Title: Kongoerinnerungen
Zwölf Jahre Arbeit und Abenteuer im Innern Afrikas
Author: Paul Landbeck
Release date: March 26, 2025 [eBook #75721]
Language: German
Original publication: Berlin: August Scherl G. m. b. H, 1923
Credits: Peter Becker, Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)
Anmerkungen zur Transkription
Das Original ist in Fraktur gesetzt. Die Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden.
Worte in Antiquaschrift sind "kursiv" dargestellt.
Paul Landbeck
[S. 4]
Kongoerinnerungen
Alle Rechte, auch das der Übersetzung, vorbehalten.
Copyright 1923 by August Scherl G. m. b. H., Berlin.
Druck von August Scherl G. m. b. H., Berlin SW68.
Zwölf Jahre Arbeit und Abenteuer
im Innern Afrikas
Von
Konsul Paul Landbeck
August Scherl G. m. b. H., Berlin SW68
Dies Buch widme ich allen Lesern, die die Sehnsucht in die Ferne, diesen Grundzug deutschen Wesens, in sich fühlen. Möge es insbesondere mit dazu beitragen, dieses Gefühl im Herzen der deutschen Jugend, denen die heute verschlossene Welt einst wieder offenstehen wird, zu wecken und wachzuhalten.
Mich selbst, der ich nun schon seit Jahren jener wilden, abenteuerlichen Umwelt entrückt bin, die während des besten Teiles meiner Jugend mir Heimat war, hat bei der Niederschrift meiner Erinnerung oft so etwas wie Heimweh erfaßt.
Wenn sich auch mein Buch in erster Linie an einen weiteren Leserkreis wendet, so darf ich mir wohl schmeicheln, daß auch der Kaufmann, ja auch der Forscher manches Wissenswerte meinen Berichten entnehmen wird. Ist doch jede Zeile auf eigener Anschauung, eigenem Erleben gegründet.
An dieser Stelle sei auch Herrn Dr. Karl Soll, der sich mit regem Eifer und eingehender Sachkenntnis der Durchsicht meines Werkes unterzogen hat, mein herzlicher Dank für seine mühevolle Mitarbeit zum Ausdruck gebracht.
Der Verfasser
Seite | |
Einleitung | 11 |
An Bord des Dampfers »Albertville« | 13 |
Auf hoher See. Die Kanarischen Inseln | 15 |
Freetown. Äquatortaufe | 21 |
Ankunft in Banana | 27 |
Meine erste Beschäftigung. Ein Jagdausflug | 30 |
Die Fahrt nach Fuca-Fuca. Faktoreibeamter | 33 |
In Boma. Eine Nilpferdjagd | 51 |
Produktenhandel mit den Eingeborenen | 57 |
Die Fahrt zum Stanley-Pool. Leopoldville. Brazzaville | 65 |
Die Fahrt zum oberen Kongo. Die Faktorei Stanleyville | 77 |
Erste Besuche bei den Araberhäuptlingen | 95 |
Das Leben auf der Faktorei. Zwei Leopardenbesuche | 108 |
Eine Fahrt zum ersten Stanleyfall. Fieberkrank | 128 |
Faktoreichef. Reisen ins Innere des Landes | 138 |
Einiges über die Gewinnung des Kautschuks | 174 |
Faktoreichef. Tausend gefährliche Seuchen. Heimreise | 179 |
Abergläubische Vorstellungen der Neger | 186 |
Negermärchen | 191 |
[S. 11]
Es wird manche Leser, insbesondere solche, die selbst eine koloniale Laufbahn anstreben, interessieren, welche Vorbildung der Verfasser dieser Erinnerungen genossen hat.
In Wien im Jahre 1877 geboren, absolvierte ich dort die Volks- und ersten Realschulklassen. Da ich von Kind auf ein äußerst lebhaftes Temperament hatte und viel mehr zu allen möglichen tollen Streichen als zum ernsten Studium aufgelegt war, wurde ich als Unruhestifter von zwei Realschulen weggewiesen, was meinen Vater veranlaßte, mich im Alter von zwölf Jahren in stramme »deutsche Zucht«nach Deutschland zu einem Professor in Pension zu geben. Unter strenger Aufsicht absolvierte ich in Halle meine Einjährigen-Prüfung, ging von dort für eineinhalb Jahre in die französische Schweiz, um mich in der französischen und englischen Sprache gründlich auszubilden, und kehrte dann nach Wien zurück, wo ich meine kaufmännische Laufbahn bei einer großen Kaffee-Importfirma begann. Lange hielt es mich hier nicht. Der Trieb nach Übersee war stärker als das Gefühl des Wohlbehagens im Familienkreise. Nach kaum einjähriger Lehrzeit bot sich mir Gelegenheit, unter günstigen Bedingungen meine Laufbahn bei einer großen Firma der gleichen Branche in Amsterdam mit der Aussicht fortzusetzen, nach ein- bis zweijähriger Vorbereitung auf eine der Kaffeeplantagen, die mein Chef in Holländisch-Indien besaß, als Verwalter hinauszukommen. Doch das Schicksal wollte es anders.
Im Jahre 1896/97 trat eine große Kaffeekrise ein, bei welcher viele bedeutende Unternehmen — darunter auch die Firma, bei der ich in Stellung war — binnen wenigen Monaten zugrunde gerichtet wurden. Die Kaffeeplantagen auf Java gingen in andere Hände über oder wurden ganz aufgelassen und zu anderen Kulturen, z. B. Kautschukplantagen, umgearbeitet. Eine Annonce der holländischen[S. 12] Gesellschaft N. A. H. V. (Nieuwe Afrikaansche Handels Vennootschap) und die zufällige persönliche Bekanntschaft mit einem ihrer früheren Direktoren, dessen Erzählungen meine jugendliche Phantasie gefangennahmen, brachten mich auf den Gedanken, mein Glück im Innern Afrikas zu versuchen und mich um die ausgeschriebene Stelle zu bewerben.
Meine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt, und nun begann für mich ein Leben voll von harten Prüfungen, von Entsagungen jeglicher Art, von Kämpfen gegen heimtückische Seuchen, Gefahren des Urwaldes, aber auch von Stunden der höchsten Befriedigung. Kann es etwas Schöneres geben als den Gedanken, Vorkämpfer und Träger der Zivilisation in Gegenden gewesen zu sein, in welchen bis zum heutigen Tage der Kannibalismus herrscht, als Pionier der friedlichen Arbeit und des Fortschritts aufklärend gewirkt zu haben unter Völkern, die — auf der tiefsten Kulturstufe stehend — von ihren Medizinmännern zu Tausenden hingemordet und im Schreckenswahn der Abhängigkeit von bösen Geistern gehalten werden?
[S. 13]
Der Hafen von Antwerpen feierte am 5. Juli 1897 einen Festtag. Die schmalen, zumeist nur zwei Stock hohen charakteristisch flandrischen Giebelhäuschen entlang der Schelde prangten in herrlichstem Flaggenschmuck. Lustig flatterten die Fahnen sämtlicher Nationen der Welt aus den Dachluken der Häuser und von den Masten der an den Kais verankerten Ozeanriesen und verliehen dem Hafen durch ihre leuchtenden Farben ein anmutiges Gepräge.
Eine Fahne vor allem fesselte sofort die Aufmerksamkeit des Fremden: ein leuchtend gelber fünfzackiger Stern auf himmelblauem Untergrund, die Fahne des belgischen Kongostaates. Sie war neben den belgischen Nationalfarben am häufigsten vertreten, und ihr zu Ehren galt auch die heutige Festtagsstimmung, veranlaßt durch die Abreise des Passagierdampfers »Albertville« nach dem zweiten Belgien am Äquator, dem Kongostaate, dieser Perle Zentralafrikas.
Auf der breiten Straße entlang den Kais, die sonst, von Lastfuhrwerken und der Hafenbevölkerung abgesehen, ziemlich vereinsamt und abseits vom großen Verkehr liegt, herrschte ein lebhaftes Treiben. Automobile, Straßenbahnen und Droschken, vollgepfropft mit Menschen und beladen mit Gepäckstücken aller Art, füllten den Straßendamm und kamen infolge des großen Verkehrsandranges und der sorglos dem gleichen Ziel zustrebenden Menschenmassen nur langsam vorwärts.
Vor dem Schiff, das am Kai Plantin vertaut lag, nahm das Gedränge und Gestoße der unübersehbaren Menge geradezu bedrohliche Formen an. Ein Trupp berittener Polizei hielt den Zugang zum Schiff besetzt und bildete Spalier zu beiden Seiten einer Gasse, die nur von Leuten mit ordnungsmäßigem Passagierschein betreten werden durfte.
Auch an Bord des Dampfers »Albertville« herrschte dichtes Menschengewühl. Männer, Frauen und Kinder aller Gesellschaftsklassen,[S. 14] dazwischen bunte Uniformen, stürzten und hasteten durcheinander, große Gepäckstücke wurden unter dem Kettengerassel der Winden in den Bauch des zur Abfahrt bereiten, unter Dampf zitternden schwimmenden Kolosses gebracht.
Während am Kai die Menge dem Treiben, Hasten und Jagen bei den Klängen einer Regimentskapelle zusah, fanden an Bord herzzerreißende Abschiedsszenen statt. Hier umarmte eine Mutter, ganz in Tränen aufgelöst, ihren Sohn, dort, in einer Ecke, weinte ein Greis am Halse seines einzigen Kindes, weiter drüben, in Trauergewändern, sah man eine tiefgebeugte Witwe mit zwei Kindern und ihrem Ältesten, der Familie Hoffnungsstrahl und Ernährer, der seine bescheidene Beamtenstelle in Belgien mit einem gutdotierten Überseeposten eingetauscht hatte, um seine Lieben daheim vor Armut und Not zu bewahren.
Die Dampfpfeife ließ in dem Chaos ihre tiefe Baßstimme ertönen und mahnte zum Aufbruch. Kurze Kommandoworte erklangen; die Laufbrücke wurde eingezogen, nachdem die letzten Nachzügler, die sich von den davonreisenden Söhnen, Enkeln oder Neffen absolut nicht trennen konnten, von den diensthabenden Offizieren höflich, aber bestimmt von Bord geleitet waren.
Einige schrille Pfiffe, ein leichtes Zittern und Beben unter den Füßen — der Herzschlag des schwimmenden Riesen —, und unter dem Hurrageschrei und Tücherwinken der vieltausendköpfigen Menge, die das ganze Ufer, die Kais und Hafenanlagen wie eine Ameisenschar bevölkerten, ging es langsam die Schelde hinab. An der Stelle, an der der Dampfer gelegen, schwammen Hüte, Kappen und Taschentücher, die beim stürmischen Abschiednehmen verlorengegangen waren, friedlich nebeneinander.
Lange noch stand ich, in tiefes Sinnen versunken, an der Bordbrüstung und blickte hinab auf den träge dahinfließenden Strom. Das Bewußtsein dessen, was um mich vorging, schwand. Allein, völlig allein, fern von Familie und jeglichem Schutz, ging ich einem ungewissen Schicksal entgegen. Grau in grau, gleich jenen Nebelschwaden, die bei Einbrechen der Dunkelheit sich über den Fluten ausbreiten, lag die Zukunft vor mir.
Während ich, in trübe Gedanken versunken, vor mich hinstarrte, trat mein Reisegefährte, Herr Lukas, ein alter erfahrener Afrikaner, zu mir. Gemeinsames Leid bringt die Menschen merkwürdig rasch einander näher. Auch er kam, wie ich, ohne Eltern an Bord, da[S. 15] er aus dem Norden Hollands stammte und seine beiden Eltern die weite Reise nicht mehr machen konnten. Auch ihm waren die Abschiedsszenen, deren Augenzeuge er gewesen, nahegegangen, und ganz in sich versunken, meinte er: »Wie viele werden die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen, wie viele gesund zurückkehren? — Kaum zehn Prozent!«
Dieser Ausspruch des ernsten, erfahrenen Mannes ließ mich erschauern. Die Zukunft sollte mich lehren, daß dieser Prozentsatz sogar noch zu hoch gegriffen war.
Wir waren nachmittags 2 Uhr abgefahren. Abends 9 Uhr fuhren wir an Vlissingen vorbei, und bald darauf war an der scharfen Brise und an dem Schaukeln des Schiffes zu merken, daß wir uns auf hoher See befanden und in den Ärmelkanal eingefahren waren.
Die ersten Symptome der Seekrankheit stellten sich ein: Schwindel, ein unsagbar elendes Gefühl der Verlassenheit, schließlich vollständiges Erschlaffen jeder Widerstandskraft und das stille Ergeben in das Schicksal. Auf Anraten meines Reisekollegen hatte ich mich beizeiten mittschiffs auf dem Promenadendeck in meinen Streckstuhl gelegt und verbrachte da den größten Teil des Tages mit geschlossenen Augen. Es war übrigens herrliches Wetter, und eine steife Brise wehte von Norden her. In der Ferne, zur Rechten, die von der Brandung umspülten Küsten Englands, zur Linken eine unermeßliche Wasserwüste, von Zeit zu Zeit von Seglern, Fischerkuttern und Dampfern belebt. Wir passierten Brighton und liefen in den Golf von Biscaya ein.
Hier begann nun der eigentliche Neptunsreigen. Dieser Teil des Meeres ist unter den Seeleuten ganz besonders berüchtigt. Lange Wogen brachen sich am Bug des Dampfers, das ganze Vorderdeck mit Gischt und Sprühregen überschüttend. Tief tauchte der Bug des Schiffes in die gähnende Wasserfurche, um von der nächsten Woge haushoch emporgehoben zu werden. »Stille See« nennen die Seeleute, was wir in den nächsten acht Stunden durchzuhalten hatten. Eine bleierne Schwere lastete auf meinem Kopf, und im Innern verspürte ich das Gefühl, als ob sämtliche Eingeweide durcheinandergeworfen und verdreht worden wären.
[S. 16]
Als ich am nächsten Morgen nach langem, tiefem Schlafe erwachte, hatte ich das unangenehme Gefühl der Seekrankheit völlig abgestreift, und nach einem erfrischenden Bad genoß ich bei herrlich strahlender Sonne das vielgepriesene, wonnige Gefühl einer Seereise. Um uns her nichts als das weite, in Sonne getauchte Weltmeer, über uns südlicher, wolkenloser Himmel. Auch das störende Schaukeln schien etwas nachgelassen zu haben, oder wir hatten uns derart daran gewöhnt, daß wir es nicht mehr merkten. Nach dem Frühstück hielt ich Umschau unter meinen Mitpassagieren und ließ mich von meinem Reisebegleiter Lukas, der bereits die Bekanntschaft des Kapitäns, sämtlicher Offiziere und Notabilitäten gemacht hatte, den Mitreisenden vorstellen. Der Vormittag verging mit »Shevel board«, einer Art Krocketspiel, welches an Bord von Schiffen allgemein getrieben wird, sowie mit dem »Jeu de palais«[1] um den Cocktail zur Aperitifstunde[2], in welchem Spiel besonders die Offiziere eine erstaunliche Gewandtheit besitzen.
Nachmittags kamen die Küsten Spaniens in Sicht. Wir passierten das Kap Ortegal und das Kap Finisterre, und unsere Augen weideten sich an den majestätischen Felsen, an deren Fuße die wilde Brandung tobt. Reizende Schlößchen, wie aus Gold ziseliert, von den Sonnenstrahlen überflutet, stehen trotzig und zugleich zierlich auf ihren Hängen — véritables chateaux d'Espagne. — Unwillkürlich tauchten Bilder aus vergangener Zeit vor meinen geistigen Augen auf, wo stolze Ritter und Knappen diese Burgen belebten und Spaniens Macht sich über die ganze Welt erstreckte. Bald schwanden auch Spanien und Portugal — mit Cap da Roca — aus unserem Gesichtskreis.
Da, mit einem Male, große Bewegung an Bord! Alles stürzte nach vorne an die Reling. Eine muntere Schar von Delphinen umtummelte in weitem Bogen unser Schiff. Wie Pfeile schossen die gewandten, fünf bis sechs Meter langen Walzen bis zu Meterhöhe über die Wasserfläche, knapp am Bug des in voller Fahrt befindlichen Schiffes vorbei, gleichsam eine Probe ihrer Geschicklichkeit und Schnelligkeit abgebend.
Am ersten Sonntag, den wir an Bord feierten, hatte sich sämtlicher Passagiere eine merkwürdige, weihevolle Stimmung bemächtigt.[S. 17] Um 10 Uhr fand eine Messe statt, an der ich, obgleich ich für gewöhnlich kein Kirchenbesucher bin, aus Neugierde teilnahm. Alle Passagiere und Offiziere des Schiffes sowie ein Teil der Mannschaft, soweit sie der Dienst nicht in Anspruch nahm, waren anwesend, und unter einer feierlichen Stimmung, wie ich sie am Festlande nie empfunden, ging die gottesdienstliche Handlung vorüber. Auch nach der Messe gehobene Sonntagsstimmung. Die Spielplätze für das Shevel board und das Jeu de palais, welche bisher stets eine übermütig lustige Gesellschaft vereinigten, blieben vollständig verwaist; die sonst so frohsinnigen, lebenslustigen Gesichter zeigten ernste Mienen; man plauderte im Flüsterton, um diejenigen nicht zu stören, die mit dem Prayerbook oder Brevier in der Hand, in Gedanken versunken, auf und ab schritten. Mich als Fremden, der mit den englischen Sitten und Gebräuchen völlig unbekannt war, mutete all dies sonderbar an. Ich benutze die Gelegenheit, einiges über unser Schiff zu sagen.
Belgien besitzt keine eigentliche Handelsmarine. Ein großer Teil der unter belgischer Flagge laufenden Schiffe ist englischen Ursprunges und von belgischen Reedereien gechartert. Dies traf auch auf unser Schiff »Albertville« zu. Es war ein modern ausgestattetes Passagierschiff der »Compagnie Belge Maritime du Congo« für den regelmäßigen Dienst Antwerpen-Kongo, mit etwa 6700 Tonnen Laderaum. Der Kapitän, sämtliche Offiziere und ein Teil der Mannschaft waren Engländer, während der Rest, in Antwerpen angeheuert, zumeist aus Flamen bestand. Der Dampfer lief durchschnittlich zwölf Seemeilen, besaß zwei übereinandergebaute Promenadendecks mittschiffs und faßte 48 Kabinen erster und 36 Kabinen zweiter Klasse. Wenn er auch mit den in der neueren Zeit konstruierten Ozeanriesen im Verkehr mit Amerika keinen Vergleich aufnehmen konnte, so enthielt er doch an Komfort alles, was man durchschnittlich bei nicht allzu unbescheidenen Ansprüchen verlangen konnte.
Nach drei langen Tagen und Nächten, in denen wir nichts als das unermeßliche Weltmeer um uns und einen wolkenlosen Himmel mit seinem tiefen, reinen Blau über uns gesehen hatten, näherten wir uns den Kanarischen Inseln. O Insel der Seligen, Oase in dieser Wasserwüste, wie schlugen dir alle unsere Gedanken, all unser Sehnen entgegen!
[S. 18]
Wir sollten in der Nacht eintreffen; die Aufregung an Bord gegen Abend wuchs von Minute zu Minute. Das Diner, sonst eine Stunde üppigen Wohlbehagens, wurde in aller Eile eingenommen, und alles stürmte an Deck. Die Nacht war inzwischen hereingebrochen, eine milde, tropische Nacht, der Himmel mit strahlenden Sternen übersät, eine Nacht so recht geeignet zum Träumen. Ich schob meinen Lehnstuhl ganz nach vorne an die Brüstung, und mein vereinsamtes Herz hielt Zwiesprache mit den Gestirnen. Langsam stieg aus dem Meeresspiegel der Vollmond hervor, mit seinen silbernen Strahlen eine leuchtende Bahn über die Wasserfläche zu uns herwerfend, und in seinem zarten Schimmer erglänzten die Mastspitzen unseres Schiffes in mildverklärtem Licht. Allmählich erschienen am Horizont kleine Wolkengebilde, die langsam sich immer mehr zu einem Ganzen ballten. Bald unterschied das Auge auf diesen Lichter, und mit einmal kam die Erkenntnis: dies ungewisse Etwas sind nicht Wolken, sondern gigantische Felsmassen, die aus dem Meer emporragen. Wir nahten uns unserem Bestimmungsort; bald kamen wir ganz nahe heran und konnten die gewaltigen Massive genau unterscheiden, die sich vor unserem Bug etwas verflachten. Zur Linken, auf einem Abhang, der sich wie eine Landzunge weit hinaus ins Meer erstreckt, konnten wir viele Tausende kleiner Lichter wie Leuchtkäfer wahrnehmen.
Ein Klingeln »Stop« von der Kommandobrücke, die Schraube hielt für einen Augenblick inne; ein Lotse kletterte an Bord, und unter sicherer Führung fuhren wir in die kleine Bucht ein und warfen Anker. Wir waren in Las Palmas. Es war inzwischen 12 Uhr nachts geworden, und da keine Dampfbarkassen zum Ausbooten vorhanden waren, suchten wir unsere Ruhestätten auf.
Morgens 1/2-5 Uhr erwachte ich vom Lärm und Getrappel an Bord. Ich begab mich sofort an Deck, und das Panorama, das sich vor meinen staunenden Augen entrollte, war ein geradezu überwältigendes. Hinter den ersten Felspartien, deren Umrisse bereits in der Nacht sichtbar waren, erhob sich Spitze auf Spitze, Gebirge auf Gebirge, die höchsten Spitzen teils noch von Wolken eingehüllt. Arenenartig sind auf den verschiedenen Kuppen und Höhen kleine Forts errichtet, deren Kanonen in der aufgehenden Sonne blinkten. Bald erschien eine Unmenge kleiner Boote, deren braune Insassen wie Affen zu uns an Bord kletterten; und nun begann ein[S. 19] Schnattern und Feilschen dieser kleinen Gesellen, um uns in ihren Nußschalen an Land zu bringen. Da wir bis 1 Uhr mittags hier liegenblieben, um Kohlen einzunehmen, begab ich mich mit drei Reisegefährten, einem schwedischen Hauptmann, meinem holländischen Afrikaner Lukas und Baron Misco, einem Italiener — in späteren Jahren Staatsprokurator des Kongostaates — in einem dieser kleinen Boote an Land.
Am Hafen erwartete uns bereits ein vierspänniger Wagen, der uns in die Stadt hineinbringen wollte. Mißtrauisch musterten meine Gefährten das Vehikel, dem wir unser Leben anvertrauen sollten: eine elende, wacklige Kutsche, aus dem vorigen Jahrhundert stammend, vernachlässigt und zusammengeflickt, gezogen von vier staubigen, verhungert aussehenden Rosinanten und geführt von einem fortwährend fluchenden, verlotterten Spanier mit einem riesigen Manilahut, unter dem der Kopf fast vollständig verschwand. So ungefähr sah die Equipage aus, in der wir scharf an den Klippen und Felsen entlang wie vom Teufel besessen dahinsausten, bei jedem Anprall an einen größeren Stein uns gegenseitig um den Hals fallend.
[S. 20]
Bald erreichten wir die Stadt, ein winkeliges Gewirr von Straßen und niederen, nach orientalischer Art in hellen Farbentönen gehaltenen Häusern. Wir passierten ein bis zwei verlassene »Plazzas«, ein ausgetrocknetes Flußbett, an dem gearbeitet wurde, und landeten schließlich in einem der englischen Hotels. Nach kurzem Imbiß bummelten wir in Begleitung des belgischen Konsuls durch die Stadt.
Diese besteht aus der sogenannten Altstadt und dem Fremden- und Geschäftsviertel. Die Altstadt ist entschieden der interessantere Teil, und diesem wandten sich unsere Schritte zu. Die in amphitheatralischer Anordnung in die Felsen gehauenen Wohnstätten der Ureinwohner haben sich als solche bis heute erhalten. Als einzige Errungenschaft der Neuzeit ist eine Art Vorbau aus Lehm und Erde, mit grellen Farben angetüncht, hinzugekommen, um zu verhüten, daß Wind und Regen direkt in die Behausung hineinschlagen. In diesen Höhlen, die aus einem oder höchstens zwei Räumen bestehen, wohnen ganze Familien. Die Kinder, zum Teil völlig unbekleidet, spielen vor den Eingängen oder laufen bettelnd auf den Straßen den Fremden nach. Diese terrassenförmig übereinanderliegenden Höhlen sehen aus der Ferne höchst pittoresk aus; wenn man sie aus der Nähe betrachtet, bemerkt man, das sie von Schmutz und Unrat starren und von Ungeziefer wimmeln.
Das Geschäfts- und Fremdenviertel ist ein Gewirr von kleinen, flachen, anspruchslosen Häuschen, die sich um die Kathedrale, das Rathaus und die Garnisonkaserne planlos herumgruppieren und ohne jegliches Interesse sind. Als Sehenswürdigkeit hervorzuheben ist einzig und allein die Kathedrale, ein aus dem Mittelalter stammender Bau mit reichgeschnitzter Kanzel und alten Meisterwerken im Innern.
Wir besuchten den Fruchtmarkt, wo tausende Bushels Bananen, Ananas, grüne Feigen, Kürbisse, Melonen und Mangos, die die Landbevölkerung aus dem Innern auf Mauleseln und Tragtieren herangebracht, von europäischen Händlern aufgekauft werden, um mit dem nächsten Dampfer über England nach dem Kontinent weiterzuwandern. Hinter den zu Bergen aufgehäuften Früchten stehen die Verkäuferinnen, ganz nach orientalischer Art in wallende weiße Tücher gehüllt, und bieten ihre Waren mit lautem Geschrei aus.
Wenn auch im allgemeinen die Züge, vor allem der Frauen, sehr rasch verblühen und verrohen, findet man doch auch mitunter Mädchen[S. 21] darunter, die geradezu ein Schönheitsideal darstellen. Üppiges schwarzes Haar, feurige dunkle Augensterne mit blendend weißem Augapfel, stolz und edel geformte Gesichtszüge, zierlich kleine Hände und Füße und eine leicht gebräunte Haut sind die Kennzeichen des Schönheits-Typus der Inselbewohner, ganz im Gegensatz zu den eingewanderten Spanierinnen, welche sich durch die auffallend weiße Gesichtsfarbe von ihnen unterscheiden.
Ehe wir an Bord zurückkehrten, besorgten wir noch einige Einkäufe, und ich hatte dabei oftmals Gelegenheit zu bemerken, daß die Leute, die trotz des großen Fremdenverkehrs in bezug auf Sprachkenntnisse geistesfaul sind, doch ganz genau verstehen, ihren Vorteil zum Schaden der Fremden zu wahren und sie tüchtig übers Ohr zu hauen.
Unser Dampfer war bis zum Augenblick der Abfahrt von einem Schwarm kleiner Boote belagert, deren Insassen verzweifelte Anstrengungen machten, uns Passagieren Tabak und Zigarren, Kanarienvögel und Madeirahündchen aufzuschwatzen oder nach den ihnen zugeworfenen Münzen zu tauchen. Ganz erstaunlich war die Gewandtheit und Ausdauer, mit welcher diese kleinen, braunen Gesellen aus beträchtlicher Höhe kopfüber ins Wasser sprangen und die blitzenden Geldstücke aus ansehnlicher Tiefe herausholten.
Fußnoten:
[1] Ein Wurfspiel mit Bleischeiben.
[2] Eine halbe Stunde vor der Mahlzeit wird ein Appetit anregendes Getränk verabfolgt.
In den nächsten Tagen umfing uns tropische Hitze, die die meisten Passagiere zwang, ihr europäisches Kostüm gegen die schmucke weiße Tropentracht zu vertauschen. Fliegende Fische kamen nunmehr in ganzen Scharen vor. Sie flohen entsetzt vor unserem Dampfer und strichen tänzelnd über die Wasserfläche. Des Nachts wurden sie durch unsere Lichter angelockt und fielen dann an Deck. Am 16. Juli früh erschien zum ersten Male die Küste Afrikas, das felsige Kap Verde und in der Ferne eine der Kapverdischen Inseln. Die Gegend schien trostlos öde und sandig zu sein und war nur mit spärlichen Kokos- und Dattelpalmen bedeckt.
Am 18. Juli betraten wir — in der Sierra Leone — zum ersten Male afrikanischen Boden, und mein Herz hüpfte und jauchzte im Vorgefühl herrlicher Stunden. Doch das afrikanische Klima, die[S. 22] feuchte, heiße Luft, die ungewohnte Ausdünstung der vielen nackten Negerleiber hatten eine derart erschlaffende Wirkung auf mich Neuling, daß es schwer hielt, die Unmasse neuer Eindrücke festzuhalten.
Während in Las Palmas ungeheure Felsenmassen unbewaldet gen Himmel ragen, scheint hier die Natur ihr möglichstes in der Vegetation getan zu haben. Stufenweise ragen mächtige Berge mit üppigem Grün in allen Schattierungen aus dem in der Sonne leuchtenden Meeresspiegel empor. Unser Auge labte sich nach dem Anblick der glitzernden Wasserflächen an dem saftigen Grün der Palmen und des Urwaldes. Einen echt tropischen Anblick gewährt das an einer Berglehne im Schatten schlanker Dattel- und Kokospalmen liegende Freetown, dessen Häuser mit den weißen, unter dem Grün hervorleuchtenden Dächern einzelner Faktoreien untermischt sind. Mein erster Eindruck beim Betreten dieses Landes war: Hier ist das Paradies auf Erden — hier laßt uns Hütten bauen. Die Flora steht auf höchster Stufe. Aus dem saftigen Grün der schattigen Mangos, Goyaven und Alven schießen, gleich mächtigen Feuergarben »Flamboyants«, Jasmin, Goldregen und Lilas sowie eine Menge mir unbekannter exotischer Pflanzen in leuchtenden Farben empor. Die Luft ist erfüllt von dem Duft tropischer Blüten, die, von Menschenhand aus dem Urwald herbeigeholt, in verschwenderischer Pracht, sowohl im Park des Regierungsgebäudes als in den vielen kleinen Gärten und Anlagen angepflanzt sind. Auf den Häusern und im Schatten der Palmen sitzen melancholisch große Adler und eine kleine Art Kondor mit braunem Gefieder, weißer Halskrause und weißem Hals und Kopf, die — wie die Hunde Konstantinopels — für die Reinlichkeit der Straßen sorgen. Sie gehören dort ebenso wie zahme Affen und Papageien, die sich auf den Palmen und den Schlingpflanzen schaukeln und klettern, zu den Haustieren.
Doch bald nach Betreten des Landes, vor allem, wenn um die Mittagszeit die sengenden Sonnenstrahlen die Glieder erschlaffen, und die feuchtheiße, von fremdartigen Gerüchen durchschwängerte Luft einem den Atem benimmt, merkt man, daß dieses von der Natur so herrlich bedachte Land giftige Keime für den Fremden in sich birgt.
Die Stadt besteht aus einem Kunterbunt von kleinen ebenerdigen Lehmhäuschen in allen möglichen Stilarten, vorwiegend »à la marocaine« gebaut, sowie Hütten, aus alten Kisten errichtet, an[S. 23] deren Außenseite noch die Bestimmungsadresse ersichtlich ist, mit Dächern aus getrockneten Palmblättern. Ich bemerkte außerdem noch das Garnisongebäude, drei kleine Forts und eine Anzahl Kirchen, in denen gesungen und gepredigt wurde. Das Volk spricht durchweg außer der Eingeborenensprache ein fürchterliches »Pidgin-Englisch«.
Der Tag unserer Ankunft war ein Sonntag, und der Anblick der in Festtagsgewänder gehüllten Bevölkerung war ein unbeschreiblich komischer — der reinste Fastnachtstaumel. Was da an Phantasietoiletten in den schreiendsten, grellsten Farben geboten wurde — vom Talmi-Gentleman in Frack, grauem Zylinder, roter Krawatte und hellgelben Schuhen, bis zum halbnackten Baby mit überhängendem Bauch und grellen Strümpfen und Schuhen — davon läßt sich eine Beschreibung überhaupt nicht geben. Die Neger dieser Küste, sowohl Männer wie Frauen, sind überaus putzsüchtig und eitel; sie geben den letzten Groschen ihres Verdienstes hin, um sich gegenseitig auszustechen. Bei ihrer Vorliebe für leuchtende Farben kommen dabei die unmöglichsten Toiletten heraus. Derart in Festtagsgewänder gehüllt, tragen sie eine gemessene Miene zur Schau und sind[S. 24] tiefgekränkt, wenn sie nicht vollwertig als Gentleman und Lady genommen werden.
Wir nahmen hier etwa 70 dieser Gentlemen als Arbeiter zum Aus- und Einladen des Dampfers bei der Ankunft im Kongostaate an Bord. In den modernsten nagelneuen Kostümen, mit Lackschuhen, weißer Weste, weißen oder feuerroten Glacéhandschuhen kamen sie an Bord, hinter sich einen Boy mit leerem Schiffskoffer. In diesen wanderten eine halbe Stunde nach ihrer Ankunft all die Herrlichkeiten des äußeren Menschen, mit ihnen aber auch der Gentleman, und an seine Stelle trat, teils halbnackt, teils in alte zerrissene Fetzen gehüllt, der Neger.
Doch zurück nach Freetown. In unseren neuen Tropenkostümen wanderten wir durch das Gewirr von Gäßchen. Es ist geradezu unglaublich, in welchem Elend, Schmutz und Unrat diese Talmi-Gentlemen leben. Vor den Häusern, auf den Straßen, überall liegen die Abfälle, und wären nicht die »Charognards« (Aasgeier), die morgens und abends darunter aufräumen, so würden unbedingt Seuchen entstehen.
Nur allzubald ertönte die Schiffskanone als Zeichen der Abfahrt, und wir mußten an Bord zurück. Hier fanden wir das ganze Zwischendeck von den Gentlemen in Beschlag genommen, die, wilde Grimassen schneidend, zankten und quakten, wie ein Heer schnatternder Gänse. Gegen 7 Uhr abends, kurz nach Sonnenuntergang, legte sich der allgemeine Lärm, und beim Klang von Gitarren und Ziehharmonikas begann ein aus der Mitte der Neger entstandener Chor allerhand schwermütige Weisen zu singen, die mir bei diesen herrlichen Tropennächten sehr zu Herzen gingen.
Der 23. Juli war einer der heitersten und gemütlichsten Tage, die ich während dieser Fahrt verbracht habe, und wenn auch der gute Neptun so manchen Kopf und Magen, darunter auch den meinen, arg zugerichtet hat, so kam ich doch als einer der ersten ziemlich glimpflich davon und konnte mit Schadenfreude wahrnehmen, daß es den »Nichtfreiwilligen« bedeutend schlechter ergangen war. Am Abend vorher, um 8 Uhr — wir saßen gerade beim Diner — erdröhnte plötzlich ein Kanonenschuß. Die Schiffsschraube hielt für kurze Zeit, und bald darauf erschien ein Meerungeheuer als Abgesandter Neptuns, ließ sich beim Kapitän melden und überreichte ihm ein Protokoll, in welchem Neptun seiner Freude darüber Ausdruck gab, daß wir diese Breiten, die die Weltkugel in 2 Teile zerlegen,[S. 25] besuchten. Zugleich kündete er für den folgenden Tag seine Ankunft nebst Gattin und Gefolge an und empfahl inzwischen Fasten und Beichten, damit wir, aller Sünden rein, die Taufe glücklich bestehen würden. Nach dem ersten Schreck war alles in hellster Aufregung, denn die meisten Passagiere faßten diese Zeremonie, von der sie bereits vorher gehört hatten, als eine höchst unangenehme Prozedur auf. Schaudergeschichten, die dem Neuling die Haare zu Berge stehen lassen, wurden bei dieser Gelegenheit von den alten Afrikanern erzählt.
Der schicksalsschwere Tag brach an. Gegen 10 Uhr passierten wir San Thomé. Der Äquator berührt die Insel, die eine der schönsten und fruchtbarsten Afrikas sein soll. Da der Nebel sie völlig einhüllte, war leider nur die höchste Spitze, »La Dent du Chien«, sichtbar. Während der Kapitän den Neulingen den Äquator durch ein eigens zu diesem Zweck eingestelltes Fernrohr zeigte, auf welchen Spaß auch richtig Verschiedene hineinfielen, traf die Mannschaft heimlich alle erdenklichen Vorbereitungen zum würdigen Empfange Neptuns. Das Vorderdeck des Schiffes wurde mittels wasserdichten Segelleinens zu einem Bassin umgewandelt und angefüllt. Um 3 Uhr nachmittags erdröhnte wieder ein Kanonenschuß; der feierliche Moment nahte; bang klopften alle Herzen; Neptun mit dem Dreizink — ein ehrwürdiger Meergreis — mit Gemahlin, Doktor, Einseifer und Barbier sowie einem großen Gefolge von Soldaten erschien am Schiff, besichtigte dasselbe und begrüßte den Kapitän. Unter ohrenbetäubendem Tamtam aus allen möglichen und unmöglichen Blechgefäßen und Trommeln wurden sämtliche Passagiere mit Namen aufgerufen und im Halbkreis um das Bassin aufgestellt. Mit Ausnahme der Damen, denen man gestattete, sich in ihre Kabinen einzuschließen, wurde niemand verschont. Die Soldaten durchsuchten das ganze Schiff und brachten alle Neulinge, die sich angsterfüllt verkriechen wollten, auf Deck.
Auf Anraten meines afrikanischen Freundes hatte ich mich freiwillig als erster gemeldet. Nachdem Neptun eine feierliche Anrede an mich gehalten hatte, deren Sinn ich in der ungeheuren Aufregung, die sich meiner bemächtigte, nicht begriff, bekam ich vom Doktor, der mich auf meine Widerstandsfähigkeit untersucht hatte, eine Pechpille in den Mund geschoben. Als nächste Prozedur schmierte mir der Barbier mit einem riesigen Pinsel eine übelriechende, klebrige Masse im Gesicht, auf Kopf und Nacken herum,[S. 26] die er mit einem großen, aus Holz hergestellten Rasiermesser zum Teil abscheuerte. Im nächsten Moment fühlte ich mich von kräftigen Händen mit einem Ruck ins Wasser gestürzt, daß mir Hören und Sehen verging, und ich glaubte, meine letzte Stunde sei gekommen. Ich wurde 5- bis 6mal untergetaucht, dann hinausgehoben, und ehe ich noch recht gewahr wurde, wo ich war, steckte ich in einem etwa 6 Meter langen Schlauch, gerade groß genug, um dem Körper zu gestatten, sich wie eine Schlange hindurchzuwinden. Hier hineingestopft, wurde ich mit der Wasserspritze von hinten so lange unerbittlich bespritzt, bis es mir gelang, zum anderen Ende wieder herauszukommen. Ich begab mich sofort in eines der Badezimmer, das glücklicherweise noch nicht besetzt war. Mit großer Mühe nur vermochte ich die pechartige, ölige Flüssigkeit vom Leibe zu bringen, wobei natürlich mit Seife und Bürste nicht gespart werden durfte. Sodann begab ich mich wieder an Bord, um dem Schluß der Feierlichkeiten beizuwohnen.
Es ereignete sich nun ein kleiner Zwischenfall, der viel Spaß erregte, jedoch von bösen Folgen hätte begleitet werden können. Einige erbitterte Passagiere näherten sich von rückwärts dem dicken, ahnungslosen Neptun, und ehe dieser es sich versah, wurde er von kräftigen Fäusten hochgehoben und kopfüber ins Bassin gestürzt. Triefend vor Nässe, prustend und nach Atem ringend, tauchte der Riesenschädel, dem die Krone infolge des Sturzes bis über die Ohren gesunken war, empor. Der Greisenbart hing wirr in langen Fäden auf die Brust herunter, und seiner Pracht war ein jämmerliches Ende bereitet. Ein Glück, daß die Krone umfangreich und über die Ohren hinuntergerutscht war, da ihm das scharfe Messingblech sonst böse Verwundungen hätte beibringen können. Dies bildete den Schlußakt der Taufe der Passagiere. Nun kamen die Neger an die Reihe. Dieselben wurden zu Dutzenden in das Wasser geworfen und purzelten in höchst komischer Weise durcheinander.
Am Abend fand zu Ehren der Taufe ein Konzert statt. Die künstlerisch ausgestatteten Programme wurden versteigert und brachten ein namhaftes Erträgnis, welches zum Teil der beim Neptunsreigen mitwirkenden Mannschaft, zum Teil für das »Seemannsheim für verlassene Witwen und Waisen« gespendet wurde. Der Abend verlief äußerst gemütlich und artete schließlich, wie bei solchen Gelegenheiten üblich, in ein Champagnergelage aus.
[S. 27]
Am Morgen des 25. Juli bemerkten wir auf der sonst dunkelblauen Wasserfläche allenthalben gelbe Flecken, die auf die Mündung des Kongoflusses schließen ließen. Gegen 10 Uhr kam dieser selbst in Sicht, und längs herrlicher Urwälder und Mangroven fuhren wir Mittag in Banana ein. Der Hafen ist durch die Landzunge, deren größter Teil Besitz der holländischen Gesellschaft »N. A. H. V.« ist, vom Meere getrennt. Ein ungemein liebliches Bild bot sich von Bord aus unseren Augen dar. Die ganze Landzunge bildet eine Art Naturpark, der von Menschenhänden sorgfältig gepflegt wird. Neben mächtigen Mangobäumen finden sich überwiegend die mit Nüssen reich beladenen Kokospalmen, unter deren Schatten die blendend weißen Dächer der Faktoreigebäude und die sie verbindenden, mit weißem Kies bestreuten und zu beiden Seiten mit schneeweißen Muscheln eingefaßten Fußwege hervorleuchten. Zur Linken die Dockanlagen und Schiffsreparaturwerften der Gesellschaft, auf deren Hellingen gerade verschiedene Dampfer ausgebessert wurden. Trotz der Mittagshitze herrschte überall, wahrscheinlich infolge der Ankunft unseres Dampfers, fieberhafte Tätigkeit.
Eine Dampfbarkasse, mit der holländischen Fahne und dem holländischen Wappen geschmückt — denn der jeweilige Direktor der »N. A. H. V.« ist gleichzeitig holländischer Konsul — löste sich vom Ufer und brachte diesen sowie einen Sanitäts-Offizier an Bord, der die Schiffspapiere untersuchte, um zu konstatieren, ob wir keinen verseuchten Hafen angelaufen waren. Ihnen folgte eine ganze Anzahl kleiner, schmaler, von den Eingeborenen gelenkter Kanus, die ich hier zum ersten Male in ihrem schlanken Bau und in ihrer einfachen Konstruktion bewundern konnte. Diese aus einem ausgehöhlten Baumstamme bestehenden Boote sind schon so oft beschrieben, daß ich hier nicht weiter darauf eingehe. Mehr noch als die Boote bewundere ich die außerordentliche Geschicklichkeit der Neger im Rudern, denn diese schwankenden Kanus stehend im Gleichgewicht zu halten, ist wahrhaftig keine Kleinigkeit. Hier wiederholt sich ungefähr das gleiche Bild wie in Las Palmas, mit dem Unterschied, daß die Eingeborenen in ihren Nußschalen an Stelle von Tabak und Zigarren graue Kongopapageien,[S. 28] rote, reich ornamentierte Tongefäße, die als Wasserkaraffen verwendbar sind, Kürbisflaschen, in allen möglichen Größen und Formen und mit weißen Ornamenten versehen, sowie Ananas, Mangos und Papaifrüchte in schlechtem Portugiesisch zum Kaufe anbieten.
Ich verabschiedete mich hier von meinem Reisegefährten, Herrn Lukas, welchem als altem Afrikaner die Ehre zuteil wurde, von unserem Generaldirektor persönlich bewillkommt und an Bord seiner Dampfbarkasse an Land gebracht zu werden. Ich dagegen erhielt Order, an Bord des Dampfers meine Instruktionen abzuwarten.
An Bord herrschte Tag und Nacht fieberhafte Tätigkeit. Leichterboote zu beiden Seiten des Schiffes, die leer ankamen und vollbeladen mit Waren an Land zurückkehrten; ein ständiges Gerassel und Fauchen der Maschinen, die die großen Dampfwinden bedienten und schwere Lasten aus den Eingeweiden unseres schwimmenden Riesen auf den Dampfer »Prins Hendrik« überluden.
Da der Wasserstand des Kongoflusses 8 Stunden stromaufwärts an der großen Sandbank ziemlich niedrig ist, mußte ein großer Teil der zu befördernden Waren ausgeladen werden, um den Dampfer derart zu entlasten, daß er die Barriere passieren konnte. Drei Tage lang harrte ich an Bord der in Aussicht gestellten Instruktionen, während meine Mitpassagiere vergnügt an Land gingen und mir immer wieder Neues von den Herrlichkeiten und Wundern dieses Kontinents berichteten.
Wie ganz anders hatte ich mir in meiner jugendlichen Phantasie meine Ankunft und meinen Empfang auf afrikanischem Boden vorgestellt. Ich hatte erwartet, mit offenen Armen aufgenommen zu werden, und mußte nun das Gegenteil erleben. Dies war die erste einer ganzen Reihe von Enttäuschungen und Lehren, die meiner harrten, und sie war vielleicht gerade als erste die allerschwerste. Von Hause aus verwöhnt, waren mir meine früheren Chefs in Holland mit der größten Liebenswürdigkeit entgegengekommen und hatten mich in ihren Familienkreis eingeführt. Infolge meines kühnen Entschlusses, nach Afrika zu gehen, war ich gewissermaßen unter meinen Bekannten als Held gefeiert worden; und nun diese Ernüchterung!
Endlich erhielt ich ein paar Zeilen mit der Aufforderung, mit meinem Gepäck an Land zu kommen. Ein junger Faktoreibeamter erwartete mich hier und wies mir in einem der Gebäude ein luftiges, auf der Seeseite gelegenes ebenerdiges Zimmer an. Dieses war[S. 29] innen weiß getüncht, der Lehmboden war von einer Strohmatte teilweise bedeckt und das ganze Mobiliar bestand aus einem Bett, einem Waschbecken und einem Stuhl, alles hier an Ort und Stelle von Zimmerleuten roh angefertigt. Fenster sind hier ein unbekannter Luxus, an deren Stelle einfache Holzläden treten. Im ersten Augenblick war ich starr vor Erstaunen und Enttäuschung, da das schlanke Faktoreigebäude, von außen gesehen, den Eindruck des behaglichen Komforts machte.
Noch ehe ich mich von meiner Überraschung vollständig erholt hatte, war der Angestellte verschwunden, und an seiner Stelle verblieb ein kleiner, schmutziger Negerjunge, mein »Boy«, in weißem Hemd und farbigem Lendentuch, der in einem Kauderwelsch von Portugiesisch sich nach meinen Wünschen erkundigte. Da meine Toilette beim Ausbooten etwas gelitten hatte, bedeutete ich ihm, der Sprache nicht mächtig, durch Gebärden so gut wie möglich, mir Waschwasser zu bringen und zog mich um.
Um 6 Uhr abends erscholl ein Gongschlag, und von den Hauptgebäuden begaben sich die verschiedenen Angestellten, die tagsüber darin beschäftigt waren, in ihre Wohnhäuser. In den Zimmern nebenan wurde es lebendig. Ich stellte mich selbst meinen Nachbarn vor und erfuhr, daß dies das Passagiergebäude und sie, gerade so wie ich, nur Passagiere seien — allerdings Passagiere, die bereits drei Jahre in Afrika zugebracht hatten und nun auf der Rückkehr in die Heimat den Dampfer hier erwarteten.
Ein zweites Gongzeichen ertönte, und mit meinen neuen Bekannten begab ich mich in die Vorhalle des Hauptgebäudes, wo inzwischen[S. 30] die Aperitif- und Bitter-Tafel gedeckt war. Hier stellte ich mich dem Bureauchef vor und wurde von diesem allen ankommenden Herren, im ganzen vielleicht 30 Personen einschließlich des Direktors, vorgestellt. Es ging bei dieser Bitter-Tafel gewissermaßen kameradschaftlich zu, doch mit einem Unterton, wie etwa in einer Offiziersmesse, wenn höhere und höchste Offiziere zugegen sind. Jeder hatte seinen Rang und danach auch seine Stimme, und nachdem der Direktor sich höflichkeitshalber nach dem Verlauf meiner Reise erkundigt hatte, war vorläufig die Anteilnahme für mein Schicksal erloschen.
Ich habe absichtlich den Tag meiner Ankunft etwas ausführlich geschildert, um meinen Lesern damit ein Beispiel dafür zu geben, wie wenig Bedeutung das eigene »Ich«, losgelöst von der heimatlichen Scholle, im Weltgetriebe draußen hat.
Früh 1/2-6 Uhr erschien mit dem ersten Gongzeichen mein kleiner Boy, öffnete Tür- und Fensterläden und ermahnte mich durch Gebärden zum Aufstehen. Die Nacht war kühl, draußen herrschte noch leichte Dämmerung, als ich mich von meinem harten Lager erhob und von meiner Veranda aus Umschau hielt. Punkt 6 Uhr waren alle Beamten und Arbeiter in Reih und Glied vor dem Hauptgebäude aufgestellt, und den verschiedenen Sektionen wurde ihre Tagesarbeit unter Aufsicht der Beamten zugeteilt. Ich wurde vorläufig zur Disposition des Bürochefs gestellt, der mir verschiedene Bureauarbeiten, wie Kontrolle der Bilanzen der Faktoreien, anvertraute. Zur Abwechslung wurde ich vom Faktoreichef zuweilen zur Revision der vom Oberkongo hereinkommenden Transitladungen von Elfenbeinzähnen herangezogen, welche Arbeit mein Interesse besonders fesselte, da unter den Zähnen solche bis zu 70 und 76 Kilogramm Gewicht vorkamen.
Ich hatte mich in mein neues Leben sehr bald eingewöhnt und mir durch mein Klavierspiel auch die Zuneigung des Direktors erworben. An Arbeit und neuen Eindrücken fehlte es nicht, denn von[S. 31] 6 Uhr früh bis 6 Uhr abends, und an Posttagen sogar oft bis 8 und 10 Uhr nachts wurde mit einer kurzen Mittagspause von einer Stunde ununterbrochen gearbeitet. Gegen 6 Uhr abends fanden sich immer einige Bekannte, mit denen ich gemeinsam an einer seichten Stelle des Meeres ein Bad nahm, während eine Schildwache mit geladenem Gewehr dabei beständig Ausschau hielt, um etwa allzu vorwitzige Haifische, die sich zu nahe heranwagen sollten, sofort anzuschießen. Längs der Küste kommen diese unheimlichen Gesellen in beträchtlicher Anzahl vor, und die über die Wasserfläche hinausragenden Schwanz- und Rückenflossen sind mit bloßem Auge bei einiger Aufmerksamkeit leicht zu erkennen.
Unsere Erholungszeit fiel also hauptsächlich in die Abendstunden nach dem Abendmahl, welche uns alle im Billard- und Musikzimmer vereinigte, um die allabendliche Kriegspartie, bei der eine beliebige Anzahl Spieler teilnehmen kann, auszutragen. Als beliebte Abwechslung waren die Passagierboote der »Messagerie Maritime« sowie der »Woerman-Linie« sehr willkommen, bei deren Ankunft wir entweder Besuche an Bord der Schiffe abstatteten oder an Land Feste zu Ehren der befreundeten Kapitäne abhielten. Ganz besonders in Erinnerung ist mir ein Fest anläßlich der Ankunft des Gouverneurs von Kamerun, Exzellenz von Puttkamer, der uns an Bord des deutschen Kriegsschiffes »Habicht« besuchte, und bei welcher Gelegenheit olympische Spiele der Neger-Segelregatta und sogar ein Theaterstück aufgeführt wurden. Da gerade Vollmondnacht war, veranstalteten die Eingeborenen ihren ganz eigenartigen Mondtanz, in welchem die Tanzenden als einzige Bekleidung um die Lenden in der Art unserer Ballettänzerinnen einen Gürtel aus Strohgeflecht und als Kopfbedeckung eine Maske aus demselben Material trugen.
Den ersten freien Sonntag benutzte ich zu einem Jagdausflug auf eine der gegenüberliegenden Inseln. Der Kongo hat an seiner Mündung eine Breite von mehr als 15 Kilometern und bildet mit seinen unzähligen toten Armen — sogenannten Creeks — eine Unmenge größerer und kleiner Inseln, die nur zum Teil von einer friedlichen Bevölkerung bewohnt, im übrigen aber vollkommen unkultiviert und von undurchdringlichem Mangrovendickicht und Urwald bewachsen sind. Der Zutritt zu einer solchen Insel ist durchaus keine leichte Sache und nur an solchen Stellen möglich, wo irgendein Dickhäuter, z. B. ein Nilpferd, sich einen Weg zum Wasser gebahnt hat. Anderwärts starrt dem Eindringling aus Morast und[S. 32] Sumpfgelände ein Gewirr von drei bis vier Meter hohen Luftwurzeln der Mangroven als unüberbrückbarer Wall entgegen.
Es war gegen 3 Uhr nachmittags; die größte Hitze war vorüber, als ich in Begleitung eines älteren Faktoreibeamten, gefolgt von zwei Dienern, mit scharfen Haumessern, die dazu dienen sollten, uns nötigenfalls einen Weg durch das Dickicht zu bahnen, bewaffnet, in einem kleinen Ruderboot in das Labyrinth von Inseln und totem Wasser eindrang. Eine leichte Brise von der Seeseite her milderte die drückende Schwüle, die auf der Wasserfläche lastete. Tiefes, fast übernatürliches Schweigen der Natur, das unwillkürlich zur Andacht stimmte, herrschte um uns. Das Lockrufen und Zwitschern der Vögel am frühen Morgen und gegen Abend, das Kreischen der Papageien und Krächzen der Nashornvögel, das Zirpen, Pfeifen und Surren der Zikaden, Baumgrillen und Myriaden anderer Insekten ist um diese Zeit verstummt. Die Natur lag in tiefem Mittagsschlaf. Fast war man geneigt, das Plätschern unserer Ruder als brutale Störung dieser Waldandacht zu empfinden.
Träge glitt unser Boot an einem undurchdringlichen grünen Wall von Schlingpflanzen, Mangrovendickicht und Urwald, eng miteinander verschlungen und verwachsen und dem Eindringling den Zugang zum festen Lande verwehrend, vorüber. Vom Wasser aus gesehen, hat dieser lebende Schutzwall geradezu etwas Märchenhaftes. In zarten Fäden, gleich Spinnweben, hängen die Ausläufer von den höchsten Spitzen der Mangroven und Bäume bis zum Wasser herab und bilden, mit den gleichfalls aus dem Laubdach herabfallenden Lianen dicht verschlungen, reizende Grotten und Höhlen. Dem Neuling erschließt sich hier ein Reich der Wunder, welches Herz und Sinne völlig in seinen Bann schlägt.
Wir landeten an einem ausgetretenen Nilpferdpfad, und mein Herz pochte mächtig bei dem Gedanken, das ungeschlachte Ungeheuer könnte uns aus dem undurchdringlichen Dickicht entgegentreten. Doch nichts dergleichen geschah, und mit ein paar Sprüngen über Morast standen wir auf festem Boden. Beim Eintreten in das Walddickicht konnte ich mich eines gewissen Gefühles der Beklemmung nicht erwehren. War es das mächtige Walten und Schaffen der Natur, das mich Neuling niederdrückte? Meine Augen schweiften unruhig umher und bemerkten, daß der Grund und Boden, auf dem wir standen, von mir unbekannten Geschöpfen wimmelte. Das Gelände war sumpfig und allenthalben von Löchern unterhöhlt. Vor diesen[S. 33] saßen prachtvoll vom hellsten Rot bis zum tiefsten Violett gefärbte Krabben von der Größe unserer heimischen Art bis zu den Maßen eines Hummers. Sowie wir uns auf ein paar Schritte näherten, verschwanden sie, um sofort, wenn wir den Rücken gekehrt hatten, wieder aus den Löchern hervorzukommen. Viele Stunden habe ich diese Tiere in ihrem Leben und Treiben belauscht und oftmals mittels eines Netzes versucht, ihrer habhaft zu werden; es ist mir aber nie gelungen. Diese Krabben, ebenso wie die Baumechsen in allen möglichen Größen und Formen, welche beim geringsten Geräusch mit einer unglaublichen Gewandtheit den nächsten Baum erklettern, bildeten während meines kurzen Aufenthaltes in Banana einen Gegenstand beständigen Interesses und Studiums. Beide Tierarten habe ich auf meinem weiteren Vordringen nach dem Innern Afrikas nirgends mehr angetroffen.
Auf diesem ersten Jagdausflug erlegte ich eine kleine Wildkatze, meine erste Beute auf afrikanischem Boden, deren Fell ich abzog und präparierte. Leider übersah ich bei dieser Prozedur den langen, buschigen Schwanz, so daß derselbe die Haare verlor.
Etwa sieben Wochen waren seit meiner Ankunft in Banana verstrichen. Ich hatte in dieser Zeit gründlich Gelegenheit gehabt zu überlegen, daß das ruhige Bureauleben auf einer großen Station, soviel Angenehmes es auch für den Durchschnittsmenschen haben mag, für meine abenteuerhungrige und nach freier Betätigung verlangende Natur nicht taugte. Lieber die Strapazen beschwerlicher Karawanenreisen, lieber Hungersnöte und Kämpfe mit den Eingeborenen ertragen, als hier von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends bei sengender Sonnenhitze hinter Büchern vergraben zu sein.
