The Project Gutenberg eBook of Leben mit einer Göttin This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Leben mit einer Göttin Roman Author: Max Brod Release date: April 7, 2025 [eBook #75813] Language: German Original publication: Muenchen: Kurt Wolff Verlag, 1923 Credits: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library. *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LEBEN MIT EINER GÖTTIN *** Max Brod Leben mit einer Göttin Roman München Kurt Wolff Verlag 1.-5. Tausend / Gedruckt im Jahre 1923 von der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig Copyright 1923 by Kurt Wolff Verlag A.-G., München Leben mit einer Göttin „Klar sah ich alles – und doch trunken“ Mein geehrter Herr Verteidiger! Meinen Dank zuvor und meine Anerkennung. Sie haben sich sehr menschlich zu mir benommen! Dies der unmittelbare Anlaß für die folgenden Aufzeichnungen, denen Sie alles entnehmen, wonach Sie mich die letzten Wochen lang unablässig und immer wieder und immer ohne Erfolg gefragt haben. Ja, Ihre Neugierde, vielmehr Ihre Amtsneugierde – denn ich weiß sehr gut, daß kein häßlich persönliches Motiv, sondern nur Pflichtbewußtsein Sie angetrieben hat – Ihre Amtsneugierde wird durch die Darstellung, die ich jetzt, um Mitternacht, beginne, vollkommen befriedigt werden, soweit dies in meiner Macht liegt. Und ich hoffe ernstlich, ohne alle Ironie, Ihnen damit einen Gefallen zu tun – Ihnen auf die einzige, mir noch mögliche Art für die Vornehmheit, mit der Sie mich in dieser Zeit behandelt haben, zu danken. Sie sind von meinen Brüdern zu meinem Verteidiger bestellt. Ich begreife durchaus Ihre Verlegenheit. Tagelang haben Sie kein Wort aus mir herausbekommen. Wie, womit, in welcher Gegend menschlicher Entschuldigungsgründe sollten Sie nun meine Verteidigung aufbauen? Ich stelle Ihnen das Zeugnis aus, daß Sie kein Mittel unversucht gelassen haben, mich zum Reden zu bringen. Sie haben freundschaftliches Zureden, Philosophie ins Treffen geführt, auch Überraschungen, auch leise Drohung. – Ganz offen gesprochen: Ihren Eifer verstehe ich nicht. Was gehe ich Sie an? – Das Honorar also? Nun, wenn ich sterbe, was doch so ziemlich sicher, hoffentlich ganz sicher ist, dann fällt mein Vermögen an meine zwei Brüder und Kompagnons, die mir ganz gleichgültig sind und denen ich so wenig bedeute, daß ich sehr bezweifle, ob man die Höhe Ihres Entgelts nach den Anstrengungen bemessen wird, die Sie zur Erhaltung meines Lebens gemacht haben. Man wird Ihnen ja gewiß auch nicht weniger geben, wenn Sie sich sehr bemühen; dazu sind meine Brüder viel zu anständig, viel zu korrekt; aber voraussichtlich auch nicht um einen Pfennig mehr. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat man bereits ein gewisses Fixum im vorhinein bestimmt, eine Post zur Tragung dieses notwendigen, wenn auch unerwarteten Aufwandes im Budget unserer Fabrik ausgeworfen. Fixum, Budgetpost, Vorausberechnung nach kaufmännisch soliden Grundsätzen – das ist ja die Welt meiner Brüder. War auch die meinige, äußerlich zumindest. Nun gut, ich wollte Sie nur vor übertriebenen Hoffnungen warnen. Ihre Funktion wird bezahlt werden, nicht die Intensität Ihres Interesses. Berufsinteresse vielleicht? Dies die Erklärung? Möglich – für mich jedoch völlig dunkel. Kommt es denn wirklich vor, daß man sich für seinen Beruf ehrlich, in voller Befriedigung interessiert? Besser gesagt: ist es möglich, sich für etwas anderes zu interessieren als für Angelegenheiten der Liebe? Von Herzen zu interessieren, meine ich, nicht nur oberflächlich, halb im Wachen und halb im Traum? – Hoffentlich verstehen Sie, was ich damit meine. Sonst lesen Sie lieber gar nicht weiter; Sie würden auch das Folgende nicht verstehen ... Doch um eines bitte ich Sie noch, ehe ich weiterschreibe: Bitte, besuchen Sie mich nicht mehr! Nehmen Sie diesen Brief nicht etwa als mehr oder weniger verhüllten Anknüpfungsversuch, als eine Art Aufforderung, den Verkehr mit mir fortzusetzen, vielmehr eigentlich erst jetzt so richtig anzufangen; denn bisher ist es ja ein durchaus einseitiger Verkehr gewesen – Sie redeten stundenlang auf mich ein und ich antwortete nicht. Ich rechne es Ihnen hoch an, daß Sie dabei niemals grob, niemals auch nur unfreundlich gegen mich geworden sind. O das war so gut von Ihnen! Das hat Ihnen mein Vertrauen verschafft! – Nur ein einziges Mal haben Sie so etwas wie „störrischer Kerl“ zu Ihrem Begleiter geflüstert. Ich gestehe, daß mich das sehr geärgert hat. Als Chef meines Unternehmens war ich ja seit je gewöhnt, von meiner Umgebung immer mit der größten Hochachtung, ja mit einer gewissermaßen kirchlichen Bewunderung angesprochen zu werden. Angestellte wie Geschäftsfreunde, alle wollen immer etwas von einem haben, und da ergeben sich die allerhöflichsten Formen von selbst. Nun im Untersuchungsgefängnis, das weiß ich wohl, hat man ja auf eine derartig gewählte Behandlung keinen Anspruch. Dennoch hat es mich, gerade heraus, gewundert, daß Sie, ein gebildeter Mann, Akademiker sogar, sich so weit gehen ließen ... Ich muß allerdings zugeben, daß ich ziemlich empfindlich bin. Und somit basta, ich habe mich nun erleichtert, ich habe mir das einzige, was ich gegen Sie hatte, von der Seele gesprochen, – es wird mir nun hoffentlich nicht mehr schwer fallen, Ihnen ohne Rückhalt das zu erzählen, wonach Sie ein so starkes Bedürfnis an den Tag gelegt haben. Wie zu einem Freund will ich nun zu Ihnen sprechen. Was Sie dann von all meinen Mitteilungen für Ihr Plaidoyer an die Geschworenen verwenden wollen, was nicht, – bleibt Ihnen anheimgestellt. Nur fragen Sie nicht mehr, lassen Sie sich nicht mehr in meine Zelle bringen, wehren Sie doch lieber alle Besuche ab, die mir noch etwa drohen. Ich will allein sein. Die Anwesenheit von Menschen quält mich. Auch die Ihrige hat mich, trotz Ihres musterhaften Vorgehens, namenlos gequält. Ich will Ihnen gleich sagen, warum. Ich will Ihnen in diesem Brief alles sagen, was über mich, was über den rätselhaften Kriminalfall zu sagen ist, in dessen Mittelpunkt ich stehe. Ich habe einen mir ganz fremden Menschen umgebracht, einen Menschen, der, wie man sagt, auch meiner Frau fast gänzlich fremd war. Sie werden gleich lesen, wie es zu solch einer unerhörten Tat kommen konnte, kommen mußte. Alles werden Sie lesen. Nur, um Gottes willen, keine Fragen mehr, keine Besuche. Ersparen Sie mir alles Weitere! Sonst hätte auch dieser Brief sein Ziel verfehlt, – im Kleinen ebenso sein Ziel verfehlt wie im Großen mein ganzes Leben. Herr Verteidiger! Ja, ich fühle mich schuldig. Ein Teil der Qual, die Sie mir verursachen (obwohl, wie ich immer wieder hervorhebe, Ihr ganzes Trachten darauf abzielte, mir nicht wehezutun, – obwohl ich in Wahrheit nie einen so gütigen, so geduldigen Menschen wie Sie gesehen habe, – einen Menschen, der mich vielleicht gerettet hätte, wenn ich früher mit ihm zusammengetroffen wäre, und dem ich daher dies alles nicht seiner Berufsstellung wegen mitteile, – das war Unsinn, womit ich vorhin anfing, – nein, aus Liebe, aus Liebe zu Ihnen, zu Ihrem unbegreiflich sanften, erbarmenden Blick, der auf mir ruhte, dem „störrischen Kerl“ – aus Liebe schreibe ich dies. Ohne Liebe würde ich offenbar nicht die Nacht in ein Schreibheft schlagen, ohne Liebe würde ich überhaupt nichts tun, habe ja alles nur aus Liebe getan und beichte also auch nur, weil ich zum erstenmal etwas wie Freundschaft, wie Liebe zu einem Mann, zu Ihnen, im Herzen spüre) – die Qual also, die Sie mir verursachten, beruht vor allem darauf, daß Ihre Einstellung gegen mich eine vollständig falsche ist. Sie suchen Entlastungsgründe für mich. Ich aber fühle mich schuldig, und ich suche Tatsachen, die mich belasten könnten. Nun sehe ich Sie lächeln. Belastende Tatsachen? Als wäre das Verbrechen an sich nicht belastend genug. „Seltsame Verblendung“, – höre ich Sie sagen. „Ein Mord, und noch dazu auf die furchtbare, ja bestialische Art ausgeführt, von der die Anklageschrift so viel spricht – genügt ihm das wirklich nicht zur Belastung vor Gott und Welt?“ – Nun, ganz nebenbei bemerkt, gerade diese „bestialische Art“, von der so viel Aufhebens gemacht wird, müßte meiner Ansicht nach eher für als gegen mich zeugen. Sie beweist doch ganz klar, daß ich nicht darauf ausging zu morden, daß ich auf einen solch traurigen Schluß der Angelegenheit nicht im mindesten vorbereitet war. Hätte ich die Absicht gehabt, den Mechaniker zu töten, so hätte ich wahrscheinlich einen Revolver mitgenommen. Ich hatte aber keine Waffe bei mir. Leider! So geschah es denn, wie es geschehen mußte. Ich sage das aber durchaus nicht zu meiner Entschuldigung. Dieser ganz nebensächliche Umstand beweist nur, wie gedankenlos die Anklageschrift gegen mich verfaßt ist, so gedankenlos und halb und unausgetragen, wie eben alles, was aus „Berufsinteresse“ geschieht. Für mich selbst jedoch und meine eigene Beurteilung meiner Schuld ist dieser Umstand vollständig bedeutungslos. Für mich ist nämlich die ganze Tatsache, daß ein Mensch, ein fremder Mensch an mir gestorben, mir zum Opfer gefallen ist, – verzeihen Sie die Aufrichtigkeit – eine Nebensache. Nicht des Mordes fühle ich mich schuldig, – obwohl ich selbstverständlich zugeben muß, ein Mörder zu sein, – aber das liegt nur an der Oberfläche meiner Schuld. Und gerade heute, wo einige Millionen junger Menschen am Weltkrieg gestorben sind, unter direkter oder indirekter Mitwirkung von uns allen, die wir ihn überlebt haben, erscheint mir ein einzelner Totschlag nicht gerade als das Aufregendste und Auffallendste an mir und unserer Zeit. Wahrhaft schuldig fühle ich mich eigentlich einer anderen Sache wegen: – schuldig, weil ich mich bedingungslos in die Gewalt einer Frau gegeben habe, weil ich meine Wollust daraus zog, ihr zu dienen mit meinem ganzen Wesen und Wollen. Ja, das ist wahr. Indessen: Die volle Wahrheit ist es doch nicht. – Schuldig, mich in die Gewalt einer Frau begeben zu haben? – Habe ich mich denn wirklich in diese Gewalt wissentlich und mit Willen begeben? – Ich bin seit je sehr abhängig von Frauen gewesen. – Einen „_homme à femmes_“ hat mich einmal ein Freund, – nein, kein Freund, ein satirischer Beobachter – genannt. Ich weiß nicht, woher er diesen Ausdruck hatte, – vielleicht ist es nicht einmal ein korrekt französischer Ausdruck, – ich verstand ihn jedenfalls so, daß ein Mann damit gemeint sei, für den Frauen das einzige sind, was er ernst nimmt. Kein Wüstling, – eher das Gegenteil eines solchen. Ich habe niemals ausschweifend gelebt. Und vor allem war mir immer die Verbindung von Zynismus und Liebe – oder Humor und Liebe – oder Alkohol und Liebe oder ähnliches ganz fremd. Liebe, die einer Verbindung mit liebesfremden Stimulantien bedarf, scheint mir geradezu verächtlich. Liebe allein, Liebe um ihrer selbst willen, Liebe und Sehnsucht und Begeisterung und zuletzt bei Jorinde sogar auch noch randvolles Glück und das unermeßliche Unglück der Liebe, – – wahrhaftig, es hat mir genügt, ein Leben auszufüllen. Andere Leidenschaften verstehe ich nicht. Es sind wohl auch noch nur unbedeutende Gemütsbewegungen, denen man diesen Namen irrtümlich, mißbräuchlich verleiht. Ich kenne sie nicht, ich verstehe sie nicht. Weder Ehrgeiz noch Spiel, weder Trinken noch Rauchen, weder Sammeln noch Reisen. Die Leidenschaft jedoch, die ich meine, – beruht sie auf meiner freien Wahl? War sie wirklich meine Schuld? Gerade die Einzigkeit, mit der ausschließlich sie allein von mir Besitz ergriffen hatte, beweist vielleicht, daß ich nicht anders konnte als ihr völlig unterliegen. Kurz und gut ... wenn ich selbst an meiner Schuld irre werde (und Sie tun recht daran, das Vorhergehende als einen schüchternen Rechtfertigungsversuch anzusehen – nicht vor dem Gericht freilich, wohl aber vor meinem eigenen Gewissen), wenn ich selbst die belastenden Tatsachen nicht auffinden kann, die ich suche, deren ich so dringend bedarf, um zur Klarheit über mich und meine Untat zu gelangen, – dann genügt es schließlich doch immer, mir eine einzige Szene vor Augen zu stellen. Denke ich an die zurück, so ist mir allerdings meine Schuld ganz unzweifelhaft klar. Eine äußerlich sehr unscheinbare Szene, – ich sitze allein im Automobil, das an einer Straßenecke hält, im lauen Frühlingsregen und warte auf Jorinde – daran scheint ja eigentlich gar nichts zu sein, – aber der Jubel, der unermeßliche Jubel, der mich diese Stunde lang (oder vielleicht war es auch nur eine halbe, eine Viertelstunde) erfüllte! Dieser Jubel ist allerdings an sich noch keine Sünde, aber er hängt doch im Innersten mit meiner Sünde zusammen. Ich warte auf Jorinde, und ich weiß, daß sie in wenigen Minuten bei mir sein wird, neben mir, auf dem weichen Sitz des Autos. Denn sie ist ja eben noch neben mir gesessen, hat mich nur hier warten heißen, nur für ein Weilchen, während sie ihre Sachen zusammenpackt, um dann mit mir abzureisen. Jetzt, sofort wird sie um die Ecke biegen, an der Litfaßsäule vorbei. Um ein paar Tage lang ganz mein zu sein. O diese Erwartung, diese ganz bestimmte Erwartung einer wundervollen Zeit, zum Greifen nahe vor mir. Diese Erwartung, so nahe an der Erfüllung, daß sie nicht mehr getrogen werden kann, und die ja dann auch tatsächlich in Erfüllung gegangen ist. O kaum faßbares Glück einer solchen Gewißheit, – zumal wenn man fünf Tage und fünf schlaflose Nächte vorher im Fieber der Ungewißheit gelegen ist. Diese peinvolle Zeit der Zweifel gehört ja wahrscheinlich als Vorbedingung mit dazu. Wie dem auch sei, genug, die bloße Erinnerung an meinen Herzjubel damals genügt mir auch heute noch, um mich für alle Qualen vor und nach dieser Stunde, selbst für alle Gewissensqualen und für meinen schimpflichen Tod reichlich zu entschädigen. O mehr als das! Es gibt einfach nichts, was ich nicht hingeben würde für das Erlebnis dieser einen Stunde. Meine ewige Seligkeit, – hin, hin für eine einzige Sekunde solchen irdischen Glücks! Es war kein Rausch damals; ich fühlte mich vielmehr ganz klar bei Bewußtsein, meine Gedanken jagten nur zehnmal schneller als sonst und doch in so träumerischer Gelassenheit durch meinen Kopf. Einer von ihnen etwa so: Würde ich in diesem Augenblick gelähmt werden, von einer Krankheit befallen, die mich von jetzt an bis an mein Lebensende jahrzehntelang in einem Lehnsessel festhielte, – ich wollte dennoch niemals wider Gott murren, nie mein Schicksal beklagen, immer nur danken dafür, daß ich einmal eine Stunde lang so unbeschreiblich frei und gerettet im Vollmaße der Seligkeit habe leben dürfen. In Augsburg war es, an der Ecke der Gabelsberger- und der Frohsinnstraße. Ja, sie heißt wirklich so: Frohsinnstraße. Der Name ist nicht erfunden. – In der Dämmerung eines grauen, regnerischen Frühlingsabends ist es geschehen. Ich werde davon berichten, sobald ich an diese Stelle meiner Schicksalserzählung gelangt bin. Vielleicht kann übrigens gerade hievon nichts oder nichts Wesentliches erzählt werden. – Ich habe ja auch nichts anderes sagen wollen, als daß die Erinnerung an diesen Jubel genügt, um mir mit aller Deutlichkeit meine Sünde vor Augen zu führen. Im wesentlichen scheint es etwa darauf hinauszukommen, daß ich mich einer zu großen Sache vermessen habe. – Ich habe mehr auf mich genommen, als ich zu leisten vermag. Auch das werde ich zu seiner Zeit zu erklären versuchen. Wie ich Jorinde kennengelernt habe, gehört wohl nicht ganz zur Sache. Ich will mich daher kurz fassen. Es war vor zwei Jahren, im Frühherbst, – in demselben Monat vielleicht, in dem es jetzt zu Ende geht. Damals kam ich nach München, um mit Professor Grothius zu sprechen. Grothius, eine der ersten akademischen Autoritäten auf dem Gebiete der Nahrungsmittelchemie, machte seit Jahren die bedeutenderen Analysen für unsere Präparate. Obwohl wir (das heißt: die Fabrik) in ziemlich regem geschäftlichen Briefwechsel mit ihm standen, war ich doch nie persönlich mit ihm zusammengetroffen. Eine außergewöhnlich wichtige Angelegenheit hatte diesmal meine Reise veranlaßt. Es handelte sich um eine uns angebotene Erfindung, in der wir Millionen investieren sollten. Die Sache drängte. Und so nötig meine Anwesenheit in unserem Berliner Betrieb jahraus jahrein war: diesmal mußte ich mich losmachen, um die mit dem Gutachten des Professors zusammenhängenden Entscheidungen an Ort und Stelle zu treffen. Mein Gefühl, als ich zum erstenmal dem großen alten Herrn mit dem grauen Wotansbart und den leuchtenden, hellblauen, immer etwas feuchten Augen gegenüberstand, war eine Art Erstaunen darüber, daß ich es mit einem lebendigen Menschen zu tun hatte. – Von Berlin, von meinem Fabrikkontor aus gesehen, war er (wie so ziemlich alles) eine Nummer in der Registratur gewesen. Grothius, Analysen, Briefe in Schreibmaschinenschrift, Ziffern mit sehr vielen Dezimalstellen, denen man blindlings vertraute, vertrauen mußte, – eine Art Maschine, eine nützliche Institution des Vaterlandes, die den Titel „Professor“ führte. So hatte ich ihn im Kopf, war nicht darauf gefaßt, ein Wesen von Fleisch und Blut vorzufinden, das nebst den Dezimalstellen, die es produzierte, auch noch andere Interessen hatte – so zum Beispiel: mich sofort zum Abendessen einlud. Ich wußte mich zuerst gar nicht zu benehmen. Aus den Scharnieren meines Berliner Kommando- und Kompendiumtones gerissen, in dem persönliche Beziehungen nicht vorkamen, rang ich nach Haltung. Ich fand sie schließlich darin, daß ich dem gemütlichen Herrn mit einem gewissen Respekt (denn er war ja ein berühmter Hochschullehrer), schließlich aber doch nur wie einem besseren Angestellten begegnete (denn er wurde doch von meinem Unternehmen bezahlt). Es war eine Mischung von Bewunderung und Hochmut, wie sie etwa die Hausfrau dem großen Tenor gegenüber empfinden mag, der – gegen hohes Honorar – ihren Gästen nach dem Dessert zwei Arien vorsingt. – Ich erwähne dieses besondere Gefühl, weil ich es dann auch auf die Tochter des Professors übertrug. Der Tochter gegenüber überwog freilich von Anfang an bewundernde Angst und Scheu. Dora Grothius war sehr schön – von jener Art Schönheit, über die unter Männern keinen Augenblick lang ein Zweifel bestehen kann. Ich konnte mir denken, daß sie, in einen Ballsaal eintretend, sofort alle Blicke auf sich ziehen müßte. Woran mag es wohl liegen, daß von zwei Gesichtern, die einander sehr ähnlich sehen, das eine blitzartig im Lichte der Schönheit erscheint, das andere wie in Schatten getaucht bleibt, aus dem es vielleicht erst allmählich als „interessant“ oder „eigenartig“ zum Vorschein kommt? Doras Schönheit hatte nichts von dieser Unklarheit, dieser allmählich sich durchsetzenden Wirkung an sich. Ihre hohe schlanke Gestalt, das mattglänzende Blondhaar, der fein geschnittene, blaßrosige Mund im weißen Gesicht und die blauen Augen von ebenso wundervoller Form, – das alles sprach wie ein Typus, wie die Vollendung eines Typus an. Man schlürfte diese Art von Schönheit gleichsam gelassen ein, sagte sich nach der ersten Minute: „Nun, dich habe ich ganz erfaßt, du gibst keine Rätsel auf“, – aber gerade dieses Wohlbehagen, dieses scheinbar Nicht-Irritierende betäubte wie ein Narkotikum, und ganz berauscht von dem Sicherheitsgefühl, daß man sich jeden Moment von einem so einfachen und einleuchtenden Anblick losreißen könne, kam man überhaupt nicht mehr los ... So flößte mir Doras Erscheinung, von der ersten schlagartigen Freude abgesehen, dumpfe Angst ein. Dies der Grund, weshalb ich sie immer „Jorinde“ genannt habe, zuerst im stillen, bald auch von Mund zu Mund. Sie erinnerte mich an eines der Grimmschen Märchen, das ich als Kind stets nur beklommen mir habe vorlesen lassen. „Jorinde und Joringel“ heißt das Märchen. Ganz habe ich ja nie verstehen können, warum ich mich vor diesem Märchen, ja schon vor den Seiten, auf denen es in meinem alten Märchenbuch gedruckt war, so sehr gefürchtet habe. Andere Geschichten handeln doch von grauslicheren Dingen! Diese freilich ist so süß-grauslich wie keine. Ach, mein Kinderherz bebte vor wonniger Bangigkeit, wenn ich die beiden jungen Leute, Joringel und seine geliebte Jorinde, dem Zauberwald zuschreiten sah, um vertraut miteinander reden zu können, wie das Märchen sagt, – in den Zauberwald, in dem die alte Hexe wohnt. Wenn jemand auf hundert Schritt ihrem Schloß nahe kam, so mußte er stille stehen und konnte sich nicht von der Stelle bewegen, bis sie ihn lossprach. So erging es dann auch dem Jüngling, während seine Geliebte vor seinen Augen in eine Nachtigall verwandelt wird, „zicküt, zicküt“ singt – und dann tritt die Hexe aus dem Busch, fängt die Nachtigall und trägt sie auf der Hand fort. Joringel aber kann nichts sagen, er steht festgebannt auf seinem Platz, wehrlos und fremd. – Ich weiß nicht, warum gerade dieses eine Märchen, das ich seit Kindestagen nicht mehr gesehen habe, so fest in mir haftengeblieben ist, weiß nicht, warum Dora die angstvolle Erinnerung daran in mir aufgeweckt hat. Später allerdings wurden mir einige Zusammenhänge klar. Doch das Gefühl war ja vom ersten Moment an dagewesen. In Anwesenheit ihres Vaters sehr zurückhaltend, sprach Dora bei der ersten Begegnung im Laboratorium kaum ein Wort. Die Einladung zum Abendessen nahm ich aber nur ihretwegen an. Ich mußte, um mir den Abend frei zu machen, einem Geschäftsfreund absagen, der schon Karten für ein Kabarett besorgt hatte. Nachmittags empfand ich dann doch ein gewisses Unbehagen vor dem Besuch, und abends wollte ich noch an der Schwelle umkehren. Ich hatte inzwischen allerlei über den alten Grothius reden gehört: daß er zu den führenden Münchener Monarchisten gehöre – wenn auch nicht zu ihren tätigen Parteigängern, so doch zu denen, die mit ihrem Namen der reaktionären Bewegung neues Ansehen verschafft hatten. – Ich selbst kümmere mich ja gar nicht um Politik. Und die Revolution hat mir in meinem Geschäftsbetrieb eher geschadet als genützt. Aber als Berliner gehöre ich gewissermaßen von selbst zu jenem andern Deutschland, das vorwärts will, und ohne mir viel Gedanken darüber zu machen, hätte ich, wenn gefragt, immer nur für linke Parteien gestimmt. Politische Auseinandersetzungen aber sind und waren mir immer unangenehm, und ich bereute schon, in persönlichen Verkehr mit dem Professor getreten zu sein und diesen Verkehr durch einen in seinem Hause verbrachten Abend nun förmlich zu bekräftigen. Aus einer Sinnesart, die mich so entlegen anmutete, mußte (so schien es mir) bei Näherrücken Verstimmung entstehen, während der Geschäftsverkehr aus unwirksamer Ferne sich immer so angenehm glatt abgewickelt hatte. Indessen verlief der Abend völlig ruhig, ohne Störung, ganz ereignislos. Was mich überraschte, war die Natürlichkeit, die im Hause Grothius herrschte, – eine Natürlichkeit, die Widerspruch nicht herausforderte, im Ernstfalle aber wohl auch nicht vertragen hätte, – eine gleichsam unscheinbare und doch kräftige Natürlichkeit, entsprechend etwa der dunklen Tönung, in der sich die mit Holz getäfelten, sonst bescheidenen Wohnräume repräsentierten. „Man muß ja nicht von allem reden“, – schien als unsichtbarer Leitspruch über Wohnung und einfacher Mahlzeit zu schweben. Ein Satz, der mir ebenso einleuchtend erschien, wie er mir bisher nie eingefallen war. Hatte ich es doch für selbstverständlich gehalten, mit dem Professor zuerst gerade von dem zu reden, was uns meiner Ansicht trennen mußte. Ihm aber genügte es scheinbar vollauf, wenn ich seinen Jagdgeschichten zuhörte. In der grauen, mit Hornknöpfen besetzten Jägerjoppe, die er als Hausrock trug, die lange Pfeife rauchend, den Maßkrug vor sich, – so schloß sich seine im weißen Laboratoriumskittel etwas bizarr auseinanderfallende Figur zu dem durchaus glaubwürdigen Bild irgendeines Gutsinspektors oder Försters zusammen. Er sprach gelegentlich auch von seinem Heimatdorf in den Alpen, von der alten Bauernfamilie, der er entstammte. München mochte er nicht. Es war allzusehr von „Ausländern“ überschwemmt. Nur der Beruf hielt ihn da fest, die Ferien verbrachte er im Gebirge. – Was er sagte, erschien mir ganz selbstverständlich. Ein Mann, der so aussah wie er, mit solch einem faltenreichen, bärtigen Gesicht, aus dem die Äuglein wie kleine Enziane hervorzwinkerten, ein solcher Mann konnte nicht anders reden. Er sprach laut und entschieden, sagte aber nichts Aufregendes, nichts Auffallendes. Es hatte den Anschein, als sei überhaupt in diesen Zimmern jedes Hervortretenwollen, jede Unterschiedlichkeit verpönt. Sogar der jüngste Sohn, der mit am Tisch saß, Privatdozent (drei andere Söhne waren alle als Offiziere der Reichswehr auswärts garnisoniert) –, sogar dieser junge Mann mit dem glattrasierten, scharfgeschnittenen Landsknechtgesicht fiel durch nichts auf; es hatte vielmehr den Anschein, als eifere er danach, dem Vater möglichst ähnlich zu werden. Auch er trug einen Jägerrock, rauchte aus langer Pfeife, sprach laut und langsam von Hunden und Gemsböcken und, da der Vater mich freundlich behandelte, ging er noch ein Schrittchen weiter und forderte mich auf, im Sommer die Familie in ihrem dörflichen Feriensitz zu besuchen. Dora hielt sich durchaus im Hintergrund. Auch bei diesem zweiten Zusammentreffen sprach sie nicht viel. Nur ein leises beifälliges Lachen fiel mir auf, sooft der Vater eine der vielen scherzhaften Dialektanwendungen oder Witze verwendete, die ich meist nicht verstand, wie ich denn überhaupt der fremden Mundart wegen dem Gespräch trotz seines sehr gemächlichen Tempos nur mit Anstrengung zu folgen vermochte. „Man kann doch eigentlich nicht einmal recht deutsch“, sagte ich mir ärgerlich. „Was kann man also eigentlich?“ – Übrigens machte Dorn, obwohl sie sich dem Anschein nach vollständig in diese Umgebung einfügte, doch nur einen etwas gedrückten Eindruck auf mich. Immer wurde nur von männlichen Vergnügungen geredet oder vom militärischen Rang der Söhne, der so viel Geldzuschüsse von daheim erforderte. Auf Dora nahm das Gespräch keine Rücksicht. Was mochte für sie hier übrigbleiben? Die Arbeit wohl, – die Vesorgung des ganzen Hauswesens, da die Mutter nicht mehr lebte. – Die kleine weiße Latzschürze stand ihr ausgezeichnet: dennoch dachte ich mehr als einmal daran, daß es doch eine seltsame Welt sei, in der schlanke, weiße, feingegliederte Frauen derartig ungeschlachten Männern gleichsam als Kriegsbeute anheimfallen und dies obendrein noch ganz in der Ordnung finden. Der Gedanke verfolgte mich, wiewohl er offenbar keinen rechten Sinn hatte. Hauptsächlich um Dora eine Freude zu machen, bat ich die Familie, mich am nächsten Abend für ihre Gastfreundschaft revanchieren zu dürfen. Ich würde eine Loge ins Theater nehmen, dann könnten wir in der Reginabar speisen. Man nahm an. Bald darauf verabschiedete ich mich. Nach anstrengenden Geschäftskonferenzen gelangte ich am nächsten Abend ins Theater. Die Logennummer hatte ich schon am Mittag der Familie Grothius durch einen Boten bekanntgegeben. Zu meinem Erstaunen war nur Dora da. Sie stand im Couloir vor der Loge, wartete offenbar auf mich. „Sie haben wohl unsere Absage nicht bekommen?“ empfing sie mich. „Nein.“ „Wir haben ins Hotel geschickt.“ „Ich war seit Mittag nicht zu Hause.“ „Mein Vater ist nämlich erkrankt –“ „Ach, das tut mir leid.“ „– so heißt es in der Absage. Aber Sie brauchen nicht besorgt zu sein. Die Krankheit ist ganz ungefährlich.“ „Wirklich?“ „Und nehmen Sie mich nun trotzdem in Ihre Loge mit?