie aß wenig und gegen das Ende der Mahlzeit wurde sie still und stiller. Ihre Seele war in die Vergangenheit gerichtet. Sie dachte an ihre Liebe und ihre Noth, an ihre Bitterkeit und ihre Klagen, und wie sich alles das in unendliches Glück aufgelöst. Sie dachte an die Feindschaft, unter der sie gelitten, und die sich nun in die zärtlichste Freundschaft umgewandelt. Als ihr der Angerbauer von dem eben zerschnittenen Kuchen das schönste Stück überreichte, machte die Güte und die Achtung in seinem Blick einen solchen Eindruck auf ihr erweichtes Herz, daß ihre Augen sich mit Thränen füllten. Sie aß ein Stückchen, um die Gabe zu ehren, aber der Strom der Wehmuth war im Gange, das übervolle Herz mußte sich entlasten und unaufhaltsam brachen ihre Thränen hervor.

Alles sah auf sie, ernst, bewegt; die meisten begriffen den Grund dieser Thränen. Es entstand eine feierliche Stille. Ludwig drückte der Geliebten auf's zärtlichste die Hand, die Augen der Frauen wurden feucht. Der Angerbauer saß in tiefem Ernst da und in seinen Blicken entzündete sich ein Feuer, das den Pfarrer beinahe noch mehr ergriff, als das Antlitz der Braut. Niemand wollte das Wort nehmen, und der Pfarrer dachte endlich selber daran, durch eine passende Bemerkung einen Uebergang zu unbefangener Unterhaltung herbeizuführen, als ihm ein anderer zuvorkam. Johannesle hatte die weinende Annemarie bisher staunend angesehen; wie die Thränen kein Ende nahmen, sondern wieder und wieder aus ihren Augen flossen, stand er auf, ging zu ihr und sagte mit dem ehrlichsten Tone von der Welt: »Warum weinst du denn, Annemarie? Du hast ihn ja jetzt!« Diese naive Rede rief auf dem Gesicht des Mädchens ein sanftes Lächeln hervor und eine[S. 108] milde Heiterkeit in der Gesellschaft. Annemarie sagte mit gütevoller Stimme: »Du wirst's auch noch verstehen lernen, Kind, warum ich wein'! Aber jetzt will ich aufhören.« Und sie trocknete ihre Thränen.

Als der Pfarrer mit seinem Enkel nach Hause ging, fragte er, wie ihm heute der Angerbauer und seine Frau gefallen hätten. Theodor erwiederte: »Ich bin ganz erstaunt über sie; nie hätt' ich ihnen zugetraut, daß sie so gut und so wahrhaft zart sein könnten.« — »Du siehst also, daß du früher nicht ganz Recht hattest, diesen Mann, weil er im Zorn grobe Reden ausstieß, ohne weiteres für roh zu erklären, und wirst künftig mit deinem Urtheil behutsamer sein.«

Nach sechs Wochen fand die Hochzeit statt. Es war nur Eine Stimme über die Schönheit der Predigt, die Andacht des Brautpaars, ihren prächtigen Anzug, das vortreffliche Mahl, wobei die Wirthin des Dorfs sich selbst übertraf, und das große, große Vergnügen. Die Musikanten hielten eine Ernte, wie seit Jahren nicht. Der Höhepunkt des Festes war übrigens der Moment, wo der Angerbauer in der Laune des Weins bewogen wurde, drei Reihen allein mit der Braut zu tanzen. Er drehte sich taktfest, aber etwas steif herum, und sein Gesicht drückte eine so eigene Mischung von Galanterie und Selbstgefälligkeit aus, daß ein paar ältere Weiber, mit denen er in seiner Jugend zu tanzen pflegte, nicht umhin konnten, sich spöttisch lächelnd anzusehen, als wollten sie sagen: »Der alte Narr! Wenn man ihm das vor einem Vierteljahr gesagt hätte!« Der Angerbauer hörte dieß natürlich nicht, da es überhaupt nicht gesprochen wurde. Als er daher unter großem Beifall den letzten Reihen geendet hatte, konnte er in ungestörter Freude seiner Tänzerin ein Glas Wein präsentiren und dann zu einem Vertrauten sagen: »Daß die Hochzeiterin am schönsten tanzt, hab' ich gesehen; daß sie aber auch am besten tanzt im ganzen Dorf, das kann ich jetzt aus Erfahrung bezeugen. Ueberhaupt: mein Ludwig ist nicht dumm gewesen!«


[S. 109]

Die Lehrersbraut.
I.

In einem Dorfe mitten im Ries, in einem hübschen Hause, wohnten glückliche Leute — Mutter, Tochter und Vetter. Sie waren gesund und verhältnißmäßig, d. h. nach ihrem Stande, wohlhabend. Die Mutter von ruhigem Temperament, mehr geneigt sich am Angenehmen zu freuen, als aus verdrießlichen Dingen, wie sie im Leben vorkommen, sich viel zu machen; die Tochter, Christine, hübsch und wohlgemuth; der Vetter, Hans, wacker und thätig, ein guter »Baur« — wie man das im Ries nennt — und »ein rechter Schaffer.«

Ein eigentlicher Bauer im Sinne der dörflichen Rangordnung war Hans freilich nicht; das war aber auch der verstorbene Glauning, der Vater der Christine, nicht. Erst Söldner und Weber hatte sich dieser durch ächt Rieserische Arbeitsamkeit und Sparsamkeit zu einer Mittelstellung zwischen Söldner und Bauer emporgearbeitet. Das Weberhandwerk wurde aufgegeben und nur im Winter noch zum Wirken des eigenen Garnes betrieben, um so fleißiger den Geschäften des Ackerbaus[S. 110] und der Viehzucht nachgegangen. Es gelang dem stillen, ruhig fortarbeitenden Manne, das Unglück eines Brandes, der nebst sechs andern auch sein strohgedecktes Haus in Asche legte, zu überstehen, ein neues, bequemeres, plattengedecktes an seine Stelle zu setzen, und bei seinem Tode der Wittwe ein respektables Anwesen zu hinterlassen: das Haus mit Wohnung, Stall und Stadel in Einem Bau, vier Kühe mit Nachzucht, fünf Schweine, einen schönen Baumgarten, zwei »Dawert« (Tagwerke) Wiesen und vier Morgen »in ein Feld« — also, wer das nicht verstehen sollte, zwölf Morgen Ackerland. Allerdings war dieses »schöne Sach« nicht schuldenfrei; der alte Glauning hatte eine runde Summe aufnehmen müssen, um die runde Zahl von Morgen Landes zu erhalten, die im Ries mehr bedeuten wollen als anderswo. Aber der Hauptgläubiger war gegenwärtig — Vetter Hans.

Hans Burger — denn der Mann verdient, daß wir seinen ganzen Namen nennen — war vom nächsten Dorfe, Sohn des dortigen Schmieds. Er wurde von dem Vater in seinem Handwerk unterwiesen; aber trotzdem, daß ihm ein paar Arme verliehen waren, die im Nothfall den Ambos in Stücke schlagen konnten, hatte er für seine Person doch mehr Freude am »Bauernhandwerk.« Nach dem Tode seiner Eltern führte er die kleine Oekonomie und nahm Hammer und Zange nur als Gehülfe seines Bruders in die Hand. Dieser konnte zu eben der Zeit, wo der alte Glauning starb, »einen guten Heirich« (gute Heirath) machen. Hans überließ ihm Schmiede und Oekonomie, nahm seinen Vermögenstheil heraus und ging zur Base Glauning, um ihr die Wirthschaft zu führen. Christine[S. 111] war damals noch nicht ganz fünfzehn Jahre alt; demungeachtet wollte man bemerken, daß der Vetter sie verstohlenerweise schon mit ganz besondern Augen ansehe.

Drei Jahre gingen in's Land. Christine wuchs heran und wurde nach den Begriffen des Dorfs immer schöner. Mittelgroß, rund, aber von angenehmer Rundung, das gutmüthige, ruhig vergnügte Gesicht, dessen Linien nicht ohne eine gewisse Anmuth waren, frischroth mit bräunlichem Hauch, die Zähne regelmäßig und weiß — konnte man sie einem Apfel vergleichen, der untadelich gereift eben vom Baum genommen wurde. Damals war unter den Rieser Bauernmädchen noch nicht die Mode aufgekommen, die Haare doppelt zu scheiteln und auf beiden Seiten herunterzukämmen, wodurch sie sich jetzt ein städtisches, vornehmeres Ansehen zu geben suchen. Das Haar wurde von der Stirn an zurückgestrichen und gegen die Mitte des Kopfes zu von dem landesüblichen Käppchen bedeckt. Das ließ einfacher, munterer, und stand besonders Gesichtern, wie Christine eines hatte. Am hübschesten erschien diese, wenn sie an heiterem Sommertag, in weißen Hemdärmeln und den Rechen in der Hand, auf die Wiese ging, ohne eine Ahnung von Sorge, in Fülle körperlichen Wohlseyns schwimmend und gänzlich der frohen Gegenwart hingegeben. Aus dem runden Gesicht blickte zugleich ein eigenthümliches Selbstgefühl heraus, und das hatte seinen guten Grund.

»Die schöne Christine« hieß sie im Dorf. Nur eine Bauerntochter konnte mit ihr noch verglichen werden; aber da diese »so eine rahnenge« war, nämlich allzu schlank, so erhielt Christine von den bäuerlichen Schönheitsrichtern den Vorzug. Die jungen Bursche[S. 112] tanzten gern mit ihr, und wenn einer sie an der Hand im Reihen führte, sang er wohl auch den Musikanten Schelmenliedchen vor, ihr zu Ehren. Aus dem Stegreif zu dichten, ist die Sache des Rieser Burschen nicht, solche Talente sind dort Ausnahmen; dagegen weiß er bekannte Lieder passend anzubringen und damit, ähnlich dem gelehrten Schriftsteller, der eine öfters citirte klassische Stelle wieder citirt, auf bescheidene Weise elegant zu werden. Wenn ein tüchtiger Kerl, mit Christine herumgehend, sang:

Macht mer 'n Walzer auf,
Der a weng luste geht,
I hab' a Tänzere,
'Sist der Müh werth —

dann im Takt strampfend schmunzelte, so gewann das oft gehörte Liedchen wieder Bedeutung. Einige Zuschauer konnten lächeln und irgend ein alter Bekannter der Christine gemüthlich zurufen: »Ja, ja, so isch — sott (solche) git's net viel!« Als unter den zuschauenden Weibern einmal die noch immer stattliche Wittwe Glauning vornean stand, machte es der zufällige Tänzer der Christine noch besser; er sang, indem er[S. 113] dem Liede durch Gesichtsausdruck und Blick Sinn verlieh:

A schneaweißa Däube (Täubin),
A schwarzer Dauber;
Und wann d'Mueter schön ist,
No[1] wurd d'Tochter sauber.

Bei dieser Gelegenheit war die Heiterkeit der Mutter noch um vieles lebhafter, als die der Tochter, die an solche schöne Dinge schon gewöhnt war. — All die Huldigungen aber, die sie erfuhr, gaben dem Wesen des Mädchens nach und nach eine vergnügte Sicherheit, Wohlgefälligkeit, und, wenn man dieses Wort in den Grenzen ländlicher Möglichkeit verstehen will, einen Ausdruck von Huld, der ihr ganz gut stand, aber auch mehr hinter ihr vermuthen ließ, als vorläufig noch hinter ihr war.

Das Gefühl der Huld wurde in Christine vorzugsweise durch Hans genährt. Beichten wir in seinem Namen ohne Umstände. Hans hatte sich allerdings schon in die noch nicht Fünfzehnjährige versehen und nach einem Besuch, kurz vor dem Tode des alten Glauning, ernsthaft zu sich gesagt: »Des wurd (wird) a Mädle für mi!« Die Hoffnung seines Herzens hatte großen Antheil an seinem Entschluß, der Base die Wirthschaft zu führen; sie belebte sein ganzes Wesen und machte ihm die Bauernarbeit noch viel lieber, als sie ihm ohnehin war. Bald freilich trat neben dieser Hoffnung auch eine gewisse Furcht hervor; sie steigerte sich, als Christine zu dem Glanz ihrer ländlichen Reize heranwuchs, und erzeugte das Gefühl und den Humor der Entsagung, dem[S. 114] sich der gute Bursche mit der halben Lust einer treuen, opferfähigen Seele hingeben konnte. »Ja, ja,« sagte er dann wohl mit einem Seufzer, »i sig (sehe) scho, die krieg i net; die ist z'schöa' für mi!« Aber dieses Gefühl konnte natürlich nicht dauern; nach einiger Zeit kam auch die Hoffnung wieder und er ermuthigte sich mit der Bemerkung: »Was doh (da)! A Bursch wie ih kann oh a schöns Weib kriega'; des ist scho oft vorkomma'!« Dann wich der Ernst aus seinem Gesicht, er wurde herzensvergnügt und that der Mutter und der Tochter noch eifriger alles zu Liebe. Aber er fand nicht den Muth, mit Christine von seiner Liebe zu reden.

Die Leserinnen dieser Erzählung haben schon errathen, wo es bei unserem Freund haperte. War Stand und Vermögen gleich und das Herz des Liebhabers doch ohne Zuversicht, so mußte es mit der Figur nicht zum besten bestellt sein. Und das können wir allerdings nicht leugnen. Hans gehörte unter den ledigen Burschen nicht zu den Schönen, und auch nicht zu den Lustigen, die sich bei festlichen Gelegenheiten »recht aufführen« können, auf diese Art den Mangel besonderer Schönheit decken und den Mädchen ebenfalls in die Augen stechen. Er war untersetzt und etwas krummbeinig. Seine Arme haben wir charakterisirt; auf seinen Schultern konnte er ohne Anstrengung ein »Schahf« (Scheffel) Korn tragen. Sein Gesicht war breiter, als man's liebt, und die Nase nicht ganz regelmäßig, die Farbe für einen noch in den Zwanzigen befindlichen Menschen zu braun. Eines war schön an ihm: seine treu blickenden, braunen Augen. Sie waren sogar sehr schön und ihr Glanz hatte einen rührenden Reiz, wenn er[S. 115] heimlich in gutmüthigster Liebe einen Blick auf Sie warf. Nur Schade, daß er dies immer bloß heimlich that, und wenn er ihr offen ins Gesicht sah, in den Grenzen einer freundschaftlichen Herzlichkeit blieb, die wohl einen angenehmen Eindruck macht, aber keinen Zauber ausübt, wie es der Blick der Leidenschaft vermag. Hätte er sie im rechten Moment einmal so angesehen, wie er es heimlich zu thun pflegte, dann wäre ihr Herz vielleicht geschmolzen und ihr Gesicht hätte einen Ausdruck erhalten, der ihm den Muth gegeben hätte, mit seinem Anliegen hervorzugehen und die Schöne zu erobern. Dann hätten wir freilich auch unsere Geschichte nicht schreiben können.

Noch eins war, ich will nicht sagen schön an Hans, aber proportionirt und nicht zu tadeln: der Mund und seine mannhaften Zähne. Wann er bei seinen Kameraden im Wirthshaus saß und in der Laune, die das braune Bier erweckte, gutmüthig über andere und sich selber Spaß machte, dann umspielte seine Lippen ein humoristisches Lächeln, das ihm sehr gut stand und dem ganzen Menschen etwas Angenehmes gab. Das Gesicht glänzte, und sogar die Zähne, die zur Hälfte zwischen den geöffneten Lippen hervorsahen, schimmerten Heiterkeit. Aber auch in diesem Vorzug konnte er sich nie vor der Geliebten zeigen. Einmal wollte er eine lustige Geschichte, die im Wirthshaus großen Beifall gefunden hatte, zu Hause wieder erzählen. Als aber Christine aufmerksam horchte und nicht gleich vergnügt aussah, wo nach seiner Ansicht das »G'spässige« der Geschichte schon begonnen hatte, brachte ihn die Furcht, sein Ziel zu verfehlen, in Verwirrung; er verpfuschte das Ende und wies ein Gesicht, das eher geeignet war Mitleiden als Heiterkeit einzuflößen. »'Sischt doch[S. 116] grad,« sagte er darauf im Kuhstall, den er nach seiner Niederlage aufgesucht hatte, »als wann's der Deufel g'macht hätt'! Im Wirthshaus ka'n es, und derhoe'mt (daheim) ka'n es net und stell me a' wie a'n Esel!« Als ihm hier eine Kuh, die nach Futter verlangte, diesen ihren Wunsch durch eine Kopfbewegung und einen Blick zu erkennen gab, die er sogleich verstand, sagte er: »Ja, ja, du sikscht (siehst) g'scheider drei' und host meaner Segel im Hihra (mehr Grütz im Kopf) als ih!« Gleichsam um das Vieh für seinen Verstand zu belohnen, gab er ihm etwas extra. Bei sich selber aber beschloß er fest, seine Geschichten künftig nur im Wirthshaus zu erzählen.

Sein Gefühl, das so sträubig war, sich in der Gestalt von Worten zu offenbaren, bewies der gute Hans um so mehr durch Thaten. Die Wirthschaft besser zu führen, als wenn's seine eigene gewesen wäre, die Aecker herzurichten wie Gartenland, Korn und Vieh auf dem Markt zum höchsten Preis zu verkaufen, und im Hause der Geliebten Freude zu machen durch Erfüllung ihrer Wünsche, die sie entweder aussprach oder die er ihr an den Augen ansah, das war seine Sache. Im Uebrigen wollte er — warten. »'S macht se villeicht amohl von o'gfohr« (von ungefähr), dachte er und tröstete mit dieser Möglichkeit sein ungewisses Herz. Sein Zögern hatte auch noch einen Grund, den die Leser ganz vernünftig finden werden. Eins in's andere gerechnet, war sein Verhältniß zu Christine für ihn auch jetzt schon eine Quelle von Vergnügen. Mit ihr die ländlichen Arbeiten zu verrichten, wie die Jahreszeit sie brachte, das Heu »zusammenzuschlohen« oder das Korn zu sammeln, auf dem Wagen die Garben von der Gabel zu nehmen, die ihre rüstigen Arme ihm entgegen streckten, und ihn so schön und gleichmäßig zu laden, daß sie ihn bewundern mußte; im Winter mit ihr zu dreschen und seinen Flegelschlag nach dem ihrigen kräftiger »auf dem Tennen« erschallen zu lassen; Abends mit ihr und der Base zu schwatzen, Rath zu halten über die Arbeiten des folgenden Tages, über Kauf und Verkauf; namentlich aber, vom Markt heimgekehrt, ihnen aus dem ledernen Gurt das Geld vorzuzählen und Lob dafür zu empfangen, daß er wieder so viel gelöst habe — dieß und anderes, wie es der Verkehr in einem Haus und Geschäft mit sich bringt, war für ihn[S. 117] eine Kette von Freuden, Labsal und Trost für alle Unbilden, die er erfuhr oder im zweifelnden Herzen sich selber anthat. Sollte er nun das alles auf's Spiel setzen, indem er Christine zum Weib verlangte und eine abschlägige oder auch nur eine ausweichende Antwort erhielt? In diesem Fall mußte er das Haus verlassen, oder wenn er blieb, war ihm die Freude verdorben und jede fernere Werbung untersagt. Hans — das haben wir nun hoffentlich schon klar gemacht — war kein gewöhnlicher Mensch; er hatte seinen Kopf und sein Ehrgefühl.

Und sie, die schöne Christine? Unstreitig werde ich nicht nöthig haben den Leserinnen erst noch ernsthaft zu versichern, daß sie gar wohl wußte, wie es mit dem Herzen des guten Burschen stand. Wo gäbe es ein hübsches Mädchen, die hier nicht sogleich Bescheid wüßte? Ich kann sogar verrathen, daß Christine schon als Fünfzehnjährige, nachdem sie ihn einmal auf einem gewissen Seitenblick ertappt, von dem Stand der Dinge gleich eine sehr entschiedene Ahnung hatte. Aber ein unausgesprochenes Gefühl hat auch für die einfache Schöne das Gute, daß es zugleich vorhanden und nicht vorhanden ist. Sie kann ihm gegenüber ihre Gedanken ebenfalls unausgesprochen lassen und thun, als ob es nicht existirte, während es schon diplomatische Geistesbildung erfordert, auch das ausgesprochene Gefühl zu ignoriren. Christine sah, wie sie den Vetter am Schnürchen hatte, und freute sich darüber. Es gefiel ihr besonders, daß er so bescheiden war, daß er sie nicht nöthigte, Ja oder Nein zu sagen, sondern ihr die Freiheit ließ, in der sie sich immer noch so wohl fühlte. Sie hatte eine Empfindung, wie sie bekanntlich auch schöne junge Damen haben, die es ebenfalls höchst reizend finden, eine Zeitlang als erstrebenswerthes Gut zu glänzen, bevor sie ihre Macht und Freiheit an einen Einzelnen hingeben. »Den kannst du haben und am Ende glücklich mit ihm leben,« dachte die gute Christine, und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, wenn sie sich vorstellte, wie glücklich sie den Vetter machen könnte, wenn sie ihm entgegenkäme. »Aber es hat noch Zeit,« rief es dann in ihr; — »wer weiß!« —

Aehnlich dachte die Mutter. Daß sie für ihre Tochter einen Mann haben konnte, brav, in der Arbeit geschickt und in seiner Art[S. 118] vermöglich, war gut. Aber wer konnte sagen, ob ihrer Christine nicht noch was Besseres, vielleicht was viel Besseres anstand? »Es hat noch Zeit,« war darum auch ihr Refrain, wenn sich beide mit einander über diese Angelegenheit besprachen. Einmal setzte sie hinzu: »Du därfst aber oh nex thoa', daß 'r verschächt wurd (verscheucht wird)!« Und Christine antwortete: »Des fällt mer net ei'! Er hätt's oh net om mi verdea't!« Und sie folgte ihrer Natur und traf in ihrem Sinne das Rechte: sie bewies gegen Hans eine Freundlichkeit, die seinem Wunsche die Aussicht auf das Ziel freiließ, ohne sie selber zu verpflichten.

Aus diesen Gründen nannten wir im Eingang unserer Erzählung die drei Leute glücklich. Hans war es durch seine Liebe, durch seine Herzensgüte und seine Hoffnung. Mutter und Tochter waren es durch ihre behagliche Existenz, durch die Ehre, die ihnen widerfuhr, durch die Sicherheit, die ihnen Hans gewährte, und durch die Macht, die ihnen gegeben schien. Das Glück des Hans war nun freilich um vieles löblicher, als das seiner beiden Verwandten; allein ich wünschte doch nicht, daß Christine zu streng beurtheilt würde. Sie schätzte den Vetter nur, sie liebte ihn nicht; sollte sie ihm nun entgegenkommen und sich binden ohne Noth? Und daß die Mutter aus bewußter, die Tochter aus instinktmäßiger Vorsicht den wackern Burschen für dem Nothfall bewahrt zu sehen wünschten, das wollen wir zwar nicht bewundernswürdig finden, aber — aus Galanterie — auch für keine Todsünde halten.

Ein solcher Zustand kann nicht dauern, und soll es auch nicht. Die unentschiedene Seele sieht sich auf einmal in eine Lage versetzt, wo sie ein bestimmtes Ziel vor sich hat, welches alle ihre Wünsche an sich reißt. Und nicht nur das Erreichen, auch das Erstreben dieses Ziels kann das bisherige Glück trüben und alteriren.

Als Christine das achtzehnte Jahr hinter sich hatte, kam, was Hans in den Stunden der Sorge befürchtete. Es trat ein Nebenbuhler auf.

Im selbigen Winter gab es zwei Hochzeiten, die im Wirthshaus gefeiert wurden, also zwei Tanzgelegenheiten. Bei der ersten ging Christine mit Hans und einer Kamerädin auf den »Ansing.« Wie[S. 119] man ohne Zweifel schon aus seinem ganzen Charakter vermuthet, war das Tanzen die Stärke des Hans nicht. Er hatte keine Freude daran, er leistete auch nichts Rechtes darin und bequemte sich darum auch nur höchst selten dazu. An diesem Ansing tanzte er nur ein paar Reihen, weil ihn Christine in Folge der Koketterie, mit der hübsche Mädchen bescheidene Liebhaber zuweilen auch unversehens beglücken wollen, selber dringend dazu aufgefordert hatte. Nachdem er das Nöthige gethan zu haben glaubte, bedankte er sich und sagte zu ihr mit gutmüthigem Lächeln, sie möge sich den Abend nur recht lustig machen, vor ihm habe sie nun Ruhe. Sie versetzte: »Was schwätscht ietz doh widder! 'S wär' koë Wonder, i tanzet net geara' mit d'r!« Dann aber gab sie doch vergnügt einem flinkeren Burschen die Hand, der schon auf sie gelauert hatte. Hans belohnte sich für seine Anstrengung durch einen tüchtigen Trunk und stellte sich in eine Ecke, um der Lustbarkeit zuzusehen. Das war ihm lieber als selber mitzumachen, d. h. wenn Christine tanzte. Er freute sich auch jetzt wieder, wie schön sie's konnte und wie sie ordentlich »das G'rihß hatte« (wie man sich um sie riß).

Als später der stattliche Sohn eines reichen Bauern auf den geringern Burschen, der sie eben im Reihen führte, zuging und zu ihm sagte: »Komm, loß me oh a weng mit der Christine danza! Du host ietz gmuag (genug)!« — sie dann ohne viel Umstände nahm und nach einigen Worten, die er an sie richtete, strampfte und den Kopf schüttelte, daß das grünseidene Quästchen auf der Fischotterkappe baumelte, da war Hans im Namen der Geliebten stolz auf die Ehre, die ihr widerfuhr; denn jener Bursche war dermalen der »fürnemste« im ganzen Dorf, und der Gute fühlte sich selbst geschmeichelt, daß so einer sie aufzog und, wie es schien, das Tanzen mit ihr gar nicht hatte »verwarten« können. Bald sah er auch, daß der schöne »Hansirg« (Hansjürg) sie wirklich recht gern im Arm oder an der Hand haben mußte. Er tanzte lange mit ihr, so lange, bis ihr die Schweißtropfen an der Schläfe standen und über die rothen Backen herunterperlten. Dann führte er sie zu einem Trunk in die Stube.

Alles das war in der Ordnung und wurde von Hans auch durchaus so gefunden. Als aber beide nicht lange nachher wieder mit einander[S. 120] herauskamen, um sich herumzudrehen, da freute er sich plötzlich nicht mehr. Er sah, wie der Bursche schon mit einer gewissen Vertrautheit sprach, dabei ganz eigenthümliche Augen machte und die Stimme dämpfte, so daß er seine Worte nicht verstehen konnte, und das Blut stieg ihm in's Gesicht. Er mußte sich alle Mühe geben, sich nichts »anmerken« zu lassen; und um dieß besser zu können, ging er in die Stube, setzte sich an seinen Tisch und fing ein Gespräch an. Früher, als er glaubte, kam Christine zurück und sagte zu ihm und zu der Kamerädin: »So, nun will ich ausschnaufen, nachher gehn wir heim; für heut ist's gnug!« Ein Stein fiel dem guten Burschen vom Herzen. Er wußte nicht, daß der »Fürneme« in seiner plötzlichen Zärtlichkeit etwas zu weit gegangen, Christine böse geworden war und sich ihm entzogen hatte, d. h. daß die Sache für ihn, den Hans, immer noch sehr gefährlich stand.

Die zweite Hochzeit folgte wenige Wochen darauf. Christine war entfernt mit der Braut, der reiche Bauernsohn mit dem Bräutigam verwandt, und beide gingen als Gäste auf die Hochzeit. Durch die Miene des Trutzens, die Christine gegen ihn annahm und in der sie ihm noch viel schöner vorkam als letzthin, wurde der Bursche auf's neue gereizt. Er bat sich mit höflicher Miene ein paar Reihen aus, und sie konnte es ihm nicht abschlagen. Während des Tanzes fand er Gelegenheit, sie zu besänftigen und Vergebung zu erhalten. Er war voll Freude, setzte sich in der Stube neben sie, ließ eine Flasche Wein kommen, trank und »juxte« (jauchzte), tanzte wieder, und so gings mit wenigen Unterbrechungen fort bis zum »Obedmohl.« Bedenken wir, daß dieser Bursche, abgesehen von dem Reiz, den er als der Sohn des vielleicht wohlhabendsten Bauern im Dorfe hatte, hübsch, hochgewachsen, geschickt und ein vortrefflicher Tänzer war, daß seine Zärtlichkeit ihm von Herzen ging und die Schmeicheleien aus seinem Munde für Christine etwas außerordentlich Wohlklingendes hatten, so werden wir es natürlich finden, daß das Herz des Mädchens nach und nach erweicht wurde und eine Hoffnung in ihr aufflammte, die sie berauschte. In dieser Hoffnung, in der süßen Aufregung ihres Innern wurde sie so schön, daß das Herz auch des Burschen völlig schmolz und er sich förmlich in sie verliebte.

[S. 121]

Nach dem Mahl begab sich Christine nach Haus. Sie fühlte, daß es für heute genug sei, ging nicht mehr auf den Ansing und vertraute ihre Tageserlebnisse mit Auswahl der Mutter. Der junge Bauer blieb, theilte im Rausch der Liebe und des Weins sein Glück einem Kameraden, dem Bruder der Hochzeiterin, mit, schwur, daß er keine andere möge als Christine, und daß er sie heirathen werde. Als der Kamerad ihn an den Stolz seines Vaters erinnerte, entgegnete der Verliebte, sein Vater habe ihm nichts zu sagen, was er wolle, müsse geschehen. Christine bekomme so viel wie manche Bauerntochter und ihre Schönheit sei nochmal so viel werth. Wenn er auch reichere haben könnte, auf's Geld sehe er nicht, das kriege er selber genug. Sein Vater solle ihm nur kommen — Himmel-Kreuz-Tausend — er werde es ihm schon sagen u. s. w.

Auch der andere Morgen, das Getöppel der Seinigen, die sein gestriges Benehmen für ein Plaisir ansahen, das er sich gemacht, auch das ruhige Bedenken der Verhältnisse kühlte seine Glut nicht. Er hatte sich den Gedanken in den Kopf gesetzt, und ein Mann wie er mußte seine Sache durchführen. Am folgenden Sonntag nach dem Essen kehrte er unerwartet mit dem Kameraden bei Christines Mutter ein. Hans hatte schon munkeln hören und war in trüber Stimmung. Als die beiden stattlichen Bursche in die Stube traten, sah er sie mit einem Gesicht an, auf dem kein Willkommen zu lesen war. Und wie er nun die Freude sah, mit der die Base und Christine die Gäste empfingen, die Geschäftigkeit, womit sogleich in's Wirthshaus nach braunem Bier geschickt wurde und die Base sogar Kaffee machen wollte — in einem Hause, wo immer nur Milchsuppe gefrühstückt und der Kaffee nur bei den seltensten Feierlichkeiten aufgetischt wurde — da gab es ihm einen Stich in's Herz. Er fühlte, wie wenig er zu der Gesellschaft paßte, und schützte einen nothwendigen Gang vor, um aus dem Hause zu kommen. — Als er Nachts zurückkehrte, war der Besuch natürlich fort, aber der Schein des Glücks, das er gebracht hatte, glänzte noch auf den Gesichtern der beiden Weiber. Christine sah wohl, daß ihre Freude dem guten Hans wehe that; sie bedauerte es, aber sie konnte sich nicht helfen und den Strom ihres Triumphgefühls nicht zurückhalten. Sie erblickte sich schon als[S. 122] eine der ersten Bäuerinnen im Ries und ihr sonst so gesunder Schlaf wurde mehrmals durch den süßen Tumult ihres Herzens unterbrochen.

Damit war's aber auch zu Ende. Der Vater des Burschen erhielt von dem Besuch und dem wesentlichen Inhalt des gepflogenen Raths Kunde, und es folgte nun zwischen beiden ein Auftritt, in welchem der prahlerische Liebhaber gar bald den kürzeren zog. Der Alte entwickelte einen Zorn und eine Machtvollkommenheit, wovor der Bursche sich verkriechen mußte. Was der Wüthende forderte, wurde mit »ja, ja, i will's ja!« zugesagt — und in kurzem hieß es: »des Moürs (Maierbauers) Hansirg hat mit der einzigen Tochter des reichen Bachbauers von ** Heirathstag gehalten.«

Christine war tief beschämt. Es ging die ersten Tage nicht ohne Vergießung vieler Thränen ab. Allein ihr Temperament und ihr ganzes Wesen war nicht von der Art, daß sich darum ein Gram in ihr befestigen und an ihr zehren konnte. Da der Ungetreue noch dazu aus dem Dorf weg heirathete, so hatte sie, auf gut ländlich, den Traum der Liebe und des Ehrgeizes in wenigen Wochen vergessen.

Hans hatte seit jenem Sonntag ein Betragen angenommen, das er eine Zeitlang unverändert festhielt. Er ging äußerlich ruhig seinem Geschäft nach, beschränkte seinen Verkehr mit Christine und der Base auf das Nothwendigste, machte ein gleichmäßig ernsthaftes Gesicht und suchte zu thun, als ob nichts vorgefallen wäre. Nachdem die Verlobung des Nebenbuhlers bekannt geworden, zeigte er (wer ihn begriffen, sagt sich das von selber) keine Schadenfreude. Er hatte diese nicht etwa zurückzudrängen, sondern die eigentlich so zu nennende empfand er gar nicht. Er bedauerte die Beschämte vielmehr, ging ihr aus dem Weg, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, und überließ sie ihrer Traurigkeit. Als sie nach einigen Tagen schon um vieles getrösteter aussah, gab er seiner Stimme im Gespräch mit ihr unwillkürlich einen freundschaftlicheren Klang, um sie gewiß zu machen, daß er nicht böse sei, und ihre Beruhigung, so weit es von ihm abhing, zu fördern. Aber weiter ging er nicht. Es hatte ihn doch recht »verdschmohcht« (verdrossen), daß sich die schöne[S. 123] Christine dem Bauernsohn mir nichts dir nichts an den Hals geworfen und sich angestellt, als ob er, der Hans, gar nicht mehr auf der Welt wäre. Er wollte sein Herz von nun an nicht mehr an ein Mädchen hängen, die von ihm nichts wollte — Christine sollte durch nichts mehr daran erinnert werden, daß er sie jemals gern gehabt habe.

Diese guten Vorsätze wurden im Ausgang des Winters gefaßt. Im Sommer stand das Verhältniß unseres wackern Freundes wieder so ziemlich auf dem alten Fleck, ja es war im Begriff weiter zu gedeihen. — Christine hatte zwischen Hans und dem Ungetreuen Vergleichungen angestellt, und es war ihr zum erstenmal klar geworden, daß Treue und Zuverlässigkeit etwas seien, wovor man Respekt haben müsse. Das frühere Benehmen des Vetters erschien ihr jetzt nicht mehr als ein Gegenstand herablassenden Spiels, im Gegentheil, sie hatte dabei ganz ernsthafte Gedanken. Und wenn sich nun er zurückhielt und gar nicht mehr dergleichen thun wollte, so — kam sie ihm selber entgegen; allerdings nur mit einer gewissen Vorsicht. Sie offenbarte in ihrem ganzen Wesen nur mehr Achtung und Freundschaft und der Ton ihrer Stimme erhielt nur eine herzlichere Färbung. Zuweilen aber, wenn er im Geschäft etwas recht gut gemacht hatte, warf sie mit ihren graublauen Augen ihm einen Blick zu, dessen Dankbarkeit auch ein Unparteiischer durch eine bedeutende Zugabe von Zärtlichkeit verstärkt gesehen hätte. Dem widerstehe ein liebendes Herz, und obendrein ein großmüthiges! Hans ließ sich Schritt für Schritt wieder zurückführen in die angenehme Gefangenschaft. Er kostete nun seinerseits einen gewissen Triumph, wiegte sich in frohen Momenten stolz im Gefühl der Macht und gab sich einer Sicherheit hin, die nur zuweilen durch die Einwürfe der Bescheidenheit unterbrochen wurde. Dann prüfte er wieder, hielt wieder an sich — und Christine kam ihm einen Schritt weiter entgegen. Die treue Seele war über die Maßen vergnügt; aber dieses Vergnügen that ihm gar zu wohl, und ihm war, als müßte er es vorläufig dabei lassen.

Der Verkehr der drei Leute nahm einen Charakter an, dessen reine Fröhlichkeit jeden theilnehmenden Beobachter erquickt hätte. Man scherzte und neckte sich; dem Vetter gelang es jetzt, der Schönen[S. 124] lustige Geschichten, namentlich wenn sie kurz waren, ohne Anstoß zu erzählen und sein Gesicht dabei durch jenes humoristische Lächeln zu erhellen, das ihm so gut ließ. Das Dorf war über ihr Verhältniß im Reinen, und wenn es geheißen hätte: Christine wird ihren Vetter heirathen, so hätte sich kein Mensch darüber gewundert. Hans wurde nun von seinen Kameraden mit ihr aufgezogen und gelegentlich ermahnt, einmal ein Ende zu machen, damit man bald wieder eine lustige Hochzeit bekäme. Und jetzt, in den Tagen des Herbstes, faßte er ernstlich den Entschluß, ihr seine Herzensmeinung zu sagen. Er verschob indessen die Ausführung von einem Tag zum andern. War es das Gefühl, daß Eile nicht nöthig sei und Christine ihm doch nicht entgehen könne? oder war der Geist des Zweifels wieder über ihn gekommen, oder vermochte er nur nicht über die Anrede mit sich einig zu werden und wartete auf eine Gelegenheit, wo sie sich von selber machte? Sei dem wie ihm wolle — er zauderte.

Da trat auf einmal ein Nebenbuhler auf, der noch gefährlicher war, als der erste, und in kurzer Zeit die Hoffnungen des Guten zertrümmerte.

II.

Der Nebenbuhler des Hans war der neue Lehrer, der den bisherigen in der Dorfschule ersetzte. Der alte war im Ausgang des Sommers an eine andere Stelle befördert worden, die jährlich um zwanzig volle Gulden mehr trug. Der neue, ein geborner Rieser, im Seminar erzogen und als mehrjähriger Gehülfe praktisch gebildet, übernahm sein Amt im Oktober.

Friedrich Forstner — so hieß der junge Mann — war kaum vierzehn Tage im Dorf, als er schon die meisten Herzen gewonnen hatte. Ein Theil erinnerte an das »neue Besen kehren gut« und wollte erst sehen, wie er sich halte. Nur wenige alte Murrköpfe oder junge Eifersüchtige erklärten ihn für einen »Windbeutel.« — Der Contrast zwischen ihm und dem bisherigen Lehrer war freilich sehr stark.

Der alte war seines Zeichens ursprünglich ein Weber, und, wie man annehmen muß, an seine Stelle gekommen in Ermangelung eines Bessern. Eine lange, hagere Gestalt mit kleinem Kopf und[S. 125] dünner Nase, von der man sogleich auf einen charakteristisch näselnden Ton der Stimme schließen konnte. Gutmüthig bis zu einem gewissen Grad, wurde er an Einfalt nur von Einem seiner damaligen Collegen übertroffen. Indem er zur Nothdurft lesen, schreiben und rechnen lehrte, genügte er dennoch. Seine Hauptthätigkeit bestand im Abhören dessen, was die Kinder, entweder von ihm aufgegeben oder freiwillig, auswendig gelernt hatten. Diese Kunst war für einen Mann, der Gedrucktes lesen konnte, nicht schwer, und da die »Schulfrau« (die Gattin des Lehrers) dies auch verstand, so vermochte sie ganz gut für ihn Schule zu halten, wenn er über Land gegangen war oder irgend ein dringendes Geschäft abzumachen hatte. In einem Zweige der Pädagogik war der würdige Repräsentant der guten alten Zeit Virtuos — in Führung des Haselstocks. Wenn die Buben oder keckeren Mädchen schwatzten und »bätschten,« d. h. Tauschgeschäfte machten, was namentlich mit »Helgen«[2] zu geschehen pflegte; wenn sie, zum Sprechen aufgefordert, dem Befehl nicht nachkommen konnten, weil sie zu heimlichem Genuß eben Brod oder Obst in den Mund gesteckt hatten; wenn sie statt das Auswendiggelernte ohne Anstoß »herzubeten,« »gatzten« (stotterten) und nicht mehr weiter konnten, dann schwang er, besonders wenn er schon vorher in gereizter Stimmung war, den gefürchteten Stock mit einer Fertigkeit auf Achseln und Rücken des Schuldigen, daß es eine Freude war zuzusehen. Und mit jener Befriedigung, die man nach Ausübung einer Kunst empfindet, in der man sich Meister weiß, legte er, während der getroffene Schlingel heulte, das Instrument wieder bei Seite.

In den größten Zorn konnte der Mann gerathen, wenn er fand, daß ein Schüler seine »Lection« übersprungen hatte. Damit verhielt es sich so. Vielleicht um sich auch die Mühe des Aufgebens zu ersparen, oder berücksichtigend, daß nicht einer ein so gutes »G'merk« (Gedächtniß) habe wie der andere, stellte er es den Kindern anheim, aus Luthers kleinem und großem Katechismus nach Oettingscher Einrichtung von vorne beginnend auswendig zu lernen, so viel ihnen[S. 126] gutdünkte, indem er dann abhörte, was sie ihm als gelernt bezeichnet hatten. Wie nun der Ehrgeiz aus keinem Winkel der Erde zu verbannen ist, so lernten auch die Schüler tüchtig; denn es galt die Erlangung des Ruhms, von allen zuerst mit den sämmtlichen zweiundfünfzig »Lezgen« oder Lectionen des großen Lutherischen Katechismus fertig geworden zu sein. Hie und da besaß einer der geistreicheren Jungen viel Ehrgeiz, aber sehr wenig Lernbegierde; was war natürlicher, als daß er nun gelegentlich einige Lectionen überhüpfte? Manchmal gelang der Betrug, wenn auch die Mitschüler nichts gewahr wurden oder so gute Kameraden waren, daß sie schwiegen. Wenn aber der Lehrer selber stutzte, oder irgend ein Schelm ihn durch Lachen aufmerksam machte, oder ein Verräther geradezu rief: »Herr Schullehrer, der überhupft!« — dann gerieth der Getäuschte in eine schwer zu beschreibende Wuth, und die Streiche des Haselstocks regneten auf den entlarvten Betrüger. Diesem blieb nichts übrig, als die Schläge trotzend oder schreiend hinzunehmen und nach Umständen außer der Schule den Verräther durchzuprügeln, was meistentheils geschah, da der unternehmende Bursche in der Regel kräftig und gewandt, der »Batscher« (Plauderer) schwach und feig zu sein pflegt.

So hielt der alte Lehrer Schule. In ähnlicher Weise kam er auch den Pflichten eines Küsters, Organisten und Vorsängers nach, nämlich immer in einer gewissen Entfernung. Für die Bauern war er doch »kein unebener Mann.« Da er, mit einer Anzahl von Kindern gesegnet, »nothig« und geschenkbedürftig war, so befleißigte er sich den Wohlhabenden gegenüber stets der gebührenden Höflichkeit. Er war dienstwillig, und wenn ein Vater anfragen ließ, ob sein Bube heute nicht »aus der Schule bleiben« könnte, so nahm er es mit dem vorgeschützten Grunde niemals genau. Sogar das Verlangen, den Haselstock zu führen, so mächtig es in ihm war, konnte er »aus Rücksichten« bemeistern. Die »gestandenen« Bauern fühlten sich in keiner Weise unter ihm. Er trug sich städtisch, aber der städtische Anzug war das Produkt des Dorfschneiders und nicht geeignet, neben der Rieser Tracht den Anblick von etwas Feinerem zu gewähren. Er sprach ein wenig hochdeutsch; aber jeder Andere glaubte in der ächten Rieser Sprache etwas Gescheidteres sagen zu könnnen. So flößte er[S. 127] in keiner Art Respekt ein. Darum war es aber gerade commod mit ihm umzugehen, und das ist eine Eigenschaft, die auch im Dorfe Beifall und Gunst findet.

Friedrich Forstner war seiner ganzen Erscheinung nach das, was der Rieser Bauer einen »Herrn« nennt. Mittelgroß, zierlich gebaut, sah er in seiner einfachen, aber wohlgefertigten Kleidung nett, beinahe elegant aus. Als ein aufgeweckter Kopf und von Natur anstellig zu Allem, hatte er im Seminar eine nicht gewöhnliche Summe von Kenntnissen erlangt; als Gehülfe in Dorf und Stadt hatte er die Klugheit ausgebildet, die Niemand lästig wird und sich spielend nach den Umständen zu richten weiß. Er sang hübsch, verstand mehrere Instrumente und war ein vortrefflicher Gesellschafter.

Gleich bei seinem Einzug hatten die Glieder der Gemeindeverwaltung und andere Männer, die mit ihm zusammen kamen, eine eigene Empfindung. Forstner ließ es durchaus nicht an Höflichkeit fehlen, aber sie, anstatt die Artigkeiten, wie bei seinem Vorgänger, wohlgefällig hinzunehmen und nur kurz zu danken, fühlten sich unwillkürlich getrieben, sie zu überbieten. Der junge Mann erwiederte bescheiden, schlug mit Gewandtheit einen vertraulichen Ton an und wußte es zu machen, daß die Bauern ihren Respekt behielten, ohne dadurch genirt zu sein, ein Gefühl, das ihnen ganz neu war. Als der zeitige Ortsvorsteher nach Haus kam, sagte er zu seinem Weib: »Höer du! der nui (neue) Schulmoëster ist a fei's Mändle!«

Eine ähnliche Erfahrung machten die Schulkinder. Forstner hielt bei seinem Auftritt eine Anrede an sie, und es war den meisten, als ob sie das, was er sagte, verständen! Als die Eltern zu Hause fragten, wie's gegangen sei, wußten sie sogar von dem Gehörten etwas wieder zu erzählen und es einigermaßen zu expliciren! Am andern Tag fand eine Aufmerksamkeit statt, wie sie die Wände der Schulstube nie gesehen hatten. Bei einem entstandenen Lärm genügte ein Zuruf und ein Blick des Lehrers, um zwei in Streit gerathene Buben augenblicklich verstummen zu machen; und wie später einer mit seinem Nachbar schwatzen wollte, stieß ihn dieser, anstatt auf das Vergnügen des »Blieselns« einzugehen, mit dem Ellbogen in die Seite und rief mit gedämpfter Stimme ärgerlich: »Halt's Maul!« — Nach dem[S. 128] vierten Tage erlebten die Eltern etwas Unerhörtes: die Kinder wollten nicht mehr aus der Schule bleiben! Ein Söldner brauchte seinen zehnjährigen Sohn bei einer Arbeit und wollte ihn zu Hause behalten; das Bürschchen widersprach, und als das nichts half, begann es zu »flannen« (flennen). So lange das Dorf stand, der erste Fall dieser Art.

Um diese Zeit begegneten sich drei Bauern auf der Gasse. »Was isch denn mit deana' Kinder (diesen Kindern) iatz?«, begann der erste; »die deant (thun) ja wie narret!« — »'Sischt wärle wohr« (wahrlich wahr), versetzte der andere; »der nui Schulmoëster hot's ganz verhext.« — »No, no,« sagte der dritte, »'sist ja rehcht, wann's geara' en d'Schuel gont« (gehen). — »Des scho',« erwiederte der erste; »aber überstudiert soll er's net macha', des paßt se net für Baura'.« — »Ueberstudiert,« entgegnete der dritte, »weara's no lahng net, wann's meaner (mehr) learna', als beim alda'. Semmer (seien wir) froa', daß mer dean loas send ond 'n bessera' hont« (haben). — So behielt die Gunst auch hier das letzte Wort.

Dem Talent des neuen Lehrers gelang es sogar, die Sonntagsschüler zu gewinnen, mit Ausnahme nur weniger Burschen, die schon im achtzehnten Jahre standen und durch nichts mit dem Gedanken versöhnt werden konnten, sich von einem Menschen, der nur etliche Jahre älter war als sie, noch etwas sagen lassen zu müssen. Am zweiten Feiertag fing eine und die andere Jungfrau schon an, sich etwas besser zu putzen und dabei anmuthig zu lächeln und ein wenig zu erröthen. Es trat ein Eifer des Schulbesuchs ein, den bisher niemand wahrgenommen hatte und der zu vielen guten und schlechten Späßen Anlaß gab.

Zuletzt eroberte Forstner auch die Bauern in der Wirthsstube. Er setzte sich kameradschaftlich zu ihnen, ließ sich von ihnen über ökonomische Verhältnisse und Einrichtungen des Dorfes belehren, beantwortete die Fragen der Neu- und Wißbegierde, gab jedem seine Ehre und lieferte das feinste und beste Salz zu den lustigen und satyrischen Gesprächen. — So hallte in kurzem das ganze Dorf von seinem Lobe wieder. Mit wenigen Ausnahmen sangen es Männer und Weiber, Mädchen und Bursche, Kinder und Greise. Es kam[S. 129] so weit, daß hie und da ein wohlgesinnter, aber maßhaltender Mann ärgerlich ausrief: »Ietz hab' i aber gnuag von uirem (eurem) Schulmoëster, und bitt mer'n andern Diskursch aus.«

Das meiste Glück machte der hübsche, junge Pädagog freilich bei den Mädchen des Dorfes, obwohl gerade diejenigen, denen er am meisten gefiel, es am wenigsten Wort haben wollten. Alle, sogar die Tochter des Wirths und die Töchter der reichsten Bauern, suchten dem »netten Mann« zu gefallen. Forstner war Verehrer und Kenner des schönen Geschlechts und mit Vergnügen galant; er konnte gar so freundlich »guten Tag« sagen, und manche, die sich für schön hielt, schwenkte sich nun bloß zu dem Ende an ihm vorbei, um von ihm bemerkt und gegrüßt zu werden.

Drei aus der Klasse derjenigen, die es für ein Glück halten konnten, »Schulfrau« zu werden, hatten ernsthafte Absichten auf ihn. Man würde sich irren, wenn man glauben wollte, Forstner, der so sehr gefiel, hätte nun auch unter allen Dorfmädchen die Wahl gehabt, in der Meinung etwa, daß ein im Seminar erzogener, mit den Gebildeten der Umgegend verkehrender, im Dorf als »Herr« geehrter junger Man für die Phantasie auch des wohlhabenden Bauers etwas Unwiderstehliches besitzen müßte. Dem wohlhabenden Bauer flößen derartige Vorzüge den hier allein entscheidenden Respekt nicht ein; er gibt dem »Herrn Lehrer« die Ehre, behält aber seine Tochter. Der Bauer verlangt vor Allem, daß sein künftiger Schwiegersohn ein eigenes Haus besitze; eine Existenz ohne dieses scheint ihm sehr luftig, und wenn man ihm einen hauslosen Schullehrer anträgt, dann kann er befremdet, ja entrüstet fragen: »Soll i mei' Tochter auf d'Gaß naus heiricha' (heirathen) lossa'?« — Und nicht nur die Eltern, auch die Tochter würde sich in der Regel nicht mit dem Gedanken befreunden, die Frau eines Mannes zu werden, der jährlich nur zwei bis dreihundert Gulden Einnahme hat, »alles kohfa'« (kaufen) und von den Bauern Geschenke annehmen muß. Der Bauer ist stolz darauf, in seiner Art Herr zu sein, d. h. auf tüchtigem Gute thätig und behaglich zu leben und seine Töchter wieder an Bauern oder an Wirthe, Müller und ausnahmsweise an wohlgesessene Handwerker der umliegenden Städte zu verheirathen, die selbst einige Oekonomie[S. 130] haben. So räth es ihm die Sitte und die Lebenserfahrung, und diesen folgt er. Etwas anderes ist es mit dem besser gestellten Söldner, dem dörflichen Handwerker, und allenfalls auch dem verschuldeten Bauer. Diese können es für eine Ehre halten, wenn der Lehrer des Dorfs ihr Schwiegersohn zu werden wünscht. Sein Einkommen entspricht hier dem Heirathsgut der Tochter, und auch in den Augen des verschuldeten Bauers würde die Schattenseite des Lehrerstandes durch die Lichtseite wieder aufgewogen.

Aus dieser Schichte der dörflichen Gesellschaft waren denn auch die drei Mädchen, die es lüstete, die Hand des hübschen Mannes davonzureißen. Sie gaben sich gewaltig Mühe, und eine davon hoffte schon zu triumphiren. Sie hatte die betagte Mutter Forstners, die ihm Haus hielt, wiederholt im Sonntagsstaat besucht und ihr — was man sagt — »mit dem Holzschlägel gewinkt;« und da sie überdieß von den dreien die reichste war, so glaubte sie nicht, daß es ihr fehlen könne. Indeß, ein paar Tage später, und sie mußte hören, der Herr Forstner habe ein Auge auf die schöne Christine geworfen. Eine Woche später, und auch sie mußte sich von der Wahrheit dieses Gerüchts überzeugen, das nun in die Reihe offenkundiger Thatsachen eintrat.

Die Mutter Forstners war mit der Wittwe Glauning verwandt; allerdings sehr entfernt, doch das verhinderte die Glauning nicht, die Mutter des Herrn Lehrers als Frau Base zu begrüßen und denselben Titel von ihr zu empfangen. So war zwischen den Familien gleich in der ersten Zeit ein Verhältniß hergestellt. Der junge Mann fand Christine hübsch, aber in der geschäftigen Zeit der ersten Einrichtung, der Amtspflichten, des Besuchmachens u. s. w. konnte er die Bekanntschaft nicht weiter pflegen. Als er in seinem Neste warm saß, die Arbeiten ihren Gang gingen und ihm freie Zeit übrig ließen, empfand er ein Verlangen, sie wieder zu sehen; er folgte dem unbestimmten Drang und kehrte an einem festtäglichen Abend in ihrem Hause ein. Als er sie sah im Sonntagsputz, vom Schein der Ampel beleuchtet, mit ruhiger, aber herzlicher Heiterkeit zu seinen Artigkeiten lächelnd, fühlte er sich getroffen. Die unverdorbene, schöne Sinnlichkeit machte einen reizenden Eindruck auf ihn, und er mußte sich sagen, daß in[S. 131] ihrem Wesen noch etwas liege, das sie höher stellte, als ihre Gespielen. Er kam sehr eingenommen, in merklicher Aufregung nach Hause und rühmte sie der Mutter in starken Ausdrücken. Diese erwiederte sofort: »Weißt du, was ich mir schon gedacht hab'? Das wär' eine Frau für dich.« — »Frau?« erwiederte er in einem Ton, der den Skrupel des »Gebildeten« ausdrückte. »Ja, Frau!« versetzte die Mutter. »Die Glauningin wird ihre viertausend Gulden Vermögen haben; Christine ist hübsch, wacker, versteht alle Arbeit und paßt sich besser für dich, als so eine Städterin, die nichts als Kleider mitbrächte.« — »Aber man sagt ja, der Bursch da, der Hans, wolle sie heirathen.« — »Ausgemacht ist noch nichts,« bemerkte die Mutter, »das weiß ich. Und so Einen,« setzte sie mit einem etwas eiteln Blick auf den Sohn hinzu, »so Einen wirst du wohl nicht fürchten?« — »Wir wollen sehen,« erwiederte Forstner nachdenklich.

Der Keim, den die Mutter ihm in die Seele gesenkt hatte, gedieh und entwickelte sich. Am nächsten freien Abend fühlte er eine lebhafte Begierde, den Besuch bei der Glauning zu wiederholen. Er legte den Weg vom Schulhaus zu ihr mit raschen Tritten zurück, und das freundliche Gesicht des Mädchens glänzte ihm entgegen wie der Vollmond. Wir haben es schon angedeutet: Forstner war das, was man einen »Liebhaber des schönen Geschlechts« nennt. Seine Freude an hübschen Gestalten dürfen wir vielleicht poetisch nennen, in so fern dieses Wort ein fein sinnliches und phantastisches Wohlgefallen ausdrückt. Die Empfindung war so schön und so reizend! — und er gab sich ihr nun, wo es die Klugheit nicht widerrieth, ohne weitere Skrupel hin. Bei Christine riethen ihm Neigung und Klugheit, für's erste nur den Galanten, den heitern Liebhaber zu spielen. Er wollte das hübsche Mädchen umschwärmen wie ein Schmetterling und hier vor allem die sinnlich romantische Lust finden, die er suchte; er wollte sie bezaubern, den bäurischen »Tölpel,« für den ein solches Mädchen wahrlich nicht geschaffen war, verdrängen und sich zum Gebieter ihres Herzens machen, dann — überlegen, ob und wann er sie zu seiner Frau machen könne.

Als er, von der Wittwe mit besonderem Eifer und schon mit einem eigenen Blick empfangen, Platz genommen hatte, setzten sich[S. 132] auch Mutter und Tochter wieder zum Spinnen. Forstner entwickelte sogleich seine Unterhaltungskunst, und sein angebornes Talent und die Begierde, zu gefallen, ließen ihn Scherzreden führen und Geschichten erzählen, wie sie dem Bildungsstand der Zuhörerinnen entsprachen und nothwendig belustigen mußten. Er wußte einer Geschichte ungezwungen eine für Christine schmeichelhafte Wendung zu geben, und nicht nur herzliches Lachen, sondern auch ein beglücktes Erröthen und ein im Abwehren dankbarer Blick war sein Lohn. Forstner besaß eine Gewandtheit mit hübschen Mädchen umzugehen, von der sich ein ehrlicher Bauernbursche nichts träumen läßt. Der Bauer unterhält und schmeichelt im Lapidarstyl, die niedliche Currentschrift mit zierlichen Schnörkeln ist nicht seine Sache. Unser junger Mann war aber gerade hierin stark, und er gab diesen Abend gleich eine Probe davon. Er bewunderte die Kunst des Spinnens, worin Christine in der That sich auszeichnete, und behauptete dann, er hätte es auch einmal zu lernen versucht und möchte wohl sehen, ob's noch ginge. Natürlich lud ihn das fröhliche Mädchen ein, es zu versuchen. Er setzte sich zum Rocken und es ging hinlänglich schlecht; Christine lachte, zeigte es ihm, er versuchte es wieder, und das alles bewirkte unter großem Vergnügen rasche Vertraulichkeit. Nachdem dieses Mittel erschöpft war, erklärte Forstner, er wolle neben einer solchen Meisterin nicht länger den Pfuscher spielen und lieber ein anderes Geschäft treiben, das sich besser für ihn schicke. Er setzte sich neben sie und machte sich's zur Aufgabe, ihr die »Aga'« (Flachsabfälle beim Spinnen) von der Schürze zu schütteln. Und während er die mündliche Unterhaltung fortsetzte, that er dieß gelegentlich so nett und lustig, daß man's ihm nicht übelnehmen und nur lachend Abwehrungsversuche machen konnte. Es stand ihm eben alles an, und er konnte mehr wagen als ein Bauernbursche, weil er es zierlich machte und in den Grenzen des Scherzes blieb. Als er endlich Abschied nahm, erklärten Mutter und Tochter, so vergnügt wären sie lange nicht gewesen, und er solle doch ja bald wieder die Ehr' geben.

Und Forstner kam wieder und wieder. Ihm ward so wohl in der warmen Stube bei dem hübschen Mädchen und der gefälligen, heiter blickenden Mutter. Draußen wirbelte der Schnee und sauste[S. 133] der Wind, drinnen schnurrten die Räder und tickte die Wanduhr, und unter dieser Begleitung ging das Spiel der Unterhaltung fort und gipfelte hie und da in einem Terzett hellen Gelächters. Alle drei hatten im eigentlichen Verstande eine poetische Empfindung. Mutter und Tochter sagten sich dieß nicht, denn sie kannten das Wort nicht; aber Forstner sagte sich's und schwelgte in seinen Gefühlen. Welchen Reiz übte Christine auf ihn! die in ihrer Art vollkommene Gestalt, durch Fröhlichkeit erhellt und verklärt, die sinnliche Fülle in ihrer schönsten Blüthe und im reichsten Glanze des Glücks! — Und dieses Mädchen war ihm gewogen und wurde es immer mehr. Zu ihm neigte sie sich — ein Wort von ihm, und sie lag in seinen Armen. Welch süßes und stolzes Gefühl — das Gefühl der Macht über ein so liebenswürdiges Geschöpf! Nun hielt er beim Abschiednehmen die Hand in der seinen und drückte sie, und dies wurde mit Erröthen geduldet und erwiedert. Lieb war ihm da der Wind und der herabwirbelnde Schnee, die seine glühende Wange auf dem Heimweg kühlten.

Wir dürfen Christine nicht schwächer erscheinen lassen, als sie in der That war. Sie ließ sich nicht ohne Weiteres gewinnen und dem Vetter abwendig machen. Zuerst ahnte sie nichts und hatte gegen Forstner nur das Gefühl der Dankbarkeit, weil er so freundlich und so »unterhaltlich« war. Sie verliebte sich nicht in seine nette Gestalt, wie jene drei andern, eben darum war sie auch nicht auf ihrer Hut und ließ sich gehen — und so verstrickte sie sich. Es gab in der ersten Zeit einen Moment, wo die Wage für Hans und Forstner noch gleich stand. Hätte jener seinen Antrag gemacht, vielleicht hätte der ehrliche Freiersmann den bloßen Liebhaber (als mehr erschien Forstner bis dahin noch nicht) aus dem Felde geschlagen. Aber während dieser dafür sorgte, sein Gewicht zu vermehren, handelte der Ehrliche so, daß seine Schale immer leichter werden mußte.

Hans hatte nie zu denen gehört, die den neuen Lehrer ohne Klausel bewunderten. Gleich nach dem ersten Zusammentreffen mit ihm hielt er ihn für einen Menschen, der ihm zu schlau dreinsehe und dem nicht zu trauen sei. Bei dem ersten Besuch Forstners im Haus der Base hatte indeß auch er noch kein Arg. Er stimmte von der[S. 134] Ofenbank, auf der er saß, ein paarmal herzlich in das Gelächter der Weiber mit ein. Als aber der Gewandte seine Künste begann, hatte der wackere Hans ein unbehagliches Gefühl. Er erklärte ihn zuerst nur bei sich für einen »öaden« (faden) Menschen, der ihm recht »auf d'Weibsbilder aus« zu sein scheine und mit dem sich ein ordentliches Mädchen eigentlich nicht viel abgeben sollte. Als er aber sah, wie Christine sich mehr und mehr auf seine Späße einließ, wurde er ärgerlich und — empfindlich. Er konnte und wollte die Unterhaltung nicht weiter mit anhören, und wenn das »Schulmoesterle« kam, ging Hans in den Stall oder aus dem Hause. — Es wogte sonderbar in der treuen Seele hin und her. Einmal war er erzürnt, und wenn Christine ihn über irgend etwas fragte, brummte er sie an. Dann glaubte er wieder, seine Befürchtung sei Unsinn und sein Trutzen einfältig. Er gab sich Mühe freundlich auszusehen; er wollte ihr nun auch etwas Schönes sagen und etwas Lustiges erzählen, und nun gerieth's ihm wieder nicht. Zu dem Einzigen, was ihm den Sieg noch hätte gewinnen können, zu einer herzhaften Erklärung konnte er sich jetzt am allerwenigsten entschließen. Er wollte jetzt gerade sehen, wie die Sache ginge. Wenn Christine »so 'n Kohbatza'« (winziger Fisch) lieber zum Mann wolle als ihn, dann solle sie ihn haben und Schulmeisterin werden. Sie kenne seine Meinung wohl und sie wisse recht gut, daß sie auf ihn zählen könne. Wenn sie im Stande sei, ihn wieder so ohne Weiteres aufzugeben, dann sei es ihm auch recht — und am Ende besser, daß er so eine gar nicht kriege. Aus diesen Gründen zog er sich mehr und mehr zurück, und Christine neigte sich ganz zu Forstner.

Als der Treue sich davon überzeugen mußte, so daß er nicht mehr zweifeln konnte, fühlte er eine Pein, wie nie zuvor. Aber bald war auch sein Entschluß gefaßt. Was in der ersten stillen Nacht auf dem einsamen Lager in ihm vorging, wollen wir nicht schildern und nur das sagen, daß Zorn und Schmerz über Sie, über sich und sein Unglück so in ihm brannten und sich wechselseitig steigernd ihn so bedrängten, daß sich das gepreßte Herz in Thränen Luft machen mußte. Für eine tiefe und leidenschaftliche Liebe — und das war seine Liebe geworden — ist es eine unsägliche Qual, sich verschmäht[S. 135] zu sehen um eines Mannes willen, den man nicht schätzen kann. Zur Vernichtung aller Hoffnungen auf das einzige Glück des Lebens kommt noch die Pein der Verachtung, die man erfahren, die Pein des Schmerzes über den Triumph des Nebenbuhlers, die Wuth über sich selbst, daß man den Schatz seiner Liebe an die Geringschätzung des Unbestandes verrathen konnte. Hans, in dem alle diese Empfindungen nach einander aufloderten, empfand die Marter der Verzweiflung in seinem Herzen. Welch ein Elend, sich Christine als das Weib dieses »Leckers« denken zu müssen! welche Schande, noch einmal auf die Seite gesetzt zu sein, nachdem schon von ihrer Hochzeit die Rede gewesen war! »Du mußt fort!« rief es in ihm, »aus dem Haus, aus dem Dorf!« — Aber da rührte sich die gründlich gute Natur in ihm. »Nein,« rief er dagegen, indem er sich ermannte, »nein das thu ich nicht, das wär' mir zu miserabel! Ich bleib' und halt' aus — jetzt grad! — Hinter meinem Rücken mögen die Leut' sagen, was sie wollen — in's Gesicht« (und er blickte mit funkelnden Augen in die Morgendämmerung) »in's Gesicht verspottet mich keiner, das weiß ich!« — Nachdem so das Bleiben vor seiner Ehre gerechtfertigt war, konnte auch die Großmuth ihre Gründe dafür aussprechen. »Sie brauchen dich, und jetzt mehr als sonst. Wer weiß, wie's geht? Der sieht mir grad so aus, als ob er mit nochmal so viel fertig werden könnt' als er hat. Ich will die Sach' vor der Hand noch zusammenhalten. — Kein' Dank verlang ich nicht!« Nach der Entschließung beruhigte sich die Leidenschaft endlich, die ihn so mächtig hin und her geschüttelt hatte. Der Wille, auszuharren und denen, die ihn gekränkt, Gutes zu thun — das war der Balsam auf die Wunde seines Herzens. Er kleidete sich an und ging in die Stube.

Christine saß mit ihrer Mutter am Tisch. Hans wünschte mit ruhiger Stimme guten Morgen, aber mit einem Gesicht, daß Christine sich augenblicklich sagte: er weiß es! Sie las in diesen Mienen ihr Gericht und schrak zusammen. Das Gewissen, das sich plötzlich in ihr aufrichtete, erhellte ihren Geist und schärfte ihr Urtheil; und während sie sich vorher, ihrer Neigung folgend, gesagt hatte: »er ist selber dran Schuld, warum red't er nicht?« so erkannte sie jetzt ihr Unrecht und fühlte es tief. Das Schuldbewußtsein drückte sie darnieder[S. 136] und ließ sie so verzagt erscheinen, daß Hans wieder Erbarmen mit ihr empfand. Gemüther wie das seine können in der Strenge des Richters nicht lange verharren; der Trieb, Gnade für Recht ergehen zu lassen, ist zu mächtig in ihnen und geht unwiderstehlich in Wirksamkeit über.

Hans blieb von diesem Moment an genau in der Zurückhaltung, die er sich zum Gesetz gemacht hatte; aber er wurde freier darin, und Blick und Ton seiner Stimme erhielten wieder mehr von dem Wohlwollen, das unvertilglich in seinem Gemüth lebte. In der Güte, in der Großmuth eines wackern Mannes liegt ein Quell von Kraft, von der die seichte, egoistische Natur keine Ahnung hat. Im Besitz dieser Natur kann man vergeben, und man vergiebt. Und man wird nicht schwächer, indem man es thut, sondern stärker; man fühlt sich nach Ertheilung der Gnade nicht ärmer, als nach Forderung und Erlangung seines Rechts, sondern reicher, und man schwingt sich in dem Bewußtsein der Tugend über das Leid hinweg, das die Seele überfluthen zu wollen schien. Dies vermag der Bauer wie der König, wenn ihm Gott den Geist dazu gegeben hat, und jeder thut's nach seiner Art. Unser Bauernbursche gewann nach seiner innerlichen Ueberwindung einen Gesichtsausdruck, den man nur als edel bezeichnen konnte. Dem Dorfmädchen war auch dieses Wort in seiner moralischen Bedeutung unbekannt, aber von der Sache hatte sie eine Ahnung. Sie fühlte kein Bedauern, sondern eine unwiderstehliche Achtung vor dem Vetter; mit dem weiblichen Stolz, der so bereit ist, Mitleid zu empfinden und namentlich zu offenbaren, war es aus. — Aber ihre Natur machte sich den Stand der Dinge nun auf andere Weise zu Nutze. »Er ist getröstet,« sagte sie sich, »und wenn er sonst auch viel aus mir gemacht hat, thut er es jetzt nicht mehr.« — Einige Tage später, und ihr Gewissen hatte sich wieder beruhigt und schwieg; die Neigung, die Leidenschaft gewannen die Herrschaft wieder völlig. Das Weib fühlte sich frei und gab sich ganz dem Drang ihres Herzens zum Glück hin.

Die Leser haben errathen können, daß Forstner und Christine Liebesgeständnisse ausgetauscht und Hans gewisse Kunde davon erhalten hatte. Zu einem Verlöbniß war es noch nicht gekommen; aber[S. 137] zu diesem Ziele drängte es beide nun unausweichlich hin. Der junge Mann hatte seiner Neigung und wenn man will seinem Gelüste folgen wollen, in der Meinung, immer noch die Wahl frei behalten zu können; er hatte seiner Mutter verboten, mit der Glauning von ernsthaften Absichten seinerseits zu reden. Aber es ging, wie häufig in solchen Fällen: die Leidenschaft wuchs und führte ihn weiter als er gedacht. Sein ganzes Wesen war von Christine bezaubert; er war gebunden durch seine Liebe, gebunden durch die Rücksichten, die er auf Mutter und Tochter, auf den Geistlichen, auf das Dorf und seine Stellung darin nehmen mußte. Das Dorf hatte schon ausgemacht, daß er Christine heirathen werde, und er konnte, er durfte es nicht Lügen strafen. So gedieh das Verhältniß endlich zum Abschluß. Die Wittwe Glauning hatte die Verheirathung ihrer Tochter mit dem gefeierten Lehrer von dem Gesichtspunkt der Ehre ansehen gelernt, und die Aussicht, den Flecken ihrer Verrechnung wegen jenes reichen Bauernsohnes gänzlich zu tilgen und als »Schwieger« Forstners auf eigene Art hervorstechen zu können, erfüllte sie mit Lust und mit jener Begierde, der es unmöglich ist, länger müßig zuzusehen. Als Mutter war sie jetzt ohnehin verpflichtet zu reden; und so ging sie denn eines Tages zur Base Forstner und sprach ihre Meinung in dürren Worten aus. Entweder — oder! — das war der Sinn ihrer Rede. Die Mutter des Lehrers hatte für diesen Fall schon Vollmacht erhalten; sie sagte, daß ihr Fritz nie eine andere Absicht gehabt habe, als das schöne und liebe Bäschen zu heirathen. — Auf einmal hieß es im Dorf: der Herr Lehrer hat sich mit der Christine versprochen.

Die vollendete Thatsache machte doch ihr Recht geltend, obwohl man sie allgemein hatte kommen sehen. Der Geist der Kritik fand sich herausgefordert; jede Meinung, die der Sachlage nach möglich war, fand einen Vertreter, und der Lärm war groß. Die einen, vorzüglich Weiber und Mädchen, verdammten Christine. So einen braven Menschen wie den Hans zweimal nach einander anzuführen, ihm »das Maul zu machen« und ihn, wenn ein Vornehmerer komme, wieder fahren zu lassen, das wäre keine Art nicht; das hätten sie niemals gethan — und wenn ein Graf gekommen wäre! Aber diese Christine sei eben ein hoffährtiges Ding, man wisse das ja, und trachte immer[S. 138] über ihren Stand hinaus. Der Hans hätte für sie gepaßt, der Herr Forstner sei zu fein für sie, und man werde sehen, daß das nicht gut ausgehe. Die andern, hauptsächlich ledige Bursche, machten den Hans für den Ausgang verantwortlich. Er sei allein Schuld und ihm geschehe ganz Recht. Der Mutter jahrelang das Hauswesen führen und sich dann die Tochter wegkapern zu lassen, da müßte einer ungeschickter sein als der Teufel! Wenn sie den »Rang« gehabt hätten, wenn sie bei der Christine im Haus gewesen wären, da hätte so ein Schulmeister kommen sollen! Der hätte gleich gesehen, daß er wieder gehen könnte. Auf so Einen zu warten, ja, das wär' ihnen das Wahre gewesen! Aber der Hans sei eben ein »Lamech,« ein »Drockser,« ein Kerl, der nicht von der Stell' komme; und wenn Christine den flinkeren Schulmeister lieber habe, so könne ihr das kein Mensch übel nehmen.

Das Dorf, wie man sieht, beschäftigte sich eben so viel mit Hans als mit Christine und Forstner. Der brave Bursche, der geschickte Bauer hatte sich eben Respekt erworben und dadurch eine eigene persönliche Bedeutung erlangt. Was wird er nun thun? fragte man sich. Wird er gehen, sein Geld aufkünden und die beiden Weiber sitzen lassen? »Freilich wird er gehen!« rief eine Gegnerin der Christine auf so eine Frage ordentlich hitzig. »Er wird wohl bleiben und all den Spektakel mit ansehen — Hochzeit und am End' Kindtauf' auch noch. Er wird sich die Tochter wegfischen lassen und der Alten noch länger den Knecht und den Narren machen! Das wär' nicht mehr gut, sondern dumm — und dumm ist der Hans doch nicht.«

Die Frage war bald entschieden. Hans blieb, und ein großer Theil seiner Vertheidigerinnen fiel nun auch von ihm ab und sagte, Christine habe doch Recht gehabt, es ihm so zu machen. So ein einfältiger Mensch sei ihnen ihr Lebtag noch nicht vorgekommen.

Durch Alles, was bisher in ihm vorgegangen, hatte Hans die Fähigkeit erlangt, der Christine zu ihrer Verlobung ehrlich und ruhig Glück zu wünschen. Er that es und ging so weit, ihr dabei die Hand zu geben. Aber er vergab sich nichts damit; der Ausdruck seines Gesichts sorgte dafür. Christine wurde roth über und über, sie sah ihn beschämt, ja bittend an und ihre Hand zitterte in der seinen. Es war[S. 139] eine Genugthuung für den treuen Burschen und er kostete ihre traurige Süßigkeit. Aber dann fing er selbst ein anderes Gespräch an und half dem Mädchen, aus Schonung, von der Tiefe der Empfindung wieder zur Oberfläche empor. Beiden wurde leichter um's Herz, und Christine überließ sich bald wieder der Freude und der Ehre ihres Brautstandes.

Am ersten Sonntag Abend nach dem »Verspruch« ging Hans in's Wirthshaus. Einige junge Leute hatten vorgehabt, ihn aufzuziehen; aber er hatte so was Eigenes in seinem Gesicht und in seinem Auge; sie trauten dem Landfrieden nicht und dankten ganz ehrbar auf seinen Gruß. Man discurirte über allerlei andere Dinge; unser Freund sprach resolut, verständig und machte zuletzt sogar hie und da eine humoristische Bemerkung in seiner alten Manier. Wie nun bei natürlichen, eben so wie bei gebildeten Menschen keine wirkliche Kraft ohne Anerkennung bleibt, so bekam der Wackere, als er die Wirthsstube verlassen hatte, von seinen Kameraden ernstlich empfundenes Lob. »Der ist gescheidter,« hieß es, »als die Leute glauben. Er macht sich aus der ganzen Geschichte nichts, und er hat Recht. Die Christine ist eine falsche Person, die einen so braven Kerl gar nicht verdient. Er darf sich Glück wünschen, daß er sie nicht bekommt — und wie's ihr geht, das wollen wir sehen.«

III.

Die größte Heilkraft auf Erden besitzt — die Zeit. Indem sie den Menschen in ihrem Strome fortführt und andere Bilder vor seine Seele bringt, entzieht sie ihn mehr und mehr der Einwirkung dessen, was gewesen ist. Sie mildert den Schmerz, löst die Spannung, entkräftet die Selbstanklage und giebt der Seele die Stärke und Ruhe wieder, ohne die sie ihren eigenen Anfechtungen erliegen müßte. Was uns heute unerträglich scheint, vielleicht in wenigen Tagen schon dünkt es uns eine mäßige Last. Was uns im ersten Moment als eine ausgesuchte Schmach niederdrückt, nach einigen Wochen erscheint es uns als ein gewöhnliches menschliches Ungemach, und unser übertriebenes Leidwesen darüber kann uns ein Lächeln entlocken.

[S. 140]

Freilich kommt dabei sehr viel auf die Art des begangenen oder erduldeten Unrechts, auf das Temperament und den Charakter des Menschen an. Es giebt Dinge, die der Seele keine Ruhe lassen, die mitgehen auf dem Wege, den sie nimmt, und ihr immer gegenwärtig bleiben. Es giebt Naturen, welche Handlungen und Erlebnisse von geringerem Belang festhalten und sich selbstquälerisch damit zu tragen im Stande sind; Menschen, in denen die Vergangenheit sich immer wieder vergegenwärtigt und die eine Beschämung roth machen kann, welche ihnen vor zwanzig Jahren widerfahren ist. Andere Erlebnisse verflüchtigen sich von selbst, und andere Naturen wissen Dinge von sich abzuschütteln, die sich sonst wie Kletten anzuhängen pflegen. Auch der Bildungsstand ist hier von großem Einfluß. Je mehr der Mensch seinen Geist entwickelt und sich zu einem innerlichen Leben erzogen hat, desto leichter versetzt er sich in die Vergangenheit, desto bedeutsamer ist für ihn das Gewesene, desto mehr durchdringen sich in ihm die Zeiten. Je näher der Mensch der Natur steht, desto mehr lebt er in der Gegenwart, desto mehr vergißt er, desto weniger belästigt ihn seine Vergangenheit.

Der Bauer giebt sich nicht viel mit Erinnerungen ab, wenn sie nicht von sehr gewichtiger Art sind. Durch seine Denkweise, durch Natur und Gewohnheit, namentlich aber durch die ihm auferlegten Arbeiten ist er vorzugsweise auf die Gegenwart gewiesen. Alle feinern Differenzen kommen auf dem Dorfe gar bald wieder ins Gleiche, und nur tiefe Leidenschaften in tiefen Gemüthern können auch hier still fortglühen.

In dem Haus, in welchem unsere Erzählung hauptsächlich spielt, war äußerlich bald alles wieder im alten Gang und auch innerlich vieles wieder hergestellt und gemildert. — Am raschesten war es der Wittwe Glauning gelungen, ihre frühere Gemüthsruhe wieder zu erlangen. Sie hatte sich wegen ihres Benehmens gegen Hans im Stillen doch auch einige Vorwürfe gemacht; aber nach wenigen Tagen schon war ihr das neue Verhältniß etwas Gewohntes und übte auf ihren Geist die Macht einer Sache, die nun einmal nicht anders ist. Wenn sie den Vetter sah, wie er mit ernstem Fleiß weiter arbeitete, dachte sie wohl: »Das ist doch wahrlich ein braver Mensch![S. 141] Man sollte gar nicht glauben, daß es noch solche Leute gäbe!« Aber eben durch diese Anerkennung fand sie sich mit ihm ab. Hans war ihr von nun an der gute Vetter, der sehr freundschaftlich gegen sie handelte, auf dessen Dienste sie aber beinahe schon ein gewisses Recht zu haben glaubte.

Christine folgte der Mutter nach. Das beschämende Gefühl und die Vorwürfe, die sich beim Anblick des Vetters zuweilen noch in ihr erneuert hatten, kamen seltener und blieben endlich ganz aus. Sie lebte im Wonnemond des Brautstandes, und die ganze Welt erschien ihr in heiterem Lichte. Wenn man sie hinter ihrem Rücken scharf beurtheilte, in's Gesicht gratulirte man ihr, lobte den Herrn Lehrer und pries sie glücklich. Die Kunst, sich höflich zu verstellen, ist auf dem Lande keineswegs unbekannt und gehört zur guten Lebensart wie anderswo. Es giebt auch hier Leute, die um so lebhafter zu schmeicheln verstehen, je nachdrücklicher sie dieselbe Person gegen Andere durchgehechelt haben; Leute, von denen man als etwas Besonderes hervorhebt, daß sie sich »recht anstellen,« d. h. einen Eifer, ein Vergnügen, eine Bewunderung zeigen können, von denen ihr Herz nichts weiß. Der Glanz des Ruhms, den sich der Bräutigam durch seine persönlichen Vorzüge erworben hatte, warf seine Strahlen auch auf die Braut; um seinetwillen that man der Christine mehr Ehre an und bewies ihr mehr Achtung als vorher. So sah die Glückliche sich umhuldigt von allen Seiten und hatte in der Freude ihres Herzens natürlich kein Arg, daß von den schönen Sachen, die man ihr sagte, auch nur eine Sylbe abgehen könnte.

Forstner selbst zeigte sich jetzt gegen sie von seiner liebenswürdigsten Seite. Er war von Leuten, auf deren Urtheil es ihm ankam, wegen seiner verständigen Wahl gelobt worden; ein paar muntere Collegen, die er von dem Vermögensstand der alten Glauning unterrichtet und mit der Braut bekannt gemacht hatte, erklärten ihn für beneidenswerth; er war in der besten Laune, sog den Blüthenduft des schönen Verhältnisses mit vollen Zügen ein und that alles, was der Erwählten angenehm und schmeichelhaft sein konnte. Wie hätte da Christine noch Aug' und Ohr haben können für etwas anderes! Sie liebte und sah den Geliebten glücklich, sie sah seinen Eifer, ihr Freude[S. 142] zu machen, und fühlte keinen lebhafteren Trieb und wußte keine höhere Pflicht, als ihm seine Liebe zu vergelten.

Das Glück hat die Eigenschaft, daß es sich aus sich selber vermehrt und seine Vermehrung von außen her magnetisch anzieht; darum giebt es auch eine Zeit, wo es in stetem Wachsen ist. Die Freude machte Christine nicht nur holder und feiner, als sie bisher erschien, sondern auch geistig aufgeweckter und heller. Sie war in der Freude sicher, und ihre Urtheile, ihre Bemerkungen im Gespräch erschienen dem Verlobten gar oft mit Recht sinnig und treffend. Forstner sah sich nun auch von dieser Seite beruhigt — er glaubte aus ihr eine Frau ganz nach seinem Herzen bilden zu können. Dies verhehlte er ihr aber auch nicht; er erquickte ihr Herz mit Lob über Vorzüge, die sie bis jetzt noch nicht an sich gekannt hatte, und ein außerordentliches Behagen, ein liebevolles Dankgefühl gegen ihn war die Folge davon.

Die beiden jungen Leute und eben so die beiden Mütter waren in einem Zustande, wo man die Engelein im Himmel singen und musiciren hört. Der Liebes- und Freundschaftsverkehr ließ bei der nothwendigen Arbeit des Tages kaum so viel Muße übrig, um die Ausstattung der Braut und die künftige Einrichtung zu erwägen und die ersten Vorbereitungen zu den Unternehmungen der nächsten Monate zu treffen.

Hans ging seinem Geschäft nach und schien nur dafür Sinn und Auge zu haben. Was er mit seinen Verwandten zu reden hatte, wurde kurz und ruhig abgemacht; er war gern allein, man sah es und ließ ihn allein. Da Christine an ihrer Ausfertigung arbeiten mußte und die strengere Bauernarbeit für sie nicht wohl mehr schicklich war, so hatte man eine Taglöhnerin für sie eingethan. Diese war schweigsam, eine von den still hinlebenden, in ihrer Gedankenlosigkeit glücklichen Personen, wie man sie auf dem Lande nicht selten findet, und der Bursche hatte zu seinem Troste nichts zu leiden durch Geschwätz und durch Fragen, die ihm jetzt doppelt zuwider gewesen wären.

Ihm war das zuletzt Erlebte freilich nicht verschwunden und von der Gegenwart überdeckt, wie den andern; aber es hatte sein Peinliches verloren, die Zeit hatte es gemildert und ihren Duft darauf geworfen.[S. 143] Es war nicht mehr das bloße Leid, das er empfand. Diesem war die niederdrückende Gewalt genommen, die man entweder überwinden oder der man erliegen muß; es hatte selbst etwas Liebes und für die Seele Wohlthuendes erhalten.

Was wir poetisches Gefühl nennen, ist von keinem Stande, von keiner Schichte der Gesellschaft ausgeschlossen. Früher hätte man diesen Satz vertheidigen müssen; jetzt, wo man die Volksmelodien und Volkslieder kennt und ehrt, wird ihn niemand zu bestreiten wagen. Wo ist Liebeslust und Liebesleid inniger, tiefer und rührender ausgesprochen, als in eben diesen Liedern, die aus dem Volke hervorgegangen oder von ihm angenommen und erhalten worden sind, und die immer noch, in Gesellschaft oder in Einsamkeit, von ihm gesungen werden? Wenn das tiefere Gemüth auf sich selbst und sein Leid beschränkt ist, fällt ihm ein Lied ein, das seinen Zustand ausdrückt; der Mund summt es unwillkürlich, das Herz schauert und die Augen werden feucht.

Der Winter war vergangen, die erste Frühlingszeit hatte schön begonnen und die Feldarbeit nahm ihren Anfang. Wenn der letzte Schnee weicht, die Sonne wärmer scheint, der Boden locker, die Wiese grüner wird und die Lerche singend in den Himmel steigt, dann geht durch jede bedrängte Seele ein Gefühl der Genesung. Auch die weichere Natur fühlt sich körperlich und geistig stärker und fängt im Leid wieder an zu hoffen; das männliche Herz gesundet fühlbar, wird seiner selbst mächtig und der Bedrängniß überlegen. Dann ist aber gerade die Zeit gekommen, wo es das Leid lieb gewinnt und es aus freien Stücken festhält und hinabsteigt zu der Süßigkeit melancholischer Träumerei.

Unser guter Freund hatte mehr Anlage zu innerlichem Leben von der Natur erhalten und in sich ausgebildet, als es auf dem Lande gewöhnlich ist. Von der Lustbarkeit weniger angezogen, durch eine scheue Leidenschaft auf sich selber gewiesen, kannte er schon länger den Reiz gemüthlicher Vorstellungen. Die Neigung dazu und die Kraft, solche Vorstellungen zu erzeugen, trat jetzt um so stärker in ihm hervor und gewährte ihm die volle Lust herzlich gehegter Trauer. Freuten die Verlobten sich in hellen Dur-Tönen — ihm war ein Glück,[S. 144] und ein reiches Glück, in Moll beschieden. Seine Arbeiten störten ihn darin nicht; er verstand sie so gut, daß sie wie von selber ihren Gang gingen und ihm Zeit genug übrig ließen, seinen Gedanken nachzuhängen. Wenn er mit seinen Kühen wohlgehaltenes Land »äckerte« und von dem Hauch der frisch aufgeworfenen Erde umdampft zuweilen »sinnirte,« wurden die Furchen darum nicht schlechter und er rief den Thieren zeitig genug sein »Härrerei'« zu, wenn er an der »G'wand« (Ackergrenze, wo umgewendet wird) angekommen war. Auf der Wiese rechte er mit der Taglöhnerin um die Wette Streu, obwohl es in seinem Innern summte, während in ihr die vollkommene Stille des Nichts Platz genommen hatte. Die ländlichen Arbeiten begünstigen zum Theil ein gewisses träumerisches Wesen; besonders einladend dazu ist aber die mittägliche und abendliche Heimkehr von einem entfernteren Ackerstück, so wie die Fütterungs- und Verdauungszeit der untergebenen Thiere. In den völlig einsamen Momenten, erfüllt von seiner Empfindung, kamen unserm Burschen allerlei Lieder in den Sinn. Er sang sie mit herzlicher, gedämpfter Stimme und fühlte ganz die Besänftigung und erneuerte schönere Aufregung anspruchloser Kunst. So sang er das Lied:

»Da droben auf jenem Berge,
Da steht ein hohes Haus,
Da schauen wohl alle Frühmorgen
Drei schöne Jungfrauen heraus« u. s. w. —

wohl mehr wegen der lieben, rührenden Melodie, als weil die Reime seinem Zustand entsprachen. Wenn er aber das letzte »G'setz« für sich hinsummte, dann hatte er dabei doch auch seine ganz eigenen Gedanken.

»Ach Scheiden, ach Scheiden,
Wer hat doch das Scheiden erdacht!
Es hat mein jung frisch Leben
Das Scheiden so traurig gemacht.«

Er lebte mit der, die er liebte, in Einem Hause; aber er war viel schlimmer geschieden als ein Liebhaber, der in die Fremde muß. Für ihn gab es kein Wiederfinden, kein Wiedersehen, keine Wiedervereinigung! — Bedachte er, wie sehr und wie lang er Christine geliebt[S. 145] und wie treu er an ihr gehangen, dann kam ihm wohl ein Lied auf die Lippen, das im Ries oft gesungen wird:

»Treu hab' i geliebet,
Was hab' i davon?
Mein Herz ist betrübet,
Das hab' i zum Lohn.«

Und in tiefem Ernst sah er dann für sich hin. — Einmal wurde dieser Ernst durch ein halb weh-, halb gutmüthiges Lächeln verdrängt. Es war ihm ein anderes Liedchen eingefallen, das seine Erfahrung erklärte:

»Wann's Mädle sauber ist,
Und ist no jung, no jung,
Muß der Bue luste sei',
Sonst kommt er drum.«

»Ja freile,« sagte er dann zu sich, »doh hot's eba' g'fehlt, und i ka' me net beklaga'. 'Sist oena' (eine) wie die ander. Wer koe (kein) so a »Luftikus« (Variation von Windbeutel) ist, der ka' nex ausrichta' bei da' Mädla'!« Und er erleichterte nun sein Herz in folgenden Strafreimen:

»Was hilft me a schöner Apfel,
Wann er innen ist faul!
Was hilft me a schöas Dea'del —
Sie macht mer nor d's Maul!«

Der leichten Anklage der schönen Base folgte aber bei dem guten Burschen in der Regel die Rechtfertigung, die Einsicht in die Natur der Dinge und den Lauf der Welt, die Ergebung und die stille Trauer. Einmal, als er nach der letzten abendlichen Fütterung im Stalle saß und die Kühe wiederkäuend dalagen, summte er in der leise belebten Stille eine Melodie ohne Text, die ihn dergestalt rührte, daß ihm Thränen in die Augen traten. Er besann sich auf das Lied — es war das bekannte:

»Wann mei' Schatz Hochzeit macht,
Hab' i a traurige Nacht,
Sperr mi in mei' Kämmerlein
Und wein' um mein' Schatz.«

[S. 146]

Es klopfte und zitterte in seinem Herzen und die Thränen rollten die Wangen herunter. Das war ihm aber doch zu arg. Er stand rasch auf, wischte sich die Augen und rief mit wahrem Zorn: »Hohl der Teufel die Narrheit! Ich werd' noch ganz zum alten Weib! — Aber jetzt ist's auch gnug!« Er ging in dem Gange vor dem »Bahren« (Futtertrog) hin und her und fing ein kleines Gespräch mit einer Kuh an, die sich erhoben hatte und ihn anmuhte. Allein er konnte nicht verhindern, daß ihm seine Gedanken wie verwöhnte Kinder noch einmal zu dem verbotenen Gegenstand entliefen. Er dachte an seine alten Träume, mit der Christine das schöne Haus zu bekommen und drin mit Weib und Schwieger ein Leben zu führen herrlich und in Freuden. Mit einer Art von Heroismus sang er hierauf das launig desperate Lied:

»Und aus isch mit mir,
Mei' Haus hat kei' Thür,
Und mei' Thür' hat kei' Schloß,
Und mein' Schatz bin i los.«

»Ja, ja,« sagte er dann halb lächelnd zu sich, »Alles ist hin miteinander! — D's Haus freilich, das traut' ich mir wohl noch zu kriegen; aber was hilft mich d's Haus ohne d's Weib!« — »Nun,« setzte er endlich sich ermannend hinzu, »am End' bleib' doch ich noch da!«

Zu der schönsten Zeit auf dem Lande gehört der Morgen eines Feiertags, wenn die Sonne scheint und die Luft mild und lieblich ist. Je mehr der Bauer die Woche hindurch gearbeitet hat, desto besser versteht er am Sonntag zu ruhen. Seine Bewegungen sind dann con amore langsam, die Mienen drücken ruhiges Vergnügen, sein ganzes Wesen tiefe Gelassenheit aus. Mit der Arbeit der Wochentage hat er auch die Sorgen hinter sich gelassen und ist zu einer Art von Naturstand zurückgekehrt, wo ihn ein Hauch der goldenen Zeit und ihrer Glückseligkeit anweht. Er kommt an solchem Tag in eine tiefere Stimmung und gibt sich entweder stiller Träumerei hin oder freut sich an der Schönheit einzelner Gegenstände der Natur, nicht wie ein schwärmender Poet freilich, aber schlicht und naiv wie ein Kind. Und dieses Naturbehagen wird durch die kirchliche Feier des Tags nicht gestört, es wird durch sie gestärkt, erhöht und sanktionirt.