Mein erster Versuch fortzukommen, wurde vom Konsul unter Hinweis auf die großen Vorzüge, die ich hier an Ort und Stelle in Form eines behaglichen Heimes, der Gesellschaft von Europäern, eines reich besetzten Tisches und schließlich einer voraussichtlich schnellen Karriere — da er mir persönlich sehr zugetan sei — schlankweg abgewiesen. Tatsächlich waren in der letzten Zeit einige unserer[S. 34] Agenten in abgemagertem, elendem Zustande vom oberen Ubangi eingetroffen, die von unsagbaren Leiden und Hungersnöten in diesen Gebieten infolge eines Negeraufstandes berichteten. Doch ihre Erzählungen hatten auf mich gerade den gegenteiligen Einfluß und bestärkten mich eher in meinem Beschlusse, von Banana fortzukommen. Da mündliche Anträge nichts halfen, beschloß ich schriftlich, sowohl hier als auch bei der Zentrale in Europa anzusuchen. Diese Schritte geben mir Gelegenheit, einige Worte über die Organisation unseres geschäftlichen Unternehmens einzuflechten.
Die Holländer waren neben den Portugiesen die ersten, die viele Jahre vor Zustandekommen der »Association Internationale«, aus der der heutige Kongostaat hervorgegangen ist, von der Kongomündung Besitz ergriffen hatten. Während die Portugiesen am linken Ufer des Stromes Fuß faßten, gründeten die Holländer Banana, errichteten daselbst eine eigene Schiffswerft und befuhren mit ihren Handelsdampfern den gesamten Unterlauf des Kongo bis nach Vivi, ungefähr auf der Höhe des heutigen Matadi gelegen, sowie die ganze portugiesische Küste nördlich und südlich der Kongomündung — heute Angola und Portugiesisch-Kongo genannt —, in deren wichtigsten Plätzen sie Faktoreien anlegten. Beim weiteren Vordringen ins Innere des Landes bis zum Stanley-Pool, im Gefolge von Stanley, waren wieder die Holländer die ersten, die in Brazzaville am Stanley-Pool die erste Handelsniederlassung gründeten und von dort aus mit ihren eigenen Dampfern den ganzen Oberlauf des Kongoflusses befuhren und daselbst Stationen errichteten. Die großen Entfernungen, die beide Stützpunkte räumlich voneinander trennen — die Eisenbahn Matadi-Stanley-Pool wurde erst Jahrzehnte später in Angriff genommen — nötigte die Gesellschaft, zwei vollständig voneinander getrennte Abteilungen mit je einem Direktor an der Spitze — die Unterkongo- und Oberkongo-Abteilung — einzurichten.
Ich war von Europa aus ursprünglich auf mein Ansuchen hin für die Oberkongo-Abteilung bestimmt und vom Konsul gegen einen anderen Agenten eingetauscht worden. Meinem nochmaligen, schriftlichen Ansuchen konnte dieser sich daher nicht gut widersetzen, und er erfüllte meinen Wunsch wenigstens soweit, daß er mich nach der durch ihr ungesundes Klima berüchtigten Faktorei Fuca Fuca versetzte.
Mit gemischten Gefühlen verließ ich am 27. September Banana, einesteils erfreut, meinen Wunsch erreicht zu haben, doch auch wieder[S. 35] besorgt, wie meine weitere Zukunft sich gestalten werde, da Fuca Fuca im Rufe einer verseuchten Faktorei stand, auf der ihrer ungesunden Lage wegen kein Europäer es länger als zwölf Monate aushält und die meisten von ihnen sterben. Doch der herrliche Sonnentag, die heitere Gesellschaft an Bord und vor allem das Vertrauen auf meinen Glücksstern verscheuchten bald alle trüben Gedanken. Bald tauchte auf der linken Seite des Flusses, mitten im Palmenwald gelegen, Kisanga auf. Von der Flaggenstange vor dem Hauptfaktoreigebäude flatterte lustig die holländische Fahne in der leichten Brise. Das Gebäude selbst sah viel mehr einem modernen Jagdschlößchen als einer Faktorei ähnlich. Wege und Anlagen waren tadellos gepflegt und rein gehalten — ein europäisches in die Tropen versetztes Schmuckkästchen. Wir waren nachmittags gegen 2 Uhr von Banana ausgefahren und verbrachten hier die Nacht, da wir noch einen Teil der Ladung löschen sollten. Ich begab mich mit dem Kapitän und dem Lotsen an Land und wurde vom Chef der Faktorei nach Besichtigung derselben zu einer Partie Billard eingeladen.
Kisanga gehört noch zu Portugiesisch-Angola und bestand damals außer der portugiesischen Zollstation und dem holländischen Hause nur noch aus einer kleinen portugiesischen Faktorei. Während der Dämmerung ertönte plötzlich von der Flußseite her lebhaftes Geschrei. Eine Cabindafrau war beim Waschen von einem Krokodil durch einen Schlag seines mächtigen Schwanzes ins Wasser geschleudert und vor den Augen der entsetzten Gefährtinnen in Stücke zerrissen und in die Tiefe gezerrt worden. Der Vorfall versetzte mich begreiflicherweise in die höchste Aufregung, während die Holländer und Portugiesen die Sache ganz kühlen Blutes als etwas hinnahmen, was sich öfters ereignet. Es war den Eingeborenen untersagt, bei Einbrechen der Dämmerung an das Flußufer, noch dazu an tiefe Stellen, zu gehen, wo ein Krokodil sich ganz unbemerkt an sie heranmachen konnte. Beim ersten Morgengrauen verließen wir Kisanga, und in voller Fahrt ging es stromaufwärts nach der Haupt- und Regierungsstadt Boma, die wir gegen 1/2-12 Uhr — falls wir glücklich, ohne hängen zu bleiben, die große Sandbarriere überschreiten würden — erreichen sollten. An Stelle der dicht bewaldeten Inseln und des verhältnismäßig ziemlich hoch gelegenen und mit üppiger Vegetation bedeckten linken Flußufers stießen wir, je weiter wir ins Innere kamen, auf große Weide- und Schilfgebiete. Die[S. 36] Inseln verflachen sich und sind mit hohem Schilfgras bewachsen, und die bewaldeten, hohen Ufer entschwinden allmählich aus dem Gesichtskreis. Wir näherten uns der großen Sandbank, welche alljährlich durch die Strömung hier angeschwemmt wird und, vor allem gegen Ende der Trockenperiode, wenn der Wasserstand am niedrigsten ist, die Schiffahrt ernstlich gefährdet.
Ein Heer von Piloten ist beständig mit dem Sondieren der Wassertiefe und dem Suchen nach einem Durchgangswege für die Schiffe betraut, da Menschenhände bisher die Macht des Flusses infolge der eigenartigen geologischen Beschaffenheit des Terrains nicht zu bändigen vermochten und die Sandbänke im beständigen Abbau und in Neubildung begriffen sind. Das Flußbett, welches auf der Höhe von Kisanga z. B. eine Breite von zirka 1500 bis 2000 Meter haben mag, umfaßt hier wohl das Zehnfache und bildet mit den vielen Inseln, toten Armen und Sandbänken eine Art Binnensee, in welchem die Strömung kaum bemerkbar ist.
An der eigentlichen Barriere bleibt dem Dampfer manchmal kein anderer Ausweg, als sich mit aller Maschinenkraft über das letzte Hindernis hinwegzuarbeiten. Gelingt das nicht, dann bleibt er oft zwei bis drei Wochen auf dem Sande sitzen, bis er soweit entladen ist, daß er sich herausarbeiten kann. Auch wir waren verschiedene Male an Sandbänke angefahren und gelangten schließlich nach einer Reihe von Stößen, die das Schiff bis in die Grundfesten erschütterten, über die große Barriere nach Boma.
Boma ist die malerisch auf einer Anhöhe gelegene Haupt- und Residenzstadt des Gouverneurs des Kongostaates und zählte damals gegen 300 Europäer aller Nationen. Die Stadt ist von dem gleichfalls auf einem Hügel gelegenen Fort Shinkakassa vor feindlichen Angriffen sowohl von der Landseite aus als auch gegen den Fluß hin geschützt und besitzt eine kleine Lokalbahn, die das Ufer mit dem Fort verbindet und die Stadt durchquert. Boma ist überdies der Ausgangspunkt einer Eisenbahnlinie, die nach dem reichen und für Plantagenbau besonders geeigneten Hinterlande Mayumbe führt und von dort die Kolonialprodukte an Kautschuk, Kakao, Kaffee, Tee, Palmöl, Nutzhölzern aller Art usw. vom Innern an das Flußufer bringt. Von der Landungsbrücke gelangt man auf einen schattigen großen Platz mit einem Musikpavillon, Place de la Marine genannt, auf welchem an Sonntagen die Kapelle der »Katholischen Missionskinder« spielt. Von hier führt eine Straße den Fluß[S. 37] entlang ins sogenannte Faktoreiviertel, d. h. die Niederlassungen der holländischen, portugiesischen, englischen und französischen Kaufleute, während eine zweite schattige Allee von Mangobäumen den Hügel erklimmt und nach dem »Boma-Plateau« führt, auf welchem die meisten Verwaltungsgebäude der Regierung, die Katholische Mission nebst kleiner Missionskapelle sowie das Gouvernementsgebäude liegen. Die einzelnen Häuser sind von schönen Gärten umgeben und stehen ziemlich weit auseinander, so daß Boma auf den ersten Anblick viel größer erscheint, als es tatsächlich ist. Vom Plateau aus genießt man einen prächtigen Rundblick auf den majestätisch dahinziehenden Strom, der nach dem Unterlaufe zu mit einer in das Bett hineinragenden Felsengruppe, dem sogenannten »Fetish-Rock« abschließt, während nach seinem Oberlauf die Ufer zu beiden Seiten ihn immer mehr einschließen. Zur Rechten erblickt man das Fort Shinkakassa, und zu Füßen, hinter Palmenanlagen, leuchten die weißen Dächer der Faktoreigebäude aus dem saftigen Grün hervor. Das wellenförmige Hügelgelände der Umgebung ist eine ausgedehnte unfruchtbare Grassteppe, deren Eintönigkeit hie und da durch einen mächtigen »Baobab« (Affenbrotbaum) oder »Wurstbaum«, nach den wurstartigen Früchten so benannt, belebt wird. Das Gelände durchschneidet ein kleiner Bach, der[S. 38] in einer Lagune in den Fluß einmündet und »Krokodilfluß« heißt. Vor Jahrzehnten soll das Gewässer eine Brutstätte für Krokodile gewesen sein.
Was die einheimische Bevölkerung anbelangt, so ist Boma das moderne Babel der Negerrassen Innerafrikas. Als größere Garnisonstadt finden sich unter den Soldaten, die übrigens in ihrer dunkelblauen Uniform mit Pumphosen, roter Schärpe und dunkelrotem Fes höchst schmuck aussehen, Vertreter sämtlicher Rassen. Allerdings fallen bei ihnen die Stammesmerkmale nicht so sehr in die Augen, da sie meistenteils frühzeitig von ihrer Heimat weg Dienste beim Europäer angenommen und infolgedessen die Tätowierung vernachlässigt haben.
Von Boma stromaufwärts verengt sich, wie gesagt, der Lauf des Stromes, und die Ufer zu beiden Seiten nehmen gebirgigen Charakter an. Die Fahrt wird immer genußreicher, und bei jeder Krümmung bietet sich dem entzückten Auge des Reisenden eine neue Offenbarung des mächtigen Waltens der Natur. Steile Felsen senken sich von beträchtlicher Höhe fast senkrecht zum Wasserspiegel hinab und schließen jede weitere Aussicht derart ab, daß das vor uns liegende Wasserbecken einem von allen Seiten eingeschlossenen Hochgebirgssee gleicht. Dies Bild wiederholt sich in immer anderer Gestalt fortwährend. Ein Landschaftsmaler könnte hier Motive für unzählige Bilder finden. Kommt man näher an die Ufer heran, so ist man erstaunt, zu sehen, wie hier die Natur vorgesorgt hat, die Öde und Eintönigkeit der Gegend zu verdecken und zu beleben, denn im Grunde genommen ist es doch ein trostloses Bild, das sich dem Auge bietet. Nichts als dürres Gras gedeiht auf diesen Steinfelsen und in der Tiefe, aus welcher befruchtende Quellen aus dem Gebirge kommen, einiges Laubwerk.
Auf das lebhafteste wurde meine Phantasie angezogen durch die Riesenbrände, die gegen Ende der Trockenperiode allenthalben wahrzunehmen sind und gierig den letzten Rest der Vegetation verschlingen. Wir kamen an mehreren solchen Brandstellen vorüber. Auf meilenweite Entfernung stand das etwa zwei Meter hohe, trockene Gras in Flammen. So großartig dies Schauspiel auch ist, so grauenhaft ist es, mitanzusehen, wie der lechzende Dämon alles Lebende vernichtet. Wehe der Karawane, die ahnungslos in den Bereich eines solchen Brandes gelangt. Da hilft keine Flucht; denn wie ein Orkan fegt die Feuersbrunst daher. Ein paar Häuflein verkohlter[S. 39] Skelette sind alles, was binnen wenigen Minuten übrigbleibt. Diese Riesenbrände entstehen übrigens nicht von selbst, sondern werden von den Eingeborenen zu Jagdzwecken angefacht.
Im Verlaufe unserer Reise kamen wir öfters an schwimmenden Inseln, Fetzen festen Landes von 30 bis 40 Meter Umfang, mit Bäumen und Gestrüpp bewachsen, vorbei. Auf einem derselben lagerte ein Riesenexemplar von Krokodil, das bei unserem Nahen schwerfällig ins Wasser glitt.
Wir passierten auf unserer Fahrt, ohne anzuhalten, die malerisch in kleinen Ausbuchtungen, gleich Oasen in dieser Steinwüste, gelegenen holländischen Faktoreien Binda, Musuko, danach Muckula und zuletzt Noki. Alle diese Faktoreien liegen noch auf portugiesischem Gebiet. Kurz vor unserer Ankunft in Matadi hatte der Dampfer ein schweres Hindernis, den »Chaudron d'Enfer«, zu überwinden. Infolge einer quer durch das Flußbett laufenden Niveausenkung sowie der Anhäufung großer Felsmassen unter Wasser erreicht hier die Strömung eine außerordentliche Schnelligkeit und bildet Stromschnellen und Trichter, die kleinere Boote und[S. 40] Gegenstände, die in ihren Bereich kommen, in die Tiefe ziehen und zerschellen. Nur Schiffe, die über zwölf Knoten Geschwindigkeit laufen, können diese Stromschnellen passieren. Die Fahrt durch den Höllenschlund ist für jedes Schiff ein Ereignis; selbst mit großen Ozeandampfern haben sich hier bereits mehrfach Unglücksfälle ereignet.
Unser Dampfer hielt einige Zeit unterhalb dieser Stelle, gleichsam um Kraft und Atem zur Bewältigung dieses letzten Hindernisses zu schöpfen. Der Dampf wurde auf höchstmöglichen Druck gebracht, so daß die Kessel zu explodieren drohten, und nun ging es vorwärts, an den großen Höllentrichtern vorbei. Wir sahen, wie vorbeischwimmende Balken und Gestrüpp in kreiselförmiger Bewegung von ihnen in die Tiefe gezogen wurden. Unserem Ozeanriesen konnten sie allerdings nichts anhaben, — der Boden unter unseren Füßen zitterte und bebte —, langsam, fast unmerkbar, kamen wir trotz erhöhter Schraubengeschwindigkeit Schritt für Schritt durch Stromschnellen und den verderbenbringenden Trichter vorwärts, bis wir, um die Flußecke biegend, in der Ferne das an Felsenwänden erbaute Matadi, die Endstation der Flußschiffahrt am unteren Kongo, erkannten und binnen einer kleinen Viertelstunde erreichten.
Matadi ist die inländische Bezeichnung, welche die Eingeborenen der Stadt gegeben haben, für »Fels« oder »Gestein«. Tatsächlich ist die Stadt in die Felsen hineingebaut, und Straßen und Anlagen mußten ursprünglich aus den Felsen mittels Dynamit herausgesprengt werden. Die Riesenarbeit, die seinerzeit bei Anlage der Stadt durch Sappeure und Genie-Truppen geleistet wurde, hat auf die leicht erregbare Phantasie der Eingeborenen einen derartigen Eindruck gemacht, daß sie von da an den neuen Staat mit »m'bula matadi« (Felsensprenger) betitelten, welche Bezeichnung ihm bis auf den heutigen Tag als Zeichen der Höchstleistung an übernatürlicher Kraft und Energie für die Eingeborenen geblieben ist.
Matadi ist Ausgangspunkt der 500 Kilometer langen Eisenbahn nach dem Stanley-Pool und steht heute an Bedeutung und Einwohnerzahl als große Zwischenverkehrs-Station Boma kaum nach. Bei meinem ersten Besuch 1897 war die Bahnlinie erst bis Kilometer 360 fertiggestellt und in Betrieb, und Matadi bestand nur aus ein paar Häusern, dem Betriebsgebäude der »Compagnie du Chemin de Fer«, unserer Faktorei Fuca Fuca und dem »Englischen Hause« in Chikenge. Inzwischen wurden Kaianlagen[S. 41] errichtet, um die Schienenstränge vor den alljährlichen Überschwemmungen zu schützen. Die Regierung verlegte einen Teil ihrer Verwaltung nach hier, die Eisenbahnverwaltung errichtete luftige, von kleinen Gärten umgebene »Chalets« für ihren Beamtenstab, große, mehrstöckige Faktoreigebäude eröffneten an einer Hauptstraße entlang ihre Stores, kurzum, die Stadt hat innerhalb eines Jahrzehntes großen Aufschwung genommen.
Selbstverständlich war Matadi damals, wo weder Baum noch Strauch auf den kahlen Felsen gedeihen konnte, zur Zeit der heißen Regenperiode eine wahre Hölle auf Erden. Die Rückwirkung der Sonnenstrahlen von den glühenden Granitfelsen und weißen Dächern der Gebäude um die Mittagszeit war derart, daß man kaum die Augen zu öffnen wagte und das Gefühl hatte, mitten in einer Feuersbrunst zu stehen. Die Hitze des Gesteins durchbrannte die Sohlen der Schuhe, und die Augenlider waren trotz schwarzer Augenbrillen und Tropenhelm angeschwollen. Um die Mittagszeit stockte daher jeder Verkehr, und wer irgend konnte, verschloß sich in die halbwegs kühlen inneren Faktoreiräume.
Fuca Fuca war der Name der holländischen Faktorei und diese vorläufig das Endziel meiner Reise. Auch diese Bezeichnung stammt von der hiesigen eingeborenen, zum großen Teil Portugiesisch[S. 42] sprechenden Bevölkerung und heißt »Feuer Feuer«. Man sieht aus den beiden Beispielen, daß die Eingeborenen in ihren Bezeichnungen den Nagel auf den Kopf treffen.
Das Märchen von Fuca Fuca. Tief im Innern, in Angola, in einem Urwalde, abgeschnitten von der übrigen Welt, liegt ein kleines Negerdorf, aus nur wenigen Hütten bestehend. Hier herrschte Mukenge als unumstrittener Gebieter über das Häuflein der Treuen, die das große Sterben, das vor Jahren die Blüte und Auslese seines Stammes mit rauher Todessichel hinwegraffte, übriggelassen hatte. Nur einen seiner Söhne, Kalamba, hatten die bösen »Nkichi«-Geister verschont, und dieser war die Stütze und der Stolz seines alten Vaters.
Fortuna hieß die Tochter des mächtigen Häuptlings Jongo Jongo, der in der großen Grassteppe, zwei Tagereisen gegen Sonnenaufgang, Gebieter über ein kriegerisches Volk war. Sie war eine Königstochter im wahren Sinne des Wortes; ihre Augen leuchteten wie die Sterne der Nacht; ihre Füße und Hände waren zart und klein, ihr Wuchs schlank wie der einer Gazelle.
An einem der jeden Neumond inmitten des großen Urwaldes stattfindenden Markttage hatte Kalamba Fortuna zum ersten Male gesehen, und ihre strahlenden Augensterne hatten sofort das Feuer der Liebe in seinem Busen entfacht. Auch er war der schönen Königstochter nicht gleichgültig geblieben; denn Kalamba war ein junger, kräftiger, stolzer Mann.
Monate vergingen, und bald entstand ein Gemurmel und Geflüster im Urwalde. Die Wipfel der Bäume und die Vögel des Waldes flüsterten das große Geheimnis einander zu, und eines Tages erschien Kalamba im Dorfe des Jongo Jongo an der Spitze einer großen, mit Geschenken reich beladenen Karawane, um die Königstochter zu freien.
Der alte Jongo war ein schlauer und wegen seiner Zauberkünste gefürchteter Mann. Mit heuchlerischer Güte empfing er seinen künftigen Schwiegersohn und nahm die Hochzeitsgeschenke entgegen. Bevor er seine Einwilligung zur Ehe gab, meinte er, er müsse den Segen Zambis, des höchsten Gottes, erflehen und dessen Orakel befragen und bat Kalamba, einstweilen mit seiner Gastfreundschaft vorlieb zu nehmen. In Wahrheit aber sann er darüber nach, wie er sich des unerwünschten Freiers am besten entledigen könnte.
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Am nächsten Morgen versammelte er sein ganzes Dorf um sich, um den Orakelspruch, der ihm in der Nacht geworden, feierlich zu verkünden. Am vorhergehenden Tage hatte man eine der als Hochzeitsgeschenk gebrachten Ziegen geschlachtet und von ihr verschiedene Teile Zambi als Opfer dargebracht. Jongo Jongo hatte die ganze Nacht im Gebet gelegen, und gerade um die Zeit, als »Ngondo«, der Mond, am höchsten stand, sei Zambi ihm in der Gestalt von »Djakombo« (Fetisch) erschienen und habe ihm folgendes verkündet:
»Weit über Steppe und Urwald, dort, wo die Sonne in dem großen Wasser verschwindet, sei ein mächtiger Gott in der Gestalt eines weißen Mannes aus den Fluten des Meeres emporgestiegen. Im Bauche eines feuerspeienden Riesenfisches[S. 44] sei er auf der Oberfläche des Wassers aufgetaucht und an Land gekommen, eine Menge fremdartiger Gegenstände vom Grunde des Meeres mitbringend. Dieser fremde Gott habe Donner und Blitz in seiner Gewalt. Zu ihm solle Jongo Jongo seinen Schwiegersohn senden, und dieser solle ihm Donner und Blitz bringen, dann würde er der mächtigste Gebieter über sämtliche Stämme werden.«
Mit Staunen und Entsetzen vernahmen alle Anwesenden die Stimme des Orakels, und Furcht und Schrecken bemächtigte sich ihrer. Doch Kalamba war ein mutiger Mann; Fortuna hatte sein Herz völlig in Bann geschlagen, und er erklärte sich sofort bereit, das Geheiß des Orakels zu befolgen. Vor seiner Abreise aber mußte Fortuna einen heiligen Schwur leisten, keinem anderen Manne zu folgen und seine Rückkehr, sollte sie auch viele Monde dauern, abzuwarten. Und Fortuna schwur bei der Frucht ihres Leibes. Mond um Mond verging, und Kalamba, der sich mit zwei Waffengefährten auf den Weg gemacht hatte, kehrte nicht zurück. Durch Urwald und Steppe, über heißen Wüstensand, war er immer dem Laufe der Sonne nachgewandert. Der eine Gefährte war dem Biß einer Sandviper erlegen, während der andere beim Durchschwimmen eines größeren Flusses von einem Krokodil von seiner Seite gerissen wurde. Endlich, nach langem Herumirren und Wandern, stieß er auf menschliche Spuren und, diesen folgend, schließlich auf das Lager des weißen Mannes, genannt »Nfumu Ntanga« (Herr der Sonne).
Unbeschreiblich war das Erstaunen und der Schrecken Kalambas, als er zum ersten Male der Karawane des gefürchteten weißen Gottes ansichtig wurde. Vor Angst warf er sich zu Boden, wurde aber von den prächtig gekleideten Dienern vor Nfuma Ntanga geführt. Dieser sah ihn eine Zeitlang durchbohrend mit seinen blauen Augen an und redete dann mit ihm in einer Sprache, die er nicht verstand. Kalamba war, vor Schreck gelähmt, auf die Knie gesunken und erwartete jeden Augenblick, daß Donner und Blitz seinem Leben ein Ende bereiten würden. Als nichts dergleichen geschah, wagte er es, zuerst schüchtern und dann immer kühner, den neuen Gott und dessen Diener, die alle in kostbare, ihm unbekannte Gewebe gehüllt waren und glitzernde Ringe an Armen und Füßen trugen, zu betrachten.
Langsam nur fand er die Sprache wieder und erzählte nunmehr seine Leidensgeschichte. Einer der Leute, die auch schwarz waren, wie er, verstand seine Sprache und verdolmetschte, was er erzählte. Dieser wurde sein Freund und beruhigte ihn darüber, daß er für[S. 45] sein Leben nichts zu fürchten habe. Er bestätigte ihm, daß Nfuma Ntanga tatsächlich mit einem »Machoa«-Schiff aus dem großen Weltmeer aufgetaucht sei und alle die wunderbaren Gegenstände, die Kalamba hier sah, mitgebracht habe. Diese Auseinandersetzungen wurden plötzlich durch einen donnerartigen Knall unterbrochen, der das Blut Kalambas zum Erstarren brachte. Hatte da nicht plötzlich bei hellem Sonnenschein der gefürchtete Feuergott gesprochen, der Bäume fällte und Hütten in Feuer und Flammen aufgehen ließ? Sein neuer Freund belehrte ihn, dies sei der Fetisch des Sonnengottes »Bunduki« (Gewehr) genannt, der demselben Macht über Tod und Leben aller Geschöpfe verleihe. Am nächsten Morgen nahm Kalamba all seinen Mut zusammen, trat vor Nfuma Ntanga hin und bat ihn, sein Diener werden zu dürfen.
Monde und Monde vergingen. Kalamba hatte seinem neuen Herrn treue Dienste geleistet und bat ihn, von seinem Heimatdorf Fortuna, die Königstochter, als Gefährtin holen zu dürfen. Mit einem »Bunduki« und Pulver, prächtigen Armringen und Geweben aller Art beladen, zog er in die Heimat, um die Königsbraut zur Gattin zu machen.
In seinem Heimatdorfe angelangt, fand er seinen Vater sterbend vor und erfuhr daselbst, daß Fortuna, seines Herzens Hoffnungsstrahl und Sonne, Fortuna, für die er sein Leben dahingegeben hätte und lange Monate in der Fremde Sklavenarbeit verrichtete, seiner vergessen hatte und dem Häuptling eines Nachbardorfes gefolgt war.
In Kalambas Herzen wohnten, im beständigen Kampfe miteinander, zwei Dämonen, ein guter und ein böser. Bisher hatte der gute Dämon stets die Oberhand behalten. Von der Wucht der Nachricht aber war er vollständig niedergeschlagen, alle seine Hoffnungen waren zertrümmert. Dagegen wuchs sein Widersacher ins Riesenhafte. Rasender Schmerz und Zorn über die angetane Schmach übermannte Kalamba, das Blut kochte und wallte in seinem Herzen. Feuer sprühte ihm aus den Augen; nur durch den Tod konnte Sühne gefunden werden.
Und in der folgenden Nacht raste der Todesengel durch den Urwald. Mit schrecklichem Vorgefühl sahen die Wipfel der Bäume und die Vögel des Waldes Kalamba an der Spitze seines Stammes lautlos, gleich einer Geisterschar, daherschreiten. Ihnen ahnte Schreckliches;[S. 46] denn aus seinen Augen glühten rote Blitze, zu seinen Häupten kreiste der Todesadler in den Lüften.
Mit dem ersten Strahl der Morgensonne fuhr der Tod mit der Sichel über das schlafende Dorf und hielt reiche Ernte. Ein Morden und Würgen von Frauen, Männern, Kindern und Greisen begann, von dem die stärkste Phantasie sich kein Bild machen kann. Der gefürchtete Feuergott selbst war gekommen, um Rechenschaft in Blitz und Donner zu fordern. Der Wald hallte wider vom Todesächzen und Stöhnen zuckender und verstümmelter Menschenleiber. Fortuna war es in der ersten Verwirrung gelungen, unbemerkt das Freie zu erreichen. Da, wie aus dem Boden gewachsen, von oben bis unten in Blut gebadet, mit wutverzerrten Zügen, stand Kalamba als Rächer seiner Ehre vor ihr. Mit flehender Gebärde, die Arme emporstreckend, sank die stolze Königstochter, um Gnade flehend, in die Knie. Doch eher hätte ihr Schicksal einen Stein zu erweichen als das nach Blut lechzende Herz Kalambas zu rühren vermocht. Der böse Dämon forderte gebieterisch sein Opfer, und zu Tode getroffen, sank die Königsblume zu Boden. Der erste Sonnenstrahl brach durch die Wipfel der Bäume, küßte die an den Blättern hängenden Tautropfen und spiegelte sich in den brechenden Augen der Königstochter. Noch einmal flackerten diese auf, im Schwur hoben sich die Finger zum Sonnengestirn, gleichsam den Fluch desselben auf den Schuldigen herabbeschwörend, und Fortunas Seele hatte die sterbliche Hülle des Körpers verlassen und war auf den Sonnenstrahlen in das unbekannte Land ihrer Vorfahren entflohen.
Während die Gefährten jubelnd Siegesorgien auf den Leibern der Gefallenen feierten, kehrte Kalamba einsam und finster in sein Heim zurück. Der Dämon im Innern war verstummt; er hatte seinen Willen erreicht, dafür meldete sich ein anderer Widersacher.
Mörder der Geliebten! Mörder deiner eigenen Stammesverwandten! flüsterten die Bäume und zwitscherten die Vögel des Waldes ihm zu. Wie von Furien besessen, trieb es ihn durch Wald und Feld, von Heim und Hof. Weder bei Tage noch bei Nacht konnte er Ruhe finden. Sein Inneres war von dem beständigen Kampf zwischen befriedigter Rache und niederdrückendem Schuldbewußtsein zerfleischt. Der Sonne Strahlen, die alles Lebende befruchten und erfreuen, wurden ihm zum Rächer. Ein großes, glühendes Auge starrte rachedürstend in sein tiefstes Innere und lastete wie Blei auf seinem Kopfe.
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Nicht länger konnte er das Leben in der Heimat, bei den Freunden der Kindheit ertragen. Als einsamer, verlassener Wanderer gelangte er schließlich nach langen Irrfahrten, körperlich ein Greis, bei Nfuma Ntanga an. Aus Mitleid gab man ihm Arbeit und Feuerwasser, um seinen Kummer zu stillen. Noch gab es ein Mittel, um all die Stimmen im Innern, ja selbst die Sonne, zu bezwingen, und dies letzte Mittel mußte er versuchen.
Aguardente (Feuerwasser) nennen die Eingeborenen die große Medizin, die dem weißen Gott Nfuma Ntanga die übernatürliche Kraft verleiht. Wenn die Seelen der Verstorbenen und böse Götter aller Art den Körper heimsuchen und das Gemüt bedrücken, wenn am frühen Morgen das Tier im Magen, das den Hunger hervorruft, knurrt, dann genügen einige Schluck dieses Zaubertrankes, um Geister, Sorgen und Hunger zu vertreiben. »Matabiche« (mata bichu, töte das Tier im Innern) beschwöre die Geister und treibe die Seelen der Verstorbenen aus! Dies war die mächtige Medizin, die immer noch geholfen hatte und die auch jetzt helfen sollte.
Und am nächsten Tag, als zu den Foltergeistern im Innern sich noch das ungeheure Sonnenauge Fortunas gesellte und Kalambas Hirn durchbohrte und marterte, da spottete er hohnlachend[S. 48] seiner Peiniger. Stand er nicht unter dem Schutze des Gebieters der Sonne? Hatte er nicht die Macht in Händen, alle Geister zu bannen? Mit einem Ruck verschlang er die kostbare Medizin im Angesicht der glühenden Sonne.
Taumelnd war Kalamba infolge allzu reichlichen Alkoholgenusses und der Einwirkung der Sonnenstrahlen zusammengebrochen. Ah! Wie das wärmte und brannte, wie das die Lebensgeister entfachte, und wie es in seinem Hirn wirbelte und tollte! Wo war das feindselig blutleuchtende Auge der Fortuna? Endlich war es versöhnt und seine Macht gebrochen. Nicht mehr drohend, sondern verheißend winkte es vom blauen Äther; gleich einer heißen Blutwelle senkte es sich auf den Sterbenden herab, dessen Körper in Liebe und Leidenschaft mit sich emporziehend; wildes Feuer durchtobte den Körper und drohte die Brust zu zersprengen. Während die Seele auf Schwingen der Liebe dem strahlenden Tagesgestirn zuschwebte, entrangen sich der keuchenden Brust die Worte: »O Fortuna!« Dann: »Fuca Fuca« (Feuer Feuer).
Arbeiter, die den Sterbenden auffanden, hatten zufällig nur die letzten Worte gehört. Auf der Stelle, wo der Tote gefunden wurde, erhebt sich die heutige Faktorei, welche vom Volksmunde fortan »Fuca Fuca« genannt wurde.
Fuca Fuca liegt am Fuße des Felsens, auf dem Matadi erbaut ist. Es besteht vollständig aus Pfahlbauten und wird alljährlich während der Regenzeit vom Strom überflutet. Obwohl die Faktorei als heißester und ungesundester Platz im ganzen Kongostaate berüchtigt ist, ist sie doch wegen ihrer Lage und infolge der Eisenbahnverbindung ein wichtiger Knotenpunkt und Transitposten. Seit Erbauung der Kaianlagen, die es ermöglichen, die Durchfuhrgüter direkt vom Dampfer in die Waggons und umgekehrt zu verladen, hat auch sie von ihrer früheren Bedeutung viel verloren. Zur Zeit meiner Ankunft war Fuca Fuca sowohl Produktenfaktorei als Haupttransit-Station für Waren, die nach dem Oberlauf des Kongo bestimmt waren, und wurde von einem Faktorei-Chef, zwei europäischen Beamten und einem Stab schwarzer Schreiber von der Küste verwaltet. Mein Vorgänger war einer derjenigen, die es am längsten — nämlich 18 Monate — hier ausgehalten hatten. Er war an Schwarzwasserfieber verschieden.
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Fuca-Fuca war der Prüfstein meines Lebens. Wenige Menschen sind imstande, die nötige Energie und Aufopferung der eigenen Person aufzubringen, um alle die Krankheiten und Leiden, die mir die nächsten sechs Monate bringen sollten, zu überwinden.
Zuerst wurde ich mit dem Ein- und Ausladen der Dampfer und Waggons sowie mit der Abwicklung des Transitverkehrs nach dem Oberkongo betraut. Mit kurzer Unterbrechung mittags war ich von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends fortwährend bei glühender Sonnenhitze auf den Beinen, bald ankommende Waggons von der Eisenbahngesellschaft anfordernd, bald Elfenbein und Kautschuk auf die Ozeandampfer verladend. — Meine Natur war der Sonnenhitze und dem angestrengten Dienst schließlich nicht mehr gewachsen, und die ersten Fieber stellten sich ein. Diese waren meist sehr heftig, von Schüttelfrost begleitet, jedoch nur von kurzer Dauer.
Die Trockenperiode, welche in diesen Breiten von April bis Anfang Oktober dauert, näherte sich ihrem Ende, und der Sommer hielt langsam unter unaufhörlichen feuchtheißen Regengüssen seinen Einzug. Der Sommer oder, besser gesagt, die Regenzeit währt hier von Mitte Oktober bis Ende März und zerfällt in zwei Perioden, die eigentliche Regenperiode zur Übergangszeit, also November und Februar, März, und dazwischenliegend »la petite saison sèche«, d. h. die kleine Trockenperiode.
Gleich bei den ersten Regengüssen, die von ungemein heftigen[S. 50] Gewitterstürmen, sogenannten Tornados, begleitet waren, trat der Kongostrom aus seinen Ufern und überschwemmte einen Teil der Faktorei. Da sämtliche Gebäude, wie bereits erwähnt, Pfahlbauten sind, hinderte dies vorderhand am Betriebe nichts. Doch mußte ich, da auch die Schienenstränge überschwemmt waren, bei der Arbeit fortwährend im Wasser stehen. Das Bild des Bahnhofes von Matadi gewährte damals einen eigenartigen Anblick, da der ganze Bahnkörper oft einen Fuß hoch unter Wasser stand.
Bald stellten sich die Folgen dieser ungesunden Tätigkeit bei den Arbeitern in Form von »Beri-Beri« — eine Art Wassersucht —, bei mir in heftigen Gallfiebern ein, die mich wochenlang aufs Krankenbett warfen. Die Wasserhöhe war inzwischen beständig gestiegen, sie hatte in der Faktorei gegen 1-1/2 Meter erreicht. Das feuchte Element begann die Fußböden der Zimmer zu lockern und zu überfluten. Des Nachts kamen Krokodile in die Faktorei hereingeschwommen, die nach lebenden Wesen suchten und sich dann auf den Veranden breitmachten. Im Vorjahre war einer der Arbeiter von ihnen in Stücke zerrissen worden. Wenn auch die Türen von innen verriegelt und verschlossen waren, so war es doch kein angenehmes Gefühl, nur durch eine dünne Holzwand von den furchtbaren, heimtückischen Tieren getrennt zu sein. Endlich, als der Kongofluß auch das Hauptgebäude bis über den Flur überschwemmte, wurde mit der Übersiedlung in eine an der Berglehne aus Bambus errichtete primitive Baracke begonnen. Der Faktoreichef übersiedelte gleichzeitig mit uns beiden, da er nachts nicht allein unten bleiben wollte. Mein Krankheitszustand hatte inzwischen immer bedenklichere Formen angenommen, ich kam aus den Fiebern — Wechselfieber, Gallfieber — überhaupt nicht mehr heraus. Mein Kollege, Herr Hosemans, ein Holländer, lag an Rheumatismus, vollständig an allen Gliedern gelähmt, danieder und mußte an Bord des nächsten Europadampfers gebracht werden. Mein Chef, Bertoen, war an Schwarzwasserfieber erkrankt und lag im Sterben.
Eben wieder von einem schweren Gallfieber hergestellt, ließ ich mir vom Stabsarzt ein Zeugnis ausstellen, wonach ein längerer Aufenthalt in dieser verseuchten Faktorei für mich eine Katastrophe bedeuten würde, und mit diesem Dokument in der Hand ersuchte ich um meine sofortige Versetzung oder um meine Entlassung. Mit dem nächsten Dampfer traf mein Nachfolger und gleichzeitig ein Schreiben aus Banana ein, worin mein Gesuch bewilligt wurde.
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Kurz vor meiner definitiven Abreise nach dem Oberkongo wurde ich noch auf zwei Monate nach Boma gerufen, um dort einen schwerkranken Kameraden zu vertreten. Während meines kurzen Aufenthaltes daselbst hatte ich Gelegenheit, eine Nilpferdjagd mitzumachen, die mir unvergeßlich bleiben wird. Nichts in meinem bisherigen Leben läßt sich mit den Eindrücken vergleichen, welche dies Erlebnis auf mein Gemüt ausübte. Endlich einmal, nach vielen Monaten, ein echt afrikanisches Abenteuer, wie es mir in der Phantasie in Europa vorgeschwebt hatte.
Allerdings bildete ich nach diesem Ereignis eine Jammerfigur, von oben bis unten von ungezählten Moskitos zerstochen, Augenlider, Lippen und Hände bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen. Meine Füße, die beim Waten im Sand den ganzen Tag über den sengenden Sonnenstrahlen ausgesetzt waren, verloren nachher die Haut in Fetzen, wobei ich wahnsinnige Schmerzen aufzustehen hatte.
Doch was hatte all dies zu bedeuten gegenüber jenem Hochgefühl im Augenblick der Gefahr, wenn der Mensch diesem Zyklopen eines vergangenen Jahrtausends gegenübertritt, wenn der mächtige Koloß unter lautem Gebrüll mit geöffnetem Rachen sich auf das schmächtige Boot stürzt, alle Insassen mit sicherem Tod und Verderben bedrohend, gegenüber jenem Jubelschrei, der sich der Brust entringt, wenn die Intelligenz in diesem ungleichen Kampf der Kräfte Sieger geblieben ist und das mächtige Tier, zu Tode getroffen, verendet?
Magalhaes und Pereira, zwei Portugiesen, die den Fleischbedarf Bomas seinerzeit fast ausschließlich deckten, waren die ersten, die das Züchten von Nutz- und Schlachtvieh auf einer Insel unterhalb »Punta de Lenha« in großem Stil versuchten. In Sportkreisen waren sie als die erfolgreichsten Nilpferd- und Büffeljäger allgemein bekannt, und ich war daher hocherfreut, von Pereira gelegentlich zu einer solchen Jagd eingeladen zu werden.
Es war gegen 2 Uhr früh und noch finstere Nacht, als wir in einem Eingeborenen-Kanu, das mit zehn Ruderern bemannt war, langsam stromabwärts fuhren. Die Neger waren hübsche, kräftig gebaute, mit den Gefahren dieser Jagd völlig vertraute Leute. Bei[S. 52] ihrem Gesange und dem gleichmäßigen Ruderschlag glitten wir fast ohne jede schaukelnde Bewegung des Bootes dahin. Meine Augen, geblendet von den Hafenlichtern von Boma, gewöhnten sich nach und nach an die Dunkelheit und suchten sich zu orientieren. Die Lichter Bomas verschwanden langsam; dafür glitzerten zur Rechten die Feuer von »Shinkakassa« und ganz in der Ferne ein großes Signalfeuer am Fetish-Rock, »Pedro feitice« genannt. Mit dem Felsen verknüpft sich eine ähnliche Sage wie mit dem Loreleifelsen am Rhein. Auf ihm sitzt, nach dem Glauben der Eingeborenen, ein Dämon, der alle vorbeifahrenden Boote in die Tiefe zieht. Selbst große Ozeanschiffe arbeiten stromaufwärts an dieser Stelle oft eine Stunde, um durch die Strudel und Stromschnellen hindurchzukommen. Je mehr wir uns ihr näherten, um so mächtiger und unheilverkündender wurde ein dumpfes Brausen, das vom Brechen der Strömung an den Felsmassen herrührte, vernehmlich. Diese selbst riß uns bald in rasender Fahrt mit sich. Bald kam uns eine heftige Gegenströmung entgegen, die mit aller Kraftanstrengung überwunden werden mußte, damit wir von ihr nicht in die alles vernichtenden Strudel und Trichter gezogen wurden. Wir passierten die gefährliche Stelle, indem wir uns ganz knapp am gegenüberliegenden Ufer hielten. Unterhalb des Fetish-Rock verbreitert sich der Strom und umfaßt zahlreiche Inseln, die mit hohem Schilfgras bewachsen sind. Wir waren in unserem Jagdrevier angelangt und wurden sofort von einem Heer von Moskitos überfallen, die uns buchstäblich aussaugten. Niemand, der nicht selbst einmal das Opfer dieses blutdürstigsten aller Insekten gewesen ist, kann sich eine Vorstellung von den Qualen machen, die wir bis Sonnenaufgang zu erdulden hatten.
Unsere Ruderer hatten auf ein Geheiß Pereiras ihre Tätigkeit eingestellt, um das Erwachen des Tages abzuwarten. Klatschend fielen ihre Hände auf die nackten Körper, um ihre Peiniger zu töten. Hier und da plätscherte ein Ruder im Wasser, fremdartige Laute verkündeten den anbrechenden Tag, junge Wildgänse flogen mit hellem Gekreisch aus dem Schilf, während das eintönige Quaken der Frösche, dem sich der Ruf der Unken als beständiger Begleitton beimischte, die Sinne in Schlaf wiegten. Allmählich kam Leben in unsere Umgebung. Große Raubfische sprangen mit lautem Geplätscher aus dem Wasser; Enten, Reiher und das zahlreiche gefiederte Volk dieser Inseln stimmten ihr Morgenlied an. Lockrufe des Bulikoko und anderer großer Vögel ertönten dazwischen, und[S. 53] schließlich formte sich das Ganze zu einem Jubelchor der erwachenden Natur.
Meine Sinne waren von diesen starken Eindrücken noch ganz befangen, als von ferne plötzlich zweimal ein tiefes Brüllen mächtig und drohend über die stille Wasserfläche zu uns herüberdrang. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel fuhr es uns in die Glieder; wir waren alle wie elektrisiert. Ohne ein Kommando abzuwarten, ergriff jeder Mann sein Ruder, und aufrechtstehend, jeden Nerv und jede Muskel angespannt, mit leuchtenden Augen und pochenden Herzen, zog er es im gleichen Takt lautlos durch die spiegelglatte Wasserfläche, so daß das Kanu wie ein Pfeil dahinglitt. Vorsichtig, möglichst jedes plätschernde Geräusch vermeidend, fuhren wir an Einbuchtungen, Inseln und Sandbänken vorbei, aus welchen graue und weiße Fischreiher, Pelikane, Regenpfeifer, Störche, Gänse und Enten überrascht aufflogen.
Bei jeder neuen Ausbuchtung vermeinten wir der Tiere ansichtig zu werden. Doch wir hatten uns in der Entfernung getäuscht und mußten noch etwa eine halbe Stunde rudern, eine halbe Stunde — eine Ewigkeit für unsere fieberhaft gespannten Nerven. Schließlich gelangten wir wieder zu einer tiefen Einbuchtung, die einen Ausblick in einen kleinen Binnensee bot, ein Motiv, das in allen afrikanischen Landschafts- und Flußbildern so oftmals wiederkehrt. Vor uns, kaum 200 Schritte entfernt, den Kopf uns abgewandt, schwamm ruhig ein anscheinend älteres Hippopotamus. Es hatte uns nicht bemerkt und tauchte von Zeit zu Zeit in unserer Fahrtrichtung unter. Diese Zwischenpause benutzten wir, um mit Leibeskräften vorwärts zu rudern. Tauchte das Tier wieder auf, so legten wir uns platt in das Kanu. Auf diese Weise kamen wir dem Tier schnell näher, ohne von ihm bemerkt zu werden. Schon fürchtete ich, daß wir es überholt hätten und daß das Tier sich unter uns befinden müsse, als es plötzlich dicht vor unserem Bug auftauchte. Ein scharfer Knall — und das Tier verschwand wieder, diesmal allerdings in rasender Flucht, daß das Wasser nur so schäumte. Um so deutlicher zeigte sich die Spur auf dem Wasser, und dieser folgten unsere Neger, nun wieder mit höchster Anspannung der Kräfte rudernd. Wir mochten unserem Leittier so etwa 50 Meter gefolgt sein, als plötzlich zu unserer Rechten, auf kaum zehn Meter Entfernung, eine ganze Herde von acht bis zehn Nilpferden in wilder Flucht auf- und übereinander stürzten. So plötzlich und unerwartet sich dieses Schauspiel vor[S. 54] unseren Augen abspielte, waren wir doch alle gewissermaßen darauf vorbereitet, und pang, pang krachten von unseren drei Büchsen fortwährend Schüsse. Ein Jubelgeschrei unserer Ruderer, und wir sahen eine schwere, graue Masse die Beine teilweise aus dem Wasser strecken. Dies alles war das Werk weniger Sekunden. Die nicht getroffenen Tiere stürzten rechts und links von unserem Boote in Riesensätzen ins tiefe Wasser, während ein junges Exemplar, von Angst gepeitscht, im Schilf verschwand. Unsere Ruderer hatten indessen alle Mühe, unser Boot aus dem Bereiche der sich überstürzenden Kolosse zu bringen, um das Vollschlagen mit Wasser zu verhindern. Beim Absuchen des Terrains ergab sich, daß zwei Tiere verendet waren. Man kann sich schwerlich einen Begriff von unserer Freude machen, noch weniger aber von dem Taumel der Neger, die sich wie Wahnsinnige gebärdeten, den aufgedunsenen Körper betasteten, an den beiden Saugzapfen der Weibchen sogen oder durch den Exkrementenkanal mit dem ganzen Arm in dem noch warmen Körper wühlten. Die beiden Tiere waren Weibchen von mittlerer Große und wogen etwa 3000 Kilogramm.
Nachdem der erste Freudentaumel verflogen war, wurden beide Weibchen von sämtlichen Ruderern, die sich ihrer Lendentücher entledigt hatten, auf eine nahegelegene Sandbank gewälzt und die Bauchhöhlen mit Faschinenmessern aufgehackt. Beim Entfernen der Eingeweide wurden unsere Leute in völligen Blutrausch versetzt. Nacheinander sprang jeder einzelne in die Bauchhöhle und badete sich in dem noch rauchenden Blut der Tiere. Auch Magalhaes und Pereira hatten sich inzwischen ihrer Kleider entledigt, um die auf der unter Wasser stehenden Sandbank stattfindende Arbeit zu leiten. Ich folgte ihrem Beispiel. Es mochte gegen 6 Uhr morgens sein, und ein Fußbad konnte unseren zerstochenen Füßen nur guttun.
In einiger Entfernung hielten sich respektvoll einige Krokodile, die durch den Fleischgeruch, die abtreibenden Abfälle und das Blut angelockt waren. Doch keines dieser bei Tag äußerst scheuen Tiere wagte sich so weit in die Nähe, um uns einen guten Schuß zu ermöglichen.
Gegen 11 Uhr vormittags waren die beiden Nilpferde mittels schwerer Holzhacken so weit zerlegt, daß der größte Teil in das Boot verladen werden konnte. Da die einzelnen Teile immer noch zu schwer zum Heben waren, wurde das Boot zum Sinken gebracht. Das durch die Tragfähigkeit des Wassers verminderte Gewicht des[S. 55] Fleisches erlaubte jetzt, die Stücke ohne weiteres im Innern des Kanus zu verstauen. Zum Schluß kam über das Ganze, gleichsam als Schutzdach gegen die sengenden Sonnenstrahlen, der ausgeweidete Körper des einen Nilpferdes. Der Rest des anderen Tieres wurde inmitten einer Insel derart untergebracht, daß die Krokodile es nicht leicht wegschleppen konnten. Hierauf wurde das Wasser aus dem Kanu ausgeschöpft, und wir nahmen wieder darin Platz. Das Boot war nunmehr so stark beladen, daß sein Rand nur um halbe Handbreite aus dem Wasser herausragte. Nachdem wir uns an gebackenen Fischen, einer Mettwurst, Kieler Sprotten, Schinken und Hühnern in Dosen sowie einigen Flaschen Rotwein herrlich delektiert hatten, begann die Heimfahrt. Ich saß mit Magalhaes rittlings auf dem Rücken des einen Nilpferdkadavers und mußte in dieser schwierigen Stellung bis 1 Uhr nachts, also gegen zwölf Stunden, aushalten. Rühren durfte ich mich nicht, da bei der geringsten Bewegung sofort Wasser ins Boot schlug.
Während die Fahrt frühmorgens mit der Strömung ein wahrer Genuß war, kann ich von der Rückkehr nur das Gegenteil sagen.[S. 56] Das schwerbeladene Boot kämpfte sich wie ein Bleiklotz Schritt für Schritt, immer dicht am Ufer und am Schilf entlang, stromauf vorwärts. Um die Hauptströmung zu vermeiden, mußte ein Riesenumweg in kleinen, seichten Kanälen gewählt werden. Langsam verschwand die Sonne am Firmament als leuchtender, roter Feuerball; die Dämmerung rückte heran; es wurde dunkler und dunkler und die Ausdünstung des Nilpferdfleisches immer unerträglicher. Mit anbrechender Dunkelheit fielen wieder Schwärme von Moskitos über uns her und peinigten uns auf das furchtbarste. Hände, Kopf und Füße waren von den Blutflecken der erschlagenen Insekten wie tätowiert. Meine Kräfte erlahmten, und im Sitzen ließ mich die Müdigkeit in eine Art Halbschlummer fallen, als ich von meinem Nachbar Magalhaes plötzlich unsanft wachgerüttelt wurde. Dicht vor uns, auf kaum zwanzig Schritte Entfernung, trat ein mächtiger Hippopotamus aus dem Schilf und kreuzte, gemächlich durch das seichte Wasser watend, unseren Weg.
Die Dämmerung ließ die Umrisse des ungeschlachten Tieres noch über seine normale Größe hinauswachsen. Unwillkürlich kamen mir bei seinem Anblick die Riesen der Vorzeit, die Ichtiosaurier und Dynosaurier, in den Sinn. Niemals später im Leben habe ich einen ähnlichen Schrecken und — ich sage es aufrichtig — eine solche Angst empfunden. Unser Boot näherte sich inzwischen immer mehr dem Kreuzungspunkt, wo es mit dem Flußpferd zusammenstoßen mußte. Mir sträubten sich die Haare bei dem Gedanken, daß das Tier unser schwer lenkbares Boot angreifen würde; doch kümmerte es sich merkwürdigerweise gar nicht um uns. Vorher auf der Jagd hatte ich nur einen Teil des Oberkörpers sowie den ungeheueren Kopf der Bestie gesehen; dies Tier aber ragte in seiner vollen Größe aus dem Wasser und schien in der Dämmerung ins Ungeheuere zu wachsen. Pereira, der die Eigenschaften des Flußpferdes kannte und es offenbar darauf ankommen lassen wollte, wer von beiden den kürzeren zog, gab schließlich einen kurzen Befehl; die Ruderer bremsten das vorwärts treibende Boot mit aller Macht und ließen das Tier vorbei. Pereira, den Finger am Drücker seines Gewehres, rührte sich nicht in seinem Stuhl. Langsam, Schritt für Schritt, tief im Sande versinkend, zog das Flußpferd etwa zwei bis drei Meter vor unserer Bootsspitze vorüber, zeitweilig stehenbleibend und uns herausfordernd anbrüllend. Weit riß es den ungeheueren Rachen auf, tief und drohend hallte das Brüllen ins Land hinein, bis es[S. 57] in weiter Ferne von irgendeinem Kampfbullen, der es als eine Herausforderung betrachtete, gleichsam als Echo wiedergegeben wurde.
Ich saß wie versteinert auf meinem unsicheren Sitz. Die gespenstischen Schatten der Dämmerung, die unermeßliche Macht der schaffenden Natur, welche sich in dem drohenden Ungeheuer da vor uns kundgab, hatten mich vollständig gelähmt. Ich fühlte plötzlich die unsichtbaren Gewalten und tausenderlei Gefahren, denen wir ahnungslos in diesem wilden Kontinent entgegentreten.
Doch auch diese Gefahr ging glücklich an uns vorüber, und unsere mühsame Weiterfahrt stromaufwärts verlief ohne jeden weiteren Unfall. Gegen ein Uhr nachts langten wir nach vollbrachter Riesenarbeit unserer Ruderer — die armen Teufel hatten zwölf Stunden ohne Unterbrechung das schwerbeladene Boot gegen die Strömung hinaufgerudert — in Boma an, wo ich nach Verschlucken einer Doppelration von Chinin, an allen Gliedern wie gelähmt, sofort in tiefen Schlaf verfiel. Leider blieb dies die einzige Jagd auf Nilpferde, die ich am Unterkongo mitmachte.
Etwa vier Wochen später wurde Magalhaes bei einer Jagd auf ein Nilpferdjunges von der Mutter, die er nicht bemerkt hatte, angegriffen. Das alte Tier warf das Kanu um, zertrümmerte einem Neger mit einem Hufschlag die Hirnschale und stürzte sich auf den des Schwimmens nicht kundigen und infolgedessen nach Hilfe rufenden Magalhaes, den es am Oberschenkel erwischte, mehrmals biß und in die Luft schleuderte, bis Magalhaes besinnungslos zwischen Schilfgras zu liegen kam. Die Neger hatten inzwischen das Boot gedreht und brachten den Besinnungslosen nach Boma, wo er infolge mehrfacher Brüche und Zerschmetterung des Oberschenkels und eines Armes sowie innerer Verletzungen binnen wenigen Stunden verschied.
Doch nicht zum Vergnügen der Nilpferdjagd hatte die Direktion mich von Matadi nach Boma auf die Produktenfaktorei herunterkommen lassen. Wie bereits erwähnt, hatte ich hier Herrn Bürbank, Chef der Produktenfaktorei — einen liebenswürdigen Holländer, der an Schwarzwasserfieber erkrankt war —, zu vertreten. Als abgehärmtes[S. 58] Skelett fand ich den lebensfrohen Mann ans Bett gefesselt und von der Wucht der schrecklichen Krankheit, die mit der Dysenterie die meisten Todesopfer fordert, vollständig niedergeworfen vor. Drei lange Tage hatte er in beständiger Lebensgefahr geschwebt und große Mengen Galle gebrochen, bis Podiferin — Pillules Antibilieuses — und wiederholte kräftige Einläufe den Körper so weit von allen Krankheitsstoffen befreit hatten, daß der versiegende Lebensfunken wieder langsam aufflackern konnte.