“ Ihre Augen strahlten zauberhaft lustig. Es war ein ganz anderes Gesicht, und doch, so schien es mir, hatte ich auch gestern schon hinter ihren geschlossen ernsten Zügen diesen Übermut, diese Feuerblicke aus den Augenwinkeln hervor geahnt. Sie trug auch eine andere Frisur: kurzgeschnittenes Haar fiel blondbuschig von den Schläfen in die Wangen, das übrige war in einen großen Knoten geschlungen. Die modischen kurzen Locken waren gestern wohl unter glatten Flechten verborgen gelegen. Und wie sie sich bewegte, wie gelenkig und schnell im Vergleich zu ihrer gestrigen stillen Getragenheit. Ganz eilig trat sie mit mir in die Loge ein, setzte sich an die Brüstung. „Wie konnte Ihnen nur einfallen, uns Karten zu solch einem Stück anzubieten?“ Ich unterdrückte das beschämende Geständnis, daß ich noch jetzt nicht wisse, was denn eigentlich gespielt werde. „Zu einem Revolutionsstück“, fuhr sie fort. „Von Sternheim. Bei der Premiere war doch ein richtiger Theaterskandal, wie bei allen modernen Stücken, die man jetzt in München spielt.“ „Das habe ich nicht gewußt. Sie müssen entschuldigen.“ „Nun aber wissen Sie, warum wir nicht kommen konnten.“ Ich sah ihr ins Gesicht. Es verriet keine Spur von Ironie. „Sie sind ja aber doch gekommen“, wollte ich eben sagen, – da ging der Vorhang auf. Ich merkte, daß sie sich sofort mit ganzem Interesse der Bühne zuwandte und machte daher keine weitere Bemerkung. – Doch konnte ich keinen Augenblick lang dem Stück folgen. Mit dem schönen Mädchen allein zu sein, verwirrte mich allzusehr. Endlich Pause. „Sie fühlen sich wohl sehr einsam in Ihrer Familie?“ Und nun das Unbegreifliche, die erste Offenbarung des Tatbestands, der so entscheidende Gewalt über mein Leben und Schicksal gewonnen hat: – Dora verstand zuerst gar nicht, was ich meinte. Ihre tiefe Überraschung bei meiner Frage war es, was mich geradezu elementar ergriff. Einsam in der Familie, – nein, der Gedanke war ihr offenbar noch nie aufgetaucht. Nun ja, sie war ins Theater gekommen, weil Theater ihre einzige große Leidenschaft war. Was denn weiter! Daß darin zumindest eine Eigenmächtigkeit, eine Art Protest gegen die strenge Zucht zu Hause, vielleicht sogar mehr: eine gewisse Treulosigkeit gegen den Vater lag, – das kam ihr überhaupt nicht zu Bewußtsein. Und meine Sache konnte es natürlich an diesem Abend nicht sein, sie auf solche Ideen zu bringen. – Aber daß sie selbst den Widerspruch nicht merkte, daß sie mir ganz vergnügt erzählte, zu Hause glaube man sie bei einer Freundin zu Besuch, nebenher aber wieder auf „Ausländer und Juden“ schimpfte, „die die besten Plätze besetzt hätten“ (und so waren alle ihre Beobachtungen von dem abhängig, was sie zu Hause gehört haben mochte), – das hatte etwas tief Beunruhigendes, Unverständliches für mich. Und das Merkwürdigste dabei: nicht daß sie selbst ganz ehrlicherweise die Widersprüche nicht merkte, in denen sie sich bewegte, – nein, daß auch ich, wenn ich näher hinsah, sie nicht mehr oder nicht mehr immer auffinden konnte. So sehr ergriff einen die Selbstverständlichkeit, die von Dora ausging. Es gab Momente, in denen auch für mich alles in eins zusammenfloß. So etwa dachte ich: gut, sie will zur Bühne (das gestand sie mir mit beinahe kindlicher Übereiltheit sofort ein), die ist ihre größte, ihre einzige Sehnsucht, und offenbar paßt ein solcher Wunsch sehr wenig in den traditionellen Stil der Familie Grothius. Aber Dora weiß das nicht. Oder kümmert sich nicht darum. Jedenfalls gelingt es ihr, sozusagen in einem Atem, von ihrem Bruder-Major wie von geheimen Dilettantenaufführungen zu schwärmen, an denen sie teilnahm. Wie das vereinbaren? – Dann aber, wenn ich nur für einen Augenblick diesen sichtenden Standpunkt aufgab und mich in Doras schöne Hand oder den feinen Nacken „verschaute“, dann verstand ich eigentlich wieder nicht, was da unvereinbar sein solle. Konnte es denn nicht strenge, zuchtvolle Schauspielkünstlerinnen geben? Ich kannte zwar das Leben hinter den Kulissen genau – leider –, aber warum nicht an die Möglichkeit von Ausnahmen glauben! – So riß mich von Anfang an die Annäherung an Doras Gefühlswelt hin und her. Ihre Erscheinung war unklar, schwankte –, aber da ich sie selbst mit solcher Einfachheit und Leichtigkeit leben und fortschreiten sah, in einer überirdischen Leichtigkeit der Existenz, die mir das Bewundernswürdigste an ihr schien, fiel alles Unsichere, das ich ihr gegenüber empfand, auf mich selbst zurück. Ich war befangen, mußte ihre Art als etwas, was über mein Begriffsvermögen hinausging, verehren; zumindest anerkennen, daß es jenseits meines Verständnisses durch kräftige Lebensäußerung hinreichend und in aller Selbstverständlichkeit gestützt sei. Das ist es, weshalb ich den Lebensabschnitt, der an jenem Theaterabend begann, in meiner Seele so oft „Leben mit einer Göttin“ genannt habe. Unverständlich und großartig ist mir Dora immer geblieben, mochte ich ihr noch so nahe gekommen sein. So wurde sie mir zur Göttin, – freilich nicht nur aus diesem einen Grund. Bei lebhaftem Gespräch in den Zwischenakten gelangten wir noch so weit, daß ich ihr meine Hilfe zur Erreichung ihres Ziels anbieten konnte. – Dann fuhren wir in die Reginabar. Das Souper war ja schon bestellt. Kein Grund lag vor, es verfallen zu lassen. Im Dunkel des Wagens küßte ich sie zum erstenmal, und sie erwiderte die Küsse mit einer Leichtigkeit, für die ich ihr dankbar war. Eine glückliche Zeit sah ich vor mir aufblühen. Enttäuscht von all den Liebschaften, die ich dem Brauch meiner Kreise entsprechend mit allerlei Berliner Film- und Operettendamen gehabt hatte, sehnte ich mich seit je nach einer starken, von den Gewürzen der üblichen Koketterie verschonten Liebe. Dora war rein von Berechnungen und Unechtheiten, das fühlte ich sofort. Wie herrlich schien es mir, daß sie sozusagen keine Geschichten machte, daß sie in aller Einfachheit ihrer Jugend und ganz unbedenklich zu erkennen gab, daß ich ihr gefiel ... Die Folgerung aber, die ich daraus zog: daß keine Schwierigkeiten in diesem Verhältnis zu überwinden sein würden, erwies sich bald als der verrückteste Einfall, den ich je gehabt habe. Ohne Schwierigkeiten das Leben mit einer Göttin – welch eine geradezu gotteslästerliche Idee! Schon an jenem Abend zeigte sich das. Noch ganz berauscht von den Küssen und Anpressungen der Wagenfahrt saß ich ihr im Restaurant gegenüber –, im hellerleuchteten Lokal aber war ihre Miene sofort wieder wohlerzogen und fromm geworden. Ich schrieb etwas auf meine Papierserviette, da ich von der in meinem Herzen erwachten Liebe über den Tisch hinweg nicht reden konnte. Sie erwiderte durch eine Bemerkung auf derselben Serviette. Eine Übertrumpfung meiner heißen Liebesworte hatte ich erwartet. Was las ich aber – in steiler, großer Mädchenschrift: „Achtung und Freundschaft.“ Mit Ernst, ohne zu lächeln, reichte sie mir diese Antwort, die mich verblüffte. Ihre Kühle, die durchaus nicht gespielt schien, reizte mich auf. Das prinzessinnenhafte Benehmen beim Essen, beim zierlichen Erfassen des Trinkglases, der vornehme Anstand, die gleichmäßige, beherrschte Freundlichkeit ihrer Worte, – war es nicht ein geradezu unglaubwürdiger Kontrast zu dem, was eben zwischen uns vorgefallen war? Wieder solch ein Widerspruch. Und wieder einer, der bei näherem Hinsehen dahinzuschmelzen schien. Sehr einfach: benimmt man sich denn nicht im dunkeln Wagen natürlicherweise anders als in einem eleganten Restaurant? Gerade das war ja das Besondere an Dora: daß der rasche Wechsel ihrer Stimmungen nie einen launenhaft willkürlichen Eindruck machte, sondern wie eine Naturnotwendigkeit wirkte, vor der man sich ganz klein erschien. Wenigstens gedanklich wollte ich aber den innigen Zusammenhang zwischen uns festhalten, der doch nach der eben erlebten leidenschaftlichen Szene nicht sofort verflogen sein konnte. An solche Unbegreiflichkeiten habe ich mich ja späterhin gewöhnen müssen. Damals aber war mir der plötzliche Umschwung noch zu neu; so spornte ich meinen armen Kopf, um das herauszufinden, womit ich sie fester an mich binden könnte. Ich sprach von ihrer Zukunft. In dieser einen Richtung wenigstens hatte ich mich nicht getäuscht: für sie und ihre Hoffnungen gab es in der Familie wirklich kein Geld, da alles nur den Erfolgen der Söhne dienstbar gemacht wurde. So konnte ich mit dem Vorschlag herausrücken, ihr die Mittel für ihre Bühnenausbildung zur Verfügung zu stellen, leihweise natürlich, bis zum ersten großen Engagement. An ihrem Talent zweifelte sie nicht, sie hatte schon mehr als einmal berühmten Lehrern mit Erfolg vorgesprochen. Doch in München konnte sie nicht studieren. Der Vater war durchaus dagegen, hielt sie als Assistentin im wissenschaftlichen Hilfsdienst fest, der ihr nur Langeweile und Qual bereitete. – Ein Einfall! Sie könne nach Berlin kommen – unter dem Vorwande, eine Stelle im Laboratorium meiner Fabrik anzunehmen. „Das wird Ihr Vater erlauben. Denn die Fabrik zahlt besser als die Universität. Und wenn Sie erst einmal in Berlin sind, können Sie tun, wozu Sie Lust haben.“ – Sie hatte gegen meinen Vorschlag, der mich selbst mit Seligkeit erfüllte, nichts einzuwenden. Doch entzückt war sie nicht. Das setzte mich aufs neue in Erstaunen. Wenn man einem Menschen die Erfüllung seines Traumes anbietet, den er eigentlich nur noch ungläubig im Herzen getragen hat, dann sollte doch eigentlich große Begeisterung zum Vorschein kommen. Dora aber sprach plötzlich von anderen Dingen. Ob ich die Glocken auf der Bühne gehört hätte, ob sie nicht auch mir wie Totenglocken geklungen hätten ... „Sie sind wahrhaftig Jorinde“, sagte ich und erzählte ihr von dem Mädchen, das plötzlich (das Märchen sagt noch gar nicht, worum) zu weinen und zu klagen beginnt. „Ja, das tue ich sehr oft“, erwiderte Dora und sah mir traurig, tief in die Augen. Da wurde mir wirklich ganz so bang wie beim Lesen des Märchens, wenn der Abend beschrieben wird, der hell ins dunkle Grün des Waldes hereinscheint, während die Turteltaube auf den alten Maibuchen gar kläglich singt, die beiden Liebenden aber sich im Sonnenschein hinsetzen (halb steht die Sonne noch über dem Berge, und halb ist sie unten) und in ihrer Bestürzung ihnen zumute ist, als ob sie sterben sollten. Da merken sie denn auch, daß sie sich schon zu nahe an das Schloß herangewagt haben, und todbang können sie sich nicht rühren, warten verzaubert auf das, was nun mit ihnen geschehen soll. – „Jorinde“, sagte ich und nahm ihre Hand. Sie hatte Tränen im Auge. „Sie sind so gut zu mir“, flüsterte sie, „und kennen mich doch noch kaum.“ Und nun ergaben wir uns beide einer süßen, schamhaften Niedergeschlagenheit, die uns näher zusammenbrachte als alle die heißen Küsse vorher; so hat es ja auch später manchmal, gerade wenn wir sehr traurig waren, solche kurze, innige Minuten gegeben, in denen das Fremde und Unverständliche zwischen uns in nichts zusammenfiel und Jorinde mir ganz menschlich, ganz so wie ich selbst erschien. „Eines versprich mir“, sagte sie dann, als ich sie durch dunkle Gassen heimbegleitete. „Wenn ich sterbe, mußt du mir ein weißes Kleid machen lassen, ganz aus schwerem, weißem Taft, – so viereckig ausgeschnitten wie das Kleid, das ich heute trage, – und eine Reihe weißer Rosen unter der Brust.“ Ich mußte es ihr versprechen, mußte die genaue Beschreibung wiederholen, auf die sie großen Wert zu legen schien. Die Sache mit dem Theater hatte sie ganz vergessen. Immer seltsamere Dinge waren es, von denen sie sprach. Ob ich nicht die Hände sähe, die nach ihr griffen, – aus den Häusern, aus den Haustoren hervor. Plötzlich begann sie zu laufen, als seien Verfolger hinter uns her. Ich durfte nichts reden. Sie hielt mir den Mund zu, jedem Wort von mir verwehrte sie durch energisches Schütteln ihres Kopfes schweigend den Weg. Sie lief sehr schnell und dabei so leicht, daß es aussah, als schwebten ihre Fußspitzen über dem nachtdunklen Pflaster. Ihr Gesicht war von furchtbarer Angst verzerrt. Mir wurde unheimlich ums Herz, denn alles, was ich ihr zum Trost begann, vermehrte nur ihr Entsetzen. So mußte ich schließlich stumm neben ihr herlaufen, um sie nur nicht ganz zu verlassen. Während sie mit ihrem Schlüssel hastig das Haustor aufsperrte, küßte ich ihre Hand. Sie sah mich nicht mehr an. „Jorinde, Jorinde“, rief ich, während sie wie geistesabwesend mit ihrer heißen Hand über meine Stirn strich und sich dann eilig an mir vorbei ins geöffnete Tor drängte. Der Frühling, der diesem Herbst folgte, war dann die glücklichste Zeit meines Lebens. Nicht unheimlich wirkte Jorinde auf mich. Nein, das war durchaus nicht der Grundzug ihres Wesens. Es ist nur ein Zufall, vielmehr eine Ungeschicklichkeit von mir, daß ich gerade diese eine unheimliche Szene so ausführlich geschildert habe. – Solche Szenen wiederholten sich zwar auch später noch zuweilen. Mehr als einmal schrie Jorinde aus dem Schlaf auf, ich mußte sie dann wecken, mußte anhören, daß ihr die heilige Mutter Gottes erschienen sei, zu der sie als strenge Katholikin oft betete, und daß Strafe und Unglück aus dem verehrten Mund der Immergnädigen auf sie niedergeregnet wären. – Einmal gar, auf einer unserer kleinen Reisen, als die gänzlich überflüssige bayrische Kriminalpolizei zum Morgenbesuch in unserem Zimmer erschien und das arme Mädchen durch die Frage: „Sind Sie die Frau?“ erschreckte, – sah sie nachher bei hellem Tageslicht ihre eigene Mutter hinter dem Fenstervorhang stehen und wie aus dem Grabe hervor drohend den vom Totenhemd umwehten Arm erheben. Doch solche Märchen- und Legenden-Schrecknisse wirkten nie lange nach, versanken zum Glück ebenso unvermittelt, wie sie gekommen waren, und überließen uns schnell unserem holderen Schicksal, einer Liebesseligkeit, wie ich sie eigentlich nie für möglich gehalten habe. In Berlin wurde Jorinde bald ganz mein. Eine Zeitlang widerstrebte sie natürlich, doch es war kein bösartiges Sichsträuben, es gehörte nur gleichsam mit zum Laufe der Dinge und ging vorbei wie ein leichter Frühlingsregen. Nach kurzem Kampf war sie dann ebenso hingebungsvoll glücklich wie ich. Ja, ein kindlicher Frohsinn, der sie in jenen Tagen ihrer Weibwerdung ergriff, hob sie über mich hinaus. Und wie er sie verschönte! Die bläulichen Schatten um die Augen, die Schalkhaftigkeit der Mundwinkel und hübsche Röte auf den sonst so blassen Wangen, – es war eine berückende Mischung von Wehmut und gesunder Lebensfreude. Und mit welcher Kraft ergriff sie gleichzeitig das neue, tätige Leben. Eifrig nahm sie dramatischen und Sprechunterricht, studierte bei Held, und es gehörte gewissermaßen mit zu dem Glück, mit dem mir damals alles gelang, daß sie wirklich ein außerordentliches Talent bewies und schnelle Fortschritte machte. Alle Lehrer bewunderten die Reife ihrer Auffassung, die trotz ihrer kaum zwanzig Jahre von tiefster Instinktsicherheit zeugte und nur der technischen Schule, niemals irgendwelcher prinzipieller Anweisungen bedurfte. So kam der Plan, den ich in der Münchener Reginabar nur in die Luft skizziert hatte, ohne an ihn zu glauben, mit voller Ausführlichkeit zu wirklichem Leben. Alles traf ein, was ich mir in jener hellsichtigen Stunde vorgenommen hatte, – wie es überhaupt im Wesen unserer Beziehung zu liegen schien, daß alles Äußere, alles Umrißhafte immer tadellos „klappte“, – so zum Beispiel haben wir (um eine Kleinigkeit zu nennen), bei Verabredungen einander fast nie verfehlt, selbst bei komplizierten Reiseverabredungen nicht, zu denen wir von verschiedenen Städten aus zu bestimmter Stunde an einem bestimmten Bahnhof erscheinen mußten. Das alles ging immer exakt und so leicht, – ich selbst hatte zwar manchmal einige Angst, daß Jorinde nicht kommen würde, denn sie war keine Freundin von unterstrichenen Zusagen, warf nur wie von ungefähr ein „Ja“ hin und mochte dann über dieselbe Sache nicht zweimal reden, – aber später legte ich diese Art von Bangigkeit ab, da ich merkte, daß derartige Dinge äußerer Natur sozusagen ausnahmslos gut abliefen, daß seltsamerweise sogar dann, wenn ein Mißverständnis vorkam, die drohende Störung durch ein anderes, in entgegengesetzter Richtung wirkendes Mißverständnis gutgemacht zu werden pflegte. Übrigens diente diese Leichtigkeit des äußeren Rahmens, diese Leichtigkeit, die mir wie eine zarte Ausstrahlung von Jorindes Wesen erschien, gleichsam nur dazu, um das im Kern Unentwirrbare und Problematische unserer Liebe um so deutlicher hervortreten zu lassen. – Und dennoch: auch heute kann ich es nicht als Fehler ansehen, daß ich damals mein ganzes Herz diesem zauberhaften Geschöpf zugewendet, daß ich förmlich alles auf die eine Karte gesetzt habe. Das Glück, das sich mir anbot, war zu groß, als daß ich es nicht mit ganzer Kraft der Seele hätte ergreifen müssen. Käme ich heute noch einmal in dieselbe Lage: ich würde keinen Augenblick zögern, mich genau ebenso zu entscheiden, würde noch einmal alle Tiefen und Höhen des Gefühls in eine, eine einzige Richtung werfen, dem leuchtenden Stern entgegen, dessen blauer Blick mit so schmeichlerischem Segen und Wohlgefühl und Gelingen mich angelockt hat. Ja, in dieser guten ersten Zeit gelang alles, und es ging ganz merklich aufwärts mit mir. Kräfte wuchsen mir zu, und es setzte mich nicht in Erstaunen, daß auch in meinem Beruf Erfolg auf Erfolg eintraf. Bald konnte ich die Fabrik nicht unbeträchtlich vergrößern, überseeische Verbindungen neu anknüpfen. Auch meine wissenschaftlichen Forschungen nahm ich wieder auf. Diese Forschungen, – nun, sie haben schließlich doch zu keinem Ergebnis geführt, und so wäre es lächerlich, mich hier über sie auszulassen. Nur so viel sei gesagt, daß mir eine bessere Ausnützung der in den Lebensmitteln enthaltenen Energien vorschwebte. Verbilligung des Genusses, allgemein ausgiebigere Volksernährung und Volksgesundung wären die Folgen gewesen. – Es ist nichts, gar nichts daraus geworden. Die wahnsinnige Inanspruchnahme durch kommerzielle Sorgen für meine Fabrik hat mir niemals recht Zeit dazu gelassen, meinen Ideen und Anfangsversuchen nachzugehen. Trotzdem glaube ich (soweit man in solchen Dingen über sich selbst Klarheit haben kann), daß ich für die Fabrik nur gearbeitet habe, um Geldmittel zur Wiederholung meiner Experimente im allergrößten Umfang zu erlangen. Daneben war ich ja freilich fanatischer Geschäftsmann, von meinem Vater zu nichts anderem als kaufmännischen Interessen erzogen. Und jahrelang hatte ich mich mit einer Art von Verbohrtheit (von einer gewissen Vorliebe für Musik und besonders häusliche Kammermusikaufführungen abgesehen) ausschließlich nur im Kreis des von ihm gegründeten Familienunternehmens bewegt. Ich wäre geradezu menschenscheu geworden, wenn nicht ein gewisser Verkehr mit Geschäftsfreunden notwendig gewesen und durch diesen Verkehr der Weg in die Garderobe galanter Theaterschönheiten nahegebracht worden wäre. Meine Liebesabenteuer aber, die ich regelmäßig viel zu ernst nahm, hatte ich damals nur als Störung in dem forschen, nervenerregenden Großbetrieb der Fabrik empfunden, diese wieder als Störung meiner wissenschaftlichen Bestrebungen – und zuzeiten auch wieder umgekehrt. Erst durch Jorinde war in das ganze Chaos mit einemmal Ordnung eingezogen. Sie, sie war der Mittelpunkt, – ihr, die ich schon im Glanz des ihr sicheren Künstlerruhms sah, wollte ich mich durch große Entdeckertat an die Seite stellen, – die Fabrik sollte als sichere finanzielle Grundlage für meine wie auch ihre Bestrebungen ausgebaut werden. Nun stand plötzlich alles in dem richtigen Unter- und Überordnungsverhältnis ein für allemal fest, die Liebe als Beherrscherin inmitten meines ganzen Seins. Von diesem Zeitpunkt glaubte ich eigentlich erst mein wahres Leben zu beginnen, – vorher hatte es nur ein mechanisches Herumtappen gegeben. Erst die Liebe zu Jorinde machte mich gleichsam darauf aufmerksam, daß das Leben etwas ist, was einen tiefen Wert haben kann. Ich lebte nur um dieser Liebe willen. Um der Liebe willen wurde mir natürlich auch noch vieles andere wichtig. Aber nur um der Liebe willen. Liebe ist der Atlas, der den Menschen und alle seine Lebensäußerungen tragen muß, sollen sie nicht zur Lüge werden und sich gegen ihn und sein Aufblühen kehren. – Ich brauche nur die sinnlose, zerfahrene Art, in der ich vor Jorindes Erscheinen arbeitete, mit meinen methodischen, freudigen, innerlich als notwendig empfundenen, ehrlichen und deshalb wohl auch erfolgreichen Unternehmungen nachher zu vergleichen, – um die Wahrheit dieses Satzes (für mich wenigstens) einzusehen. Diese ganze Wandlung und das Glück, das damals alle meine Vorsätze und Wünsche begünstigte, schien mir übrigens durchaus nicht so besonders verwunderlich. Es muß doch irgendwie auch im Erfolg zum Ausdruck kommen, wenn man mit einer Göttin lebt. Wie selig machte mich Jorindes Liebe; aber ihr oft überschwenglich geäußerter Dank beschämte mich. Selbstverständlich tat ich alles für sie, wonach sie nur den leisesten Wunsch äußerte, – während von ihrem Vater niemals ein Zuschuß eintraf, vielmehr verlangt wurde, daß sie die Kosten ihres Berliner Aufenthalts mit ihrem Gehalt aus dem angeblichen Posten in meiner Fabrik bestreite. Aber hätte ich nicht gern noch viel mehr für sie getan! Sie war ja so bescheiden in ihren Ansprüchen, – und obendrein auch noch Dank? Nebstdem: alle Dienste, die ich ihr erweisen konnte, verwandelten sich gleich auf der Stelle in ebenso viele Glücksfälle für mich. So war es nun einmal, weder sie noch ich wären imstande gewesen, etwas dazu oder hinweg zu tun. Von meiner Freude über ihre gut fortschreitenden dramatischen Studien war schon die Rede. Aber bis in unwichtige, halbspielerische Kleinigkeiten reichte diese seltsame Verkettung von Dienst und sofortigem Lohn. (Wer kann übrigens von Angelegenheiten der Liebe sagen, daß diese wichtig, jene unwichtig sei.) Ging ich etwa mit ihr ins Theater, – welch ein Genuß für sie; aber für mich doch nicht minder, ihre jugendliche Begeisterung einzuatmen oder dies eine nur: – ihre Gegenwart zu fühlen! Und welch ein Glück, an ihrer Seite die großen Modeateliers zu besuchen, unermüdlich Modellkleider anzusehen. Es ist seltsam: man kann derartiges nicht sagen, ohne daß sich ein frivoler Nebenton einmischte. Und doch erlebt man es in aller Innigkeit und Herzenseinfalt, ganz ohne diesen Nebenton, und gerade das ist ja das Schöne dabei. Wäre ich Schriftsteller, ich würde über der Beschreibung einer solchen Episode verrückt werden. Aber vielleicht haben gerade nur die Schriftsteller durch ihr ewiges Herabsetzen aller Gefühle, die man in der Stadt erlebt, durch ihre an sich berechtigte, aber zu absichtlicher Kontrastwirkung mißbrauchte Lobpreisung ländlichen Glückes es verschuldet, daß man diese Dinge in ihrer lauteren Süße zwar empfinden, aber nicht ausdrücken kann. Wie dem auch sei: Reinheit und unendliche Liebeserfülltheit brausten in mir bei diesen Besorgungsgängen durch Warenhäuser und das nüchterne Ankleidekabinett war mir kein unpassenderer Hintergrund für meiner Seele Entzücken als etwa einem jungverliebten Bauernpaar abends der Lindenbaum vor dem Dorf. Ja, nicht anders war mir zumute, wenn ich – als rechtmäßiger Gatte – ins Probierzimmerchen mitgenommen wurde, unter Vorantritt einer ältlichen, geschäftsmäßig lächelnden, sehr höflichen Verkäuferin, – wenn ich nun in einem Sessel zur Seite Platz nahm und, während Dora ihr Kleid abtat, ihre weißen, ganz zarten, wie für Vogelflug gebauten Schultern und das kleine, kaum sichtbare blonde Nest unter ihnen bewunderte, – die tiefe, geschmeidige Teilungslinie oben in der Mitte des Rückenanfangs –, und nun konnte ich oder mußte vielmehr recht gleichgültig tun – in einer Situation, die ich sonst nur in Zittern und Herzklopfen erlebe, – mußte mich soweit beherrschen (und es ging ja ganz leicht), nur hie und da eine sachkundige Bemerkung zu machen, nur hie und da, scheinbar ganz nachlässig und zufällig, in die Spiegel zu schauen, die im äußerst vorteilhaft aufgefangenen Tageslicht dieses sonst ganz schmucklosen Raumes meine Geliebte mit jedem neuen Kleid, das sie an- und ablegte, in immer neuer Schönheit, ja wie das Urbild alles Lächelns, aller Grazie auf Erden erstehen ließen. – Ich glaube: in einer einzigen solchen Stunde offenbarte sich mir von Kräften und Stolz der Schöpfungspracht mehr als in meinem ganzen Leben zuvor. Und es berührte mich seltsam, daß mir Jorinde nachher für ein einfaches Kostüm oder ein Sommerkleid dankte, das wir mitnahmen. Aber solches unauffälliges Hinweggleiten über den wahren Tatbestand gehörte vermutlich mit zum Wesen ihrer Göttlichkeit. Dieses unauffällige, in sich verborgene Wesen, – in aller Stille hat es auf mich gewirkt, mich belehrt, in manchem vielleicht auch umgewandelt, soweit eben bei so entgegengesetzter Anlage ein Wandel überhaupt noch möglich ist. Von Anfang an war ihm ja meine großstädtische Hast, meine Nervosität, mein ewiges Drängen und Nachdrückenwollen durchaus entgegengesetzt. – Das zeigte sich sozusagen bei jedem Schritt. Fuhr ich mit Jorinde in der Elektrischen, so konnte ich sicher sein, daß ich schon einige Minuten vor der Haltestelle aufsprang, um mich zwecklos und geradezu krankhaft im Wagen zwischen den Menschen hin und her zu drehen. Jorinde dagegen blieb geduldig und mit einem gewissen Behagen auf ihrem Platz, stand erst dann auf, wenn es nötig wurde, um ruhig und ohne jemand zu stören auszusteigen. Wir sprachen nie über diese Beobachtung. Ich aber weiß seither, daß man die Menschen in zwei Gruppen einteilen kann, und daß in dieser Unterscheidung mehr Weisheit liegt als in so manchen gründlichen Charakteristiken. Es gibt Menschen, die in der Elektrischen bis zur Haltestelle sitzenbleiben und solche, die viel zu bald vorher aufstehen. Von Jorinde habe ich gelernt, nicht immer und allem zuvorkommen, nicht immer nachhelfen zu wollen. Es kam etwa so: wenn wir stritten und ich ihr nachher gut zuredete, auch wohl manchmal mich entschuldigen wollte, so hörte sie immer nur in stummem Zorne zu oder wandte sich ganz ab. Einige Stunden oder den ganzen Tag nachher kam kein Wort von ihren Lippen. Mochte ich mich anstellen, wie ich wollte: es half nichts. Am Tag darauf aber sprach sie schon mit mir, sprach von gleichgültigen Dingen, wich auch dem eigentlichen Streitgegenstand nicht aus und redete recht vernünftig von ihm, gar nicht mehr gereizt. Auch gab sie öfters zu, unrecht gehabt zu haben, ohne dies aber für eine besonders wichtige Eröffnung zu halten. In den folgenden Tagen nahmen dann ihre Worte immer mehr den zärtlichen, weichen Klang an, der mir unentbehrlich war, und nach Ablauf seiner gewissen, bald längeren, bald kürzeren Zeit war das gute, alte Einvernehmen vollständig wiederhergestellt, – obwohl es am Anfang immer so aussah, als sei der Bruch ein endgültiger. Auch war sie dann imstande, sich ganz und gar vor mir zu demütigen, mir abzubitten oder durch ganz besonders liebevolle Einfälle ihre Hingabe auszudrücken, so daß nicht selten ein Glücksrausch, eine Steigerung, die ich gar nicht mehr für denkbar gehalten, das Ende solcher Zerwürfnisse war. Dieses glückliche Ende aber irgendwie zu beschleunigen, die qualvolle Wartefrist abzukürzen, – das lag gänzlich außerhalb aller Möglichkeiten, mochte sich dieser Vorgang noch so oft abgespielt haben und sein Verlauf immer genau derselbe sein. Spät erst erkannte ich das und lernte, daß es keinen Zweck habe, auf ein Geschehen drücken zu wollen, das seinen naturgesetzlichen Gang nehmen muß. Wie ein Gewitter losbricht und in der Zeit seines Wütens als etwas Ewiges am schwarzen Himmel steht, durch keine Macht der Welt wegzubringen, wie es aber dann doch vorbeizieht und erfrischte, klare Luft nachher den vollen Sonnenschein herausbringt, als sei gar nichts geschehen, – so schwangen bei einem gesunden Menschen wie Jorinde Gemütserregungen allmählich aus, von Argumenten freilich unbeeinflußbar, desto zugänglicher aber dem ruhigen Walten der großen Natur, die ganz von selbst auf Störungen neuen Frieden folgen läßt. Dies lernte ich. Lernte: abwarten. Lernte: nicht gleich trostlos werden, nicht gleich den Kopf verlieren, wenn Jorinde mir fern und unverständlich war. Lernte überhaupt: ein gewisses Zutrauen zur Natur. Lernte gleich auch eine ganze Fülle von Nutzanwendungen dazu. Wenn zum Beispiel eine Frau etwas Allgemeines oder auf die Zukunft Bezügliches sagt, so gilt es doch nur für den Augenblick. „In Pärken küßt man nicht“, sagte Jorinde einmal ganz streng. Aber es war gar nicht so gemeint, es bedeutete nur: „Heute und hier habe ich zufällig keine Lust, mich von dir küssen zu lassen.