The Project Gutenberg eBook of Berge Meere und Giganten This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Berge Meere und Giganten Author: Alfred Döblin Release date: April 12, 2025 [eBook #75838] Language: German Original publication: Berlin: S. Fischer, 1924 Credits: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library. *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BERGE MEERE UND GIGANTEN *** Berge Meere und Giganten Roman von Alfred Döblin 1924 S. Fischer / Verlag / Berlin Sechste bis neunte Auflage Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten Copyright 1924 by S. Fischer, Verlag A.-G., Berlin Zueignung Was tue ich, wenn ich von dir spreche. Ich habe das Gefühl, als dürfte ich kein Wort von dir verlauten lassen, ja, nicht zu deutlich an dich denken. Ich nenne dich „du“, als wärst du ein Wesen, Tier Pflanze Stein wie ich. Da sehe ich schon meine Hilflosigkeit und daß jedes Wort vergebens ist. Ich will nicht wagen euch nahe zu treten, ihr Ungeheuren, Ungeheuer, die mich auf die Welt getragen haben, dahin, wo ich bin und wie ich bin. Ich bin nur eine Karte, die auf dem Wasser schwimmt. Ihr Tausendnamigen Namenlosen hebt mich, bewegt mich, tragt mich, zerreibt mich. Ich habe schon Vieles geschrieben. Nur herumgegangen bin ich um euch. Mit Angst habe ich mich vor euch entfernt. In meiner Demut vor euch war Angst vor Lähmung und Betäubung. Immer habe ich euch, ich gestehe es, als Schreckliches in einem dunklen Winkel des Herzens gehabt. Da hatte ich euch verborgen, hielt die Türe zu. Jetzt spreche ich – ich will nicht du und ihr sagen – von ihm, dem Tausendfuß Tausendarm Tausendkopf. Dem, was schwirrender Wind ist. Was im Feuer brennt, dem Züngelnden Heißen Bläulichen Weißen Roten. Was kalt und warm ist, blitzt, Wolken häuft, Wasser heruntergießt, magnetisch hin- und herschleicht. Was sich in Tieren sammelt, in ihnen die Schlitzaugen nach rechts und links bewegt auf ein Reh, daß sie springen schnappen, die Kiefern öffnen und schließen. Von dem, was dem Reh Furcht macht. Von seinem Blut, das fließt und das das andere Tier trinkt. Von dem Tausendwesen, das in den Stoffen Steinen Gasen haucht, raucht, sich löst, verbindet, verweht. Immer neuer Hauch und Rauch. Immer neues Prasseln Verschmelzen Verwehen. Jede Minute eine Veränderung. Hier wo ich schreibe, auf dem Papier, in der fließenden Tinte, in dem Tageslicht, das auf das weiße knisternde Papier fällt. Wie sich das Papier biegt, Falten wirft unter der Feder. Wie die Feder sich biegt, streckt. Meine führende Hand wandert von links nach rechts, nach links vom Zeilenende zurück. Ich spüre am Finger den Halter: das sind Nerven, sie sind vom Blut umspült. Das Blut läuft durch den Finger, durch alle Finger, durch die Hand, beide Hände, die Arme, die Brust, den ganzen Körper, seine Haut Muskeln Eingeweide, in alle Flächen Ecken Nischen. So viel Veränderung in diesem hier. Und ich bin nur ein Einzelnes, ein winziges Stück Raum. Auf meinem Tisch, dem weißen Tuch verwelken drei gelbe Tulpen, jedes Blatt daran unübersehbar reich. Daneben grüne Blätter von Weißdorn Rotdorn. Unten auf dem Rasen Stiefmütterchen Vergißmeinnicht Veilchen. Es ist Mai. Ich habe nicht gezählt, wie viele Bäume Blumen Gräser in den Anlagen stehen. An jedem Blatt Stengel Wurzelschaft geschieht sekundlich etwas. Da arbeitet das Tausendnamige. Da ist es. Singen der Drosseln, Rasseln Schmettern der Schienen: da ist es. Stille, mit einer Bewegung gefüllt, die ich nicht höre, von der ich doch weiß, daß sie abläuft: da ist es. Das Tausendnamige. Sich unaufhörlich Wälzende Drehende Aufsteigende Zurückfallende sich Kreuzende. Ich gehe auf dem weichen wippenden Boden am flachen Ende des Schlachtensees. Drüben die Tische Stühle der Alten Fischerhütte, Dunst über dem Wasser und Schilf. Am Boden der Luft gehe ich. Eingeschlossen in diesem Augenblick mit Myriaden Dingen an dieser Ecke der Welt. Wir sind zusammen diese Welt: weicher Boden Schilf See Stühle Tische der Fischerhütte, Karpfen im Wasser, Mücken darüber, Vögel in den Gärten der Villen von Zehlendorf, Kuckucksruf Gräser Sand Sonnenlicht Wolken Angler Angelrute Leinen Haken Köder Kindergesang Wärme elektrische Spannung der Luft. Wie blendend tobt oben die Sonne. Wer ist das. Welche Masse Sterne toben neben ihr, ich seh’ sie nicht. Die dunkle rollende tosende Gewalt. Ihr dunklen rasenden, ineinander verschränkten, ihr sanften wonnigen kaum ausdenkbar schönen, kaum ertragbar schweren nicht anhaltenden Gewalten. Zitternder greifender flirrender Tausendfuß Tausendgeist Tausendkopf. Was habt ihr mit mir vor. Was bin ich in euch. Ich muß sprechen von euch, was ich fühle. Denn wer weiß wie lange ich noch lebe. Ich will nicht aus diesem Leben gegangen sein, ohne daß sich meine Kehle geöffnet hat für das, was ich oft mit Schrecken, jetzt stille, lauschend, ahnend empfinde. Erstes Buch. Die westlichen Kontinente Es lebte niemand mehr von denen, die den Krieg überstanden hatten, den man den Weltkrieg nannte. In die Gräber gestürzt waren die jungen Männer, die aus den Schlachten zurückkehrten, die Häuser übernahmen, welche die Toten hinterlassen hatten, in ihren Wagen fuhren, in ihren Ämtern dienten, den Sieg ausnutzten, die Niederlage überstanden. In die Gräber gestürzt die jungen Mädchen, die so schlank und blank über die Straßen gingen, als wäre nie ein Krieg zwischen Männern in Europa gewesen. In die Gräber gestürzt die Kinder dieser Männer und dieser Frauen, die heranwuchsen, an den Häusern bauten, die sie übernommen hatten, die Fabriken bevölkerten, die die Toten errichtet und stehen gelassen hatten. Geschlecht um Geschlecht war wie von einer langsam rutschenden Wand umgelegt worden. Sie begaben sich in die dunklen Wohnungen, die die Elemente bereiteten. Hinter ihnen wurden schon die neuen Geschlechter emporgehoben, fluteten aus geöffneten Schleusen über die verlassene Welt. Immer waren wieder blanke junge Mädchen da. Junge Männer mit glänzendem zurückgekämmtem Haar, lebhaften Augen, frischen Mündern und Backen, die gern lächelten. In den Alleen Alte an Stöcken mit abwesenden Blicken, und winzige Geschöpfe in weißem Leinenzeug, die mit schrumpfligen Fingerchen sich vor das blinzelnde rosige Gesicht griffen. Am Himmel bewegte sich das stille blitzende Licht, das morgens erschien und abends unterging. Die Erde drehte sich in Tag und Nacht. Trug Erdteile Meere Gebirge Flüsse mit sich. Gab von Jahr zu Jahr neuen Sommer und Winter von sich. Wälder wurden von ihr hochgewälzt; sie stürzten ein; sie trieb neue auf. Schmetterlinge hauchte sie für ein paar Tage hin. Fische Landtiere Vögel Ameisen Käfer Schnecken wuchsen und zerfielen. Die Menschen der westlichen Völker hinterließen ihren Nachkommen das Eisen die Maschinen, Elektrizität, die unsichtbaren stark wirkenden Strahlungen, die Berechnung zahlloser Naturkräfte. Man hatte Apparate von ungeheurer Macht. Wie die neuen Menschen ins Leben traten, jubelten sie über die Aufgabe, die vor ihnen lag. Es war ihnen gleich, daß ihnen der Weg vorgezeichnet war; sie und dieser Weg konnten sich nicht trennen. Diese Maschinen, Apparate, für die die glanzvollsten reichsten Lehrstätten gegründet wurden, die die anderen Wissenschaften verdrängt und banal gemacht hatten, unernst und ärmlich, wurden Saugapparate, die von Jahrhundert zu Jahrhundert, zuletzt von Jahrzehnt zu Jahrzehnt intensivere Kraft entfalteten. Wie die Apparate und Einrichtungen da standen, sprühend an Vermögen, wurden die Menschen gedrängt, sie über die Länder zu führen. Die Erfindungen waren Zauberwesen, die ihnen aus den Händen glitten und sie hinter sich herzogen. Die Menschen fühlten, es war ihr Wille, der vor ihnen flog. Um Europa und Amerika lagen die Länder, denen man die Macht der Apparate zeigen mußte, wie ein Liebhaber seine süße Geliebte strahlend über die Straßen führt. Jeder bewundernde Blick fährt ihm wonnig ins Herz; er geht neben ihr, ihren Arm haltend, die ihn verschämt anblickt, blickt stolz nach allen Seiten. Sie drangen in die östlichen und südlichen Kontinente ein. Die Winde der Atmosphäre flossen um die Erdkugel, strömten von wärmerer nach kälterer Erde, stiegen auf, flossen oben ab. Sie wehten, die heiße Zone verlassend, nach Süden und Norden hin; die drehende Erde bog sie zur Seite. Gewaltig die Meeresströmungen, die das gleichmäßige Wasser durchdrangen. Von regelmäßigen breiten Furchungen waren die küstennahen Meere durchzogen, den Strandlinien parallel: Wellen in ungeheurer Bewegung setzten an, unablässig aus der Ferne nachdrängend; einförmig ihr Weg; sie schmetterten gegen den Strand. Den Apparaten der Menschen war nicht vorgeschrieben, wohin sie sich zu wenden hatten. Die fliegenden Menschen durchzuckten jede warme und kalte Luft, mochte sie über dem Boden östlich oder westlich schwimmen, oder in dem Kalmengürtel sich langsam über dem tropischen Boden erheben. Ölschiffe Unterwasserboote sausten fegten durch jedes Wasser; wie ein Messer in der Hand des Chirurgen, das das Gefäß umschneidet überschneidet. Die Menschen drangen in die weiträumigen Landschaften ein, Gebirge und Tiefebenen, heiße und kalte Gegenden tragend, die Asien heißen. Die schweifenden fellbekleideten Wogulen Ostjaken Jakuten Tungusen wichen von ihnen erschreckt und höhnisch ab. Die gelben Völker, Chinesen Japaner, wehrten sich nicht, aber nahmen ihnen die Apparate aus der Hand. Auf Afrika richteten die blassen eisengetriebenen Männer und Frauen ihre Augen. Der uralte noch immer traumverlorene Erdteil. Über die blaugrüne Fläche des Mittelmeeres fuhren von Norden her wie Geschosse die Schiffe der weißen Völker. Die Randgebirge überflogen die leichten Menschen. Siebzig Breitengrade überdeckte der plumpe Erdkoloß. Am Mittelmeer lagen die Reste der kleinen arabischen Siedlungen, noch von Räubern Entarteten Ungezähmten bewohnt, die Zufluchtsstätte der nordischen Verbrecher, Kampfzentra gegen die erdumspannende Gesellschaft und ihre knebelnde Sicherheit, auch Schmarotzerherde, wie Polizisten und Richter die Blößen der Gesellschaft erspähend, um sie auszubeuten. Sie züngelten viperartig vor. Aus den Jammerlöchern um die Große Syrta, aus Trabulus Lebda Masrata, die verfallen waren wie altbabylonische und ägyptische Städte, stiegen die zahllosen Männer und Frauen, die während vieler Jahrzehnte den europäischen Stier stichelten und quälten. Über sie brausten die weißen Männer und Frauen in kleinen fliegenden Apparaten weg, über die Randgebirge in die heiße große Wüste. Die Wüste, das mächtige Wesen, zog sich fünfzehn Breitengrade hin, hinter den Bergketten von Marokko bis Tunis versteckt, von Mauretanien und den Zugstraßen der braunen Tuaregs bis zu alten Weideplätzen der berberischen Aulad Soliman. Sie streckte sich, von den Küstenterrassen herwachsend, mit Ebenen Gebirgsstöcken Dünen grau und weiß unter der Sonne aus, die fast gesichtsnah auf ihr lag. Kiesebenen und Steinwüsten ließ sie wechseln. Der Wind zehrte an den nackten glühenden Hügeln, zerrieb mit Sand die Felsen, die Hitze zersprengte zermürbte die Felsen. Wirbelstürme arbeiteten wetzend. Langsam zerfielen die uralten Gebirge der Erde. Aus der Masse des gelben und weißen Flugsandes stiegen schwarze Hügel Klippen hervor. Neben den Steinplateaus der Hammada al-Hamra lagen die niederbrechenden niedersinternden Trümmerfelder des zernagten Serirs. Der Kalk trat zutage, der den schwarzen zerriebenen Sandstein trug; in Dünen wurde alles zu Sand hingelegt. Tibesti das wilde Gebirge, das im Süden zwei Breitengrade überdeckte; dunkelfarbige Blöcke, massig aufeinander gestuft, kahl und nackt. Aus den senkrechten Wänden rieselte stäubte unter dem saugenden Gluthauch der bläuliche grüne weiße Kalkstein. Riesenwürfel bröckelten glitten langsam von den skelettierten Bergen ab, die Hügel flachten sich ab, schoben sich zu Steinflächen aus mit schwankenden Pfeilern und Säulen. Sechshundert öde Kilometer von Ost nach West das Steinland, die Hammada al-Hamra; der Boden gab sich nur dem Wind und der Sonne her; dünner Sand trieb über ihn hin. Zweihundert tote Kilometer wogte das Land südwärts. Wasserlose Ebenen nach Südosten hin. Dies war Fessan. In den kahlen Kalkebenen zwischen den schwarzen Bergen des Tibesti wohnten die Tedas. Lebten mit dem rasenden Wind, der in Wirbeln über die Platten ihres Landes strich, unter den graugelben Sandhosen, die über den Ebenen hinschwebten. Nadlige Tamariskenbüsche stiegen aus dem gedörrten Boden auf, Sajalakazien, breitkronige Bäume. Selten quoll trübes Wasser zur Oberfläche auf, zu den Disteln Dornbüschen Halfagras. In den zerstreuten spärlichen Pflanzungen stand die Dattelpalme; tief ließ das schlanke anmutige Pflanzengeschöpf seine saugenden Wurzeln in die feuchte Bodenschicht hängen, wiegte auf dem hohen Stamm seine buschige Krone. Die Tedas der Wüste hatten zierliche magere Leiber, dunkelgelblich ihre Haut, die platte Nase hing herab, wulstig die Lippen, der falsche lauernde Blick, nicht haftend wie der der Zwergvölker der Büsche. In ihren dunklen Hemden, den dunklen Schal vor Mund und Nase, Ledersäckchen mit Zauber an Turban Hals Arm zogen sie mit Kamelen von Brunnen zu Brunnen. Kamelmilch und Datteln ihre Nahrung, die ihre Zähne zu braunen Stummeln auflöste. Die Haut unter ihren Sohlen so hornig, daß sie über Kiesel und heißes Schiefergestein laufen konnten. Gebleichte Kamelknochen, die sie fanden, pulverten sie, rührten das Pulver mit Blut, das sie einer Ader der Tiere entnahmen zu Teig; daran sättigten sie ihren Leib. Die Lederringe an ihren Messern zerklöppelten sie mit Steinen, kochten zerschnitten sie, sättigten sich. Nachts schwieg der Sandwind. Wenn an dem tiefdunklen klaren Himmel glänzende Lichter hervortraten, die große Mondkugel im silbernen Äther hoch schwebte, erhoben sie sich stumm aus dem Felsschatten, ein Fatifa murmelnd, wanderten stumm unverschleiert weiter. Tuaregs wuchsen wie sie auf den Flächen der westlichen Wüste; magere mißtrauische Menschen mit zweizinkigen kurzen Wurfeisen und Speeren. Über den Wellen und Bergketten der Wüste erschienen die weißen getriebenen Flieger. Von den Lagerplätzen der Nomaden trugen sie ängstliche junge mit Gewalt mit sich fort, setzten sie nach Stunden wieder bei ihrer hinstürzenden Horde aus. Die Tedaleute ließen sie bei sich übernachten. Wie der Mond aber sein weißes Licht über die Landschaft goß, lagen die bronzehäutigen Männer vor den Zelten der Fremden, im Schatten, lüfteten lautlos die Wand, warfen Speere. Kaum eine Handbreit flogen die ins Dunkle. Zum Entsetzen der sich hinwerfenden Tedas prallten die eisernen Spitzen wie von einer Wand ab; der lange vibrierende Stab rollte rückwärts. Wenn sich drin bei den schlafenden Männern nichts rührte, schlichen überall geduckt verhüllte Nomaden an die Lagerstätten der Fremden, Revolver in den Händen, die sie von ihnen geschenkt erhalten hatten zu dem roten Tarbusch, dem blauschwarzen Sudanhemd und Beinkleid, dem blauschwarzen Schal für Mund und Nase. Je dichter sie an die Fremden herankamen, um so gewichtiger wurden die Waffen in ihren Fingern. Sie mußten mit Gewalt die Revolver vorwärtsdrängen, die sich vor der Annäherung an ihren früheren Besitzer zu fürchten schienen. Wie aber der gespannte Hahn einschnappte und das Pulver krachte, warf das Explosionsgas das Geschoß nur wenig im Rohr vorwärts, dann drückte die Kugel rückwärts, das Rohr zersprang knatternd, zerriß den Angreifern die Hände. Die Fremden standen ruhig auf. Die kleinen Lederkästchen, die die eisenabstoßende Ladung enthielten, schnallten sie fester über ihren Brüsten, verbanden die Verwundeten, sprachen den Angreifern, die sich im Sand vor ihnen vergruben, zu, und denen, die im schwarzen Tamariskenschatten im Hinterhalt bewegungslos lagen. Über Horden, die mit ihren Kamelen von versiegenden Brunnen zu versiegenden Brunnen sich schlugen, senkten sich fliegende Fremde, legten gefüllte Schläuche unter sie. Da kam Unruhe Ungeduld unter die Stämme von der Großen Syrta bis zum Tsadsee. Mehr und mehr von den Männern und den zierlichen Frauen blickten verlangend auf die weißen fliegenden Menschen, verschwanden mit ihnen. Die Alten saßen an ihren Lagerplätzen, in den Dattelpflanzungen, fühlten Grimm Haß Trauer Ohnmacht. Stämme im südlichen Tibestigebirge ließen ihre Pflanzungen im Stich, flohen in die Wüste bei der Annäherung der Weißen, zerrissen die Schläuche, die ihnen die fremden Zauberer zuwarfen, schlugen sich, vom Haß getragen, vorwärts. Das Abbröckeln unter der Verlockung der Europäer war nicht zu verhindern. Fessan, die Hammada von Murzug, das westliche Steinplateau der Wüste leerte sich von den dürren braunen Menschen, die sie gezeugt hatte. Sie schwammen durch die Luft, dienten den weißen Meistern, die Diener einer geheimnisvollen abenteuerlichen Weisheit, eines Zauberwesens waren, das sich in der kalten feuchten Region angesiedelt hatte. Die ernsten Wüstensöhne wurden in die warmen Küstenlandschaften des Mittelmeers, nach Sizilien, Unteritalien, dem Balkan, Spanien geworfen. Viele flohen nach Freiheit verlangend zurück, verkamen, unfähig die alten Sitten zu lieben, die neuen anzunehmen, von den einschmelzenden Resten ihrer Stämme geächtet. Die Große Wüste dehnte sich unbewegt, stumm von den Küstenterrassen, mit Steinflächen Kiesebenen Dünen und Hochplateaus, mit Natronseen grünen Oasen über das heiße Festland bis zum Tsadsee, aus dem die Elefanten soffen, an dem die Antilopen sprangen, Pelikane flogen. Die Massen des Sudan wurden ergriffen, Wangela Aschanti Sokoto Fallata, die vom Kongo Mantema Urua und südlich am Tanganika. Diesmal gab man ihnen nicht bunte Stoffe Glasperlen, nahm ihnen Elfenbein Kautschuk. Die Völker schmolzen nicht zusammen, als die Nordmänner und -frauen bei ihnen erschienen. Es hatte die längste Zeit Buschvölker Akkahs Pygmäen gegeben. Die kaffeebraunen Waldkobolde mit den tiefeingesenkten verkniffenen Augen, den großen Rundköpfen, den affenartigen Fratzen, die gehaßten scheuen Zwerge waren in Kürze von ihren Nachbarn, den Monbuttu, ausgerottet; und wo sie auf der Wanderschaft erschienen, saß man hinter ihnen her, tötete sie. Die gekrümmten Säbelmesser die Lanzen Pfeilspitzen mit Blutrinnen, die Bogen aus Rohr fielen den dunklen Männern zuerst aus der Hand. Es hatte keinen Sinn mit den alten Waffen umzugehen, die Weißen boten stärkere, leicht handliche. Sie brachten nicht nur die Waffen, sondern setzten sich unter die dunklen Männer und Frauen, zeigten, wie man gefährliche Kräfte aus der Luft und Erde holt, wie man sie steigern und anreichern kann. Auf nichts waren die Schwarz- und Braunhäute so aus wie auf Gewinnung der neuen Geschosse Gase Abwehrschilde und Masken. Und wie sie die Geschosse hatten und ihren Nachbarn überlegen wurden, – die zuerst ergriffenen von der Guineaküste, die von Joruba und Benin über die westlichen Aschantis, die Mandingoleute über die von Futa Djallon und die Gebirgsvölker am oberen Niger, die Makua von Mozambique über das Gasaland Matebelereich Lobise Uamba Batonga – gaben sie, sich kriegerisch ansiedelnd, die Holzscheunen die Rundhütten aus Lehm Akazienästen Strohdächern auf. Die eisernen gläsernen rasch zerlegbaren Wohnungen der nördlichen Striche zogen unwiderstehlich ein. Und die Menschen drängte es, zu wissen, wie man sie baute, um neue zu bauen, die entfernten Stämme zu unterwerfen. An der Westküste, am mittleren Niger, Tanganikasee, Senegal, wo feste Negerstaaten entstanden, gingen die ersten Bergwerke in den unerschlossenen Boden, getrieben von den kriegerischen Einheimischen. Stämme über Stämme wurden ausgerottet. Immer kämpfte die lähmende reiche Schönheit, üppige Fruchtbarkeit der Länder mit dem Ehrgeiz der Menschen, hinter denen die Wunderapparate der Nordleute standen. Da entstanden die ungeheuerlichen Reiche der Eingeborenen, wie die Gewächse des Landes sich rapid ausbreitend, andere umschlingend und in sich zusammenstürzend. Und wie die Reiche stürzten sich befestigten, flogen und fuhren neue stolze Scharen Weißer, die Erfinder Entdecker, Herren der Gewalten, ein, gaben ihr Werk hin, schmolzen selbst unter den Farben und der Wärme des Landes. Die Braunen Schwarzen Graubraunen aber wurden verlockt, an die Quellen dieser Kräfte zu gehen; sie drängten nach Norden. Und es war ein sonderbares Geschick, das damals die eisernen weißen Volksstämme traf: ihre Fruchtbarkeit ließ nach. Während ihr Hirn zu immer glänzenderen Taten vordrang, verdorrte die Wurzel. Gleichmäßig sanken im Laufe der Jahrzehnte bei den europäischen Völkern die Kinderzahlen. Es war nicht erkenntlich, ob es die Berührung mit den neugefundenen strahlen- und gasförmigen Substanzen war, die dies verursachte, oder die Ernährung mit den sehr erregenden reizenden künstlichen Mitteln, die neuen Rausch- und Betäubungsstoffe. Um so fruchtbarer waren die lüstern an die strahlenden Zentren drängenden Farbigen, die schweißdunstenden Männer und Frauen mit den blitzenden und melancholischen Augen, die wie Dienende und Unterworfene erschienen und in einigen Generationen alles überfluteten. * * * * * Wie Dämonenscharen durchzogen Einpeitscher die Kontinente Afrikas Amerikas Europas. Das waren Männer und Frauen, die die Menschen reizten mit Dingen, die sie ihnen boten, – reizten, versuchten, gegeneinander stachelten. Die Menschen waren ein wachsendes Bündel, ein Sandhaufen von Bedürfnissen, auf die die Einpeitscher neuen Sand bliesen. Durchzittert von Spannungen wurden die Menschen wie erhitzte Luft über Feuer. Von allen großen Stadtlandschaften nach allen Orten kamen Männer und Frauen, beobachteten, trugen Dinge Freuden Schmeicheleien Wohliges Mildes heran. Man sah die Wesen in den Städten und auf dem freieren Lande sich verändern. Die Einpeitscher hatten das Spiel in der Hand, hatten die Bewegung nur einzuleiten; dann drängten die Gehetzten schon, schrien nach ihren Hieben. Die früheren Generationen hatten sich damit begnügt, genährt gekleidet gewärmt mäßig unterhalten zu werden. Es war den Menschen an den Apparaten klar, daß dies nicht genügte. Die westlichen Menschen begehrten viel; es mußte ihnen noch mehr gegeben werden. Nachrichten wurden verbreitet. Man hatte in den Stadtschaften kunstvolle zauberhafte Apparate, die nach allen anderen Orten meldeten, womit sich die Menschen hier befaßten, was sie zueinander sagten, wie sie ihre Einrichtungen veränderten, was sich bei ihnen hervortat. Fernbilder trugen die Gestalten der Menschen, der Gegenstände weiter. Ein Reiz, der aufstand, war eine Feuersbrunst, die eben noch Funken einer Flamme, jetzt das ganze Viertel, die Stadt einhüllte. In fernen Ländern, auf Gebirgen, an wilden wassertosenden Strömen, auf tropischen hitzeübergossenen tierwimmelnden Steppen saßen Menschen, Stämme, die in sich ruhten. Zu ihnen fuhr der Reiz das Wort die Gestalt. Die Bilder standen vor ihnen, traten immer wieder vor sie, rissen an ihnen. Daß sie sich vom Wasser lösten, aus der einwiegenden Hitze drängten. Wie eine Schaufel unter einen Steinhaufen, der am Boden liegt und bemoost ist, drang die Erregung knirschend unter die Menschen, hob sie an, zerstreute sie. * * * * * Die alten politischen Staaten bestanden noch dem Namen nach. Wie die Hautfarben, die Gesichter arabisch ägyptisch negerhaft sich veränderten, die Sprachen zu einem Kauderwelsch wurden, in dem sich nördliche und südliche Zonen berührten, so verloren die Staaten ihren alten strengen Charakter. Eine fast gleichförmige Menschenmasse bevölkerte das Gebiet von Christiania bis Madrid und Konstantinopel. Wie im Sprachlichen so überwog hier die, dort die Art. Langsam war in zwei neuen Jahrhunderten der westliche Völkerkreis unter das Imperium London-Neuyork gekommen. Das angelsächsische Imperium war es, in dem sich die Ströme dunkler grauer schwarzer brauner weißer Menschen miteinander langsam mischten. Dann zermorschten die politischen Gewalten. Als die Apparate und Erfindungen sich häuften, wuchs der allgemeine Reichtum. Eine Erleichterung, Abkürzung fast aller Tätigkeiten trat ein. Zugleich zeigte sich die Gefahr dieser Menschheitsperiode, deren Ungeheuerlichkeit sich erst nach weiteren Jahrhunderten entfalten sollte. Man bedurfte nicht vieler Menschen für die Apparate. Der Krieg früherer Zeiten ernährte sich selbst; jetzt konnte man die Menschen nur in Bewegung erhalten durch immer neue Erfindungen, die den Niederbruch alter Industrien, den Aufbau neuer mit sich führten. In einer Erschlaffungsperiode, als man von den Entdeckungen der vergangenen Jahrzehnte lebte und sie sich ungehindert auswirken ließ, setzte die erste große, nicht lärmende Katastrophe ein. Die Besitzer der Werke Erfindungen, denen die Reichtümer zuströmten, streckten zuerst, um die Menschen festzuhalten, die Arbeiten, fügten Zwischenarbeiten ein, ja legten wichtige Maschinen still, um Arbeit zu schaffen. Sie entwickelten für Aufsicht, Berechnung eine ungeheure völlig luxushafte Bureaukratie. Aber all diese krampfhaften ängstlichen und hilflosen Maßnahmen genügten nicht. Die Betriebe wurden fast erdrückt, aber noch stärker war der Zustrom der Menschen, die sich in den Städten versammelten. Die Beherrscher der Apparate wußten nicht mehr, wie sie den Schein der Arbeit aufrechterhalten sollten. Sie wußten nicht, ob sie ihre technischen Gefährten und Wissenschaftler zu neuen Erfindungen anspornen sollten oder nicht vielmehr selbst ihre Betriebe demolieren. Mit Grauen sahen sie die Reichtümer auf sich zufließen; ein sonderbares Schuldgefühl drängte sie, die Güter von sich abzulenken. Sie kämpften entsetzt mit der Technik, die über sie hergewachsen war, und mit den Menschen, deren Zahl und Furchtbarkeit wuchs. Es gab eine Zeit, wo die Industrien erst selbständig, dann mit Hilfe des Staates ein riesiges alle umspannendes System der Geld- und Warenverteilung organisierten. Das waren die freiwillig von den Industrien abgeworfenen Güter. Die Industrien ernährten den Staat, aber versteckten sich. Es war, als wollten sie Entscheidungen aus dem Weg gehen und sich loskaufen. Dann wuchsen sie in ihre Rolle hinein. Als Gelder und Waren aus ihren Becken wegschwammen, fühlten sie, wer sie waren und was sie hatten. Eine kleine Anzahl Industrieherren warf, unfähig die Verantwortung zu tragen, die Werke dem Staat in die Hände. Die Mehrzahl aber griff in die schon automatisch laufende Verteilungsmaschinerie. Mit zwei drei Zügen kämmten sie ihre gewaltigen Anlagen fast menschenleer. Sie wollten eine Regelung der Zuwanderung, selbständige Bestimmung über die Verteilung der Güter. Da auch der Staat und die politische Regierung nur durch sie lebte, wollten sie Macht über die Regierung. Während Hungersnot Menschenflucht einsetzte, stapelten die Maschinenherren Geld und Waren auf. Die Regierungen traten hervor. Sie wollten sich der gefahrdrohenden fluktuierenden Massen annehmen. Diesen Augenblick hatten die Industrien erwartet. Sie lehnten das alte Almosensystem ab. In allen Staaten näherten sich die politischen Machthaber den Industrieherren. Wie einen abgemagerten Fuchs hatten sie die Regierung aus ihrem Bau aufgestöbert. Es gab, wie man sich offen, der Besitzende und der Ausgehaltene, gegenüberstand, kein Halten mehr. Im Belgischen, in Brüssel, wurde zuerst der Schlag geführt, der längst erwartet war. Im Parlament erklärte zynisch ein Vertreter der Werkherren, den man geladen hatte, er lehne es ab, zu verhandeln oder die sogenannt öffentlichen Institutionen anzuerkennen. Dies Parlament sei vom sogenannten Volk gewählt; er kenne nur Werkherren und ferner Arbeiter und Ausgehaltene. Man möge den Ministern untersagen, vom öffentlichen Wohl zu reden; das seien Dinge, von denen ein Minister nichts verstehe. Am Tage drauf wurden die Minister dieses Landes beiseite geschleppt. Das Heer war längst in der Hand der großen technischen industriellen Gruppen. Es bestand, wie überall in Europa, aus jungen Menschen, die aus den Fabriken Werkstätten stammten, in denen sie die Herstellung und Bedienung ihrer Waffen erlernt hatten. Sie hatten nur Ehrfurcht vor den Männern und Frauen in den Werken, faßten nicht, was die sogenannten Politiker taten. Die Massen in den Städten rebellierten nicht; wurden rasch beruhigt. Sie waren alle selbst innigst nur an die Maschinen gebunden, verlangten Luxus Brot und freie Bahn für die Kräfte der Maschinen. Die politischen Ministerien wurden zur Durchforschung ihrer Arbeit von den technischen und Industriezentralen beschickt. Dann wurden die Baulichkeiten für andere Zwecke verwandt. Die Wohlfahrtseinrichtungen wurden der Arbeitsüberwachungs- und Verteilungsstelle der großen Verbände angegliedert. Der Verkehr mit anderen Staaten war schon vorher im angelsächsischen Imperium vertrauliche Sache der großen Verbände. Ungeheuer wirkte der in Belgien fast lautlos sich abspielende Vorgang auf die Nachbarstaaten. Es verlief kein Jahrzehnt, da hatten freiwillig oder unfreiwillig, zum Teil dem Druck Englands folgend, die politischen Regierungen, die nur hemmende und dekorative Rudimente waren, den Industriekörpern Platz gemacht. Scheinparlamente, bedeutungslose ordnende Selbstverwaltungskörper liefen neben ihnen her. In den großen Reservoirs der Menschen, den Stadtreichen Stadtschaften, bildeten sich Senate, deren Hauptsitz die Menschen der Apparate einnahmen. * * * * * Die Stadtschaften lagen frei da. Aber unsichtbar umgab sich jede mit einem System von Verteidigungsanlagen. Die Peripherie der unübersehbaren Gebiete von Bergen und Niederungen Flüssen Seen Sümpfen, überrieselt wie mit einer Zuckerglasur von flachen Häusern, kilometerlangen Werken, dichten und lockeren Menschensiedelungen, war überall unscheinbar umzogen mit Reihen von Masten aus Holz. Sie standen ohne Verbindung miteinander im Gelände, glichen abgeästeten sehr hohen Pappeln. Sie schienen Wegweiser zu sein, trugen Tafeln von Straßen, maskierten sich als Telegraphenstangen. Im Innern waren die Masten hohl und als Eingeweide trugen sie Bündel meterlanger zusammengebogener elastischer Metalldrähte. Die Masten waren auf Granitplatten montiert, welche das Endstück eines Kabels enthielten. Die Metalldrähte waren verschieden geformt. Das Drahtbündel konnte durch eine Schalterbewegung in der Stadt aus dem Mast heraus in die Höhe geschnellt werden. Wie ein lebendiges Band konnte es sich steif in die Höhe strecken, und im Moment, wie es aufrecht stand, warf es einen tötenden Wirbel von Strahlen um sich. Die Stadtlandschaften hatten, was wenige wußten, Verteidigungswerke und Abwehrgürtel schon in der Zeit vor dem Uralischen Krieg. Die Beherrscher der stärksten Industrieanlagen und Riesenwerke hatten sie in geheimer Gemeinschaft mit den Senaten angelegt, als die einzelstaatliche Gewalt in dem europäisch-amerikanischen Völkerverband erlosch und in Südamerika, in dem ehemaligen Griechenland, in Kapland Südfrankreich, zuletzt in Dänemark militärische anarchische Gebilde hochschossen. Die Rebellionsschläge ängstigten die Kontinente. Mit Bangen erfuhr man von der geradezu höhnenden Leichtigkeit, mit der der Franzose Bourdieu, ein einfacher Techniker, sich des Mittelmeerzentrums Marseille bemächtigte. Im Nu waren Tausende, aus dem Dunkel der Städte auftauchend, wie magisch gerufen um ihn versammelt gewesen. Er hatte nichts getan als eine Anzahl krafterzeugender Fabriken und Sammelstationen mit einer Handvoll trotzigen Gesindels besetzt. Aus den Stoffen, die die Zeit lieferte, verstand er im Augenblick furchtbare Abwehr- und Angriffswaffen zu schaffen, die herzustellen man bisher keine Veranlassung gehabt hatte. Er gab das erste Beispiel einer systematischen Störung der den Erdball umlaufenden Verständigungsapparate. Schlag um Schlag hatte er nun, im geheimen arbeitend, die Siedlungen und Wirtschaftsanlagen der Provence, ganz Südfrankreichs bis vor Bordeaux besetzt. Vor Bordeaux kam der flinke Mann durch seine eigenen Waffen um, indem er einen der Blitze, die seine Maschinen erzeugen konnten und die Brand auf Kilometer in das getroffene Objekt warfen, statt im Winkel nach oben tief auf den Boden richtete. Der Blitz, ohne durch den schon abgesandten zweiten wolkenhochlaufenden Strom nach unten reflektiert zu werden, funkelte breit vorwärts, veraschte den blassen Bourdieu und eine Anzahl seiner Leute, die vor seinem Lager schlenderten und in deren Rücken das heiße Ungetüm kam. Es verlohte auseinander rauschend an einer Zypressenwaldung. Dies war bei Begles in der Garonne. Der Kerntrupp Bourdieus ließ kostbare Zeit verstreichen; das rückwärtige eroberte Land, aus dem Wirtschaftsverband mit der übrigen Welt gerissen, lag wartend kritisierend lachend. Bis von Marseille selber ein unbeobachteter Trupp junger Einwohner, die von Kampfstimmung angesteckt waren, dazu eine Schar gemieteter überfalldurstiger Marokkaner von der Küste aufbrach, die Fernsprüche und Weisungen der Truppe Bourdieus täuschend aufnahm, die fünfhundert Menschen, aus denen Bourdieus Korps bestand, zu einer bestimmten Morgenstunde auf ein Feld südlich Begles lockte und während jene da warteten, ihre Flammen-Wurf- und Verteidigungsmaschinen vernichteten, sie selbst mit dem Rest der Apparate massakrierte. Der siegreiche Trupp, der den Handstreich verübt hatte, kam aber nicht vollzählig in Marseille an. Man hatte dort beim Anrücken der Schar vor ihr nicht weniger Furcht wie vor dem beseitigten Bourdieu. Unterwegs kam die Weisung an den Führer der Mannschaft, sich der Marokkaner, soweit sie in den Besitz gewisser Geheimnisse oder gar Apparate gekommen seien, rasch und lautlos zu entledigen. Er ließ sie nach einigen Tagen vor sich her die schöne starkfließende Loire in sechs bewimpelten, freudig musikschmetternden Schiffen in großem Abstand fahren. Während der Fahrt setzte er wie Blutegel die kleinen Versenkerkasten unter der Wasserlinie an die Schiffe an. So daß einem unwiderstehlichen Antrieb folgend Schiff auf Schiff sich ins Wasser drängte, gezogen von den lautlos neben sie geführten, rasend neben sie niedergehenden, dicht an sie geschmiegten Unterwasserbooten, die sich mit Ketten Saugern Tastern an sie hängten. Die leeren biegsamen gläsernen Gehäuse, abwärts gestoßen durch den wütenden mit Hammergewalt einsetzenden Druck komprimierter Gase, der von rückwärts auf ihre Deckplatten niederfuhr, zwängten im Nu die Marokkanerschiffe unter den Wasserspiegel, ihre Kraft von Sekunde zu Sekunde steigernd, angeklammert und die Umklammerung nicht loslassend, bis Schiff und Boot, die aufgerissene weiß zusammenklatschende Wasseroberfläche verlassend sturzartig auf den Grund des dunklen Stromes stießen, verkrampft den Sand aufrührten, sich ruckweise warfen zuckten strudelten. Die restliche Führerschaft sah ihr eigenes Schicksal voraus. Sie riet den übrigen Truppen sich zu zerstreuen. Sie selbst erschienen unaufgefordert einzeln auf den Hügeln vor Marseille, vernichteten im Freien von Apparaten, was sie besaßen, vor den Augen des zugezogenen Senats. Entgingen dadurch dem Tode, nicht aber dem Schicksal, in der Stadt sogleich aus ihrem Arbeitsbereich gedrängt zu werden. Der Senat war wachsam geworden. Für einige Zeit war seit dieser Epoche jedes Zentrum der afrikanisch-europäisch-amerikanischen Erde vor bestimmten Bedrohungen sicher. Wenige feste, geheim gehaltene Hauptstellen für die Verteilung der Energie hatte man überall eingerichtet. Man war immer im unklaren darüber, ob man zu viel oder zu wenig Menschen mit dem Vorhandensein der stärksten Kraftanhäufung vertraut machte. Man hatte keine Furcht mehr wie in früheren Zeiten vor Fernbeschießungen Bomben- und Kanonenkugeln. Die eisernen Geschosse konnten mit voller Wucht in die energiegeladene Luft stürzen. Sie war verdichtet wie die Luft des Erdballs für den Meteor, der aus dem dünnen Äther saust. Schon kilometerweit vor den Städten verlangsamte sich unter dem entgegentosenden elektrischen Orkan der Masten der Lauf des Geschosses, um zuletzt zerrieben, glühend pulverförmig abzufallen. Die Schwäche dieser größten Anlagen bestand darin, daß der Stromwirbel sich geradeaus pflanzte, mit einer Schicht die Städte von oben her abschloß, aber in der Tiefe bis zur Häuserhöhe kein weitreichender Dauerschutz möglich war. Denn diese ausgeworfene Energie wirkte zerstörend und verbrennend auf alles was in seinen Bereich fiel. Eine Sekunde nach Anschalten der Masten in Höhe der Häuser wäre alles, Stein Holz Fleisch Metall in einen glühenden Brei verwandelt verkohlt verkrümelt, als hätte sich Ätzlauge über die Stadt geworfen. Von einer leisen, spielerisch abgelehnten, innerlich nie verhehlten Furcht wurden seit den Rebellionen alle Länder und Kantone durchzittert, es könnten im geheimen Menschen die Wissenschaft auf gefährliche Dinge durchstudieren und zähere ernstere härtere Männer als Bourdieu möchten darauf zu Entschlüssen kommen. Langsam bildete sich in den Städten eine Herrenklasse heraus. Sie kannten alles; saßen über Zeichenbrettern konstruierten standen vor Modellen arbeiteten mit Gasen erdigen Stoffen in den Laboratorien. Aus ihnen stammten die Errichter der Anlagen und Werke, Besitzer der Werke. Sie begannen, mit der Verbreitung bestimmter Kenntnisse anzuhalten. Fremde, ihnen nicht Sichere mühten sich vergeblich in den Spezialschulen Zugang zu gewinnen. Lächelnd wurden sie mit alten Kenntnissen abgespeist, mit Teilarbeit beschäftigt. Der Besitz der angeschwollenen gefahrvollen Kenntnisse konnte nicht allen gestattet werden. Mathematik Ingenieurwissenschaft Chemie Elektrotechnik Biologie Radiotechnik waren nur Ausgewählten gestattet, deren Zahl man von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verringerte. Diese standen unter strenger Aufsicht. Die politischen Behörden übten die Aufsicht selbst aus. Mit einem Geheimnis umgab man die theoretischen Wissenschaften. Man zerstückelte die Disziplinen, um keinem, der nicht bestellt war, eine Übersicht zu gestatten. * * * * * Es hatte eine Zeitlang den Anschein, als ob man zur Einführung der Sklaverei schreiten würde. Das schwallartige Heranwogen unermeßlicher Scharen Farbiger und Mischlinge aus den Ländern Afrikas, die sich mit der Aufnahme der freigestellten Kenntnisse und Genüsse begnügten, begünstigte die Neigung dazu. Bald kam es in spanischen und italienischen Stadtlandschaften, die den wildesten Andrang der Massen zu bewältigen hatten, die auch ein außerordentlich leidenschaftliches unduldsames Herrengeschlecht erzeugten, zu Vorfällen, die zu einer raschen Änderung in der Behandlung der Massen aufforderten. San Francisco wie London rieten schon längst den Herren von Barcelona Madrid Mailand Palermo zu größter Strenge und Aufmerksamkeit. Man könnte Fremde, sagten sie, denen der Mondgottesdienst noch im Blut steckte, die für einen Schluck kalten Biers ihre Habe und Arbeitskraft verkauften, nicht behandeln wie Menschen nördlicher Herkunft. Die westliche und nördliche Kultur war von ihnen aufzunehmen, nicht aber zu verschlucken. Ungestüm und aufdrängend, wie die Abkömmlinge der Berber und Haussa waren, waren sie geneigt im Grunde nichts zu achten. Der wulstnackige schmerbäuchige Mailänder Ravano della Carceri, dessen Großvater noch Elefanten mit schwarzen Sklaven gejagt hatte, hatte in seinem Glaswerk den ersten von ihm provozierten Ausbruch der Arbeitermassen nur erwartet. Er ließ, um ein warnendes Beispiel seinen lauen Freunden in der Stadt zu geben, die Zügel schleifen. Man zertrümmerte, als er zwei Mulatten niederschoß, seinen Direktionssitz im Stadtzentrum. Er tat, als ob er erschreckt floh und alles im Stich ließ. Er hatte noch Zeit, unter Hohn die Verflutung seiner Werke mit dem erhitzten Volk zu beobachten. Die Revolte blieb in den Anfängen stecken. Bei dem Getümmel der Leute Carceris wurden die angegliederten Werke Sanudos und Horzis unruhig; dann die angrenzenden in der Landschaft Pisa. Fremdenviertel wurden alarmiert, die Massen wogten durcheinander, sie sangen ihre Heimatlieder, Landsmannschaften gliederten sich, in alberner Erregtheit rief man Frauen und Kinder. Das strahlte ahnungslos festlich. Glücklich sahen sie zu den endlosen niedrigen zauberhaften Werkfronten auf, die sie einst bestaunt hatten, an denen sie furchtsam wie unter Dämonenblicken gekrochen waren; dort liefen jetzt auf dem Dach schwarze Plattgesichter, machten Männchen. Als noch Morosinis Lebensmittelwerk und zwei unterirdische Linien die afrikanischen Sprünge erduldet hatten, lief ein bunter Wirrwarr von Schreiern in langen Sätzen zum Senat der Stadt, um seine Demission zu erzwingen. Sie rannten, als käme es darauf an zu zeigen, wer der erste war. Ravano della Carceri war bei dieser Audienz anwesend. Die Hauptlärmer der Deputation, zwei Mulatten, schon im heimatlichen Hemd über dem europäischen Arbeitskittel, beachteten oder erkannten ihn nicht, den Herrn ihres Werks. Das versetzte ihn in große Wut und hinderte ihn, wie er sich vorgesetzt hatte, weiter im Hintergrund hinter dem hohen Lehnstuhl des Vorsitzenden zu bleiben. Er stellte sich stampfend vor die beiden, die er anfaßte, denen er das Hemd über der Brust lüftete; ob sie wüßten wer er sei. Und dann, was sie zu dieser Zeit hier zu suchen hätten. Auf ihre ungläubige schüchterne Lache und die kichernde Bemerkung, er solle sich nach seinem Werk umsehen, – was hinge zum Beispiel jetzt auf dem Dache? die Mulatten grinsten sich an und brüllten vor Spaß – griff er dem einen heiser an den Schlips auf dem Arbeitskittel, sie sollten sich ihrer Wege scheren. Da war er von dem starken Farbigen abgeschüttelt, lag am Boden. Im Nu auf den Beinen hing er sich dem Mann an den Hals, wurde mit einem Ruck an den Boden geschleudert, mit Fußstößen traktiert, von den anlaufenden Farbigen am Boden vor den Herren, die wegsahen, die Hände rangen, sich blaß auf die Lippen bissen, mit Riemen verwalkt. Die Riemen in der Hand, unflätig schimpfend, traten sie vor die Herren, denen niemand beistand; was sie nun dächten. Die erbaten sich nicht aufsehend Bedenkzeit, mußten auf das grobe Drohen der Farbigen das Zimmer räumen. Den halb besinnungslosen Carceri durften sie unter dem Gespött der Deputation, die sich auf den Senatssitzen, an den Sprechapparaten breit machte, aufheben. Ein fürchterlicher Stockhieb sauste noch über sie an der Türschwelle; der zerbrach dem grauen schweren Sanudo, der Carceri um die Hüfte führte, den Unterarm, so daß er den schwankenden Mann fallen ließ, den die Farbigen aus dem Zimmer rollten, um knallend die Tür hinter ihnen zuzuschlagen und ein prahlendes Fernsprechen in die Nachbarorte zu beginnen. Carceri kam in dem Erdgeschoßzimmer, in das sie sich auf einer Hintertreppe geflüchtet hatten, zur Besinnung. Er sah schrecklich aus; die Zähne waren ihm ausgeschlagen; er lallte, ein Zahn hatte seine Zunge durchbohrt; er lehnte luftschnappend mit fausthohen Stirnbeulen auf der Bank, spie Blut, schluckte einen Branntwein nach dem andern. Verfluchte sich innerlich, daß er sich für die anderen hergegeben hätte. Der alte Sanudo saß auf der Erde. Sie schnitten ihm den Ärmel auf; er weinte. Carceri stöhnte aus seinem verschwollenen Gesicht zu den anderen, die ihn hielten: „Tut ihr nur, was ihr wollt. Ich tue was ich werde.“ Und dann, als sie flüsternd zu diskutieren anfingen, er steif zurückgelehnt: „Tut was ihr wollt. Was ihr wollt.“ Sie berieten, während es in den Gängen hinter der verriegelten Tür von Liedern hallte, wohin man sich zurückziehen sollte, um das Weitere abzuwarten. Sowohl die jungen wie die älteren waren einig, daß die Revolte noch rascher als die früheren militärischen abklingen werde. Man zuckte mit den Achseln; sie dachten, wie sie sich bleich ansahen und an den Wänden zusammendrängten: einmal werde sie doch ihr Schicksal erreichen; es sei im Grunde viel, daß sie sich bis jetzt gehalten hätten. „Und was kommt nachher?“ wimmerte Sanudo. „Wann?“ Carceri riß hinten die Augen auf, sie quollen ihm zu. „Wenn wir nicht mehr sind. Sie sagen doch, es sei schon viel, wenn wir uns so lange halten. Also was ist dann? Was werden sie können? Wir werden ihnen alles übergeben, den Säufern. Und was werden sie daraus machen?“ Carceri versuchte zu lächeln: „Ich kanns mir ausdenken. Wir werden dann auch noch ein paar Jahre leben, wofern sie uns nicht vorher zum Zeitvertreib totgeschlagen haben. Sie kehren vielleicht in ihrer Begeisterung wieder zu den heimatlichen Sitten zurück und fressen uns auf. Ich gratuliere euch allen zu dem warmen Wohnsitz, der euch bevorsteht. Neben Knoblauch und Sellerie und Branntwein.“ Sie machten sich, als der Lärm draußen verklang, heimlich davon. Erreichten den Platz vor dem Ratsgebäude. Man erkannte sie nicht. Das Tosen auf den nahen Straßen war ein Gemisch von Freude kindlicher Gutmütigkeit Blutrünstigkeit. Der Aufruhr war noch nicht über ganz Mailand ausgedehnt, aber man schlug sich schon auf den Straßen um Rang und Beute. Man sah schon schlaue Europäer, die zu den Farbigen hielten, auf und daran, sich der Bewegung zu bemächtigen, in den überall gebildeten Konventikeln horchen, die klügsten der Redner beiseite ziehen, den und jenen mit sich vor die gebrüllerfüllten Ratszimmer führen. Ravano della Carceri erlebte eine feierliche, sicher ihn durchsteigende Wut, als auf den Straßen nördlich Mailands Peitschen knallten, und Farbige aufrecht auf den Pferderücken stehend ihre Tiere jagten, die Arme warfen, die Pferde schnaubten. Wagerecht warfen sie ihre Beine, die braunen Rümpfe dicht über dem Boden hängend. Diese Menschen würden nicht die italienischen Menschen und Werke beherrschen; es ging alles seinen guten Weg. Er kniff dem jungen Guistiniani, schwarzhaarig und gelbblasses nervös zitterndes Gesicht, in den Arm, wie sie seitwärts in eine Pinienschonung umbogen, wies ihm schweigend die vorüberstürmende Jagd. Guistiniani bebte, blickte weg: „Das muß ich mit ansehen. Ich schäme mich. Ich werde nicht lange leben, um dies anzusehen.“ „Du bist jung. Blick mein Gesicht an. Hast du das heute morgen noch für möglich gehalten. Weine nicht. Weine ich denn. Wie sie mich auf den Boden geworfen haben. Wer war es eigentlich, der mich mit dem Fuß getreten hat.“ „Ich weiß nicht.“ „Hätt es gerne gewußt. Ein tüchtiger Mann. Möchte ihn weniger einen Kopf als einen Fuß kürzer machen.“ Der junge schlug den linken Arm um Carceris Brust, klammerte sich mit seinem rechten an ihn an, stöhnte: „Dann weine ich für dich, weil es meine Art ist. Und ich sage dir, Carceri, du magst von mir denken, was du willst, weil ich weine; ich werde aber gewiß nicht stille halten. Ich stand mit den andern im Gedränge, als sie dich anpackten und das Gräßliche losging. Wir waren alle ja – hilflos. Nein, ich war nicht hilflos. Aber von den anderen ging dieses Gefühl, dieses niederträchtige auf mich über; ich hätte allein stehen können neben denen, ich hätte mich auch nicht für dich bewegen können. Aber: ich bin bestraft genug worden, daß ich zusah. Es ist einmal geschehen, wird nicht wieder geschehen.“ „An mir wird es nicht wieder geschehen, Guistiniani. Danach haben sie auch keinen Appetit mehr. Sie werden annehmen, ich habe fürs erste genug. Aber da sind ja noch andere, an denen sich allerhand versuchen läßt. Was meinst du zum Beispiel, Guistiniani, zu einem schlanken jungen Mann mit schwarzem Haar und unruhigem unzufriedenem Ausdruck, der den verdammten Ravano della Carceri nach Hause begleitet. Sie werden dir dein Gesichtchen, das dein Mütterchen immer gewaschen gepudert gesalbt gestrichen hat noch einmal salben und streichen. Ein feines Pulver haben sie, afrikanischer Wüstensand, Kieselsteine aus dem Atlasgebirge, das wirst du erleben. Soll ich dich küssen, Bübchen Guistiniani, auf dein zartes Gesicht. Ich glaube, morgen tue ich es nicht mehr.“ Sie gingen; Guistiniani, den Kopf gesenkt, den Blick auf das Gras, strenge Stirnfalten: „Du bist ein so unbändiger Mann, Carceri. Du mußt mir Farbe bekennen. Du mußt sagen, was du meinst. Ich bin aus dem ältesten Geschlecht unseres Landes, du mit mir. Ich gebe nicht nach. Den stinkigen Afrikanern. Dem Gesindel, dessen Kraft worin liegt? In den Lenden. In den Hoden der Männer, im Bauch der Weiber. Diese Plapperaffen Fettwanste Papageien. Ich schäme mich, von Menschen zu sprechen. Sie sind von den Bäumen gekrochen und spucken auf uns.“ „Und mein Gesicht? Und der Arm von Sanudo?“ „Ich will nicht, Carceri. Oh lieber Carceri, höre auf und sprich nicht so.“ Da zog Carceri den jungen Menschen beiseite, setzte sich mit ihm unter einen Baum, fragte ob jemand in der Nähe sei. Und dann, dicht an Guistiniani gelehnt, murmelte er, gestikulierte. Es sei gut, nicht zu laut zu reden. Der Junge solle sich vorsehen. Vor den anderen Männern und Frauen ihrer Kreise. Wenn die hörten, was er von Blut, altem Geschlecht und so weiter gesagt habe, so würde er etwas bemerken. „Wie viel altes Blut gibt es. Wer hat nicht ein Tröpfchen Afrika in der Ader. Nicht drüber reden. In ein zwei Generationen sind wir hops. Sind Nachspeise, Dessert, Schokolade, Käsebrötchen im Lande; das Hauptfutter sieht gelb und schwarz aus. Vom Tiber zum Po werden Kamele getrieben. Ich wollte auch, sie wären grün wie Gras und ich könnte sie zertrampeln; sieh mal, so. Aber deine Freunde, die Schufte geben schon nach. Ihr Blut taugt nichts. Es ist ihnen gleich, ob sie morgen noch da sind, wenn sie nur leben. Die Schufte, ja, die mit der Hilflosigkeit von vorhin. Ein Segen, daß sie dem Sanudo den Arm zerschmettert haben. Das merken sie besser als mein Gesicht, das ist für sie dickere Galle. Unsere Brüder, unsere Freunde! Mutloses Gesindel, Pack, das sein Los verdient. Weißt du, was ich täte, jetzt, wenn ich nicht das Gesicht schon hätte?“ Er schrie; der junge neben ihm im Gras hielt ihm ängstlich den Mund zu. „Ich ginge zu den Kannibalen. Stellte mich auf ihre Seite. Ja. Ich zeigte diesem Stinkvolk, was sie tun müßten. Tu dus doch! Ratzekahl alles! Das sollten sie tun! Schwamm drüber. Ein Volk, ein Pack.“ „Still“ schmiegte sich Guistiniani an, „nun ist gut. Nun hast du gesprochen. Nun ist alles gesprochen. Du darfst nichts mehr sagen. Nun will ich dir etwas von dem Gras erzählen. Sieh mal, ich bitte dich, sieh her, Carceri, das Moos an der Rinde. Und hier wieder Gras. Es ist ganz hellgrün, du kannst es wohl nicht sehen. Ich will es dir genau beschreiben. Es sind, fühle, ganz lange kurze mittelgroße Halme. Man kann sie zwischen den Fingern ziehen, ja nimm nur, nimm doch nur, ich will dir alles sagen. Zieh sie ganz lang zwischen den Fingern aus, bis zur Spitze, aber nicht daran schneiden, sie haben einen scharfen Rand. So, das ist lauter Grashalm. So sind alle Grashalme. Und weißt du, wo ich sie herhabe, die du eben da hältst? Alle? Ein paar von den Füßen, wo du eben draufgetreten hast, die Afrikaner, die du zuerst zertreten wolltest. Sie sind noch glatt, sie haben sich wieder aufgerichtet, einige sind geknickt, es sind ganz wenige. Und hier die – sind von deinem Kopf: da hast du doch, Carceri, wütend mit dem Kopf gegengedrückt; sie haben eins abbekommen, sind aber noch lebendig. Was glaubst du, sind das Afrikaner? Vielleicht. Aber vor allem: ich bin es auch und du bist es auch, Carceri. Ich geh nicht zu den Farbigen den Kannibalen. Denn warum sollte ich nicht auf das Grashälmchen hören, das unter dem Fuß ruhig weiter wächst. In den alten Liedern, die die Frommen haben, heißt es immer vom Gras, es hätte Ähnlichkeit mit dem Menschen, oder der Mensch mit dem Gras. Und wenn der Wind über sie weht, verschwindet ihre Spur. Ist schon richtig. Aber das Gras ist auch immer wieder da. Was ist mehr: das Weggehen oder das Wiederkommen? Ich halte mich an das Wiederkommen.“ Der unten hatte die Arme unter den seitlich gesunkenen Kopf verschränkt. „Und so denkst du, Guistiniani, mit den Bunthemdigen fertig zu werden. Sehen möchte ich dich einmal, wenn die Angst aus dem Gedränge kommt. Sehen werde ich dich einmal.“ Carceri kroch auf allen vieren hoch; der andere half, während der mächtige Mann knurrte: „Ihr seid alle nicht viel wert. Was meinst du“, er wankte vorwärts, sprach, die Hand vor dem Mund, „du glaubst, mir machen die Bunthemden angst. Weil sie die Werke haben. Ich habe schon noch abseits für alle Notfälle ein paar kleine Waffen, und Sanudo hat welche; schöne Geräte. Sieht aus wie nichts, und wenn du sie ansiehst, bist du schon nichts. Der beste Spiegel für gewisse Menschen: sie blicken hinein und finden nichts. Wir könnten damit so in der Nacht oder spät abends, wenn das Gedränge groß ist, auf den Senat spazieren. Magistrat sagen sie; sie halten das glaub ich, für eine nordische Suppe. Wir könnten ihnen eine Einlage in die Suppe machen. Nur den Sanudo und Morosini und unsere anderen lieben Freunde möchte ich von der Suppe nicht ausschließen. Du bist von der Partie? Sag ja. Bist doch von der Art der Grashalme; unvergänglich aber naiv.“ Sie saßen Meilen weg vom Zentrum Mailands in einem unterirdischen kühlen Haus. Eine Marmorsäule stand auf dem Treppenpodest des gewölbeartigen ganz mit Rankenblumen bewachsenen und behangenen Zimmers. Die Marmorsäule leuchtete mattweiß sonnenartig gelb. Bald leuchteten nur die Augen im Kopf, bald silbern und golden der Schulterschal und die Hände, die ihn hielten. Während alles im Dunkel lag, überlief eine rosa Röte die Brüste; ihre Kugeln versendeten das Licht auf das weiche Kinn, das von unten angestrahlt wurde, auf den schalverhüllten gewölbten Leib, die bloßen im Dämmer tretenden Füße. Der über sich gebeugte tücherbedeckte weißhaarige Sanudo schlug seinen stummen Gästen, die auf bettartigen Lagern ruhten, vor, sich der Waffen zu bedienen, die man hätte, und freies Feld um sich zu machen. „Wir müssen es“ stöhnte er, „ich tu es nicht leicht.“ Man fragte nach der Art der Waffen, lag wieder dumpf da. Sanudo, gezwungen lächelnd stand auf, während er hinwarf: „man muß ihnen noch danken, daß sie uns die Zeit dazu lassen“, wankte zur Tür, um durch einen Griff an den Ranken ein leises Weben am Gewölbe herauf zu erregen, fern verschwebendes Kindersingen. Sanudo: „Es sind, wie ich weiß, noch Herren hier, die ihre Meinung zurückhalten und denen man vielleicht etwas Zeit lassen muß, sich zu äußern. Es wäre schade, wenn man sie schweigen ließe. Ich wüßte gern zum Beispiel, was Carceri verschweigt.“ Carceri grob lachend: „Was denkst du, mein Süßer?“ „Daß du lauerst und abwartest, was wir machen werden. Ich bin so gut mit im Spiel wie du. Du machst dir nichts aus mir und den andern, aber allein wirst du auch nicht stehen können.“ Carceri knurrte, mit beiden Armen sich von seinem Lager hochstemmend: „Ich mach mir nichts aus den andern. Machen sie sich etwas aus mir? Hab ich nicht vor Jahren gewarnt, als Schiff nach Schiff von Algier von Senegal von Tripolis kam und jedes warf wie eine Kloake diese Menschen über uns aus. Hab ich Euch nicht in diesem selben Raum gewarnt. Da kam dasselbe: im äußersten Fall haben wir Waffen! Davon weiß niemand! Die geheimen Geräte! Oh Eure geheimen geheimnisvollen Geräte. Ich weiß schon nicht, ob es unter den Bunthemden nicht Leute gibt, die noch andere haben; Gott schenkt sie ihnen im Schlaf, Ihr werdet Eure Entdeckungen machen.“ Sanudo schüttelte den Kopf; Michieli und Faskarini, zwei stolze schnauzbärtige Gesichter, richteten sich von den Lagern auf neben Carceri, warfen sich Blicke zu. „Wir sollten“ Sanudo streichelte resigniert seinen kranken Arm, „keine Schiffe mehr zulassen, vielleicht die Schiffe versenken? Du hattest sonderbare Pläne, von denen du nicht deutlich sprachst. Wir leben schließlich nicht im alten Mittelafrika. Wir haben es mit Menschen zu tun.“ Carceri sprang auf, die Arme hoch: „Da ist es! Wir haben es mit Menschen zu tun. Seid mir recht zahm. Caressiert sie, damit sie Euch Zucker aus der Hand fressen. Seht, nicht mal das tun sie. Wir füttern sie genug. Sie wollen mehr. Sie wollen uns gar nicht. Sie wollen einfach nichts, als uns weghaben. Nun tut ihnen doch den Gefallen. Sie sind Menschen. Man wird ihnen doch ihren Willen nicht nehmen. Und wir sind doch Klügere. Der Klügere gibt nach.“ „So gehts nicht weiter.“ Michieli, der kleine Schwarzbärtige, sprang auf: „Wohin soll das. Sprich was du meinst. Warum sollen wir nicht die Mittel anwenden, die wir haben.“ „Das sag ich ja auch“ der dicke prustende Mann mit dem verschwollenen Gesicht. „Das sagst du nicht. Du sagst, die Waffen seien lächerlich, sinnlos. Du willst nicht auf den Busch klopfen.“ „Das werde ich auch nicht. Den Gefallen tue ich ihnen nicht.“ „Also“ Michieli brüllte vor ihm, die Hände fuchtelnd vor der Stirn, „was ist denn das für ein Hin und Her. Die Waffen, die du hast, wendest du nicht an. Die Mittel, die du hast, willst du anwenden. Was ist das für ein Unsinn, Carceri. Wir sind hier keine Kinder.“ Nach einem Schweigen, während er den springenden Schwarzbärtigen fixierte, hob der listige Carceri die breiten Schultern, seufzte offen apathisch, ließ sich seinen langen Mantel raffend auf sein Lager fallen, flüsterte mit Guistiniani. Die Säule strahlte sehr weiß, gab Tageslicht. Sanudo blickte zu Carceri hinüber: „Ich sehe, Carceri ist seiner alten Ansicht, dies und das hätte geschehen müssen. Einen Vorschlag, was jetzt geschehen soll, macht er nicht. Ich bin ein alter Mann, Carceri. Ich bin nicht aus europäischem Geschlecht wie du. Es ist noch nicht gar so weit her, einige Handvoll Jahrzehnte, da waren meine Väter Läufer Kameltreiber Dattelpflanzer Brunnensucher wie die draußen, die uns in der Hand haben. Mir würde es leichter sein, müßte es doch leichter sein, vor ihnen zu kapitulieren. Es wäre nicht einmal eine Kapitulation. Ich könnte mir den Weg zu ihnen leicht machen. Aber so geht es doch nicht. Etwas hab ich inzwischen gelernt. Es ist mir einiges ins Blut übergegangen. Ich bin entschlossen, ihnen nicht zu überlassen, was wir und die vor uns geschaffen haben. Und wenn ich sie zwischen den Fingern zerreiben müßte.“ Carceri widerwillig und scheinbar schlafsüchtig: er wolle nicht weiter diskutieren. Er hätte gesagt, was er sagen könnte. Guistiniani schwieg auf die Blicke, die ihm Carceri zuwarf. Carceri wollte ersichtlich mit den andern nicht mitmachen. Sanudo wurde aufgefordert, alle Zuverlässigen rasch mit den Waffen vertraut zu machen. Man wollte noch in der Nacht, die Verwirrung bei dem siegreichen Gesindel bringen werde, vorgehen. Sanudo beschwor den liegenden Ravano della Carceri sich an dem Werk zu beteiligen. Der lehnte stumm wie Guistiniani ab. Sie benutzten, etwa zweihundert der Herrenschicht, in der Nacht die Freudenfeiern der Farbigen, die sich im Besitz von ganz Mailand befanden, zu einem Angriff. Erlebten, wie sie sich um den ausersehenen Zentralbezirk der Stadt gruppierten auf abseits liegenden Plätzen, hinter Büschen von Parkanlagen, einen vollkommenen Mißerfolg. Die Apparate, verschiedener Konstruktion und mit verschiedenen Angriffspunkten, Fernwirker und Durchdringer auf geradem oder durch Zwischenlenker zackigem Weg, versagten. Der Gleichgewichtszustand der unteren Luftschicht war gestört durch Farbige, die halb verspielt, halb furchtsam hinter allen Energieumformern und Umschaltern standen, sinnlos alle Apparate spielen ließen. Heimliche Versuche des nächsten Tages ergaben dasselbe Resultat; es kam hinzu, daß die transportabeln Waffen, sehr empfindlich, durch die intensive Sonnenstrahlung des Tages gehindert wurden. Sie sollten lautlos strichweise Häuserreihen lähmen und arbeiteten leer. Damals gehörten in den südlichen Landschaften Europas die Frauen zu den aktivsten Elementen. Sie waren durch den furchtbaren Wirtschaftskampf der vorangegangenen Epochen, der ein Überangebot von Menschenmaterial vorfand, stark gezüchtet. Überall waren die Ehen und Untertänigkeitsverbände zwischen Mann und Weib zerstört worden durch den Zwang, der auf die Männer ausgeübt wurde, Frauen und Töchter in den Wirtschaftskampf herzugeben. Grausam scharfe Jahrzehnte waren gewesen, in denen man in allen Ländern der ineinandergeflochtenen Völker Messer auf Messer sich gegenüberstand, während gleichzeitig die Erfindungen und die Bewältigung der Naturkräfte beispiellos vorwärtstrieben. Als die Spannung nachließ, die großen Entdeckungen kamen, die Güter auf breite Massen überflossen, waren Männer und Frauen verändert. Die weißen Männer fanden zu den hemmungslos zuströmenden und herbeigerufenen Farbigen Afrikas einen Stamm weißer Wesen neben sich, der sie waren und nicht waren. Von denen sie nicht wußten, ob sie mit ihnen zu kämpfen oder sich zu verbinden hatten. Es geschah nichts von beiden. Die Frauen taten was sie mochten, und mit geringerem Sentiment als die Männer. Sie hatten zur Wut der weißen Männer keinen Sinn für die weißen, sondern mischten sich unter die Fremden. Die Männer verpönten die in den Tropen gewöhnliche Verbindung mit farbigen, aber die Frauen entwichen ihnen, taten im Lande, was die Männer in den Tropen getan hatten. Taten es kaum anderthalb Jahrhundert. Dann war die Gefahr der neu aufgekommenen Typen klar. Irgendwie mußte man sich, um nicht zu ertrinken, abschließen. Damals mischten sich nur gewöhnliche Frauen mit den zuströmenden Fremden. Die stärkeren, die Organisatorinnen, die mächtigen Herrinnen und Schöpferinnen von Riesenanlagen, die geschickten und waghalsigen weiblichen Experimentatoren, die kräftigen großen muskulösen Menschen mit den langen Schritten und den prüfenden harten Zügen bildeten unter sich die Vorstellung aus, eine überlegenere Rasse zu sein. Sie zogen sich dahin zurück, wo sie vor einem erneuten Sturz sicher waren; sie wurden die Avantgarde des Kampfes für die aufgeblühte, riesenhaft entfaltete und sich entfaltende Technik. Wenig Mutterliebe sahen sie; wenig Mutterliebe konnten sie geben. Sie sprangen, als im Mailändischen die vernichtende Niederlage drohte, zuerst ein. Jene zögernden Bedenken, die von Männern, besonders den lahmen älteren geäußert wurden, Gleichgültigkeit gegen das Erliegen, kannten sie nicht. Sie hatten ein ungeheures Mißtrauen gegen die Fremden. Ein beinah nicht geringeres gegen die Männer ihrer Schicht und Volksart. Es war ihnen furchtbar, diesen Männern, gegen die sie als Gleichgestellte, aber doch als siegreiche Empörer öfter Haß, bisweilen Verachtung empfanden, Dinge zu überlassen, die für sie selbst verhängnisvoll werden konnten. In nicht wenigen Frauen stieg der schreckliche Gedanke auf, die Männer könnten sie aus Rache an die Fremden preisgeben und vermuteten, die Männer gäben nach, weil sie sich der Weibsherrschaft entziehen wollten, der Weibsherrschaft, die sie beschämt, noch immer im Herrengefühl, heraufkommen sahen. Die Frauen sprangen zu. Die Weiber, jetzt nicht im Besitz der tödlichen Angriffswaffen, gingen, wie sie waren, in den roten und blauen Togen, die vornehme Frauen trugen, an die Stätten, wo die lautlosen und doch tosenden Energiemassen erzeugt umgeformt weitergeleitet wurden, suchten, wie man sie vergnügt und hämisch an die feinen und gewaltigen Maschinen, die ihnen nicht mehr gehörten, heranließ, die Kundigen unter den Usurpatoren zu erstechen und zu erschießen. Das gelang in mehreren Fällen. Die Frauen wurden darauf an Ort und Stelle getötet; die Kraftstelle ruhte eine kurze Weile oder zerbrach; die Usurpatoren ließen es darauf ankommen, ließen keinen, dessen sie nicht sicher waren heran; der tiefe Argwohn, der den nomadisierenden Völkerstämmen innewohnte, wirkte sich aus. Darauf sich demütigend schickten die Frauen sehr junge verlockende Wesen ihrer Art zu Scheinverhandlungen zu den neuen Herren. Die Mädchen sollten bei Ablehnung aller Vorschläge zu den Farbigen übergehen, rasch die lüsternen Fremden gefügig machen, sie vor die Leitungen und Umformungen zu lassen. Die Herrinnen gaben ihnen den Spruch, mit dem sie ein halbes Geheimnis verrieten: die Frauen seien bereit den Siegern Dienst zu leisten, wenn die Fremden davon absähen sie zu knechten. Das Geschick Mailands, im Grunde ganz Südeuropas hing damals an einem Haar. Uneingestanden hatten die Frauen, die schon damals halb bundartig zusammenhingen, die Absicht, die Männer ihrer Farbe fallen zu lassen und sich der Fremden zu bedienen. Die jungen Wesen in Mailand gaben ihre gefährliche Halbwahrheit den braunen und bronzefarbigen Männern weiter, denen sie angenehm klang. Die abgesandten klugen Geschöpfe erlebten dann aber ein Schicksal, das sie in die grauste Zeit der weiblichen Vergangenheit zurückführte: nach Mißbrauch und Schändung vor vielen Männern und jauchzenden Weibern wurden sie alten Männern als Sklavinnen beigegeben. Ravano della Carceri, Guistiniani, Sanudo verließen eine Woche nach dem Ausbruch die Mailänder Landschaft, kamen zu Fuß wandernd unter Gefahren nach Alessandria, von da fliegend nach Genua. Riefen Genua Marseille Bordeaux um Hilfe. Guistiniani flog nach London, an den Zentralsitz der westlichen Regierungsmacht. London erklärte, wie vorauszusehen, daß an ein zentrales Eingreifen erst zu denken sei, wenn zugestandenermaßen die örtlichen Schutzmaßnahmen versagten. Böse Blicke bekam der sehr still berichtende Guistiniani zu sehen. Die Londoner hatten gesagt, man sei offenbar unfähig im Mailändischen; ob man wieder zur Einrichtung von London bestellter Magistrate zurückkehren solle; ob man nicht wisse, was man riskiere nicht für sich allein, sondern für alle, wenn man wichtige Dinge den Gegnern und Unbotmäßigen überließe oder ausliefere; wie einen Giftschrank einem verrückten Apotheker, der einen halben Ort damit umbringt; oder wie früher ein Regiment, das nicht aufpaßt und seine Artillerie vor dem Feind stehen läßt. Rom Marseille Bordeaux, selbst noch frei aber schon bedroht erklärten sich bereit zur Hilfe, verlangten aber zugleich Sicherung vor der Wiederkehr solcher Unfälle im eigenen Interesse. In Rom erregte der zurückgekehrte Guistiniani mit seinem Bericht aus London Aufsehen; der Tadel erschien berechtigt und machte wütend auf Mailand wie auf London. Rom, durch Mailand stark gefährdet, ebenso Genua und Bordeaux verlangten Kontrolle Mailands und seiner Adnexe. Die Mailänder Deputation mußte das zugeben und unterschreiben; sie wurde nur anerkannt als Stadtvertretung unter diesem Vorbehalt. Im übrigen gab es, was Mailand anlangte, angesichts der Kraftquellen, die die Revoltierenden in der Hand hatten, keine Möglichkeit als die Vernichtung des größten und wichtigsten Teils der Stadtschaft. Sie erfolgte nach weiteren vier Tagen, im ganzen zwanzig Tage nach dem Ausbruch der Revolte. Die verbrannte erstickte Stadt wurde ihren Herren wieder übergeben. Der schwer leidende vergrämte Sanudo spielte im neuen Mailand dann keine Rolle mehr. Ein Kontrolleur, Emissär Londons, wurde neben den Senat Mailands gestellt. Carceris Augenblick war gekommen. Er suchte die Oberhand in Mailand zu gewinnen, stieß auf den Widerstand der Frauen, die ihm die Zähne zeigten. Der junge Guistiniani unterstützte erst den bärenhaften Carceri, der offen zugab, daß er die Sache auf die Spitze getrieben habe und nun zeigen werde, wie zu verfahren sei. Diese Zynismen machten ihn bei vielen Männern, durchaus bei allen Frauen unmöglich, die im ganzen enttäuscht, sich vor seiner Tücke und Gewalttätigkeit fürchteten. Ravano della Carceri hatte auf die folgende Entwicklung von Südeuropa nur kurze Zeit Einfluß; er geriet in Streit mit Guistiniani, der sich ihm nicht fügen wollte. Ein Mordanschlag Carceris auf Guistiniani, auf den er plötzlich seinen ganzen Groll richtete, mißlang. Am Tage darauf erlag Carceri den Verletzungen, die er beim Einsturz seines Hauses erlitt; die Sprengung hatten Frauen vorgenommen. Schneidig und kühn stellte Guistiniani, ein stählerner gelbblasser Mann, die Verdächtigen vor Gericht. Seine Hand, die die südlichen Stadtschaften nun zwei Jahrzehnte spürten, war nicht weniger hart als die seines erschlagenen Freundes Carceri, um dessen eingefallenes Haus er ein Gitter zog und das nicht berührt werden durfte. Er schlug den Ansturm der Frauen zurück, hielt sie lange im Zaum. Bis er verzweifelnd, in seiner Vereinsamung durchschauert sich zurückzog wie Hunderte seiner Zeit, nach den lockenden Abfallstätten Europas und Amerikas, an die Mittelmeer- und atlantischen Küsten. Es war die Zeit der Frauenbünde, der übermütigen unwiderstehlichen Verbände, der hinsterbenden Mannesgewalt. Die Wut der Frauen verfolgte Guistiniani nach Trabulus an der Großen Syrte. * * * * * Der Fall Mailands im Beginn des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts löste zuerst in Rom, dann in den angeschlossenen Zentren Südeuropas eine Bewegung aus zur Verschärfung der Bestimmungen für die Verbreitung von Herrschaftsmitteln und Kenntnissen, die die Bildung von sehr kleinen Herrenklassen und einer riesigen beherrschten Schicht nach sich zog. Die Leichen der hunderttausend Farbigen und Mischlinge in der Poebene waren noch nicht in der stummen Erde verwest, da begegneten sich vor der brausenden Nordsee bei Dünkirchen die Männer und Frauen der Länder und Stadtschaften, die London hergefordert hatte. Heimlich kamen sie an der stürmischen herbstkalten Küste zusammen. London wußte, was es vorhatte, die Delegationen wußten es auch bald. Herumgehend in den Spielhäusern, bei Segelfahrten, in Dünenwanderungen, Lagerungen in Picknickzelten kamen sie zu den Resultaten, die sie nicht den Ferntönern anvertrauten. Alle waren in kurzer Zeit von dem furchtbaren Ernst ergriffen, den die Haltung Londons und Neuyorks ausströmte. London pessimistisch wie immer, sah das Ende der westlichen Welt voraus. Die Männer und Frauen dieser Regierung, die sich hier fordernd bewegten, trugen die Zeichen einer sehr westlichen Einwanderung. Nord- und südamerikanische Indianerstämme hatten sich im vorletzten Jahrhundert bei dem rapiden Nachlaß der weißen Fruchtbarkeit über Kanada und Brasilien ausgedehnt. Als arbeitende Hilfsvölker traten sie vornehmlich bei der angelsächsischen Durchdringung Südamerikas in die Dienste Londons, wogten dann zum Teil nach dem westlichen europäischen Kontinent, zum Teil nach Schottland. Eigentümliche dünne schwarze Bärte, nach vorn stehende runde Backenknochen sahen die südlichen Europäer bei den Herren aus London, straffe Gestalten, die einen trüben schwarzen Blick warfen und an Menschen, mit denen sie redeten, vorbeisahen. Sie sprachen mit sanften hohen Stimmen, ihre Sprache spanisch verwelscht. Sie gaben, die die Erben der Weltbeherrscher waren, zu erkennen, daß sie nicht beabsichtigten, die Fähigkeit der Nationen und Landschaften durchzuprüfen; verlangten Aufschluß darüber, was man getan hätte, um seine Nachbarn und das Reich nicht zu schädigen. Als im Laufe der Besprechungen am Dünkircher Strand Guistiniani auftauchte, kam es zu der heftigsten Auseinandersetzung zwischen ihm und der Londoner Gruppe. Wie Mailand und die südlichen Städte, die eben erst gerettet seien, es wagen könnten, einen Mann wie diesen aus den unfähigsten Kreisen Mailands herzuschicken. Guistiniani hielt sie mit scharfen Worten nieder. Sie erkannten seine Gefährlichkeit, lernten den Mann bald genauer kennen. Die Londoner Herren gaben ihren weiblichen Kameraden nicht nach, die von Mailänder Freundinnen angestachelt, die Beseitigung des geschmeidigen und eisigen Mannes verlangten. Der Mensch aber war es selbst, der hier Carceris Plan der Sklaverei vortrug. Der Plan war unwiderstehlich. Er schlug bei London augenblicklich ein. Die Kommissionen machten sich den Plan rasch zueigen. Die Dünkircher Begegnung, für das Geschick des westlichen Völkerkreises von entscheidender Bedeutung, endete nach zwei Wochen mit dem Anspruch der erschienenen Kommissare an ihre Regierungen Senate und tatsächlichen Machthaber, die vorhandene Zivilisation mit allen erdenklichen Mitteln und um jeden Preis zu verteidigen. Sie stellten die Gefährlichkeit des Erliegens irgendeiner örtlichen Machtgruppe, sei sie Nation oder Stadtschaft, fest. Folgerten daraus das Recht der Nachbarstaaten und weiter der London-Neuyorker Zentralgewalt, die überall bereitgestellten Verteidigungsmittel und Maßnahmen nachzuprüfen. Die Londoner langbärtigen Herren erklärten, im Interesse der Gesamtheit gezwungen zu sein, zu der aufgegebenen Einrichtung der örtlichen Kommission und Beobachtungsposten zurückzukehren. Die einzelnen Machtgruppen möchten dies nicht auffassen als ein Bestreben Londons seine Gewalt zu erweitern, sondern als Sicherheitsmaßnahme im Interesse aller. Man hatte damit das, was man in langen Jahrzehnten, ja in mehr als einem Jahrhundert abgeschüttelt hatte, wieder. Man konnte nicht widersprechen, denn der schwere Ernst Englands schien berechtigt; eine Möglichkeit der Durchführung der kommenden Maßnahmen ohne Zusammenschluß war nicht gegeben. Von Dünkirchen strömte auf Europa Afrika Amerika der Geist der Helotenwirtschaft. Die Delegationen und Senate hatten sich verpflichtet in ihren Ländern Staaten Stadtschaften Wissenschaft Technik und alle denklichen konkreten Kenntnisse abzuriegeln. Die Vernachlässigung dieser Verpflichtung war mit dem Verlust der Selbständigkeit für das Staatswesen verbunden. In allen Zentren galt es nach Dünkirchen geheimste Pläne auszuarbeiten zur Feststellung der wichtigsten Dinge, betreffend Krafterzeugung Lebensmittel Beförderung Angriffs- und Abwehrwaffen, Feststellung der nötigen Zahl von Personen an den arbeitenden und ausführenden Stellen und an den zusammenfassenden. Unter Verzicht auf allzu stürmischen Fortschritt, ja bei voller Klarheit über eine mögliche Stagnation wurde die Zahl der Personen gefunden, ihre Herkunft war auf einen Kreis beschränkt. Die Senate bezeichneten die zuverlässigen Familien. Überall waren Machthaber ihnen zu entnehmen. Bei der Strenge des anfänglichen Vorgehens taten sich in den meisten Staatskörpern sehr kleine Gruppen zusammen, die in Fühlung mit den Londoner Beobachtungsposten eine Art Wohlfahrtsausschuß bildeten und dauernd das öffentliche Leben und die herrschenden Familien kontrollierten. Dies alles geschah geheim und niemand im Volk bemerkte sogleich etwas. Man übte in der Tat nur gesteigert streng die alte Methode. Den Fragenden wurde die mit Beispielen zu belegende Gefährlichkeit der Situation vorgehalten. Aufdrängende wurden hingehalten abgeschoben. London Berlin Paris Mailand Marseille Neuyork sah einen neuen Adel, der sich um die furchtbaren technischen Einrichtungen gruppierte. Diese Männer und Frauen waren die eigentlichen Machthaber der westlichen Erde, waren mißtrauisch unter sich, immer gejagt, Vergnügungen verachtend, durchweg einsam. Keiner von ihnen ging ohne die leichten Waffen, die sie nur für sich reservierten. Sie erschienen überall überraschend. Der Wohlfahrtsausschuß der Einzelstaaten, die Beobachter, waren wie sie ausgestattet, mit Lampen, deren Licht durch einen Spiegel- und Blendmechanismus so reflektiert wurde, daß die Menschen faktisch unsichtbar waren. Sie waren wie eine Wand, die man mit Spiegeln bekleidet; man glaubte in sie hineingehen zu können. So konnten sie scheinbar durchsichtig auf offenen Straßen, oft auch in Häusern sich bewegen. Sie ritten fuhren flogen ungesehen. In den Massen ging das Gerücht von ihnen. Denn sie beseitigten ungewünschte oder gefährliche Personen, die eine Zusammenkunft verließen, ebenso wunderbar wie sie selbst erschienen. Die Toten waren nicht auffindbar, wie man die Lebenden auf ihrem Wege nicht hatte verschwinden sehen. Es trat vielleicht ein Mann, ein junges Weib an einen Baum, ging um eine Häuserecke, bückte sich, faßte sich an die Brust, griff nach seinem Rücken, machte einige sonderbare Bewegungen, als ob etwas juckte oder kniffe, und war weg. Nichts war an der Stelle, als ein stärkeres Blitzen des Sonnenlichts, ein Staub wie von einem Windstoß. Öfter wurden ähnliche Vorgänge beobachtet, man munkelte davon, Gerichte befaßten sich damit, Aufklärung erfolgte nie, da die Verschwundenen nie gefunden wurden. Die Klagesteller hatten schon Recht mit ihrer Behauptung, die Verschwundenen seien beseitigt oder gut verborgen worden. Sie wurden noch in dem Spiegelkleid, das über sie geworfen war und in dessen Mantel sie neben dem Entführer und der Entführerin gingen, gezerrt und rasch gelähmt, an die geheimen Stellen der Laboratorien getragen, wo sie nicht einmal den Blitz sahen, der aus der Wand, an die man sie mit dem irr lächelnden Gesicht lehnte, fuhr. Zusammensinkend, weiche Massen, lohten sie auf dem sprühenden Boden. Dessen Funken nicht aufhörten, bis weiße Asche wie Flugsand auf ihm tanzte. Früh sahen die Machthaber die Gefährlichkeit ihrer Waffen für sich selbst ein. Suchten über das Mißtrauen, das sie gegeneinander hegten, hinwegzukommen. Niemand konnte wissen, wohin den einen Eifersucht plötzlicher Zorn Erbitterung treiben konnte. Man sah sich und den andern seinen Trieben wehrlos ausgesetzt wie einen Träumer seinen Einfällen. Wie sie oft finster vor Wäldern standen, auf einem Balkon die hellbestrahlten Wipfel der Bäume betrachteten; diese tiefgrünen Nadelhölzer, die in riesige schweigsame Höhe ihre gelbbraunen Zapfen streckten, ruhig hinwuchsen: und der Mensch in sich wühlt, bewegt sich, wühlt. Furchtbar wurden Annäherungsversuche unter ihnen erschwert durch das Zusammendrängen der Frauen zueinander, durch den nicht nachlassenden Kampf der Frauen um die Vorherrschaft. Die Männer der Staatskörper, die Überwachungsausschüsse konnten sich nicht verhehlen, daß sie ihres Lebens nicht sicher waren. Es war nicht ruchbar geworden, was die Mailänder Frauen bei der großen Farbigenrevolte den Fremden vorgeschlagen hatten; es war aber klar, daß überall verräterische Gedanken bei den Weibern umliefen. Keine Möglichkeit bestand, die Frauen aus den Senaten auszuschließen, ja die Männer dachten nicht daran. Kraftvoll sicher zäh waren die Frauen, ihre Stärke ihr Wille Geist waren unentbehrlich. Bei zahllosen Männern dieser Periode bestand schon voll die Neigung vor den Weibern den Rückzug anzutreten. Aus den mächtigsten Familien zogen sich Männer von Ämtern und wichtigen Dienststellen zurück, um nicht mit Frauen zusammenzustoßen. Die Überwachungsausschüsse waren der gefährlichste Ort; hier durfte man einer Auseinandersetzung nicht ausweichen. Man machte offen einen Burgfrieden. Im geheimen blieben beide Parteien auf der Hut, sannen darauf sich Waffen zu reservieren. Das drei- und vierundzwanzigste Jahrhundert brachte die große Veränderung Afrikas: den ostwestlichen breiten Durchstich der Küste südlich der Kanarischen Inseln in der Linie Cap Blanco und Bojador, die Wasserüberflutung der tiefliegenden Wüsten von Igidi Tamesruft Afelele bis zum Westrand des Tümmogebirges. Der schwere afrikanische Kontinent wurde aufgelockert und getrennt durch das Saharische Meer. Schon waren die Weltmächte auf zwei reduziert, die Londoner und die indisch-japanisch-chinesische. Die Stadtschaften waren Wesen geworden, durch die die Sonne scheint; an dem Boden liegt das Licht überall um sie, aber sie haben nicht aufgehört zu sein. Wie die Stadtschaften sich ausdehnten, erhöhte sich überall der nationale Glanz. Prunkhaft erhöhte er sich unter dem abgestorbenen absterbenden politischen Leben. Die Mächte der Landschaften und Staatskörper wandten überall dieselbe Methode an, zu der sie getrieben wurden durch den Drang sich zu behaupten und die Apparate, um die sie sich gruppierten: die Methode des Erregens Sättigens Mästens Überfütterns. Die Fette nach der Kastration, die Gespreiztheit Sanftmut Huld und Süße der Eunuchen stellte sich ein, der fratzenhafte ohnmächtige Impuls. Man schonte die Eigenliebe der Massen. Die Überwachungsausschüsse gingen geheimnisvoll durch die Völker, aber schon aßen die strengen herrscherischen Familien selbst von dem Gift, das sie auslegten. Die Fülle der Erfindungen ließ nach, man lebte vom Überkommenen, ordnete unter sich zukommende Rechte Aufgaben. Und am raschesten entarteten die Frauen. Gigantische Figuren gab es um diese Zeit unter ihnen, großartig in Wollust und Herrschsucht. Was früher in phantastischer Weise aufkommende Negerschläge leisteten, wurde jetzt ihr Werk: Staaten der willigen kapaunenhaften Menschen zusammenschließen, rasch und hitzig sie aufbauen, sich in Glorie wiegen, um früher oder später von einer Kleinigkeit, etwas Übersehenem sehr Sichtbarem, von einem Nachbarstaat oder von London beseitigt zu werden. * * * * * Wie ungeheuer hat Melise von Bordeaux gewütet. Das Weib, in dessen Adern Nigritierblut floß, gemischt mit dem der italienischen und westfranzösischen Landschaft, übersprang alle Abkommen, die ihre marklose kindische Umgebung unter sich schloß. Sie beobachtete, wie man sich Genüssen überantwortete, dabei weich und weicher wurde und zog eine Gruppe Menschen um sich zusammen. Sie war von wildester sinnlicher Leidenschaft, zugleich kalt und abstoßend, selber leidend. Wie eine Riesenschlange umfaßte sie ihre Liebhaber und Liebhaberinnen, zerknirschte sie gesättigt, ließ sie geängstigt liegen. Man wußte nie, womit es ihr ernst war, die kraushaarige dicklippige mit dem glänzenden schwarzen Blick, die viel und heftig weinte, sich und ihr Schicksal beklagte. Ihr Weinen war von der Art der Betrunkenen, sehr tonreich und ohne Hintergrund, mit Ungnade und ärgerlichem Lachen endend. Sie bewog alle Familien ihrer Stadtschaften die wichtigsten Waffen und Anlagen ihr und ihrem Anhang zu übergeben. Sie legte eine Zahl Anlagen nieder, weil sie nicht wußte, wie sie sich ihrer bedienen sollte und hielt sie daher für überflüssig. Sie unterschied bald eine Reihe Landschaften mit ihrer Herrschaft überziehend, Lieblingslandschaften und Dienerlandschaften. In die Dienerlandschaften legte sie die ernährenden und unterhaltswichtigen Einrichtungen; ihre Residenzen machte sie zu Leitern und Genießern dieser Arbeit. Sie und ihre Umgebung nahmen großartige Manieren an. Sie spielten sich offen als Herrscher und Könige auf, erschienen, Erstaunen und Wut auskostend, mit kostbarem Gefolge und strahlend in den gemeinsamen Versammlungen der westlichen Stadtschaften. Wut erregten sie, aber auch ansteckend wirkten sie. Und sie waren, Melise von Bordeaux, die schwerlockige adlernasige gelbbraune Frau, und ihr Anhang der Anstoß zur Zertrümmerung vieler Herrschaftsgruppen, für gefährliche Umwälzungen in mitteleuropäischen Landschaften, die zwar den Willen zu ähnlichem Glanz und wilder Glorie hatten, aber nicht die Verteilung von Kraft dort und Schwäche hier. Es ging in diesen mitteleuropäischen Stadtschaften, wo ein Kapaun wild werden wollte oder eine Henne sich für einen Pfau ausgab, hart auf hart. Mit heimlichen Tötungen, tückischer Gewalttätigkeit zermürbten sich die Herrschaftskreise; gewaltsam mußte die Ordnung wiederhergestellt werden. Bisweilen tat dies London. London hatte immer die Gefahr der Massenrevolte vor Augen. Es ließ eine Weile das Spiel gehen, dann stieß es wie ein Geier auf die Streitenden nieder, zwang sie stille zu halten. Ja es kam im Herzen von Mitteleuropa, wo man nicht zur Ruhe kommen konnte, zum Zugriff von London: vor dem Ausbruch des Uralischen Krieges hatten sechs machtvolle Stadtlandschaften Mitteleuropas, darunter München und Preßburg, ihre Selbständigkeit verloren und duldeten das Dominat englischer Familien. Melise war in Bordeaux Toulouse königinartig Alleinherrscherin, ließ sich eine Kathedrale an der Garonne südöstlich Bordeaux’ in der freien Landschaft anlegen, wo sie betete und sich verehren ließ. Denn es war nicht ganz klar, was sie und der Priester tat, den sie feierlich eingesetzt hatte, wenn sie sich neben dem Priester auf dem Altarraum hinsetzte, den Blick geradeaus schweifen ließ, die schwerberingten Hände nebeneinander, die fleischquellenden Arme bis zur Schulter bloß, Goldbrokat und elfenbeinernen Tierbehang vor der mächtigen langsam atmenden Brust. Sie war, wie ihr die süd- und ostfranzösischen Stadtschaften zufielen, niemals so vermessen, von selbst die Hand nach mehr auszustrecken. Erwies sich auch immer unterwürfig, ja kriecherisch gegen London. Ihre Macht verlockte sie nie, mit den Frauenbünden, die so üppig vegetierten, zu paktieren; sie liebte Frauen so wenig wie Männer und man konnte sie nicht auf diesen Boden herabziehen. Glorie und Unterwerfung war ihr Verlangen; darin konnte man ihr nicht genug tun. Sie tötete und entmannte Dutzende Männer, von denen sie annahm, sie wären ihr untreu. Zugleich getötet und geschlechtsunfähig gemacht wurden Frauen, die mit diesen Männern verdächtigt wurden. Sie schwankte einige Zeit in ihrer Stellung zu den Frauen hin und her; es schien als ob sie den Frauen in ihrer Eifersucht und Stolz feindlich werden würde. Da wurde diese Königin gebrochen durch ein Weib, ein Mädchen ihrer Sippe, die ihre Tochter sein konnte. Das weißgelbe liebliche Persönchen wurde nach der Beseitigung ihres Liebhabers vor Melise gebracht. Melise trank viel. In ihrem heulenden Elend hielt sie die weiche Person bei sich fest, die verschüchtert stille hielt. Melise schlug mit ihrer stählernen Kopfbürste auf sie ein, auf die Arme, die jenen Mann umschlungen hatten, auf die Backen, die sie sich hatte küssen lassen, auf die Lippen, die sie mit den Fingern anzog, die sie mit der scharfen Bürste rasch klöppelte. Das Mädchen hielt weinend inne, kreischte, bat immer um Verzeihung und um Gnade. Sie hatte ja in der Tat nicht gewußt, wer der Mann war, der sie genommen hatte. Er hatte sie genommen, denn sie wollte von Männern nichts wissen. Melise, die Fäuste mit der Bürste und einer langen Nadel in die breiten Hüften stemmend, stand speichelnd, rot- und dickgesichtig vor dem über den Teppich gekrümmten halbnackten Mädchen, dem sie die Kleider abgerissen hatte, um zu sehen was an ihr war. Das blutende verängstigte Wesen, dem die Tränen schmierig auf den Teppich liefen über die zerstichelten Backen und aus der Nase mit den Blutstropfen, blickte hilflos und jammernd, speiend und sich verschluckend, am Teppich sich abtrocknend und hingewunden zu der rasselnden gewaltigen Frau auf. Plötzlich wurde diese Frau unter einem Blicke von dem Gefühl des Abscheus vor sich selbst getroffen. Sie nahm die Fäuste aus den Weichen, besah sich Bürste und Nadel, legte sie nachsinnend langsam auf einen Tisch. Seitlich blickte sie zu dem Mädchen herunter, das ihr aufmerksam, stärker verängstigt mit den Blicken folgte. Das Wesen, fühlte Melise, konnte für nichts, sie war nicht schuldig; der Mann hatte sie genommen, der Mann tat mit dem dummen Wesen, wie früher immer Männer mit Frauen taten. Der Mann schweifte herum, nahm die, morgen die, ein verfluchtes Geschöpf. Melise dachte keinen Augenblick an sich. Grollend kniff sie die Augen zu, schlug ein paarmal mit der Bürste auf das Mädchen ein, zog sie dann, die sich sträubte und zappelte, und stach sie mit der langen Nadel durch den Handteller, die Hand des Mädchens zwischen ihre Knie klemmend. Die Nadel ging durch die Hand der kreischenden wühlenden augenaufreißenden Person, ging in Melises Knie, die den Schmerz sich zusammenkrampfend einsog und wie das Mädchen stöhnte aus offenem Mund mit zurückgebogenem Hals. Die Nadel hervorziehend wegwerfend sank sie auf den Teppich, stöhnte. Nach dem jungen wegschnellenden Wesen hangelte sie ins Leere mit den Armen, schlüpfte ihr dann, sich am Boden hinziehend nach, drückte den zurückzuckenden Kopf, den sie an den Haaren erfaßte, unter ihren auf den nassen Teppich, heulte, ahmte das Wimmern des Mädchens nach. „Komm“ seufzte Melise „du bist mein. Es geschieht dir nichts. Sie sollen uns nichts tun. Es soll uns niemand etwas tun. Dir nicht und mir nicht. Es soll keiner etwas wagen. Oh tut das weh. Ich bin es satt. Hab ich dir weh getan. Bleib hier. Bleib bei mir.“ Und das zerschlagene gepeinigte Mädchen mußte das aufgelöste stöhnende bettelnde Weib hochziehen, sie an einen Sessel führen, wo Melise hinsank, sie an sich zog, auf die Knie an den Leib zog, das Gesicht an den zerstochenen kleinen Brüsten rieb: „Oh. Was ist das für ein Leben. Solche Mörder haben wir um uns. Wenn ich die Mörder beseitigen könnte. Sei mir nicht böse. Bist du mir böse, seid ihr mir böse, schlimme Lippen, armes Händchen. Heilt alles. Wir werden Rache nehmen.“ Und das Kind schlang einen Arm um die Frau. Die Frau fühlte eine Zärtlichkeit, die sie erstaunen machte, eine wohltuende erweichende Zärtlichkeit unter dem lächelnden Blick aus diesem zerschrammten hochgequollenen Gesicht über sich heraufziehen. Ein Kind, fühlte sie, das ist ein Kind. Was bin ich auch für ein Kind. Blieb das Gesicht andrückend an den Quell der aufsteigenden Zärtlichkeit. Diese mißlungene Tötung besiegelte Melises Schicksal. Sie wurde jähzorniger herausfordernder als je. Hatte kein Gleichgewicht mehr zwischen Männern und Frauen. Unverändert lehnte sie die Lockungen der Frauenbünde finster ab; Männer mochte sie nicht. Sie hatte die Laune sich aus einem dunklen Grunde Persephone zu nennen. Dies geschah lange Zeit bevor irgendeiner und auch sie wußte, was sie damit meinte. Persephone war sie, die Königin des Totenreichs, die ein schlimmes totes und todwürdiges Wesen von der Erde geraubt hatte und in die Finsternis zog. Sie wollte Persephone sein. Ihre Totengerichte in der Kathedrale bei Toulouse wurden berüchtigt. Die Priester waren erschreckt und konnten nicht mitmachen. Melise lachte, versteckte Frauen in die Priesterkleider, die mußten neben ihr stehen; aber doch konnte sie immer einige und gerade die mächtigsten der Priester neben sich sehen, die sich vor ihr fürchteten und die sie im Zaume hielt. Sie ließ Bauern Arbeiter auf der Straße in den Häusern auf den Äckern aufgreifen. Verlangte, violett und schwarz am Altar thronend, bunt geschminkt, blutrot grell beide dicke Lippen, blau umrandet die Augen, von ihnen Rechenschaft. Sie hatte wie ein mittelalterlicher Fürst eine gefürchtete Garde von Bewaffneten um sich. Die trugen Kappen und Masken, Stiefelschäfte bis an den Leib, waren Männer und Frauen. Tornister trugen sie auf dem Rücken, lanzenartige drahtumwickelte Stäbe in den Händen, standen an den Wänden und schienen keine Menschen zu sein. Die Königin hörte an, wer vor sie gebracht wurde. Wer sprach, mußte erzählen von sich, was er wußte. Darauf wurde er entkleidet und mußte weiter sprechen. Persephone besah und hörte die Menschen, Männer Frauen Mädchen Jünglinge, die vor sie gebracht wurden, von Schreck und Wut ergriffen waren, weinten, um Gnade flehten. Sie sagte: sie sei Persephone, die Königin der Unterwelt. Ob sie das Zepter in ihrer Hand nicht erkennten, ob sie nicht wüßten, daß man rasch erscheinen und da sein müsse, und daß zwischen jetzt und jetzt, Tod und Leben, Acker und Tod, Straße und Tod nur eine Sekunde liege. Die Sekunde sei übersprungen im Augenblick, wo sie die Kathedrale betreten hätten. Sie hätten ihre Arbeit zu lassen; die ginge weiter auch ohne sie; die sei ihre Hände nicht wert. Jetzt sei die Stunde für sie, die Königin Persephone, da. Ihr müßten gezeigt werden die Glieder, die Stimme, die Bewegungen; ob sie noch das Recht hätten zu leben oder herunterkommen müßten. Sie schrie, sich vom Sitz erhebend, das Zepter schwenkend, finster: „Es ist vorbei. Die Häuser Straßen Maschinen Äcker haben genug von Euch. Ihr habt ihnen genug gegeben. Jetzt ist meine Stunde.“ Aber wie sie sich setzte anhörte sah prüfte, nahm sie mit sich, was ihr behagte. Sie nahm aus ihrem schwarzen hochgetriebenen Haar die langen Nadeln, die zu beiden Seiten drin staken. Die warf sie zur Seite vor dem violetten Priesterwesen. Und vor wen die Nadel gefallen war, der wurde die Stufen hinaufgezogen vor sie. Es waren die starken Männer, die schönen schlanken weißen, Gatten und braune Jünglinge, üppige strotzende Mädchen und Frauen, die sie zu sich nahm und von der Erde verbannte. War eine tiefe Seligkeit, die Melise empfand, ihr Zepter zur Seite der Priesterin gebend, wenn sie den Mann, das Weib empfing, umarmte. Wie es sich wand, warm weich; sie wußten nicht, waren sie begnadigt oder verurteilt. Aber sie waren begnadigt. Die Königin zog sie an sich, war aufgestanden. Drückte die Gesichter an ihre Arme, die offenen schweren Brüste. Ihre Hände glitten an den Gesichtern Schultern Leib Schenkeln entlang. Sie berührte liebkosend die Heimlichkeiten der Leiber. Die Priester und Priesterinnen hingefallen auf die Knie sangen abgewandt Lieder. In dem Menschen, den sie umschlang, entstand eine sanfte Verwirrung. Träumend wild griff das an den Hals, der sich ihm bot, wühlte sich gegen den festlich grausigen Kopf, die starken Schultern. Da war sein Schicksal da. Der Kopf, der eben noch nach dem Mund Melisens gesucht hatte, bog sich leicht stöhnend beiseite. Der nackte Leib wogte hin und her, wie auf der Suche nach einer Bewegung, die er nicht fand. Während Persephone sich in ihren Stuhl fallen ließ, trunkene Augen, das Gesicht in schluchzender Verzückung, unter der düsteren und wimmernden Musik, die wellenartig aufquoll und toste, rollte von ihr der Mensch ab, der einer gewesen war und den sie jetzt beherrschte, in sich trug. Ein Leib in sie eingegangen, hergerissen von den Äckern, der Erde. Melise quoll auf von Wesen, die sie in sich aufgenommen hatte. Nicht mehr Persephone war sie, sondern Hades, die Unterwelt selbst. Ihr Gebiet, von Bordeaux bis über Toulouse reichend, hatte noch Bestand und England unterstützte die wachsende Kraft dieses Staates, als sie übersättigt ungesättigt hinschmolz. Die zarte kindliche feine, die sie zuerst gepeinigt hatte, die weiche Betise war die letzte, die sich ihr zu opfern hatte. Und die sich der Königin lange hingegeben hätte, wenn Melise, die wilde rastlose, sie gewollt hätte. Melise spielte mit ihr, schützte sie, ging um sie herum. Betise durfte auf keinem ihrer Züge zugegen sein, saß in einem schloßartigen Haus bei Bordeaux, bewacht von Frauen der Königin. Lange Monate suchte die Königin sie nicht auf. Auf abwesende liebevoll zerstreute halbstumme Stunden kam sie dann. Das zarte Wesen wußte, wenn Melise kopfsenkend verträumt vor ihr stand, daß sie nicht sprechen fragen durfte. Obwohl sie sie anbetete. Die Königin trat bei Betise ein, die auf einem Kissenbündel am Boden lag, schlafend von der Sonne bestrahlt wurde. Erst wie die mächtige stark ausschreitende Frau an die Kissen stieß, fuhr Betise hoch. Kicherte reckte sich süß, hielt inne erstarrend. Daß die Frau, ein brauner fast nackter Leib, von Blutströmen Blutkrusten bedeckt war. Die Arme voll Blut, die Finger von schwarzer Borke überzogen, Brüste und Schenkel überrieselt, die Augen ausgegossen leer; trübe das Gesicht. Persephone sah das Kind an, verzog das Gesicht. Greinte, während sie dastand, die Hände schlaff an ihr herunterhingen, die Finger zuckten zitterten. Mit Blut von den Menschen, die sie umfaßte, berieselt. Unauslöschlich in ihr der Drang mehr zu tun; sie war in tiefe Verzweiflung gesunken, hatte schon Priesterinnen neben sich zu Göttinnen erhoben. „Man muß die Erde entvölkern“ sagte sie; griff die Priesterinnen, die Göttinnen, die schrien, sich wehrten, nahm sie selbst zu sich. Da stand sie stöhnend vor Betise, die sie nie gesehen hatte, ließ sich, während das Kind aufsprang, auf die warmen duftatmenden Kissen. „Ich werde dich abwaschen“, streichelte Betise, hinter ihr knieend, ihre Haare. „Warum willst du mich abwaschen. Siehst du mich. Ich bin Persephone“, sie zerbiß die Kissen, „ich bin nicht Melise. Nicht Melise.“ „Du bist Melise. Melise, du bist es. Ich werde dich abwaschen.“ „Nicht. Du wirst es nicht tun. Laß es.“ „Weg soll es. Ich will dir doch zeigen, Melise, ma douce Melise, Melise, ma pauvre fille, – wie süß, daß du zu mir kommst –, ich will dir zeigen, was du unter dem Blut hast. Was sich da versteckt hat. Sieh den Schwamm. Es ist nur ein Schwamm. Es ist Wasser daran. Paß auf, du Schöne, was die alles machen können, der gelbe Schwamm, das weiße Wasser. Das nehmen wir alles herunter, das Rote das Schwarze das Schmierige das Borkige. Das gehört nicht zu meiner dunklen schönen Königin. Sieh, was eine Königin für eine blanke glatte Haut hat, da kommt sie schon hervor, braun, wie meine, nein, noch dunkler. Sie hat nur gewartet. Wie das spiegelt in der Nässe, ei. Lieg nur ruhig. Alles nehme ich dir weg. Du brauchst kein Glied bewegen.“ „Betise, du dumme, weißt du, was hier liegt? Hast du von dem gehört.“ „Ja. Aber lieg still. Ich habe von dem gehört. Daß du die schönste braune Haut hast, die besser als meine ist. Daß du meine Königin bist und – Späße machst wie du darfst. Komm, tu die Füße voneinander. Bis über die Knie ist es dir gelaufen. Sie haben dich eingewickelt, damit man dich nicht sehen kann. War das so schön, Melise?“ „Solange, oh solange ich es fühle, Betise. Solange ich das Lebendige der Menschen umfasse, ist es schön. Solange mich das Blut berieselt, ist es schön.“ „Und mein Wasser? Schön?“ „Dein Wasser, dein Wasser“, Melise richtete sich müde auf, „bin ich jetzt fertig?“ „Dein Gürtel ist noch ganz schmierig. Und jetzt nehm’ ich dir auch deinen Gürtel ab.“ „Das tust du nicht.“ „Warum nicht. Schämst du dich vor mir. Bin ich nicht eine Frau. Jetzt bist du ganz sauber. Ich trockne dich ab. Eins nach dem andern, Betise.“ Betise lachte: „Zu dir hab ich Betise jetzt gesagt. Ja jetzt sag ich zu dir Betise.“ „Und du wirst Melise.“ „Ja, ich bin selber _ma pauvre fille_ Melise. Ich diene, weißt du wem? Der armen Betise, die in einem Zimmer sitzen mußte, immer auf Kissen schlafen mußte, trauern und warten, bis einer kam, der ihr etwas erzählte. Von der großen Königin. Hätte sie nur gewußt, was die Königin tut. Hätte die Königin sie einmal mitgenommen.“ „Ach, Betise.“ Langsam hob sich Melise, die braune schwere Frau auf, stellte sich an die blaßblauen Vorhänge neben dem Fenster. Der warme Sonnenschein fiel auf ihre Haut. Sie hielt den haarbehangenen Kopf, das leere tote Gesicht abwärts, befühlte mit den Handflächen ihre eigenen Schultern ihre Arme die Hüften den Leib, ließ sich bescheinen. Zitternd nahte ihr die Zarte: „Jetzt führe ich dich in meinen Garten. Da sollst du unter meinen lieben Ulmen gehen. Sie warten schon lange auf dich.“ Und wie sie sie um die Hüften faßte und durch die Fenstertür ins Freie auf den Sandweg führte, erzitterte das junge Geschöpf noch heftiger: „Ich schäme mich, daß ich ein Kleid neben dir trage.“ Und hatte, nachdem sie einen Augenblick das Gesicht in den Händen verborgen hatte, ganz hoch winselnd, ihr Kleid fallen lassen, die Strümpfe abgestreift und Melises Hüfte umfaßt: „Hier gehen wir; ich zeige es dir. Es ist niemand in meinem Garten. Die Frauen passen gut auf.“ „Wohin führst du mich, Betise?“ „Es ist mein Garten. Fürchte dich nicht. Die Sonne ist noch wärmer hier als drin. Wie waren doch unsere Voreltern gut daran, die im heißen Land liefen und sich nur von der Sonne anziehen ließen.“ Aus Melise kam nach einer Weile, als sie auf einer Wiese mit rotem Klee gingen und das Zittern der angeschmiegten Jungen nicht nachließ: „Und wer geht da neben mir. Sieh da, Betise. Du hast keine Furcht vor mir?“ „Wie soll ich Furcht vor dir haben“, sie zog Melise, die folgte, auf das sanfte Grün. „Weißt du, was ich tue, weil ich, ich, Melise bin?“ „Du Melise?“ „Ja, ich.“ Es blitzte in den schwarzen Augen Melises; ihr Gesicht belebte sich: „Ja, sei nur Melise. Ich hab’ dich gern. Tu einmal, tu’s an mir“, sie schrie, „sei Melise.“ „Was soll ich tun?“ „Was du magst. Wenn dus kannst.“ Tränen stürzten aus dem Gesicht der Jungen: „Lieg still. Lieg still.“ Wie ein Blockstumpf legte sich die braune Frau um. Die Junge streichelte ihre Füße die Hände, um sie kriechend. Sie streifte, während sie das Gesicht der Frau beobachtete, einen Ring von Melises kleinem Finger, den Ring, mit dem Melise ihre Liebsten tötete. Schon hing sie an Melises Hals, küßte sie, rieb die Wangen an ihr: „Persephone.“ „Ich bin es nicht.“ „Seis noch einmal. Für mich.“ „Ich kann es nicht.“ „Noch einmal.“ „Ich kann nicht.“ „Ich will aber, Persephone. Ich muß zu dir.“ „Ich kann nicht. Ich bin nicht Persephone.“ „Komm doch. Sieh mich an.“ Melise öffnete die Augen, ließ sich hochrichten. Die schwere braungelbe Frau ließ sich durch den Garten führen. Feistschenklig brustschaukelnd ging sie, von Betise umschlungen; der wilde schwarzhaarige Kopf schwankte vor der Brust. Sie seufzte im Gehen: „Es brennt. Die Füße brennen mich.“ „Die Sonne ist hier heiß. Komm zum Bach. Da ist die Brücke. Da willst du hin.“ „Melise“ die zarte hellere, wie sie am Wasser unter der Brücke saßen, klammerte sich an die prallen Arme, die die Frau neben ihr hängen ließ, preßte den Kopf an ihren Hals. Die dämmernd stöhnte brusttief: „Was willst du also?“ Betise fuhr fühlend, beglückt aufbebend, mit den Händen Gesicht über den Leib der Königin, die sich abwesend lang umlegte. „Ich lieb dich. Ich lieb dich, Melise. Ich will dir nur sagen, daß ich dich liebe. Daß ich dich so lange, ohne Anfang und Ende lange erwartet habe. Und daß du da bist. Gib mir deinen Mund, sag: du bist meine Freundin.“ „Deine Freundin“, murmelte die andere. Betise: „Deine Freundin, ich bin es, du Hals du Kopf und Haar du nasses Haar du Brust du Arm hier und da, du Leib. Kommt, liebe Augen beide, ich will euch wohltun. Ihr seid trübe. Ich muß weinen, schreien, wenn ich euch sehe. Geht nicht auf.“ Und schob, eine Hand über Melises Augen und Nase gelegt, an dem schweren Körper. Er regte sich nicht. Da kreischte sie: „Ich rolle dich, rolle dich, Melise.“ Und stach ihr drehend rollend die Nadel des Ringes zwischen die Rippen. Widerstandslos rollte der schlaffe Leib auf das Gesicht auf den Rücken auf das Gesicht, rutschte die graue Böschung ins Wasser ab. Der Kopf Melises hob sich schnappend noch im Wasser auf. Die andere drückte, ihr nachspringend, an ihr liegend, den Kopf zurück, überschrie Schmerz und Angst: „Nicht wieder aufgehen, Augen. Bist im Wasser. Bist im Wasser. Es ist ja gut. Ich singe über dir. Hör mich, Melise. Ich bin ein Hänfling. Du fliegst mit mir. Jetzt, jetzt, wir fliegen ganz hoch, so weit meine Stimme reicht. Höher. Ja, wir fliegen riesenhoch. – Süße Melise, ich bitte dich. Du machst mich nicht mehr weinen. Deine Augen gehen nicht mehr auf.“ Sie zog ihre Hand ab, aus dem Wasser, küßte sich die nassen Finger: „Genug, arme Hand. Zitterst so. Ich auch. Genug.“ Warf sich über die verschattete Böschung zurück, das Gesicht am Gras reibend, mit den Zähnen Gras mahlend: „Wir zittern allesamt. Meine süße Königin, ich habe dir das getan.“ Sie kauerte unter der Brücke, die Kniee angezogen: „Diese Brücke haben ihre Augen zuletzt gesehen. Ich bleibe unter der Brücke. Ich kann sie liegen sehen, der glatte braune Rücken, die blanken Beine. Das Wasser springt daran hoch. Da liegt meine süße Königin. Oh wohl habe ich ihr getan.“ Lange saß sie still da, manchmal ihre Finger betrachtend, die trockneten, sich die Haare streichend: „Sag nicht so. Sag nicht so. Warum soll ich mich ertränken. Ich lieb sie ja. Es muß einer da sein auf der Welt, der Melise liebt. Bleibe alles, wie es hier ist: Brücke Schatten Sonne Garten Melise. Bleibe alles, wie es ist.“ Die Schatten wurden tiefer, Betise saß noch im Gras zwischen dem Klee: „Sie werden mich greifen. Sie werden nach ihr suchen. Mich greifen sie nicht. Ich muß leben bleiben. Es muß einer leben bleiben, der Melise liebt. Sie sollen sie nicht töten.“ Sie schmiegte sich unten zärtlich an den braunen kühlen wasserüberrieselten Leib, warf den Ring in das Wasser, huschte unter der Brücke vor, über den Klee die roten Mehlprimeln und Enziane der Wiese. Durch die offne Fenstertür schlüpfte sie ein, rieb sich den Sand von den Fußsohlen. Legte sich über den zitternden feinen Körper die buntgestreiften Hosen, die ihr Melise zuletzt geschenkt hatte, das weite blaue lange Hemd, das hellgelbe seidene mantelartige Oberkleid. Aus einem weißen Baumwolltuch band sie sich um den Kopf eine Haube. Sie warf Handküsse um sich, in den abendlichen Garten. Und schritt ruhig aus dem stillen Haus, an den Haufen der Wächter Melises vorbei, denen sie sagte, sie ginge, weil die Königin sie schicke. Blieb verschwunden, obwohl Sichtbares und Unsichtbares gegen sie aufgeboten wurde. – Zweites Buch. Der Uralische Krieg Die Massen wurden gesättigt verweichlicht. Man war auf der Suche nach neuen Bedürfnissen. Ließ neue Fremdenmassen heran, erweiterte die Stadtlandschaften. Wie die Strenge unter der Herrscherschicht nachließ, kam Verrat von Geheimnissen aus Leichtsinn Prahlerei, im Trunk vor. Häufiger zeigten sich wilde schreckliche und dumme schwerfällige lenksame Figuren unter ihnen. Weiber und Männer, in der Herrscherschicht verbündet, fielen sich heftiger an. Dann stürzten sie wieder zum gemeinsamen Schutz ihrer Hoheit und Apparate heraus. Die gefährlichen großen grausamen Gestalten stiegen nicht nur aus der Herrenschicht, sondern nun auch aus der üppigen vielformigen Masse. Es kam am Ende des vierundzwanzigsten Jahrhunderts zu den ersten Verzweiflungsschlägen gegen die Maschine. Noch ein Jahrhundert später erzählte man von den mächtigen Taten. Die Richtung war von der Peripherie des Völkerkreises auf das Zentrum: Timbuktu gegen Rom, Sidney gegen San Franzisko, Nordafrika gegen Messina Palermo. In den außenliegenden Landschaften gedieh der Übermut und seine Reaktion am heftigsten. Niemals wurde wie einmal in Mailand der Herrscherschicht, die von London gestützt war, die Macht entrissen. Aber es ging gefährlich gegen die Machtmittel selbst. Die Bibel erzählt von den Makkabäern. Die Namen Targuniasch, Zuklati sind ihnen gleichzustellen. Die Europäerreste an der nordafrikanischen Küste, dem Zugriff der Europäer entzogen, offenbarten ihre Kraft. In den dudelnden verträumten Städten trieben sich plötzlich hetzende Menschen herum. Die Wut wurde aufgepeitscht. Die Apparate, die man hatte für Belustigung, die Gestaltenentwickler, wurden benutzt zur höhnenden Darstellung des Lebens der Königin Melise und anderer. Da war die Kathedrale bei Bordeaux, ihre Priester und Priesterinnen, die Lanzen der Söldner. Die bestialischen Totengerichte spielten sich ab, Männer Frauen von den Straßen Äckern, aus den Häusern gerissen. Die stummen gewaltigen Apparate zerstören. Die Köpfe zerstören, aus denen sie kamen. Es fanden sich in den Landschaften, wie von einem Wind getroffen, Männer und Frauen, die gegen die Gehirne vorgingen, aus denen die Apparate wuchsen. In hinterlistiger Weise, durch Liebende Freunde Kumpane beim Trunk wurden in den gewaltigsten Stadtlandschaften Menschen der Herrscherschicht weggerafft. Der Mähende und seine Saat kam meist zugleich um: so wild war der Trieb die Apparate zu beseitigen, daß kein Angreifer an sich dachte. Oft schlummerte man unter Kokain und brasilianischen Giften ein, Angreifer und Angegriffene. Der Boden unter den Apparaten sank. Die Männer und Frauen, die sich so opferten, waren nicht zu zählen. Targuniasch und Zuklati sind die Männer gewesen, die ohne Macht zu besitzen, ohne Menschenmassen hinter sich, an die Senate ihrer Staaten geradeaus die Forderung stellten, die Maschinen herzugeben und sich dem Volksspruch zu unterwerfen, welche Apparate zu erhalten seien. Die wandernden unsichtbaren Überwachungsausschüsse und Kommissare konnten sie nicht ermitteln. Denn beide Männer sprachen zu niemand, waren ihrer Umgebung selbst verhüllt. Es kam die Zeit der schweren Erlebnisse für Antwerpen und Calais. Dort hielten die beiden sich auf. Eine Kraft, die man nicht kannte, arbeitete sich rasch in die gefährlichsten Geheimnisse ein. Die erschlaffte Herrscherschicht zuckte zusammen, merkte auf. Kein verdächtiges plötzliches Hinsterben beim Tafeln, kein fremder Zugriff; sie hatten Verräter unter sich. Die eintreffenden Kommissare Londons fanden nichts. In Antwerpen waren eines Tages alle Schalter der Zentralstadt zerstört, die Schutzwaffen der meisten Herren verschwunden. Die Stadt war wehrlos. Targuniasch rief zum Angriff. Die Masse hörte ihn erstaunt an, lärmte verlief sich. Als London erschien, war er untergetaucht. Targuniasch wühlte weiter. Vergebens. Die Oberen warfen neue Vergnügungen über die Menschen. Da stand eines Tages das Triebwerk Antwerpens still. Am Abend lief noch nichts. Zwei Tage nicht. Der Name Targuniasch war auf allen Lippen. Man fand den Mann verkohlt zwischen den Leitungen eines Hauptkraftspenders, den er damit zerstört hatte. Zuklati endete ähnlich in Calais. Die Besorgnis der Herrscher war aufs Höchste gestiegen. Man saß da, wußte keinen Rat. Timbuktu spie Verzweifelte Attentäter auf Rom. Die zwei Frauen, die aufs tiefste erregend in Francisko am Großen Ozean erschienen, stammten aus dem kampfzerrissenen Sidney. * * * * * Der Umschwung erfolgte nach Jahrzehnten der Attentate und Repressalien durch die heraufsteigende Generation der Herrschenden. Die alten Köpfe, mißtrauisch traurig vergrämt unfruchtbar, waren schon auf Paktieren aus. Da warfen die Jungen sie um, setzten sich an ihren Platz. Die Jungen hatten das Gefühl der verlorenen verhängnisvollen Situation. Sie griffen ein, bundartig in den meisten Kapitalen zusammenhängend. Eng an die Massen schlossen sie sich an, die sie unfeindlich aufmerksam durchstreiften. Die Massen, gärend führungslos, nahmen enthusiasmiert den Wechsel hin. Erst wurden einige Stadtschaften von dem neuen Geist ergriffen, dann viele andere. In Europa vollzog sich der Bruch mit der Dünkircher Direktive in einer Schroffheit, die die ganze Spannung der Massen offenbarte. Die Überwachungsausschüsse mit ihren schrecklichen Geheimnissen verschwanden, die Abriegelung der Kenntnisse gab man preis, die Senate wurden geöffnet. Die aufrührende Kraft des Ereignisses war geheimnisvoll. Und dahinter fühlte man lockend fordernd in die Knie zwingend das Neue. Und das Neue kam so rasch wie die junge Generation. Begrüßt von den Massen bewegten sich jetzt durch die Straßen Anlagen Werke Regierungsgebäude blühende Männer und Frauen. Ritten durch die Länder, erregten durch ihr Erscheinen maßlose Freude. Sie waren sachverständig wie die Alten. Zum ersten Male seit vielen Jahrzehnten tauchten in Städten Frankreichs Deutschlands Italiens Fahnen auf, an Häusern Flugzeugen Wagen. Wie aus dem Dunkeln stiegen diese Zeichen mit den Jungen auf. Die noch lebenden Alten staunten, waren hingerissen, fürchteten sich, warnten. Etwas Mächtiges war im Begriff auf dem Kontinent zu werden. Die Fahnen der neuen Demokratie, die in London Paris Calais Berlin und rasch über allen Landschaften erschienen, sehnsüchtig begrüßt, so daß die Frauen sich in sie hüllten, die öffentlichen Gebäude wie die Fabriken und Wohnhäuser ihre Fassaden dahinter versteckten, waren nicht von gleichen Farben. Oft üppige Zusammenstellungen, die an die alten Nationalfarben anklangen. Aber überall silbern weiße und goldene Sterne Sonnen und Monde. Die blühenden jungen Männer und Frauen der Herrscherschicht trugen die Fahnen über die Landschaften. Die Massen fielen der Sonne dem Mond den Sternen zu. Diese Sterne und der Mond blitzten an dem alten Himmel. Von der Erde schlugen jetzt Millionen Herzen heftiger bei ihrem Anblick. Dies waren keine Frühlingsträume Liebeslieder, was sie bewegte. Es legte ihnen nicht den Kopf auf die Seite, formte ihre Lippen nicht zum Seufzer, machte ihr Gesicht schmal, die Beine schwer. Hingezogen hinkrampfend: sie wußten nicht, was sie wollten. Aber aufs Innigste wußten sie: das waren ihre Zeichen. Die Wühlereien Insulte Attentate auf die Senate hörten auf. Die Menschen verschworen sich den Zeichen. Begehrten sich für sie zu zeigen. Im Momente, wo die himmlischen Abbilder auf den Fahnen der Kontinente erschienen, brausten die Wasserstürze, die fern von den Zentren die Dynamos antrieben, heftiger siegreicher. Die Sonderturbinen der alleenlangen Werke sangen hoch und tief wie in Chören. Die Transmissionen die Drähte, rasselnd schnarrend, dumpf stöhnten kreischten. Etwas Lächelndes Freches blitzte aus den Kabelwerken den Rohrleitungen der Werkstätten. In die Menschen der Städte, die um diese tonnenschweren Untiere von Maschinen liefen, ihre Hebel und Gestänge angriffen, über die Gestänge sich zogen, war eine Liebe zu diesen eisernen Wesen gefahren. Ihr Dröhnen Schnattern Einschnappen tat ihnen wohl. Es labte erregte sie wie eine Liebesbegegnung. Es war nach dem Mißtrauen und Eigenbrödeln des vergangenen Jahrhunderts, dem Wuchern Vorsichhocken der Städte und Landschaften eine Verbindung hergestellt über Europa und bald über die großen drei Kontinente. In die Senate traten zu den Jungen der Herrscherschicht kraftvolle Männer und Frauen der fremden Massen der Völker der Versklavten. Die Massen waren Hände der anderen gewesen, genießende Münder gestreichelte gewärmte Haut. Über sie brauste der Geist so wild, daß sie, wie sie ihn fühlten, zu zerstörerischen Angriffen auf die getrieben wurden, die sie so lange davon zurückgehalten hatten. Die von den Alten vieler Stadtschaften befürchtete Ausrottung der Herrengeschlechter erfolgte an vielen Orten; das waren belanglose Vorgänge, die den Verlauf der Dinge nicht änderten. Die Menschen, die sich jetzt neu an die Apparate warfen, die Mysterien der Kenntnisse aufnahmen, waren heißer, als die sie ablösten. Kosend, in stürmischem Überschwang, glückschwellend krochen Männer und Frauen an die Maschinen, die jetzt ihre waren. Das Eisen erschien ihnen beseelt wie ihr eigenes Fleisch. Während ein Branden die Kontinente erfüllte, die letzten Alten der Herrscherschicht alles verloren gebend ins Grab sanken, zeigte sich eines Tages in Süddeutschland eine junge Frau auf den Straßen einer großen Stadtschaft. Trug ein riesiges Banner mit den Zeichen der Gestirne. Aber es waren nicht nur Sterne Sonne Mond auf dem Banner, sondern ein Feuer, das von den Gestirnen ausging, die wie Früchte aufgebrochen waren und Flammen hochwarfen. Das Banner lehnte sie auf einem Platz an einen Baum, sprang vor den jäh erregten Tausenden, die mit ihr gezogen waren in einem ausbruchsüchtigen Drang, auf die Granitschale des Brunnens. Das Wasser der Fontäne stäubte im Wind über sie, ihre Füße standen im Becken. Oben schwang sie, gelbes sanftes rundes Gesicht braune Augen, die dünnen Arme, riß sich die Brust auf: „Wie lange wollen wir herumgehen? Die Straßen betreten? Den Staub, die Steine? Wozu? Wozu sind wir da, wozu bin ich da? Wißt Ihrs nicht? Ich weiß es. Wir lieben das Eisen; die Kraft ist in uns, die Stärke, die keine Zeit hatte. Man hatte uns davon abgesperrt. Jetzt haben wir sie. Jetzt fühlen wir sie. Sie ist unser Blut unser Leben. Es ist nicht die Erde. Was soll die Sonne auf unseren Fahnen, Mond Sterne. Nicht Sonne Erde Sterne. Wir! Wir! Wir! Wir Menschen! Die Sterne aufbrechen! Die Sonne aufbrechen! Wir können es! Wir haben ein Hirn im Kopf. Da stehen unsere Maschinen. Unser Fleisch. Ich liebe sie. Was ist kräftiger als sie. Was ist kräftiger als wir mit ihnen. Meine Seligkeit. Ich will nicht an mich halten. Kommt, Freunde Freundinnen, zu unserer Kraft! Zu unseren Kindern! Zu unserem Herz.“ Sie war mit dem Banner, geführt von ekstatischen Menschen zum nächsten Kraftwerk getragen worden. Ein Zittern befiel die Arbeiter beim Heranrauschen der Scharen. Durch den Riesenraum wogte das Banner, das ihnen an die Seele griff. Das Lied von Targuniasch, dem Befreier brauste. Die Frau schrie vor einem surrenden rastlosen Ungetüm: „Targuniasch, der Befreier. Er wollte die Werke zerstören. Wir wollen sie für uns erobern. Unser Blut ist bei uns. Meine Seligkeit! Meine Seligkeit! Wir wollen uns nicht zurückhalten vor ihnen. Hin! Ich muß hin!“ Und unter Aufschrei Hinsinken von Frauen und Männern, besinnungslosem tobsüchtigem Stöhnen und Kreischen stürzte sie sich von der steinernen Umfassung des Maschinenkörpers in seinen blitzenden wogenden eisenschmetternden Leib. Keinen Augenblick änderte die Maschine ihren Lauf, herrisch dröhnte sie in ihrer steinernen Umfassung. Sie wühlte in ihrem Bett, schlang den Frauenleib, salbte sich mit seinem gießenden hellroten Blut. Riesig überschmetterte sie Kreischen und Schreckensstille der Menschen. Ein Mann auf der Umfassung, klein geduckt, Gesicht, das nicht zeigte ob es lächelte oder weinte: „Hin ist hin. Was ist ein Leib für eine Maschine. Wieviel muß eine Maschine fressen, um ein Mensch zu sein. Sie muß nicht glauben, ihr genug getan zu haben. Das war für das Maschinchen ein Tropfen. Hört an, wenn ich ‚hi‘ schreie, was das Maschinchen dazu sagt. Hi! Hi! Da bin ich nichts; sie ist lauter. Das braucht mehr als einen Menschen. Wer will mit auf die Reise. Gurre, gurre, gurre!“ Er lockte. Zu zwei, drei, vier standen sie oben, blickten von der Umfassung. Der verzerrte kleine schrie: „Ein Sprung.“ Sie hatten sich angefaßt, waren hin. Die Körper warf die Maschine im Bogen über sich; es war, als spie sie sie noch mal aus, bis sie die Überkugelten Zurückstürzenden schluckte. Einen Moment schnurrte sie, als wenn sie sich innerlich riebe und zögerte; donnerschmetterte eisentoste weiter. Die Fahne der Frau hob am Schaft eine andere Frau, der die Zähne schnarrten. Sie war sehr groß; die Fahne hielt sie vor sich in gefalteten Händen; angstvolle Miene, die Knie vibrierten unter ihr; sie trat auf die Umrandung. „Keiner mehr heran. Laßt die Maschine ruhn. Sie schluckt. Für heute genug.“ So donnerwetterte die Maschine, daß sie flohen. Sie waren in vielen Städten so hingenommen. Sie sprangen auf die Beute. Die Fahnen der jungen befreienden Männer und Frauen wehten über den Landschaften. Knechtend hinzwingend wehten sie über den Landschaften. Sie rissen die Blicke weg von den Äckern Straßen Fabriken. Wie ein Wurm schlich es hin zu den Männern und Frauen, die fühlen konnten; aus der Berührung der Werkzeuge, dem Blick auf die Werkfronten, den Reden der Menschen, den Gesten schlich es in ihre Arme, hob sie an die Brust, ließ sie an die eigene Brust sich legen, ließ die Kniee sich aneinanderdrücken, die Füße Knöchel sich aneinanderpressen, drückte das Kinn auf die Brust, daß sie standen und sich wieder frei machten sich schüttelten wild räkelten. Um die großen Anlagen die Werften Fabriken, um die Lager der Flugzeuge, neben den Schienen den wandernden Häusern gingen in Dunkelheit die Menschen, die farbigen heißen die weißen gelben, schielten, waren bezwungen, wanden sich, barmten: „Was sollen wir tun?“ Sie trugen die losen und engen Arbeitskleider. Die Ruhe hatten, hatten bauschige Jacken Überwürfe an sich hängen, wallende Hüte Schärpen, schleppten sie die Dämme und Mauern entlang. Wie sie sich duckten: „Tu uns nichts. Was sollen wir tun. Sag uns: was. Sprich: was. Her den Mund zu uns, an unsere Ohren. Wie es uns knirscht in der Brust; wie wir klein sind. Nein, wir sind groß. Zeig uns, wie wir springen sollen; wir werden springen.“ Bäumten sich: „Wo ist Rettung.“ Sie litten unter dem Drang. Durcheinander von Liebe Inbrunst Zerstörungswut. Zerstören mußten sie die Apparate, die sie liebten. An vielen Orten taten sie es. Sie taten es nicht gern. Sie waren nicht anders als die Männer und Frauen, Herren und Herrinnen, die dann in großen Schleiern und Schatten, sichtbar und unsichtbar hinter ihnen waren, sie beim Nacken ergriffen, zum Hinrichten und Vernichten fortschleppten. Von diesen Händen, die sie steif hielten, hingen sie herunter. Sie waren eins mit ihnen, lachten und wanden sich zappelten tobten: „Tötet uns. Was macht es aus. Es wird uns nicht ändern.“ Die Leiber, die sie schleppten, – die Schatten, sichtbar und unsichtbar hinter ihnen, – schrien: „Warum habt Ihr Euch an unserem Blut vergriffen. Warum an unserem Blut. Ihr sollt es sagen. Dies sollt Ihr sagen.“ Von denen, die an ihren Händen hingen, lachend zuckend: „Sar Tiglat! Iddiu! Ihr wollt es wissen. Was wollt Ihr von uns wissen. Wir sind Euch voraus. Ihr werdet uns töten. Ihr nehmt uns das Leben ab. Wir danken Euch.“ Man warf sie in keine Maschine, um das Werk nicht zu schänden. Nahm keinen Stahl, um ihn nicht zu beschmutzen und zu kränken. Suchte Felsen Wasser Sümpfe Flußlachen auf, zerwarf erstickte sie. „Oh hätte ich mehr Hände“ schrieen die Richter. „Oh hätte ich mehr Leiber“, die Vernichteten. Wut und Entzücken in beiden. Was war mit den Männern und Frauen. Wie sie tausendmal kampflos nebeneinander stiegen, von Inbrunst und Verwirrung vor dasselbe Ziel getragen, so hielten sie sich tausendmal bei den Fingern, an den Daumen Knöcheln Ellbogen Schultern. Die Finger zogen sich weg, krampften zusammen. Die Daumen stellten sich auf, bohrten sich ein. Die Ellbogen spreizten sich, stemmten sich, zuckten wie Scharniere zusammen, schlugen wie Türen zusammen. Die Schultern waren nicht anders wie Wasser. Wie ist das Wasser. Das Wasser ist weich. Faßt man auf das Wasser, so weicht es aus, schwindet hin, ist nicht da, schlägt über die Finger und ist da und nicht weg, hat Finger Hände Knöchel verschlungen. Die Schultern nahmen die Hände, sanken wie Tasten unter den Fingern herunter, bebten auf, wogten tiefer, schwankten wie ein Boot rechts und links, fegten wie Segler zur Wasserfläche herunter. Fuhren rechts aus, links aus. Das war wie Schilf unter dem Wind, flatterte ab, schnellte auf, schwamm in Ruhe. Spritzte wie Milch in Röhren herunter, drang hochgesogen empor. Die Schultern, – bis ihre Muskeln sich verfestigten aufsprangen sich versteinten und es hieß: leben oder sterben. Kein Geschlecht begehrte vom andern, es möchte schwächer sein. Jedes begehrte vom andern, es möchte stärker sein. Damit man es wilder eiserner fürchterlicher tiefer fassen und daran verderben könnte. * * * * * Von Italien begann es. Die Landschaften waren plötzlich erfüllt von Scharen, die sich aus den Werken Siedlungen lösten. Die gaben vor, der Geist der Maschinen Apparate zu sein und ergossen sich über die Gebiete der Städte. Es waren wilde halbverwirrte Scharen. Mit Maschinenrädern schwarz blau rot ihre Brüste bemalt, die sie offen trugen. Die knatternden Riesenbanner mit Sonne Mond Gestirnen über und vor ihnen. Feuer brach aus den Gestirnen. Oft, viel öfter aber brach es nicht aus ihnen, sondern stieg Feuer aus der Dunkelheit unter ihnen. Der feurige Schwalch schlug zum Himmel, hüllte die erblassenden Zeichen ein. Die Dunkelheit war nichts als eine Wolke. Manchmal war sie ein Kopf eine Brust der schwarze Raum zwischen zwei hochgehobenen Menschenhänden. Zwischen denen brunstete knisterte flutwogte schwoll das Feuer auf, zur Seite, leckte herunter. Diese Menschen waren Mordsenger. Sie zogen autonom hin. Man wagte ihnen, die furchtbar finster durch Deutschland Frankreich Italien Irland schritten, nicht zu widerstehen. In Amerika, an der Ostküste zerstörten sie kleine Siedlungen. Dann äscherten sie große Teile von Chicago Washington ein. Wie der Blizzard erschienen sie, wie der Heerwurm machten sie unter sich den Boden kahl. Stiegen über Gebirge, hielten nicht vor Wüsteneien. Es war kein einziger unter ihnen Mörder Mordbrenner Mordsenger. Immer wurden sie, was sie waren, wenn sie zu den wandernden getriebenen schäumenden brandenden Scharen stießen. Sie schmolzen zusammen mit ihnen. Stolz trieben sie an Flüssen vorbei, die sie austrockneten zerrissen umlenkten. Zu nichts trugen sie schwere Apparate mit sich, als um Erde und Himmel anzufassen. Sie suchten Widerstände auf. Rasierten vor sich mit zwei drei ihrer Flammenschleuderer Haine und Forsten, die ihnen im Wege standen, stampften über die heiße kahle Landschaft. Kinder, die geboren wurden, warfen die Mütter widerwillig hinter sich. Diese Menschen erstickten an sich selbst. Denn zuletzt drangen sie auf sich selbst ein. Die Gewalt, die sie hatten, mußten sie auch an sich zeigen. Aus Massenopfern wurden Massenselbstmorde. Es waren Ereignisse, die in den durchschrittenen Landschaften furchtbar und ansteckend wirkten. Zahllose wurden in den Wirbel hineingezogen. Grimmig fordernd blickten die brennenden Fahnen auf die Gebiete herunter. Ihr Knattern klang erregender als Kriegsgeheul. Die Fahnen riefen die Männer und Frauen aus den Häusern. Sie mußten sich stellen, in Reih und Glied, als wenn es zum Kampf ginge. Und dann wurden sie über fremde Stadtschaften geworfen, zerbrachen Wälder, rissen Flüsse auseinander, traten sich gegenüber, Mann und Frau, um sich hin zu ringen, den Strick von eigener Hand um den Hals, das Messer in eigener Hand, den Strahl den man selbst gerichtet hatte, gegen die bemalte Brust, schweißige Stirn, das heißblickende erwartende Auge. Jahrelang fluteten und ebbten die Mordsenger und Scharen der Selbstmörder über die westlichen Landschaften. Bis aus ihren eigenen Massen die Gewalten entstanden, die sie vernichteten. Inka Stochod, ein Pole, dämmte die Welle, von der er selbst eine Zeit getragen war. Mit einer Handvoll Ergebener, kraftvoll nüchtern, dabei ekstatisch heiß wie er, tötete er im Ostdeutschen an einem Pfingsttage eine Anzahl der turbulentesten Menschen neben sich, Männer und Frauen, die schon übereingekommen waren, sich zu opfern. Stochod beseitigte sie, ehe sie es konnten. Den Scharen, die in der schlesischen und mährischen Landschaft in seiner Nähe waren, berichtete er das Geschehene, überzog sie, warf sie hin. Mit einigen weiteren Schlägen erstickte Stochod, Menschen und Waffen aus Berlin Hamburg heranziehend, die Erregung in Ost- und Mitteldeutschland. Schwankende Senate der südlichen deutschen Landschaften gewannen Kraft, gegen die Banden in ihrem Gebiet vorzugehen. Stochod konnte zur selben Zeit in London von der Befriedung des großen mitteleuropäischen Gebiets berichten, wo die mit ihm erschienenen Skandinavier und Italiener fassungslos von dem Schreckwesen sprachen, das ihr Gebiet heimsuchte. Auf dieser Konferenz in London waren Stochod und Arsen Yorre aus Lyon sich gegenübergetreten. Stochod mittelalterlich lockenwallend, in der bunten prächtigen Tracht seiner Zeit, mit Pelzmütze und steiler Feder, ein schwerer immer lachender Mensch, der, dem furchtbaren Treiben entrissen, von Späßen übersprudelte, mit seinen fleischigen Händen sich selbst Beifall klatschend, listig aus seinen gelblichen Augen blinzelnd. Er umarmte Yorre, den sehnigen aus Eisen gegossenen Südfranzosen, der in Frankreich begonnen hatte, was Stochod schon beendet hatte. Stochod sich dehnend brüllte von seinen einfachen Methoden. Sie standen im Nebel auf dem Balkon in der Downing Street. Das heraufknatternde Leben unter sich konnten sie nicht erkennen. Sie schwuren sich Hilfe. Stochods Geliebte und Mitregentin, eine junge aalglatte Polin, schwarz umrahmtes mit einfachen Linien gezogenes Gesicht, ließ ihre Augen blitzen, als sie die beiden zusammenfand. Sie sah Yorre streng an; als sie aber eine Weile zugehört hatte, griff sie den Franzosen bei den Schultern an. Er ließ sich betasten und spannte seine Muskeln an. Sie konnte ihre Finger nicht von seinen Armen lösen; er klemmte ihre Hände an seinem Brustkorb fest, daß sie schrie. Sie ließ sich dann von ihm umarmen und auf den Mund küssen, hängte sich rasch wieder an Stochods mächtige Brust, der ihnen strahlend zugesehen hatte, und ihren biegsamen schlanken Rücken unter freudigem Brüllen streichelte. Von Lyon aus warf Yorre in wenigen Wochen die zerstörerischen Fanatiker nieder. Vor Paris, wo sich die restlichen Banden eingeschlossen hatten, erschien er in einem märchenhaften Aufzuge. Er lagerte sich zehn Tage vor der Stadt. Die Fernwaffen von Paris konnten ihm nichts antun. Hinter ihm waren die Kenntnisse Londons Amerikas Deutschlands. Er ließ alle in seine Stellungen, die hereinwollten. In der Stadt Paris war die Tobsucht des Mordens und Selbstmordens nicht zum Stillstand gekommen; Yorre ließ sie ohne Bewegung sich ausrasen. Schauernd standen seine Massen vor der Stadt, hinter deren machtlosen Masten und magnetischen Riegeln das Feuer brannte, das von den Ebenen weggetrieben war. Draußen zuckte es in ihnen noch. Sie spannten die Muskeln an, drängten es herunter. * * * * * Unter dem starren großartigen Zwang der Technik und ihrer bestrickenden Wirkung auf die Massen kam in der Mitte des fünfundzwanzigsten Jahrhunderts die Wasser- und Sturmlehre auf. Es wurde von einigen Köpfen der Masse, – unter ihnen besonders der Indianerabkömmling Surrur in Edinburg, ein Guato von Paraguay, und der Norweger Sörensen – hingewiesen auf die sehr große Zweckmäßigkeit und das fast maschinelle Zusammenarbeiten in den Tierstaaten. Hier folge jedes Tier einem ganz bestimmten Arbeitsdrang, der für alle nützlich sei, trage Halme zusammen, zerbeiße Pilze, baue Waben. Dies seien Dinge, die eine Gruppe und Arbeitskategorie gleichmäßig nach ihrer Kraft verrichtete, unpersönlich triebmäßig reflexartig. Man könne nicht sagen, daß der menschliche Zustand der Zersplitterung dem gegenüber einen Fortschritt bedeute. Es sei unrecht ein Privatleben zu führen und Individuen zu dulden. Sie führten aus, es genüge, wenn eine gewisse kleine Anzahl Menschen sich dazu hergebe, bestimmte Sonderfunktionen auszuüben, zu denken planen Personen zu sein. Im übrigen sei es im Interesse der Menschheit, für die ungeheure Masse einen gleichmäßigen Dauerzustand herzustellen, ihnen das doch nie ausgelebte Eigenleben zu nehmen, sie vegetativ einzuebnen. So garantiere man Gleichmäßigkeit und Glück des Einzelwesens. Und nur so. Denn sicher könne weder durch Lehre noch durch private Bemühung der Einzelne zu einem Glück kommen oder vor Unglück bewahrt werden. Sie wiesen auf das Fluktuieren, das bekannte ganz ziellose Schaukeln der Weltgeschichte. Die Ursache für dieses Hin und Her, das Aufsteigen und Abstürzen großer Reiche, blühender Zentren liegt in der guten Absicht der Individuen und Völker, von sich aus etwas zu leisten. Die Massen sind aber zerspalten in Schichten Parteien bis herab zu Einzelpersonen; einiges gelangt zu dem, einiges zu dem, man versteht sich nicht, bekämpft sich, das ist der Keim des Untergangs. Die Einebnung zu einer Menschenmasse muß jeder anderen Bemühung vorangehen. Ein Soldat ist gesättigt, jenseits von Glück und Unglück, in seinem Dienst. Verläßt er Reih und Glied, geht er allein mit den Kameraden oder in eine Familie, so beginnt das Schwanken seine Unbrauchbarkeit Gefährlichkeit. Die Wasser- und Sturmlehre Sörensens und Surrurs zeigte auf die Einförmigkeit der Wasser- und Luftteilchen; man könne nur als Phantast annehmen, daß es Luftpersonen und Wasserpersonen gäbe. Milliarden Luft- und Wasserteilchen sind völlig gleichartig zusammengeschoben, bilden Luft und Wasser. Luft und Wasser aber sind Dinge, gewaltiger an Kraft als Staaten und Menschenhaufen und von unglaublicher Beständigkeit. Surrur, dem die Technik der Lebensmittelsynthese Außerordentliches zu verdanken hatte, behauptete ernsthaft und nachdrücklich von Edinburg aus: es bliebe den Menschen nichts weiter übrig als Einzeltier oder vegetative Masse zu werden. Das Einzeltier sei unmöglich. Bliebe nur die vegetative Masse. Damit sei gegeben: Aufhören der Geschichte, Sicherheit der Art Mensch. Er dachte das durch staatliche Züchtung, über Jahrhunderte fortgesetzt, durch biologische Eingriffe, besonders Ernährung zu erreichen. Mit Lehren dieser Art wurde ausgesprochen, was sich im europäischen Völkerkreis schon bewegte. Es sollte sich zeigen, daß sie ununterdrückbar immer wieder auftauchten und einem tiefen Drang der gehetzten Wesen entsprachen. Dem aufkommenden einförmig strengen Massenideal konnten sich die Frauen am leichtesten unterwerfen. Damals forderte niemand Milde. Erbarmungsloses Sichten und Ausscheiden wurde als selbstverständlich angesehen. Man vernachlässigte planmäßig den Schutz der Schwachen. Unglückliche wurden nicht bedauert, sondern verachtet. Das Humanitätsgefühl, das ererbt war, schwand. Überall blieben am Rand der großen Menschengesellschaften, in den größten Städten, Organisationen zurück, die, von Abkömmlingen der alten Herrengeschlechter geführt, es sich nicht nehmen ließen, Sieche Greise Kranke zu pflegen. Sie waren in vielen Landschaften, in manchen Jahrzehnten, verfemt, konnten sich nur unter Decknamen im tiefsten Dunkel am Leben erhalten. Und besonders das anströmende Volk war es, das diese Wohlfahrtsgesellschaften haßte, ihre Niederlassungen oft sturmartig vernichtete. Einzig am Glanz der Apparate teilzunehmen, ihre Kraft vorwärts zu treiben, beseelte die Menschen: hier gediehen die Frauen. Der schwächliche Typ der westlichen Frau verschwand. Die neu aufkommenden Frauen haßten nichts so als zarte Frauen, die die Wonne der Männer gewesen waren. Sie mißbrauchten sie, machten sie zu Dienerinnen, demütigten sie grausam, deren Art nach wenigen Generationen einging. Überall taten sich die Frauen beim Absterben der Familie zusammen, übernahmen die Initiative für den Schutz und die Aufziehung der Säuglinge und kleinen Kinder. Sie hatten die gleiche Sachlichkeit und Kälte wie die Männer, dazu größere Brutalität. Lebten in gewaltigen Kameraderieen, die sich über die größten Stadtlandschaften ausdehnten, saßen aber auch in den einzelnen Werken und rangen mit den Männern, die sich gegen die Frauen wehrten wie gegen andere Männer. Die Männergesellschaften, die sich dann bildeten, konnten an Kraft nicht mit den Frauenbünden wetteifern. In diesen Bünden organisierten die Frauen den Dienst und die Verteilung der Geburten. Sie waren sich bewußt, welche Einbuße ihr Geschlecht durch Schwangerschaft Geburt Stillen der Kinder erlitt. Es hieß den Nachteil möglichst gering gestalten, die Fähigkeit der Frau, Kinder zu gebären, aus einer Schwäche zu einer Stärke zu gestalten. Die Frauen waren es, welche lange Zeit allein unter sich bestimmten, wer von ihnen und wie viele sich zum Gebärakt herzugeben hatten. Denn es war klar, daß man ebensoviel Kampfeinheiten verlor. Erst in diesem Augenblick wurde die jahrhundertelang diskutierte Frage der Menschenzüchtung beantwortet, gelegentlich der Lösung einer anderen Aufgabe. Die Frauen stellten sehr widerstandsfähige starke ihnen genehme Exemplare für die Kindererzeugung bereit, von denen sie erwarten konnten, daß sie durch Geburten nicht niedergebrochen wurden und daß sie kräftige Kinder bringen würden, an die nicht überflüssige Kraft vergeudet wurde. Die Einrichtungen, die die Frauen aller Kapitalen nach Absterben der Familien für die Mutterweiber schufen, waren die einzigen von humanitärem Anstrich und gehörten zu den großartigsten und bestgeschützten Gesellschaftserzeugnissen der Epoche. Allein die Frauen, und zwar eine lange Zeit die der Bünde, bestimmten und gaben bekannt die zur Vaterschaft geeigneten Männer. Früchte unbekannter Herkunft wurden rigoros vernichtet. Hätte diese Epoche der westlichen Menschheit länger gedauert, so wäre die weibliche Vorherrschaft besiegelt gewesen. Denn die Frauen hatten es in der Hand, und erfaßten es rasch, daß nach Verfall des sanften Hin und Her zwischen Mann und Weib das Gebären der Kinder die furchtbarste Waffe gegen die Männer war. Frauen konnten zwar vergewaltigt, aber nicht zum Gebären gezwungen werden. Sie hatten es in der Hand, die Zahl der heranwachsenden Männer zu vermindern. In den Frauenbünden lebte schon der Gedanke, nur eine geringe Zahl männlicher Kinder am Leben zu erhalten. Sie hatten vor, das Andrängen fremder Volksmassen abzuwarten, dann diese Waffen gnadenlos zu gebrauchen. Man hörte schon aus nördlichen Stadtschaften, in die langsamer Fremde eingeschwemmt wurden, daß die Frau in den Senaten die Oberhand hatte, in ihrem Gebiet Vielmännerei durch ihre Geburtenpolitik erzwang. Da machte das Übermaß plötzlich auftauchender Entdeckungen und Erfindungen, dieser so leidenschaftlich und streng von allen betriebene Fortschritt, allen Plänen ein Ende. * * * * * Wilder als je erhob sich um das Ende des fünfundzwanzigsten Jahrhunderts und den Beginn des neuen das Gespenst der neuen Erfindung, des vernichtenden Fortschritts. Erfindungen nahmen ganzen Industrieen den Boden, leerten wie ein Krieg ein Dutzend blühender Städte aus, die sich auf die Wanderschaft begeben mußten. Es war eine Wanderung von Völkern, derer sich die Nachbarstaaten annehmen mußten, falls sie sich nicht kriegerischer Überflutung aussetzen sollten. Nichts ist an Wut zu vergleichen dem Kampf, der gegen die Erfindung des Lichtanstrichs geführt wurde. In dem dunklen Helsingfors wurde einmal das Geheimnis des Anstrichs von einem Mann gefunden, den das Fluoreszieren der Fluorite, Sodalithe, des Berylls nicht losgelassen hatte. Frau Garner, deren Sklave er war, oder Freund oder Gehilfe, griff die schwärmerischen träumerischen Einfälle Tikkanens auf, mit scharfem Durchschauen. Zielbewußt arbeitete sie jahrelang, ohne Tikkanen davon zu sagen. Als sie Tikkanen in ihr völlig finsteres Versuchslaboratorium kommen ließ, aus einer Stahlbombe an der Tür die Wand neben sich anspritzte, und ohne daß der stumm und sanft wartende Mann einen Apparat sah, die bereitgestellten Gasflaschen gegen die feuchte Wand hauchen ließ, schwoll zu seiner maßlosen Verwunderung eine Helligkeit neben ihm auf, grünlich, dann rötlich, gelb, zuletzt ein Weiß, das alle Gegenstände Gestalt, Farbe annehmen ließ. Das Staunen des bezwungenen Mannes war grenzenlos. Tikkanen erkannte nicht die Elemente der Erfindung. Erst wie die Frau ihm die Analyse der Spritzmasse gab, fand er sich zurecht. Ihm dämmerte schwermütig etwas. Er sprach es aus, als sie die Verbesserung und Vereinfachung der Methode überdachten: im Grunde schiene ihm die Entdeckung mit seiner Beobachtung am Strand der Insel Smölen zusammenzuhängen. Er lächelte dabei diskret. Sie hatte dies Lächeln schon lange erwartet. Sie ging mit ihm ohne ein Wort zu sprechen in den Versuchen weiter. Sie forderte ihn auf, die Verstärkung der Leuchtkraft beim Auftreffen der Masse auf pflanzliche oder tierische Gewebe zu prüfen. Die Hunde, deren sie sich bediente, reagierten, wie sie schon wußte; sie husteten ihn an. Der Mann überlebte die Hunde nicht lange. Nach einem Jahrzehnt war die Substanz fertig. Sie bedurfte einer großen Zahl geübter Sonderarbeiter und Sonderfabriken. Aber hebelte hundert Werke aus, die Licht Lichtträger Lichtfortführer erzeugten. Es war so geworden: niemand war vor Erfindungen sicher, die aus dem Hinterhalt auf die Menschen fielen. Wie früher Epidemien die Menschen verheerten, Städte ausrotteten, so jetzt das ruckweise Anwogen neuer Erfindungen. Werke Anlagen Städte Landschaften wurden auf Grund von Erfindungen von den überterritorialen, meist London–New-Yorker Konzernen hingestellt, die Menschen aus allen Erdteilen für den bestimmten Zweck ansiedelten. Bis ein neuer Fortschritt sie niederwarf verschwinden ließ. Die planende Industriegruppe zog sich von ihrer Gründung zurück; auf dem Kontinent aber wallten ziellos neue Hunderttausend. Wie sie drohend entwurzelt ausgehalten von den Nachbarstädten und Landschaften über ihren Boden fluteten, verlangten sie Schutz vor den Erfindern, oder wie sie sagten: vor den Konzernen. Da griffen die örtlichen längst verblaßten Senate dies Stichwort auf. Sie kamen den Massen entgegen. Die Senate schworen, jeder Zertrümmerung der Stadtschaften durch fremde kriegerische oder technische Angriffe Widerstand zu leisten. Dann stellten sich die Stadtschaften, stolzer als je aufwachsend, auf eigene Beine. Die zertrümmerte Gewalt der großen Familien wurde neu gekräftigt. Die Stadtschaften mußten sich zum Teil nach rückwärts entwickeln, vielseitig arbeiten und erzeugen, um nicht durch einen Stoß umgeworfen zu werden. In den Stadtschaften bewegten sich die gezügelten Massen sehr ruhig. Sie durften brüllen: „Weg mit neuen Erfindungen!