Ich hatte in der relativ kurzen Zeit meines Aufenthaltes in Banana und Fuca-Fuca von der meist portugiesischen Dienerschaft und Bevölkerung so viel von der Sprache gelernt, um ohne weiteres mit den Eingeborenen ohne Dolmetscher Handel treiben zu können. Der Produkteneintausch mit den Eingeborenen spielt sich ungefähr folgendermaßen ab:
Frühmorgens werden die Linguister (Eingeborene, die die Karawanen durch Versprechungen in die Faktorei locken sollen) mit Alkohol und allerlei Zierat, als Geschenke bestimmt, in die verschiedenen Richtungen, die ins Innere des Landes führen, ausgesandt. Schlaue Portugiesen hatten diesen Modus des Handels wegen der immer heftigeren Konkurrenz ausgedacht, und wir anderen mußten folgen, wollten wir nicht alle Karawanen zur Konkurrenz ziehen sehen. Von der Tüchtigkeit dieser Linguister im Lügen und Vorschwindeln, von der Stärke des Alkohols (die Portugiesen hatten allerhand Kniffe, um den Geschmack desselben durch Beimischen von Gewürznelken oder auch Cayenne-Pfeffer noch zu erhöhen) und schließlich auch von dem Ansehen, den dieser bei ihnen genoß, hingen dann hauptsächlich die Geschäftsresultate ab. Hatten unsere Linguister durch irgendeinen neuen Kniff die Leute betört, dann kamen in langen Reihen die Karawanen, jeder Mann seinen »Kisako«, eine Art Tragkorb, auf dem Kopf, der mit Kautschuk, Palmnüssen, Palmöl oder auch Elfenbein gefüllt war, in die Faktorei hereinspaziert.
Doch damit ist der Handel noch lange nicht erledigt. Die Konkurrenz hat mit scheelen Augen die Karawane vorüberziehen sehen und dabei nochmals durch ganz besonders gewandte Neger den Leuten »das Blaue vom Himmel versprechen lassen«. Gewöhnlich begleitet der eine oder andere Konkurrenzbote die Leute bis in die eigene Faktorei. Dazu werden von den Portugiesen wieder Eingeborene aus solchen Dörfern verwendet, die uns zumeist unbekannt[S. 59] sind. Werden sie ausfindig gemacht, dann verlassen sie hinkend die Faktorei und kehren bestimmt nicht wieder.
Jetzt beginnt ein Feilschen und Schachern, wovon ein europäischer Kaufmann sich schwer einen Begriff machen kann. Alkohol wird bei diesen Unterhandlungen im Überfluß gespendet. Mata biche (töte das Tier im Magen — den Hunger —) ist das erste Wort und auch das letzte bei jeder Verhandlung. Im Halbkreis um die Wage herum sitzen die Neger und packen mit einer Umständlichkeit ihre Siebensachen aus ihren Körben heraus, die uns Europäern ein Lächeln entlockt. Gewöhnlich ist der Häuptling der Erste und Anspruchsvollste, der mit einigen Kilo Kautschuk an die Wage tritt. Der Preis, den er zuerst dafür fordert, ist das Dreifache des eigentlichen Wertes. Wer ärgerlich davonläuft, wird von einem Bakongo niemals ein Lot Kautschuk kaufen. Am meisten Erfolg wird stets der haben, der als Philosoph ruhig lächelt und das Ganze als lustigen Scherz auffaßt. Denn die Leute wissen ganz gut, daß das, was sie fordern, unmöglich ist, und grinsen ganz vergnügt, wenn der weiße Chef sie auslacht. Inzwischen werden bedächtig die kleinen, kunstvoll gearbeiteten Tonpfeifen in Brand gesetzt, die Alkoholflasche geht von[S. 60] Hand zu Hand, und die Kerls setzen sich gemächlich, als ob sie die ganze nächste Woche verhandeln wollen. Die Leute haben Zeit, Zeit, riesig viel Zeit. Sie kommen acht bis zehn Tagereisen aus dem Innern und wollen nun alles Neue, was um sie vorgeht, in Gemütsruhe auffassen und genießen. Darum »Eile mit Weile«!
Ganz gemütlich kehre ich nach der ersten Begrüßung an meinen Frühstückstisch zurück. Ist der mitgekommene Häuptling eine gewichtige Persönlichkeit oder mir von früher her bekannt, so lasse ich ihm durch einen Moleque — portugiesische Bezeichnung für Diener — eine dampfende Tasse schwarzen Kaffee bringen. Dies schmeichelt seiner Eitelkeit ganz besonders und macht ihn um einen großen Grad entgegenkommender. Inzwischen kommen immer neue Karawanen herein, die dem ersten Beispiel folgen.
Nach dem ersten Frühstück kehre ich abermals zur Wage zurück. Die Leute sind inzwischen im Preise heruntergegangen, verlangen aber immer noch zu viel. Ich erkenne, daß eine Einigung vorläufig unmöglich ist, und wende mich den Neuangekommenen zu. Bei ihnen gewöhnlich Wiederholung ungefähr der gleichen Prozedur.
Unter die zuerst Angekommenen habe ich inzwischen einige Ringe Lukolela-Tabak verteilen lassen. Diese Gratisverteilung imponiert ihnen offenbar sehr; sie ziehen mit Behagen den Duft des bei ihnen ganz besonders beliebten Krautes ein und überlegen im stillen, wie viele solcher Ringe sie sich als »Matabiche« mitnehmen werden. Inzwischen sind die Türen des Faktoreigebäudes geöffnet worden, wo Reihe an Reihe große Mengen von Tüchern, Baumwollstoffen aller Art, kurz ein ganzes Arsenal von begehrenswerten Dingen aufgestapelt liegen. Der Wunsch, all dies zu besitzen, stimmt sie nachgiebiger. Den Anführer oder Häuptling habe ich beiseite genommen und ihm außer den gewöhnlichen Draufgaben noch ein Extra-Matabiche versprochen, wenn er mir beim Kauf zur Seite steht. Kurzum, wir einigen uns auf einen Preis, der vorläufig mein Kauflimit noch überschreitet. Gestreifte und geblümte Baumwollstoffe in allen möglichen grellen Farben, Faschinenmesser, Hauen, Arm- und Beinringe aus Messing, Perlen, einige Säcke Salz usw. haben ihren Besitzer gewechselt und werden nun mit kritischen Augen betrachtet. Hat der Anführer nun erst einmal gekauft, so folgen alle anderen, wie eine Herde Schafe ihrem Leithammel. Diese sind bei weitem nicht so gerieben und verwöhnt wie der erste und nehmen,[S. 61] was man ihnen gibt. An ihnen muß die erste Differenz sowie das Extrageschenk dazu verdient werden. Schließlich wird der ganze Kauf noch in einer Runde Alkohol sowie verschiedenen Runden Schnupftabak gewissermaßen besiegelt. Ich habe inzwischen schnell die Gesamtbilanz gezogen und den Häuptling allein zu mir ins Magazin gebeten. Unsere weiteren Verhandlungen bleiben für alle, selbst für meine Leser, ein Geheimnis.
Es kommt aber auch vor, daß man von den Eingeborenen hineingelegt wird. Davon nur ein tragikomisches Beispiel. Eines Tages erhielt ich den Besuch eines großen Häuptlings »Nfuma mafuta mingi« der Mayumbe-Region. Er sah außerordentlich vornehm aus. Die dünnen, langen, mit schwarzem gekrullten Haar bedeckten Beine staken in einer Pumphose, die vor Jahren einmal weiß gewesen war; um den knochigen Körper schlotterte ein Gehrock, in den an verschiedenen Stellen mittels weißen Zwirns Flicken eingesetzt waren. Die mit Amuletten aller Art verzierte Brust schmückte stolz die Nickelmedaille, das Abzeichen der vom Staat anerkannten Häuptlinge. Mit dem Gruße »Mbote Nfuma« trat der Mann, gefolgt von zwei Eingeborenen seines Dorfes, zu mir auf die Veranda, nahm aus den Händen seiner Diener zwei große fette Hühner sowie eine Kalebasse mit süßem Palmwein und legte sie mit hoheitsvoller Würde zu meinen Füßen nieder. Das mindeste, was man in solchen Fällen tun kann, noch dazu, wenn man ein Geschenk erhält, ist, seinem Gast einen Stuhl anzubieten. Dies tat ich, und Nfuma mafuta mingi drehte zuerst das eine Bein einwärts, dann das zweite und setzte sich darauf mit sehr viel Würde mir gegenüber nieder.
Behaglich lehnte ich mich inzwischen in meinen Stuhl zurück und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Einige Minuten völligen Stillschweigens vergingen, dann begann Mafuta mingi:
»Ich komme von meinem Dorf.«
»Gut, das freut mich,« erwiderte ich und überlegte im stillen: Sicherlich will der Mann irgendeinen Dienst von mir, daher die Geschenke.
Wir sahen einander einige Minuten schweigend, prüfend an.
Dann fuhr er fort: »Um dir guten Morgen zu sagen.«
Ich bin von jeher ein höflicher Mann gewesen und erwiderte nun meinerseits den Gruß, gespannt, was darauf folgen sollte. Wieder langes Stillschweigen — endlich:
[S. 62]
»Ich bringe dir hier dieses Geschenk.« Ah, denke ich, jetzt kommt es. Doch wieder hatte ich mich getäuscht. Nach weiteren fünf Minuten Stillschweigens fing ich an ungeduldig zu werden und fragte mich vergeblich, was der gute Mann eigentlich von mir wollte. »Ist das alles, und bist du darum aus dem Dorfe gekommen, um mir nur guten Tag zu sagen und ein Geschenk zu bringen?«
Diese Frage verwirrte ihn offenbar noch mehr, und er antwortete: »Ich habe dir dieses Geschenk gebracht, weil du mein Chef und ein guter Chef bist und weil ich dich lieb habe.«
»Ah, sehr brav, sehr brav, mein lieber Freund«, antworte ich darauf, innerlich tief beschämt und erstaunt über so viel Liebe und Aufmerksamkeit von seiten eines Mannes, den ich bisher höchstens dreimal gesehen.
Wieder hüllten wir uns in tiefes Stillschweigen. Die Idee, daß der gute Mann eigens mir zuliebe die weite Reise gemacht haben sollte, wollte mir doch nicht so recht in den Kopf. Wäre ich ein abergläubischer Mensch gewesen, so hätte ich jetzt ernstlich Furcht vor irgendeiner Hexerei empfunden, die der Häuptling mit mir vorhatte, so unverwandt und durchdringend blickten seine Augen mich an. Doch da ich als guter Mensch von meinen Nächsten stets das Beste denke, so hatte ich keine Furcht, sondern fühlte nur ein leises Unbehagen, zumal ich nicht recht wußte, auf welche Weise ich mich für so viel Güte revanchieren sollte. Ich verließ also meinen Lehnstuhl und machte einen kleinen Rundgang in der Faktorei, um die verschiedenen Arbeiten zu inspizieren. Das war gegen 9 Uhr morgens. Etwa eine Stunde später kehrte ich auf die Veranda zurück und fand den guten Mann, den ich völlig vergessen hatte, mit seinen beiden Dienern auf der gleichen Stelle hockend vor.
»Mfumu, seit etwa vierzehn Tagen habe ich hier« — dabei deutete er in die Magengegend — »ein Tier, welches auf und ab geht und mir meinen Schlaf raubt.«
Da haben wir die Bescherung, dachte ich, sicherlich wünscht der Brave ein Medikament. Mit ernsthafter Miene ließ ich mir die Örtlichkeit seiner Schmerzen von ihm näher erklären. Diesmal lamentierte er fließend weiter:
»Und da ich weiß, daß du ein guter Chef und großer Medizinmann bist, der alle Teufel zu bezwingen vermag, bin ich zu dir gekommen, dich zu bitten, das Tier im Magen zu töten.«
[S. 63]
Unwillkürlich setzte ich eine wichtige Miene auf — ein Beweis, daß eine Schmeichelei, selbst von einem Negerhäuptling, niemals ihre Wirkung verfehlt — und stellte die bei derartigen Anlässen üblichen Fragen.
»Laß die Zunge sehen — gut. Bist du bei gutem Appetit?«
»Nein.«
»Gehst du regelmäßig ins Grüne?«
»Seit einer Woche nicht.«
»Ah, ah« — schließe ich meine Diagnose, »der Fall ist schwer, sehr schwer.« Gewichtig schreite ich ein paarmal auf und ab, die Stirne in krause Falten ziehend. Für mich, der ich niemals einen pharmazeutischen Kursus zu absolvieren Gelegenheit hatte, bedeutete dies einen ganz komplizierten Fall. Meine Wissenschaft in derartigen Dingen reichte gerade so weit, um sofort mit klarem Blick zu erkennen, daß hier nur ein kräftiges Purgativ, wie Magnesium sulfuricum (Bittersalz) helfen konnte. Ich entnahm daher meinem Arzneikasten eine Flasche, welche das Heilmittel für den Patienten enthielt. Dieser war mir auf den Fersen gefolgt und hatte mißtrauisch jede meiner Bewegungen beobachtet. Ich füllte einen Löffel bis zum Rand und leerte ihn in ein Glas. Dies genügt für gewöhnlich, doch, teils aus Mitleid für die Qualen, welche der Bedauernswerte bisher erduldet hatte, teils aus Vorsicht, weil Negermagen stets die doppelte Dosis vertragen können, leerte ich einen zweiten vollen Suppenlöffel mit der gebührenden Feierlichkeit in das Glas.
Die Zubereitung einer Medizin, die den »bösen Geist im Körper töten sollte«, mußte natürlich im mystischen Dunkel erfolgen, damit mein Ruf als Medizinmann nicht vom Erstbesten vernichtet werden konnte. Ich trat daher in meine Dunkelkammer, in welcher mein Boy vorher das rote Licht angezündet hatte, und in deren geheimnisvollem roten Schein füllte ich das Glas bis zum Rande mit »aqua destillata«. Hierauf reichte ich dem Häuptling, der von der Veranda aus den ganzen Vorgang beobachtet hatte, das Glas mit gebieterischer Gebärde. »Trinke!«
Dieselbe Gebärde und Haltung mir gegenüber einnehmend, erwiderte dieser:
»Trinke du zuerst!«
Mit einem Schlag stürzte ich aus meinen mystischen Höhen, in die mich die Zubereitung der Medizin versetzt hatte. Ich glaubte[S. 64] meinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Doch ein Blick auf den Patienten genügte, um zu sehen, daß ich recht gehört hatte und daß dies sein bitterer Ernst war.
»Aber ich bin doch nicht krank!« erklärte ich.
»Wenn du nicht krank bist, dann wird es dir nicht schaden«, war die Antwort.
»Aber ich gehe doch regelmäßig, jeden Tag ... ins Grüne!«
»So wirst du eben noch regelmäßiger gehen.«
»Ah, geh zum Teufel, wenn du nicht trinken willst, dann schau, daß du weiterkommst!«
»Aber ich will ja trinken, nur mußt du zuerst die Hälfte trinken!«
»Wenn du nur die Hälfte trinkst, dann nützt die Medizin nichts, du mußt alles trinken.«
»Gut, dann trinke du das ganze Glas und bereite mir die gleiche Medizin nochmals!«
»Der Teufel soll dich holen — Kaluka — schau, daß du fortkommst!«
Bis zu diesem Augenblick hatte ich die Angelegenheit von der komischen Seite betrachtet. Nun fing ich wirklich an, ärgerlich zu werden. Mein Patient ließ sich durch meinen Zorn durchaus nicht aus dem Gleichmut bringen. Langsam erhob er sich, setzte die Füße einwärts, schüttelte das greise Haupt:
»Wa—wa—wa—was? Du willst nicht trinken? Dann hast du mich vergiften wollen!«
Und seine beiden Diener nickten zustimmend mit den Köpfen und wiederholten: »— vergiften — vergiften wollen.«
Ich erstickte vor Wut und mußte mich zusammennehmen, um ihnen nicht das Glas an den Kopf zu werfen.
»Und wir gehen jetzt zum Richter, um dich anzuzeigen!«
Mir wurde es schwarz vor den Augen; ich fühlte, wie mir eine Blutwelle zu Kopf stieg. Da hatte ich mir eine schöne Suppe eingebrockt! Hin und her überlegend, rannte ich wie ein wildes Tier auf der Veranda auf und ab. Der Satz: »dann wolltest du mich vergiften« ging mir im Kopf herum. Ich konnte den Esel doch nicht im Glauben lassen, daß ich es wirklich auf sein Leben abgesehen hatte. Der Kerl wäre imstande, die Geschichte in ganz Boma und Umgebung zu verbreiten. Er hatte zwei Zeugen, die offenbar ganz der gleichen Meinung waren. In Gedanken sah ich mich schon vor das Schwurgericht gestellt! Ich würde ja sicherlich freigesprochen[S. 65] werden, aber ein Makel würde ebenso sicher auf meinem Namen bleiben, und ich sah schon in Gedanken die englischen Missionare in ihren Journalen der Welt verkünden: Mißglückter Versuch eines Händlers, einen bedeutenden Eingeborenenhäuptling zu ermorden! Aussagen von zwei Zeugen, die zugegen waren. Urteil der Kongogerichte. Freispruch des Mörders mangels genügender Beweise!
Eine unbeschreibliche Wut erfaßte mich bei diesem Dilemma. Am liebsten hätte ich dem Kerl von meinem Capita[3] 25 Hiebe mit der Nilpferdpeitsche aufzählen lassen. Doch nein — rechtzeitig hielt ich inne! — Mißglückter Vergiftungsversuch — dann Prügel — vielleicht gar Totschlag — mir wurde es schwarz vor den Augen! »Ah, wenn ich wenigstens noch Bittersalz vertragen könnte! Doch ich versichere, nicht einmal riechen, geschweige denn trinken konnte ich bisher das abscheuliche Zeug. Ach, in welches Wespennest hatte ich da die Hand hineingesteckt! — Es sollte mir nichts übrigbleiben — ihr werdet sehen!« —
Mafuta mingi stand noch immer vor mir, das Glas mit meiner Medizin in der Hand. Plötzlich reifte ein heroischer Entschluß in mir, ich nahm das Glas und leerte es auf einen Zug!
Mafuta mingis Gesicht verzerrte sich zu einem behaglichen Grinsen; ich aber rannte zu meiner Flasche, schüttete vor seinen Augen drei große Löffel in das Glas und füllte dieses bis zum Rand mit aqua destillata.
»So, jetzt trinke, sonst erschlage ich dich auf der Stelle.« — — —
Eine Woche später erschien Mafuta mingi wieder, um mir für den Erfolg meiner Behandlung zu danken; er war zwei Tage lang fortwährend — ins Grüne gegangen. Und ich armer Teufel — —?!
Ich habe in meinem späteren Leben niemals mehr einem Häuptling eine Medizin gegeben.
Von Matadi stromaufwärts bis zum Stanley-Pool bildet der Kongofluß eine Reihe von Katarakten, Stromschnellen und Strudeln, die für Dampfer völlig unpassierbar sind, so daß diese Strecke in früheren Jahren mit Karawane zu Fuß zurückgelegt werden mußte.[S. 66] Im März 1890 wurde mit dem Bau der 500 Kilometer langen Eisenbahn begonnen, und im Jahre 1898 wurde diese offiziell dem Verkehr übergeben. Wer sein ganzes Leben in der Heimat hinterm Bureautisch in beschaulicher Ruhe zugebracht hat, wer als Weltbummler, dank seines Goldes, in bequeme Sessel zurückgelehnt, eine Vergnügungsreise über die Kristallberge nach dem Stanley-Pool macht, der wird keine Ahnung von der Riesenarbeit haben, die durch menschliche Intelligenz hier geschaffen, von dem Kampf zweier Welten, der hier ausgefochten worden ist und Tausende von Opfern durch Seuchen aller Art gefordert hat. Niemals wird er sich davon Rechenschaft ablegen, wieviel menschliches Blut hier an jedem Schritt Landes haftet, und wie viele vor ihm ihre Gesundheit, ihren Verstand und ihr Leben bei dieser mörderischen Arbeit lassen mußten. Der aber, der mehr als einmal unter viel kleineren Aufgaben zusammengebrochen ist, der am eigenen Körper die erschlaffende Wirkung der Sonnenstrahlen empfunden hat, kann sich eine Vorstellung davon machen, was es heißt, dieses Riesenwerk in den Granitfelsen in schwindelnder Höhe entstehen zu lassen.
Hinaus aus der Station eilt der Zug — zur Linken, fast senkrecht in der Tiefe, winkt der Kongofluß mit den bekannten Jellala-Katarakten und Strudeln. Gleich einem Band schmiegt sich der schmale Bahnkörper an die mächtige überhängende Felswand. Ein Lockern der Schienen an irgendeiner Stelle würde den Zug 300 Fuß senkrecht in die Tiefe stürzen lassen, wie dies beim Bau der Bahn wiederholt vorgekommen sein soll. Wir wagten gar nicht daran zu denken. Bei der nächsten Biegung bot sich unseren Augen der Ausblick auf einen schäumenden Wasserkessel. Vor uns, gleich zwei Dolomitentürmen, ragten zwei Felskegel, rings von rötlichem Gestein und vereinzeltem Strauchwerk umgeben, senkrecht empor. An dieser Stelle mündet der Pozo, ein kleiner Gebirgsfluß, der über große Granitblöcke, wie Champagner perlend, in die Tiefe stürzt, in den Kongo ein. Wir folgten dem Laufe dieses Wildbaches etwa eine halbe Stunde stromaufwärts. Zu beiden Seiten genossen wir einen Ausblick, wie er nirgends auf der Welt schöner zu finden ist. Phantastisch zerklüftetes Felsengebirge, von den ersten Sonnenstrahlen mit zartem Rosahauch übergossen, formt bald große Dome, bald trägt es wieder den Charakter der Dolomiten. In der Tiefe rauscht der tosende Wildbach zwischen Felsblöcken dahin, bald einen Wasserfall, bald ein großes Sammelbecken bildend. Kaleidoskopartig[S. 67] ziehen alle diese Bilder an unseren Augen vorbei. In raschem Lauf erklomm der Zug, von zwei kräftigen Bergmaschinen getrieben, in langen Spiralen das vor uns liegende Hochgebirge.
Behaglich in einem drehbaren, federnden Madeirafauteuil sitzend, wandte ich mich meinem Gegenüber, dem Kommandanten der französischen Tschadsee-Expedition, Gentil, zu, der mir in den nächsten Tagen viel Interessantes über seine Feldzüge in Tongking und gegen die chinesischen Piraten erzählte. Wir teilten den Waggon nur noch mit zwei Missionaren der Missionsstation »Kimuenza«, mit denen wir uns im weiteren Verlaufe der Reise noch anfreundeten. Vorläufig waren sie noch mit ihrem Frühstück aus der mitgebrachten Proviantkiste beschäftigt. Moderne Speisewagen und Restaurants gab es auf dieser Linie noch nicht. Jeder Reisende hatte Proviant für zwei Tage, also für die Reisedauer, mitzunehmen.
Nach einiger Zeit hatten wir den höchsten Punkt der Trasse erreicht und warfen noch einen Blick zurück. Der Pozo schlängelte sich einige tausend Fuß unter uns gleich einem Faden dahin. Wir hatten nunmehr eine Art Hochplateau erreicht und eilten bald an kahlem Felsgestein, bald an Sümpfen, an kleinen Wäldern und[S. 68] Morast vorbei. Jede Viertelstunde hielt der Zug still, um die Wasserkessel neu zu füllen, da der Dampfverbrauch bei der großen Steigung sehr groß ist. Gegen Mittag erreichten wir die Waldzone.
Von der Glut der Sonne zu grenzenloser Kraftentfaltung getrieben, reckt der Urwald überall, wo Gewässer durch den stehenden Schlamm der dunklen, schattigen Moräste rieseln, ein Blätterdach von unendlicher Mannigfaltigkeit gegen den Himmel. In dem dunklen, rätselhaften Schatten dieser Vegetation wogt ein beständiger unerbittlicher Kampf um die Lebenskraft, um das Licht. Stahlharte Kautschukmuskeln in Gestalt einer rankenden Liane, aus einem schwanken Reis im Laufe der Zeit zum furchtbarsten Gegner emporgewachsen, umklammern den Körper der Urwaldriesen, um in unaufhörlichem Durst deren Herzblut auszusaugen und sie schließlich zu Boden zu zwingen.
Unser Zug raste mit Windeseile dahin, vorbei an kolossalen, aus Lianen aller Art bestehenden Triumphbogen, vorbei an Lichtungen, wo Bananen, Palmen und tausenderlei Blattpflanzen eine Welt für sich bilden. Unser Auge weidete sich freudetrunken an den herrlichen Schätzen, die uns die Natur enthüllte und in der Phantasie ahnen ließ. Gegen 6 Uhr abends kamen wir in Thysville an und unterbrachen hier die Fahrt, da die Strecke nachts nicht befahren werden kann. Wir fanden hier in den verschiedenen Faktoreien behaglich eingerichtete Zimmer vor und nahmen sofort ein erfrischendes Bad, um uns von den Strapazen der Reise zu erholen.
Am folgenden Morgen, gegen 8 Uhr, setzten wir die Reise fort. Diese führte wieder größtenteils durch herrlichen Urwald. Wir waren in der sogenannten Waldzone angelangt, und das Zirpen der Baumgrillen, das Kreischen der Papageien und Lockrufen einer Menge anderer Vögel übertönte das Getöse des dahineilenden Zuges.
Ein Ruf höchster Bewunderung entrang sich unser aller Lippen, als nachmittags, nach einer kurzen Steigung plötzlich zu unseren Füßen der Stanley-Pool in silbernem Blau erglänzte. Gleich einem Binnensee glitzert und spiegelt die unermeßliche Wasserfläche, soweit das Auge reicht, in allen Tönungen, vom zartesten Grün bis zum tiefsten Dunkelblau, während in weiter Ferne, ganz am Horizont, Kreidefelsen — auch Dover Cliffs genannt — das Panorama wie eine Gletscherkette abschließen.
[S. 69]
Nach einer kleinen Viertelstunde Fahrt am Ufer des Pools entlang erreichten wir Kinschassa, das vorläufige Ziel meiner Reise, während der Zug noch ein kurzes Stückchen weiter bis nach Leopoldville, im Volksmund kurz »Leo« oder auch »Kintambo« genannt, ging.
Hier wurde ich von Herrn Tours, dem Chef der holländischen Faktorei, welcher von meiner Ankunft bereits telegraphisch verständigt war, empfangen und auf das liebenswürdigste bewillkommt.
Der Stanley-Pool ist gewissermaßen das Tor Innerafrikas, der Ausgangspunkt der Schiffahrt nach dem oberen Kongo und seiner zahlreichen Nebenflüsse. Um voll zu verstehen, was der Kongo, dieser mächtigste Fluß Zentralafrikas, als natürliche Verkehrsader für die Nutzbarmachung des Riesenreiches mit einem Flächeninhalt von rund 2260000 Quadratkilometer bedeutet, muß man sich vergegenwärtigen, daß etwa 14200 Kilometer des Flußsystems schiffbar sind, was, auf unsere europäischen Verhältnisse übertragen, ungefähr der Gesamtausdehnung der Küsten des Mittelmeeres (etwa 14500 Kilometer) gleichkommt.
Infolge seiner zentralen Lage als Endpunkt der 500 Kilometer[S. 70] langen Eisenbahn und als Stapelplatz des Verkehrs nach dem Inlande ist Leopoldville dazu berufen, dereinst die Hauptstadt des Kongostaates zu werden. Kinschassa, unweit Leopoldville am Stanley-Pool inmitten hundertjähriger Baobabriesen anmutig gelegen, bildet eine Art Vorstadt, das Faktorei-Viertel der Metropole. Mit Leopoldville ist es durch eine breite Allee verbunden, welche dem Pool entlang durch Ansiedlungen der Eingeborenen der Umgebung führt und zu beiden Seiten mit Mangobäumen und Baobabs bepflanzt ist.
Gleich nach unserer Ankunft in Kinschassa gingen wir zu Fuß nach Leopoldville. Von der einsamen langen Wanderung sahen wir uns mitten in das Großgetriebe eines afrikanischen Hafenplatzes versetzt. Lange Kolonnen von Trägern mit ihren Lasten von Ballen, Kisten oder Koffern auf dem Kopf treffen von den verschiedenen Richtungen her am Hafen ein und bringen die Landesprodukte entweder sofort an Bord der verankerten Schiffe oder reihen sie am Quai unter Aufsicht von europäischen Beamten ein. Andere Gruppen wieder laden die kostbare Ladung von Rohgummi und Elfenbeinzähnen aus den Dampfern direkt in die bis an die Quais heranfahrenden Eisenbahnwaggons um. Das Getriebe am Hafen läßt sich am besten mit einem Ameisenhaufen vergleichen. Der erste Eindruck des oberflächlichen Beschauers ist der eines wirren Durcheinanders, eines widersinnigen Hin- und Herlaufens. In Wirklichkeit aber herrscht musterhafte Ordnung, strenge Aufsicht und Zucht. Jede der hier arbeitenden Kolonnen steht unter Kontrolle eines europäischen Beamten. Alle die Fäden dieses komplizierten Betriebes, der viel Umsicht erheischt und von dessen tadellosem Funktionieren das Schicksal von Menschenleben tief im Innern des Landes abhängt, vereinigen sich in der Hand des Distrikts-Kommissars, des Allgewaltigen von Leopoldville, der über das Ganze gebietet, und ohne dessen Einwilligung kein Dampfer den Hafen verlassen darf.
Was jeden Neuling am Hafen in erster Linie fesselt und seine Aufmerksamkeit an sich zieht, ist die ganz eigenartige Bauart der Dampfer. Der Kongo verbreitert sich in seinem Oberlauf, an der sogenannten Äquatorialkurve, zu einem unendlich langen Binnensee. Stellenweise ist der Fluß bis zu 18 Kilometer breit. Ausgedehnte Inseln und Sandbänke verlegen das Flußbett und hemmen die Schiffahrt. Der Verkehr ist zu normalen Zeiten schwierig, besonders aber zu Zeiten der Trockenperiode, bei niederem Wasserstand,[S. 71] wo einzelne Durchfahrtsstellen kaum fünf bis sechs Fuß, d. h. 1,50 bis 1,80 Meter tief sind. Diesem Umstand mußte nun bei der Konstruktion der Schiffe Rechnung getragen werden. Es entstand ein ganz eigenartiger Typ von Raddampfern — sogenannte Flachboote — die im Verhältnis zur Länge sehr breit sind, geringen Tiefgang besitzen und von einem großen Schaufelrad, das am Hinterteil des Schiffes, ähnlich einem Mühlenrad, angebracht ist, getrieben werden. Maschinen, Heizanlagen und Kessel sind im Unterdeck eingebaut, und auch ein Teil der Ladung, der auf Deck nicht untergebracht werden kann, und Brennholz zur Speisung der Maschine, muß daselbst verstaut werden. Darüber befinden sich die Kabinen des Kapitäns und der Passagiere sowie die Kommandobrücke. Zur Zeit meiner ersten Reise galten 50 Tonnen Laderaum schon als respektabel; späterhin wurden von der Regierung Dampfer in Dienst gestellt, die bis zu 250 Tonnen Ladung fassen konnten.
Eine breite Allee führt an Ziergärten und reizenden Villen mit breiten Veranden vorbei zur »Grande Place«, wo sich auf einem Sockel mit dem Bildnis König Leopold I. eine prachtvolle weibliche Figur als Sinnbild der »Zivilisation«, die Schöpfung eines dänischen Offiziers, erhebt. Von hier aus führen mehrere mit Ananas-, Mango- und Papaibäumen bepflanzte Alleen in alle vier[S. 72] Windrichtungen. Wir folgten einer derselben und gelangten auf eine Anhöhe, von der aus wir einen prächtigen Rundblick genossen.
Zu unseren Füßen, lieblich am Gestade des Pools inmitten von Palmenhainen und kleinen Ziergärten gelegen, schmiegt sich die Villenkolonie von Leopoldville an das sanft ansteigende Gelände. Die kleinen Einfamilienhäuschen mit den luftigen Veranden und weißen Dächern lugen anmutig aus dem Grün hervor und machen den Eindruck behaglichen Komforts.
In leuchtender Apotheose versank der Sonnenball gleich einer Feuerkugel am Horizont, flammende Strahlenbündel vom hellsten Rot bis zum zartesten Smaragdgrün in allen Regenbogennuancen zum Äther emporsendend. Der Stanley-Pool erschien in flammende Lohe getaucht; auf seiner spiegelnden Wasserfläche schimmerten Myriaden leuchtender Blutstropfen; die in weiter Ferne, am Nordende des Pools gelegenen Kreidefelsen erstrahlten im magischen Alpenglühen. Doch nur kurze Zeit wahrte die prächtige Farbensinfonie; die hellen Akkorde verklangen und gingen in Moll-Tönungen, die bis zum tiefsten Violett hinunterreichten, über. Bald schwanden auch diese dahin, und die weichen Konturen der von der Sonne bestrahlten Landschaft nahmen plötzlich härtere Linien an. Ein tiefer Ernst war über die Natur gekommen; ein leichtes Frösteln durchschauerte den Körper und mahnte zur Heimkehr.
Das Angesicht des Stanley-Pools hatte sich völlig verändert. Schwarze Felsmassen und unwirtliche Inseln ragten tückisch über den Wasserspiegel empor und zauberten unheimliche Trugbilder vor die Sinne. Hier und dort stiegen Myriaden giftiger Keime aus ihren feuchten Brutstätten empor und ballten sich zu bläulichen Nebelschwaden, die im nächtlichen Reigen auf und nieder wallten. Diese in Europa als Bodennebel bezeichneten Dunstmassen bergen in den Tropen die heimtückischen Malariaträger, die für den eingewanderten Europäer entweder den Tod oder lebenslängliches Siechtum bedeuten. Eine innere Stimme warnte uns, nicht länger hier draußen zu verweilen, sondern ungesäumt das schützende Heim aufzusuchen. Wir wurden uns bewußt, daß unsichtbare, feindliche Mächte uns umlauerten, daß in den Tiefen des Stanley-Pools, der tagsüber, solange er von der Sonne beleuchtet ist, dem friedlichen Himmel gleicht, das raubgierige, gefräßige Krokodil auf den Einbruch der Nacht wartet, um unter dem Schutz der Dunkelheit sein nasses Reich zu verlassen und die ahnungslose Beute zu überfallen.
[S. 73]
Nach dem Glauben der Neger Innerafrikas gehört die Nacht den bösen Geistern und verfluchten Seelen, die bald in der Gestalt eines Leoparden, Krokodils oder einer giftigen Schlange alle diejenigen, die das schützende Dach verlassen, dahinmorden.
Welche Gründe eigentlich dafür maßgebend waren, daß die Direktion der N. A. H. V.-Oberkongo-Abteilung auf französisches Gebiet, nach Brazzaville auf dem gegenüberliegenden Ufer des Stanley-Pools,[S. 74] verlegt wurde, ist mir stets ein Rätsel geblieben. Die Meinungen darüber sind geteilt. Die einen sprechen von Divergenzen mit den Machthabern des neuerstandenen belgischen Kongostaates, die anderen leiten die Tatsache aus dem Umstande ab, daß ein Großteil der Faktoreien im Gebiete des französischen Kongo liegt. Vielleicht waren auch die Eingeborenen am jenseitigen Ufer friedlicherer Natur. Ich überlasse dem geneigten Leser die Wahl einer der drei angeführten Gründe. Tatsache ist, daß Brazzaville zum Sitze des Direktors der Oberkongo-Abteilung auserkoren wurde und es bis zum heutigen Tage geblieben ist.
Meine Ankunft in Kinschassa war in Brazzaville bereits bekannt, und am nächsten Morgen holte mich unser kleiner Schraubendampfer »Wendeline« zu einem Besuch daselbst ab.
Noch lagerten dichte Nebelschwaden über der Fläche des Stanley-Pools, als wir ins Ungewisse hinausfuhren. Doch unser Kapitän kannte die Route ganz genau; er hatte sie von seinen täglichen Reisen gewissermaßen in der Hand, und sicher führte sein Steuer uns an großen Felsblöcken oder Teilen einer Insel, die plötzlich in gespensterhafter Größe aus dem Nebelmeer hervortraten, vorbei. Spukgestalten gleich, von der Brandung umtost, schwanden sie dahin, als bestünden sie in Wirklichkeit gar nicht, sondern wären nur Ausgeburten einer geängstigten Phantasie. Ein unheimliches Gefühl überkam mich bei dieser Fahrt ins Ungewisse. Der kühle, feuchte Nebel drang durch das leichte Tropenkostüm, legte sich wie ein Alp auf die Brust und machte einen vor Kälte erschauern. Trompetensignale, Trommelwirbel und das Tuten von Dampfpfeifen deuteten auf die unmittelbare Nähe von Leopoldville hin, doch weder Ufer noch Stadt waren sichtbar.
Der Dampfer machte jetzt eine scharfe Wendung nach Steuerbord. Aus dem Nebelmeer vor uns stieg eine größere Sandbank mit bewaldetem Hintergrund gespenstisch empor. Der Kapitän bezeichnete mir diese Insel als die »Insel der dem Tode Geweihten«. Eine elende Baracke — das Infektionsspital — erhebt sich einige Schritte vom Ufer. In ihr kampieren Pockenkranke im vorgeschrittenen, unheilbaren Stadium. Diese Bedauernswerten, die eine beständige Gefahr für ihre Umgebung bilden und nicht mehr zu retten sind, werden auf die völlig abgeschiedene Insel gebracht, um hier ihr jämmerliches Dasein zu beschließen. Allwöchentlich einmal bringt ihnen eine Barkasse aus Leopoldsville das Nötigste an Nahrungsmitteln.[S. 75] Stirbt einer dieser Unglücklichen, so wirft man ihn ins Wasser, den Krokodilen und Fischen zum Fraß!
Weiter ging unsere Fahrt in raschem Tempo.
Als feuerroter Glutball war die Sonne inzwischen aus den Nebelschwaden emporgestiegen. Noch besaßen ihre Strahlen nicht die Kraft, die Macht der Finsternis zu bannen und die dichten Nebelschleier zu durchdringen. Gelang es dennoch hier oder dort ihren milden Strahlen, siegreich eine Bresche in die wallenden Dunstmassen zu schlagen, dann trieb ein Lufthauch sofort neue Nebelmassen heran. Kurze Zeit nur währte der ungleiche Kampf mit dem Tagesgestirn um die Vorherrschaft. Königin Sonne, mit dem flammenden Schwert umgürtet und dem leuchtenden Prunkgewande der Morgenröte angetan, blieb Siegerin, vor deren wärmespendenden Strahlen der Nebel schließlich zerriß und verschwand.
Wir waren allmählich in die Mitte des Stanley-Pools auf halbem Wege zwischen Leopoldville und Brazzaville gelangt; die Trompetensignale und Trommelwirbel von beiden Ufern drangen wie aus weiter Ferne zu uns. Dagegen zog ein zunehmender Schall, wie das Tosen von über Felsen stürzenden Wassermassen oder das Brechen der Brandung, meine Aufmerksamkeit auf sich. Über die Ursache dieses Getöses befragt, erklärte der Kapitän kaltblütig, daß er infolge des Nebels und der Gefahr von Kollisionen mit den von Leopoldville ausfahrenden Dampfern genötigt war, eine Route zu nehmen, die knapp oberhalb der berüchtigten Stromschnellen, die der Kongofluß beim Austritt aus dem Stanley-Pool bildet, führte. Wir überquerten demnach den südwestlichen Teil des Pools, der wegen der Nähe der Katarakte und der Gefahr, von der reißenden Strömung mitgerissen zu werden, im allgemeinen gemieden wird.
Wie ich später in Brazzaville erfuhr, war unser Kapitän für seine tollkühnen Fahrten allgemein bekannt. Er galt als einer der verwegensten Fahrer, und in Marinekreisen zirkulierte der Ausspruch, daß er seine Seele dem Teufel verschrieben habe. Gleichmütig zählte er mir die verschiedenen Dampfer auf, die der tosende Katarakt mit Mann und Maus verschlungen, und bezeichnete mir die Stellen, wo sie verschwunden waren, um nie wieder an der Wasseroberfläche zu erscheinen.
Unwillkürlich hingen meine Blicke gebannt am Manometer. In Gedanken legte ich mir zurecht, was ich zu meiner Rettung versuchen würde, falls aus irgendeinem Grunde der Druck nachlassen oder die[S. 76] Maschine versagen sollte. Nach einigen Minuten banger Erwartung überwogen die Gedanken der Zuversicht — unser kleiner Dampfer »Wendeline« hielt sich tapfer und überwand ohne nennenswerte Anstrengung die starke Strömung. Eine Viertelstunde später landeten wir in unserer Zentrale inmitten einer ganz stattlichen Anzahl von Schiffen. Die Flottille der N. A. H. V. im Oberkongo umfaßte derzeit 16 Dampfer verschiedener Größe, nicht miteingerechnet die vielen eisernen Baleinieren — Barkassen, wie sie zum Walfischfang verwendet werden.
Eine schattige Allee von Mangobäumen, der Stolz von Brazzaville, führt vom Landungssteg an verschiedenen Wohngebäuden entlang zum Sitz des Direktors.
Unter den afrikanischen Leckerbissen nimmt — neben der Ananas — die Mangofrucht unstreitig den ersten Platz ein. Feinschmecker behaupten sogar, daß die Ananas an die Mangofrucht bei weitem nicht heranreiche. In der Größe und ungefähren Form einer Kaiserbirne hat sie einen leichten Anflug terpentinartigen Geschmacks. Der Mangobaum selbst ist ein vorzüglicher Schattenspender. Man kann zum Beispiel in der Allee von Brazzaville bei der stärksten Sonnenhitze ohne Kopfbedeckung gehen, was, einen Schritt außerhalb derselben, schnellen Tod durch Sonnenstich zur Folge hätte.
Rings um das Wohngebäude des Direktors war ein Ziergarten angelegt, in dem inmitten von wundervollen Orchideen und afrikanischen Blumen und Blattpflanzen auch herrliche Rosen blühten. Gehege von Äffchen und Papageien waren harmonisch darin angebracht. An das große Empfangszimmer, im Mitteltrakt des Gebäudes gelegen, war ein Vogelhaus mit Zierbäumen und einem Springbrunnen angebaut, in dem Blaumeisen, Kanarienvögel, Kolibris verschiedener Größen und Kardinäle mit leuchtend rotem Gefieder fröhlich trillerten und zwitscherten. Sie wurden vom Direktor, der ein großer Tierfreund ist, alle Tage selbst gefüttert. Die Innenausstattung der Räume war für afrikanische Verhältnisse fürstlich. Beim Eintritt fiel der erste Blick auf ein lebensgroßes Gemälde der Königin Wilhelmine — ein Meisterwerk in schwerem Rahmen — dessen Transport hierher zu Zeiten, als noch keine Bahn bestand und alles auf Negerschultern getragen werden mußte, jedenfalls ungeheure Mühe und Arbeit gekostet haben muß. Der Raum war mit schweren Teppichen und kunstvollen inländischen Geweben ganz auf europäische Art eingerichtet. Auf Tischchen und am[S. 77] Schreibtisch standen Photographien und Nippes — kurzum allerhand Kram, der ein europäisches Heim gemütlich macht und für gewöhnlich in den Tropen entbehrt werden muß. Telephon, elektrisches Licht, Klingelleitung — alles war vorhanden.
In der Gartenanlage fanden wir sämtliche Früchte Innerafrikas, wie Coeur de Boeuf, Banane, Papaye, Goyaven, Ananas, Advokat usw., angepflanzt und in den Lichtungen zwischen Palmen alle Arten Nutzpflanzen, wie Pataten (süße Kartoffel), Kürbis, Maniok und Ignam (Knollenfrucht bis zu fünf Kilo Schwere, im Geschmack ähnlich unserer Kartoffel), die im Laufe der Jahrhunderte ihren zielbewußten Weg von den Küsten Afrikas her über endlose Prärien nach diesem fruchtbaren Boden gefunden hatten.
Nachdem ich Brazzaville, tagsüber als Gast des Direktors, bis ins letzte besichtigt und auch dem übrigen Personal vorgestellt worden war, verließ ich gegen Abend mit dem gleichen Dampfer unsere Zentrale, ohne irgend etwas Näheres über meine zukünftige Bestimmung erfahren zu haben. Voraussichtlich würde ich nach dem oberen Sangaflusse kommen, wo in letzter Zeit infolge eines Negeraufstandes verschiedene Beamte getötet worden seien.
Fußnote:
[3] Arbeiter-Aufseher.
Am 29. März traf in Brazzaville die Nachricht ein, daß Herr Kiel, der Chef der holländischen Faktorei in Stanleyville, an Dysenterie erkrankt und unterwegs sei. Noch am gleichen Nachmittag erhielt ich Order, mich für den folgenden Morgen reisefertig zu halten. Ich war über die unerwartet günstige Wendung, die die Dinge für mich genommen hatten, natürlich hocherfreut, denn Stanleyville galt allgemein als das Paradies auf Erden und als eine der schönsten und gesündesten Gegenden Innerafrikas. Dazu kam noch, daß unser Direktor seinerzeit die Station persönlich gegründet hatte und eine gewisse Vorliebe für sie besaß.
Meine Freude erfuhr allerdings einen Dämpfer, als ich vernahm, daß mein zukünftiger Chef Janssen hieß; denn ein Mann gleichen[S. 78] Namens war mir von einem Streit, den er auf der Durchreise nach Fuca Fuca mit Kameraden hatte und in dessen Verlauf von Schußwaffen Gebrauch gemacht worden war, in unliebsamer Erinnerung. Umfragen bei den Kollegen in Kinschassa ergaben, daß Janssen, der gegenwärtig die Faktorei Upoto leitete, tatsächlich mit dem Angeführten identisch war. So wenig verlockend die Aussicht war, mit einem jähzornigen Menschen zusammen leben zu müssen, tröstete ich mich schließlich damit, daß ich, vor die Alternative gestellt, entweder in das Aufruhrgebiet des oberen Sanga zu gehen und von den Negern aufgefressen zu werden oder mit einem voraussichtlich brutalen Vorgesetzten nach dem vielgepriesenen Stanleyville zu reisen, immer noch das bessere Teil erwählt hatte.
Die Freude über die bevorstehende herrliche Reise und das Gefühl der Befriedigung, nach Tagen planloser Zeitvergeudung und Umherirrens endlich wieder in die Bahn zielbewußter Tätigkeit geleitet zu werden, überwogen schließlich alle Bedenken, und mit glücklich pochendem Herzen sah ich der Ankunft des Dampfers »Nfuma Ntangu« auf Deutsch: »Gebieter der Sonne«, der mich als Passagier aufnehmen sollte, entgegen. Das Schiff langte noch am selben Tage an und ging vor Kinschassa, wo es den Rest der Ladung einzunehmen hatte, vor Anker. Mir wurde vom Kapitän eine geräumige Kabine auf dem Oberdeck zugewiesen, die ich sofort bezog, da der Dampfer beim ersten Morgengrauen aufbrechen sollte. Das ungewohnte Leben und Treiben an Bord, alle die neuen Eindrücke, die auf mich einstürmten, brachten es mit sich, daß ich die ersten Tage wie im Traum lebte.
Unser Dampfer »Nfuma Ntangu« war ein Flußboot, wie sie auf dem Oberkongo, überhaupt auf allen seichten Flüssen, hier im Gebrauch stehen. Vorn, am Bug, saßen zwei Lotsen, welche während der ganzen Dauer der Reise abwechselnd drei Meter lange Stöcke in der Art einer Fischangel, auf der das englische Fußmaß eingekerbt ist, ins Wasser tauchten und eintönig die Wassertiefe: tanu (fünf), samboanu (sechs) ausriefen. Am rückwärtigen Teil des Schiffes, gleich dem Rad einer Kornmühle, befand sich über der ganzen Schiffsbreite das große Schaufelrad. Der Dampfer war bei der Ausfahrt derart voll geladen, daß das Niveau des Unterdecks auf der gleichen Höhe mit dem Wasserspiegel stand. Bei Stromschnellen, scharfen Kurven usw., bei welchen das Boot in eine schiefe Lage kam, stand die eine Seite des Unterdecks ganz unter Wasser —[S. 79] eine Wahrnehmung, die mir anfangs großen Schrecken einflößte, an die ich mich aber mit der Zeit gewöhnte.
Frühmorgens wurde ich durch das Zischen des Dampfers, das Gejohle und Geschnatter der Leute, die Kisten und Ballen durcheinanderwarfen, aufgeweckt. Nach dem Frühstück mit dem Kapitän auf der Kommandobrücke begab ich mich an Unterdeck, um dort Umschau zu halten. Unser Dampfer war nämlich ein wahres Babel in bezug auf die verschiedenartigen Negerstämme, die der blinde Zufall zusammengewürfelt hatte. Vom zivilisierten Küstenneger in Hemd, Hosen und Schuhen, der entweder aus Senegambien, Sierra Leone, Akkra oder dem Portugiesischen Kongo stammt und die etwas mehr Intelligenz verlangenden Arbeiten eines Maschinisten, Kochs oder Lavadeiro (Waschmann) verrichtet, bis zum Bangala mit spitz zugefeilten Zähnen und Hahnenkamm auf der Stirne waren alle Rassen Innerafrikas, selbst Kannibalen, vertreten. Ihr fortwährendes Schnattern, Quaken und Schnalzen, ihr ärgerliches Zanken und Streiten muteten ganz sonderbar an. Auf Holzkisten, Körben und Bündeln jeder Größe, in denen ihre Habseligkeiten untergebracht waren, hatten sie sich's bequem gemacht und ihr Lager, bestehend aus einer einfachen Strohmatte, das bei den Vermögenderen durch ein paar Decken vervollständigt wurde, aufgeschlagen. Darauf lagen sie nun träge und faul über- und aufeinander, ein Wirrwarr von Füßen, Armen und Leibern. Der eine war damit beschäftigt, direkt unter der Nase des zweiten aus seinen Zehen Sandflöhe herauszuoperieren, ein anderer ließ sich von seiner Frau die Haare scheren, unbekümmert darum, ob dieselben in den Topf des Nachbars fielen, in welchem eben ein von Verwesung grün gewordenes und das ganze Unterdeck mit seinem Gestank verpestendes Stück Hippopotamusfleisch brodelte. Während ich noch eben den Topf auf seinen Inhalt kritisch musterte, bemerkte ich, wie einer der herumhockenden Neger seinen Koffer ausleerte. Mit einer Anzahl schmutziger Kleidungsstücke flogen zugleich Spinnen, Kakerlaken (große afrikanische schwarze Schaben), Russen und kleine Mistkäfer heraus, ein Teil davon direkt in den brodelnden Topf. Die auf den Boden geschleuderten Insekten hüpften und zappelten erschreckt, so plötzlich aus ihrem dunklen Versteck gezerrt zu sein, dem erstbesten Schlupfwinkel zu. Diesmal hatte jedoch der Koch die neue Würze und den unerwünschten Zusatz zu seiner Speise bemerkt. Wutschnaubend fuhr er den Unvorsichtigen an, und eine Flut von[S. 80] Verwünschungen und kannibalischen Kraftausdrücken, wie katuka bushman — nyama[4], quollen aus seinen wulstigen Lippen hervor, während er sich bemühte, die größeren Schaben mit dem einzigen Kochlöffel, den er besaß, herauszufischen und zu zerdrücken; die kleineren blieben drinnen, da es ihm ob solcher Bagatellen offenbar nicht der Mühe lohnte. Der Rest des Ungeziefers hatte seinen Weg über Gesichter, Leiber und Beine der auf dem Boden Liegenden hinweg in irgendeine Ritze gefunden, soweit sie nicht durch die kleinen Jungen am Körper der Schlafenden zerdrückt und zerschlagen worden waren. Eine der großen Spinnen fand auch durch den Hosenschlitz Einlaß zu ganz empfindlichen Teilen eines Schlafenden. Beim Freudengeheul der ganzen kleinen Bande, die dies besonders unterhielt, wachte der Betreffende auf, warf wütende Blicke um sich und suchte — sans gêne — in der Tiefe nach der Ursache des Juckens! — Honni soit qui mal y pense!.
Trotz der fortwährend wechselnden Szenerie, trotz all des Ungewohnten und vollständig Neuen, was seit acht Tagen um mich vorging, trotz aller unvorhergesehenen Ereignisse, die bei der Navigation in dem gefährlichsten aller Flüsse, der unter seiner Wasserfläche bald Sandbänke, bald Felsriffe und bald treibende Baumstämme trügerisch birgt, vorkommen, konnte der Fahrt nach Befriedigung der ersten Neugierde eine gewisse Eintönigkeit nicht abgesprochen werden. Hatten die sengenden Sonnenstrahlen und die überstandenen Krankheiten den Körper und das Gehirn bereits derart geschwächt, daß ich nicht mehr so aufnahmsfähig war? Mir war oft, als lebte ich in einem beständigen Traum, läge meine Kindheit wie ein Märchen, von einem Wolkenschleier verhüllt, weit, weit hinter mir. Meine Erinnerung an die Lieben in der Heimat schwand — losgelöst von allen Fesseln, die mich bisher an die Menschheit ketteten, wandelte ich wie im Traum dahin.
Ich saß oft stundenlang am Steven des Dampfbootes, und eine eigenartige Musik, die nichts mit dem Irdischen gemein hat, klang mir beim gleichmäßigen Takt der Schaufel, die das Wasser aufpeitschte, in den Ohren. Bald wild und mächtig, bald als sanfte Liebkosung klang die Melodie in mir ... Ich träume ... Es ist Abend. Tiefe Schatten lagern zu beiden Seiten des Stromes. Die Dämmerung hat ihr dunkles Kleid über die vor Sonnenglut[S. 81] schmachtende Erde gelegt und wirft fahle Schatten über die Wasserfläche. Irgendwo aus dem rätselhaften Dunkel des Urwalds klingt klagend ein langgezogener Schrei. Unheimlich hallt er über das weite Land, wie von einer Seele in höchster Not und Pein. Und vor mein geistiges Auge tritt der Herrscher dieser Gebiete, der Bayansi, wie er im Schatten des Waldes sich eben anschickt, sein Opfer mit bestialischer Grausamkeit hinzuschlachten. Noch einmal, diesmal jedoch wie aus weiter Ferne und wie gebrochen, hallt der Schrei an mein Ohr — — —
Unser Kapitän van den Andel, allgemein der »fliegende Holländer« genannt, war ein Original seiner Art und vereinigte alle[S. 82] Eigenschaften, sowohl die guten als auch die bösen, die den Flußfahrer Innerafrikas kennzeichnen. Von Natur aus schweigsam und gutmütig veranlagt, stand er oft den ganzen Tag auf der Kommandobrücke und zog den Rauch aus der kurzen Pfeife, ohne den Mund aufzutun. Der Dienst an Bord klappte aufs Haar; denn alle Leute, vom Steuermann angefangen bis zum jüngsten Schiffsjungen, wußten genau, daß mit dem Kapitän nicht gut Kirschen essen war. Hatte er doch erst kurz vorher einen baumlangen Senegalesen, den stärksten Mann der Besatzung, der widerspenstig werden wollte, mit einem wuchtigen Faustschlag zu Boden gestreckt.
Doch van den Andel hatte einen großen Fehler, nein, eine Leidenschaft, die ihm zum Verhängnis wurde, da er ohne sie gewiß bereits »Chef de marine« geworden wäre. Seine Leidenschaft, die Trösterin verbitterter, einsamer Stunden, war der Alkohol. Des Abends, wenn er zur Flasche griff und einige Gläschen »Schiedam« zur Stärkung der verbrauchten Kräfte zu sich genommen hatte, wurde er gesprächig. Dann erzählte er mir von all den Kollegen, die weit im Innern des Landes auf einsamen, verlassenen Faktoreien saßen. Er kannte jeden einzelnen von seinen jahrelangen Reisen. Er war es, der sie, wenn sie als Neuling von Europa kamen, zu ihren Stationen brachte, durch ihn erhielten sie stets die neuesten Nachrichten vom Unterkongo und ihren Kollegen im ganzen Stromgebiet.
Je mehr die Literflasche »Schiedam« zur Neige ging, desto gesprächiger wurde der Kapitän. Wehe dem Faktoreichef, der das Unglück hatte, aus irgendeinem Grunde van den Andels Rachsucht auf sich zu ziehen. An diesem blieb kein gutes Haar mehr, von diesem konnte er wahre Schaudergeschichten erzählen. Jede Reise bot ihm Anlaß, durch seine Vertrauten unter den Arbeitern allerhand Begebenheiten aufzuschnüffeln, die dann in völlig entstellter Form bald hier, bald dort als Gerüchte auftauchten und von Mund zu Mund weitergetragen und aufgebauscht wurden. Aus oft ganz harmlosen Anlässen entstanden dann durch phantastische Schilderungen haarsträubende Mißverständnisse, deren Verbreitung im weiten Stromgebiet ihm allmählich zur zweiten Natur geworden war, je mehr Krankheiten und Ärger aller Art sein stets arbeitendes Hirn verwirrten. Tags über der gutmütigste Mensch, war mit van den Andel abends, wenn er die Flasche neben sich hatte, nicht zu spaßen.[S. 83] Geradezu gefährlich konnte er werden, wenn man seinen Schaudermären nicht unbedingt Glauben schenkte.
Ich entsinne mich noch ganz genau, daß er gegen Ende eines Abendessens, anläßlich eines ganz harmlosen Widerspruchs eines der Gäste, urplötzlich aufsprang, die Tischdecke mitsamt den Schüsseln auf den Boden warf, sich auf seinen Gast stürzte und ihn im nächsten Moment von der Kommandobrücke in den Fluß warf. Es hätte nicht viel gefehlt, und der Fürwitzige hätte seine Unbedachtsamkeit mit dem Leben gebüßt.