“ Man muß die Ausdrucksweise der Frauen richtig verstehen. Frauen reden ja nur scheinbar dieselbe Sprache wie wir, dieselben Worte bedeuten bei ihnen oft ganz anderes als im Redegebrauch der Männer. Als wir damals auf der Reise den kleinen Konflikt mit der Kriminalpolizei hatten (schon ihr Name eine Taktlosigkeit), geriet Jorinde in begreifliche Aufregung und rief: „Nie mehr, nie mehr reise ich mit dir zusammen wie Mann und Frau.“ Es wäre ganz verfehlt von mir gewesen, daraufhin traurig zu werden, an der Fortdauer ihrer Liebe zu zweifeln und so fort. Was sie gesagt hatte, bedeutete ja, in meine Sprache übersetzt, nichts als: „Es ist mir augenblicklich etwas sehr Peinliches zugestoßen.“ Über die Gegenwart sagte es etwas aus, gar nichts für die Zukunft ... Ach, mein Gott, wie hübsch läßt sich das alles niederschreiben und dozieren. Nur vergesse ich dabei, daß mein Unglück wahrscheinlich doch nur darauf beruht, daß ich schließlich kein mehr als durchschnittlicher Schüler gewesen und Jorindes Kurs zu bald entlaufen bin. Denn dieser Kurs war manchmal sehr schwer. – Ja, es scheint mir zuweilen, als hätte ich nur einige Äußerlichkeiten ihres göttlich stillschweigenden Unterrichts erfaßt, – die Hauptlehren aber seien mir unzugänglich geblieben. Unzugänglich, rätselhaft und so gefährlich, daß ich schließlich an Unkenntnis ihres geheimen Kerns untergehen mußte. Dies habe ich übrigens von Anfang an dunkel geahnt. Manchmal stellte mich nämlich Jorinde auf die Probe. Wortlos natürlich. Aber anderes als eine Probe kann das, was dann zwischen uns vorfiel, nicht gewesen sein. Anders kann ich es nicht auffassen. Nun aber ist es so, daß ich niemals solch eine Probe bestanden habe. Obwohl ich nachher zugeben mußte, daß sie eigentlich nicht so besonders schwer zu bestehen gewesen wäre, wenn – ja, wenn ich mich nur ein wenig mehr in der Hand gehabt hätte. Aber ich zitterte ja um Jorinde und habe das nie verbergen können. Nun, ich zitterte eben wie einer, der alles auf eine Karte gesetzt hat. So unbegreiflich ist das ja nicht. Sah nun etwa Jorinde, bei einem Ausflug, unbekannte Herren am Nachbartisch etwas länger als üblich an, so geriet ich schon in Eifersucht. Ihrer Ansicht nach aber war Liebe mit Vertrauen gleichbedeutend. Vertrauen sollte ich haben. War sie denn nicht mein, – so sagte sie später, wenn die Krise vorbei war, – mein für immer! Während des Ausflugs aber sagte sie so etwas Herzliches nicht, was meine Aufregung sofort besänftigt hätte, nein, es schien ihr Freude zu machen, meine Eifersucht zu reizen, mir immer neue Wahrscheinlichkeiten für sie zu geben, etwa daß sie den oder jenen Herrn schon von früher her kenne und dergleichen. Es war ganz absurd. Ich wußte auch schon, daß sie mich nachher auslachen würde. Aber in meinem Wahnsinn ging ich blindlings auf die dümmsten Andeutungen ein. Zuerst nur scherzend, gleichsam, um ein Gesprächsthema, eine Abwechslung zu haben. O wie rächte sich aber dann dieses kleine Amüsement, das zuerst nur als Neckerei gedacht war, dieses „Mit-dem-Feuer-Spielen“. Unvermittelt, ich wußte selbst nicht wie, geriet ich in heißesten Ernst. Die ganze Sache bekam eine Kulisse von Möglichkeit, die ich (der Teufel mag raten, aus welchem Magazin) in immer neuen Farben aufzuführen verstand. Manches lag daran, daß Jorinde eine Art hatte, mich ablenken zu wollen, die mich erst recht in Hitze brachte. So etwa, wenn sie sagte: „Ich weiß gar nicht, wie du mir so etwas zumuten kannst. Kennst du mich denn nicht? Weißt du denn nicht,“ dies flüsterte sie nur, „wie wenig sinnlich ich bin. Bei mir ist doch wirklich keine Gefahr ...“ Mit einem gewissen bescheidenen Stolz pflegte sie darauf zu bestehen, daß sie so etwas wie eine Heldin von abnormer Kälte sei. Sehr selten, nur in Momenten größter Vertraulichkeit sprach sie davon – und gewiß war es stets ein Zeichen ehrlichen Versöhnungsversuchs, wenn sie von selbst auf dieses ihr peinliche Thema zu reden kam. Sprach sie aber schon davon, dann immer in diesem Sinne. Und das Merkwürdige, Aufreizende: daß unsere Nächte sie Lügen straften. „Für mich brauchte das gar nicht zu existieren, das Materielle“ – (dies der Ausdruck, den sie erfunden hatte). Ich aber hatte es ganz unzweifelhaft anders erlebt. Daran durfte ich sie natürlich nicht erinnern. War sie doch ohnehin bei der geringsten Anspielung auf unkeusche Dinge beleidigt. Aber in gewissen Stunden, das war ja eben das ungeheuerste Glück, brach durch all ihre Schamhaftigkeit der Urtrieb durch, und sie konnte aufpeitschende Worte stammeln oder auch bloß Laute ausstoßen, deren bloßer Erinnerungsklang mir noch heute alles Blut zu Kopfe treibt. War der richtige Augenblick gekommen, so verwandelte sie sich in ein Hexenwesen. Heidnische Freude durchglühte ihre weiße Brust, wie Stahl hielt der schmale zarte Leib meinen wildesten Umarmungen stand, immer neuen Ansturm herausfordernd. Und ein paar Stunden später auf der Gasse: der kalte Blick einer Nonne, die aufrecht stolze Haltung einer Hofdame. Eine etwas zu tief ausgeschnittene Bluse einer Vorübergehenden konnte ihre Verachtung herausfordern. Ebenso Disziplinlosigkeit am Schalter der Bahn, – alles, was sich vordrängte oder nicht von sauberstem Geschmack war. Dabei log sie weder mit ihrem Nacht- noch mit ihrem Tagbenehmen. Auf natürlichste Art vollzog sich der Wechsel – mit geänderter Situation. Nie wäre ihr klarzumachen gewesen, daß sie sich widersprach. Sie fühlte das eben nicht als Widerspruch, und so war es auch keiner. Ist es ein Widerspruch, daß das Meer heute stürmt, morgen klarblau wie ein Flüßchen daliegt? Es ist das Geheimnis des Meeres, aber darum doch nur für uns ein Widerspruch. Man hält im allgemeinen Frauen vom Typus Carmen für besonders gefährlich. Ungehemmte Elementarkraft, Wedekinds Lulu ... Unsittlich, zerstörend, verschwenderisch. Mich langweilt das grenzenlos ... Die Unterstrichenheit und Eindeutigkeit der sogenannten dämonischen Frau hat für mein Gefühl etwas von der Routine des Gewerbes, das (auch bei Gratisausübung) selbst die stolzeste dieser Gestalten verdunkelt. – Wie anders lockt, wie zauberhaft verführt jene rätselhafte Frau, deren asketisches Bewußtsein in tiefem Gegensatz zu ihrer naturheidnischen Sinnlichkeit steht, ohne daß ihre Tugend von ihrem Trieb, ihre Ausschweifung von ihren Prinzipien Notiz nähme. Die als Weib lebt und beglückt, – und seltsam mischt sich in ihre Kraft die strenge Zucht einer religiösen Tradition, einer ernsten Familie, einer angeborenen und anerzogenen Verschlossenheit. Da ist es dann wohl unmöglich, seine fünf Sinne beisammenzuhalten. Mich zumindest ließ das fremde ferne Lebensgesetz, das ich in Jorinde ahnte, nie mehr zur Ruhe kommen. Und auch auf andere hat es ja nicht anders gewirkt. Jorinde brauchte nur von den Dilettantenaufführungen in München zu reden, an denen sie mitgewirkt hatte, und ich sah leibhaftig die von ihr angerichteten Verheerungen. – Wie viele beunruhigte Herzen hatte sie zurückgelassen! Welch einem Sturm die Stirn geboten! Fast unglaublich – und doch war es geschehen –, daß sie mir als erstem mit ihrem ganzen Leib zugefallen war. Von Küssen allerdings wußte sie manches zu erzählen. „Was liegt denn an einem Kuß!“ Oh, aber man konnte nicht sagen, daß sie je ihren strengen Grundsätzen untreu geworden war. Immer reserviert, entschlossen, nie alles zu sagen, im entscheidenden Augenblick dem Mann turmhoch überlegen: – ich konnte mir vorstellen, welche Verzweiflung sie damit entfesselt hatte. Sprach sie nur von solchen „letzten Szenen“ einer bis dahin zufriedenstellenden „anständigen“ Beziehung, so hatte sie unwillkürlich ein hochmütiges Gesicht, trotzig, die Nase gerümpft. Im Namen der Moral verachtete sie völlig aufrichtig alle Männer mit ihren „materiellen“ Wünschen. Daß sie bei Spaziergängen mit oder ohne Kuß, beim Tanz vorher, den sie leidenschaftlich liebte, diese Wünsche geweckt hatte, daß sie selbst ganz bedenkenlos einem solchen Wunsch sich hingegeben hätte, wenn nur der richtige Mann gekommen wäre (wie sie es dann auch wirklich getan hat, ohne Koketterie, ohne Ziererei), das hatte sie ganz einfach nicht im Kopf, wenn sie von Moral sprach. Und wenn sie wortlos ihrer Natur folgte, so waren die sauber geschlichteten Moralsätze in irgendeinem Fach versperrt, wurden nicht verletzt, weil sie gar nicht hervorgezogen wurden. An dieser Verbindung von Keuschheit und Foxtrott rannten sich denn auch alle die Köpfe wund. – Und ich, der ich dieses unmögliche Amalgam jeden Augenblick an ihr merkte, der jeden Augenblick aufs neue sie nicht verstand (wie sie etwa mit ihren Berliner Studien den Vater, schlicht gesprochen, hinterging – und dabei dennoch in ihren eigenen Augen, von Momentvisionen abgesehen, das strengerzogene gute Kind blieb), ich war diesem Rätsel verfallen mit Seele und Leib. Zum erstenmal begriff ich, daß man einer Frau, die man liebt, niemals sicher ist, auch dann nicht, wenn man sie tags zuvor restlos besessen hat –, daß man nachher ebenso durstig von ihr geht, wie man gekommen ist, – daß überhaupt kein Grad von Vertraulichkeit denkbar ist, der einen ganz befriedigen könnte, solange man eben liebt; – und hat man ihr auch abends die Haarnadeln aus dem dichten, leise verwirrten Haar nehmen dürfen, und spürt man noch in den Fingerspitzen die Wärme ihrer Kopfhaut, die auch ihre Haare wärmt – vor dem Schlafengehen im Bett, wenn alles an ihr sich in Wärme und blonde Süßigkeit aufzulösen scheint – und bringt man ihr morgens den Kaffee ans Bett und sieht sie lachen und hört die Übermütige, die in diesem Augenblick nach gesundem Schlaf eine Art Tiergöttin ist und alle möglichen Tierstimmen nachahmt, bellt, grunzt, gackert und besonders kunstvoll kräht, – all das ist doch nichts, ist nur ein leichter Nebel, der ihre tiefinnere Fremdheit verhüllt, der bei kleinem Windstoß auseinanderweicht und den trostlos unendlichen Ozean dort zeigt, wo man festes Land zu sehen geglaubt. Und nun kann ich sagen, worin meine eigentliche Schuld besteht. Meine Schuld: daß gerade diese Fremdheit es war, was ich so sehr geliebt habe. Diese Fremdheit, diese Unsicherheit, diese Spannung, in der das Herz kaum mehr zu schlagen vermag, – ich habe eigentlich von Anfang an gefühlt, daß es Sünde ist, die Seele an Zustände von solch tödlicher Reizkraft zu gewöhnen. Dennoch sage ich nicht, daß es unrichtig war, so zu leben, wie ich es begonnen habe und nur leider nicht habe durchführen können. Ich bin vielmehr überzeugt, daß es die Bestimmung des Menschen ist, nicht etwa sündenlos zu leben, sondern _mit_ der Sünde (so wie viele unserer Organe ohne Bazillen gar nicht funktionieren könnten). – Mit der Sünde leben: das heißt, – so daß man die Sünde neben sich und auch wohl in sich hat, den mächtigen Wirbel und Bewegungsstrom benützt, der von ihr ausgeht, – ohne sie jedoch groß werden zu lassen. _Das ist die Kunst: ohne sie groß werden zu lassen._ Denn die Sünde hat, sobald man sich mit ihr einläßt, ebenso wie die Bazillen, die Tendenz, sich maßlos zu vermehren, ins Ungeheuerliche zu wachsen, und es ist dann sehr schwer, „Herr über sie“ zu sein, wie die Bibel es verlangt. Das Sprichwort weiß es auch. Der Teufel, so sagt es, dem man einen Finger gereicht hat, will gleich die ganze Hand. – Aber das darf kein Grund sein, ihm nicht einmal einen Finger zu reichen. _Reiche den Finger und verweigere die Hand_, – so, nun habe ich gar ein neues Sprichwort erfunden, wie mir scheint. Dazu also reicht meine Kraft: Sprichworte zu erfinden. Nun aber dem Teufel wirklich den Finger zu reichen und die Hand zu verweigern, – das leuchtet mir allerdings als höchste Lebensweisheit ein. Es auszuführen jedoch, dazu gehört wahrscheinlich doch nur ein ganz anderer Kerl als ich. Haben nun aber auch meine Kräfte nicht ausgereicht, so ist es doch eine große Sache, der ich mich unterfangen habe. Und darauf bin ich einigermaßen stolz –, man möge mir in meinem Unglück diese Eitelkeit verzeihen! – Mit einer Göttin leben – als Mensch – es ist und bleibt ein Wagestück. Ein Frevel wohl, auf solche Art Feuer und Wasser mischen zu wollen, ein Frevel, den man mit der fast unerträglichen Ungewißheit im Herzen bezahlt. Wie wird es gelingen? Wie weit halte ich denn eigentlich? Ist es überhaupt auch nur möglich, daß es gelingt? – Aber sieht man noch etwas näher zu, so entdeckt man, daß man in ebenderselben Unsicherheit eigentlich allem in der Welt gegenübersteht, und daß die Aufgabe schließlich gerade darin liegen mag, uns in dieser Schwebe zu erhalten, in dieser Frage, die keine Antwort, in diesem Glauben, der keinen Beweis zuläßt. Da ein letztes Eindringen nach jeder Richtung hin unmöglich ist, besteht der ganze Unterschied nur darin, wie man den Satz ertragen will, den ich damals im Hause Grothius über dem Tische zu sehen glaubte, den Satz, „nicht von allem zu reden“. Die einen springen nervös auf, noch vor der Haltestelle, die anderen bleiben mit gesunden, ausgeruhten Sinnen auf ihrem Platz sitzen. – Mein Fall ist nur eine besondere Verschärfung des allgemeinen. Abfinden muß sich ein jeder mit dem Unverständlichen. Man kann das verdrießlich tun oder siegreich lachend, oder halb im Schlaf, oder auf die verschiedensten anderen Arten. Ich nun habe dieses Unverständliche außerdem noch geliebt, ich habe ihm abends die Haarnadeln aus dem schönen blonden Haar genommen, um sie sauber auf das Nachttischchen zu schichten, – das ist viel, dabei kann einen schon einmal der Blitz erschlagen. Manchmal aber gelang es mir ja, mich neben Jorinde zu behaupten, und gerade aus der Schwierigkeit dieser Position am Rande des Unmöglichen mehr als menschliche Kraft zu ziehen, mich zu wiegen im höchsten, gefahrvollsten Glauben ohne Beweis. Das waren die erhabenen Glücksminuten, die Gipfel, die Auslösungen nach all der Spannung, Augenblicke von wunschloser Reinheit – wie etwa jenes Warten im Automobil, in das sie sicher, sicher zurückkommen mußte. Hatte ich sehr viel Leid der Unsicherheit ausgestanden, dann belohnte mich solch ein goldener Sicherheitsrausch. Nicht nur damals in Augsburg, in der Frohsinnstraße. Auch vorher oft genug. Dann trat ich morgens aus dem Haus, und siehe! ich hatte den Glücksblick. Darauf kommt es nämlich an: den Glücksblick zu haben – morgens, wenn man aus dem Hause tritt –, dann sieht das ganze Leben ringsum anders aus als sonst. Alles ist gut. Das Herz hüpft. Zukunft und Gegenwart mischen sich in hoffnungsreichen Ausblicken. Alles ist gut. In solchen Momenten erscheint einem nicht nur das eigene Schicksal in ungeahnter Klarheit, auch das aller anderer Menschen entschleiert sich, und man erkennt ihre wahre Gestalt. Dann merkt man beispielsweise und fühlt es mit unbezwinglicher Kraft: von hundert Menschen, die jetzt auf meinem Weg in die Fabrik an mir vorbeikommen, von diesen hundert Menschen, die ich bisher gezählt habe, müßten neunundneunzig eigentlich in Sänften getragen werden, – so elend, schwach und krank sind sie an Seele und Leib. Blickt man dann wieder um sich, dann sieht man (weil man eben den Glücksblick im Auge hat) ein ganz anderes Bild, ein wahreres als das, welches dem gemeinen Auge erscheint. Man sieht, wie der Verkehr stockt, wie fast alle Menschen plötzlich auf die Erde stürzen, alle wehklagend und wie mit zerschmetterten Gliedern, – allen fehlt ja irgend etwas, wonach sie sich sehnen, und geschickt und abgehetzt verbergen sie das tagaus tagein – jetzt aber, da man den Glücksblick hat, erkennt man, wie ihnen in Wahrheit zumute ist – nun verstellen sie sich so wenig wie der Säugling, der ungehemmt seine Schmerzen hinausschreien darf. Nun liegen sie auf dem Pflaster, und in ihren gequälten Mienen steht geschrieben: Weiter kann ich nicht. Einen der Hingestürzten fasse ich ins Auge. Er ist elegant, jung, mit rosigem Gesicht. Aber ohne Liebe zu Frau und Kind. Für gewöhnlich verbirgt er diesen furchtbaren Schmerz, der sein ganzes Leben einfach wertlos macht. Heute verrät er ihn mir. Denn ich selbst habe ja in meinem Hause das, was ich brauche, – ich bin glücklich, und deshalb ist mein Auge für alles Unglück der Welt geschärft, und allem möchte ich abhelfen, da es mir selbst so gut geht und da ich Fülle und Kraft in mir fühle, aus meinem Glück hervor allen, allen mit unerschütterlicher Geduld gut zu sein. Nun aber dieser liebe, rosige, elegante Herr vor mir, – was sehe ich denn, – ein anderer kommt des Weges, findet den Gestürzten vor seinen Füßen liegen und, statt ihn aufzuheben, versetzt er ihm Tritte, Püffe, empört darüber, in seinem Lauf gehemmt zu sein. Ja, merkst du denn nicht, daß der Herr da so hilflos ist, daß er sich nicht weiterschleppen kann? Nein, das siehst du nicht, – du hältst ihn für kräftig und glaubst, daß er nur aus Bosheit und Trotz dir den Weg verstellt. Wütend bist du über ihn, nennst den Unglücklichen deinen Gegner, – fasse ich nun aber dich Ungestümen ins Auge (ich mit dem Glücksblick), dann liegst ja auch du wie vom Schlag gerührt auf der Erde und quäkst um Hilfe wie ein kleines Kind. Und es zeigt sich, daß du nur aus eigenem Unglück deinem Nächsten wehe getan hast, und nun stürmen andere heran und wüten wiederum gegen dich, da du auf der Erde liegst in deiner wahren Gestalt. Sie aber sind ja auch, wenn ich sie besser anschaue, auf die Erde hingemäht – und nur ihr Leid, ihre Hilflosigkeit ist es, was aus ihnen tobt. _Ja, Unglückliche, die einander unglücklich machen_, – einen besseren Namen wüßte ich nicht für die Menschen insgesamt. Ich aber, für Momente wenigstens aus diesem Höllenkreis ausgetreten, weil meine Göttin mich glücklich macht, ich sehe alles, wie es wirklich ist, – ich trauere und, wenn man mir nur Zeit läßt, will ich Abhilfe ersinnen. Im nächsten Herbst schon, vor einem Jahr also, bekam Jorinde ihr erstes Engagement. Und damit war die Blüte meines Glückes dahin. Denn nun mußte sie von Berlin weg. An ein kleines Theater, nach Augsburg. Es war natürlich auch Freude dabei. Ich hatte es ja gewünscht, daß sie bald anfangen möge. – Der Agent, der Dramaturg, sogar der Direktor, denen sie vorsprach, erklärten sie für ein Genie. Durch diesen ersten schnellen Erfolg war ja eigentlich das erreicht, was ich immer ersehnt, was ich ihr in ihren gewissenbedrückten Stunden vorausgesagt hatte: die Hilfe, die ich ihr geboten, war geadelt, war vor jeder Selbstprüfung und dem Forum der Welt, soweit sie künstlerisch und einigermaßen vorurteilslos empfand, glänzend gerechtfertigt. Sie brauchte sich nicht mehr zu schämen, von mir Geld angenommen zu haben ... Dieses schmutzige Geld – wie oft hatte es sie gepeinigt, aber auch mich. Denn Geld beschmutzt ja nicht nur den, der es nimmt, mehr noch (ich wiederholte ihr das so manches Mal) den, der es gibt, wenn er es als Kaufpreis für Liebe gibt. „Ich bin eine Dirne, ich nehme Geld von dir“, schrie Jorinde in einem ihrer bösen Augenblicke. „Und was bin dann ich,“ sagte ich, „wenn ich dir Geld für Liebe anbiete?“ – Es lag klar zutage: Unsere Beziehung konnte nur durch eins gerettet werden, – dadurch, daß wir wußten, wie unabhängig unsere Liebe von der zufällig danebenherlaufenden Tatsache war, daß Jorinde Geld brauchte und ich es im Überfluß besaß. Das aber war eine Angelegenheit, die jeder von uns beiden nur mit sich selbst ausmachen konnte, für seine eigene Person; dem anderen konnte er, mußte er glauben, – wiederum dieser Glaube ohne Möglichkeit eines Beweises! Ich kann wohl sagen, daß Jorinde an all dem nie so sehr gelitten hat wie ich. Und namentlich seit ihr das Engagement in Augsburg zeigte, daß sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte, schienen ihre letzten Skrupel verschwunden. Tatsächlich hatte sie ja niemals daran zu zweifeln gebraucht, daß meine Liebe zu ihr mit dieser ekelhaften Geldsache nicht im geringsten zusammenhing. – Wie aber stand es bei ihr? Ich hatte zuweilen das Gefühl, daß in ihre Art, mich zu lieben, viel Dankbarkeit mit hineinspiele. Sie empfand ja gewiß nicht etwa Dankbarkeit allein. Wohl aber Liebe und Dank nebeneinander, so argwöhnte ich. Mußte mir aber gleichzeitig sagen, daß es unnatürlich gewesen wäre, wenn sie von Dankbarkeit unberührt geblieben wäre. So war es also wohl richtig, wie es war, – dennoch quälte es mich. Und namentlich in der Augsburger Zeit, als das tägliche Beisammensein, der allerinnigste Zusammenhang wegfiel, als zu der allgemeinen Unsicherheit unseres Verhältnisses auch noch die furchtbare Last der _Abwesenheit_ trat, – da wuchs sich dieser Gedanke zu einem Gespenst aus, das mir den Schlaf raubte: Wie kann man es ertragen, daß man niemals weiß, wieweit am Gefühl der liebenden Frau Liebe und wieweit Dankbarkeit Anteil hat? – O wie glücklich wäre ich gewesen, wenn ich mir hätte sagen können: ich habe sie niemals auch nur mit dem geringsten unterstützt, im Gegenteil, – ich bin auf ihren Beistand angewiesen, und dennoch liebt sie mich. Wohl wußte ich um das Nichtige meiner allzu feinen Bedenken. Sie waren so unlebendig; das Leben bleibt ja von unseren Worten „Liebe“, „Dankbarkeit“ und dergleichen unberührt, die Gefühle fließen ineinander und, was wir für unvereinbar halten, gleicht sich in steter Bewegung aus. Zudem hatte ich Jorinde in solcher Verzückung bei mir gesehen, daß es wirklich blasphemisch war, an ihr und an meinem Glück herumzukritisieren. – Warum nur kommt etwa Casanova niemals auf ähnliche Gedanken! Und viele seiner Geschichten (die ich im Gegensatz zur allgemeinen Meinung durchaus nicht für frivol, sondern für höchst erzieherisch halte) nehmen den Verlauf, daß er ein Mädchen aus schrecklicher Gefahr, aus den Händen eines gewissenlosen Entführers rettet, – oder daß er einer Pariser Bürgerfrau, die ihn zuerst gar nicht mag, ihre Waren zu teuersten Preisen abkauft, bis der Gatte selbst mit den gekauften Strümpfen auch die Frau ihm zuschickt, – was Casanova nicht hindert, das Abenteuer köstlich und die Frau sehr verliebt zu finden. Natürlich hat sie ihn dann auch wirklich geliebt, er muß ja bezaubernd gewesen sein. Sein Zauber lag aber (unter anderem) auch darin, daß er sich nie so wie ich den Kopf zerbrochen hat, ob und wie Liebe und Dankbarkeit im Herzen einer Frau miteinander auskommen. Diese ganze Geldfrage spielte übrigens immer nur eine kleine Nebenrolle in der großen Unsicherheit, die ich Jorinde gegenüber empfand. Ich erwähne sie an dieser Stelle nur, weil sie in der Berliner Zeit eine gemeinsam getragene Last gewesen war, seit dem Augsburger Engagement aber auf mich allein zurückfiel. Obwohl Jorinde von da an meine Hilfe natürlich erst recht benötigte. Nicht nur als Zuspruch und männlichen Rat in den ersten Krisen mangelnden Selbstvertrauens, wie sie jeder Anfänger erlebt, – auch in ganz grob wirtschaftlichen Dingen noch, zum Beispiel für die ersten Theaterkostüme. Denn sie spielte zwar die größten Rollen, wurde aber schlecht bezahlt. (Seltsamerweise war „Iphigenie“ die erste Bühnengestalt, in der sie mir entgegentrat, – ich fühlte mit Thoas, der nicht Dank will, sondern Liebe – ich benützte ja damals, da Jorinde nicht mehr dauernd bei mir war, schon jede noch so unwahrscheinliche Gelegenheit, um mich unglücklich und verstoßen zu fühlen.) – Zunächst aber konnte ich ihr noch viel wirksamer als durch Geschenke beistehen. Ich focht ihren Kampf gegen die Familie aus. Da ihr Auftreten in dem München nahegelegenen Augsburg ohnehin nicht mehr verborgen bleiben konnte, setzte ich durch, daß man ihr alles erlaubte und das Studium, von dem man erst jetzt erfuhr, nachträglich verzieh. Ihr Verhältnis zu Vater und Brüdern wurde seither noch kühler, – hatte ja aber niemals einer besonderen Wärme bedurft, um sie zeitweilig dennoch ganz in den Bann ihrer Jugenderziehung zu schlagen und mir zu entfremden. Entfremdung, Entfremdung – das war das Leid, das damals eine neuerliche Steigerung erfuhr. Schon in unmittelbarer Gegenwart hatte ich mich ja nicht immer mit Jorinde verständigen können. Die Verschiedenartigkeit der Lebenskreise und Lebenskräfte, denen wir entstammten, kam in allem zum Vorschein. Sogar im Sprachgebrauch. Einmal hatte ich sie, halb im Scherz, halb ärgerlich ein „eigensinniges Frauenzimmer“ genannt – und sie war tief beleidigt in Tränen ausgebrochen, behauptete (und ließ es sich nicht widerlegen), daß „Frauenzimmer“ eine „Gefallene“ bedeute, was wieder mit anderen Gedankengängen zusammentraf, die ihr manchmal das Herz bedrückten. Solche Mißverständnisse, schon wenn man einander gegenüberstand! Und nun vollends, da wir auf nichts anderes mehr als Worte angewiesen waren, in Briefen, – nun lagen Fehlgriffe kaum vermeidbar nahe. Jedes einigermaßen lebhafte Wort konnte verletzen, jede stürmisch und wahrhaftig geäußerte Liebessehnsucht als „zu materiell“ mißfallen. Nach einigen Anstößen dieser Art, für die Jorinde jedesmal durch längeres Stillschweigen strafte, gewöhnte ich mir denn auch eine ängstliche, geradezu abgezirkelte Ausdrucksweise meiner Briefe an, schrieb nie mehr eine Zeile aufs Geratewohl so hin, wie mir ums Herz war, sondern bedachte Folgewirkung und Eindruck auf die Geliebte, machte Konzepte und ging so weit, Abschriften meiner Briefe zurückzubehalten, um mich nachher gegen etwaige Vorwürfe verteidigen zu können. – Solche Vorsichtsmaßregeln erschienen mir ja zunächst entwürdigend. Überlegte ich aber, welche mit nichts anderem zu vergleichende Wichtigkeit die ungetrübte Fortdauer dieser Liebe für mich besaß, so fand ich mich schließlich in das Notwendige und sagte mir dann wohl auch zuweilen, um mich zu trösten: daß ein Briefwechsel mit einer Göttin billigerweise anderen, strengeren Gesetzen unterworfen sein müsse als einer zwischen gleich und gleich. Wären ihre Briefe wenigstens regelmäßig gekommen, dreimal in der Woche, wie wir es verabredet hatten! Aber Ordnung war in diese an sich einfach anmutende Sache auf keine Art hineinzubringen, und jeden ihrer Briefe habe ich bis in die letzte Zeit hin wie ein Geschenk aus der Hand des Briefträgers entgegengenommen – woran ja schließlich nichts Ungeziemendes war. Wäre dieses Geschenk nur immer dagewesen! Oh, alle Tücken der Post und Eisenbahn habe ich in diesen Monaten kennengelernt: Verspätungen, Fehlbestellungen, Verlust. Manchmal bildete ich mir ein, der ganze Betriebsmechanismus habe sich gegen meine Sehnsucht verschworen, – und gerade dann, wenn ich aufs allerdringlichste Antwort auf einen meiner bang fragenden Briefe erwartete, gerade dann brach etwa der Generalstreik aller Verkehrsmittel aus. Freilich, welche ihrer Antworten hätte ich nicht aufs allerdringlichste erwartet! – Dieses Warten nahm mir zuzeiten meine Arbeitslust, dörrte mich aus, ließ mich weder schlafen noch essen. Jorinde aber erschien ganz schuldlos an meiner Qual, die ihr dann immer auch sehr leid tat, sobald sie von ihr erfuhr. Warum war ich denn gar so ungeduldig und ungestüm! „Ich kann Dir nicht alle Tage dasselbe schreiben,“ lautete ihre vernünftige Antwort auf meine sinnlosen Telegramme, „es ist wohl auch nach meinem Dafürhalten infolge der sicheren Beweise, wie Du sie hast, überflüssig.“ Oder ein andermal: „Verzeih mir. Ich unterhalte mich im Geiste immer mit Dir. Da dachte ich, daß ich Deinen letzten Brief schon beantwortet hätte. Heute lese ich ihn nochmals und finde zu meinem Schreck, daß er noch unbeantwortet ist.