“ Dieser Haß war es auch, der den neuen Herren es erleichterte, die Zahl der zur Technik und Wissenschaft zugelassenen Menschen wieder zu rationieren und sich selbst zu befestigen. Die Senate ließen sich offen das Mandat geben, neuaufkommende Techniken zu prüfen und ihre Verwendung zu genehmigen. Die Stadtschaften hängten sich eng aneinander. Es bestand ein Ring der Stadt- und Landschaften. London, sehr aufmerksam, kontrollierte sie mit ihrem eigenen Einverständnis. Die Herren der Städte aber, mit Volkszustimmung zu großer Macht gelangt, saßen hohnvoll hoheitsvoll da, Männer und Frauen, und lachten. Lachten, wie die Völker ihnen vertrauten; sie wollten gewiß helfen, daß den Städten nicht der Boden durch neue Erfindungen entzogen wurde. Lachten: „Wir werden euch nicht den Boden wegziehen lassen. Wenn Ihr nur wüßtet, auf welchem Boden Ihr steht.“ Es liefen damals Vertreter von Sekten und Kirchen in allen Landschaften herum, warnend vor Fortschritten, vor den schamlosen Weltkonzernen und ihrem zerstörenden Wirken. Sie warnten, wie sie wieder starke Männer und Frauen an der Spitze der Städte und Landschaften sahen, vor diesen Geschwistern der Melise von Bordeaux, den immer wiederkehrenden Bösen. Man könne nicht erraten, was die Macht, dieses höllische Untier, das diese überfallen habe, mit ihnen anfangen werde. Die Oberen strahlten. Gaben allen Sicherheit Beschäftigung Glanz. * * * * * Mit dem Aufkommen der künstlichen Lebensmittelsynthese im sechsundzwanzigsten Jahrhundert trat ein beispielloser allgemeiner Umschwung ein. Es erfolgte eine Veränderung aller Lebensverhältnisse, zugleich die Nötigung, zu strengen ja strengsten Herrschaftsformen zurückzukehren. Der Gewalt dieser Nötigung konnte kein gutgemeintes Protestieren standhalten. Die aus den Massen Kommenden waren es, die am intensivsten die furchtbare Entdeckung betrieben und die Reaktion herbeiführten. Die führenden Senate hatten vehement die Arbeiten betreiben lassen; ihr Fortschritt stürzte sie in Verwirrung. Als die ersten glücklichen Resultate nach Jahrzehnten des Tastens vorlagen, erschraken sie. Ließen die Arbeiten erst unterbrechen, neu beginnen; dann hielten sie die Resultate zurück. Die Erfindungen durften nicht heraus, die Erfinder saßen in ihren eigenen Reihen. Jahrzehntelang lagen in den Laboratorien von Chicago und Edinburg die Versuchsanordnungen fertig, deren Ausführung katastrophale Wirkungen auf das Zusammenleben der Menschen üben mußte. Man war nicht den Weg der einfachen anorganischen Zusammenstellung gegangen, sondern drang von Beobachtungen des pflanzlichen und tierischen Organismus aus vor. Die ultramikroskopische Beobachtung und Feinregistrierung an überlebenden Organen hatte nach ungeheuren Schwierigkeiten Fehlgehen, bei unermüdlicher Arbeit ganzer Bataillone von Chemikern Physikern Physiologen Klarheit geschaffen über die Umsetzungsvorgänge im lebenden Körper. Es hatte der größten Fortschritte in der Physik, im Bau der Ultramikroskope, der elektrischen Maßapparate bedurft. Von Alice Layard in Chicago, einer weißen Frau, einem Wunderexemplar der Menschheit, die von phantastischer Schönheit war, kamen entscheidende Anregungen, in der Registrierung, der automatischen Aufzeichnung von begleitenden mikroelektrischen und Wärmevorgängen in den Organzellen. Darauf lief die Zerlegung der komplizierten Aufbau- und Abbaumechanismen rasch ans Ziel. Die Physiker und Chemiker emanzipierten sich vom Tier- und Pflanzenkörper. Man dachte längst mit Widerwillen und halbem Lachen an die Hungersnöte, die ein einziger dürrer Sommer über ganze Landstriche bringen konnte; diese absurde Abhängigkeit der Menschen von Hitze und Trockenheit. Diese Chemiker und Physiker haßten nichts so wie grüne Saatfelder Wiesen, die burleske Ansammlung von Viehherden. Wie aus früheren Erdperioden ragten noch in diese Zeit Schlachthöfe Wurstläden Bäckereien hinein. Bäckereien: das waren Dinge, die man auf altassyrischen Tontafeln meldete. Der große Meki in der Stadtlandschaft Edinburg hatte das führende Laboratorium. In ihm arbeiteten zweihundert ausgewählte Menschen. Wer nicht mit belangloser Teilarbeit beschäftigt war, verließ das Gebiet jahrelang nicht. Meki, der dem Edinburger Senat angehörte, war vom Senat gehalten, die Bewachung seiner Gehilfen streng durchzuführen, bei Verdacht auch nicht vor Internierung sich zu scheuen. Man erzählte damals und später viel von der grünen Tafelrunde Mekis. Grüne gleichmäßige Kleider trugen die Männer und Frauen Mekis. Sie saßen zweihundert an ihren Tischen in dem großen Wohngebäude hinter den Instituten. Im selben Raum standen, in dem hufeisenförmigen Zwischenraum ihrer Tische, kleine Tafeln, an denen in violetten Kostümen Menschen aßen und tranken, die man Gäste nannte. Sagte man „Gäste“, so zog man, wenn man frisch in das Institut kam, leicht die Oberlippe zum Lächeln an; ältere runzelten die Stirn. Es waren die Menschenopfer, die man für die Versuche brauchte, sobald sie in ein gewisses Stadium getreten waren. Sie sahen aus wie die anderen; allmählich veränderte sich ihr Anblick, sie wurden durch andere ersetzt. Der Senat schickte aus der Stadt auf einen Hinweis die Menschen herauf, niemals unruhige ängstliche, noch Menschen, die Verdacht schöpften, sondern stets Beliebige, unter dem Schein der gewünschten Mithilfe und Einweihung in die Geheimnisse. Aber man weihte sie nicht ein, diese hundert Menschen, die sich wunderten, wie man sie täglich wog, ihre Körperwärme maß, sie in Gastzimmer tat; aber sie nahmen keinen Anstoß daran, denn sie sahen, daß auch die Grünen sich selbst untereinander so wogen und kontrollierten. Sie gingen in den Wäldern mit den anderen, liefen trieben Sport, aber immer wieder verschwanden welche. Sie kannten nicht das weit zurückliegende riesige Lazarett, das neben den Stallungen für kranke Pferde und Hunde tausend Betten für Menschen hatte. Denn so viel Leidende häuften sich von Zeit zu Zeit an. In Einzelräumen lagen sie; zu keiner Zeit sprach einer den anderen; und wer genesen war, wurde nach Chicago gesetzt in die Nähe der Station Alice Layards, die die Menschen unter Augen behielt. Die Violetten Mekis kannten auch nicht den weiten sonderbaren Friedhof. Das waren in den Boden gebaute kleine Betonkeller, die hell zu beleuchten waren. Ging man die Treppe herunter, so stand vor einer tief ausgekehlten Wand eine Zahl von Kolben Gläsern Becken, die Öffnungen teils verschlossen, teils mit Hähnen versehen, durch die zischend Gasartiges ein und aus lief. Kleine Ventilatoren trieben surrend die scharf säuerliche Luft des Kellers durch ein Schornsteinrohr aus. Jedes Glas und Becken war signiert; angekettet an der Wand hing ein mächtiges Buch voller Eintragungen. Über ihren Tod hinaus wurden die Violetten verfolgt, die Veränderungen ihrer Organe nach dem Aufhören der Verbindung mit den andern weiter geprüft. Es wurde niemand den Grünen gleichgültig, wenn er starb und das verlor, was man oberflächlich seinen „Geist“, sein „Leben“ nannte. Aus den Speisesälen und Laboratorien stiegen sie auf den Friedhof, maßen weiter Wärme, entnahmen Flüssigkeiten, setzten Stoffe zu, regulierten die Gaszuführung, führten elektrische Ströme durch, jagten Strahlen durch die ruhenden Teile. Die Violetten wußten nie, was mit ihnen geschah. Sie glaubten zu leben zu essen zu trinken zu atmen wie die anderen. Aber sie aßen Scheinspeise, tranken Scheingetränke, atmeten Luft in ihren Zimmern, in ihren gut abgesonderten, verschlossenen Gastzimmern, die mit geheimen Substanzen gesättigt war. Was man ihnen vorlegte, im hufeisenförmigen Zwischenraum zwischen den plaudernden Tischen der Grünen, sah aus wie Braten, schmeckte wie Soße Wein Kuchen Kaffee Schokolade. Bisweilen und fast immer im Beginn war auch der Braten, die Soße da, Träger der Prüfstoffe. Später gab man nur Scheinnahrung: fleischähnliche Massen Gallerte, die gehärtet war oder leberartige Dichte hatte. Sie war angereichert je nach dem Versuch mit den Substanzen, die man prüfte. Hier gingen, in den Wäldern Zimmern Sälen, die Violetten, die Gäste, junge Männer und Frauen aller Rassen, als wäre nichts. Bisweilen abends wurde einer geholt, ein Mann und eine Frau. Zwei drei der Grünen standen in der stillen Schlafkammer vor dem aufgerichteten Wesen, das seine bunten Kleider an den Boden geworfen hatte, fragten das Weib den Mann, ob es bereit sei eins seiner Glieder zu opfern. Das zuckte zusammen schrie, war im Moment narkotisch betäubt. Oder es senkte langsam, Blick um Blick mit den ernsten Grünen tauschend, den Kopf, sann und fragte zitternd. Es gab viele, die nicht schrien, sondern sannen und fragten. Sie erhielten jede Aufklärung. „Warum nicht, warum nicht?“ knirschte es zwischen den Zähnen „wenn es Euch nur gelingt“. Und sie gingen zwischen den Grünen in einer Auflockerung ihres Inneren, ganz schwebend und abwesend, weggetrieben durch die Korridore. „An mir soll’s nicht liegen. Zeigt, was ihr könnt.“ Und triumphierend überflogen sie, als hätten sie es selbst hergerichtet, die blendend erleuchteten weißgekachelten Beobachtungshallen mit ihren Blicken, die Tische, auf denen Apparate standen, die eigentümlichen Glaskästen, Särgen ähnlich, in denen Menschen und leinenbedeckte Gliedmaßen lagen, die sich bewegten, sonderbar die Finger spreizten, griffen. Freudig nahmen sie den Anblick auf. Es surrte rauschte um sie. Eigentümliche Hitze wehte überall, kam aus den Spalten der Glaskästen, in denen Menschen, von Röhren Drähten umgeben, von Flüssigkeiten umrieselt lagen, geschlossenen Auges, hell beleuchtet, deutlich die Brust hoben und senkten. Sie hatten selbst bald, glückgeschwellt wie sie waren, die entrückende Maske vor dem Gesicht. Um sie, in gläsernen Schränken, in Kästen Wasserbetten, bei wechselnder Temperatur von Erdkälte bis zu hoher Wärme lagen auf Watte, schwammen in Behältern umhüllt und bloß, weiße und rote Organe und Organteile. Aus Standgefäßen floß ihnen in dünnen Röhren die ernährende Durchblutungsflüssigkeit zu. Sie rieselte auch in die Leiber die Muskeln der bewußtlosen schlafenden geöffneten Menschen, der Männer und Frauen aus Uganda aus Kapstadt London, wie sie herangetrieben waren. An alle, lebende Organismen, lebende Organe, durchpulste Organteile waren die beobachtenden Apparate herangeschoben. Die Grünen gingen hin und her, entnahmen Zellen, trugen sie in Schalen an andere Kästen. Die ungeheuer hohen Glaszylinder, in denen sich weiße rotgeäderte Därme an ihrem Gekröse langsam wurmartig bewegten, getrennt oder verbunden mit dem Organismus. Substanzen goß stäubte strich man auf sie, beobachtete die Verwandlung, die sie auf der triefenden Schleimhaut, an der dünnen Darmwand erfuhren. Die Schädel waren manchen der Menschen geöffnet, die behaarte Kapsel lag neben ihnen. In ein flüssiges warmes Bett war nach rückwärts das vorquellende pulsierende Gehirn gelagert. Dick zogen sich die blauen strotzenden Venen über die weißliche gefurchte Masse; sie war auseinander gezogen, Drähte und Röhrchen führten in ihr Inneres. Drähte und Röhrchen führten auch zu den Därmen, in das Blut, in die Leber. Mit blitzenden Metallapparaten, schickenden registrierenden, war alles verbunden. Auf Gummisohlen gingen Männer und Frauen mit schützenden Gesichtsmasken durch die Räume, in denen kein Laut gehört wurde außer dem gelegentlichen gesangartigen Stöhnen, das aus den Glassärgen kam. Schwere Eisenwände, verschiebbar, trennten die gekachelten Räume von stark gemauerten, in denen auf Beeten Erdaufschüttungen Pflanzen, niedrige und hohe Bäume wuchsen. Auch sie waren umgeben von einem Wirrsal von Drähten und Röhren. Sie waren gespalten, angebohrt; in die Kronen Stämme Wurzeln führten Leitungen. Kühl waren einzelne hohe Säle durchweht; in anderen brütete die Luft; rote grüne phosphoreszierende Lichter lagen auf den Pflanzen. In kleinen und unscheinbaren fabrikartig finsteren Seitenräumen und Kellern, in Bottichen, hitzeschwebenden Kesseln und Schranken geschah die Hauptarbeit dieser Anlage: die Nachahmung Nachbildung der beobachteten Vorgänge, erst mit reichem lebendigem Hilfsmaterial aus Tieren und Pflanzen der Nachbarräume, dann mit immer weniger. Die Hilfssäfte und Zellen wurden aufs äußerste eingeschränkt; es ging so weit, daß Meki sagte, er brauche zur Erzeugung einer Fettsorte, einer Eiweißgruppe, nicht mehr lebender Substanz als der frühere Bierbrauer Hefe zu seinem Getränk. In der Tat vermochte auch Meki nie ganz organisches Material auszuschalten. Und die Arbeit, die den ersten Schritt des Unternehmens in die Praxis bedeutete, war die Errichtung riesiger Hallen zur Konservierung und Züchtung bestimmten Zellenmaterials aus tierischen und pflanzlichen Leibern. Zuletzt ließ sich der kleine langbärtige Mann, der ein skeptischer Philosoph war, Meki, der mit den Augen zwinkerte und wenn er jemanden sprach, seitlich zu Boden blickte, im Wald seiner Anlagen, entfernt von den Prüf- und Wohngebäuden, ein Haus errichten, das zum freudigen Schreck der nicht eingeweihten Gehilfen völlig den Charakter einer Fabrik hatte. Sie sahen die Apparate, die sie für die Organe in den Hallen der Lebenden und in den Friedhofshallen benutzten, antransportiert in die hundert zellenartigen Räume des Gebäudes; man schleppte Tonnen chemischer Stoffe an, stellte Gaserzeuger. Man sah, wie die Räume, Stock um Stock, eine Einheit bildeten, wie Substanzen, schlüpfend von einem Raum in den anderen, unter Wechsel der Temperaturen, einen Weg gingen, dort kürzer, dort länger verweilend, mit anderen gemischt geschmolzen gelöst sich veränderten. Das kleine, von Gärten und Mauern umschlossene Gebäude, das völlig fensterlos war und nur in einzelnen Zimmern Luft durch Röhren erhielt, das gegen Licht und Luft abgedichtete Haus war von einem Durcheinander schniefender blasender rumpelnder Geräusche erfüllt. Es knurrte, wenn man sich ihm von außen näherte, in allen Ritzen wie ein böses Tier; die gemauerten Wände waren außen zum Abschluß der Lichtstrahlung mit einer schwarzen zusammenhängenden Glasmasse überzogen. Als in Chicago zuerst Einzelheiten der künstlichen Lebensmittelsynthese bekannt wurden, unter stärkster Erregung der Stadt, machten Neuyork und London alle angegliederten Staaten und Stadtverbände auf die Gefährlichkeit rascher Entschlüsse aufmerksam, warnten vor übereilter Herausgabe der Arbeitsmethode. Da Chicago aber schon selbständig vorgegangen war, auch Alice Layard offen erklärte, sie habe die Mittel in der Hand, um ganze Völker ackerlos und sonnenlos jahrzehntelang zu ernähren, so blieb nichts übrig, als die Gefahren der neuen Entdeckungen möglichst gering zu gestalten. Von Alice Layard wurde bekannt, daß sie an der Spitze der nordamerikanischen Frauenkameraderie stand. Sie war von ihren Verbänden auf die Furchtbarkeit der Waffen hingewiesen, die die Frauen sich schaffen könnten, wenn sie sich die Synthese reservierten; man wollte Alice, dieses kapriziöse Wesen veranlassen, die Arbeitsmethode zu verheimlichen und Chicago zum Zentrum eines Weiberstaates zu machen. Alice konnte sich den Triumph des Siegs über Millionen Männer nicht entgehen lassen; sie konnte nicht schweigen. Im Chicagoer Senat aber war sie dann bald allein neben den Männern. Das ertrug sie nicht. Sie verlangte ihren Einfluß in der Kameraderie wieder; die Frauen verfolgten sie aber mit Haß. Da leistete sie sich eines der Stücke, wie man sie viel von Frauen hörte. Sie trat in ihrer Kameraderie auf, redete dunkel davon, daß man sie und ihr Handeln jetzt mißverstehe, daß man später klar sehen werde. Darauf hörte man monatelang nichts von ihr. Im Bereich der Stadtschaft Chicago aber, nach der ein unerhörter Zustrom von Menschen stattfand, stellte sich bald Siechtum unter den künstlich ernährten Menschen ein. Meki wurde von dem Senat nach Chicago zur Aufklärung der Vorgänge berufen. Meki war ein ruhiger Mann, an rasches Handeln gewöhnt. Er hatte von weitem geglaubt, es handle sich um Beri-beri oder Skorbut; als er aber die Menschen auf den Straßen und in den Häusern sah, die Tausende, die von Zuckungen und Lähmungen befallen waren, wurde ihm klar, daß planmäßig an einer Diskreditierung des Verfahrens gearbeitet wurde. Die Giftstufe einiger Eiweißkörper wurde immer beibehalten. Beobachtend erkannte er Alice Layard, zu seiner Verblüffung, als die planmäßige Störerin der Arbeit. Er fand das schöne weiße scharfsinnige Weib traurig liegen in ihrer Wohnung; sie war verstört, versunken, nicht geneigt ihm Rede zu stehen. Sie war nicht getroffen von dem Unglück, das sie anrichtete, sondern von der rachsüchtigen Härte ihrer Geschlechtsgenossinnen, die sie auch jetzt zurückwiesen. Sie konnte sich nicht rein waschen; sie grub sich noch tiefer ein. Der benachrichtigte Chicagoer Senat, bestürzt und tief ergriffen, ließ das schöne Wesen, das großen Ruhm genossen hatte und der Stolz der halben Welt gewesen war, in ihrer Wohnung von fünf Negern totknütteln. Die Frauen schwiegen. * * * * * Nicht wie einen Regen, den man aus einer Berieselungsanlage auf das trockene Beet fallen läßt, sondern wie eine Bestie, die man auf die Straße führt, mit eisernen Stangen rechts und links gehalten, so, zwingend fesselnd, ließen im zweiten Drittel des sechsundzwanzigsten Jahrhunderts die großen westländischen Stadtschaften die ungeheure Neuerung unter ihre Menschen hinaus. Senate, neue Herrenschichten wurden wie durch kein früheres und späteres Ereignis in diesem Moment zusammengeschweißt, zu Stein befestigt. Jetzt mußte man zur Erkenntnis kommen, wer man war. Vor aller Augen stand das großartige Beispiel Englands selbst, der weisen erfahrenen Führerin dieser Völkermasse, die den großen Meki behandelte wie einmal Spanien den viel kleineren Christoph Kolumbus: sie kerkerte ihn fast zehn Jahre in seiner Edinburger Anlage ein. Meki selbst legte, freigelassen und nach London zu einer Besprechung geladen, Hand an sich. London faßte, daß man sich in den alleinigen Besitz aller Geheimnisse der Synthese und aller Anlagen setzen mußte und daß man damit in den Besitz eines beispiellosen Machtmittels kam. Während die Schwesterstadt Neuyork noch zögerte, hatten Londons ruhige stille Männer und lächelnde langsame Frauen schon Anlagen nach Anlagen in Wales und Cornwall errichten lassen. Und während die Senate der Kontinente die Verzögerungsmaßnahmen berieten, die Dosierung der Herausgabe an die Massen, gab plötzlich an einem bestimmten Maitag der Londoner Senat allen ihm direkt unterstehenden und befreundeten Landschaften die bedrohende Neuigkeit bekannt, gab bekannt die Zahl und den Ort der stark geschützten Fabriken, nannte den Namen des toten ruhmreichen Meki, dem der Senat zum Jahrestag seines Freitodes Säulen in allen großen Zentren zu errichten befahl. Wie einen Schlag ließ der kühle Senat auf seine europäischen und afrikanischen Gebiete die Nachricht niedersausen. Er zeigte auf die sehr geringe Arbeitsleistung für den synthetischen Zucker Fette und Fleischmassen, ermahnte sich der Neuerung zu bemächtigen und äußerlich die von der Wissenschaft hergestellten Substanzen zu erfreulichen Genußmitteln zu machen; kündigte an, daß eine neue Ära in der menschlichen Arbeit beginne: dieser Triumph entlaste die nach Freiheit und Würde ringende Menschheit. London wußte, daß Verwirrungen und Unruhen in allen Gebieten seines Einflusses einsetzen würden, auch, daß es zuletzt Herr der Situation sein würde. Den Atem verhaltend sahen die kontinentalen Staaten und großen Stadtschaften dem Vorgehen Londons zu, das entschlossen war, weit über Jahrhunderte voraussehend, den schwächeren Tochterstaaten zu zeigen, welcher Weg zu gehen war: der der absoluten Inbesitznahme der Machtmittel durch eine sichere Schar Menschen. Über die von England beherrschten Gebiete der britischen Inseln und Afrikas kam ein Taumel. Es ist nichts dem angstvollen Tumult zu vergleichen, der, rasch gesteigert, sich nach einigen Wochen in den Landstrichen entwickelte, die, in Südafrika vornehmlich, dem Ackerbau und der Viehzucht dienten. Als die großen Stadtschaften den Auftrieb der Viehherden ablehnten und man Viehhöfe Schlachthäuser schloß. Als man die Bewachung der Getreidespeicher aufgab; die Tore der Speicher offen ließ, das Mehl in Säcken auf die Höfe schüttete. An vielen Orten waren vor kaum einem Jahrzehnt starke Mühlenanlagen nach neuen Prinzipien errichtet worden; sie bedeckten das Areal großer Dörfer; umgeben waren die Gebiete von Spielplätzen Wohnhäusern Verkaufsstätten. Die Speicher ließ man geschlossen, dann wurden sie von lungernden Massen angezündet; die Mühlen gesprengt. Es war eine falsche bewußtlose Richtung, in der die Erregung, die flackernde oft mit Wut geladene Fassungslosigkeit der herumlagernden Massen ablief. Sie brachen von ihren Wohnsitzen auf, gingen zielsuchend an die Zentren heran. Die Stadtschaften selbst waren unterminiert, die Hallen großer Fabriken leer. Draußen trieb die Landbevölkerung an, trollten die Bauern, die durch Gerüchte erschreckt waren, wogten die Männer und Frauen, die die Eisenwerkzeuge für die Äcker gearbeitet hatten, geschmolzen gehärtet geschmiedet geschnitten erkaltet geputzt. In dem Gewühl der Menschen war ein Hin und Her der Gefühle. Niemand entbehrte Nahrung, niemand konnte sagen, daß ihm etwas entzogen war und doch bluteten sie, waren widerwillig finster, als sie von den Öfen getrieben wurden, die Mühlen stehen ließen. Man würde ihnen sagen, erfuhren sie an den Zentren, was sie zu verrichten hätten, es würde ihnen an nichts fehlen. Und der anfängliche Zweifel wurde durch die Tatsache widerlegt: die Eisenzüge mit Tonnen und Säcken rollten Tag um Tag in dieselben Schuppen, in denen das Mehl abgeladen war. Während schon alle Speicher ohne Widerspruch der Senate, ja sichtlich von ihnen begünstigt, ausgeleert und von johlenden Horden abgesengt waren, waren die Auslagen der Bäckereien mit Brot und Kuchen im Übermaß gefüllt. Ja, London wies die Senate an, auf Wochen Mehl zu verschenken, um den Eindruck zu verstärken und seinen Schlag verwirrender und wuchtiger zu führen. Die großen Hallen für Butter Öle Speisefette boten die künstlichen Stoffe aus; man hatte sie den natürlichen zum Verwechseln ähnlich gemacht im Schnitt und Strich, ihre Festigkeit war stärker als die der natürlichen. Lachend, Arm in Arm gingen in den englischen und südafrikanischen Zentralen die weißen braunen schwarzen Menschen durch die Hallen. Man träumte, war in einem Schlaraffenland. „Sie haben künstliche Tiere. Sie können Bäume machen.“ Allein die fleischartige gehärtete Gallerte, die Trägerin der Eiweißstoffe, wurde verspottet. Was überall aus den Fabriken in Waggons angefahren wurde, die schneidbare bald leber- bald knochenartige braune und rosa Grundmasse, die sich auf Kochen erweichte, bisweilen bis zur Weiche des Leims, wurde ausgespien, behagte den starken Zähnen, die reißen und zerren wollten, den Backenmuskeln, die knirsch- und mahlbegierig waren, nicht. Der Geschmack wich von dem tierischer Muskulatur ab. Den Viehzüchtern Viehhaltern war so Schonzeit gegeben, bis auch sie wichen dem Mekifleisch. Dessert für Feinschmecker wurde das gesottene gebratene gebackene gedünstete Fleisch natürlicher Vögel Fische Rinder Schalentiere. Die Äcker verlassen, die ungeheuren Flächen Bodens, jahrtausendelang von Generation auf Generation gepflegt gebaut geliebt. Die Urwälder waren niedergebrochen worden, die umschlingenden Lianen abgerissen. Wilde Tiere hatten abgeschossen werden müssen, der gelbe Löwe der Panther. Die Termiten waren verjagt worden; Bäche umgeleitet, Hütten gebaut, feste Häuser, Dörfer und Hunde dazu, Stallungen für Hühner Gänse Kühe. In den südlichen Zonen gab es Gebiete, die erst vor ein zwei Jahrhunderten freigelegt abgeholzt waren. Die eiserne Pracht der Nordländer war angezogen, hatte gezerrt gerissen gewürgt an dem Boden, die Pflanzen und Wurzeln geschluckt zerbissen zerkaut. Die Steine, die der Boden barg, waren aufgehoben worden, fortgeschleudert auf Trümmerhaufen. Man hatte in das schwarze Bett, das die Baum- und Pflanzenleichen verlassen hatten, Millionen blasser zarter Keime gelegt. Der Boden nahm sie willig auf; die Keime trieben mit grünen Spitzen über die Oberfläche. Grüne weite Felder, dichte Wälder der Halme, der sanft im Wind schaukelnden Ähren erhoben sich. Sie standen jetzt mit den Scheunen Schuppen Wohngebäuden, die man zu räumen begann, da. Die Menschen zogen sich in die Riesenstädte zurück. Sie kapselten sich in den Städten ein. Gaben den größten Teil der Erde frei. Der Boden ruhte aus. Die Halme wuchsen wild, welkten; bunte Blumen, die man vorher Unkraut nannte, wucherten dazwischen, Tiere schlichen ein, die Feldmäuse sprangen offen am Boden. Der uralte Boden lag stumm unter den auf- und abgehenden Lichtern des Himmels, mit den Winden der Wärme den Gewittern den Regenstürzen. Bezog seine Nacktheit mit Blumen Pflanzen Tieren, rollte sich wie ein Igel ein. Die Menschenmassen, in die Städte gelockt, kamen fest in die Hände ihrer eisernen Regenten. * * * * * Das Spiel, das London begonnen hatte, wurde von den andern Zentralen fortgeführt. Nach einem Jahrzehnt war im westlichen Völkerkreis der Ring der großen Herrengeschlechter geschmiedet. Das strenge leidenschaftliche Ringen der Arbeitenden konnte aufhören. Immer war seit da die westländische Bevölkerung, fast völlig von den Stadtschaften verschlungen, geteilt in die kleine Masse der Schaffenden und die Riesenmenge der Untätigen. Die Menschen der Gruppen wechselten nach Neigung und Bedarf. Mit Vergnügungen Scheinarbeiten mußte man die Massen der Lungernden beschäftigen, deren Zahl stieg. Die einförmige Zucht verlor sich schnell. Eine wüste Vielförmigkeit entfaltete sich. Die Herrschenden hatten neben sich große Stäbe von Kundigen und Scheinparlamenten, die sich mit der Ablenkung der untätigen Massen befaßten. Noch immer erweiterten sich die großen Stadtschaften. Der Zustrom der Fremden, das Wallen hin und her nahm kein Ende. * * * * * Leuchtmar und Rallignon, Männer vom Schlage Inka Stochods und Yorres, die die Herrschaft in den westeuropäischen Senaten an sich gerissen hatten, fühlten, was sich unter ihren Füßen regte. Das siebenundzwanzigste Jahrhundert, das Jahrhundert der Verhängnisse für den westlichen Völkerkreis, war heraufgezogen. Dieses Sieden, unbefriedigte Rollen. Gefährliche Gleichgültigkeit, plötzlich aufgetaucht und alles zermorschend. Nichts geschah isoliert. Die Horden Menschen, die in London an den Maschinen und dem Industriekörper hingen, erlahmten zusehends unter denselben Gefühlen wie die in Paris Berlin Neuyork. Die wilden Erregungen, heftigen Reize flossen von allen ab. Man ließ in Mißtrauen Apathie von den lockenden Dingen ab, an denen man gehangen hatte. Prunk Spiele Gelage entfalteten wenig Wirkungen mehr. Modische schöne lebenpeitschende entzückenheischende Gegenstände, von den Maschinen erzeugt, standen vor den Menschen, die stumm die Lippe sinken ließen. Das wühlte herum in alten vergessenen Kostümen. Völkerschaften, gemischte, gaben sich zu erkennen, wie Kinder die müde werden, in der Zimmerecke stehen und anfangen an einem Finger zu lutschen. Deutsche hielten die schwere Bibel in der Hand, blätterten im Gesangbuch, sangen trübe im Wald. Träge ließen die schwärzlichen braunen Menschen in den südlichen Gebieten sich fallen: da lebte in ihnen das Gefühl der reichen ernährenden Landschaften auf; sie konnten das Gefühl, das wie Rauch im Regen durch sie schwelte, nicht erreichen, kamen zu keinem Frieden. Arabische Stämme, in den wallenden verschlingenden Strudel der Westvölker gezogen, wurden vom Drang zu den Apparaten, den tosenden Maschinenhäusern losgelassen. Mit verhängten Augen blickten sie auf stille Ebenen, bestiegen Pferde. Und wie sie darauf hingen, war es dumm, was sie taten; Pferde waren dumm. Die Maschinen arbeiteten wie sonst. Die Wasserfälle warfen ihre Hochspannungen über Meere Gebirge in die Städte. Es war, als wäre die Verbindung zu ihnen durch eine feindliche Gewalt gestört. Die man wegschieben mußte. Die riesigen Massen, mit denen fast ruckartig nach der Freigabe der Entdeckung Mekis die Stadtschaften sich vollsogen und die sich untätig um die ernährenden Werke versammelten, warfen sich. Aus den Werken gingen immer kleine Scharen, müde wie sie, blinzelten, waren einsilbig. Phantastische Spiele in den Städten, um die Städte Blumen- und Tierzuchten, waren aufgeblüht; sie lockten wenige. Die Massen in allen Zentren des westlichen Völkerkreises wurden fetter träger, zuckten exotisch heftig launenhaft. Ein unterirdischer Groll wuchs in allen Zentren, in diesen hier weißen, dort negerhaften, dort bräunlichgelben üppigen Menschen, die sich Tempel Moscheen Kirchen bauten, zu dunklen Göttern mit halbem Herzen beteten, im Grunde von keinem der Wanderprediger und Propheten gefaßt wurden. Es geschah, daß an manchen Orten sich nicht genug Menschen fanden, die geneigt waren, die Werke zu betreten. Trägheit wucherte über allen Landschaften, zusammen mit einer eigentümlichen Finsternis. Wie man in einem unsäglich sich tiefer und tiefer auswirkenden Überdrußgefühl lagerte, schwoll alte Gehässigkeit zwischen den in den Stadtschaften beisammen wohnenden Stammesresten an. Da war es Bogumil Leuchtmar aus der hamburgischen Stadtlandschaft, der mit einer Gruppe junger Regenten und Regentinnen den Anfang machte. Die Wieschinska, seine ehemalige Mitregentin in Heraklopolis, der schlesischen Stadtlandschaft, die von Berlin ihren Ausgang genommen hatte, war mit ihm; ein Weib namens Azagga, die in der bayrischen Stadtlandschaft dominierte, ferner Uru aus Palermo und der Dongod-dulu aus dem ägyptischen Zentrum. Sie waren sich klar, wie sie in Heraklopolis bei der Wieschinska zusammentrafen, daß sie einer langsamen Zersetzung oder erneuten Ausbrüchen zuvorkommen mußten. In ihnen war die Kraft der Apparate das Glück der prangende stierartige Stolz der Maschine; wie in Palmen lebte er in ihnen, suchte nach Auftrieb und Krone. Der Italiener Uru verfiel der Wieschinska; die spöttische Frau mußte das übersprudelnde Geschöpf zur Besinnung bringen, ihn, der unter ihre dienenden Männer treten wollte. Es gab Lachen unter den fünf Regenten in Heraklopolis, als der stämmige Uru in der blaugelben Schärpe des Männerharems der Wieschinska zu einer Besprechung erschien. Die Schärpe hatte er gestohlen; die Wieschinska riß sie ihm ab. Einen Augenblick zuckte in der kleinen Gruppe der fremdartige Geschlechtshaß auf; der Wieschinska schien es, als wollte Uru sie verhöhnen; die Männer blähten sich heimlich über die Niederlage der Frau. Nach zehn sachlichen Worten war der Strom abgelenkt. Sie brauchten nicht durch Heraklopolis wandern, um zu wissen, daß unberührt gefeiert vergöttert die schaffenden Apparate stehen bleiben mußten. Unberührt gefeiert vergöttert ihr Blut. Die lohenden Standarten nahmen sie auf. Wie Bogumil Leuchtmar, Wieschinska aus Heraklopolis, Azagga, Uru und Dongod Dulu über die norddeutsche Tiefebene flogen – Landschaft neben Landschaft ausgegossen, murrende gärende Menschenmasse getrieben zwischen Häuserreihen, unkenntliche Beobachtungs- und Bewachungsposten zwischen ihnen – da fühlten die Massen noch nicht ihr Schicksal. Wie Menschen, die feindlich in der Liebe aneinander gekettet sind, zusammengeflochten, um sich zu zerreißen zu quälen zu beißen, so umwanderten sie kopfsenkend noch die verborgenen geschützten Orte der Apparate, angriffsbereit liebesbereit umschlingensbereit. Den fliegenden Regenten war nichts unsicher. Die Standarten mit den Gestirnen und dem Feuer wehten vor ihren Apparaten. Sie trafen nicht in London ein, wohin sie geladen waren. In Brüssel hielten sie. Leuchtmar war es, der die Fahrt hemmte. Er war es, der plötzlich die Fahne noch bevor er landete, scheinbar unabsichtlich einzog zerriß, in Fetzen fallen ließ. Die anderen waren schon in Brüssel, da schwamm er noch, gehemmt unschlüssig in der Luft, umkreiste die Stadt bis an die Nordsee, fuhr an, zurück, als müßte er sich durch ein Gestrüpp Bahn brechen. Wie auf schwellendem Moor fuhr er, ratlos. Und ratlos, – als hätten sie sich verabredet, begegneten sie sich – hielt bei Dünkirchen Rallignon. Auf dem Boden der Konferenz, die vor vier Jahrhunderten nach dem Fall Mailands den Herrengeschlechtern die unbedingte Macht in den Staaten und Städten gegeben hatte, wanderten sie nebeneinander, sahen sich nicht an. Denn auch Rallignon dachte an Krieg. In ihm war der Kriegsgedanke berauschend aufgegangen. Aus den Apparaten wie aus Wein war er zu ihm aufgestiegen. Niemand sollte ihnen widerstehen. Man wollte sie haben, ihren Preis singen, der Welt offenbaren. An die Grenzen des Wirklichen und Möglichen sollten sie, über das Erdenkbare hinaus mußten sie fahren. Man wollte die Waffen die Kräfte nicht gegen sich, sondern um sich führen. Rallignon durchfühlte es lüstern angstvoll wie Leuchtmar. Es mußte Staat gegen Staat gehen. Welcher Staat gegen welchen Staat? Darum sahen sich Leuchtmar und Rallignon nicht an. Ein Belgier holte sie von Brüssel ein. Verstört wie sie. Diese Gedanken gingen wie Gespenster um. Wer an die Apparate rührte, jetzt, in diesem Augenblick, wurde von ihnen getroffen. Im Wagen fuhren sie zu dritt auf Brüssel. Bogumil brusteingesunken im Wagen stöhnend höhnend: es sei sinnlos nach Brüssel zu fahren: er werde umkehren; sie müßten bedenken, was sie vorhätten. Der sehnige Rallignon neben ihm war fleckig rot, verändert. Furchtsam blickte er rechts und links zum Wagen hinaus: es sei nicht ungefährlich für sie auf dem Land zu fahren; man werde sie erkennen; wenn man sie erkannte. Er glaubte schon, man wüßte, was er in sich trug; drückte sich in die dunkle Ecke des leichten flotten Gefährts, zog die Mütze über sich: man werde sie erwürgen. Leuchtmar zu ihm gedreht: „Warum denn? Was haben wir getan?“ Aber er faßte schon nach seiner Brust, erblich: „Ich habe keine Waffen.“ Der Flame saß mit offenem Mund, drängte auszusteigen. Als der Wagen in einer Schonung hielt, hatte sich der schwere Leuchtmar über seine Knie nach vorn gelegt; nach den Händen Rallignons tastete er: „Rallignon, mein Freund. Mein Freund. Nicht mein Feind. Sag ja.“ „Ich kann nichts sagen, Bogumil. Komm. Was soll werden.“ Leuchtmar faßte sich mit den Händen an die Schläfe: „Mag sich Europa selbst zerstören. Wir wollen nichts tun. Wir wollen es nicht tun. Wir wollen uns nicht dazu hergeben.“ Rallignon war herausgesprungen. Leuchtmar ging hinter ihnen: Er hielt wie die beiden andern die Augen niedergeschlagen, konnte die Häuser Felder nicht sehen, stöhnte. Flüsterte hinter den beiden: „Nichts davon sprechen. Ich behalt es bei mir. Ich gebe nichts von mir. Man soll mich nicht dazu bekommen.“ Einzeln gingen sie in Häuser, kleideten sich um. Verkleidet kamen sie in Brüssel an. Da hatte die Wieschinska schon erklärt: sie werde nicht nach London gehen. Die Azagga, in deren Senat englische Aufsicht überwog, schloß sich stürmisch an. Der aus Palermo und aus Kairo waren nicht weit sich der Wieschinska anzuschließen: man würde zusammenziehen was man hätte und gegen England richten. Leuchtmar, eingefallen, bat nichts zu beschließen. Man solle nach London. Die Wieschinska erkannte, daß er, der nicht von der Tischplatte aufblickte, Aufschub wollte. Sie wetterte forderte Entschluß. Leuchtmar und Rallignon, wie sie aufstanden und zurücktraten, wirkten erschütternd. Der Flame flehte: „Wir wollen nichts beschließen.“ Leuchtmar und Rallignon schienen gelähmt. Die Wieschinska wollte sie mit Fäusten angreifen. Vor dem bösen Blick Leuchtmars wich sie zurück. Ohne ihn und Rallignon war nichts zu unternehmen. Plänkelnd gab sie nach. In London, in den geheizten Glashäusern, waren asiatische Fremde erschienen. Zufällig waren sie da. Die Mongolen hatten eine Erkundung Londons und des Zustandes der westlichen Staaten vor. Die Kontinentalen umzogen die fremde Deputation wie Hunde den Knochen. Stellten sich, sonderbar gelockt, vor sie, befragten besahen behorchten sie. Die melancholischen klugen Engländer traten beobachtend hinter ihre östlichen Gastfreunde. Wie ein Blitz senkte es sich in Bogumil, den trüben plumpen, daß er die Mongolen, die starkknochigen weichen schmunzelnden, diese für sich kichernden Japaner, diese beiden wuchtigen weithosigen Russen haßte. Seine Augen waren stier. Er haßte sie. Rallignons Backenmuskeln wie Balken; er knirschte mit den Zähnen. Sie fingen, sich bewegend, wilde Hänseleien mit den Östlichen an, die die Londoner zu schlichten suchten. Die üppige Wieschinska begriff, was in den beiden Männern vorging, kniff die Augen zu, jubelte. Azagga, der glotzäugige weibliche Koloß, Uru und der schwarzhäutige Dongod Dulu ließen sich schleppen. Die stillen Engländer brachen die Besprechungen für Tage ab, um die merkwürdige Stimmung der kontinentalen Freunde zu erkunden. Sie trafen bei denen keine Überlegung mehr an. Keine Nachricht war zu den Engländern gekommen von dem Plan, sie selbst anzugreifen. Aber vor diesem starken bluttiefen Verlangen, das sie sahen, fuhren sie zurück, dachten nach, erschraken, lenkten ein. Unten sprühte die Stadt, in dieser Minute, der nächsten, folgenden. Da zogen sich die Engländer zurück, um die Dinge zu überblicken. Die kontinentalen Gäste wußten, daß sie bis zur Entscheidung in Gefangenschaft und unsichtbarer Aufsicht der Londoner waren. Keiner unter ihnen hatte jetzt Furcht. Die Engländer erwogen nur kurze Zeit, ihre Freunde zu töten. Sie wußten, daß Kampfobjekte gesucht wurden und daß sie selbst das nächste wären. Sie setzten sich zu der Delegation Leuchtmars. Zu keiner neuen Besprechung luden sie die Asiaten. Sie seien, erklärten sie denen, durch Angelegenheiten des nahen Kontinents stark beschäftigt. Freundlich geleiteten sie die Asiaten zu ihren mächtigen Luftschiffen. Schon aus Paris wurde gemeldet, daß die asiatische Kommission in der Nähe der Stadt die Luftschiffe verlassen und, offenbar um unkenntlich zu sein, sich auf kleinen Fahrzeugen zerstreut hatte. * * * * * Der östliche Menschheitskreis lag stumm auf dem uralten Riesenkontinent. Die dunklen Massen Asiens hatten die Maschinen empfangen; es war etwas Fremdes, lief wie eine Raupe über sie. Sie ließen die feinen Apparate, die schweren dumpfen Eisenwesen auf ihrer Erde stehen, die griffen ihr Herz nicht an. Immer waren von den vielen hundert Millionen Menschen Scharen im Westen, sogen mißtrauisch aufmerksam die fremden Kenntnisse ein. In der Zeit der strengsten Herrengeschlechter nahm eine ausgewählte Schar der Asiaten an den verbotenen Studien teil, wurde in den Besitz der Materialien und Modelle gesetzt. Dies duldete England, weil es friedlich war und die Asiaten sich verbinden wollte. In Asien welkten blühten Rassen; kaum, daß die Westler Kenntnis von ihrem Ergehen hatten. Bombay Kalkutta hatten ihr europäisches Gesicht abgelegt. In China waren große neu entstandene europäische Städte weggefegt worden; Einheimische hausten handelten in den Ruinen Gewölben der Europäer. Es war nicht möglich gewesen, den gelben braunen Millionen westliche Bedürfnisse einzuimpfen; sie hatten Gewehre und Waffen genommen, um die Fremden zu vertreiben. Langsame Berührungen, zögernde Verhandlungen fanden mit dem immer besorgten London statt. Als in Bombay Lhassa Peking Tokio Kasan Tobolsk die nach London entsandte Kommission erschien, war man für alles gerüstet. In den westlichen Kapitalen war die Bewaffnung der Asiaten bekannt; man glaubte sich voraus. Es gab schließlich keine Bedenken. Man mußte losbrechen. Die Apparate hatten sich in den vergangenen Jahrhunderten völlig verändert. Aus Maschinen, in Hallen durcheinander gestreut, waren Maschinenblöcke Maschinenhäuser Kolosse Pyramiden von Anordnung, Maschinenorganismen geworden. Große Menschenmassen der Periode nach Dünkirchen bis zur Zeit der Rebellen Targuniasch und Zuklati hatten sie auftürmen und bedienen müssen. Die Energiewirtschaft hatte zur Verkuppelung der Kraftwerke untereinander geführt. Der Aktionsradius für die erzeugten und transformierten Energien war ins Riesige gewachsen. Die Energien wurden an wenigen Punkten gespeichert. Neben den Krafterzeugungsblock traten die Kolosse der Sondermaschinen, für einzelne Landstriche arbeitend, im ganzen Land waren keine vereinzelten Maschinen. Dies war – gegen Ende des fünfundzwanzigsten demokratischen Jahrhunderts – die Zeit, wo die Sonderung unter den Stadtlandschaften sich unwiderstehlich durchsetzte, Glasstädte Lichtstädte Nahrungsstädte Kleidungsstädte entstanden. In den Versuchsstädten und abseits von den Sonderstädten begannen sich die Erfindungen zu häufen. Da stürzten in wenigen Jahrzehnten Blöcke und Pyramiden der Maschinen zusammen. Neue Naturkräfte, gasförmige strahlende, schon vor einem Jahrhundert aufgespürt, waren von den Zeitgenossen Mekis gefaßt, in Apparate gespannt worden. Die polternden Kolosse wurden durch Liliputapparate beschämt. Jahrzehnte Jahrhunderte von Kraft wurden wehrlos, gelähmt von dem Blick dieser Minuten. Man legte die großen Maschinenstädte nieder. Unscheinbar in geschützten Gewölben die feinen zierlichen Apparate, in denen die Naturkräfte gefangen waren wie Gespenster in der Flasche. Wenige Hände brauchten sie zu bedienen. Das Herz stand den ersten Menschen still, als sie die Apparate sahen. Gewöhnten sich an sie, lebten unter ihrer Obhut, bequem, kaum dankbar, Kinder einer reichen Familie. Diese wunderbaren streng behüteten Apparate, die Kraft der westlichen Herrengeschlechter, waren im Besitz des Abendlandes wie der Asiaten. Im Westen flog ein Rausch über die wimmelnden Menschenmassen, als man ihnen Kenntnis gab von den Dingen, die sich vorbereiteten. Schlagartig sank die tiefe zweifelnde Unruhe hin. Als hätte man einem schlaffen Körper Äther und Kampfer eingespritzt. Die Asiaten riefen ihre Völker auf. Zeigten die Macht der Weißen. „Sie kommen mit Maschinen. Sollen wir uns wehren? Unterwerfen?“ Man kannte die Antwort voraus. Die Inder wußten, wie man Elefanten zähmt, Flüsse überschreitet, betet; die Chinesen, wie man Felder bestellt, Schiffe zieht, handelt; die sibirischen Steppenvölker konnten melken jagen. Sie dachten, ihren Zauber gegen die Europäer aufzubieten. Da fuhren Luftschiffe von Süden und Osten her über ihnen und alle fuhren nach Norden und Westen. Wie sich die Schiffe, bei deren Anblick ihr Herz erstarrte, tiefer senkten, winkten ihnen Inder Chinesen zu, die Blüte ihrer Länder, feine junge Männer, die lachten: „Wir fahren ihnen entgegen nach Westen und Norden.“ Die Sibirier grinsten. Die Mongolen kollerten ihr Lachen, hoben ihre Kinder hoch. Millionen Zauberformeln gingen hinter den Kämpfern. Es war ein Kampf, der von London mit tiefer Apathie begonnen wurde. Wechselnd zwischen Verzweiflung und Resignation stimmte London dem Beginn des Krieges zu. Es gab keinen anderen Weg. Man konnte zusehen, was sich bei dem Ringen entwickeln würde. Vielleicht half man sich über Jahrzehnte weg, vielleicht ließ sich noch ein Jahrhundert plänkeln. Sie hatten begrüßt, daß man unerhörte Erfindungen unterdrückte und sich selbst behauptende Stadtschaften schuf. Aber sie sahen das Aussichtslose dieser Versuche. Die Maschine war nicht aufzuhalten, das westliche Gehirn nicht umzustellen. Als Leuchtmar Rallignon und ihre kontinentalen Freunde in London erschienen, staunten die Engländer, strichen ihre schwarzen dünnen Bärte. Diese waren unbelehrbar, Kinder. Sie freuten sich an ihnen. Die Männer und diese wilde kraftvolle Wieschinska wollten Krieg, einen Krieg für ihre Massen. Die alten Herrengeschlechter waren doch klüger. Sie hätten in diesem Augenblick alle Waffen und Apparate eingezogen, deren sie habhaft werden konnten; hätten hunderttausend Menschen, Millionen um sich massakriert. Diese hier hatten sich mit den Massen verbrüdert, es gab keine Grenze zwischen ihnen und dem „Volk“. Sie dachten nicht daran, es sich leicht zu machen: zu Hause bleiben und alles erledigen. Sie ließen sich erregen jagen. Ja, die Buben und Puppen hatten geheim vor, gegen sie, die Engländer, das große weise Mutterreich, zu kämpfen. Vielleicht mit den Parolen der alten Geschichtsbücher: Freiheit, Unabhängigkeit. Waren dumme Eintagsmenschen. Man mußte mit ihnen den törichten Weg gehen: kämpfen. Es war vielleicht ermunternd. Diese Kontinentalen hatten noch den Glauben, einen lächerlichen Glauben an die abscheulichen Instrumente, die man versenken sollte. Leuchtmar Rallignon Gru Wieschinska Azagga Dongod Dulu setzten nach dem Kontinent über. Die östliche Erdhälfte war zu bezwingen. Man konnte nicht Feuer nach Gestirnen werfen, wenn man nicht einmal den Erdball bezwungen hatte und hundert Meilen hinter der Weichsel eine ablehnende Welt lag. Es war ein neuer Impuls, der in die tändelnden schwelenden Massen fuhr: das Bild einer riesigen Fläche, maßlos hoher Gebirge, wimmelnder exotischer Landschaften und Städte. Über diese sollten sie fallen, in die sich mischen einschwemmen. Es sollte geschehen. Sie hatten die Apparate. Jetzt sollte dies geschehen. Man hörte von der ungeheuren unausgeschöpften Kraft der Apparate. Mit anderer Seele als vorher wurden die Fahnen, Feuer und Gestirne, über die Landschaften der westlichen Kontinente getragen. Fiebernde Kraft heizte die Herzen, machte die Muskeln steif. Man hielt die Fahne; sie warf alle Willen zusammen. Die Stadtlandschaften bewegten sich. Scharen über Scharen von Männern Frauen begehrten Einstellung zum Kampf. Mit einigen zehntausend Menschen, sachgeübten, war der Krieg zu führen. Die Überlegung riet, viele heranzuziehen, zum Beschäftigen und Vernichten. In allen Ländern wurde von der Führung eine Stelle abgezweigt, die sich mit dem Erdenken sinnloser Arbeit für die Soldaten befaßte, die Stelle B, wie sie London im Unterschied zu der wirklich kriegführenden Stelle A nannte. Die Stelle B wurde rasch mit den klügsten politischen Köpfen besetzt, die mit Technikern und militärischen Fachleuten in losem Zusammenhang standen. Der Andrang zu dem Scheinheere B war in den westlichen Kontinenten so stark, daß die anfänglichen Pläne der Leitung nicht ausreichten. Sie sahen vor Kriegsdienste nach früherer Methode; man stellte Kanonen her, ließ Verteidigungslinien aufwerfen befestigen, baute auf Festungswerken Apparate, von denen man den Kämpfern Wunder versprach, an denen sie üben mußten: mörderische Modelle. London ging weiter, im Sinn seiner früheren Überlegungen. Seine B-Leitung führte starke Menschenmassen, Regimenter begeisterter und gefährlicher Männer und Frauen auf den wirklichen Kriegsschauplatz, die russische Tiefebene; sie hatten furchtbare vergebliche Arbeit zu leisten. Die Asiaten gaben die russische Tiefebene nicht frei. In drei Staffeln rückten die Westländer vor, überflogen überrannten auf Brücken Schienen, die sie in wenigen Tagen vor sich auswarfen, aus Polen Rumänien Galizien dringend, Witebsk Mohilew Poltawa Cherson. Der Dnjepr und seine Sümpfe lagen hinter ihnen. Die Städte dieses Abschnittes waren ihnen nicht fremd. Dichter wurde vor ihnen, unter ihnen das Maschennetz der Dörfer, Gehöfte, verstreuten Siedlungen. Jenseits Jaroslaw Wladimir Woronez Charkow näherten sie sich den Flußläufen, die die große Wolga aufnahm, dem Jergenihügel, dem breiten Bergufer der Wolga selbst. Im Norden stießen sie auf Wjätka Wologda. Da verbrannten stürzten die ersten Fliegerreihen, stürzten im Flug aus dem weißen Himmel auf die stille Ackererde. Neue rückten nach. Stürzten. Durchschritten nicht eine unsichtbar vor ihnen aufgerichtete Barriere. Als Erkundungstechniker folgten, stellten sie die Wellen fest, die die Motore in Unordnung brachten. Und wie sie noch nach der Art der Wellen, Ausgangsort Formel forschten, fuhr am Boden gegen sie das Ungetüm aufgewühlter Menschenmassen an. Auf Pferden Wagen Karren, die Flüsse herunterschleifend auf Schiffen Booten Kähnen, rollten strömten von Osten nach Westen, spülten drangen quollen von Norden nach Süden Menschen- und Tierleiber. Bestürzte klagende verwirrte Menschen, Männer Frauen Kinder Pferde Rinder Schweine, die sie trieben, Hühner, die getragen gejagt wurden. Jammernde schreiende zerlumpte nackte Einzelläufer. Große stumme drängende Horden, Dorfgemeinschaften, die sich nicht fragen ließen. Betäubt, die Gesichter Decken Kleider schmierig. Übernächtig schleppten sie sich vorwärts. Konnten nicht achthaben auf die sterbenden Säuglinge. Das warf sich am Boden hin, weinte zerkratzte sich Stirn und Backen, ließ das Tote mit Erde bestreut liegen, konnte nichts begraben in dem nassen Boden, rannte traumhaft gestoßen. Das griff, was es hatte und fand, an: Bäume Hütten Bretter, warf sich aufs Wasser, schwamm strampelte stöhnte ruderte. Das seufzte kreischte, waren Weibermassen, löste sich die Haare, riß an ihnen, biß an ihnen, blickte rückwärts: weite wimmernde Blicke auf den grauen trüben Himmel, der nichts als Wolken zeigte. Hinter ihnen brannte es. Sie schrien. Hatten es nicht brennen sehen, aus anderen Dörfern waren Menschen gekommen, von weither hatten alle es gehört. Da gewahrten die Fremden wogende himmelbedeckende Massen von Vögeln, die lärmend und still in gleichmäßigem Zug oder stiebend von Osten nach Westen, von Norden nach Süden stießen, dichte Ballen von Raben, Heerscharen kleiner Vögel, Bergfinken Tannenhäher, vorüberrauschend, mit Zwitschern Rufen Flöten die Nächte erfüllend. Der Boden besät mit abstürzenden erlahmenden kleinen Körpern. Sie rauschten flirrten pfiffen flibberten in großer Höhe. Und das Lebendige der Erde setzte sich mit den Menschen in Bewegung. An den Karren hingen Scharen von Fledermäusen. Griff man sie, stoben sie hoch, schwirrten mit ausgespannten Armen, setzten sich. Am Boden rieselte es zwischen den Füßen der wandernden Menschen und Tiere. Die schwarzen und grauen Mäuse wimmelten über die Wege, die nassen Äcker. An manchen Flüssen bedeckten sie pfeifend die Oberfläche, kleine glatte zuckende Rücken, schlagende spiralige Schwänze. Liefen Felsen hoch, stürzten herunter, rutschten Rinnen herab, ließen sich an Bäumen herunter. Auf und ab die raschen Schatten der Jarboamäuse. Menschen, durch Wologda und Wjätka drängend, trugen Beile Messer, blutige Wolfspelze an den Wagen. Während sie vorwärts trieben, liefen die Bären Füchse Vielfraße aus den Strichen hinter ihnen. Das zickzackte huschte kaperte schwarz braun grau in Sätzen über die Wege, legte knurrend sich in den Staub, verendete lechzend, taumelte, wurde erschlagen. Auf kleinen schwimmfreudigen braunen Pferden Kirgisen, bukajewsche Horde von den Salzsümpfen, Gesichter schwarz und stumpf. Schnalzten, gaben keine Antwort, peitschten die Pferde. Als die Weißen nicht vorwärts kamen, vom Brand gestammelt wurde, Dörfer und Siedlungen anschwammen, trieben die Erkunder durch die schrecklichen Tier- und Menschenscharen, bewaffnet geschützt, auf Pferden. Bevor der nicht zerriebene Rest dieser Posten zurückkehrte, war die Barriere in der Luft gesprengt. In der Luft über der Wolga schwebend, die dunstende Kirgisensteppe, Samara Perm überschauend, sahen sie die von Menschen und Tieren wühlende Ebene. Im Rücken der Menschen und Tiere aber den großen und unmeßbar weit nach Norden und Süden sich umbiegenden Rauch- und Flammenwall, der mit sichtbarer Bewegung, langsam und kaum pausierend in kleinen Pulsschlägen hinter ihnen herwanderte. Feuer Rauch, den Horizont abschließend, keine Lücke lassend, die rollende Mauer. Soweit sie konnten, näherten sich die Flieger dem Brand, in Furcht, von Strahlen gefaßt zu werden. Sahen zuletzt das Feuer sich von der Erde mit der Erde erheben, aus dem Boden spritzen, Hügel Berghöhen überklimmen, über flaches Land Gebirge hochrennen. Es hielt vor keinem Flußlauf. Da warfen die Westler sich rückwärts, verließen fliegend fahrend die Linie der Wolga. Von Cherson bis zur Waldaihöhe im Norden bauten sie sich auf. Sie kannten die Millionen Menschen, die in der reichen wasserdurchlaufenen ackerbestandenen Ebene wohnten und die, die vor der Feuerwand einherliefen. Sie hatten überflogen Mohilew Smolensk Tschernikow Poltawa Kiew Jekaterinoslaw; Orel Kursk Kaluga Tula Twer Nowgorod Tambow. Das Feuer wanderte von Osten gegen sie, vom Uralgebirge stieg es, die Asiaten opferten das Land vor sich, dachten, die Westler würden die Woge der Lebendigen aufnehmen, und die Feuerwand würde über Europa, zum Balkan, nach Polen, an die Ostsee ziehen. Man mußte sich wehren. Und wie vom Ural Feuer lief, lief nach fünf Tagen Feuer entgegen, von Cherson über Poltawa Mohilew Pskow zu den Waldaihöhen. In die Erde metertiefe Stollen gestoßen, Stollen neben Stollen. Blöcke bohrten sich ein, rissen den Boden auseinander, die Linie vom grünen Ladogasee bis zum Toten Meer. Wie eine große Egge griff es in die Erde, hielt den Kopf gesenkt. Die Blöcke warfen unten Sprengstoffe Gase Salze vor sich aus. Blöcke über ihnen durchlockerten die Erde, mischten sie mit Gasen Salzen, durchdrangen sie mit Hitze. Hochgeschleudert unter Donnerschlag rauchte blutflammte die Erde, verzehrte sich geifernd in die Luft, aufgehoben in einem wirbelnden puffenden Qualm. Lohe Flammengarben sprangen in Säulen aus dem bloßgelegten Boden, brannten hinter der qualmenden niederregnenden Masse weiß und grün steil in Riesenhöhe auf. Flamme neben Flamme wie die Blockzähne der großen Egge, über Wiesen Ackerboden, zwischen Dörfern Landstraßen, vom Toten Meer zum Ladogasee Cherson Poltawa Mohilew Pskow Waldai. Den gleichen wolkenbezogenen Himmel angrellend Tag und Nacht, ihn rüttelnd erschütternd mit Stößen zu Donner und Widerdonner. Menschen Häuser Steine Hügel Tiere Wälder restlos zerklafternd aufhebend hochwerfend verschüttend, Flußtäler zerreißend ausfüllend. Die Betten der Seen Ströme sprengte das wandernde, Minute um Minute vorrückende, Qualm speiende, regnende, sich in Hitze sielende Wesen. In den Sümpfen sprühte es, auf dem Moor sprangen die Kreuzkröten, die listigen Salamander in die Höhe. Die Wasserfrösche im Schilf duckten sich vor dem Rauch, der über die Sumpffläche strich. Es klatschte um sie. Wie sie einen Satz nach rückwärts machten, waren sie mit Schlamm unter den kolbigen Zehen aufgehoben, um sich gedreht, Giftdunst um sie, trockene Flamme, vergasende Erde grün aus dem Moor gegen ihre platzenden Leiber. Die Egge über Wolhynien und den Bug. Das Landvolk wich nach Süden über Jekaterinoslaw auf das Meer, auf die Krim zu. Die Egge stach den Dnjepr an. Das mächtige Gewässer stürzte randlos nach Osten Westen, schwemmte sprudelte rauschte über die zerschnittene abgehäutete Erde, den brodelnden Sumpf. Ströme Bäche Seen, ihrer Umfassungen beraubt, kenterten über den neuen Boden, Lehm und Morast wälzend. Hinter den Eggen liefen die Röhren Gasspender Salzmischer Hitzeatmer. Selbsttätig zog das schnaubende Bergwerk sie hinter sich, entleerte sich seiner Spannung und Ladung, nahm ruhend unter der vibrierenden Luft, von der Erdlast befreit, die in Geheul und Rauch verging, neue Nahrung ein. Stemmte spießte bohrte sich unter die Erdmassen, die ihm vorlagen, brach gasend heizend explodierend aschend durch unter Bergen Baumwurzeln Stadtfundamenten. Blauschwarze Schwaden, niedrighängende, zogen nach Polen Galizien Rumänien, wo das Laub an den Bäumen schwarz wurde, das Vieh auf den Weiden starb, die Menschen sich nach Westen wandten. Im leeren Osten schäumte die grüne Flut über der abgetragenen Erde. Unter dem Wasser schütterte, bohrte das Bergwerk, riß, riß. In Stößen wallte das trübe Element ostwärts. Die Erde in Sprüngen geöffnet, das Wasser in die Risse stürzend. Flammen brausten; die Nässe klatschend im Schwall dazwischen. Im warmen üppigen Taurien tauchten Regimenter englischer Soldaten der B-Armee auf. Sie wurden auf Schiffen vom Süden durch den Bosporus und das Schwarze Meer getragen. Das Schwarze Meer war von Tausenden Seglern Booten Lastdampfern bedeckt. Flöße schwammen dazwischen. Im Norden nahe den Ufern Herden schwimmender ertrinkender Pferde. Vom Asowschen und Toten Meer, aus dem Kaukasus, von der Krim selbst quollen die Massen, gestopft durcheinander die Ufer erfüllend. Kosaken Kirgisen Slawen mit Bauern Priestern Männern und Kindern Weibern, die blauschwarze Wasserfläche anstarrend, über sie herfallend. Der Boden unter ihnen, Sand Wiesen, schon weggenommen von dem schrecklichen pfeifenden Gewühl der wandernden Springmäuse. Bei Tag und Nacht kämpften sie mit den Wölfen und Füchsen, die hinter ihnen, unter ihnen auf der Flucht waren, sich an den Erliegenden mästeten. Erschauernd, ihr Grausen nicht überwindend, schlugen sich die angefahrenen Soldaten, ihre Schiffe den Flüchtenden preisgebend, nach Norden durch, um eine Linie zu ziehen zwischen Cherson und Taganrog. Immer wieder auseinandergerissen durch das scheußliche über sie fallende Gewühl der Springmäuse, Rudel der tobsüchtigen Wölfe, zuletzt durch die Völkerwanderung der Menschen, die sich bei der dichten Annäherung des Erdbrandes in Vertierung selbst anfielen. Die Flüchtigen ließen es auf einen Kampf auf Tod und Leben mit den Soldaten ankommen; sie waren ohne Nahrung, von Schrecken Erbitterung Haß verwüstet. Schlecht bewaffnet wurden die Truppen zertrümmert. Aber neue aus dem menschenfließenden Westreich kamen hinter ihnen und brachen sich, immer fast zergehend, Bahn. Sie wollten, zwischen Cherson und Taganrog auf der noch unversehrten Erde zwischen den beiden Feuerlinien vorgehend, den Brand vom Ural aufhalten. London befürchtete, daß nach Ersäufung der ganzen Ebene zwischen Ural und Düna keine Angriffsmöglichkeit zu Land bestand; die kontinentalen Massen brauchten Angriff und Sieg. Eine Erdmasse als Kampftribüne sollte zwischen der östlichen und westlichen Wüste, dem ersäuften und erstickten Land, erhalten bleiben. Den B-Truppen waren zum Schutz nur wenige technische Einheiten beigegeben worden; die Führer hielten den Versuch für fast aussichtslos. Das todesmutige dichte Herantreiben von Stollen an die uralische Feuerwoge, während die westliche verharrte, das Aushauchen reaktionshemmender Gase, Auswerfen löschender und vereisender Salze glückte nur an wenigen Stellen. Das Tempo des östlichen Vorrückens wurde zuletzt unerhört wütend. Die russische Tier- und Menschenwelt, von Osten und Norden andringend, im Westen eingeengt, ertrinkend verhungernd verbrennend, behinderte an den meisten Orten das Ansetzen der Gegenstollen, zerstörte die vom südlichen Wasser nachgezogenen Röhren und Kabel. Zu dem Widerwillen gegen die Westler trat bei den noch kräftigen Einheimischen blindmachende Verzweiflung, Abscheu vor allem Menschlichen, ja Lebendigen. Eine Woge von Barbaren und Kannibalen rollte nach Süden. Mitgerissen von ihnen, eingekeilt zwischen sie, die Truppen der Westler. Noch auf der Flucht, nach rechts und links kämpfend, sahen die Truppen die westliche Feuerwoge sprengend und lohend sich in großen Sätzen erheben und grün der östlichen zulaufen. Sie schrien im Bereich der grünen und gelben Schwaden wie die schwarzen Kirgisen und Slawen. Niemand sah mehr den andern. Hunderte von der eigenen Feuerwoge im Rücken gefaßt, geröstet. In der Linie Bardjansk Charkow Orel Kaluga Twer packten sich die springenden Reihen der Bergwerke, stießen knallten grimmten in einem einzigen Feuertosen zusammen. Verdonnerten verzitterten die Bohrer Sprenger Gaser Heizer. Dickes schlammiges Wasser sprudelwallte brodelte über ihnen. Sie vergifteten es, brachten es zum Sieden Bäumen Spritzen, warfen es in Säulen über sich. Es klatschte gischend zurück. Sie mußten Ruhe geben. Die Kabel rissen. Die Ladungen rieselten lehmig tintig aus. Während vom Ural das Feuer lief, vom hohen nördlichen Töl-pos-is, dem Kamme des Jamentau, Iremal, beschickt von den Gelben, die aus den unendlichen Tannenwaldungen und Klüften des Ostabhanges herstiegen, lagen Gasschiffe Riesenboote Luftschiffe über dem Ozean im Westen, aufgebrochen aus England Irland, dem Golf von Biskaya, von den Kapverdischen Inseln, der Guineaküste. Kreuzten das atlantische Wasser Karaibische Meer, breiteten sich, die Durchfahrt von Panama verlassend, an der weiten Westküste des amerikanischen Kontinents im Süden und Norden aus, um dem asiatischen Angriff von Westen zuvorzukommen. Die amerikanischen Geschwader schlossen sich ihnen an. Unterwasserboote Gasboote, in breiter Front die plumpen Arbeitsschiffe zwischen sich fassend, von Abwehr- und Kundschafterbooten umschwärmt, durchschnitten das große westliche Gewässer, dröhnten an Hawai Paumotu Tubai vorüber, zogen bei Neuseeland die südliche Front ein, verdichteten sich im Norden, von Neuguinea bis Kamtschatka. Da waren sie in ein zauberhaftes Meer gestiegen. Erfuhren Beunruhigungen, die sie auf Fehlleistungen der Schiffe, Täuschungsmanöver der Kommandanten bezogen. Tauchboote Überwasserschiffe begannen ihr Tempo zu ändern, rascher zu fahren, rascher rasend, die Richtung zu verändern, zu stocken, stillezustehen. Ganz unregelmäßig wiederholte sich das, trat hier auf, dort auf an der Riesenfront, die langsam vorrückte, einen Gürtel um den Ostabfall des asiatischen Kontinents legte. Dann fing es mit einem plötzlichen Ruck, dem Stillstand einzelner Schiffe an. Im Wasser hielten Schiffe, wühlten rechts links mit Schrauben, bäumten sich, kamen nicht los. Langsam wurden sie frei, freier, brausten pirschten auf ihren Gegner, rasten in entfesselter Geschwindigkeit, unter dem Wasser, auf der gischenden Fläche, fühlten plötzlich, daß sie sich nicht halten konnten, daß sie stürzten, eine Kraft über ihnen. Man zog sie, riß sie von vorn. Vorn zog man sie, saugte saugte sie. Tosend die Schiffe, wahnsinnig, nicht gebunden an das Wasser, von keinem Motor gejagt, über die Wasserfläche rauschend holpernd, mit den Seitenflächen vorbiegend, fast kenternd, sich überwerfend, schleifend geschleift. Bis sie die weiße schwarze Masse sahen, auf die sie flogen, die sie bannte, die selbst auf sie flog, die weiße schwarze Bank, durch das gischende Wasser anschießend wie sie, das eiserne Schiff, mit ihnen Spitze gegen Spitze zusammenprallend, prasselnd sich mit ihnen vermählend, schmetternd mit ihnen verschnürt zerfallend absinkend. Das Geschwader der Philippinen hatte sich Mindanao genähert. Deutlich bewegte sich von Osten eine Gruppe flacher feindlicher Schiffe. Die Westlichen hatten im Augenblick die Motore des asiatischen Geschwaders gelähmt; die flachen Schiffe küstennah standen unbewegt wie eine Linie Soldaten. Wie Reiter stolz aufgebäumt raste das weiße Geschwader gegen sie im Keil. Die Wellen geschlagen schäumten festlich. Das vorderste Schiff stürzte plötzlich, die Spitze des Keils. Knickte ein, stand nicht auf, sank ins Leere. Die nächsten Schiffe rückten an, knickten, ihr Deck unter der Meeresoberfläche. Verschwanden wie in Löchern des Meeres. Als wären sie Pferde, empfingen Schnitte in die Sehnen der Knie, waren, auf dem Bauch liegend, verschwunden. Schiff nach Schiff. An der Küste die Linie des gelben Geschwaders. Der Keil stürzte weiter. Das Wasser wurde unter den Schiffen weggerissen. Das Fahrzeug sank in die Wasserspalte. Die Spalte, ein Trichter, weitete sich rechts und links kugelförmig. Das Schiff, stürzend torkelnd, am Boden der Wasserschlucht von den herabschießenden Wellen umgeschlagen, wurde begraben, während das Wasser über ihm sich zusammentat, stürmisch aufhob und glättete. Das rollende Meer wurde ihnen unter dem Kiel weggerissen. Stürzend ins Leere, in die Lichte von weiten Schornsteinen kamen sie nicht wieder hoch. Das weiße Geschwader fing zu stutzen an. Während es zögerte, riß das Meer weiter rechts und links auf. Sie schlichen um die tosenden Abgründe. Dies und jenes stürzte noch. Wenige rasten rückwärts. Vom westlichen Kontinent kamen über Amerika Berichte. Der Feuerkrieg am Ural stieg vor ihren Augen auf. Unruhe über den Geschwadern. Die Führer berieten über Maßnahmen gegen den auffälligen Druck, der sich der Besatzungen bemächtigte, als Befehle von London über Neuyork liefen, zurückzukehren bis auf den Küstenschutz. Den Pazifik überflohen sie in breiter Linie. Am Ostabfall Amerikas hielten sie; asiatische Angreifer hingen auflauernd über der Küste. Die Westlichen waren froh; sie gönnten ihren trüben Besatzungen das Abenteuer. Die Gelben flogen; man ließ sie sich nähern. Wie die Gelben das Meer den Schiffen unter dem Kiel weggerissen hatten, dachte man ihnen die Luft wegzureißen. Raketen in der Finsternis von den Borden der weißen Geschwader vor der Küste. Sie tasteten die kleinen Flieger ab, die im Schutz ihrer Abwehrwaffen in der Luft leicht pendelten, die schwebenden breiten Bollwerke der Lastluftschiffe, die die Größe der weißen Arbeitsschiffe hatten. Von dem Kranz der Raketen wurden schwarze Gebilde hochgetragen, die wie Ketten zwischen ihnen schwankten. Wie die Raketen zu glühen begannen, dumpften Schläge: die Böenbomben an den Ketten explodierten. Von oben nach unten zersprangen sie, wühlten die Luft beiseite, mit jedem Schlag sekundlich dem früheren folgend, stießen keilten sie die Luft weg. Wie ein Schwimmer, der auf dem wippenden Sprungbrett steht, die Knie beugt, sich zum stolzen Niedertauchen rüstet, das Brett kracht, er torkelt kippt sich überschlagend, mit den Armen leer greifend, klatscht bäuchlings unter Stöhnen auf die spritzende Wasserfläche, so hingen die gelben Flieger und Luftschiffe, sprung- und wurfbereit. Die Füße ihnen abgeschlagen. Wehrlos unwissend, was mit ihnen geschah, klafterten sie abwärts, wirbelten um sich in der finsteren brausenden Luft, schlugen ins Meer, Münder geöffnet, Finger gekrümmt, träumend erwartend. Die gelben Flieger, sich zurückziehend, sammelten sich bei Tag wie Raben am Panamagolf. Finsteres Gewimmel den Rio Chagras entlang, von der Limonbucht bis Panama. Sie wechselten jeden Augenblick die Höhe; die Schiffe des weißen Geschwaders traten in die Schleuse von Miraflores, Padro Migual. Man riß aus den Fliegern mit tosenden Böen Punkte Ballen heraus; sie drangen verstärkt zusammen, auseinander. Einzeln tauchten sie herunter, schienen sich bald auf Colon, den Endpunkt des Kanals, bald auf die erste Schleuse zu konzentrieren. Dann sausten die Raben in ganzen Scharen auf die Hügelketten um den Kanal, im Angesicht der fahrenden Schiffe. Hockten rechts und links, als täten sie nichts. Hastig die Schiffe durchgeschleust, Paraiso San Pablo Soldado passiert. Unbelästigt liefen die Weißen an Bohio Soldado vorbei, bei Colon aus, sammelten sich, warteten in der Limonbucht. Schiff um Schiff schleuste durch. Die neu auslaufenden empfingen da zu ihrem Staunen kein Zeichen von den wartenden. Eine stumme Schar von Schiffen sammelte sich, wartete; immer mehr verstummten. Die neuen glaubten, die Maschinen der anderen seien gestört, booteten, flogen zu ihnen herüber. Und wie sie anstiegen, landeten aus der Luft, lagen und gingen da – lachende Menschen. Salven Gelächter schlugen ihnen entgegen. An den Masten, über den Bordrand hingen sie, ausgestreckt, hier und da, schlafend schnaubend. Sie winkten sprangen herum mit eingezogenem Leib, als würden sie von einem fürchterlichen Kitzel gereizt, brüllten aus vollem Halse ihr Gelächter aus, auf Fußspitzen tanzend. Mit dem Kopf an den Masten standen welche, den Kopf auf die Brust gesenkt, nach rückwärts gegen das Holz gedrückt. Seitwärts mit den Fahrtbewegungen ihr Rumpf schwankend. Sie schmunzelten in süßer Lähmung, spielten mit den Fingern, rutschten sachte mit den Füßen aus, saßen fielen um, lagen prusteten. Die Mehrzahl der Männer und Frauen schlief in einer irren Wonne. Die angebootet kamen, konnten die schlafsüchtigen Leiber schütteln; sie rissen die Augen auf, blutunterlaufene Augen, geplatzte Adern in der Weiße, plump verzogen das gedunsene Gesicht zu einem vertraulichen Grinsen. Kichern Gurgeln Grunzen aus dem verklebten weit geöffneten Mund; sie legten sich sanft um. Die Menschen, die sie rüttelten, gingen nur eine kurze Weile, fühlten sich genötigt, selbst zu bleiben, zu grinsen gähnen, vor sich hin zu lächeln, zu niesen kichern und dann zu lachen, daß das Zwerchfell schmerzte. Sie schmetterten ihr Lachen von neuem, von neuem, husteten verschütteten ihre Lungen, fühlten sich selig, müde und müder. Einige fanden die Kraft, auf ihre Schiffe zurückzukehren, wo das Kichern schon begann. Dann flogen Meldungen über die Meerenge. Auf den Hügelketten um den Kanal hockten die Raben, wechselten gelegentlich ihren Sitz. Flieger der weißen Geschwader warfen sich über sie. Wild schwirrten sie hoch, auf der Flucht vor den Böen. Das Kraftwerk von Cartagena setzte ein. Die gelben Flieger waren im Bereich seines elektrischen Feuers, im sprühenden Geflecht der Wellen Cartagenas. Ein unsichtbares Gewitter umfaßte sie, schleuderte sie auseinander. Als wären sie sehnsüchtige verliebte Tiere, benahmen sich die Apparate, die unterhalb der Strommassen liefen. Schwankten zitterten stiegen auf unter, rissen sich ab, zuckten hoch. Sie schlingerten warfen drehten sich, ihre Propeller arbeiteten blind. Sie waren gefangen wie Fliegen im Spinngewebe. Die Gelben stellten ihre Motore ab; nur wenig sackte die Maschine, dann hing sie fest, ja stieg stieg. Sie sahen von unten das Schauspiel der Maschinen, die bewegungslos in der Luft hielten, als lägen sie auf dem Meeresgrund. Motore sah man laufen und stehen. Unwiderstehlich die Randstrahlung des Gewitters. Sie vermochten, nach stundenlangem Drängen Spannen, die schweren apparatebeladenen Flieger, die den Kanal zerniert hatten, nicht in das Meer zu stürzen. Nur einige schnallten sich los, warfen Kleider in die Luft, sprangen nackt aus ihrem Apparat, der im Schwung nach oben schoß. Willenlos schaukelten die übrigen in den stählernen Kästen. Stiegen ruckweise höher höher in die aschestreuende Zone, waren urplötzlich gefaßt, kilometerweit nach vorn gestoßen, durchbohrt, durchlöchert, zerfressen, mit kleinem weißen Licht aufflammend, zerfallen. * * * * * Aus Rumänien Polen Deutschland fuhren Beobachter nach dem Osten. Über das Atlantische Meer kamen die trüben Geschwader. Zahlreich die Schiffe, die auf der Einfahrt zugrunde gingen, an den Antillen den Bahamainseln. Tiefer Mißmut zwang sie zurückzubleiben. Weigerten sich nach dem alten Kontinent oder Amerika zurückzukehren. Angriffe von Teilen des Geschwaders, Schiff gegen Schiff, wurden beobachtet. Die Westgrenze der Verwüstungszone fuhren Kundschafter ab. Sie flogen wanderten fuhren auf Booten. Das unabsehbare Überschwemmungsgebiet. Einebnung der Landschaften. Wo die Wälder Wiesen Blatt- und Grasgrün Ähre Blüte laufendes Tier singender Vogel? Schwarzbraun grünlich fließende Seen, auf denen gesplitterte Baumstämme mit Wipfeln Wurzelwerk schwammen, Teile von Tieren und Menschen, unter der Giftwirkung mit hellroter und rosa Farbe. Gelb verbrannte zerbrochene Bettladen Schaufeln Schlittenkufen im dicken Gewirr der Oberfläche hinziehend, zu weiten Anhöhen über dem Morast aufgestapelt, spitze Kegel, abgeplattete kilometerbreite Pyramiden: der Ort von Städten und Dörfern. Zusammengepflastert Steinblöcke Häuserreste Lehmmassen Eisenteile Räder Fensterladen. Die breiten Krater der Schwarzerde, wüste Steinhaufen um Charkow und Kursk. Unterpflügt umgeworfen fein gemahlen der Boden, der ruhte, aus dem kein Halm trieb, über dem kein Regenwurm sich bewegte, keine Ameise lief. Starke Hügelgruppen am westlichen Ufer der südlichen Wolga von der Egge der Bergwerke gefaßt; die Wolga, im Osten meilenweit ins ehemalige Kirgisenland flutend, spritzend nach Westen aus Sieböffnungen über das tiefliegende Land. Die Wandungen des Siebes bröckelten ab; die Wolga brach nach Westen durch. Über die Wolga drang kein Kundschafter. Manche verkamen, ließen die Vorsichtsmaßregeln außer acht. Schwer mit unklarem Schmerz beladen kehrte Gruppe nach Gruppe zurück. Trübsinnig grambepackt fielen sie in die östlichen Städte wie Meteore, die im Niedergehen ihr Feuer von sich geben. Englische und kontinentale Stadtreiche hatten gegen Ende des Krieges getan, was zu tun war: Massen ihrer Bevölkerung von sich geworfen, in die unmäßig anwachsende B-Armee, die man erbarmenlos dezimierte. Man markierte asiatische Angriffe durch Fliegermassen, riß tausende Wehrlose auf den brachliegenden Feldern Rumäniens und Polens hin. Man erprobte auftauchende Waffen am lebenden Objekt. Auf zehn gelbe Flieger, die vor Panama an der Küste unter Böen und Raketen herabgerissen wurden, kamen hunderttausende weiße, die die Kraft der Böen erprobten. Schneidend und bedenkenlos die Diktatur der verzweifelten Herrscherschichten. Als zwischen dem Toten Meer und dem Ladogasee, über Cherson Poltawa Mohilew Pskow Waldai der sprengende Bergwerkgürtel gelegt wurde, dem asiatischen gegenüber, war er in der Walachei der Poebene Westfalen Wales schon mehrmals über den Boden gegangen, hatte mit Gift und Explosion Regimenter der Überflüssigen gefordert. Über die unerschöpflichen spielklügelnden Städte fielen da die Nachrichten vom Krieg. Die Kundschafter, finsternistriefend, ließen sich in die Menschenmassen nieder. In London, englischen und kontinentalen Stadtschaften wurde in diesem Augenblick die Diktatur offenkundig. In London bedurfte es keines Kampfes. Mit zwei drei Schlägen bemächtigte sich Rallignon und seine Kampftruppe der gesamten Ernährungs- und Bewaffnungsanlagen von Paris Lille Châlons Orleans. Die Wieschinska, das Weib, bei der Durchschleusung des Panamakanals unter die nervenlähmenden Strahlen der Japaner gekommen, gehörte zu den wenigen, die sich nach kurzem Siechtum erholten. Sie behielt Geist und Willen: Beine hingen im Stuhl schlaff von ihr; sie beseitigte, mit ihrem noch gespannten strahlenden Gesicht, ihrer machtvollen tiefen Stimme die Menschen an sich fesselnd, den zögernden Senat ihres Gebietes, vereinigte Werke und Waffen in ihrer Hand. Über allen wartenden getöserfüllten Städten erschien in diesem Augenblick das Gesicht der toten Landschaften. Unverhüllt erschien es. Hatte niemand Lust, etwas zu verbergen. Keine Niederlage war gemeldet. Sondern nur: es hatte sich nichts geändert. Die Jungen, Männer und Frauen, die Führer hatten die Fahne erhoben, geschrien von ihrer Kraft. Das Feuer aus der Erde, zwischen den Händen der Menschen, zu den Gestirnen aufbrennend: da war es, in der russischen Ebene, vom Ural bis zu den Waldaihöhen. Das Land zerrissen, Flüsse entleert, Menschen Bäume Tiere verzehrt. Das grauenvolle tote Land. Das war das Werk der Jungen mit den Standarten. Das konnten sie. Das war das Geheimnis der Apparate, die wunderbaren eingesperrten Naturkräfte in den Gewölben. Die Rückkehrer der Flotte meldeten, daß es keine Fabel war, was die Techniker und Gelehrten erzählt hatten von den Luftböen den Wasserböen Kurz- und Langstrahlern Brandsprengern. Aber nichts war zu leisten damit. Man lief um die Städte wie vorher, hatte Treibhäuser für Blumen Spiele Zirkus. Was sollte man damit? Versagt hatten die Jungen, die Herren und Herrinnen. Lächerlich ihre Fahnen. Die Erde konnten sie zerreißen, Städte vergiften. Wenn sie wollten, konnten sie auch die westlichen Landschaften vernichten. Die Kundschafter vom Osten waren Menschen aus der Mitte dieser Städte. Man ließ sie ruhig unter die Massen. Es waren die Träger dieser Augen, sie hatten solche Gesichter, flüsterten wie Wahnsinnige, gellten warfen die Arme, bedeckten die Augen. Diese Landschaften, die aus den Betten gerissenen Riesenströme. Wälder Äcker Gewimmel von Tieren und Menschen: weg. Es gab Städte, in denen Attentate auf die Boten gemacht wurden, in hilfloser giftiger sich selbst zerreißender Wut, weil sie ihnen dies angetan hatten. So tief waren manche Boten, frieden- und spielgewöhnt, weich wie die Massen, von Grauen und Angst ausgehöhlt, daß sie durch die Straßen nur liefen weinten. Als hätte man sie bestraft und sie klagten deshalb, forderten Sühne, erzählten ihr Unglück, so liefen sie auf die Bühnen, in die Säle Ratshäuser und riefen. So hat der Held in dem alten Gedicht geschrien, als ihm sein lieber Freund erschlagen war, die Leiche geschändet und entblößt. Es war ein Rest des Schreies der fliehenden Tier- und Menschenscharen vor der Feuerwoge vom Ural, der Tausende vom Asowschen und Toten Meer, die zusammengedrängt, Kosaken Kirgisen Slawen, Bauern Weiber, die blauschwarze Meeresfläche anstarrten, während unter ihnen der Boden von dem wandernden Getier fortgenommen wurde, klatschend lohend in ihrem Rücken die Brandlinien anrollten. Überall schüttelten sich die trüben gemästeten Massen in der Qual des Verlorenseins. So tost der Vulkan und rast glücklich, voll Hohn und Wonne, daß schmerzliche Kräfte in ihm aufsteigen, die glühende Lava, von der er sich befreit, die er breit deckend über die Erde gießt. Die Landschaften hätten die Herren verbrennen können; sie wollten sich über die Herren gießen, Rache nehmen. Wo Stadtlandschaften nicht durch starke Senate gesichert waren, erfolgten lauffeuerartig Revolten Zertrümmungen von Straßenzügen Werken. Nach diesen Vorgängen wurde kein Friede zwischen dem westlichen Völkerkreis und den Asiaten geschlossen. Es geschah nichts. Der Krieg war zu Ende, wie ein Tier, das einen Beilhieb in die Halswirbelsäule empfängt. Die Staaten schnurrten zusammen. Jede Stadtlandschaft kämpfte um ihr Dasein. Drittes Buch. Marduk Zuerst kam in Berlin der Konsul Marke auf. Er war Erkunder bei den technischen Truppen des Uralischen Krieges gewesen. Anfliegend aus der schwarzen Krim, die beladen war mit Sterbenden, verendenden Pferden Hunden Füchsen Katzen, über das verödete Bessarabien, die stillen Beskiden fuhr er. Als er sich Berlin näherte, sich über dem alten Bernau senkte, hatten sich da Massen angesammelt, ihn erwartend in den herbstlichen Alleen, zwischen den Plantagen und Baumschulen. Megaphone waren aufgestellt. Er vor dem Haus sich niederlassend, ging unter dem Gebrüll der Menschen wortlos zur Tür, schloß sie hinter sich. Rief, dessen braune Kleider den scharfen Geruch der Gase und des Brandes von sich gaben, seine beiden Töchter, forderte von ihnen, nachdem er sie unbewegt lange beschaut hatte, – sie weinten strichen Hände Gesicht des starren Mannes, – daß sie sich entleiben sollten. Gelegentlich wurde seine Starre durch Schluchzen Aufstöhnen durchbrochen. „Ihr wollt euch nicht töten? Wollt ihr euch nicht töten?“ Eintönig und immer wiederholt seine Frage. Er sprach das hier übliche Englisch-Deutsch; bisweilen murmelte er in einem unverständlichen Jargon: russisch, der Leute zwischen den Feuerlinien. Die Töchter warfen sich vor ihn auf den Boden, weinten ratlos. Zwei alte Hausgehilfinnen holten sie; er sah sie nicht an. Der starkrückige Mann, die Fliegerkappe über die Stirn hochgeschoben, drängte weiter: „Ihr müßt euch töten.“ „Warum? Warum nur? Was haben wir getan?“ Er murmelte russisch. Dann stand er zitternd, zog die Kappe ganz über das Gesicht: „Ihr – habt nichts getan. Was soll einer getan haben. Oder zwei. Ich auch nicht. Wir haben nichts getan. Alle müssen hin.“ Er fuchtelte mit dem Stahlgürtel, den er sich abgeschnallt hatte, schlug auf den Boden, als ob er etwas niederpeitschte. Jourdane, die jüngere, bot ihm zu trinken. Er kippte das Weinglas, das er in seiner linken Hand hielt und anschaute, dem blonden schmächtigen Mädchen über die Brust. Sie wollte in einer Mischung von Zorn und Angst seinen Arm packen. Die Ältere hielt sie zurück. „Ich will dein Gift nicht nehmen, Weib.“ Marke stellte das Glas vor sich auf den Tisch, fuhr mit dem Gürtel wagerecht hin und her, schlug es vom Tisch herunter. „Ich will keine Luft mit euch. Es war nicht nötig, daß ihr in mein Haus kamt, wenn ihr nicht auf mich hört. Hier ist meine Luft. Ihr müßt weg. Alle. Tötet euch.“ Die Megaphone dröhnten über die Straßen. Marke schrie, an sein Fenster tretend: „Worauf wartet ihr. Ihr müßt weg. Weg müßt ihr, sag ich euch.“ Er gehörte nicht zu den Herrschenden, Leuchtmar, der in Hamburg getötete, hatte ihn nie gesehen. Die Menschen unten liefen ängstlich voneinander, verstanden nicht, was er wollte. Jourdane blieb in der Nacht am Bett Markes, der wenig schlief. Sie glaubte, er sei von einem Gift des Krieges getroffen. Während sie sich über die Stuhllehne zu ihm bückte, schwoll ein Grauen von ihm auf sie über. Eine Weile saß sie noch, dann konnte sie nicht widerstehen. Mußte den Kopf heben, die Arme auf die Stuhllehne stützen, die Füße aufdrücken, aufstehen, gehen. Den Mann im Bett sah sie nicht mehr. Sie ging zur Tür. Nahm Markes dünnen Stahlgürtel ab, band ihn um einen Riegel, steckte, einen Stuhl besteigend, den Stuhl mit Freude unter sich wegstoßend, den Kopf in die Schlinge. Der Kopf mußte in die Schlinge gesteckt werden. Sie empfand, wie sie die Füße gegen den wankenden Stuhl stieß, eine tiefrieselnde Lust über den Leib die Knie und die Arme. Zum dargebotenen Hals, der sich an die kühle anschnellende Schlinge legte, rann die schreckliche Lust herauf. Der Mann, im Fall des Stuhls zuckend, sah sie hängen. Er wollte vom Bett hin um sie zu retten, aber seine Beine kamen nicht auf. Seine Arme, die nach der Bettkante griffen, knickten krampften zusammen. Er hielt den Kopf in der Richtung auf die Hängende. Lauschte nach ihr. Langsam vermochte er zu schlucken, tönend die Luft durch Mund Nase einzuziehen, zu schnarchen, zu stöhnen. Sein lautes wildes immer wilderes Stöhnen, – er saß gebunden auf der Bettkante, den Kopf starr nach der Hängenden, – rief die Tochter, die im Nebenraum schlief, herbei. Sie sah nicht, warum er keuchte lallte. Verfolgte seinen Blick. Schwankend, hoch die Luft aufziehend, hinsinkend, sich hinschleifend war sie an der Tür. Stürzte mit der abgehobenen Schwester vom Stuhl, über sie her. Marke im Hemd auf der Bettkante. Seine nackten Füße vibrierten auf dem Teppich. Weinend warf sich die Tochter, als Jourdane leblos dalag, an ihn, umschlang seinen Rumpf. Und während ihr verzerrtes Gesicht von Tränen überflossen wurde, blickte sie nach oben, zu dem Gesicht des Vaters. Der war stürmisch durchzuckt. In seinen Beinen Armen, dem Rücken krampften die Zuckungen Jourdanes nach, während sie hing. Immer schnellten seine Beine an, wollten sich seine Knie krümmen, die Füße stoßen. Er drückte sich fest, fester. Das Aufwühlen seiner Muskeln bezwang er. Sein wieder erstarrender drohender verlangender Ausdruck gegen Janina. Die ließ ihn los. Ihr Entsetzen Abscheu vor diesem Wesen. Auf die Schwester lief sie, löste ihr den Gürtel vom Hals, hielt ihn, kniend, über die Schwester wegblickend, in der geballten Faust gedrückt, wie eine Peitsche, mit der sie auf den Mann losgehen wollte. Und stand, den Gürtel pressend in der Rechten, um den stummen Mann, den lippenbeißenden, der hörbar durch das Zimmer atmete, auf das Bett zurückzuwerfen, ihm anzutun, was sie konnte. Das Scheusal, das die junge süße Erhängte getrieben hatte. Da fühlte sie seine Augen. Er saß noch immer auf dem Bett. Sein Ausdruck so wechselnd: bald zitternd zerfließend, bald starr und unerbittlich befehlend, bald schmerzgespannt. Die Fäuste hatte er sich zum bloßen Hals erhoben, sie krallten in die Haut. Er war von der Verzweiflung verschluckt, verstrudelt, geschlagen an jedem Glied. Vor ihm kniete sie einen Moment. Horchte, sah zu ihm auf. Berührte seine Hände. Sein Ausdruck wurde drängender. Sie stand, getrieben, Muskel und Spannung, vor der Schwester, die auf dem Teppich lag, das Gesicht mit dem offenen Mund nach oben, die Knie an den Leib gezogen. Der Gürtel fiel Janina aus der weißen Hand; sie hatte die Hände wie die Tote geöffnet. Was saß hinter ihrem Rücken auf dem Bett. Der Stuhl. Sie zog ihn her. Der dünne Gürtel. Der Riegel. Verschließen des Gesichts. Der Stuhl polterte. Sie sollte erst, Janina, nach langen Stunden in der Helle des Vormittags neben Jourdane liegen, das Kinn nahe der zarten Brust, die Beine angezogen. Umschrien von den beiden alten Frauen. Marke saß noch immer auf der Bettkante. Stöhnte leise, antwortete nicht, als Männer ihn befragten. Zog sich gegen Mittag an. Mit dem Stahlgürtel rieb er sich die behaarte Brust aufs Fleisch blutig. Unter dem Hemd auf dem blutigen Fleisch schnürte er sich den Gürtel. Unheimlich stand er stundenlang wortlos im Zimmer, die Faust an der Brust. Man hatte damals ein Verfahren, auf großen Plätzen, offenen Straßen im aufwirbelnden farbigen Rauch Gestalten und Landschaften sichtbar werden zu lassen. Die spiegelnde Fata Morgana der Wüsten war das Vorbild gewesen. Die Wissenschaft hatte ihr Geheimnis entdeckt; künstliche Wolken waren die Träger der Erscheinungen, Empfänger der über Prismen und Spiegel hingeworfenen lebenden Abbilder. Die Fernseher übertrugen augenblicklich auf jede Entfernung Vorgänge, die im beleuchteten Rauch der Fata Morgana leibhaftig erschienen. Die Megaphone dröhnten an diesem Abend. Der Bildrauch wirbelte auf den Plätzen, in den Anlagen, im Zirkus. Marke erschien. Sein vielen bekanntes Gesicht, aber die Haare grau, Strähnen wirr über Ohren Stirn; gramumwuchert sein Gesicht. Vernichtetes Gesicht, bald starr, bald zuckend, bald in Zittern aufgelöst. Er stand auf dem Balkon seines Hauses. Die Faust hielt er lange wortlos gegen die Brust. Unter seinen schlagenden verwünschenden Handbewegungen, seinen heißen Haßblicken stoben viele Menschen davon. Sein Mund öffnete sich. Ein Rollen Poltern Tosen aus dem Megaphon: „Ich lebe. Meine Töchter sind tot. Sie haben wohl getan. Weg auch ihr.“ Er schrie: „Das bin ich“, schlug sich die Brust, riß die Jacke auf, das Hemd weg. Den stählernen Gürtel packte er mit beiden Fäusten, schmetterte ihn gegen die aufgerissene zottige Brust, ohne daß sich sein Gesicht veränderte und ließ von diesem flutenden Hin und Her der Starre, des aufgelösten flimmernden Vibrierens. „Das bin ich.“ Die Menschen, die am Boden die Rauchapparate bedienten, lagen in halber Betäubung. Oft verschwand Markes Balkon, die Front seines Hauses, seine Figur im dicken unaufgelösten Qualm. Angstvoll schrie die Menge; immer trat die Figur wieder hervor. Man sah das Eisenstück, das er vom Gitter seines Balkons brach, das er gegen seinen eigenen Hals richtete, in diesem Augenblick, das er gegen seine eigenen Augen richtete. Jetzt Schläge über die Stirn rechts links. Tausend aufgreifende Hände aus den Mengen. Gurgeln Gröhlen Röcheln aus dem Megaphon. Der blinde Marke lebte. Neue Boten kamen. Brachten Bilder vom Uralischen Krieg. * * * * * Im Kreis dieser Stadtlandschaft breitete sich eine Finsternis Lebenssattheit Todesverlangen aus. Die meisten Werke standen. Nur die notdürftigste Verbindung mit den Nachbarstädten wurde gepflegt. Wie abgehetzte Hunde mit lechzenden Zungen und grade von sich gestreckten Gliedern lagen die Herren der großen Werke, rührten sich nicht. Es konnte keiner verhindern, daß von den Massen nur dieser Anblick begehrt wurde: Marke, sein drohendes Stehen, seine Blendung. Er sprach nicht. Fuhr mit der Hand und seinem Gürtel durch die Luft, verlangte eintönig und stumpf: „Tötet Euch.“ Gleichmütig erhängten sich in diesen Wochen, hier wie in anderen westlichen Städten, kräftige Männer und Frauen. Wie noch die Todessehnsucht durch die Menschen brauste, saß Marke in seinem Zimmer. Er richtete in der schweren Schwärze, die ihn umgab, seinen Kopf wie immer nach der Tür, neben der der Riegel war. Da fühlte er sich an Knien und Hüften berührt. Er tastete hin, griff nichts. Ließ die Hände fort. Wieder berührte es ihn an Knien und Hüften. Tastete sich langsam langsam an seiner Brust hoch mit so großer Weiche. Wonnig ließ er es geschehen. Er hatte gar keine Furcht. Es war die tote Jourdane, die schmächtige junge Tochter. Die streichelte über seine Augenhöhlen. Ein Fliedergeruch kam mit ihr. Sie hatte mit beiden Armen seinen Hals umschlungen, saß auf der Bettkante neben ihm. Er fühlte ihre kühle Wange. „Vater“ hauchte es. Er saß im Glück, rührte sich nicht. „Vater. Du bist blind. Ich bin nicht mehr bei dir.“ Er hielt immer still. Sein Oberkörper schwankte von rechts nach links. Sie ließ nicht von ihm. „Vater, wie viele Blumen Käfer Menschen und Kinder sind durch uns gestorben. Ich lebe nicht mehr. Du bist blind, Vater. Ihr guten Augen seht nicht mehr. Wieviel sollen noch sterben, Vater.“ Er fragte: „Wo ist Janina? Ist Janina bei dir?“ „Ich will sie rufen, Vater.“ Und da fühlte er sich losgelassen. Eine lange Minute saß er allein. Wehen Hauchen. Sehnsüchtig empfing er die Berührung an seinen Schultern, seiner Stirn, ein langes zitterndes Anpressen an sein Gesicht. „Janina, bist du Janina?“ Das antwortete lange nicht, ließ nicht von seinem Kopf, schluchzte: „Ja, ich bin Janina.“ „Liebe Janina. Liebe Janina.“ „Vater.“ „Bist du da, Janina. Bist du wirklich da. Mein süßes Kind.“ An seinem Körper neben ihm schwang es, hielt sich fest. „Wo hast du Jourdane gelassen?“ „Wir können nur einzeln kommen.“ „Komm öfter, Janina.“ „Wir sind so oft da, Vater. Du siehst uns nicht, du hörst uns nicht, du fühlst uns nicht.“ „Ich fühl’ dich ja.“ Da schwankte sein Oberkörper wie ein Mast im Sturm. Sein Rückgrat hielt nicht mehr. Er fiel zurück. Am andern Morgen ließ er die beiden Frauen, die mit den Töchtern zusammen waren, zu sich kommen. Er war verwandelt, sprach sanft zu ihnen. Sie möchten öfter im Haus bei ihm sein. Aber leise gehen, damit er Jourdane und Janina höre, wenn sie kämen. Sie kamen öfter. Die zarten abgeschiedenen Seelchen. Lächelnd saß er im Stuhl, bewegte sich nicht. Er streichelte den alten weinenden Frauen die Hände. Den Werktätigen und Ruhenden, Fabrikherren, Weißen und Farbigen ließ er sagen, daß er zu ihnen sprechen wolle. Marke gab nach kurzem Zögern dem Drängen des Senats nach. * * * * * Mit ihm begann die Reihe der Konsuln in Berlin. Er wirkte klar, allen sichtbar und verständlich. Gelöst wurden die Verbindungen mit anderen Stadtlandschaften und fremden Staaten. Nur die wurden aufrecht erhalten, die der unmittelbaren Erhaltung der Volksmassen dienten. So die für die dynamische Kraft, die, in Skandinavien und den Alpen aus Wasserstürzen für den ganzen Kontinent gewonnen, herströmte. Die Lebensmittelsynthese, – Marke wollte zuerst die chemischen Laboratorien, die großen Pilz- und Organanstalten niederlegen, – vermochte er nicht zu beseitigen, da die Äcker nicht genügten. Aber er trieb massenhaft Menschen aus der Stadt heraus auf die Felder zur Bebauung, drängte auf Entfernung aller Überflüssigen. Sein Konsulat begann mit der Wehrlosmachung der Stadt. Den Mastenwald an der Peripherie zum Fernschutz brach er ab. Alle Apparate, die der Bewaffnung und Verteidigung dienten, zerstörte er. Darauf erfolgte die staunenswerte, das Herz der Stadt zerreißende, Millionen Menschen, Senat und Volk aufs tiefste erschütternde Sprengung der zentralen Schaltanlagen und Kraftsammelstellen, der unnahbar geschützten, für heilig gehaltenen Energiespeicher. Erst als dies geschah, wußte Senat und Volk, daß sie eine Gewalt über sich gesetzt hatten. Die von fernher laufende Kraft wurde schon außerhalb des Weichbildes der Stadt zersplittert; sie lief von mehreren Seiten an; keine Anlage hatte mehr zur Verfügung als ihre Arbeit erforderte. Der Tod stand auf jeden Versuch eigenmächtiger Kraftspeicherung. Als dies geschah, gaben mehrere der stärksten Herrenfamilien ihre Werke selbst aus der Hand, verloren sich unter die Mengen der Ernährten und Arbeitenden. Aus diesen Kreisen Verstörter wuchsen die späteren Feinde des neuen Stadtwesens. Berlin erstreckte sich über die meilenweite wellige Ebene zwischen dem unteren Elbetal und der Oder. Es überlagerte die lehmige tonige sandige Fläche, die die letzte Eiszeit bereitet hatte, vom roggentreibenden Fläming, dem Lausitzer Wall im Süden bis zu den wiesenreichen seenbestandenen baltischen Landrücken an der Ostsee. Es schloß Sümpfe Wälder Flußläufe in sich ein, Forsten Talzüge, die Baruth-Brücker Niederung, die Duberower Berge, die Kiefern Eichen Birken hochtrieben, das Höhenland der Havel, die dürre Zauche mit dem Schwielow- und Rietzer See. Den Oderbruch und Küstrin erreichte es im Osten. Das flache Rhinluch, das Havelländische Luch umzogen seine Anlagen, Schwedt und Prenzlau im Nordosten, die das sumpfige Höhenland der Uckermark im Nordosten trug, überlief es mit seinen Außenmarken. Die Stadtschaft hatte zahllose weite Plätze und riesige Straßenkreuzungen. Mächtig wirkte an den großen öffentlichen Stellen das feierliche Bild eines Stiers, der in die Knie gebrochen war. Ein armlanges Messer stak in seiner linken Flanke. Einmal am Vor- und Nachmittag brüllte die Säule, stark wie eine Schiffsirene, täuschend ähnlich in Schrei und gliederlähmender Angst dem Ton eines sterbenden großen Tiers. Sie brüllte unregelmäßig unvermittelt in dieser und jener Stadtgegend. Dann mußte jeder auf Minuten die Arbeit verlassen, die nicht dringend war. Unüberwindlich lang waren die Jahre der Lethargie, die heraufzogen. Nach Vernichtung der Bewaffnung der Stadt, Sprengung der Zentralen, Eröffnung der Äcker überließ Marke, mit dem Senat nur der Kontrolle dienend, die Stadt sich. Jeder lebte für sich. Mystische Bünde machten sich breit. Ihnen boten sich viele Menschen an; die Zahl der Untätigen Herumlungernden war nach der Sprengung der Zentralen, der Ablösung von der Umwelt gestiegen. In den Sekten wurde gegen die höllische Ernährung, das teuflische Menschenwerk gepredigt; die Wut finsterer Lehrer richtete sich gegen die geschonten Laboratorien, in die Tonnen mit Salzen Säuren Metallen einfuhren, aus denen Zucker und Fette geworfen wurden, Tiere und Pflanzenleiber, in denen Organteile Organsäfte als Arbeitskräfte dienten. Am Müritzsee hatten sich Siedlungen aufgetan. Täglich wallten Menschen dahin, wo der hagere skeptische weiße James Maikotten mit ihnen sein Frage- und Antwortspiel anfing: Was sie vorhätten. Was sie von diesem blinden Konsul Marke erwarteten. Ob sie glaubten, daß die Welt besser würde, wenn ein paar Werke in die Luft flögen. Ein paar Werke. Er empfehle Kastration. Sie müßten den neugeborenen Knaben die Hoden abschneiden, dann könne man hoffen, daß in fünfzig Jahren die Erde besser aussehe: Unkraut auf den Wiesen, ein paar Häuser noch von alten Leuten bewohnt, aber wilde Tiere kommen schon wieder; die Erde beruhigt sich, die verkehrte Art Mensch ist erledigt. Die ganze Erde braucht Erholung von den Menschen. Nicht bloß Rußland. Eine Fehlart ist der Mensch. Surrur hat recht; aber seine Wind- und Wasserlehre war zu hoffnungsvoll. Es sei kein Zweifel, die Art Mensch hat keinen Bestand. Sie vernichtet sich, frißt sich selbst auf; ihre Gaben drängen sie dazu. Was tut der Konsul Marke? Eine Krankenheilung mittels Halsumschlags; der Kranke hat Gift in sich; ein Halsumschlag! Warum nicht gar gute Worte? Das Gift wird doch deutsch und englisch verstehen und sich zureden lassen und seiner Wege gehen. Sie hätten sich den neuen Putz eines blinden Konsuls sparen können. Aber schließlich, es schade nichts; er kleide sie gut. Es sei ein netter würdiger Konsul vor dem Schlafengehen. Sie hatten sich längst an die künstlichen, sehr raffiniert aufgemachten Stoffe gewöhnt, die in jedem Überfluß zu jeder Zeit vorhanden waren. Der Geschmack reiner tierischer und pflanzlicher Nahrung stieß sie ab. Sie lachten in allen westlichen Stadtlandschaften, schüttelten die Köpfe, wenn sie den zarten und nach Belieben abwechselnden Geschmack ihrer Mekispeisen verglichen mit dem penetranten Geruch eines gebratenen Tiermuskels, eines Fischstückes. Zauberhaft konnten die Herrichter der Mekispeisen, die den Nährstoffabriken angegliedert waren, Geschmack Derbheit Zerreißbarkeit Geruch Farbe der Gerichte ändern. Es wäre den Menschen, die schon in dritter und vierter Generation künstliche Nahrung zu sich nahmen, schwer geworden, zur natürlichen Kost zurückzukehren. Ihre Mägen sonderten schon nicht mehr genug Säure ab für die Aufspaltung tierischer Muskeln, die Därme waren träge und schlaff geworden, die großen unbeschäftigten Bauchdrüsen eingeschrumpft. Leicht hätte die Menschheit dieser Epoche ihre Arme und Beine kraftvoll, ja eisern machen können. Aber ohne zu wissen, was sie taten, wählten sie, wie sie herumlagen spielten sich wenig bewegten, die mästende lähmende fette süße Nahrung. Ihre Glieder wurden plump schwach. Fremde Massen, die neu in den westlichen Kreis einstießen, staunten und lachten: so sehen die Meister aus, diese Herren der Erde. In einer instinktiven Furcht flohen immer wieder Negerstämme, hamitische und indianische Gruppen, und verbarrikadierten sich gegen die Europäer: sie mochten nicht so werden. Auf den Tod des Konsul Marke warteten viele. Der Blinde umgab sich mit wenigen Männern, die er oft in steigendem Mißtrauen wechselte. Frauen wies er von sich, aber gerade Frauen hingen ihm viel an. Er entwickelte sich in eine apostolische Starre hinein. Seine Zustände mystischer Verworrenheit wurden viel besprochen. Die Nachwirkungen des Krieges waren bei ihm nicht auszulöschen. Er ging spiritistischen Neigungen nach. Zog durch das Gebiet der Stadtlandschaft mit einigen Vertrauten und Frauen, kümmerte sich um die Bekenntnisse Kirchen Tempel der Sekten. Er hielt diese Dinge für so wichtig, daß er zuletzt fast wöchentlich die Prediger und Lehrer um sich versammelte, sie anhörte, sie darauf hinwies, das Volk mit den frommen überirdischen Gedanken zu durchdringen. Er, dem die weißen Haare lang in den Nacken und seitlich über die Ohren fielen, war ängstlich, daß hierin etwas versäumt würde. Nichts hielt er für so wichtig wie dies. Er wußte nicht, daß seine Haltung die Zahl der Opponierenden vermehrte. Die Männer und Frauen, die in den Laboratorien prüften und studierten, hielten ihre alten Vorstellungen verschwiegen fest. Eine Fronde bildete sich aus ihnen, Angehörigen der Herrengeschlechter. Diese Geduldeten, besonders in den Mekifabriken, von deren Gutwilligkeit man eigentlich lebte, führten zuletzt eine Art Nebenregierung. Sie hielten die Dekrete zur Überwachung der sich wieder regenden Technik, zur Ausbreitung der Frömmigkeit, zur fortschreitenden Zerstörung der Fabriken und Rückkehr zum Ackerbau, zur Viehzucht an der Quelle fest. Markes rechte Hand, den Chef seiner Spitzelpolizei, einen eisernen umsichtigen Mann, gewannen sie zu ihrem eigenen Erstaunen. Sie hatten bald leichtes Spiel. Die Kerker, in denen Saboteure der Verordnungen Markes saßen, Besitzer und Hersteller von Waffen, aufsässige Konstrukteure, die sich heimlich Kraftleitungen verschafften, wurden unauffällig nach und nach geöffnet. Man ließ aus fremden Stadtgebieten Verbannte hinein. In dieser Zeit starb Marke, verwahrlost. Man hatte ihn wochenlang unter dem Vorwand ärztlichen Befehls nicht herausgelassen. Er war eigentlich Gefangener des Chefs seiner Spitzelpolizei. Tagelang lag er, dem ein weißer Bart wild das pergamentene Gesicht umwucherte, quer über dem Bett, diktierte, gab Anweisungen. Nur Frauen waren zuletzt bei ihm. Er träumte von den Ergebnissen seiner Regierung. Glaubte die Stadt in sichere feste Bahnen gelenkt. Tyrannisierte die Frauen mit Forderungen nach Speisen Milch Kräutern Packungen Umlagerung. Ließ keinen Arzt zu sich. Ein endloser Todeskampf. * * * * * Die Megaphone Glocken Flammenzeichen riefen zu Versammlungen. Die Fronde trat überall hervor. Sie erlebte eine ungeheure Enttäuschung. Ligbau, ein uralter Mann, ließ sich an ein Megaphon vor dem Ratsgebäude führen, gestikulierte mit dem Ausdruck des Abscheus: „Ihr seid entlarvt. Wir haben euch schon gesehen und erwartet. Es soll alles noch einmal anfangen. Ihr glaubt, ihr seid dicht daran es durchzusetzen. Und ihr werdet es durchsetzen. Murrt nicht; sie werden es durchsetzen. Es ist unser Geschick. Ich rate euch, die ihr hier steht, nehmt es hin. Es hat keinen Zweck. Haltet es nicht auf. Es ist uns beschieden, so sind wir, so tragen wir uns. Setzt alle Verbannten und Gefangenen wieder ein. Macht keine halbe Arbeit. Die Zeit ist geschwind, haltet euch nicht mit Versuchen und Prüfungen auf. Wir wissen ja doch, wohin der Weg geht. Und es ist gut vorgesorgt, daß es diesmal rascher geht als zur Zeit des Krieges, des letzten Krieges, des vorletzten Krieges. Ich bin achtzig Jahr. Ich freue mich, ich bin glücklich, daß ich nicht im Bett zu sterben brauche. Ich brauch mich nicht anzustrengen um zu sterben; es wird mir abgenommen werden. Eine schöne Zeit; was wird es für Überraschungen geben! Juchhei! Freut euch! Sie haben schon alles durchdacht. Fragt sie nur; sie haben es schon in ihren Büchern, auf ihren Zeichenbrettern und Tafeln. Seht euch ihre Köpfe an. Da steckt es drin, was es bald regnen wird.“ Er raste und zischte. „Kennt ihr die Spree und die Havel die Oder die Elbe? Ich denke, das ist es, was sie anbeten. Das sind die Götter dieser neuen Regenten. So sollen wir werden. Matsch und Lehm, dickes und dünnes Wasser. Recht auseinandergerissen zerpreßt. Bin ich kein Hellseher, habe ich es euch nicht aus dem Kopf genommen? Ich kann es euch sagen, weil ich ein alter Mann bin. So, wie ihr, so haben vor dreißig Jahren andere ausgesehen, so haben sie gelacht. Leuchtmar und Rallignon. Ihr seid keine Neuigkeit. Eure Erfindungen sind neu; was ihr vorhabt, wird ganz neu sein, aber ihr seid sehr alt. Da seid ihr wieder, du da, du bist doch schon tot, am Asowschen Meer bist du gestorben mit der B-Armee, es war eine schöne Armee, sie war deiner würdig. Da bist du schon wieder lebendig. Deine eigenen Entdeckungen, dachte ich, hätten dich totgeschlagen. Aber es gefällt dir so gut, du kannst dir keine fünfzig Jahre Schlaf gönnen. Ist nicht die Frau da, die im Süddeutschen sich in die Maschine stürzte? Elise Frangani, die halbe Italienerin, die ja, ist sie nicht hier, ha, wer bist du sonst? Versteckst dich hinter seinem Rücken. Es ist nicht nötig. Du sitzt in seinem Kopf und seinem Leib, in vielen Köpfen hier; du bist drauf und dran zu zeigen, daß du wieder da bist. Welche Neuigkeiten für einen alten Mann. Ha, welche Überraschungen. Wie komm ich nur zu solchem Glück! Mit meinen weißen Haaren noch solches Glück!“ Er gestikulierte neben dem Megaphon; man verstand ihn nicht. Man begütigte ihn; unten standen manche, die nicht die Augen heben konnten. Er schrie: „Ich soll weiter reden. Sagt mir doch erst: ist Marke tot? Ist er in der Krim gestorben, konnte er nicht nach Hause kommen, oder ist er hergekommen. Seine Töchter haben sich erhängt. Er hat sich die Augen ausgeschlagen.“ Er tastete um sich, während sein lappiges Gesicht glührot überflammt war, die Augen ihm hervorquollen, fuchtelte krächzte: „Zur Wahl! Der neue Konsul! Wir haben einen Krieg geführt. Der Krieg ist eben zu Ende. Wir sind von der Grenze gekommen. Da war – Wüste! Wüste! Die Ruinen von Ninive sind Paläste gegen das, was wir gesehen haben. Der Euphrat fließt noch, die Grundmauern stehen da, man findet noch Ziegel, es gibt alles. Das Land aber in Rußland ist verwüstet, das Land ist nicht mehr da. Die Erde ist weggerissen. Die Krater gehen bis an die heiße Flüssigkeit in der Erde. Ich wähle – Marke! Wählt mit! Marke! Bürger, niemand als Marke soll Konsul sein.“ Dieser wurde beiseite geführt. Ein kühler sachlicher Mann sprach nach ihm. Ligbau im Krankenstuhl in seiner Nähe. Vornübergebeugt beobachtete der alte Mann mit weißen Augen den Redner; rief zu ihm herauf: „Was hast du im Kopf? Woran werden wir sterben, Giftströme, Gasströme! Sprich doch!“ Wie er fertig war, schrie er: „Wählt ihn! Er führt den nächsten Weg. Noch einmal werden wir uns nicht auf diesem Platz wiedersehen.“ Das Weib, das mit dem Mann gestanden hatte, sprang hinauf, schmähte den Alten, zeigte die Fäuste. Der Alte erhob sich vom Stuhl, stieg auf das Podium, schlug ihr mit den Fäusten gegen den Hals: „Das hast du damals nicht gewagt.“ Sie warf sich weinend auf das Podium; der Mann führte sie finster herunter. * * * * * Darauf wurde Marduk Konsul des Stadtwesens. Er war ein hochstirniger blasser Mann in den dreißig, mit großen ernsten Augen. Ein langes knochiges Gesicht, ruhiger gleichmäßiger Gang auf unsicheren muskelschwachen Beinen. Er hatte sich bis da nicht hervorgetan, aber in den Tagen der sich hinzögernden Wahl, während schon Zeichen der Anarchie hervortraten, – in Mecklenburg standen die Sprosse der alten Herrschaftsgeschlechter auf, im Magdeburgischen sammelten sich um den greisen fanatischen Ligbau Maschinenstürmer, – damals besaß er den Mut, aus Bernau, wo er saß, mit einer Freischar von zweihundert Menschen in eine Beratung der Eisenfreunde einzutreten bei Löwenberg, die gesamte anwesende Führerschaft dieser Bewegung aufzuheben und an einem einzigen Tage samt und sonders verschwinden zu lassen. Es ist bis zum Schluß seines langen Konsulats – er herrschte bis über die Mitte des siebenundzwanzigsten Jahrhunderts – wenigen bekannt geworden, wohin diese zweiundvierzig Männer und Frauen gelangt sind. Marduk, selbst ein Mann vom Schlage derer, die er festgenommen hatte, hauste in den Waldungen um Löwenberg, an der mecklenburgischen Grenze, nahe dem Haupteiweißwerk. Ein kleiner Wald von Buchen stand neben seiner Arbeitsstätte hinter Mauern. Zwischen diese grünen Buchen ließ er die zweiundvierzig Gefangenen treiben. Ihnen fielen schon, wie sie durch die kleine Tür hereinwanderten, die geborstenen Stämme auf. Vor den Rissen der Stämme, auf den breiten Wunden stand dicker blasig erstarrter gelblicher Schlamm. Wo er am Baum zur Wurzel herunterrann, war er vertrocknet wie zu einem pulvrigen Rostbelag. Dunkel erinnerten sich die Männer an die Pflanzenversuche dieses Marduk, der sich stets abseits hielt. Er sollte in den Mekilaboratorien an tierischen Organteilen, besonders an Pflanzenstücken eigentümliche Wachstumsveränderungen erzeugt haben. Finster gingen die Gefangenen in Marduks Park umher, begriffen nicht, was Gefangennahme Hertransport diese Internierung bedeutete. Marduk war einer der ihren. Es konnte möglich sein, daß er bestimmte Informationen hatte über Angriffe auf sie, sich seiner Bundesgenossen versicherte und sie vorläufig festnahm. Sie erwarteten stündlich, daß er unter ihnen erschiene und sie aufkläre. Sie hatten, von dem rauhen Frühlingswind umweht, das Gefühl, als ob sich von Zeit zu Zeit neben ihnen, an ihrer Schulter, hinter ihrem Rücken etwas bewegte. Suchten, fanden nichts. Sie setzten sich bald zusammen, bald auseinander. In der Luft war etwas Eigentümliches von der Schärfe eines dünnen Rauches. Aus den Bäumen schien Hitze zu steigen; die Bäume fühlten sich an einigen Stellen warm an. Beunruhigt wandten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Bäume. Wie sie die Köpfe an die Rinden legten, schnurrte surrte summte es drin. Das waren die Säfte; es war Frühling. Nur war es merkwürdig, wie scharf es sich im Mark und im Holz bewegte. Verwundert ließen sie das Ohr nicht von den Bäumen, horchten da und da. Es zischte in manchen Bäumen, als ob sie kochten. Ohne daß einer den Baum berührt hätte, fiel ein begrünter Ast herunter. Ein kleines Fauchen gab es oben, als ob Säfte sich entleerten. Der scharfe Geruch, der feine dünne, wurde stärker an diesem Stamm; sie konnten sich in seiner Nähe nicht aufhalten. Der Geruch war stechend wie Ammoniak. In ihrer Unruhe kamen einige auf den Einfall, sich gegen die Bäume zu wehren und sie umzubrechen; es war eine junge Pflanzung. Sie gingen ein zwei Bäume an, zerrten stießen an den Stämmen; einer kletterte hoch, riß brach große Äste ab, entlaubte den Baum, fiel plötzlich betäubt rücklings auf den Boden über das Laub. Der Baum atmete in Stößen einen heißen Dampf aus. Man schleppte den Bewußtlosen davon, zog sich zurück. Marduk erschien nicht. Man schob ihnen gegen Abend in Körben Nahrung und Getränke herüber über die Drahtspitzen der Mauer. Sie schliefen ein. Gegen vier Uhr früh, als es hell wurde, suchten sie einander, wunderten sich. Der Wald war so dicht geworden, der Weg zwischen den Stämmen so eng. Die Bäume hatten ihre Massen unförmig verbreitert. Sie konnten kaum zu zweien zwischen den Bäumen gehen. Ein surrendes Geräusch, ähnlich dem von gestern, hatten sie in den Ohren. Sie zweifelten, woher es kam; die Bäume wagten sie nicht zu berühren. Man konnte, obwohl von oben deutlich Morgenlicht hereinfiel, in der Nachbarschaft Hähne krähten, die unterirdisch laufenden Wagen polterten, wenig rechts und links sehen. Ängstliches Stöhnen hier, Stöhnen da. Mancher entledigte sich seiner Jacke, seiner Bluse, um besser zu atmen. Es war sicher, der Wald wuchs. Während einige ohnmächtig lagen von Frauen und Männern, die geängstigten anderen suchend gedankenlos über sie herstiegen, während allen die Knie zitterten und sie sich durch das Dickicht wanden, wie in einem Keller sich zurechttasteten, schrien an der Mauer welche den Namen Marduk: „Erbarmen, Marduk!“ Einige suchten immer von neuem die Gänge, die sich von Stunde zu Stunde verengerten. Manche sogen an den Fingern Beeren, kauten spien Blut aus. Um neun Uhr morgens, als schon blendend hell die Sonne schien, dieselbe Sonne, die über den Schiffen im Atlantischen Ozean, über dem weiten Ozean leuchtete, dieselbe Sonne, die ganz nah in Bernau über den Sandplätzen der Kinder stand, da gellten wahnsinnige Hilferufe, nicht abbrechend, in dem Park, wildes Wehgeschrei, als hätten Tiere einen Menschen angefallen. Die meisten sanken im Augenblick mit weißen Gesichtern auf den Boden. Die in der Nähe des Geschreis streckten die Hälse; im Halbdunkel sahen sie etwas zappeln, mit den Beinen stoßen. Füße, um die ein Rock wogte. Eine Frau; oben saß sie fest; ihr Arm wie eine Planke am Ellbogen, am halben Ober- und Unterarm festgeklemmt zwischen zwei zusammengeifernden Bäumen. Sie stand an den drängenden schwellenden Wesen, mit dem Rücken gegen sie, suchte ihnen auszuweichen, bog sich, ihr Rock saß unten fest, sie wand sich, heulte klagte brüllte: „Kommt her. Kommt. Ein Messer.“ Der Wald knackte unaufhörlich. Die unten standen lagen liefen sich zusammendrängten auflösten, wurden überspritzt von der klebrigen leimartigen Feuchtigkeit, die wie Schleimpatzen aus Vogelschnäbeln auf Gesichter und Hände fiel, oft fein wie aus Röhren sprühte. Zu dem Knistern trat immer wieder ein Sausen und Sprudeln, wie aus einer geöffneten Flasche, das zuletzt erstickte. Die Bäume verschränkten Ast in Ast, verschoben sich umeinander. Die Dunkelheit nahm zu. Ein Dach, eine hölzerne Decke bildete sich langsam über den Menschen. Der Wald verdichtete sich zu einer engen, immer engeren Kiste, von deren Deckel es heruntersickerte. Die Luft gärend bitter muffig, mit Schwaden der stechenden reizenden Gase. Der Boden aber, vorher noch eben, wellte sich, ringelte, schlängelte sich. In Wülsten schwollen die Wurzeln hervor, armdicke Adern, von denen der Sand abrollte. Der Boden wurde höher. Die offenen Plätze suchten sie zwischen den dicken, immer dickeren Bäumen, als wenn sie nicht wüßten, daß jeder Raum vor Stunden noch offen war. Sie keuchten, wenn aus dem Halbdunkel sich einer zu ihnen durchwand ins Hellere, gifteten. Oft sprang einer auf, Mann, Weib, die Kleider abgeworfen, sprang einen Baum an, krallte, biß sich ein. Aber der Baum sonderte widrig ab, sabberte, war so feucht, so warm; die Zunge verätzte er ihnen. Um zehn Uhr, – die Glocke von Marduks Haus scholl laut herüber, – erdrosselten sich zwei Männer mit ihren Gürteln. Die Frau, deren Arm abgequetscht war, die lechzend zwischen den Bäumen nach vorn überhing, hatten sie zuvor stumm gemacht. Stockfinster war es an den meisten Stellen des Parks. Um sie knarrten krachten wucherten die Bäume. Ein furchtbares inneres Leben dehnte die brünstigen aufgeregten Pflanzenwesen. Man sah die ungeheuren tonnigen Massen wie in Krämpfen sich langsam spiralig um sich drehen, längs klaffen und noch immer in die Breite wachsen, in die Höhe aufsteigen, bluten und noch immer wachsen, dabei rauchen; bersten, einer den andern aufschneidend und mit ihm verschmelzend, dabei zischen und prasseln. Und wo zwei Bäume Raum fanden, nieder nach vorn in die Lücke zwischen andere zu fallen mit überschweren Kronen, erhob sich vom Boden wieder der Stumpf; er trieb und wuchs. Zwischen den Ästen in den Kronen flatterten verirrte Vögel; von oben stießen sie abwärts. Riefen kratzten schlugen um sich, sobald sie sich gesetzt hatten; lösten Flügel und Füße von den klebrigen Ästen und Blättern ab, schwirrten schreiend federstreuend senkrecht hoch, suchten Lücken. Andere hingen fest, wühlten hieben mit den Schnäbeln gegen das schwellende Holz, das gierig den eingestoßenen Schnabel festhielt, ihn nicht losgab, ihn rasch umwuchernd, ihm Herz Nüstern und Augen umgießend, einleimend einsargend, wie auch der kleine Körper sich abstemmte zappelte sich nach hinten seitlich bog. An ihren tanzenden Füßen, mit ihren schlagenden Flügeln zogen sie dicke Gallerte hoch, suchten sie herunterzutreten. Abgleitend wälzten sie sich um die Stämme herum, wurden eingebettet. Den Kopf nach unten hingen sie. Der Saft lief über sie. Da tropften sie in der Masse von Ast zu Ast, noch zappelnd, klatschten auf den Boden neben einen Menschen, der sich wand, auf seine Schulter, neben seinen Hals, blieben schnabelsperrend tretend liegen. Manche festgekittet nach einigem Aufklettern und Drehen hielten gelähmt betäubt still an ihrem Ast. Sie wurden vom Holz aufgenommen, waren ein runder stoßender Wulst auf ihm, von dem Saft sprühte, ein ruhiger kleiner Knoten, ein flacher Knopf. Das mammutische triefende krachende Wachsen zerpreßte klemmte malmte manschte die Menschen, knackte die Brustkörbe, brach die Wirbel, schob die Schädelknochen zusammen, goß die weißen Gehirne über die Wurzeln. Die Stämme berührten sich. Wurzel Stamm Krone eine Masse, ein verschmolzener wogender wühlender dampfender Klotz. Oben barst er, zischte. Unten trieb schluckte drang es auf, drang seitwärts bis an die Mauer. * * * * * Den übergroßen Kopf drückte Marduk gegen das Fenster: „Jetzt ist es vorbei. Ihr könnt nichts mehr.“ Jonathan Hatton, der viel jüngere, sein Freund, den man mit ergriffen hatte, stand vor ihm, lächelte: „Nun, so möge es so sein.“ „Ich weiß, du glaubst mir nicht.“ „Doch. Bei allen Dingen bei denen man schwört, Marduk, verzeih mir, ich glaub es.“ „Lach nicht, Jonathan. Lächle auch nicht. Es ist gar nicht nötig, daß du lächelst. Du hast dich lange nicht um mich gekümmert, die andern auch nicht; ihr glaubtet, es ginge auch ohne mich.“ „Marduk“ der andere trat ernst näher, „du hattest dich, du, von uns zurückgezogen.“ „Du wirst sehen, ihr hättet gut getan, euch um mich zu kümmern und anzusehen, was ich tue.“ „Was soll das.“ „Nichts. Du wirst sehen.“ „Du schließt dich uns nicht an und jetzt klagst du.“ Marduk verzog das Gesicht hart: „Ich habe nicht nötig, mich euch anzuschließen. Du, damit ist es jetzt aus, mit diesen Dingen. Ja, Jonathan. Ihr werdet jetzt alle still werden, ganz still. Ich nehme euch aus den Händen, was ihr habt. Ich will nicht, daß ihr arbeitet. Ich will nicht. Verstehst du das?“ „Nein und ja. Sag mir, Marduk, alles was du weißt und kannst. Ja sage es mir. Du wirst mich nicht überraschen. Ich bin auf Stärkeres gefaßt. Mit dem Stärksten wirst du mich nicht umwerfen.“ Strahlend stand Jonathan: „Was ich – gefunden habe, hat noch niemand gefunden.“ „Hat noch niemand gefunden“ höhnte der verhüllte Marduk. „Wenn ich – niemand – sage, Marduk, so weißt du, daß ich nicht Schaum blase! Ich leugne so wenig gearbeitet zu haben, wie du es leugnen wirst. Warum? Das Sehen ist mir erlaubt, das Hören ist mir erlaubt. Was soll mir verbieten zu denken.“ „Weiter.“ „Nein, ich spreche nicht.“ „Schaffe deine Freunde hierher, Jonathan.“ „Ich?“ „Ja. Bring sie, Jonathan.“ „Siehst du, sie hast du gefangen genommen. Sie alle. Du kannst dich nicht mehr auf sie besinnen. Ich möchte dir beschreiben, wie wir zueinander waren. Ich träumte heute nacht, ich fühlte mich so wohl, wie auf einer Luftfahrt, ich glitt mit einem Wesen durch die Luft, ich weiß nicht, ob es Mann oder Weib oder beides war. Wie dem schönen Geschöpf die Augen strahlten. Wonnig war es. So rasch glitten wir hin. Fast war es keine Bewegung. Unten standen die Menschen und wunderten sich. So glücklich waren wir.“ Marduk warf sich unruhig in seinem Stuhl. Sein Gesicht hatte er ganz auf die Brust gedrückt. Er hob den Kopf, blickte Jonathan finster an: „Komm, ich will sie dir zeigen.“ Die Wachen vor der Haustür wies er ab. Er ging barhäuptig allein mit Jonathan der ungefesselt war. Hinter einer Wiese zog sich ein flaches langes Gebäude hin, in das sie traten. Sie gingen durch die glasgedeckte Halle der muffig warmen Anlage, in der Pflanzenreste geschichtet lagen, Körbe, niedrige Kisten. Auf einen weiten ungepflasterten Hof stiegen sie herunter; oberflächliche Röhrenleitungen traten am Boden hervor. Marduk öffnete ein Gitter; da war ein Feld, in dem viele einzelne Stücke abgezäunt waren; manche waren grün und bunt bewachsen, manche scheunenartig überdacht; auf einigen Stücken verwesten ganze Stapel unkrautartiger Gewächse. Dann senkte sich das Gelände; über den Hang, um den Boden der Senkung zog sich eine abschließende Mauer, darüber dahinter eine hohe schwarze und grüne Masse. „Sieh da. Du baust, Marduk.“ „Komm.“ Er zog eine kleine Eisentür der Mauer. Dunst schlug ihnen entgegen. Keine Öffnung, keine Helligkeit. Der Wald war an die Steinfliesen herangetreten, hatte sie nach der Tür zu umgeschoben. Zwei Stufen konnten sie heruntergehen. Jonathan hatte Marduk seine Hände entzogen, lächelte den Mann, der ihn führte, blaß mit übergroßen Blicken an: „Was machen wir hier.“ „Weiter gehen. Geradeaus.“ „Was soll das. Ich geh nicht mit dir.“ „Ich wollte dich bitten, wenn ich kurzsichtig bin und mich nicht zurechtfinde, du möchtest mich führen. Du sollst mir deine Freunde zeigen. Du hast sie besser in Erinnerung als ich. Hier meine Hand, Jonathan. Der Weg geht geradeaus.“ Der war die Stufen zurückgetreten, hatte an der Eisentür den Kopf zurückgeworfen: „Du bist verrückt, Marduk.“ „Nicht doch, Jonathan. Sie müssen alle hier sein.“ Jonathan war nach einem Blick auf das ihm zugewandte vibrierende Gesicht mit einem Sprung unten. Tastete an der klebrigen dunstenden Holzwand: „Ja. Das sind Stämme. Das sind dicke Bäume. Wo ist denn der Eingang. Hier komme ich nicht weiter.“ „Versuch einmal von hier. Versuch es. Sie versuchen es von drinnen.“ „Das ist eine Wand, eine Holzwand, Marduk. Mach doch auf. Wo ist die Tür.“ Er lief seitlich rechts und links über den harztriefenden Boden. Der Wald trat an die Mauer heran, ließ ihn nicht ein: „Es ist alles so schmierig, mit Harz, mit Leim. Warum tut ihr das? Wo ist denn die Tür.“ „Ruf sie einmal. Ruf sie.“ „Soll ich? Wirklich?“ Er rief. Der andere schüttelte sich: „Sie antworten nicht.“ Jonathan stürzte sich auf ihn: „Du hältst mich zum Narren.“ „Wie sehen, Jonathan, deine Freunde aus, wenn sie müde sind oder lustig sind?“ Der, stöhnend, nahm ihm jedes Wort von den Lippen. „Zwischen den Bäumen – lächeln sie. In den Blättern – sitzen sie. Sie sind Vögel geworden. Sie sind so schön, daß ich sie verfolgte. Sie haben sich auf der Flucht vor mir in – Bäume verwandelt.“ „Das hast du – Marduk?“ „Das habe ich gekonnt. So stark bin ich gewesen.“ Strahlend erregt zog er den im blauen Mantel, der nicht sprach, sich schwer bewegte, durch die Eisentür, über das helle Feld in das lange Gebäude. Der Dunst, der ihnen aus dem Park entgegenschlug, auch hier. Ein Pulver lag neben einer geöffneten Kiste am Boden; Jonathan faßte automatisch danach; Marduk hielt seine Hand fest: „Faß nicht an. Du hast nichts geschluckt davon? Es ist für Menschen und Tiere Gift.“ Die verwelkten verwesenden Pflanzenhaufen starrte Jonathan an; Marduk verfolgte seinen Blick: „Ich kann sie auftreiben. In einer Stunde. Von einer halben Stunde zur nächsten.“ Phantastische getrocknete Gräser lagen auf Steinfliesen nebeneinander: „Kann ich nichts?“ Er streckte die Arme aus, bog die Fäuste: „So viel kann ich. So viel kann ich. – Jetzt will ich deine Freunde begraben. Wohl ihnen, daß sie nicht mehr Menschengestalt haben und wie wir sind. Sie sind in den Bäumen. Ich will sie begraben.“ Jonathan war schon zurück durch die Halle gegangen, er rieb gedankenlos, den Blick auf die Erde, die Handteller aneinander. Sie liefen über das von der Frühlingssonne beschienene Feld, Jonathan fiel der Umhang von der Schulter, Marduk wollte ihn aufheben, zuckte, lief weiter. An den Hang zur Mauer wollte Jonathan herunter; der andere aber, auf einen Erdhaufen sich setzend, zog ihn neben sich. Marduk griff ihn an: „Nun zeig du mir, was du kannst. Du mußt mir jetzt etwas zeigen.“ Der saß starr, stammelte mit verzerrtem offen zugewandten Gesicht. „Hab keine Furcht, Jonathan, dir wird nichts geschehen. Du kannst es mir zeigen. Ich bin Kenner, ich bin Fachmann. Ich weiß es zu würdigen.“ „Marduk. Wen habt ihr in den Wald getrieben? Ihr habt Frauen mit hereingetrieben? Es sind alle drin, die festgenommen sind?“ „Alle. In den Löwenkäfig. In die Arena.“ „Alle? Alle Frauen?“ „Alle. Zweiundvierzig. Da haben sie fechten können. Es waren keine Löwen und Tiger da. Es waren bloß Bäume, gegen die sie kämpften. Sie haben für einen neuen Glauben gekämpft. Das war eine neue Christenverfolgung. Nein, eine Antichristenverfolgung.“ „Marduk“ schrie Jonathan besinnungslos, weinte, erhob den Arm. Der Ältere fuhr fort: „Ja. Antichristen. Ich spiele den Christen. Ich laß sie mit ihren Götzen nicht aufkommen. Sie müssen alle ins Gras beißen.“ „Marduk. Meine Mutter war dabei.“ Der mit rollenden Augen stand auf, ballte die Fäuste, wog sie gegen ihn: „Und wenn deine Mutter dabei war. Und wenn deine Frau und dein Kind dabei war. Wenn du dabei warst. Es wird nicht besser. Ihr sollt es spüren. Ihr müßt es spüren. Es soll keiner entgehen. Ich wohl auch nicht. Es ist gut, daß es so über uns verhängt ist, daß wir es nahe spüren. Ha, jetzt spürst du, du es dicht, dicht unter der Haut. Gut so. Gut so. Wie gut, daß sie alle dabei waren.“ Und dabei klapperten seine Zähne, ein schrecklicher Frost hatte ihn ergriffen. Er hatte dies nicht gewollt, so wandte es sich gegen ihn, so griff ihn die Waffe, die er auf andere gerichtet hatte, selbst an. Er wehrte sich, die Schlange umwand ihm Füße und Arme. Jetzt würde er Jonathan verlieren. Er stolperte auf ihn zu, bückte sich zu ihm herunter: „Ist meine Erfindung nicht herrlich. Sprich doch. Wir sind doch Kenner. Da kommt keiner mit. Was sagst du zu dem Wald unten. Keine Lücke ist mit der Hand zu finden. Wie ein Schrank, paßt Fuge an Fuge. Ist meine Erfindung nicht herrlich?“ Er rüttelte ihn. „Ich will dir sagen, wenn du mir nicht antwortest, wird es dir nicht gut gehen. Ich werde dich dann – leben lassen. So werde ich dich wenigstens umbringen können.“ „Tu es. Marduk. Du Verdammter! Du Teufel!“ „Ich verdammt? Ich Teufel?“ Jonathan sank seitlich, ohnmächtig hin. Marduk hatte eine graue Kapsel auf seiner Brust an einem Kettchen. Daran zerrte er, öffnete die Kapsel, schüttete sich grünes Pulver auf die Finger. Er bückte sich, um es Jonathan zwischen die weißen Lippen zu schieben. Dann streute er jäh das ganze Pulver von sich, warf sich an den Ohnmächtigen, grub sein Gesicht an seinen Hals, stöhnte haßwütete noch, als der sich schon räkelte, sich aufzusetzen bemühte. Sie standen sich an den Erdhaufen gegenüber. Schwarz vor ihnen die Masse des Waldes hinter der Mauer. Als sie sich anblickten, preßte Marduk die Lippen: „Ich bin bereit, bereit, mich dir zu stellen. Ich – tue es ohne Bedingungen.“ Heiser Jonathan: „Ich habe nichts davon, wenn du tot bist.“ „Tu, was du willst.“ Zwei Wochen fuhr Jonathan an der Ostsee hin und her. Er konnte keine Erde und keinen Baum sehen. Marduk hatte die Stadtlandschaft fest in Besitz genommen. Dann trat Jonathan in sein Haus, der schlanke braune, blaß mager ruhig, gab ihm die Hand, bot ihm seine Dienste an. Marduk betrachtete ihn lange: „Ich habe kein Recht über die Stadt. Ich habe nur Recht über mich. Willst du Recht über mich.“ „Ich will nichts, als dir beistehen.“ Wieder schwieg der Ältere; äußerte langsam: „Du wirst, Jonathan, die Häuser und Anlagen zerstören, in denen noch Apparate und Einrichtungen von uns, von euch stehen. Sie sind noch nicht völlig vernichtet. Auch nicht völlig gefunden. Und du wirst mir die Namen der Männer und Frauen angeben, die dir bekannt sind, die mit euch gearbeitet haben und noch am Leben sind.“ Der magere junge Mensch hielt seinen Blick aus. Er nannte mehrere Namen. Marduk gab ihm dreißig Bewaffnete, die gingen mit ihm. Nach einigen Stunden, am hellen Nachmittag stand er mit fünfzehn Männern und sechs Frauen vor dem Konsul. Der Jüngere trug den grünen Rock und den hellblauen Mantel, die er angehabt hatte, als er vor Marduk geführt war, und die noch die Flecke der Erde von Marduks Park trugen. In der sanften gehaltenen Art, die Jonathan seit seiner Rückkehr von der See hatte, setzte er sich neben Marduk hin, öffnete seinen Mantel, sprach jeden bei Namen an. Bevor die Vernehmung zu Ende war, verfärbte er sich, fiel blaß vornüber. Er war am Abend nicht dabei, als die fünfzehn Männer und sechs Frauen seitwärts geführt und erledigt wurden. Der Konsul, im schwarzen Seidenmantel, die großen ernsten Augen gesenkt, zog am frühen Morgen gleichmäßig seine Schritte durch die Stadt. Es wehte heißer Wind. Flieger jagten mit dumpfem Rollen in der Luft. Die riesenhaften Plätze. Die metallenen Riesentiere, Messer in den Flanken, hingesunken schweigend auf den Steinpiedestalen. Das Gewühl umspülte ihn. Die halb in der Luft schwebenden Tribünen, offenen Hallen, auf denen Mädchen und Männer Bälle mit Stöcken trieben. Es hatte sich nichts seit dem Beginn seines Konsulats geändert. Die grellrot bemalten, mit Masten und Wimpeln versehenen Häuser, in denen die künstlichen Nährstoffe ausgegeben wurden, auf den Dächern liegende gewundene Kennzeichen für die Frachtflieger. Die Hauptausgänge der unterirdischen Bahnen in der Nähe des Nahrungsspeichers; Heraufdröhnen und Surren der Züge, die aus Fabriken und zentralen Speichern liefen, der Züge, die in tieferen Stockwerken radial und peripher die Versorgungsbezirke abstreiften, Schacht und Aufzug zu jedem Haus. Das kecke Wandeln der Männer von südlichem Typus. Nonchalantes Trotten Pfeifen Rauchen von Mulattennachkömmlingen mit grauen Gesichtern, gedrückten Nasen; das sieghafte Strahlen der weißen Frauen; stumpfes geschäftsmäßiges Herumgehen der lange Ansässigen, ihre apathische Ruhe im Dasitzen vor den Trink- und Rauchstätten, leise Stimmen, wenig veränderlicher Gesichtsausdruck. In goldgelben Talaren gingen die Priester durch die Straßen, singend rufend lockend. Marduks Augen brennend auf allen. Unsicher stockend sein Atem. Wie sonderbar die Frauen zurückgetreten waren. Sie waren am raschesten verändert; es schien, sie hatten mit dem Nachlaß der großen Erregungen auch ihre Spannung verloren, hatten sich viel in Mütter, ja in Dienerinnen von Männern zurückgebildet. Jonathan, goldgelb in Seide wie ein Priester, den braunen Kopf bloß, trat leicht neben Marduk, lächelte, als der ihn fremd ansah. Jonathan wollte zur Stadt hinausfahren; Marduk hielt ihn: „Erdulde dies. Entzieh dich nicht, Jonathan. Ich verstehe dies. Der ungeheure unausdenkbare Bann, in dem wir leben. Blicke um dich.“ In der Ferne hörte man das schaurige Gebrüll eines Metallstieres. Es wurde im Augenblick auf den Straßen still, die Menschen verlangsamten die Schritte, standen; sahen auf die Steinplatten des Bodens. Marduk blickte zwischen sie, hielt Jonathans Arm, war sichtlich seiner nicht Herr; seine Schultern zitterten, die Augen blickten verschwommen: „Du kennst das nicht. Kennst du nicht die Stadt? Das ist wie ein Wind, der mir an den Mund fährt und mein Gesicht faßt. Ich fahre durch den Wind. Sieh diese Männer an, die Frauen die Bahn die Flieger die Straßen, du hast den Stier gehört. Das Mekihaus, Marke, der blinde Konsul, ich hier, du; wie das beglückt. Wie es mich beglückt, füllt, seelenselig macht. Trunken, Jonathan.“ Jonathan führte ihn schweigend am Arm. Der Ältere mit den großen brennenden Augen redete weiter. Plötzlich drehte Jonathan den Kopf zur Seite, ließ den Arm los, seine Schultern bebten lautlos. Er schluchzte. Marduk stand an einem Vorgartengitter, wartete, bis er endete. „Du bist zu früh nach Hause gekommen, Jonathan. Du hättest länger an der Ostsee bleiben sollen.“ Der sah ihn mit verdunkelten Augen an: „Hab ich dir nicht genug Beweise gegeben?“ „Ich – brauch meine Mutter nicht vergessen“, Jonathan sah den andern fast zärtlich an „Ich habe sie mit Schmerzen – wieder geboren. Wie sie mich geboren hat.“ Er hauchte: „Sieh auf die Eiche da. Sieh immer in das Laub der Eiche hinein. Dann erzähle ich dir. Du darfst aber nicht wegsehen. Sie ist zu mir gekommen. Meine Mutter. An der See. Stückweise. Ich habe sie deutlich am Wasser gesehen. Erst sah ich – ihren Arm. Oh der Arm, – er war zerpreßt. Was hab ich mich gewunden. Er bewegte sich, die Finger griffen auf und zu. Er krampfte. Aber ich, ich, Marduk, ich konnte ihn stillhalten. Er hielt still. Ich konnte das, Marduk. Und beim andern Arm auch. Ich konnte alle Finger langsam bewegen machen. Und dann kamen die Schultern, die Schultern meiner Mutter. Ich habe oft meinen Kopf auf die Schultern gelegt. Ich war zu Hause, wenn ich ihre Schulter berührte. Die Schulter – konnte ich – nicht erkennen. Du mußt in das Laub sehen, Marduk. Du tust es. Die Schulter war gespalten. Als wenn sie einer in der Mitte zertrennt hätte. Oder sie wäre auseinandergefallen. Das konnte ich nicht gut machen. Was ich mich anstrengte dabei. Ich habe lange Stunden verbracht, Marduk, um nur die Schulter heil zu machen. Diese Lücke. Ehe die Teile zusammengingen. Aber sie gingen dann zusammen. Und die Arme waren dabei und die Finger bewegten sich ruhig. Und zuerst konnte ich den Kopf nicht sehen. Es machte mir auch gar keine Sorge, daß sie statt eines Kopfes eine Blume zwischen den Schultern hatte, Klatschmohn, die schlaffen roten glanzigen Blätter, von denen welche herunterhingen, und ich konnte eine dunkle Kapsel drin sehen, die stäubte. Es kam mir vor, als wenn das ein Auge war. Sie hatte so schwarze Augen. Und am Abend waren es auch ihre Augen. Sie waren es wirklich. Sie hatte einen roten Hut auf mit roten Bändern und war so freundlich mit mir. Ich konnte mich stundenlang am Strand nicht bewegen, denn ich fürchtete, die Schultern würden wieder auseinanderfallen. Aber ich konnte alles gut zusammenhalten. Nur den Atem durfte ich lange Sekunden nicht von mir geben. Ich bin dann ohne zu essen schlafen gegangen. Lag die Nacht wie im Starrkrampf, war wie ein Toter. Als ich aufwachte und zur Türe hinausging an das Wasser, hielt ich gerade da, wo ich gestern aufgehört hatte. Stört dich, daß du immer in die Blätter sehen mußt? Aber ich kann dann besser erzählen. Ich habe sie dann schließlich ganz gemacht, lebend beweglich, in ihrem Kleid. So kam sie aus deinem Wald heraus. Durch eine Lücke. Ich habe entsetzlich darum kämpfen müssen. Es ist gelungen. Jetzt ist alles wieder gut.“ „Spricht sie nicht?“ „Noch nicht. Ich werde sie schon zum Sprechen bringen. Ich traue mir alles zu.“ „Du wirst sehen, sie wird mich verfluchen.“ „Ich glaub es nicht. Sie sieht mich doch. Sie weiß doch, wo ich bin.“ Stolz blickte Jonathan vor sich. Einen Augenblick, als er den Jüngeren so leiden sah, hatte Marduk vorgehabt, ihn von sich wegzuschieben. Er fürchtete, der Jüngling würde ihn schwach machen und zum Erliegen bringen. Jetzt – sah er von der Eiche weg, legte den Arm um die Hüfte des zitternden Menschen, dessen Augen in grauen Höhlen lagen. Beklommen, fast wonnig fühlte er das leise Vibrieren und das atmende Auf und Ab der Flanken. Er dachte: „Ich fühle ihn nach und halte mich. Er ist mein Schmerz und mein Führer. Ich will ihn behalten, solange er so bleibt. Solange er leidet und sich nicht helfen kann, soll er leben bleiben, – damit ich nicht vergesse.“ Zu Jonathan, an dessen grünem bauschigen Kleid er herabblickte, sagte er: „Wärst du ein Mädchen, eine Frau, würde ich dich zur Frau haben wollen. So aber habe ich Glück, daß du kein Weib bist. Du wirst keine Kinder gebären, für dich, gegen mich; wirst ungebunden gehen, wohin du willst. Du wirst nicht aus einer tierischen Laune über mich fallen, damit ich fühle: ich bin noch etwas anderes als dieser Marduk, dein Freund, der dich braucht und dir folgt; ich bin noch eine dumpfe Kraft, nein, ein dumpfes Leiden von irgendwoher, wie diese tausend Menschen, wie die Blätter die Steine.“ „Bedauerst du mich, Marduk? Du brauchst mich nicht zu bedauern.“ „Komm in den Garten.“ Sie gingen ungehindert in den Garten. Marduk stellte einen Fuß auf die Sitzbank unter der Eiche. Er hatte einen ruhigen kummerlosen Ausdruck; es schien, als wenn sie gar nichts miteinander gesprochen hätten. Er zog die Riemen seines silberbeschlagenen Halbschuhs fest. Jonathan sah erst zu, dann, während Marduk einen Ellbogen auf das Knie stemmte, legte er die Schnalle fest. „Das kannst du gut, Jonathan. Und du kannst noch anderes gut. Willst du durchaus ein toter oder schwacher Mann sein? So ein Ast, den man abgerissen hat und der nur so lange lebt wie er noch feucht ist? Willst du nicht noch eine Weile mit deiner Mutter zusammenleben? Du hast dich gestern gut gegen deine ehemaligen Freunde benommen. Sie leben nicht mehr. Nein. Ich habe deinen Willen ausgeführt. Es war dein Wille.“ Der Jüngere, dem die Hände heruntergefallen waren, legte den Kopf an Marduks Knie. Er hielt sich mit den Armen an diesem Knie fest. „Ich biete dir eine Ehe mit mir an, Jonathan. Wie denkst du darüber. Du hättest keine Pflicht weiter als da zu sein, mir dein Gesicht zu zeigen. Es ist nicht nötig, daß du mit mir sprichst. Regen und Wärme sprechen auch nicht, und man braucht sie doch. Du sollst auch nicht mein Diener sein. Nicht einmal mein Gehilfe. Und nicht einmal mein Tischgefährte. Sondern, wie ich schon sagte: nur da sein. Es ist nicht nötig, hier. Aber doch oft bei mir.“ „Sonderbar, Marduk. Ich dachte, du willst mich als Gehilfen.“ Marduk nahm den Fuß nicht herunter. Er gähnte: „Also, es ist abgemacht.