Während der ersten Tage als einziger Passagier an Bord, glaubte ich natürlich alle Geschichten aufs Wort und war ein aufmerksamer Zuhörer; ich stand daher in besonderer Gunst bei ihm.
Nach achttägiger Fahrt, auf der wir die Posten Kimpoko, Kwamuth, an der Mündung des Kasai-Flusses gelegen, die Mission Berghe Ste. Marie, Bolobo, den Militärposten Yumbi und Lukolela berührt hatten, näherten wir uns dem Äquator. Die Fahrt war reich an Abwechslung und bot uns wiederholt Gelegenheit, auf Nilpferde, Krokodile, Reiher, Gänse und Enten zu schießen. Einmal stießen wir auf eine Sandbank, die von einer Herde Krokodile bedeckt war. Es mochten gegen zwanzig Tiere sein, große und kleine, die[S. 84] bei unserer Ankunft, in Reih und Glied marschierend, ins tiefe Wasser zogen. Es machte den Eindruck, als ob die ganze Sandbank im Laufen wäre. Dann wieder eine Tagereise stromaufwärts ragte eines Morgens eine etwa sechs bis acht Meter breite und ebenso hohe graue Felswand aus dem Strom, die Kapitän van den Andel nicht auf seiner Karte verzeichnet fand. Bei unserer Annäherung veränderte sich das Bild, so daß wir mit unseren Gewehren hinfeuerten. Nun geriet die Wand in stärkere Bewegung, und es zeigte sich, daß sie aus etwa zehn bis fünfzehn Hippopotamus gebildet war, die durch- und übereinanderlagen und schleunigst das tiefe Wasser aufsuchten.
Längs des Kongoflusses sind vom Staat etappenweise Holzposten eingerichtet, die die Dampfer gegen eine geringe Entschädigung an Stoffen und »Mitakos« mit Brennmaterial versehen. Der Mitako ist ein zwölf bis fünfzehn Zentimeter langer, drei Millimeter starker Messingstab, welcher an Geldes Statt einen bestimmten Wert, und zwar je nach der Länge fünf bis zehn Centimes, repräsentiert. Ich vergaß zu erwähnen, daß Geld vom Stanley-Pool ab als Verkehrsmünze nicht gangbar ist. An dessen Stelle tritt der Mitako und am Oberlauf die Nsoka, ein spatenförmiges Stück Eisen, aus dem die Eingeborenen ihre Pfeilspitzen verfertigen.
Das Erscheinen des Dampfers ist für die Eingeborenen allemal ein aufregendes Ereignis. Da der »Nfumu ntanga« im ganzen Stromgebiet als guter Zahler bekannt war, eilte die Bevölkerung auf das dreimalige Ertönen der Dampfpfeife, zum Zeichen, daß das Schiff anlegen möchte, ans Flußufer. Oft schon binnen weniger Minuten waren die sonst verlassenen Ufer schwarz von Menschen. Männer, Frauen und Kinder eilten herbei, in ihren »Kisakos« (Tragkörbe) schnell alles herantragend, dessen sie habhaft werden konnten.
Nsusu (Hühner), mpata (Enten), njama (Ziegen), maki na nsusu (Eier), nanasi (Ananas), Palmöl in großen Steinkrügen, aber auch Mbidia, eine Art Polenta, matadi, das Blatt der Maniokstaude als Gemüse bereitet, geräucherte Heuschrecken, Termiten und ähnliche Leckereien für die besonderen Feinschmecker wurden, sauber in Blätter eingewickelt, von den Eingeborenen zum Kaufe angeboten.
Eines Tages sah ich wieder belustigt dem mir neuen, ungewohnten Leben und Treiben am Ufer zu. Aus dem Handeln, Feilschen, Schnattern tönte das Kreischen und Schelten alter Frauen, die stets sehr anspruchsvoll sind und sich von ihren Sachen nicht trennen wollen, heraus. Da bemerkte ich in der Ferne eine ältere Kokette,[S. 85] die offenbar bei ihrer Morgentoilette überrascht worden war und nun, von der Angst, zu spät zu kommen, getrieben, pustend, schwitzend und schnaubend dahergelaufen kam. Ein Teil der Haare war in kleinen Zöpfchen und Strähnen, reichlich mit rotem Tukulapulver und Palmöl vermischt, gedreht, während die übrigen, wie beim Struwwelpeter, ihr wirr um den Kopf hingen. Zwei enorme Brüste, die bis an den Nabel herunterreichten, baumelten beim raschen Laufen klatschend gegen den aufgedunsenen, herabhängenden Leib, der in der rückwärtigen Partie sein Gegenstück in einer unförmigen Rundung fand. Keuchend vor Aufregung, die Schweißtropfen in langen, roten Linien über Gesicht und Brust herabrinnend, hatte sie endlich ihren schweren Korb zwischen die der anderen Megären niedergestellt und stürzte sich sofort, wie das Raubtier auf seine Beute, auf ein paar schwarze Arbeiter des Dampfers, die unschlüssig mit ihren Mitakos in der Hand dastanden und offenbar nicht wußten, was sie unter all den dargebotenen Schätzen kaufen sollten. Mit einer Selbstverständlichkeit, die ihnen absolut keine Zeit zum Überlegen ließ, nahm sie ihnen die Mitakos aus der Hand, klemmte sie zwischen die Oberschenkel unter dem etwa fünf Zentimeter breiten »Schamfleck«, der ihr einziges Kleidungsstück bildete, und gab jedem dafür eine gewisse Anzahl »Chikoange« (gestampfte Maniokwurzel in Blätter gehüllt, an Stelle unseres Brotes von den Eingeborenen verzehrt).
Dieselbe Prozedur wiederholte sie zu meinem Erstaunen soundso oft mit dem gleichen Erfolg, noch ehe ihre Opfer aus ihrer Verblüffung herausgekommen waren. Wagte ein besonders Mutiger eine Einwendung gegen dieses summarische Verfahren, dann schleuderte sie ihm durch ihre wulstigen Lippen eine derartige Flut von Verwünschungen und Drohungen entgegen, stemmte ihre Arme in die Seiten und erhob ein solches Geschrei, daß der Tapfere schleunigst das Feld räumte. Denn in ihrem Zorn, der wie ein Blitz aus ihren Augen sprühte, war sie geradezu furchtbar anzusehen, und jeder fürchtete offenbar, zur Schadenfreude der anderen, noch eine Tracht Prügel obendrein zu erhalten. Als letzte unter allen Frauen war sie gekommen — als erste hatte sie ihren Stand vollkommen ausverkauft. Dann nahm sie, ihre Umgebung mit mißtrauischen, giftigen Blicken musternd, all die glänzenden Mitakos hinter ihrem Schamschurz hervor und legte sie in Bündeln von je zehn vor sich hin.
Beim Durchmustern all der Frauen am Ufer bemerkte ich nicht ein einziges junges Geschöpf. Die Männer halten die jungen[S. 86] Schönen im Dorfe zurück, aus Angst, daß sie mit einem der Arbeiter auf dem Dampfer entwischen könnten. Dies soll übrigens oftmals vorkommen, besonders dann, wenn der Dampfer an solch einem Holzposten übernachtet.
An diesen Anlegestellen wurden vom Kapitän Hühner, Enten und Ziegen, Eier, Ananas und andere Lebensmittel für die Schiffstafel gegen Chilulu mufike, Indigo blùe drill — Stücke à 4 Bras, jede Bras 2 Yards — Mitakos, Salz, Haumesser usw. eingetauscht. Auffällig ist, wie mißtrauisch und habsüchtig die Eingeborenen sind. Sie geben ihre Waren nicht eher aus den Händen, als bis sie die volle Bezahlung dafür erhalten haben. Es liegt selbstverständlich im Interesse jedes passierenden Kapitäns, streng darauf zu achten, daß sowohl Brennholz als auch alle Lebensmittel gebührend bezahlt werden, da er sonst bei seiner Rückkehr weder das eine noch das andere, wohl aber dafür Pfeile für die Besatzung vorfinden würde.
Als warnendes Zeichen geben allenthalben abgebrannte Posten beredtes Zeugnis von früheren Vorfällen. Die vom Staat hingesetzten Wärter wurden von den Eingeborenen ermordet, und da die meisten Stämme dieser Gebiete, wie Bayansi, Bambala usw., Kannibalen sind, aufgefressen. Die Leute trugen ihre Hütten einfach einige Stunden weiter ins Innere in unzugängliche Moräste und den Urwald, wo sie vor der Rache des Europäers vollkommen sicher waren.
Wir berührten im Verlaufe der Reise auch hie und da Dörfer, die von der Schlafkrankheit, jener furchtbaren Seuche, heimgesucht wurden, die alljährlich Hunderttausende an Opfern fordert, ohne daß es damals bereits trotz mannigfacher Versuche gelungen wäre, ein wirksames Heilmittel zu ihrer Bekämpfung zu finden. Ehemals blühende Dörfer in der Umgebung von Berghe Ste. Marie glichen einer vollkommenen Wildnis, die Wege waren verwachsen, die Hütten zum Teil verfallen. Vor ihnen hockten und kauerten auf zerrissenen Matten in der Sonne lebende Skelette, grau von Schmutz und Schuppen, die knöchernen Arme flehend erhoben, den Tod in den fahlen, tiefgeränderten, völlig glanzlosen Augen. Hie und da wankte eines dieser entsetzlichen Gerippe ins Innere des Hauses, um Nahrung für die anderen zu holen.
Weder alt noch jung, weder Mann noch Frau verschonte diese verheerende Seuche. Sie alle waren dem Tode verfallen. Was im Bereiche des Dorfes lag und weit darüber hinaus raffte er alles mit[S. 87] seiner unbarmherzigen Sichel dahin. Ich sah einen Säugling an der vollkommen versiegten Mutterbrust, aus der mangels Milch ihr rotes Herzblut floß. Kinder streckten ihre knochigen Arme mir entgegen. Erheben konnten sie sich nicht mehr, sondern nur auf allen vieren kriechen. Diese geisterhaften Kinder sahen so still und allwissend aus, das Unerforschliche, der Tod, hatte sich ihnen bereits offenbart. Herzerschütternd wirkte solch ein Anblick, und tief niedergedrückt verließ ich die traurige Stätte.
Wir passierten Irebu, eine größere Garnisonstadt, in der die neu eingereihten Rekruten ausgebildet werden, hierauf Equateurville, die ehemalige Hauptstation des Oberkongo, und eine Stunde später Coquilhatville, unmittelbar am Äquator gelegen. Schräg gegenüber Irebu mündet der Ubangi, einer der bedeutendsten Nebenflüsse des Kongo. Dieser selbst gleicht im oberen Lauf einem Binnensee, dessen Breite zwischen 18 und 25 Kilometer wechselt.
Coquilhatville liegt auf einer Anhöhe am linken Flußufer und ist eine der größten und schönsten Stationen am Kongo. Freilich auf den Neuling, der unmittelbar aus Europa kommt, und vielleicht erwartet, zwischen Palmen moderne städtische Wohnhäuser zu finden, wird Coquilhatville, wenn der Dampfer um die Waldspitze unterhalb der Station biegt, keinen besonders imposanten Eindruck machen. Wer aber selbst nach drei-, vierjähriger Dienstzeit Gelegenheit gehabt hat, eine Station in irgendeinem Winkel des großen Urwaldes zu erbauen und händeringend vor dem ersten eigenen, windschiefen, architektonischen Erzeugnis gestanden hat, der weiß zu ermessen, welch ungeheure Arbeit Menschenhände hier geleistet haben. Der Weg führte auf eine terrassenförmig aufgebaute Anhöhe, auf der stolz am hohen Flaggenmast die blaue Fahne mit dem gelben Stern im Felde im Winde weht, und verzweigt sich von hier aus über das Plateau in verschiedene Mangoalleen, die auf eine Kaffeeplantage führen. Im Schatten der Bäume, von kleinen Ziergärten umgeben, lugen die europäischen, in roten Ziegeln aufgeführten Gebäude mit drei Meter breiten, luftigen Veranden äußerst lieblich und einladend hervor. Inmitten der Station vor dem Gebäude des Distriktskommissars befindet sich ein großer, freier Platz, der als allgemeiner Sammelplatz morgens beim Appell für Europäer und Mannschaft dient. Die Anlagen, welche auf tausend Meter im Umkreis bis in die Felder der Eingeborenen führen, sind mit Flamboyants, Bananen, Papay- und Goyavenbäumen bepflanzt. Ananasstauden[S. 88] säumen sie ein. Hinter der Station befindet sich ebenfalls eine Kaffeeplantage, die bei unserer Ankunft in voller Blüte stand. Die samtartigen, schneeweißen Sternblüten erfüllten die Luft mit aromatischem, süßem Duft. Ich habe Coquilhatville als größere Station absichtlich etwas näher beschrieben, weil alle anderen Staatsposten am Flusse mehr oder weniger dasselbe Gepräge tragen.
Wie bereits erwähnt, gleicht der Kongo hier einem Binnensee. Unser Dampfer bahnte sich mühsam zwischen Sandbänken und Inseln seinen Weg. Mehrmals fuhren wir auf Sandbänke auf. In den meisten Fällen kamen wir aber nach kurzer Anstrengung, und nachdem sämtliche Arbeiter ins Wasser gesprungen waren und mitgeholfen hatten, wieder los. Lulanga und Nouvelle Anvers passierten wir ohne Unfall.
Am 15. April mittags brach ein Tornado über uns herein, der uns mitten auf dem Strome überraschte und uns allen fast zum Verhängnis wurde. Der Morgen begann mit feinem Regen, später wurde es empfindlich kalt, tiefer Nebel legte sich im Laufe des Vormittags auf die Wasserfläche, so daß die Orientierung ziemlich schwer wurde. Gegen Mittag vernahmen wir in der Ferne ein Rauschen und Brausen in den Wipfeln der Bäume, das immer tosender wurde und sich mit rasender Geschwindigkeit uns näherte. Van den Andel versuchte sofort, das Schiff durch die in der Fahrtrinne unter Wasser liegenden Sandbänke in die Nähe des Ufers in Sicherheit zu bringen, doch der herannahende Orkan überholte uns. Unter Heulen und Sausen fegte der Sturm über uns her, und der Donner krachte. Prasselnd zog eine undurchdringliche Regenwand über das Wasser her und ging wie eine wahre Sintflut über uns nieder, alles, was nicht niet- und nagelfest an Bord verstaut war, mit sich in den Strom reißend. Mächtige Orkanstöße trafen das Schiff von einer Seite, so daß es zu kentern drohte. Unwillkürlich flüchtete alles vor der Wucht der Regenmassen auf die andere Seite des Dampfers. Der Kapitän stürzte, in der Rechten die Nilpferdpeitsche, in der Linken den Revolver, ins Unterdeck und peitschte unbarmherzig auf die nackten Leiber der vor Todesangst heulenden und »Kilima«, ihren Gott, anrufenden Neger, um sie auf die andere Seite zu treiben, welche unbedingt belastet werden mußte, wollten wir nicht alle eine Beute der Krokodile werden. Inzwischen zuckten Blitze und krachte der Donner unaufhörlich. Unser Dampfer war »mit höchster Geschwindigkeit« auf eine Sandbank aufgefahren, wurde vom Wirbelwind[S. 89] erfaßt, wie ein Kreisel um sich gedreht und, ein Spielball von Wind und Wetter, stromabwärts getrieben. Die Stahltrossen beider Anker, die wir bei der ersten Sandbank ausgeworfen hatten, waren von der Wucht des Sturmes wie Zwirn zerrissen worden. Die überirdischen Mächte hatten ihren Riesenmund aufgetan und zu reden begonnen, die gewaltigen Urwaldstämme wurden vom Sturm mit mächtigen Fäusten gepackt und inmitten von Feuer und Flammen der niedersplitternden Blitze mit donnerartigem Krach zu Boden geschleudert. Himmel und Erde berührten sich in den herabstürzenden Wassermassen, die Hölle schien ihren Schlund geöffnet zu haben.
Völlig machtlos, wie eine Nußschale, war unser Dampfer einige hundert Meter stromabwärts gegen eine breite, unter Wasser liegende Sandbank getrieben, die seinem weiteren Lauf glücklicherweise ein Ziel setzte. Hier blieb er festsitzen — wir waren gerettet. Wohl eine halbe Stunde mochte der Himmel all seine Schleusen über uns geöffnet haben, ehe wir wagten, wieder freier aufzuatmen und die Schäden, die der Tornado angerichtet hatte, näher zu betrachten. Wir saßen zwar auf der Sandbank fest, doch der Dampfer hatte mit Ausnahme der zwei gesprengten Stahltrossen und Anker, die sich übrigens bald wieder vorfanden, keinerlei Schaden genommen. Dagegen hatten wir zwei Ziegen, sämtliche Hühner und Enten sowie einen Teil der kleinen Bagage unserer Mannschaft eingebüßt, ein Verlust, der in Anbetracht der schweren Gefahr, in der wir alle geschwebt hatten, nicht bedeutend war. Unser Glück wollte, daß gerade der Dampfer »Schattenstroem« gesichtet wurde, der auf unsere Notsignale hin uns Hilfe brachte, so daß wir binnen drei Stunden von der Sandbank loskamen.
Wir passierten Mobeka und gelangten schließlich nach Irengi und Upoto, der Stätte der Sehnsucht so mancher Europäer, da hier die Mädchen und Frauen, gleich Eva vor dem Sündenfall, in anmutiger Unschuld ihren Körper vollständig nackt dem Auge darbieten. Je weiter man sich vom Stanley-Pool entfernt, desto mehr verkürzt sich der kunstvolle Faltenüberwurf der Negerinnen von oben als auch von unten, bis hier in Upoto auch die letzte Hülle fällt und dem anfänglich erstaunten Auge gleich einer antiken Statue den ebenmäßig schöngeformten Körper enthüllt. Weder Mieder noch Schuh entstellt die schlanke Gestalt, keinerlei Modekünste verunstalten den zierlichen Fuß. In harmonischer Linie, ein einheitliches Ganzes[S. 90] bildend, erweckt das entblößte Weib dem Beschauer nur Bewunderung für das Herrliche, was die Natur im Frauenkörper geschaffen hat. Unbefangen gehen Frauen und Mädchen im Evakostüm ihrer Arbeit nach, unbefangen sind ihre Bewegungen und Mienen.
So eigenartig es uns auch im ersten Augenblick anmutet, alle unsere europäischen Anschauungen und Begriffe von Schamgefühl hier umgeworfen zu finden, merken wir nach kurzer Zeit mit Erstaunen, daß der unbekleidete, lebenskräftige Körper uns gar nicht erotisch berührt. Ist es in Europa der ungewohnte Anblick eines Körpers, der gewöhnlich sorgsam vor unserem Auge gehütet wurde? Liegt es in unserer Erziehung oder anderer Lebensauffassung, oder nimmt der zufällig bloße Körper einer Frau infolge des verletzten Schamgefühls Stellungen ein, die unwillkürlich beim Betrachten erotische Gefühle hervorrufen? Kurzum — ich habe nichts dergleichen beim Anblick dieser Frauen gefühlt, und nicht etwa aus dem Grunde, daß sie nach europäischen Begriffen unschön wären. Der Europäer ist im allgemeinen geneigt, alle Neger und Negerinnen häßlich zu finden. Auch hierin begeht er einen Irrtum. Wenn man viele Jahre zwischen ihnen gelebt hat, bemerkt man, daß es zwischen ihnen ebensowohl schöne als häßliche Menschen gibt, geradeso wie bei uns Europäern. Ich habe im Laufe meiner vielen Reisen Negerinnen gesehen, die es an Grazie, Wuchs und Gestalt mit jeder Europäerin aufnehmen konnten.
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß alte sowie schwangere Frauen die Blößen ihres Körpers verdecken, nur Kinder, junge, gesunde Mädchen und Frauen sind unbekleidet. Der Mangel einer Kleidung soll nicht bedeuten, daß die Mädchen und Frauen Upotos verhältnismäßig nicht ebenso eitel wie ihre Schwestern in Europa wären. Ihre Eitelkeit ist nur anderer Art und besteht darin, unförmige Bündel von Perlen sich um den Hals zu hängen oder schwere Messingringe (oft zwei bis drei Kilogramm schwer) um Füße, Hals oder Hände schmieden zu lassen. Doch damit noch nicht genug verunstaltet, werden Arme und Gesicht zu einer greulichen Maske tätowiert.
In Upoto kam Janssen, mein zukünftiger Chef, an Bord und schlug mir gegenüber gleich einen so kameradschaftlichen Ton an, daß wir sofort gute Freunde wurden. Er hatte keinerlei Geheimnisse vor mir, zeigte mir sämtliche Briefe und Instruktionen aus Brazzaville,[S. 91] und die nächsten Tage vergingen wie im Fluge mit Plänen und Besprechungen.
Wir passierten auf unserer weiteren Reise Basoko, an der Mündung des Aruwimi, und Isangi, an der Mündung des Lomamiflusses gelegen, und trafen nach 24tägiger Flußfahrt in Stanleyville, dem Endziele unserer Reise, ein. Ich betrachtete Stanleyville eigentlich erst als Ausgangspunkt meiner afrikanischen Laufbahn und das vorher Erlebte gewissermaßen als eine Art Übergangsstadium.
Stanleyville liegt am rechten Ufer des Flusses unmittelbar unterhalb des ersten der sieben verschiedenen Fälle und Katarakte, die insgesamt unter dem Namen »Stanleyfalls« bekannt sind und der Schiffahrt am Oberkongo vorläufig ein Ende setzen. Als Endstation der Dampferlinien und Ausgangspunkt der Truppen, die nach dem Osten gegen die revoltierenden Soldaten der Expedition Baron Dhanis und zur Unterdrückung der Araberaufstände entsandt wurden, war Stanleyville bereits Beginn 1899 eine ansehnliche Station und zählte gegen 42 europäische Beamte und Offiziere unter der Leitung eines Commissaire général.
Unsere Ankunft fiel in eine kritische Periode. Stanleyville war vor kurzem anläßlich der Kämpfe mit den Arabern und Suaheli der Schauplatz blutiger Ereignisse gewesen. Gegen 35000 Suaheli[S. 92] (berüchtigte Sklavenjäger und Mischvolk aus Arabern und den verschiedenen Negerstämmen), die das Nutzlose weiterer Kämpfe eingesehen und sich ergeben hatten, waren zwangsweise in der Umgebung von Stanleyville und den Strom entlang, bis La Romée, angesiedelt worden. Diese unbotmäßigen Horden zu regieren und ihrem Morden und Plündern Einhalt zu gebieten, war keineswegs eine leichte Sache. Reibungen entstanden oftmals aus geringfügigen Anlässen, und das Bewußtsein von der Übermacht dieser Fanatiker gegenüber dem Häuflein von Europäern erweckte in uns das Gefühl, auf einem Pulverfaß zu sitzen.
Kommandant Verdonk, der damalige Distrikts-, später Generalkommissar, empfing uns auf das liebenswürdigste und händigte uns die Schlüssel der Faktorei, die Herr Kiel ihm vor seiner Abreise übergeben hatte, aus.
Nach all den herrlichen Staatsposten, die wir im Laufe unserer Reise besuchten, hatte ich mich natürlich in Gedanken oftmals gefragt, wie wohl meine zukünftige Faktorei aussehen möge, und da der Kapitän keine befriedigende Auskunft zu geben vermochte, mir in meiner regen Phantasie ein kleines Schmuckkästchen, unter lauschigen Palmen oder Mangobäumen hervorlugend, vorgestellt. Unsere aufs höchste gespannten Erwartungen machten daher einer tiefen Niedergeschlagenheit Platz beim Anblick der inmitten eines vollständig kahlen, zum Fluß abfallenden Geländes gelegenen armseligen paar Gebäude, die unsere Faktorei vorstellen sollten. Die ehemals diesseits des Flusses am Ufer entlang liegende Kaffeeplantage war von unserem Vorgänger mit Stumpf und Stiel ausgerottet und an deren Stelle auch nicht der leiseste Versuch unternommen worden, das nunmehr vollständig kahle Terrain mit Nutz- und Zierbäumen zu bepflanzen. An Baulichkeiten bestand vorläufig nichts als ein kleines unansehnliches, provisorisches Haus mit zwei Räumen, dessen einer als Schlafzimmer, der zweite als Waren- und Produktenmagazin diente. Außer diesem provisorischen Gebäude hatte Kiel mit dem Bau eines Magazins begonnen, von dessen einen Hälfte man hoffen konnte, daß sie in den nächsten Tagen vollendet sein würde. Die ganze Einrichtung war den Verhältnissen entsprechend höchst primitiv und nur für eine Person berechnet, so daß es, vom Bett angefangen, am Nötigsten für mich mangelte. Offenbar hatte unser Vorgänger seine ganze Aufmerksamkeit und Energie einzig[S. 93] und allein dem Handel mit den Arabern und Eingeborenen zugewendet und darüber seine eigene Bequemlichkeit vollständig außer acht gelassen.
Hier gab es Arbeit für uns beide in Hülle und Fülle. Ein komfortables Wohnhaus, Bett, Tisch, Stühle, Schränke, kurzum, alles fehlte und mußte geschaffen werden. Wir richteten uns also vorläufig so gut wie möglich in den beiden Räumen ein und brachten die aus dem Dampfer entladenen Waren und Lebensmittel mangels eines Magazins auf den Veranden und in dem unvollendeten Bau unter. Am folgenden Morgen bei Tagesanbruch verließ uns der »Nfuma ntanga«, und wir hatten nunmehr Gelegenheit, unser Personal etwas näher zu inspizieren.
Laut Angabe der Direktion sollte dasselbe aus dem schwarzen Schreiber, der die Arbeiten eines europäischen Beamten verrichtete, und zwanzig ausgewählten Männern von der Küste, darunter Schreiner und Schlosser, bestehen. Die meisten dieser Leute, vor[S. 94] allem die Handwerker, hatten jedoch die Faktorei gleichzeitig mit Kiel verlassen und waren an die Küste zurückgekehrt. Zurückgeblieben waren nur fünf Mann, und diese gehörten zu jener Kategorie von Leuten, die sich schnell irgendwo eingewöhnen und dann auch dableiben. Sie hatten sich, wie wir bald bemerkten, einen vollständigen Harem von Boys und Frauen zugelegt, steckten mit den Arabern unter einer Decke und waren mit der Zeit träge und faul geworden. Außer diesen sechs Mann von der Küste waren je nach Bedarf zwanzig bis dreißig Suaheli unter der Leitung eines Chef-Capitas mit Namen Mustapha auf der Faktorei, Sklaven des arabischen Oberhauptes Shibu, die monatlich ausbezahlt wurden. In Mustapha hatte unser Vorgänger entschieden eine glückliche Wahl getroffen. Er war von zierlicher Gestalt, hellbrauner Farbe und gewinnendem Wesen. Seine Gesichtszüge trugen arabischen Charakter und waren unstreitig intelligent. Lippen und Nase waren im Gegensatz zu den Eingeborenen schmal und edel geformt, Hände und Füße zart und sorgfältig gepflegt. Die etwas hervortretenden Backenknochen und flammenden Augen gaben dem Gesicht ein energisches Gepräge. Den europäischen Beamten und höheren Sultans und Scheikhs gegenüber stets bescheiden und zuvorkommend, war er gegenüber den Arbeitern und Negern stets der befehlende Gebieter, dem sie unbedingt gehorchten. Dies ist in kurzen Umrissen das Charakterbild des Mannes, der als Dolmetscher und im Umgang mit den Arabern unser hauptsächlichster Führer und Berater wurde. In allem war er versiert, in allem wußte er Bescheid.
Am Tage nach unserer Ankunft, und noch ehe wir Gelegenheit gehabt hatten, uns völlig einzurichten, war Mustapha mit den arabischen Häuptlingen der Umgebung, wie Habibu Ben Salim (der später vom König Leopold in Brüssel in Audienz empfangen wurde), und Shibu, erschienen, um uns zu begrüßen. Beide, imposante Greise mit herrlichen schneeweißen Bärten, in golddurchwirkte, mit kostbaren Handarbeiten besetzte Gewänder gehüllt, gefolgt von zahlreichem, vom Kopf bis zu den Füßen in blendend weiße Hemden gekleidetem Volk, machten auf uns, die wir bisher nur mit halb oder ganz nackten Wilden Handel getrieben hatten, einen imposanten Eindruck. Da die gläubigen Araber, wenigstens öffentlich, keinen Alkohol, auch keinen Champagner trinken, ließen wir ihnen schwarzen Kaffee mit englischen Cakes vorsetzen. Mustapha vermittelte das Gespräch als Dolmetscher, und wir erfuhren bei dieser Gelegenheit, daß unser[S. 95] Vorgänger es verstanden hatte, sich ihre Freundschaft zu erwerben. Mit der beiderseitigen Zusicherung, es auch fernerhin so zu halten, versprachen sie, uns ausgiebig mit Elfenbein und Reis zu versorgen.
[4] Katuka — schau, daß du fortkommst, nyama — gleichbedeutend mit »Vieh«.
Kiel hatte auf seiner Rückkehr nach dem »Pool« zirka 4000 Kilogramm Reis von den Arabern mitgenommen, die er mangels genügender Warenvorräte nicht hatte bezahlen können und schuldig geblieben war. Diese Schulden zu begleichen, erachteten wir als unsere erste Pflicht. Unser Hauptgläubiger residierte in Romée, und da unser Dampfer uns bereits verlassen hatte, beschlossen wir kurz, sofort mit unserm großen Kanu, das etwa 2000 Kilogramm an Waren sowie zwanzig Ruderer bequem fassen konnte, dort hinzufahren. Das Boot hatte eine Länge von etwa acht Meter und eine durchschnittliche Breite und Tiefe von 120 respektive 75 Zentimeter. In der Mitte befand sich ein Aufbau, eine Art Blätterdach zum Schutz gegen Sonne und Regen, groß genug, um uns beide in unseren Stühlen und sämtliche Waren unterzubringen. Dahinter war aus Lehm eine Art Feuerstelle hergerichtet, worauf unser Koch auch während der Fahrt unser Essen zubereitete. Ganz vorn und hinten standen, gleichmäßig verteilt, zwanzig bis dreißig Ruderer, die, im Takte singend, mit ihren lanzenförmigen Rudern das Boot vorwärtstrieben.
Wer die primitiven Werkzeuge der Neger aus Museen kennt, wird es für ganz und gar ausgeschlossen halten, daß Negerhände damit den langwierigen, viel Geschicklichkeit erfordernden Bau eines derartigen Kanus ausführen konnten. Wenn man bedenkt, welche ungeheure Mühe es erfordert, solch einen Urwaldriesen zu fällen, zu entrinden und mittels Feuer und Hacken Splitter für Splitter auszuhöhlen, dann wird man einen hohen Respekt vor der Arbeitskraft dieser Eingeborenen bekommen. Zu berücksichtigen dabei ist noch, daß sich nur das härteste Holz und nur Stämme dazu eignen, die ohne Äste und Fehler sind.
Als wir endlich alle im Boote untergebracht waren und unter dem gleichmäßigen Takt eines Gongs und dem Jubelgesang der[S. 96] Ruderer, die stromabwärts leichte Arbeit hatten, wie ein Pfeil über die Wasserfläche dahinflogen, da pochte mein Herz laut im stolzen Hochgefühl und der Gewißheit, endlich meine Träume erfüllt zu sehen. An einer Anzahl Dörfer vorüber, deren Einwohner beim Passieren unseres Kanus neugierig ans Ufer eilten, gelangten wir nach etwa zweistündiger Fahrt zur Mission St. Gabriel de Sacré Coeur, deren Patres uns aufs liebenswürdigste bewillkommneten und über Mittag zu Gast baten.
Der Pater Gabriel war ein äußerst jovialer Franzose, der uns über die Anfänge seiner Mission und die tausenderlei Gefahren und Schwierigkeiten, unter denen er zu leiden hatte, berichtete. Sein Gefährte Pater van Dussen hatte uns an der Landungsstelle empfangen und durch sein gespenstisches Aussehen einen für immer unvergeßlichen Eindruck auf mich gemacht. Man stelle sich ein weit über das normale Maß hinausreichendes Skelett in einer ebenso langen weißen Soutane vor, darüber einen Bart, der nach allen Seiten in noch nie gesehener Üppigkeit wucherte, und zwei kolossale, schwarze Augengläser, die den Rest des gerunzelten, bis zu den Knochen abgemagerten, fahlen Gesichtes völlig dem Beschauer entzog, da der übrige Teil desselben durch den großen, breitrandigen Tropenhut vollkommen verdeckt wurde. Er war schon sehr alt, der ehrwürdige Pater, und wußte viel Interessantes über seine Erlebnisse in Südamerika, wo er viele Jahre bis zur Verstoßung der katholischen Mission geweilt hatte, zu berichten. Still ergeben in sein Schicksal, hatte er hier kurz vor seinem Lebensabend einen neuen Wirkungskreis gefunden. Im übrigen waren beide äußerst vergnügt, Gesellschaft auf ihrer einsamen Station zu erhalten, und überboten sich trotz der bescheidenen Mittel, die ihnen zur Verfügung standen, in ihrer Gastfreundschaft. Aus ihren Erzählungen erfuhren wir, daß vor einigen Tagen zwei Missionsmädchen von großen Affen, die alljährlich aus dem Innern an die Flußufer kommen, geraubt worden waren. Nach den Schilderungen dürften es Gorillas oder Schimpansen gewesen sein. Als Pater Gabriel sich mit einigen Soldaten auf die Verfolgung machte und auf eines der Tiere schoß, ließ es das Mädchen von der Höhe fallen. Dieses lebte noch, hatte jedoch infolge des Sturzes derartige innere Verletzungen davongetragen, daß es binnen einigen Stunden starb. Die anderen hatten mit dem zweiten Mädchen unter furchtbarem Brüllen das Weite gesucht und konnten in dem tiefen Morast nicht weiter verfolgt werden.
[S. 97]
Nach herzlichem Abschied verließen wir gegen drei Uhr nachmittags Le Sacré Coeur und fuhren weiter stromabwärts. An den Flußufern fanden wir keine weiteren Dörfer vor. Dagegen wurden aus dem grünen Vorhang des Waldes, der alles Lebende dahinter unserem Auge verhüllte, langgezogene Töne und Ausrufe hörbar, die von Mustapha beantwortet wurden. Eingeborene boten uns alle möglichen Gegenstände, darunter auch Sklaven und Sklavinnen, zum Kaufe an. Der Sklavenhandel ist hier unter den Suaheli noch in vollem Betrieb. Sklaven bilden den eigentlichen Reichtum der Neger und werden gerade so wie andere verkäufliche Gegenstände verhandelt.
Meine Unterhaltung mit Janssen verstummte allmählich, und ich gab mich ganz der weihevollen Stimmung hin, die am Spätnachmittag über dem Strom lag. Meine Sinne öffneten sich all dem Neuen, das sich mir hier erschloß. Meine Blicke schweiften von dem vor mir trommelnden Mustapha, dessen Wiege wahrscheinlich im fernen Osten in Sansibar gestanden hat, und der so wie ich durch Schicksalsfügung mitten unter die raubgierigsten aller Völker Innerafrikas verschlagen war, hinüber zu den muskulösen, schweißtriefenden Gestalten unserer Ruderer. Das Auge weidete sich an dem prächtigen Anblick dieser jungen lebenstrotzenden, braunen Körper, die die Ruder mit taktmäßigem, wuchtigem Schlag durch das glitzernde Wasser führten. Unwillkürlich blieb mein Blick an einer der schmalen, feingeformten Hände hängen, dieser Rassenhand, die ebensogut das Messer zückt, um das ungetreue Weib zu töten, als den meuchlings niedergestreckten Feind in Stücke zu teilen, um ihn tief im Innern der Urwälder, bis wohin die Gesetze der Europäer nicht reichen, mit den Gefährten aufzufressen.
Wohin das Auge blickt, überall spielt sich der gleiche Kampf des Schwachen mit dem Mächtigeren ab; es ist ein beständiger Streit zwischen Sein und Nichtsein. Tief aus dem Gewirr von Bäumen und stacheligen Pflanzen tritt unbemerkt ein kleines, schmächtiges Keimchen hervor. Gleich einer Schlange schmiegt und ringelt es sich am gewaltigen Stamme hinauf dem Licht der Sonne zu, die es zu neuem Leben entfacht und ihm Kraft verleiht. Bald streckt es tausend Fühler aus, die gleich Parasiten ihren Ernährer umarmen und von dessen Herzblut leben. Einmal ans volle Licht gelangt, entwickelt das Pflänzchen ein riesiges Laubgewinde und stößt Tausende von neuen Trieben aus, die von den Baumkronen der[S. 98] höchsten Riesen bis zur Erde reichen. Mit den Jahren werden sie so mächtig, daß sie ihren Ernährer in ihren kraftvollen Armen ersticken und durch ihre eigenen Blätterranken des notwendigen Lichtes berauben, bis ein Tornado Sieger und Besiegten zu Boden schleudert.
An schlanken Elaispalmen, an herrlichem Urwald vorüber, aus dessen Tiefen uns ein aromatischer, die Sinne bestrickender Duft entgegenströmte, glitt unser Boot. Hier flogen unter lautem Geschnatter ein paar Enten auf, dort stürzte ein Fischadler auf seine Beute, wieder kamen wir an Scharen schlafender Fledermäuse vorbei, die in Klumpen wie reife Früchte an irgendeinem vollständig kahlen Baume hingen. Alles war meinem freudetrunkenen Auge so neu und ungewohnt und versetzte mich in einen völligen Taumel von Entzücken.
Bei einbrechender Dunkelheit erreichten wir unsere erste Etappe, die englische Mission in Jakussi, und wurden daselbst von Sir Roger und Mr. Williams auf das liebenswürdigste aufgenommen. Besonders freudig überraschte es uns, in der Gattin unseres Gastgebers eine reizende, anmutige Engländerin in dieser unwirtlichen Gegend Innerafrikas kennenzulernen. Da wir der englischen Sprache mächtig waren, verging der Abend in sehr vergnügter und angenehmer Unterhaltung. Die Missionare erzählten von den Leiden und Freuden ihres weltabgeschiedenen Lebens, während Mrs. Roger fünf bis sechs reizende Mulattinnen im Alter von acht bis zwölf Jahren um sich versammelt hatte und in die Geheimnisse der Näharbeit einweihte. Nach langer Zeit schlief ich wieder einmal in weichen Federbetten in einem mit europäischem Komfort eingerichteten Zimmer. Am anderen Morgen war alles in großer Aufregung; ein Leopard war in der Station gewesen und hatte einen der großen Hunde weggeholt.
[S. 99]
Frühmorgens verließen wir Jakussi, um unsere Reise stromabwärts fortzusetzen. Nach dreistündiger Fahrt gelangten wir am rechten Ufer an die erste arabische Niederlassung des Häuptlings Rumbee, der nach den Aufzeichnungen unseres Vorgängers unser Hauptreislieferant war und für uns 200 Sack auf Lager haben sollte. Dieser hatte, des langen Wartens überdrüssig, seinen ganzen Vorrat bereits an den Staat abgegeben, so daß wir das Nachsehen hatten. Wir bezahlten unsere alten Schulden und erreichten endlich nach vielem Hin- und Herparlamentieren, daß er uns versprach, Ende des nächsten Monates 200 Sack Reis nachzuliefern. Da sich nach Mustaphas Aussagen auf dieser Seite des Stromes noch mehrere Araberansiedlungen vorfanden, sandten wir unser Boot stromabwärts voraus und gingen selbst zu Fuß durch die bald größeren, bald kleineren Reisplantagen. Die Ansiedlungen der Suaheli zeichnen sich durch ihre großzügige Anlage und ihre Reinlichkeit aus. Die Bauten sind in Pise (Gerippe aus Holz, Aufbau aus einem Gemisch von Lehm und Termitenerde) ausgeführt und gewöhnlich weiß, hellblau oder auch rosa getüncht. Solch ein Gebäude besteht aus dem Frontbau mit Vorhallen und den Schlafgemächern, an welche sich eine Hecke anschließt, die den Hof und die Wirtschaftsgebäude umzäunt. In dem letzteren befinden sich die Küche, Vorratskammer sowie Schlafgemächer für die unmittelbare Hausdienerschaft. Der dazwischenliegende Hof dient zum Aufenthalt der Frauen und des Geflügels. Die Wohnungen der Häuptlinge sind ebenso gehalten, nur entsprechend größer und besitzen als besondere Merkmale eine Säulenhalle oder eine schwere, mit eingeschnitzten Schriftzeichen verzierte Tür. Bei wundervoll schönem Wetter machten wir einen Spaziergang durch die verschiedenen Plantagen von Mais, Maniok,[S. 100] Bananen, Yam, Bohnen und Reis, die die Suaheli am Flußufer entlang angelegt hatten. Aus allen Türspalten, Nischen und über Hecken hinweg lugten kleine Hausfrauen.
Beim letzten dieser Dörfer bestiegen wir wieder unser Boot und ließen uns auf das linke Flußufer übersetzen, um dem Oberhäuptling von Romée Mansuri Ben Said, der über 15000 Suaheli gebietet, einen Besuch abzustatten. Der alte Häuptling war vor kurzem gestorben, und wir wurden daher von seiner ehemaligen Favoritin und ihrem Sohne, seinem Nachfolger, empfangen. Wir zahlten auch hier alte Schulden ab, hatten aber Mühe, ihn zu neuen Geschäften zu bewegen, da er mit den Abgaben an den Staat im Rückstand war und fürchtete, seine Waren würden in Stanleyville beschlagnahmt werden. Schließlich versprach er uns für den nächsten Monat 500 Sack Reis und stellte uns auch einige schwere Elfenbeinzähne in Aussicht. Wir hatten nunmehr unsere Arbeiten erledigt und traten die Heimreise an. Jetzt lernten wir die Kehrseite einer Kanufahrt kennen. Solange das Boot mit der Strömung fährt, geht die Sache vorzüglich, stromaufwärts jedoch ist es eine andere Sache. Schritt für Schritt, träge und faul schleicht das Boot trotz vermehrter Arbeitskraft am Ufer entlang, jeder Meter vorwärts wird der Strömung unter Aufbietung aller Kräfte abgerungen. Unsere Ruderer waren in Schweiß gebadet, das fröhliche Singen hatte einer unwilligen und mürrischen Stimmung Platz gemacht.
Langsam versank die Sonne als leuchtender Feuerball am Firmament. Große Fledermäuse, Vampire und anderes nächtliches Getier huschte mit dunklen Schwingen über die Wasserfläche, irgendwo in der Ferne heulte ein Schakal jämmerlich. Zum Quaken der Frösche gesellte sich ein Orchester von Baumgrillen und hundert[S. 101] anderen Insekten, die an dem nächtlichen Konzert teilnahmen. Die Dunkelheit brach herein, und es begann langsam zu regnen, so daß wir froh waren, endlich beim Häuptling Rumbee noch kurz vor Ausbruch eines Orkans Unterschlupf zu finden. Meine Leute hatten kaum genügend Zeit, den erstbesten Negerchimbeque (Hütte) für Janssen und mich mit Beschlag zu belegen und dessen Einwohner, primitive Bassengi, hinauszutreiben, als auch bereits ein wahrer Wolkenbruch über uns niederging. Dazu war die armselige, niedrige Hütte noch derartig mit Rauch angefüllt, daß wir uns trotz des Feuers kaum sehen konnten. Unsere Boys hatten jedoch inzwischen alle unsere Siebensachen aus dem Boote hierher ins Trockene gebracht, und es blieb uns nichts übrig, als hier zu übernachten.
Rumbee war inzwischen von Mustapha von unserer Ankunft benachrichtigt worden und ließ uns nach Ablauf des ersten Regenschauers zu sich entbieten. In der großen Empfangshalle seines Palastes waren zwei mit Leopardenfellen behangene Lehnstühle für uns beide hergerichtet worden, während Rumbee mit dem Kreis der Seinen auf Matten und kleinen Bambusschemeln lagerte. Im Hintergrunde spielte eine aus Sansibar stammende Hauskapelle, bestehend aus drei Mann, die verschiedenartig gestimmte Tamtams schlugen und wirbelten, und zwei Frauen, die als Sängerinnen fungierten. Außer diesen trat noch ein Bauchpfeifer als Sonderkünstler auf, der bald eine Kriegstrompete nachahmte, bald wie eine wütende Bestie fauchte, zischte und die unglaublichsten Töne hervorbrachte. Diese kleine Künstlerschar spielte und sang während einiger Stunden eine ganze Reihe von Kampf- und Schlachtliedern, unter anderen auch den berühmten »Unsterblichkeitsgesang« der Mohammedaner, den Rumbee für gewöhnlich den »Ungläubigen« nicht vorzuführen[S. 102] pflegte. Ich glaube gern, daß die Araber, durch den Sirenengesang schöner Frauen und die Verheißungen eines paradiesischen Lebens im Jenseits angefeuert, mit Todesverachtung in den Kampf ziehen.
Dieses nächtliche Konzert inmitten einer fanatischen Bevölkerung auf der durch Pechfackeln nur spärlich beleuchteten »Barza« (eine Art Vorhof oder überdeckte Veranda) machte auf uns beide einen sehr starken Eindruck. Um uns für die liebenswürdige Überraschung erkenntlich zu zeigen, ließ Janssen aus unseren Vorräten eine Anzahl Perlenschnüre, Ringe, Armbänder und allerlei Zierat durch Mustapha dem Häuptling überreichen. Dieser erhob sich nunmehr und, in rhythmischen Bewegungen der Musik folgend, die von kreischendem »Allah«-Geschrei der ganzen Menge begleitet wurde, überreichte unsere Geschenke den Spielern. Das uns zu Ehren gegebene Fest hatte seinen Höhepunkt erreicht; einige weitere Gongschläger und Sängerinnen hatten sich der Gruppe angeschlossen und vollführten einen infernalischen Spektakel.
Janssen hatte durch Mustapha verschiedene Male andeuten lassen, daß wir gerne Haremsfrauen tanzen sehen möchten. Anfänglich weigerte sich Rumbee sehr entschieden, doch gegen Mitternacht konnte er sich unseren Bitten nicht länger verschließen und ließ uns durch Mustapha bedeuten, wir möchten uns verabschieden. Sobald wir uns erhoben hatten, zerstreute sich die versammelte Menge und begab sich zur Ruhe. Wir aber wurden nach kurzer Zeit von Mustapha durch eine kleine Seitenpforte in eine geschlossene Halle geführt, in die man unsere Stühle sowie Matten und Felle für Rumbee und einige seiner ganz Intimen hinübergebracht hatte.
War vorher vor dem Gefolge nur Tee und feiner englischer Biskuit herumgereicht worden, so bedeutete Mustapha uns jetzt, daß wir uns ohne weiteres Champagner und Liköre servieren lassen könnten. Rumbee gab einem seiner Diener ein Zeichen, und dieser kehrte kurz darauf mit einer versiegelten Flasche Ananaslikör zurück.
Die Sansibariten hatten ihre großen Gongs mit Saiteninstrumenten und einem kleinen Gong vertauscht, und kurz darauf erschienen sechs blühende junge Haremsfrauen, über und über mit Zierat behangen, der wie ein Schuppenpanzer vom Hals bis zum Busen reichte und diesen teilweise bedeckte. Hüfte und Leib waren vollständig entblößt und wiegten und wanden sich in rhythmischen Bewegungen in vollendeter Grazie nach dem Takte der Musik, bald[S. 103] in tollem, sinnenberückendem Wirbel, bald in vornehmer majestätischer Ruhe. Auch hier verabreichten wir Geschenke in Form von allerlei Zierat und golddurchwirkten »Pagnes« (Schürzen), welche die reizenden Geschöpfe in sichtlich kindlicher Freude aus den Händen Rumbees entgegennahmen. Meine entzückten Augen konnten sich nicht sattsehen an dem wundervollen Glanz der lachenden Kinderaugen, deren Ausdruck durch die langen Wimpern und schwarzen Brauen nur noch mehr gehoben wurde, an den blendend weißen Zähnen, die wie Perlenreihen aus den halb geöffneten Lippen hervorlugten, an den feingeschwungenen Lippen und Gesichtszügen, an den zarten, schmalen, rassigen Händen und Füßen und endlich an dem jungfräulichen und doch wieder kräftigen Körper, der berückend schön in jeder Bewegung uns seine Reize offenbarte. Nachdem wir zum Schlusse noch den üblichen Bauchtänzen beigewohnt hatten, schieden wir von Rumbee und begaben uns in unsere primitive Behausung, wo ich mich auf das harte Bambuslager legte und von dem Harem träumte, während Janssen noch lange vor der Tür lauerte, da er behauptete, eines der jungen Mädchen habe ihn bedeutungsvoll angeblinzelt und mit der Hand zugewinkt.
Ich mochte kaum eine Stunde geschlafen haben, als mir plötzlich etwas über den bloßen Arm und das Gesicht hinweglief. Mit einem Satz war ich aufgesprungen und lauschte ins Dunkel hinein. In der Hütte um mich herum ertönten unheimliche Laute wie das Gepiepse von Ratten und Mäusen, die erschreckt die Flucht ergriffen. Ein fernes Brausen drang vom Fluß herauf, in wilder Jagd sausten unbekannte Geschöpfe über Geräte hinweg, die Wand der Hütte hinauf und wieder hinab. Über mir mußte irgendeine große Fledermaus umherfliegen, denn ganz deutlich konnte ich das Klappen der Flügel hören und den leichten Luftzug, den das Tier hervorbrachte, wenn es sich mir näherte, fühlen. Ich wollte Licht machen, doch versagten die Zündhölzer, die durch den Regen naß geworden waren. Nun suchte ich, mit der Hand vorsichtig tastend, in der Dunkelheit nach einem Prügel und erwischte schließlich einen Knochen, der meinen Zwecken dienlich schien. Nicht ahnend, welche Art Knochen ich da erfaßt hatte, schlug ich damit an die Bettkante und verschaffte mir so wenigstens für einige Minuten Ruhe. Ich ergriff mit der anderen Hand das Oberende, und ein Grauen überfiel mich. Der Knochen, den ich in der Hand hielt, stammte vom Oberschenkel eines Menschen. Eine Täuschung war unmöglich, kein Tier hat derartig[S. 104] geformte Knochen. Ein eiskalter Schauer fuhr mir den Rücken hinab, der Angstschweiß stand mir auf der Stirn. Bei diesem Zeugnis von Kannibalenmahlzeiten wurde mir klar, warum die beiden Bassengi vorhin wie aufgescheuchte Bestien aus der Hütte geflüchtet waren und sich nicht mehr blicken ließen.
Raschelnd kam über die trockenen Blätterwände der Hütte wieder allerlei Getier angelaufen. Ratten und Mäuse stöberten unter altem Hausgerät nach Speiseresten. Aus unmittelbarer Nähe ertönten schaurige Rufe und Schreie in die stockfinstere Nacht, wie von einem Kind herrührend, das man langsam hinmordet und an dessen Qualen sich jemand weidet. Dazwischen vermeinte ich wieder flüsternde Stimmen zu vernehmen. Die Nacht war lebendig um mich, ich war von einer Schar unsichtbarer Feinde umgeben. Ganz deutlich fühlte ich etwas an dem Bambus unter meinem Kopf heraufkriechen. Sollte es eine jener gehörnten Vipern sein, die nachts in die Hütten der Eingeborenen kommen und Jagd auf Ratten und Mäuse machen? Man hatte mich vor dieser furchtbarsten aller Schlangen, deren Biß qualvolle Schmerzen verursacht und unbedingt tödlich ist, gewarnt. Die Beine hochgezogen, die schützende Decke gleichsam als Schild vor dem vor Grauen in Schweiß gebadeten Körper haltend, kauerte ich auf meiner Pritsche und starrte in das unheimliche Dunkel, in der Rechten den Menschenknochen haltend und bereit, mit ihm alles zu erschlagen, was in meine Nähe kam.
Mein erstes am folgenden Morgen war, nach den beiden Bassengi zu forschen. Diese hatten Reißaus genommen und blieben unauffindbar. Mustapha bestätigte mir, daß der gefundene Knochen ein Menschenknochen sei. Beim Durchstöbern der Hütte fand sich noch eine ganze Anzahl vor, eine Tatsache, die ihn nicht im geringsten[S. 105] wunderte, da die Eingeborenen im Innern, am Fluß Lindi entlang, bekanntlich Kannibalen sind.
Bei Tagesanbruch setzten wir unsere Reise stromaufwärts fort, um eine möglichst lange Strecke vor Beginn der großen Sonnenhitze zurückzulegen. Wir mochten ungefähr drei Stunden unterwegs sein, ohne daß sich irgend etwas Nennenswertes ereignet hatte, als plötzlich in unmittelbarer Nähe eine Leiche vorbeitrieb. Beine und Hüften ragten aus dem Wasser, waren vollständig weiß und zeigten bläuliche Tupfen. Mustapha erklärte, daß dies die Leiche eines Negers sei, die nach längerem Liegen im Wasser die Hautfarbe verändert. Ungläubig und mißtrauisch diskutierte ich mit Janssen die Frage, als plötzlich in kurzer Reihenfolge hintereinander fünf bis sechs Leichen gerade in unserer Fahrtrichtung angeschwommen kamen. Nunmehr ernstlich beunruhigt, was dies zu bedeuten habe, ließen wir einen dieser Leichname mit dem Bootshaken drehen und überzeugten uns nun an den wulstigen Lippen und überhaupt an dem Gesichtsausdruck, daß der Tote tatsächlich ein Neger war. Wir hatten bereits gefürchtet, daß während unserer Abwesenheit in Stanleyville die Soldaten oder Araber gemeutert und sämtliche Europäer ins Wasser geworfen hätten. Mustapha erklärte das Vorkommen der vielen Leichen damit, daß die Eingeborenen der Fischerdörfer stromaufwärts ihre Toten nicht begraben, sondern sie einfach dem Flusse anvertrauen. Gegen drei Uhr nachmittags kamen wir, immer stromaufwärts fahrend, an die Mündung des Lindiflusses, welches Gebiet uns kurz vorher vom Distriktskommissar als Arbeitsfeld für die Gewinnung von Kautschuk freigegeben war.
Laut Bericht von Mustapha hatten weder die »S. A. B.« (Société Anonyme Belge, kurz S. A. B. genannt), noch die »Belgika«,[S. 106] unsere beiden Konkurrenten, es bisher gewagt, dieses Gebiet zu betreten, da erst kürzlich zwei staatliche Offiziere, die die Eingeborenen zwingen wollten, Elfenbein vom Innern an das Flußufer zu bringen, von ihnen erschlagen und die im Schlafe überfallenen Begleitsoldaten aufgefressen worden waren. Eine sofort entsandte Expedition hatte zwar ein furchtbares Blutbad unter den Kannibalen angerichtet und die Stämme, die nunmehr versprachen, Kautschuk zu liefern, völlig unterworfen, doch traute keiner einstweilen den friedlichen Gesinnungen der Bevölkerung.
Wir rekognoszierten nun ein wenig das Terrain an der Mündung des Flusses und liefen eine Landungsstelle, an der wir einige verlassene Boote sahen, an. Einige im Gebüsch verborgene Eingeborene kamen auf wiederholtes Anrufen herbei und erboten sich, uns nach dem einige Stunden im Innern entfernt gelegenen Dorfe zu führen. Da aus ihren Gesprächen hervorging, daß die Eingeborenen friedlich waren und bisher Kautschuk als Steuer an den Staat geliefert hatten, beschloß Janssen sofort, womöglich schon im Laufe der Woche eine Erkundigungsreise von diesem Dorfe aus nach dem oberen Laufe des Lindis zu unternehmen.
Gegen sechs Uhr abends, bei einbrechender Dunkelheit, kamen wir bei der katholischen Mission St. Gabriel an, und ich schlug Janssen vor, hier zu übernachten, da der Himmel im Verlaufe des Nachmittags sich immer mehr umwölkt hatte und jetzt ein drohendes Aussehen erhielt. Janssen wollte jedoch um jeden Preis nach Stanleyville zurückkehren, und wir fuhren weiter. Stunde um Stunde verging, leichte Windstöße kamen von allen Seiten und kündeten das Nahen des Tornados an. Die Dunkelheit war inzwischen völlig hereingebrochen. Alle Augenblicke fuhr unser Kanu auf unter dem Wasserspiegel treibende Baumstämme auf und konnte nur mit Mühe losgemacht werden. Als das Sausen und Krachen kolossaler Bäume über uns immer heftiger wurde, ersuchte ich Janssen bei der nächsten Strombiegung, ungefähr eine Stunde unterhalb unserer Faktorei, den Strom zu überqueren, da dies vielleicht später nicht mehr möglich sei. Wir hatten noch kaum die Mitte des hier ungefähr 800 Meter breiten Stromes erreicht, als plötzlich der Tornado mit voller Wucht über uns hereinbrach. Ein Regenschauer, von Windstößen zu ungeheurer Wucht angefacht, zerschmetterte das Schutzdach über unseren Köpfen und begrub uns unter den Trümmern. Mustapha und der Boy hieben mit ihren langen Haumessern[S. 107] über unseren Köpfen die Stützen nieder, und unseren vereinten Bemühungen gelang es, das Dach, das dem Orkan eine Angriffsfläche bot und unser Verderben hätte werden können, über Bord zu werfen. Da stürzte einer der Ruderer über den Rand des schwankenden Bootes. Gellend hallten die Hilferufe in die schaurige, von grellen Blitzen durchzuckte Nacht hinein, übertönt vom Höllenlärm, in dem sich der Schlag auf Schlag herniederdröhnende Donner mit dem Tosen des Sturmes und dem Prasseln der herabfallenden Wassermassen mischten. An Rettung war nicht zu denken. Ein Drehen des Bootes wäre gleichbedeutend mit unser aller Untergang gewesen. Also vorwärts, mit allen Kräften vorwärts, dem schützenden Ufer zu. Die Ruderer, die im ersten Augenblick der Überraschung völlig den Kopf verloren zu haben schienen und die Befehle Mustaphas nicht beachteten, erkannten jetzt die ungeheure Gefahr, in der wir uns alle befanden, und ruderten für ihr Leben.