“ – Nichts einfacher als das! Ach, in ihrem Gemüt lag ja alles so sicher und klar in einer Ruhe, die mir freilich vollständig unerreichbar blieb, die mich aber doch wenigstens einigermaßen hätte zur Besinnung bringen können und zur Anerkenntnis, daß Jorinde ihre Gefühle auf andere Art ausdrücken mußte als ich. Das verstand ich auch, theoretisch gewissermaßen; kam aber dann drei Tage lang keine neue Nachricht, so verloren ihre so lieben Worte, die geschriebenen, ihre Kraft. Eine geheimnisvolle Mattigkeit umschleierte die Buchstaben. Ich las und las die Briefe noch einmal, las alle ihre Briefe von Anfang an, aber selbst so süße unumwundene Geständnisse wie das von den „sicheren Beweisen“ erschienen mir zwar reizend, zauberten mir Jorindes ganze natürliche Unbefangenheit vor Augen, vermochten aber meinen Durst nach neuen Beruhigungen nicht zu löschen. So lebte ich statt von einem Vorrat alten Vertrauens immer nur gleichsam von der Hand in den Mund. Mein Fehler, – ich weiß es wohl. Weiß aber zugleich, wie er mit dem ganzen Aufbau dieser gefahrvollen Liebe zusammenhing. Beim Zusammentreffen dann, – dieser unschuldige Blick der kindlichen Augen! Das schmale blasse Gesicht, in das der Genius der Aufrichtigkeit selbst die reinen Triumphbögen der Augenbrauen eingezeichnet zu haben schien! – Wie hatte ich da nur zweifeln können, woran denn eigentlich, ich Narr! Sagte mir nicht das erste hingebungsvolle Aufschimmern dieser Augen, an der Bahnsteigsperre, im Menschenknäuel noch, in dem sie mich erwartete: – sagte es mir nicht unverstellt und blumenrein: Ich liebe dich ... Und dieser erste Kuß, auch noch im Menschengewirr, im unterirdischen Durchgang unter den Schienen, dieser hastige, aber nicht ganz kurze Kuß, in dem sich mir mit ihren sich öffnenden Lippen die ganze Wärme ihres Inneren erschloß, gleichsam der einzige Wärme- und Lebensherd inmitten einer kalten, halb erloschenen Welt. Nur einmal im Monat oder höchstens in drei Wochen trafen wir einander. Ich holte sie nur ab, und wir fuhren dann in eine nahe Stadt. Denn in dem kleinen Augsburg war sie schon allzu bekannt. Es hätte Aufsehen erregt, wenn sie sich mit einem Fremden gezeigt hätte. Wir hätten nirgends unbeobachtet miteinander reden oder speisen können. Am wenigsten durfte ihre Hauswirtin von mir wissen. – Kurz, wir waren lästigerweise aus ihrem Wohnort ausgewiesen, und da dann doch immer zumindest zwei, drei Tage mit solch einem Ausflug hingingen, war es nötig, die Zusammenkünfte einzuschränken; denn Jorinde konnte sich natürlich nicht leicht von Proben und abendlichem Auftreten frei machen. Um sie in den schwierigen Anfängen ihrer Laufbahn nicht zu stören, verzichtete ich lieber, drang nicht auf häufigeres Beisammensein, reiste bald ab, selbst wenn sie mich zurückhalten wollte, – reiste zurück in meine nördliche Sehnsuchtseinsamkeit. Es gab keine Sentimentalität des Abschieds, die ich nicht mit ganzer Seele erlitten hätte. Ihr winkendes Taschentuch, das mit der Bahnhofshalle zurückblieb, verlor ich nicht eine Sekunde aus dem Auge. Verschwand es, so fühlte ich, wie im gleichen Moment der Tod in meinem Herzen sich festsetzte. Und dann – allein sein! Wie es fassen, daß ich in Berlin, in meiner kalten Wohnung erwachte, mich wusch, um mein Frühstück klingelte ... und während dieser ganzen Zeit nicht wußte, was Jorinde tat! Oft ergriff mich grenzenloses Staunen: ich fühlte Jorinde so sehr als Teil meines Daseins, fühlte mich so ganz ihr zugetan, daß es mir unbegreiflich vorkam, kein Bewußtsein davon zu haben, was in diesem Augenblick mit ihr geschah. Unmöglich, daß ich so selbständig hier – und sie in einer anderen Stadt – jeder für sich hinlebte. Da fehlte offenbar ein Organ – ein Organ seelischen Zusammenhangs. Während in meiner Seele alles dafür vorbereitet war, mit Jorinde auch in die Ferne hin innigste Verbindung zu bewahren, war durch irgendeinen albernen Zufall rein körperlich die Vorrichtung an meinem Leib nicht vorhanden, die das ermöglicht hätte. O namenloses Grauen, das mich dann befiel; die ganze Welt erschien mir im Entwurf fehlerhaft, – mir war, als hätte ich hinter die Kulissen der Schöpfung geschaut und dort einen Fehler, ein Flüchtigkeitsversehen bemerkt. Denn eigentlich hätte es doch so sein müssen, daß ich durch Signale oder sonstwie von jedem Schritt, den Jorinde ging, Kunde erhielt. Damit, daß es so etwas nicht gab – obwohl doch in meiner Seele offenbar alle Vorbedingungen dafür gegeben waren, – mit dieser Lücke in meinem Organismus oder im Weltplan habe ich mich nie versöhnen können. O verzweifelte Anstrengungen, die ich machte, um mir Jorinde in voller Lebendigkeit vorzustellen. – An den ersten Trennungstagen sah ich sie ja noch ganz leibhaftig vor mir. Einige ihrer Mienen, einige Bewegungen waren gleichsam noch an meiner Netzhaut haftengeblieben: wie sie leicht vorgebeugten Ganges in einem hellgelben Kleid vor mir aus der Konditorei trat, in der Tür die Schultern ein wenig nach vorn zog – oder ihr Lächeln, wobei in der einen Wange ein Grübchen erschien, in der anderen nur die Andeutung davon. Das alles sah ich an den ersten Tagen deutlich, ohne mein Dazutun. Dann aber konnte ich mich nur noch förmlich abstrakt an sie erinnern. Ich wußte zwar noch: „Weiße Stirn“, – aber das Weiß sah ich nicht mehr. Die ermüdete Netzhaut lieferte gleichsam keine Kopien der Originalaufnahme mehr. Auch erinnerte ich mich dann nur noch an Bewegungen, die ich mir schon in den ersten Trennungstagen vergegenwärtigt hatte; kein neues Bild kam mehr dazu, – während in den ersten Tagen die heranschwebenden Bilder wie aus einer unendlichen Fülle der kürzlich erlebten lieblichen Wirklichkeit aufzusteigen schienen, eine ganz zufällige Auswahl nur, durch andere Erinnerungen ablösbar. Aber an diese zufällige Auswahl der ersten Tage blieb ich dann unerwarteterweise gebunden. Nur noch an Erinnerungen erinnerte ich mich. Weshalb ich später schon von vornherein darauf bedacht war, mir in den ersten Tagen nach dem Abschied recht viele verschiedenartige Augenblicksansichten Jorindes ins Gedächtnis zurückzurufen. Oh, ein Wahnsinn, ein verderblicher Kult, dem ich mich da ergab. Ohne ihn aber hätte ich nicht mehr leben können. – Ich bat Jorinde auch um Photographien, erhielt eine ganze Anzahl aus früherer und letzter Zeit. Die aber halfen gar nichts. Im Gegenteil: sie hinderten nur ihr lebendiges Bild. Vertiefte ich mich ins Anschauen einer solchen Photographie, so verschwand die noch bewegliche Erinnerung, kam oft überhaupt nicht mehr zum Vorschein. Und am ehesten half mir eigentlich noch das Bild einer fremden Dame, das ich in der Reklameausstellung eines Photographen am Hochbahnhof Nollendorfplatz entdeckt hatte. – Täglich, ehe ich ins Bureau fuhr, blieb ich vor diesem Porträt stehen, in Träume verloren, die mir aus den Zügen der Unbekannten Jorindes ähnliches Antlitz nebelhaft hervortreten ließen. Kam dann aber ein Brief von ihr, so war das Bild aufgefrischt. Namentlich wenn der Brief entzückt einen neuen Erfolg bejubelte oder auch voll Wut gegen eine Kollegin Alarm blies, die die beste Rolle weggeschnappt hatte. Jubel oder Wut, – in so extremen Gemütsbewegungen konnte ich mir Jorinde noch am ehesten vorstellen, konnte teilnehmen an ihrem Unglück oder Glück. Wie aber, wenn sie in mittlerer Stimmung war, weder besonders froh noch besonders aufgeregt, – in dieser eigentlichen Sphäre ihrer Existenz? Das fiel mir schwer. – So war es ein Traumleben, das ich führte. Nicht das, was ich rings um mich sah, war mir wichtig – sondern das, was ich nicht sah. „Denkst du an mich – ich denke _immer_ an dich“ – wohlgesprochen, aber es ist doch nur eine Redensart. Immer? Was soll das bedeuten? Nein, Minuten, Stunden verstrichen, in denen ich mich trotz allem mit anderen Dingen beschäftigte, beschäftigen mußte. Ein leichtes Erschrecken mahnte mich plötzlich: Nun hast du ja schon eine ganze Weile nicht an Jorinde gedacht. Es war beinahe ein Vorwurf. Und doch auch Glück dabei. Glück, weil nun Jorinde neu in mir auftauchte, eine neue Jorinde, gleichsam die Jorinde dieses Augenblicks, neu erschaffen durch mich, für mich. Wie vom Blitz erleuchtet, stürzte ich mich auf dieses Bild. Und gleich darauf: ob wohl auch Jorinde manchmal so erschrickt, jäh an mich erinnert wird? Das war der eigentliche Sinn der Frage, die ich ihr in jedem Briefe schrieb: „Denkst Du an mich?“ Und sie erwiderte regelmäßig: „Mein Liebster, ich denke immer an Dich.“ – Unmöglich, ihr zu erklären, warum diese glatte Antwort gerade in ihrer Leichtigkeit mich beunruhigte. – „Zicküt“ sang die Nachtigall. Vor dem bangen angewurzelten Geliebten trug die Hexe sie auf offener Handfläche davon ... So häuften sich jedesmal in der Zeit, in der ich ihr fern war, eine ganze Menge ungelöster Mißklänge auf. Ganz ohne Jorindes Dazutun. Einfach nur dadurch (das wußte ich wohl), daß ich mich zuviel mit ihr beschäftigte. Daß ich die menschlichen Gefühlen gesetzten Schranken überschritt, gegen Zeit und Raum widersinnig anzukämpfen strebte ... Manche von diesen Mißklängen nahmen dennoch bestimmtere Gestalt an. Sie formten sich zu Fragen. „Was machst du am Vormittag, wenn die Probe, wie du schreibst, abgesagt war?“ Oder: „Wie ist die Sache mit dem Regisseur ausgefallen, der dich küssen wollte? Du hast dann nichts mehr davon geschrieben.“ Und ähnlich. – Da ich bei aller Reizbarkeit immer noch Takt und Stolz genug besaß, derartige Fragen, die den Anschein eines Verhörs erwecken konnten, in meinen Briefen zu vermeiden, verfiel ich auf den Ausweg, sie auf ein Blatt Papier niederzuschreiben, gewissermaßen zu sammeln und dann, wenn wir beisammen waren, gelegentlich eine nach der anderen ins Gespräch einzuflechten, wobei mich später ein Blick auf das Papier überzeugen konnte, ob ich nichts vergessen habe. Ganz erstaunlich ist es, daß dieses Mittel, das doch so gut erdacht war, nicht das geringste half. In Jorindes Gegenwart erschienen mir nämlich alle die vorbereiteten Fragen wie durch bloße Anwesenheit und Atem der Geliebten erledigt – geradezu lächerlich leicht von mir selbst beantwortbar. Einiges brachte ich vor, ich schämte mich dabei geradezu. War ich dann einen Moment allein und konnte mein Papier durchsehen, so fand ich beim besten Willen nichts, was wichtig genug gewesen wäre, um ernstlich besprochen zu werden. – Auf der Heimreise erst erhoben die ungelösten Zweifel wie neubelebt ihr drohendes Haupt. Dann fiel mir auch ein, daß ich dieses und jenes Gespräch mit ihr angefangen, aber nicht zu Ende geführt habe. Eine täuschende Ruhe, – täuschend, das merkte ich erst jetzt – hatte in ihrer Gegenwart von mir Besitz ergriffen. Es genügte fast, eine Frage zur Sprache gebracht zu haben. Überflüssig, die Antwort zu vernehmen. Oft hatte ich kaum auf sie hingehört, von der bloßen Anmut ihres sprechenden Mundes eingenommen. Oft hatte statt aller Antwort Jorinde nur Tierstimmen nachgeahmt, lustig gebellt, gekräht ... Sie hatte ja immer den einen Ausweg: sie selbst zu sein, hell und leicht. Und ich rollte wie ein Erdkloß, von ihren tanzenden Füßen aufgehoben, dann wieder zurückgeschleudert, vorbei. Ich habe sie wohl allzusehr geliebt. Mehr, als es einem Menschen erlaubt ist zu lieben. Es ist und bleibt ja eine bequeme Binsenwahrheit, daß man einer Frau niemals zeigen dürfe, wie sehr man sie liebt. Daß man gerade dadurch jede Herrschaft über sie verliere. O dieses Gerede vom „starken Mann“, den die Frauen brauchen. Eine Banalität, – wie so vieles, mit dem man sich das Reich der Liebe und seinen tiefen Ernst wegzuschwatzen sucht. Ein geheimer Sinn mag ja darin liegen, daß die meisten sich scheuen, in das Innere dieses Liebesreiches einzutreten, – daß nicht viele so fühlen wie ich, – daß ihnen meine Art, mich der Liebe ganz hinzugeben, als unmännlich, weichmütig, schlaff erscheinen mag. Nun gut, das sind gepanzerte Menschen Einen Vorteil hat ja der Panzer ganz gewiß, sonst würde ihn niemand tragen. Nur für den, der sich ganz menschlich und unverstellt bewegen will, der die Wahrheit des Lebens liebt, für den taugt die schwere Rüstung nicht. – Es ist ja überdies auch fraglich, ob alle Frauen gerade nur den herrschenden bestialischen Mann wollen, oder ob nicht manche den vorziehen, der stark an Liebe ist, rückhaltlos in seiner Liebe wie ich. Jorinde (das weiß ich) liebte mich so, wie ich war. Es ist in diesen Aufzeichnungen vielleicht noch nicht ganz zum Ausdruck gekommen, daß sie mich geliebt hat, – dennoch weiß ich mit aller Bestimmtheit, daß es so gewesen ist. Unendlich und mit abschließender Kraft hat sie mich geliebt ... Und da könnte ich nun sagen oder vielmehr könnte tun, als sehe ich die Sache einmal auch von diesem Standpunkte aus: Habe ich es nicht besonders raffiniert angefangen, – habe ich nicht durch meinen Ernst und meine Güte mehr erlangt als all die hochstaplerischen und „starken“ Laffen, mit denen Jorinde bei den Dilettantenaufführungen zusammengetroffen war? Über alle habe ich triumphiert. Alle haben ohne Erfolg abziehen müssen, und mir ist das schöne Mädchen zugefallen, mir allein. Und wie oft hat sie mir dafür gedankt, daß ich mich nicht so unmenschlich gezeigt habe und „nur auf das eine los“, wie jene Gewohnheitseroberer und Verführer. Nicht flüchtigen Genuß hatte sie mir bedeutet – sondern Anbetung, einen dauernden Altar; – sollte es nicht etwa Instinkte der Frauen geben, mit denen sie eine den ganzen Mann erschütternde Leidenschaft vor allen anderen herausfühlen? Wenn ja, dann hätte also ich den richtigen Weg eingeschlagen, um Glück zu haben und die Braut heimzuführen, und vielleicht kommt es auch noch einmal an den Tag, daß ich all den Liebeswahnsinn nur – zu diesem Zweck – simuliert habe? ... Eine lustige Möglichkeit, in der Tat! Die Wahrheit aber ist: daß ich viel zu stolz war, mich zu verstellen und aus Gründen irgendeiner Taktik Jorinde gegenüber meine Gefühle zu verheimlichen. Nicht aus Schwäche geschah das, sondern aus Kraft. Weil ich mich dem Rückschlag gewachsen fühlte, der entstehen mußte, wenn ich allzu offen meine grenzenlose Liebe eingestand – weil ich wollte, daß Jorinde mich allem Rückschlag und aller Taktik zum Trotz liebe. Absichtlich trug ich mein Herz auf der offenen Hand. Ich wußte, daß mir das bei Jorinde schaden konnte, – tat es dennoch. Wie man es anstellt, um durch scheinbares Abgekühltsein eine Frau neu aufflammen zu lassen, dieses kindische, nach festen Regeln sich abwickelnde Spiel hatte ich ja in jenen Liebschaften genugsam erprobt, die gar nicht verdienen, denselben oder einen ähnlichen Namen zu tragen wie meine Beziehung zu Jorinde. – Wahrlich, mit bescheidenen Vergnügungen geben sich die Menschen zufrieden. Ich aber wollte die Lauterkeit, die schlackenlose Sonnenscheibe der Liebe, wollte das Herz meines Herzens spüren. Daß das eine Gefahr ist, ahnte ich wohl, wiewohl ich die Katastrophe damals durchaus nicht voraussah. – Da nun meine Liebe von solcher Art war und ebenso echt erwidert wurde: warum haben wir denn eigentlich nicht geheiratet. Die Frage liegt nahe, und die Anklageschrift wirft sie auch tatsächlich auf, freilich nicht in redlicher Absicht, sondern um mich herabzuwürdigen, wie diese erbärmliche Darstellung meines Verbrechens überhaupt darauf ausgeht, mich als charakterlos, unzuverlässig und so weiter zu schildern. – Nun, es wäre vergeblich, einen Zusammenhang zwischen meinem Gefühl und der Sittlichkeit, wie sie die Anklageschrift im Sinne der herrschenden moderierten und ungefährlichen Liebesmoral meint, herstellen zu wollen. Ich beschränke mich darauf, eine Antwort, die sehr einleuchtend scheint, als unzutreffend abzulehnen. – Wahr ist, daß mein Beruf mich in Berlin, Jorinde als Schauspielerin in Augsburg festhielt. Daß aber dies der Grund oder ein Vorwand gewesen sein soll, um die Ehe aufzuschieben (die formelle Eheschließung, die der Anklageschrift so wichtig ist), das hat mit meinen wahren Beweggründen gar nichts gemein. Sogar das ist unrichtig, daß eine formelle Eheschließung bei getrenntem Wohnort an den tatsächlichen Verhältnissen nichts geändert hätte. Ich lehne es ab, mich auf so billige Art zu verteidigen. Im Gegenteil: schon bei bloß formeller Eheschließung, ja selbst dann, wenn Jorinde nur einen Ring von mir getragen hätte, wäre es nicht zur Katastrophe gekommen. Die letzte Spannung während der unglücklichen Eisenbahnfahrt entstand ja nur dadurch, daß Jorinde als vollständig unabhängig von mir, sozusagen als Fremde mir gegenüber saß. Und war auch diese letzte Spannung, die ich nicht mehr ertrug, nur ein Symbol für das ganze der Beziehung zu Jorinde zugrunde liegende Spannungsverhältnis: dennoch ist nicht daran zu rütteln, daß schon ein Ring genügt hätte, um die Katastrophe zu verhindern, und niemand kann ja sagen, inwieweit ein schicksalsvoller Augenblick Symbol und inwieweit es bloß rohe, zufällige Wirklichkeit ist. – Das alles also entschuldigt mich nicht. Klar ist vielmehr: ich hätte sie heiraten sollen. In der letzten Zeit, als die Zweifel in mir zu überwiegen, allzu qualvoll zu werden begannen, da dachte ich wohl auch allen Ernstes: ich muß sie heiraten, sonst habe ich sie nie. Aber gleich darauf: was heißt denn das eigentlich – „eine Frau _haben_“? Welch eine barbarische und überdies unwahre Vorstellung. Ich „habe“ sie – oder gar „ich habe sie gehabt“ – als könne man die Frau in einen Sack stecken und wegtragen, samt und sonders, so wie sie ist. Oh, ich begreife eigentlich das Gefühl des Lustmörders: Jetzt, jetzt gib mir alles, was du bist, was du empfindest, – bis zur Neige, bis zum letzten Tropfen – und dann stirb, dann sei nichts mehr, empfinde nichts mehr, zum Zeichen, daß du mir wirklich alles gegeben hast ... Ein verirrtes Gefühl, aber ich begreife es ganz gut. Obwohl es nicht mein Gefühl ist, nein, meines nicht. Nie könnte ich gegen das, was ich geliebt habe, die Hand erheben. – So habe ich denn auch den Mechaniker getötet; Jorinde nicht, Jorinde habe ich nicht berührt. Ich will nun den Grund sagen, warum ich nicht geheiratet habe. – Ich bin Witwer. Ich habe die Ehe verkostet. Dem Wunsche meines Vaters folgend, der eine Vergrößerung der Fabrik durch die Mitgift meiner Frau anbefahl, habe ich mit einem mir gleichgültigen Wesen zwei Jahre lang zusammengelebt, bis es starb. Es ist zu wenig gesagt (finde ich), daß Ehe mit Liebe nichts gemein hat. Sie ist das Gegenteil der Liebe, die ich als ewige Unsicherheit, als Glauben an eine Göttin, als Glauben ohne Beweis empfinde. Die Ehe dagegen – ist der Beweis ohne den Glauben. – In der Liebe wird man niemals satt. Ehe ist der Versuch, Liebe durch Sättigung zu ersetzen, wobei aber seltsamerweise weder Liebe noch Sättigung entsteht. – Wie alles, worüber man jahrelang nachgedacht hat, habe ich das zu scharf ausgedrückt. Und ich weiß auch, daß eine Ehe mit Jorinde von anderer Art gewesen wäre als eine mit einer anbefohlenen Frau. So kann ich letzten Endes nur sagen: daß ich mich vor meinem Gewissen stets als mit Jorinde vermählt betrachtet habe, – wir schrieben einander auch nie anders als: „Liebe Frau“ – „Mein lieber Mann“ – und daß es keinen treueren Ehemann gegeben hat als mich, treu nicht nur der Pflicht, sondern auch dem Gefühl nach, – denn alle anderen Frauen als Jorinde kamen mir, mußte ich schon mit ihnen reden, lästig und langweilig vor – und die Männer auch, nebenbei bemerkt, – von Jorinde entfernt führte ich nur ein Traumleben, und war ich mit ihr beisammen, so war ich doch niemals satt von ihr. Unerreichbar blieb mir ihre Seele, unerreichbar eigentlich auch ihr Leib, mochte ich ihn auch noch so oft (wie der dumme Ausdruck sagt) „besessen“ haben. Von einer schönen Frau wird man nämlich niemals satt, – gegenteilige Behauptungen gehören (wie die von den „starken Männern“ und der „Peitsche“ beim Weib) zu jenen, mit denen man sich Ernst und Abgründe des Liebesreiches wegdisputieren will. Einmal brachte ich denn auch Jorinde einen glatten Goldreif nach Augsburg. Das Datum des Tages, an dem wir einander kennengelernt hatten, war eingraviert. Mein Vorname dazu. Ein richtiger Ehering also. – Jorinde freute sich sehr, steckte den Ring an die rechte Hand, – dann an die linke, – „als Verlobungsring,“ sagte sie, „das stimmt doch eher. Dann drückt er mich nicht so.“ – Als ich dann aber das nächste Mal kam, trug sie ihn überhaupt nicht. „Um überflüssigen Fragen auszuweichen“, erklärte sie. Ich erwiderte nichts, Verzweiflung faßte mich an. Damals nämlich war der letzte Akt schon in vollem Gang, Jorinde verkehrte schon mit dem Mechaniker ... Lächerlich ist es natürlich, zu glauben, daß die Ereignisse, die nun eintraten, hätten ausbleiben können, wenn Jorinde meine rechtmäßige Ehefrau gewesen wäre. Die Unsicherheit, der ich schließlich erlag, war doch schließlich von ganz anderem Rang als die Bindung, die durch einen Eheschluß geboten wird. Niemals konnten diese beiden Ebenen ineinandergreifen. Das ist an sich unbezweifelbar. Und dennoch: Der Ring, – der Ring hätte die Entscheidung zumindest aufgeschoben, durch Aufschub vielleicht ganz verhindert. Das deutet darauf hin, daß hinter meinen Erwägungen doch ein letzter unauflösbarer Rest zurückbleibt. Ich sage mir das selbst – ohne jedoch über diesen Rest irgendwie klar werden zu können. Die erste Erwähnung des Mechanikers geschah in einem Brief Jorindes ganz nebenbei, neben zwanzig Kleinigkeiten. Trotzdem fiel für mich diese Mitteilung sofort aus dem Rahmen des übrigen heraus. Bei einem Ausflug nach Göggingen, so schrieb Jorinde, habe sie den jungen Mann getroffen, der dort in der großen Hessingschen orthopädischen Heilanstalt als Mechaniker beschäftigt sei. Zu ihrer Freude habe sie in ihm eine Art Jugendfreund wiedererkannt, den ehemaligen Assistenten, oder besser gesagt, Diener ihres Vater, der ihr, wenn sie als Kind ins Laboratorium kam, freundliche Worte gegeben, sie herumgeführt habe. – „Ein merkwürdiges Wiedersehen“, schloß die Bemerkung. „Mich freut es, daß er nicht nur bei meinem Vater etwas gelernt, sondern auch aus Eigenem sich weitergebildet hat, so daß er jetzt eine ganz selbständige und angesehene Stellung auf einem anderen wissenschaftlichen Gebiete ausfüllen kann. Er erzählt sonderbare Geschichten über seine Abenteuer in Amerika während des Krieges. Ich werde ihn öfters sprechen, denn Göggingen ist von Augsburg aus mit der Elektrischen in Minuten zu erreichen, und es sind sehr hübsche Spaziergänge dort.“ – Ich las die Stelle noch einmal. Augenblicklich wußte ich, wie mit einem Gongschlag –: etwas Neues beginnt. Eifersüchtig war ich zwar auch bisher schon bei gegebener Gelegenheit gewesen, – aber nicht im Ernst, nur als „Spiel mit dem Feuer“. Ich hatte während der Eifersucht gleichsam gewußt, daß sie grundlos sei, – so wie man manchmal im Traum weiß, daß man schläft und träumt. Jetzt aber war außerdem, förmlich neben aller Eifersucht, auch noch ein Grund zu ihr da. Ich wurde traurig. Sehr düster wurde es in meiner Seele. Zuerst freilich raffte ich mich zusammen. Ich beschloß, gegen den eben aufgetauchten „Dritten“ zu kämpfen, indem ich ihn nicht ernst nahm. Möglichkeiten dazu gab es ja genug. Tatsächlich konnte ich mir auch wirklich kaum einreden, daß sich Jorinde mit ihren ausgesprochen aristokratischen Neigungen für einen ehemaligen Diener mehr als flüchtig und ganz von oben herab interessieren würde. Der Diener war freilich durch eigene Kraft emporgestiegen, imponierte, hatte die Welt gesehen, das deutschfeindliche Amerika während des Krieges überstanden und für seine Person in gefahrvollen Abenteuern überwunden ... Nun, wie dem auch sei: Ich unterstrich in meiner Antwort das Dienerhafte, machte gar einen alten, weißbärtigen Diener aus ihm, den „treuen Diener seines Herrn“, warnte die „Prinzessin“ vor dem „in Ehren ergrauten Pagen“ – und ähnliche Späße mehr. Der Brief war in ganz ähnlichem Tone gehalten wie meine Neckereien, wenn Jorinde bei Ausflügen einen Herrn vom Nebentisch etwas zu lange angeschaut hatte. Und war ebenso ungeschickt. Denn aus Jorindes selbstverständlichem Widerspruch kam dann stets ein Ernst in die Sache, der vor meiner sogenannten Neckerei, in deren Kern doch eigentlich nur Angst pulsierte, ganz undenkbar gewesen wäre. – Jorinde protestierte, noch immer lustig und auf den irreführend leichten Klang meines Angriffs eingehend, gegen den weißen Bart; der Mechaniker sei im Gegenteil, so hieß es, ein junger hübscher Mann, der ihr sehr gut gefalle und auf den ich eifersüchtig sein solle ... „Eifersüchtig“ – nun war das schreckliche Wort schon ausgesprochen. – An sich vielleicht nicht so schrecklich wie in meinem besonderen Fall. Meine Beziehung zu Jorinde vertrug ja keine weitere Belastung mehr; die Spannung, die sich nur eben noch an der Grenze des Ertragbaren hielt, durfte und konnte nicht weiter gesteigert werden. So viel Unsicherheit, so viel Zittern vor meiner Göttin – und nun noch ein Dritter neben uns beiden: das ging über meine Kraft. So kehrte schon mein nächster Brief reumütig und geschlagen aus dem Witzgefecht zu aufrichtigem Ernst zurück. Ich bat Jorinde rund heraus, nicht mehr nach Göggingen zu fahren, sie solle den Verkehr abbrechen, ehe er gefährliche Formen annehme, die sie selbst heute noch nicht vorherzusehen imstande sei. Dieser Brief kreuzte sich mit einem sehr heiteren und ironischen Schreiben Jorindes. Sie erzählte mir, daß sie bei einem Spaziergang mit dem Mechaniker in einer Bauernwirtschaft eingekehrt und dort zur Musik eines großen Orchestrions stundenlang mit ihm getanzt habe. Sie sei ganz froh, endlich wieder Gelegenheit zum Tanz gefunden zu haben, die es in Augsburg gar nicht gebe, zumindest nicht in einer Art gebe, die ihr passen könne. – Und viele, viele Küsse an mich. Ich solle mich nur nicht ärgern. Sie sei munter und quietschvergnügt ... Tücken des Briefwechsels: niemals ist ein Gespräch mit regelmäßiger Frage und Antwort zu erzielen, sondern wenn man längst etwas ganz anderes gefragt hat, trifft die gar nicht mehr passende Antwort auf eine frühere Frage ein, völlig unzutreffend für die Stimmung von heute. Es ist, als ob ein Kranker, dem täglich etwas anderes fehlt, immer wieder mit den Heilmitteln für die Krankheit, die vorbei ist, kuriert würde. – Und doch bleibt einem nichts anderes übrig, als durch möglichst schnelles Hintereinanderherjagen der Briefe die davoneilende Zeit gewissermaßen einholen zu wollen. Ein sinnloses Unternehmen, nur zur eigenen Beruhigung für Momente gut genug, genau genommen eigentlich nur für den Moment, in dem man den wohldurchdachten neuen Brief in den Briefkasten wirft, – in diesem einen Augenblick hat man tatsächlich das Gefühl, die Angelegenheit zu beherrschen, zusammengefaßt in der Hand zu halten, – nachher aber weiß man ganz genau, daß Briefschreiben nichts hilft, daß allzu großer Briefeifer eher noch schaden kann; denn je häufiger man schreibt, desto seltener und kühler wird einem geantwortet – ein Satz von geradezu naturwissenschaftlicher Sicherheit, den ich wohl im Kopfe hatte und nach dem ich mich gleichwohl nicht zu richten vermochte. Endlich kam Jorindes Antwort auf meine ernste Bitte. – Sie schrieb sehr rührend. Der Mangel an Vertrauen, den ich bewiesen habe, täte ihr weh. Denn Liebe sei doch nichts anderes als gegenseitiges Vertrauen. „Die ganze Sache ist eine solche Harmlosigkeit,“ fuhr der Brief fort, „daß Du wirklich nicht den geringsten Anlaß hast, Dich aufzuregen oder unruhig zu sein. Hätte ich Dir das Zusammentreffen verheimlichen wollen, – wer konnte mich zwingen, Dir überhaupt davon zu schreiben. Du hättest nie etwas davon erfahren. Aber das eben ist mein Lohn dafür, daß ich Dir alles sage – Mißtrauen meines einzigen Freundes.