“ * * * * * Marduk war mit einigen hundert Mann in die unverteidigte Stadt eingezogen. Er ließ noch am Tage seines Einmarschs eine Kraftzentrale in dem ersten, sogenannt Grünen Rathaus der Stadt errichten, in dem er sein Quartier aufschlug. Angriffs- und Abwehrwaffen, die er mit anderen seiner Gruppen aufbewahrt und vorbereitet hatte, wurden im Augenblick in der Nähe des Rathauses versteckt und an Marduks Zentrale angeschlossen. Der Usurpator rief die Leiter der noch bestehenden Industrien, die Besitzer der Ländereien, Männer Frauen, in das Rathaus und gab ihnen, wie sie den Haupthof durchschritten, den Anblick der fünfzehn erschossenen Männer und sechs Frauen, dazu von dreißig lebenden Neuverhafteten, die unruhig auf dem Hof herumgingen. Er redete die Erschienenen an. Es waren graue und junge buntgekleidete Tiere, die sich neugierig hochmütig verschüchtert vor ihm drängten. Glossing, der alte Mann aus englischem Stamme, der Lehrer Marduks in den chemischen und physiologischen Versuchen, der feine Botaniker, sah mokant und gelangweilt zu der hohen Kuppel des Saals und den herunterwogenden Seidenfahnen auf, den alten Verbrüderungszeichen, den Fahnen des englisch-amerikanischen Mutterreichs, denen des Uralischen Kriegs mit den Gestirnen, die vom Feuer der Erde gefaßt werden. Er dachte: Marduk wird reden: er möge reden; es mögen andere reden und handeln, sie werden nichts ändern. Er dachte zäh ruhig sicher: es wird niemand vermögen, mich und meinesgleichen auszurotten. Kühl betrachtete er die um sich; was war Marduk für ein Narr, daß er sich unter diese begab; er war gut im Zuge; wen lockt es, sich mit diesem einzulassen. Mild bewegte sich im Gedränge, die große Brille auf der stumpfen Nase hin und her schiebend, Blue Sittard, von kreolischem Blut. Er sonnte sich an den Gesichtern seiner Umgebung, der heimliche Kristallforscher, von dem man sich wunderbare Dinge erzählte. Die rechte Hand war ihm in eine seiner Steinzertrümmerungsmaschinen geraten und bis auf die Mittelhandknochen abgepreßt worden. Er konnte mit den Stümpfen, die er sich wie Finger hatte präparieren lassen, kleine nickende Bewegungen machen und erschreckte Unbekannte, wenn er im Gespräch den hellgrauen Lederhandschuh scheinbar unabsichtlich abzog und mit der Hand gestikulierte, die sogar künstliche rosa Nägel an den Spitzen hatte und Glied um Glied mit Brillantreifen besetzt war. Eine kühle und laszive Seele. Marduk würde reden. Er möge reden. Der schäumende Ekbert, der junge überlange gebückte Mann in schlottriger Arbeitstracht, ein höhnischer Mensch von großer Weichheit, der dazu bestimmt war, irgendeinem seiner Impulse zum Opfer zu fallen. Die blonde ernste weiße Marion Divoise, die üppig, teilnahmslos an einer Fensternische stand, ihre graugrünen Augen schweifen ließ. Viele Mädchen und Jünglinge hingen ihr an. Sie war von einer großen Keuschheit, schmerzliche und sonderbare Liebesgeschichten wurden von ihr erzählt, La Balladeuse hieß sie. Sie hatte von den Industrien ihrer Familie nur noch den Boden in Besitz, kannte Marduk nicht. Wer ist es, dachte sie. Wenn er mich bewegen erregen könnte. Am Boden, an den Fingern kauend, auf einer Steinstufe Drüttchen, die lange schwarze Weibsperson, die fanatisch für Marke gekämpft hatte, an der Zertrümmerung der großen noch bestehenden Frauenbünde arbeitete. Dutzende Männer nagte sie an, daher hatte Drüttchen, das vielbeachtete und gehaßte Weib, den Spitznamen die Landratte. Sie sahen alle erstaunt den hochstirnigen Abenteurer eintreten, der mit Hilfe einiger Männer und Waffen diesen Streich verübt hatte, um ihn wohl nach einem Monat zu bereuen. Marduk, auf dem Platz des Senatsvorsitzenden, nahm den rotfedrigen breiten Hut vor ihnen ab, hieß sie willkommen. Als er sich setzte, stand seitlich von ihm Jonathan, den alle gut kannten, von dessen Zugehörigkeit zu Marduk noch wenige wußten. Eine starke Bewegung entstand unter den Menschen, als Jonathan auf ein Zeichen Marduks sich neben ihn setzte. Marduk gab ihnen von seinem Sitz aus Bericht. Markes Werk werde weitergeführt. Die Lehren des Uralischen Krieges sind voll und nachsichtslos zu ziehen. Er bestätigt den bisherigen Senat, werde sich seiner Mitarbeit bedienen. Dann schwieg er, Schweißtropfen vor der Stirn, schielte auf den Lederbezug des Tisches. Wie sich unten nichts regte, bat er den greisen Glossing, den Botaniker, den bisherigen Vorsitzenden, herauf. Er versprach sich, nannte Blue Sittard mit der großen Brille, der sich an die Tribüne gedrängt hatte, ihn mit einem ironischen Lächeln festhielt. Glossing stellte sich nach einem gleichmütigen Kopfnicken neben Marduk, murmelte, so daß er sich unterbrechen mußte, während die Einberufenen sich vor ihm ballten. Die Sitzung werde kurz sein; sie sei nicht von ihm einberufen, sein Platz sei besetzt – Marduk erhob sich stürmisch; Glossing ablehnend: er danke – ob jemand sprechen wolle, ob jemand die Neigung habe etwas zu sagen. Blue Sittard erhob den Arm; ging nur eine Stufe zur Rednertribüne herauf, lächelte ironisch bald Marduk bald Jonathan an, schmunzelte in die Versammlung: „Wir sind ja alle Marduk und dir, Jonathan, sehr dankbar, daß wir eingeladen sind, diesen Raum hier zu betreten, hier zu stehen zuzuhören. Wir sind alle gern hier. Seien Sie uns nicht böse, Marduk und du, Jonathan, wir sind beinah noch lieber in diesem Saal als mit Ihnen. Das soll keine Spitze und Feindseligkeit gegen Euch sein, wie es sich versteht zwischen guten Bekannten Arbeitsgefährten wie wir, fast möchte ich sagen: zwischen Brüdern in der Gefahr. Denn wir können es ja jetzt aussprechen: wir haben unter Marke manches Ding gemeinsam betrieben, das nicht beliebt war. Und warum sind wir lieber in diesem Saal, als mit Ihnen beiden? Weil wir schon oft diesen Saal betreten haben und jedesmal saß oder stand dort, wo Marduk sitzt, ein –; jetzt wirst du wieder lachen, Jonathan. Wir sehen dich gern lachen, übrigens. Wir haben gehört, welche Trauer über dich gekommen ist durch den Verlust eines Menschen, den auch mancher unter uns verehrt und geliebt hat. Es ist uns eine Wohltat zu wissen, wie rasch sich eine gesunde Natur über Unglück und Mißgeschick erhebt; wir können daraus Kraft für uns selbst schöpfen. Wer stand da, wollte ich sagen, wo jetzt Herr Marduk sitzt? Ein Konsul, den wir gewählt haben. Ganz recht, der war da. Wahrhaftig. Und das erfreut uns. Nun werden Sie fragen, Marduk, nachdem Sie uns so liebenswürdig angeredet haben: welcher Unterschied denn besteht zwischen Ihnen und dem Konsul Marke. Das ist eine Frage eine Sache, die über das Formale hinaus Interesse hat. Ich wartete jeden Augenblick, Sie werden mich unterbrechen. Aber Sie besitzen die große Güte mir zuzuhören, fast wie einem Freunde. Und ehrlich gesagt, Marduk: nehmen Sie an, Sie hätten nicht die Geduld und machten von ihrem unzweifelhaften Rechte Gebrauch, so wüßte ich doch nicht, wie ich der Frage ausweichen sollte.“ Er drehte sein stumpfnäsiges Gesicht voll dem Saal zu, sonnte sich am Anblick der Versammlung; manche sahen weg. „Also sprechen Sie, Blue Sittard“ gab Marduk herunter. Der verneigte sich, stärker grinsend gegen Marduk und den Vorsitzenden: „Ich danke. Danke auch dem Herrn Vorsitzenden, für den Marduk eben sprach, in Stellvertretung. Wir sind alle, die hierher gekommen sind, hocherfreut, daß wir sprechen und so sprechen dürfen. Es heißt sonst: unter den Schwertern schweigen die Musen, aber man sieht die Ausnahmen. Das will nicht sagen: ich sei eine Muse; Blue Sittard mit seiner Brille und seiner schlechten Hand hält sich nicht für eine Muse. Aber vor einer halben Stunde war ich alter Mann doch stark musisch gestimmt; ich will mich nicht schämen, es vor Euch zu bekennen. Das war, als ich in diesen Saal über den Hof ging und dort einige mir wohlbekannte Männer und Frauen traf. Diese Männer und Frauen, die ich wohl kannte, oft getroffen und gesprochen habe, von denen manche mit mir an einem Tisch gegessen haben, – einige habe ich erst vor einigen Tagen begrüßt und ihnen die Hand gedrückt, – die schwiegen plötzlich bei meinem Anblick. Ich habe nichts verbrochen inzwischen, es ist zwischen uns nicht das Geringste vorgefallen. Sie schwiegen so intensiv, sie hatten so hartnäckige, fast böswillige Gebärden an sich, daß ich annahm: diese Männer werden, und diese Frauen werden niemals mehr reden. Dabei hatten sie die Münder weit offen; sie lagen sehr bequem wagerecht auf dem Boden; das Steinpflaster schien sie gar nicht zu drücken. Sie schienen so entschlossen zu sein, diese unsere Freunde, daß sie nicht einmal einen Atemzug von sich gaben. Nun ist das zwar Privatangelegenheit dieser schweigenden Herrschaften. Jedoch wollte ich Sie bitten, Marduk, Sie möchten, da Sie von einer anderen Seite hereinkamen, nicht bloß durch das Fenster sehen, sondern ein paar Herren und Damen herunterschicken, um nachzuforschen, ob die Schweigenden da etwas Schlimmes, vielleicht ein Unglück betroffen hat.“ Marduk schwieg. Glossing neben ihm hielt die Augen gesenkt. „Wollen Sie uns erlauben, Herr Marduk, nachzuforschen, was die fünfzehn Männer und sechs Frauen bewegt, so hartnäckig zu schweigen. Besonders da Sie so gütig sind, uns sprechen zu lassen.“ Marduk schien von dem Ton Blue Sittards unberührt. Die Männer und Frauen seien heute nacht auf seine Anweisung erschossen worden. Blue Sittard hob freundlich, fast entzückt die Arme: „Gut. Gut. Dacht ich mirs doch. Es ist ja auch einigermaßen wunderbar, daß einer so lange den Atem anhält. Machte mich schon ganz verwirrt, brachte mich in lyrische Erregung, diese Fähigkeit, diese Ausdauer der einundzwanzig. Nur entsetzt die Frage: was tun wir hier. Auf dem Hofe liegen einundzwanzig Erschossene. Und wir –“ Er lachte heftig, sah sehr blaß aus, rupfte seinen grauen Backenbart, streckte plötzlich weit die Arme aus, beugte sich schief und oft vor Marduk: „So steht es. Verzeihung. Verzeiht. Verzeiht mir. Dies wollte ich berichten.“ Er wandte sich zu seinen Freunden, buckelte wieder, verwirrt, wollte sich zwischen die Menge drängen. Aus dem unbewegt sitzenden Marduk war plötzlich etwas auf ihn gezuckt. Von der Tür bis zum Sitz Jonathans drängten sich die Freunde. Er schob sich, ein ärmliches Lächeln um den Mund, zwischen sie. Und wie er erst unter ihnen war, viele vor sich, zwei hinter sich, zwei neben sich, da zog er den Hals ein, hob die Schultern, gab helle winselnde Angstlaute von sich, quietschte aus geschnürter Kehle, die Hände vor dem Mund, um die Laute zurückzupressen, rieb sich das Gesicht, daß die Brille über die Stirn stieg. Wie ein Kind, das eine lange finstere Treppe heruntergehen soll, erst ruhig und tapfer steigt, Stufe um Stufe, bei jedem Absatz stehen bleibt, den Atem anhält, um sich schaut, zurückschaut, schon rascher läuft, rascher, seine Schulmappe hält es fest, es gleitet am Geländer entlang, die Angst, die panische Angst ist hinter ihm. Es läuft, es kann sich nicht halten, stürzt schreit stürzt weiter, gellt durch das hohe Treppenhaus. Und wie man mit Lampen aus den Wohnungen kommt, steht es an einem Fenster, späht zeigt um sich, keucht entgeistert, weiß nichts zu sagen, das Herz klopft ihm zum Mund, in die Lippen, in die Augen, über den Scheitel; es würgt, stößt auf, heult im Licht. So winselte Blue Sittard. Bestürzt umfaßten ihn die Freunde. Marduk ruhig von oben: „Macht Platz um ihn.“ „Nein“, winselte der, drängte tiefer. „Ich will ihn sehen.“ Er wühlte sich unter die Freunde, die ihn nicht verstanden, in denen es vibrierte. Hinten öffneten welche die Türen. Sie strichen an dem besessenen Blue Sittard: „Was tust du uns an. Beherrsche dich.“ Leicht schäumte schon Angst aus ihnen selber, trieb sie zu fragen. Sie stolperten, drehten sich um sich, stießen nach den Türen. Was sie sprachen, war für niemanden gesprochen. Jonathan näherte sich Marduk, der seine aschgraue Maske zur Seite drehte. Keinen Blick konnte er von ihm erhaschen. „Halt sie in Schach“ ächzte Jonathan. Unten wälzte sich die blonde üppige Balladeuse, durch die erst Stürme von Zittern gelaufen waren, in Krämpfen, in denen sie ganz rasch sprach, mit mehreren Unsichtbaren gegen den Boden hin eine heftige Unterhaltung führte, wieder sich lang ausdehnte. Sie lag mit ausstoßenden Beinen seitwärts allein auf dem Parkett, während die Knäuel die Türen verstopften. Marduk drohte am Tisch: „Was ist, Blue Sittard. – Was ist mit den Toten?“ Der winselte: „Er kann –; er kann –“ Und jetzt hatte er es; er schwang die Arme, heulte: „Er kann es. Er wird sie lebendig machen. Die Toten.“ Und schallend lachte Marduk, der aufgestanden war: „Ich werde es euch zeigen. Ich kann sie lebendig machen.“ Sie fluteten in Panik hinaus. Der Graus des Uralischen Krieges. Marduk saß hin, mahlte mit den Zähnen, knipste die Finger der linken herabhängenden Hand am Daumen. La Balladeuse lag auf den Ellbogen über dem Parkett, drohte: „Das soll nur sein. Wenn sie es wagt, ist es ihre Sache. Aber an mir hat sie keine Hilfe, das soll sie wissen. Zum hundertsten Male, zum tausendsten Male. Ich habe es ihr gesagt, kurz und bündig. Ravaillac hat damit nichts zu tun. Was kommt ihr mit dem. Das ist ein übles Manöver. Geh weg, Ravaillac. Deine Schuhe? Habe ich nicht.“ Sie setzte sich auf, betrachtete ihre blauen Strümpfe, stand taumelnd, blickte vorwärts und rückwärts. Das Haar hing ihr um den Kopf. Ging wie eine Blinde im Zickzack, in den Saal hinein, bog ganz weit nach rückwärts den Kopf, steuerte auf das Podium mit den beiden Männern, oft tief Luft schöpfend, beide Hände auf die Brust gelegt. Marduk zog sich zusammen, schwoll auf. Er blickte mit scheinbar lächelndem Ausdruck auf Jonathan, der eine Stufe unter ihm stand. „Bist du hier?“ er knipste unter dem Tisch weiter, „ich glaube, ich habe eine Schwachheit getan. Als ich hier hineinging. Die Erbschaft Markes antrat. Was geht mich Marke an. Ich hätte bei meinen Arbeiten bleiben sollen. Die Flammenbergwerke waren nichts.“ La Balladeuse torkelte in die Mitte des Saals, horchte dahin und dahin; schien nicht zu wissen, von wo das Gespräch kam; ab und zu zeigte sie mit der Hand nach einer Richtung, in der sie weiterspazierte. „Sie sind wie Hasen davongelaufen. Haha, bin ich ein Dummkopf und sitze hier. Ich werde Tote lebendig machen. Und alle Lebenden tot. Haha. Komm einmal. Ich will die im Hof ansehen.“ Der andere blieb neben ihm stehen. Marduk ging an ihnen vorbei. Er polterte finster strahlend, prustend die Stufen herunter ohne Jonathan zu beachten: „Wir haben große Macht; er hat es von mir geglaubt, Blue Sittard, der Dicke. Ich will nicht versäumen, ihm zu gehorchen. Soll ihm nicht widersprochen werden.“ Die Blonde Flüsternde Gestikulierende rumorte auf ihn zu, wie er über das Parkett strich. Sie standen sich gegenüber: „Mein Junge. Ich will dir sagen, wir lassen uns in keine Debatten ein.“ Er schüttelte sie von sich. „Keine Debatten, mein Junge. Hirn muß man haben im Kopf. Wenn man Hirn hat, muß man wissen, was die Hühner für Eier legen. Wirst du mir das ausreden?“ „Was will das dumme Weib?“ Sie stopfte taumelnd die Fäuste in die Weichen: „Das sag ich dir, wer du bist, Ravaillac, der Trompeter oder die Balladeuse selbst, ich werde mit dir fertig. Mich kriegst du nicht unter. Versuchs mal, Herzchen. Hopp. Du kommst an meine Schuhe nicht heran. Die sitzen fest. Frag den Trompeter, was mit seiner Lampe geschehen ist. Schaum, nur Schaum.“ Marduk war vorbei. „Schaum“, schrie sie und torkelte hinter ihm, kam nicht von der Stelle. Sie ging in falscher Richtung, fuchtelte mit den Armen: „Greif ihn, das ist Ravaillac. Ich hab noch Waffen, er soll mir nicht entgehen. Marion, das ist ein Schuft.“ Jonathan löste sich von der Stufe, auf der er stand, lief hinter Marduk, der aus der Türe ging. Marduk drängte auf den Hof, war verzaubert: „Ich habe es nicht von den Menschen. Das hat in mir unter einer Decke gelegen. Die Propheten und Heiligen sprachen davon. Ich werde Wunder geschehen lassen. Es ist zum Schütteln. Nicht sterben lassen. Dann müßte man noch mehr tun: frisches Leben hinzutun, frisches anderes Leben aufgießen. Die Natur kann die Zähne fletschen.“ Sie standen auf dem Hof. Die lebenden Gefangenen wurden davongetrieben. Rasch ging er auf die Leichen zu. Sie lagen auf den Steinplatten in drei Reihen hintereinander. Eine weibliche Leiche, die Beine bis über die Knie bloß. Dünne, unter der Lederdecke leicht angezogene gelbweiße Beine, die Zehen gespreizt und nach oben gestreckt. Marduk bückte sich, einen Fuß zu berühren. Er umfaßte mit der ganzen Hand den Fuß um den Spann, ließ ihn nach einer Weile los; der Fuß war von einer hochsteigenden durchdringenden Kälte. Er verschränkte, sich aufrichtend, die Arme. Ging um die Köpfe der letzten Reihe herum. Ein Mann, dem ein Strohhut über dem Gesicht lag, hatte die Ellbogen seitlich ausgestoßen, als ob er etwas in den Händen hielt und nähte. Marduk faßte einen Ellbogen. Der ließ sich anheben. Und als er ihn stärker aufzog, drehte sich der ganze Mensch an dem Ellbogen auf die Seite, als wäre er ein Stück, rollte losgelassen wieder zurück. Der Hut war von seinem Gesicht gerutscht; ein älterer vollwampiger Mann mit kahlem Schädel; sorgenvoll runzelte er die Stirn, mit dem halboffenen Auge schielte er an seiner Nase herunter; da war seine Oberlippe zerrissen, der blutige Kieferknochen lag splittrig bloß. Als Marduk sich die Hand vom Gesicht nahm, runzelte der alte Mann noch immer die Stirn, schielte. Marduk zog das Ledertuch über den Hals hoch. Blendend die Sonne von oben. Scharfe schwarze Schatten über dem Hof. Er wollte sich abwenden, da stöhnte es hinter ihm. Jonathan stand da, mit dem vollen Blick auf den bedeckten toten Mann, wischte sich die Tränen von den Backen, ging vor Marduk zum Hoftor. Der Ältere, den Korridor betretend, murmelte vor sich: „Es war schon gut, daß ich davon gelassen habe. Wir werden weiter so machen.“ Schnürte den Rock fester, schlich, von Wachen gefolgt, weiter. Voll Abscheu sah ihm Jonathan nach. * * * * * Jonathan trat morgens in Marduks Empfangszimmer im Stadtgebäude, gab ihm die Hand: „Wunderst du dich, daß ich komme, Marduk? Nein, nicht wahr, du wunderst dich nicht; du darfst dich nicht wundern.“ Ein schönes saalartiges Zimmer hatte Marduk; Marke hatte es herrichten lassen. Links und rechts Riesengemälde vom Boden bis zur Decke. Auf der einen Seite farbige Massen, Balken Drähte Maschinenteile, die, als wenn sie nicht zu halten wären, plastisch aus der Wand heraustraten. Auf der anderen die Überschwemmungen Schuttanhäufungen, versinkende Tiere und Menschen. Eine Knochen- und Schädelpyramide in der Mitte des Zimmers. Jonathan zuckte: „Hier wohnst du, Marduk.“ Der gab keine Antwort. Dann, hinter dem Tisch: „Was bringst du.“ „Ich weiß es nicht. Aber ich kann nicht mit dir in Unfrieden leben,“ seine Augen schielten, „und bitte dir alles ab, was ich gestern gedacht habe. Und bitte dich inständigst, du möchtest nicht davon sprechen, nichts zu mir davon erwähnen.“ „Ich glaube, Jonathan, du kommst nicht meinetwegen, sondern deinetwegen her.“ „Ich kann nicht mit dir Ruhe finden, Marduk. Du wünschest, daß ich dein Spiegel sei. Ich will mehr als dein Spiegel sein. Ich habe zwei Hände einen Kopf ein Gefühl; ich bin ja dein Freund.“ „Wir wollen zusammen essen. Nicht mehr sprechen.“ Marduk faßte den Jungen unter den Arm; sie gingen in das kleine schmale Nachbarzimmer, sprachen bei der Tafel lange nichts. Marduk dachte: „So unterwürfig ist er, weil er um seine Mutter leidet. Er ißt viel, weil ich neben ihm sitze. Er sitzt ruhig. Er schielt nicht. Er lächelt mich immer an. Was für ein gequältes Wesen ist er. Und solch kaltes Tier wie mich muß er zu seinem Freund haben. Freund sagte er; ich bin ihm so Freund, wie ihm das Brot der Wein da Freund ist. Ich bin ihm Lebensbedingung. Er war auf einem Fluchtversuch.“ Marduk lehnte sich zurück, die Hände vor der Stirn: „Ich habe heute vor, mich mit einigen, die ich erschreckt habe, zu unterhalten. Ich muß sie beruhigen. Ich will selbst in mein Landhaus fliegen, ihnen einige Anordnungen vorführen.“ Er unterbrach sich; ihm flog durch den Kopf: „Was nutzt es, daß ich alle Weisheiten der Erde besäße und hätte der Liebe nicht.“ Gleichmütig sanft Jonathan, die Serviette faltend: „Ich komm gern mit.“ Marduk, weiter zielend: „Wir begleiten die Herren zu den Versuchen über Wachstumsunterbrechung und -antriebe bei jungen und älteren Tieren.“ „Wie du magst“, nickte Jonathan zum tiefen Erstaunen Marduks; „ich bin nur froh, daß du mir nichts nachträgst.“ Als der Konsul, wie um etwas abzuschütteln, aufstand, hatte er das Gefühl allein zu sein: „Ich habe einen Freund verloren. Ich bin allein. Wer hilft mir weiter.“ Er summte, den leeren Blick gegen das regentriefende Fenster, eine traurige Melodie. Als der Jüngere leuchtenden Gesichts einfiel, schlug sich Marduk die Brust mit kurzen drückenden Schlägen, hielt sich verzweifelt den Kopf: „Ich bin allein. Hier sitze ich. Wer hilft mir weiter. Wer hilft mir weiter.“ Er ließ sich auf einen Schemel neben dem kleinen runden Weintisch fallen; um die anderen niederzuschlagen, um über ihnen zu stehen, war er aufgebrochen, hatte alles gelassen. Was ließ er zurück, was war dies Neue, das er gewann. Die Macht über diese. Über alle. Was. Was. „Verflucht“ stöhnte er; sein Glas in der losen Hand kippte um, der rote Wein rieselte auf den Teppich. Den Widerwillen, die Selbstverstoßung, Empörung, die die Fingernägel in die Handteller einbohrt, sah Jonathan, der sich nach ihm weit vorbeugte. Fahl matt wurde plötzlich sein Gesicht, die Schultern sanken ihm langsam herunter, die Unterlippe hing sehnsüchtig traurig; der Schlimme saß da, der Schlimme, wieder der Schlimme, rang mit sich. Und Marduk kam herüber zu ihm; das Glas stellte er auf den Tisch; in Brust Schultern Armen fühlte er sich durchbebt: „Mein Spiegel“, dachte er, „er ist es.“ Gierig blickte er ihn an, sog seinen Anblick ein. Nein, er war nicht, vielleicht nicht verloren. Dies war ein Schmerz; dieser litt. Dies war Jonathan, sein Freund sein Kind sein Herz. Traurig berührte Jonathan, bittend, als er ihn fühlte, seinen Arm: „Soll ich?“ wühlte es erstickt, schluckte es in Marduk. Er hörte wie ihn der Jüngere Sanfte mit verschleierter zarter Stimme ansprach: „Du mußt mir von deinen Versuchen, den letzten, erzählen. Du kannst es ruhig tun.“ Marduk wand sich; es war nicht möglich, daß einer so sprach; dies war Jonathan. Er hielt sich, die Hände rückwärts aufstemmend, an der Tischplatte fest, stieß, die Augen schließend, durchflutet, von einer Kühle übergossen als wäre er entblößt, einen tiefen Seufzer aus. „Mach das Fenster auf“ bat er Jonathan. Wie der Regen draußen trommelte; nasser Wind flog herein. Nur mit Mühe arbeitete Marduk eine Stunde. Dann legte er sich, nicht einmal über sich erstaunt, am hellen Mittag in sein Bett. Wühlte sich tief und tiefer in das Kissen, schlang die Decke als wenn er sich verkröche, fest über sich. Wie von einem Zauberfinger berührt schlief er ein, fest. Ein Schlaf, der sein Mark durchfloß. * * * * * Die Toten wurden am folgenden Tage öffentlich beerdigt. Der Konsul beteiligte sich an dem feierlichen Zug. Er erklärte keine Rache üben, keinen Schrecken verbreiten zu wollen. Abends bebte die Erde wie im Beginn von Markes Konsulat: zahlreiche entdeckte Anlagen und Versuchsstätten, auch Marduks eigene wurden in die Luft gesprengt. Er selbst sammelte um sich eine große Anzahl von Männern und Frauen, die ihm ergeben waren, Waffen trugen, Angriffs- und Abwehrapparate herstellten und vervollkommneten. Er umgab sich wie ein Tyrann mit Hunderten Spionen und Wächtern. In der Zeit seines Konsulats verminderte sich die Einwohnerzahl des Stadtgebiets um Millionen. Der Zuzug hörte ganz auf. Nicht nur Versuchs- und Arbeitsstätten sprengte Marduk, sondern in rascher Folge eine Zahl von Fabriken und Anlagen, die er für unnütz hielt. Er griff damit in den Besitz der stärksten Herrschaftsgruppen ein, die er verelendete. Die planmäßige Zerstörung dieser Einrichtungen, die der Bequemlichkeit und Annehmlichkeit, aber auch dem Austausch mit anderen Stadtschaften dienten, hatte zur Folge die Herauslösung der märkischen Stadtschaft aus dem allgemeinen großen Verkehr der Industrien und damit weitere Entblößung des Landes. Die Mekifabriken hielt Marduk in der Hand, stieß die Menschen aber mit Gewalt in die Wildnis der Forsten und Felder. Es entstand die erste wirkliche Revolte, als er ohne Befragen des Senats auch eine Anzahl Nahrungsspeicher sprengte. Er zerstörte diese kunstvollen Anlagen, ließ sie nicht zerfallen, um durch die tosende Zertrümmerung seinen Willen zur glatten Abwendung von ihnen bekanntzugeben. Der Senat, der bald aus einer Mehrheit ernster Anhänger des Konsuls bestand, – viele Frondierende zogen sich verzagt, überdrüssig in die näheren und ferneren Landschaften zurück, – stellte sich gegen ihn. Aus allen Gegenden der Stadtschaft rückten damals gegen die Ratsgebäude die Menschen mit den schlaffen apathischen Zügen, den unsicheren dünnen Gliedmaßen, den starken Leibern, auch härtere Ackerbauern. Kinderscharen wurden losgelassen. Entsetzen unter ihnen. Sie sollten umkommen; wer nicht Boden und Vieh besaß, sollte verhungern. Man verlangte vor dem burgartig gesicherten Stadtgebäude nach Marduk, der sich nicht sehen ließ, forderte seine Absetzung. Die Menschen zerstreuten sich zum Schutz der noch unversehrten Mekifabriken und Anlagen, organisierten ihre Bewachung. Marduk ließ wochenlang diesen Zustand. Als der Senat sich weigerte, die Menschen zu beruhigen, gab der Konsul bekannt, daß er selbst die Anlagen schütze. Das Recht der Auswanderung stünde jedem frei. Die Erregten kehrten sich nicht an Marduks Warnung. Da kamen ihm Haufen Landsiedler zu Hilfe. Nachdem eine Zahl der Unruhigen von den Speichern und Anlagen verdrängt war, ein Teil von Marduks Wache im Innern der Anlagen unschädlich gemacht war, zerfloß die Revolte. Ein neuer Strom Menschen ergoß sich aus dem immer wüsteren Land. * * * * * Die blonde ernste weißhäutige Marion Divoise stand bei dem Streit des Konsuls Marduk mit den Senatoren in einer Fensternische des Saales, ließ ihre graugrünen Augen schweifen. Viele Mädchen und Jünglinge hingen an ihr. Sie dachte, als sie Marduk oben sah: wer ist es; wenn er mich bewegen erregen könnte. Bei dem folgenden schrecklichen Tumult brach sie zusammen, wurde verwirrt nach Hause gebracht. Marion Divoise, die üppige vollbusige Blonde, die Freude vieler Männer und Frauen, drängte seit da zu Marduk. Sie verlangte, wie viele, vergeblich Zutritt zum Konsul. Der lebte eingeschlossen bald im Stadtgebäude, bald in seinem ärmlichen Landhaus; es war nie sicher, wann er da und dort mit seiner schwer bewaffneten Wache erschien. Marion hörte auf, die Strenge zu sein, die Männer und Frauen durch ihre geheime Süße anlockte, die sich ernst und verstehend, warm und dann wieder fremd unter ihnen bewegte. Der schauerliche Tumult bei der Parlamentsrede Glossings am Tage nach Marduks Staatsstreich war ihr nicht aus der Seele gegangen. Sie suchte sich beängstigt davon wegzuziehen. Weder Männer noch Frauen hatte sie bis dahin ernsthaft angehört. Sie folgte immer Lockungen und Erklärungen mit ihrer Güte und Sanftheit, aber leicht obenhin. „Was ihr alle sonderbar seid“ war ihr heimlicher Gedanke bei den Begegnungen mit ihren Freunden; allein saß sie oft zu Hause in ihrem Schlafzimmer und lachte, lachte über die Menschen. Bisweilen riß sie einer in seiner glühenden Neigung weit hin. Aber wenn die jungen Menschen dringlicher nach ihren schönen Armen, ihrem Hals, ihren Hüften griffen, stieg der Widerwille in ihr auf. Ohne Maß beleidigt war sie, mit Haß und Demütigung überfiel sie den schmerzlich Getroffenen, der sich wand. Ein Vieh nannte sie ihn. Es hieß, daß sie sich früherer Liebhaber bediente, um einen Menschen, der ihr zu nahe gekommen war, tief und raffiniert zu kränken, ihn nackt aus dem Bett seines Hauses auf die offene Straße zu werfen. Sie hatte, wie Marduk seine gefürchtete Wache, eine Schar von Männern und Frauen, die der weißen strengen Person jeden Dienst leisteten. Aus ihnen suchte sie sich jetzt zum ungläubigen Staunen der anderen, denen es zugeflüstert wurde, selbst Freunde Liebhaber aus. In Scham zwang sich die Balladeuse dazu. Sie wollte zu einem Mann. Es waren für sie Szenen furchtbaren Leidens, wo sie neben einem freudigen glücküberschwellenden jungen Wesen saß, das sich ihr zu Füßen warf, ihre Zehen küßte, und dann von ihrem Hals, ihren Armen, ihrer Brust nicht ließ. Sie fror und glühte, bebte am ganzen Rumpf. Das sprang wie ein Käfer an ihr herum, suchte seinen Speichel mit ihrem zu vermischen; sie wandte durchschauert ihr Gesicht ab, das sich versteinte. Sie litt, wollte es dulden, wenn sie auch zerbrach. Sie wich zurück, versuchte es mit neuen. Und dann saß sie einmal mit einem Mann zusammen, den sie nie gesehen hatte, einem farbigen sie selbst anwidernden Mann, der eine Viehherde angetrieben hatte. Im Augenblick, wo sie ihn sah, verlangte sie nach ihm. Starr stand in ihr fest, sie wollte nicht zurückweichen. Ohne Narkose; ganz gewiß von diesem Kerl. Er trank schon nach einer halben Stunde neben ihr. Sie rührte kein Glas an; umschlang erschauernd seinen runden Wollkopf. Er verstand. Er dachte eine Canaille zu vergewaltigen; trug sie in seinem Kittel vorsichtig auf ihr Bett. Da hatte sie sich ein Kissen vor das Gesicht gedrückt, bettelte um Gnade. Weinend betäubt rasend vor Selbstverachtung gab sie sich der Schändung hin. Sie stand den Kopf zurückgelehnt an einem Schrank, schluchzend flehend: „Ist jetzt fertig? Ist jetzt gut?“ Reichte dem Mulatten, ohne ihn anzusehen, die feine zitternde Hand, die eiskalt und bis zum Gelenk abgestorben war. Und sonderbar, wie sie seine hitzigen Finger fühlte, der schreckliche Dunst dieses Tieres, das vor ihr stand, zu ihr herüberschwoll, fühlte sie sich bewegt, die Augen zu öffnen, ihn, wie er zärtlich süßlich und dienerhaft gemein grinste, mit dem Blick zu umfassen, ganz ruhig zwei Schritt auf ihn hin zu tun, den weißblonden Kopf an seine Brust zu senken. Mitten in den schrecklichen Dunst hinein. „Geh jetzt“ flüsterte sie, wie er es wagte, leicht über ihre Schultern zu streicheln. Sie zuckte hoch. Er war fort; sie hatte nun dies getan, hatte es hinter sich. Sie blies wehte die Luft von sich. Und wie sie an das Tier dachte, rutschte rauschte sie mit einem leisen Ton aus, zu Boden, lachte flüsterte schimpfte verwirrt gegen den Boden hin, wie im Saal des Ratsgebäudes. In ihren Gliedern, ihrem erlahmenden Rückgrat blieb die ungeheure Erregtheit stecken, die sie nicht schlafen ließ, die mit einem hohen gequälten Ton in ihre Stimme stieg. Nun wagte sie es mit anderen Frauen ihres Hauses über sich zu sprechen; die jungen und älteren zarten und starken Männer aber, die um sie waren, betrachtete sie jetzt aufmerksamer. Sie versuchte die Männer, versuchte sich an den Männern. Sie saßen neben ihr, hängten sich glücklich und fiebernd an ihren weißen schamüberglühten Hals. Es regte sich nichts in ihr; sie streichelte sie, tiefer und tiefer geängstigt vor sich. Weinend mußte sie ihren Kopf auf die Kissen und Polster legen; man sollte sie nicht quälen, sie seien ja alle so gut. Nur nach dem Mulatten hatte sie öfter ein bitteres schauriges fast kindliches Verlangen. Der durfte nicht gehen, wenn er sich in der Nähe ihres Hauses zeigte. Es zog sie etwas zu ihm, etwas Vertrautes, er mußte zu ihr kommen. Es war schrecklich, wie sie ihn einmal auf ihr feines einfaches Zimmer nahm, ihn, was sie nie tat, mit Kuchen und Likören bediente, den farbigen Mann in der gelben Viehtreiberjacke, der sich grinsend breit machte vor der demütig ernsten Frau, wie er ihr den Rest seines Likörglases an die Stirn spritzte, sie im Moment herriß. Sie schrie im Schreck. Die starke Frau rang und schlug sich besessen mit ihm, zerbiß seine Hände und lag dann, krachend auf den Boden gestaucht, winselnd still. Er ließ sie grimmig atemlos, Glas um Glas des Likörs herunterstürzend, den Mund mit Kuchen vollstopfend, liegen. Diesen Mann ließ sie noch manchmal zu sich rufen; sie wußte nicht, was sie zu ihm trieb; er tat mit ihr wie mit einer Sache, sie erduldete alles. An einen jungen fast knabenhaften Mann, den sie Desir nannte, hängte sie sich, war ihm öfter aufgelöst, Trost suchend, abwesend, bettelnd, gut. Sie träumte in dieser Zeit oft von einem Wasser, auf dem sie fuhr. Desir war ein weißer Schwan, der vor ihr schwamm; sie lag in einem Boot, er zog sie, zog sie immer weiter, weit fort. Als Marduk die stärkere Nutzbarmachung des Landes betrieb, das ihr gehörte, verlangte sie wieder mit ihm zu sprechen. Und als es ihr abgeschlagen wurde wie jedem sonst, wandte sie sich an Marduks jungen Freund Jonathan. Die schöne weiße Balladeuse war erschreckt, als nach einem durch Kurier überbrachten Brief, sie hätte mit ihm zu verhandeln, eines Mittags Jonathan selbst im Flugzeug auf dem Dach ihres Hauses erschien. Oben neben seinem leichten Apparat, den er sicherte und abstellte, stand sie, betrachtete den feinen braunhaarigen Jüngling, der sich an das Dachgitter lehnte, lächelnd sagte, er sei gekommen. Er wisse wenig, was er mit seiner Zeit anfangen solle; ob sie ihm böse sei, daß er gekommen sei. Wie hatte sich dieser Mensch, den sie kannte, in den letzten Jahren geändert! Wie gleichmütig versunken lächelte er, wie hob sich manchmal seine linke Augenbraue und zuckte schmerzlich. Er sprach so leise und freundlich, und wenn sie antwortete, so wußte sie aus seinem leeren Blick, seinem Mund, der sich bewußtlos öffnete, dem Kopf, der sich zur Seite bog, daß er meist nicht zuhörte. Dies war der Freund Marduks. Sie nahm ihn in ihr Haus herunter; er wollte kein Zimmer, im Garten saßen sie. Bald sagte sie, sie wolle Marduk sprechen. Er zog Holunderäste über sich: „Warum wollen Sie Marduk sprechen? Er hat so wenig Zeit. Lassen Sie ihn doch, Marion.“ Sie saß aufrecht, war, je mehr sie Jonathan sah, stier und steif in ihrem Begehren, den Konsul zu sprechen. Sie wurde zornig. „Ist er mehr als ich. Warum versteckt er sich? Er ist Konsul, er nennt sich so, er muß hören, was man von ihm will.“ „Muß er das, Marion? Er meint es nicht. Er denkt umgekehrt, wir müssen hören, was er will.“ Sie stand blaß auf: „Das wußte ich, daß es so ist. Es ist mir recht, daß Sie hergekommen sind, Jonathan, und daß Sie es mir noch sagen. Ich will ihn sprechen, so steht es, ich muß es, und das verlange ich.“ „Seien Sie nicht wild, Marion. Es sind schon manche wild gewesen und sind nicht mehr wild.“ „Nicht ich. Nicht ich.“ Sie stand und flüsterte. Jonathan drückte sie auf ihren Sessel: „Sagen Sie, Marion, was ist. Ich will mit ihm sprechen.“ Sie schwieg; dann: „Gut.“ Und wie sie fertig gesprochen hatte, dachte Jonathan: wie recht hat Marduk, daß er sie nicht hört; Weiber sind Räuber. „Gut Marion, ich wills ihm sagen. Gehen wir.“ Wie sie aber ein paar Schritt gegangen waren, drückte ihm Marion plötzlich heftig die Hand, sah ihn so dringlich an, daß er ein Erstaunen fühlte und ihm der Einfall kam, zu Marduk von ihr zu reden. Man ließ die schöne Balladeuse vor Marduk. Als er in seinem Zimmer des Ratsgebäudes von dem ungeheuren Wandgemälde der Uralischen Flammenbergwerke und der flüchtenden versinkenden Menschen sich herbewegte, braunschwarz wie die Menschen des Bildes, zitterte sie zum ersten Male. Er schien mit seinen unsicheren Beinen dem Riesenkopf den dunklen ernsten Augen aus dem Bild herauszuwackeln. Jonathan führte sie. Marduk gab ihm die Hand, lächelte: „Wen bringst du mir.“ Er sah nur Jonathan an, bat, als der gehen wollte, er möchte bleiben, lächelte schweigend, als er gegangen war, noch in der Richtung seines Weges. Mit demselben Lächeln drehte er sich automatisch Marion zu, die Jonathan auf eine Sitzbank geführt hatte: „Was willst du, Marion. Was tust du?“ Geheimnisvoll fühlte sie sich berührt, entwaffnet. Schwach und still sagte sie, sich verwirrend, wieder zitternd, es müßten die Ländereien der Stadt nach Norden und Nordwesten ausgedehnt werden. Marduk fragte, ob der Senat sie dabei im Stich ließe. Sie mußte es verneinen, log, sie fürchte sich vor dem Widerstand ihrer eigenen Leute, wollte Bewaffnung und Schutz auf ihrem Besitz. Dies sei unmöglich, gab Marduk von sich, versprach, mißtrauisch sie anblickend, seine Hilfe für weiterhin, stand auf, wieder auf seinen Platz zwischen den braunschwarzen Versinkenden zurückzukehren. Sie war nur wenige Minuten bei Marduk gewesen, da ging sie langsam durch mehrere Türen, über Treppen hinaus. Jonathan sonnte sich auf der großen Freitreppe; er hielt einen Schmetterling auf seiner Kappe, schaukelte ihn; sie wich ihm aus. Von der Begegnung mit Marduk brachte sie nichts mit als einen Groll auf Jonathan, eine bis zum Zorn gesteigerte dumpfe Wut auf diesen, auf diesen. Sie ging aufgelöst in ihrem Zimmer umher; nachmittags ritt sie mit Desir aus, unterwegs liebkoste sie ihn, weinte wild, neben ihrem Pferde über die Felder gehend. Die starke Frau arrangierte Gehässigkeiten gegen Marduk. Die Frauenbünde, fast zerfallen, waren damals in den fremden Stadtschaften erneut rege; sie streckten ihre Arme nach der Mark aus, wo sie heimliche Frondeure unterstützten. Die Berührung mit ihnen tat der Balladeuse wohl. Sie machte sich Mut, unterstützte Frondeure. Dann spielte sie wieder mit Desir. In das Leben dieses Desir wurde sie eigentümlich hineingezogen. Der Feine fesselte sie nicht. Erst, wie sich an ihn andere begehrliche Frauen hingen, merkte sie auf, wollte seine Zärtlichkeit nicht vermissen, las mit Beklemmung die Zettel, die er von anderen Frauen erhielt, sah die Blumenkränze, mit denen sie ihn behingen. Und sie seufzte und wollte es nicht dulden. Sie fühlte sich gedrängt, auf diese Frauen loszugehen mit einer Erregung; aber dahinter stand schon die Trauer. Sanft ließ sie Desir mit einer anderen Frau, sanft hängte sie sich selbst an die andere Frau, forschte sie aus, sah ihre Neigung Glück, ging wieder zu Desir, stand kopfsenkend da, fiel neben ihn, der sie verlangte, seufzte mit leeren Augen, eingehüllt von seiner Weichheit, den unaufhörlichen Flüsterworten, von den Händen an Stirn und Hals gefaßt, die in sie nichts strömten. Sie tat froh auf den Fahrten, Desir war ihr Mann, von ihm wollte sie ein Kind. Nein, nicht ein Kind, viele Kinder. Ihre Ruhe wollte sie vor Augen haben, festhalten. Es sollte alle Vergangenheit ruhen. In dieser Zeit gebar sie zwei Kinder, zwei Mädchen, die sie selbst an der Brust aufzog und pflegte. Groß war die Zärtlichkeit der mütterlichen Divoise zu ihren Kindern; sie hatte von ihrer Schönheit und Art nichts verloren. Und eines Tages erkrankte das jüngere Kind. Die Erregung der Divoise; blitzrasch veränderte sie sich. Wen sie erreichen konnte von Ärzten zog sie herbei. Geschüttelt saß die dunkel verhüllte Divoise am Bette des Kindes, schrie nach Hilfe. Mit Angst Haß Bangigkeit verfolgte sie das Agieren der stillen Männer und Frauen am Bett. Saß zuletzt nicht mehr in der Nähe des klagenden und heftig atmenden Kindes, saß nahe der Wand, wo sie niemand sah, über sich gebeugt, ein Tuch, das ihr Desir auf die Schultern gelegt hatte, über dem Kopf. Das Kind zog die Luft gleichmäßig mit hohem Tönen ein, gab sie rasch von sich. Eine Pause. Wieder hohes Tönen Blasen. Die Ärzte hielten das Vergehen der kleinen Seele nicht auf. Als es frühmorgens nicht mehr blitzrasch das Köpfchen warf und mit suchenden Augen nach rechts und links fuhr, und ohne die Wimper zu bewegen aus großen runden Augäpfeln, trübe überhauchten, die in Schwärze liegende Decke betrachtete, bewegte sich die mütterliche Divoise, das violette Seidentuch über Rumpf und Gesicht, heran an das Bett, lag eine Weile zu Füßen des schweigenden Wesens. Mit dem Gesicht aufliegend nahm sie finster schluchzend das Füßchen des Kindes in den Mund, sog daran, legte es sich an den Hals. Trug das tote Wesen im Zimmer herum, setzte sich, während das Tuch rückwärts von ihr abfiel, auf den Stuhl, den eben der Arzt verlassen hatte, hielt das Erstorbene auf dem Schoß, setzte es auf; die Arme schlenkerten an dem kleinen hemdbekleideten Mädchenkörper. Marion, nicht hörend, was man ihr sagte, hielt das Kind fest, wickelte es in ihr wieder aufgerafftes Tuch, schleppte es durch das Zimmer, summend, mit festem Schritt. Dies tat sie stundenlang bis zum Morgengrauen: gehen, das Kind wickeln aufsetzen, bis es steif geworden war und aufrecht auf ihrem Knie saß mit gesunkenem Kopf. Eine Frau nahm ihr das kalte wachsfarbene Wesen aus den Händen: „Nun ist’s gut, Marion! Nicht wahr, nun ist’s gut?“ „Ich hab es nicht weggegeben“ zitterte Marion mit leeren Händen, „du hast es mir weggenommen, das mußt du wissen.“ Saß noch da, wie das Erstorbene zugedeckt wurde. „Mein Tuch drüber, mein Seidentuch. Nun hast dus weggenommen. Nun ist es geschehen.“ Aus dem stillen Zimmer ging sie. Über einen Flur. Wie sie eine Tür öffnete, schlief drin das ältere Kind. Das Morgenrot schien herein. „Warum nur das eine? Warum nur? Es könnte auch das andere sein. Soll ich warten?“ Sie zitterte von den Knien aufwärts in Wellen bis in den Hals; nahm das schlafende Kind mit zwei besinnungslosen Griffen hoch. Schon schrie es aus ihrem Mund: „Desir, Desir.“ So bündig scharf schrie es aus ihrem Hals, er war in wenigen Augenblicken bei ihr. Sie preßte, den Mund schließend, zwischen den Zähnen, sich vom Licht abwendend: „Da ist das Kind. Da hast du es. Leg es hin.“ Er mußte ihr die Finger ablösen von den Ärmchen des Kindes, das schlafend über ihrer Schulter hing, einen kalten verklammten Finger nach dem andern. Sie haßte von da ab Marduk. Nichts beglückte sie so, nichts war ihr inniger als der Haß auf Marduk, den langen Menschen, braunschwarz, mit dem Riesenkopf, den dunklen ernsten Augen, den unsicheren Beinen. Wenn sie heimfuhr von dem Kind, von ihrem Mann aufstand: dies empfing sie doch und hüllte sie gewaltsam ein. Es war etwas wie ein Rachegefühl in ihrem Haß. Ruhig hielt sie damit an. Sie war ihrer Dinge gewiß. Sie stand eines Tages vor Marduk, der aus der Wand der Uralischen Flammen hervortrat zwischen den flüchtenden versinkenden Menschen. „Komm da weg“ herrschte sie ihn an „du stehst da schlecht.“ Sie zog ihn an die Schädelpyramide: „Da stehst du gut, Marduk. Bleib da stehen.“ „Was willst du, Balladeuse.“ „Balladeuse, Balladeuse. Mir liegt an Balladen nicht. Es waren nicht meine Balladen. Ich kann nur sagen, daß –“ „Daß du mich liebst.“ „Daß ich dich liebe? Bist du verrückt, Marduk. Ich dich lieben? Wofür denn? Um was?“ „Lach nur. Darum bist du hergekommen, darum habe ich dich ohne Wachen hereingelassen. Es kommen öfter welche herein. Ich merke es gleich. Es macht mir nichts aus.“ Sie trat an ihn heran: „Du bist wahnsinnig, Marduk. Ich verbiete dir so zu sprechen. Es ist schamlos. Ich habe dir nichts getan, daß du mich beleidigst.“ „Dir sind deine Kinder gestorben, Marion, du bist hergekommen, daß ich dich tröste.“ „Mein Kind lebt, eins ist gestorben.“ „So lieb dein Kind.“ „Was geht dich mein Kind an? Steh bei den Schädeln. Wenn es nach dir ginge, wäre die ganze Erde eine Schädelpyramide.“ „Ich muß die Wache rufen.“ „Ruf sie, ruf sie nicht, Marduk. Tus. Tus nicht. Mein Himmel, was soll ich sagen.“ Sie war plötzlich bläulich blaß geworden. Zitterte bis zum Schwanken. Sie war in schrecklicher Bedrängnis, sah an sich herunter, kratzte, rieb sich die Finger: „Ich hab mit dir nichts zu tun. Ich weiß nicht, was ich von dir will. Du tust mir unrecht, wenn du sagst, ich liebe dich. Ich werde nicht von hier weggehen. Du darfst deine Wache nicht rufen. Laß laß mich noch hier stehen. Ich sterbe noch früh genug. Du kennst mich nicht.“ Ganz still stand der lange Marduk. Die Divoise warb um ihn. Er fühlte nichts, aber ganz im Innern erbebte etwas in ihm, wie in einer Stadt die Scheiben leise klirren von den Donnerstößen einer sehr fernen Schlacht. Sein Mund fing an sich zu einem Lächeln zu verziehen: „Ich habe manche Geschäfte, Marion Divoise.“ „Ich auch.“ „Was soll geschehen?“ „Laß mich –“ sie war am Schwanken, schloß den Kopf zurückbiegend die Augen, schluckte, „– laß mich – in dem Hause bleiben. Ein paar Stunden.“ Sein Inneres erbebte stärker, tiefer innen; er zog die Muskeln seiner Arme zusammen, ballte die herabhängenden Hände, leise: „Das ist bei mir nicht üblich. Ich habe keine Frauen bei mir.“ „Laß mich – in deiner Nähe – sein, Marduk.“ Er mußte um die Pyramide herumgehen; trat unter das große Flammenbild, kam wieder hervor, im braunschwarzen offenen Mantel. Die Divoise hatte die Augen geschlossen, bewegte sich nicht, unkenntlicher Ausdruck über ihrem Gesicht. Die Augen riß Marduk auf, biß sich auf die Unterlippe. Er wußte nicht, was in dem Raum umging, was seine Schulterhaut mit Hitze und Kälte überschüttete. Er fühlte seine Beine gedrängt, sich nach ihr hinzubewegen, lachte leicht, wie er ihre Hand anrührte: „Also, ich werde dir ein Zimmer geben lassen hier. Verbreite es nicht. Es ist nicht meine Art.“ Ihre Hand zuckte zurück; tonlos sagte sie: „Dies ist gut von dir, Marduk.“ Er sah, wie sehr sie litt, faßte sie, die betäubt schien, am Arm, führte sie durch einen Gang in ein Zimmer, wo sie sich von ihm losmachte, sich setzte. „Ich bin, Marion Divoise, nicht weit von hier. Du hebst diesen Griff. Man sagt dir, wo ich bin.“ Die blonde Balladeuse lag mit dem Gesicht auf dem Tisch. Erst als er hinaus war, stieß sie das tierartige Stöhnen aus, das schon lange in ihr gesteckt hatte, schlug sich die Brust, zerzupfte die Fransen der Tischdecke. Um – plötzlich – anzuhalten, die Hände herabfallen zu lassen. Matt wurden die Schultern, weich sank sie über sich zusammen, lächelte eingedeckt hingedrückt vor sich, stützte den Kopf auf den Arm, hingebend: „Ich bin hier. Gelandet. Oder gestrandet. Oder. Oder. Marduk kann jeden Augenblick kommen; wenn ich den Griff hebe, wird er kommen. Meine Hand kann das, meine liebe kleine Hand. Ich in seinem Haus, unter seinem Dach. Marion Divoise, du Süße, jetzt ist das beste: du schläfst!“ Dachte nicht an ihr Kind, Desir, die Menschen, die an ihr hingen. Kam sich vor wie am Ende eines langen Wegs. Und die Arme unter den Kopf gekreuzt schlief sie eine süße Stunde. Fühlte, wie sie sich aufsetzte: „Welch verzaubertes Haus. Was ist mit mir geschehen. Ich kann mir nichts denken, was so schön ist wie dies jetzt. Marduk soll kommen. Marduk soll kommen.“ Man sagte ihr, wie sie den Griff hob, daß Marduk auf seinem Zimmer schliefe. „Auch er. Er auch.“ Sie faßte sich an die Brust, ihre Augen leuchteten. Wie es dunkel wurde, hob sie wieder den Griff. Da schlief Marduk noch. Verwirrt ging sie an den Apparat. Die ruhige Männerstimme kam heraus, der Konsul liege im Schlaf auf seinem Zimmer. „Ich bettle, ich bin versklavt. Ich muß mich rüsten.“ Laut sprach sie sich vor: „Er kommt bald“, die zerzupften Fransen des Tischtuchs vom Boden sammelnd und in einem Haufen auf dem Tisch bergend; daneben setzte sie sich. Sie drückte den Lichtknopf. Wie die Tür aufging, stand Jonathan in weißer Seide da. „Ich war bei Marduk. Er sagte mir, daß du hier wärst. Ich freue mich dich zu sehen.“ „Er hat dich geschickt.“ Jonathans Stimme war erfüllter, klangreicher, fester als sonst: „Nein. Ich bin selbst hergekommen. Er warf es nur nebenbei hin. Ich wollte dich sehen.“ „Was ist an mir zu – sehen, Jonathan. Du kennst mich doch. Du wolltest vielleicht etwas anderes. Von dir hatte ich es nicht geglaubt.“ „Was ist, Marion?“ „Daß du dich täuschen wirst. Daß ich hier bin, kann ich nicht verheimlichen. Ich schäme mich aber nicht. Garnicht. Daß dus genau weißt.“ „Ich höre, Marion Divoise.“ „Ich habe nichts zu verbergen. Da bin ich. Und jetzt schäme du dich, daß du hier hereinkamst.“ Jonathan, die Arme an der Tür verschränkend, schlug das rechte Bein vor das linke: „Ich bin hier, um dich anzusehen, Marion Divoise. Wenn du noch mehr sprechen willst, sprich.“ Sie bog glühend den Kopf über die Seidenfasern auf dem Tisch: „Was wollt ihr mit mir machen.“ Und langsam ging der weiße junge Mensch von der Tür weg auf sie zu: „Komm, steh auf.“ Und nochmal: „Komm.“ Und wie sie finster aufstand, legte er beide Arme um ihre Hüften. Rutschte, plötzlich schluchzend, von innen gestoßen, an ihr herunter: „Tu an ihm, was du willst. Tus, Marion. Ich bin nicht dein Feind.“ Und wie sie die Hände herunterließ, zog er sie vor seinen Mund, küßte sie. Sie hob den jungen Menschen an sich hoch, der immer stammelte: „Du bist hier, bei ihm; du bist hier“ und ganz außer sich war. Er umschlang ihren Hals. Seine Augen brannten und irrten: „Ich weiß nicht, Marion, was es auf sich hat, daß du hier bist und wer dies gefügt hat. Aber es kann geschehen, daß du mit einem Schlage mich und ihn tötest.“ Wie sie ihn von sich abdrängen wollte, lachte stöhnte er an ihrem Hals: „Du kennst das Menschenleben nicht, Divoise. Du siehst nur immer zu. Vielleicht jetzt nicht so. Du weißt nicht, was hier geschieht. Und durch dich. Es ist gut. Ich sage dir, es ist gut. Ich habe dich nicht hergerufen, aber nun bist du da, nun ist es geschehen, ich begrüße dich, ich segne dich, daß du herein kamst, Divoise.“ So stammelte er, ließ in trunkener Schwelgerei von ihr. Die Hände gegen sein eigenes lächelnd angehobenes Gesicht gelegt, ohne ihre Fragen zu beantworten, stolz, fast feindselig ging er hinaus. Eine Wache führte sie auf Marduks Zimmer. Das war ein halbdunkler schmaler hoher Raum, weißlich von allen Seiten blinkend, als sei er mit Blech ausgeschlagen. Schalter Kästen Hebel in Fuß- und Brusthöhe angebracht. Auf dem Tisch, der im Dunkel lag, flammten Tafeln mit Ziffern und Schriftzeichen auf. Trübe blickte sie Marduk, auf einer niedrigen Bank hockend, an, wie sie im helleren Türlicht stand. „Marion, tritt ein.“ Sie schöpfte Luft: „Kann ich mich setzen?“ Sie saß auf der Bank an der Tür, und wie sie eine Weile den Kopf nach unten gebogen hatte, hielt sie seinen Augen stand: „Marduk, ich will dir etwas von mir sagen. Ich habe ein Kind verloren. Das war ein Schild vor mir. Es ist hin. Auch von dem andern weiß ich nichts mehr. Ich bin schutzlos. Du siehst meine Schande. Ja Schande. Wenn etwas Schande ist, so ist es dies, daß ich hier vor dir auf der Bank sitze.“ „Es hat noch keine dagesessen.“ „Das tut mir nichts. Ob eine oder keine dagesessen hat. Ich bin nicht eine oder keine. Ich hätte hier nicht sitzen dürfen und nun ist es geschehen und da bin ich.“ Sie bog ihren Leib nach vorn, ballte die Hände vor dem Mund. Vom Tisch kam es: „Was hast du dahin geworfen, an den Boden?“ „Was?“ „Das da. Das Dünne. Die Fasern.“ „Fasern von dem Tischtuch drüben. Ich hatte sie in der Hand behalten.“ „Tu sie weg.“ „Was?“ „Heb die Fetzen auf, Marion. Sie sollen da nicht liegen.“ „Die Fetzen?“ „Ja, du sollst sie aufheben. Du hast sie hingeworfen. Wozu wirfst du sie hin.“ „Ich heb sie auf, Marduk.“ „So tus.“ Sie weinte am Boden, die Fasern zusammenlesend: „Ich kann nicht aufstehen. Oh meine armen Hände. Ich kann nicht mehr.“ Sie sank mit dem Gesicht auf den Boden. „Marion, erbittere mich nicht, du sollst die Fetzen aufheben und hierher auf den Tisch legen.“ „Ich tus ja, Marduk. Ich kann jetzt nicht. Da, da, das sind alle. Jetzt sinds alle.“ Sie legte sie vor ihn, stand auf und ab zitternd neben ihm. Er betrachtete sie, erst ungehalten, dann mit freudiger Verachtung, legte die Hand an ihre Hüfte. „Laß das, Marduk. Du denkst, du hast gewonnenes Spiel. Du willst mich wegwerfen. Nimm den Arm weg.“ Und eben noch trübe vor sich stierend wogte sie auf und ab, warf sich an ihn auf der Bank, umschlingend, ihn niederziehend: „Doch. Es ist gut. Da bist du. Es ist gut. Jetzt ist es gut. Mir ist wohl. Ach ist meinen Armen wohl. Ach ist meinem Kopf wohl. Ich bin gesund. Da, ich zittre nicht mehr. Mir ist ganz gut vom Kopf bis zu den Füßen. Wie hätte ich das geglaubt! Beweg dich. Jetzt kann mir nichts mehr geschehen. Jetzt zerreiß mich, schlag mich, wirf mich zum Fenster hinaus.“ Und sie ließ von ihm, dehnte sich selig allein: „Dies ist das Leben, Marduk, sag ich dir. Dies hab ich nun geschenkt bekommen. Du hast es mir geschenkt.“ In ihm klirrte es. Von der Brust stieg in den Hals eine Verschnürung, seine Arme waren in Eis getaucht. Er hatte einen Widerwillen, eine Wut auf diese Frau. Sie griff ihn an. Man mußte sie belehren. Das saß neben ihm auf der Bank, reckte sich, sprach, Fasern lagen auf dem Tisch zerstreut. Seine Hand griff nach den Fasern, er drehte die Augen nach der Frau: „Dein Gesicht her.“ Sie ließ sich die Hände abheben. Ihr Kopf hing nach hinten wie eines schlafenden Kindes. Sie blinzelte, als wenn sie ins Licht blickte. „Laß mich dich ansehn, Marion.“ „Ich kann nicht, ich kann nicht, Marduk. Jetzt kann ich doch nicht. Ruf mich an, ruf mich bei Namen. Wie ich heiße.“ Als er rief, lächelte sie, lachte träumte. Sie horchte, umfaßte mit dem linken Arm seine Schultern. Marduks Gesicht verzerrte sich. Er mußte mit Gewalt seine Wut festhalten. Während er sich spannte, dachte er: dies ist merkwürdig, was hier geschieht. Durch ihn trieb ein Gefühl, das zuckte bis in seine Zähne: man muß sich auf ein Flugzeug setzen, die Steuerung fallenlassen und durch die Wolken hin. Man muß tollkühn sein. Und dabei war eine Schwäche in seinen Lippen Armen. Und noch tiefer in der Brust. Das bewältigen. Sein Grimm stieg. Er schluckte und schlang. Er hatte schon den rechten Arm um sie gelegt, die weiche durchwogte lachende Balladeuse. Da veränderte sich sein Gesicht. Die Spannung war verschlungen, versunken. Er ließ den Arm nicht los, der linke Arm legte sich über ihre vor- und rückwärts schwebende Brust. Das steuerlose Flugzeug war da, das ihn forttragen sollte. „Marion“ ließ er sich sprechen, verzweifelt, die kalte Nase neben ihrem Ohr, „das ist ein sonderbares Abenteuer, in das du mich führst. Ich weiß, es macht dir Spaß, mich dahin zu führen. Du bist ein tolles Wesen, ich habe viel von dir gehört. Ich soll auch einer von den vielen sein, die auf deiner Strecke liegen. Das willst du, daß das geschehen soll. Ich weiß es.“ „Was weißt du, Marduk“, lachte die Balladeuse. „Daß du hergekommen bist, mich zu unterwerfen. Mich unter deine Füße zu kriegen.“ Er wollte es, versunken verschlungen, wie er war, hören. Er spitzte seinen Mund, sprach ihr in Gedanken die Antwort vor. Aber sie gehorchte nicht, bewegte sich in seinen Armen: „Es ist die Seligkeit. Du kannst mir sagen, was du willst. Es hat sich erfüllt.“ Er rüttelte in einem fragenden Widerstreben an ihr, aber sie wich nicht. Da mußte er nach ihren Schläfen greifen, um ihren Mund mit seinen trockenen Lippen zu berühren; fest drückte er seine Lippen, gewaltsam auf. Aber wie von einer Feueresse prallte er zurück, vor diesem heißen Atem, der langsam strömte aus diesem ruhenden Leib. Die Luft strömte ein. Feucht glänzten die weißen Zähne. Er bettelte in höchster Bestürzung; jetzt war er verloren; seufzte, sich an sie pressend: „Nun ist gut, Marion. Nun hab ich dir gegeben, was du wolltest. Geh jetzt weg. Lebwohl. Nicht wahr, du gehst, du wirst gehen, gleich aus diesem Zimmer. Ich habe viele Geschäfte, wir sitzen hier. Oh, Marion, geh doch. Warum sitzest du hier, was sitzest du hier.“ Dabei hielt er sie gepreßt. Von einem Dunst fühlte er sein Gesicht überzogen, als wenn es auftaute. Seine Hände schwollen schwer und heiß an, wuchsen zusammen. Die blonde Divoise richtete sich auf, löste seine Hände von ihrem Hals ab, lächelte, von ihm abrückend, ihm zugewandt, mit kaum gehobenen Lidern: „Jetzt werde ich gehen? Jetzt werde ich gehen? Wohin soll sie denn gehen, die Divoise, Marion. Sie weiß nicht. Komm her, Marduk, steh auf. Steh auf. Deine Beine sind nicht stark, aber stehen kannst du. Da stehst du. Warum soll sie denn gehen. Sie will nicht gehen.“ „Was willst du denn. Du sollst gehen.“ „Ich bleibe.“ Da war er von dem glühenden Hauch überströmt, der Sturm raste durch ihn, er stand da und sah zu, knirschte: „Bleib hier.“ Und sie ruhig: „Ich bleibe. Da bist du. Bist du nicht da.“ Er sie umschlingend, die stand, er stöhnte lachte wütete: „Ich bin da. Da hast du mich. Da hast du mich.“ Sein ganz offenes glührotes Gesicht, sein Kopf, der hin und her schleuderte, die Mienen aufgelöst. „Du, Marduk, sieh mich an. Ich habe schon viele Männer gehabt, weiße und farbige. Ich möchte mit dir eine Wette eingehen. Ich weiß, du willst mit mir kämpfen. Ich werde mit dir kämpfen. Wenn du mich zur Lust bewegst, wenn du Lust in mich bringst, wenn ich erliege –“ – Sie hatte ihm das Gesicht voll zugewandt, ihre Augen flimmerten, sie warf sich lachend auf die Bank, klatschte die Hände zusammen, ganz leise klang ihr Lachen. „Was ist dann?“ „Wer erliegt, Marduk, der muß weg.“ „Was meinst du?“ „Es ist eine große Wette.“ Ihre blaugrauen Augen flimmerten und drehten sich. In ihm schluchzte schlingerte es hin und her. Er war ihr dankbar; ah, sie war ein Weib. „Nimmst du den Kampf auf?“ „Wohl, wohl, Marion.“ Sie standen in Umschlingung, sie kicherte zitterte: „Wir müssen die Wette schließen. Ich glaube nichts. Ich weiß nichts. Dies ist die Seligkeit, die ich habe. Wenn ich lache, so mußt du nicht glauben, daß ich selig bin, weil ich am Ziel bin. Ja, ich bin selig, – und auch, weil hier mein Kampfplatz ist. Weil du mein Kampfplatz bist. Hier bin ich zu Haus. Dich wollte ich. Ich habe, habe dich unendlich gehaßt, ganz ohne Maß. Mein Haß war mein Rückgrat. Jetzt hast du dich gestellt. Ich kann dich nicht loslassen, ohne daß ich dich ganz bis in mein Mark hinein gefühlt habe. Ohne daß du mit mir gekämpft hast. Wenn du mich nicht zwingst, mußt du weg. Wer erliegt, muß weg.“ „Ja.“ „Verstehst du das; der muß weg. So will ich es. Wenn ich dir erliege, wenn ich an dir vergehe, sollst du mich bei der Kehle nehmen und umbringen. Oder was du willst. Das soll geschehen. Es gibt keine Gnade. – Ich bin schon da.“ Sie hatte den Lichtknopf geschlagen, das Licht war erloschen, das Kleid raschelte von ihr. „Ich bin da, Marduk, wo bleibst du.“ Eine ganz andere Stimme klang aus ihm, er hörte sie nicht: „Du sollst nicht auf mich warten.“ Sie griffen sich im Dunkeln an, warfen sich auf sein Bett. Das hilflose Geschrei in ihm war verstummt, er hatte sichere Arme, er wunderte sich nicht, woher er sie hatte, seine Hände waren fest wie sein Nacken. „Du hältst das wohl für ein Spiel“, stöhnte sie, „mein Lieber, da irrst du. Du glaubst wohl, ich sei ein verliebtes Weib, das sich hinwirft. Du irrst. Ich habe Dutzende Männer gehabt, sage ich dir, farbige und weiße, schöne zarte und starke. Die haben mich alle angefaßt wie du. Ihr seid mir nichts. Ich habe sie weggeworfen. Ich gebe dir meinen Schoß, du brauchst mich nicht zu zwingen. Du brauchst nicht danach zu drängen. Ich rate dir, Marduk, habe Geduld, dir liegt daran zu leben. Nicht wahr, du möchtest in diesem Zimmer sitzen, die Tafeln da blinken auf, du gibst deine Zeichen, du hast deine Waffen, man kann nichts gegen dich. Das – ist – in drei Minuten vorbei, Marduk!“ Der Mensch, der sich sonst Marduk nannte, gab zurück: „Ich habe keine Geduld. Du wagst es nicht.“ „Ich wag es nicht. Ich wag es nicht. Vielleicht will ich mir noch den Augenblick verlängern mit dir. Zittere ich etwa. Mit dir will ich ringen. Mit dir werde ich ringen.“ „Du hast das Licht ausgeschlagen.“ Sie hatte seinen Mund gepackt, ihr Mund lag auf seinem; sie stammelte zwischen seinen Zähnen. „Ich will mit dir ringen, nicht mit dir sprechen. Du dummes Mannstier. Du, was bist du denn. Haha, ich fühle dich, zottiger Kerl, bist du stolz auf diese wüste Brust, daß dir ein Bart an den Lippen wächst. Laß dich in den Bart ganz einhüllen. Ich habe schönere Dinge als du. Ich habe einen Busen, an dem Kinder getrunken haben. Meine Haare sind lang. Fein und lang und weich sind sie. Ich hab überall glatte Haut. Wenn ich gehe, auf meinen schönen festen Schenkeln, sehen die dicken unflätigen Mannstiere hinter mir her.“ „Warum hast du das Licht ausgeschlagen?“ „So ist es. Du kannst sprechen, was du willst.“ „Ich werde dir sagen, wer ich bin. Laß meinen Mund frei. Ich küsse dich nicht.“ „So sag es mir, so lang du noch lebst.“ „Du Unband, du weiches warmes Wesen, ich hab nicht nötig dir zu sagen wer ich bin. Du willst dich vor mir verstecken.“ Eine rasende Angst zuckte, dunkelte in ihr auf: „Mein Gott, wer spricht da, mit wem hab ich mich eingelassen? Was hab ich getan? Das wollte ich nicht.“ Und dann wieder flutend: „Das wollte ich doch. Das will ich. Das willst du, o Marion Divoise.“ Sie flehte: „Bist du, Marduk, der den Saal vertrieben hat, ich will es hören.“ „Du weißt es.“ „Und willst du nicht fragen, Marduk, o Marduk, wer ich bin. Willst du es nicht?“ „Balladeuse, wer du bist, die Dutzende Männer gehabt hat, farbige und weiße, starke und zarte, werde ich bald erfahren haben.“ Da schrie sie. Und wie er seine Lippen zwingend gegen ihren Mund preßte, umschlang sie ihn. Eine dunkle wallende Verschwommenheit war in ihm, war Marduk. Und in dem Weinen Toben Grimmen war die Gnade, die Seligkeit aus der Balladeuse genommen. Sie hielten sich bewegungslos. „Ich habe dich, Marduk. Du hast mich. Du willst es so. Wir entgehen einander nicht. Ich habe dir die Wette angeboten; ich werde dich nicht um Gnade anflehen. Ich bin gewappnet. Du möchtest mich mit deinen Knochen zermalmen. Du mußt nicht glauben, daß du stärker bist als ich, du feiger Marduk, schwacher Marduk; mich begnadigst du nicht.“ „Wenn ich dich sehen könnte, Balladeuse. Wie gut, daß ich deine Stimme höre. Sprich nur weiter.“ „Wie gut, daß ich dich höre, Marduk. Ich besinne mich wieder. Daß ich dich nicht vergesse. Weißt du schon, warum ich dich herausgefordert habe? Um dich zu demütigen. Um dich erbärmlich zu sehen. Es wird mir in drei Minuten gelungen sein. Jetzt erschreckst du mich nicht. Jetzt reiße ich den Vorhang von dir herunter.“ „Sprich nur weiter, Balladeuse.“ „Jetzt willst du meinen Mund. Weil du ein Mörder bist. Weil du nur Mord kennst. Und mich ersticken willst. Mein Mund ist nicht für dich. Du möchtest träumen.“ „Ich werde aufstehen und einen Dolch gegen deine feigen Worte nehmen.“ Sie jubelte: „Darauf wartete ich schon. Darauf wartete ich. Marduk, tus doch. O tus doch.“ Er schlug mit der Faust gegen die Wand; leiser Lichtschein kam von der Tür her. Sein großer zerwühlter Kopf erhob sich, schnaubend, das verzerrte Gesicht, die brennenden sie suchenden Augen. „Wer, wer will träumen, Divoise? Wer träumt?“ Ihr Blick wurde starr. Dies war er, Marduk. An diesem Leib hing sie. Diesen Rumpf hielten ihre Arme. Und sie. Die Feueresse sie, die stumme überflutete, sagte nicht „Seligkeit“; der heiße Atem strömte langsam aus ihr, aus diesem ruhenden Leib, die Luft strömte ein, feucht glänzten die weißen Zähne. Weg riß es ihn im Nu. Er schmolz. Das blitzrasch im Zickzack durch die grauen Wolken irrende Flugzeug. Was ist Leben und Sterben. Sein Mund stand offen. „Jetzt stirbst du, Marduk.“ „O Marion“, sagte es aus dem heraus, der Marduk geheißen hatte, „ich werde jetzt sterben. Du – bist die Seligkeit. Gott verzeih uns beiden.“ Nichts hörte und sah sie. Ein Zittern durchfloß sie, ein Schwirren Dröhnen durch ihren Kopf. Er fühlte nicht, wie ihre Hände ihn von sich stemmten, wie eine Kraft in ihre Muskeln trat, die sie nie gezeigt hatten. Der dunkle brennende Kopf, der schnaubende sich erhebende Kopf, Marduks Kopf war vor ihren Augen stehengeblieben. Ihre erblindeten Augen hielten nur ihn fest. Die Seligkeit überstieg überschritt durchbrach es. Der Kopf senkte sich über ihren Hals, an ihre Brust, durch die Rippen, in ihre Brust hinein. Hinein in ihre Brust. Sie biß sich die gefühllose Lippe durch. Schluckte schluchzte kurz auf. Dies war die Wette. Der Schauer. Der Graus. Die Arme fielen von ihr. Tiefe Schwärze. Die furchtbare eisenklirrende zerreißende Qual der Lust. Die streckte sie auf das Laken hin. Sie saß neben Marduk auf. Sie schüttelte sich. Im Dunkeln tastete sie sich an die Bank. Marduks Stimme: „Wer geht?“ „Ich. Ich sitze hier. Ich sitze auf der Bank.“ Nein, sie war nicht vor Marduk erlegen. Das, das mußte etwas anderes sein. Das war etwas anderes, Entsetzliches. Sie sank vor der Bank auf die Knie, sank flach über den Boden hin. In den Händen etwas zu haben, etwas Weiches eine Puppe ein Kind. Sie streichelte den Boden. „Auf, auf“, weinte es in ihr; „ich will nicht leben.“ Sie taumelte, ging sehr leise auf den nackten Sohlen. „Wer geht da? Du, sieh dich vor an den Wänden.“ „Ich will nur an das Fenster gehen.“ Am Fenster aber stand sie, winselte schluchzte die Balladeuse im geschlossenen Mund, trommelte mit den Fäusten gegen die Wand. Wimmernd ächzend riß sie das Fenster gegen die schwarze Nacht auf, lag mit dem Leib halb über der Umrahmung; tauchte, den Kopf voran, sich tiefer. Hob die Beine an, kreischend. Als Marduk anlief, kippte sie; schlugen die Beine hoch. Das schwarze große Fenster war leer. * * * * * Marduk stand mitten im Zimmer. Schüttelte den Kopf. Ging zum Fenster, strich am Brett. Schüttelte an sich. Dann. Runzelte die Stirn, hob die Fäuste, zog sich, das Kinn anhebend, knirschend auf den Boden ein. Er bückte sich mit dem Mund auf den Boden, drückte den Mund an. Sein Kreischen drang durch. Die Wache lief an auf dem Gange. Der Hauptmann der Wache klopfte schlug an die Tür, öffnete trat ein. Hob Marduk, zuspringend, auf, der mit gerunzelter Stirn an ihm hing, vor sich stierte und schrie. Er setzte ihn auf das Bett, kleidete ihn an. Führte den schüttelnden zitternden drängenden Mann durch das Zimmer. Der ging nur bis zur Zimmermitte und dann rasch zurück, fragte immer: „Was tu ich hier.“ Plötzlich krampfte er sich zusammen, machte sich steif, ließ den Hauptmann los, schrie die Arme weitend: „Wache, Wache!“ „Konsul, ich bin hier.“ „Lärm. Lärm. Ich will Lärm.“ Und gegen die Metallrückwand seines Tisches schlug er mit der Faust: „Ich will Lärm. So. Lärm.“ Er stürzte neben dem Hauptmann auf den nächtigen Hof. Man hatte die Zerschmetterte fortgetragen. Er schüttelte brüllte: „Lärm, Lärm.“ Die Soldaten schlugen gegen Blechschirme. Sie schmetterten mit Eisenstäben gegen die Platten. Es war nicht genug. In einem schwarzen engen, immer dichteren Kreis Männer stand er, die die Platten schlugen. Wehklagend, die Arme hochstreckend stürzte er über sich. Sie durften den Rest der Nacht nicht nachgeben. Gespannt stand er in dem Kreis, zitterte schrie näherte sich den Männern im Zickzack. Das Tosen scholl in die Stadt hinein. Als es hell wurde, ließ er ein Bett in ein leeres Zimmer tragen. Da lag er bis zum Mittag; der schwarze stille Hauptmann wartete bei ihm. Diesen Mann ließ Marduk nicht aus dem Zimmer. Vor ihm weinte keuchte lechzte er sich aus ohne Scham. Am Mittag verließen sie das Zimmer. Die schneeige Gestalt Jonathans an der ersten Treppe. Jonathan stürzte an Marduk, der die Zähne zusammenbiß, herunter, hielt sein Knie umfaßt. Es war, wie er den Kopf anlegte, als ob er um Verzeihung oder Gnade flehte. Ungeduldig bewegte der Mann oben die Knie, dachte nicht, warum der junge Mensch niederfiel. Den Umhang raffend stieg er auf sein Zimmer. „Wir werden – arbeiten“ sagte er mit übergroßen glasigen Augen zu dem Hauptmann. Sprach empfing ordnete. Dachte zwischendurch: „Ich höre nichts. Ich sehe nichts. Was geht vor.“ Leichenblaß matt schlich gegen Abend Desir, der sanfte Freund der Balladeuse, in das Gebäude. Er wollte nicht zu Marduk. Als der von ihm hörte, ließ er ihn holen. Sie standen sich gegenüber. Dem stummen Desir quollen die Tränen aus den Augen. Er ging zum Fenster, aus dem sie gefallen war, streichelte das Brett daran, warf sich am Fenster auf die Knie, schluchzte von Marduk abgewandt. „Du denkst, Desir“ zischte er plötzlich, „ich hätte Marion umgebracht.“ Der stammelte: „Ich weiß nicht, was ich denken soll.“ „Komm her, Desir, komm.“ Und wie er anschlich, betrachtete ihn Marduk lange, hielt sich, den Mann umschlingend, an ihm fest, murmelte: „Sie, sie – war gut zu dir. Du hast ihr wohlgetan. Es war gut, Desir.“ „Warum ist sie gestorben?“ „Nicht fragen, Desir. Nicht fragen.“ Und hatte den andern schon losgelassen, war schüttelnd auf den Boden gefallen, schrie stopfte sich hilflos ein Tuch in den Mund; Desir hielt ihn kniend, selber weinend. Am nächsten Morgen wurde der zerbrochene Körper der Balladeuse verbrannt. Marduk mit dem schwarzen Hauptmann und Desir wohnten der Verbrennung bei. „Ich möchte dir etwas Gutes antun“ preßte, wie sie die Halle verließen, Marduk hervor neben dem leichenähnlichen Desir. „Du wirst dann, ich möchte dich darum bitten, die Stadt verlassen. Geh weit weg, mit dem Kinde. Ich werde es dir ermöglichen.“ „Was habe ich dir getan, Marduk?“ „Nichts. Du wirst mir die Liebe antun, da dich nichts an die Stadt bindet, wegzugehen. Du machst mir eine Freude, Desir. Du wirst es tun.“ Der blickte den Konsul an, der obwohl er starr ging, so weich zu ihm sprach wie nie. An der Treppe des Ratsgebäudes stürzte Desir an Marduk herunter: „Mir ist ein großes Leid geschehn.“ „Ich weiß, ich weiß“ flüsterte Marduk „aber du wirst die Stadt verlassen.“ Er nahm den andern beim Arm. Im Vorraum, in der einsamen blumenbestellten Glashalle, drückte er ihn an sich, hauchend: „Jetzt ist sie weg, weg, Desir. Die Balladeuse ist weg. Jetzt ist es leer. Sie ist Asche. Asche. Asche. Zu mir ist sie gekommen.“ Er zitterte fror knirschte mit den Zähnen: „Warum ist sie zu mir gekommen? Was hab ich ihr getan, daß sie – wegging? Ich habe ihr nichts getan. Sag mir, du hast sie gekannt: was hat sie von mir gewollt. Sie hat mich zerbrochen und dann ist sie weggegangen. Warum, warum?“ „Sie sagte, daß sie dich haßte, Marduk.“ „Ich habe ihr nichts getan. Sie ist dagewesen. Sie hätte gehen können.“ Marduk hatte den andern losgelassen, schüttelte mit den Armen: „Geh weg, Desir. Ich will gar keine Antwort. Steh hier nicht.“ Desir mit verträumten Augen wankte zur Tür. Marduk rang sich hinter ihm ab: „Desir. Trage es mir nicht nach. Komm noch einmal. Komm.“ Er umarmte ihn. „Du hast sie nicht geschickt. Meine Feinde haben sie nicht geschickt, Desir. Was war in ihr. Warum mußte sie davongehen. Und du hast sie lieb gehabt. Lieb. Lieb. Bist jahrelang bei ihr gewesen.“ „Was hast du mit ihr gemacht, Marduk?“ „Nichts, nichts, ich schwöre. Ich bin ja zerbrochen, zerbrochen. Siehst du es nicht.“ Und das hilflose Zittern. Desir löste sich, ging. Verließ die Stadtlandschaft, wanderte im Westen herum. Man hörte sehr früh davon, daß er gegen den verbrecherischen Marduk agitierte. Die Politik des geschlagenen Marduk änderte sich nicht. Schwächer fühlte man ein Jahr lang seine Hand über der Stadt. In grämlicher Bitterkeit vegetierte er, fast von Monat zu Monat stärker ergrauend. Er schien ohne innere Anteilnahme, nur aus Gewohnheit die Dinge weiterzutreiben. Die näher bei ihm waren, wußten, daß er auf seinem Zimmer oft verzweifelt winselte. Einige hatten damals den Eindruck, es genüge, ihm auf die Finger zu schlagen, um seine Richtung zu verändern. Man vernachlässigte herausfordernd den Abbau der Mekifabriken, betrieb die Niederlegung von Gebäudereihen, den Aufschluß der Bodenerträge. Er hatte schon lange nichts von Jonathan gehört. In dem Zorn seiner Tätigkeit hatte er nicht mehr den Hinweis auf diesen Schmerz bedurft. Breiter schwerer war Marduk geworden, mit eingezogenem Kopf, kleinen zwinkernden Augen, grauen Haarbüscheln an den Schläfen. „Ich bin schon grau, Jonathan, findest du. Und du, laß dich sehen.“ Schlank und reif Jonathan, im langen Silbermantel; zögernd leicht furchtsam bot er dem Älteren die Hand. „Du sollst mir helfen, Jonathan. Ich hab wenig Hilfe.“ Ob er bedroht sei. „Nein, man bedroht mich nicht.“ Lächelnd matt setzte sich Marduk; seine Zimmerwand schimmerte weißlich, als sei sie mit Blech beschlagen: „Was treibst du Jonathan, den Tag über, den Monat über.“ „Den Tag über?“ Er arbeitete wie viele andere an einem Moor; es sei keine kleine Arbeit. „Du machst mir einen Vorwurf. Du meinst, es sei eigentlich nicht nötig, ich könnte die Fabriken erweitern.“ „Nicht, Marduk. Ich meine das nicht.“ „Hast du andere Wünsche?“ Als Jonathan schwieg, ihn staunend ansah, saß Marduk schweigend matt da. Die Wache öffnete die Tür; ein bräunlicher Mann, Senator einer westlichen Stadtschaft, trat ein, verneigte sich tief vor Marduk, wagte kaum, sich aufzurichten. Marduk fragte ihn in seiner grämlichen Art nach Namen Absichten. Er wollte nur Marduk sehen, sich vor ihm verneigen. „So“ lächelte Marduk bitter „dazu kommst du her. Das nützt mir nichts, mein Freund. Das stört mich. Ihr braucht euch vor mir nicht sehen zu lassen. Ich will dir etwas sagen: ihr taugt nichts.“ Und als der gegangen war, murrte er, er werde sich in Stein aushauen lassen: dann hätten sie den Stoff, der sie seien, und sie könnten sich davor verbeugen, soviel sie wollten. Es ereignete sich, daß nach Jahren zum erstenmal Marduk in einer Senatssitzung erschien, unangemeldet, ohne ein Wort zu sprechen saß und wieder ging. Öfter kam er, horchte ging. Sein sorgenvolles ruheloses Umherwandern in der Stadtschaft. Er wurde einmal auf eine ungeklärte Weise, wahrscheinlich durch ein ungesehenes Gas, im Nordteil der Stadt betäubt und noch rechtzeitig von der ihm nachspürenden Wache aufgefunden. Als Jonathan ihn besuchte, seine helle Verzweiflung: „Sitz ich nicht wie in einer Falle. Wie lange dauert es und sie schlägt zu. Sie belauern mich von allen Seiten. Sie haben Waffen. Sie arbeiten. Ich kann nichts tun. Nicht einmal das kann ich.“ Und immer wieder: „Nicht einmal das.“ Er drängte Jonathan plötzlich ängstlich zu sehen, ob jemand vor der Tür sei, und als Jonathan zurückkam, brach er in einen Weinkrampf aus. „Sie können nichts. Ich wache über sie. Vor dem Uralischen Krieg war es nichts und jetzt ist es nichts. Wir sollen alle verderben. Weißt du, daß ich dich schon lange nicht gesehen habe. Weißt du, welchen Tag wir heut schreiben.“ Er studierte, auf dem Bett sitzend, Jonathans Gesicht. „Heute ist der Jahrestag meines Einzugs in die Stadt.“ „Ja.“ „Komm näher, Jonathan. Was war noch damals. Laß mich besinnen. Damals ließ ich dich rufen, ich ließ dich nicht fesseln. Dann habe ich mit dir eine – Ehe geschlossen.“ „Laß das, Marduk.“ „Ich weiß es noch gut. Es tut mir wohl daran zu denken, lieber Bruder. Es war eine finstere schreckliche Zeit. Aber sie war gut. Ich war der Nachfolger Markes.“ „Ich will gehen, Marduk, ich will gehen. Ich bitte dich, laß mich gehen.“ Marduk der Graubärtige zitterte. Er sah begierig bang den Jungen an, fühlte, daß er sich den Tod wollte, daß er ihn schon halb litt. Sein Körper schüttelte; er murmelte: „Wie die Versuchung sich mir immer wieder nähert. Jetzt kommt sie von dieser Seite. Ich hab es nicht erwartet.“ Stark atmend schob er an einer Vase hin und her, drückte sie dann klammernd fest auf den Tisch. Jonathans zarthäutiges Gesicht loderte, die linke Hand hielt er sich vor die Stirn. „Es ist gut, Jonathan, laß nur sein. Ich will dir zu Hilfe kommen. Ich will dir zeigen, warum du nicht gut von mir denkst.“ Er zog ihn durch die Tür über den Gang ans Fenster: „Hier siehst du es. Da liegt die Stadt. Du denkst, wie die Straßen früher gefüllt waren. Wie die Häuser aussahen und was ich alles angerichtet habe. Dies ist die Stadt. Sie versumpft verwahrlost verfällt. Das ist Marduks Gesicht. Sag es mir geradeheraus. Ich bin ein geduldiger Zuhörer.“ Stiller blickte ihn der Jüngere an, wie auf den bitteren bartumwucherten Mund ein grellroter Sonnenstrahl fiel. „Was du denkst, Jonathan, ist mir keine Neuigkeit. Ist kein Geheimnis. Viele denken es. Wenn ich keine Waffen hätte, wäre ich seit Jahren verschwunden. Sie beschuldigen mich, daß ich sie zugrunde richte, weil ich sie auf die Äcker treibe.“ „Ich beschuldige dich nicht, Marduk. Ich bitte dich ja, daß du mir verzeihst.“ „Ja ich weiß, du hattest mich schon einmal um Verzeihung gebeten. Auf der Treppe. Oder was war es. Damals. Du fielst, glaub ich, vor mir nieder. Laß gut sein.“ Er zog sich vom Fenster zurück, in das Zimmer, hielt eine Stuhllehne stumm eine Zeit gepackt; aus seinem Mund kam dann: „Ich sage dir, ich bin nicht schuld an dieser Erbärmlichkeit. Nicht ich. Ich kann nicht mehr tun. Wie ich den Stuhl in das Zimmer werfe, so sind die Menschen: sie können nichts als poltern und hinfallen, wenn man sie anfaßt. Uns fehlt etwas. Was fehlt uns. Mir ist ja nichts mehr gegeben, Jonathan. Ich kann ja nicht mehr. Sie sind schon zu Tausenden weggelaufen. Zum Schluß werden sie meinen Kopf nehmen. Als wenn sie dann etwas hätten. Ich bin imstande ihnen nachzugeben. Aber – ich tu es nicht. Bin ich schlecht, so gibt es noch Schlechteres als mich. Ich irre herum, aber über ihnen bin ich doch. – Ich bin schlecht, nicht wahr Jonathan?“ Er legte hauchend seine Stirn auf die Schulter des andern. „Du bist nicht schlecht. Wenn ich wüßte, wie ich helfen könnte.“ „Du zwingst dich. Du sagst mir etwas Gutes, Jonathan, weil ich dir leid tue. Im Grunde meinst du etwas anderes. Bleib bei mir stehen. Du mein Bruder, der mich haßt.“ „Ich möchte dir helfen, Marduk, mit allem, was ich kann. Du mußt mir zeigen. Ich will zu dir kommen und neben dir sitzen, Marduk, halt mich nicht für ein Kind. Ich bin dir nicht gram. Ich finde, wahrhaft, in mir nichts an Gram gegen dich. Ich habe dir vieles abzubitten. Gib mir Gelegenheit, Marduk, mich dir gut zu erweisen. Wer bist du, wer bist du, du armer Mensch.“ „Nicht so sprechen, nicht so sprechen“, zitterte der andere, „bleib immer so stehen bei mir. Hab ich mich vor dir enthüllt als Armer. Es sind alle arm. Nicht ich allein. Wir verderben alle. Wo ist Rettung.“ Er löste sich von Jonathan. Mit vibrierendem Gesicht, zwinkernden Augen, bösen kleinen Blicken auf den Jungen ging er um den runden Tisch, stierte von drüben den andern an: „Es ist etwas faul bei mir. Ich bleibe noch eine Weile hier im Haus. Das ist mein Mauseloch. Ich helf mir schon. Jonathan, ich helf mir schon allein. Sieh meine grauen Haare an. Vor einigen Jahren waren sie wellig und glatt. Jetzt stehen sie wie Borsten auf. Das ist das Schicksal dieses Landes. Man wird mich vielleicht bald aus dem Haus heraustragen. – Es ist genug jetzt. Ich fürchte, ich werde zum Schluß meines Lebens noch sehr böse.“ Als Jonathan ihm zum Abschied die Hand gab, hielt Marduk diese glatte warme Hand eine Weile mit seinen beiden fest. Mit einer leichten zwangmäßigen Gegenbewegung entzog sie ihm der Jüngere. „Ich werde ihn nicht mehr besuchen“, dachte Jonathan, als er frierend die Treppe herunterstieg. Entschlossen in tiefer Seele war er. „Niemals, niemals mehr werde ich ihn besuchen. Und wenn er mich tötet, mich ins Gefängnis steckt, alle Martern an mir vollstrecken läßt. Ich werde ihn nie besuchen.“ Ein riesengroßer Abscheu vor Marduk ging durch ihn. Er war hingerissen von der Gewalt dieses Abscheus. Und als er draußen war, lief er seitlich in stille Parkanlagen. Lief weinte schlug sich die Brust vor Widerwillen Empörung grenzenloser Scham. „Die Schmach“, dachte er, „die mir dieser Mensch angetan hat.“ Ein Ekel schwamm in seinem Mund. Er spie es von sich. Drängte langsamer zum Park hinaus. Als er wieder Menschen sah, konnte seine Brust tief und voll atmen. Er verachtete Marduk. „Ich gehe niemals zu ihm. Es wäre wirklich gut, man beseitigte diesen Graukopf. Der Staat könnte nur gewinnen. Alle könnten dabei gewinnen.“ In der Tat wankte Marduk damals. Er, der sonst einsam auf den Zentralen saß, ging mit deutlicher Unsicherheit herum, sah hier zu, dort zu, fragte. Es geschah oft, daß er von seinen Wachen gebeten wurde, auf sich zu achten, weil er sich in schlimme Lagen begab. Man sah den Konsul mit einem Hund durch die Straßen gehen, einem großen starken Wesen. Das Verschwinden des Tieres beendete diese gefährliche Epoche Marduks. Da verließ er die Straßen. Er war der alte immer Entschlossene, dem, wie viele sagten, an nichts so gelegen war wie an der raschen Entvölkerung der Stadtlandschaft. Viertes Buch. Die Täuscher Weich und schlank, mit einer gebundenen, oft sprühenden, leicht sich erhebenden Freudigkeit ging Jonathan durch das Ratsgebäude. Bänder und Federn hingen an ihm. Er galt als der Trabant Marduks. Etwas von dem Schrecken, den der Konsul einflößte, ging auf ihn über. Es machte ihm Freude, den Schrecken zu gebrauchen. Wenn er in der Dämmerung durch die Straßen schlenderte, die leerer lichtloser lärmloser waren als früher, fiel ihm öfter seine Mutter ein. Vor seinem stolzen in sich gekehrten Blick stand sie, nicht mehr mit klaffenden Schultern, bewegungslos hängenden Armen. Unter seinen stolzen schmelzenden Blicken, unter den leidenden schmerzgesättigten heischenden bewußten Blicken gab sie nach. Von seinem Mund, seinen Wangen floß es her: sie war eine ferne sich weit hinbreitende grüne Landschaft, Wipfel Äste und Laub, Himmel darüber. Das war, er fühlte gesättigt, seine Mutter. Als er einmal dem Ratsgebäude sich näherte, – der Ernst umschwebte ihn, seinen silbernen Mantel hatte er eng an sich gezogen, – saß da eine gelbbraune junge Person, die geschlafen hatte und ihn gerade auf sich zukommen sah. In einem jähen unsinnigen Schrecken wollte sie in das Gebäude. Das war verschlossen. Sie lief im Augenblick, stürzte die Straße entlang. Erst da achtete Jonathan auf, sah sich nach allen Seiten um, wer das Mädchen verfolgte. Verblüfft sah er nichts. Er war es selbst. Er rannte halb hinter ihr her ohne zu wollen. Straßen nach Straßen. Das Mädchen lief angstvoll, schrie. Seitlich Gehende erkannten Jonathan, blieben lachend stehen. Er stürzte lang hin. Sie stand im Augenblick erschreckt, rannte zaghaft, sich oft umdrehend, weiter. Er war verärgert, sein Knie brannte. Er verstand das Ganze nicht. Jäh stürzte er nach. Sie lief langsamer im Kreise. Er warf sie von rückwärts auf das Pflaster. Erbittert bückte er sich über sie, die auf dem Gesicht lag, zog sie an dem Kragenausschnitt hoch. Sie wehrte sich nicht, hielt den Arm vor das Gesicht. Er schrie, was sie am Ratsgebäude zu tun gehabt hätte. Sie wimmerte, ohne das Gesicht zu zeigen, daß sie Hausgehilfin sei und den Hund der Frau beschädigt hätte und die Frau hätte geschworen, sie gehe direkt zu Marduk und werde Anzeige erstatten. Jonathan fiel es ein zu sagen, die Frau hätte schon Anzeige erstattet und er werde sie vor Marduk führen. Sie kam nicht von der Stelle, bettelte, zeigte ihr fremdländisch faltenlos linienlos glattes Gesicht, die leicht abgeplattete Nase, einen weiten törichten Mund. Er verbat sich ihr Reden, sie mußte mit. Mit heimlicher Freude führte er sie streng durch die Straßen. Dann gab er sie in ihrem Hause ab, wo er Furcht erregte durch die Bemerkung, er sei von Marduk geschickt. Wie es dem Hunde gehe. Die Leute zeigten furchtsam das Tier, das hinkte. Er erklärte, daß Marduk sein Augenmerk neuerdings stark auf Hunde richte. Man dürfe nicht glauben mit dem Vieh umzugehen, als sei es beliebiges Sacheigentum. Einige Tage ging er noch hin, ließ sich, scheinbar sachverständig, den Hund zeigen. Einen Heilkundigen brachte er mit. Der katzbuckelte vor Jonathan, konstatierte an dem Tier mehrere Krankheiten; Jonathan wünschte, daß er das Tier behandle. Abende und Nachmittage verbrachte Marduks Freund jetzt in dieser Gesellschaft. Eine ganze Zahl zerlumpter Frauen und Männer saßen da zusammen, rauchten diskutierten. Es waren Leute, die sich nicht der schweren Arbeit zuwenden wollten, nicht den Entschluß aufbrachten auszuwandern, auch viele Kranke. Solche Ansammlungen waren viel in der Stadt. In den Jahren von Marduk war die Stadtlandschaft ein halbes Feldlager. Es kam wenig zu Gewalttätigkeiten; Marduks Horden zogen stark durch die Anlagen. Damals trat Berlin, das sonst in Häusern und Fabriken hockte, ganz auf die Felder und Plätze. Die Menschen nahmen Fühlung zueinander. Ein Gefühl der Unsicherheit und Unwirklichkeit lag auf allen. In diesem Jahr erlebte Jonathan Dinge von einer Schönheit und Süße, wie er sie nie gekannt hatte. Er nahm Elina, das Mädchen, das er verfolgt hatte, zu sich, verließ mit ihr die Stadt. Durch Hamburg Frankfurt Genf, die südlichen Stadtlandschaften fuhr er. Die erregtere Luft. Die heftigen ungebundenen umeinander wallenden Menschen. Spöttisch hörte er überall die tiefe Ehrfurcht vor Marduk. Mit ängstlicher Neugier wurde er nach den Dingen Berlins befragt. Von dem Augenblick an, wo das junge zahme Wesen, Elina, sich an ihn hielt, hatte er keinen Sinn mehr für die Dinge der Stadt. Er war nach einem Monat, als er am Mainufer mit ihr saß, erschüttert von dem Gedanken an die Ereignisse, die hinter ihm lagen, von dem Segen, der sich an ihm erfüllte. „In was für Schrecken hat er mich hineingezwungen“, flüsterte er, während sie in der sommerlichen Luft sich neben ihm auf der Uferwiese ausstreckte und seine Hand mitzog, „ich kann sie kaum ausdenken, Elina. Sag, Elina, kommt es wohl vor, daß Menschen aus der Hölle entlassen werden, in ein anderes Stück der Ewigkeit, und daß sie das Gedächtnis an das Frühere behalten? So geht es mir.“ „Aber du vergißt doch schon, Jonathan.“ „Ja, es scheint mir ganz unglaubhaft, was ich getrieben habe, Elina. Laß mich einmal die Augen zumachen; gib mir auch deine andere Hand. Es ist wunderschön hier. Wie ist es möglich, daß solche Dinge geschehen wie die, die ich erlebt habe! Wie können Menschen sich so bewegen! Ich! Ich verstehe nichts, nichts mehr davon. Daß ich in der Stadt bleiben konnte, daß ich mit ihm umging. Wahrhaftig, er hat recht: ich wollte ihn sogar umbringen. Was ging er mich nur an. Ich brauchte doch nur ein paar Schritt vorbeizugehen.“ „Sprich doch nicht von ihm. Warum sprichst du nur von ihm, Jonathan. Ich kann dir viel schöne Dinge erzählen. Ich werde dir erzählen – von der armen dummen Elina, die einmal auf einer Steintreppe saß und an einen Hund dachte.“ „Nein, es ist nicht nötig, Elina. Es ist ja alles vorbei. Wie vorbei. Ich traure ja beinah um ihn. Er ist noch drin, in der Hölle.“ „Leg dich zu mir herunter. Du bist viel schöner als ich bin. Sag mir, was ich bin. Erzähl mir von mir. Ich möchte etwas von mir hören.“ Jonathan, dem sie den Kopf auf den Schoß legte, lachte herunter: „Wir sitzen wie ein Märchen auf der Wiese.“ „Wie heißt das Märchen?“ „Ich weiß noch nicht. Früher habe ich oft mit Frauen gespielt. Es war nicht wie mit dir.“ „Ich bin anders, ich bin besser?“ „Viel besser. Warum siehst du mich an. Du glaubst es nicht. Die Frauen –“ „Nun? Sie waren viel schöner als ich.“ „Ich kann mich nicht mehr besinnen, wie sie waren. Aber du bist wie eine Glocke in einer Kirche am Sonntag. Man sieht sie nicht, man hört nur etwas Luftartiges von ihr. Man sagt, es ist die Glocke, die läutet. Und wer fromm ist, geht drauf zu, wo der Klang herkommt. Und selbst wenn man in der Kirche sitzt, sieht man die Glocke nicht, die läutet, kann eigentlich gar nicht sagen, daß es die Glocke ist, die läutet. Du bist da, ich höre und sehe dich; ich sitze auf der Wiese am Main. Ich kann dich genau beschreiben. Das bist du.“ Sie richtete sich auf, zog die Unterlippe herunter, nahm ihre Hände weg: „Im Grunde ist es dir dann gleich, wer ich bin. Brauchst dich doch nicht um mich kümmern. Bimmele dir etwas vor, und du sagst: es bimmelt und bist zufrieden.“ „Eben.“ „So kann ich sagen was ich will? Auch nichts sagen? Vielleicht auch weggehen?“ „Nicht weggehen. Du kannst dich rühren und bewegen und du erfreust mich. Gott, sagt der und der, hat jedes Haar auf dem Kopfe gezählt. Ich auch. Komm her. Ich habe jedes Haar, jede Strähne gezählt, kenne sie ganz genau, besser als der Gott, denn sie sind mein. Und deine Nase und dein Mund und deine Füße in roten Strümpfen und dein Kleid: das bist alles du und ich brauch gar nicht drüber nachdenken.“ „Von dir aber kann ich sagen, Jonathan, wer du bist.“ „Ach tu es nicht.“ „Warum nicht. Ich kann es doch. Ich kann es dir mit zwei drei Worten ganz genau beschreiben. So genau, daß jeder gleich weiß, wer es ist und sagt, das bist du.“ „So sag.“ „Du bist Elinens liebster Mensch. Du bist meine Freude. Mein trüber Himmel und mein sonniger Himmel. Mein Jäger mein Räuber mein Wald mein Haus meine Stube mein kleines Kissen. Meine zerbrochene Scheibe, meine ganze Scheibe. Ich kann dich streicheln und du gehörst zu meiner Haut zu meiner Hand. Mein Auge mein Ohr meine Stirn meine Brust. Du alles. Nun weißt du, wer du bist.“ Sie hielten sich. Er lächelte, während sie die Linien seines feinen Gesichts mit Küssen nachzog und über seinen Augen lange stillhielt. „Mach die Augen auf“, rief sie, „du träumst ja schon wieder.“ „Nur schöne Dinge, Elina. Ich dachte, wie du mich in das Haus gesperrt hast, als die Leute auf mich losgingen, weil sie Marduks Freund nicht wollten. Da hast du den Schlüssel verloren und mußtest mir zum Fenster hinaushelfen. Ich bin statt auf deine Schulter zu steigen an dir vorbeigesprungen, auf meinen Arm.“ „Der wieder gut ist.“ „Damals habe ich mich zum ersten Male, in deinem Zimmer, nach dir gesehnt. Du solltest kommen, dacht ich mir; Marduk verdirbt mich. Jetzt ist die Stunde für dich, die mich schon eingesperrt hat für sich. Aber es war still. Du kamst nicht.“ „Ich hab die Schlüssel nie wiedergefunden.“ „Und ich freute mich, wie ich dich weinen und betteln hörte draußen. Kein Wort hab ich gesagt. Mit dem Gesicht lag ich an dem Türholz. Eingesperrt war ich, aber frei. Freier Jonathan. Nach einigen Stunden war er auch frei.“ „Nun sind die Augen wieder auf.“ Sie wohnten nahe dieser Wiese in einem Gehölz, zwei Tage, in einem künstlichen Haus, wie es Lustreisende damals viel brauchten. Das Haus oder Zelt bestand aus gazeartigen Tüchern, die man an einem Gestell befestigte, das nicht dicker als ein Streichholz war. Das Gestell war aus leichtestem starken Metall. Sie setzten, wo es ihnen wohlgefiel, aus ihren Tornistern das Gestell auf den Boden. Eine Gasflasche wurde angeschraubt und leicht erwärmt. Die doppelwandige Gaze prallte Seite an Seite hoch, stand fest und hart wie aus Beton. Fußboden und Decken wurden so errichtet. Fenster und Türen, schwarz oder durchsichtig, konnten eingefügt werden. Das einzimmrige Häuschen wurde wie ein Schiff verankert. Und überall in schönen Gegenden fand man Pflöcke mit Ketten und Zeichen, die die nächsten Ankerplätze angaben. Aus Fußboden und Wand konnten bei manchen dieser Häuser Betterhebungen vorgetrieben werden aus polsterartiger Substanz, Schrankvertiefungen Bankerhöhungen. Jonathan wohnte da mit Elina. Sie trug an ihrem Körper mit Freuden ein Hemd, das sie sich in Frankfurt gekauft hatte. Sie hatte es unbemerkt vor Jonathan gekauft. Es war in der Stadtschaft als ein zauberhafter feiner Stoff von den Frauen geheimnisvoll angepriesen. Ein weicher Stoff war es, vom Aussehen dünnster Fischschuppen, ein lebendes Gewebe, das man wie Perlen auf warmer feuchter Haut trug, mit deren Atmung es gedieh. Dann teilten sich die Zellen, Myriaden. Eine Haut unter der ersten erschien, dichter enger an der menschlichen Haut, der sie auflag, über der sie kaum ablösbar hing. Die obere Haut trocknete ein, stäubte ab. Weiß war die Farbe des Hemdes, das man kaufte. Nach einer Woche trat unter dem Ergrauen und Abschilfern des Mutterhemdes eine grüne Farbe hervor. Dann vollzog sich der Vorgang, der ein Generationswechsel war, weiter; rot trat hinzu, violettes Schillern. Die Moosstoffe, aus botanischen Versuchsstätten, waren sehr sorgsam zu pflegen. Er saß bei ihr am Bett. „Elina, komm nach Berlin.“ Elina war heißer und fremder geworden. „Ich mag nicht. Es ist hier viel schöner. Du brauchst längere Zeit, um alles zu vergessen.“ „Komm Elina.“ „Ich mag nicht. Was forderst du von mir;“ sie warf den Kopf zurück. „Hätte ich die Reise nicht mit dir gemacht.“ Sie lachte gurrend: „Seid Ihr ängstlich, daß Ihr Euch nicht in fremde Städte wagt. Du und Marduk. Aber Marduk weiß noch, was er tut. Er hat seine Waffen seine Maschinen. Von uns fordert er Dummheit. Werdet wie die Kinder. Ich mag nicht nach Berlin.“ Sie trug über dem fremdartigen Hemd ihr eigenes aus Leinen. Die Haut ihrer bloßen schlanken Arme war bräunlich; die Härchen darauf schimmerten golden. Und wie sie den Arm abhob, das weite Hemd zurückfiel, die Schulter freigab, bückte sich Jonathan vor: „Was hast du da? Was trägst du für eine Jacke?“ „Eine Jacke? Ach!“ Sie lachte; zugleich wurde ihr Hals rot. „Es ist mein Hemd. Du hast es noch nicht gesehen. Ich habe es in der Stadt gekauft.“ „Ein grünes Hemd. Du hast es gekauft. Ich sagte, ich mag es nicht.“ „Jetzt ist es grün. Dann wird es rot, vielleicht blau. Das Obere schilfert immer mehr ab. Weißt du, es legt sich immer dichter an. Als wenn es mit Gummi angeklebt wird. Man merkt es gar nicht. Es wächst fast an.“ „Ach.“ Er staunte. Sie saß hoch, ihre Brust lächelnd entblößend. Er ging still herum. Am Abend wurde er heftiger und sie gab nach. Sie dachte an nichts, freute sich über seine Gereiztheit: „Bist du ein Kind. Ich soll hier weg. Es beißt uns keiner.“ „Ja, ja“, er schüttelte sich, „ich bitte dich, ich flehe, komm weg.“ Sie legten das Haus zusammen. Und wie sie nach Berlin geflogen waren, in seinem Zimmer saßen, zog er ihr die Armspange ab, küßte die Spange, legte sie an seine Wange, band sie sich um. Ihre Schuhe knöpfte er auf, die Strümpfe zog er herunter, rieb die kalten Füße zwischen seinen Knien mit den Händen warm. Sie sah vergnügt, zum Kichern geneigt, von oben zu. Den Rücken machte sie krumm, die Arme schlug sie sich vor Lust an den Hals, als er ihr das Mieder öffnen wollte. Sie sprang davon. Lag im Bett, zugedeckt bis an die Ohren. Und als er „Elina“ rief, sang sie unter der Decke: „Ich höre nichts. Leg dich schlafen.“ Sie trällerte „Jonathan“, als er sich neben sie hinstreckte, ihren Hals umschlang. Seine Hand lag auf ihrem Nacken. „Was hast du an?“ „Ein Hemd.“ „Das ist das Hemd.“ „Das grüne. Vielleicht ist es schon rot.“ „Wozu hat es denn Farben, wenn ich sie nun nicht sehen soll. Du bist so lustig geworden.“ „Nicht? Und das ist doch schön.“ „Warum bist du so lustig?“ „Weil ich’s sein will. Mein Hemd zeig ich dir nicht.“ Sein Arm zog sich zurück, traurig sagte er: „Wie bist du zu mir.“ Und wie seine Stimme verklungen war, horchte sie, ob er noch etwas sagte. Aber er schwieg von da. Sie tastete mit ihrer Hand nach ihm. Er lag auf dem Rücken. Sie fuhr über sein Gesicht, fühlte das Zwinkern seiner Lider. Welchen Ausdruck er haben mochte. Erinnerungen? Sie wälzte sich an ihn, drückte ihr Gesicht an seins. Da hoben sich seine Arme wieder, heftig preßte er ihren Kopf an seinen, stammelte „Braunes“ in ihren Mund. Und als sie ihre Wonne ausgeatmet hatten und ihre Rücken zurücksanken, streichelte Elina sein warmes Gesicht. Ihre kleinen Finger biß er; sie summte: „Möchtest du mein Hemd sehen.“ „Was soll mir dein Hemd. Was geht mich dein Hemd an. Du bist Elina.“ „Warum willst du es nicht sehen, Jonathan. Es ist schön.“ „Es ist schön. Ich glaub dir’s. Du bist viel schöner.“ „Ich will’s dir zeigen, Jonathan.“ Sie hatte sich im Bette aufgesetzt, tastete um sich. „Was suchst du denn?“ „Das Licht.“ Es flammte schon weiß um und über ihnen. „Ich zeig dir’s. Da. Du kannst es sehen.“ Sie saß auf der Bettkante, drehte den Kopf nach ihm. Die braunen Haare hingen dicht von ihr herab. Um Brust Leib Schultern schlang es sich. Als wenn es naß oder aus zartestem Gummi wäre. Grünlich blau schillerte es an den Flanken; an manchen Partien des Rückens und der Brust war es stumpf, mehlig weiß. Sie lächelte eitel, strich an sich. Es glitzerte leicht; der Glanz über den Schultern war opalen. Er hielt sich unter einem Schmerz die Hand vor die Augen. Lecker flüsterte sie: „Ich will es ausziehen. Ich werde es dir zeigen.“ Und sehr vorsichtig rollte sie sich das Hemd vom Leibe hoch. Es drehte sich, als wenn es eine Gummihaut wäre. An den Hals rollte sie es, langsam, aufmerksam zog sie den rechten Arm, den linken Arm heraus, bog sich. Beim Rollen wickelten sich Achselhaare ein; sie kreischte, streckte die rote Zungenspitze ängstlich heraus. Er machte sie frei; sie schrie sofort: „Gib her. Du drückst es.“ Ihre Tränen flossen; er hatte es schon hinter sich auf die Erde geworfen, über ihre rote leichtgeschwollene Haut strich er. „Bitte, lieber Jonathan, bitte. Es kann keine Viertelstunde liegen, keine Minute. Ich habe dich doch gern.“ „Hast du mich gern, so laß es liegen.“ „Du gibst es her. Du gibst es.“ „Und wenn ich es zerdrücke. Wenn. Sieh einmal, Elina.“ Sie war so blaß, so süchtig; rote Flecken auf dem Gesicht. Er liebte sie plötzlich eigentümlich. So daß er mit der Rechten ihr den Stoff gab, mit der Linken, während er niedersaß, sich die Augen beschattete; er öffnete den Mund. Sehnsüchtig inbrünstig liebte er sie, während er neben ihr saß, Tränen stiegen ihm in die Augen. Er drückte sie an sich, die ihn abwehrte. Und wie sie glücklich war, als sie das raschelnde Gewebe, das leicht wie ein Blatt war, in den Händen hielt, es gleich an ihre Brüste drückte, es tief anhauchte. Aus dunkel umränderten Augen blickte sie Jonathan an; ihre Backenknochen traten sonderbar schattenhaft hervor. Sie kniete im Bett, während sie sich die Haut überrollte; unter den Stößen ihres kurzen erregten Kicherns erzitterten ihre Flanken und die vorgewölbte Magengrube. Dann streckte sie sich, atmete aus: „Ich bin froh.“ In der Nacht wachte Jonathan auf. Er hatte von einem sehr leichten Federball geträumt, den er greifen wollte: er sprang vom Boden aber rastlos auf und ab, von selbst, es war ein unsäglich mühsames Begehren. Der Ball ging springend vor ihm weg, einem Fenster zu, das sehr helles Licht warf. Der Ball war weiß, immer schwächer zu sehen, blinkte nur noch an der Decke, am Fußboden, und er mußte ihn fassen, diesen lautlosen Federball. Er horchte aufwachend im Dunkeln. Sein Herz schlug wuchtig. Mit jedem Schlag trieb es einen Feuerschein vor seine Augen, stieß einen Hammer gegen seine Kehle. Die Decke schob er zurück. Elina stöhnte laut. Elina stöhnte. Sie griff um sich. Jonathan drückte auf den Lichtknopf. Ihre flammende Röte. „Elina, hast du Schmerzen?“ „Oh mir ist gut.“ Und warf den Kopf beiseite, krümmte sich. Er sprang auf. Sie verfolgte ihn mit fliegenden Blicken, als er sich anzog. „Was willst du tun, Jonathan. Ich habe gar keinen Schmerz.“ „Ich will dir zu trinken holen. Du fieberst.“ „Ich habe keinen Schmerz. Ich will keinen Arzt.“ „Ich bleibe.“ „Mir fehlt nichts. Mir ist ganz gut. Komm her. Bleib bei mir.“ Ihre zurückgesunkenen angstvoll suchenden Augen. „Dein Hemd ist es.“ „Laß mich los. Ich befehle es dir. Wenn du mir mein Hemd nimmst, lauf ich weg. So wie ich bin.“ „Ich tu’s ja nicht.“ „Du schwörst es mir.“ „Ja.“ „In die Hand.“ „Ja.“ „Jetzt küsse mich.“ Ihre Münder lagen aufeinander. Er weinte vor unausfühlbarer Sehnsucht. Ihm fuhr durch den Kopf, wie der Federball sprang und blinkte am weißen Fenster. Fünf Tage diente Jonathan seiner Geliebten. Er hörte aus ihren Träumen: wie sie sich zusprach; es werde alles gut werden; sie fürchtete sich zu sterben. Das Hemd senkte seine feinsten Sprossen in ihre Haut, wieder schilferte eine Lage, bläulich schimmerte die neue. Während sie in tiefem dauerndem Schlaf lag, zog ein leuchtendes Meeresblau über ihre Schulter und Brust. Ihre Atmung wurde ruhiger. Elinas Augen blitzten seit der Zeit. Ihre Bewegungen waren glatt, schmeichelnd erregt. Ihr Lachen härter. Und wenn er sie umhalste, so fühlte er sich tief bewegt, nie beruhigt, nie gesättigt. An seiner Unterlippe sog sie sich im Kuß fest, hielt sich ganz dicht an ihn, die Knie zitterten unter ihr. Als wenn sie aus dem Schlaf erwachte, öffnete sie die Augen, lachte, gab ihm einen Schlag auf die Schulter, ließ ihn stehen. * * * * * Spöttisch durchstreifte sie mit Jonathan die Stadtlandschaft. Sie fuhren auf drolligen schaukelnden und springenden Wagen. Die Gefährte hatten unter ihren Sitzkästen stengelartig lange Beine, die spiralig mit Metall umwickelt waren. Sanft knickten und schnurrten diese Beine bei der Berührung mit dem Boden ein, um gleich darauf völlig zusammensinkend aufzuschwirren und schräg nach vorn zu schießen. Heuschrecken hießen die Gefährte, weil sie wie Heuschrecken kräftige lange Hinterbeine mit einem starken Scharniergelenk hatten. Zum Aufsetzen dienten vorn zwei wenig nachgiebige Vorderbeine und seitlich elastische Streben, wie Tastorgane, um einen Anprall abzuschwächen. Elina und Jonathan unter bunten Tüchern tänzelten in ihrem Gefährt über den Waldboden, waren im Begriff, sich zu senken, um einen Bach zu überqueren, der dicht hinter einem niedrigen Gehölz floß. Sie überblickten die Landschaft nicht, und wie sie aufsetzten, tönte ein Schrei unter ihnen. Schon schwirrte der Apparat wieder hoch, Jonathan beugte sich vornüber, um zu sehen. Sie machten einen Sprung, sich drehend, zurück; die Bremse schlug an; hart setzten sie an der Stelle des Schreis auf. Da schleppte ein Mann eine Frau an den Bach. Sie trugen beide dunkelgrüne Kleider, nur wenn sie sich bewegten, unterschieden sie sich vom Gras. Jonathan sprang aus dem Gestell; Elina, die nachspringen wollte, mußte er zurückhalten, bis er die Füße des Apparats verschraubt hatte; der gewicht- und führerlose Apparat wäre davongetänzelt und an einem Baum zerschellt. Der Frau, die am Bach lag, hatte der Mann das Kleid über dem weißen Rücken aufgerissen. Eine krallenartige Fleischwunde spritzte da rotes helles Blut. Der Kopf der Frau lag schräg über dem Uferabfall, gelbweiß ihr Gesicht; der Mensch hantierte mit einem grünen Tuchfetzen. Er murmelte, wie Jonathan neben ihn trat: „Was habt Ihr gemacht. Was soll ich tun.“ Jonathan stammelte: „Ihr liegt hier im Gras. Wir haben Euch nicht gesehen. Ihr habt kein Zeichen gegeben.“ Elina: „Sie stirbt ja, Jonathan.“ Sie warf sich über die Frau, öffnete ihr Kleid, drückte ihre Brust an die Wunde. „Mein Hemd ist lebendig, das hilft.“ Blut überrieselte ihre Brust. Sie kniff in Ekel und Schauer die Lippen ein. Mit starren Mienen lag sie da. Als die Äste unter dem Wind knackten, drehte sie den Kopf: „Sieh zu, Jonathan, daß keiner kommt“, und zupfte an ihren Röcken, die über die Waden aufgeschoben waren. Nach einer Weile hob sie sich sachte von der Frau. Ihr Gesicht erhellt; das Blut spritzte nicht mehr. Bis an den Hals war sie blutbelaufen; Oberlippe und Stirn trugen Spritzer. Der Mann trug, als Jonathan auf ihn einredete, die Frau in den Apparat. Jonathan löste die Verschraubungen, sprang ein. Der Mann trat zurück; der Apparat streckte die Beine, zog sie an, streckte sie, schwirrte mit hohem Metallgesang auf. Zierlich schwebte er in Manneshöhe über dem Bach, wendete in einem Kreis, flog wippend über die Unglücksstelle den Häusern der großen Stadt zu. Elina hatte sich zwanzig Schritt aufwärts der Stelle am Bach gewaschen, gebeugt über dem Wasser kniend. Hand um Hand schöpfte sie Wasser, das sie erst anhauchte, als wenn sie es wärmen wollte, goß es gegen die Brust. Sie strich zu dem grünen Mann hin: „Ich möchte meinen Freund hier nicht erwarten. Wenn Sie wollen, gehen wir in die Stadt und sehen, wie es der Kranken geht.“ Der lag am Wasser. „Kommen Sie. Suchen Sie etwas?“ Mißtrauisch blickte er sie von unten an: „Ich werde noch hier bleiben. Wenn der Herr wiederkommt, werde ich hören, was sie macht.“ „Sie wollen also warten.“ An einem Baum stehend betrachtete Elina den Mann. Sie zweifelte nicht, als sie eine Weile gestanden hatte, daß er etwas suchte am Wasser und daß er an seiner Brust etwas verbergen wollte. Sie schlenderte seitlich zurück. Und als sie langsam summend wiederkam, ging er ihr entgegen. Da wußte sie, es war ein Vertriebener, der heimlich zurückgekehrt war und Versuche machte, ein Täuscher. „Mein Fleisch, mein Blut“ zitterte es in ihr, mit einem verborgenen stachelnden Entzücken. Ein fürchterlicher Haßblick aus seinem traurigen Gesicht traf sie. Sein grünes blutgesprenkeltes Kleid war von Art der Bergleute; eine Kappe hatte er über die Ohren und tief in die Stirn gezogen. Stämmig und breit trabte er. Sie war immer einige Schritte hinter ihm: „Laufen Sie doch nicht so; ich komme nicht mit.“ Er zwang sich, ging langsamer. Sie trieben durch das Buchenholz. Der Boden war braun. Und wie Elina den Mann suchte zwischen den Stämmen, fand sie ihn nicht. Sie lief. Da ging ein Mann, ein brauner, er ging ganz dicht bei ihr, sie hatte ihn nicht gesehen. Aber wo war der grüne. Sie wollte an dem braunen vorbeilaufen, da drehte sie sich zurück. Er hatte die Kappe ins Gesicht gezogen wie der grüne. Sie stand angewurzelt, als sie das vergrämte stumme Gesicht sah. Das war der grüne. Sie hastete hinter ihm. Das war sein Schritt. Der kurze stämmige Körper. Was war das. Wenn sie stehen blieb und er sich entfernte, erkannte sie ihn nicht zwischen Stämmen und brauner Erde. Sie rieb ihre Augen, lief an ihn heran. Das geradeausblickende Gesicht des Mannes. „Sagen Sie, ich bin erschrocken. Ich glaubte, Sie hatten eben ein grünes Kleid an.“ Er drehte ihr seine Augen zu: „Ja. Und?“ „Jetzt?“ Er fuhr zusammen. Blieb stehen, sah an sich herunter. Er hob die Fäuste vor die Augen, stöhnte: „Jetzt laufen Sie. Verraten Sie mich. Was für einer ich bin. Was ich für ein Kleid trage. Ich heiße Lorenz. Und Sie?“ „Elina.“ „Elina, Sie dürfen nicht weiter. Sie haben mich in der Hand; ich muß mich schützen.“ „Sie wollen mich halten?“ „Ich sagte es schon.“ „Ich sehe nichts ein, Lorenz. Aber ich trage auch etwas.“ Sie lachte ihn siegreich an. „Sie glauben, man müsse ein farbiges Kleid tragen, um ein Täuscher zu sein. Ich täusche auch so. Dicht neben Marduk. Glauben Sie’s nicht? Sehen Sie meine Schulter.“ Sie zog, dicht an ihn tretend, ihren Brustausschnitt zurück; bläulich war die Schulter überlaufen. Er blickte noch hin, als sie die Schulter schon wieder bedeckt hatte. „Sie wundern sich. Werden Sie mich angreifen?“ Er griff nach ihrer Hand, drängte sich an sie, das Staunen hatte sein Gesicht geöffnet, langsam brachte er heraus: „Nein. Ich kenne Sie nicht. Heißen Sie wirklich Elina. Ich weiß nicht, was Sie treiben. Seit wann sind Sie hier. Wo sind Sie.“ „Ich bin Jonathans Freundin. Er ist mein Freund. Er ist doch nicht Marduk. Fürchten Sie sich nicht. Ich bin froh, ich bin glücklich, daß ich Sie gefunden habe.“ Sanft flog Jonathan mit der ächzenden Frau durch Waldlichtungen, über Wiesen Alleen. Sie lag hinter ihm unter Elinas Schal. Zierlich erhob sich die Heuschrecke, abwechselnd schnurrten und klangen die spiralenen Beinchen. Er wagte sich kaum nach ihr umzusehen; er fürchtete, sie könnte sterben. In wachsender Besorgnis fuhr er, verbog die Hebel, aber immer gleichmäßig schwebte und taumelte die Heuschrecke. Die Kinder lachten auf den Chausseen dem ansummenden Liebesgefährt zu. Er seufzte, als wenn ihm selbst eine Gefahr drohe. Das kleine rosa Krankenhaus auf einer baumumstandenen Wiese. Als die Schwestern die Frau herausgehoben hatten, blieb Jonathan lippenkauend bei seinem Apparat, stieg dann langsam die Treppe nach. „Sie werden sagen, sie ist tot. Sie werden aus einer Tür, aus einem Aufzug hervortreten und mir erklären, daß sie nichts mehr tun können.“ Er stellte sich an ein Fenster. „Es kommt niemand heraus. Ich kann hier lange stehen. Wie viele Menschen haben hier gestanden und die Bäume drüben angesehen. Die Bäume abgezählt. Sechs in einer Linie, fünf dahinter. Es sind gar nicht die Bäume, die sie gesehen haben; sie haben etwas anderes gesehen; die Bäume sind nur darin eingetragen, wandeln darin herum, kommen und gehen.“ Er stemmte den Kopf gegen den Fensterrahmen, stöhnte: „Ich wollte nicht nach Berlin. Ich wollte nicht hierher. Wenn ich hier weg wäre. Oh, wenn es eine Kraft in der Welt gäbe, die mir helfen könnte. Die mich forttrüge und dies alles rasch beendete. Daß ich die Bäume nicht mehr zu sehen brauch, daß ich dieses Haus vergesse und wie ich hier stehe. O du große Kraft, gib, daß hier nichts geschehen ist, hilf mir. Sie soll nicht sterben, es soll alles wieder gut sein, ich will ja weg von Berlin.“ Und hinter seinen Gedanken tauchte schon, er wußte nicht wie, Marduk auf, finster beängstigend, und hinter ihm, mit ihm noch Schlimmeres, so Schlimmes Dunkles Verhülltes. Gebunden stand er; er drohte ohne sich zu bewegen: „Wenn ich diesmal frei komme, kommen sie nicht so leichten Kaufs davon. Dann soll etwas geschehen. Ich will es nicht leiden. Ich will nicht. Ich will nicht. Ich setze mich zur Wehr.“ Er rekelte sich, er wußte nicht was er tat, keuchte mit vortretenden Augen, rang sich von dem Alp los. Eine Schwester rauschte sanft und tief ihn anblickend, neben ihn. Sie stand erst stumm vor dem Entsetzten, dann: die Frau sei durch den Blutverlust geschwächt; in zwei drei Wochen werde sie hergestellt sein. Finster wortlos zog sich Jonathan die Treppe herunter. Dann stürzte er, lief. Als er in seiner Heuschrecke saß und flog, schrie er und tobte, brüllte und weinte, während er auf und ab flirrte, wußte tränengeblendet nicht warum. „Es ist wieder gut“ ging es schwellend betäubend durch ihn, „es ist ja wieder gut. Jonathan, sei still. Jetzt fährst du ja zu ihr, zu Elina. Es geht vorüber. Jetzt ist alles vorbei.“ Und wie er ihren purpurroten Rock im Gehölz wehen sah an dem Wege, den sie hergefahren waren, streckte er aus dem Fahrzeug den Arm nach ihr aus: „Elina! Elina!“ Sie hielten sich umschlungen. Dachten nicht an den Mann, der stumm zur Seite blickte. Stammelten sich Liebesworte zu, als hätten sie sich monatelang nicht gesehen und fänden sich nach einer schrecklichen Trennung wieder. Sie wurden glücklich und matt zum Umsinken. Zu Füßen eines Baumes ließen sie sich nieder. Erst jetzt fühlte Jonathan, was ihm Elina war. Er sonnte sich an ihrem Gesicht. „Jonathan.“ Elina drehte den Kopf nach oben, „du hast nicht gesehen, wer da steht.“ Er blickte auf, erkannte den Mann, dessen Kleid bräunlich war. Elina beobachtete lächelnd Jonathan, flüsterte ihm ins Ohr: „Es ist ein Täuscher. Er ist verbannt.“ „Sonderbar.“ Jonathan blickte ihn weiter an, „ich hab es mir gedacht.“ Er stand auf: „Der Frau geht es nicht schlecht. Sie wird in einigen Wochen wieder gesund sein. Man braucht nicht für sie zu fürchten.“ Elina trat vor Jonathan: „Er glaubt, du verrätst ihn. Du sagst ihm etwas.“ Lange wiegte sich Jonathan hin und her; er fühlte: „So rasch erfüllt sich alles.“ „Ich bin Ihnen einiges schuldig. Ich werde Sie gewiß nicht verraten.“ „Zwingen Sie sich nicht, Jonathan. Ich brauche keine Hilfe. Es genügt mir, wenn Sie mir versprechen, mich nicht zu verraten.“ „Nein. Warum lachst du, Elina?“ „Ich freue mich über dich, weil du zu ihm gesprochen hast. Wie ich dir danke. Du bist mein Jonathan.“ * * * * * Nicht lange darauf wurde von einer Anzahl rachsüchtiger Verbannter Magdeburg zum bewaffneten Standquartier gegen Berlin gemacht. Marduk, der finstere Herumlungerer, schlug mit Wut zu. Rapide und mit rasender Verachtung der Verbannten organisierte er den Angriff. Man erzählte sich in der Stadtschaft, er hätte nur auf die Verräter gewartet. Sie hätten kommen müssen, die Esel die erbärmlichen Gerippe die Strohköpfe. Es war sicher, daß es ihm eine Freude machte, auf sie loszuschlagen, und daß es ihn, der schon halb hingesunken war, wieder erhob. Während er in Berlin hielt, ließ er Lucio Angelelli, den schwarzen stillen Hauptmann seiner Wache, auf Magdeburg. Die Fernbrenner machte er wirkungslos, gegen seine Besen, die menschenverdrängenden Lichter, kamen sie nicht auf. Nach dem Auseinanderfall des großen Staatenkreises bestand keine Einheitlichkeit in den Kampfmitteln. Der Austausch, die gegenseitige Beobachtung war mangelhaft, man konnte wieder kämpfen. Lucio Angelelli fuhr mit den gefangenen Hauptverschwörern, über fünfhundert Männer und Frauen, rund um und quer durch die Stadtlandschaft. Zwei Wochen lang wanderte er durch Straßen Alleen, über Plätze Berge, fuhr Flüsse ab, rief auf Äckern und in Anlagen die Menschen zusammen. In dem Fatamorganarauch der Markezeit zeigte er überall, wie er eine Verschwörergruppe am Tage zuvor beseitigt hatte. Darauf vollzog er sein Gericht an der nächsten, während in der ganzen Stadtschaft die metallenen Stiersäulen ununterbrochen brüllten. Auf die einfache Köpfung, das Zerschlagen der Glieder, die Erstickung kamen andere Methoden. Einzeln ließ er sie in die Luft sprengen, aus führerlosen Flugzeugen zerschmettern. Er übte die langsame Vereisung durch sprühenden Regen, der auf Schulter und Hals und nach und nach alle Gliedmaßen des Delinquenten fiel. Er, die rechte Hand Marduks, wies, im Besitz welcher Macht man war. Er war es, der auf offenem Platz vor seinem Zelt eine der hingebrochenen vereisten weißen Figuren auf unerhörte Weise sich bewegen ließ. Sie zog ein Bein an, das andere, den Rumpf schräg aufrichtend schwankend; unter tiefer Stille ließ er sie auf sich zu spazieren; sie schlug den schneeigen Kopf rückwärts, neigte ihn vor ihm, senkte sich auf die Knie und lag auf der Seite, kollernd auf dem Rücken, eine weiße vereiste Menschenfigur, ein Toter, eine Tote. Er ließ sie aufschnellen, drohend gegen die auseinanderstiebenden Menschen anwandern. Um diese Zeit hatte Marduk es für nötig gehalten, um Ackerflächen zu erlangen, das Gebiet der Stadtlandschaft Berlin nach Norden gegen Mecklenburg hin über Güstrow Demmin Anklam hinzuziehen. Schon kurze Zeit darauf erachtete der Senat, der mit ihm Hand in Hand arbeitete, es für ratsam, über Demmin Anklam hinauszustoßen und sich über die sehr fruchtbare brache Gegend von Stralsund bis Anklam auszudehnen. Erst damals trat bei Marduk und dem Senat der Gedanke mehr in den Vordergrund, wie willkürlich geschnitten das Gebiet der Stadtlandschaft war, wie ungeheure Landmassen bis zu den Nachbarstadtschaften ungenützt dalagen. Mächtig wogte südlich der Elbe die Stadtschaft Leipzig. Westlich von Magdeburg folgten Stadtreste auf Stadtreste, abgebaute ausgeleerte Städte, ehemals Sonderstädte überwundener Industriezweige. Hannover neben Hamburg war die nächste westliche Stadtschaft, im Besitz eigener Mekianlagen, stärkster Kraftapparate, gefüllt von erschlaffenden erlahmenden Millionen Menschen, unter der Obhut von eifersüchtigen Senatsgruppen, Abkömmlingen der großen Herrengeschlechter, jeder bedacht auf Errichtung einer Tyrannei. Während die Masse des Volkes vergnüglich höhnisch und fast verächtlich ihre Herren beobachtete wie einen gemeinen Spaß. Ohne gehemmt zu werden griff der Berliner Senat bis dicht vor Hannover, das Braunschweig und Wolfenbüttel, Hildesheim und Celle überlagerte. Die im Westen ließen es fast mit Neugier geschehen, wie vom Osten her Menschen die leeren Landstriche besiedelten und arbeiteten, als gäbe es keine Mekifabriken, keine Kraftapparate. Damals stieß man auf die längst verlassenen Kohlenbergwerke einer vergangenen Periode. Die schwarzen Halden und Schächte, die offen liegenden Gruben umwanderten die Männer und Frauen, die das Land bestellten; Stiere Kühe Schafe konnten hier nicht weiden; Weizen Roggen Hafer konnte nicht wachsen; von dem mächtigen finsteren Gelände wandten sie sich ab. Aber hinter ihnen zogen prüfend und beobachtend Marduks Gehilfen. Sie hatten noch nicht gedacht, auch die Kraftzufuhr abzubauen. Mit unsäglicher Kraft lockte sie augenblicklich die schwarze Grube und der Abgrund. Dahinunter Menschen zu werfen, hier, auf der Stelle, die Last herauftragen zu lassen, wo sie gewachsen war: weg von den Wasserfällen Skandinaviens. Wie ein Wunder staunten die Menschen, die mit ihren Tieren herumzogen, die glitzernden zerbröckelnden Steinlagen an, aus denen sich Wärme und Licht schlagen ließ. Die Stadtlandschaft war groß und menschenarm. „Wir werden sie zwingen. Wer friert sucht Wärme. Sie werden in der Nacht sitzen.“ Sie zerschnitten Teile der Riesenkabel von den skandinavischen Wasserfällen, die fanatischen Feinde der Apparate. Sie sprengten Gerüchte aus, man wolle sie zwingen, in den neu sich bildenden Völkerkreis einzutreten. Die märkische Stadtlandschaft warf sich dann auf das anlagernde Straßen- und Fabrikungetüm Hannover. Rasierte in wenigen Tagen weg, was diese Stadt mächtig machte. Sprengte verwüstete vertrieb Zehntausende. Braunschweig Hildesheim Wolfenbüttel Celle durchschritten die Grauen und Abscheu erregenden märkischen Männer und Frauen, die von der Kultur der Umländer nichts hatten als Bewaffnung und Sprengstoffe. Hunger und Tod gingen mit ihnen in die überfluteten Stadtlandschaften. Sie waren nicht viel, aber ausgesucht stark an Muskeln und Knochen, grob bekleidet. In verfallenden Städten lebten sie. Ihre Gesinnung roh. Trübe Geschöpfe, aus vielen Rassen, durch Markes Marduks Regiment eine Art geworden. Die aus westlichen Stadtschaften sich ihnen näherten, erkannten: sie waren bekümmert finster, zu Streit geneigt, eine gärende furchteinflößende Menschenmasse. Die Lüneburger Heide, Aller und Weser entlang wanderten ritten fuhren die Märkischen. Überwältigten Menschenhaufen selten mit Waffen und Apparaten, die sie hinter sich schleppten, liebten Listen Verwegenheiten roheste Kraft. In dieser Zeit überließ der Berliner Senat die Gewalt an Hordenführer. * * * * * Die Stadtschaften des Kontinents waren im siebenundzwanzigsten Jahrhundert allgemein in wilde Bewegung geraten. Was in Berlin unter Markes Konsulat begann, die Abtrennung von den Umstaaten, die Sprengung der Zentralen, erfolgte gleichzeitig in den westlichen Stadtlandschaften, hier intensiver, dort sehr oberflächlich. Immer blieben starke Verbindungen mit den Umstaaten bestehen, wenn sie auch nicht zahlreich waren, das Skelett des Riesengebäudes stürzte nicht mit ein. Ungeheuer die Schicksale von Stadtschaften im Süden und Westen in der Folgezeit; Vernichtungen Verderben großer Menschenmassen, verzweifelte Bündnisse von Staaten gegen andere tyrannische. Aber überall setzten rückläufige Bewegungen ein. Kluge bedenkenlose aktive Männer und Frauen in London verstanden die Bewegung auf dem Kontinent in Fluß zu erhalten. Es konnte sich, als zwanzig dreißig Jahre nach dem Uralischen Krieg vergangen waren, nur darum handeln, einen Völkerzusammenhang in neuer Weise herzustellen. London suchte den gefährlichen Marduk zu gewinnen. Er, selber durch technische Gehilfen in Verbindung mit den anderen Kapitalen, genoß bei den schwer kämpfenden Senaten des Kontinents das größte Ansehen. Die Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen lag allen vor Augen. Als er aber das Gebiet seiner Stadtschaft ausdehnte, wuchs die Furcht. Francis Delvil und Nelson Pember aus dem Londoner Senat suchten ihn zusammen mit Frau White Baker auf. Alle drei starke und verschlagene Menschen, im Kampf mit einer gefährlichen Bevölkerung aufgewachsen, begierig, Marduk auf ihre Seite zu ziehen, nicht aber, seine Gewalt zu dulden. Sie fanden in dem staatartig weiten Gebiet der Stadtlandschaft Berlin nicht, wie sie erwarteten, eine unterjochte kleine waffenlose Bevölkerung, mürrische stumpfe Knechte. Man sprach mit Stolz und Liebe von ihm. Das gefahrvolle Feuer, das von den Grenzen ins Land strahlte, weckte ein anderes Feuer im Land. Wie die drei Fremden das Land überflogen, sahen sie unter sich eine Reihe festungsartiger Lager, dazu eine Anzahl eigentümlicher ihnen unbekannter Vorkehrungen, die zweifellos kriegerischen Absichten dienten. Längst brüllten nicht mehr in anderen Stadtschaften die metallenen Stiere, die im Gefolge des Uralischen Krieges aufgekommen waren; hier grollten sie rechts und links, war die Zeit stehen geblieben. Nur geringe Haufen der verkommenden Müßiggänger, der teilnahmslosen und abenteuernden Menschen gab es. Das dünn bevölkerte Gebiet zwischen Elbe und Oder durchzogen erstaunlich energische Männer und Frauen, die sich den fanatischen Ansichten Marduks angepaßt hatten, seine Tyrannei nicht empfanden, denen er unbedenklich Waffen anvertraute. Im Ratsgebäude, das kriegerische Männer erfüllten, traten sie dem grauhaarigen großen Menschen gegenüber, der wie immer in dem berühmten Empfangsraume des Konsuls Marke stand neben der Schädelpyramide, vor den Wandgemälden vom Uralischen Flammenkrieg. Francis Delvil meinte, auf die Schädel weisend, es scheine, man vergesse hier im Lande nicht. Marduk, ihm die magere Hand reichend, lächelte kalt; es läge nicht an ihnen, wenn sie nicht vergäßen. Er trug ein braunes Wams, um den Hals einen bauschig gebundenen Seidenschal, der ihm breit über die Brust fiel. So wenig das Braun hier jemals vergäße, wenn das Licht auf das Wams fiele, braun zu sein, so wenig vergäße er, wenn er aufwache, der vergangenen Dinge. Aber das Braune blasse ab, – Francis Delvil schlug, wie sie sich setzten, die Arme zusammen, – es werde grau, auch der Tuchstoff zerfiele. „So bin ich kein Mensch, wenn ich tun müßte wie sie“ gleichmütig und ohne aufzublicken der Konsul. Und nach einer Weile, während sie zu viert auf die schreckliche Wand der Flammenbergwerke blickten, Marduk wieder: „Und wenn ich es könnte, vergessen: wofür sollte ich vergessen. Ihr seid gekommen, um mir zuzusprechen. Wozu wollt ihr mich überreden?“ Delvil: „Es ist etwas, dich zu sehen, Marduk.“ „Nein, nicht so“ knirschte unterbrechend den Arm ausstreckend Marduk. Delvil: „Marduk. Wir sind durch die ganze Stadtschaft geflogen. Man hat uns nirgends gehindert zu sehen, was wir wollten. Du hast die Grenzen deines Gebiets erweitert. Wir sahen Männer und Frauen arbeiten. Es hat uns ergriffen. Nur eins haben wir nicht verstanden: wozu dies ist. Du bist klug. Das alles ist vergeblich. Wir haben dich und diese Leute bedauert. Wir sehen keinen Sinn in dem, was ihr tut.“ „Sprich weiter.“ „Was in Marseille Florenz Chicago geschehen ist, die dauernden Kämpfe, dieses Hin und Her von Ausruhen und Losspringen, das ist dir bekannt. Wie wir uns ja immer gefreut haben, daß du in Fühlung mit uns geblieben bist und gar nicht so abgeschlossen für dich gelebt hast, wie andere berichten. Sind diese Kämpfe nun gut? Welches Mittel willst du uns dagegen sagen?“ „Wodurch seid ihr legitimiert für Chicago und Florenz zu sorgen?“ Frau White Baker bat Delvil sprechen zu dürfen: „Ich will dir antworten, Marduk. Gewiß nicht sind wir dadurch legitimiert, weil wir Chicago und Florenz beherrschen, vielleicht vernichten können. Die Städte ruinieren sich. Man kann sie sich nicht selbst überlassen.“ „So laß sie sich ruinieren. Hast du, White Baker, nicht davon gehört, daß es einen Tod gibt? Wie stellst du dir den Tod vor? Unter welchen Erscheinungen tritt Tod ein, wie ist Sterben? Sieh diese Städte an, und andere, die du nicht genannt hast, die die schlimmsten schwersten Todeszeichen noch nicht zeigen. So sieht Tod aus. Laßt sie sterben.“ Die stämmige breite rotgesichtige Frau trat auf Marduk zu: „Es richtet sich zuletzt gegen uns. Wir können uns doch gegen den Tod wehren.“ Marduk schlug auf den Tisch: „So wehr dich doch. Ihr könnt es nicht. Keiner von uns kann es. Selbst wenn ich zu euch trete, kann ich es nicht. Ich dreh es nicht zurück. Ich kurbele nicht ab. Ich will nicht.“ „Du meinst, wir liegen im Sterben. Nein, du, du Marduk, bist hilflos. Hier ist der Tod.“ „Das meinst du. Ich glaube nicht einmal, daß dus meinst.“ Die Frau richtete, sich bezwingend, auf: „Du mußt nicht lachen, Marduk. Du siehst, daß wir zusammen hier sind.“ „Um mir zu helfen? Ihr seid meine Gäste. Ich habe euch gewiß nicht gerufen.“ „Die Welt schließt sich zusammen.“ „Um mich auf die Knie zu kriegen? Nur zu.“ „Wir sind nicht dazu da, für die Ewigkeit zu sorgen. Vielleicht hast du recht, wenn du sagst, wir tragen Todeszeichen an uns. Wir sehen sie nicht, fühlen sie nicht, helfen uns von heute auf morgen weiter. Laß dich von uns bitten, Marduk, an unserer Arbeit teilzunehmen, wenn sie auch sehr vergänglich ist. Und – Delvil lacht so freudig: sprich du für mich.“ „Ich halte es nicht für Kleinarbeit, was wir tun, Marduk. Ich freue mich der Dinge, wie sie jetzt laufen. Wir sind Schwärmer, wir drei. Gut werden die Dinge laufen, gut.“ „Delvil, Pember, Baker, ich danke euch, daß ihr gekommen seid, mir das zu sagen. Ihr werdet an mir Widerstand finden, ich sage es euch heraus, so daß die Dinge nicht gut laufen.“ Delvil senkte den Kopf, erhob sich langsam. Marduk ging schon rückwärts. „Wir werden keinen Krieg gegen dich führen, Marduk. Es ist nicht nötig, daß wir mit dir Krieg führen. Du erliegst ohne Krieg.“ „Dessen bist du sicher, Delvil.“ „Ja.“ Marduk trat dicht vor Delvils Stuhl heran: „Wie kommst du dazu, dies zu mir zu sagen. Durchschaust du mich so, achtest du mich so wenig, daß du so sprichst.“ Die Fremden waren weiter in den Saal getreten. Marduk hatte sich umgewandt, war sich verneigend an seinen alten schützenden Platz zwischen den Flammenbergwerken zurückgewichen. Pember, der spitzbärtige schlanke, der mit den andern geschwiegen hatte, pfiff vor dem Ratsgebäude: „Er ist verrückt. Habt ihr ihn gesehen. Er ist vollkommen hin. Was wollen wir mit ihm. Zieh in Frieden, liebe Seele.“ Die Frau zog sich einen braunen Schleier vor das verfinsterte Gesicht: „Pember, es gibt da nichts zu lachen. Er ist ein böser Mensch. Wir dürfen ihn nicht lassen.“ „Was willst du tun, liebe Freundin.“ „Er fürchtet sich vor uns und wird gegen uns ausfallen. Er ist ein Bube, ein Barbar.“ Delvil lachte und streichelte den Arm der Frau: „Ich zweifle, daß er Dummheiten machen wird. Sie würden uns auch nur nützen.“ Die breitschultrige stand still, blickte Delvil glühend hinter ihrem Schleier an. Der krümmte den linken Arm, wog ihn wie ein Boxer: „Ich täusche mich über nichts. Ist dies Land still, so sind wir ein Regen, der es begießt und ihm wohltut. Wir sind ruhig und sanft. Will der Konsul es anders, so kann er es haben. Wir können auch Gewitter spielen. Ich hab keine Sorge, daß wir ihn nicht in die Hand bekommen.“ Im Befehlszimmer Marduks standen am Morgen die Senatoren. Der Konsul, Wachen vor sich, gestikulierte über die Schweigenden: „Man will uns ausrotten. Man wird uns offen und geheim bekriegen. Sie wollen uns in ihren neuen Völkerkreis hinein. Ich rate allen, die ihrer Sache unsicher sind, das Land zu verlassen. Ich warne die Lauen im Land zu verbleiben.“ Das Gerücht von der Absicht der kontinentalen Beherrscher hatte er verbreiten lassen. In die Höfe des Ratsgebäudes waren Menschen eingeströmt. Grüne Fahnen, darauf goldene Ähren, wurden ihnen vorausgetragen. Der Gesang „Ein friedlich Volk“ hallte gegen die Fenster, feierlich durch die heiße Luft. „Wir werden siegen. Man will uns vernichten“ es kam aus Marduk, tobte im Saal, auf den Höfen, durch die gewölbeartigen Räume. Er selbst riß sich aus dem Lärm. Das Gesicht der drei Abgesandten stand vor seinen Augen, die Macht des halben Erdkreises hinter ihnen. Unten auf dem Haupthof preßte man sich dichter. Völlige Stille trat ein. Plötzlich ein Tosen Zittern Armeausstrecken. Marduk am Tor des Hofes, ohne Hut. Schweißperlen auf der Nase. Sein Gesicht von einer bläulichen Weiße. Er machte einen erschöpften Eindruck. Seine Stimme war undeutlich. Er werde von jetzt ab das Ratsgebäude offen halten; der Schutz des Gebäudes werde aufgegeben. Seine linke Hand fuhr rasch nach dem Kopf; sie schien eine Hutkrempe herabziehen zu wollen, blieb dann, das Haar berührend, auf der Schläfe liegen. „Ich werde mit ihnen gehen“ war es durch den grauen Mann gezuckt, „es ist auch meine Sache.“ Mit Macht schrie das durch ihn, war da. Er fühlte eine Schwäche; aber er war es, der es schrie. Er sah Delvil vor sich, dachte: „Er ist mein Feind. Ich werde mich diesen Jubelnden hingeben.“ Es bebte in ihm fern, wie damals, als die Balladeuse ihn anfaßte. Und während das gleichmäßige Singen wieder begann, stieg er allein die Treppe zum fünften Raum im Turm hinauf. Neben ihm, durch das Fenster, zitterten feine starre Drähte hinaus. Er sah unten die schwarze Masse, die bunten Fahnen: „Gewalt, Marduk! Sieh deinen Boden, Marduk! Dein Leben! Willst du dich hinunterstürzen?“ Seine Verwirrung Verzweiflung merkte niemand, wie er stark die Anlagen und Posten im Lande beging, fast täglich mit dem Senat sich besprach. Ein furchtbarer Abscheu stieg mit Gewalt von Zeit zu Zeit in ihm auf, vor dem Ratsgebäude der Schädelpyramide dem Senat dem Volk. Ein zum Ekel gesteigerter Widerwille vor sich und aller Welt, den er mit äußerster Anstrengung herunterdrückte. Inzwischen strahlte er nach außen und strömte Kraft aus. Als er eines Nachts einen Traum von einem Spiegel hatte, – er blickte in einen Spiegel, sah mit Schrecken seine weißen Lippen, die in der Mitte geplatzt waren, Blut verspritzten; er näherte sich der Spiegelfläche, rieb sie, daß sie warm würde, das Blut stünde, – verlangte ihn nach Jonathan. Er sprach sich vor: es fängt alles von vorn an. Plötzlich ganz unvermutet erhob sich vor ihm mit Gewalt das Bild Jonathans: er konnte nicht verstehen, welche tiefe Inbrunst ihn erfüllte und wie er mit tiefer Inbrunst an Jonathan dachte. Die Dinge liefen so schlimm in der Stadtschaft, dachte er, das wußte Jonathan, mußte er wissen: dies war sein Freund, er erfuhr nichts von ihm, er sollte ihm zur Seite stehen. Er zog sich an, einen hellgelben Überwurf trug er mit Silber bestickt. So erwartete er stundenlang Jonathan; an die Wand seines Befehlszimmers gelehnt, der graubärtige Mann. Er empfand zwischendurch einen Grimm auf sich, daß er die englischen Abgesandten frei aus dem Land gelassen hatte; man hätte sie zerschmettern hinwerfen massakrieren müssen. Jonathan, Jonathan würde kommen. Trompetenblasen von unten. Das Land bewegte sich. Wie Marduk auf das Blasen sich vorwärts bewegte, stand der weiße jünglinghafte Mensch vor ihm. So unversehens stand Jonathan vor ihm, daß Marduk Sekunden anhielt, auf den blau und schwarz gemusterten Teppich blickte und dann die Augen auf die Menschenfigur gleiten ließ, weil er nicht sicher war, ob dies ein lebender oder ein aus seinen Träumen gequollener Jonathan war. Weißgekleidet wie immer stand Jonathan im Zimmer mitten unter einem Lichtträger, mit zartblauen Stickereien an Kragen und Ärmeln, die Arme gekreuzt und sich verneigend, blühend lächelnd, die Augen dunkel, die Brauen schwärzlich dicht, als ob Raupen im Bogen über die Lider krochen. Da setzte sich der Gelbgekleidete in den Schatten. Nahm eine schwarze zusammengelegte Samtdecke von der Lehne des Sessels, zog sie sich über die Knie, betrachtete den Menschen. Und länger immer länger starrte er diese bewegliche Erscheinung an, blühende Wangen, weißen umgebogenen Seidenkragen. Bewegte die Lippen: „Ich habe an dich gedacht, Jonathan.“ „Du erlaubst, daß ich mich setze.“ „Was treibst du, Jonathan.“ „Wir haben uns lange nicht gesehen, Marduk. Ich habe nicht das Gefühl gehabt, als ob du Verlangen nach mir hattest.“ „Ich freue mich, dich zu sehen. Wie herrlich jung du geblieben bist.“ „Mein Tag vergeht einer wie der andere. Ach, wenn ich mich hier umblicke –“ „Blick dich nur um.“ „Ich kann hier stehen gehen mich umblicken: es beunruhigt mich nichts.“ „So fern bist du mir. Das willst du mir sagen.“ „Ich bin dir Freund wie noch nie. Ich kann dich jetzt erst ansehen. Ich sehe dich jetzt zum ersten Male. Ich bin dir dankbar, daß du mich hast rufen lassen, daß ich dies fühle.“ „Dies willst du mir sagen.“ Und Marduks Inbrunst wuchs, wie er das hörte. „Auch ich, Jonathan, bin dir noch nie so wohlgesinnt gewesen wie jetzt. Ich freute mich schon seit Stunden dich zu sehen. Ich glaube, ich habe heute nacht von dir geträumt.“ „Soll ich dir sagen, wovon ich heute nacht geträumt habe, Marduk. Ich träumte von Elina, meiner Freundin. Ich hätte sie wochenlang nicht gesehen, sie sei mir entrissen, oder ist sie selbst fortgegangen. Ich traf sie schwebend über einer Straße, die ich selbst ging; sie konnte nicht herunterkommen. Ich ging und ging, streckte die Arme nach ihr aus, sie glitt weiter. Aber da wurden meine Arme lang, wie Ballons wurden sie, die mich zogen und trugen. Erst hing ich unter und hinter ihr, dann wurde ich höher gezogen. Sie hatte sich zu mir umgedreht. Und wie ich gerade aufwachte, in Frieden und Glück –“ „Was war, Jonathan?“ Der schwieg, lächelte zu Boden. Leise Marduk: „Ich weiß doch, was war. Da lagst du an ihrer Brust. An der Brust dieser Frau.“ Freundlich lächelte Jonathan. „Was erzähl ich dir da.“ „Ich wollte nichts anderes von dir.“ Sie sprachen noch eine Weile weiter; Marduk wurde einsilbig, aber er ließ die Augen nicht von Jonathan. Er schien aufzuatmen, als der Jüngere sich erhob. Das Sprechen beim Abschied schien ihm schwer zu werden, sein Gesichtsausdruck war ganz unkenntlich, ein Lächeln kämpfte mit einer Erstarrung. Und kaum der weiße selige Mensch, freudestrahlend rosengesichtig, gegangen war, schlug Marduk, sich gegen die Wand pressend wild um sich starrend, von seinem Drang überwältigt, die Glocke. Die Wache erschien lautlos. „Jonathan soll eine Stunde zurückgehalten werden. Man soll in seine Wohnung schicken. Eine Frau ist da, ich will sie sehen.“ Nach einer halben Stunde senkten sich Flieger vor dem kleinen hügelversenkten Haus Jonathans, fragten nach der Frau. Als Elina sich verwundert, eine Rose in den Mund nehmend, vor das Tor begab, baten sie sie im Namen Marduks, ins Ratsgebäude zu folgen. Sie geleiteten die Verwirrte, die an dem Blumenstengel wortlos kaute, schon hinaus. Im selben Raum, wo Jonathan, wie aus Träumen quellend, glückselig weiß gekleidet vor ihm aufgetaucht war, empfing sie Marduk, der graue, sein zitronengelbes Kleid dicht um sich ziehend, sah ihr entgegen: „Du bist die Frau, die Jonathans Freundin ist.“ „Ja. Ich heiße Elina.“ „Du ängstigst dich vor mir ohne Grund. Da ist ein Sessel, setze dich.“ „Ist Jonathan hier.“ „Er war hier. Ich habe mit ihm gesprochen. Er ist mein Freund. Er hat mir von dir erzählt.“ Sie saß, blickte an sich herunter. Nach einer Weile strich sie das Kleid unter ihren Knien zurecht: „Ist Ihre Neugierde nun befriedigt?“ „Nein, Elina. Ich weiß, Jonathan wird mir zürnen. Ich kann mir nicht helfen. Man hätte dir Zeit lassen sollen, dich anzuziehen. Du frierst. Du bleibst heute bei mir?“ „Was.“ Mit tiefer Sicherheit gab Marduk von sich: „Ja. Es bleibt nichts übrig. Du brauchst nicht zu widersprechen. Du bleibst hier. Sei nur still, Elina. Nichts geschieht dir, was dich ängstigen muß. Fürchte dich gar nicht vor mir.“ Stürmisch erhob sie sich: „Ich bleibe nicht.“ „Jonathan weiß, wo du bist. Er wird es erfahren. Du mußt hierbleiben. Sei nur nicht erregt.“ „Laß mich hinaus. Marduk. Du bist schlecht. Ich hab es schon gewußt, daß du schlecht bist. Du hast mit ihm gesprochen, daß du mich holst?“ „Nein, Elina.“ „Siehst du, wie niederträchtig du bist.“ Sie rüttelte an der Tür. Die bewegte sich nicht. Sie stand, die Fäuste hebend, einen Schrei ausstoßend, vor ihm, rüttelte an seinen Schultern: „Laß mich hinaus.“ Er bewegte sich nicht. Das Fenster riß sie auf. Da zuckte er hoch, wich zurück, hob den Arm vor die Augen. Sie rief am Fenster: „Ich tue es, Marduk. Wenn du mich nicht fortläßt, ich tue es.“ Tiefblaß war er plötzlich geworden, seine Gesichtsmuskeln zuckten, die Augen geschlossen. Er brachte seine Lippen zu einer Bewegung; seine Stimme tonlos: „Elina. Tu es nicht. Tu es nicht.“ Sie wurde stiller, warf sich zu Boden, wimmerte, sonderbar verwirrt und angerührt: „Ich will fort. Ich will Hilfe. Jonathan, hilf mir!“ Langsam ließ Marduk seinen Arm herunter. Er öffnete seine Augen, sie lag ausgestreckt da. „Ich hab dich nicht hingeworfen. Du hast es allein getan.“ Er sah sie nicht mehr an. Sie suchte, wie sie sich aufrichtete und stand, seinen immer abgewandten Blick zu haschen. Ein unsicheres Gefühl war in ihr, als hätte sie ein Unrecht getan. Nichts sagte sie mehr. Ein leiser Schmerz war in ihrer Brust, als er sich stumm zur Tür bewegte. Sie war bestürzt, aber leicht befriedigt, als sie hörte, wie er leise sagte, den Blick am Boden: „Sei unbesorgt. Es geschieht dir nichts. Man wird dich auf ein Zimmer bringen.“ Und noch während sie von einer Wache hinausgeleitet wurde, flüsterte er: „Keine Angst. Es geschieht dir nichts.“ Auf dem Zimmer, auf dem die Balladeuse gewartet hatte, die Decke zerzupfend, mit Jonathan sprechend, wartete Elina zwei lange Tage. Sie weinte, hatte Sehnsucht nach Jonathan, nachts wilde Angst. Stundenlang dachte fühlte sie über Marduk nach und war gequält. Zwei Tage lang kam Marduk nicht. Aber was war das für ein Mensch, der den dritten Morgen ihre Türe öffnete, an der Wand stehen blieb, sich ihr näherte, im gelben langen geschnürten Mantel, den grauen Kopf senkend, sanft: „Elina, willst du mir gestatten, daß ich hier sitze.“ Sie hatte unendliche Furcht vor ihm. „Du wirst in einer Stunde das Haus verlassen können. Und wirst hingehen, wo du willst. Nimm einen Gruß an Jonathan mit. Grüß ihn von mir. Er war ohne Grund besorgt um dich. Ich habe mich vergriffen. Ich habe es schon erkannt.“ Sie fühlte sich, auf dem Bettrand sitzend, bewegt, zu sagen, er möge doch nicht stehen. Es sei sein Zimmer, er möge sich setzen. Da fing er aus seinen großen braunen Augen sie betrachtend an: „Du liebst Jonathan. Sag mir, wie liebt ihr euch?“ Sie blickte erstaunt, dann lächelte sie auf ihren Schoß herunter: „Er ist ja mein. Ich bin ihm von Herzen zugetan. Willst du das wissen? Seit ich ihn habe, ist mir die Erde schöner geworden. Seit ich ihn habe, ist alles gut geworden. Ich selbst bin gut geworden. Er brauchte es nicht werden, Jonathan, er war immer gut. Was soll ich dir sagen, Marduk. Ich vermisse ihn jede Stunde.“ Er hielt den Kopf gesenkt: „Kannst du noch mehr sprechen.“ „Von Jonathan? Immerfort könnte ich von ihm sprechen. Du glaubst gewiß nicht, was ich sage.“ „Sprich doch weiter, Elina.“ „Du kennst ihn ja selber. Du mußt nicht glauben, daß ich seiner unwert bin. Aber er weiß es selbst. Wenn man sich liebt, glaubt man das nicht. Ich liebe ihn nicht von gestern auf heute, und morgen ist nichts mehr. So innig, so innerlich bin ich ihm zugetan, daß ich mir gar nicht denken kann, daß dies erlischt. Ja, daß dies mit mir und Jonathan stirbt. Du magst lachen, Marduk; ich glaube, wenn du mich umbringst mit Jonathan –“ „Was ist dann? Sprich nur. Ich bring euch gewiß nicht um.“ Sie saß mit geschlossenen Augen, flüsterte nach einem Schweigen: „Die Welt wird dann schöner werden. Die Erde wird dann schöner. Wir werden nicht mehr zwei Menschen sein, die an einem Fleckchen, in einem Zimmerchen sind. Wir werden wandern, hier beseelen, da beseelen, wie eine Wolke. Wir werden viele glücklich machen. Wir sind auch vielleicht bei dir. Ich dachte schon manchmal, wessen Glück auf mich übergegangen ist, welchem süßen Abgeschiedenen ich zu danken habe.“ Tränen liefen ihr aus den Augen. Er fragte nicht. „Ich weine um ihn, Marduk. Was hat er in diesen Tagen gelitten. Du bist nicht schlimm. Wie ist es ihm gegangen, bevor wir uns fanden. Er hat solche Kraft zu leiden.“ „Ich habe sie früh an ihm erkannt. Sie wird nicht absterben wie die andere Kraft, von der du sprichst.“ Sie lächelte: „So viele Menschen haben Liebe, Marduk. Auch Tiere und Vögel und Schmetterlinge. Sogar Löwen und Bären.“ Er lächelte nicht, als sie ihn anlächelte. „Du machst einen Scherz mit mir, Marduk? Ich weiß nicht recht, was du mit mir tust.“ „Geh jetzt, Elina. Ich danke dir, daß du zu mir gesprochen hast. Du bist mir nicht böse.“ „Nein, nein. Und ich kann jetzt gehen.“ „Ich öffne dir.“ Sie gab ihm die Hand, blickte ihn von der Seite an: „Lebewohl, Marduk. Leb’ recht wohl. Wovon bist du so grau? Und warum trägst du einen Bart?“ „Jonathan soll mir nicht grollen.“ Wie sie im Hause ihres Freundes war und sie sich besänftigt hatten, drang Jonathan in sie: „Flieh mit mir.“ Sie konnte nicht. „Du, Elina, ich sehe mein Geschick.“ „Was ist das?“ „Es ist das des flüchtigen Desir, des Freundes der Marion Divoise. Er haßt mich jetzt. Er will mich treffen. Er hat sich geschämt; er war zu rasch, er war zu deutlich. Aber er will mich treffen, mit dir, meiner Geliebten.“ „Ich werde nie zu ihm gehen. Ich bin nicht die Balladeuse. Ich habe nur dich, ich habe es ihm gesagt, er hat es gehört. Mit dir zusammen sein ist mein Leben. Er weiß es und es ist wahr. An ihm – ist etwas Schauerliches. Zuerst hielt ich ihn sogar für schändlich. Ich weiß nicht, wie du sein Freund sein konntest. Du, mein wonniger Jonathan.