[S. 147]

Nach und nach war der Mai herbeigekommen. Die Bäume glänzten in frischem Laub, einzelne standen über und über in Blüthe. Es wurde nun ein Lieblingsvergnügen des guten Hans, in der schönen Sonntagsfrühe sich in den Garten zu begeben, und was in der Woche gewachsen und ausgeschlagen, was von ihm selbst darin gearbeitet und hergerichtet war, mit Ruhe zu beschauen. Er freute sich an dem grünen Laub und an den schönen Blüthen der Bäume, aber auch an dem Gesurre der »Emmen« (Immen, Bienen) darin; denn sie hatten an der Mauer des Hauses selber einen »Emmenstand,« worin sich drei Stöcke befanden, und er hoffte, daß einer davon bald schwärmen werde. Er freute sich bei den Stöcken der rothen und gelben Hosen, welche die Bienen anhatten, und wie ordentlich ein Vergnügen aus ihnen glänzte, mit so reicher Beute heimzukehren. Zu der Südgrenze des Gartens hinabgewandelt, sah er mit Lust über die weißblühende Dornhecke auf die Wiese hinaus und freute sich der schönen Blumen darin, eben so des reichlichen Grases, das eine gute Heuernte versprach. Die Lerchen schienen ihm noch lieblicher zu singen, als an Wochentagen draußen auf dem Felde, und es war ihm, als müßte bei diesem Gesang, bei der Schönheit und dem Wohlgeruch der Blüthen, bei der warmen Luft und dem hellen Sonnenschein, und bei den herrlichen Aussichten auf ein gesegnetes Jahr die ganze Welt sich glücklich fühlen.

Er selber fühlte sich glücklich, glücklicher als seit langer Zeit. Es war noch immer ein Zusatz von Trauer in seinem Glück, aber sie war aufgelöst und hatte sich innig mit seinem Wohlgefühl verbunden. Das genesende Herz war nicht nur gestärkt durch die Schönheit der Natur, durch die stille Betrachtung des Blühens und Gedeihens, sondern auch durch die religiöse Bedeutung des Tages. Hans gehörte nicht zu den »Betischten,« wie man im Ries, das Wort von »Beten« ableitend, die Pietisten nennt; er machte aus der Frömmigkeit nicht das Geschäft seines Lebens. Aber man hat wohl schon bemerkt, daß in seinem Wesen doch gar manches lag, was recht eigentlich christlich war, und bei aller Natur, die mit ihm verbunden blieb, hätten wir einem solchen Mann im Lebensverkehr doch mehr vertrauen mögen, als manchem von den Stillen im Lande, deren Mehrzahl wir übrigens[S. 148] gerne nicht nur für ehrliche, sondern überhaupt für respektable Leute halten. Hans hatte einen guten »Unterricht« (mit diesem Wort bezeichnet der Rieser ausschließlich den Religionsunterricht) genossen, und er war der Mann, von den Lehren des Geistlichen mehr zu behalten als der erste beste. Er hatte ein dankbares Gemüth gegen Gott und war ihm anhänglich und diente ihm in den Formen, in denen er erzogen war. In seinem Hin- und Herdenken fiel ihm nun auch wohl ein Ausspruch der Bibel oder des Gesangbuchs ein, der ihn tröstete und von seiner Empfindung frei machte.

An einem besonders schönen Sonntagsmorgen steigerte sich unter solcher Einwirkung die Stimmung seines Herzens bis zur Heiterkeit. Vor dem religiösen Gefühl, wenn es die Seele auch nur als ein unbewußter Hauch durchdringt, können gewisse trübe Empfindungen nicht Stand halten; wir legen einen andern Maßstab an das Leid, und was uns sonst über die Maßen begründet erschien, das kann sich uns als eine Einbildung, ein Erzeugniß menschlicher Schwäche darstellen, und sein Wichtigthun kann uns ein Lächeln abnöthigen. Die wahrhaft gute Natur wird dann frei von der letzten Empfindlichkeit und fähig, nicht nur zu vergeben, sondern auch zu vergessen. Als Hans an diesem Morgen in's Haus zurückkehrte, weil die Glocken zur Kirche riefen und er die festlich geputzte Christine im »Wurzgarten« am Hause sah, wie sie noch ein Sträußchen pflückte, um ihren Schmuck zu vollenden, warf er im Vorübergehen einen Blick auf sie, wie ihn ein Mann auf ein glückliches Kind wirft. Und als sie ihn gewahr wurde und vergnügt und mit einer gewissen Gutmüthigkeit rief: »Guten Tag, Hans!« da dankte er ihr von Herzen freundlich und wünschte ihr eine »gute Andacht,« obgleich er wußte, daß ihre Andacht hauptsächlich im Denken an ihren Bräutigam und in der Freude über sein schönes Singen und Orgeln bestehen werde. Er selber ging würdig langsam in die Kirche und erbaute sich in ihr mehr als sonst, weil er, durch seine Herzenserfahrungen und sein Nachdenken darüber belehrt, mehr als sonst von der Predigt verstand. Er kam aufgerichtet und froh nach Haus, das Gefühl im Herzen, das wohl als ein Ersatz für die verlorene Freude des Lebens gelten kann,[S. 149] das Gefühl, durch Selbstüberwindung und Entsagung klarer und besser geworden zu sein.

Wer kann die Regungen eines Herzens schildern, das eben so der Leidenschaft wie der Resignation, eben so des Schmerzes wie der Erhebung fähig ist? wer das Spiel verfolgen der Trauer und der Tröstung, des Hinabsinkens und des Emporstrebens, des Rückfalls und der langsamen, langsamen Heilung? Nur andeuten läßt sich, was durch eine Seele geht, die dem liebsten und theuersten Wunsch entsagen muß, und das haben wir zu thun versucht.

Die Zeit und die Kräfte, die dem strebenden Menschen zu Hülfe kommen, übten endlich auch auf unsern Freund ihre ganze Macht. Seine Empfindungen zergingen freilich nicht wie die der andern, aber sie traten zurück in das Innerste seines Herzens, das sich über ihnen zuschloß. Er bewahrte sie hier, wie man im verborgensten Fache eines Schreins ein ererbtes theures Kleinod bewahrt, des Besitzes gewiß, ob man es zuletzt auch nur selten hervorzieht, um sich in seinen Anblick zu versenken.

Als der Frühling hingegangen war, standen Mutter, Tochter und Vetter wieder auf so freundschaftlichem Fuß, als ob ihr Verhältniß niemals getrübt worden wäre. Wenn die Glauning sah, wie Hans jetzt fast noch eifriger und gewissenhafter arbeitete, als früher, ging es ihr doch zuweilen an's Herz und sie dachte bei sich selbst: »So ein braver Mensch ist mir doch wahrhaftig noch nie vorgekommen! Der Bräutigam meiner Tochter ist schöner und feiner; aber wenn er nur auch so gut ist, wie der Hans.« — Christine war von der Tugend des Vetters, die sich so völlig anspruchlos in Thaten kundgab, auch gerührt; aber ihr innerliches Lob schloß nicht mit einem Wunsch, der über die Güte Forstners noch irgend einen Zweifel zuließ. Ihr Bräutigam war nicht nur der schönste und feinste, sondern auch der beste aller Menschen; das bewies er ihr ja täglich durch seine Liebe, durch seinen Eifer, ihr Freude zu machen. — Der Verlobte selbst begegnete dem Guten jetzt mit viel mehr Rücksicht als früher. Wenn Hans ihm seine gebührende Ehre gab und bei seinem Eintritt in's Haus mit ruhiger Freundlichkeit »guten Abend, Herr Lehrer« sagte, sprach aus dem Ton seiner Erwiederung und aus seinem Blick[S. 150] ein unwillkürlicher Respekt, und selbst zu Hause im Gespräch mit seiner Mutter gebrauchte er über ihn nie mehr despektirliche Bezeichnungen, wie sonst. Manchmal nahm er Gelegenheit, dem Braven wegen seiner Geschicklichkeit als Bauer ein Compliment zu machen und es so warm auszudrücken, daß Hans selber zu glauben anfing, dieser Mann wäre am Ende doch besser, als er ihm zuerst vorgekommen sei, und Christine könnte mit ihm glücklich werden.

In Christine regte sich, nachdem sie ihre Furcht und Verlegenheit vor Hans gänzlich abgelegt hatte, die gute Natur. Die Achtung, die sein Benehmen ihr einflößte, wurde zur Freundschaft, zur freundschaftlichen Theilnahme. Sie fühlte den Trieb, ihn wohl zu halten und ihn zu erfreuen durch Lob und durch die Aufmerksamkeiten, wozu der Familienverkehr so viele Gelegenheit bietet. War sie auch nicht mehr gedrückt durch das, was ihr früher als ein Unrecht vorkam, so fühlte sie sich doch erleichtert, wenn sie etwas für ihn gethan hatte. Einmal, als das Gespräch mit ihm eine scherzende Wendung genommen, sagte sie, indem sie plötzlich einen ersteren Ton annahm: »Hans, du mußt auch heirathen! Einem Mann in deinem Alter gehört ein braves Weib, und du verdienst die beste!« — Hans sah ihr betroffen und argwöhnisch in's Gesicht; da er aber nur wirkliche Theilnahme darin erblickte, so antwortete er mit einer gewissen Laune: »Für unser Einen ist's Heirathen so eine Sach', man kriegt nicht immer die, die man gern möchte.« — Christine, die ein wenig roth wurde, rief um so lebhafter: »Ein Bursch wie du kann sich jede aussuchen!« — Hans verzog seinen Mund und erwiederte: »Ich glaub's wohl! So Einem kann's nicht fehlen! Wenn er die Hände ausstreckt, hängt an jedem Finger eine!« — Ueber diesen kitzlichen Punkt fand Christine für gut hinwegzugehen, und die Heirath schon als geschehen betrachtend, sagte sie: »Dann werden wir Gevatterleut' und ich heb' deine Kinder aus der Täf (Taufe), und wir wollen recht vergnügt mit einander sein.« — »Nun damit,« versetzte Hans lächelnd, »hat's noch gute Weg'. Zuerst heirathest du, und dann wollen wir sehen, was mit mir anzufangen ist.«

Freilich, auf die Hochzeit der Christine war mehr Aussicht als auf die des guten Hans. Die Verlobten hatten beschlossen, sich im[S. 151] Herbst »zusammengeben« zu lassen, und es wurde nun immer emsiger an der Ausfertigung gearbeitet. Die Frage, wie Christine als Frau Lehrerin sich kleiden solle, war erledigt. Heutzutage hätte man eine »Näherin« eingethan, die sich als Kleidermacherin schon einen Namen erworben, und der Lehrersbraut die gehörige Zahl bürgerlich französischer Anzüge fertigen lassen. Damals warf man aber die Rieser Tracht noch nicht so schnell über Bord, und es war demnach im Hause der Glauning beschlossen worden, nur zu der feineren Kleidung im Rieser Styl fortzugehen, wie sie die Weiber der reichen Bauern, der Müller, Wirthe und auch der Schullehrer noch trugen. Es war immerhin ein Fortschritt, und das Herz der Braut wurde außerordentlich erheitert beim Anblick zweier seidener Halstücher, die ganz neumodisch waren, eines herrlichen »geflammten« Rocks, der in zierliche Falten »gebegelt« (gebügelt) die stattlich Hinschreitende umwogen sollte, und einer großen Radhaube, nicht mit schwarzen, sondern mit weißen Spitzen und mit farbigen seidenen Bändern, womit im Dorf bis jetzt einzig und allein die Wirthin geprangt hatte. Als Christine dieses Wunder von Haube zuerst probirte und die seidenen Bänder, zierlich verschlungen, von ihrem Kinn auf die Brust herunter wallten, fühlte sogar die Taglöhnerin aus ihrer pflanzenähnlichen Ruhe sich herausgerissen; sie hing an der Beneidenswerthen mit einer Art von Andacht, stieß einen komischen Seufzer aus und rief: »Bändel zieret halt da' Menscha'!« wobei sie in ihrem Herzen dachte, daß sie in einer Haube mit so schönen Bändern sich neben der Christine wohl auch noch sehen lassen könnte. — Dem Vorrath an Leinwand und Bettfedern, den die Mutter gesammelt hatte, wurde nebst dem Geldbeutel stark zugesprochen, und der Wunsch der ehrgeizigen Frau, ihre Christine wie eine reiche Bauerntochter auszustatten, und das Verlangen, doch auch noch etwas übrig zu behalten, kamen öfters mit einander in Streit. Hie und da gab es sogar einen kleinen Handel zwischen Mutter und Tochter, der aber bald wieder in's Gleiche gebracht wurde: Christine hatte den Vortheil, das einzige Kind zu sein. Indem nun die beiden mit der Dorfnäherin und dem Dorfschneider in die Wette arbeiteten, ging die Sache stetig vorwärts. Man war sicher, zu rechter Zeit fertig zu werden und in's Schulhaus mit einem[S. 152] Wagen voll Hausrath einzuziehen, wie er von einer Söldnerfamilie noch nie geliefert worden war.

Daß zwischen dem Haus der Glauning und dem Schulhaus immer der engste Verkehr statt gefunden hatte, versteht sich von selbst. Forstner war fast in allen Stunden, die er sich abmüßigen konnte, bei der schönen Braut gewesen, und seine Mutter hatte über alle wichtigen Fragen mit ihr und der Base Rath gepflogen. Bei einem so lebhaften Temperament, wie es der junge Lehrer besaß, konnte sich die Glut des Liebenden freilich nicht immer auf der ersten Höhe behaupten; gerade wenn sie dauern sollte, mußte sie sich mäßigen und so zu sagen in regelmäßigem Flußbette hinströmen. So war denn mit der Zeit der Verlobte ruhiger geworden, und ohne daß sein Wohlgefallen an der Braut sich minderte, öffnete sich sein Herz auch wieder andern Dingen. Den ganzen Frühling hindurch hatte er Einladungen seiner Freunde zu fröhlichen Gelegenheiten ausgeschlagen. Er führte Christine mit seiner und ihrer Mutter an schönen Feiertagen nach Nördlingen, Oettingen oder Wallerstein, unterhielt sie, zeigte ihnen belehrend die Schlösser und Hofgärten der fürstlichen Residenzen und ging in gemüthlichem Gespräch mit ihnen nach Haus. Wie nun aber der Eifer der Ausfertigung, je weiter diese vorschritt, nur um so lebhafter wurde und die Weiberherzen ganz zu erfüllen schien, glaubte Forstner den Collegen und Kameraden sich nicht länger entziehen zu dürfen. Man hatte in Oettingen ein musikalisches Kränzchen gestiftet, und er mit seinem hübschen Tenor und seinem Geschick auf der Violine war ehrenvoll dringend zur Theilnahme aufgefordert worden. Er verpflichtete sich dazu, und da die Gesänge und die Musikstücke, die man aufführte, bald gut zusammengingen, so legte der rasche Fußgänger mit Vergnügen die ziemlich lange Strecke zurück, die zwischen dem Dorf und dem Ort der Zusammenkunft lag, und freute sich der künstlerischen Unterhaltung und der lustigen und geistreichen Gespräche, die auf die kleinen Concerte zu folgen pflegten.

Forstners Temperament — das hat man schon gesehen — war überwiegend sanguinisch. Von Leuten dieser Art ist bekannt, daß sie gewisse Dinge schneller und lebhafter erfassen, aber schneller auch wieder lassen als andere. Ich sage, gewisse Dinge. Es wäre schlimm,[S. 153] wenn der Sanguiniker in seinem Geist und Herzen nicht die Kraft besitzen könnte, einem Gedanken, einer Pflicht und einer ernstlichen Neigung treu sein Leben zu widmen. Aber von gewissen Dingen, namentlich solchen, die auf dem Felde der Unterhaltung und des Lebensgenusses liegen, wird der Mann von leichtem Blut schneller hingerissen als andere und weiter geführt, als er anfangs dachte, auch wenn er, wie unser Lehrer, eine Dosis Phlegma besitzt, welche der Klugheit zur Unterlage dient. — Das musikalische Kränzchen in der genannten fürstlichen Residenz gewann in raschem Aufschwung einen Stand der Blüthe, wie er unter günstigen Verhältnissen bei solchen Verbindungen einzutreten und eine Zeitlang zu dauern pflegt. In solcher Zeit gelingt alles; die Theilnahme scheint ununterbrochen zu wachsen, die Freude kommt ungesucht und der Ruhm des Instituts verbreitet sich in der ganzen Umgegend. An den Tagen, wo man sich in Oettingen versammelte, fanden sich nun bald auch Gäste von benachbarten fränkischen Orten ein, die nach ihrem bekannten Naturell dem Vergnügen keinen Eintrag thaten. Musiker trinken gern, und ein leichter Rausch ist der Zustand, der allein würdig scheint, auf künstlerischen Enthusiasmus zu folgen, weil er diesen nicht verglühen läßt, sondern liebevoll erhöht und weiter trägt. Da nun das Bier, welches der Ganswirth lieferte, vortrefflich war, so fühlten sie sich, wenn es auch meistens Dorf- und Stadtlehrer mit zwei- bis fünfhundert Gulden Einkommen waren, doch alle wie Könige. Die musikalischen Aufführungen gewährten edeln und feinen Genuß, das darauf folgende Gelag machte sie fröhlich wie die fidelsten Musensöhne, und die Gesänge, in welche die innere Lust hier unwillkürlich ausströmte, klangen noch schöner und ergreifender, als die kunstmäßig vorgetragenen, weil die Formen der Kunst von der lodernden Glut der Seelen überschwänglich erfüllt wurden. — Forstner, eine Zierde sowohl der Aufführungen als der Gelage, sah sich in diesem Zirkel geehrt und geliebt; seine Freundschaft wurde gesucht, ein Lehrer aus der benachbarten fränkischen Stadt erklärte ihn für ein Genie und schloß sich eng an ihn an; da war es ohne Zweifel natürlich, daß die Theilnahme an dem Kränzchen in ihm endlich zur Passion wurde und daß er an den Versammlungstagen regelmäßig als einer der ersten kam und einer[S. 154] der letzten ging. Eben so natürlich war es aber auch, daß dabei Zeit und Geld verthan wurden »nach Noten« — und letzteres mehr als es Forstners Einkommen vertrug.

An Zeit hat der Dorflehrer im Sommer keinen Mangel. Dessen ungeachtet verminderten sich die Besuche des Bräutigams im Hause der Braut auf eine Weise, daß es auch der Vielbeschäftigten und Arbeitstrunkenen auffallen mußte. Sie machte ihm darüber Vorwürfe und setzte mit etwas empfindlichem Ausdruck hinzu: es sehe beinahe aus, als ob's mit seiner Lieb' zu ihr gar nicht mehr so arg sei, wie sonst. Allein da schloß er sie mit einer Zärtlichkeit in seine Arme und sprach von seiner ewigen Liebe und Treue in so schönen Ausdrücken, daß der halbe Zweifel in der Seele des Mädchens rasch wieder getilgt war. Er zeigte eine ernste Miene und belehrte sie, wie er sich im Singen und Musiciren üben und Bekanntschaften machen müsse, weil ihm dies zu seinem Fortkommen durchaus nöthig sei. Er erzählte ihr, welchen Beifall er in dem Kränzchen erhalte und wie geehrt er sei — und Christine, selbst geschmeichelt, meinte, das sei dann freilich etwas anderes und auch sie könne ihm jetzt nicht rathen wegzubleiben.

Mit seiner Mutter hatte Forstner eine andere Erörterung. Die alte Frau besaß noch etwas Vermögen. Es war nicht mehr so viel als vor einigen Jahren; denn der begabte und überall beliebte Sohn hatte als Schulgehülfe mit seinen Einnahmen unmöglich reichen können, und jedes Jahr mußten etwelche Schulden getilgt werden. In seiner jetzigen Stellung war er ausgekommen, so lange er eingezogen lebte; jetzt hatte sich wieder ein Deficit gezeigt, und er mußte die Mutter neuerdings angehen. Diese sträubte sich und las ihm gehörig den Text. Allein es gelang ihm auch ihr gegenüber zu beweisen, daß ihm die jetzigen Ausgaben in Folge der gemachten Bekanntschaften zehnfach wieder hereinkommen würden, und die beschwichtigte Mutter zahlte.

Der Sommer näherte sich seinem Ende. Die Ausstattung der Christine war beinahe fertig — ein Gegenstand der offenen Bewunderung und des geheimen Neides besuchender Freundinnen. An den Kästen und »Bettscha'den« (Bettstatten), an Tischen und Stühlen[S. 155] hatte der Schreiner des Dorfs sein Meisterstück gemacht. Sie waren nicht von Mahagoniholz und nicht polirt, aber mit brauner Oelfarbe überzogen, so schön wie man's noch nie gesehen. Hemden, weiße Schürzen, Schnupftücher, »Handswellen« (Handtücher), Tischtücher und Strümpfe gewöhnlicher und feingemodelter Gattung lagen gewaschen und gebügelt im »Weißwaarenkasten.« Die Betten waren schon überzogen mit blau- und rothgestreiftem, selbstgewirktem Zeug. Spitzenhauben, Sonntagskappen (wo das »Bödele« aus Gold- oder Silbergeflecht bestand) und verschiedene Alltagskappen prangten im obern Fach des reichbehängten Kleiderkastens. Ein neuer Spinnrocken mit Rad, von einem Nördlinger »Dreher« kunstreich gefertigt, stand bereit, um an dem Tag des Einzugs, mit dem feinsten und weißesten Flachs überzogen und mit rothseidenem Band umwickelt, mitten auf dem Wagen zu prangen. Es fehlten hauptsächlich nur noch ein paar Sessel, welche die alte Glauning, des feinen Schwiegersohns wegen, sich auch noch zu bestellen entschlossen hatte, und ein kleines Stück Hausrath, welches erst später nöthig zu werden pflegt, das aber vorsorgliche und humoristische Eltern in der Regel auch gleich mitfertigen lassen.

Was Christine an Geld mitbekommen und wie es gezahlt werden sollte, war ausgemacht. Die Heirath des einzigen Kindes mit einem Lehrer versetzte die Wittwe in eine Nothwendigkeit, die auf dem Lande stets mit Leidwesen empfunden wird, das Gut, das ihr Mann von seinen Vorfahren überkommen, vergrößert und so schön hergerichtet hatte, in andere Hände übergehen zu lassen. Der angestellte Schwiegersohn konnte es nicht übernehmen, und sie konnte es nach der Ausstattung ihrer Tochter nicht mehr halten. Als sie das einmal vor Hans aussprach, bemerkte dieser: er habe daran auch schon gedacht und bei sich überlegt, was Haus und Feldung in heutiger Zeit wohl gelten möchten. Er sei über eine Summe mit sich einig geworden, und um diese wolle er selber das Gut an sich bringen. Die Wittwe, angenehm überrascht, ließ ihn die Summe nennen; und da auch sie schon einen Ueberschlag gemacht hatte, dessen Ergebniß von dem Gebot des Vetters nicht viel abwich, so wurden sie bald »Handels eins.« Sie machten aus und gaben sich die Hand darauf, daß[S. 156] nach der Heirath der Christine — denn vorher wollten sie keine Aenderung treffen — die Sölde um die vereinbarte Summe von ihr an ihn übergehen solle. Der alten Glauning fiel ein Stein vom Herzen. Sie konnte mit dem Handel zufrieden sein, dann aber war es ihr lieb, daß ihr »Sach« an einen »Freund« überging, und nicht minder, daß der um sie verdiente Hans wenigstens ihr Haus und ihre Güter erhielt, wenn auch nicht ihre Tochter. In dem Vergnügen, das sie empfand, sah sie ihn mit gutmüthiger Schlauheit an und sagte: »Du hast g'wiß schon eine mit zwei- oder dreitausend Gulden!« — »Das nicht,« erwiederte Hans, »ist aber auch nicht nöthig. Vor der Hand getrau' ich mir die Geschichte allein zu behaupten.« — »Wenn's Einer kann, so kannst du's. Aber besser ist besser.« — »Das schon; ich will auch gar nicht sagen, daß ich ledig bleib'. Wenn ich in dem Haus da einmal festsitz', dann wird sich wohl eine finden, die's riskirt mit mir.« — »Hundert für Eine!« rief die Base mit Wärme; »so viel du willst!« — Hans zuckte die Achsel und sagte: »Also dabei bleibt's! Wenn die Christine heirathet, bin ich der Käufer.«

Die Uebernahme dieser Verpflichtung war kein Akt der Großmuth von unserem Freund. Er hatte das Gut lieb gewonnen, die von ihm Jahre lang bebauten und verbesserten Felder waren ihm an's Herz gewachsen, und da sich eine so gute Gelegenheit bot, sie zu erhalten, wollte er sie nicht auslassen. Trotz des Gemüthes, das wir an ihm kennen, war er keineswegs so romantisch gesinnt, daß er sich etwa vorgenommen, selber unbeweibt zu bleiben und nur der Erinnerung an seine Liebe zu leben. Im Gegentheil, es war ihm ganz ernst mit dem, was er der Base gesagt hatte; wenn Christine verheirathet war, so wollte er selbst eine brave Frau nehmen, die von ordentlichen Leuten herkam und etwas hatte und mit deren Eingebrachtem er nach und nach ganz schuldenfrei werden konnte. Mit ihr, wenn sie auch der Christine an Schönheit lange nicht gleich käme, wollte er leben, wie sich's gehört, und einen rechten Mann machen.

Von derjenigen Seite, wo neue Einrichtungen getroffen werden mußten, war demnach alles in Ordnung. Es blieb nichts mehr übrig, als die Erfüllung der gewöhnlichen Formalitäten, und das Brautpaar konnte verkündigt, die Hochzeit konnte gefeiert werden. Als die Glauning[S. 157] dies dem Verlobten mittheilte und den Tag der Verkündigung bestimmt wissen wollte, bemerkte dieser: es gehe jetzt noch nicht — man müsse noch warten. Mutter und Tochter sahen ihn bei diesen Worten befremdet an. Er war in der letzten Zeit einmal auf drei Tage verreist und hatte vorher auf Befragen nur erklärt, daß er nothwendige Geschäfte besorgen müsse. Nach der Rückkehr war er unruhig und aufgeregt; Christine wußte nicht, was sie aus ihm machen sollte; sie sagte es ihm und mußte mit einer Antwort vorlieb nehmen, die sie nur für eine Ausrede halten konnte. Und jetzt, nachdem alles fertig und alles im Reinen war, sollten sie noch warten? Sie fragte nach der Ursache; er erwiederte, die könne er noch nicht sagen. »Auch mir nicht?« entgegnete sie verletzt und erröthend. — »Auch dir nicht, gute Christine,« antwortete Forstner. »Es ist um unseres gemeinschaftlichen Besten willen, und ich hoffe, in kurzem kann ich reden.« — Wie bedenklich das alles der Braut und der Mutter erscheinen mochte, sie mußten sich in seinen Willen ergeben und zusehen.

Eines Abends — nachdem vier Tage verflossen waren — kam Forstner mit raschen Schritten auf das Haus zu und trat mit ernster, feierlich aufgeregter Miene in die Stube. »Ich bring' eine große Neuigkeit!« rief er Christine entgegen, die mit ihrer Mutter am Tische saß. Das Mädchen fuhr unwillkürlich zusammen und erhob sich rasch. »Was für eine Neuigkeit? Du erschreckst mich!« — »Es ist nicht zum Erschrecken, sondern zum Freuen,« erwiederte er. — »So sag's!« rief Christine, noch keineswegs ermuthigt. — »Nun, ohne Umschweife: ich bin als Lehrer nach ** berufen« (er nannte eine fränkische Stadt, aus der sein Freund und College vom Oettinger Kränzchen war) »und werde die Stelle mit nächstem antreten.«

Das Mädchen war mehr bestürzt als erfreut über diese Nachricht. »Du kommst in eine Stadt?« fragte sie zagend. »Was soll dann aber aus uns werden?« — »Du wartest hier bei deiner Mutter, bis ich mich eingerichtet habe. Dann hol' ich dich ab und wir machen Hochzeit.« — »Ich in eine Stadt!« rief sie, indem sie, wenn auch dunkel, alles Bedenkliche dieser Ortsveränderung empfand. »Da paß' ich nicht hin!« Und die Mutter setzte bekümmert hinzu: »Dann[S. 158] hab' ich die halbe Ausfertigung und alle die theuern Bauernkleider umsonst machen lassen!« — Forstner lächelte. »Wir werden manches brauchen können, was Ihr angeschafft habt, Frau Schwiegermutter. Und für die Kleider, die nicht in die Stadt passen, schaffen wir andere an. Ich bekomme für's erste hundert Gulden mehr als hier, kann mir durch Privatstunden noch andere hundert verdienen und habe die Hoffnung bald vorzurücken.«

Trotz all den schön eröffneten Aussichten wollte sich bei Christine noch kein Vergnügen einstellen. »Ich weiß nicht,« sagte sie, indem sie vor sich hinsah, »mir ist so angst!« — »Wenn du an einen Ort sollst,« erwiederte der Verlobte mit einem Blick des Vorwurfs, »wo ich bin? Schäme dich, Christine! Freuen solltest du dich, daß ich vorwärts komme, und etwas einbilden solltest du dir, die Frau eines Mannes zu werden, der in zehn Jahren vielleicht Oberlehrer ist.« — »Ich freu' mich auch,« erwiederte Christine, deren Mienen sich nun doch aufklärten, »aber ich fürchte nur« — — »Du bist ein Kind,« versetzte er, indem er sie bei der Hand faßte. Und mit einem zärtlichen Blick setzte er hinzu: »Bei mir wirst du doch angewöhnen? Da wird's dir doch nicht »and thun« nach deinem Dorf?« — »Nun,« erwiederte das Mädchen, der bei diesen Worten das liebende Herz aufging, »das mein' ich selbst. Und in die Stadtleut' werd' ich mich am End' auch schicken!« — »Freilich wirst du das! Ein schönes, liebes und gescheidtes Mädchen wie du.«

Bei der Mutter hatte die Aussicht, eine Frau Oberlehrerin zu bekommen, die fatale Empfindung, so feine Bauernkleider umsonst angeschafft zu haben, bereits zurückgedrängt und sie sagte jetzt: »Es ist wahr! Und das Weib muß Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhängen, wie's in der Bibel heißt. Herr Lehrer, nehmen Sie die Stelle nur an, meine Tochter wird sich drein finden.« — »Es freut mich,« erwiederte Forstner, »daß Ihr so verständig seid, obwohl ich bei Euch darauf gerechnet habe.« Und in einem Ton, der halb dem Liebhaber, halb aber auch dem Lehrer angehörte, sagte er zu der Verlobten: »Folg' mir nur, liebe Christine, und gieb dir Mühe zu lernen, was dir fehlt. Ich will dir alles sagen und zeigen, und in sechs Wochen wird dich kein Mensch mehr von einem Stadtmädchen[S. 159] unterscheiden können. Du hast die Gaben, du wirst sie unter meiner Leitung ausbilden und eine Frau werden, die mir Ehre macht.«

IV.

Ein schönes Ziel, auf dessen Erreichen man sich gefreut hat und durch das man in heiterer Einbildungskraft schon vorher beglückt war, plötzlich versinken zu sehen, ist betrübend, auch wenn sich in der Ferne ein neues erhebt, das noch erstrebenswerther scheint. Christine hatte geglaubt, in wenigen Wochen die Frau des Geliebten zu sein und in ihrem Geburtsorte, wo es allein ihren Sinn reizte, etwas zu gelten, in guten Verhältnissen und geehrt zu leben. Nun sah sie die Hochzeit verschoben und sollte dann im eine Stadt ziehen unter fremde Leute, an deren guter Meinung ihr nichts liegen konnte, wenn sie auch das Vertrauen zu sich gehabt hätte, sie zu gewinnen. Statt der Gewißheit hatte sie nur eine neue Hoffnung, die noch dazu bedeutend mit Furcht gemischt war — ein Ziel, das nur ihrem Verstande, nicht ihrem Herzen ehrenvoll erschien, und das nur durch Anstrengungen erreicht werden konnte, die ihr keine geringe Last dünkten. — Doch, so war es einmal; sie mußte sich darein fügen und dem neuen Stand der Dinge die beste Seite abzugewinnen suchen.

Zu dem in den Verhältnissen liegenden Grunde, die Trauung zu verschieben, trat in kurzem und unerwartet ein neuer: die Mutter Forstners erkrankte und starb nach wenigen Tagen. Sie hatte sich außerordentlich gefreut, daß ihr Sohn den Fuß auf eine Leiter gesetzt, auf welcher er zum Gipfel der Ehre emporsteigen konnte, und sie rühmte ihn jetzt, daß er, wenn auch mit einigen Kosten, so nützliche Bekanntschaften gemacht habe; denn er hatte ihr nicht verschwiegen, daß er seine Berufung hauptsächlich den Bemühungen seines Freundes vom Oettinger Kränzchen verdankte. War es ihr nun auch nicht vergönnt, ihn auf dem neuen Weg zu begleiten, so starb sie doch mit dem erhebenden Gedanken, ihn an der Seite einer wackern und schönen Frau, die eigentlich sie gewählt hatte, dem städtischen Oberlehrer zugehen zu sehen. — Der alte Geistliche benutzte diese[S. 160] Umstände zu einer erbaulichen Rede, und die Verlobten weinten der Verstorbenen von Herzen in's Grab. Nach Verlauf weniger Tage gehörten sie freilich wieder dem Leben an und gedachten der sorgsamen Mutter gelegentlich mit Lob, aber ohne Trauer.

Der Tag, auf welchen Forstner seinen Abzug angesetzt hatte, war gekommen. Die Bauern zeigten sich bei dieser Gelegenheit freundlich und diensteifrig. Der Lehrer hatte seine Pflichten nie vernachlässigt und die Liebe der Kinder sich erhalten. In der letzten Zeit hatte unter den Eltern allerdings die Meinung um sich gegriffen, daß er eigentlich ein »leichter Passagier« sei, dem die Christine recht auf die Finger sehen dürfe. Aber der Erfolg, die Anstellung in der Stadt überzeugte auch sie eines Bessern; sie sahen in seinem »Gelaufe« ein kluges Manöver und der gescheidte Mann stieg in der Achtung der praktischen Dorfleute. Die Kinder, in denen die bessere Unterweisung neue, feinere Gefühle ausgebildet hatte, ehrten den Lehrer durch sinnige Kränze von Herbstblumen und durch ein gemeinsames Präsent. Gaben spendeten auch wohlmeinende und vermögende Eltern, und die Nachbarn halfen den Wagen beladen, den ein reicher Bauer unentgeltlich nach dem neuen Aufenthaltsort zu fahren sich erboten hatte. Der Abschied von den Repräsentanten der Gemeinde war freundschaftlich und herzlich, aber heiter; Forstner sollte ja wieder kommen, um das schöne Dorfkind abzuholen. — Von den Segenswünschen seiner Braut und ihrer Mutter begleitet, nach vielfachen zärtlichen Händedrücken, fuhr er aus dem Dorf unter tüchtigem Knallen der Geißel, womit der Oberknecht, der auf dem Sattelgaul saß, ihn und sich selber zu ehren suchte.

Die folgenden Tage beschäftigte sich Christine mit den ersten Zurüstungen für die Stadt. Es war ihr lieb, daß ihr noch eine Frist im Vaterhause vergönnt war, und sie ging mit einem ordentlichen Wohlgefühl darin hin und her. Ueber den Aufenthalt in der Stadt, der sich für sie noch vor der Trauung als nöthig herausgestellt hatte, war ein fester Beschluß gefaßt. Die Glauning hatte sich erinnert, daß an dem Ort eine Frau wohne, die mit ihr Einen Urgroßvater gehabt und deren Vater nach vom Ries dahin gezogen war. Diese, die an einen Krämer verheirathet war und ein Haus[S. 161] besaß, sollte Forstner aufsuchen und fragen, ob Christine nicht die kurze Zeit bei ihr wohnen könne. Die Hoffnung, eine zusagende Antwort zu bekommen und zunächst im Hause einer Verwandten leben zu können, mochte dazu beitragen, das Herz der Braut in jene Ruhe zu wiegen, mit der sie das Dorf noch recht genießen konnte.

Forstner hatte sogleich in wenigen Zeilen seine glückliche Ankunft gemeldet. Nach einer Woche kam ein neues Schreiben von ihm, ziemlich lang und sorgsam abgefaßt. Er schilderte zuerst, wie er von seinen Collegen, von den Herrn Geistlichen und Magistratsräthen, bei denen er Besuche gemacht, ausnehmend freundlich und schmeichelhaft aufgenommen worden sei. Er habe sich überzeugt, das sei der Platz, wohin er gehöre, wo er Gutes wirken könne mit seinen Gaben und Kenntnissen, und wo er glücklich sein werde. Die Gespräche, die er geführt mit gebildeten Männern und Frauen, hätten ihm außerordentlich wohlgethan, und er freue sich über alles, bei ihnen zu leben und auch seine Christine in ihre Gesellschaft bringen zu können. Er schätze jeden Stand und habe gezeigt, daß er mit Leuten von jeder Klasse umzugehen wisse, aber besser sei besser; man müsse höher hinaufstreben, wenn man könne, und immer weiter und weiter zu kommen, das sei das wahre Glück. Er fühle die Kraft in sich, zu steigen, und auch die Geliebte mit sich hinaufzuheben. Sie müsse nun aber auch ihrerseits die Hand bieten und sich alle Mühe geben, seine Arbeit ihm zu erleichtern. Das Glück, das sie dort mit einander finden würden, sei so groß, daß es wohl die Anstrengungen und Opfer verdiene, die nöthig sein würden, es zu erreichen. Anstrengungen müsse er seiner Braut nun allerdings zumuthen, und auch ein Opfer, wenn sie's dafür ansehen wolle. Die Hochzeit noch in diesem Jahre zu feiern, wie sie zuletzt noch gemeint hätten, verbiete eigentlich schon die Trauer wegen der seligen Mutter. Allein es kämen noch zwei Gründe hinzu, die es durchaus nöthig machten, daß die Trauung erst im nächsten Frühjahr stattfinde. Erstens sei ihm gesagt worden, daß er nach einer halbjährigen Amtsführung, wenn er sich als Lehrer auszeichne, eine nicht unbedeutende Zulage erhalten solle. Sei es ihm nun gerathen, in der nächsten Zeit alle Kraft und allen Fleiß auf Erfüllung seiner Lehrerpflichten zu wenden, so wäre es auch gut für[S. 162] sie beide, die Zulage abzuwarten; denn das Leben in der Stadt sei für ein Hauswesen doch kostspieliger, als er gedacht. Dann aber sei es eben so eine Sache, vom Dorf her nach kurzem Aufenthalt in der Stadt, wo man sich kaum darin umsehen konnte, eine Stadtfrau machen zu wollen. Er selber habe sich das leichter vorgestellt, als er es jetzt bei kaltem Blut finde. Man müsse eben doch ein anderes Benehmen lernen, man müsse sich Kenntnisse aneignen, damit man in Gesellschaft wisse, wovon die Rede sei, und selber mitsprechen könne, kurz, man müsse das Bauernmädchen abthun und sich eine gewisse Bildung erwerben. Das gehe aber nicht in einigen Wochen, dazu sei wenigstens ein halbes Jahr nöthig, und da müsse man noch recht fleißig und aufmerksam sein. Seine Meinung sei nun die: Christine solle zur Base Kahl ziehen, die sie mit Vergnügen aufnehmen werde, und im nächsten Winter unter seiner Leitung alles das lernen, was zu ihrem künftigen Stande erforderlich sei. Die Kahl sei eine gute Frau, wenn es auch freilich mit ihrer Bildung nur so so stehe. Er selber hätte seiner Braut wohl gewünscht, in ein feineres Haus zu kommen; aber das sei nun eben nicht anders zu machen. — Der Brief schloß mit Liebesbetheurungen für die Braut, mit schmeichelhaften Worten für die Mutter. Andern hätte er einen solchen Vorschlag vielleicht nicht machen können, ohne mißverstanden und verkannt zu werden; aber sie hätten bei jeder Gelegenheit Beweise von ihrer Einsicht und ihrer Klugheit gegeben; sie würden ihn verstehen und ihm Recht geben. —

Die Wirkung dieses Briefes war auf Christine trotzdem keine erfreuliche. Der Bräutigam sprach darin so vornehm, so von oben herab zu ihr! Die Vorstellung der Arbeiten, die sie sich zugemuthet sah, lastete auf ihrem Gemüthe mit verdoppelter Schwere; ihre Bangigkeit erneuerte sich und ihre Miene drückte Zagen und zugleich etwas Empfindlichkeit aus. »Da haben wir's!« rief sie am Ende. »Ich bin ihm so nicht gut genug und soll erst weiß Gott was lernen, bis er mich heirathen mag!« — Die Mutter, der die Schreibweise des künftigen Schwiegersohns auch nicht ganz gefallen hatte, obwohl sie einem »Herrn« seine eigene, vornehmere Sprache zugab, hielt es doch für gerathen, davon zu schweigen und sich Forstners anzunehmen. »Mir[S. 163] scheint's aber, daß er gar nicht Unrecht hat, Christine! Er will, daß du recht hineintaugst in die Stadt und daß du verstehst, was du als Frau Lehrerin brauchst. Er will dich gescheidt und geschickt machen und das beweist ja grad, daß er recht viel auf dich hält und ein braver, ehrlicher Mann ist.« — »Das mag sein,« erwiederte Christine etwas beruhigter; »aber er hätte mir das doch anders sagen können.« — »Eigentlich,« versetzte die Mutter, »schreibt er freilich ein wenig anders, als er früher geredet hat; aber das wird schon so sein müssen, es wird eben die Mode sein unter den Herrn. Er meint's gut, und das ist die Hauptsach'.«

Christine wollte das nicht bestreiten und fand sich endlich in den Vorschlag und den Willen des Verlobten. Wenn wir es gestehen sollen, so war ihr die tröstlichste Stelle in dem Briefe die, wo Forstner die Base für nicht gebildet und fein genug erklärte. Sie fühlte zu ihr gleich ein lebhaftes Zutrauen und setzte sich mit erleichtertem Herzen an den Tisch, um die Antwort abzufassen. Im Wesentlichen sagte sie: Was er geschrieben, wäre ihr und ihrer Mutter recht; sie wolle ihm folgen und fleißig sein, und hoffe dann so weit zu kommen, daß sie ihm in der Stadt keine Unehre mache. Was sie unter den jetzigen Umständen für die Stadt brauche, werde sie bald hergerichtet haben; er könne sie darum abholen, wenn er's für gut finde. — Die Mutter nahm es auf sich, die Abänderung in dem Plane der Verlobten gehörig unter die Leute zu bringen. Ihre Christine werde erst im Frühjahr heirathen, was für Herrn Forstner und sie ein großer Vortheil sei; aber sie werde jetzt schon in die Stadt ziehen und was Ordentliches lernen, damit sie dort eine rechte Frau machen könne.

Eines Vormittags in der ersten Woche des November kam Forstner in einer Kutsche angefahren. Er war bei der ersten Begrüßung etwas ernst; es schien als ob das Dorfmäßige der Wohnung und Kleidung schon etwas Befremdendes für ihn erhalten hätte. Bald aber thaute er auf und war wieder der Alte. Christine, die sich zu seinem Empfang geputzt hatte und ihm aufwartete, sah in ihrem wirthlichen Eifer so frisch und anmuthig aus! Sein Puls ging rascher, als er sie an seine Seite niederzog und sie betrachtete. Was konnte er sich Schöneres wünschen, als dieses Mädchen sein zu nennen? Er[S. 164] liebte sie, und wenn er sie noch so weit zu bringen vermochte, daß sie ihn und sich in seiner nunmehrigen Stellung nicht durch Unwissenheit und Dorfmanieren bloßstellte — war er nicht der glücklichste Ehemann? — Die Furcht vor dem Lächerlichen, wir können es nicht läugnen, war groß in dem jetzigen Stadtlehrer. Sein Trieb, in Gesellschaft zu glänzen, hatte sich nach Maßgabe seiner Erfolge in ihm ausgebildet, und in gleichem Verhältniß war auch die Besorgniß gewachsen, in Gesellschaft zu mißfallen oder ein Gegenstand des Bedauerns zu werden. Wie bedrückend war für ihn der Gedanke, daß das, was er gut machte, durch seine Frau vielleicht wieder verdorben wurde! Doch jetzt wich jeder Zweifel zurück im Anschauen des liebenswerthen Mädchens. Das Herz ging ihm auf, er glaubte an sie und traute ihr Alles zu. Er ward fröhlich und guter Dinge, scherzte nach alter Sitte und machte Mutter und Tochter fröhlich.

Um die Mittagszeit war Alles zur Abfahrt bereit. Als Christine von der Mutter, vom väterlichen Haus und vom Dorf Abschied nehmen sollte, da ward es ihr doch plötzlich wieder ernst zu Muthe. Sie fühlte, was sie that und wagte, und ihr Herz klopfte in bängeren Schlägen. Die Mutter hatte sie und den Verlobten würdig ermahnt und feierliche Gegenversicherungen erhalten; das war tröstlich, als sie noch beisammen saßen. Draußen im Hof, unter dem grauen Himmel, in der frostigen Luft, wo ihr noch einige Freundinnen »b'hüt dich Gott« sagten, um dann auf die Gasse hinaus oder heimzugehen, erhielt die Furcht in dem Dorfkind wieder die Oberhand. Der gute Hans, der schon beim Einpacken behülflich gewesen, hatte noch eben eine Kiste mit Stricken auf der Kutsche festgebunden. Sie trat zu ihm, gab ihm die Hand und dankte mit etwas unsicherer Stimme, aber um so herzlicher für all die Freundschaft, die er ihr und ihrer Mutter bewiesen habe. Hans erwiederte mit ernsthaftem Gesicht: was er gethan habe, das hab' er gern gethan, und er wünsche ihr jetzt alles Glück und Wohlergehen. — In solchen Momenten leben alte Gedanken und Gefühle wieder auf; die Seele wird heller, und was völlig abgethan schien, steht in klarem Lichte vor ihr. Christine hielt die Hand des Wackern fest und drückte sie; denn nicht nur die Liebe, auch der gerührte Dank, auch die Hochschätzung muß sich in[S. 165] Aeußerungen der Zärtlichkeit genug thun. Ihre Augen wurden feucht, und wie sie ihn damit ansah, hätte er wohl eine Abbitte darin lesen können. Ohne Zweifel verstand er sie. Eine leise Andeutung von gutmüthig wehmüthigem Lächeln ging über seine ernsten Züge; er schüttelte ihr kräftig und treuherzig die Hand, als wollte er sagen: »laß das gehen,« und wünschte ihr nochmal wohl zu leben. — Ein paar Minuten später, und Christine saß in ihrem Dorfgewand, aber in einen Mantel gehüllt und um den Kopf ein weißes Tuch gebunden, neben dem Verlobten im Wagen, der von trabenden Rossen gezogen aus dem Dorf rollte.

Eine seltsame Reihe von Empfindungen zog durch das erweichte Herz des Mädchens. Trauernde und sorgende, hoffende und freudige tauchten abwechselnd auf, bis die Seele nach und nach ruhig wurde und in dem Einen Gefühl der Ergebung die übrigen versanken. Sie machte eine eigene Erfahrung an diesem Tag: das Zusammensein mit dem Geliebten kam ihr nicht so schön vor, als sie sich's früher gedacht. Mit der Ruhe kam aber die Empfänglichkeit für die aufmunternden und schmeichelnden Worte des Bräutigams wieder in ihr Gemüth, und endlich saß sie vergnügt an der Seite des Vergnügten.

Es war in der Abenddämmerung, als das Ziel ihrer Fahrt, die Stadt vor ihnen lag. Diese gewährte in der guten Jahreszeit einen freundlichen und hübschen Anblick; jetzt sah sie aus, wie eben eine Landstadt im Spätherbst, und der guten Christine kam sie recht fremd vor. — Die Kutsche rollte durch das Thor in die Hauptstraße, lenkte bald in eine Seitengasse ein, die zu den engen und düstern gehörte, und hielt vor einem schmalen, zweistockigen Hause. Eine Frau in den Fünfzigen kam heraus, hob Christine grüßend aus dem Wagen und führte sie in die Stube zu ebener Erde. Sie war bei der Base Kahl.

Herr Kahl war ein Kleinhändler, dessen Geschäft seit dem Auftreten eines reicheren und praktischeren Concurrenten in Abnahme gekommen war und der nun, anstatt sich ebenfalls besser umzuthun, lieber ergeben den alten Schlendrian fortführte und seinen Haushalt einschränkte. Er wohnte mit seiner Frau und einer Magd, die auch im Laden aushelfen mußte, allein in dem Hause, und weder die kleine Familie noch die Stube, in der sie sich Mittags und Abends zusammenfand,[S. 166] konnte den Eindruck des Wohlhäbigen machen. Es waren — die gleichfalls in gewissen Jahren befindliche Magd mit eingeschlossen — längliche, hagere Gestalten, die in ihrem ganzen Wesen etwas Kümmerliches hatten. Dieß war ihnen freilich schon zur Gewohnheit geworden und erschien durch mehrjährige Uebung gemildert; allein ihr Anblick hatte damit noch nichts Vertraueneinflößendes gewonnen. Gutmüthig in gewissem Sinn waren die alten Leute; sie konnten sich auch freuen über kleine Wendungen zum Bessern und einzelne glückliche Zufälle, und spannen so ihr Leben am Ende doch erträglich weiter.

Christine erhielt die Stube im ersten Stock, bisher eine Art von Prunkzimmer der Familie, nebst einem Schlafkämmerchen. Ein kleiner irdener Ofen, altes Möbelwerk und einige Bilder an der Wand zierten das zweifenstrige Gemach, jedenfalls das beste im Hause. Unter andern altmodischen Bildern sahen aber die Porträts der Hausleute, in ihrer Jugend von einem Anfänger gemalt, so trübselig von der Wand, als ob die Originale schon eine Ahnung gehabt hätten, daß sie zu besonderem Glück im Leben nicht bestimmt waren. Als der Ofen nach so langem Feiern und Frieren geheizt wurde, begann er tüchtig zu rauchen; die Fenster mußten aufgerissen werden, und erst nach und nach brachte man in dem frostgewohnten Raum einige Wärme zuwege. Die ersten Eindrücke, die Christine in dem Hause erhielt, waren keineswegs angenehm.

In dem Vertrauen, das sie auf die Base gesetzt hatte, fand sie sich aber nicht getäuscht. Frau Kahl, abgesehen von ihrer verhältnißmäßigen Gutmüthigkeit, hatte auch alle Ursache, gegen das Bäschen gefällig zu sein: diese zahlte Kost und Logis, wenn auch zu mäßigem Preis, und vergrößerte so das geringe Einkommen. Dann aber war sie die Braut des Herrn Forstner, der auch hier schon ein Gegenstand des Anerkennens und Rühmens geworden war. Aus diesen Gründen war die Base freundlicher und rücksichtsvoller gegen sie, als die seit Jahren im Hause mitregierende Magd, die es hart anzukommen schien, von einer in Bauernkleidern gekommenen und sich gar nicht auskennenden jungen Person etwas zu halten und gegen sie zu thun, als ob sie etwas wäre. — Der sechzigjährige Vetter bezeigte sich freundlich[S. 167] und höflich, aber ohne sonderlichen Eifer, dessen er überhaupt nicht fähig war. Mit ihm hatte Christine wenig zu thun. Den Tag über war er in seinem Laden, beim Mittagessen schwieg er und nach dem Abendessen duselte er in seinem Sorgenstuhl ein.

Als die neue Hausgenossin sich so gut, als es anging, eingerichtet hatte, war es ihre nächste Aufgabe, sich städtische Gewandung zu verschaffen. Ein Alltagskleid war bald besorgt und das Anprobiren desselben das erste wichtige Ereigniß in dem neuen Leben der Lehrersbraut. Die Base half ihr dabei und hoffte, daß sie in dem schöneren Anzug bedeutend hübscher und vornehmer aussehen würde. Allein welche Ueberraschung, als sie nun die Fertige musterte! Sie mußte sie viel weniger hübsch finden als vorher. Natürlich sagte sie das nicht und strich und zupfte um so emsiger das Gewand zurecht, in der Hoffnung, es möchte noch werden. Die Hoffnung erfüllte sich aber nicht und der Grund war klar. Abgesehen davon, daß Christine das ungewohnte Kleid nicht zu tragen verstand, war auch ihre Gestalt nicht dafür geschaffen. Ihr Wuchs, der sich im Bauerngewand stattlich ausnahm und von dem nichts hinwegzuwünschen war, hatte im städtischen Anzug — wir sagen es mit Bedauern — etwas Unzierliches und Schwerfälliges, eine boshafte Städterin hätte sagen können Plumpes. Als Frau Kahl sie von oben bis unten betrachtet hatte und ein Lob unmöglich über ihre Lippen bringen konnte, machte sie in der Verlegenheit des Augenblicks das Kleid verantwortlich, das nicht gut gerathen sei und geändert werden müsse. Aber Susanne, die Magd, die auch herzugekommen war und sich an dem Anblick weidete, bemerkte mit entsprechendem Ausdruck: »Am Kleid liegt der Fehler nicht.« — Auf dem Tisch lag noch ein Hut, den Frau Kahl erst gestern gekauft hatte, ganz neu und neumodisch. Vielleicht daß er, den schönen Kopf zierend, eine günstige Veränderung im Ganzen bewirkte. Sie setzte ihn darauf — und sah sich auf's neue enttäuscht! Das Gesicht, im Rieser Käppchen so hübsch rund und so reizend, erschien im Hut zu voll. Christine, die zu merken anfing, welchen Eindruck sie hervorbrachte, wurde befangen, das Blut stieg ihr in's Gesicht, und dieses konnte dadurch weder an Rundung ab-, noch an Feinheit zunehmen. Zu allem Unglück war die Temperatur in der[S. 168] Stube seit dem frühen Morgen bedeutend gesunken, und indem die Röthe der etwas frierenden Christine eine bläuliche Färbung gewann, vollendete sich die Tücke des schlimmen Tags.

Wie sie so dastand und nicht wußte, was sie sagen oder thun sollte, ging die Thüre auf und Forstner trat herein. Er kam zufällig, das Unternehmen des Tags war ihm unbekannt. Als er die Verlobte in dem langen Kleid sah, war er betroffen und betrachtete sie einen Moment schweigend. Dann rief er mit einem Lächeln, das nicht ganz hinreichte, einen gewissen verlegenen Ernst zu decken: »Wie siehst du aus, Christine! Man kennt dich gar nicht mehr! So — so vornehm!« Christine versuchte zu lächeln und sagte mit etwas verzogenem Mund: »Nun — gefall' ich dir nicht?« — »O freilich,« erwiederte der Verlobte, der vor der Base und der Magd gerathen fand, seine und ihre Würde zu wahren. »Aber man ist's nicht an dir gewohnt und darum fällt's einem auf. Nun, aller Anfang ist schwer; das wissen wir Lehrer. Mit der Zeit wirst du's tragen wie eine Städterin, und uns wird's dann sein, als ob wir dich nie anders gesehen hätten.« — »Ja freilich,« bemerkte die Base, die froh war, daß der Bräutigam ihr zu Hülfe kam; »es ist ja kein Hexenwerk!« — Die Magd, die unbeachtet in einer Ecke stand, schüttelte den Kopf und verließ die Stube. Auf der Stiege sagte sie zu sich: »Das wird nie eine Frau für diesen Mann!«

Forstner hatte Christine nicht sogleich anstrengen wollen und sie bisher nur besucht, um sie zu grüßen und zu unterhalten. Allein die Zeit war kostbar, und endlich mußte mit der Erziehung, die er ihr zudachte, vorgeschritten werden. Nachdem auch die Base sich entfernt, setzte sich das Paar auf einem kleinen Kanape zusammen und der Verlobte entwickelte ihr den Plan, nach welchem sie die fehlende Bildung nachholen sollte. Da er unter Tags in der Schule und mit Privatstunden beschäftigt war, so wollte er wo möglich jeden Abend zu ihr kommen und sie unterrichten. Sie sollte Lesen, Schreiben und Rechnen nachüben und sich der Orthographie und der hochdeutschen Aussprache befleißigen. Geographie und Geschichte konnten ihr nicht erlassen werden; denn der Frau eines Lehrers mußte wenigstens bis zu einem gewissen Grade bekannt sein, was es mit der Erde für eine[S. 169] Bewandtniß habe und wie es dem Menschengeschlecht bis jetzt darauf ergangen sei. Wie leicht konnte in Gesellschaft die Rede darauf kommen und sie ihn, wenn sie aus Unwissenheit fragte oder gar mitreden wollte, in peinliche Verlegenheit bringen! — Dann mußte sie gute Bücher lesen lernen, die Geist und Herz veredeln und Stoff bieten zu geselliger Unterhaltung. — War sie nicht jung und hatte sie ihm nicht schon Beweise gegeben von offenbarem Verstande? Wenn er sie nur erst eingeführt in den Garten des Wissens, dann sollte sie schon Geschmack daran finden und selber darin herumwandeln und an Blüthen und Früchten sich ergötzen. — Als er ihr das alles auseinander setzte, gerieth er in einen Eifer des Lehrers und malte ihr die künftigen Herrlichkeiten so schön vor, als ob sie schon da wären. Die gute Christine aber dachte: »Gott, wie wird das alles in meinen Kopf gehen!«

Forstner stand auf, Abschied zu nehmen. Als er die Verlobte in dem langen Kleid nochmal betrachtete (den Hut hatte sie glücklicherweise schon abgelegt), konnte er doch nicht umhin, auf's neue bedenklich zu werden. Der Anzug kleidete sie gar zu wenig! Die Gestalt war von städtischer Zierlichkeit gar zu weit entfernt! und es drängte sich ihm das Gefühl auf, daß Christine doch wohl nie eine feine Frau werden möchte. Die Zufriedenheit, ja alle Munterkeit war aus seinen Mienen gewichen; er sah ernst und befangen für sich hin. Christine errieth oder ahnte seine Gedanken und stand halb niedergedrückt, halb empfindlich vor ihm, den Blick zu Boden gesenkt. Es war einer von jenen schlimmen Augenblicken, wo man die Empfindungen, die man schweigend verbergen wollte, in ihrer ganzen fatalen Realität sich gegenseitig aus der Seele liest. Endlich nahm sich Forstner zusammen; er gab ihr die Hand, sah sie freundlich, wo nicht zärtlich an und drückte einen Kuß auf ihre Lippen, die auch in der gegenwärtigen ungünstigen Situation ihren Reiz nicht verloren hatten. Das Mädchen wurde roth und die Freude glänzte wieder aus ihr; sie blickte ihn so schön und lieb an, wie nur jemals früher in ländlicher Unbefangenheit. Ihres Anblicks froh empfahl er ihr noch zwei Bücher, die er mitgebracht hatte, als unterhaltend zum ersten Leseversuch, und verabschiedete sich.

[S. 170]

Das Leben des Mädchens hatte bald in jeder Beziehung seine Ordnung und Methode. Einen Theil des Tages verbrachte sie bei der Base und half ihr kochen und sonstige Hausarbeit verrichten. In der Kochkunst viel zu lernen war bei Frau Kahl nicht die Gelegenheit; denn die Speisen, die sie bereitete, waren sehr einfach und eine große Abwechslung fand nicht statt. Auch wollte Christine finden, daß die städtische Kost, obwohl öfter Fleisch auf den Tisch kam, als bei ihr zu Hause, doch nicht so nahrhaft und wohlschmeckend sei und namentlich zu viel an Butter und Schmalz gespart würde. — Eine oder zwei Stunden täglich wurden von weiblicher Arbeit in Anspruch genommen. Hier sollte sich das Dorfkind, die in ihrer Weise ganz gut nähen und stricken, sogar ein wenig schneidern konnte, die feineren Künste zu eigen machen, und zwar unter der Leitung einer Verwandten des Vetters Kahl, die sich erboten hatte, sich ihrer anzunehmen und sie so weit zu bringen, als es bei einer Person, die unter Bauersleuten aufgewachsen sei, eben ginge. Diese Verwandte führte den romantischen Namen Adelheid, hatte aber trotzdem keinen Mann bekommen, und schuf sich dafür einen geistigen Ersatz in Geltendmachung ihrer Ueberlegenheit und in stolzem Verziehen der Oberlippe, die im Verlauf der Zeit einen Ausdruck männlicher Autorität gewonnen hatte und auch mit einem entsprechenden Fläumchen geziert war. Daß diese Stunden für Christine nicht die angenehmsten waren, erräth man; allein sie mußte die Unterweisung, die Mamsell Adelheid ihr bot, doch mit Dank aufnehmen und durch Fleiß, durch Aufmerksamkeit und namentlich auch durch Bescheidenheit zu verdienen suchen. Was an Zeit noch übrig blieb, war auf Erledigung der Aufgaben zu verwenden, die Forstner ihr gegeben hatte.

Dieser begann seinen Unterricht mit der praktischen Klugheit, die uns an ihm nicht unbekannt ist. Die ersten Stunden wurden mehr mit Unterhaltung ausgefüllt; das Verfahren war darauf berechnet, das Mädchen zu erheitern und ihre Neu- und Wißbegierde zu reizen. Nach und nach mußten die Zügel freilich straffer angezogen werden. Die Wißbegierde wollte sich eben in Christine keineswegs in der Stärke einfinden, die der Verlobte wünschen mußte. Das gute Mädchen hatte mehr einen Hang, sich mit dem, was sie wußte, zu begnügen,[S. 171] als einen Drang, den Schatz ihrer Kenntnisse zu vermehren. Sie konnte nicht einsehen, was es z. B. nütze zu wissen, daß die Hauptstadt von Preußen Berlin heiße, und zu was es gut sei, mehr alte Römer kennen zu lernen, als den Landpfleger Pontius Pilatus. Sie war daher manchmal zerstreut, dachte an andere, ihr näher liegende Gegenstände, und hatte, was der Lehrer ihr mit lebhaftem Eifer gesagt, öfters gar nicht gehört, viel weniger verstanden. Sie offenbarte ein eigenthümliches Talent, das was sie schon gelernt, mindestens nachgesprochen hatte, wieder zu vergessen, und bei Dingen, die er als bekannt voraussetzen zu können glaubte, dreinzusehen, als ob sie nie eine Sylbe davon gehört hätte. Daß nun auch der Lehrer ärgerlich wurde, und daß es ihn zuweilen sehr hart ankam, in den Grenzen der Höflichkeit zu bleiben, begreift sich. Eine Zeitlang nahm er sich zusammen, und wenn er hitzig wurde und die Verlobte einigermaßen verletzt schien, legte er als Balsam gleich wieder sanfte Worte auf. Rief er einmal strafend: »Wie ungeschickt!« oder: »Das hast du ja schon gewußt! — wo sind denn deine Gedanken?« — und erröthete sie dann und sah gedemüthigt zu Boden, dann tröstete er sie: es komme nur darauf an, die ersten Schwierigkeiten zu besiegen und mehr Freude an der Sache zu finden; sie solle nur den Muth nicht verlieren, und dergleichen. Wie nun aber diese Freude sich nicht einstellte und die alten Fehler wiederkehrten, fand er's doch für gerathen, bei den strafenden Worten zu bleiben und ihr aus einem Schamgefühl nicht herauszuhelfen, das so wohl verdient schien. Es entfuhren ihm nun zuweilen Ausrufungen wie: »Gott, was ist das für ein Kopf!« oder: »das ist ja zum Verzweifeln!« — und er versetzte damit dem Selbstgefühl des Mädchens einen Schlag, der um so weher that, als er früher ja ganz anders gesprochen hatte. — Nach solchen Aeußerungen mußte er freilich wieder einlenken; aber er that es nicht mehr in sanften Worten, sondern erklärte, es thue ihm leid, so zu reden, aber es sei seine Pflicht, die Sache mit mehr Ernst und Strenge anzugreifen, da sie mit ihrer Langsamkeit und Zerstreuung sonst zu nichts kommen würde. Was er thue, geschehe zu ihrem Besten und nur aus Liebe.

Das mochte alles ganz wahr sein, aber auf Christine konnte es[S. 172] keinen erfreulichen Eindruck machen. Wenn Forstner als Liebhaber im ihre Stube trat, sah sie diesen gar bald durch den Lehrer beeinträchtigt; nach und nach wurde er ganz zum Hofmeister, und sie konnte von Glück sagen, wenn der Liebhaber wenigstens beim Abschied wieder zum Vorschein kam.

Die Gute mußte endlich einsehen, daß sie wieder ganz zum Schulkinde geworden war und die Leiden eines solchen zu erdulden hatte, ohne den frohen und leichten Jugendmuth zu besitzen, der alles Unangenehme schnell wieder abwirft. Sie war gehofmeistert von Mamsell Adelheid, gehofmeistert von ihrem Bräutigam, und oft schien es ihr, als wäre dieser schlimmer wie jene. Das Fatale dabei war: sie konnte die Bande, wie schwer sie auf ihr lasteten, nicht abwerfen, nicht einmal an ihnen rütteln; sie mußte das Joch tragen und damit weiter gehen. — Erholung und Unterhaltung war ihr wenig geboten; denn außer den uns bekannten Persönlichkeiten hatte sie keinen Umgang, da sie ja durch diese zu weiterem erst befähigt werden sollte. Wenn sie sich nun an einem grauen, kalten Tag in ihrer Stube mit ihren Aufgaben beschäftigen wollte, aber durchaus keine Lust dazu verspürte und Buch und Papier weglegte, um für sich hinzustarren, dann begann es ihr endlich »and zu thun« nach der Heimath, und dieses Gefühl wurde stärker und stärker. Sie kam sich recht einsam, recht verlassen vor und hatte zuletzt eine Anwandlung von der Empfindung, die man im Ries mit dem Worte »verzwazeln« (verzweifeln, vergehen) bezeichnet. Aber sie durfte von diesem eigenen Leide niemand etwas sagen. Auch der Mutter mußte sie schreiben, daß es ihr wohl gehe, und daß sie gern hier sei.

Endlich kam ein Tag, der wohl zu der Hoffnung berechtigen konnte, daß er ihr Freude bringen und wieder Muth und Zuversicht einflößen werde. Der städtische Sonntagsanzug, den man bald nach ihrer Ankunft für sie bestellt hatte, war fertig geworden. Man hatte nichts gespart, ihn so hübsch und glänzend herzustellen, als es bei ihr nur immer anging. Alles hatte seinen Rath dazu gegeben und das Kleid war von den geschicktesten Händen gefertigt, die man in der Stadt finden konnte. Frau Kahl, der es eine Ehrensache geworden war, das Dorfbäschen in eine Städterin umzuwandeln, hatte sich am[S. 173] eifrigsten dabei umgethan; sie hoffte besonders auch eine gute Wirkung auf das Gemüth der Verwandten, an der sie ein scheueres und gedrückteres Wesen zu ihrem großen Bedauern wahrgenommen hatte. Kleider machen Leute, das ist ein gutes altes Sprichwort, und mit einem feineren Anzug pflegt in gar viele Menschen auch ein höherer Geist zu fahren. Sollte sich das nicht auch an Christine bewähren? — Als diese an dem festlichen Morgen unter Beihülfe der Base und der Mamsell Adelheid fertig geworden war und dastand im dunkeln Merinokleid, seidenem Halstuch, sammtnem Hut und glänzend gewichsten Schuhen, wurde sie von den Richterinnen ernst und aufmerksam geprüft. Beide gingen hin und her und betrachteten sie von allen Seiten. Seltsames Mißgeschick! Die Erscheinungen beim ersten Probiren des Alltagskleides wiederholten sich. Die Stoffe thaten ihre Wirkung, die Gestalt war aber durch sie um nichts feiner und zierlicher geworden, sie schien allen Verwandlungsversuchen widerstehen zu wollen. »'S ist eben eine maskirte Bäurin,« dachte Mamsell Adelheid, und die Base wußte gar nicht, was sie denken sollte.

Am ungefügigsten erwiesen sich zuletzt noch die Hände des Landmädchens. Daß die Bauernarbeit, wie jede andere, die gleiche Anstrengung mit sich führt, die Glieder mächtiger und stärker entwickelt, weiß jeder. Ein Dorfkind bringt in der Regel die Anlage zu tüchtigen Fingern schon von den Eltern mit, und die Ausbildung wird durch Rechen, Sichel und Dreschflegel entsprechend gefördert. Die Haut wird auf der einen Seite hart, auf der andern erhält sie eine röthlich bräunliche Färbung, und die Dorfhand ist fertig. In ihrer Heimath wird sie so gerade geschätzt; sie deutet auf Arbeit und Arbeitsfähigkeit — die Ehre der Landleute — und paßt zum ländlichen Anzug. Ein schönes Mädchen weiß damit zu schmeicheln, so gut wie eine Städterin mit ihren zierlichen Fingern, und der Druck der Liebe soll unter dieser Voraussetzung um nichts weniger süß und angenehm sein. Aber alles hat in der Welt seinen natürlichen Platz, und wenn es diesen verläßt, wird das Passende unpassend. Die Hände unserer Christine gehörten auf dem Dorf noch nicht zu den stärksten; in der Stadt und für den städtischen Anzug erschienen sie nun doch viel zu entwickelt, und dieß stellte sich auf's klarste heraus, als die neugekauften[S. 174] Handschuhe darüber gezogen werden sollten. Sie erwiesen sich zu klein und drohten zu platzen; man mußte in den Laden schicken und Männerhandschuhe der größten Art bringen lassen. Diese reichten endlich zu; aber den Händen, die mit ihnen bedeckt waren, Beifall zu spenden, das war auch der wohlmeinenden Richterin eine Sache der Unmöglichkeit.

Nach erneuerter Prüfung gewann es Frau Kahl zuletzt über sich, das Bäschen mit Anerkennung aufzumuntern und zu bemerken, das Kleid stehe ihr diesmal schon viel besser und sie könne sich sehr wohl damit sehen lassen. Mamsell Adelheid schwieg; sie konnte eine gewisse Schadenfreude in ihrem gelblichen und scharfen Antlitz nicht unterdrücken und sagte zuletzt, für den Anfang sei es gut genug; man dürfe von einem Mädchen, die im Dorf groß geworden sei, gar nicht verlangen, daß sie ein solches Gewand gleich zu tragen verstehe, wie sich's gehöre. — Christine, durch alles das betroffen und irre gemacht, besah sich im Spiegel, prüfte sich hin und her, und gefiel sich selbst nicht. Sie gehörte nicht zu den Einfältigen, das gute Dorfkind, und ließ sich nicht von den prächtigen Stoffen blenden; sie hatte ein Augenmaß und überzeugte sich, daß ihr der ganze Kram nicht zu Gesichte stehe. Ihre Freude — denn sie hatte sich doch auf die schönen Sachen gefreut — war zu Wasser geworden.

Eben hatte die Base wieder eine ermuthigende Bemerkung angefangen, als der Verlobte in die Stube trat — diesmal nicht zufällig. Es war verabredet, daß er die Braut besuchen und sie mit Frau Kahl in die Kirche führen solle. An der Thüre stehend und nur den schönen neuen Anzug im Auge, stieß er ein fröhliches »Ah, wie schön!« aus. Als er näher trat und die Geputzte genauer betrachtete, wurde er ernst und ernster, und es war ihm unmöglich, in dem begonnenen Tone fortzufahren. Die Hände waren ihm nie so groß vorgekommen als in den feinen Handschuhen; aus dem Gesicht im Sammthut schien aller Geist, alle Anmuth geflohen zu sein. Die Eitelkeit des jungen Mannes, der sich eine Frau wünschte, mit der er prunken konnte, war erschreckt und sah den unerfreulichen Thatbestand noch dazu mit übertreibenden Augen. Christine sagte sich augenblicklich: »Ich gefall' ihm wieder nicht, gar nicht — und das[S. 175] ist kein Wunder!« Als der Verlobte sich endlich mit Anstrengung zusammennahm und seine Verlegenheit hinter Worte des Lobes und der Bewunderung verbergen wollte, die ihm aber durchaus nicht von Herzen gingen und auf dem Gesicht der Mamsell Adelheid nur ein boshaftes Lächeln hervorriefen, da hatte das gute Kind eine wahrhaft peinliche Empfindung. Sie versetzte mit dem Ernst der Ehrlichkeit: er möge sie doch mit solchen Reden verschonen, sie wisse recht gut, daß ihr dieses Kleid nicht anstehe und immer noch das Bauernmädchen aus ihm herausschaue. Aber das sei nun einmal so, und sie könnte sich nicht anders machen, als sie wäre.

Sehr verstimmt trat man den Weg zur Kirche an. Als in der Hauptstraße ein Herr und zwei Frauenzimmer daher kamen, die den Lehrer grüßten und auf Christine blickend, heitere Mienen zeigten, war es ihm, als ob er auf Nadeln ginge. Er wurde schamroth wie ein Mädchen, dankte hastig, ging rascher und verabschiedete sich vor dem Kirchenthore von Christine mit dem Gefühl wahrer Erleichterung. Für sie hatte die niederdrückende Erfahrung, die der eilige Abschied des Bräutigams noch vervollständigte, das Gute, das sie im Gotteshause Trost suchte und der Predigt, die ihrer Lage entsprach und an sie gerichtet schien, von Anfang bis zu Ende folgte. Es war dies das erste Mal in ihrem Leben; aber Noth lehrt beten und öffnet das Verständniß für Aussprüche, die früher nur als leere Klänge am Ohr vorüberzogen. Ihre Anstrengung belohnte sich auch, sie kam getrösteter und ruhiger nach Hause.

Indem ich das Verhalten und die Schicksale Christinens der Wahrheit gemäß schildere, bin ich weit entfernt, eine Theorie aufstellen und etwa lehren zu wollen, ein Dorfmädchen passe in die Stadt und für einen Städter überhaupt nicht, die geborne Bäuerin könne nur mit einem Bauer glücklich sein und die Verpflanzung in eine höhere Schichte der Gesellschaft niemals gelingen. Das wäre falsch und würde namentlich auch im Ries durch gelungene Versuche widerlegt. Es kommt hier, wie sich von selber versteht, auf den Geist und das Naturell des Mädchens an. Ist diese begabt, strebsam und sehnt sie sich höher hinauf, so wird sie als Braut und als Frau eines gebildeten Mannes gar bald die Kultur annehmen, die von ihr[S. 176] gefordert werden kann; denn eine Pariserin braucht sie ja in einer deutschen Kleinstadt nicht zu werden. Sie wird das verhältnißmäßige Hochdeutsch lernen, womit man im der städtischen Unterhaltung durchkommt; Begrüßungen und höfliche Redensarten werden ihr bald geläufig vom Munde gehen; sie wird Kenntnisse sammeln und in Gesellschaft mehr oder weniger ein Wort mitreden können. Was die französische Kleidung betrifft, so wird eben dieser Punkt am leichtesten erledigt sein. In dem strebenden Mädchen regt sich der feinere Putztrieb von selbst, das neue Gewand, das Symbol höheren Standes, wird mit freudiger Begierde angelegt, mit Selbstgefühl getragen, und Lust und Liebe und angeborenes Geschick führen bald zu der Herrschaft darüber, die sich in leichter und angenehmer Bewegung ausspricht. Die Hände, wenn sie nicht schon von Natur feiner waren und der Einwirkung der Arbeit widerstanden haben, werden zarter und feiner mit der Zeit, und das Wagniß ist gelungen. Kommt es ja doch in der Ehe und in einem Haushalt viel mehr auf Angebornes als auf äußerlich Gelerntes an! Der natürliche helle Verstand findet sich darin viel eher und besser zurecht als der trägere Geist, dem allerlei Wissen beigebracht wurde, und wenn zuletzt auch einzelne Züge immer noch das geborene Landmädchen verriethen, so könnten sie bei dem Vorhandensein der erforderlichen reellen Eigenschaften doch zu nichts weiter als zu scherzhaften kleinen Neckereien führen.

Ich möchte behaupten, daß eine solche Entwicklung bei Dorfkindern, die von der Natur nicht stiefmütterlich behandelt sind und von Städtern geehlicht werden, Regel ist. Die meisten werden, von dem Reiz geleitet, den das Neue und Höhere auf ihr Gemüth übt, sich in die Verhältnisse schicken, ihrem Stande Ehre zu machen sich bemühen und in ihrem Eifer das vorgesteckte Ziel erreichen.

Unsere Christine gehörte aber nicht zu den Strebenden. Sie war für das Dorf geboren und nur hier konnte sie wahrhaft glücklich werden. Auf ihre Phantasie wirkte mehr der Reiz des Hergebrachten als des Neuen, mehr die Poesie des Eigenen als des Andern. In dem Kreise des Dorfes selber fortzuschreiten, aus einer Söldnerstochter eine angesehene Bäuerin zu werden, das war ihr Ehrgeiz, ihr erster und schönster Traum gewesen. Bei Forstner war es mehr die[S. 177] hübsche und einschmeichelnde Persönlichkeit, die sie bestrickte, als der Lehrer und »Herr«; und wenn der Gedanke ihr angenehm war, Frau Lehrerin zu werden, so war es eben nur unter der Voraussetzung, daß sie es auf dem Dorf, ja in ihrem Geburtsort würde und damit in ihrer Art zu der Höhe der ersten Frauen darin hinaufrückte. Der Titel einer städtischen Frau Oberlehrerin blendete sie nur mit flüchtigem Reiz, mit einem Schein, der bei näherer Betrachtung nicht Stand halten konnte. Ihr angeborener Trieb führte die Seele wieder und wieder zum Dorfe, zur Stätte des Jugendglücks, zur Heimlichkeit der Heimath zurück.

Christine liebte die Rieser Tracht, fand sie schön und zierend, und sie hatte alle Ursache dazu, denn ihr stand sie vortrefflich. Sie hatte etwas von der Gesinnung in sich, die ehedem verbreiteter war als jetzt, aber sich gewiß noch nicht ganz verloren hat; ich meine die Gesinnung, in welcher der Bauer seinen Stand eigentlich für den ehrenvollsten, seine Kleidung für die schönste hält, und die Herren und Herrenfrauen, die in der Stadt leben und französische Kleider tragen müssen, nicht nur für weniger begünstigt ansehen, sondern geradezu bedauern kann. Schreiber dieses erinnert sich, in seiner Jugend von wohlhäbigen Landmädchen mehrfach spöttische Bemerkungen über Städterinnen gehört zu haben, die nur dem Stande und Gewande galten und mit behaglicher Sicherheit, ohne alle Bosheit abgegeben wurden. »So eine Langrockete,« hieß es von dem Stiefkinde der Verhältnisse, das mit dem Flecken reizloser und unsolider Tracht behaftet war. Eine geborene Wallersteinerin, Tochter eines angesehenen Bürgers und von mütterlicher Seite mit einer jungen Bäuerin verwandt, besuchte diese einmal zur Kirchweih und gewann in fröhlichem Gespräch bald ihr Herz. Die Bäuerin freute sich ihrer und sagte endlich: »Du bist a brav's und a lieb's Mädle — wann d'nor oh (auch) andere Kloeder a'hättst!« — »Warum das?« fragte die Wallersteinerin. Und sie erhielt zur Antwort: »'s ist halt nex mit dem Häs (Kleidung) doh, und wo ma' he'kommt, ist ma' halt veracht!« — Diese Aeußerung kam dem heitern Mädchen sehr ergötzlich vor, und noch als ältere Frau pflegte sie die Anekdote zur Charakteristik des Rieser Landvolks und zur Belustigung städtischer Hörer zu erzählen.[S. 178] Allein die Gesinnung, aus der solche Aeußerungen hervorgehen, ist doch eine höchst respektable Quelle von Glück in der Welt. Es ist der frohe Glaube an den Werth dessen, was man hat und ist, das Erfülltsein von Liebe zu der hergebrachten Art und Sitte — der Grund der Zufriedenheit und Beständigkeit im Leben.

In Christine lebte etwas von diesem Glauben und dieser Liebe und trat in den gegenwärtigen Verhältnissen, die freilich nicht darnach angethan waren, mit ihren Erinnerungen in die Schranken zu treten, zuweilen mit größter Stärke hervor. Doch sie durfte sich dem Zug nach dieser Seite nicht hingeben, sie mußte ihn bekämpfen, mußte streben und lernen, mußte sich bemühen, eine andere zu werden und städtische Sitten liebzugewinnen.

Die Erziehung eines Mädchens wie Christine und ihre Angewöhnung in der Stadt, sollte man glauben, hätte unter den geschilderten Umständen dennoch, wenn auch langsam, fortschreiten müssen, da es ja doch immer der Bräutigam war, der die Braut erzog, und die Liebe, die beide zusammengeführt hatte, zuweilen allerdings getrübt, keineswegs ausgelöscht war. Allerdings; aber die Liebe des Bräutigams und der Entschluß, die gelobte Treue zu bewahren, hatten nun eben den Vorsatz gefaßt, gegen den Zögling sich in consequentester Strenge zu beweisen. Die Zeit verstrich und Christine mußte bis zum Frühjahr wenigstens so weit gebracht werden, daß sie als Frau seiner nicht ganz unwürdig war. Er mußte sie zwingen, sich Mühe zu geben und ihren Geist auszubilden. War dieser entwickelt, dann sollte das übrige schon nachfolgen und der nöthige Anstand ergab sich von selber. — Durch diese strenge und unter Umständen züchtigende Liebe des Bräutigams wurde die Liebe der Braut auf die schwerste Probe gestellt. Es blieb eben auch nicht bei dem Ernst, hinter dem eine Liebe regiert, die gut und consequent ist. Dieser wäre es endlich wohl gelungen, das Ziel zu erreichen und ihre Bemühungen gekrönt zu sehen; aber Forstner war in einer Gemüthslage, wo ihm nichts rasch genug ging; er wollte, aufgeregt und ungeduldig, die Frucht haben, bevor sie reifen konnte, und wiederkehrende Fehler der Schülerin entrissen ihm nun bei schon angesammeltem Verdruß Aeußerungen, die er zwar immer noch für wohlverdient[S. 179] hielt, Christine aber nur als wahre Beleidigungen aufnehmen konnte. Es gab Auftritte zwischen dem Liebespaar, und Stunden, ja Tage des Trutzens. Versöhnte man sich wieder und that man das Gelübde, sich nie, nie wieder zu kränken, so war dem Frieden die Dauer so wenig verbürgt, wie andern, die auch auf ewige Zeiten abgeschlossen werden. — Gegen die ernsten Mahnungen Forstners konnte und wollte Christine nichts einwenden. Sie faßte den Entschluß, sich Mühe zu geben, und sie gab sich Mühe; aber Lust und Liebe zur Sache konnte sie sich nicht geben, und unter den geschilderten Umständen konnten diese auch nicht in ihr keimen und wachsen. Alles, was gegen die Natur verlangt wird, alles, was vor der Zeit fertig sein soll, gewinnt aber in der Seele den Charakter einer unerträglichen Last. Es wächst ein Widerwille dagegen, der zum Abscheu werden kann; und wenn man die verhaßte Pflicht nun doch nicht zurückzuweisen sich getraut, vielmehr die Nöthigung erkennt sie zu erfüllen, koste es was es wolle, dann können sich im Herzen Elemente der Verzweiflung ansammeln, die nothwendig zum Ausbruch kommen müssen.

Am Abend eines Tages, an dem Forstner nach wieder eingetretener Spannung nicht erschienen war, saß Christine mit ihren Verwandten und Mamsell Adelheid bei der frugalen Abendmahlzeit. Sie wurde mit dem abwesenden Liebhaber geneckt, wie es ihr mißfallen mußte; nicht aus heiterem und gutem Herzen (ein solches hätte unter den gegebenen Verhältnissen überhaupt geschwiegen) sondern von Seiten der Base ohne Laune, aus Langeweile, von Mamsell Adelheid ohne Wohlwollen, aus Schadenfreude. Sie antwortete zuerst etwas empfindlich, und endlich verbat sie sich diese Reden ganz. Wie meistens, wenn sie im Ernst und von Herzen sprach, hatte sie diese Erklärung im Rieser Dialekt abgegeben, und Adelheid, die sich auf dem einen Felde nicht mehr genügen durfte, benutzte nun die Aussprache des Dorfmädchens, um ihr etwas anzuhaben. »Pfui, Christine,« rief sie mit dem geheuchelt wohlmeinenden Ausdruck, der bekanntlich viel widerlicher ist, als ehrliche Unhöflichkeit, »pfui, wie bäurisch ist das wieder! Du mußt dir dieses Rieserischreden abgewöhnen, gutes Mädchen; das geht hier nicht mehr, du machst dich lächerlich damit,[S. 180] und für die Frau eines Lehrers paßt es schon gar nicht!« Die Wahrnehmung, daß ihre Worte auf Christine ihre Wirkung gethan hatten, ermunterten sie fortzufahren, und sie bemerkte: »Du brauchst nicht ärgerlich zu werden. Wir meinen's gut mit dir, drum sagen wir dir's, andere lassen dich reden und lachen dich aus.«

Das hieß bei dem Rieser Kinde eine der empfindlichsten Stellen berühren. Sie hatte jene Rüge und Ermahnung von ihrem Bräutigam und von der Mamsell schon öfters hören müssen. Bei ihm hatte sie's in der Ordnung gefunden und sich bestrebt, hochdeutsch zu reden. Zunächst war freilich nur ein Mischmasch herausgekommen, der ihn zuweilen auch wieder lächeln machte, und wenn sie sich bemühte, rein hochdeutsch zu reden, dann sprach sie die Worte mit einer Betonung, die ihr nicht natürlich war und pedantisch klang, so daß Forstner sie zuweilen wieder bat, sie solle lieber reden, wie sie's gelernt habe. Es war auch eine fatale Empfindung, sich sagen zu müssen, daß sie ihm nichts zu Dank machen könne, und die ganze Sache hatte darum etwas Unangenehmes für sie. Bei der Adelheid war ihr aber der Tadel ihrer Sprache um so verdrießlicher, als sie ihr eigentlich kein Recht dazu einräumen konnte, auch darum nicht, weil die Mamsell nicht sowohl hochdeutsch als fränkisch-deutsch redete. Die Rieserin konnte durchaus nicht begreifen, wie das fränkische »Na'« (Nein) schöner klingen sollte als das Rieserische »Noë«, oder worin »Ah« (Auch) hochdeutscher wäre als »Oh« u. s. w. Sie hatte bemerkt, daß man im Ries gewisse Worte gerade nach der Schrift aussprach, während man sie im Fränkischen veränderte, also verschlechterte, daß man z. B. im Ries ganz richtig »mager« sagte, wo es hier »moger« hieß; und sie sah nun in keiner Art ein, wie sie die Sprache ihrer Heimath gegen so eine Sprache sollte schlecht machen lassen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie denn mit der Resolution des Unwillens alles, was sie auf dem Herzen hatte, und schloß ihre Erwiederung mit den Worten: »Jedes hat seine Sprach' gern und glaubt, sie sei besser als die andere, und das ist natürlich. Ihr sagt, die Rieser sei so breit und hinausgezogen, mir kommt die eure dagegen öd vor und recht »moger«, und ich mein', ich könnt' in ihr nie von Herzen reden. Aber darüber will ich nicht streiten. Wenn ich mein Rieserisch einmal[S. 181] ablegen soll, so will ich doch lieber gleich ein rechtes Hochdeutsch lernen, sonst will ich beim Rieserischen bleiben. Denn wenn's auch eine langsamere Sprach' ist wie die eure, so reden's doch Leute, die ich lieb hab' und die ich hochschätz', und das kann ich nicht von allen sagen, die ich kenne. Für heut' wünsch' ich Gutnacht!« — Sie war aufgestanden und verließ die Stube mit einem Blick der Geringschätzung auf Mamsell Adelheid. — »Hoffärtiges Ding!« rief diese, die sich durch den Vorwurf der Schülerin wegen des Fränkischen getroffen und durch ihren Abschiedsblick beleidigt fühlte. Aber Vetter Kahl meinte, sie habe es ihr heute auch arg gemacht, und man könne es der Christine jetzt nicht übel nehmen, wenn sie nicht bei guter Laune sei. — »Ja freilich,« setzte die Frau hinzu und nickte bedenklich.

Christine ging in ihre Stube hinauf, zündete ein Talglicht an, setzte sich an den Tisch und versuchte in einem Buche zu lesen, das ihr Forstner als unterhaltend empfohlen hatte. Bald legte sie's weg. Wie sollte sie sich für die geschriebenen Sachen interessiren, während ihr Herz so voll und so aufgeregt war von Unmuth und Sorge! Schweigend, die Arme auf die Lehne des alten Stuhls gelegt, sah sie auf den Boden und verharrte in formlosem Gedankenspiel eine Zeitlang in dieser Stellung. Es fröstelte sie; aber sie wollt' es nicht anders haben und rührte sich nicht. Wie traurig und öde war es in dieser Stadt! — wie unheimlich war es in der Stube, die eigentlich nie recht warm gemacht werden konnte! Ihre Phantasie ging in die Heimath zurück, sie stellte sich das Dorf und die Stube ihrer Mutter vor, und alles Liebe und Heimliche baute sich nach und nach vor ihr auf. — Wie schön war es dort — auch im Winter! die Stube so warm den ganzen Tag, weil man im Rohr des eisernen Ofens kochte und das Holz nicht sparte. Welch ein angenehmer Geruch, wenn am Sonntag ein paar Tauben gebraten wurden oder ein frisches Stück Fleisch vom selbstgeschlachteten Schwein. Wie heimlich war es des Abends, wenn sie mit ihrer Mutter spann und mit ihr und dem braven Hans einen Rath hielt oder »ihren Gedanken Audienz gab« und die runde Hauskatze hinter dem Ofen dazu »durnte!« Wie traulich war es, wenn ein paar Freundinnen[S. 182] mit dem Rocken kamen, wenn man mit einander schwatzte und lachte, und nicht eines besser zu reden glaubte als das andere, und nicht eines das andere mit seiner Sprach' aufzog. Dort waren die Leute gut, und auch die schlimmen hatten etwas an sich, was man gern haben mußte. Es war eben dort alles lustiger, und auch die schlimmen meinten's nicht so bös; und so hochmüthige gelbe Gesichter, wie die Adelheid eines hatte, gab es dort gar nicht.