“ Ich mußte ihr innerlich recht geben. Kühl betrachtet, war es wirklich eine ganz häßliche Einmischung, wenn ich ihr vorschreiben wollte, mit wem sie verkehren dürfe, mit wem nicht. – Der erste Eindruck, den dieser Brief Jorindes auf mich machte, war denn auch ein vorzüglicher. Später aber fiel mir ein, daß sie auf die Hauptsache, ob sie nämlich den Verkehr mit dem Mechaniker aufgeben oder fortsetzen würde, überhaupt nicht eingegangen war. Ich erschrak bei dieser peinlichen Feststellung. Nun erst wurde mir klar, daß ich es eigentlich am liebsten gesehen hätte, wenn ich ihr gegenüber vollständig ins Unrecht gedrängt worden wäre, – dadurch, daß sie sich meinem Wunsche, den ich als Unrecht anerkannte, gefügt hätte. Ich wollte also gleichsam im Tatsächlichen recht behalten und nachher großmütig, reumütig mein Unrecht eingestehend, um Verzeihung bitten. Nicht aber umgekehrt. – Diesen Seelenzustand nun meiner Frau auseinanderzusetzen ... ich unternahm es wohl, es konnte aber nicht gelingen. Was sie aus meinem Brief herauslas, herauslesen mußte, war ein süßsaueres „Ja“, eine etwas verärgerte Einwilligung zu ihren Ausflügen nach Göggingen. „Wenn es sein muß, wenn es für Dein Seelenheil unbedingt nötig ist, – meinetwegen, ich wende nichts mehr ein.“ – Es war wohl ein Fehler, mit den geringen Reserven, die ich noch besaß, den Starken, den Gleichgültigen spielen zu wollen. Ganz verstohlen hoffte ich natürlich, daß meine Gleichgültigkeit dazu beitragen würde, ihr den neuen Gesellschafter uninteressant zu machen. Dazu aber reichte offenbar der Grad meiner Gleichgültigkeit nicht mehr aus. Die Richtung meines Vorgehens war vielleicht gut, aber auf halbem Wege brach ich in die Knie. Jorinde also kam weiter mit meinem Feinde zusammen – und jeder Brief, der mir die Fortdauer dieses Umgangs erklären sollte, steigerte meine Qual. Die Gründe, die Jorinde vorbrachte, machten die Sache nur noch ärger. Übrigens führte sie diese Begründungen in aller Argslosigkeit an, – denn wiewohl ich meine Unruhe nicht ganz verhehlte, schämte ich mich doch, all meine Furcht um sie, meinen ganzen bejammernswürdigen Zustand einzugestehen. Es hätte mich in ihren wie in meinen eigenen Augen allzu tief herabgesetzt. Ihre Forderung, daß ich Vertrauen zu ihr haben müsse, war ja unwiderleglich, – kam geradezu aus dem Mittelpunkt unserer Beziehung heraus, die sich doch völlig auf Glauben, ja auf Glauben ohne Beweis aufbaute. Es hätte nur leider eines stärkeren Herzens bedurft, um diese Stellung zu halten, – das sah ich ein. Wußte aber zugleich, daß es etwas anderes als diese höchst gefahrvolle Stellung für mich, ja für jeden wahrhaft Liebenden gar nicht geben könne. So mühte ich mich denn weiter, solange es eben gehen mochte, – nahm mir vor, alle die kleinen, wahnsinnig schmerzhaften Nadelstiche, die ihre Briefe mir (in aller Arglosigkeit) zufügten, nicht zu beachten, erst bei der nächsten Zusammenkunft mündlich die ganze Sache mit ihr zu besprechen. – Zu meinem Unglück war aber gerade diesmal diese nächste Zusammenkunft in ziemliche Ferne gerückt. Bei unserem letzten Beisammensein hatten wir beschlossen, – in dem vollkommenen, geradezu kameradschaftlich wohligen Einverständnis, das damals zwischen uns geherrscht hatte, damals ganz besonders, damals mehr als je vorher – hatten beschlossen, daß wir uns vor den Sommerferien nicht mehr sehen und mit voller Kraft nur unseren schwierigen Berufsaufgaben widmen würden, um uns dann am Ende der Arbeitssaison für so viel Entsagung durch eine herrliche Sommerreise nach Holland und an die Nordsee belohnen zu können. Jorinde studierte damals zum erstenmal eine moderne Rolle, – die Hauptrolle in Max Brods neuem Lustspiel „Klarissas halbes Herz“. Die Gestalt der kapriziösen, dabei aber nicht oberflächlichen, sondern von großer Leidenschaft besessenen „Klarissa“ stellte ungeheuere Anforderungen, verlangte Blut und Mark der Schauspielerin (nebenbei bemerkt: auch diesem Stück, in dem so viel von Untreue die Rede ist, schob ich zu einem gewissen Teil die Schuld an meiner inneren Unruhe zu. Die Wankelmütigkeit der Bühnenfigur mußte ja in irgendeiner Weise auf die Darstellerin abfärben. Den Gemahl Klarissas aber beneidete ich um seine eisernen Nerven). – Und so wie meine Frau, stand auch ich vor wichtigen Entscheidungen. Meine beiden jüngeren Brüder bedrohten mich mit einem Prozeß. Ich hatte sie nach dem Tode des Vaters aus der Erbschaft vollständig abgefunden. Nun aber machten sie trotzdem Ansprüche auf die Fabrik geltend. Das Aufblühen des Unternehmens stach ihnen wohl gewaltig in die Augen. Sie wünschten als Kompagnons einzutreten, mit ganz minimalen Einlagen, die ihnen als Rest des väterlichen Vermögens geblieben waren, aber mit vollen Herrenrechten. Die Früchte meiner Arbeit, auf die Jorindes Sonnenstrahlen herabgeleuchtet hatten, sollten mir abgenommen werden. Mehr als das: meine wissenschaftlichen Experimente waren bedroht, wenn die rein kaufmännisch denkenden Brüder als gleichberechtigte Inhaber neben mich traten. – So setzte ich mich denn kräftig zur Wehr, und Jorinde hatte bisher Anteil an meinem Kampf genommen, tat dies wohl auch weiterhin ... nur ich war unterhöhlt, mich selbst beschäftigte nur noch ausschließlich die Beobachtung des „Dritten“, der, täglich und stündlich von mir verwünscht, in immer neuer Darstellung aus Jorindes Briefen hervorgrinste. Es war allerdings in diesen Briefen nicht viel die Rede von ihm. Nur hie und da widmete ihm Jorinde ein Wort. Mir aber schien es, als ob die Briefe von nichts andrem mehr handelten. Ihre Gründe, – arglos vorgebracht, wie ich schon sagte, aber um so peinigender für mich: daß sie blutarm sei, an Schlaflosigkeit leide – der Arzt habe ihr Spaziergänge verordnet – sie habe aber keine Lust, allein spazierenzugehen. Und mit Theaterleuten wolle sie außerhalb des Theaters nichts zu tun haben. „Die gehn mir schon ohnehin auf die Nerven“, schrieb sie. „Du wirst doch begreifen, daß man sich manchmal nach Abwechslung sehnt. Es ist mir so sympathisch, einmal mit einem Menschen zu reden, der mit der Hand arbeitet, nicht immer nur mit dem Kopf.“ Und ich? – notierte ich an den Rand dieses Briefes ... Oh, ich verstand Jorinde nur allzu gut. – Hier tat sich der Abgrund zwischen ihr und mir auf. Wir gehörten eben jeder doch in eine andere Welt. Das Abendessen im Hause ihres Vaters tauchte vor meinen Augen auf. Die dunklen Möbel, – der junge Privatdozent mit dem edlen, kühnen Landsknechtgesicht, Pfeife rauchend, – der Vater, der wie ein Förster aussah, der die Stadt verabscheute und im bayrischen Wald auf die Jagd ging. Auch der Mechaniker, der seine Hand nach meiner Jorinde ausstreckte, kam aus den Tiefen dieses undurchdringlichen Waldes. Er holte nun meine Frau heim. Mit ihm war sie tief innerlich verbunden, durch ihre Einfachheit, ländliche Stille, – es war kein Zufall, daß er früher bei ihrem Vater gearbeitet hatte, daß er Kindheitserinnerungen in ihr weckte. Nein, sie gehörten beide gleichsam zu derselben großen Familie. – Ich dagegen, der schmächtige Berliner aus der glattgewalzten nordischen Sandwüste, ich, der Natur entfremdet, vergeblich bemüht, aus meinem ausgedörrten Herzen Vertrauen zur großen Mutter Erde, zu meiner Göttin heraufzupumpen ... was hatte ich im Grunde mit Jorinde gemein. Nur lieben konnte ich sie, dunkel lieben, grenzenlos, – das Herz sehnte sich nach der großen Mutter, ohne daß mein Kopf dahin nachzufolgen vermochte, wo es meinem Herzen so wohl tat. Wo war der Weg, der zu ihr führte! Wie anders hätte der Mechaniker sie besessen, – besaß sie vielleicht schon! Waldströme rauschten um seine mächtige Gestalt, wie ein brauner Holzfäller im finsteren Bergtal trat er, die blanke Axt geschultert, aus dem Dickicht, – so erschien er mir im Traum. Ich wollte mit ihm ringen. Aber er berührte mich kaum, er ging mit Jorinde vorbei; sie hatte mich gar nicht angesehen. Unmöglich, zu ihr zu gelangen. Es war nicht meine Welt. – Eine klare Erkenntnis: sie lebte in dem „anderen Deutschland“. Es gibt ja zwei verschiedene Staaten dieses Namens. Berlin – und: Deutschland ohne Berlin. Solange man in Berlin ist, merkt man dieses andere Deutschland nicht. Aber es ist nicht minder da. Grundverschieden, trotz äußerlicher Ähnlichkeit mit Berlin, wie sie sich etwa im Bau neuer Stadtviertel zeigt oder in der sauberen Maschinenschrift der Gutachten von Professor Grothius. Das ist nur Mimikry. Alle deutschen Städte treiben eine Art Mimikry, sind berlinähnlich – im Innersten aber, ebenso wie das ganze ungeheuere Feld- und Waldland ringsum, etwas ganz anderes als Berlin. – Es war natürlich vergebliche Mühe, durch solche Überblicke allgemeinster Art die Herrschaft über mich selbst oder gar über Jorinde erlangen zu wollen. – Jeder neue Brief warf mich aus meiner erkünstelten Ruhe. „Wäre es Dir vielleicht lieber, wenn ich meine freie Zeit mit der frivolen Theaterclique verbrächte?“ schrieb Jorinde. Gewiß wäre es mir lieber, hundertmal lieber – antwortete ich. Und ich fühlte es wirklich so. Oder bildete mir zumindest ein, so zu fühlen. Ausführlich stellte ich ihr meine Motive dar. Theater – das wäre im Umkreis ihres Berufs gelegen! Ein Verkehr, den man pflegen muß, um nicht durch Separation allzuviel Feindseligkeiten zu erregen. Der Verkehr mit dem Mechaniker aber war – freiwillig, in einem gewissen Sinn überflüssig. Gerade das war es, was mich erregte. Auf Theaterleute wäre ich nie eifersüchtig gewesen. Wiewohl ich diese Art von Verkehr kenne, – man spricht da mit einer hübschen Frau nie anders, als indem man sie streichelt, indem man mit der Hand an ihrem Ärmel auf- und abfährt. Doch gerade diese zur Konversation gehörigen Liebesbezeugungen stumpfen ab. – Nein, nein, niemals hätte ich es mir beifallen lassen, auf ihre Kollegen vom Theater eifersüchtig zu sein. So verrückt sei ich denn doch nicht ... In ihrer Antwort lachte sie mich aus (wie sie überhaupt in ihren Briefen den guten Humor nicht verlor. Ich glaubte sogar zu bemerken, daß sie seit der Begegnung mit dem Holzfäller-Mechaniker in wesentlich fröhlicherer Stimmung war als vordem). – „Du hast mich doch ganz, mit Leib und Seele“, hieß es dann an einer anderen Stelle, ernsthaft, in dem Brief. – Ja, ja, du bist mein, rief es in mir. Ein Jubel, ein frischer Atemzug, der mich erquickte nach all der Not. Wie Duft des Meeres, wenn man zerarbeitet, müde, zum erstenmal nach langem Stadttagewerk zur Düne, zum Strand hinunterläuft, direkt vom Bahnhof, – um den reinen brausenden Sturm einzuatmen, der über die ungeheuere Wasserfläche fährt. Mein Gott, Jorinde ist ja mein, ist ja noch mein. Das Holde, Unübersehbare, Unausdenkbare meines Glückes kam mir wieder plötzlich zu Bewußtsein, wie neu geschenkt. – Doch gleich darauf klemmten sich mir die Lungen ein. Ich hatte weitergelesen: „Er liebt mich, – doch weiß er, daß ich nie heiraten werde.“ Da stand es nun also, schwarz auf weiß. Da stand es, was ich gefürchtet hatte. Mein Argwohn war also nicht, wie ich insgeheim doch gehofft, übertrieben gewesen, – zu einem Teil war er schon in Erfüllung gegangen, zu einem wesentlichen Teil. – Er liebte sie. Eigentlich ganz selbstverständlich. Kann man mit Jorinde verkehren, ohne von ihrer einleuchtenden Schönheit überwunden zu werden? – Und nun wuchs meine Unruhe ins Grenzenlose. Der eine Satz im Brief Jorindes eröffnete tausend Fragen. Es war klar, und es ging ja auch deutlich genug aus dem Brief hervor, daß Jorinde sich dieser neuen Liebe gegenüber abwehrend verhielt. Aber kam es denn nur auf sie an? Der Dritte war ja gleichfalls ein lebendiger Mensch, keine Puppe, – gewiß entfaltete er Kräfte, seinem Charakter gemäß, über den ich mir aus den spärlichen Andeutungen Jorindes leider gar kein Bild machen konnte. Sie betonte zwar immer, daß sie „alles schrieb“, – schrieb aber gar nichts Wesentliches, so schien es mir nun, – nicht einmal, wie der Mechaniker hieß, wußte ich bis jetzt. Nicht einmal den Namen, o mein Herr und Gott! ... Das tat freilich nichts zur Sache. Und auch auf seinen Charakter kam es eigentlich nicht so sehr an, – mochte er auch der bescheidenste, unzuversichtlichste Mensch der Welt sein, ganz ängstlich vor Jorinde, noch ängstlicher als ich, – die Tatsache, daß er ein lebendiges Wesen war, genügte ja durchaus, um mich auf das fürchterlichste zu stören. Auch eine Maus ängstigt sich ja vor Menschen, – dennoch schläft man nicht gern in einem Zimmer, in dem man eine lebendige Maus knabbern hört. Daß sie ein lebendiges Wesen ist, daß man nicht weiß, was sie im nächsten Augenblick machen, wohin sie spazieren wird, – – ja, ganz ebenso unheimlich war mir der Dritte, der sich, und sei es noch so behutsam, in meinem und Jorindes dunklem Schlafzimmer zu rühren begann. In allem merkte ich von nun an seine Wirkungen, – Jorindes Briefe schienen mit nicht so zärtlich wie zuvor. Geheimnisvollerweise war es ja seither so gewesen, daß die Liebe, die aus ihren Briefen sprach, sich in auf- und absteigender Linie bewegte. Es nahm immer denselben Verlauf: die Briefe, die unmittelbar auf einen Abschied folgten, glühten geradezu, – es gab da Wendungen wie „Ich zittere nach Deinem Mund“ – „Ich kann die Nacht nicht überleben nach so sonnigen Tagen“ – Wendungen, wie ich selbst sie gern geschrieben hätte, hätte ich mir nicht längst schon angewöhnt, meine Gefühle brieflich nur gedämpft auszudrücken, um Jorinde nicht zu verstimmen. Doch es nutzte ja nichts. Die Abkühlung ließ nicht auf sich warten. Die folgenden Briefe waren nicht nur gleichgültiger, – das könnte man für eine bloße Einbildung halten, – nein, sie waren geradezu meßbar mit geringerer Lust, geringerem Mitteilungsbedürfnis geschrieben: nämlich kürzer, mit großem, freiem Rand, großen Buchstaben, großen Zwischenräumen zwischen den Zeilen und ohne jenen Briefschmuck, den ich am meisten liebte, nämlich ohne diese quer an den Rand gesetzten, manchmal rings um den ganzen Briefbogen herumführenden Nachschriften, die so richtig das Gefühl vermitteln, daß sich der Briefschreiber aus dem Zusammenhang mit dem Adressaten nicht lösen mag, daß er verweilt, daß ihm immer noch etwas Neues einfällt, wie in lebendigem Gespräch unter vier Augen. – Dies alles also fehlte bei späteren Briefen. Ich sah die Ebbe jedesmal kommen, wurde aber immer neu von ihr überrascht. Es war wohl ein natürlicher Vorgang, was sich in Jorindes Briefen ausdrückte und was nur mir in meiner Perspektive als widerspruchsvoll erschien, es war ein Naturablauf der Gefühle, wie Blühen, Reifen und Verwelken von Pflanzen. Aber diesem Naturablauf gewachsen zu sein, – das eben war die Aufgabe, die meine Kräfte überstieg. Und auf dem abwärtsgleitenden, wankenden Boden eines nur mit Mühe und äußerster Selbstbeherrschung zu führenden Briefwechsels tauchten nun überdies die Auswirkungen des „Dritten“ auf. Sie ließen sich nicht konkret feststellen, – ließen sich aber ahnen. Gab man sich Ahnungen hin, dann waren diese Emanationen, diese Überschattungen durch eine fremde Ansicht freilich überall da. So etwa in Jorindes Schrift, die schon begonnen hatte, der meinen ähnlich zu werden (süßeste Entdeckung! geheimste Freude!), und die nun wieder ihre alten, von mir unabhängigen oder ganz fremden Buchstabenformen annahm. – Oder wenn ich ihr allerlei Medikamente gegen ihre Schlaflosigkeit schickte, sie aber Medikamente überhaupt ablehnte und an den Spaziergängen als viel gesünderem Heilmittel festhielt, – was lag näher, als darin die Beeinflussung durch Meinungen eines Naturburschen zu sehen, wie dieser Mechaniker einer sein mochte! Gewiß mußten seine Ansichten (einfach die Kraft seiner Gegenwart) allmählich die Oberhand gewinnen, mich und meine besondere Ideenwelt bei Jorinde verdrängen. Gerade das aber war es, was sie nie zugab. Ihrer Ansicht nach liebte sie mich „immer gleich“. Es gab für sie kein Auf und Ab der Gefühle. Wenn sie doch wenigstens dieses Auf und Ab zugegeben hätte, – ich glaube, dieses bloße Zugeständnis, dieses Einsehen, daß es so sei, hätte mich schon ein wenig getröstet, über das ärgste hinweggebracht. „Schau, du mußt doch selbst bemerken, daß deine Briefe vor einem Monat ganz anders geklungen haben als heute, viel inniger, viel mehr für mich Partei ergreifend, mich entschuldigend, da wo es not tat, meine Vorzüge gegen meine Schwächen ausspielend.“ Aber nein, das merkte sie nicht. „Ich liebe dich immer gleich.“ Es war mir, als trüge sie eine Maske wie aus Zement; hinter diesem Satz aber „Ich liebe dich immer gleich“, hinter der Oberfläche der Maske bröckelte es, unaufhaltsam. – Dabei war es ja durchaus keine Lüge, wenn sie „immer gleich“ sagte. Ehrlicherweise sagte sie das. Schließlich mußte ich ihr ja zugestehen, auf ihre Art zu leben und zu lieben, – und in ihren Augen waren eben gewisse Verschiebungen, Änderungen, die bei mir unendlich viel bedeuteten, so gut wie gar nichts. – Leider konnte mir auch diese Einsicht nicht helfen. Denn zugegeben, daß sie selbst überzeugt davon ist, mich „immer gleich“ zu lieben, daß sie die geringen Stufen der Abschwächung, die mich so besorgt machen, gar nicht empfindet, – so könnte es doch eines Tages geschehen, daß ihr wie mit einem Ruck das allmählich, nun aber schon merklich gesunkene Niveau ihrer Liebe fühlbar wird. Was dann!? Sie wird gleichsam in ihrer versperrten Vorratskammer von Liebe nachsehen, die sie gefüllt glaubt, und plötzlich bemerken, daß diese Kammer ausgeraubt ist. Und sie, – sie wird das so natürlich hinnehmen wie den ganzen Lebenslauf. Ich aber – ich habe ja zusehen müssen, offenen Auges, wie man aus dieser Kammer Stück für Stück das, was mir gehört, weggetragen hat, – und ich darf mich gar nicht zur Wehr setzen, denn die Herrin sieht den wochenlang fortgesetzten Diebstahl nicht, will ihn nicht sehen – und die ganze Welt lacht mich aus und schreit: „Eifersucht! Eifersucht!“ Ja, ja, – alle Qualen der Eifersucht lernte ich nun kennen. Nicht daß sie den anderen liebt, – nicht das ist ja der Schmerz des Eifersüchtigen, – sondern daß sie mich nicht mehr so sehr liebt wie früher, daß mir durch ein anderes Gefühl, sei es auch an sich gering, ein Anteil an ihrem Herzen, das vordem ganz mein eigen war, entzogen wird, daß ich nicht mehr Alleinherrscher bin und daß man nicht absehen kann, wohin, zu welcher Umwälzung der Herrschaftsverhältnisse dieses Abzwacken von Nebengefühlen im Laufe der Zeit führen mag ... O mein Gott, nun war es wohl endgültig um meinen Seelenfrieden geschehen. Ich ging keinen Augenblick so weit, auch in meinen schwärzesten Befürchtungen nicht, zu glauben, daß Jorinde dem Mechaniker das gewährt hatte, was sie „das Materielle“ nannte und gewissermaßen verabscheute. Weit entfernt war dieser Verdacht. Ich kannte ja Jorindes Stolz. Sie schätzte sich selbst viel zu hoch ein, als daß sie sich zur Frau zweier Männer erniedrigt hätte. – Aber gab es denn nicht andere, für mich ebenso schreckliche Möglichkeiten der Hingabe? Oh, unendlich süße Möglichkeiten, wenn Jorinde es war, die in ihnen erschien, – ein Kuß etwa – unvorstellbar, wahnsinnig, daß ein anderer als ich sie küssen sollte. Und doch wußte ich ja, daß sie über Küsse ganz anders dachte als ich. „Was liegt denn an einem Kuß“ – ich konnte diesen Ausspruch von ihr aus meinem Gedächtnis leider nicht wegbringen. – Ich raste bei dieser Erinnerung! Und malte sie weiter aus. Ja, genügte denn nicht ein Händedruck, – oder der Tanz – oder ein langes, in guter Ruhe über Stunden hin geführtes Gespräch, in dem die Seele sich ergießt, Zeit hat, mit allem, was sie wünscht und hofft, ans Licht zu kommen. Oh, war es nicht fürchterlich, – ein anderer konnte mit Jorinde reden, so oft er Lust dazu hatte, und ich, ich mit all meiner Sehnsucht war eingesperrt in die Ferne der Kilometer, ein Gefangener, der gegen das Gitter des Raumes tobt. – „Denkst du immer an mich?“ Diese Frage war ja niemals zu beantworten, schon damals nicht, als nur Jorinde und ich allein einander gegenübergestanden waren, – schon damals hatten sich alle erdenklichen Gegenstände zwischen uns geschoben, um unsere Gedanken abzulenken, – schon damals war das bloße Nichtwissen um jede Minute des anderen mir wie ein fürchterlicher Mangel in der Struktur des Menschen erschienen – jetzt aber wußte ich ja überdies noch, daß sie zu gewisser Zeit ganz bestimmt nicht an mich, sondern an den anderen dachte, geistig mit ihm beschäftigt war. Es war anders nicht möglich. Sie mußte zur Haltestelle der Elektrischen gehen, seinetwegen, – mußte danach streben, die festgesetzte Stunde nicht zu versäumen, – o Qual, o Qual, – ja, fühlte sie denn nicht, waren ihre Sinne wirklich so stumpf, dies nicht zu erkennen, daß sie mit jedem Schritt zu dieser Station der Elektrischen hin einen grauenvollen Diebstahl an meinem, meinem Gut beging! Daß jede Bemerkung, dem anderen zugeflüstert, ein Verrat an mir war! Ich konnte nicht länger an mich halten. Ich schrieb ihr offen, wie ich es fühlte. Ihre Antwort brachte mich zur Verzweiflung. – Ich könne mir eben nicht vorstellen, so klagte sie, in welch einer peinlichen, lähmenden Umgebung sie lebe. Die unangenehmen Kollegen – und zu Hause die Wirtin, über die sie schon immer geklagt hatte, ein unfreundliches, zanksüchtiges Geschöpf. „Du mußt doch einsehen, daß man das Bedürfnis hat, einmal auch ein schlichtes, vernünftiges Wort zu reden – nicht ewig Klatsch und Niedrigkeit anzuhören. Aber Du gönnst mir die Freude nicht, obwohl ich Dir wiederhole, daß es nichts Gleichgültigeres geben kann als diesen Umgang. In den letzten Tagen war er meine einzige Rettung.“ (Welche Widersprüche in den paar Zeilen: meine Randbemerkung.) „Ich danke Gott auf den Knien, daß der Mechaniker mich nicht verlassen hat. Ich hatte Streit mit der Wirtin, ich mußte sofort ausziehen. Und da ist er vom Morgen bis zum Abend mit mir gelaufen, Wohnung suchen, bis ich endlich schlecht und recht einquartiert bin. Ich wohne jetzt in der Gabelsberger Straße, ganz nett. Ohne den Mechaniker wäre ich verloren gewesen. Du siehst also, wie unrecht es von Dir ist“ u. s. f. Ich war empört. Das wenigstens hatte ich bisher für mich in Anspruch genommen: der einzige zu sein, der ihr half. Meine Göttin war ja in einer gewissen, rein äußerlichen Hinsicht mein Geschöpf. Von dem Gespräch in der Reginabar an hatte ich ihr Schicksal bestimmt, ihre Bahn Schritt für Schritt ermöglicht. Und nun mischte sich ein anderer ein. Ich erklärte, dies unter keinen Umständen dulden zu wollen ... Nicht daß in ihrer Antwort viel von meiner Herzlosigkeit die Rede war, daß sie sich aufs neue über mein Mißtrauen beschwerte, nicht ihre Auflehnung gegen meine „Eifersüchtelei“ (mit diesem zahmen Worte benannte sie es merkwürdigerweise) brachte mich nun vollends aus der Fassung. Ein Satz am Anfang ihres Briefes war es, der mich ganz tief erschreckte. Da hieß es: „Dein Schreiben, für das ich Dir danke, hat mich sehr gelangweilt. Es ist immer nur der alte Trödel.“ – Was für ein Ton! Es war die erste Grobheit in unserem Briefwechsel, der bisher nie verwildert, nie ausgeartet war – bei aller Erregung nie. Und nun – „gelangweilt!“ – Das hieß doch offenbar, daß der andere schon von ihrem Herzen Besitz ergriffen hatte. Liebe konnte so nicht sprechen! Es war gewiß nicht bloße Empfindlichkeit von mir, daß ich dies sofort ganz scharf spürte. Mochte sie es wissen oder nicht, sie war mir verloren. – Alle Selbstbeherrschung schwand. Berufsarbeit war lächerlich unwichtig. Ich mußte sie sehen! Retten, was zu retten ist. Mit dem nächsten Zug nach Augsburg. – An diesem Tage ging keiner mehr. – Es blieb nichts übrig, als den Morgen abzuwarten. In schlafloser Nacht (schlaflos wie schon eine ganze Reihe von Nächten vorher, nur noch bohrender, noch fieberhafter als die anderen) gab es eine einzige Hilfe für mich, ein einziges Mittel, nicht irrsinnig zu werden. Ich mußte mir vorstellen, daß zwischen uns beiden wirklich Schluß war. Auf alle günstigen Umstände, die Zweifel an diesem düsteren Ende wecken konnten, auf die Liebesbeteuerungen (selbst noch in ihrem letzten Briefe) durfte ich vorläufig, für diese Nacht, keine Rücksicht nehmen, absichtlich mußte ich sie zu vergessen suchen. Nur kein Schwanken! Nur nicht jetzt das unermeßliche heilige Glück sehen, die große offene Fläche, gut zu leben – und im nächsten Augenblick hinuntergeschleudert, für immer aus dem Licht verdrängt sein. Gerade diese Zweifel zwischen Ja und Nein peinigten mich ja am meisten. – Zu Ende, zu Ende! Mit diesem tödlichen Schmerz des Abschieds in der Brust fand ich noch am allerehesten einen Zustand, der zwar nicht Ruhe genannt werden kann, der aber doch noch innerhalb des Faßbaren und Möglichen lag. Jorinde geht mich nichts mehr an. Weg, alle Gedanken an sie weg! Sie ist nicht, ist nie gewesen. – Da schrak ich zusammen. Das wäre doch noch gräßlicher als alles. Daß sie nicht lebt, daß das Ganze eine bloße Einbildung von mir gewesen ist – nein, lieber leiden, lieber verzichten und ganz weggehen, als ihre Existenz aufgehoben sehen. Aus diesem tiefsten „Nein“ zum bloßen Abschied, aus dunkelstem Schwarz in gemäßigtes Grau mich erhebend – so dämmerte ich dem Morgen entgegen. Wie habe ich nur die zehn Stunden Eisenbahnfahrt zwischen Berlin und Augsburg überleben können! Jemand sprach mit mir, und ich antwortete. Ein freundlicher alter Herr mit weiß umrandeter Glatze, den ich (ich wußte nur nicht, woher) ziemlich gut kannte. Seine Freude über die Fortschritte der Elektrifizierung in Deutschland konnte ich freilich nicht so recht teilen; dennoch war ich froh, daß ich mir nicht ganz allein überlassen blieb. Ich bat öfters um Entschuldigung für meine Zerstreutheit. Ich erwartete eine Frage. Es war mir unmöglich, nicht _davon_ zu reden – und schließlich deutete ich an, daß ich sehr traurig sei und einer furchtbaren Entscheidung entgegenfahre. „Es wird schon gut ausfallen“, tröstete mich der Alte. Wie mir schien, mit echtem Mitleid. Ich war geneigt, seine Worte als Orakel zu nehmen. Es konnte ja vielleicht wirklich noch alles ins Rechte gebracht werden. Ich gestattete mir probeweise diesen Gedanken, kurz nur spielte ich mit ihm, – immerhin ertrug ich bei Tag die Unsicherheit eher als in der Nacht. „Glauben Sie das im Ernst?“ fragte ich aufatmend. Er lächelte: „Warum nicht?“ Dann sprach er wieder von der neuen Schnellbahn zwischen Leipzig und Halle. Stundenlang hielt ich mich aufrecht. Der Mann half mir, indem er mich zwang, meine Gedanken doch einigermaßen ihm zuzuwenden. – Nur einmal noch konnte ich mich nicht enthalten, von mir zu reden. Der Zug hielt in R. Diesen Ort hatten wir so oft zum Zielpunkt unserer Ausflüge von Augsburg aus gemacht. Erregt verließ ich das Abteil, stand im Gang draußen und betrachtete, als der Zug sich wieder in Bewegung setzte, sehnsüchtig den Platz vor dem Bahnhof, der für einen Moment sichtbar wurde. Als ich wieder eintrat, sagte ich: „Hier in R. war ich einmal sehr glücklich.“ – „Erinnerungen?“ fragte mein Freund. – „Schöne Erinnerungen, die machen mich jetzt traurig.“ – „Ach, gehen Sie, es gibt doch nichts Besseres als solche Erinnerungen.“ Da verstummte ich, – hörte ihm aber auch nicht mehr zu. Ich hatte Jorinde telegraphisch gebeten, sie möge mich „genau halb fünf“ im Café Königshof erwarten. Im Grunde zweifelte ich nicht daran, daß sie _nicht_ da sein würde. Da alles vorbei war ... Nun mußte die Entscheidung fallen. Nur noch Minuten! – Aber die wenigen Minuten von der Bahn bis zum Café erschienen mir länger als die ganze Reise. Es war, als kämen die Pferde überhaupt nicht vorwärts. Atemlos saß ich im Wagen, atemlos wie im schnellsten Lauf. Regen schlug an die klappernden Glasscheiben. Unter diesem Regen war die Luft wie zusammengepreßt, so schwer, kaum in die Lunge einzuziehen. Der Wagen hielt vor dem Café. Ich trat ein, durchlief den Raum mit einem Blick, – ging dann prüfend von Tisch zu Tisch, denn das Café war dicht besetzt, es konnte also eine einzelne Person in der Menge sehr leicht dem Auge entgehen. – Nein, lauter fremde Menschen – sie war nicht da, wiewohl die Uhr schon einige Minuten über halb fünf zeigte. Sie war nicht da. – „Ich hatte es ja nicht anders erwartet.