“ „War ich sein Freund? War ichs oder bin ichs? Er hat meine Mutter gemordet, ich habe es dir erzählt. So fing sein Konsulat an. Da stand er und wußte nicht weiter. Er schwankte, er schwankte noch oft; er wollte immer weg von seinem Konsulat; an mich hat er sich gehalten. Dazu war ich sein Freund. Den Schmerz in mir hat er gezüchtet, um nicht zu verzagen, nachdem er alles vernichtet hatte, woran er selbst hing, seine Pflanzen seine Bäume, die wunderbaren Dinge, die er trieb. Was will Marduk von mir? Ich bin ihm einer der Stiere, der Metallstiere Markes: ich soll ihn erinnern. Ich soll brüllen. Vor Schmerz brüllen. Sonst wird alles sinnlos, was er treibt. Sein Konsulat fällt ihm aus den Händen. Vielleicht treibt ihn jetzt die Gewalt allein und er merkt, daß er überhaupt gar nichts mehr ist. Daß er mitmachen muß, mitheulen muß. Und er möchte ja nicht, ich sage es dir, Elina, darum verfällt er auf alles mögliche, darum hat er das Land ausgedehnt und was sonst. Was wollte er denn mit dir? Die Maus in der Falle!“ Elina wich von ihm, hob die Hände: „Wie ist mein Jonathan böse! Das bist du ja gar nicht.“ „Ich bin es doch. Ich kann auch böse sein. Ich ohne Schleier. Er hat mir Schleier vorgelegt, mich nach seinem Willen gezüchtet. Ich ohne Schleier. Vor Schmerz habe ich brüllen müssen, an der Ostsee hab ich fast sterben müssen, und später gab es fast keine Woche, wo ich nicht einen halben Tag mit dem Tode rang. Das wußte er und das tat ihm wohl. Der Uralische Krieg war ich. Den preßte er in mich hinein und sättigte sich daran. Die Bilder genügten ihm nicht, Markes Schädelpyramide reichte nicht. Sieht er mich, brülle ich, so weiß er etwas, so hat er Sättigung, so kann er seinen Wahnsinn leichter herunterschlucken. Dann schmeckt er ihm.“ Sie hing ängstlich an ihrer Stuhllehne, schaute ihn mit großen Augen an: „Von dem, was du sagst, verstehe ich das meiste nicht. Aber du mußt weg hier. Das seh ich. Warum bist du nur solange hiergeblieben mit mir?“ Der weiße Jonathan stand still; langsam ließ er den Kopf sinken. Leise Elina, einen Schritt näher zu ihm: „Doch seinetwegen.“ Er schwieg, den Kopf vor der Brust, die Hände gefaltet vor die Stirn drückend. „Ich weiß es doch, Jonathan; seinetwegen.“ Er ließ die Hände, blitzschnell warf er den Kopf zurück, war er bei ihr, umschlang sie: „Ich habe dich. Ich liebe dich. Komm. Du bist mein Leben und mein Licht. Ihr Haare seid mein Glück. Die süße Haut. Du nasser Mund. Mein Hals. Du feine Brust; ich krieche in dich hinein. Und nun küß mich. Ich habe dich wieder, Elina. Elina.“ Seine Knie knickten ein: „Ich bete.“ Sie sank zu ihm herunter: „Jonathan. Nichts kann ich dir sagen. Ich bin dir ja so nahe.“ Sie gingen nach dieser Stunde wie sonst nebeneinander. Fester drückten sich ihre Arme aneinander. * * * * * Zerstreute Menschenherden schoben sich über die öden Flächen der Kontinente. Ein besonderes trübes Verlangen trieb Massen aus gestopft vollen Stadtschaften nach Osten in die russische verwüstete Ebene. Auf dem ungeheuren Schlachtfeld des Feuers der Gifte der Ströme kletterten sie über Schuttberge, umgingen grünlich behäutete Sümpfe, hoben Reste von Menschen- und Tierknochen auf. Die weite Tiefebene hauchte nicht mehr Gas. Regen Wind Schnee Sonne hatten lange Jahre gearbeitet. Über einen abenteuerlichen dünn übergrünten Friedhof fuhren und gingen sie. Gerste Roggen wuchs in wilden Halmen. In das verstümmelte Riesengebiet, das von Wassern sprudelte, über das der Wolgastrom der Don Dnjepr ausgekentert war, waren Pflanzenkeime, leicht schlafende Wesen, den Menschen und Tieren vorausgeeilt. Pilze, kurze stämmige Boviste und Erdsterne hatten sich an den südlichen Flußmündungen, an den Meeren und Sümpfen geöffnet, Herbststürme trugen die leichten Kugeln in das wüste nördliche Land, streuten ihr Sporenpulver auf den losen nackten Boden. Die Kiefern und Lärchen des Südens schickten geflügelte Samen her. Gräser tanzten mit Flügeln wolligem Bausch Haarschöpfen, auf Windsäcken lautlos her von dem bewachsenen Abhang des Ural, aus der Krim und von Astrachan, von Polen Galizien, in das zerwirbelte zerknirschte russische Land trieb sie die Luft; sie stiegen und sanken mit Wärme und Kälte. Drehten sich, schleierten über den Boden. Flogen mit drehenden Scheiben Platten Walzen Schrauben, waren Staubkörner, zogen hoch über endlose Strecken mit Schirmen und Segeln. Sie fielen; Blumen Gräser Halme keimten aus der behauchten Erde. Von den grünen Grenzen drangen die Pflanzen Blumen und Bäume tiefer und tiefer in das tote Innere. Die Sprengkraft der furchtbaren Flammenbergwerke hatte das Erdfundament nicht erschüttert. Die uralte Erde lag da, atmete empfing. Die wandernden Bergwerke hatten die Sonne nicht erreicht; die zog morgens vom Uralgebirge her, wärmte vergoldete die Wolken. Der Mond, oft rot, oft tief vergilbend, weiß wie ein angestrahlter Spiegel zog in den Nächten hinter der Sonne her, in der schwarzblauen Unermeßlichkeit des sternezitternden Himmels. Es gab noch alles. Die scharfen Klüfte, die die Flammenbergwerke in den Boden gerissen hatten, flachten ab, sanken zusammen. Die Schwaden verdunsteten. Und mehr und mehr zogen sich bunte Tupfen die Flüsse entlang. Als aus griechischen und rumänischen Stadtschaften kleines Menschenvolk, wagenführend, mit Kindern und Vieh suchend das holprige rissige abgründige Gebiet durchzog, stießen sie auf Menschen, die sie noch nicht gesehen hatten. Wesen, die sich wie sie bewegten, den Pflug führten, Pferde und Rinder trieben, Hunde neben ihnen, Männer und Frauen mit breiten gelben Gesichtern; sie beobachteten einander, taten sich nichts. Oft stießen sie auf solche Menschen. Chinesen Burjaken Mongolen, die die Pässe des Ural durchwandert hatten. Griechen und Rumänen besiedelten neben ihnen das Land. An der Nordsee zog sich die ungeheure Stadtschaft Hamburg hin, schloß Lübeck Itzehoe im Norden, Bremen im Süden ein. Sie hatte, mit London verbunden, keine Umwälzung in sich geduldet, die Gewalt ihrer Herrengeschlechter nach einigen Revolten stärker befestigt. Die große Seelandschaft erschauerte bei der Annäherung der Märker. Ihre trägen Massen verlangten nach einem Wall im Westen und Süden; man sollte die feindselig Andrängenden rasch attackieren und zurückschleudern. London sah die Gefahr Hamburgs, aber die englischen senatorischen Sippen liebten die Männer und Frauen der neuen Art. Vergeblich schickte London Botschaften an Marduk, den Senat, die Führer einzelner Horden. Die britische Zentrale wollte die Märker vor einem Angriff Hamburgs bewahren. Dann verfiel man darauf, sich der Frondeure und Täuscher im märkischen Gebiet zu bedienen. Sie waren geheim vom Ausland mit Material versorgt, die Mekilaboratorien waren mit ihnen auf Weisung der fremden Senate in Zusammenhang geblieben. Früh fingen diese Täuscher, die großen gestürzten Geschlechter, an, sich zu bewaffnen. Wie Marduks Regiment wider Erwarten sich befestigte, eine unglaubliche Energie das Volk in Bewegung setzte, mischten sich die Täuscher unter die Horden. Sie bildeten eigene Gruppen, bei der allgemeinen Lockerung wenig beobachtet. Nahe dem im Hannöverschen gelegenen Quartier des Täuschers und Hordenführers Lorenz landeten Flugzeuge. Englische Männer suchten ihn. Mit ihnen ein gigantisches Wesen, von negerischem Aussehen, schwarzbrauner Hautfarbe. Während die blassen Engländer unter Ten Kates mit dem märkischen Bandenführer verhandelten, zwischen Tannen herumgingen, mittags an einem Wasser lagerten und eine zähe barbarische Speise einzunehmen gezwungen wurden, Schenkel geschossenen Wilds, bewegte sich der Schwarze, den sie nicht ins Gespräch zogen, unauffällig unter ihnen, saß mit halb geschlossenen Augen auf dem Sandboden, die Beine untergeschlagen, schien nur begierig, eine von den schweren bunten Felddecken an sich zu ziehen, die die Engländer um sich ausbreiteten. Die nahmen lächelnd und dankend die derben Kupferschalen und Mörserkeulen an, die man ihnen bot, als sie vergeblich mit ihren schwachen Kiefern, bröckligen schwarzen Zahnstummeln das gesottene Muskelgewebe zu zerreißen suchten. Zerschnitten stampften es zu einem Brei, den sie schluckten. Den Märkern, die ihnen zuschauten, blitzten die Augen. Sie kauten bissen schnalzten; sie knackten Knochen. Nicht einmal dann mischte sich der Schwarze, der Fleisch wie die Märker schlang, ins Gespräch, als Ten Kates bei Sonnenuntergang von der Erde sich erhob und beim Herumschlendern mit den andern, den schmalen Lorenz umfassend, auf Zimbo zeigte: sie würden den hier lassen, er würde ihnen gut zur Hand gehen. Wie ein Krokodil, das lautlos an der Oberfläche des lauwarmen Wassers treibt, sich der Sonnenwärme freut, gleichmütig von der Strömung über und über gerollt wird, in der Nähe und von weitem wie ein grünlichbrauner abgedrehter Baumstamm, am Sandufer trocknend grau und rauh wie eine Steinmasse, so unkenntlich trieb Zimbo zwischen den andern. Abends, wie die Engländer abflogen, hatte er sich entfernt. Am Morgen klopfte er an Lorenz’ Haus, setzte sich, eingelassen ungeschickt auf einen Stuhl, den man ihm bot. Legte den linken Arm auf den Tisch, fragte, womit man hier schösse. Sein Arm blutete. Lorenz bückte sich über den Tisch; der Schwarze war an einen Posten geraten, der mit Schrot schoß. Der plattnasige Mann murmelte: „Es sticht“ ließ sich verbinden. Er fragte mit seiner baßtiefen gurgelnden und rieselnden Stimme, was sie hier täten. Das Weiße seiner Augen ließ er aufschimmern. Er lachte und nickte, als Lorenz erzählte, sie hielten sich zum Schein für einen Angriff bereit, spionierten inzwischen, sorgten dafür, daß nicht zu viel in den neuen Gebieten demoliert wurde. Sie gossen sich Branntwein hinter. Was der Konsul Marduk täte, wo er sei; gibt es einen Senat. Der elastische Weiße schloß die Tür; Marduk hielte sich im Hintertreffen: zu trauen sei ihm nicht, er schiene gleichgültig zu sein, aber der Mann sei gefährlich. Wieder knurrte Zimbo, zeigte das blutig durchlaufene Weiß seiner Augen. Lorenz drang auf rasche englische Hilfe. Zimbo blickte ihn nur zwischen den verquollenen Augenlidern an, schlich die gelben starken Zähne zeigend, hinaus. Eine ganze Woche hörten die Gruppen der Täuscher, die glaubten, ihre Stunde schlüge bald, nichts von dem englischen Funktionär. Dann erfuhren sie, er triebe sich in der alten Innenstadt herum, habe sich einmal an Marduk herangemacht, sei bei den Bergwerken in der Lausitz. Wie die Zeit vorrückte und Lorenz schon verzagte, erschien Zimbo im Arbeiterkittel, von der Verden-Celler Straße her, in die sich die äußersten märkischen Posten schoben. Wieder lungerte er nur herum. Der hamburgische Vorstoß setzte ein. Ein trüber Septembermonat. Der hamburgische Senat hatte sich nach der Infiltration der Lüneburger Heide neu konstruiert und folgte dem Druck seiner Bevölkerung, die durch Schreckensnachrichten über die Natur der östlichen Angreifer gepeinigt wurde. Man glaubte in der Seestadt rasch mit den Östlichen fertig zu werden. Heimlich vor den beobachtenden englisch-kontinentalen Freunden schickte der Senat eine Handvoll technischer Truppen mit Angriffseinrichtungen vor, die den früheren Brandmasten ähnelten, transportabel waren und kleinere Flächen bestrichen. Diese Truppen, von Bremen vorgehend, erreichten in wenigen Tagen eine radikale Säuberung der durchschrittenen Landstreifen. Nicht sehr tief und nicht in großer Breite gingen sie vor, denn man dachte durch Abschreckung das Weitere zu erreichen. Die Truppen aber, nachdem sie die schreckliche restierende Ergiebigkeit ihrer Einäscherer sahen, waren nicht zu halten. In Hamburg schlug sich der Senat noch den zweiten Tag über die Frage der Kriegsverlängerung, die Art seiner Weiterführung herum. Da legten die angreifenden Techniker schon wieder die Drähte an die großen Fernkabel, stellten die Transformatoren Blenden Konzentratoren auf die kreisrunden Wagengestelle, stießen auf ihnen nach Nordosten in die Heide hinein. Die herumvagierenden nördlichen Horden der Märker wurden vernichtet, dahinterstehende wichen gegen die Aller nach Hannover zu aus. Der Außenteil der Heide war von der östlichen Invasion befreit. Die Seelandschaft Hamburg erzitterte. Die Herrschenden stellten sich kriegerisch um; die Märker sollten ganz ausgerottet werden. Auf Hannover Hildesheim Braunschweig zogen sich die märkischen Banden zurück. Es wurde, da eine größere Zahl Männer und Frauen sich unter Waffen stellte, damals nötig, daß die Mekifabriken der künstlichen Nahrung stärker arbeiteten. Mit Widerwillen mußten sie die schon halb entwöhnte zarte mästende Nahrung nehmen. Mit Schmerz konstatierte der Senat, daß die Äcker und Kohlenbergwerke durch den Krieg ihrer Menschen beraubt wurden; er stellte auch mit Stolz und Zuversicht fest, daß man diese Periode überwinden werde. Wie sie sich auf Hannover und östlicher zurückzogen, hielten die Täuscher den Augenblick für gekommen zu einem Schlag. An ihnen lag es, eine furchtbare rasche Aushungerung des Landes vorzunehmen. Und damit begannen sie. Fünfzehnhundert Menschen waren es, die in den Fabriken der synthetischen Nährstoffe drei Wochen nach dem Hamburger Rückschlag die Fabriken verließen, bei einer Kampftruppe auftauchten und zu erkennen gaben, daß ihre Kriegsbegeisterung sie nicht in den Fabriken dulde. Sie suchten damit Zeit zu gewinnen und ihr Leben zu retten; die Katastrophe konnte bei den geringen Vorräten nicht lange ausbleiben. Einzeln wurden sie vor den verblüfften Senat gestellt, der sie halb durchschaute. Bei den Horden erregte ihr Erscheinen im ersten Augenblick Jubel. Dann kamen die warnenden Aufklärungen des Senats. Und schon war Marduk selbst auf dem Plan erschienen. Der graue Konsul trat in diesem Moment auf, als hätte er sein Stichwort abgewartet. Seine alten Feinde, die Männer und Frauen der Apparate, der hohen Wissenschaft, wollten dem Land an die Gurgel, sein Werk zerstören. Sein Ansehen und seine Wache verschafften ihm sofort die Führung im Senat. Er fragte die Gefangenen aus, sagte ihnen, daß sie zu den versteckten Täuschern gehörten und was sie planten. Alle fünfzehnhundert aus den Fabriken Entflohenen ließ er dann in Linden bei Hannover zusammentreiben. In Gegenwart von Abordnungen aller Horden ließ er hundert von ihnen grausam auf einer herbstlichen Wiese foltern. Dies zog er einen Nachmittag hin. Als sie am folgenden Vormittag und den Nachmittag nicht eingestanden, gab er sie den Kriegern am Abend zum Mord frei. Man hat von diesem Mord im Ausland nichts gehört, nur nach Hamburg sickerte es durch. Es ist Tatsache, daß an diesem Abend auf dem europäischen Kontinent wieder Menschenzähne Menschenfleisch zerrissen und Menschenlippen Blut tranken. Das Rasen der Krieger um die Gefangenen, die sie sich zu entreißen suchten, war beispiellos. Die Tötung wurde lange hingezogen. Die afrikanische Durchflutung des europäischen Blutes wurde deutlich. Aus zertrümmerten Schädelschalen tranken Krieger, Männer und Frauen, noch am nächsten Tage. Unter den benachbarten Horden wuchs mit der Kriegswut ein wollüstiger Drang, der sie schwächte und Marduk veranlaßte, andere Methoden gegen die lebenden Gefangenen anzuwenden. Es ist sicher, daß sich damals der Konsul Marduk, der als grauer matter Mann aufgetaucht war, verjüngte. Er ließ die Gefangenen fesseln. Die Lebensmittel waren zu strecken, Krieger, wo es anging, hatten auf die Äcker zurückzukehren. Den Horden und Häuptlingen gab er Kenntnis vom Stand der Dinge und gab ihnen Auftrag: da wo sich Hunger einstellte, sollten sie sich Nahrung holen. Der Hauptteil seiner bewaffneten Wache ging an die Grenze. Es waren nicht alle Flüchtige aus den Mekifabriken, die Marduk fesseln und töten ließ. Nahe der Horde Lorenz lag in der Nähe von Ülzen an der Ilmenau die Truppe Jan Lubbocks, und nördlich davon, in der Gegend des alten Bewensee, die stark mit Weibern durchsetzte Truppe der Angela Castel, einer stillen harten Frau, die zu den Liebhaberinnen der Balladeuse gehört hatte, der Marion Divoise, von der es hieß, daß Marduk sie in Liebesscham zum Fenster hinausgeworfen hatte. Die hellbraune glattgescheitelte kleine Castel war die einzige Frau, die sich in der männlich verwandelten märkischen Stadtlandschaft unter den Führern hielt, sie, die sich und ihre Truppe mit Tannenzweigen an der Brust schmückte und verbitterte Frauen unter sich versammelt hatte. Spott lag auf dieser Schar; man ließ sie gewähren. Sie hielt die Flüchtigen aus den Mekifabriken mit Stolz bei sich. Und als klar wurde aus Bewegungen südlicher und östlicher Gruppen, daß der gehaßte Marduk gegen sie etwas im Schilde führte, brach sie los. Sie schuf sich erst Platz durch einen Angriff auf die Hamburger im Norden. Dicht an Lauenburg drang sie heran. Gegen die Hamburger wandte sie zum erstenmal ihre eigenen Fernwaffen. Zuerst den Wolkenbläser. Dies war ein Vergaser, der eine schwere schwarze wie kohlegesättigte Luftmasse von sich gab, die sich auch unter Wind kaum vom Boden und der eingeschlagenen Triebrichtung entfernte. Ohne giftig zu wirken und zu schädigen, hüllte die schwarze anschwebende bodenentlang kriechende Wolke jeden Menschen Gegenstand Baum Weg Berg Wagen Pferd dicht ein, so daß augenblicklich alles, was in ihren finstern Bereich kam, genötigt war halt zu machen, von tiefer Angst erfüllt. So dick war die Schwärze, daß Menschen, die sich bei den Händen berührten, sich nicht sahen, daß sie Auge an Auge drängend in Nacht hilflos dastanden. Das Unheil, das unter den Gegnern entstand, als die erste Wolke, die sie für giftig hielten, bei Lauenburg am Boden in undurchdringlichen meterhohen Schwaden bauchig sich vorwölbend gegen sie anschwoll und sie überwogte, sie versenkte. Fahrende Wagen suchten zu entkommen; schrill und dumpf stießen sie Warnrufe aus. In Nacht vorrasend fuhren sie gegen laufende irrende stehende Menschen, rannten an Bäume Häuserwände auf, wuchteten zerschmetterten aneinander. Pferde auf den Weideplätzen brachen los, galoppierten hell und heiß wiehernd, warfen Menschen nieder, stürzten Stufen herunter, bissen entsetzt nach anderen Tieren, nach schlagenden Menschen, an Baumstämme, die vor ihnen nicht auswichen. Die Menschen, wo sie betroffen wurden, in Häusern auf Straßen auf Wiesen suchten zu entkommen. Liefen, riefen sich an, faßten sich, sahen sich nicht, tasteten blind weiter. Dann rasten Tiere und Wagen unter sie. Sie warfen sich hin. Wo sie ein Erdloch fanden, krochen sie hinein. Auf Geräusche lauschten sie nach allen Seiten, um zu wissen, wohin sie flüchten sollten. Und wie sie ruhig anhielten, in die Nacht gebannt, hatte sie die feindliche Truppe gefaßt. Wie man Sand in einem Sieb schüttelt, wurden sie von den Feinden ergriffen, mit Kugeln und Geschossen von oben und den Seiten durchlöchert. Blitze ließ man durch sie laufen. Einen brennenden, einen tötenden Augenblick war Licht unter ihnen. Vor Lauenburg schickte die hellbraune Castel gegen eine dichtbesiedelte truppenbesetzte Landschaft einen Flußlauf. Das Wasser der Elbe, breit fließend, viele Meter tief in die Erde eingegraben, erhob sich wie abgerahmt aus seinem Bett, übersetzte in meterbreiter Ausdehnung den baumbestandenen steingefaßten Uferrand, stäubte spritzte hin wie unwillig, dann heftiger, schwemmte brauste mächtig wogend in die wiesen- park- straßenbezogene Landschaft. Flach ausgebreitet wälzte sie sich südwärts in die offene Heide ein. In die Häuser Zimmer, durch die Fenster sprang der Strom, Menschen Geräte Tiere Zäune aufhebend. Gärten Ställe Fabriken demolierte er, unablässig weiter schwellend, getrieben von der bald lautlosen bald orkanartig heulenden gegen das Flußbett gerichteten Gewalt, die das Wasser angefallen hatte. Man erfuhr später, daß Frauen der Gruppe Castels im Besitz der Erfahrungen waren, die bei der Insel Jan Mayen in so ungeheure Erscheinung traten und einen neuen Abschnitt in der Bezwingung des Wassers darstellten. Die Elbe war abgeschnitten bis zur halben Tiefe durch die sprühenden vergasenden Ketten, die ins Wasser tauchten aus starr überhängenden Drähten. Sie floß flach unterhalb dieser Sperre. Jenseits der Sperre aber wuchs sie wie geschleust mauerartig hoch, überlief, die schwere schlammwälzende Elbe, das Land, füllte es klatschend. Die Castel legte um ihre bis zur Elbe vorgebrachte Truppe einen Verteidigungsgürtel mit Fernwaffen, wartete die Wirkung ihres Vorgehens auf Marduk ab. Wie der bei Ülzen stehende Jan Lubbock und Lorenz, über die Tat der schweigsamen Castel entsetzt nach Zimbo suchten, erschien der schwarze schmalköpfige Zimbo bei Lauenburg, fragte die Castel, die ihn kannte, nach ihren Absichten. Die gab ihm zurück, sie werde genau das tun, was sie erreichen könne. Er wollte bei ihr eintreten, die weiteren Operationen leiten. Sie lehnte ohne eine Miene zu bewegen ab. Zimbo röchelte einen Augenblick in Wut vor ihr, dann schlug er sich auf die Brust, nahm ihre geschlossene Hand, als sie lächelte, wünschte ihr Glück. Während die Castel sich um Lauenburg befestigte, hielt Zimbo Lorenz und Lubbock in der Gewalt, daß sie davon absahen, sich der gefährlichen Frau anzuschließen. Sie taten, was der schlaue Mann vom Kongo ihnen vorschrieb. Lieferten die siebzig Flüchtigen aus den Mekifabriken nach Berlin an Marduk ab, der sie zu den übrigen tat, versteckten ihre Waffen, gebärdeten sich unterwürfig gegen den grauen Konsul und den Senat. Der graue hohe Marduk legte sich wieder die Waffen an, die er im Beginn seines Konsulats trug. Die Wache des Ratsgebäudes und um ihn verstärkte er um Hunderte. Der schwarze schweigende Lucio Angelelli bezog seinen alten Posten. Das weite Land, das die Stadtschaft an sich gerissen hatte, überflog Marduk mit Angelelli. Die wieder vorstoßenden Brandwerfer der Lüneburger Heide sahen sie, die Flammen in Celle, das Wallen und Schwemmen der Elbe am Standort der verräterischen Angela Castel, im Land verstreut halb aufgelöste plündernde Horden, Ackerbauern, die sich gegen Nachbarn verteidigten. Warnende Nachrichten erreichten sie in Hannover: die verfemte Castel bereitete einen Angriff auf Berlin vor, Hamburg und England stünden hinter ihr. Ein weiblicher Bote von ihr kam in Hannover an auf der Suche nach Marduk; in einem kurzen Brief ermahnte die Castel den Konsul, seine Waffen niederzulegen und sich außer Landes zu begeben; sie sei nicht die einzige gegen ihn in der märkischen Landschaft. Das wußte Marduk. Es kam ihm nicht darauf an. Er war, und ebenso Angelelli, sein stiller schwarzer Gefährte, geschüttelt von einem heftigen Gefühl, als er das schneebedeckte Land sah, die Flächen, die schon zum Acker aufgebrochen waren, Menschen beim Bohren von Brunnen, niedergebrochene Häuser und Fabriken und hinter dem stummen sich bäumenden Land die westlichen Riesenstadtschaften, die eindringenden Flammenschießer in der Heide, die Überschwemmung bei Lauenburg. Wie von einem Blitz war er getroffen, als er dies sah. Ein Schmerz und Glück: sein Werk! „Angelelli, du kennst die Castel. Das ist ein anmaßliches Weib, die nichts vorhat, als die verruchte Frauenherrschaft über uns zu verhängen. Ihr liegt nichts an dem Land. Sie versteht nichts. Noch weniger als die Londoner, die doch etwas ahnen. Aber wenn sie für nichts, für ihre dummen Pläne sich der Vernichtung durch mich und die andern aussetzt, soll ich mich beschämen lassen. Willst du dich beschämen lassen, Lucio Angelelli.“ Der legte seinen strengen Kopf nach rückwärts: „Ich nicht, Marduk.“ Marduk hob die Arme: „Und ich!“ Ein Teil seiner Wache flog ihm nach auf Hannover. Als Marduk sie sich westlich von den letzten Ausläufern der Stadt setzen hieß, wurde Jonathan bei ihm gemeldet. In einem qualmigen mit Kohle geheizten Raum einer halb abgebrannten Fabrik stand Marduk, den ruhigen ernsten Blick gegen den blassen weichen Mann. „Marduk, ich suche dich seit drei Tagen. Ich freue mich, dich zu treffen.“ „Auch ich, Jonathan.“ „Du fragst, was ich will.“ „Nein, ich frage nicht. Du kommst doch zu mir.“ „Ich will nichts von dir, Marduk. Ich habe früher nichts gewollt und will jetzt nichts. Ich möchte dich warnen.“ Jonathan verschattete sich die Augen mit der Linken. „Von der Castel war ein Bote schon bei mir.“ Der Blasse flüsterte: „Kann sein. Du scheinst dich nicht darum zu kümmern. Geh außer Landes.“ „Gehörst du auch zu den Täuschern?“ Der jüngere verstörte zitterte wenig, dann bezwang er sich, richtete sich auf: „Ja.“ Marduks Hände hingen schlaff herunter. Die Augen in seinem Kopf waren geschlossen. Er stand eine Weile, als ob er schlief. Wie er die Augen öffnete, stand Jonathan noch da. Der Mann, sein einziges Glück einmal, war drängend näher an ihn gekommen. Marduk schüttelte den Kopf: „Du sagst mir keine Neuigkeit, Jonathan. Willst du mich warnen vor dir?“ „Ich weiß, daß du keine Furcht vor mir hast.“ „Nein.“ „Ich warne dich. Geh außer Landes.“ Marduk faßte den Jungen um die Brust: „Du willst mir das anbieten? So erbärmlich denkst du von mir? So fremd bist du mir?“ „Ich muß es tun.“ Marduk hauchte wie gelähmt: „Ein Täuscher. Es lohnte nicht, daß ich ein Wort an ihn verliere. Die Castel ist frech. Er, seinen Namen sprech ich nicht aus.“ „Marduk, ich hasse dich ja nicht.“ „Sitzt du bei deinen Maschinen gegen mich? Geht es dir gut dabei. Jonathan. Aber leb wohl! Du! Leb recht herzlich wohl.“ „Mir nützt es nicht, was du sagst. Darum kam ich nicht. Ich warne dich, Marduk! Wir sind viele.“ Marduk grimmig: „Laß mich los. Sprich nicht mehr zu mir. Ich verachte mich, wenn ich dich sehe.“ „Marduk.“ „Weg, weg! Es schüttelt mich. Daß du mir unter die Augen trittst! Daß du es wagst. Warum? Das heißt nicht, mich vor dem Tod bewahren. Du hast doch eine Geliebte. Geh zu ihr.“ „Ich will dir sagen, Marduk: erst hast du meine Mutter getötet, ich bin dir gefolgt, dann mußte ich von dir gehen. Ich warne dich jetzt. Schmäh mich nicht.“ „Sag mir du, bist du gekommen, um mir das von deiner Mutter zu erzählen? Weil es deine ganze Armut, Jonathan, deine ganze Trostlosigkeit enthüllt. Du hättest um deiner Mutter willen jetzt schweigen sollen. Von deiner Mutter hättest du nichts sagen sollen. Ich weiß, sie hat dich mit mir verbunden. Sie ist jetzt – gegen dich!“ Jonathan faßte sich an den Hals, wie gewürgt stöhnend, die Augen waren ihm vorgetreten: „Sprich nicht weiter, Marduk.“ „Ich spreche schon nicht. Warum erlöst du mich nicht? Warum gehst du nicht.“ „Ich habe mich schwer hergezogen, Marduk. Ich habe mich gewunden und geschämt herzukommen. Ich habe um dich und durch dich grenzenlos gelitten, Marduk. Du weißt es. Ich hänge an dir. Ich kann dich nicht loslassen. Ach ich warne dich, Marduk. Stirb nicht und stirb nicht mit meiner Hilfe. Ich bitte dich, flieh. Ich flehe dich an, hör auf mich. Ich flehe. Ich flehe. Marduk.“ Der wandte ihm den Rücken. „Du wirst außer Landes gehen, Marduk?“ Lucio Angelelli trat neben Marduk. „Du wirst meinem Rat folgen, Marduk? Gib mir eine Antwort.“ Dessen Augen blickten auf den Hauptmann. Der griff von hinten Jonathan um den Leib, schleppte den wimmernden aufheulenden schlagenden vor die Tür, warf ihn auf die Treppe. Ein zuspringender Krieger lähmte den Hingestürzten durch einen Kolbenschlag. Marduk, selbst vor die Tür tretend, wehrte dem Krieger, der zurückwich. Wieder wurde der Konsul, wie er am nächsten Tage die Wache beging, verzaubert von den Schneefeldern. Über Ruinen legte sich der endlos rieselnde Schnee. Hing weiß an Vorsprüngen und Kanten der Gemäuer wie ein Vogelnest, wölbte sich zum Balkon, floß Stufen herunter, überlagerte in einem breiten leichten Schwung Mauerreste Treppen Erdboden. Die Flocken stiebend vom grauen Himmel. Verschüttete Bäume Häuser Wege. Der Anblick rührte Marduk, wie er im dicken schwarzen Lederumhang neben dem Hauptmann ging, heftiger und heftiger: „Es ist die Frage, Angelelli, ob wir feige sein wollen und unsere Zeit abwarten oder ob wir standhalten. Ich will deine Antwort nicht herausfordern. Ich habe keine Lust noch irgendetwas abzuwarten. Ich bin vollkommen da.“ „Sie müssen uns das Land aus den Zähnen herausziehen.“ Angelelli ordnete für die Horde eine Feierlichkeit an, die von England herübergekommen an die indianische Sitte des Medizintanzes erinnerte. Die dreißig kräftigsten Männer der Truppe suchte er aus; sie hatten einen nahgelegenen Berg zu umkreisen und zu überqueren, bis sie erschöpft zusammenbrachen. Zwei Tage und zwei Nächte gingen die Männer ohne Speise und Trank; ein großer Teil der Truppe lagerte, bald stumm, bald singend an dem Wege. Zwei Tage und zwei Nächte hatten die Führer vorgeschrieben. Kein einziger der dreißig Männer, die sich zuletzt schleppten und wanden, kaum die Füße hoben, mit stieren Blicken, die Köpfe hängend, sich über die weiße Fläche, selbst schneebeladen, vorwärtsschoben, keiner versagte unter dem letzten Schmettern der Bläser, dem Brausen des Männergesangs auf den begangenen Wegen. Der schwarze Zimbo stand unbeachtet an einem dieser Wege. Grübelnd schlenderte er am Abend des letzten Tages davon, pfiff vor sich. Er schnellte mit den Füßen Steine hoch. Das war bei der Horde ein schönes Spiel gewesen. An den Yellalafällen hatte er so eins gesehen. Er lachte und knurrte vergnügt. Eine junge Birke faßte er mit beiden Händen an, bog den Stamm hin und her. Die Männer hatten schöne Muskeln. Und Lungen. Wie sie sich fortschleppten, als hätten sie einen Tritt ins Kreuz bekommen; aber es ging; sie machten es. Warum sollte man ihnen etwas tun. Er bog und drehte vergnügt an der Birke. Herr Delvil und die Brüsseler gingen ihn nichts an. Die Dicken in ihren Städten, die Dickköpfe. Sie wackelten mit den Köpfen, hatten Kürbisse oben; sie mußten behutsam laufen, sonst fielen sie ihnen herunter. Er kicherte: wenn ein Sturm kommt, fliegen ihnen die Hüte mit den Köpfen zusammen herunter. Sie müssen sich einen Haken am Kopf machen und eine Kette, damit sie ihren wiederfinden. Die Birke ließ er hin und her schießen. Welchen Grund hatte er, sich für die Glotzaugen und Kürbisse anzustrengen. Die Läufer gefielen ihm. Mit denen konnte man den anderen schon um die Nase blasen. Er trollte weiter in den Abend, rieb sich die Hände, sah sich nach der schmächtigen Birke um, die noch schwankte, nahm Steinchen zielte nach ihr, warf. Da war bloß noch Marduk. Er brüllte vor Vergnügen, warf eine ganze Hand Steine. Das war ein dummer verzagter Kerl. Den muß man umlegen. Das wird nicht schwer halten. Ladung auf Ladung gegen das Stämmchen. * * * * * Marduks Ende begann mit dem Vorstoß der unbezähmten Castel. Offen zeigte sie die Fahne der Täuscher, die verhaßte westliche der brennenden Erde. Das halbleere von Hungernden Räubern Flüchtigen durchstreifte Land südöstlich Lauenburgs durchzog sie rasch. Ülzen, wo die intakten Horden Lubbocks und Lorenz’ sich gesammelt hatten, ließ sie in ihrem Rücken liegen. Sie war im Besitz von Brandwerfern, die sie den Hamburgern abgenommen hatte. Weder Boten noch Briefe liefen zwischen ihr und den beiden früher befreundeten anderen Täuschergruppen. Überall übte sie, durch das Schneegebiet wandernd, die Methode der schwarzen Einkesselung: Einhüllung der gefahrdrohenden Gegenden in Wolken, darauf Vergasung oder Veräscherung. Über Salzwedel stieß sie. Auf ihren Wegen zertrümmerte sie zweitausend Menschen, rechts und links hinschießend, die metallenen Stiere, das Zeichen der märkischen Revolution, die brüllenden bronzenen Wesen mit der aufgerissenen Flanke, die der blinde Konsul Marke aufgerichtet hatte. Zum Hohn umstellten männliche und weibliche Streifkommandos die Metallsäulen, warteten den Augenblick des furchtbaren langhingezogenen sich wiederholenden Klageschreis. Mitten im Schrei, im grausigsten Sterbelaut zerriß eine Granate den starren Riesenleib, warf zum Entsetzen, zum Abscheu der zugelaufenen Landbevölkerung Säulen und Erzstücke dumpfend auf den Boden. Das Sprengen der heiligen Stiersäulen fachte eine stumme Wut in den Umwohnern an. Ihre Tannenzweige breiteten Kolonnen nach der Zertrümmerung der Säulen über die Bruchstücke aus. Sie hätten schon, wenn sie nicht immer stürmisch abgerückt wären, schon eine Stunde später überall das Feuer an den Sprengorten sehen können, von den Holzhaufen, auf denen die trauernden Menschen die feindlichen grünen Nadelzweige verbrannten, nachdem sie inbrünstig, oft unter Weinen, die Bruchstücke aus Erz und Stein zusammengetragen und in den Boden vergraben hatten. Zu ihrer Befremdung sah die sehr sichere kleine Castel, wie die Menschen, die sie zu kennen glaubte, vor ihrer Schar finster auswichen. Die durch Einzelläufer hingetragenen Worte von Befreiung und allgemeinem Zusammenschluß der westlichen Menschen fruchteten nichts. Sie erlebte dasselbe Erstaunen, das die Anhänger der alten Herrengeschlechter nach dem Tode Markes vor dem Einbruch Marduks erlebt hatten: der zuckende tiefe Widerwille der Masse vor den Apparaten, ihr zäher Hang an Markes Maßnahmen und seinem Weg. Die Bevölkerung hatte keine Möglichkeit, die Castelsche Horde anzufassen, aber in Irreführung auf Landwegen, massenhaften Einzelschikanen machten sie sich Luft. In der sehr männlichen Masse wechselte Spott auf die freche Weiberhorde der Castel mit Ausbrüchen der Erbitterung. Die Erinnerung an alte Weiberherrschaft lebte noch, reizte die vor den Pflug gejagten Männer aufs Blut. Die Horde der Castel, vorrückend, war wie von Spürhunden umgeben. Die Märker belauerten sie, warteten auf menschliche Beute. Die Frauen und Mädchen dieser Männer haßten die Castelschen Weiber am wildesten; blutgierig lauerten sie auf sie, griffen Zurückbleibende und sich Verirrende an. Zerschlugen sie, taten ihnen Schande an, sperrten sie in Ställe. In zynischer Weise vergriffen sie sich an jungen Geschöpfen, die kurz hinter Salzwedel, durch scheinbare Neugier der Umwohner verlockt, sich darauf einließen, vor ihnen zu sprechen. Kaum war der Hauptzug außer Sicht, warfen sich Frauen auf die Fremden, entkleideten sie vor den hohnlachenden Männern, zogen ihnen knappe Knabenhosen an, die in der Schamgegend geöffnet waren. Vorgebunden war da kein Feigenblatt, sondern eine derbe rote Rübe mit grünem Kraut. Die Hände wurden ihnen auf den Rücken gebunden; so mußten sie zu ihrem Hauptzug durch den Schnee. Und als ein Straftrupp zurückkam, die nahegelegenen Häuser verbrannte, da liefen hinter dem rückkehrenden Trupp, der keine Menschenbeute machen konnte, eine Schar Rinder her. Auf ihnen waren Leichen von gefangenen Kriegerinnen gebunden; den schamlosen Rübenschmuck hatte man zwischen ihre blanken Schenkel gepflanzt. Getrieben wurden die Rinder von zwei Frauen, die die Hände auf dem Rücken hatten. In kurzen Knabenhosen mit den schwankenden Rüben gingen auch sie, aber nicht stumm mit gesenkten Köpfen wie die früher losgelassenen: ihre Brüste waren entblößt, in einem Sack hatte man rechts und links an ihren Rumpf kleine wimmernde Schweine angebunden, deren Schnauzen hervorsahen und gegen die Brüste schnappten. Die Castel wurde nicht unsicher gemacht. Bei Stendal näherte sie sich der Peripherie der alten Stadtschaft Berlin. Von zwei Seiten war sie belauert, von Marduk, der selbst bei Hannover stand, während sein Hauptmann die Hälfte der Wache in der alten Stadtschaft selbst befehligte, und vom schwarzen schmalköpfigen Zimbo. Und während noch der Hauptmann Marduks von Magdeburg heraufzog, um sie anzufallen, erschien Zimbo mit der Horde des Lorenz unerwartet bei Stendal neben der weit ausschwärmenden Horde der Frau, die sofort Halt machen ließ. Zimbo verlangte noch einmal offen die Führung bei der ganzen Aktion als Beauftragter des Völkerkreises. Dann führte er eine Unterredung herbei mit dem hellbraunen starken Weib, während er zugleich durch Ausbreitung seiner Horde die gegnerische zwang sich auszudehnen. Und wie die siegessichere Castel mit Zimbo verhandelte, ihren Tannenzweig in der linken Hand, wurde ihr Schicksal besiegelt. Plötzlich, im Gehen und Fahren durch die knietiefen Schneefelder, war der Horde Castels, als ob alles vor ihnen und um sie auswiche umböge. Es war, als ob sie plötzlich in ein Element wie Wasser eingetaucht waren, in dem sie keine Fähigkeit, zu blicken und sich zurechtzufinden, hätten. Die in den schwarzen Rauch der Castel Gehüllten konnten, wenn sie sich Auge um Auge aneinanderdrängten, sich nicht sehen; jetzt hoben die Menschen, die Einzelläufer oder die in Gruppen, die hinter Wagen oder neben fahrenden Maschinen, Schnee auf, und die Hand, die den weichen kalten zusammenballbaren Schnee griff, – näherte sich ihnen nicht. Die Hand schien in Riesengröße ungeheuer weit entfernt. Sie zogen daran; ungeheuer und langsam, den halben Horizont bedeckend rückte sie näher. Etwas Schwarzes reckte sich vor den Menschen auf, die an den Apparaten standen. In den Himmel gewachsen waren sie. Die Menschen betasteten die Treppenstufen, die zu der Plattform der Apparate führten und die ein halbes Haus hoch schienen; mit mächtigen Händen konnten sie Stufe um Stufe angreifen, die Füße stellten sie, ängstlich, immer ängstlicher auf, sie konnten die Stufen hochsteigen und oben türmten sich die Apparate wie Kathedralen auf. Sie gingen am Boden wankend vorwärts. Sie hatten das Gefühl, die Erde wiche unter ihren Füßen aus, riesig ragte ihr Kopf in die Luft; ein fremder schwarzer Riesenkopf schwankte zu ihnen her. Die Menschen stöhnten in fürchterlicher Bangigkeit, rieben und kneteten an ihren wie gequollenen Armen, an ihrem Kopf, glaubten, sie müßten an sich schieben, sich zurechtdrücken und zusammenrecken. Wie die Menschen in den schwarzen Wolken standen sie da oder warfen sich hin, hielten sich die Augen zu. Sie riefen einander zu, hörten, daß andere in der nächsten Nähe waren, aber wagten nicht hinzuschauen. Und während sie lagen standen, entsetzt wieder zu blicken und schreiten versuchten, immer in Abgründe hinein, auf Felsgebirge hinauf, über Häuser her, liefen die Männer Zimbos, gegen die verzerrenden Lichtstrahlen geschützt, zwischen ihnen, stießen sie wie plumpe Hammel beiseite, nahmen ihnen die Wagen und Apparate weg, die sich an sie klammerten und brüllend um Gnade flehten. Drei lange Stunden währte die Unterredung der hellbraunen Angela Castel mit den Führern der gegnerischen Täuschergruppe. Da trat ohne ein Wort zu sprechen der schlanke ernste Lorenz mit einer kleinen Zahl Männer in das Zelt der Castel. Die stand auf, wies die Männer hinaus. Lorenz, den Türausgang haltend, nickte Zimbo, der auch aufgestanden war, stumm zu. Da ging der Neger, der eine lose Pelzjacke trug, auf die befehlende stirnrunzelnde Frau zu, nahm ihr, die zurückwich und den Mund öffnete, den Tannenzweig aus der Hand, tat ihn mit zärtlichem Gebaren unter seine Jacke und knurrte lachend. Die Frau wollte zur Tür mit den anderen Frauen. Zimbo machte ihr selbst am Ausgang Platz. Die Castel schrie noch, warum ihre Wache, die versteinert schien, die Fremden nicht angriff, da stand sie neben Zimbo in der weißen Landschaft. Männer auf Männer zogen vorbei, schoben und trugen ihre eigenen Kriegsgeräte. Man trieb eine kleine Schar Frauen vorbei, die entgeistert blickten; allen waren die Hände auf den Rücken gebunden. Zimbo grinste; seine Leute hatten einigen schon das Rübenzeichen angesteckt. Angela Castel, tief erblassend, verbarg das Gesicht hinter ihren Händen. Sie knirschte: „Du bist ein niederträchtiger Betrüger.“ „Was macht es.“ „Wirst du auch mich fesseln.“ „Ich weiß noch nicht. Ich werde wohl genötigt sein es zu tun.“ Sie atmete, die Hände herunternehmend: „Dann bitte ich, daß ich bald getötet werde.“ „Vielleicht wird das geschehn.“ „Ich will es selbst tun.“ Er wiegte den Kopf: „Überleg, Angela Castel, ob das gut für mich ist. Wie soll ich denn Marduk meine Ergebenheit und Treue beweisen. Ich kann es doch nicht besser, als wenn ich – dich zu ihm schicke.“ Sie sah ihn, vor Raserei vergehend, an. „Komm lieber ins Zelt, Angela Castel. Meine Leute sehen uns. Sie bringen dir vielleicht eine zudringliche Ovation. Sie haben noch Rüben übrig. Binde sie, Lorenz. Sei ruhig, Angela. Marduk wird mir sehr danken für meine sinnige Aufmerksamkeit.“ Und sofort benachrichtigte Zimbo den von Magdeburg anrückenden Angelelli, daß er die Aufrührerbande der Castel entwaffnet und gefangengenommen habe. Die Castel und drei Unterführerinnen schickte er mit einer sehr kleinen Bedeckung gegen Hannover zu Marduk. In einem Begleitbrief erklärte er, er stelle sich, im Besitz starker Waffen, die er den Aufrührern durch List abgenommen hätte, zu Marduks Verfügung. Er schüttelte sich freudig, als der Transport mit der Castel sich von ihm verabschiedete: „Du bekommst keine Rübe, Angela Castel. Du bist für Höheres ausersehn. Laß dir von Marduk das Fenster zeigen, durch das die Balladeuse gesprungen ist.“ * * * * * Wie Jonathan wiedererwachte, war sein leichter Metallflieger zertrümmert. Er mußte in tagelangem Marsch durch das gefährliche winterliche Land. Im Mecklenburgischen war sein Sitz. Er wanderte zuletzt auf den Wegen, die die Castelsche Horde von Lauenburg her genommen hatte; den Treibjagden der Bauern auf verdächtige Menschen sah er zu. In ein weißes Schafsfell gehüllt wanderte der stille Mann; geängstigt wie unter einer Verfolgung war er. Die Flüche der Leute hetzten ihn. In einer dunklen Weise kam ihm vor, daß er mit diesen Bauern verbunden war, und er wollte sie nicht lassen. Und zitternd fühlte er, daß er sie verraten hatte. Ein Verhängnis hatte ihn bewogen, sich den Täuschern an die Brust zu werfen. Er sah sich plötzlich in Gedanken laufen von den Rathausstufen hinter einem zerlumpten Mädchen: Elina. Mit ihr fing es an. Dann die Flucht, die Reise mit ihr, die Verlockungen, die Liebe zu ihr. Er blieb, kaum eine Stunde von seinem Haus entfernt, bei einem befreundeten Täuscher, einem alten Mann, der verwundert um ihn herumging, weil er bedrückt war, während ihnen die Stadtschaft schon zufiel. Giftig entfernte sich Jonathan aus seinem Zimmer, schloß sich in einer Versuchskammer ein. Er saß auf einer Kiste, saß von Mittag bis in die Finsternis. In der Nacht zuckte er, wie er nur eine unruhige Stunde geschlafen hatte, auf und saß hoch: Flammen waren vor seinen Augen, in den Flammen brannten Teile von Menschen, Schultern Arme, ein sich windender Leib mit bloßem Nabel: das regte sich, loderte grellrot. Seine Mutter. Seine Mutter brannte. „Zu Marduk, zu Marduk“, schrie es in ihm. „Ich muß hin. Ich kann nicht. O Hilfe.“ Und wie er sich ankleidete mit klammen Fingern, wimmerte er: „O Hilfe.“ Er lief aus dem Haus. Im Finstern fand er sich nicht zurück. Er wollte nach Hause. In einer Ackerfurche mußte er in der tiefen Finsternis zwei Stunden warten, bis das graue Licht am Himmel erschien. Da begann er zu stampfen und zu wandern. Er schlug gegen die Tür seines Hauses: „Ist wer da? Ist wer da?“ Und immer brüllte er, ohne die Antwort abzuwarten: „Ist wer da?“ Auch noch als Elina erschrocken heraustrat, schrie er und schlug gegen die Tür: „Ist wer da?“ Hereingezogen hörte er nicht auf zu rufen, bis sie ihm mit der Hand den Mund verschloß, ihn auf eine Bank herunterzog, wo er stier saß und die Fäuste ballte, ohne zu sprechen. Sie hatte nur einen dünnen Überwurf an; wie sie seinen Kopf an ihre Brust zog, fühlte er die Wärme, bog sich ab, murmelte wieder fremd: „Wer ist da?“ Und ging stürmisch mit wilden Blicken herum. „Bleib sitzen“ bat er sie nach einer Weile, wie er einen Schemel heranziehend sich vor sie setzte, die auf der Bank das Gesicht verhüllte. „Ich bin ohne Hilfe, Elina. Ich weiß, wenn ich mit dir spreche, auch du kannst mir nicht helfen. Marduk hat mich, als ich zu ihm kam, ergreifen lassen. Man hat mich hochgehoben. Ich bin betäubt worden.“ Sie weinte auf, er ließ sie nicht an sich kommen. „Wo soll ich jetzt hin, Elina. Ich kann nicht allein sein. Ich muß zu ihm.“ „Was hast du ihm gesagt, Jonathan.“ „Daß ich ein Täuscher bin. Es mußte heraus aus mir. Ich schämte mich meiner. Es ist heraus. Es ist gut. Ich habe mit den Täuschern nichts zu tun. Ich hatte nie etwas mit ihnen zu tun. Nie. Ich verfluche sie.“ Seine Augen brannten fremd und feindlich gegen sie. „Und Marduk?“ „Hat an mir getan, was recht ist. Nur nicht genug. Gepeitscht und gebrannt hätte ich werden müssen. Das hätte mir zugestanden. Oder mich auslöschen. Jetzt bin ich ohne Hilfe. Oh. Oh.“ „Du bist doch bei mir, Jonathan. Wir wollen fort aus dem Land.“ „Ich will nicht. Ich trag mich ja nicht weg. Ich geh nicht von ihm. Ich geh nicht weg von ihm. Ich – kann auch nicht. Jetzt weißt du’s.“ „Ich hab es schon immer gewußt.“ „Jetzt weißt du’s.“ Sein Gesicht hob sich leidend vor ihr: „Und was sagst du, Elina?“ „Du willst ja keine Hilfe von mir. Ich bin ja deine Feindin.“ „Nein. Sag das nicht. Komm doch wieder her zu mir. Laß mich vergessen.“ Er war aufgestanden. Er hatte sie umschlungen, die mit einem abwesenden suchenden Ausdruck ihr nasses Gesicht an seins lehnte. Er flüsterte: „Ich habe dir von meiner Mutter erzählt. Die hat er umgebracht. Aber mir ist nie, als ob er sie umgebracht hätte. Nein, sag nichts dazu, lach mich nicht aus. Mir ist, als ob er mit ihr zusammen etwas wäre, als ob er mit meiner Mutter verbunden wäre, wie mein Vater, den ich nicht kannte! Er. Er. So ist er mit ihr zusammen. Ich kann nur bei ihm ruhig werden. Bin ich von ihm, bin ich zerrissen.“ Sie flüsterte zur Seite blickend: „Und wie stehst du zu mir.“ „Ich weiß nicht, Elina. Mir ist jetzt wohl bei dir.“ „Es geht wohl zu Ende mit Marduk?“ „Sag das nicht, ich fleh dich an, sag das nicht.“ Er ließ sie los, schlenderte im Zimmer herum, stand am Fenster. Rotes Licht blitzte über den grauen Himmel. Wie er eine Zeit ruhig stand und nicht sprach, hatte sie ein Knie auf den Stuhl geschoben, den Kopf gesenkt und gesonnen. Ohne ihre Haltung zu verändern, rief sie: „Jonathan.“ „Ja.“ „Jonathan, ich weiß einen Rat.“ Er drehte sich rasch um, schritt auf sie zu, die sich nicht bewegte, griff an ihre Schultern: „Nichts sagen, Elina. Ich bitte dich, nicht auch du. Gib mir keinen Rat. Quäl mich du nicht auch.“ Sie gab klar von sich: „Du brauchst einen Rat. Du brauchst Hilfe. Ich quäle dich doch nicht.“ „Ich sehe, ich sehe, jetzt wirst du dich gegen mich erheben.“ „Ich weiß einen Rat, Jonathan. Aber ich bitte dich, mich tun zu lassen, was nötig ist.“ „Du glaubst, ich muß allein sein. Du willst mich verlassen.“ „Nein, ich werde zu Marduk gehen.“ Er ließ von ihren Schultern, bückte sich, suchte ihr von unten in das herabhängende Gesicht zu sehen. Er hauchte zurückweichend: „Zu Marduk willst du gehen.“ „Ja.“ „Weil ich geschlagen bin?“ „Jonathan, ich werde es tun. Laß mich es tun.“ Er ging an die Wand. Auf eine Fensterbank ließ er sich nieder: „Marduk hat mich greifen lassen und fortgestoßen. Jetzt du.“ „Was soll ich sagen. Ich kann dir keine klare Antwort geben. Ich bin – dir innig gut. Mich schmerzt es, daß ich dich so sehe. Ich glaube, ich will, ich will – an ihm tun, was du wolltest.“ Und den Kopf hebend, immer sinnend, in die Ferne mit einem Lächeln hörend, atmete sie: „Ich muß zu ihm. Glaubst du nicht, daß er jetzt auf mich wartet? Es war mir sicher, daß er dich zurückweisen würde. Ich helfe ihm. Du kommst – dann noch einmal zu ihm. Wenn du noch einmal kommst und ich bin es, so wird er dich nicht zurückweisen.“ Sie lockte Jonathan: „So ist es. Komm doch, Jonathan. Komm. Sieh, ob ich nicht du bin. Ob ich dich nicht zu ihm tragen kann mit meinem Körper. Komm, habe doch keine Furcht vor mir. Wir haben ja hundertmal zusammengelegen.“ Und sie ging ihm entgegen, der sich verwirrt erhoben hatte, umschlang ihn: „Mein Jonathan. Meine Wonne. Umschling mich, damit ich ganz du bin. Mir ist mit einmal so wohl. Gib mir. Halt nicht zurück. Mach deine Lippen auf, mach deine Augen auf. Ich bin Elina. Ach! Ich habe Sehnsucht Sehnsucht Sehnsucht nach dir. Namenlose Sehnsucht.“ Er hatte den Kopf auf ihrer Schulter, flüsterte: „Wie bist du sonderbar.“ Fester hielt er sie. „Jonathan, ich bin dein Hafen. Du bist ruhig. Es geschieht dir nichts. Du bist wohl bei mir.“ „O wie bist du.“ „Komm, ich muß dich küssen. Ich bin sehnsüchtig nach dir. Deinen Mund. Deine Augen. Wie liebe ich dich. Halte dich nicht zurück.“ „Ich tu es nicht. Ich halte mich nicht zurück vor dir.“ „Erkennst du mich wieder. Elina, deine Freude. Und du bist meine Glückseligkeit. Ich kann dir gar nichts schenken. Ich muß deine Hände küssen. Deine Füße.“ „Nicht, Elina.“ „Bin ich nicht deine Elina?“ „Du bist so rasend.“ „Nach dir. Ich kann dich nicht stehen sehen. Ich möchte dich ganz verschlingen in mich. Jeden Teil, den ich von dir sehe, beneide ich um dich. Deine Jacke, deine Haare, ich kann sie nicht außer mir dulden. Ach küsse mich auch. Bin ich nicht deine Elina?“ „Du bist es und bist es nicht. So wild bist du.“ „Mir kommt vor, als hätte ich dich nie geliebt. Jetzt liebe ich dich erst. Zum erstenmal. Als hätte ich bis jetzt mit dir gespielt. So unersättlich unersättlich, Jonathan, so unersättlich bin ich nach dir. Komm. Die Sonne geht auf. Es ist so hell. Leg dich zu mir.“ „Ich weiß nicht, wie mir ist, wenn ich dich sehe.“ „So steh nicht still. Liebst du mich nicht?“ „Ich ängstige mich, nein, mich graust es vor dir.“ „Vor mir, vor mir?“ sie lachte, ihn heftig umschlingend, „aber ach sprich nicht so, ich habe solche Sehnsucht nach dir.“ Er wollte sich von ihr lösen, aber sie hielt ihn fester. Er bettelte: „Süße Elina, was ist dir. Habe ich dich gekränkt. Hab’ ich dir weh getan.“ „Ich bin gut. Mehr als gut. Wie du süß bittest. Peinige peinige mich nicht.“ „Nicht peinigen. Meine Elina. Deine übermüdeten Augen.“ „Jetzt bist du mein Jonathan.“ Sie warfen sich auf ihr noch offenes noch warmes Bett. Unersättlich war sie in ihrer Raserei. Sie weinte immer: „Ich habe dich so entbehrt.“ Er tröstete sie; es tat ihm tief wohl sie zu trösten. Nach Stunden, am hellen Vormittag, stand sie vor ihm, der geschlafen hatte. Er zog sich rasch an. Sie küßte ihn, während er sich anzog; er mußte sie abwehren. Sie bat und drängte, er möchte sie doch lassen. Und als sie vor dem schneebedeckten Garten standen, die winterlichen Felder rechts und links, erblaßte sie, klammerte sich an ihn. „Jetzt geh’ ich bald weg.“ „Nicht zu Marduk.“ „Ich muß.“ Sie ließ ihn los, stürzte ins Zimmer. Wie sie im weißen Pelzmantel, die Pelzkappe auf dem Haar, neben ihm war, blickte sie ihn an, dem der Kopf auf die Brust gesunken war. Sie hob die Arme: „Ich kann nicht.“ Sie lief, während er sich nicht bewegte, durch den weißen Garten weg auf die Allee, schluchzend: „Ich kann nicht.“ Und erst, als sie eine Stunde gelaufen war, hörte sie auf zu weinen. Sie sah die schneebeladenen Bäume, die endlos weiten Felder. Matter war sie. Sie atmete tief. Sie fühlte: „Ist dies schön!“ Und dann immer: „Ich geh’ zu Marduk.“ * * * * * Die Horden bildeten in den Lagern ihre barbarischen Sitten aus. Sie zwangen sich zu hungern, in der Kälte sich halbnackt zu bewegen, gröbste Ackerdienste zu tun. Die Äcker der Krieger, von Tag zu Tag neu mit Steinen besät, waren berüchtigt. Folterspiele, die dicht an den Tod des Gefolterten führten, waren im Schwange. Laufen über spitze Kiesel mit nackten Sohlen leitete ein. Dann nächtiges unerwartetes Kämpfen mit einem starken Menschen, der die Schlafenden überfiel. Keiner kam dem Schreienden zu Hilfe; bis zum Tode hatte er sich zu behaupten und oft führte die Wildheit des Kampfes zum Tode eines, meist des Neulings. In den Horden hatte man verschiedene Abzeichen, aber nirgends herrschte despotischer Gehorsam. Die Gesiebten führten eine Art Ratsversammlung, wobei sie finsteren Ernst bewahrten, über Neulinge berichteten, Aufnahmen bestimmten. Vor diesen Versammlungen fanden auch die sogenannten „Zeichnungen“ der Neuen statt. Das waren in den Horden, je nach dem Vorwiegen barbarischer oder weißer Elemente, verschiedene Prozeduren; man wechselte auch in den Horden selbst damit: Einbrennen von Brustschildern, Zertrümmerung einer oder beider kleinen Zehen, Ausschlagen von Zähnen. Bisweilen wurden diese Maßnahmen abseits vollzogen, in der Regel vor der schweigenden Ratsversammlung, die in erhaltenen Lagerräumen, alten noch kostbar ausgeputzten Vergnügungsbauten stattfand. Sitten dieser Art waren seit dem Umschwung im Märkischen nach dem Uralischen Krieg allgemein geworden. Die „verlängerte Taufe“ war eine Prozedur, die viele Mütter an ihren Neugeborenen übten: Unterwasserhalten der Säuglinge bis zu einem gegebenen Zeichen. Diese „Taufe“ forderte zahlreiche Opfer und war ein Mittel, überflüssige und ungewünschte Kinder, besonders weibliche, aus der Welt zu schaffen. An „Tölpelspielen“ übten sie sich, höchst gefährlichen Spielen, bei denen Gefangene an nicht sehr wirksame Nahapparate gestellt wurden. Den Gefangenen gab man zu ihrem Erstaunen solche Apparate in ihr Gefängnis, das sie burgartig ausrüsten durften. Aber rasch erlebten sie, was man mit ihnen vorhatte: nächtliches Fortnehmen der Apparate durch Männer, die sich einschlichen; denn sie hatten ihre Gefängnisse selbst zu bewachen; an Ausbruch dachte niemand bei der Nähe der stärksten und listigsten Menschen und der nicht weit entfernten schweren Fernapparate, Nebelwerfer Wolkenentwickler Verzauberer Veräscherer. Plötzlich stand jemand neben ihnen, tat, als wenn er sie besuchen wollte, vielleicht verräterische Freundschaft mit ihnen anknüpfen. Und bald stieß er das gelle Hordengeschrei aus, lag auf dem erbeuteten unscheinbaren, mit Hebeln Knöpfen Schiebern versehenen Kasten, blitzte durch den Raum. Bisweilen kam es zu Schlachten in größeren Gefängnissen. Die Angreifer mußten sich durch Sprünge aus dem Fenster retten, büßten ihre Kühnheit mit dem Leben. Von außen kam ihnen niemand zu Hilfe. In solch Gefängnis, im Hordenbereich bei Linden, wurde Angela Castel mit ihren Frauen und einer Anzahl Täuscher verbracht. Die hellbraune Führerin glaubte, Marduk werde sie vernehmen; ganz leise hoffte sie, Marduk werde sich ihrer bedienen gegen Zimbo. Aber er kam nicht. Nur in beschämender Weise wurden ihre Frauen vor Hordenversammlungen gezogen, Selbstmorde fanden statt. Darauf setzten die Überfälle ein, die zuerst in dem Gefängnis niemand verstand, und die Ausrüstung der Gefängnisse mit Nahwaffen. Eine Ermahnung an die Gefangenen kam: sie seien selbst Hüter ihres Lebens, es würde ihnen in Gefahr niemand beistehen. Dann wurde klar: die Horde betrachtete sich in Kriegszustand mit den Gefangenen. Entwürdigungen der Frauen ließen nach; man bewahrte sie für Kämpfe auf. Da begann die Castel mit ihren Frauen sich auf Krieg einzurichten. Nach zwei Wochen galt ihr Gefängnis als unnahbar. Die Castel wußte, daß sie unter der Aufsicht von Fernwaffen stand, aber daß sie vor ihnen unbesorgt sein konnte. Die Frauen im Gefängnis waren von der größten Wachsamkeit, das Gerücht von dieser Festung lief zu entfernten Gruppen. Starke Überfälle wurden auf diese Burg verabredet; viele Männer kamen um; nur List und waffenlose Gewalt war den Männern erlaubt. Da erschien Marduk, wie Tauwetter eintrat, mit seiner Wache auf dem Platz vor dem Gefängnis am späten Nachmittag, ließ Frauen und Männer heraustreiben. Er fragte nach der Castel. Ging schon, als man sie rief, zwischen dem Haufen hindurch, betrachtete die Menschen, die stumm die Arme hängen ließen oder sich mit einem Gruß verbeugten. Blasse schwächliche und starke Frauen; wilde südliche Gesichter, feine weiße Züge der Menschen aus den alten Herrengeschlechtern, zornige und kalte herausfordernde, weichliche Mienen, Augen, die keine Kenntnis von ihm nahmen. Er kannte sie, die aus den heimlichen Versuchsstätten hergescheucht waren; besser als seine jahrzehntelange Beobachtung hatte der westliche Vorstoß, der Krieg, ihre Hoffnung sie herausgetrieben. Sie konnten ihrem hochmütigen Drang nicht entsagen; es war ihnen recht, daß sie hier standen. Ein Hauptmann ging neben Marduk durch die Schar, die sich überall rasch öffnete und um ihn weit Platz ließ. Sie schienen, wie die Blicke, die sie sich zuwarfen, das rasche Anstoßen mit den Schultern zeigten, Furcht vor einem unvermuteten Angriff zu haben. Aber Marduk ging, während die Castel ihn seitlich erwartete, durch die Schar. „Was willst du?“ hob Marduk die pelzbeladenen Schultern, als die Castel sich vor ihn stellte, klein, mit strengem ernsten Ausdruck. „Du hast nach mir gefragt. Ich bin Angela Castel.“ Marduk, den ein Windstoß traf, drehte sich um; er ging hustend mit ihr zwei Schritt seitwärts: „Es ist eine Frau ins Lager gekommen, eine Täuscherin wie du, oder doch die Gefährtin eines Täuschers. Sie heißt Elina.“ „Ich kenne sie nicht.“ „Sie ist wahrscheinlich selbst eine Täuscherin, obwohl sie aus irgendwelchen Gründen behauptet es nicht zu sein. Ich habe Veranlassung sie festzuhalten. Sie kommt in dein Gefängnis.“ Dann drehte er sich ihr voll zu: „Im übrigen habe ich gehört, daß ihr euch bei Überfällen gut haltet. Ich möchte dir raten, es nicht zu weit zu treiben.“ Die Castel gab den andern, über die sie Gewalt wie früher hatte, keine Auskunft über das Gespräch mit Marduk. Während sie ins Gefängnis zurückkehrte, mit zusammengepreßten Lippen, war ihr klar, daß Marduk wegen dieser Frau gekommen war und ihm an ihr gelegen war. Sie ballte die Faust. Und als Elina nach einer Stunde eingebracht wurde, erfuhr Angela Castel, daß dies die Gefährtin Jonathans, Marduks Freundes, aus dem Mecklenburgischen sei: So hatte man Jonathan, den leichtsinnigen von allen geliebten, auch entdeckt. Viele weinten an dem Abend im Gefängnis. Elina, bei der Castel sitzend, sah es mit Verwunderung und leiser Freude. „Wir werden Opfer sein. Was kann sich der kleine Marduk gegen die Welt behaupten“ weinten sie trotzig. Elina dachte: „Ich könnte nicht über Jonathan weinen, selbst wenn er eingesperrt wäre. Dabei bin ich ihm gut. Was tut Marduk mit mir.“ Sie erlebte noch in derselben Nacht einen furchtbaren Angriff der Barbaren auf die Gefangenen. Sie hörte das Todesröcheln einer erwürgten Frau in ihrer Nähe, das Knattern der kleinen Glutschleuderer, sah die erleuchteten tobenden entdeckten Männer, halbnackte, mit bloßen Füßen, über deren Körper die entzündete Masse wie ein Schleier lief. Unter trockene Lederschürzen warf man sich; sie lag neben der Castel. „Muß ich das oft erleben“ fragte sie am grauen Morgen die Castel. Die lächelte böse, noch liegend: „Solange es den Hunden gefällt, uns anzugreifen.“ „Weiß Marduk davon?“ „Gut, mein Hühnchen. Schlaf noch, damit du in der Nacht munter bist.“ „Was hat er mit mir vor?“ sann Elina. „Er hat mich wie eine Fremde angesehen.“ Sie mußte tagsüber dauernd zusehen, wie man tote Männer zum Fenster hinauswarf. Die Zahl der Frauen verminderte sich. Nacht um Nacht, Tag um Tag wurden welche geraubt erwürgt erschlagen, kamen von Nachbarapparaten um. Die angreifenden Horden liebten es Gefangene zu machen; es galt als besondere Ehre eins von den starken Weibern lebend zu fesseln. Zum Hohn wurden sie vor dem Gefängnis mit Stricken geschlagen, um die Gebäude herumgejagt, an einen erhöhten Pfahl mit geschlitzten Röcken und eingepflanztem Rübenkraut gebunden. Regelmäßig endete dieser Vorgang mit einer gewaltsamen echt märkischen Prozedur: mit Ketten hingen die Gefangenen, während ein Feuer lohte, an dem Eisenpfahl in der Mitte des Platzes. Sie setzten sich der Erstickung oder Verbrennung aus, wenn sie sich nicht losrissen. Die Ketten aber endeten nicht an den Händen Füßen Knien Leibern der Gefangenen, sondern gingen in Roßhaare aus, die durch die Zunge Armmuskeln Brustmuskeln gezogen waren. Es war Sache des Mutes oder der Todesangst der Gefangenen sich loszureißen, das Fleisch zu zerreißen. Mit Bewunderung oder Verachtung sahen die Männer dem kämpfenden schreienden zusammenbrechenden oder davonstürzenden, blutend hinrollenden Wesen zu. Die Apparate in den Gefängnissen wurden weniger. Und als es klar wurde, daß man zu Ende war, fingen die Frauen an, ihr Augenmerk auf Elina zu richten. Die Castel hielt sie immer dicht bei sich, beobachtete sie. Elina hatte sich nie für eine Täuscherin ausgegeben. Die Weiber haßten sie, die Castel mußte sie schützen. Jetzt bestürmte sie Elina; sie sei eine Freundin Marduks, sie solle ihnen beistehen. Elina wich aus; sie sei von Marduk nur eingesperrt worden. Da fingen die Weiber an sie zu martern. An ein Fensterkreuz banden sie sie, damit die Krieger draußen sie sähen. Die draußen kannten Elina nicht, wußten aber, daß der Konsul sie hergeführt hatte. Sie faßten die Marterung Elinas so auf: die Weiber wollten den Konsul verspotten. Man machte besondere Jagd auf Elina. Eine Horde hatte sich bei Linden festgesetzt; deren junge Mannschaft setzte sich die Ausräumung des Weibergefängnisses als Ziel. List bei Überfällen gab es nicht mehr. Türen und Fenster waren mit den letzten Apparaten verbarrikadiert; unter den Fenstersimsen lagen die haßgepeitschten Weiber. Es geschah in diesen grausigen Tagen, daß sie unerwartete Hilfe bekamen: Männer aus der Angreiferhorde selbst, fanatische, die im halben Einverständnis mit ihrer Horde sich hatten überwältigen lassen und mörderisch ringend gegen die Angreifer vorgingen. Der Kampf war hier schwer: das lockte sie. Die Angreifer hatten es auf die zarte, allen bekannte, Tag um Tag ans Fensterkreuz gebundene Elina abgesehen. Bei den wütenden Angriffen erlag Weib um Weib; zu Angela Castel und Elina drangen sie nicht vor. Als noch ein kleiner Haufen Weiber übrig war, erbittert eiskalt schwer erschöpft, kaum imstande die Apparate zu bedienen, kaum stark genug, in der üblen Luft die Leichen der Männer und Frauen fortzutragen, gaben sie zuerst den zugekommenen Männern auf, sich zu entfernen; sie wollten sie nicht mehr. Darauf hieß es mit der Angela Castel und Elina fertig werden. Es war, da die Castel sich weigerte, Elina freizugeben, unzweifelhaft, daß man beide beiseite bringen mußte. Die Castel war täglich auf die stumme Elina eingedrungen; sie sollte zum Konsul, nicht um gegen den Tod zu protestieren, aber gegen die beispiellose Barbarei. Sie hatte nur einmal eine Antwort bekommen. Aus gequälten Augen hatte sie die zarte Person angesehen, ihre Hand genommen: „Er ist kein Mensch; er ist ja selbst ein Tier.“ Die vertrocknete kleine Angela gab sie nicht frei. Als die Führerin das Gewisper unter den andern merkte und beunruhigt verzweifelnd, selbst vorschlug, nach den Männern vor dem Ende noch dies Weib hinzustrecken, war es schon zu spät. Die Frauen erfuhren kurz darauf den letzten vernichtenden Angriff. Die Horden waren, wie man von den Fenstern schon bemerkt hatte, seit Tagen in ständiger Bewegung, deren Ursache unbekannt war. Neue Haufen zogen durch den Ort. Geräte und Fernwaffen wurden vorbeigefahren. Kleine Reiterabteilungen trabten durch. Die Horde selbst, in deren Bereich das Gefängnis lag, brannte rückwärts liegende Häuserreihen ab. Ihre jüngste Mannschaft überfiel vor dem Abrücken noch das Gefängnis, das eine vorüberziehende Truppe mit einer Fernwaffe hatte ersticken oder einäschern wollen. In wilder Trunkenheit drangen sie einzeln vor Nacht ein, nachdem sie unter Gebrüll auf dem Platz vor der Halle einen riesigen Strick vorbereitet hatten. Daran banden sie herausstürzende verzweifelt angreifende niedergezwungene Weiber eins neben dem andern an den Haaren. Kein Verlust konnte die sinnlos brüllenden, glotzäugig geifernden, steigenden kletternden drängenden zurückhalten. Alles was die Truppe hatte quoll ein. Über das Dach und durch hohe Fenster stiegen sie. Hinter den verbarrikadierten, zwischen ihnen tauchten sie auf. Der Strick war auf dem finsteren Platz zwischen zwei Steinpfeilern ausgespannt, wartete. Aber die drin waren vom Blutrausch befallen, Männer wie Weiber, kannten und wollten kein Erbarmen. Das Ringen Würgen Stöhnen Niederkrachen. Die Männer standen, als sie keinen Gegner mehr fanden und noch eine Handvoll Weiber für den Strick hinausgetrieben wurden, da, tobten, schäumten herum, zerschlugen was sie fanden, Betten Geräte, sprangen aus dem Fenster, zündeten Türen Fensterrahmen an. Im lohenden Licht des Feuers unter den stiebenden Funken die Gefangenen. Dazwischen die halbtote Elina, die schon sterbende Castel, der der Bauch aufgerissen war, auf der lehmigen Erde. Der Strick war zwischen sechs Pferden an beiden Enden ausgespannt. Er hing am Mundzaum der zerrenden Tiere. Finstere Nacht zwischen den Ruinen bei Linden. Ein Trupp von berittenen peitschenbewaffneten Kriegern machte sich auf, während die Horde johlend abzog, die Gefangenen zu Marduk zu treiben. Auf die sechs Pferde setzten sich Krieger. Mit Hott und Hüh, bald langsam, bald im Galopp, über Straßen Baumwurzeln ging der Weg. * * * * * Marduk hatte seine gefährliche Situation erkannt. Er sah die rätselhafte Haltung Zimbos, des Mannes, den England im Land abgesetzt hatte, und der sich der feindlichen Triebkräfte in der Mark bediente. Und zum erstenmal in seinem langen Konsulat hatte er gefühlt, daß Markes Werk und seines gut war; es sollte nicht untergehen. In dem starken Menschen war ein Wohlgefühl aufgebrochen: Freude an dem Land. Der böse Rest aus seiner Vergangenheit, Jonathan, einmal in schwerer dunkler nicht zu durchdringender Zeit, – niemand sollte daran rühren – sein Freund, war zu ihm gekommen, hatte ihn angespien. Ein Grabstein war darüber zu wälzen. Dieser Jonathan der sanfte schmerzliche, hatte zuletzt geglaubt, einen Giftpfeil auf ihn richten zu müssen, hatte die Elina geschickt. Einmal hatte ihn etwas zu dieser liebenden Frau gelockt; sie blickte ihn, wie die Horden sie auf der Straße aufgriffen und herschleppten, sonderbar zage an. Sie wußte nichts zu sagen, als er sie fragte, was sie wolle. Sie durchschaute offenbar das Spiel, zu dem sie der rachsüchtig triumphierende Jonathan mißbrauchte. Vielleicht hatte sie sich selbst dazu hergegeben. Wie böse dieser Jonathan geworden war. Ein Grabstein über Jonathan. Die Frau weg. Ins Gefängnis. Zu den anderen Weibern. Martern über sie. Zu einem Zeitpunkt, wo niemand es erwartete, knüpfte der Konsul des machtvollen märkischen Stadtreiches Verhandlungen mit London an. Nach Frankfurt Bordeaux London ließ er Boten fliegen, die seine Bereitwilligkeit zu einem Waffenstillstand kundgaben. Er werde das Vordringen seiner Männer aufhalten, die Feindseligkeiten von drüben seien einzustellen. Eine zustimmende, fast freudige Antwort wurde ihm. Zimbo, erfuhr Marduk noch aus London, war nicht sicher in der Hand des neuen Völkerkreises. Wie Marduk seine Verhandlungen den Hordenführern bekanntgab, wurde er mit Stummheit und Widerspruch angehört. Mit Kälte erklärte er, er sei noch im Besitz seiner Garde und unüberwindlicher Apparate. Senat und Hordenführer vergaßen es ihm nicht. Sie verbreiteten trotz seines Verbots die Nachricht von den Verhandlungen mit den Westlichen. Auch seine Worte gegen sie machten sie bekannt. Unerwartet erfolgten da geheime, dem Konsul bald nicht verborgene Besprechungen bei den Horden. Eine auffällige Zahl von Kampfspielen fand statt. Und dann ein Loswandern aus dem westlichen Gebiet, ein wachsendes spontanes Fortziehen aus dem Hannoverschen, eine um sich greifende Unruhe, ein panisches Strömen ostwärts. Marduk hatte eben erst Kenntnis von den ersten Abwanderungen der Horden und kleinen Gruppen nach Osten bekommen, da flossen Massen bis herauf zur hamburgischen Grenze wie eine Schneeschmelze auf Berlin zu. In einem Sturm, unter Verbrennen aller rückwärtigen Gebäude, Verschütten der Straßen, bewegten sie sich auf dieses Zentrum. Eine Warnung zu Beginn der Bewegung kam von Angelelli. Er hieß Marduk sich seiner Wache versichern. Dann hörte die Verbindung mit Angelelli auf. Schwere Waffen mußten die Horden an sich gerissen haben. Marduk wollte mit einem Teil seiner treuen Wache auf Berlin fliegen. Die Avantgarde geriet an eine Strahlensperre. Es konnte Tage dauern, bis sie aufgedeckt war. Wie Marduk aus seinem Flugzeug bei Hannover auf die nasse kalte Erde stieg, hielt an seinem Haus eine kleine unbekannte Reiterschar. Eine Zahl unberittener Pferde hinter ihr. Auf einem schmutzigen flankenschlagenden Pferd saß Angelelli, der schwarze Hauptmann, sprang ab, folgte Marduk ins Haus. Er drängte heftig mit ungewohnter Erregtheit Marduk zu fliehen. Ein großer Teil seiner eigenen Schwerwaffen hielte nicht mehr zu ihm. Marduks Fernwaffen und seine Wache sei, soweit sie nicht dicht um ihn sei, verloren. Der eigenen Leibwache Marduks sei nicht zu trauen. Der Besieger der Castel, Zimbo, der Schwarze, führe selbst Täuscherhorden. Dies sei nun erwiesen. Er zeige ein doppeltes Gesicht; gegen seine Krieger das eines Täuschers wie sie selbst, gegen Fremde das eines Freundes Marduks. Die Horden strömten Zimbo zu, der Marduks Verrat trompete. Die panisch verwirrten Horden lockte er an sich. Marduk solle fliehen. Draußen ständen Pferde. Er, Angelelli, fliehe. In dem leeren abendlichterhellten Zimmer warf Marduk seinen schweren Ledermantel auf den Boden. Auch die Lederkappe mit dem Stierzeichen des Konsuls zog er ab und warf sie hin. Die Jacke knöpfte er sich langsam auf. Er atmete die Hitze seiner Brust aus. Dies hatte Jonathan gesagt, – mit einmal brannten die verschleierten Augen dieses jünglinghaften schrecklichen Menschen wieder vor ihm –: er solle fliehen. Die Horden zogen einen Reifen um sich und liefen diesem Zimbo in die Arme. Hart sah er an dem schwarzhaarigen Hauptmann vorbei: wohin er flüchte und wozu. Der, sehr leise, achselzuckend: wir können nur das Leben retten; sie müßten nach London. Da entließ Marduk den Hauptmann, nachdem er gefragt hatte, ob man bis morgen warten könne. Kurz darauf, in der rasch niederfallenden Dunkelheit, wurde Pferdetrappeln und Gejohl vor dem Haus laut. Der Hauptmann klopfte an das Zimmer, in dem Marduk, sein Herz zerreißend, lag. Marduk möchte herauskommen, dies draußen sehen. Schnaufend, krank und lahm, mit halbgeschlossenen Augen schleppte sich Marduk an die Tür, ließ sich, wie gerichtet, kaum vom Boden aufsehend, ins Freie führen. Fackeln brannten. Es waren Männer einer Horde. Zwischen ihnen Pferde, die sie, wie Marduk sichtbar wurde, auseinanderscheuchten. Ein Strick wurde sichtbar zwischen den Pferden. Daran hingen ein paar Dutzend Weiberkörper. Langgezogenes Klagen Wimmern. Die meisten hingen stumm. Ein Kerl rief von seinem Pferd herunter: dies seien die letzten aus dem Gefängnis von Linden; sie seien mit der bloßen Hand, ohne Waffen, gefaßt worden. Ein anderer schrie: die Castel und die vom Konsul seien dabei. Die hingen in der Mitte, sagten aber gar nichts mehr. Marduk stöhnte, sein Gesicht eine tote Bitterkeit. Man solle die Kerls verjagen. Den Strick losmachen. Die Pferde weg. Die Castel war tot. Man brachte nach einer halben Stunde auf den Gang ihre völlig zerbrochene und zertretene Leiche; sie war völlig ausgeweidet, der Kopf, zertreten, begann erst in der Mitte der Nase. Dann legte man drei Körper hin, die zusammenhingen. Die beiden außen waren tot oder sterbend. Ihre Rümpfe von innen mit ihren eigenen Kleidern zusammengebunden und verknotet; drin zwischen ihnen hing Elina, zwischen den weichen triefenden Massen eingekauert. Sie schrie, wie man die Körper trennte, das Bündel öffnete. Ihr einer Arm hing. Sie war blutbegossen, das Haar vor ihrem Gesicht und an Mund und Nase lehmig angebacken. Die stark gekrümmten Beine konnte sie nicht strecken. Marduk im langen Schafspelz bloßhäuptig stand an der Tür, nahm mit weiten Augen Kenntnis von den Dingen in dem trüben Gang. Das war ein Zeichen der abziehenden Horden. Hohn, Hohn wollten sie ihm antun. Elina wurde aufgehoben; von draußen liefen Männer herein, trugen sie fort. Bevor Marduk ins Zimmer ging, blickte er Angelelli an: „Ich habe gesagt: bis morgen. Nicht wahr?“ „Es wird morgen noch möglich sein.“ Im Mondlicht bückte sich nach Mitternacht Marduk über das Strohlager Elinas, neben der eine junge Frau wachte. Der pelzvermummte Mann betrachtete sie stumm, suchend, suchend, suchend. Er stöhnte auf dem Stuhl neben dem Bett; die junge Frau ging ins Dunkel. Draußen klapperten die Pferde. Der Wächter gab ihm auf seinen Anruf ein braunes schweres Tier. Zwischen den Häuserreihen, die niedergebrannt, gesprengt waren, jagte auf dem Tierrücken auf und ab gestoßen Marduk. Im Norden der Stadt, auf einem Feld, das die Märker angelegt hatten, hielt er. Sehr helles gelbweißes blankes gießendes Mondlicht durch die Luft auf den Boden. Neben dem braunen Tier ging Marduk. Stöhnte noch immer. Hätte er Täuscher werden sollen, hatte Jonathan recht? Die Täuscher siegten, England und Amerika siegten? Er griff in die kalte bröcklige Nässe der Erde. Legte sie sich beruhigend auf die Lippen, leckte daran. Das Pferd neben ihm, der Braune. Der Braune und er standen zusammen. Er war nicht verloren. Nicht er war verloren. Marduks Zähne knirschten. Sein Kopf wurde an den Pferdehals gedrückt. Dies alles Neueroberte, Land und Tier und Mondschein, hatten die Krieger stehen lassen. In Zimbos, eines gerissenen Betrügers, Netz liefen sie. Ah, die tobsüchtigen Apparate mußten weg. Ganz weg. Marduk schwang sich auf seinen Braunen und pfiff. Die tobsüchtigen Apparate mußten ewig weg. Angelelli blieb noch einen Tag, suchte den Konsul. Abends floh er, westwärts, überzeugt, Zimbo hatte den Konsul wegführen lassen, Marduks eigene Wache hätte dabei geholfen. * * * * * Auf Wittenberg Stendal Magdeburg schoben sich die Banden. Zimbos Boten empfingen sie auf den Wegen, die von der Elbe herführten: der Konsul Marduk hat die Stadtlandschaft und die Sache der Mark verraten wollen; Angelelli ist flüchtig; er werde das Land beschützen. Die Horden lagen mißtrauisch am linken Elbufer. Zimbo kämpfte in seinem Lager mit der stärkeren, schon kaum zu bändigenden Erregung seiner Krieger. Sie waren in Wut über die infame Behandlung, die die Castel bei Marduk erfahren hatte; Zimbo hatte sie ihm ausgeliefert; sie verlangten: Zimbo solle sein englisches Mandat ausüben und nicht länger hinter dem Zaun halten. Zimbo sandte Kuriere zu den Horden; dann erschien er selbst zu einer Führerversammlung bei Wittenberg. Den Hordenführern war der Kamm geschwollen, seitdem die schweren Apparate Marduks, die gefährlichsten des Kontinents, in ihrer Hand waren. Sie verlangten von ihm Beweise, daß er sie nicht verriet und sich ihnen unterwerfe, bevor sie sich mit ihm zusammentaten. Er flog, finster sinnend, zurück, bereit, seiner Truppe den Willen zu tun und sie rasch zu überfallen. Da erfolgten in seinem eigenen Lager und im engeren Umkreis Berlins furchtbare Dinge. Eine teuflische Verräterschar schien es auf den Untergang der ganzen Stadtlandschaft abgesehen zu haben. Große Teile der Mekifabriken, sowohl leere wie eben wieder in Gang gesetzte, flogen in die Luft, wurden durch künstliche Blitze eingeäschert. Rätselhafte Überfälle auf Apparate innerhalb des Lagers fanden statt, mit gelegentlicher Vernichtung wichtigster Teile. Und dieses Unheil betraf sowohl Zimbo wie die Horden jenseits der Elbe. Es mußten Teile der Marduk treu gebliebenen Wache sein, Zimbo fürchtete in manchen Augenblicken, es war ein neuer und zuverlässiger Delegierter des Völkerkreises. Er ließ den Führern geheim sagen: der Völkerkreis wolle sie kirr machen, man müsse sich bald einigen. Inzwischen ließ er Jagd auf die Unwesen machen. Aber Marduk selbst mit zwei Dutzend Ergebener leistete alles. Sie hatten Apparate Spiegelkleidung Blender. Marduk kämpfte für seine Sache. Er vertraute auf die Besinnung seiner Horden. England würde ihnen nichts antun, die Not würden sie überwinden. Er kämpfte mit einer ihn selbst durchschauernden Kraft. Die alten Namen Targuniasch und Zuklati, der makkabäerhaften Kämpfer früherer Jahrhunderte gegen die Apparate, wurden in ihm wach; er sprach sie aus. Jetzt erkannte er sie. Auf diesem Boden stand er. Ihm war, als wenn Schuppen von seinen Augen fielen. Wie ein Werkzeug, ein störrisch widerstrebendes, ein Hobel über einem Knollen und Baumstrunk hatte er sein Konsulat geführt. Alles war gut daran. Er hatte gelitten, nicht gewußt, wie wohl er tat. Er dachte immer an die Menschen, die sich in die Maschinen gestürzt hatten, um sie zu vernichten, die Toten von Calais, Targuniasch und Zuklati. Hart sicher und rasch handelte er. Strenger Frost. Zwischen den sich belauernden Reihen der märkischen Horden und Zimbos schlug sich Marduk mit seinen Leuten durch, immer zurück ins Hannoversche kehrend, in sein Quartier. Diese Ortschaften waren verödet, wenige Menschen hausten noch hier, die Landschaft fiel in ihre alte Versunkenheit. Zwei Wochen nach der Flucht Angelellis und dem Abfall seiner Wache ritt er zum erstenmal in die Moore südlich des Grinderwaldes. Nach zehn Tagen kam er das zweite Mal. Rechts und links hatte sich in die Einöde, bei seinem alten Standort, die Kunde von seiner Anwesenheit verbreitet. Seine Mannschaft suchte zuverlässige Gefährten, verheimlichte sich nicht. Marduk selbst erklärte, man müsse Menschen sammeln, nicht verzagen. Und er suchte und sammelte in der Gegend seines alten Standortes. Ein dunkles Gefühl hielt ihn fest, ließ ihn nicht erschlaffen, trieb ihn weiter. Was war es. Er mußte es vollenden. Jonathan fiel ihm in stillen Augenblicken ein. Die Treppe heruntergestürzt. Und gleich hinterher Elina. Diese Frau bei den Pferden, zwischen den Pferden, an einem Strick hängend. Die Pferde geiferten, die Krieger höhnten. An dem Strick die Leiche der Castel, der verruchten, zwischen zwei Toten die andere, die noch zappelte. Das Haus, in das man die Opfer der Horde gebracht hatte, war ausgestorben; auf den Gängen braunschwarze Blutspuren. Wie einmal Marduk, die großen Augen nach innen gerichtet, leicht verdunkelt, den langen goldweißen Theatersaal betrat, den sich ein flüchtiger Herr hier hatte bauen lassen, jetzt mit Proviant Flaschen Kisten Röhren gefüllt, klang neben ihm die Stimme eines Mannes, der einen Gürtel in der Hand trug: ob sie Frauen annehmen dürften. „Nein“ schüttelte Marduk den Kopf; nicht mehr Frauen, nicht mehr dies. Sie wollten aufbrechen, sie sollten das Quartier verlegen, östlicher, an die Elbe heran, sie sollten sich beeilen. Er ging, ohne den weißen Gürtel anzusehen, den der Mann ihm vorhielt. Marduk stand auf dem Hügel, auf dem hartgefrorenen Boden, vor dem starren geborstenen Riesenskelett einer Esche. Die eisige Luft flog in Stößen über ihn. „Alle Dinge in der Welt müssen einmal beendet sein“, dachte er, „ich will aufbrechen.“ Er packte im Haus an einer Bank seinen Tornister. Da hatte ihm der Mann den Gürtel hingelegt, den er vorhin in der Hand hielt. Marduk wollte schon die Lippen öffnen, den Mann zu rufen, da führte er die linke Hand zum Mund, bedeckte ihn. Wessen, wessen, wessen Gürtel war das: weiß, mit silbernem Zierat. Das war, – seine Augen erweiterten sich – Jonathans Gürtel. „Woher hast du den Gürtel?“ „Eine Frau gab ihn mir; ich sollte ihn dir zeigen; sie wollte uns helfen.“ Nach einer Stunde Ritt hielten sie in einer Häuserreihe, die durch Brand und Sprengungen verschüttet war, vor einem niedrigen Gebäude, auf dessen flachem Dach Geröll eines niedergestürzten Nachbarturmes lag. Der Schutt häufte sich vor dem Eingang. Sie umgingen den Trümmerberg, ein Hund fiel sie an. Während der Krieger das bellende bissige starke Tier schlug, – es geiferte zuletzt oben auf den ungangbaren Steinmassen – rüttelte Marduk an der verschlossenen Tür. Neben der Tür war ein kleines Fenster. Marduk, im Gefühl, daß ihn seitlich einer anblicke, zuckte zusammen. Eine Frau streckte den zerzausten Kopf heraus. Ein blasses mageres Gesicht, das sich verzerrte und aufflammte. Im Augenblick zog sie den Kopf zurück. Marduk trommelte gegen die Füllung: „Mach auf.“ Zwischen dem Hundegekläff hörte er drin rumoren und dann dicht an der Tür eine leise Stimme: „Du meinst, ich mach dir auf. Ich mach dir nicht auf.“ „Mach auf.“ Jetzt erkannte er, es war Elina. „Warum willst du nicht aufmachen?“ „Glaubst du, ich werde mich noch einmal von dir in ein Gefängnis stecken lassen, du Hund. Ich bin da, damit du mich quälen kannst?“ „Mach auf, Elina.“ „Ja mach auf. Mach selber auf. Es wird dir gut bekommen. Versuch es.“ „Ich will dich sprechen, Elina.“ „Warte, ich will dich auch sprechen. Geh von der Tür zurück.“ „Was soll ich. Jag deinen Hund weg.“ „Geh von der Tür weg. Geh bis an den Schutt.“ Marduk trat, während der Krieger mit dem Hund kämpfte, der blitzschnell um den Haufen herumsauste, an den Rand der Steinmasse. Die Tür sprang auf. In der Öffnung wurde ein mannshohes schmales Gestell sichtbar, das, auf Rädern geschoben, metallen und gläsern blitzte. Ein Angriffsapparat. Die Hand an einem Glasgriff bewegte sich das Weib neben ihn; gerunzelte Stirn, sprühende Augen, ein Mund, der den Atem zwischen abgezogenen Lippen, zubeißenden Zähnen entweichen ließ und einsog. Der linke Arm hing schlaff. Sie trug ein weißes verschnürtes Schaffell wie Marduk. „Nun, Marduk? Wie ist Ihnen jetzt? Da stehen Sie. Sie wollen mich etwas fragen. Sie sind wohl geneigt, erst mir zu antworten.“ Durch Marduk lief der Gedanke: Schade. Sie ist eine Täuscherin. Ich bin in eine Falle gegangen. So muß ich enden. „Ich wollte dich fragen, was mit diesem Gürtel ist.“ „Jetzt ist Ihnen bang, Marduk. Aber mich haben Sie in das Gefängnis gesteckt, zur Castel. Ihren Banden haben Sie befohlen, mit uns zu tun, was sie wollen. Sie wissen, wie es ausgelaufen ist.“ „Man ist wild mit Euch umgesprungen.“ „Ist man das? Feige sind Sie also auch. Hat es Ihnen nicht eine Freude gemacht, als man uns anbrachte, am Strick, hinter Pferden. War das nicht ein besonderes Vergnügen für Sie? Da hingen wir. Gestehen Sie’s.“ Das Schreien des Kriegers, das Heulen des Hundes war so stark, daß beide schwiegen. „Du bist eine Täuscherin, Elina. Du kommst von Jonathan. Ich bedaure nichts. Ich mußte dich festsetzen.“ „Weiter.“ „Was dann geschah, ist nicht meine Sache.“ „Was sprichst du von Jonathan. Seinen Namen, Bestie, Bestie.“ Und nahm die Hand von dem Griff, weinte laut in ihre Höhlung. Der linke Arm krümmte sich im Ellbogen; seine Finger drückten an die Brust. Diesen Augenblick während des ununterbrochenen Tier- und Menschentobens zwischen ihnen benutzte Marduk, um im raschen Anlauf den Apparat zur Tür herauszureißen. Der rollte polterte die fünf Stufen herunter, stürzte vornüber, krachte, Glas- und Metallplättchen streuend. Elina hatte den rechten Arm sinken lassen, war zwei Stufen dem Apparat nachgesprungen, stand schlaff da, blickte entsetzt auf Marduk; die Tränen quollen noch aus den Augen. „So. Also das hast du erreicht.“ Marduk, der gebückt angelaufen war, richtete sich auf, einen Fuß auf der untersten Stufe: „Wir können so besser verhandeln.“ „Erst Jonathan. Dann mich. Daß Menschen wie du geschaffen werden.“ „Was wolltest du mit diesem Gürtel.“ „Jetzt fragst du. Ich habe es dir sagen lassen.“ „Du wolltest dich mir anschließen. Sag selbst, Elina, verdienst du nicht, daß ich dich umbringen lasse.“ Stumm blickte sie ihn lange an, sie weinte nicht mehr; ihr Kopf bewegte sich wie unwillkürlich auf und ab. Mit leiser Stimme: „Ich will dich nicht auffordern, in das Haus zu kommen. Warte. Ich will mir eine Kappe aufsetzen.“ Gleich erschien sie wieder; lächelte leicht, als sie Marduk nicht an der Treppe sah. Er rief hinter der Schuttmasse: „Heb deine Arme hoch, Elina.“ Sie ging die Stufen herunter: „Einen will ich hochheben, wenn es dir Spaß macht. Den andern hast du mir festgebunden. Komm nur vor.“ Sie ging, während die beiden Männer auswichen, frei an ihnen vorbei in der kalten Luft. Marduk hinter ihr: „Du hast nichts?“ Sie ging mit gesenktem Kopf weiter: „Komm. Geh mit.“ Erst nach einer Anzahl Schritte war er neben ihr. „Du willst wissen, Marduk, was ich mit dem weißen Gürtel wollte. Weißt du, was – ich – überhaupt – von dir wollte?“ „Wann?“ „Als ich in dein Quartier kam. Schick den Mann weg. Ich habe keine Waffen. Wenn du mich umbringen willst, kannst du es zur Not auch allein.“ Er ließ den Mann, der den Hund getötet hatte und den blutigen Körper an einem Strick hinter sich herzog, ein Stück zurück. „Du weißt nicht, warum ich kam, Marduk“, sie sprach seitwärts in ihren Pelz sich verkriechend, immer von ihm wegsehend, „es ist auch nicht nötig.“ „Jonathan hat dich geschickt.“ „Nicht sprechen, nicht sprechen“ ihr Kopf fuhr herum, ihre Augen glühten, „ich hab dir gesagt, du sollst ihn nicht nennen. Du sollst es nicht. Nein, du sollst es nicht.“ Und wie sie bitter krampfhaft den Mund schloß, füllten sich ihre Augen wieder. Sie sah weg, schluchzte. „Wo führst du mich hin?“ „Komm.“ Der Straßenweg war zu Ende. Über einer gefrorenen Wiese, – das Eis, über Tümpel ausgespannt, knisterte – gingen sie. Ein lichter schmaler lang hingezogener Wald kam. „Hier. Laß den Mann draußen. Er kann auf der Wiese warten. Er darf mit dem toten Tier nicht her.“ Sie wanderten zwischen den Stämmen, unter dem Liniengewirr der Äste. An einer kleinen mit trockenen braunen Blättern überschütteten Bodenwelle stand Elina. „Komm.“ „Bist du müde? Willst du dich setzen?“ Elina den Kopf tief auf die Brust gedrückt zog sich die Kappe ins Gesicht. Sie hauchte: „Gib den Gürtel.“ „Hier.“ „Nein. Leg ihn selbst hin.“ „Wo soll ich ihn hinlegen?“ Elinas Knie sanken; sie drückte den Kopf in das kalte herunterraschelnde Laub. „Was denn, Elina?“ Sie weinte unten ganz leise, ihre Hände griffen in die Blätter: „Ja hierhin.“ Marduk seufzte, zwischen die Stämme blickend: „Was ist mit Jonathan?“ „Du siehst es ja. Dein Freund. Unser Freund. Mein Freund. Mit dem weißen Gürtel. Du trugst immer den weißen Gürtel. Einen weißen Mantel, deinen weißen Mantel trugst du immer so gern.“ „Was ist mit Jonathan?“ Sie schluckte unten, hell weinte wimmerte sie, zog die klagende Stimme: „Nicht fragen. Oh, oh. Nicht fragen.“ Er erzitterte, es überlief ihn. Vom Kopf bis zu den Füßen lief das Zittern. Er wehrte sich. Es rollte von den Knien und Schultern, es warf ihn hoch, zog ihn herunter. Er schüttelte seine Arme, wirbelte und riß an seinen Ellbogen, stieß seine leeren greifenden Hände nach vorn und rückwärts. Wie er den Kopf nach hinten bog, um seine übervolle Kehle zu entladen, schleuderte es ihn auf den Boden, dicht neben die klagesingende wimmernde sich einwühlende Elina, schräg über den Grabhügel. Laubwolken flogen über sie beide. Und da lag im weißen Pelz der große grauhaarige Marduk; die Kappe rollte den Hügel herunter. Er tobte, streckte die Arme aus: „Nein, nein, nein.“ Flehte zu Jonathan, rief ihn mit Kosenamen, suchte ihn. Auf den Rücken warf er sich herum; die Blätter hatte er in den Händen, rieb sein glühendes aufgedunsenes Gesicht. Er warf sich auf, am Fuß des Hügels kniete er auf dem Waldboden, den Rumpf hin und her biegend, im Flüstergespräch mit dem Hügel, den Kopf immer wieder tief einpressend. Und Marduk pries Jonathan, umarmte ihn, ließ den Sand das Moos das trockene Laub nicht los. Sein Zittern ließ nach, den Kopf hob er, die Hände nahm er von dem blattbedeckten aufgerissenen zuckenden Gesicht. Elina, leeren Blicks, stand neben ihm, ein Knie gebeugt auf dem Hügel, hielt ihm die Hand hin, daß er aufstehe. „Nimm den Gürtel vom Grabe weg.“ Er suchte sie zu erblicken. „Komm, häng ihn hier auf. Neben dem – andern da.“ Marduk ließ sich zehn Schritt führen. Da war eine Eiche. Von einem knorrigen Ast hing ein kurzer Strick herunter. „Hierher ist er gegangen, Marduk. Ich weiß nicht wann. Ich lag noch bewußtlos in dem Haus. Er soll am Haus nach mir gefragt haben. Und nach dir. Du – warst auf der Flucht. Ich konnte nichts sagen.“ „Er hat sich – erhängt.“ Ihre klangreiche ruhige Stimme: „Er sprach bevor ich wegging, von dir. Und von seiner Mutter. Darum ist er zu dir gekommen. Er sagte, er könne dich nicht lassen. Er ist in den Wald gegangen, als du ihn nicht annahmst.“ „Wie sah er aus, als man ihn fand?“ „Ich weiß nicht genau. – Ich habe sein Gesicht noch gesehen. Es war – Marduk, Marduk, – als wenn – ein Mensch – im Feuer brennt.“ Ihre Schultern zuckten, sie stieß wieder die hohen Töne aus: „Er brannte. Es ist wahr. Ich konnte ihm nicht helfen. Ich habe ihm nicht geholfen. Hätte ich ihm doch geholfen. Und du.“ Marduk stand still. Er hatte die Augen geschlossen. Den Gürtel hielt er in der Hand. Als er die Augen geöffnet hatte, hatte er einen gebundenen zärtlichen Ausdruck. Er schlang den Gürtel um den Ast, seine Muskeln waren ganz fest, die Augen hielt er starr auf den Strick, die Finger hielt er zusammengekrampft. So stand er. Als er den Mund öffnen konnte, flüsterte er mit noch unbeweglichen Augen: „Und jetzt ist alles vorbei, Jonathan. Jetzt ist es vorbei.“ Er wiederholte es tonlos. Den Hals konnte er bewegen, das starre Gesicht Elina zuwenden. Da fiel er gegen ihre Schulter. Sie hielt ihn mit ihrem rechten Arm, drängte sich mit der Brust gegen ihn. Er sank sank gegen ihre Brust; sie mußte sich anstrengen, den weichen absinkenden Körper hochzuziehen. Er war wie ein Schlafsüchtiger. Sie ließ ihn vorsichtig auf die Erde herunter, sein Rumpf hielt am Stamm des Baumes nicht aus, streckte sich lang neben den pendelnden Armen auf den eisigen Waldboden. Schwer lag er. Atmete gleichmäßig, seine Züge lose. Elina neben ihm kniend sprach ihm zu. Dann öffnete er die Augen; die blickten ins Leere. Sie stützte seinen Kopf, rückte seine Kappe zurecht. Er ließ sich hochziehen, ging gleich. Sie führte ihn. Sie kamen zu der Wiese. Der Mann mit dem Hund stand noch da. Stumm gingen sie über dem knackenden Eis an ihm vorbei. Kein Wort sprach Marduk, der noch zu schlafen schien, zu Elina, die seinen linken Arm festhielt. Die Reihe der demolierten Häuser. Der Mann mit dem toten Hund schurrte hinter ihnen. Wie sie um den Schutthaufen vor Elinas Hause gingen, sprang der Mann warnend vor sie, stellte sich vor Marduk: „Wohin gehst du?“ Der sah ihn suchend lange an: „Warte hier draußen. Warte auf mich.“ Sehr langsam stieg er die Stufen hinauf, Elina hinter ihm. Lange Minuten schwieg Marduk auf der Polsterbank an der Wand. Er schien, den Kopf zurückgelegt, immer wieder einzuschlafen. Der Kopf sank ihm auf die Schulter. Dann suchten seine großen Augen sie. Sie saß seitlich von ihm am Fenster. „Du, Elina.“ „Was, Marduk?“ „Was tust du, was tust du hier?“ „Ich wohne hier.“ „Es wohnt sich hier nicht schön.“ Er suchte einen Gedanken: „Der Schutt liegt so hoch. Es ist kalt. Sehr kalt ist es. Der Winter hört nicht auf. Was tust du eigentlich hier, Elina.“ „Ich wohne hier.“ „Du wohnst hier. Du müßtest hier nicht wohnen. Du müßtest das Haus abbrechen lassen. – Jonathan ist tot. Also auch. Das war ein schöner Jüngling, den ich kannte. Und du hast ihm verziehen, Elina. Du hast ihm verziehen.“ Sie sah fragend zu ihm herüber. „Du hast ihm verziehen. Sag’ ja.“ „Ich hatte nichts zu verzeihen.“ „Er wußte nicht, was er tat, bevor er starb. Als er dich wegschickte.“ „Er hat mich nicht weggeschickt.“ „Doch. Du sagtest, – sagtest du nicht, er ist allein gestorben.“ „Ja.“ „Dann hat er dich doch weggeschickt.“ „Nein.“ „Er wußte nicht, was er tat, Elina.“ „Er hat mich nicht weggeschickt.“ Marduk hob den Hinterkopf von der Wand ab, unsicher: „Du bist doch zu mir gekommen. Bist du nicht –?“ „Ja. Du hast mich dann ins Gefängnis gesteckt.“ „So bist du doch zu mir gekommen.“ „Ja, aber er hat mich nicht weggeschickt.“ „Und was ist denn geschehen?“ „Ich – bin – selbst fortgegangen.“ „Von ihm? Wie er – wie sagtest du noch – wie er brannte? Bist du fortgegangen. Nein, Elina, das sagst du nur.“ „Ich bin fortgegangen, Marduk. Ich sag’ es dir. Ich verberg es nicht.“ „Du hast ihn verlassen“ er stierte sie an. Jetzt bebte sein Mund. Er stützte die Arme auf die Knie. Er hob beide Arme über sich: „Das hast du ihm angetan. Du hast ihn verlassen. Wider seinen Willen.“ Sie knirschte: „Ja.“ Ihre Finger krallten sich, ihre Augen funkelten zu ihm herüber; in Grimm und Schmerz war ihr Mund verzogen: „Hätte ich es nicht getan! Hätte ich es nicht getan.“ Ihre Füße stießen sie hoch; sie drängte an die Tür, preßte sich an den Pfosten, stöhnte zum Boden: „Weißt du, Marduk. Weißt du. Es ist gut, daß das Haus feststeht. Und daß ich kein Riese bin und es umreißen kann. Ich würde es jetzt machen. Ich würde, ich müßte das Haus anfassen, und – und – umreißen. Und über mich schütten. Über mich. Und – über dich – auch.“ Sie griff in das Holz des Pfostens. Er sah ihr rasendes Gesicht an, sie schluchzte: „Hin. Hin.“ Dann lief sie in kleinen Schritten, immer wieder anhaltend, in das weite Zimmer. Marduk fühlte, wie ihn etwas hochschob. Eine ferne Angst zuckte pucherte über sein Herz. Er wankte hinter ihr her, er mußte hinter ihr herwanken. Ungleichmäßig, traumbefangen atmete er. Der Schlaf in allen seinen Bewegungen. Wollte sich nicht ein alter wohlbekannter Schleier über ihn legen. „Lauf mir nicht weg, Elina. Warum tust du das. Ich bin kein Mörder. Ich habe, habe keine Waffen. Ich tue dir nichts. Halt einen Augenblick still. Ich komme nicht mit. Damit ich dich sehen kann. Ich tu dir nichts. Lauf nicht. Ich muß dir etwas sagen. Du mußt mir etwas sagen. So. Du stehst. Du stehst, du. Setz dich. Ich kann nicht stehen.“ In ihm klirrte es ganz dunkel. Scheiben einer Stadt bei einer fernen Schlacht. Aber es hielt nicht an. Es war wie hinter einem Berg. Es wurde keine Qual. „Laß mich dein Gesicht sehen, Elina.“ „Was willst du von meinem Gesicht.“ „Ich muß dein Gesicht sehen.“ In ihm klirrte es nicht mehr. Er fühlte die Ruhe seiner Muskeln, die abweichende Beängstigung, die tiefe fast drückende Besänftigung seines Herzens. Wie sanft der Schlaf war, der sich über ihn ausbreitete. Er nahm ihn hin; er wehrte sich nicht gegen ihn. Er konnte neben ihr sitzen. Er konnte neben ihr sitzend, die ihm den Rücken zuwandte, träumen. Es träumte in ihm: „Ich habe schon einmal bei dir gesessen, Elina. Auf meiner Burg. In der Stadt. Ich war Konsul. Wenn du dich an mir rächen willst, tu es. Ich kann es nicht verhindern. Lehne dich an mich. O lehne dich an mich.“ Sie drehte sich langsam um. Tief erzitternd murmelte sie: „Warum? Warum soll ich mich an dich lehnen.“ Und dann beugte sie ihren Kopf gegen seine Brust, zitterte und stöhnte stärker. „Lehn dich an mich, Elina.“ „Ich kann es nicht, Marduk. Warum soll ich mich an dich lehnen. Ich kann, ich kann dich – ja – umfassen.“ Und preßte sich an ihn. Drückte seinen Kopf von rückwärts an ihren. Er unverändert hielt sie schlaff, blinzelte in ihr Haar: „Das tust du. Das tust du.“ „Das – ja jetzt. Und du bist da. Du läßt dich von mir umfassen.“ „Ich will nicht. Es hat keinen Sinn.“ „Hab Gnade mit mir, Marduk. Blick mich an.“ Es war schwarz über seinen Nacken und seinen Kopf heraufgelaufen. Sein Gehirn wurde von einer dichten, immer dichteren Schwärze erfüllt. Seine blassen Lippen sprachen halbbewußte Worte: „Zum Fenster hinaus. Ich bin zum Fenster hinausgesprungen. Halt mich. Fest. Ich falle.“ Sie schüttelte an ihm. Sein Körper war weich. Der Kopf lag auf ihrer Schulter. Sie fühlte, wie sie hintastete, Nässe auf ihrer Schulter. Es war geschehen, daß Marduk auf ihrer Schulter weinte. Sie konnte seinen Kopf nicht hochheben. Durch ihn träumte es: „Ich falle. Radspuren entlang. Einen Feldweg entlang.“ Er bewegte sich. Richtete sich auf. Sie sah ihm in die weiten Augen. Er wußte, daß er auf ihrer Spur gewesen war seit dem Lager in Linden, seit er sie ins Gefängnis schickte. Sie hielt ihn ganz fest, studierte sein bartüberwuchertes erloschenes Gesicht. Hauchte drängte: „Marduk. Verzeihung. Sieh mich an.“ „Ich sehe.“ Seine harte Wange an ihrer, sein Hals gab weiter nach: „Versucherin.“ „Nicht Versucherin. Ich bin keine Schlange. Hab Erbarmen mit dir. Hab Gnade mit dir. Du, mit dir.“ Er machte sich los. Sah ihr gespannt in die Augen. Stand auf, stotterte tief erblassend, zu ihr herunterblickend: „Jetzt, jetzt, jetzt, – Elina! Jetzt falle ich um!“ Und schwankte vorwärts rückwärts. Polterte, ohne einzuknicken, nach hinten über einen Schemel, riß ihn seitwärts mit sich hin. Er lag ausgestreckt am Boden, auf der Schemellehne. Tief bewußtlos. Sie zog den Schemel unter ihm weg. Hielt die Hand an seinen Mund; der warme Hauch kam. Fahl seine Backen, der Mund offen. Zum zweiten Male lag er da. Sie tastete unter seinen Kopf. Kein Blut. Die Mütze schob sie ihm unter. Sie hastete zusammenfahrend an die Tür, lauschte. Der Krieger stand draußen unbeweglich am Schutthaufen, er hatte nichts gehört. Und wie sie Schritt für Schritt zurückkehrte, ihn liegen sah, das graue bärtige Gesicht, den langen Körper im weißen Fell, auf der Diele ihres Hauses, warf sie sich, den Kopf zurückbiegend, die Arme aufhebend, in wilder überflutender Wonne auf ihn. Den Pelz riß sie von sich. Die Jacke, das Hemd riß sie von ihrer Brust, drückte die nackte Haut an sein kaltes feuchtes Fell. Eng preßte sie sich mit Leib, Armen, Beinen an ihn, umschnürte, überwogte ihn. Sie achtete nicht, was mit ihm war. Herzte seine Hände, deckte das Fell auf, küßte sein Knie. Sie öffnete zerrte den Pelz von seiner Brust. Küßte die Reihe seiner Rippen entlang, wühlte rieb ihre Brust gegen seine. Sie sprang glühend auf, an das Fenster. Das öffnete sie still rasch, nahm eine Hand voll Schnee, klemmte das Fenster zu, wärmte den Schnee an ihrem Mund, blies ihn an, rieb ihn, hinlaufend auf Spitzen, über Marduk kniend gegen seine Stirn Augen seine Lippen. Es war ihr eine zerreißende Süße, als er im Traum seine Lippen spitzte, an dem Schnee sog. Sie ließ ihn saugen. Hielt den Schnee in ihrem Mund. Er sog an ihrem Mund. * * * * * Nach einer Stunde schob sich Marduk aus der Tür, schickte den Mann weg. Er selbst ging langsam mit Elina die Straße hinter dem Mann. Es dämmerte. Die Wiese den Wald durchzogen sie. Am Waldausgang, sie sahen den Mann kaum, wurden Marduks Knie weich. Er ließ sich herunter auf den Boden. Nebel in Schwaden von dem nahen Flusse her. Trübe kleine Augen machte Marduk, den Kopf drehte er beiseite. „Schönes Leben“ flüsterte er, „schöne Bäume, schöne Nebel.“ Sie hob ihn, er strich über ihre Schultern: „Warum stierst du mich an, Marduk?“ „Das ist mehr, als ich für möglich hielt.“ Sie hatte leuchtende Augen; er hatte noch immer den Hang, in Schwindel zu verfallen, sah von ihren gefährlichen Augen weg. „Schöner Nebel, schöner Baum“, er hielt sie an sich, „schöner Mensch. Schöner Mensch. Menschenhaare. Menschenfinger. Menschenohren. Menschenhals.“ „Sie waren immer da.“ „Menschenhaare. Menschenhand. Kranke Schulter. Was hab ich gesündigt.“ „Ich habe noch eine Schulter, Marduk.“ „Gute Schulter, armes Gelenk, Marduk bittet euch ab.“ In den Mooren südlich des Grinderwaldes begann Marduk wieder seine Arbeit. Die Truppe hatte sich, wegen der Gefährlichkeit der Arbeit und des verdächtigen Namens des Konsuls in dieser Landschaft nicht vermehrt. Sollte ein Resultat erzielt werden, mußte jetzt rasch Zimbo und die Horden ihrer Waffen beraubt werden. Marduks hannoversche Truppe war einer Anzahl von Unglücksfällen ausgesetzt. Der Erfolg ging hin und her. Die zarte Elina kämpfte mit. Bei dem großen Vorstoß, der von Marduk geführt, mit der Zertrümmerung fast aller schweren Waffen bei den ostelbischen Banden, der alten Horde, endete, rüstete Marduk, der stark und kalt wie ein Hirsch herumging, Elina selbst aus. Spiegelkleider trugen sie alle, an hellen sonnigen Tagen mußten sie vorgehen. Wie Marduk die Spiegelfacetten am Gewand Elinas ordnete, die dachziegelartig übereinandergeschobenen blechernen Streifen, die nach dem Licht auseinandergezogen und wie Segel gedreht werden mußten, häkelte sie mit ihrer Hand an ihrem schon geschlossenen Kragen, warf die gesichtverhängende Kappe hoch. „Steh ruhig“, bat Marduk. Sie hob die Kappe ab, zog sich von Marduk weg, schloß die Tür seiner Kammer: „Nicht das Kleid. Nicht das Kleid. Mich.“ „Wir kämpfen, Elina.“ „Kämpfen. Aber wir. Und wofür kämpfen wir.“ „Du weißt es.“ Sie hauchte dicht bei ihm: „Ich noch – um dich. Du mußt mich kennen.“ „Nicht jetzt, Elina.“ „Jetzt oder wann sonst. Jetzt.“ Wie sie sich im Stroh umarmten, sah er die ersten Augen Arme. Sie, den harten sehnigen behaarten Leib umklammernd, stammelte: „Nichts an mir, was nicht dir gehörte. Laß nichts an mir. Alles, nimm alles weg. Laß nichts zurück.“ Sie tauchte in ihm unter, erweichte verwehte. Er atmete: „Sag nicht Marduk zu mir. Wer ist das.“ Sie starb fast in der Umarmung, wünschte zu sterben. Er stammelte an ihrem Hals: „Ich lebe ewig. Ich lebe ewig.“ * * * * * Der große Vorstoß, der auf die Gegend von Helmstedt und Gardelegen erfolgte und den abtrünnigen Banden den Verlust fast aller schweren Waffen brachte, verminderte die Zahl der Mitläufer Marduks um die Hälfte. Hier kam Elina um. Wie sie, selbst unsichtbar, einen unbewacht stehenden Riesenbrandwerfer, von der Art derer aus dem Gefängnis, auf eine dicht vorüberziehende Führergruppe der Horde richtete, – im Übermut, denn nichts hinderte sie an der Zerstörung des Apparates, – schlug die Flamme auf sie zurück, äscherte sie mit den Männern ein. Marduk spornte die Zurückkehrenden an. Man mußte sich beeilen. Nun war Zimbo, noch im Besitz von Waffen, ungeheuer den Horden überlegen und konnte sie in die Knie zwingen. Wenig Apparate hatte man beim letzten Vorstoß erbeutet, die Spiegelhüllen sehr beschädigt. Es war ein verzweifeltes Wagnis, das Lager Zimbos, der sich mit starken Sicherungen versehen hatte, anzugreifen. Der Versuch mißlang. Mit selbstmörderischem Mut kämpften die überfallenden Männer, kaum fünfzig, die noch zu Marduk hielten. Wie eine Maschine, eine Lokomotive nicht an eigenen Schutz denkt, sondern auf ihren Schienen losrast, sich und fremde Züge zerschmettert, so drangen sie tollkühn, oft deutlich in ihren zerrissenen Masken sichtbar, an, zertrümmerten mit Hieben und Schüssen die empfindlichen Eingeweide der Apparate, die sie erwischten. Der Hauptteil dieser Leute verendete unter dem Strahlenschutz vor den feindlichen Apparaten, gegen die keine Maske half. Marduk lief in den Bereich einer Maschine, deren Anwesenheit er aus den eigentümlichen Kappen und Schutzmänteln der herumspürenden Männer erschlossen hatte. Nicht weit entfernt von dieser Maschine stand aber eine zweite, die er nicht erkannte. Plötzlich, aufrecht über den gefrorenen Lehmboden schleifend, fühlte sich der lange unerbittliche Mensch an den Beinen gehindert, seine Knie zurückgedrängt, die Füße auf den Boden gedrückt. Weiter drängte er vor, schob sich an, suchte, sich drehend mit der Flanke durchzubrechen. Dann ablassend, machte er einen Ruck, um sich loszureißen und loszuprallen oder zu entweichen. Er fühlte sich federnd, dann starrer pressender festgehalten. Er senkte den Kopf, trieb keilte das Knie abwärts. Das gelang. Gesicht und Hals glühten und schwollen ihm unter der Anstrengung auf. Und langsam langsam konnte er das eine Knie krümmen. Konnte langsam langsam, als wollte er schweben und fliegen, den Arm vom Rumpf abspreizen. Er arbeitete wie gegen Stein. Das andere Knie krümmte er, um sich auf den Boden herunterzulassen. An der Brust war er festgehalten. War oben so eng gewaltig verklammert, daß er ringend dagegen die Füße vom Boden abhob, beide Füße vom Boden abzog. Quer gedreht erblickte er sie unten und ächzte; quer hingen seine Füße unten handbreit über dem harten Lehm. Ein Schuh hing über der Erde, vom Fuß abgezogen; er stand deutlich sichtbar in der Luft, auf der Spitze, unter dem nackten weißen Fuß, unter leicht spielenden Zehen. Marduk schwebte. Er sackte langsam abwärts. Und wie er sich auch mühte durch Stunden zähen Wühlens Schlagens Stemmens, er drückte seinen Rumpf nicht auf die Erde herunter. Vornüber mit Hals und Rumpf schwebte er über dem Boden wie im Sturz, nach dem Boden drängend, den er nicht erreichte. Die Arme, gekrümmt erlahmend erschlaffend, lagen wie auf Kissen, und doch fest wie zwischen Zangen. Nicht die Finger der flach hingestreckten Hände vermochte er zu krümmen. Und als er sich im Beginn neuen Anringens wütend um sich selbst werfen wollte, hielt er unter schrecklichem Schmerz inne. Er suchte auf seine linke Hand zu blicken. Von da, da kam der brennende heulende Schmerz. Die Finger, er sah sie, standen unnatürlich gestreckt, nach oben abgebogen über dem Handrücken, so wie sie vorher gestanden hatten. Sie waren gebrochen umgeknickt. Leise stöhnte Marduk. Er rang mit seinen Augenlidern. Die Hornhäute vertrockneten ihm, die Lider, die Lider waren nicht zu schließen. Oh sie schließen können. Er hielt seinen Rumpf still, er kämpfte nur mit diesen kleinen Muskeln, den Lidern. Millimeter um Millimeter drückte er sie herunter, bis nur noch ein Spalt da war. Jetzt, das Glück, er sah nichts mehr. Hinter seiner Stirn taumelten Gedanken: „Sie, sie, sie haben mich. Zimbo hat mich. Ich bin verloren. Die Verbrecher haben mich. Alles war umsonst.“ Heißer wütender namenloser Schmerz über ihn. Hinter den blinkenden Streifen des Spiegelschutzes erzitterte sein blau anlaufendes, dick hochschwellendes Gesicht. Die Lidspalten füllten sich mit Tränen. Der Brustkorb, der Hals suchte zu schluchzen. Aber nur ein Heulen Röcheln kam durch die gepreßten Zähne. Elina war gestorben. Warum war er nicht mit ihr zur Seite gegangen, nach Westen, nach Süden, und lebte mit ihr. Warum wollte er nicht mit ihr leben. Die süße Elina war hingegangen, für nichts, ins Dunkle Leere, und er ging nach. Jonathan, auch der war gestorben. Die Gedanken schwollen wirr hinter seiner Stirn. Ein wachsender Wald war da, Pferde mit gefangenen Frauen an einem Strick; man schleifte sie durch die Luft herunter, an dem endlos langen Strick, über Feldspuren. Mühsam zog er Luft ein. Der Spiegelschutz scharrte gegen seine Kehle. Er wollte ihn abreißen. Rüttelte, zuckte gegen seine schon toten Hände, konnte nicht zu ihnen hinfinden. Wollte seinen schwarzen Hauptmann, Angelelli, rufen. Die Zunge rührte sich nicht. Eingeschlossen eingespannt in einen Sarg war er. Er weinte bewußtlos immer wilder um Elina. Durcheinander stürzten über einen Wasserfall, ein Rad, seine Gedanken. Das Rathaus Schnee-Ebenen Pferde. Und immer wieder Elina. Sein Mund lutschte. Er sog, wärmer summend brummend knurrend schnalzend an etwas, das man ihm in den Mund steckte. Elina steckte ihm etwas in den Mund, gab ihm zu trinken. Er sog schnarchte im Schlaf. In tiefster Betäubung der hängende, langsam abgleitende Körper, als auch der Brustkorb sich nicht mehr erweitern konnte, im Innern das Herz seine Schläge verlangsamte. Es war Nacht. Der Schuh hing mit der Spitze neben dem gekrümmten Bein. Da froren die langsam abwärts geronnenen Tränen über dem verhängten unbeweglichen Gesicht, froren die Lider zu. Die beiden dünnen Eislagen senkten sich über die Lippe in den klaffenden Mund. Die Zunge umwuchsen sie. Den Rachen kleideten sie aus. Gegen Morgen prüften Männer des Zimbo den Apparat, verschoben ihn. Da dumpfte und knallte im Nebel der Körper des zweiten Konsuls auf die gefrorene Erde. Sein Kleid zersprang. Die aufhorchenden Männer Zimbos sahen auf dem Feld eine schwarze Masse liegen. Und wie sie näher schlichen, war es ein Menschenkörper, wie ein Tier starr auf Knien und Händen unbeweglich am Boden. Vom Kopf hingen ihm metallene Bänder. Ganz langsam sickerten Blutstropfen aus dem offenen Mund. Eine schwarze Lache unter ihm. * * * * * Das Gerücht von Marduks Tod wurde von Zimbo unterdrückt. Als er die Waffenlosigkeit der märkischen Horden festgestellt hatte, ließ er einen starken Teil seiner bewaffneten Krieger gegen das märkische Lager nahe Magdeburg marschieren. Er selbst zog unbemerkt hinter ihnen mit seiner Horde her. Und als die Krieger sich in einem langen sumpfigen Tal unterhalb des Lagers der märkischen Führer sammelten, – Zimbo war schon unter den Führern – gab er seine eigenen Truppen den Horden in die Hand. Er ließ zu, daß seine Männer, die vertrauensselig folgten, entwaffnet, gefangengenommen wurden. Am Abend trieb man sie auf einen Haufen, wollte sie zum Hohn an Marduk schicken. Zimbo hielt da an und warf seinen Trumpf. Er zeigte ihnen den gefrorenen Körper Marduks. Tief erschreckt standen sie mit Fackeln vor der Leiche, vor dem sonderbar und unheimlich verbogenen Leib, an dem Zimbo die Kraft seiner Apparate demonstrierte. Sie kamen in Beratungen der ganzen Nacht zu keinem Resultat. Finster forderten sie zurückkehrend von Zimbo, er solle den größten Teil der Waffen vernichten oder ihnen übergeben. Sie haßten Zimbo, weil er Marduk getötet hatte. An ihm sich zu vergreifen war nicht seine Sache. Sie sprachen nicht viel mit dem schwarzen Plattnasigen, der sich in seinem Zelt hinter seiner Horde und einem unbezwinglichen Waffenschutz versteckte. Er fühlte, daß sie knirschten. Die Waffen versprach er ihnen lächelnd. Nur sei es, mit Rücksicht auf die Gefahr von Hannover und Hamburg, unklug, sie zu zerstören. Zwischen Stendal und Wittenberg wurden große Hordenversammlungen veranstaltet, bei Stendal eine Führerversammlung. Zimbo, nur selten um sich aus engen Lidspalten blickend, erschien hier demütig ruhig glatt wie immer. Die märkischen Führer staunten seine List und seinen Riesenkörper an. Er murmelte, er verlange keine Unterwerfung, sondern seine Wahl zum Konsul. Er sei von England geschickt, um das Land für den Völkerkreis zu gewinnen, habe umgelernt. Er werde die Politik Markes und Marduks weiterführen. Marduks Körper war einbalsamiert worden. Bei Stendal mußte Zimbo auf den eisigen Körper schwören, – der war in der gekrümmten Haltung balsamiert, wie er auf dem Feld verendet war –: er werde die nachuralische Tradition fortführen, die Ausbreitung der Märker betreiben, die Mekifabriken sobald als möglich vernichten. Das Murren unter den Horden hörte auch nach dem Schwur und den Besprechungen nicht auf. Bis Zimbo sich durch zwei Handlungen legitimierte: rasches brutales Niederwerfen eingedrungener Hamburger in der Lauenburger Gegend, und nach der Rückkehr Beseitigung von zwanzig widerstrebenden Hordenhäuptlingen. * * * * * Vor Ausgang des Winters bezog Zimbo das Ratsgebäude der Stadtschaft Berlin. Er war der dritte Konsul der Stadtschaft, der erste, der nicht hier aufgewachsen war. Zu der Zeit, wo der listige herrschsüchtige Afrikaner den Saal des Ratsgebäudes betrat und den Raum mit der Schädelpyramide bewohnte, die er mit den Knochen der getöteten Täuscher und Hordenführer erhöhte, lösten sich die kriegerischen Märker aus dem engeren Felde der Stadt, schwemmten wieder über Stendal Wittenberg ins Hannoversche, reinigten durch Überfälle die Lüneburger Heide. Noch im Winter zogen Siedlermassen, die sich ins Ausland unter den Schutz der Mekifabriken geflüchtet hatten, hinter ihnen her. Zimbo selbst besetzte die restlichen Mekifabriken mit Männern und Frauen, die ihm durch den Feldzug gefolgt waren, und hielt sie in Stand, so daß eine große Zahl Menschen, die sich vergrämt und zur Arbeit auf die östlichen Äcker geworfen hatte, für den Westen frei wurde und Kriegsdienst tat. Das gefahrdrohende Treiben an der Grenze der hamburgischen Seelandschaft hatte wieder begonnen. Statt des fanatischen zum Ausgleich geneigten Marduk saß ein Renegat des Völkerkreises, ein machtdurstender listiger falscher brutaler Mann im Zentrum des märkischen Reichs. Die kontinentalen großen Zentralen südlich und westlich Berlins verlangten Ausrottung der märkischen Pest, Beruhigung des Erdteils. Ihr Aufbäumen war angstvoll, aber lahm. Es war der hitzige Trieb erliegender Wesen. Fünftes Buch. Das Auslaufen der Städte Unaufhaltsam auf allen Kontinenten des Völkerkreises der nachuralische Drang. Die Kämpfe der Stadtschaften gegeneinander waren lärmvoll und gefährlich gewesen; in der Tiefe und Breite liefen andere mächtige Wünsche. Der heiße afrikanische Kontinent, von einer unbeständigen Menschenmasse erfüllt, zuckte zuerst auf. Überfälle, wie in der Mark auf die westliche Umgebung, erfolgten hier auf die Zentren von allen Seiten. Die Riesenländer Ebenen Gebirge Haine Flußufer waren nie völlig leer geworden. Immer tauchten neue Menschenmassen aus ihnen hervor; die Städte entleerten in die überreichen Steppen und Urwälder ihre Massen, die gefährlich stöhnend von Zeit zu Zeit zurückkehrten. Die Schwächung und Entartung der Stadtmassen gelang nie tief; unterlaufen durchrieselt waren die afrikanischen Küstenzentralen im Westen Osten Süden, an der Mittelmeerküste von den Männern und Frauen aus dem wilden Hinterland. Die Brotbäume Ölpalmen Wassermelonen hatten nie Erholung gebraucht, jetzt wuchsen sie in toller Üppigkeit. Das große Nilland trieb wuchernd Felder von Reis Weizen sechszeiliger Gerste. Das Sorghumkorn schoß hoch von Ägypten bis zum Kapland. Die Tiere, Störche Rohrdommeln Papageien Reiher Halsvögel flogen in Scharen herum, Leoparden und Löwen trieben sich herum, das rötliche Buschschwein Antilopen hausten zwischen den Bananen. Die Rudel grauweißer Elefanten; sie fraßen die gelben runden Palmfrüchte. Ein Heer von gierigen Affen hockte auf den Bäumen. Regen Stürme Hitze. Die trägen, von Haschisch Opium, neuen Giften geschwächten Herren schüttelten sich vor diesen Menschentieren, die aus den Wäldern und Wüsten unter ihnen auftauchten. Suchten sie zurückzujagen, wollten sie gefügig machen, nahmen sie auf, ließen die Städte vor ihnen beschützen. Zentrale auf Zentrale wurde von den Unwesen zerstört. Die aus den Wäldern herangetriebenen Geschöpfe gingen satanisch mit den schwachen hilflosen Massen um. Es gab Städte, die sich den starken listigen Stämmen rasch ergaben, und ebenso rasch zerrissen und zertrümmerten die bösen stolzen Geschöpfe das Gerüst der vertrauensseligen Städte. Dann irrten Hunderttausende in die offene Wildnis hinein, erlebten eine kurze Zeit Tag Nacht Sturm Hitze wilde Tiere, ehe sie verkamen. Auf dem stürmisch lebenden heißen Erdteil waren längst die Stadtschaften auf das wuchernd reiche Land ausgelaufen, als in den nördlichen westlichen Kontinenten die Stadtschaften noch dumpf zerfallen nebeneinanderlagen und nach sich griffen. In Süd- und Nordamerika tosten die großen Stadtschaften, voll des höchsten Schmuckes, zugleich lecke Fässer, die ihren Inhalt nicht mehr hielten. Überall kämpfend oder getragen Senate Herrengeschlechter Tyrannen, die die Zügel hielten und nicht wußten, wohin sie lenken sollten. * * * * * An der gebirgigen Nordwestküste Nordamerikas loderte es um die Zeit, wo der alte Kontinent auf die märkischen Konsulate blickte. Von den Japanischen Inseln her, Kiuschiu Schikoku Hokkaido Sachalin Formosa waren in dem Uralischen Krieg asiatische Scharen, angreifende Mongolen und Sibirier über das Riesenwasser gefahren. Sie hatten, nur wenige Tausend, die alte westliche Stadtlandschaft Franzisko und nördlicher Portland am Kolumbiafluß besetzt, waren, rasch überfallend, über den Salzsee nach Cheyenne und Denver gedrungen. Die überraschten Senate hatten kaum Widerstand geleistet. Was an geübten Männern und Frauen zu den Städten gehörte, stand zwischen Ural und Wolga, flog und fuhr mit dem Geschwader. Die Japaner, die Herrschaftssippen verjagend ausrottend, verließen beim Erlöschen des Krieges nicht den Kontinent. Sie saßen da, nicht im Auftrag ihrer Völker, auf eigene Faust, zum Hohn den Westlichen, unter Billigung ihrer Völker, durchschauten das ihnen fremde eigentümliche Gefüge dieser großen Städte mit Neugier. Und wie die Asiaten unter dem Schutz ihrer Waffen einige Jahre durch die lungernden schlaffen läppischen Volksmassen geschlichen waren, dachten sie die Städte und um die Städte herum alles zu verderben. Sie waren frei von der Sorge der westlichen Senate. Die Völkerstämme, die in diese großen Stadtreiche des Westens eingeströmt waren, arbeitend genießend schmarotzend sich vermehrend, stammten aus den Prärien von Nebraska Dakota Nevada, – Reste von Weißen Mestizen Zambos Negerabkömmlingen indianischen Mischlingen. Es wäre nach dem Zerreißen des alten Völkerkreises in den Städten alles neu einzurichten gewesen. In diesen pazifischen Zentralen unter mongolischer Oberhoheit stockte bald alles. Die Asiaten setzten die Selbstverwaltungen von Franzisko Portland und die im Hinterland Okkupierten unter Druck. Die letzten großen Sippen, deren Familiengut technische Mysterien waren, hielten noch die Mekifabriken in Betrieb, suchten Zusammenhang mit den Massen. Die Städte, desorganisiert hungernd sich stärker zersetzend, gärten. Man saß gefangen in einer fremden Festung, in einer Belagerung; der Feind mitten unter ihnen. Eine wutgeheizte unbeschäftigte Masse trieb sich in den Riesenstraßen herum, spärlich aufgeklärt über die Dinge, die draußen abliefen, auf der Suche nach Bundesgenossen. In der Masse herrschte der alte indianische Glaube von einer guten und bösen Macht; das Volk befragte Erde Aschen Vogelknochen. Es traten in Dakota – und wurde rasch über die Westküste verbreitet – Gerüchte auf: man müsse ausbrechen aus den Städten, nach Norden, ins Kanadische, ins Land der Irokesen, an die zerklüftete Küste, auf den Archipel der großen Inseln, in das Yukonbergland. In den Anlagen von Franzisko erschienen Männer aus westlichen Städten, die rote runde fremdartige Steine aus ihren Bergen mit weißen zerschlugen, aus den Splittern überraschend über die nächsten Vorkommnisse aussagten, den Durchbruch nach Norden prophezeiten. Wie in der märkischen Landschaft warfen die Gefesselten in diesen Städten sich auf Ringen Jagen Anschleichen List und Wildheit, bildeten kriegerische Geheimbünde. Der Krieg Marduks mit dem Völkerkreis wurde dunkel bekannt; der Name Marduk lief als Geheimzeichen um. Die Asiaten hörten ihn, lachten verspotteten die Städter: „Marduks!“ Sie wurden still, als eines Tages die angesammelten Lebensmittelvorräte, auch ihre eigenen, in Franzisko und Portland Flammen zum Opfer fielen. Sie standen vor der Frage, ob sie Millionen verhungern lassen sollten oder ihre Herrschaft aufgeben. Sie warfen Funken nach Westen in ihre Heimat. Man beruhigte sie: ob sie Furcht hätten oder Sachwalter amerikanischer Wilder seien. Sie verdoppelten die Massensicherung um die Städte. Drei Wochen nach der ersten Vernichtung der Nahrungslager erfolgte in Franzisko und Portland am gleichen Tage das Niedersengen der Fabriken selbst. Geheim eingeführte Sprengstoffe wurden verwandt. Zugleich erfolgte ein Angriff auf die Wohnsitze der mongolischen Eroberer, der sich zu einem Sturm der ganzen Stadt auf diese Wohnsitze gestaltete. Nur eine Stunde war nach der Sprengung der Fabriken vergangen, als die ersten geängstigten, das Leben wagenden Menschenmassen von der Brandstätte der Fabriken gegen die Strahlenbarriere der Fremden um das Ratsgebäude liefen. Sie waren halbnackt verwahrlost dem Tode nah, Menschenfresser, gehässig auf sich. Sie erstickten in den Strahlen, fielen auf den gelben welken Wiesenflächen um die Gebäude. Neue Massen stürmten. Ein Teil der Haufen kam spät, wollte nach der Peripherie, sah sich gefangen wie sonst, setzte sich gegen das Zentrum in Bewegung. Um die Gebäude der Mongolen bildete sich ein Ring von Toten, der sich von Minute zu Minute erhöhte. Die schmierigen Menschen, Weiber, die noch Kinder trugen, die gereizten rasenden Männer, wußten, daß es kein Erbarmen für sie gab und daß das Mildeste, das sie gegen sich tun konnten, war, hier zu verenden. Die gefährdeten Krieger, die Mitglieder der Geheimbünde, hielten noch im Hintergrunde, hetzend: „Fangt sie, fangt sie!“ Ihr Geschrei brauste in Wellen stundenlang gegen die stummen Gebäude der Mongolen. Schon war der Berg der Leichen auf allen Seiten um die freiliegenden Gebäude so hoch, daß man ihn nur auf Leitern erklettern konnte. Da begannen unbemerkt Klansbündler sich unter die Menschen zu mischen. Plötzlich in der Raserei ein Krach: Krach und Schlag. Krieger, einzeln vorgehend, den Berg als Deckung vor sich, warfen Sprengstoffe herunter, herüber, wie sie sie morgens gegen die Fabriken gebraucht hatten. Die Mongolen, gereizt, verloren ihre Ruhe nicht. Jetzt war ihnen sicher, die Unterworfenen wollten Entscheidung. Da rollten sie die eisernen Tore der Gebäude auseinander. Die Unterjocher traten sichtbar für die, die oben auf dem Leichenwall verendeten, heraus. Nur für Sekunden sichtbar. Sie wechselten ihre Farben mit dem Boden, den sie berührten, mit dem Hintergrund. Schillernde graugrünliche Körper, von rollenden blitzenden und flimmernden Gestellen umgeben. Sehr rasch, kaum den Boden berührend, fuhren sie über die welke Wiesenebene vor dem Gebäude. Bei ihrer Annäherung rauchte der Leichenwall, schwelte schmolz. Die Andrängenden hinter ihm wichen. Aber nur die nächsten. Hinter ihnen lebte die ganze Stadt. Durch den rauchenden fließenden Leichenwall, durch die brandenden Menschen gingen die Japaner, die grünlich schillernden Körper, ab und zu anhaltend und sich vermindernd unter einem Donnerschlag, aber immer rascher sich bewegend, nach allen Seiten zuckend. Räumten die Stadt fast aus, leerten die Straßen. Flogen über die Straßenzüge, schleuderten Feuer herunter. Sie besänftigten die Menschen nicht, die ihnen nachliefen, neu auf den dampfüberlagerten Plätzen auftauchten. Die glitzernden Körper fuhren bis zum Abend. Im Dunkeln sausten sie über die schwelenden Anlagen hinunter, tauchten in das Ratsgebäude. Die Kleider warfen sie ab, stiegen in die heißen Badebassins. Sie kicherten, machten Späße. Ihre Frauen erschienen mit Wein bei ihnen; sie liefen durch das Haus her, umarmten die Männer. Und als sie sich voneinander gelöst hatten, schlug ein Tamtam. Sie gingen in bunten langen Kleidern langsam, Blumen auf den Händen in die große Halle des Erdgeschosses, den Sitzungssaal. Ein farbiges Buddhabild hing an der Wand. Sie legten die Blumen vor sich, verneigten sich auf den Boden, gingen hinaus. Ernst stumm saßen sie im geschmückten Speisesaal an niedrigen Tafeln, tranken aßen. Der beizende beklemmende Rauch zog von dem mächtigen Platz herein, obwohl Fenster und Türen geschlossen waren. Nach halbstündigem Schweigen wies der am Kopf der Tafel sitzende Kahlkopf die beiden Sängerinnen hinaus, die mit ihren Lauten eintraten. Das Kinn auf die Hand stützend blickte er die Männer in seiner Nähe an: „Wie alt sind meine Freunde? Sehr jung. Ist es schade, daß sie die Heimat verlassen haben, über das Wasser hergeflogen sind? Sie sind sehr jung; da ist nichts schade. Wann sind Dinge schade, die man in der Jugend begeht? Wenn sie zu lange dauern.“ Nach erneutem Schweigen blickte der untersetzte Yari an sich herunter: „Dank, daß du gesprochen hast. Ich hab’ ein buntes Kleid an; das trägt der Sieger. Ich möchte Sieger bleiben. Du hast gesagt, was ich tun muß.“ Sie murmelten und nickten an den Tischen. Nach und nach standen alle auf. Waren nicht mehr ernst. Lächelten sich an. Einer rief: „Mögen die Sängerinnen kommen.“ Der Kahlköpfige strahlte. Und als fünf Mädchen, zierlich, mit roten Schärpen, augenglitzernd zwischen den Tischen gingen, faßten die jungen Männer sie bei den Händen. Vor dem zusammengedrängten Saal, der sich kaum ruhig halten konnte, der summte flüsterte kicherte, sangen sie zu zweien dreien fünfen. Im Vollmondlicht durchschnitten sie nach zwei Stunden die Luft über der dumpfen flammenerhellten Stadtschaft. Lautlos zerstörten sie die Sperre an der Peripherie, wogten nach Westen, gegen das uralte rauschende Meer. Wellen, Wellen, mondbeschienene flinkernde rollende sich verschlingende Flächen, schwellender tragender Wind. In diesen Tagen verzogen sich die asiatischen Besatzungen aller amerikanischen Stadtschaften. Die Küste aber entlang ergossen sich nach Norden in das Gebirge hinein die noch lebenden Menschenmassen, die die zurückgelassenen Städte zuletzt verwüstet hatten. Führer der jetzt nicht mehr geheimen Bünde rissen die Massen in das freie Land. Nevada Washington Oregon Idaho ließen sie hinter sich, in Columbia traten sie wandernd ein, erfüllten, Städte auf Städte nach sich ziehend, die Flächen zwischen der inselreichen Küste und den felsigen öden Rocky Mountains. Bis nach Yukon herauf, wo sich der Eisgipfel des gewaltigen Eliasberges reckte, schwollen sie. Manche überstiegen die Pässe des Gebirges nach Osten, sahen Athabaska vor sich liegen. Tausende versagten unterwegs und schlugen sich rückwärts. Vorn trieben und zogen die anfeuernden Steine und Erde befragenden Führer unaufhaltsam. Ohne Mißtrauen, oft freudig wurden sie von den Resten der an der Nordwestküste hausenden Muttervölker, den in kleinen Dörfern hausenden Tlinkit Haidas Tschimssiwas Biballas empfangen gepflegt geleitet. Viele verelendeten verunglückten in den nächsten Jahren. Der jähe Übergang aus der Fürsorge der Riesenstädte an die wilde Kraft des Meeres, an den Kampf mit Tieren war gnadenlos. Holzfällen, Jagd auf Lachse mit Speeren und Fallen, Fang von Dorsch Stint Heilbutten zwischen Inseln, an der Dixoneinfahrt, in der Chatamstraße, Bärenjagden hieß jetzt das Leben. Trinken von rohem warmen Blut, Essen von rohen Lebern wurde heilig. Marduk war schon tot, der machtdürstende Zimbo saß in dem Ratsgebäude der märkischen Stadtlandschaft, als die ersten dumpfen Warnungen und Drohungen von diesen indianisierten unter Propheten stehenden Horden der amerikanischen Nordwestküste ausgingen. * * * * * Der Völkerkreis aber, sich schließend und eben erst festigend, bewältigte diese beiden Feuer, das märkische und westamerikanische, nicht. Im Londoner Senat erschienen amerikanische Vertreter. Sie waren in der schwelenden Landschaft des Nordwestens zu Hause. Man hatte sie in Washington ausgewählt zu sprechen. Klokwan war der älteste dieser vier langsamen Menschen, die in Wolldecken auf den Bänken der Londoner saßen, die Straßen stumpf betrachteten. Sie hockten stundenlang. Erst bei ihrem Stäbchenspiel, dem die Östlichen verwundert zusahen, wurden sie lebendig. Sklaven hatten sie bei sich, Mestizen, und eine Anzahl tabakkauender Frauen, die hinter ihnen herliefen, bei den Besprechungen auf Matten an der Erde lagen, mit Otterfellen bedeckt, den Kopf auf einen Arm stützend. Man mußte sich mit ihnen in Gärten, im Park unterhalten. Geschlossene Räume, besonders die Londoner Riesentürme, ängstigten sie. Francis Delvil, der Londoner Senator, ließ ihnen oft zum Wärmen Weine reichen. Der hagere wohlwollende Mann hatte ein schlaffes müdes Gesicht bekommen. Sie saßen im herbstlichen Park von Aldershot zusammen. Seine englischen Freunde lächelte er melancholisch an, kniff die Lider: „Seh ich recht, sind wir in derselben Lage wie – soll ich es sagen? – zu einer schlimmen Zeit. Wie damals als Rallignon, der große Franzose Rallignon, und Leuchtmar über das Festland fuhren. Dann kam der Krieg am Ural.“ „Wer ist unser Feind?“ der rundgesichtige Klokwan, mit tiefbraunem welken Laub spielend, das man vor ihm aufhäufte, wischte sich die langen grauen Haarsträhnen von der Nase zurück. „Der Feind, Klokwan, gewiß, den zu bestimmen ist jetzt schwer. Du hast es gefunden.“ „Ich weiß nicht, ob es das Schwerste ist. Wir kommen aus Amerika, wir flogen auch an der Westküste von Afrika entlang. Wir sahen da nichts anderes als bei uns, vielleicht schärfer, es ging wild zu. Die Stadtschaften brennen, sie schlagen sich. Viele stehen halb leer. Die Menschen sehen ihr Verderben. Sie fürchten sich davor. Das Mekibrot das Mekifleisch schmeckt ihnen nicht.“ „Sie wollen sich in der Wildnis von den Tieren zerreißen lassen?“ „Es scheint, Delvil. Ich weiß es nicht. Es geht in Dakota am Mississippi in Mexiko am Salzsee und ganz im Süden bei uns nicht anders. Ich meine: man muß dies nicht vergessen. Wie soll man diese Menschen halten. Sie kommen nicht mehr zu uns. Es liegt eigentlich, verzeih mir, gerade umgekehrt wie zu der Zeit Rallignons und Leuchtmars, die einen Krieg anstifteten um ihre Menschen wegzuschleudern, – es ist doch so? Wir wissen aber nicht, wie sie festhalten.“ Delvil riß finster an seiner starken Halskette: „Also wo liegt der Fehler? Welchen Fehler machen wir?“ Die stämmige breite rotbäckige White Baker: „Erinnerst du dich, Delvil, und – wo ist Pember? ah du, – du Pember, unseres Besuchs bei Marduk? In diesem sonderbaren Stadthaus in der Mark, an der Schädelpyramide, vor den schrecklichen Bildern. Mich schauert, wenn ich daran denke. Marduk wollte nicht nachgeben. Wir sagten ihm, es sei kein Sinn in dem, was er täte. Er blieb hart. Zuletzt riet ich zum – zum Zugreifen. Delvil, da warst du es, der den Arm wie ein Boxer krümmte und sagte: Ist das Land still, so sind wir auch still und sanft. Wir begießen es wie Regen. Das sagtest du. Ich erinnere mich gut. Will der Konsul aber anders, so können wir auch Gewitter spielen. Sagtest du. Wir halten den Marduk zwischen den Fingern.“ „Das sagte ich. Was willst du damit?“ „Nichts, Delvil, über deinen Irrtum und über Pember. Was nützt es jetzt. Wir haben darüber oft gesprochen. Aber ich wiederhole nun dasselbe wie damals: zugreifen.“ Delvil bog wieder den Arm: „So hab’ ich damals gemacht, White Baker, nicht wahr? Aber unser Freund Klokwan hat schon die entscheidende Frage gestellt. Und sag’ du mir: wo, wenn ich schieße und schlage, wo ist das Ziel?“ „Es gibt nur den Völkerkreis oder die anderen. Delvil und ihr, ihr könnt doch nicht daran zweifeln. Und daß sie uns an den Hals wollen. Daß wir im Begriffe sind, vernichtet aufgelöst zu werden.“ Klokwan hatte seine Decke fallen gelassen, gespannt zugehört: „Ich frage die Frau nochmal, wie der Herr Delvil, wohin sie ihren Bogen richtet. Francis Delvil, mein großer Freund, meinte zuerst, wir stünden wie unsere Voreltern vor dem Uralischen Krieg. Ich sagte nicht so. Wir stehen schlimmer. Er sieht es selbst. Weil wir doch den Feind nicht haben.“ White Baker lachte stolz: „Unsere Voreltern hatten auch keinen Feind. Wahrhaftig sie hatten ihn nicht. Sie machten ihn. Es ist leicht Menschen zu Feinden zu machen, wenn man überlegen ist. Sie hatten einen Schmerz in der Brust und dann schlugen sie – auf die andere Brust!“ Die Frauen auf den Matten lachten ihr mit blinkenden Augen zu. Klokwan hob seine Decke wieder, blickte stumm über die Frauen. Seine drei männlichen Gefährten saßen verhüllt, die Decken über dem Kopf, nur Mund und Nase freilassend. Klokwan: „Und ihre eigene Brust? Der Schmerz in ihrer eigenen Brust war dann vergangen?“ White Baker: „Ja.“ Einer der Männer neben Klokwan hatte seine Decke auf die Schulter heruntergezogen. Er tuschelte mit einer Frau zu seinen Füßen; der Mann flüsterte dann mit Klokwan. Alle in dem kleinen winddurchhauchten Zelt blickten ihn an. Klokwan senkte den Kopf zu seinem Nachbarn, bat dann sprechen zu dürfen. Eine Frau seiner Sippe, die Ratschenila, wüßte etwas, sie möchte es erzählen. Die Frau am Boden spuckte den Tabak neben sich, richtete sich auf, strich sich ihr schwarzes Haar glatt, redete leise und langsam, während sie die Hände bald auf dem Schoß hielt, bald rechts und links an ihren Ohrringen. Sie blickte nur die Frauen neben sich an. Man erzähle bei ihnen in den amerikanischen Städten eine Geschichte aus der Zeit, wo noch ihr Volk in den Bergen jagte. Es seien einmal mehrere Mädchen zum Früchtesuchen in den Wald gegangen, die Tochter eines Vornehmen war dabei. Sie kamen an einer Tierspur vorbei und da lag Losung eines Bären. Die Tochter des Vornehmen fing da an, über das wilde Tier zu spotten: es sei ein langsamer blinder dicker dummer Gesell. Gegen Abend gingen sie wieder zurück. Da fiel der Häuptlingstochter der Korb mit den Früchten aus der Hand. Sie schüttete sie aus, sammelte sie ein; die Gefährtinnen halfen ihr. Aber nach hundert Schritt fiel ihr wieder der Korb weg, und nach hundert Schritt wieder. Da wurden die anderen Mädchen ärgerlich, gingen weiter, ließen sie allein sammeln. Und wie die Häuptlingstochter zuletzt die Früchte wieder eingesammelt hatte, waren ihr die anderen aus den Augen gekommen. Sie stand allein an einem Baum, in der Dämmerung, fand nicht den Weg. Da kam von der Seite ein junger schlanker Mann auf sie zu, in einer schwarzen Pelzkappe, ein ernster ruhiger Mann. Der bat sie, ob er von ihren Früchten essen könne. Sie gab ihm, erzählte, wie es ihr ginge und daß sie sich verlaufen hätte. „Warum hast du dich denn verlaufen.“ „Die andern sind so rasch gegangen, sie haben mir nicht geholfen.“ Und gleich erzählte sie von der Bärenspur und der Losung am Weg, lachte und spottete wieder. Der Jüngling aß nicht mehr von ihren Früchten, kaute an seinen Nägeln, sagte er wisse den Weg, sie solle kommen. Sie gingen lange; es war schon ganz dunkel. Da fragte der hübsche Mann nach einiger Zeit, ob sie noch den Korb trage, und dann nahm er ihn und warf ihn weg. Sie schlug nach ihm, weinte. Er sagte, man könne so besser und rascher gehen, es sei noch weit. Sie wollte weglaufen. Er nahm sie aber bei der Hand. Da bekam sie Angst, weil sie jetzt erst merkte, wie er sonderbar ging, der junge Mann, plump und langsam, so wacklig watschlig. Sie schrie, sie hätte Herzstiche, sie könne nicht mehr gehen. Und dann: der Leib täte ihr weh vom Beerenessen. Er sagte, sie solle nur kommen; sie seien bald da. Da wo das Licht brenne, sei seine Wohnung. Er sagte aber nicht Wohnung, er sagte: Wohne. Sie kicherte, faßte ihn an seine Brust, sah ihn an: es heiße doch nicht „Wohne“, es heiße „Wohnung“. „Doch. Wir sagen Wohne.“ „Das ist ja Unsinn. Wer seid Ihr denn?“ „Wir? Du kennst uns doch. Du wirst gleich sehen. Komm nur rasch.“ Und da war schon ein riesiger gespaltener Baumstamm da, ein alter toter Ahorn. Aus dem kam rotes Licht und Qualm. Sie stiegen wie in eine Dachluke ein, gingen vorsichtig tief herunter, bis sie zu den Wurzeln unter der Erde kamen. Ein kleines Feuer brannte. Zwei schwarze Grislybären schliefen da nebeneinander, ein junger und ein alter. Die schnarchten. Ein großer alter aber kam grunzend mit aufgehobenen Vorderpfoten auf den jungen Mann und die Häuptlingstochter zu. Die schrie, wollte kreischend weglaufen. Der Mann hielt sie fest; sie stürzte über eine Wurzel und riß die Erde herunter. Davon erwachten auch die beiden anderen Bären. Standen brummend auf, rieben sich die Augen, schüttelten schwarze Erde von sich, fragten: wer ihnen ihre Wohne zerstöre. Sie schrien: „Wer zerstört unsere Wohne?“ Das Mädchen lachte, trotz seiner Angst, über den Ausdruck, das tölpische Knurren Getue der Grislys. Der junge Mann nahm da rasch ihren Fuß, warf sie um. Die beiden Bären taperten an. Da wurde sie ohnmächtig. Und wie sie aufwachte, saß bei dem Freund ein alter Mann und eine alte Frau. Die hatten traurige Gesichter. Der junge hübsche Mann saß neben ihnen, aß Fisch. Die Häuptlingstochter fragte, wo sie sei. Sie sah ihren Korb, wollte ihn haben und nach Hause gehen. Der alte Mann und die alte Frau blickten sie aber so traurig an und sagten, sie sei zu ihnen gegingt in ihre Wohne; ob sie nicht bei ihnen bleiben wolle. Sie sprachen falsch wie kleine Kinder, stießen mit der Zunge an. Der hübsche junge Mann gab ihr den Korb zurück. Sie solle die Früchte mit ihm zusammen futtern. Die Eltern hätten auch schon davon gefuttert, er ließe sie nicht fort. Sie wollte erst nicht, weinte. Sie sah, daß das die dummen schwarzen Grislys von gestern waren, und der hübsche junge war nur ein junger Bär. Aber sie konnte nicht weg. Der junge Bär nahm sie zu seiner Frau. Und – und – und –: sie blieb da wohnen. Die Frau lachte die andern an, legte sich auf ihren Arm am Boden zurück. Der grauhaarige Klokwan sah zu ihnen herunter: „Und nun spottet ihr nicht mehr über den dicken dummen schwarzen Bär. Er war doch nicht so dumm.“ „Eine sonderbare Geschichte, die du uns erzählt hast“, lächelte nach einem Schweigen Francis Delvil. Dann sah er zu White Baker herüber, die ihr ernstes Gesicht keinen Augenblick verzogen hatte, ja deren Gesicht während der Erzählung tiefrot aufgeblüht war: „White Baker.“ „Was willst du?“ „Ich möchte dich hören.“ „Wir sprechen ein andermal.“ „Du kannst ruhig hier sprechen. Wir sind noch bei unserer Frage von vorhin.“ Sie hob abwehrend beide Arme, schüttelte den Kopf: „Laß, Delvil.“ „Ja, wo ist das Ziel, auf das ich schießen soll. Blick doch hin, unsere eigene Brust.“ White Baker stand auf. Sie war blaß geworden. Die Art der fremden Frau hatte sie offenbar verwirrt. Als sie später draußen mit Delvil allein ging, sagte sie stockend, diese Männer und Frauen könne sie nicht als Vertreter Amerikas anerkennen. Es seien mehr Angehörige der gefährlichen Wilden aus der Yukon- und Alaskagegend als Amerikaner. Sie redete erregt und unklar. „Das mag sein“, fand Delvil sie anblickend, „aber Washington und Neuyork hat sie ausgesucht und läßt uns durch sie informieren. Das will allerdings verstanden sein. Es heißt, so sind schon unsere Leute. Wir sind dankbar für den Wink. Wir sehen. Es ist dieselbe Nuß, die unseren Zähnen Schwierigkeiten macht.“ White Bakers Augen blitzten: „Zuschlagen, sage ich. Ich bleibe dabei. Abtrennen. Ja oder nein. Marduk oder wir. Glaubst du“, und sie stemmte die Arme in die Hüften, sah ihn erschreckt an, „ja ich glaube, du torkelst in den toten Baum, in den Ahorn, zu den Bären.“ Bei den Unterhaltungen mit Klokwan und in Ferngesprächen mit Washington und Neuyork wurde klarer, daß man dort schon keine Möglichkeit für einen neuen Völkerkreis sah. Die Vorgänge an der Westküste hatten ungeheuren Eindruck gemacht. Die fürchterliche Bewegung stand noch nicht. Das Auslaufen ganzer großer Stadtschaften in Afrika erregte Europa und Amerika aufs tiefste. Die amerikanische Deputation, immer geneigt abzureisen, wurde von den ängstlich gewordenen Engländern in London festgehalten. Ein heftiger Streit begann zwischen London und Neuyork. London ließ durchblicken, daß nach seiner Ansicht drüben den Industrien und Senaten Männer und Frauen vorstünden, die aus schwächlichen Sippen wären. Die alte Tradition sei unterbrochen. Sie fochten mit Worten über dem Meer hin. Die tücherbehangene Deputation der Männer Frauen und Sklaven spazierte indessen in den Anlagen der Stadt, drängte: sie könne nichts weiter sagen und was sie nach ihrem Kontinent melden sollten. Es war in diesen kritischen Monaten, in denen der Völkerkreis schon wieder sich zu lösen begann, wo eben dieselbe White Baker, die kluge und tatkräftige Frau, umschwenkte, sich auf seiten Delvils stellte. Aufs heftigste waren Delvil wie Pember ergriffen, als sehr blaß und still die White Baker eines Morgens zu ihnen in das Senatszimmer trat, jene bräunliche tuchverhängte Ratschenila an der Hand, sich setzte und lange nicht sprach. Die Ratschenila lachte die weiße Frau an, streichelte ihr die Backen, lehnte den Scheitel an ihren Hals. White Baker sah wie ein verschämtes junges Mädchen auf ihren Schoß und ließ es sich gefallen. Auch als sie mit den beiden Männern sprach, hielt sie die ringgeschmückte Hand der fremden Frau fest. Ratschenila lächelte die Männer an: „Glaubt ihr, ich sei schuld, daß White Baker trübe ist und anders redet? Man erzählt bei uns, es habe einer, ein Mann einen andern, der Jelch den Kanuk, ärgern wollen und ihm in der Nacht Hundekot unter die Decke geschoben. Er weckte ihn und sagte: es stinkt hier. Du Kanuk, steh auf, du hast dich schmutzig gemacht. Ich – hab’ der White Baker nichts getan.