Indessen führten die losgelassenen Elemente einen wahren Hexentanz um uns auf, alle Dämonen der Hölle schienen entfesselt und sich mit den wilden Göttern »Kilimas«, des Urwaldes, zu schlagen. Das Ächzen und Stöhnen der vom Wirbelwind erfaßten tausendjährigen Baumriesen, das Krachen und Splittern der zu Tode getroffenen und übereinanderstürzenden Laub- und Holzmassen fand in unserem Gemüt hundertfachen Widerhall und brachte uns zum Bewußtsein, wie unendlich wenig unser jämmerliches Leben zu bedeuten hat.
Janssen stöhnte, jammerte und schrie erbärmlich. Die Hände vor das Gesicht geschlagen, heulend, Gott und alle Heiligen zum Schutze anrufend, kniete er vor mir, ein Bild des Elends, eine Jammergestalt. Den Tod beständig vor Augen, die Beine bis zu den Knien im Wasser, saß ich neben ihm, meine innere Erregung gewaltsam beherrschend und kein Wort der Klage über die Lippen bringend. Dem Beispiel Mustaphas folgend, ergriff ich meinen Tropenhelm und schöpfte mit ihm das Wasser mechanisch aus dem Boote. Ein kräftiger Stoß vorn am Bug, durch den zwei Ruderer, die das Gleichgewicht verloren hatten, ins Wasser geschleudert wurden, zeigte uns an, daß wir endlich das andere Ufer erreicht hatten, und alle Mann klammerten sich mit Leibeskräften an Äste, Zweige und Büsche. Erschlug uns jetzt nicht einer der niederstürzenden Baumriesen, dann waren wir gerettet, da die Wucht des Orkans uns unter dem schützenden Laubdache nicht mehr viel anhaben konnte. Hier lagen wir wohl eine[S. 108] Stunde, die für uns alle, die wir vom Kopf bis zu den Füßen durchnäßt waren, zu einer Ewigkeit wurde. Gegen Mitternacht langten wir in unserer Faktorei, von den durchlebten Strapazen völlig erschöpft, an und ließen uns sofort heißen Tee und Chinin geben, um schweren Krankheiten vorzubeugen.
Die Bevölkerung des Distrikts, mit dem wir in Handelsverbindung standen, bildet drei ganz verschiedene Gruppen: die Araber und deren Abkömmlinge, die Suaheli, aus Kreuzungen der ersteren mit den Eingeborenen hervorgegangen, die Bakeniens, ein Fischervolk, das seine Dörfer unmittelbar am Kongofluß hat und sich ausschließlich dem Fischfang widmet und uns zeitweise Ruderer zur Verfügung stellte, und die Bakumu, von unseren Leuten Bassengi genannt, deren Dörfer im Innern des Landes liegen und die Hauptproduzenten von Kautschuk sind.
Die meisten hier ansässigen Araber stammen aus Sansibar. Sie sind Kaufleute großen Stils und haben den Elfenbeinhandel geradezu monopolisiert. Die Bemittelten unter ihnen, die über eine größere Anzahl Sklaven verfügen, sind vornehmlich Pflanzer von Reis, Tabak, Maniok, Zwiebeln, Kaffee sowie allen anbaufähigen Nahrungsmitteln. Diese Pflanzungen repräsentieren bereits nach verhältnismäßig kurzer Zeit einen großen Wert.
Die zwangsweise angesiedelten Araber sind zumeist Kriegsgefangene oder Leute, die dem Staate bei der Okkupation am oberen Nilflusse mit der Zeit lästig und infolgedessen einfach nach hier deportiert wurden. Die Terrains für Ansiedlungen und Plantagen wurden ihnen frei zur Verfügung gestellt. Dafür haben sie monatlich gewisse Abgaben an die Station in Form von Naturalprodukten oder Baumaterialien zu entrichten. Die Leute handeln mit allem — vom Ei angefangen bis zu den Sklaven.
Die Araber stehen als Kulturvolk inmitten der wilden Völkerschaften Zentralafrikas unstreitig auf der höchsten Stufe, und ihr moralischer sowohl als ihr physischer Einfluß auf die umgebenden[S. 109] Völkerschaften reicht unendlich viel weiter als der des europäischen Eroberers. Während der Europäer bisher in egoistischer Selbstherrlichkeit in erster Linie nur den eigenen Komfort und die rücksichtslose Ausbeutung der eingeborenen Bevölkerung im Auge hat, wirkt der Araber als wahrer Kulturfaktor unter ihnen. Um eine Stufe tiefer stehend als der Europäer, siedelt er sich mitten unter der Bevölkerung an. Die sauberen kleinen Gebäude aus Lehm sind leichter von den Eingeborenen nachzuahmen als die solideren Wohnhäuser der Europäer. Das blendend weiße Hemd, das fast bis auf den Boden reicht, und der weiße Turban auf dem Kopf, die Bekleidung der Araber und Suaheli ist weniger kompliziert als die Tracht der Europäer und überdies viel praktischer für diese heißen Gebiete. Die Anschaffung beider Kleidungsstücke ist zudem bedeutend billiger als die von uns eingeführten gelb und dunkel karierten Hosen. Es nimmt mich daher nicht wunder, daß selbst die Boys der Europäer, die überall sonst im Kongo den Europäer in der Kleidung nachahmen, hier in Stanleyville mit Vorliebe die Suaheli-Tracht annehmen.
Ein Umstand, der mir nach Berührung mit all den vielen heidnischen Negervölkern beim Verkehr mit den Suaheli ganz besonders ins Auge fiel, war ihre Frömmigkeit: sie sind Mohammedaner. Bei Sonnenuntergang verlassen die Gläubigen ihre Arbeit, waschen Hände und Füße und knien dann vor ihren Häusern auf Matten und Teppichen, das Angesicht gen Osten gewendet, um ihr Gebet zu verrichten, wobei sie sich soundso oftmals bis auf den Boden verneigen.
Die Bakeniens sind ein robustes Fischervolk, das unsere Tafel regelmäßig mit Fischen aller Art sowie kleinen Krabben, nach unseren europäischen Begriffen zu spottbilligen Preisen, versorgte. Als ganz besondere Delikatesse bleibt mir die Fisch-Moambe, eine Art Fischpökel, aus Kongosalm und Palmenkernen hergestellt, in Erinnerung, ein Gericht, an das unser feinstes Fischpökel bei weitem nicht heranreicht.
Die Bakumu oder Bassengi gehören zu den primitivsten Stämmen Zentralafrikas. Ihre Dörfer liegen tief versteckt inmitten des großen Urwaldes und sind von hohen Palisaden umgeben, an deren Spitzen die Schädel der von ihnen getöteten und aufgefressenen Feinde stecken. Von Kind auf an den beständigen Kampf mit dem Nächsten und den Raubtieren des Waldes gewöhnt, ist der Bakumu ein[S. 110] moralisch unentwickeltes Geschöpf, das einzig und allein das Recht und die Macht des Stärkeren anerkennt. Ganz unverständlich sind ihm Gesetze, die ihm verbieten, das ungetreue Weib mit eigener Hand zu töten oder den niedergeschlagenen Feind zu verzehren. Wie ein Kind schmückt er sich mit Perlen und Zierat oder ergibt sich dem Tanze, um im nächsten Augenblick den vermeintlichen Nebenbuhler hinterrücks zu erschlagen. Er kennt keinen Unterschied zwischen Leben und Tod, zwischen Gutem und Bösem, und seine Blutgier ist unersättlich.
Langer Jahre Arbeit und verschiedener blutiger Kämpfe bedurfte es, um diese Völker zur Einsicht zu bringen, daß der Europäer ihr Gebieter ist. Zur Zeit meines Aufenthalts war die Region so weit befriedet, daß wir bis zu fünfzig Kilometer zu beiden Seiten des Flusses ins Innere unseren Geschäften nachgehen konnten. —
Während der nächsten Zeit wurden wir vom Bau unserer Faktorei und dem Handel mit den aus dem Innern herbeieilenden Karawanen vollständig in Anspruch genommen. Unsere schwarzen Schreiber sandten wir mit einem kleinen Kanu stromabwärts, um die in den Dörfern stationierten Capitas einzuberufen.
Aus Brazzaville hatten wir keinerlei Instruktionen mitbekommen. Entweder glaubte man, daß unser Vorgänger alle Arbeit ordnungsgemäß erledigt hatte, oder man vertraute unserer Findigkeit, selbst das Richtige zu treffen. Hacken, Haumesser, Nägel und eine große Säge waren vorhanden, und mit diesen primitiven Behelfen machten wir uns sofort an die Arbeit, um uns die mangelnde Wohnung und Einrichtung zu schaffen, wenn es mir auch vorderhand noch ein Rätsel blieb, wie wir uns die fehlenden Türangeln und Fensterscharniere herstellen sollten.
All das Neue um uns her, die Sprache, Sitten und Gebräuche der fremden Völkerstämme, die hunderterlei Probleme, die der Bau einer Faktorei uns zu lösen gab, nahmen all unser Sinnen und Denken derart in Anspruch, daß wir keine Zeit hatten, an unser früheres Leben, das hinter einem dichten Schleier in unerreichbarer Ferne lag, zu denken. Frühmorgens 1/2-6 Uhr mit der »Reveille«, die am gegenüberliegenden Ufer geblasen wurde und durch die stille Nacht über das Wasser so klar zu uns herübertönte, als stamme sie von unserer eigenen Schildwache innerhalb der Faktorei, erschien mein verschlafener Boy Mossamba, um Tür und Läden zu öffnen und mir das Waschwasser in einem Emailgeschirr auf eine umgestülpte[S. 111] Kiste zu stellen. Während ich mich wusch und anzog, verschwand er, um seinerseits unten am Flußufer Toilette zu machen. Punkt 6 Uhr wurde durch dreimaliges Trompetensignal »Appell« geblasen, worauf auf unserer Seite das Dröhnen und Wirbeln des Gongs antwortete und bekanntgab, daß auch wir mit der Arbeit begannen. Anfangs kamen unsere Arbeiter träge und mißmutig, in ihrem Schlafe gestört zu sein, in langen Abständen daher. Der Schreiber hatte offenbar in Abwesenheit unseres Vorgängers die Disziplin nicht strenge gehandhabt und die Zeit nicht genau eingehalten. Dies mußte sofort anders werden. Janssen nahm die Zügel kräftig in die Hand und hielt an die Leute eine Ansprache, deren Sinn Mustapha in Form kurzer Befehle den Suaheli mitteilte.
Als vornehmste Verhaltungsmaßregel des Europäers dem Personal und überhaupt dem Neger gegenüber gilt, daß er vom ersten Augenblick an den Leuten mit aller Energie und Entschiedenheit entgegenzutreten hat. Der Neger beugt seinen Nacken und erkennt nur denjenigen als seinen Herrn an, den er fürchtet und der imstande ist, jede aufkommende Neigung zur Auflehnung, angeborene Trägheit und Neigung zum Widerspruch sofort im Keime zu ersticken und mit unerbittlicher Strenge zu ahnden. Sogenannte »gute Menschen«, die Fehler verzeihen und zur Nachgiebigkeit neigen, werden nie die Achtung des Negers und nennenswerte Resultate erzielen. Sie werden stets den Spott und den Hohn des Personals und der Eingeborenen ernten und von diesen von vorne[S. 112] und hinten belogen werden. Energisches, zielbewußtes Auftreten bei jeder Art Auflehnung gegen die Disziplin, unerbittliche Strenge und sofortige Ahndung aller Vorkommnisse, die gegen Gesetz und Ordnung verstoßen, sowie gerechte Bestrafung solcher Vorfälle sind die Waffen, die dem Europäer dem einzelnen sowohl wie der Masse gegenüber unbedingt Achtung verschaffen. Von Natur aus träge und faul veranlagt, versucht der Neger auf jede Weise sich einer ihm unbequemen Arbeit zu entziehen. »Mimi kosaba vae« (»das kann ich nicht«) ist seine beliebte Ausrede, wenn ihm eine Arbeit nicht paßt. Oftmals kommt es auch vor, daß er irgendeine Krankheit beim Appell vorspiegelt, um sein bequemes Lager am Feuer wieder aufsuchen zu können.
Unser Personal war durch einige Suaheli des Häuptlings Shibu auf dreißig Mann gebracht worden, die in Reih und Glied Aufstellung genommen hatten. Die Arbeiter wurden nunmehr in verschiedene Gruppen eingeteilt, deren jede eine andere Arbeit zu leisten hatte. Während z. B. eine Gruppe mit Haumessern in den nahen Urwald ging, um Träger für ein neues Gebäude zu holen, machte sich eine andere auf, um Bambus für den Dachstuhl zu schneiden. Eine dritte Abteilung mußte in dem bereits fertiggestellten Magazin Tag und Nacht große Feuer zum Austrocknen der Mauern unterhalten. Wieder ein anderer Trupp ging auf die Suche nach »koddi« (Lianen) zum Anfertigen von Kautschukkörben.
Einzelne Arbeiter, die sich krank gemeldet hatten, wurden nun der Reihe nach vorgenommen. Zumeist handelte es sich um Risse und Geschwüre, die sie sich im Walde zugezogen hatten, und die nun mit Salben, Höllenstein und Sublimat antiseptisch behandelt wurden, oder auch um vorübergehende Magen- und Darmverstimmungen, die mit Hilfe eines Purgativs leicht behoben werden konnten.
Auf der freien, inmitten des provisorischen Wohngebäudes gelegenen Barza hatten inzwischen die Boys unsern Frühstückstisch gedeckt. Bestand das Gedeck auch nicht aus reinstem Porzellan und das Tischtuch statt aus feinem Leinen nur aus »white domestic«, so mundete das Frühstück auch aus Emailgeschirr nach vollbrachter Arbeit ganz ausgezeichnet.
Zuweilen, an besonders herrlichen Morgen, ließen wir die Frühstückstafel auch vor das Haus stellen. Wenn wir dann so inmitten der Morgenpracht bei dem Gezwitscher der Vögel und den ersten Strahlen der Sonne, die die Tautropfen auf Blättern und Blüten[S. 113] gleich Myriaden Diamanten erglänzen ließen, unser Frühstück einnahmen und dabei an die finstern kalten Morgennebel, die in dieser Zeit in der Heimat vorzukommen pflegen, dachten, fühlten wir uns doppelt glücklich in dem Bewußtsein, das weitaus schönere Teil erwählt zu haben.
Nach dem Frühstück nahmen wir beide die Arbeit wieder auf. Dann kam etwa ein Capita mit einer Karawane von Kautschukträgern herein. Die Ware mußte ausgewogen und übernommen werden, dagegen im Austausch eine Menge neuer Stoffe, Salz, Haumesser, Mitakos, Perlen und dergleichen mehr gegeben und die Träger für ihre Mühe entlohnt werden. Eingeborene kamen mit Hühnern, Enten, Eiern, Palmöl, kurz allen möglichen Nahrungsmitteln, um sie gegen europäische Waren einzutauschen.
Dazwischen erschien meistens der Koch, dem man besonders gut auf die Finger sehen mußte, und holte sich seine Instruktionen für den Mittagstisch. Eines Tages hatte Janssen mich ersucht, den Speisezettel für den Mittagstisch zusammenzustellen. Der Koch schlug vor: Suppo na lozo, Reissuppe — gut — maki na sosse[S. 114] mutake, harte Eier in Mayonnaise als Zwischenspeise — auch gut. — Jetzt das schwerste, die Fleischspeise: »Nsussu«, Huhn, meinte endlich der Koch. Ich überlegte, daß wir gerade zwölf Hühner gekauft hatten, und daß es infolgedessen das einfachste sein würde, ein bis zwei Hühner zum Mittagsmahl zubereiten zu lassen. In Gedanken schwebte mir eine fette, zarte Poularde vor, deren Fleisch wie Butter auf der Zunge zerfließt. Ich nickte daher, der Sprache nicht mächtig, zustimmend mit dem Kopfe. Der Koch schlug weiter vor: »Bifiteki na sussu.« »Hei! Was? Hühner-Beefsteak?« Niemals in meinem Leben hatte ich derartiges gegessen. Was mochte das wohl sein? — Der Koch fuhr fort: »Nsussu na sosse mufike«, Hühner in schwarzer Sauce. Ganz erstaunt, was das wieder zu bedeuten hatte, und ungläubig sah ich den Koch an. Wollte dieser sich am Ende gar einen Scherz mit mir erlauben? Meine Stirn verfinsterte sich. Der Koch begriff, daß ich ihn nicht verstanden hatte, ging in mein Zimmer, wisperte mit meinem Boy und kehrte triumphierend mit einer Nähnadel und schwarzem Zwirn zurück. Mit Gebärden deutete er mir an, daß er das Huhn nähen wolle. Immer mehr überrascht, bekam ich nun doch einen großen Respekt vor meinem Koch. Zu meiner Beschämung muß ich nämlich gestehen, daß ich mit Ausnahme dessen, was ich zu Hause hie und da von der Zubereitung meiner Leibspeisen in der Küche erfahren hatte, von der höheren Kochkunst keine Ahnung habe. Hühner-Beefsteak und Hühner in schwarzer Madeira-Sauce gab es bei uns zu Hause nicht. Zustimmend nickte ich daher mit dem Kopfe. Solch eine Gelegenheit, meine Kenntnisse zu bereichern, durfte ich nicht vorübergehen lassen. Der Koch fuhr fort »Panekiki«. Erfreut horchte ich auf. Das Wort schlug mir bekannt und sympathisch ans Ohr. Das mußten unbedingt unsere Pfannkuchen sein. Ich nickte wieder zustimmend und kehrte nun, hoch erfreut, zum erstenmal die schwierige Aufgabe der Aufstellung des »Speisezettels« so glänzend gelöst zu haben, an meine Arbeit zurück.
Ein Gegacker und Gekreisch im Hühnerhof zeigte bald darauf an, daß Kalamba seine Auswahl traf. Einige Minuten später erschien er, in der Linken sechs geschlachtete Hühner haltend, und ersuchte um die Hergabe von Salz. Ja, um des Himmels willen! Wozu denn die vielen Hühner? Damit konnten wir ja drei Tage ausreichen!
Entsetzt über eine derartige Verschwendung rief ich Mustapha herbei und ließ mir von dem unverfrorenen Koch erklären: zwei Hühner[S. 115] als Zugabe zur Suppe, zwei Hühner für Bifiteki, zwei weitere Hühner zur Nsussu na sosse mufiki. Doch damit nicht genug, brauche er noch 24 Eier, zehn zum Hartsieden, vier zur Mayonnaise, zwei für die Bifiteki, vier für Nsussu mufike und weitere vier für Panekiki.
Waren auch die Anschaffungskosten für Hühner und Eier nach europäischen Begriffen nicht hoch, so fragte ich mich doch entsetzt, was mein Chef Janssen zu dieser Verschwendung sagen würde. Nach langem Hin- und Herparlamentieren, und nachdem ich vergeblich versucht hatte, wenigstens vier Eier aus dem Programm zu streichen, händigte ich ihm nunmehr auch die 24 Eier aus. Kaum hatte ich meine Arbeit wieder aufgenommen, da erschien Kalamba neuerdings auf der Bildfläche. Diesmal brauchte er Butter. Ich wurde ernstlich böse, fortwährend bei der Arbeit gestört zu werden, und fing an, zu begreifen, warum Janssen mich mit der schwierigen Aufgabe des Speisezettels betraut hatte.
Wieder mußte ich ins Magazin. In gereizter Stimmung konstatierte ich, daß von den drei Dosen Butter, die für uns jeden monatlich bestimmt waren, nach einer Woche bereits mehr als die[S. 116] Hälfte fehlte. Ich beschloß, sparsam zu sein, und gab dem Koch daher den Inhalt eines vollen Suppenlöffels. Als er mich daraufhin starr vor Erstaunen ansah, schob ich ihn einfach zur Tür hinaus. Später sagte ich mir allerdings, daß ein Löffel Butter zur Zubereitung von sechs Hühnern etwas wenig war. Doch was kann ein geschickter Koch unter Zufügung von etwas Wasser nicht alles daraus machen. Mit diesem Gedanken tröstete ich mich und ging wieder an die Arbeit. Man kann in Afrika schließlich nicht wie bei »Lukullus« kochen. —
Das von Kiel begonnene Magazin war inzwischen vollständig fertiggestellt worden. Der eine Raum diente als Verkaufsladen, der zweite als Warenmagazin. Längs den Innenwänden waren aus Bambus hohe, mit rotem Tuch bekleidete Stellagen errichtet worden, und auf ihnen prangten — ähnlich wie bei den Kaufleuten in kleineren Orten — aufgestapelt all die hunderterlei Gegenstände, die als Austauschobjekte in unserer Gegend gehandelt wurden! Reihen von farbigen und bedruckten Baumwollgeweben, zu Stücken à acht Yard aufgemacht, Schals, Tücher, einfarbige und gestreifte Decken, weiße, graue und blaue Drills, Khaki, fertige Anzüge, leinene und baumwollene Araberhemden usw.; ferner Emailgeschirr, Hauen, Spaten, Dolch- und Haumesser, Messingringe, Kurzwaren, Perlen und Gablonzer Galanteriewaren aller Art lockten den Beschauer zum Kaufen an.
Die Stützen der Stellagen waren an ihrer Basis sorgfältig verkohlt und der Lehmboden an ihrer Basis mit Asche bestreut worden, um die weißen Termiten, diese gefährlichsten Feinde eines Warenlagers, fernzuhalten. Dieses Insekt, von der Größe einer Waldameise, vernichtet alles, was ihm in den Weg kommt. Es sucht mit Vorliebe die Wohnstätten von Menschen auf, in denen es allerlei Leckerbissen vermutet. Kaum ist ein Gebäude unter Dach, da tauchen die kleinen Zerstörer bereits aus dem Schoße der Erde auf, um Träger, Balken und Gerüste mit unglaublicher Freßgier anzufallen. Winzige, kleine Erdhäufchen zeigen zuerst ihre Anwesenheit an. In unglaublich kurzer Zeit schlängeln sich an der Außenseite der Balken und Wände Tausende röhrenartige Tunnels aufwärts, die sich wie das Gerinsel von Quellen nach allen Richtungen hin verzweigen und binnen wenigen Tagen das ganze Gebäude überziehen. Woher kommen und wohin ziehen diese Myriaden Zerstörer? Sie kommen aus dem ungeheuren Urwald, der in seinem rätselhaften Schoße unzählige tierische Wesen entstehen läßt und zur Vermehrung treibt,[S. 117] um zu vernichten, was Menschenhand geschaffen. Nichts verschonen sie, durch Ballen und Kisten, über Stahl und Eisen bauen sie ihre Röhrengewinde. Wehe dem Lager, in das sie unbemerkt gelangen. In wenigen Tagen, ja wenigen Stunden sind sämtliche Vorräte zerstört. Die Beobachtung, daß Termiten einzig und allein das Feuer fürchten und verkohlte Bäume mit ihren Angriffen verschonen, hat sich der Mensch zunutze gemacht und Stützen und Träger, soweit sie im Boden versenkt sind, angeglüht.
Unser Wohnhaus hatte dank der aufgewendeten Verbesserungen ein anderes Aussehen erhalten. Die Veranden waren ringsherum auf drei Meter verbreitert, die Räume innen und außen mit »Pembe« (Kreide) weiß getüncht und mit einer blauen Bordüre eingefaßt worden. Zwischen den Pfosten war ein Geländer aus Bambus hergestellt worden, und darüber prangten in schwarzen Tontöpfen allerhand Schlingpflanzen und Orchideen. Die Veranda war gegen die Front zu mittels Jalousien aus feinen, gesplißten Bambusstäbchen zu schließen, die Lehmböden waren mit feinen Palmmatten bedeckt.
Das Innere der Barza sowie unsere beiden Schlafräume hatten wir so komfortabel eingerichtet, wie die Verhältnisse es erlaubten. Reproduktionen von Gemälden und Porträte schöner Frauen, die ich aus Europa mitgebracht hatte, zierten in polierten, schweren Bambusrahmen die Wände. Mitten in der Barza stand ein großer Tisch mit einer mattroten, gefransten Decke. Diese sowohl wie vier Lehnstühle und die Kredenz waren aus rotem Akajouholz angefertigt worden.
Mit Hilfe der Mission in Jakussi, von der uns ein vorzüglicher Tischler für einige Zeit zur Verfügung gestellt worden war, hatten wir eine Werkstatt eingerichtet, in der alle zu unserem Behagen noch fehlenden Möbelstücke angefertigt wurden. Fensterscharniere und Türangeln ließen wir in einer arabischen Schmiede aus Bandeisen, das zum Verschnüren von Ballen dient, anfertigen. Türschlösser besaßen wir zunächst noch nicht. An ihre Stelle traten schwere Hängeschlösser und Holzriegel, die den gleichen Zweck erfüllten.
Eines Nachts, es mochte gegen zwei Uhr früh sein, wurde ich plötzlich durch Schläge mit dem Gewehrkolben der Schildwache gegen meine Tür aus dem Schlafe geschreckt. Gleichzeitig vernahm ich aus dem Arbeiterdorf lautes Gemurmel, dazwischen gellende Schreie, Rufe und das Herbeieilen vieler Menschen. Etwas Ungewöhnliches hatte sich zugetragen, und in aller Eile schlüpfte ich in meine[S. 118] Kleider und begab mich in das Arbeiterdorf, wo ich Janssen bereits antraf. Hier erfuhr ich mit Bestürzung, daß ein Leopard soeben unseren Boy »Moko«, einen Jungen von acht bis zehn Jahren, der beim Essen servierte, davongetragen hatte. Aus den Erzählungen des Schreibers ging folgendes hervor: Das Haus unseres schwarzen Schreibers enthielt zwei durch Verschluß abgeteilte Räume und eine Art Vorraum, der in einen durch eine Hecke aus Palmenblättern nach allen Seiten hin abgeschlossenen Hof ausging. In diesem Vorraum nun schliefen ein kleines Mädchen, das Dienste als Mädchen für alles verrichtete, und der geraubte Boy »Moko«. Beide hatten ihr Lager inmitten des Raumes und lagen dicht beieinander auf einer Matte. Mitten in der Nacht erwachte das Mädchen plötzlich, durch eine leichte Bewegung ihres Freundes aufgeschreckt. Sie hörte ganz deutlich, wie jemand sich entfernte, und in der Vermutung, daß ihr Kamerad eine Notdurft zu verrichten beabsichtigte, rief sie ihn an. Die Nacht war stockfinster und ... die Antwort blieb aus. Sie tastete mit der Hand um sich, der Platz neben ihr war leer, und sie hörte ganz deutlich, wie jemand sich durch die Hofhecke zwängte. Sie rief nochmals ihren Freund bei seinem Namen und beschwor ihn, zu antworten, da sie sich fürchtete. Einige bange Minuten vergingen, und wieder erhielt sie keine Antwort. Dadurch ernstlich beunruhigt und vielleicht auch mit angeborenem Instinkt die Gefahr witternd, rief sie nunmehr den Schreiber und bat um Licht. Dieser, nicht sehr erfreut, wegen einer bloßen Einbildung der Dienerin das warme Lager verlassen zu müssen, suchte sie zu beruhigen ... Der Boy müsse sofort zurückkehren und habe sich nur einen Scherz erlaubt, um sie zu erschrecken. Kurze Zeit herrschte Ruhe. Plötzlich hörte das wachliegende Mädchen wieder das Knistern der trockenen Palmblätter an der Hecke, als ob jemand durchschlüpfte, und rief. »Boy Moko!« ... Wieder keine Antwort ... Sie begann zu weinen und zu flehen. Diesmal war der Schreiber wachgeblieben und forderte nun Moko auf, solche Scherze zu unterlassen ... wieder keine Antwort ... jedes Geräusch war verstummt. Jetzt erst machte der Schreiber Licht, öffnete den Türverschluß, um die vermeintlichen Störenfriede zu züchtigen, und — hielt nach den ersten Schritten bestürzt inne.
Dicht vor ihm, neben der Matte, auf der die beiden geschlafen hatten, zeichneten sich auf dem festgestampften Lehmboden deutlich die Krallen eines großen Raubtieres ab. Den Spuren nach zu[S. 119] urteilen, konnte es nur ein Leopard sein, da Löwen in der Gegend nicht vorkommen. An dem festen Einsetzen der Krallen des Tieres in den Boden war deutlich zu erkennen, daß es schwer belastet wegging. Das eine Bein seines Opfers mußte am Boden geschleift haben, da es eine leicht erkenntliche Spur zurückließ. Dagegen war nirgends ein Tropfen Blut zu sehen, und es blieb ein Rätsel, auf welche Weise das Tier den kräftigen Jungen getötet haben konnte, ohne daß dieser einen Laut von sich gab oder mit den Armen um sich schlug oder daß endlich eine Blutspur zu finden war. Die Matte, auf der die beiden lagen, war höchstens 125 Zentimeter breit, so daß die Schlafenden sich berührt haben mußten. Die geringste Bewegung, das kleinste Geräusch hätte das Mädchen und endlich auch den Schreiber und dessen Frau, deren Zimmer nur durch eine dünne Blätterwand von ungefähr zwei Meter Höhe vom Vorraum getrennt waren, aufwecken müssen.
Man kann sich unser Entsetzen vorstellen. Mit der Fackel in der Hand verfolgten wir die nur allzu deutliche Spur des Raubtieres bis zur Hecke, wo es eine kleine Öffnung, die ursprünglich zum Einlaß für die Hühner in den Hof bestimmt war, derart erweitert hatte, daß sie ihm mit seiner Last Durchlaß gewährte. Tief erschüttert von dem schrecklichen Vorfall suchten wir unser Lager auf, nicht ohne Fensterladen und Tür tüchtig gerüttelt und auf den Verschluß untersucht zu haben. Kurz darauf — ich war gerade im[S. 120] Begriff, wieder einzuschlafen — wurde ich durch ein Gekreisch und Geheul und durch zwei Schüsse im Arbeiterdorf nochmals geweckt. Der Leopard war über eine Hecke hinweg direkt in einen Negerchimbeque hineingesprungen, in der einige Arbeiter um ein verglimmendes Feuer auf Matten lagen. Vor Furcht und Aufregung waren zwei der Leute wachgeblieben und machten nun mit den anderen einen derartigen Lärm, daß das Tier schleunigst wieder verschwand.
Diesmal ließ Janssen fünf Mann mit aufgepflanztem Bajonett und geladenem Gewehr Wache stehen. Einer der Leute mußte jede Minute, zum Zeichen, daß die Posten wach waren, auf einen Gong schlagen. Dies verjagte das beutegierige Tier von unserem Terrain. Am Morgen erfuhr ich, daß der gleiche Leopard beim Morgengrauen im benachbarten Gebiet der »S. A. B.« eingefallen und einen großen, europäischen Hund weggeschleppt hatte.
All unser Sinnen und Trachten ging nun dahin, den Tod unseres braven Jungen zu rächen und des verwegenen Raubtieres habhaft zu werden. Die Spur führte geradeswegs in das dichte Gestrüpp und Unterholz des Urwaldes, so daß es ohne Hund ausgeschlossen war, ihr zu folgen. Da Mustapha versicherte, daß kein eingeborener Hund die Spur des Raubtieres aufnehmen würde, sandten wir unser Kanu nach Stanleyville zu dem Büchsenmacher Vandyk, um dessen großen europäischen Jagdhund zu holen. Der Besitzer erschien persönlich nach kurzer Zeit mit dem Hund und bat, an der Jagd teilnehmen zu dürfen. Da Janssen kein Jäger war, machte ich mich mit Vandyk, Mustapha und zwei Eingeborenen, die uns mit Haumessern einen Weg durch das Dickicht bahnen sollten, auf den Weg.
Der Hund nahm anfangs die Spur ohne Zögern auf und zog uns durch Dickicht und Gestrüpp etwa 800 Schritt tief in den Urwald hinein. Hier hatte das Tier mit dem Jungen gerastet. Der Boden war im weiten Umkreis voll von Spuren, und hier fand sich auch der Pagne vor, ein Lendentuch von vier Yards Länge und 120 Zentimeter Breite, in dem Boy Moko eingerollt geschlafen hatte. War bis hierher die Verfolgung trotz dichten Dornengestrüpps und des Unterholzes verhältnismäßig leicht gegangen, so stellten sich jetzt einer weiteren Verfolgung plötzlich unüberwindliche Hindernisse entgegen. Das Terrain ging hier in ein Sumpfgelände über. Der Hund war nicht mehr von der Stelle zu bekommen. Aufgeregt lief er im Kreise umher, an allen vieren zitternd. Alle Bemühungen, ihn vom Fleck wegzubringen, waren vergeblich, weder Locken noch[S. 121] Ziehen an der Schnur half. Wir suchten vorsichtig die ganze Gegend im Umkreis ab und hielten gleichfalls Ausschau nach den Bäumen. Unmöglich konnte das Tier mit dem schweren Körper auf einen Baum geklettert sein. Nach stundenlangem Absuchen, und nachdem die beiden Eingeborenen sich darüber einig geworden waren, daß nicht ein Leopard, sondern ein Dämon in Gestalt eines Leoparden mit seinem Opfer hier spurlos verschwunden war, kehrten wir unverrichteter Dinge zur Faktorei zurück.
Ich beschloß, noch am gleichen Tage mit dem Bau einer Falle zu beginnen und ihm bei Mondnächten mit lebendem Köder aufzulauern. Doch erschien der Räuber nicht wieder. Überhaupt hatten wir seit diesem grausigen Ereignis lange Zeit Ruhe vor den Leoparden. Einige Monate später hatte ich jedoch Gelegenheit, eines dieser gefährlichen Tiere innerhalb der Faktorei zur Strecke zu bringen. Eines Nachts wurde ich plötzlich durch Gewehrkolbenschläge an meine Zimmertür unsanft aus dem Schlafe aufgeweckt. Aus den hastig hervorgestoßenen Reden der Wache entnahm ich, daß irgendein reißendes Tier in den Ziegenstall eingebrochen sein mußte. In einigen Sekunden war ich in Rock und Hose geschlüpft, hatte meine Sturmlaterne angezündet, meinen Mauser, der stets geladen in einer Zimmerecke stand, ergriffen und eilte nun, gefolgt von der Wache, nach dem Ziegenstall, aus dem ein wildes Durcheinanderstampfen und Meckern der verängstigten Ziegen ertönte. Einige Ziegen waren durch eine Türspalte, die zweifellos durch den eindringenden Räuber erweitert worden war, entwichen und irrten nun verzweifelt meckernd in der Dunkelheit umher, um unter den Veranden der Magazine und Wohnhäuser Schutz zu suchen.
Ein Blick auf die Zugangstür zum Ziegenstall klärte mich über das, was vermutlich vorgefallen war, auf. Die primitive Schiebetür war nachlässig geschlossen worden, so daß ein Spalt offen geblieben war. Irgendein reißendes Tier, wahrscheinlich ein Leopard, hatte mit der Tatze den Spalt erweitert und schließlich den schlanken Körper durchgezwängt. Die herausstürzenden Ziegen hatten die Tür noch weiter zur Seite geschoben, so daß ich annehmen mußte, daß der Räuber mit seiner Beute bereits das Weite gesucht hatte. Dem war glücklicherweise nicht so, denn bei dem ersten Lichtstrahl, der in den Raum fiel, sprang tatsächlich ein Leopard, der über dem Meckern der Ziegen und dem Zerfleischen seiner Opfer offenbar unser Herannahen nicht bemerkt hatte, auf und suchte sich im dunkelsten Winkel[S. 122] des Raumes zu verbergen, während die übrigen noch lebenden Tiere in sinnloser Angst auf den Ausgang und uns zustürzten. Da ein Schießen unter diesen Umständen ausgeschlossen war, ließen wir die fliehenden Tiere, in der Voraussetzung, daß der Leopard das Licht meiden würde, zuerst sämtlich herauslaufen. Nun ließ ich durch die Wache die Sturmlaterne an das Bajonett hängen und mit einem Ruck mitten in den Raum stellen. Dadurch war der langgestreckte Raum, wenn auch spärlich, so doch genügend erleuchtet.
Ich selbst trat nun mit dem schußbereiten Gewehr so weit in den Stall, als nötig war, um unbehindert schießen zu können. Im entlegensten Winkel erkannte ich sofort das offenbar auf äußerste erschrockene Tier, das am Boden kauerte und mir den Kopf mit den phosphoreszierenden Lichtern voll zuwandte. Regungslos, wie zum Sprunge geduckt, lag die gelbe Katze pfauchend und zähnefletschend auf kaum zwanzig Schritt Entfernung vor mir. Langsam, um sie nicht durch eine allzu rasche Bewegung zum Sprung zu reizen, hob ich das Gewehr an die Backe, zielte zwischen die zwei Lichter und drückte los. Ein scharfer Knall, und das geduckte Haupt fiel leicht zur Seite, während die Hintertatzen kratzend den Boden aufwühlten. Der Leopard war, mitten durch den Schädel geschossen, wie vom Blitz erschlagen, in der gleichen Stellung tot liegengeblieben.
Einige bange Minuten vergingen, während welcher wir unverwandt das Tier beobachteten, ob es noch ein Lebenszeichen von sich gäbe. Ich erinnerte mich sehr wohl warnender Beispiele, wonach mancher erfahrene Jäger durch allzu schnelle Annäherung an die totgeglaubte Beute sein eigenes Leben einbüßte. Als auch das Scharren der Hintertatzen aufgehört hatte, traten wir an das tote Tier heran, und die Wache zog es in die Mitte des Raumes, damit wir es besser betrachten konnten. Welche Genugtuung wäre es für mich gewesen, wenn ich in diesem Leoparden den Mörder unseres getöteten Boys gefällt hätte, doch war es offenbar nicht der gefährliche Räuber, der seit langer Zeit die Gegend unsicher gemacht und auch in den Dörfern der Umgebung bereits so viele Menschenopfer gefordert hatte. An der ganzen Art und Weise, wie der Leopard den Überfall bewerkstelligt hatte, konnte man erkennen, daß er sicherlich noch ein Neuling in dieser Art Sport war. Durch den Schuß und wohl auch durch das Blöken der Ziegen war das Arbeiterdorf alarmiert worden, und eine Menge Leute eilte herbei, um ihren gefürchteten Todfeind in Augenschein zu nehmen.
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Woche auf Woche, Monat auf Monat vergingen in rühriger Tätigkeit, die in ihren vielen Einzelheiten und in der Fülle der neuen Probleme, die sie jeden Tag zu lösen gab, so viel der Abwechslung und des Interessanten für mich hatte, daß ich sie eigentlich gar nicht als Arbeit empfand. Hatte die bisherige regelmäßige Beschäftigung im Bureau vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf meine nach freier Tätigkeit lechzende Natur wie Frondienst gelastet, so hatte ich jetzt die Freude, die in mir schlummernden Talente sich bis an die Grenzen meiner Fähigkeiten entfalten zu sehen. Die Umwelt erhielt ein neues Aussehen für mich, seit ich gezwungen war, mich allein mit allen Schwierigkeiten der Existenz in primitiven Verhältnissen abzufinden. Als ich erst mit der fremden Sprache und der Nutzbarmachung der reichen Produkte des Urwaldes, die der Erschließung harren, vertraut geworden war, gewährte es mir die größte Befriedigung, Häuser zu bauen, einen Gemüsegarten anzulegen, aus welchem wir bereits nach kurzer Zeit dank dem fruchtbaren Urwaldboden reiche Früchte ernteten, sowie den Verkehr mit dem Inlande und den täglichen Dienst der Faktorei zu organisieren.
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Nirgends in der Welt werden an die Schaffenskraft und Intelligenz des einzelnen solche Anforderungen gestellt wie zwischen völlig unzivilisierten Negerstämmen Innerafrikas. Alles, vom einfachsten Haushaltungsgerät bis zum vollständigen Wohnhause — Dinge, die in Europa einen Stab verschiedener Arbeiter voraussetzen — muß hier vom einzelnen durchdacht und vollbracht werden. Bald Baumeister, bald Maurer, bald Tischler, bald Schmied, bald Arzt, bald Schiedsrichter, muß er die nötige Initiative und den Mut besitzen, an jede Aufgabe ohne Zaudern heranzugehen. Ich bin einer der Glücklichen dieser Erde, die sich mit jeder Situation abzufinden wissen. Ich hatte einen Chef, mit dem ich mich ausgezeichnet vertrug, der mir über die Anfangsschwierigkeiten hinweghalf — und den ich gewissermaßen ergänzte. Janssen hatte eine Vorliebe für Reisen und das Leben im Busch. Er war meistens unterwegs und ließ mich den Bau der Faktorei und die schriftlichen Arbeiten besorgen. Wenig der französischen und englischen Sprache mächtig, legte er die Vertretung nach außen und den Verkehr mit dem Staat fast ausschließlich in meine Hände. So kam es, daß ich besonders in der ersten Zeit, bis ich die Suaheli-Sprache erlernt hatte, mit Mustapha viel auf der Faktorei verblieb. Später unternahm ich dann auch selbständige Reisen ins Innere und fand an der damit verbundenen Abwechslung großen Gefallen. Erst viele Jahre später lernte ich erkennen, wie gut es mir in Stanleyville ergangen war, denn nur wenigen Auserwählten ist das Glück beschieden, Verhältnisse wie die geschilderten zu Beginn ihrer kolonialen Laufbahn anzutreffen.
Man machte damals mit jungen Leuten nicht viel Umstände. Nach kurzer, vierwöchiger Vorbereitung in der Faktorei, der er zugeteilt war, sandte man den Neuling nach irgendeinem verlorenen, oft vier bis fünf Tagereisen vom Hauptposten entfernten Negerdorfe inmitten der ungeheuren Wildnis und überließ es einfach seiner Initiative, sich dort eine menschenwürdige Behausung zu schaffen oder aber in irgendeiner Negerhütte zu wohnen. War der Hauptposten mit Geräten aller Art gut versehen — ein Fall, der höchst selten zutraf — und hatte der Neuling es verstanden, sich das Wohlwollen seines Chefs zu erwerben, so bekam er wohl außer einem Feldbett auch Säge, Hammer, Zange, Hacke und ein paar Nägel mit auf den Weg, womit er wenigstens seine Kisten und Ballen selbst öffnen konnte. Traf dieser äußerst seltene Fall nicht zu, dann[S. 125] mußte er sich eben ohne diese Geräte behelfen. War er so vorsichtig, vor seiner Abreise von Europa sich bei der Generaldirektion nach einem Zelt, tragbarem Feldbett, Klapptisch und -stuhl — alles Dinge, die auf beständigen Reisen wenn nicht unentbehrlich, so doch von großem Nutzen sind — zu erkundigen, so gab man ihm mit schmunzelndem Lächeln zur Antwort, daß alle diese Dinge drüben auf den Faktoreien in genügender Menge vorhanden seien. Dafür händigte man ihm als persönliches Eigentum eine Kantine (tragbare Feldküche), enthaltend Kochtopf, Bratpfanne, Teller, Besteck, kurzum, das Allernotwendigste zur Herstellung einer Speise — sowie einen kleinen tragbaren Arzneikasten ein, der mit seinem reichlichen Inhalt an Flaschen, allen möglichen Mixturen und Pillen, die er nie vorher im Leben gesehen, das Entzücken jedes Neulings bildet. Kaum kann er den Moment erwarten, um den Inhalt an sich selbst zu erproben. An die fürchterlichen Krankheiten in den Tropen denkt dabei meist keiner. Ich habe öfters Neulinge gesehen, die nach der ersten Seekrankheit die Hälfte ihres Arzneikastens zu sich genommen hatten, merkwürdigerweise übrigens ohne beträchtlichen Schaden zu nehmen.
Während der ersten Nacht, die er auf einer von Rauch und den Negerleibern infolge des langen Gebrauches schwarz gewordenen Pritsche inmitten einer von Ratten und Mäusen und anderem Ungeziefer heimgesuchten Negerhütte zubringen muß, hat der unerfahrene Angestellte dann reichlich Zeit, über das Lächeln des Direktors, dessen Verschlagenheit er erst jetzt ganz versteht, nachzudenken. Hat er dann, von der Sonnenglut und den Strapazen der Reise völlig erschöpft, das Ziel seiner Reise erreicht und seine Wut über die leere Kiste, die den Stuhl ersetzen muß, und das harte Nachtlager ausgetobt, dann steigt er wohl von seiner Höhe herunter und arbeitet, um das Fehlende zu ersetzen. Nach kurzer Zeit macht er eine ganz sonderbare Wahrnehmung. Etwas ihm bisher völlig Fremdes, ein anderes kraftvolles und mächtiges Wesen, der Wille den Kampf mit dem Dasein aufzunehmen, quillt aus seinem Innersten hervor und durchbricht kraftvoll alle Schranken, die Trägheit und Gewohnheit ihr in den Weg legen. Von diesem Augenblick an tritt er in die Reihe jener Pioniere, die im Laufe der Jahre im Schweiße ihres Angesichts aus den kahlen Grassteppen und den Urwäldern Afrikas blühende Posten — Stätten der Zivilisation — und herrliche Plantagen hervorgezaubert haben, während jene, die in[S. 126] dieser schweren Schicksalsstunde verzagend den Kopf hängen lassen, körperlich und geistig zugrunde gehen. Das Kräftige und Starke im Menschen behält auch hier die Oberhand, das Schwache geht unter.
Seit einiger Zeit machte sich ein regelmäßiger Abgang von Hühnern fühlbar, dessen Ursache wir uns lange nicht zu erklären vermochten. Eines Morgens bemerkte ich endlich den vermeintlichen Hühnerdieb in der Gestalt eines Leguans von der Größe eines kleinen Krokodils, der auf einem Baumriesen von etwa 40 Meter Höhe neben dem Hühnerhof, unmittelbar unter einem Loch saß. Da Janssen sich mein Schrotgewehr für die Reise ausgeliehen hatte, holte ich meinen Kugelstutzen und verwundete das Tier durch einen wohlgezielten Schuß derart, daß es nur mit Mühe zu seinem Unterschlupfloch gelangen konnte. Hier verschwand es, und da ich befürchtete, daß das Tier dort verenden könnte, ließ ich in einer kleinen tiefer liegenden Öffnung einige Späne anzünden, um es durch die Rauchentwicklung herauszutreiben. Keiner von uns ahnte, daß das Innere des Stammes wie ein Kamin vollständig hohl war und die Krone sich einzig und allein durch eine starke Liane, die sich um den Baum in die Höhe schlängelte, erhielt. Ein Knistern und Knattern, wie das Abbrennen eines Feuerwerks, eine kräftige Flamme schlug durch das Innere des trockenen Stammes empor, und noch ehe wir uns von dem ersten Schrecken erholt hatten, brannte der ganze Baum lichterloh. Gleichzeitig schossen zwei Tiere in der Größe von Affen wie der Blitz aus einem der vielen Löcher heraus, erkletterten das schützende Laubdach und flogen von dort zu unserem Erstaunen von Baum zu Baum. Es gelang, eines der Tiere zu erlegen, und es stellte sich später heraus, daß ich damit einen äußerst seltenen Fang getan hatte. Es war ein fliegender Hund, ein Mittelding zwischen einem Affen, einem Nagetier und einer großen Fledermaus.
Ein Blick auf den brennenden Baumriesen ließ mich erkennen, daß Löscharbeit vollständig nutzlos war, und man mußte damit rechnen, daß er in kurzer Zeit zusammenbrechen würde. Auf der einen Seite in unmittelbarer Nähe lag das vor kurzem vollendete Warenmagazin, auf der anderen die Wohnungen der Arbeiter. Ein unglücklicher Zufall, und das Magazin mit dem Werte von vielen Tausenden, die Frucht mühseliger Arbeit, drohte vernichtet zu werden. Damit — dies fühlte ich ganz genau — war auch meine afrikanische Laufbahn besiegelt, da ich nicht die Mittel besaß, den Schaden wieder gutzumachen. Bitter mußte ich meine jugendliche Unvorsichtigkeit[S. 127] büßen. Wie ein Wahnsinniger lief ich völlig ratlos umher, um an dem Überneigen der Baumkrone nach der einen oder der anderen Seite hin die vermutliche Fallrichtung festzustellen. Doch das Geäst war ziemlich gleichmäßig verteilt, und der Sturz hing daher völlig von irgendeinem Zufall ab. Ein Fällen des Baumes von irgendeiner Seite war wegen der Glutwelle, die von ihm ausging, ganz ausgeschlossen. Zudem hätte es wochenlanger Arbeit bedurft, um das eisenharte Holz an der Basis zu durchschlagen. Stunde auf Stunde verging unter Hangen und Bangen; das Magazin und die Arbeiterhütten waren vollständig ausgeräumt worden. Brennende Äste waren zu wiederholten Malen gestürzt; da plötzlich, gegen Sonnenuntergang, drang aus dem Baume ein Ächzen und Stöhnen, der Riese bäumte sich in einer letzten Anstrengung gegen die alles verheerende Macht des Feuers auf — dann schwebte die ausgebreitete Krone in der Luft und fiel in gerader Richtung auf das Magazin zu. Schon glaubte ich alles verloren, als die starke Liane, die anscheinend nicht durchgebrannt war, die fallende Krone im letzten Augenblick etwas zur Seite lenkte, so daß der Koloß hart neben der Faktorei mit explosionsartigem, dumpfem Knall, der den[S. 128] Erdboden erschütterte, gerade mitten zwischen den Hütten und dem Magazin niederstürzte. Hier lag nun der mächtige Stamm in der Kaffeeplantage — eine Zentnerlast war mir vom Herzen gefallen.
Mit Ausnahme einer leichten Beschädigung einer Negerhütte, die innerhalb einer Woche wiederhergestellt werden konnte, und der Zerstörung einiger Kaffeebäume war nichts geschehen. Wie durch ein Wunder war ich einer großen Gefahr entgangen, und die Leute meinten, daß ein mächtiger »Fetisch« Magazin und ihre Hütten vor sicherer Zerstörung bewahrt hätte.
Der Knall und der aufsteigende Rauch beim Fall des Riesen war derartig stark, daß Stanleyville — eine Pulverexplosion vermutend — uns sofort ein Boot mit Dr. Bellis zur Hilfeleistung über den Strom sandte. Von dem Leguan war keine Spur mehr aufzufinden, er war offenbar vollständig zu Asche verbrannt worden.
Der Bau der Faktorei hatte bereits große Fortschritte gemacht, die Gerüste zweier weiterer Magazine, eins zum Trocknen für Kautschuk und eins für Elfenbein und Kautschuk, waren fertiggestellt und harrten nur noch der Vollendung des Dachstuhles, damit die Mauern, vor Regen geschützt, aufgeführt werden konnten.
Da die Suaheli aus den Dörfern oberhalb der Stanleyfälle, die das Bedeckungsmaterial aus Palmblättern anfertigen, in den letzten Wochen ausgeblieben waren, beschloß ich, ein großes Boot über den Fall hinaufzubringen und von meinen eigenen Arbeitern das Material schneiden zu lassen. Dadurch ersparte ich die hohen Anschaffungskosten und wurde auch von der Trägheit der Suaheli unabhängig.
Unser letzter Dampfer »Henriette« hatte gegen zwanzig Yambinga-Arbeiter aus Upoto-Irengi heraufgebracht, und mit diesen machte ich mich eines Nachmittags auf den Weg. An Stromschnellen und Wirbeln vorbei, über Hindernisse aller Art ging die an Aufregungen reiche Fahrt. Mit Hilfe langer Stangen und Bootshaken halfen wir an besonders reißenden und gefährlichen Stellen nach, wo die[S. 129] Ruderer versagten, bis wir nach einstündiger, harter Arbeit in die unmittelbare Nähe des Falles, dessen Lärm und Getöse bei einbrechender Nacht in Stanleyville jedes andere Geräusch übertönt, gelangten.
Hatte unser Boot bis dahin brav standgehalten, obwohl es mehrmals von der Wucht der Strömung gegen die Felsmassen geschleudert worden war und dabei viel Wasser bekommen hatte, so entschloß ich mich jetzt, das Vergebliche und Gefahrvolle weiterer Versuche einsehend, hier am Fall mit der Mehrzahl meiner Leute zu Lande weiter vorzudringen. Nur zwei Mann, einer vorne am Bug und ein zweiter am Hinterteil, beide vollständig nackt, verblieben, um das Boot mit Stangen und Bootshaken durch die unzähligen Felsblöcke hindurchzusteuern, während der Rest der Leute unter meiner Führung, von Fels zu Fels springend, das Kanu an einem langen Tau stromaufwärts zogen.
Dicht vor dem Fall, auf der linken Seite des Flusses, liegt eine kleine Insel, die die Aussicht versperrt. Hier begann, am Flußufer entlang, eine äußerst gefährliche Kletterei, eine halsbrecherische Tour[S. 130] über aufeinander getürmte Granitblöcke, die der Strom hier im Laufe von Jahrtausenden gleich einer Lawine angeschwemmt hat. Diese Granitblöcke haben oftmals einen Durchmesser von fünf bis sechs Meter. Sie sind glatt und durch das Wasser abgerundet und bilden große Lücken und Spalten, zwischen denen ein kleiner Seitenarm des Stromes in der Tiefe durchschießt. Wehe demjenigen, der von der Höhe eines solchen Granitblocks beim Klettern abstürzt und in die Lücke gleitet. Von den tosenden Wassermassen würde er sofort in die Tiefe gezogen und vernichtet werden. Bei Hochwasser ist diese ganze Region in wilder Bewegung und bildet ein Chaos von Gischt, Schaum und Wirbeln.
Auf einer Anhöhe liegt das Hauptdorf der Bakenien, Peneka Tango, dessen Einwohner fast ausschließlich vom Fischfang leben. Das äußerst zahlreiche junge Volk spielte am Wasser und eilte, sowie es unser ansichtig wurde, ganz ohne Scheu herbei, ein Zeichen, daß Europäer hier beständig durchkommen und die Eingeborenen die ihnen sonst eigentümliche Angst vollständig überwunden hatten.
Wir passierten die Stellen, an denen bei Hochwasser gefischt wird, und die nun verlassen waren. Zwischen einem Gewirr von kolossalen Baumstämmen, die in Löchern zwischen den Granitblöcken geschickt versenkt und an der Spitze mit Querbalken versehen sind, auf denen die Fischer zu ihren Reusen gelangen, bahnte ich mir einen Weg, wobei zwei meiner Leute mir beim Sprung über Wassergerinnsel als Stütze dienten.
Auf den Felsen im Umkreis lagen Fischkörbe und Reusen in den verschiedensten Ausmaßen. Die größten hatten an der Mündung zwei bis drei Meter im Durchmesser und eine Länge bis zu fünf Meter. Diese Reusen sind aus starken Lianen wie Korbwerk geflochten und werden von den Balken aus, an denen sie mittels Lianen befestigt sind, in den Strudel versenkt. Sind diese Körbe auch nicht so solide wie die eisernen Reusen, die bei der Flußfischerei in Europa, z. B. bei Lauffenberg am Rhein beim Lachsfang, zur Verwendung gelangen, so übertreffen sie diese an Umfang und leisten sicherlich die gleichen Dienste, da in ihnen Fische bis zu sechzig Kilogramm Gewicht gefangen werden.
Über die ganze Breite des Stromes, die hier gegen 1300 Meter betragen dürfte, haben die Bakeniens unmittelbar vor dem Absturz der Wassermassen große Balken und Bäume auf fast unerklärliche Weise in den Strom versenkt und untereinander durch ein Gerüst[S. 131] von Querbalken verbunden. Von weitem gleicht die Anlage einer Palisadenwand. Nun wurde mir auch klar, warum in letzter Zeit verschiedene umgeschlagene Kanus mit Frauen und Männern an unserer Faktorei vorbeistrichen. Alle paar Tage mußte ich durch meine Arbeiter solche Leute auffischen lassen.
Der Strom stürzt hier in seiner ganzen Breite über Felsen hinweg auf etwa drei Meter in die Tiefe. Über einzelne tiefere Stellen, an denen das Wasser das Bett etwas mehr ausgehöhlt hat, gehen die verwegenen Kerle mit ihren Kanus durch den Katarakt: ein unglücklicher Zufall, eine ungeschickte Bewegung, und das Kanu zerschellt an den Felsen. Die Insassen, zumeist gute Schwimmer, werden von der Strömung fortgerissen; keiner ihrer Konkurrenten denkt daran, ihnen nachzueilen.
Bei unserer Ankunft war gerade eine Anzahl Eingeborener damit beschäftigt, die Reusen und Körbe im Strudel zu heben. Der Mut und die Gewandtheit dieser Leute sind geradezu verblüffend. Wie Affen springen und klettern sie an dem infolge des Anpralls der Strömung stets schwankenden Gerüst ganz weit in den Strom hinaus, um unmittelbar oberhalb der sich überströmenden Wassermassen ihre halsbrecherische Arbeit zu versehen. Nach dem, was ich hier gesehen, würde es mich nicht wundern, Neger zu sehen, die imstande wären, Affen auf den Bäumen nachzueilen und sie zu fangen.