Indem die Träumende von diesen Vorstellungen aufsah und sich in ihrem düster erhellten, todtenstillen Zimmer erblickte, hatte sie das Gefühl eines verlorenen Paradieses. Dort war alles so gut und so schön, dort konnte sie glücklich werden. Hier hatte sie keine einzige Gespielin, keine einzige vertraute Seele! Hier war sie verachtet und verspottet, sie, die in ihrem Dorfe geehrt und gepriesen war. Hier wurde sie mißhandelt! Und er, der ihr Trost und ihre Stütze sein sollte, er, der ihr ewige Liebe geschworen hatte, wurde mit jedem Tage härter und liebloser gegen sie! Er hatte keine Geduld mit ihr, er »kappte sie herab,« er beschimpfte sie, er schämte sich ihrer! Das mußte sie erleben! — und das mußte sie von ihm erleben! Und wenn er nun schon als Bräutigam so gegen sie handelte, was hatte sie zu erwarten, wenn er ihr Mann war und ihr Herr? Welchen Ehestand sollte das geben?

Der Gedanke, daß sie das Unrechte gewählt habe, daß ein unglückliches, verfehltes Leben ihrer warte, und daß sie selber daran Schuld sei, begann den Geist des Mädchens zu überwältigen. In ihrem Herzen fing ein Zittern und Beben an, das sich über den ganzen Körper verbreitete, das nicht mehr zurückgedrängt werden konnte und nicht mehr enden zu können schien. Der Sturm der Verzweiflung war über ihre Seele gekommen. Wenn dieser einmal im Innern zu sausen und zu brausen beginnt, dann helfen keine Einreden des Verstandes mehr. Alle Gründe, die dagegen sprechen sollen, fallen kraftlos zu Boden, das Toben der Angst geht weiter mit der Gewalt eines übermächtig gewordenen Feuerbrandes, man hat nur noch Ein Gefühl und Ein Wort: Verloren! verloren!

Christine konnte nicht mehr glauben und nicht mehr hoffen. Es war ihr, als ob sie auf und davon müßte; aber wohin sollte sie?[S. 183] Sie konnte nicht fort, sie mußte bleiben und alles erdulden, was ihr auferlegt war. Sie hatte ein Gefühl, als wenn sie in einen Brunnen gefallen wäre und nicht mehr heraus, ja nicht einmal um Hülfe rufen könnte. Welch eine Noth! — welche Bangigkeit! Und hätte sie nur weinen und Erleichterung finden können in Thränen! Aber in solchem Zustande des Herzens kann auch das Weib nicht weinen; nur leiden kann es, leiden und beben, wie das Lamm in den Klauen des Raubthiers.

Endlich erhob sich die Unglückliche mit entschlossener Anstrengung. Sie legte sich nieder, ob ihr vielleicht der Schlaf ein Erlöser würde; aber die empörten Wogen der Seele ließen sie nicht schlafen. Sie verbrachte die schwerste, peinvollste Nacht ihres Lebens und sank endlich nur aus Mattigkeit in einen unruhevollen Schlummer.

V.

Die Verzweiflung, von der eine leidende, gedrückte Seele befallen wird, trägt oft am meisten zu ihrer Wiederauflebung und Stärkung bei, wenn die Verhältnisse, in denen sie lebt, nicht an sich desperat, sondern von ihr nur so empfunden worden sind. In dem Wirbel der Sinne übertreibt sie und sieht im schlimmsten Licht; und wenn der Hauptanfall ausgehalten ist, kann sie diesen Irrthum erkennen, zur Betrachtung der bessern Seite hingedrängt und dadurch wieder beruhigt werden. Bleibt noch so manches Unebene zurück, so liegt der Gedanke nahe: ob denn auch alles so accurat sein müsse, ob denn bei andern alles so accurat sei? Und sie ermuthigt sich, sie bescheidet sich, sie hofft wieder.

Ein Sturm, der im Herzen sich erhebt, fegt dieses ohnehin, ich möchte sagen physisch aus. Er nimmt manchen phantastischen Anspruch, den man an die Welt und ihr Glück zu haben glaubt, mit sich hinweg und läßt erkennen, daß man in ihr vielmehr dulden und etwas leisten müsse. »Thu' was du kannst, in's übrige füge dich!« — mit diesem Vorsatz tritt man den Anfechtungen des Lebens entgegen und findet dann auch wieder, daß es doch nicht so schlimm ist, als man sich's vorgestellt.

[S. 184]

Bei Christine war es aber nicht mit einem Tage abgemacht. An dem folgenden ging sie körperlich erschöpft, im Innern gebrochen einher und die Quelle der Verzweiflung strömte ruhiger, aber stetig in ihr fort. Sie trug alle Merkmale einer qualvoll durchwachten Nacht an sich; doch war ihr Mund still und ihre Miene ergeben, so daß die Base wahres Bedauern mit ihr empfand und auch Susanne und Adelheid nicht ganz ungerührt blieben. Forstner kam auch an diesem Tage nicht. Christine mußte an das Schlimmste denken; sie that es mit schauerndem Herzen; aber das Schlimmste war eine Entscheidung und hatte für ihr jetziges Gefühl auch wieder etwas Beruhigendes. Ermüdet legte sie sich zu Bette und fand bald das Heilbad des Schlafes.

Kräftiger stand sie auf und erfreute die Base beim Frühstück durch eine getröstete Miene. Sie hatten von häuslichen Dingen gesprochen und waren eben daran, die Arbeiten des Tages zu erwägen, da trat der Verlobte herein — mit allen Zeichen der Eile und einem entschiedenen Ausdruck der Reue, die wieder gut machen will.

Das ist leicht zu erklären. Die Base hatte gestern in der Nacht noch Vetter Kahl zu ihm geschickt, und dieser hatte ihn von dem Stande der Dinge unterrichtet und ihm ins Gewissen geredet. Eindrucksfähig wie er war, hatte sich Forstner die Worte zu Herzen genommen, sein Gewissen hatte sich gerührt und ihn zu dem Entschluß gebracht, Christine noch vor der Schule zu besuchen.

Er ging auf sie zu, drückte ihr die Hand und entschuldigte sein Ausbleiben mit unaufschieblichen Arbeiten, die ihn leider abgehalten hätten, zu ihr zu kommen u. s. w. Christine, durch sein Erscheinen erfreut, ließ alles gelten, und es kam zu einer vollständigen Versöhnung. Als sie vom Unterricht zu reden begann, nahm er Gelegenheit, sich selbst anzuklagen. Er sei offenbar in der letzten Zeit zu ungeduldig gewesen und habe mehr verlangt, als sie leisten konnte; er müsse sie wirklich um Verzeihung bitten; aber sein Amt und die Plage mit seinen Kindern mache ihn eben auch zuweilen verdrießlich und ungerecht. Das Mädchen entgegnete: daß er mit ihr die Geduld verloren habe, sei ganz natürlich, sie komme auch gar nicht weiter. Aber nun solle er sehen, nun werde sie sich recht zusammennehmen,[S. 185] und es werde gewiß besser gehen. — Von seiner Seite Geduld, von ihrer Seite Fleiß und Mühe — was brauchte es mehr zur Eintracht und zum Glück?

Als Forstner in die Schule ging, dachte er: wenn sie auch nicht alles hält, was ich mir von ihr versprochen habe, so giebt es doch eine gute Frau. Sie ist fügsam, das ist schon etwas werth. Nach und nach wird sie auch lernen, was nöthig ist; ich darf nur nicht zu viel von ihr verlangen.

Die nun folgenden Unterrichtsstunden gingen bei solcher Stimmung des Lehrers und der Schülerin ganz wohl vorüber. Es waren zunächst nur wenige. Die Christfeiertage kamen heran und machten eine Unterbrechung nöthig. Die Verlobte hatte mit Hülfe der Mamsell Adelheid einen zierlichen Tabaksbeutel zu Stande gebracht, sie kaufte noch ein schönes Buch, das der Bräutigam zufällig einmal gewünscht hatte, und machte somit eine ganz hübsche Bescheerung. Forstner beschenkte sie mit einem Shawl und einem kleinen galanten Gedicht. In dem Vergnügen dieser Tage hatte Christine auch Susanne und Adelheid mit Gaben bedacht, welche die mäßigen Erwartungen derselben übertrafen, und bessere Gesichter dafür erhalten. Alles ließ sich erfreulicher an, und Christine konnte ein verspätetes kleines Präsent an die Mutter mit einem Brief absenden, worin die Versicherung, daß sie recht fröhliche Weihnachten gefeiert habe, durchaus von Herzen kam. Sie hatte jetzt auch den Muth gefunden, einer wiederholten Aufforderung der Base nachzukommen und die Mutter zum Besuch einzuladen; ja sie hatte auf ihre Faust hinzugefügt, daß sie sich durch Vetter Hans herführen lassen solle. Die Erwartung eines frohen Wiedersehens trug dazu bei, daß sie das neue Jahr unter heiterem Austausch von Gratulationen und vertrauensvoll antrat.

Die Hoffnung auf das Wiedersehen trog sie nicht. Frau Glauning war neugierig, ihre Christine in der Stadt zu sehen, und da nach Neujahr eine Masse Schnee fiel, dann kalte, trockene Witterung eintrat, so riskirte sie's, die Bahn zu benutzen und den Besuch mit Hans in einem entlehnten Schlitten zu machen. Am heiligen Dreikönigstage saßen alle unsere Personen bei Herrn Kahl um den Mittagstisch,[S. 186] der lange nicht so reichlich besetzt gewesen war. Man hatte sich ausgewundert, ausgegrüßt, ausgelobt und unterhielt ein behagliches Gespräch, das Forstner zu männiglichem Ergötzen mit seinen besten Einfällen zierte, so daß man sich endlich auch in dieser Hinsicht gesättigt und vergnügt vom Tisch erhob.

In der Laune, die das Mahl in ihr angeregt hatte, nahm die Glauning ihre Tochter in eine Ecke und sagte: »Hör', Mädchen, du bist doch ein wenig »schmalbackeder« geworden, seit du hier bist. Man ißt wohl bei der Base nicht alle Tag' so gut wie heut?« — Christine lächelte und sagte: »Ach, liebe Mutter, je weniger ich esse, desto besser ist's! Denn ich bin für die Stadt noch lange nicht »schmalbacked« genug.« — »So, so?« erwiederte die Alte. »Nun, du siehst wenigstens gesund und vergnügt aus. Aber das kann ich dir nicht verschweigen, recht närrisch kommst du mir vor in dem Kleid da.« — »Ist andern auch passirt,« versetzte Christine. — »Aber diese haben sich dran gewöhnt, wie's scheint, und dir wird's auch so gehen.« — Wie die Mutter hier den Bräutigam auf sich zukommen sah, fragte sie: »Wie macht sich denn aber meine Christine in der Lehr', Herr Forstner? Geht's recht vorwärts?« — »Jeden Tag,« erwiederte dieser heiter. — »Verspotte mich nicht,« rief ihm Christine zu; »ich weiß recht wohl, daß ich einen langsamen Bauernkopf hab'.« — »Nein,« fuhr er zur Mutter fort, »in der letzten Zeit bin ich sehr zufrieden gewesen, und wenn's so fortgeht, wird sie noch eine ganze Gelehrte werden.« »O Jerum,« rief die Gelobte mit komischem Ausdruck. Die Alte sah mit Vergnügen auf das Paar, das Arm in Arm vor ihr stand.

Vor dem Abschied fand Christine noch Gelegenheit, eine vertrauliche Zwiesprach mit Hans zu halten. Sie dankte ihm und rühmte ihn wiederholt wegen seiner Freundschaft und Herzensgüte. Dann fragte sie mit einem Lächeln, in dem neben wirklicher Theilnahme ein Hauch von Scham nicht zu verkennen war: »Hast du noch immer keine, Hans? Ist noch keine Aussicht, daß ich dir auf die Hochzeit gehen kann?« Hans ging auf die Unterhaltung ein und versetzte nicht ohne Laune: »'S hat sich noch nicht machen lassen. Gut Ding will Weile haben!« — »Ja wohl,« erwiederte sie schon heiterer. »Aber[S. 187] man muß doch auch anfangen. Du thust dich nicht um!« — »Kommt drauf an,« entgegnete Hans. »Aber du weißt ja, ich wart' auf deine Hochzeit.« — »Da kannst du vielleicht noch lange warten.« — »Wie so?« — »Bis zum Frühjahr sicher, vielleicht aber auch bis in den Sommer hinein — ich muß noch gar viel lernen.« — »Lernen? Was fehlt dir denn noch?« — »Ach, Hannesle,« sagte das Mädchen mit einem humoristischen Seufzer, »noch gar viel! Das verstehst du nicht.« — Hans dachte: »Was so ein Schulmeister doch heutzutag nicht alles verlangt!« Aber er sagte das natürlich nicht, sondern wünschte dem Bäschen alles Glück und drückte ihr in freundschaftlicher Theilnahme die Hand. Christine sah, daß er noch immer etwas auf sie hielt und daß er ihr nichts nachtrug; beides freute sie.

Nach diesem letzten festlichen Tag wurde der unterbrochene Unterricht wieder fortgesetzt. Forstner nahm es zuerst wieder leicht und führte das Spiel nur sachte zum Ernst hinüber. In der Zwischenzeit hatte aber Christine von ihrem Talent, Gelerntes zu vergessen, wieder ziemlich Gebrauch gemacht, so daß Fortschritte nirgends sichtbar werden wollten, und bald stacken sie wieder in der Prosa des Lebens. Geschmack an geistiger Beschäftigung, ein Trieb, selber vorwärts zu gehen, etwas zu thun und zu suchen, wollte sich eben in der Schülerin nicht melden. Sie lernte nie einsehen, wozu das alles eigentlich gut sein sollte; die Kopfarbeit blieb ihr beschwerlich und sie konnte darin nicht einmal eine rechte Arbeit sehen. Neigung, angeborener und anerzogener Respekt drängte sie zur Arbeit mit der Hand, und nur wenn sie hier etwas fertig gebracht, glaubte sie wirklich etwas gethan und ihre Pflicht erfüllt zu haben.

Forstner überzeugte sich jeden Tag mehr von der Unmöglichkeit, der Verlobten das beizubringen, was er an Geistescultur von seiner Frau glaubte fordern zu können. Aber die Wirkung war nun eine andere auf ihn als früher: er wurde nicht mehr erzürnt — er entsagte seiner Hoffnung. Er that es mit Seufzen und tröstete sich mit dem Gedanken, daß Christine jedenfalls eine gute Hausfrau sein werde. — Damit war ein bedeutender Schritt zum Glück des Paares hin gethan; denn das Glück wird dann erst möglich, wenn man von sich und von andern nur das fordern lernt, was die einmal gegebene[S. 188] Natur zu leisten im Stande ist, und sich dabei genügen läßt. — Aber nun zog ein Wetter, das schon lange am Horizont gestanden hatte, rasch am Himmel auf und hing bald drohend über dem Haupte des Dorfmädchens. — Um dieß zu erklären, muß ich in der Geschichte um mehrere Monate zurück gehen.

Jener College Forstners, der sich im Oettinger Kränzchen so eng an ihn angeschlossen und dessen Betriebsamkeit er hauptsächlich seine jetzige Stelle verdankte, war bei seinen Bemühungen von wirklicher Freundschaft zu dem talentvollen, liebenswürdigen jungen Mann geleitet. Der Eifer, den er zu seinen Gunsten anwandte, beruhte aber doch nicht ausschließlich auf diesem persönlichen Wohlwollen; er war zugleich, und zwar nicht minder stark, durch sein eigenes Interesse getragen. Gustav Dobler (denn er muß jetzt mit seinem Namen in unsere Erzählung eintreten) hatte zwei Schwestern, die bei ihm, dem noch unverheiratheten Manne, wohnten. Die jüngere war noch nicht aus der Schule, die ältere, Wilhelmine, führte seinen Haushalt. Diese befand sich in den Jahren, wo sich ein vorsichtiges Mädchen schon einige Jahre um eine Partie umgesehen hat — sie war in der Mitte der Zwanziger, dabei schlank, hübsch, gebildet, mit einem Geiste begabt, der gern das Regiment führte und es liebte sein Licht leuchten zu lassen. Was war natürlicher, als daß der schon in den Dreißigen stehende Dobler wünschte ihr einen Mann zu verschaffen? Er konnte dann selbst heirathen, was bei der Anwesenheit der herrschaftgewohnten Schwester nicht zu rathen war, und sie hatte für ihr Talent den rechten Boden und das Glück ihres Lebens gefunden. In Forstner hatte der sorgliche Bruder gleich den Mann erkannt, der für seine Schwester in jeder Hinsicht passend war, den liebenswürdigen, begabten, im Hause zu leitenden Mann, und in dieser Ueberzeugung hatte er gehandelt.

Das Verhältniß des neuen Freundes zu einem Bauernmädchen seines Dorfes konnte ihm begreiflicherweise nicht verborgen bleiben. Allein er faßte es nicht so ernst auf, als es war; er glaubte nicht, daß ein solches Mädchen dem feinen Mann genügen könne, und nahm an, es sei gut für beide, wenn die Bekanntschaft rechtzeitig abgebrochen würde. Da nun in seiner Geburtsstadt eine Stelle vacant wurde,[S. 189] so spannte er alle Segel auf, die Ernennung Forstners durchzusetzen. War er nur erst hier, dachte er, so löste sich das Verhältniß mit Christine von selbst, und das ihm wünschenswerthe knüpfte sich.

Als Dobler nach der Uebersiedlung des Collegen das erste vertraute Gespräch mit ihm hatte, mußte er sich freilich überzeugen, daß er sich getäuscht. Er hatte mit einiger Deutlichkeit auf den Busch geklopft, hatte von einer Frau gesprochen, die sich der angestellte hübsche junge Mann unter den schönen Mädchen des Orts auswählen könne, und Forstner war genöthigt gewesen, ihm zu sagen, daß er ernstlich verlobt sei und daß er seine Braut hieher berufen habe, um sich im Frühjahr mit ihr trauen zu lassen.

Christine kam an, und die Hoffnung des Stadtlehrers, den Freund zu seinem Schwager zu machen, schien gänzlich gescheitert. Dobler hatte der Schwester den Phönix unter den Rieser Lehrern schon vor seiner Ankunft gerühmt, ihr seinen Plan mitgetheilt, und Wilhelmine war sehr neugierig gewesen, ihn kennen zu lernen. In der That gewann Forstner auch gleich bei der ersten Zusammenkunft ihren vollen Beifall und konnte aus ihrem Benehmen wohl schließen, daß unter andern Umständen eine Bewerbung von seiner Seite hier keine ungünstige Aufnahme gefunden hätte. Aber seine Treue gegen Christine wurde auch in Gedanken nicht erschüttert. Wilhelmine hatte offenbare Vorzüge der Gestalt und der Bildung; aber wie artig sie war und wie zuvorkommend sie ihn behandelte, so ahnte der junge Mann in ihr doch den herrschenden Geist und konnte nicht umhin, eine gewisse Scheu vor ihr zu fühlen. Sein Herz und seine Phantasie hingen an der Verlobten; ihr naturfrisches Bild erschien ihm unvergleichlich poetischer, als die Eleganz der Städterin; er blieb bei seiner ersten ernstlichen Neigung und hielt sein Wort.

Dobler und Wilhelmine bewerkstelligten einen anständigen Rückzug. Sie, von ihren Vorzügen durchdrungen, konnte nicht alle Hoffnung aufgeben und freute sich zu hören, daß Forstner seinen Dorfschatz erst noch bilden wolle, bevor er Hochzeit machte. Ehe so Eine gebildet wurde, konnte gar manches geschehen. Der sonst so verständige Mann werde Vergleichungen anstellen und Augen bekommen für den Unterschied zwischen ihr und einer Bäuerin, und dann werde sich[S. 190] zeigen, wer den Platz behaupte. Natürlich fühlte sie durch die Zurückhaltung Forstners auch ihren weiblichen Stolz gekränkt und ihre Ehre herausgefordert. Das Versagte reizte sie und ihr Wohlgefallen an ihm steigerte sich zum leidenschaftlichen Wunsch, ihn zu erobern. Sie war indeß klug genug, ihre Gefühle zu verbergen, zu warten und ihre Zeit zu ersehen.

Als sie durch Mamsell Adelheid gelegentlich hörte, wie plump Christine im französischen Kleid aussehe und wie ungeschickt sie sich zu aller feineren Arbeit anlasse, hatte sie die erste freudige Empfindung. Eine süße Hoffnung schwellte ihr Herz. »Er wird mir kommen!« rief sie, als sie allein war, mit der Zuversicht des Stolzes. Und auch sie rechtfertigte ihren Plan und ihr Verhalten durch die Annahme, es sei für das Bauernmädchen viel besser, wenn sie wieder in ihr Dorf zurückginge und das Weib eines Bauern würde.

Wenn Forstner in ihr Haus kam, zeigten Bruder und Schwester, die sich mit einander verständigt hatten, nur freundschaftliche Theilnahme an ihm und seinem Verhältniß. Man erkundigte sich, wie Christine sich in der Stadt gefalle; man begriff, daß er sie jetzt noch nicht unter die Leute bringen wolle, man fragte nach ihren Fortschritten u. s. w. Als der Lehrer, zutraulicher gemacht, sich über die Langsamkeit beklagte, womit die Schülerin lernte, und über die sonderbaren Antworten, die er von ihr zuweilen erhalte, tröstete man ihn. Das sei begreiflich, würde bei jeder andern auch der Fall sein, und er solle darum den Muth nicht verlieren; zuletzt werde alles auf einmal kommen. War er über Christine betrübt, ja konnte er einen ernstlichen Unmuth nicht verbergen, dann ließ man ihn wohl auch reden und hörte mit bedauerndem Antheil zu. Man bot alle Freundlichkeit und Herzlichkeit auf, ihn zu beruhigen, und man entfaltete alle geselligen Talente, ihn zu entschädigen. Er sollte nicht anders können, er sollte sich genöthigt sehen, Vergleichungen anzustellen, die zu Gunsten der Prätendentin ausfallen mußten.

Die Folge war, daß Forstner, so oft er Verdruß empfand und Trost bedurfte, das Haus der Freundschaft aufsuchte. Die Scheu vor Wilhelmine hatte sich verloren; denn er mußte sich ja überzeugen,[S. 191] daß sie nur sein Bestes wollte und wahrer Anhänglichkeit fähig war. Der Umgang mit ihr und Dobler wurde ihm Bedürfniß.

Er war der Gefährlichen schon sehr nahe gekommen. Er hatte in der That und wiederholt Vergleichungen angestellt; er hatte sich gesagt, daß die gebildete Städterin doch in jeder Hinsicht besser für ihn passen würde — und das Verhältniß zu Christine war ihm eine Fessel geworden, die ihn beengte und drückte. Da kam, durch Vetter Kahl eingeleitet, nach dem letzten Streit mit der Verlobten die Versöhnung; es kamen die Feiertage und die wechselseitige Beschenkung; es kam der Besuch und das Mittagsmahl, wo man insgesammt wieder Ein Herz und Eine Seele wurde.

Als er nun aber in Folge erneuerter vergeblicher Versuche mit Christine dazu gekommen war, auf ihre Ausbildung, wie er sie sich erst gedacht hatte, zu resigniren, machte er eine eigene Erfahrung, eine Erfahrung, die Kennern des menschlichen Herzens nichts neues ist und die, wie er einmal war, in seine Beziehungen überhaupt eine Veränderung bringen mußte. Das stärkste Band, das uns an eine werthe Person knüpft, ist die Hoffnung, sie werde die Herzenswünsche, die wir für sie und für uns hegen, erfüllen und dem Bild entsprechen, das wir im Geist ihr vorhalten. Zaudert sie dieß zu thun, und glauben wir uns getäuscht, dann wird an die Stelle der entflohenen Hoffnung zunächst die Beschämung, der Unmuth und der erzürnte Vorwurf treten. Aber der Unmuth ist immer noch ein Band, das uns an die Erkorene fesselt. Immer ist unser Blick auf sie gerichtet; sie wollen wir strafen, sie wollen wir bessern, sie wollen wir zwingen, unserem Willen sich zu fügen, und wir haben kein Auge für andere. Endet aber der Unmuth in Entsagung, dann droht der Existenz des Verhältnisses selber Gefahr. Wir sind nicht mehr beschäftigt, weder durch Hoffnung und Freude, noch durch Verdruß und Schmerz, und es ist Raum geworden für die Gleichgültigkeit.

Eine ähnliche Erfahrung war es, die unser Lehrer machte. Eben in der Resignation wurde er frei gegen die Verlobte, seine Augen wurden aufgethan für die Vorzüge der Freundin, und die Wagschale neigte sich wieder und viel stärker zu ihren Gunsten.

Forstner hatte jedoch nur auf Eines resignirt bei Christine: auf[S. 192] ihre Geistesbildung. Die Hoffnung, daß sie das Benehmen lernen werde, mit dem sie in der Stadt als seine Frau durchkommen könnte, hatte er noch nicht aufgegeben. Und wenn seine Neigung zu ihr gesunken war, so bestand doch noch das Wort, das er ihr gegeben und das er sich nicht zu brechen getraute. Er faßte sich kurz und entwarf einen andern Plan. Er wollte nicht zuerst ihren Geist bilden und das feinere Benehmen als natürliche Folge davon erwarten; er wollte nun praktischer verfahren und sie in bessere Gesellschaft bringen, damit sie zunächst das Leichtere lerne. Stellte sie sich am Anfang auch ungeschickt, mit der Zeit lernte sie doch die nöthigen Formen, und es erfüllte sich ihm wenigstens Eine Hoffnung.

Nachdem er dieß beschlossen hatte, war auf die Frage: wohin zuerst? bald geantwortet. Welches Haus lag ihm zu jenem Zweck näher, als das seines Collegen? Von wem konnte die Verlobte mehr lernen als von Wilhelmine? Hatte die Mamsell (in jener Zeit mußte sich auch die Schwester des Stadtlehrers noch mit diesem Titel begnügen) doch zwei Jahre bei Verwandten in Nürnberg gelebt und war seit ihrer Zurückkunft eine Zierde der bürgerlichen »Erheiterung« ihrer Stadt! — Christine konnte nun zeigen, ob sie für ihn auch etwas zu thun im Stande sei, und ob sie sich mindestens das Nothdürftigste anzueignen vermöge. Sie mußte ihm gehorchen. Ihr alles zu erlassen, ihr alles nachzusehen, das war nicht von ihm zu verlangen.

Er fragte bei Dobler an, ob er die Verlobte bringen dürfe, ob er Mamsell Wilhelmine nicht damit belästige? »Im Gegentheil,« erwiederte diese, »Sie machen mir die größte Freude.« — Und das war ganz richtig. Sie empfand die größte Freude, sich neben dem Dorfmädchen sehen zu lassen, ihre Ueberlegenheit beweisen und sie vor dem Bräutigam tief in Schatten stellen zu können.

Als dieser die Braut aufforderte, mit ihm einen Besuch bei seinem Collegen zu machen, fand er zuerst entschiedenen Widerstand. Fühlte sie überhaupt eine Scheu, zu »fremden Leuten« zu gehen, so war ihr der Gedanke, gerade mit diesen anzufangen, besonders fatal. Wilhelmine hatte schon von weitem einen unangenehmen Eindruck auf sie gemacht. Sie hatte von den häufigen Besuchen Forstners in ihrem Hause gehört, und wenn sie nach den letzten Erfahrungen nicht an[S. 193] seiner Treue zweifelte, so mußte sie doch in ihr eine Nebenbuhlerin argwöhnen. Der Ruf der Feinheit und Geschicklichkeit, den die Mamsell sich erworben, flößte ihr Furcht ein, und sie hatte eine sehr deutliche instinktmäßige Ahnung von ihrer Gesinnung in Bezug auf sie. Der Verlobte redete ihr aber zu, er unterstützte seine Gründe mit einer ernsten Willenserklärung; sie wußte ihm zuletzt nichts mehr zu entgegnen und sagte mit Ergebung: »Nun meinetwegen!« — Zu ihrer Einwilligung hatte doch auch die Neugierde beigetragen, diese Wilhelmine näher kennen zu lernen und den Bräutigam bei ihr zu sehen.

An einem Sonntag Abend fand der Besuch statt und verlief ungefähr so, wie Christine gefürchtet. Wilhelmine war beim Empfang seelenvergnügt, das Gefühl der Ueberlegenheit strahlte ordentlich aus ihrem Gesicht; aber sie nahm sich zusammen und milderte es zu einer herablassenden Freundlichkeit, die freilich für den damit Begnadeten auch gerade nichts Schmeichelhaftes hat. Christine trat befangen und gezwungen auf, und der Ausdruck in dem Gesicht der Mamsell, den sie wohl verstand, machte sie confus. Man setzte sich, und Wilhelmine begann die Unterhaltung mit allerlei Erkundigungen. Sie fragte das Dorfmädchen aus, wie man ein Kind ausfragt, und belächelte ähnlich ihre naiv klingenden Antworten. Christine sah gleich, wie sie mit ihr daran war; sie erkannte in ihr eine Art Adelheid, die zwar feiner, aber im Grunde ihres Herzens viel schlimmer sei als die Sticklehrerin. Gewissermaßen Hülfe suchend richtete sie ihre Augen auf den Verlobten. Dieser stand ihr auch bei und antwortete für sie; aber er that ihr's viel zu höflich und versäumte die Gelegenheit, der vornehmen Person bei ihren unnützen Fragen etwas hinauszugeben. Sie bemerkte überhaupt zwischen beiden einen vertrauten Ton, der ihr nicht gefallen wollte, und überdieß in den Reden ihres Bräutigams gegen die Mamsell einen Respekt, der für sie etwas Kränkendes hatte, weil er im Gespräch mit ihr nicht zum Vorschein kam. Es wurde ihr sehr unbehaglich zu Muthe und sie war froh, als Wilhelmine sich zum Klavier setzte und die Unterhaltung, so weit sich Gelegenheit dazu bot, dem Bruder überließ, der ihre Rolle in milderen Formen, und wir können sagen auch mit mehr Gutmüthigkeit fortsetzte. Die Wirthin spielte und sang; sie that beides gut, und Christine[S. 194] freute sich endlich daran und lobte sie aufrichtig, obwohl die Lieder selbst ihr nicht so schön vorkamen, wie die, welche man in ihrem Dorfe sang. Die Musik löste ihre Seele dennoch und sie fing an sich wohler zu fühlen. Als aber Forstner ein neues Lied der Sängerin beklatschte und ihren Vortrag mit großer Wärme für ganz vortrefflich erklärte, da fühlte sie sich wieder getrübt und gedrückt und war durch nichts mehr zu erheitern. Beim Abschied reichte Wilhelmine der Stadtnovize die Hand und erklärte mit lächelndem Wohlwollen, es würde ihr sehr angenehm sein, wenn sie ihr recht oft die Ehre geben wollte. Christine fühlte den Spott, der sich das Wohlwollen als Maske vorgenommen hatte, sagte aber doch den schicklichen Dank, und athmete tief auf, als sie mit Forstner auf der Straße war.

Auf dem Heimweg fragte sie dieser, wie es ihr gefallen habe. Sie erwiederte: »Ich muß dir aufrichtig sagen, mir hat's nicht gefallen.« — »Und warum nicht?« — »Ich passe nicht für solche Leute und komme nur in Verlegenheit bei ihnen.« — »Das wird sich geben,« bemerkte der Bräutigam tröstend, »und dann wirst du den Umgang mit gebildeten Frauenzimmern angenehm finden.« — »Das mag sein; aber dann müssen die gebildeten Frauenzimmer besser sein, als diese Wilhelmine.« — »Wie so? Ist sie unhöflich gegen dich gewesen?« — »Das nicht, aber sie hat gegen mich ein Wesen angenommen, wie eine gnädige Frau, und das ist sie doch noch lange nicht. Ich hab' auch wohl gemerkt, daß sie mich ausgelacht hat.« — »Warum nicht gar!« rief Forstner dagegen. »Nun ja, ein paar von deinen Antworten sind freilich von der Art gewesen, daß so Eine sie curios finden mußte. Aber das muß man sich gefallen lassen, sonst lernt man nichts. Und wenn sie lacht, so lache du wieder!« — »Das kann ich nicht,« erwiederte Christine. »Ich seh' schon, bei der da wird's mir nie wohl zu Muthe werden.« — Forstner kam in Eifer. »Das ist wieder kindisch!« rief er mit strafendem Ton. »Ich sage dir, gerade die ist das Muster, das du vor Augen haben mußt, wenn du das rechte Benehmen lernen sollst! Du mußt zu ihr gehen, und wenn es dir zehnmal nicht wohl bei ihr zu Muthe wird. Umsonst hat man nichts in dieser Welt und ohne Mühe und Anstrengung kommt niemand vorwärts.«

[S. 195]

Sonderbare Empfindung, auf der sich unser Lehrer an diesem Abend ertappt hatte! Die Verwirrung, das Ungeschick, die naiven Antworten, durch welche die Braut einigemal in der That komisch wurde, beschämten ihn nicht so, wie sie es früher gethan hätten. Er gönnte ihr den Spott, der ihm begreiflicherweise nicht entgangen war, als gerechte Strafe für ihre Mängel. Mußte er doch auch die Folgen einer Verpflichtung tragen, die er einmal eingegangen hatte, und zum bösen Spiel gute Miene machen!

Nach Verfluß einer Woche forderte er Christine mit einer Art von Genugthuung auf, den Besuch bei Dobler zu wiederholen. Er hatte fest beschlossen, sie nicht zu schonen. Sie mußte entweder etwas profitiren oder den verdienten Spott hinnehmen. Zog sie sich ihn zu, so war er ihr auch gesund, und es war Schwäche, ihr ihn ersparen zu wollen. — Als Christine zagend erwiederte, sie thue es ungern, recht ungern, kam wieder eine Reihe von Gründen zum Vorschein, denen zu widerstehen sie keine Macht hatte. Sie ging mit, wie das Opfer zur Schlachtbank.

Wilhelmine war diesen Abend in bester Laune. Sie hatte den Verlobten ausgeholt und glaubte annehmen zu dürfen, daß er im Innersten seines Herzens wünschte, das Verhältniß mit Christine aufgelöst zu sehen. Als diese nun mit ihm ankam und in ihrem ganzen Wesen ihre Stimmung offenbarte, zeigte sich auf dem Antlitz der Sicheren jene Heiterkeit, welche demüthigen soll, und mit dieser Absicht wahrhaft beleidigt. Die Reden waren dagegen um so freundlicher und schmeichelhafter, und die gute Christine war gezwungen, dankende Antworten darauf zu geben, die ihr nicht von Herzen gingen und ihr durchaus nicht zu Gesichte standen. Forstner konnte nicht umhin, bei diesen Erwiederungen zu lächeln; er sah Wilhelmine an und ihre Blicke tauschten ihre Gedanken aus. Christine sah diese Blicke, ahnte ihre Bedeutung, und setzte sich, einen Pfeil im Herzen, zur Gesellschaft.

Außer der Familie Dobler waren noch zwei Freundinnen Wilhelmines da, gleich ihr belesen, und namentlich bewandert in der städtischen Leihbibliothek. Man fragte sich, wie eines und das andere der neueren Bücher gefallen habe, man lobte und tadelte, und es[S. 196] entwickelte sich ein Gespräch, das gerade nicht von Geist übersprudelte und keineswegs mit gerechten und feinen Urtheilen geziert, aber vielleicht eben darum für unser Dorfkind zu hoch war. Die Gute blickte stumm für sich hin und horchte in der Hoffnung, daß man zuletzt doch auf etwas kommen müsse, wo sie auch mitreden könne. Endlich leuchtete ihr ein Ausspruch im Allgemeinen ein: sie glaubte zeigen zu müssen, daß sie ihn verstanden habe, und nickte beistimmend. Wilhelmine, die gebotene Gelegenheit ergreifend, fragte: »Haben Sie die Erzählung auch gelesen, Jungfer Christine?« Diese mußte mit Nein antworten, und um sich zu entschuldigen, fügte sie hinzu, daß sie zum Lesen immer noch nicht recht kommen könne. — »Was thun Sie denn aber den ganzen Tag?« fragte die Gebildete. Christine erwiederte: »Ich lerne — ich nähe, stricke, ich sticke und helfe kochen.« — »Das Nähen und Stricken,« warf die andere hin, »ist Ihnen wohl lieber als das Lesen?« — »Ich kann's nicht leugnen,« war die ehrliche Antwort. »Was man von Jugend auf getrieben hat, was man versteht und was einem leicht geht, das thut man gern.« — »Nun,« versetzte Wilhelmine lächelnd, »da würden Sie wohl auch lieber Korn schneiden und dreschen als lesen?« Ein spöttisches Vergnügen belebte bei dieser Frage die Gesichter der Freundinnen. Christine fühlte die Absicht derselben, die Galle stieg ihr auf und sie entgegnete: »Warum nicht? Das Dreschen ist zwar eine grobe Arbeit und verträgt sich nicht recht mit feiner Lebensart; aber das Lesen, scheint's, macht auch nicht immer fein und höflich.« — Damit hatte die Gebildete auch ihren Hieb. Sie schwieg und lächelte. Es war aber nicht mehr das überlegene, sondern das aushelfende Lächeln, das den Mangel einer treffenden Erwiederung decken soll, bis die Gelegenheit zur Rache kommt.

Zunächst lenkte sie das Gespräch auf einen andern Gegenstand, wobei sie zu ihrem Vortheil erscheinen mußte und Christine zum Schweigen verurtheilt war. Sie sprach von Nürnberg und erzählte, was sie dort gesehen und welche Bekanntschaften sie gemacht. Der edle Gegenstand machte auch das Herz des gereizten Frauenzimmers wärmer und honetter; sie rühmte die Schönheit der Stadt, die Gastlichkeit und die Geselligkeit der Bewohner so gut, daß Christine im[S. 197] Verlauf der Erzählung ihren Groll vergaß und ihr mit Vergnügen zuhörte. Forstner und der Bruder, welche die Perle der vaterländischen Städte kannten und liebten, gaben ihre Bemerkungen dazu, und die Spannung löste sich in allgemeine Vertraulichkeit.

Christine gehörte zu den Naturen, die verzeihen können, wenn sie in denen, die sie verletzt haben, nur auch wieder etwas Gutes sehen. Sie setzte sich zu Wilhelmine, lobte sie und suchte dadurch ihren Stich von vorhin wieder auszugleichen — das arme Kind! Wilhelmine nahm die Anerkennung als etwas auf, das ihr gebühre, und schritt, nur ihre Erhöhung im Auge, zur Entfaltung eines neuen Vorzugs. Sie hatte mit Forstner in den letzten Tagen ein vierhändiges Stück eingeübt, besonders gefällige und reizende Musik. Von ihren Freundinnen gebeten, etwas zu spielen, forderte sie den Lehrer auf, und beide setzten sich an's Clavier. Das Spiel ging vortrefflich zusammen und die Zuhörer waren bald voll Bewunderung. Christine war aufgestanden und näher getreten. Sie sah die beiden, wie sie Ein Herz und Eine Seele waren und zusammen paßten, als ob sie für einander geschaffen wären. In ihre Bewunderung mischte sich ein demüthigendes, niederschlagendes Gefühl: sie erkannte, daß ihr gerade das fehlte, was an Wilhelmine zu Forstner so besonders paßte. Nachdem ein brillanter Schluß den musikalischen Vortrag gekrönt hatte, brach die Gesellschaft in den lautesten Beifall aus. Die beiden dankten, sahen sich in's Auge und lächelten sich an, zufrieden und glücklich. Eifersucht — zum erstenmal helle, klare Eifersucht loderte in dem Herzen der Verlobten auf. Eine peinliche Empfindung lastete auf ihr, zum geringsten Theil auf Neid, zum größten auf der klaren Anschauung eigenen Unvermögens und Unwerthes beruhend. In ihrem Herzen fing es wieder an zu gähren und zu beben; aber sie bezwang sich, wie viel es sie auch kostete, trat mit Fleiß zu der Gefeierten und sprach ihren Dank und ihre Bewunderung auf ihre Art aus. Es sei doch wahrhaftig zum Erstaunen, wie schön sie's könne und mit welcher Geschwindigkeit! Sie begreife nicht, wie man so schnelle Finger bekommen und ein so langes Stück spielen könne, ohne einen Fehler zu machen. Wilhelmine erwiederte: das lerne sich durch Uebung; man müsse sich eben recht dran halten, dann gebe sich alles.

[S. 198]

In dem Uebermuth, den der Beifall in ihr angeregt, in der Erinnerung an die kleine Schlappe, die sie von dem Dorfmädchen erlitten hatte, fuhr der böse Geist in ihr Herz. Sie suchte ihren sanftesten Ton, gab ihrem Gesicht den mütterlichsten Ausdruck und sagte: »Sie müssen das auch lernen, liebe Christine. Wenn man einen so geschickten Musiker zum Bräutigam hat, wie Sie, darf man die Gelegenheit nicht versäumen, sich in die Kunst einweihen zu lassen.« — »O,« rief Christine, »das würde nicht gehen!« Die Mamsell hatte unterdessen ihre Hand ergriffen, welche die ländliche Derbheit immer noch bedeutend zur Schau trug, und betrachtete sie und drehte sie hin und her. »Die Finger,« sagte sie mit anmuthigem Kopfwiegen, »sind freilich noch etwas zu stark und zu schwer, sie verrathen noch zu sehr die Arbeit mit der Sichel und der Heugabel und würden vorläufig zum Klavierspiel noch nicht ganz geschickt sein. Aber man muß an nichts verzweifeln, mit der Zeit ändert sich alles, und auch diese Glieder können noch leicht und gelenkig werden.« Die Gesichter der Freundinnen zeigten bei diesen Worten zugleich Schadenfreude und Spannung — die Hand der Verhöhnten zuckte. Wie gern hätte sie der boshaften Person gezeigt, daß ihre Finger, wenn auch nicht zum Klavierspiel, doch zur Ertheilung einer wohlverdienten, tüchtigen Ohrfeige ganz vortrefflich paßten! Aber sie mußte sie ruhig zurückziehen und sich alle Mühe geben, ihre Gekränktheit sich nicht anmerken zu lassen. Ihren Unmuth hinunterschluckend erwiederte sie aber: »Meine Finger sind eben wie sie sind, und wenn sie nicht zum Klavierspielen passen, so ist das mein geringster Kummer. Ich bekomme einen Mann und eine Haushaltung und werde nicht nöthig haben, mir mit Singen und Spielen die Zeit zu vertreiben.« — Das war auch nicht ganz übel. Forstner, der bei der Verhöhnung der Hand, die noch immer seinen Verlobungsring trug, eine entschieden mißbilligende Miene gezeigt hatte, ergötzte sich an der Replik und die Freundinnen der Getroffenen dachten im Stillen: da seht mir die Bäuerin! Wilhelmine aber hielt aus und sagte lächelnd: »Das ist freilich wahr!« Bei sich aber dachte sie: wir wollen sehen, du Rieser Gänschen! — College Dobler begann einen andern Discurs, der das Vorgefallene[S. 199] in Vergessenheit zu bringen bestimmt war, und man trennte sich unter höflichen Redensarten.

Die Verlobten legten den Weg zu Kahl schweigend zurück, da beide keinen Beruf in sich spürten, die Erlebnisse des Abends zu besprechen. Christine hatte sich überzeugt, daß die Mamsell darauf ausgehe, sie vor ihrem Bräutigam zu beschämen und zu beschimpfen; sie nahm sich vor, nie wieder in ihr Haus zu gehen. Wie es mit ihr und ihm stehe, das wollte sie doch erfahren und dann sehen, was zu thun sei. — Forstner hatte das Haus mit einer sehr gemischten Empfindung verlassen. Die Absicht Wilhelminens war deutlich genug. Obwohl nun ihr heutiges Betragen gegen seine Braut ihn wirklich verletzt hatte, so lag in dem letzten Endzweck, ihm besser gefallen zu wollen als diese, für ihn doch immer noch etwas, das einen mildernden Schein auf ihr Benehmen warf und keine rechte Entrüstung in ihm aufkommen ließ. Er faßte den Entschluß, zu ihr zu gehen, ihr die unpassende Art, Christine zu necken, vorzuhalten und sich die gehörige Rücksicht für sie auszubitten.

Gleich am andern Tag führte er seinen Vorsatz aus. Als man an der Einleitung sah, wohin er wollte, ließ man ihn gar nicht ausreden. Die Mamsell hatte sehr wohl gefühlt, daß sie zu weit gegangen war, und der Bruder hatte ihr zu Gemüthe geführt, daß das nicht die Art wäre, seinen Collegen zu gewinnen. Der Verstand hatte über das gereizte Gefühl gesiegt, und die Gewandte fiel nun dem Freund mit zerknirschter Miene ins Wort: »Ich habe sehr gefehlt — es ist wahr und ich weiß es! Sie selber können mich nicht schärfer anklagen, als ich es schon gethan habe. Ich hab' einen Scherz machen wollen, aber ohne daß ich bedachte, was ich that, hab' ich Dinge gesagt, die ihrer lieben Braut weh thun mußten. Verzeihen Sie mir! Ich hab' es gebüßt, und es soll nie wieder geschehen!«

Damit war Forstner entwaffnet. Er erwiederte: »Wenn Sie so denken, dann ist's um so besser; und ich will Ihnen nicht verbergen, daß Sie mir damit eine Freude machen. Wohin sollt' ich Christine bringen und wo sollte sie die rechte Art lernen und den gehörigen Muth in der Unterhaltung, wenn nicht in diesem Hause?« — »Nun,« sagte Wilhelmine mit halbem Lächeln, »an Muth und auch an Geistesgegenwart[S. 200] fehlt es ihr gerade nicht. Haben Sie gesehen, wie sie mir gestern geantwortet hat? Sie hat mich fühlen lassen, daß ich nicht so glücklich bin wie sie!« — Forstner verwirrte sich einigermaßen und sagte um so rascher: »Ich werde also nächstens wieder mit ihr kommen, und danke Ihnen für Ihre Gefälligkeit.«

Ein paar Tage darauf gewann es die Schwester des Stadtlehrers über sich, der Verlobten einen Besuch abzustatten. Christine war zufällig nicht zu Hause. Als sie später davon hörte, sagte sie ruhig: »So, die ist dagewesen? Sie wird nimmer kommen, schätz' ich.« Die Base sah das Mädchen verwundert an, machte dann aber ein Gesicht, als ob sie den Sinn ihrer Worte begriffe.

Wieder ein paar Tage und Forstner kam zu Christine und sagte: »Heute ist Gesellschaft bei Dobler und wir sind eingeladen. Halte dich bereit. Nach sechs Uhr komm ich und hole dich ab.« — Christine erwiederte: »Ich geh' nicht hin.« — »Wie soll ich das verstehen?« entgegnete der Verlobte. »Willst du gar nicht mehr« — — »Allerdings,« rief Christine, indem eine leichte Röthe ihr Gesicht überzog — »ich will gar nicht mehr in dieses Haus gehen!« — »Und warum nicht?« — »Weil ich zu gut dazu bin, um mich von einer boshaften Person aufziehen und verspotten zu lassen.« — »Du nimmst den kleinen Spaß, den Wilhelmine sich gemacht hat, viel zu ernsthaft. Ueberdies bereut sie ihn und wird dir von jetzt an alle Ehre anthun, die du erwarten kannst.« — »Ich glaub's nicht.« — »Sie hat mir's selber gesagt.« — »Das mag sein, aber ich glaub's doch nicht. Die mag sich vornehmen und versprechen was sie will, sie wirds doch nicht halten und es bei nächster Gelegenheit ärger machen als vorher. Aber dafür thu' ich ihr!«

Dem Verlobten stieg nun gleichfalls das Blut ins Gesicht. »Wenn du so denkst,« rief er in seinem Hofmeisterton, »dann wirst du niemals die Manieren lernen, niemals die Bildung, die« — Aber das Mädchen fiel ihm in gerechter Entrüstung in die Rede: »Geh mir doch mit deiner Bildung! Wenn das Bildung ist, Leute, die einen besuchen, so zu behandeln, wie diese Mamsell mich behandelt hat, dann will ich lieber ungebildet sein und bleiben mein Leben lang.[S. 201] Wenn die Bildung die Leute nicht besser macht und aufrichtiger, dann geb' ich keinen Pfifferling um sie!«

Forstner schwieg; er war von der ungewohnten Entschlossenheit und Heftigkeit betroffen. Endlich sagte er: »Du bist empfindlich und machst aus einer Mücke einen Elephanten!« — Christine sagte: »Ich mach mir nichts aus den Dingen, die geschehen sind; aber ich mach' mir alles aus der Person, die mir's gethan hat. Die ist falsch gegen mich und wirds bleiben, und mit ihr will ich nichts mehr zu thun haben.« — »Du irrst dich,« erwiederte Forstner nochmal im Ton der Ueberredung. »Sei klug, geh heute noch mit hin und überzeuge dich selbst, daß du Unrecht hast.« — »Nie!« versetzte Christine mit dem Ausdruck eines unerschütterlichen Gefühls; »zu der geh' ich nie mehr, um keinen Preis der Welt!« — »Aber ich bitte dich« — — »Ich will nicht und ich mag nicht. Du kannst mich hinführen, wohin du willst, und ich will's nirgends genau nehmen; ich will mir etwas gefallen lassen und Geduld haben — ich bin gar kein solches Christkindle, wie du meinst, und kann auch etwas aushalten; aber von Der laß ich mir nichts gefallen, von Der will ich auch nichts lernen, und damit gut für heut.«

Forstner war verstummt. Der eigentliche Grund der Weigerung seiner Verlobten war ihm klar. Er fühlte, was dafür sprach, er begriff sie, und widersprechende Gefühle stritten in ihm. Aber der Verdruß, sie wider alles Erwarten gegen seinen ausgesprochenen Willen unbeugsam zu finden, überwog zuletzt doch. Er sagte: »Nun, wenn du so eigensinnig bist und alles Reden nicht hilft, so bleib zu Hause!« — »Das will ich thun,« erwiederte Christine ruhig. »Und du geh hin zu der gebildeten Mamsell und unterhalte dich gut.« — »Das will ich auch thun,« antwortete er und verließ die Stube.

Es giebt eine Schickung in der Welt, die in das Leben der Menschen eine gewisse Methode bringt. Ueber den Grund und die mitwirkenden Ursachen kann man streiten, über die Thatsache schwerlich. Das Geschick unseres Landmädchens war es, in einer Stadt und unter einem Menschenschlag, wie es so viele gutmüthige, ehrenhafte, fröhliche und freundliche Leute giebt, nur solche näher kennen zu lernen, die sie verletzten und ihr das Leben daselbst verleideten. Sie war[S. 202] nun beinahe vier Monate in der Stadt, und nicht ihre Hoffnungen, nur ihre Befürchtungen waren in Erfüllung gegangen. Doch auch für sie sollte ein Tag der Entscheidung kommen.

Forstner hatte sich an jenem Abend geradeswegs zu Dobler begeben, um dort, wo nicht Aufheiterung, doch Zerstreuung zu finden. Das Band, das ihn an Christine knüpfte, beruhte nur noch in dem Versprechen, das er ihr gegeben und in einer Mischung von Gewissenhaftigkeit und Zaghaftigkeit, es zu brechen. Die Liebe und die auf sie gegründete Achtung waren aus seinem Herzen entflohen; die Hoffnung auf eine Aenderung war aufgegeben. In der Klemme, in der er sich befand, konnte er einer theilnehmenden Erkundigung von Seiten Wilhelminens nicht widerstehen; er erzählte den Auftritt mit der Verlobten und machte seinem Herzen in Klagen Luft. Das Herz der Bewerberin klopfte; aber sie hielt ihre Empfindung stark zurück und war so klug, mit bedauernder Miene Trost und freundschaftlichen Rath zu ertheilen. »Zwingen Sie das gute Kind nicht, zu uns zu kommen,« sagte sie mit sanfter Stimme, »und haben Sie Geduld mit ihr. Wenn man von Kindheit an auf dem Land gelebt und sich an seine Manieren gewöhnt hat, da fällt's einem schwer, sich in andere zu finden. Lassen Sie ihr Zeit dazu.« Forstner seufzte. »Ich will Geduld haben, ich muß es, denn es ist das Einzige, was mir übrig bleibt. Ich hab' mich mit ihr versprochen, sie ist meine Braut — ich muß sie nehmen, wie sie ist.« — Für Wilhelmine hatte diese Erklärung viel mehr Ermuthigendes als Niederschlagendes. Sie erwartete neue, heftigere Auftritte zwischen den Verlobten, und in Folge davon die Auflösung des Verhältnisses.

Zunächst kam es doch weder zu dem Einen, noch zu dem Andern. Forstner hatte eben in der Resignation, die sich nun auf alle seine früheren Erwartungen ausdehnte, wieder die Ruhe gefunden, seinen Unterricht und seine Unterhaltung mit Christine, äußerlich und obenhin, fortzusetzen. Er that es, weil er angefangen hatte, weil die Zeit ausgefüllt werden mußte; einen innern Grund gab es nicht mehr. Es waren graue, leere Tage der Unentschiedenheit, des Hinwartens, des Gehenlassens. In der Verlobten der stille Trotz, in Forstner die Gleichgültigkeit. Nur selten und nur auf Momente thauten die Herzen[S. 203] ein wenig auf. Wenn er ihr aber dann auch die Hand reichte, so fühlte sie doch nicht mehr den Druck der Liebe, und wenn er ihr zum Abschied einen Kuß gab, so war es eben eine Ceremonie, ohne wahres Verlangen ertheilt, ohne Glauben empfangen.

Dieser Stand der Dinge konnte den Hausgenossen und Bekannten des Mädchens natürlich kein Geheimniß bleiben. Man zeigte bedenkliche Mienen, man schüttelte den Kopf, und auch die Magd Susanne und Mamsell Adelheid konnten sich nicht enthalten, zuweilen mit Blicken wirklichen Bedauerns auf sie zu sehen. Man erfuhr, daß der Lehrer immer häufiger zu Dobler komme; man sah Wilhelmine vergnügt und stolz über die Straße gehen, wie Eine, die ihrer Sache gewiß ist, und man erwartete nicht anders, als daß es in kurzem heißen werde: der Herr Forstner hat dem Bauernmädchen abgeschrieben.

Daß diese nach und nach zur Ueberzeugung gewordene Ansicht im Gespräch mit Christine durchschimmerte, und die Andeutungen, die man gab, nicht so fein waren, um nicht verstanden werden zu können, begreift sich. Die Base hielt es für ihre Pflicht, noch weiter zu gehen und ihrer Verwandten geradezu mitzutheilen, was man in der Stadt über Forstner und sein Verhältniß zu Wilhelmine sagte. Christine sah sie einen Moment an; dann erwiederte sie: »Ich kann es nicht glauben. So schlecht handelt er nicht an mir!« — Sobald sie aber von der Tagesarbeit frei war, suchte sie die Einsamkeit ihrer Stube auf. Sie dachte über die Möglichkeit nach, daß es wirklich aus sein könne zwischen ihr und ihrem Bräutigam — aus für alle Zeit. Wird er es thun? wird er sein Wort brechen? wird er mich — — Der Gedanke, verschmäht und verlassen zu werden, trat zum erstenmal in vollster Bestimmtheit vor ihre Seele. Und so sehr sie durch Alles, was sie bisher erfahren, darauf hätte vorbereitet sein müssen, sie empfand nun doch alle Pein und alle Bitterkeit desselben.

In jenem schönen Winter, in welchem sie die Bekanntschaft des Lehrers gemacht hatte, war sie von seiner Liebenswürdigkeit in Wahrheit bezaubert und seiner Bewerbung zuletzt in leidenschaftlichem Verlangen entgegengekommen. Sie war an die Vorstellung gewöhnt, ihm zu gehören und ihm treu sein zu müssen, und ihre Liebe hatte alle[S. 204] Anfechtungen bestanden, die sie in den letzten Monaten erfahren. Als sie nun in ihrer einsamen Erwägung zu dem Schlusse kam: ja, er bricht sein Wort, er verläßt dich, er nimmt sie — da flammte mit dem Schmerz auch all ihre Liebe und Leidenschaft wieder auf. Sie fühlte ein glühendes Verlangen, ihn wieder zu gewinnen, ihn zu halten, und sie fragte sich mit angstvoller Seele, wie sie's anfangen solle, das Unglück und die Schande abzuwenden, die ihr drohten. Sie wollte Alles thun, was in ihren Kräften stand, sie wollte lernen, wollte in Gesellschaft gehen, wollte sich Tadel und Spott gefallen lassen. Sie wollte dem Bräutigam ihre Schuld bekennen, wollte ihn bitten, sie auf die Probe zu stellen und ihr das Schwerste aufzugeben. — Wie sehr sie sich aber zu Allem bereit fühlte und welche Wirkung sie sich von ihren Anerbietungen auf ihn versprach — es wollte kein Vertrauen in ihr Herz kommen. Mitten in der Selbstermuthigung rief es in ihr: er liebt dich nicht mehr — er schätzt dich nicht mehr — du bist ihm nicht mehr gut genug! — Sie sah vor sich hin und athmete hörbar. Es war die Bewegung der Angst, verbunden mit dem Gefühl der Ohnmacht, welche die Brust der Verlassenen regelmäßig hob und senkte. Es waren Verzweiflung und Ergebung, die ihr Herz erfüllten — Verzweiflung an ihrem Glück, Ergebung in ihr unvermeidliches Elend.

Nach und nach war es dunkel geworden. Die Stille der Nacht wirkte heimlicher auf das verwundete Gemüth, als die Oede des grauen Tages. Die Ergebung wuchs in dem Herzen der Unglücklichen; sie wurde ruhiger, gefaßter. Sie fühlte sich in ihrer dunkeln, einsamen, lautlosen Stube der Welt, die ihr so viel Schmerzen gemacht hatte, entrückt und vor ihren Angriffen gesichert. Ihre Seele wurde frei zu Vorstellungen, die mit ihrem Leide zusammenhingen und traurig waren, aber doch auch etwas Wohlthuendes hatten.

Unwillkürlich summte sie ein Lied, und ein schmerzliches Lächeln ging über ihr Gesicht. Es war eines der schönsten Volkslieder, das ihr in den Sinn kam, ein Lied der Liebe und des Leids, der schlichten Entsagung und der Erhebung zu einer ahnungsvollen Vision. Im Schwabenlande heimisch und verbreitet, hatte es Christine schon in ihrer frühen Jugend gelernt. Da war es freilich nur ein Lied[S. 205] mehr für sie, das unter andern gesungen wurde; aber schon damals verfehlte es auf einem einsamen Gange oder in der Stille der nächtlich erhellten Stube seines Eindrucks nicht. Jetzt sang sie es mit tiefer Empfindung und jedes Wort hatte Bedeutung für sie:

Jezt gang i an's Brünnele, trink aber net:
Da such' i mein herztausenda Schatz, find'n aber net,
Da laß i meine Aeugelein rund ummi gehn,
Da seh i mein herztausenda Schatz bei'm Andre stehn.
Und bei'm Andre stehn sehn, ach das thut weh!
Jezt b'hüt di Gott, herztausender Schatz, seh di nimmermehr!
Jezt kauf i mir Federn und Dint' und Papier,
Und schreib mei'm herztausenda Schatz einen Abschiedsbrief.
Jezt leg' i mi nieder auf Heu und auf Stroh,
Da fallen drei Röselein mir in den Schooß.
Und diese drei Röselein sehn blutigroth;
Jezt weiß i net, lebt mei Schatz oder ist er todt!

Ihre Augen waren feucht geworden bei dem Lied; aber wer sie gesehen, würde doch einen Glanz darin bemerkt haben, der noch etwas anderes ausdrückte als Verlust und Schmerz. Das Gebilde der Poesie hatte seine Wirkung geübt; das Leid war der Bedrängten gegenständlich geworden und ihre Seele hatte eine Macht darüber erlangt, die immer einen gewissen Trost mit sich führt. — Die Trauer verschwindet freilich nicht in einem solchen Falle, sie erhält nur ein milderndes Licht, und das Gemüth wird fähig, ihren Gegenstand ruhiger und wie von einer höheren Sphäre herab anzusehen.

»Und bei'm Andre stehen sehn, ach, das thut weh!« wiederholte sie und setzte hinzu: »Ja, das erfahr' ich nun auch, wie es schon manches erfahren hat!«

Sie versank in Stillschweigen. Sie hatte an ihren guten Vetter gedacht und fühlte nun plötzlich auf's genaueste, wie es ihm gewesen und was er gelitten. — Ihre eigene Richterin, nickte sie zu wiederholten Malen traurig ernst mit dem Haupte und sagte: »Du guter Hans — du hast's auch erfahren — und ich bin daran Schuld gewesen! Ich hab' deinem treuen Herzen weh gethan, hab' deine[S. 206] Lieb' und Freundschaft mit Undank vergolten!« — Sie folgte einem innern Drange, sich vorzustellen, wie es damals gewesen, und wie sie jetzt ihr Leid empfand, sah sie ihr damaliges Unrecht im hellsten Licht und auf eine Weise, daß das Bild davon in ihrem Geiste blieb und nicht wieder ausgelöscht werden konnte. Sie übertrieb ihre Schuld und empfand eine Lust, sich damit zu strafen und zu quälen. »Ja,« sagte sie, »ich hab' gewußt, wie du gesinnt warst gegen mich, ich hab' gewußt, daß du der beste Mensch bist von der Welt — eine so treue, grundgute Seele, wie mir keine sonst vorgekommen ist! Du hast an meiner Mutter gehandelt wie ein Sohn, und an mir wie ein Bruder, und wir haben deine Wohlthat angenommen, als hätten wir ein Recht darauf — und zum Lohn dafür hab' ich dich betrogen und an der Nase herumgeführt. Du warst mir der Gutgnug, wenn kein anderer da war; sobald ein anderer kam, ließ ich dich fahren! Ich hab' damals zu mir gesagt: »Warum redet er nicht? Er ist selber daran Schuld.« Aber jetzt erkenn' ich, was das für eine elende Ausrede gewesen ist! Als ob ich nicht gesehen hätte, wie du's mit mir gemeint, als ob ich nicht in dein Herz gesehen hätte und in jedes Winkele davon! Ich hab' gewußt, daß du mich lieber hast als alles in der Welt, und ich hab' dir das Maul gemacht eine Zeitlang, und dann bin ich dir untreu geworden, weil der andere schöner und geschickter und vornehmer war, und weil er besser schwätzen und schmeicheln konnte. Und wenn ich mich dann auch ein wenig geschämt hab', so hab' ich's doch bald wieder vergessen und hab' gethan, als ob nichts vorgefallen wäre. O, ich hab' schlecht gehandelt — schlechter als manche, die in's Zuchthaus gekommen ist! Aber ich hab' meine Straf' auch gekriegt! So hat's mir gehen müssen, das hat mir gehört — und ich darf mich nicht beklagen, nein, und ich will mich auch nicht beklagen. Ich würde nur eine neue Sünde begehen, wenn ich's thäte, und ich hab' an denen genug, die ich begangen habe.«

Während dieser Anrede, die sie an den guten Vetter und sich selber hielt, waren ihr Thränen in die Augen getreten und herunter gelaufen über ihre Wangen, die Worte begleitend, die ihr vom Munde gingen. Endlich behaupteten sie allein das Recht und flossen reichlich und lange und begossen die Saat einer neuen Erkenntniß.

[S. 207]

Das Bauernmädchen hatte den Unterricht eines andern Lehrers empfangen, als der gute Forstner ihr sein konnte. Die wahren Einsichten, die fruchtbar sind und Macht und Gewalt haben, in ein neues Leben zu führen, werden dem Menschen nur durch Schicksale, die er erdulden muß, durch Schmerzen, die über ihn verhängt werden und ihm die Augen öffnen. Das Unrecht, was wir gethan, wird uns dann klar durch das Unrecht, das wir leiden. Haben wir damit aber die Kraft erlangt, uns selber zu richten, dann wird uns eben die Strafe und die Buße zur Staffel, auf der wir hinansteigen können zu einem höheren Leben. Wo nichts ist freilich, da kann auch nichts herauskommen; aber für diejenigen, die, wenn auch unter eiteln und selbstsüchtigen Trieben, den Stoff zur Erhebung in sich bergen, für diese ist die Züchtigung im eigentlichsten Sinn ein Werk der Liebe — das einzige Mittel ihrer Rettung.

In Christine lag ein Keim, der sich der rettenden Hand darbot — ein Keim der Gutmüthigkeit, ein Keim der Fähigkeit, Reue zu fühlen und sich selber das Urtheil zu sprechen. Sie hatte ihr Leid verdient, in Wahrheit verdient; aber jetzt, nachdem sie es getragen, verdiente sie auch seine Hülfe und sein Heil.

Als sie ausgeweint hatte, fühlte sie eine Stille in ihrem Gemüth, die sie vorher nie gekannt, eine Stille nicht blos gedankenlos ruhigen Lebens, sondern vereint mit klarer Anschauung ihres Seelenzustandes. Sie athmete leicht, als ob sie eine Last abgeworfen hätte; ihre Züge waren verwandelt, sie waren lichter und geistiger geworden. Sie war gefaßt auf alles, was ihr begegnen mochte. Was über sie kam, es war gut, und vielleicht nur um so besser, je schlimmer und schmerzlicher es war.

Das ist die heilspendende Kraft, die in der wirklichen Erkenntniß, nicht in der bloß vorübergehenden Empfindung begangenen Unrechts liegt. Das Leid, das uns unerträglich schien und trostlos machte, nimmt, wenn wir eine gerechte Strafe darin erblicken, eine andere Gestalt, ein anderes Wesen an. Aus dem Gegner wird ein Helfer zur Freiheit, die wir durch Erduldung der Strafe gewinnen. Die Last, die uns zu Boden drückte, fällt in unsere Wagschale und hilft unsern[S. 208] wahren Feind aufwiegen. Und wir müssen segnen, wo wir geflucht, wir müssen lieben wo wir gehaßt haben.

Obwohl die äußere Lage unseres Dorfkindes gegenwärtig um vieles schlimmer war als in jener trüben Zeit vor den Feiertagen, so wurde sie doch nicht mehr ein Raub der Angst und Verzweiflung. Sie sah genau wie es stand und was sie zu fürchten hatte, aber sie blieb ruhig. Sie stellte sich vor, daß der Mann, dem zu Liebe sie das beste Herz beleidigt und für immer verloren, dem zu Liebe sie ihr Vaterhaus verlassen hatte, in die Stadt gezogen und ihrem Stand untreu geworden war, in den nächsten Tagen zu ihr kommen und sagen könnte: »es ist aus mit uns Zweien, wir taugen nicht zusammen, geh wieder heim in dein Dorf!« Aber wie groß die Schmach war, die ihrer dann wartete, und wie schmerzlich bei dem Gedanken, ihr ganzes Leben zerstört zu sehen, ihr Herz erzitterte, sie faßte sich doch wieder. Sie legte sich nieder und sank in dem Frieden der Ergebung in tiefen Schlaf.

Am andern Morgen erschien sie in der untern Stube mit einer Sanftmuth, und wir können sagen mit einer Würde in dem etwas blässeren Gesicht, daß es allen Hausgenossen auffiel. Es war unmöglich, ihr nicht mit Rücksicht zu begegnen. Die Reden beim Mittagessen waren darauf berechnet, sie zu erheitern und ihren Geist von ihren Zuständen abzulenken, und sie lächelte ein paarmal gutmüthig dazu. Selbst Vetter Kahl strengte sich an, eine Geschichte zu erzählen, die er für ergötzlich hielt, und freute sich an den Zeichen des Erfolgs. Das Verlangen der Schadenfreude, das die Magd früher empfunden hatte, war schon lange mehr als gesättigt. Was dem armen Bauernmädchen widerfuhr, war ihr gar zu arg, und da sie nun auch so freundlich, so bescheiden mit ihr sprach, so empfand sie wahres Mitleid mit ihr.

Als Christine Nachmittags allein in der untern Stube war, machte die Bekehrte sich an sie, und jene merkte gleich, daß sie etwas auf dem Herzen habe. Auf ihre Frage, was es Neues gebe, begann Susanne mit einer scharfen Kritik der Männer im Allgemeinen und fuhr dann fort: »Liebe Jungfer Christine, ich hab' mich besonnen, ob ich Ihnen sagen soll, was ich heute früh gehört hab'; aber es ist mir[S. 209] doch vorgekommen, als ob's besser wäre, wenn Sie es wüßten; denn wenn's wahr wäre und Sie es plötzlich erfahren würden — vielleicht ist's aber nicht wahr, man schwätzt gar viel, wenn der Tag lang ist — aber ich glaub' doch, es ist besser, wenn Sie's erfahren« — — »Nun,« fiel Christine ein, »was ist es denn?« Die Magd sah sie mit großem Bedauern an und erwiederte: »Ich hab' heut gehört, daß Herr Forstner mit der Mamsell Wilhelmine ganz im Reinen sei, daß sie sich heimlich schon mit einander versprochen hätten, und daß Sie sich gefaßt machen müssen, — Sie verstehen« — — »Ja wohl,« entgegnete Christine. »Vorläufig ist das aber nur ein Gerede, das boshafte Leute ihm aufgebracht haben können. Ich werd' es nur dann glauben, wenn ich es von ihm selber höre!« — »Es kann ja sein, daß nichts dahinter ist,« versetzte die Magd; »aber es kann auch Grund haben, und gewiß werden Sie mir's nicht übel nehmen —« — »Durchaus nicht, gute Susanne,« erwiederte Christine, »ich dank' Ihr dafür. Mag kommen, was da will — ich hoff' es mit Gottes Hülfe zu ertragen.«

Dem Herannahen der immerhin peinlichen Entscheidung vermochte das Mädchen doch nicht zu widerstehen. Ihr Geist konnte die Ruhe und Stärke nicht behaupten, die er erlangt hatte, und je weiter die Zeit vorrückte, je mehr klopfte ihr das Herz im Vorgefühl des Schlages, den sie für unvermeidlich hielt. Als sie in der Abendstunde, wo der Verlobte heute kommen sollte, in ihrer Stube saß, rang ihr Wille mit ihrer Aufregung, und als sie plötzlich seinen Tritt auf der Treppe hörte, war es ihr, als ob die Sinne ihr vergehen müßten.

Forstner trat ein und grüßte. Sie nickte nur mit dem Kopf und starrte ihn an, in der Meinung, daß die Worte, die sie sich selber schon gesagt hatte, ihm ohne Verzug vom Munde gehen müßten. Bald erkannte sie, daß sie sich getäuscht. Er nahm an ihrer Seite Platz, um den gewöhnlichen Unterricht fortzusetzen. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck, als ob er Verdruß gehabt, aber den Vorsatz gefaßt hätte, sich nichts merken zu lassen. Doch sah sie wohl, daß er sich Mühe geben mußte, mit ruhigem und einigermaßen freundlichem Tone zu beginnen.

Forstner hatte sich nicht mit Wilhelmine verständigt. Was die[S. 210] Magd Susanne gehört, beruhte auf einer Annahme und einer darauf gebauten Versicherung. Er war freilich jeden Tag zu Dobler gekommen und Bruder und Schwester hatten ihn mit großer Klugheit nach der Forderung ihrer Absichten behandelt. Wilhelmine nahm an, daß er ihr eigentlich schon gehörte; sie hatte darum alle direkten Bestrebungen unterlassen, sich durchaus in der Rolle einer theilnehmenden Freundin gehalten und nur dafür gesorgt, daß ihre Kenntnisse, ihre Zierlichkeit nebst den schönsten Geistes- und Herzensgaben dem Verehrer immer deutlicher würden. Forstner war auch in der That ganz von ihr eingenommen: die feste Ueberzeugung, daß sie die Frau sei, die ihm durch ihren Geist und ihre Gaben zu Hause Freude, im Umgang mit Andern Ehre machen würde, hatte seine Bezauberung vollendet. Wenn er sich aber dachte, wie er mit Christine brechen sollte — wenn er sich vorstellte, welchen Lärm es geben würde, sowohl hier in der Stadt als im Ries unter seinen und ihren Bekannten, dann konnte er doch nicht zu einem Entschluß gelangen. Er war talentvoll, der gute Forstner, strebend, klug und gewandt; aber ein Mann war er nicht und als Mann konnte er nicht handeln. Endlich nahm er sich in seiner Verlegenheit vor, mit Christine und ihrer Bildungsfähigkeit nochmal einen Versuch zu machen, nochmal zu prüfen, was ihr möglich sei oder nicht, und darnach einen Entschluß zu fassen. Mit diesem Gedanken war er heute gekommen.

Man sagt sich selbst, daß die letzte Zeit nicht darnach angethan war, unserer Christine die Schulaufgaben des Verlobten besonders wichtig erscheinen zu lassen und einen erhöhten Lerneifer in ihr anzufachen. Die innere Aufregung, die erfahrene Kränkung, das Nachdenken über die beängstigende Lage hatten ihr Herz und ihren Geist beschäftigt, und wenn sie Zerstreuung bedurfte, konnte sie diese nur in der Haus- und Handarbeit finden. In der innern Umwandlung, die an dem einsamen Abend mit ihr vorgegangen war, in der gewonnenen Einsicht in ihre Schuld, in der Erkenntniß, daß ihr nur mit demselben Maße gemessen würde, mit dem sie gemessen hatte, und in dem Troste, den sie daraus geschöpft, in der ganzen für sie tiefbedeutsamen Erfahrung dieser Tage war ihr der Bildungsflitter, mit dem sie gegen ihre Natur und ihre Bedürfnisse behängt werden[S. 211] sollte, in seiner ganzen Seelenlosigkeit und Armseligkeit erschienen, und es war ihr, trotz der wohlgemeinten Vorsätze, welche die Angst geboren hatte, nicht möglich geworden, auch nur ernsthaft daran zu denken.

Die Bildung ist, wie jeder wahrhaft Gebildete weiß, nur Gewinn, wenn sich die Materialien, die sie uns zuführt, organisch mit dem Geiste verbinden und, in sein Leben sich einfügend, ihn bereichern. Kommt es dazu nicht, bleiben diese Materialien ihm äußerlich, dann ist die Bildung nur eine sogenannte und Verlust, wie die Speisen, die den Leib nähren, wenn sie verdaut werden, unverdaut seine Schwächung und Verkümmerung herbeiführen. In solchem Falle ist es dann viel besser, jene Stoffe abzuweisen und in seinem Leben und seiner Einheit zu bleiben, in einer schlichteren, beschränkteren Einheit, aber in einer Einheit. Denn nur die Einheit gewährt ein Bild, und nur die Bereicherung, welche die Einheit festhält, verdient in Wahrheit den Namen der Bildung.

Christine sagte sich das freilich nicht, aber sie hatte ein Gefühl davon und sie handelte darnach. Voll von ihren Anschauungen und Gedanken, die wahrlich ohne Vergleich mehr Inhalt und Bedeutung hatten, konnte sie es nicht dahin bringen, von der gerühmten Weisheit des Pädagogen viel zu halten, und sie hatte darum wieder einen Theil der schon eingetrichterten, dem keine Verbindung mit ihrem Innern gelungen war, verdunsten lassen.

Der Lehrer, der sie auszufragen begann, sah bald, wie es mit ihr stand. Bei der ersten daneben treffenden Antwort, die er bekam, zuckte er und konnte nicht verhindern, daß der Blick, mit dem er sie ansah, eine ziemliche Dosis Geringschätzung enthielt. Er nahm sich indeß zusammen, um die Prüfung fortzusetzen. Er fragte nach einer geschichtlichen Thatsache, die er ihr schon wiederholt eingeprägt hatte. Christine wurde ängstlich; sie wußte, daß ihr das schon einmal bekannt gewesen, und da er nun doch wieder gekommen war und es am Ende nicht so bös meinte, als sie gefürchtet, so hätte sie ihn gar zu gern mit der richtigen Antwort erfreut. Je hastiger sie aber nach dem Abhandengekommenen suchte, desto weniger konnte sie es entdecken; sie mußte ihre Unwissenheit eingestehen. »Das wird gut!«[S. 212] sagte Forstner mit dem Ausdruck eines Mißmuths, der nur in Folge innerer Anstrengung nicht als erzürnte Heftigkeit hervortrat. Endlich richtete er eine Frage an sie, die mehr durch den Verstand als das Gedächtniß zu beantworten war. Christine, durch das Bisherige verwirrt, hatte ihn kaum gehört und gab in ihrer Confusion eine geradezu verkehrte Antwort. Nun war der letzte Rest von Kraft und Willen, den aufkochenden Unmuth zurückzuhalten, in ihm verzehrt, und es kam zum Ausbruch. Der Pedant, der die Perlen seiner Lehre so schlecht gewürdigt sah, fühlte sich beleidigt; die Unwissenheit und Unfähigkeit, die er in dieser Antwort erblickte, hatte tiefen Widerwillen in ihm erweckt; allein er folgte doch keineswegs bloß dem Drange dieser Empfindungen! Die Charakterschwäche, die nicht den Muth hatte, offen zu erklären: »wir passen nicht für einander und es ist gut, wenn wir uns trennen,« diese Schwäche sah die Möglichkeit, eine Auflösung des peinlich gewordenen Verhältnisses gelegentlich beizuführen, und zu dem empörten Gefühl gesellte sich nun instinktmäßig der Wille, diese Gelegenheit zu benutzen.

Von seinem Sitz emporgefahren, stellte er sich vor sie hin und rief mit dem Ausdruck des Zorns und tiefer Verachtung: »Das ist Unsinn, der abgeschmackteste Unsinn, der je aus dem Munde einer hirnlosen Person gekommen ist! Geh mir! Aus dir wird nie etwas, du bist und bleibst eine Bauerntrutschel, ein einfältiges, dummes Weibsbild! Ich bin verrückt gewesen, ich hab' eine unverzeihliche Thorheit begangen, daß ich —« — Er hielt inne und — schämte sich. Christine war aufgestanden und hatte ihn groß angesehen, mit einem Blick, wie die beleidigte Rechtlichkeit, ja der beleidigte wahre Verstand die sinnlose Wuth und Gemeinheit ansieht. Sie hatte die Verachtung in seiner Miene gefühlt, sie hatte in sein innerstes Herz gesehen und den Vorsatz erkannt, mit ihr brechen zu wollen, und in ihrem Gemüth hatte sich auch eine Verachtung erhoben, aber eine, die auf besserem Grund fußte, und mit Blitzesschnelligkeit war ein Entschluß gefaßt. Eben in der Glut dieser Empfindungen zeigte sie ihm das Gesicht, das ihn erschreckte und verwirrte; und wie er nun innehielt, fiel sie ergänzend ein: »Daß du dich mit mir versprochen hast, willst du sagen? Ja, das ist wahr, da hast du Recht! Und ich[S. 213] bin ein schwaches, einfältiges Mädchen gewesen, daß ich dir getraut hab'! Aber glaub' ja nicht, daß du mich jetzt haben mußt. Hab' ja keine Furcht! Du hast mich gesucht, du bist zu mir gekommen, nicht ich zu dir — das weißt du und das sagt dir dein Gewissen. Aber darum, und weil du mir dein heiliges Versprechen gegeben hast, und weil du mich genöthigt hast, in diese Stadt zu kommen und meinen Stand zu verändern, und weil ich nun wieder nach Haus gehen soll und Schande und Spott erleben von aller Welt, darum will ich dich doch nicht zwingen, dein Versprechen zu halten! — Nein,« rief sie, indem sie den Verlobungsring schnell von dem schlanker gewordenen Finger zog, »nein, im Gegentheil! Hier ist dein Ring, nimm ihn, und wir sind geschiedene Leute!« — Forstner sah sie an und entgegnete: »Ich hätte gute Lust —« — »Freilich hast du gute Lust!« fiel das Mädchen verächtlich ein; »das seh' ich und eben deswegen geb' ich dir den Ring zurück. Her deine Hand und gieb mir den meinigen, und es ist aus mit uns für alle Zeit!«

Als Forstner das Zeichen der Verlobung in ihren Fingern blinken und sich aufgedrängt sah, da zuckte bei dem Gedanken, daß er es nur annehmen dürfe, um einer für ihn unerträglich gewordenen Fessel entledigt zu sein, ein Freudenstrahl aus seinem Auge und er rief: »Ist es wirklich dein Ernst?« — Wenn sie noch nicht völlig entschlossen gewesen wäre, mit ihm zu Ende zu kommen, so wäre sie es durch die unendliche Kränkung dieser Freude geworden. Mit funkelnden Augen der Entrüstung rief sie: »Ja, es ist mein Ernst, und ich verlang' jetzt meinen Ring für deinen! Ich sage dir ab, ich künde dir auf und will nichts mehr mit dir zu thun haben mein Lebenlang!«

Forstners schwache Seele, beschämt, verwirrt, schwankte noch einen Moment; aber eine Stimme rief ihm zu: »benutze das!« und entschied ihn. »Nun,« rief er, indem er selber den Kopf erhob, »wenn du so hochmüthig bist, so soll dein Wille geschehen!« Er zog den Ring vom Finger, gab ihr ihn und nahm den seinen. »So,« sagte sie, indem sie ihn mit eben so viel Stolz als Geringschätzung ansah, »und jetzt halt' ich dich nicht mehr auf in meiner Stub'!« — Forstner sagte: »Du willst es, gut! Ich geh' und komm nie wieder!« —[S. 214] »Ich hoff's,« entgegnete sie mit Hohn, indem ihr Gesicht brannte, »ich hoff's, daß du nicht wieder kommst!« Und indem sie mit der Hand auf die Thüre wies, rief sie mit der größten Heftigkeit: »Geh! geh! geh!«

Forstner hatte die Thüre ergriffen, und wie von diesen Worten hinausgeschleudert, war er verschwunden.

VI.

Christine sah noch eine Zeitlang auf die Thüre, die Forstner hinter sich zugeschlagen hatte. Ein heroisches Gefühl glänzte auf ihrem Gesicht. Er war es nicht, der ihr den Abschied gegeben, sie war ihm zuvorgekommen, sie hatte ihn weggeschickt, sie hatte das Recht behauptet und ihre Ehre gerettet! Das Bewußtsein, dem Ungetreuen die Thüre gewiesen und ihn nach Verdienst behandelt zu haben, erfüllte sie mit süßem Stolz, und sie kostete diesen in der Aufregung des Sieges von Grund ihres Herzens.

Endlich trat sie zurück. Die Fluth ihrer Empfindung war gesunken und Gedanken tauchten auf, die andere Bilder vor ihre Seele riefen. Es war also aus mit ihm, wirklich aus und für immer! Und nun? — Sie mußte wieder in die Heimath, in ihr Dorf zurück. — Wie sie diese unausweichliche Nothwendigkeit zum erstenmal klar erkannte und die Folgen überschaute, fühlte sie einen kalten Schauer im Herzen und sank erschöpft auf einen Stuhl.

Wir wissen, Christine besaß einen Ehrgeiz — eine Art desselben, die auf dem Lande häufig vorkommt: den Ehrgeiz, der sich Andern möglichst immer in Würde und Wohlergehen darstellen und dem ganzen Dorfe damit Respekt einflößen will. In volkreicher Stadt kann man leicht dahin kommen, nach der Meinung Anderer gar nichts mehr zu fragen, weil diese Andern eben zum größten Theil Fremde sind und die Befreundeten keine Zeit haben, sich mit Einem viel abzugeben. Auf dem Dorf hingegen, wo man Alle kennt und von Allen gekannt ist, bildet sich natürlich das Verlangen aus, auch von Allen geachtet zu sein. Man wahrt die Außenseite, man »prangt,« man fragt sich bei einem absonderlichen Vorhaben in der Regel, was[S. 215] die Leute dazu sagen werden, man fürchtet sich vor dem Schaden, aber häufig mehr noch vor dem Spott, der dem Schaden folgt. Diese Rücksicht auf Andere kann zur Schwäche werden und macht gar oft auch kleinlich und lächerlich; aber auf der andern Seite ist sie die Mitursache guter Sitte, rechtmäßigen Handelns und stattlicher, angenehmer Lebensformen. Der Kenner des Dorflebens wird sie auf ihre Stelle beschränkt, aber gewiß nicht vertilgt, ja nicht einmal gemindert wünschen.

In Christine war eine starke Dosis dieses Triebes, und wie wir gesehen haben, war da, wo ihr Herz gewonnen wurde, immer auch ihr Ehrverlangen mit im Spiele; der Reiz des Glanzes wirkte mit dem der Schönheit und Liebenswürdigkeit zusammen auf sie. Dieses Ehrverlangen bezog sich aber gerade auf ihr Dorf, gerade auf ihre Freunde und Bekannte. In ihren Augen hervorzustrahlen war ja ihr Streben, ihr beglückendster Gedanke. Und nun sollte sie, die das Vaterhaus ehrenvoll und beneidet, an der Seite des Bräutigams verlassen hatte — sie, die Gesuchte, Gefeierte — sie sollte zurückkehren als eine, die den Laufpaß bekommen (denn das war und blieb sie in den Augen der Leute trotz ihres Redens), sie sollte zurückkehren beschimpft und erniedrigt für ihr ganzes Leben! Sie sollte vor ihren Vetter treten als eine Verschmähte, die Mitleid und Geringschätzung einflößen mußte! Sie sollte vor ihre Mutter treten in Schmach und Schande — vor die gute Mutter, deren Stolz und einzige Freude sie gewesen, die keine Ahnung hatte von ihrem Unglück und in kurzem ihren »Ehrentag« mitzufeiern hoffte! — Sie sollte den Spott und die übeln Nachreden der bösen Zungen über sich ergehen lassen! Sie sollte erleben, wie man mit Fingern auf sie zeigte, sollte es in ihre Ohren hören, wie man sagte: »Da seht sie, die so hoch hinaus wollte! Nun ist sie wieder da! Ihr Stadtlehrer hat sie fortgeschickt, und nun mag sie auch kein ehrlicher Bauernbursch mehr!«

Die Erlebnisse der letzten Tage hatten das Mädchen im Tiefsten erregt, ihre Seele gerüttelt und geschüttelt, ihr Gefühl krankhaft gereizt. Wie sie nun bei der Vorstellung, so kläglich in ihre Heimath zurückkehren zu müssen, alle Marter empfand, welche die Schmach der Niederlage dem Ehrgeiz auferlegt, da folgte auf den heroischen Stolz,[S. 216] den die Verabschiedung des Bräutigams in ihr erweckt hatte, der Zweifel, das Zagen, die Reue. Hab' ich auch wirklich Ursache gehabt, ihm aufzukünden? Bin ich nicht zu hitzig gewesen? Hab' ich nicht am Ende unrecht gesehen und gemeint, er wolle mit mir brechen, bloß weil ich in der Zeit davon habe schwatzen hören? Kann er nicht bloß übler Laune gewesen sein, und sind meine Antworten nicht am Ende so ungeschickt gewesen, daß er nicht anders konnte als zornig werden? — Solche Fragen traten in ihr hervor und konnten es wohl; denn ein Dorfmädchen ist an eine derbere Sprache und Handlungsweise von Jugend auf gewöhnt und mußte die vernommenen Schmähworte nicht für so beweiskräftig halten als eine gebildete, zarte Städterin. In ihrer Gemüthslage wurden ihr nun auch die andern deutlichen Zeichen wieder zweifelhaft, und als sie bedachte, daß sie das Elend, welchem sie entgegen ging, hätte vermeiden können, da wandelten sie wieder Schrecken und Verzweiflung an. Sie raffte all ihre Kraft zusammen und überlegte, wie Forstner sich die letzte Zeit her und heute gegen sie benommen. Endlich aber rief sie fest und entschlossen: »Nein, ich hab' mich nicht getäuscht! Nein, ich hab' recht gehandelt! Was ich gethan hab', das hab' ich thun müssen — ich hab' ein gutes Gewissen — und nun mag mir's auch gehen, wie's will!«

Sie stand auf, in der Meinung zur Base hinunterzugehen, denn es war noch nicht die gewöhnliche Schlafenszeit. Allein sie fühlte sich überaus müde, die Glieder zitterten ihr. Sie hielt es für besser, sich niederzulegen.

Ihr Schlaf war unruhig, sie fuhr mehrmals auf in schweren Träumen. Als sie Morgens erwachte, waren ihre Glieder wie gelähmt, ihr Kopf brannte, die Zunge klebte ihr am Gaumen. Sie war krank — ein Fieber hatte sie ergriffen.

Die Base, die sie vergebens zum Frühstück erwartet hatte, ging hinauf, um nachzusehen. Sie wußte noch nicht, was geschehen war. Gestern hatte sie freilich ein paarmal die Stimmen herunter gehört und auf einen Wortwechsel geschlossen; aber das war ja schon öfter vorgekommen, und da Forstner ruhig aus dem Hause, Christine zu[S. 217] Bett gegangen war, so glaubte sie nicht an einen Ausgang, wie er stattgefunden hatte.

An's Bett des Mädchens getreten, erkundigte sie sich theilnehmend nach ihrem Befinden. Christine erklärte sich für unwohl und erzählte ihr alles. Die gute Frau war tief betroffen. »Ich hab' mir's gedacht,« rief sie aus, »aber nun bin ich doch erschreckt! Was wird deine Mutter dazu sagen, die an so etwas gar nicht denkt? Ich muß ihr's zu wissen thun, Alles und Jedes, und das heute noch.« — Christine verbot das. »Ich will's selber thun, wenn ich wieder auf bin — ich allein kann's recht thun.« — »Aber wenn du ernstlich krank würdest,« entgegnete die Base, »wenn du —« — »Sterben würdest, meinen Sie? Das wäre vielleicht das Beste für mich; aber eben darum glaub' ich nicht daran. Wenn Gefahr kommt, dann können Sie schreiben, aber jetzt nicht — Ihre Hand darauf!« — Die Base beruhigte die Kranke durch ein ausdrückliches Versprechen und ging hinunter, einen Arzt holen zu lassen.