“ Die weiße Frau drückte ihr fester die Hand, machte kleine Augen: „Wie kommt es, Delvil, daß ihr schon viel früher wußtet als ich, was man tun soll? Wie seid ihr Männer. Oder liegt es nur an mir. Ich bin jetzt“, und sie senkte den starken braunhaarigen Kopf, „fast bin ich jetzt mehr geneigt, zu Marduk, zu Zimbo zu gehen als in London zu sein.“ Der ruhige Pember klopfte ihr Knie: „Es ist gut, daß es so ist. Man kämpft besser, wenn man weiß, wie stark der Feind ist.“ „Ich sehe keinen Feind, Pember.“ „Doch. Heute nicht und morgen doch.“ Von nichts war die White Baker, die in diesen Tagen einen kranken gebrochenen Eindruck machte, getroffen worden, als von der Berührung mit den Frauen dieser Deputation. Zu ihrer Art, ihren Gesprächen Spielen wurde sie unter Widerstreben, zu ihrer eigenen Verblüffung gezogen. Als die Ratschenila die wachsende Neugier und Zugänglichkeit der weißen Frau sah, näherte sie sich ihr und fesselte fällte sie mit einigen Liebkosungen. White Baker, deren Backen plötzlich eingefallen waren und die langsamer sprach, bat, Delvil in seinem Haus aufsuchend, Delvil Pember und die andern möchten auf sie keine Rücksicht nehmen. Möchten sich gar nicht von ihr beeinflussen lassen. Sie sei ein pathologischer Fall. Sehr nachsichtig streichelte ihr der schlanke Delvil oft die Hand: „Wie denn, White Baker, bist du ein pathologischer Fall. Wir sind alle pathologische Fälle. Sieh dir Klokwan an, deine Freundin Ratschenila, die junge gelbe Kaskon neben ihr: es wackelt bei allen. Warum bist du ein pathologischer Fall. Es ist nichts weiter, als daß du, soll ich es sagen, etwas rückständig warst. Ja, White Baker; jetzt heißt du mit Recht White. Aber ich schenke dir rote Nelken, rote Tulpen: da spiegelst du dir wieder deine Farbe an.“ „Warum war ich rückständig, Delvil?“ „Ja. Du warst ein Anachronismus. Wir weniger als du. Aber auch wir noch ein klein bißchen. Es heißt, sich immer in die Zeit einfinden. Sonst ist man töricht störrisch widerspenstig. Es nützt auch gar nichts. Man ist so nur Stoff für Tragödien.“ „Ich hätte doch stark bleiben müssen. Marduk war stark.“ Delvil umschlang ihre Schultern: „Undankbare. Fabelhaftes Seeungeheuer Walfisch, der immer unter der Oberfläche schwamm und sich jetzt wundert, wie es oben aussieht. Was hättest du damit geschafft. Du bist nicht schwach, weil du gelernt hast, deine Augen zu benutzen. Ich will dir sagen: Marduk war stark. Seine Bäume und Zimbos wachsen nicht in den Himmel. Wer sehen kann, White Baker, schwimmt gern mit dem Strom. Der Strom hat aber seine Grenzen; es gibt Klippen, der Strom hat auch einmal ein Ende.“ „Ich kann jetzt gar nichts hören, Delvil.“ Die Frau löste sich von seinem Arm: „Mir kommt vor, als wenn ich gar nicht aus dem Wasser an die Oberfläche gekommen bin, sondern umgekehrt. Aber ich muß vielleicht meine Augen erst gewöhnen.“ Und sie ging langsam fort. Trübe blieb Delvil sitzen. Der einige Londoner Senat, des Widerstandes der starken Frau entledigt, trat von diesem Zeitpunkt an härter gegen die unsicheren amerikanischen Kapitalen auf. „Nicht die Zügel verlieren, nicht nachgeben“ fühlten sie; man durfte nicht ausgleiten hinrutschen. * * * * * Auf den britischen Inseln breitete sich damals, nach dem Zurücktreten der großen Eingottreligionen, aus den Kreisen der Herrschenden her die Vorstellung von guten und bösen Gewalten aus, die man erkunden und geschickt benutzen mußte. Es beteten noch vereinzelte und ganze Landschaften zum alten Eingott, aber großes Ansehen genossen auf den Inseln wie in zahlreichen Stadtschaften des europäischen Kontinents schlaue Männer, die sich den Schein von Zauberern gaben und eine Technik der Zukunftserforschung ausgebildet hatten. Schon die früheren fremd und halbwild hin- und herflottierenden Massen waren dem zauberischen Wesen zugetan, das sich mit dem imposanten Schein wissenschaftlichen Geheimnisses umgab. Die jetzt stagnierenden Massen, bald träge, bald geängstigt, durch ihr eigenes Verkommen, die barbarischen Ereignisse in der Mark und an der amerikanischen Nordwestküste erschreckt, jedem Krieg abhold, heimgesucht von einem tiefen Drang sich von der künstlichen Nahrung, von Maschinen, senatorischer Obhut und Entmündigung zu entfernen, verlangten nach Wissen um die Zukunft, vor der sie sich fürchteten. Und um so mehr fürchteten, je weniger sie ihre Lage zu verändern wagten. Totenbefrager Orakelkünder aus Aschen Erden Trankmischungen saßen damals, als wären sie Priester, in tempelartigen Häusern, wo sie mit Gehilfen kultartige Handlungen vollzogen, Heilungsversuche vornahmen. In lautlosen Räumen unter Tier- und Pflanzenzeichen saßen sie in kleinen Treibhäusern, flache Wasserbecken vor sich mit Schilf, horchten, den Wind einlassend, auf das Geräusch der Halme, die scharrten. Sie hatten, auf Hügeln gelegen, hinter den Tempeln offene Hallen. Den Boden bedeckten sie mit silberunterlegtem Glas. Auf die blanke Fläche warfen sie gleichmäßig dünnen Sand, ließen an bestimmten Tagen den frei herkommenden Wind darüber. Sagten aus Linien und Anhäufungen wahr. Träume trug man ihnen zu. Diese Beschwörer und Zeichendeuter hörten die Träume an, dachten darüber nach, spürten den Mächten nach, die in die Träume hineinragen, wie eine Walfischherde, die das Meer beunruhigen, wenn sie hochgehen, und kleine Boote zum Schwanken bringen. Erfüllt waren um diese Zeit die Städte vom Glauben an Geister. Je sicherer die herrschenden Sippen in der Bewältigung der Naturkräfte wurden und ihre Kenntnisse zu Geheimnissen machten, um so üppiger wucherten phantastische Vorstellungen. Von den Schamanen, die sich in ihren finsteren Kapellen astrologisch, in phosphoreszierenden, oft flammenden Röcken und langen Haaren, lilienartig weiten Hüten, gaben, in Vogel- Tier- Pflanzentracht dumpf orakelten, wurden abenteuerliche Gedanken in die unruhigen Stadtschaften geworfen. Wagen mit den Ballen Fässern Säcken der Mekinahrung fuhren aus den unterirdischen Schächten noch täglich in alle Häuser. Arbeitsgruppen lösten sich ab. Gedunsene fette schwache Menschen, Gemische weißer und roter Stämme, Scharen dunkler Bastarde trieben sich herum, kleideten sich prächtig, verlumpten. Die ängstlichen Menschen waren von Geistern umgeben. Die Schamanen wisperten: In den Riesenanlagen der Mekifabriken ginge es abenteuerlich grauenhaft zu: man triebe Steine Sand Erde Salze in die Höfe der Anstalten. Mahl- und Zertrümmerungsmaschinen arbeiteten da; in die Häuser wird Wind geblasen; an ungeheure Becken mit halbtoten Pflanzen, Moos und Algen werden die Stoffe geschlämmt, über sterbende Tiere gerieselt. Die lebten immer weiter, immer weiter. Schon seit der Zeit vor dem Uralischen Krieg lebten Pflanzen, die grünen Lagen über den Teichen der Anlagen, zwischen die man Salze und Erde leitete. Da liegen und zucken Glieder von Menschen, von Negern und Weißen, die hundert Jahre alt seien und noch älter. Von dem Geist dieser halb toten und sterbenden Moose Algen Tiere Menschen, dieser fettzeugenden Därme Lebern Fischrümpfe Schafsmägen, lebten sie. Wie könnten aus Steinen Erde Salzen Kreiden Kieseln Wasser Säuren Luft – Speisen werden, die sie aßen. Die halbtoten, nicht sterbenden hätte man in den Mekifabriken aufbewahrt. Kein Licht Mond Sonne scheint drin. Kein Regen fällt. Es gibt nicht Frühling Sommer Herbst Winter. Nur gläserne Apparate, brennende Öfen, Schlammtröge, Marmor- und Metallbecken, auf denen unsichtbare Strahlen liegen, und drin zwingen sie die Stoffe zusammen. Aber die nicht sterbenden Pflanzen und Tiere werden immer gejagt zu arbeiten und nicht nachzugeben. Wie ein Müder, ein rippendürres Geschöpf noch zu Laufen Laufen Laufen gepeitscht wird, es läßt sich treiben, wimmert mit eingesunkenen Augen schon nicht mehr unter den Schlägen, so arbeiten diese erlahmenden Geister. Ob sie nicht schmeckten, wie bitter diese Speisen an manchen Tagen seien. Und doch sei dieser Geist das einzige, was sonst in sie käme. Sonst fräßen und söffen sie Erde Sand Salz Luft. Inzwischen ginge es ihnen nicht anders wie jenen gefesselten Pflanzen und Tieren. Was nicht lebt, kann nicht sterben. Sterben ist eine Fähigkeit wie Leben. Sterben können ist eine Kraft, die nur jemand hat, der leben kann. Und nun kam das Hauptstück der schamanischen Lehre. Es sei von ihnen beobachtet und auf tausenderlei Weise festgestellt, daß die Stadtschaften, Häuser Anlagen Plätze Straßen Treppen Wege Dächer, über und überfüllt von Geistern seien. Wenn sie, die Schamanen, sich mit ihren Tüchern einhüllten, so daß sie nicht geschädigt würden, und dann zu bestimmter Stunde durch die Straßen zögen und die alten indianischen Worte: „Oh Igak-chuati“ riefen, „für dich!“ dann könnten sie unter ihren Gläsern es um sich wimmeln sehen. Im Tempel, auf dem Hof, vor der Tür drängten sich die Geister immer. In der Nähe der Tempel mehr als sonstwo. Hingen da an den Türpfosten wie Handtücher; lang wie Würmer ziehen sie sich durch die Schlüssellöcher; wie Rauch fließen sie in die Wände. Man hält sie für Dampf, durch den man schreiten könne. Aber das regt sich so kalt unheimlich, kritzelt und kriebelt, läßt Feuchtigkeit und Nässe auf der Haut zurück; man kann schwer atmen zwischen ihnen. Sind zahllose Geschöpfe, Menschen Weiße Mischlinge Farbige Kinder Männer Mädchen, auch Hunde Ziervögel Katzen. Geht man die Straßen, so werden es Tausende. In den Parks ist ihr Getümmel furchtbar. Sie verschlingen sich, hängen schaukeln um Baumkronen. Im Herbst kriechen sie in die Spalten der Rinden, in Erdlöcher, suchen an die Wurzeln heranzukommen. Manche Bäume sind von ihnen überlagert wie von einem Bienenschwarm. Nur wenn die Schamanen kommen, lösen sie sich ab, schwirren ab, mit einem Geräusch ganz hoch, als wenn man eine Saite mit einem feuchten Finger herunterfährt. „Rufen wir ‚Für dich, für dich!‘ sind sie still, tun so, als wenn wir nicht da wären, sind emsig wie Ameisen. Was sind das für Menschen Hunde Ziervögel Katzen? Wir haben welche erkannt von ihnen. Manche sind nicht von hier, sind weither gewandert geflattert geschwommen. Aus fremden Stadtlandschaften, östlichen südlichen Ländern. Viele müssen über das Meer gekommen sein, wie muß ihnen die Fahrt beschwerlich geworden sein. Mußten sich an Schiffsmasten hängen, vom Wind sich werfen lassen, in das salzige Meerwasser schütten und wieder erheben. Uralte sind dabei. Die Luft und der Drang scheint vom Süden und Osten zum Westen herüberzugehen. Wir haben Geister, Schatten aus dem Uralischen Krieg in großen ungeheuren Zügen angetroffen. Es hat niemand in den westlichen Städten gemerkt, was da war, das ihn bewegt verstimmt hat. Sie haben überall, wo sie vorbeigezogen sind, die Menschen schwach gemacht, ihre Seelen auf Tage gelähmt. Sie irren immer weiter westlich, über den Ozean, nach Amerika, auf die großen Gebirge, über Prärien, durch die Städte. Kein asiatischer Mensch, kein asiatisches Tier ist bei ihnen, obwohl die die halbe russische Ebene bevölkern. Wir sind so nah am mittleren Europa, aber wir haben noch nie einen Menschen gesehen, einen Geist, der aus Marduks oder Zimbos Land war. Was sind das für Geister? Nicht sterbende, nicht lebende! Geister von Wesen, wie wir, die nur geboren sind, nie gediehen sind.“ Und sie zeigten auf ihre Gläubigen, die dünne Muskeln hatten, lange trockene Arme. Die Haare fielen ihnen aus, sobald sie einige Jahre mannbar waren. Die Zeit einer heftigen überhitzten Brunst war da. Sie verbrannten und konnten nach fünf Jahren nicht mehr zeugen. Wie die Weiber in ihrem Fett schmolzen und kaum ein Kind austrugen. Nur dreißig Jahre verdämmerten sie, dann fielen sie. Ihre Geister, die Geister ihrer eigenen Eltern Voreltern Geschwister sind es, die die Städte drängend drückend erfüllen, die sich nicht von den Mauern Türen Straßen lösen können, wie sie sich schon bei Lebzeiten nicht lösen konnten. Auf die Bäume fliegen sie, an die Teiche Seen. Aber die Stadt bringt immer neue hervor. So schreckten die Schamanen in den Städten. Steigerten die Angst, die alle vor dem Wohnen Kränkeln Siechen in diesen Städten hatten. Die Menschen weinten. Vor Jahrzehnten weinten einzelne, jetzt klagewinselten ganze Städte. Sahen sich sterben und verwesen. Ihr Leben wurde kürzer. Ihre Leiber hinfällig. Die Zähne konnten sie mit zwanzig Jahren schmerzlos mit zwei Fingern aus den Kiefern heben. Die Menschen wuchsen nicht zur Größe derer, von denen sie abstammten. Riesig wölbten sich nur überall die Köpfe; die Stirnen der späten Generationen waren vorgetrieben, die Augen wichen darunter zurück. In manchen Gegenden wuchsen die Menschen übermäßig hoch, trieben ihre Knochen zwei Meter auf; dünne platte Muskeln klebten daran; ihr Gang war langsam; das Herz sehr klein; diese zerbrachen besonders früh. Die Menschen, die die Zwanzig überlebten, setzten übermäßig Fett an. Es gab in den westlichen Landschaften Menschen, die magere große Köpfe hatten, deren Hals zwischen Fettwampen schwankte, aber an Arme Beine hängte sich das Fett in förmlichen Kloben und Säcken, die über ihre Finger und Zehen quollen, schwerbeweglich zum Gehen Greifen machte. Bei manchen wuchs das Fett wie ein bösartiger Parasit über sie her, mit zunehmender Gewalt von oben nach unten: der Hals und die Brust blieben noch schmal, freundlich und hilflos blickte oben ein Kopf her. Von den Brüsten ab schwollen sie an, dicker polsterten sich die Fettschwarten auf; der Leib warf sich auf den dreifachen Umfang der Brust, schwankte nicht bei Bewegungen, stand prall in seiner Masse. Schenkel und Füße paketartig zementiert, von Wülsten umwickelt. Darin stampften die Menschen, stöhnten starrten wie Fleischpyramiden. Nach ihren Rassen setzten sie an oder blieben dünn, wuchsen hoch; Negerabkömmlinge verfetteten am raschesten. Es wuchsen welche auf in einigen Gegenden mit kolbenartigen Anschwellungen und Knoten der Gelenke wie Pflanzen. Schlanke zarte Glieder bewegten sich in ungeheuren kuglig runden Scharnieren, zitterten daran. Knotig dick die Ellbogen, kleinen Fingergelenke, Knie, die Knöchel der Füße und Hände. Rasch konnten sich diese Menschen bewegen, ihre Muskeln waren die stärksten, aber stockten erlahmten erstarrten rasch. Sie fühlten alle, dies mochte von den süßen sonderbaren reichen Speisen kommen, die man ihnen zutrug, nach denen ihre Eltern und Voreltern verlangt hatten, von der Untätigkeit, dem Lungern in geschützten Häusern, auf verdeckten Plätzen und Straßen. Aber es war wie ein Pferd, das durchging. Man konnte es nicht aufhalten. Um die Zauberer herum standen Menschen, weinten, die von Lähmungen befallen waren, die keiner deuten und heilen konnte. In Massen waren sie gelähmt. Arme und Beine wurden schlaff, die Augenlider konnten sie nicht anheben, zuletzt lallten sie, andere fütterten sie. Sie fühlten die Speisen nicht im Mund, verschluckten sich, erstickten. Es gab keine Ärzte für diese Menschen. Die Ärzte gehörten den senatorischen Kreisen an, schwiegen. Hingerissen hörten die Kranken Verelendeten die Mysterien der Zauberer an. In langen Zügen fuhren und flogen sie auf die Hügel, wo die Tempelchen standen. Wie Vögel im Winter um die Näpfe sammelten sie sich hier. Zeigten sich ihre Arme und Beine. Schrecklich unter dem grellen Tageslicht die Körper und Blicke. Bei diesen Begegnungen starben manche. Manche ließen sich nicht zurücktragen. Die Zauberer mußten nahe Siedler rufen, die Hütten für diese Verzweifelten errichteten. Manche erholten sich. Wie sich die Menschen, aus den warmen künstlichen Städten hergestiegen, auf den Feldern und Hügelchen ansahen, war ihre Trübsal groß. Auch grimmige leise und fäusteschüttelnde Anklagen wurden ausgestoßen gezischt geschluckt. Bei Bedford sang und schrie eine Frau: „Ich bin ein Weib. Meine Eltern haben in London gewohnt, meine Großeltern haben in London gewohnt. Sie kamen aus Afrika oder Amerika, waren stark. Dann wurde ein Zauber auf sie geübt. Sie waren schwach. Sie gingen in das Haus der Zauberer. Sie brauchten keine Furcht mehr haben, zu verdursten und zu verhungern, es konnte sie keiner mehr über den Haufen rennen. Keiner konnte sie mehr mit Lanzen Dolchen Gewehren umbringen. Seht meine Finger, meinen Hals, meine Brüste. Ich bin ein Weib. Zwanzig Jahr. Zwei Kinder hatte ich. Sind beide gestorben. Und bin ich lebendig? Jetzt bringt mich kein Gewehr um. Aber was nun. Bin ich fett? Bin ich ein Mensch? Muß ich jetzt verenden? Ich will sterben, ich möchte nicht so leben. Ich verfluche mich, wenn ich mich jeden Morgen sehe. Wer hat mich so gemacht? Ich selbst. Ich selbst. Ich habe es nicht besser gewußt. Die Herren in den Städten wissen was sie tun. Sie sind die Bösen. Die Bösen an mir, an allen. Vor Jahrzehnten haben sie einen Krieg gemacht. Jetzt führen sie Krieg gegen mich. Und sagt, ob sie nicht siegen und böse sind. Böse sind sie. Böse sind sie.“ Die Frau stammelte, lag bei einem Siedler auf dem Boden, schluckte grünes Gras: „Wären wir alle in die Erde gesunken mit den Menschen, die in den Krieg zogen. Welches Leiden ist das. Wäre ich mit meinen Kindern in die Erde gesunken. Nichts bin ich. Nicht fruchtbar bin ich, nicht laufen kann ich, nicht greifen kann ich, nicht kann ich schlucken. Ich bin lebendig begraben. Ich schreie. Ich schreie.“ Und doch wie die Menschen sich hinwarfen: ihre Angst war groß, sie könnten die Städte verlieren, müßten aus den Häusern heraus, man brächte ihnen keine Nahrung mehr, triebe sie, für den Tag selbst zu denken. Nicht mehr erregt zu Wildheiten wie die voruralischen Menschen waren sie. Sondern weich zärtlich frühreif gedankentief, von Empfindungen durchstrudelt, nach Reizen gierig, prunksüchtig demütig. Zur Anbetung, zum Dienen bereit, flatternd von Stunde zu Stunde, lecker, wollüstig am Leben hängend. Von Zeit zu Zeit liefen Vorstellungen über die Kontinente, die Verfolgungsideen waren, unter denen sich diese Menschen bogen, die sie entsetzt nachsprachen, nach einiger Zeit von sich abschüttelten, schreckhaft vertiefter als vorher. Und immer neue Menschen unter ihnen. Der Hang des afrikanischen Erdteils, seine Kinder herüberzuschicken nach Norden und Westen hatte nicht aufgehört. Der südliche Erdteil, der seine Häusersiedlungen fast vernichtet hatte, strömte Menschen aus wie die Sonne Wärme. Vom westlichen Afrika kamen damals die Menschen, die am tiefsten und eigentümlichsten in den Städten Europas wirkten. Das waren Fulbe aus der Gegend der Guineaküste, waren Mandarah Bagirmi Wadey Ibo Yoruba, kleine Pilgergemeinden aus Kordofan und Samoa. Sie waren von zierlichem Wuchs mit gewölbter hoher Stirn, großen offenen ausdrucksvollen Augen, rötlich braun bis zum Gelblichen die Hautfarbe, immer auf Taten aus, spielerisch wild, sonderbar gebrochene Charaktere, bald weich schmelzend, bald unnachgiebig. Diese waren in alle Städte rasch eingedrungen; ihre Anwesenheit gab dem ganzen Leben der Städte ein besonderes Gepräge. Bald wollte niemand den Glanz und die Munterkeit, die unbezwingliche Naivität dieser rötlichen und braunen Menschen entbehren, die sich gar nicht geneigt zeigten zu streiten. Sie hielten sich in Europa auf, als wären sie Regentropfen, die selbstverständlich da sind, waren betrübt über die Angriffe, versteckten sich für einige Zeit, kamen wieder hervor. Wie diese Männer und Frauen von Mandarah und Bagirmi zu singen und zu erzählen verstanden, war den Europäern unerhört. Die Lieblichkeit ihrer Erzählungen und Lieder schmolz alle Herzen. Sie sangen und sprachen wie vor vielen Jahrhunderten Gaukler und Spielleute im südlichen Frankreich und der Po-Ebene. Von Bäumen, vom Himmel, den Lüften, der Liebe zu Weibern, von kleinen Kindern, den Regenröhren, Hirschen, Tigern, Löwen, der Kälte und Wärme, Schlingpflanzen, bösem Zauber. Von Wasserfällen Pelikanen Krokodilen. Dazu von der Schönheit der großen Städte, in die sie eingetreten waren und die sie alle mit Namen benannten, was sehr sonderbar wirkte. Sie umgaben die Straßen Schaufenster Kostüme Automobile Flugzeuge elektrische und magnetische Apparate der Städte die Speisen mit Zärtlichkeit, brauchten für sie Ausdrücke, die den Städtern zuerst lächerlich erschienen, weil man solche Worte nur an verschollene Dinge zu richten pflegte. Aber ihre Art enthielt süße Lockung. Man ließ sie ihr Herz auszwitschern. Sie waren eitel, überaus glücklich, wenn man ihnen Gelegenheit gab sich zu zeigen. Männer und Frauen strahlten vor Glück, wenn man ihnen zuklatschte. Dann waren sie nach einiger Zeit überall zu finden. Und wie sie überall grasartig ausgewuchert waren, hatten sie ein neues noch nicht faßbares Element in die klappernden, schon lahmen, noch brausenden heulenden maschinengewaltigen Weststädte getragen. Die Männer und Frauen, die die Technik fortführten, die Industrien leiteten, die stark zusammengeschmolzenen und selbst erlahmenden Geschlechter an den Mekiwerken, wurden bewegt von diesen jugendartigen Wesen, um die herum alles wogte. Aber bald sollten sie, die Herrscher und Leiter, Seelen dieser sich windenden, schlagartig erzuckenden, weich nachlassenden Riesensiedlungen, ein anderes Gefühl vor diesen drolligen Menschen haben. Bei London Havre Hamburg bauten die schauspielernden Fulbe ihre kleinen Theater. Bauten sie, von den Lehren ihrer Priester geängstigt, abseits der Städte, in Wäldern, spielten eindringend und zart, unter ihren Zuhörern und Zuschauern, Komödien Zauber- und Liebesmärchen. Sehr selten kam es zu jubelnden lachenden, auch angstvollen Ausbrüchen. Denn diese zierlichen Fremden wurden langsam mitergriffen von der allgemeinen Furcht in den riesigen Stadtkörpern. * * * * * Sie spielten das Geschick eines großen Königs. Er bezwang alle Nachbarkönige und trieb sie schwerleibig mit Siegestrompeten in sein Haus, gekettet. Die Flüsse und Bäche konnte er bändigen. Sie mußten laufen, wohin er wollte, mußten seine Steppe bewässern, daß Palmen und Brotbäume da wuchsen, mußten gegen Felsen laufen, bis sie sie unterwühlt und weggespült hatten, wie er ihnen befahl, mußten in seine Häuser steigen, durch enge Röhren kriechen, alle seine Stuben durchkriechen, die wilden Gewässer von den Katarakten. Zuletzt hatte er soviel Gold und Geschmeide aufgestapelt von seinen Siegen und Beutezügen, Spangen Ringe Wagen, daß seine Speicher und Schuppen nicht ausreichten. Die zierlichen Fulbe, die spielenden braunen Männer und Mädchen, die kraushaarigen, zeigten, was dann geschah. Wie der große Herrscher in der Halle seiner Palastwohnung saß und die Dinge ihm auf den Leib rückten, weil er sie nicht weglassen wollte, sie immer sehen mußte, um sich in seiner Macht zu spiegeln. Sie schilderten das Paradies dieses Mombuttilandes im Innern Afrikas, die sanft gewellten Talniederungen, deren Gehänge Bananen und Ölpalmen bedeckten, die Haine, unzähligen Quellen. Dicht wuchs in den Uferwaldungen Zuckerrohr, süße Bataten auf den sonnenbeschienenen höheren Hügelflächen, Erdnuß Sesam Tabak auf den weiten Äckern. Der König aber, wulstiges schwarzbärtiges Gesicht, die großen Ohrmuscheln mitten von dicken blanken Kupferstäben durchbohrt, riesig der Hut mit Pfauen- und Papageienfedern schaukelnd auf dem Kopf, nackt die frauenhaft weiche Brust, darüber die Zentnerlast der Gold- und Silberketten, Kupferringe, geschnitzten Amulette, schwere Kupferschienen an den prallen flachliegenden Unterarmen, um die quellenden aderstrotzenden Waden; in der herabhängenden Rechten der sichelförmige ziselierte perlenbesetzte Säbel, – Mansu, der König, hinter seinem Pallisadenzaun ging nicht mehr aus seinem Palast. Fetter und fetter wurde er in seinem Prunkstuhl. Seine Frauen massierten ihn. Jeden Tag mußte eine neue kommen. Es machte ihm Spaß um sich Bewegung zu schaffen, sie zu köpfen, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig waren und er sich zufrieden fühlte auf seinem Stuhl. Die Schmuckgehänge wurden dichter und dichter um ihn aufgestapelt, Reißzähne von Löwen, Civetten- und Hewattrenfelle in hohen Lagen, Giraffenschwänze. Neben seiner Halle waren die Vorratskammern und Kornmagazine, seinem Blick gegenüber seitlich vom Gang zur Tür die Rüstkammer mit Lanzenspitzen Dolchen Schilden Säbelklingen Hackmessern. Immer mehr schwoll er, Mansu. Unbeweglich wuchtete und hing er auf seinem geflochtenen Stuhl, der sein Bett und sein Tisch geworden war. Immer neue Schmucksachen ließ er sich um den Nacken an Riemen binden. An seinen Zähnen, jedem einzelnen hing ein Kupferring an einem Hanffaden. Unter seinem Hut ließ er das Haar in kleinen Strähnen drehen, an jede Strähne ein krankheitsbannendes Amulett. Die Haut der Oberarme und der Schenkel war durchbohrt; Riemen hatte er sich durchziehen lassen für die Köpfe der Nachbarkönige, die seine Krieger erlegt hatten. Sein enger Thronsaal, festgezimmert, nur mit einem Fenster und einer Tür geöffnet, wurde finster durch die Reichtümer, mit denen er vollgestopft war. Nur eine kleine Gasse durfte man freilassen. Da schwang eines Morgens der feiste König Mansu, wie er gähnend erwachte und den Palmwein neben sich schluckte, sein Sichelschwert, schrie nach seinen Frauen. Es war noch Dämmerung draußen. Hinter den Bergen der Löwenzähne und Felle hörte er seine Horn- und Flötenbläser spielen und die Weiber singen: „Ih, ih, Mansu tschupi, tschupi ih.“ Er rief wartend, wieder schluckend, blau vor Wut auflaufend, sich umwerfend, noch einmal. Vor ihm schwangen in der Luft die großen hängenden Fliegenwedel, runde Büsche roter Papageienfedern. Hinter den Fellen tönte das Blasen und Singen weiter. Aber plötzlich bewegte sich etwas in dem Gang. Durch den engen Gang kam ein kleiner zierlicher Mann langsam gegangen. Er zog hinter sich einen Wagen. Verbeugte sich: er hätte Geschenke von den Babukern zu bringen, die ihm dienstbar wären, wie der große König wüßte. Und er holte von dem Wägelchen große runde Klötze herunter, in Blätter gewickelt. Die legte er neben den König auf die Stapel. Der richtete sich hoch, stierte ihn an, brüllte: „Ich will meine Frauen“ hieb mit dem Messer seitlich nach dem niedrigen Mann, der geschickt wegsprang, ruhig einen Klotz nach dem andern ablud. „Käse. Es sind Käse“ flüsterte er, „wir sind arme Leute, Ziegenhirten: die Massansa haben mehr, die Maoggu haben mehr; wir sind nur Ziegenhirten. Es ist Ziegenkäse, er wird dir wohlschmecken.“ Mansu halbaufgerichtet öffnete luftschnappend den Mund, riß an seinen Amuletten. Immer sangen die Weiber nebenan hinter den Civettenfellen noch das grelle: „Ih, ih, Mansu tschupi, tschupi ih“. Und wie der schweißtriefende König vor Gram halb betäubt ein Amulett an die Stirn drückte, verschwand der niedrige Mann, meckerte: „Sie schmecken gut, du mußt sie essen. Die Babuker sind dir treu.“ Die Fliegenwedel bewegten sich vor dem König. Er riß die Augen auf, rief. Hinter den Federn wankte nach links und rechts sich wiegend in dem Gang ein alter Mann, eine große Strohmatte über Kopf und Leib, die nur seine Augen und seine Nase freiließ. Er hatte das Aussehen den Gang die Stimme des Zauberers des Königs. Wollte nicht näher kommen, obwohl Mansu es befahl. „Du bist krank, Mansu“ flüsterte er von weitem, warf sich hin aufs Gesicht. „Bring mir einen Trank, daß ich gesund werde. Sonst schlag ich dich tot.“ Der Zauberer flüsterte an der Erde: „Ich habe den Trank. Ich habe gewußt, daß du krank bist. Ich hab ihn mitgebracht. Hier ist er, an meiner Brust. Vor einer Stunde habe ich ihn im Tempel gemischt.“ „Gib.“ „Ich kann nicht.“ „Gib. Gib her. Ich schlage dir den Kopf ab.“ „Du mußt ihn am Wasser trinken, bei Sonnenaufgang, draußen am Tempel.“ „Gib ihn her. Ich will nicht draußen.“ „Komm“ lockte der Zauberer, der zurückgewichen war, „er wirkt sonst nicht.“ Prustend erhob sich der König, schrie Hilfe nach seinen Weibern. „Du mußt kommen“, flüsterte der im Strohmantel am Boden. „Die Sonne geht bald auf, der Trank verdirbt, du kannst sterben.“ „Warte, warte“ drohte Mansu stehend, fuchtelte vom Thronsitz heruntertorkelnd sein Sichelschwert. Der Zauberer lockte: „Komm, komm. Ich stell dir den Trank hierher. Neben die Tür. Hier. Du kannst ihn sehen.“ Da war Mansu die Stufe des Thronsessels heruntergestolpert. Er raffte sich auf. Die schweren Riemen mit dem Prunkgehänge wollte er sich abreißen. Es gelang ihm nicht. Sein Arm verhäkelte sich in den Massen der Ringe und Ketten. „Hier steht der Trank. Neben der Tür. Beeil’ dich. Die Sonne geht bald auf.“ Der König ächzte, der Gang war zu eng. Die Löwenzähne rissen ihm seinen hohen Hut herunter, schlugen ihm vor den Mund. Er drehte sich zur Seite, er war zu dick, er kam nicht durch. Er brüllte nach dem Zauberer, nach seinen Weibern: „Ich kann nicht durch.“ Der Zauberer war verschwunden. Ganz lustig und leise summten sie hinter den Fellbergen die Hymne; sie klapperten; der König hörte es gern im Halbschlaf. Er rang mit den Massen der Tierfelle und Schwänze, die auf ihn niederrollten. Mit seinem Sichelschwert schlug er auf sie ein. Er focht mit ihnen. Immer neue fielen herunter. Er schob an ihnen. Der Trunk war da, die Tür war nicht weit. Er ließ sein Sichelschwert fallen. Die linke Hand war ihm im Halsgehänge gefangen; er bekam sie nicht ab. Da drang er wütend kreischend, mit den Beinen stampfend nach vorn vor. Mit dem Kopf wollte er sich durch die Berge wühlen. Er drehte sich um sich. Die schwere Masse der Giraffenschwänze rollte knatternd über ihn. Er machte sich frei, taumelte in einen Haufen getrockneter Bananen. Und wie er um sich griff, riß er die Riemen mit den Löwenzähnen und einen starken Elfenbeinzahn von der Decke. Die schlugen drückten auf ihn herunter. Sein Kopf wurde festgepreßt. Die Bananen zerpreßte sein Hals sein schreiendes Gesicht. Das weiche sämige Mehl quoll neben seinen Ohren hoch, rann in seine blasenden Nasenlöcher, stopfte seinen weit aufgerissenen Mund aus. Er schluckte, schluckte dran, spie, spie, wollte es mit den Händen wegräumen; die waren neben den Knien festgeklemmt, er fühlte sie nicht. Den Kopf warf er noch wie ein zappelnder Fisch hin und her. Dann überrieselte ihn das süße Mehl. Seine Kiefer standen still; der Krampf in seinen Augen ließ nach. Er erstickte zwischen den mehligen Früchten, in die seine tretenden Beine sich wie in ein Moor einwühlten. Seine Frauen fanden ihn nach Stunden, wie sie mit Flöten anzogen, völlig vergraben in der weichen zerwühlten Masse. Die Frauen, die Söhne priesen seinen Tod; sie weinten: es sei der Tod eines Königs gewesen. Und die braunen Spieler holten den Erstickten aus seinem gelbweißen Sarg, stäubten ihn ab, stellten ihn auf seine Beine. Er stülpte sich seinen Riesenhut auf. Sie tanzten zusammen um den Hüttenbau herum, bliesen das Mehl fort. Der König war in einem Lachen, wie er auf seinen Fettbeinen tanzte. * * * * * Auf den waldigen Hügeln im Südteil der Stadtschaft London, bei Guildford am Wayriver, und bei Tunbadge, östlich davon, spielten sie. Viele kamen zu ihnen heraus. Bald zogen sie südlicher, ganz außerhalb der Stadtschaft. Im Westen der Stadt machten sich die kleinen von vielen geliebten Bühnen auf. Sie trugen die Possenstreiche des Hubeane vor. Das waren Szenenreihen, bei denen die Spieler improvisierten. Der Knabe Hubeane zeigte seine Wunderlichkeit. Seine Mutter geht über ein Feld, den Krug auf dem Kopf. Da schläft in den Schoten eine Antilope, das kleine Tier. Sie nimmt einen Stein, erschlägt das Tierchen. Singend schlendert Hubeane an, schießt mit Schotenkörnern nach der Mutter. Sie schimpft. Er solle die Erbsen wenigstens essen, wenn er so junge Schoten abbreche. Da meint er erstaunt, deswegen schieße er ja nach der Mutter; er traue sich nicht Dinge zu essen, die nicht bei der Mutter gewesen sind. Sie gab ihm ihren Tragkorb, zeigte ihm die junge Antilope: „Hubeane, mein Kind, hilf mir die Antilope in den Korb legen. Und hole Schoten, damit wir sie ganz zudecken können.“ Er brachte einen Berg von Schoten, und ob man einem jungen Tier wirklich so viel Schoten geben solle. Die Mutter sagte, sie wollten das Wild damit bedecken. Sonst sähen es die Leute und nähmen es ihnen weg. „Trag die Antilope nach Hause. Und wenn du Leuten begegnest, die dich fragen, was du trägst, so sage: Ich trage meiner Mutter Schoten. Aber in deinem Herzen ist es eine Puti-Antilope.“ Hubeane nahm den Korb, wanderte los. Es kamen Leute, die fragten, was er trage. Er guckte einen nach dem andern an, lachte, lachte immer heftiger. Sie fragten, warum er lache. „Ihr habt wohl meine Mutter getroffen. Euch hat meine Mutter geschickt.“ „Deine Mutter ist mit einem Krug über das Feld zum Wasserholen.“ „Euch hat meine Mutter geschickt. Sie hat mir gleich gesagt, daß ich Leute treffen werde, die mich fragen, was ich in dem Korb trage.“ Und er schüttelte ihnen die Hände, freute sich über die Klugheit seiner Mutter. Die Leute gingen ihm aufmerksam nach: „Was trägst du in dem Korb.“ „Ich trage meiner Mutter Schoten. Aber in meinem Herzen ist es eine Puti-Antilope.“ Die Leute lachten; was der Junge für Zeug rede. Dann strichen einige Böse hinter ihm her, deckten die Schoten ab, sahen das junge Wild, wollten es ihm aus dem Korb nehmen. Er ließ es aber nicht zu. „Ich muß sie nach Haus tragen.“ „Trag sie doch zu uns nach Haus.“ Das wollte er gern. „So, jetzt habe ich die Puti-Antilope nach Haus gebracht“ seufzte er beruhigt und zufrieden, als er den Korb bei ihnen absetzte. Sie taten das Wild an den Spieß. Er durfte ein Stück mitessen, dankte oft. Eine Banane gaben sie ihm in die Hand. Seiner Mutter ging er entgegen: „Mutter, diese halbe Banane ist für dich, weil du so klug bist und alles vorausgewußt hast. Vielleicht, ja vielleicht gibst du sie mir aber wieder, damit ich sie den Leuten bringe. Sie ließen mich ja auch von der Puti-Antilope mitessen. Unsere Schoten, sagten sie höflich, schmeckten so schön.“ Man gab Hubeane Schafe. Er sollte immer an einem Stein sitzen, sie hüten. Einmal lag auf dem Wiesenplan ein totes Zebra. Am Abend trieb er die Schafe heim. Die Männer fragten ihn, wo er gehütet habe. Er dachte nach: „Heute – hab’ ich bei einem Stein gehütet, der lauter bunte Streifen hat.“ Die Leute lachten; einen buntstreifigen Stein gab es in der Nachbarschaft nicht. Am nächsten Morgen zog Hubeane wieder auf die Weide, setzte sich zu dem toten Zebra. Das war inzwischen angefault. Hyänen sprangen um den Kadaver. Und als der Junge abends nach Hause kam, sagte er, heute habe er am Hyänenstein gehütet. Die Männer wunderten sich, wie er spreche: gestern vom buntstreifigen Stein, heute vom Hyänenstein. Sie gingen mit ihm aufs Feld, fanden das faulende Zebra. Die Hyänen sprangen davon. Sie schüttelten den Kopf: „Was tust du, Hubeane. Das ist ein Wild, das gut schmeckt. Wenn du es liegen siehst, und es ist gefallen, so mußt du rasch Zweige abhauen, damit es keiner wegnimmt, damit es der Geier und die Hyänen nicht holen. Und dann lauf rasch nach Haus und schreie. Schreie. Wir kommen dann und holen es.“ Der Junge spitzte den Mund pfiff dankte. Und wie ein kleiner lahmer Vogel vor seinen Füßen sprang auf der Weide, setzte sich Hubeane auf ein Schaf, den schweren Stecken in der Hand, trieb es mit Gejohl auf das Vögelchen, Motantasana genannt, zu. Das Wild wollte er erlegen. Aber das Schaf wollte nicht rennen. Da trat ihm Hubeane in die Weiche, sprang ab, warf eine kleine Grube auf, versteckte sich hinter Laubwerk, das er abgebrochen hatte, und drang brüllend vor auf das lahme Vögelchen, das in die Grube hüpfte. Hubeane stieß ein Triumphgebrüll aus. Er stand schreiend vor der Grube, schlug blind hinein, schaufelte Erde mit den Händen in das Loch, warf seine Zweige hin, lief nach Hause. Aus vollem Halse johlte er: „Das Wild! Das Wild! Ich hab das Wild getötet. Mit eigener Hand getötet. Kommt. Tragen! Bringt. Tragen!“ Die Männer liefen mit Messern an, die Frauen schleppten Körbe, liefen auf den Wiesenplan hinter dem stolz hüpfenden Hubeane. „Hier ist es. Hier liegt es. Unter den Zweigen. Da!“ Die Männer arbeiteten, Zweig auf Zweig räumten sie weg. Die Frauen standen mit Tragkörben, warteten freudig. Hubeane johlte, kommandierte: „Alle Zweige weg! Und die Erde müßt ihr wegraffen. Ich habe das Wild in die Grube gescheucht. Es hat mich nicht gesehen. Hinter dem Laub war ich versteckt. In die Grube hab ichs gehetzt, hab es erschlagen und erstickt.“ Und von der Erde, die sie wegräumten, fielen Steine um Steine. Hubeane haschte nach jedem Stein: „Das ist es nicht. Das ist es nicht.“ Das Vögelchen fiel. Er juchzte tanzte: „Da, es zuckt. Da ist es. Es lebt noch. Nehmt die Messer! Schlagt es tot.“ Die Männer ließen die Hände sinken. Sahen ihn an, wie er mit seinem Stecken sprang focht. Sahen sich an. Betrübt schlenderten sie zurück. Die Mutter nahm ihn beiseite: „Kind. Das ist ein Vögelchen. Das ist ja kein Wild. Wenn man ein Vögelchen fängt oder man hat es getötet, so sagt man gar nichts, ruft gar nicht. Man bringt es ganz still abends nach Haus.“ Er stand mit gespitzten Ohren: „Ich will es tun, Mutter.“ Und einmal kam ein großer Lämmergeier aus der Luft, warf sich auf ein junges Tier, Hubeane sah freundlich zu unter seinem Baume, wie der Geier das Tierchen packte und davonflog. Er lachte über das schreiende Lämmchen: „Warum schreit das Lämmchen. Jetzt fliegt es mit dem Vögelchen durch die Luft und schreit noch.“ Der Geier kam nachmittags wieder. Strich sehr nahe über Hubeanes Sitz. Da dachte der: „Ich fang ihn.“ Machte seinen Gürtel ab, hielt den dicken Stecken in der Hand, schlug zweimal dreimal auf den herunterstoßenden Geier, schlug ihn nieder. Dann band er ihn an seine Jacke. Der Geier an der Schnur fuhr hackend gegen ihn an, zerbiß ihm die Arme, riß ihm die Kleider entzwei. Hubeane kämpfte den ganzen Nachmittag, erschöpfte sich. Er hatte Mühe abends, mit dem Raubtier springend fallend und es niederdrückend, seine Herde nach Hause zu treiben. Die Hunde liefen bläffend um ihn. Kreischend empfingen ihn, der blutete, die Kleider zerrissen hatte, die Frauen am Eingang des Dorfes. Er, immer schlagend, keuchte stürzte: „Es ist nichts. Es ist nichts. Ein Vögelchen. Man darf nicht schreien. Ich hab es angebunden.“ Und ließ sich auch nachher nicht davon abbringen, als man ihm sagte, daß der Vogel ein Lämmchen davongetragen und ihn fast umgebracht hatte. „Das Vögelchen?“ Hubeane ließ sich staunend verbinden, betrachtete vorwurfsvoll seine Mutter. Der Vater hatte seine bösen Streiche über, nachdem Hubeane ihn vor der Dorfgemeinde durch Übermittelung falscher Aufträge, durch Berichte von nie stattgehabten Vorfällen lächerlich gemacht hatte. Er suchte sich Hubeanes zu entledigen. Er nahm ihn auf einer Tigerjagd mit, versteckte ihn, als man das Tier umzingelt hatte, in einem ausgehöhlten Termitenhügel, hoffte, der Tiger würde gejagt in den Hügel stürzen und Hubeane zerreißen. Das gereizte Tier wurde gegen den Hügel gedrängt. Der Vater brüllte scheinbar entsetzt: „Hubeane, Hubeane. Der Tiger!“ Hubeane kam nicht. Auch der Tiger war in dem großen Bau verschwunden. Die Männer drangen nach einiger Zeit unter Getrommel gegen den Bau vor. Über und über mit Erde bedeckt zeigte sich da in der Öffnung des Baus Hubeane. „Der Tiger ist nicht drin, ich habe gewartet, daß er hereinkommen würde. Hab ihm auf der anderen Seite ein Loch gegraben. Und wie er hereinstürzte, sah er das Loch. Flitz, schoß er gegen das Loch. War hinaus.“ Er gab dem Vater und den anderen dankend die Hand: „Wie habt ihr schön gebrüllt. Hättet ihr nicht so gebrüllt, so wäre er in der Höhle geblieben und hätte mich gefressen.“ Der Vater ließ nicht nach. Trieb ihn aufs Feld, verkleidete sich als Fuchs, der Hubeane angriff. Aber Hubeane riß aus, lockte, ließ den nachsetzenden Fuchs in eine Mistgrube. Wie der Fuchs drin zappelte, rief Hubeane die Leute zusammen, schlug von oben auf das Tier ein: „Ein Teufel!“ Bis die Männer den halberstickten Mann mit Stangen herauszogen und der Sohn ihn streichelte: „Es war ein Teufel, seine Haut schwimmt da, er hatte dich verschluckt. Nächstes Mal schlage ich ihn ganz tot.“ Um die Zeit des Vollmonds kam das Ende. Da stellte der Vater, der sich vor Wut nicht halten konnte, eine Leiter an die Hütte, in der Hubeane schlief, blickte durch ein Loch in den finsteren Raum herunter. Ein gelbes riesiges Mondgesicht hatte sich der Vater vorgebunden, das verhüllte seinen Kopf und die ganze Brust. In den Händen hielt er verborgen ein Bündel Speere. Grimmig war der Vater; mühsam stieg er die Leiter hinauf, noch lahm von den Schlägen des Sohnes. Er murrte drohend: „He! Da unten! Herauf! Herauf! Hubeane!“ Der richtete sich zitternd im Stroh auf: „Wer ist da.“ „Der Mond vom Himmel. Willst du nicht kommen, mich anbeten.“ „Der Mond. Zu mir! Oh ich fürchte mich. Ich will ihn nicht sehen.“ „Komm, daß du mich siehst.“ Und wie Hubeane aus dem Stroh langsam ankroch, sauste die erste Lanze gegen ihn. Er fuhr kreischend zurück. Der Mond dröhnte: „Her zu mir! Willst du mich anbeten! Das sind meine Strahlen. Meine Strahlen. He! Heran. Sonst verschlucke ich dich.“ „Ich fürchte mich nicht vor dir, guter Geist. Gewiß nicht. Ich komme gleich. Ich hole mir nur einen Schirm, weil deine Strahlen so brennen.“ „Sie brennen nicht. Komm heran.“ Der Vater lauerte, lugte herunter, sah den Sohn nicht. Er blies durch ein Horn herunter, drohte: „Auf! Auf! Steh auf, Hubeane!“ Da fühlte er die Leiter unter sich zittern. Sie schwankte. Und wie er sich umdrehte, hielt ihn einer an den Armen fest, umschlang ihm von rückwärts den Brustkorb. Der Vater schrie: „Hilfe! Hilfe!“ „Schrei nicht, lieber Mond. Die Leute bekommen Angst.“ „Hubeane.“ „Du kennst mich bei Namen, lieber Mond. Du siehst alle, kennst alle Menschen aus unserem Dorf, alle Hühner, alle Hunde. Ich hab meinen Schirm nicht finden können. Kann dich nur von hinten betrachten; von vorn brennst du so. Geh solang in meine Hütte, bis ich meinen Schirm habe.“ Und hob den um sich schlagenden Mann auf der Leiter hoch, stürzte ihn durch das Loch in die finstere Hütte, riß ihm im Fall das Lanzenbündel aus der Hand. „Jetzt will ich Licht machen, lieber Mond, damit du meinen Schirm suchen kannst. Du liegst auf dem Gesicht. Ich leuchte.“ Und schleuderte Speer auf Speer senkrecht herunter, raffte Steine, schmetterte sie durch das Loch in die Hütte: „Hier neue Strahlen. Sieh jetzt! Kannst du sehen. Noch nicht. Noch nicht.“ Er holte sich vom Nachbarhaus eine Strohmatte, kehlte ächzte die Leute zusammen: „Der Mond ist in meiner Hütte. Ihr sollt ihn verehren. Nehmt einen Schirm mit. Die Strahlen sind scharf.“ Verwundert liefen sie aus den Häusern, mit Laternen und Fackeln. Hubeane winkte vor der Hütte: „Nehmt einen Schirm mit. Er liegt drin auf dem Gesicht. Der Mond. Durch das Loch ist er vom Himmel in meine Hütte gefallen. Wenn er sich umdreht, brennt er.“ Und wie sie in die Hütte eindrangen, an Hubeanes Possen gewöhnt, doch ängstlich, lag da angespießt, von Steinen zertrümmert auf dem Gesicht ein Mann in einer großen Mondmaske. Sie machten den Blutbegossenen los, wandten ihn um. Der Tote war Hubeanes Vater, die Brust durchbohrt, der Schädel zerbrochen. Hubeane stand stumm, ließ heulend geifernd den Kopf hängen: „Ach, mein Vater.“ Sie faßten ihn: „Du hast ihn totgeschlagen, Hubeane.“ Er zeigte die Zähne, schlug die Leute: „Es war der Mond. Es war nicht mein Vater. Wenn mein Vater lebte, würde er es euch bezeugen. Der Mond hat mich mit Strahlen gebrannt. Er wollte mich verbrennen.“ Die Männer wußten, wie die Sache verlaufen war. Hubeane hockte in der Ecke, zerkratzte sich die Brust: „Was wird meine Mutter sagen. Sie wird mich vor dem Mond schützen.“ Sie taten ihm, der nach ihnen die Fäuste hob, nichts mehr von da ab. * * * * * Zu Spielen dieser Art, Tänzen, erregter Geselligkeit auf den Wiesen, in den Wäldern, erschienen große Massen aus den Städten. Teile kehrten nicht in ihre Häuser zurück, hielten sich erst tagelang in der Nähe der Spiel- und Unterhaltungsstätten auf, siedelten sich dann an. Hatten die Städte noch im Rücken, aber bewegten sich gefesselt in diesen Landschaften, in denen es Tag und Nacht wurde, von deren dunkelblauem Himmel nachts die wimmelnde Unzahl der Sterne herunterblickte. Sie sahen die früheren Siedler, Zügel in der Hand hinter Pferden und Ochsenwagen fahren, Vieh treiben. Die Felder waren gleichmäßig mit einer Waldung von Ähren bewachsen, aus denen die Menschen sich Brot machten. Immer das flache Land Forsten Seen Wiesen überflogen von dem stoßenden Wind. Regengüsse Wolken in der hohen Luft. In der Londoner Stadtlandschaft herrschte während der Neuorganisation des Völkerkreises straffe Arbeitswirtschaft. Neue Fabrikanlagen wurden geschaffen, große Scharen von Arbeitern benötigt, wachsende Mengen von Monat zu Monat. Um diese Zeit war es, wo das Fluten der Menschen an die Peripherie und über die Grenzen hinaus zunahm. Im Londoner Senat wurde festgestellt: es sind nicht genug Menschen für die projektierten Anlagen da. Delvil sprach mit Empörung. Es sei beispiellos, was jetzt geschehe. Man füttere dreiviertel der Bevölkerung. Im Augenblick, wo man ihrer Kraft, nur teilweise ihrer Kraft bedarf, weigern sie sich. Es kam in dieser und den folgenden Beratungen zwischen Delvil, der empfindlich geworden war, und der breitschultrigen White Baker zu ernsthaften Zusammenstößen. Sie hatte, wie man argwöhnte, um die gefährlichen Bewegungen dicht an die Stadt heranzuziehen, ihre eigenen Liegenschaften Siedlungsgruppen zur Verfügung gestellt. Ohne den Senat zu befragen oder ihm Mitteilung zu machen, hatte sie die Förderung von wichtigen Erden und Kalksalzen aus ihren Gruben untersagt und den Mekianstalten Schwierigkeiten gemacht. Sie verteidigte die Untätigen, die durch die lange Muße schlaff geworden wären; man könne sie nicht im Moment umschaffen. Delvil brauste: sie seien nicht schwach, seien erbärmlich, ohne Gefühl für das, was der Gesamtheit nottue. Und seiner Macht und Kraft gemäß beschloß der Londoner Senat, wie er erklärte, im Bewußtsein seiner Verantwortung für die westliche Menschheit, die an neue Aufgaben heranginge: der Senat fordert die ganze Bevölkerung auf, am Wiederaufbau der durch Krieg und die allgemeine Resignation verfallenen Stadtlandschaft mitzuarbeiten. Man müsse ein Vorbild, ein fortreißendes Beispiel den andern Gliedern des neuen Völkerkreises geben. Hinter den Stadtschaften, die schon aufgerichtet seien, dürfe man nicht zurückstehen. Treulose und Entartete müssen wissen, daß der Senat über Machtmittel verfügt. Der Beschluß wurde von allen Senatoren unterschrieben bis auf die White Baker, die damals zum letztenmal im Senat erschien. Man trauerte nicht hinter der Eigenbrödlerin; nur Delvil war besorgt. Mit Spott und Grimm wurde die senatorische Verfügung aufgenommen. Agitatoren Priester Landsiedler, in die Stadt eindringend, nahmen höhnend den Beschluß vor: „Was faselt der Senat von Verantwortung an der westlichen Menschheit. An welche Aufgaben soll die westliche Menschheit geführt werden. Man hat vielleicht in den Laboratorien eine Handvoll neuer Erfindungen, die an den Menschen exekutiert werden sollen. Der Uralische Krieg ist ergebnislos verlaufen? Wer das sagt! Er hat ein Ergebnis gehabt! Herrengeschlechter, senatorische Gewalten, Völkerkreise haben ihre Ohnmacht bewiesen. Und sie glauben, man hat es vergessen. Konnten es mit Marduk nicht aufnehmen, obwohl sie Waffen hatten und ihn hätten ausrotten können. Aber wagten es nicht. Hätten die Auswanderer nach Yukon und Alaska zerschmelzen und zerblasen können. Aber haben die Yukon- und Alaskamänner gelassen! Warum? Weil sie im Innersten gelähmt sind. Das Gewitter wird mit Hagelschlag und Donner auf sie fallen. Was können sie als drohen, ihre Angst verbergen!“ White Baker ließ dem Senat erklären, sie verzichte auf die senatorischen Rechte, die sich aus ihrem Besitz und ihrer Herkunft ableiteten. Sie hatte die Ratschenila bei sich. Die amerikanische Kommission war noch in London. Delvil äußerte in Unruhe, die Kommission möchte abreisen. Aber die Fremden sahen mit Vergnügen die Schwierigkeiten der Europäer, die Träger des Gedankens an einen neuen Völkerkreis waren. Sie gingen nicht einmal, als Delvil sie vernachlässigte. Der alte Klokwan sprach mit Neuyork: London werde niemanden zum Völkerkreis zwingen; die herrschenden Geschlechter Londons hätten Gelegenheit, ihre Kraft zu zeigen; man könne sie jetzt dabei beobachten. White Baker, die nicht mehr junge Frau, schien gebrochen. Den Verzicht auf den Senatsitz, die Übergabe ihrer Liegenschaften an die Spieler und Siedler faßte man im Senat als eine träumerische franziskanische Handlung auf. Immer aber ging die kleine stolze elastische Ratschenila neben ihr, vorstehende Backenknochen, feurige dunkelbraune tiefliegende Augen unter schwarzen dünnen Brauen, pechschwarze Haare mit rötlichem Schimmer im Licht, die schlicht auf den Nacken fielen. Die Ränder der Ohrmuscheln vierfach durchbohrt; in den Löchern hingen Silberringe mit Federn Perlmutterstücken. Sie liebte ihr rundes Kinn rot zu färben, zinnoberrote Ringe um die Augen zu ziehen. Wo sie ging, trug sie über dem blauen Hemd, dem Oberkleid aus feinem gezackten Leder, eine bunte Wolldecke, ein breites Tuch, das sie bald um die Hüften, bald um die Schultern wickelte. Sie nahm nichts von den Schmuckstücken an, die ihr White Baker schenken wollte; nur hob sie der englischen Frau selbst einmal eine Perlenkette vom Hals, bat, sie behalten zu dürfen. Und lachte und drohte, als die Europäerin sie ihr freudig umlegte: man dürfe Perlen nicht leicht weggeben; man verliere etwas mit ihnen; sie sind versteinertes Wasser; in ihrer Höhle sitzen Geister, die von dem Menschen etwas mitnehmen. White Baker blieb aber glücklich; sie freute sich, ihre Perlen über Ratschenilas Brust zu sehen. Aus weißer Seide machte die Fremde für White Baker ein langes faltiges hemdartiges Gewand, hing ihr ein kleines Knochenstück von der Gestalt eines Krähenschnabels an einer Lederschnur um. Nach Ashdown Forest, in den Bergen südlich der Stadtlandschaft, zog White Baker und die Ratschenila. Eine kleine Menschengruppe wohnte hier. Sie trugen oberhalb des linken Schuhs auf dem Strumpf oder am bloßen Knöchel schlangenförmige Metallringe, nach denen sie sich die „Schlangen“ nannten. Diese Schlangen suchten sich auszugleichen. Wie ihre Blicke hilflos staunend entzückt über Hügel, neu gerodete Äcker, Bäume liefen, wie sie sich in Arbeit erschöpften, so hatten sie angefangen sich selbst zu betrachten, einer den andern. Stumpf und mit überscharfer gereizter Erregung hatten sie in den Stadtschaften aneinander gehangen, kaum Mann, kaum Weib. Dann hatte sie das Wunder des Männlichen Weiblichen entzückt; sie waren, die „Schlangen“ in den Ashdownbergen, aus der Stadt gezogen, hatten sich zärtlich und ganz ohne Hohn offen das Zeichen der verführenden Paradiesesschlange angelegt. Sie hatten warme Hütten, aus Holz gebaut; die standen unter besonderer Hut der Schlangen. In denen trafen sich männliche und weibliche Schlangen, nackt und bekleidet, betrachteten sich, lagen sich in den Armen, berührten bestrichen einander die Haut. Auf hohen Blatt- und Heulagern, in Helle und Dunkelheit, erzitterten sie liegend in der tief geheimnisvollen Verwirrung, die ein warmer Leib in den andern warf. Und wie sie sich wanden, waren sie verschwunden, auf einer Reise oder Wanderung, wie sie sagten, von der sie seufzend wiederkehrten, liegend auf Blättern, in den Armen eines Menschen, der wie sie seufzte. Wegen dieser Wanderschaft ehrten die Schlangen einander aufs tiefste. Nichts wurde für heiliger von ihnen erachtet. In entlegener Forststille, abseits, standen die festgebauten Holzstätten, in die sich die Menschenpaare zurückzogen, die fühlten, daß sie auf die geheime Fahrt geschickt werden sollten. Wo ein Mensch ihnen begegnete, warf er Blumen Blätter hin, ließ sich von ihnen berühren. In die Absonderung dieser Schlangen tauchten White Baker und Ratschenila ein. Die beiden Frauen küßten sich: „Wie bin ich glücklich dich gefunden zu haben, Ratschenila. Und daß wir herfanden.“ „Liebst du keinen Mann, White Baker?“ „Ich weiß nicht. Dich liebe ich. Deine Haare deine Zähne deine Zunge deinen Gaumen deine Wangen deine Finger deine Zehen, was alles an dir ist. Wenn du atmest, die Augen aufmachst und sie schließt. Dein Kleid deine Ketten. Ich muß dir wie ein glücklich demütiges Tier nachlaufen und bin selig, wenn du mich anfaßt. Du glaubst nicht, Ratschenila, wie es mir wohltut, daß du meine Perlen trägst.“ „Ich sehe, White Baker. Daß du dich gar nicht fürchtest.“ „Wovor.“ Ratschenilas Mundwinkel zuckten, ihre dunkelbraunen Augen bewegten sich. Sie zog ihre Schultern zurück: „Ich würde es zu Hause und in London nicht sagen. Hier, bei den Schlangen, ist eine gefährliche Luft.“ „Ja.“ „Du sagst so erwartungsvoll ‚ja‘, White Baker. Sieh, es könnte doch sein, daß ich auch –“ Die kreischte leise, wollte ihre Arme um den Hals der rötlichen Frau legen, die auswich: „Nicht, Baker. Wenn du dich nicht fürchtest, könnte ich mich doch fürchten.“ White Baker gurrte: „Wirst dich nicht fürchten vor mir.“ „Nicht vor dir. Vor dir.“ „Vor dir. Meine Freundin. Herzensfreundin.“ Die rötliche Frau drückte die Augen zu, ihre Knie zitterten. Hing mit geschlossenen Augen, tiefatmend an dem Hals der weißen starken Frau, der glücklichen, die ihr Gesicht mit Küssen bedeckte, liebestammelte. „Ach in die nächste Hütte, Ratschenila.“ „Ich fürchte mich. Daß ich dir etwas antue.“ „Meine Freundin, meine Geliebte.“ „White Baker. Bin ich das, deine Geliebte?“ Inbrünstig umschlang White Baker sie. Ratschenila ließ es sich gefallen; ja die Hände krallte sie in White Bakers Gesicht und Hals, die Augen nicht öffnend. Mund lag auf Mund. Es waren die versunkensten und hellsten Wochen der White Baker. Sie und Ratschenila ließen sich Äcker bei den Schlangen zuweisen. Mit Lachen nahmen alle das Locken und Drohen des Senats auf, in die Stadt zu kommen. Glücklich war White Baker. Sie sah die Freundin nicht. Bemerkte ihre Starre, ihre Kühle, ihr träumendes böses und fremdes Gesicht nicht; sie hatte sie. Die Fremde ächzte viel für sich, ging doch zu der Weißen, war hilflos sanft zu ihr. Eines Tages fand White Baker die rötliche Frau nicht in ihrem Blockhaus. Sie suchte in der Nacht, fragte. Sie erfuhr, Ratschenila war zu dem weiblichen Führer der Schlangen gelaufen. Und von der blonden sehr jungen schönen Frau hörte die erschauernde White Baker, Ratschenila hat gebeichtet und sich beschuldigt, nicht an den Sitten der Schlangen teilzunehmen. Sie beschuldigt sich, Sklavin einer andern Frau zu sein. Sie wolle frei sein, sie müsse sonst Gewalt gebrauchen. Die helle schöne Frau streichelte die kalten Hände ihrer Besucherin. Ratschenila hätte geweint, sie könne nicht anders, sie ginge nach London zurück zu ihren Landsleuten. Die langen Tage, die Baker verwirrt und sich zerreißend im Haus dieser Führerin lag, immer nach Ratschenila verlangend, wachträumend von ihrem Gesicht ihren Händen Füßen Brüsten Lippen, an dem knöchernen Krähenschnabel kauend. Die rötliche Frau hatte die Siedlung verlassen, war allein in ihre amerikanische Heimat zurückgekehrt. Die Führerin, die schöne helle Frau saß bei Baker, mit in ihr Schluchzen gerissen. Ja, furchtbar sei die Gewalt, die in ihnen allen lebe. Es sei gut, sie zu verehren und zu besänftigen. Sie fragte nach Wochen die ruhigere ernstblickende blasse Baker, ob sie sie verlassen wolle. Die drückte ihre Hand: „Ich habe dir zu danken, euch Schlangen zu danken. Ich will – lieber nicht zurückkehren. Ich will – gewiß nicht zurückkehren. Sicherer und bestimmter bleibe ich hier als ich herkam. Wenn du mich hier läßt.“ „Das ist wahr, White Baker?“ Die war gezwungen sich auf die Knie herunterzulassen, an den streichelnden Händen der Frau entlang. Sie küßte den Boden zu ihren Füßen: „Und wenn ich, du Junge, bei euch nichts weiter gefunden hätte, als mein Verlangen, mich vor dir niederzulassen, und daß mich einer anspricht wie du, so bliebe ich hier.“ Es hielt White Baker, die die weißen Seidenkleider, die bunten Wolltücher der Ratschenila nicht ablegte, aber nicht bei den Schlangen. Sie wanderte mit einem jungen braunschwarzen Mann, der ihr als Kutscher diente, im Süden und Westen der Stadtschaft London herum. Die Insel war schon weit nach Norden von Menschen besiedelt. Immer neue Gruppen, Absonderungen. Massen, die kriegerisch wie Marduks Barbaren übten, viel Fleisch aßen. Gruppen dann nur aus Weibern bestehend, die auf den Feldern arbeiteten, noch Mekispeisen nahmen, und alles Unheil auf die Übermacht der Männer schoben; faustgroße Steine trugen sie am Hals zum Zeichen, daß sie sich unfrei fühlten. Im Norden, ganz zerstreut wohnend, Schweiger; Menschen, die sich jede Sprache versagten, nur frühmorgens sangen nach dem Sonnenaufgang; bei einer gewissen Höhe der Sonne begann das demütige Verstummen. Sie waren mit Erde beschmiert, wuschen sich nur einmal in der Woche, gingen Fremden aus dem Wege. Die Befehle der Stadtherren wurden dringender. Da sammelten sich bei Bedford am Ouseriver eine Anzahl der Fulbe, spielten neue Possenstreiche des Tolpatsches Hubeane. Dann in wechselnden Gegenden, am Rande von Wäldern, auf Bergplateaus, auf Brachfeldern begannen sie ihre Liebesspiele. Eine dichte Menschenmenge um sie; fröhliche Schlangen, finstere fellbehangene Krieger, schmutzige Schweiger, trübe schlaffe Städter, Ängstliche, die die Zauberer herumgejagt hatten. White Baker unter ihnen. Die braunen zärtlichen Menschen spielten in Masken. * * * * * Das war die Fabel vom Löwen und dem wilden Hund. Das Haus eines Häuptlings war mit Stroh bedeckt. Vor der Tür saß der festlich geschmückte Mann mit einem jungen rottätowierten Mädchen, einem schönen Wesen, seiner Tochter. Eine kleine Schar Menschen um sie. Der Häuptling nahm die Hand vor den Mund, machte sie hohl: „Dies ist meine Tochter Mutiyamba. Ich will sie verheiraten an den stärksten und schönsten Mann. Ich bin reich. Er braucht mir nichts zahlen. Ihr sollt überall ausrufen, in der Steppe, am Fluß, in den Bananengebüschen, auf der Sandinsel: der Häuptling Kassangi will seine Tochter Mutiyamba dem Schönsten und Stärksten geben.“ Da war ein zarter Jüngling, Liongo, ein Waisenkind, der liebte das Mädchen. Er trug einen Lendenschurz aus Stroh, die Lanze konnte er nicht werfen. Ging mit in die Steppe, an den Fluß, in die Bananengebüsche, auf die Sandinsel, zu rufen, daß Kassangi die schöne schlanke Mutiyamba dem Schönsten und Stärksten geben wolle. Er tröstete sich, sang vor sich. „Die Fasern meines Herzens schwirren. Warum? Ich habe eine hohe Nelke gesehen; eine weiße Ameise zersticht sie an der Wurzel. Ich muß die hohe Nelke heilen.“ Er ging, der Zarte, den übrigen Trommlern voraus. An den Regenteichen, zwischen den lianenumstrickten großen Bäumen im Buschwald, unter Butterbäumen, auf denen kleine Affen sprangen, an den lederblättrigen Feigenbäumen, an Schluchten, aus denen dunkle Fledermäuse und dicke Wespen surrten, im wildaufgeschossenen tiefdurchstreiften Dickicht des Sorghumgrases, vor grünen Sümpfen, an denen wilde Kürbisse und Luffagurken ihr Gewinde trieben, von Würmern und Schnecken überlaufen, sang der arme Liongo schmetternd das Lob Mutiyambas, um die Stärksten und Schönsten zu locken. Besang die Bemalung ihres Körpers. „Wie junge Zwiebelknollen sind ihre Brüste; kein Baum trägt soviel Früchte wie sie Kleider trägt. Am Kopf, an den Ohren, den Lippen, den Armen hängt Schmuck, wie Blitze aus einem Gewitter zucken. Ihr Blick ist sanft und schmachtet. Ihre Beine sind schlank wie Kupfernadeln. Man kann sie nicht ansehen, ohne von Sehnsucht nach ihr verzehrt zu werden. Die Augen muß man schließen, als hätte man in einen Topf mit heißen Dämpfen geblickt. Und wenn man sie geschlossen hat, findet man keine Ruhe, weil die Augen weiter brennen. Wer Mutiyamba sieht, muß zeigen, daß er ein starkes Herz hat. In ein Gefängnis ist er geworfen, mit ihrem Bild allein. Sein Herz muß stark sein, um die Türen zu zerbrechen und sich zu ihr zu retten. Hundert werden um sie werben! Kassangi ist ein mächtiger Häuptling, einen starken Pfahlbau hat er um sie erbaut. Nur wer Schultern wie ein Berg, Hunger wie ein Schakal hat, kann den Pfahlbau einrennen.“ In der Steppe hörte den Gesang Liongos ein junger gelber Löwe. Und wie Liongo an der Fledermausschlucht das Mädchen pries, kroch auch ein wilder Hund hervor. Als der zarte Bote des Häuptlings vor seinen Palast zurückkehrte, waren schon viele Jünglinge dagewesen, hatten Proben ihrer Kraft abgelegt, waren von Kassangi verworfen. Mit dem armen heiseren Liongo zogen der Löwe und der wilde Hund an. Der Löwe warf die beiden stärksten Jünglinge um, übersprang mit einem Satz die höchste Einzäunung von Kassangis Gehöft, einen Eimer Palmwein soff er in einem Zuge, nachher schritt er gerade wie vorher. Kassangi gab ihm die Tochter; der prächtige gelbmähnige Löwe setzte sich neben sie. Mutiyamba erschrak, als das aufgrollende Untier ihr Mann geworden war. Aber sie war stolz über seine Kraft. Tags darauf feierten sie Hochzeit in Kassangis großem Haus. Der wilde Hund Kri hatte sich nicht vor den Häuptling gewagt, als der gelbe Löwe erschien. Nun kauerte er im Saal neben dem jungen Löwen, der sich nicht wohl zwischen den Menschen an der Tafel fühlte. „Du kennst die Sitten hier nicht, Löwe. Du mußt den Brei zu dir herüberziehen, wenn du essen willst“, flüsterte der Hund herauf. Hintatzte der Löwe nach dem großen Napf, in der Mitte des Tisches, schlang ihn herunter. Die Gäste, die zulangen wollten, blickten betreten vor sich. Kassangi, der Häuptling, ließ sich nichts merken, befahl einen neuen Napf. Er nahm, schob ihn vor die Tochter, den jungen Bräutigam. Kri lauerte auf den Hinterbeinen: „Du bist Bräutigam. Du mußt Geschenke machen. Jedem Gast mußt du zur Erinnerung einen Löffel Brei in die Hand schütten.“ Der Löwe wischte sich das Maul, erhob sich, drückte sich den großen Napf vor die Brust, und die Tafel abwandernd goß er jedem Gast einen Löffel Hirsebrei auf die Hand oder klatschte ihn ihm plump vor die Brust. Die ersten hielten still, die nächsten warteten nicht. Sie liefen vor die Tür, platzten ihr Lachen heraus, schüttelten sich über das Untier, das zaghaft zu ihnen herübersah. Finster runzelte Kassangi auf seinem Platz die Stirn. Die Gäste ließ er säubern; die von draußen hereinrufen. Stumm verlief das Mahl. „Eine alberne Gesellschaft“, flüsterte Kri, als sie allein saßen, „du mußt dich nicht daran stoßen. Sie sind neidisch.“ Der Brautzug fuhr durch das Dorf. Neben Mutiyamba saß der prächtige Bräutigam auf dem bändergeschmückten Ochsenwagen. Man blies vor und hinter ihnen und trommelte. Sie kamen vor Kassangis Haus, wo der Häuptling mit seinen Frauen stand und winkte. Einen Satz von rückwärts auf den Wagen machte der wilde Hund, kletterte auf die Planke zwischen dem Paar: „Mutiyamba, dein Bräutigam ist so finster. Streichle mich, liebkose mich, ich bin sein Freund. Das wird ihn erheitern.“ Und sie umarmte Kri, küßte seine Schnauze, blickte ihn zärtlich an. Im Zug kicherte man, Kassangi erschrak. In seinem Zimmer nahm der Löwe rasch den Hund beiseite. „Wie hast du es gemacht, daß dich Mutiyamba, meine Braut, geküßt hat. Sie hat mich noch nie geküßt.“ „Sei nicht traurig Löwe. Tu ihr nichts. Ich will dir das Geheimnis verraten, aber du versprichst zu schweigen. Sieh her, ich habe mir beim Laufen einen Vorderfuß verstaucht. Das hat sie gesehen, Mutiyamba die Schöne. Sie ist so mitleidig, so zart. Da hat sie mich Armen gestreichelt und geküßt.“ Kassangi mit den Gästen erwartete den Bräutigam zum Trunk. Da hinkte der junge Löwe, der starke prächtige, zur Tür herein. Hinkte rechts, hinkte links. Und wie er bei Mutiyamba stand, quollen ihm die Tränen aus den Augen: „Ich habe mir die Beine verrenkt, beide Hinterbeine, gestern als ich dir zu Ehren sprang.“ Er blickte sie kläglich an. Sie zog das Brusttuch über das Gesicht, flüsterte beschämt dem Vater etwas zu, huschte, ihre beiden Mädchen hinter sich, aus dem Saal. Die qualmenden Männer rümpften die Nasen, schnitten spöttische Mienen, spuckten in die Luft. Da bot der Häuptling dem Bräutigam den Krug: „Trink, Löwe. Meine Tochter Mutiyamba, das schönste Mädchen, ist dir zugefallen. Wir wünschen dir Glück. Du hast keinen Kaufpreis zu zahlen. Deine Füße werden wieder heilen. Aber Geschenke wirst du ihr machen. Das ist Sitte bei uns.“ Der Löwe auf der Matte nahm den Trunk, verbeugte sich stumm vor dem Häuptling, stieg hinaus. Er wanderte durch das Dorf, in die Steppe, Kri hinter ihm. „Löwe, was läufst du so weit? Du mußt doch hinken, sonst erbarmt sich die Braut deiner nicht. Hinke hinter mir her ins Dorf zurück, gleich, damit der König sieht, wie demütig du bist, obwohl du Schultern wie Berge hast, wie der arme Liongo sang.“ „Und was soll ich ihr schenken, ihr und dem Vater Kassangi?“ „Daß du darüber nachdenkst. Zeige nur nicht, daß du reich bist, sonst ist er und das ganze Dorf beschämt. Bring ihm keine Antilopen, sonst fürchten sie sich vor denen. Was läufst du überhaupt so weit in die Steppe. Mach am Boden hier – deinen Kot hin. Ja deinen Kot. Ich will ein Körbchen aus Gras flechten, da tun wir den Kot hinein. Die Körbchen trage ich vor Kassangi und Mutiyamba. Sie haben gesehen wie stark und schön du bist; sie müssen deine Demut sehen und daß du sie gar nicht beschämen willst.“ Der Löwe setzte sich neben dem Feldrain in einen Acker Jams und preßte seinen Kot aus. Der Hund wühlte Jamsknollen aus dem Boden, die Zehen wie ein Menschenfuß hatten, raffte Blätter zusammen, schichtete den warmen Kot über Blätter und Knollen, glättete ihn, bedeckte ihn gegen Fliegen. Dann flocht er zwei Graskörbchen, hob den geschmückten Kot hinein, spazierte ins Dorf. Hinkend, den mächtigen gelben Kopf senkend, folgte der Löwe, stieß ab und zu einen jämmerlichen Ruf aus. Würdevoll knurrend betrat der wilde Hund die Halle Kassangis. Auf seinen Wink blieb der Löwe am Türpfosten, schielte hinein. Die Körbchen überreichte Kri mit strengem undurchdringlichem Ausdruck. In Weinen brach Mutiyamba aus. Vor dem Löwen, der sich ihr zärtlich näherte, floh sie. Der Häuptling warf das Körbchen von sich. Lächelnd und bescheiden anschleichend verneigte sich der Löwe. Unsicher setzte er sich auf seinen beschmutzten Platz. Saß noch allein, als Kassangi und die Gäste die Halle verlassen hatten. Sie berieten draußen, was gegen den Löwen zu tun sei, der so stark war und dem die Braut schon zugesprochen war. Bewaffneten sich mit Speeren, wollten ihm sagen: er müsse nach Sitte dieses Dorfs noch einmal die Probe bestehen, und dann am dritten Tag noch einmal, um zu zeigen, daß ihm kein Zauberer beigestanden habe. Sie dachten, er würde das Spiel bei seinen kranken Gliedern verlieren. Den Hund Kri, der unter ihnen war, überhäuften sie mit Schimpfworten wegen seines Freundes. Er redete gewandt, warf hin, es werde alles zu ihrer Zufriedenheit ablaufen, zeigte ein gelehrtes geheimnisvolles Wesen: „Die Weisheit, wo sitzt sie? Im Auge? Nein, im Kopf. Herr Kassangi weiß das jetzt. Er wußte es nicht. Ich, Kri, bin nur ein Küchlein, aber man braucht mir das Scharren nicht beibringen.“ Die Männer waren erstaunt über seine Klugheit. „Warum seid ihr betrübt, liebe Herren? Hoffnung ist die Säule der Welt. Auf dem Grunde der Geduld ist der Himmel.“ Sie sollten, verwies er sie, ihren Plan jetzt nicht ausführen. Er bat sie im Vertrauen: er werde den Löwen besiegen. Sie schüttelten die Köpfe: „Er wird bezahlen, wenn die Vögel Zähne bekommen.“ Aber Kassangi reichte dem sehr würdigen Kri die Hand. Und als am nächsten Tag Kri und der Löwe ihr Zelt verließen, war der Löwe erstaunt, wie alle sich vor Kri verneigten, Platz vor ihm machten, ihn selbst aber nicht beachteten und das Gesicht verzogen. „Du siehst, Löwe, was in meiner Macht steht und wer ich bin.“ „Kri, wie hast du das angestellt. Ich bin dein Freund, du wirst mich nicht im Stich lassen.“ Der Hund zog ihn zwischen zwei Zelte. Da stellte er sich hin, zuckte zappelte mit seinem Leib. Verwundert der Löwe: „Was machst du?“ „Merkst du nichts? Hör, jetzt, hör einmal.“ Der Löwe trat näher: „Ich höre nichts, ich höre nichts, Kri.“ „Du mußt auf meinen Bauch hören. Alle hören es. Darum verneigen sie sich vor mir. Ich habe über Nacht bewirkt, daß mich alle wie einen König begrüßen.“ „Was hast du gemacht?“ „Du hörst es noch nicht.“ Der Hund zappelte, sprang weiter hoch, „aber du wirst es bald hören, dein furchtbares Brüllen hat dich schwerhörig gemacht. Ich habe ja eine Glocke in meinem Leib.“ „Eine Glocke.“ „Eine klingende Glocke. Bei jedem Schritt schlägt sie an. Darum verneigen sie sich vor mir.“ „Wo hast du die Glocke her, Kri?“ „Kassangi, lach nicht, Kassangi, dem hab ich sie selbst gestohlen. Er weiß es noch nicht“ und Kri kicherte, der Löwe brüllte freudig mit, „nun habe ich seine Glocke im Leibe und er merkt es nicht. Drei, vier habe ich ihm gestern gestohlen. Die Häuptlingsglocken. Noch drei hab ich. Aber zeig mich nicht an. Ich vertraue dir.“ „Ich habe dir vertraut, du kannst auch mir vertrauen.“ „Nun wollen wir weiter gehen.“ Aber der Löwe hielt Kri zurück: „Sag mir, Kri, könntest du mir auch die Glocke einsetzen.“ Kri zuckte die Schultern, tat mürrisch, wiegte zweifelnd den Kopf; der Löwe werde die Schmerzen nicht aushalten, wenn man ihm die Glocke in den Leib versenke. Der Löwe bettelte: „Oh doch“, versprach ihm hohe Ehrungen, erklärte, er gebe die Glocken, die zwischen den Zelten standen, nicht zurück. Da ließ sich Kri herbei, nachdem sie sich geschworen hatten, sich gegenseitig nicht zu verraten. Er versprach heute nacht mit einigen Vertrauten die Glocke in den Bauch des Löwen zu versenken. Und beglückt zogen sie auf die Dorfstraße. Mittags im Zimmer erklärte Kri, der sich schon siegesgewiß spreizte, dem die schöne Mutiyamba zulächelte: der Löwe müsse ihm vor Nacht noch einen Beweis seiner Widerstandskraft geben. Der Löwe fand sich zu allem bereit. Und als man zu Tisch in der großen Halle Matten ausgebreitet hatte und mit Perlschnüren und Brustgehängen beim Fleisch saß, verlangte Kri von Kassangi eine glühende Eisenstange. Dann mußte der Löwe, seine Angst verbeißend, sich Kri nähern. Ein zorniges Bellen ausstoßend schlug Kri ihm das heiße Eisen über die Hinterbeine. Nur einen kleinen Augenblick heulte Entsetzen verbreitend der Löwe, sperrte den Rachen gegen den Hund, der zur Tür huschte, dann zog er den Leib krumm, lächelte fade unter Schmerzen winselnd gegen Kri, der langsam näherkroch. Die Gäste, Kassangi und seine Tochter, sahen den beiden mit Staunen zu. Von diesem Augenblick an war das Gesicht des Löwen verändert. Die Zuschauer bei den Spielen in Bedford sahen es. Sie fühlten sich tief berührt. Sie wußten nicht worin die Veränderung lag. Ihnen selbst war dieser Löwe ähnlich geworden. Wie ein Städter wackelte er hilflos mit dem großen Kopf, schnaufte nach wenigen Schritten ohne Atem. Seine Füße zitterten: grauenvoll und besorgt blickte er nach allen Seiten. Und der Hund war nicht mehr Kri. Er trug eine rote Kappe, von der goldene Bänder über Ohren und Hinterkopf herabhingen, die senatorische Kappe. Still hockte der Löwe auf der Matte. Man bot ihm zu essen an. Er blickte mit schlaff hängenden Lippen nur auf Kri, der ihn ansah. Da schlang der Löwe gequält und wieder lächelnd seinen Teil herunter. Höhnisch boten ihm die Gäste mehr. Er wollte sich zurückziehen, um seine Schmerzen auszubrüllen, wollte trinken, hatte furchtbare Trockenheit im Rachen. Aber über den kleinen Krug hinaus bot man ihm nichts. Man spielte, speiste lustig, beachtete ihn nicht. Und bevor man aufstand, flüsterte Kri wieder mit Kassangi. Ein Diener brachte die glühende Stange. Der Löwe sah sie nicht, dumpf lag er über seiner Matte. Da schlug das Feuer auf sein Vorderbein. So brüllte er, so warf er aus dem Rachen sein Donnerrollen, daß im Augenblick der Saal geleert war. Er wollte springen. Er konnte nicht. Da erst erinnerte er sich, daß dies eine Probe Kris war. Er biß sich die Zunge, schielte um sich, lahmte zur Tür, sank platt hin. Die Gäste näherten sich lange nicht. Kri wischte seitlich herein, horchte auf das Stöhnen des Freundes, das Flüstern: „Kri! Kri! Nicht böse sein. Komm näher. Ich war nicht vorbereitet. Es ging so plötzlich. Sonst hätte ich nicht gebrüllt. Ich hätte es nicht getan. Verlaß dich drauf! Kri, verlaß dich drauf!“ Dies war eine Stelle im Spiel, wobei die Hörer in Wut gerieten. „Verlaß dich drauf, Kri. Hund, Hund!“ Drohten um sich, ihre Augen funkelten. Manche weinten. Kri ließ sich herbei. Die Gäste vor der Tür sahen, wie der Löwe sanft den Kopf an dem elenden grauen Hund rieb. Ihre Angst legte sich, sie fingen wieder zu kichern an. Der Löwe beachtete es nicht, dachte an heute Nacht und die Glocken. Es waren auch Glocken, die im letzten Teil des Stücks ununterbrochen geläutet wurden. Unter den Gästen aber, die langsam mit Kassangi und Mutiyamba zurückkehrten, demütig vom Löwen begrüßt, der für seine Unart um Verzeihung bat, lachte einer nicht mit, der zarte arme Liongo. Ihm ging durch den Kopf: „Trüb ist mein Sinn. Die Fasern meines Herzens schwirren. Warum? Ich habe die stolze Nelke gesehen. Eine weiße Ameise zerbeißt zersticht ihre Wurzel. Die stolze Nelke ist bald hin.“ Liongo, wie es Abend geworden war und die Gäste mit dem frechen Kri schmausten, trat in das dunkle Gemach des Löwen, verneigte sich vor ihm. Der empfing ihn freudig in seiner trauervollen Einsamkeit. Der Löwe erkannte in Liongo den jungen Sänger des Häuptlings, der das Lob der schönen Mutiyamba in der Steppe Menschen Tieren Bäumen und Seen verkündet hatte. Er schüttelte seine Hand. Nicht zu viel hätte er verkündet von Kassangis Tochter; er sei ihm wohlgesinnt. Liongo strich ihm die Mähne: Ob er sich nicht wohl befinde. Er brachte ihm zwei Krüge kalten Wassers, in die der Löwe wonnig grunzend die Pfoten steckte. „Man hat nicht wohl an dir getan, Löwe.“ „Oh“ schüttelte der das Haupt, schwieg dann, denn er erinnerte sich seines Versprechens. So sehr Liongo in ihn drang, sich ihm zu offenbaren, der Löwe ging nicht aus sich heraus. Er zeigte dem jungen Menschen mit Lächeln und Worten seine Dankbarkeit. Er werde nicht vergessen, wie schön Liongo die Braut gepriesen hatte, wies geheimnisvoll auf die kommende Nacht hin. Da wagte Liongo von Kri deutlicher zu werden, tuschelte: was Kri wohl jetzt täte, wer jetzt bei der schönen Mutiyamba säße, sie streichele, welcher schlaue schmutzige Steppenhund, der in Schluchten neben Fledermäusen Wespen Schakalen schnüffele. Der Löwe grunzte gleichgültig, zog dann die Stirn zusammen, blickte seitlich auf Liongo. Der gab nicht nach, warnte vor Schelmen. Versunken der Löwe: er wüßte, was er selbst gesehen hätte. Er hielte sich nicht für klug, aber Kri sei sein Freund. Da fragte Liongo bitter, ob sich der Löwe auch töten lassen würde, wenn Kri es befehle; gebrannt hätte er ihn schon, gelähmt hätte er ihn schon. „Proben, Proben“ murmelte der Löwe. „Was will er mit dir probieren, Löwe?“ „Was mir Freude und Ehre bringt.“ „Er wird dich beseitigen. Mutiyamba will er. Für ihn habe ich nicht gesungen.“ „Ach meine Braut“ sonnte sich der Löwe „ich nehme alles auf mich für sie.“ „Morden wird er dich.“ „Gib mir Wasser. Morgen redest du anders.“ Weinend ließ ihn Liongo im Dunkel. Mit Sehnsucht erwartete der Löwe den wilden Hund. Finsternis. Die verging. Der Löwe drehte sich um. Mit einer Fackel stand Kri da. Flüsterte an der Tür, ohne sich zu nähern: „Löwe! He! Wie geht’s, Löwe?“ „Gut, Kri. Ich erwarte dich. Komm doch herein.“ „Ich komm schon. Wo sind die Glocken?“ Der Hund taumelte, hatte lange mit dem Häuptling und den Gästen pokuliert. Lallte: „Da sind sie ja. Die lieben Glocken. Wird eine schöne Sache werden. Wird alles gehen wie geschmiert. Was meinst du, Löwe? Tun dir noch die Pfoten weh?“ „Nicht sehr.“ Kri lachte schrill: „Siehst du, wie es ging. Herrlich. Die Stange genommen, hupp, auf die Pfoten: eins hupp, zwei hupp, drei hupp!“ „Da stehn die Glocken.“ Kri kraute ihm rülpsend die Schulter: „Halt still, mein Söhnchen. Liebes strammes Söhnchen. Wir werden alles machen.“ Und er sang: „Mutiyamba, Mutiyamba. Kein Baum trägt Früchte wie du Kleider trägst. Wer dich ansieht, Mutiyamba, muß die Augen schließen, aus Sehnsucht nach dir, als säße er vor einem Topf mit heißen Dämpfen.“ „Was singst du von meiner Braut.“ „Kein Baum trägt so viel Früchte wie sie Kleider trägt. Ihre Beine sind feine feine schlanke Kupfernadeln. – Kommt herein zu mir, hupp, ihr lieben Freunde.“ Er wirtschaftete im Raum, legte Stricke hin: der Löwe sah ihm beklommen zu. Durch die Tür trippelten Menschen, hielten sich an der Wand. „Was wollen die bei uns.“ „Das sind meine Freunde, allesamt. Sie haben mit mir geschluckt den ganzen Tag. Geschluckt gespuckt gekotzt. Ein herrlicher Nachmittag. He, war es kein herrlicher Nachmittag?“ „Und ein herrlicher Abend.“ „Und erst die Nacht. Ihr werdet staunen, was Kri kann. He, Löwe, aufgesessen.“ „Was redest du so grob mit mir.“ „Wird mir der Dickschädel vorschreiben, wie ich mit ihm zu reden habe.“ Den Atem hielt der Löwe an. Aufbrüllte er. Der Hund torkelte an die Tür, die Menschen schoben sich zusammen. „Dickschädel, ich Dickschädel?“ Kri kniff den Schwanz ein, machte sich Mut, torkelte an: „Löwe, wir verstehen uns.“ Er konnte seine Gedanken nicht zusammenhalten, knurrte wütend: „Jetzt angefangen. Man wird fertig mit Essen, mit Reden. Heran. Du willst doch, Löwe.“ Der blickte ihn lange an: „Ja.“ Der Hund böse: „Also.“ Die Gäste trugen Holzpflöcke unter den Armen, die spitz zuliefen, schlugen sie mit Beilen in den dröhnenden Boden der Hütte. Der Löwe erschauerte, seine Lippen wurden schlaff: „Was machen sie?“ Kri nachäffend: „Was machen sie? Was machen sie? Stöcke her. Glocken her. Beeile dich.“ Aus Liongos Krügen zog der Löwe die Pfoten, schleppte sich näher. Kri schnupperte an den Krügen: „Wer hat die hergebracht?“ „Liongo.“ „Ah, Liongo. Der. Der zarte. Der Schuft.“ Wieder hielt der Löwe den Atem an, brüllte grauenhaft. Der Raum war leer. Kri hielt sich an der Schwelle, zitterte vor Angst, daß er am Umsinken war. Scham und Wut hielten ihn fest. Herankriechend bettelte er süß verlogen: „Also dies sind die Pflöcke für die Pfötchen, dies die Stricke, in die du die Beine steckst. Kommt nur, der Löwe weiß, daß Ihr verschwiegen seid. Er wird solche Glocke im Bauch haben, wie ich, die Klingkling macht, wenn man geht. Ihr werdet vor ihm hinfallen. Und Mutiyamba, oh!“ Die Fackeln brannten in dem Raum. Die Leute lüstern eifrig. Der Löwe schleppte sich zwischen die Pflöcke. Senkte den ungeheuren mähnewallenden Kopf. An Mutiyamba dachte er. Dieser schlaue widrige Kri, der wilde Hund, würde machen, daß sie ihn küßte. Den hatte sie im Wagen geküßt, auf die Schnauze den. Den Kopf seitlich drehend weinte der Löwe im Finstern. Wo war Liongo? Der Löwe stand zwischen den Pflöcken. Das Ohr des Hundes zog er zu sich heran: „Tu mir nicht zu weh.“ Der Hund grinste heimtückisch, wedelte streichelte ihn. Mit Seilen umschlangen sie die Beine des Löwen. Er legte sich auf die Seite, rollte auf den Rücken. Mit Gewalt rissen sie seine Beine auseinander nach vorn und hinten. Er knurrte, warf sich vor Angst. Die Gäste glucksten vor Freude, wie sie den weißen nackten Bauch des jungen Löwen sahen; die Angstwellen liefen über ihn. Betrunken warfen sie die Hälse zurück, torkelten um das liegende Untier. So laut war ihr Hohngelächter, daß Kassangi und Mutiyamba vor dem Haus erschienen und die Köpfe durch das Fenster steckten. Kri sprang herum, wetzte das Messer. Der Löwe, wie er das Scharren hörte, wilder vor Angst: „Und was tust du jetzt? Kri. Und was tust du jetzt? Und was jetzt?“ „Merkst du was?“ „Nein.“ „Jetzt was?“ „Nein.“ „Jetzt was?“ „Nein.“ „Jetzt?“ „Was tust du?“ Da hatte der Hund das Messer scharf. Mit einem Satz sprang er dem Löwen auf die Brust, knirschte: „Jetzt, jetzt Mut, Löwe.“ Und im Augenblick hieb er das Messer in den Leib, schlitzte stieß wühlte. Das heiße helle Blut spritzte ihm ins Gesicht, daß er spie und geblendet war. Unter ihm der Löwe wühlte sich, zerrte nach rechts, nach links. Liongo war am Kopf des Löwen: „Löwe auf! Sie töten dich! Löwe, er tötet dich.“ „Er tötet mich. Er tötet mich. Es ist wahr“ tobte es durch den Kopf des Löwen. Er schleuderte sich herum, die Pflöcke brach er ab. Das Fell riß er sich von den Füßen. Sein markerschütterndes Wehgebrüll. Kri erschlagen! Kri zerreißen! Kri mußte er erschlagen. Er toste, Seile und Pflöcke nach sich wirbelnd, in den Haufen der Gäste. Schlug erdrückte knackte riß biß. War Kri schon hin. Es war stockfinster in der Gasse. Mehr töten. Kassangi, Kassangi, den sah er fliehen. Schnapp ihm am Rücken, schnapp ihm ins Genick, stürzte ihn aus dem Leben. Der Jubel das Weinen der Zuschauer! Jetzt weg, Löwe, aus dem Dorf, in die Steppe, weite grüne Steppe. Sein rollendes unaufhörliches Brüllen. Er hatzte gegen die Pfahlmauer. Er kam nicht herauf. Was floß floß ihm heiß aus dem Leib, was hielt ihn zurück, was schleppte er zwischen den Beinen. Das schmerzte. Oh. Er trat darauf. Vor Schmerz, vor schwerem Weh verstummte er. Er trat auf die eigenen Därme. Noch einen furchtbaren Satz machte er. Grausiges abschnappendes Gebrüll. Auf den Pallisadenspitzen blieb er hängen. Stöhnend drehte und zerrte er da. Seine Augen rollte er; sie waren blind. Speere von unten gegen ihn. Er verblutete. Die Zuschauer weinten, als sie den jungen prächtigen Löwen oben auf den Pallisadenspitzen den sterbenden aufgerissenen Leib strecken sahen. Sie warfen Steine, als die Beerdigung der Opfer stattfand. Kassangi war tot. Den Hund schleppte man am Schwanz durch das Dorf. Eselskot hatte man in seinen Bauch getan; die rote senatorische Kappe mit den goldenen Bändern trug er vor dem Maul. Mutiyamba, die weinte. Allen Schmuck hatte sie abgelegt. Sie trat aus ihrem Haus. Ein neuer Häuptling stieß sie hinaus. Liongos Füße wollte sie hilfeflehend küssen. Er nahm sie in seine Hütte, auf sein Feld. Die Häuptlingstochter hörte nicht auf zu weinen. Er sang: „Erst hast du mich vergiftet, jetzt kann ich dich essen. Erst hast du meine Augen verbrüht, jetzt kann ich dich ansehen. Hast mich nicht schlafen lassen. Jetzt schlafe ich bei dir. Ich schwankte wie ein Boot, Mutiyamba, du hältst mich fest. Du hast keine Armspangen Brustgehänge Ohrringe. Mein Mund ist für dein Ohr, mein Mund für die Brust, mein Mund für die Arme.“ * * * * * Sie spielten am Ouseriver sanfte Szenen vom Scheiden und Wiederfinden, die alte festländische Fabel von Melise von Bordeaux und ihrer Freundin Betise. Mit Schmerz und Wonne gingen die Fabeln in White Baker ein. Die Augen verhüllte sie. Sie sprach sich vor: dies ist das Leben. Ohnmächtig der Senat bei dem Auslaufen der Stadtschaft. Die ersten Fälle von Eindringen der Siedler in die Stadt ereigneten sich, ungeklärte Brände von Fabriken. Delvil, belauert von der amerikanischen Deputation, schickte nach White Baker. Sie ließ sagen, daß das Fahrzeug nicht gebaut sei, das sie zurück trüge. Sie lockte Städter aufs Land, trieb Kampforganisationen bei allen Absonderungen zusammen. Verzweifelt höhnte Delvil im Senat: „Der weibliche Marduk!“ Man kam nicht weiter, war in der Defensive. Aus amerikanischen Stadtschaften hatten sich nach Canada und Labrador Menschenmassen ergossen, von starken Männern und Frauen geführt. In Labrador entwickelte sich ein ländliches Reich an der Ungavabucht. Die Menschen strömten aus den Stadtschaften Neuyork Quebec Ohio. Ein merkwürdiger Drang bestimmte alle Wanderer nach Norden; die großen Seen ließen sie hinter sich, östlich der Hudsonbai schoben sie sich vor. Ganz ohne Lärm vollzog sich die Bewegung auf dem nordamerikanischen Kontinent, nirgends sah man fanatischwilde Figuren wie Marke und Marduk. Aus dem Zentrum Europas drang Zimbo vor; die böhmischen Stadtschaften, die deutschen Nürnberg und Frankfurt schickten ihm aufgelockerte Massen zu. Keine Bewegung machten die großen Senate. Aus London reiste während der sturzartigen Vorgänge die Kommission des Klokwan schweigend ab, nicht mehr lächelnd. In London Glasgow Newcastle, auf den festländischen Toulouse Nantes Lyon, die ruhig geblieben waren, wurden Straßenzüge leer, erfroren verdorrten in den Treibhäusern die Blumen, fielen die durchsichtigen Straßenbekleidungen; Wind Regen sauste wieder über die Plätze. Flugzeuge Wagen standen herum, als wäre ein Feind im Anmarsch. Eine Lähmung breitete sich über die westlichen Stadtschaften aus; unkenntlich, was ihre Ausbreitung beförderte. Sie wirkte in die Senate hinein. Es war eine zum Grauen auftreibende Erschütterung, als der schwarze Zimbo ohne Waffen zu gebrauchen mit rohen Schwärmen in der Hamburg-Bremer Landschaft und ruhig fortziehend am Meer erschien, Senate vertrieb, Lager und Anlagen zerstörte. Er drohte über den Kanal. Die Menschen der Seelandschaft bedeckten die Küste bis ins Holländische zum Zuidersee, wurden nach Westfalen, zum Rhein herunter gestoßen. Der belgische Senat trat in Brüssel zusammen. Diese Stadtschaft bröckelte nicht. Man sah das Hungerverderben der über das Land Geschütteten Schwachen nichts als Willigen Sehnsüchtigen, ihr Liegenbleiben Erfrieren, das Wüten der Seuchen. Die Senatoren riefen lächelnd nach England. Betrübt zogen die Londoner sich aus dem Orkan ihres Landes, standen mit matten Gliedern in dem strahlenden Ratsgebäude der Belgier. Durch die Luft zuckten hier Fahrzeuge, buntes lärmvolles bewußtloses Wimmeln in den breiten winterlichen Straßen Brüssels. Die blassen Lippen verzog Delvil, als er aus dem überheizten Saal herunterblickte. Den Arm des breitschultrigen Belgiers Ten Keir drückte er: „Wie sieht die Welt bei Euch aus! Noch! Noch!“ „Noch lange! Noch immer!“ „So hat auch White Baker gesprochen. Es sind nicht viel Jahre her: Marduk müsse erschlagen werden, die Mark ausgeräuchert. Wo ist White Baker?“ „Ihr, Delvil! Wascht Eure Wäsche bei Euch.“ „Bin ich schlaff? Ist keine Schwäche, jetzt schlaff zu sein. Wenn ich deine Häuser und diese Menschenscharen sehe, so sehe ich sie und – sehe sie schon nicht mehr.“ Ten Keir machte sich von ihm los, betrachtete aus seinem kantigen Kopf den seufzenden Londoner, ließ ihn am Fenster. Die Belgier, zwanzig Männer und Frauen aus frisch heraufgekommenen Geschlechtern, nicht einheitlich in Rasse, nahmen auf die Engländer keine Rücksicht. Von den durchwandernden Hamburger Flüchtlingen und Siedlern griffen sie welche auf, abgemagerte zerlumpte, stellten sie vor die Engländer. Ten Keir lachte: „Euer Ideal, liebe Gäste. Wie gefallen sie euch? Habt ihr Lust, eine Luftreise über Holland, an der Küste entlang zu machen? Ihr könnt etwas sehr Altes und Neues sehen. Kampf aller gegen alle. Das Spiel ist wieder aufgenommen: man genießt es, als sei es heute erfunden. Wozu gibt es Elend Tod Hunger? Doch nicht bloß für Erzählungen Geschichten Theateraufführungen. Heran an das Leben! Dichter, Dichter! Man lebt nur einmal und dann gründlich. Wer sich nicht zehn Zehen erfroren hat, weiß nicht, was Leben ist. Wer nicht morgens aufwacht im Wagen, – aber er liegt nicht in seinem Wagen, den Wagen hat einer über Nacht gestohlen, er liegt zwischen den Radspuren im Lehm, einen dösigen leicht angestoßenen Schädel hat, einen kleinen Schädelbruch, der versteht sich auf das Dasein nicht. Hat die Fülle der Existenz nicht durchdrungen. Steht, huhu, als Bettler vor dem Tor.“ Er wies mit beiden Händen auf die Aufgegriffenen, die blauen weiten Ärmel wehten zur Schulter zurück: „Hier haben wir Bewohner des Paradieses! Des wiedergeöffneten wiedereroberten Paradieses! Preis uns, die sie sehen! Der liebe Gott, von dem unsere Ureltern gesprochen haben, hat sich erweichen lassen. Er hat eine Ausnahme gemacht. Sie hat er wieder aufgenommen. Und nun: wie geht es euch, liebe Damen? Liebe Herren? Wie sieht der liebe Gott aus, nach so langer Zeit, befindet er sich wohl, donnert er sympathisch, hat er euch in seine Arme geschlossen? War es im ganzen großen ein schönes Wiedersehen? Gedeckter Tisch, wohlige Heizung? Was sagt ihr englischen Freunde, Delvil du, zu unsern Paradiesbewohnern? Es ist doch reizend, daß sie sich herbeigefunden haben, ein Stündchen bei uns zu verweilen. Uns zu beglücken. Sie hatten Mitleid mit uns, wollten erzählen. Aber ich errate alles, auch ohne daß sie sprechen. Diese Geheimnisse! Diese ätherische Schönheit der Gesichter, betrachtet sie, dieser perlmutterartige Glanz der Haut, an den Füßen Händen, im Gesicht. Sie haben dicken Schmutz aufgelegt, um uns nicht weh zu tun, durch ihren Anblick. Sie sind feinfühlig. Das ist Schmutz als Schminke. Ihr meint, sie tragen Lumpen? Delvil, Lumpen? Paradiesesbewohner und Lumpen! Haha! Ihr glaubt, sie sehen wie Skelette aus, wie Menschen, die seit Wochen Stoppeln von den Feldern, oder Baumborke essen und reichlich Flußwasser trinken. Und da nicken sie auch, unsere Gäste aus dem Paradies. Ach diese Feinfühligkeit! Die Übertreibung der Empfindungen! Warum seid ihr so bescheiden. Wir sind kräftige Männer und Frauen; wir vertragen schon einen Stoß. Ihr kommt aus dem Paradies. Habt unsere erbärmlichen Stadtschaften verlassen, in denen wir euch totregieren mit Essen, Trinken, mit überlebten Erbärmlichkeiten wie Essen Trinken, in denen wir euch geschunden haben mit wochenlangem Ruhen. Ihr seid ins Paradies zum leibhaftigen – nicht wegzuradierenden lieben Gott gegangen, fort aus den Nichtswürdigkeiten dieses städtischen Daseins, mit seinen bunten Lichtern Waren Flugzeugen Spielen Soßen, hundertfachen Speisen, Weinen, dem ganzen sonstigen Ekel und Folterzeug, auf dem ihr euch gewunden habt von Morgen bis Abend. Und es nahm kein Ende. Unerträgliche Pein, unerträgliche Pein. Das Paradies ging auf, die Straßen brannten ab, die Herren flogen in die Luft, explodierten Freudenfeuerwerk zum großen Einzuge. Ein bibelwürdiges Ereignis. Ihr habt es umschlungen, das Paradies! Habt alles wiedergefunden, wie es Adam stehen gelassen hat. Die ganze Einrichtung habt ihr übernommen. Man sieht euch an, wie ihr vor Rührung schluchztet bei dem Einzug. Eure Augen sind noch ganz rot. Wie habt ihr den Regen begrüßt, die Nässe, unermeßliche Nässe vom Himmel, an die Sintflut erinnernd, vom wirklich richtigen nicht gemalten Himmel. Nässe, die fiel, echt war, mehr, immer mehr. Es wurde euch wonnig klar, daß der Mensch aus dem Wasser stammt und ihr erschauertet! Ihr wolltet Tag und Nacht nicht aus dem Wasser heraus, ihr Glücklichen schwammt, plätschertet darin. An Gräsern und Halmen habt ihr gebissen. Wie hat es geschmeckt. Endlich, endlich eine Speise, unmittelbar wie aus dem Handteller aus der Erde, der alles tragenden gebärenden. Sie ist und bleibt eben die Urmutter! Sie wird es ewig bleiben! Weh dem, der es vergißt. Und dann immer mehr für euch. Krank seid ihr geworden, krank durftet ihr werden. Die Wohltat des Fiebers, die Gnade der Schmerzen, der Schlaflosigkeit kam. Diese Wonne! Kein Mensch, kein Herr, keine Fabrik hat sie euch in solcher Fülle und Ausgewachsenheit schicken können. Ihr wart selig im Gefühl: ich kann nicht schlafen, ich zittere vor Fieber, der Schmerz zerreißt meinen Kopf, mein Kinn, meine Knochen. Wie gut: niemand hilft mir, auf mich selbst bin ich gestellt, ich bin ein Mensch, im Paradies, an der Brust der Natur. Und ich selbst, Ten Keir, was hab ich Verbrecher getan? Ich laß euch aufgreifen! Verzeiht mir, liebe Freunde. Wir hatten Sehnsucht nach euch! Wir geben euch bald wieder hin an das Zauberreich. Denkt an uns Arme, die gesund und kräftig sind, zu essen, zu trinken haben, warm angezogen sind. Die dies alles erleiden müssen.“ Frau Atorai, füllig und ruhig, in rotem Samt, nickte, während man noch lachte: „Wir haben sehr Entsetzliches verbrochen.“ Der unerschöpfliche Ten Keir sprudelte: „Gott will uns strafen mit Milch und Honig. Die Strafmethoden haben sich im Lauf der Jahrhunderte geändert. Die Menschen haben sich auf Pech und Schwefel nicht gebessert, jetzt versucht es Gott so.“ Frau Atorai unverändert ernst: „Und er hat recht. Wir bessern uns schon. Aber noch nicht genug. Die Kur muß intensiver durchgeführt werden. Ich fürchte, er wird gegen uns nicht vor dem Äußersten zurückschrecken.“ „Was ist das, Atorai?“ Sie verdrehte die Augen, spitzte den Mund: „Ich möchte gerne, – ich möchte gerne – je nach Laune – Mann oder Frau sein.“ Sie tosten ein Gelächter. „Kommt!“ „Man hat schon etwas läuten hören.“ Und im Lachen immer ernst Frau Atorai, den Mund vorwurfsvoll spitzend: „Läuten! Ich möchte doch in diese Kirche gehen. Bin so sündig.“ Die gute Laune der Belgier schlug um, als später der stille Londoner Pember sprach. Es sei, gab der dicke von sich, über diese Leute nicht nur zu lächeln. Man müßte in der Tat ihre Haut, ihre Köpfe, die Leiber ansehen. Die seien nicht nur von der kurzen jämmerlichen Flucht so ruiniert. Wovon seien diese Menschen wohl so ruiniert. „Nun“ forderte ihn Ten Keir heraus. Pember schüttelte den Kopf: „Du mußt nicht so wild und sicher sein. Wir haben in London die Dinge näher betrachtet als ihr. Nicht freiwillig, sie kamen an uns heran. Ihr hättet sehen und hören sollen, was sich am Ouseriver ereignete. Trübsal, die ich nicht beschreiben kann. Fragt, ob die Menschen recht hatten betrübt zu sein.“ „Und?“ „Das ist alles. Wie können wir das Elend beenden?“ Ten Keir breitete hohnlachend, die Schultern hebend, die Arme aus: „Dazu sind wir hier versammelt, den Jammer der Leute zu diskutieren! Wir werden sie bitten, uns lyrische Gedichte vorzutragen mit Lautenbegleitung und Chor. Dazu sind wir versammelt. Und unsere Städte? Wir, was wir treiben, unsere Stadtschaften, das ist Schund! Was? Nichts! Nichts!“ Delvil und Pember schwiegen vor dem unerschütterlichen harten Belgier. Auch die amerikanische Kommission, die von London den Engländern nachgereist war, hielt vor den Belgiern still. Stachelnde Worte der Brüsseler standen sie aus, Wutausbrüche des unbeherrschten Ten Keir, der ein Pferd in einem Gespann war, in dem er nicht mitziehen wollte. Sein Groll auf die Stadtflüchtigen. Die beiden Kommissionen hieß er jeden Tag gehen, wo sie hingehörten. Die Fremden zitterten beim Gedanken an eine Begegnung mit ihm. Man führte sie durch die Straßen Brüssels. Nach Norden die Häuserreihen Anlagen Waldungen bis an die Schelde, das alte Antwerpen ausschließend, die Schelde, die Brüssel im Westen bei der Vorstadt Oudenaarde erreichte. Nivelles und Soignies die südlichen Ausläufer der Stadtschaft. Man war nicht fern von dem Zentrum Mons. Halb widerwillig ließen sich die Fremden über das prunkende Gebiet tragen; den Belgiern weitete sich das Herz. In Sänften wurden die Fremden stundenlang durch die gewaltigen Hallen getragen, ausgesucht demütige Menschen neben sich, Bewaffnete im Zug. So fest war die Herrschaft der Belgier, daß sie sich von Schultern auf Schultern in voller Sicherheit gleiten lassen konnten. Dies Land hatte wenig Acker und Weide, Entartende Schwächliche wurden rasch beseitigt; in das Land strömten immer Fremde. In den Hallen lagen die erheiternden beglückenden Dinge. Es waren berauschende Schauhäuser. Und was auslag stand jedem der Menschen zur Verfügung, die sich den Herrschenden unterwarfen. Sie hatten außer den Gesetzen nichts anzuerkennen als die wechselnde Arbeit und die langen Pausen. Damit erhielten sich die Stadtschaften, erzeugten wie tropische Bäume ihre Früchte im Überfluß. Die senatorischen Herren und Frauen blickten, durch die Menge getragen, wenig auf die ausweichenden Menschen. Kundige gewandte junge Wesen gingen neben ihnen, traten zu ihnen, Einpeitscher und Einpeitscherinnen, Erforscher und Erfinder von Bedürfnissen, Wesen, die Aussicht hatten, selbst Herren zu werden. Die Lichtmassen Teppiche Kleider, erregende und einschläfernde Getränke, die Speisemischungen Speiseerfindungen der Mekifabriken, Badewasser mit erregender treibender einschläfernder Wirkung, Streichler Haucher für die Stirn die Backen die Brust die Arme. Forschend und kalt fuhren die Augen der herrschenden Männer und Frauen über die Dinge. Die Menschen standen gefangen davor, lösten sich von dem Anblick schwer, als wären ihre Blicke angebannt. Der stolze Ausdruck Ten Keirs, des üppigen, gegen Delvil und Pember. Der Ausdruck hieß: „Welche Pracht, welche Wonne für Menschen.“ Delvil dachte: „Was haben sie im Westen Londons geschrien, als sie die Hallen abbrannten? Hin die Kerker, Festungen der Herren. So haben Schweiger Krieger Schlangen gerufen.“ Am Abend dieser Fahrt hielten sie in einem unterirdischen Gewölbe nahe einer Aufschließungsstelle der synthetischen Fabriken. Hier wurde physikalisch und theoretisch gearbeitet. Mehrere der Senatoren hatten ihren Platz, begrüßten die arbeitenden schweigenden erschreckt auffahrenden Männer und Frauen, die von ihnen adoptiert wurden, wenn sie kenntnisreich stark und stolz genug waren. An den Wänden waren magische runde Lichtflecken, die von schwarzen Blenden umschlossen waren, Augen bunten Lichts, die man verkleinerte verstellte verschob schloß. Kristalle studierte man hier. Gesteinsstaub lag über den schwarzen Tischen. Große Tafeln mit merkwürdigen Zeichen Pfeilen Zahlen hingen von den Decken. Rasch schritt man durch, an niedrigen Türen vorbei, die in tiefere Keller führten zu ganz abgesonderten, der Oberflächenbewegung, den Wärme- und Lichtstrahlungen der Gestirne entzogenen Kammern. An einer bezifferten Tür hielt Ten Keir. Sie fuhren auf einem Fahrstuhl abwärts. „Es braucht niemand zu wissen“ erklärte der sehr ruhig gewordene Ten Keir in dem völlig leeren Raum, an dessen Wand eine Zahl ungeöffneter flacher und hoher Kisten standen, „braucht niemand zu hören, was wir besprechen. Vielleicht äußern die englischen und amerikanischen Freunde, was sie zu sagen haben.“ Man kauerte sich hin in dem Raum, dessen Schwärze von einem Lichtbüschel durchzogen war, das wie aus einem Loch aus der Wand von einem Lichtfleck kegelförmig ausgestrahlt wurde. Als nicht gleich einer sprach, fuhr Ten Keir, neben dem Lichtfleck im Dunkeln stehend, fort: „Ich wiederhole, was ich gesagt habe: freiwillig danken wir nicht ab. Man wird uns zwingen müssen. Wie man das tun wird, will ich erwarten.“ Delvil: „Es wird dich und uns alle niemand zwingen.“ „Dann bleiben wir.“ Seufzte Delvil, ließ die Schultern sinken: „Es geht nicht. Wir kommen nicht weiter.“ „Wir kommen weiter. Seht auf uns und ihr kommt weiter.“ Bittend sah sich noch Delvil nach beiden Seiten um: „Will nicht ein anderer sprechen. Und will nicht, – verzeih mir, Ten Keir, – ein anderer Ten Keir ablösen.“ „Für mich braucht niemand zu sprechen. Meine Auffassung ist die der anderen.“ „Aber wir kommen nicht weiter.“ Schrie Ten Keir, fuchtelte: „Delvil, Euch ist nicht zu helfen. Wo stehst du eigentlich. Bist du auch ein halber Paradiesbruder? Wo ist dein Herz?“ „Mäßige dich, Ten Keir“ bat auch Frau Atorai. „Warum mäßigen? Ihr meint es ja auch. Delvil ist ein hoffnungsloser Fall. Er zerrt und zieht. Er weiß nicht, was er will. Er ist hilflos. Es ist ein Verbrechen, Delvil, in dieser Zeit hilflos zu sein. Wenn du hilflos bist, tu wie White Baker.“ Heiser Delvil: „Rate mir nicht. Laß mich aus dem Spiel.“ „Ich kann niemanden aus dem Spiel lassen, der hier ist.“ Heiser Delvil: „Ich will, daß du mich aus dem Spiel läßt.“ „Ah du grollst. Das ist ja recht. So kommst du zur Besinnung. Ich denke, so wird es den andern Paradiesbrüdern auch gehen. Dann werden sie sich wehren und dann wird sich zeigen, wer der Stärkere ist.“ „Wer der Stärkere ist. Wer der Stärkere ist. Es ist nichts damit geschafft, daß einer der Stärkere ist.“ „Weggerafft ist der andere. Und damit ist es geschafft!“ „Nein es ist nichts geschafft.“ Ten Keir trat an Delvil heran: „Was suchst du eigentlich hier. Bist du ein Spion?“ „Sei still, Ten Keir. Ich bin bewaffnet wie du. Du tust mir nichts.“ „Du bist in meinem Haus.“ Pember trennte sie mit seinem schwarzen kurzen Körper. Als wäre nichts geschehen, näselte er phlegmatisch: „Wir sind einig darüber, worin die Not besteht. Wollen wir nun unsere Stellung dazu verhandeln.“ Delvil hob die Hand: „Ich bin schon ruhig, Pember. Wir sind uns nicht darüber einig, worin die Not besteht. Wir sind uns nicht darüber einig.“ Erstaunt wich der schwere Mann zurück, blickte hin und her zwischen Delvil und dem andern. Triumphierend Ten Keir: „Laß ihn also ausreden.“ Pember: „Ja. Willst du die Schlangen und die Schweiger und wie sie heißen?“ Frau Atorai schlank und ruhig überlegen an der Wand gegenüber Delvil, öffnete die lächelnden Augen: „Er will ja die Schlangen.“ Mit plötzlich erschlaffendem Gesicht, klagend Delvil: „Das weißt du nicht. Das wißt ihr doch nicht.“ Er sank auf die Knie, hielt den gesenkten Kopf in den Händen; man hörte ihn schluchzen. Grimmig kehrte Ten Keir zu dem Lichtfleck zurück, knurrend: „Da ist es. Er ist hin.“ Lächelnd und gleichgültig durch die Stille Frau Atorai: „Laßt ihn sich ausweinen.“ Ein Mann bewegte sich neben Ten Keir seitlich von der Lichtquelle, stellte die Iris des Strahls enger. De Barros, ein erst aufgenommener Wärmeforscher, leicht eingedrückte Nase, aufgeworfene Lippen, dunkle Hautfarbe. Er redete hart, ohne einen anzublicken: „Ich sehe, was Delvil will. Die Dinge, die er bezweifelt, bezweifle ich nicht. Die Führung durch die Stadtschaft sollte ihm zeigen, was wir verteidigen. Das ist mißglückt. Wir geben uns aber nicht auf. Und dann: Es sind Hunnen vor zwei Jahrtausenden gekommen, die alles wegrafften. Dann war Jammer und alles begann von vorn. Wir lieben das nicht. Warum nicht? Wir wollen nicht.“ „Eine einfache Rede, De Barros“, lächelte unverändert Frau Atorai. Pember bemühte sich um den hingesunkenen Delvil: „Es scheint, wir müssen unsere Unterhaltung abbrechen.“ Am frühen Morgen suchte Delvil Ten Keir auf, in dessen Haus schon De Barros saß. Beide Herren finster. Delvil gab Ten Keir die Hand: „Ich bin in deinem Wohnhaus und bin waffenlos.“ „Setz dich.“ Ten Keir wanderte, stellte sich vor Delvil, hob die gefalteten gepreßten Hände vor die Stirn: „Also – kapitulieren sollen wir? Kapitulieren. Weißt du, ich bin nicht weit entfernt davon, mit dir die Rolle zu tauschen.“ Und knirschte stampfte am Fenster, lachte gallig: „Gut, daß du gekommen bist. Hast du dich nach den Amerikanern erkundigt? Sie schwiegen gestern so ausdrucksvoll. Sie sind abgereist.“ Delvil zuckte: „Ach.“ „Was gibt’s zu ächzen? Kannst jauchzen. Du wolltest den neuen Völkerkreis machen. Lauf ihnen nach. Ich habe sie gleich erkannt. Sie sind reif.“ „Wozu.“ „Zum Abdanken. Zum Kapitulieren. Eure White Baker sitzt ihnen in den Knochen. Das sind keine Herren. Nicht einmal Diener. Das sind Hunde. De Barros, ich schäme mich.“ Der stand, schloß vor Erregung die Augen: „Und ich. Sie haben es nicht verdient an unserm Tisch zu sitzen. Es scheint, daß nur wenig es verdienen. Dann müssen die wenigen Mut haben, die Tafel zu säubern. Ja. Und den Platz zu behaupten.“ Ten Keir höhnte: „Eine große Zeit, ein kleines Geschlecht. Nein, wir sind kein kleines Geschlecht. De Barros, wir sind nicht klein. Jevaroz ist nicht klein, Frau Atorai ist nicht klein. Für Gras werf ich kein Jahrtausend Gedanken hin. Wir können die Zähne zusammenbeißen und kämpfen. Ich kann auch sterben.“ „Es wird eine Schlacht geben.“ „De Barros, wir sind noch fest. Man wird versuchen uns zu unterhöhlen. Wir werden es nicht so weit kommen lassen.“ Delvil saß mit aufgestütztem Kopf: „Was wollt Ihr tun?“ „Der Uralische Krieg im Land, Herr Delvil! Delvil“ er schüttelte ihn „die Augen auf. Es bleibt nichts weiter übrig.“ Öfter trieb es Delvil und Pember durch die Versuchsanstalten der Belgier. Sie sahen die Schar starker Männer und Frauen, gingen neben De Barros. In manchen Augenblicken kam es Delvil vor, als wenn er träume von einer Gefahr. Wie weit war White Baker, wie unbegreiflich, widerlich diese Schlangen, Krieger, Barbaren, Marduks, Zimbos. Ob es nicht wirklich richtig war sie niederzurennen. Aber auch hier schon das Wimmeln auf den überdachten Straßen. Die vielen Tempel und Zauberer. Von draußen schlugen Flüchtige Verirrte hinein. Die belgischen Senate gaben die Parole aus, heimlich zuverlässige Stadtschaften zu gewinnen, sie sich anzuschließen, wo man sie finde, schwächliche Senate durch Handstreiche zu stürzen, auf dem Festland, später in Amerika; auch die afrikanischen Küsten zu besetzen. Ihre aufs stärkste bewaffneten Vertrauensleute wiegelten französische spanische italienische süddeutsche westdeutsche Stadtschaften auf. Man hörte von Revolten in einigen dieser Städte, von Umsturz der Herrschaft, dem Aufkommen neuer Senatsgeschlechter, die von den Belgiern geschützt waren. In Brüssel Antwerpen Mons setzte die Erweiterung der Mekifabriken, die Vervollkommnung der Waffen, Aufstapelung großer Waffenmengen ein. Es gab Augenblicke, wo Delvil und Pember, die immer wieder nach Brüssel zurückkehrten, unter den frischen Impulsen aufatmeten. Die Belgier sprachen dann offen mit den Londonern. Ten Keir hatte nichts weniger vor als die Besetzung Londons. Er verlangte mit Einverständnis der belgischen Senate von Delvil eine bestimmte Erklärung über die Maßnahmen, die gegen die drohende Vernichtung der britischen Stadtschaften und zur Säuberung der englischen Inseln getroffen würden. London hatte diesen Schritt längst erwartet. Man konnte nicht verhindern, daß geübte Scharen aus Belgien und Holland überführt wurden, die am Bau neuer Fabriken und Waffenherstellung arbeiteten. Zeit verlief. Delvil war nur fest in dem Entschluß geworden, nicht zu fallen wie White Baker, die in London erschienen war und ihn ermahnt hatte, sein Amt niederzulegen, das Rad des Geschicks nicht aufzuhalten. Sie sahen sich an. Noch immer trug die sehr mager gewordene Frau weiße Stoffe und wollene schwere Schultertücher, wie jene Ratschenila; der knöcherne Krähenschnabel hing an ihrem Hals; sanft, ungewohnt zart sprach sie zu Delvil, dessen Hand sie lange hielt. Er fühlte sich durch Stunden verwirrt und unruhig nach den leise eindringlichen Reden, dem Schweigen der früher so stolzen starken White Baker, die zum Krieg gegen Marduk gerufen hatte. Unter Trauer wurde ihm klar: sie begriff nichts von den Dingen, die auf dem Spiele standen, erinnerte sich nicht mehr. Sie hätte die starken strengen belgischen Menschen und ihre Werke sehen müssen. Schon verbreitete sich zu den Massen des englischen Landes im Westen und Norden, was vorging. Sie berührten sich mit den eingeführten Völkern. Die Angst der Siedler. Nur die kriegerischen Gruppen hörten mit Lust, was der Senat bereitete; London wurde reif, wühlte sich sein Grab. Sie sangen Lieder vom Schicksal Hamburgs Hannovers, von dem feinen mißglückten Plan mit Zimbo, der märkischer Konsul geworden war. Brandstifter schlichen zwischen die Häuserreihen. Die fremden Belgier hatten so listige rohe Menschen noch nicht gesehen. Man war in einem lautlosen von Woche zu Woche sich steigernden Krieg. * * * * * Damals trugen die friedlichen Schlangen eine Fabel mit sich herum. Es gab ein fernes Land, das unter warmem Himmel mit fruchtbaren Bäumen in tiefster Ruhe lag. Die Menschen glänzten und verblichen wie Sonnenstrahlen. In diesem Land lebte ein großes sanftes Tier. Dicht und schwarz war es von einem Pelz umhüllt. Es lagerte träge, ein Bär, in seiner Höhle. Da drangen Ungetüme mit Wut, Wagen Waffen Geräte hinter sich, in das Land. Mit Keulen und Beilen schlugen die Ungetüme auf das träge sanfte Tier. Sein Fell war so dick, daß er nicht einmal knurrte. Man stieß es und zwickte es mit feurigen Zangen: es zitterte, hob sich auf. Als man die Höhle um den Bären zum Einsturz brachte, machte er sich auf die Wanderung. Schleppte sich davon. An ein brausendes großes Wasser kam er. Da konnten die wütenden Verfolger nicht nach. Das Tier war fast blind, die scharfe Seeluft hatte es geschnuppert, warf sich aufs Wasser, schwamm. Schwamm, bis es Klippen berührte und gegen eine Insel stieß. Und wie es in der Schlucht lag, fingen über ihm die Felsen zu wanken an. Blöcke polterten in die Schlucht. Der Bär kroch hoch, kroch herum, duckte sich, wußte nicht was war. Die fremden Ungetüme hatten die Ameisen bestochen den Sand von dem Berg zu schleppen, die Felsen zu untergraben. Ein junges Wiesel schlüpfte zwischen den Trümmern auf, lief dem Bär voraus. Der Bär hielt den zappelnden Schwanz des Tierchens zwischen den Lippen, das Wiesel kroch ans Meer, setzte sich steuernd auf den Rücken des Bären. Der schwamm, schwamm. Bäume sah das Wiesel, eine neue Insel tauchte auf. Sie gruben sich zwischen Schilf in die nasse Ufererde ein. Am Abend dampfte es um sie, die Erde fing an warm zu werden, von Stunde zu Stunde blies heißere Luft herunter. Das Wiesel zuckte, warf sich quiekend um das große schwarze Tier. Das schnappte lechzte stöhnte beengt. Die Ungetüme waren zum Himmel aufgestiegen, hatten sich mit Leitern und Haken der gewaltigen Sonne bemächtigt, sie gezwungen, die Insel zu erhitzen. Die schmolz schon dahin. In einem feurigen Brei lag der Bär. Mit trockenem Rachen, nach Luft beißend, schob er sich hoch. Sein Fell flammte. Er brach die Grube auf. Sprang und rannte. Wo war das Wasser, das Wasser. Das Wiesel lief nicht mit, der Bär hatte es nicht retten können, hatte es selbst von seinem Rücken in die Glut aufgeschleudert. Brüllend trieb er vorwärts, drehte sich, stand auf den Hinterbeinen vor Schmerz. Die Glut hetzte ihn. Der kalte Wind fuhr an. Da war der Wind. In das Meer stürzte das große Tier von einem Felsen. Winselte im Fall, wollte nicht mehr schwimmen, wollte hinuntertauchen auf den Meeresgrund, ertrinken. Ein grüner Wassergeist sprudelte auf, wie er das Meer berührte. Bespritzte sein Fell. Die Schmerzen des Bären ließen nach. „Ich will dir zeigen“ sang der Wassergeist, „wohin du schwimmen sollst. Du kannst allein hinfinden. Du mußt weiter schwimmen, nach Norden, wo es eiskalt ist, wo kein Sand ist, wo auch nichts wächst. Wo die Sonne nicht scheint und immer Nacht ist, dahin mußt du schwimmen.“ Der Bär grunzte müde und lahm. Er lag auf dem Wasser, ließ sich treiben. Sein schwarzer dicker Pelz wuchs wieder, wie ihn die Wellen trugen Woche auf Woche. Es war finster vor seinen halbblinden Augen. Jetzt spürte er manchmal eine leichte Helligkeit. Er schwamm ihr nach. Vom weißen unermeßlichen Eis ging die Helligkeit aus. Er stieg aus dem Meer, schüttelte sich. Trottete, den Kopf abwärts, über die Eisplatte, vor eine Grotte, die eben zufror. Da kroch er hinein, legte sich. Er lag völlig ruhig. Keinen Schritt kam er über das Eis. Nur wenn er Hunger hat, bricht er ein Loch in die Grotte, fängt sich Fische auf dem Meer. * * * * * Die Siedler trugen das Märchen herum. Es mochte mit dem bewunderten Zug der Stadtflüchtigen Amerikas nach Labrador, an die kalte Hudsonbai zusammenhängen. Sie wollten fort von den Stadtschaften. Krieger griffen London an, andere Siedler suchten sie zu hindern. Die Furcht vor einer zerstörenden Entladung der Stadtschaft wuchs. Währenddessen trieb sich Delvil, bitter, ratlos, auf den Chittern-Hills herum. Die Sehnsucht, der angstgetriebene Wunsch nach einer Ferne, Fremde war allgemein. Diese Menschen ernst, sanft, viele krank und entstellt, stumme Arbeiter, fröhliche Beter. Von Marduk sprachen sie zueinander, aber nicht von dem gefährlichen Konsul; nur von seinem Ringen mit der armen hilflosen Balladeuse, von seiner Freundschaft mit dem weißen Jonathan, und der Liebe zu der süßen rettenden Elina. Eines Mittags, wie Delvil aus dem verschneiten Bedford aufbrach, um in die Stadt zurückzukehren, lief eine weiße Katze im Sonnenschein vor seinen Füßen. Lief den Feldweg hin und her, im Blitzen des Lichts, saß leckte sich das Fell. Sie mußte sich verlaufen haben. Oft verschwand sie, dann kehrte sie zu ihm mit langen Sätzen zurück. Sie schnurrte putzte sich am Boden zu seinen Füßen. Es zuckte in ihm auf. Seine Augen weiteten sich. Ein Frost lief über ihn. Man mußte die Menschen wegführen, wo sie Ruhe hatten. Man mußte sie weit weg in Sicherheit bringen. Mit einmal dachte es so in ihm. Die weiße Katze saß auf seinem Stiefel. Er stand still, bückte sich zögernd herunter, strich über ihr Fell. Sie krümmte den Buckel hoch, blieb ruhig. Vorsichtig richtete er sich auf. Sie huschte davon. Er schleifte ihr nach. Man mußte die Menschen in eine ferne Sicherheit bringen. In London sprach er es aus. Man verstand ihn schwer; was sollte man mit lächerlich humanitären Gedanken, während man bedroht war. Nur Pember, der schwere, achtete auf. In Brüssel hörten sie ruhiger zu. Man konnte die Städte von den Neuerern befreien. Man konnte den Städten ein Abflußbassin verschaffen. Ein sehr entlegenes Abflußbassin, ein Land für Deportationen. Delvil hatte volle Sicherheit; seine Krise hatte er in Bedford überwunden. Er zeigte den Belgiern: die Stadtschaften verlangten nach Bewegung Aufschwung. Von der Beseitigung der Unruhe, der Bedrohung zu schweigen. Sie könnten jetzt ihre Kraft zeigen. Anders als im Uralischen Krieg. Das Land, das fern von den westlichen Städten liegt und den Siedlern alle Ruhe gibt, sollten die Stadtschaften selbst schaffen. Es mußte ein Becken für neue kraftvolle Menschenrassen werden. Wohin also, zweifelten die Brüsseler. Delvil: Man könne sie nicht führen, wohin sie nicht wollten. Man müsse ihren Sinn ergründen. Es gäbe eine Fabel unter ihnen. „Der schwimmende Bär“ schmunzelten die Senatoren. Sie wollten, sie drängten nach Norden; dort müsse man ihnen ein großes Land schaffen. Die Belgier blieben im Staunen. Es war ein Experiment, das der Londoner zeigte. Delvil war in Nöten. Sein Plan war kurios, aber nicht schlecht. Und der schlanke Mann brachte mehr Menschen in sein Netz. Er sprach erst von Rußland, das man den Siedlern geben sollte. Dann wurde er phantastischer, und nun wurde er allen, die ihm von den wegekundigen Fachleuten, den Kopf stützend, zuhörten, erregend. Er wies auf ein Land, das man an einer hochnördlichen Stelle des Stillen Ozeans westlich vom amerikanischen Kontinent aus dem Meer graben müßte. Es müsse ein neuer Erdteil geschaffen werden. Die Stadtreiche werfen dahin ihren Menschenüberfluß und ihr krankes Material ab. Die Belgier waren fasziniert: Einen Erdteil, ein ganzes Land aus dem Ozean graben; das war ein Plan. Er wirkte so stark, daß die Brüsseler, als sie die Sache verzaubert unter sich erörterten, Kontinentale aus anderen Stadtreichen herbeiriefen. Wollten die der Wirkung dieses kolossalen Einfalls aussetzen. Und auch hier Staunen Erregung Blendung. Zu den Siedlern auf dem Kontinent, den britischen Inseln lief das unglaubliche Gerücht, von Brüssel her verbreitet. Wie die Siedler erschraken. Das war der Angriff; es war die Art, wie die Senate sich den Frieden dachten. Aber dann sah man: Sie wollten die Siedler schonen. Man würde bewahrt werden vor ihren Waffen. Man konnte ausgerottet werden; die Stadtreiche dachten an Siedlung. Die grausamen Senate suchten die Gedanken der Neuerer selbst zu denken. Es war ein Nachgeben, Erweichen der Senate. Noch ehe Bestimmtes bekannt wurde, schliefen die Überfälle auf die Londoner Außenstädte ein. Und über die Stadtreiche legte sich ein Bann. Man wurde träge mit der Waffenherstellung, der Ausdehnung, dem Aufbau alter Fabriken. Wartete auf etwas Neues Geheimnisvolles. Man spannte sich. Ein eigentümliches Hin und Her zwischen den friedlichen Zentren den Stadtschaften und den weiteren Siedlungen, begann. Man trat fragend zueinander. Erregt horchten die nomadenhaft Wandernden. Die träumende Erzählung der Schlangen von dem Tier in der fernen Eishöhle wehte über die britischen Inseln nach dem Kontinent. Die Senate sannen. Sie fühlten, eine glückliche, ja wunderbare Lösung gefunden zu haben. Man stand an einem Wendepunkt. Das Siechtum der nachuralischen Zeit würde beendet werden. Man war noch im ungewissen über Einzelheiten des neuen Plans. Als eines Tages bei einer Beratung zu London das Wort Grönland fiel und augenblicklich die Seelen bezwang. Der Schleier war gefallen. Das Zauberland. Wer das Wort ausgesprochen hatte, war bald vergessen. Delvil hatte es im Moment ergriffen, als erster die Fahne geschwungen. Er war vom Augenblick an, wo bei Bedford das weiße verirrte Kätzchen vor ihm sprang und ihn erlöst hatte, der entschlossenste von allen. Er sprach zu den aktionsgierigen Gruppen seines Senats: man wisse nun, dies werde das Ziel sein. Man werde es erforschen. Man werde einen langen Anlauf dahin nehmen müssen. Das Ziel sei da, für die Senate und die Feinde der Städte. Der Federball sei auf den Boden geworfen, er werde springen. Der Völkerkreis würde auf neuer Grundlage entstehen. Der Glanz einer heldenhaften Arbeit werde sie vereinen. Die Städte würden den Erdteil Grönland schaffen. Man werde sehen, was der neuerstarkte Menschengeist leisten könne. Seine ursprüngliche Glorie würde der in den Stadtschaften eingekrustete Menschengeist beweisen. Nie hätte er es dringender nötig gehabt, sie zu beweisen. Aber von dem, was jetzt geschehen würde, würden Jahrtausende sprechen. In Hader hätten alle Menschen seit dem Uralischen Krieg gelegen. Ihre Kräfte seien inzwischen, das wisse er, nicht verkümmert, nur geschwiegen hätten sie. Sie würden auf eine nie geahnte Art den Mund öffnen. Und über die Siedler ergoß sich Frieden. Wenig mißtönende warnende höhnende Stimmen; sie wurden unterdrückt. Das Lachen der Krieger: man hätte Land genug. White Baker erschien in London bei Delvil; sie war erregt. Faßte den Mann bei den Schultern: „Was wollt Ihr tun? Das Meer ablassen, die Gletscher zertrümmern? Ich trau’ es Euch zu. Es ist entsetzlich. Wer drängt Euch dazu? Doch nicht wir! Wir sind es nicht, Delvil, sag nein.“ „Es geschieht für Euch.“ Sie rang die Arme: „Sag nein. Beim Himmel, bei der Erde, Delvil, sag nein. Es ist entsetzlich. Laß die Erde ruhen. Sieh doch an, was habt Ihr schon –, ich mit –, an den Menschen getan. Wie sehen sie aus, wie gehen sie zugrunde. Wie geht Ihr zugrunde. Was habt Ihr im Krieg in Rußland getan.“ „Es ist nicht dasselbe.“ „Dasselbe, Delvil. Es ist abscheulich, grausig, was Ihr vorhabt. Tut es nicht, rede es ihnen aus. Nicht für uns.“ Delvil finster: „Es gibt nichts anderes. White Baker, du weißt nichts. Es gibt nur: zurück zu Euch oder der neue Plan.“ „So schlag doch zu. Töte doch alle. Glaubst du, du rettest – Euch damit?“ „Uns?“ „Ja, es ist nur für Euch, was Ihr plant! Uns nennt Ihr nur. Wir wollen Euch gar nicht. Wir brauchen Euch nicht. Und es nützt Euch doch nichts.“ Delvil zog sich murmelnd mit hängendem Kopf von ihr zurück: „Ich dachte, du würdest anders zu mir sprechen.“ „Du sollst uns töten. Greif Zimbo und Alaska an. Ihr könnt es doch.“ „Still, White Baker.“ „Ihr seid erbärmlich. Ihr wollt Euch unter zehntausend Pyramiden begraben. Wären die Städte schon weg.“ Leise Delvil: „Geh. Geh.“ Unter der starken Herrschaft des schwarzen Zimbo stand das märkisch-norddeutsche Land. Nie war hier Bangigkeit gewesen. Von rohen Menschen war das große Gebiet erfüllt, längst kannte man keine Mekispeisen mehr. Mit Verwunderung und Verachtung vernahmen sie hier von den Träumen der britischen Siedler, der Sehnsucht nach dem fernen Paradies, hörten die sonderbare Fabel. Die fremden herrschsüchtigen Senate sahen sie sich straffen. Sie spitzten die Ohren, warnten die Horden auf den britischen Inseln, rieten ihnen zum Krieg. Unbemerkt von London trat Zimbo, in dem die Wut kochte, bei Bedford im Frühjahr selbst vor White Baker und Diuwa, die Führerin der Schlangen. Fragte vorher nach Männern; man wies ihn an diese Frauen. Grollend mußte er mit ihnen verhandeln. White Baker weinte bei der Besprechung, aber sie waren zu nichts bereit. Sie zeigten auf die furchtbare Stärke der Belgier, auf die bewiesene grausame Entschlossenheit und ihre eigene Hilflosigkeit. Ob man es auf einen ganz aussichtslosen Waffenkampf ankommen lassen sollte. Zimbo brüllte: „Ja ja“; die Senate würden unterliegen; sie seien schon erlegen in Amerika, da liefen sie den Stadtflüchtigen nach. Man müsse sie unterwühlen, zuletzt erliegen sie hier auch. Und immer dieselbe bettelnde Entgegnung: „Wir sind nicht stark genug, wir sind keine Krieger. Nur Schwache Kranke sind bei uns. Es braucht Jahrzehnte, bis wir uns bewegen können.“ Mit Abscheu sah Zimbo, wie er sich von den trüben Frauen trennte, daß sie recht hatten. Er überlegte, ob er einige seiner tapferen Freunde hier einsetzen sollte. Aber wie er das sanftmütige hingegebene Gebaren in den Gruppen beobachtete, zog er sich angewidert zurück. Diese Menschen mußten durch eine harte Schule gehen. Die Herrschaft eines Marke und Marduk war ihnen erst nötig. Er flog nach Hamburg. So stark war damals das märkisch-norddeutsche Land, so verändert die Bevölkerung, daß nur noch Zimbo und seine Gehilfen westliche Waffen um sich hatten. Das Volk war rüstig kriegerisch gefürchtet. Was sie nicht in Schmiede und Zimmerwerkstätten mit der Hand und dem Feuer hervorbrachten, verachteten sie. Zimbo ließ alle aufklären über die drohenden Gefahren. Keinen Schrecken sah er. Die jetzt nicht mehr brüllenden metallenen Stiersäulen wurden mit frischem Laub bekränzt. Vor der Steinnische, in der angekleidet der Leib des großen weißgesichtigen Konsul Marduk mit einem Holzszepter saß, wurden bunte Wimpel aufgezogen. Zimbo selbst legte unauffällig zwischen den einsinkenden Stadtresten von Hamburg und Hannover Waffenlager an. Die Massen der westlichen Erdteile horchten auf. Die Fahrt nach Grönland sollte beginnen. Im Norden lag das große ruhige Land, der neue Kontinent, der für sie aus dem Eis, dem triefenden Ozean, der schweren Nacht gehoben wurde. Friedlich würden sie dorthin ziehen erstarken genesen. Die Herren, die Gewaltigen der Apparate, ließen von ihnen. Ungestört würden sie sich über die weichen aufgetauchten Bodenflächen bewegen, unter aufsprießenden Bäumen Pflanzen, zwischen Tieren, flatternden Vögeln, das Licht der alten Gestirne vom Himmel. Die Stadtschaften trafen ihre ersten Vorkehrungen. Sechstes Buch. Island Der Plan der Enteisung Grönlands wirkte wie ein Bergsturz erschütternd auf die Städter. Ein an Grausen grenzendes Staunen warf die Gedanken um. Ingenieure Physiker vertieften sich in den Plan. Die Senate nahmen überall vollzählig an den Erörterungen teil. Man hatte das Gefühl vor einer Entscheidung der ganzen Existenz zu stehen. Die Senate spannten sich, waren auf der Hut, wie bei der Freigabe der synthetischen Ernährung. Die Fachleute hatten vor, die beispiellose Gewalt der schmelzenden Gletscher für sich arbeiten zu lassen. Sie griffen weiter aus; man wollte bei der Enteisung Grönlands nicht stehen bleiben, sondern eine klimatische Änderung der ganzen nördlichen Halbkugel herbeiführen. Man mußte im Verlauf der grönländischen Affäre zu ungewöhnlichen ausgedehnten Heizmaßnahmen greifen; es lag kein Grund vor, sie auf Grönland zu lokalisieren. Man konnte die Attacken ausdehnen auf die Zone der arktischen Länder mit Spitzbergen Nowaja Semlja Baffinland Grantland, den Perryinseln. Delvils physikalischer und hydrographischer Berater, Escoyez, ein aus Spanien gebürtiger Mann mit berberischem Einschlag, ein halbes Wasserwesen, der in selbstkonstruierten Gehäusen abenteuerliche ozeanische Tiefen durchsuchte, schlug eine Änderung im Salzgehalt der atlantischen Gewässer vor. Er hatte die Golfstromdrift an der englischen und skandinavischen Küste studiert. Er meinte: der warme Golfstrom ist reicher an Salz als das Meereswasser, das er durchfließt. Die treibende Kraft der Golfstromdrift selbst ist der Wechsel der Jahreszeiten: die sommerliche Wärme dehnt das Salzwasser aus, schwemmt es, gießt es über das kalte. Das ist alles, das ist die Drift. Salzwasser reißt aber Salzwasser, eine Zähigkeit die andere mit. Man möge die warme Wassermenge, die vom Äquator dem Norden zuströmt, vermehren, indem man das große ozeanische Flußbett selbst mit Salz anreichert und zwar vom Boden aus. Die Meeresböden in der Nachbarschaft der großen Drift werden in weiten Abständen aufgesprengt, das hochgehende Gestein zertrümmert. Der Auslaugungsstoff, Chlornatrium Magnesium Magnesiumsulfat schwefelsaurer Kalk Chlorkalium kohlensaurer Kalk, geht in das Wasser über. Man hat das Bett des Golfstroms durch solche salzspürende Sprengungen systematisch zu erweitern, von den Küsten Kubas Floridas Neufundlands an. Der sommerliche Andrang, die Überschwemmung mit warmem salzreichen Wasser, die Transgression, das benachbarte Salzwasser mitreißend, wird an Umfang verzehnfacht, wird sich weit über die Nordsee und Neufundland erstrecken. Escoyez, das zähe braune Wasserwesen, erklärte: man hätte eigentlich nur nötig, den äquatorialen Kochtopf zu vergrößern. Wenn die Leutchen in Grönland bis jetzt frieren und auf Spitzbergen kalte Nasen hätten, so dürften sie sich darüber nicht wundern. Wer glaubt, die Natur ließe den Menschen gebratene Krammetsvögel in den Mund fliegen, irre sich. Freilich zeuge es im Grunde nur von der fürchterlichen Stupidität des Menschen, daß er sich mit Klima und anderen irdischen Dingen wie mit göttlichen Verordnungen abfinde. Es gibt auch eine göttliche Verordnung, daß man verhungert, wenn man sich sein Brot nicht holt. Es gibt auch eine göttliche Verordnung, daß man seinen Verstand gebraucht. Wie man sich bettet, so liegt man. Der Spottvogel meinte: das gelte auch vom Fluß in seinem Bett. Aber nur bis jetzt. Man kann göttliche Verordnung beim Flußbett des Golfstroms spielen. Der Golfstrom werde nicht schlauer sein als die Menschen. Man streut ihm Salz auf den Schwanz, und dann kommt er schon und macht piep. Hinter den Scherzen Escoyez’ stand kalter Ernst. Man ließ ihn und seine Mitarbeiter Karten entwerfen, Schürfungen vornehmen. Vor allem, man ließ ihn das bezaubernde Gerücht von der Veränderung des nördlichen Klimas verbreiten. Die Augen anderer Männer hingen an Grönland, an den niedergehenden Gletschern. Ihnen war gleichgültig, was aus dem neuen Erdteil wurde und was von dem ganzen Plan gelang. Sie dachten nur daran, wie sie die entbundenen Gewalten angreifen sollten. Die Gewalten, die sie sich gar nicht ungeheuer genug vorstellen konnten. Sie stellten Rechnungen an über Umfang und Gewicht der niedergehenden Gletscher, der zu Tal steigenden Lawinen, über ihren Inhalt an drängender Wassermasse. Die rasch ins Meer stürzende Menge mußte ein abenteuerliches Gefälle, ein noch unausdenkbares Triebwerk darstellen. Techniker der Kraft warfen sich über Pläne zur Ausnützung der grönländischen Gefälle. Sie erregten den Kreis der Senate leidenschaftlich. Man kannte Lawinen, Lawinenstücke, die niedergehend durch den bloßen Luftdruck starke Wälder umbrachen. Hier sollte im Umfang eines Erdteils, der Australien gleichkam, zu etwa gleicher Zeit ein Lawinenfeld niedergerissen werden, wie es kein Kontinent hatte. Das Gefälle durfte nicht verpuffen; es war absurd, Lawinen und ganze Meere unbezwungen in den Ozean stürzen zu lassen. Sie mußten gefaßt werden, ihre Kräfte hergeben. Es war gleichgültig für welche Zwecke sie sie hergaben. Niemand im Brüsseler Senat, dem der alte phlegmatische Danois aus der Gruppe der Krafttechniker berichtete, fragte danach. Niemand dachte an das Wogen und Träumen der Siedler. Gewiß war, daß man die ungeheuren Gefälle rings um den grönländischen Kontinent bezwingen mußte. Das Pferd durfte nicht aus der Wildnis jagen ohne gebändigt zu werden, mochte man auch Überfluß an Kräften haben. Ehe noch ein Plan durchgearbeitet war, fühlte man in den Stadtschaften den ängstlichen Drang, alles von sich zu geben und über die benachbarten Völker hinzubreiten. Es war wie eine Sicherung, ein Verlangen sich anzuschließen, ein hinsinkendes Gefühl: wir wollen nicht allein sein. Über die Stadtschaften der nördlichen Kontinente flitzten Agenten der Senate; heftiges immer wiederholendes Erzählen Berichten Ausmalen Hin- und Herhorchen. Überall leuchteten Augen auf. In Algerien lösten sich aus der Landschaft um Konstantin und südlich des Atlasgebirges vom Gestade des Schottdjerid magnetisch gezogene arabische Scharen, zogen nach dem Norden. Aus Sizilien, aus der noch wimmelnden Stadt Raha südlich der saharischen See am Niger stiegen dunkle Gandus auf; mit ihren Flugwagen durchschnitten sie die Luft, ließen sich in London nieder. Ein Zucken ging durch sie, wie sie sich niederließen, genauer hörten, was geplant wurde. * * * * * Vor der schottischen Nordküste zackten übersprühte wüste Steininseln aus einem tobenden Meer: dort war der Sammelplatz der Schiffe Maschinen Menschen. In London Brüssel zentrierten sich die Ingenieure Mathematiker Physiker Geologen und ihre Gehilfen. Sie wehten immer von neuem Pläne über die Menschen, lockten erregten. Alle sahen die Erscheinung Grönlands, des Erdteils, der hinter Meeresbergen stand. Die Meeresberge waren niederzuwerfen wie Quadern einer Burg. Grönland war eine verwunschene Prinzessin, von Drachen umgeben. Die Berge sanken; etwas Stolzes, ein Fabelbild würde sichtbar werden. Niederbrechen von Eis auf tausenden Quadratmeilen, Auftauchen einer alten verhüllten Erde. Schon begannen im Frühjahr die ersten vorbereitenden Arbeiten, die auch den letzten Teil des kommenden großen Kampfes bedachten. Sie fingen an, in Talsenken von Wales, im Flachland bei dem belgischen Nivelle Fabriken anzulegen, in denen sie Kraftspeicher bauten für die elektrischen und neustrahligen Kräfte, die aus dem niedergehenden Eisland zu gewinnen waren. Käfige für Vögel, die gefangen werden sollten; Riesennetze; die Schmetterlinge sollten vom Ozean herübergejagt werden; Europa und die Hitze würden über sie kommen. In die lehmige holländische Erde gruben sie Wälle Dünen Betonkanäle, als hätte man vor, für Untiere Fallen zu bereiten. Sprengten an der Irischen See in den Berwynbergen dem Deefluß folgend Gänge Höhlen, kilometerlange unterirdische Läufe in die Felsen zur Aufnahme der Unwesen, die man fesseln wollte. Wie Garben auf dem Felde wuchsen Gebäude in Chester Stafford Dembigh. Zwischen den Siedlungen der Stadtflüchtigen zogen sie sich hin, die sie mit Blättern Steinen geheimnisvollen Sprüchen schmückten. Im Brabanter Tiefland, an der wühlenden Maas, neben dem feuchten Flußbett des breiten wasserwälzenden Rheins wurden versenkte Gewölbe, flache Anlagen errichtet. Zu einer Hochzeit bereitete man sich. Man warf sich in Plänen. Die lange düster enthaltsame Zeit hatte eine Unmasse Erfindungen reif gemacht. Das Einfache umging man; Kräfte wollten sich zeigen; man machte Proben auf die Dinge, die man vorhatte. In den Stadtschaften erinnerten sie sich des Märchens vom ägyptischen Pharao: sieben Kühe magere Jahre, sieben Kühe fette Jahre. Es galt Vorratshäuser für eine endlose Zeit zu bauen. Neue Kräfte würde man finden. Jetzt würde das menschliche Vermögen entbunden werden, sich unerhört über die Erde tummeln und die Arme wiegen. * * * * * Das atlantische Wasser schwemmte zwischen den langgezogenen Küsten Amerikas und denen der östlichen Kontinente. In die ungeheure Spalte zwischen den auseinandergezerrten Erden warf es seine flüssigen Massen. Die Gneisgebirge von Kanada und Labrador jenseits waren gelöst von den schottischen Bergen. Zerfetzt zerbröckelt standen die Inseln an der schottischen Spitze, Shetland und Orkney. Hundert Inseln die Shetlands. Sie stiegen aus dem bleiernen rollenden Wasser auf der unterseeischen Scholle auf, die die irische Erde, das gebirgebestandene englische Hochland, die Ebenen des Südens trug. Nach den Shetlands nahmen die Schiffe der westlichen Stadtreiche ihren Kurs. Am sechzigsten Breitengrad in den Buchten des Mainlandes legten sie an. Immer neue Fahrzeuge liefen ein. Hohe Flut rollte über die spitzen Schären. Die Ebbe entblößte die Tausende schwarzen Klippeninseln, die ihre Zähne, ihr Steingebiß zeigten. Dann begrub sie das anspielende anwankende türmende überkippende überprasselnde Wasser, Gischt über sie wehend. Über den stein- und muschelrollenden Strand, die wilden Felsstapel der Ufer warf sich die Brandung. Es war eine Haarsträhne des Meers, das draußen seine Brust zeigte, sich zur finsteren Erde niederbuckelte. Klirrend schlug das Wasser mit Steinschotter gegen das entblößte Land, wusch rieb knirschte wühlte mahlte. Es zermürbte die Vorsprünge Kanten Ecken Zungen, um draußen im Freien sich huldvoll zu wiegen, hin und her, Ozean, breites hundertmeiliges atlantisches Wasser, schwarzes festverbundenes Wesen, in sich vergittert wellenüberlaufen sich hebend. Am Rand der kleinen Klippen Inseln Festländer nahm es sich hundert Meter Tiefe zum Hinwogen und Wühlen, dann stieg es tausende Meter in das Lichtlose herab, hing an den Rändern der Steinsockel der Erde herunter, gleichmäßiges rieselndes schiebendes Wasser, vom dünnen Wind überzogen gekräuselt gedrängt, von fliegenden pfeifenden Tieren überflattert, von Fahrzeugen geritzt, von Schrauben Rudern Rädern gestreichelt. Menschen über seinem Rücken. Mit der Luft war es im Gespräch. Donner und Heulen um Riffe, Wirbeln um Schiffe. Drohendes Murren Rollen Strudeln Gurgeln Klatschen Schlingen Schlenkern Bersten Zerknattern Zerschellen loderndes Zerknallen unter der wolkenverhüllten Sonne, Plätschern Peitschen Schwingen an der Sonne, Aufheben in die Wärme, Aufdunsten Schmelzen wolkiges Vergehen an der weißen hochstrahlenden Sonne. An einem Maitage gab Kylin, ein Mann, der an den skandinavischen Fjorden aufgewachsen war, das grüne Lichtzeichen vom Hauptmaste seines hohen Schiffes. Da ließen die zweihundert ersten Fahrzeuge den sechzigsten Meridian, die steilen Abhänge des Simburg Haad. Nach einer Stunde verschwand der Gipfel des Rona auf Mainland. Das Surren und Schwirren der letzten Vogelberge verklang. Hinter ihnen lagen Munkle Roon und Toul, die zackigen Inseln Yell Haskosea Samphyra Fellar Uya Umst. Eingehüllt waren sie, schwebend auf zweihundert Schiffen, Boden aus Holz und Stahl, in das sanfte Sausen des Windes. Plätschern klang herauf. Murren aus der Ferne. Eingehüllt, eingerundet waren sie. Oben schoben sich dünne flattrige Wolkenbänke. Die weiße mit Blitzen im Wasserspiegel aufgefangene Sonne. Im Flinkern Glitzen Scheinen schwebten sie. * * * * * Sechzig Kilometer Sauerstoff-Stickstoffwellen, Meilen Wasserstoff wirbelte der Erdball durch den schwarzen kraftdurchfluteten hauchfeinen Äther. Der höchste Saum der gasigen Masse schlierte, verlor sich wie Dunst einer Fackel. Kein Ohr hörte das Schlürfen Schleifen, das seidig volle Wehen an dem fernen Saum. Geschüttelt wurde die Luft im Rollen und Stürzen der Kugel, die sie mitschleppte. Lag gedreht an der Erde, schmiegte sich gedrückt dem rasenden Körper an, wehte hinter ihm wie ein aufgelöster Zopf. Der Unband von Feuer, die einäschernde Hölle alles Kriechenden Fliegenden Hüpfenden, die Sonne in abenteuerlicher Ferne durch den eisigen Äther hin. Das weiße wallende Flammenmeer. Durch die Wolkenbänke flimmerte es, wärmte. Das feuertosende weiße Flammenchaos stand wie eine brennende Stadt in der Ferne still, Brand, der nicht ausbrannte. Die Erde zog um das Chaos herum. Gasmassen, sternenweit dunstend, strahlend, warf die kochende Sonne von sich, zog sie wieder an. Eine klirrende Geistererscheinung stand sie, in der Finsternis, die von ihr abwich, geballt andrang. Metalle brannten in ihrem Leib, metallene Wolken fielen auf sie zurück, Zink Eisen Nickel Kobalt, die sich durch die Gesteine der erstarrten Erde zogen, Barium Natrium. In Schlacken fielen sie zurück. Fackeln brunsteten auf; im Wirbel wurden sie aus dem Flammenmeer herausgekehlt, gestoßen in den vibrierenden Äther, glühender Wasserstoff. Siebzigtausend Meilen erhob er sich. Der Sonnenleib spritzte nicht, wenn die Güsse in ihn zurückschossen, wiederschmelzend aufglühend. Wie ein Ährenfeld unter dem Regen beulten sich die empfangenden stehenden Flammen, strafften sich. Kein Donnern ging von den Urgewalten aus. Kein Bergsturz und Orkan bringt solch Geräusch hervor wie die lebend hinziehende Sonne. Das rasende Flammenmeer, gleichmäßig brodelnd und siedend, explodierend und Garben werfend, – bei seiner Annäherung würden die Planeten veraschen und verdunsten, – mit seinem Tönen verschlang es jedes ferne und nahe Geräusch. Dies millionenfach gesteigerte Zischen und Zirpen von Zikaden. Dieses Zwitschern der Metalle. Dazwischen das nie verhallende Klatschen Trommelwirbeln, das sich rasselnd über erdweite Glutmassen fortpflanzte und hinter allem Gebrüll lagerte. Strontium, das hell purpurrote, Magnesium, gequetscht unter den schweren Gebirgen der Erde, Gluthauch neben Gluthauch, frei blühend und lodernd die Urwesen Helium Mangan Kalzium, leuchtend weiß blendend in Lichtern, für die keine Augen sind, unter denen die Farben auslöschen. Strahlend gasend das hunderttönig zwitschernde Feuermeer, die fackelschleudernde Urwelt im Äther. Fern von den Wallungen Stürzen Strömungen Bränden der Sonne die kleine graue Erde. Wie ein Wiesel über das Feld lief sie. Von Dünsten, nassen Dämpfen war sie umgittert, von einer Schlackenkruste ihre Glut umfaßt, von Meeren Flüssen Eis belagert. Keine Wolken der glühenden Metalle prasselten, von ihrer Wildheit geprescht, auf sie nieder. So wie ein Glaser den Kitt mit Gewalt auf das Holz und das Glas drückt und sie halten fest, wie eine Faust den Schnee ballt, zwischen gekrümmten Fingern und Handteller umschließt, zu einem harten Ball preßt, der Schnee flattert nicht mehr: so war die Erde verglühend, sich hilflos abstrahlend von dem Äthereis angefaßt, gab knirschend nach. Im Innern das Sieden und Glühen; der Leib unter Aschen verfestigt. Dies ist die Erde. Die leuchtende brennende Urwelt geht über ihr auf und unter. Ein welliger Mantel aus Gesteinen bedeckt ihren Rumpf. Tausend Meter tief und tausend hoch geht das Gestein. Kontinente und Inseln strecken Gebirge Ebenen Steppen Wüsten aus. Das Wasser bricht in Quellen aus den Bergen. Meere überfluten die Talmulden. Schwer schwimmen Gebirge Gneis Schiefer auf der schmelzflüssigen glühheißen Masse, die von Zeit zu Zeit die steinerne Kruste durchbricht, sie mit Stichflammen erweicht und hin und her wiegt. Breit besetzt der Leib Asiens die nördliche Hälfte der Erde, mit einhundertvierundsechzig Längengraden und siebenundachtzig Breitengraden. Mit Gondwana, Angara, der Scholle Chinas hat es sich über den Spiegel der großen Ozeane erhoben, seine Seen ließ es versickern. Sein Rückgrat ist der Altai, das Massiv des Himalaya vom Chingan nach Pamir, vom Karakorum bis Bhutan und zur Krümmung des Dihung. Die kaspische und uralische Senkung hat das Meer verlassen; sie saugt den Ural und die Wolga an, schlammt sich mit ihnen voll. Gletscher bedecken den Kuenlun. Umrandet von den Schneegebirgen sind die östlichen Sandwüsten, das Tibet der Jaks, die grünen Hügel und Lößflächen Chinas, mandschurische Wiesen. Das steile Gebirge stürzt nach Süden zu den sumpffeuchten Ebenen Hindostans ab, zum warmen bengalischen Boden. Blühende Gestade Indiens, Reisfluren, Felder des Zuckerrohres, Sago und Kokospalmen. Die Sumpfwaldungen, der Sunderban, das Tarai durchlaufen von den bunten Königstigern, langohrigen Elefanten, vierhändigen Gibbons. Flüsse auf Flüsse nach Norden ins Eismeer durch die sibirischen Grasflächen, morastige Tundren frierende Steppen. Bis zur Lena streift der langhaarige Panther von Kaschgar. Hängend am Massiv der Ostfeste das vielgliedrige kleine Europa. Die jungen aufragenden Alpen, Horste der alten Gebirge in Thrazien Korsika Spanien. Gesteinsdecken in die Höhe gepreßt, von Trümmern überwälzt. Versunkenes Land im Süden; eingestürzt das Mittelmeer in das klaffende Becken. Von Regengüssen Sonnenhitze wird Afrika belagert. Neunundzwanzig Millionen Quadratkilometer wächst der Boden hin, platt liegt die Tafel des Landes. Reis Durra Kaffee Mais feurige Gewürze schießen aus der Erde. Unverhüllt erheben sich die Massen des alten Granits und Glimmerschiefers, zieht sich eine Sandsteindecke hin. Unter dem Brand der Sonne zerfallen die Gesteine zu Schutt, zersetzen sich in Erde und Lehm, den das Eisen rot färbt. Der Tanganjika- und Njassasee füllen die Gruben des Hochlandes, Vulkanreihen besetzen die Ränder der Spalte. Zehn große Seen speisen den Kongo Niger Sambesi. Savannenflächen treiben ungeheure Hochgräser. Galeriewälder entlang den Ufern. Lemuriden und Affen, das zierliche Zebra, Okapi in den Wäldern. Die baumartige Staude der Banane treibt sechs Meter lange Blätter; scheidenartig umschließen sich die mächtigen Blätter; dicht gedrängt hängen die großen Beerenfrüchte herunter. Vom Kap Murchison bis Kap Horn auf Feuerland die amerikanische Westfeste. Eine hartgefaltete Gebirgsschwelle durchzieht den Kontinent von der Südspitze bis zum Mackenziefluß, eine Flachlandmulde vom Eismeer zum warmen Mexikanischen Golf. Mit fünf großen Seen vertieft sich das nördliche Land. Die Ebene durchwallt nach Süden der starke Mississippi, hinter sich her den Ohio von den Appalachen, den Missouri von den Kordilleren ziehend. Ihre Falten hat die starre Erdhaut im Westen aufgerollt; die Doppelkette der Gebirge begleitet wie eine Mauer im Westen den Ozean. Urwälder umgeben den Amazonenstrom; erst heißt er Tunguragua, dann Marañon. Die Erde gibt ihn aus dem Laurikochasee her; zweihundert Flüsse, schwarz und weiß von Kalk- und Eisenflächen hat er mitgenommen, bis er in den Ozean taucht. In den Meeren haben sich die Urwesen verfestigt, Wasserstoff und Sauerstoff. Sie überströmen den Ball, arktisches atlantisches pazifisches Gewässer. Wasser, gleichmäßig hinfließendes Gebilde, lastendes schwingendes Wesen, das spritzt dunstet, Wolken bildet, im Schnee weht, zitterndes Wesen vor den Flachküsten, dröhnende schwarz zottige Erscheinung der Orkane und Sturmfluten. Mit Salzen saugt es sich voll, Chlornatrium Magnesium Kalk, macht sich schwer, färbt milchweiß den Golf von Guinea, zimtfarben den Busen von Kalifornien, gelbbraun den Indischen Ozean. Warme und kalte Ströme durchwallen die Ozeane, farbige Bänder; Silbernebel erheben sich über ihnen, wo sie sich mischen. Die Urwesen hauchen um den Erdball, brennen und fließen in seinem Rumpf, überlasten ihn in festen und beweglichen Massen, sind Spannungen Schwerkraft Hitze Licht, sind Schwefel Chrom Mangan Silizium Phosphor. Sie sind Erde Sand. Sind stumme Kristalle, aufdrängende keimende Blumen, Flechten über dem Boden, Blütenpflanzen, schwimmende Fische, Vögel die pfeifen und sich locken, anschleichende Raubtiere, hämmernde und kämpfende Menschen, Schneckengehäuse an Seeufern, Bakterien Schlingpflanzen erstorbene Bäume, faulende Wurzeln, Würmer, eierlegende Käfer. Vom sechzigsten Meridian brachen die zweihundert Schiffe Kylins auf, ließen die Shetlandsinseln hinter sich, schwebten über dem Ozean. Sie fuhren in dem warmen Driftstreifen, der Norwegen bespülte, das Eis Finnmarkens schmolz. Unter ihnen zog sich lang durch den Atlantik ein unterseeischer Bergrücken, zog nach Süden, wurde breit bei den Inseln Ascension und Sankt Helena, zweigte eine Kette nach Amerika und Afrika ab. Schweigendes Meer lag über den Tälern und Bergen, ins Schwarze waren sie versenkt. Der Ozean fiel unter den Schiffen dreitausend Meter tief ab. Über dem sausenden Wasser, im Wind schwirrten die Vögel neben den Riesenschiffen, die tierischen Geschlechter, mit Augen Knochen Därmen wie die Menschen. Die Sturmschwalben, die auf zappelnde Fische stießen, Silbermöwen mit gezackten Schwänzen, spitzen Flügeln. Das Wasser, das sich unter den schwebenden Riesenschiffen hob, die schwarzgrüne glasige zerlaufene Masse, quoll von Tieren und Pflanzen, folgte den Schiffen mit jedem Meter. Schleimklümpchen der Urtiere klebten an den Wänden der Schiffe, hingen an den Schrauben, befuhren mit ihnen das Meer, fadenförmige Füßchen ausstreckend. Wie Schmetterlinge stiegen Ruderschnecken aus der nassen Finsternis am Abend auf, die unermeßlichen Scharen der Klio, sanken mit dem Tageslicht herab. Am Meeresboden lauerten und lagen fest mit Saugern die Scheibenbäuche. Zarte Seewalzen, Schwänze wuchsen auf tiefen Riffen, neben Klipprosen. Skelette hingesunkener Tiere kleideten den Meeresboden mit Schlamm aus; kleinäugige Borstenwürmer, schlanke Glyzeriden krochen darauf herum zwischen Tangbüscheln. An der beschienenen Oberfläche zogen Rippenquallen ihren Weg, stumme gefräßige Geschöpfe, Siphonophoren, die wie Blumengirlanden leuchteten, Städte von glasartig durchsichtigen unzähligen Tieren, an einen Faden gereiht, der sie nährte. Lachse schossen unter dem Kiel der Schiffe herum, auf der Haut, an den Kiemen feine Krebse, die sich anklammerten. Das Geschwader übersetzte die unterseeische Schwelle, den stillen Thomsenrücken. Es nahm den zehnten östlichen Meridian. * * * * * Island war eine Insel unter dem fünfundsechzigsten Breitengrad an dem fünfzehnten östlicher Länge; der Polarkreis schnitt ihre nördlichen Vorsprünge. Zwei Inseln hatten Laven aus Vulkanen werfend diese bergige Platte geschaffen, die ihre zerrissenen Wände, Scheren eines Riesenkrebses, in das neblige brandende Meer streckte. Die Menschen auf den Schiffen näherten sich ihr. Sie hatten vor, die Vulkane der Insel zu zerreißen, ihr Feuer über Grönland zu tragen. Vergletschert lag der Süden der Insel. Hekla und Skapeterjökul hießen die Berge, die Schwefeldämpfe aus ihren Spalten von sich gaben. Der Mückensee dunstete im Norden mit vierunddreißig schwarzen Lavainseln; an ihm warfen aus weiten Bassins der Krabla und Leirhukr tiefblaue und honiggelbe Massen. Haushoch schossen die, prasselten in den Krater zurück, wälzten sich, gasten über die Abhänge. Meilenweit war die Wüste der Insel; Lavafelder, runzlig erstarrte Steinströme, nackte braune Blöcke, zerborstene Felsen. Verbrannte tote Ebene. In den Klüften der Laven standen spiegelnde Wasser. Springquellen warfen heiße Wassermassen. Am südlichen Rand der Wüste standen der Geysir und Strocker; in ihren weiten Wannen trugen sie helles grünes Wasser, das pulsierte. Von Zeit zu Zeit tosten die Wannen. Blasenwerfend richtete sich das Wasser auf, wölbte sich über den Rand der Krater, warf sich schluchzend zurück. Als die Kolonne des ruhigen blonden Schweden Kylin an der Spitze des Eyjafjords landete und die Insel überflog, – Wirbelwinde gingen über das Land, die brennenden Berge, die narbigen Felder, – fanden sie Menschenansiedlungen in der Nähe der Küste. Nahe dem Landungsplatz war eine Siedlung; Schafe und kleine Rinder wanderten auf Hügeln. Man mußte, was man vorhatte, ohne sie verrichten. Es war vorauszusehen, daß sie der Expedition feindlich gegenüberstanden. Kylin und seine Begleiter umschwärmten den Krabla am Mückensee. Er war tätig; auf Meilen dröhnte die Insel unter den Schlägen, mit denen das heiße Magma den felsigen Untergrund durchbrach. Die Beben rollten über die Insel. An toten Bergwänden sahen die hochkreisenden Flieger plötzlich Schlünde und lange schwarze Kluftreihen sich auftun. Oft mußten sie sich senken, von dünnen Schwaden eingewickelt, blitzrasch aufzucken unter dem erstickenden Andrang der Schwefelgase. Mit Wonne umflogen sie das stampfende gähnende Untier, das sich da unter ihnen am See hingesetzt hatte, das Land aufwühlte, die Oberfläche des Wassers wiehernd prustend zum Schäumen brachte. In diesen Schlünden wogte die unermeßliche Glut, nach der sie begehrten, die sie herausschaffen mußten. Um sie über Grönland zu werfen, auf den weißen bergetiefen Eispanzer, der trübe anlaufen dampfen zerreißen würde, die Gletscher vom Kap Grival, der Kangardlutsuak, die Aggasinsel. Island brannte. Es mußte stärker brennen. Eine wolkenschleudernde donnerlohende Feueresse war für sie bereitet. Wie Kylin östlich drehend in abendlichem Dunkel sich der Gegend des Landungsplatzes näherte, flammten und erloschen an der Küste kleine wie wimmernde Warnungszeichen. Zweieinehalbe Stunde sah Kylin mit seinen Gefährten, unruhig fliegend, auf einer Schutthalde landend, wieder hochjagend, die zitternden Signale aus der Nacht. Dann erloschen sie. In langer Kette, langsam, sehr hoch fliegend näherten sich die Kundschafter rauschend den schwarz im Mondlicht ragenden Klippen des Fjords. Die Wellen murrten herauf. Bei den schimmernden Zelthäusern des Landungsplatzes, auf einer sanft geneigten Wiese faßten sie Fuß. Sie liefen in der Helligkeit bergab. Stürzten über weiche Körper. Wie sie sich bückten zugriffen, die Leiber drehten, blickten sie auf dicke unbewegliche fremde Gesichter. Die Zähne waren zum Lachen entblößt, die Zungenspitze vorgestreckt. Losgelassen fielen die Körper zurück, rollten auf den Rücken, die andere Schulter. Eine Gestalt löste sich von einem Zelt, lief auf sie zu, führte sie abwärts. Die Eingeborenen des nahen Dorfes waren zudringlich geworden, hatten nach den Absichten der Expedition gefragt, hatten vier Seefahrer weggeführt als Geiseln, daß nichts geschehe und die Fremden rasch wieder abführen. Da hätten die Seeleute zum Schein die Schiffe bestiegen, die Geiseln zurückgenommen und bei Einbruch der Dunkelheit mit dem balearischen Licht die Küste abgetastet. Das war das Licht, das durch die Haut der Menschen drang, sie wie eine Schellackmasse umgab und abschloß. Von ungeheurem Hunger nach Sauerstoff wurde das Blut erfüllt. Ins Zittern gerieten die Menschen, ihr Herz stürmte, die Atmung vermochte nicht zu folgen. Sich selbst verzehrend, während das Blut aus den Gefäßen trat, hellrot, rosarot aus Mund und Nase, stürzten die Menschen hin in die Blutlachen, die noch am Boden quirlten, Blasen warfen und nicht gerinnen wollten. Am Morgen nach dieser Nacht warf man die fünfhundert Leichen, dazu Kadaver der Rinder und Schafe in den plätschernden Fjord. Finster saß der blonde Kylin vor seinem Zelthaus, den Blick auf den purpurnen Boden, hörte das endlose Traben der Leute, die immer wieder Körper vorbeischleppten, jetzt Säuglinge und Kinder aus dem Dorf, die sie von einer Klippe im Schwung in das aufspritzende Wasser sausen ließen. Als ein Windstoß ihm spitzen Sand ins Gesicht warf, den flachen Hut seitlich hinlegte, stand Kylin auf, rief Begleitung, schlenderte seewärts. Von den Schiffen stiegen neue Menschen herauf. Kylin lief in Zorn und Widerwillen. Der starke Prouvas fing ihn bei den Schultern auf. „Kylin“ brüllte der lustige Mann, „das ist ein Tag. Ihr seid noch am Leben. Wir glaubten, Ihr seid die ersten, die über den Feuertopf stolpern werden. Noch vor dem schönen Grönland.