“ Mehrmals sagte ich mir das vor. – Zugleich fühlte ich, daß ich nur deshalb das Ungünstige so bestimmt erwartet hatte, um mich dann vom Günstigen überraschen zu lassen. Es geschieht ja immer das Unerwartete. Ein kluger Mann richtet seine Erwartungen demgemäß ein ... Nur jetzt nicht wahnsinnig werden! Jetzt nicht den Kopf verlieren! Die ganze zehnstündige Fahrt, die hinter mir lag, pulsierte mir fieberisch wüst in allen Gliedern, rüttelte an meinem Hirn. Sie hätte eigentlich doch kommen können, – dachte ich. Wenn auch nur zum Abschied – sie hätte kommen können. So grausam brauchte sie nicht zu sein. Mich nach langer Fahrt hier einfach stehen zu lassen! – Tränen waren mir nahe. Nein, sie hätte wirklich kommen müssen. Unbedingt. Eine einfache Höflichkeitspflicht. In aller Ruhe: Adieu und ein freundliches, friedliches Abschiedswort. Das war doch das mindeste, was ich nach all der großen Liebe verlangen durfte. Ein Auseinandergehen ohne Gruß – das war hart, geradezu überraschend hart, das hatte ich eigentlich doch in meinen ärgsten Vorstellungen nicht erwartet ... Es fiel mir ein, daß Jorinde vielleicht „Restaurant“ statt „Café“ gelesen haben konnte. Dicht neben dem Café, nur durch einen verglasten Korridor getrennt, lag ein Weinrestaurant. Ich ging hinüber. – Das Restaurant, schneeweiß gedeckt, war ganz kühl und leer. Wie ich aber, vom Restaurant her zurückkehrend, den Korridor betrat, sah ich Jorinde die Stiegen heraufkommen, den Regenschirm schließen und eilig ins Café eintreten. Jorinde! – Ich rief sie. Ein heiserer, dumpfer Laut nur, – aber sie hatte mich gehört – oder sah mich. Sie blieb stehen. Ich durchschritt den Korridor, glaubte zu fallen, – fiel aber nicht, stand ganz fest und reichte ihr die Hand. „Wie geht’s?“ sagte sie frisch. Ganz so, wie sie es immer zu sagen pflegte. Ich nickte nur. Dann sagte ich wohl etwas, daß es im Café zu voll sei – daß ich seit gestern mittag keinen Bissen gegessen hätte –, wir könnten daher lieber ins Restaurant gehen. Mit jener leichten Bereitwilligkeit, die ich so sehr an ihr liebte, von der ich mir aber aus ihren Briefen nie einen Begriff machen konnte, so daß ich beim jedesmaligen Zusammentreffen aufs neue überrascht war, sie so durchaus nicht widerspenstig zu finden, – ganz gutwillig also schlug Jorinde sofort den Weg nach rechts ein, durch den Korridor. – Wie bezaubert sah ich sie an. Sie war sehr blaß, schmaler als sonst, offenbar überarbeitet. Ein rosa Strohhut vermehrte noch mit seinen Reflexen den fahlen Glanz ihrer Wangen. Wie müde – – und wie schön! Auch sie musterte mich: „Du siehst furchtbar schlecht aus.“ Ich zuckte die Achseln. Plötzlich sah sie sich um, schüchtern, – der Korridor war leer, – da hatte sie sich zu mir gebeugt, und ich fühlte ihren weichen Kuß auf meinem Mund. Nicht ganz kurz, aber auch nicht leidenschaftlich, nicht lüstern gehaucht, – eine volle Berührung der Lippen mit ehrlicher Kraft. Es war der selbstverständliche Kuß zweier Ehegatten, ohne jeden Hintergedanken. Süßeres habe ich in meinem ganzen Leben nicht gehabt als diesen unerwarteten Kuß. Nicht als ob sie mich besonders beglücken oder erlösen wollte, hatte sie mich geküßt. Nein, ein Kuß wie immer, – ein Kuß, weil Küssen zur Begrüßung unter uns üblich und weil eben alles beim alten war. Nach diesen allerqualvollsten verworrenen Stunden der Nacht und Bahnfahrt – nichts konnte so wohl tun wie dieser einfache klare wiesenblumenhafte Kuß. Ich hatte mir während der ganzen Reise vorgenommen, vom Mechaniker überhaupt nicht zu sprechen. Nur ihrer Wohnung wegen war ich gekommen. Da sie etwas von „schlecht und recht einquartiert“ geschrieben hatte, war ich eben besorgt. Der Streit mit ihrer Wirtin, die neue Krise ... ich redete drauflos, von nichts anderem als ihren Wohnungssorgen. Mochte sie es glauben oder nicht: kein anderer Grund hatte mich veranlaßt, unserer Verabredung zum Trotz noch vor der Sommerreise zu kommen. Wir saßen an einem breiten Ecktisch des großen, vollständig leeren Speiselokals. „Nein, wie du aber schlecht aussiehst“, unterbrach mich Jorinde öfters. Hörte sie überhaupt zu? „Nein Wunder“, erwiderte ich. „Die Fabrik macht mir große Sorgen. Du weißt: der Prozeß.“ War es denn nur möglich! Nach all den wahnsinnigen Ausschreitungen meiner Phantasie bewegte ich mich nun wieder auf der Bahn des Alltäglichen. Die Fabrik, der Prozeß! Wie leicht ging das! Und neben mir, an der nächsten Tischkante saß Jorinde. – Der Kellner kam, man bestellte – Jorinde legte die Jacke ihres helldrappen Kostüms ab, der Kellner und ich halfen ihr – ihre Bewegungen fächelten mir das so lange vermißte Aroma ihres Puders, den Erdbeerduft ihres Leibes zu – nun in der weißen Seidenbluse, in der die zarten Schultern sich abzeichneten – so schlank – war es wirklich dasselbe Wesen, an das sich all meine grausamen Befürchtungen hefteten? – Und jetzt, mit welcher Einfachheit reichte sie mir über den Tisch hin die rechte Hand, die innere Handfläche nach oben gekehrt, eine schlichte Aufforderung, meine Hand in die ihre zu legen wie zur Erneuerung alter, nie unterbrochener Freundschaft. Mein Gott, war es am Ende möglich, daß alle die Qual meiner aufgestachelten Einbildungskraft – durchaus grundlos gewesen wäre? ... „Auch du siehst nicht besonders aus“, sagte ich, indem ich ihr prüfend in die leicht umschleierten Augen sah. „Ja – Saisonende! Ich bin ziemlich am Rand mit meiner Kraft.“ „So viel Mühe hast du?“ „Nie hätte ich gedacht, daß mich das Theater so anstrengen würde.“ Sie nahm ihren Beruf sehr ernst. Verbürgte das nicht, daß sie auch im Leben nicht leichtsinnig sein konnte? „Warum wir einander nur so quälen.“ Ich gab ihr die Hand, nach der sie die ihre ausgestreckt hatte. „Da wir doch ohnehin so viel Energie aufwenden müssen, jeder in seinem Beruf –“ „Es ist wirklich überflüssig“, sagte sie und sah mich dabei mit schelmischem Lächeln an, das zu ihren und meinen Worten nicht ganz zu passen schien. Aber sehr weich und zärtlich hielt sie meine Hand fest ... Nun bot sie mir, leicht vorgeneigt, zum zweitenmal die Lippen. Wie von einem leichten Traum umfangen, bewegte sich ihr Gesicht lieblich mir entgegen. – Ich weiß nicht, was da ganz plötzlich in mich gefahren sein mochte. Alle unterdrückte Wut kam in mir empor, die Wut eines Sklavenaufstandes gleichsam, Rachedurst für erlittene Demütigungen, – zitternd, meiner selbst nicht mächtig, von äußerster Gier erfüllt, sie gleich jetzt, auf der Stelle zu besitzen, wenn es möglich gewesen wäre – mit heißem Griff riß ich das Mädchen an mich – es war nicht der kühle Kuß wie im Vorraum – sondern meine Zähne drangen in ihre Lippen, während gleichzeitig meine Finger an ihrer Kehle lagen. Sie schrie leise auf, machte sich los. Blut färbte ihr Taschentuch, das sie an den Mund führte ... Betroffen stammelte ich etwas von Entschuldigung. Kaum gewonnen, sollte sie mir wieder verlorengehen? „Sei nicht böse, ich bitte dich – sei doch nicht böse. Ich weiß nicht, was ich getan habe, ich weiß nicht, was mit mir los ist ...“ Sie schwieg lange, – war es ein strafendes Schweigen oder war sie nur so erschreckt? Abgewendet, stumm, – wie ich aber bat, sie solle mir doch zur Strafe, zur Vergeltung gleichfalls die Kehle zudrücken, lachte sie plötzlich auf. „Nun ist also alles wieder gut?“ sagte ich mit jäher Energie. „Oder bist du mir böse?“ „Nein, ich bin dir nicht böse“, erwiderte sie innig. Wir sahen einander ernsthaft an. Es lag wirklich nicht der mindeste Grund vor, einander böse zu sein. Man verdüstert sich nur ganz mutwilligerweise das Leben, – rätselhaft, warum. Bei Licht betrachtet, besaßen wir doch alle Vorbedingungen eines großen reinen Glückes. Wir liebten einander, wir waren jung, gesund, nicht arm ... „Und doch hast du mir so beleidigend geschrieben?“ „Ich?“ „Geradezu grob – daß einer meiner Briefe dich gelangweilt hat. Das war doch schon sehr arg.“ Sie redete eifrig auf mich ein, bis ich ihr versprach, diesen ihren häßlichen Brief zu vernichten, zu verbrennen. – Sie sei eben nervös gewesen, ich solle ihr doch verzeihen, – ich wisse doch, daß sie niemand als mich habe, auf der ganzen weiten Welt niemand sonst ... „So ist es dir recht, daß ich heute gekommen bin – obwohl es anders vereinbart war?“ „Ich bin froh“ – wie aufrichtig, wie klar sie das sprach! „Heute abend fahren wir nach R. Bist du einverstanden?“ Sie zögerte keinen Augenblick. „Da muß ich nur noch nach Hause gehen und meine Sachen für die Nacht zusammenpacken. – Morgen spiele ich nicht, für übermorgen mach’ ich mich auch noch frei.“ Ich ließ mir das Reichskursbuch bringen. Wir sprachen eine Weile ganz sachlich nur von den möglichen Abendzügen nach R. – Mein Gott! In meinen kühnsten Träumen hätte ich gestern nicht zu hoffen gewagt, daß sie mehr als eine Viertelstunde für mich Zeit haben würde. Und schon diese Viertelstunde hätte mich namenlos glücklich gemacht. Ein gutes Wort nur, ein kurzes, klärendes Gespräch – das war das äußerste, was ich bestenfalls erwartet hätte. Und nun, und nun, – welche unfaßbare Wendung – welch eine Nacht knapp vor mir! – und dabei so selbstverständlich, so ohne jeglichen Sturm, als könne es gar nicht anders sein – nun saß ich neben ihr, und wir berieten in aller Sachlichkeit, ob wir um acht Uhr oder schon um sieben fahren sollten, ob wir bei einiger Eile noch zum ersten Zuge zurecht kämen und so fort. – Es gibt eine Sachlichkeit über allen Räuschen der Welt, eine Ruhe, stürmisch lebendiger als alle Kunstmittel der Nervenmassage, – diesen höchsten aller Räusche genoß ich nun. Der Kellner brachte das Bestellte. – Noch nie im Leben habe ich um diese Zeit einen Braten gegessen. Aber Jorinde drängte: „Du siehst ja ganz verhungert aus. Wie kannst du nur so unvernünftig sein, – während der ganzen Fahrt nichts essen!“ „Auch gestern nicht – seit deinem letzten Brief.“ „Du mußt ihn verbrennen. Vergiß nicht, du hast es mir zugesagt. – Nein, so unvernünftig zu sein! Und lauter Dummheiten.“ Unter solchen Reden schnitt sie mir den Braten, fütterte mich geradezu. Aber ich konnte schon das erste Stück nicht herunterwürgen. Hunger hatte ich wohl, aber nicht den mindesten Appetit. „Bitte, so iß doch.“ „Ich kann nicht.“ „Du mußt.“ „Also hilf mir. Nimm die Hälfte.“ „Gut. – Aber du auch, du auch. – Sonst komme ich heute abend nicht mit.“ Jedes Wort haftet mir im Gedächtnis. Weltumstürzende Aussprüche großer Staatsmänner können ihrer Umgebung nicht wichtiger erscheinen als mir diese lieben Sätzchen Jorindes, die so besorgt klangen, deren freundlicher Klang mich beglückte. Nach all den Peinigungen des Briefwechsels – welch eine Ruhestunde, welche Erholung! Es war, als würden die Fesseln aufgeschraubt, die meine Seele bis dahin in unnatürlich zusammengedrückter Haltung schmerzend festgehalten hatten. Nun streckte sie sich, gradete ihren Rücken, brachte den Blutkreislauf wieder in Fluß. – Belebend der Rotwein dazu, dessen blühender Schein auf das feine Linnen des Tischtuchs fiel. Alles so seltsam, daß mir der Kopf wohlig weh davon tat. Das große Lokal, für Abendbeleuchtung bestimmt, – im kalten nüchternen Tageslicht lag es in ungewohnter Schmucklosigkeit, gleichsam übertrieben unfestlich da – dazu vor den Spitzenvorhängen draußen ein unfreundlicher Regennachmittag – und all dies, was sonst melancholisch gemacht hätte, wirkte andachtsvoll, – die Stille wie das Schweigen in einer Kirche, – zauberhaft alles und so zart, daß es wie in feinem Regenbogendunst zu zittern schien, in völlig unmateriellen Farben, kaum mehr der Erde angehörig und ihrem dumpfen Reich. Eine Gasthausstube wie tausend andere: das Paradies! – Wir sprachen natürlich auch vom Mechaniker. Ich weiß nicht, ob sie oder ich damit begann. Jedenfalls hatte ich lange genug an mich gehalten. „Wie heißt er denn eigentlich?“ „Günther Schmidt.“ „Siehst du, nicht einmal das hast du mir geschrieben – wie er heißt. Und dabei behauptest du noch, mir immer alles geschrieben zu haben.“ „Habe ich auch“, erwiderte sie kühn. Aber sie hatte recht, wahrhaftig recht. Wie lächerlich erschien mir plötzlich die ganze Angelegenheit. „Alles“ schreiben, – was sollte das denn eigentlich bedeuten? Wer vermöchte denn „alles“ zu schreiben? Und war der Namen nicht wirklich ganz unwichtig? – O unwichtig dies und jenes, wenn Jorinde neben mir saß und ich ihre Hand hielt! Ich hörte denn auch kaum auf sie hin, als sie Näheres über den Mechaniker erzählte, von der Hessingschen Anstalt, an der er arbeite, von Hessing selbst, dem genialen Erfinder, der, aus dem Handwerksstand hervorgegangen, bessere Schienen für verkrüppelte Glieder anzufertigen gewußt als alle diplomierten Chirurgen der Welt, – von der Tradition seiner Anstalt, die den Fachmann der Praxis über den Akademiker stelle, – so daß auch der Mechaniker keinen gewöhnlichen Mechanikerposten dort bekleide, sondern einer der ersten sei ... „Er interessiert dich?“ „Aber nein, – er ist mir doch vollständig gleichgültig.“ Ich atmete auf, erst jetzt, – als sei gerade dies das rechte Wort gewesen, das ich erwartet hatte. „Ach, Jorinde, warum hast du mir denn das nie geschrieben?“ „Ich glaube doch, daß ich es dir oft genug geschrieben habe.“ Auch ich entsann mich jetzt. Aber es hatte nie so überzeugend geklungen wie in diesem Augenblick. „Ich will dir etwas gestehen“, plauderte sie. „Anfangs habe ich die Sache in meinen Briefen ein wenig aufgebauscht. Es gefiel mir ganz gut, dich eifersüchtig zu machen. Nachher aber ...“ „Nachher?“ „Nachher wurde es zuviel des Guten.“ „Da warst du dann beleidigt, weil ich eifersüchtig wurde, – wie du mich doch haben wolltest.“ „Ja.“ „Einfach ja?“ „Ja.“ Etwas in mir riet, dies doch nicht so ganz glatt hingehen zu lassen. Nicht etwa, weil ich gegenwärtig irgendwelche Besorgnis empfand, auch nur den Schimmer einer Angst um meine Frau, – wohl aber der Zukunft wegen. „Und wie du nun sahst, daß es zuviel des Guten wurde,“ sagte ich, „da hast du die Sache in deinen Briefen wohl wieder – abgebauscht?“ „Nein, – die bloße Wahrheit!“ „Du siehst nun aber, wie schwer dies alles zu regulieren ist. Fängt man einmal mit so etwas an, so weiß man nicht, wo man endet. Ich meine das auf die ganze Beziehung zwischen dir und ihm.“ Wunder wie verständig redete ich mit ihr. Ich beherrschte die Situation. Nun durfte ich eine gefährliche Frage stellen, wiewohl ich mir vorgenommen hatte, auf diesen Punkt unter keiner Bedingung einzugehen. „Wie verkehrt ihr eigentlich miteinander? Ihr sagt einander: „Du?“ Zu meiner Überraschung: „Ja.“ Ich legte Messer und Gabel weg: „Nun, das genügt wohl ...“ Ich fühlte die Zimmerdecke auf mich stürzen ... Eine kurze Pause. Dann lachte sie auf: „Das hast du dir wohl gedacht? Aber nein, wir sagen natürlich Sie zueinander.“ Was ist nun die Wahrheit? Das, was sie zuerst gesagt, oder die Berichtigung, als sie mein tiefes Entsetzen sah? ... Dies blieb eine dunkle Stelle dieses sonst so lichten Zusammenseins. „Kannst du es mir schwören?“ – „Ja.“ „Bei dem, was dir am heiligsten ist?“ – „Ja.“ – „Beim Grab deiner Mutter?“ – „Ja.“ – War es die kurze Antwort, dieses „Ja“, das zu wenig Substanz enthält, um einem so mächtigen Strom von neuer Unruhe den Weg zu sperren, – ich weiß den Grund nicht. Weiß nur, daß von dieser Gesprächswendung etwas Unaufgelöstes in meinem Herzen zurückblieb. – Und noch etwas anderes stimmte nicht ganz. Ich hatte sie küssen wollen. Sie wehrte ab. So ist nun einmal Jorinde! Zweimal hat sie selbst mich völlig ungescheut geküßt, – nun wo ich dasselbe wollte, wies sie angstvoll auf den Spiegel an der fernen gegenüberliegenden Wand: man könnte uns vom Korridor aus sehen! Doch nicht dieser Widerspruch erregte mich, sondern ihr Aufschrei: „Günther!“ – Also hatte auch er sie geküßt – oder zumindest küssen wollen? – Merkwürdig, daß sie bei ihrem Irrtum gar nicht verlegen wurde. Nie werde ich die Wahrheit herausbringen. Ihr ganzes Benehmen zeugte von so unbedingter Treue, – an der Hauptsache dieser Treue zweifelte ich ja auch gar nicht, – es verwirrte sich nur alles für einen Moment, dann wurde es wieder klar. Ich hatte Selbstbeherrschung genug, von diesem Zwischenfall kein Wort zu reden. Nur bei späterer Gelegenheit fragte ich sie, wie sie den Mechaniker anspreche. „Herr Schmidt.“ „Anders nicht?“ „Manchmal auch Herr Günther.“ „Oder vielleicht manchmal auch kurzweg – Günther?“ „Nein, das nie.“ „Wirklich nicht?“ „Glaubst du, daß ich lüge?“ Es ist also nicht ausgeschlossen, daß ich mich verhört habe. Ja, ich muß die Möglichkeit zugeben, daß ihr Aufschrei im Moment des Kusses vielleicht weder „Herr Günther“ noch „Günther“ gelautet hat, sondern irgendwie ganz anders. Denn eine Lüge habe ich eigentlich nie von Jorinde gehört. Noch manches fragte ich. Ich erfuhr, daß sie nie mit ihm Briefe gewechselt habe, – sie ließ auch nie zu, daß er für sie zahle, – das hätte eine Verpflichtung bedeutet. Und getanzt? – Ein einziges Mal! Mein Gott, ich zermalme sie ja – dachte ich einen Augenblick lang, – so deutlich war es, daß ich, ich allein alle ihre Gedanken ausfüllte, daß mein Argwohn ihr unrecht tat, daß die Episode mit dem Mechaniker viel bedeutungsloser war, als ich je hätte glauben können. Gerade Ausdrücke, die Jorinde so nebenher gebrauchte, bestärkten mich in dieser neuen glücklichen Ansicht. „Er respektiert mich“, sagte sie von ihm. Oder: „Er ist ein Kind. Du kannst dir eben nicht vorstellen, wie ein unreifer Mensch das alles betrachtet.“ So spricht eine Frau nicht von einem Mann, der ihr etwas bedeutet. „Aber er liebt dich.“ „Ich weiß es nicht.“ „Hat er denn nie etwas davon gesagt?“ „Nein. – Ach, du meinst, daß alle so sprechen und fühlen wie du. Ein kleiner Mechaniker. Er würde es gar nicht wagen. Und er braucht ja eine reiche Frau, um selbständig zu werden. Das ist seine Hauptsorge. Davon spricht er, von nichts anderem sonst. Du meinst, alle Menschen denken nur an Liebe wie du.“ Ich küßte ihre Hand. „Aber wo ist dein Ring?“ Sie trug ihn nicht. Es hätte Aufsehen unter den Kollegen erregt. „Und bei Herrn Günther.“ „Ach, laß doch den, – nun gewiß, er ginge keinen Schritt mit mir, dazu ist er viel zu ehrlich.“ „Nun also?“ „Gönnst du mir wirklich die kleinen Spaziergänge nicht?“ „Wenn er sich nun aber wirklich in dich verliebte! Das kannst du doch auf keine Weise ausschließen. Bedenke, welche Verantwortung du auf dich nimmst. Du machst ihn für sein ganzes Leben unglücklich.“ Ihr Gesicht wurde hart. „Was geht das mich an! Ich kann nichts dafür, wenn mir die Männer nachlaufen. Ich tue nichts dazu.“ So verstellen sich Göttinnen. – Eben noch hatte ich mich ihr überlegen gefühlt, hatte gefürchtet, sie zu zermalmen mit meiner Herrschaft, – nun war ich wieder zu Furcht und Anbetung verwiesen. Und dabei behandelte sie mich zart. Sah sie, daß ich traurig wurde, so milderte sie das eben Gesprochene, entschuldigte sich, führte immer wieder an, daß die letzten Rollen alle ihre Kräfte verzehrt hätten. Eine arme Schauspielerin, eine geplagte Anfängerin, – aber nur Achtung, nicht übermütig werden, sonst zeigt sie den Blitz und den schuppigen Ägisschild mit dem Gorgohaupt. – Wir fuhren im Auto zu ihrer Wohnung. Nicht ganz bis hin. Sie mochte in der Gasse nicht auffallen. So ließ ich an der Ecke zuvor halten. Ehe sie ausstieg, umfing ich sie: „Und freust du dich auf heute abend?“ „Ich habe doch lange genug warten müssen.“ Ich drückte sie fester an mich, ihren weichen, biegsamen Körper. – Sie lachte mir noch zu, ehe sie um die Ecke verschwand. – O Natur, Natur! Dieses eine Wort entschuldigte doch für alle Qual. Nun allein im breiten Ledersitz des Autos – allein und doch auf so ganz andere Weise allein als vor wenigen Stunden in der Bahn – denn nun war es ja sicher, daß Jorinde in wenigen Minuten wieder da sein würde. O Sicherheit, die mich umfing – nach all den Zweifeln und Aufstörungen der letzten Zeit. Gerade in meinem Alleinsein kam mir diese Sicherheit erst richtig zu Bewußtsein. Es war eine süße Ruhe, eine Art Schlaf. Jede Faser meines Körpers, das spürte ich, kehrte allmählich zur Ruhe zurück. Alles ringsum fühlte ich als vollständigen Frieden. – Da stellte der Chauffeur draußen den Motor ab. Es war wie ein Schlag. Nun erst merkte ich, daß der Wagen bis jetzt mit gehendem Motor gestanden war, tüchtig durchgeschüttelt; und diesen Lärm, dieses Zittern hatte ich in meinen vibrierenden Nerven immer noch als Ruhe empfunden; jetzt aber tauchte ich in die wirkliche Stille unter wie in ein laues Bad. – Vielleicht war es eine leichte Ohnmacht, die mich umfing. – Ich kam wieder an die Oberfläche. „Wie lange warten wir schon?“ Der Chauffeur zog die Uhr, zeigte mir etwas. Ich verstand ihn nicht. Es war mir auch einerlei. O diesen Frieden genießen – bis ans Lebensende, – es wäre Glückes genug. Und selbst, wenn Jorinde jetzt überhaupt nicht zurückkäme – oder wenigstens noch lange nicht – es wäre Frieden, der silbergraue Frieden des Himmelreichs. Der Regen fiel, kaum sichtbar, – nur ein leichtes Abwärtswallen der dämmerigen Luft, – ein leises Rauschen an den großen Glasfenstern, durch die ich hinaussah, nach rechts und nach links, doch beinahe ohne den Kopf zu bewegen. So müde, so müde! Die Straße war fast menschenleer. Aber die Häuser machten einen warmen, anheimelnden Eindruck. Ich hatte das Gefühl, als ob ich schon einmal – vor Jahren, als Kind vielleicht – hier gewesen wäre. Oder vielleicht hatte ich die Straßenansicht einmal geträumt. Das Schattenbild einer angenehmen Erinnerung mischte sich mit lieblich gedämpften Farben in die Gegenwart. Nun kam ein Radfahrer vorbei. Klar sah ich alles – und doch trunken. Er hielt an, indem er seine Hand an die Seitenwand des Autos legte. So stützte er sich leicht an unseren Wagen, immer auf seinem Rad aufrecht sitzend, und fragte den Chauffeur irgendwas. Der hatte offenbar nichts dagegen, gab bereitwilligst Auskunft. Beide lachten. Dann fuhr der junge Bursch davon. Ich ließ nochmals das Fenster hinunter. „Wie heißt die Straße hier?“ „Frohsinnstraße.“ Frohsinnstraße! – Doch eine alte Frau, die wie eine Hexe aussah, stand in der Nähe und sah immer wieder in den Wagen herein. Was mochte sie wollen, warum ging sie nur immer ein paar Schritte weit, blieb dann wieder stehen und kehrte um, um zu mir hereinzuspähen? – Ach nein, sie hatte nichts Böses im Sinn. Eine Straßenbahn kam, nahm die Alte mit. Ich hatte nur die Haltestelle nicht bemerkt, an der sie gewartet hatte. Ach nein, – das Leben ist nicht so bös. Wir ängstigen uns grundlos. Es gibt eine Frohsinnstraße. Die Hexe wird mitgenommen. Man erteilt Auskünfte, Mensch und Mensch helfen einander unter gemütlichem Lachen. Der Regen fällt weich, befruchtend in den grauen Frühlingsabend. – Und Jorinde – kommt sie denn wirklich nicht? Nun dauert es eigentlich schon gar zu lange. Ein Telephongespräch wegen Rollenübernahme, ein wenig Einpacken, das kann doch nicht so lange dauern? – Ach nein, sie kommt gewiß. Viel ist zwar möglich, viel ist bei Jorinde möglich, – das aber scheint doch undenkbar, daß sie mich hier im Auto warten ließe. Ich spüre zwar ein Tröpfchen Unsicherheit, – aber das ist nur ganz genau jenes winzige Tröpfchen, das nötig ist, um den Ozean von Sicherheit, in dem ich schwimme, fühlbar zu machen. Und da ist sie ja schon, – im grauen Reisemantel, die Lederkappe aufgesetzt das Köfferchen in der Hand. Vorwärts, Chauffeur, in den Abend, in die Nacht, zum Bahnhof, zu den Sternen. – Es gibt keinen glücklicheren Menschen als mich. Man hört oft die Redensart: Othello, das Drama der Eifersucht. – Die so reden, haben nie erlebt, was Eifersucht ist. Othello ist das Drama einer plumpen Täuschung. Eifersucht spielt wohl eine Rolle dabei, – doch ist Othello weit entfernt davon, den Urtyp des Eifersüchtigen darzustellen. Beweis: daß er sich zum Schluß widerlegen läßt, seine Eifersucht für durchaus unbegründet, Desdemona für vollendet treu hält. Wer so fühlen kann, ist auch vorher nie wirklich eifersüchtig gewesen. Das Wesen der Eifersucht liegt ja eben darin, daß sie unter allen Umständen unvergänglich und unwiderlegbar ist, daß sie sich vollständig außerhalb des Gebiets von Beweis und Nichtbeweis hält. So wie es ein Vertrauen gibt, das eines Beweises nicht bedarf, so wie wahrer Glauben den Versuch eines Beweises gar nicht erträgt, – so gibt es auch ein Mißtrauen ohne Beweis, das ist die Eifersucht. Wahre Eifersucht hat daher etwas vom Rang des Religiösen an sich, freilich nicht auf der Lichtseite, sondern auf der dunklen Hemisphäre des Daseins. Denn nicht das ist Eifersucht, daß man eine Frau für treulos hält, ohne genügende Beweise, auf bloßen Verdacht hin; – nein, weiter noch, der Eifersüchtige fühlt und weiß, daß es überhaupt niemals, durch kein Mittel auszumachen ist, ob die Frau treu ist oder nicht, daß es nichts in ihrem Benehmen gibt, was nicht nach beiden Richtungen hin, als Argument für Treue wie für Untreue, gedeutet werden könnte, daß auch die Frau, selbst wenn sie helfen wollte, bei der Deutung ihrer eigenen Seele ebensowenig weiß wie der, der sich um sie abhärmt, und daß daher jeder Deutungsversuch ganz zwecklos, das Eifersuchtsgefühl dagegen das einzig Sichere, das Absolute ist. – Vielleicht ist dies allerdings schon eine solche Definition der Eifersucht, wie sie nur ein Eifersüchtiger geben kann. Gut, ich stecke eben in meiner Welt, – das leugne ich ja nicht. Das wundervolle Zusammensein mit Jorinde hatte nichts genützt. Gar nichts. Daß sie sofort und mit Freude mein war wie nur je, – daß also diese schöne Frau mir angehörte, so oft es möglich war, – hätte mir das nicht genügen können? – War es nicht phantastisch, die ausschließliche Herrschaft über ihre Gedanken zu beanspruchen. Wann hast du an mich gedacht? Wie oft? Oh, so kindisch, danach zu fragen, – und dabei nie kontrollierbar – und dennoch, sobald ich nur wieder in Berlin war, meine Sorge Tag und Nacht. Eine Entscheidung hatten die schönen zwei Tage in R. nicht gebracht. – Wohl sah ich Jorindes schlanken Leib in hundert lockenden Bildern vor mir, roch förmlich das rotbraune alte Hotelzimmer mit seinem schwachen Seifen- und Haarwasserparfüm, mit seiner frischgebügelten Bettwäsche, dem Metall der kleinen elektrischen Lampe auf dem Nachttisch, – erlebte nochmals Jorinde in der Pracht ihrer Hingabe, nochmals ihr Streicheln über mein Haar, ihre Anschmiegungen, süßer als die irgendeiner anderen Frau der Welt – sah mich am Morgen ihren goldenen Armreifen auf der Marmorplatte vor dem Spiegel tanzen lassen, hörte ihre lieben Scheltworte (sie war so ordentlich und sparsam, fand das kostbare Stück ein wenig zerkratzt), – das alles beruhigte nicht, belebte nur meinen sehnsüchtigen Schmerz. Während ich mich mit Entzücken der geringsten Erinnerung hingab, dem Surren und Glitzern, Tanzen und Niederfallen dieses Goldrings auf den Marmor, – ging sie wahrscheinlich mit dem Mechaniker spazieren. Denn es war stillschweigende Übereinkunft geblieben, daß sie den Verkehr fortsetzen würde. Vielleicht legten sie beim Gehen Hand in Hand? Und wenn sie einander nur mit dieser gewissen sehnsüchtigen Beharrlichkeit Aug’ in Aug’ schauen! – Es ist doch unmöglich für einen jungen Mann, an Sommerabenden, neben einem schönen Mädchen, – – ich zitterte vor Wut, wenn mir diese Szenerie erschien. Doch ich war wehrlos. Sie drängte sich auf. Nun war also Jorinde wieder abgetrennt von mir, den unbekannten Einwirkungen einer fremden Welt überlassen. Das „Du“ fiel mir ein, das sie zuerst zugegeben, dann abgeleugnet hatte. Der Ausruf „Günther“. – Um wieviel beweiskräftiger jetzt all dies als in ihrer Gegenwart. – Mir wurde klar (woran ich in Augsburg und R. gar nicht gedacht hatte), daß diese beiden Umstände einander unterstützten. Wen man duzt, den ruft man auch mit dem Vornamen. – Und weiter: das Interesse an seiner selbständigen Stellung. – Ich bedauerte, nicht genauer hingehört zu haben, als sie von diesen Dingen sprach. Manchmal dachte ich ganz kalt: „Was hätte ich davon, wenn ich nun wirklich herausbrächte, daß sie ihn mehr liebt als mich, – oder daß er einen wesentlichen Teil ihrer Gedanken in Anspruch, also mir fortnimmt. Wie könnte ich mich denn trösten? Es gibt ja nichts! Ich habe mein Leben ganz und gar auf sie gestellt. Das war eine Zeitlang so süß – immer, immer sie vor Augen zu haben, nur ganz kurz bei den dringendsten Dingen des Bedarfs zu verweilen – und dann wieder zu ihr die Gedanken! Wie ist es jetzt? Der Gedanke an sie ist Qual. Will ich mich aber von ihm ablenken, so falle ich ins Leere, – es ist einfach rund um sie nichts da, keine Interessen, keine Welt, sie schwebt als einziger bewohnbarer Fleck mitten im leeren Raum. Also bin ich ja auf sie allein angewiesen. Wozu die Zweifel, ich muß ja doch bei ihr bleiben, mag sie sein, wie sie will. – Am Ende wäre es am besten, sie anzuleiten, wie sie mir am wenigsten Verdacht einflößte. Sie brauchte ja überhaupt nichts vom Mechaniker zu schreiben. – Ob ich mir nur einreden könnte, daß ich ihr glaube: das ist die Frage dabei.