Während ich nun so in Betrachtungen der kochenden, stürzenden Wassermassen dasaß, kamen von oberhalb des Falles zwei gut bemannte Kanus direkt auf den Fall zugerudert. Ich traute kaum meinen Augen, als etwa fünf bis zehn Meter oberhalb des Falles die Hälfte der Mannschaft in den Strom sprang und mit Leibeskräften auf die Balken im Falle selbst zuschwamm. Die übrige Besatzung hatte mit ein paar Ruderschlägen das Boot nun derart gedreht, daß es mit der Breitseite gegen die Balken antrieb, wo es, von der inzwischen dort postierten Gruppe, unterstützt von den Leuten im Kanu, die sich mit aller Gewalt mit langen Stöcken gegen die Felsen anstemmten, in Empfang genommen wurde. Die Wucht des Anpralls wurde durch die vereinten Kräfte vollständig gebrochen. Hier lag nun das Boot infolge der starken Strömung wie festgenagelt an den Balken, während die Insassen an den Bäumen emporkletterten und auf diesem halsbrecherischen Gerüst herumsprangen und -kletterten, als ob sie auf allen Vieren geboren wären. Um die in die Tiefe stürzenden Wassermassen, die jeden Herabfallenden[S. 132] zermalmen und zerschmettern würden, kümmerten sie sich nur soweit, als es ihre Fischapparate anging. Ebenso wie sie gekommen, gelang es beiden Kanus auch wieder, mit Hilfe der langen Stangen aus dem Bereich des Falles stromaufwärts zu entkommen.
Nach den Quantitäten an Fischen zu urteilen, die das Dorf allwöchentlich an die Station Stanleyville für die Tafel der Staatsangestellten und zur Ernährung der schwarzen Arbeiter abzuliefern hatte, mußte die Ausbeute eine ganz gewaltige sein. Es kommen verschiedene große Arten von Wels vor, die oft ein Gewicht von 60 und 80 Kilogramm erreichen und auch Leichen anfressen sollen. Außer diesen finden sich unzählige Arten, vom Catfisch angefangen, bis zum Kongosalm — Rüsselfische, Hundefische (nach ihrem scharfen Gebiß so benannt), Fische in der Art unserer Barben, Karpfen, Schleie, Barsche usw.
Unser eigenes Kanu hatten wir inzwischen, es immer dicht am Ufer entlang ziehend, mit Hilfe von ein paar Bakeniens, die für Geld und gute Worte herbeigeeilt waren, über die Felsen emporgezogen und oberhalb des Falls verankert. Nachdem ich mich bis gegen Sonnenuntergang an dem gewaltigen Naturschauspiel, das der Fall uns bot, geweidet hatte, sandte ich das schwarze Personal zu Fuß nach der Faktorei zurück, während ich mich mit Mustapha oberhalb des Falles auf das rechte Ufer übersetzen ließ, von wo aus ein bequemer Promenadenweg durch die Araberniederlassungen nach Stanleyville führt. Auf unserem Weg wurden wir wiederholt von Händlern angehalten, die uns Sklaven und Sklavinnen zum Kaufe oder besser gesagt zum Freikaufe — wie der Staat dies diplomatisch ausdrückt — anboten.
Am nächsten Morgen bei Tagesanbruch machte ich mich, von zwölf Arbeitern begleitet, auf den Weg nach Peneka Tango und schiffte mich auf unserem Kanu ein. Wir fuhren eine kleine Strecke stromaufwärts, um bei Überquerung des Flusses nicht in die Fälle hineingetrieben zu werden und gingen dann auf die andere Seite über, wo wir in einen Seitenarm des Kongos einbogen. Zur Rechten dichtbelaubte Inseln, zur Linken das nach der Tiefe zu sich abstufende Laub des Urwaldes, über uns die Sonne eines herrlichen Frühlingsmorgens, auf Blättern und Blüten gleich Myriaden Diamanten große, in den Sonnenstrahlen funkelnde Tautropfen: wie in einem Märchenlande glitt unser Boot über die spiegelglatte Wasserfläche dahin. Tiefer, weihevoller Frieden lag auf der Wasserfläche.[S. 133] Das Leben und Treiben von Stanleyville drang nicht bis hierher, selbst das dumpfe Brausen des unweit hinter Inseln und Bäumen befindlichen Falles ertönte wie aus weiter Ferne. Nur das Trillern, Gezwitscher und Lockrufen der Vögel, die den herrlichen Morgen mit ihrem Jubellied feierten, war hörbar und stimmte das Herz unsagbar glücklich.
Nach dreistündiger, genußreicher Wasserfahrt gelangten wir an unser Reiseziel. Ich ging mit den Leuten durch den Urwald bis an Sumpfniederungen, wo Riesenpalmblätter und Bambus in Unmengen wucherten. Das Terrain war zum Teil stark versumpft, und meine Leute arbeiteten bis zu den Knien im Morast, um das zum Dachdecken nötige Material zu gewinnen. Während dieser Zeit machte ich einen kleinen Streifzug in die nächste Umgebung und hatte Gelegenheit, einen »Bulikoko« (blauer Fasan) und zwei Affen zur Strecke zu bringen.
Dieser Ausflug in das Morastgebiet sollte mir teuer zu stehen kommen und hatte für mich böse Folgen. Als ich am folgenden Morgen erwachte, fühlte ich eine unbegreifliche Schwäche in mir. Abgespannt und müde erhob ich mich vom Lager, entschlossen, dem[S. 134] unsichtbaren Feind, dem Fieber, welches mich unvermutet in der Nacht überfallen hatte, zu trotzen und es durch Arbeit niederzukämpfen. Da Janssen verreist war, hatte ich alle Hände voll zu tun und ging wie gewöhnlich meiner Beschäftigung nach. Gegen 9 Uhr wurde ich plötzlich von heftigem Schüttelfrost befallen. Ich ließ mir eine Tasse heißen Tee machen und nahm gleichzeitig ein halbes Gramm Antipyrin. Auch jetzt noch war ich fest entschlossen, der wachsenden Schwäche und inneren Erregung zu widerstehen. Ich hatte jedoch kaum die ersten paar Schlucke heißen Tees im Magen, als sich die Reaktion mit elementarer Gewalt einstellte. Unter Erbrechen von großen Brocken Galle brach ich zusammen. Ein Schüttelfrost überfiel mich mit solcher Heftigkeit, daß ich vor dem Klappern der Zähne kaum imstande war, mich mit meinem Boy und dem schnell herbeigeeilten Mustapha verständlich zu machen. Sie brachten mich zu Bett, und als alle im Hause verfügbaren Decken nicht genügten, bei mir ein Wärmegefühl aufkommen zu lassen, eilte Mustapha ins Magazin und ließ auch von unserem dortigen Vorrat noch weitere dazu holen. Immer und immer wieder versuchte ich, heißen Tee, als einziges und bestes Mittel, den kalten Todesschauer loszuwerden, zu mir zu nehmen, doch jeder Versuch verursachte erneutes Erbrechen von Galle. Es ist geradezu ungeheuerlich, welche Quantitäten davon der menschliche Körper bei Gallfieber von sich gibt.
Hatte ich bisher tapfer standgehalten, so brach ich nun völlig nieder, jede Energie und Widerstandskraft war dahin. Eine dumpfe Resignation bemächtigte sich meiner. Nach dem Schüttelfrost kam plötzlich ein heißer Schauer über mich. Ich hatte das Gefühl, als ob eine Blutwelle durch den ganzen Körper dem Kopfe zujagte und auf ihrem Weg dahin alle Adern zum Bersten bringen müßte. Kopf und Stirne waren glühend heiß; das Thermometer stieg von 38,7 auf 39,5, 40,2, um schließlich bei 41 Grad haltzumachen. Das Hirn arbeitete ruhelos, die Pulse flogen und trommelten im Schnelltempo. Ich fühlte, wie mir das Bewußtsein entschwand, und hatte das Empfinden, als ob ich durch das Bett immer tiefer und tiefer in die Erde, in mein Grab sänke. Das Bett und meine Umgebung wankte und schaukelte wie auf hoher See. Gleichzeitig fühlte ich im Kopfe ein Sausen und Brausen wie die Brandung des Meeres. Das Chinin tat offenbar bereits seine Wirkung.
Das Nächste, woran ich mich zurückerinnern kann, war, daß mich plötzlich ein wohliges, warmes Gefühl überkam. Irgend etwas in[S. 135] meinem Hirn schien gerissen zu sein. Ich hatte keinen eigenen Willen mehr, sondern befand mich in einer Art hochgradigen Fiebertraumes, der fremdartige Phantasiegebilde, in denen ich den Mittelpunkt bildete, gleich den Bildern eines Kaleidoskops in wilder Jagd an meinem geistigen Auge vorüberziehen ließ. Von unsichtbarer Gewalt getrieben, eilte ich in wilder Hast über seltsame Landschaften mit Palmenhainen und mit Blumen übersäten Wiesen, die von der aufgehenden Sonne hell beleuchtet waren, meiner entflohenen Seele nach, die wie ein Schatten vor mir herschwebte und die ich unter Aufbietung aller Kräfte wiederzuerlangen suchte.
Unterwegs begegneten mir eine Menge bekannter Gestalten, die ich im Leben niemals gesehen, die mir jedoch im Verlaufe der Jahre wiederholt im Traum erschienen waren und die mich jetzt verwundert und entsetzt betrachteten, um gleich darauf wieder wesenlos zu verschwinden. Plötzlich kam ich an ein hohes Felsengebirge, das ich im rasenden Laufe erkletterte. Ein dunkler Abgrund — unermeßlich tief —, aus welchem gleich Nebelschwaden Rauch aufstieg, lag zu meinen Füßen. Vor mir tat sich die Hölle auf, und in sie hinein entschwand meine Seele. Von Grauen gepackt, wollte ich einhalten im rasenden Lauf. Unmöglich — ein unsichtbares Etwas trieb mich unaufhaltsam dem Abgrunde zu. Ich fühlte, wie ich durch die Luft schwebte und in die Tiefe sauste. Immer tiefer durch Feuerwolken und giftige Gase, in ein Flammenmeer, das mir den Atem raubte und mir die Sinne nahm. Dann wieder stand ich inmitten hellen Sonnenscheins, von allen Seiten eingeschlossen, in einer Bodensenkung. Oben auf einer Anhöhe standen meine Eltern und winkten mir, heraufzukommen. Ich hatte sie viele Jahre nicht gesehen und als tot beweint, und mein Herz sehnte sich danach, sie in die Arme zu schließen. Im Begriffe, zu ihnen zu eilen, bemerkte ich mit Entsetzen, daß ich inmitten tausender Schlangen stand, die von allen Seiten aus Erdlöchern herausschlüpften, um sich zu sonnen. Zu Ringen und Klumpen geballt, lag das giftige Gewürm über- und aufeinander. Die einen fraßen die anderen auf. Ich hatte ein Schwert in der Hand und versuchte, von Grauen gepackt, mich der Schlangen zu erwehren. Ich zerspaltete und durchschnitt die ekelhafte Brut. Doch es wuchsen den einzelnen Teilen neue Köpfe, die sich nun mit ihren giftigen Fängen an meinem ganzen Körper festbissen. Ganz genau empfand ich, wie die Nattern sich trotz meiner verzweifelten Gegenwehr um Füße, Arme und Beine hinaufringelten[S. 136] und mir schließlich die Kehle durchbissen. In wahnsinniger Angst eilte ich mit geflügelten Schritten weiter — meine Eltern waren meinen Blicken entschwunden.
Dann wieder sah ich mich inmitten von Totenschädeln als Leiche aufgebahrt. Ein Kreis der nächsten Verwandten saß fröhlich plaudernd neben dem Totenlager, während sich meine Mutter, ihr Herz vom wilden Schmerze zerrissen, über den Toten warf. Ich aber stand daneben, und das Weinen und Wehklagen der Mutter, die mich, ihren totgeglaubten Sohn, betrauerte, schnitt mir tief ins Herz hinein. Ich wollte mich ihr zu Füßen stürzen, ihr zurufen, doch die Glieder und die Stimme versagten ihren Dienst, und jetzt wurde ich plötzlich mit Erstaunen gewahr, daß kein Ton, kein Laut eines lebenden Wesens meinem Ohr vernehmbar war. Grabesstille herrschte in diesem Weltall der Toten, das doch wieder voll Leben war. Ganz deutlich sah ich mit den Augen die geschilderten Vorgänge — das Ohr jedoch vernahm nichts davon.
Dann wieder eilte ich an der Spitze einer Karawane durch dichten Urwald und weite Grassteppen mit Palmenhainen, aus deren Wedeln große Affen mit Menschenfratzen höhnisch auf uns herabblickten. Meine Karawane war kunterbunt aus Negern von der Küste und Traumgestalten von Leuten, denen ich im Leben einmal begegnet sein mochte, zusammengestellt. Stunden über Stunden waren wir unter sengender Sonnenhitze über Steppen und Wiesen dahingeeilt, ohne einen Tropfen Wasser oder etwas Nahrung zu uns genommen zu haben. Die Zunge klebte am Gaumen, die Füße versagten ihren Dienst. Da sahen wir plötzlich aus einem Bananenwald liebliche Hütten auftauchen und einladend winken. Und von allen Hütten näherten sich uns Negerfrauen und -mädchen, die uns in scheuer Furcht betrachteten und wieder verschwanden. Wohl fiel mir auf, daß wir nur weibliche Personen zu Gesicht bekamen, doch der Gedanke, ins Reich der Amazonen zu kommen, hatte nichts Schreckliches an sich.
Im Dorfe um uns schien sich etwas Geheimnisvolles vorzubereiten. Seit Menschengedenken war in diese Gegend kein männliches Wesen gekommen, und uns drohte ein fürchterliches Unheil. Mein Blick, der durch die Wände der Hütte ins Innere hineinzudringen vermochte, sah alte Weiber mit zornverzerrten Mienen um die Feuer hocken. Ich sah, wie sie untereinander tuschelten, die Köpfe zusammensteckten und in den Mondschein hinausstarrten,[S. 137] als erwarteten sie etwas Furchtbares zu hören. Ein Orakel hatte den Weibern den Untergang des Dorfes verkündet, sobald der Fuß eines Mannes das Gebiet betreten würde.
Die Sitte wollte es, daß, sobald eines der jungen Mädchen das heiratsfähige Alter erreicht hatte, es mit großem Pomp dem Bräutigam, der Sonne, zugeführt wurde. Die Glut der heißen Strahlen mit der ihnen innewohnenden Kraft, die stets neues Leben erweckt, befruchtete den jugendlichen, jungfräulichen Körper, der bis zur Geburt des Kindes alltäglich ein Gegenstand sorgfältigen Sonnenkultus bildete. Gebar die junge Frau ein Mädchen, dann wurde dieses Mädchen mit Prunk und Festlichkeit in die Gemeinde aufgenommen — kam ein Junge zur Welt, so wurde er der Sonne geopfert.
Die finstere Nacht nahte heran. In schlauer Zärtlichkeit führten die schönen, bronzenen jungen Mädchen des Dorfes Freudentänze vor unseren Augen auf. Sie schmiegten sich völlig unbekleidet an uns und umfingen uns mit den Armen. In höchstem Wonnegefühl ließ ein dunkles Ahnen mein Blut in den Adern erstarren, ganz deutlich erkannte ich plötzlich in den liebevollen Augen meiner Gefährtinnen den giftigen Blick der Schlangen, die ihr Opfer suchten.
Ich wollte meine Leute warnen, wollte rufen, vermochte aber keinen Laut hervorzubringen. Ich wollte mich der fürchterlichen Umarmung erwehren, doch wie eiserne Ketten umschlossen die bloßen Arme und Füße meinen Körper. Mit Grauen bemerkte ich, wie die Frauen mit wollüstiger Grausamkeit einem Gefährten nach dem anderen die Kehle durchschnitten — das entströmende Blut versetzte sie in einen Freudentaumel. Um mich her, toll vom Blutrausch, in den Händen die blutigen Messer und Fackeln schwingend, tanzte im Reigen eine Legion der wilden Amazonen.
Vergeblich versuchte ich, mich der von allen Seiten auf mich einstürmenden Frauenkörper, ihrem sinnlichen Begehren und der Glutwelle, die von ihren Leibern ausging, zu erwehren. Von ihnen in die Mitte des Dorfes vor ihren Götzen geschleppt, wurde ich an Händen und Füßen gefesselt. Ich hatte das Vorgefühl eines schauerlichen Todes, dem qualvolle Martern vorhergehen sollten. Eine Horde besessener Teufel mit herrlichen Frauenleibern umtanzte mich im tollen Bacchanal und weidete sich an dem Grauen, das sie mir mit ihrer Wollust einflößten. Mit scharfen Messern bezeichnete eine nach der anderen in blutigen Ringen auf meiner weißen Haut das[S. 138] Stück, das ihr nach meinem Tode angehören sollte. Die Vorkehrungen zum Opfer waren beendet. Ich sollte am Spieße gebraten werden. Ganz deutlich fühlte ich das kalte Eisen, das mich von unten nach oben durchbohrte, und die ungeheure Hitze der Flammen.
Ein Schmerz durchzuckte meinen Körper. Ich öffnete die Augen und erkannte in tiefer Erregung den über mich gebeugten Dr. Bellis, mit der Pravazschen Spritze in der Hand, mittels der er gerade noch rechtzeitig durch Chinin und Koffein-Einspritzungen unter die Haut die entfliehenden Lebensgeister gebannt hatte. Dank seiner Hilfe war ich für diesmal gerettet.
Janssen, durch Eilboten vom Arzt aus Romée zurückberufen, kehrte nach vier Tagen heim. Acht qualvolle Tage und Nächte fesselte mich der beständige Kampf mit dem Fieber und der sich immer wieder von neuem ansammelnden Galle ans Krankenbett. Als einzige Nahrung während der ganzen Zeit erhielt ich etwas mit Wasser zu gleichen Teilen flüssig gemachte kondensierte Milch. Kein Wunder, daß ich mich nach neun Tagen völlig entkräftet, ein schwankendes Rohr, von meinem Lager erhob. Von Mustapha und meinem Boy unterstützt, ließ ich mich für einige Stunden im Lehnstuhl hinaus ins Freie tragen, von wo auch ich einen freien Überblick über den Strom und das Leben um mich genießen konnte. Die muntere Arbeit und das frohe Leben und Treiben um mich her erweckten in mir bald die schlummernden Lebenskräfte, und in zwei weiteren Tagen war ich bereits so weit hergestellt, um die Arbeit wieder aufnehmen zu können.
Eines Tages kam Janongo, der Häuptling eines Dorfes, das bisher die Hälfte unserer monatlichen Kautschukproduktion lieferte, mit unserem im Dorfe installierten Capita zurück. Gewöhnlich nehmen Dörfer die Namen von Häuptlingen an, die sich durch persönlichen Mut und Unerschrockenheit besonders hervorgetan haben. Der Häuptling war übel zugerichtet. Das rechte Auge und die Nase waren unförmig angeschwollen und der übrige Teil des Gesichtes und die Brust mit gestocktem Blute bis zur Unkenntlichkeit besudelt. Vom Rücken und den Lenden abwärts zeigte die Haut[S. 139] blutige Striemen und entsetzliche Wunden und Geschwüre. Der Mann war offenbar mißhandelt worden und hatte dabei reichlich Blut verloren. Was hatte sich zugetragen?
Die Dörfer Janongos, zum Rayon der Stanleyfälle gehörend, liegen in unmittelbarer Nähe der Grenze, welche den anschließenden Aruwimi-Distrikt von der »Province Orientale« scheidet.
Zwischen dem ehemaligen Staatsangestellten, der den einige Stunden stromabwärts gelegenen Staatsposten kommandierte, und unserer Faktorei bestanden bisher freundschaftlich nachbarliche Beziehungen. Seit kurzem war der Beamte auf Urlaub nach Europa zurückgekehrt, und sein Nachfolger P..... hatte Janssen bei seiner letzten Reise ziemlich kühl aufgenommen, so daß dieser, ganz gegen seine bisherige Gewohnheit, gar nicht dort übernachtet hatte, sondern nach kurzem Aufenthalt weitergereist war. P....., von den Eingeborenen »Malu Malu« (»Schnell schnell«) genannt, war nun vor einigen Tagen mit fünfzig Soldaten im Dorfe erschienen und hatte von Janongo eine monatliche Steuer von hundert Säcken Kautschuk[S. 140] verlangt. Aus die Erklärung Janongos, daß sein Dorf seit Jahren Kautschuk an die Stanleyfälle liefere, und seine Weigerung, dem Befehl nachzukommen, ließ P..... ihn in Ketten legen und befahl seinen Soldaten, in den Hütten der Eingeborenen nach Kautschuk zu suchen. Einer der Soldaten schnüffelte im Hause unseres Capitas den bereits fertiggestellten Kautschuk auf. Unser Capita, nichts Gutes ahnend, hatte wahrscheinlich Reißaus genommen, obgleich er natürlich steif und fest behauptete, zur Zeit nicht im Dorfe gewesen zu sein. P..... ließ nun den gesamten Kautschukvorrat mit Beschlag belegen und dem Häuptling Janongo, weil dieser ihn belogen hatte, fünfzig Hiebe mit der Nilpferdpeitsche geben. Überdies traktierte er den am Boden Liegenden in schamlosester Weise mit seinen Stiefelabsätzen. Noch in der gleichen Nacht hatten Janongo und der inzwischen zurückgekehrte Capita das Dorf verlassen, um Klage bei uns zu führen. Janssen war durch die geschilderten Vorgänge in eine nicht wiederzugebende Aufregung und Wut versetzt worden. Abgesehen davon, daß Janongo stets einer der verläßlichsten Häuptlinge gewesen war und wir durch die Beschlagnahme des bereits bezahlten Kautschuks einen enormen finanziellen Schaden erlitten hatten, erregte es ihn besonders, daß unser Prestige bei den Eingeborenen infolge der Mißhandlungen des Häuptlings durch einen Staatsbeamten stark erschüttert worden war. Er betraute mich mit der Klage beim Distrikts-Kommissar, da er fürchtete, nicht Herr seiner Erregung bleiben zu können. Ich begab mich sofort mit den beiden Zeugen auf das Kommissariat und ließ den ganzen Sachverhalt zu Protokoll nehmen, worauf der Distrikts-Kommissar uns volle Entschädigung und Bestrafung des Schuldigen in Aussicht stellte und sofort einen der hiesigen Offiziere mit der Untersuchung an Ort und Stelle betraute.
Bei meiner Rückkehr fand ich Janssen mit hochgradigem Fieber infolge der Aufregung im Bette vor. Gegen Mitternacht ließ er mich zu sich rufen. Sein Zustand hatte sich bedeutend verschlimmert, es erwies sich, daß er an Schwarzwasserfieber erkrankt war. Ich gab ihm sofort heißen Tee und eine reichliche Dosis Antipyrin. Der Harn, welcher vorher schwarzrot war, bekam daraufhin wieder seine natürliche Farbe. Da das Fieber während der Nacht absolut nicht weichen wollte, ließ ich am folgenden Morgen Dr. Bellis von der Station kommen. Merkwürdigerweise ließ das Fieber plötzlich ganz nach, so daß der Arzt nun nicht recht wußte, was er von der Veränderung[S. 141] halten sollte. Vorsichtigerweise verordnete er Janssen ein Purgativ, völlige Ruhe und Diät. Gegen 11 Uhr früh fühlte Janssen sich wieder vollständig wohl und erhob sich trotz aller Abmahnungen. Die Geschichte mit Janongo wollte ihm nicht aus dem Kopf.
Meine Abreise in Begleitung des befreundeten Offiziers mit einer Eskorte von zehn Soldaten war für den nächsten Morgen in Aussicht genommen, und Janssen gab mir eine Menge Ratschläge, wie ich mich bei der Sache zu verhalten habe.
Gegen Abend begann das Fieber von neuem, um Mitternacht traten wieder die einwandfreien Zeichen von Schwarzwasserfieber auf. Ernstlich beunruhigt, ließ ich diesmal trotz der späten Stunde Dr. Bellis rufen. Dieser kam gegen 1 Uhr und bestätigte unsere Vermutung. Er ließ sofort einen Einlauf von zwei Liter Seifenwasser machen, gab dem Patienten ein Gramm Chinin und viel heißen Tee und meinte, daß die Krankheit bis spätestens am nächsten Tage behoben wäre. Unter diesen Umständen wollte ich meine Reise nach Janongo unbedingt um einige Tage verschieben, um Janssen zu pflegen. Doch diesem ging die Angelegenheit fortwährend derart im Kopfe herum, daß Dr. Bellis, um ihn nicht unnötig noch mehr aufzuregen, mich bat, wegzufahren. Janssens Abschiedsworte waren: »Tu dein möglichstes, um die Sache glücklich zu Ende zu führen, dann werde ich sicherlich vor Freude genesen.« Dies waren die letzten Worte, die er an mich richtete. Das Schicksal hatte gewollt, daß wir uns nie wiedersähen. Der Tod hatte während meiner kurzen Abwesenheit Einkehr in unserer kleinen Faktorei gehalten und ein junges Menschenopfer gefordert.
Auf meiner Reise nach Janongo ließ ich unser Kanu vorsichtshalber noch in der Mission St. Gabriel anlaufen und Pater Willibrord, der Janssen persönlich sehr zugetan war, bitten, ihn während meiner Abwesenheit zu pflegen.
Während der nächsten Tage besuchte ich mit meinem Begleiter die Dörfer von Janongo und stellte an Ort und Stelle an der Hand von Zeugenaussagen der Eingeborenen den Tatbestand fest. Meine Capitas waren auf die Nachricht unserer Ankunft hin wieder zur Stelle. Der schuldtragende Beamte wurde einige Zeit danach vom Distrikts-Kommissar abberufen und anderswohin versetzt — der leidtragende Häuptling Janongo hingegen für die erlittene Unbill von mir reichlich mit Geschenken bedacht.
[S. 142]
Vier Tage später kehrte ich gegen 10 Uhr nachts ahnungslos von meiner Reise zurück. Wir waren im Begriffe, die Mission St. Gabriel zu passieren, als unser Boot von dorther angerufen wurde. Durch den Gesang der Ruderer war die Annäherung unseres Bootes schon bemerkt worden. Beim Überqueren des Flußufers erkannte ich mehrere vom Fackelschein beleuchtete Männer, darunter den Leiter der Mission Pater Vitus und Dr. Bellis, die am Anlegeplatz standen.
»Vous avez reçu la nouvelle?« war die erste Frage. Ich ganz erstaunt: »Mais quelle nouvelle, mon reverend Père?«
Ich ließ anhalten und erfuhr nun vom Pater Gabriel, daß mein Chef Janssen am Morgen gestorben und nachmittags in der Mission begraben worden war.
Der Schlag traf mich gänzlich unerwartet. Nach den letzten Äußerungen von Dr. Bellis hatte ich an die Krankheit gar nicht mehr gedacht, sondern geglaubt, daß Janssens gesunde, kräftige Konstitution diese zweite Attacke ebenso leicht überwinden würde wie die erste. Den ganzen Nachmittag hatte ich im Hochgefühl einer für uns äußerst günstigen Abwicklung geschwelgt und mich auf den Moment gefreut, wo ich Janssen die erfreuliche Nachricht überbringen würde und nun ... Ein Bote war mir am frühen Morgen nachgesandt worden, der mich aber verfehlt haben mußte. Infolge meiner Abwesenheit waren an sämtliche Magazine und Gebäude vom Gerichtsschreiber Siegel angelegt worden. Ein Justizoffizier und Pater Willibrord waren auf der Faktorei verblieben. Tief niedergeschlagen traf ich gegen Mitternacht in Stanleyville an, wo mich de Koning, der vom Distrikts-Kommissar mit der Überwachung der Faktorei beauftragt war, empfing.
Am folgenden Morgen wurden die Siegel gelöst, und ich machte mich an die äußerst langwierige Arbeit, ein vollständiges Inventar von dem gegenwärtigen Stand der Faktorei und allen Janssen gehörenden Effekten aufzustellen. Mein langersehnter Wunsch, Faktoreichef zu werden, war erfüllt, allerdings auf eine Art, die mir jede Freude daran benahm. Ich hatte Janssen eigentlich nie als meinen Chef, sondern vielmehr stets als guten Kameraden betrachtet, und seine Stütze ging mir in der ersten Zeit sehr ab.
Die unmittelbare Folge dieses Todesfalles war, daß die Konkurrenz, die mit wachsendem Mißmut das Anschwellen unserer Kautschukproduktion in den letzten Monaten — eine Folge der fortwährenden[S. 143] Bemühungen und Reisen von Janssen ins Innere des Landes — beobachtet hatte, sich sofort ans Werk machte, um die Dörfer, die bisher Kautschuk für uns anfertigten, uns abspenstig zu machen und zu sich hinüberzuholen. Laut übereinstimmenden Berichten glaubwürdiger Vertrauensmänner ergab sich, daß die Chefs der »SAB« und der »Belgika« überall in den Dörfern die Todesnachricht verbreiteten und unsere Capitas auffordern ließen, in ihre Dienste überzutreten. Hier galt es rasch handeln, wollte ich diese Absicht vereiteln und nicht die Früchte monatelanger Organisationsarbeit verlieren.
Zwei Tage und Nächte arbeitete ich am Inventar und den schriftlichen Berichten an die Direktion in Brazzaville, die ich gleichzeitig auch um einen neuen Beamten ersuchte. Am dritten Tag übergab ich die Station meinem schwarzen Schreiber und brach mit 40 Mann, 20 Gewehren und einer reichlichen Auswahl an Waren und Geschenken aller Art, die für die Häuptlinge bestimmt waren, in zwei Kanus auf, um sämtliche Dörfer, die bisher Kautschuk für uns geliefert hatten, zu besuchen und zur Weiterarbeit anzufeuern. Gleichzeitig wollte ich noch versuchen, einige weitere Dörfer zur Kautschukproduktion heranzuziehen.
Trotz wenig günstiger Witterung fuhren wir gegen 9 Uhr früh ab. Meine Leute, froh, die eintönige Faktoreiarbeit für wenigstens eine Woche zu verlassen, stimmten jubelnd ein melodisches Ruderlied in ihrer Yambingasprache an, und von kräftigen Ruderschlägen getrieben, schoß das Boot wie ein Pfeil mit der Strömung dahin. Gegen Mittag begann es zu regnen. Mein Kanu besaß ein kleines Dach, gerade groß genug, um mich und meine Effekten zu decken, während die Waren in dem zweiten Kanu dem Regen preisgegeben waren. Einer meiner Leute entdeckte auf der Fahrt ein Fischerkanu, das mit Schilfdächern beladen war. Ich forderte die Fischer auf, mir zwei davon zu verkaufen. In unbegreiflicher Verstocktheit wollten die Leute von ihrem Vorrat nichts abgeben, so daß ich gezwungen war, das Gewünschte einfach »requirieren« zu lassen, worauf die Leute dann gerne die Bezahlung annahmen. Da der Regen an Heftigkeit zunahm, beschloß ich, über Mittag in der Mission St. Gabriel zu bleiben.
Nirgends in der Welt herrscht größere Gastfreundschaft als in den spärlich besiedelten Teilen Zentralafrikas, wo der Gast zu jeder Tageszeit willkommen ist. Ist er doch gewöhnlich Träger interessanter[S. 144] Neuigkeiten aus der Außenwelt, von der man vollständig abgeschlossen ist, und bringt ein neues Element der Fröhlichkeit und des belebenden Gedankenaustausches mit sich. In vielen Stationen würde es dem Europäer geradezu verübelt werden, wollte er auf der Durchreise sich nicht aufhalten.
Gegen Nachmittag ließ der Regen nach, und ich fuhr weiter stromabwärts nach dem Dorfe Kilomani. Hier war Janssen eine Woche vor seinem Ableben von den Eingeborenen mit Speeren und Pfeilen empfangen worden. Ein Korporal mit zehn Soldaten hatte nachts Streit mit den Eingeborenen angefangen, und im Verlaufe desselben waren mehrere Leute verwundet worden. Seither fürchteten sie eine Strafexpedition und flohen, sobald sie eines Europäers ansichtig wurden. Auch mir erging es nicht besser. Das ganze Dorf war bei Ankunft meiner bewaffneten Macht auf einen hochtönenden, trillernden Schrei hin verschwunden. Ringsum war keine Menschenseele zu erblicken. Vor den Hütten brodelten in Töpfen über dem Feuer alle möglichen Nahrungsmittel, und ich hatte Mühe, meine Leute vom Plündern abzuhalten. Zwischen den Hütten krähte ein naseweiser Hahn, eine Henne lief gackernd mit den Jungen davon, um sich vor der Gefahr in Sicherheit zu bringen.
Eine unheimliche Stille lastete bei unserer Ankunft über dem verlassenen Dorf, in den niedrigen Plantagen und dem undurchdringlichen Blätterdach des Urwaldes. Wir hatten das Gefühl, daß jeder Baum und jeder Strauch einen unsichtbaren Feind verbarg und daß hunderte Augenpaare jede unserer Bewegungen scharf beobachtete, um im geeigneten Moment auf ein gegebenes Zeichen uns mit einem Hagel von Pfeilen und Speeren zu überschütten. Es ist für den Neuling ein ganz eigenartiges Gefühl, so inmitten eines verlassenen afrikanischen Dorfes, das allenthalben deutliche Spuren der anwesenden Einwohnerschaft zeigt, zu stehen und dabei im unklaren zu sein, ob nicht in der nächsten Minute ein gefiederter Schaft mit fünf Zentimeter langer Eisenspitze einem durch die Rippen fährt.
Am Hauptplatz, vor der Hütte des Häuptlings machten wir halt. Gewöhnlich unterscheidet sich diese von den niedrigen aus Palmenblättern bestehenden Hütten der übrigen Eingeborenen durch ihre massive, geräumige Struktur. Sie ist meistens doppelt so groß wie die anderen und manchmal von einer Palisadenwand umgeben. Vor der Hütte befindet sich stets ein großer freier Platz, der Versammlungsplatz des Dorfes, und rings herum im Kreise, je nach[S. 145] dessen Größe, ein zwei- bis dreifacher Kranz von Hütten. Unmittelbar vor der Hütte des Häuptlings steht der »Medizinbaum«, ein kahler Strauch, auf dessen Zweige kleine Götzen und Fetische, kleine Beutel aus Antilopenfell, worin sich eine Medizin befindet, die Schädel von Affen und allen möglichen kleinen Tieren, aber auch von Leoparden, Büffeln usw. befestigt sind. Daneben steht, gegen Regen durch ein Dach geschützt, der große Gong des Dorfes, welcher gleich unseren Telegraphen den benachbarten Dörfern Kunde von allen Vorfällen und Beschlüssen des Häuptlings geben soll. Mittels desselben ließ ich durch einen meiner der »Gong-Sprache« kundigen Leute den Eingeborenen mitteilen, daß ich in friedlicher Absicht zu ihnen käme, um Tauschhandel mit ihnen zu treiben und daß ich mit dem Streit, den sie mit den Soldaten hatten, nichts zu tun hätte.
Einige Minuten herrschte tiefes Stillschweigen, dann erscholl aus der Tiefe des Waldes eine Stimme, die den Eingeborenen befahl, auf den weißen Mann nicht zu schießen. Hierauf kamen zögernd hinter Büschen und Sträuchern einige unbewaffnete Männer hervor. Die Kameraden, noch immer mißtrauisch, beobachteten von ihren Verstecken aus, was weiter geschah. Um die Leute zu beruhigen, hatte ich meinerseits Anweisung gegeben, die Gewehre zu Pyramiden zusammenzustellen. Endlich, nach wiederholter Aufforderung kam auch der Häuptling Monkwojama und mit ihm ein Teil der Dorfjugend hervor, und nunmehr konnten wir mit den äußerst mißtrauischen Eingeborenen in Verhandlung treten.
Gegen 20 »dottis« (etwa 70 Meter verschieden gefärbter Baumwollstoffe), einen langen Gehrock samt grauem, breitrandigem Touristenhut für den Häuptling sowie einem entsprechenden Geschenk an Spiegeln, Perlen, Zündhölzern, hohlen Arm- und Beinringen aus Messing, kleinen Schellen und Glöckchen, Löffeln und Messern, alles blinkende Herrlichkeiten für die entzückten Dorfschönen, wurden wir schließlich handelseinig, und das Dorf versprach, das von mir angesetzte Quantum Kautschuk anzufertigen.
Vor meiner Abreise mußte ich Monkwojama noch versprechen, seine Sache beim Kommandanten von Stanleyville zu vertreten. Dies konnte ich um so eher zusagen, als sich herausstellte, daß keiner der Soldaten verwundet oder getötet worden war und, wie ich aus Erfahrung wußte, diese sich hüten würden, von ihrem nächtlichen Raubzug etwas verlauten zu lassen. Zum Schutze des Dorfes vor ähnlichen Vorkommnissen, und um auch dafür zu sorgen, daß der[S. 146] Kautschuk zustande kam, ließ ich hier einen meiner Leute mit einem Perkussionsgewehr zurück. Als vermeintlicher Feind war ich ins Dorf gekommen, als Freund verließ ich dasselbe eine Stunde später, von der freudig erregten Menge begleitet, die im Tanzschritt unter dem ohrenbetäubenden »Yolah«-Geschrei und Tuten von Hörnern ihrer kindlichen Freude Ausdruck verlieh, ein Zeichen, wie schnell Volksstimmungen umschlagen.
Weiter stromabwärts eilten meine beiden Kanus in wilder Wettfahrt, um noch vor Einbruch der Nacht die »Baptist-Mission Yakussi« zu erreichen, wo wir freundliche Aufnahme vorfanden und übernachteten.
Am folgenden Morgen bei Tagesanbruch machten wir uns auf den Weg nach dem unweit der Mission im Urwald gelegenen Dorfe Yakussi. Die ganze Nacht durch hatte es geregnet, und die schmalen, lehmigen Fußpfade standen unter Wasser. Auf Schritt und Tritt streifte ich von dem dichten Unterholz große Regentropfen ab, so daß meine Kleidung binnen wenigen Minuten vom Kopf bis zu den Füßen völlig durchnäßt, und ich wohl oder übel gezwungen war, ein unfreiwilliges Kneippbad zu nehmen. Denkt sich der Leser hierzu noch rote, braune und schmutzige Flecken infolge Abstreifens des roten Tukula-Pulvers, womit Männer und Frauen sich den Körper beschmieren, dann kann er sich ungefähr eine Vorstellung davon machen, in welchem Aufzug ich eine halbe Stunde später nach forciertem Marsche im Dorfe ankam. Ich benützte die erste freie Hütte, um mich vollständig umzukleiden und hatte eben meine rasche Toilette beendigt, als der »Tambu Tambu« — Neger-Sultan Yakussi — mit großem Gefolge und tanzenden Frauen, die mich mit lautem Händeklatschen begrüßten, eintraf, um mich zum Hauptdorfe zu geleiten.
Das Dorf Yakussi, ursprünglich aus einem paar halbverfallener, im Urwald versteckter Negerhütten bestehend, hatte sich im Laufe der Jahre unter dem Schutze der Mission zu einer langgestreckten Ansammlung von Negerhütten und zu einem bedeutenden Markte entwickelt. Der alte Häuptling hatte wahrscheinlich mit schwerem Herzen von der Sitte seiner Vorväter und dem Genuß delikater Menschenkotelettchen Abstand genommen, seinen Lendenschurz mit dem Prunkgewand eines Negersultans vertauscht und dazu im Laufe der Zeit den Titel angenommen.
[S. 147]
Dank dem unermüdlichen Eifer der Missionare, dem unzivilisierten Negervolke ein menschenwürdiges Dasein aufzudrängen, dank ihrer nah und fern gerührten Werbetrommel, um alle mit ihrem Lose Unzufriedenen um sich zu versammeln und zum Heil »Zambis«, des einzigen, wahrhaften Gottes zu bekehren, hat Yakussi sein Dorf Monat für Monat sich vergrößern und die Anzahl der Einwohner vermehren sehen. War seine eigentliche Macht über Leben und Eigentum seiner Untergebenen auch nur mehr ein Schein, so tröstete er sich offenbar damit, daß es den Häuptlingen in den von »Felsenbrecher«, wie die Eingeborenen den Kongostaat nennen, okkupierten Gebieten auch nicht besser ging und die Häuptlinge der umliegenden Dörfer ihm gewissermaßen unterstanden. Denn Yakussi war ein mächtiger Sultan geworden, der hoch in der Gunst des weißen Eroberers stand und dessen Ohr stets auf seiner Seite hatte. Alle Häuptlinge der umliegenden Dörfer erkannten dies willig an und bedienten sich unter Zuhilfenahme reicher Geschenke stets seiner Vermittlung, wenn es galt, ihr Dorf vor drückenden[S. 148] Steuern zu bewahren, oder aber Streitigkeiten unter einander auszutragen. Auf diese Weise war Yakussi im Laufe der Zeit reich geworden.
Auch die Einwohner des Dorfes erfreuten sich einer gewissen Wohlhabenheit und hatten ihre ursprüngliche Scheu im Verkehr mit den Europäern vollständig abgestreift. Die Frauen saßen größtenteils in Kleidern um die Feuer und nickten uns einen freundlichen Gruß zu, während die Kleinen und Allerkleinsten, die wir in anderen Dörfern überhaupt nicht zu Gesicht bekamen, sich mir ganz zutraulich näherten, ihre Pfötchen gaben und sich mit Perlen, Spiegeln und Löffeln beschenken ließen. Auf dem Weg durch das langgestreckte Dorf schlossen sich uns immer mehr Eingeborene an, so daß uns, als wir am Versammlungsort angelangt waren, ein großer Wall von Eingeborenen umgab. Nachdem ich nun den Leuten den Zweck meines Kommens auseinandergesetzt hatte, teilte mir Yakussi mit, daß das Dorf zwar bereits für »Talla Talla«, d. h. Augengläser (womit der Chef der SAB, der Augengläser trug, bezeichnet wurde), Kautschuk anfertige, daß er jedoch gerne bereit sei, das gleiche auch für mich zu tun.
Nicht sonderlich erbaut über den gemachten Vorschlag, willigte ich schließlich ein und ließ die von Yakussi selbst ausgewählten Waren, wofür er ein gewisses Quantum Kautschuk innerhalb eines Monats zu liefern versprach, zurück. Meine Boys hatten inzwischen meinen transportablen Tisch aufgestellt, ein nagelneues Tischtuch darüber ausgebreitet und erschienen nunmehr mit dem Frühstück, bestehend aus Omelett, geräuchertem Schinken, Sardinen und Kaffee. Während ich inmitten der neugierigen Menge frühstückte, die jede Handbewegung, das Öffnen der Sardinenbüchse usw. mit großem Interesse beobachtete, brachten gegen dreißig Frauen aus Kürbis hergestellte Gefäße mit »Bidia«, einer aus Mais und Maniokmehl hergestellten Polenta, sowie allerlei Gemüse, geräucherte kleine Fische, Heuschrecken und ähnliche Delikatessen zum Kaufe für mein Personal. Ich bezahlte das gerne und ließ die Herrlichkeiten unter meine Träger verteilen, die mit Heißhunger darüber herfielen.
Nachdem Sultan Yakussi mir im Laufe des Gespräches noch angeboten hatte, durch einen seiner Leute mir den Weg zu drei Dörfern in der Nähe des Lindiflusses zeigen zu lassen, die möglicherweise auch Kautschuk für mich sammeln würden, brach ich nach einstündigem Aufenthalt auf.
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Wer da glaubt, Yakussi hätte mich in selbstloser Weise zu drei Dörfern gewiesen, um meine Zwecke zu unterstützen, täuscht sich gewaltig. Von dem Sultan und einer Menge Eingeborener, die auf Pfeifen und kleinen Holzgongs, hölzernen und elfenbeinernen Hörnern einen ohrenbetäubenden Spektakel aufführten, begleitet, erfuhr ich kurz vor dem Abschied am Flußufer, daß ein am Unterlauf des Lindis gelegenes Fischerdorf drei Frauen des Dorfes geraubt hätte. Yakussi bat mich, ihm die drei Frauen gelegentlich meines Besuches der Dörfer wiederzubringen.
Wir verließen Yakussi und schifften uns auf unseren Kanus wieder ein. Der Weg von Yakussi bis zur Mündung des Lindiflusses in den Kongo war, da es mit der Strömung ging, unter begeistertem Jubelgesang der Ruderer bald erreicht. Hier stellten sich mir Schwierigkeiten in den Weg, meine abergläubischen Leute dahinzubringen, in das bisher völlig unbekannte Lindistromgebiet einzufahren. Geschichten, die in Stanleyville unter den Eingeborenen umgehen, und die von einem Fabeltier erzählen, das bald in Gestalt eines ungeheuren Krokodils, bald als Riesen-Wasserschlange aus den Tiefen des Lindiflusses auftaucht und jedes Boot vernichtet, hatten die Leute verängstigt. Wir waren etwa eine Stunde weit den Fluß hinaufgefahren, ohne auf menschliche Spuren gestoßen zu sein, als wir mit einem Male bei einer Biegung des Flusses zu einem großen Fischerdorf kamen. Schätzungsweise mochte dasselbe gegen 2000 Einwohner zählen. Die Leute waren gerade im Begriffe, einen riesigen Gong, der auf vier Holzfüßen inmitten des geräumigen Versammlungsplatzes stand, einzuweihen. Von oben bis unten mit rotem Sandelholzpulver zur Feier des Tages beschmiert, tanzten Männer und Frauen unter wilden Kontorsionen der Bauchmuskeln und unter lautem Freudengeheul wie Besessene um den Gong, den zwei Mann mit Kautschuk-Keulen mit aller Gewalt bearbeiteten.
In dem allgemeinen Taumel war unsere Ankunft kaum bemerkt worden. Sowie der Häuptling uns bemerkte, gab er ein Zeichen, das Fest zu unterbrechen, und kam, umringt von den Seinen, auf uns zu. In wenigen Sekunden war unser kleines Häufchen von einer tobenden Menschenmenge umringt. Die tiefliegenden, verschleierten Augen und die starke Erregung, die sich auf allen Mienen kundgab, verriet mir auf den ersten Blick, daß die Leute viel Hanf geraucht hatten, und daß äußerste Vorsicht am Platze war, wollten wir nicht den zündenden Funken in das Pulverfaß werfen. Die getrockneten[S. 150] Blätter der Hanfstaude, dem Tabak beigemengt, haben berauschende Wirkung und versetzen den Neger bei reichlichem Genuß in eine tobsuchtsartige, blutdürstige Stimmung, in welcher er weder Feind noch Freund kennt, beim geringsten Anlaß blindlings darauflosschlägt und alles niedermacht, was sich ihm in den Weg stellt. Diese Unsitte fordert alljährlich unzählige Opfer und nötigt die Regierung, die Hanfstauden in den Dörfern vernichten zu lassen.
Mit einer mir später selbst fast unerklärlichen Ruhe ließ ich mir von meinen Boys inmitten des Kreises, der sich in immer weiterem Umfange um uns schloß, meinen Streckstuhl bringen und setzte mich nieder. Dem Häuptling bedeutete ich, dasselbe zu tun. Tausende Augenpaare beobachteten jede meiner Bewegungen. Hier galt es mit voller Unerschrockenheit auftreten, sonst waren wir in die Hände der Leute gegeben, die nach Belieben mit uns verfahren konnten.
Ich ließ den Mann aus Yakussi vortreten und forderte den Häuptling auf, die widerrechtlich weggeschleppten drei Frauen, die sich in seinem Dorfe aufhielten, sofort herauszugeben. Ohne ein Wort der Widerrede gab der Häuptling einem Manne ein Zeichen, die Frauen zu holen. Hierauf verständigte ich ihn vom Zwecke meines Kommens, daß ich Tauschhandel mit den Leuten seines Dorfes pflegen wolle, daß ich Geschenke für Kautschuk mitgebracht habe usw.
Hatte der Häuptling meinem ersten Verlangen ohne weiteres Folge geleistet, so erklärte er jetzt, dabei die Volksmenge mit jedem Satz apostrophierend, ungefähr folgendes: »Der weiße Häuptling Nfuma Ntanga ist in unser Dorf gekommen — ayoki (hört), um drei Frauen aus Yakussi zurückzufordern — ayoki. Wir wollen keinen Krieg mit dem weißen Häuptling — ayoki. Darum geben wir die Frauen zurück — ayoki. Nfuma Ntanga bringt Stoffe und »Shokkas« (große Stücke Eisen, welche an Geldes Statt zirkulieren) und will, daß wir Kautschuk sammeln gehen — ayoki. Kautschuk sammeln ist Sklavenarbeit — ayoki. Wir aber sind freie Männer und wollen keinen Kautschuk machen.«
Nach jedem Satze wiederholte die Menge wie aus einem Munde »ayoki«, was ungefähr »wir hören« heißt. Nach den letzten Worten des Häuptlings brach ein tausendstimmiges Jubelgeheul aus, das von der grünen Mauer des Urwaldes jenseits des Wasserspiegels widerhallte. Darin kennzeichnete sich das stolze Bewußtsein und der[S. 151] unerschütterliche Wille eines freien Volkes, das Sklavenarbeit verachtete und bereit war, für seine Gesinnung sein Leben einzusetzen.
Diese einzigartige Kundgabe des Volkswillens machte auf mich einen großen Eindruck. Zum erstenmal stand hier in Gestalt des Wilden ein Mann vor mir, dem die Natur den Stempel des Herrschers aufgedrückt hatte. Von Wuchs ein über das Mittelmaß reichender, herkulisch gebauter Mann, in Miene und Gebärden jeder Zoll ein König, die Gesichtszüge von tiefem, feierlichem Ernst durchdrungen, das stolz erhobene Haupt mit Adlerfedern geschmückt, um die gewölbte, sehnige Brust ein Diadem von Leopardenzähnen, um die Hüften ein kunstvolles faltenreiches Gewebe aus Raphiafasern: so stand der Mann vor mir, mit tieftönender, voller Stimme zu seinem Volke redend. Diese Szene hat sich unauslöschlich meinem Gedächtnis eingeprägt. Der Wille und die Kraft, die von dieser Herrschernatur ausgingen, waren derart, daß sie geradezu hypnotische Wirkung auf das Volk ausüben mußten. Ohne ein Wort weiter zu verlieren, erhoben sich alle, die mit dem Häuptling gekommen waren, und verließen den Versammlungsplatz, mich in ziemlicher Bestürzung zurücklassend.
Was hatte dies alles zu bedeuten? Warum war der Häuptling mit seinen Leuten so unvermittelt verschwunden? Hatten sie etwa die Absicht, über uns herzufallen? Diese Fragen und viele ähnliche bestürmten mich im nächsten Augenblick. Mechanisch griff ich nach einer illustrierten Zeitschrift, die ich immer bei mir zu tragen pflegte, da ich aus Erfahrung wußte, daß die Illustrationen und das gedruckte Papier für die Eingeborenen als »schwarzer Zauber« gelten und sie davor einen großen Respekt haben. Während ich mechanisch in der Zeitschrift blätterte, arbeitete mein Gehirn fieberhaft. Ich beobachtete genau, was um mich vorging und ob nicht irgend etwas in dem Gebaren der Eingeborenen auf feindliche Absicht schließen ließ. Doch nichts dergleichen geschah — langsam fand ich das seelische Gleichgewicht wieder.
Eine Viertelstunde mochte etwa vergangen sein, da tauchte plötzlich der Häuptling wieder mit seinem Gefolge auf, das zwei große Ziegen hinter sich herzog und sie mir als Geschenk übergab. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Nach dieser Gabe konnten wir über die friedlichen Absichten der Leute nicht länger im Zweifel sein, und ich ließ nun meinerseits durch Mustapha dem Häuptling ein den Wert der beiden Ziegen übertreffendes Geschenk überreichen. Im Verlaufe des sich[S. 152] daran anknüpfenden Gespräches stellte es sich heraus, daß die drei von Yakussi bezeichneten Dörfer in unmittelbarer Nähe lagen. Ich beschloß daher, mich sofort auf den Weg zu machen und brachte gleichzeitig meinen Koch in einer der mir freiwillig geräumten Hütten unter, um einstweilen eine Mahlzeit für mich vorbereiten zu lassen.
Von unserem Führer aus Yakussi geleitet, folgten wir einem der vielen sich kreuzenden Fußpfade, die von dem Dorfe aus durch Maniok- und Maisanpflanzungen in den Schatten des Urwaldes führten. In brennender Sonnenhitze durchquerten wir einen frischen Ausschlag aus dem Walde. Quer über dem Wege lagen die tausendjährigen, umgestürzten Urwaldriesen, über die wir bald hinwegkletterten, dann wieder unter ihnen durchschlüpfen mußten. Allenthalben waren die ungeheuren Stämme angekohlt, und große Feuer brannten, um die von der Sonne verdorrten Äste und Zweige aus dem Wege zu räumen und in befruchtende Asche umzuwandeln. In sengender Gluthitze bahnten wir uns mühsam über all diese Hindernisse hinweg einen Weg zu dem kühlen Schatten des Waldes. Unterwegs kamen wir am Grabe eines Häuptlings vorbei. Eine Binsenmatte, von vier Stöcken unterstützt, bildete das Dach dieses innerafrikanischen Mausoleums, unter dem auf einem Bäumchen ein dicker, weiß und schwarz gefleckter Baumbast zusammengerollt lag. Dieser war so täuschend einer riesigen Schlange nachgebildet, daß ich beim ersten Anblick unwillkürlich einen Schritt nach rückwärts machte. Einige Tongefäße und kleine Götzen vervollständigten diese äußerst sonderbare Begräbnisstätte.
Nach längerem Marsch deutete endlich entferntes Stampfen eines Maniokmehl-Mörsers sowie eine allmähliche Verbreiterung des Fußpfades an, daß wir uns in der Nähe eines Dorfes befanden. Einige hundert Meter vor dem Dorfe bildete der Fußpfad eine Biegung und bot einen Ausblick, durch welche die Einwohner, die in steter Furcht vor feindlichen Überfällen leben, unsere Karawane herannahen sahen. Ich hörte einen schrillen, trillernden Schrei, dann Rufen und Trappeln vieler nackter Füße. Als ich endlich im Dorfe anlangte, war die gesamte Bevölkerung geflohen. Das Dorf machte einen äußerst reinlichen und respektablen Eindruck. Zwei Reihen spitzzulaufender, kegelförmiger Hütten standen inmitten von Bananenhainen, Tabak- und Hanfanpflanzungen. Es war bisher das einzige Dorf mit Hütten dieser Konstruktion hier in der Umgebung, wo alle Eingeborenen mehr oder minder runde Hütten bauen oder sich die arabischen[S. 153] Häuser als Modell nehmen. Ich verharrte nahezu eine halbe Stunde im Dorfe und machte vermittels der Gongsprache alle möglichen Anstrengungen, um die Leute zurückzurufen. Es war leider vergebliche Mühe, nichts rührte sich in dem umliegenden Urwalde. Es war eine starke Enttäuschung für mich, nach langem, mühseligem Marsch unverrichteterdinge weiterziehen zu müssen.
Beim zweiten Dorfe Alelo hatten wir nicht mehr Glück. Ich hatte dieses Mal meinen Führer aus Yakussi vorausgesandt, um die Leute auf die Ankunft meiner Karawane vorzubereiten. Hatte dieser nun die übertragene Mission nicht richtig erfüllt oder hatten die Leute ein Verbrechen auf dem Gewissen, kurzum, als sie vom Herannahen eines Europäers hörten, waren sie, so schnell ihre Füße sie zu tragen vermochten, im Urwalde verschwunden. Trotz aller Versprechungen waren die Leute auch dann nicht zu bewegen, zurückzukehren.
Mißmutig zogen wir durch den Urwald weiter. Einmal passierten wir eine Ameisenkarawane, die auf einige hundert Schritt den schmalen Fußpfad und die Büsche zu beiden Seiten desselben vollständig mit Beschlag belegte. Ein seltsames Knistern und Zirpen hätte uns aufmerksam machen sollen, doch achtlos liefen wir weiter, bis ein kräftiges Zwicken im Gesicht, am Hals und an den Händen mich veranlaßte, gleich meinen Trägern aus Leibeskräften zu laufen, um den Bissen dieser kleinen Insekten, die alles Strauchwerk um uns[S. 154] belebten, zu entrinnen. Die Zangen zum Angriff weit geöffnet, den Schlachtruf in Form eines eigenartigen Knisterns und Zirpens ausstoßend, waren Legionen dieser kleinen Soldaten bereit, alles, was in den Bereich ihrer Zangen geriet, sofort wütend anzufallen. Ihr Biß ist derart kräftig, daß die Scheren aus der Wunde meist nicht wieder herauszubekommen sind, sondern auseitern müssen. Eine kurze Rast mitten im Urwalde gab uns Gelegenheit, uns unserer Kleidung zu entledigen und uns von den kleinen Peinigern zu befreien. Hierauf setzten wir unseren Marsch durch das Dickicht, über Morast und kleine Flüsse hinweg, fort.