“ „Prouvas, ich bin nicht lustig.“ „Es scheint. Wärest uns auch beinah in das Licht geflogen.“ Ein noch fetterer ganz in schwarzes Leder gehüllter Mann umarmte Kylin: „Huah. Wind auf Island. Der Boden wackelt erbärmlich. Auf den Schiffen ist es lustiger. Wir freuen uns, daß du lebst.“ Kylin konnte nicht vom Boden aufsehen: „Wie ist das gekommen, Prouvas. Mit dem Licht. Wer hat befohlen, das Licht anzuwenden.“ Prouvas trat erstaunt zurück: „Das Licht? Hat es nicht gewirkt? Sie schleppen schon den ganzen Morgen. Komm rüber.“ Der im schwarzen Leder: „Keine Maus ist davon. Kylin scheint eine kleine Ladung abbekommen zu haben.“ „Ich bin nicht im Bereich des Lichts gewesen, Prouvas und Wollaston. Es sind sehr viele umgekommen. Das ganze Dorf.“ „Allesamt. Tiere mit. Das Licht hat keine Augen, sucht nicht aus.“ Kylin reckte sich, legte beide Arme über das Gesicht, schüttelte sich, spie. Leise gab er von sich: „Pfui. Es ist gut.“ Die beiden anderen schmetterten ihr langes Lachen heraus: „Nun ja, Kylin. Es ist gut.“ „Es war roh.“ Prouvas umfaßte den im Leder: „Da haben wir Marduk den Zweiten. Gründe ein Königreich, mein Sohn, aber nimm die Arme herunter.“ Der ließ sie sinken: „Erst kommt weg. Wieviel werden sie noch herausschleppen.“ Prouvas: „Du hättest es ansehen sollen. Es war mit den Scheinwerfern gut zu sehen. Eine Minute rannten sie, als wenn sie niesen wollten. Dann setzten sie sich ganz ganz langsam, einer wie der andere. Ich glaubte, sie weinten oder das Wasser lief ihnen aus den Augen. Und dann waren sie tot.“ Wollaston: „Sind es fünfzig, die hin sind, sind es fünfzig. Sind es hundert, sind es hundert. Sind sie tot, sind sie tot. Dableiben konnten sie nicht.“ Blinzelnd Kylin aus seinen grünblauen Augen: „Ich habe die Leitung.“ „Freut uns zu hören.“ „Ich habe die Leitung.“ „Es freut uns.“ „Ich habe von Menschenausrottung nichts gesagt.“ Brüllend Wollaston: „Haben wir es uns vorgenommen? Ich? Oder Prouvas? Haben wir Menschen ausgerottet? Die Leute mußten weg. Sie werden die letzten nicht sein. Wenn du schwach wirst, gib die Leitung ab.“ Ruhig Kylin: „Was meinst du, Prouvas?“ „Nicht Wort für Wort wie Wollaston. Aber ich habe die Lichtröhren bedient.“ Der im wattierten Fliegeranzug öffnete die Hände: „Einen halben Tag. Vertretet mich.“ Gegen Abend flog Kylin an das draußen liegende Geschwader. Seine Schwester, die mit der Expedition fuhr, hatte den Tobenden beruhigt, der immer beteuerte, er ekle sich, hätte sich mit Vieh eingelassen; er schließe sich den englischen Siedlern an, gehe zu Zimbo. Auf Stunden war Kylin der Sinn der Expedition entschwunden. Er heulte, es sei Lüge, was sie trieben. Beim ersten Schritt, den sie täten, sei es klar geworden. Wie er vor seinem Flugzeug stand, faßte er sich fragend lächelnd an die Stirn: „Schwester, sie müßten mich in Brüssel sehen. So müßten sie mich sehen. Wie einem in den Knochen steckt, was Marduk und die andern sagen. Treiben wir Unfug?“ Aber die Schwester umfaßte ihn, ihre Augen funkelten: „Es ist vielleicht ein Unfug, Brüderlein. Aber auch noch mehr. In manchen Augenblicken weißt du es auch. Nachher wirst du es wieder wissen. Hörst du die Vulkane? Sieh sie an. Wir werden sie fassen. Denk, Brüderlein, wir werden sie fassen.“ Sie schob ihn auf seinen Sitz, griff nach dem Steuer, lachte: „Gönn mir die Freude zu steuern.“ Die Schiffe umfuhren Island in nordwestlicher Richtung. In der Höhe der stoßenden Krabla und Leirhukr ankerten sie weit in See. Der Anblick labte das Geschwader. Die Küste von Ingolfs-Höfdi bis herauf nach Glettinge Nes strichen die Flieger ab. Ufer Inseln Hinterland waren frei von Menschen, die Lavawüste südlich rauchüberschwemmt. Von den Mutterschiffen jagten die Flieger auf, maskengeschützt, darunter Dutzende Frauen, immer in Gefahr, von dem aufblasenden Feuer verbrannt oder gesengt zu werden. Sie nahmen Bilder der furchtbaren Landschaft an der wirbelnden See auf, durchsegelten mit ihren Metallflügeln die Lohe, senkten sich in Pausen herab, schossen davon. Weiter südlich stellten sie neue Schwefeldämpfe Kraterbildungen an Punkten des Mittellandes fest. Springquellen stellten ihre Tätigkeit ein. Statt dessen rieselte schmauchte Gas aus Rissen Klüften; dazu Rumoren, dumpfes hohles Rollen. Kylins Expedition konnte ohne Furcht vor menschlicher Störung angreifen. Es war sicher, der Vulkan stand über einem ungeheuren feurigen Magmaherd. Man brauchte sich nicht drum zu bekümmern, ob die Herde abgekapselt in der harten Erdrinde, in einer Höhle steckten, eine Blase des großen schmelzflüssigen Magmas, oder ob das Erdmagma selbst, der Nickelstahl des Erdleibs das ihn umkrustende, auf ihm schwimmende Siliziummagnesium durchbrach. Man mußte darauf losstoßen. Und die Erde kam ihnen entgegen; das Geschwür war im Begriff zu platzen. Man verständigte sich mit den nachfolgenden Geschwadern. Unter dem Brüllen des gähnenden Krabla, zischendem Aschenregen fand am Hunafjord in einer Bucht eine Begegnung der Führer der Kolonnen statt. Kylin hielt sich zurück. De Barros vom zweiten Geschwader wies in die Richtung des Krabla: „Da hört euch das Ding an und meine Stimme. Können die beiden gegeneinander aufkommen? Nein. Seht meinen Kopf an oder meine Hand und den Krabla. Oha, der ist groß, der Krabla. Schluckt sechstausend, sechs Millionen Menschen und wird davon nicht dicker. Wir wollen mit dem Goliath reden. Er wird prahlen mit seinem Kopf, mit dem Wanst, wird toben. Indianergeschrei. Eins in die Flanken und er ist hin. Bleibt nichts von ihm wie ein Schutthaufen.“ Der biegsame Kylin, der lange elastische oft finstere Hauptführer der Expedition, hatte sich wieder gefunden. Er war ein stolzes klares Wesen. Er zog, auf den Rauch schielend, die glatte kurze Oberlippe hoch: „Dies wird der Anfang sein. Es ist gut, ja es ist gut, daß wir uns zusammengefunden haben. Schlimm, so weit von den Kontinenten. Aber kein Schade. Wir werden vielleicht selber – wie Vulkane uns über die schlafenden und blödsinnigen Kontinente machen, samt ihrem Inhalt und ihrer Auflagerung.“ Und er träumte: Besinnung, endlich, bei Island. In der Breite von sechzig Kilometer Luftlinie nahmen die Arbeitsschiffe Stellung an der Nordostküste der Insel. In den Tistillfjord fuhr eine östliche Gruppe. Vor der Halbinsel Rifstangi angesichts des kahlen Svalbardberges ankerten Kylins Mannschaftsschiffe. Bis zum Eyjafjord unter den Schneestürzen des Rimar dehnte sich die westliche Gruppe. Der Sturm peitschte unablässig das Meer. Die Schiffe waren Kolosse von der Höhe eines Berges. Rückwärts und getrennt von ihnen schwankten flachere runde kleinere: hier lagerten Maschinen Apparate Vorräte Erden Sprengmaterialien Metalle; dies waren die technischen Beischiffe. Die Geschwader entnahmen ihre Antriebskräfte den gewaltigen Kabeln, die die Arbeitsschiffe selbst auf ihrem Weg hinter sich herzogen und von Skandinavien über den Schelf des Festlandes, den Abgrund der Tiefsee, die arktisch-schottische Bodenschwelle gespannt hatten. Die Kabel, in Isolatoren gebettet, trugen von Strecke zu Strecke Entnahmewülste. Der Draht, der von oben nach ihm suchte, das Kabel abtastete, in der Flachsee von Booten geführt, hakte und haftete mit seinem Kopf in dem Wulst fest. Wühler und Reiniger liefen dem Ladedraht vorauf, schoben die Sandmassen vor dem Draht beiseite, glitten anhebend an dem Kabel entlang. Ein Ladestrom vom Ort eröffnete den Wulst. Und schon schwollen die Energien der fernen Länder, die Gewalt der Katarakte in dem erzitternden Kabel hoch, warfen sich über die aufschmetternden Maschinen, tosten durch die Schiffe. Nördlich vom schwarzen aschenbestreuten Myvatn, dem Mückensee, raste und fauchte unsichtbar der Krabla. Und neben ihm Leirhukr. Jubelnd blickte Prouvas von der Höhe des Svalbard über die Schnellen und Wirbel des klippenversenkten Jakutsa zu dem Vulkan herüber. Zur selben Zeit lachte zehn Meilen von ihm am Rimar, auf der Höhe des stummen staubbesäten Myrkarrgletschers der breite Wollaston. Er trampelte auf dem Boden, bis das Weiß des Schnees hervorkam. Stieß mit seinem Stock in den Schutt: „Daß du herauskommst, Gletscher! Myrkarr, großer Myrkarr! Daß du uns ansiehst. Es gibt ein Spektakel. Seitdem du auf den Beinen bist, hast du so eins nicht gesehen. Der Krabla spuckt noch. Bald ist es kein Spucken mehr. Er streckt die Zunge aus dem Hals. Hat sich ausgejagt.“ Er erstickte fast im Qualm: „Bald sieht keiner was von euch, Krabla und Leirhukr.“ Als das mittlere Geschwader zum Brückenbau schritt, hatte der Sturm aufgehört, Windstille mit Regen war gekommen. Die Insel rollte wie sonst. Der Qualm zog hoch nach Osten ab. Die Feuersäulen leuchteten durch die Nacht. Sie schlugen Brücken von Axarfjord herauf zur Höhe des Burfell, von der Spitze der Rimarhalbinsel über die Hügel weg auf den Gipfel des Rimar, von der Rifstangihalbinsel am Tistillfjord auf den Svalbard. Die Brücken stiegen schräg auf aus der Meeresbrandung, dann schwangen sich die weiten lichten Fluchten der Viadukte ins Land, über Bäche die von Bergen schäumten, über Geröllhalden Moore tote Laven, durch die nebeldurchzogene regenverhangene kühle Luft zum hohen Svalbard, zum großen Myrkarrgletscher, zum zackigen Rimargipfel. Die Pfeiler und Widerlager rammten sie nicht in den Boden. Metallflieger stiegen auf, ließen sich zu zwanzig dreißig auf den Klippen, an den Abhängen nieder. Sie schlugen grob Schutt und Steine beiseite, wühlten mit Spitzhacken und Hämmern, brannten flache Löcher in dem Felsen frei. Da hinein legten sie die dünnen Platten, die, unscheinbare blaugrüne leichte Scheiben handgroß viereckig, kleine Schilder, vor ihrem Brustleder hingen. Die Scheiben schlossen sie zum Laden an den Zweig des Kabeldrahtes an, den sie mit sich führten. Und schon, wenn es in den Platten knackte, ließen sie sie los, auf das flache Loch fallen, schwirrten davon. Die Platten, aufeinander gepreßte Blätter, glühten. Das oberste geladene Blatt strahlte schmolz. Und wie sich seine Masse mit der des zweiten Blattes mischte, stieg ihre Hitze. Die brünstig ineinander brennenden ersten und zweiten rissen das starre dritte in den Brand. Knisternd spaltete sich das, tropfte seitlich und an der Bruchstelle, um plötzlich erweichend mit einem Schrei sich in das Feuer zu geben, das weiß niedrig immer bläulich durchsichtiger wurde. Und wie die pfeifenden keuchenden streng und starr sengenden saugenden sich rund rollten, bog sich das letzte Blatt, streckte sich wie in einem Krampf, schlug sich um, gezogen gespannt zu einem haarfeinen Glas, einer schillernden Haut um die singenden drei. Die Kugel wuchs hoch, weiß, blauweiß, hellblau, dehnte sich, dehnte sich. Schmelzend zersprang sie und im Augenblick war jede Farbe aus dem armhohen Brand verschwunden. War nichts da als ein strenger starrer befehlender Hauch, ein Röcheln. Und schon war alles weggerutscht von der Felsplatte, abwärts gesunken in den Fels hinein, metertief gestürzt. Sein Leben im Brand von sich gebend verdampfte verstöhnte es in der Tiefe, während über ihm gallertig der geschmolzene Fels auslief. Die kreisenden Flieger stießen auf die schmelzenden wieder gerinnenden Felsen herunter. Rammwagen fuhren an die gischenden Öffnungen, bohrten hochausholend Pfeiler in die schmorende Masse, hielten sie, bis das Zittern der Luft nachließ, der Felsbrei glasartig die Pfeilerfüße umklammerte. Pfeiler auf Pfeiler wurden über das Land im Gestein gegründet. Eine Pfeilerreihe vom Lager Kylins überquerte den Jakutsa. Eine Reihe stieg vom Axarfjord über den Burfell. Eine Reihe wuchs gewaltig vom Rimar her, griff über den Myrkarrgletscher, stieß zum Skjalfanda; auf dem qualmschweren Odadablachfeld machte sie halt. Es war ein breites steingegossenes Wesen, das hier wuchs; Nachbarstück berührte Nachbarstück. Über dem Fundament waren aufgepflanzt ringförmige Trommelträger, die Rollenlager trugen. Von Strecke zu Strecke konnte das bewegliche Tragwerk, eine Pfeilergruppe bedeckend, auf seinem Drehtisch hereingeschwenkt herumgeworfen werden, das Fahrgut gerettet, die Pfeiler entblößt werden. Mit mächtiger Lichtweite übersetzten die fliegenden Brücken das Gebiet von dem tosenden Meer bis zum schwarzen Myvatn, dem See. Unter ihnen lagen tief im Rauchschwall die gespaltenen graublauen Gletscher, die Geröllebenen, Täler mit schmaler Sohle und felsig abstürzender Lehne. Furchtlos rannten die Pfeiler vor gegen das speiende Plateau der Vulkane. Es war keine Woche um, da sausten die ersten Wagen auf Schienen, die sie selbst um sich warfen, über die glatte Fahrbahntafel. Überrollt war der Zug und unterrollt von dem bogenförmig langgespannten, hoch vor- und zurückgedehnten Paar Schienen, die als langgezogenes Oval die Wagenreihen zu Häupten und Füßen überrundeten. Zwei Ringe umsauste sie der Zug, der die stählernen um sich drehte, immer neu überrannte, von oben her zu seinen tretenden Füßen herabriß. So überdonnerten sie die Brücken, blendende Lichter vor sich werfend, bei Tag und in der völligen Finsternis des Rauchs und der Nacht, den magnetisch in die Brückentafel eingetragenen Spuren folgend. Unter den frisch einsetzenden Böen wurden aus den Schiffsbäuchen der drei Geschwader geschleppt, auf Wagen geschoben und montiert die Maschinen, vor denen vergehen sollten der Krabla, der gurgelnde Vulkan, und der Leirhukr, das dampfende bergezerreißende gasende Unwesen. Kylin hatte in die Maschinen neue Kräfte eingespannt. Er war aus Marduks Schule. Wie Marduk die Bäume auftrieb, ihr Leben in furchtbarster Weise reizte, so zu tosendem Wuchs und Überwuchs zwang, so hatte der schwedische Schüler die Gesteine und Kristalle bewältigt. Er hatte das Futter gefunden, mit dem man Gesteine speist. In hingerissenen Stunden hatte er das Sprießen und Sichfügen der Kristalle geschaut. Das Wachsen der Schneenadeln der Eisblumen auf der Glasscheibe aus dem hauchenden Atem war sein erstes Wunder gewesen. Und wie er den langen großen Marduk, den Botaniker, mit trockenem Samen Keimlingen langhaarigen Wurzeln Reisern abgeschnittenen Laubblättern arbeiten sah, – unter dem Anhauch der Nährgase und Reizlösungen streckten sich in den Stengeln die Gewebsstränge, Siebe und Gefäße, die Vegetationskegel der blassen Tannennadel trieben ihre Wülste aus, Zellhaut legte sich über Zellhaut, – überfiel Kylin der Wunsch, auch mit seinen Steinen und Kristallen so zu spielen. Es war etwas Üppiges Freches Niedriges in dem Wunsch, aber es zog ihn dahin; das hitzig trübe Gefühl lag über ihm. Ja, er fühlte sich, vor den Schwemmkästen und Heizröhren liegend, in die er seine Kristalle eingespannt hatte, herausgefordert; sie gediehen nicht wie er wollte; er mußte Herr werden. Mußte sie wie Tiere jagen können; ist ein Stein mehr als ein Pferd? Hitze, wechselnde Lösungen, elektromagnetische Kräfte verhängte er über sie. Bis hier und da etwas anfing in ihnen biegsam zu werden. Dann tastete er sie mit Strahlen ab, die von ihnen abprallten, die sie durchließen, sie kalt ließen, zum Erhitzen brachten. Er erkannte, daß diese Steine empfindlich waren und sich auswählen ließen von Hitze Druck und Strahlen wie Tierrassen von einem Blutserum. Es kam nicht auf die zufällige Kristallgestalt an, sondern auf die kleinsten Teile, auf die Urwesen, die sich in den Kristallen gefesselt hatten, auf die Art, wie sie sich verschränkt, gelagert, gebunden hatten. So konnte man sie auftreiben, ihre Verwandlung durchspüren, wie man wollte. Auf den rundlaufenden, brummend anziehenden, höher und höher singenden Schienen jagten an einem Nebelmorgen die schlanken Maschinen über die weitgespannten Brücken. Kaum zwei Meter hoch waren die Maschinen, flach und lang wie die Wagen, auf denen sie montiert waren. Sie hatten am Kopf Durchbohrungen, Augenlöcher, die sich mit dem Kopf zur Seite, nach oben und unten wenden konnten. An fünfzig erwählte Männer und Frauen lagen an jeder Maschine. Die Luft war von schwirrenden Fliegern erfüllt, die weder der Aschenregen noch die Furcht vor dem Kommenden zurückhielt. Der Jökulsafluß mit seinen Schnellen brauste in seinem sandigen Bett. Weither von einem Laufgletscher kam er, schmutziggrau wälzte er sein Wasser an dem tobenden Krabla vorüber. Wenn sich der Rauch vom Myvatn, dem See, hob, wurde die Linie des dunklen Lachsflusses sichtbar, der wie ein gepeitschter schreiender geifernder Dämon aus dem See fuhr, hochgebäumt, von Lavabomben überschüttet. Er überrannte zertrat sie, ließ sie seitwärts fallen. Man hörte bis zur Höhe das kehlige Röcheln des rüttelnden Wassers, sah die ingrimmige Gischt über die Blöcke spritzen. Schwarz und still lagen hinter ihnen die Spitzen der Fiski-Ebene. Die Berge ruhten um die Vulkane. Da kam, während sie eben noch ruhten, ein sonderbares Leben über sie. Als zuckten sie leicht mit den Wimpern, schlossen die Lider, zuckten wieder mit den Wimpern. Der Krabla begann. Und bald fing der Leirhukr an. Ihre Ostwand Nordwand Westwand verschob sich, ihre Lasten ruckten, ruckten höher, als jucke sie etwas. Ihre schweren Wände, den zierlichen Brückenpfeilern zugewandt, wurden überrieselt von einem Steinsturz, der nicht nachließ, der die Wände mit einem Nebel umhüllte. Der Nebel nahm zu. Und während er sich im Kreis ausdehnte, von den Bergen wegwuchs, hörten sie auf den Brücken ein Krachen, das über alles irdische Ausmaß war. Ein unendliches Schurren Grollen Dröhnen, das mit seinem gleichmäßigen Anwachsen das Schnattern und Prasseln des Vulkans überscholl überstieg, so überstieg, daß niemand wußte, wie es zum Himmel aufwuchs, aus welcher Richtung es kam. Es brummte und brüllte aus Süden Westen Osten Norden, und doch brüllte es nur von den Wänden der Vulkane, die hinter den Steinstürzen langsam in die Höhe stiegen, als höben sie sich, von einem Beben gehoben, aus dem weichen Boden empor. So wuchsen die Wände, wie wenn einer langsam den Finger hebt. Wie ein Schlafender sich aufrichtet, langsam den Rücken gerade biegt, die Arme aufstemmt, den Blick noch nach unten, träumend; die Zunge drückt er an den Gaumen und schmatzt. Unter den Blicken von Kylins Maschinen wuchsen sie, von ihnen gesteigert gebläht. Hinter den wallenden immer tieferen Steinschleiern, an den hebenden Wänden stürzten die toten Lavablöcke, die die Blicke nicht anfaßten, rannen abgeschüttet die gefalteten krustigen Lavaströme, zerbrechend, wie Schiefer polternd, knirschend, sich an sich selbst zerreibend. Die Wände dehnten sich hoch und hoben sich von einem unsichtbaren Kern ab wie Blasen. Der Krabla, der träge, bekam Beine. Sein Steinmantel überrieselte schon den schmutzigen Jakutse, der von dem Askjagletscher abschmolz und heranfloß. Die Steine und Laven, die schwarzen porösen Auswürflinge tanzten noch eben über die Wasserfläche, wühlten die sprühende Fläche auf, und schon hatten sie den Fluß in Kilometerbreite überlaufen, ihn bedeckt, schon wulsteten die Steinmassen aus dem Flutendrang empor, war der Fluß verschüttet, verbarrikadiert, vom Meer abgeschnitten. Im Norden und Westen umging der Steinschleier die Bergwände. Westlich des Krabla rauchten die Wände des Leirhukr. Die Löcher in den alten Schuttfeldern stopfte der Steinregen aus, drückte und trümmerte nieder die mannshohen Tuffhöhlen. Da knickte die Spitze des Krabla, stürzte ab. Keinen Laut hörte man davon unter dem gleichmäßigen Brüllen und Rollen der sich dehnenden Berge. Und zugleich erlosch der steile Feuerstrahl des Krabla. Schwarzer Qualm wirbelte an seiner Stelle, der sich heftiger und heftiger ballte, in rauschenden Stößen hochschnellte, meilenhoch den erstickten Krabla überlagerte. Da waren zugleich die Wände des Vulkans, die wachsenden, immer höher sich hebenden, von neuem abstürzenden, hinter den Steinschleiern schattenschwarz in ein Wiegen und Rollen gekommen, wie ein Laken, an das der Wind schlägt. Diese Berge wandernd waren keine Berge mehr. Wuchsen in die Höhe, rückten in das Land, über die splitternden Lavafelder, an die Ufer des Myvatn. Dampften und flammten. Flämmchen, bläulich und grün, erschienen zauberhaft verstreut auf ihnen. Das blitzte wie Bergmannslampen auf, erlosch, blitzte wieder. Darunter wogte rollte die Wand des Vulkans, des wolkenhohen Riesenschiffs, das in das schwarze Land einbrach. Häufiger, massenhaft, während die Berge sich dehnten, züngelten die Flämmchen; oben neigte sich von neuem die aufgetriebene aufgetürmte Bergmasse, stürzte in den Krater, den qualmbrodelnden, lautlos ab. Urplötzlich mischte sich in das ungeheure Dröhnen und Murren ein tiefurtiefes abgrundtiefes bodenentstandenes Schnauben Hauchen. Ein Schmauchen Blasen wie aus einem Kessel. Langsam ließ es nach, lähmend schwoll es an. Dabei flammten ununterbrochen die grünblauen Lichter auf den schreitenden Bergwänden. Gelbe Flammen brachen zwischen den grünen hervor, zuckten stachen geradeaus, drehten sich um sich selbst. Ungeheuer schwarz wirbelte der Rauch über den verschütteten Vulkanen. Da Riß Schlag Schlag Knall. Zerschleudert die Bergmasse, zerstäubt Krabla und Leirhukr. Glühendes erdweites Auflohen, feuriges Anblaffen des Himmels. Fliegende Basalt- und Granitblöcke, auf- und abschießende Lavabomben. Unter Tosen Absinken der Bergmassen. Es war niemand mehr von den Menschen in der Nähe. Die Züge zurückgerasselt, die Brücken abgeschwenkt. Der Krabla und Leirhukr waren noch eben zwei Vulkane; der Erdboden zwischen ihnen war verschwunden. Ein Feuersee lag zutage. Ein Spalt war in der Erdhaut. Der Feuersee lief in den Myvatn, ihn auszudörren. Aus dem Riß der Erde ergossen sich Glutströme, geschmolzenes Gestein aus dem Erdinnern, dazu der brennende Leib der zerrissenen Vulkane. Brüllend nahmen die Flammenströme ihren Weg ins Land. Im Süden standen noch schwankende angestrahlte Wände der Vulkane, zerklüftet verstümmelt. Sie bröckelten stürzten über, legten sich in das heiße saugende Bett. Nach Süden überrannte der Feuerstrom das Land bis zum Fuß des mächtigen Blaffjal. In den schwarzen Myvatn wälzte sich der Feuerstrom; drang in das Wasser bis auf die Tiefe des Sees, die er entlang kroch, ohne zu erlöschen. Das Wasser faßte er mit seinen Zähnen an, verschluckte es. Es siedete und verdampfte auf seinem Rücken. Er sprang am Boden des Sees herum. Zerschleuderte zerfaserte zerpaffte sengte, was ihm in den Weg kam. Blutrot sein langer Schlangenleib. Er raste durch die ganze Seenbreite an das südliche Ufer. Während an dem verfinsterten Himmel der Glutschein sich ausbreitete, weißer und weißer wurde, sammelten sich die Führer auf dem Schiffe De Barros’ an der Nordküste im Axarfjord. De Barros grunzte vor Freude, umarmte Kylin, den blonden schweigenden: „Kylin, die Welt wird von dir reden. Die Erde redet schon von dir. Hör diesen Dialekt. Bist du noch traurig über die Weiblein und Kindlein?“ Das harte glatte Gesicht des Schweden: „Ich bin nicht traurig, De Barros.“ De Barros tanzte mit dem dicken Prouvas: „Kylin, was ist mehr: ein Mensch oder ein Berg? Ein Mensch oder ein Vulkan? Ist ein Vulkan nichts? Wir klagen dich an des Mordes! Haha! Des Mordes an zwei Vulkanen. Alsdann an einem niedlichen schwarzen See, ferner an einem ausgewachsenen Fluß.“ „Laß das, De Barros.“ „Ich bin für Ordnung und Gerechtigkeit. Und wieviel Tiere hast du geröstet erstickt erdrückt verstümmelt und läßt sie unbeerdigt und bringst ihnen keine Hilfe. Da sind die Spinnen, die in den Bergritzen saßen, eine halbe Million an der Zahl. Sechsunddreißigtausend junge und erwachsene Fliegen, nebst ihrer noch lebendigen Vor- und Nachkommenschaft. Familien, Mütter. Hingemordet, erloschen. Wie konntest du das, wer konnte das! Und in den Flüssen die Lachse, die Mücken auf dem See, und der Farn, Moos, das Gras auf dem Boden: vorbei. Ruchlosigkeit, Ruchlosigkeit. Haha! Kylin, vor dem Gott der Mücken wirst du einst erscheinen, vor dem Gott der Lachse der Fliegen der Spinnen.“ „Ich lach’ ja gar nicht, De Barros“, Kylins Schwester blickte glückselig auf den flammenden Himmel, nach rückwärts sich überbiegend. Sie lachte, ohne Kylin anzusehen, stolz: „Ja, was ist mehr, ein Vulkan oder ein Mensch?“ „Ein Vulkan.“ Den Tag über quollen die weißen heißen Massen aus dem Leib der Erde in Bächen und überschwappenden Katarakten. In wütendem Rasseln übergossen sie die alten starren Lavafelder am Skalfandafluß. Die kurze fauchende Nacht verging. Das fahle Sonnenlicht war wieder am Rand der schwarzen und braunroten Wolken. Durch die rote und schwarze Finsternis der Insel schlugen die brennenden Aschen, rieselten durch die heiße schwefel- und ammoniakgeschwängerte Luft. In den Eyjafjord versteckten sich die menschlichen Angreifer. Von den Felswänden begannen Lawinen zu rutschen, das Meer aufzupeitschen. In die Luft mit Masken aufsteigend warfen die Angreifer Böen vor sich, unter sich gegen die verstümmelte heulende Erde. Weggerissen wurden die trägen Rauchwolken vom Boden; sie sahen und maßen die Weite der nackten Feuerschlote unten, der zackigen Riesenschlünde, die senkrecht in die Tiefe des geborstenen Bodens führten. Die Insel zitterte, schüttelte sich angstvoll, gepeinigt. Zwischen dem ausgedörrten Myvatn und dem atemlos hintosenden von Schmelzwasser überladenen Skalfanda tat sich, während sie flogen, plötzlich ein meilenlanger, das alte Seebett durchquerender Spalt auf, neben dem niedrige Kegel in Reihen hochstiegen, wie von einer Faust aufgetrieben. Braunen Schlamm und Dampf keuchten sie. Das Wogen Stoßen des Bodens ließ nicht nach. Knarren und Knistern rollte die Spaltenränder entlang. Sie sanken wie schmollende Lippen ein. Die Kegel gaben minutenlang keinen Atem von sich. Und während die Spalte sich wurmartig warf, wuchs geräuschlos an ihr ein Kegel auf, breit, breiter, nahm an seinen steigenden Wänden die anderen mit, überstieg mit seinem Fuß die ausgefüllte Spalte. Das Land zog der unaufhörlich getriebene Kegel rechts vom Ufer des Salmflusses mit. Und hundert Meter, tausend Meter ansteigend, schwefeldampfumhellt, zerriß die Spitze des neuen Vulkans, wie ein Kanonenrohr zerreißt. Der Himmel heulte, gelb und schwarz, mit einem viertelstundenlangen Schrei, von Laven- und Feuerauswurf in mächtigen senkrechten Strahlen angespritzt. Der Salmfluß verdampfte in den Lavaströmen, wie der Jökulsa östlich vom Myvatn verdampfte. Der gewaltige Skalfandafluß, von den ewigen Gletschern des Trölladyngja genährt, warf seine breiten eisigen Massen gegen die neuen Feuerläufe: auflohte der Strom zu weißem Dampf. Das Feuer lief sein Bett entlang; sie fuhren dem gewaltigen Strom in den Rachen und machten ihn hin. Er staute sich, vom Meer abgesperrt, nicht auf zu einem See. Als Luft jagte er in die Höhe; die unauslöschliche Hitze trieb ihn, er mochte stürzen wie er wollte, kilometerhoch über sich; der eisige Sturm oben trug ihn nach Westen an die ungeheure See. Island war verschwunden vom Jökulsa bis zum Skalfanda. Vor den beiden tobsüchtig anzüngelnden Strömen aber war das heiße Erdinnere hochgestiegen. Hatte wie ein Riese erst einen Fuß auf die Treppe gesetzt; die tastende Hand war sichtbar, er war im Begriff höher zu steigen, durch die Luke zu treten, sich sprengend nach allen Seiten Platz zu machen. Noch war nicht ein Tag vergangen, seit die kleinen fleischernen Angreifer die Berge Krabla und Leirhukr zusammengestürzt hatten. Da lohte Island auf Meilen im Geviert aus zwei strahlenden Riesenbecken, östlich und westlich des Skalfanda. * * * * * Das Odadahraun, das Lavafeld der Missetaten, lag zwischen den strahlenden Becken. Es war hundert Quadratmeilen groß, zog sich im Süden des schwarzen Myvatn zwischen dem Skalfanda und Jökulsa hin. Kohlschwarze Lava war sein Boden. Schwarzer vulkanischer Sand überflog ihn. Die Brandschlacken waren wie Eisschollen übereinander verschoben. Stumm standen in seinem Süden die Krater des Dyngjafjölls und das weite Gebirgstal Askja mit einem dunkelgrünen See. Die Krater des Dyngjafjölls murrten schon längst; das Tal Askja hatte seinen See verschluckt. Dafür war Feuer aus seinem Boden getreten, der Schein erlosch manchmal, in das wüste Odadahraun zischten dünne Aschen herunter. Die Geschwader verließen die Nordküste, gingen von Osten die Vulkane des Odadahraun an, in das die Feuerströme der geborstenen Krabla und Leirhukr sich entleerten. Der Vopnafjord schnitt tief ins Land; aus dem Vopnafjord warfen sich die ersten Brückenreihen vor. Die Brücken hatten einen ungeheuren Weg zu durchlaufen. Von Süden kamen andere hervor, aus dem Mjosifjord, aus dem Reidarfjord. Die Menschen drangen, während die Insel unter dem Schlagen der Vulkane erzitterte, über die Gletscher der Ostküste, deren Höhen von Aschen bestreut waren. Vulkan neben Vulkan zog sich in nördlich-nordöstlicher Richtung nach dem lebenden Lavafeld der Missetaten. Erwacht waren der große Dyngja Herdubreid Tögl. Der große Dyngja hatte einen Krater von sechzehnhundert Meter im Durchmesser, den sein eigenes Geröll verstopfte. Er brannte aus einem Schlot in der Mitte. Freistehend mit steilen dunklen Wänden der breitschultrige Herdubreid. Mit einem Schneedach war der Bergriese belegt; Flüsse rannten daraus hervor. Der uralte Skjaldbreidur; sein Krater schachtelförmig, maß zweihundert Fuß im Durchmesser; er war seit einem Erdzeitalter erloschen; Eis hatte sich über ihn gelegt, von dem waren Wasserfluten zu Tal gefahren. Der Berg schnob und gurgelte. Er hatte die Lava hergegeben, aus dem das schwarze gewaltige unheimliche Odadahraun geschaffen war. Er zischte, aus Rissen seiner östlichen Wände kamen lange Rauchfäden. Er rollte und stieß. Die Angriffszüge überrollten die eisigen aschendurchwehten östlichen Bergketten. Die Brücken waren untereinander verbunden; alle Züge konnten, wenn Brücken hinter ihnen zerrissen oder verschüttet wurden, Nachbargleise suchen. Die Angreifer hatten einen Schutz der Wagen und kostbaren Maschinen vor den heißen Auswürflingen geplant. Aber man sah, daß auf dem wogenden flammenbergenden Boden weder Pfeiler noch Wagen ernsthaft zu schützen waren. Die Schiffe zentrierten sich nach Ablassen der Zerstörerzüge südlich des Vopnafjords hinter Gebirgsvorlagerungen in der Heraldsbucht. In diese Bucht wälzte sich schmutziggrau herunter der Brückenfluß. Aus drei Gletscherquellen gespeist zwang er sich durch die Klüfte; Bäche stürzten von rechts her in sein Bett, Sand häufte er neben sich auf; sandig glatt waren seine Ufer, wo er sich dem Meer im Osten näherte. Neben ihm lief der Lagarfluß, aus einem viertausend Meter hohen Gletscher quoll sein milchig weißes Wasser. In Katarakten ergoß er sich, seenbreit erweiterte er sich, schüttete, wie er in die Heraldsbucht trat, Gletscherkies und Lehm von sich. Vor die weiten Mündungen der beiden Flüsse legten sich die Schiffe der Geschwader, warfen nicht Anker; ihre Antriebsmaschinen blieben in voller Arbeit. Der Wind ging scharf vom Land her. Der feine Aschenstaub flog über das Gebirge an das Wasser. Weit hinten in See dämmerte der Morgen. Mit Ruck und Stoß betraten die Wagen ihren gezeichneten Weg auf den Brückentafeln. Krachend zogen sie an, schmetterten Pfeiler auf Pfeiler ab. Die Schiffe in der finsteren Heraldsbucht steuerten langsam ostwärts in See hinaus. * * * * * Das Gestein der Berge jenseits der Küstengletscher, im Süden des schwarzen zitternden Odadahrauns, trank noch gierig die Säfte, die ihm der Schnee eingab, der mit Tonnengewichten auf ihm lag. Die Quellen der Ströme ließen sie über sich herlaufen; die Kraft, die aus der Erde kam, schüttelte an ihnen, tot lagen sie, verwitterten; unendlich lange Zeit hatten sie, dünne Dämpfe ringelten zwischen ihren Körpern hoch. Da war den Steinen, als wäre jeder von ihnen bei seinem Namen aufgerufen. Basalt war die mächtige Decke, die über dem Boden des Atlantischen Meeres erstarrt war. Sie bedeckte fünfhunderttausend Quadratkilometer. Schottland Island Grönland erhoben sich auf ihr, tausend Meter war sie dick. In Treppen und Bänken lagerte sie hin, mit verkittetem zertrümmertem Tuff bestreut. Sturm und Wasser verwitterten ihre Oberfläche zu brauner gelber Wacke. Auf Island, der Insel des fünfundsechzigsten Breitengrades, hatte sie die Kegel und Kuppen der Berge gebildet, Gjaus, die Spalten gezogen, die von Süden nach Nordosten strichen, der steilwandige Spalt am Myrdalsjökull, die Lakispalten mit hundert Kratern. So standen die Berge da, Gemenge geknetet mit Gemenge wie eine Wiese, über die ein Sämann hundert Keime von hundert Arten wirft, die aufschießen, sich verfilzen. Die Gesteine waren zusammengeknirscht, zusammengeschauert, nachdem das Feuer sie losgelassen hatte. Nichts wuchs in dem wüsten Gemenge; sie wucherten noch unmerklich leise, das langsam lösende Wasser tat mit ihnen, Hitze und Kälte, der Druck der Schwere über ihnen, um sie. Chalcedon und Zeolith lag in den Blasenräumen des Basaltes. Seine dunklen Massen, meterdicke Kugeln Platten Fächer hielten fest die zerdrückten grünschwarzen Olivine, das Titaneisenerz, den eingewühlten Augit, Plagioklas. In den Bändern der tiefen Gesteinsgänge verschränkten sie sich glasig ineinander. Jetzt kam über die geronnenen Wesen etwas, das von Art der Flamme war. Wie wenn ein Mensch, der jahrzehntelang in der Fremde herumgeworfen wurde, um die bittere Notdurft des Lebens Tag um Tag rang und nichts als das Ringen Rudern Schlagen unter den Fremden mehr kennt, eines Mittags einem unbekannten Mann begegnet. Der übergibt ihm einen Brief von Hause, spricht ihn in der heimatlichen Sprache an und fragt ihn, was er so lange getrieben habe, er möge doch wiederkommen. Oder wie eine ungeliebt verheiratete Frau, die lange Zeit neben dem widerspenstigen rohen Mann lebt, ihm Kinder auf Kinder trägt, schon selber stumpf und gehässig ist, wie wenn sie sich plötzlich in einer Krankheit eines Jugendfreundes besinnt. Und er kommt, – es ist einer da, oh Wunder, der ihr die Bettdecke zurechtrückt, der ihr die Schnabeltasse an den Mund hält, während er mit der rechten Hand den schwachen Rücken stützt. Sie atmet stürmisch, und wie sie gesund wird, ist eine Stunde da, wo sie inmitten der kleinen Kinder in der Stube sich dem fremden Onkel an die Brust drückt, ihn küßt, ruhig küßt, und er führt sie mit den Kindern aus der Tür hinaus. Wie ein Volk, das vor Jahrhunderten besiegt und zerschlagen wurde, dessen Männer und Frauen sich zerstreuten, die Sprache wurde verboten, der Volksstamm verhöhnt, seine Sitten lächerlich gemacht; als Sklaven gingen die Männer in fremde Dienste, ließen sich in fremde Kriege führen. Und eine Anzahl fiel ab, glänzte in den fremden Völkern, die sie verachteten. Wie in einem solchen Volk heimlich junge Männer und Frauen auftreten, halbe Kinder; die treten zornig leidenschaftlich den Alten ihres Volkes unter die Augen in geheimen Zimmern und sagen: sie hätten genug von ihrer Feigheit, von den Beschwichtigungen, womit man sie füttere, von dem Beschimpftsein und Getretensein. Sie würden ihr Leben gegen die Schande einsetzen. Und sie wandern herum, verteilen Blätter, reden heimlich. Ein Rauschen geht durch das Volk, durch alle kleinen Familien, durch die Mädchen, die fremde Stuben sauber machen müssen und den fremden Männern zum Opfer fallen. Und eines Tages ist ein Krieg da. Und eines Tages sind die Straßen frei. Und eines Tages weht eine Fahne von den Dächern, eine neue Fahne. Und durch die Straßen jubeln Züge in einer Sprache, – in welcher Sprache, – in der verspotteten siegreichen Sprache. Und alles weint hinter den Fenstern und auf den Straßen. Dies ist eine Stunde, wo die Toten der vergangenen Jahrhunderte ein Zittern befällt. Und sie flattern zu den Lebenden aus ihren wüsten unbezeichneten Gräbern in ungeheuren Scharen und sie ziehen mit in dem singenden Zug. Tausende, Tausende singen mit, fliegen den Fahnen voran und halten die Fahnenbänder und küssen den jungen Marschierenden die schmutzigen Stiefel und die Mützen. Wie diese, Männer und Frauen und Volk, wurden die Felsen Bergkämme Krater Höhenzüge die todesstummen eisbedeckten riesigen Häupter ergriffen. Wurden angefaßt wie das Schloß von dem Schlüssel und mußten gehorchen. Folgten summend und alles wurde im Bersten licht um sie. Erweicht wurden der große Dyngja Herdubreid Tögl Skjaldbreidur. Und wie murrend der Einsturz der Berge begann, die Angreiferzüge die Berge losließen, Brückenweite auf Brückenweite überflogen, war es auch schon zu spät. Die Luft, noch schwarz und eisig hauchend, wurde rot aufgespalten. Glut und Blockauswürfe. Finsternis von tiefster Schwärze legte sich über die Hochflächen. Rütteln Rollen Wallen der Erde. In der Schwärze unter sich sahen die fliehenden Züge noch die braun überschütteten Schneefelder vor dem Senorfjall sich heben und senken, von Wasser schäumen wie einen schlammigen See. Dann zerriß die Insel vom Fuß des Herdubreid nach Osten bis zur Heraldsbucht. Das Sandtal zwischen Brücken- und Lagarfluß sank. Das Meer durchsetzte die meilenweite Fläche von der Heraldsbucht bis zum Kyarkfjöll vor dem Angesicht des gewaltigen Vatnagletschers, begrub sie in einem einzigen Schwall. Verschlungen die Züge, die von den Kyarkfjöll und Askja die Heraldsbucht erreichen wollten. Mit Brücken Pfeilern Trommelträgern Fahrbahntafeln ins Meer gefahren. Das Beben lief über die Heraldsbucht hinaus. Lief, eine mauerhohe meilenweite Flutwelle hochbäumend, einen Orkan vor sich drängend, über die springende eiskäuende See. Zwanzig Längengrade lief es nach Osten, drang in die aufdonnernden skandinavischen Fjorde ein. Das Wasser stürmte schwarz in Bänken mit ungeheurer Geschwindigkeit. Lautlos versanken in dem Schäumen und Rasen Teile der Fär Öer. Die häuserhohe Flutwelle schlug an die schottische und irische Küste, brüllte gegen Dänemark, staute in den Kanal laufend die Elbe auf. Sie rollte um Jütland durch das Kattegatt. Die flache Ostsee schwankte bis in die Finnische Bucht. Der schrille aschenwerfende Wirbelwind strandete vor den skandinavischen Bergen. Über Island aber war die Finsternis vergangen. Der Feuerstrahl, der aus den Herzen der Dyngja Herdubreid Askja fuhr, ließ es sich nicht genug sein, das weite nördlich hingedehnte dem Skalfanda angelagerte Odadahraun zu verbrennen. Die westlichen Gletscher des Hofjoküll und des Langjoküll hauchte er an. Und wie ihr Eis zu Tal fuhr, riß, durch Dämpfe gelockert, der schwere Basalt über ihnen. Sie lohten wie der Krabla und Leirhukr. Ihre schwer wankenden Köpfe stürzten ab in die vom Meer aufberstende Spalte. * * * * * In der Stunde, wo die Insel vom Fuß des Vatnagletschers bis zur Heraldsbucht aufriß, wußten die Männer und Frauen auf dem europäischen Kontinent, daß etwas Ungeheures Vernichtendes geschehen war. In dieser Stunde liefen plötzlich die Maschinen, die Kraft in die untermeerischen Kabel warfen, leer. Die Kabel, die die Expedition versorgten, zerbröckelten auf Kilometer unter dem aufkommenden Tiefengestein der See, von untermeerischen Lavamassen zerrieben. Wie ein Stier mit aufgeschnittener Kehle, mit peitschendem Schwanz daliegt und noch fürchterlich röchelt, so hauchten die Kräfte aus den Kabeln über die kantigen Steine und das Wasser. Milchig quoll vom Boden das Wasser hoch. Pflanzen Quallen Fische lähmte der Strahl. Es röchelte in der Tiefe aus dem Kabel, beruhigte sich nicht. Einen Tag war Totenstille in den festländischen Stadtschaften. Da wurden in Höhe Kopenhagens die ersten Flieger gesichtet. Sie kamen, schwarz von dem vulkanischen Staub, der in großer Höhe über Europa getragen wurde, forderten neue Schiffe Flugzeuge Menschen. Angst hatte sich der Senate und städtischen Völker bemächtigt, wie das See- und Erdbeben anlief, der finstere Staub unablässig aus großen Höhen herabrieselte und es nicht Tag werden wollte. Die Boten schlugen die Furcht nieder. Kaum berichteten sie von den Vorgängen. Sie sprachen für Kylin De Barros Prouvas, die alle drei noch lebten. Die Senatoren waren verblüfft von der strengen verschlossenen Art der Boten. Sie waren selbst kampfgierig; der kalte Ernst der Boten beunruhigte sie leise. Ein neues Geschwader verließ die Shetlandsinseln. Das schlackenschwemmende Meer überfahrend, in die Schwefeldünste einlaufend längs der Ostküste Islands, – eine dampfende, grün und gelb zuckende Masse im Ozean, – gerieten sie in eigentümliche neue Strömungen und Strudel. In der Höhe des fünfundsechzigsten Breitengrades, bei der zwölften Länge wurde das Wasser flach, Riffe Klippen ragten über den Spiegel. Sie bogen östlich aus. Heiße Luftströme schlugen in die gleichmäßige Meereskühle ein. Meilenweit bogen sie aus, nach Norden dringend, schwankten unter ständigem Sandregen vorsichtig westlich, umfuhren eine unbekannte breite Bodenwelle, die ihnen bankartig den Weg sperrte. Mühsam tasteten sie sich nordwestlich vor. Der Sockel der Insel hatte sich unregelmäßig gehoben, dabei dünenartig ins Meer verbreitert. Nördlich der unglücklichen Heraldsbucht trieben sie. Vergeblich hielten sie Umschau nach Trümmern des letzten Angriffsgeschwaders. Der finsterrote Brand durchbrach den schweren Qualm, leuchtete ihnen die Nächte, die immer länger wurden. Obwohl der Mond schien, von dem die mitfahrenden Boten sagten, er leuchte auf Island fast so hell wie Sonnenlicht, war eine zum Schneiden dicke Finsternis um sie ohne die Vulkanfackel. Dünste zogen ohne Nachlaß von der Insel ab über das Meer. Sie wollten von dem Vorgebirge Langanes, der nordöstlichen Ecke der Insel mit einem schwachen Kabel, das sie hinter sich zogen, Funkzeichen und Worte nach dem Festland geben. Da merkten sie, daß das Entsenden der Sprachzeichen durch die veränderte Luft nicht gelang. Antwortzeichen trafen nicht ein; schon bei Proben auf wenige Kilometer verstanden sie sich selbst nicht. Die Luft war nahe den heißen Ascheausbrüchen, den vulkanischen Feuerstürzen von Strahlen durchwirbelt. Sie mußten Flieger aussenden aufs offene Meer, die viele Meilen ostwärts flogen, ehe sie die rings die Insel umflutende Spannungszone durchbrachen und Standorte für Meldungen nach dem Kontinent ermittelten. Die Schiffe suchten die gebrochenen großen Energiekabel ab. Jenseits des Ozeans ließen die Menschen Kraft in die Kabel einlaufen. Langsam mußten von Süden die Sucherschiffe das Kabel abtasten; sie stießen, im Norden es ergreifend, auf die Sandbank, die sie umfahren hatten. Ohne Zeichen verströmte die eingeworfene Kraft jetzt in die Bodenwelle. Eingeklemmt gewürgt gebrochen lag das große Kabel zwischen den Tiefengesteinen, glühte zerfraß den Sand. Die Sucherschiffe, von Süden vordringend, brannten mit eigener Kraft das Kabel aus dem Gestein, daß das hochsteigende Wasser sie von der Bruchstelle abtrieb. Zogen dann in weiten Bogen um die Insel, das Kabel verlängernd, bis sie westlicher des Langanesvorsprungs in den ruhigen Thistillfjord kamen, wo De Barros den Rest des Geschwaders massiert hatte. Die neuen Schiffe hatten erwartet, man würde ihnen entgegenfahren. Einsilbig fanden sie Führer und Mannschaften bei der Ausbesserung von Schiffen und Maschinen, bei der Zählung der Vorräte; sachliche Worte wurden gewechselt. Die Gesichter dieser Islandfahrer waren völlig schwarz, verschwollen. Das kleine pulverförmige Steinpigment, das die Vulkane von sich gaben, hatte sich in die bloßliegende Haut der Arme Hände Gesichter wie Tusche an tätowierenden Nadeln eingebohrt. Heftige Entzündungen waren davon ausgegangen. Am furchtbarsten waren die betroffen, die in den ersten Angriffstagen ungeschützt durch den Staub geflogen waren. Sie lagen und standen in den Schiffsbäuchen, stöhnend im Finstern; Backen Stirnen Lippen wulstig dick, Augenlider zugeschwollen. Und wo einige die Lider offen hatten, war die Hornhaut schwarz wie das Gesicht; die Bindehaut mit dem Steinstaub gespickt. Sie wagten nicht zu zwinkern, rissen sich mit dem Lidschlag das Innere der Lider wund; in den Augenwinkeln standen ihnen Blutstropfen. Das zweite Geschwader erfuhr, daß die Insel in ostwestlicher Richtung von der Heraldsbucht bis zum Kyarkfjöll, dann in südwestlicher von der Vopnabucht bis an das Vulkanfeld des Dyngja aufgerissen war. Das dazwischenliegende keilförmige Stück war überflutet. Die Vulkane hatten im Zentrum der Insel um das Odadahraun herum das Grundgebirge durchbrochen, mit Spalten Sprengtrichtern Explosionsgräben ihre Schlote riesenhaft erweitert. Die alten Krater waren eingeebnet. Neue Lavenkegel entstanden und versanken unaufhörlich. Die Kundschafter des alten Geschwaders hatten festgestellt, daß schon dickere Lavakrusten sich über das bloßgelegte Feuer breiteten. Wie Blut aus spritzenden Gefäßen gerann das Feuer. Aber aus der Tiefe der Insel und dem benachbarten Meer wurden immer wieder brennende losbrechende Massen ausgeschleudert. Die Geschwader teilten sich. Gruppen der alten und neuen Islandfahrer wurden unter neu gegliederte Züge gemischt. Eine Möglichkeit das zentrale Inselfeuer nach Westen zu erweitern bestand nicht. Der im Thistillfjord zurückbleibende Schiffstrupp übernahm die Aufgabe, die stärkere Verkrustung des ausgeworfenen Magmas zu verhüten, durch Aufsprengung das Feuerfeld zugänglich zu machen, das flammende Land zu überwachen zwischen Myvatn Odadahraun und Vatnagletscher. Anfang Juni verließ das Südgeschwader, geführt von dem strengen Kylin, den ruhigen Thistillfjord, ostwärts, dann südlich umbiegend. Hart und stumm war der blonde Kylin wie die andern. Hätte man ihn nach seinen Worten und Klagen bei der Beseitigung der Eingeborenen gefragt, er hätte sich nicht darauf besonnen. Die Wimpel, bunten Kostüme, mit denen die neuen angefahren kamen, waren abgelagert. Still waren die Transporter. Auf den technischen Schiffen fauchten die Maschinen. Maskierte rußbedeckte Menschen gingen herum auf dem ruhenden und fahrenden Geschwader. In Schlamm verwandelte sich das Wasser, das sie im Freien trinken wollten. Wenn einer ein Stück Brot im Freien in den Mund steckte, war es mit den spitzen Nadeln der Vulkane besetzt. Sie spien beim Essen. Aus den Schiffsbäuchen wimmerte es; die Blinden Hautkranken, dann die, die von den Schwefeldämpfen und der Einatmung des Staubes erkrankt waren, sich schmerzvoll die Brust faßten, husteten, husteten, Blut unter Räuspern und Winden aus sich warfen. Niemand sprach vom Kontinent. Man hielt stumm, sich verhärtend zusammen. Die Schiffe des Südgeschwaders passierten in langsamer Fahrt weit außerhalb der Rauchlinie der Vulkane die Höhe der Heraldsbucht. Sie sahen – die Masken nahmen sie nicht ab – die glühende Sonne am Horizonte aufstehen, von einem Ring umgeben. Mit blendendem Gold stieg sie hoch. Wolken loderten unter ihr in wilden Farben. Die Menschen schwebten über dem unermeßlichen stahlgrauen Meer. Und erkannten es nicht wieder. Es war nicht das Wasser, das sie auf der Herfahrt genommen hatten, das sie unter die Kiele ihrer Schiffe geworfen hatten. Sie spannten ihre Blicke auf das Wasser, das riesengroße wellige Ungetüm, suchten seine Tiefe zu durchbohren. Und schwiegen. Wenn die Nässe sie anspritzte, lachten sie nicht. Wischten sich ab, zogen sich zurück. Im Innern der Schiffe hockten sie, Männer und Frauen, die mit den furchtbaren Kräften der Maschinen umzugehen verstanden, träumten spielten schliefen. Ein aufschnellender Fisch erschreckte sie, machte sie nachdenklich, böse. Von Osten her umringten sie die Insel. Das Tosen hatte sich abgeschwächt. Es war, als ob sie hinter einer großen Schutzmauer liefen. Eine weiße Masse schimmerte Island herüber, in die wagerecht hinziehenden Wolken verlief es, das Meer trug diese weiße hingedehnte Masse. Dies war das Eisgebirge des Vatna; es hielt alle Schwärze und den Schall der Vulkane ab, der Staub überschritt seinen Grat nicht. Die Fahrzeuge der stummen Menschen westwärts steuernd näherten sich im aufschäumenden Wasser der Küste. Die Luft fing wieder an zu vibrieren. Aus den Schiffsbäuchen stiegen die Menschen. Die Zähne beißend hörten sie das entfernte Grollen. Flaches tiefbuchtiges Land. Das gelbe Sonnenlicht trübe umflossen. Ein eigentümliches fremdes Rot, das die Herzen der Menschen mit Trotz und Wildheit erfüllte, mischte sich, ohne zu weichen, im Nordwesten in die wechselnde Farbe der Wolken. Und wie die Dunkelheit einsetzte, stand allein dieses düstere erregende Rot am Himmel, das alle Menschen auf das Deck lockte, immer größer weiter heller, je westlicher sie fuhren. Die Fäuste ballten sie, wie sie das Rot sahen. Mit Triumphgefühl betrachteten sie das Wasser; sie zitterten, spannten sich, hatten die Zähne aufeinander. Ein wirbelnder Landwind jagte Wolken nach Süden, die Rauch von den Feuerherden schleppten. Nacht. Da scholl das tiefe Murren und Rollen an ihr Ohr, das sie seit dem aschenverhüllten Thistillfjord nicht gehört hatten. Brustbeklemmend, daß sie aufhörten zu lächeln, klein herumgingen, den Atem langsam entließen und einnahmen, so fiel sie das Murren an. Sie hatten es fast vergessen. Sie wurden herumgetragen durch die Kraft der schraubendrehenden Schiffe und ihren eigenen Willen. Und wollten näher heran. Da war es schon kein Rollen mehr. Es sprang knallend an, fiel polternd hin. Rummste an unsichtbaren Orten am roten Horizont. Aber von Zeit zu Zeit verschwand es hinter einem erstickenden, alles überschattenden, Schiff Meer Meer Feuerschein in Nichts verwerfenden Aufkrachen, hinter einem aufwühlenden grundgeborenen Getose, das nicht aufhörte, Meer und Land minutenlang rüttelte. Und wie es abbullerte, ließ es Meer und Land in Betäubung. Tobsüchtiges Klatschen der Brandung, grauer zuckender Himmel. An Deck geklammert, neben Masten Drähten Maschinengittern, sahen sie das Zusammenziehen der Küste, sahen, wie das Land aufhörte, Land zu sein. Die Ufer, langgestreckte Hügelreihen, der flache Strand tauchten in das anrasende Meer ein, das sich turmhoch aufhob, in einer schnurgraden schwarzen Flutlinie über sie herschmetterte, unter Johlen der fortgerissenen Luft. Dann war das schwarze nackte Land wieder da; die Hügel rollten von seinem Rücken herunter; der Boden zuckte, glättete sich gegen das Wasser hin. Die Schiffe drehten stärker seewärts. Als die Nacht vorüber war, waren sie in die Zone der Hekla und Katla getreten, der Feuerberge des Südwestens. Sie wurden ihrer nur angesichtig, wenn ein Seewind die Schwärze des Rauchs zerteilte. Heimvayz hieß eine von den vierzehn klippigen Westmannsinseln; vor dem seenartigen Erguß des Markerflusses ins Meer lag sie. Heimvayz war die größte der Inseln, eine halbe Quadratmeile im Umfang. Sie war früher von Menschen bewohnt; unter Schutt, zwischen den Lavabomben lagen zerschmetterte Hütten, eine Kirche stand weit offen da, die Türen unversehrt, der Dachstuhl eingebrochen, das Innere von Geröll wie ein Kasten erfüllt. In den Buchten Heimvayz’, einige Meilen vor der isländischen Südküste, schoben sich die hohen schweren Transporter obdachsuchend, in stickiger Luft. Dann stießen leichte Angriffsschiffe gegen die Küste vor. Der Myrdalsjökull stand ihnen gegenüber, das Sumpftalgebirge, achtzehn Quadratmeilen bedeckend, einstmals unter einer Eisschicht verborgen. Mächtig stand der Myrdal da, eine erwachte Vulkanmasse. Seine Rippen klafften, nach allen Seiten war der Bergblock aufgerissen. Dampf und Aschesäulen spie er und verhüllte sich. Die Katla hinter ihm im Land flammte düster; oft versank sie in ihrem Qualm. Sie brauchten nicht viele Brücken zu schlagen. Die Küste entlang schwärmend, von den heiß aschigen schwelenden Ufern drangen sie vor. Nahmen sich zum Ziel die feuerbrünstige Reihe der Vulkane am Skaptarfluß, vom Rand des Vatnaeises bis zum Thjorsar, wo die achtkuppige Hekla ihre Mauern und Terrassen, Schlund bei Schlund aufbaute. Der Herkules, der nahte, kam nicht um den Drachen zu ersticken, ihm anspringend nicht ermüdend Kopf um Kopf abzuschlagen, ihn unter die Füße zu nehmen, zu zerschlitzen, die geblähten Eingeweide in die Luft zu streuen. Er wollte das Untier reizen, Mäuler um Mäuler aufzusperren, Hals um Hals hochzustrecken. Seine Wut sollte es zeigen für ihn, seine Kraft wollte er ihm entlocken. Er hielt es an einem Band fest, zog es hinter sich her. Und eines Morgens machten sich die Transporter von der kleinen Heimvayzinsel los, setzten sich meerwärts in Fahrt. Zugleich richteten sich die stillen Augen von Kylins Apparaten auf die Gebirge. Die Hekla, den Kopf in den Wolken, machte einen Sprung, als wollte sie sich ins Meer stürzen. Ihre Wände, die sich getrieben aufgestellt hatten, die Mauern des Marklidar, die höheren Hilfall Grefjöll Malfall wurden zur Seite geschleudert. Über das brennende Land flog der Marklidar, der Bjölfall Grefjöll Malfall. Da versank der Torissee. Umgeschleudert wurde in derselben Stunde die Katla. Den Tjörsarfluß bedeckte der Tungna. Als am Vatnarand der Öräfaberg sich in seinem eigenen Feuer bog und drin verschmolz, stand keiner der Menschen, die das Geschwader um die Insel getragen hatte, mehr auf seinen Füßen, weder von denen, die jenseits der Westmannsinseln ins Meer flohen, noch von denen, die das Gestade entlang fuhren. Die auf den flüchtigen Schiffen wurden gegen Drähte Gestänge gestoßen, flogen über Bretter. Mit Masten Seilen Treppen, an die sie sich hielten schwirrten sie über die Böden. Die Schiffe machten plötzlich einen Satz nach vorwärts und dann noch einen, und einen zur Seite, wie ein Hund, der nach einem vorgehaltenen Bissen schnappt. Ihre Hinterleiber schnellten aus dem platten Wasser, die Schrauben surrten leer in der Luft, die Spitzen wühlten mit den Nasen in der See. Wühlten bei den landnahen Schiffen so tief in der See, daß die Leiber rückwärts sich schräg, fast senkrecht hochstellten, sich seitlich und nach vorwärts überschlugen, Menschen Tonnen Balken im Strudel hinterdrein. Die See hob sich auf den Druck der zerrissenen Luft langsamer, breit am Boden schleppend, schwer schwer über der Untiefe hängend. Die Schaumkämme der Wellen wurden angefaßt. Von den Ufern weggeblasen rollte sich die See wie ein Wurm zusammen, wulstete sich riesenhoch, lief, während es nächtig wurde, ein Schatten durch die Nacht auf das Land zu, loderte über Klippen, entblößten Strand, breite kochende Lavaströme, streckte sich über sie, zog sich entladen auseinander, gab alles frei, rollte sich wieder ein und, Trümmer Blöcke Geröll Aschen an sich nehmend, stellte sie sich auf, gebäumt höher höher wachsend, schlagprasselte in einem wallenden Sturz über das geifernde Land. Die Menschen, die von Europa aus den wimmelnden Stadtschaften herübergekommen waren und, um das Feuer aus den Vulkanen zu holen, auf den Angriffsschiffen die Küste entlang fuhren mit den zauberhaften Apparaten, in der Stille hergestellten listigen Maschinen, wandten sich ostwärts im Augenblick, als die Feuersäulen der Vulkanschlote erloschen. Da wurden ihre zarten Schiffe, Gebilde aus Stahl und Holz, während ein Urlaut vom Firmament herunterscholl, im Wirbel um sich gedreht. Auf die fluchtbereiten Flugzeuge warfen sich die kleinen taumelnden Menschenwesen, die der europäische Kontinent geschickt hatte. Sie flogen auf dem winzigen arbeitenden Gerät über den drehenden Schiffsrand seewärts, ostwärts, dem unbewegt stehenden Eisgebirge des Vatna zu. Sie fühlten noch über dem Wasser schwebend, wie sie etwas anfaßte, rückwärts seitwärts, an Hals und Nacken. Blitzrasch waren sie geknickt, wie Bälle in die Luft geworfen, hochgeweht zwischen die flirrenden knatternden heißen Gesteine. Von den rotglühenden Backen der Bomben zerdrückt, vom spitzen Sand zerknabbert durchlöchert. Auf den Vatnajökull, nach dem sie verlangten, wurden viele gesprengt, gebunden an ihre lustig laufenden Apparate. In das blauweiße Eis des Gletschers wurden die verschobenen verknäulten Leiber getrieben, fellgeschützte Hände, durch die noch ein Zittern lief, weitgeöffnete Augen Ohren, die nach jenem Urlaut nichts mehr hören wollten. Das Eis sprang unter dem schußartigen Anprall der ungestümen Menschengäste auf. Die Gäste, zu blutenden Kugeln zusammengepreßt, machten sich selbst einen metertiefen Gang, an dessen Ende sie ausruhten. Steine Aschen stopften sich neben sie. Auf Brücken hatten fünftausend Menschengeschöpfe, die Europa hervorgebracht hatte, den Lakivulkan, den Katlaberg, die Hekla wachsen, sich mit einem Steinregen umgeben sehen, wachsen, sich erweitern, wachsen, sich heben, zerbersten. Sie waren vom Feuer verschlungen worden. Sie lagen, als die Nacht um sie zerfetzt wurde von einem überweißen Schein, greller als nahes Sonnenlicht, sekundenlang rechts und links bei ihren Maschinen, gekrampft verschrumpelt, in sich geschlüpft. Brauchten dann ihre Muskeln nicht mehr. Schwebten wie Dampfsäulen auf mit Pfeilern Brückentafeln Rollenträgern Fahrgut Schienenwerk. Wurden von dem Feuer angenommen, ihrer Gedanken, menschlichen Natur, Leiblichkeit entkleidet, waren nach drei Sekunden nichts anderes als die gasende Lava: Wasserdampf Kohlensäure glühender Kalk. Das Land war in dem Augenblick, den Himmel Meer Schiffe Brücken Menschenwesen mit Tosen und rasenden Verwandlungen erfüllt hatten, antwortend auf die Frage der großen Glut, zu einem Feuersee geworden. Der See floß von der Linie des Tjörsarflusses bis zu dem Lakivulkane im Osten, nach Norden zum flammenden Tröllardyngar. Eingesunken in Flammen die Hekla, siebenhundert Quadratkilometer bedeckend, das ewige Schneefeld, von schwarzen Schlackenmauern gefeldert, in fünf Hügelreihen, sechs Terrassen sich aufbauend, Felsmauern längs der Vestri-Ranga, der Marklidar, dahinter der höhere Bjölfall der Malfall Grefjöll der Hauptgrat, die braunen verwitterten Schlünde. Der Raudukambur am rechten Ufer der Tjörsar versunken. Das Haupt des Myrdalsjökull. Der schreckliche Eyafjallarjökull. In die Katla hatte sich einmal eine Hexe geworfen. Da war der Vulkan ausgebrochen, hatte das Gletschereis zum Schmelzen gebracht. Das Land unter dem Katlagletscher war fruchtbar, Kühe weideten, kleine Pferdchen überschritten die Furten, schüttelten sich, warfen sich in den Sand. Der Berg hatte seine Sand- und Bimssteinmassen und die schwarzen toten Landschaften geschaffen, das Myrdalssandur, das Kötlisandur. Dann brodelten warme Schlammflüsse von ihm herunter, zuletzt löste sich das Eis selber, rasierte die grünen südlichen Hügel, schwenkte sie in die See. In Flammen eingesunken die Katla, Fjorde Buchten Seen verdampften, mit Schmelzfluß ausgefüllt. Der Brand überlief zwei Breitengrade, rauchte von der Skalfandabucht bis zum südlichen Vorgebirge am Myrdalsjökull. Die feurigen Massen gluteten im Osten den gewaltigen Vatna an, stießen ihren Hauch an die Ostküste, wo der Brücken- und Lagerfluß im Meer ertrunken war. * * * * * Als die Stöße der Luft nachließen, die Wasser gurgelten und richtungslos pendelten, warfen die nach Süden vorgestoßenen Führerschiffe Flammen und Farbensignale über das Meer. Durch den Hagel der Steine, die schweren Schatten der Aschengüsse leuchteten die Zeichen. Vergeblich. Weiter in See sausend, ihre Schiffe suchend, die farbigen Rufe in aufhellender Luft wiederholend, sahen sie eine Gruppe von Schiffen sich ihnen von Süden her nähern. Sie wurden aufgeklärt von der Flottille, daß weiter westlich nur ein kleiner Haufen Schiffe zu sichten sei, schwer durch Blöcke verletzte Gefährte, die mit den Wellen kämpften. Die Führer gaben Weisung, mit ihnen in Fühlung zu bleiben, stürzten südwärts, entsetzt über die Verluste. Sandten Flieger vor sich. Die berichteten nach kurzem Suchen: eine ganze Abteilung Schiffe fahre in Kiellinie ihnen voraus, biege eben westsüdwestlich um. Eine zweite Meldung lautete: es sind unbeschädigte Schiffe des Geschwaders, Transporter und technische Schiffe. Mit Flammensignalen Sirenenrufen suchten Führer und Flieger das wildfahrende vordere Geschwader zu verständigen, daß es zu halten habe, um in Fühlung mit den Führern zu treten. Das Geschwader antwortete nicht, raste gejagt mit höchster Kraft vorwärts. Da warfen die Führerschiffe ihre geübtesten Flugzeuge aus, die nach wenigen Minuten das vordere Geschwader kreuzten, sich in laufender Fahrt auf Schiffe niederließen. Die Flieger, die Weisung hatten nach erfolgter Erkundung und Abgabe von Befehlen Bericht zu erstatten, kehrten nicht zurück. Die Schiffe wandten nicht. Das Tempo der Fahrt verringerte sich nicht. Ein Einzelflieger, ein Kapitän, von den bestürzten Führern bestimmt, ein Raketensignal zu geben, wenn ihm irgend etwas bei der abgesprengten Flotte rätselhaft oder verdächtig erschiene, gab eine lange Stunde nach seiner Ankunft kein Zeichen; dann brannte das Signal auf. Die Flotte vorn war auf der Flucht. Die Führer versammelten sich auf De Barros’ Schiff. Der schwere De Barros erfuhr vom Zustand seines eigenen Geschwaders. Die Menschen, Männer und Frauen, vom Entsetzen betäubt. Sie standen herum, weinten, lagen apathisch, krochen in die Kabinen, zitterten sperrten die Münder auf. Eine kleine Anzahl war frisch, beriet sich überall flüsternd. Sie erklärten, als der Verdacht der Flucht der Südflotte bekannt wurde, sie gingen nicht davon; sie würden die Fliehenden zurückholen. Prouvas, still wie die anderen Führer, vernahm Wendungen wie nach dem Unglück in der Heraldsbucht und noch gesteigert: man werde die Arbeit verrichten, man ließe davon nicht los. Er hörte sie einen nach dem andern an; er prüfte sich selbst; ihre Worte kamen ihm übertrieben und nicht ganz richtig vor. Er zitterte nicht, fand sich gewillt nicht loszulassen, aber etwas war nicht ausgesprochen. Besser war der Satz eines der Männer: er ginge nicht von dem Feuer, er wolle zurück. Das war etwas. Ingrimmig bestimmte De Barros: die südliche Flotte wird nicht nach Europa entweichen. Man war weit in See, hatte die Rauch- und Aschenzone verlassen. Es war möglich über den östlichen Verbinderschiffen, dem Standort für Kontinentalmeldungen, sich mit dem Geschwader im Thistillfjord zu verständigen, beruhigende Aufklärung zu geben, zugleich um Hilfe beim Einfangen und Abriegeln des flüchtigen Geschwaders zu bitten. Wie man weiter vorwärtsstieß, lag vor ihnen eines der großen Transportschiffe der Flüchtigen, leck, im Begriff zu sinken. Der Kapitän dieses Fahrzeuges gab Zeichen: man solle sie nicht verfolgen; die Bemannung hätte selbst das Leck gebohrt. De Barros betrat das Schiff. Die Gebrochenen hatten die Oberhand. Die Menschen bewegten sich wie Betrunkene. Niemand weinte hier. Sie blickten von den neu Ankommenden weg oder stierten sie ausdruckslos an. Einige waren geneigt jeden, der sie fragte und berührte, anzufallen. Viele standen grinsend, manche gähnten. Es stank auf Deck und auf den Treppen: Überall lagen Haufen braunen und gelben frischen Menschenkots; die Menschen rochen nach Kot. Einige standen in Urintümpeln und hockten darin; aus ihren Hosen, über die Schuhe lief es. De Barros fragte, wer das Leck gemacht hätte. Der Kapitän schloß die Augen: „Ich. Mit anderen.“ „Warum?“ „Es ging nicht anders.“ De Barros trat näher an ihn: „Es ging nicht? Es geht. Sieh mich an.“ Der junge Mensch machte die Augen nicht auf. „Ich will, ich will nicht.“ De Barros wurde gedrängt ihn zu nehmen und zu umfassen: „Du willst doch.“ „Nein, ich will nicht. Ich ertrag nichts mehr. Nicht nochmal.“ „Wir ertragen es alle. Sag, ob du willst.“ Mit den Stumpfen fast Vertierten konnte De Barros nichts anfangen. Er mußte sich vorsehen, daß man ihn nicht niederschlug wie vorher seine Flieger. Er hielt den Kapitän am Arm: „Sie haben eins auf den Kopf gekriegt. Sie haben nichts ausgehalten. Sieh nicht hin.“ Der ging entsetzt mit ihm. Das Gros der fliehenden Schiffe hatte inzwischen weiten Vorsprung und war im Begriff sich mit den Sprechstationen Skandinaviens und des Festlands in Verbindung zu setzen. Angriffsschiffe De Barros’ flogen hinter ihnen her. Die Angreifer warnten durch Zeichen: „Ergebt Euch!“ De Barros trieb die Angreifer in Wut vor. Neue Warnungszeichen. Und dann sahen die Todmüden Verwirrten auf den fliehenden Schiffen das ruhige Meer, das sie eben nach Frieden lechzend befuhren, sich gegen sie erheben. Es knatterte auf der Wasseroberfläche; der trübe Himmel erleuchtete sich hinter ihnen. Nach einer zuckenden Erhellung sahen sie, das Grauen der Vulkane noch im Blut, eine schwarze breite Wolkenmasse über dem Wasser begehrlich auf sich zu ringeln. Das Meer, eben ihre Zuflucht, war klirrend von De Barros aufgerührt; die Wolken auf das Meer heruntergebogen rasten schwarz und steinern, Schaum vor sich rollend an. Dieses Meer, das sie trug, schüttelte an ihnen. In der schweren Finsternis warfen sich die Flüchtlingsschiffe. Erduldeten das dröhnende kerzengrad in Strudeln um sie aufstehende Wasser. Durch die brausende Finsternis schlichen, Helligkeit um sich streuend, die Erkunderboote De Barros’. In einer knappen Stunde war das Geschwader besetzt. Scharen der Besatzung sprangen kopfüber in die See. Mehrere Schiffe sanken, bevor man sie erreichte. Man wandte zurück nach Nordwesten. Das Winseln auf den gefesselten Schiffen. So brüllten die gebundenen widerspenstigen Menschen unter Deck, daß De Barros auf offener See halten ließ und mit einer Handvoll Männer und Frauen die tobsüchtigen Fahrzeuge betrat. Er mußte eine Anzahl erbitterter Menschen ins Meer stürzen lassen. Den Unterführern gab er Befehl, weiter Ordnung zu schaffen. In Haufen wurden die Weinenden und Verängstigten, zusammengebunden, auf zwei besondere Transporter geschleppt. Inmitten des Geschwaders fuhren die beiden Transporter unter weißen Fahnen. In die Zone der glühenden tosenden Insel traten sie wieder ein. In steigender Erregung umfuhren sie die Ostküste Islands. Sie wußten, was sie beim letzten Angriff bezahlt hatten; sie wollten den Gewinn kennen. Schweigend begegneten sich an der Nordostküste die Hauptmassen beider Flotten. Keine Kenntnis nahmen die Zurückgebliebenen von den beiden weißbeflaggten beiseite in einen Fjord gesteuerten Schiffen. Und wie sie noch von Schiff zu Schiff Mitteilungen austauschten, wurde von der norwegischen Küste gemeldet, es seien einige hundert Lastflugzeuge mit Besatzung unterwegs; und darauf: eine neue Flotte verläßt eben die Häfen. Das Festland hatte in den Stadtschaften mit Schmerz Zittern Verwirrung die alarmierenden Rufe der fliehenden Südflotte empfangen. Die Senate nahmen den Tod der Führer an. Einsilbige Meldungen der Nordflotte unter Kylin klärten sie dann auf; nichts als neues Menschen- und Sachmaterial wurde gefordert. Befreit und doch zögernd gaben sie es her. Man wußte nicht, was dort oben vorging. Großartige halberfundene Gerüchte von der isländischen Operation streuten sie aus. Von den Stadtflüchtigen ballten sich mehr und mehr in Erwartung in den Zentren. Die Senate selbst hatten das Gefühl, daß die Ereignisse im Norden trotz aller Verluste die Gerüchte noch übertrafen. Aber der zitternde Schrei des flüchtenden Islandgeschwaders lähmte sie, und tiefer erregte sie, wie die Führer und die Masse der Expedition sich jetzt verhalten würde. Heimlich hofften sie, sie würden mit fortgerissen werden, diese gefährlich Stillgewordenen würden weggeschwemmt werden. Da kamen die Rufe der unerschüttert weiter drängenden Nordflotte. Das neue Geschwader ging ab. Die Senate fingen an, auch schweigsam zu werden. Bei der Nachricht von der Ankunft der neuen Schiffe gab De Barros Befehl, die beiden Weißflagger sich zu überlassen, jede Berührung mit ihnen zu vermeiden; und dann: er habe an diesen beiden Schiffen kein Interesse. Die Unterführer begriffen die Gefahr, die von den entgeisterten anklagenden wirren höhnenden Menschenrufen ausging. Sie entfernten die bewachende Mannschaft von den Fahrzeugen. Eines Nachts waren beide Schiffe im Thistillfjord verschwunden; man hörte nichts mehr von ihnen. * * * * * Turmalin hießen die Steingeschlechter, die der grobkörnige Granit in Gängen und Adern hielt. Magnesium nahmen sie auf, dann wurden sie braune Dravite; pechschwarz unter dem Eisen zu Schörlen; gelb blaßgrün waren sie Achroite, die Natrium in sich trugen. Sie lagerten im Albanygranitgebiet, in Neuhampshire, am Dach des englischen Dartmoor. Bor Kieselsäure und andere Urwesen hatten sich in ihnen angesiedelt und mit ihnen auf dem Erdboden niedergelassen und hingebreitet. Wenn Wasser Dämpfe Gase auf diese Geschöpfe eindrangen, verwandelten sie sich in hellen Glimmer, wucherten über Saphire weg. Man kannte die säuligen langgestreckten streifigen Glieder dieser Geschlechter, wie sie aus den Felsgängen kamen, gebogen geknickt spröde brechend, mit Pyramiden an den Enden ihrer Körper. Strahlenförmig hatten sie sich im Gestein versammelt; oft saßen sie lose eingesprengt neben den Familien der Topase und Quarze. Sie waren von eigentümlicher Empfindlichkeit und Reizbarkeit. Die Wärme ließ sie elektrisch aufzittern; dies hatte man schon lange beobachtet; über die Enden ihrer Leiber dehnte sich die strahlende Spannung. Man war darauf gekommen, sich der Turmaline zu bedienen um Wärme, die lose verschwimmende flüchtige Kraft, in die strengere feste der Elektrizität zu drängen. In Texas Brasilien, auf den britischen Inseln hatten die Stadtschaften für die Grönlandexpedition Felsen abgetragen, Ganggranite sprengen, Turmalinlager aufstapeln lassen zur Verarbeitung bei dem belgischen Mons. Das zertrümmerte Gestein wurde gereinigt, die getrennten Bergarten geschmolzen, umkristallisiert. Man fertigte schleierartige Gebilde aus ihnen an. Die Völker der Turmaline hingen, Geschöpf neben Geschöpf, elastisch schwingend da aneinander, in schlanken Säulen; fremdes Mineral trennte Kristall von Kristall. Sie waren es, die das strahlende Feuer der Vulkane an sich saugen sollten, ihre Glut in den Fluß der Elektrizität verwandeln, den sie dann später wieder auf Grönland in lockerer Glut aushauchen sollten. Schleier auf Schleier des Gewebes wurde bei Mons gegossen. Die Lager der zertrümmerten Ganggranite verminderten sich. In die Hallen ungeheurer Schiffe wurden die elastischen scheckigen Kristallgespinste verfrachtet. Sie konnten jedes Feuer der Erdoberfläche fassen. In den Frachtern, die nach Island fuhren, hingen sie ausgespannt. Eine gabelförmige Spalte teilte auf, was von Island übriggeblieben war. Sie zog von Süden zum Trölladyngja, legte sich nach Norden dem Skalfandar entlang, nach Osten parallel dem Kyarkjöll. Wo der Krabla und Leirhukr gestanden hatten, im Süden die achtkuppige Hekla, die entsetzliche Katla wogte ein Feuersee. Unregelmäßig schossen aus seitlichen Explosionsgräben Feuergarben. Die ganze zu Tag liegende Masse hob und senkte sich gleichmäßig; sie pulsierte, wogte dröhnend, den frischen Steinpanzer zerreißend, lavengischend, stieg rieselnd in die Erde zurück, schwarze Klüfte freilegend. Lichtweiße Dampfballen traten an die Oberfläche, die wie flüssiges Metall gelbrot gelbbraun schwer wallte. Mit den Dampfballen tanzten glühende Lavastücke auf dem See. Eine Weile trieben sie über dem verhüllten Spiegel, nach Süden und Norden. Dann während sie rechts und links zerflossen, ballten sie sich an einer Stelle, blieben stehen, wurden dichter höher, schwollen zu Bergumfang an; der ganze See erzitterte, der Boden der Insel schwankte. Der See erhob sich wie ausgebeult unter dem weißen Dampfberg. Tumultuarisch regte er sich, peitschenartig schlugen fliegende Steine aneinander. Zu ihrem hellen Getön trat Poltern, Rücken, orgeltiefes Murren. Mit einem Donnerlaut platzte die Dampfmasse auseinander, wurde über den See und die Berge der Insel getrieben. Lavamassen stürzten aus dem rüsselförmig aufgestürtzten See; in Säulen und Garben wurden sie hochgetrieben, fächerartig ausgedehnt. Das wogende Feuer sank, mit weißen Wölkchen spielend, wieder ein. Die Geschwader beim Thistillfjord und südlichen Myrdalsjökull ankernd, die Frachtschiffe mit den Turmalinnetzen hinter sich, vermochten unter den Bombenauswürfen, den Gas- und Lavaexplosionen der glühenden See sich nicht seiner Oberfläche zu nähern. Man schickte von verschiedenen Seiten Fliegerflottillen gegen den See vor, die ihn erst ohne Last, dann mit ausgespanntem Turmalinschleier kreuzten. Von Rifstangi im Norden drangen Flottillen vor, aus der Vopnabucht von Osten in die Gegend des alten Herdubreid, dessen randliche Trümmermassen in das Feuer absickerten. Die Flieger hatten schreckliche Verluste; jedoch litt niemand zum Verzagen darunter. Zu jeder Tätigkeit drängten sich die Männer und Frauen; die Verluste waren schmerzlich, wurden aber fast begierig zur Kenntnis genommen. Alte und neue Islandfahrer waren in einem Gefühl zusammengeschweißt. Die Schleier, über der wühlenden Erde, dem aufberstenden und zurückfallenden See durch keine Pfeiler ausspannbar, mußten über die Oberfläche feuernah geschleift werden. Sie zerrissen, tauchten ein und schmolzen, stürzten mit den Fliegern ab. Dazu veränderten sich schon Seeteile in beängstigender Weise. Die Vulkane, erst erfüllte einheitliche Feuerbecken, zogen Schlackenmauern zwischen sich, häuften Wälle im See auf. Es schien als ob in der Tiefe Reste der alten Vulkane lagerten, die im Begriff waren ihre Leiber neu aufzubauen. Die Einbruchsfelder der Berge traten um den Myvatn in verschwommenen Linien schon wieder hervor. Unabsehbar weit ergossen sich die Lavaströme über das Land. Durch die Dämmerung des Tages quollen sie schwarzblau, die Nächte durchstrahlten sie weiß. Sie liefen sich in steinernen Säcken fest, die sie selbst um sich legten. Teile des alten Thistillgeschwaders rissen die Säcke auf, trieben Gase unter die Sackhaut, mit denen sich die glutende Lava freisprengte. Und wie die Ströme quollen, meilenbreite Bänder, über die sich neue schoben bis zur Höhe mehrerer Häuser, so daß der Boden im durchflossenen Gebiet sich anhob, versahen sich die Fliegergeschwader mit Böenbomben, die ihnen den Rücken gegen Aschen und Blöcke freimachen mußten, und mit Eis dunstenden Masken. Sie zogen ein Netz von Pfeilern am Skalfandar entlang nach Süden, über den Hofsjökull, parallel dem verschütteten Tjörsarfluß nahe der gestürzten Hekla. Eine zweite Pfeilerreihe richteten sie am Gletscherwestabhang des Vatnamassivs auf, nach Norden über den Kyarkfjöll das Meer erreichend, wo es aus der Heraldsbucht den Lauf des alten Lagarflusses bedeckte. Eine dritte Pfeilerreihe lief im Halbkreis vom Axarfjord im Norden zur Gegend des Myvatn, am Dyngjafjöll, Herdubreid vorbei. Sie hatten den Feuersee mit den Pfeilern allseitig dicht umspannt. Es begann die fürchterliche todheischende Arbeit über der dampfenden immer wieder aufspringenden Masse, den kochenden See mit den Schleiern geschwaderweise zu überfliegen, die Schleier an den Pfeilern aufzuhängen. Blitzrasch mußte man vorgehen, besondere Augenblicke an jedem Ort abwarten bei dem Vorstoß von Westen zu den Pfeilern nach Osten, von der Myvatngegend zu den Pfeilern am Vatnanordabhang und am Kyarkfjöll. Häuserhoch schwebte der ausgespannte blinkende Kristallschleier über dem Magmasee. Darunter fuhren zu seinem Schutz, Böen um sich schleudernd, die Menschen der alten Nordflotte, sprengten erweichten die grauen rahmartigen Schalen, daß der weiß und gelb gleitende Strom zutage trat. Und schon zuckten von den Pfeilern die Gurte mit den Turmalinvölkern herunter, wie Möwen auf den Fisch, der an der durchsichtigen Oberfläche schwimmt, schnellten gedehnt geschwellt knisternd hoch, wurden seewärts von den Pfeilern abgezogen, schwebten auf kaltes Land und auf Schiffe, während schon neue Fluggeschwader sich zum Vorstoß anschickten. Aschen und Gase brunsteten aus dem Feuerabgrund, die weißen Wolken perlten auf ihm wie Schweißtropfen, zerflossen unter den Böen. Jenseits der Pfeilerreihen, in Meeresnähe, hatte man Hallen zur Aufnahme der geladenen Turmaline erbaut. So groß war die Spannung der geladenen Schleier, daß die ersten abschwirrenden nicht gesicherten Flieger mit ihnen gelähmt ins Meer stürzten. Die Schleier sprühten auf dem nur minutenlangen Weg durch die Kälte einen Teil ihrer Spannung wieder aus. Man blies, wie sie die Feuerregion verließen, aus Drahtnetzen, auf denen sie beim Fliegen lagen, Hitze auf sie; die Netze verdampften bei der Berührung mit den geladenen Schleiern. Man mußte die Hallen sehr nah den Vulkanen legen. Dahinein rauschten die Kraft um sich streuenden Schleier. Klingen und Schwirren ging von ihnen aus. In eine trägflüssige zitronengelbe Masse wurden sie gestürzt, in die Riesenwannen der Hallen. Bis auf den Wannengrund war die Masse durchsichtig, sie opalisierte; apfelgroße Blasen stiegen langsam in ihr auf. Schwere wallende Schlieren legten sich wie Fäden eines Strickwerkes um den eingehängten Schleier. Er war, wie er das heiße dickölige Bad verließ, in allen Maschen graugelb umzogen, verglast. Sein Schwirren hatte aufgehört; man konnte ihn ruhig berühren, die klebrigen Anhängsel abstreichen. In gleichen Abständen liefen inzwischen weiter die Frachtschiffe mit Turmalinen vom Kontinent herüber, befuhren das große atlantische Wasser. Eingehüllt wurden sie in das Sausen des Windes, Plätschern klang herauf, Murren aus der Ferne. Fuhren in der wolkendurchflatterten Luft, Sturmschwalben Silbermöwen mit gezackten Schwänzen, Stoßtaucher neben sich. Das Meer fiel dreitausend Meter tief unter ihnen. Mit Fischen Algen Quallen Schleimtieren war es gefüllt. Es warf sich in Ebbe und Flut. In Glitzern und Scheinen schwebten die Schiffe. * * * * * Der Kontinent wünschte von den geladenen Schleiern zu haben. Brüssel und London waren gleichzeitig darauf gekommen. Sie waren auf der Suche nach neuen Machtmitteln, fürchteten, die Islandfahrer könnten sich selbst diese Schleier aneignen, die man nicht kannte, die aber gefährlich schienen. Sie schickten mit jedem neuen Schiff Vertrauensleute, die die geladenen Schleier zählten, über ihren Verbleib berichteten. Als der Kontinent Schleier für sich forderte, lehnten Kylin De Barros Wollaston Prouvas es ohne Erklärung ab. Die Senate, stärker beunruhigt, nach außen nichts von sich gebend, beauftragten darauf neue Führer, für sie Schleier zu beschaffen. Ein stark ausgerüstetes Geschwader erschien vor Island. De Barros verstand, es tagelang irrezuführen. Er drohte den neuen Führern. Die Islandflotte erhielt Kenntnis von den Vorgängen; sie stand auf Seiten Kylins und De Barros’. Heftige Schmähworte auf die Senate hörten die neuen ahnungslosen Männer; ungehemmt äußerten Führer und Besatzungen ihre Verachtung für die Senate, ja für die Stadtschaften selbst, so daß die Abgesandten verwirrt wurden und nicht faßten, wen sie vor sich hatten. Sie berichteten zurück; die Senate bedeuteten ihnen, sich um die Ladung der Schleier zu kümmern und dann Island zu verlassen, im übrigen Kylin und De Barros zu erkennen zu geben, daß man sie ohne Zufuhr lassen würde, wenn sie die Beschlüsse der Senate ignorierten. Erbittert gaben Kylin und De Barros nach. Spät erst dämmerte ihnen, die Stadtschaften könnten Furcht vor ihnen haben. Und sie staunten, und ihnen wurde klar, wie merkwürdig es dabei war, daß sie staunten. Vielleicht hatten die Senate doch Grund, sich vor ihnen zu fürchten. Nein, sie hatten keinen Grund sich zu fürchten. Wer waren, wie fremd, weit abgelegen waren diese Senate, diese Stadtschaften, die sie hergeschickt hatten. Als Kylin an die Tür seines Zelthauses trat und durch die Rauchschwaden die ersten städtischen Flieger sich um die Pfeiler bemühen sah mit Schleiern und Böen, hatte er Tränen in den Augen. Beschmutzt kam sich das ganze alte Geschwader vor. Man beschleunigte die Arbeiten. Die beiden Flotten suchten keine Berührung zueinander. Gefahrvollen Böswilligkeiten wurden die städtischen ausgesetzt. Die alten Flotten hatten schon die ungeheuren Turmalinmassen in ihren Schiffen verstaut, deren sie bedurften, als sie noch untätig bei der brüllenden Insel hielten, die neuen beobachteten und sich zu einem Entschluß durchrangen. Sie zerstörten eines Tages alle Pfeiler, zerstörten die Hallen mit den Isoliereinrichtungen, vertrieben die neuen, jagten sie mit ihren Schiffen über das Meer. Die ließen sich auf keinen Kampf mit den erbitterten ein. In Kopenhagen Hamburg empfingen die Senate die Rückkehrerflotte mit scheinheiliger Gelassenheit. Sie dankten den Führern für ihre Mühe, lachten über die Klagen gegen De Barros, taten übermäßig beglückt durch die mitgebrachten schon geschickten Schleier. Sie ließen verbreiten, die abgesandten Unterführer hätten sich ungeschickt gegen Kylin und De Barros benommen, aber es sei gleich: man hätte die geheimnisvollen Schleier in der Hand. Ihre Kräfte würden jetzt studiert. Dies ließen sie bald auf Umwegen an die Islandflotte gelangen: man hätte durch einige Prozeduren eine merkwürdige Kraft aus dem beschickten Turmalin isoliert. In der Tat warfen sich angstvoll die Physiker und Techniker der Senate an die geladenen Kristallgewebe, ob etwas Bedrohliches in ihnen stecke. Die Islandflotte aber nahm wenig Kenntnis von den Gerüchten des Kontinents. Nach der Halbinsel Rifstangi im Norden zogen sich um das dröhnende wolkenschleudernde Island die Schiffe aller Geschwader. Von Rifstangi über den schmierigen Svalbard waren die ersten Angriffe gegen die Insel auf Brücken vorgetragen worden. Alle Schiffe setzten kleine Scharen in Boote, die die Klippen umfuhren. Auf einem Schneefeld des aschebestreuten Svalbard wurde die Totenfeier für die Opfer der Angriffe abgehalten. Es geschah, daß nach den Worten Kylins, der gegen den Sandwirbel sich die braune Pelzmütze vor die Augen hielt, die zweitausend Menschen in den Schnee knieten. Sie griffen die Asche unter sich an, tasteten in den schmelzenden Schnee. Viele krampften die Hände beim Gedanken an die beiden traurigen grausigen Schiffe mit den weißen Flaggen. Sie träumten stumm. Kopfgesenkt, bei den Händen angefaßt ging man, langsam, zu den Booten herunter. Und langsam umfuhren die Schiffe ohne Verabredung die ganze Insel. Der Thistillfjord kam, in dem eine Flotte lange gelegen hatte, das Vorgebirge Langanes, der Vopnafjord, die Vulkane schütterten herüber, schwarze qualmgedrehte Riesenwirbel Spiralen, rot durchzuckt, von unten aufgeblafft. Da war die Sandbank, die sich nach Osten schob; man mußte sie umfahren; das Unglück in der Heraldsbucht hatte sie aufgeworfen. Die Insel trat wieder hervor; Buchten und Vorgebirge, der Eiskoloß des Vatna, strahlend breit aus dem Meer aufsteigend, die lohende menschenverlassene Südküste, kleine tote Inseln, die Ostküste und noch einmal der Rimarberg, der Myokarrjökull im Norden, die Bucht des verdampften Skalfandar, Rifstangi die Halbinsel, der Thistillfjord. Hinter Bergsätteln, langgezogenen Graten fuhren sie, der Wind trug nichts herüber, der Schall der Vulkane war gedämpft. Sie bogen oft aus, der Meeresboden schien sich zu heben und dampfte. Lavenstürze drängten sie vom Land ab. Sie näherten sich immer wieder der Insel, willig gespannt hingegeben. Siebentes Buch. Die Enteisung Grönlands Sehr zögernd lösten sich die Schiffe von Island. Sehr langsam kreuzten sie das starke atlantische Wasser. Das dumpfe abgründige Schollern füllte noch ihre Ohren. Sie hörten es, als wenn eine Muschel auf ihren Ohren läge. Lagen auf dem Meer, das sie vor Monaten, endlos langen Monaten betreten hatten, von den Shetlandinseln her am sechzigsten Breitengrad. Das Meer, mit Steinschotter die Küsten schlagend, Ozean, breites hundertmeiliges Wasser, schwarzes wellenüberlaufenes Wesen, von dünnen Winden geschoben, überflattert von fliegenden pfeifenden Tieren. Sie hatten einmal Mukla Ron und Foul, das Mainland, die zackigen Inseln Yall, Samphyra, Uya, Umst verlassen, Vogelberge waren verschwirrt. Die Sonne sahen sie wieder, mit fremden großen forschenden Augen, Unband von Feuer, einäschernde Hölle alles Kriechenden Fliegenden Hüpfenden, das weiße wallende Flammenmeer, metallene Wolken von sich werfend, die in Schlacken zurückfielen. Zwitschernde Metalle, Gluthauch an Gluthauch, die Urwesen frei blühend, Helium Mangan Kalzium Strontium. Sie gingen hin und her zwischen Deck und Kajüten, spürten dem Aufblasen des kalten Nordostwindes nach, staunten die Wellen an. Unklar erinnerten sie sich, was hinter ihnen lag. Sie waren aus Brüssel London, südlichen Stadtreichen gekommen; man hatte sie gesammelt. Man hatte Brücken über Island geworfen. Die Städte, sie erinnerten sich der Städte. Wie sonderbar die Siedler. Ihretwegen hatte man sie hergeschickt. Das Meer floß unter ihnen. Gut, daß es da lief. Sie wollten nicht in die Städte. Wie merkwürdig alles durchhellt wurde, Senate Stadtschaften Fabriken Apparate. In der Mark hatte Marduk, der große Tyrann, gekämpft; Zimbo kam nach ihm. Die Stadtschaften hatten den Siedlern nachgeben müssen; darum schickte man sie her, nach Island, Grönland. Was für Menschen waren da hinten. Nichts hören. Weiter Meer fahren. Grönland, nach Grönland. Das arktische Mittelmeer lagerte auf zwei Tiefenmulden. Zwischen Spitzbergen und Grönland sank die Nordmeertiefe fünftausend Meter tief ein. Eine unterseeische Bodenschwelle, die kaum dreihundert Meter unter dem Wasserspiegel verlief, der Thomsonrücken, trennte breit die Nordmeertiefe vom Atlantischen Ozean. Von Ostgrönland lief die Schwelle auf Island. Im Nordosten trennte eine Schwelle die Nordmeertiefe von der Meeressenke um die neusibirischen Inseln. Der grönländischen Ostküste fern folgend fuhren die Schiffe der Stadtschaften über das eisige Meer. Die warme tropische Golfstromdrift, die den Ozean hinter sich hatte, sandte ihr Wasser herüber auf Island, umkreiste die Insel, lief an der Südspitze Grönlands vorbei. Von Norden und Osten schwamm neben ihm, bedeckte ihn, mit Treibholz und Eis beladen, der Ostgrönlandstrom; der eisige Labradorstrom kam von Westen, vereinigte sich mit ihm. Sie fuhren über die schweigenden Untiefen. Und plötzlich wurden sie der Turmalinschiffe, der schwimmenden Fracht unter sich gewahr. In den Bäuchen der Schiffe ruhten die Schleier, die mit der Glut der Vulkane geladen waren. Im Stoß den rasenden hauchenden Feuerflächen entrissen. Da fuhr mit ihnen das dröhnende geliebte Island. Die achtkuppige Hekla, sprudelnd die Lava von der Thorsar bis zum aufgischenden Meer. Die Schiffe des Myvatngeschwaders fuhren mit ihnen. Sie hatten die Gruppe der Turmalinschiffe nach den Vulkanen benannt, denen ihre Kraft entstammte. Das war die Klasse der Leirhukrschiffe. Der breitschultrige Herdubreid, der schreckliche Dyngja. Die Katla, am Südhang des Vatnagletschers der gigantische Öräfa. Es war, wie die Menschen es bedachten, ein Widerwillen in ihnen nach Grönland zu fahren, diese Schleier, dies Leben und Blut wegzugeben, über das Land zu breiten nach dem Befehl der Stadtschaften. Herdubreid Katla Hekla Myvatn fuhren mit ihnen; sie waren ihrer Obhut übergeben. Kein Führer erriet, daß eine Anzahl der Menschen, die mit ihnen über dem Meer, dem südwärts treibenden Ostgrönlandstrom hingen, im Kopf hatten, die Turmalinschiffe mit ihrer Liebe zu decken. Sie wollten die Frachthallen sprengen. Geschützt von den Menschentransportern fuhren die Turmalinklassen, in langem Zug. Leichte Fahrzeuge bahnten ihnen den Weg durch das Packeis. Vorsichtig zwischen Eisbergen führten sie sie hindurch. Aus allen Schiffen umschwärmten die Turmalingebäude immer Boote; immer waren sie ihnen nahe wie die Hand einer Pflegerin. Da kam, nachdem sie ziellos eine Woche gekreuzt hatten, unerwartet der Befehl, alle Maschinen anzusetzen und sich nach einem Plan um Grönland zu verteilen, vom Melvilleland jenseits des achtzigsten Breitengrades bis zum Kap Farwel unter der sechzigsten Breite. Sie sollten die Dänemarkstraße im Osten durchziehen, im Westen die Baffinbai bis zum Ellesmereland. Es kam auch der Befehl, nur wenige Schutzschiffe für die Turmalinschiffe zu stellen, niemand sollte sich zu dicht den großen Frachtern nähern. Die an die Versenkung der Frachter gedacht hatten, fühlten sich im Augenblick ertappt. Sie erfuhren bald, was die Führer zu der Warnung bewogen hatte. Ruhig schwammen die Hallen mit der Last der Vulkangluten über dem Wasser. Die Schiffe begannen eine merkwürdige Gesellschaft zu bekommen. Bald hinter Island bemerkten die Menschen der Begleit- und Wachtschiffe die große Zahl von Fischen, die sich um die Flotte sammelte. Sie schoben es auf die besonderen Fahrrinnen, die sie gerade nahmen. Schon nach zwei drei Tagen erkannten sie, daß die Fische hinter den Turmalinfrachtern her waren. Der braune Tang löste sich nicht von dem Schiffskörper. Wellen schlugen ihn nicht ab. Wenn Eisschollen eben einen Teil des Bugs glatt gescheuert hatten, so hingen fast im Augenblick, wie magnetisch gezogen, fast wie aus dem Schiffe sprießend, neue Tangbüschel an seinem schweren Rumpf. Die Turmalinfrachter zogen den Tang wie Barthaare hinter sich. Bei langsamer Fahrt waren die Schiffsleiber von den braunen grünlichen nassen Büscheln ungeheuer umwallt. Die Schrauben schmetterten und schlugen sich ihre Drehflächen frei; aber in den langen Schraubentunnel wucherten die Pflanzen ein, tauchten in den dunklen engen Kanal am Boden der gewaltigen Fahrzeuge, umwanden die schweren glatten rollenden Metallbalken. Die Männer mußten herunter in die eisigen Räume, mit Haken und Messern die bunten Büschel abziehen, die im Begriff waren, das Schiff zu ersticken. Sie brachten zum Erstaunen der Besatzungen den schweren Pflanzenfilz herauf. Es waren nicht die gallertigen Gebilde der zierlichen Algen, die auf den Wellen unter ihnen schaukelten, wiesenartig dicht beieinander, das Meer olivgrün färbend. Sondern armdick quellende Sträucher, vielfach verästelt, mit zollangen scharfgezähnten Blättern; apfelgroße Beeren trieben sie, die ihnen als Schwimmblasen dienten; wie Köpfe erhoben sie sie. Reinigungskommandos traten auf allen Frachtern in Tätigkeit. Mit Besen mußten sie die Algenbüschel von den Treppen herunterstoßen; mit Stöcken schlugen sie sie vom Gestänge ab. Um die Turmalinfrachter, als wären sie durch Signale, durch einen Ton, einen Geruch bezeichnet, schwammen Wale. In wellenförmigem Auf- und Absteigen begleiteten sie die großen Frachter, drängten sich blind durch die Wachschiffe. Man sah sie mit offenem Rachen schwimmen, von den rasch stoßenden Schwanzflossen getrieben. Sensenförmig gebogene lange schmale Zähne standen zu Hunderten honiggelb auf den großen Kiefern; das Wasser quoll zwischen den Zähnen in den Schlund; wurde in Springbrunnen weiß aus den Nasenlöchern auf den schwarzen Scheitel gespritzt. Das Gewimmel der glänzenden dunklen Rücken, die hohen Wasserstrahlen. Die scheuen Tiere fuhren wie verbissen hinter den Transportern her. Als die Begleitschiffe Boote gegen sie aussetzten mit Harpunen, die sie sich zur Unterhaltung anfertigten, wichen die Tiere aus. Wie man ihnen aber den Weg hinter den Frachtern verstellte, gingen sie schwanzschlagend mit Zorn auf die Boote los. Die Lichtanlagen und der Verständigungsdienst von den Frachtern wurde in diesen Tagen schwächer. Die Ingenieure erkannten, daß die Vulkanschiffe die Störung in sich selbst tragen mußten. Keine Hitze strömten die Berge der Steinschleier aus. Man beging die Hallen, durch deren ganze Weite die Schleier ausgespannt waren. Die ölige Isolierung war nirgends durchbrochen. Es waren andere Substanzen, unbekannte, die ausgeströmt wurden. Düster brannten nachts die Vulkanschiffe, hinter einem Nebel fuhren sie; die Lampen zuckten erloschen zu manchen Stunden. Da gaben die Führer, in Unruhe geratend, die Weisung, das ziellose Kreuzen zu beenden, alles bereit zu halten, den Angriff auf Grönland vorzunehmen. Die Vulkanschiffe aber, schwer sich durch die Eiswüste wälzend, waren von einem Zauber berührt. Sie fuhren, als wollten sie im Eis versinken. Eine Nacht langsamer Fahrt genügte, um die Schiffe wie mit Tauen an das Meer zu fesseln. Der schwimmende abgerissene sterbende Tang wuchs auf, trieb neue Stiele und Blätter. Die Kanten der Eisschollen waren mit den Algenvölkern überzogen, die sich an die Schiffsleiber mit langen Stengeln, palmblattartigen Organen hefteten und die Schiffe mit dem Eis verklammerten. Mit Brennen und Sprengen wurden die Frachter freigemacht. Die Menschen auf den Schiffen selbst und in ihrer Nähe wurden eigentümlich mitgenommen. Nur für wenige Tage konnten Menschen zu den Turmalinfrachtern abkommandiert werden. Nach kaum einem Tag gingen sie in einer Müdigkeit herum, die zwangsartig war und die sie vergeblich durch Bewegungen Waschen von sich entfernten. Wie Opiumraucher setzten sie sich hierhin, dorthin, taten mühselig ihre Arbeit. Es wurde ihnen schwer das Gesicht zu bewegen. Mit diesem maskenartigen Ausdruck brach der Zustand aus. Dabei war ihr Inneres süß bewegt; sie blickten oft zwischen den Leitern Türen hindurch die Wände Decken, den Himmel an, sahen Landschaften, in denen sich Bäume überpurzelten, die Wolken sich lang auszogen, warm heruntertropften, ihnen auf die Brust, die Lippen; sie leckten, schluckten. Ein heftiges bald unbezwingbares Liebesempfinden durchlief sie. Die Männer zitterten im Frost der Erregung, die Frauen schüttelten sich, gingen zuckend langsam. Jedes Glied an ihnen war mit Wollust geladen, jede Bewegung brachte sie dem ausbrechenden Taumel näher. Sie umschlangen sich, und wenn sie ihre Leiber vermischt hatten und voneinander ließen, waren sie ungesättigt. Sie küßten und umarmten Seile, rieben und schlugen Arme und Beine, den Rumpf an Treppenstufen. Über Bord ragten die mächtigen Algenstiele; die zogen sie her, zu denen fühlten sie Verlangen. Das wonnige Wimmern, das ratlose Seufzen, angstvolle Stöhnen der Nichtzuberuhigenden. Dann lachten sie wieder, ließen sich und die Dinge los, taten dämmernd eine Arbeit. Aber der Speichel lief ihnen aus dem Mund, es drehte so weich hinter ihren Stirnen; sie warfen die Köpfe in den Nacken. Man mußte beim Fortgang der Eisfahrt schon am Ende des zweiten Tages die Menschen von Bord reißen. Alle entbehrlichen Kräfte wurden von den Vulkanschiffen genommen. Die Flotten stürmten durch den Ozean ihren Bestimmungsorten zu. Jetzt sah man schon nachts mit bloßen Augen, was in den Riesengebäuden der Vulkanfrachter lag. Wenn die Sonne versank, Lichter auf den andern Schiffen aufflammten, fuhren die Hekla Leirhukr Dyngja Katla Myvatn, als wären sie, auf denen keine Lampe brannte, in ein dünnes Licht gehüllt. Man konnte die Schiffe im schwarzen Wasser im ganzen Umfang bis zum Kiel herab erkennen; Schrauben Masten Seile, die andrängenden Pflanzenmassen zitterten ein feines weißes Licht. Von Stunde zu Stunde wuchs die Intensität des Hauches. Im Finstern sah man, daß das Wasser viele Meter um die Schiffe leuchtete. Weiter und weiter entfernten sich die Menschentransporte und Begleitschiffe von den schwimmenden Speichern; nur für Stunden wagten sich kleine Mannschaften herüber. Ein Schrecken hatte alle befallen. Sie lagen zerknirscht auf den Schiffen herum. Was sollten sie tun? Was sollte man tun mit den schrecklichen Vulkanhallen, die man hinter sich herzog, die wie Ungeheuer über sie herwuchsen. Keiner dachte mehr an Sprengung. Die Führer wurden angefleht, die Turmalinhallen in das hohe Eis hinaufzuführen und dann zu fliehen. Aber was würde geschehen mit den Schleiern. Die Speicher konnten lostauen, ins Meer nach Süden getrieben werden, ihre Isolierung konnte zerbrechen; sie konnten als furchtbare Flammen- und Strahlenwesen gegen die Kontinente vorgehen. Man mußte sich ihrer entledigen, aber man konnte nicht fliehen. Nach Grönland. Und die Führer und Besatzungen zitterten, was geschehen würde, wie es verlaufen würde. Man fuhr. Metallisch blitzten im Wasser die Scharen der Fische auf. Die Lachse blaugrau mit dunklen wedelnden Flossen. Der Schwarm der scheuen Makrelenhechte gefolgt von Thunen und aufspringenden jagenden Boniten. Es war, als wenn sich die Pflanzenwiesen vom Meeresboden hochhoben losrissen, an die Schiffskörper hingen. Mit ihrem lebenden Gewichte beschwerten sie die riesigen Turmalinfrachter. Die schienen nichts davon zu fühlen. Ihr Bug hob sich von Stunde zu Stunde höher aus dem spritzenden Ozeanwasser. In den Nächten liefen sie wie glühende Wesen über dem Wasser. Das Mittschiff folgte, das Achterschiff. Die Schiffe schienen sich bereit zu machen über den Ozean zu fliegen. In nicht ausdenkbarer Weise, ein Graus der begleitenden Menschenflotte, überragten die Vulkanklassen die anderen Schiffe. Mit Bug und Steven, entblößter Außenhaut, liefen sie ohne zu schwanken auf der Meeresoberfläche wie auf Schienen. Bald mußte der Kiel die Wasserlinie erreicht haben, die Schiffsschrauben leer in die Luft schlagen. Und wie sie bergig hoch über den andern in den Geschwadern rollten, begannen ihre Rümpfe zu torkeln. Wild und brünstig hoben sich die Schiffe an. Toben und Klatschen war um sie; die Maschinen in ihren Leibern arbeiteten; eine todesmutige alle Angst verbeißende Besatzung, stündlich wechselnd, hielt sie in Gang. Die seilartigen Stiele der Pflanzen, die sich über die Planken und Masten legten, rissen die fahrenden Schiffe entzwei. Die Eismassen, die sich an ihre Leiber schmiegten, sich mit ihnen verlöteten, schüttelten sie von sich. Kilometerweit um die Frachter stießen Vögel auf sie zu; sie fielen über die Gebäude her, setzten sich auf die kriechenden Algen, auf Stengeln Blättern an der Außenverschalung krabbelten sie pfeifend zwitschernd schreiend herum. Tausende von Eistauchern, hell schreiend, flatterten auf Drähten Tauen, durch die Luken Deckfenster, bedeckten mit ihren zuckenden befiederten Leibern die Außenbordstreppen, unbehilflich springend, hielten sich dicht über dem Kiel am Schiffsrumpf angeklammert. Andrängende aufschnellende Fische jagten sie hoch, der starke Strahl der Wale wirbelte sie betäubend in die Luft. Über das Eis von Grönland kamen Vögel herübergeweht. Es waren keine Schiffe mehr. Es waren Berge Wiesen. Und die Schiffe klangen. Sie klangen mit demselben hohen Ton, den die Schleier von sich gegeben hatten, als die Fluggeschwader sie von den Feuerseen Islands abzogen. Durch das Flügelschlagen Krächzen Zwitschern drang unheimlich der helle gleichmäßige Ton, der leise sanft aufsurrte, wie der Dampf aus den Düsen einer Turbine. Das Land, das die Seefahrer zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Längengrad suchten, war nicht zu sehen. Eine starke Eisbarriere hatte es um sich gelegt. Aus der Richtung, in der es lag, schwoll scharfe Kälte und immer neues weißes Eis. Das helle glasige Eis schob sich über die ozeanische Fläche in Blöcken Schollen Bergen. Je mehr sich die Geschwader auf der östlichen und westlichen Seite dem grönländischen Erdteil näherten, um so höhere Berge hatten sie zu umwandeln. Von Küsten, die man nicht sah, segelten die weißen und bläulichen Massen an. Eisschollen flogen vor dem Nordsturm her, mit Höckern und Zacken, drehten sich, knirschten und krachten gegeneinandergeschoben, eine auf die andere getürmt, kippten überlastet um, schwappten im offenen Wasser auf und ab. Burgen und Zinnen näherten sich, übereinander gerammte hohe Stockwerke der Schollen. Durch die Nächte schimmerten sie. Das Wasser, aus dem sie entstanden waren, spülte an ihnen hoch, troff von ihnen herunter. Es fiel im Schwall über sie, nagte Spalten in sie hinein. Sie zogen durch die dämmrigen Nächte wie Fabelwesen, armlange Zapfen hingen an ihren Balkons, gläsern klirrten sie; mit einem Schlag fielen die zerbrechlichen Galerien auf die treibenden Schollen. Die Seefahrer suchten Grönland. Sie waren, wie sie hinter den sprengenden und rammenden Hilfsschiffen fuhren, schon im Bereich des Landes; das waren die Vorboten der Gletscher. Wie ein reicher alter Baum wachsend Jahr um Jahr seine Früchte trägt, die Äpfel, die immer neu aus diesem Boden steigen, von demselben Stamm, demselben Wesen gebildet und geboren werden, so lag Grönland jenseits in der Dämmerung, Millionen Meter breit, trächtig, auf dem schwarzen Meer; Eis wuchs auf ihm, das Land schüttelte sich nicht. Schweigend, aus der Überfülle glitten die Massen ins Meer. Im Osten hinter der breiten Eisbarre trat die Küste, wildes Alpenland hervor. Dunkle Wasserspiegel der Fjords, schwarze Berggipfel. Von allen Bergstufen stiegen Gletscher in die Tiefe der Felsgassen. Über die Gebirgskämme schoben sich Eispyramiden. Die Talfurchen von den weißen Trümmern gefüllt. In Gaal Hanikas Bai am vierundsiebzigsten Breitengrad fuhr ein Geschwader ein, in panischer Furcht vor den Turmalinfrachtern, die sie eskortierten. Sie hatten nur das rasende Gefühl, vor diesen Schiffen fliehen zu müssen. Sich der Turmaline um jeden Preis entledigen. Insel Clavering lag in der Bai, gebirgig vergletschert wie das Land. In den Felsboden der Küste brannten diese Menschen, ihrer Sinne nicht mächtig, hohe leichte Stangen und Pfeiler ein. Auf Klippen des flachen Wassers nahe der Küste setzten sie Hilfsträger. Über Pfeiler Stangen Träger warfen sie die Kristallschleier ihrer Schiffe, verbrannten augenblicklich die Frachter, die sie entleert hatten. Sie waren wie Menschen, die Blut an den Fingern nach einem Mord haben und sich keinen Rat wissen, als sich rasch die Finger abzuhacken. Unter die Schleier breiteten sie fiebernd die Platten zur Aufnahme der elektrischen Spannung; zweigten, sich überstürzend, Drähte von dem großen Kabel ab, das die Expedition hinter sich zog. In einer Nacht fuhr der Strom aus dem Kabel über die Platten. Die Isolierung der Schleier schmolz. Weißrote Grelle. Erderschütterndes Donnern. Die Insel warf weiße Wolken hoch, Dampf rot von unten angeglüht; er schoß wild in unablässigem Sprudeln auf. Die Anlage zerstört, Pfeiler und Hilfsträger geschmolzen. Der Schleier quer wirr auf dem Gletscher, fraß sich in ihn ein. Der hielt nicht still, riß Spalten auf, der Schleier senkte sich in die Schluchten. Der Gletscher stürzte über den Schleier; das Eis verdampfte. Dann aber wogten zwei Berghäupter gegen den Schleier an, der von den angeglühten niedergehenden Gletscherblöcken eingerissen war. Und wie sie über den lohenden surrenden Kristallen, in das Wolkengebrodel klafterten und sich breit schleudernd über das Gewebe senkten, wie ein Ringkämpfer über die Brust des niedergeworfenen Gegners, zersprangen verbrausten die Kristalle. Die Bergmassen rutschend begannen sich zu bewegen, als wäre etwas Lebendiges unter ihnen. Sie drückten die knisternden Schleiertrümmer herunter, rollten überschoben sich fielen zusammen. Krachend öffneten sie sich über dem begrabenen erloschenen Gewebe; wie aus einem Schlot gischten Dämpfe aus ihnen. Stundenlang gischten die weißen und schwarzen Schmelzdünste über der Insel in hohen auf- und abschwellenden Strahlen. Die besinnungslose nahe Mannschaft des Geschwaders war mit ihren Schiffen über die Bai geworfen, auf die Klippen, zwischen die Schollen gestaucht. Um die Zeit des Vorgehens dieser Schiffe schien eine Panik sich bei allen Flotten auszubreiten. Man drängte trotz des schweren Ausgangs der Affäre in Gaal Hanikas Bai auf zahlreichen Schiffen zu ähnlichen gewaltsamen Akten. Rückwärtsbewegung einzelner Flottenteile, zersprengtes Vordringen auf das Festland wurde gemeldet. Steinern blieben De Barros Kylin Wollaston; sie erschienen unter den Besatzungen, die nach einem Halt suchten. Beschwörend bezaubernd gingen Frauen mit ihnen über die Flotte; griffen die Verwirrten an: „Denkt an den Myvatn, an den Herdubreid. Denkt, was ihr schon verrichtet und bewältigt habt, was hinter euch liegt. Wir geben nicht nach. Niemand von uns wird nachgeben. Wir erliegen nicht. Ihr vergeßt nicht, wer ihr seid.“ Die keuchenden Menschen schluckten bissen die Zähne zusammen. Eine entsetzliche Zeit verlief bis zur Ankunft der Ölwolkenschiffe. * * * * * An dem europäischen Sammelplatz der Geschwader, den Shetlandinseln und Färöer, wurde der Gedanke gefaßt, der die Fortführung der Expedition und die Ausbreitung der Turmalinschleier erst ermöglichte. Hier arbeiteten auf den technischen Schiffen, in ihren Laboratorien, Männer, die den Gedanken der märkischen Angela Castel nachgingen, der Erfinderin der kriegerischen Rauchbläser. Sie hatte zuerst im großen die trägen Wolken hergestellt, die sie zur Einhüllung und Fesselung von Heeresmassen brauchte. Diese schwarzen schweren und violetten Rauchmassen der Castel waren ohne Zähigkeit; sie zerflossen nach einiger Zeit; Tragkraft besaßen sie nicht; die Castel hatte sich sehr bemüht, aber vergeblich, die Massen so kompakt zu machen, daß sie die eingehüllten und gefangenen Heeresteile zugleich erstickten. In diesen Wochen nun, während die westlichen Physiker Biologen Chemiker schon schlaff herumgingen unter den schweren Ereignissen auf Island, unter den gefährlichen Nachrichten von der Flotte, wurde die Sache des trägen Rauches durch den Londoner Holyhead, der bald verscholl, weit vorwärts getrieben. Er kam durch besondere Antriebe dazu, das eigentümliche Gemisch zu finden, das luftähnlich gasartig sich in der Luft bewegte, sehr zäh zusammenhing wie eine Gallerte, und mit eigener spezifischer Spannung den Raum erfüllte, in einer bestimmten Lufthöhe verblieb, ein Zwischending von Gas und Flüssigkeit. Ein Syrier Bou Jeloud war auf die erregende Nachricht von dem Plan dieser Expedition mit Leuten seiner Sippe in den Bereich der nördlichen Stadtschaften geflogen. Er kam aus der Steppe südlich von Damaskus. Die Wüsten Il Horra, Il Ledscha und Diret il Filul hatten ihn getragen. Über die flachen Kegel, schwarzen Blöcke der trockenen heißen Landschaft war er mit den Anaze, seinem Stamme, dessen Reste sich erhoben hatten, im Sommer wie ein Vogel geschossen. Im Winter ritten sie durch die Steppe nach Arabien, die Ortschaften zu brandschatzen. Er war nur einmal an ein Wasser gekommen, an das Tote Meer. Nur Pferde und Kamele hatte er bestiegen. Die braungelben Männer, sehnig, mit spärlichen schwarzen Bärten, fuhren mit Entzücken über das sturmbestrichene Meer nach dem Sammelort, den nördlichen Shetlands. Sie zeigten sich die Wellen am Bug ihres Schiffes, die Streifen an den Seiten, die Gischt am Ruder. Es war die Wüste, eine andere Wüste. Nicht satt zu sehen an diesem Rieseln Überschaukeln Sichdurchkreuzen Schwingen. Dünen, die der Wind schnob und ebnete. Sie verstanden sie gut, die Wellen. Dann tauchten Quallen im Wasser auf, braunschwarze vielarmige Kopffüßler, Fischschwärme zickzackten. Sie hatten keinen Wunsch, dies zu ändern. Auf den Schiffdecks stehen gefiel ihnen, und die Sucht unten zu sein, auf dem Wasser selbst, das der Wind strich. Gäbe es ein Pferd, ein Kamel, das darauf reiten könnte, über das Wasser weg. Und die braungelben Männer, wie sie sich im weißen Burnus über das Eisengeländer legten, kniffen die Augen, lächelten: „Die schwarzen Steppen von Diret il Filul. Ah, die Luft ist hier kalt. Ei, es wäre schön, schön, über das Wasser zu reiten in einer langen Linie.“ Sie summten unter sich. Holyhead, ein stiller Londoner Ingenieur, lächelte Bou Jeloud an: „Ich mache dir Eis. Dann kannst du über dem Wasser reiten, soweit du willst.“ „Weißt du, was ich will?“ „Ich blase dir Sand unter die Füße. Ich streue Sand auf das gefrorene Wasser. Ihr könnt, wenn ihr wollt, zu Fuß oder reitend nach Grönland.“ „Du machst mir Mondlandschaften vor. Hah! Was seid ihr für Krämer. Will ich Theater! Ich glaube schon, daß ihr alles könnt. Aber mir liegt nichts an dem, was ihr könnt. Nicht soviel.“ Holyhead lächelte ernst und freundlich, als die Gelbbraunen feierlich davongegangen waren. In seinem Innern aber schwieg etwas. Er hatte den Wunsch, dem schlanken Bou Jeloud wohlzutun. Welche kindlichen schönen Wesen sie waren. Er wollte ihnen gewähren schenken, was er konnte. Sie sollten ihn wieder anlächeln. Holyhead, der plumpe schwarzbärtige melancholisch über sich hängende Mann, war schon gelähmt wie viele auf den Schiffen, die sich ansammelten. Das Schweigen der Senate über den Verlauf der Expedition täuschte ihn nicht. Die furchtbaren Vorgänge auf Island, das menschenverschlingende geheimnisvolle Geschehen erschütterte, schwächte ihn, machte ihn müde. Was war noch das Leben. Er fuhr auf sein Arbeitsschiff. Bou Jeloud sollte lächeln. Er traf eines Morgens die Beduinen in ihrer gewohnten Haltung, neugierig freundlich zärtlich an dem Geländer ihres Schiffes liegen. Das Wasser flutete unten, Wind floß um sie. Eisschollen von Norden angetrieben. Bou Jeloud schob die Hände unter seinen Gürtel: „Nicht auf dem Schiff sein. Wir warten noch eine Woche, vielleicht zwei, bis unsere Flotte zusammen ist. Das soll ich ertragen. Und dann die Seefahrt.“ Der ältere breite El Irak: „Wir werden Geduld haben.“ „Wozu, El Irak? Niemand zwingt uns Geduld zu haben.“ „Was meinst du?“ „Es ist nicht meine Sache. El Irak, ich bin ein Gefangener. Ich steh am Gitter und blicke herunter. Ich mag ein Schiff nicht.“ „Nun, Jeloud.“ „Ich bleibe nicht lange hier.“ Sie flüsterten finster zusammen. Plötzlich war der auflachende El Irak verschwunden. Und wie sich der weiße Holyhead dem jungen Jeloud näherte, starrte der schlanke Mann im Burnus gespannt auf das Wasser, schrie, warf die Arme hoch: „Seht! Da! Da Irak! El Irak! El Irak!“ Das Geländer umsäumt von gurrenden schwatzenden Menschen. Unten ein leeres Boot. Auf einer Eisscholle gebückt der breite Irak, Wasser schöpfend; er spritzte es hoch um sich. Er spazierte lachend am Rand, der Scholle entlang. Glücklich kreischend winkten sie ihm von oben, traten mit den Füßen. Die Scholle fuhr, umfuhr eine Klippe. Rasch entfernte sie sich seitwärts. Sie streckten die Hälse. Da wurde wieder Irak auf der Scholle sichtbar; er war gestürzt, kletterte hoch. Mit dem abgerissenen Burnus winkte er nach dem Schiff herüber angstvoll. Die Beduinen schrien. Auf dem Hinterdeck machte sich ein Flieger los. Da hatte sich auf dem freien Wasser der Scholle Iraks eine möwenbesetzte zweite Scholle genähert, eine kantige bergartige. Iraks überflutete Eisplatte krachte gegen den trägen weißen Berg, schob sich splitternd an ihm hoch; die Möwen schossen pfeifend auf. Unter den gläsernen Trümmern El Irak verschwunden. Flieger Boote im Wasser. Schollenlager und Eisbröckel segelten feierlich im Meer. Die Möwen senkten sich, liefen die Randlinien des Blocks ab. Holyhead verbarg sich die nächsten Tage vor den Syriern, die stundenlang auf einem umzäunten Deckteil Gebete verrichteten. Eine Frau mit vollen braunen Armen stand bei dem finsteren Jeloud. „Dir ist nicht wohl bei uns, Djedaida. Du möchtest lieber in Il Horra sein.“ „Ach, Jeloud, ich möchte lieber in Il Horra sein.“ „Ich auch, Djedaida. Wir sind eine Handvoll Esel. Die Stadtschaften wollen einen neuen Erdteil machen. Was geht es mich an.“ Djedaida warf die üppigen Lippen auf: „Der Wind ist schön. Das Wasser könnte so schön sein. Es ist nicht sehr kalt.“ Die Fäuste ballte Jeloud: „Ich geh vom Schiff. Wir wollen von den Schiffen. Ich laß mich nicht verhöhnen und versuchen wie El Irak. Ich fahre nach Hause. Spring ins Wasser. Ich hasse das Schiff. Vielleicht wollen sie uns verführen, daß wir ins Wasser springen. Ich lieg nicht wie ein angebundenes Pferd. Es ist genug, Djedaida.“ Sie machte trübe Augen. Das Meer klatschte rollte schwer, züngelte über Riffe. „Ich will ihn zum Lächeln bringen“, dachte der schwarzbärtige Holyhead. Djedaida von Damaskus, in ihrem gelben Kleid, das feine gelbe Gesicht blickte ihn verächtlich an; sie zog den Schleier über den Mund. „Auch sie ist lieblich, diese Djedaida. Sie trauern. Oh, wenn sie nicht weggehen. Wieviel schöner ist es, ihnen wohlzutun, als an Grönland zu denken.“ Der weiße Ingenieur berührte den Arm Bou Jelouds, der sich ihm zudrehte. „Ich habe dich seit dem Unglück El Iraks nicht gesehen, Jeloud. Gehst du mir aus dem Wege?“ „Dir? Wer bist du?“ „Es macht dir keine Freude, sagtest du, wenn ich dir Sand unter die Füße blase, auf dem gefrorenen Wasser. Daran liegt dir nicht, sagtest du.“ Bou Jeloud legte den Arm um den Hals Djedaidas: „Sieh diesen Mann an, Djedaida. Er wird Grönland enteisen. Mit mir will er spaßen.“ Die Frau den Blick zu Boden: „Komm. Wir gehen von Deck.“ Auch der Weiße blickte zu Boden: „Ich konnte El Irak nicht retten, Jeloud. Aber ich möchte dich fragen, ob du Geduld haben willst. Willst du Geduld haben, Jeloud, und du, Djedaida?“ Der gelbbraune Syrier, die Augen gelangweilt schließend: „Was will der gelehrte Mann aus London?“ Holyhead hob den Blick; er freute sich über den Schmerz Jelouds: „Komm auf mein Arbeitsschiff, Bou Jeloud. Ich will dir etwas zeigen.“ Djedaida hielt zuckend Jelouds Arm: „Geh nicht.“ „Ich komme nicht, Holyhead. Du willst mich verführen, ins Wasser zu springen, wie Irak.“ „Ich bin euch wohlgesinnt, dir und deiner Frau Djedaida. Mir liegt nicht viel an Grönland. Die Sache der großen Stadtschaften, wem ist sie noch etwas. Komm, und wenn du willst, du auch, Djedaida. Wir wollen etwas tun, damit ihr eure Sehnsucht nach der Wüste El Horra verliert. Das Meer ist auch schön. Ihr werdet froher sein.“ „Ich will dir etwas sagen, Holyhead, weißer schlauer Ingenieur. Du glaubst, ich bin ein brauner Tölpel und mit zehn Worten zu verwirren. Ich werde auf dein Schiff kommen. Ich fürchte mich nicht.“ Djedaida ließ seinen Arm los. „Ja, ich werde auf dein Schiff kommen. Ich fürchte dich nicht. Ich fürchte mich nicht vor ihm, Djedaida. Er hält mich für den und jenen. Ich komme mit, Holyhead.“ Djedaida war zurückgetreten. Sie hielt den Kopf gesenkt, den Arm über der Brust gekreuzt. Flüsterte: „Versprich mir, Holyhead, daß ihm nichts geschieht.“ Der schwarzbärtige Ingenieur: „Komm doch mit, Djedaida.“ „Versprich mir, daß ihm nichts geschieht.“ Mit dem beglückten im Innersten erzitternden Weißen ging Bou Jeloud. Seine Stammesgenossen sahen ihn ganze Tage nicht. Er warf sich eines Abends vor Djedaida, grub seinen Kopf in ihren Schoß. Drückte seinen Mund gegen ihre Brust, rieb sein Gesicht an ihren kalten Wangen, stöhnte. Es ging ihm gut. „Süße Heimat. Liebe Wüste. Lieber Felsen. Lieber Sand. Wir kommen, Djedaida, auf die Wellen, die Wellen, denk dir, die Wellen. Es wird geschehen.“ Sie sah zu ihm herunter: „Was hat er aus ihm gemacht.“ Aber Bou Jeloud zog sie in seine Kammer, umarmte sie, bis sie schmolz. Er schlief stundenlang in der Kammer bei ihr, fest wie nie seit sie auf dem Schiffe waren. Sie ließ ihn, wie er schlief, liegen, huschte zu Holyhead: „Was ist mit Jeloud?“ „Sag du, Djedaida.“ „Er stöhnt. Er ist wild. Er liegt in seiner Kammer.“ „Er war froh. Er klagt mich nicht an.“ „Du hast mir versprochen, es soll nichts mit ihm geschehen. Ich – freue mich nicht über ihn.“ Sie ging in die Kammer zurück, wo er noch schlief, legte sich zögernd neben ihn. Als sie seine Atmung belauscht hatte, drückte sie sich an ihn. „Djedaida“, flüsterte er träumend in der Finsternis, „ich werde über das Wasser reiten. Das Wasser treten wir mit den Hufen. Wir können es. Das Wasser. Wir werden nach Grönland reiten.“ Sie wand sich. Bou Jeloud lag nur noch im Schiff des Ingenieurs. Einmal schlich die Frau herüber, ihn zu beobachten. Da stand dünner Rauch vor einer Tür. Der Rauch war zerflossen wie ein Spinngewebe, aber er verschob Djedaidas Schleier über dem Scheitel. Sie faßte hinein. Er war wie Gummi, widerstrebend, ließ sich hochdrängen, stellte sich nachgiebig wieder her. Der schwarzbärtige weiße Holyhead trat im Arbeitsmantel vor die Tür, sah, die Lippen verziehend, der Frau zu. Er faßte, die Frau anblickend, mit zwei Bewegungen hinauf, zog den Rauch, als wäre es ein sanfter tierischer Körper, zu sich herunter an die Brust, wo er ihn wie eine Katze drückte und verwahrte. Kleine Fetzen hatten sich bei dem raschen Zugriff gelöst, die zog seine linke hohle Hand sanft nach, schob sie gegen seine Brust. „Komm, Djedaida. Jeloud ist hier. Wir freuen uns, dich zu sehen. Wir verbergen dir nichts.“ Sie blieb unsicher vor der Tür, die er offen hielt, blickte in die Luft, an Holyheads Brust: „Was war das? Der Rauch. Was war das?“ „Komm, Djedaida, wir bitten dich zu uns. Bleibe nicht vor der Tür.“ „Was ist der Rauch? Was machst du damit? Du hast ihn an der Brust.“ Der Weiße lächelte: „Ja, siehst du. Das ist der Rauch, und das ist kein Rauch. Wir haben es gemacht. Jeloud und ich. Es ist schön, nicht wahr? Aber komm herein zu uns.“ Die gelbbraune, schmalschultrige Frau stand da, bekam den Blick nicht frei von seiner Brust, die Stirne hochgezogen. Tonlos stieß sie hervor: „Ich danke. Ich will gehen. Ich kam ja nur für einen Augenblick.“ Und als Jelouds Stimme aus dem brodelnden Raum sang, drehte sie sich rasch um, rannte die Treppe hinauf, neben einem Rauchballen, vor dem sie schreiend abwich. Zwei Seeleute machten Jagd auf diesen Ballen. Sie haschten ihn. Er schwebte plötzlich unbeweglich über einer Stufe. Die lachenden Männer suchten ihn zu zertreten, höher zu pressen. Mit den Schultern drängten, schoben sie an ihm. Djedaida, stehengeblieben in einem unbezwinglichen Drang, angstbeklommen, einer Verwirrung nahe, sah ihnen von oben zu, beide Hände an dem verschleierten Hals, sah, wie sie spaßend mit einem Brecheisen auf den Rauchballen schlugen, das Eisen von unten in die weiche Masse stießen, die Stange gegen die Treppenstufe stemmten. Wie ein Pendel bewegte sich das Eisen ohne Stütze mit den Schwankungen des Schiffes. Vor Lachen schütteten sich die Männer aus, auf die Knie gebückt, winkten der Frau herunter. Sie hastete über das Deck. Jeloud, der junge stolze Beduine, ihr Mann, fragte nicht nach ihr, sah sie wenig. Glühend prahlend stand er unter den anderen Beduinen. Wild freudig, mit schweifenden Augen wie ein Betrunkener lief er manchmal der Frau nach, suchte sie zu fangen, die sich ganz verschleiert hatte. Sie rang von ihm ab, bat hinterhältig leise: er möchte sich doch nicht seinem Werk entziehen, er möchte sich doch nicht unwürdigen Zerstreuungen hingeben. Jeloud klatschte in die Hände: „Habt ihr gehört? Mein Werk hat Djedaida gesagt. Ja, es ist mein Werk und Holyheads auch. Du bist süß, meine Frau Djedaida. Bald werden alle alle sehen, was wir geleistet haben.“ „Wer sind ‚wir‘?“ „Holyhead, mein Freund Holyhead und ich. O, er kann viel. Wir werden etwas Wunderwunderbares schaffen.“ Sie hauchte: „Ja, ich bin stolz auf dich.“ Ihre Zähne knirschten. „Wir werden über das Meer reiten, Djedaida. Das wird geschehen. Was meinst du. Ich füttere schon mein Pferd unten im Schiff mit doppelter, dreifacher Ration. Es soll sich mit mir freuen auf die große Stunde. Da, sieh das Wasser an.“ „Ich sah es schon, Jeloud.“ „Nimm den Schleier herunter. Du kannst durch den Schleier nicht sehen.“ „Ich kann durch den Schleier sehen.“ „Nein, nicht genug. Gib doch, gib doch. Siehst du, da ist er. Nun wirst du sehen. Sieh da, Djedaida, meine süße Frau, mein Honig, mein Labsal, dies sind die Wellen. Das sind sie. Die grauen und grünen und weißen. Sie sind noch schöner als unser Sand in Il Horra. Da werde ich eines Tages heruntersteigen, mein Pferd mit mir. Denk dir, das wird geschehen. Wie El Irak werde ich heruntersteigen, aber nicht stürzen. Ich nicht. Bei Allah, ich nicht. Auf meinen Braunen werde ich springen, auf meinem Sattel werde ich sitzen, wie damals, Djedaida, als ich dich holte. – Aber warum weinst du?“ „Ich weine? Gib mir meinen Schleier wieder.“ „Du meinst, ich stürze, Djedaida? Ich stürze, es geht mir wie El Irak! Oha! Keine Furcht, du Süße. Ich werde nicht stürzen. Wie schön du bist. Weine doch nicht. Wir erproben alles gut, Holyhead und ich.“ „Gib mir meinen Schleier!“ sie schrie, „gib mir meinen Schleier. Du bist mein Mann. Du kannst mir meinen Schleier nicht verweigern.“ „Was ist, Djedaida?“ „Meinen Schleier. Ich bitte dich.“ „Da. Da ist er. Da hast du ihn. Ich wollte dir das Meer zeigen. Nun habe ich dich gekränkt? Was habe ich getan? Jetzt seh ich dein Gesicht nicht. Jetzt muß ich träumen, wie lieblich du bist.“ Sie ließ ihm ihre Hand. Ihre Schultern zitterten heftig. Er aber warf, als sie ging, selig die Arme hoch: „Sie trauert! Sie hat Furcht um mich! Und ich werde es doch können!“ Ein neuer Menschentransport nach Grönland war abgegangen. Holyheads Versuchsschiffe blieben zurück. An dem Sammelplatz wurde bekannt, daß Holyhead, dem Engländer, etwas Besonderes Unerhörtes geglückt sei, ein Syrier sei sein Gehilfe gewesen. Eines Nachmittags ordneten sich Boote vor Holyheads Arbeitsschiff von allen Fahrzeugen. Die Luken von Holyheads Sitz wurden mittschiffs geöffnet, dicht über der Wasserlinie weite schornsteinartige Röhren aus den Luken geschoben. Aus ihren trichterartigen Mündern quollen in breiten vollen Lagen weiße Dampfmassen, die sich, wie sie die Trichter verließen, senkten, auseinandergingen, über dem Wasser sich ausbreiteten, die Wasseroberfläche überzogen. Flach und dicht legte sich der Dampf auf das Wasser, an das Wasser. Mit den Schlägen des Meeres hob er sich. Nach den Seiten quoll und flatterte die schwebende Watte, der Nebel in Fetzen auseinander; die Boote in der Nähe schob der Dunst unwiderstehlich beiseite. Sie schlugen mit Rudern gegen ihn; als wenn sie auf starken Kautschuk oder Kork schlügen, prallten die Hölzer von dem weißen andrängenden Hauch ab. Eine schräge Holzbahn wurde auf das Wasser geworfen. Ein Pferd heruntergejagt, stand angstvoll wiehernd, im Kreis um sich springend, auf der nicht weichenden, sich dellenden Nebellage. Ein gelbbrauner Mann im Burnus mit bunten Bändern am Gürtel stolzierte winkend die Holzbahn herunter. Streichelte das scheue Tier, das sich hinwarf, zog es auf, bestieg es, ritt einen Kreis auf der Nebellage. Jubelndes Pfeifen, Sirenenschreie von den Schiffen. Glücklich hielt am Abend der ernste Holyhead die Hand des Syriers. Jeloud umarmte ihn. Es war fast mehr, als der Weiße ertrug. Sie feierten die Nacht durch. Jeloud wollte am Morgen von Schiffen begleitet seinen Plan ausführen: über das Meer reiten; wenn es ging, wenn es ging bis an das arktische Wasser. Am Morgen dieses Tages verließ Djedaida, die sich eingeschlossen hatte, ihre Kammer. Suchte Holyhead, der noch von der Nacht schlief. Sie wartete geduldig auf dem Deck seines Schiffes. Um Mittag sah sie ihn, zog ihn, im Gang beiseite: „Wie lange denkst du noch zu leben, Holyhead? Schwarzbärtiger Teufel, was hast du noch vor? Du hast keine Furcht vor mir.“ „Djedaida, ich kann nicht hinter deinen Schleier sehen, ob du ernst bist.“ „Ich mache solchen Spaß mit dir, wie du mit mir gemacht hast.“ „Djedaida.“ „Der Name ist nicht für dich bestimmt. Der ist nicht für dich.“ Wortlos betrachtete Holyhead die Zitternde. Heiser, sich an die Brust fassend: „Komm auf meine Kammer. Steh nicht hier.“ Sie schlich hinter ihm, schloß die Tür, warf tief atmend den Schleier über die Schulter ab, an der Wand stehend. Er kauerte auf einem Schemel: „Was habe ich getan? Habe ich dich gekränkt? Indem ich Jeloud diese Freude bereitete?“ „Du bist ein Teufel, dem ich keine Antwort schuldig bin. Man sollte dich zurückjagen in deine Stadtschaft. Aber jetzt hast du dich verfangen. Jetzt ist es vorbei.“ Holyhead betrachtete sie, betrachtete seine Hände, seufzte: „Oh bin ich traurig.“ „Sprich nichts. Deine verfluchte sanfte Stimme. Du Heuchler. Hinterlistiger Bösewicht. Verführer, Menschenverderber, wie die Weißen alle.“ „Frau des Jeloud, wenn ich dich bitten könnte, mir zu verzeihen.“ „Höhne, höhne nur, Holyhead. Ich ertrag es. Bereuen wirst du, bereuen, bei Allah.“ Er hob den bärtigen Kopf, seine Hände fielen neben die Knie: „Was soll geschehen?“ Sie glühte aus dem Winkel: „Ich betrachte dich noch. Hab Geduld.“ Durch die Kammer lief sie, der Schleier fiel hinter ihr. Sie suchte mit den Händen auf dem Tisch; in dem Wandschrank: „Was hast du hier? Du hast doch eine Waffe. Womit du mich vergiften oder verwirren oder verführen oder erschlagen willst. Zeig. Wo hast du sie?“ Sie lief auf ihn zu, zerrte ihn hoch: „Du hast sie auf der Brust. Mach auf. Nimm das Leder weg. Da.“ Sie griff die revolverartige Waffe, drehte sie. Er hielt die Augen geschlossen. Sie wartete. Er öffnete sie nicht. Sie schüttelte sich verächtlich: „Was hattest du gegen mich vor?“ Die Waffe fiel vor seine Füße. Da sank Holyhead noch tiefer zusammen, öffnete seine ganz fernen nicht sehenden Augen, die in die äußeren Außenwinkel auseinanderwichen, bückte sich nach der Waffe: „Ich werde mich auslöschen.“ Ihre Hände krampften sich: „Tu’s. Du verdienst es.“ Er stand, hauchte, das Metall in der Hand: „Ich verdiene es. Wer weiß etwas davon? Im Leben vom Tode umschlungen. Ich weiß nicht, ob ich den Tod verdiene. Nun habe ich auch mit dir eine Berührung gehabt.“ Sie irrte durch seinen Raum: „Was hat er hier? Was hat er hier? Maschinen zum Verführen, zum Verzaubern. Zeig sie mir. Mach mir die Schränke auf, ich will alles sehen. So. Das hat Jeloud gesehen. Muß ich jetzt ins Wasser springen? Das hast du alles gemacht. Laß dich ansehen.“ Sie stierte ihn an, suchte in das fremde Gesicht einzudringen: „Allah. Ein Weißer mit einem langen Bart. Ich muß zu Jeloud.“ Sie ächzte, lehnte matt an einem Schrank, wimmerte: „Ich bin verloren. Was soll ich tun?“ Und winselte eine Zeitlang, bis sie plötzlich innehielt, ihr Gesicht leer wurde; gedankenlos lächelte sie: „Was tu ich. Es ist ja schon gut.“ Und wiederholte: „Es ist schon gut. Gut. Ja, es ist schon gut.“ Unter einem öden Gefühl, einer aufsteigenden Finsterheit, einer Furcht, – was für einer Furcht –, bewegte sie den heißen Kopf. Holyhead stand an der Tür. „Ich will dir sagen, Holyhead, was jetzt geschehen wird. Du hast ihn verführt. Warum hast du das getan? Warum hast du ihn von unserem Schiff geholt?“ „Er sollte mich anlächeln.“ „Und ich?“ „Was?“ „Ich war seine Frau.