“ Ich fühlte, wie ich tiefer und tiefer mich entwürdigte. – Es gab verzweifelte Stimmungen, in denen ich mich nur noch daran klammerte, daß sie, zumindest für einige Zeit noch, meine Unterstützung brauchte. Das Geld, früher ein Grund zur Unruhe in der zarteren Auffassung unserer Liebe, wurde nun eine Art von Ruhepunkt: so sehr hatte ich meine Ansprüche, meine Auffassung von Ruhe und innerer Sicherheit hinuntergestimmt. Der absurde Gedanke, die Geliebte durch einen Detektiv beobachten zu lassen, kam mir nahe. Glücklicherweise ließ ich mich niemals dazu herbei, dieser Versuchung nachzugeben. Eine solche Veranstaltung hätte ja dem ganzen Sinn unserer Beziehung geradezu ins Gesicht geschlagen. – Hielt ich mich aber auch in dieser einen Hinsicht aufrecht, so fühlte ich doch, wie sich alles Edle meiner Seele in Zersetzung befand. In widerlicher Bescheidenheit überblickte ich manchmal die Trümmerreste meines Glückes und fand sie immer noch – beträchtlich genug. Das war schlimm. Das trieb mich zu einem Gefühl, das mir vordem ganz fremd gewesen war: Selbstverachtung. Wie aber, wenn der Mechaniker reich wurde, – wozu er ja vermöge seiner Tüchtigkeit auf dem besten Wege schien? – Dann hätte sie mich ja nicht mehr gebraucht. – So gab es für jede Gemeinheit eine Gegengemeinheit, um deren allenfalls heilsame Wirkung auf mich aufzuheben. Nein, ich sollte kein Behagen mehr haben. Entweder auf der allerobersten Stufe der Reinheit und des Glückes – oder gar nicht atmen können – jedes Mittelding, jedes Durchschlüpfen war ausgeschlossen. Wie oft versuchte ich den Kern meiner Unruhe zu fassen. Etwa so: Jorinde log nicht. Richtig. Aber ihre Stimmungen wechselten. Immer wahrhaftig, war sie doch immer eine andere! Wie in ihren Briefen, deren Herzlichkeit wiederum knapp nach den Tagen in R. mich beglückt und – verwöhnt hatte, in der Folge aber dem bekannten kühleren Ton zu weichen begann. Unmöglich, diesen Prozeß, der nach jedesmaligem Zusammentreffen einsetzte, durch irgendein Kunstmittel aufzuhalten. – Manchmal glaubte ich klar zu sehen, daß ich sie ganz anders behandeln müßte, um sie mir dauernd zu sichern. Brutal, gleichgültig, selbst treulos! – Aber wäre mir auf diese Art nicht das beste meiner Liebe, die unendliche Zärtlichkeit und Verehrung, die ich für Jorinde empfand, verlorengegangen? Von allem abgesehen: meiner ganzen Natur nach war ich eben unfähig, anders zu lieben als auf diese gefahrvoll unverstellte, lautere, das ganze Herz ergreifende, auf meine Art. Denn das ist doch das Schönste von allem: ganz aufgehen in Arbeit und Sorgfalt um die Geliebte, nicht bloß Leidenschaft für sie fühlen, sondern geradezu freundschaftliches Wohlwollen, – so daß man ihr guten Erfolg in allem wünscht, Ruhm, Zufriedenheit, Gesundheit, – so daß man fähig wird, jeden Schritt, den sie nach vorwärts macht, als Bereicherung des eigenen Seins, ja mit einer Dankbarkeit zu genießen, die über die Dankbarkeit für eigenes Glück weit hinausgeht. Erst diese wahrhaft menschliche Stufe der Liebe scheint mir wahre Liebe zu sein. Doch ist es nicht Menschlichkeit im gewöhnlichen Sinn, hat nichts mit Nächstenliebe, mit banaler, wenn auch guter Anteilnahme an unserem Nebenmenschen zu tun – es ist ja eine Göttin, an der man Anteil nimmt, nicht ein Mensch –, es ist ein frevelhaftes Emporsteigen in die heidnischen Berge Thessaliens, von denen man schnell wieder hinabgeschleudert werden kann, wie Tantalus in den Hades hinab, – o wie deutlich mischt sich das Feuer der Vermessenheit in die kühle Tugend, die Sünde der Fremdheit noch in die vertrauliche Hilfsbereitschaft. Wenn mich nun aber Jorinde beleidigte oder in ängstliche Spannung versetzte, mußte ich mich in Verteidigungszustand gegen sie setzen – und das war das Schreckliche: Da wo es mich drängte, mein Herz in süßestem Wohlwollen zu verströmen, wie Tantalus an seine göttlichen Freunde, und wo ich auch die Fähigkeit in mir fühlte, dies rückhaltlos zu tun, da mußte ich mich wehren, Böses ersinnen, vergiftenden Trotz. Ein Glück, daß mir bei all dem immer noch klar blieb, daß die Schuld an diesem Verfall nicht auf Jorindes Seite, sondern ausschließlich, ausschließlich auf meiner Seite war. Jorinde war richtig, so wie sie war. Wäre nun auch ich richtig, wäre ich stärker, kälter, vertrauensvoller gewesen, so hätte ich den Anforderungen standgehalten, die das Leben mit einer Göttin, – oder vielleicht das Leben schlechthin stellt ... Doch ich wurde ja zusehends schwächer. Die schlaflosen Nächte ließen einen einseitigen Schmerz in meinem ganzen Körper zurück. Auf der rechten Seite schmerzte der Kopf, das Rückgrat, die Hüfte, sogar der Schenkel. – Jorinde foltert mich! Geradezu körperlich tut sie mir weh! Es ist nicht nur die seelische Spannung, die ich nicht länger ertrage, – auch dieses Aufpeitschen fieberhafter Blutströmungen halte ich nicht mehr aus! Als ein besonderes Mißgeschick erschien es mir, daß um diese Zeit die Photographie der unbekannten Dame, die mich immer so tröstend an Jorinde erinnert hatte, aus der Bahnhofshalle am Nollendorfplatz verschwand. Aller Trost wurde aus meinem Leben entfernt ... Ich gab den Kampf nicht auf. Ich suchte Trost in der Religion, befaßte mich mit verschiedenen Philosophien, – doch was ich auch hörte und las, es bekräftigte mich in meiner Grundüberzeugung: Frieden ist nur im Schoß der Geliebten. Dieser Frieden ist mir unwiederbringlich verlorengegangen, und so sterbe ich gern. Auch die Bücher der Dichter durchstöberte ich auf der Suche nach einem beruhigenden Wort. Aber die modernen wissen nichts von der Liebe, – von verzehrender, unterjochender Liebe, wie ich sie meine, – und bei den älteren, die wohl das Wesentliche davon empfunden haben (so scheint es), stieß mich die fremdartige Umgebung ab. Nur ein einziges Mal empfing ich aus einem Kunstwerk unmittelbar das, wonach ich dürstete. An einem schönen Frühlingssonntag spielte man in einem Vormittagskonzert Beethovens letztes, schönstes Quartett, das Quartett des Abschieds. Ich kannte es längst und sehr genau, hatte es selbst wiederholt gespielt, – aber jetzt erst, in meiner ärgsten Zerrüttung, verstand ich es. Welch ein tiefer Schmerz der Anfangstakte, – dann sofort ein die Brust weitendes Hauptthema, frei herausgesungen, – gleichsam der Idealzustand der heiteren Ruhe, der für immer dahin ist. Wie Phantasmagorie tauchen leichte punktierte Figuren auf, man glaubt Anklänge an die Pastoralsymphonie gleicher Tonart zu erkennen. Oh, da war Glück, da war Verbundenheit in Gott, Frieden, Größe, Andacht. Traut aber irgendwer dem aufsteigenden Motiv, das jetzt (beim ersten Forte) Entschlossenheit, Energie vorspiegelt? Nein, nein, – bald setzen die schwermütigen Anfangstakte ein, durch harmloses Geplänkel hindurch dringen sie immer mehr an die Oberfläche, beherrschen die Durchführung, – und der arglose Schluß dieses Satzes hebt sich von drohend schwarzem Gewitterhimmel ab. Donner und Blitz, Feuerwerk aller Rhythmen, Orgie und Satire ist denn auch im Scherzosatz entfesselt. Der Violinbogen springt, die Bässe poltern monoton. Ein rasender Schrei nach Vergessen, nach Wollust, nach Betäubung und Schmerz. – Bis dann in der unbegreiflichen Eingebung des Lento der „Abschied“ wirklich da ist, in all seiner Melancholie süß und zart, Keim des Wahnsinns, der sich bis ans Sternengewölbe entfaltet. Klagt nicht das herrliche Cis-Moll-Zwischenspiel wie ein Requiem? Das Grab ist geöffnet, schwarze Fahnen wallen, von Kerzen düster erhellt, – hinab, hinab in grenzenlose Tiefe alles, was mir lieb war, alles, woran meine Gedanken sich anklammerten, woraus sie Kraft und Erquickung sogen! Das liebliche Bild der Geliebten erscheint nochmals, von Sopranfiguren umspielt. Rückhaltslos, ja rückhaltslos wird hier das Herz dem Wahnsinn geöffnet. Die trügerische Reinheit der Dur-Harmonien baut Phantasiefreuden auf, man spürt die sehnsuchtsvolle, nie mehr stillbare Leere einer Seele, die mit letzter Ausschweifung an ihren Erinnerungen hängt. – Dann aber, welch eine Erlösung, beginnt Beethoven zu sprechen: „Der schwer gefaßte Entschluß.“ „Muß es sein? – Es muß sein! Es muß sein!“ Furchtbare Frage zuerst, dringender und immer dringender gestellt. Dann setzt mutig und frisch die Antwort ein. Weg mit allen kranken Gefühlen, – leben, leben, da dies nun doch einmal unser Teil ist! Wie nun mit einemmal der Bann gebrochen ist, ein quellender Strom neuer Themen einsetzt, – zart ansteigend bis zu dem in sich gefaßten, schrittweisen, wundervoll männlichen Marschthema in A-Dur. „Es muß sein, es muß sein!“ bekräftigt immer wieder eine oder die andere Stimme dazu, treibt den rüstigen Wanderer vorwärts in eine neue Landschaft. Welch ein Aufbruch! Welch eine beneidenswerte Sicherheit wiedergefundenen Selbstbewußtseins! – Was ich aber am meisten bewundere, ist Beethovens Seelenerkenntnis: sich losreißen von der Geliebten – das erscheint anfangs ziemlich leicht und einfach. So folgt auf die pathetische, doch einfach harmonisierte Frage „Muß es sein?“ recht schnell die nicht einmal sehr aufgeregte Antwort des Allegro „Es muß sein“. Gewissermaßen so: „Adieu, leben Sie wohl, gnädiges Fräulein. Es war ja sehr nett, was wir miteinander erlebt haben. Aber so, wie sich die Sache jetzt gestaltet hat, geht sie ja offenbar nicht weiter. Das sehen Sie doch wohl selbst ein. Wir quälen einander nur gegenseitig. Also ist es das beste, wenn wir einander frischweg die Hände zum Abschied reichen. Nichts für ungut, vielleicht auch mal auf Wiedersehen. Adieu.“ – So etwa klingt mir der Anfang des Schlußsatzes. Aber nach der Reprise verdüstert sich das Bild sehr schnell. Das Marschthema bekommt schon einen leise sentimentalen Einschlag; sinkt dann in tiefere Lagen, sequenzartig, Moll, von tiefen Trillern untermalt, unheimlich. – Und nun die erschütterndste Episode: die Frage „Muß es sein?“ taucht nochmals auf, jetzt aber gewaltiger, im Glanz eines furchtbaren Tremolo aller Oberstimmen. Und die Antwort: „Es muß sein!“ klingt nun nicht mehr kurz und schnell, – ach, sie hat vielmehr das Tempo der Frage („Grave“) angenommen, nur leise, vorsichtig, ohne Impetus. Klage, nichts als tränenreiche, widerstandslose Klage ist die Antwort geworden. Sie muß sich auf den Baß der Frage stützen, sonst bräche sie in sich zusammen. – O Schauer, Schauer der Wahrheit! Beethoven, wie konntest du wissen, daß es so und nicht anders ist: zunächst so leicht der Entschluß, dieser Liebe ein Ende zu machen, und erst nach einiger Zeit in seinem ganzen gräßlichen Ernst, in seiner unwiderruflichen Schmerzhaftigkeit erkannt! Erst leicht, dann schwer ist der Abschiedsentschluß, – so lehrt wirkliches Erlebnis, indes schablonenhafte Stümperpsychologie das Umgekehrte voraussetzen würde. Solcherart sind die Einblicke, die das Werk des Genius von dem bloßer Talente scheiden. – Und nun zu Ende: nochmals Zusammenraffen aller guten Kräfte, um den Wahnsinnskeim zu überwinden. Sieg! Sieg! Ein Sieg in Zartheit, in stiller Einkehr. Sanft ertönt es jetzt, fragend und antwortend zugleich, in süßer, schon unirdischer Schwebe: „Es muß sein.“ Und dann _pizzicato_, leicht und fein trippelt der Meister aus der Welt davon, entfernt sich still aus dem Leben, ohne viel Aufhebens zu machen. Diese letzten Takte sind wohl das Zauberhafteste, was Beethoven geschrieben hat. Ein Lächeln erfüllt sie, ein sacht verspieltes, fast kindliches Lächeln, etwas spieldosenhaft Liebliches, – die Spieluhr einer anderen Welt erklingt. Ohne Leidenschaft und Leid – rein und leicht ist das Himmelreich. – Und das Herz sagt „Amen“ und sagt wohl noch: „Möge auch mir solch seliges Ende beschieden sein!“ Der letzte und _entscheidende_ Brief Jorindes lautete: „Mein guter, lieber Mann! Ich teile Dir mit, daß ich ein Zimmer in Bobingen gemietet habe, wo ich nach Schluß der Saison (ganz bald) wohnen und Dich erwarten werde, bis Du mit Deinen Geschäftssachen fertig bist. Dann fahren wir zusammen nach Holland, hurra, wie ich mich freue, gelt? Ich nahm das Zimmer schon jetzt, um in diesen letzten Wochen der Saison gelegentlich einen oder zwei Tage dort verbringen zu können. Meine Nerven sind kaputt. Wenn es nur der Spielplan häufiger erlaubte hinauszufahren! Neulich traf ich den Mechaniker – zufällig, in der Stadt –, er fand, daß ich sehr elend aussähe und hat mir dann dieses Zimmer verschafft, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Das Haus gehört Verwandten von ihm. Ich erhalte da auch sehr billig Milch, fette Sahne, wie man sie in der Stadt nie zu sehen bekommt oder nur für neun bis zehn Mark das Liter, während es hier nur sieben Mark kostet. Du bist mir doch nicht böse, gelt, daß ich das gemacht habe (nämlich die Miete), ohne Dich vorher anzufragen. Es eilte, denn schon machen sich überall Sommergäste unangenehm bemerkbar. – Möchtest Du mich nicht einmal in meinem Sommersitz besuchen? Es ist sehr einfach hier. Auch die Gegend ist nicht berückend. Um so schöner wird dann die Reise nach Holland mit Dir, dann hast Du auch wenigstens eine Frau mit, die nicht ein bloßes Knochengerüst ist. Ich meine infolge dieser Kur, die ich jetzt mache. Also, nicht böse sein! Schreibe bald, viel und lieb. Und schone Dich doch ein wenig, ich bitte Dich darum. Rege Dich nicht auf. Es ist wirklich kein Anlaß vorhanden. Iß brav, sonst mag ich Dich nicht, wenn Du wieder so hohläugig ausschaust wie neulich. Das war doch gänzlich unnütz und überflüssig. Hoffentlich siehst Du das nun ein. – Es küßt Dich Deine dankbare Jorinde. PS. Man fährt mit der Eisenbahn nach Bobingen, nicht mit der Elektrischen.“ Ich war natürlich im Augenblick entschlossen, nach Augsburg zu reisen, und zwar unverzüglich. Es hätte des verräterischen Gleichklanges (Bobingen, Göggingen) nicht bedurft: ich wußte, noch ehe ich einen Blick auf die Landkarte geworfen hatte, daß diese beiden Orte nicht weit voneinander entfernt waren. – Was bedeutete nur die merkwürdige Nachschrift in Jorindes Brief? Sollte sie den Verdacht ablenken? – Sie konnte allerdings auch bedeutend harmloser aufgefaßt werden: Jorinde lud mich ja ein, sie in ihrem „Sommersitz“ zu besuchen. Also gab sie mir naturgemäß auch die nähere Anweisung, wie ich hinzukommen hätte. O diese teuflische doppelte Auslegung, die überall möglich war! Bedeutsam aber war das Wort „Sommersitz“ (wie es überhaupt in diesem Briefe nichts Bedeutungsloses gab). Wies „Sommersitz“ nicht auf dauernden Aufenthalt hin, – also würde Jorinde nach der Hollandreise wieder dahin, zu ihm zurückkehren? Daß sie an dieser unserer gemeinsamen Reise festhielt, sich auf sie freute, gab mir seltsamerweise keinen Trost. Alles wurde überwogen durch den Eindruck, daß sie ihren Sommerplan in einem wesentlichen Punkte dem Rate jenes Dritten angepaßt hatte, daß er schon Autorität genug besaß, sie zu raschem Entschluß zu veranlassen, – wie nahe aber sind Liebe und Autoritätsglauben bei einer Frau – und nun wohnte sie, ihm bequem erreichbar, mitten in jener bayrischen Landschaft, der sie beide entsprossen waren, wohnte ständig da, nicht zu kurzen Spaziergängen nur, und noch dazu bei seinen Verwandten! Das war es, was mich am meisten aufregte: Die vage Vorstellung von Familienvertrautheit mit jenem anderen, von dörflich anspruchslosem Leben, mir unzugänglich, von einem gemeinsamen Spiel, das ich nicht durchschauen konnte, von einer Verbundenheit, die mich ausschloß. Sie waren ja alle zusammen eine Familie gegen mich! – Und das sollte ich dulden, sollte abwarten bis zur Erledigung meiner „Geschäftssachen“, – von denen Jorinde so obenhin sprach, obwohl ich ihr von der gefährlichen Wendung, die der Prozeß gegen meine Brüder genommen, mehrmals ausführlich geschrieben hatte. – Nein, nein, sie irrte, – ich würde mich durch diese „Geschäftssachen“ nicht abhalten lassen, sofort zur Stelle zu sein, – ich hatte kein Interesse mehr an ihnen! Wozu sich in einer vorgeschobenen Position behaupten wollen, wenn der Mittelpunkt nicht mehr zu halten ist? So beauftragte ich sofort nach Empfang des Schicksalsbriefes meinen Rechtsanwalt, einen Vergleich zu schließen, – meine Brüder sollten alles nehmen, was sie wollten, mir nur einen finanziellen Anteil lassen; die geistige Leitung der Fabrik beanspruchte ich nicht mehr. Ich konnte sie ja auch nicht mehr leisten. Mußte am Ende noch froh sein, wenn ich Kompagnons bekam, die mir die Arbeit abnahmen, zu der ich mich mehr und mehr unfähig fühlte. – Der Zusammenbruch war da. Ein Plan schwebte mir vor, – in Augsburg oder sonst in Jorindes Nähe eine Wohnung für mich zu nehmen. Ich hielt es nicht länger aus, fern von ihr zu leben. Das war das einzige Klare an diesem Plan, – unbestimmte Hoffnungen schwirrten allerdings rings um ihn. Mit ihr zusammen von vorn anfangen, – vielleicht, wenn sie meine Frau war – wiewohl ich einsah, daß dies im Wesen nicht viel ändern konnte. Nun, jedenfalls ging es auf die Art wie bisher keinen Tag mehr weiter! Wie hatte ich es nur so lange ertragen können – keine Stunde, in der nicht völliger Umsturz drohte – ein Umstand, so gleichgültig wie die Tatsache, daß das Liter Milch in Bobingen um zwei Mark billiger war als in der Stadt, genügte, um mein Lebensglück, dem ich gern all mein Hab und Gut geopfert hätte, über Nacht zu vernichten, – auch hier allerdings jene verfluchte Doppeldeutigkeit, wenn ich den Brief genau las: es hieß dort, daß gute Milch in der Stadt „nie“ zu sehen war „oder nur für neun Mark“. Was bedeutete, um aller Heiligen willen, was bedeuteten hier die Worte „ober“ und „nur“? Es war nicht zu durchdringen, ebensowenig wie dieses ganze dumpfe Geheimnis zwischen Jorinde und mir. Verzaubert war ich, verzaubert die Frau, wie in jenem schauerlichen Märchen meiner Kindertage. Unmöglich, einander festzuhalten. Das ging über Menschenkraft hinaus! Und doch hatte ich auf dieser Welt nichts, nichts anderes mehr zu schaffen, als Jorinde für immer und in tiefster Einigkeit bei mir festzuhalten. – Das Vorwärtsrütteln der Eisenbahn war doch noch eine Art Beruhigung für die tobenden Nerven. Ich hatte wieder telegraphiert. Aber Jorinde war diesmal weder im Kaffeehaus noch im Restaurant. – Die Gespenstererscheinung unserer vorigen Begegnung huschte durch den bläulichen Glaskorridor, saß schattenhaft am weißgedeckten Tisch im leeren Speisesaal. – Es war natürlich diesmal damit zu rechnen gewesen, daß Jorinde gerade am Tage meiner Reise in Bobingen draußen sein und mein Telegramm nicht erhalten würde. Ich hatte es vorhergesehen. – Dennoch: was hätte ich nicht darum gegeben, von ihr auch diesmal wieder mit solch einem sanften ehelichen Kuß empfangen zu werden, der eigentlich jede weitere Auseinandersetzung überflüssig macht oder wenigstens von Anfang an in gute Bahnen lenkt ... Was nun? – Ich irrte die Maximilianstraße hinunter, bestellte Kaffee in der prunkvollen Halle des Fuggerhauses, das jetzt das „Hotel Drei Mohren“ ist. – Die Enttäuschung hatte unerwartete Gegenkräfte in mir ausgelöst. Ich wußte plötzlich, _wußte_ bestimmt, daß Jorinde mich liebte. Wenn solche Liebe vergehen kann, dann kann ja alles vergehen. Es war unmöglich ... Auch aus ihrem letzten Brief las ich nun einen zärtlichen Ton heraus, der mir im ersten Schreck ganz entgangen war. Die Anrede gleich „Mein guter, lieber Mann“. Unzähligemal wiederholte ich mir die vier Worte. Sollte ich nach Bobingen hinausfahren, sie überraschen! – Der Gedanke, daß ich sie mit dem Mechaniker dort antreffen würde, war mir schrecklich. Die Situation mochte noch so unverfänglich sein; nur ihn sehen, diesen Eindringling, – das schon schien mir in seiner brutalen Tatsächlichkeit meine Kräfte zu übersteigen. Doch vielleicht war sie gar nicht draußen? War in der Stadt – und nur ein Zufall hatte sie abgehalten, rechtzeitig zu mir zu kommen? – Eine neue Hoffnung. Ich erbebte vor Glück bei dem Einfall, daß ich sie vielleicht in ihrer Wohnung finden würde. Wiewohl es doch ersichtlich nichts Böses sein mußte, wenn sie in ihr Landheim hinausgefahren war: ich flehte Gott um die Gnade an, daß es nicht geschehen sein möge, – sonst ja, aber heute, gerade heute, möge es nicht geschehen sein! Rasch ins Auto. – Als müßte sich alles so wiederholen, wie es damals, bei unserem letzten glücklichen Zusammentreffen gewesen war, ließ ich den Wagen an der Ecke der Frohsinnstraße halten. Oh, solche Wiederholungen haben etwas entsetzlich Leichenhaftes an sich und nützen gar nichts. – Ich ging die Gabelsbergerstraße hinein, – denselben Weg, den sie damals gegangen war, um den Koffer zu packen – an der Ecke noch hatte sie sich umgewandt und mir zugelächelt! Dann stand ich vor dem Haus, in dem sie seit geraumer Zeit wohnte. Ich sah es zum erstenmal; denn so nahe heran hatte ich sie nie begleiten dürfen. Hier also lebte sie. Wie seltsam! Dies der Erdenfleck, zu dem alle meine Briefe, all meine unendliche Sehnsucht und Bangigkeit hingeflogen waren. – Da mischte sich der wütende Gedanke ein, daß vielleicht, nein sicherlich, auch die Sehnsucht eines anderen denselben Weg, dasselbe Ziel hatte. – Wie unrein war doch alles, ach, ohne meine Schuld, – nichts in der Welt konnte sich rein erhalten! Im dritten Stock öffnete ein graubärtiger, sehr großer und dürrer Mann die Tür, an der ich geläutet hatte. Nein, das Fräulein sei seit heute morgen nicht zu Hause gewesen. Sonst wisse er nichts, gar nichts ... Er höre auch schlecht, er bitte, lauter mit ihm zu reden ... So blieb also doch nichts übrig, als nach Bobingen hinauszufahren. Ohne viel zu überlegen, nahm ich den nächsten Zug. Möglicherweise verfehlte ich sie nun erst recht. Sie konnte in jedem der Züge sitzen, die jetzt gegen Abend von Bobingen in der Richtung Augsburg zurückfuhren. – Doch gab es keine Wahl mehr für mich. Das sinnlose Starren in die vorbeirasenden Gegenzüge gab ich bald auf. – So wie es kommen muß, kommt es jetzt, dachte ich. Ist sie nicht draußen, so fahre ich sofort wieder zurück. Ein tolles Ringelspiel. Nun, jedenfalls sehe ich sie heute noch vor Nacht, das ist die Hauptsache. Allerdings bringe ich sie draußen in Verlegenheit, in dem Nest. Schon ein Zusammentreffen in Augsburg fand sie unschicklich, hatte Angst um ihren Ruf. Und nun erscheint plötzlich ein Berliner Herr in dem Dorfe, besucht die Schauspielerin ... Dazu macht sich doch jeder seinen Text ... Jorinde wird sehr böse sein, ihre Einladung war vielleicht nicht ernst gemeint oder hatte gewisse Vorsichtsmaßregeln zur Voraussetzung ... Es wäre wohl das beste, mich diesmal gar nicht als ihr Bekannter einzuführen. Ich kann ihr ja ein Zeichen geben, daß ich gleichsam inkognito da bin, – ein Fremder. Und warum bin ich gekommen? Nun, es wäre doch lächerlich, in Augsburg zu bleiben, wenn ich schon einmal die weite Fahrt gemacht habe, und sie nichts davon wissen zu lassen. Ich komme nur, um sie zu benachrichtigen. Draußen müssen wir gar nichts miteinander reden, sehen einander nur im Einverständnis an, – dann fahren wir in demselben Zug, aber scheinbar ohne Kenntnisnahme voneinander, nach Augsburg zurück. Von dort vielleicht sofort weiter nach R. Vielleicht genügt auch ein kurzes Gespräch in Augsburg. Ich will diesmal wirklich ganz bescheiden sein. In drei, vier Sätzen muß sich alles sagen lassen. – Wenn ich aber von Augsburg zurückreiste, wenn wir einander diesmal (es wäre das _erste_mal) verfehlten: dann würde doch auch Jorinde dies übelnehmen, sich über mich ärgern. Sie freut sich ja, wenn ich komme. Immer hat sie sich so ehrlich damit gefreut. Und nun hätte ich am Ende sie in Bobingen lassen und nach Berlin zurückkehren sollen, ohne sie zu sehen? Undenkbar! Jorinde wäre untröstlich, wenn sie das erführe ... Bleibt nur der eine Ausweg: mich möglichst unauffällig in ihre Nähe schleichen, mich bemerkbar machen – und sie dann gleich nach Augsburg oder sonstwohin mitnehmen. So belog ich mich auf ganz raffinierte Art. Oder war es Wahrheit? – Jedenfalls hatte ich mich in eine ganz sonderbare Situation gebracht, in der ich nun _gezwungen_ war, eine Art _ungewollter Spionage_ zu treiben. Der Detektiv, den ich früher als tief unter der Würde unserer Liebe stehend abgelehnt hatte, dieser Detektiv war nun – ich selbst. Bobingen. – Ich stieg aus. Vorsichtig verließ ich den Bahnhof. Ich brauchte nicht weit zu gehen. Die alleeumsäumte Straße, die zum Bahnhof führte, kamen zwei Menschen in langsamem Schritt einher. Ich erkannte von weitester Ferne Jorinde in weißem Kleid – und ihn, den Mann. – Zitternd trat ich hinter einen Baum, ließ die beiden näher kommen. Sie gingen nicht im Schlußarm, sondern ungefähr einen Schritt voneinander entfernt. Ich konnte nicht unterscheiden, ob sie miteinander sprachen oder nicht. Während sie an mir vorübergingen, schwiegen sie. Gewohnt, mit dem ersten Blick Jorindes Aussehen zu prüfen, fand ich, daß sie leicht abgebrannt war, – die blonden schlanken Augenbrauen flammten im gebräunten Gesicht. Sie sah gut aus, – auch in der Gestalt etwas voller als sonst, – die sehnsuchterweckende Kindlichkeit ihrer Arme, ihrer Hüften, ihres Schrittes war geblieben; nur gesünder und weniger zerbrechlich strahlte all diese Anmut, die einstens mein gewesen war ... Warum hatte sie nur das mit dem „Knochengerüste“ geschrieben? Es peinigte mich, weil in diesem Augenblick alles darauf ankam, ob man Jorindes Worten unbedingtes, wörtliches Vertrauen schenken könne oder nicht. Den Mann hatte ich noch gar nicht recht angesehen, da waren die beiden schon im Bahnhofsgebäude verschwunden. Meilenweit weg wünschte ich mich. – Überall in der Welt war es schön, nur hier nicht. Hinter den Nadelwäldern sank die Sonne eines reinen Sommerabends. Die Landschaft schien aufzuatmen, sobald die beiden in den Bahnhof traten. – Ich aber mußte ihnen nach. Von der betäubenden Tatsache, daß ich nun wirklich wie in meinen schlimmsten Träumen meine Frau mit einem fremden Mann gesehen hatte, von diesem wahnwitzig schmerzenden Druck befreite mich weder das leise Blasen der Landluft noch der weite Ausblick in die grünen Hügel ringsum. – Zwar hatte ich nichts Böses gesehen. Und doch: ich hatte gesehen, wie es sich ausnahm, wenn meine Frau nicht an mich dachte. Das war grauenvoll. Und so leicht, so natürlich nahm es sich aus wie alles, was sie tat! Nun hatte ich also gleichsam die mir abgewendete Seite ihrer Seele gesehen. Es war mir, als stürze ich in einen Sumpf, dessen schmutzige Wellen mir über das vor Scham erglühende Gesicht schlugen ... Und doch mußte ich hinter den beiden her. Es war ein Verhängnis, begründet in der Logik der Situation. – Denn nun würde entweder der Mechaniker heimfahren, der Jorinde besucht hatte, und nachher könnte ich dann hier im Ort mit Jorinde sprechen (wovon nur? ich wußte eigentlich gar nicht, wovon), oder Jorinde fuhr weg, und der Mechaniker blieb bei seinen Verwandten. Dann mußte ich doch in denselben Zug springen, um gleichzeitig mit Jorinde nach Augsburg zu kommen und möglichst bald mit ihr zu reden, möglichst bald, – denn die Spannung in mir war nicht mehr lange ertragbar. Jedenfalls also hatte ich den Abschied der beiden zu beobachten, um mein weiteres Verhalten danach einzurichten. – Das aber war es, was mich eigentlich anzog, wenn ich nachträglich ganz ehrlich gegen mich sein will: es reizte mich, ihren Abschied zu beobachten. Beim Abschied mußte sich doch zeigen, in welchem Verhältnis sie zueinander standen, ob sie einander bloß die Hand drückten, kurz – oder lang, sehr lang – oder ob sie einander gar küßten ... Nun stand die Entscheidung über mein Leben unmittelbar bevor. Ausflüchte, verschiedenfache Deutung würde es dann nicht mehr geben. O wie fürchtete ich mich vor der Entscheidung, und wie wünschte ich sie herbei ... Ich löste, nach allen Seiten spähend, eine Fahrkarte, lugte durch die Tür in den geringeren Warteraum, vergewisserte mich, daß sie nicht dasaßen, – und hatte schon die dunkle Ecke dieses Zimmers entdeckt, von der aus ich am halb offenen roten Vorhang des Büfetts vorbei in den Wartesaal zweiter Klasse blicken konnte. Dort hatten die beiden an der dem Vorhang gegenüberliegenden Wand Platz genommen, unter einem goldgerahmten Spiegel, ziemlich weit weg von mir. – Obwohl sie in der Nähe des Fensters, im Licht saßen, sah ich sie infolge der Entfernung durch die rauchige Stubenluft hin nicht deutlich. Noch weniger allerdings konnten sie mich in meinem finsteren Winkel erkennen; hätten mich selbst dann nicht erkannt, wenn sie geahnt hätten, daß ich in der Nähe war. – Sie benahmen sich völlig unbefangen, sehr ruhig. Saßen nicht nahe beieinander, sondern durch die Tischecke getrennt. Nun bemerkte ich, daß sie sprachen. Doch offenbar war es kein aufregendes Gespräch, denn sie tranken in regelmäßigen Abständen ihren Tee, – was mir natürlich nicht gelang. – Eigentlich hatte ich den Eindruck, daß sie sich miteinander langweilten. Doch gibt es ja auch ein Schweigen zuzweit, das auf den höchsten Grad der Vertrautheit hindeutet. – Ihre Gesichtszüge verschwammen, ich konnte die beiden Schatten, die, wie mir vorkam, seit einer Ewigkeit einander etwas erzählten und die noch eine Ewigkeit lang so beisammen sitzen würden, nicht enträtseln. Ich bemerkte nur, daß Jorinde ihren Hut abgenommen hatte. Ihr blondes Haar glänzte in der Halbdämmerung. Endlich eine Bewegung! – In angestrengtem Hinschauen hatte sich das ganze Zimmer, in dem ich saß, samt dem Nebenraum, samt allen Gruppen wartender Bauern und Bäuerinnen wie in Stein verwandelt. Nun fuhr der Zug ein, und mir war es eine Befreiung, mit den anderen zusammen aufstehen, auf den Bahnsteig hinausstürmen zu dürfen. Im Gedränge stand ich dicht hinter den beiden. Der Zug hielt ganz kurz. Nun also mußte es geschehen! – Doch ich sollte noch länger auf die Folter gespannt werden. Eine Möglichkeit, auf die ich nicht gerechnet hatte, – aber dabei freilich von Anfang an die wahrscheinlichste von allen: der Mechaniker stieg zusammen mit Jorinde ein. – Es gab gar keinen Abschied zwischen ihnen. Es war ein gemeinsamer Ausflug gewesen, und nun fuhr er mit ihr zurück. Ich hatte gerade noch Zeit, mich in einen anderen Waggon zu stürzen. Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Die unerwartete Wendung steigerte in mir das Gefühl von Jorindes Treulosigkeit, – ich gab mir keine Rechenschaft, warum. Bisher war ja nichts, rein nichts geschehen, was nicht vollständig der Darstellung in Jorindes Briefen entsprochen, worauf ich nicht hätte vorbereitet sein müssen. Nun führte also derselbe Zug uns drei dahin. – Wäre er doch entgleist! – In meinem Kopf tauchten wirre Sätze auf, wie etwa „Es könnte ja ein Eisenbahnglück geschehen“ – und andere Verdrehungen. Wenn nun der Zug entgleiste – und ich würde nicht gerettet, stürbe mit ihr zugleich – das wäre freilich sehr schön –, aber das Totenkleid könnte ich ihr nicht nähen lassen – nach ihren Angaben: aus schwerem weißen Taft, viereckig tief ausgeschnitten, mit weißen Rosen unter der Brust, – o du liebe Eitelkeit du, ich weiß ja, daß ich es dir versprochen habe, aber nun siehst du doch: alle Versprechen habe ich gehalten, wie ich sie dir damals bei unserem ersten Abendessen in der Reginabar gegeben habe, alle, alle getreu, nur dieses eine kann ich nicht halten, weil ich doch selbst mit zerschmetterten Rippen daliege ... Aber der Zug fuhr lustig weiter und nichts geschah. Nur ich stand auf, setzte mich, fand keine Ruhe und stand wieder auf. – Dann begann ich den Verbindungsgang durch den ganzen Zug hinzuschreiten. Ich konnte der Verlockung nicht widerstehen, in die hellerleuchteten Coupés hineinzuschauen. Obwohl dies ja nun ohne alle Beschönigungsmöglichkeit nichts als nackte Spionage war ... Die beiden saßen in einem leeren, glänzend lackierten Abteil dritter Klasse. Ich sah hinein, ging weiter, – kehrte zurück und sah wieder hinein. – Sie saßen nebeneinander auf derselben Bank, aber wiederum nicht dicht beisammen, nicht Hand in Hand, – sondern in ruhigem und, wie es schien, wenig angeregtem Gespräch. – Sie waren ja allerdings den ganzen Tag lang beisammen gewesen und hatten Zeit gehabt, einander über alles ihre Meinung zu sagen. Es war ein furchtbarer Anblick. Die beiden so zusammengehörig – und ich, von Jorinde aus betrachtet, eigentlich in Berlin, – so fern, gar nicht in Betracht kommend. Da stehe ich nun, dachte ich – und es ist wirklich wie im Märchen. Festgebannt stehe ich – und Jorinde, mein Glück, trägt man mir vor meinen Augen davon wie ein gefangenes Vöglein auf offener Hand. Und ich kann die Glieder nicht regen, nicht einmal den Mund öffnen zu schmerzlichem Schrei ... Mit einem Male merkte ich, daß Jorinde, die am Fenster saß, vom Mechaniker halb verdeckt, ihre glänzenden blauen Augen, in die in diesem Augenblick die volle Deckenbeleuchtung einstrahlte, emporhob und auf mich zu richten begann. Sie überlegte wohl ... eine Ahnung stieg in ihr auf ... Ich hatte mich vom seitlichen Türpfosten aus trotz aller Vorsicht etwas zu weit nach vorn geschoben, und es war nicht ausgeschlossen, daß sie mich erkannt hatte. So trat ich denn ein. Im Eintreten legte ich, streng blickend, einen Finger an die Lippen – dann wandte ich mich sofort mit dem Rücken gegen die beiden, beschäftigte mich nur damit, umständlich meinen Hut im Gepäcknetz unterzubringen. So schnitt ich jede Begrüßung ab. Ich wollte fremd sein. – Ursprünglich wohl, um ihr alle Verlegenheit zu ersparen; denn ich wußte, daß Jorinde dem Mechaniker von meiner Existenz nichts erzählt hatte. – Sie trug ja auch den Ehering oder Verlobungsring nicht an der Hand. Es war das erste, wonach ich im Eintreten sah. Hätte sie diesen Ring an der Hand gehabt, so wäre mir nicht sofort klar gewesen, daß sie dem Mechaniker gegenüber das ledige, Werbungen zugängliche Mädchen spielte, – so hätte mich das Gefühl der Fremdheit, das ja auch sonst stets gegenwärtig war, bei diesem letzten Zusammensein nicht übermeistert. Ich hätte mich einfach als ihr Mann oder ihr Verlobter vorgestellt, und alles wäre gut gewesen. Der Ring, der Ring hätte uns gerettet. Aber Jorinde trug den Ring nicht. Sie war von mir abgerückt, – ihre Art war niemals die meine gewesen, – allerdings liebte ich sie gerade darum, – doch für die maßlosen Qualen, die daraus entsprangen, mußte ich mich nun auch rächen. Und so war es neben dem Bestreben, ihr eine gesellschaftliche Peinlichkeit zu ersparen, auch noch das deutliche Bewußtsein, sie zu bedrängen, was mich erfüllte. Denn ich sah, daß sie Angst hatte. Vor meiner Miene vielleicht. Jedenfalls vor meinen Absichten, die sie nicht erraten konnte, – die freilich auch mir unbekannt waren, von Moment zu Moment neu hervorschossen. Ein Lächeln, das sie wagte, erwiderte ich nicht. Plötzlich erhob sie sich, streckte die Hand aus und nannte (nein, wie geistesgegenwärtig) einen falschen Namen, – fragenden Tons, als erkenne sie mich erst jetzt und nicht ganz sicher. „Herr Bühler?“ Damit wäre ich in die Unterhaltung einbezogen worden – und jede Gefahr vorbei. Aber gerade das wollte ich nicht. Ich verbeugte mich: „Gnädige irren wohl“ – und nannte einen anderen, gleichfalls falschen Namen. Damit rückte ich, jede Annäherung durch eine Gebärde ausschließend, in meine Ecke ab. Der Mechaniker nahm das unterbrochene Gespräch mit ihr wieder auf. Ich begriff Jorindes Angst. – Wie, wenn er ein Wort sagte, das unmißverständlich eine nahe Beziehung zwischen ihnen andeutete ... Um den Abschied hatten sie mich betrogen ... Nun aber hielt ich mehr als den Abschied in der Hand: ihr Gespräch. Ich tat, als sähe ich durch die Tür in den Gang hinaus, in die roten Funkengarben, die draußen in der Nacht am Fenster vorbeiflogen. Dabei lauschte ich auf jedes Wort, – lauschte auf die unheimliche Stille, die bald entstand. – Denn Jorinde antwortete nicht. Blaß geworden, starrte sie vor sich hin. Sie tat mir leid, – aber nun war es zu spät. Ich konnte doch jetzt nicht hintreten und mich nachträglich als ihr Ehemann verbeugen. Die Fremdheit, von uns wissentlich gestiftet, wuchs nun als ein eigenes lebendiges Wesen, unabhängig von uns, ins Gigantische. Es waren ganz leere Dinge, von denen der Mechaniker sprach, – von einer Schwester erzählte er ihr, die nun bald heiraten würde, von den Vorbereitungen in seinem Dorf, – auch er würde zur Hochzeit fahren und freute sich schon darauf. – Daß Jorinde sich ängstigte, merkte er gar nicht. – Jetzt erst sah ich ihn an. Das also war er – der Dritte, die Maus im Zimmer! Er sah wirklich aus wie eine Maus. So unansehnlich, so klein. Wohl um zwei Köpfe kleiner als ich. Sein Gesicht war gelblich und mager, die Augen blaß. – Jorinde hatte einmal gesagt, daß sie helle Augen nicht mochte, nie einen Mann mit hellen Augen lieben könnte. Und einen Augenblick, ganz vorübergehend, beruhigte mich diese Erinnerung. Auch sie also liebte das Fremde wie ich. Sie liebte meine schwarzen, ich ihre blauen Augen. In einer anderen Situation hätte ich mich vielleicht daran gehalten. Hier aber war es schon zu wild! – Ich starrte, starrte auf den Fremden. Sein Gesicht hatte einen traurigen, verfallenen Ausdruck. War das wirklich der Mann, der so große Abenteuer in Amerika bestanden hatte? – Jetzt erst merkte ich, wie diese Briefworte, über allem folgenden schwebend, seine Gestalt in mir bestimmt hatten. – Nein, der mächtige Holzfäller aus dem bayrischen Wald, wie ich mir ihn vorgestellt hatte, der braune Riese mit geschulterter Axt war er keineswegs. Vielleicht litt er nicht minder als ich. Von Jorinde gequält wie ich. Und so mußte er mich, mußte ich sie nun quälen ... „Unglückliche, die einander unglücklich machen“ – hatte ich nicht einmal mit Erkenntnisblick der ganzen Menschheit diesen Namen gegeben – und nun wir drei, in ein und demselben dahinsausenden Zugabteil, einer dem anderen zur Pein, – einer die Qual, die er vom nächsten erleidet, auf den dritten übertragend und so im Kreis rundum – oh, wir Menschen! wir unglückseligen! Und Jorinde schwieg noch immer. Auch der Bursche war jetzt verstummt, – es fiel ihm wohl nichts mehr ein. Plötzlich erkannte ich oder argwöhnte, daß Jorinde vielleicht nicht aus Schreck und Reue schwieg, – sondern nur aus Klugheit. Um eben zu verhindern, daß ich dem Gespräch anmerkte, wie es zwischen ihnen stand. – Was hatten sie denn bisher geredet? Nichts Persönliches. Sogar eine Anrede war bisher nicht vorgekommen. Sagten Sie einander „Sie“ oder „Du“? Nicht einmal das hatte ich erfahren. – So redet, redet doch! Es ist doch undenkbar, daß auch diese Probe kein Ergebnis bringt, – daß wir drei, die wir einander so wichtig sind, hier auf engem Raum beieinandersitzen, äußerlich teilnahmslos und doch aufeinander lauernd, – eine Filmsituation geradezu – und daß wir wieder auseinandergehen, ohne daß sich der Knoten gelöst hätte, der uns würgt ... Bei jedem Laut schrak ich nun zusammen. War es nur ein Stiefelknarren – oder war es ein Wort, das alles verraten konnte? – Ein Wort wie „Liebste“ oder eine Bitte um die nächste Nacht. – Aber der Handwerksbursche (wie ein Handwerksbursche erschien er mir) schwieg beharrlich. Plötzlich fiel mir ein: Jorinde brauchte doch nur aufzustehen und mir um den Hals zu fallen, in einer großmütigen Aufwallung, die alles verziehe, auch meine Spionage und Rachsucht, – sie brauchte nur aufzustehen und wahrhaftig, der Bann wäre gebrochen! Nur schämen dürfte sie sich nicht. Müßte vor dem Mechaniker alles eingestehen, offen sagen, wer ich bin, nicht aber mich mit erfundenem Namen als „Herr Bühler“ anreden. Nein, keine Klugheit jetzt! Eine große Bewegung der Liebe, der flammenden Leidenschaft, vor der alle Vorurteile zusammenfielen, – das war es, das allein konnte noch retten! Mein Gott und Herr, warum tat sie das nicht, das einzig Richtige in diesem Augenblick! In ihrer Hand lag es, – sie konnte, sie durfte endlich einmal alle Rücksichten beiseite lassen, klar und wahr sich zu mir bekennen, – warum, warum tat sie das nicht? Sie sah mich nicht an. Ich aber, so schien es mir, drang mit den Blicken in ihr Haar, in ihren Kopf, ich wollte ihr mit all meiner Kraft den Gedanken einflößen, den einzigen Ausweg. Jetzt, jetzt zeige, daß du mich wirklich liebst! Kein Stolz jetzt, – bestehe die Probe ... Doch ich fühlte fast, wie sie mir entwich. Die schwarzen Bäume, die draußen in der Nacht vorbeiflogen, einsame Weiler, dunkle Ebenen, das war ihr Reich. Es war mir einen Augenblick, als könne sie sich auf diese Dörfer und rauschenden Wälder, an denen wir vorbeifuhren, rechtmäßig berufen wie auf etwas, was sie beherrsche, ja was sie geschaffen habe. Ich dagegen, was hatte ich in meiner Zimmerluft hervorgebracht seit je: Geschäftsbriefe, Papier. Und da wagte ich, auf ihre Unterwerfung, Demütigung zu hoffen. Welche Vermessenheit. Und schon glaubte ich um ihre Lippen ein feindliches, ironisches Lächeln zu sehen. – War es möglich? – Auf diesen Lippen, die mich so zart und dann wieder so heißglühend zu küssen gewußt! ... Fremdheit in unserer Beziehung hatte ich ja immer zu ertragen gehabt. Aber diese auf die Spitze getriebene Fremdheit, ihr eiskaltes Lächeln zerriß die letzten Fäden meiner Widerstandskraft. Mochte der Mechaniker auch unschuldig sein, – nicht wissen, was er angerichtet hatte, – er hatte sich eingedrängt, er hatte gestört! Alles war so schön, so herzenswarm und frei gewesen, ehe er kam. Er, er hatte alles besudelt. Er wußte nichts davon, – aber auch der Raupenfraß, der die Wälder befällt, weiß nicht, was er vernichtet, und dennoch ist er widerlich und muß ausgerottet werden. „Da ist Göggingen“, sagte der Mechaniker. Es war das erste Wort nach langer Pause, und es durchfuhr mich wie ein Blitz. Schon verlangsamte der Zug seine Fahrt. „Wann sehe ich Sie wieder?“ setzte der Mechaniker fort und reichte Jorinde die Hand. Sie! – Sie! Aber das bewies ja nichts! – In Gesellschaft – und sei es auch in Gesellschaft Unbeteiligter – sagt ein Liebespaar einander nicht ungern und wie zum Spiele Sie. Und vielleicht hatte Jorinde ihm einen leisen Wink gegeben, ein Zeichen mit den Augenwimpern nur, während ich, von ihnen abgewendet, den Funken nachgesehen hatte. – Ja, es gab eigentlich nichts, was im _günstigen_ Sinn beweisen konnte. Alle guten Umstände waren wegdeutbar. Ein einziges „Du“ aber, ein Kuß, eine Umarmung, – das allerdings wäre nicht mehr wegdeutbar gewesen. Ein einziger ungünstiger Umstand war vollgültiger Beweis ... Und nun – der Zug fuhr schon ganz langsam in die Station ein – nun mußte es ja zum Abschied kommen, – nun stieg offenbar der Mechaniker aus und Jorinde fuhr nach Augsburg weiter, nun drohte die Enthüllung, nun faßte mich innerliche Bangigkeit vor ihr, nun hätte ich sie gern verhindert, – nun konnte eine einzige unbeherrschte Bewegung der beiden – oder des Burschen allein – mein Unglück besiegeln. Und das war jener äußerste Grad von Spannung, den ich nicht mehr ertrug, – der deutlich über das Maß hinausging, dem ich gewachsen war. Als der Mechaniker die Tür öffnete und durch Lächeln und eine Geste Jorinde, die wie erstarrt in der Fensterecke sitzengeblieben war, einzuladen schien, – ihm zu folgen oder ihm sonst irgendwie nahe zu sein –, da war mir, als stelle sich der Eisenbahnwagen auf die Spitze, rolle seine Räder oben in der leeren Luft, – meine Augen verdunkelten sich, und nur, um ein Ende zu machen, um nichts mehr zu hören und zu sehen, fiel ich den Nichtsahnenden an. – Ich tat mit ihm, wie es die Anklageschrift des näheren beschreibt. Von allem, was folgte, sehe ich nur eines noch vor mir: die Menge stürzt sich auf mich – im kleinen Bahnhof tobt’s – alles steigt aus, drängt gegen mich los – Jorinde aber deckt mich mit ihrem Leib. Noch einmal fühle ich ihre Umarmung. Sie reißt mich mit sich, bis sie mich endlich den schützenden Beamten übergibt ... Daß sie nun doch also ganz auf meiner Seite stand, – ach, auch dafür gibt es natürlich eine Menge einander widersprechender Erklärungen. Ich will nicht mehr darüber nachdenken, ich will Jorinde nicht mehr sehen. Sie könnte mir nichts sagen. – Es würde mich nicht überraschen, wenn sie mir bewiese, daß sie völlig schuldlos und daß der Mechaniker ihr wirklich gänzlich gleichgültig war, – wie es ja auch Ihre Ansicht, Herr Verteidiger, und die Ansicht der ganzen Welt ist. Beweisen läßt sich alles. Und ebenso läßt sich auch jede Ansicht der ganzen Welt als deren Ansicht in den Mund legen. – Nein, nichts mehr mit Jorinde reden. Vielleicht liebt sie mich wirklich. Nur, daß es sich nicht beweisen läßt ... Es ist alles Sache des Vertrauens; – und mein Vertrauen ist erkrankt. Es reicht nicht hin für die schweren Aufgaben, die man ihm stellt ... Es würde mich auch nicht überraschen, zu erfahren, daß Jorinde zu ihrem Vater geflüchtet ist, der Bühne entsagt hat, – entsetzt von ihren Erfahrungen in der Welt, in der man sich nicht zu zügeln weiß, – daß sie in die strenge Zucht ihrer braunen altbayrischen holzgetäfelten Zimmer zurückgekehrt ist, aus denen sich ja ihre Seele oder die eine Hälfte ihrer Seele nie ganz entfernt hat. Und es würde mich nicht überraschen, daß sie mich trotzdem weiterhin und vielleicht nun erst recht liebt. – All das ist möglich. Nur ich, mit meinem erkrankten Vertrauen, – ich bin das Unmögliche dabei. Da fällt mir eben ein, daß Jorinde mehr als einmal gesagt hat: „Ohne dich bin ich nichts. Wenn du stirbst, mußt du mich mitnehmen.“ – Ja, das wäre vielleicht ein Beweis? – Nein, auch das nicht. – Ich bin zu Ende. Bitte, keine Fragen mehr. Ich war ausführlich genug. Lassen Sie den „störrischen Kerl“ (so haben Sie mich ja tituliert), lassen Sie ihn doch um Gottes willen am Ende aller Ende in Ruhe. Daß ich mit niemand mehr sprechen will, – auch mit Ihnen nicht, Herr Verteidiger, – davon bin ich bei diesen Aufzeichnungen ausgegangen. Lassen Sie meine Mühe nicht verschwendet sein! Beim nochmaligen Lesen bemerke ich übrigens mit Genugtuung, daß meine Schrift nichts Entlastendes im Sinne der üblichen Gerichtsmoral enthält. Das Gegenteil hätte auch meiner Absicht durchaus widersprochen. Ich bestätige vielmehr nochmals und mit allem Nachdruck: ich bin schuldig – die Tat ist bei vollkommen klarem Bewußtsein geschehen – ich fühle mich schuldig. Und wenn auch nicht im Sinne der Justiz schuldig: noch viel weniger bin ich unschuldig vor mir selbst als schuldig in irgendeinem beliebigen, noch so albernen Sinn. Ich werde Ihnen vor Gericht in die Rede fallen, wenn Sie die Tatsachen, die ich Ihnen nun wahrheitsgetreu vorgelegt habe, plädoyermäßig zu verdrehen suchen sollten. Aber ich bitte Sie, Herr Verteidiger, tun Sie das nicht. Geben Sie mir ein gutes Wort, wenn es möglich ist, – ein rechtfertigendes vermeiden Sie. Und gönnen Sie mir, der den einzigen Frieden verloren hat, den es gibt (ich habe gesagt, welches dieser Frieden ist), – mir, der den Selbstmord auf eigene Faust rechtzeitig auszuführen verabsäumt hat, – gönnen Sie mir, ich bitte darum, den Selbstmord unter staatlicher Assistenz. Denn eigentlich bin ich ja schon längst tot – und das Papier, auf dem ich schreibe, knistert wie die Weidenbäume am Bach, wenn die Gespenster nachts aus dem Wasser steigen. Mit allen Krankheiten im Leibe kann man leben. Nur mit erkranktem Vertrauen nicht. – Das ist die einzige Krankheit, die absolut tödlich wirkt, und zwar sofort, im ersten Augenblick, in dem sie den Menschen befällt. Manche Menschen leben nachher allerdings noch ein gespenstisches Nachspiel – wie zum Beispiel ich. Aber das ist nichts Wesentliches mehr. Geheilt wird diese Krankheit niemals. Wenn die Uhrfeder überdreht und gesprungen ist, dann kann noch so gelindes Aufziehen die Uhr nicht wieder in Gang bringen. Und warum ist mein Vertrauen erkrankt? – Abgesehen davon, daß es Antworten auf Fragen dieser Art nicht gibt, glaube ich manchmal zu fühlen, daß ich an einer lasterhaften Ausschweifung gestorben bin: an einer besonders stark angespannten und strenge Anforderungen stellenden Liebe. An der Liebe zur Fremdheit und daher Göttlichkeit einer Frau. An der Liebe, bei der Vernunft und alle anderen Hilfen und Sicherheitsmittel versagen müssen, weil Vertrauen, – Vertrauen zur Natur das einzige ist, was verlangt wird. In dieser furchtbaren Anspannung hält das Vertrauen eben aus – oder es erkrankt. Meines ist erkrankt. Wie es Menschen gibt, die der Weinrausch zugrunde richtet, so war mein Genuß – der Genuß der Fremdheit – ein tödlicher Genuß. Dennoch ist er das einzige in der Welt, auch heute noch, was mir eines Wunsches, eines Gefühls wert erscheint. Wie dem Trinker die Flasche, die ihn vergiftet. – Nur haben die Trinker doch alle, wie ich glaube, ein schlechtes Gewissen. Es ist etwas so Schmutziges im Schnaps. Die Trinker spüren denn auch, daß sie auf dem falschen Wege sind. Ich aber – ich habe mich eigentlich, ehrlich gesprochen, auf dem guten Wege gefühlt. Haben auch meine Kräfte nicht ausgereicht, – der Weg war gut, der Weg ins Ferne, ins Fremde hin, – und auch das Fremde lieben, nichts so heiß wie das Fernste und Fremdeste und das Geheimnis des Nebenan. Ob das nicht der wahrhaftige Weg der Menschenliebe ist, – nicht derjenigen, die in den Schulbüchern steht, – nein, der brennenden, die mit sehnsüchtiger Kraft sich selbst nicht aufgibt und doch auch den anderen erfassen, umfangen will, weil alles Leben, das eigene wie das fremde, ihr wunderbar groß und leuchtend erscheint. O Jorinde, Jorinde! Wie hat mir gebangt um dich, weil ich dich immer nur außerhalb meiner gefühlt habe, – und selbst im heißesten Augenblick: „Bist du jetzt mein?“ „Ja.“ „Ganz mein“, in diesem heiligen Augenblick deines Ja-Hauches warst du mir noch durch Länder und Meere und Jahrtausende entrückt. Und dennoch flog meine Seele immer wieder gegen dieses dicke Glas zwischen uns und wollte nicht ablassen, dich zu gewinnen, nicht ablassen, sich selbst hinzugeben für dich, – und wenn es jetzt auch nur auf eine ziemlich entehrende Art geschieht: genug, es geschieht, es geschieht! Totenhochzeit wird es geben. Wenn der Henker mich packt, so will ich dein sein, – du wirst es nicht wissen, nicht ahnen, und doch will ich dann, dann erst dein sein wie noch nie. Und die großen Augenblicke meiner tödlich berauschenden Liebe ziehen noch einmal auf: ich warte an der Ecke der Frohsinnstraße – oder ich nähere mich im Eilzug dem Bahnhof Augsburg, in dem du mich erwartest, und ich sehe die Bahnhofskuppel und kann es nicht fassen, daß dieses Bauwerk dich enthalten soll, dich, Jorinde, mein Leben dich – dieses glanzlos gemeine Eisenrippenwerk, dem man von außen gar nichts ansieht, so wenig wie allen anderen Bahnhofskuppeln der Welt ... Und noch eines, Jorinde: jener Abend am Wannsee, jenes einzige Dankgebet an Gott, das ich in meinem ganzen Leben gebetet habe. Es war kurz, aber aufrichtig, dieses Dankgebet. Nachts auf der Landungsbrücke stand ich allein, – du tanztest im Restaurant drinnen, mit fremden Menschen – ich konnte dich sehen, durch die hell beleuchteten Scheiben sah ich das Schattenbild deiner Gestalt kommen und vorbeischweben. Der Himmel war schwarz, ein Gewitter zog auf. Es regnete nicht; doch wie ich nun niederkniete zum Gebet, war das Holz der Brücke naß, von einem früheren Regen vielleicht. Ich kniete nieder und dankte Gott für dich. In der Fülle meines Glücks war ich ins Freie gestürzt. Du warst so lieb zu mir gewesen, Jorinde, und wenn du nun auch mit einem anderen tanztest – nein, falsch, gerade daß du mit einem anderen tanztest, das war das süße Fremde an dir, und dennoch warst du ja mein, das fühlte ich ganz genau. Gott dankte ich, daß er mir nach all den Fehlschlägen meines Lebens endlich das gegeben, was ich brauchte. Ich dankte ihm für das fremdartige Leben dort drinnen in der leuchtenden Tanzhalle, – für dein Leben, Jorinde, das mich so beglückte gerade dadurch, daß es _unabhängig_ von mir war, unverständlich im tiefsten Grunde, mir fern und dennoch mein. Dieser Kuß aus dunkelster Fremdheit hervor ist das Beste, was das Leben, was Gott zu geben hat, – denn dieser Kuß ist glaubhaft wahr; er kann, weil er so tief aus Fremdartigem hervorkommt, nicht anders sein als echt, kann nicht Einbildung, nicht Illusion sein! Da fühlte ich, wie Liebe mich überschwemmt, – fühlte, daß es Liebe in der Welt gibt, in Wirklichkeit, nicht bloß in meiner Phantasie, – ich fühlte diese Liebe mich heiß überrieseln, von außen her kam sie, nicht in mir war die Quelle. Die Liebe ist da, ist da, – auch wenn ich nicht da wäre, wäre die Liebe da! O jubelnde Erkenntnis! Und daß ich nun doch auch noch das unverdiente Glück hatte, da zu sein, neben dir, Jorinde, dafür dankte ich Gott in jener Minute. Ich mußte es tun, mußte niederknien, von niemand gesehen, – ganz kurz nur kniete ich, denn sowie ich den nassen Boden merkte, erhob ich mich wieder. – Sah dann noch lange das dunkle Wasser, den Himmel, die erleuchteten Fenster, den einzigen Menschenfleck im riesigen schwarzen Nichts der Nacht – und fühlte die Wärme hinter diesen Fenstern, fühlte dich, mein fernes und dennoch mein Glück! Und so danke ich dir denn, Jorinde, – denn deinetwegen ist es mir ja möglich gewesen, wenigstens einmal, minutenlang, mit voller Redlichkeit, Gott zu danken für mein qualvoll-süßes Leben in dieser fremden Welt. Ich danke dir, Jorinde, und nichts mehr tut mir weh. Ich habe das gehabt, was ein Mensch sich nur wünschen kann: meinen Rausch, meine Trunkenheit. Nun laßt mich versinken, laßt mich vorbei. Die Göttin, mit der ich gelebt habe, geleitet mich in den Tod. Keine Ablenkung mehr! Laßt mich allein. Ende Anmerkungen zur Transkription Die ursprüngliche Schreibweise des Originals wurde weitgehend beibehalten. Nur einige wenige offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LEBEN MIT EINER GÖTTIN *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. 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START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. 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