Dieser kam und erklärte den Zustand des Mädchens für den Anfang einer Krankheit, vor deren ernstlichem Ausbruch sie vielleicht noch bewahrt werden könnte. — In Befolgung dessen, was er vorschrieb, und im strengster Diät verging eine Reihe von Tagen. Zuletzt siegte die gute Natur des Dorfkindes, das Fieber wich, ihr Blut wurde ruhiger, ihr Appetit regte sich wieder, sie erholte sich und hatte das Gefühl der Genesung, jenes leichte, süße Gefühl, um dessentwillen es wohl der Mühe werth erscheint, eine Krankheit ausgehalten zu haben. In der Genesung ist von dem Zustande des Leidens nichts mehr übrig, als eine körperliche Schwäche, in der ein innerliches Leben um so reicher sich entfalten kann, eine Schwäche, die alle Gefühle mildert und uns die ganze Welt in sanftem Licht erscheinen läßt. Und zu dieser Poesie der Krankheit gesellt sich eine stille Lust des Aufstrebens und Fortschreitens zu neuem Wohlsein und Glück, das ahnungsreich vor der Seele webt. Der Genesende kann nicht verzweifeln. Auch nach dem größten Verlust muß er wieder hoffen auf eine Entschädigung, sei es auch nur die Kraft, den Verlust ohne Schmerz ertragen zu können.

Während Christine sich leiblich erholte, genas sie auch geistig.[S. 218] In ihrem stillen, helleren Seelenzustande sah sie zurück auf ihre Erlebnisse und dachte jenes Moments wieder, wo sie in ihrem Unglück eine gerechte Strafe erkannt und es in diesem Sinn willkommen geheißen hatte. Und es fiel ihr ein, daß sie später doch wieder verzweifelt war, als sie sich vorstellte, wie sie verachtet und verlassen zur Mutter heimkehren — das heißt doch eigentlich: die heilvolle Strafe zu Ende dulden sollte. — Sie lächelte ernst über sich selbst und sagte: »Ich hab's wieder vergessen gehabt! — Das geht nicht auf einmal, wie's scheint!« — Nun faßte sie aber in Wiederholung jener Anschauung den Entschluß, alles zu dulden, was an Schmach und Beschimpfung über sie verhängt sein sollte. Und nun konnte sie hoffen zu triumphiren, denn zu ihrer Erhebung und Selbstüberwindung half ihr die Natur.

In ihrer Leidenszeit hatte sie die sorgsamste, wir können sagen liebevollste Pflege erfahren, und diese setzte sich während ihrer Genesung fort. Die Base und der Vetter thaten alles, was in ihren Kräften stand. Susanne war wie verwandelt, ganz Aufmerksamkeit und Güte für sie, und nichts schien sie mehr zu beglücken, als wenn ihr Christine freundlich die Hand gab und sie dabei mit erkenntlichem Blick ansah. Auch Mamsell Adelheid kam täglich, sich zu erkundigen und sie zu trösten. Die Vornehmheit der Lehrerin war verschwunden und hatte ganz einer würdigen, mütterlichen Theilnahme Platz gemacht. Auf Christine in ihrer jetzigen Weichheit machte das alles einen rührenden Eindruck. Mit Thränen im Auge sagte sie sich: »Die Menschen sind doch viel besser, als man denkt! Man sollte eigentlich niemand für schlecht ausgeben, sondern warten, bis er wieder gut wird.« Sie dachte daran, daß auch die Leute in ihrem Dorf nicht so schlimm sein würden, als sie sich zuerst vorgestellt, und der Gedanke der Heimkehr verlor auch aus diesem Grunde mehr von seinem Peinlichen und Schreckhaften.

Wenn sich übrigens Mamsell Adelheid in der That über Erwarten theilnahmvoll gegen ihre Schülerin erzeigte, so war sie damit noch nicht ein Muster von Zartheit geworden, und dem Drange, Gericht zu halten über irgend jemand, konnte sie nicht unbedingt widerstehen. — Eines Vormittags kam sie mit hastigeren Schritten als gewöhnlich[S. 219] in die Stube, wo sich die Reconvalescentin befand, und man sah gleich, daß sie etwas Wichtiges auf dem Herzen hatte. Sie zögerte nicht, es los zu werden, und rief nach ihrem Gruße der anwesenden Frau Kahl zu: »Nun, liebe Frau Base, haben Sie's auch schon gehört? — Ich habe manches erlebt in der Welt, aber das geht doch über alle Begriffe! So schnell — und in dieser Zeit! Nein, für so schlecht hätt' ich diesen Menschen doch nicht gehalten!« — »Was gibt's denn?« fragten Christine und die Base zu gleicher Zeit. Adelheid sah theilnehmend auf das Mädchen und sagte: »Sei froh, Christine, und wünsche dir Glück, daß du ihn nicht bekommen, daß du ihn noch zu rechter Zeit kennen gelernt hast! Besser vor der Hochzeit als nachher!« — »Ah so,« erwiederte das Mädchen, indem eine leichte Röthe über ihr blasses Gesicht flog; »nun kann ich's errathen! Er hat sich mit ihr versprochen?« — »Das hat er gethan, gute Christine, und zwar an demselben Tag, wo du im ärgsten Fieber lagst.« — Frau Kahl sah die Mamsell vorwurfsvoll an und rief: »Das hättest du nicht sagen sollen! Wenn sie nun wieder schlimmer wird?« Aber Christine hatte sich von dem Canapee, worauf sie gesessen, rasch erhoben und rief: »Nein, das macht mich gerade gesund!« — Sie sah in der That genesen aus und athmete leicht, als ob sie von einer großen Last befreit worden wäre.

Und das war sie. Die Meldung hatte sie befreit von der letzten Ungewißheit in Bezug auf den Lehrer, von dem letzten Grunde, sich selbst mit der Vorstellung einer übereilten Handlung zu quälen. Was sie gedacht hatte, war nun bewiesen. Wenn er nur von ihr weggehen und mit jener sich versprechen konnte, dann hatte er schon lange keine Liebe mehr zu ihr, sondern zu jener; dann war er mit der Absicht zu ihr gekommen, Händel zu suchen, um sie los zu werden; dann hatte sie ganz recht gehandelt und das beste Gewissen. Nun war sie frei von ihm ganz und gar; sie war frei von Achtung und Liebe zu ihm, sie war frei von Haß gegen ihn und von Eifersucht gegen sie. — »Mag er glücklich sein! mögen sie glücklich sein alle beide!« das waren ihre Gedanken. — Wen man nicht achtet, den kann man nicht hassen und nicht beneiden. Man fühlt ihn unter sich und machtlos und dürftig bei allem äußern Glück.

[S. 220]

Christine erklärte sich für gesund. Der Arzt, der bald darauf im's Zimmer trat, bestätigte dieß und erlaubte ihr, an einem der nächsten Tage nach Hause zu reisen.

In einer Stimmung, die ihr selber auffiel, mit einer Ruhe, die nur selten durch lebhaftere Empfindungen unterbrochen wurde, machte sich Christine zur Heimkehr bereit. Sie schloß mit ihrem Stadtleben ab und hatte das Gefühl eines Wanderers, der sich nach langem Irrgehen wieder zurecht findet. Er hat Zeit und Mühe verloren, er wird zu spät kommen, aber er ist doch wieder auf dem rechten Weg.

Nun war die Zeit gekommen, den Brief an ihre Mutter abzufassen. Sie meldete kurz, was in den letzten Wochen geschehen war, fügte aber dann Alles hinzu, was sie für die Mutter Tröstliches zu sagen wußte. Sie hob hervor, daß sie für die Stadt nicht passe, daß sie mit Forstner nie glücklich geworden wäre und dem Himmel danken müsse, noch zu rechter Zeit seinen Charakter kennen gelernt zu haben. Sie unterstrich die Nachricht, daß sie ihm aufgesagt habe, und daß sie ihn nicht mehr gemocht hätte, wenn er auch wiedergekommen wäre. Jetzt sei er mit seiner Wilhelmine versprochen, und das sei gut, denn die beiden taugten für einander und wären einander werth. Sie selber habe ihren Entschluß gefaßt, sie wolle nach Hause gehen und mit der Mutter überlegen, was zu thun sei. Glücklich wolle sie nicht mehr werden, aber verzagen wolle sie deßwegen auch nicht. Sie wolle schaffen und arbeiten, wie sie's gelernt habe, sie wolle ihre Schuldigkeit thun und als ein rechtschaffenes Mädchen leben und sterben.

Vorsichtshalber trug sie den Brief selber auf die Post. Durch die Aufschrift hatte sie dafür gesorgt, daß er sicher einen halben Tag vor ihrer Ankunft in die Hände der Mutter gelangte.

Als sie am zweiten Morgen nach ihrer Wiederherstellung aufgestanden war, ging sie im Unterkleid zu der alten Commode, zog das oberste Fach heraus und lächelte, mit einer seltsamen Mischung von Freud und Leid. Die Bauernkleider, in denen sie hergekommen war, lagen darin. Sie nahm ein Stück nach dem andern heraus, betrachtete sie, als sie auf dem Tisch ausgebreitet waren, mit einer Art von Feierlichkeit, und kleidete sich damit an. Als sie fertig war und in den Spiegel sah, schüttelte sie erst den Kopf, dann hing sie mit zufriedenen[S. 221] Blicken an dem Bild. Die Kleider waren ihr zu weit geworden und kamen ihr so im ersten Moment doppelt ungewohnt vor. Aber es waren doch die Kleider, in denen sie schöne Tage gesehen hatte — jetzt das Wahrzeichen einer verständigen Umkehr und eines neuen Lebens.

Groß war die Verwunderung, als sie in diesem Anzug, allen unerwartet, in die untere Stube trat. Und sie minderte sich nicht, als die kaum Genesene der Base erklärte, da das Wetter so gut sei, wolle sie nicht nach Hause fahren, sondern gehen. An ihrer Krankheit sei Schuld gewesen, daß sie sich zu wenig Bewegung gemacht habe; das Gehen würde ihr gesund sein und sie würde sich's jetzt um keinen Preis abkaufen lassen. Alle Einreden der Sorglichkeit waren umsonst, und man fügte sich endlich in ihren wiederholt erklärten Willen.

Nach dem Frühstück nahm sie die Base mit auf ihre Stube, wo ihre Stadtkleider in drei verschiedenen Partien auf dem Canapee lagen. Sie bat ihre Verwandte, die erste mit den werthvollsten Stücken zum Andenken von ihr anzunehmen und die beiden andern der Mamsell Adelheid und der Susanne zu übergeben. Das Sträuben der guten Frau wurde überwunden und die Einwilligung erzwungen. Die Geschenke, die sie von Forstner erhalten hatte, lagen auf einem Ecktisch. Sie nahm der Base das Versprechen ab, ihm alle zusammen heute noch in's Haus zu schicken. Wenn er dafür die ihrigen zurücksende, so bäte sie den Herrn Vetter, sie zu behalten. Sie würde kein Fäserchen von diesem Manne bei sich dulden können. — Die Kiste, in der sie ihre Habseligkeiten vom Dorf mitgebracht hatte, stand bepackt in einer Ecke. Man sollte sie dem Fuhrmann übergeben, der am folgenden Tage die Stadt passirte. Es blieb nichts mehr übrig, als von der letzten Geldsendung der Mutter die kleine Schlußrechnung der Base zu bezahlen. Dieß geschah, und das Landmädchen war fertig mit der Stadt.

Es war nach neun Uhr, als sie der kleinen Zahl ihrer städtischen Bekannten Lebewohl sagte. Die gute Frau Kahl und Susanne weinten, der Vetter hatte feuchte Augen und Mamsell Adelheid widerstand mit Mühe dem Drang ihres Gefühls. Christine war über diese[S. 222] Zeichen wahrer Theilnahme zu erfreut, um gleich den andern weich werden zu können. Sie gab allen die Hand, sah mit glänzenden Blicken der Liebe und des Dankes auf sie, und jetzt endlich standen Thränen auch in ihren Augen. — »Lebwohl, lebwohl, du gutes, liebes Kind!« rief die Base, indem sie ihre Hand zärtlich gefaßt hielt. »Du hast hier keine guten Tage gehabt, du hast viel gelitten; aber dir wird's auch noch gut gehen!« — »Mir wird's gehen, wie ich's verdiene,« erwiederte Christine, »und anders verlang' ich's nicht!«

Wenige Minuten später, und sie ging allein, wie sie sich's erbeten hatte, durch die Hauptstraße der Stadt. Ein paar Vorübergehende kannten sie, starrten sie an und sahen ihr kopfschüttelnd nach. Christine that, als ob sie nichts gemerkt hätte, und ging ruhigen Schrittes weiter; aber doch war sie froh, als sie die Stadt endlich hinter sich hatte.

Es war in der zweiten Hälfte des März und der Tag wie zu einer Fußwanderung geschaffen, Frühlingsanfang, nicht nur dem Kalender nach, sondern in der That. Der Winter hatte schon seit einigen Tagen weichen müssen, der Lenz hatte das Feld behauptet, und schmetternde Lerchen verkündeten seinen Sieg dem Himmel und der Erde. Die Luft war milde, die Sonne von leichten Wolken umzogen, so daß ihr Schein durchdringen konnte, wenn auch nicht ihr Bild, und der Weg trocken, hie und da noch gefeuchtet und weich, dort schon bedeckt von Märzenstaub. Und Gras und Laub, welche dieser bringen soll, waren reichlich verheißen in dem frischeren Grün der Wiesen, in den Knospen der Bäume und Gesträuche.

Christine wanderte still weiter, die Straße weiter, auf welcher sie hergefahren war und die sie nun zum erstenmal wieder sah. Ihr Mund sog die lau frische Gottesluft ein, ihre Augen schweiften umher auf dem Feld und den Waldstücken, die in der Landschaft hervortraten, und ihr Gesicht ward heller und freundlicher bei diesem Anblick. Bald fühlte sie sich wieder hineingezogen in ihr Inneres, sie überließ sich den Gedanken ihrer Seele und ging dahin, wie eine, die im Traume wandelt.

Ein Rieser Bauernmädchen ist im benachbarten Frankenlande nichts Seltenes und kann schon darum nicht bemerkenswerth erscheinen,[S. 223] weil ihre Tracht von der dortigen ländlichen nur wenig unterschieden ist. Aber Christine hatte in ihrem Wesen etwas, das auffallen mußte und wirklich auffiel. Die Landleute, die ihr begegneten, der Steinklopfer am Wege sahen sie an und grüßten sie theilnehmend. Als einer sie nach erhaltenem Dank fragte: »Wohin denn noch heute?« und mit sanfter Stimme die Antwort erhielt: »In's Ries,« da betrachtete er sie noch einmal genau, bevor er weiter ging, schien aber doch nicht mit sich einig werden zu können, was er aus ihr machen solle.

In Folge des Lebens in der Stadt und der Leiden, die sie darin ausgehalten hatte, war die Gestalt des Landmädchens um vieles schlanker geworden; die Fülle des Gesichts war geschwunden, die Farbe, die ihr auf dem Dorf ein so frisches Aussehen gegeben hatte, war gewichen und die jetzige Blässe nur von einem bräunlichen Hauch und in Folge des Gehens von einer leichten, flüchtigen Röthe bedeckt. Da sie den gestreiften »Kittel« (das Gewand des Oberkörpers) offenbar nicht mehr ausfüllte, so sagte sich jeder, daß sie krank gewesen sein und viel ausgestanden haben müsse. Aber das war es nicht allein, was auffiel. Ihr bleiches Gesicht hatte einen Glanz, aus ihren feuchten Augen, wenn sie damit aufsah, ging ein Blick, und der ganze Kopf hatte ein Gepräge und einen Ausdruck, daß jeder augenblicklich sah, nicht nur daß es ein schönes Mädchen sei, sondern auch daß es mit ihr eine ganz besondere Bewandtniß haben müsse.

Es war die Erfahrung ihres Geistes, welche dem Gesicht diesen Ausdruck lieh, es waren die Empfindungen und Bilder ihrer Seele, die es verklärten. Die Erdenschwere des Leides war ihr abgenommen, aber sein Schein und sein Duft waren geblieben. Die Freude des Lebens, ja die Hoffnung auf sie waren geflohen, aber ein stiller Friede, gegründet auf das Bewußtsein, endlich recht und gut gehandelt zu haben, waren eingezogen in sie. Eine Wehmuth erfüllte sie, die etwas Süßes hatte, weil sie durchdrungen war von holdem Licht und getragen von einem erstarkten Geist. Alles das weckte und nährte das Spiel der Phantasie, eine Träumerei, welche das Mädchen weiter und weiter zog und neue, wunderbare Welten ihrem Blick öffnete. — Die Poesie der Lieder, die sie in schönen Tagen auf dem Dorfe gelernt[S. 224] und gesungen hatte, lebte wieder in ihr auf. Traurige und fröhliche summten durch einander in ihr und feuchteten bald ihre Augen und regten zarte, süße Schauer in ihr an. Sie hörte die Melodien ordentlich in ihrer Seele, und Stimmen in der Luft, nahe und ferne, schienen in sie einzuklingen. — Die gute Christine! Jetzt war sie fein, und ihr Gesicht war geistig und ihr ganzes Wesen von einem Reiz übergossen, daß es auch der eitle Pedant in der Stadt hätte anerkennen müssen. — Zu spät! — Aber zu ihrem großen Glück! — Jener hätte sie nicht verdient, auch wenn es ihm möglich gewesen wäre, sein Versprechen zu halten und seine Treue zu bewahren.

Wir haben damit erklärt, was die Vorübergehenden Absonderliches an Christine wahrnahmen. Hübsche Mädchen in Rieser Tracht kann man viele sehen, wenn man durch die gesegnete Ebene wandert — und Glück hat. Aber Bilder, wie Christine in ihrer jetzigen Seelenstimmung eines darbot, wird man unter allen Umständen nur selten bemerken können.

In der Einsamkeit eines Waldthals nahmen die Gedanken der Fußgängerin eine bestimmte Richtung. Ein Verhältniß, wie sie es mit Forstner gehabt, läßt sich nicht abthun und vergessen; die Seele wird eine Zeitlang immer wieder zurückschauen und sich den Verlauf und den Ausgang zu erklären suchen. — Christine ließ das Handeln Forstners wieder an ihrem Geist vorüberziehen. Wie billig sie war und wie viel sie sich selber zur Last legen mochte, nahm sie alles zusammen und hatte sie ihn in den hauptsächlichsten Momenten vor Augen, so konnte sie sein Benehmen zwar begreiflich finden, aber auch nicht der leiseste Hauch von Achtung dieses Mannes war ihr möglich. Im Besitz dessen, was Natur und Geschick ihr an Einsicht verliehen hatten, kam ihr die ängstliche Sorge und die Wichtigkeit, womit er ihr den Flitterkram seiner Bildung aufdrängen wollte, über alle Maßen kleinlich vor; und daß er diesen als die Hauptsache ansah, für die wirkliche Hauptsache dagegen, welche sie jetzt auf's allerklarste anschaute, keine Augen und kein Gemüth hatte, das erfüllte ihre Seele mit einer Geringschätzung, in welcher sie ihn zu einem Nichts hinschwinden sah.

Es war unvermeidlich, hier nicht an das Benehmen des Vetters[S. 225] Hans zu denken. Obwohl sie eine Scheu davor empfand, so konnte sie dem Reiz doch nicht widerstehen, sich zu vergegenwärtigen, wie sich dieser von der ersten Zeit an gegen sie betragen hatte. Seine treue Liebe, die sich erst so bescheiden verbergen wollte und sich doch verrieth; seine Freude an ihr und das Vergnügen, das aus ihm leuchtete, wenn er sie bei der Arbeit loben konnte und sie dabei ansah; die stete Sorge für sie und ihre Mutter, der Eifer für ihr Wohlergehen und ihre Ehre; seine Großmuth, als er erfahren hatte, was ihn auf's tiefste schmerzen, auf's bitterste kränken mußte; der Stolz, der sich vor den Leuten nichts anmerken ließ und alles vergessen zu haben schien; die unendliche Gutmüthigkeit, womit er sie später als Verwandte und Jugendfreundin behandelte, als ob sie ihn nie beleidigt hätte — alles das stellte sich vor ihre Seele und verband sich zu einem einzigen Bilde. Die ganze Schönheit eines von Gott und Natur mit gleicher Liebe beschenkten Gemüths glänzte vor ihr und sie war jetzt in der rechten Stimmung, sie zu erkennen und nach ihrem Werth zu schätzen. Thränen stürzten aus ihren Augen, die nur der edlen Seele galten. Sie fühlte die Liebe und Treue eines solchen Mannes als das Liebste und Holdeste, was es geben könne auf der Erde; in ihrem Herzen gährte und bebte es und eine Glut entzündete sich und loderte empor und übergoß ihr bleiches Gesicht urplötzlich mit brennender Röthe.

Es war geschehen. Sie hatte ein Gefühl, als ob nichts wahr gewesen wäre in ihrem ganzen Leben, als diese Liebe zu dem besten Menschen auf der Welt. Alles, was ihr an andern schön vorgekommen war und reizend und vornehm, erschien ihr jetzt wie gar nichts, wie Rauch, den ein Windhauch verjagte. Sie begriff nicht, wie man sich davon blenden lassen, wie man daran sein Herz hängen, wie man darauf bauen und vertrauen könne.

Und sie hatte sich zweimal davon blenden lassen! Sie war von dem, der allein aller Lieb' und Treue werth gewesen, zweimal abgefallen! — Das Gesicht, auf welchem sich die Blässe wieder gelagert hatte, wurde auf's neue überströmt — von der Röthe der Scham; und diese blieb länger auf ihm als die Farbe der Liebe und des Entzückens. — »Du hast keine Augen gehabt,« rief sie sich strafend[S. 226] und leidvoll zu, »du hast nichts gesehen — du Blinde, Dumme, Sinnlose!« — Sie fühlte ihre ganze Unwürdigkeit dem braven, uneigennützigen, unendlich liebevollen Manne gegenüber. Das Licht der Erkenntniß, das ihr zuerst in schwachem, vorübergehendem Aufzucken, dann im klaren, hellen Scheine zu Theil geworden war — jetzt flammte es vor ihr empor und leuchtete und brannte vor ihr und faßte und durchloderte sie, und drohte sie zu verzehren. — Das war das Maß, mit dem ihr gemessen werden sollte — das volle, gerüttelte und geschüttelte, überfließende Maß.

In der Qual dieser Flamme gab es nur Eine Rettung für Christine, und sie griff darnach. »Er soll's nie, nie erfahren, wie es mir zu Muth ist! Kein Sterbenswörtchen soll er von mir hören, aus keiner Miene, keinem Zuck soll er's errathen können! Im Herzen will ich ihn tragen Tag und Nacht — todtschlagen will ich mich lassen für ihn, wenn's sein muß — aber sterben will ich, ohne daß er weiß, wie ich gesinnt gewesen bin!« — Nun brachen wieder Thränen aus ihren Augen und rollten die Wangen hinab; aber es waren lindernde Thränen. Sie und das Gelübde, das sie gethan, halfen zusammen, der Tieferregten nach und nach die Ruhe wieder in's Herz zu flößen, in der sie still ergeben, aber zugleich mit einem gewissen Stolz der Entsagung fortwanderte.

Endlich fühlte sie sich müde und erschöpft, und im nächsten Dorfe ging sie in das Wirthshaus, das an der Straße lag. Sie nahm ein einfaches Mahl zu sich, ruhte aus und erholte sich. Als sie nach der Zeche fragte, sah die schon ziemlich bejahrte, stattliche Wirthin sie prüfend an. »Du bist wohl im Dienst gewesen und krank geworden?« fragte sie theilnehmend. — Christine richtete merklich verletzt den Kopf auf und erwiederte: »Krank gewesen bin ich, aber im Dienst nicht.« — Der theilnehmende Blick der Wirthin verwandelte sich in einen spöttischen. »Ah,« sagte sie, »da bitt' ich um Verzeihung, daß ich der Jungfer Unrecht gethan hab'!« Sie überlegte ein wenig, nannte die Summe, erhielt das Geld, bedankte sich und ging hinaus. Die Zeche war ziemlich groß, und Christine fühlte, was sie gethan hatte. »Du bist wieder dumm und am unrechten Ort empfindlich gewesen,« dachte sie. »Die Frau ist gut und wollte dir eine kleine Zeche machen, und[S. 227] du bist ihr lächerlich vorgekommen mit deinem Stolz, und sie hat Recht gehabt, dir eine Lehre zu geben. Im Dienst! 'S wär besser, du wärst im Dienst gewesen und könntest jetzt nach Hause gehen —« — Ihr Geist verlor sich in Gedanken, dann erhellten sich plötzlich ihre Züge; mit einem Aussehen, als ob sie einen Vorsatz gefaßt hätte, erhob sie sich und verließ die Stube. Im »Haustennen« stand die Wirthin. »Geht's schon weiter, Jungfer?« war die noch immer spöttische Frage. »Ja,« erwiederte Christine. »Lebt wohl, Frau Wirthin, und haltet mich nicht für einfältiger als ich bin!« Das behaglich breite Gesicht lächelte und der Spott darin erhielt einen Zusatz von Wohlwollen. »O bewahre!« rief sie, »ich seh' schon, wen ich vor mir hab'. Glück auf den Weg!«

Es war nothwendig, daß Christine sich gestärkt und erholt hatte — sie kam dem Ries näher und näher. — Eine Stunde darauf und sie war eingetreten in seinen Kreis und ihr Herz klopfte, ihr Kopf schwindelte. Sie sah, was ihr bekannt war von Jugend auf, aber das Bekannte erschien ihr wie ein Mährchen. Dort rechts der Felsen von Wallerstein im Kranze von Häusern und Bäumen, geradeaus der graue Thurm von Nördlingen, und jetzt in dem Schein der Sonne, die vorübergehend aus den Wolken trat — ihr Geburtsort. — War es nicht ein Traumgesicht? Waren die Bilder, die vor ihren Augen flimmerten, nicht aus Luft gewoben und hergezaubert, um auf einmal wieder zu verschwinden? — Nein, sie standen fest und blieben stehen und traten immer größer und deutlicher hervor. Sie hatten gezittert und gegaukelt vor ihr, weil ihren eigenen Kopf eine Art von Trunkenheit ergriffen hatte, und in der Schwärmerei des Staunens hatte das Altgewohnteste den Charakter des Wunders angenommen.

Sich endlich besinnend und fassend, ging sie weiter und weiter, ihrem Dorfe zu. Sie freute sich an der Heimath, an den Leuten, die ihr begegneten, an den Arbeitern auf dem Felde, die sie von weitem sah, und an der schönen und traulichen Rieser Tracht; aber sie fürchtete sich, daß irgend Jemand sie erkennen und bei ihrem Namen rufen möchte. Unangefochten langte sie indeß an der Feldung ihres Geburtsortes an. Sie schlug einen Fußweg ein. Je näher sie dem Ziele kam, desto mehr entsank ihr der Muth. Sie konnte nicht anders[S. 228] — sie mußte sich wieder vorstellen, was die Leute von ihr denken, was sie sagen und ihr nachsagen würden. Alle Schmach, als eine Verstoßene, der Verläumdung Preisgegebene heimzukehren, stieg wieder vor ihrer Seele auf. Da fiel ihr aber auch wieder ein, daß sie Leid und Beschwer ja gewünscht und gut gefunden hatte. Sie lächelte mitleidig über sich selber und ging mit neuer Entschlossenheit vorwärts.

Die Sonne war hinter dichtere Wolken getreten; es war trübe und kühler geworden und die laublosen Gärten des Dorfes sahen nicht gerade erfreulich aus. Als sie eine Hecke entlang ging, um auf die Südseite zu kommen, wo ihr Haus stand, bemerkte sie in einem Garten eine Jugendfreundin, die ein Beet umhackte. Die Tritte der Vorübergehenden vernehmend, schaute diese auf und Christine erwartete einen Zuruf; aber er blieb aus. »Sie kennt mich nicht mehr,« dachte das Mädchen. »Nun, das ist ja natürlich!«

An der kleinen Thüre, die von ihrem Garten auf den Fußweg hinaus führte, stand die Mutter. Sie hatte sich, von ihren eigenen Gefühlen einen Schluß ziehend, eben hier aufgestellt, um die Tochter zu erwarten. Christine ging rascher und gab ihr mit leis gesprochenem Gruße die Hand. Die Wittwe sah kummervoll und blaß aus, aber ihr Gesicht war nicht ohne eine Art von Würde. »O Christine!« rief sie mit gedämpfter Stimme — weiter nichts. Man konnte sie sehen und hören vom Haus oder Garten des Nachbars, und niemand sollte wahrnehmen, wie's ihr um's Herz war. — Sie führte die Tochter an der Hand durch den Garten in den kleinen Hofraum. Hier stand Hans. Er sah Christine an mit einem Gesicht, in welchem das Mitleid hinter tiefem Ernst verborgen war, und sagte ruhig: »Guten Abend, Christine!« Sie dankte, ohne ihn anzusehen, und ging mit der Mutter in's Haus.

Als sie allein waren, öffnete die Mutter ihr Herz und ließ den Klagen, die sie bis jetzt zurückgepreßt hatte, freien Lauf. »Wer hätte das gedacht!« rief sie mit tiefer Betrübniß. »Wer hätte das diesem Menschen zugetraut! — Ich hab' gemeint, ich müss' umsinken vor Schrecken, wie ich deinen Brief gelesen hab'. Nicht glauben hab' ich wollen, was du geschrieben hast! Aber jetzt, wenn ich dich ansehe,[S. 229] muß ich freilich alles glauben! — Du armes Mädchen,« setzte sie hinzu, indem sie die Tochter in zärtlichem Mitleid bei den Händen faßte, »so elend, so verfallen! — Das ist nun das Glück, das du gemacht hast! Das ist die Freude, die ich an meinem einzigen Kind erlebt hab'!« — Ihre Thränen flossen, das Schluchzen ließ sie nicht weiter reden. Christine tröstete sie und sagte: »Sei ruhig, Mutter! Laß dir's nicht so zu Herzen gehen! — Ich bin gesund und werde bald wieder aussehen wie sonst.« — »Ja,« entgegnete die Wittwe, »dein elendes Aussehen wird vergehen auf dem Land, aber die Schande wird dir bleiben. Was wird man von dir jetzt alles sagen im Dorf! Was werden wir uns gefallen lassen müssen! Das Unglück, das einem widerfährt, ist ja den Leuten nie groß genug, sie müssen's noch größer machen. Und wir, denen ohnehin so manches Feind ist im Dorf — was werden erst wir hören müssen! Ich trau' mir gar nimmer unter die Leute — ich schäme mich zu Tod!«

Als die Tochter die von ihr überwundene Furcht an der Mutter sah, kam sie ihr in keiner Art würdig vor, und sie erwiederte mit Ernst: »Was die Leute sagen, liebe Mutter, ist mir einerlei, und dir kann's auch so sein. Eine Zeitlang wird man schmähen, dann kommt wieder etwas anderes auf, und wir sind vergessen. Und wenn man auch spottet über uns und uns ausrichtet — haben wir's nicht verdient? Ist uns mit unserm Hochhinauswollen nicht Recht geschehen? — Von der Seite muß man die Sache auch betrachten. So oder so ist das Gerede der Leute gleichgültig. Wenn sie lügen über mich, so geht's mich nichts an, und wenn sie die Wahrheit sagen, muß ich's aushalten. Und am Ende — wenn's mir hier wirklich zu arg würde, giebt's nicht noch einen Dienst anderwärts? Man kann sich immer helfen, wenn man noch zu was gut ist in der Welt, und alles ist noch lang nicht verloren.«

Diese gefaßte Sprache des Kindes that der Mutter wohl und flößte auch ihr wieder Trost und neuen Muth ein. Sie sah schweigend auf das blasse, aber feinere und vornehmere Gesicht und fühlte, daß ihre Tochter in der Stadt nicht nur verloren, sondern auch etwas gewonnen hatte. Ihre Mienen klärten sich auf und es war, als ob[S. 230] sie etwas auf der Zunge hätte. Sie schwieg aber. Sie hatte, wie es schien, nicht den Muth zu sagen, was sie dachte.

Als am andern Tag die große Neuigkeit in dem Dorf bekannt wurde, gab es freilich ein Geschrei, das dem, welches die Verlobung des Mädchens mit dem Lehrer hervorgerufen hatte, in keiner Weise nachstand. Im Gegentheil, die Ausrufungen waren jetzt noch leidenschaftlicher, das Gewunder größer und nachhaltiger, weil die Nachricht wirklich ganz unerwartet gekommen und wie ein Blitz aus wolkenlosem Himmel hernieder gefahren war. Welch ein Ohrenschmaus für die ehemaligen Mitbewerberinnen! Welch ein Triumph für diejenigen, die in ihrer sittlichen Entrüstung einen schlimmen Ausgang vorhergesagt hatten! — Die Partie der Weiber und Mädchen hatte gesiegt; das Schicksal hatte ihnen Recht gegeben. Und nun ließen sie's die jungen Bursche, die ihnen früher widersprochen hatten, gehörig empfinden und kosteten den Ruhm bewährter Prophetengabe von Grund aus. »Hab' ich's nicht gesagt? Hab' ich's nicht vorher gewußt? Du hast mit mir gestritten, aber nun siehst du, wer Recht gehabt hat. Mit Schand und Spott ist sie heimgekommen, die eitle Närrin! Und nun wird's aus sein mit ihrer Vornehmheit — aus für alle Zeit!«

Die große Frage war nun: wie werden die Leute mit einander forthausen? Ist's denn möglich, daß sie beisammen bleiben? Und wenn sie's thun, was soll am Ende draus werden? — In einer zahlreichen Bauernfamilie, wo dieser Punkt beim Abendessen erörtert wurde, meinte der Oberknecht: »Am End' nimmt sie der Hans doch noch zum Weib.« — Da fuhr aber die älteste Tochter, die nicht zu den Schönsten gehörte und ihre Sechsundzwanzig hinter sich hatte, empört auf und rief: »Red nicht so dumm, alter »Gischpel«! Ein Mensch wie der Hans, der etwas hat und andere kriegen kann, wenn er will, der wird wohl eine nehmen, die ein halbes Jahr mit einem Schulmeister herumgefahren ist! Schäm dich! 'S ist sündlich, einem braven Burschen so was zuzutrauen!« — »No, no,« versetzte der in der That schon etwas bejahrte Knecht phlegmatisch lächelnd, »man kann nicht alles so genau nehmen, und 's hat sich schon gar manches noch g'macht in der Welt.« — »Und ich wett', was du willst,« erwiederte die erzürnte[S. 231] Person, »er nimmt sie nicht mehr!« — »'S kann auch sein,« versetzte der Knecht. »Ich kenn' den Hans nicht so genau, daß ich weiß, was er in einem Jahr thun wird. Ich weiß nur, was ich thät' — und ich thät' sie nehmen, wenn sie mich möcht'.« — »Du!« entgegnete die Tochter des Hauses mit verächtlichem Blick, während die andern Ehehalten lachten und die Magd schließlich meinte: »Du wärst »net blöad« (blöde), Heiner! So eine könnt' dich aufrichten!«

Einige Tage später, und die Frage, die so viele Zungen in Bewegung gesetzt hatte, war entschieden. Man erfuhr, die Christine sei in *** (einem zwei Stunden entfernten, westlich gelegenen Dorfe) beim Holzbauern in Dienst gegangen. Damit erhielt das Gerede einen Kehraus, der den bisherigen Lärm würdig abschloß. »Die Lehrersbraut eine Bauernmagd! Und bei dem, wo's noch keine auf die Läng' hat aushalten können! — bei dem gröbsten aller Menschen im ganzen Ries! Die hat's zu was gebracht, das muß man sagen! Die kann sich freuen!« — Zur Ehre des Dorfs muß ich übrigens bemerken, daß auch gar mancher die Sache von einer andern Seite ansah. Als ein ehrenhafter alter Bauer davon hörte, sagte er zu seiner Ehehälfte: »Wenn das in ihrem Kopf gewachsen ist, dann fang' ich wieder an etwas zu halten von dem Mädchen.«

Allerdings war es in dem Kopf der Christine gewachsen, und zwar ging es so zu.

Am andern Tage nach der Heimkehr ihrer Tochter hatte die Glauning schon einen großen Theil ihrer Ruhe und Besonnenheit wieder erlangt. Gedrückt war sie noch immer und traurig ging sie im Hause umher; aber ihr Geist richtete sich allmählig auf und überlegte, wie sie das Unglück, das sie betroffen hatte, wieder gut machen könne. Leute wie sie überreden sich leicht, daß sich alles auf eben die Art wieder ausgleichen lasse, die ihnen erfreulich dünkt. Als sie nun ihre Tochter in der Stube und Küche wieder arbeiten sah wie ehedem, als sie den Vetter mit ihr umgehen sah, wie wenn nichts vorgefallen und sie höchstens von einem längeren Besuch zurückgekehrt wäre, da beurtheilte sie die beiden nach sich und glaubte, alles könnte noch recht werden. Als erfahrene Frau mußte sie am besten wissen, was man alles zu thun habe, um in dieser Welt etwas zu erreichen; als Mutter[S. 232] hatte sie die Pflicht, für ihre Tochter zu denken und zu sorgen. Die Scheu, die sie gestern noch gefühlt hatte, wich daher einer Entschließung.

Nachmittags fing sie gegen Christine auf's neue an zu klagen und ihre Bekümmerniß auszusprechen; es geschah dieß aber in einem Ton, daß die Tochter gleich fühlte, der eigentliche Schmerz sei schon vorüber und eine ernstliche Tröstung nicht mehr vonnöthen. Sie entgegnete mit Ruhe, daß diese Reden jetzt zu nichts mehr führen könnten. Man müsse das Geschehene geschehen sein lassen und nicht mehr daran denken, dann werde vielleicht alles wieder besser in's Gleiche kommen, als man glaube. »Da kannst du auch Recht haben,« erwiederte die Mutter begütigt. Und nach kurzem Schweigen fuhr sie fort: »Man glaubt oft, man müsse ein recht großes Glück machen und deßwegen ein kleineres, das einem entgegenkommt, verschmähen. Aber das große ist einem nicht bestimmt und bleibt aus; und wenn man das sieht und gescheidt ist, nimmt man das kleinere an und lebt auch zufrieden dabei.« — Christine sah ihre Mutter befremdet an: diese glaubte, sie müsse sich deutlicher erklären, und sagte: »Du hast Recht, Christine, alles kann wieder in's Gleiche gebracht werden, und du hast's in deiner Hand. Mir kannst du wohl glauben, denn ich versteh' mich darauf — der Hans hat dich noch immer gern! Er ist einer von den guten Menschen, die alles verzeihen und denen es nicht möglich ist, etwas nachzutragen. Wenn du dich wieder freundlich gegen ihn benehmen und ihm ein wenig schönthun wolltest, so bin ich überzeugt.« —

Das Gesicht des Mädchens hatte sich während dieser Rede, nach dem ersten deutlichen Wort, mit tiefer Röthe bedeckt; jetzt funkelten ihre Augen und mit erzürnter Heftigkeit rief sie: »Red' nicht weiter, Mutter! — ich bitte dich! — Wenn der Hans mich jetzt noch nähme, so wär' er ein Tropf — der jämmerlichste Mensch, der auf Gottes Erdboden herumwandelt! Und wenn er's wäre und wenn er mich wollte, so möcht' ich ihn nicht, weil ich ihn verachten würde! Pfui! wie kannst du an so etwas denken und einem ehrlichen Mädchen solche Vorschläge machen!« — Die Mutter war betroffen; sie faßte sich indeß wieder und sagte: »Nun, ich rathe dir nichts, als was gar manches[S. 233] Mädchen schon gethan hat, die jetzt als Frau hoch in Ehren steht. Du kennst die Welt nicht. Ich bin deine Mutter, ich muß für dich sorgen, ich muß dich wieder auf den rechten Weg weisen —« — »Red nicht weiter,« rief Christine am ganzen Leibe zitternd, »oder es geschieht ein Unglück! — Noch ein Wort davon — und ich geh' fort und spring' in's Wasser!« — Die Alte starrte sie an. »Um Gotteswillen,« rief sie, »thu nur nicht gleich so wild! Ich hab' nur gemeint —« — »Du sollst nichts meinen, was eine Schande wäre für mich und für ihn. Glücklich sein muß man nicht in der Welt, aber seinen Charakter muß man behaupten und seine Ehre! Und das sag' ich dir jetzt: wenn du nochmal von dieser Sache anfängst, wenn du nur noch eine Sylbe davon sprichst, dann geh' ich aus deinem Haus und deiner Lebtag wirst du mich nicht wieder sehen!«

Die Alte schwieg, seufzte tief und verließ die Stube. In ihrer Herzensangst ging sie in den Stall und traf dort den Vetter, der eben vom Felde heimgekommen war. Sie sah ihn traurig an und schüttelte den Kopf. Hans fragte, was ihr wäre, und sie erwiederte: »Ich bin betrübt über meine Tochter. Nicht nur daß sie unglücklich heimgekommen ist — sie ist auch bös heimgekommen. Wenn ich etwas sag' und ihr einen guten Rath geben will, fährt sie mich an wie rasend. Als ob ich eine Schlechtigkeit von ihr verlangte! Guter Gott, wer hätte das gedacht! Wer hätte geglaubt, daß ich noch so was erleben müßte!« Hans fragte, um was es sich denn eigentlich handle, und die Mutter, die ihr Herz erleichtern mußte, erzählte ihm den ganzen Auftritt mit Christine, indem sie nur in Bezug auf ihn die zu seiner Ehre nöthigen, schmeichelhaft klingenden Veränderungen anbrachte. Allein das fruchtete sehr wenig. Hans war bei ihrer Erzählung braunroth geworden und ein Blitz zuckte aus seinen Augen. Es kostete ihn Gewalt, den Zorn hinunterzudrücken, den er empfand; aber es gelang ihm und er entgegnete mit einer gewissen Ruhe: »Die Christine hat Recht gehabt. Mit uns beiden ist's aus. Je freundlicher sie gegen mich wäre, um so weniger möcht' ich sie, und Ihr würdet mich dann nicht lang mehr bei Euch sehen.« — Die Mutter sah ihn tief betroffen an und rief: »Kann's denn wahr sein! ist wirklich alle Lieb' vergangen in dir?« — »Alle,« erwiederte Hans mit[S. 234] Nachdruck. »Und ich muß Euch nur sagen, Base, auch mir wär's lieb, wenn Ihr davon nicht mehr reden wolltet.« — »Ach,« rief die eben so von der Liebe des Hans wie von der Schönheit ihrer Tochter überzeugte Frau in ihrer Noth, »ich kann's nicht glauben, daß es dir ernst ist! Geh weiter! Mit der Zeit —« — Aber nun sah Hans, dem die Stirnader schwoll, mit einem Gesicht auf sie, daß sie schleunig rief: »Sei ruhig, sei ruhig! ich will nichts mehr sagen!« — Hans drehte ihr den Rücken zu und ging an eine Arbeit.

Nun war die Reihe zu verzweifeln auch an die Alte gekommen. Wenn die Sachen so standen, dann war alles verloren; die letzte Hoffnung war ihr geraubt und die Schande, die auf sie herabgefallen war, blieb auf ihr sitzen. Ein ehrbarer, vermöglicher Mann, das fühlte sie, meldete sich jetzt schwerlich mehr um ihre Tochter. Einen armen Teufel, einen Liederlichen konnte sie nicht brauchen, um so weniger, als ihr Vermögen im letzten Jahr ohnehin eine ziemlich bedeutende Einbuße erlitten hatte. Und wenn auch einer von der Mittelgattung kam, war zu glauben, daß die »bockbeinige« Christine ihn nehmen würde? — Ihr ganzes Leben war verdorben, durch die Schlechtigkeit eines Menschen, dem sie getraut hatte. Sie konnte nichts dagegen thun, sie mußte ruhig dasitzen und alles über sich ergehen lassen, Schadenfreude, Spott und Verachtung. — Als sie sich das recht deutlich machte, stand ihre Seele, die vor allem auf eitler Ehre Glanz gerichtet war, Folterqualen aus. Sie weinte und wehklagte und rief zu wiederholtenmalen: »Warum muß denn mir's grad so gehen? Warum muß denn ich grad so unglücklich sein?«

Auf diese Fragen gab es eine Antwort, und auch das in moralischen Dingen nichts weniger als fein empfindende Weib kam endlich auf ihre Spur. Nach einer Weile des Zurückdenkens in die Vergangenheit sagte sie sich: »Ja, ja! — hätten wir nicht immer weiter getrachtet, wären wir beim Hans geblieben — hätt' ich selber das Maul aufgethan damals, wie ich's hätte thun können und müssen, dann wär' alles anders jetzt. Wir wären geachtet, wohlhabend und glücklich alle mit einander.« Und nun, in Noth und in Schaden und in der Erkenntniß ihrer Mitwirkung dazu klopfte auch bei ihr das Gewissen an. Es ging ein Licht auf in ihrem Kopf und ein Feuer durch[S. 235] ihr Herz und sie rief: »Ich bin selber Schuld an meinem Jammer, ja ja, ich selber! — ich hab's nicht anders haben wollen!« — Sie stöhnte unter dem doppelten Druck des Unglücks und der eigenen Anklage, und nur in Thränen fand sie einige Erleichterung.

Christine ließ sie weinen. Sie verrichtete die Arbeiten des Tags und schien für nichts anderes mehr Sinn zu haben. Hie und da sah sie zu der Betrübten auf; aber ihr Gesicht verrieth eher Befriedigung als Bedauern. Es war, als ob sie sagen wollte: »Fühl' es nur! Das kann dir nur gut sein, wie es mir gut gewesen ist!«

Der Sonntag kam und brachte einen Besuch. Es war wieder eine Base (deren jede gestandene Person im Ries eine ungezählte Menge hat), zugleich mit der Glauning und mit Hans verwandt, eine Söldnersfrau aus dem Dorf des Holzbauern, die einem Hiesigen Zins bezahlt hatte. Nach geschehener Einweihung in das erlebte Unglück und der Empfangnahme von Worten des Bedauerns und Trostes kam die Rede auf die Angelegenheiten der Freundin, auf ihr Dorf und auf den genannten Bauern, der unter allen durch Reichthum, Verstand, Heftigkeit und Grobheit hervorragte. Frau Hubel (so hieß die Base) erzählte, daß dieser sonst so gescheidte Mann eben je älter, je ärger würde, daß er wieder eine Magd wegen einer kleinen Vergeßlichkeit ausgeschimpft habe »für's Vaterland,« daß die Magd ihm auch »ein rechtes Maul angehängt« habe und davon gelaufen sei. »Und nun,« setzte sie hinzu, »kann er sehen, wo er eine kriegt. Seit einem Jahr ist das die vierte, die er weggejagt hat, und schon ist eine Woche vorbei und noch immer hat er keine. Er kriegt auch keine, sag' ich, wenigstens keine ordentliche.« Christine, die der Erzählung aufmerksam zugehört hatte, erwiederte: »Doch, Base, er kriegt eine, und ich hoff' auch eine ordentliche.« — »Wen denn aber?« fragte die Base verwundert. — »Mich selber,« versetzte das Mädchen. »Ich will zu ihm gehen und mich anbieten, und ich hoff', er wird mich nicht wieder fortschicken. Gleich heute will ich mit Euch nach *** — Ihr werdet so gut sein, mich über Nacht zu behalten.«

Man kann sich denken, welches Staunen diese Erklärung bei der Hubel, welchen Sturm sie bei der Mutter hervorrief. Aber alle Einwendungen und alle Vorstellungen, die man ihr machte, wurden beantwortet[S. 236] und blieben fruchtlos. Das Mädchen sagte zuletzt: »Auf so eine Gelegenheit hab' ich gepaßt, und wenn ich sie jetzt nicht benutzen wollte, wär's eine Sünde.«

In ihrer Aufregung suchte die Alte wieder den Hans auf, theilte ihm ihr Leid mit und rief: »Nun, was sagst du dazu? Was hältst du von diesem neuen Einfall?« — Hans bemerkte ruhig: »Ich find' ihn ganz vernünftig. Wir haben hier nicht auf sie gerechnet und brauchen sie nicht. Da sie aber doch schwerlich mehr in die Stadt heirathet, so wird's gut sein für sie, wenn sie die Bauernarbeit wieder recht lernt; und beim Holzbauern ist sie in der besten Schule.« — »Aber denk nur,« rief die Glauning, »dieser jähzornige Mensch, der nach niemand was fragt! Wenn er in seiner Wuth ist, wird er sie herstellen vor allen Leuten wie ein Bettelmädchen!« — »Bah,« versetzte Hans, »so arg ist's nicht! Und am Ende,« setzte er lächelnd hinzu, »kann's ihr nicht schaden, wenn sie ein bischen unter die Fuchtel genommen wird.«

Frau Glauning schüttelte bedeutend den Kopf, kehrte seufzend zurück und hatte keine Widerrede mehr. Christine packte Wäsche und Kleider zusammen und verließ gegen Abend mit der Base das Haus.

Am andern Morgen ging sie in den großen, stattlichen Hof des Holzbauern. Sie traf diesen vor dem Haus und eröffnete ihm ihr Begehr. Der Bauer, hochgewachsen, breitschultrig, von rothbraunem Gesicht und mit dem Gebiß eines Wolfs, schien von ihrem Aussehen nicht sehr erbaut zu sein und fragte, wer sie wäre. Christine nannte ihren Namen und ihr Dorf. »So,« erwiederte er mit verdrießlicher Geringschätzung, »du bist die? Hab' vorgestern von der Geschichte gehört. — Nun, und du glaubst, du könnt'st wieder eine Bauernmagd abgeben?« — »Ich hoff's, Herr Bosch,« antwortete Christine dem Manne, der schon zweimal an der Spitze seiner Gemeinde gestanden hatte. — »Verstehst du denn die Arbeiten noch?« — »Was man von Jugend auf getrieben hat, verlernt man nicht in einem Winter.« — »Kommt darauf an,« erwiederte der Bauer. Und ihre Hand fassend und betrachtend sagte er: »Das Händle da scheint mir die Arbeit schon recht verg'wöhnt zu haben.« Er drehte sie hin und her und schüttelte mürrisch den Kopf. Das Mädchen konnte nicht umhin zu[S. 237] lächeln. Ihre Hand, die man in der Stadt zu groß gefunden hatte, sollte nun wohl zu klein und zu fein sein. In der des Holzbauers war sie freilich klein; aber das war auch eine darnach, nicht sowohl eine Hand, als eine »Doap« erster Größe. — Doch sie mußte antworten und sagte so ernsthaft als möglich: »Die Hand da wird so viel schaffen als eine andere, und bei Euch, glaub' ich, wird sie bald wieder gröber werden. Uebrigens will ich mich Euch nicht aufnöthigen. Wenn Ihr mich wollt, so versucht's mit mir; steh ich Euch nicht an, so sagt's, und ich geh meiner Wege.« — Die entschlossene Sprache gefiel dem Holzbauern, der ohnehin nicht gemeint war, ein Mädchen, das er so nothwendig brauchte, wieder gehen zu lassen. »Der Teufel!« sagte er, »dein Maul geht ja wie ein Mühlrad. — Nun, probiren will ich's mit dir. — Viel trau ich dir nicht zu, das muß ich dir aufrichtig sagen; aber am End' — No, so komm 'rein zur Bäuerin', da wollen wir den Handel richtig machen.«

Christine ging mit ihm in's Haus, bestand die Prüfung auch der würdigen Ehehälfte des Gewaltigen und war gedungen. Als sie, dem ersten Befehl gehorchend, die Stube verlassen hatte, sagte die Bäuerin: »Eigentlich ist das doch »a rechts Häa'le« (Hühnchen)! Ich glaub' nicht, daß wir die lang haben werden.« — »Wenn's ihr nicht gefällt bei uns,« brummte der Bauer, »dann kann sie meinethalben wieder zum Teufel gehen!«

VII.

Nachdem die Fluth der Ereignisse, wie wir sie im letzten Kapitel zu schildern versuchten, abgelaufen war, trat in dem Leben unserer Personen eine Ebbe ein, die für sie wohlthuend und nöthig war, uns aber als geschichtslose Epoche wenig zu sagen bietet. Das Außerordentliche hatte für jetzt ein Ende gefunden und alles ging seinen gewöhnlichen Gang. Hier und dort wurden die Arbeiten des Frühlings die Hauptsache, und hier und dort sah man seine persönlichen Angelegenheiten durch sie in den Hintergrund gedrängt.

Von dem Frieden, den eine solche Epoche mit sich bringt, genoß übrigens am wenigsten die Wittwe Glauning. Sie mußte zugeben,[S. 238] daß unter den obwaltenden Verhältnissen das Dienen ihrer Tochter eine Auskunft war; aber den gewaltigen Sprung von der Lehrersbraut und künftigen Oberlehrerin zur Bauernmagd konnte sie nicht verwinden, und es war ihr eine ängstliche Sache, das Mädchen, die ihre einzige Freude war, bei dem »Wilden,« d. h. beim Holzbauern zu wissen und sich vorzustellen, wie er sie anfahren und heruntermachen werde.

Zu der Plage, die sie sich mit ihren Gedanken selber anthat, gesellte sich noch eine andere. Das Schicksal der Christine war zu merkwürdig, zu seltsam, als daß in den guten Freundinnen der Mutter und der Tochter sich nicht ein unwiderstehliches Verlangen hätte regen sollen, das Nähere darüber zu erfahren. In den Stunden der Muße kam nun eine um die andere angeschlichen, und den Versicherungen der Theilnahme folgten regelmäßig Fragen, welche die gute Frau sehr inkommodirten. Sie erklärte zwar die Vorgänge durchaus zur Ehre ihrer Tochter; aber was half das? Ein Gesicht wie beim Erzählen eines glücklichen Ereignisses konnte sie doch nicht machen. Und wenn die Freundinnen Christine lobten und hinzufügten: das hätten sie an ihrer Stelle auch gethan, und sie hätte sich benommen wie ein rechtes Mädchen, so klang dies in den Ohren der Mutter lange nicht so gut, als die Ausrufungen und Gratulationen geklungen hätten beim Verkündigen der Nachricht: ihre Tochter sei Frau Lehrerin. — Und wenn gar erst eine von der schlimmen Sorte kam und ein ungläubiges Gesicht machte und eine gewisse Schadenfreude nicht verbergen konnte und von den unschuldigen Fragen zu den spitzigen überging, da wurde die Situation der ehrgeizigen Mutter höchst fatal. Sie konnte nur mit Mühe die Ungeduld ihres Herzens bemeistern; ein paarmal, gegenüber von besonders Zudringlichen, gelang ihr dies nicht und sie mußte sich mit entschieden unhöflichen Antworten helfen. Damit gewann sie aber nichts; die Weiber entschuldigten sich heuchlerisch und lächelten dabei noch viel beglückter als vorher.

Doch die Zeit verging, das Mißgeschick der Familie wurde altmodisch, in einem Bauernhause des Orts gab es ein Aergerniß, das bedeutend von sich reden machte, obwohl es lange nicht so außerordentlicher Natur war, und die Glauning bekam endlich Ruhe. —[S. 239] Christine hatte schon zweimal Grüße geschickt und der Mutter zuletzt noch herunter »verbieten« (entbieten) lassen: sie sei gesund und es gehe ihr gut; der Holzbauer wäre nicht so bös, als man ihn mache, zum wenigsten meine er's nicht so bös, und ihr selber sei alles recht bei ihm. Diese Nachrichten trugen dazu bei, das Herz der Mutter zu beschwichtigen, so daß sie hie und da sogar wieder behagliche Stunden hatte. Sie wußte freilich nicht, was aus ihr und ihrer Tochter werden sollte. Sie wußte nicht, ob Hans gesonnen war, bei ihr zu bleiben, oder was er sonst im Sinn hatte. Der sonderbare Mensch arbeitete weiter, als ob er der Sohn des Hauses wäre. Er hatte von dem Ankauf des Gutes nicht mehr gesprochen, sagte überhaupt sehr wenig und wollte offenbar nicht gefragt werden. Aber konnte er nicht jeden Augenblick zu ihr kommen und sagen: er hätte nun eine gefunden, die ihm passe, er wolle heirathen und müsse nun entweder sein Geld oder das Gut haben? Diese Unsicherheit der Zukunft hatte nichts Tröstliches, aber vor der Hand war dem Herzen doch eine wirkliche Last abgenommen, und ein's in's andere gerechnet, konnte man sich in sein Schicksal ergeben. Die Wittwe nahm sich ein Beispiel an dem Vetter, und so hauste man zusammen weiter und ließ es, auf gut deutsch und auf gut ländlich, gehen, wie's eben ging.

An einem Sonntag in der zweiten Hälfte des Mai kam unerwartet eine Einkehr, in der Person der Base Hubel. Diese gehörte zu den Weibern, die gerne Neuigkeiten einsammeln und verbreiten, und deswegen auch öfter über Land gehen, wenn sie gerade Zeit und dem Mann gegenüber einen Vorwand haben. Diesmal hatte sie im Dorf eigentlich nichts zu thun; sie wollte nur erzählen und hören, und sehen, wie's bei der Glauning stehe. Zunächst richtete sie recht schöne Grüße von Christine aus. Auf Befragen der Mutter, was diese mache und wie ihr das Dienen anschlage, legte sie ihr Gesicht in bedenkliche Falten und bemerkte: »Ja, da wär' viel zu sagen! 'S geht ihr eben recht hart bei dem Menschen, recht hart!« — »So?« erwiederte die Mutter. »Aber sie hat mir ja sagen lassen, sie sei wohl zufrieden?« — »Ja seht, Base, das ist eben zum Verwundern. Sie selbst thut, als ob ihr nichts zuviel und alles recht wär'. Sie schafft mehr als die andern, und besser. Aber anstatt nun ein Einsehn zu[S. 240] haben und sie zu schonen, verlangt der alte Bär immer mehr von ihr, und wenn sie »in der Acht« (unversehens) ein kleines Fehlerle gemacht hat, schnurrt er sie an. 'S ist grad, als wenn der Teufel in ihn gefahren wär'! Eine andere wär' schon lang davongelaufen. Aber wenn die Christine noch so meint, es müßt' sein, sie wird doch auch nicht bleiben können: sie macht's nicht aus auf die Läng'.« — »Du lieber Gott!« rief die Mutter, »was sind das für Sachen! Aber wie steht's denn mit ihrer Gesundheit? Wie sieht sie denn aus dabei?« — »Wie wird sie aussehen, Base! Wie man eben aussieht, wenn man alles thun muß! Mager ist sie und »schwarz« (braun) und gelb im Gesicht.« — »Meine Christine!« rief die Alte, wie von einer Schlange gebissen. »Aber das kann so nicht fortgehen, sie kann's nicht aushalten, und ich darf's nicht leiden.« — »Das hab' ich ihr auch gesagt, erst heut früh noch. Mädle, hab' ich gesagt, das kannst du nicht prästiren, du bist's nicht gewohnt und du schaffst dir die Schwindsucht an den Hals. Wenn du deinen Sinn nicht ändern und mit Gewalt dienen willst, so such dir wenigstens einen andern Platz; 's giebt ja bessere. Aber was hat sie mir darauf gesagt? Grad der Platz ist mir recht und grad da will ich bleiben!«

»Da seh eins den eigensinnigen Kopf! Guter Gott! 's ist ja grad, als ob sie sich expreß zu Grund richten wollte?« Und die unglückliche Mutter wendete sich zu dem Vetter, der am Ofen »Speikel« schnitzte zum Festmachen einer Hacke am Stiel, und rief: »Nun, Hans, was sagst denn du zu der Neuigkeit? Soll ich das dulden? Ist's nicht meine Schuldigkeit, sie mit Gewalt von dem Menschen wegzubringen?« — »Base,« erwiederte Hans nach kurzem Besinnen, »Ihr wißt, daß ich nicht gern in anderer Leut' Sachen rede; aber weil Ihr mich gefragt habt, will ich Euch doch meine Meinung sagen. Daß man sich die Schwindsucht an den Hals ärgert, mag sein, zum wenigsten sagt man so; aber daß man sie sich an den Hals schafft, hab' ich noch nie gehört. Ich glaub' auch nicht, daß es mit dem Aussehen der Christine grad so arg ist, wie's die Bas Hubel macht. Die Bas red't manchmal gern ein Bischen mehr, als an der Sach' ist; und natürlich, wenn man über zwei Stunden Wegs macht, um etwas zu erzählen, so muß es doch auch der Müh' werth sein.«

[S. 241]

Hier verzog die Hubel bedeutend die Oberlippe; Hans aber, ohne sich daran zu kehren, fuhr fort: »Runde und rothe Backen muß man grad nicht haben, sonst wär's bös für viele Leut' in der Welt. Im Uebrigen ist die Christine ein Mädchen, die ihren Verstand hat und selber am besten wissen muß, was sie vertragen kann; ich mein' also, daß Ihr sie lassen sollt, wo sie bleiben will.« — »Geh weiter!« rief die Hubel, »du bist mir auch der rechte geworden! Wenn das die Christine hörte, daß du dich jetzt so gar nichts mehr um sie bekümmerst, dann thät' sie's kränken, recht in der Seel' kränken, das kann ich dir sagen.« — »Ich glaub's nicht,« erwiederte Hans, der unterdessen aufgestanden war; »übrigens müßt' ich's mir gefallen lassen, ich kann mich nicht anders machen, als ich bin.« — Dann verließ er die Stube und hämmerte draußen die Speikel ein. Die beiden Weiber sahen sich an und schüttelten den Kopf. »Wer hätte das geglaubt?« rief die Hubel. Und die Glauning jammerte: »Alle sind verhext! Ist das ein Elend!«

Manches wurde noch hin und her geredet. Endlich rüstete sich die Base zum Aufbruch und fragte, was sie der Christine sagen solle. »Sie soll sich schonen,« rief die Glauning eifrig; »und wenn ihr's der »Unmassel« zu arg macht, soll sie zu ihrer Mutter kommen. Das sag ihr!« — »Sagen will ich ihr's,« versetzte die Base; »aber ich sorg', es wird nichts helfen.«

Und es half nichts. Christine hörte es, dankte der Base — und blieb. Gelegentlich ließ sie der Mutter sagen: sie werde das Schaffen immer mehr gewöhnt, und man solle doch ja keine Sorge haben um sie.

Mehrere Wochen gingen vorüber. Die Glauning war wieder ruhiger geworden, da sie nichts Besonderes von ihrer Tochter erfuhr, und ihr Herz hatte sich wieder einigermaßen der Lebensfreude geöffnet. Nun brachte aber das Schicksal eine andere, stärkere Prüfung an sie. An einem Sonntag in der Heuernte kam ein Besuch von ***, der sich mit einem Gruß der Hubel einführte. Es war eine Nachbarin derselben, etwas verwandt mit ihr, weswegen sie auch die Glauning sofort mit dem Titel Frau Base anredete. Als die letztere nach den ersten Höflichkeiten und nachdem sie ein gutes »Vorbrod« auf den[S. 242] Tisch gesetzt hatte, die Frau genauer ansah, merkte sie an einer gewissen bedenklichen Ernsthaftigkeit derselben alsbald, daß sie etwas Neues bringen werde von Christine, aber nichts Gutes. Sie erkundigte sich etwas kleinlaut, was ihre Tochter mache, und ob sie's noch aushalte in ihrem Dienst. »Noch immer, Frau Base,« war die Antwort; »aber ich kann's Euch wohl sagen, 's wundert sich alle Welt drüber.« — »Wie so?« fragte die Glauning; »wird sie noch alleweil so hart gehalten?« — »Frau Bas,« erwiederte die Andere, »ich hätt' mir nicht getraut zu erzählen, was vorgefallen ist; aber die Bas Hubel hat gesagt, weil ich hier grad etwas zu thun hätt', sollt' ich zu Euch gehen und Mittheilung machen, denn Ihr müßtet's wissen.« — »Guter Gott,« rief die Mutter, »was werd' ich wieder hören müssen!«

Und die Andere begann: »Wie Eure Christine, die's doch wahrhaftig nicht nöthig hätt', alles thun muß beim Holzbauern, wie er ihr mehr aufhängt als andern, und wie sie auch wirklich mehr schafft als andere, das wißt Ihr schon; 's ist zum Verstaunen! Da ist nun »vodertags« (vorgestern) zum »Häat« (Heuernte) schön's Wetter kommen, und der Bauer ist wieder gewesen wie der »Massich« und hat gemeint, alles müss' auf einmal drin sein. Er hat gethan und gewirthschaftet auf der Wies, daß »a Graus« gewesen ist. Am Himmel ist a Wölkle gestanden, ganz klein und unscheinbar; aber er hat doch gesehen, das könnt' ein Wetter geben, denn gescheidt ist er, das muß man ihm lassen. Wie nun ein Fuder heimgefahren und die Christine mitgegangen ist zum Abladen, hat er ihr noch nachgerufen, sie sollt' des Nachbars Wagen »verdleihen« (entlehnen) und rausschicken. Nun, wie's einem eben geht — entweder hat sie's nicht recht verstanden oder sie hat's vergessen — du lieber Gott, was passirt einem nicht in der Unmuß', wenn alles auf einen hineinschreit? Die Bäuerin hat auch noch schnell was haben wollen von ihr, und wenn die red't, muß auch gleich alles laufen und springen; kurz, der Bauer wartet und der Wagen bleibt aus, aber das Wetter kommt am Himmel rauf. Da hättet Ihr den Mann sehen sollen! Reingelaufen ist er wie »wüadeng« (wüthend), und wie er erst vom Nachbar gehört hat, daß der Wagen gar nicht bestellt worden ist, da ist's gar aus gewesen. Herrgott, Frau Bas, wie hat der die Christine hergestellt! Ich bin grad am Hof[S. 243] vorbei gegangen und stehen geblieben; mein Lebtag hab' ich keinen Menschen so lästern hören. »Du dummes Thier! Du einfältiger Mensch! Bist »do'sohrad« (taub), he'! oder denkst an dein' Schulmeister, wann ich was sag'? Ich hätt' n' guten Lust und nähm' die Karbatsch und thät' dir die Gedanken austreiben, daß sie deiner Lebtag nimmer kommen.« — Ach, Frau Bas, ich will nicht sagen, was er alles noch geschrieen hat. 'S ist so arg gewesen, daß die andern Ehehalten ganz blaß dagestanden sind und ordentlich verstarrt, und zuletzt auch die Bäuerin gerufen hat: »Jetzt sei still einmal und schäm dich vor den Leuten. Geschehen ist geschehen!««

Die Mutter war bei den Schimpfreden, womit ihr Kind befleckt worden, von der Bank aufgesprungen mit einer Miene, als ob sie das Schrecklichste vernommen hätte, und sogar die uns bekannte pflanzenruhige Taglöhnerin, die hinter dem Ofen gestrickt hatte, war herbeigeeilt. »Das ist meiner Tochter passirt?«, rief die Alte zitternd vor Entrüstung, »meiner Christine? und sie hat dem Schandmenschen nicht augenblicklich den Dienst gekündigt und ist auf und davon gegangen?« — »Jede andere hätte das gethan,« versetzte das Weib, »keine hätte sich das gefallen lassen.« — »Ich wahrhaftig auch nicht,« rief die Taglöhnerin, deren Backen sich gefärbt hatten, ordentlich aufgebracht. — »Die Christine,« fuhr die Erzählerin fort, »hat sich's gefallen lassen und ist geblieben. Zuerst ist sie bestürzt gewesen und hat ihn mit großen Augen angesehen. Je mehr er aber gewüthet hat, je ruhiger ist sie geworden; und wie er endlich aufgehört hat, weil ihm ganz der Schnaufer ausgegangen ist, da hat sie gesagt: »Herr Bosch, ich seh's ein, ich hab' gefehlt. Verzeiht mir's — es soll nimmer geschehen.«« — Die Glauning war empört. »Das hat meine Tochter gesagt?« rief sie. »Mit der muß was vorgegangen sein. Es ist nicht anders möglich — bei der ist's nicht mehr richtig im Kopf!«

Das Gesetz der Schwere, wie man weiß, gilt in der geistigen Sphäre so gut wie in der materiellen. Die Schwäche gravitirt nach der Stärke; wer außer sich ist, strebt zu dem Festen und Gefaßten hin und klammert sich an ihn an, und zwar zunächst ganz instinktmäßig, ohne alle Reflexion und trotz aller Anprallungserfahrungen,[S. 244] die man gemacht hat. — Diesem Instinkt zufolge suchte die Glauning den Vetter auf; sie traf ihn im »Emmenstand« und erzählte ihm die Geschichte. Der Bursche horchte mit großem Ernst und die Mutter, die hierin Uebereinstimmung mit ihren Gedanken erblickte, schloß mit den Worten: »Nun wirst du mir doch Recht geben, wenn ich's nicht mehr leide, daß sie noch länger bei dem Menschen dient? Gleich morgen in der Früh' geh ich hin und nehm' sie mit nach Haus.« — Hans, nach kurzem Schweigen, versetzte: »Wenn sie nun aber nicht mitgeht?« — »Nicht mitgehen?« rief die Mutter. »Das will ich doch sehen, ob ich über mein Kind keine Gewalt mehr hab'. Sie muß mit!« — »Base,« fuhr Hans fort, »übereilt Euch nicht und macht überhaupt die Sache nicht ärger als sie ist. Wenn man Heu hereinbringen will und durch den Fehler eines Dienstboten wird's verregnet, so ist das für einen Bauern eine sehr ärgerliche Sach'. Der Christine hat was gehört, und wenn der Bosch es ihr nicht geschenkt hat, so ist das begreiflich.« — »Aber so rasend, so abscheulich thun« — — »Das will ich gar nicht loben,« versetzte Hans. »Aber kennt man den Holzbauern denn nicht? Wenn der zornig wird, ist's grad, wie wenn ein Wetter ausbricht. 'S geht nicht anders, es muß raus aus ihm, er kann sich nicht anders helfen, und darum kann man's ihm auch nicht so übel nehmen wie andern Leuten. Das wird sich die Christine wohl auch gedacht haben und drum ist sie geblieben.« — »In einem Haus, wo man einen so schandbar behandelt hat,« erwiederte die Glauning mit dem Ausdruck der Entrüstung und Geringschätzung, »da bleibt man nicht mehr, wenn man ein ordentliches Mädchen ist. Und die da, die zu mir gesagt hat, daß man vor allem seinen Charakter und seine Ehr' behaupten müss' in der Welt — die will sich so was gefallen lassen!« — »Sie wird eben unter Charakter und Ehr' etwas anderes verstehen, als Ihr, Base.« — »Meinetwegen!« rief die Mutter, erzürnt darüber, den Burschen gegen ihr Vermuthen auch diesmal im Widerspruch mit sich zu finden. »Ich leid's einmal nicht, daß sie noch dort bleibt. Und ich geh hin und hol' sie und mit Gewalt nehm' ich sie mit mir!« — »Ihr kennt Eure eigene Tochter nicht,« rief Hans mit Nachdruck. »Ich sag' Euch, sie geht nicht mit Euch!« — »Das wird sich zeigen, — ich[S. 245] thu's nicht anders und setz' alles in Bewegung.« — »Dann, Frau Base,« rief Hans mit strengem Gesicht, »dann macht Ihr einen thörichten Streich und kommt doch nicht zu Eurem Zweck. Die Christine, das könnt Ihr nun wohl sehen, hat sich was in den Kopf gesetzt und läßt sich nicht davon abbringen; und ich für meine Person, ich denk', ich kann's errathen. — Bah,« fuhr er mit einem eigenen Lächeln fort, »an einem Schimpfwort stirbt man nicht — namentlich wenn man nicht ohne Schuld ist, und je mehr man aushalten lernt, desto besser ist's.« — »Aushalten!« rief die Glauning; »Schande soll niemand aushalten.« Aber nun wurde Hans aufgebracht. »Base,« rief er, »ich will Euch meine Meinung rund heraus sagen. Ihr seid eine eitle Mutter und wollt nichts als Ehr' haben und flattirt sein und prangen mit Eurer Tochter. Euer Prangen ist Euch aber schlecht bekommen bis jetzt. Wer weiß, wer weiß, ob nicht Euch so gut als Eurer Tochter die Schande gesünder ist.«

Die Alte war von diesen Worten getroffen — und entwaffnet. Sie ging niedergebeugt ins Haus zurück und sagte zu sich selber: »Der ist nun auch ein Satan geworden. — O ich unglückliche Mutter!« — Als die neue Base Abschied nahm, erhielt sie keinen andern Auftrag, als der Christine zu sagen, sie solle doch ja heimkommen oder in einen andern Dienst gehen und nicht mehr bei dem Menschen bleiben; es wär' ja ein Schimpf und eine Schande für die ganze Freundschaft.

Die Mahnung hatte aber denselben Erfolg wie die erste. Christine blieb und ließ bei Gelegenheit herunter sagen, es sei Alles wieder in Ordnung und Alles vergessen.

Mit der Satanschaft, welche die Glauning dem Vetter beilegte, war es freilich nicht weit her. Ich glaube, daß es an der Zeit ist, die Leser nun ein wenig mehr in das Herz des Burschen blicken zu lassen, damit sie das Verhalten desselben vollständiger begreifen und würdigen können.

Hatte die Natur den Hans nicht zu einem Satan bestimmt, so war er doch eben so wenig zu einem sogenannten »guten Menschen« geschaffen, d. h. zu einem, der aus Schwäche gegen andere und ihre Prätensionen die Pflichten verletzt, die er gegen sich selber hat. Unser[S. 246] Freund sollte werden, was man auf dem Land einen rechten Mann — einen Ehrenmann nennt. Zu einem solchen gehört die Güte und die Großmuth, die in seinem Wesen lag, als nothwendiges Element, aber eine Güte und eine Großmuth, die weiß, was sie will, und sich nicht beikommen läßt, mit ihren Vorzügen den eiteln Trieben der Welt zu dienen. Die Lehre, die ihm das Schicksal gegeben, war nicht fruchtlos geblieben; er hatte etwas profitirt von seinem Leid und sich ein Benehmen vorgezeichnet, das er streng einhalten wollte. Er hatte sich vorgenommen, sich selbst höher zu achten, nicht zu thun, was andere, sondern was er selber für gut ansah, und den größten Schatz, den er besaß, nimmermehr an ein Wesen zu verschleudern, das seiner nicht werth war.

Als die Glauning ihm den Brief mittheilte, worin Christine das Auseinanderkommen mit Forstner meldete, war er zuerst hoch überrascht; denn auch er hatte an einen solchen Ausgang nicht mehr gedacht. Das Benehmen und die Ausdrücke des Mädchens gefielen ihm; er freute sich, daß sie den Menschen, dem er freilich nie recht getraut, nach Verdienst behandelt habe; er freute sich an ihrem Stolz und daß sie sich achtungswerther zeigte, als er von ihr erwartet. Zugleich hatte er aber ein Gefühl der Genugthuung, und er unterdrückte es nicht. Sie war gestraft — er gerechtfertigt. Sie hatte erfahren, wie viel mehr ein braves Herz werth ist, als ein glattes Gesicht, und das war ihr gut und heilsam. Sie hatte das Schicksal, das sie gewollt — sie mußte es hinnehmen.

Die Rückkehr des Mädchens änderte seine Empfindung in etwas, aber nicht in der Hauptsache. Ihr Aussehen, die Folge der erduldeten Krankheit, regte sein Mitleid an; er fühlte, wie es ihr zu Muthe sein mußte, und bedauerte sie von Herzen. Indem er überlegte, wie er sich gegen sie benehmen sollte, hielt er es in jeder Hinsicht für das Beste, sie mit Fragen ganz zu verschonen und zu thun, als ob nichts vorgefallen wäre. In seinem Herzen mußte freilich auch er sich fragen: was soll aus ihr werden? was soll am Ende aus uns allen werden? Er fühlte das Bedenkliche und Aengstliche des gegenwärtigen Zusammenlebens und dachte darüber nach, wie es allenfalls geändert werden könnte. Aber die Auskunft, die andern eingefallen war und die in[S. 247] jenem Bauernhause den Streit zwischen Knecht und Tochter hervorgerufen hatte, stellte sich nicht einmal als Möglichkeit vor seine Seele. Ein Mädchen aus Mitleid zu heirathen und gar die Untreue zu belohnen mit dem Besten, was er hatte, das war nicht die Sache unseres Burschen. — Er konnte vergeben und vergessen, er konnte Freund und Vetter sein, er konnte Hülfe leisten und Wohlthaten erzeigen; aber Christine zum Weib zu nehmen, wär' ihm jetzt nicht eingefallen, auch wenn er sie noch geliebt hätte. Er verlangte von der Seinen, daß sie ihm in Lieb' und Treue anhänglich sei und ihn zu schätzen wisse nach Verdienst. Und wenn er auch aus der Noth eine Tugend machte, wenn er eine nahm, die er selber nicht liebte, wie er Christine geliebt hatte, dann mußte es doch eine sein, die ihn gern und an ihm ihre Freude hatte und die ihn höher achtete, als jeden andern in der Welt.

Daß ihn bei dieser Gesinnung die Erzählung der Mutter von ihrem Streit mit der Tochter, d. h. die Ansicht und die Hoffnung der Alten selbst, wie verzuckert sie ihm präsentirt wurde, empören mußte, leuchtet ein. Er empfand eine solche Wuth in seinem Herzen, noch einmal für den Gutgenug gehalten zu werden, daß er ein ungewöhnliches Zucken in seiner Rechten verspürte und die größte Anstrengung nöthig hatte, gegen die »dumm unverschämte Zumuthung« nicht loszuplatzen. Dagegen was ihm von den Reden der Christine mitgetheilt wurde, gefiel ihm und er freute sich ihrer »Einsicht.«

Seinen ganzen Beifall hatte der Entschluß des Mädchens, als Magd zu dienen. Die Fragen, die ihn belästigten, fanden damit ihre Erledigung und das gegenwärtige bängliche Beisammensein ein Ende. Er mußte sich sagen, daß in Christine doch ein Geist wohne, der nach mehr aussehe, als er ihr bisher zugetraut hatte. Es war ihm recht, daß sie gerade zum Holzbauern kam, und er rechnete es ihr als Tugend an, daß sie ihn nicht scheute. »Bei dem,« sagte er zu sich selber, »ist sie am rechten Platz, um das Frauenzimmer ganz wegzucuriren und wieder etwas nutz zu werden für das Dorf.«

Die Berichte, die nach einander von den zwei Basen gemacht wurden, konnten seine Achtung vor ihr nur erhöhen und seinen innerlichen Beifall nur verstärken. Er überzeugte sich, daß Christine einen[S. 248] Zweck habe, so zu handeln, und er glaubte ihn zu kennen. Da es nun gerade nicht nöthig ist, Philosoph oder Theolog zu sein, um zu wissen, daß eine unter gewissen Umständen, mit Fleiß und aus guten Gründen erduldete Beschimpfung keine Schande, sondern vielmehr Ehre bringt; da es zu dieser Einsicht genügt, nur kein Geck zu sein und das Herz auf dem rechten Fleck zu haben, so konnte Hans auch bei der zweiten Meldung nicht mit der Entrüstung und dem Lamento seiner Base harmoniren. Nachdem er dieser seine Meinung gesagt und in der Einsamkeit das Vernommene wieder überdacht hatte, rief er im Gegentheil zufrieden für sich hin: »Bravo!«

Man würde unsern Freund mißverstehen und ihm Unrecht thun, wenn man glauben wollte, die Achtung, die er empfand, sei der Art gewesen, daß sie in natürlicher Steigerung zum Wiederaufleben seiner Liebe führen mußte und nicht mehr weit davon entfernt war. Er fühlte Respekt vor dem Respektabeln, er freute sich an dem Erfreulichen — nichts weiter. Alte Liebe rostet nicht, sagt das Sprüchwort; aber gerade bei den liebefähigsten Menschen kann sie unter Umständen doch etwas rostig werden. Die liebefähigsten sind nämlich in der Regel auch die liebeklarsten und fühlen und wissen, daß an der Geliebten eben ihre Liebe die höchste und schönste, d. h. die liebenswürdigste Eigenschaft ist. Wenn diese ihre Liebe nun dahinschwindet oder als bloßer Schein erkannt wird, dann schwindet für einen solchen Menschen eben das Höchste, das Licht und Leben der Schönheit hinweg, und die Flamme, die von der Anschauung dieses Höchsten genährt war, muß zu Boden sinken.

Unser Bauernbursche hatte treu geliebt in Hoffnung, wenn auch anfangs mit schüchterner Hoffnung; er hatte verziehen und wieder geliebt, als er in der Geliebten Reue und Liebe zu sehen glaubte; er hatte das Leid der unglücklichen Liebe im Grund seines Herzens durchgelebt und überwunden. Damit war's aber auch zu Ende.

In seiner jetzigen Gesinnung und in der Freude, daß eine Jugendfreundin, eine Verwandte von ihm sich so über Erwarten hielt, hätte er übrigens der Christine gern seinen Beifall kundgegeben und sie dadurch in ihrer Handlungsweise bestärkt; aber das ging unter den bestehenden Verhältnissen nicht an. Da bot ihm der Zufall unverhofft[S. 249] eine Gelegenheit, für sie doch gewissermaßen etwas zu thun und zugleich, einem alten Grolle genügend, sein Müthchen zu kühlen.

Eines Sonntags nach Tisch begab er sich nach Oettingen. Er hatte dort Einkäufe zu machen, ging hin und her und stärkte sich endlich durch ein Maß kühlen und kräftigen Sommerbiers. In rüstiger Stimmung und etwas unternehmungslustiger als vorher trat er aus der Wirthsstube auf die Straße. Kaum war er ein paar Schritte gegangen, als er von weitem eine Gestalt erblickte, die ihm bekannt war. Seine Augen täuschten ihn nicht, denn er hatte gute Augen — es war der Mann, der ihm sein ganzes Leben verdorben — der, welcher ihm das Liebste abwendig gemacht und es dann gekränkt und unwürdig behandelt hatte: es war der Lehrer Friedrich Forstner, der in Begleitung eines andern ihm entgegenkam. Als er ihn erkannte, so daß er nicht mehr zweifeln konnte, fuhr ein Zorn und ein Geist der Rache in ihn, der für den Menschen, der ihm sein Glück gestohlen, eine exemplarische Züchtigung verlangte. Allein er hatte Zeit zu überlegen; eine andere Stimme ließ sich in ihm hören und er sagte sich unmuthig und geringschätzig: »Ich kann's ihm nicht machen, wie er's verdient — der Kerl blieb' mir in der Hand.« Das gute Glück hatte gleichwohl eine Art Genugthuung für ihn bereit. Forstner war mit seinem Begleiter — seinem künftigen Schwager Dobler — in eifrigem Gespräch; er erkannte den Hans nicht und sah nur im Allgemeinen, daß ein Bauernbursche auf ihn zukam. Von einem Gönner, den er besucht hatte, besonders freundlich behandelt, fühlte er sich noch etwas höher als gewöhnlich, und daß nun ein Bauernbursche, wenn er ihm begegnete, mit Respekt auf die Seite treten müsse, das verstand sich von selbst. Hans aber ging fest und gerade auf ihn zu; er wich, im Gefühl der Gleichheit, nur zur Hälfte aus, Forstner im Bewußtsein des Höherstehens gar nicht, und so stießen sie aneinander. Diesen Moment benutzte der Brave, um dem Zierlichen einen Ruck zu geben, daß er und sein Begleiter drei Schritte weit auf die Seite flogen und sich mit Mühe auf den Beinen hielten. Dobler raffte sich zuerst auf und rief zornig: »Was ist das für ein unverschämter« — — Aber Forstner hielt den Vordringenden bei der Hand zurück und rief ihm ein gedämpftes, warnendes »Ruhig« zu. — Er hatte den Vetter erkannt,[S. 250] sein Gewissen hatte sich gerührt und seinen Muth beschwichtigt. — Hans richtete seinen Kopf stolz empor und fragte: »Ist den Herren was gefällig?« Es mußte ihnen wohl nichts weiter gefällig sein, denn sie wichen der »brutalen Gewalt« und gingen ruhig weiter. Der Sieger schritt befriedigt und in männliche Gedanken verloren vorwärts. Plötzlich stieß er wiederum an und eine gewaltige Baßstimme rief: »Kreuzmillionen, was ist denn das?« Er sah auf, erkannte den stärksten Burschen seines Dorfs, lachte gutmüthig und sagte: »Nichts für ungut, Bruder, ich bin in Gedanken gewesen!« — Der Stattliche, wieder begütigt, sagte mit Achselzucken: »Du bist aber »ebbes« in Gedanken! Will das gar kein End' nehmen?« — Unser Freund hätte zur Erklärung gern sein kleines Abenteuer erzählt; er fühlte aber, daß es ihm nur unliebsame Bemerkungen zuziehen würde, und schwieg und sprach auf dem Heimweg mit dem Kameraden nur über Gegenstände des Feldbaus.

Die Zeit der Ernte kam heran und gab auch im Hause der Glauning vollauf zu thun. Es war sehr heiß diesen Sommer, man hatte viel auszustehen beim Schneiden und Sammeln; die Beschwerden der Mutter wurden aber dadurch noch vermehrt, daß sie sich die Leiden der Tochter vorstellte. »Gott,« rief sie einmal aus, als die Sonne gewaltig niederbrannte, »wie wird es meiner Christine gehen! Die schwindet mir ganz zusammen diesen Sommer und wird alt vor der Zeit!« — Hans, dem sie diese Worte zu Gehör geredet, lächelte und schwieg. Die Alte fuhr fort: »Wie sie wieder heimgekommen ist von der Stadt, bin ich froh gewesen, daß ich ihre Bauernkleider und sonstige Ausstaffirung nicht verkauft gehabt hab', denn ich dacht' mir: wer weiß, was geschieht! Aber jetzt, wenn sie so zusammengeht, wie ich höre, kann sie die Sachen ja doch nicht brauchen, und es wär' gescheidter gewesen, ich hätt' sie weggegeben.« — Hans zuckte die Achseln; dann sagte er: »Was der Sommer nimmt, das bringt die Winterszeit wieder. Wenn's kühl wird und die Arbeit nicht mehr so scharf geht, dann wird sie schon wieder runder werden, Eure Christine. Und dann wird auch gewiß bald ein Hochzeiter da sein. Wenn sie ein Jahr beim Holzbauern gedient hat, dann hat sie die Prob' gemacht, und dann werden Bursche, die ein sauberes und fleißiges Weib[S. 251] suchen, von allen Seiten kommen. Verliert den Muth nicht, Base! Solche Mädchen bleiben nicht übrig im Ries!« — Ein tiefer Seufzer war die Antwort. Die Wittwe hatte ihre frühere Sicherheit ganz verloren; sie konnte nicht mehr glauben an ein Glück, und die Worte des Hans, die ihr wie Spott klangen, waren nicht geeignet ihren Geist aufzurichten.

Mühevoll — denn auf die heißen Tage folgte noch Regenwetter — und freudlos — denn sie wußte nicht, für wen sie sich eigentlich so plagte — ging die Erntezeit für die Glauning vorüber. Als die Feldfrüchte, auf die es hauptsächlich ankam, im Stadel gesichert waren, hatte sie doch wieder eine frohere Empfindung. Sie berechnete, daß sie vorwärts kam in diesem Jahr und von dem Ausfall des letzten etwas zu decken vermochte, und so etwas muß einer Person, die von Kindesbeinen an auf's »Hausen und Sparen« gerichtet wird und nur durch die Ehre zu außergewöhnlichen Ausgaben vermocht werden kann, immer wohl thun.

An einem Sonntag im September, nach dem Essen, saß die Gute mit Hans an dem abgedeckten Tisch. Sie hatten eben zusammen eine Geldzählung vorgenommen, die zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen war, und erfreuten sich daher einer Stimmung, in der sie eine gemüthliche Ansprache hielten. Die Wittwe hatte dem Vetter eben wieder bedeutendes Lob gezollt, als die Thüre aufging und mit den Worten: »Grüß euch Gott miteinander!« die Hubel in die Stube trat. Ihr Aussehen fiel dem Burschen im ersten Moment auf. Sie war nicht nur vergnügter als gewöhnlich, sondern zeigte auch eine eigenthümliche Feierlichkeit, wie eine Person, die sich bewußt ist, etwas in der Hand zu haben. Nach den ersten allgemeinen Fragen und Antworten rief die Glauning gastfreundlich: »Dasmal muß ich aber der Bas einen Kaffee machen — ich thu's nicht anders!« — Die Hubel versetzte: »Ich hab' nichts dagegen; denn ich hab' heut' früher gegessen als sonst, von wegen weil ich bald wieder zu Hause sein will, und mir ist's »wäger« (wahrlich) schon wieder »a bisle eitel« im Magen.« — »Der Hans da,« bemerkte die Wittwe, »kann dir unterdessen was Neues verzählen, oder du ihm.« — »Wie's kommt,« erwiederte die Hubel. »Gott sei Dank, jetzt sieht er doch wieder aus, daß man sich[S. 252] ein Wort mit ihm zu reden getraut!« — »Ja,« sagte die Glauning, »ein wenig hat er sich gebessert,« und verließ die Stube.

Sie wollte was Rechtes machen, denn ihre verständige Ansicht war immer: entweder gar keinen Kaffee oder einen guten. Gebrannte Bohnen waren in einem Haus, wo das Kaffeetrinken zu den Ausnahmen gehörte, natürlich nicht vorräthig, und ihr war das lieb; frischgebrannte gaben ein besseres Getränk, und wenn sie ein wenig später fertig wurde, was schadete das?