“ „Ich habe dir nichts genommen. Bin ich ein Weib?“ „Gut!“ schrie sie, „das hast du gut gesagt. Hast du ihn gesehen? Hast du Jeloud nicht gesehen? Ein stolzer Beduine, ein Anaze, ha! Glühend, tanzend; auf Wolken reitend! Hast du gesehen, bist du selbst verzaubert? Das war mein Mann. Ich bin auch kein Weib. Gut hast du gesprochen. Ich hasse, hasse ihn. Morgen wird er mit seinem Pferd unten reiten. Er füttert es selbst. Wenn es ihm vorher krepiert. Wenn das Brett bricht, auf dem sie herunterlaufen. Wenn deine Nebel nichts taugen und er verschlungen wird mit dem Pferd und weg ist.“ Sie hielt sich den Schleier vor das Gesicht. Holyhead atmete heftig, stützte sich am Tisch: „Ich will gehen. Oh ich mag nicht mehr. Ich will gehen, Djedaida.“ Sie schluchzte krümmte sich über dem Boden, zerriß sich die Haare: „Ich kann nicht leben.“ „Oh. Ich gehe schon.“ Sie hielt ihn an den Händen, zog sich an ihm hoch, winselte stöhnte: „Warte einen Augenblick, sanfter Tiger. Ich sehe dich noch an, sanfter Tiger. Lauf mir nicht weg. Du hast mich arm gemacht. Du bist mir von ihm zurückgeblieben. Bereu, was du getan hast.“ „Ich kann nicht bereuen. Ich kann jetzt nicht lügen. Er war mir ein Glück. Eine süße Freude.“ „Siehst du. Das sagst du mir noch. Wirst du tun, was ich will?“ „Ja, Djedaida.“ „Alles?“ „Alles.“ „Willst du den Jeloud umbringen?“ „Du bist irrsinnig.“ „Den Jeloud umbringen.“ „Nein.“ „Tu es“, sie keuchte, „ja tu es.“ „Ich tu es nicht.“ „Für mich, Holyhead, bring ihn um. Ich bitte dich drum. Du kannst alles. Du hast die Wolken gemacht. Bring ihn um, mach ihn weg. Für mich.“ „Ich tue es nicht.“ Erst brach ihr Schluchzen hemmungslos auf. „Für mich. Für mich.“ Dann griff sie ihm an den Bart. Haßstarre Züge, leere nicht sehende Augen. Sie preßte seine Hände: „Du mußt, – du mußt mit, mit mir. Es bleibt nichts übrig. Dann mußt du mit mir. Dann laß ich dich nicht los. Dann kommst du mit. Was – sagst du?“ „Du verlangst, ich soll mit dir.“ „Ja du kommst mit. Wir fahren heute. Oder morgen. In meine Heimat. Du wirst Jeloud nicht mehr sehen.“ Und am Abend verabschiedete sich Holyhead von seinen Ingenieuren Technikern Physikern. Die Shetlandinseln bekämen ihm nicht gut. Er ginge sich erholen. Nicht mehr brachte er hervor. Verfallen, wie vergiftet sah er aus; vielleicht hatte er zuviel mit den neuen Stoffen gearbeitet. Als am Vormittag Bou Jeloud, der Syrier, von Booten und Schiffen begleitet, den ersten Ritt über dem Meere antrat, – nach allen Stadtschaften der Kontinente wurden die stolzen erschütternden Bilder geleitet, – flogen Djedaida und Holyhead schon über die deutsche Tiefebene. Nach Süden und Osten flogen sie. Die Menschenansammlungen und Riesenstädte wurden seltener. Das blaue warme Meer kam, kleine Inseln. Die Küsten eines neuen Landes tauchten auf, gelbe Berge, weite leere Sandflächen. Bei Damaskus bestiegen sie Pferde. Während der ganzen Fahrt hatte der Weiße nicht das Gesicht Djedaidas gesehen. Als ein Trupp schwärmender Beduinen sie auf der steinigen Hochebene anhielt, Djedaida sich nannte, wurde der Weiße von ihr getrennt, zwischen die Männer genommen. Anaze mit Djedaidas Sippe lagerten bei Ed Daba. Die Frau bestellte ein Gericht, erklärte vor dem Scheich: „Bou Jeloud, meinen Mann, wollt ihr sehen. Ich hab’ ihn nicht. Er hat sich mit Wolken beschäftigt, auf denen er reiten will. Er hält nicht mehr zu uns. Ist kein Anaze.“ „Wo ist er jetzt?“ „Ich hoffe, er ist tot. Er wollte nach Island reiten, wo die Städte die Erde zerreißen. Ich hoffe, er ertrinkt mit seinem Pferd oder er verbrennt.“ „Du haßt ihn sehr.“ „Ich war seine Frau. Er hat mich verraten.“ Der Richter blickte Holyhead an: „Berühr den Sand mit der Stirn, bevor du sprichst. Wer ist der Mann?“ „Der Jeloud verführt hat. Ein Wesen –“ sie brach in leidenschaftliches Weinen aus – „ich wünschte, das Meer hätte ihn verschlungen, bevor wir ihm begegneten. Wir hatten nichts als die Reise vor, Jeloud war neugierig, ich konnte ihn nicht zähmen. Der Mann hat sich Jelouds bemächtigt und sich alles Schlechten in Jeloud bedient. Bis er nicht mehr mein Mann war, sondern sein Diener, dieses Affen Diener, dieses Affen, der Spiegel für sein häßliches ziegenbärtiges Gesicht. Du Hund, sag belle, warum ich dich hergebracht habe. Bring es heraus, wenn du es fertig kriegst. Da steht der Richter.“ Holyhead, die Hände auf den Rücken gebunden, zwischen zwei Lanzenträgern, betrachtete aus leeren braunen Augen die Frau. Sprach nichts. Sie warf sich auf den Boden: „Gib ihn mir. Ich will mich rächen. Muß ich mich nicht schämen, an diesen habe ich Jeloud verloren. Seinetwegen hat er mich verlassen. Gebt ihn mir.“ Der Richter flüsterte lange mit den Männern: „Djedaida. Es tut uns leid, daß du ohne Bou Jeloud zurückgekehrt bist und uns nicht berichten kannst, wie lächerlich sich die Städter benehmen. Und wie die große Expedition nach Grönland, von der sie solch Aufhebens machen, verläuft. Deine Brüder sagen, es würde dich trösten, wenn du diesen Mann umbringst. Wir wollen ihn gar nicht ausfragen. Es lohnt nicht zu hören, was ein Ungläubiger sagt. Nimm ihn. Was du willst, tu mit ihm.“ Darauf stellten die Brüder der Djedaida zwei Mann, die ritten und Trommeln an ihren Sätteln hatten. Auf einen Klepper hoben und banden sie Holyhead. Mit ihm ritten sie durch die Wüste und Hochebene, nach Südosten in der Richtung auf Beni-Sochr, trommelten durch die Ansiedlung und Lagerplätze. Djedaida in Witwentracht ritt neben ihnen. Der gebundene Weiße stöhnte. Einen Mundschleier trug er, fast nie öffnete er die Augen. Verlangte nichts zu trinken und zu essen. Schräg nach vorn abgesunken saß er, die Beine mußte man ihm unten zusammenbinden, das Pferd schaukelte ihn hin und her, kippte ihn fast um. Man flößte ihm abends Wasser und breiige Datteln ein. Er schlief nicht. Kniete halbe Nächte, verfluchte sich, Holyhead, sein Schicksal, die Städte, in denen er gelebt hatte, seine Eltern, seinen Leib und seine Seele. Der schwarze Bart wuchs ihm lang, die Backen fielen ihm ein. Wenn er sich zerrissen hatte, strömten ihm Tränen über das Gesicht. Bei Tag rüttelte ihn Djedaida wach, betrachtete ihn. Er sah nicht, daß sie manchmal von ihm weglief, sich versteckte, Gesicht und Brust schlug, sich in die Finger biß und nicht zum Weinen kam. Wenn er sich wie einen Klotz rütteln ließ und torkelnd dastand, zischte sie: „So will ich dich nicht. Was ist mit dir? Bist du ein Mann? Ha, du. Wir reiten weiter. Sieh mich an.“ Aber er sah sie nicht an. Man trieb ihn auf den Klepper. Die Frau ritt neben dem zerlumpten hängenden Weißen. Kinder auf den Lagerplätzen warfen Sand und Hölzer nach ihm. Der Haß der Beduinenfrauen war groß, sie ohrfeigten ihn, hetzten ihn aufzuhängen, bespritzten ihn mit Pferdejauche. Wie sein Schatten Djedaida neben ihm. Bewachte jede Bewegung, die an ihm geschah. Mißtrauisch, die Lider senkend, drohend still. Die Männer von Beni-Sochr, als sie das hängende stumme Menschengerüst auf dem Klepper sahen, wollten ein Ende machen, die unersättlich rachsüchtige Frau von ihm unter einem Vorwand entfernen und ihn beseitigen. Djedaida fiel das Flüstern und Abseitsstehen auf. Sie hockte mit einem Hund in der Nacht vor dem Zelt, in dem der Weiße lag. Da wagten sich die Männer nicht an sie heran, wurden erbittert. Sie hielten sie durch falsche Wegangaben einige Tage in ihrer Nähe. Durch einen Trommler erfuhr die Frau, man hatte sich verabredet, den Weißen bei Tal Reinah zu erschießen. „Erschießen. Von weitem erschießen. Das glaub ich. Die Räuber.“ Wie es finster war, weckte sie die Trommler, sie sollten die Pferde rüsten. Sie tastete sich im Dunkeln zu Holyheads Lager, schüttelte ihn. Er stammelte: „Wer schüttelt mich. Ich bin ja wach.“ „Holyhead. Ich bins, – Djedaida. Steh auf. Wir müssen weg.“ „Was ist?“ „Auf. Wir müssen weg. Sie wollen dir ans Leben.“ „Wer bist du?“ „Djedaida. Oh Allah. So hör doch. Mach dich auf. Wir sind in einem Räubernest.“ „Sie wollen mich töten? Sie wollen mich töten?“ „Die Minute, die Minute, komm rasch Holyhead, wir können nicht warten. Wer weiß, was dir geschieht.“ „Sie wollen mich töten? Oh guter Ort! Oh liebreicher Ort. Meine Segensstunde. Meine selige Nacht.“ Er kniete in dem Sand. Sie packte seine Hand, griff an seine Schulter, faßte über seinen Mund! „Ich will nicht. Oh Allah. Erheb dich. Schrei nur nicht, Holyhead. Nur nicht. Nur nicht. Du wirst nicht schreien. Sie horchen. Du bist im Fieber, du weißt nicht, was ist und was du sprichst. Du wolltest nie essen; jetzt bist du so schwach. Sie wollen dich erschießen, es sind Anaze, aber Räuber, von fernher erschießen. Ich weiß nicht warum und wann. Vielleicht weil du ein Weißer bist. Sie sind schlecht. Mach dich auf.“ „Ich will nicht! Ich will nicht. Ich werde nicht.“ „Komm.“ „Ich will nicht.“ „Warum willst du nicht? Allah, Allah, was soll ich tun?“ Sie lag auf dem Boden im Finstern, warf Sand über sich. Er tastete mit den gefesselten Händen nach ihr, die Haare hingen ihr verklebt vor dem Gesicht. Er stammelte, seine Stimme gebrochen, er lallte fast: „Das Spiel ist aus. Soll ich jetzt lachen? Jetzt läßt du mich los. Jetzt ist es zu Ende. Sie werden mich erschießen. Und ich soll dir helfen, daß alles weiter geht. Du bist süß, bist süß, Djedaida. Jetzt mußt du mich loslassen. Sie werden mich erschießen. Du kannst es nicht verhindern. Da fühl mich an. Ich bin es noch: Holyhead aus London, das ist er, Ingenieur Physiker, der die Ölwolken gemacht hat. Bald liegt er, war nichts, wie seine glänzenden Städte. Aber ich freue mich doch. Ich kann befehlen. Wenn ich schreie: Eins zwei drei, – bin – ich erschossen.“ Er tastete nach der Zeltwand, stellte sich ganz auf die Beine: „Und du – bist gesättigt, meine Djedaida?“ Sie ließ sich von ihm hochziehen, murmelte zitterte: „Schreckliches hat Allah über mich verhängt. Ich kann nicht von dir lassen. Ich kann nicht. Ich kann nicht. Du mußt leben. Ich muß dich bei mir behalten. Schreckliches hat Allah mit mir vor.“ Er schwankte stöhnte: „Was ist das, mein Gott. Ich sagte, es ist aus. Du willst mich nicht loslassen.“ Und er zog an der Zeltdecke, riß den Mund auf, mit gräßlich überschlagender Stimme gröhlte er: „Ich – will – nicht.“ Da war die Raserei durch die Frau gezuckt, aus dem Herzen in ihre Arme und Beine gestürzt. Ächzend schnellte sie sich hoch, gegen den schaukelnden Rumpf des Mannes, rang stieß riß ihn um, zappelte winselnd an ihm: „Schrei nicht. Du kommst mit mir. Ich kann dich nicht lassen. Und wenn ich dich ersticke.“ Sie stopfte ihren Schleier in seinen Mund, während sie ihn preßte: sie weinte streichelte küßte: „Allah, hilf mir. Verzeih mir, was ich tue. Allah, hilf. Komm mit, komm mit, sag ja. Du bist ja meine Seele. Du bist es. Schlag mich nicht. Ich will dich nicht töten. Allah, hilf.“ Den Trommler holte sie, auf ein Pferd trugen sie den gebundenen Mann. Die Pferdehufe umwickelte sie. Durch die Nacht wehten sie davon. Zwei Tage irrten sie auf der Steinebene herum. Bis sie den El Habis hinter sich hatten, die Häuser von Damaskus auftauchten. Und so verängstigt war die Frau, in Furcht vor den Anaze, die ihr den Mann rauben konnten, daß sie noch lange in dem mächtigen Stadtreich herumzog, das Quartier wechselte, bis sie der Trommler zu dem Freund ihres Bruders führte. Einen Halbtoten hatte sie von Beni-Sochr nach Damaskus gebracht. Er lag verwirrt auf dem Zimmer, das sie ihm bereitete. Amulette von ihr aus blauen Perlen, Zauberfische Zauberschwerter um den Hals. Sie durfte sich ihm nicht nähern, der Trommler pflegte ihn. Sein Gebrüll, wenn sie eintrat: „Da kommt sie, da kommt sie.“ Als er stehen, klar blicken konnte, wandte er eines Morgens das geisternde Gesicht auf sie, wie sie an der Türspalte erschien: „Djedaida! Djedaida! Komm herein. Bin ich gefangen? Hältst du mich gefangen?“ Sie, eintretend, sich verneigend, murmelte, hell erblassend: „Du kannst gehen, wohin du willst.“ „Ich kann. Ist das wahr?“ Und schleppte sich, mit Stöcken stampfend, an ihr vorbei, die Stufen herunter, ohne ein Wort. Wild weinend knirschend winselnd lag sie zertreten auf der Schwelle. Wie er nach Tagen anklopfte, hatte sie den breiten Kragen ihres dunklen Mantels über den Kopf geschlagen, begrüßte ihn demütig. Stumm nahm er es an, saß am Fenster. Er war versteinert. Sie zaghaft bettelnd hängte sich an ihn, trieb ihn zum Leben zurück. Riß an ihm. Eine Wonne, fast von Art eines Schreckens, dämmerte in ihm auf. Wie sie den schwarzbärtigen braungebrannten Mann in seinem Stuhl betrachtete, zitterte durch sie – sie mußte den Kopf senken – das Bild des Lagers der Anaze und wie er auf den Klepper gebunden war, bei den Tieren lag, wie er geschrien hatte, sterben wollte in der Nacht. Und das durch sie. Was war sie? Sie konnte den qualvoll süßen Gedanken nicht abweisen. Und Bou Jeloud selber kam herauf, der schöne stolze Anaze, den dieser Mann geliebt hatte. Kam er nicht über das Meer, war er das nicht? Wie schwoll es über ihr Herz. Jeloud, der junge kindliche, über dem Wasser. Er ritt zu ihr, er kam: sie war bei ihm, sie waren verbunden, Jeloud und sie, ritten in eins, umschlungen verschmolzen nach Damaskus, wo etwas Dunkles, gewalttätig Wonniges saß, sie erwartete, das Ungetüm von Freude, das sie verschlang. An den Hüften des langbärtigen Weißen hing sie: „Lieb mich, Holyhead. Wie du Jeloud geliebt hast. So lieb mich auch. Ich will dir geben, was er dir gegeben hat. Ich will dir sein, was er dir gewesen ist. Lieb mich, wie du ihn geliebt hast. Geradeso. Umarme mich!“ Und während er sie umfaßte, stöhnte sie selig: „Gut. Gut. Das erleiden wir von dir. Wie gut du lieben kannst. Wie süß du uns bestrafst.“ Mit Beben nahm der Mann aus den großen westlichen Stadtschaften ihre Zärtlichkeiten an, vertiefte sich in ihr Gesicht, tastete ihre schmale Gestalt ab: „Zwei Arme, zwei Brüste, zwei Schenkel. Wessen Arme, wessen Brüste? Eines Menschen. Zwei Arme, ein Hals, nichts als dies. Und das ist Sättigung bei den Menschen.“ Und dann ging sie auf den Straßen herum, seine Sklavin. Eine spitze vergoldete Kappe hatte er ihr geschenkt, über die sie einen weißen Schal zog. Eine farbige Jacke trug sie über dem weißen Musselinhemd. Die Messingwalze zwischen sanften dunklen Augen. Sie blickte auf ihre feinen Sandalen, kniete neben die Nachbarn hin, zeigte lächelnd ihre blitzenden Zahnreihen, atmete tief: „Ach Bahdudah, ich bleibe hier, ich wandere nicht mehr. Schenk mir noch ein Pferdehaar, daß mir nichts geschieht. Ach, Bahdudah, es ist nichts Süßeres, als einem Mann dienen zu können.“ * * * * * Grönland, das Massiv aus Gneis und Granit, schob sich, ein Keil, vom Pol in das atlantische Wasser. Zwei Millionen Quadratkilometer Fläche bedeckte es. Das Urgebirge seines Körpers hatten der Wind, strömende Wasser, Kälte, schauernde Gletscher verstrichen. Die mächtigen Falten waren abgetragen eingeebnet. Weiter rissen die Elemente an dem starken Rumpf. Einen Eisschild von tausend Fuß Dicke trug das Land. Seinen Ostrand umzog ein hoher Bergkamm, Eisdrift versperrte die Küste; Bäche stürzten über die Talboden die Gehänge. Im Westen stand ein Bergland mit scharfen Gipfeln und Graten. Ungeheure Gletscher drangen über die Berge an die Küsten. Durch Talkrümmungen wanden sie sich herunter, stiegen zerklüftet über Steilstufen. Wulstig wellenförmig ihre Oberfläche. Aus den Firnmulden flossen sie ab, langsam wie Schnecken bewegten sie sich zum Meer, brachen in die Fjorde ein, verstopften die Buchten. Zwölf Kilometer breit, sechzig lang, stieß der Frederikshaabgletscher in den Ozean; seine Schuttfläche warf er breit vor sich auf. Der Store Karajak. Er hatte eine Geschwindigkeit von zwölf Metern am Tag. Unter dem siebzigsten Grad der Jakobshavngletscher, der Uparmwick unter dem dreiundsiebzigsten, Ullaksoak unter dem achtundsiebzigsten. Der Torsukatak Assatak Tuarparsuk Tasarmiant Umartorsik Kangardluksuak Itliarsuak Alangordlak. Die Erde schoben sie in Dämmen vor sich, warfen den Abbruch der Berge, Schutt ihres Grundes, in Moränen um sich auf, schliffen Felsen ab. Unter ihnen kamen weiße Flüsse zum Vorschein, ließen Lehm und Kies auf die Böden der Fjorde sinken. Mit dieser Aufschwellung der Erde am Nordpol hatte sich das Wasser vermählt; es hatte das Land nicht wie die andern Kontinente losgelassen und sich zur Meeresfläche zurückgezogen. Es wühlte hämmerte riß an dem uralten Gestein. Fiel wirbelnd unaufhörlich aus der dunklen und erhellten Luft, Schnee, Milliarden flimmernder sechsstrahliger Kristalle Sternchen Stäubchen, überschütteten erdrückten lautlos weich die riesigen starren Kuppen Zacken Mulden. Und wie sie sinterten und gefroren, geronnen sie, wurden zusammenzementiert zu dem grünlichen glasigen Eis, das die alte Eisdecke überschichtete. Und durch seine Spalten floß neues Wasser, gefror weiter in der Tiefe. Das Eisgebirge wuchs. Überall wuchs still Eis auf dem großen öden Land. Eiswüsten breiteten sich über das Inland hin. Schwarze Berggipfel, die Nunataks, ragten aus dem gefrorenen großen Wasser auf. Das stieg an und gedieh in den Firnen, auf den Hochflächen, zog nach den Fjorden, gletscherschiebend, ab. Nach Norden buckelte sich die Ebene des Eises hoch. Wellig unermeßlich zog sie sich hin vom sechzigsten bis über den achtzigsten Breitengrad, zwischen der zwanzigsten und sechzigsten Länge. Sie überdeckten Schneebreiflächen, trockene Schneewüsten, auf Höhenzügen das Höckereis. Wassergefüllte Senken waren in sie eingetragen, im Kreis von Haufen des wilden tiefen Schnees umgeben. In ihre Seen entleerten sich Gletscherbäche und tosten über Rissen des Eises in bodenlose Klüfte Brunnen, deren blaue Wände senkrecht abfielen. Weißblau der Himmel über diesem Kontinent. Der glühende Gasball der Sonne belichtete wärmte hier nur wenige Monate. In einer Dämmerung lag das Land, durch die der stumme Mond und die fernen zuckenden Sterne blickten, in der märchenhaft das wechselnde Nordlicht tanzte. Winde wurden über Gebirge Ebenen Gletscher des Landes geworfen, Föhne mit Wärme, Nordweststürme, die den Schnee zu Wolken peitschten, ihn wie einen Vorhang vor sich trieben. Der fegende Sturm schmolz Kehlen in die Firne und Gletscher, modellierte die Eismassen, zog Dünen in sie ein mit flachen Böschungen. Den gefrorenen Boden hobelte er zu einer Platte glatt. Tiere und Pflanzen wagten sich in die Einöde vor. Tangwälder wuchsen in den Tiefen des polaren Meeres. Der bellende Eisfuchs, wandernde Renntiere, braun im Sommer, Eisbären, die auf den Inseln nach Vogeleiern suchten, Lemminge Eulen der zottige Moschusochse Robben Alken Lumme. Als Rasen krochen Moose an windfreien Abhängen über den Boden. Graue Flechten hingen an den Felsen. Den Schnee, die Sternchen Stäbchen des Wassers, überzogen Völker einzelliger Algen; grau braun rosa violett färbten sie den Boden. Von Europa kamen, von der belgischen und britischen Küste in nicht endendem Zug die Meeresstraßen herauf die schwarz beteerten Arbeitsschiffe, die schwimmenden Fabriken, Ölwolkenschiffe, stampften durch den Ozean. Eisbrecher ihnen zur Seite und voraus. Schweigend schoren sie das Wasser. Sie verteilten sich, das brennende Island passierend, nach Norden und Süden, umringten Grönland. Und wie das Eis Grönland mit einer Barriere umzog, umzogen sie es mit ihren schwarzen tiefeintauchenden Gebäuden. Immer neue quollen nach. Sie bliesen, wie sie an ihren Standorten hielten, empfangen von der schweigenden Besatzung der Islandflotte, aus ihren Luken den schweren Rauch von sich, den Ölhauch Holyheads, in dem sich mit einer weißen Masse grünliche blaue rote Schwaden vermischten. Die Schiffe setzten versuchend bald von dieser, bald von jener Schwadenart zu. Langsam und kaum vom Wind zur Seite getrieben erhob sich der Rauch, dem immer neuer nachquoll, verstärkte sich, blieb, als wenn er ein Tier wäre, das vor seinem Stall ist, gleichmäßig in einer Höhe stehen. Die farbigen Gasmassen stiegen senkrecht auf, verlangsamten mit zunehmender Höhe ihre Bewegung, dann bei einer bestimmten Höhe war ihr Auftrieb erlahmt. Sie sammelten sich an, breiteten sich wagerecht allmählich aus, als wären sie Öl auf einer Wasserschicht. Am Scoresbysund der Ostküste, an der Südspitze, an der Diskobai im Westen wurden Proben für die Höhe der Ölwolken bestimmter Zusammensetzung gemacht. Sie sollten die höchsten Gletscher überragen, annähernd gleichmäßig den ganzen Kontinent bedecken. Als das Gemisch der Gase bestimmt war, begann der um Grönland versammelte Ring der Schiffe seine Arbeit. Ohne auf Föhne und kalte Stürme Rücksicht zu nehmen, stießen sie die dunkelfarbigen Dämpfe aus, die sich in der ungeheuren Höhe ansammelten, von den nachfolgenden über das Land hingetrieben wurden. Die seewärts drängenden Wolken dirigierten Fliegerreihen mit Böenbomben. Die zusammengeschleuderten Gasballen hingen zähklebig aneinander. Flächig plattenartig lagerten sich immer dunklere Massen hin, wurden fester, je dichter sie sich anhäuften. Sie waren ein unnachgiebiges den Raum erfüllendes Zwischending von Gas und starrem Körper. Regen, der über sie fiel, konnte die starken aufwachsenden Wolkenbänke nicht durchdringen. Wasser Schnee lagerte sich in Buchten des Gases, stürzte in der randlichen Schiffsgegend herab, vermochte aber das Gas nicht herunterzudrücken. Das seitliche Ausweichen blieb die größte Gefahr. Scharen von Fliegern und Frachtluftschiffen wurden in der grausigen Höhe stationiert, die immer in Gefahr waren, von den aufrollenden Wolken erfaßt zu werden, zu kentern und abzustürzen. Eine ganze ununterbrochene Barre von Explosionen mußte man um die Gaszone legen, das Verschwimmen Zerkrümeln Verbröckeln der Dämpfe aufzuhalten. Die Furcht der Ingenieure, die Auftriebskraft der Gase könnte in der Höhe allmählich nachlassen, die Wolkenmasse sich langsam senken, bestätigte sich nicht. Die dunkle gewaltige Luftbank über Grönland blieb in ihrer Höhe; man konnte ihr vertrauen, Flöße wie auf ein Meer auf sie werfen. Mit ihrer finsteren stummen Entschlossenheit gingen die Islandfahrer an diese Arbeit in der Luft. Von dem Grauen der leuchtenden Turmalinschiffe sahen sie weg; keiner rührte mit einem Wort daran. Die Schiffe lagen fest. Die Neuanfahrenden hielten die Ungetüme nicht für Schiffe, wie sie überwuchert waren von baumartigen bunten Algengewächsen, von Vogelscharen belagert. Dicht beieinander hatte man an den Standorten die Turmalinfrachten geschoben, abseits von dem übrigen Geschwader, als wären sie verseucht. Die ruhenden Gebäude waren längst zusammengewachsen: die Gewächse hatten Brücken zwischen ihnen geschlagen, die nur selten von segelnden Eisblöcken zerrissen wurden. Vögel spazierten und nisteten auf den grauen roten Brücken, in denen sich Mollusken und Fische fingen, spielten und verendeten. Wie besäte Hügel wuchsen die ruhenden Schiffe in der eisigen Luft auf. Wie sie nebeneinander lagerten in den Buchten, am Eingang der Fjorde, schienen sie steile und bucklige Inseln zu sein. Man sah manchmal die grauen und roten Massen zucken und schaukeln. Die Islandfahrer warfen Planken von riesiger Breite auf die Ölwolken herab. Und wie sie sie bestiegen, zogen sie benachbarte heran, richteten sie auf, nieteten sie zusammen. Bisweilen schwankten die Flöße, auf die sie sprangen, sanken schräg abwärts in ein Wolkenloch, stellten sich hoch, kenterten. Im grauen rosa violetten Rauch zappelten die abgerutschten Menschen. Sie suchten sich aus dem gallertartigen schwammigen morastigen Gewebe hochzuarbeiten, schlugen um sich, hangelten, unfähig sich abzustoßen, nach den Brettern. Neue Gasmassen, von seitwärts anschwebend, schoben sich um sie, über sie. Sie wurden eingebettet verkittet, griffen sich nach Brust Nase Mund, aus denen Blut schoß; wurden japsend den Kopf zur Seite legend, erdrückt. Dort oben stolperten im Beginn viele, lagen schräg mit hängenden Armen über dem prallen Gas. Das dunkle Quellen schob an ihren Leibern, klemmte hier ein Glied fest, riß es vom Körper; dehnte, wie die Hände zugriffen, die Füße tretend eingetrieben waren, die Leiber mit sich, länger, länger. An den Grenzen zog sich das Gewebe auseinander; da fiel ein erstickter Flieger, schwarzgesichtig, ein abgerissener abgedrehter Körperteil auf das Eis oder in das Wasser. Sie liefen oben, warfen Planken neben Planken. Der Kampf gegen die Winde begann. Der Nordoststurm, mit Nebel und dichtwirbelndem Schnee, riß an den Außenseiten der wachsenden Wolkenbänke, jagte Fetzen. Kleine Scharen und Einzelne segelten mit den Abrissen über das abgrundtief liegende Land, verkamen. Auf den Platten standen sie, taumelten; es war schlimmer als auf der See. Schwankten mit den Brettern meterweit auf und nieder, hin und her. Es hieß in furchtbarer Eile Platte neben Platte auf den dampfenden ins Land wachsenden Boden werfen. Besinnungslos standen sie oft oben, warfen sich hin, erbrachen, geschaukelt zerwirbelt, von den flutenden rollenden Brettern getragen, die manchmal wie ein Spiel sich voneinander entfernten, von einem Wolkenknäuel übereinandergehoben und aufeinandergeklatscht wurden. Sie hingen an den Rändern über dem unermeßlichen Eisland. Dunkel lagen die Wasserspiegel der Fjorde unter ihnen, im Osten stiegen die Gipfel todesstarr bis dicht unter sie, die Kämme der Gebirge berührten sie fast. Der Eishauch der Firne wehte zu ihnen auf. Die blauweißen Gletscher bewegten sich träge nach unten in die weiße Ebene, durch die eingerissenen Felsgassen. Ihre Trümmer und Lawinen hingen über Bergstufen quer wie Riesenleichname. Wie sie auf Island Brücken von der Küste warfen am Myvatn Krabla Leirhukr, an der Eyafsbucht, von der unglücklichen Heraldsbucht her, auf den schmetternden Brücken in der ascheschwirrenden Luft schwebten, über dem Jökulsa, an der Fiski-Ebene, über den Gletschern des Ostens, wie sie den gewaltigen Vatna erklommen, bevor sie von den himmelzerreißenden auflohenden Vulkanen verbrannt und zerblasen wurden, so stiegen sie jetzt über das stumme Land. Die Winde tobten über dem Eis. Das Land ruhte, wie ein Blinder, über den ein Geschick heraufzieht. Von allen Küsten schwollen sich sehnsüchtig die Wolkenschichten entgegen. Die Menschen wollten die wogenden Massen bis auf eine inselartige Lücke gegeneinander vortreiben. An der Diskobucht, über dem Onemokfjord erschienen unter den finsteren Bänken der Ölgase bläuliche ovale Wolken, die ein Föhn vor sich trieb. Die auffahrenden Frachtflieger sahen sie. Die Luft wurde still und warm. Die Gasmassen senkten sich, erst langsam, dann im Sturz. Wie auf Kähnen, die in einer wilden Strömung fahren, die Schiffer mit langen Stangen stehen, sich von den gefährlichen Ufern abstoßen, sich unten abstemmen, hin und her springen, so warfen sich die himmelhoch schwebenden Arbeiter auf die Planken, hielten sich mit Balken frei, preßten die Nachbarplatten zur Seite. Auf und ab stiegen die Gasmassen, auf und ab taumelten rollten die Menschen. Die Schichten noch nicht schwer und dicht genug, beulten sich. Die Menschen hin- und hergerissen schlugen sich mit den Planken. Auf dem Boden tief unter ihnen bewegte es sich. Der dicke ballige Schnee geriet ins Laufen, er wich dem blasenden Föhn aus. An der Eisfläche arbeitete etwas mit großer wachsender Gewalt, schrubberte die Fläche Stoß auf Stoß, Schub auf Schub. In kleinen großen unregelmäßigen Würfen flog der Schnee. Die Schnee-Ebene brandete. Dampfartig stieg es vom Boden auf und zerwehte. Wie sie sich oben verklammerten. Wie von den Arbeitsschiffen an der Küste der träge Qualm herblies, hilflos langsam, herüberblies, abgebogen wurde in der trommelnden Luft, sich spiralig um sich selbst drehte und abgeknickt wurde. Am Rand oben wurden zersprengt die himmelhoch schwebenden Wolkenballen, über den Himmel im Föhn schossen sie hin wie kleine Lämmerwolken, wurden rettungslos geschleudert. Der Föhn hetzte die dünnen sich verflüchtigenden Gasschichten auf das Meer. Die Platten, lose aufgeworfen, abgehoben wirbelten wie Papier im Sturm. Menschen Balken Bretter trieb der Sturm geradewegs vor sich, trug sie auf dem zergehenden Gas kilometerweit wie ein Löwe im Maul mit sich fort, ließ sie dann unter sich fallen in das tosende schwarze Wasser, auf die jagenden Eisschollen. Flieger zuckten hinterher, raketenartig stiegen sie auf, wurden vom Wind zur Seite gestoßen. In dem Tosen hob sich noch aus den Arbeitsschiffen der armselige Rauch, den der Sturm brach. Die Schiffe selbst wurden gerüttelt gehoben ergriffen gedrängt. Krochen erzitternd um sich, stellten sich hin, wehrten sich, während oben der bleierne Himmel sichtbar wurde, in dessen Leere rote und blauschwarze Wolken, bunte Fetzen blitzten und sich auflösten. Zerblasen die Wolkenbank der Diskobucht, im Süden Norden; die Bänke bis tief ins Land aufgeschlitzt. Draußen torkelten die Menschen, glitten ab, wurden an Beinen schlagenden Armen kneifenden Augen züngelnden beißenden spuckenden Mündern von dem Gas überzogen. Wie eine Haut streiften stießen sie es weg. In der Luft, im heulenden Föhn, balgten sie sich mit dem Gas herum, waren eingewickelt darin, rund wie ein Igel zusammengebogen. Sie sausten abwärts, auf Eis, legten sich langsam, vom Eis entlassen, hin. Von den Färöer und Shetlands stampften neue Ölwolkenschiffe herüber, zogen einen zweiten Ring um das grönländische Massiv. Meterdick lag über dem Land schon die schillernde Wolkenmasse, leicht auf und ab pendelnd, in sich verbacken. Die Stürme pfiffen wie an Steinmauern dagegen. Über der Bank ging wie seit Jahrtausenden für wenige Stunden die Sonne auf. Ihr Licht drang nicht mehr durch. Der Kontinent war von dem alten weißen Himmel, dem stummen Mond, dem sprühenden Nordlicht, den kleinen funkelnden Gestirnen abgeschnitten. Die Wasserdämpfe des Landes sammelten sich an der Unterfläche der Wolkenbank, zerstreuten sich sehr langsam, entleerten sich im Schneegestöber, in Schlammregen. Sie konnten nicht abziehen; mit schwerem Wasserdunst bedeckte sich das Land, die Temperatur stieg. Zugleich wuchs die Finsternis. Der Tiere bemächtigte sich eine Unruhe. Renntiere zogen in Scharen über das Eis, ihre Weideplätze verließen sie, sie irrten umher. Die Scharen fanden keine Führung, Rudel trieben zusammen, ängstlich hielten sie auf den Küsteninseln. Die Bären und Füchse wurden aus ihren Höhlen gejagt. Ihnen war beklommen, sie liefen und schnupperten, fanden nichts verändert, waren nicht beruhigt. Das ängstliche Schreien der Raben. Glatte Robben tauchten auf, zogen sich über das Eis, suchten neues Wasser. Die Tiere wurden wachsamer eins auf das andere, griffen sich, wo sie sich befeindeten, gereizter an. Über den Gebirgen und Eiswüsten schwamm von Osten Süden Westen Wolkenschicht auf Wolkenschicht zu. Fetzen von der Gegenseite flatterten schon an. Auf losgelösten Wolken fuhren einzelne verunglückte Plankenwerfer über das Land, kamen unbeschädigt auf der Bank jenseits an. Als die aber auf den Platten im Westen und Osten sich mit bloßen Augen sahen, schrien sie nicht auf, winkten nicht. Manche sanken schlaff hin. Die Gasschiffe verstärkten die Wolken. Gegen Ende August zogen sie sich zurück. Die menschenverlassenen Turmalinschiffe mußten angefaßt werden. Es machte keine Schwierigkeiten, von allen Geschwadern Menschen zu ihnen zu kommandieren; straff, wie unter einer Blendung, taten die Grönlandfahrer alles was nötig war, ohne Befehl. Aber das überstürzende Grauen, wie sie sich auf kleinen Schiffen den bunten schwirrenden Inseln näherten. Keine Umrisse von Schiffen waren zu erkennen. Wale erschwerten die Annäherung an die Inseln. Man mußte Sprengstoffe gegen sie werfen; das Wasser rötete sich gräßlich; die dunklen Leiber schwammen eine Weile auf dem Wasser. Wie das Fangnetz eines Schleppers hingen Tangmassen um die Inseln. Man mußte sich schneidend hauend brennend durch sie arbeiten. Boote zogen die abgelösten Stiele und Geflechte ins offene Meer. Schritt für Schritt rissen sie das wuchernde Kraut los; Schicht auf Schicht mußten sie abtragen. Die Boote wechselten stundenweise; es gab immer wieder Menschen, die den Trieb nicht überwanden sich hinzugeben und mit Gewalt zurückgeführt werden mußten. Man drang schließlich, nach Sprengung der Algenbrücken und Reinigung des Wassers, an die Schiffsrümpfe heran. Wie sonderbar sie verändert waren. Die Außenhaut der Frachter legte man oben bloß; man sah schon, wie die Brücken und schwersten Tangmassen beseitigt waren, daß die Frachter wie befreit heftig zuckten, sich langsam von der Stelle bewegten, ruckweise zerrende Bewegungen nach oben machten. Schon glitten die Schiffe leicht, die Boote hinterher; man mußte fürchten, daß sie sich über das Wasser, aus dem Wasser herausheben würden. Oben am Bordrand waren alle Bleche gelöst, die Verschalungen geborsten. Von außen, von innen trieben Sprossen Äste dünne Balken durch die Schiffswand. Die wenigen Kabinen des Oberdecks waren von einem Dampf erfüllt; aber das schien nur so, als man die Türe öffnete. Sie waren ausgefüllt von einer Art Spinngewebe. An ihrem Rand, den Aufhängseln der grauweißen Gewebe hatten sich die wuchernden Hölzer der Wände, die Äste der Türen Luken selbst beteiligt, mit einem Flechtwerk von Fasern. Man sah aber keine Spinnen in den Räumen. Und wie man das dünne Gewebe mit der Hand und Stöcken zerriß, erkannte man es als feinste haarartige grasartige Austreibung der gequollenen Blätter, Röhren Stränge der Hölzer der Spinde der Decken des Bodens. Außerhalb der Hölzer und weit von ihnen entfernt hatten die Pflanzen mauerartige Organe gebildet. Jede Kabine war hauchdünn wie Mark aufgelockerter Stämme; in längerer Zeit mußte der Raum zuquellen verholzen. Man ging auf schaukelnden Lagen. Wie man den Boden aufschlug, um in die Speicher zu kommen, schlugen stickige Gase heraus. Schwammartig erweicht und verwoben waren die Decken. Aus den tiefen Knorren der Masten sprangen frische wulstige Äste hervor, die sonderbar behaarte samtene Blätter trugen; sie schlossen sich oft dicht blütenartig zusammen. Wimmelnde Käfer und Ameisen. Man brauchte nicht nach den Speichern suchen. Von ihnen aus den Tiefen der Schiffe ging das intensive ruckweise sich verstärkende Leuchten aus, das oft blendende Aufglimmen, das in der allgemeinen gleichmäßigen Dunkelheit das Kabellicht überflüssig machte. Die Decke zu den Hallen schlugen sie ein, mit Beilen Sägen Feuer brachen sie durch; seitlich rissen sie die Wände des ganz verfilzten Gebäudes ein. Ins Wasser wurden Balken und Bleche geworfen, die Fische schwammen hinter den Hölzern her, bewegten sie mit den Mäulern vorwärts, kauten an ihnen, trugen sie auf ihren Rücken in See. Frei lagen die Berge der Netze. Zauberhaft ihr Anblick, wie sie sich durch die Buchten der Schiffe spannten. Mit glattem gewalzten Metall waren die Wände der Hallen bekleidet gewesen. Märchenhaft hatte sich das Metall bewegt. Seine ebene Glätte war verschwunden. Wellig hatte es sich geworfen, Beulen Wülste Kugeln vorgewölbt. Aus der Ebene der Wellen und Wölbungen stachen strahlige glitzernde Kristalle lang vor, die das Metall um sich aufzogen, so daß um sie die Platten rissig wurden. Das Eisen blühte von den Wänden den leuchtenden Schleiern entgegen. Der schreckliche Glanz der Schleier. Ihr Verdunkeln Aufstrahlen. Der Modergeruch, die anschwellende Wärme. Die Haken der Flieger griffen nach ihnen, die ruhig hingen, wie man sie aufgehängt hatte. Schleier um Schleier wurde durch die dunkle regentriefende Luft hochgetragen. Auf den Ölwolken lagen schon die Platten, die sie zum Glühen bringen sollten. Von den Schiffen herauf wurden an Hunderten Punkten die Drähte auf das Wolkenlager gezogen, die das große Kabel mit den Schleiern verbanden. Man arbeitete stürmisch, war der Erschöpfung nahe. Anfang September waren die Turmalingebäude entleert. Die leeren Frachter waren schon wieder verfilzt; manche zerfielen. Da rissen sich die Ölwolkenschiffe Menschentransporter von den Küsten des finsteren eisumlagerten eisdrängenden Landes, sausten süd- west- ostwärts. Stoben ab von Grönland, das sie in schwere Nacht geworfen hatten, das einsam mit seinen wimmernden unruhigen Tieren hinter ihnen lag unter der Ölwolkenbank und den glimmenden Schleiern. Scharen der Flieger und Luftschiffe rasten wild den Meeresschiffen voraus. So rasch mußte man den Ozean überqueren, wie man konnte. Zwei Tage fuhren die Meeresschiffe; die Küste des Baffinlandes streiften die westlichen, die im Osten hatten den zehnten Längengrad überschritten. In der Nacht zum dritten Tag wurde der Kabelstrom auf die Isolierung der Schleier losgelassen. In diesem Augenblick verlangsamten alle Meeresschiffe ihre Fahrt, die Flieger ließen sich auf die Decks und auf das schäumende Wasser nieder. Erschauern Zittern ging durch die Menschen, die sich über die finsteren Decks scharten, aus den Kabinen rannten. Es war zu Ende. Man hatte den Krabla Leirhukr Herdubreid Katla Hekla gesprengt. Island zerrissen, die Feuer der Erde geöffnet. Auf den beweglichen Brücken waren viele hundert Menschen, wie sie, die auf den Decks standen, verascht zerblasen über die Gletscher gestoßen ertrunken. Neue Schiffe Menschenmassen waren vom Festland hergestampft. Man hatte nicht geruht. Die Insel gab ihre Glut her. Die Schleier wurden gefüllt. Die schrecklichen Turmaline strahlten sangen. Die Fische Vögel Algen im Meer lockten sie und wollten fliegen. Zuletzt kam Grönland jenseits des Wassers. Man mußte Wolken über das Land legen, Planken auswerfen. Wie viele verkamen, stürzten ab. Als jetzt die Sirenen schrien, standen sie auf den Decks über dem rollenden Meer. Es bebte trommelwirbelte schleuderte sich hinter ihren Hälsen herum, daß sie ächzten und ihre Füße weich wurden. Ihre Lider wurden angstvoll aufgerissen, die Augen standen ihnen weiß barbarisch auf. Die Mundwinkel wurden krampfhaft heruntergezogen, die Lippen gespitzt. Sie bogen sich. Es wogte mit Hitze über ihren Leibern, schauerte über Rücken und Nacken. „Unglück. Welch Unglück. O, lieber Himmel, welches Unglück. Was haben wir geduldet. Was, was! Süße Nacht, süßes Leben. Liebe Stangen, liebes Geländer, Erbarmen. Liebe Menschen Bretter Seile Masten Bleche. Liebe Jacke, rauhe Wolle, Erbarmen. Meine Finger, mein Leib, lieber Arm, lieber Hals. Mein Hals, mein Hälschen, meine Haut, mein Kinn, Erbarmen. Ah, welches Unglück.“ Und dann wurden sie wie von einer Hand hingedrückt, zappelten in sich. Jetzt geschah es hinten. Das Meer blieb glatt. Eine Welle von Licht schritt über den Horizont fort. Sie lagen auf den Gesichtern. Entsetzen Schmerz in den Brüsten. Alle Kehlen geklemmt. Winselten vor Schreck haltlos, als die Lohe am Horizont unbändig höher höher höher höher schritt. Zugleich zuckte in ihnen die Sehnsucht: Dahin! Sehnsucht nach dem Feuer! Das Feuer Islands! Das furchtbare geliebte Land! Leirhukr Myvatn Krabla: das war es. Das Feuer höher höher. Nach der Insel wollten sie. Ohne Maß ihre Sehnsucht: „Was ist das Leben. Unser Feuer. Unser Feuer.“ Und manche lagen, wollten nicht zu dem blendenden Licht aufsehen, wollten das Licht nicht sehen. Wenn es doch verschwände. Ihre fressende wahnsinnsnahe Angst. Wenn man es wegwischen könnte. Sie hatten schuld daran. Das furchtbare Lohen weg. Auch die Führer, Männer und Frauen, wandten sich ab, standen zitternd, verfluchten sich. Kneteten sich die Brust: „Ich bin nicht daran schuld.“ Ihre Zähne klapperten knirschten, Ohren und Nasen kalt, sie fühlten ihre Finger nicht. Schluckten; schlenkerten die toten Füße über die Bretter, stampften, um sich nicht zu verlieren. Öffneten schlossen im hilflosen Takt die Augen. Aber dann hielten sie sie fest. Nach dem Licht hin. Das Licht, das Feuer höher höher höher über das unendliche Himmelsgewölbe. Das sollten die Augen sehen. Auf das blendend weiße hochtreibende Licht die Augen hin. Man mußte es einschlucken mit weitem Mund wie ein Ertrinkender das Wasser. Den ganzen Wasserschwall mit offenem Walfischrachen nehmen, und immer schlucken, schlucken. Muskeln festhalten, Augen hinhalten, den Boden mit den Beinen festhalten. Und sie konnten es ertragen, die Augen kniffen nicht zu. Es ging. Was da brannte, war der Turmalinschleier. Man mußte es benennen. Die Turmaline waren vom Festland herübergeschickt; es waren gegossene gesponnene Gesteine, eine geschickte Arbeit. Auf den Ölwolken lagen sie. Das war keine neue Erfindung. Schon Angela Castel hatte sie im Krieg verwandt. Das waren ihre Dampfbläser. Was man alles machen kann. Die Füße wurden fühlbarer, man konnte die Zehen bewegen, sich umdrehen, die Schultern herunterlassen. Die Aufgabe in Grönland war gelöst. Jetzt langsam Luft schöpfen, einatmen, einatmen, ausatmen. Sie blickten neben sich, ihre Köpfe hingen noch. Um sie lag man, die Hände vor dem Gesicht. Die Gelähmten Erschütterten. Jetzt nicht sprechen. Die Schiffe trieben stundenlang in den erhellten Gewässern steuerlos. Dann regten sich die Menschen. Hoben die Köpfe von der Brust, als nähmen sie ein Urteil an. Die Maschinen schlugen von unten durch den Schiffskörper, es ging rhythmisch durch ihre Glieder. Finster blickte man an dem andern vorbei, prüfte zweifelnd das Wasser. Über dem Wasser lag ein nicht wegzulöschender, alles überschüttender Schein, von dem die Wellen flinkerten. Der Himmel, die nördliche Wölbung, wurde verschlungen von ihm. Was war geschehen. Man stampfte weiter, strich an den Kleidern, spie. Grimmiges Stieren. An die Arbeit. * * * * * Vor den Färöer und Shetlands sammelten sich die Geschwader. Sie unternahmen tagelang nichts. Während sich die Menschen brütend um einander bewegten, kam die Weisung von den Flottenführern, ein Beobachtungsgeschwader zusammenzustellen. Man beschleunigte die Ausführung nicht. Man drängte die finsteren lethargischen nicht. Man beobachtete wie in Island und um Grönland, daß trotz der Erschlaffung, trotz des immer wieder aufschwellenden Entsetzens und der Erschütterung keiner auf das Festland zurückverlangte. Nach zwei Wochen setzten sich dann leichte Fahrzeuge in Bewegung. Von wenigen Fliegern wurden sie begleitet. Sie steuerten den alten Weg nordwärts. Der wachsenden Helle, vor der sich ihre Gemüter stumm neigten, fuhren sie entgegen. Von Breitengrad zu Breitengrad wurde die Helle stärker. Es war ein rosafarbenes, fast weißes Licht, das über den nördlichen Himmel und Ozean ausgebreitet war. Wenn der flammende Sonnenball hinter der westlichen Horizontlinie verschwand, war schon im Norden das rötliche Weiß aufgezogen, von Minute zu Minute strahlender, zu betäubender Helligkeit wie eine Blume sich öffnend. Und als sie in Höhe des fünfundsechzigsten Breitengrades fuhren, war das Sonnenlicht unsichtbar geworden. Es war vergangen unter der nördlichen Helle, wie die Sterne, die bei Tag unsichtbar sind. In dem neuen rosigen Licht schwammen sie auf dem angestrahlten Ozean. Ein Brausen nahm sie auf und umgab sie, eine gigantische Musik, fernes dumpfes und helles Durcheinanderschmettern, das von klirrenden klingenden hohen Tönen durchsetzt war. Über ihnen kein Himmel, nur das gleichmäßige rosigweiße Licht. Zuzeiten war Dämmerung und Dunkelheit hinter ihnen: das mußte Abend und Nacht auf der übrigen Erde sein. Zuzeiten teilte sich die Dunkelheit unter einem weichen Dunst auf, schleierartig, im Süden: diese dünne bläßlich graue Aufhellung mußte der Tag der Erde sein. Sie standen auf den Decks. Auf Booten fuhren sie, frei ernst glücklich, von Stunde zu Stunde glücklicher. Dachten nicht, es war in ihnen ausgewischt, wie dies gekommen war, – was brannte, – was geschah. Sie fühlten sich in das Klirren hohe Singen Orgelbrausen hineingesogen. Beseligend das Licht, an dem sie sich weideten, sich nicht sättigten. Sie fuhren schon in der Region, die sonst mit Eisbergen gefüllt war. Es fiel ihnen nicht mehr auf, wie besänftigt das Wasser floß: die Luft ging kühl, oft kalt, wie immer. Aber als wenn sie in den Tropen wären, fuhren viele in Booten nackt bis auf den Gürtel, fühlten sich wohl, versagten es sich, in den Kabinen zu schlafen. Über dem weiten Ozean geriet der Wind in eine sonderbare Bewegung. Der grönländische Feuerherd übte seine Wirkung. Alle Windrichtungen waren verändert. Der sonnenartige Brand am Pol zog wie ein Äquator die Luftströme an; sie wehten nach Norden in einem heftigen oft zu Böen gesteigerten Drang. Die auf dem Wasser schleifenden tiefen Luftmassen züngelten in den Schwelch der nördlichen Glut. Die Stärke ihres Dranges wuchs von Breitengrad zu Breitengrad. Zu dem auf und ab wiegenden Brausen Schmettern Klingen traten die sanften Geräusche des Verdehnens der Luft, das Stöhnen Rufen Singen. Die Luft schlürfte an der Meeresoberfläche hin, riß spielend den Wellen die Kämme ab, wühlte sich mit Stößen ein, Trichter in das Wasser bohrend, riß sich schreiend los, flutete toste hin und konnte nicht widerstehen. Rascher und rascher mußte sie fahren. Die Massen aller Windschichten wühlten ineinander; sie mußten hin. Senkrecht und schräg aufrecht fuhren sie, bogen aus. Sie streckten sich lang lang hin. Im Sturz, im Zug schwanden sie. Waren davongezischt, hart über die Fläche schießend, das Meer abplattend, niederdrückend, daß es eingedämmt hinter ihnen in häuserhoher Flut einherwallte und sich wieder zurechtfand. Während die Menschen auf dem Meer schwammen, die Schiffe starke Kräfte in die Maschinen warfen, um dem ziehenden Drang nach Norden zu widerstehen, oft rückwärts fuhren, den pfeifenden Wind zerteilten, verfinsterte sich gelegentlich die Luft unter einem Rauch. Eine Brunst unerhörter Hitze schnob um sie. Lachend nahmen sie sie an. So freudig waren die Menschen des Beobachtungsgeschwaders, daß sie unter dem siebzigsten Breitengrad nicht zu bewegen waren, weiter zu dringen. Der Küste Grönlands sollten sie sich nähern. Aber sie wollten nun nichts als in dem wonnigen Wasser ausruhen. * * * * * Zu dem Geschwader gehörte eine Zahl Schiffe, die für Gefahren besonders ausgerüstet waren. Sie waren mit Vorkehrungen gegen das ozeanische Wasser versehen. Sie sollten gewaffnet sein, in der Nähe Grönlands, nahe den niedergehenden Lawinen, dem Absturz des ungeheuren Islandeises, dem Schwall der Wasserberge zu widerstehen. Die Menschen dieser Schiffe gingen jetzt, von der Glückseligkeit des Wassers gelöst und benommen, vom rosigen Licht, dem sanft wühlenden Winde bezaubert, eigene Wege. Der gewaltigen Ausrüstung bedienten sie sich für ihre Zwecke. Sie wollten, beschlossen sie, hier bleiben, sich auf dem Meeresboden tummeln. Sie wollten nicht mehr, nie wieder zurückkehren. Sie wollten auch nicht nach Grönland fahren, die Schönheit des neuen Kontinents abwarten. Gleich auf der Stelle, hier im Augenblick hatten sie ihr Land. Kräftig und mutig fühlten sie sich. Der Mischling Mutumbo führte sie. Nach Jan Mayen unter der zehnten westlichen Länge, nördlich der siebzigsten Breite waren sie vorgestoßen. Sie loteten eine gebirgsartige Aufstufung des Meeresbodens. Hier in die Flachsee, unter dem beseligenden Licht, ließen sie sich nieder. Noch einmal, verkündete der Führer, möchten die verruchten Kräfte der großen Stadtschaften für sie arbeiten. Mit zweiundzwanzig Schiffen und Beischiffen umschloß Mutumbo die Stelle, begann sich wie ein Stier mit den Hörnern in den Wiesenboden, in den flüssigen Ozean einzugraben. Umgeben waren die Vorderschiffe mit flammenfesten, aneinandergefügten Basaltmänteln, die die Kräne schnaubend aus den Laderäumen hochangelten, schiefrig grauen Platten, die sich wie starre Visiere vor die Schiffshaut legten. Die Platten legten sich um nach rückwärts, schoben sich balkonartig als Plattform über das Vorderdeck. Auf allen zweiundzwanzig Fahrzeugen waren Maschinen montiert, an die heran ein Gewirr von Kabeln aus den Schiffsbäuchen lief. Die Maschinen glichen Reihern und Kranichen. Lange magere Hälse, die sich auf den plumpen, festgenieteten Rümpfen drehten, streckten sie nach vorn über die Schiffsspitze, tauchten sie an den grauen Basaltmänteln herunter in die grün-weiße Meeresströmung. An ihren Hälsen hing ein dickes, meterlanges, kettenschleuderndes Gezottel von Seilen und Drähten, als wären es Mähnen. Tauchten die Mähnen in das salzige Wasser, berührten sie die spritzenden Wellenkämme, so schrie das Meer, als wäre es ein schlafendes Tier, dem ein Skorpion zwischen die offenen Lippen und die Zähne kneifend in den Rachen kriecht. Es warf sich, wachte auf, brüllte. Und im Moment gab es ein Brodeln; das Wasser stieg als warmer Schwall, weiße, zitternde, unruhige Wolke von der tosenden Fläche auf, jagte, wild um sich schlagend, blind wühlend hoch. Und immer neues, nicht nachgebendes Beißen und Herabstoßen der Reiher, Knallen und Aufklatschen der Mähnen, wütendes Brodeln Kreischen Spritzen, dampfendes Abweichen Keuchen, meterhohes Aufzischen, brüllende Gischt. Kilometerdick eine weiße Wolkenmasse, ein Wolkengebirge über dem Schiffskreis, bereit, auf das dampfende Loch unter sich herunterzustürzen. Die Böen jagten hinter ihnen her. Der Dampfschwall flutete in die Höhe der Stratuswolken; kaum fühlte er die Kälte, so brausten, mittschiffsentlassen, die Böen hinter ihnen. Aus dem Kreuzfeuer der explodierenden kopfgroßen schwarzen Inulitbomben, die donnernd aus winzigen Mörsern aufschossen und sprengend die Luft mit einem ungeheuren Ruck zerteilten. Die weichen zitternden Wolken fühlten sich im Rücken angepackt und im Nu meilenweit fortgeschleudert, davongeschoben wie ein Teller von einem Tisch, ein Hund von einem Napf, an dem er kläfft. Und dann schnoben sie, die weißen zerrissenen flattrigen Massen durcheinandergewirbelt in einem einzigen Regenguß, einem losen weiten unermeßlichen Regenguß, grau und schwarz in das hochspringende Wasser zurück. Stürzten rasch und unablässig, daß sie Scharen von Möwen fort- und herunterrissen, ihre nasse Hand auf die dünnen anstrebenden abschlüpfenden Leiber drückten; kein Flattern Hälserecken spitzschnäbliges Aufdringen half. Und selbst wenn die Vögel noch eben Kraft zum Flug hatten, so wurden sie erstickt von den blanken Quellen, die über sie aus der übersättigten Luft fielen. Der Himmel, sonst zum Fliegen geeignet, dünn leicht wonnig von Sonnenstrahlen und flimmerndem Nordlicht erfüllt, der Himmel von einem Vulkan zerrissen, ein wasserspeiender Krater, warf ausbrechend seine Massen nach unten, riß alles herunter auf die Meeresfläche. Tagelang hoben und senkten sich die Reiherköpfe, brannte das Meer, jagte in weißem blähendem Schwall auf. Tagelang schlugen die zweiundzwanzig Schiffe wie Pferde mit den Hufen nach hinten aus, das wiedereinstürzende Meer zurückzuhalten. Als mauere man Balken in die Erde, triebe Eisenträger in Lehm, schaufle Sand aus Gruben, so hieben die Schiffe nach rückwärts, drängten das Wasser ab. Sie hatten ihre Flanken mit bloßem Stahl gerüstet. Doch über den Stahl, armweit entfernt, von Stützen gehalten, war ein Netz gebreitet, senkrecht von oben nach unten ins Wasser abfallend, den ganzen Hinterbug umgebend, von Schiff zu Schiff sich hinziehend, ein einziges riesenhaftes Netz, kaum sichtbar, nicht dichter und nicht schwerer als ein Haarnetz. Es hatte das stumpfe Weiß des Bleis, an einzelnen Maschen mit bräunlichen bis schwarzen Flecken. Die rührten von verbrannten Tieren und Menschen her, die dieses Netz geknüpft hatten. Substanzen, aus bituminösem Schiefer gewonnen, bildeten den Hauptbestandteil der Masse, die zu Fäden ausgespannt wurde. In den Anlagen hatte man erkannt, daß zur Fesselung dieser Stoffe, die der Schiefer aus früheren Erdperioden, aus zerfallenden schmelzenden Leibern hergab, lebende Organismen, ihre Berührung besser waren als tote Körper. Aus dem Boden gerissen, der Luft preisgegeben, auf Holz und Eisen ausgebreitet, sammelte sich die Substanz zu langsam, verpuffte. Pflanzen, saftreiche, fette Tiere und Menschen waren der beste Boden, auf dem sich der Stoff anreichern ließ. Die aber griff es schwer an. Es ätzte sie. Dann fühlten sie, die das Netz auf Armen Schultern und Knien trugen –, nachts legte man es auf Stiere und Pferde, deren Fell kahlgeschoren war – Verbrennungen. Die Verletzten ersetzte man durch neue. Die fünf letzten Tage des Maschenknüpfens, das in weiten Hallen in Mecklenburg geschah, waren das Opfern einer Hekatombe. Nur stundenweise konnten sich die Menschen dem weißen schrecklichen Gespinst nähern. Man sorgte dafür, daß aus entfernten Gegenden Arbeiter und Arbeiterinnen in Flugzeugen herankamen. Wer frisch ankam, unmittelbar in die Hallen gebracht wurde, erlag am raschesten. Ältere, die schon müde knoteten, hielten sich bis zu sechs Stunden. Dann lagen sie ohnmächtig da, mit kalten Händen, kleinen Pulsen, eingesunkenen Backen. Die Meister lösten sie mit mächtigen Glashaken von dem Gewebe, rollten sie heraus. Der letzte Tag war es, der in das Gewebe die braunen und schwarzen Flecken eintrug. Da war das Netz, das kilometerlange und -breite, aus seinen fünf großen Einzelteilen zusammenzuknüpfen. Und als hätte sich die Kraft des Netzes, seiner Ausdehnung folgend, verhundertfacht, geschah eine Vernichtung der Lebewesen in seiner Nähe von einer Intensität und Raschheit, die den Zusammenschluß des Netzes überhaupt unmöglich gemacht hätte, wenn es sich nur um einen Tag mehr gehandelt hätte. Es betraten morgens um sechs Uhr die ersten achtzig Menschen die Hallen. Um zwölf Uhr mittags lagen auf den Wiesen hinter den Hallen schon dreihundert Leichen. Aber um fünf Uhr nachmittags, als das Netz fertig war und von siebzig Kränen frei in die Luft gezogen wurde, lagen nicht viel mehr als diese dreihundert Leichen und Sterbende da. Denn von Mittag ab verließ keiner, der das Netz berührte, mehr lebend den Raum. In einer Zeit, die sich von zwölf ab immer mehr verkürzte, zuletzt bis auf eine Viertelstunde, vergasten die Menschen, wie alles Feuchte an dem Stoff. Vergasten, nachdem sie einen kleinen Schrei von sich gegeben hatten. Ihre Finger griffen in das Gewebe, verkohlten da. Sechs Meister knüpften die letzten Maschen, hatten die trockenen heißen Pelzmäntel an, die dichten Pelzhandschuhe, die am sichersten schützten. Die starre Trockenheit ließ das Gewebe nicht knoten; sie mußten ihre nassen Fingerspitzen hergeben. Zu einem Griff. Und wollten sie den zweiten machen, so rieselte es schon durch sie. Beim dritten sanken sie in ihren Pelzpanzern um. Dunsteten verhauchten aus den Fellröhren. Leere Gehäuse am Boden, dampfende Halsöffnungen Rauchrieseln. Man hatte armdicke Glasbalken wie Fahnenstangen schräg nach rückwärts in die Luft hinaus gebaut. Daran hing, leicht, auf zehn Schritt nicht mehr sichtbar, das bleiweiße Netz. Es hing straff herunter. Bildete um die zweiundzwanzig Schiffe eine Wand. Da, wo das Netz das Meer berührte, war – kein Meer. Sondern auf Meterweite leerer Raum. Von einer Luft erfüllt, die zu beiden Seiten des Netzes durchsichtiger war als die übrige und im Sonnenlicht stärker leuchtete. Weder Insekten noch Vögel konnten sich diesem leeren Raum nähern. Das Wasser, der unermeßliche Ozean, stand wie Stein, gierig die Lücke zu füllen, auf die Schiffsreihe zu stürzen, die sich langsam senkte. Die Schiffsreihe senkte sich. Immer mehr Wasser baggerten die Verdampfer aus dem Innensee, schleuderten es hoch. Die Spitze der ozeanischen Bank, von mächtigen Salz- und Tanglagern bedeckt, stieg höher, je mehr das Kesselwasser sich verdichtete. In geschlossener Runde wie Kinder, die sich an den Händen fassen, schaukelten die Kolosse. Am Vordersteven die saugenden beißenden speienden Kraniche. Im Rücken das hauchartige Netz, wie ein feines Lächeln vor dem eisernen gebannten Meer, dem schwarzen wallenden stöhnenden, in allen Fugen krachenden Wogenberg. Der Ozean hing bald wie ein Gebirge über ihnen, über den freudigen Menschen. Die Wassermassen stürzten schräg abwärts. Schäumend weiß standen sie vor dem Netz hoch, wie Pferde vor dem Stallmeister; vor dem Netz, das unberührt unbeweglich höher und höher geschoben wurde, schon häuserhoch über dem Deck der zweiundzwanzig Schiffe. Und so hoch umgab sie der schwarzanspülende sich beulende stöhnende Berg des Wassers. Nach fünf Tagen hatten sie Platz in dem luftstillen Kessel. Das wonnige rosafarbene Licht füllte ihn. Die Menschen lachten. Da setzten sie Boote aus. Mutumbo gab das Zeichen, Brücken auf die Sandlager herüberzuschlagen. * * * * * Von den Führern getrieben steuerte das Erkundungsgeschwader zurück, südlich. Man mußte einer Schwäche, dem Zusammenbruch entfliehen. Die Menschen bettelten die Führer an, fielen in sich. Sie drängten: man hätte doch die Aufgabe nach Grönland zu fahren; man mußte nördlich. Aber die Führer hatten Furcht und nur soviel Besinnung, um kehrtzumachen. Da ging die Fahrt wieder in die Dämmerung, das Grau hinein. Das Grau, dieses schimmernde staubige, oft stumpfe schwarze des Südens, näherte sich, wurde höher breiter tiefer. Es kam gewaltig wie eine Höhle auf sie zu. Die Erde, die sonderbare, war wieder da. Sie blickten ächzend nach Norden, in Flammen schaukelte das Meer; wie grell das Rosenlicht brannte. Wie es labte, sie nicht losließ. Die Führer selbst stellten sich an die Maschinen, überwachten die Steuerung. Die Schiffe fuhren schleppten die widerstrebenden Seelen mit. In die Dämmerung war man schon eingesunken; tiefer und ohne nachzugeben drangen die Schiffe in den weißlich schwebenden fremden Dunst ein. Kälter wurde es. Die Fahrer staunten: hier waren sie zu Hause. Es gab Expeditionen, sie gehörten zu der Expedition, die Grönland angegriffen hatte. Es gab die Shetlands Eisberge Färöer Kontinent Stadtschaften. Was war das für eine wonnige Gewalt, in deren Bereich sie gekommen waren. Die im Norden leuchtete. Sie trieben klagend hin. Das Meer war heftig bewegt. Das große Feuer brannte über Grönland. Tief überschauerte es sie; das heilige Feuer, das sie aus der Vulkaninsel gehoben hatten. Es war der Brand der Vulkane, der dies gekonnt hatte: sie entzücken, fast bis zur Verwandlung. Die Flammenberge hatten gestampft, schrecklich die Lohe, die sie über das ferne Grönland hinhauchten –, aber diese Wonne. Diese Wonne. Verstrickt träumten sie, sehnten sich; ließen sich nach den Färöer und Shetlands schleppen. Bebend sahen die Massen sie da kommen. Mit einem Schreck, einer ins Herz zuckenden Angst und Süße, wurden sie gewahr die freudigen stillen Gesichter, erfuhren von Mutumbo, der seine Reiher und Pelikane dazu verwandt hatte, um sich einen Platz auf dem Meeresboden zu schaffen und nicht, niemals, bis zu seinem Tod nicht fortzugehen von diesem Licht. Kylin schwankte, beriet mit De Barros und den Unterführern. Dann kam man zu dem Entschluß, sich nicht voneinander zu trennen, das ganze Geschwader, wie es Island und Grönland erlitten hatte, nach Norden zu werfen und gemeinsam das Neue zu bestehen, was es auch sei. Die Besatzung des ersten Erkundungsgeschwaders sollte mit einem Rest der Flotte bei den Inseln zurückbleiben. „Habt keine Furcht“ trauerten die Zurückbleibenden, „wie gern kämen wir mit. Ihr habt Angst von hier zu gehen; nachher werdet Ihr nicht zurückwollen. Ach, was Ihr sehen werdet. Denkt an uns.“ Das große Geschwader in die wachsende Helle hinein. Tag und Nacht verschwunden. Leises Schwingen, Erzittern der Luft, fernes Brummen. Dann immer deutlicher eine weit schwebende Musik, hohe Töne, mit Klirren Schmettern untermischt. Die eigentümliche süße Freude, die alle überkam, je nördlicher sie fuhren. Diese Glätte des rosig angestrahlten Wassers. Was waren das für himmlische Dinge. Sie fuhren Boot, kleideten sich aus, seufzten, waren glücklich. Man möchte zu Mutumbo, der bei Jan Mayen saß. Wie klug dieser Mutumbo war, man mußte zu ihm, ihn umarmen. Wärmer wurde die Luft, sie fuhren nördlicher. Weißrosa der Himmel und die Luft um sie. In der Richtung Grönlands war das Licht und seine Farbe stärker, mit Rot und Blau gemischt. Man sah ein Blitzen, Auf- und Abschwellen der Helligkeit wie unter Flammen, kupferrotes Aufglühen, bläuliches Verdunkeln, Schwälen Flackern. In dem warmen Wind heiße Luftfäden. Strich- und rauchartig zogen die Luftfäden über das Geschwader, ringelten das Meer. Sie brachten dann und wann einen schweren bittern Qualmgeruch mit. Bald traten erstaunliche Dinge vor die Augen der Seefahrer. Federn von Möwen Sturmtauchern wurden von Windzügen auf die Decks der Schiffe und in die Boote getragen. Die Federn waren von ungewöhnlicher Weiche, als wenn sie von ganz jungen Tieren stammten, aber ihre Größe und ihr Bau war der der ausgewachsenen. Sie waren meist verbogen, wie von Hitze geschrumpft und gekräuselt. Dann flogen Blattreste durch die Luft, stark gerippte behaarte Blätter, die man nicht kannte, auch unverständliche kleine Pflanzenteile, die vielleicht Flugapparate von Samen waren. Der tiefe Wind riß unverändert nach Grönland hin, die Meeresströmungen schien er aber nicht abzulenken. Auf dem Wasser schwammen neben den Booten farbige, grüne braune rote Massen, über die man sich freute. Man hielt sie für flottierende Algenkolonien, losgerissenen Tang, in den sich Medusen verfangen hatten. Wie sie aber an einigen Stellen mit den Rudern dazwischen stießen, die Lagen fischten, glitten bunte Federn die Ruderstangen herunter. Man griff nach dem paketartigen gleitenden Gewebe. Es war Tang mit lebenden Moostierchen, Nacktschnecken, aber auf ihm lagen Vögel, unversehrte tote Tiere, groß und ausgewachsen, die mit den Füßchen wie Beeren aneinanderhingen. Und wie man sie noch betrachtete, waren auf die Schiffe selbst lebende Vögel gefallen; ineinandergekrampfte Scharen schlanker und runder Vogelkörper. Meist waren sie erschöpft, starben rasch, wenn man sie nur aufhob. Bisweilen kamen so viele, daß es um die Schiffe regnete. Die Federn der Tiere waren wie die einzelnen, die die Luft hergetragen hatte, von merkwürdiger Weiche; schillerten in Grün Gold Violett Braun. Manche Vögel glühten in Farben wie Schmetterlinge; trugen blendendes Blau an den Flügeln mit goldener Sprenkelung; Rumpf und Hals über den weißen glatten Beinen purpurbehaucht. Die Schwingen der Tierchen waren meist versengt, ja an einzelnen Flächen völlig verkohlt; diese Vögel mußten fast nur durch den Luftstrom hergetragen sein. Von Osten und Süden fuhr man auf Grönland zu, näherte sich sehr langsam dem klirrenden Feuerherd. Der Wind, bisher wechselnd stark nach Norden und Westen auf den sonnenartigen Brand züngelnd, ließ nach. Sein Schlürfen Singen Stöhnen schlief ein; wie ein Gummiband erlahmte sein Zug; nur eine gelegentliche zuckende Anspannung fühlte man. Das Dröhnen und Hämmern trat ungehindert hervor. Unruhig blies es um sie. Sie mußten die spielenden schaukelnden Boote verlassen. In Schüben wurden weiße Wolkenmassen über den Himmel gestoßen. Öfter verdunkelte sich die Luft. Sanfter Regen. Während sich die Luft stärker verschattete, stürzten Wasserschauer über das Geschwader. Gossen, in Pausen nachlassend, bald so dicht, daß die Menschen blind herumgingen. Sie lächelten wie vorher; die Freude in ihnen war wie aus Erz gegossen. Sie durchfuhren die Regenwand. Windstille trat ein, der Himmel war aufgerissen vor Helligkeit. Aber von Grönland her, dort, von wo das weißeste Licht mit Blau und Rot gemischt über den Himmel floß, näherte sich ihnen, die sich in Kreuzseen bewegten, in einem strudelnden klatschenden Auf und Ab, näherte sich ihnen etwas. Eine Dunkelheit zwischen den bläulichen Flammen. Ein runder Fleck, der sich langsam ostwärts südwärts bewegte, sich her bewegte, sich um sich bewegte. Ein Buckel, von tiefer immer tieferer Schwärze, der im Norden anwuchs herwuchs, gegen sie herstieg. Lautlos die See. Lautlos die wasserdampfenden Schiffe. Die Dunkelheit, eben noch als Schatten heraufziehend, war aus einem Sack, einem Kellergewölbe über das stumme Meer entlassen. Und jetzt war im Süden, weit im Rücken der Schiffe ein Flimmern und Leuchten sichtbar, goldgelbes durchstäubtes Licht; es war Tag hinten. Dies war der sonst dunkle Tag über den Färöerinseln. Ganz klein erschien er wie ein Kindergesicht am Fenster. Sie nahmen es auf den Schiffen stumm mit Wundern an, wandten sich träumend dem Westen zu. Der Wolkenschild, lichtverhüllend, von Grönland sich nähernd, hatte sich mit einem Glimmerschein umgeben. Am Rand der allerschwärzesten Nacht, die herantrieb, tanzte das Glimmerlicht. Rascheln, böiges Aufsausen, Wühlen, stoßweises Auftoben des Meeres. Durch die anlaufende eindeckende Schwärze zuckende Lichter, blendende Blitze. Donnermassen über dem Meer zerbrechend. Mit jedem Blitz neue Donner zerknisternd. Zwei Pauken: das Meer, der Himmel; hundert Schlägel auf und ab fahrend prallend. Der Himmel zottig schwarz über dem Wasser hängend, stöhnend am Meer. Brüllendes Ringen. In der Verfinsterung Verdampfung des Kampfes, nur ab und zu grelles Äugen. Wogende Seen. Sie hatten die Höhe eines Berges. Trugen in ihrer ganzen aufgesteilten Breite grünliche Kämme, als wären sie bemoost. Der Kamm stürzte nieder; das Grün glitt weiß zerschellend über den eingezogenen Bauch der Welle. Stürzend vergehend wuchs im Vorwärtsdonnern der Kamm. Grün schimmernd, mit ausgebreiteten Armen fuhr die See, das Wellengebirge über das Meer. Lief mit dem Orkan und ihm voraus. Der drehende Wirbel schob sich, das Glimmerlicht vor sich, über den Ozean. Der Körper des Wirbels, zwischen Meeresfläche und Himmelsschwärze donnernd, nahm seine Straße nach Süden. Mit zwanzig Kilometer Geschwindigkeit lief er. Er mähte. Seine Kraft war größer als irgendeine, die vor ihm erschien. Er wälzte den Ozean häusertief auf, schleuderte die Wasserlage vor sich in die Luft, zerriß zerstäubte sie. Er kam über einen Teil des Geschwaders. Wie er die Schiffe nur mit dem anrollenden Saum seines eisernen Kleides berührte, drängte er sie unter die Meeresoberfläche, erschlug sie mit den aufgehobenen Wassermassen, wallte fluttoste über sie. Das Glimmerlicht am Rande, Gewitter vor sich, fuhr der Wirbelsturm über das Atlantische Meer an der skandinavischen und britischen Küste entlang, bog nach Westen um, kreuzte den Ozean in seiner ganzen Breite, erreichte die amerikanische Nordküste, zerbrach, über Neufinnland fahrend, Gebäude zerstörend, Bäume wie aus Geschützen schleudernd, an den Randbergen Labradors. Auf seiner Zugstraße verbreitete sich Dämmerung, der Himmel färbte sich kupferrot. Das grönländische Geschwader kämpfte sich durch. Zyklon auf Zyklon schickte der heiße Kontinent her. Dann traten sie in eine Gewitterzone. Immer von neuem brannte das rosafarbene Licht auf. Unter Katarakten der Regengüsse schlugen sie sich vorwärts. Das süße sehnsüchtige Gefühl erlosch nicht in ihnen. Sie nahmen die Wirbelstürme, Zerbrechen der Schiffe hin. So wenig Mutumbo die Gegend dieses Lichtes verlassen wollte, wollten sie es. Sie erinnerten sich ihres früheren Daseins. Wie störrisch hart sie gewesen waren. Sie weinten, hatten keine Furcht hier zu sterben. Wenn der dunkle Schleier am Firmament erschien, der einen neuen Zyklon anzeigte, – Ringe drehten sich in dem Schleier –, so rüsteten sie ihre Fahrzeuge. Aber im grausigsten Wirbel waren sie, die herumsprangen und lavierten, nicht geängstigt. Die Gewitterzone überwanden sie. Sie waren schon nahe dem Land, in einer Meeresgegend, die sonst durch Eis versperrt war. Schwüle warme Luft. Blendende Helle, grelles Aufflackern Tag und Nacht. Grüne und braune Massen schwammen auf dem Wasser. Da hörten Schiffe öfter Schreien Schnauben Stöhnen vom Meer herauf. Einzelne Wachen berichteten: sie hätten eine zusammenhängende Bewegung unter dem Meeresspiegel bemerkt, die sich zögernd näherte und in der Nähe der Schiffe endete. Einmal wurde eine Gruppe Fahrzeuge alarmiert. Die Menschen sahen von den Decks eine abgegrenzte meterlange Strecke des Meers stürmisch aufgerührt. Ein Geräusch wurde vernehmbar zwischen dem Klatschen des Wassers: Schlingern Speien Ächzen. Sie ließen Boote herunter, stießen darauf los. Da ließ die Bewegung nach; sie fanden nur Schaum und zerrissenen Tang auf dem Meer. Nördlich der siebzigsten Breite in Höhe der Shemoninsel trieb das Gros des Geschwaders. Die Ostgrönlanddrift floß hier neben der östlichen Spitzbergenströmung. Große sonderbare Baumstämme von tropischem Charakter trug das Wasser. Ein- zweimal schwamm eine ganze offenbar losgerissene Bauminsel an ihnen dicht vorüber. Die Bäume darauf waren geknickt verbrannt; einige wie frisch angenagt. Man fand, sie umfahrend, Blattreste, die von palmenartigen Gewächsen zu stammen schienen. Lebhafter machte man auf den Schiffen Jagd auf die Wesen, die die sonderbaren Meeresgeräusche häufiger und häufiger verursachten. Es mußten unbekannte schnell schwimmende Tiere sein, Wale, die aber keinen Wasserstrahl warfen. An der Spitze des Geschwaders wurde einmal das Röhren und Schnauben ungewöhnlich heftig. Sechs Schiffe fuhren darauf zu. Motorboote wurden von von Deck gelassen, sausten nach der bewegten Meeresstelle. Dort stieg Wasser auf, jedoch nicht senkrecht wie aus Spritzlöchern der Wale. Sondern was sich bewegte, spie schwallartig wagerecht Ladungen Wasser von sich. Die Boote rannten gegen die sprudelnde Wassermasse. Da waren sie schon gekentert. Aus dem Meer aber wand sich der Rücken eines braungrünen schuppenglänzenden Untiers, eines Reptils mit langem Schnabel, seitwärts gestellten blicklosen Vogelaugen, das an seinen dünnen Vorderbeinen eine lappige schwere Haut schleppte. Auf dem Wasser rudernd schlug es die Vorderbeine über dem Rücken hoch. Die wampige Haut spannte sich. Der Schnabel fuhr schnappend hoch, der Rumpf ringelte sich aus dem Wasser auf, das Untier schlackerte mit seinen Flügeln. Stieg unbehilflich wie eine Gans, mit Ächzen und Speien, in die Luft, dicht über der gischenden Wasseroberfläche; verschwand gurgelnd über dem Meer. Man zog die Verunglückten aus dem wieder glatten Wasser. Das Gerücht von den Tieren verbreitete sich über das Geschwader. Unsägliches Grauen lag auf den Menschen, die das furchtbare Geschöpf gesehen hatten. Es war sicher: man war von Wesen dieser Art umringt. Sie waren es, vielleicht noch andere, die seit Tagen das Geschwader beunruhigten, zwischen den Schiffen ruderten stöhnten verschwanden. Entsetzen fiel auf alle. Die Menschen hatten nicht mehr die Starre der Islandkämpfer. Sie waren in den Wochen, die sie unter dem wonnigen Licht fuhren, aufgelockert worden; Weinen und Lachen kam ihnen leicht. Jetzt wimmerten sie, das Schluchzen fuhr ihnen aus dem Hals, verkrochen sich an den Schiffen, wollten nicht weiter. Was sollte kommen. Jetzt in dem Entsetzen erinnerten sie sich Islands, der stampfenden tobsüchtigen Vulkane. Die waren es, die über Grönland brannten, diese Wesen erzeugten. Weg von ihnen, es war genug. Was taten die Stadtschaften; diese verruchten Stadtschaften, was machten sie mit ihnen. Sie umgingen zitternd die Führer, die sich selbst kaum aufrechthielten, drängten, daß man nach Süden drehe. Und doch war in die Angst vor den Untieren eine andere Angst gemischt: fort zu müssen aus diesem Meer, totes Leben sollte wieder beginnen. Sie fürchteten sich vor der Rückkehr. Die Führer wandten das Geschwader nicht. In wärmere und wärmere Luft ließen sie es treten. Stoßweise ergoß sich Glut über die Menschen, die wieder ganz von jener Furcht gebunden waren, die sie in Island stumm gemacht hatte. Sie suchten sich mühsam starr zu machen; aber das rosafarbene Licht zehrte an ihnen. Das Wasser floß blaugrün unter ihnen. Ein Quirlen und Quellen, Wühlen und Spritzen überall. Abgerissene Bauminseln umgaben sie von allen Seiten, trieben zwischen den Schiffen hindurch, die ihnen auswichen, kein Boot mehr nach ihnen aussetzten. Zusammenfahrend, die Fäuste vor der Brust, sah man Vögel über sich fliegen, bunte singende tirilierende, in ganzen Scharen. Niemand dachte, sie zu jagen. Man stierte auf sie, ohne einen Eindruck zu empfangen, stand in Erwartung, halber Bannung. Das Wasser war von den grünen braunen Massen streckenweise so bedeckt, daß sie sie umfahren mußten. Manchmal mußten sie die dicken Schichten aufreißen. Tierische Körper waren eingesponnen, mit ihnen verfilzt: tote Ungeheuer, deren Köpfe über den Meeresspiegel traten, lammäßig ruhige Gesichter mit Bärten, blau überspült vom Wasser. Und auf Stunden, wie sich nichts ereignete, wurden die Menschen wieder von dem alten Glücksgefühl überflutet. Alles blieb still bis auf das helle Vogelgeschrei. In ein Meer von dunkelroter Färbung fuhren sie jetzt. Ganz langsam bewegten sich die Schiffe. Stundenlang ließen sie sich nur treiben. Die Wärme war groß; kein Wind bewegte sich. Über sich an dem strahlenden Himmel sahen sie in großer Höhe schattenhafte Wolkenmassen ostwärts schwimmen. Die Oberfläche des Meeres, burgunderfarben leuchtend, spritzte manchmal Schaum, aber zog sonst gleichmäßig als ein loser und dichter Rasenteppich nach Westen. Der Teppich, aus Meerespflanzen gebildet, war straffer als der braungrüne, den sie durchfahren hatten. Es waren Wiesen, die aus der Tiefe heraufwucherten, bisweilen glitzernd über dem Wasserspiegel hervorragten und Land vortäuschten. Die Wiesen lagen ruhig; bisweilen sah man sie wie Falten eines Kleides sich hochbauschen und wieder glätten. Mit leiser Bangnis blickten die Seefahrer darauf hin, immer in Furcht, daß da ein Riesentier das Meer aufwürfe. Die bunten Vögel, die die Masten besetzten, hockten und sprangen auf der purpurnen Tangwiese unten. Handgroße Steine und Eisenstücke, die man herunterwarf, blieben auf der Wiese liegen. Kleine Tiere, die sonst nicht das Meer bevölkerten, Fledermäuse, sah man sich auf den Rasen senken; leichte weiße Schmetterlinge, die über dem nassen Kraut sich schaukelten, in Scharen die Wiese weißfleckten. Dann lief und ruderte ein schwärzliches Gewimmel durch die Röte. Kleine Tiere, eine Art Ratten, mit bunten Schöpfen auf den Scheiteln. Sie pendelten im Wasser, schwammen dicht beieinander, hielten sich an den Stielen der Algen fest, blickten mit kleinen schwarzen Augen, den Schopf kammartig aufgestellt, um sich. Zwischen ihnen blaue glänzende Zikaden, die sprangen, aber auch Flügel zu entfalten schienen. Von ihnen stammte das feine durchdringende Piepsen, das, zwischen dem großen gleichmäßigen fernen Rollen und Wühlen, aus den Pflanzenmassen herkam. Auf die Schiffe kletterten die Tiere, vor den Menschen wichen sie aus. Die Menschen selbst flüchteten vor ihnen; sie schrien; ein Hauch von Entsetzen wehte sie an, aber sie lachten wieder, kamen sich wie Kinder vor. Der rote Teppich zerteilte sich manchmal, dann quoll er wieder zusammen. Immer mehr kleine Tiere überschlüpften die Schiffe, Schmetterlinge und Vögel belagerten Decks und Masten. Im Wasser, wenn der Rasen zerriß, sah man größere gelbe und blauschwarze Wesen schwimmen. Sie ähnelten nicht Fischen, mehr mit ihren blanken glatten Leibern Robben; sie kämpften miteinander und mit mächtigen Weichtieren, Nacktschnecken, die an der Oberfläche des Wassers hingen und da atmeten. Die beiden vorderen Fühler dieser Schnecken waren zu starken warzenbesetzten Armen ausgewachsen; mit denen griffen sie nach unten hängend nach den gelben schwimmenden Tieren, drückten, während sie sie hielten, ihre Saugfüße den schnellenden robbenartigen Wesen an den Leib, die rasch die Farbe verloren. Das Wasser um die Schnecken schlierte immer bunt und trübe. Erstickende wilde Hitze schlug durch die Luft. Gegen eine Benommenheit rangen die Menschen auf den schwankenden Schiffen. Sie hielten sich an den Masten und Geländern fest, stierten lächelten um sich. Sie waren am Hinsinken. Sie träumten: laß kommen, was will. Ihre Brüste beklemmt. Da zitterte vor ihnen die Luft auf. Das Zittern verschwand, stellte sich in anderer Richtung wieder ein. Es schien nichts weiter zu sein, als das Vibrieren der Luft in der Hitze; sie kannten es von Island her, von dem Hauch über dem Glutmeer und über den Lavaströmen. Das Vibrieren erschien bald neben ihnen, die Hitze wuchs aber nicht. Die Flächen der purpurnen Tangwiese, die dichten Büsche des Meerkrauts, barsten manchmal; das meterhohe Zittern der Luft erschien dann, wanderte; überall auf dem Wege dieses Schwirrens wich das Tangfeld auseinander, schnellte hinter ihm wieder zusammen. Plötzlich stand einmal die zitternde Luftmasse vor einem seitlich auf der Wiese umherirrenden Schiffe, das verschlafen stand. Die Menschen auf seinem Deck betrachteten ohne Bewegung die sonderbaren Luftwellen. Ein Surren umlief die eigentümlich wallende Luftmasse. Da schnüffelten die Menschen verwundert: ein Geruch nach Teer und Salzlake wehte in Pausen stoßend über das Schiff. Sie sahen, wie sich die vibrierende Masse ihnen langsam näherte, daß sie aus dem Meer aufwuchs, daß sie geadert war, ja durchpulst. Sie schwankte in sich. Das Luftwesen –, nun sahen sie es, staunten und erschraken nicht –, schwamm wie ein Haus hoch im Meer. Von schwarzen kleinen Massen, die sich auflösten, war es erfüllt; es mußten Algen und Lebewesen sein, die es in seinen Darm aufgenommen hatte. Vögel, Schmetterlinge hatten bei Annäherung des durchscheinenden gallertigen Gebäudes das Schiff verlassen, pfeifend sprangen ihm abgewandt die blauen Zikaden und buntschöpfigen Mäuse ins Wasser. Das bergehohe Wesen aber blies stärker über das Schiff seinen tranigen Atem. Veränderte –, erstarrt standen jetzt die Menschen, fielen bewußtlos um –, wechselte seine Haltung, drehte sein Oberstes nach vorn. Da hatte es wie ein Pflanzentier, eine Mundöffnung, von einem Kranz flimmernder Bänder umgeben, eine wogende gläserne Wölbung, aus der der strenge Salzhauch in Stößen drang. Die Bänder rollten auf, über Deck, schlangen sich um Masten Balken Menschen. Die Bänder drehten das Schiff quer, zogen es hin vor den tief gesenkten Mund des Tiers. Vor dem tief gesenkten Mund des Tiers kenterte das Schiff. Es senkte sich ins Wasser, wurde von der gallertigen Wölbung aufgefangen, die sich über die Masten und die Decks schob, sich über ihnen schloß. Die Luftmeduse richtete sich auf. Ihre Bänder spielten aufrecht in der Luft. Die Schiffsbalken wurden von ihren krampfenden Eingeweiden, mit Eisenmassen Lebewesen hoch und sichtbar über dem Meer schwebend, aufgelöst, zerflossen in ihr. Schwarze Flecken rannen durch die feine Äderung; der Mantel warf heftig Falten. Das Flirren und Flimmern der Luft ließ nach. Das Tier senkte sich. Tauchte ins Meer ein, zur Seite gedreht, Wasser schlürfend. Die purpurne Tangwiese rollte über ihm zusammen. Auf der roten heißen Fläche endeten fünfzehn Schiffe. Die Hauptmasse des Geschwaders floh. Ein Teil raste durch das Krautmeer, blieb von Getier erfaßt, im Pflanzenwust verbacken hängen. Ostwärts südwärts stürzten die Schiffe. * * * * * Grönland, zwei Millionen Quadratkilometer Fläche bedeckend, vom Pol in den Atlantischen Ozean ragend, lag unter dem Schleier, den die Menschen ausgespannt hatten. Der Strom aus dem atlantischen Kabel der Menschen schoß über das Netz. Es rauschte aus den tragenden Ölwolken hoch, in deren Buchten und Beulen es sich verschoben hatte. Steif und starr wagerecht in der Spannung stand es. Schwang und zitterte wie ein Tier, das zu dem Bändiger mit der Peitsche und den scharfen Blicken aufsieht. Abschnitte des Netzes zuckten unter Pulsschlägen. Barsten. Funken sprangen aus ihnen. Um die aufgebrochenen Stellen spritzte knatterte es. Stichflammen meterhoch schenkeldick, blau dann weißer, rötlich surrten spiralig auf, jäh sanken sie zusammen nach allen Seiten abfließend. An allen Stellen schmolz das Netz. Die Flammen dehnten sich aus. In Kreisen, die sich schußschnell erweiterten, flog das Feuer nach außen. Überrieselt von einer dünnen Flammenschicht war der hundert Meilen weite Erdteil. Ihr Licht durchdrang die schwarzen Ölwolken kaum; schwach waren die Gebirgskuppen beleuchtet. Da begannen sich die Platten unter dem umsponnenen Turmalinschleier zu biegen. Sie schmolzen. Meter über Meter nach oben und unten vertiefte sich die Lichtmasse, verstärkte sich die Glut. Plötzlich schwoll brünstig haushoch eine Flammenflut von Meer zu Meer über Land und Gebirge, schwoll und wuchs wie eine Mauer in sich zusammen. Die Gaswolken wurden zerrissen, die hängenden Wetterwolken verdunstet. Tagesheller fremdartiger Schein. Tausendfacher Donner schlug in die Lichtzone ein. Durch die rosaweiße Luft zackten Blitze. Die Luft schüttete ihre Wassermassen zur Erde. Sturm fuhr in die Feuersglut ein; den schwellenden Brand konnte er nicht umfassen; er prallte von ihm zurück, rieselte warm, besänftigt auf. Über dem Meer lagen die Stützpunkte des Schleiers, Netzteile, die den Gluten widerstanden. Auf den Ölwolken dieses schmalen Randes ruhte das ganze Netz. Die Hitze, das ungeheure losgelassene Wesen, tauchte in den Abgrund des Eislandes. Hauchte das Land an wie der Atem eine Glasscheibe. Die Luft unten trübte sich neblig, Dunst erhob sich. Das Land wogte unter grauen und weißen Wolken, die unmerklich dann wrasenartig vom Boden aufstiegen, in Schwaden über die Schnee-Ebenen, an den Berghängen sich hinkrümmten, ringelten brodelten. Wirbelnd schwollen sie, in ganzen Strudeln sich drehend, milchig verdichtet, das Land verbergend, ein aufsteigendes gasiges Meer. In Fäden tastete der Dunst nach der Glut. Die blanke Platte des Inlandeises beschlug sich mit Nässe. Auf dem Eis wollte das hintropfende Wasser wieder gerinnen, aber die Hitze hielt es, hielt es weich. Mehr mußten die Eisplatten die Höcker hergeben. Wasserrinnsal über die Ebene hin. Der Schnee der Wüsten sinterte. Die meilenweite Schneebreifläche wurde von der Glut geschoren. Sie plattete ab. Ihr reines weißes Gesicht, ihre duftige Weiche verschwand. Dunkler färbte sich das Land. Die Bäche verbreiterten sich, die Klüfte des Eises, in denen Ströme mit Tosen zogen. Es knatterte knarrte dumpf in der ungeheuren Platte des Islandeises. Es surrte auf, schoß. Spalten taten sich auf. Die große Kraft saß oben. Ein Funken des Kabelstroms hatte sie gerufen. Für die Augen war sie kenntlich: strömte rötliche Helle, die sich nicht mehr steigerte. Die Berge, die reißenden Flüsse, die blauen Firnen, Schneewüsten, Gletscherläufe, augenlos ohrenlos gefühllos, nahmen sie im Innersten wahr. Die große Kraft, die Glut, saß nicht oben, sie drang nach oben, unten, den Seiten, schob sich in Starres und Loses ein. Wie eine Krankheit und Liebe fiel sie die Dinge an; sie erlagen und sanken. Das Größte Kleinste Festes Flüssiges griff sie an, war wie ein Ruf ins Tal: von allen Seiten hallte es wider. Wie die große Kraft sich auf das Land herabließ, lief sie in die Adern der Dinge, erweichte sie, blähte sie auf. Kein Wesen war stärker als sie. Sie wußte nichts von Fjorden Gletschern Küstengebirgen Eisplatten Bächen Schneeflächen, war blind für das Riesige Ausgedehnte; an das Feinste wandte sie sich und da fand sie den Zugang. Erkannte im Store Karajak Gletscher das Wasser, das Dunst werden konnte. Die Breite der schwer schiebenden Assatak Tuarparsuk Atlaksoak machte ihr nichts. Blau war das Eis der Firne, die Spalten der Räume spielten grünlich, die Schneebreiebenen zogen weiß durch das Inland: dies war Wasser. Und konnte Dunst werden. In die Spalten des Eises der Berge der Gletscher, in die unsichtbaren Spalten des fließenden Gewebes der Ströme Seen Bäche Brunnen senkte sich die Hitze. Jagte sie auf zu Gas Dunst Wolke. Ein Massiv aus Granit und Gneis lagerte Grönland, von kalten Meeresströmungen umflossen, über den siebzigsten Breitengrad, zwischen der zwanzigsten und achtzigsten Länge. Die Wesen, die glühend aus dem Erdkern stiegen, Kieselsäure Magnesium Aluminium Sauerstoff, hatte die finstere Urgewalt, die Kälte, angefaßt und nicht losgelassen. Sie war die größte Macht, Herrin der Unermeßlichkeit, erfüllte den Äther. War Formerin, Gebärerin der Gestalten, die das Feuer verlodern ließ. Ungeheuer trug die Finsternis und Kälte die Gestirne, die nur Strudel in ihr waren. Das Flackerlicht des Schleiers über Grönland nahm mit ihr den Kampf auf. Über das Ruhende Milde kam das Tosende Rasende. Hohes Singen des flammenbrünstigen Netzes; die Flamme schien alle Dinge, Luft Eis Gebirge, zu ihresgleichen zu machen. Wasser liefen über dem Gesicht des Eises. Die Felsklippen im Eis, die Nunataks, gaben ihre dünnen Schneelagen her, enthüllten bis zum Fuß ihre schwarzen Wände. In die Fugen des steinartigen Baus der Firne und Gletscher stieg die Hitze. Überrieselt wurden die Eislager, die langsam drängenden Ströme. Wie Wein einem Betäubten wurde den Bergen die strahlende Kraft eingeflößt. Sie nahmen sie mit verklemmtem Mund auf. Aber die Hitze rieselte in ihre Eingeweide. Durch die lastenden eisigen Kolosse lief die Wärme, und alles was in ihnen war, fühlte sich angefaßt. Zum Aufbeben waren sie gebracht, wie die neue Gewalt über sie kam, die sie von Urzeiten kannten. Die Firne stemmten sich auseinander, Luft saugten sie auf. Ihre Hohlräume, von Wasser plätschernd, erweiterten sich wie Lungen. Von Röhren Gängen wurden sie durchlöchert, Gewölbe unterminierten sie. Es floß von ihnen ab, Wasser, zu dem sie sich verwandelten erweichten. Das lustige weiße klingende Wasser. Schäumende Läufe in den Leibern der Firne; Schellen und Schlittenfahrt. Aus weiten Gletschertoren stürzten die Gewässer entbunden hervor. Nagend umspülten sie die blauweißen Säulen der Gletscherhallen, erwärmte schmelzende drängende Wasser. Gewölbe Firne zitterten unter der hebenden Wucht. Lechzend wühlten sich die Quellen durch das Eis, schnitten in die weißen Gemäuer ein. Von den gedehnten sturzsüchtigen Säulen troff weißes Wasser, immer neues Wasser. Im Klingen Klirren des Wolkenschleiers das Puffen Erdröhnen der sterbenden hinsinkenden Gletscher und Firne. Durch ihre Leiber, in den Eisfelsen wirbelte ein unregelmäßiges Auf und Ab von Trommelschlägen, bohrendes erregtes Wasser. Der Dunst lag bergehoch über dem Land. Die Küstengletscher glitten rascher hin. Sie drängten in die Fjorde; von rückwärts, aus dem Inland wurden sie gestoßen. Über ihre Köpfe, ihre Rücken herauf stiegen Eismassen. Ein brandendes Eismeer war im Inland entstanden. Schollen und Schichten drängten sich zusammen, türmten sich aneinander auf, rannten sich splitternd fest. Das Inlandeis, die Firne hatten sich auf die Wanderschaft begeben. Sie schwammen auf dünnen Schichten des leckenden Wassers. Die Gewölbe unter sich hatten sie zerknickt, das Wasser aber hatten sie nicht pressen können. Das lief vor ihnen her, und wie es quoll, trug es sie. Unterschmolzen wurden die Massen; sie mußten gleiten schwimmen. Auf dem sanften biegsamen Wasser schwammen sie. Ihre Wucht war in Jahrtausenden gewachsen, in der Finsternis, zwischen langen Wintern, kurzen Sommern. Schnee auf Schnee war über sie gefallen, von Stürmen zugetragen, war geschmolzen vereist. Der Wind hatte den Schnee nicht mehr abgeblasen, immer mehr Schnee wurde an das Eis geheftet, das Gebirge konnte ihn nicht abschütteln, die Eismassen umschnürten die Felsen, wuchsen von den Hügeln auf, belagerten sie. Dann war das Land nichts als eine Fußbank unter ihnen. Sie quetschten es breit, zerrieben seine Fältelung. Jetzt waren sie erschüttert. Unsicher ließen sie ihren Sitz los. Und sie waren nicht allein. Hinter sich fühlten sie es sich schieben. Sie wurden gehoben, von ihrem Platz geschleudert, von unten herauf gehebelt. Unsichtbar noch die Bergwände Täler, die versunkenen stillen, die die Erde hochgetrieben hatte und die das umwallende Meer nicht hatte übersteigen können. Aber die Last über ihnen schwand. Die Talmulden wurden von dem wandernden Eis ausgefüllt, die Grate erklettert übertürmt. Da wogten die Gletscher aus dem Inland gegen die Küsten heran. Wie eine Frau, die die Kleider anrafft und den Straßenstaub aufrührt, peilten die trägen Grundlawinen den Boden aus, zerschrammten Felsen, mischten sie in ihre Masse. Ihre drängenden Haufen umflossen die Nunataks, knickten sie, rollten; zerrieben ihre Trümmer. Wasser, das große Element, am wildesten von der Hitze und Kälte umkämpft, war auf dem Plan. Triefende weiße trübe Massen; dieses Schwemmen Lösen Schleppen Hinstürzen Zerplätschern. Das Wasser sprang zehnmal an, glitt ab, warf zuletzt um, eilte weiter. Es drang mit der Hitze in die Gletscher die Erde, lockerte auf. Die Nebelschleier, gasige feuchte Meere stürzten nieder. Erst regnend, dann in Flüssen kamen die Wassermassen auf das Land zurück. In der Nässe zergingen die letzten Schneefelder. Die Firne und Gletscher, die nicht ihre Lawinen ins Meer gestürzt hatten, blieben schwer liegen. Zersprangen zerflossen, vom weichen Wasser geschaukelt. Die Berge Hügel Ebenen des zerdrückten uralten Landes zeigten, überschwemmt, von meilenweiten Seen bedeckt, katarakterfüllt, ihr verwüstetes Gesicht. An den Küsten drängten sich noch die Gletscher, die Gebirge übersteigend; ruckten sackten ins Land zurück. Blind dröhnend rannten noch Gletscher vorwärts, mit zerknisternden Decken, dann schon überflutet, von der Nässe gelähmt, standen vor Felsen, taumelten, mauerten sich an ihnen hoch, sanken ab, schnurrten, wurden kleiner grauer, wogten als Schollen. In eine Wüste von Blöcken hatte sich das Land verwandelt. Die Seen dampften und schwenkten Eisbröckel. In den Tiefen wühlten die letzten Gletscherreste. Das Inland gleichmäßig glatt und ruhig unter der glutenden Luft, mit wenigen dunstenden Hügeln bestanden. Nach den Küsten stürzten Wasser; da hatte sich ein Wall gebildet aus den Trümmern und Erdlasten, die die Gletscher fortgetragen hatten; die Wasser mußten sie durchwühlen. Es war an dem Tage, an dem die ersten Erkundungsschiffe der Menschen über den Ozean fuhren, da bewegte sich die Erde. In großer Ruhe stieg Grönland, das Erdmassiv, das vom Pol in das Atlantische Meer ragte, auf. Stieg wie ein Korken auf, der tief in das Wasser gedrückt ist und den der Finger losläßt. Von der gebirgsschweren Last der Firne Gletscher des Inlandeises war das Land befreit. Es hob sich leicht. Hob sich über der schweren flüssigen Masse des Erdinnern, die es trieb, bis an seinen neuen Ort. Das Land, Berge Ebenen Hügel Küsten, schob sich in die Höhe und zerriß von Norden nach Süden. In wenigen Tagen war alles ausgeglichen. Grönland, noch eben ein Erdteil, war zu zwei großen Inseln geworden, die meilenweit durch ein flaches Meer getrennt waren. Rauchende Inseln wuchsen langsam aus dem Wasser. Inseln verschwanden wieder. In die westliche große ergoß sich eine tiefe Meeresstraße. * * * * * In dem riesigen Umkreis der Flammen, wo das Licht matter schien, die Glut nachließ, begab die Erde sich auf die Wanderschaft, um dem heißen Eiland näherzukommen. Die Welt um Grönland, als wollte sie das Feuer löschen, wucherte in die Flammenzone ein. Ein Wall bewegte sich auf die grönländischen Inseln hin, so dicht, daß das Meer fast abgemauert wurde. Aus dem Randgebiet kam ein Riesenlager von Lebendigen dem Glutenherd näher. War wie Flamme und Wasser, bereit alles zuzuschütten. Die Luft durchdrang es. Bald war es ein Rasen, eine meilenweite tiefe Wiese, bald ein Wald über dem Meer, ein grünes Meergebirge, das vordrang. Was unten nicht heftig genug wuchs, trieb oben vor, schickte ungefesselte Tiere, die liefen schwammen flogen. Kilometerdick waren die Pflanzenschichten, die purpurn grün braun das Meer überschaukelten. Wo sie sich den heißesten Strahlen näherten, waren sie so dicht, daß das Wasser sie nur in Kanälen durchdrang, daß sie oben trocken lagen, Sturzwellen sie nur gelegentlich überschlugen. Im Westen wuchsen aus wallenden Laminarien Bäume auf; Lassonien mannsdick, mit scharlachroten Blattkronen geschmückt, ließen Zweige herabhängen. In diesen wasserdurchzogenen Wiesen, lustigen Wäldern wuchsen verkamen zahllose Tiere. Verstrickten sich in den Maschen der Pflanzenwelt. Es trieb sie in Scharen in die Lager. Die schwimmende Wiese hob und senkte sich, straffte sich, erschlaffte. Mit jedem Anheben wurden wie durch Ausatmung Tausende Keime und Tiere herausgepreßt, strudelten in das Wasser. Sie wurden geschnappt von denen, die eben anschwammen, gebannt lauerten. Zu einem einzigen hauchenden Wesen wuchsen Wälder und Wiesen des Meeres ineinander. Fische Würmer Krebse suchten sich durch die Blätter und Stengel durchzusägen; aber die Last der Wiese war ungeheuer. Die Tiere wurden zusammengepreßt, ihr Saft troff, mischte sich mit dem weißen der geknickten Stengel, ausgelaugten Blätter. Es gab in dem Grönland umziehenden Gewebe nicht zu unterscheiden Lebendes und Totes, Pflanzen Tier und Boden. Pflanze legte sich an Pflanze, hielt langsam schwimmende anschnellende Tiere mit Ranken, stützenden Blüten fest, die Tiere wurden ihre Teile. Diese Pflanzen hatten selbst Saugwurzeln Stützwurzeln von allen Stellen her. Ihre Blütenhaare Ranken bildeten sie zu Saugern Füßen Kiefern aus; waren Tiere und Pflanzen in eins. Auf Blumen saßen krebsartige Wesen. Saßen ganz still. Mit ihren Schwanzfächern schlugen sie von Zeit zu Zeit Ranken ab, die sich um sie legten. Mit den beiden gekrümmten säbelartigen Raubfüßen bohrten sie in dem Blütengrund, rissen Wunden in den Schaft, schoben ihre Kauladen an, sogen. Manche Pflanzen trieben Röhrenblüten; in den Hüllkelchblättern saßen graue Krebse; in die Fruchtknoten hatten sie ihre feinen Kauladen getrieben; aus den Saftröhren des Pflanzenwesens floß ihnen Nahrung. Sie ließen manchmal auf freieren Wiesen den Blütengrund mit den Füßen los: als wären sie ein Pflanzenteil ragten und flottierten sie, mit wallendem Schwanzfächer, über dem Kelch im Wasser, um gleich, wenn sie verdrängt und abgerissen wurden, mit kurzen drehenden und wühlenden Bewegungen sich neu einzubohren. Da saßen Geschöpfe an den Pflanzen, waren Spinnen. Unter den Blattachseln wuchsen sie hervor, schickten ihre Spinnfäden heraus, die sich fest um Nachbarstengel rankten. Tintenfische, ungeheure Leiber, mit vielen Armen, hatten ihre Augen geschlossen. Der muskelstarke Mantel hielt still, war straff gebläht, das Pflanzengewebe hatte seine Fortsätze in seine Höhlung getrieben, die großen Adern hatte es umwuchert, das Tier war nicht tot. Sein Herz schlug; in seinen Darm mündeten die Spalträume der Pflanzen; das Herz trieb träge den Saft anderen Tieren, anderen Pflanzen zu. Stengel Blätter Knospen wurden abgeschnürt, Glieder von Medusen Seesternen; die Teile wurden hier aufgesogen, dort waren sie schon wieder von einem Wesen gefangen, das sich dem losen Medusenarm anpaßte, ihn zu seinem Rüssel Stachel Deckblatt Saftröhre machte. Feine Algen durchwuchsen Nacktschnecken, es war keine Schnecke mehr: ein Algenbusch schaukelte über dem weichen Bett. Auf den rosig bestrahlten grönländischen Inseln hatte sich nach der großen Erderhebung alles verändert. Ihr Boden war gestaucht verworfen. Bloßgelegt waren Erdschichten und Gesteinsmassen einer uralten Erdzeit. Die Tiertrümmer Samen Pflanzen, Splitter einer jahrmillionenfernen Zeit waren wieder dem Licht preisgegeben, jetzt einem anderen Licht. Diese Sonne, die über Gebirge Ebenen Seen jetzt übertropische Wärme warf, war von wilderer Gewalt als der ferne alte Gasball. Unter dieser Sonne, die dicht über ihnen lag, erhob sich das Begrabene und Tote. Die Sonne riß es hoch. Wie die Maschinen, die die Islandfahrer auf den Brücken vorgeschoben hatten, die bröckligen Steinswesen bezauberten, Verbannten ähnlich, die man auf der Straße in ihrer Muttersprache anredet, einer Frau ähnlich, die verdorrt und eine Umarmung, ein sanftes Wort erfährt, oder wie Völker, die man unterjocht hat und die sich finden, – das Glück bringt sie zum Weinen, – so drang das heiße rosige Licht auf die Trümmer der alten Erde, umfloß umspülte bewältigte sie stürmisch. Schoß in ihr Herz. Es kam ein Schmachten Wüten in die Dinge, daß sie sich bogen und streckten. Langsam regten sich die Gesteine. Die Ebenen des Landes hoben sich, überall wuchsen die Lager aus, drängten hoch, schoben sich übereinander. Rascher waren die Moose Algen Farne Gräser Fische Schnecken Würmer Eidechsen großen Säuger. Keine neuen Keime flogen über die See herüber. Die zermürbten Trümmer der Kreidezeit, Knochen Pflanzensplitter fanden wieder Leben. Dies wütende Licht backte zu Leibern zusammen, was es fand. Die Knochenwirbel, die zertrümmerten Skelette tranken in dem Lehm die Gletschernässe, zogen sich aneinander. Aus dem Lehm strömten ihnen Stoffe zu, die sie zu ihren Leibern machten, die sie um sich legten; Erde, quellendes Wasser, Salze. Es wandelte sich in ihnen und an ihnen schon um zur Art ihrer Körper. Um alle Reste und Trümmer ballte sich die Erde zu Lebendigem, quoll auf. So wild war der Drang zu Leibern zu finden, zueinander zu fließen und sich zu bewegen, daß überall auf den Inseln das bloßliegende Land in ganzen Strichen barst, sich hier zusammenrollte zu einer wimmelnden Masse, dort wie vom Regen getroffen aufwucherte unter baumartigen Gebilden. Es waren keine Wesen, wie sie die Erde früher getragen hatte. Um bloßliegende Glieder, Köpfe Knochen Zähne Schwanzstücke Wirbel, um Farnblätter Stempelteile Wurzelstümpfe sammelten sich die Wasser Salze Erden; oft wuchs es sich zu Geschöpfen aus, die den alten dieser Erdzeit ähnelten, oft drehten sich sonderbare Wesen, sogen an der Erde, tanzten. Das waren Köpfe Schädel, deren Kiefer Beine geworden waren, der Rachen ein Darm, die Augenlöcher Münder. Rippen rollten sich als Würmer. Um eine Wirbelsäule strömte zusammen die lebendige Erde, befestigte sich. Es war, als wenn ein Adergeflecht nach allen Seiten ausschoß von den Knochenresten, als wären sie Kristalle Keimpunkte in der übersättigten Lösung. Und was um die Wirbelwesen lag, von den Adern berührt wurde, faßte es an, zog es zu sich her, ob es selbst Leib gewinnen wollte oder nicht. Die Würmer, die sich um die Rippen gebildet hatten, zog, wenn sie nicht flohen, das Wirbelwesen an seinen Mund, pflanzte sie sich neben seine Lippen ein; sie schluckten vorverdauten für ihn. Kuglige Wesen rollten von Hügeln ins Land. Sie hatten die Art von Lawinen. Um sie spielte das Geäder unersättlich; wie sie rollten, backten sie an ihren Leib, was sie fassen konnten, versenkten die Adern in das Ergriffene. Auf Hügeln blieben manche dieser sich blähenden Wesen hängen; wuchsen in die Hügel ein, um sie herum. Unter ihnen hatte ihr spürendes Geäder ganze Lager kleiner Wesen erfaßt, die sich im Schneckengehäuse, um Korallenstäbchen geballt hatten; mit denen panzerten sich die Kugelreste. Die Felsen wurden von der wuchernden Kraft der Samen zersprengt. Es gab Geschöpfe, die sich riesengroß schwerfällig fortbewegten, ganze Hügel in ihrem Leib. Bröckel ungeformter und sich selbständig bewegender Erde schleppten sie mit sich, sie träufelten es von sich ab, zogen eine Bahn Lebens. Niemand war bedacht auf Angriff und Verteidigung; sie schleppten sich auf, trieben aneinander, rieben sich, verschlackten sich, wurzelten zusammen, über- und untereinander. Die Trümmer der Gräser Laubbäume der Palmen Oleander Nadelhölzer wurden von dem Licht berührt. Sie zogen ihre Nachbarschaft an sich, die rollte auf sie zu, wie ein Blatt, das sich unter der Flamme kräuselt. Reste verdorrter und erstickter Lorbeerbäume lagen auf geöffneten Sandsteinplatten, zwischen dem Schutt der Felsen, die die Sonne zersprengt hatte. In ihre Blattrippen, zwischen ein Netzwerk der Nerven wurde die lebendige Erde gesogen. Von den Blattrippen, den Nerven ging die Lockung aus; zwischen Blattrippen und Nerven senkte sich, gerissen, die Erde ein, schichtete sich um Spalten, wurde durchädert, farbige Pflanze. Blätter erhoben sich von den Felsplatten wie Kuchen aus ihren Pfannen; breit und dick. Sich aufrichtend wuchsen sie zur Höhe von Büschen, immer im Wirbel von den Seiten den Erdstoff ansaugend, der wie schweres Öl floß. Prall standen die Blätter, die riesigen gemästeten Gebilde. Oft fingen sie an sich zu bewegen. Denn unter ihnen wuchsen gepanzerte Schildkröten, auf deren Rücken sie verankert waren. Und auf dem Rücken der Tiere wandelten sie ins Land. Und weithin die Landschaften der Schopfbäume mit dichtgedrängter Belaubung. Überall wuchsen sie auf den Spuren von Tieren, die die Samen der Bäume mit sich vergossen. Baumartige Gräser schossen hoch, in dichten Gebüschen, undurchdringliche Klumpen, Stamm auf Stamm aus einer Wurzel; die Spitzen der Gräser hingen bogenförmig über wie hohe Trauerweiden. Oft rissen sich Bäume und Tiere nicht ganz aus dem Boden, blieben drin stecken, waren ein Mittelding zwischen wuchernden Erdstoffen und lebendigen Wesen. Oft schleppten sie wie einen Eidotter Erdmasse mit sich fort, Beutel, ganze Säcke, an Strängen wie Nabelschnüre und fielen hin, andern zum Opfer, wenn der Dottersack leer war. Oft fuhren Gebüsche drohend wie Arme gegeneinander, schienen sich ersticken zu wollen. Dann brachen ihre Äste bei der Berührung; sie schmolzen zusammen; gemeinsam flutete ihre Nahrung in alle; ein großes Wesen erhob sich. Zwischen den Gingko Tulpenbäumen trieben Lianen auf. Sie nahmen sich keine Zeit zur Ausbildung von Blättern. Matt an die Bäume gelehnt, um sie herumklimmend wuchsen sie über die Stämme hinaus. Die fremden Blätter umwickelten sie mit ihren Windungen. Sie waren gefräßige und strenge Wesen. In die Bäume wuchsen sie heimlich ein; die waren ihr Mutterkuchen. Den Saft der Erde bekamen sie vorverdaut. Während die Bäume unter ihnen verdorrten, ließen sie ihre Blüten bunt wie Fahnen über sie hängen. Schweigsames Düster der Wälder. Säulen völlig grade astlos aufstrebender Stämme, ununterbrochenes Laubdach; Linien rosigen Lichts durchfallend. Korkzieherartig umwanden sie die Holzseile der Gastpflanzen. Von Stamm zu Stamm zogen sich die Drähte, über die tierische Geschöpfe krochen, von denen sie wie Fledermäuse herabhingen. Die Tiere rissen sich von den Bäumen und dem Boden los, schrien durch die Wälder. Platanen der heißen Ebenen, Mangroven Brotfruchtbäume. Die Riesenfarne, die wie unerschöpfliche Mütter und Väter dastanden und zeugten. Ihre Blätter strahlenförmig im Kreis wie Speichen eines Rades. Lebendig gebaren diese Pflanzen; der Keimling entwickelte sich schon an der Kehrseite der starken Blätter; seine Sprossen hingen in Fäden von den Blättern herab. Das unaufhörliche Niederpreschen der Stämme. Sie brachen oft ganz mit Belaubung und tierischer Last zusammen und quollen über den Boden. Zum Teil vermochten sie nicht zu fallen; Leichname standen rechts und links; kräftigere Wesen verschlangen sie. In der Dämmerung und Dunkelheit wuchsen neue auf, trugen ihre Schirme über die Wipfel und Baumkronen, breiteten neues raschelndes Blattwerk aus. Die Wälder, Tiere beschützend, schoben sich wie Schilde hoch. Unter der Glühhitze flammte die bunte Holzmasse oft auf. Sie krümmte sich brennend am Boden. Schlürfte und schlüpfte schon wieder auf, warf neue Dunkelheit unter sich. Verwüstend brachen durch die Wälder die Riesentiere. Die aus den Seen auftauchenden wandernden Gallerten, die sich an Küsten ansiedelten, Bäume und Wiesen verschlangen. Wäßrige Geschöpfe, die ganze Flußläufe überbrückten, den Fluß durch ihren Leib laufen ließen, sich zusammenkrampfend ihn absperrten und von sich spritzten. Teiche wurden aufgehoben und wanderten samt Reptilien und Pflanzen in ihnen; sie schaukelten im Wanst eines keuchenden schluckenden augenlosen Riesenwesens, das sich drehte tastete sich lang flaschenartig auszog nach dem Licht. Die grönländische Insel, von dem Rosenlicht begossen, in der tropischen Wärme, war kaum mehr Land, das dalag und Wesen erzeugte. Die Inseln glichen, wie sie zum Licht schäumten, einem langsam aufdrängenden halb erstarrten Meer, das bald grüne, bald purpurne Wellen übergipfelten. Durch die Wellen schoß manchmal eine Flamme; dann sank das Meer schwarz und qualmend ab. Die Flammenbrunst lief in irren Linien über die Inseln, übersprang die Meeresstraßen. Ganze kleine im Meere lagernde Landmassen hüllte sie ein; wie der Dampf verblasen war, wallte die Erde schon wieder bunt auf. Dieses Feuer war oft nicht von außen in die Berge Waldungen, herangetragen worden. Es brach, wenn das Wüten dieser lebendigen Wellen zu hoch gestiegen war, die Baumkronen himmelhoch über dem Boden aufgewuchert waren, aus den rastlosen Leibern selbst aus. Aus Ästen Knospen stachen züngelten die kleinen Flammen. Die Lianen reckten sich im Licht auf; aus ihren Stielen warfen sie keine schweren Blüten, sondern zischelnde Flammen, die den Leib der Pflanzen nicht angriffen, sondern von unten wurden die Flammen genährt, brausten weiter und länger aus. Bis ein furchtbarer Streit zwischen der Flamme und dem Pflanzenwesen Baumwesen entstand. Heftiger wütete der Baum, bissiger trieb die Flamme abwärts. Die Wut des Baumes speiste die Flamme. Weg mußte der Baum und die Pflanzen um ihn mit. Ihr Rasen nährte die Flamme. Die Bäume verkeuchten sich in Feuer. Wüteten Flammen in Flammen, verbrausten in die Luft. Eine Flucht kleiner Vögel und Insekten machte sich aus den Steinlagern, den uralten Kreidemassen auf. Die Papageien grellbunt und üppige Fasane flogen hin, schnappten schrieen. Kopffüßler Schwämme Schnecken erhoben sich neben ihnen aus der Erde, glitten in die Wasser, mischten sich mit anderen Wesen, die über sie kamen. Straßenlange Schlangenleiber ringelten Echsen über die Felsen, stürzten sich ins Wasser, die erst blassen, dann schwärzlichbraun anlaufenden Wesen, denen Stacheln aus den schmalen bezahnten Schädeln wuchsen und die unten im Wasser brünstig grunzend mit ihren breiten Schwimmschaufeln wateten. Wie diese Tiere das Wasser durchschwammen, kämpften sie mit anderen, mußten sich in dem Wust des aufkommenden, sie selbst durchrieselnden, über sie zusammenschlagenden Lebens behaupten. Von Felsenplatten, von der kochenden umdunstenden Erde lösten sich die abenteuerlichen Wesen ab, die sich zuerst nicht entschieden, ob sie mit dem Schwanz und den Füßen in der Erde wurzeln wollten, die dann ihre Glieder vom Boden wie von einem Teig abzogen und schon dumpf um sich blickten, die Bäume betrachteten, mit ihren Riesenkiefern in die weichen Stämme hieben. Schwer standen sie auf der wühlenden Erde, den muskulösen Schwanz angestemmt, mit den beiden Stirnhörnern Bäume rammend und fällend. Die Bäume nahmen sie wie Gräser in die Mäuler, zermahlten sie mit den Kronen Gastpflanzen und hängendem Getier. Langhalsige gebuckelte Ungeheuer zogen sich einzeln und in Gruppen durch die lärmerfüllten Täler, über das Flachland. Vor ihrem donnerartigen Gewieher erschraken sie selbst. Von einer Doppelreihe hoher Knochenplatten war ihr Rücken bestanden, ein Knochenkragen schützte den Hals, aber vorn bewegten sie menschenähnliche trübe gewaltige Häupter langsam hin und her. Wasser lief aus ihren Augen. In Wälder brachen sie ein. Aber sie zitterten, standen still, warfen sich um sich, als sie von fuchsartigen roten Tieren in Scharen überlaufen wurden, die sich in ihre Augenhöhlen Ohren zwischen ihren Zähnen festzusetzen suchten, die sie abschüttelten zertraten. Aber immer liefen die Füchse von rückwärts und über die Füße an, stürzten von den Bäumen herunter, in deren Seilgewirr die Ungeheuer sich verstrickten. Sie wieherten in Schmerzen. Ganze Haine verwüsteten sie, sich hinwälzend. In Flußläufen suchten sie sich zu kühlen. Da zerschellten viele. Aber die Erde blieb in einer einzigen Erregung. Und wie sie zerschellten, strömte und ballte sich schon das Leben wieder um ihre Glieder und trieb durch das Land. Von den Felsen der höchsten Berge stürzten sich Vogelwesen in die lebendige Brandung. Mit Hälsen wie Giraffen, die Flügel breit werfend, trugen sie auf ihren langen Krokodilsköpfen ganze Wiesen und Bäume mit sich. Maulwurfsartige Wesen, die zwischen ihren Flügelfedern nisteten, verließen sie auch im Fluge nicht. Diese zähnefletschenden Vogelechsen brauchten keine Hörner zum Rammen und Spießen. Die Hügelteile, die sie auf ihren Köpfen mit sich trugen, trieben Spitzen hervor, die die Härte der Steine hatten. Die großen Meuchler erschienen, diese schlagenden krallenden stürzenden Wesen über der Brandung Grönlands. Sie wüteten schlimmer als die Flammen, schlitzten die wandelnden Gallerten auf, zerquetschten sich senkend Tiermassen. Nach oben zuckte das Leben der Inseln. Nun begann es bedrängt überquellend nach außen zu fluten. Der Schwall der Vögel setzte sich in Bewegung. Die Lauftiere flüchteten vor den schwirrenden zerschmetternden Unwesen. Sie suchten das Wasser zu überschwimmen. Liefen über die Tangwiesen. Nach Süden Osten Westen quollen die Tiermassen. Achtes Buch. Die Giganten Über der Westküste Skandinaviens erschienen die Untiere gegen Ende des Jahres. Etwas später befuhren sie die britischen Gewässer, tauchten vor Jütland und der Bretagne auf. Die Stadtschaften, die noch in der Hand starker Senate waren, hatten beim Zurückfluten des großen Expeditionsgeschwaders die Grenzen gegen Norden und Westen gesperrt. Von dem Expeditionskorps lief nur ein versprengter, rasch gefangengesetzter Teil die europäische Küste nördlich Stavangers am Bukafjord an; die Hauptmasse stürzte nach Süden an den alten Sammelplatz der Färöer und Shetlands. Britische Kommissare hatten schon im Herbst durch Schottland eine Verteidigungslinie gegen das verdächtige Geschwader gezogen, von der Lorne zur Moraybucht südlich des Kaledonienkanals; Vorpostenschiffe deckten die Nordsee und den Zugang zur Irischen See. Von niemandem gehindert, von niemandem erwartet brachen die grönländischen Untiere ein, diese abenteuerlichen, den Menschen gräßlichen Wesen, Mißschöpfungen einer unmäßigen Kraft, die über Grönland aus dem schrecklichen Flammenschleier blies. Rudel der keuchenden blasenden Wesen ruderten flogen über den Ozean, straßenlange Reptilien, schwarzbäuchig, manche schillernd beschuppt, manche mit scheckiger Haut und breiten stumpfen Mäulern, manche wie Krokodile gepanzert. Dann Vogeltiere mit langen spitzen Zähnen, die in Doppelreihen standen. In Haufen zogen sie an, einzeln wie Festungen und Schiffe, eine Masse von Felsen Baumwaldungen Tieren mit sich schleppend. Sie schwärmten an, verhüllt unter den Waldungen auf ihren Rücken; mit den Füßen rissen sie sich die Moose und Schachtelhalme ab, die über ihre Augen wucherten. Bisweilen stürzten sich fliegende Echsen in die See, um die Flammen zu löschen, die an ihren Hälsen, auf ihren Rücken entstanden. Mit der Angst gejagter Wesen flohen sie. Zwischen ihren Zehen, auf ihren rollenden aderdurchzogenen Flughäuten wurden Schlachten zwischen den Geschöpfen geschlagen, die sie mitschleppten. Sie klammerten sich an die Krallen der Ungetüme an, hingen an deren geblähten Halswampen in Reihen Ketten Girlanden. Tauchten die Tiere in See, so wurde der größte Teil der Bevölkerung von ihnen abgeschwemmt, schwamm an der Oberfläche, suchte die großen Tiere wieder zu fassen, wenn sie hoch kamen. In die See tauchend spülten sich die wandernden Tierriesen die zerfallenden Leichen ab. Aber mit sich selbst, unter sich schleppten sie Leichen. Sie kämpften miteinander, sobald sie sich berührten, schlangen zerrissen sich. Und je mehr sie sich von Grönland entfernten, um so größer wurde ihre Not. Über See erschlugen sie sich; hungrig, aber oft konnten sie sich von den Besiegten nicht losreißen, die sich an ihren Rüsseln Borsten Hornplatten verklammert hielten. Mit der triefenden Masse wankten sie weiter, die Sprossen in sie hineintrieb. Und wie die Untiere die offenen, von dem rosenfarbigen grönländischen Licht nicht beschienene Meere befuhren, die Kälte über sie kam, wurden sie unsicher. Zuckten zwischen Meer und Himmel auf und ab, flüchteten vom Meer in die Wolken, die sie nicht wärmten. Sie konnten wenig sehen unter dem trüben Sonnenlicht. Verwirrt kehrten viele um. Aber die Geschwader der neu abfliegenden Tiere kamen über sie; diese Tiervölker zerrissen sie, schleppten sie nach Süden weiter. Unaufhörlich wie ein Blütenbaum seinen gelben Sonnenstaub warf Grönland seine lebendigen Massen von sich. Auf Skandinavien schmetterten sie nieder; dies war das erste Land, auf das sie stießen. Fjorde mit Granitklüften, wenige Wiesen, Schneeberge im Hintergrund. Hunger Beklemmung trieb die wandernden Untiere von Tag zu Tag stärker. Da prasselten sie über die Klippen, bedeckten kleine Menschensiedlungen. Im Sturz zerschellten viele, die sich über das Land warfen, als wären es Wellen. Die lebend herunterkamen, fingen an am Boden, an den Klippen zu beißen zu kauen zu schlingen. Zerrissen sich die Gaumen, ihre Zähne splitterten. Dröhnend drohend erhoben sie sich von ihren felsigen Opfern, schlugen mit den Klauen auf ihnen herum, schluckten mit blasenden Nüstern Steinbröckel Kiesel, griffen sich nach dem Rücken, stopften sich Farne, die sie abknickten, hinterher. Die Steine zerschrammten schlitzten ihnen den Darm. Speiend drehten sie sich im Kreise. Nach Bergen kam ein Rudel vogelartiger Echsen mit den Rückenhöckern von Dromedaren, langen Hälsen, zweifüßige beflügelte Unwesen, die ein helles Schreien bei ihrer Annäherung ausstießen, das sich wie Kichern anhörte. Sie zerdrückten eine Zahl von Straßen und Anlagen. Mit den Haustrümmern stopften sie sich Menschen in den Schlund. Brände brachen um sie in der Stadtschaft aus. Die Waldungen von Farnen Bärlappbäumen auf den Tierrücken wurden ab und zu von dem Feuer ergriffen. Zerstörend warfen sich die flammenden Tiere um, wälzten sich durch die Stadt. Eine eigentümliche Art Fischwesen war gleichzeitig bei Bergen aus dem Meer aufgestiegen, Wesen von außerordentlicher Länge, die noch die der Echsen übertraf. Sie waren übermäßig wurmartig schmal gewachsen, hatten ein Wirbelskelett, das mit Schädel Rippen Wirbelkörper deutlich an dem fleischlosen Leib sichtbar war. Diese Tiere schienen sinnlos vor Hunger zu sein, waren halbblind. Wie Schlangen ringelten sie tonlos die Klippen vom Meer herauf; ihre Leiber nahmen kein Ende. Sie schnauften mühsam, paßten sich der Luft an. Aber eine ganze Zahl schnellte zu rasch aus dem Wasser hoch; ihre schmächtigen Leiber schwollen plötzlich an, zuckten hingen über den Klippen; die Därme quollen ihnen aus den Schnauzen. An ihnen schlangen die Vogelechsen. Sie kamen alle nicht weit. Flogen etwas, senkten sich wieder auf den Boden. Es schien, als ob der Rest ihrer Kraft sie bei der Berührung mit den kalten Steinmassen der Erde verließ. Keines der skandinavischen Tiere, obwohl von niemandem verfolgt, kam über den sechzigsten Breitengrad auf dem Landweg nach Süden. Sie fraßen Bäume Ackererde. Dann lagen sie lahm. Warfen sich, schnellten wie in einem Anlauf hoch, verkamen. Die Waldungen Gärten Vögel Weichtiere hatten sie schon verschlungen, oder sie waren verbrannt. In die Erde fraßen sich die grönländischen Untiere ein, wie sie starben. Wuchsen dann sonderbar in ihre Gräber. Wo sie reglos lagen, wucherte die Erde, die sie verschlungen hatten, in ihren Mäulern, zwischen ihren Vogelkiefern, in den Schlundröhren, Eingeweiden aus, durchdrangen die Weichteile in langen spitzen Kristallen, sogen die Weichteile nach. Und um die Leiber herum, in den Bodenhöhlungen zitterte die Erde, ließ feine Kristallbündel sprießen, so daß die Riesenleichen in zackigen Nestern lagen. Die Körper der Untiere selbst aber vom Boden verschlungen, waren nichts als eigentümliche Bodenerhebungen, die sich wie Tierrümpfe über den Berghängen, über Ackerflächen hinzogen, von blitzenden Steinen begleitet. Die Untiere, die weiter den Süden erreichten, Jütland bestiegen, sich nahe Hamburg zeigten, waren Quallen und Medusen mit Armen, die sich untereinander zu starken Schwimmflossen verbanden. Auf das flache Land, über die sandigen Küsten wälzten sich in einem wilden Trieb, in zitternder Verwirrung die riesenstarken gallertigen Wesen. Ihre Körper, unter dem grönländischen Licht blühend durchsichtig, hatten in der Kälte der Meere die Gelbröte des Dotters angenommen; blutige geschwollene Stränge durchliefen sie. Sie rollten fauchten; dellten sich krampfhaft zusammen, sprangen flogen vorwärts. Sie spritzten Schleim um sich, sanken mehr in sich zusammen. Über Flüssen hingen sie, pumpten Wasser in sich. Aber dies Wasser war nur eine Erinnerung an das Wasser, in dem sie gediehen waren; war schweres kaltes liebloses Wasser. Sie soffen mehr, spien es im Wirbel aus. Ihre Arme hangelten nach Blöcken an den Wegen, würgten sie sich in die Mundöffnung. Diese Blöcke konnten sie nicht zerknirschen; die stürzten ihnen durch die Darmwindungen. Über die Landschaften sanken die schattenhaften Wesen hin. Bräunlich und violett tröpfelte Blut von ihnen; sie fielen wie mächtige Spinngewebe über die jütischen Ebenen. Wen die Fasern des Gewebes berührten, was von dem dampfenden blasenwerfenden Blut bespritzt wurde, veränderte sich im Augenblick. Schafherden leckten übergischt an dem Blut. Die Zunge quoll ihnen über die Zähne weg, fiel auf das Gras, sich verbreiternd verdeckend. Die Tiere standen da, zerrten an den fürchterlichen Organen, an denen sie sofort erstickten. Andere zogen glitzernd blökend an den roten Fleischmassen, die ihnen unaufhaltsam aus den Mäulern wuchsen; zugleich schwoll ihnen auch der Gaumen, Rachen, den der Saft berührt hatte. Die dehnten, wölbten sich. Riesenschädel, den ganzen Rumpf in Umfang und Gewicht übertreffend, trugen sie auf den Hälsen, die zu schwach für die Last waren. Die Schafe wurden auf den Boden hingezogen, zappelten mit dem kleinen Anhang ihrer Rümpfe. Rasch kamen eine Anzahl Tiere um, die gierig an dem Blut der Medusen geschluckt hatten und deren Leib Rippen Rückgrat von den anschwellenden Eingeweiden in Stunden zersprengt wurden. Bei Hamburg erfolgte das erste große Verderben der Menschen. Siedler und Einwohner der Stadtschaft wurden betroffen. In die Häuser hinein wurden im Bogen das Blut und der Schleim der verendenden Urtiere gesprenkelt. Menschen, die am Kopf oder den Gliedmaßen begossen wurden, verloren im Augenblick die Besinnung. Ihre wuchernden Organe erdrosselten sie selbst. In den Zimmern wurden Menschen, denen eine Hand bespritzt war, von den schweren wuchernden Fleischmassen aufgesogen; die Hand die Finger füllten den ganzen Raum, kleiner kleiner schrumpften Arme Beine der Rumpf dahinter. Das Herz schlug nicht mehr, die Menschen lagen weiß tot, nicht größer als eine Faust, manchmal wie ein Apfel, ein Karton einlaufend unter dem dunstenden Riesenorgan, dessen Haare wie Spieße aufrecht standen, die an den starren Wänden geknickt wurden. Die tolle Szene in der kleinen Bauernsiedlung, wo eine Bäuerin den Hahn gefaßt hatte, um ihn in den Stall zu tragen. Der Kopf des krähenden Vogels, seine bespritzten Füße jäh anwachsend machten sich nicht los von den Armen und der Schürze der Frau. Die Frau wurde von der Last hingeworfen; die Krallen des Vogels durchwuchsen die Arme der schreienden gellenden schlagenden bald ohnmächtigen. Das Tier lag auf dem Weib, wuchs auf ihm, über Menschengröße. Der Kopf und die Füße wuchsen. Der Rumpf aber hatte noch Leben, so dürftig er auch war; denn die Füße waren in das starke fette Weib verwurzelt. Aus der sogen die Organe ihre Stoffe. Das Weib rann in ihren Kleidern ein. War längst tot, ihr Kopf schon hinter ihrem Halskragen, unter dem Brustausschnitt verschwunden. Leere Hüllen der Ärmel; der Kalk der Knochen wurde aufgesogen. Nach langen Stunden erlosch an dem Vogel das schreckliche Wachstum. Das Tier war selbst schon tot, von seinen Gliedern aufgezehrt. Man sah Schweinsohren, Ochsenschnauzen durch die Dachsparren ihrer Ställe wachsen; noch kläglich brüllten die, dann verstummten sie. Es waren überall bewußtlose sterbende Wesen, die so wuchsen. An der Westgrenze Hamburgs an der See verwüsteten die anwandernden Untiere ganze Stadtteile. Die starken Sicherungen des Senats nutzten nichts, sie fielen nur zum Verhängnis der Stadtschaft aus. Durch die brennenden Würfe, die Strahlen wurden die Tiere zerrissen, ihre Teile aber, Flüssigkeit spritzend, schleppten sich verendend und andere aufsprießende Wesen mit sich schleppend in die Straßen und Anlagen. Die grausigsten Mißformen wurden da sichtbar. Verbackene Bäume, aus deren Wipfeln lange Menschenhaare herausragten, übergipfelt von Menschenköpfen, toten entsetzlichen häusergroßen Gesichtern von Männern und Frauen. Die Schwanzflossen eines Seetiers in eine Siedlung vor der Stadt fallend sammelten um sich Haufen toten Materials, Eggen Wagen Pflüge Bretter. In die wandernde sprießende dampfende Masse gerieten Kartoffelfelder, laufende Hunde, Menschen. Das wallte wie ein Kuchen auf, quoll hoch, zappelte über die besäte Ebene, rollte sich wie eine Lavamasse verheerend langsam vorwärts. Und überall wuchsen aus der sich rundenden schlagenden Masse Stämme, stockhohe Blätter hervor. Die Arme Beine, die sich aus dem flirrenden dunklen Gewebe vorstreckten, waren aus Fleisch und Knochen, oft dunkel umborkt, mit Zehen und Fingern, die sich zu Blattfächern ausbreiteten. Lange Haarmähnen fluteten über die Oberfläche des weichtierartigen Wesens, der dünstenden schlingenden Schnecke; Ranken und Häuserbalken waren in die Haare verfilzt. Über den Tälern und Erhebungen der wallenden Masse rasten Gespanne, Pferde mit Wagen, abspringende Menschen. Sie liefen rissen sich los, bis sie einsanken festklebten, die Pferde an den Wagen, Menschen treibend daneben. Die Pferde wurden durchflutet, von den Hufen den Hinterbeinen hochwachsend, scheinbar sich aufbäumend, aber nur aufgespannt aufgerichtet. Ihr Wiehern Geifern erlosch, die Augen, die ängstlichen blutüberlaufenen Kugeln, sanken zurück. Sie zappelten mit den Vorderbeinen. Waren sie Stämme? Fraßen sie das Laub, die Halme Stauden, die ihnen aus den Mäulern wuchsen? Aus den Rippen quollen ihnen die Wagenbalken. Der Kutscher wuchs aus seinem Sitz, von den drängenden Stämmen getragen, mit ihnen verschmolzen. Dann erweichte alles, was das Urgeschöpf trug, verbreitete sich, quoll zusammen, ebnete sich in seine Decke ein. Über das Wattenmeer der Friesischen Inseln drangen Einzeltiere, die noch kraftvoll waren. Sie stürmten gereizt gegen die Flammenmassen, die ihnen über den Jadebusen entgegengeworfen wurden. Das war ein vulkanisches Brausen, als die breiten springenden Reptilien das Feuer durchzogen. Aus ihnen selbst kam grünes Feuer, das das weiße Menschenfeuer zu dämpfen schien. Sie erreichten das Land, zerknickten die Maschinen am Land und kauten sie. Aber waren selbst zerbrochen. Sie tobten schleppten sich Meilen landeinwärts. Dann stießen aus den schwarzen plumpen vergeblich sich mühenden Leibern, aus den Augen Nüstern, zwischen den Schuppen des Leibes grüne steile Flammenbüschel. In denen verbrauste die Kraft der Tiere, die schnappten verzuckten. Von den brennenden puffenden Körpern, die sich wanden, machten sich Teile los. Unter den Flammen sprangen und spritzten von den Rümpfen ab die Zehen, Krallen der Zähne, Schuppen; die Flügel zerbrachen. Die Teile, Zehen Schuppen Hautfetzen rollten ins Land, die Weser entlang, mischten sich mit Grashalmen Birken Tannen. Riesenbäume wanderten da; die Erde unter ihnen wuchs mit ihnen, schwoll, als wäre sie flüssig gallertig und schäumte, an ihnen hoch. Die Bäume zogen ihre Wurzeln aus der Erde, schritten vorwärts, wackelnd, sich drehend, zogen im Zickzack hin, schlossen nahe Bäume in sich ein, rissen sie mit. Die Bäume schnaubten aus vielen Poren. Verlangsamten ihren Gang, standen gelähmt, schaukelten schwach ihre Kronen. * * * * * Der Einfall der grönländischen Untiere dauerte den Winter durch. Eine panische Flucht von den Küsten setzte ein. Die Ostsee war von Schiffen überladen. In wenigen östlichen Stadtzentralen verloren auch die Senate die Führung. Die Herren der großen westlichen Stadtschaften machten sich stark. Die einströmenden durchströmenden Massen der Siedler erhoben gegen sie ihr anklagendes Geschrei; der Boden der Stadtschaften zitterte unter dem Grauen vor den grönländischen Wesen. Gelähmt waren große Teile der Bevölkerung, auch der Führer. Und neben der Angst wütete unter den Menschen ein unbestimmtes finsteres Schuldgefühl. Ihm konnten sich auch die Wissendsten nicht entziehen unter dem Schauer der Dinge, die sie erlebten. In London hatte Delvil mit Pember die senatorische Gewalt in Händen. Mit sechs anderen Männern und Frauen teilten sie sich in eine Diktatur. Von Brüssel rief Ten Keir, der kleine belgische Führer, sie herüber. Nichts wankte in den belgischen Stadtschaften. Aber der furchtbare Schwarm der Urtiere ließ nicht nach, die Brüsseler Vorstädte im Westen und Norden waren in Trümmer gelegt. Zu dem Entsetzen, das hier die Menschen zusammenballte, kam rasch Haß auf die Siedler, die zu der Grönlandexpedition getrieben hatten, und auf die englischen Führer. In seiner unterirdischen Arbeitskammer empfing Ten Keir glühend den schmächtigen Delvil. Er dachte Zorn und Gift auf ihn loszulassen, schrie höhnisch, wie der nur die Tür öffnete: „Sieg! Sieg! Grönland ist enteist! Wir sind befreit! Wir laden Menschen auf die Schiffe.“ „Sieg!“ schrie Delvil entgegen, „wir haben gesiegt. Wer hat nicht gesiegt?“ „Wie sieht dein Sieg aus, Delvil? Du hast dich über den Kanal gewagt. Du bist nicht verschluckt worden. Ich wünsche dir Glück zu dem großen Sieg.“ Delvil schmetterte die Tür zu. Kalt und ruhig setzte er sich auf einen Schemel: „Wer die Nerven hat, hat gesiegt. Du siehst, ich bin über den Kanal geflogen. Ich habe die Bestien geifern sehen. Habe auf sie gespuckt.“ „Glückwunsch, o Held! Sieh dir Gent an. Hast du Kortryk gesehen? Kortryk im Westen, du mußt es gesehen haben; seit zehn Tagen verwest es.“ „Ten Keir, es scheint, wir spielen mit verkehrten Rollen. Mir kann es recht sein.“ „Und was tust du?“ „Ich bin Delvil. Ein Mensch. Glaubst du, Ten Keir, weil ich schwach bin, ich bin kein Mensch? Die Bestien mögen nur kommen. Jetzt, jetzt kann ich sie nicht besiegen. Im Augenblick nicht. Wir sind nicht darauf vorbereitet. Warte einen Tag, fünf Tage.“ „Das glaubst du, Delvil? Es sind ja nicht nur Tiere.“ „Es sind Tiere. Es sind Tiere; nichts weiter als das. Es sind schon andere Dinge an die Menschen herangetreten und sie haben sie bezwungen.“ Delvil stand. Er war blaß; sein Gesicht verbissen: „Ich bin ein Mensch. Du wirst mich nicht vom Gegenteil überzeugen. Ich kam her, mit Pember, um dich zu fragen, Ten Keir, welcher Meinung du bist. Gibst du es auf, so sag es mir. Ich muß wissen, woran ich bin.“ „Ich hab mir im Grunde keine Fragen stellen zu lassen. Wenn du erbittert bist und wir entsetzt sind und unsere Stadt schon zur Hälfte verwüstet ist, so weißt du, wer daran schuld ist.“ „Ich will wissen, woran ich bin. Hier ist kein Gericht. Ich habe die Tiere nicht gerufen.“ „Das ist Grönland. Das ist der Zug der Siedler nach dem neuen Erdteil. Unsere Befreiung. Unsere Rettung vor dem Untergang.“ „Das ist die Rettung vor dem Untergang. Ich habe es nicht gewollt. Aber es ist recht. Wir wissen, woran wir sind.“ Delvil flüsterte: „Sag ja, Ten Keir. Ich warte auf dich.“ „Sprich lieber nichts. Spitz die Ohren, was über uns geschieht. Vielleicht bewegen sich die Wände. Man weiß nicht was geschieht.“ „Sag ja oder sag nein. Ich bin fünfzig Jahr alt. Jahrtausende haben für uns gearbeitet. Gedacht. Du hast es mir einmal klar gemacht. Ich habe es nun sehen gelernt. Ich bin ein Mensch. Ich gebe nicht auf, es zu glauben. Und du?“ „Ich auch nicht.“ „Dann gib mir deine Hand.“ „Was soll das.“ „Das ist deine Hand. Jetzt wirst du rasend grimmig heiß kalt wie ich werden. Laß sie mir. Laß nur. Du fühlst es schon. Jetzt wirst du in der Nacht auch nicht schlafen können wie ich, vor Wut und Verzweiflung! Du wirst bald röcheln in der Nacht. Ten Keir, hörst du! Du wirst mir Wut und Scham kennen. Du wirst dich verfluchen, wie ich mich, daß die Bestien das können, Städte verwüsten, unsere Städte, in unsere Anlagen fallen, daß die Siedler uns auslachen. Ich verfluche mich. Verfluche mich aber nicht lange.“ Delvil zog seine Hand zurück, schüttelte sie als wenn sie zu schwer wäre, blickte Ten Keir an, wich gegen die Wand, wo das Lichtauge blickte. „Was habt Ihr vor. Was hast du vor, Delvil?“ „Du hast meine Hand berührt. Du weißt es. Es gibt nur zweierlei: die Bestien und wir. Die Bestien will ich nicht.“ „Und?“ „Nicht: und sie werden nicht sein.“ Die Fäuste hob Delvil über seinen Kopf, atmete: „Ich will sie nicht. Aus tiefstem tiefstem Herzen sag ich dir: ich will sie nicht. Sie sind schon jetzt nicht mehr da. Sie sind weg. Sie sind schon – vernichtet, von mir, weil ich es will. Ich flüchte nur zum Schein vor ihnen und verstärke mich. Sie leben nicht mehr, Ten Keir. Wir haben sie besiegt. Laß ihnen eine Gnadenfrist von ein paar Tagen, ein paar Wochen. Gönn ihnen das. Sie sollen sich diese Welt noch anschauen. Unsere Welt. Dann ist es aus für sie. Aus! Delvil sagt es. Dann hat er genug. Der Tisch wird rein. Glatt. Blank. Spiegelblank. Hauchblank. Kein Stäubchen darauf!“ Ten Keir in dem Lichtkegel; ganz weiß die Vorderseite des blinzelnden Manns: „Ich will es glauben.“ Der Brüsseler suchte den starken Delvil in der Stadt zurückzuhalten. Der kehrte auf die britischen Inseln über den Kanal zurück. In die Kellerräume stürzten die Menschen. Man hatte gesehen, daß die weiche Erde, die offene Luft gefährlich waren; auf die schweren Betonplatten, Höhlen in sehr massiven Felsgründen erstreckte sich die Wirkung der Bestien nicht. In das Innere der Insel flüchteten Haufen von Menschen. Delvil sah sie mit Hohn und Gram. Es war sein erster Akt, als er von Brüssel zurückkehrte, daß er den Westrand der Londoner Stadtschaft mit schweren Waffen bestückte. Feuer und Strahlen ließ er in die chaotische Menge schleudern. Seine Megaphone schrien über sie: Er sei der Drache, der Drache käme. Und schon war der heiße Atem über ihnen, nicht aber aus den Mäulern der Riesenlurche, sondern aus seinen Maschinen. Und sie wurden angeglüht gebrüht gebrannt. Delvil ließ sie zu Kohle werden. Seinen Haß richtete er auf die Siedler, die Triumph über die Städter sangen; was hätten die westlichen Senate in Grönland erreicht, wo sei der neue Erdteil, welche Wüste sei geschaffen, schlimmer als die im Uralischen Krieg. Und wie fiele es jetzt auf die Städte zurück: kein neues Land, aber sogar das alte werde vernichtet. Die Wut Delvils schwang Peitschen über sie. Sie hatten vor den Drachen und Delvil zu flüchten. Er verband sich eine Schar von Männern und Frauen, die er fanatisiert hatte und die zu der Sache der Städte hielten. „Erretter“ nannten sie sich. Im Bereich der britischen Städte trieben sie die Menschen in die Keller und Höhlen, zwangen die Senate den Boden überall zu unterwühlen, die Betonblöcke zu schaffen, in denen die Menschen hausten. „Erretter“gruppen formierten sie in allen Städten hinter sich, sobald sie abzogen. In das offene Land, auf die schottische Hochfläche aber drangen sie ein mit doppelter Inbrunst. Delvil hatte ihnen das mitgegeben: „Die Bestien, die scheusäligen Lurche und Drachen sind ein Unglück. Wir haben sie nicht gerufen. Man hat uns gezwungen nach Grönland zu gehen. Wir wußten keinen Ausweg. Man wollte eine Barbarei aus unserm Land machen. Wir waren schon am Erliegen. Jetzt kommen die Reptilien, die Untiere, verderben uns. Rache an denen da, die sie uns geschafft haben. Rache an den Verbrechern. Tötet sie! Säubert unser Land!“ Und mit Lachen, mit schwingendem seligen Zwerchfell sah er sie zu Haufen fallen, die Hetzer, die großartigen Lehrer neuer Weisheit, diese Erretter der Menschen. Es gab noch wirkliche Erretter. Nach dem Kontinent und nach Amerika gab Delvil diese Meinung: man möge den Augenblick benützen, um sich das Gesindel vom Hals zu schaffen, das ihnen allen das Leben schwer gemacht habe. Man möge den Ausgang der Grönlandfahrt richtig verstehen. Sie sei glücklich ausgefallen. Sie habe es ermöglicht, die westliche Menschheit neu zu befestigen und die Parasiten von ihr abzuschlagen. Man habe freie Ellbogen gesucht; jetzt habe man sie. Inzwischen blickten er und seine Freunde darauf, Waffen gegen die Untiere zu finden. Sie waren von einem kalten Haß aufgerührt. Alle Strahlen durchbrachen die Tiere. Das Zerreißen der Mißgeschöpfe nutzte nichts; ihre Teile übten mehr Schaden als ihr unversehrter Leib. Wer diese Wesen anfassen und hinmachen könnte. Es war eine heftige und unerträgliche Scham, die Delvil und seine Mitkämpfer erfüllte, daß sie wie ein Urvolk, wie ein Buschmann vor einem Tiger dastanden und keine Rettung wußten. Es war nicht Delvil, sondern ein unbenannter Mann aus Christiania, der Hilfe brachte. Der, aus einem Sturz der Reptilien gerettet unter Verlust des rechten Armes und der Schulter, fand einen überraschenden Weg. Unter ein sterbendes schon erstarrendes Tier war er geraten. Der vom heißen Blut angespritzte Arm war ihm gewuchert; keinen Schmerz hatte er empfunden, nur ein sonderbares Fluten und Zucken durch den ganzen Leib, ein Blitzen von Lichtern vor den Augen, besonders ein rosa Leuchten, das ihm Wohligkeit und Süße eingab und fast wehrlos machte. Aber das Wallen und Zucken im Rumpf, in der Wirbelsäule, an den Knien und Hüftgelenken nahm plötzlich eine furchtbare drängende Stärke an. Er sagte: so müsse wohl eine Frau fühlen, die gebäre, in den Wochen liege und das heraustreibende Kind stemme ihr den Leib auseinander. Unter dem dumpfen grausamen Schmerz hatte er sich, schon träumend, in der schwimmenden Süßigkeit verloren, hatte seinen Körper nicht frei bekommen. An einem entsetzlichen Stiel hing sein Körper, es war sein Arm, ein Riesenarm, eine weiße geblähte Fleischmasse. In Ekel griff er nach seinem Messer, schnitt hinein, wo er konnte mit dem Arm. Hieb in sich, um die gräßliche Fleischmasse von sich abzutrennen. Die Schnitte und Stiche schmerzten nicht, er hieb wie in ein fremdes Wesen, dicht an seiner Schulter. Und plötzlich stürzte er ab und war bewußtlos. Dieser Mann aus einer Mekifabrik war nach zwei Tagen von einer Rettungskommission gefunden worden, wurde da er noch atmete nach Christiania transportiert. Wo man ihm unter den größten Vorsichtsmaßregeln die Schulter entfernte, die noch nach der Selbstamputation des Mannes zu einer sackartigen Geschwulst gewuchert war. Der Mann war wie ein Kind klein geworden, seine Glieder gummiartig weich; ungeheuer hatte noch nach der Selbstamputation der parasitäre Stummel an ihm gezehrt. Sehr schwer war es ihn zu ernähren, die richtigen Stoffe in ihn zu werfen; der braungelb bis schwärzlich gefärbte Mensch schien ein völlig verändertes Blut zu haben. Sogar seine Augen, die Iris seiner früher blauen Augen hatte einen grauschwarzen Ton angenommen. Soviel er auch in einem Heißhunger verschlang und soviel er trank, er gedieh schwer, fror in seinem Bett, dieses Wunder eines Wesens, das die Urtiere nicht vernichtet hatten. Da erzählte er, dessen Geist nicht verworren war, aber immer unter einer Betäubung lag; von Blitzen die durch ihn gegangen wären, von dem Wallen und Zucken im Rumpf, als ihn das Untier berührte, dies Recken und Reißen und Schneiden in den Finger- und Kniegelenken, in den Wirbeln. Er hatte es jetzt nicht mehr. Noch wie der Stumpf an ihm sog, hatte er es gefühlt. Der träumende, mit dem Gespenst der Tiere ringende Mann meinte, ihm fehle etwas. Er wolle nicht mehr essen, es hätte keinen Sinn. Man müsse ihm das geben, was die Tiere hätten. Dann würde er gesund. Immer wieder drang er, halb bewußtlos, darauf. Die Ärzte, mit Elektrizität und vielen Strahlen arbeitend, konnten den Zustand nicht ändern. Als der Mensch immer trieb und bat, man möchte ihn nach Grönland bringen, an das rosa Licht, von dem die Schiffer berichteten, verfiel man darauf nach den Schleiern zu forschen, die die westlichen Senate für sich von Grönland geholt hatten. Es war ganz still von ihnen geworden. Sie waren in unterirdischen Riesengewölben an der belgischen Nordseeküste und in walisischen Bergen vergraben; niemand kümmerte sich um sie. Von zwei abenteuerlustigen Männern begleitet flog der Skandinavier über die Nordsee. An den flämischen Bänken fauchten Riesenlurche unter ihnen. Fast wonnig atmete der dem Tode nahe Skandinavier schon hier. Und als man ihn auf die grüne Wiese an der flandrischen Küste setzte in der Nähe des Tunnels, der zu den Turmalingewölben führte, veränderte sich sein Blick; er lächelte, suchte sich aufzurichten. In Eile schoben ihn die beiden Männer mit einem Speisevorrat an den Eingang des Tunnels, dem sie sich nicht zu nahen wagten; sie selbst schwirrten vor den nahenden Lurchen nach Osten. Vor den belgischen Senat wurde nach zwei Wochen dieser Skandinavier geführt. Ein Schwarm von Menschen, aus ihren Kellern gelockt, begleitete ihn. Er predigte von dem Wunder der Turmalinnetze. In ihnen stecke die Seele des Lebendigen. Er war fast so groß wie ein Mann seines Alters, schwankte aber, war übermäßig erregt, blickte frisch; die Haut vorher schwärzlich, war durchsichtig blaß; man sah fast das Blut darunter fluten. Die Haut schilferte, die Haare waren blond, übermäßig lang, auf die Schultern heruntergewachsen. Ten Keir hörte im Keller des Rathauses von Brüssel nur kurze Zeit den sonderbaren phantasierenden einarmigen Skandinavier an, ordnete an, ihn nach Hause zu befördern. Er brachte im Augenblick die entsetzlichen Lurche mit den Schleiern zusammen: ob man gegen die Bestien mit dieser Waffe vorgehen könnte. Am selben Tage war sein Bericht in Delvils Händen. Von seinem Verwüstungsfeldzug unter den Siedlern heimgekehrt saß der in London. Am Abend dieses Tages waren die beiden Männer einig, daß die Gewölbe der Turmaline besonders zu schützen seien; niemand war an sie heranzulassen, es durfte auch nichts nach außen gelangen von den Kräften der Turmaline und daß die Schleier noch wirksam waren. Den Skandinavier ließ Ten Keir in der Nacht fassen und einsperren. Die schon auftauchenden Gerüchte, von der sonderbaren Wiederherstellung des Mannes, den die Lurche fast getötet hatten, ließ er als Phantastereien zerstreuen. Eine Kommission von Physikern und Biologen prüfte die walisischen Netze. Delvil gehörte ihr an. Ein wütender Gedanke hielt ihn fest: in diesen Netzen waren die Kräfte, mit denen man Bestien Widerstand leisten konnte, und nicht nur den Bestien! Delvil war innerlich verhakt. Er haßte diese Welt, die Erde, die ihm dies antat, die phantastische blöde schreckenlose Macht, die sich vor ihm aufstellte und ihn wie ein wilder Bulle umwarf. Man hatte nicht dazu die Äcker verachten gelernt, das Korn weggeworfen, das der Boden gab, das Vieh, das sich selbst fortpflanzte, um dies zu erdulden. Es steckte eine Rache der Erde dahinter, die ihr aber nicht bekommen sollte. Wie hatten die Berge in Island dagestanden, wie hatten die Vulkane sich mit Donnern und Lava-Ausbrüchen gebärdet, man hatte sie aufgerissen. So hatte man sie behandelt wie die stolzen Flieger, die man segeln ließ, aber die Luft riß man unter ihnen weg – was nutzte das große starke Flugzeug; und wie die Schiffe, die mit einmal nicht mehr fahren konnten, weil kein Meer da war. Das waren Erlebnisse für Schiffe und Flieger. In die unterirdischen Arbeitsräume ließ Delvil Schleier der Turmaline bringen. Die Physiker, obwohl den herrschenden Familien angehörig, ließ er unter Todesdrohung an die gefahrvolle Arbeit treiben; alle Gewalt war bei ihm. Den Männern und Frauen blieb nichts übrig, nachdem sie dem Schicksal oberirdischer Vernichtung durch die Urtiere entgangen waren, sich den Netzen zu nähern, den eigentlichen Gebärerinnen des Unglücks. Delvil, in wenigen Wochen ganz ergraut, mit magerem Gesicht, forderte sie täglich vor sich. Sie berichteten. Von seinem Haß auf die Urtiere war in allen; aber sie grollten ihm auch. Sie wußten nicht, wie er sie täglich rufen ließ, daß er sie beobachtete prüfte, ob sie nicht schon etwas gefunden hätten, womit sie sich zum Herrn über ihn aufwerfen könnten. Er sprach nur von seiner Wut auf die Tiere, von der Notwendigkeit, die Städte die Einrichtungen die Menschen zu schützen. Kein Wort sagte er davon, daß er auf Rache und Vernichtung aus war. Vermöchte er zu tun, wie der Skandinavier Kylin an den Bergen getan hatte: sie erschüttern, anschwellen machen, bis sie platzten. So Grönland von der Wurzel bis zur Spitze, kreuz und quer aufreißen. Einmal hatte ein persischer König das Meer peitschen lassen, weil es seine Brücke zerbrach: wie gut er den König verstand. In Pausen, die sonderbar und unverständlich waren, kamen die Bestien von Norden. Das Meer verseuchten ihre Leichen. Unter der Erde arbeitete in London Delvil mit seinen Gehilfen. Sie brauchten Tiere und Menschen zu ihren Versuchen. Delvil war glücklich, als man so weit war, ohne Schaden die Schleier zu zerkleinern, und sie in kleinen Ausschnitten Kreisen Blättern auf Lebewesen tat. Er brüllte: „Die Bestien! Die Kreidezeit! Die ganze Kreidezeit! Was machts aus. Sie sollen kommen. Je mehr, desto besser. Sie sollen es fühlen.