In die Nähe des dritten Dorfes gelangt, ließ ich haltmachen und sandte jetzt Mustapha mit dem Führer aus Yakussi voraus. Diesmal verschwanden nur die Frauen und Kinder und zogen sich nach den entlegeneren Hütten des Dorfes zurück. Der Häuptling Monganga und die Männer erwarteten uns. Ein Blick auf sie belehrte mich übrigens sofort, daß ich es hier mit reinen Urwaldbewohnern zu tun hatte, mit Leuten, die ihren Fuß sicherlich noch nicht außerhalb der unmittelbaren Nähe des Dorfes gesetzt und niemals zuvor einen Europäer von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten. Durch die bisherigen Erfahrungen gewitzigt, hatte ich angeordnet, daß die begleitende Eskorte sowie der größte Teil des Personals zurückbleiben und erst allmählich Mann für Mann nachkommen sollte. Ich selbst folgte Mustapha in einiger Entfernung, nur von einem Gewehrträger begleitet. Bloß diesen Vorsichtsmaßregeln hatte ich es zu verdanken, daß die Leute nicht auch hier das Weite suchten. Der Häuptling schlotterte an allen Gliedern, als ich mich ihm näherte und ihn ansprach. Um ihn nicht unnötig zu erregen, setzte ich mich sofort in meinen inzwischen angekommenen Streckstuhl und befahl den herbeikommenden Trägern, sich gleichfalls zu setzen.
Je mehr von meinen Leuten herankamen, um so ängstlicher wurden die Mienen der Eingeborenen. Ich hatte das Gefühl, daß nur die Furcht, niedergeschossen zu werden, sie auf dem Platze festhielt. Meine friedliche Absicht, Tauschhandel zu treiben, durch unseren Yakussi-Führer in die Sprache der Eingeborenen übersetzt, wurde beifällig aufgenommen. Die Leute erklärten sich gern bereit, für uns Kautschuk im Walde zu sammeln.
Bei Abschluß der Verhandlung ergab sich aber eine Schwierigkeit. Keiner meiner Leute wollte als Capita im Dorfe zurückbleiben. Andererseits getraute sich auch niemand, vom Dorfe den fertigen Kautschuk[S. 155] per Boot nach Stanleyville zu bringen. Die Leute trugen so sehr den Stempel tiefster Verrohung an sich, daß mein mutigster Capita sich weigerte im Dorf zu bleiben und offen erklärte, er sei überzeugt, daß die Leute ihn abschlachten würden, noch ehe ich außer Rufweite des Dorfes gelangt sein würde. Unter diesen Umständen blieb mir nichts übrig, als vorerst abzuwarten, bis durch wiederholten Besuch des Dorfes meine Capitas mehr Vertrauen zu den Eingeborenen gefaßt haben würden und diesen einstweilen ein kleines Quantum Waren anzuvertrauen. Erwiesen die Leute sich innerhalb eines Monats des Vertrauens würdig, dann konnte ein Versuch im größeren Stil unternommen werden. Im anderen Falle war damit nicht viel verloren.
Ich ließ den Häuptling unter den mitgebrachten Waren seine Auswahl treffen. Dann gab ich ihm als Geschenk eine weiß und rot gestreifte Decke, ein großes Dolchmesser mit einer Scheide und einen breitkantigen, schwarzen Hut, der ihm ein behagliches Grinsen abnötigte und ihn geradezu grotesk kleidete. Dagegen gelobte Monganga, Ende des nächsten Monats acht Körbe Kautschuk bereitzuhalten, die entweder ich oder meine Leute vom Dorfe abzuholen hätten.
Nicht besonders erbaut über das Resultat des Tages, kehrte ich bei einbrechender Nacht nach dem Fischerdorfe zurück und verzehrte in aller Eile das von meinem Koch inzwischen zubereitete Essen, wobei ein andächtiger Kreis von Kindern, Frauen und Männern mir zusah. Bildete doch von der Petroleumlampe angefangen bis zum Salzstreuer jeder Gegenstand ein bisher nie gesehenes Wunder, von welchem man Wochen lang noch sprechen würde. Zum Schluß servierte mein Koch eine »Omelette soufflée«, die ich reichlich überzuckerte. Als ich nun noch den darübergegossenen Rum angezündet hatte, war mein Ruf als Feuerfresser und großer Medizinmann für alle Zeit gesichert. Die Nacht verbrachte ich in einer der größeren Negerhütten, nachdem ich sie vorher, eingedenk früherer Erlebnisse, von meinen Leuten völlig hatte ausräumen lassen.
Meinem Personal waren vom Häuptling fünf weitere Hütten zur Verfügung gestellt worden, und ich hatte den Wachen strikten Befehl erteilt, darauf zu achten, daß keiner der Leute nachts auf Abenteuer ausging. Die Nacht verlief ruhig. Ich war dank den anstrengenden Märschen des Tages in tiefen Schlummer gefallen, aus dem weder Ratten, Mäuse noch sonstiges Ungeziefer mich wecken konnten.
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Am nächsten Morgen fuhr ich mit beiden Kanus ein gutes Stück stromaufwärts, um die berühmten »Tschoppa-Fälle« auf dem Lindifluß zu besuchen. Diese gelten weit und breit als die herrlichsten Fälle der Region und werden mit Vorliebe von Stanleyville aus besucht. Kurz vor dem eigentlichen Fall verließen wir die Kanus, da die Strömung zu heftig wurde. Dem Flusse entlang bahnten mir ein paar Arbeiter mit Haumessern einen Weg durch den Urwald, um zum eigentlichen Fall zu gelangen. Der Fluß stürzt hier in seiner ganzen Breite aus etwa 20 Meter Höhe in die Tiefe. Die Gewalt der fallenden Wassermassen übertrifft alles, was ich bisher in dieser Art gesehen habe. Mit Recht wird der Fall als herrlichstes Naturschauspiel Zentralafrikas bezeichnet.
Über Granitblöcke emporkletternd bahnten wir uns einen Weg zu einem Felsblock, von dem aus wir einen Blick in den tobenden Hexenkessel unter uns werfen konnten, ohne von dem aufwirbelnden Wasserstaub durchnäßt zu werden. Schräg fielen die ersten Strahlen der Morgensonne auf die aufsteigenden Gischtschwaden. Über der geheimnisvollen, grausigen Tiefe wölbte sich ein Regenbogen in leuchtenden Farben. In den zartesten Tönen vom hellsten Blau bis zum feurigsten Rot schillernd, formten sich die Wassertropfen zu funkelnden Diamanten, Saphiren und Rubinen. Das Auge konnte sich nimmer satt sehen an all der Pracht, die die Natur auf diesem weltentlegenen Fleckchen Erde inmitten des großen Urwaldes, fernab vom Weltgetriebe, aufgespeichert hatte. Eine Beschreibung dieses Naturschauspiels, die einigermaßen der Wirklichkeit gleichkommen könnte, zu geben, liegt völlig außer dem Bereich meiner Kräfte. Nicht Worte vermögen zu schildern, was ich bei seinem Anblick fühlte. Stumm stand ich vor dieser Offenbarung einer höheren Gewalt, deren Macht unsere menschlichen Begriffe übersteigt.
Wohl eine Stunde mochte im Anblick dieses überwältigenden Naturschauspiels vergangen sein, als der hohe Stand der Sonne zur Abreise mahnte. Wir schifften uns in unsere beiden Kanus ein und fuhren diesmal mit der Strömung der Mündung des Lindiflusses zu, durchquerten den Kongostrom und legten bald bei einem kleinen Fußpfade, der in den Urwald führte, an. Vier Mann ließ ich zur Bewachung der Boote zurück. Mit dem übrigen Personal, das mit Waren und meinen Reiserequisiten beladen war, machte ich mich auf den Weg nach dem Dorfe Kisui, zwei Marschstunden weit im Innern des Landes gelegen.
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Der erste Teil des Fußpfades führte durch hochstämmigen Urwald, in dem wir bald auf allen Vieren, meistens aber nur in gebückter Stellung vordringen konnten. Jeden Augenblick lagen Baumstämme quer über dem Weg, die ein Durchkommen behinderten. Bald kamen wir an einen breiten Bach, über den ein umgehauener Baum als Brücke diente. Der Stamm ohne Rinde war vom Morgentau und dem Passieren vieler bloßer Negerfüße glatt wie mit Seife beschmiert, so daß ich gleich nach den ersten Schritten ausglitt. Glücklicherweise fiel ich in die Hocke und konnte mich mit den Händen noch festhalten, andernfalls wäre ich in den reißenden, über Mannshöhe tiefen Bach gestürzt. Tausend Ängste hatte ich auszustehen, bis ich mit Hilfe meiner Leute endlich über die gefährliche Stelle hinwegkam. Der Neger, von Jugend auf gewöhnt, wie ein Eichhörnchen auf den Bäumen herumzuklettern und derartige Brücken zu passieren, balanciert auf bloßen Füßen auch mit schweren Lasten mit Leichtigkeit darüber hin. Wahrlich, man muß Seiltänzer und Akrobat sein, um im Urwald zu reisen. Über Untiefen, Schluchten und Morast hinweg hatten die Eingeborenen einfach Bäume gestürzt, deren im Schlamm versenkte Äste den schwankenden Brücken zur Stütze dienen. Je nach dem Fall der Bäume führte der auf diese Art improvisierte Steg bald bis zu sechs Meter ragender Höhe über den übelriechenden Schlamm, dann wieder in die Tiefe. Manchmal waren zwei Stämme so weit von einander entfernt, daß man nur im Sprung von einem zum anderen gelangen konnte, was für mich immer einen großen Zeitverlust und eine wahnsinnige Angst, das Ziel zu verfehlen und in den Morast zu stürzen, zur Folge hatte. Endlich hatten wir wieder festen Boden unter den Füßen. Durch Maniok-, Reis- und Maispflanzungen führte unser Pfad ins Dorf Kisui, das ganz von Palisaden zum Schutze gegen räuberische Überfälle umgeben war.
Die Nachricht von unserer Ankunft hatte sich im Dorfe bereits verbreitet, und der Sultan Kisui mit seinen Unterhäuptlingen und einer großen Anzahl von Leuten, die auf Blasinstrumenten, Pauken und Gongs ein ohrenbetäubendes Konzert veranstalteten, kamen uns entgegen, um mich im Triumphzug durch das ganze Dorf zu geleiten. Wir brauchten wohl eine halbe Stunde, um zum Hause meines Capitas, das in unmittelbarer Nähe des »Sultanpalastes« lag, zu gelangen. Auf dem Weg dahin hatten sich viele Männer, Frauen und Kinder angeschlossen, so daß ich bald den Mittelpunkt einer ungeheuren Menschenmenge bildete, die alle den neuen »Nfuma[S. 158] Ntanga« von Angesicht sehen wollten. Während ich den Kautschuk übernahm, die darauf entfallenden Auszahlungen veranlaßte und neue Abschlüsse für den nächsten Monat machte, hatte der Koch mein etwas verspätetes, jedoch um so reichlicheres Frühstück zubereitet, das ich jetzt in aller Eile verzehrte, da ich noch ein Dorf, zwei Marschstunden entfernt, zu besuchen hatte. Unter die Zuschauer warf ich, von dem Quantum des gelieferten Kautschuks befriedigt, eine Menge kleiner Metallspiegel, Schellen, Arm- und Beinringe, Zündhölzchen, Perlen, Metallöffel usw., worüber ungeheurer Jubel ausbrach.
Gestärkt durch die Rastpause, brach ich gegen Mittag wieder auf. In der Nähe des Dorfes hatten die Eingeborenen den Wald gefällt, um für neue Pflanzungen Raum zu gewinnen. Auf tausend Meter im Umkreis lag im wilden Chaos alles Strauchwerk auf- und übereinander. Von Weg oder Steg war keine Spur zu sehen, die umgestürzten Stämme und das niedergelegte Unterholz hatten alle Anzeichen davon unter sich begraben. Aufs geratewohl liefen und kletterten wir in der bisherigen Marschrichtung über Äste und Zweige weiter, über tausendjährige Baumriesen, deren Stamm oft einen Durchmesser bis zu zwei Meter hatte, dahin. Dabei brannten die Sonnenstrahlen unbarmherzig auf uns herab, als wollten sie sich durch den Tropenhelm bis ins Hirn bohren. Ein Marsch unter diesen Verhältnissen ist wie geschaffen, um den stärksten Mann zu erschöpfen und ins Grab zu bringen. Immer und immer wieder drohten die Kräfte, in der ungeheuren Sonnenglut zu versagen. Wenn ich aber verzagend innehalten wollte, fiel mein Blick auf die Träger, die trotz ihrer schweren, sie in ihren Bewegungen hindernden Last von Baum zu Baum mühsam weiterkletterten, und eine innere Stimme spornte mich immer wieder zu neuen Kraftanstrengungen an. Ich durfte nicht schwach werden, ich mußte vorwärts eilen — was würde sonst mein Personal von mir denken? Also vorwärts zum schützenden Laubdach. Völlig erschöpft von den Strapazen langten wir endlich im Walde an. Wie wohl tat die kühle Luft im Schatten der Baumriesen. Mechanisch ging ich weiter. Diese kurze Kletterei in glühender Sonnenhitze hatte mich derart mitgenommen, daß ich den ganzen Rest des Weges wie im Schlafe hinter Mustapha herlief. Von Zeit zu Zeit stolperte ich über etwas und fiel der Länge nach zu Boden, wodurch ich immer wieder für einige Minuten wach wurde. Mustapha war auf meinen Zustand aufmerksam geworden und blieb bei jedem Hindernis stehen, um mich sorgsam hinüberzuleiten.
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Dem Zusammenbruch nahe, kam ich gegen 2 Uhr nachmittags in Tombako an. Mustapha hatte für mich einen kleinen Bach entdeckt, in dem ich den erschlafften Körper durch ein Bad erfrischen konnte. Was kümmerten mich die vielen Augenpaare, die hinter jedem Busch neugierig hervorlugten, um sich an dem ungewohnten Anblick meiner weißen Haut zu ergötzen. Nachdem meine beiden Boys mich von Kopf bis zu den Füßen in dem Lebensquell gewaschen, geduscht und wieder angekleidet hatten, war ich wieder so weit hergestellt, um an die Arbeit gehen zu können.
Wie in Kisui nahm ich auch hier den gesammelten Kautschuk entgegen und wechselte den Capita aus. Vor dessen Haus hatten die Dorfbewohner in Ermangelung von Schattenbäumen ein durch vier Pfosten gestütztes Dach zum Schutz gegen Sonne und Regen hergerichtet. Darunter fand ich, vom Bade zurückgekehrt, bereits einen gedeckten Tisch und meinen Streckstuhl vor. Der Raum ringsumher war mit erregt gestikulierenden und schreienden Bassengis beiderlei Geschlechts angefüllt, deren mit Palmöl und Rotholzpulver beschmierte Körper eine schweißdurchtränkte, übelriechende Atmosphäre verbreiteten. Nachdem die Unterhandlungen mit dem Häuptling zu[S. 160] befriedigendem Abschluß gebracht waren, ließ ich von meiner Eskorte den Platz von den vielen Menschen säubern, um für kurze Zeit Ruhe zu haben. Vorher verteilte ich unter mein Personal noch eine Extrafleischration von zwei Ziegen, Geschenk des Häuptlings, die sofort geschlachtet worden waren, etwa fünf Liter frischen Palmweines und reichlich »Bidia-Polenta«, die das Dorf gespendet hatte.
Gegen vier Uhr nachmittags konnte ich mein Mittagmahl, aus gebackenen kleinen Fischen, einer Dose Hummer und einem gebratenen Huhn bestehend, einnehmen und mußte jetzt an die Rückkehr denken, um vor Anbruch der Nacht ans Flußufer zu gelangen. Der Häuptling des Dorfes gab uns ein Stück Weges das Geleit und führte uns an Stellen vorbei, wo im vergangenen Kriege zwischen Kisui und Tombako die früheren Häuptlinge der beiden Dörfer gefallen waren. An diesen Stellen haben die Eingeborenen eine Lanze in die Erde gesteckt. Jeder Vorbeigehende nimmt ein Blatt, bläst es an, um den bösen Geist, der darauf sitzt, zu vertreiben, und steckt es auf die Lanze oder wirft es auf ein Häufchen daneben. Begräbnisstellen, selbst für die Häuptlinge, existieren in dieser Gegend nicht, da die Eingeborenen ihre Leichen in den Fluß werfen.
Zum Rückweg benutzten wir einen Richtweg, der etwas unterhalb des Morastes an das Flußufer führt. Auf dem ursprünglichen Weg hatte ich einen Eilboten mit dem Befehl an die beiden zurückgebliebenen Kanus gesandt, weiter stromabwärts bis zur Einmündung des Fußpfades zu rudern. Bei Anbruch der Nacht gelangten wir an das Flußufer, und da weit und breit kein Fischerdorf vorhanden war und der dichte Urwald nirgends eine Lagerstelle zum Übernachten bot, ließ ich die beiden Boote auf eine inmitten des Stromes gelegene Sandbank hinüberrudern, um dort zu übernachten.
Der dichte Sternenhimmel über uns ließ eine schöne, windstille Nacht erhoffen, zumal Sandbänke bekanntlich von Moskitos, die mit Vorliebe Grasflächen und das Laubwerk des Flußufers aufsuchen, verschont bleiben und wir die Gefahr eines Überfalls von Leoparden nicht zu fürchten hatten. Der untere Teil der Insel war zwar bewaldet, doch meidet der Leopard, wie alle Katzenarten, das Wasser, und es war nicht anzunehmen, daß die kleine Insel derartiges Raubzeug ernähren konnte.
Während ein Teil des Personals mit Haumessern in das kleine Wäldchen eindrang, um trockenes Holz für die Lagerfeuer heranzubringen, hatten die Boys aus dem Kanu meinen tragbaren Feldtisch,[S. 161] Streck- und Klappstuhl auf die Sandbank gebracht, so daß ich eine halbe Stunde später bereits vor meinem gewohnten Aperitif, meist bestehend entweder aus Portwein, Amer-Pikon, Absinth oder einer halben Flasche Champagner, saß. Es ist überflüssig zu erwähnen, daß nach derartigen Gewaltmärschen stets die Unterwäsche und Kleidung, die völlig durchnäßt ist, gewechselt werden muß. Abends empfiehlt es sich überdies, einen leichten Überrock umzunehmen, da die Nächte kühl und der Körper infolge der großen Hitze tagsüber empfindlich geworden ist.
Die Nacht war inzwischen völlig hereingebrochen, eine ideale tropische Nacht, hell erleuchtet von dem langsam am Horizont aufsteigenden Vollmond und Tausenden von Sternen, die in der klaren Luft einen strahlenden Glanz entfalten, wie wir ihn in unserer durch Rauch und Ruß geschwärzten Großstadtatmosphäre niemals sehen. Infolge der reinen Luft scheint uns der Himmel viel näher gerückt zu sein, und unwillkürlich spannen sich die Fäden meiner Gedanken hinauf zu jenen leuchtenden Gestirnen am Firmament, die in unberechenbaren Abständen im ungeheuren Weltall gleich unserer Erde ihre eigenen Bahnen ziehen. Und ich versank in Sinnen über das ungelöste Problem, wie wohl jene Macht beschaffen sein könnte, die dem Weltall ihre Gesetze diktiert. In diesen Stunden des In-mich-Gehens lernte ich erkennen, wie hinfällig alle jene Ansprüche sind, die der Mensch im egoistischen Selbstherrlichkeitsgefühl für sich aufstellt und die er ohne weiteres ungezählten Lebewesen abspricht, deren Lebensbedingungen genau dem gleichen Ursprung entstammen und den gleichen Gesetzen unterworfen sind.
Meine Leute hatten unweit der Landungsstelle große Feuer angezündet, an denen sie, in Gruppen auf Matten, die ihnen als Schlafstätte dienten, lagen und die Tagesereignisse diskutierten. In Ermangelung eines Zeltes zum Schutze gegen den bei Morgengrauen fallenden Tau hatten meine Diener mein Feldbett im Kanu unter dem Schutzdach aufgeschlagen, und, ermüdet von den Anstrengungen des Tages, begab ich mich alsbald zur Ruhe.
Ich mochte ein paar Stunden in tiefem Schlummer gelegen haben, als ich plötzlich durch einen ungeheuren Schlag, der das Boot fast zum Umschlagen brachte, aus dem Schlaf geschreckt wurde. Das Nächste, was mein entsetztes Auge wahrnehmen konnte, waren der Riesenleib und der ungeschlachte Kopf eines kolossalen Nilpferdes, das am Fußende meines Bootes, über das Boot gebeugt, stand und[S. 162] neugierig alles beschnüffelte. Ich war vor Schrecken an allen Gliedern gelähmt — der Angstschweiß perlte mir von der Stirn.
Hatte ich beim jähen Erwachen irgendeine brüske Bewegung gemacht, die das Tier erschreckte, oder hatte es den Menschen — seinen Feind — gewittert, kurzum, es wandte mir den unförmlichen Riesenschädel zu, blies ärgerlich durch die ungeheuren Nüstern einen gewaltigen Sprühregen von Schleim, öffnete den riesigen Rachen und stieß ein tiefdröhnendes Gebrüll aus, so daß mir das Blut in den Adern erstarrte. In diesem Moment wurde es lebendig auf der Sandbank. Die Wachen, aus dem Schlaf geschreckt, eilten herbei — und pang, pang, pang, erfolgte Schuß auf Schuß, wodurch sich meine Situation nur noch unbehaglicher gestaltete, da die Leute im ersten Schrecken erfahrungsgemäß nie etwas zu treffen pflegen und ich Gefahr lief, von der einen oder anderen Kugel getroffen zu werden.
Das Nilpferd war über diesen unerwarteten Empfang wahrscheinlich ebensosehr erschrocken wie ich kurz zuvor. Mit einem Satz verschwand es in das tiefe Wasser, und ich beeilte mich, sobald die Schießerei aufgehört hatte, mit einem Sprung auf die Sandbank zu gelangen. Konnten wir wissen, ob das vielleicht verwundete Tier nicht in rasendem Schmerz sich auf das Boot stürzen und es zermalmen würde? Einige Sekunden bangen Wartens, während der ich der zunächststehenden Wache das Gewehr entrissen und mich feuerbereit gemacht hatte, vergingen, dann tauchte das Tier auf etwa zehn Meter Distanz für einen Augenblick auf. Gleich krachten unsere Gewehre, und sofort verschwand es wieder. War auch die Nacht so klar, daß man auf der Sandbank jeden Menschen auf hundert Meter Entfernung hätte aufs Korn nehmen können, so konnte von einem regelrechten Ziel auf der dunkeln oder vom Mondschein glitzernden Wasserfläche keine Rede sein. Wir gaben daher das Schießen bald als unnütze Munitionsverschwendung auf.
Nach diesem aufregenden Erlebnis hatte ich natürlich keine Lust mehr, meine unterbrochene Nachtruhe im Boote fortzusetzen, obgleich ich mir sagen mußte, daß uns nach der vielen Schießerei sicherlich nichts mehr behelligen würde. Ich ließ daher mein Bett auf die Sandbank bringen. Dieser nächtliche Besuch war für uns alle eine um so größere Überraschung, als wir bisher angenommen hatten, daß in diesem Teil des Flusses überhaupt keine Nilpferde vorkamen. Am folgenden Morgen bei Tagesanbruch hielten wir scharfe Umschau an[S. 163] allen Plätzen und Sandbänken, die Nilpferde mit Vorliebe aufzusuchen pflegen, doch das Tier war und blieb verschwunden. Sicherlich hatten wir es mit einem alten, erfahrenen Einsiedler zu tun gehabt, der tagsüber das befahrene Fahrwasser meidet und an einer abseits gelegenen,völlig unzugänglichen Flußstelle ein beschauliches Dasein führte.
Wieder fuhren wir eine Strecke stromabwärts, bis wir an einen kleinen Flußpfad kamen, der zu den im Innern des Landes gelegenen Dörfern führte. Diese Pfade sind derart angelegt, daß sie von den vorbeifahrenden Dampfern und Booten aus völlig unsichtbar sind und nur dank der Lokalkenntnis meiner Capitas, die zu wiederholten Malen die Dörfer besucht haben, entdeckt werden konnten.
Wie schon aus meinen früheren Schilderungen ersichtlich, sind die scheuen Eingeborenen stets darauf bedacht, ihre Dörfer derart im Urwald anzulegen, daß sie alle Vorgänge durch Späher aus der Ferne beobachten, selbst jedoch nicht entdeckt werden können. Hat ein Dorf sich irgend etwas zuschulden kommen lassen und fürchtet es die Rache seiner Nachbarn oder der Europäer, dann übersiedelt es einfach mit den tragbaren Hütten einige Stunden landeinwärts an völlig unzugängliche Stellen und sucht den Gegner durch Irrwege, die in den Morast führen oder plötzlich im Urwalde aufhören, irrezuführen.
[S. 164]
Wie am vorhergehenden Tag hatten wir auch heute wieder während des Marsches mit Widerwärtigkeiten aller Art zu kämpfen. Ein tiefer Morast hemmte bald unseren Vormarsch in den Urwald. Zu seiner Durchquerung hatten die leichtfüßigen Eingeborenen überall dünne Bäume umgeschlagen, um einen gangbaren Weg zu schaffen. Die Stämmchen erwiesen sich aber für das Gewicht einer Last, d. h. einer Kiste, die von zwei Mann an einer Stange auf den Schultern getragen wird, also etwa für 180 bis 200 Kilogramm, als zu schwach. Die Folge davon war, daß verschiedene meiner Leute mit der Traglast zusammenbrachen und sich beim Sturze Verletzungen an den Füßen und bloßen Körperteilen zuzogen, die dann schwer zuheilten. Überdies verloren wir viel Zeit mit der Anbahnung einer neuen Marschroute. Was wir an diesem Tage an Strapazen durchzumachen hatten, läßt sich in Worten nicht wiedergeben. Durch dick und dünn, bald auf allen vieren, dann wieder gebückt, durch niederes Gestrüpp von Pandanus (einer Art Stachelpalme, die im Morast oder an Flußläufen wächst) führte ein kaum erkennbarer Fußpfad zu dem ungefähr eine Wegstunde vom früheren Standplatz des Dorfes gelegenen neuen Dorfe Lungulungu. Angeblich mußte der alte Ort wegen zunehmender Verseuchung im Stich gelassen werden.
Hier, wie in den früheren Dörfern, nahm ich den gesammelten Kautschuk in Empfang, wechselte den Capita aus und ließ, nachdem ich an den Häuptling Lungulungu und die im Kreise versammelten Eingeborenen reichliche Geschenke ausgeteilt hatte, einen neuen Vorrat an Waren zurück.
Ich hatte soeben mein Mittagsmahl vollendet, als der frühere Capita zwei Unterhäuptlinge des Dorfes vor mich brachte, die Streit miteinander führten und sich dem Urteil Lungulungus nicht unterwerfen wollten. Da dieser Streit zweier ebenbürtiger Gegner, von denen jeder einen mächtigen Anhang hinter sich hatte, zu einer Spaltung des Dorfes und zu Blutvergießen führen konnte, nahm ich das verantwortungsvolle Amt eines Schiedsrichters erst an, nachdem beide vorher feierlich erklärt hatten, sich meinem Schiedspruch fügen zu wollen. Mabruki und Alsala entstammten einer weitverzweigten Patrizierfamilie, die seit Menschengedenken viele tapfere Krieger hervorgebracht und dank mutiger, räuberischer Überfälle auf schwächere Nachbardörfer ihre Macht durch erbeutete Sklaven immer mehr vergrößert hatte. Beide verfügten im Rat[S. 165] des Dorfes, teils durch Überlieferung, teils durch ihren Anhang, über eine einflußreiche Stimme. Bis vor kurzem waren Mabruki und Alsala innige Freunde, so daß Alsala bei der Verheiratung seiner Schwester mit Mabruki ihr zwei Sklavinnen mit in die Ehe gab. Nun war die Schwester einige Monate nach der Heirat plötzlich aus unbekannten Gründen verschieden, und Alsala behauptete, Mabruki hätte sie verhext und wäre an ihrem Tode schuld. Alsala fürchtete auch, daß Mabruki die beiden Sklavinnen ebenfalls verhexen würde, und forderte diese zurück. Nun hatten letztere sich vor einiger Zeit beim Holzsuchen im Walde zu weit entfernt und waren dabei in die Gefangenschaft eines am Flußufer gelegenen Fischerdorfes geraten. Mabruki mußte für deren Auslieferung sechzig Shokkas (Eisenstücke, die zu Pfeilspitzen verarbeitet werden) bezahlen, was ungefähr den Wert von dreißig Frank repräsentiert. Alsala wollte diesen Preis nicht zahlen, sondern forderte die unverzügliche Rückgabe der beiden, seiner Schwester freiwillig überlassenen Sklavinnen, worüber sich heftiger Streit und Feindschaft auf Leben und Tod zwischen den beiden Parteien entwickelt hatte.
Man würde allgemein annehmen, daß der auf das Recht des Stärkeren pochende unzivilisierte Wilde nicht imstande sei, einen Prozeß klar durchzuführen und nachzuweisen, daß das Recht auf seiner Seite ist. Dem ist nicht so — gerade das Gegenteil trifft zu. Die meisten Neger sind hervorragende Redner und sowohl im Angriff als in der Abwehr äußerst findige Advokaten, die es glänzend verstehen, durch geschickte Argumente den Schein des Rechtes auf ihre Seite zu bringen.
Gewöhnlich beginnt das Plädoyer damit, daß der Redner die Ruhmestaten oder die soziale Stellung seiner Vorväter hervorhebt und dann die Lichtpunkte seiner eigenen Vergangenheit zur Geltung bringt, gewissermaßen, um den Richter für sich einzunehmen. Einmal im Redeschwall, gefällt er sich sichtlich darin, das Zentrum gespannter Aufmerksamkeit zu sein, und seine lebhafte Phantasie führt alles mögliche aus dem Vorleben des Gegners an, was diesen im öffentlichen Ansehen schädigen könnte. Sein Hauptbestreben geht dahin, Sensation zu machen und den Widersacher durch erfundene Geschichten bloßzustellen. Kommt er endlich nach mancherlei Abschweifungen an die eigentliche Streitfrage, dann beleuchtet er aufs genaueste alle Einzelheiten, die für ihn sprechen. Solche Prozesse sind immer langwierig und dauern, wenn man den Gegenstand nicht[S. 166] gewaltsam abkürzt, oft tagelang. Kaum hat der eine der beiden Gegner geendet, so beginnt der andere bereits wieder.
Nach zweistündigem Palaver gelang es mir, die vorliegende Streitfrage in einem den Sitten und Rechtsanschauungen der Eingeborenen entsprechenden Sinne zu erledigen. Alsala mußte die sechzig Shokkas zahlen und erhielt dagegen die zwei Frauen zurück. Auch suchte ich ihm plausibel zu machen, daß Mabruki die Frau nicht verhext habe, da aus den Zeugenaussagen der beiden Sklavinnen und der anderen Einwohner hervorging, daß die Eheleute im besten Einvernehmen miteinander gelebt hätten. Die Frau war irgendeiner Krankheit zum Opfer gefallen. Es ist unnötig, zu erwähnen, daß ich mit diesem Argument keinen Erfolg hatte. Alsala war nach wie vor überzeugt, daß ein »Nkischi« seiner Schwester das Lebenslicht ausgeblasen hatte.
Ein beschwerlicher Marsch brachte uns an das Flußufer zurück, von wo aus wir uns direkt nach dem Staatsposten »Romée« einschifften. Ich war glücklich, nach zweimaligem Übernachten im Busch endlich wieder ein komfortables Zimmer und die Gesellschaft von Europäern vorzufinden. Seit zwei Tagen hatte ich mich oftmals fragen müssen, ob ich eigentlich zu den Vierfüßlern oder zu den Menschen gehöre. Romée wird von zwei Ökonomiebeamten verwaltet und umfaßt ausgedehnte Plantagen von Kaffee-, Kakao-, Kautschukbäumen und Lianen. Als Arbeiter werden die Sträflingskolonnen der Province orientale herangezogen.
Körperlich und geistig neugestärkt verließ ich am folgenden Morgen die Station, um meine Werbetätigkeit in den Negerdörfern fortzusetzen. Ich besuchte die Dörfer Turumbo, Mokotantefu und Lulanga, in welchen ich wie bisher Waren, Geschenke und Capitas zurückließ, und übernachtete am folgenden Tage in einem am Flusse gelegenen kleinen Staatsposten, der von einem schwarzen Korporal kommandiert wurde.
Unsere Reiseroute weiter stromabwärts verfolgend, gelangten wir endlich nach Janongo, welches Dorf die unschuldige Veranlassung zu Janssens Tod gewesen ist. Der Häuptling Janongo war von seinen Wunden völlig wiederhergestellt, und die Kunde von der gerichtlichen Untersuchung war bis zu dem unweit gelegenen Staatsposten durchgedrungen, so daß das Dorf von weiteren Besuchen verschont blieb. Von Janongo geleitet, besuchte ich fünf Dörfer, die unter seiner Herrschaft standen, und nahm einen der Unterhäuptlinge,[S. 167] dessen Dorf sich gegen Janongo aufgelehnt und das versprochene Quantum Kautschuk nicht angefertigt hatte, gefangen mit mir. Ich ließ ihn in Ketten legen und den daraufhin geflüchteten Einwohnern mitteilen, daß ihr Häuptling so lange in Stanleyville in der Gefangenschaft bliebe, bis sie sich Janongo unterworfen und den Kautschuk abgeliefert hätten. Beim Besuch der Dörfer hatte ich Gelegenheit, zu konstatieren, daß dank unserem raschen Vorgehen und dem sofortigen Eingreifen des Distriktskommissars unser Ansehen in Janongo nicht nur nicht gelitten, sondern sogar bedeutend gestärkt worden war. Überdies benutzte ich die Gelegenheit, um Janongo ein Geschenk zu überreichen, welches ihn für alle erlittenen Demütigungen aufs reichlichste entschädigte.
Bei einbrechender Nacht an das Flußufer zurückgekehrt, ließ ich meine Leute bis zum nächstgelegenen Fischerdorf rudern, um daselbst zu übernachten. Eine größere Hütte, groß genug, um mein Feldbett darin unterzubringen, war bald gefunden. Beim Ausräumen derselben stürzten plötzlich meine Leute mit dem Schrei »Nioka« heraus, und Mustapha erklärte mir, daß man auf eine armdicke gehörnte Viper, eine der schönsten und giftigsten Schlangen Zentralafrikas, gestoßen sei. Da es schon lange mein Wunsch war, ein tadelloses Exemplar dieser Schlangenart zu konservieren, verbot ich meinen Leuten, sie zu töten und begab mich selbst mit einem in aller Eile herbeigeschafften Bambusstock, an dessen oberem Ende mittels »Koddi« (Liane) eine Schlinge befestigt war, die sich zuziehen ließ, in die Hütte. Meine Befürchtung, daß das Tier inzwischen entwichen oder in eines der Rattenlöcher verschwunden war, erwies sich glücklicherweise als grundlos, die Schlange lag zusammengerollt in einem Winkel der Hütte. Mein Bambusstock war lang genug, um mich selbst im ungünstigsten Falle vor einem direkten Angriff des Tieres zu schützen. Mit pochendem Herzen näherte ich jetzt die Stockspitze dem Kopfe der Schlange, als diese sich plötzlich unter Pfauchen wie eine Katze blitzschnell erhob und ihre giftigen Fänge mehrmals schnell hintereinander mit hörbarem Ticken in das Holz einschlug. Als sie sich schließlich, die Nutzlosigkeit weiterer Bisse einsehend, einen Augenblick ruhig verhielt, gelang es mir, ihr die Schlinge um den Hals zu werfen und diese mit kräftigem Ruck zuzuziehen. Mit großer Gewalt ringelte das gefangene Tier sich nun um den weit vorgehaltenen Stock und versuchte sich loszureißen, so daß die kurze Schwanzspitze bis nahe zu den Händen herunterreichte. Doch die[S. 168] Liane war kräftig, und die Schlinge zog sich immer enger um den zusammengeschnürten Hals. Ich war mit der gefährlichen, kostbaren Last schleunigst aus der Hütte geeilt, um im Falle eines Loskommens oder Durchbeißens der Liane meine volle Bewegungsfreiheit zu haben.
Meine Boys hatten einstweilen eine entleerte Mehlbüchse aus Blech zur Hälfte mit Alkohol, Formalin und etwas Wasser gefüllt. In diese konservierende Flüssigkeit warfen wir nun die halberwürgte Schlange und schlossen den Deckel, nachdem wir noch eben vorher die um den Hals des Tieres liegende Schlinge durchschnitten hatten.
Durch dieses Ereignis wurde mein Nachtmahl verzögert, so daß ich ziemlich spät mein Lager aufsuchte. Ich mochte bereits einige Stunden geschlafen haben, als ich plötzlich gegen Mitternacht durch das Dröhnen eines Gongs und ein markerschütterndes Geschrei geweckt wurde. Im ersten Moment glaubte ich an den Überfall eines benachbarten Dorfes. Schon wollte ich mich erheben, als eine der Wachen mir den Vorfall erzählte. Ein Eilbote von »Mbula Matadi«, der Soldat Fundi, war in einem Kanu angekommen und wollte neue Ruderer haben. Natürlich wollte keiner der Eingeborenen sein warmes Lager verlassen und für einen Schwarzen bei stockfinsterer Nacht weiß Gott wohin rudern. Doch der Kerl hatte den Häuptling gepackt, aus der Hütte gezerrt und brüllte wie ein Besessener, daß er das ganze Dorf in Brand stecken würde. Der Lärm hielt eine halbe Stunde an, bis der Soldat die nötige Anzahl Ruderer beisammen hatte. Verschiedentlich kam die Versuchung über mich, dem Spektakel ein Ende zu machen, indem ich den schwarzen Soldaten wegen nächtlicher Ruhestörung einfach in Ketten legen ließ. Doch der Gedanke, daß der Mann vielleicht Träger wichtiger Briefe war, hielt mich glücklicherweise davon zurück. Wer weiß, was für Unannehmlichkeiten für mich daraus hätten erwachsen können.
Einmal durch den Lärm geweckt, konnte ich sobald nicht wieder einschlafen. Ratten und Mäuse hetzten in wilder Hast am Boden der Hütte umher und nagten und spielten mit meinen Schuhen. Dann wieder erklang das langgezogene Geheul einer Hyäne durch die tiefe Stille der Nacht. Meine Gedanken schweiften unwillkürlich nach Stanleyville zurück. In welchem Zustande würde ich die Faktorei bei meiner Rückkehr vorfinden?
Bei Tagesanbruch, noch vor dem ersten Hahnenschrei, ließ ich das Dorf und meine Arbeiter durch den Gong alarmieren. Eine nervöse Unruhe war über mich gekommen. Ich wollte die restlichen Dörfer[S. 169] Jasuko, Komango und Yombo in aller Eile noch besuchen und dann sofort die Heimkehr antreten. Unter dem gleichmäßigen Schlag der Ruderer ging unsere Fahrt weiter stromabwärts dem Endziel unserer Reise zu. Als nach einer Stunde die Sonne ihre ersten Strahlen schräg über die Baumwipfel auf die Wasserfläche sandte und ich in kurzer Reihenfolge einen großen grauen Reiher und zwei Wildgänse erlegt hatte, da legte sich die innere Unruhe. Schließlich bog unser Kanu in eine kleine Ausbuchtung des Flusses ein und war kurz darauf unter dem Schatten des überhängenden Laubdaches, vom Strom aus völlig unsichtbar, an der Mündung eines kleinen Baches gelandet.
Nichts deutete darauf hin, daß irgendein Fußpfad hier ins Innere des Landes führte. Von einem meiner kräftigsten Männer auf den Rücken genommen, wurde ich im Bach wohl eine Viertelstunde lang getragen, bis endlich ein kleiner Pfad zum Vorschein kam und ich auf trockenen Boden gesetzt wurde. Eine Stunde später waren wir im Dorfe Jasuko angelangt, und ich hielt hier kurze Rast, um zu frühstücken und meinen Leuten Gelegenheit zu geben, das gleiche zu tun. Der Häuptling war soeben für einige Minuten verschwunden, als plötzlich im Dorfe ein ungeheurer Tumult entstand. Die Eingeborenen in der Nähe stürzten in ihre Hütten und kamen, mit Pfeil und Bogen bewaffnet, wieder heraus. Das Schreien und Rufen, das Durcheinanderlaufen von bewaffneten Männern, die alle in der gleichen Richtung verschwanden, verbreitete sofort eine wilde Panik um mich her.
Ein Teil meiner Träger ergriff die Flucht, die Traglasten mitten im Wege liegen lassend. Ich aber stürzte zu meinem Gewehr, meine Boys und die Eskorte taten dasselbe. Wir waren entschlossen, unser Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Was war geschehen? Hatte ein Teil meiner Arbeiter mit den Eingeborenen Streit angefangen, und war es zum Schlagen gekommen? So schnell uns unsere Füße tragen konnten, eilten wir den davonstürzenden Eingeborenen nach, um womöglich noch rechtzeitig einzuschreiten und unnützes Blutvergießen zu vermeiden. Am Ende des Dorfes angelangt, erblickten wir eine erregte Volksmenge, darunter einige meiner Arbeiter, unschlüssig um den Häuptling gruppiert.
Was war der Grund der allgemeinen Aufregung? Ein Leopard hatte wenige Minuten vorher einen erwachsenen Mann des Dorfes in dessen unmittelbarer Nähe und vor den Augen seiner Begleiter[S. 170] weggezerrt und war mit ihm im Walde verschwunden. Das Rufen und Klagegeheul des Überfallenen war noch eine Zeitlang hörbar gewesen — dann war alles verstummt. Unschlüssig berieten nun die feigen Kerle, wer von ihnen der Erste sein sollte, dem Tier zu folgen und ihm womöglich die Beute zu entreißen.
Hier war für mich eine glänzende Gelegenheit zu einer Leopardenjagd gegeben. Mein dunkler Khakianzug war wie geschaffen dafür. Von den Leuten erfuhr ich, daß ein Prachtexemplar eines Leoparden seit etwa einem Monat ihr Dorf heimsuchte und regelmäßig jeden Tag ein Menschenopfer, bald eine Frau, bald einen Mann oder ein Kind, manchmal mitten im Dorfe, anfalle und wegschleppe. Die verfolgenden Leute sei er einmal aus dem Dickicht heraus angesprungen, habe einem Manne mit den Pranken den Bauch aufgerissen und sei darauf verschwunden, noch ehe die bestürzten Begleiter Zeit gehabt hätten, auf ihn zu schießen. Daher ihr Zaudern.
Ich versprach dem Häuptling zu bleiben und den Leoparden zu töten. Dagegen mußte mir das Dorf geloben, den ganzen Tag über ruhig zu bleiben und den Teil des Waldes nicht zu betreten, in welchen der Leopard sein Opfer geschleppt hatte. Von einem verläßlichen Mann meiner Eskorte begleitet, machte ich mich sogleich an die Verfolgung des Raubtieres. Die Spur, die der Leopard hinterließ, war deutlich an geknickten Zweigen und der Blutspur seines Opfers auf dem Boden und den Blättern der Sträucher erkennbar. Wir eilten, so schnell wir den Umständen nach laufen konnten, in der Hoffnung, vielleicht den Mann noch retten zu können, dem frechen Räuber nach. Doch alle Mühe war vergeblich. Wir fanden nur mehr eine Leiche vor. Die linke Halsschlagader, ein Teil des Halses und die linke Brust waren vom Leoparden herausgerissen und gefressen worden. Das Zucken der Eingeweide und der noch warme Körper deuteten auf den kaum eingetretenen gewaltsamen Tod hin.
Wir ließen den Toten in der gleichen Lage liegen, wie wir ihn vorgefunden hatten und erkletterten in der Annahme, daß das furchtlose Tier unbedingt zu seinem Opfer zurückkehren würde, einen in nächster Nähe befindlichen Baum. Dies geschah hauptsächlich, um dem Tier die Witterung zu benehmen. Aus demselben Grunde vermieden wir auch, den unteren Stamm des Baumes, auf dem wir uns befanden, zu berühren. Von der Schulter meines Begleiters aus konnte ich mich auf einen dicken Ast emporschwingen und den[S. 171] Mann nachziehen. Wir befanden uns etwa fünf Meter über dem Erdboden und waren durch das Laubdach des Unterholzes derart gedeckt, daß das anschleichende Tier uns unbedingt nicht sehen konnte. Mit der Flinte im Anschlag verhielten wir uns mäuschenstill und starrten bald auf den Leichnam unter uns, bald auf das undurchsichtige Unterholz, das uns mit seinem grünen Schutzwall umgab. Die ersten zwei Stunden verliefen verhältnismäßig erträglich. Ich war durch die Vorgänge furchtbar aufgebracht und mußte immer an meinen kleinen Boy denken, den ein gleiches Schicksal erreicht hatte, und dessen Rächer ich voraussichtlich werden würde. Denn das stand fest für mich, ich würde meinen Posten vor einbrechender Nacht, das heißt, solange genügend Licht zum Schießen vorhanden war, nicht verlassen, mochte kommen, was da wollte. Außer meinem fünfschüssigen Mauser, der mit Dum-Dum-Kugeln geladen war, trug ich meinen sechsschüssigen, schweren Armeerevolver im Gürtel. Damit war ich jedem Feind gewachsen, und meine Eskorte Mukenge verließ mich nicht, dessen war ich ganz sicher.
Es wurde 1 Uhr mittag, es wurde 2 Uhr, und immer rührte sich noch nichts. Die Glieder fingen an, vom Sitzen auf demselben Fleck zu schmerzen. Der Magen forderte sein Recht. Der Leichnam unter uns, auf den die Sonnenstrahlen herabbrannten, begann in Verwesung überzugehen und die ganze Umgebung zu verpesten. Tausende von Schmeißfliegen saßen in der geöffneten Brusthöhle und an den heraushängenden Därmen, sogen und fraßen sich voll und setzten sich dann auf uns, um den Schweiß von Stirne, Nacken und Armen gierig aufzusaugen. Unter möglichster Vermeidung jeglichen Geräusches veränderten wir unsere sitzende Position derart, daß wir es wieder einige Zeit aushalten konnten. Die Zeit der schwersten Prüfung, die Mittagshitze, wo Minuten wie nie endenwollende Stunden erscheinen, war herangekommen. Welcher Aufwand an Kraft und Energie, welche Willensstärke nötig sind, um in einer solchen Lage auszuhalten, davon kann nur der sich einen Begriff machen, der selbst ähnliches durchgemacht hat. Um meinen Geist gewaltsam mit irgend etwas zu beschäftigen, damit er nicht fortwährend an den knurrenden Magen und die schmerzenden Glieder dachte, zwang ich mich, alle heranfliegenden großen und kleinen Mistkäfer zu zählen, die sich auf den Leichnam setzten und nach einigem Herumwühlen im Innern der Bauchhöhle verschwanden. Ich glaube, es waren im ganzen elf große schwarze und siebzehn[S. 172] kleine farbige und schwarze Skarabäen, die sich bekanntlich als Totengräber an Leichen heranmachen und sie verzehren.
Sooft ein Vogel im nahen Gebüsch sich regte, beim leisesten Windhauch, der durch die Blätter fuhr, vermeinten wir stets, des elenden Räubers ansichtig zu werden. Minute auf Minute bei drückender Schwüle vergingen. Es wurde 3 Uhr, es wurde 4 Uhr. Die Sonnenstrahlen fielen nunmehr schräg auf den in Fäulnis übergehenden Leichnam, dessen Verwesungsgeruch meine Geruchs- und Geschmacksnerven bis zur Übelkeit erregten. Bald würde der langersehnte Moment, die Dämmerung, eintreten, die das gefräßige Tier unbedingt zu seinem Opfer zurückbringen würde. Die Fliegenplage ließ merklich nach. Faul und dickgefressen, zu schwer, um bis zu uns emporzufliegen, blieben sie am Kadaver sitzen und stimmten ihr Summ- und Brummlied an.
Langsam erwachte der Wald um uns aus seinem lethargischen Mittagsschlaf. Vögel hüpften von Ast zu Ast und betrachteten ganz zutraulich uns fremdartige Gäste. Eine Schar grauer Papageien hatte sich ganz in der Nähe auf einem Baum niedergelassen und pfiff und krächzte fröhlich mit den anderen Vögeln um die Wette. Mit Ausnahme des Leichnams unter uns deutete nichts auf die entsetzliche Tragödie hin, die sich hier am frühen Morgen abgespielt hatte. Von dem fürchterlichen Räuber war nichts vernehmbar; der Wald hatte sein friedliches, alltägliches Aussehen. Von der Seite her passierte eine Karawane zierlicher Äffchen in den Wipfeln der Bäume über uns. Mein Auge ergötzte sich an den possierlichen Tierchen, die gleich unseren europäischen Eichkätzchen gewandt von Ast zu Ast springen.
Meine Glieder waren vom gebeugten Sitzen bereits derart erlahmt, daß sie mich kaum noch schmerzten. Mit der untergehenden Sonne und dem näherrückenden Zeitpunkt, an dem ich endlich den verhaßten Leopard vor dem Laufe meiner Flinte sehen würde, begann auch wieder eine gewisse Jagdleidenschaft in mir rege zu werden. Das bange und gleichzeitig freudige Gefühl der herannahenden Entscheidung ließ mich alle anderen Schmerzen, meinen hungernden Magen miteinbegriffen, vergessen.
Langsam verschwand die Sonne als rotleuchtender Feuerball zwischen den Wipfeln der Bäume, die Dämmerung rückte heran. Angestrengt lauschten wir auf jedes verdächtige Geräusch. Da, unvermittelt das leichte Zurückschnellen eines Astes in einiger Entfernung[S. 173] — darauf lange Minuten lautloser Stille. Dann wieder das Knistern eines kleinen Ästchens aus derselben Richtung — wieder vergingen einige Minuten. Die Sonne war bereits ganz am Firmament verschwunden. Dann wieder das Zurückschnellen eines Zweiges. Jetzt konnten wir genau die Richtung bestimmen, aus der der Räuber auftauchen würde. Gewisse Anzeichen, wie das Innehalten der Lockrufe der Vögel aus der gleichen Richtung deuteten darauf hin, daß die große Katze im Anzug war. Mein Herz klopfte zum Zerspringen — — jetzt war der Moment gekommen, auf den wir den ganzen Tag geharrt hatten. Unwillkürlich reichte ich Mukenge bedeutungsvoll die Hand.
Doch was war das? — Plötzlich hörten wir von der entgegengesetzten Richtung gleichfalls ein Geräusch wie von einem anschleichenden Wesen. Sollten etwa zwei Räuber von entgegengesetzter Seite auf uns zukommen? Aus unserer ersten Schallrichtung vernahmen wir nichts mehr. Offenbar traute das Tier dem Frieden nicht recht, oder es hatte etwas gehört und wartete vorsichtig ab. Das Geräusch von der anderen, dem Dorfe zugekehrten Seite, wurde immer vernehmlicher. Zweige schnellten zurück, unaufhaltsam drang ein unbestimmtes Etwas in unserer Richtung vor. Immer näher kam das Verhängnis. Den Finger am Drücker, beide die Gewehre an der Backe, lauerten wir auf den Moment, wo der Kopf des Leoparden ansichtig wurde, um sofort Feuer zu geben. Zweige schlugen unter uns auseinander, ein Gemurmel wurde hörbar, und — — — im Gänsemarsch, einer hinter dem anderen, tauchten fünf Eingeborene unter der Führung ihres Häuptlings auf, um — den Toten wegzuholen.
Meine Bestürzung und Enttäuschung wiederzugeben, ist unmöglich. Also deshalb hatte ich den ganzen Tag gehungert, die unglaublichsten Schmerzen ausgehalten und den Verwesungsgeruch eingeatmet, damit im entscheidenden Moment mir der Preis verlorengehen sollte. Eine furchtbare Wut überfiel mich, und ich machte mir Luft, indem ich den verdutzten Negern von meinem Baum herunter eine Flut von Schimpfwörtern zudonnerte. Abgesehen davon, daß die Leute darauf bestanden, den Leichnam mitzunehmen, mußte ich wohl oder übel einsehen, daß nach den so unerwartet eingetretenen Ereignissen absolut keine Aussicht auf die Wiederkehr des Leoparden bestand. Der Abend und die Nacht, die ich im Dorfe zubrachte, waren mir gründlich verleidet.
[S. 174]
Am folgenden Morgen besuchte ich die letzten beiden Dörfer Yobi und Komango, teilte Stoffe und Geschenke wie in allen übrigen Dörfern aus und ließ auch hier einen Capita zurück. Dann trat ich endlich die Rückreise an, die ohne nennenswerte Begebenheit verlief und mich nach vierzehntägiger Abwesenheit gesund und trotz der überstandenen Strapazen gekräftigt nach Stanleyville in meine Faktorei zurückbrachte.
Es wird den Leser, der dem Verfasser bis hierher auf seinen abenteuerlichen Wegen durch den Urwald und bis in die entferntesten Negerdörfer gefolgt ist und das im Kongo übliche »System« des Kautschuksammelns kennengelernt hat, gewiß interessieren, etwas Näheres über die Gewinnung dieses wertvollen Naturproduktes zu erfahren.
Bis vor wenigen Jahren galt als Hauptreichtum des Kongostaates die Ergiebigkeit seiner ungeheuren Wälder und Prärien an Kautschuk, jenem kostbaren Material, das bisher chemisch nicht zu ersetzen und für das mit der zunehmenden Verwendung zu technischen Zwecken ein kaum zu befriedigender Markt entstanden war. Mit dem Bau der Eisenbahn Matadi-Stanley-Pool, mit der fortschreitenden Erschließung des Landes, der Unterwerfung der blutdürstigen, wilden Negerstämme, die bisher ausschließlich vom Morden und Plündern der schwächeren Nachbarn gelebt hatten, mit ihrer Heranziehung zu friedlicher Feldarbeit und Ausbeutung der reichen Lianenbestände der Urwälder, die von der Kongomündung quer durch ganz Zentralafrika bis zum Indischen Ozean reichen, wurde von Belgiens größtem Herrscher, dem König Leopold, mit sicherem, zielbewußtem Blick ein Kulturwerk geschaffen, so groß und mächtig, wie er selbst es ursprünglich kaum geahnt hatte. Schwere finanzielle Opfer hat es erfordert, viel Blut ist auf beiden Seiten geflossen, bis der neugeschaffene Staat die sengend und plündernd herumziehenden unbotmäßigen Horden bezwingen und seine Grenzen gegen räuberische Einfälle mächtiger Sklavenjäger zu schützen vermochte.
Der Lohn hierfür blieb nicht aus. Bald war bis in die entferntesten[S. 175] Dörfer des Urwaldes die Kunde gedrungen, daß der weiße Gott, der auf einem Feuerroß aus dem Meere aufgetaucht war und den Strom heraufgefahren kam, gegen den bisher nur zu »Gongschlägern« verfertigten Kautschuk prachtvolle Gewebe, glänzende Arm- und Beinspangen aus Messing, kurzum eine Menge nie gesehener Herrlichkeiten eintauschte, als sich alsobald hunderttausende fleißiger Hände an die Arbeit machten, den milchigen Saft der Lianen zu sammeln, zu Kugeln oder Platten zu formen und in die Stationen am großen Fluß zu bringen. Aus allen Teilen des Landes kam das kostbare, aber für die Eingeborenen fast wertlose Material. Immer mehr häuften sich die Vorräte, gleich dem Anschwellen einer Lawine. Die reiche Fracht füllte die Dampfer bis an Deck, wurde nach Antwerpen dirigiert und machte diesen Hafen bald zum zweitgrößten Kautschukmarkt der Welt. Dank der weisen Politik des klugen Königs, der durch Gewährung von Konzessionen Kapital ins Land zu bringen wußte, um all die ungeheuren Produktionsquellen voll zur Entfaltung bringen zu können, gediehen die unter Aufwand von vielen Millionen gegründeten Unternehmungen prächtig und entwickelten sich mit der Zeit zu großen Aktiengesellschaften, die ihren Gründern und ihrem Schöpfer alljährlich goldenen Gewinn eintrugen.
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Kehren wir zurück zum Ursprung des Kautschuks und zu dessen Gewinnung. Im Gegensatz zum Plantagenkautschuk, der auf großen Anpflanzungen, z. B. in Brasilien, durch rationelle Ausbeutung gewonnen wird, stammte noch während meines Aufenthaltes am Kongo neun Zehntel der dortigen Gesamtproduktion aus sogenanntem »Raubbau«. Die Eingeborenen, die den Wert der Lianen nicht erkennen, haben, sobald sie eine solche finden, das natürliche Bestreben, möglichst viel Kautschuk aus ihr zu gewinnen, ohne Rücksicht darauf, daß die Pflanze bei einem solchen Verfahren eingeht. Der Rest verdankte seinen Ursprung gleichfalls rationeller Plantagenausbeutung.
Um dem Raubbau zu steuern und zu verhüten, daß die kostbaren Kautschukbestände eine Verminderung erfahren, werden sämtliche Gesellschaften seit dem Jahre 1900 durch königliche Verordnung dazu angehalten, alljährlich für je 1000 Kilogramm angekauften Kautschuk 500 neue Kautschuklianen anzupflanzen. Jede Gesellschaft besitzt daher heute geeignete ausgedehnte Terrains, die vom Staat unter gewissen Modalitäten kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, auf welchen die Kautschukkulturen rationell betrieben werden. Diese Pflanzungen werden alljährlich von eigens dazu bestellten Inspektoren kontrolliert.