Freilich dauerte es nun geraume Zeit, bis sie die blanken zinnernen »Kanden« (Kannen) füllen konnte. Als sie diese mit glücklicherweise vorhandenen Schneckennudeln in die Stube trug und auf den Tisch setzte, fiel ihr, die sich bei dem Auftreten der Base nichts Besonderes gedacht hatte, doch das Ansehen des Hans auf. Glänzend saß er da, ein freudiger und ein stolzer Blick ging aus seinen Augen, und noch dazu schien es, als ob er das Vergnügen, das er empfand, gar nicht alles heraus lassen wollte. — Verwundert sah die Wittwe von dem einen zur andern und sagte dann: »Ihr müßt euch ja recht gut unterhalten haben. Seit langer Zeit hab' ich den Hans nicht so hellauf gesehen!« — Dieser nahm sich zusammen und erwiederte: »Man spricht von allerhand. Und die Base da kommt unter die Leute und wird immer was Neues inne.« — »Das ist wahr,« sagte die Hubel, »und »ebbania'« (etwanje, zuweilen) ist's recht gut, wenn man was erfährt, und manchem geschieht ein Gefallen damit, wenn man ihm zu rechter Zeit was sagt.«

Diese Reden und die beiden Gesichter dazu kamen der Glauning seltsam vor. Hatte die Hubel eine ausfindig gemacht, die den Hans wollte, eine schöne und eine reiche — am Ende eine Bauerntochter? Darnach sah er wahrhaftig aus! Und einem Burschen mit seinem Geld und mit dem Lob, das er hatte, konnte auch gar wohl ein solches Glück anstehen. — Ihr Herz war bei diesen Gedanken plötzlich schwer geworden; es kostete sie Mühe, die schickliche Freundlichkeit aufzubringen, mit welcher zum Trinken und Zulangen ermahnt werden mußte. — Nach einer längeren Pause, die mit dem Genuß und Lob des Kaffees ausgefüllt wurde, begann die Wittwe: »Aber nun erzähl' mir doch noch etwas von meiner Christine. Ist sie immer noch so schmal?«[S. 253] — »Stark ist sie nicht geworden,« erwiederte die Base, »aber sie ist gesund und wohlauf.« — »Gott sei Dank!« versetzte die Mutter, »das ist doch das Best'. Und ist derweil nichts mehr vorgefallen mit dem Bauern?« — »Nichts was der Rede werth wäre zu sagen. Du weißt ja, der ist eben, wie ihn unser Herrgott erschaffen hat, und wenn er bös ist, wird er auch wieder gut.« — Die Mutter erwiederte: »Was hilft's, wenn man einem den Kopf herunter gerissen hat und will ihn dann wieder aufsetzen! — Aber was sagt man denn bei euch im Dorf über sie?« — »Nichts als Gutes, Base. Man sieht, wie sie schafft und aushält, und alle ordentlichen Leute schätzen sie und loben sie.« — »Nun, das ist doch ein Trost,« erwiederte die Mutter. Und mit einem Selbstgefühl, das ihrem gedrückten Wesen eine Art Würde verlieh, setzte sie hinzu: »Ein braves Mädchen ist sie eben doch, die Christine. Und wer weiß, am End' gibt's auch für sie noch ein Glück in der Welt.« — Nach kurzem Schweigen bemerkte sie: »Nun sag' ihr aber, sie soll mich endlich einmal besuchen, jetzt, wo die Hauptarbeit doch gethan ist.« — Die Andere schüttelte den Kopf: »Darüber hat sie ihre eigenen Ansichten, Base, ich glaub' nicht, daß sie jetzt schon kommt. Besuch du lieber mich einmal, dann kannst du sie bei mir sehen.« — »Ist das eine Welt jetzt!« rief die Wittwe. »Die Kinder folgen ihrem Kopf und die Alten sollen ihnen folgen! — Nun, ich will sehen.«

Das Gespräch wandte sich andern Gegenständen zu, wobei auch Hans wieder mitreden konnte. Endlich erklärte die Hubel, es sei die höchste Zeit, sie müsse fort. Die Mutter gab ihr die Hand, dankte für den Besuch und trug ihr Grüße an ihre Tochter auf. »Habt auch von mir Dank,« fügte Hans hinzu, »und kommt gut heim.« Die Wittwe sah ihn mit einem Blick an, der wahre Gekränktheit verrieth. »Nun,« sagte sie, »läßt du die Christine nicht auch grüßen? Einen Gruß ist sie doch wohl noch werth, sollt' ich glauben!« — »Meinethalb,« rief Hans, »grüßt sie auch von mir!«

Am Abend ging der Bursche in's Wirthshaus. Der mannhafte Schritt, mit dem er auftrat, das Glück, das aus seinem Gesicht leuchtete, konnten nicht unbemerkt bleiben. »Was Teufel ist denn mit dem Hans?« rief ein junger Mensch an einem Tisch zu seinen Zechgenossen;[S. 254] »der sieht ja aus, als ob er das große Loos gewonnen hätt'!« — »Wird wohl endlich eine gefunden haben, die ihm ansteht,« warf ein anderer hin. »Kannst Recht haben,« versetzte jener Gewaltige, an den Hans in Oettingen in seinen Siegesgedanken angestoßen war. Und mit einer gewissen großartigen Geringschätzung setzte er hinzu: »'S ist doch merkwürdig, was der Mensch auf d'Weibsbilder gibt! So'n Kerl, und läßt sich von der einen traurig und von der andern wieder vergnügt machen! Bah! das könnt' mir einfallen!« — Der erste bemerkte: »'S ist so ein Stiller, der Hans, die sind alle so.« — Und der zweite sagte: »Am End' ist's ihm auch zu gönnen, wenn er eine kriegt nach seinem Sinn. Die Christine hat ihm doch Verdruß genug gemacht.«

Hans war an einem andern Tisch niedergesessen, den etliche nähere Bekannte von ihm in Besitz genommen hatten. Nach dem Naturgesetz, das auf dem Lande wie in der Stadt, in der niedersten wie in der höchsten Schichte der Gesellschaft gilt, muß jeder, der ein auffallendes Vergnügen blicken läßt, geneckt werden. Dieß geschah denn auch unserem Burschen. Fragen wurden gestellt und Vermuthungen geäußert, die sich alle um den vorhin erörterten Punkt drehten. Hans war indeß nicht in der Stimmung ärgerlich zu werden, im Gegentheil, sein Humor stieg in Folge der Angriffe; er duckte einen, der sich ungeschickt dabei benahm, gehörig in's Wasser und bekam die Lacher auf seine Seite. Als er an einem andern Tisch Bescheid that, sagte einer der Bekannten: »'S ist schon richtig, er hat eine! — aber wen?« — Man rieth hin und her, konnte aber nicht schlüssig werden und tröstete sich mit dem Gedanken, daß es jedenfalls wieder eine Hochzeit geben werde und einen lustigen Ansing.

Jeden Tag in der Woche erwartete die Glauning, daß der Vetter im Staat vor sie treten und sagen würde, er müsse über Land gehen; denn ihr saß der Gedanke, der in ihr aufgestiegen war, so fest im Kopfe, wie den Kameraden des Burschen. Als sie sich auch am Donnerstag getäuscht sah, meinte sie: nun wird er am Sonntag gehen. Und in der That, am Vorabend erklärte Hans, er werde morgen über Land — fahren. »Fahren?« rief die Wittwe betroffen. — »Warum nicht?« erwiederte Hans lächelnd. »Der Hiesinger leiht mir seinen[S. 255] Braunen und sein Wägele. Und darf sich unser einer nicht auch einmal ein Plaisir machen?« — »Wegen meiner fahr' du,« entgegnete die Glauning. »Du bist dein eigener Herr und kannst thun was du willst.« — Sie that ihm aber nicht die Ehr' an oder sie hatte nicht den Muth, zu fragen wohin.

Am andern Tag, im Schein der Morgensonne, als der Bursche von ihr Abschied nahm, geputzt wie nochmal einer, der »auf d'Gschau« geht, hatte sie doch so viel Kraft erlangt, mit einer Art von Lächeln zu sagen: »Nun, Hans, ich wünsch' dir viel Glück! Du wirst dir hoffentlich nicht einbilden, daß ich nicht weiß, worauf du ausgehst?« — »Nein,« erwiederte Hans gemüthlich. »Vor Euch kann man sich nicht verstellen, Base — und ich versuch's auch nicht. Was wollt Ihr? einmal muß man doch dran!« — Er gab ihr die Hand und verließ mit kräftigen Schritten den Hof. Die Base sah ihm nach. »Wie sicher er seiner Sach' ist!« dachte sie. »Nun, wenn er ein Glück macht, ich muß es ihm gönnen — allein um mich hat er's verdient.« Diese Gedanken konnten aber doch nicht bewirken, daß sie sich über sein Glück freute; im Gegentheil, sie hatte ein Gefühl, als ob ihr der letzte Rest des ihrigen genommen würde.

Hans ging zu dem Bauer, den er Hiesinger genannt. Das Wägelchen stand im Hof, aber der Gaul wurde noch gefüttert. »Mach' »fürsche« (vorwärts),« rief der Bauer dem Handknecht mit Laune zu, »und spann an! In solchen Geschäften will man bald an Ort und Stelle sein.« — Einige Minuten später, und Hans fuhr im Trab durch's Dorf. »Aha,« rief einer von seinen Kameraden, der ihn sah, »nun werden wir's bald inne werden!«

Wenn die Glauning gesehen hätte, in welchen Weg der Bursche einlenkte, dann hätte vielleicht ihr Herz zu klopfen und wieder zu hoffen angefangen. — Die Leser haben das Ziel der Fahrt schon errathen — sie sind scharfsichtiger als die Bauern. Sie wissen, daß eine Geschichte nach ihrem Anfang und Verlauf nur Einen, d. h. eben nur den Ausgang haben kann, der im Verlauf begründet ist; und zwar nicht, weil es der Erzähler so will, sondern weil es bei den Personen, an denen es überhaupt etwas zu demonstriren liebt, das Schicksal so will, dem der Erzähler folgen muß. Könnte nach allem Bisherigen[S. 256] ein Erfahrener noch in Zweifel sein, wohin das Wägelchen unseres Burschen rollte? Er fuhr dem Dorf zu, in welchem Christine sich befand. Er konnte es, er durfte es — er mußte es; und das hoff' ich jedem klar zu machen, wenn ich erzähle, was sich unterdessen begeben hatte.

Die Art, wie Christine bei dem Holzbauern ihre Pflicht erfüllte, zusammengehalten mit ihren ungewöhnlichen früheren Erlebnissen, hatte die Aufmerksamkeit des ganzen Dorfs *** auf sie gelenkt. Das Mädchen hatte die Zweifler und Spötter, die sich auch dort aufgethan, beschämt; ihr ausdauernder Fleiß in dem beschwerlichen Dienst hatte ihr nicht Geringschätzung, wie die Mutter gefürchtet, sondern Achtung, bei Einzelnen sogar Bewunderung erworben. — Mit der Zeit wird jeder Tugend ihr Recht auch in dieser ungerechten Welt. Die Anfeindung stumpft sich ab, das Geklatsche wird langweilig und vergeht, die Anerkennung tritt an seine Stelle und besteht.

Bei Christine kam noch etwas anderes hinzu, was ihr eine besondere Bedeutung gab. Ihr Aussehen hatte sich nicht so geändert, daß man sie nicht mehr für ein ungewöhnlich hübsches Mädchen hätte müssen gelten lassen. Die frühere Fülle allerdings war nicht wiedergekehrt; aber die verhältnißmäßige Schlankheit, mit der sie aus der Stadt heimgekommen war, hatte in Folge der ländlichen Arbeiten einen gesunden Charakter erhalten. Ihre Gesichtsfarbe war keineswegs gelb, wie die Hubel auch für die erste Zeit übertreibend berichtete, sondern der ihr eigene bräunliche Ton war nur kräftiger geworden, hatte dann aber auch wieder einen Hauch frischen Roths erhalten. Sie war noch immer die »schöne Christine,« die ehemalige Lehrersbraut und jetzige Bauernmagd; aber sie war mehr als das. Ihr Gesicht hatte einen eigenen höheren Charakter erhalten — den Charakter, der das natürliche Erzeugniß innern Lebens und einer Kraft ist, wie sie die Geprüfte besaß und bewies. Eine tiefe Leidenschaft, die man aus Stolz zu verheimlichen entschlossen ist; den Willen, eine Handlungsweise, die man als unrecht erkannt hat, zu büßen und sich in die Folgen seiner Schuld unbedingt zu ergeben; den Willen, seine Pflicht zu thun, wie schwer sie einem auch gemacht werde, und seine Ehre darein zu setzen, gerade da auszuhalten, wo andere nicht[S. 257] die Stärke dazu fänden — dergleichen kann man unmöglich in Kopf und Herzen tragen, ohne daß der Abglanz davon auf dem Gesicht bemerklich würde. Ob sie nun im Haus, auf dem Felde thätig war, oder ob sie in der Kirche den Worten des Geistlichen horchte, die Magd Christine hatte etwas in ihrem Wesen, dessen sich kein anderes Mädchen im Dorf rühmen konnte. Die Töchter der wohlhabenden Bauern konnten den Kopf hoch halten und an Festtagen in ihrem besten Staat und ihrer Stellung sich bewußt mit fein geschlossenem Mäulchen anmuthig über die Gasse sich schwenken, so fein und so vornehm sah doch keine von ihnen aus, wie unsere dienende Heldin, und aus keinem Auge blickte so viel Seele, als aus den uns bekannten graublauen, die mit dem Gehalt (wenn dieses Wort hier gestattet ist) auch an Umfang zugenommen zu haben schienen.

Unter denen, die das Mädchen und ihr Verhalten zu taxiren wußten, stand eine Familie obenan, und zwar eine Bauernfamilie. Der Vater war ein Landmann der besten Art — einer von denen, die ihren Stand hoch halten, aber noch höher die Tugenden, die den ächten und rechten Bauer machen. Er führte mit Weib und Kindern einen musterhaft geregelten Haushalt, und die Folge war, daß er, der mit Schulden begonnen hatte, jetzt unter die Wohlhabendsten des Orts zählte. Der Kinder waren nur zwei, ein Sohn und eine Tochter, jener siebenundzwanzig, diese neunzehn Jahr alt, beide noch unverheirathet. Der Sohn, ein Abbild seines Vaters und nur etwas weniger lustig, als der Alte im ledigen Stand gewesen, befand sich wohl unter dem Regiment der Eltern, und darum und weil er einigermaßen scheu war und wählerisch, hatte er noch keine Frau gefunden und noch nicht den ihm gebührenden und bestimmten Hof erhalten. Die Tochter, ein angenehmes, gutes Geschöpf, trug schon ein Bild in ihrem Herzen, d. h. ein Mannsbild. Ein Bauernbursche, der alle Qualitäten besaß, die sie und ihre Eltern nur verlangen konnten, war ihr gewogen, und ihre Hochzeit stand in Aussicht, sobald der Vater des Liebhabers sich entschloß, den Hof zu übergeben.

Diese Familie war es, die unsere Christine von allen zuerst mit günstigen Augen betrachtete. Der Alte, der an ihr die guten Eigenschaften wahrnahm, die er von einem rechten »Bauernweibsbild« verlangte,[S. 258] rühmte sie, und Mutter, Kinder und Ehehalten stimmten mit ein. Was man von ihrem Schicksal erfuhr, konnte dem Mädchen bei wohlwollenden Beurtheilern nicht schaden. Hatte sie schon als halbe Mamsell in der Stadt gelebt, so war es um so verdienstlicher, daß sie eine so brave Magd wurde, und die Gerüchte, welche zuerst über sie umliefen, wurden durch ihren streng ehrbaren Lebenswandel vollkommen widerlegt. Sie war noch nicht sechs Wochen im Dienst, als der Alte schon zu seinem Weib sagte: »Wenn das Mädchen eine Bauerntochter wäre, eine bessere für unsern Sohn könnten wir nicht bekommen.« — Nach und nach erfuhr man, was die Glauning der einzigen Tochter immer noch mitgeben konnte, und wenn es auch nur den vierten Theil dessen betrug, was der Alte gab, so verfehlte es doch nicht, das Haupt der Magd in seinen Augen mit einem gewissen Schein zu umgeben. Endlich kam es dahin, daß der wackere Mann sich fragte: »Muß es denn gerad' eine Bauerntochter sein? Und wenn sie weniger hat als mein Sohn, ist ihr Fleiß, ihre Geschicklichkeit und ihre Tugend nicht mehr werth als Geld und Gut?« Weib und Tochter, denen er seine Gedanken mittheilte, traten ihm lebhaft bei. Gutmüthig, wie sie waren, hatten sie das Mädchen in's Herz geschlossen, und die Tochter namentlich interessirte sich für den Heirathsplan mit dem ganzen Eifer einer liebesglücklichen Jungfrau. Sie sprach mit dem Bruder und brachte aus ihm heraus, daß er ganz im Stillen selber schon ein Auge auf Christine geworfen! — Allgemein war die Zufriedenheit über diese Entdeckung; nach der Ernte hielt man nochmal einen Familienrath und das Projekt gedieh zum festen Beschluß.

Das Mittel der Liebeswerbung konnte unter den gegenwärtigen Umständen allerdings nicht in Anwendung kommen. Wäre unser Freier auch der Mann gewesen, ein Mädchen durch Schmeichelreden zu gewinnen, so hätte er von dieser Fähigkeit gegenüber einer Magd beim Holzbauern doch keinen Gebrauch machen können. Aus allen Gründen mußte man den bewährten alten, auch jetzt noch immer praktischen Weg der Unterhandlung durch eine dritte Person gehen, und wandte sich an Base Hubel.

Hilf Himmel, welch einen Eindruck machte die Eröffnung auf die nicht sehr bemittelte Söldnerin! Ihr Bäschen eine Bäuerin —[S. 259] und was für eine! Sie selber zur Freundschaft einer der ersten Familien im Ries gehörig! Und sie hatte das in der Hand! sie sollte das machen — sie wurde darum gebeten! Das Entzücken der guten Frau war so groß, daß sie für den ersten Augenblick sprachlos dastand, weil sie ganz eigentlich den Mund nicht mehr zusammenbringen konnte, um Worte zu bilden, so daß Mutter und Tochter, welche die Eröffnung gemacht hatten, sich Mühe geben mußten, das Lachen, das sie ankam, zu einem Lächeln zu mildern. — Natürlich versprach die Gebetene, als sie endlich sprechen konnte, Alles. Die Sache war schon gemacht — sie brachte das Jawort der Christine heut Abend noch. Gott, welche Ehre war es für diese und welche Freude! Welche Ehre und welche Freude für die Base Glauning und für sie alle miteinander!

Mit brennendem Kopfe lief sie zu dem glücklichen Mädchen. Es war an einem Feiertag nach der Betstunde, und Christine konnte ihrer Einladung zu einer wichtigem Unterredung in ihrem Hause ungehindert folgen. Als sie allein waren, bedachte die Erfahrene, daß das Mädchen vielleicht vor Freude in Ohnmacht fallen könnte, wenn sie ohne weiteres ihren Auftrag ausrichtete; sie begann daher mit Reden, welche sie auf das beispiellose Glück, das ihrer wartete, vorbereiten sollten. Christine, ungeduldig, fragte, was es denn wäre. Die Unterhändlerin machte ihre Eröffnung triumphirend und in der sichern Erwartung, die Glückliche würde, außer sich, ihr um den Hals fallen, mit Freudenthränen »ja, ja« rufen und des Dankes kein Ende finden. Welch ein Erstaunen, ja welch ein Schrecken, als Christine nach vorübergehendem, leichtem Rothwerden ernst und ruhig erwiederte: »Die Leute sind gut gegen mich und thun mir eine große Ehr' an. Ich dank' ihnen auch von Herzen dafür, aber ich kann's nicht annehmen, Base.« — Die Hubel sah starr auf sie, wie auf eine plötzlich toll Gewordene. »Du willst's nicht annehmen?« rief sie endlich. — »Ich kann nicht,« war die Antwort. — »Bist du rasend, Mädchen?« — »Nein, ich bin bei gutem Verstand. Geht zu den Leuten und dankt ihnen in meinem Namen recht schön, und sagt ihnen, ich kann nicht heirathen — weil ich überhaupt nicht heirathen will!«

Zu dem Erstaunen der Base gesellte sich jetzt die Entrüstung, der[S. 260] Geist und die Autorität einer Mutter fuhr in sie, und sie stellte dem Mädchen vor, welch unsinnigen Streich sie mache, wenn sie eine der ersten Bäuerinnen im ganzen Ries werden könne und nicht wolle. »Hast du etwas gegen die Leute? Hast du etwas gegen den Menschen? Ist er nicht brav und geschickt und häuslich und ein sauberer Bursch obendrein?« — Christine mußte das zugeben. — »Und du willst nicht? Du willst so ein Glück versäumen, mit Füßen von dir stoßen? Warum? weßwegen?« — Das Mädchen, bewegt, geängstigt, rief: »Um Gotteswillen, Base, fragt mich nicht! — es geht nicht!«

In dem Kopf der Hubel blitzte ein Gedanke. »Wär's möglich,« begann sie, »hättest du einen andern im Kopf? Denkst du vielleicht« — (die Wangen des Mädchens begannen sich zu färben) — »kannst du deinen Schulmeister nicht vergessen?« Die Farbe verging wieder auf dem Gesicht der Gefragten und ihre Lippe verzog sich geringschätzig. Da ging der Base ein Licht auf wie eine Fackel; sie rief bestimmt: »Du hast den Hans im Kopf!« — Eine glühende Röthe überströmte das Gesicht der Armen, sie zitterte — Thränen stürzten ihr in die Augen. — »Der ist's also! der Vetter! Himmel, was ist das!« — »Ja,« rief das Mädchen, die jetzt wirklich außer sich gebracht war, »der ist's! der beste Mensch, der bravste Mensch, und mir der liebste auf der Welt! Ich hab' schändlich gehandelt gegen ihn, er haßt mich, er verachtet mich, und er hat Recht, und ich will's nicht anders haben. Aber nun wißt Ihr, warum ich auf Euch nicht hören kann! Ihn krieg' ich nicht und verdien' ich nicht, einen andern will ich nicht und mag ich nicht, und darum heirath' ich nicht und will als Bauernmagd leben und sterben!«

Die Frau, von der Leidenschaft des Mädchens überwältigt, verstummte. Sie kannte den Wunsch der Glauning, ihre Tochter an Hans verheirathet zu sehen; sie wußte, daß er der Mann war, ein Weib glücklich zu machen; aber wenn er sie nicht mehr wollte, war's nicht ganz widersinnig, wegen seiner ein ganzes Lebensglück aufzuopfern? Sie mußte doch noch ein Wort reden, die erfahrene Mittelsmännin, und sie sagte daher, mit größerer Ruhe zwar, aber mit Nachdruck: »Mädchen, Mädchen, bedenke, was du thust! Ein solcher Antrag wird dir nicht wieder gemacht! Und wenn du ihn ausschlägst[S. 261] um eines Menschen willen, der nichts mehr nach dir fragt — aus Eigensinn, aus Tollheit — es wird dich reuen, all dein Lebtag wird's dich reuen.« — Aber hierauf erwiederte Christine bestimmt und entschlossen: »Base, ich hab' Euch gesagt, wie ich denke, und nun ist's genug. Streiten will ich nicht mit Euch. Redet also nichts mehr, es hilft Euch nichts, jedes Wort ist umsonst.« — »Gut,« versetzte die Hubel, »dann hab' ich wenigstens meine Schuldigkeit gethan und kann dich deinem Schicksal überlassen. Ich hätt' nicht geglaubt, daß ich von einem Mädchen, wie du bist, mit so einer Antwort zu solchen Leuten gehen müßt'. Aber sie warten darauf, ich hab' ihnen versprochen, die Antwort heute noch zu bringen, und ich will hingehen und sagen, daß du nicht willst und warum du nicht willst.«

Christine stand erschreckt. Das Geheimniß, das sie bewahren wollte vor jedermann, war ihr entrissen, und jetzt erst merkte sie's. Scham und Angst bemächtigten sich ihrer und im dringendsten Tone rief sie: »Nein, das dürft Ihr nicht! Sagt, daß ich überhaupt nicht heirathen will, daß ich mich für solche Leute nicht gut genug achte, sagt was Ihr wollt, nur sagt nichts vom Hans! Es könnte herum kommen — er könnt's erfahren, und (setzte sie heftig hinzu) er soll's nicht erfahren! Ich geh' nicht von Euch, Base, bis Ihr mir's versprecht! Gebt mir die Hand darauf, ich bitt' Euch, ich beschwör' Euch!« — »Gott,« entgegnete die Frau, »ist das ein Kreuz mit dem Mädchen! Nun gut, ich versprech' dir's.« — »Ich dank' Euch, Base,« rief das Mädchen herzlich und gerührt; »ich dank' Euch für all Eure Güte und Freundschaft! Sagt den braven Leuten alles Schöne und Gute in meinem Namen; sagt, ich wolle gar nicht heirathen, und sie würden sehen, daß ich auch keinen andern nehme. Sagt ihnen, ich würde keine Seele etwas merken lassen von ihrem Antrag, und sie sollten sich jetzt eine bessere aussuchen, als ich bin, denn mit mir wäre ihr Sohn doch niemals glücklich geworden.« Sie faßte die Frau bei der Hand und sah ihr in's Gesicht. Ihre Augen waren feucht geworden und füllten sich mit Thränen. Wehmüthig lächelnd, in liebevollem Ton sagte sie: »Ihr seid brav — ich kann mich auf Euch verlassen!« Und ihr die braune Wange streichelnd setzte sie hinzu: »So, nun geht und macht Eure Sache gut!« — Sie schüttelte ihr die[S. 262] Hand und verließ die Stube, nachdem sie ihr nochmal einen bittenden Blick zugeworfen hatte.

Die Base Hubel gehörte indeß nicht zu jenen Personen, die, wenn sie ein Versprechen gegeben haben, nun auch glauben, es unter allen Umständen halten zu müssen. Im Gegentheil, sie hatte eine heroische Ader in sich, und wenn sie gutmüthig genug war, auf eine dringende Bitte ja zu sagen, so besaß sie doch auch den Muth, sich »nach Gestalt der Sach« von der übernommenen Verpflichtung selber zu dispensiren und ihr Wort zu brechen. Als sie allein war, rief sie daher: »Du einfältiges Mädchen! Nichts sagen vom Hans? Das ist ja das Einzige, was in deine Antwort ein bischen Sinn bringt und Verstand, so daß ich nicht ganz in Schand' und Spott dastehen muß vor diesen Leuten, und du mit mir! Augenblicklich sollen sie's erfahren!« — Um vieles langsamer dennoch, als sie es verlassen hatte, ging sie in das Haus des Bauern zurück, traf die Eltern und die Tochter und erzählte alles, indem sie nicht versäumte, über den Wahnsinn des Mädchens entrüstet ihr Verdammungsurtheil auszusprechen. Die wackern Leute bedauerten die Antwort von Herzen; aber — offen zu reden — ihre Betrübniß wäre doch größer gewesen, wenn der Korb von einer in jeder Hinsicht Ebenbürtigen ertheilt worden wäre. Sie hatten doch daran denken müssen, welches Aufsehen die Verheirathung ihres Sohnes mit der Magd des Holzbauern machen würde, und der Umstand, daß nun dieses Aufsehen mit all seinen Unbequemlichkeiten wegfiel, erleichterte ihnen die Tröstung ihrer Seelen bedeutend.

Der alte Bauer klärte sich endlich auf und sagte zu der Hubel: »Nun habt Ihr Euer Geschäft aber erst halb gemacht.« — Die ihrer vornehmen Freundschaft beraubte und darum niedergeschlagene Söldnerin sah ihn fragend an. — »Die Hauptsach' ist jetzt, daß Ihr die Christine und ihren Vetter zusammenbringt.« — »Aber wie soll ich das anfangen?« rief das Weib. Der Bauer fuhr fort: »Hat nicht der Hans sein Bäschen für sein Leben gern gesehen?« — »Ja wohl,« erwiederte sie; »aber jetzt will er durchaus nichts mehr von ihr wissen.« — »Ganz natürlich! — weil sie ihn aufgegeben hat und er glauben muß, sie halte nichts von ihm und habe keine Zuneigung zu ihm. Geht aber jetzt nur hinunter und erzählt ihm, was die Christine[S. 263] gesagt hat und was geschehen ist, und dann seht zu, ob er noch immer nichts von ihr wissen will. Ich bin der Meinung (setzte er lächelnd hinzu), daß ihr noch immer Euern Kuppelpelz verdienen könnt.« — Das Gesicht des Weibes erhellte sich bei diesen Worten. »Ihr könnt wahrhaftig Recht haben! — Aber darf ich denn auch alles sagen?« — »Alles,« versetzte der Bauer, »mit der Bedingung, daß es unter der Familie bleibt.« — »O, das versprech' ich mit Freuden! Kein Mensch weiter soll etwas davon erfahren!« — Beim Abschied reichte die Bäuerin der Guten die Hand und sagte: »Habt Dank für die Mühe, die Ihr Euch unsretwegen gemacht habt. Wenn auch nichts draus geworden ist, so bleiben wir doch gute Freunde.« — »O,« rief die Hubel, »das ist eine große Ehre für mich! — Und wer weiß, vielleicht kann ich Euch doch noch einmal auf eine andere Art dienen!«

»Was für gute Leute das sind!« rief sie mit einem Seufzer, als sie ihrem Hause zuging; »'s ist doch Jammerschade!« — Etwas indeß war ihr geblieben. Sie faßte nun das neue Geschäft in's Auge und ihre Seele erheiterte sich wieder. »Wenn das geräth, wenn die Zwei zusammen kommen und glücklich sind, dann bin's eben doch ich, die's gemacht hat und der sie danken müssen für ihr Glück, so lang sie leben.«

Am nächsten Sonntag trat sie die Wanderung bei Zeiten an, um den Vetter sicher zu treffen, und erzählte ihm, während die Glauning den Kaffee machte, Alles und Jedes. Hans konnte nicht zweifeln; die Base beschwor ihre Aussagen bei allem, was heilig ist, und gab ihm in jeder Hinsicht die beruhigendsten Versicherungen. — Und nun erstand die entschlafene Liebe plötzlich, wie wenn ihr ein neues schöpferisches Werde zugerufen worden wäre. Der Deckel des Schreins, in dem sie verborgen lag, flog auf und sie glühte hervor und durchloderte und durchleuchtete ihn mit wonnevoller Glut. — Nun war's also doch geschehen, woran er nicht mehr glauben, worauf er nicht mehr hoffen konnte. Das Mädchen, das ihm lieber war als Alles, war sein! Sie war zur Erkenntniß gekommen, sie verstand ihn — sie liebte ihn — ihn allein und über alles! — O, nun war es besser als vorher — tausendmal besser! Er mußte ihr nicht nur vergeben — nein, Gott danken mußte er für den Weg, den sie geführt worden — Gott[S. 264] danken für ihr Leid und ihre Erkenntniß, und sie lieben und ehren und ihr Leben versüßen und sie glücklich machen — glücklicher, wenn's möglich wäre, als er selbst wurde! — Die Empfindungen des Glücks und des Dankes strömten durch sein Herz und erschütterten ihn so gewaltig, daß ihm Thränen in die Augen traten und die gute Verwandte in gerührter Theilnahme sich freute, daß ihr dieses zweite Werk gelungen war, und nicht das erste. Eine innere Stimme rief dem Glücklichen zu, vor der Mutter die Kunde noch geheim zu halten; er gebot der Hubel auf's strengste, seiner Base nichts zu sagen und sie auch nichts merken zu lassen, und eben so der Christine alles geheim zu halten. Die Hubel versprach beides. Sie kam der Mutter gegenüber der Forderung auch sogleich nach; der Liebende selbst aber vermochte es nicht, und die Glauning hätte das Geheimniß errathen müssen, wenn ihre Gedanken nicht schon vorher auf falscher Fährte gewesen wären.

Das war es, was unsern Freund bewog, heute dem Dorfe zuzufahren, in welchem Christine lebte. — Und nun kein Wort mehr zur Erklärung seines Handelns.

Als das nette »Gefährt« im Sonnenschein über den trockenen Weg hinrollte, näher und näher dem lieben Ziel, da hatte unser Freund eine glückselige Empfindung, und die Wirkung davon ward sichtbar in seiner ganzen Erscheinung. Man weiß, daß George Sand — eine Schriftstellerin, der ich gern das heutzutage so sehr mißbrauchte Wort »genial« zuerkenne, ohne darum alles in ihren Werken für wahr und schön zu halten — Personen in relativer Häßlichkeit auftreten und nach und nach schön, ja unwiderstehlich anziehend werden läßt. Sie kann sich damit auf die Wirklichkeit berufen. Es giebt Gesichter, an denen sich gar manches aussetzen läßt, sofern man sie nach einem Ideal der Formvollendung beurtheilt. Wenn aber die Seele sich entfaltet, wenn das Licht der Liebe, der Güte, des Glücks es durchleuchtet, dann ist ein solches Gesicht nicht nur charaktervoll, sondern schön; die Seele herrscht in ihm und schmelzt in allbelebender Strömung die Theile zum harmonischen Ganzen; die Schönheit der Seele triumphirt über die Form und macht diese zur Trägerin und Verkünderin ihres Glanzes; ihre Flamme bricht durch und überstrahlt[S. 265] die Züge und tilgt alles Widerstrebende darin hinweg. Daß ein solches Gesicht hernach das bloß äußerlich schöne in Schatten stellt, daß eine geliebte Person, die für seine höhere Schönheit empfänglich ist, sich davon entzückt, hingerissen fühlt, das ist durchaus natürlich — der natürliche Sieg des Innern über das Aeußere, des Geistes über den Stoff.

Wenn eine theilnehmende Freundin unsern Burschen heute gesehen hätte, so würde sie vielleicht gerufen haben: er sieht aus »wie verklärt;« denn dieses Wort ist unter dem Rieser Landvolk bekannt und wird ganz richtig angewendet. Und in der That, verklärt war das Gesicht des Guten, verklärt durch die Liebe, die der Gegenliebe sicher geworden, verklärt durch das Bewußtsein des Sieges, der zu der Liebe die Ehre gebracht hat. — Es ist eben doch schön, wenn man nicht mehr ganz allein auf sich und seine Tugend angewiesen ist, wenn man der Welt nicht bloß zu verzeihen, sondern auch etwas zu danken hat, wenn die Kraft der Seele getragen wird von der Schwellung des Glücks, wenn zu dem Gefühl, den Sieg zu verdienen, die stolze Freude des wirklich errungenen Sieges kommt. Aus dem Gesicht des Liebenden sprach jetzt nicht allein das Glück und die Freude, sondern auch die Würde des Mannes, der sich endlich auf die Stelle erhoben sieht, nach der er getrachtet hat und die ihm gebührt.

Als der Wagen in das Dorf rollte, lag auf diesem eben das feierliche Schweigen des Sonntags: die Kirche hatte eben begonnen und die Gemeinde horchte dem Worte des Geistlichen. Hans fuhr in's Wirthshaus, versorgte mit dem anwesenden Knecht das Roß und ging dann im Hof umher. Die Glocke, die beim Vaterunser geläutet zu werden pflegt, verkündigte das baldige Ende des Gottesdienstes, Hans erwartete es, sah die Leute des Hauses und der Nachbarschaft von der Kirche heimkehren, und machte sich endlich selber auf den Weg, mit Herzklopfen zwar, aber mit dem überherrschten eines Mannes, der mit tiefer Zuversicht dem Erfolg entgegengeht. Er hatte sich vorgenommen, bei der Geliebten sich nicht ohne weiteres auf die Erzählung der Verwandten zu berufen, er wollte so ruhig, als es ihm möglich war, als Besuch auftreten, zuerst von andern Dingen reden und selber hören und sehen.

[S. 266]

Als er in den Hof trat, sah er das »Mädle«, d. h. die zweite Magd der Bauers. Er fragte nach Christine, indem er hinzufügte, er sei ein Verwandter und hätte mit ihr zu reden. Die Gefragte erwiederte, die Magd sei im Garten, und wies ihm den Eingang. Hans trat hinein und sah Christine von weitem Gemüse abschneiden, das ihr die Bäuerin zu bringen aufgetragen hatte. Sie war in der Kirche gewesen, hatte aber an dem warmen Tage den Kittel ausgezogen und bückte sich zu Boden in blanken Hemdärmeln, die indeß nur den Oberarm bedeckten. Als sie jemand gehen hörte, schaute sie auf. Sie erkannte den Vetter und sah erröthend vor sich hin.

Hans trat näher und sagte treuherzig: »Guten Tag, Christine!« — Die Gegrüßte dankte und erwiederte mit erkenntlichem Blick: »Du kommst herauf? Das hätt' ich wahrlich nicht erwartet!« — »Nun,« sagte Hans, »ich muß doch auch einmal sehen, wie's dir geht.« — Die Brust des Mädchens hob sich und ein leichter Strahl der Freude ging über ihre Züge. Sie versetzte: »Gottlob, mir geht's gut, ich bin gesund und zufrieden.« Und in der That, so sah sie aus. Hatten Sonnenschein und Regen in Frühling und Sommer sie erfrischt und gestärkt, so war sie in den letzten, weniger »unmüßigen« Wochen schon wieder auch etwas runder geworden und ihre ganze Erscheinung hatte den Charakter einer größeren sinnlichen Ruhe erhalten. Hans lächelte. »Das freut mich,« erwiederte er. »Du scheinst den Holzbauern nicht so schlimm zu finden, wie deine Vorgängerinnen?« — »Er ist auch nicht so schlimm,« versicherte Christine. »Hitzig ist er freilich, und wenn er in seinen Zorn kommt, weiß er nicht mehr, was er sagt; aber im Grund seines Herzens ist er ein ehrlicher Mann und meint's besser als so ein glatter, süßer Schwätzer. Seit dem letzten Sturm im Heuet« — setzte sie lächelnd hinzu — »kommen wir ganz gut mit einander aus. Ich paß' aber auch besser auf.« Nach einem Moment des Schweigens ernster geworden, sagte sie: »Was macht denn aber meine Mutter? Ist sie doch wohlauf?« — »Ja wohl,« versetzte Hans, »und auch zufrieden — bis auf die Gedanken, von denen sie zeitweis geplagt wird. Sie kann sich immer noch nicht drein finden, daß ihre Christine, ihre einzige Tochter bei einem andern dienen soll.« — »O,«[S. 267] rief das Mädchen, »daran wird sie sich eben doch gewöhnen müssen! Mir gefällt das Dienen, und ich bin lange nicht so vergnügt gewesen, wie jetzt.« — Der Bursche betrachtete sie mit innigem Wohlgefallen. »Ja,« sagte er, »du bist auch wieder eine ganze Magd geworden.« Und mit gutmüthigem Stolz setzte er hinzu: »Das Bauernhandwerk ist halt doch das schönste und gesündeste, und über den Bauernstand geht nichts in der Welt!« »Das ist wahr,« erwiederte Christine, durch seine Anerkennung geschmeichelt und erfreut. »Drum will ich auch fortarbeiten, weil ich seh', daß ich's doch nicht ganz vergessen hab', und dazu lernen, was ich noch nicht versteh', und das kann ich am besten auf so einem großen Hof wie hier. Sag' das meiner Mutter, sag' ihr nur, ich bin gern eine Bauernmagd und hoff's noch lange zu bleiben.«

Um den Mund des Burschen spielte ein fast unmerkliches schelmisches Lächeln. »Nun,« erwiederte er endlich, »auf einem Bauernhof kann man auch etwas anderes sein als Magd. Du bist keine Magd, wie die erste beste, du bist das einzige Kind deiner Mutter, und wenn das der Rechte erfährt und wenn er sieht wie du schaffen kannst in einem großen Werk, dann könnten wir auf einmal hören, daß die Magd eine Bäuerin geworden ist.« — Christine, des an sie ergangenen Antrages gedenkend, wechselte die Farbe und sah den Vetter scharf an; aber dieser hielt aus und verrieth seine Kenntniß der Sache mit keinem Zug. Das Mädchen entgegnete mit Ernst: »Ich trachte nicht so hoch hinaus; ich begnüge mich mit dem, was ich bin, und bleib' im ledigen Stand.« Eine sanfte Heiterkeit verbreitete sich über ihr Gesicht mit einem Hauch von Trauer gemischt, der sich indeß im Ausdruck wahrer Theilnahme verlor. Sie sagte: »Aber von dir hört man jetzt, daß du an's Heirathen denkst. Nun, wundern wird sich niemand darüber. Du weißt ja, wie oft ich dir selbst früher zugeredet hab'.« Und plötzlich erröthend rief sie: »Am End hast du schon eine? und willst mich zur Hochzeitmagd?« — »Eins ist wahr,« erwiederte Hans, »heirathen will ich.«

Das Mädchen erschrak bei diesen Worten, ihr Gesicht wurde blaß und im Augenblick darauf purpurroth. Aber nun war es zu Ende mit der Zurückhaltung des Burschen. Wie er die Zeichen der Liebe[S. 268] an dem Mädchen erblickte, die er sich erkoren hatte, als sie fast noch im Kindesalter stand, wie er das Bild, das ihn im Spiegel der Seele entzückt hatte, mit Augen schaute, da schlug die Flamme seiner Leidenschaft durch, und mit jenem Blick unendlicher Liebe, den er früher nur verstohlen auf sie zu richten gewagt hatte, sah er ihr muthig und gerade in die Augen. Und sie verstand ihn — mit der Schnelle des Blitzes erleuchtete sie die Erkenntniß, daß er alles wisse, und erschüttert und beseligt stand sie vor ihm. Hans ergriff ihre Hand und sagte im herzlichsten Ton: »Ja, Christine, heirathen will ich: aber ich brauch' keine Hochzeitsmagd, sondern eine Hochzeiterin!« Und als sie bei diesen Worten zuckte, als ob sie sich ihm entziehen wollte, rief er: »Laß mir die Hand! — Die Base hat mir alles gesagt. Ich bin heraufgekommen, um dich zu fragen, ob du mein Weib werden willst — und nun red' und sag' es!«

Das Herz des Mädchens drehte sich im Busen um vor Wonne; aber noch wagte sie nicht, das ihr vom Himmel gefallene allzugroße Glück anzunehmen und sie rief: »Wie! — mich, die so gegen dich gehandelt hat — mich willst du zum Weib?« — »Still!« entgegnete Hans mit einer Bewegung, als ob er ihr den Mund zuhalten wollte; »das ist vorbei und vergessen, und nun thu' dir nicht selber Unrecht. Ich kenne kein Mädchen in der ganzen Welt, die ich für besser und für rechtschaffener halte und die ich höher schätze, als dich.« — Nach dieser Ehrenerklärung, welche die Liebeserklärung diesmal ergänzte und sanctionirte, sah das Mädchen mit dem rührendsten Blick der Liebe und des Dankes auf ihn. »Ja,« rief sie mit Thränen in den Augen, »du bist eben immer der beste der Menschen! Wie viel hab' ich erfahren, wie viel hab' ich leiden müssen, um das einzusehen.« Und während die Thränen über ihre Wangen rollten, vergaß sie alles und fiel im Drang ihres Herzens dem Guten und Treuen um den Hals und küßte ihn und weinte an seinem Gesicht.

Sie hatten Glück, die Glücklichen. Kein Wesen sah diesen Vorgang, der am hellen Tag und unter freiem Himmel auf dem Dorf höchst ungewöhnlich ist, ein einziges paar Schwalben ausgenommen, die auf dem Stadeldache saßen und die Flügel streckend neugierig herunterzulugen schienen.

[S. 269]

Aber nicht lange mehr sollten sie ungestört bleiben. Indem der Erschütterung auf beiden Gesichtern innige Heiterkeit folgte und das Mädchen ihre Thränen mit der Sonntagsschürze trocknete, vernahmen sie von der Gartenthür her plötzlich den Ruf: »Aber was Kreuzblitz ist denn das?« — Sie sahen hin, in höchst eigener Person und in voller Autorität des Richters kam der Holzbauer auf sie zu. »So?« rief er zu Christine, »die Bäuerin wartet auf dich und du unterhältst dich mit einem — wer ist der Bursch da?« — Hans trat mit festem Schritt vor den Gefürchteten hin und sagte: »Mein Nam' ist Hans Burger.« — Der Bauer betrachtete ihn und rief sich erinnernd: »Ah so, du bist der!« — »Ja,« sagte Hans, »und die Christine hier ist mein Bäschen, und seit einigen Minuten — meine Hochzeiterin.«

Der Holzbauer stand überrascht und sah ihn groß an. Er war zu gescheidt, um nicht einzusehen, daß seine Autorität jetzt ein Ende hatte; so schnell indeß konnte er das nicht einräumen. »Das Donnerwetter,« polterte er mit einer eigenen Mischung von wirklichem Unwillen und gespieltem Zorn, »was ist denn aber das für eine Art? Du kommst so mir nichts dir nichts her zu mir und heirathest mir meine Magd weg? Da soll ja doch gleich« — Hans, von diesem Spaß des Holzbauern ergötzt, entgegnete: »Ja, da kann ich nicht helfen, das Heirathen geht Allem vor.« — »Hol's der Teufel!« brummte der Bauer. »Die bösen Weibsbilder laufen einem weg, und hat man eine, die ein wenig ordentlich wäre, dann kommt so ein verfluchter Kerl und nimmt sie einem zum Weib! — Nun,« setzte er mit einem satyrischen Blick hinzu, »und du willst's also wirklich riskiren? — mit der Feinen?« — »Ja, Holzbauer,« versetzte Hans mit der Laune des Glücklichen. »Nachdem sie ein halbes Jahr bei Euch gedient hat, mein' ich, kann ich's riskiren.« — Der Bauer, der heute einen Sonntagshumor hatte und von Natur Spaß verstand, lachte. »Ja, ja,« sagte er dann, »hast auch Recht — jetzt kannst du's. Ich hab' sie dir gezogen und du kannst dich bei mir bedanken.« — Indem er seine Zornanfälle auf diese Art sich als Tugend anrechnete, konnten die beiden Liebenden nur mit Mühe den Ausdruck ihres Vergnügens zurückhalten. Hans nahm sich indessen zusammen und sagte: »Ich dank' Euch auch, Holzbauer, von Herzen.« — »Und ich desgleichen,«[S. 270] setzte Christine hinzu, »bei Euch hab' ich grade gelernt, was mir fehlte, und ohne Euch wär' ich meiner Lebtag nicht glücklich geworden.«

Der Holzbauer, wie alle Großen, war darum, weil er Schmeichelworte als etwas ihm Zukommendes betrachtete, für ihre Süßigkeit keineswegs unempfindlich. »Freut mich,« erwiederte er, »daß ihr das einseht.« Und in dem Gefühl seiner unleugbaren Güte setzte er hinzu: »Da sagt man immer, ich sei bös und schimpfe die Leute. Dummköpfe, Ochsen, alberne Weibsbilder sind's, die so was sagen. Ich schimpfen! Einfältiges Lumpenpack verfluchtes! — Ich verlang' was recht ist, und wenn etwas Dummes geschieht, laß' ich's nicht durchgehen; und so muß man's auch machen, sonst wird nie etwas aus den Leuten. Da hat man nun das Beispiel! — Und's freut mich doch, daß ihr das einseht und daß man auch einmal seinen Dank bekommt in der Welt.« Im vollen Genusse des Selbstgefühls hielt er ein bischen inne, ließ seinen Blick auf dem Mädchen ruhen und sagte dann zu Hans: »Noch ein Jährle, wenn ich sie hätt' — dann solltest du sehen!« — »Nein, nein,« versetzte Hans lachend, »man muß nicht zu viel verlangen. Von jetzt an will ich sie schon selber ziehen.« — Der Bauer sah ihn an, wie etwa ein Kaiser einen jungen Grafen ansieht, der sich auch fühlen zu können glaubt. Durch seinen guten Leumund, der auch zu ihm gedrungen war, schon für ihn eingenommen, fühlte er sich von seinem Wesen angesprochen und sagte daher mit der Miene huldvoller Approbation: »Nun, die Postur hast du dazu.« — Hans bemerkte: »Vor der Hand, nämlich bis wir uns zusammengeben lassen, bleibt die Christine ohnehin noch bei euch, wenn Ihr nichts dagegen habt. Heute freilich möcht ich bitten, daß Ihr sie mit mir zu ihrer Mutter fahren lasset.« — »Alles was Recht ist,« versetzte der Bauer mit Würde. Und mit der Freundlichkeit, deren sein Gesicht überhaupt fähig war, fügte er hinzu: »Seid vergnügt mit einander und macht bald Hochzeit und ladet mich auch darauf. Ich komm', ich versprech's euch, und wär's nur, um die dummen Weiber zu ärgern. Dann sollen sie mir nochmal sagen, keine Magd könnt's aushalten bei mir und jede käm' in Unfrieden von mir weg! — Aber Sapperment!« rief er, sich plötzlich unterbrechend, »jetzt[S. 271] müssen wir in die Küche!« Und zu Christine gewandt, setzte er hinzu: »Klaub das Zeug da zusammen und schneid' noch ein wenig ab. Ich will indeß zur Bäuerin gehen und dich entschuldigen; denn die könnt' am End' nicht so Spaß verstehen wie ich!« Und in einer Laune, wie man ihn seit langer Zeit nicht gesehen, schritt er hinweg.

Als das Mädchen zur Bäuerin kam, erhielt sie für die Scheltworte, die sie sonst zu erwarten hatte, einen freundlichen Glückwunsch.

Eine halbe Stunde später trat unser Paar in die Stube der Hubel, die natürlich augenblicklich wußte, woran sie war. Christine rief: »Ihr habt nicht Wort gehalten — Ihr habt mich verrathen!« — »Sei still, du dummes Ding,« entgegnete die Base. »Wo wärt Ihr jetzt, wenn ich das Maul nicht aufgethan hätt'?« — »Ihr habt Recht gehabt,« erwiederte die Glückliche und drückte ihr die Hand. Hans sah die Base heiter an und sagte dankbar: »Mir habt Ihr Wort gehalten.« — Die Hubel versetzte würdig: »Wo ich reden muß, da red' ich, und wo das Schweigen nothwendig ist, da kann ich auch schweigen.«

Man giebt mir zu, daß ich im Verlauf dieser Erzählung den Leser nicht mit der bekannten Versicherung behelligt habe, dieses oder jenes könne nicht geschildert werden, der Autor müsse die Ohnmacht der Darstellung bekennen, müsse es der Einbildungskraft der Leser überlassen, sich die Dinge auszumalen u. s. w. Eigentlich ist ja doch alles zu schildern, was lebt und sich offenbart und angeschaut werden kann, und jene Versicherung bedeutet darum auch in der Regel nur so viel als: ich bin nicht im Stande meine Schuldigkeit zu thun. — Zuweilen dürfte der Autor aber doch befugt sein, an die Phantasie des Lesers zu appelliren — der Kürze halber. Ich möchte darum jetzt die Freunde unseres Paares ersuchen, sich vorzustellen, mit welchen Gefühlen sie, nachdem sie im Wirthshaus die von Hans bestellte Mahlzeit eingenommen hatten, auf dem Wägelchen der Heimath zufuhren. — Es giebt Momente, wo sich eine solche Fülle von Glück zusammendrängt, daß wir ein ganzes Leben voll Schmerzen dadurch aufgewogen sehen, Momente, wo in überschwänglicher Liebe zu Gott[S. 272] und zu der Welt der letzte Hauch von Leid, der letzte Hauch von Schuld hinweggetilgt, in Seligkeit verschlungen ist.

Im Schwunge der Freude geberdet sich der natürliche Mensch frisch und lustig. In's Dorf einlenkend knallte unser zum Hochzeiter gediehene Freund, daß es eine Art hatte, und ließ das wohlgefütterte Roß traben, daß die Leute ihnen nur nachsehen und ein paar am Wege stehende Freunde nur die einfachsten Laute des Staunens ausrufen konnten. — Der Gute eilte der Mutter zu, die trotz alledem und alledem nun auch wieder einmal eine Freude haben sollte.

Als er am Fenster des Hauses vorbei fuhr, erkannte die Glauning nur ihn, der Kopf der Christine war verdeckt. Der Wagen rollte in den Hof. »Da haben wir's!« rief die Wittwe, in's Herz getroffen; »nun bringt er sie mir gar in's Haus.« Allein es galt ihre Ehre, sie drückte die Betrübniß in's Innerste ihres Herzens zurück und hatte eine würdig freundliche Miene zu Stande gebracht, als sie zur Begrüßung heraustrat. »Da ist nun die Hochzeiterin,« rief Hans, »das heißt, wenn Ihr nichts dagegen habt!« Die Mutter, Christine erkennend, stieß einen Schrei aus und fing das vom Wagen steigende Kind in ihren Armen auf. »Gott sei Dank!« rief sie, und Thränen der Freude stürzten aus ihren Augen.

Bei dem besten Kaffee, den man jemals in diesem Hause trank, wurde die Mutter in das Geheimniß der letzten Vorgänge eingeweiht. Wenn ein moralisch ästhetischer Knauser vielleicht denken sollte, die Wittwe hätte das Glück, solche Kinder zu besitzen, eigentlich nicht verdient, so beschämen wir ihn mit der Thatsache, daß sie bei Erwähnung der abschlägigen Antwort, die Christine dem reichen Bauernsohn gegeben, nur ein Augenblickchen eine curiose Empfindung hatte, sich aber durchaus nichts ansehen ließ und aufrichtigst ihren Dank gegen Gott wiederholte für den glücklichen Ausgang, und den Kindern gerührt ihren Segen gab.

Im Dorfe freilich wurde über Hans zunächst gar manches Näschen und manches Mäulchen gerümpft, wovon eigentlich nicht jedes die zierliche Benennung verdiente. In Kurzem war aber auch hier von dem wahren Sachverhalt Einiges durchgesickert, wir wollen ununtersucht lassen, durch wessen Vermittlung. Ein Name zwar wurde[S. 273] nicht genannt, bald aber sagte eines dem andern: die Christine hätte gar einen Reichen und Großen haben können, wenn sie gewollt hätte, aber sie hat ihn ausgeschlagen, weil ihr der Hans lieber ist als Alle. Man begriff endlich das Paar, und an die Stelle der Kritik, die nicht mehr sachgemäß war, trat allgemein freundliche und achtungsvolle Theilnahme.

Hans hatte die Braut an jenem Sonntag wieder zum Holzbauern zurückgeführt. Hier, wo sie nun mit auffallender Rücksicht behandelt wurde, schrieb sie an die gute Base Kahl und meldete ihr Glück und den wunderbaren Weg dazu, und ließ an alle ihre Bekannten in der Stadt, an den Herrn Vetter, an Mamsell Adelheid und Susanne die schönsten Grüße ausrichten. Nach einer Woche lief die Antwort ein. Die Schreiberin freute sich unendlich, daß ihre Prophezeihung so schnell eingetroffen sei, und konnte die Theilnahme der Bekannten nicht warm und lebhaft genug schildern; ihr sei's gewesen, als ob eine Tochter, der Adelheid und Susanne, als ob eine Schwester das Glück gehabt hätte. Jetzt könne sie übrigens ihrem lieben Bäschen auch melden, was sie bisher sich nicht zu schreiben getraut, daß Herr Forstner schon seit drei Wochen mit der Wilhelmine verheirathet sei. Diesen könne sie aber, nach Allem was sie höre, keinen glücklichen Ehestand prophezeihen. Die Wilhelmine habe ihren jetzigen Mann schon ganz unter dem Pantoffel; außerdem sei sie eifersüchtig und hüte ihn wie ein Drache. Wenn das schon in der ersten Zeit geschehe, was würde der Mann erst später zu erdulden haben! Im Uebrigen müsse sie sagen, was wahr sei: vorgestern habe in der »Erheiterung« ein Concert stattgefunden und Herr Forstner habe auf der Violine gespielt, daß Alles Bravo gerufen und Beifall geklatscht habe.

Bei dem letzten Satz lächelte Christine; es schien, als ob sie sich nicht unglücklich fühle, daß ihr künftiger Mann dieser Qualität entbehrte. Die Vorhersagung eines unglücklichen Ehestandes anlangend, dachte sie: die Base wird wohl übertrieben haben und meint mir vielleicht einen Gefallen damit zu thun; aber da kennt sie mich schlecht. Ich habe nicht das Geringste gegen diese Leute und gönne ihnen von Herzen alles Glück, das sie sich verschaffen können.

Aus der Zeit ihres Dienstes beim Holzbauer haben wir nur noch[S. 274] weniges zu berichten. Eines Abends, als sie eben vom Felde heimging, begegnete ihr vor dem Dorf jener Alte, der ihr die ehrenvolle Stelle einer Söhnerin zugedacht hatte. Dem Mädchen klopfte das Herz in Dank und Achtung, und als sie ihm nahe kam, grüßte sie ihn mit einem Blick der liebevollsten Erkenntlichkeit und — Abbitte. Der Bauer lächelte und sagte, indem er ihr freundlich wie einem Kinde zunickte: »Ich gratulire, Christine!« Das vollendet heitere Aussehen des Alten hatte, wie wir gestehen wollen, noch einen andern Grund als seine Gutmüthigkeit. Christine war ersetzt. Der Hubel, der ihre Niederlage gegenüber den guten Leuten keine Ruhe gelassen, war eine große That gelungen; sie hatte für den Sohn eine ausgemittelt, ihm an Stand und Vermögen völlig gleich und in jeder Hinsicht wundersam passend für ihn, und die Unterhandlungen waren bereits dahin gediehen, daß der Heirathstag in naher Aussicht stand. Christine erfuhr es etliche Tage später, und diese Ausgleichung trug dazu bei, ihr die letzte Zeit bei dem Holzbauern zu der angenehmsten zu machen.

Im Oktober lud Hans mit seinem Bruder, dem Schmied, und mit dem jetzigen Dorflehrer Freunde und Bekannte im Ries herum zu seiner Hochzeit ein. Er lernte den letzteren, den die Vereinigung der Seminarbildung mit einem wackern, schlichten, zufriedenen Sinn für eine Schulstelle auf dem Lande ganz besonders qualificirte, bei dieser Gelegenheit näher kennen und freute sich, an ihm künftig einen guten Freund zu haben und an der braven, muntern Frau desselben eine richtige, nützliche Bekanntschaft für Christine.

Mit der Erwähnung der feierlichen Einladung haben wir schon gesagt, daß die Hochzeit im Wirthshause gehalten wurde. So hatte es Hans gewollt. Alle Welt sollte die Christine sehen im bräutlichen »Horbet,« dem jungfräulichen Kopfputz: alle Welt sollte ihn an ihrer Seite erblicken, stolz und glücklich. — Es war eine große Hochzeit für ein solches Brautpaar, die meisten Geladenen, die zugesagt hatten, waren auch gekommen, und richtig befand sich unter ihnen auch der Holzbauer. Derselbe trank sich nach und nach in eine ausnehmend gute Laune hinein, die sich übrigens, bei gelegentlich an ihn gerichteten Fragen, mehr in ergötzlichen als höflichen Antworten kundgab. Nachdem[S. 275] er einige wirksame Trümpfe ausgespielt und namentlich auch seine Güte und Verträglichkeit in so kräftigen Ausdrücken vertheidigt hatte, daß ihm niemand zu widersprechen wagte, schöpfte die glückliche Christine aus seinem vergnügten Aussehen den Muth, einem neckischen Verlangen nachzugeben und den Wunsch laut werden zu lassen, er möchte doch auch ein paar Reihen mit ihr tanzen. Der Hochzeiterin dies abzuschlagen, ging nicht wohl an, und außerdem konnte er durch Erfüllung des Wunsches am besten beweisen, wie gut man es bei ihm habe und wie vortrefflich sie mit einander ausgekommen seien. Deshalb unterdrückte er die bereits auf seiner Zunge befindliche Frage: ob sie toll geworden sei? führte sie unter allgemeiner Aufmerksamkeit auf den Tanzboden und drehte sich so stattlich herum, als es seine Leibesbeschaffenheit irgend zuließ. Nach den schicklichen drei Reihen wollte er aufhören; Christine, der es Vergnügen machte, den »Wilden« so zahm an der Hand zu haben, bat ihn noch um einen. Aber nun war seine Geduld zu Ende. »Geh zum — es geht nicht, Mädle! — Jungfer Braut, wollt' ich sagen!« — Hans, der heiter zugeschaut hatte, nahm ihm die Tänzerin ab, und statt ihrer trat die Mutter zu ihm und rühmte ihn, wie »feindle« (feindlich) schön er's noch könne und was für eine »grausame Ehr'« er ihnen angethan habe, daß er auf die Hochzeit gekommen sei. Zufrieden setzte er sich zur Kanne, und während er auf den Tanzlorbeeren ruhte, sammelte er sich neue als Zecher und Redner.

Das Fest ging seinen fröhlichen Gang, der Abend kam heran. Die Ehrentänze, die bei solchen Gelegenheiten für das Brautpaar eine Pflicht der Höflichkeit werden können, waren getanzt, der Hochzeiter und die Hochzeiterin setzten sich an den »Bräuteltisch,« an welchem sich dermalen nur die Mutter befand. Die Gäste waren zum größten Theil auf dem Tanzboden, wo der junge, lustige Hochzeitknecht berufsmäßig eine nach der andern in den Reihen geführt hatte und sich eben nach geheim erhaltenem Auftrag mit der Base Hubel herumdrehte, zum Lohn für ihre Verdienste. In der Stube waren nur zwei entferntere Tische mit Zechenden besetzt, die in lebhaften Diskurs gerathen waren und nur Aug' und Ohr für sich selber hatten. Gewissermaßen allein gelassen und von der Festesfreude schon etwas ermüdet, saßen unsere[S. 276] drei Personen stille da und gaben sich ihren Gedanken hin. Die Musik draußen störte sie nicht, die bekannten Töne klangen freundlich in ihre Vorstellungen ein. Das Vergnügen, das Nachmittags hell auf ihren Gesichtern geleuchtet hatte, nahm nach und nach einen ernsteren Charakter an und ihre Mienen wurden feierlich, fast so wie sie in der Kirche gewesen. — Die Mutter sah zuerst aus ihren Träumen empor; sie ließ ihren Blick liebevoll auf den Beiden ruhen, die so ganz und gar zusammengehörig ihr gegenüber saßen, und sagte dann bedeutsam: »Wie lang hat's dazu gebraucht! Es ist doch wahrlich gerade, als ob's früher nicht hätte sein sollen!« — Hans erwiederte auf diesen unwillkürlichen Ausruf in dem milden Tone, wie er tieferen Menschen in ernster Empfindung eigen ist: »Es hat auch wirklich nicht sein sollen, Schwieger! In der Welt ist's nicht jedesmal gut, wenn man ohne weiteres bekommt, was man gern möchte: man muß zum rechten Glück erst fertig gemacht werden. Ich hab' die Christine besser bekommen, als es früher möglich gewesen ist, und sie mich. Glücklich wären wir auch früher mit einander geworden, aber wir hätten nicht gewußt, was wir aneinander haben, und jetzt wissen wir's.« Christine sah ihn bei diesen Worten mit feucht glänzenden Augen an und drückte ihm zärtlich die Hand.

[1] No, nocht, nochta = nachher, dann.

[2] Ursprünglich Heiligenbilder, dann Bilder überhaupt bis zum farbigen Papier herab.


[S. 277]

Ende gut, Alles gut.
Der Michel und die Gret.

Wenn der Rieser nicht gerade zu der größten und stärksten Menschenart im deutschen Vaterlande gehört, so wird man ihm das Prädikat »wohlgewachsen« nicht versagen können. Begreiflicherweise gibt es in dem volkreichen Gau allerhand, kleine und große, »wie's der Hirt zum Thor naustreibt«; in der Regel begegnen wir aber doch schlanken Personen von guter Mittelgröße und darüber. Enakssöhne — Bursche, die eine Verbindung von Größe, Schulterbreite und Gliederstärke zeigen, die wir mit Staunen betrachten — sind selten und kommen in andern deutschen Gauen häufiger vor; zuweilen gelingt aber auch im Ries ein solches Erzeugniß, und es wächst, sofern der Geist mit dem Körper nicht geradezu in Widerspruch steht, eine Person heran, die sich in ihrer Umgebung eines besondern Respekts zu erfreuen hat. Wenn so einer freilich keinen Verstand, keine Würde und am Ende gar auch keine »Schneid« hat, dann hilft ihm sein Körperbau nichts; man belegt ihn mit den despectirlichen Namen eines »Drieschlags,« eines »unklamperen Kerls,« verspottet und hänselt ihn. Sind ihm aber jene[S. 278] Eigenschaften, namentlich die letzte, in merklichem Grade verliehen, dann ist er in seiner Art eine Macht; man fürchtet ihn und schmeichelt ihm.

Zu den leiblich außerordentlichen Erscheinungen im Ries gehörte auch der Held der Erzählung, womit wir dießmal die Leser zu unterhalten gedenken. Wir sagen mit Bedacht: der Held. Denn obwohl unsre Geschichte keineswegs eine Reihe von Thaten vorführen wird, bei welchen die Stärke des Armes die Hauptrolle spielt, so hoffen wir jene, für einen Bauernburschen sonst nicht wohl passende Bezeichnung doch zu rechtfertigen.

Michel Schwab wurde im ersten Zehntel unsres Jahrhunderts geboren. Der Vater, ein wohlhabender Söldner und auch schon ein ungewöhnlich großer und gliederstarker Mann, erlag einer hitzigen Krankheit in seinen besten Jahren. Die Wittwe, die gut mit ihm gehaust hatte und den zehnjährigen Sohn über alles liebte, beschloß nicht mehr zu heirathen, damit ihr Einziger das ganze »Sach« bekäme, wie es der Vater gehabt hatte. Sie war selbst eine stattliche Frau, froher Gemüthsart und regierte gern — ein Grund mehr, um als ehrsame Wittib fortzuleben und die erste Person im Hause zu spielen, bis sie die Herrschaft an den Sohn abtreten mußte.

Michel wuchs heran — die Augenweide und der Stolz der Mutter. In der Schule zeichnete er sich nicht besonders aus; sein Verstand [S. 279]war etwas langsam zum Begreifen, sein Gedächtniß zum Behalten von Sachen, deren Nutzen ihm zweifelhaft erschien, nicht sehr bereitwillig, und Ehrgeiz, der ihn hätte stacheln können, besaß er nicht. Er lernte nur, was nicht zu umgehen war, ging lieber auf's Feld als in die Schulstube, und empfand eine dunkle Sehnsucht nach der Zeit, wo er gar nicht mehr hineinmußte, außer an Sonntagen. Um so besser gedieh sein Körper. Er war offenbar der stärkste von den Buben seines Alters; die Mutter hielt ihn überdieß für den schönsten und war nach dörflichen Begriffen wohl dazu berechtigt. Auf dem Dorf ist es vorzugsweise die derbe, robuste Schönheit, die eine ungemischte Bewunderung erweckt. Der Bauer hat auch ein Auge für zarte, feine Schönheit; aber wenn ein Kind mit einer solchen von ihm Lob erhält, so wird doch aus seinem Ton zugleich ein gewisses Mitleid herauszuhören sein, zumal wenn es ein Bube ist. Kennt er die Eltern gut, so erlaubt er sich in diesem Fall hinzuzusetzen: »a bisle kräftenger könnt' 'r freile sei'! No, 's kommt vielleicht no' (noch)!« Im Stillen denkt er aber: »Schad für des Büeble, daß er gar so elend ist!« Bei dem hübschen Jungen dagegen, der zugleich rothe Backen und tüchtige Gliedmaßen aufweist, geht die Gratulation durchaus von Herzen und das Lob wird mit den Zeichen der Achtung ausgesprochen. »Kott's Blitz,« ruft hier der Freund, während seine Augen im Glanze des Wohlgefallens blinken, — »des ist a Kerl! Des gibt a Mannsbild! Des weara't a' baar (paar)[S. 280] Aerm' zum Garba' naufgeba'!« Und er lächelt dabei mit Würde und nickt den Eltern seine volle Anerkennung zu.

In solcher Art wurde der junge Michel gerühmt, namentlich von Gästen aus andern Dörfern, die ihn längere Zeit nicht gesehen hatten, und am lebhaftesten von Weibern. So eine sagte wohl im Doppeleifer der Höflichkeit und der wirklichen Empfindung zu der Mutter: »Aber wie uir (euer) Michel widder g'wachsa'n ist! Doh muße me nor so aufwondera' (aufwundern)! Und a Boschdur (Positur) und a G'sicht hot er grad wie sei' Vader! Wie ra'grissa' (herabgerissen, d. h. vom Vater)! Und die roth' Backa', die er hot! Und die schöa' brau' Oga'! Doh müsset 'r aber doch a rechta' Fräd (Freud) haba' mit so'm Buaba' — net wohr, Bas?« — u. s. w. — Die Mutter suchte derartiges Lob, wie es der Brauch verlangte, wieder zu dämpfen, indem sie einwarf, daß in dem Alter alle Buben rothe Backen hätten, wenn ihnen grad nichts abginge, oder in Bezug auf besseres Lernen in der Schule und Angewöhnung besserer Manieren klagend ihre Wünsche aussprach. Aber solche Einwendungen erfuhren natürlich die gehörige Widerlegung; und wer konnte es der Glücklichen nun verdenken, wenn sie, den schönen Versicherungen in ihrem Innern beistimmend, an ihrem Michel eine Art Wunderkind zu haben glaubte?

Als das ersehnte Ziel erreicht und der Bursche »in die[S. 281] Zahl der Erwachsenen aufgenommen war,« entwickelte er sich indeß mehr nach seinen natürlichen Anlagen, als nach den Gesamtwünschen der Mutter; und die gute Frau mußte ihrerseits erfahren, daß es nichts Vollkommenes gebe unterm Monde!

Zum Theil zwar erfüllte der junge Michel nicht nur ihre Erwartungen — er übertraf sie. Er wurde größer als sein Vater und ragte bald ein andrer Saul über seine Altersgenossen hervor. Gestalteten sich die Züge verhältnißmäßig derb, so waren sie doch regelmäßig. Die bräunlich rothe Gesichtsfarbe paßte zu den Formen, die dunkeln Augen und das dunkle Haar waren untadelich, und mit alledem konnte ihn die Mutter immer noch für den Schönsten im Dorf halten, wenn auch minder befangne Augen einigen andern Burschen den Vorzug geben mußten.

Das Bauernhandwerk lernte er gern und gut. Die Mutter hatte zur Besorgung der Feldarbeiten ihres Vaters Bruder, einen alten Bauernknecht, ins Haus genommen. Dieser weihte den Burschen nach und nach in alle Künste der Landwirthschaft ein, und der Zögling machte sie sich ein wenig langsam, aber gründlich zu eigen. Er gewöhnte sich eine stetige Art zu schaffen an, die ohne Uebereilung auch zum Ziele kommt. Falls es aber gerade sein mußte — z. B. in der Erntezeit, wenn man vor dem drohenden Regen noch schnell ein Fuder hereinbringen wollte — da konnte er auch arbeiten »wie ein Roß!« Durch den trunkenen[S. 282] Eifer beflügelt, den im ächten Landmann die Nothwendigkeit aufzuregen pflegt, leisteten die gewaltigen Gliedmaßen Staunenswerthes; und wenn zufällig ein alter Bauer vorüberging, konnte er sich überzeugen, daß die jetzige Zeit doch auch noch Mannsbilder aufzuweisen habe und die tüchtigen Leute im Ries nicht aussterben würden!

Unter den ledigen Burschen im Dorf erwarb sich Michel eine außergewöhnliche Stellung. Schon als Bube hatte er im »Moestern« (Meistern), d. h. im Ringkampf, nicht nur seine Mitschüler, sondern auch ältere Bursche bezwungen und die Kniffe, womit die Schlaueren über ihn Herr zu werden suchten, durch überlegene Kraft wett gemacht. Er hatte verschiedene unverschämte Kerle in die Grenzen des Anstandes zurückgeprügelt, und die Partei, die ihn bei Schläghändeln auf ihre Seite bekam, durfte sich für geborgen halten. Wie er als Lediger zuletzt »auf die Gass' ging,« glaubten ihn zwei ältere Bursche, die bis dahin für die Stärksten gegolten, »für'n Narren halten« und vornehm behandeln zu können. Das »Geträtze« reifte zu einem nächtlichen Kampf, und dieser verlieh jedem die Ueberzeugung, daß die Gefürchteten ihren Meister gefunden hatten. Michel, von einem Kameraden secundirt, schickte die Gegner jämmerlich zerdroschen heim! — Von da an ließ man ihn nicht nur in Ruhe, sondern wich ihm bescheiden aus und behandelte ihn mit Rücksicht. Er kam nicht mehr in den Fall, die Stärke seines Armes geltend zu machen, außer wenn er sich bei einer entstandenen Prügelei bewogen sah, »auszuwehren,« d. i. thatsächlich Ruhe herzustellen. Die Veranlassung dazu bot sich ihm nicht oft, aber vor etwa dreißig Jahren doch öfter, als es jetzt sein könnte, wo der kriegerische Geist der Rieser Bauernburschen durch[S. 283] die fortschreitende Bildung und die Gendarmerie auffallend zurückgedrängt ist. Bei solchen Gelegenheiten pflegte Michel die Bursche, die sich ihm nicht fügten und immer wieder angriffen, mehr als just nöthig war zu puffen und dadurch den Glauben an seine Ueberlegenheit so aufzufrischen, daß zuletzt das ganze Dorf davon durchdrungen war.

In der angenehmen, behaglichen Stellung, die sich unser Mann erobert, bildete sich folgerichtig ein eigenthümlicher Geist in ihm aus. Obwohl von Natur nicht anmaßend, gewöhnte er sich doch einen kurzen, befehlenden Ton an, weil ihm nach seinem Gefühl kein anderer zustand. Er saß beim Bier unter seinen Kameraden in der Regel mit schweigsamer Würde, ließ sich unterhalten, belohnte den Spaß, der einem »Narra'sager« gelungen war, mit beifälligem Lachen, und spielte nur hie und da selbst einen Trumpf aus, der dann gerade nicht der feinste zu sein brauchte, um günstig aufgenommen zu werden. Wenn aber ein Streit entstand über Dinge, die er zu verstehen glaubte, so pflegte er zu entscheiden. Auch andern Disputen machte er zum öftern ein Ende, nicht durch ein siegreiches Argument, sondern durch die einfache, kräftig betonte Erklärung, daß man »d's Maul halten« solle! — Er war kein Liebhaber von vielen Worten, unser Michel — selbst nicht, wenn Andere sie machten; und wenn seiner Ansprüche im Umgang immer wenige blieben, so wollte er diese doch auch befriedigt sehen. Dank sei es dem Namen, den er sich erworben — unter seinen Kameraden setzte er seine Wünsche durch!

Das wäre Alles gut und schön gewesen, und eine Mutter hätte Ursache gehabt, mit so einem Buben zufrieden zu sein; aber das Bild hatte seine Kehrseite. — Michel nahm keine Manier an! Er konnte sich nicht abgeben mit Vettern und Basen, wie die Schwabin es wünschte — er lernte keine Höflichkeit! — Schon als kleiner Junge, wenn ihn die Mutter in die Stube rief, um ihn einem besonders werthen Besuch vorzustellen, pflegte er ein »wildes« Gesicht zu machen, auf die gewöhnlichen Fragen, halb verlegen, halb trotzig, kurze, zum Theil verkehrte Antworten hervorzustoßen und sobald als möglich das Weite zu suchen. Dem Knaben wurde das verziehen, weil man doch sah, daß er's eigentlich so bös nicht meinte, und auch die etwas[S. 284] beschämte Wittwe konnte über irgend eine komisch-alberne Antwort achselzuckend mitlächeln. Als er aber heranwuchs und seine Sache immer noch nicht besser machte, wurde sie höchst verdrießlich.

Der Bauer hat keine Zeit, die Unterhaltung als Kunst zu betreiben, und Gesellschaften im städtischen Sinn giebt es auf dem Dorfe nicht. Allein man empfängt doch Besuche und macht welche, es giebt fröhliche Zusammenkünfte, und dem jungen Burschen fehlt es keineswegs an Gelegenheit, sein Licht leuchten zu lassen, wenn er eines hat, oder sich wenigstens in herkömmlicher Weise schicklich zu benehmen. — Bei Michel waren dem Erlernen auch solchen Benehmens zwei Eigenschaften hinderlich, die sich in ihrem Bunde unüberwindlich zeigten: Ehrlichkeit und — Faulheit. Seiner geraden Seele widerstrebte es, Dinge zu bewundern, die er nicht besonders, ja nicht einmal gewöhnlich gut fand; und in den Eifer, wo einem derartige Versicherungen allenfalls vom Munde gehen, sich hineinzureden, war ihm unmöglich; denn dazu hätte es einer Anstrengung bedurft, die ihm schon beim bloßen Gedanken abschreckend vorkam! So blieb es in der Regel bei einem schweigsamen Gesicht — einem »Hm,« »Ja,« »Jo« (ja doch), »Freile« und andern lakonischen Aeußerungen, womit sich Leute seines Gleichen aus der Affaire ziehen. Bei ungelegenen Fragen kam noch das im Ries sehr gebräuchliche »Bah« hinzu, das mit stark ablehnender, unter Umständen verächtlicher Miene hingeworfen wurde. Es war in der That unmöglich, in einer unvermeidlich gewordenen Unterhaltung sich kürzer auszudrücken als unser Michel, zum großen Leidwesen seiner Mutter, die ihn gern auch im Diskurs, wo nicht musterhaft, doch löblich gesehen hätte. Manchmal blieb es aber nicht dabei — manchmal, wenn man seine Ehrlichkeit allzustark reizte, platzte er direkt mit der Wahrheit heraus und beging damit eine Unschicklichkeit, bei der es der Mutter grün und gelb vor den Augen wurde. Sie gab sich alle erdenkliche Mühe, die grobe Rede zu vertuschen; wenn es aber nicht gelang und die beleidigte Person sichtlich böse dastand, dann übernahm sie die Rache selber, indem sie den Schuldigen für einen einfältigen Schwätzer erklärte, der nichts verstehe und ein Esel bleiben werde »all sein Lebtag!«

In der ersten Zeit folgte solchen Unterhaltungen in der Regel[S. 285] ein Zwiegespräch, in welchem die Mutter dem Sohn in's Gewissen redete und ihn mit dem Nachdruck der gerechten Entrüstung über seine Mängel aufzuklären suchte. Als er sich einmal durch düstre Schweigsamkeit und kurze Antworten ausgezeichnet hatte, begann die Alte: »Aber ietz sag mer nor, Michel, wie isch (ist es) mögle, daß ma' se so benemma' ka' vor da' Leuta'! Ka'st denn ietz net oh a weng reda', wie's der Brauch ist, und a froendle's (freundliches) G'sicht macha'? Fällt der denn gar nex ei', daß d'alleweil dohstost (dastehst), als ob d'r d's Maul zuag'wachsa' wär'?« — Michel, etwas unmuthig, fragte wie er schon öfter gethan: »No, was soll i denn saga'?« — Die Schwabin kam in Eifer. »Was er saga' soll, frogt er me! — Was ander Leut' saget — Badde (alberner Mensch)! Merkst denn gar net auf? Host denn gar koe Hihra' (Hirn)?« — Michel über diesen Ausdruck verdrießlich, erwiederte: »I ka' des domm' G'säg (Gesage, Gerede) net leida'.« — Aber nun wurde die Alte hitzig. »Wer sakt denn, daß d' a domm's G'säg haba' sollst, o'verständenger Mensch? Ebbes G'scheidt's sollst reda', daß ma'n a'n Unterhalteng hot und vergnügt ist! Gang weiter. A Kerl so stark und so groaß wie a' Bohm (Baum), und hot net amol soviel Versta'd wie a' Schuelbüable! An dir wear' e no' a rechta' Fräd (Freud) verleba', daß Gott erbarm'!« u.s.w.

Kräftiger noch war die Rüge, wenn Michel seiner Ehrlichkeit freien Lauf gelassen und die Wahrheit gesagt hatte, wo Höflichkeit an der Stelle gewesen wäre. Nach dem ersten auffallenden Verstoß dieser Art kam es zu folgender Scene.

Mutter. No ha'et (heut) host widder a Dommheit g'macht! Du bist doch der Dipplengst[3] em ganza' Doraf (Dorf)! Sakt ma'n oem so ebbes en's G'sicht? Setzt ma' d'Leut so en Verlega'heit?

Michel (trutzig). S'ist nor d'Wora't (Wahrheit) g'wesa', was e g'sakt hab'!

Mutter (bitter lachend). D'Wora't! O du o'sennenger (unsinniger) Mensch! Sakt ma' d'Wora't, wann's o'gschickt rauskommt[S. 286] und d'Leut verdrießt? — Was weara'n ietz die von der denka'? Und was weara's von d'r verzähla', wann's hoem (heim) kommet!

Michel. Mei'twega' was went (was sie wollen)! I frog' nex dernoch!

Mutter. Oh rehcht (auch recht)! Du frogst nex dernoch, wamma' de für'n Esel hält und dei' Mueter für a Weib, die de net zoga' hot? Du wurscht a saubers Mannsbild weara'! Du wurscht schöa' durch d' Welt komma'! — Ietz möcht' i nor wissa, w'rom ih grad so gstroft ben und so'n Narra' zum Soh' hab!

Michel (ärgerlich). »No, ietz isch gmuag! — — A'n andersmol du' es (thu ich es) nemmer!« —

Diese Zusage, die ihm das Verlangen nach dem Schluß erpreßt hatte, konnte der gute Michel indessen nicht immer halten. Wenn er aber auch in weitern Verstößen sich selbst übertraf — wenn er, zum Sprechen genöthigt, in seinem Widerwillen vollständig »aus dem Weg naus« redete oder, durch sein eigenes Schweigen belästigt, in der Zerstreuung und ohne Kenntniß des eben Gesprochenen eine Frage that, daß man ihn für »meschucka'« (hebräisch: verrückt) hielt — kurz wenn er auf dem eingeschlagenen Wege consequent fortging, so hörten die Predigten der Mutter doch nach und nach auf. Einmal wurde die wackre Frau müde, stets dasselbe zu sagen für nichts und wider nichts. Dann regte sich, je mehr er heranwuchs und Autorität unter den Dorfburschen erlangte, in Michel ein Geist der Widersetzlichkeit, der sich das »Repermandiren« nicht mehr gefallen lassen wollte. Die Schwabin beschränkte sich zunächst auf einzelne kurze Bemerkungen, wie z. B.: »No, ha'et host widder a Schluap (großes Maul) rahgh'ängt, des muß i saga'! Wann de nor em Spiegel g'seha' hätt'st — du hätt'st der gwiß selber g'falla'!« Oder: »Ha'et host widder 'n Einfall g'hett (gehabt)! Wie d'nor drauf komma' bist! A'n Anderer brächt's net raus, er därft' se Müa' geba'!« — Aber Michel wurde endlich auch dadurch verletzt und sagte einmal unmuthsvoll: »Ietz laß me amol ganga'! I ben wie'n e ben, und durch dei' ewengs (ewiges) G'schimpf wear' e net anderst! Weam e net g'fall, der soll derhoemt (daheim) bleiba', oder — — i hätt' schier ebbes g'sakt!«

[S. 287]

Die Mutter seufzte. Sie mußte einsehen, daß sie sich in einem Punkte geirrt und ihr Sohn eben doch einen Fehler habe, und zwar einen großen, den er vielleicht nie ablegen werde. Aber noch blieb ihr eine Hoffnung. Michel war noch jung, es konnte noch werden. »Vielleicht got's 'm«, dachte die Gute, »wies scho' manchem ganga'n ist! — vielleicht wurd 'r zoga', wann 'm a Mädle g'fällt!« — Dieser Gedanke leuchtete ihr ein und rief eine Art von Lächeln auf ihr Gesicht. Es gab manche im Dorf, die ihr als Söhnerin nicht unlieb gewesen wäre. Wenn Michel an einer seine Freud' hätte, sich »um sie herummachte« und sie zum Tanz führte, dann müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ihm der Verstand nicht kommen und das Maul nicht aufgehen sollte! — Die gute Frau stellte sich das so hübsch und natürlich vor, daß sie recht erheitert wurde und auf diese Medizin das vollste Vertrauen setzte. Sie beschloß, ihn gehen zu lassen und zu warten.

Michel wurde neunzehn, er wurde zwanzig Jahre alt — und noch gefiel ihm keine. Die Mutter schüttelte den Kopf. Nicht nur, daß er keiner den Vorzug gab — er machte sich aus den Mädchen überhaupt nichts. Er lief ihnen nicht nur nicht nach, er wich ihnen aus oder that wenigstens, als sähe er sie nicht. An Lustbarkeiten nahm er Theil, aber nur, um sich zu Mannsbildern zu setzen, die ohne Schatz waren, wie er. Mit diesen zechte, dampfte und diskutirte er in der schon beschriebenen Art und ging endlich zufrieden nach Hause. Ein paarmal ließ er sich von einer Nachbarin, die einige Jahre älter war als er und ihm gegenüber eine Art von Erziehungstrieb spürte, zum Tanzen verleiten. Als aber nach dem zweiten Versuch eine alte Base zu ihm sagte, er tanze, daß »dem Teufel dran grause«, und er müsse es besser lernen, sonst wärs g'fehlt — da hatte dies nicht zur Folge, daß ers besser lernte, sondern ganz und gar aufsteckte. — Die Mutter wurde recht bedenklich, und an die Stelle der Hoffnung trat das Mißvergnügen und die Sorge.

Auf dem Lande heirathet man verhältnißmäßig früh, und früh knüpfen sich auch Liebesbündnisse. Zwei junge Leute, die sich gefallen, gedeihen eben darum bald zum Liebespaar, weil sie auch bald zum Ehepaar gedeihen können; und der Dorfgeschichten-Erzähler wird[S. 288] nicht leicht in den Fall kommen, seine Leser für das Verhältniß eines Vierzigers mit einem zwanzigjährigen Mädchen interessiren zu müssen, was der Novellist der höhern Stände immer seltner wird umgehen können. Daß ein Sohn zu spät oder zu wenig nach den Mädchen fragt, ist ein Unglück, welches bäurischen Eltern selten begegnet. Oefter kommt es vor, daß einer in jungen Jahren zuviel darnach fragt und dann natürlicherweise Folgen sich ergeben, die den Eltern viel Verdruß machen können, in der Regel aber auch wieder eine gute Ausgleichung finden. Vernünftige Eltern wünschen niemals, daß ihr Sohn eine Liebschaft anfange, wenn er kaum ein paar Jahre aus der Schule ist. Aber wenn ein Jahr ums andere vergeht, wenn er in die Zwanzige eintritt und immer noch thut, als ob's gar keine Mädchen auf der Welt gäbe, dann findet man das auf dem Lande nicht natürlich.

Als Michel das zwanzigste Jahr hinter sich hatte, achtete es die Schwabin für ihre Pflicht, ihm in dieser Beziehung Ermahnungen zu geben — freundliche, liebevolle Ermahnungen: sie wußte ja, daß andere bei ihm nicht anschlugen! — Bei Gelegenheit eines Tanzes forderte sie ihn auf, ins Wirthshaus zu gehen und sich auch einmal ein Vergnügen zu machen. Er habe ja die letzte Zeit her genug geschafft, und für Leute seines Alters wären ja solche Gelegenheiten da. Michel antwortete, er wolle sich schon ein Vergnügen machen. Die Mutter schüttelte den Kopf und sagte: »I moe (meine) net, daß de widder he'setzst und rohchst aus dei'm Pfeifa'kopf — i moen, daß d'oh a Mädle nemmst und danzst mit 'r, wie ander' jung Leut'.« — Michel schwieg einen Moment, dann sagte er: »du woescht (weißst), Mueter, d's Danza' frät me net.« — Hier konnte die Mutter ihre Ungeduld nicht bemeistern. »Kott's Blitz, red net so! Fang's nor a', 's wurd de scho' fräa'!« — Und in freundlicherm Ton setzte sie hinzu: »Ha'et kommt dei' Bäsle von ** ins Wirthshaus, a saubers Weibsbild — ka' alle Arbet und hot ebbes! Des wär' a Dänzere für di! Mach de lusteng mit 'r (ihr), nemm's mit in d' Stub' nei' und loß 'r ebbes auftraga'. Kott's Kreuz nei', a Mensch, der ins oenazwanzengst Johr got.« — »Aber i ka' ja net danza«, entgegnete Michel. »D'Leut lachet me aus.« — »Wie wursch (wirst[S. 289] du's) denn aber learna', wann's net probierst?« versetzte die Alte. »Learngeld hommer (haben wir) alle geba' müssa' — des verstot se. Aber die Bäbe, die wurd de scho' regiera'; die brengt de rom — doh ka'st de drauf verlossa'. — Komm, versprich mer's!« — »Ach Gott«, erwiederte der gute Bursche mit einer Miene, als ob er Arznei nehmen sollte — »i due's recht o'geara'.« — »Ietz verzürn' me net«, entgegnete die Mutter, »oemol mueß sei',« — »I hab' koe Gloech (Gleich, Gelenk) derzue,« versetzte der noch immer Bedenkliche. — »Dommheita'! du host dei' grade Glieder! Und du ka'st ja doch bei der Arbet sprenga' (springen, laufen) wann's sei' muß!« — »Ja bei der Arbet!« erwiederte Michel, als ob er hinzusetzen wollte: »das ist auch was ganz Anders!« — »Beim Danza' got's no' (noch) besser!« versicherte die Mutter; und indem sie ihn schmeichelnd auf die Schulter klopfte, setzte sie hinzu: »komm, sei brav, versuch's und due (thu) oh amol ebbes, was e (ich) geara' hab'!« — Der gute Michel verspürte bei diesen bittenden Worten einige Rührung, und um der Sache ein Ende zu machen und loszukommen, sagte er: »No, i will seha'!« — »Also du willst?« rief die Mutter. — »Ja, ja«, erwiederte Michel, »i will seha'!« —

Als er am andern Morgen in die Stube trat, fragte die Schwabin: »No, wie hot's ganga'?« — »Ganz guet«, versetzte Michel. — »Bist z'recht komma'?« — »Des will i moena'«, erwiederte der Sohn mit Selbstgefühl. — »No«, sagte die Alte erheitert, »des hab' i ja g'wißt! — Host aber oh ebbes auftraga' lossa'?« — »Des net.« — »Wie, 'r Dänzere, zu der ma' Froed (Freund) ist?« — »Ja so«, versetzte Michel, »du red'st vom Danza'?« — »No, von was soll i denn reda'?« — »Ja, lieba' Mueter«, erwiederte der Sohn mit einer Art von Bedauern, »des muß i d'r scho' saga': danzt hab' e net.« — »Was? Aber du sakst ja —« »Ja«, entgegnete der Enakssohn, »i hab denkt, du moest ebbes andersts. 'S hot nämlich bald 'n kloena' Handel geba', und doh hab' e ausg'wehrt. Doh ist so a kloener Grippel (Krüppel; bedeutet hier bloß die Kleinheit) g'wesa', der gar koen Fried hot geba' wölla'. I hab' wärle Earnst macha' müassa'! — Aber ietzt«, setzte er mit Befriedigung hinzu, »ietzt, hoff' i, wurd er oh an mi denka'!« — Die Mutter, ärgerlich, versetzte:[S. 290] »Aber des wurd doch net eweng daurt haba'? Später wurd's doch oh no Zeit geba' haba' zum Danza'?« — »Ja«, sagte Michel, »doh hab i nocht (nachher) mei' Unterhalteng scho' g'hett (gehabt), und i hab denkt: für ha'et isch gmuag!« — Die Alte wußte nicht, sollte sie weinen oder lachen über so einen Menschen. »No«, sagte sie endlich, »i sig scho', an dir ist Hopfa'n und Malz verloara'!« — »Desdawega' (deßwegen) no net«, erwiederte Michel behaglich, und ging langsamen Schrittes an seine Arbeit.

Trotz des schlechten Erfolges dieser ersten Ermahnung richtete die Mutter ähnliche noch zu wiederholtenmalen an den Sohn. Die gute Frau meinte: »'s ist doch a Vergnüaga, was i von 'm haba' will! 's ka' ja net sei', daß 'r gar koen G'falla' dra' fendt! 'S ist doch no a'n ieder endle drauf komma'!« — Allein ihre Bemühungen blieben fruchtlos. Einmal ließ sich Michel bewegen, noch einen Tanzversuch zu machen; aber abgesehen davon, daß er nicht das geringste Vergnügen dabei empfand, hörte er auch aus einer Ecke von zwei Mädchen ein »Kuttern« (gedämpftes Lachen), das er nur auf sich beziehen konnte, und in dem Aerger, den »Fratzen« zum Gespötte zu dienen, sagte er zu seiner Tänzerin: »So, ietz ist gmuag, ietz ka'st widder ganga'!« und kehrte in die Stube zurück, um seinen Unmuth zu vertrinken. Ein Kamerad, den er auf's Gewissen fragte, wie er eigentlich tanze, erwiederte mit bedeutungsvollem Blick: »Loba' ka'n e's net!« Michel nickte schweigend; und als er heimkam und seine Mutter wieder fragte, ob er »sich lustig gemacht« habe, antwortete er mit Unmuth: »Ja, danzt hab' e; aber desmol und mei' Lebteng net widder! Aus isch! Globst du, doß i da' Leuta' da' Narra' ahgib? doh bild' i mer doch z'viel ei'! Kott's Kreuz-Taused« — — »Aber« — »Ietz hör' auf oder du machst me falsch! I will endlich 'n Fried' haba' mit dem Sakermentsdanza' doh! — 'S wär koe Wonder, 's käm' ebbes dabei raus!« — — Die Mutter sah den Burschen achselzuckend an und schwieg. Sie mußte sich überzeugen, daß an so einem Menschen kein Reden was helfen kann! In Gottes Namen! Sie hatte ihre Schuldigkeit gethan; und wenn er nicht mehr auf den rechten Weg zu bringen war — ihr konnten keine Vorwürfe gemacht werden. Hatte sie sich doch auch schon erboten,[S. 291] ihn selber tanzen zu »lernen« (lehren)! Aber was hatte er drauf gesagt? »Mit mei'r Mutter z'danza', kommt mer so öad für, daß mer übel wurd, nor wann e dra' denk'!« Mit so einem Menschen fang' eines was an! Nein! — er soll thun, was er will! Und wenn er »a'n alter Esel« wird und keine kriegt, soll er's haben!

Um es kurz zu machen — unser Bursche hatte das sechsundzwanzigste Jahr hinter sich — und noch konnte er das Tanzen nicht und noch hatte er keinen Schatz, geschweige denn ein Weib. Er näherte sich dem, was auf dem Dorf ein »alter Jungg'sell« heißt; denn wenn der Bursche einmal in der zweiten Hälfte der Zwanzige steht, dann kann er sich nicht mehr viel auf seine Jugend einbilden und es ist Zeit, daß er seine Wahl trifft. Hat er einmal »drei Kreuz auf'm Buckel (Rücken)«, dann ist er schon sehr anrüchig, und er muß andere Qualitäten bedeutender Art haben, falls er auf eine Dorfschöne noch Eindruck machen will.

Bei seiner Weise zu leben wurde Michel natürlich ein eigenthümlicher Kauz. Von Herzen gutmüthig, konnte er doch leicht und schnell böse werden, wenn man ihn durch eine Zumuthung belästigte oder durch Widerspruch reizte. Der kurze, befehlende Ton unter Kameraden wurde ihm zur andern Natur, er gebrauchte ihn ganz gemüthlich und hatte keine Ahnung davon, daß er einen Andern damit in einer Art ansprach, die er von ihm sehr übel aufgenommen hätte. Wer ihn zu behandeln wußte, konnte gleichwohl Alles mit ihm anfangen. Auf eine gute Rede, für einen guten Freund wär' er in's Feuer gegangen. Natürlich wurde er bei alledem kein großer Menschenkenner. Er bildete mehr die Gabe des Glaubens, als das Talent der Prüfung und Unterscheidung aus, glaubte an seine eigenen Einfälle und anderer Leute Versicherungen und handelte in diesem Vertrauen oft sehr naiv. Er gab im Dorfe zu manchem Spaß Anlaß, der gute Michel, und man lachte bei solchen Gelegenheiten weidlich über ihn — aber hinter seinem Rücken! Denn ihm ins Gesicht zu lachen, wollte doch Niemand räthlich finden! —

Die Mutter ließ ihn gehen. Am Ende, wenn er nicht heirathete, blieb sie die Herrin im Haus bis an ihr letztes Stündlein; und wir wissen, sie regierte gern. Aber ihr Muttergefühl überwog doch.[S. 292] Eine rechte Söhnerin ins Haus und für sie »Enkala'« zu wiegen, wär' ihr doch lieber gewesen. — Wenn sie daran dachte, verlor sich ihre Zufriedenheit; sie schüttelte den Kopf und seufzte. Zuweilen tröstete sie sich selbst mit den Worten: »Was ka'n i macha'? 'Sist eba'n a Blohk (Block) und bleibt oer!«

Damit aber that sie ihrem Sohn unrecht. Die Fähigkeit, die sie so gern bethätigt gesehen hätte, fehlte nicht, sie schlief nur und harrte ihrer Zeit. Und die Zeit kam endlich und eine neue Periode begann für Michel — die geschichtliche. Kurz: er sah »die Rechte« — die bestimmt war, sein Herz zu rühren. Und bei dem ersten Anblick schon wurde ihm höchst seltsam zu Muthe, und was die Mutter ihm vorgepredigt und was er niemals verstanden hatte, das begriff er mit einem Schlag.

Diese Rechte war Margareth, zweite Tochter eines Söldners und Maurers, dessen Haus in der nämlichen Gasse lag. Als »Greatle« war sie aus dem Dorf gekommen, um zu dienen — als »Great« kam sie wieder, da ihre ältere Schwester sich verheirathet hatte und der verwittwete Maurer sie im Haushalt brauchte. Vor vier Jahren, wo sie das elterliche Haus verließ, hatte sie noch wenig »gleichgesehen« (vorgestellt); jetzt verwunderte sich Alles über ihre »Aussicht.« Sie war stattlich und groß — um ein Gutes kleiner freilich als Michel, aber doch das größte Mädchen im Dorf. Zugleich war sie ein sehr hübsches Mädchen. Sie gehörte zu jenen gesunden, kräftigen Blonden, welche das heiterste Bild froher Weiblichkeit gewähren. Ihre Züge waren regelmäßig, die Gesichtsfarbe hell; die Backen hatten nur einen leichten rosigen Anhauch, aber desto röther waren ihre Lippen; und wenn sie lachte, war es ein Vergnügen, ihre weißen Zähne durchblinken zu sehen. In gemüthlicher Aufregung pflegten die Flügel ihrer wohlgebildeten Nase sich etwas in Bewegung zu setzen, was auf ein lebhaftes Temperament schließen läßt. Allein wer ihre ziemlich hohe, klare Stirn sah und ihre hellen blauen Augen, der erkannte in ihr ein Mädchen, die zu gescheidt war, um ihrem Temperament die Zügel schießen zu lassen. In der That war sie ein fröhliches, aber unverdorbenes Geschöpf; vielleicht eben darum unverdorben, weil sie fröhlich war und nach der Arbeit in Scherz[S. 293] und Spiel ihre Erholung und Befriedigung fand. Sie war das letzte Jahr zu Nördlingen im Dienst gewesen, und es hatte ihr an verliebten Nachstellungen durchaus nicht gefehlt. Allein Margareth war ein ächtes Bauernmädchen — ein rechter »Bauernburscht« ging ihr über Alles, und da sie so einen noch zu bekommen hoffte, so konnte ein »Nearlenger Da'le (Daniel; Spottname der Nördlinger unter den Bauern)« keine Macht über sie gewinnen. Im Uebrigen war das Schaffen ihr Vergnügen. Sie gehörte zu den Personen, denen nach dem Rieser Ausdruck »etwas aus der Hand geht« — die nicht lange fackeln und herumtappen, sondern die Sache gleich recht angreifen, und die gerne arbeiten, weil sie immer etwas Ordentliches fertig sehen.

Gewiß ein Mädchen, der es zustand, das Herz unsres Burschen in Bewegung zu setzen! Wäre Michel geschickter gewesen, so hätte man sagen können: sie war unter den Mädchen des Dorfs, was er unter den Burschen. Allein unter den gegenwärtigen Umständen ragte sie über ihn empor, und das war auch nöthig, wenn sie dem Stolzen einleuchten und den Selbstgenügsamen zu der Erkenntniß bringen sollte, daß ihm doch noch etwas fehle und daß er sich um etwas zu bemühen habe.

Als Michel ihr das erstemal begegnete und sie ihm guten Tag bot, sah er sie verwundert an und erwiederte stehen bleibend: »I muß scho' saga'« — Das Mädchen, ihm zu Hülfe kommend, rief: »Du kennst me g'wiß nemmer, Michel? I ben d's Maurers Margret!« — »Kott's Blitz«, erwiederte Michel, »'s ist wohr! — Aber du bist ja a Fetza'mädle woara!« — Der Ausdruck »Fetza'mädle«, obwohl eine tüchtige Person bezeichnend, klang doch von einem Burschen zu einem hübschen Mädchen nicht besonders zierlich und rief auf dem Gesicht der Gret ein Lächeln hervor. Sie sagte ein wenig schnippisch: »Uir Mannsbilder moenet wohl, uir könnet alloe groaß wäara'? Aber manchmal g'rothet (geräth) von o's doch oh oena'! — No, godda' Morga'!« — Sie ging weiter. Michel hatte mechanisch das »godda' Morga'« wiederholt und sah ihr jetzt mit einer curiosen Empfindung nach. Endlich sagte er: »Des ist ja a verfluacht saubers Weibsbild woara, die Great! Wer hätt' des g'lobt (geglaubt)!« Er[S. 294] drehte sich um und ging weiter; aber das Bild der Gret stand immer vor ihm und seine Gedanken konnten nicht von ihr loskommen. Es gährte und »grubelte« in seinem Herzen, und nachdem sein Mund eine halbe Stunde geschwiegen, verrieth er die Beschäftigung seiner Seele, indem er plötzlich murmelte: »A saubers Weibsbild, wärle! A Mädle, wie von Wachs!«

Der Keim war in unsern Burschen gelegt. Bei weiterem Nachdenken erkannte er immer mehr, daß die Gret diejenige sei, die er haben möchte, zum Schatz — zum Weib! Er begriff, wie man einem Mädchen nachlaufen könne; denn eigentlich wäre er der Gret jetzt selber gern nachgelaufen! Was ihm früher zuwider gewesen, das erschien ihm jetzt lieb und angenehm. Es dünkte ihn schön, sehr schön, mit der Gret eine »Ansprach« zu halten, sie zum Tanz zu führen, sie ordentlich herumzudrehen und ihr tüchtig auftragen zu lassen! Was die Mutter früher umsonst gewünscht hatte, jetzt hätte er's ausführen können Alles miteinander! — — Allein er wäre nicht Michel gewesen, wenn er die Sache nun so angegriffen hätte, daß er zu seinem Zwecke gelangen mußte.

Zuerst überlegte er, und dabei kam ihm ein Skrupel, der ihn höchst bedenklich machte. »Wann's de aber no net möga' dät? Wann's de auslacha' dät und du ständest doh« — — Es ging ihm heiß durch die Brust bei diesem Gedanken und er sah gewaltig düster für sich hin. Michel hatte nichts von der Eitelkeit, die junge Bursche glauben läßt, jedes hübsche Mädchen müsse sich in sie verlieben; aber um so mehr besaß er jenen Stolz, für welchen der Gedanke, sich verachtet zu sehen, empörend ist. Wenn Er, der niemals nach den Mädchen was fragte, der ihnen auswich, der zu wiederholten Malen erklärte, er könne ihr »G'säg« nicht leiden — wenn er, der Michel, vor dem Alles Respekt hatte, nun plötzlich einer nachginge und schlecht ankäme! Wenn sie ihn verspottete und es käme heraus und das ganze Dorf spottet über ihn — — Ein Kernfluch entrang sich bei dieser Vorstellung seinen Lippen. Nein, so durfte er sich nicht in Gefahr begeben. Das mußte klug und vorsichtig — sehr vorsichtig angefangen werden.

Er faßte den Entschluß, keinem Menschen zu sagen, wie's ihm[S. 295] war. Zur Mutter zu gehen und ihr zu beichten, er hätte ein Mädchen gern, wäre ohnehin nicht in seinem Charakter gelegen; nachdem er aber so lange ihren Ermahnungen widerstanden hatte, wäre sie die letzte gewesen, der er seine Bekehrung hätte vertrauen mögen. »Vor der Hand« sagte er endlich zu sich selbst, »will i seha', wie's got! — Und was will e? Z'erst muß e ja doch oh d's Mädle nommol (nochmal) betrachta': vielleicht g'fällt's m'r nemmer so.«

Mit dieser Hoffnung täuschte er sich freilich. Als er sie wieder sah, gefiel sie ihm nicht weniger, sondern noch viel besser als das erste Mal. Sie hatte just ihren schönsten Tag, war in ihrer heitersten Laune und glänzte vor Vergnügen! — Das Herz des Guten klopfte, als er sie grüßte, und er hätte jetzt nicht stehen bleiben und mit ihr ein paar Worte reden können! Eine höchst ungewohnte Aufregung trieb ihn an ihr vorbei, und erst als er ein paar hundert Schritte gegangen war, beruhigte er sich wieder. — »Des ist nex g'wesa',« sagte er endlich zu sich selbst und schüttelte höchst ernsthaft den Kopf.

Er war gefangen, der arme Michel. Er hatte seinen Theil — und konnte sehen, wie's ihm ging. — Zu dem schönen Aussehen der Gret kamen zuletzt noch die Urtheile, die er von Andern über sie hörte. In diesem Punkte sind wir Alle Menschen! Wir lieben die Geliebte um ihrer selbst, um der Schönheit und Tugend willen, die uns aus ihr entgegen leuchtet. Allein wenn sie nun auch von Andern gerühmt wird, so hat das nicht zur Folge, daß unser Wohlgefallen an ihr sich mindert — im Gegentheil; das Lob, was ihr gesungen wird, ist ein Hauch, der die Flamme unsres Herzens oft noch viel stärker anblasen kann. Michel horchte herum, indem er mit gutem Erfolg den Gleichgültigen spielte; denn die Liebe schärft den Verstand aller Wesen. Und wie er nun hörte: »a g'schickt's Mädle — a schöas Mädle — a bravs Mädle« — ja, von einem alten Kenner »a Staatsmädle,« da war's ihm zu Muthe als wenn er dieses Mädle kriegen müsse, koste es was es wolle. Er fühlte einen unwiderstehlichen Trieb, sie wieder zu sehen — und ging ihr nun extra zu Gefallen.

Nachdem er sich ein paarmal umsonst bemüht hatte, kam sie ihm eines Nachmittags mit einer Kamrädin entgegen. Er wollte sie diesmal recht darauf ansehen, ob sie denn wirklich eine solche sei, wie die[S. 296] Leute sagten; deshalb ließ er seine Augen während des Grußwechsels tiefprüfend auf ihr ruhen, indem er, den Blick zu verlängern, auch noch den Kopf nach ihr drehte. Als er vorüber war, sagte die Kamrädin zur Gret: »Aber der hot a baar Oga' g'macht auf dih hear! Kommt mer grad für, als ob er — no des wär' aber zom Lacha'!« — »Was moest (meinst) denn?« fragte die Gret lächelnd. — »Gang,« erwiederte die andere, »du verstost me wol net!« — »Du moest, er wär'« — »Oh (auch) in di verliebt, ja, so kommt's mer für!« — Die Gret versetzte: »Sei g'scheidt! Dean kennt ma' ja! — Mir isch gar net so fürkomma'!«

Natürlich log hier das hübsche Mädchen. Ihr war's erst recht so vorgekommen — und heute nicht das erste Mal. Schon bei der zweiten Begegnung hatte sie »ebbes gnissa'« (bemerkt), und jetzt war's klar, oder Alles mußte trügen. — Die Gewißheit, die sie erlangt hatte, machte einen sehr wohlthuenden Eindruck auf sie. Fürs erste wars eine Ehr', den verrufenen Sünder zu bekehren und den Mädchenverächter dahin zu bringen, daß er auch daran glauben mußte. Aber das war das Geringste. Michel gefiel ihr! Seine Statur und der Ruhm seiner Stärke hatten ihr schon früher Achtung eingeflößt; gegenwärtig kam ihr sein Gesicht für ein Mannsbild hübsch genug vor, die Gutmüthigkeit, die ihm aus den Augen sah, rührte ihr Herz — und das »B'sondere« und »O'gschickte,« das er an sich hatte, erheiterte sie, ohne ihm bei ihr zu schaden. Als sie wieder allein war, lächelte sie für sich hin. »Es ist oft guet,« sagte sie endlich, »wann der Ma' net gar z'g'scheidt ist!« —

Wie man sieht, gingen ihre Gedanken ebenfalls ziemlich rasch. Das ist natürlich und — ländlich. — Aber ihre Sache war es nicht, ihm nachlaufen; wenn es ihm ernst war, mußte er kommen — sie konnte zusehen. Ihr Gesicht klärte sich schelmisch auf. »Wie er se a'stella' wird derzue?« fragte sie sich. »I bin wirkle neugiereng!« Er hatte ihren Beifall, der gute Michel, sie konnte ihn zum »Burscht,« sie konnte ihn zum Manne nehmen, wenn's sein mußte, — ja es regte sich der Wunsch in ihr, daß es so ausgehen möchte; — aber sie bereitete sich doch vor, ihn auszulachen, und freute sich darauf! — Sie war ein Mädchen.

[S. 297]

Michel hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß die Leute ganz recht hatten mit dem, was sie über die Gret sagten. Aber wenn dies seine Liebe noch mehr schürte, so fachte es auch seine Sorgen an. Die Gret hatte ihn diesmal gar nicht angesehen (er hatte noch keine Kenntniß davon, daß die Mädchen nicht sehen und doch sehen können!) und es war ihm beinahe vorgekommen, als ob sie ein etwas spöttisches Gesicht gemacht hätte. Was sollte er thun? Sollte er warten und stillschweigen? Dann kam vielleicht ein Anderer und nahm sie ihm weg. Oder sollte er ihr nachgehen und reden mit ihr? Dann sagte sie vielleicht, er könne wieder gehen, woher er gekommen sei, und er wurde das Gespötte des ganzes Dorfes. — Die Klemme war verwünscht und guter Rath theuer.

In der Unterhaltung.

Jede Versäumniß rächt sich. Man soll in jungen Jahren nicht denken: Wozu hab' ich das nöthig? Wozu könnte das gut sein? — Man soll Kenntnisse sammeln und sich Fertigkeiten aneignen, wie die Gelegenheit sich bietet, auch wenn zunächst keine Neigung dazu vorhanden und Anstrengung erforderlich wäre; denn man weiß nie, wozu man sie später brauchen kann! —

Davon überzeugte sich jetzt auch Michel. Die Liebe trieb ihn hin und her, sie ließ ihm keine Ruhe, und er sah ein, daß er etwas unternehmen müsse, geh es, wie es wolle. Er mußte mit der Gret reden — er mußte erfahren, was er zu hoffen habe — sonst wurde er toll! — Aber wie sollte er's anfangen? Wie sollte er sein Anliegen vorbringen?

Er dachte darüber nach und nichts fiel ihm ein, was er für anwendbar und gut gehalten hätte. Es dünkte ihn so närrisch, von der Liebe zu reden; es war ihm, als würde es nicht herausgehen aus ihm, als würde er stecken bleiben und dastehen, wie d's Kind beim — — Da hatte er's nun! Gab's nicht Kerle im Dorf, denen bei den Mädchen das Maul ging »wie geschmiert?« die nicht nur sagen konnten,[S. 298] was sie auf dem Herzen hatten, sondern noch viel mehr dazu lügen? Hatte er nicht gehört, daß mancher schon eine, die ihn zuerst gar nicht leiden konnte, durch bloßes Reden soweit gebracht, daß sie endlich zu Allem Ja sagte? — Aber so geht's! Hätte er in jüngern Jahren auch mit den Mädchen diskurirt, mit ihnen getanzt und sich lustig gemacht, — hätte er sich das bischen Mühe gegeben und gelernt, wie man mit ihnen umgehen muß — dann könnte er's jetzt und müßte sich nicht den Kopf zerbrechen! — Er fühlte ganz ernstlich Reue, der gute Michel! Er wurde verdrießlich, sehr verdrießlich. »I ben a'n Esel g'west, und des a großer,« sagte er zu sich selbst. »Aber,« setzte er hinzu, »wie hab i oh wissa könna, daß mer no' so ganga' wurd!«

Ein paar Tage ließ er vorbeigehen. Zuletzt, durch den Kampf der Leidenschaft mit der Furcht gequält und geärgert, rief er zornig: »Hol der Teufel alles! So ka'n e's nemmer aushalta' — i muß woga', komm's raus wie's will!« — Die Gret stand vor seiner Seele so schön und mit einer Miene, die nichts Abschreckendes hatte! »Dommheit«, rief er beherzt. »I sott me wohl vor'm Mädle färchta' (fürchten)? Des wär' ja zum Lacha'.« — Er faßte den Entschluß, bei nächster Gelegenheit mit der Gret zu schwätzen und sein Anliegen vorzubringen oder wenigstens »drom rom« (darum herum) zu reden, zu sehen, was sie für ein Gesicht dazu mache, und dann ein andersmal weiter zu gehen.

Recht schön fügte sich's, daß er das Mädchen eines Abends, als ihn ein Geschäft auf den Fußweg hinter den Dorfgärten geführt hatte, ganz allein gegen sich herkommen sah. Die Gelegenheit konnte nicht günstiger sein, er mußte sie benutzen. Was er zuerst zu ihr sagen wollte, wußte er genau, nämlich: »Godda'n Ohbed (guten Abend) Margret!« Das Uebrige gab sich dann von selbst. Entschlossen ging er vorwärts. Wie er aber die Gret näher und näher kommen sah, machte er eine seltsame Erfahrung. Sein Herz fing an zu klopfen, vor den Augen begann es ihm zu flimmern, und die Lippen wurden so schwer, als ob Gewichte daran gehängt worden wären. Es schien ihm unmöglich, sie zu bewegen — und da halte einer eine Ansprache! Vor der Gret angekommen, machte er eine unerhörte Anstrengung[S. 299] und rief mit grimmiger Freundlichkeit: »Godda'n Ohbed, Margret!« — »Godda'n Ohbed, Michel,« antwortete die Gret mit heller Stimme und mit einem Ausdruck auf ihrem Gesicht, als ob sie recht gut wüßte, in welchem Spittel der arme Bursche krank läge. Dieser nahm indeß nichts wahr. Nach der Leistung, die er sich abgerungen, trieb es ihn mit unwiderstehlicher Macht an ihr vorüber — weiter und weiter. Nachdem er hundert Schritte gemacht hatte, athmete er auf; aber erst als er um eine Ecke bog und nicht mehr gesehen werden konnte, wurde er leichter und ruhiger. — Er hielt an, dachte nach — — und sein Benehmen stand klar vor seinen Augen. Er hatte sich nun doch gefürchtet — und die schönste Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen! Unmuth erfüllte seine Brust und sehr ärgerlich rief er: »Ietz möcht' e mer glei (gleich) selber a'n Ohrfeig' geba' daß mer der Kohpf somsa' dät! Fürcht' me wärle, und zitter' am ganza Leib, als wann e oen ombrocht hätt! Sott ma' denn globa', daß ma' so domm sei' ka'?« —

Die Sache war indeß nicht anzufechten, sie war geschehen und der Verdruß konnte nichts daran ändern. Für Michel gab es nur Einen vernünftigen Entschluß: sie zu vergessen und sich vorzunehmen, es ein andermal besser zu machen. Dazu verstand er sich denn auch. »I ben a Narr,« sagte er, »daß e me verzürn'! Verloara'n ist no nex, und so wurd's net allmol ganga' (gehen).« — Er stellte sich vor, wie er das nächstemal reden werde, er hatte Einfälle, wie man sie nach einer versäumten Gelegenheit zu haben pflegt — und so von weitem schien ihm die Sache ganz leicht zu machen. »Bah,« meinte er endlich, »des ist ha'et nor so a dommer A'fall g'wesa'! 'S müeßt ja beim Deufel sei', wann ih net könnt', was jeder ander' ka'!« — Er tröstete sich und ging beruhigt und mit neuem Muthe nach Hause.

Wieder verstrich einige Zeit. Es war in der letzten Woche des Monat Mai, und unter dem Wehen der Ostluft kam ein wunderschöner Tag herauf. Ein leichter Reif hatte auf der Landschaft gelegen, die Sonne, in den wolkenlosen Himmel sich erhebend, sog ihn weg und goß den Silberglanz des Morgens über die Erde. Die Lerchen sangen, die Landleute, die sich an ihre Arbeit begaben, zeigten vergnügte Gesichter, das Vieh, das zum Saufen getrieben wurde,[S. 300] brüllte vor Lust und sprang rechts und links in die Höhe. Das Alles war so fröhlich, so ermuthigend! Es war einer von den Morgen, wo im Herzen so wenig eine Sorge aufkommen kann, wie am Himmel ein Wölkchen — wo im Innern der Frohsinn regiert und draußen der Sonnenschein.

An diesem Morgen fühlte sich unser Michel frisch und munter, wie seit langer Zeit nicht. Er dachte an die Gret — mit stillem, ruhigem Vergnügen. Es war ihm, als könnte er heute schwätzen und Spaß machen nach Belieben, und wenn's sein müßte, gelegentlich auch ein ernstes Wort reden — kurz, er fühlte sich aufgelegt. Indem er sich's lebhaft vorstellte, empfand er ein Verlangen, sein Vermögen in's Werk zu setzen. Er faßte sich kurz und machte sich auf den Weg durch die Gasse, in der Hoffnung, die Geliebte zu sehen. Im Nothfall, wenn er sie nämlich vor ihrem Hause nicht traf, konnte er hineingehen und den Maurer bestellen; denn an seinem Hause war ein Stück weit der Mörtel abgefallen, und wenn es auch auf dem Lande nicht grad nothwendig war, ihn wiederherzustellen, so konnte es doch auch nicht schaden.

Sein guter Muth und seine Laune minderte sich nicht, als er der Wohnung des Maurers sich näherte. Er hatte ein paar Vorübergehende gegrüßt und die gewöhnlichen Formeln waren ihm so leicht und lustig vom Munde gegangen, daß ein junges Weib sagte: »Du bist aber ha'et alert, Michel!« — Darin lag für ihn ein neuer Beweis, daß er heute seinen guten Tag habe, und rüstig ging er vorwärts. In dem kleinen Hofe sah er die Gret nicht; aber im Wurzgärtlein, von der Gasse nur durch einen niedrigen Zaun getrennt, war sie über ein Beet hin gebückt. Wie er sie hier unvermuthet erblickte, war er doch betroffen. Es hieß nun wieder: »Vogel friß oder stirb,« und vor dem strengen Antlitz der Nothwendigkeit entfloh der leichte Humor in seinem Herzen, um den Anwandlungen von letzthin Platz zu machen. Es mahnte ihn etwas, zu thun als ob er sie nicht gesehen hätte, und sachte weiter zu gehen. Aber heute war er nicht gemeint, auf die Stimme des Kleinmuthes zu hören; er unterdrückte die Bewegungen seines Innern, blieb stehen und rief entschlossen: »Godda' Morga', Margreat!« — Das Mädchen sah auf und erwiederte:[S. 301] »Ei, godda' Morga', Michel! Bist oh scho' en der Höa' (Höhe, d. h. aufgestanden)«? — Diese Frage kam ihm ungelegen; denn eigentlich hatte er selber fragen wollen: »Oh scho' auf?« — und wenn sie dann, wie es nicht wohl anders möglich war, mit Ja antwortete, so hätte er ihr was Schönes gesagt über ihr frühes Aufstehen, ihren Fleiß u. s. w. Das konnte er nun, wenigstens in der zuerst ausgedachten Weise, nicht mehr, und dieser Umstand machte ihn ein wenig verwirrt. Er antwortete zögernd: »Ja wohl,« und da er sich auf diesen Fall nicht vorgesehen hatte, so entstand eine kleine Pause. Allein mit Recht hatte er geglaubt, daß er heute seinen guten Tag habe. Nicht lange besann er sich, und ein neuer Einfall war da. Er drehte seinen Kopf in der Luft herum und sagte: »Ha'et hommer (haben wir) amol a schöas Wäder (Wetter)!« — Die Gret erwiederte heiter: »Ja Gottlob! Mer (wir) könna's aber oh braucha'!« Und ohne Unterbrechung und würdig setzte er hinzu: »Descht (das ist) wohr! — Des könna' mer!«

Bis hieher war's gut gegangen, trotz der nothwendig gewordenen Aenderung, und Michel konnte sich dessen bewußt sein. Aber nun war eine neue Rede nöthig, und nichts wollte ihm einfallen. Es entstand eine längere Pause. Ein besserer Beobachter als Michel hätte an dem Gesicht des Mädchens wahrnehmen können, daß sie gar wohl im Stande gewesen wäre zu reden und dem Burschen aus der Noth zu helfen — daß sie aber aus irgend einem Grunde nicht wollte! Michel besann sich, und ein neuer Einfall kam. Er sagte: »Bischt allweil g'sond und wollauf?« — Diese Frage schien der Gret so curios hinterdrein zu hinken und so sehr eine bloße Geburt der Noth, daß sie mit Mühe das Lachen halten konnte. Sie nahm sich indeß zusammen und erwiederte ruhig, aber nicht ohne eine gewisse schelmische Heiterkeit durchblicken zu lassen: »Dank der Nochfrog (Nachfrage)! Mir fehlt Gottlob nex!« — Michel, wie uns bekannt ist, war im eigentlichen Sinn weder dumm noch blind. Die Bedeutung dieses Vergnügens auf dem Gesicht der Gret blieb ihm nicht ganz verborgen; er hatte eine Ahnung, daß sie ihn eigentlich auslache, und schwieg, indem eine Wolke der Verstimmung seine Züge beschattete. Die Gret erkannte, was in ihm vorging, sie fühlte, daß sie etwas gut zu machen[S. 302] habe, und einen Schritt vortretend sagte sie zugleich mit gutmüthigem und schlauem Lächeln: »Host vielleicht so'st ebbes g'wöllt (gewollt)?« — Diese Frage fiel wie eine Bombe auf den guten Michel. Es war klar: er hatte sich verrathen; sie wußte, wie's ihm um's Herz war, und forderte ihn heraus! Er konnte — er sollte reden — da war kein Zweifel! Aber diese Möglichkeit, reden zu können, und diese Nöthigung, reden zu sollen, traf ihn mit solchen Schrecken der Ueberraschung, daß er dastand wie vom Donner gerührt und nicht ein Wort hätte vorbringen können um die ganze Welt! In der Verwirrung, die ihn überkam und ihn zu übermannen drohte, nahm er instinktmäßig seine Zuflucht zu dem einzigen Mittel, das ihm noch übrig blieb — zur Grobheit! Mit trotzigem Gesicht und wie beleidigt rief er endlich: »Was sott (sollte) i denn wölla'? I wißt net was! — Godda' Morga'!«

Und mit starken Schritten ging er seines Weges.

Die Gret sah ihm nach und lachte — nicht laut — dafür aber, wie man zu sagen pflegt, mit dem ganzen Gesicht. Als er hinter dem Nachbarhaus verschwunden war, sagte sie zu sich selber: »Ietz so o'g'schickt hätt' i mer'n doch net vorg'stellt! — I sig scho' — doh mueß i mi der Sach selber a'nemma', wann ebbes draus weara' soll!«

Michel ging nach Hause. Der Unwille, zu dem er gekommen war, er wußte selber nicht wie, verging, eine dumpfe Ruhe trat an seine Stelle. In dieser Ruhe erhielt er bald eine deutliche Anschauung von der Art seines Betragens — eine gelinde Verzweiflung fiel ihn an und brachte sein Blut auf's neue in eine schlimme Gährung. Er entlastete sein Herz in unarticulirten Lauten; dann, die Einsamkeit seines Stadeltennen aufsuchend, bildete er bestimmte Gedanken und konnte nicht umhin, ihnen Worte zu geben. »Also widder nex,« rief er, — »widder a Dommheit! Isch denn net grad, als wann's verhext wär'? W'rom ka'n e denn ietz net reda', wann e vor dem Ohs (Aas) dohstand? W'rom got's mit m'r em Reng rom, als wann e g'suffa' (betrunken) wär'? Der Deufel mueß g'macht haba'!« Er stöhnte vor Verdruß und strampfte den Boden, daß es schallte. Nach einer Weile fuhr er fort: »Host so'st ebbes g'wöllt — hot's me g'frogt. Des ist doch offa'bar, daß g'wöllt hot, i soll d's Maul aufdoa'! W'rom[S. 303] hab' e denn ietz net g'redt? Hätt'e net saga' könna': Mädle, du g'fällst mer, i will de heiricha' (heirathen) — willst me? — oder so'st ebbes! No (nachher) hätt's reda' müessa', ja oder noe, ond i wihßt ietz, wie e dra' ben! Aber so stand e doh wie a'n Ochs, der mit 'm Beil oes naufkriegt hot auf's Hihra' (Hirn, Stirn), und nocht mach e a G'sicht ond due an se na', als ob's m'r ebbes do' (gethan) hätt'! Die wurd se 'n schöna' Begriff macha' von mir! Die hält me doch g'wihß für da' dommsta'n ond o'g'hobelsta' Menscha'n em ganza' Ries? Ond wann's me vorhear oh g'möcht hätt, ietz mag's me g'wihß nemmer ond ka' me nemmer möga'! So'n Esel! I bedanket' me selber, wann e a Mädle wär!«

Der gute Bursche versank nach dieser desperaten Selbstanklage in eine dumpf-düstere Stimmung. Er war unerfahren, unschuldig, aber ein Mensch, der in seiner Art Anlage zum Reflectiren hatte. Diese Anlage begann unter den obwaltenden Umständen sich zu entwickeln und seinem Wesen einen neuen charakteristischen Zug zu verleihen. Je mehr er von sich hielt, je mehr Ansehen er bisher unter seinen Kameraden genossen, um so mehr forderte er von sich einem Mädchen gegenüber auch das rechte würdige Benehmen. Je weniger er aber im Stande war, sich so zu benehmen, wie ers seiner für würdig hielt, desto mehr kapitelte er sich hinterdrein selber, stellte sich vor wie er sich hätte benehmen sollen und können, ärgerte sich, daß er sich nicht so benommen habe etc. etc. — kurz, er wurde ein denkender Mensch. Er unterhielt sich mit sich selber, er strafte sich, er quälte sich selber. Daß das Letztere nicht zu weit ging, dafür sorgte als guter Genius die Bauernnatur, die sich auch hier in natürlichen Gränzen bewegt und sich aus dem Quell der unbewußten Lebenskraft immer selber wieder herstellt.

Für jetzt sank er gleichwohl in Abgründe der Verzagtheit. Mit der Gret wieder eine Ansprache zu versuchen, kam ihm unmöglich vor. Er hatte eine stille Wuth gegen sich, eine stille Wuth gegen sie — wie sollte er da reden? Und wenn er sich nöthigen wollte, müßte es nicht tausendmal ungeschickter herauskommen, als dießmal, wo er vergnügt war und im Grunde ganz gut angefangen hatte? — Nein[S. 304] — es half nichts. Einem Mädchen zu gefallen, hatte er nun einmal keine Gaben — es ging nicht — er mußte es aufgeben! —

Als er so weit gekommen war, ging er in den Hof, um sich an einer Arbeit zu erholen. Hier begegnete ihm seine Mutter. Sie sah ihn an und sagte: »Was machst denn du ha'et für a G'sicht?« — »Ih, a G'sicht?« versetzte Michel. — »Wie ka'n e des wissa'? Guck i ebba' en Spiegel?« — »Gang weiter«, entgegnete die Schwabin, »du host ebbes! Hot d'r ebber (etwer, jemand) ebbes do'?« — »Mir?« erwiederte Michel, indem er mit einer heroischen Miene aufsah, — »mir ebbes do'? I wott's koem rotha'!« — Er ging weiter, indem er bei sich dachte: »du därfst lang warta', bis e dir ebbes sag'!« — Die Mutter sah ihm kopfschüttelnd nach. »Er ist halt doch net vergnüagt«, dachte sie, »und des ist natürlich! In deam Alter muß a'n ordentlichs Mannsbild a Weib haba' — so'st isch nex!« — Sie ahnte nicht, wie Michel sich schon abgemüht hatte, um ihre Herzenswünsche zu erfüllen.

Einige Tage ging unser Bursche melancholisch umher und wenn ihn beim Zurückdenken an seine Niederlagen ein Zorn anwandelte, so ließ er ihn an irgend einer Arbeit aus. Er bot denen, die seiner wahrnahmen, ein neues und eigenthümliches Bild. Schweigend hatte man ihn oft gesehen; jetzt sah man ihn »sinnirend« und vernahm hie und da grimmige Ausrufungen, wozu man keinen Grund wußte. Fragte man ihn darnach, so war die Antwort, sofern eine erfolgte, keine höfliche. Man wußte nicht, was man aus ihm machen sollte. Den Zustand seines Herzens ahnte Niemand im ganzen Dorf. Die einzige Person, die außer ihm davon Kenntniß hatte, schwieg nicht nur selber — sie hatte auch jener Kamrädin ihre Vermuthung wieder auszureden gewußt und ihr das Versprechen abgenommen, sie mit dem Michel nicht in's Geschrei zu bringen. Es giebt Mädchen, die das Genie der Verschwiegenheit haben, d. h. die ohne besondern Vorsatz und mit Lust verschwiegen sind und sich an dem Geheimniß weiden. Die Gret war heiter und hoffte mit Zuversicht, ihre Wünsche gekrönt zu sehen — sie brauchte nicht zu schwätzen.

Michel war es nicht; er war unmuthig und verzweifelte am Erfolg[S. 305] — er spürte einen Trieb zu reden und konnte endlich einer Gelegenheit, sei Herz zu entlasten, nicht widerstehen.

Unser Enakssohn hatte einen Kameraden, der ihm unter allen Burschen, die zu ihm hielten, der liebste war. Kaspar, der Sohn eines Webers, hing mit aufrichtiger Theilnahme an Michel und wußte sich auch am besten in seine Manieren zu fügen. Obschon drei Jahre jünger, hatte er in Bezug auf das weibliche Geschlecht eine hinreichende Summe von Erfahrungen — er wußte, wie man sie behandeln mußte, und galt darum auch »seinen Batzen« bei ihnen. Mittelgroß, »rahneng,« von angenehmer Gesichtsbildung hieß er bei ihnen nur »a nett's Bürschtle« und »a lustengs Männdle,« dem man gut sein müsse. Trotz der Gunst, die er bei den Spenderinnen der Lebensfreude erfuhr, hatte er doch nicht mehr Selbstgefälligkeit als allenfalls natürlich war; er genoß das Lob eines fleißigen Menschen und wußte sich unter den Mannsbildern ebenso den Ruf eines guten Kameraden zu bewahren. — Dieser Bursche, zum Vertrauten wie geschaffen, wußte durch eine wohlgemeinte und geschickte Frage dem Michel sein Geheimniß zu entreißen. Allein mit ihm sah er den düster vor sich Hinstarrenden theilnehmend an und sagte dann: »Michel, di drückt ebbes! Wannd' mer's net geara' sakst, will e de net weiter froga'. Wann's aber ebbes ist, wo i d'r vielleicht helfa' ka', so red! — Du woescht, wie e's moe (ichs meine).«

Diese treuherzig gesprochenen Worte machten des Leidenden Herz weich und folglich geneigt zur Mittheilung. »Ach,« erwiederte der Verliebte nach kurzem Schweigen mit einem riesenmäßigen Seufzer, »mi drückt freile ebbes!« — »Was isch?« fragte Kasper. »Sag's, wann e's (ich es) wissa' därf!« — »Am End,« erwiederte Michel, »bist du grad der Recht', der mer'n Roth (Rath) geba' könnt! — No mei'dawega' (meinetwegen), i will der's saga'!« — Er schwieg. — »Nossa' (nun so dann),« mahnte Kasper. — »Z'erst mueß e der saga',« erwiederte Michel mit tiefem Ernst, »daß koe Mensch ebbes davo'n enna' weara' (inne werden) därf!« — »Gang weiter! Ben i a Schwätzer?« — Die Möglichkeit, daß Kasper es doch unter die Leute bringen könnte, hatte aber den Michel schon aufgeregt. »Kerl,« rief er eine Faust machend, »wann d'ebbes sakst — 's got d'r schlecht!«[S. 306] Der Andere kannte seinen Mann; er zuckte die Achsel und erwiederte: »Du bist net g'scheidt!« — »Guet,« versetzte Michel. »Ietz woesch (weißt dus) — und ietz will i der's saga'!« — Wieder eine Pause. »I höar,« erwiederte der Andere, indem seine Mienen sich ahnend erhellten. — »No,« begann endlich Michel mit neuer Anstrengung, »doh (da) die Great — d's Maurers seine moen' e« — Kasper sah den wiederholt Innehaltenden mit gutmüthig schlauem Lächeln an und rief, ihn ganz durchschauend: »Fehlt's d'r doh?« — »Ja, Bruder,« ging's endlich aus Michel heraus, »doh fehlt's m'r! Des Mädle g'fällt m'r, die mueß e haba — — und Kreuzdonner ond's Wetter: i woeß net, wie e's a'fanga' soll!«

Kasper unterdrückte das Lachen, das ihn bei diesem Bekenntniß anwandelte, und forderte ihn auf, ihm zu sagen, wie's eigentlich stehe. Michel, einmal im Zuge, erzählte Alles, und zwar mit einer Naivität, bei welcher der Erfahrene, wenn er nicht lachte, doch wenigstens zu »schmöhzeln« (schmunzeln) nicht umhin konnte.

Bekanntlich hat der Mensch nicht leicht eine angenehmere Empfindung, als wenn er an einem Andern, der ihm bisher Respekt abgenöthigt hat, plötzlich eine Schwachheit entdeckt. Es gibt deren, die eine solche Wahrnehmung geradezu beseligen kann und die das so erlangte Wohlgefühl zu den höchsten Genüssen zählen, womit der Himmel die armen Sterblichen begnadet hat. Sogar Freunde, will man wissen, sollen in diesem Fall erheitert werden und aussehen, als ob ihnen ein Glück widerfahren wäre! Und ihr Benehmen gegen den Träger dieser Schwachheit soll nach der Entdeckung ein vielfach anderes sein, als vorher! — Wir lassen diese Behauptung in ihrer Allgemeinheit auf sich beruhen, müssen aber der Wahrheit gemäß bekennen, daß unser wackrer Kasper bei der Erzählung seines Kameraden eine ziemlich lebhafte Genugthuung empfand und in seinem Gesicht einen Ausdruck heiterer Ueberlegenheit zeigte, den er vorher nie gegen ihn hatte blicken lassen.

»Des isch, was me drückt,« schloß Michel seinen Bericht. »Schlechter, des wurscht selber saga', hätt's net ganga' könna', und Alles ist verspielt. I ben eba' zom O'glück geboara', und mit mei'r Fräd isch aus auf der Welt!« — »So,« versetzte Kasper, indem er ihn mitleidig ansah; — »willst de net lieber glei gar versäufa'?« — Michel[S. 307] schaute ihn an. »Du bist a Narr,« fuhr Kasper fort, »des sag d'r ih! Nex ist verspielt, gar nex!« — »So,« erwiederte Michel, »wamma' se so o'gscheidt benemmt ond« — »Dei' Benemma' schad't d'r gar nex,« fiel Kasper ein. »Des ist eba' d'Liab! D'Liab macht verwirrt, ond wamma' verwirrt ist, macht ma' Dommheita'. Aber d'Liab ist ja eba', was d'Mädla' haba' wöllet! ond wann oer vor lauter Liab duet als ob 'r narred wär, globst, des nemmt d'r oena'nübel? Ja bis Wuch (auf die Woche d. h. niemals)! Fräa' duet se's ond geara' hont's so oen!« — Dem Michel schien dieß einzuleuchten. »Du ka'st Rehcht haba',« sagte er getrösteter. »'S ist wohr, i därf me no' net ahschrecka' lossa'!« — »Wie moest,« setzte er mit neuerwachtem Muthe hinzu, »soll e glei rausrucka' mit der Farb? Soll e saga', daß e's heiricha' will?« — »Des got net,« entgegnete Kasper mit der Miene der Autorität. »Ma' mueß net mit der Thür en's Haus falla'! Allweil oes noch'm Andra'! — Z'erst muescht doch oh seha', ob's de haba' will!« — »Ja so,« versetzte Michel wieder etwas herabgestimmt. »Was soll e denn aber so'st doa' (thun)?« — »G'späß macha',« erwiederte Kasper munter. »Siksch (siehst du), des ist d'Hauptsach. Da' Mädla' g'fällt nex besser, als Narrheita! Z'erst G'spaß und nocht Ernst — des ist der recht Weg! Foppa' mueß ma's ond ploga', wamma' zo ebbes komma will! Je meaner (mehr) as (als) ma's plogt, je lieber as oen hont (haben)!« — Dem geradsinnigen Michel schien diese Behauptung sehr gewagt; er sah den Rathgeber fragend an. »Du globsch wohl net?« sagte dieser; und als der Bursche den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Weil d'eba' koe Erfahreng host en deana' (diesen) Sacha'! Siksch, des ist so! Wann e a Mädle fopp ond plog, no sikt's, daß e ebbes mit 'r haba' will, no sikt's, daß e's liab — ond 'n Spaß hot's obadrei'! Ond so went (wollen) se's grad haba'!« — Michel begriff; er sagte mit Anerkennung: »Kapper (traulich: Kasper), du bist a verfluechter Schlengel!« — »No,« erwiederte Kasper behaglich, »wann e des net wihßt!«

Es erfolgte eine kleine Pause, in der Michel auf's neue bedenklich wurde. »Ja,« begann er zögernd, »wann e aber nocht G'späß macha' will ond 's g'rothet mer net? Wann e me widder o'gschickt a'stell — wie doh?« — »Des wär freile fehlerhaft,« erwiederte Kasper[S. 308] mit Ernst. »Eweng därfa't (dürfen) Dommheita' net daura', so'st verliera't d'Mädla' da' Respekt!« — »Doh hosch (hast du's)!« versetzte Michel mit einem Ausdruck, als ob nun er wieder Recht hätte. »Ond mir isch grad so, als ob's mer net g'rotha' könnt! Was ietz?« — »No,« erwiederte Kasper mit einer Art von Unmuth, »doh ka'n e d'r koen andera' Roth geba', als daß d'r eba'n a bisle meaner ei'bildst! Kott's Heidablitz! A Kerl wie du! Ist des koe Ehr' für so a Mädle, wann du 'n G'falla'n an 'r host? Mueß (sie) doh net stolz drauf sei'?« — »Ih sott's (sollt' es) beinah globa',« bemerkte der Enakssohn mit entsprechendem Selbstgefühl. Und Kasper erwiederte: »No, ond wann d'net vergischt, wer du bist, nocht wurscht oh reda' und G'späß treiba' könna' mit so'm Deng doh!« Ruhiger setzte er hinzu: »Ma' mueß se net gar z'viel macha'n aus da' Mädla' — des ist a Fehler! Drom wamma'n amol a bisle z'hitzeng g'wesa'n ist, no mueß ma'n extra widder a weng huf (zurück) ganga' und doa' als ob ma' gar wohl ohne se leba' könnt! Nocht kriega' sie widder 'n Luhst! — Also, bei d'r nächsta' G'legenheit duast, was e d'r g'sakt hab', ond i garantir d'r, sie kommt d'r!« — »I will seha',« erwiederte Michel. Dann, nach kurzem Schweigen, setzte er hinzu: »Also nommol (nochmal)! D's Maul g'halta'n oder« — Er machte mit der Faust eine verständliche Bewegung. Kasper lachte. »Du wärst am End em Stand und brächst mer da' Hahls, zom Dank für mein' gueta' Roth?« — Michel, wieder auf seinem Boden stehend und sich fühlend, erwiederte: »Wann de dernoch aufführa' dätst — 's käm m'r net drauf a'! — No, ietz b'hütet de Gott!« — — —

Michel war durch die Aufklärung des gewandten Kameraden in der That getröstet und faßte wieder frischen Muth. Das Gefühl seiner Kraft und das Vertrauen auf sich selbst kehrte zurück. Es war ihm zuweilen, als ob er nur hingehen dürfte zu der Gret, um Spaß zu machen nach Noten! Aber extra zu ihr gehen, das wollte er nicht: da würde sie ja glauben, daß er's gar zu nothwendig hätte — und das sollte sie nicht! — Er wollte die Gelegenheit abwarten, dann aber auch benutzen.

Eines Nachmittags schlenderte er gemüthlich auf dem Anger hinter seinem Garten. Es war ein Sonntag; er hatte gut gegessen, ein[S. 309] wenig »gedurmt« (geschlummert), sich dann schön angezogen, die Pfeife in den Mund gesteckt und war hieher gegangen, um zu sehen, was ihm weiter belieben werde. An einem solchen Nachmittag fühlt sich der Bauer immer behaglich, sogar wenn er verliebt ist. Michel ging langsam, blieb zuweilen ein bischen stehen — er dachte an die Gret. Er war heute so unternehmungslustig und dabei so sicher! »Jetzt wann's mer käm',« dachte er — »Sapperment nei'!« — Er ging wieder einige Schritte und sah umher — und wie's denn manchmal geht, dort, den Weg von der linken Gasse zum Anger herunter, kam die Gret! Michel eilte mit großen Schritten zum Ausgang des Wegs, um sie noch eben zwischen den Gärten zu treffen. Sie sollte ihm nicht entwischen — sie sollte ihm Rede stehn und nicht mit einem bloßen Gruß davon kommen!

Es gibt auf dem Lande nichts Reizenderes als jene Gänge zwischen lebendigen Hecken, die eben breit genug sind, daß man sich ausweichen kann. In der schönen Jahreszeit, wo die Hecken grünen und blühen, wo der trockene Weg von Gras und Blumen eingefaßt ist, gewährt es ein wahrhaft poetisches Vergnügen, hindurchzuspatzieren, zumal wenn beim Schein der Sonne der Schatten dicht belaubter Gartenbäume drüber fällt. Es ist so traulich und so heimlich darin, daß man nur bedauert, so bald wieder ins Freie zu kommen! —

Ein solcher Gang war es, in dem unser Michel die Geliebte festhalten wollte. Seine großen Schritte hatten bewirkt, daß er noch rechtzeitig kam: die Gret ging erst in der Mitte des Weges. — Wie schön war sie! Sie hatte an dem warmen Tage keinen Kittel an: in blendendweißen Hemdärmeln, in gestreiftem, farbigem Mieder und rothem Halstuch kam sie ihm entgegen. Die Kleider standen ihr so gut, ihr Gang war so geschickt: das Dienen in der Stadt hat eben doch seine großen Vortheile! — Dem guten Michel lachte das Herz im Leibe, als er sie ins Auge faßte. Wann aber das Herz lacht, dann schwebt es und kann consequenterweise nicht — — — fallen. Unser Freund behielt seinen Unternehmungsgeist, obwohl die Gret mit schelmisch heiterm Antlitz näher und näher kam; und als sie endlich vor einander standen, sagte er heroisch: »No Margreat, wo kommst denn du hear?« — »Von der Fischere«, war die Antwort.[S. 310] — »So! — Ond wo willst denn he'?« — »Hoem! — I ben mit 'm G'strick ausganga' — ond hab d's Gara' (Garn) vergessa'!«

Unser Bursche machte ein curioses Gesicht. Es schien ihm hier eine vortreffliche Gelegenheit gekommen, die Gret zu foppen und zu plagen, und er beschloß sie zu benutzen. Sich breit auf den Weg hinstellend sagte er mit schlauer Miene: »Doh hommer's (da haben wirs)! An was host ietz doh denkt?« — Die Gret, seine Gedanken errathend, erwiederte: »Ja, wann e's saga' dät!« — »No«, versetzte Michel, »des ka'n e mer fürstella': an a Mannsbild!« — »So?« entgegnete die Gret schnippisch. »Woescht du des so gwihß?« — »Wamma (wenn man) des net wihßt!« versetzte Michel mit selbstgefälliger Sicherheit. »Des ist ja doch uir (euer) oezengs Dichta'n ond Drachta'!« — »Doh bildet 'r ui (ihr euch) doch a bisle z'viel ei'«, erwiederte die Gret. — »Bah«, rief Michel im Hochgefühl des Rechthabens, »wär koe Wonder, des wär net bekannt!« — Das Mädchen versetzte mit einem Schein von Ernst und Schärfe: »Ma' sakt manchmol, es sei ebbes so, derweil hätt' ma nor geara', daß so wär! Omkeart (umgekehrt) wurd a Schua' (Schuh) draus!« — »Ho ho!« rief Michel. — »Uir (ihr) Mannsbilder«, fuhr die Gret fort, »lebet en der Ei'bildeng — und des ist natürlich. Uir wisset net, was o's (uns, wir) denket; aber o's wisset, was uir denket!« — »Des wär' der Deufel!« versetzte Michel, verwundert über die kecke Behauptung. »Wie sottet'r (solltet ihr) des wissa?« — »Wie?« erwiederte die Gret, indem sie ihm heiter ins Gesicht sah; »weil d'r (ihr) uire Gedanka' verrothet, weil d'r o's nochloffet (nachlauft)!« —

Michel war betroffen. »D's Ohs hot Rehcht,« dachte er in einem Moment des Schweigens. Es blieb ihm indeß noch der Ausweg, die Thatsache zu läugnen — und das that er tapfer. »Bah«, rief er geringschätzig, »wear duet des? A rechter Kerl net!« — »Ih«, setzte er mit Stolz hinzu, »ben mei' Lebteng no' koer nochgloffa'!« — »Ist des wohr?« fragte die Gret lächelnd. — »So wohr i dohstand«, sagte der Ehrliche. Die Gret, die recht wohl gesehen, wie der Enakssohn zu dem Durchgang geeilt war, hätte bei dieser naiven Behauptung beinahe gelacht; allein sie unterdrückte die Anwandlung und sagte scheinheilig: »Doh ist d'r also oh gar net drom[S. 311] z'doa', daß d' mit oer redst?« — Michel ahnte, wo sie hinaus wollte; aber er hatte A gesagt und mußte B sagen, und ohnehin wollte er sie ja uhzen (foppen)! Heroisch erwiederte er: »Gar net! — I wihßt oh net, worum!« — »So«, sagte die Gret, »doh mueß e m'r ja nocht a Gwissa' draus macha', doß e de mit mei'm Gschwätz aufhalt. — Bhüet de Gott!« Sie wollte vorbei. Michel war aber nicht gemeint, eine Unterhaltung, die bis jetzt so schön gegangen war, so schnell abbrechen zu lassen; er rief mit Eifer: »So wart nor no' a weng! — Du wurscht doch Gspaß verstanda'?« — »Des scho',« versetzte die Gret; »aber i muß ietz zu meina' Kamrädenna'!« — »Gang weiter«, entgegnete Michel, »lauter Weibsbilder! Was wurd des für a'n Onderhalteng sei'!« — »O«, rief die Gret, »o's onderhalta' se recht guet!« — »Was net no'!« erwiederte Michel seinerseits ironisch. Und selbstgefällig setzte er hinzu: »Von was hont'r (habt ihr) ietz gredt?« — Die Gret sah ihn an und ihre Lippe zuckte unmerklich. »Von was redt ma'«, sagte sie dann, vor sich hinschauend, »wamma' se guet onderhalta' will: von da' ledenga' Burscht'!« — Michels Gesicht klärte sich auf. »No, was hab' e gsakt?« rief er. »Ietz gibst m'r doch selber Rehcht!« — »I hab me verschnappt«, erwiederte die Gret. — »Ja, ja«, fuhr Michel fort, »d'Mannsbilder stecket ui (euch) em Kopf — des woeß e ja!« — »No«, setzte er in behaglichem Stolz hinzu, »en was für 'r Art hont 'r von es (uns) gredt?« — »Mer hont g'rotha«, erwiederte das Mädchen nach kurzem Zögern, »weller (welcher) ietz wol d'r G'scheidtst ist em Doraf!« — »So«, versetzte Michel. »Send 'r oeneng (einig) woara'?« — »Noe«, erwiederte die Gret. »Jeda' hot 'n andera' a'geba'!« — »Natürlich«, bemerkte unser Bursche, indem ihn das Vergnügen über die entlarvte Schwäche der Mädchen verhinderte zu sehen, welche Gefahr er selber lief. »Wean host denn aber du a'geba'?«

Es giebt eine Mischung von Unschuld, Ungeschicklichkeit und Selbstgefälligkeit, die auch wohlwollende Naturen reizt, den Träger derselben, was man sagt, anlaufen zu lassen. Die Absicht, necken zu wollen, fordert heraus, und das Unvermögen, das in keiner Art zur Sache kommt, erweckt ein Verlangen, zu strafen. Unsre Gret fühlte einen Antrieb dazu und konnte ihm diesmal nicht widerstehen; sie erwiderte: »I[S. 312] hab no' gar koen a'geba' — i hab koen gwißt. Aber ietz — ietz woeß e oen — ond ietz muß e eila', daß e widder z'ruck komm. Mei'r (meiner) wurd gwihß alla'n ei'leuchta'!« — Nach einem Blick, dessen Bedeutung nicht zu verkennen war, schlüpfte sie an ihm vorbei und ging rasch weiter.

Michel sah ihr nach — — er fühlte mit einemmal, was die Gret ihm angethan, und die Röthe der Scham überströmte sein Gesicht. Bald erhob sich der Zorn in ihm und verstärkte das Roth zu düsterem Braun. »Wann de nor der Deufel holla' dät,« rief er — »du Hex du! — Hot ihren Spoht (Spott) auf m'r und stellt me he' wie'n Esel! — O wann e's nor doh hätt' —« Er hielt inne. Es fiel ihm ein, daß er hier gehört werden konnte, und die Furcht, dem ganzen Dorf zum Gespött zu werden, hieß ihn abbrechen. — Langsam ging er zurück. Er dachte nach, wie er zu diesem Verdruß gekommen sei — und lachte bitter. »I hab's foppa wölla'! Die do, d's ärgst Ohs em ganza' Dorf! Doh ben ih d'r recht Ma' derzue!« — Nach einer Pause setzte er unmuthsvoll hinzu: »Der Kapper ist a'n Esel gwesa' mit sei'm Roth, und i a Narr, daß e'm gfolgt hab! — Des hot grad no' gfehlt! Des hot d'Butt bonda (die Bütte gebunden, die Sache fertig gemacht)!« — Am Ende des Ganges blieb er stehen und ließ eine Zeitlang gedankenvoll sein Haupt hängen. Endlich murmelte er: »'S soll amol net sei'! I gib m'r alle Müa ond dua', was e ka' und hab nex als Verdruhß ond Onear (Unehre) dervo'. Noe, noe — i loß d's Heiricha sei'! Aus isch ond gar isch! —«

Als er bei diesem desperaten Satz angekommen war, hörte er Tritte in der Nähe und schaute auf. Es war die Gret, die mit dem Garn zurückkam. Daß sie's dem guten Michel so arg hinausgegeben, hatte sie doch ein wenig gereut, und ihr Gesicht drückte jetzt Wohlwollen und Freundlichkeit aus. Wie sie ihn aber dastehen sah mit der trotzig verlegenen Miene, da änderte sich ihre Stimmung etwas. Sie konnte sich nicht enthalten, mit neckischer Verwunderung zu fragen: »No Michel, stost (stehst du) no' allweil doh?« — Der Bursche, auf's neue gereizt, erwiederte: »Dirdawega (deinetwegen) net!« — »O,« versetzte Gret, »des bild e m'r oh net ei'! Kott's Blitz! doh mueß e nor macha', daß e d'r bald aus da'n Oga' komm!« — »I halt de net auf!« rief Michel. — »Hu hu!«, erwiederte die Gret, und rasch verschwand sie in dem Gange.

[S. 313]

Michel, in dem Gefühl, daß es nun wirklich aus sei, verließ mit langsamen Schritten den Anger. Er suchte den Kasper auf und traf ihn allein in seinem Garten. »No,« sagte er unmuthig zu ihm, »du host m'r 'n schöana' Roth geba', des mueß e saga'! Du bist a gscheidter Kerl!« — Der Kamerad sah ihn verwundert an und fragte: »Wie so?« — »No doh mit dei'm Foppa'n und Ploga', wo d'me a'glearnt host! — Des ist a Dommheit gwesa'!« — Kasper ahnte was vorgefallen war; er forderte ihn auf zu erzählen, was passirt sei, und Michel gab ihm, so gut er konnte, ein Bild von dem Verlauf der Ansprache.

Wie lächerlich die Geschichte dem Erfahrenen und Gewandten auch vorkam, so hielt er es im Moment doch weder für rathsam zu lachen, noch das Benehmen des Burschen zu tadeln. Er richtete seine Kritik gegen das Mädchen und sagte: »'S ist a'n Ohs!« — »So,« erwiederte Michel, für welchen diese Zustimmung etwas Angenehmes hatte, »siksch ietz oh ei'? — Freile isch a'n Ohs, d's ärgst em ganza' Doref! Für da' Narra' hot's me ghett; — ond für da' Narra' dät's me halta, so ofts könnt' — wann i net gscheidter wär! Aber doh wurd a Riegel fürgschoba'! Koe Wöartle mea' (mehr) red e mit'r. Nemmer a'seha' du e's (thu ich sie)!« — »No, no,« warf der Kasper ein, »gar z'hitzeng muest oh net sei'. Durch des, was d'mer verzählt host, ist no' net bewiesa', daß's de net mag!« — »Was,« rief Michel, »doh isch no' net bewiesa?« — »Noe,« bemerkte Kasper. »Du host sie foppa' wölla'n aus Lieb, ond sie hot di gefoppt — vielleicht oh aus Lieb!« — Der Bursche konnte sich bei diesen Worten nicht enthalten, ein wenig zu lächeln und rasch loderte in Michel der Zorn empor. »Willst du me oh no' für da' Narra haba'?« rief er, indem er ihn grimmig anschaute. »Des net,« erwiederte Kasper. »Aber d' Mädla' deant (thun) oft grad d's Conträre von deam, was denket! Der Spoht« — »Mach me net wild,« fiel Michel ein. »Wean e verspott, auf dean halt' e nex! Du bist a'n Esel, wann's anderst sakst!« — Kasper zuckte die Achseln. »Du bist halt a grober Kerl,« versetzte er. — »Weil e Rehcht hab,« entgegnete Michel. »Doh ben e doch a weng z'guet dafür, doß e so'm Fratza' da' Narra'n ahgib! — Nex doh! Aus isch ond gar isch!« —

[S. 314]

Beim braunen Bier.

Ein Mädchen wie die Gret gefiel natürlich mehreren ledigen Burschen. Zwei oder drei Handwerker hätten gern mit ihr anbinden mögen, aber sie erfuhren, daß sie schon angebunden war — sehr kurz nämlich ihnen gegenüber, die etwas dreist vorgehen wollten. Auch ein paar Bauernsöhne schauten sie mit großem Wohlgefallen an und einer schien gute Lust zu haben, sie zu dem Rang seiner Geliebten zu erheben. Es lag indeß nicht in der Art des Mädchens, nach einer solchen Verbindung zu streben. Sie war zu fröhlich, um ehrgeizig zu sein, und verspürte keine Neigung, zwischen Sohn und Eltern Streit zu veranlassen und sich durch Händel und wüsten Lärm zu einer höhern Stellung durchzukämpfen. Die Liebe, die ihr den heroischen Muth dazu vielleicht gegeben hätte, meldete sich nicht, und so erfuhr der junge Bursche bei dem zweiten Annäherungsversuch eine lachende, aber deutliche Abweisung.

Wenn sie die sämmtlichen Dorfbursche durchging, war und blieb es eben unser Michel allein, bei welchem ihr Herz sich regte. Zu ihm verspürte sie nachgerade einen Zug, über den sie sich selber wunderte. Sie hatte gesehen, daß es der ärgste »Lackel« sei im ganzen Dorf — unerfahren wie ein Kind, und so ungeschickt, daß er einen ordentlich dauerte. Aber der ungeschickte Kerl war ihr der interessanteste! Sie mußte immer wieder an ihn denken; sie fühlte einen Trieb zu überlegen, ob ihm nicht zu helfen sei, ob er nicht doch am Ende gescheidter sei als er aussehe, und ob ihm der Verstand nicht noch kommen könnte, wenn auch spät, u. s. w. — Wer in Herzensangelegenheiten erfahren ist, der weiß, was dieses Spiel der Gedanken für Folgen hat. Eben im Scheine solcher Vorstellungen entwickelt sich der Keim einer Neigung; die heitere Beschäftigung mit dem Bilde kommt dem Original zu Gute, und dieses ist zuletzt in der Lage, erndten zu können, wo es persönlich gar nicht gesät hat. Die Gret gewöhnte sich an die Vorstellung des Michel und an den Gedanken, daß er für sie bestimmt sei. Bald war sie mehr verstrickt, als sie selber ahnte; und während der gute Bursche glaubte, seine Sache sei verloren, stand sie just so gut als möglich.

[S. 315]

Je mehr Ernst in die Neigung kommt, desto weniger läßt man dem Gegenstand etwas thun, desto weniger will man Scherz mit ihm treiben. Als die Gret bedachte, wie sie den Michel bei dem letzten Diskurs doch abgeführt hatte, fühlte sie Gewissensbisse und auch eine plötzliche Sorge, er könnte so bös geworden sein, daß er gar nichts mehr von ihr wissen wollte. Dies Letztere schien ihr bei näherer Betrachtung nicht gerade wahrscheinlich; aber doch nahm sie sich vor, bei nächster Gelegenheit sich nicht wieder vom Uebermuth hinreißen zu lassen, sondern mit seinem guten Willen vorlieb zu nehmen und ihm wohlmeinend unter die Arme zu greifen.

Eine Reihe von Tagen war vergangen und sie hatte den Burschen nicht wieder gesehen, außer von weitem. Daß er jetzt keinen neuen Versuch machte, mit ihr zu reden, begriff sie, und es war ihr lieb, daß sie sich in der ersten Zeit nach jenem Auftritt im Heckengang nicht zufällig begegneten. Der Aerger in Michel sollte erst verdampfen und der Liebe wieder Platz machen; dann wollte sie ihn so freundlich grüßen, daß er gewiß wieder Muth bekam und mit ihr ein erwünschtes Gespräch anfing. Sie hatte eine sehr angenehme Empfindung bei der Vorstellung, das er dann das rechte Wort finden könnte, sie ihm sagen müßte, wie's ihr um's Herz sei — und Alles zu gutem Ende käme.

Endlich führte sie der Zufall einander entgegen. Sie kam von der Wiese, er ging hinaus. Als das Mädchen seiner ansichtig wurde, erröthete sie etwas und sah lieblich heiter aus; sie wollte ihn grüßen so schön wie sie's nur konnte! Allein in ihm hatte der Anblick derjenigen, die ihn für'n Narren gehabt, schon den Unmuth wieder angeregt; und wie er nun gar ihr Vergnügen wahrnahm, das nach seiner Meinung nur Spott sein konnte, loderte ein ganz ehrlicher Zorn in ihm auf. Er machte ein Gesicht so »wild« als möglich; die Gret, bei dem Anblick etwas verhofft, sagte guten Tag lange nicht so schön wie sie sich's gedacht hatte — und der Gegrüßte ging vorüber, ohne zu danken. Ihrerseits verletzt, sah das Mädchen ihm nach und schüttelte den Kopf. »Also doch,« sagte sie einigermaßen verlegen und ging langsam weiter. Bald aber tröstete sie sich. »Er moent eba', d's erstmol muß er doch no' trutza'! 'S ist a Mensch ohne Manier![S. 316] Aber er moet's doch net böas — ond d's nächstmol wurd er scho' danka'!« —

Bei der nächsten Begegnung schaute das Mädchen den Burschen erst erwartend an; ihre Wünsche hatten die Hoffnung schon so sehr wieder belebt, daß sie meinte, er könnte zuerst grüßen. Als er sich aber mit düsterm Gesicht näherte, ohne eine Miene zu verziehen, rief sie: »Godden Tag, Michel« in dem Ton einer Gekränkten, als ob sie hinzusetzen wollte: »Worom grüescht me denn net? Hab' e d'r denn ebbes do'?« Dieser Ton traf unsern Burschen; aber da er beschlossen hatte, trutzend an ihr vorüberzugehen, so war nicht von ihm zu verlangen, daß er in dem einzigen noch übrigen Moment diese Bestimmung änderte. Er führte demnach seinen ersten Gedanken aus, weil er einmal im Schuß war, und beleidigte nun freilich die wohlmeinende Gret in einer Weise, die ihrerseits einen Entschluß hervorrufen mußte. Sie schaute sich diesmal nicht um, sondern ging mit rötherem Gesicht weiter und murmelte für sich: »'S ist a Dommkopf ond bleibt oer! Mit deam ist nex a'zfanga'! No meit'weg! Vo' mir soll'r net weiter encommodiert weara'!« —

In Folge dieser niederdrückenden Erfahrung gerieth das gute Mädchen in einen Gemüthszustand, der ihr neu war, den sie aber eben darum sorgfältig geheim zu halten suchte. In die Heiterkeit ihres Innern war ein Schatten gefallen. Sie wurde leichter ärgerlich als früher, sie fühlte sich in andern Augenblicken weicher als sonst und eine Art von Trauer wandelte sie an, so daß sie ein Verlangen empfand, ihr Herz einer Kamerädin aufzuschließen. Allein das zu thun, schämte sie sich doch allzusehr; sie fühlte, daß es ihr nicht anstand, und schwieg. Auf sich selber beschränkt, gab sie sich stillen Erwägungen hin. Es begegnete ihr, daß sie überlegte, welcher von den übrigen Burschen wohl derjenige sei, der sich am besten für sie passen würde. Sie konnte sich für keinen entscheiden; aber indem sie sich vorstellte, wie einer »mit ihr ging«, erquickte sie sich an dem Gedanken, daß der Michel sich recht darüber ärgerte. Denn das wußte sie: ärgerlich war es ihm doch, wenn sie einen Andern hatte, so ein dummer und einfältiger »Stoffel« er auch war. —

In dieser Zeit kam ein junger Mensch in's Dorf zurück, der[S. 317] auswärts gearbeitet hatte. Es war der Sohn eines der zwei Schneider, die der Ort nährte — selbst Künstler mit der Nadel und das, was man auch auf dem Land, wenigstens im Ries, »a gallants Bürschle« nennt. Weder groß noch stark, sondern eher klein und schmächtig, war er doch gut gewachsen; und wenn sein helles, glattes Gesicht etwas zu mädchenartig ließ, so war das für gewisse Jungfrauen kein Grund, weniger davon zu halten. Bei viel natürlicher Gutmüthigkeit besaß er eine bedeutende Portion Selbstgefühl, das sich auf die Ansicht gründete, daß ihm an Feinheit, Geschicklichkeit und höherem Anstand keiner der gegenwärtigen Burschen des Dorfes gleich käme. Er hatte in der kleinen Stadt, in der er sich aufgehalten, allerlei Redensarten gemerkt, die er bei Gelegenheit zum Besten gab, sprach ein wenig »hochdeutsch,« wenn's drauf ankam, und hatte für sich eine Mischung von bäurischer und städtischer Kleidung erfunden, die seiner Erscheinung etwas besonders Nettes gab. Einmal war ihm der Gedanke gekommen, ob er nicht vielleicht zu etwas Höherem bestimmt sei und in der weiten Welt sein Glück suchen sollte. Aber sein Vater wurde alt, er hinterließ ihm ein Haus und Feldgüter, und in diesem Betracht schien es doch gerathen, auf sein ehrgeiziges Projekt zu verzichten und als Geselle des Alten die Zeit zu erwarten, wo er sich als Meister im Dorf setzen konnte.

Jakob — so hieß unser Schneider — war mit dem Maurer befreundet und kehrte bald nach seiner Ankunft bei ihm ein. Die stattliche Schönheit der Gret überraschte ihn und machte auf sein leicht erregbares Herz sogleich einen mächtigen Eindruck. Er nahm sich zusammen, setzte die Reden und sagte dem Bäschen Schmeicheleien, die ihr nach seiner Meinung unendlich wohlthun mußten. Die Gret lächelte, halb schelmisch, halb wirklich vergnügt, und nun kam sie ihm so reizend vor, daß eine Stimme in ihm rief: »Dieses Mädchen mußt du kriegen!« — Die Gret konnte ebenfalls hochdeutsch reden, wenn sie wollte, und es hatte bei ihr überhaupt Alles einen andern Furm (Form) als bei den Mädchen, die nie aus dem Dorf hinaus »geschmeckt« hatten: waren sie beide nicht recht eigentlich für einander geschaffen? — Freilich war sie fast einen halben Kopf größer wie er, und dieses Verhältniß hätte er umgekehrt lieber gehabt; allein im[S. 318] Grunde, schadete das was? Es gab Exempel, wo eine große Frau und ein etwas kleinerer Mann recht gut mit einander gehaust hatten. »Wenn sonst nichts fehlt,« dachte der gute Bursche, »das kann man sich gefallen lassen!« Und darin hatte er ganz Recht: wenn sonst nichts fehlte, dann stand es vortrefflich.

Vor der Hand fehlte indeß noch die Hauptsache: die Gret hatte von ihm keineswegs eine ähnliche Ansicht erlangt, wie er von ihr, und ihr war es gar nicht so vorgekommen, als ob sie für einander geschaffen wären! — Als ein kluges und natürliches Mädchen durchschaute sie den Burschen sogleich. Er war gutmüthig und eitel — so recht einer von denen, die eine Gescheidte am Narrenseil führen kann, ohne daß sie's merken. Ein »Männdle«, mit dem eine Lustige zu ihrer Unterhaltung spielt, von dem sie sich flattiren und Gefälligkeiten erweisen läßt und den sie dann ohne große Gewissensbisse nach Hause schickt, wenn sich ein Besserer meldet. Wie hätte die Gret vor so einem Respekt haben können? Wenn sie aber keinen Respekt haben konnte, dann konnte sie auch nicht lieben. — Das lag in ihrem Wesen und das merkte sie auch nachgerade selbst.

Unser Schneider hätte sich eher alles Andre einfallen lassen, als daß die Gret über ihn solche Gedanken hegte. Er hatte den besten Muth; denn Alles zusammengenommen, konnte so ein Mädchen nicht von Glück sagen, wenn sie ihn bekam? Er war eifrig, dieß lag in seiner Natur; aber er war eifrig mit Zuversicht. Zunächst kehrte er beim Vetter Maurer ein, so oft es anging, und wenn er der Gret einen Gefallen thun konnte, so ergriff er die Gelegenheit mit Begierde. Als sie in diesen Tagen einen neuen kattunenen Kittel zu haben wünschte, fertigte er denselben (denn er war Männer- und Frauenschneider) in kürzester Zeit und brachte darin eine sinnreiche Neuerung an, indem er behauptete, ein Mädchen, die in der Stadt gewesen sei, müsse sich feiner tragen als eine gewöhnliche Bauerntrutschel! Er brachte ihr von Hause Sträußchen mit und spitzte dabei seine Complimente so fein zu, daß er selber daran seine Freude hatte. Kurz er huldigte der Schönen auf eine Weise, der man ansehen mußte, daß er sie anderswo gelernt habe, als zu Hause bei seinem Vater.

[S. 319]

Nach und nach fand die Gret doch Gefallen daran. Der Schneider hatte aber auch eine günstige Zeit getroffen. Die Spannung zwischen ihr und Michel dauerte fort. Bei einer dritten Begegnung hatte sie, wie natürlich, ihn nicht gegrüßt, und er war mit einem nur um so »wildern« Gesicht an ihr vorübergeschritten. Die Grobheit eines Menschen, dem sie vor Allen den Vorzug gegeben hätte, verdroß das Mädchen im Innersten ihres Herzens, und in diesem Zustande hatte die Höflichkeit des Schneiders etwas Wohlthuendes für sie. Sie brauchte einen Ersatz, der junge Vetter gewährte ihr ihn, und sie konnte sich nicht enthalten, ihn freundlich dafür anzusehen. Einmal, in weicherer Stimmung, dankte sie mit besonderer Wärme, und dem Blick, mit welchem sie die Worte begleitete, gab die Dankbarkeit der gerührten Seele einen Glanz und einen Schmelz, wie ihn der Schneider noch nicht gesehen. Jetzt konnte er sich nicht mehr täuschen; das schöne Bäschen gehörte ihm, sie hatte sich verrathen! Jetzt durfte er nur reden und die Sache war fertig! — Er redete zunächst doch nicht; vielleicht weil er des Sieges gewiß war, oder weil ihn der schelmische Genius, der sein Loos zu weben hatte, davon abhielt. Das konnte er sich aber nicht versagen, beim Abschied die Zuversicht seines Herzens mit wohlgefälliger Miene fein anzudeuten.

Die Gret sah ihm trübe lächelnd nach. »Du guts Bürschtle« rief sie für sich und zuckte die Achseln. — Ihre Gedanken nahmen den Lauf wieder zu dem Enakssohn. Nach einer Weile sagte sie: »Könnt' ietz der Michel net oh höflich sei' und dischgeriera' und flattiera' wie der Schneider? Mueß denn grad der, den e möcht', der gröbst und der dommst sei' em ganza' Doraf? 'Sist doch nex en der Welt, wies sei' soll!« —

Wenn sie in andern Momenten wieder dachte, Michel könnte sich am Ende doch bessern, so erfüllte dieser ihre Erwartung fürs erste nicht. Er trutzte weiter — er wollte in der That nichts mehr von ihr wissen; d. h. er wollte im Grunde immer noch gar viel von ihr wissen, aber er gab es nicht zu erkennen. Die Besuche des Schneiders und die Reden, die darüber im Dorf umzugehen anfingen, brachten in seinen Gedanken keine Aenderung hervor. Daß ein[S. 320] Mädchen wie die Gret so einen »Krampen« wie den Schneider möge, konnte er fürs erste nicht glauben. Wenn sie ihn aber mochte, wenn sie so einen »miserabeln Kerl« lieber haben könnte, als ihn, dann sollte sie ihn nur nehmen und zum Gespötte werden mit ihm! Unser Bursche hatte über die »Weibsbilder« schon soviel nachgedacht und vernommen, daß er wußte: sie seien eigentlich »d's Deufels« und auskennen werde sich so leicht keiner in ihnen. Als er sich aber vorstellte, daß die Gret sich wirklich dergestalt verirren und den Schneider nehmen könnte, wo doch Er, der Michel, zu haben war, da stieg ein Gefühl der Geringschätzung gegen ihren Verstand, ihren Charakter, ihre ganze Person in ihm auf, welche die Liebe für den Moment gänzlich überdeckte. »Wanns so komma dät, wanns dean lieber hätt' wie mih, nocht dät e me doch schäma', doß e nor a Menutt ebbes von 'r ghalta' hab!« — Es war ihm aber auch bei diesem Ausruf noch, als obs eigentlich doch nicht so sein könnte.

Unterdessen hatte die Ernte begonnen, und in dieser Zeit können es Leute, die in einem Dorfe, zumal in einer Gasse wohnen, nicht vermeiden, sich öfter zu sehen. Michel traf die Gret eines Tages mit dem Maurer, dieser grüßte, und unser Bursche konnte nicht so sehr die Lebensart außer Acht setzen, daß er nicht dankte. Wie er nun mit ehrbarem Ton »Godda'n Ohbed« sagte, benutzte das Mädchen die Gelegenheit, um mit etwas gedämpfter Stimme gleichfalls ein »Godda'n Ohbed« anzufügen. Was sie sich dabei gedacht, konnte zweifelhaft sein; gleichwohl empfand Michel diesmal bei dem Ton ihrer Stimme ein wohlthuendes Zucken in seinem Herzen, und es schien ihm unmöglich, daß dieses nachträgliche »Godda'n Ohbed« nicht etwas zu bedeuten habe, und zwar etwas Gutes. — Das nächstemal kam sie ihm allein entgegen. Sie grüßte nicht, weil sie jetzt eben von ihm gegrüßt zu werden hoffte. Als er aber wieder stumm blieb, sah sie ihn von der Seite mit einem Blick an, der auch einen Härtern, wie er war, in die Seele hätte treffen müssen. Dieser Blick sagte: »O du dommer Kerl, willst du a Mädle net grüeßa', die so viel auf de hält?« — Michel konnte sich der Wirkung dieses Blickes nicht entziehen. Als er einige Schritte weiter gegangen war,[S. 321] sagte er ernsthaft zu sich: »Ietz isch m'r doch so fürkomma'n, als ob — — am End hot doch der Kapper Rehcht!«

Denselben Abend noch suchte er den Kameraden auf und machte ihn mit seiner Erfahrung und seiner Vermuthung bekannt. Wie Kasper ihn auf solchem Wege sah, rief er: »No, was hab' e denn g'sakt? Die Great hot dih em Kopf, des hab' e scho' lahng gwißt; aber du loscht (lässest) ja net mit d'r reda'!« — »No no,« erwiederte Michel begütigend; und nach einem Moment des Nachdenkens setzte er hinzu: »Du moest also, i hätt' Hoffneng — 's ist dei' Earnst?« — »Freile isch mei' Earnst,« entgegnete Kasper. »Wer ka' doh no zweifla'! — Aber ietz mach amol 'n Fried mit dei'm oefältenga' Trutza' doh und dua', was se für a rechts Mannsbild g'höart!« — Michel stand mit tiefsinnigem Gesicht da. »Wann's d'Glegenheit git (gibt),« erwiederte er endlich, »will e seha'!«

Dieser abendliche Diskurs fand gegen Ende der Woche statt. Nachdem am Samstag noch ein tüchtiges Gewitter sich entladen und die Luft abgekühlt hatte, kam ein schöner und nicht allzuheißer Sonntag. Das Wintergetreide war größtentheils zu Hause, die Gerste der Sichel entgegengereift, und da sich die Ernte so gut angelassen, glaubte man, sie werde auch gut zu Ende gehen. In solchem Vertrauen entwickelt sich in der Seele des Bauers ein gründliches Behagen und er fühlt das Bedürfniß, sich ein Plaisir zu machen.

Heute stellte sich bei Michel nach dem Essen der Kamerad ein und machte den Vorschlag, »zum braunen Bier zu gehen.« Zu den Eigenheiten unsres Burschen gehörte es, auch dann, wenn er etwas zu thun geneigt war, sich nöthigen zu lassen. Er sah dermalen den Andern mit einer Miene an, die weit entfernt war, Beistimmung auszudrücken. Die eben anwesende Mutter rief indeß: »Gang mit! Kommst doch oh widder amol aus'm Doraf naus ond unter d'Leut!« — »Ha'et wurd's vohl (voll),« bemerkte Kasper. »D's Bier soll gar fei'dle guet sei' ond d's Wäder ist schöa'!« — »Wer woeß,« sagte er lächelnd zu Michel, »ob d'net ha'et oena sikscht, die d'r gfällt!« — Die Mutter zuckte die Achseln und entgegnete für Michel: »Gang weiter! Deam gfällt oena'! Dia' Hoffneng hab e lang aufgeba'!« — Sie verließ die Stube. — Kasper machte ein pfiffiges Gesicht und[S. 322] sagte zu Michel: »Die merkt no' nex!« — Auch unser Bursche verrieth auf seinem Gesicht einige Schlauheit; dann aber erwiederte er: »Sie soll oh nex merka', bis d'Sach klor ist!« Und mit einem bedeutungsvollen Wink setzte er hinzu: »Woescht no', was e d'r g'sakt hab?« — »Ja wohl,« entgegnete Kasper mit Lachen. »Aber ietz mach!«

»Zum braunen Bier gehen«, hieß auf den Dörfern in der Nähe von Wallerstein so viel als: auf den Keller der fürstlichen Brauerei gehen. Diese Bezeichnung datirt ohne Zweifel aus einer Zeit, wo in jenen Dörfern ausschließlich weißes Bier gesotten und das braune (das in Norddeutschland s. g. bayrische) zunächst nur von der »Herrschaftsbräu« geliefert wurde. In den Jahren, in denen unsre Geschichte spielt, verdiente aber das hier producirte Getränk die Auszeichnung einer solchen Benennung immer noch durch seine Güte, wie es denn auch jetzt noch unter den Bieren des Rieses einen ehrenvollen Rang behauptet.

Die Kameraden legten die mäßige Strecke von ihrem Dorf nach Wallerstein in gemüthlichem Diskurse zurück. Die Zahl der »Schöber,« die sie schon eingeführt hatten und die sie noch zu bekommen hofften, der Stand des Sommerkorns und die Hoffnungen des Brachfeldes bildeten den Hauptinhalt ihrer Ansprache. Im Markt angekommen, schlugen sie den nächsten Weg zu der Anhöhe ein, auf welcher die fürstliche Brauerei liegt und nebst den ausgedehnten Oekonomiegebäuden den grauen Felsen, der das alte Schloß getragen, kranzartig umschließt. Sie fanden noch Platz auf einer der Bänke vor der Brauerei, ließen sich jeder eine Maaß geben, würdigten den schäumenden Trank, der aus dem gepichten Bauche der hölzernen »Bitsch« in ihre Kehlen floß, mit tiefem Zuge und theilten bald, schmauchend und nach entsprechenden Intervallen die Zungen befeuchtend, das Vergnügen der zechenden Versammlung.

Kasper hatte Recht gehabt. Das in dem Felsenkeller gelagerte Bier war heute ganz besonders wohlschmeckend und der Trinkplatz, der die Aussicht in den nordöstlichen Theil des Rieses darbot, vollständig besetzt. Wallersteiner Herren — fürstliche Beamte und Bürger — etwelche Nördlinger, »kadollische« und »luttrische« Bauern saßen größtentheils standesmäßig vereinigt, hie und da aber auch zufällig[S. 323] gemischt um die hölzernen Tische, die heute für die »Herrn« durch einige hübschere aus der Zechstube vermehrt waren. Das schöne Geschlecht war nicht zahlreich vertreten; doch sah man außer der französischen auch noch katholische und protestantische Rieser Tracht nicht ganz unwürdigen Inhalt umschließend. Alles war vergnügt. Die Hauptsache war unerschöpflich vorhanden, und wer Appetit nach etwas Eßbarem hatte, für den war nicht nur durch die Wirthschaft, sondern auch durch Wallersteiner Buben gesorgt, die Rettiche und »Würst' siedhoeße« ausriefen und die letztern auch dann noch mit dem lockenden Prädikat schmückten, wenn sie schon zwei Stunden hin und hergetragen waren.

Unsre Kameraden tranken sich nach und nach in jenen angenehmen Dusel hinein, in welchem die jetzigen Sterblichen eine Ahnung von dem Gefühl erhalten, durch das die Menschen des goldenen Zeitalters beglückt worden sein mögen. Michel hatte einen Blick auf das Dorf Birkhausen und auf das Fasanenwäldchen geworfen, das ihm so hübsch gegenüber lag; er hatte die Gäste gemustert und nach flüchtiger Betrachtung der anwesenden Bauernmädchen die Ueberzeugung gewonnen, daß Kasper in dieser Beziehung nicht gut prophezeiht habe! Jetzt ließ er die Augen ruhen und verharrte im Gegensatz zu dem Kameraden, der sich von Zeit zu Zeit umsah, in unveränderter Stellung, sichtlich in Nachdenken versinkend. Ohne aufzusehen, murmelte er endlich: »Wann e's nor gwihß wihßt'!« — Kasper sah ihn an und sagte lächelnd: »Bist scho' widder doh mit deina' Gedanka'?« — »Hol's der Deufel,« rief Michel, »i ka' net dervo' loaskomma'! Wann's ietz doch nex wär'? Wann's doch da' Schneider lieber hätt'? Gestert ist der Kerl a'mer verbeiganga', als ob's scho' sei' wär'! I hätt 'm glei oena' stecka' könna', so hoaffärteng hot 'r ausgseha', der Grippel!« — »Da' Schneider, glob' e, host net z'färchta',« erwiederte Kasper. — »I sott's oh net moena,« sagte Michel; und mit großartiger Verachtung setzte er hinzu: »So a Krack — so a Stump von 'm Menscha'! — net gröaßer als a Säustallthürle! I schmieß 'n über a Haus nüber, wann's sei' müeßt'! — 'S ka' net sei'!« — »Sie müeßt se ja schäma', wann's mit 'm geang (ginge),« setzte Kasper hinzu. »D'Leut dätet lacha 'n über so a Baar!« — »'S ist wohr,« sagte Michel.[S. 324] »Aber auf der andera' Seit; reda' ka'n er, schwätza' ka'n er, ond d'Mädla' send Mädla'. Wer'n (ihnen) flattirt, der hot scho' halb gwonna'.« — »Des ist freile oh widder wohr,« bemerkte Kasper. »Ond a'n Ohs ist der Schneider! Allweil woeß er ebbes Nuis. Ond manch's Mädle hot scho' so'n Kerl gnomma', weil's geara' d'Hosa'n a'ghett hätt! Vielleicht daß d'Great« — — Aber eine solche Zustimmung war es nicht, was unser Bursche jetzt wünschte. Seine Züge hatten sich verdüstert und unmuthig fiel er ein: »Schwätz net so domm! I glob's mei' Lebteng net! A Mädle wie d'Great will'n rechta' Ma'! Ond i woeß net, was grad do' (gethan) hot, daß d' so elend von 'r denkst!« — Kasper schwieg. Er wußte wohl, daß er nichts profitirte, wenn er nachwies, daß er nur Michels eigne Meinung wiederholt hatte! — Der Gewaltige ertränkte den unliebsamen Gedanken durch einen tüchtigen Zug aus der Bitsch und beide sahen stumm vor sich hin. Auf einmal erhellte sich das Gesicht Kaspers — man hätte sagen mögen schadenfroh — und Michel rief: »Aber kommt denn doh net — hol me der Deufel, sie send's!«

Sie waren's in der That, nämlich die Gret und ihr Vater. Sie kamen von der Westseite, denn sie waren auf Besuch bei der Schwester gewesen, die in dem nächsten württembergischen Dorfe verheirathet war, und fanden sich darum auch erst zu einer Zeit ein, wo der Nachmittag in den Abend überging. Als sie den Kameraden sich näherten, rief Kasper: »Godda'n Ohbed, Maurer!« und hielt ihm die Bitsch entgegen. Man wechselte Grüße und der Maurer that Bescheid. »Doh ist no' Plahtz,« sagte Kasper auf die Bank deutend. Der Maurer besorgte sich auch eine Bitsch, und man setzte sich zusammen.

Michel war überrascht gewesen und hatte die mit langsamen Schritten herbeikommende Gret sonderbar angestarrt. Sie war eben wieder sehr schön in ihrem Sonntagsstaat und namentlich in einem neuen seidnen, prächtig glänzenden Halstuch feinster Qualität! Der Gang in der Sonne hatte ihr Gesicht höher gefärbt, und ein guter Beobachter hätte bemerken können, daß ihre Augen, sobald Michel sich ihnen darbot, durch ein reizendes Funkeln belebt wurden. — Zu anderer Zeit hätte sich der erste Eindruck in dem Burschen vielleicht länger erhalten und eine verhängnißvolle Confusion der Gedanken zur[S. 325] Folge gehabt; allein zwei Maaß Lagerbier trinkt man nicht ohne Wirkung! Michel saß bald mit ruhiger Würde neben dem Maurer und nahm gemüthlich an dem Gespräche Theil, das sich entspann.