Der Kautschukbaum kommt in den Urwäldern Afrikas nicht vor. Aller geerntete Kautschuk rührt von wild wachsenden Lianen her. Man unterscheidet unter ihnen folgende Arten, die hauptsächlich für die Kautschukgewinnung in Betracht kommen: Landolphia Ovariensis, Landolphia Droogmansia, Landolphia Klainei, Clitandra Arnoldiana, Clitandra Nzunde. Die ersten drei Arten ergeben einen rötlichen, durchsichtigen Kautschuk, während die zuletzt genannten den schwarzen Kautschuk liefern. Alle diese Lianen erreichen einen Durchmesser bis zu Armstärke, ranken an hohen Bäumen als Parasit empor und erreichen eine Länge bis zu 25 bis 30 Metern.
Hat der kautschuksammelnde Eingeborene eine derartige Liane entdeckt, dann klettert er am Baum so hoch wie möglich empor und durchschneidet sie. Die nunmehr zu Boden stürzende Liane wird durch Holzgabeln gestützt und mit ringartigen Quereinschnitten in ihrer Rinde versehen. Der an der Schnittfläche herausträufelnde milchige Saft trocknet entweder sofort am Baum ein oder wird in aus Blättern angefertigten primitiven Behältern aufgefangen. Im[S. 177] ersten Fall kehrt der Eingeborene am nächsten Tag zurück, um den trockenen Kautschuk mit einem stumpfen Messer loszulösen und zu einer Kugel zu formen, deren Größe je nach dem Distrikt von einer Pflaume bis zu einer Orange wechselt. Im letzten Fall entleert er die milchige Flüssigkeit in ein zu diesem Zwecke mitgebrachtes Gefäß und gießt sie zu Hause in kochendes Wasser, worauf sie sofort hart wird und wie ein flacher Kuchen auf der Oberfläche des Wassers schwimmt. Der frisch gewonnene Kautschuk ist schneeweiß und enthält viel Wasser, das ihn, falls man ihn nicht gehörig zerteilt und im Schatten trocknet, zersetzt und in eine klebrige, unansehnliche Masse verwandelt.
Die gleiche Operation wiederholt der betreffende Eingeborene so oft, bis die Liane erschöpft ist. In besonders reichen Waldrevieren läßt er die Liane, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hat, liegen und verkommen. Im Kasai-Gebiet schneidet der Eingeborene sie in Stücke und schleppt sie in seine Hütte, um mittels Wassers durch Stampfen oder Klopfen der Rinde den unter derselben fest gewordenen Kautschuk zu extrahieren, eine Arbeit, die viele Stunden in Anspruch nimmt.
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Außer den oben angeführten Lianen, die nur im Urwald gedeihen, wurde im Jahre 1885 in den ausgedehnten Prärien Afrikas eine neue Art von Liane entdeckt, die Landolphia Thollonii Dewevre, die ungefähr 10 bis 15 Zentimeter unter der Erdoberfläche wächst und ihre Triebe nach allen Richtungen hin erstreckt. Ihre Wurzeln, die eine Länge bis zu drei Metern und Fingerdicke erreichen, werden von den Eingeborenen ausgegraben und, zu Bündeln verschnürt, ins Dorf getragen. Hierauf weicht man sie die Nacht über ein, damit die Rinde sich leicht vom Stamm löst, dann trocknet man diese in der Sonne und klopft und stampft sie mittels Holzknüppel so lange, bis alle Rindenteilchen aus der Kautschukmasse entfernt sind. Der auf diese Weise gewonnene Kautschuk ist in Qualität dem durch Rindeneinschnitte erzielten gleichwertig und auch in seinem Aussehen von diesem nicht zu unterscheiden.
Der Einkaufspreis von einer Tonne — 1000 Kilogramm — Kautschuk stellt sich je nach Qualität im Ursprungslande auf 1500 bis 2000 Frank. Der erzielte Nettoerlös in Antwerpen schwankt, je nach der Konjunktur, zwischen 7000 bis 12000 Frank per Tonne. Diese Preise wurden bis kurz vor Ausbruch des Weltkrieges gezahlt.
Eine Faktorei produzierte damals durchschnittlich monatlich 2000 bis 3000 Kilogramm Kautschuk, so daß sie alljährlich einen Bruttogewinn von 150 bis 200 Mille Frank erzielte.
Den Gefahren und Anstrengungen der Reise im Urwald folgte eine mehrwöchige Periode der Ruhe auf der Faktorei. Auch hier harrte meiner eine Unmenge Arbeit, die sofortiges Zugreifen erheischte. Die Aufzeichnungen des Schreibers während meiner Abwesenheit, die Auslieferungen der Warenvorräte und die Eingänge an Kautschuk und Elfenbein mußten genau kontrolliert und gebucht, der mitgebrachte Kautschuk von den Arbeitern in kleine Stückchen geschnitten und in das Trockenmagazin gebracht werden, um ein Zersetzen und Klebrigwerden zu verhindern.
Mitten in der Arbeit überraschte uns eines schönen Tages unser[S. 179] Dampfer »Henriette« mit Kapitän Jarigsma, der mir meine Ernennung zum Faktoreichef und die Mitteilung von einer namhaften Erhöhung meiner bisherigen Bezüge mit Beteiligung am Reinertrag der Faktorei überbrachte. Gleichzeitig wurde mir ein Unterbeamter avisiert, der mit dem nächsten Dampfer heraufkommen sollte. Da das Schiff für Stanleyville zwanzig Tonnen Laderaum verfügbar hatte und unser Vorrat an Kautschuk, Elfenbein und Reis nur zirka achtzehn Tonnen ausmachte, beschloß ich, mit nach Romée hinunterzureisen und dort noch Reis einnehmen zu lassen.
Die Fahrt nach Romée auf dem prachtvollen Dampfer und der Aufenthalt bei dem liebenswürdigen Kapitän am Deck boten mir eine willkommene Zerstreuung. Das Geschäft mit den Arabern in Romée und das Heranbringen des erforderlichen Quantums Reis an Bord war in einer Stunde erledigt. Den Rest des Tages verbrachten wir beim stellvertretenden Kommandanten des Postens in vergnügter Gesellschaft. Die zweitägige Flußreise stromaufwärts beruhigte meine von den schnell aufeinanderfolgenden freudigen Ereignissen erregten Nerven wieder. Die ungeheuren Urwälder, die den Fluß zu beiden Seiten einfassen, die ewig wechselnden Szenerien, die weite Wasserfläche, die bald gleich einem Binnensee kaum merklich dahinfließt, dann wieder, eng in das Flußbett gezwängt, wie eine Lawine sich vorwärts wälzt, bieten dem Naturbeobachter unvergleichliche Augenweide. Wie oft hatte ich diese Strecke nun bereits befahren, und doch, wenn ich sie in ihren großen Zügen auch kannte, jede weitere Reise erschloß mir neue Naturschönheiten und Reize, an denen ich früher achtlos vorübergefahren war. Es ist, als ob man in einem großen Weltbuche, dem Buche der Natur, blättert und jedesmal neue Schätze entdeckt, die in ihm beschrieben sind. Ganz in Betrachtung versunken, saß ich in meinem Lehnstuhl und sah doch wieder nichts — das gleichmäßige Schaukeln des Bootes versetzte mich in andere Regionen. Ich träumte vor mich hin, bis irgendeine Begebenheit, wie etwa das plötzliche Ins-Wasser-gleiten eines Krokodils, das ich für einen Baumstamm gehalten, mich aus meinen Träumen aufschreckte.
Die gewaltigen Natureindrücke dieser tropischen Welt bleiben nicht ohne starke und dauernde Wirkung auf die Seele. Aus mir, der ich von meiner Kindheit an äußerst lebhaft und unruhig veranlagt war, hatte Afrika im Lauf der Zeit einen schwermütigen, ernsten Träumer gemacht. Die Einwirkungen des Klimas auf den Körper sollten bald für meine Laufbahn entscheidend werden.
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Zwei Tage nach meiner Rückkehr nach Stanleyville fühlte ich beiderseits der Leistengegend ein starkes Stechen, dem eine von heftigem Fieber begleitete Drüsenanschwellung folgte. Äußerst bestürzt begab ich mich sofort zu Dr. Bellis, den ich mit denselben Krankheitserscheinungen, nur in verstärktem Maße, behaftet vorfand. Wir beide und mit uns ein großer Teil der Europäer und der Schwarzen der Umgebung waren von einer Art Bubonenpest befallen. Die Krankheit war wie hergeflogen ganz plötzlich über den Distrikt hereingebrochen, und niemand wußte ihre Ursache oder ihr Entstehen zu erklären. Dr. Bellis und der Kommandant fuhren mit dem nächsten Dampfer nach Leopoldville, um sich daselbst einer Operation zu unterziehen. Mir hatte er zuvor eine Salbe verschrieben, die sich in der Folge nicht nur als völlig wirkungslos erwies, sondern im Gegenteil die Anschwellungen und Schmerzen noch vermehrte.
Einige meiner Leute, die unter derselben Krankheit zu leiden hatten und dank dem Heilmittel einer arabischen Giftmischerin der Genesung entgegensahen, brachten mich auf den Gedanken, diesmal die Heilkräfte der Eingeborenen gleichfalls für mich in Anspruch zu nehmen. Ich sandte daher meinen Capita Mustapha mit entsprechenden Geschenken auf den Weg zu der Alten. Doch ich hatte mich gründlich getäuscht. Für mich gab es keine Medizin. Das schlaue, erfahrene Weib wollte ihre Quacksalberei an mir nicht ausprobieren, da sie offenbar fürchtete, im Falle eines Mißlingens mit dem Gefängnis von Stanleyville Bekanntschaft machen zu müssen.
Mein Leiden war inzwischen zur unerträglichen Qual geworden, die mir weder Schlaf noch Ruhe gönnte. Da griff ich zur List, ließ den ärmsten meiner Arbeiter, der ein Leidensgefährte war, kommen und versprach ihm, seine Behandlung zu bezahlen, wenn er die Hälfte der Salbe, die die Alte ihm gab, mir anvertraute. Den Hokuspokus überließ ich ihm ganz. Die Wirkung der in Bananenblätter gewickelten, scharf riechenden, schwarzen Salbe erwies sich als vorzüglich. Die Schmerzen ließen nach, die Leistenanschwellungen, die ohne sie zum Durchbruch und zu langwierigen Leiden geführt hätten, waren bald vollständig behoben, so daß ich in einiger Zeit mein Schmerzenslager verlassen konnte.
Da Unglück selten allein zu kommen pflegt, und Stanleyville, das bisher im Rufe stand, das gesündeste Klima im ganzen Stromgebiet zu besitzen, dazu ausersehen schien, in diesem Jahre alle Seuchen[S. 181] Zentralafrikas mitmachen zu müssen, tauchten nunmehr plötzlich die Blattern in nie dagewesener Heftigkeit auf. Gerüchte über die am jenseitigen Ufer unter den Soldaten und Eingeborenen aufgetauchte Seuche, die sofort viele Menschenleben dahinraffte, veranlaßten uns, jeden Verkehr mit drüben abzubrechen. Diese Vorsichtsmaßregel blieb leider wirkungslos, da die gefährliche Seuche einige Tage später auch bei uns ausbrach. Eine Feldarbeiterin (Sklavin) machte den Anfang, der Boy meines ehemaligen Chefs folgte. Jeder weitere Tag brachte eine vermehrte Anzahl von Kranken, so daß bald drei Viertel des ganzen Personals von der schrecklichen Seuche erfaßt waren.
Zur Isolierung der Kranken ließ ich sofort auf einige hundert Meter Abstand von der Faktorei Baracken, in denen sie so gut wie möglich untergebracht wurden, errichten. Impfstoff, das einzige wirksame Mittel zur Bekämpfung der Seuche, war vorläufig nicht vorhanden, so daß wir uns auf den Rat der katholischen Mission mit Reiswasser als Nahrung und zur Regelung der Verdauung begnügen mußten.
Die Sklavin war sofort nach ihrer Erkrankung zu ihrem arabischen Häuptling gelaufen, der sie vom Kopf bis zu den Füßen mit Kalk bestreichen ließ. Doch scheint auch diese Behandlungsmethode in den[S. 182] meisten Fällen versagt zu haben, da die Kranke ebenso wie viele andere zugrunde ging. Auch bei mir starben trotz sorgfältiger Überwachung und Pflege verschiedene Leute. Einer der Arbeiter wurde verrückt und lief den ganzen Tag mit einem dicken Prügel herum, um vermeintliche Feinde zu töten. Dem Mann war die Krankheit aufs Gehirn geschlagen; er litt an Verfolgungswahnsinn und schlief nachts auf einem Baum. Einige Tage später starb er. Ich ging selbst zu den Isolierbaracken, um dem Begräbnis beizuwohnen und mich vom Schicksal der übrigen Kranken zu überzeugen. Der Anblick des bis aufs Skelett abgemagerten, am ganzen Körper mit blutenden Geschwüren bedeckten Toten mit den glasigen Augen und aus dem Munde heraushängenden Schleimfäden und die von goldigen Sonnenstrahlen, vom fröhlichen Zwitschern der Vögel erfüllte Welt bildete einen grausigen Kontrast. Der übelriechende Kadaver war über und über mit Fliegen bedeckt, die auf den gräßlichen Geschwüren ihr Mahl hielten. Obwohl ich kaum meines physischen Unbehagens Herr werden konnte, hielt ich tapfer bis zur Einbettung des in Decken und Matten gehüllten Toten in die Erde stand, um dem Pflegepersonal damit ein Beispiel von Unerschrockenheit zu geben.
Unter den übrigen Kranken, die teilweise der Genesung entgegensahen, befand sich noch ein besonders schwerer Fall, der Boy meines ehemaligen Chefs, ein braver, treuer Bursche, der seinen Herrn stets aufopfernd gepflegt hatte und nun, durch die Krankheit bis zur Unkenntlichkeit entstellt, selbst im Begriffe war, ins Jenseits einzugehen. Schon seit acht Tagen hatte ich erkannt, daß eine Rettung aussichtslos war. Mit wimmernder, gebrochener Stimme rief er mich mit Namen, und mit flehend zu mir erhobenen Augen bat er mich, ihm doch zu helfen und ihm eine andere Hütte zu geben. Nie in meinem Leben habe ich meine Ohnmacht mehr empfunden als in diesem Augenblick. Tief zu Herzen ist mir sein rührendes Flehen gegangen, und gern hätte ich zehn Jahre meines Lebens hingegeben, um dasjenige des armen Jungen verlängern zu können. Den letzten Wunsch des Sterbenden wenigstens konnte ich erfüllen. Ich ließ eine der anderen Hütten sorgfältig reinigen, dem Schwerkranken von neuen Decken ein weiches Lager darin herrichten und ihn dahin bringen.
Ganz plötzlich, wie der würgende Todesengel erschienen war, verschwand er auch wieder, in vielen Hütten ein Tag und Nacht andauerndes[S. 183] lautes Wehklagen zurücklassend. Gar zu viele Menschenleben waren dahingerafft worden.
Die Totentrauer ist hier eine ganz eigenartige Sitte. Irgendeine nähere alte Verwandte, manchmal auch die Mutter des Verstorbenen, setzt sich vor dessen Hütte und stimmt ein tieftrauriges Klagelied an. Bald schließt sich ihr die nähere Nachbarschaft, junge und alte Weiber, an, die alle in die gleiche, schaurig tönende Melodie einfallen. Ich habe oftmals ganz junge Dinger lachend vom anderen Ende des Dorfes herbeieilen sehen, die, wie von magischen Kräften durch das Wehklagegeheul angezogen, sich in den Kreis der anderen setzten und ihrem Beispiel folgten. Je mehr Männer und Weiber dazukommen, um so schauriger ertönt der Chor. Die ganz alten Weiber singen sich meist in eine förmliche Ekstase hinein. Die Tränen rinnen ihnen über die Wangen, mit den knochigen Armen schlagen sie in ihrem Schmerz an ihre dünnen Gebeine. So ansteckend wirkt diese unmelodiöse, traurige Weise, daß mich beim Zuhören plötzlich die Lust überkam, mich auch hinzusetzen und mitzuheulen. Zeitweise steht eine der Frauen auf, holt ihr Kind oder verrichtet eine ihr nötig[S. 184] erscheinende Arbeit und kehrt ruhig wieder an ihren Platz zurück, um im Chor weiterzuheulen, gerade so, als ob sie damit eine gemeinsame Arbeit mit den anderen zu erledigen habe. Das Klagegeheul für einen Toten dauert manchmal einen ganzen Tag und wird wahrscheinlich nach einem gewissen Zeremoniell geregelt. Zu den Mahlzeiten flaut es merklich ab, da die meisten Teilnehmer für einige Zeit verschwinden, um sofort danach wieder zu der Totentrauer zurückzukehren. —
Am 15. Mai 1900 kündigte ich meinen auf drei Jahre lautenden Vertrag, der einen Monat später abgelaufen war. Lange Zeit hatte ich im unklaren geschwebt, ob ich nicht ein Jahr zugeben sollte. Doch der rasche Tod Janssens, die fortwährenden Seuchen, die seither über die Region hereingebrochen waren, und schließlich mein eigener Gesundheitszustand, der manches zu wünschen übrigließ, veranlaßten mich, darauf zu verzichten. Gelegentlich der letzten Untersuchung hatte Dr. Bellis starke Milz- und Leberanschwellung bei mir konstatiert, die zu einem Abszeß führen konnte. Wiederholt hatte ich heftiges Stechen in der Seite gefühlt, was mich lebhaft beunruhigte. Dazu kam, daß ich das mir gesteckte Ziel, Faktoreichef zu werden, erreicht und durch eine Verlängerung des Kontraktes keine besonderen Vorteile zu erwarten hatte.
Eines stand fest bei mir: Ich würde meine Eltern in der Heimat besuchen und nach kurzer Erholung in Europa unbedingt wieder nach Afrika zurückkehren. Das abenteuerliche Leben im Innern Afrikas sagte meiner nach freier Betätigung verlangenden Natur viel mehr zu als das gesicherte Dahinvegetieren im europäischen Berufsleben. Die große Abrechnung mit dem Leben mußte einmal erfolgen — hier oder dort. Wann, ob früher oder später, das war reine Glückssache. Lieber wollte ich dem tückischen Klima Afrikas oder dem Pfeil eines Eingeborenen zum Opfer fallen als mein Leben lang hinter staubigen Büchern in irgendeinem Kontor sitzen.
Doch sollte es noch mehr als zwei Monate dauern, bis der von mir erbetene Ersatzmann eintraf. Eine nervöse Unruhe war mit der Kündigung über mich gekommen. War bisher mein ganzes Denken und Trachten meinem afrikanischen Lebenswerke gewidmet, so tauchte jetzt wie hinter fernen Wolkenschleiern eine Welt von Erinnerungen vor meinem geistigen Auge auf. Der Gedanke, meine Eltern und Lieben in der Heimat wiederzusehen, ward von Stunde zu Stunde[S. 185] mächtiger, bis er schließlich alle anderen Rücksichten in den Hintergrund treten ließ.
Endlich erschien mein Stellvertreter mit dem Dampfer »Henriette«, und nachdem ich ihm die Faktorei in voller Ordnung übergeben hatte, schiffte ich mich zur Heimreise ein. Jetzt war ich ein freier Mann, konnte sorgenlos den wohlverdienten Urlaub antreten.
War ich wirklich frei? Oder war es wieder eine Täuschung? Diese Frage mußte ich mir schon eine Stunde nach meiner Abfahrt stellen, als mir unwillkürlich beim Andenken an alles, was ich zurücklassen mußte, die Tränen über die Wangen liefen. Jeder einzelne meines Hausgesindes, jeder Arbeiter, der Freud und Leid, Gefahren und Sorgen mit mir geteilt, hing mir am Herzen. Der Gedanke an meine Faktorei, die ich aus kleinen Anfängen heraus zur großen Station — meinem zweiten Heim — nach eigenem Geschmack ausgebaut hatte und die ich vielleicht nie wiedersehen sollte, schnürte mir das Herz zusammen. Still und niedergedrückt eilte ich in meine geräumige Deck-Kabine, damit Kapitän Jarigsma nicht Zeuge meines Trennungsschmerzes wurde. Jetzt, wo meine Abreise Tatsache geworden war, trat der umgekehrte Fall ein, und je weiter ich mich von der Station entfernte, desto mehr bereute ich, fortgegangen zu sein. Alle Gedanken an Europa waren mit einem Male erloschen.
Meine Leser werden fragen, ob ich während der langen Zeit niemals das Bedürfnis nach Gesellschaft und Zerstreuung empfunden habe. Ich kann hierauf nur mit einem entschiedenen Nein antworten. Die vielfachen Anforderungen, die das tägliche Leben in den Tropen an jeden Europäer stellt, die hunderterlei Probleme, die an ihn herantreten und der Lösung harren, nehmen sein ganzes Denken und Sinnen vollauf in Anspruch. Wenn er dazu ein verständnisvolles Auge für die Natur und alles, was um ihn vorgeht, hat, wenn er Sammler von Käfern und Schmetterlingen, Ethnologe oder Ethnograph ist, dann findet er in diesen Liebhabereien ein reichliches Feld für seine Mußestunden. Mit der zunehmenden Kenntnis der Eingeborenensprache lernt er deren Sitten und Gebräuche und viel Interessantes über sie kennen. Im folgenden Kapitel will ich einiges über den Aberglauben, der im Leben der Neger eine so hervorragende Rolle spielt, berichten, und zum Schluß gebe ich einige Märchen wieder, die ich mir an einsamen Abenden von Eingeborenen erzählen ließ.
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Im beständigen Kampf mit Haß, Eifersucht, Blutdurst und tierischer Brunst der eigenen Rasse, gewohnt, in den Raubtieren und dem giftigen Gezücht des Urwaldes und auch in dem Nächsten den unerbittlichen Todfeind zu sehen, kennt der Neger tief drinnen im Urwald keinen barmherzigen Gott. Er kennt nur unheimliche, tückische Gewalten, die gleich den Fieberdünsten des Waldes in der Nacht sein Lager umschleichen und sein Leben, sein Hab und Gut und seine Gesundheit bedrohen. Diese Götter zu versöhnen, ihren Zorn und Rache von sich abzuleiten, das ist sein einziges Bestreben.
Wenn Unheil und Krankheit über ihn hereinbrechen, wenn im Getöse des Tornados, in Blitz und Donner die Hölle ihre Orgien feiert, wenn er, von Fiebern geschüttelt, in grauenvoller Nacht dem Tode ins Auge schaut, dann wirft er sich in den Staub vor seinem Götzenbild — denn seine Furcht vor »Ilimma«, dem Fabelungeheuer mit dem glühenden Auge und dem giftigen Odem, ist groß.
Der Einfluß der Fetisch- oder Medizinmänner, welche den Verkehr mit den Göttern vermitteln, ist im Innern des Landes, bis wohin die Macht des Europäers nicht reicht, ungeheuer. Sie gebieten über Leben und Tod ihrer Mitmenschen. Jede Region hat ihre Gottheit in Form eines hölzernen Götzen irgendwo im düstern Dunkel des Waldes, von Fetischmännern eifersüchtig bewacht, versteckt. Er ist dem profanen Auge des Uneingeweihten nicht sichtbar, und jeder Versuch eines Fremden, in das Geheimnis einzudringen, wird mit dem sofortigen Tode bestraft.
»Djakombo« und »Zambi« am Unterkongo — »Ilimma« am Oberkongo genannt, sind die Herrscher über alles Lebende. Sie suchen die Menschheit mit Seuchen heim, um sie zu vernichten, sie senden ihnen Hungersnot, Heuschrecken- und Ameisenplage. Neben ihnen hausen eine Menge anderer böser Geister, die »Likundu«, die alle möglichen Missetaten verüben. Bald vernichten sie die Ernte, bald tauchen sie in der Gestalt irgendeines reißenden Tieres, wie Krokodil und Leopard, auf, um Menschenleben zu vernichten. Im allgemeinen glauben die verschiedenen Stämme an ein zukünftiges Leben in irgendeiner Form. Daher rührt auch ihr Totenkultus.[S. 187] Den Verstorbenen werden bei einzelnen Stämmen Nahrungsmittel, Haushaltungsgerät, Waffen, sogar Diener mit ins Grab gegeben.
Von der Geburt des Kindes an bis an sein Ende ist der Fetischmann eigentlich derjenige, der den Lebenslauf jedes einzelnen regelt. Er fabriziert die Medizin, um das Kind im Mutterleibe vor den Anschlägen feindlicher Mächte zu bewahren, er beschwört den bösen Geist, der bei der Geburt in das neuentstandene Wesen hineinfahren möchte, er verkauft der Mutter all die Amulette und »Mobangas«[5], um Seuchen und Krankheiten vom Kinde fernzuhalten. Stirbt ein Kind trotzdem vorzeitig, dann hat irgendein feindliches Wesen es mit giftigem Atem angehaucht. Die Familie schwört Rache und verspricht dem Fetischmann reichliche Geschenke, wenn er ihr den Urheber ausliefert. Dieser beruft das ganze Dorf und sämtliche Anverwandten für den Abend zur »Moganga« oder zum Gottesgericht.
Am großen Sammelplatze des Dorfes haben sich im Mondschein sämtliche Einwohner zusammengefunden. Am großen Feuer sind die Männer versammelt und harren der Dinge, die da kommen sollen, während ihre Frauen mit den Kindern in Gruppen zusammenstehen und das kommende Ereignis besprechen.
»Mongoleina«, der mächtige Häuptling der Region, in vollem Ornat, hat seinen mit Leopardenfellen ausgelegten Sitz eingenommen. Wie er so majestätisch über den freien Platz dahinschreitet, ist er das Symbol eines starken, unabhängigen Volkes. Er ist in der Tracht seiner Vorväter gekleidet, die er nur bei ganz besonderen Anlässen zu tragen pflegt und die harmonisch wirkt, wenn man nur den rechten Körper dazu hat und sie mit Verstand anzulegen weiß. Um die Lenden in weiten Falten ein Schurzfell, aus bunten Bambusfibern hergestellt, um den Hals eine Schnur mit Leopardenzähnen, zum Zeichen seiner Würde, an den Hand- und Fußgelenken schwere Messingringe, auf dem Kopfe ein dichter Kranz von Adlerfedern, kunstvoll mit einem Leopardenfell zu einem Kopfputz vernäht, in der Hand eine lange schwarze Lanze: so schreitet er siegesbewußt auf den Ehrenplatz unter den Mondenbäumen zu.
Von ferne her ertönt ein Gemisch von dumpfen und hellen Lauten von Gongs, Hörnern und Holztrommeln. Der Fetischmann mit seinem eingeweihten Stab, das große Verhängnis, naht. Gespannt blicken alle Augen in die Richtung, aus der er kommen muß.
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Und schon naht er mit seiner Truppe, die mit ihrem wiegenden Tanzschritt und ihrer phantastischen Bemalung einen unheimlichen Eindruck auf die versammelte Menge macht. Ihre Mitglieder sind vom Kopf bis zu den Füßen mit rotem Tukulapulver beschmiert, so daß sie wie in Blut getaucht erscheinen. Um die Hüften tragen sie einen kurzen Rock aus Binsen, der bis zu den Kniegelenken reicht, um die Augen, deren Lider und Brauen mit Ruß pechschwarz gefärbt sind, um den unheimlichen Ausdruck zu erhöhen, laufen mit weißer Kreide gemalte Ringe; Wangen, Brust und Arme sind mit Hieroglyphen bedeckt.
Aus ihrer Mitte löst sich jetzt der Medizinmann, der durch die reiche Ausstattung, die Schellen und schweren Eisenringe an Armen und Füßen, die gräßliche Maske auf dem Kopf sowie eine Schnur von Leopardenzähnen um den Hals als Zeichen seines hohen Ranges, sofort die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Im Kreise herumtanzend, vergewissert er sich zuerst, ob alle Einwohner des Dorfes anwesend sind. Vielleicht sucht er sich auch jetzt schon sein Opfer aus.
Dann beginnt der eigentliche Tanz, der sich nur schwer beschreiben läßt. Unter dem dumpfen Klang des Gongs und den hellen Wirbeln der Trommeln redet der Medizinmann zur Menge, dabei die Missetaten und Menschenopfer aufzählend, die der »Likundu« bereits gefordert hat. Ein vollendeter Bauchredner und Sänger, stößt er unartikulierte Schreie aus, hält Reden, gibt sich selbst Antwort und führt dabei allerhand geheimnisvolle Bewegungen aus. Bald tanzt er mit Händen und Füßen, bald wirbelt er in rasender Ekstase um sich selbst, bald verfällt er in eine Art zuckender Krämpfe, wobei er mit Armen und Füßen um sich schlägt wie im Kampf mit Dämonen, die in seinem Innersten wüten. Dann wieder verschwindet er wie ein Pfeil im Dunkel der Nacht, und gellende, markerschütternde Schreie widerhallen im schaurigen Echo des Waldes. Offenbar ruft er ein unsichtbares Wesen, das ihm antwortet, worauf er plötzlich wieder in der Mitte seiner Leute, die inzwischen Gongs, große Elfenbeinhörner und Trommeln in rasendem Tempo bearbeitet haben, auftaucht und die erschreckte Herde Menschen in seinen Bann zieht.
Immer wilder werden Ausdruck und Gebärden des Tanzes, die Augen üben durch die Maske einen schauerlichen, faszinierenden Eindruck auf die Umgebung aus. Der Tänzer selbst und seine Begleiter geraten in eine Art wilder Ekstase, ihre Augen nehmen ein eigenartiges Feuer, einen starren Blick ins Leere an. Es ist der[S. 189] Blick einer Schlange, der das Opfer vor Schrecken lähmt. Mit heiseren, unartikulierten Lauten, mit seinen schlangenartigen Bewegungen, mit der hypnotischen Wirkung seiner starren Augen zwingt er die unwissende Menge unter seinen Willen.
Stunden vergehen — in langen Rinnsalen, wie Blut, rieselt der Schweiß an den Körpern der Mitwirkenden hinab. Die Menge ist aufs höchste erregt und antwortet auf die hervorgestoßenen Fragen mit drohendem Gebrüll. Der feierliche Moment naht. Wieder verschwindet der Tänzer, wie von einer unsichtbaren Macht verschlungen, und sein Wehklagegeheul ruft im Walde ein lautes Echo hervor. Im nächsten Augenblick erscheint er mit der gefährlichen Medizin und stürzt sich auf sein Opfer. Dieses, im Bewußtsein seiner Unschuld, trinkt gewöhnlich sofort die dargereichte Medizin. Tut es dies nicht, dann ist die Schuld so gut wie erwiesen, und die durch die nächtlichen Vorgänge und durch das unausgesetzte Rauchen von Hanf zur höchsten Blutgier aufgestachelte Menge stürzt sich mit Messern, Hauen und Spaten auf ihr Opfer, um es an Ort und Stelle zu schlachten und buchstäblich in Stücke zu zerreißen. Jeder sucht ein Stück desselben zu erwischen.
Hat der Betreffende das Gift getrunken, und ist er imstande, es sofort wieder zu erbrechen, so ist dies ein Beweis seiner Unschuld, und das Fest findet seinen Fortgang, indem der Fetischmann ein zweites Opfer, und so weiter, auskundschaftet, bis das Gift endlich seine Wirkung tut.
Zahllos sind die Fälle, bei denen der Giftbecher als Gottesgericht entscheidet, und nachgewiesenermaßen hat ein und dasselbe Gift, von zwei verschiedenen Personen getrunken, ganz verschiedene Wirkung. Auch die Art der Gifte wechselt bei den verschiedenen Negerstämmen, und es ist festgestellt worden, daß z. B. bei allen jenen, die ihr Opfer verzehren, das Gift eine stark berauschende, vorübergehende Wirkung hat, also eigentlich nicht tödlich wirkt, während in anderen Distrikten unbedingt tödliche Gifte zur Verwendung gelangen.
Man erkennt am Geschilderten die ungeheuere Macht der Medizinmänner. Stirbt jemand auf unvorhergesehene Weise oder wird er ermordet, frißt ein Krokodil oder ein Leopard einen Eingeborenen, kommt eine Seuche über das Land, werden die Ernten durch Hagel und Unwetter vernichtet, kurz, bei jedem Unheil, das ein Dorf trifft, hat der Fetischmann Gelegenheit, sich seiner Feinde zu entledigen.[S. 190] Als Opfer wählt er mit Vorliebe mißliebige Gegner, ältere Männer und Frauen, alle jene, die ihm nicht seine Götzen abkaufen, oder auch Frauen, die sich ihm nicht willfährig zeigen. Kein Eingeborener ist vor der Tücke dieser Räuber sicher. Sie waren die gefährlichsten Gegner des Europäers bei der Unterjochung des Landes und haben vielen Expeditionen den Untergang bereitet. Sie bleiben es heute noch in jenen Gegenden im Innern, wo die Erschließung nicht durch die Macht der Gewehre, sondern durch den Handelsverkehr mit den Eingeborenen Schritt für Schritt vor sich geht.
Die Leute setzen unbedingtes Vertrauen in die überirdische Macht ihres Fetischmannes und in die Kraft seiner Medizinen. Sie glaubten auch an seine Fähigkeit, die modernen Schußwaffen unwirksam zu machen. Daher zeigten sie auch vielfach eine unglaubliche Unerschrockenheit im Kampf mit den Europäern, und die Fetischmänner konnten trotz des mörderischen Feuers immer und immer wieder neue Scharen von allen Seiten gegen ihren Gegner heranführen, bis dieser schließlich der Übermacht erlag. Gelang es, den Medizinmann zu töten, dann war gewöhnlich der Mut der schwarzen Scharen gebrochen, und in regelloser Flucht verließen sie den Kampfplatz.
[5] Medizin in allen möglichen Packungen.
Meinem Koch war ein kleiner »Yambinga-Boy« als »Tellerlecker« zugeteilt. Dieser war in einer Mission auferzogen, wurde von den Arbeitern »Moanna na Zambi«, d. h. Gotteskind, genannt und galt als sehr gottesfürchtig und gelehrig. Eines Abends ließ ich ihn zu mir kommen und befragte ihn: »Auf welche Weise wurde Christ geboren?«
Offenbar war niemals eine derartige Frage an ihn gestellt worden. Sie setzte ihn daher sichtlich in Verwirrung. Als ich keine Antwort erhielt, forschte ich weiter:
»Wurde Christ wie alle Menschen von einer Mutter geboren?«
Antwort: »Nein, Christ ist ein zu großer König, um wie alle gewöhnlichen Menschen geboren zu werden.«
»Nun, wie wurde er denn geboren? Kam er durch den Mund?«
[S. 191]
»O nein, der Mund eines Menschen spricht so viel Unreines, daß ein König ohne Sünden nicht daraus hervorkommen konnte.«
»Kam er durch das Auge?«
»Nein, das Auge des Menschen sieht so viel Blut und Grausamkeiten, daß solch ein liebevoller König nicht darin seinen Ursprung finden konnte.«
»Kam er durch die Nase?«
»Diese enthält soviel Unreines, daß Christ nicht daraus hervorkommen konnte.«
»Kam er durch die Ohren?«
»O nein, der Mensch ist schlecht, und durch die Ohren hört er so viel Sünde und Schlechtes, daß solch ein reiner König nicht daraus hervorkommen konnte.«
»Nun endlich, woher kam denn Christ? Aus einem Menschen ist er doch herausgekommen.«
Plötzlich kam es wie eine Offenbarung über den Jungen. In seinem Gedächtnis hatte er endlich die richtige Antwort gefunden: »Ach Mundele, das weißt du doch selbst am besten. Er kam durch den einzig reinen Teil des Menschen — er kam durch den kleinen Finger der Unschuld.«
»Und auf welche Weise?«
»Nun, der kleine Finger wurde dicker und dicker, bis er platzte und daraus der große König hervorging.«
Man kann aus diesem Beispiel ersehen, welche naive Vorstellung die jungen Christen noch von der Religion haben; alles, was man ihnen nicht auf das genaueste erklärt, veranschaulichen sie sich mit den Mitteln ihrer eigenen, kindlichen Phantasie.
Bangala-Märchen vom Nilpferd und Krokodil.
Ursprünglich waren Nilpferd und Krokodil die fürchterlichsten Feinde, die sich einander auf Schritt und Tritt bekriegten. Während das gefräßige Krokodil die arglos im Ufersande spielenden Nilpferdkinder angriff, benützte das Nilpferd das Mittagschläfchen seines gefährlichen Nebenbuhlers, um sich tückisch anzuschleichen und ihm mit seinen tödlichen Hufen den Garaus zu machen, bis endlich das schlaue Krokodil, des ewigen Kampfes müde, dem Nilpferd folgenden Vorschlag machte:
»Raum für uns beide hat diese Erde. Ich erkenne deine Oberhoheit als unumschränkter Herrscher über diese Gewässer an und[S. 192] ziehe mich in mein Reich auf Sandbänken und in die Moräste zurück. Ich will von nun an dir und deinen Kindern, wenn ihr Gras und Schilf meiner Domänen fressen kommt, nichts mehr zuleide tun unter der einen Bedingung, daß du dafür alle Kanus der Eingeborenen, die dein Reich befahren, zum Sinken bringst, so daß auch ich mich an Menschenfleisch sättigen kann. Im Austausch gegen diesen Dienst überlasse ich dir und den Deinen meine Prärien und Sümpfe, in denen du ungestört weiden und schlafen kannst.«
Das Nilpferd war mit dem Vorschlag wohl zufrieden und ist seither der erbittertste Feind des Menschen, dem es im Wasser nachstellt und ihn seinem Freund, dem Krokodil, ausliefert.
Märchen vom Tanganika-See.
Vor unzähligen Jahren befand sich an der Stelle des heutigen Tanganika-Sees ein reichbevölkertes Gebiet, das von einem mächtigen Volksstamm bewohnt wurde.
Die ungeheure fruchtbare Ebene nährte große Rinder- und Schafherden, welche den Hauptreichtum des Stammes ausmachten. Inmitten eines großen Dorfes residierte in seinem von hohen Palisaden umgebenen Palast ein angesehener Häuptling mit seiner Frau, Besitzer einer tiefen Quelle, welche von einem unterirdischen Fluß gespeist wurde.
Diese Quelle war seit Jahrhunderten vom Vater auf den Sohn übergegangen und besaß die merkwürdige Eigenschaft, ihrem jeweiligen Besitzer eine besonders wohlschmeckende Art von Fischen, wie sie nirgends in der Umgebung zu finden war, zu spenden. Der Besitz dieses Schatzes war von seiner absoluten Geheimhaltung abhängig, und die Tradition prophezeite fürchterliches Unheil für das ganze Land in dem Augenblicke, wo ihre wunderwirkende Eigenschaft einem Fremden verraten würde.
Das Schicksal wollte, daß die Frau des Häuptlings eines Tages hinter dem Rücken ihres Gatten in leidenschaftlicher Liebe zu einem jungen Mann entbrannte und ihm heimlich einige zubereitete Fische der wunderbaren Quelle zukommen ließ.
Das Fleisch dieser Fische war so vorzüglich und so ganz anders im Geschmack als alle Fische, die ihr Liebhaber bisher gegessen, daß er unbedingt wissen wollte, woher diese Fische stammten. Die Frau sträubte sich aus Furcht vor den Folgen anfangs energisch, das Geheimnis zu verraten. Als jedoch der Geliebte weiter in sie drang[S. 193] und drohte, er werde ihren Gatten über deren Herkunft befragen, da sah die Ungetreue ein, welch fürchterliches Unheil sie angerichtet hatte, und versprach dem Geliebten, ihm bei ihrer nächsten Zusammenkunft alles zu verraten.
Gelegentlich einer längeren Abwesenheit ihres Gatten rief sie ihren Liebhaber zu sich, bereitete ihm ein lukullisches Mahl von den Fischen aus der Quelle und kredenzte ihm Palmwein. Mit aufopfernder Liebe und mit süßen Schmeicheleien suchte sie ihn zu befriedigen und von seinem Vorhaben abzubringen. Ihr Inneres warnte sie vor kommendem Unheil. Sie bat und beschwor ihren Freund nochmals, nicht weiter in sie zu dringen und nicht etwas von ihr zu verlangen, was sicheres Unglück im Gefolge hätte. Doch vergeblich. Ihr Freund bestand darauf, das Geheimnis kennenzulernen, und gelobte, es niemand anzuvertrauen. Da führte sie ihn in das Allerheiligste, das durch eine besondere Palisadenwand vom Rest des Hofes abgetrennt war, um es vor den Augen der Dienerschaft zu verbergen.
Inmitten des kleinen Raumes quoll aus einem kreisrunden Becken aus der Erde eine klare Quelle hervor, an deren Oberfläche eine Menge kleiner und großer Fische aus den Tiefen zum hellen Sonnenlicht emportauchten, um gleich wieder zu verschwinden.
»Sieh, hier ist die wunderbare Quelle mit ihren vorzüglichen Fischen.«
Der Liebhaber, der nie zuvor Ähnliches gesehen hatte, stand sprachlos vor dem Wunder. Da näherte sich ihm eines der Fischchen — — er wollte es mit der Hand erfassen — — das prophezeite Unglück trat ein — —
Aus der Quelle stieg, flammend vor Zorn, »Muzimu«, der unterirdische Geist, empor. Sein Gesicht war wutverzerrt, seine Augen sprühten Blitze. Mit furchtbarer Gebärde schleuderte er einen Höllenfluch auf die beiden Schuldigen. Die Erde zu ihren Füßen barst, und eine hohe Wassersäule an Stelle des Muzimu überflutete Land und Auen, soweit das Auge reicht, alles Lebende vernichtend.
Seitdem bedeckt der tiefe Tanganika-See das Land, und alle Jahre kann man an einem bestimmten Tage das Stampfen der Mehlmörser und das verzweifelte Schreien und Rufen der unschuldigen Menschen und Kinder hören, die das Opfer der Katastrophe geworden waren.
[S. 194]
In den vorstehenden Kapiteln habe ich meinen Lesern die Erlebnisse während meines ersten dreijährigen Aufenthalts in Innerafrika geschildert.
Nach kurzem Verweilen in der Heimat zog es mich mit unwiderstehlicher Gewalt wieder nach diesem geheimnisvollen Land zurück, wo ich dann noch weitere neun Jahre verbrachte. Vom Faktoreichef zum Abteilungs-, dann zum Revierchef und schließlich zum Chef de Secteur befördert, leitete ich im Kasai-Gebiete große Faktoreien. Während dieser Zeit habe ich in dem mir unterstellten Gebiet viele Forschungsreisen gemacht und mich monatelang bei den Patoas (Zwergvölkern) und Kannibalenstämmen aufgehalten.
Über diesen letzteren größeren Zeitabschnitt beabsichtige ich einen zweiten Band herauszugeben, der etwa folgenden Inhalt haben wird:
Auch von diesen Schilderungen hoffe ich, daß sie nicht nur bei Liebhabern von Reiseschilderungen, sondern speziell auch bei den jugendlichen Lesern einem Interesse begegnen und bei den letzteren den Wunsch erwecken werden, die weite Welt aus eigener Anschauung kennenzulernen, um für ihr späteres Leben reiches Wissen und Erfahren zu sammeln.
Der Verfasser.
[S. 195]
Bildnis des Verfassers | 4 |
Las Palmas | 19 |
Freetown | 23 |
Rückentätowierung einer Frau | 29 |
Palmenstraße in Boma | 37 |
Arbeiterdorf Boma | 39 |
Landungsbrücke und Eisenbahn von Matadi | 41 |
Bangala-Mädchen im Tanzkostüm | 43 |
Fuca Fuca | 47 |
Baobab-Baum bei Boma | 49 |
Erlegtes Nilpferd | 55 |
Produktenhandel | 59 |
Eine Kurve der Kongobahn | 67 |
Faktoreigebäude Kinschassa | 69 |
Kongodampfer | 71 |
Häuptling mit Familie im Festschmuck | 73 |
Holzposten am Kongo | 81 |
Eingeborene bringen Lebensmittel | 83 |
Der Kongo bei Upoto | 91 |
Mustapha mit Familie | 93 |
Budjas-Frau | 98 |
Bambala-Mann | 99 |
Wabongo-Mann | 100 |
Wabongo-Frau | 101 |
Baluba-Frau | 104 |
Upoto-Mann | 105 |
Arbeitsappell | 111 |
Trägerkolonne | 113 |
Faktoreigebäude Stanleyville | 115 |
Errichtung eines Dachfirstes | 119 |
Beim Hausbau | 123 |
Wohnhaus im Urwalde | 127 |
Fischereianlagen im Kongo | 129 |
Häuptling mit Gefolge | 133 |
Ankauf von Kautschuk | 139 |
Marktbild | 147 |
Stampfen von Maniokmehl | 153 |
Dorfbild | 159 |
Arbeiterfrauen vor einer Hütte | 163 |
Eingeborene bringen Kautschuk | 175 |
Verarbeiten von Kautschuk | 177 |
Anfertigung von Kautschukkörben | 181 |
Ablieferung von Kautschukkörben | 183 |
Der Kongo | 194 |
Werke zur Zeitgeschichte
»A«. Zwischen Staatsmännern, Reichstagsabgeordneten und Vorbestraften.
Halbleinen geb. 3.50 M.
In Gestalt von kurzen Skizzen, in denen der Verfasser Reichstagssitzungen beschreibt und kritisiert, wirft er grelle, eindrucksvolle Schlaglichter auf den Unsinn des Parlamentarismus .... Dem Buch ist wegen seiner Eindringlichkeit, Klarheit und Objektivität weiteste Verbreitung zu wünschen.
(Der Deutsche Führer, Berlin.)
von Eppstein, Prof. Dr. Freih. Fürst Bismarcks Entlassung.
Nach den hinterlassenen Aufzeichnungen des Staatsministers v. Boetticher nebst 19 Faksimilebriefen von Kaiser Wilhelm II., Großherzog Friedrich von Baden, Fürst Bismarck usw.
Geh. 4 M., geb. 5.50 M., Halbleder geb. 9 M.
Niemann, Alfred, Oberstleutnant a. D. Kaiser und Revolution. Die entscheidenden Ereignisse im Großen Hauptquartier.
Halbleinen geb. 3.50 M., Halbleder geb. 8 M.
Die Schrift Niemanns gehört zu den Geschichtsquellen, die man studieren muß, wenn man über die Tage des 9. November sich ein Urteil bilden will.
(Bremer Zeitung, Bremen.)
Dr. Reichert, M. d. R. Rathenaus Reparationspolitik. Eine kritische Studie.
Geh. 2 M., Halbleinen geb. 3.50 M.
Das Buch enthält eine glänzende Kritik des Gedankens, Reparationen durch Sachlieferungen zu leisten, aber auch eine Menge wertvoller treffender Bemerkungen zur Erfüllungspolitik.
(Hannoverscher Kurier, Hannover.)
Rotheit, Rudolf. Das Berliner Schloß im Zeichen der Novemberrevolution. Mit 8 ganzseitigen Textillustrationen.
Pappband 2 M.
Das Buch ist eine Episode, die in 15 feuilletonistischen Kapiteln aus dem großen Passionsweg Deutschlands herausgenommen wird. Ihre Darstellung ist von hohem bleibenden Wert.
(Vossische Zeitung, Berlin.)
Wermuth, Adolf, Reichsschatzsekretär, dann Oberbürgermeister von Berlin. Ein Beamtenleben. Mit dem Bildnis des Verfassers. Geh. 5 M., Halbleinen geb. 6.50 M., Halbleder geb. 10 M.
Eine große, glänzende Beamtenkarriere läßt der Autor dieser Erinnerungen am Leser vorüberziehen. Der sie durchlaufen, verdiente ohne allen Zweifel seinen Erfolg, denn er erscheint uns als der Mann, dem fast alle Tugenden des rechten Beamten anhaften, der aber auch ein charaktervoller und warm empfindender Mensch, dem man die Sympathie nicht versagen kann, war.
(Neue Zürcher Zeitung, Zürich.)
Die angegebenen Grundpreise sind mit der jeweiligen Schlüsselzahl des Buchhändler-Börsenvereins zu vervielfachen
Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin SW
Kolonial-Literatur
Behrmann, Prof. Dr. Walter. Im Stromgebiet des Sepik. Eine deutsche Forschungsreise in Neuguinea. Mit 100 Textabbildungen und einer vom Verfasser aufgenommenen Karte.
Geh. 5 M., Halbleinen, geb. 6.75 M., Halbleder geb. 10 M.
Die humorvolle Schilderung der vielseitigen Forschungstätigkeit und des lebhaften Verkehrs mit den Eingeborenen, die Beschreibung und Abbildung der wundervollen Urwaldlandschaften lassen ein vollkommen plastisches Bild dieser bisher wenig bekannten Welt vor uns entstehen.
(Bremer Nachrichten vom Büchermarkt, Bremen.)
Deppe, Ludwig. Mit Lettow-Vorbeck durch Afrika. Mit 143 Textabbildungen und 4 Karten.
Halbleinen geb. 5 M.
Namentlich die Aufzeichnungen der letzten vier Monate wirken erschütternd und offenbaren in ihrer Unmittelbarkeit den Heldenmut, das zähe Durchhalten viel stärker, als es noch so schöne Schilderung tun könnte.
(Weser-Zeitung, Bremen.)
de Haas, Rudolf. Unter australischen Goldgräbern.
Geh. 2 M., Halbleinen geb. 3.50 M.
Lebendige und farbenprächtige Bilder aus seinem Leben unter den Farmern und Goldgräbern zeigt der Verfasser, so daß der Leser einen überaus fesselnden und wertvollen Einblick in diesen abseits allen Verkehrs liegenden australischen Landstrich mit seinen aus aller Herren Ländern zusammengewürfelten Bewohnern erhält.
(Deutsches Lehrerblatt, Berlin.)
de Haas, Rudolf. Im Schatten afrikanischer Jäger. Bilder aus den Steppen am Kilimandscharo.
Geh. 2 M., geb. 3.25 M.
Hier kommt ein alter Deutsch-Ostafrikaner zu Wort, der mit Herz und Seele an dem Lande hängt, das ihm zur neuen Heimat geworden, in der er schwer gearbeitet, gelitten, aber auch genossen hat.
(Deutsche Wochenzeitung für die Niederlande, Amsterdam.)
Poeschel, Dr. Hans. Die Stimme Deutsch-Ostafrikas. Die Engländer im Urteil unserer ostafrikanischen Neger. Mit Geleitworten von Gouverneur Dr. Schnee und Generalmajor v. Lettow-Vorbeck.
Geh. 0.50 M.
Verfasser zeigt, wie das Verhalten der Neger während des Weltkrieges, schon allein die Ruhe, die sie im Gegensatz zu den Untertanen des britischen Weltreiches bewahrten, mehr noch die von allen Bevölkerungsschichten geleistete schwierige Kriegshilfe ein über jeden Zweifel erhabenes Zeugnis zugunsten der deutschen Herrschaft darstellt.
(Die katholischen Missionen, Freiburg i. Br.)
Wenig, Richard, Oberleutnant z. S. Kriegs-Safari. Erlebnisse und Eindrücke auf den Zügen Lettow-Vorbecks durch das östliche Afrika. Mit zahlreichen Originalphotographien und einer Kartenbeilage.
Geh. 2 M., geb. 3.25 M.
Wenig bietet hier in impressionistisch hingeschriebenen Aufzeichnungen ein berückendes Bild des freien Kriegslebens in den unendlichen sonnedurchflimmerten Steppen Afrikas.
(Österreich. Wehrzeitung, Wien.)
Die angegebenen Grundpreise sind mit der jeweiligen Schlüsselzahl des Buchhändler-Börsenvereins zu vervielfachen
Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin SW
Weltkriegs-Literatur
von Bülow, Generalfeldmarschall. Mein Bericht zur Marneschlacht. Mit 7 Kartenbeilagen.
Geb. 1.50 M.
Die vorliegende Schrift bringt in großen Umrissen eine aktenmäßige Darstellung der Vorgänge, die sich im Rahmen der zweiten Armee abgespielt haben, und überläßt es dem Leser, sich selbst ein Urteil darüber zu bilden.
(Artilleristische Monatshefte, Berlin.)
von François, Herrmann, General der Infanterie z. D. Marneschlacht und Tannenberg. Betrachtungen zur deutschen Kriegführung der ersten sechs Kriegswochen. Mit zahlreichen Kartenskizzen im Text und 14 Kartenanlagen.
Geh. 5 M., Halbleinen geb. 6.50 M., Halbleder geb. 10 M.
Der Verfasser beleuchtet in kritischer Weise die Marneschlacht klar und fesselnd, so daß auch die nichtmilitärischen Kreise seine Darlegungen und Schilderungen mit tiefstem Interesse lesen werden. Das Werk bildet eine sehr wichtige Bereicherung unserer Literatur über den Weltkrieg und wird späteren Geschichtschreibern von großem Nutzen sein.
(Allg. Zeitung, Königsberg i. Pr.)
von Gleich, Gerold, Generalmajor z. D. Vom Balkan nach Bagdad. Militärisch-politische Erinnerungen an den Orient.
Geh. 2.50 M., Halbleinen geb. 4 M. Halbleder geb. 8 M.
Schonungslos zieht hier ein alter Generalstabsoffizier alle Schleier hinweg, die bisher geheimnisvoll die deutsche Expedition ins Perser Land umwoben, und zeigt, wie Unzulänglichkeit des Planes, Zersplitterung der Kräfte, Eifersüchteleien zwischen deutschen und türkischen Befehlshabern, persische Indolenz und Gerissenheit über deutschen Willen triumphieren.
(Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer, Berlin.)
Liman von Sanders, General der Kavallerie. Fünf Jahre Türkei. Mit zahlreichen Textskizzen und 3 Kartenbeilagen.
Geh. 5 M., Halbleinen geb. 6.50 M., Halbleder geb. 10 M.
Es ist das Verdienst des Generals Liman von Sanders, des Dardanellensiegers, daß er seine in diesem Buche festgelegten Erinnerungen mit ungeschminkter Wahrheit sagt. Seine unerhörten Kämpfe an den türkischen Fronten gegen die Feinde des Vierbundes werden in diesem Buch trefflich geschildert.
(Altonaer Nachrichten, Altona.)
Scheer, Admiral. Deutschlands Hochseeflotte im Weltkriege. Persönliche Erinnerungen. Mit zahlreichen Bildern und Kartenbeilagen.
Geh. 7 M., Halbln. gb. 9 M., Halbld. gb. 12 M.
Admiral Scheer hat die Skagerrakschlacht eingehend geschildert. Durch zahlreiche Skizzen und Karten wird auch dem Laien ein klares Bild von jenem denkwürdigen Geschehnis vermittelt.
(Münchener Zeitung, München.)
Spindler, Karl, Kapitän. Das geheimnisvolle Schiff. Die Fahrt der»Libau«zur irischen Revolution.
Geh. 2 M., Halbleinen geb. 3.50 M.
Das Wirken Sir Roger Casements für den irischen Freiheitskampf, seine Unterstützung durch Deutschland und die englandfreundliche Haltung des damals noch»neutralen«Präsidenten Wilson werden hier zum ersten Male in ihren Zusammenhängen dargestellt.
(Sport im Bild, Berlin.)
Die angegebenen Grundpreise sind mit der jeweiligen Schlüsselzahl des Buchhändler-Börsenvereins zu vervielfachen
Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin SW
Bücher für die männliche Jugend
Geucke, Kurt. Der Steiger vom David-Richtschacht. Mit Bildern von Willibald Weingaertner.
Halbleinen geb. 2 M.
Helling, Viktor. Das Geheimnis der Kazikengräber. Mit vier Vollbildern, Streubildern und Buchschmuck von Albert Schaefer.
Halbleinen geb. 3 M.
Helling, Viktor. Unter Indiens Sonne. Abenteuer zweier deutscher Knaben. Mit fünf Vollbildern, Streubildern und Buchschmuck von Albert Schaefer.
Halbleinen geb. 3 M.
Helling, Viktor. Der Jäger von Los Angeles. Abenteuer in den Urwäldern Südkaliforniens. Reich illustriert.
Halbleinen geb. 3 M.
Helling, Viktor. Exotische See- und Reiseerlebnisse. Mit fünf Vollbildern, Streubildern und Buchschmuck von Prof. Ludwig Fahrenkrog.
Halbleinen geb. 2.50 M.
von Mücke, Helmuth, Kapitänleutnant. Emden-Ayesha. Selbsterlebtes von den sagenhaften Fahrten der ruhmreichen deutschen Schiffe »Emden« und »Ayesha« auf hoher See.
Band 1 Ayesha. Geh. 1 M., geb. 2 M. Band 2 Emden. Geh. 1 M., geb. 2 M.
Beide Bücher in einem Band geb. 3 M.
Otto, Friedrich. Abenteuer aus aller Welt. Mit Bildern und Buchschmuck von Albert Schaefer.
Halbleinen geb. 3 M.
Poeck, Wilhelm. Heino der Klabautermann. Eine Schiffsjungengeschichte. Mit zahlreichen Bildern und Buchschmuck von Edmund Erpf.
Halbleinen geb. etwa 4 M.
Hersen, E. Die Wikinger von Jomsburg. Zeitbild aus dem 10. Jahrhundert, nordischen Sagen nacherzählt. Mit Bildern und Buchschmuck von Franz Staffen.
Halbleinen geb. 4 M.
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Verlag August Scherl G. m. b. H., Berlin SW