Kasper hatte gefragt, wo sie herkämen — nicht um es erst zu erfahren, sondern um vor ihnen und Michel zu verbergen, daß er es schon wußte. Nach der Antwort des Alten fragte Michel, wie's den Eheleuten ginge und wie der jungen Frau die Haushaltung anschlüge! Hierauf gab die Gret erfreulichen Bescheid: sie kämen gut fort und hausten recht gut zusammen. Anknüpfend an dieses gute Zusammenhausen nahm der Diskurs eine heitere Wendung. Kasper ging voran, und Michel bewies, daß er auch einen Spaß machen konnte, wenn's drauf ankam. In dem Behagen, das er empfand, war es ihm geradezu unbegreiflich, wie ihm vor der Gret jemals das Reden hatte schwer werden können! Beim Teufel! Heut konnte er schwätzen mit ihr wie mit seiner Mutter! Fragen — Antwort geben — Alles dünkte ihn ein Spaß! — was war das doch für ein Unsinn früher? — Der Umstand, daß er sich endlich in der Stimmung fühlte, nach der er getrachtet hatte und die er allein seiner würdig hielt, erfüllte ihn jetzt mit einem gewissen Stolz und einer eigenthümlichen Sicherheit. Die Gret war auch so vergnügt, daß ein Blinder hätte sehen müssen, wie sie sich freute, bei ihm zu sitzen! Die Furcht, als könnte sie den Schneider gern haben, war eine Dummheit, die größte, die ihm jemals vorgekommen! Den Schneider! So ein Mädchen! — Nein! Er — er selbst war der Glückliche! — Das war klar, daran konnte nur ein Narr zweifeln! — — Aber heute wollte er auch sein Wort anbringen! heut auf dem Heimweg wollte er sich an sie machen, Alles frisch weg heraussagen — das stand fest — und — auf den Herbst sollte die Hochzeit sein! —

Unterdessen hatte man das Bier nicht warm werden lassen. Auch die Gret, die sich durstig gelaufen, that aus der Bitsch, wo man's nicht sah, etwas bessere Züge, als sie's aus einem Glase gewagt hätte. Sie war in der That von ganzer Seele vergnügt. Michel in seiner Unbefangenheit, seiner guten Laune, gefiel ihr ausnehmend. Er war schöner als er ihr sonst vorgekommen, und offenbar auch viel gescheidter! Die Neigung, die sie immer für ihn gehegt hatte, steigerte sich[S. 326] diesen Abend zu dem ernstlichsten Wohlgefallen, und sie empfand das lebhafteste Verlangen, ihn endlich zur Erklärung zu bringen. Daß sie ihm gleichfalls heute nicht weniger gefiel, als früher, davon erlangte sie gewisse Ueberzeugung, und in der Hoffnung, einen solchen Prachtburschen zum Mann zu bekommen, wuchs ihr Vergnügen zu einer Art von Uebermuth. Sie neckte den Glücklichen von wegen weil er auf die Mädchen nichts gebe, was ein Unglück und eine schlechte Ehre sei für alle. Michel erwiederte: auf ihn käme nichts an, da gebe es andere, z. B. den jungen Schneider, der in der Fremd' gewesen sei und draußen Dinge gelernt habe, wo sie im Dorf nichts davon wüßten. Das wäre ein Kerl, der könne den Mädchen sagen, was sie gern hörten! Worauf die Gret versetzte: Der Schneider sei allerdings »a gallants Bürschtle,« an dem könnte sich mancher ein Exempel nehmen; aber es gebe eben so vornehme Bursche, die der Meinung seien, für sie wäre keine gut genug etc. etc. — Diesem kleinen Gefecht hörte Kasper mit Vergnügen zu, weil er seinen Plan dem Gelingen zureifen sah; der Maurer ergötzte sich daran, ohne den Ernst hinter dem Spaß gewahr zu werden. Zuletzt, nachdem sie einen Moment vor sich hingesehen, sagte das Mädchen: »Wie wär's, wammer (wenn wir) auf da' Felsa' naufgeanget, so lang d'Sonn no' schei't? Mir isch, als ob's ha'et bsonders schöa' sei' müeßt do droba'!« — Der Maurer wand ein, es möchte doch zu spät sein; sie müßten heim. Allein die Gret bat, die Kameraden traten dem Vorschlag bei und der Alte fügte sich.

Der nächste Weg vom Keller zum Felsen geht hinter dem Brauhause vorbei. Man gelangt, wenn man eine Treppe emporsteigt, auf einen grasigen Platz, der meist eben um den Felsen herumläuft — ehemals der innerste Hof des Schlosses.[4] Als unsre kleine Gesellschaft auf ihm der südwestlichen Seite zuging, neigte sich die Sonne schon den fernen Anhöhen zu. Vom Keller an hatte sich Michel zu dem Maurer gesellt. Wir wissen, daß er den Entschluß gefaßt, seine Wünsche auf dem Heimweg anzubringen; er folgte daher um so eher einem instinktmäßigen Trieb, nach der geschehenen Annäherung sich[S. 327] wieder ein Bischen zurückzuziehen, die Gret dem Kasper zu überlassen und zur Hauptaction neue Kräfte zu sammeln. Das war aber nicht die Rechnung des Mädchens, die das Besteigen des Felsen eben vorgeschlagen hatte, um dem Michel zu weiterer Annäherung Gelegenheit zu bieten, in der Hoffnung, einen Moment herbeiführen zu können, wo ihm, der einmal im Zuge war, das Schloß vom Munde fallen sollte. Wie sie nun, am Felsen angekommen, ihn ernsthaft mit dem Vater diskuriren und zurückbleiben sah, warf sie einen Blick des Bedauerns auf den Liebhaber, der die gute Gelegenheit versäumte, mit ihr aufzusteigen und ihr allenfalls dabei zu helfen. Damals war der Weg (er befindet sich auf der Südwestseite) noch nicht so bequem wie jetzt, wo neue Treppen in den Felsen gehauen sind. Kasper, der mit der Gret hinan stieg, kam einmal im den Fall, ihr die Hand reichen zu müssen, um sie einige Schritte zu führen; und es ist zu vermuthen, daß sich diese Nothwendigkeit für Michel öfter ergeben hätte. »'S ist doch a'n o'gschickter Mensch«, sagte sie sich. Aber ein Gedanke beruhigte sie wieder: »Vielleicht will er se bei mei'm Vader wohl dra' macha', des ghöart oh zor Sach, obwohl der nex dagega' haba' wurd — o conträr!« —

Alle waren endlich auf dem Gipfel angekommen. Man ging hin und her und schaute. »Ei wie schön!« rief die Gret und hing mit freudigem Blick an der Landschaft. »Du host Rehcht,« setzte der Maurer hinzu. »'S ist wärle der Müh wearth gwesa', daß mer (wir) raufganga' sind.«

Der Bauer ist kein schwärmerischer Bewunderer der schönen Natur. Zunächst weil er überhaupt nicht so leicht schwärmt; dann aber weil er gewissermaßen selber zur Natur, zur Landschaft gehört und mit ihr auf zu vertrautem Fuße lebt, um über ihre Erscheinungen außer sich zu kommen. Ein recht schöner Anblick verfehlt aber auch auf ihn seine Wirkung nicht; er freut sich darüber herzlich und kindlich — und das Ries im Schein der Abendsonne ist ein Bild, dessen Reiz auch die substantiellere Natur eines eingebornen Dorfbewohners zu ergreifen vermag.

Die Luft war klar, auf der nordwestlichen Seite kein Wölkchen am Himmel. Die gelben oder noch grünlichen Getreidefelder — die[S. 328] schon »geschnittenen« Aecker, zum Theil noch mit »Sammelten« bedeckt — die lichtgrünen Wiesen, die Brachfelder mit verschiedenen Abstufungen von hellerem und dunklerem Grün — die zahlreichen Orte in der Nähe und in der Ferne — Alles das stand vor den Augen in deutlichen Umrissen und durch den zarten sommerlichen Duft gleichwohl zu einem schönen landschaftlichen Ganzen verbunden. Unter ihnen lag der Markt Wallerstein mit den beiden fürstlichen Schlössern und den Parkanlagen; am nordwestlichen Horizont ragte das hochgelegene Schloß Baldern über Hügel ins Ries herein; nach Westen zu erhob sich das ehemalige Lanenkloster Kirchheim auf mäßiger Höhe, und weiterhin stieg der Langenberg und der Nipf bei Bopfingen empor. Eine halbe Meile entfernt, gegen die südlichen Hügel hin, war die Stadt Nördlingen gelagert mit ihren vielen ansehnlichen Gebäuden, Zwingern, Gärten und Alleen — und rechts und links wohlhäbige Dörfer über die Ebene hingesät. Die Ruine Hochhaus schimmerte aus Wäldern hervor; auf den südöstlichen Höhen prangten das Schloß Reimlingen und die ehemalige Benedictiner-Abtei Deggingen, weiter nach Osten die Schlösser Harburg und Lierheim und die Reste von Allerheim. Kehrte man sich nach der nördlichen und nordöstlichen Seite, so erblickte man die stattliche Kirche von Zipplingen, das Kloster Maihingen und den langen Hesselberg — die Schlösser Hochaltingen und Spielberg, den uralten Thurm von Hohentrüdingen, die Städte Oettingen und Wemdingen. Die nordwestlichen Anhöhen standen in grünlichem Duft, unter der Sonne golden überhaucht; die südwestlichen erquickten das Auge mit wenig gedämpftem Waldesgrün; die entfernteren südlichen und östlichen glänzten in wundervollem Blau, hie und da von helleren Partien der Getreidefelder durchzogen. Eben die Anhöhen, welche die Ebene rings umgeben, erwecken in dem Eingebornen das Gefühl, daß er in einem Paradiese lebt — in dem landschaftlich eingeschlossenen und abgeschlossenen, fruchtreichen, schönen Ries!

Unsere Leute genossen das Malerische des Anblicks auf ihre Weise, in großen Linien, und verwendeten deshalb weniger Zeit darauf als wir auf die Beschreibung. Sie gingen zu einer sachlichen Unterhaltung — zur Hervorhebung einzelner Gegenstände über. Sie zeigten sich Orte, die das Merkwürdige hatten, daß darin Freunde von[S. 329] ihnen hausten; sie machten Anhöhen namhaft, die sich dadurch auszeichneten, daß sie von ihnen schon bestiegen worden waren. Die Gret deutete das Haus ihrer Schwester an, welches leider von einem großen Bauernhaus verdeckt sei; und zuletzt concentrirte sich die Aufmerksamkeit auf dem interessantesten Dorf — auf dem eigenen. Man zeigte sich seine Häuser, Wiesen und Aecker, und Anblick und Besprechung dieser traulichen Objekte versetzten die Landleute wieder in eine muntere und fröhliche Stimmung.

Michel hatte sich hie und da an die Seite der Gret gestellt, allein nach seinem Plane sich nicht mehr mit ihr abgegeben, als mit den Andern, obwohl der Kamerad den Maurer ein paarmal abseits geführt hatte, ihm Gelegenheit zu verschaffen. Die Gret, dadurch gereizt und in der erhöhten Laune des Tages, beschloß ihm einen Schreck einzujagen und — ihm entgegen zu kommen. Als die Andern in die östlich gelegene Spalte hinabgestiegen waren und Michel schweigend neben ihr stand, that sie einen Schritt gegen den Rand des Gipfels, von dem es hier schroff abwärts ging, zuckte und »grillte« (kreischte), daß es eine Art hatte. Michel erschrak in der That und versäumte, rasch zuzugreifen; als er sah, daß sie selber feststand, hielt er es nicht mehr für nöthig und schaute sie beruhigt an. Die Gret verzog den Mund. »Du bist a schöaner Nochber,« sagte sie; »du ließest me nonterfalla' ond sächtest (sähest) ganz ruheng zua'!« — Der Ehrliche war etwas beschämt, weil er selbst fühlte, daß er zu langsam gewesen; aber eben darum wollte er den Vorwurf zurückweisen. »No, no,« erwiederte er, »du host de ja selber ghalta'. — I hab' eba' denkt, du wurscht Versta'd gmuag haba' ond net z'weit nausganga!« — Für einen Liebhaber keine galante Rede! Die Actien des Burschen, insbesondere seiner Gescheidtheit, sanken wieder, und das Mädchen, etwas empfindlich geworden, suchte die Andern auf.

Die Sonne zerschmolz eben am Horizont — der Alte mahnte zum Aufbruch. Die Gret, um den Michel für sein Ungeschick zu strafen, ging zuerst hinunter und that, als ob er gar nicht mehr da wäre. Natürlicherweise fühlte nun er, dem es doch schwante, daß er sie »geärgert« habe, einen Trieb, ihr nachzugehen und sie wieder gut zu machen. Nachdem sie alle auf dem schon thauigen Rasen angekommen[S. 330] waren, führte Kasper, der des Kameraden Absicht merkte, den Alten im Gespräch links um den Felsen. Unser Paar sah sich allein. Der Bursche sagte ihr etwas Schönes wegen der Geschwindigkeit, womit sie den Felsen herabgestiegen war. Sie, noch ein wenig schmollend, aber seines guten Willens halber schon wieder auf dem Weg zur Güte, entgegnete: »Ja, a bisle gschwender ben e freile als du! Bei dir hoeßt's eba': komm' e ha'et net, komm' e morga'. I sorg', du wurscht überal z'spät komma'!« — »Oho,« erwiederte Michel und lächelte, denn das Gesicht, womit ihm dieser Vorwurf gemacht worden, hatte nichts Beleidigendes. Das Mädchen sah ihn an — und nochmal fühlte sie eine Regung, für ihn etwas zu thun. Sie sagte: »Globsch (glaubst du), du ka'st me net fanga', wann e spreng (springe, laufe)?« — »Ih dih?« versetzte Michel und konnte nicht umhin, über so eine Behauptung die Achseln zu zucken. — »Ja, du mih,« erwiederte die Gret mit Nachdruck. Das hieß den Michel bei der Ehre angreifen; und im Gefühl seiner langen Beine rief er mit stolzer Sicherheit: »Loß de net auslacha'!« — »Ja,« sagte das Mädchen, »pranga' ka'n a'n ieder; aber i glob's net!« — »Du bist net gscheidt!« entgegnete Michel. »No, so zoeg's,« fuhr die Gret fort, »ond fang me, wann d' ka'st!« — Sie faßte ihren Rock auf beiden Seiten, hob ihn ein wenig in die Höhe, um den Beinen mehr Freiheit zu gewähren, und lief — aber nicht links, den Andern nach, sondern rechts um den Felsen, einer Grube zu, die sich auf der nördlichen Seite des Felsens befindet. Michel, so herausgefordert, hatte sich bereit gemacht; er ließ ihr einen Vorsprung, dann fing er an auszugreifen, daß er sie schon im Eingang der Grube erreichte. Aber der Triumph, sie nun zu fassen und zu halten, war ihm ein viel zu geringer — er lief einige Schritte über sie hinaus, bis sie schnaufend zurückblieb, drehte sich um und rief siegesfreudig: »No, was hab e gsakt? Ka'n e's oder ka'n e's net?« — Die Gret sah ihn mit einem fast wehmüthigen Blick an, und mit dem Doppelsinn, den ihr die Situation aufdrängte, versetzte sie: »Ja, ja, i hab' me g'irrt en dir — ond mueß me schäma'!« — Michel, weit entfernt zu begreifen, trat näher und sagte mit dem Tone wohlwollender Ueberlegenheit: »No, no, z'schäma brauchst de grad net, wann ih über de nausloff!«

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Der absolute Mangel an Verständniß machte die Gret lächeln und die grundehrliche Meinung des Burschen versöhnte sie wieder. In der Grube war es schon dämmerig; der Spaziergang, auf den sie so viele Hoffnung gesetzt, nahte sich seinem Ende, und daß die beiden Burschen mit ihr heimgehen würden, konnte sie nicht als gewiß annehmen. Wer wird es ihr nun verdenken, wenn sie bei der Redlichkeit ihrer Absichten die Gelegenheit ergriff, mit dem Burschen noch einen Versuch zu machen? Am Ende — sie that damit ihre Schuldigkeit, und wenn gleichwohl an ihm nichts half, so brauchte sie sich wenigstens keinen Vorwurf zu machen.

Sie hatte gemerkt, daß sie beim Laufen die Glufe, womit das Halstuch des Rieser Bauernmädchens auf dem Rücken angeheftet wird, um daselbst ein regelrechtes Dreieck zu bilden — verloren und ihr schönes seidenes Halstuch sich verschoben hatte. Indem sie eine Glufe von der Brust auszog, wo sie minder nöthig war, sagte sie zu Michel: »Ietz muß e de no' om a Gfälligkeit bitta'! I spür, daß mei' Gluf rausgfalla'n ist aus mei'm Halstuch, ond's wär mer lieb, wann d' mers widder nei'stecka' möchtst, vor mer zrückgont (zurückgehen).« Während sie dieses sagte, hatte die Phantasie ihr vorgezaubert, was ihr Herz wünschte. Michel fand während dieser Beschäftigung den Muth der Liebe, folgte ihm freudig und hielt jene Anrede an sie, die wenn auch noch so kurz, doch vom Munde des Mannes gehen muß, um von dem Mädchen bejaht den Bund der Herzen thatsächlich zu knüpfen.

In diese Seelenmusik ertönte plötzlich die Antwort des wirklichen Michel: »I will's versuacha'! Muß d'r aber scho' saga', daß e mit deana (diesen) Sacha' net recht omganga' ka'!« — wodurch die Gret belehrt wurde, daß es noch nicht an dem sei. Der Bursche nahm die Gluf und stellte sich hinter sie; er wollte ihr nun auch wirklich gefällig sein und genau thun, was sie haben wollte. Als er anfing, das Halstuch zurechtzurücken, wurde ihm doch sehr curios. Sein Herz fing an zu schlagen, vor seinen Augen begann es zu schwimmen; er fühlte ein außerordentliches Verlangen, just das zu thun, was sie wünschte und ihr Phantasiebild wortwörtlich zu erfüllen. Allein zu rechter Zeit noch mahnte ihn die Pflicht und sein Vorsatz. Ihr die[S. 332] Gluf anzustecken, das hatte sie verlangt, darum war es ihr zu thun, und darin mußte er ihr zu Willen sein. In der Verwirrung seiner Lebensgeister zog er das Tuch rechts und links, ohne ihm die gehörige Lage geben zu können. Die Gret rief: »Daß 's fei' recht en d' Mitt nei' kommt!« Denn grad in der Mitte des Rückens muß die Spitze befestigt werden, wenn das schöne Dreieck herauskommen soll. Dieser Zuruf des offenbar etwas ungeduldigen Mädchens traf den Burschen. Das Tuch hing eben zu weit rechts. In seiner Confusion that er instinktmäßig einen Riß gegen die Mitte, wobei er die Kraft seiner Finger nicht erwog, und — ein Fetzen des Halstuchs blieb in seiner Hand.

Nun riß aber auch die Geduld der guten Margret! Nachdem sie so weit gegangen — nachdem sie ihm auf eine Art entgegen gekommen war, daß der Einfältigste hätte begreifen müssen — ihr, anstatt ihren Wunsch zu erfüllen und ihr um den Hals zu fallen, das schöne neue Halstuch zu zerreißen — das war denn doch in Wahrheit »dümmer, als verlobbt ist.« So einen Menschen zum Mann zu kriegen, ist am End auch kein großes Glück, und — — sie hatte sich umgedreht, sah den Fetzen in seiner Hand, sah das Gesicht halb verlegen, halb lächelnd gegen sie gewendet, und rief erzürnt: »Du bist aber doch o'gschickter als der Deufel! So a Mannsbild! Gang nor glei (gleich) morga' zom Schulmoester ond loß d'r dei' Schuelgeld widder rausgeba'; denn des ist net verdeat (verdient) woara!« — Das war auch nicht höflich, und so etwas hatte Michel noch nie gehört. Er wurde seinerseits ärgerlich und entgegnete: »I hab d'r ja gsakt, daß e mit deam Zuig (Zeug) net omganga ka' — w'rom trägst mer's auf?« Und mit stolzem Selbstgefühl setzte er hinzu: »I hab ebbes anderst's z'doa' en der Welt, als da' Mädla' d'Halstüacher na'zmacha!« — Die Gret sah ihn achselzuckend an und sagte: »Ja, des glob' e!« — Der Bursche fühlte einen Drang, sich von jedem Vorwurf rein zu waschen; deswegen, den Fetzen emporhaltend, bemerkte er: »Des Tuech doh, nemm mers net übel, ist aber oh nex nutz gwesa'! 'S ist eba' widder so a nuimodischer Lompazuig (Lumpenzeug), so dent (dünn) wie Spennawett (Spinnweb)! Mei'r Mueter ihr Halstuch wär' m'r net in der Ha'd blieba'.« —

[S. 333]

Das Mädchen wußte nicht, sollte sie lachen oder weinen. Sie hielt an sich und erwiederte: »Du host natürlich Rehcht! Ma' woeß ja, doß d'r Gscheidtst bist en der ganza' Gmoed (Gemeinde). — So, ietz ka'n e mit 'm verrissenga' Halstuech hoemganga'!« — Michel, der einmal in den Schuß der Dummheit gekommen war, verstand die letzte Rede wieder falsch. Er trat mit ritterlicher Intention einen Schritt näher und sagte tröstend: »Doh brauchst de net z'kränka'! — ih ka' d'r scho' a nuis kohfa!« — Das gab ihm bei dem Mädchen den Rest. Wahrhaft beleidigt, riß sie ihm den Fetzen aus der Hand und rief; »So viel Geld hab' e no' übreng, um m'r a nuis Halstuch z'kohfa! I brauch nex von dir, du oefältenger Mensch!« — Sie wandte sich rasch ab und ging fort.

Michel stand verdutzt. Er hatte eine dumpfe Ahnung, daß er doch nicht ganz richtig gehandelt haben könnte. Ein Aerger erhob sich in seiner Brust — über sein Unglück, über die Hitze der Gret, über das Mißgeschick, das ihn überall verfolgte. Indem er nachdenken wollte, fühlte er, daß ihm heute auch das Denken nicht mehr geriethe. Er spürte eine ziemliche Mattigkeit in seinen Gliedern, setzte sich auf ein Felsstück und überließ sich der formlosen Bewegung seiner unmuthvollen Seele. Endlich erhob er sich rasch und trat den Rückweg an; er wollte doch sehen, wie's stehe und was zu thun sei!

Als er an seinen Tisch trat, waren der Maurer und die Gret schon fort; Kaspar erwartete ihn, unwissend, was er denken sollte, und höchst neugierig was denn passirt sei. Die Gret sei zurückgekommen, sehr ernsthaft und ärgerlich, und habe erzählt: sie hätte ihren Fürwitz gebüßt, sie wäre in einer Grub am Felsen hingegangen und ein spitziger Stein hätte ihr das Halstuch zerrissen. Er, Kasper, habe nicht begreifen können, wie das zugegangen sei, und nach ihm, dem Michel, gefragt; worauf sie zur Antwort gegeben, sie wisse nicht wo er hingelaufen sei. Dann habe sie an ihrem Vater getrieben, sie müßten nach Hause, sie habe noch etwas herzurichten auf morgen früh — und der Maurer sei mit ihr fortgegangen. »Was hot's denn geba'?« rief der gute Bursche zuletzt mit dem Antheil eines Freundes, der das Seine gethan. »Send'r (seid ihr) oeneng woara'n oder« — »Jo«, rief Michel mit dem Humor der Verzweiflung, »oeneng![S. 334] — Aus isch!« — Kaspar fuhr empor. »Was! — aus?« — »Aus«, erwiederte Michel, »wie'n e der sag!« — »Aber wie hot's denn ganga'? So verzähl m'r doch!«

Unser Bursche war gedrückt von dem Unstern, den er gehabt, von dem Unwillen, der in seiner Seele emporschwoll — er mußte sein Herz erleichtern, und er wollte dem treuen Kameraden Alles vertrauen. Wie er erzählte, daß er in der Grube über die Gret hinausgelaufen sei, machte Kaspar Bewegungen, als ob er das Gliederreißen hätte. »Nausgloffa?« wiederholte er mit unwilligem Staunen; und den Zorn des Gewaltigen riskirend, setzte er entrüstet hinzu: »O du dommer Kerl! Host denn net gseha', wos die gwöllt hot?« — »No, was denn?« fragte Michel. Und Kaspar fuhr fort: »Fanga' hättsch (hättest du sie) solla' — ond d's Maul hättst aufdoa' solla, wann's ghett hättst! Desdawega' hot's de rausgfoadert!« — Michel war betroffen; die Sache leuchtete ihm ein, und nur kleinlaut sagte er: »Moest?« — »Ach, i bitt' de!« rief der Kamerad höchst verdrießlich. — »No, verzähl weiter!«

Michel erzählte das Uebrige. Kaspar sah ihn an, wie einen, bei dem's nicht recht richtig ist, und brach in ein lautes Gelächter aus. »Lieber Michel«, sagte er endlich, »nemm mer's net übel, aber dir muß ma' da' Dippel boara' (der Düppel bohren)! Was! doh host no' nex gmerkt?« — Unser Bursche, einmal auf dem Wege der Selbsterkenntniß, begriff — und ein dumpfes Schamgefühl begann in ihm aufzuquellen. Allein seine Handlungsweise hatte doch auch ihre Gründe, und zu seiner Rechtfertigung mußte er sie geltend machen. »Aber i sag d'r«, entgegnete er etwas verlegen — »ihr Halstuech ist wärle verschoba' gwesa'! Ond i hab gmoet« — — »Ietz höar auf«, rief Kaspar »ond ärger' me net! Die hot se ebbes om ihr Halstuech kümmert! Des ist 'r aufglega'! — no' derzue bei der Nahcht, wo's koe Mensch sicht!«

Bei dieser Hinweisung auf die Nacht ward es Tag in unserm Burschen. Er schämte sich in den Tiefen seiner Seele, und ein großer Verdruß über sich selbst erhob sich in ihm. Indessen wenn man angegriffen ist, muß man sich doch vertheidigen, und darum sagte er: »'Smag sei'! Aber 'sist vielleicht besser, daß's so komma'n[S. 335] ist! Mit dem Mädle hab e amol nex acks (als) O'glück — und wear woeß« — Kasper fiel ihm in die Rede: »O'glück haba' nennt 'r des! Ietz wurd's mer zviel! Glück host tausedmol meaner (mehr) as der Brauch ist — — aber (auf die Stirn deutend) doh fehlt's!« — Nach kurzem Schweigen setzte er hinzu: »Ietz bitt' e de nor om oes! Verzähl m'r koem Menscha' nex dervo'! Ih as dei' Kamrad mueß me schäma' für di! Du host de benomma, daß a wahra' Schand ist! Wie a Dommkopf, wie a Sempel, wie a — —«

Der gute Kaspar wollte die Gelegenheit der Vernichtung Michels benutzen und sich für die Grobheiten, die er von ihm schon anzuhören gehabt hatte, entschädigen. Aber nun wurde es dem Enakssohn zu bunt. Er richtete sich empor in seiner ganzen Macht und rief mit dunkelbraunem Gesicht: »Ietz sei mer still, oder i schmeiß de onter da' Dihsch (Tisch) nonter, doß d's Aufstanda' vergischt! Kott's Höllablitz! — Willst me du oh no' verzürna'? — I hab mei' Lebteng mit deana Lueders-Weibsbilder nex z'doa ghett — wie sollt' ih ihr' Ränk ond Schwänk kenna'?« — Kasper, zur Mäßigung gemahnt, versetzte mit Humor: »So got's eba'! Wer nex lernt, der ka' nex!« — »Was doh«, rief Michel unmuthig. »Falsche Ohser sends alle mit anander! I ben froa', daß so ganga'n ist, ond meiner Lebteng loss' e me ietz mit koer mea' ei'! Aus isch!« — Er ergriff die Bitsch, leerte sie auf einen Zug, stand auf und rief mit dem alten Herrscherton: »Ietz komm!« — Er ging. Kasper folgte.

Auf dem Heimweg schüttelte der Erfahrene noch zu wiederholtenmalen den Kopf. Es war freilich beinahe nicht zu glauben, wie der Kamerad sich benommen hatte. Aber abgesehen von den Gründen, die er selber angab, war er ein Deutscher und hieß Michel. Er war ein Schwabe und erst sechsundzwanzig Jahre alt.

Beim Tanze.

Als die Gret am andern Morgen in ihrem Bett erwachte, überlegte sie bei dem heitern Schein der eben aufgegangenen Sonne die Vorfälle des gestrigen Abends in ihrem Zusammenhang und ihrer[S. 336] Steigerung — und brach in ein helles Gelächter aus. Nichts in der Welt kam ihr so närrisch vor wie der gute Michel in seiner Einfalt. Was sie gestern erzürnt hatte, das erschien ihr heute unendlich lustig, und um keinen Preis hätte sie sich ihr zerrissenes Halstuch abkaufen lassen. »O ist des a gueter Kerl!« rief sie, Lachthränen in den Augen. »Ist des a dommer Mensch!«

Mit dem Unmuth war aber auch die Geringschätzung, die sie gegen ihn empfunden hatte, völlig aus ihr gewichen. Die Heiterkeit stimmte sie zur Milde, zur Gerechtigkeit. Sie fühlte, wie gut ers eigentlich meinte, wie durch und durch ehrlich er war, und wie ihm nur die rechte Art fehlte. Ihre Seele hing an seinem Bilde, wie das Aug einer Mutter an ihrem Kind, mit liebend mitleidigem Antheil. »G'scheidt ist er freile net,« sagte sie endlich, »ond wie ma' mit da' Mädla'n omgot, des woeß er gar net. Aber was schadt's? 'S ist am End besser, er lernt's von mir, als wann ers scho' von 'r andra' glernt hätt!«

Da sie die Schwäche des Burschen von der schönern Seite betrachtete, so leuchtet ein, zu welchem Schlusse sie kam. Sie wollte ihn durchaus nicht aufgeben, ihm vielmehr Alles verzeihen und bei der nächsten guten Gelegenheit sich alle Mühe geben mit einem neuen Versuch. »'S ist freile net en der Oarneng (Ordnung),« sagte sie mit etwas bedenklichem Gesicht, »daß d's Mädle widder a'fangt. Aber was ka'n e macha'? 'S got amol net anderst, ond a jeds mueß doa', was eba' ka'! — So o'stearisch (unsternisch, unglücklich), wie desmol,« setzte sie erheitert hinzu, »wurds ja doch net allmol ganga'!«

Es hatte einen ganz absonderlichen Reiz für die muntere Gret, den dummen prächtigen Michel zu gewinnen. Sie lächelte holdselig für sich bei diesem Gedanken, ihre Augen glänzten und schelmisch verlangend rundeten sich die schönen rothen Lippen.

Vergnügt kam sie in die Stube. Als sie nach der Begrüßung des Alten wieder an Michel und sein Benehmen dachte, konnte sie sich nicht enthalten, für sich hinzulachen. Ihr Vater sah sie verwundert an und sagte: »Was host denn? Du bist ja gwihß net gscheidt?« — Die Gret erwiederte: »'S ist m'r grad ebbes ei'gfalla'!« — »Gang weiter,« sagte der Maurer, der nicht zu den scharfsichtigsten Menschen[S. 337] gehörte, »du bist a verruckts Mädle! Mach lieber, daß mer a Supp krieget ond zom Schneida' kommet!«

Anders war die Nachwirkung des gestrigen Abends bei dem Burschen. Auch er sah klar an dem hellen Morgen, aber bei ihm erzeugte die Klarheit nicht Heiterkeit und Milde, sondern grimmigen Verdruß und Wuth über sich selbst. Schon Göthe hat hervorgehoben, wie der arme Mensch, des Morgens im Bette erwachend, in der Passivität des Daliegens den Pfeilen der Selbstanklage und der Reue wehrlos preisgegeben ist. Michel, in dem Nachtheil seiner Lage, erkannte aufs deutlichste, wie dumm er sich gestern benommen; Scham färbte sein Gesicht, er strampfte mit dem Bein, daß die Bettstatt krachte. »O du Ochs«, rief er aus und gab sich einen Schlag vor die Stirn, der einer minder harten gefährlich werden konnte. »So domm sei'! — net seha', was d's Ohs will, ond globa', sie will des, was sie sakt! Als ob's net grad allmol ebbes andersts wölla' dätet, die — —! — Ietz kenn e's (ich sie) auf oemol — ietz, wo's nex mea' hilft!«

Michel, wie der Leser schon gesehen, war hinterdrein immer um ein Gutes klüger als vorher; er machte sich seine Erfahrungen in Wahrheit zu nutze, er ging vorwärts, und es war darum keineswegs an der Durchbildung seines Verstandes zu verzweifeln, wenn man ihm nur Zeit gab, die hiezu nöthige Zahl von Erfahrungen zu machen. Das ist aber eben das Schlimme bei dieser gründlichen Art der Entwicklung, daß man oft gewisse Einsichten erst zehn Jahre später erlangt, als wo man sie brauchte, und unter solchen Verhältnissen gar vieles unwiederbringlich verloren bleibt.

»So a Glegenheit«, murmelte der Bursche für sich hin. »Moets so guet mit m'r, richt't mers na' — a'n oezengs Wöartle, ond mei' wär's! — Ond ih ben so hihra'dippleng und verreiß 'r d's Halstuech! Noe (und er brach selber in ein Lachen aus) so 'n oefältenga' Menscha' gibts en der Welt nemmer! Des ist gar net möglich! — Natürlich isch wüadeng woara', des begreift se — über so'n Esel! Die möcht' i oh seha', die doh d'Geduld net verliera' dät!« —

Er versank in tiefes Nachdenken. »'Sist verloara'«, begann er aufs neue, »ganz ond gar verloara'! So'n domma' Menscha[S. 338] muß ma verachta', 's got net anderst; ond wo amol koe Respekt mea' ist, doh hot's mit d'r Liab a'n End! — O, i wott glei« — —

Er sprang auf, zog sich an, und murrte dabei fortwährend über sich selbst. — Als er in die Stube trat und der Mutter guten Morgen bot, sah ihn diese an und sagte: »Wie sikscht denn du ha'et aus? — Du host g'wiß gestert z'tief en d'Bitsch nei'guckt!« — Michel war froh, die Alte auf dieser Fährte zu sehen, und dichtete sich einen Katzenjammer an, obwohl mindestens das doppelte Quantum des gestern Getrunkenen erforderlich gewesen wäre, ihm eine Andeutung davon zu geben. »Ja«, erwiederte er, »i ben a bisle z'weit ganga'! Aber (setzte er mit saurem Gesicht hinzu) i hab a Lear (Lehre) kriegt, ond wear me a'nandersmol hüeta'!«

Als er nach dem Frühstück auf's Feld hinausging, dachte er: »Ietz nor Alles ha'et, als dem Mädle net begegna'!« Er empfand eine grausame Scheu, das Gesicht zu sehen, das er sich nicht anders als höhnisch denken konnte und dessen bloße Vorstellung ihm schon einen Stich ins Herz gab. Unbehelligt kam er an seinen Acker, und froh über dieses Glück schnitt er rüstig in Gesellschaft seiner Mutter und einer Taglöhnerin die zeitgemäße Gerste. Aber seine Furcht war doch eine Ahnung dessen, was kommen sollte! Da sie den Acker noch fertig schneiden wollten, so gingen sie erst spät zum Mittagessen heim. Michel blieb in Gedanken zurück, und wie er in die Gasse einlenkte, kam ihm die Gret entgegen. Er erschrak, und sein Gesicht zeigte eine so komische Mischung von Verlegenheit, Verdruß und Empfindlichkeit, daß das Mädchen, als er ohne zu grüßen an ihr vorüberschritt, sich nicht anders helfen konnte — sie mußte grad hinaus lachen.

Es that ihr unendlich leid, sobald es geschehen war. Sie fühlte, daß es jetzt zu Ende sei mit ihm, und daß ein Wunder geschehen müßte, wenn er ihr dieses Lachen verzeihen sollte! — Sie schalt sich selbst, wurde sehr ernsthaft und beruhigte sich endlich nur in dem Vorsatz: für jetzt sich zurückzuhalten und Alles in Geduld zu erwarten.

Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht. Michel war im Tiefsten beleidigt. »I habs ja gwißt«, sagte er schamerglühend zu sich selbst,[S. 339] — auslacha' wurd's me! — No, ietz isch aber verbei, — ietz sig e's nemmer a' meiner Lebtag! I ben a'n Esel gwesa', daß e denkt hab', sie hält doch ebbes auf mi! Wean ma' so auslacht, auf dean hält ma'n ebbes, ja wohl! — Nia hot ma'n ebbes auf 'n ghalta'!«

In seiner gerechten Entrüstung ging er zu dem Kameraden und erzählte ihm, was ihm passirt sei und was er nun denken müsse. Kasper wollte die Schlußfolge Michels nicht gelten lassen; aber dieser machte ein Gesicht, daß er seine Einwendung gern fallen ließ und meinte: es könnte doch so sein! — Gewisse Leute finden immer Beistimmung.

Michel faßte den Entschluß, die Gret nicht nur ihres Weges gehen zu lassen, sondern gar nicht mehr an sie zu denken. Zunächst wurde er aber doch noch an sie erinnert. Seine Mutter erfuhr nämlich im Lauf der Woche von einem Nachbar, Michel sei am Sonntag beim Maurer und seiner Tochter gesessen, er sei recht »lebendeng« gewesen, und es habe just so ausgesehen, als ob ihm die Gret gefiele. — »Des gäb' a rechts Baar«, hatte der Wohlwollende hinzugesetzt, — »doh müsset 'r a Bisle helfa'!« — Die Alte war sehr erfreut über diese Nachricht und nahm sich gleich vor, bei guter Gelegenheit auf den Busch zu klopfen und zum Zwecke zu reden.

Als sie einen Tag darauf nach dem Essen allein in der Stube waren, begann sie mit jenem Lächeln, das nur Müttern eigen ist, wenn sie auf eine ihnen genehme Liebschaft des Sohnes anspielen: »Des mueß ma' doch saga', d's Maurers Margret ist doch ietz d's erst' Mädle em ganza' Doraf! Wie die so gschickt ist ond wie der Alles aus der Ha'd got! 'Sist wärle zum Verwondra'!« — Michel blieb stumm. — »No, isch net wohr?« fuhr die Alte fort und sah ihn an. — »'S ka' sei'«, entgegnete Michel. — »Die Gschwendne (Geschwindigkeit)«, begann die Mutter wieder, »hab' e no' net leicht gseha' bei 'm Mädle! Sie schafft für zwua (zwo, zwei).« — »Mei'daweg für drei!« versetzte der Bursche. Die Alte wollte aus dieser Antwort entnehmen, Michel schäme sich zu bekennen, und fuhr fort: »Wer die zom Weib kriegt, deam isch net gfehlt — der hots troffa' — noch mei'r Moeneng!« — »I wensch 'm Glück derzue«, bemerkte der Sohn ohne aufzusehen und mit einem Ton, der der Alten doch[S. 340] befremdlich klang. »No, was host denn ietz?« rief sie; und lächelnd setzte sie hinzu: »bist net amol aufrichteng mit dei'r Mueter? I will der's nor saga': die Great wär a Mädle für dih, ond wann de a Bisle om se rommacha' dätst« — —

Michel sah auf mit unmuthigem Gesicht. »Die Great«, erwiederte er kurz, »wär die Letscht (Letzte), die i näam (nähme)!« — »Aber worom denn?« rief die erstaunte Alte. — »Weil's a'n Ohs ist«, war die Antwort, »ond weil e's net leida' ka'!«

Die Mutter wollte ihren Ohren nicht trauen. »Aber du sollst de ja beim brauna' Bier recht guet mit 'r onderhalta' haba'!« — »Descht (das ist) a domma' Schwätzerei — weiter nex!« entgegnete Michel. Und indem alle Schmach, die er erfahren, in seiner Seele brannte, rief er mit Nachdruck: »Von deam Mädle red m'r nex mea' — i will nex von 'r höara'!« — Die Alte war bestürzt und schwieg einen Moment still. Dann sagte sie mit einem Klageton, der aus der Seele kam: »Aber sag m'r nor, willst denn ietz barduh (partout) net heiricha'? Magst denn gar koena'? Soll e meiner Lebteng koe Söhnere mea' ens Haus kriega'?« — Dieser Ton traf den Burschen; — und da es die Mutter doch so gut meinte und vielleicht die einzige Person in der Welt war, die es gut meinte mit ihm, so ging er auf sie zu, nahm sie bei der Hand und sagte von Herzen: »Mueß denn aber grad gheiricht sei'? I hab ja a brava' Mueter, die m'r nex ahganga' (abgehen) loßt and bei ders m'r wöller ist, als bei so 'r jonga Butzdock (Putzdocke)!« — »Ach«, erwiederte die Alte, die sich doch etwas geschmeichelt fühlte, »wann e aber stirb, was nocht?« — »Du lebst länger als ih«, rief Michel, nickte versichernd — und suchte das Weite.

Wie vorsichtig die gute Frau war, und wie sehr sie eine Scheu empfand, über ihren Michel ein Gerede zu veranlassen, das ihn erzürnen würde — den Widerspruch zwischen der Erzählung des Nachbars und dem Benehmen des Burschen konnte sie doch nicht verwinden. Sie erkundigte sich gelegentlich bei dem Kameraden. Dieser spürte kein Verlangen, die Wahrheit zu sagen und unter Umständen die Kraft der Michelschen Fäuste zu empfinden; er erwiederte, sie hätten allerdings eine Ansprache mit dem Maurer und seiner Tochter gehabt,[S. 341] aber diese hätte dem Michel ein paar spöttische Reden hinausgegeben, das habe ihn geärgert und nun sei sie ihm zuwider. — Die Mutter seufzte und resignirte noch einmal. Zum Nachbar sagte sie: »Desmol hont 'r falsch gseha'!« Der Alte meinte: »Nocht wurd's halt d's brau' Bier gwesst sei', was 'n so monter gmacht hot!« — »Des glob' e ehr«, entgegnete die Mutter — und die Frage war abgemacht für sie.

Die Erndte ging ihren Gang. Das letzte Fuder Hafer war ins Dorf gefahren, und das Verhältniß zwischen Michel und der Gret noch das alte. Mit dem Maurer wechselte der Bursche die gewöhnlichen Grußformeln. Begegnete er dem Mädchen, so spielte er mit Erfolg einen Menschen, der ganz in seine Gedanken verloren hinwandelt, und sie ging mit dem Ernst der Ergebung an ihm vorüber, mit wiederholtem innigem Bedauern über ihr unglückseliges Lachen und mit erneuertem Vorsatz, bei der nächsten Gelegenheit, wenn ihr ja das Glück noch einmal wollen sollte, sich so gut, so klug und so lieb als möglich gegen ihn zu benehmen.

Der Schneider hatte unterdessen seine Besuche und Huldigungen nicht ausgesetzt, obwohl die Erntezeit, die ihn in einen Schnitter verwandelte, sie nicht in solcher Häufigkeit zuließ wie früher. Er sah zu seiner Verwunderung, daß sein Bäschen mehr und mehr ihre Munterkeit verlor, sich hie und da in einem sonderbaren traurigen Nachdenken, zuweilen auch in einer sehr ärgerlichen Stimmung betreffen ließ. Dieß erschien ihm nicht wohl begreiflich, da sie doch nach seiner Ansicht Alles hatte, was sie wünschen konnte, namentlich einen Liebhaber, der deutlich genug zu verstehen gegeben, daß er sich, wenn es sein mußte, in einen Ehemann verwandeln könnte. Er setzte ihr Betragen indeß auf Rechnung der bekannten weiblichen Launen und tröstete sich, daß sie gehen würden, wie sie gekommen.

Auf den ersten Dienstag nach der Ernte fiel eine Hochzeit, die, zum Vergnügen der jungen Leute des Dorfes, im Wirthshaus gefeiert wurde. Unsre Leser haben schon aus den frühern Erzählungen gesehen, welche Rolle in der Sphäre ländlicher Ergötzungen die Hochzeiten spielen. Die Dorfjugend mitten im Ries hat im ganzen Jahre nur zwei regelmäßig wiederkehrende Tanzgelegenheiten: die Ortskirchweih[S. 342] und die Nördlinger Messe. Zur Ergänzung der eignen Kirchweih machten ehedem Solche, die Belieben darnach trugen oder von Verwandten eingeladen waren, die eines und des anderen Nachbardorfes mit, was vorläufig durch die büreaukratisch angeordnete Verlegung sämmtlicher Kirchweihtänze auf Einen Tag, ins Reich der Unmöglichkeit verwiesen ist. Da ein paar Tanztage im ganzen Jahr einer lebenslustigen Jugend nicht genügen können, so werden natürlich die wirthshäuslichen Hochzeitsfeste mit Freuden begrüßt und als ein Gnadengeschenk der Verhältnisse um so dankbarer hingenommen, als auch sie schon seltener zu werden anfangen.

Bei dieser Gelegenheit müssen wir bemerken, daß eben diese Festlichkeiten für das gesellige Leben des Rieser Landvolks eine Bedeutung haben, die wir gehörigen Ortes anerkannt zu sehen wünschten. Es sind Mittelpunkte, wo sich Gäste aus den verschiedenen Dörfern treffen, in fröhlichem Verkehr einander ihr Herz aufschließen und neue Verhältnisse sich entspinnen, die auseinander wohnende Familien wieder mit einem Bande der Verwandtschaft umschlingen können. Die Thatsache, daß das Rieser Landvolk derselben Confession gewissermaßen eine große Familie bildet, wird hier anschaulich gemacht und zu ihrer Erhaltung immer wieder beigetragen. Wer dieß zu schätzen und die guten Folgen solcher Mischung sich vorzustellen weiß, der wird um einiger Rohheiten willen, die dabei vorfallen können, die aber meist nur dem verzärtelten Geschmack als solche erscheinen, nicht die Axt an eine Sitte gelegt zu sehen wünschen, die so viel Gutes mit sich bringt — von der Rekreation, welche der Bauer in Folge seiner ununterbrochenen Thätigkeit doch ebensosehr bedarf als verdient, ganz abgesehen. Es ist immer nur Schwäche, die, um den Mißbrauch zu verhüten, den Gebrauch aufheben will; Schwäche und Unfähigkeit, die sich bewußt ist, auf positive Weise nicht helfen zu können, wo zu helfen wäre. Durch die Vernichtung der überlieferten Sitte würde das Landvolk zur Charakterlosigkeit, zur socialen Nullität gebracht werden — und mehr werth als diese, sollte man glauben, wäre ein selbstständig ausgeprägtes Leben doch bei weitem, auch mit etwelcher Rohheit, die ohnehin der fortschreitenden Cultur schon vielfach gewichen ist und immer mehr wird weichen müssen.[S. 343] Wolle man doch ja sociale Zahmheit und Dürre nicht gewaltsam herbeiführen! Es ist möglich, daß sie von selber kommt, früher und vollständiger kommt, als es sogar ihren jetzigen Liebhabern lieb sein wird! —

Die Hochzeit war die eines wohlhabenden jungen Söldners mit der Tochter eines kleinen Bauern. Die Familie Schwab gehörte zur »Freundschaft« des letztern — es war daher unumgänglich nöthig, daß ein Glied derselben als Gast an der Feier theilnahm, um so mehr, als der Bauer vor Zeiten auch den Ehrentag der Wittib mitgefeiert hatte und die Schicklichkeit eines Ersatzes in die Wagschale fiel. Wenn der Brauch will, daß ein Geladener dem Freund oder guten Bekannten »auf die Hochzeit gehe« und »auf die Hochzeit schenke«, d. h. einen verhältnißmäßigen Geldbeitrag zum Beginn der Wirthschaft liefere, so will er nicht minder, daß dem Gaste bei Gelegenheit seiner eigenen Verbindung oder der eines Blutsverwandten die Ehre und das Geschenk wieder zurückgegeben werden. Der Brauch übt einen sanften Zwang zur Wiedervergeltung und fördert so den Austausch reeller Höflichkeiten, indem er jedem abwechselnd das Wohlgefühl des Empfangens und Gebens verschafft. Denn es bleibt natürlich dem Rieser unbenommen, das, was die Sitte gebietet, aus freien Stücken zu thun und in der Wiedervergeltung nicht eine bloße Pflichterfüllung, sondern einen natürlichen Erweis der Großmuth zu sehen, deren Freude es ist zu schenken und glücklich zu machen! —

Schon acht Tage vor diesem Fest hatte zwischen Michel und seiner Mutter ein kleiner Kampf über die Frage begonnen, wer es mitmachen solle. Michel wollte die Last der Mutter aufbürden, die Mutter wollte die Lust dem Sohne gönnen. Die gute Frau kam eben, wenn auch nur im Stillen, immer wieder auf den Wunsch und die Hoffnung zurück: es möchte ihm Eine gefallen! Da nun im Dorfe selbst offenbar Keine so glücklich war, so wünschte sie um so lebhafter, der Sohn möchte auf dieser Hochzeit Jungfrauen aus andern Orten sehen, die nicht fehlen konnten. — Das Bewußtsein, als Mutter für sein Bestes sorgen zu müssen, gab ihr diesmal in der That die Kraft zu widerstehen und seine Einwendungen zu entkräften. Wie oft er auch wiederholen mochte: es mache ihm keine Freude, er habe gar »keinen Luhst« dazu, es sei ihm grausam[S. 344] zuwider! — am Ende mußte er sich den Ermahnungen, womit die Alte ihm zuzusetzen nicht müde wurde, dennoch fügen und in den sauern Apfel beißen. Zur Verzweiflung gebracht rief er endlich: »No mei'daweg, i will ganga'! Aber du wurscht seha', 's gibt widder ebbes. Denn der Deufel ist loas ond loßt m'r koe Rua'!« — Die Mutter war zu vergnügt über seinen Entschluß, als daß sie dieser Rede weiter nachgedacht hätte.

Ob Michel sich deswegen so lange sträubte, weil er erfahren hatte, daß auch die Gret auf die Hochzeit kommen würde — oder ob er deswegen endlich nachgab — wer konnte es wissen? — Der Kamerad, den er von dem Streit mit der Mutter in Kenntniß gesetzt, machte ihm gelegentlich und vorsichtig jene Mittheilung, indem er hinzufügte, nun würde er gerade auch darauf gehen und dem Mädchen zum »Tort« sich um eine andere herummachen, was sie gewiß recht ärgern würde. Michel hatte indessen geantwortet, er kümmere sich um das Mädchen überhaupt gar nichts mehr, und später diesen Gegenstand nicht wieder berührt. — Sei dem, wie ihm wolle — er folgte der Alten, und mußte sich am Hochzeitsmorgen mit dem Gedanken der Nöthigung doch schon einigermaßen versöhnt haben, denn er wusch und putzte sich nach Kräften und zog sich so stattlich an, als es der Kleiderkasten zuließ. Wie er endlich vor seine Mutter trat in schwarzen Hosen von Hirschleder, die kein Fältchen warfen und fast bis eine Spanne über das Knie von den Stiefeln bedeckt waren, — in manschesternem Leibchen mit versilberten Knöpfen, im neuen, schwarzen, baumwollbehaarten Barchentkittel mit flachen, thalergroßen Knöpfen — über das wohlgebundene dunkle Halstuch den feinsten Hemdkragen gezogen und den Kopf mit dem landesüblichen Schaufelhut bedeckt — da ging der guten Frau das Herz auf und undenkbar schien es ihr, daß so ein Mannsbild sollte durchs Leben gehen können, ohne ein braves Weib glücklich zu machen und ohne eine würdige Nachkommenschaft zu hinterlassen. — Sie hatte eben in das Papierkäpselchen des Gesangbuchs, das ihm auf dem Weg zur Kirche übergeben werden mußte, einen großen Kupferzweier gesteckt, den er als »Opfer« in den Klingelbeutel werfen sollte; nun wünschte sie ihm von Herzen gute Unterhaltung und gab ihm geschwind noch ein paar[S. 345] Schicklichkeitsregeln mit, ihn besonders ermahnend, daß er zu den Brautleuten sagen sollte: »Ich gratuliere«, nicht: »Ich condoliere,« wie es einmal einem zu seiner großen Schande passirt sei. Michel zuckte die Achseln und ging, da es eben zehn Uhr schlug, in langsamen Schritten dem Wirthshaus zu.

Eine Rieser Hochzeitsfeier hatte in jenen Tagen einen andern Verlauf als jetzt, wo dem Geiste der Zeit verschiedene Glieder der alten Ordnung zum Opfer gefallen sind. Wir müssen unsre Leser schon ersuchen, zunächst eine Schilderung und Charakteristik derselben freundlich aufzunehmen, da wir ohne eine solche in der Erzählung nicht so verständlich sein könnten, als wir gerne wären. Abgesehen davon möchte es den künftigen Riesern von Interesse sein, das, was die Alten fromm und fröhlich getrieben, wenigstens aus einem Buch kennen zu lernen. — —

Wenn das »Ander gelitten«, d. h. wenn mit Einer Glocke das zweite Mal vor dem Beginn der kirchlichen Handlung geläutet wurde, begaben sich Bräutigam und Braut, Hochzeitknecht und Hochzeitmagd und die nächsten Verwandten ins Wirthshaus. Der Hochzeitknecht trug einen Säbel mit breitem farbigem Seidenband; er ist der Beschützer der Braut — eine Sitte, die aus Zeiten datirt, wo thatsächlicher Schutz noch erfordert werden konnte. In der obern Stube angekommen nahmen sie Platz am Bräuteltisch zunächst der Thüre und erwarteten die nach und nach anlangenden Gäste, deren jeder zum Brautpaar trat und in würdigem Ernste »zum Ehrentag und zum fröhlichen Kirchgang« gratulirte. Hatten sich die Gäste eingefunden, so beschenkte die Hochzeitmagd sie mit Rosmarin, und das Frühmahl wurde aufgetragen: Suppe, Rindfleisch und ein Viertellaib des schmackhaften »Hochzeitbrodes.« Weißbier und Branntwein (und zwar jenes den ganzen Tag durch) gehörten zum »Mohl« (Mahl); Wein und braunes Bier wurden gegen Bezahlung gereicht. Den behaglichen Genuß des Frühstücks erhöhten die Musikanten — deren es bei kleinen Hochzeiten viere, bei größeren sechse gab — durch Aufspielen ihrer schönsten Arien. Endlich wurde »zusammengeschlagen,« d. h. mit zwei Glocken zum Kirchgang geläutet, Pfarrer und Schullehrer kamen im Ornat zum Wirthshause und empfingen je eine Citrone und einen[S. 346] Rosmarinstrauch, die männlichen und weiblichen Gäste, mit Rosmarin schon geputzt, sonderten sich, und unter dem Vortritt der Musikanten, die einen Marsch bliesen, begann der Zug vom Hofe des Wirthshauses in die Kirche; die Männer mit Pfarrer und Schullehrer voran, die Braut an der Spitze der Weiber vom Hochzeitknecht mit blankem Säbel geleitet. Am Thore des Kirchhofs machten die Musikanten Halt, die weltliche Musik verstummte, und der Zug ging über den breiten Weg des Kirchhofs, wo die Gäste durch die Ihrigen mit Gesangbüchern versehen und von Verwandten und Bekannten mit leckereigefüllten »Guckern« beschenkt wurden, in das Gotteshaus. Bei der Trauung hatte der Hochzeitknecht seinen Stand zur Seite des Paares, um die Braut nach Beendigung der kirchlichen Feier sogleich wieder in Empfang zu nehmen. In derselben Ordnung, wie er angekommen, ging der Zug zurück und vor dem Kirchthor stellten sich die Musikanten, stattlich blasend, wieder an die Spitze. Im Hofe des Wirthshauses bildete man einen Kreis, der Pfarrer nahm Glück wünschend Abschied, und nun trat der Schullehrer in die Mitte, um seinerseits in feierlichem Ton eine gereimte Anrede zu halten, worin er nach der kirchlichen Ermahnung als Repräsentant des praktisch-moralischen Sinnes die Bedeutung des Tages beleuchtete und mäßigen Genuß und ehrbare Fröhlichkeit empfahl.

In jeder Beziehung geistig versehen, begaben sich die Gäste in's Haus, der Hochzeiter nahm die Hochzeiterin bei der Hand, führte sie auf den Tanzboden und tanzte mit ihr drei Reihen allein, worauf der Hochzeitknecht mit der Hochzeitmagd, und die übrigen schon bereitstehenden Paare sich anschlossen. Wenn der Aufwärter zum Mittagessen rief, setzte man sich in bunter Reihe an die Tafeln. Jeder Gast fand bei seinem Gedeck einen »Hochzeitlaib« vor, und nach einander wurde aufgetragen: Suppe mit weißen Semmel- und braunen schmalzgebackenen »Knöpfen«, Rindfleisch mit Reis, Blut- und Leberwurst, Leberkuchen und Bratwurst, endlich Braten. Nach dem Mahl begann der Tanz wieder und dauerte bis zum Abendessen. Die ältern Leute unterhielten sich trinkend und diskurirend oder zuschauend; die Braut — oder wenn sie tanzte, eines der ihrigen — nahm Hochzeitsgeschenke in Empfang, die ihr von Dorfbewohnern gebracht wurden,[S. 347] und wartete ihnen mit Schnaps oder Wein auf. Die Dorfbewohner nämlich — so verlangte es die schöne Sitte — waren alle geladen, auch den ärmsten nicht ausgenommen, und wenn so einer nicht als Gast erscheinen konnte, so schenkte er wenigstens nach Verhältniß seines Vermögens.

Das Abendessen vereinigte Alle wieder in der Stube. Es gab zum drittenmal Suppe — Rindfleisch mit süßer Rosinenbrühe, Braten und für jede Person ein Viertel Torte. Das »Mohl« war damit vollendet; und jetzt nahm der Schullehrer die Aufmerksamkeit der Versammlung noch einmal in Anspruch. Er hielt eine Rede, worin er (der gleich dem Geistlichen seinen Antheil vom Bräutigam in's Haus gesendet erhalten hatte) Gott pries, der sie so reichlich gespeist habe, die Summe namhaft machte, die je ein Gast zu entrichten hatte, und den Brautleuten mit einer feinen Anspielung auf das Läuten der Taufglocke alles Glück und allen Segen wünschte. Während dieser Rede hatten sich die ältern Schulbuben um ihren Meister gesammelt, die Musikanten in der Nähe sich aufgestellt, und es ertönte zum Beschluß mit Instrumentalbegleitung der Choral: »Nun danket Alle Gott!«

In der feierlichen Stimmung, welche dieses Lied erweckte, sammelte der Schullehrer mit einem Blutsverwandten des Brautpaars die »Hochzeitschenk« ein, die von jedem erhaltene Summe genau notirend; und der einmal geöffnete Geldbeutel durfte sobald nicht wieder geschlossen werden. Zunächst folgte der Wirth, um die Bezahlung für das Mahl (damals anderthalb Gulden und etwas darüber, jetzt über zwei!) in Empfang zu nehmen. Dann erschienen nach einander der Aufwärter, die Köchin, die Magd und das Mädchen, um die Gäste zu brandschatzen, die aber ihrerseits auch zu immer kleinerer Münze griffen, bis zuletzt in das Pfännchen des Mädchens Kreuzer und nur ausnahmsweise Groschen geworfen wurden. Während diese Schaar sich entfernte, um schnell die Beute zu überzählen und sich nach Verhältniß entweder zu freuen oder zu ärgern, hielten die Musikanten ihren Umgang bei den Tischen, spielten, was ihnen vorgesungen wurde, und zogen das Honorar ein, das in jener Zeit um ein Ziemliches bedeutender ausfiel, als heutzutage. Die Hochzeitgäste,[S. 348] vor allen die aus andern Dörfern, nahmen Abschied. Die Brautleute begaben sich mit befreundeten Paaren in den Haustennen, wo unter Absingung bezüglicher Liedchen nochmal getanzt und Wein gezecht wurde. Der Bauer liebt die Gründlichkeit auch in der Ergötzung — wenn er sich einmal darauf einläßt — und das Austrinken des Vergnügens bis zum letzten Tropfen. Darum ließ sich nun der Bräutigam von den Musikanten auch noch »heimmachen«, und in seiner Stube erst wurde der Kehraus getanzt. Dehnte sich dieser zu lang, dann konnte Murren unter den jungen Leuten des Dorfes entstehen, die sich zum »Ansing« versammelt hatten. In der Regel aber hatte man diesen schon früher ein paar Musici überlassen, und während in der Wohnung des Bräutigams die Hochzeit endigte, war auf dem Tanzboden die freie Lustbarkeit der Ledigen schon in vollem Gange, die früher erlaubtermaßen bis zum Morgen dauerte.

In der Ordnung des eigentlichen Festes, wie man sieht, waren Geistliches und Weltliches verbunden wie zwei Elemente, die sich zur Bildung eines Ehren- und Freudentages wechselseitig ergänzen sollen. Jeder Moment war ausgefüllt mit dem, was den Bauer ergreift und über die Prosa des Daseins erhebt. Nach der Weihe der kirchlichen Handlung leitete ihn Musik zu dem Orte, wo er fröhlich den Tag verbrachte, der Schullehrer, als Mittelsmann zwischen Geistlichem und Weltlichem, sorgte für den Uebergang und lenkte nach der letzten Mahlzeit die Herzen noch einmal zu einer ernsten Betrachtung des Tages zurück. Die Naivität und, um es nur zu sagen, die geistige und gemüthliche Gesundheit früherer Zeiten nahm an dieser Verflechtung der beiden Elemente kein Aergerniß, und Schreiber dieses erinnert sich noch wohl der ernsten, ja feierlichen Gesichter der Hochzeitgäste beim Absingen des Kirchenliedes. Man muß die Natur des Bauers, die Derbheit seiner Empfindungsorgane, die Hingebung an die Gegenwart — und auf der andern Seite die Einfachheit seines geistigen Lebens im Auge behalten, wenn man über eine solche Ordnung gerecht urtheilen will. Der Bauer quält sich nicht mit dem Gedanken, ob er nicht vielleicht Gott beleidige, wenn er sich nach der kirchlichen Handlung dem Vergnügen überläßt; er tanzt ohne Arg, dem Gebrauch und seinem Drange folgend. Und wenn er nach der[S. 349] Lustbarkeit den Choral singen hört, so stört ihn nicht die Frage, ob dies wohl auch in's Wirthshaus gehöre; er läßt, die Lustbarkeit vergessend, den Gesang auf sich wirken, nimmt sich's dann aber auch in keiner Weise übel, wenn die ernste Stimmung, in die er versetzt war, nach dem Schlusse des Liedes selbst wieder ein Ende nimmt und erneuter Fröhlichkeit Platz macht. Für ihn ist die sittegeregelte Fröhlichkeit eben selbst eine Erhebung! Was ihm ein solcher Tag bietet, ist ihm Kunst und Poesie; und so wenig man diese der gebildeten Menschheit rauben darf, so wenig darf man dem Bauer nehmen, was sie ihm ersetzt.

In den letzten Jahrzehnten hat das Ganze dieser ländlichen Hochzeitsfeier die Begleitung des Zuges durch die Musikanten — die förmlichen Reden des Schullehrers und das Absingen des Chorals nach der Abendmahlzeit — endlich das Tanzen im Haustennen und den Heimgang der Brautleute mit Musik — verloren. Das erste hat die Geistlichkeit anstößig gefunden, das zweite scheint den jungen Lehrern, die das Seminar gebildet hatte, nicht mehr gepaßt zu haben, das letzte untersagte die Polizei. Das besondere Tanzen nach dem Abendessen hat sich der Bauer indeß nicht nehmen lassen. Die Brautleute tanzen jetzt in der untern Wirthsstube und lassen sich beim Abschied wenigstens zum Hause hinaus blasen!

Die Sitte des Volks ist ein natürliches Gewächs; wenn ihre Zeit vorüber ist, läßt sie sich durch Befehle nicht mehr erhalten, und kein Vernünftiger wird darüber klagen, daß das, was kein inneres Leben mehr hat, dem Untergang verfällt. Was aber an überlieferten Gebräuchen vom Volke selbst erhalten, mit Lust und Liebe erhalten wird, das sollte weder von der geistlichen noch von der weltlichen Macht angetastet werden, sofern es nicht einer männlichen, über Nervenschwachheit und Pedanterei erhabenen Sittlichkeit widerspricht. Wollte man dem Bauer die öffentliche Hochzeitsfeier mit Musik und Tanz verbieten, in der Meinung etwa, daß ein solcher Tag in ernster Stille begangen werden müsse, so würde das, außer dem schon erwähnten Uebelstand, für das Rieser Landvolk insbesondere noch die Folge haben, daß die bäurische Natur an Essen und Trinken Ersatz nähme und sich den Magen überladend in dumpfer Gedankenlosigkeit[S. 350] hinbrütete, was nach der Angabe eines glaubenswerthen Mannes in Tyrol geschehen soll, wo die geistlichen Väter das Landvolk auch dem höhern Leben zu gewinnen glauben, wenn sie ihm das Tanzen ausreden. — Man veredle und bereichere den Geist der Landleute, man befähige sie durch Bildung zu höheren und feineren Genüssen, namentlich zu jenen würdigen und tiefsinnigen Gesprächen, wie sie die Gebildeten bei ihren Diners zu führen pflegen — dann werden sie auf ihre Gebräuche und ihre noch immer beliebten Vergnügungen von selber verzichten. Bis dahin aber lasse man ihnen ihre Sitten, ihre Freuden und, was auch eine gar schöne Sache ist — ihren Humor!

Als Michel in die obere Wirthsstube kam, waren außer dem Brautpaar und seinen Angehörigen nur erst wenige Gäste dort. Er trat stattlich zu den beiden Glücklichen und sagte die Gratulation ohne Anstoß, worauf der Dank mit einem gewissen ernsten Lächeln ausgesprochen wurde, welches namentlich auf dem Gesicht der Braut zu bedeuten schien: Nimm dir ein Exempel dran! An einem benachbarten Tisch hatten schon ein paar ältere Männer aus dem Dorfe und eine Matrone von auswärts Posto gefaßt; er setzte sich zu ihnen, um, da er nicht tanzte, wenigstens eine vernünftige Ansprache zu haben.

Die Gäste mehrten sich. Auf einmal trat auch die Gret ein, die in der schwarzen Spitzenhaube und in dem dunkeln Anzug, wie ihn das protestantische Landvolk bei ernsten Gelegenheiten zu tragen pflegt, ein eignes feierliches Aussehen hatte. Allein nachdem das Auge rasch die Tische überflogen, stimmte das helle Antlitz nicht mehr zu dem ernsten Gewand; es glänzte froh dem Brautpaar entgegen und wünschte schon Glück, ehe die Lippen sich öffneten.

Michel hatte bei ihrem Eintritt in seinem Herzen einen kleinen Ruck empfunden und konnte sich nicht enthalten, sie in der Stellung des Gratulirens anzusehen — und sie wieder schöner zu finden als alle andern Mädchen und Weiber! — Plötzlich verdunkelten sich seine Züge; der Schneider war angekommen in funkelnagelneuem Tuchrock und sehr vergnügten Gesichts. Er sprach einen Glückwunsch, der nur den Sinn der alten Bauernformel enthielt, und setzte sich an die[S. 351] Tafel, an welcher die Gret Platz genommen hatte, um sofort mit ihr einen Diskurs zu beginnen.

Das Fest begann und verlief nach der Regel, und die Gäste fühlten sich bald wohl und wohler — mit Ausnahme eines Einzigen.

Michel hatte den Entschluß, die Gret nicht mehr anzusehen, während ihrer vergnügten Unterhaltung mit dem Schneider erneuert. Beim Aufstellen des Zugs ging er an ihr vorbei, ohne irgend von ihr Notiz zu nehmen. In der Kirche sah er sich aber unwillkürlich zur Uebertretung des von ihm aufgestellten Gesetzes verlockt. Der Pfarrer hob in seiner Predigt die Bedeutung des Ehestandes so schön hervor; er sprach über den Segen, der an diesen Bund geknüpft sei, mit solcher Weihe, daß Michel instinktmäßig den Kopf nach der Gegend hinkehrte, wo die Gret saß. Diese hatte den ihrigen just in entgegengesetzter Art gewendet — die Blicke trafen aufeinander. Obwohl er nun sein Haupt rasch wieder in die alte Stellung zurückdrehte und eine Miene annahm, als ob nichts geschehen wäre, so fühlte er sich doch ertappt, die Gret konnte von ihm denken, Gott weiß was, ihn auslachen und ihn verspotten. — Er war sehr ärgerlich.

Von da an war unser Bursche kein aufmerksamer Hörer der Predigt mehr, und auch die Rede des Schullehrers ging ungewürdigt an ihm vorüber. Es begann ihn zu reuen, daß er der Mutter nachgegeben; und nur mechanisch ging er mit andern Zuschauern auf den Tanzboden. Was er da sah, war gleichfalls nicht geeignet, ihn aufzuheitern.

Als das Brautpaar die drei Reihen getanzt hatte, wirbelten bald zwölf Paare herum — und unter diesen der Schneider mit der Gret. — — Alles was recht ist: der Schneider tanzte vortrefflich. Er kam dabei sogar ein bischen größer heraus, sintemal er städtisch hüpfte; er hatte die Gret fest am Kittel gefaßt und drehte sie kräftiger herum, als man's ihm zugetraut hätte. Dabei schimmerte sein glattes Gesicht in dem Vergnügen seines Herzens und in anmuthiger Selbstgefälligkeit, so daß er allgemein gefiel. Nur unserm Burschen mißfiel er. Namentlich war diesem das selbstgefällige Lächeln des kleinen Kerls in einer Art zuwider, daß er's ihm gerne durch eine Ohrfeige vertrieben hätte, wobei ihm Hören und Sehen vergangen[S. 352] wäre. Allein das ging nicht an, er mußte seinen Verdruß hinunterschlucken. Er wäre in die Stube zurückgegangen, wenn er nicht der Gret hätte zeigen wollen, daß ihn diese Tanzerei durchaus nicht schenire! Das schien ihm aber seiner Würde gemäß. Indem er ein gleichgültiges Gesicht zu machen suchte, gelang es ihm wenigstens ein freudloses hervorzubringen, das an ihm Niemand auffiel.

Eine Tänzerin wie die Gret ließ man dem Schneider nicht allein. Ein andrer Lediger nahm sie ihm ab und drehte sich, wenn auch mehr auf dem Boden, ebenso lustig mit ihr im Reihen. Michel hatte wenigstens die Genugthuung zu sehen, daß das Mädchen mit diesem just so vergnügt, ja fast noch vergnügter aussah, wie mit dem Nebenbuhler. Es kam ihm der Gedanke, sie könnte den Schneider auch nur für'n Narren halten; und das war ihm ergötzlich und erheiterte seine Züge. Ein Schmunzeln der Schadenfreude umspielte seine Lippen, als er das Bürschchen aus einer Ecke, und zwar mit einem gewissen Ernst im Gesicht, auf das Paar schauen sah. Er verzieh ihm und konnte nicht umhin, die Tänzerin wohlwollender und unbefangener zu betrachten.

Die Gret, obwohl sie ihm nicht ins Gesicht sah, mußte doch etwas gemerkt haben. Als sie wieder im Reihen an ihm vorüberging, glänzte ein Lächeln auf ihrem Gesicht, das ihm galt — ein Lächeln, wie es gefallen muß, kein falsches, sondern ein gutes Lächeln. Das Herz unsers Burschen begann aufzuthauen. Aber es sollte noch besser kommen. Das Wirthsmädchen hatte wiederholt zum Essen gerufen, die Musik verstummte, mit einer Art von Gedränge gings der Thüre zu. Die Gret kam in die Nähe des Burschen, sie schaute ihm ins Gesicht und sagte mit einem Tone, aus welchem die Seele klang, zugleich heiter, weich und süß: »Godden Dag, Michel! Bist oh auf d'r Hoaxet?« Michel konnte in der Ueberraschung allerdings kein ebenso freundliches Gesicht machen — gewissermaßen brummte er nur sein Ja. Allein die Gret schien das nicht schlimm zu deuten; vielmehr sagte sie: »No, mach de nor recht lusteng«, nickte ihm aufmunternd zu und setzte sich an ihren Tisch.

Das war denn doch freundlich! Da gebe sich einer nicht erneuerter Hoffnung und glücklichen Empfindungen hin! — Michel[S. 353] setzte sich an seinen Tisch, und da er dem Frühmahl wenig Theilnahme geschenkt hatte, so aß er jetzt im Verhältniß zu seiner Statur — so ziemlich mit dem Appetit eines Herkules. Ländlich, sittlich. Ein romantisch Gebildeter hätte vielleicht nach einem so holdseligen Gruße der Geliebten lange nichts gegessen und nur von dem geistigen Leben seines Herzens gezehrt; — unsern Burschen trieb eben die Seelenfreude auch zur Erfreuung des Leibes. Das Mahl war vortrefflich — die Schöpfung einer Wirthin, die mehr nach Lob als nach Gewinn trachtete — und er ließ es sich schmecken, so lange der Appetit seine Kraft behauptete. Dies war lange, da das braune Bier, das er sich geben ließ, sie wiederholt erneuerte. Er fügte auch noch dem Braten eine ziemlich bedeutende Wunde zu und konnte nur wenig »einwickeln« lassen, um es der Mutter heimzubringen.

Die Genüsse des Mahles und das Glück der Liebe und der Hoffnung harmonirten in ihm durchaus. Die Blicke, die er zu dem Tisch hinüber warf, an dem die Gret saß, wurden immer herzhafter, und er fühlte sich so wohl wie seit langer Zeit nicht. In seinem Behagen erfüllte er sogar die Unterhaltungspflicht an seinem Tisch und sprach über die Preise, die das Korn, der Roggen und die Gerste im Herbst haben und im Winter behaupten würden, Gedanken aus, die, wenn sie nicht unfehlbar waren, doch mit einer Miene gegeben wurden, als ob sie es wären, und bei den ältern Männern lächelnde Zustimmung fanden.

Der Tanz begann wieder. Michel hatte sich erhoben, und als die Gret von einem dritten Burschen an ihm vorbeigeführt wurde, hatte er schon den Muth, ihr mit einem gewissen väterlichen Wohlwollen zuzurufen: »Scho' widder auf da' Da'zboda'! O uir (ihr) Weibsbilder!« — »Was will e doa'?« erwiederte die Gret. »Wer a'fangt, mueß furtmacha'!« Und nach einem freundlichen Blick auf ihn ließ sie sich hinausführen.

Michel ging nach Hause. Die Mutter sah ihn an und sagte: »No, es schei't doch, 'sgfällt d'r!« — »No ja,« erwiederte der Sohn, »'s ist am End doch a Vergnüaga! — Aber,« setzte er, das Eingewickelte auf den Tisch legend, hinzu, »i hab' en Gedanka' verfluecht zuag'langt ond breng d'r weng mit!« — »Wann's d'r nor gschmeckt[S. 354] hot!« rief die gute Alte; und heiter sagte sie: »Du host de am End gar oh scho' recht lusteng gmacht (d. h. getanzt)?« Michel erwiederte: »Bis ietz no' net. Aber wer woeß? Der Letscht hot no' net gschossa'!« — Die Mutter bemerkte: »Wie d'r (ihr) en d'Kirch ganga' send, hab e a baar Mädala' gseha', die wära' wohl wearth, daß ma's romdreha' dät!« — »I wills net verreda',« erwiederte Michel. »Aber z'erst muß e no' a weng zecha'.«

Als er wieder dem Wirthshause zuging, begegnete ihm Kasper vor einem ochsenbespannten Pflug, durch dessen Lenkung er sich heute das Vergnügen des Ansings verdienen wollte. Die Ochsen wurden zum Stehen gebracht, der Kamerad fragte, wie sich die Hochzeit anlasse. Michel, in der frohen Aufregung seines Herzens, erzählte, wie die Gret sich gegen ihn benommen. Kaspers Gesicht erhellte sich. »Willst ietz no' allweil zweifla',« rief er aus, »daß des Mädle a'n Og (Aug) auf di hot? O wann e an dei'r Stell wär!« — »Was soll e doa'?« fragte Michel. — »Danza' muest mit'r, wanns oh nor a baar Roea' wära't! Schwätza' muest — en d'Stub muasch (mußt du sie) füara', a Bodell (Bouteille) Wei' muest komma' lossa — Kott's Heidablitz! Wann's doh net got, nocht got's sei' Lebtag nemmer!«

Unser Bursche war bedenklich geworden. »I ka' d's Danza' net rehcht«, entgegnete er, »ond du woescht, i hab' O'glück!« — »O'glück!« versetzte der Kamerad etwas ärgerlich. »Ietz kommt 'r widder mit dear Ei'bildeng!« — »Ja, ja,« sagte der gute Bursche, »'s ist doch so. Mir got nex naus!« — »Gang weiter! A Kerl, dem d'Mädla' nochloffet!« — Michel, obwohl von dieser Vorstellung erheitert, erwiederte: »Du wurscht seha', 's wurd nex!« — »Ja freile«, rief Kasper, »wann's widder so machst, wie d's Wallerstoe!« — »Ietz doh hab koe Sorg«, versetzte der Bursche mit einem gewissen Selbstgefühl. »Des passiert m'r nemmer!« — Kasper knallte den Ochsen und rief im Abgehen: »Ha'et Ohbed, hoff' e, ka'st m'r ebbes Nuis verzähla'!« — »'S ka' sei'«, erwiederte Michel und folgte den Tönen der Clarinette, die vom Tanzboden herunter in die Gasse drangen.

Michel fühlte, daß er nach dem offenbaren Entgegenkommen der Gret einen Versuch machen und als tüchtiger Bursch handeln müsse. Bei der Vorstellung indeß, wie er nun zu ihr gehen und sie zum[S. 355] Tanz auffordern sollte, spürte er doch wieder eine eigenthümliche Bewegung in seinem Herzen. Es fiel ihm ein, daß er beschlossen hatte, fürs erste zu trinken und zu rauchen; er trat in die Stube, setzte sich, zündete seine Pfeife an, und führte seinen Vorsatz männlich aus. Nachdem er schweigend und diskurirend zwei fernere Maaß Braunes in sich aufgenommen hatte, fühlte er sich gekräftigt — muthig, lustig und in einer Stimmung, wo er glaubte, daß ihm nichts fehlen könne. — Der Wirth und Bräuer war ein solider Mann und die Gerste seit einem Jahr billig.

Er ging auf den Tanzboden. Da er die Gret, die sich nicht in der Stube befand, auch hier nicht erblickte, so war sie offenbar nach Hause gegangen. Die Vertagung seines Unternehmens, welche dieser Umstand nothwendig machte, war ihm nicht unlieb. Er sah den Paaren zu, die es am besten konnten, und überzeugte sich, daß dieses Tanzen am Ende auch kein Hexenwerk sei. Nachdem er genug gesehen, wollte er in die Stube zurück; im Vorbeigehen warf er einen Blick auf die Stiege — und siehe, an der Seite einer auswärtigen Freundin stieg die Gret herauf.

Bei diesem Anblick fühlte er sich etwas überrascht. Auch sie erröthete lieblich; aber in ihrem Herzen regierte der Muth der Liebe und der Wille, einen begangenen Fehler wieder gut zu machen. Sie ging auf ihn zu und sagte gutmüthig fröhlich: »No, Michel, host no' net danzt?« Der Bursche, der zu seiner Verwunderung fühlte, daß ihm wieder etwas von seinem Unternehmungsgeist abhanden gekommen war, versetzte: »Allweil no' net!« — Er spürte einen gewissen Trieb, wieder in die Stube zu kommen, und hatte schon seinen Fuß auf die Schwelle gesetzt; aber das Schicksal hatte es anders beschlossen. Die Gret fuhr fort: »Willst denn aber gar net a'fanga'? Willst da' ganza' Dag dohsitza', ond romstanda' auf 'r Hoaxet?« — »Wie soll i danza'«, entgegnete Michel; »d's ganz Doraf woeß ond du wursch (wirst es) oh wissa, daß e's net ka'!« — »I hab de aber doch früher scho' amol danza' seha'!« bemerkte die Gret. — »Ja wohl,« versetzte der Bursche mit einer gewissen Laune, — »aber wia?« — »Auf oemol got nex en der Welt«, erwiederte das Mädchen tröstend und ermuthigend. »Wamma'n ebbes lerna' will, mueß ma's öfter probiera'!« —[S. 356] Michel, dem in Abwehrungsfällen die Gründe nicht so leicht ausgingen, versetzte: »Manch Sacha' ka' ma'n oh ganz bleiba lossa, wamma' z'alt derzue ist!« — »Kott's Blitz«, rief die Gret, »wann e nor so ebbes höar! Z'alt zom Danza! A jonger Burscht wie du! Schäm de doch!« — Und indem sie ein wenig näher trat, sagte sie mit aller Güte und Liebe — mit einer Stimme, welcher der Durchbruch ihrer Empfindung eine honigsüße Weichheit verlieh: »Komm Michel! — probiers mit mir!« Dem Burschen war es seltsam durch's Herz gegangen, er wußte nichts zu entgegnen. »Komm!« rief das Mädchen heiter und zärtlich, indem sie ihn bei der Hand faßte. Michel begriff, daß es im höchsten Grade feig und in jeder Beziehung unschicklich gewesen wäre, jetzt nicht zu folgen. Er wollte handeln wie ein Mann, er wollte sein Bestes leisten — und entschlossen führte er sie in den Reihen.

Unser Bursche gehörte vermöge seiner Größe, seiner Stärke und seines besonderen Wesens noch immer zu den ausgezeichnetsten Persönlichkeiten des Dorfs. Dergleichen in eigenthümlichen Situationen zu sehen, ist interessant, besonders wenn man hoffen kann, daß die Schadenfreude ihre Rechnung dabei findet. Wie nun einer in die Stube kam und sagte, der »Schwoba-Michel« tanze mit des Maurers Gret, da verfügten sich schnell noch etliche zu den auf dem Tanzboden schon befindlichen Zuschauern — begierig der Dinge, die da kommen sollten.

Der Gang im Reihen war vollendet, das Tanzen begann. Die Gret wußte sehr gut, welcher Aufgabe sie sich unterzogen hatte, und war nun darauf bedacht, alle Kraft und Geschicklichkeit anzuwenden, um das Wagniß gut hinauszuführen. Den Tänzer festhaltend leitete und drehte sie ihn, so viel sie konnte. Daß ihre Arbeit nicht gering war, merkte sie freilich bald. Micheln wohnte nur eine sehr schwache Ahnung vom Takte bei und zu gleicher Zeit wirkte in ihm eine gewisse Centrifugalkraft, die ihn immer der Wand zutrieb, so daß ihn die Gute nur mit Mühe im Reihen halten konnte. Trotz alledem — es ging. Die Kunst und die Liebe des Mädchens triumphirten, und sie war sich dessen nach Beendigung des Reihens mit Freude bewußt.

Michel war sehr vergnügt. Jeder Spur von Furcht entledigt[S. 357] blickte er frisch umher — er begriff gar nicht, wie er diese Lumperei für so schwer hatte halten können! »Siksch, es got!« rief die Gret, indem sie ihn freundlich ansah; und er erwiederte allerdings: »Ja freile, wamma' so a Dänzere hot!« — aber er war doch überzeugt, daß er's konnte, und sein Gesicht schrieb einen guten Theil des Erfolgs auf seine Rechnung.

In dieser Stimmung wollte er's das zweite Mal noch besser machen. Er wollte sich Mühe geben und alle die Kraft und Stärke anwenden, die er in seinen Gliedern fühlte; denn das erstemal hatte er eigentlich nur gespielt! — Er arbeitete nun wie an einer Schanze und machte Bewegungen, als ob er Centnersteine vom Boden lupfen wollte. — Der Gret wurde es saurer als das erstemal, ihn im Geleise zu erhalten, und die Schadenfreude, die aus den Ecken lugte, fand eine reichere Ausbeute. Man lächelte sich an und zuckte die Achseln. »Descht a Mannsbild!« rief eine Bäuerin mit gedämpfter Stimme einem Nachbar zu, — »der macht widder a'n Arbet (Arbeit)!« Und der Andere versetzte: »Er schafft, als ob er mit 'm Danza' sei' Brod verdiena' müßt! Gommer (gehen wir) a bisle z'ruck, daß 'r es (uns) net doat (todt) tritt!« —

Der Bursche merkte davon nichts. In dem Bewußtsein der Mühe, die er sich gegeben, meinte er seine Sache vorzüglich gemacht zu haben. Er lächelte mit Stolz und erkannte in dem satyrischen Zuschmunzeln einiger Kameraden nichts als den verdienten Beifall. Da die Gret diesmal schwieg, um auszuschnaufen, so sagte er selbst zu ihr: »'S got doch besser, als e gmoet hab!« — Die Gret dachte in ihrem Herzen: »daß Gott erbarm'!« — behielt aber diese Meinung wohlweislich für sich und erwiederte: »W'rom sott's net ganga'? Was ander' Leut könnet, wäara' mer doch oh könna?«

Gern hätte sie ihn gebeten, sich dessen ungeachtet etwas weniger anzustrengen, die Sache sich leichter zu machen; aber sie wußte, daß er nicht in der Stimmung war, diesen Rath gut aufzunehmen — und für den Moment wär's ohnehin zu spät gewesen. In dem Vergnügen, das ihn belebte, in der Kühnheit, die sein Herz rasch emporwachsend erfüllte, hatte er ein Lied begonnen. Ein Andrer war ihm zuvorgekommen; aber dieser, ein kleiner Kerl, schwieg auf der Stelle,[S. 358] als er die Stimme des Gewaltigen vernahm, und Michel sang das seine zu Ende, mehr kräftig als schön, aber für seinen Zweck immer passirbar. Dann nahm er die Gret bei der Hand, strampfte, daß der Tanzboden zitterte, »juxte«, daß seine Nachbarn an die Ohren langten, faßte die Tänzerin und drehte sich mit ihr »was host, was geift« (was hast du, was gibst du, so schnell etc. als möglich). — Und besser gings als das letzte Mal — nach seiner Meinung. Die Bethätigung des Kraftüberschusses, der in ihm wogte — die Freude, die Herzallerliebste herumzudrehen und es zu können — durchgoß ihn mit einem Wohlgefühl, wie er es nie empfunden. Herrlich wars und prächtig gings — bei weitem besser, als er sich's zugetraut hätte! — Jedenfalls hatte die Gret dafür gesorgt, daß er einmal die Wand, an die er streifte, nicht einstieß und dann ein Paar, das vor ihm den gewöhnlichen Bauernschritt einhielt, nicht über den Haufen tanzte.

Die Heiterkeit der Zuschauer war bei dieser neuen Leistung nicht geringer geworden. Ein sonnverbrannter Alter nickte ihm seine Anerkennung mit gemüthlichem Faungesicht zu und rief: »Kreuzschwernoth, Michel! du bist ja der erst' Dänzer em ganza' Land!« — Michel, in der Freude seines Herzens, entgegnete: »Net wohr, des hättet 'r m'r doch net zuatraut!« — »Wärle net«, versetzte der Alte. »So ebbes mueß ma' seha, wamma's globa' soll!« — Die gute Gret begann es zu reuen, daß sie den Geliebten auf eine Bahn gelenkt hatte, wo er so schlechte Ehre gewann. Aber vielleicht schlug er nun selber eine andere ein, wo er Aussicht hatte, besser zu bestehen. Schon hatte die ungewohnte Anstrengung seine Lungenflügel in Bewegung gesetzt und der Schweiß rann von seiner Stirn. Vielleicht hörte er auf, nahm sie in die Stube — setzte sich zu ihr — und es ereignete sich, was ihr alle Mühen und Leiden tausendfach vergütete.

Fürs erste ging diese Hoffnung nicht in Erfüllung. Michel tanzte aufs neue; und der Umstand, daß es wieder ohne Unglück ablief, steigerte seine Lust und Sicherheit. Sein Hintermann, ein begüterter junger Bauer, klopfte ihn auf die Schulter und rief: »Aber Michel, sag m'r doch, wo host denn d's Danza' so glearnt?« — »Was woeß ih«, erwiederte der Bursche mit stolzem Behagen — »auf oemal got's[S. 359] halt! — Aber Sapperment«, setzte er, die Augen sich wischend, hinzu, »doh stobbt's (staubt's) ja, daß ma' kamm (kaum) sei' Dänzere sicht! — ond des ist doppelt schad', wamma' so a schöana' hot, wie'nih! — He, Mädle!« — Er schaute sich nach dem Wirthsmädchen um, die den Staub mit Wasser zu löschen pflegt; und da er sie nicht gleich erblickte, schrie er aus Leibeskräften und jede Silbe breit ausdehnend: »Mädleh! Auf da' Da'zbodah'! Spretzah'!« — Unter allgemeiner Heiterkeit erschien die Herbeigerufene, ein schnippisches Ding von sechzehn Jahren, mit einem Kübel Wasser, und die Tanzenden traten auf die Seite. »So«, rief Michel ihr zu, »spretz (spritz, sprenge) nor rehcht! D'r Deufel mag doh danza'!« — Das Mädchen sah ihn von der Seite an, murmelte was von einem »Drieschlag«, langte mit der Rechten in den Kübel und schleuderte herumgehend das Wasser auf den Boden. »Meaner, meaner (mehr)«, schrie unser Bursche, der als ächter Bauer alles gründlich haben wollte. Das Mädchen, durch den herrischen Ton gereizt, spritzte wahre Lachen. »So, ietz isch gmua!« rief Michel, stellte sich fest hin, sang ein Lied und tanzte auf dem erfrischten Boden mit erhöhter Lust, in einer wahren Trunkenheit des Eifers und der Liebe zur Sache. Es ging besser und immer besser. In dem Jubel seines Herzens, unwillkürlich sich selber bewundernd, rief er mit strahlendem Gesicht: »Hopp hopp! hopp hopp! Juhu!« — — Plautsch lag er da. Auf der nassesten Stelle war er ausgeglitscht, in dem Schwunge des Tanzens war es auch der Gret unmöglich gewesen, ihn zu halten; sie mußte ihn fahren lassen, um nicht mitzufallen — und der riesige Bursche »schlug hin« (wie der Rieser in solchem Falle treffend sagt), daß der Boden krachte und ein Zuschauer nur durch einen raschen Seitensprung sich vor Zerquetschung rettete. Nach dem triumphirenden Hopphopp dieser Sturz, der Länge nach, auf die Hinterseite des Leibes — es war unmöglich, das Lachen zurückzuhalten. Von allen Seiten des Tanzbodens, aus allen Winkeln, sogar von der Treppe herauf (wo sich ebenfalls Zuschauer befanden) erschallte es laut und selig; und nicht wurde es beschwichtigt, als Michel nach einem grimmigen Fluch mit der Physiognomie der Wuth und der Scham aufstand, wozu die Gret ihm behülflich war. Diese hatte mit etwas erschreckter Miene einen Augenblick[S. 360] auf den Liegenden geschaut; jetzt, als sie ihn wieder strack dastehen sah, wandelte sie das Lachen hinterdrein an, und nur den eigentlichen Ausbruch zurückhaltend rief sie: »Komm, des macht nex«, und wollte zum Weitertanzen seine Hand fassen. Aber Michel zog sie heftig zurück.

Der Bursche hatte die Empfindlichkeit des Sonderlings und Anfängers. Ein flotter Tänzer wäre aufgesprungen, hätte mitgelacht und weiter getanzt. Aber den Schüler dünkte der Sturz unauslöschliche Schande — das Selbstbewußtsein des Gewaltigen hatte einen Schlag erlitten, der ihm schrecklich vorkam. Hinzufallen — ausgelacht zu werden von »einfältigen Weibsbildern, alten Eseln und elenden Buben«, und nicht dreinschlagen zu dürfen — das nehme ein Michel von der lustigen Seite! — Er trat in eine Ecke, seiner Ansicht nach für sein ganzes Leben beschimpft. Und als die Gret ihm nachging und ihn aufs neue ermahnte, doch fortzutanzen, entgegnete er hochverdrießlich: »Gang weiter! I hab' d'r ja gsakt, daß e net danza' ka'! Du hätt'st me en Rua' (Ruhe) lossa solla'!« — Die Gret erwiederte begütigend: »'S ist ja ganz guet ganga'! Für d's Falla' ka' ma' nex, des ka' n'm G'schicktsta' passiera'! Komm! Wer net omwirft, der lernt net fahra'!«

Bei ihrem heitern Wesen hatte das Mädchen nicht umhin gekonnt, ihm diese Ermahnung mit einem Lächeln zu ertheilen, in welchem die Schelmerei über die Gutherzigkeit den Sieg davon trug. Michel, dies gewahrend, fühlte den schlimmsten Argwohn, den er haben konnte; und im Unmuth desselben rief er: »Höar amol? — suach d'r 'n andera' Narra' — ih mach d'r 'n net zom zwoetamol! — Moest, i ben doh, daß e me auslacha' ond da' Spoht auf m'r haba' loß?« — Das Mädchen, durch diese unerwartete Sprache betroffen und ihrerseits verletzt, erwiederte mit vorwurfsvollem Ausdruck: »Wer hot denn da' Spoht auf d'r?« — »Du!« rief Michel, für den sein Argwohn schon eine bewiesene Sache war, mit erzürntem Ton. »Falsch send 'r all mita'nander — ond du bist die fälscht (falscheste)!« — Das war zuviel! Das Mädchen trat zurück und sagte mit Verdruß: »Du bist halt a grober Kerl! Gang he' wo d' willst — ih mueß de wärle net haba' — ih krieg scho' n andera' Dänzer!« —[S. 361] »Mei'thalb danz mit 'm Deufel«, rief Michel und ging mit starken Schritte in die Stube.

Die Gret war ernstlich böse. »So a'n o'gschickter Mensch — ond so grob ond so hochmütheng! Noe mit deam ist nex a'zfanga' — i mueß 'n aufgeba'!« — Während sie diese Gedanken hatte, machte sie mit weiblicher Geistesgegenwart gleich wieder gute Miene. In die Heiterkeit, welche die letzten Worte Michels und sein wüthender Abgang erregten, hatte sie halb mit eingestimmt. Nun zeigte sie ein Gesicht, daß es schien, als ob sie ihn mit ihrem Tanzen wirklich nur zum Besten gehabt hätte; und als eben der Schneider von Hause zurückkam, reichte sie ihm, der sie schnell aufzog, ihre Hand und tanzte so gut und so schön, als ob sie heute noch an nichts Anderes gedacht hätte. Als der Zierliche von der Affaire des Michel hörte, rief er in seinem Mischmasch von Dialekt und Hochdeutsch: »'S ist nicht z'globa', daß es so ongschickt Menschen geba' ka'« — lächelte selbstzufriedener als je, begann noch flotter den neuen Reihen, rief ebenfalls Hopphopp und Juhu, fiel aber nicht, sondern machte es so gut, daß ihm alle mit Vergnügen zusahen.

Das Gelächter, das unserm Burschen vom Tanzboden nachgeschickt worden war, hatte nicht besänftigend auf ihn gewirkt. Tief ergrimmt setzte er sich an seinen Tisch und patschte gewaltig mit seinem Bierkrug wegen erneuter Füllung. Der Aufwärter eilte, ihn zu befriedigen. Einer der beiden Alten, die in gemüthlichem Diskurs dagesessen hatten, schaute zu ihm auf und rief: »No, Michel, w'rom machst denn du so a Gsicht auf oemol?« — Der Bursche, statt aller Antwort, that einen tiefen Zug aus dem Maaßkrug. Ein dritter Alter, der mit dem Faungesicht, war von dem Tanzboden hereingekommen und begann lächelnd: »Du host a kloes O'glück ghett, Michel? — No, no, desdawega' brauchst de net z'kränka'! 'S ist scho' oft oer g'falla' beim Danza'!« — »So so?« versetzte der erste mit schlauem Gesicht, »des ist 'm passiert?« Und mit der Bosheit, die sich ein alter Bursch gegen einen jungen wohl erlauben kann, setzte er hinzu: »W'rom host denn aber dei' Dänzere net mit rei'brocht? Die hot gwihß 'n rechta' Schrecka' ghett und hätt oh 'n Tro'k (Trunk) zor Stärkeng braucha' könna', so guet wie Du!« — »Oh«, antwortete[S. 362] der dritte für Michel, der in stiller Wuth vor sich hinsah, — »die g'fohrts net (achtets nicht)! Sie danzt scho' widder!« — »Welle isch denn?« — »Welle wurds sei'!«, erwiederte der dritte, »d's Maurers Great!« — »So!« bemerkte der erste mit einer Miene, als ob ihm ein Licht aufgegangen wäre. Und kopfschüttelnd setzte er hinzu: »Ietz gfällt m'r die Gschicht nor halb! — Die hätt' de zor Noath halta' könna', Michel, — wann's gwöllt hätt'!«

Durch diese Bemerkung sah der Bursche seinen Argwohn bestätigt, er fühlte sich verkauft und verrathen und ließ eine »Schluap« herunterhängen, daß es die Alten Mühe kostete, ihm nicht geradezu ins Gesicht zu lachen. Nach einem Moment sagte der dritte mit ironischer Tröstung: »Was doh! Gspäß müssa' trieba' sei'! Sott jong Mädla' sticht manchmol der Uebermuth ond doh macha's eba' Norrheita'! A rechts Mannsbild verzürnt se desdawega net — er kriegt's oh widder amol derfür!« — »Ih« rief Michel in stolzem Unwillen, »ben d's erstmol ond d's letztmol von 'r a'gführt — dohfür stand e guet!« — Der erste bemerkte: »Ma' mueß nex verreda'!« Und vergnügt setzte er hinzu: »Wann ih no' mein Zwanzger hätt' (noch in den Zwanzigen wäre), nocht wißt' e, was e dät!« — Michel versetzte: »I woeß oh, was e dua'!« — Und mit einem scharfen Blick und entsprechender Kopfbewegung setzte er hinzu: »Globet 'r mers?« — Der Alte lachte und sagte zu seinem Kameraden: »Was send des für jong Leut ietz! Glei da Kohpf verliera'! Doh hont se o's (haben wir uns) anderst gholfa' zu o'srer Zeit — net wohr?« — Er stieß mit ihm an; der Andre brachte eine Geschichte in Erinnerung, die dies bestätigen sollte — Michel, dem das Vergnügen der »alten Narren« höchlich zuwider war, trat zu einem jungen Burschen, der ihn respektirte, und fühlte sich nach einem Gespräch mit ihm wieder etwas beruhigt.

Der Abend kam heran — man setzte sich an die Tafeln, um das letzte Mahl einzunehmen, das Interesse der Gäste wurde auf andre, wichtigere Dinge gelenkt, und nach dem feierlichen Schluß des eigentlichen Festes dachte mit Ausnahme der Nächstbetheiligten Niemand mehr an das Zwischenspiel auf dem Tanzboden.

Michel hatte wenig gegessen und demgemäß viel eingewickelt.[S. 363] Er blieb in dumpfer Stimmung sitzen und handhabte nur von Zeit zu Zeit den Bierkrug. Auf einmal erblickte er den Kasper an der Thür; er erhob sich, nahm sein Eingewickeltes und ging auf ihn zu. »No?« fragte Kasper, den die Neugier so früh zum Ansing geführt hatte, »wie stot's?« — »Nor still!« versetzte Michel, »i will d'rs glei verzähla'!« — Er führte ihn in ein gästeleeres Seitenstübchen, theilte ihm seine Erlebnisse mit und fragte mit der Miene der Unfehlbarkeit: »No, was sakst ietz? Hab' e Rehcht ghett — hab' e O'glück mit deam Mädle?« — Kasper hatte große Mühe gehabt, bei der Erzählung ruhig zu bleiben; aber auf diese Frage konnte er seine Meinung nicht zurück halten. »Brueder«, rief er, »bedenk doch —« — »Still!« fiel Michel, der seine Absicht errieth, erzürnt ein, — »red m'r nex zom Guata', oder du machst me böas! — Mei' Lebteng sig' es nemmer a' — ond mei' Lebteng gang e auf koe Hoaxet mea'!« — »No, no«, erwiederte Kasper, der wohl sah, daß ihm heute mit Ernst und Vernunft nicht beizukommen war, lächelnd, »du wurscht doch auf dei' oegana' (eigene) ganga'?« — »Halt's Maul« rief Michel in Verachtung solcher Späße und stand auf, um heimzugehen. Kasper fühlte die Pflicht, ihn zu begleiten.

Unterdessen hatte das Tanzen wieder begonnen. Der Schneider ging im Reihen, die Gret an der Hand, und sang ein lustiges Stückchen. Wie er den Michel mit seinem Päckchen an der Stiege sah, war er nicht sowohl schadenfroh als schadenselig, — vom Siegesjubel hingerissen juxte er und tanzte er fortjuxend, bis ihm der Athem ausging. »Doh siksch!« bemerkte unser Bursche zu Kasper, während sie die Stiege hinuntergingen — »so a miserabler Schneider, dear gar net he'falla' ka', weil 'r fliegt wie a Bettfeder — des ist der recht Ma' für dia! — No so mei'tweg — dean soll's oh haba'.«

Ende gut, Alles gut.

Es ist eine eigenthümliche Sache um das Schicksal! — — Der Mensch will an einem schönen, glückverheißenden Ziel anlangen, aber der Weg, den er einschlägt, führt ihn nur weiter ab davon. Er[S. 364] nimmt die Lehre der Erfahrung an, er geht, die täuschende Bahn vorsichtig meidend, eine andere. Da gewahrt er, daß man durch Schaden immer nur sehr verhältnißmäßig klug wird: der erprobten Falle entgehend, stürzt er in eine andere. Er sieht den Zweck verloren. Wie sollte er ihn noch erreichen? So und so hat er ihn verfehlt. — Auf einmal bringt ihn sein guter Genius in eine Situation, wo die Anwendung der ihm vorzugsweise verliehenen Gaben zum Siege führt! Und nun kann er sein Schicksal schmieden — wenn er entschlossen ist, den Hammer zu schwingen und die von ihm geforderten Schläge zu führen.

Unser Bursche hatte ein Mädchen, die er liebte, foppen wollen — und war von ihr gefoppt worden. Er hatte sie durch Ausführung ihrer Befehle erfreuen wollen — und hatte sie durch Nichterfüllung ihrer Wünsche böse gemacht. Er hatte sich vor ihr und mit ihr auszeichnen wollen und hatte sich vor ihr und vor dem ganzen Dorfe mit Schande bedeckt. — Was konnte für ihn das Schicksal noch bereit haben?

Zunächst stand seine Sache bei dem Mädchen so schlecht als möglich. Die Gret hatte in der That beschlossen, ihn aufzugeben, und der Unwille, der diesen Entschluß geboren, hatte ihn auch den Rest des Hochzeitabends aufrecht erhalten. Als sie am andern Morgen früh erwachte, war es ihr Erstes, das Geschehene zu überdenken. Und diesmal kam sie kein Lachen an — ein tiefer Ernst nahm ihr Herz ein und blieb darin. »Es soll net sei'« — das war das Ergebniß ihres Nachdenkens. »Er hot ebbes auf me ghalta', des will e net läugna'; aber er ist stolz wie a Reichsgrof, empfindlich wie a kloes Ke'd (Kind), grob wie Säuboanastroa' — ond a Narr, wo ma'n a'sicht! — Noe, noe!« rief sie. »Wann e sei' Weib wearat, hätt e me nex as z'schäma', ond wann e'm d'Worat saga' dät, wuhr'r (würde er) wüadeng ond —« — Die Gret sah unwillkürlich die Arme Michels in einer gewissen Bewegung — sie zuckte in ihrem Bette und sah mit weiblichem Stolz vor sich hin. »Des wurd m'r net passiera'«, rief sie zuletzt, — »doh ben i guet derfür!«

Sie faßte mit Ernst und Ruhe den Entschluß, zu thun, als ob Michel nicht mehr auf der Welt wäre — ihn nicht mehr anzusehen[S. 365] — — und zu überlegen, was sich für sie Anderes und Besseres schicken möchte.

Der Vorfall zwischen ihr und dem Burschen war gestern Abend noch in der untern Wirthsstube erzählt worden, und Niemand zweifelte daran, daß die Gret sich mit dem Ungeschickten einen Spaß gemacht habe. Als sie nun zu ihrem Vater hinunterging, stellte sie der Wackre ernstlich zur Rede und sagte zum Schluß: »Des loß nor onterwegs kenfteng, so'st dischgerier ih a Wöartle mit d'r! Der Michel ist a braver ond a fleißenger Mensch; ond wann 'r net danza' ka', so braucht m'n desdawega' net für da' Narra' zhalta'! — I hoff«, setzte er mit aller Strenge hinzu, deren er fähig war, — »i hoff, daß so ebbes nemmer fürkommt!« — Das Mädchen, die ihrem Vater kein Bekenntniß ablegen wollte, begnügte sich zu erwiedern: »Doh hab koe Sorg! D' Schand ist für mi so groaß gwesa' wie für ihn — i hab bodagmuag (bodengenug, genug bis auf den Boden) an dem oezengamol!«

Bald darauf kam der Schneider — »em Vorbeiganga'«, wie er sagte. Er war vergnügt und sprach gemüthlich, indem er gewandt einige seiner städtischen Redensarten anbrachte. Das Mädchen sah ihn freundlich an und der Ernst wich im Geplauder mit ihm wenigstens aus ihrem Gesicht. — Der Maurer schaute mit zufriedenen Blicken auf das Paar. Vetter Jakob hatte eine bessere Sölde als er, und mit der Nadel war's eine gute Mannsnahrung. Die jungen Leute gefielen sich und hatten ihre Freude an einander — die Sache machte sich von selber. — Als der Schneider wieder fort war, zeigte der Alte das Gesicht eines Vaters, der Aussicht hat, seine letzte Tochter nach Wunsch zu versorgen, und sagte: »Der Vetter ist a gueter ond a'n aufklärter Mensch! 'S hot doch ebbes Guet's, wamma'n a bisle en der Fremd gwesa'n ist! Dean hält gwihß koe Mädle für da' Narra'!« — Die Gret sah für sich hin und ein leises Lächeln ging über ihr Gesicht. — —

Wie das Mädchen, so war auch ihr bisheriger Liebhaber weiter als jemals von dem Punkte entfernt, den er so lang erstrebt hatte.

Michel war nach kurzem Abschied von Kaspar, der zum Ansing zurückverlangte, geräuschlos in sein Haus getreten und hatte der Mutter[S. 366] das Eingewickelte mit dem Bemerken übergeben: er sei müde und wolle gleich ins Bett gehen. Die Mutter wußte nicht, was sie aus dem ruhigen, aber durchaus unvergnügten Gesicht machen sollte, und fragte: ob er nicht getanzt habe! »Ond wia!« versetzte der Bursche mit einer Art von Humor, »daß se alle Leut' drüber gwondert hont! — Aber ha'et ka'n e nemmer viel verzehla' — morga' früa' ist oh no' Zeit! Guetnahcht!« — Er ging in seine Kammer.

Vor Tagesanbruch erwachend hatte er das dumpfe Gefühl einer höchst widerwärtigen Geschichte. Als er sich das Vorgefallene deutlicher machte, verlor sich seine fatale Eigenschaft nicht — es grinste ihn widerlich und peinlich und immer peinlicher an. Er seufzte tief auf — und wollte davon wegsehen; aber das ging nicht. Seine Seele kam immer wieder darauf zurück, seine Gedanken liefen sonderbar hin und her. Einmal klagte er sich selbst an und wollte die Hauptschuld haben. Dann erinnerte er sich ihres »boshaften Lachens« und ihres Tanzens mit dem Schneider, und es schien ihm unzweifelhaft, daß die Gret falsch und er der Angeführte, der mit Fleiß Verhöhnte sei. Zuletzt rief er: »Was plog e me viel! — 'S ist aus — hab' Schuld dra' wer will!« —

Er stand auf und zog sich an. Der Mutter sein Versprechen wegen der Erzählung zu halten, fühlte er sich durchaus nicht in der Stimmung; deßwegen ging er sachte in die Stube, schnitt von dem Brotlaib in der Schublade des Tisches ein tüchtiges Stück ab, nahm eine Schaufel und ging auf's Feld, um an einem Graben weiter zu schaffen, den er herzustellen unternommen hatte. Er arbeitete »wie wild«. In körperlicher Anstrengung suchte er seinen Unstern mit Gewalt zu vergessen.

Als er um zehn Uhr heimwanderte, begegnete ihm in der Gasse — die Gret. Hätte er beschlossen gehabt, sie zu grüßen, so würde er's nach einem Blick auf sie doch unterlassen haben. Seine scharfen Augen gewahrten in ihrem gespannten Gesicht einen Ernst und einen Trutz, der ihm auf's Deutlichste sagte, sie wolle ihn nicht ansehen, nichts mehr von ihm wissen. Er machte ein Gesicht, dem ihrigen ähnlich, und stumm gingen sie aneinander vorüber. — Sollte er jetzt[S. 367] noch zweifeln, daß er der Genarrte war und der Schneider der Vorgezogene?

Als er — man sagt sich, in welcher Laune — nach Hause kam, war die Mutter von dem Ereigniß auf dem Tanzboden schon unterrichtet. Durch das Betragen des Burschen stutzig gemacht, war sie bald nach dem einsamen Frühstück zu einer Nachbarin gegangen, die auf der Hochzeit gewesen, und hatte Alles erfahren. Sehr unangenehm berührt von der Niederlage des Sohnes, urtheilte sie doch über die Gret anders als die Leute, und am fatalsten war ihr daher zuletzt Michels Grobheit gegen das Mädchen. Sie nahm sich vor, ihm tüchtig ihre Meinung zu sagen.

Nach einem leichten mütterlichen Tadel, daß er heute ohne etwas Warmes fortgegangen sei, erinnerte sie ihn, ihre Wissenschaft verbergend, an sein Versprechen. »Ach Gott«, erwiderte Michel ungeduldig, »'s ist gar net d'r Müa' wearth dervo' z'reda'!« — »Ja, ja«, versetzte die Mutter, indem sie ihm sehr ernsthaft in's Gesicht sah, »i glob's scho', daß d' net geara' dervo' redst! Ist des a Benemma' für'n Menscha', der ballvoll (bald voll) semna zwanzg Johr alt ist! Ander Leut wearat gscheidter wann's älter wearat, ond du wurscht allweil o'gscheidter ond allweil dommer!« — Von diesem Vorwurf der Mutter wenig berührt, entgegnete Michel: »Du woescht (weißst) also scho' Alles?« — »Ja freile woeß e Alles!« erwiederte die Mutter. »Redt ma' ja überal dervo' em ganza' Doraf ond lacht de aus!« Und mit einer Miene zugleich der Bekümmerniß und der Anklage setzte sie hinzu: »'S ist also ganz zom Verzweifla' mit dir! So o'gschickt sei'! So grob sei' gega'n a Mädle, die's so guet mit oem moet« — — »So«, fiel Michel ein, »die moets guet mit mir? — Wie hätt se's (sie es) denn zoegt (gezeigt)?« — »Des sicht ma'n aus allem«, erwiederte die gute Frau. »Ond wannd' a gscheidter Kerl gwesa' wärst, nocht hättst a Weib kriega' könna', wie's koena' mea' git dohrom!«

Diese Versicherung mußte dem Burschen nach der von ihm gewonnenen Ueberzeugung durchaus haltlos vorkommen. In der vollen Gewißheit des Rechthabens entgegnete er: »I will d'r ebbes saga'! Wart no' a baar Wucha' ond dua' dei' Oga'n auf, nocht wurscht[S. 368] seha', mit weams dia' guet moet!« — Durch den sichern Ton des Burschen etwas getroffen, aber sich nichts ansehen lassend, erwiederte sie: »Du bist a Mensch voller Ei'bildenga'! Ond ih sag: ha'et könntst no' alles guet macha', wann d' a Kerl wärst! Auf da' Sonnteng über vierzea' (vierzehn) Dag ist d' Kirwe (Kirchweih). Gang en d'Zech, führ de auf, wie's 'm rechta' Burscht ghöart, tanz nommol mit'r —« —

Das war dem guten Michel zu viel. Das Zureden der Mutter war mit Schuld an seinem Unfall auf der Hochzeit — — und nun sollte er wieder tanzen — mit derselben, die ihn — Er war in tiefster Seele verdrießlich und erwiederte mit gerechter Entrüstung: »Du host haba' wölla', i soll danza' — i hab' danzt en d's Deufels Nama, ben he'schlaga' ond hab' me auslacha' lossa'. Ond ietz bist no' net z'frieda' ond willst, i soll me nommol für da' Narra' haba'n ond auslacha' lossa? A' — doh möcht oen ja glei d's Donner onds Wetter — — — Ietz lohs (höre), i will d'r ebbes saga'! I dua mei' Arbet ond leb wie's 'm ordentlicha' Menscha' ghöart — ond em Uebrenga' bitt e m'r 'n Ruh' aus! Danza' mueß ma' net — ond heiricha' mueß ma'n oh net! Was Sakerment! — soll e denn grad allweil die Sacha' doa', die e net mag?« — Die Mutter konnte hierauf nichts erwiedern als die Achseln zucken, wie über einen Verlorenen. Michel, der sich schon gewendet hatte, ging mit starken Schritten aus der Stube.

Im Verlauf der nächsten Woche kam der Schneider zum Maurer, eröffnete der Gret, daß er in die »Zech« gehen wolle, und fragte mit eben so großer Artigkeit als Zuversicht: ob er sie nicht auf die Kirchweih führen dürfe! — Das Mädchen sah ihn schweigend an und sagte endlich: »I glob net, daß des got!«

Sich von einem Burschen auf die Kirchweih führen lassen und consequenterweise mit ihm auf dem Platz tanzen, hieß so viel als: ein bestehendes oder werdendes Verhältniß mit ihm offen bekennen. Zuweilen geschah es allerdings auch aus Freundschaft, daß man zusammen die Kirchweihfreuden genoß; allein das waren eben nur Ausnahmen und immer hatte das Eingehen auf einen Vorschlag, wie er dem Mädchen gemacht wurde, etwas Verpflichtendes und — Verfängliches.

Das Bedenken der Gret werden unsre Leser nun besser begreifen,[S. 369] als der Schneider und ihr Vater. Der Bursche rief höchlich überrascht: »Worom denn net?« Und der Maurer setzte hinzu: »Ja, des möcht' e oh wissa'!« — Die Gret wollte begreiflicherweise nicht sagen, was sie eigentlich für eine Empfindung hatte; sie erwiederte zögernd: »I muß d'r aufrichteng saga', Jakob, i hab m'r auf d'r letschta' Hoaxet gemuag danzt! — i hab koen Luhst mea' derzue! — Der Schneider fragte erstaunt: »Willst also gar net ens Wirthshaus ganga'?« — »Beinah hab' e so ebbes em Send (im Sinn)«, erwiederte die Gret. — Der Alte rief: »Gang weiter — des ist widder so a'n Ei'fall! Morga' denkst anderst!« — Die Gret, für jetzt zufrieden, nur Zeit zu gewinnen, versetzte: »'S ka' sei'! — Reda'mer (reden wir) a'nandersmol dervo' — 's hot ja no' Zeit!« — Dem Schneider war es höchst fatal, einen Antrag halb ausgeschlagen zu sehen, der, wie er gemeint hatte, mit der größten Freude sollte aufgenommen werden. Allein er mußte sich in ihre Laune fügen und ließ die Sache fallen, in der Hoffnung, sie das nächstemal bereitwilliger zu finden.

Ein paar Tage später, an einem schönen, milden Septembermorgen, ging die Gret ins »Ohmed«. Nicht weit vom Dorfe sah sie den Michel gegen sich herankommen, mit einer Miene, die ihr auffallen mußte. — Der gute Bursche hatte sich in der That Ruhe verschafft in seinem Hause — weder die Mutter noch Kaspar sprachen mit ihm fernerhin über die Gret und über's Tanzen. Aber in dieser Ruhe war er traurig geworden; der Unmuth seiner Seele hatte sich in Schwermuth verwandelt. — Ihm war's auch einmal eingefallen, glücklich sein zu wollen, wie andere Leute — doch für ihn gab es kein Glück! Durch seine oder ihre Schuld — sei's, wie's sei — war er drum gekommen und nun hatte er ein Leben vor sich ohne Lust und ohne Liebe und ohne Freude. Dieser Gedanke drängte sich ihm auf, er kämpfte nicht dagegen an, er unterwarf sich — und seine passiv ergebene Seele ward ein Raub der Melancholie.

Die Gret, wie sie ihn einem Träumenden ähnlich, die Miene traurig, aber ruhig und auch in der Trauer noch mannhaft, an sich vorübergehen sah, bekam eine Ahnung von seinem Zustande. Sie schaute ihm lange nach — und ging tief in Gedanken weiter.

Als sie nach Hause kam, war der Vetter wieder erschienen und[S. 370] erneuerte seinen Vorschlag. Das Mädchen sah ihn mit glänzenden Augen, mit einer Art von wehmüthigem Lächeln an und sagte: »No mei'tweg! — — 'S wurd ja nex O'rechts sei, was e dua'!« — Das Gesicht des Schneiders hatte der Schimmer des Triumphes überflogen und mit stolzem Behagen rief er aus: »Ebbes O'rechts? I möcht wissa', worom!« Dann sah er sie schlau an und bemerkte: »Du wurscht m'r doch net zutraua', daß ih ebbes O'rechts im Senn hab?« — Die Gret konnte nicht umhin, ein wenig zu lachen und erwiederte heiter: »Des net.« Etwas ernster setzte sie hinzu: »No, du bist mei' Vetter, ond von 'm Vetter därf ma' scho'n a Gfälligkeit a'nemma! 'S got eba'n en d' Froedschaft!« — Der Maurer sah vergnügt auf sie und murmelte: »Guet!« — —

Der Inbegriff aller Fröhlichkeit und aller Genüsse des Dorfes — das Hauptfest im ganzen Jahr — die Kirchweih kam heran. — In damaliger Zeit wurde dieses Fest ebenfalls anders gefeiert, als gegenwärtig; bevor wir daher in unsrer Erzählung weiter gehen, ist es nothwendig, auch hierüber einige Bemerkungen vorauszuschicken.

Zur Zeit des alten deutschen Reiches erhielt die Rieser Kirchweih außer der kirchlichen noch eine gerichtliche Sanction. Der Amtknecht der betreffenden Behörde verkündete feierlich das »Friedbot« und tanzte beim »Platzaufführen« die ersten drei Reihen allein — damit erklärend, daß die Lustbarkeit einen Charakter haben müsse, der vor der Macht, die er vertrat, auch bestehen könne. In der Zeit, in welcher unsre Geschichte spielt, war dieß weggefallen, aber die Lustbarkeit verlief doch noch in einer Reihe bestimmter Formen. In gewissem Sinne war an die Stelle des Amtknechts ein Dorfbursche getreten, der »den Platz kaufte«, d. h. gegen Erlegung einer gewissen Summe an den Gerichtsdiener den Namen des »Platzmeisters« und eine Anzahl von Rechten erwarb. Er durfte am Kirchweihmontag und an dem darauf folgenden Sonntag, durch einen geputzten dreispitzigen Hut ausgezeichnet, im Verein mit andern Paaren einen Tanz im Freien, auf geebnetem Platz, wo möglich um einen Baum, aufführen und ihn durch dreimaliges Alleintanzen einleiten. Zur Vergütung seiner Auslagen und Bemühungen durfte er am ersten Sonntag eine Ente, am letzten einen Hut oder ein ähnliches Möbel herauspaschen lassen,[S. 371] wobei der Einsatz den Werth des Gegenstandes natürlich bei weitem überstieg; deßgleichen einen Kegelplatz anlegen, der gleichfalls gute Procente abwarf. Verstand der Platzmeister, der in der Regel noch einen zweiten als Gehülfen zur Seite hatte, die Leute recht zum Paschen und Setzen heranzukriegen, und wurde bei guter Witterung fleißig gekegelt, so fiel nicht nur der mäßige Kaufpreis des Platzes ab, sondern auch noch die Summe für die Zeche an den Kirchweihtagen. Daraus ergiebt sich, daß nur unbemittelte Bursche — Söldnerssöhne oder Knechte — Platzmeister wurden, indem Bauernsöhne derartige Erwerbungen unter ihrer Würde halten und sich vielmehr berufen sehen mußten, ungewöhnlich viel Geld springen zu lassen. Für das Dorf waren aber doch die Platzmeister die Hauptpersonen.

Genauer zu reden hätten wir nämlich sagen müssen: das Kirchweihfest konnte zu jener Zeit noch in bestimmten Formen verlaufen — eben wenn die Stelle des Platzmeisters erworben wurde. Fand sich dazu Niemand bewogen, dann war die Kirchweih ein einfaches Tanzfest, zum wenigsten in unserm Dorfe. Nicht nur das Kegelspiel und das Tanzen auf dem Platz fiel weg, sondern auch das uralte Abholen der Mädchen mit Musikanten und das Tanzen in den Häusern derselben. Eine solche Kirchweih hatte aber »keinen rechten Ton«, jeder ächten Bauernnatur mußte dabei etwas fehlen — und das Auftreten eines Platzmeisters, der auch nur ausnahmsweise mangelte, wurde daher immer mit Freude begrüßt.

Die letzten Jahrzehnte sind auch für die Kirchweihgebräuche kritisch gewesen — das Platzaufführen mit allem, was damit zusammenhing, ist aus der Reihe der Festesfreuden gestrichen. Während die Alten diesen Brauch als moralisches Mittel benutzten — denn Burschen und Mädchen, die nach dem Rieser Ausdruck »schon so vorgekommen«, d. h. nachweislich vom Wege der Ehrbarkeit abgewichen waren, durften nicht mit klingendem Spiel in's Wirthshaus ziehen und »auf den Platz gehen!« — erschien in neuerer Zeit das Jauchzen, Spielen und Tanzen im Freien als ein nicht zu duldender Skandal, der zunächst wenigstens in einen geschlossenen Raum verwiesen werden müsse. In der jüngsten Zeit ist durch den Befehl, daß alle Kirchweihtänze des Kreises Schwaben und Neuburg an einem und demselben[S. 372] Tag abzuhalten seien, dem Rieser Kirchweihfest die letzte Zierde und Würde des Brauches genommen worden. Von andern prosaischen Uebelständen abgesehen ist dadurch nämlich die Gastfreundschaft unmöglich geworden, die in den Tagen des Festes von Befreundeten verschiedener Dörfer wechselseitig geübt wurde. Die Bauern können nun höchstens noch die Beamten aus der Stadt »auf die Kirchweih laden«, sich selbst aber nicht mehr — die Feier ist auf die Bewohner eines Dorfes oder Dörfleins beschränkt und nichts weiter als ein gewöhnliches Essen und Tanzen ohne bräuchliche und poetische Weihe.

Einem Autor, der sich die Darstellung des Volkslebens zum Ziel gesetzt hat, muß es gestattet sein, gelegentlich eine die Volkssitten und ihre administrative Behandlung angehende Bemerkung zu machen. — Es fällt uns nicht ein, die Vortrefflichkeit der Absicht jenes Befehls, der ja auch in andern Staaten schon ergangen ist, irgend anzufechten. Man will, daß jeder Streit, der auf dem Kirchweihfest eines Dorfs zwischen eingebornen und fremden Burschen entstehen könnte, zuvor abgeschnitten sei, und — daß der Bauer auf seine Vergnügungen möglichst wenig Geld verwende. Friedlichkeit, Fleiß und Sparsamkeit sollen dadurch gefördert werden bis zu einem noch nie dagewesenen Grade. — Allein im Ries darf man die früher üblichen Händel zwischen eingebornen und fremden Burschen recht eigentlich als aus der Mode gekommen ansprechen; und was Fleiß und Sparsamkeit betrifft, so übt die große Mehrzahl des dortigen Landvolks diese Tugend von alter Zeit her in einer Weise, die man geradezu musterhaft nennen kann. Ein Staat, der sich einer Beamtenschaft rühmen könnte, die in dieser Beziehung dem Rieser Landvolk ähnlich wäre, dürfte sich nach unserer Ueberzeugung glücklich preisen. Ist es nun gerathen, um einiger liederlicher Menschen willen, die überall vorkommen und bekanntermaßen nicht der Kirchweihen bedürfen, um sich zu ruiniren — ist es gerathen, fragen wir, jener großen Mehrzahl ihre hergebrachte Lustbarkeit zu verkümmern und für die Söhne und Töchter wohlhabender, ja reicher Landleute die Tanzgelegenheiten auf ein Minimum herabzusetzen, während in Städten nicht nur die höhern Klassen, sondern auch die Massen der Handwerker und Proletarier vor Bällen und Tanzmusiken nicht wissen, wo aus und[S. 373] wo ein? Hält man etwa das Landvolk im Vergleich mit dem Städter für unmündig und für leichter zu verführen? Schreiber dieses kennt beide aus vieljähriger Erfahrung; er muß aber sagen, daß ihm keine Menschenklasse vorgekommen ist, die sich in ihren Vergnügungen und Geldausgaben mündiger und ordnungsmäßiger zu benehmen wüßte, als eben der Rieser Bauer! — daß mithin Befehle, die sich auf die Annahme einer solchen Unmündigkeit gründen, in keiner Art nothwendig erscheinen.

Ein Schriftsteller, der sich in dieser Beziehung Autorität erworben hat, Riehl, erklärt sich in seiner »bürgerlichen Gesellschaft« mit Entschiedenheit gegen die Vernichtung hergebrachter Bauernfeste durch Zusammenlegung der Kirchweihen auf Einen Tag. Er citirt zu seinen Gunsten den Ausspruch des anerkanntesten Volkskenners — Justus Mösers. — Mögen diejenigen, die durch Einschränkung der gebräuchlichen und natürlichen Lustbarkeit das Beste des Landvolks zu fördern glauben, bescheidentlich mit uns erkennen, daß das in dieser Beziehung Beste in der That noch eine Frage ist, die nur in Erwägung gar mancher Verhältnisse definitiv entschieden werden kann! Steckt man auch dem Landvolk ein höheres Ziel im Leben und Streben, so wird es diesem Ziel nimmermehr durch Verbote, sondern nur durch die ihm entsprechende Bildung näher geführt werden. Das positive Mittel einer solchen Bildung wende man an — dann wird Alles, was sich mit ihr nicht mehr verträgt, im Verhältniß ihrer Ausdehnung von selber zu Boden fallen. Mit Untersagung herkömmlicher Gebräuche sei man dagegen um so behutsamer, als die sich erhaltenden vielleicht eben das Material bieten sollen, welches die fortschreitende Bildung zu läutern und zu einer neuen Poesie des Lebens zu verklären haben wird. — —

Unser Dorf hatte diesmal das Glück, eine »rechte Kirchweih« zu bekommen. Zwei Bursche hatten den Platz gekauft, die in jeder Hinsicht fähig waren, das Amt zu versehen: lustige Kerle, vortreffliche Tänzer und Liedersänger. Der Kegelplatz war schon errichtet; er prangte vor dem Wirthshause, allerdings auf einer etwas geneigten Ebene, was indeß nur zur Folge hatte, daß das Treffen darauf um so ehrenvoller war. Eine ziemliche Anzahl von Ledigen[S. 374] war »in die Zech gegangen,« d. h. sie ließen im Wirthshaus aufschreiben, was sie an Essen, Weißbier und Branntwein verzehrten, um nach den Festtagen zu gleichen Theilen zu bezahlen. Das ganze Dorf war angeduftet von der Poesie einer Feier, die, erinnerung- und hoffnungerweckend, ein lautes, fröhliches Leben vorführen sollte, und von den Torten, Ringen (Kränzen) und Bretzgen, die nach Maßgabe des Vermögens von allen Familien gebacken wurden. »Nach altem Brauch« waren nicht nur im Wirthshaus verschiedene Schweine geschlachtet worden, sondern je eines auch in bedeutenden Bauernhäusern, und eine erklekliche Anzahl befiederter Geschöpfe war aus den Reihen der Lebendigen gestrichen. Das Dorf brauchte nichts mehr als gutes Wetter — und das kam. Schon am Freitag hatte ein die Gemüther sehr beunruhigender Regen aufgehört, der Kirchweihsamstag war trocken, und am Sonntag stieg die Sonne in einen Himmel mit nur einzelnen dünnen Wölkchen empor. Wer die Empfindungen kennt, die beim Anblick solchen Himmels an dem Hauptfeste des Jahres die genußfähigen Dorfbewohner erfüllt, der weiß, was Freude des Lebens ist!

Der Vormittag des Sonntags und ein Theil des Nachmittags ward in unserm Dorfe der geistlichen Feier gewidmet. Wer es irgend konnte, ging in die Kirche und horchte der Predigt, welche die höhere Bedeutung des Festes darlegte, mit Andacht. Sobald die nachmittägige Betstunde vorüber war, begann im Wirthshause das weltliche Fest. Die Mädchen der in der Zech befindlichen Bursche kamen sachte angeschlichen, thaten zuerst, als ob sie nur da wären, um ein wenig zuzuschauen, ließen sich dann aber von ihren Verehrern bereitwillig in die obere Stube oder gleich auf den Tanzboden führen.

Unter den »Kirchweihburschen« war auch der Schneider, unter den Mädchen, die sich zum Tanz einfanden, die Gret. Mit der Zuversicht, die man gegen die Seinige an den Tag zu legen pflegt, ging der Bursche dem Mädchen entgegen, tanzte mit ihr und führte sie nach einem Dutzend Reihen in die Stube. Als ein Anderer kam, und mit ihr zugleich ihn fragte: »Isch verlobbt (ist's erlaubt)?« erwiederte er würdevoll: »Du ka'st danza'!« — und der Begünstigte führte die Gret hinaus. Ein Bekannter trat zu ihm und sagte vergnügt:[S. 375] »No, Schneider, hosch (hast du's) wirklich durchgsetzt bei deam Mädle — send d'r oeneng?« — Der Bursche erwiederte: »Vor der Hand gots wenigstens mit m'r auf d' Kirweih!« — Dem Bekannten war das genug; er sagte: »Die Schöast em ganza' Dorf! Wie host ietz des a'gfangt, Schlengel?« — Der Schneider zog statt der Antwort die Augenbraunen in die Höhe und sah mit tiefbedeutsamem Lächeln für sich hin. »Du bist a Hauptspitzbue«, rief der Kamrad und der Schneider machte ein Gesicht, als ob er sagen wollte: »Ich widerspreche nicht!«

Wie Michel — bei dem sich's von selber verstand — war auch Kasper nicht unter den Kirchweihburschen. An einem der letzten Tage war der treue Freund zu dem Traurigen und Düstern gegangen, um ihm eine Mittheilung zu machen und eine Aufforderung daran zu knüpfen. Er begann mit der gemüthlichen Frage: »Was isch, gommer oh en d'Zech desmol?« — »Frog net so domm!« erwiederte Michel und drehte sich weg. Kasper lachte: »'S ist oh nor Gspaß! Was sottet o's (sollten wir) dren doa'? Du host koena', ond ih hab grad oh koena'! Doh mag d'r Deufel mitmacha'. — Aber«, setzte er ernsthafter hinzu, »ens Wirthshaus wurscht doch ganga'?« — »Sell verred'e net«, erwiederte Michel. — Kasper, nachdem er eine Weile für sich hingesehen, begann wieder: »Ietz, wo dein' Pla' mit der Great aufgeba' host, wurd's d'r nex mea' macha', wann da' Schneider mit'r danza' sichst!« — »Sell got me nex mea' a'«, versetzte Michel ernsthaft. — »Wie e ghöart hab«, fuhr der Andre fort, »got's mit d'm Schneider auf da' Plahtz!« — Michel zuckte. »Auf da' Plahtz?« rief er, während dunkle Röthe sein Gesicht übergoß. Kasper sah dem Betroffenen ins Gesicht und fragte: »Aergert de des?« — »Noe«, versetzte der Bursche mit Anstrengung. Der Kamerad sagte: »So hab e's geara'! — Am End, wer ka's dem Mädle verdenka', wann's da' Schneider nemmt ond ietz mit 'm auf d' Kirwe got? Zwea' oder dreia' (zweien oder dreien) hot sie selber da' Marsch gmacht; du bist ahgstanda' von 'r — solls da' Schneider oh no' furtschicka?« — »Sie hot Recht«, erwiederte Michel mit dumpfer Ruhe; aber auf einmal ballte sich seine Faust wie von selber, und er rief: »O i wott (wollte) —!« »Was wottst?« fragte der Kamerad, indem er ihn lächelnd ansah. —[S. 376] »Nex«, erwiederte Michel mit Nachdruck, indem er die Finger zusammenpreßte, um sie dann auseinander gehen zu lassen.

Am Sonntag — um dieselbe Zeit, als die Gret mit dem Burschen tanzte, der sich vom Schneider die Erlaubniß ausgebeten, verfügte sich Kasper zu Michel, um ihn in's Wirthshaus abzuholen. Er fand ihn in tief melancholischer Stimmung. Als er seinen Vorschlag machte, gab Michel zur Antwort: »Ha'et no' net — morga'! — Ha'et ben e net aufglegt!« — Alle Mahnungen waren umsonst. Kasper sagte mit Ernst: »I will de net nöada' (nöthigen) — mei'daweg duest, was d' willst. Aber ih moe, a Kerl wie du sott grad ens Wirthshaus ganga', en die ober' Stub', ond so'm Mädle zoega', daß 'r se nex draus macht, gots auf da' Plahtz mit weam's will! Die möcht'e net globa' lossa', doß e ihrdawega' von d'r Kirwe derhoemt blieb!« — »Des gschicht oh net«, versetzte unser Bursche, — »morga' gang' e drauf!« — »Morga' host widder a'n andera'n Ausred!« — Michel wurde ungeduldig. »Doh host mei' Ha'd«, rief er und streckte ihm fünf Finger entgegen, die ihres Gleichen suchten, — »morga' gang e ens Wirthshaus — Sakerment!« — Kasper schied beruhigt und folgte den lockenden Tönen eines Drehers, der ihm vom Wirthshaus entgegenschallte.

Bei seiner Ankunft auf dem Tanzboden ging die Gret mit ihrem Tänzer eben im Reihen. Als sie Kaspers ansichtig wurde, zeigte sie eine gewisse Erregtheit — und schaute sich weiter um. — Der Kamerad hatte sie beobachtet, und nickte für sich.

Er beschloß, den Michel am folgenden Tage ins Wirthshaus zu bringen, koste es, was es wolle.

Kasper hatte ein Gefühl, was er im Sinn trug, könnte nützlich werden. Er sah nicht voraus, was kommen würde; aber er empfand eine lebhafte Genugthuung, als er sich sagte: »Desmol soll' r net derhoemt bleiba'!« — Er handelte mit dem Instinkt der Freundschaft.

Der Kirchweihmontag brach so schön an wie der Sonntag. Die jungen Leute, die sich vorsichtigerweise früh zur Ruhe begeben hatten, erwachten fröhlich, und auch die andern, die erst der Morgen nach Hause wandern sah, hatten bald muntere Augen, um einem Tag entgegenzusehen, an welchem das Vergnügen allein regieren und zur[S. 377] farbigsten Blüthe sich entfalten sollte. — Noch Vormittags, nach früh genossenem Mahle, begaben sich die Zechbursche in's Wirthshaus, und aus den Fenstern desselben erklang sofort stattliche Musik. Das Mädchenholen begann — die Gassen ertönten von Spiel und Jauchzen, und die zinnernen Bierkannen, von rüstigen Armen in die Höhe gehalten, funkelten im Glanz der Sonne.

Vor allen und am feierlichsten — mit sämmtlichen Musikanten — wurden die Geliebten der beiden Platzmeister abgeholt. Sie stolzirten in absonderlichem Putz und trugen zur Auszeichnung vor den übrigen, die nur in der Kappe beim Tanz erschienen, die radförmige Spitzenhaube. Als diese beiden wichtigen Personen sich an der Tafel der Wirthsstube niedergesetzt hatten, theilten sich die Musikanten, und verschiedene Bursche zogen mit je zweien in die Häuser der Erwählten. Das ganze Dorf war bald in freudiger Aufregung: Singen und Springen, Zuschauen und Loben, Austauschen von guten Sachen und Höflichkeiten war die allgemeine Beschäftigung. Die Buben wuchsen in Gedanken beim Anblick der Vergnügungen, die ihnen auch einmal zu Theil werden sollten, und die Alten wurden jung und gedachten der Zeiten, wo sie's — noch besser gemacht hatten.

Nur Ein Haus war ausgenommen von der allgemeinen Fröhlichkeit — das der Familie Schwab. Unser Bursche, nachdem er gestern auch noch einer Ermahnung der Mutter widerstanden, war früh zu Bett gegangen und hatte einen tiefen Schlaf gethan. Wie gewöhnlich aufgestanden, machte er sich in Haus und Hof zu thun und sah nicht aus wie einer, der sich an dem Fest betheiligen wollte. Die Mutter betrachtete den düster Hin- und Hergehenden mit betrübter Miene. Sie gedachte an die Zeiten seines Knabenalters. Wie stolz war sie auf ihn gewesen! Wie viel hatte sie sich von ihm versprochen — und wie wenig hatte er gehalten! Was half es, daß er fleißig war und ordentlich und das Vermögen in den letzten Jahren sich vermehrt hatte? — Er hatte keine Freude, sie hatte keine, und zu hoffen war auch keine! — Als draußen das lustige Spiel und das »Juxen« der Bursche anhub, erschienen ihr die Mängel des Sohnes in immer grellerem Licht. Ein Mensch, der nicht tanzen und sich nicht »aufführen« konnte, ein Mensch, der keinen Schatz und kein Weib zu kriegen[S. 378] verstand, ein solcher Mensch war gar nichts — und sie die unglücklichste Mutter im ganzen Dorf.

Schon war auch der Schneider mit einem Geiger und Clarinettenbläser am Hause vorübergezogen und hatte einen Tenor gejuxt, wie ihn kein gewöhnlicher Bauernbursche herausgebracht hätte. Die Mutter war eben in der Kammer und hatte den Zug nicht gesehen. Nach einer Weile, als sie wieder in die Stube kam, trat Michel zu ihr, und als von der untern Gasse her ein Freudenlärm erscholl, nahm er sie bei der Hand und führte sie ans Fenster. Jauchzend, obwohl schon mit etwas angegriffener Stimme — mit dem Deckel der leeren Kanne nach Kräften patschend kam der Schneider an der Spitze der Musikanten heran und hinter diesen die Gret mit sittigem Schritt und einem Angesicht, das durch höhere Röthe und einen eigenen feierlichen Ausdruck holder und bedeutender erschien als jemals. »Siksch ietz, mit weam die's guet moet?« fragte Michel in Rücksicht auf seine Rede von letzthin. Die Mutter erwiederte: »Des ist m'r oh nex Nuis mea'! Aber wear ist dra' Schuld?« Michel schwieg einen Moment; dann, indem er mit einer Art von Humor den Kopf in die Höhe warf, erwiederte er: »Bah, a Mädle, die mit 'm Schneider auf d'Kirwe got, doggt (taugt) net für 'n Kerl, wie'n ih ben. Ih trau m'r no' a'n andera' z'kriega', wann's amol gheiricht sei' mueß!« — Mit halb schmerzlichem, halb spöttischem Lächeln versetzte die Mutter: »Du bist der Recht', ja!« Aber Michel fuhr fort: »Loß me nor macha'! Ho'et Nommedag (Nachmittag) gang e ens Wirthshaus — doh passirt ebbes, des sag' d'r e! Ond wanns auf o'srer nex wurd — gits net no' ander' Kirwena? I will doch seha', ob ih nex ausricht', wann e amol drauf ausgang!« —

Es war nicht nur der Geist des Widerspruchs, der Micheln, der anklagenden und ungläubigen Mutter gegenüber, diese herzhaften Worte in den Mund gab. Der Anblick der Gret, die dem Schneider folgte, hatte ihn zugleich gereizt und von der letzten Bürde der Ungewißheit befreit. Nun wars offenbar und nicht mehr zu läugnen! — und nun mußte er entweder die Weibsbilder gehen lassen sein ganzes Leben lang — oder sein Glück mit einer andern versuchen. Aus allen Gründen mußte er ins Wirthshaus gehen — er mußte[S. 379] sehen und sich sehen lassen — er mußte zeigen, daß er nicht der Mann war, darum, weil er ein Mädchen nicht gekriegt hatte, sein Leben zu vertrauern.

Das Fest hatte seinen Verlauf. Der Platz vor dem Wirthshause und die angrenzenden Gassentheile belebten sich mehr und mehr. Unter die Bauern und Bäuerinnen mischten sich »Herrn« und »Frauenzimmer«, die an dem schönen Tage hauptsächlich aus Nördlingen und Wallerstein herbeigekommen waren. Einige flotte Musensöhne im altdeutschen Rock und weiten blauen Hosen, das Mützchen keck auf die eine Seite des Kopfes geklebt, schauten mit vergnügtem Antlitz umher oder »schnitten« den schönsten und jüngsten der anwesenden »Florbesen« die Cour. Bauern und Handwerker mittleren Alters hatten schon das Kegelspiel begonnen und suchten auf verschiedene Weise die Ungunst des Lokales zu überwinden, einer davon auch noch durch nachträglich pantomimische Lenkung der schon hinausgerollten Kugel, wodurch er, wenn nicht mehr Kegel, doch die Erheiterung der Umstehenden erzielte. Schulkinder liefen hin und her, begafften Alles und erlabten sich bei den Weibern, die an der Schattenseite des Wirthshauses Obst feil boten. Die jungen Leute drehten sich auf dem Tanzboden und hielten gleichsam eine Vorübung zu der Production, die sie vor einer so großen Anzahl von Schaulustigen ausführen sollten.

Der feierliche, zuletzt sehnlich erwartete Moment erschien. Die Tanzmusik im Wirthshause war verstummt, und in die Ohren der bunten Menge, die sich davor angehäuft hatte, ertönte vom Hof her auf einmal ein kräftiger Marsch. »Sie kommen! Sie kommen!« rief man sich freudig zu und die Vorsichtigen eilten auf die Standpunkte, wo man die Aufführung am besten übersah. Unter einer wahren Kanonade von Juhschreien sämmtlicher Bursche, die zuweilen auch die Blechmusik übertönte, kam der Zug aus dem Hofe: zuerst die sechs Musikanten, dann der »Flur« (Flurschütz, Gemeindediener) mit einem Stuhl, der Aufwärter mit einer riesigen kupfernen Bierkanne und das Wirthsmädchen mit Krügen; endlich die Paare, geführt von dem ersten Platzmeister, der an der Seite seiner Schönen stattlich daherschreitend einen großen, bändergezierten, in blanker Scheide[S. 380] ruhenden Säbel trug! An der uralten Linde angekommen machte man Halt, die Musikanten stellten sich herum, der Aufwärter setzte die Bierkanne auf den Stuhl, und die Paare traten an die Seite. Unter allgemeiner Aufmerksamkeit zog der erste Platzmeister den Säbel aus der Scheide, hielt ihn in die Höhe, stellte sich vor die Musikanten und sang das herkömmliche Liedchen:

Ietz soll e halt danza' drei Roea'n alloe!
I ka's ja kamm (kaum) danza' vor Staub ond vor Stoe.

Die Musikanten spielten und der Bursche tanzte allein um die Linde, indem er auf dem mäßig ebenen Boden seinem Titel Ehre machte. Zum zweitenmal sang er:

Der erst der ist danzt ond der ander' fangt a':
Ietz will e halt seha', ob es nommol so ka'.

Die Zuschauer, die bei solchen Gelegenheiten, wenigstens eine Zeitlang, empfänglich und anspruchlos zu sein pflegen, nahmen diese allerdings mehr sachgemäßen als poetischen Reime mit heiterem Interesse auf, und da der Platzmeister wieder ohne zu stolpern und in schönem Kreisbogen um den Baum kam, so rief ein lustiger Studiosus ihm ein Bravo zu.

Zum Dritten sang er:

Ond oemol ond zwoemol ond nommol ist frei!
Ond des mueß das Best' sei', denn ietz isch vorbei!

Nach glücklicher Vollendung auch dieses Reihens steckte der Bursche den Säbel in die Scheide, übergab ihn dem »Fluer«, sah auf die Paare und sang:

Danzt hab' e so gut als ma's ka'n ohne Schatz.
Nemm jeder die Sei'n ietz ond rei' auf da' Platz!

Er holte sich die Geliebte, die mit Würde den Leistungen ihres Burschen zugesehen hatte, und begann mit ihr zu walzen. Alle Paare folgten nach.

Der Tanz — die Trinkpausen mit eingeschlossen — dauerte ungefähr eine Stunde. Da die Bursche und Mädchen von verschiedener Gestalt und Schönheit waren, und beim Tanzen verschiedene Manieren an sich hatten, die auf dem schwierigen Terrain um so charakteristischer hervortraten; — da den Musikanten eine Reihe Lieder[S. 381] vorgesungen wurden, wovon etliche nicht ohne pikanten Reiz, andere aber in so fern »ächt lyrisch« waren, als nicht eine Spur von Gedanken darin vorkam — so gab es für das Publikum, namentlich für das gebildete, gar vielerlei zu schauen und zu kritisiren. Einige der Herrn unterhielten ihre Damen mit mehr oder minder gelungener Verspottung und ironischer Belobung der ländlichen Künste. Andre lachten und nickten Beifall. Wieder andere stellten Vergleichungen an und suchten zu entscheiden, welche Mädchen den Preis der Schönheit verdienten, u. s. w.

Die größte Aufmerksamkeit hatte bald von allen Paaren ein uns wohlbekanntes auf sich gezogen — der Schneider und die Gret. Die stattliche Größe des Mädchens und die zierliche Kleinheit des Burschen war zuerst aufgefallen. Bei näherer Betrachtung fand die Schönheit der Blonden lebhafte Anerkennung, besonders von Seiten dreier Studiosen, die ihre Augen so oft nach ihr wandten, daß eine daneben stehende junge Nördlingerin beinahe eifersüchtig geworden wäre. Nicht geringeres Interesse erweckte indeß bei eben diesen Studiosen der Schneider selbst. Glücklicher und selbstbewußter auszusehen als dieser, war nicht wohl möglich. Das schönste Mädchen von allen, die um die Linde tanzten, war die seine! Sie hatte sich erst ein bischen »geziert«, als er sie einlud, mit ihm auf den Platz zu gehen; aber wie bald hatte sie Ja gesagt! — Mit welchem Vergnügen hatte sie's gesagt, und wie gern war sie mit ihm gegangen! Dumme Teufel mußten die gewesen sein, denen sie den Laufzettel gegeben! Er war gekommen, hatte gesprochen, und immer weicher war sie geworden und immer nachgiebiger, und jetzt konnte er mit ihr machen, was er wollte! Es lebe die Fremde! Wer nicht hinaus kommt, der kommt nicht heim, und bleibt ein Dummkopf, der überall das Nachsehen hat! — Heute noch, beim Nachhauseführen, wollte er mit ihr reden wegen der Heirath, auf den Winter machte er Hochzeit, und damit basta!

Das Wohlgefallen, mit welchem die drei Studiosen zu ihm hersahen, schmeichelte unserm Dorfschneider ungemein. Er mußte freilich annehmen, daß ein Theil des Beifalls seiner Tänzerin galt — aber war das nicht wieder eine Ehre für ihn? Sein Gesicht wurde[S. 382] vor Selbstgefälligkeit ordentlich runder, jedenfalls glänzte es »wie Wallerstein des Abends« (wenn die Sonne aus den Fenstern der terrassenartig aufsteigenden Häuser wiederstrahlt!) — und seine Augen blickten beim Tanzen rechts und links, um nichts von den Eindrücken zu verlieren, die er hervorbrachte.

In solcher Stimmung ist man nicht geneigt, Andern Erfolge zu gönnen; und wenn einer dergleichen erzielt, fühlt man einen Trieb, ihn herunterzustechen. Die Heiterkeit, die ein paar von einem rüstigen Kerl gesungene lustige Liedchen hervorriefen, weckte des Schneiders Eifersucht. Er wollte auch ein Lied singen, das den »Herren« Spaß machte, und hatte schon den Mund dazu geöffnet — als ihm derselbe Mensch zuvorkam. Verdrießlich hörte er zu, und wie in dem Text statt des Reims eine bloße Assonanz zum Vorschein kam, rief er, das Gesicht satyrisch-kritisch den Studenten zugewendet: »Reim de oder i friß de!« — Der Sänger schaute den Burschen an und nach geendetem Reihen sagte er: »Desmol will e a bessers senga' — paß auf!« Und er sang:

Doh droba'n auf dem Bergle bei dera' Kapell,
Doh sitzen drei Schneider beir' Wasserbodell!

Allgemeine Heiterkeit war der Erfolg dieser Schnurre; auch die Gret, die im Verlauf des Tanzens etwas zerstreut geworden war, konnte sich nicht enthalten zu lächeln. Der Schneider ging auf Nadeln. Wie gern hätte er den Kerl zehnmal stärker getroffen! Aber es war ein Maurer, und er wußte kein Spottlied auf dieses Handwerk! Da half ihm die Entrüstung über die dumme Verhöhnung seines Metiers aus der Noth: sie gab ihm einen Reim ein, wodurch er den Hieb mit Zinsen wieder zurückzugeben hoffte. Er stellte sich resolut hin und sang:

Die Kleider der Leut' hat der Schneider gemacht,
Und der ist a Narr, der die Schneider veracht'.

Schallendes Gelächter erfolgte auf diesen gewaltigen Rückschlag, in welches der vermeintlich Getroffene herzlich mit einstimmte, während die Gret etwas erröthete und einen mitleidigen Blick auf ihren Tänzer warf. Der Schneider sah dies nicht. Würde ihm nicht schon das Lachen ein Beweis gewesen sein, daß er einen treffenden Reim[S. 383] gedichtet, so hätten ihn die lobenden Zurufe der Studenten davon überzeugen müssen. Triumphirend sah er umher und tanzte, von dem Hochgefühl des Sieges getragen, mit erneuter Kraft und Leichtigkeit. Während er das Vorsingen Andern überließ, dachte er bei sich: »Wann die Herra' an deana' Bauraliedla' scho' so a Freud hont, nocht will i ihna' doch beweisa', daß e andre oh no' ka'!« — Als die Zeit, die auf dem Platz zugebracht zu werden pflegte, sich ihrem Ende zuneigte, ersah er seinen Moment, nahm eine Stellung, die etwas erwarten ließ, und sang, indem er den Studenten pfiffig zublinzelte, folgende anmuthige Variation eines Burschenliedes:

Der Herr Professer
Liegt in Corretschiom,
Drom wär' es besser,
Man trinkt eins rom.
Ebete, bebete, esse coralle!
Was soll das Hepula? Bombau, holla!

Die Studenten horchten mit hochvergnügten Gesichtern, riefen Bravo und lachten königlich zusammen. — Der Schneider war überzeugt, daß er die Palme davongetragen.

Als der Zug unter denselben Jubeltönen, mit denen er gekommen, obwohl etwas langsamer, ins Wirthshaus zurückging, stellten sich die Studenten an den Weg, und einer von ihnen, der in den Dorfverhältnissen genau unterrichtet zu sein schien, sagte fidel zu dem Siegesglücklichen: »Brav, Schneider! — Du bist a Hauptkerl!« — Der Angeredete erwiederte mit Würde: »I hab den Herren nur zeiga' wolla', daß man auf d'm Land auch manchmol ebbes ka', was man oem nicht zutraut hätt'!« — Die Gret warf auf den Studenten einen Blick, der zu sagen schien: »Halt mich ja nicht für so dumm wie meinen Schneider!«

In der obern Wirthsstube gönnten sich Musikanten und Tänzer einige Zeit Ruhe, dann begann die Lustbarkeit auf dem Tanzboden von neuem. Der Schneider war unermüdlich und von einer Hüpflustigkeit, die nicht zu ersättigen schien; er forderte die Gret wieder zum Tanz auf. Das Mädchen, die mehr und mehr das Aussehen gewonnen hatte, als ob ihr etwas abginge, erwiederte, sie sei müde und möchte noch ausruhen. Der Schneider, im Gefühl seiner Würde[S. 384] als Mann und seinem Stolz als Kirchweihbursche, entgegnete: »Des hilft nex! I will amol danza', ond i wear' doch hoffentlich koen Korb kriega' von 'm Mädle, die e auf d' Kirwe gführt hab? — Komm!« — Er nahm sie bei der Hand und sie folgte, indem sie den Verdruß ihres Herzens in ernster Miene zu verbergen suchte. Nachdem sie sechs Reihen erduldet hatte, erklärte sie positiv: es liege ihr in den Gliedern wie Blei — es ginge nicht mehr! — Der Bursche mußte sie in die Stube führen. Während sie an der Tafel der Zechburschen Platz nahm, forderte der Schneider eine Andere auf und führte sie auf den Tanzboden.

Die Gret überließ sich ihren Gedanken. Sie hatte etwas unternommen — es war die Frage, ob sie Recht gehabt hatte, es zu thun. Aber jedenfalls hatte sie es umsonst gethan: was sie gehofft hatte, war nicht eingetroffen. — Ein Ernst erfüllte ihr helles Gesicht, der mehr und mehr den Charakter der Trauer annahm. Still und gedankenvoll sah sie für sich hin. — Auf einmal erröthete sie: — durch die Thüre, die kaum groß genug war, ihn einzulassen, trat Michel in die Stube, begleitet von dem treuen Kasper.

Unser Freund erschien in seinem besten Staat und mit einem Ausdruck der Würde in seinem Gesicht, den früher Niemand an ihm wahrgenommen hatte. Seit dem Versprechen, das er seiner Mutter gegeben, war eine neue Veränderung mit ihm vorgegangen. Der momentanen Erhebung, die der Anblick des an seinem Hause vorbeiziehenden Schneiders in ihm hervorgerufen, war eine Herabstimmung gefolgt, die sich in dem stillen, von nähern und fernern Jubeltönen umklungenen Hause zu erneuter, tiefer Schwermuth ausbildete. Der Trieb, glücklich zu sein, regt sich in dem Menschen immer wieder und nirgends stärker, als an einem Tag allgemeiner Freude. Hier ist das Herz von seinem Recht auf auch einen Antheil daran durchdrungen — das Bild dessen, was man wünscht, tritt in höchstem Reiz vor die Seele, die Sehnsucht, es zu erlangen, wird feuriger und inniger — und die Nothwendigkeit, es dennoch verloren geben zu müssen, wirft das Gemüth in Abgründe der Trauer. Was half dem guten Michel sein Entschluß, sich nach einer Andern umzusehen! So eine wie die Gret gab's doch nicht mehr — so gern[S. 385] konnte er keine mehr haben — so glücklich mit keiner mehr leben! Wie schön war sie heute wieder, als sie an seinem Hause vorüberging. Nein! Wenn dieses Mädchen ein Andrer bekam, dann wollte er überhaupt keine mehr, er wollte unglücklich sein mit Fleiß — und sein Leben als Junggeselle beschließen.

In dieser Stimmung, in dem Nachdenken, das sie begünstigte, traten die Fehler, die er gemacht hatte, wieder vor seine Seele; aber sie regten keinen Zorn in ihm an. Er fühlte sich damit behaftet wie durch ein Verhängniß; ihm waren eben die Gaben, womit Andere etwas erreichten, nicht verliehen, er sollte kein Glück haben, er mußte entsagen. — Nach und nach stieg der Muth, der die Frucht der Entsagung ist, in ihm auf. Der männliche Stolz rührte sich in ihm, und er faßte den Entschluß, jetzt wenigstens keinen armen Sünder mehr zu spielen, wie früher, sondern ruhig seines Weges zu gehen — jetzt, wo doch nichts mehr zu verlieren war! — — In dieser Gemüthslage traf ihn Kasper. Michel fügte sich der Aufforderung, mit ihm ins Wirthshaus zu gehen, ohne Widerrede. Er zog seine neue Juppe von dunkelblauem Tuch an, steckte den reich mit Silber beschlagenen Ulmer Pfeifenkopf in den Mund, setzte die breite Fischotterkappe auf und folgte dem Kameraden. Die Mutter hatte mit der Ironie des Unglaubens »viel Vergnügen« gewünscht.

In der Stube setzten sich die Kameraden an einen Seitentisch, wo schon ein Lediger Platz genommen hatte. Kaspar ließ sich hier nicht halten; er hatte bald eine hübsche Braune an der Hand und tanzte mit dem Schneider um die Wette. — Michel unterhielt sich mit dem Ledigen, der wie er ohne Schatz und vom Tanzen kein Liebhaber war. Die Gret hatte er, als er an der Tafel vorbeiging, auf eine ungezwungene Weise nicht gesehen; jetzt, im Gespräch mit dem Burschen, sah er einmal zu ihr hinüber — er sah, daß sie nicht vergnügt war — und eine sonderbare Empfindung regte sich in ihm.

Nach einer Weile kam der Schneider in die Stube. Er hatte einen jungen Mann an der Hand in spießbürgerlicher Kleidung und von einer Statur, die der seinen ähnlich war, — trat mit ihm vor die Gret und sagte: »Des ist mei' Colleg, Herr Bügel, der zu Nörrleng (Nördlingen) arbeitet. Er möcht' gern mit d'r danza'n ond i[S. 386] hab gsakt, 's wär a'n Ehr'. Komm!« — In ihrer jetzigen Stimmung dem Tanzen ohnehin gänzlich abgeneigt, wäre der »Colleg« der letzte gewesen, der ihr Lust dazu gemacht hätte. Und sich mit ihm zum Tanzen commandiren zu lassen! — Vor Michel — und in solchem Ton! — Ein Widerwille stieg in ihr auf und wuchs zur entschiedensten Widerstandskraft. Sie erwiederte dem Stadtschneider: »I muß danka' für die Ehr'!« und zu dem ihrigen bemerkte sie: »I hab d'r scho' gsakt, i ben müed ond hab koen Luhst mea'. 'S ist seitdem net anderst woara' — ond i wear' ha'et gar nemmer danza'!« — Der Schneider runzelte die Stirn. »Des send Ei'bildenga'«, rief er, ehe der andre zu Worte kommen konnte; »du bist ja gruat (ausgeruht)! — Mach'! Komm!« — Das Mädchen rührte sich nicht und mit dem Nachdruck des Abweisens erwiederte sie: »I dank' schöa'!« — Eine Wolke verfinsterte die Züge des Burschen. »Doh ist nex z'danka'«, entgegnete er schnell und heftig, — »i hab' gsakt, du danzst mit 'm — ond ietz danz!« — »Ond i sag, i ka' net«, versetzte die Gret. Der Schneider warf einen Blick auf sie, als wollte er seinen Ohren nicht trauen. »Des send Dommheita'!« rief er entrüstet; — und großartig setzte er hinzu: »Was ih sag, mueß gscheha'!« — Die Gret sah ihn von der Seite an und sagte: »Aber Alles doch wohl net — hoff e! A bisle ebbes wurd wohl no' ahganga' (abgehen)!« — Der spöttische Ton dieser Entgegnung indignirte den Schneider auf's Höchste. Bebend vor Zorn rief er: »Zom letschtamol sag e d'r: danz! Auf der Stell! — Oder 's got d'r schlecht!«

Reden und Gegenreden dieses Dialogs waren so rasch aufeinander gefolgt, daß der Schneidergeselle aus Nördlingen keine Zeit gefunden hatte, zu sagen, was ihm, von der Ehre geboten, auf der Lippe schwebte. Jetzt setzte er's endlich durch. Indem er sich vor der Gret ironisch verneigte, rief er mit höhnendem Ton: »Ich bitt' recht sehr — ich dank' jetzt schön für's Tanzen — und wünsch' der Jungfer gute Besserung!« — Mit dem Bewußtsein, das »einfältige Weibsbild« nach Verdienst getroffen zu haben, verließ er die Stube.

Der Schneider stand da mit gefährlicher Miene. Seine Brust arbeitete, seine Lippen zitterten, seine Rechte gerieth in eine zuckende Bewegung. Das Schlimmste, Peinlichste war ihm widerfahren! Er[S. 387] war blamiert — blamiert vor einem Collegen aus der Stadt! — War ihm »vor den Leuten« Zurückhaltung geboten und konnte er nicht wie er wollte, so mußte er der impertinenten Person doch wenigstens die Wahrheit sagen. Nachdem er sie eine Zeit lang angesehen, begann er: »Doh hab e Respekt! Des send Maniera'! Ih führ' de auf d'Kirwe, ond du duast von dem, was e sag, d's Gegendeil ond benemmst de gegen 'n Mann aus der Stadt wie a grobs Bauramädle, daß e an der Schand dohstanda' mueß? — Pfui!« — Die Wichtigkeit, womit der Bursche die Sache aufnahm, und die drohenden Blicke, die er ihr dabei zuwarf, waren dem Mädchen zum Lachen; aber sie hielt an sich und erwiederte ruhig: »I ben wärle müed gwesa', i hab net g'loga'! Soll e danza', wann e koen Luhst derzue hab?« — »Ja«, entgegnete der Schneider wild, »wann ih's sag!« — Das war dem Mädchen zu viel; unwillig und mit der geringschätzigen Miene des Unwillens erwiederte sie: »Ach was! — i ka' doch net mit alla' Schneider danza'n em ganza Boerland?«

Diese Worte, nach welchen die Mienen der Gret überdieß sich etwas erheiterten, rissen die Schranken, die den Zornausbruch des Schneiders noch zurückgehalten hatten, nieder. Mit grimmiger Wuth, am ganzen Leibe zitternd, rief er: »Du bist a'n o'verschämta' Perso'! A frechs Lompamensch! Was? Ih führ' de auf d' Kirwe aus Erbarma', ond du willst me no' verspotta'? I hätt' 'n gueta' Luhst« —

Auf einmal ließen sich hinter ihm die streng betonten Worte hören: »Wie ka'st du de onderstanda', mit 'm Mädle, wie die Great ist, so z'reda'?« — Der Schneider sah sich um — und fuhr zusammen. Michel stand vor ihm in dem schreckeneinflößenden Ernst des Richters. — Der Große und der Kleine sahen sich einen Moment an. Plötzlich, wie sich auf etwas besinnend, faßte sich der letztere und entgegnete keck: »Got des dih ebbes a'?« — »Ja«, versetzte Michel mit Nachdruck. »A'n ordentlicher Kerl leidt's net, wann 'm Weibsbild ebbes gschicht — und (setzte er geringschätzig hinzu) voara' (voran, noch dazu) von 'm Schneider!« — Der Kleine zuckte; dann streckte er sich, sah zu dem Gegner mit vielsagendem Gesicht empor und erwiederte, indem er drohend den Zeigefinger erhob: »I will d'r ebbes rotha', Michel! — mach de ha'et net z'mauseng!« — Der[S. 388] Enakssohn lachte herzlich. — »Ja«, fuhr der Schneider fort, »lach nor! — für dih fend' ma'n oh no' 'n Moester!« — »Bist am End du's?« fragte Michel heiter; und mit gemüthlichem Selbstgefühl setzte er hinzu: »Gang weiter, Schneiderle! Wann e de a'blos (anblase), no' fliegst zor Stub naus!«

Ein Kichern, das diesen Worten am untern Ende der Tafel folgte, und das unwillkürliche Lächeln der Gret, die aufgestanden und ein wenig zurückgetreten war, machte den Beleidigten rasend und raubte ihm den letzten Rest der Besinnung; — die Zähne fletschend ging er auf Michel los, packte ihn am Arm und suchte ihn niederzureißen. Der Gewaltige schüttelte ihn ab und rief: »Schneider, Schneider! — i roth dr's en Guetem — höar auf!« — Der Schneider, der diese Ruhe mißverstand, attakirte von neuem. Michel faßte ihn beim Arm, hielt ihn zurück und rief mit funkelnden Augen: »Ietz sei ruheng — oder i stand für nex mea' guet!« — Aber der Schneider, der einen Blick auf die Thüre geworfen hatte, machte sich mit wüthender Anstrengung los, packte den Gegner an der Juppe, riß — und riß ein Stück davon herunter. Das war über allen Spaß. Michel nahm ihn und warf ihn zu Boden, daß es krachte.

Es war die erste wohlthätige Empfindung für den guten Burschen seit langer Zeit! — Aber wie dehnte sich nun seine Brust! Welch eine Begier entstand in ihm, fortzufahren und sich durch eine großartige Uebung der Kräfte, die so lange geruht hatten, das gepreßte Herz zu erleichtern! — Es war ihm wie einem Esser, der mit einem Riesenappetit auf dem Tisch nur ein Cotelettchen vorgefunden hat und nach dessen Verschlingung mit schmerzlichem Verlangen eine seiner würdige Mahlzeit herbeisehnt. »Mehr, mehr, mehr!« rief es in ihm, als der aufgestandene Schneider von neuem auf ihn losging. — Sein Wunsch sollte erfüllt werden. Der Schneider, in Gefahr wieder auf den Boden zu fliegen, rief mit desperater, durchdringender Stimme: »Brüder, helft!!« — und in kürzester Zeit fühlte sich Michel von einem halben Dutzend Burschen zugleich angefallen.

Es waren Gegner von ihm, Kameraden des Schneiders und zu Schutz und Trutz mit ihm verbunden, die von andern Tischen und vom Tanzboden herbeigeeilt waren und nun mit vereinten Kräften zu[S. 389] siegen hofften. Sobald der Enakssohn die Kerle an sich schlagen und zerren fühlte, athmete er tief auf und — begann seine Arbeit.

Er verrichtete Thaten, die würdig wären, von einem Homer Zug für Zug geschildert zu werden. Seine ungeheure Körperkraft im gerechtesten Kampf — der Trieb und die Lust, für sie etwas zu thun, vor ihr in seiner Glorie sich zu zeigen — befähigten ihn zu wahren Wundern. Er schüttelte ab und schleuderte von sich, er drosch und schlug nieder, er ergriff ein paar Kerle, die just zu haben waren, und stieß ihnen die Köpfe zusammen — kurz, er that Alles, was der Verlauf des Kampfes nothwendig machte, — mit unwiderstehlicher Gewalt. Kein Hieb und kein Stoß ging daneben.

Die Unterstützung des Schneiders war zu schnell nöthig geworden, als daß seine Kameraden sich mit den bei solchen Händeln üblichen Waffen, als da sind: Stuhlfüße, Holzscheiter u. s. w. — hätten versehen können. Der Kampf gegen den Unbewaffneten wurde darum ehrlich mit Fäusten geführt. Nur ein Bursch ergriff einen steinernen Maßkrug, um den Simson des Dorfes von hinten auf den Kopf zu schlagen, der nicht mehr von der Fischotterkappe bedeckt war. Er wurde von Kaspar weggerissen und auf die Seite gestoßen.

Der Kamerad Michels war auf den Hauptlärm auch vom Tanzboden hergeeilt und eben recht gekommen, diesen Hieb zu verhindern, der dem Schädel Michels, vielleicht aber auch nur dem Krug verderblich werden konnte. Der Treue war muthig und nervenkräftig und hätte dem Freund gerne ferner geholfen — wenn es nur nöthig gewesen wäre. Allein er sah, wie dieser schaffte, — er sah, was er schon geleistet hatte, und überließ ihm den Rest.

Das Getöse des Kampfes hatte bald auch Zuschauer herbeigezogen, und die drei Studenten waren nicht die letzten. Als sie einen Burschen erblickten, der seine Gegner, die sich wie Katzen an ihn anklammerten, immer wieder von sich schleuderte und inmitten eines ihn umdrängenden wüthenden Haufens fest auf den Beinen blieb, ließen sie Ausrufungen der Bewunderung hören und folgten der Scene mit größtem Interesse. Auch ein paar muthige Damen hatten sich an die Thüre der großen Stube gewagt und lugten mit[S. 390] Antheil auf den Kampf, hauptsächlich aber auf den Kämpfer, der, einen Kopf über die Andern hinausragend, so preiswürdige Dinge that.

Die theilnehmendste und zugleich antheilswertheste Zuschauerin von allen war aber die Gret. Ihr Herz wurde nach einander von Empfindungen ergriffen, die sie in durchaus unbekannte, wunderbar neue Regionen emporrissen. — Die ersten Worte Michels, der so unerwartet und mit solchem Ansehen ihr zu Hülfe kam, hatten sie mit Wohlgefühl überrieselt. Sie starrte ihn an, erröthend, verlegen — mit durchbrechender Freude. Als der Schneider den Gewaltigen anpackte, rief sie: »Bist du rasend?« — und wollte ihn, von dem drohenden Streit erschreckt, in seinem Interesse zurückziehen. Wie sie nun aber den Vertheidiger umringt sah, da fühlte sie eine andere Regung; muthig stürzte sie auf einen der Bursche zu, ergriff ihn und wollte ihn wegreißen. Allein Michel stieß eben diesen Gegner auf die Seite, daß er über eine Bank taumelte — — und als sie die Riesenkraft sah, mit der er allein sich Aller erwehrte, und der Glaube, daß ihm keiner was anhaben könne, unwiderstehlich in ihrem Gemüth auflebte, da trat sie auf die Seite.

Mit klopfendem Herzen und wogender Brust sah sie auf den Kampf, der wie ein Sturm vor ihren Augen brauste. Sie sah die Uebermacht des Mannes, der ihr immer von allen der liebste gewesen war, mit Staunen, mit Entzücken. Was konnte es für sie Herrlicheres geben? Was konnte sie Schöneres und Rührenderes erblicken? Das that er für sie! Das that er, nachdem sie mit ihm getrutzt hatte wegen nichts und wieder nichts! Er, der größte und stärkste, aber auch der wackerste, der rechtschaffenste Bursche. Verschwunden war Alles, was ihr an ihm jemals lächerlich oder ärgerlich vorgekommen war — verschlungen von der Flamme der Kraft und des Muthes, die vor ihr aufloderte. Sie sah nichts als den Helden, der um ihretwillen kämpfte und Alle niederstreckte! Sie sah ihn mit überströmendem Gefühl, mit wonnigem Stolz. Ihre Lippen zuckten; Thränen traten ihr in die Augen und rollten die glühenden Wangen hinab. — —

Michel war fertig — der Kampf geendet. Drei der Gegner lagen am Boden und versuchten aufzustehen, wozu ihre Mädchen, die sich vergebens bemüht hatten, auszuwehren, ihnen die Hände reichten.[S. 391] Ein paar andre konnten nicht mehr aus den Augen sehen und traten wankend zurück. Der Schneider und sein Nördlinger College, der ihm tapfer zu Hülfe geeilt war, hatten geschwollene, blutende Nasen, blaue Augenringe und zerrissene, rothbefleckte Kleider. Michel stand siegreich da! Starkathmend, das Gesicht erhitzt und schweißtriefend, die Haare in Unordnung, die Juppe ohne den linken Flügel — aber aufrecht und in der ganzen Freude des Triumphs. Ins Gesicht hatte ihn keiner getroffen, dafür hatten seine Arme gesorgt — und die blauen Flecke auf dem Leib sah man nicht.

Seine Blicke suchten die Gret. Er sah sie, die Wangen thränenfeucht, aber die Augen selig glänzend — und schnell wie der Blitz erhellte seine Seele die Erkenntniß ihres Gemüthes. Mit stolzem Lächeln ging er auf sie zu und rief: »No, Margret, bist z'frieda' mit m'r desmol?« — »O Michel«, erwiederte das Mädchen mit einem Ton aus tiefster Seele, — — »o Michel, was bist du für a Burscht!« — Michel sah sie liebevoll an und nahm sie bei der Hand. »Ja« sagte er, »schwätza' ka'n e freile net wie a'n Anderer, ond danza'n ond sprenga' ka'n e net, wie se's ghöart — aber ebbes ka'n e doch doa' für a Mädle, auf die e ebbes halt!« — Die Gret schwieg und drückte ihm zärtlich die Hand.

In der Gewißheit seines Glücks und im Schwunge des Siegergefühls wandelte den Burschen eine heitere Laune an. Die Hand des Mädchens loslassend und einen Schritt zurücktretend sagte er: »Aber wärle — i dua' grad als ob du mei' Schatz wärst, ond vergiß ganz, daß dei' Burscht doh ist, der de auf d'Kirwe gführt hot. Wamma' se von oem ens Wirthshaus führa' loßt ond gar mit 'm auf da' Plahtz got« — — Die Gret war bei den ersten Worten erröthet; nun fiel sie ihm in die Rede mit einem Blick zugleich der Liebe, der Scham und des Vorwurfs: »Ist m'r denn ebbes anderst's überblieba', om di z'ärgera' ond eifersüchteng zmacha?« —

Ein Seufzer ließ sich in der Nähe vernehmen. Er kam von dem unglücklichen Schneider, der an einem Seitentisch in eine wassergefüllte Schüssel sich wusch und nun hören mußte, daß er von der Gret nur als Mittel benutzt worden war. »Des oh no' (das auch noch)«, rief der arme Kerl, indem er mit tragikomischer Miene nickend in die[S. 392] Schüssel sah. Michel aber ging strahlenden Angesichts auf das Mädchen zu, ergriff ihre Hand und rief: »So isch gmoet gwesa'? — No, nocht ghöarst mei' — ond der Deufel en der Höll soll de mir net widder nemma'!« —

Die ganze Scene des Streites und der Verständigung unsres Paars war natürlich schneller vorübergerauscht, als wir sie zu schildern vermochten. Jetzt, nachdem sich Alles begreiflich gelöst und der Kampf durch die Reden der Liebenden Licht und Sinn erhalten hatte, drängte man sich theilnehmend zu diesen heran. Der treue Kasper gab erst dem Freunde die Hand, dann, mit heiterm Zunicken, dem Mädchen, und wurde von dieser durch einen herzlich dankbaren Blick belohnt. Die Studenten konnten nicht widerstehen — sie mußten den Triumphator preisen und ihm gratuliren, was der Bursche mit wohlgefälliger Würde entgegennahm. — Allgemeine Heiterkeit füllte die Stube. Sämmtliche Zuschauer hielten es mit dem Sieger und Glücklichen und warfen spöttische Blicke auf die Geschlagenen, die den Schaden hatten. — In dieser Beziehung machen sie's im Ries gerade so, wie anderwärts! —

Michel, in der Höhe seiner Stimmung, wandte sich zu seinem sonstigen Nebenbuhler und sagte halb mit Laune, halb gutmüthig: »Schneider — nex für o'guet! I sig ietz scho' daß eigentlich du an mei'm Glück Schuld bist — ond i bedank' me schöa'!« — Der Schneider, in welchem die Wuth verdampft war und einem gewissen desperaten Humor Platz gemacht hatte, erwiederte sich die Nase reibend: »I bedank' me oh schöa'!« — Das Gelächter, das auf diese Art von Witz folgte, war die erste kleine Genugthuung, die dem armen Burschen nach seiner Niederlage zu Theil wurde. Michel fühlte einen Trieb, ihn wieder aufzurichten, und fuhr fort: »Onder o's gsakt, Schneider, du bist a Deufelskerl! Wann alle so gschwend ond so wüadeng gwesa' wäret wie du — i hätt' wärle koe Fetzle Häs mea' auf'm Leib. Aber i will d'r ietz zoega', daß e oh ebbes für de doa' ka'. Weil d'mer mei' Jupp so schöa' verrissa host, ietz sollst m'r grad a nuia' macha' därfa'. Von ha'et a' loß e bei dir arbeta', ond i hoff, i ka' d'r bald meaner z'doa geba'!« — »Ist m'r a'n Ehr'«, erwiederte der Schneider mit ironischer Höflichkeit.

[S. 393]

Die Gret hatte dem Michel mit froher Verwunderung zugehört. Wie kam er plötzlich dazu, mit Andern Spaß zu machen und so nette Dinge zu sagen? — Eine neue Tugend, die sie ihm nicht zugetraut hätte, und deren Hervortreten sie nun in große Freude versetzte.

Die Scene war friedlich, ja ergötzlich geworden. Sie hatte große Aehnlichkeit mit der Auflösung eines Lustspiels, wo Alles in Heiterkeit verschlungen und der heftigste der vorangegangenen Conflicte eben am pikantesten erscheint. Zum Glück hatte der Streit keine tragischen Folgen gehabt. Niemand war gefährlich verletzt. Die Geschlagenen und Betäubten erholten sich wieder, nahmen Trost an und hofften in wenigen Tagen geheilt zu sein. Alles fügte sich in seine Lage, und das Vergnügen wollte eben wieder seinen Lauf nehmen, als auf einmal von außen der entrüstet herrische Ruf erscholl: »Wo ist's? Wer hat die Frechheit gehabt« —

Ein Gendarm trat herein, nicht einer von den gutmüthigen und volksfreundlichen, wie es deren giebt, sondern ein grimmiger, der als Repräsentant des Gesetzes das Gefühl hatte, daß sich eigentlich Alles vor ihm verkriechen müsse. Er hatte, im Freien spatzierend, erst jetzt von der Schlägerei Kenntniß erhalten und eilte herbei, die Schuldigen herauszufinden und Anzeige zu machen. »Wer hat hier geschlagen? Wie ist der Streit angegangen? — Antwort!« Auf diese mit funkelnden Augen und vernichtender Miene herausgestoßene Rede, trat Michel großartig vor und sagte: »Ih ben's, der Streit ghett hot! — i hab a halbs Dutzet Kerl zammgschlaga' die auf me loasganga' send — ih alloe! Mei' Nam' ist Johann Michael Schwab, ond i ben vom Dorf. So, ietz woeß er, was er wissa' mueß. Ietz zoeg 'r me a', ond was m'r noch'm Rehcht ghöart, des will e haba'.« — Der Gendarm, von dem riesigen Burschen etwas imponirt, aber von dem Stolz dieser Rede noch mehr indignirt, versetzte streng und mürrisch: »Was ist das für a Rüpelei — Raufen!« — Schon war Michel bereit, dem Gendarmen hinauszugeben, was ihm nach seiner Meinung gebührte, als auf einmal ein junger Bursche aus der Menge heraus mit schelmisch heller Stimme rief: »Der Schneider hot a'gfangt!«

Allgemeines schallendes Gelächter folgte dieser Erinnerung an eine komische Wahrheit und ließ sich nicht mehr beruhigen. Der Gendarm[S. 394] fand für gut, sein strenges Wesen, auf das niemand mehr achtete, bei Seite zu setzen und mit pflichtmäßiger Ruhe die zu seiner Anzeige nöthigen Erkundigungen einzuziehen. Während dem faßte die Gret den Michel bei der Hand und sagte im Ton herzlichen Bedauerns: »Ietz kommst no' en O'gelegenheit, Michel — wega' mir! — 'S duet m'r wärle recht von Herza' Loed (Leid)!« — »Bah«, erwiederte der Bursche, — »da' Kohpf kost des no' lang net! — Ond wanns anderst ganga' wär' — ond wanns 'n kosta' dät, — 's dät me net ruia (reuen)!« — Das war ein Compliment für die Gret! — Das Mädchen fand, daß Michel auch besser reden könne, als alle Bursche, die sie bis jetzt gehört hatte — und ihre Freude kannte keine Grenzen.

Nach einer Weile finden wir das Paar auf dem Weg zu dem Hause Michels. Die Fischotterkappe und der abgerissene Juppenflügel hatten sich wieder gefunden und dieser war von der Gret angegluft worden, so daß unser Held mit Ehren durch die Gasse gehen konnte. Eine Ueberraschung war der Mutter freilich nicht mehr zu bereiten, denn Kasper, der Getreue, hatte sich schon zu ihr verfügt und ihr Alles erzählt. Die gute Alte fühlte eine unendliche Liebe zu der Gret. Wäre sie eine gebildete Frau gewesen, sie wäre der Schönen, Lieben und Klugen mit den zärtlichsten Ausdrücken um den Hals gefallen. Als ein Weib aus dem Dorfe, wo Umarmungen weniger vorkommen, ergriff sie die Hände der künftigen Söhnerin und preßte sie, während die herrliche Erfüllung des so lange versagt gebliebenen und schon aufgegebenen Herzenswunsches ihr Freudenthränen in die Augen trieb. »No«, rief der Sohn ihr vergnügt zu, »hab e net gsakt, daß i ebbes durchsetz', wann i amol drauf ausgang'?« — »Ja, des glob e«, erwiederte die Mutter, »wamma' des Glück hot, wo du ha'et ghett host; doh ka'n a'n ieder zu ebbes komma'!« — »Ja, lieba' Mueter«, versetzte Michel, »Glück mueß ma'n allweil haba', wamma'n ebbes durchsetza' will en dear schlechta' Welt! Ohne des got nex!« —

Wir brauchen nicht zu sagen, daß der wackre Vater der Gret, zu dem man sich gleich nachher verfügte, unserm Paar kein Hinderniß[S. 395] in den Weg legte. Er mußte sich am Ende auch sagen, daß der Michel als Mann der Gret eine bessere Figur mache als der gute Jakob. Nachdem er seine Einwilligung ertheilt hatte, sah er übrigens die Tochter lächelnd an und sagte; »O uir Weibsbildr, en ui kennt se doch koe Mensch aus!« — Michel, seinen Arm um die Geliebte schlingend, erwiederte heiter: »I moenet ietz doch, i dät me auskenna' en dear doh!« —


Unsere Geschichte ist zu Ende. Damals glaubte man nicht, daß die bürgerliche Gesellschaft in Gefahr sei, wenn bei einem Bauernfest eine kleine Schlägerei vorfiel. Man faßte bei Gericht die Sache von der heitern Seite auf und die Betheiligten kamen mit verhältnißmäßig leichten Strafen davon.

Auf den Schneider hatte die Erfahrung, die er machte, eine günstige Wirkung. Nachdem er als derjenige, welcher nachweislich zuerst geschlagen, auch noch am bedeutendsten gestraft worden war, fühlte er sich von dem »Spruhz«, der ihn bis dahin besessen hatte, so ziemlich geheilt. Er lernte sein Verhältniß zur Welt in richtigerem Lichte sehen und verzieh nach Art der gutmüthig eiteln Menschen nicht nur dem Michel, sondern auch der Gret, welche bei schicklicher Gelegenheit ihn herzlich um Verzeihung bat und hinzufügte: daß sie sich eine solche Freiheit nicht genommen hätte, wenn er nicht ihr Vetter und ihr außerdem als herzensguter Mensch bekannt gewesen wäre! — Bald nachher sagte der Gute zu seinen Kameraden: »Am End isch mei' Glück', daß e die net kriegt hab!« Und die Kameraden stimmten ihm lachend bei. In der Folge heirathete er eine Kleine, Feine und Gutmüthige, die ihn respectirte, und lebte als Dorfschneider zufrieden und glücklich.

Unser Paar feierte den Ehrentag noch in demselben Jahre. In der Zwischenzeit hatte die Gret den Michel so weit gebracht, daß er nach dem Heimgang von der Kirche zu allgemeinem Beifall mit ihr[S. 396] tanzte. Unter dem Gemurmel desselben sang Kasper, der Hochzeitknecht, mit fröhlicher Miene das Liedchen, womit wir Erzählung und Buch beschließen wollen:

Die ersten drei Reihen
Sind aus und vorbei,
Und nun steht das Tanzen
Jedem Anderen frei! —
deko

Berlin, Druck von W. Büxenstein.


Fußnoten:

[3] Von Düppel, einer Kopfkrankheit der Schafe, wobei sie sich wie blödsinnig benehmen.

[4] Er ist jetzt in eine hübsche Anlage verwandelt.