“ Ten Keir wagte sich über den Kanal. Delvil empfing ihn zwischen den Physikern, umarmte ihn wild; flüsterte: „Ich schäme mich nicht mehr. Die Krise geht vorüber. Gott, was war das für eine Zeit. Ich habe nicht gelebt, Ten Keir. Sieh mich an, wie mein Gesicht ist: zwanzig Jahre in zwei Monaten. Sie sollen es büßen. Ich werde wieder gesund. Gesunder als ich gewesen bin.“ „Ihr seid schon weit, Delvil?“ „Wir wollen Brüder werden“; er zog den Brüsseler beiseite; sie gingen durch die straßenähnlichen unterirdischen Anlagen; „ich vergesse dir nichts. Weißt du, Ten Keir, wie du mich behandelt hast, als ich einmal bei dir war, vor der Grönlandexpedition? Nein, es war gut. Du hast mich gut behandelt. Ich hatte ja noch mit den Siedlern geliebäugelt. Du hast mich zurecht gestaucht. Gut, Ten Keir. Ich vergesse es dir nicht. Ich war im Begriff mich zu verlieren. Ich war im Begriff mich unter die Hunde zu begeben. Wie hätte ich jetzt geheult über Lurche und Echsen. Ich brauche mich nicht mehr zu schämen. Du auch nicht, Ten Keir, Bruder Ten Keir. Wir wollen Brüder sein. Es kommt der Tag. Glücklich, daß ich dafür aufbewahrt bin. Ich habe Grönland auf dem Gewissen, Island. Ich will noch mehr auf dem Gewissen haben. Sie sollen mich fürchten.“ „Wer denn, Delvil. Wir werden sie bezwingen. Und gut.“ „Nein, nicht gut. Das sagst du, nicht ich. Was mir geschehen ist –“ Delvils Augen blickten starr; Ten Keir erinnerte sich seiner Worte in Brüssel, wie er die Fäuste hob, auf dem Schemel saß und stöhnte: „Ich will sie nicht. Aus tiefstem tiefstem Herzen sage ich dir: ich will sie nicht. Sie sind schon jetzt nicht mehr da.“ Delvil zwang die Dinge. Er haßte sie. Durch Ten Keirs Kopf zuckte einen Augenblick der Gedanke: dieser Delvil hatte selbst etwas von den grauen und grauenhaften Urtieren an sich. Wie sein Gesicht sich wirklich verändert hatte, seit er ihn gesehen hatte; die Züge schwer beweglich, tief eingetragen, die Haut von der Aschfarbe des Betons, zwischen dem er lebte, die Bewegungen langsam und drängend, kein Zucken; seine Stimme selbst ohne Modulation. „Es kann mir nicht genug sein, Ten Keir, daß ich die Lurche besiege. Wir werden sehen, was die Versuche ergeben. Ich will sie an dem Ort aufsuchen, wo sie entstehen. Ich gehe ihnen entgegen. Sie werden nicht leben. Der Boden, der sie geboren hat, wird nicht leben.“ Ten Keir suchte ihm in die Augen zu blicken. Delvil ging weiter: „Wir werden sehen. Unsere Arme werden wieder frei, Bruder Ten Keir. Mein ist die Rache, spricht der Herr.“ Er merkte nicht, daß der Belgier mit gekreuzten Armen unbeweglich dastand. * * * * * Als im Sommer der Schwall der grönländischen Urtiere nachließ, war den Helfern Delvils das erste gelungen. Vor die Südspitze von Skandinavien, Jütland, über die Nordsee, auf die schottischen Berge südlich des Moray Firth legte man die neuen Waffen. Das war das Sonderbarste Schrecklichste, was die Erde bisher gesehen hatte. Man errichtete im Ozean auf den stärksten Schiffen, im schottischen Gebirge auf dem tausend Meter hohen Carrin Gorm, dem Meall Thonail, Creay Meaghaidh, hohe turmartige Gebilde. Von weitem waren es schlanke Felsen mit unregelmäßigen Auswüchsen. Aber wer sie lange Zeit beobachtete, bemerkte, daß sie ihre Umrisse veränderten, hier breiter wurden als da, dort einen Auswuchs höher trugen als vorher, unten einsanken, in die Höhe sich streckten. Dunkel waren die Gebilde wie großflockiger Porphyr, Partien schienen runzlig wie eine Haut, andere warfen die Lichtstrahlen zurück, glänzten wie Fell. Auf dem Boden der Schiffe, den Kuppen der schottischen Berge hatte man diese Unwesen errichtet, mit Hilfe der Turmalinschleier. Man hatte Steine und Stämme zusammengehäuft und sich vermählen lassen. Wie sie unter dem Feuer der Strahlungen ins Wachsen gerieten und bevor sie erloschen, schüttete man wie auf glimmende Kohlen Schichten Tierleiber Pflanzen Gräser auf sie. In diesen Boden trug man zuletzt Menschen ein. Die Biologen und Physiker der Mekifabriken waren mit den Techniken am lebenden Organismus vertraut; sie hatten rasch gesehen, die Strahlungen der Schleier stellten unbändige zuerst gar nicht dosierbare Reizstoffe für die lebende Substanz dar. Die Trieb- und Wachstumskraft, die in dem einzelnen geformten Tier- Pflanzen- Steinkörper begrenzt war, die die Tierkörper reifen, dann aber altern und sterben ließ, strömte massiv und wie ein Katarakt aus den Gefäßen der Turmalinkristalle und ohne Ende. Man hatte rein in Händen dieses im Feuer der Erde und Gestirnen hausende Urwesen. Sie konnten die Nähr- und Reizlösungen entbehren, die noch Glossing und Marduk für ihre Versuche an Pflanzen und Bäumen verwandt hatten. Das fürchterlich Zerstörende dieser Gewalt wurde bei den Versuchen klar: sie zersprengte jeden Zusammenhang, trieb Teile hervor, unter Vernichtung des Organismus. Sie war wie eine Flamme gleichgültig gegen Bewegtes Ruhendes Hartes Weiches. Es gelang in Pflanzen-, dann in Tierversuchen, die strömende Reizmasse auf die Drüsen und Strangsysteme zu richten, die den Organismus von sich aus zum Wachsen bringen. Die Jugend der Organismen wurde verlängert. Der Körper wurde nicht zerstört. Dann hatte man Siedler aufgegriffen und zu Menschenversuchen verwandt. Die Menschen, die man jetzt auf den Stein- und Baumfundamenten einpflanzte, waren Anhänger der Senate selbst. Delvil hatte sich angeboten, man hatte ihn zurückgehalten. In den Scharen, die mit ihm auf die Vernichtungszüge gegen die britischen Siedler gezogen waren, fanden sich dann genug, die sich hergaben. Gerüste wurden auf den Schiffen und Bergen errichtet; Türme aus lebenden Stoffen gebaut. Zum erstenmal standen Menschen da auf Gerüsten Galerien Plattformen um die Fundamente, dirigierten, dosierten Schleierteile, dämpften mischten arbeiteten das tierische und pflanzliche Leben aus dem Material heraus. Ihr Entzücken; Ingenieure Biologen Physiker blickten auf Delvil, der streng gespannt wie immer beobachtete und wanderte. Er hatte den Skandinavier, der den Urtieren entronnen war, gefragt, ob er von den Gewölben an der flandrischen Küste schweigen werde. Dieser Mann, der verneinte, war auf den Meall Thonail in Schottland geschleppt worden, in die unterste Masse der Steine und Balken eingebacken worden: „Es macht dir ja nichts aus“ lächelte den Mann Delvil an, wie man ihn aufs Gerüst brachte; „du hast schon einmal unter den Lurchen gelegen. Es wird dich nicht überraschen. Du lebst selber von Gnaden der Schleier. Du wirst einem nützlichen Zweck dienen.“ Der langhaarige Skandinavier heulte vor Entsetzen, auf den wuchernden Teig schauend, auf den rechts und links Moos Erde Bretter geworfen wurde. „Das geschieht, unser Freund, damit die anderen, die oben sind, unsere Männer und Frauen, euch verzehren. Willst du schweigen.“ Dessen Züge waren gequält, aber strahlend frisch wie vorher: „Wenn ich deinen Turm sehe, Delvil, so preise ich die Macht der Erde. Du wirst sie nicht besiegen. Ich preise die große Macht. Ich fühle mich in ihr. Es ist keine Grenze zwischen ihr und mir. Ich fürchte mich nicht. Ihr werdet mich auflösen. Laß nur. Ich will dahin.“ Und wie man ihn faßte, nackt, die Riesenzange aus Kristall ihn unter dem Rippenbogen packte, über den Teig hielt, sang er dämmernd und lallend sein Loblied auf die Erde. Dann wucherten seine herabhängenden Hände und Füße, von der aufdrängenden Bewegung gefaßt, wulstig klobig in den Teig. Die Zange ließ ihn. Er stand, fiel auf die Hand. Bog sich, als wolle er sich hochbuckeln, vom Boden losmachen; aber aus seinem Rücken stachelten die Wirbelfortsätze; wie eine Tonne wölbte sich sein Brustkorb. In die Bodenmasse versenkt sein Kopf; Balken, Äste treibend, schlossen ihn in ihren Filz ein. Etagenweise wurde der Bau aufgerichtet. Dann wurde der Turm mit den ausgewählten Menschen, den Anhängern der Senate, beschickt. Wochenlang dauerte ihr Einpflanzen, das Zementieren eines einzelnen Menschen. Auf den erlöschenden Nähr- und Stützteig wurden sie gestellt, die noch armselig kleinen nackten Mannes- und Frauenkörper auf den knisternden begierigen Brei. Die Ausläufer und Zacken des Unterturms senkten sich langsam und immer wieder von den Leitern gehemmt in die Beine und Arme der Menschenkörper. Je mehr Ranken und Sprossen des Unterturmes sich an den Körper legten, mit ihrer Haut verschmolzen, um so stärker trieb man die Leiber der sich Opfernden auf. Man verständigte sich mit ihnen: Die Sprache der Opfer wurde schwerfälliger lallend, dem Wachsen der Zunge entsprechend. Man mußte warten, bis sich der Körper der Schädel die Kiefer angepaßt hatten. Man band mächtige Schalltrichter vor die Münder der Opfer; bald erwies sich, daß man sie nicht benötigte. Die Opfer auch fürchteten, die Trichter würden mit ihnen zusammenwachsen und rissen sie sich ab. Ihre Stimme dröhnte tief, klang dabei fern unklar verschollen. Die Errichter der lebenden Türme mußten alles daran setzen, die Opfer bei Bewußtsein zu erhalten. Das knochentreibende gehirnweitende Wachstum, wenn auch langsam mit Nachlaß und Pausen getrieben, gefährdete immer wieder die Besinnung der Turmmenschen. Sie waren oft im Begriff, ihren Geist und ihr Menschenwesen aufzugeben und ins bloße Wuchern und Wachsen einzudämmern. Bis man wieder ihre Stimme hörte, ihre Augen, deren quellende Lider zugefallen waren, sich öffneten, trübe fragende Blicke nach den Galerien gingen, wo die kleinen Menschen des Experiments standen und winkten, – mit grellen Fahnen, später mit Lichtzeichen, weil die Turmmenschen nahe und nackte Gegenstände nicht unterschieden. Ihre Augäpfel waren größer als ein lebender Mann; sturmartig blies der Atem aus ihrem Mund, den sie offen hielten, als wenn sie schrien. Die Kiefer waren ihnen im Anfang zu schwer und hingen. Wenig und selten wurde Nahrung in ihren Mund, über die hängenden Kiefer gefahren und gestürzt; die Riesenwesen, mühselig gurgelnd und schluckend, wurzelten in dem Tier- und Pflanzenboden. Ihre Beine waren von den Hüftgelenken, dem Becken an knollig versteift; breit standen die Beine, verbreiterten sich massig nach abwärts, gingen in Stränge aufgelöst, ihren Fleischcharakter verlierend, in die Bodenmasse über. Von da strömten Säfte und Nährmassen in ihren Leib. Durch ihre Bauchdecken, in die Weichen wucherten Baumstämme und Tierrümpfe in sie, breiteten sich in dem Gekröse aus, brachen in die Därme ein, verlöteten mit ihnen. Tierblut, Pflanzensäfte ergossen sie in die Därme, die sich langsam hoben senkten, wurmartig zusammenzogen und streckten. Dies war die Bewegung, die man in halber Höhe der Menschentürme sah: das langsame Hin und Her der Därme, die sich versteiften hoben und ihren Krampf lösend wieder herunterstiegen. Mit sich zogen sie jedesmal den schwankenden lockeren Abhang an sich, den aufklimmenden Wald, die hingedehnten, aus dem Wald sprießenden Tierleiber: die übergroßen Pferde, die aufrecht standen, die Vorderbeine in den Leib des Tiermenschen vergraben, mit ihren Hälsen sich aus seinem Leib windend und bewußtlos an den Blättern, dem weichen Baumholz kauend. Die Rinder, die aus der Bauchhöhle des Menschenriesen zu springen schienen, ganz wie wollüstig im Freßdrang in die Gräser des Waldbodens unten gewühlt; aber ihre Körper bogen sie nach hinten hoch auf; was sie fraßen, fraßen sie nicht für sich; ihre Hüften und Hinterschenkel sah man nicht mehr; sie waren im Bauch der Turmmenschen verschwunden und mit ihm verbacken. Sie waren mahlende Rinder und ein Mund, den der Riese über ihnen öffnete, eine Röhre aus der er sog. Die Hoden der Männer verschmolzen mit Baumwipfeln und Blüten; die strömten ihren Saft in die runden Körper, die sie wie Beeren trugen. Oft sah man die Riesen unter der Überfülle der Säfte sich biegen, stöhnen und ihren Samen vergießen. Immer wieder dämpften die Leiter die gefährlichen traumhaft ausfahrenden Bewegungen. Über die nackte Haut der Rümpfe, die erstarren konnte, warf man Hühner Schwäne. Schafe mit dicker Wolle breitete man über die Arme. Man wagte es an einer skandinavischen Insel, zwei starkmähnige Löwen, die an der afrikanischen Nordküste gefangen waren, aus Käfigen lebend auf die Schultern des Turmmenschen springen zu lassen. Sie bissen sich, krallten sich, während der Riese – es war einstmals Quick Baker, ein Sohn der Siedlerin White Baker – zwinkerte, an seinem Hals fest. Das war der Ort, den man ihnen zugedacht hatte, den sie decken sollten. Sie zogen die Zähne nicht mehr aus der bluttriefenden Haut. Die Tatzen ließen sie los; aber schlaff hingen die gelben Körper über dem rotüberrieselten Nacken; ihr Fell schmiegte sich an den Riesen; ihre Beine waren nur Wülste auf der Menschenhaut. Über ihnen pulsierte der meterhohe Kopf des Turmwesens, von langen buschigen Haaren überschaukelt. Dumpfe fast stumme Wesen, unbeweglich luftschnaufend waren sie. Unendlich träge ihre Bewegungen. Nach Menschenart die Bildungen des Mundes der Nase der Ohren, aber verstrichen wie mit Stein und Holz gemauert. Das Blut der Steine und Pflanzen wallte auch in ihnen. Man hatte, als man die Türme errichtet, die Gerüste abgebrochen hatte, auf den Schiffen, die eigentlich verankerte Flöße waren, noch nötig, das Meerwasser durch die untersten Steinmassen aus Röhren laufen zu lassen, von Zeit zu Zeit neue Erde und Pflanzenhaufen über den Fuß des Turmes zu schaufeln. Dann konnte man den Riesenmenschen sich, dem Wind, dem Regen, der Wärme Kälte überlassen. Die Wesen auf den Bergspitzen Schottlands speiste man mit Quellen. Eine Zahl dieser Türme wurde schon während des Baus von den Untieren vernichtet. Die Gründung der Seetürme nahm man dann an versteckten Stellen der Irischen See vor. Fast hundert stellte man her, dann noch zweihundert. Die schleppte man nach Norden vor die schottische Küste. In ihrem Rücken, unter ihrem Schutz vollendete man den Bau der Bergtürme. Eine Verteidigungslinie wurde mit den Giganten vom Sognefjord nach Süden um die jütische Küste über die Nordsee zu den Britischen Inseln gezogen. Im Ozean, auf den Gebirgen standen die Menschentürme. Ihre Arme hingen schlaff herab. Vor der Brust, die man geschützt hatte, trugen sie lose weiße Netze bis herab zum Nabel; das war ein Stück des Turmalinschleiers. Und wie die Lurche, die Riesenvögel mit den bezahnten Kiefern, die schwimmenden Drachen, wandernden Gallerten sich ihnen näherten, fühlten sie sich von den Menschentürmen gelockt. Wonne ging von dem Schleier aus. Was im Umkreis an gejagtem und verendendem grönländischen Getier sich bewegte, drängte auf sie, lechzte gegen das Floß, schob sich schnuppernd schlurfend gegen die Brust des Menschenturms. Von der Seite zuckten rascher und rascher die Arme des menschlichen Gebäudes vor. Die trüben Augen oben zwinkerten, die Stirnen legten sich in finstere Querfalten. Da konnten die Arme die Lurche Vögel Quallen Gallerten fassen. Hungrig war immer das Turmwesen. Dumpf stöhnte es. Quetschte mit der Kante des Ellbogens das anklimmende Tier. Das Maul sperrte es. Der Kopf bog sich herunter. Das japsende Tier zergriffen zerpflückten die Finger, die Hände wühlten in dem Sud, stopften triefende Stücke in den Abgrund des Rachens, der dampfte. Und die Lippen Wangen Halswampen zitterten dem Unwesen, dem Menschenbaum, als wollte es lachen. Seine Augen schloß und öffnete es rasch einigemal. Der Turm in den Bergen schmetterte die Lurche, die gierigen Drachen unter sich. Unten wuchs sein Boden, neue Säfte stiegen in ihm auf; er zwinkerte, das Wasser troff aus seinem Mund. Traurig dumpf brüllte das Wesen. * * * * * Sehr eng und fest schlossen sich unter dem Unheil in den Stadtschaften die Menschen zusammen. Die Senate, schon während der Grönlandexpedition sehr auf der Hut und fast Bündnissen genähert, machten sich keine Sorge mehr um die Menschen. Die Stadtschaften waren ihnen gleichgültig. Sie waren kindisch gewesen, daß sie sich um das Auslaufen der Städte, um die Siedler bekümmert hatten. Angst, daß die Menschen über sie fallen würden, kannten die Senate nicht mehr. Sie waren bis auf die Zähne bewaffnet, die Maschinen konnten nur sie bauen; die Anlage, den Sinn, die Bedienung der feinen Apparate, der Elementumsetzer Kraftverwandler Kraftspeicher kannten nur die Männer und Frauen ihres Kreises; sie konnten die Mekifabriken still legen und alle verhungern lassen. Und nun ragten die Menschentürme! Wegweiser der Senate war der gigantische haßgetragene Delvil. In London Brüssel Paris Lyon Hamburg Christiania Kopenhagen standen die Senate: „Laßt sie verkommen, die Stadtschaften. Machen wir uns Platz.“ Die Ereignisse vor der Grönlandexpedition hatten schon an den Senaten wie an einem Sieb geschüttelt. Jetzt fielen die letzten schwankenden nieder. Sicherheitskonvente nannten sich die Senate. Die Worte, die sie gebrauchten, waren die alten: „Errettung der Stadtschaften“, aber sie waren jetzt nicht mehr passiv für ihre eigene Sache wie vor der Expedition. Escoyez in Barcelona sagte: „Autonom sind wir. Niemandes Diener. Niemandes Sachwalter. Wer in unserem Schatten ruhen will, gut. Wer nicht, nicht. Wer die Macht hat, hat die Freiheit. Wir haben die Freiheit. Wir wissen, wem wir Verantwortung schulden. Niemand wird uns bewegen, anderen Zwecken zu dienen als unseren. Verrucht ist, wer etwas anderes mit uns vorhat.“ Wie in längst vergangenen Jahrhunderten gingen Mitglieder der Senate verschleiert und unsichtbar unter den Menschen der Stadtschaften. Was Delvil nördlich Londons im großen übte, das Verjagen und Vernichten der Siedlertruppen, wurde im kleinen überall geübt. Die einzelnen Männer und Frauen in den Senaten waren von großer Wildheit Raschheit. Es gab Spannungen unter ihnen; man wußte auch, daß eine kleine Gruppe hinter Ten Keir stand, der von Delvil an die Wand gedrückt wurde, – hinter Ten Keir, der den alten Weg der Ausbreitung der Stadtschaften gehen wollte. Aber die neue revolutionäre Schicht der Herrengeschlechter ließ ihn nicht aufkommen. Von dem Boden unter die Erde wurden die Massen der westlichen Stadtschaften getrieben; unter der Erde konnte sich die ganze und alleinige Kraft der Herren entwickeln. Nachdem die Fliehenden die einfachen Wohnsitze vorläufig unter den Boden verlegt hatten, legten die Herren, stolz und freudig, Fabriken Apparate Waffen unter die Erde. Die Mekifabriken waren in Hamburg und Christiania von Bestien vernichtet worden: das war das Stichwort, alles an Anlagen unter die Erde zu werfen. Jubel der Herren überall, wo dies geschah; man konnte zeigen, was man war. In die Erde wühlten sich die Menschenmassen ein, vor den verderbenden Untieren und getreten von den stolzen Männern und Männinnen. Wie ein Baum, ein Wald mit den Wurzeln nach oben wuchsen die Städte in die Tiefe. Meterdicke Beton- und Felsplatten bedeckten die Stellen der früheren Plätze und Straßen, oder sie lagen wüst. Als die Mekifabriken vor Jahrhunderten aufkamen, hatte man Äcker und Wälder verlassen, sie ihrer menschenlosen Wildnis zurückgegeben, sich in den Stadtreichen zusammengezogen; wie Fliegen an der Honigstange hingen die Menschen an den Apparaten. Jetzt gab man noch den Platz der Stadtschaften frei. Wohnte, wie man konnte, nicht wie ein Ameisenhaufen, der sich nach dem Boden richtet. Man konnte die Erde aufreißen, schuf Stück für Stück von dem, was man brauchte, mit eigener Hand. Nistete sich in die Erde ein wie eine Käferfamilie in tiefer Baumborke; wühlte sich tiefer und tiefer ein. Einige Monate nach den ersten betäubenden Überfällen war, getrieben von den Racheausbrüchen Delvils, der nächst dem Kanal gelegene Teil Londons, die Gegenden Colchester Ipswich, später die südlichen Vorstädte Hastings Ramsgate Dover von der Erdoberfläche verschwunden, auf der sie viele Jahrhunderte gestanden hatte. Zwischen den gesprengten Häusern bewegten sich die Wildnis und der Wald. Die Betonplatten ließ man frei liegen unter dem Licht; Moos und grüne Flechten überzogen sie. In den Platten waren verdeckte Öffnungen gelassen für Luft und die Einfuhr der Rohstoffe. Zwischen die wechselnden Schichten der Erde trieb man Schächte wie in ein Bergwerk. Man baute an einem Korallenstock. Von vielen Stellen zugleich stieß man vor, dann berührte man sich in der Tiefe. Die Sande Schotter des Alluvium und Diluvium durchsetzte man; tiefliegendes Grundwasser drängte man ab, in die Lagen undurchlässigen Tons schnitt man sich ein. Ruhig gewaltig dehnten sich abgrundtief unter der Erde die neuen Städte mit den Menschen, das Lebendige von London Oxford Reading Colchester Hastings Ramsgate Luton Hartford Aldershot. In den Boden eines alten abgeschwemmten Meeres ließen sie sich herunter, zwischen Mergel und Kalke, rumorend zwischen den stummen Resten der dünnschaligen Muscheln einer vergangenen Erdperiode, den Trümmern jahrtausendalter Kopffüßler. Sie bogen Erdwände auseinander, wo einmal mit der Hochflut Myriaden Flügelschnecken, Generation auf Generation, gespielt hatten, kristallklare Wesen mit starken Ruderfüßen, die sie beim Schwimmen durch das schäumende Wasser wie Flügel auf und ab bewegten. Als Stockwerk auf Stockwerk in die Tonmassen gestoßen waren, immer größere Höhlen aufgerissen, die Erdmassen, gesprengten Felsen zwischen den oberirdischen Häuserreihen zu Schutthalden aufgestapelt, hatte niemand mehr ein Furchtgefühl. Sie flohen nicht vor den Urtieren. Sie waren auf einer neuen gewaltigen Expedition. Die Senate riefen: „Von der Erde weg“ und sie gruben sich wonnig ein; das Wunder des menschlichen Könnens, das die Grönlandfahrer erlebt hatten, erlebten sie jetzt selbst. Noch einmal übten damals die westlichen Stadtschaften Europas ihre ungeheure Saugkraft aus. Das von Furcht eingeleitete, von Rachegefühl befeuerte Vorgehen der Westlichen faszinierte die anwohnenden Menschenmassen. Man hatte nicht mehr daran gedacht, Rücksicht auf die Siedler zu nehmen; keine Wirkung hatte man mit der großen Polarexpedition erzielt. Jetzt, im Haß gegen die Siedler gekehrt, verführte man sie. Von Westen und Norden waren Menschen auf der Flucht vor den anwandernden sterbenden Tierscharen, vor der Tierlava, die der grönländische Vulkan um sich schüttete. Zugleich wallten Massen von Süden und Osten an die Küsten, Haß, heiße Freude über das Verderben der stolzen Stadtschaften in ihnen, dann die Lust, den Kampf zu sehen. Aber zuletzt wurden sie betört, selber eingestrudelt. Die Riesenstädte, vor die sie kamen, waren wie von Bränden Erderschütterungen zerwühlt. Die schrecklichen, sich über sie erhebenden zusammengewachsenen Reste der Leiber von Urtieren Häuserbalken Wäldern Menschen, die verfaulenden Stadtteile, ein einsinkender Morast von Verwesung, der seine grünschwärzliche Brühe, ammoniakalischen und schwefeldunstenden Wust durch leere Straßen rieseln ließ. Auf diesen schwärzlichen kilometerlangen haushohen Morasten, die absanken, wie Gletscher troffen, ihre Lachen vergossen, hockten schwarze Schwärme von Raben ein, geschwollene starke Tiere. Weit hörten die aufziehenden Menschen das Geschrei der nistenden Vogelvölker. Die Menschen, die von Süden heraufzogen, glaubten Gas Rauch zu sehen; wie sie sich näherten, wirbelten die Vögel auf, die sich mästeten. Die Urtiere, über den Stadtlandschaften der Nordseeküste, der Ostsee, des westlichen Frankreichs und Deutschlands liegend und zerfallend, hatten über die Häuser Anlagen Plätze den grünbraunen quellenden Boden eines Sumpfes getragen. Sie hatten, sich bewegend wachsend zerschnitten und auseinanderrollend, Häuser Erde und Lebendiges ineinander gemahlen; ein neuer Boden war gebildet; der Wind rührte schon daran, Waldtiere rückten gegen ihn vor. Ein Schwall östlicher Menschen trieb über die deutsche Tiefebene hin; durch Süddeutschland bewegten sie sich, die starkbewehrte Mark berührten sie und lösten Menschen aus den Hordenverbänden. Asiaten waren unter ihnen, Mischlinge aus den russischen Steppen. Sie setzten sich auf die Trümmer der alten Städte. Fuhren in die Schächte ein. Erst waren die Mekifabriken unter die Erde gestiegen neben die großen Laboratorien, die man schon seit langen Jahrzehnten in die Erde geschoben hatte. Die Apparate Fabriken folgten. Zuletzt kamen die Menschenmassen, die sich eine Weile in vorläufigen Betonhöhlen versteckt hatten oder nach Osten geflohen waren. Sie waren abgetrennt von dem Himmel. In diesen meilenweiten warmen Bezirken in der Erdrinde gab es nicht Tag und Nacht. Keine Vögel sangen; Gräser Pflanzen Bäume wuchsen nicht. Man hatte keinen Schnee, keinen Hagel Regen Wind. Die Jahreszeiten wechselten nicht. Betonplatten sperrten die seitlich und von oben andrängenden Erdmassen zurück. In den Buchten Gewölben, den meilenweiten Gängen die Häuser Fabriken Plätze Alleen. Die Schächte und Höhlen waren in die Erde gebrannt. Den Sauerstoff der Luft stellten sie mit Maschinen her, trieben ihn in diese Gänge und Schluchten, die wie Blasen in der Erde waren. Das Wasser der Themse zwangen die Londoner in ihre Gruft herunterzusteigen; durch die Alleen ließen sie den Fluß ziehen, Brücken schlugen sie über ihn. In großem Bogen wand sich der Fluß durch die Betonstadt in dem Bett, das man ihm gezogen hatte. Zuletzt ließ man ihn anschwellen; er stürzte eine Betonwand herunter in ein Tal, das nicht ausgekleidet war. In diese Ton- und Kalkmassen sickerte er ein, konnte nicht zurückschlagen; seine schäumenden, immer wieder polternden Reste wurden um die Stadtanlagen im Kreis herumgeführt, bis sie sich in Sand und Schotter erschöpften. Das Sonnenlicht kam nicht herunter. Aber die starken Londoner ließen es herabsteigen. Da stand der glühende Gasball, die Sonne, in abenteuerlicher Ferne im Äther, das gelbweiße Flammenmeer, das mit dem Eis des Äthers kämpfte; die Menschen auf der britischen Insel fingen sein Licht zum Hohn in Spiegeln auf, warfen es in die Tiefe über die lachenden herumvagierenden Massen. Da war es dünn bleich blutlos wie Mondschein am Tage, starb neben dem weißen brillierenden farbenspritzenden Lichtgewoge an den Decken der Gewölbe. In die Felslager der großen Tiefe nahe dem Meer, an der Südküste im Gebiet der South Downs, öffnete man weite Hallen für Vergnügungen. In diesen Steinhöhlen wuchs die Messingstadt, so genannt nach dem Behang der Häuser Theater. Im Dunkel lagen große Teile dieser Stadt; mit Riesenscheinwerfern erhellte man sie. Der Ort hatte seine eigene Polizei wegen der außerordentlichen Zahl Verbrechen, die hier Tag um Tag verübt wurden. Hierhin fluteten dauernd Massen. Berüchtigt war besonders bei den Siedlern dieser Ort, der die Menschen verführte. Aber auch die Senate, so gleichgültig ihnen das Einzelschicksal war, sahen sich veranlaßt, von ihren Waffen an die Polizei der Messingstadt abzugeben, weil hier das Chaos drohte. Die Menschen der westlichen Rassen, die in die Erdstädte einströmten, waren bald von einer unerhörten Hitzigkeit. Sie lagen nicht mehr schlaff herum; die Wildheit und Spannung der Senate schien auch auf sie geflossen zu sein. Die fremden begierigen Haufen vermehrten die Erregung. In den Vergnügungsbauten und Gewölben, in denen Männer und Frauen umgingen, kam es zu strudelnden Kämpfen. Die Vergnügungen, die die Menschen sich boten, genügten ihnen nicht; Kampf war eine Steigerung. Die Männer des Senats mußten eingreifen; mit kleinen elektrisch geladenen Stäbchen schlugen sie im Gedränge auf die Hände Stirnen Ohren der Kämpfenden, betäubten sie. Oder machten sich mit ihren Silberreifen Platz. Auf einen starken Druck der geballten Faust schoß aus dem silbernen Fingerreif eine zungenartige Spitze, nicht länger als ein Nagelglied. Die Spitze war ein durchbohrtes Röhrchen, eine Kanüle. Die stießen sie während des Ringens dem Gegner in eine beliebige Stelle seines Leibes, Brust Schenkel Hals, lähmten ihn mit dem Tropfen, den die Kanüle entleerte. Zogen sie den Ring nicht rasch zurück, so töteten sie den Gegner mit einem Stich. Sonst erwachte der Betäubte nach Tagen, kam aber nicht mehr zum vollen Gebrauch seiner Glieder; der gestochene Arm blieb lahm, die getroffene Brust wurde kurzatmig. Die Polizisten waren mehr gefürchtet als die Senatoren, die nur ab und zu unsichtbar erschienen, sich nie einmischten, nur beobachteten. Man sagte, diese Männer und Frauen des Senats erschienen in der Messingstadt, um die Leidenschaften zu erregen, ihre Polizisten zu gefährden und sich an den Kämpfen zu delektieren. In der Messingstadt war die große Arena Londons. Man führte Stier- und Löwenkämpfe ein. Bisweilen wurden auch von unsichtbaren Händen über die Zuschauer Menschen in die Arena geworfen, zum wonnigen Entsetzen der Zuschauer. Es hieß, dies seien Verbrecher oder Attentäter auf Senate; man erfuhr nie Sicheres, weil kein Mensch die Arena lebend verließ. Die Tierkämpfe fanden immer in völliger Dunkelheit statt. In völliger Finsternis ließ man die Stiere in die Arena, über die gelegentlich ein Licht huschte. Das starke Tier aber war blendend hell. Blendend hell stürmte es, sich selbst leuchtend, in den schwarzen Raum. Stirn Nacken Beine waren mit einem besonderen Lichtgemisch bestrichen. Das war ein Stoff, dessen sich Schauspieler bedienten und von dem man ein wunderbares Gerede machte. Der Stoff, sehr verschieden von dem Lichtgemisch, welches die Leuchtfarben der Wände und der ganzen Erdstädte erzeugte, übertrug sich leicht, blieb an Fingern Kleidern hängen. Mit Stillschweigen und Angst saßen die Zuschauer. Die tierischen Körper liefen leuchtend durch den Raum, der unter ihren Tritten phosphoreszierend aufdämmerte. Die Erinnerung an Geschichten, die man sich zutrug, wurde in den Massen wach. Von einem belgischen ehemaligen Siedler wußte man, der sich Ibis nannte und nach der britischen Erdstadt London sich hatte locken lassen. Der war mit einer jungen Frau gekommen, Laponie, die er einem andern entrissen hatte. Sie war wie er lustvoll in die unterirdische Stadtschaft gestürzt, hatte von dem Lichtgemisch gehört, das die Schauspieler auf den Bühnen verwandten. Und hatte sich’s verschafft. Sie strich es sich nicht auf das Gesicht und die Hände wie der Schauspieler, dem sie es abgekost hatte. Sondern auf die Spitzen ihrer Brüste und über ihre geheimen Organe. Wollte ihren Mann berauschen. Und wie es Nacht war und er sich ihr nähern wollte im finsteren Zimmer, wich sie ihm aus und hatte ihre Freude, wie sie sein Entzücken sah und hörte und fühlte. Wie er nicht ihr nachstürzte und nicht sie sah, sondern immer nur den Schein ihrer Brüste und das Flimmern um ihre geheimen Organe. Sie ließ ihn nicht gar zu stürmisch an sich, damit nicht sein Gesicht von dem Lichtgemisch empfinge. Aber dann lag er und sie; und sie schliefen in einer unendlich wohligen Heiterkeit. Ibis aber trug an seinen Lustorganen den Stoff mit sich fort. Er war ein üppiger blonder Flame, der sich seiner neuen Kraft nicht genug freuen konnte. Mußte sie zu anderen Weibern tragen, denen er verheimlichte, von wo er sie hatte. Sie kamen mit der liebenden Laponie zusammen, sprachen nicht von Ibis, aber ihr Geheimnis behielten sie nicht. Da wurde Laponie von Eifersucht geplagt. Sie suchte das Gemisch von ihren Schamlippen zu entfernen, von ihren Brüsten; es gelang ihr nicht, so verzweifelt sie sich wusch und rieb. Und wie sich Ibis ihr nachts näherte, wollte sie sich verdecken verstecken. Er sah sie aber, sah ihre geheimen Organe und Brüste. Sie lief aus der Stube, in die finstere Straße. Und da sahen die Männer und Frauen die beiden laufen, Mann und Frau, aber nicht Mann und Frau, sondern hintereinander, bald getrennt, bald dicht zusammen, schimmernd die Muschel eines Weibes und Rute und Behang eines Mannes, zitternd, im Kreis herumlaufend. Laponie sah nur Ibis, wenn sie sich umdrehte und dachte nicht an ihre Scham, er sah nur sie und dachte nicht an seine. Sie flog in ihr Haus zurück, wollte ihm zürnen. Aber wie sie im Finstern so dastanden, lachte sie; sie konnte ihm nicht zürnen. Er merkte nur auf ihr Lachen. Sie fielen sich in die Arme. Aber doch war etwas in der Seele der zarten Laponie stecken geblieben. Sie mochte ihren schimmernden Schmuck nicht mehr, ruhte nicht, bis sie von dem Schauspieler, der ihr für zehn Küsse das Licht geschenkt hatte, das Wasser erhielt, mit dem man es auslöschen konnte. Stolz lockte sie im Dunkel den kecken Ibis, der verblüfft sich drehte, sie nicht fand. Sie aber kicherte, schlug mit einem Stöckchen auf seine leuchtenden Geheimnisse, daß er schrie. Und wie ein Kobold lief sie um ihn, prügelte ihn klatschend. Er wollte sie fassen, um sie an sich zu drücken, diese Nacht und viele folgende. Aber sie hielt sich tapfer, ließ ihn die Schläge ihrer Eifersucht fühlen. Bis der Schauspieler, zu dem sie gern ging und dem sie ihr Leid klagte, ihr gute Worte gab und im Lauf der Unterhaltung ihr selbst wieder das Licht ansteckte. Zu Hause erst merkte sie, wie sie ihr Zimmer verfinsterte und den schönen Tag bedachte, was sie mitgebracht hatte. Konnte nicht zurücklaufen, um den Schauspieler, den schlimmen, um das grüne Salzwasser zu bitten; Ibis war schon im Haus. Da legte sie sich stracks in ihr Bett, ließ an sich leuchten, was leuchten wollte. Ibis polterte draußen, öffnete die Tür. Sie lag starr, hielt den Atem an; jetzt würde er es sehen. Und er sah es. Stand an der Tür, klatschte in die Hände: „Da bist du ja, Laponie. Da seh ich dich. Endlich.“ „Nein, ich bin nicht für dich da.“ „Für wen ist denn das, süße Laponie. Und warum diesmal nur die Muschel, die kleine Muschel? Warum nicht auch die Knospen an der Brust?“ „Es ist nicht für dich. Ich habe mich – gerächt.“ „Was für Rache! Laponie, du leuchtest. Wenn du mich prügelst, das ist schlimm.“ Und er hatte sie schon, die zappelte, gepackt. Sie warf sich einen Augenblick widerspenstig, weil er nicht zürnen wollte, auf die Seite, aber bald brannten sie zusammen. Und es gelang ihr nicht ernst zu bleiben, wenn sie ihn abends anleuchten sah. Ja, sie bemerkte, daß sie fröhlich und fröhlicher wurde. Und auch er wurde von Tag zu Tag fröhlicher. Sie verbargen sich voreinander. Ibis sagte zu Laponie: „Wir lieben uns zu sehr. Wir müssen uns eine kleine Zeit trennen.“ Sie hielten es nur ein paar Tage aus. Sie wußten nicht, daß der Lichtstoff sie lustig und lustiger machte. Eine himmlische Fröhlichkeit erfüllte beide. Und so erging es den Frauen, die Ibis berührt hatte, und die sich nicht mit dem grünen Wasser wuschen. Sie konnten sich in ihrer Fröhlichkeit nicht lange behaupten. Fünf Monate, und dann lebte er nicht mehr und sie nicht mehr. Und all die Zahllosen, die sich von dem Lichtgemisch nicht getrennt hatten, die Mädchen die Schauspieler die Giftschlucker waren hingegangen. Das Flimmern Glimmen Glühen der bestrichenen Organe ließ nach, die Spannung verblieb. Und während die Menschen gelb und unsicher wurden, wurden sie ausgelassen. Trieben Possen von morgens bis abends. Es kam zur Tanzwut und Liebesraserei. Und wenn diese Menschen, das wußte man, anfingen zu tanzen und den Schemel unter sich nicht ertrugen, dann war ihr Ende nahe. Im wörtlichen Sinne tanzten sie ins Grab, in das Grab, das sie sich oft in Übermut selbst hatten schütten und schmücken lassen. Man warf die Toten damals aus der Erdstadt auf die Oberfläche zwischen die Schuttmassen. Diesen Tanzenden wählte man in einer besonderen Ergriffenheit in der Unterstadt einen Platz; es war ja fast ein Spiel, was da ablief. Es schien, als ob sie im Tanz die letzte Spur des Lichtstoffs verbrauchten. Nach einer Stunde Raserei, allein oder zu zweien –, so endeten Ibis und die Laponie –, konnten sie hineinstürzen, glücklich schreiend, und schon lagen sie ganz still, ohne Farbe fast ohne Fleisch. Und die Leute, die herumstanden, konnten staunen, welches Nichts diese wilden Bewegungen ausgeführt hatte. Nur bei einzelnen verschwand das Licht nicht völlig. Man sah über ihren Gräbern in der tiefen Finsternis ein zartes Leuchten. Besonders bei denen erschien es, die sehr früh verstorben waren. Da war auch der Fliederduft deutlich, der sich immer bei dem Licht fand; die Toten spendeten noch Heiterkeit um sich. Im Zirkus sah man, in der ganz finsteren Arena, die Stiere stürmen, Menschen, Männer und Weiber mit ihnen kämpfen. Blut spritzte aus dem Nacken, den Flanken der Stiere. Es war ein Feuerwerk, ein brennender Strahl. Man sah das Eindringen des Lichtstoffs in den Leib, seine innige Vermischung mit dem Blut. Die Kämpfer und Kämpferinnen suchten dem Strahl zu entgehen, um im Dunkel zu bleiben. Übergoß sie der Stier oder geiferte sie an, so waren sie geliefert und nur die anderen konnten ihnen helfen. Nicht das Einwühlen in den Sand half ihnen: sie strahlten das hellste Licht. Waren dazu selbst geblendet, tappten in der Sonnenflut um sich herum. Sie waren das Gaudium des Zirkus, aus Kämpfern zu Clowns geworden. Und es lag ganz in der Hand der Mitspieler, wie das Spiel weiter geführt wurde. Verloren waren in jedem Fall die Übersprühten. So trieben sie im Finstern mit dem Stier und dem strahlenden Mann, der strahlenden Frau ihr Spiel. Es war ihre Geschicklichkeit, das Spiel lang abwechslungsreich spaßhaft und spannend hinzuziehen und nach Laune zu beenden mit Niederrennen des Menschen oder zum brüllenden Gelächter des Zirkus mit Abstechen des Stiers kurz vor seinem Ziel. Das Hänseln der überlebenden strahlenden Menschen, der Glühwürmer, folgte nach, die sich nicht zurechtfanden und zwischen Trauer und der schon anbrechenden Heiterkeit schwankten. Es gab keine Zirkusvorstellung, wo nicht die lustigen Glühwürmer sich zeigen mußten, die von früheren Kämpfen übrig geblieben waren. Mit ihnen verfuhr man später, als man jede Furcht abgelegt hatte, toll und unmenschlich; die Glühwürmer selbst ließen mit sich tun. Es gab eine Zeit, wo in der Londoner Messingstadt der Weg zum Zirkus und der Zirkus vor dem Beginn nicht von den Riesenscheinwerfern beleuchtet wurde. Die glühenden Männer und Frauen, die lebendigen Lämpchen ließ man zucken tanzen locken; wie mit Kerzen war der ganze Umfang des Zirkus durch sie illuminiert. Bei den Massen, die in die Ton- Kalk- Mergelschichten, in die Felslager der britischen Inseln einströmten, war die Erinnerung an die Grönlandexpedition nicht verraucht. Aber kein Gefühl einer Niederlage lebte mehr in ihnen. Als die Urtiere über sie fielen, hatten sie geschauert. Dann tobte schon der eisige Delvil unter ihnen; sie wurden unter die Erde getrieben, von jedem Schwächegefühl befreit, als sichtbar vor ihnen die Turmmenschen errichtet wurden, die Flotte der Turmmenschen an der Südküste entlang den Kanal herauf nach Norden fuhr. So tief verachtet waren die Siedler noch nie. Delvil hatte wahr zu Ten Keir gesprochen: die Sache der Marduks und Siedler war grausam geschlagen. Mit London hatte es begonnen. Mit Brüssel Hamburg ging es weiter. Stadtschaft um Stadtschaft verlegte ihre Anlagen unter die Erde. Die Menschen folgten. Kleine Kolonien blieben auf der Oberwelt zurück. Grenzenloser Stolz trieb die Ingenieure; in grenzenlosem Stolz tauchten die Menschen hinab. Hier hatten in den Anlagen bei dem Herabstoßen und Ausbreiten neuer Stollen und Schächte mehr Menschen zu arbeiten als auf der Oberwelt. Die Maschinen für Sauerstofferzeugung und Luftreinigung, für die Beleuchtung erforderten bei der Ausdehnung der unterirdischen Gebiete zahllose Menschen. Aber sie wurden mit vielen Lüsten bezahlt. Die Anlagen für die Physiker Techniker Biologen breiteten sich in abseits gelegenen Gebieten, den erdnächsten, bald über das Areal einer kleinen Stadt aus. Hochmütig zornmütig wie nie waren diese Männer und Frauen der Wissenschaft. Sie hatten die letzte Scham abgelegt. Die Massen wußten das; doch gaben sie sich an alle Dinge hin, die diese Herren ihnen boten. In London, wo die Glühwürmchen aufgekommen waren, traten zuerst Menschen verschiedener Rassen auf, die sich den Herren und Herrinnen in den Anlagen als Sklaven, Leibeigene, anboten. Die Senate brauchten für die Mekifabriken und viele Versuchseinrichtungen Menschen, die sie immer unsichtbar sich aus den Siedlungen oder Städten selbst holten. Jetzt aber gaben Männer und Frauen von selbst jede Verfügung über sich auf. Sie waren in dem gepeitschten Zustand und der rauschartigen Gehobenheit der meisten in diesen Erdschichten. Sie wollten nur noch tieferen Rausch und wußten nicht, was mit sich anfangen. Es kamen auch schlaffe und leise Wesen vor die Häuser und an die Türen der Senatoren. Diese brauchten dieselben Worte wie die andern; aber man sah: sie waren hereingeirrt, hatten an vielem teilgenommen, weigerten sich an mehr teilzunehmen, liefen an die Schlachtbank. Hilflos sahen diese sonderbaren Menschen, besonders Weiße des Kontinents, aus. Die Männer in den Anlagen hörten sie an, ließen ihnen Ketten an die Füße legen und sie entfernen. Das waren Bösartige, man sah es; sie ließen sich nur in Verzweiflung und aus Widerwillen gegen ihre Ohnmacht versklaven. Wie in der Zeit vor dem Uralischen Krieg die Selbstmordepidemie kam hier der Verknechtungswahn auf. Auf Plätzen der Stadtschaften unter der Erde standen Tag um Tag kleine Menschenhaufen an Stellen, die man bald kannte und die diese Menschen selbst abzäunten. Dies waren die Männer und Frauen, die sich verkauften. Sie selbst bestimmten, wen sie annahmen. Einige gaben ein bestimmtes Geschenk an, das man ihnen zu geben hatte und betrachteten ihren Käufer nicht. Zum Bau von neuen Menschentürmen, zur Ernährung der alten nahm sich der Senat wöchentlich einen Haufen von diesen. Zu den Experimenten und laufenden Arbeiten in der technischen Stadt wurden viele verbraucht. Zahlreiche wurde von trägen Arbeitspflichtigen für sich an die Maschinen geschickt. * * * * * Die Menschenmassen, die sich wie schäumendes Wasser in die Abgründe der Riesenstädte gossen, wußten nicht, was die starken Männer und Männinnen, deren Werk das alles war und von deren Hand sie lebten, über sie verhängten. Delvil war in seinen finsteren und ungeheuren Rachegedanken, seinen Kampfideen gegen die Gewalt, die die Urtiere geschickt hatte, ganz versunken; er nahm an den Zusammenkünften der Senate wenig Anteil. Ten Keir, der vierschrötige Belgier, hatte sich in den Hintergrund gestellt; die Gespräche mit Delvil hatten erschütternd auf ihn gewirkt. Der tapfere gesunde Mann war von Delvils Raserei abgestoßen worden. Mit Widerwillen hatte er dem Beginn des Baus eines Riesenmenschen zugesehen, dann sich abgewandt. Er war nicht wieder nach London geflogen. Als man ihm von den Erfolgen der Turmriesen erzählte, war ihm Ekel den Hals heraufgestiegen. Er konnte nicht weiter zuhören; man durfte ihm nicht davon erzählen. Es schien, als ob ihm der Angriff der Urtiere lieber gewesen war als diese Abwehr. Ten Keir spannte sich, als auch in Brüssel der Drang, sich in die Erde einzugraben, wuchs. Aber er konnte es nicht aufhalten. Erreichte nur, daß die ekstatische aus den Erdschächten zurückquellende Masse nicht die alten Oberflächenbauten vernichtete. Er selbst mit einer kleinen Anzahl Menschen blieb in einer unklaren Vergrämung auf der Oberfläche; wie er sagte, um die Siedlerbewegung zu beobachten. In der technischen und Versuchsstadt Londons, die sich herausfordernd Grönlandeum nannte, über den Köpfen der Riesenmassen in den Ton- und Mergelschichten hängend, hatten sich die stärksten Herrenköpfe der Periode zusammengezogen und alle Stoffe um sich gesammelt, mit denen Menschen wirken können. Hier saßen in dem Bezirk Carthagon, der sich um die Pflanzenkräfte bemühte, Atkinson, ein kalter trüber Mann, wie es hieß Eunuch aus eigenem Willen und Weiberhaß. In Ozeana, das sich mit dem Wasser befaßte, der Berber und Spanier Escoyez, das Wasserwesen, der bei Beginn der Grönlandkampagne die Umleitung der Golfstromdrift geraten hatte und die Anlegung neuer Salzzentren im Meere geplant hatte. Die Hitze die Flammen das Feuer studierte Nadeja, eine Männin aus dem Hause Atkinsons. In dem Bezirk Tel el-Habs, Hügel des Gefängnisses, saßen mehrere senatorische Menschen, die man schon schwer mehr Menschen nennen konnte. Es waren jüngere und ältere Männer und Frauen, die am Bau der Menschentürme sich beteiligt hatten und wie Tiere, die Blut geleckt haben, ihre Gedanken von den Dingen, die sie gesehen und erprobt hatten, nicht ablenken konnten. Sie kehrten von den Schiffen und schottischen Bergen mit Widerwillen in die nüchterne und dürftige Landschaft der Menschenart, der zweibeinigen plärrenden nackthäutigen hinfälligen Geschöpfe zurück. Atkinson war Eunuch aus Weiberhaß, auch aus Menschenhaß geworden. Die Herren und Herrinnen von Tel el-Habs mochten sich, nach dem Anblick der Turmmenschen, selbst nicht mehr in ihren menschlichen Organen sehen. Was sie an den Sklaven ihrer Gefängnisse erprobten, das taten sie auch für sich. Tribord, vom Berge Glasmaol zurückkehrend, legte seinen alten Namen ab, nannte sich Mentusi. Er aß nicht mehr selbst. Wie ein Wagen stillsteht und nicht vorwärts kommt ohne das Pferd das ihn zieht, so machte er sich zum Wagen. Tiere und Pflanzen spannte er an sich. Mentusi sagte zu der Männin Kuraggara, die früher Frau Macfarlane gewesen war: „Meki und die Generation, die mit ihm lebte, hat recht daran getan, die Äcker Wälder Tiere preiszugeben. Was wir durch uns schaffen können, schaffen wir. Sie haben die großen Fabriken gebaut, die Anlagen. Wir schleppen uns seit Jahrhunderten mit diesen Anlagen herum. Sie erfordern Raum Bewachung. Was hängen wir nicht für Stolz an diese Anlagen. Sie sind jetzt überflüssig. Wir müssen den Angriffspunkt verlegen. Ich bin wieder für Äcker und Viehherden. Mag ein Hund für mich fressen, soviel er will, wenn er nur mein Hund bleibt. Hast du die Steine und die Eichen und Viehherden gesehen, die man den Türmen untergeworfen hat. Die haben für die Türme fressen müssen. Ein Hund will ich selbst sein, wenn ich noch lange in mich stopfe, was die Fabriken brauen.“ An ihm, der auf Tel el-Habs saß, hingen Polypen. Seine Bauchwand war durchbohrt. In die wüstliegenden Wälder hatte er seine Gehilfen geschickt; die brachten ihm Füchse Ottern afrikanische Zebras Schildkröten. Die uralte Schwierigkeit der Vermählung zweier Tierklassen war überwunden; Mentusi erkannte es beim Beobachten der Turmbauten. Die Netze mischten alle Arten zusammen. Wie er über Meki höhnte, höhnte er über Marduk, der Bäume auftreiben konnte: „Kuraggara, das waren Yogis und Fakire. Spaßmacher! Wir wollen sie gelten lassen. Bis zur Grönlandfahrt waren wir nichts. Der Mann, der das Feuer und die Strahlen aus den Vulkanen riß, ist mein Mann.“ Kuraggara hielt sich den Leib vor Lachen: „Ich will versuchen, eine Schildkröte zu gebären.“ „Warum nicht. Wer soll dich daran hindern.“ Sie trieben grausige unheimliche Dinge auf Tel el-Habs, dem Hügel des Gefängnisses. Die Giganten, die Herren der westlichen Stadtschaften, hatten die Urtiere über sich gehen und sich nicht zerschmettern lassen. An dem Zauberschleier von Grönland hatten sie sich nicht ergötzt, wie die ersten Seefahrer und die Menschen der zweiten Erkundung, die in dem Rosenlicht aus den Schiffen stiegen, sich in Boote setzten und nackt – Wonne über Wonne – auf dem Wasser schaukelten. Die Herren und Herrinnen der Riesenstadtschaften waren kalt und gehässig hinter der Gewalt her. Wie Räuber sich in einem fürstlichen Park verbergen und hinter dem Gitter die geschmückten Schönheiten auf der Wiese sich bewegen sehen, unter leichten hellen Tüchern mit losen Haaren, die biegsamen Spielerinnen, und wie sie sie abschätzen, ihren Augenblick abwarten und sich auf sie stürzen, um sie zu fesseln und davonzutragen, so belauerten die unzähmbaren Menschen von Tel el-Habs das Geheimnis der Vulkane, ergriffen es, zwangen es unter sich. Auf dem Hügel des Gefängnisses arbeiteten die von Tel el-Habs zusammen mit den Menschen der Basaltstadt, die wie ein zerfallener Bergkegel aussah. Hier bemühte man sich um die Wesen, die man Steine nannte. Roten Rubin, violetten Apatit, Blöcke glasigen Gipses nahmen sie: Die Strahlen Kylins, mit denen die isländischen Vulkane gesprengt waren, stellten sie auf sie ein. Die rubintreibenden rubinformenden Kräfte richteten sie nicht auf den Rubin, sondern auf den verwandten Korund. Sonst hielt der still unter der Wirkung dieser Kraft, die für ihn keine Kraft war; jedes Ding bewegte sich unter seinem eigenen besonderen Drang. Die Basaltmenschen aber hatten die Vulkangluten selbst in den Händen. Das schwere Geschütz dieser Gewalt richteten sie auf die Stoffe. Wie ein Brei, ein Kuchenteig, in den man Hefe wirft, quoll die Steinmasse auf. Die Basaltmenschen legten um die Schleierteile Röhren aus Gläsern; durch Gase ließen sie die Urkraft laufen und sich abdämpfen. Da bewegte sich allmählich in langen langen Stunden der Rubin, wie ein Leintuch an der Sonne bleicht. Und immer brannte zugleich der Kylinstrahl auf ihn, noch ohne Einfluß auf die Masse, die nur gärte. Es gab einen Punkt, den die Basaltmenschen nach schweren Anstrengungen, unter Zuhilfenahme von Abschwächern Dämpfern Verzögerern allmählich festhielten, den Indifferenz- und Umschlagspunkt. Dies war der Augenblick, der im Leben des Steinkörpers alles bedeutete. Es war der Moment, wo seine stärkste und widerstandsfähigste Stoffverbindung gesprengt wurde, der Stein selbst, obwohl nicht glühend im Begriff war zu zerstäuben, und von jedem festen Nachbarkörper geschluckt und angegliedert werden konnte. Die Kylinstrahlen brannten auf dem Stein; der Umschlag war da. Die Nachbarkörper hatte man niederzuhalten. Wie in einer übersättigten Lösung das eingeworfene Kristallstäubchen die ganze Masse zum Erstarren bringt, so erstarrte der erweichte Körper, ließ sich führen zu dem Wesen, das ihm das Kylinlicht vorzeichnete. Man hatte mühsam gearbeitet. Einen Granitblock, den gesprenkelt der harte Quarz, dunkle Hornblende, Glimmer, rötlicher Feldspat bildeten, hatten sie gelernt in einen einzigen zusammenschmelzenden Block von weißem Quarz zu verwandeln. Während noch die Menschen der Basaltstadt die Umwandlung der Urstoffe selbst betrieben – auf Schritt und Tritt sahen sie sie sich umwandeln –, rissen die Herren des Gefängnishügels davon an sich, was sie brauchten. Die Tiere, die früher nicht zusammenfanden, es sei denn: eins kaute das andere, stießen sie aneinander; auf die Mutterstoffe mußte alles herabgezwungen werden, ins Elementare heruntergetrieben. Sie dachten zornig und rasend, in ihre Erdfestungen versteckt, sich in Hasen Mäuse Löwen Panther Käfer zu verwandeln. Darum fingen sie Menschen über Menschen aus der Erdstadt und von der Oberwelt, nutzten die Sklavenmärkte aus, verwüsteten die Menschen. Mentusi und Kuraggara lebten in einer erwartenden Glut. Wie sie lachten. Mentusi prahlte: „Als es Religionen gab, gab es hundert oder tausend klare Menschen, die an den Teufel den Satan an den Himmel Gott die Engel die Unsterblichkeit nicht glaubten. Was haben diese hundert oder tausend klaren Menschen getan? Sie haben zeit ihres Lebens nicht geglaubt. Nicht geglaubt: das war ihre Beschäftigung. Es gab auch welche, die haben ihr Leben dafür hingegeben, gegen die Existenz des Satans des Himmels oder Gottes zu kämpfen. Tröpfe, Tröpfe. Wer Wahnideen hat, mag seinen Spaß daran haben. Ich kümmere mich um die Urtiere, die blöden Echsen nicht. Sie kommen nicht zu uns herunter. Was meinst du, Kuraggara? Sie können nur sterben und finden oben Platz genug. Aber – jetzt! Was meinst du?“ „Ja, ich habe auch keine Zeit für Lurche.“ „Wir wollen ihnen ein Aquarium bauen, damit sie nicht so rasch umkommen und wollen sie schön füttern. Es soll ihnen besser bei uns gefallen als auf Grönland. Ich geh einmal nach Grönland und seh mir an, was da geworden ist. Vielleicht nehme ich mir einen Drachen eine Echse mit Flügel und Schnabel, als Pferdchen und es muß mich hinreiten. Halleluja, süßes Land. Wir reisen nach Jerusalem.“ „Bist du nicht auch solch Kind wie die Kämpfer gegen den Himmel oder den Satan? Mentusi, was geht mich Grönland an? Vielleicht fahr ich auch einmal nach Grönland. Vielleicht noch lieber nach Island, zu den Vulkanen. Aber wenn ich reise, will ich schon reisen ohne Schiff, ohne Drachen, ohne Flugzeug.“ „Und ich!“ „Nun ja. Vogel sein, wenn ich will. Dampf sein, wenn ich will. Ja, das will ich auch, Mentusi. Und! Fisch sein! Und Feuer. Und nicht wie der arme Menschenturm, den ich neulich auf Schottland besuchte. Ich flog zu seinen Augen auf, ganz dicht und dann weiter weg, bis er mich erkannte. Er erkannte mich. Es war mein Freund. Aber was soll mir das –, er trauerte! Trauerte eine dunkle furchtbare Trauer. Wie er mit den Augen zwinkerte, hatte ich das Gefühl, ich muß rasch weg, er muß mich vergessen; ich bin ihm ein Alp im Traum. Er ist ein dumpfer schlafender Mann, der nicht aufwachen kann. Wenn ich noch lange vor ihm gezuckt wäre, hätte er mich wie ein Grönlandtier angefaßt und verspeist. Ist ein dummes Kind geworden; greift tapp zu, steckt in den Mund. Aber Fuchs sein vom Kopf bis zu den Füßen, wie ein Fuchs leben solange man will, sich fuchsig fühlen. Ja, Mentusi.“ „Wir haben schon zu lange in unserer Haut gesteckt. Es geht uns schließlich, Kuraggara, wie dem Hammelgetier von Menschen hinten in London, die sich für unsere Fabriken und die Versuche anbieten. Sie haben auch ihre Menschenhaut über. Ihnen ist gleich, was mit ihnen geschieht. Weißt du“ –, er brüllte lachend, „wo ich mit ihnen etwas mache. Weißt du was.“ „Ich denke mir schon.“ „Ja, ich mache sie zu Hammeln, allesamt. Wir schicken sie auf eine Wiese, putte putte putt. Wir machen immer hinter einem Baum putt putt. Dann kommen sie an, wir stecken sie in einen Sack und fragen: ‚Wollt ihr, wollt ihr gerne Hammel essen?‘ ‚Ja‘ antworten sie, ‚Hammelchen sehr gern.‘ ‚Schön‘, sage ich, ‚soll geschehen.‘ Mache den Sack zu. Putte putte putt. Ein Licht da, ein Dampf da ‚Ist euch gut?‘ ‚Jawohl.‘ ‚Habt ihr Angst.‘ ‚Ein bißchen.‘ ‚Müßt gar keine Angst haben, Hühnchen. Gebe euch gleich Hammelchen zu essen. Sie kommen schon aus dem Stall.‘ Hätte bald gesagt: aus dem Sack. Ein Licht mehr, knack, zwei Dampfer. Immer Geduld. ‚Wie ist euch denn, Hühnchen?‘ ‚Öh, öh.‘ ‚Ja wie redet ihr denn. Ihr eßt wohl schon Hammel.‘ ‚Öh, öh!‘ Lach nicht, Kuraggara. Mach ich’s nicht richtig?“ „Richtig, Mentusi! Öh! Öh!“ „Mein Hühnchen. Bald mach ich den Stall auf. Ich will euch überraschen. Bald habt ihr die Hammel. Aber was zappelt ihr im Sack! Was strampelt ihr. ‚Öh, öh.‘ Was ist das. Ich habe mich vergriffen, Kuraggara. Die Hammel sind schon im Sack! Wie ist es möglich! Wie ist es möglich.“ „Ich ersticke vor Lachen, Mentusi, wenn du nicht aufhörst.“ „Da! Nein, Kuraggara! Hammel! Leibhaftige beinhaftige schwanzhaftige Hammel! Fellhaftige Hammelchen. Vier Stück, soviel ich Menschen hineintat. Und wo sind meine Menschen. Meine Menschen sind weg. Die Hammel müssen sie aufgefressen haben. Ich habe wohl irrtümlich Hammel mit hineingetan, die haben die Menschen aufgefressen. Ach war ich zerstreut. Menschenfressende Hammel. Was soll ich nun tun.“ „Nicht spotten, Mentusi. Wären wir so weit.“ Tief war die Verachtung der Giganten auf die Menschen ihrer Stadtschaften. Die Maschinen Fabriken Anlagen ließen sie arbeiten, nur um sich mächtig zu fühlen. Sie brauchten die Menschenmassen, um sich an ihnen auszulassen. Es war noch der gemäßigste Gedanke, der auf Tel el-Habs geäußert wurde, der Gedanke, den einmal Ten Keir in London aussprach. Ohne Ausdruck war das viereckige rote Gesicht des kleinen Belgiers; sein Entsetzen beim Betrachten der Arbeiten in den Versuchsstädten schlang er herunter. Daß er gebrochen und geweint hatte beim Überfliegen des Kanals, als er einen stummen Turmmenschen auf einem Floß sah, verriet seine Begleitung nicht. Schrankenlos sprachen sich die grauenhaft entstellten hochmütigen Wesen, Männer und Männinnen der Versuchsstädte, zu ihm aus. Sagten, die Zeit des wirklichen Menschentums nähere sich erst; sie ahnten sie selbst nur. Entsetzt sah er die schlangenartigen Arme der Polypen sich an ihnen bewegen; dies wäre der Beginn des wirklichen Menschentums. Von den Menschenwesen unter sich, Städtern Siedlern, sprachen sie nicht, oder mit dem Gefühl der Wollust und dem Gelächter. Ten Keir sah, was diese Giganten konnten. Sie würden eines Tages die Menschenmassen verklumpen, wie die Drachenscharen es getan hatten. Er sprach aus: man müsse sich hüten, daß nicht einer von ihnen Mißbrauch mit seinen Mitteln triebe zum Schaden der andern. Es sei gut, einen Blick auf die Menschen zu werfen; die schäumten und tobten zum Teil, zum andern Teil wüßten sie sich keinen Rat. Man müsse da eingreifen. Ein Versuch müsse gemacht werden, wie es die alte Wind- und Wasserlehre wollte: die wirren verzagenden Geschöpfe wie Tiere und Pflanzen zu vereinfachen. Vielleicht unter Verminderung ihrer Zahl. Man müsse sehen, zu menschlichen Dauerformen zu kommen. Zu unkomplizierten Lebewesen, die sich erhielten zeugten stürben, ihre äußere Lebensweise jahrhundertelang jahrtausendelang gleichmäßig forttrieben. Die Last des Einzeldaseins, die schreckliche Einzelbeseeltheit müsse ihnen abgenommen werden. Die Giganten von Tel el-Habs lachten darauf. Er solle sehen, was er schaffe. Vielleicht machten sie zwischendurch auch das; es sei nicht sehr reizvoll. Ten Keir suchte in einer schweren ihn erwürgenden Trauer und Bangigkeit zu Delvil durchzudringen. An den kam niemand heran. Grausige Gerüchte gingen von ihm, über Dinge, die er trieb. Tagelang lief Ten Keir mit seiner Begleitung durch Keller Straßen dieses erdversenkten blitzenden London. Auf Stunden ließ er sich ein Zimmer in einem Haus freimachen. Da saß er im Finstern, weinte. Und kam nicht weg von London. Er lief mit seinen Männern weiter herum. Sie mahnten ihn, er würde sich erschöpfen, sahen seinen Jammer. Er konnte sich aber nicht von der Stadtschaft loslösen. Dreimal versuchte er zu Delvil vorzudringen. Bettelnd lag er vor Kuraggara; sie möchte ihm Zutritt bei Delvil verschaffen, er sei sein Freund. Die wunderte sich über die Wildheit des Mannes, konnte nichts durchsetzen. Zweimal war Ten Keir schon in der Oberstadt, zweimal fuhr er wieder die Schächte abwärts. In sich sagte er: „Ich muß weinen. Ich muß weinen. Viel mehr muß ich weinen. Ich muß mich brühen wie eine Taube, der man die Federn ausziehen will. Ich will alles sehen. Ich verdiene es.“ Aber wie er dann noch einmal die Sklavenmärkte den Zirkus die Arbeitsstädte Versuchsorte begangen hatte, nahm er sich an der westlichen Grenze der Stadt, wo Erde in den Tunnel einbrach, eine Handvoll knirschender Kiesel. Stopfte sie sich in die Tasche. Während er auffuhr, die Augen gepreßt geschlossen, drückte er die Kiesel, sie mit der Hand umschließend, flüsterte: „Ich will mich erinnern.“ Oben blickten ihn seine Begleiter an, dachten, er würde wieder anordnen, zurückzufahren. Aber er ließ sich ins Meer fahren. Sein Flugzeug ließ er zurück. Auf einem kleinen Schiff fuhr er über den Kanal an die flandrische Küste. Schwarz und grau waren die Gesteinstrümmer, die er mit sich genommen hatte aus dem westlichen Grund Londons. Er betrachtete sie tränend oft in der flachen Hand während der Überfahrt. Schloß die Faust, wenn einer ihn zu beobachten schien, stopfte die Hand in die Tasche. * * * * * Auf den Shetlands und Färöer saßen die letzten Grönland- und Islandfahrer. Die Senate hatten gefürchtet, schon während der Expedition, die Seefahrer würden sich gegen sie richten. Aber sie kamen nicht, stürmten nicht gegen die Stadtschaften. Man wußte, sie waren vor den Urtieren nach ihrem Sammelplatz, den Shetlands und Färöer, geflohen. Unter den Katastrophen des Tierüberfalls, dem Machttaumel bei der Versenkung der Städte vergaß man sie völlig. Wenn man später an sie dachte, wünschte man, sie möchten kommen, zum Kampf. Sie kamen nicht. Das war eine stumme leidende Gesellschaft, die sich auf dem felsigen Boden dieser meerumheulten Inseln versteckte, von dem Rest des Schiffsproviants lebte, einzeln, manchmal in Horden nach den schottischen Bergen herüberkroch. Als ein seelenversteinerndes Grauen waren die Urtiere über die westlichen Stadtschaften gekommen. Wie über die Fahrer in der Zone des Rosenlichts die wüsten Gebilde fielen, Nachbarschiffe Menschen Balken Bleche verwandelten, sank schlagartig ihre Wonne, klagte durch alles Entsetzen schon das Gefühl: „Es ist gut. Endlich! endlich!“ Über das Wasser schießend, in die Tageszone eintauchend erlag die Hälfte des großen Geschwaders den Tieren. Die überlebten, waren in dem Gefühl über das Meer getaumelt: „Nun nimmt es ein Ende. Nun sind wir erlöst.“ Wurden auf die steinigen Inseln hingestreckt, dachten wenig, atmeten gegen die Erde. Die nach Schottland herüberkrochen, kehrten zurück: Schottland sei nach Süden zu abgesperrt. Man wußte finster: „Gegen die Grönlandtiere. Und gegen uns. Sie sperren sich gegen uns ab.“ Bitter und trostreich. Und die Seefahrer versteckten sich tiefer in die Klüfte der Inseln. Niemand ging zu den Schiffen. Den eisigen Winter verbrachten die Seefahrer auf den Inseln, immer nach Schlaf verlangend, wenig zueinander findend. Das Rauschen Schnattern der Urtiere ging noch oft über ihre Inseln. Wie von einem Sturm angefaßt erbebten die kauernden liegenden Menschen. Die Gesichter bedeckten sie mit ihren Armen; lagen und brüteten. Daß alles so unwirklich war. Sie beschauten sich in den Höhlen Zelten alten Häusern: daß der andere noch da war. Man lag selbst da, bewegte sich, aß, trank. Dachte und fühlte. Man fühlte endlos, mochte nicht sehen. Fühlte vergeblich, konnte sich nicht erreichen. Wie war man? Als wenn einen ein Orkan gefaßt hätte und man wäre in die Ecke einer Höhle geblasen. Da hing man an, ein Stäubchen an einem Spinnwebansatz, konnte nicht hervor. Sie gingen herum, schluckten, suchten nach ihren Stimmen. Öfter schwamm eine Beängstigung über sie, die ganze Haut befallend und ausweitend, die Brust und Kehle bedrückend: Oh was ist uns. Sie seufzten, ließen ihren Speichel laufen. Einer verschwand, ein anderer verschwand. Ins Wasser, nach Schottland. Auf Mainland verbrannte der Unterführer Good Luck die nächsten Schiffe. Ausgemergelt wie die anderen schlenkerte er zwischen den Klippen, steckte den rothaarigen Kopf in die Höhlen, rief hinein, suchte Menschen. Knurrte: „Wer ist da? Ist wer da? Ha! Ich bin Good Luck.“ „Was will Good Luck.“ „Nichts. Will euch ansehen. Wißt ihr, was ich gemacht habe?“ „Du bist heiser.“ „Vom Rauch. Ich habe die Schiffe angesteckt.“ „Wen kümmerts.“ „Alles weg. Ihr habt recht. Ach was tue ich. Was tu’ ich.“ Und er irrte in den Höhlen herum, setzte sich ans Meer. Er lief eines Tages wieder vor die Hütten, rief mit seiner heiseren Stimme alle, die er traf, zusammen. Rasch sollten sie kommen. Hastete: „Schnell. Kommt ans Wasser.“ Da setzte er sich an den Strand, nahm zwei glatte große Steine zwischen die Knie, fing an zu reiben. Er knirschte die Menschen an, die mit ihm gekommen waren: „Hinsetzen. Nehmt Steine. Macht wie ich. Mahlen.“ Einige taten es. Er knirschte: „Mahlen, mahlen. Bis es Staub ist.“ Dann ließ er die Steine fallen, hetzte: „Was machen wir jetzt? Kiesel werfen. Übers Wasser.“ Und fing an zu schleudern. Die anderen fluchten, zogen sich dumpf zurück. Er hängte sich an den, an den: „Mich nicht allein lassen, mich nicht allein lassen. Was soll ich tun.“ „Steine werfen.“ Sie liefen fort, warfen sich hin: „Ein dumpfes Vieh.“ Ließen ihn knirschen schlucken. Was bei Good Luck begonnen hatte, nahm bei andern seinen Fortgang. Bis der verwilderte Kylin mit einem Boot bei Mainland erschien in der Sankt Magnusbucht und in einer steinigen Ebene alle zusammenführte, die sich aufbieten ließen. Von einem zum andern ging Kylin, betrachtete die Männer und Frauen, hielt ihre Hände. „Die Vorräte sind bald zu Ende. Der tolle Good Luck hat die besten vollsten Schiffe verbrannt. Es ist kein Schade. Wir müssen uns nun früher entscheiden.“ Ein Gequälter höhnte, ob er sie wieder führen wollte, vielleicht nach Grönland. „Nein. Ich spreche den Namen des Landes, das du eben genannt hast, nicht aus. So gewiß nicht mehr, wie Fromme früherer Zeit den Namen eines Gottes, an die sie glaubten. Ich will euch auch nicht führen. Ja. Ich bin schuld an diesen Dingen. Nicht am Turmalinschleier und dem letzten Unglück. Aber an dem vorher. Das hab ich getan. Die Vulkane hab ich aufgerissen.“ Er stand flüsternd neben einem Felsen: „Tut mit mir, was ihr wollt.“ Sie standen herum. Kylin setzte sich auf den Boden, bedeckte sein Gesicht, schluchzte. Keiner rührte ihn an. „Was wird nun geschehen. Ich habe mir genau alles überlegt und alles vorher gewußt. Ihr werdet mir nichts tun. Obwohl es mir in manchen Augenblicken lieber wäre, einer täte mir etwas an. Aber ich bin schon darüber weg. Und darum bin ich ja hergekommen.“ Viele blickten auf. „Es kann sein, daß wir noch einen Monat, zwei Monate auf den Inseln bleiben können. Aber ich will weg. Liebe Freunde, ich bin auf dem Weg, von hier zu gehen und wollte es euch noch sagen. Good Luck ist verrückt. Es werden noch manche von euch verrückt werden, wenn ihr euch nicht entschließt und wenn nicht etwas geschieht. Ich geh weg. Ich geh weg. Das weiß ich.“ „Und warum, Kylin. Wohin.“ „Ich spreche nicht aus, was geschehen ist. Bleibe ich noch lange hier, so brauchen keine Drachen zu kommen, ich werde verschlungen. Ich will nicht. Soll ich euch sagen? Die Stadtschaften sind nicht mehr mein Feind.“ Dichter drängten sie sich um ihn. „Die Stadtschaften haben ganz überflüssig einen Ring um sich gegen uns gezogen. Ich werde gewiß nichts gegen sie unternehmen.“ „Wir auch nicht.“ „Freunde, wißt ihr, was ich tue? Ich, Kylin? Ich geh meine Wege. Was soll ich hier, vor den Stadtschaften, an der Türe? Ich geh in die Welt. Die Erde ist groß.“ Da wimmerten höhnten lachten noch manche. Aber Kylin blieb auf der Ebene an der Sankt Magnus-Bucht. Die Verstörung verließ sie. Hunger trieb sie. Noch rauschten Schwärme der Ungeheuer durch die Luft. Nicht in die Höhe schauten die alten Grönland- und Islandfahrer. Auf den letzten Frachtern drängten sie sich zusammen. Mit Seufzern und stumpf schoben sie sich auf die Decks. Ihren Weg nahmen sie in kleinen Trupps durch die ruhige Irische See. Die Orkney- und Shetlandsinseln, so lange belagert von Menschenscharen, von den westlichen Geschwadern umringt, wurden entblößt, den Wogen und Stürmen wiedergegeben. Stumm wie sie Island verlassen hatten, gaben die Seefahrer die Shetlands und Orkneys frei. Hier waren die Ölwolken entstanden, Holyhead und Bou Jeloud, von hier waren die unzähligen Schiffe ausgegangen, beladen mit den Maschinen und der Gedankenmacht der westlichen Stadtschaften. Der Tod von Tausenden von Menschen war gefolgt, Island war zerrissen worden. Der eisige Kontinent mit den Gletschern tauchte auf, überwallt von Schrecknissen. Ihnen allen, die fuhren, war dies geschehen. Sie fuhren weg, aber sie wollten sich erinnern. Jetzt das Letzte von sich werfen, auch diese alten Ankerplätze, auch die Schiffe verlassen. Dann auf den Kontinent. Mit glühenden Augen hatte der so gealterte Kylin zu ihnen gesprochen: wieder leben. Was würde kommen auf dem Kontinent. Aber sie wollten hinein. Die Städte würden kommen. * * * * * Das Meer verwandelte sich während ihrer Fahrt. Der Nordkanal, die Irische See. Wellen warfen sich, spielten züngelten. Ein fernes Gestirn schien aus der Luft. Das Wasser spiegelte die Schiffskörper. Lautlos spiegelte es die Schiffswände. Stumm zogen Algenfäden hin. Lauer Wind legte sich an die Schiffe, drängte sie, ließ ab. Langsam fuhren sie. Um die Scillyinseln bogen sie östlich um. Eine dunkle Linie erschien über dem weiß glitzernden Meeresbogen. Da im Südosten, wo das Meer in das dämmrige schimmernde Himmelsweiß überging, zeichnete sich eine zerbröckelte Linie. Schwärzer klobiger wurden die unterbrochenen Striche. Auf den Schiffen schlossen sie die Augen, legten sich an Balken Geländer. Dies war der Kontinent. Rascher ließen die Führer die Schiffe laufen. Das Meer rauschte sanft gleichmäßig unter ihnen. Schon sahen sie die Kreidefelsen, die weißen Zacken, die Brandung davor. Da gaben sich die Schiffe Zeichen. Verlangsamten die Fahrt, hielten auf offenem Meer. Im Angesicht der Küste des Festlands hielten alle Schiffe. Eine stumme Stunde verging. Plätschern Ansingen Verklagen des Windes. Mit rauhen Kreidefelsen begann der Kontinent. Dann bog er sich glatt hin. Einmal war ein Gebirge von Cornwall und Irland zum Festland herübergestrichen. Die Berge hatten sich gesenkt, das Meer über sie ergossen; das Meer umströmte jetzt die Inseln. Nach Süden und Osten streckten sich französische Landschaften, von dem atlantischen Wasser breit umfaßt, nach dem südlichen farbigen Meer quellend. Jahrhunderttausende hatten Mulden Becken Platten Anschwellungen diese Länder gebildet. Alte Meere im Norden waren abgeflossen, Vulkane erloschen, ihre Auswürflinge lagen auf den Hochflächen. In großen Strömen öffnete das Land seine Brust. Königlich schwollen sie zum Meer. Mit Gebirgen weiten Ackerflächen Flußebenen Weinbergen lag das Land, ruhte nicht bis es das Meer grüßte. Es hatte Matten Wiesen Wildbäche Gebirgsseen entwickelt. Grüne Laubwälder ließ es aus seinem Boden steigen, in ihren Wurzeln hob es sich zu schwarzen und silbrigen Stämmen auf, entfaltete unter dem luftdurchflossenen Himmel Blättermassen. Die zogen das Licht an, vermählten sich mit ihm. Mit grünen roten gelben Farben sahen Pflänzchen um sich. Gräser standen in dichten Scharen beieinander, spielten ließen den Wind gegen ihre Kanten pfeifen. Über Waldböden liefen Ameisen, verschalte braune und schillernde Käfer, betasteten Halme, drehten sie, suchten schleppten. Mücken schwammen mit feinen Tönen in der Luft, die sie trug. Große träge Tiere beschnupperten die Erde der Äcker und Wiesen. Schwerwampige Rinder kauten Gras; mit muskulösen Lippen schnappten rafften sie es, warfen es sich auf die nasse rauhe Zunge. An Pflügen von Siedlern kopfsenkende Pferde mit großen schwarzen Augen; sie peitschten sich die Schenkel mit langen Schweifen. Die Erde beliefen, ihre Rinde schrammten betasteten Menschen. Ihre Leiber trugen kein Fell wie die Rinder und Schafe; sie waren ohne Schuppen, nahmen das Licht der fernen Sonne mit nackter glatter Haut auf. Für die Gase der Luft hatten sie die zarten durchsichtigen Öffnungen der Münder und Nasen. Das Gewölbe ihrer Brust, von knöchernen Rippenbögen umspannt, machten sie zum Raum der Luft. Wie am Spinnrad hob und senkte sich die Brust, sog Luft ein, entließ sie. Unermüdlich sogen die Menschen sich an der Luft fest, durchtränkten sich mit unsichtbaren Kräften. In ihre Därme ließen sie die Säfte vieler Pflanzen und Tiere fließen, nahmen an sich und ließen sich durchlodern von den Gewalten, die sich auf dem Erdboden niedergelassen hatten. Aus dem Wasser waren die Tiere aufgestiegen; die Menschen ließen nicht von ihm und es ließ nicht von ihnen, strömte durch ihre Gewebe und Häute. Zitternd und leicht flogen die Menschen über die Wiesen Ebenen Hochflächen, stoben unermüdlich zu den Dingen, die ihnen Leben gaben und ihr Leben verlängerten. Sie hatten Knie, die sie hintrugen, die sich biegen konnten mit dem Rumpf, dem Nacken, zu Quellen herunter, zum Jagen des Wilds, das ihnen Fleisch geben sollte. Harte Knochen hatten sie aus dem Kalk des Bodens entwickelt, mit denen sie stemmen und ziehen konnten, Gelenke, um sich zusammenzukrümmen, das süße Leben zu verstecken und beschützen. Sie schnalzten sogen an vielen Dingen; die schmeckten ihnen gut, es gab Bitteres Saures Brennendes. Wie die Zähne ihnen wohltaten, die gerne beißen krachen konnten. Das Zerrissene rutschte den Schlund und Magen herunter, tat ihnen wohl. Und immer neue Dinge lockten die Augen; es bewegte sich alles um sie, war Vogel Baumwipfel Wind Sand. Die Sonne brachte Farben zum Glühen, warf bunte Schatten; man hatte Augen; die Freude des Tages, die Wohltat der Vermählung mit dem Licht. Die Haut war fühlsam; Glieder die sich bewegen ließen, trugen den ganzen Körper; wohin. Wo Kühle war, Wärme, eine Rinde, die sich abblasen ließ, und Menschliches, eine Haut, eine Schulterplatte, eine Schenkelglätte. Mann und Weib zueinander. Dazu hatte man Füße und Knie, konnte gehen, sich nähern. Blicke zueinander, Hände zueinander, Münder zueinander. Und nicht nur Münder. Man hatte einen Leib; das einzige Wühlen. Was man tastete umfing: daß man nicht Wasser war, um mit ihm zusammenzuschmelzen. Daß man sich hielt, diese Beruhigung Besänftigung: dies Stieren und Vergehen im Feuerschein. Daß das Eine Brüste hatte, schweres Haar, weiche Haut, das Andere Härte und Rauhigkeit. Die haarumbuschten schwellenden Glieder der Vermischung: der Überschwang der Süßigkeit, den sie gaben. Fittiche, die in das andere Land trugen. Und das hing über dem Boden, Mensch und Mensch, der Same strömte, verdunkelt lagen sie, in Finsternis, das mütterliche Licht, eingeschlossen. Auf den Ackerflächen, den Gebirgen, in den Flußebenen, in den Wäldern die Menschen. In das Land zwischen dem kalten atlantischen Wasser und dem südlichen Meer quollen die Grönlandfahrer. Die großen Stadtschaften umgingen sie. Sie sahen Brüssel, das nicht mehr Brüssel war, sondern eine Häuserwüste, in der Ten Keir thronte, die er bewachte. Er war ein Spürhund. Die Grönlandfahrer zerstreuten sich, um ihm zu entgehen. Sie waren nach Norden gestoßen, in einem Verlangen, das Mardukreich zu berühren, von dem niemand mehr etwas wußte. Da kamen beim alten Amiens Männer des alten Ten Keir zu ihnen, die wie ein kleines Volk auf dem Wege nach dem zertrümmerten Valenciennes waren. Die Männer mischten sich unter die Grönlandfahrer, suchten sie zu erforschen. Die blieben verschlossen. Wie sie bei den Ruinen waren, zeigte sich Ten Keir selbst. Er nannte sich bei Namen, prüfte aufmerksam die auffällige Kleidung der Männer und Frauen. Ob sie zu Schiff gefahren wären nach Belgien, da sie Lederkleidung trugen. Er war, einen ganzen Tag zwischen ihnen herumgehend, beunruhigt. Und plötzlich stieß er auf Kylin, den Mann, den alle Senatoren dieser Landschaften kannten. Kylin saß auf einem Wagen, verteilte Brot, das ihnen Siedler gegeben hatten, betrachtete einen Augenblick uninteressiert den Mann, der sich vor ihm aufpflanzte. Jetzt war dem tief erschrockenen Ten Keir der Zug klar. Dies waren Grönlandfahrer, die die Sperre durchbrochen hatten. Aber man hatte die Sperre verfallen lassen. Er rief Kylin bei Namen. Der ließ, den Blick in Keirs Augen versenkend, ein Brot fallen. Ten Keir bückte sich: „Du bist Kylin.“ „Ten Keir.“ „Ja.“ Kylin mit dem langen grauschwarzen Bart nahm das Brot zurück: „Habe keine Furcht vor uns. Oder hast du Furcht.“ „Keine Furcht. Ich staune, Kylin. Du bist Kylin.“ „Wunderst du dich über meinen Bart? Deine Stadtschaft ist auch nicht jünger geworden.“ „Brüssel ist nicht meine Stadtschaft. Du siehst sie nicht. Brüssel ist unter der Erde.“ „Ich weiß. Ich habe gehört.“ „Warum blickst du immer um dich, Kylin. Hast du selbst Furcht vor mir?“ „Es ist schön im Land. Wir wollen weiter ziehen. Ich will dir viel Glück wünschen.“ „Wo geht es hin, Kylin.“ „Ich weiß nicht.“ „Sag mir doch.“ „Nach Norden. Nach Osten. Leb wohl. Ten Keir.“ Der unruhige Kylin war gleich aufgebrochen. Ten Keir beobachtete ihren Zug; seine Abgesandten waren an dem Weg, an dem. Der Belgier verheimlichte vor dem Senate seiner Stadtschaft seine Begegnung; besänftigte sich nicht: was ist mit den Grönlandfahrern, was haben sie vor. Fühlte sich erregt; konnte sie nicht loslassen. Waren das Siedler? Er war hilflos. Nach einigen Wochen konnten ihm seine Beobachter nichts mehr von dem Zug melden: er hatte sich aufgelöst. Wohl aus Hunger, tröstete sich, zweifelte Ten Keir. Die Giganten jenseits des Kanals strotzten und regten sich; er floß blaß zusammen. Saß über der Stadtschaft Brüssel. Die Kiesel vom Grund des schrecklichen London der Kuraggara und Mentusi knirschten in seiner Tasche. Er war getrieben, wußte nicht wohin. Nach Süden in die Landschaft, die immer reicher aufblühte, bogen die Fahrer um. In kleinen Trupps wanderten sie, hielten Berührung miteinander. Als die schwarzen Argonnerberge vor ihnen auftauchten und sie anfingen in der Menschenöde zu hungern, wartete Kylin eine Woche, bis alle Trupps zusammen waren. Im Flußtal der Aire sammelten sich an dreitausend Menschen, auf Wagen Karren Mauleseln Pferden Ochsengespannen. Die Tannen in den Wäldern hatten hellgrüne Triebe; in einem Wäldchen junger Nadelhölzer sprach Kylin mit einer kleinen Zahl ehemaliger Unterführer: „Wir müssen uns trennen. Jetzt müssen wir uns wirklich trennen. Wir haben keine Nahrung, wenn wir beieinander bleiben. Man kann uns zusammen erschlagen. Ten Keir von Brüssel ist hinter uns.“ Er ging unter den zwanzig Männern und Frauen herum. Der junge Idatto, ein sehr magerer Mensch, der die eigentümliche Fettsucht der Städter überwunden hatte, hielt ihn am Arm: „Und was soll aus uns werden?“ „Du wirst nicht wieder krank werden, Idatto.“ „Ich weiß. So nicht. So werde ich nicht wieder krank werden.“ „Wir müssen uns trennen.“ „Aber ich will bei dir bleiben. Ich werde wieder krank werden, kränker als vorher.“ „Glaubst du, Idatto?“ „Wir wollen uns nicht trennen, Kylin.“ „Wir bleiben in kleinen Gruppen zusammen, das will ich ja auch. Aber so wie bis heut können wir nicht reisen. Du weißt selbst, wie viele hungern.“ „Ich will hungern und alle wollen lieber hungern als daß wir uns verlieren. Frage Bersihand und Magin und wen du willst. Sie wollen alle lieber hungern als voneinander gehen.“ Kylin ließ ihn los, stand stumm, auf den Boden blickend, bewegte die Lippen. Dann: „So sollt ihr reden.“ Und nacheinander sprachen die Männer und Frauen dasselbe wie der kranke Idatto. Sie umringten Kylin, der sich immer wieder zurückzog. Sie wußten nicht, und fuhren zurück, als Kylin die hellen Augen öffnete, warum er drohte und zu schreien anfing: „Aber so tut was ihr wollt. Verhungert, laßt euch erschlagen, bleibt zusammen. Ich hindere euch nicht. Ich hab keine Macht euch zu hindern. Ihr habt auch keine Macht mich zu hindern. Ich geh von euch.“ Idatto bettelte: „Warum?“ „Ja, du fragst. Du fragst. Und daß du schon fragst, ist schlimm. Du bist jetzt gesund, Idatto: wozu bist du gesund? Ich staune, was ihr alle aus eurer Gesundheit macht. Nein, ich bin entsetzt, was ihr daraus macht. Ich muß es aussprechen: ich schäme mich eurer.“ Kylin ließ sich wie müde auf den Boden, streckte sich, legte den Kopf stumm zur Seite, schob die Hände in die weiche Erde. Es war als wenn einige diese Bewegung verstanden. Die kraushaarige breite Damatile nahm den unsicheren Idatto beim Arm, sah ihm ins Gesicht: „Willst du jetzt still sein, kleiner Idatto.“ Und während sie schwiegen, stand Kylin langsam auf. Damatile faßte ihn bei der Hand. Sie wollte sprechen. Aber Kylin hob beide Hände, sah sie an und sah die andern an. Und jetzt wußten alle, daß er an Grönland dachte, an die Vulkane Gletscher Urtiere. Durch sie alle schwang und dachte es. Kylin kaute an seinen dünnen Lippen: „Wir müssen uns trennen, Damatile, Freunde. Damit wir nicht zugrunde gehen.“ Jetzt verstanden sie es. Der junge magere Idatto weinte an der Erde. Kylin hörte ihm eine Weile still zu. Man hörte nur das Weinen des jungen Menschen. „Was wollen wir weiter miteinander sprechen, Freunde, und uns erregen. Sagt es den anderen draußen. Sagt es ihnen deutlich. Aber sie werden schon verstehen, wofür wir leben müssen.“ Noch tagelang blieben sie im Tal der Aire zusammen. Als bei Kylins Gruppe vor dem Tannenwäldchen abends ein großes Lagerfeuer brannte und die Unterführer sich bei Kylin versammelten, wußten alle Trupps, daß es jetzt zu Ende war. Aber in keinem war mehr Leiden Graus Schmerz wie am ersten Tage, als man von der Auflösung der Wanderschar hörte. Erst saßen die Führer bei dem riesigen blasenden Feuer, starrten zurückgelehnt auf dem Moosboden in den lebendigen roten Schein. Dann erhob sich Kylin, verneigte sich vor dem Feuer, warf, immer vor sich starrend, seine Jacke, seinen Gurt hinein. Den Kopf auf den Boden, kniend, verharrte er eine Weile. Stand auf, schweigend von den anderen beobachtet, berührte mit den Händen die Tannen in seiner Nähe, verneigte sich vor ihnen. Wie er sich an seinen Platz am Lagerfeuer setzte, öffnete er die Lippen, ohne von dem Feuer wegzusehen: „Ich hab euch das zu sagen“, – er redete tonlos, die Hände schlaff auf den Knien, – „nein, nichts habe ich euch zu sagen. Ihr seht es alle selbst. Dies ist, dies ist das Feuer.“ Und er drückte den Kopf fest auf die Brust: „Ich bereue“, er lispelte, „ich bereue.“ Unsicheres Zusammenrücken in dem Kreis. Kylin flüsterte: „Verdeckt es euch nicht. Ich – bin – stark. Ich lasse mich nicht zerbrechen. Ich sehe hin. Hinein. Ich sehe ihm ins Gesicht. Da. Ich stehe auf. Ich stelle mich ihm gegenüber. Ich sehe ihm in die Augen. Hindurch. Tiefer, in den Kopf. Tiefer, in den Hals. Ich sehe. Ich wag es. Ich halte aus. Ich bin auf den Knien. Aber ich falle nicht um. Meine Augen lassen nicht los. Und wenn man Beile nimmt, man schlägt mich davon nicht ab.“ Ein Breitschultriger Dunkelhäutiger stand auf, schlurrte schwer zu Kylin, kniete hinter ihm hin, starrte über seine Schulter mit verbissenem Gesicht. Der fiel knirschend um, grub die Stirn in den Boden. Sanftes Wimmern einer Frau; dann kreischte sie, die Sehnige mit dem warmen traurigen Gesicht, den Flaum über den Lippen. Die Arme hielt sie ausgestreckt: „Weg. Grönland Vulkan. Bestien. Weg. Weg das.“ Aufgesprungen, davongerast. Männer rückten von der Flamme zurück, ingrimmig, dem Rasen nah. Sie sahen, das Feuer, Island, sie hatten es ja schon erkannt. Und wie sie sich zwangen: sie würgten erbrachen bogen ihren Hals, trieben die Augen vor, erbrachen, ließen sich zurückfallen. Kylin saß unbewegt; die Augen hatte er in einem wüsten Grimm in das Feuer gebohrt, an das Feuer gegeben: „Aushalten. Rühr mich keiner an. Entweder ich brenne aus oder ich bleibe.“ Damatile, das starke plattnasige Weib, jenseits der Flamme, schrie zu Kylin herüber: „Unser Verderber. Du! Wir haben alles überstanden, die Turmalinschleier die Drachen. Das schlimmste kommt zuletzt: Kylin. Das schlimmste heißt Kylin. Er hat die Vulkane aufgerissen und jetzt sind wir dran. Nicht zur Besinnung sollen wir kommen. Nicht genesen. Kylin, Bestie, Drachen.“ Der stöhnte: „Immer weiter. Für mich. Das ist Grönland. Das – ist – Grönland.“ Unter dem Erbrechen Murren Stöhnen der Männer und Frauen schleppte sich Idatto, der junge, gegen das Feuer. Sein Blick lechzte: „Weggezogen. Wiedergekommen. Ich komme schon. Du rückst vor mir nicht aus. Da ich, Idatto. Ich bin Idatto. Du bist das Feuer. Du bist Grönland. Ich knirsche nicht. Da, ich bin dicht bei dir. Komm nur, brenn nur, rase nur, sei mein Feuer, laß dich schlucken. Ah süße Hitze. Schlucken in meinen Rachen. Süße heiße strudelnde Luft. Hauch in meinen Hals. Ich halte aus.“ Kylin: „Mußt aushalten, Idatto. Es ist Grönland. Es ist das Feuer. Du darfst dich nicht entziehen.“ Der Schwarze Niedergefällte ächzte: „Kylin, du. Ich halte aus. Wie quälst du uns. Wir waren ja schon gesund.“ „Ich mach keinen gesund, keinen krank. Idatto, stütze mich, ich stütze dich, sei du mein Freund. Sprich mit mir: ‚Dies ist das Feuer, dies ist das Feuer.‘“ „Was soll ich sagen.“ „Dies ist das Feuer. Damit es nicht ausweicht, Idatto.“ „Ja, ich will es.“ Und sie umklammerten sich beide. Das rote Feuer glutwallte vor ihnen. Die Männer und Frauen hielten sich die Ohren zu. Die beiden hauchten: „Das ist das Feuer. Das ist Grönland. Das Feuer. Grönland. Grönland.“ Und die andern rafften sich auf, bewegten den Kopf abwärts, stotterten: „Ja, ja.“ Denn Kylin und Idatto gaben nicht nach. Von dem Würgen und Erbrechen waren die Menschen schwach. „Hier mein Tuch. Meinen Gurt“ murmelte einer matt, warf den Gurt von sich in das Feuer. Das fraß ihn, erhob sich knatternd in Flammen, spie Rauch. „Es muß geschehen. Es gibt keine Rettung.“ Und da stürzten schon welche vor die beiden umschlungenen Kylin und Idatto, die sich bestärkten: „Es ist gut. Ihr seid gut. Wir danken euch. Nehmt mich mit auf den Weg. Kylin, daß du uns nicht hast einschlafen lassen.“ „Das Feuer. Grönland. Das Feuer. Grönland.“ „Ich bin schwach. Ich bin nichts. Ich bete dich an.“ „Gewaltiges. Gewalt. Ach ich reiche nicht aus. Geschehe was will.“ Und da zogen welche ihre Jacken aus, mit fliegenden Fingern, betasteten sie, der Atem flog ihnen, sie ließen die Jacken in das Feuer fallen, hielten sich die Ohren zu, wie es knisterte und sprühte, schluchzten hilflos, bitter heraus: „Wo ist eine Rettung.“ Und immer riefen Kylin und Idatto, am Lichtschein hängend, unerbittlich: „Feuer. Grönland.“ Schmeichelnd, unter einem Zwang, nahmen manche sich die Tücher ab, Bänder, was sie lose an sich trugen, drückten sie sich schmeichelnd an das zärtlich entspannte Gesicht, warfen es in sanftem Bogen ab in die stolze aufprasselnde Flamme. Sie standen in der Umschlingung der Finsternis, vom Feuerschein überspielt, das Gesicht zogen sie nach rückwärts, dann tauchten sie es wieder ein in das weiß-rote Licht. Idatto hatte sich mit einem schmelzenden Lächeln von Kylin abgelöst. Sachte bog er seine Knie, machte Schritte um das Feuer. Schlich um den Brand. In weitem Bogen schlich er um den Brand. Die Arme hielt er gehoben, sein Mund zum Frohlocken geöffnet, aber er sprach kein Wort. Der junge Schmächtige blickte nicht in das Feuer, nur gerade vor sich in die lichtdurchzuckte Luft, auf den nadelbestreuten Waldboden. Verneigte sich alle paar Schritt. Umkreiste das Feuer. Und die, neben denen er lief, standen auf. Seine Stimme kam: „Auf! Steht auf. Das Feuer gepriesen. Grönland gepriesen. Die Vulkane gepriesen.“ Und die gekrümmten Rücken, geduckten Schultern folgten. Seufzten noch, schauderten schluchzten in ihrer Angst, aber er kreiste weiter. Kylin kauerte am Boden. Wie sie stöhnend und flüsternd vorbeizogen, verlor er die Besinnung, lag rückwärts gestreckt im Dunkel. Idatto löste sich vom Feuer, lief rufend in den Wald. Vom Flußtal der Aire stiegen einzeln, in Scharen Menschen her. Erschreckt beängstigt mischten sie sich unter die Herumziehenden. Drängten fragten. Sie wußten, man mußte sich trennen. Von Grönland ging das Gerede. Das Feuer wehte streng; man schob sich an den Brand, warf beschwörend bittend Tücher und Gürtel hinein, kaufte sich los. Wie viele knieten; die Angst bezwungen. Man hob Kylin auf. Er stierte in das Gewimmel, horchte auf das Raunen Rufen Aufschreien. Idatto führte ihn. Kylin lächelte fremd: „Habt ihr Furcht vor mir? Ich bin der, der auf Island den Herdubreid und Krabla gesprengt hat. Ihr habt keine Furcht vor mir. Ihr seht ja, was wir hingebaut haben: das Feuer. Das große große Feuer. Keine Furcht. Weicht ihm nicht aus. Auch den Vulkanen und Grönland nicht. Sie sind sonst ein Gefängnisvogt, der auf euch wartet, euch in Ketten werfen will. Keine Furcht. Ihr müßt das Feuer ansehen, bis ihr es aushaltet. Seht das große Feuer. Seht es an.“ „Näher, näher. Es zerreißt nicht. Ach wie es blüht. Grüßt es. Grüßt es. Grüßt Island. Unsere Heimat. Verneigt euch. Grüßt.“ Viele stürzten hin. Die Rufe brausten durch den Wald. Kylin trat langsam an den Brand, während die Flammen unter neuem Holz brodelten. Die Führer um ihn wurden still, schwärmerisch verzückt ehrfürchtig an dem Feuer hängend. Kylin ließ sein hartes Gesicht bescheinen: „Da brennt es. Wärmt. Brennendes Flammenfeuer. Es hat die Vulkane auf Island zerrissen. Die Gletscher gesprengt. Das ist wie Wasser, das die Schiffe zerschlägt und die Schiffe trägt. Wohl uns, daß wir nicht auf den Shetlands verdorrt sind. Die Angst hat uns verlassen. Ich verneige mich schon. Du brennst, wenn wir nahe kommen. Laß dich besänftigen. Sei uns gnädig. Sei uns allen gnädig.“ Idatto hielt Kylin umfaßt. „Nun frage ich dich, Idatto, ob du verhungern und sterben oder leben willst. Haben wir ein Recht zu sterben. Ein lebendiges Wesen die Welt: das ist ungeheuer zu denken. Ist es möglich zu sterben, nachdem wir dies wissen. Hör wie sie rufen. Sie verstehen alles wie wir. Dies verstehen alle Menschen. Es ist keine Zaubersprache, die wir verstecken können. Idatto, du junger. Wir werden uns bald trennen. Jeder wird einzeln gehen. Ich muß leben, du auch, die andern. Das Feuer preisen. Und was wir gesehen haben. Jetzt kommt das Leben.“ Damatile, die starke schwarzhaarige Frau vor ihnen, streckte wagerecht selig die Arme hin, lächelte durch die Spalten der geschlossenen Augen. Wie von einem Vogel lockte gluckerte ihre Stimme: „Wie kamen wir auf den Einfall, zusammen zu bleiben, um uns totschlagen zu lassen. Wie ein Bad ist dies, eine Wonne, in der ich liege. Eben ist uns das Bad gerichtet, das Wasser eingelassen. Eben sind wir aufgenommen.“ Die gelbliche langsame Schachara rief hinten: „Damatile.“ „Hier steht Damatile, macht die Augen nicht auf.“ „Ach, da bist du. Ich bin’s.“ „Wer denn?“ „Schachara.“ „Schachara sagst du.“ „Damatile, ich kann alles aussprechen. Das ist das Feuer, das wir in Island geholt haben. Ich bin über den Herdubreid geflogen. Er war schon aufgebrochen. Diese Flamme. Es war diese Flamme. Ich erkenne sie wieder.“ „Ja, Schachara. Und schließ die Augen, sage was du dann fühlst.“ „Was?“ „Die Augen geschlossen, Schachara?“ „Ja.“ „Leg deine Hände hinter den Kopf wie ich, halte den Kopf zurück. Hör nicht, was sie rufen. Fühl nur. Fühl in deine Finger, fühl in dein Gesicht, in deinen Mund, fühl in deinen Leib, deine Beine herunter, in deine Füße. Fühlst du. Ach, ich kann nicht sprechen. Nicht über meine Lippen. Ach Schachara, ich, ich kann es nicht aussprechen. Es ist wieder da. Hab keine Furcht, fühl es nur. Bleib stehen. Das Süße Sanfte Sanfte Wilde und Starke. In meinem Hals, in den Knien, über dem Rücken, in meinen Augen. Ach. Brennt fließt. So. So. Ich brenne selbst. Nicht zu sprechen. Nicht zu sprechen.“ Die andere lispelnd versenkt: „Nicht zu sprechen, Damatile.“ Idatto hatte einen alten Buchenstamm erklettert. Die Splitter des Strunks umfassend hing er oben, träumte über das Wogen der Menschen hinweg, in den immer gewaltiger angefachten Brand: „Die welken Blätter. Die Luft. Ich laß mich fallen. Ich laß mich fallen. Oh hilf mir einer, daß ich nicht verschwinde.“ An diesem Abend und in dieser Nacht rangen sich die Führer von der letzten Verstörung los. Kylin zog in der Nacht die Unterführer zu sich; er wolle, bevor sie sich trennten, ihnen etwas mitgeben. Es war ein Zeichen, das sie festhalten sollten. Er trug einen kleinen Dolch. Das Griffende aus Bronze zeigte hochgetrieben die Linien eines geöffneten Berges, aus dem eine züngelnde Flamme schoß. Den Griff des Dolches erhitzte Kylin, drückte als erster das Zeichen sich dann Idatto in den Unterarm. Das Zeichen nahm in dieser Nacht das ganze Heer der Führer. Sie bogen sich, wie der Schmerz in sie schoß, schlossen die Augen, waren stiller als vorher. Bei Morgengrauen lösten sich ohne Abschied die ersten kleinen Gruppen von der Schar. Als das Feuer mittags zusammensinterte, war das Wäldchen und Flußtal der Aire leer. Neuntes Buch. Venaska Im Südosten des Landes stand ein uraltes Rumpfgebirge. Flach gewölbt war es, vom Wasser und Regen bis auf den Sockel zerstört. Senkte seine Oberfläche nach Westen unter die weiten eingeebneten Beckenlandschaften. Vulkane hatten die alten granitischen Massen durchbrochen. Dies war die Hebung der Cevennen, das Hochland der Auvergne, Fores, Lyonnes. Bergströme durchbrausten die welligen Plateaus, enge Felstäler, Basalt- und Trachytkegel, Lager von Schlacken Aschen. Ein Krater senkte sich hundert Meter ein. Von den Gletschern des Gotthard kam die Rhone herunter. Gießbäche verstärkten sie. Sie jagte durch Engpässe, tauchte ihr schlammiges Wasser in den sichelförmigen Genfer See. Tiefblau trat sie aus dem Becken. Und wie sie den Jura durchbrochen hatte, kam ihr von Norden die sanfte Saone entgegen. Wasser mischten sie mit Wasser, rollten nach Süden. Breiter und breiter strömte der Fluß durch die lavendel- und myrtenduftende Ebene. Die Nachbarländer schickten ihm neue Wasser zu. Noch einmal traten die Felsen der Alpen, die ihn erzeugt hatten, an seine Ufer. Dann öffnete sich das Stromtal. Versumpfende Ufer. Rollkiesel über dem flachen Bett. Kieselfelder bis zum Meeresgestade, ödes Deltaland. Die trägen Wasser schwollen verendeten im Meer. Garonne, der wasserwälzende Strom im Westen durch das Schwemmland, zwischen sanften Hügeln und Weinbergen. Weiß blau rosa schimmernd im Süden die Ketten der Pyrenäen. An der atlantischen Küste warf der Wind einen Wall auf, die Landes; nahm Sand von der spanischen Küste, die das Meer zernagte, häufte sie zu Dünen im Norden. Wenige Stadtschaften trug das weite Gebiet der beiden südlichen Flußbecken. An den Meeresufern strahlte drohten Marseille und Bordeaux. Toulouse an der Garonne zog seinen schmetternden Kreis. Die Städte stiegen wie die nördlichen mit der Masse ihrer Bewohner in die Tiefe. Auf den Flächen des fruchtbaren Landes nördlich der Pyrenäen, den Schuttablagerungen der Eiszeitgletscher, schlichen Siedler. Die palmen- und orangenbestandene Ebene der Provence bewohnten sie, hielten sich an den Ufern der starken Flüsse. Noch bevor der Kampf um Grönland beendet war, verließen kleine Scharen der britischen Siedler die Inseln, auf denen man sie ausrotten konnte. Im Norden und um sie herum stiegen die Städte in die Tiefe, da berührten Gruppen der wandernden Schlangen das untere platanenbewachsene Flußtal der Garonne und das fette Weideland. White Baker stieß mit ihren Scharen in das Land, das einmal Melise, die grausame Königin von Bordeaux, beherrscht hatte. In das Becken zwischen den Pyrenäen, dem östlichen Gebirgsmassiv und dem Ozean flossen sie ein. Bewegten sich in den warmen Auen der Charente, unter grünenden Edelkastanien, dunklen Ulmen, den Laubkronen der Nußbäume, auf Wiesen und Rebenrücken. In den Forsten, besonnten Gauen, endlosen verwilderten Getreideflächen verloren sie sich unter die alten halbspanischen und afrikanischen Siedler. Von den Stadtschaften losgelassen blühten sie im Tal der Charente, um das breite Bett der Garonne. Die Schlangen hatten von der britischen Insel ihre dunklen Lehren von der Wanderung in der Liebesumarmung und Entrückung mitgebracht. Um Perigueux und Bergerac bis zur Mündung der Gironde, wo die schwelgenden Römer Wälle gebaut hatten, bewegten sie sich, zwischen Sanftmut und Überschwang schwankend, Männer und Frauen. Die Finsternisse Nebel kalten Winde Fröste der britischen Insel waren nicht hier. Die Gewalten der Stadtschaften waren verschwunden. Hier war nur der Mistral furchtbar, die schmetternden Gewitter des Frühlings und Sommers, und die Springflut, die vom Ozean in die Mündung der großen Gironde lief und über die Äcker hinschlug. Schlafende Wildnis, Gartenfluren, goldener Ginster, zertrümmerte Straßenzüge. Ab und zu ein Blitz, vor dem sie sich duckten; die Flugzeuge und Wagen der in die Tiefe gesunkenen Stadtschaften, von der Erde rafften sie Sand- und Steinmassen, von den weichen Felsen klöppelten sie Stücke ab, fuhren sie in den Boden für die Mekifabriken. Die am Meer sahen auch die großen Luftfrachter, die regelmäßig täglich die Salze Säuren Steinlasten von Norden hertrugen. Von keinem gehindert siedelten sich die Fremden auf dem reichen Boden an. In Gehöften siedelten sie, auf den gras- und rebenbestandenen Fruchtäckern, den alten Sümpfen und Schwemmland, auf pflanzenbewucherten Bodenanschwellungen, unter dem hochstämmigen Kirschlorbeer, neben wilden dichtzweigigen Akazien, die ihre Blattbüschel über kleine Bäche ausluden. Und wie die Menschen über den weichen dunstenden Boden gingen, der Wein und die Bodenwürze in sie stiegen, war ihr Drang zueinander nach der langen Entfremdung tief. Es gingen nach den Schlangen mit White Baker Gruppen nach Gruppen flüchtiger Siedler, britischer flandrischer fränkischer jütischer über den Boden, und wurden wie sie ergriffen. Dieses grenzenlos Heutige Frische Sicherneuernde. Jeder Lufthauch erregend sich zu entäußern, umzustülpen. * * * * * Servadak saß allein unter einem sattgrünen Kirschlorbeer, der junge noch gelbblasse Mensch, und lockte Light-for-me, Mein-Licht, die Frau, die am Dordogneufer neben ihm siedelte. Ach sie sollte zu ihm kommen. Sie war schon oft mit ihm in das Dickicht gegangen, wo eine heilige Hütte stand, hatte mit ihm die süße Wanderung angetreten. Er lockte immer von neuem, die braune Light-for-me ließ es sich gefallen. Er saß bewegungslos unter dem knorrigen astverschlingenden Kirschlorbeer. Sie lachte zwischen den Erbsenstauden: „Servadak, du sitzt an dem Baum, als wärst du seine Wurzel. Sieh einmal über dich: er wächst schon so grün aus dir.“ „Light-for-me, du hast schon genug gearbeitet.“ „Sieh meine Arme, Servadak, wie dick sie sind. Jeden Tag werden sie dicker. Sie werden noch platzen. Ich freue mich.“ „Für wen tust du so viel.“ „Und wenn ich Kinder bekomme, Servadak, wer wird ihnen zu essen geben.“ „Ich werde sie füttern. Und die andern auch.“ „Ich hab Arme, Servadak, und es sind meine Kinder. Ich sitz’ nicht unter dem Baum. Sieh meine Erbsen an.“ „Komm zu mir, Light-for-me.“ „So sagen auch die Erbsen: komm zu mir. Und meine Hähnchen. Und die Trüffeln.“ „Komm zu mir, Light-for-me. Mein Augenlicht. Meine Weide. Ich sitze nur hier, doch nur für dich, sehe deinen Acker an, bin froh, daß du darüber gehst. Sieh meine Erbsen. Taugen die nichts?“ Sie lachte: „Schlecht sind sie. Rotes Unkraut ist dazwischen. Ich helfe dir nicht, wenn es Schoten gibt.“ „Komm näher.“ „Willst du mit mir in die Hütte gehen? Aber ich will nicht.“ „Nur näher sollst du kommen.“ „Aber was hilft es, Servadak.“ „Mir hilft es. Mir hilft es, wenn du nur einen Schritt näher kommst.“ „Ach, lieber Freund. Ich bin traurig, wenn ich dich sehe. Du bist so blaß. Und wie lange sind wir schon von Bedford weg.“ „Ich bin schon hundert Jahre von Bedford weg. Als ich dich an der Kreideküste im Norden sah, waren die hundert Jahre um. Das war gestern. Oder heute. Heute hab ich dich zum ersten Male gesehen. Eben sehe ich dich zum ersten Male. Komm zu mir, Light-for-me.“ „Ach, was rufst du nur, Servadak. Wenn ich auf mein Erbsenfeld gehe, bist du wie die Drossel da.“ „Aber der Drossel antwortet eine andere.“ „Ich antworte doch auch.“ „Keine Drossel bist du. Nicht antwortest du mir.“ Er streckte einen Arm nach ihr aus. Sie senkte den Kopf an den Stauden, weinte, zupfte an den Stöcken, lief langsam, dann rascher zu ihm, ließ sich von ihm, der vor ihr hinfiel, küssen, küßte ihn sanft auf Mund und Augen. Er lockte sie wieder am andern Tag, wieder am andern Tag. Zart war sie immer da, braunschwarzes Kräuselhaar, das schlanke Figürchen, immer rege, leicht ermattend, der Blick erst schwach ergeben um Bäume Erden Menschen, täglich mehr wie die Herrin strahlend und offen. Sie trug die strenge Arbeitstracht der britischen Siedler, graue braune lange Jacke, schwarze Frauenhosen, lose, um die Knie und Knöchel gebunden. Als sie sich den bunten Foulard um den Hinterkopf wand, stand er unter dem Kirschlorbeer auf. „Ja, Servadak! Und dir bringe ich etwas. Eine bunte Jacke. Sieh doch, was sie für bunte Jacken tragen.“ „Wer trägt bunte Jacken?“ „Die Schlangen. Die Männer. Viele.“ „Light-for-me, ich bin ja gar keine Schlange.“ Sie erschrak, kam näher: „Sag das nicht, was sagst du. Wir sind es doch alle.“ „Du weißt es selbst.“ „Nein, nicht weiter sprechen. Ich will nicht hören. Mach mir nicht bange.“ „Was willst du mir geben, ein Tuch? Eine Jacke? Wenn du willst, wenn sie von deiner Hand ist, will ich sie tragen.“ „Ich dank dem Himmel, daß du willst. Ach Servadak, steh doch auf von dem Baume: du wirst nicht besser unter dem Baum. Du siehst blaß aus wie wenn du eben aus London gekommen wärst.“ „Hundert Jahre bin ich aus London weg. Es ist nicht wahr, daß ich noch blaß bin. Ich arbeite, sieh meine Reben an, mein Licht.“ „Ich bring’ dir die bunte Jacke.“ „Und komm du!“ Sie war bei ihm. „Was faßt du mich an, Servadak. Sollst deinen Kittel ausziehen. Sieh, das ist grüne Wolle. Gefällt sie dir? Sie ist schön. Ach wirst du aussehen.“ „Ich werde gut aussehen? Zeig. So. Wie sehe ich aus?“ „Gut, gut. Herrlich. Sieh dich doch selbst an.“ „Ich will sie immer tragen.“ „Nein, du darfst mich nicht immer anfassen. Ich muß dich doch betrachten. Bist du nicht schön. Wirst du mit mir morgen singen gehen?“ Und sie führte ihn fröhlich durch seinen Acker, rief die Bohnenranken an, zeigte ihn dem Kirschlorbeer: „Jetzt wird Servadak dir untreu, Lorbeerbaum. Jetzt sitzt er nicht mehr bei dir. Er braucht Licht. Er will sich bewegen. Er muß stolzieren.“ Sie führte ihn auf ihr Feld: „Das ist Servadak. Wie gefällt euch seine bunte Jacke. Ist sie nicht schön wie mein Foulard. Komm, ich setze dir eine frische Bohnenranke an den Hals. Nun Rankchen, was sagst du zu Servadaks Jacke?“ „Gib mir die Ranke her.“ „Laß sie doch an deinem Hals.“ „Ich will sie in meine Hand nehmen. Sie ist von dir. Du hast sie gepflegt. Und wenn sie welk ist, halte ich sie zwischen den Handtellern und bis in meine Schultern hinein lebt sie, nein lebst du.“ Sie drehte aufseufzend den Kopf beiseite. „Was ist, mein Licht.“ „Nenne mich anders.“ „Du bist doch mein Licht.“ „Nenne mich anders. Ich möchte Krokus heißen oder Lüftchen oder – ich bin Majelle, wie ich immer war.“ „Du bist traurig.“ „Ja, du magst meine Ranke nicht, Servadak, magst nichts. Ich nehme sie dir schon ab.“ „Mein Licht.“ „Sag Majelle zu mir. Du magst das Licht doch auch nicht.“ „Oh!“ „Oh. Ja, oh, Servadak, mein Nachtfalter. Oh bist du krank von London.“ „Ich habe so viel, so viel Menschen entbehrt, Majelle. Jetzt habe ich dich. Sei mir nicht gram.“ Die braune Majelle blieb ganz für sich, kein Wort sagte sie bei den großen Zusammenkünften zur Diuwa, der Führerin dieser Gruppe der Schlangen. Oft kam Servadak, lud sie zu der Hütte ein; sie machte glücklich und traurig die Wanderung mit ihm. Wartete, ob er sich verändere. Aber von jeder Wanderung kam er wilder sehnsüchtiger zu ihr. Ihr Acker lag dicht bei Servadaks. Seine Blicke lagen halbe Tage auf den Baumstämmen dem Boden den Schoten Artischockenkraut Gewürzblumen ihres Ackers. Immer wartete sie, ob er die Kräuter Obstbäume ansehe, ob er sich über ihre Hühner freue. Er freute sich, aber sein Lächeln zeigte, er freute sich über sie. Dicht bei ihren Feldern lag ein ruhiger See. Sie schwamm wonnig in dem lauen flachen Wasser, Servadak jauchzte neben ihr; sie ließ sich im Wasser von ihm küssen umschlingen, sah sein glutverzehrtes Gesicht. Sie lief in ihre Hütte, warf sich: „Oh was was was was soll ich tun! Was soll ich tun! Ist er nicht krank. Ich möchte ihm gut sein, er ist schrecklich. Er leidet. Er verschlingt mich. Was soll ich tun.“ Zur Diuwa, der milden glanzäugigen ließ sie sich führen. Die lachte: „Weißt du, Majelle. Ich will dir sagen: du wohnst weit von uns allen entfernt mit deinem Servadak. Würdest du näher wohnen und öfter zu uns kommen, wüßtest du schon: das kommt tausendfach vor. Es ist bei Männern und Frauen nicht sonderbar. Sie sind so froh alle, einer den andern zu haben. Nach so langem Entbehren. Und nun überfroh.“ „Ich bejammere ihn ja, Diuwa. Er arbeitet. Was er muß, arbeitet er. Aber nichts betrachtet er. Er ißt, ohne zu schmecken. Ich habe es gesehen, als er bei mir saß: es hat ihm nichts ausgemacht, ob ich ihm Gurke oder Senf oder gebackene Trüffeln gab. Er schluckt lacht und ist froh.“ „Weil du da bist.“ Majelle weinte: „Ja weil ich da bin. Aber ist er nicht wahnsinnig.“ „Du Kind. So sind viele.“ Majelle weinte: „Hilf mir doch, Diuwa. Er ist gut, Servadak. Er hat grausig in London gelitten. Er kannte nichts als Maschinen und das Spiel und Lungern. Er hat es mir erzählt. Und dann ist er zu uns gekommen. Wie schön konnte es bei uns werden. Und es wird nicht.“ Diuwa hielt die junge Majelle auf dem Schoß, sann: „Eins will ich dir sagen. Als du von London kamst: dies mußt du nicht glauben, daß du allen Schmerz zurückgelassen hast. Majelle. Der Schmerz das Unglück ist nicht nur in London. Das kommt überall mit, wo man den Fuß hinsetzt. Sogar hierher, wo alles weich wie ein Garten Eden ist, hier an der Garonne.“ „Ich fürchte mich vor dem Schmerz nicht.“ „Du könntest Servadak rasch töten, Majelle, wenn du mit ihm in der Hütte bist auf einer Wanderung. Willst du das. Ja. Das haben schon manch andere getan, Mädchen und Männer. Es ist keine Qual. Es ist kaum ein Schritt, du weißt es selbst, zwischen einer Wanderung mit dem Geliebten und dem Hinsterben. Es ist er nicht, dein Freund, dieser Servadak, das stirbt. Wenn er entrückt ist, an deinem Leib sich zurückbiegt, sich fallen läßt, sich verströmt, hat er nicht mehr die Seele Servadaks. Du ersparst ihm nur die Rückkehr. Laß ihn drüben. Jetzt bist du still.“ Lange war Majelle still, auf dem Schoß der Führerin, an ihre Brust verkrochen. Hauchte: „Das kann ich nicht.“ „Ich weiß schon. Weil du dann selbst mit ihm wanderst.“ Geduckt saß Majelle. „Gut, Kind. Wir wollen etwas anderes denken.“ Majelle an ihrer Brust atmete: „Er ist so zart. Mein Nachtfalter; kann ihm nichts tun.“ „Wir denken etwas anderes.“ Majelle umhalste die Frau: „Du bist mir böse, Diuwa.“ „Nicht spielen, lieber Schmetterling. Willst du mir deinen Nachtfalter überlassen?“ „Dir?“ „Vielleicht zähme ich ihn. Vielleicht ist er eine Schlange, eine richtige mit Giftzähnen, und ich muß ihm den Ring vom Fuß nehmen.“ „Soll ich’s tun? Tu ihm nichts. Du hilfst.“ „Servadak, Diuwa läßt dich bitten.“ „Ich gehe nie mehr zu den andern, Majelle, mein Licht. Nie mehr. Willst du mich wegschicken.“ „Sie will dich sehen.“ „Ach, ich darf jetzt zu dir kommen. So lange habe ich an meinem Lorbeerbaum gesessen. Nun bin ich bei dir. Ich weiß, du hast mich verklagt. Majelle, du bist zur Diuwa gegangen und hast um Hilfe gegen mich gebeten. Es tut mir nicht weh. Du hast mich ja vor mir selbst so oft angeklagt. Aber ich kann doch nicht von dir lassen. Ich muß dir ein Geständnis machen meine Hand, mein Hals, mein Kräuselhaar, mein Planet, meine Sonne, meine Erde, meine Nacht, mein Tag. Ich kann dir nur den zehnten Teil sagen von dem, was ich zu dir fühle. Ich wagte es ja auch nicht mehr. Aber ich kann es nicht rückhalten.“ „Drück mich nicht so, Servadak, süßer Servadak.“ „Jetzt schämst du dich, weil du bei der Diuwa meinetwegen warst.“ „Was willst du mir denn sagen, Servadak, süßer Servadak. Du fliegst ja so.“ „Gleich.“ „Warum machst du denn die Augen zu, Servadak, süßer Servadak.“ Er hielt sie auf der Bank fest umklammert, den Kopf neben ihrem Kopf: „Jetzt – mache ich die Augen nicht wieder auf. Nie wieder.“ „Ach tu’s doch. Mach sie doch auf.“ „Nie mehr.“ „Laß mich los, Servadak.“ „Nie mehr.“ „Was soll das.“ „Nichts. Die Gehilfen der Diuwa von den Schlangen werden mich holen. Einmal werden sie mich doch holen. Sie haben schon andere geholt. Ich habe es gehört.“ „So laß mich doch los.“ „Nein, Majelle, ich bin da. Da. Bei dir. Bei deinem blauen und grünen Foulard, komm, ich wickle ihn mir noch um den Hals. Jetzt ist dein Fleisch bei meinem. Sie müssen mich von dir abhacken. Ich habe dich. Hier meine Knie an deinem, mein Kopf an deinem.“ „Mich los, Servadak. Ich ersticke.“ „Ich ersticke dich nicht.“ „Ich falle.“ Und sie stürzten von der Bank, auf die weiche Graserde. „Majelle, süßes Leben, ich weiß alles, was kommt. Es mag recht sein, was kommt, aber ich will es nicht erdulden. Eia, eia, da bist du.“ Er schnaubte, wühlte an ihr. Sie schrie. „Jetzt wirst du schreien, mein Leben.“ „Was habe ich dir getan, Servadak. Ich war immer gut zu dir. Ich habe dir im Garten geholfen. Wie oft bin ich in der Hütte mit dir gewesen.“ „Wenn du da warst, war es gut. Wenn du nicht da warst, war es vorbei. Jetzt ist es gut. Ich habe mich vor Sehnsucht verbrannt. Ich fühle sie fast noch, wo ich dich umschlungen halte. Ich will sie nicht mehr ertragen. Ich kann nicht mehr. Sei gut und ergib dich drein, Majelle, verfluche mich nicht.“ „Ich sterbe, Servadak, in deinen Armen. Du darfst mich hier nicht umarmen. Zerreiß meine Kleider nicht.“ Er stöhnte litt, war im Entzücken begraben: „Der hier bei dir liegt, ist Servadak. Dem nichts geschehen wird. Du kannst ihn töten. Greif nach meinem Gartenmesser, bring mich um. Ich gehe nicht mehr von deinem Hals. Ich bleibe immer hier. Immer. Immer.“ „Hilfe. Wer hilft mir.“ Sie wimmerte nur noch. Dann zog sie mit einem hohen Seufzer die weißen Lippen von den Zähnen hoch. Lag schlaff ohnmächtig. Nach einer Weile erst merkte der brünstig Verwühlte ihr Verstummen. Er stemmte sich auf, schlug sich ihren leichten Körper über die Schulter, wanderte zu seinem Feld herüber, legte sie in seinem Holzhaus auf das Bett. Wie sie sich aufrichtete. Wie sie um sich blickte. Er lag am Boden, lächelte sie an. „Was ist. Wo liegst du?“ „Bei dir, Majelle.“ Sie sprang auf, ihre Blicke durch den Raum: „Das ist dein Haus.“ „Ja.“ „Du sollst zur Diuwa.“ „Ich sollte. Und statt dessen ist Majelle zu mir gekommen.“ „Nein; ich will gehen.“ „Du bleibst jetzt immer bei mir, Majelle. Immer bleibst du jetzt bei mir.“ „Ich gehe auf mein Feld.“ „Das kannst du. Das wirst du. Es ist auch mein Feld. Dieses Haus ist dein Haus und mein Haus. Hier wohnst du jetzt.“ „Nein.“ „Gewiß wohnst du jetzt hier, Majelle. Ich kann nichts anderes erlauben. Du kannst nicht verlangen, daß ich mich umbringe. Hier habe ich dich. Und behalte dich.“ „Du bist krank.“ „Es kann sein. Ich kann nicht ohne dich leben.“ „Und ich?“ „Du bist Majelle, mein Leben, ein Stück meines Körpers. Jetzt bist du hier und wirst immer bei mir sein. Wie ein Baum und sein Schatten gehören wir zusammen; man kann sie nicht auseinanderreißen.“ Er zitterte, seinen Arm hatte er um ihre Hüfte. Sie wußte nicht, wer er war. Ihr war zum Schreien vor Schmerz. Sie drehte sich zu ihm, legte die Hände auf seinen Kopf, zog sein Gesicht zu sich, küßte es, blickte es an, bettelte klagte schüttelte ihn: „Nun, Servadak! Du bist doch mein Freund. Servadak! Du bist doch mein süßer Stamm unter dem Kirschlorbeer. Komm hin, setz dich da. Ich werde mich neben dich setzen. Du siehst zu mir herüber. Du hörst meine Hühner gackern und rufst ihnen zu. Du wirfst nach den Spatzen mit Steinen, damit sie meine Schoten nicht aufpicken. Der Lindenbaum blüht neben meinem Häuschen. Servadak. Du! So wonnig ist alles.“ „Nur du bist wonnig.“ „Sag das nicht. Hör mich doch. Oh du ängstigst mich so. Du bist doch auch mein Glück.“ „Du bist mein einziges Glück.“ Da schrie sie auf in Entsetzen, so gell, daß er sie ließ und stehen blieb. Sie huschte an die Tür, drehte sich um zu ihm, der sich entgeistert am Bett hielt, lief noch einmal zu ihm. Er murmelte mit dem Blick eines Stiers, der den Todesschlag empfängt: „Nicht weggehen. Oh, Majelle. Nicht weggehen“, und hob keine Hand. Sie rang sich noch ab, wie sie ihn auf das Bett gelegt hatte, er ließ mit sich tun –: „Ich will in mein Haus. Ich komme bald wieder zu dir.“ Und dann ging sie leise, drückte still die Tür ins Schloß, stand horchend an der Tür, stürzte auf ihr Feld. Auf der Wiesenfläche vor ihrem Häuschen warf sie sich zwischen den aufflatternden Hühnern und Tauben hin, beschwor ihren Schmerz stille zu sein, weinte schluchzte sich die Brust müde. Und dann mußte sie ihr Kopftuch nehmen, ihr Gesicht war rot und dick: „Diuwa, ich bin zu dir gekommen. Ich selber. Servadak, mein Freund, wollte nicht. Ich weiß nicht, was werden soll. Heile ihn. Hilf uns. Mach mit uns, was du willst.“ „Du hast geweint. Was willst du?“ „Ich weiß nicht, was ich will.“ „Nun sitz ganz still. Nicht weinen. Nicht wieder weinen, Majelle, du Feder, du Seide. Bleibe, was du bist. Kennst du den Abenduntergang, Majelle, am Meer, nach der Gironde zu, wo drüben Bordeaux liegt. Da sind gewaltige Farben, schwimmt alles von Gold und Blut, braust und donnert durcheinander. Und das Meer kann nicht stille halten; die ganze Wasserfläche zittert und die Luft; das Glühen, Purpur. Und dann wird es stiller. Dann siehst du von deinem Hügel mit einmal Bäume. Sind Bäume aufgetaucht aus dem Boden; die verborgenen schwarzen Äste gegen den hellen Himmel. Waren vorhin auch da, aber du hast sie nicht gesehen. Und während du hinschaust, wie sie verschnörkelt sind, die dicken Stämme umfaßt, alles schwarz –, bleicht der Himmel. So weißlich leer wird er. Aber auch das scheint nur so, im ersten Augenblick; er ist nicht weiß. Die bläulichen zarten Farben sind schon da, Striche und Dünste wie gehaucht –, ein rötliches Violett, es ist schon ganz ins Weiße aufgelöst, ich sehe es Abend um Abend, wie es vom Meer über uns hingeht. Da stehst du zuletzt und jetzt sind die Bäume ganz da: Die Felder und Hügel liegen vor dir. Dunkel, ins Dunkle eingerundet, und immer tiefer mit uns selbst ins Dunkle einsinkend. Majelle, so kommt man immer zu mir: mit diesem purpurnen und goldenen Glanz. Es gibt keine Felder, keine Bäume, keine Trüffeln Artischocken Erbsen. Man weiß nichts von Hühnern. Nur Purpur Donnern Untergang Tod. Was machen deine Gräser und Schoten, Majelle? Ich bin Diuwa. Wir sind an der Garonne, von London und den britischen Inseln vertrieben.“ „Ich will dir sagen, Diuwa, ich bin so gekränkt, daß ich mich vor mir schäme. Ich bin durch Servadak so beleidigt und entwürdigt. Ich fühl’ es nur, ich weiß fast nicht wodurch. O ich muß mich bezwingen.“ „Es gibt Hühner auf dem Feld. Was machen sie? Sollen sie weglaufen und sterben. Du hattest Artischocken gepflanzt.“ „Und meine Bäume sind gut, und die Tiere sind gut, und der Tag ist gut. Und alles wäre gut und Servadak. Nein“, sie winselte plötzlich, drückte sich an die Frau, die die Augen weit öffnete – „er war gut. Tu ihn weg von mir. Es muß geschehen. Ich kann dir nicht sagen warum. Führ ihn weg. Ich will nicht hassen. Ich verliere mich, euch alle.“ „Aber ich will es tun, Majelle. Ist das nun das Purpur oder das Violett und die Bäume.“ „Wegtun, Diuwa. Meinen süßen Freund, nimm ihn. Ich kann mich nicht halten. Tu es für mich.“ Die Drosseln, die sie beide oft gehört hatten, sangen. Die Tauben flatterten von ihren Plätzen auf. Die Boten der Schlangen traten in Servadaks Haus, der sie schon erwartete. „Nehmt mir den Ring nicht ab“ ächzte er, als sie an seinem Fuß nach dem Schlangenabzeichen griffen. Sie führten ihn nach Westen in eine andere Siedlung. Wie ein Brand, den man in einen stürmischen Schornstein tut, verbrauste er. Der würzige dunkelrote Medokwein lief durch ihn. Servadak sprang, sein Leib wurde gedehnt. Majelle war fern, blieb fern. Gewaltiges Blutrot über Bordeaux, zitternde, in Flammen verbrennende verprasselnde Wasserfläche. Vergilbender Himmel, hinbleichende Luft, große wie ein Riesenschiff aus dem Meer anwogende Nacht. Rebgelände Bäche Menschensingen. Und durch Servadak lief der Wein. Die Sterne glommen. Da waren Kastanien, dunstende Rosenbüsche, Magnolien. Das gab es. Das alles gab es. Servadak bog sich in seiner Hütte auf dem Stroh. Wann würde er die Überfahrt von London beenden. In ihm weinte es: Ganz hinten an der Garonne gab es – wen? Light – for – me. Majelle. Sie ging über ihren Acker, um den Kirschlorbeer, Kräuselhaar, offene braune Augen. Nicht daran denken. Wegtun Majelle. * * * * * Um Toulouse, im heiteren Gebiet der milchweißen Magnolien, der Jukkastauden mit den gelben hängenden Glocken, bewegte sich Venaska, eine schlanke Frau von braungelblicher Hautfarbe und schwarzem dichten Haar. Sie war in dieses Gebiet der Schlangen von Süden gekommen. Der Schnitt ihrer Augen, die Modellierung ihres Gesichts war mehr malayisch als europäisch. Manche nannten sie Mondgöttin. Sie nahm in der milden Fruchtflur der jungen Garonne bald einen ähnlichen Platz ein wie Diuwa im Norden. Mit ihren ruhigen sicheren langsamen Bewegungen, die ein kühlwarmer Leib ausführte, – zierliches Knochengerüst, flaumzarte Haut – drang sie unauffällig in alle Kreise der Schlangensiedler. Ein leicht mokantes Lächeln um die vollen Lippen. Das Gesicht von einem stillen Ernst bedeckt, der ganz seelenhaft war, so seelenhaft, daß die ihr begegneten betroffen waren, zugleich beschämt und erfreut, und sich leicht von ihr führen ließen. Mit einer kleinen Zahl Frauen und Männer, die ihr anhingen, wohnte sie eine Zeitlang am breiten Canal du Midi, am Flüßchen Saune. Man kannte sie nicht, wenn man sie in der sommerlichen gelben Siedlertracht herumgehen sah, die sie anlegte, obwohl sie nichts tat. Man arbeitete ja für sie, brachte ihr von den Fischereiplätzen Hummer, kleine schmackhafte Sardinen, fetten Lachs. Man stritt sich, wer ihr von seinem Feld die süßlich feine Gurke, die Aubergine bringen sollte. Wer den Wein brachte, trank ihn mit ihr. In gelben losen Siedlerhosen ging sie herum, mit der weiten Bluse, an der Brust grüne und schwarze Bänder, ging umschlungen mit Männern und Frauen, sah hier auf zu der fetten Weideflur bei den Hirten, ging lächelnd und träumend unter dem Geplauder ihrer Begleitung die gewundenen Hügelwege, spielte mit den langen Korallohrringen, winkte mit ihrer gelben Hand einer Bäuerin im bunten Kopftuch. Warf ihnen schon weitergehend über die Schulter einen Blick aus ihren dunklen aufstrahlenden Augen zu: das Herz stand ihnen still. Wer vor ihr stand, wen sie ansprach, besonders Frauen, war erregt gebannt. Alle hatten das Verlangen, nach der kühlen festen immer leicht zuckenden Hand. Und war Venaska vorbei, so kam ihnen vor, im Hals, in der Brust, als wäre ihnen etwas geschehen. Sie liefen rasch, es war ihnen zum Ersticken in ihren Kleidern, ihre Augen glänzten. Sie mußten sprechen schwatzen; ihre Herzen klopften rasch, sie kamen nicht zur Beruhigung. Einmal hatte im Norden, zwischen den Kieferwaldungen und Seen der Mark die herrische Marion Divoise gelebt, die Balladeuse, die Mädchen und Männer an sich lockte, ohne daß sie wußte, wie das kam, und die ängstlich sah, wie man auf sie zudrängte, und erregt einsam blieb. Die braungelbe Venaska gab nichts von sich, was sie nicht fühlte. Oft wenn sie mit einer fremden Frau stand, mit ihr Blick in Blick über einem Zaun, einem Busch, die Hand hinüberstreckend, wurde sie blaß, biß sich die Lippen, wandte sich verwirrt ab. So schwächte sie, was sie von sich gab. Von Island fuhren durch das arktische Meer zwischen den Schiffen des Expeditionskorps die großen Frachter, die Hallen mit den ausgespannten leicht surrenden glimmenden Turmalinnetzen. Fische Vögel zogen um die schwimmenden Frachter, Tang Algen wuchsen aus dem Meeresboden; nachts leuchteten die Schiffe, stießen sich von der Meeresoberfläche ab. So wandten sich die Menschen auf den Hügeln und an den Ufern des Canal du Midi und der Saune von ihrem Boden, von der Egge der schlanken aufrechten Gestalt zu, die wie ihresgleichen war, und deren Blick Stimme ihnen mit schmerzhafter Schärfe ins Herz zuckte. Man hatte ihr, die aus der Marseiller Gegend heraufkam und erzählte, sie wollte nicht mit den Stadtschaften in die Erde gehen, ein flaches Siedlerhaus aus Buchenholz gezimmert unter einer alten Mauer. Feigenbäume mit lockeren dunklen Kronen hielten sich an dem alten Gestein, schüttelten jenseits die bräunlichen Zweige herüber. Dunkelgrün waren ihre Blätter, rauh mit Borsten, an der Unterseite hell weichhaarig. Die birnförmige violette Frucht hielt Venaska oft zwischen den Händen, rollte sie, hob sie zum Kinn. „Das ist ein Gott, wißt Ihr, eine Göttin. Ist so glatt außen, wird noch dunkler, braun schwarz. Und inwendig ist grünes Fleisch, rotes Fleisch, das schmeckt wohl. Die Nüsse hält sie damit, die Früchte. Das ist die Feige, meine Göttin.“ Sie nestelte sich in das schwarze Haar Zweige mit der jungen Frucht, beschenkte die anderen mit den kostbaren von ihr bestrichenen behauchten Blättern. So ging sie an der sanft fließenden Saune, schlank und biegsam auf hohen Beinen mit leicht vorgewölbtem Leib. Wem sie im Vorüberziehen den Arm um die Schulter legte, ernst und sonderbar fremd, der fühlte, verzaubert in ihr glattes Gesicht blickend: er hatte noch nie gewußt, was ein Weib ist. Fast, was ein Mensch ist. Sie war ohne Scham. Als wenn sie sich bedrückt fühlte, warf sie am Tag oft ihre leichte Jacke ab, bewegte sich, ging mit nacktem wiegenden Oberkörper, bräunliches ebenmäßiges Gebäude, umhauchte Brusthügel, tiefdunkel flach. Und dann, in Menschennähe, waren ihre Arme nur Ranken, die etwas suchten, worum sie sich winden sollten. Ihre Brust atmete leise, gleichmäßig und immer glückvoll. Andere menschliche Ranken, Arme von Männern und Mädchen, schlangen sich mit ihren zusammen. Venaska, Blick in Blick mit dem andern ruhend, gurrte, sprach lieblich, kehlte. Sie wußte nicht, wie streng sie wirkte. Das andere, das an ihrem Körper hing, schauerte in Entzücken, öffnete hingegeben, schon nicht mehr drängend, die Lippen. Hatte in rasch verschwindenden Sekunden einen Hang, sich zu lösen, abzuziehen. Venaskas Augen fingen an, sich zu weiten, tiefschwarz mütterlich leidend zu gluten. Ein Erliegendes hatte sie an ihrer Brust. Dem streichelte sie die Schultern, die Ohren, den Hinterkopf, strich über seinen Nasenrücken; ihre Augen blitzten auf. Es kam ein Augenblick, wo das andere schlief in ihren Armen, ihre Berührung erduldete. Was war das für ein Wesen, das seinen hingleitenden Körper umrang, ihn befühlte, Armfläche gleitend über Rumpf und Schenkel, mit jedem Teil seines Leibs verlangte in dem andern zu wurzeln. Als wäre Venaska eine Blase und spritzte aus Stichen und Rissen. Dies Andrängen Zubodenrollen Herumgleiten Herabgleiten Heraufgleiten Sichannageln Abreißen Abwerfen. Das herrische zornige Schreien Keifen wie mit einem Wesen, das nicht anwesend ist, das Sprudeln Stöhnen Keifen Flehen Drohen Wüten. Und wieder Abzittern Lächeln sanftes Flüstern Betteln schmeichelndes Umschlingen. Ruckweises Erstarren, wie wenn die Kraft sich in ihr anstaute. Der Leib versteifte sich bis zu den gestreckten Zehenspitzen, den gebogenen Fingern, den nach rückwärts gedrehten Armen, als vermöchte er sich nicht zu entladen. Und dann ächzendes erschütterndes blindes Hinbrechen, Wolken Blitze Gewitter lodernd. Das Wesen aber an dem Körper der braunen flutenden Venaska wurde bewegt, gehoben wie ein Schiff auf dem Meer. Sein Leben aufgewühlt. Sein Körper rang sich zu behaupten. Der Unterschied von Tod und Leben verschwand. Das schluckte ertrinkend stürmisch die Süße. Zuckte an der tosenden Venaska. Ihre Leiber brausten aneinander. Und während noch der andere Körper rauchend lag, hob sich Venaska mähnenschüttelnd von ihm ab, stand an einem Pfosten, atmete, tiefer, tiefer. Als wäre die Luft ein Getränk, nahm sie sie zu sich, schlenderte auf den Hof, senkte die Hände in das dunkle Feigengebüsch, ließ die Blätter und Äste um sich schlagen. Kam als die fließende weiche Venaska hervor, die die schlanken Schenkel im Gehen bewegte, den glatthäutigen wiegenden braunen Leib trug, spöttisch lächelnd. Musik sogar ihr tonloser Ruf, Schrecken Sehnsucht um sie. Sie legte ihr karmoisinfarbenes Hemd über, das goldgestickt war, saß im Gras, der bunt behängte schlafende Vulkan. Toulouse war in die Erde gestiegen. Die zerfallenden Straßentrümmer Anlagen Forste überzogen die Siedler. In Toulouse setzte sich Venaska nieder. Die Steine Schienen der versunkenen unterirdisch tosenden Riesenstadt ließ sie von den Scharen, die sie mit sich zog, beseitigen. In dieser Ebene wollte sie sitzen, die dunklen Berge der Pyrenäen sehen, die weißgefurchten Kämme am Horizont, bei der uralten prunkenden Serninkirche, die die Stadtschaft nicht angerührt hatte. Die Schlangen bei ihr wußten nicht, was sie zu der Stadtruine zog. Venaska mochte gern zwischen den stummen zersprengten Mauern, in den toten langen Straßen gehen, ihre Schritte furchtsam behorchen. Neugierig umschlich sie Schuttmassen der Fabriken, versteckte sich, wenn Frachtflieger der Stadtschaft in der Luft waren. Entzückt, selig sich anschmiegend stand sie an dem kalten Gestein der Serninkathedrale; sie liebte das gewaltig aus dem Boden strebende Gebäude. Oft sagte sie: dies Gebäude, seinetwegen säße sie hier, das so herrlich sei, und sie wache, daß ihm nichts geschehe. In den Reichen der Diuwa und Venaska dehnten sich Schlangen und fremde Siedler aus. An der Garonne und der breiten Rhone gediehen sie. Neben den flachen Fabrikhallen Ruinen, standen die römischen Triumphbogen mit Inschriften über aufrührerischen Hallen. Zwei- dreitausendjährige römische Amphitheater bauten ihre Ränge und Treppen an Hügeln auf. Beim grauen Avignon stürzte der Domfelsen gegen die blaue Rhone ab; die düsteren neununddreißig Türme der Papstburg oben waren zerbröckelt, von Pinien Eichen Blütenbüschen überwachsen. Siedler, kranke genesende, aus den brüllenden krampfenden europäischen Stadtschaften legten ihre Leiber an das unerschöpfte Land zum Sterben oder Auflodern. Venaska zog im karmoisinfarbenen goldbestickten Hemd durch das üppige Tal der Garonne bis in die Gegenden, die die starke Melise beherrscht hatte. Sie weckte die Landschaft auf. Ein Schmelzen um Venaska. War sie vorbei, so knirschten die Menschen vor Verlangen. Etwas Blindes Schreiendes wurde in manchen Widerstrebenden erregt; das riß sie fort. Raubsüchtig gingen Männer und auch Frauen umher. Von der Geheimlehre der Schlangen, von der Wanderung und ihrer Heiligkeit, wollten sie nichts wissen. Das Niederstürzen von Mann und Weib war ihnen eine Lust. In der Gegend des alten Bistums Perigueux sperrte ein Mann, der sich Siwri nannte, sechs Frauen wider ihren Willen in sein Gehöft mit Hilfe seiner Mutter ein. Er war eben genesen, stark, nicht jung; man sagte, seine Mutter hätte ihn angespornt. Die Frauen ließ er für sich arbeiten. Andere Frauen quälte er zu seiner Freude. Er zeigte auf Schritt und Tritt, daß er Frauen für nichts achtete. Die Schlangen waren machtlos gegen ihn, da er sich ihnen entzog. Gestalten, nicht Mann und nicht Weib, zeigten sich in der Garonnelandschaft aus mehreren der hier vagierenden Rassen. Das war die höchste Bezauberung, die viele erfuhren. Weiße, auch gelbbraune Menschen mit weicher Rundung der Schultern. Graziös bewegten sie sich auf den Wegen unter dem Blütenregen der Akazien, schlenderten über die Wiesen, stiegen in die Forste. Die Städte hatten vielen Mißwuchs begünstigt; man hatte unter den Krankheiten und dem schweren Zugrundegehen wenig auf Einzelnes geachtet. Jetzt warf die Landschaft üppig diese Wesen hin, die als Mädchen gingen, wie sie aufgewachsen waren, die fülligen Becken leicht wiegend, manche scheu und ihr Geheimnis nicht offenbarend, manche in verwegener Mischung der Tracht: die Kappe und Feder eines Mannes auf dem Haar, dabei Brüste, die in Wölbung und Umriß unter der straffen Bluse hervortraten. Sie schwärmten auf Mädchen aus, die sie erst nicht erkannten, sich launig von ihnen halsen ließen. Und im zarten Andrängen ließen sie die Sonderbarkeit ihres Geschlechts fühlen, fühlten bebend und heiß die Erschütterung und Bannung des Mädchens, der Frau mit, die nicht wußte, was sie genoß, die eine Freundin und einen Geliebten umschlang. So starke Würze hatten sie noch in keiner Umarmung empfunden. Und junge Männer wurden heftig zu Mischwesen getrieben, die sie für schnippische Frauen hielten. Ein fremdartiger Reiz lockte. Sie fielen vor diesen Mädchen hin, waren erschreckt, im Geheimsten aufgerührt, fassungslos, wie das Rätsel, der weibliche Jüngling, sich in ihren Armen bewegte, drängend und saugend. Viele erschienen auf dem grünen Boden und erregten die Mädchen und Jünglinge. Welche Schrecken Verwirrungen Tränen erregte das rothaarige Wesen Tika On, das purpurn und rosa gekleidet von der Auvergne herunter kam, nichts arbeitete, sang und das die Venaska selbst erschütterte. Ein wildes Geschöpf war Tika On, mit heller Knabenstimme sang sie, lachte. Über ihr Geschlecht war sie selbst nicht klar. Sie küßte hitzig Männer und Frauen. Es genügte ihr, die Menschen zu umschlingen, um sie in Ekstase zu bringen. Meist riß sie sich gehässig von dem los, der von ihr mehr verlangte. Und wer gewaltsam nach ihrem Leib griff, ließ sie selbst los, so schrecklich schrie weinte sie, lief in stundenlanger Verstörung weiter. Als wenn das Geschlecht an ihr eine furchtbare Wunde wäre. An Venaska hängte sie sich, die immer milde und süß war. Schließlich mußte die Frau in Toulouse sie von sich abreißen. Zum erstenmal sah man an der braunen zarten spöttischen Frau ein Grauen. Ihre Beängstigung war so tief, daß sie andere zu Hilfe rufen mußte, die bei ihr wachten, das rote Wesen, die Tika On, von ihr fernhielten. Die keifte bei der Holzhütte an der Serinkathedrale, wo Venaska in diesen Wochen wohnte. Die Venaska weinte: „Sie fühlt, wer sie ist. Sie ist eben im Begriff es zu fühlen. Ihr müßt mir nicht böse sein, ich kann ihr nicht helfen. Sie ist in der Geburt; ich kann ihr nicht helfen.“ Tika On umschwärmte noch monatelang die Venaska, verscholl im Norden. Der König Karl von Valois, vor einem Jahrtausend in einer nördlichen Landschaft begraben, riß sich lechzend aus den Wäldern los, tauchte in das Gestrudel. Jauchzte tobte wie einstmals. Die Forsten, in denen er einmal gejagt hatte, waren wild zugewachsen. In die Schneeberge der Auvergne, am Plomb de Cantal, brach er zur Wildschweinhetze ein, strudelrasselte am Talboden der Allier, suchte Händel. Seine Adlernase glühte von Wein. Eseln schlug er die Köpfe ab. Heiße Wesen wurden auf die Landschaft geworfen, von dem Menschengewimmel hochgerissen. Die Bodengeister, seit Jahrhunderten in die Hölzer und Steine getrieben, wogten wie ein Bienenschwarm über einem Kleefeld auf, drangen, schlangen sich, quollen in das warme treibende Menschenblut, flossen in helle und schwarze glänzende glatte Haare ein, ließen es sich in springenden Männerknien, vollen Weibesbusen wohl sein. Nicht ein einzelner Mensch genügte dem wüsten la Mole, der unter Steinen bleich und dünn geworden war, nachdem ihm, wie er noch die ersten Knochen hatte, jede Messe eine neue Geliebte geschenkt hatte –, bis ihm sein König den Kopf abschlug. Die Jahrhunderte hatte er gelauert, schon war er fast abgestorben. Da schwoll dieser Wolkenbruch über den verdorrten Boden. Frenetisch schoß er auf die Leiber, die er besetzte. In sechs Menschen lief la Mole, dem ein rasch erloschener Mann einmal den Kopf abgeschlagen hatte. Sechs Leiber regierte er. Ein Cyklop war er, die Leiber wechselte er. Er hauchte in ihnen, trieb sie wie einen Wagen, ließ sie wie schlechte Maschinenteile fallen. Blaise de Montluk, blitzjung, der Gaskogner, stieg ohne Hut aus dem Wasser der Garonne, in der er vor einem Jahrhundert ertrunken war. Das Wasser hatte ihn nicht verspülen können. Er zuckte über die kieferbestandenen Ufer, stolzierte als kecke Dirne mit knappem Busen über die gelben Äcker und zwischen den Weinbergen, suchte in die flüchtige Tika On zu fahren. Dann stürzte er eines Mittags im prallen Sonnenschein einem schwarzen Hengst in den Hals und jagte mit ihm. Es dünstete und schauerte über das vertrocknete Land. Venaska zog von Flur zu Flur, die Diuwa sänftigte an der Garonne. * * * * * In den Cevennen, an dem kräuterreichen grünen Rasenkegel des Puy-de-Dôme erschienen die ersten Islandfahrer, in das aquitanische Tiefland sickerten sie. Kleine Gruppen lederbekleideter ernster noch matt blickender sehnsüchtiger Menschen. Langsamer wanderten sie und trieben ihre Pferde, wie sie unter dem blauen und blaueren Himmel den Fruchtboden der alten verwitterten Lavaschichten betraten, meilenweite Gärten sich auftaten, Rosenbüsche Gelb und Purpur warfen. Blühende Touraine. Waldbedeckte Flußufer. Frischgerodete Erdfläche. Die Islandfahrer, die Männer und Frauen, die auf den Ölwolken gestanden hatten, schnupperten, blickten um sich, schüttelten sich unter dieser Luft. Welches fremde Wühlen. Mißtrauisch trieben sie durch die schimmernde Landschaft. Kylin, die grüne Loire hinter sich lassend, stand auf dem Felsen Amboise, durchirrte die Höhlen Klüfte Gänge des Gesteins. Gefangene nach Gefangenen waren hier versickert; sie tosten um ihn, trieben ihn hinaus. Aufsässigen hatte man auf den strahlenden Plätzen die Köpfe abgerissen, blauäugige Blondinen hatten dazu gelacht. Idatto seufzte neben Kylin: „Dort hinten ist Süden. Ich möchte hier fort. Und dort wage ich mich nicht hinein.“ „Idatto, fürchte dich nicht vor dem Nebel. Da war Brand und Nebel im Norden, durch den wir mußten. Da ist einer im Süden.“ „Ich sehe es. Aber es reißt an mir. Ich will keine Versuchung.“ „Wir müssen hinein, enthalte dich nicht. Wir sind durch Island gekommen. Fürchte dich nicht. Da war ein Nebel, und hier ist ein Nebel.“ Langsam zogen sie durch die Landschaft. Sie waren zu Marduk nicht durchgedrungen. An der Loire erzählte man sich von White Baker. Sie hatte noch die Kraft gehabt, die britischen Siedler nach dem Festland hinüberzuführen, sank dann in sich zurück. Wie ein Baum, der lange üppig geblüht hat und dann alternd Borke um Borke ansetzt, sich selbst vermauert, ein Visier über sein Gesicht schiebt, seine Wurzel verhölzert versteinert, so grub sich White Baker ein, an der warmen Gironde, nahe der Diuwa. Wie ein Käfer fiel sie in das Moos und ließ die weichen Lagen über sich zusammenrollen. White Baker bewegte sich an dem Fluß wie die andern, griff auf den Äckern, in den Gärten zu. Hatte aber einen leeren großen Ausdruck, der wie Ernst schien. Rot runzellos ihr Gesicht. In der Kammer bei der Diuwa saß sie stundenlang, blickte durch die offne Tür, ließ den Wind um sich wehen. Die braune Siedlertracht trug sie; ihre schwere fette Hand ruhte auf dem Tischchen, auf dem zusammengeknäult Kräuter Halme lagen, darunter ein zerrissenes weißes Seidenkleid, gebündelt mit einer Lederschnur. Der knöcherne Krähenschnabel Ratschenilas hing daran. An der Wand bauschig völlig unversehrt das brokatene Senatorenkleid. Von der Diuwa geschützt war sie. Hatte sich zum Sitz von berauschenden Geistern gemacht, die nur sie verstand. Nahe dem ehemaligen Montauban schwirrte die rote Tika On in Kylins Gruppe. „Welchen Vogel hat man uns geschickt“ staunte der harte Kylin, ließ sie gewähren. In seiner Gruppe war schon eine Unruhe, ein süß leidendes Bedrängtsein. Kylin sah, wie man sich wehrte. Tika On, die rothaarige, hatte einen Stachel in sich. Sie mußte sich an menschliche Glieder hängen, sich versuchen. Als Kylin sie die Frauen seiner Gruppe umschlingen sah, Idatto vor ihr hinfiel, zog er sich einen halben Tag zurück. Dann tat er, als hätte er Verlangen nach ihr. Schnurrend, mit dem Kreischen der Erregung folgte die Wilde in ein Buschwerk. Dort erdrosselte er sie. In dem Gesträuch zwischen gelbem Ginster und Brennesseln fanden ihn abends Männer, die ihn suchten, bei dem kleinen verkrampften roten Körper. Sie wollten den Körper anfassen, wegheben, um ihn zu begraben. Kylin drohte: „Nicht anrühren. Ruft die anderen. Wo sind die Frauen.“ Er wartete, bis Frauen und Idatto kamen. „Wer ist das? Seht! Tika On, die rothaarige. Ein Weib oder ein Mann. Seht sie noch einen Augenblick an. So! Seid ihr ertappt? Ins Gebüsch mit ihr!“ Er selbst rollte den Leib tiefer ins Gebüsch, kam hervor, blaß: „Ich hab’ sie erwürgt. Weißt du, Idatto, warum ich sie erwürgt habe.“ Idatto in Tränen, bitter mit zuckendem Mund: „Sie war keine Verbrecherin.“ „Das ist’s. Ich wußte es. Der Nebel. Er packt dich. Aber wir sind gegen ihn nicht wehrlos. Ich nenne ihn bei Namen, ich sehe ihn, dann ist er weg.“ Idatto biß sich die Lippe, weinte laut, hatte das Gesicht hinter seinen Fäusten. Eine kleine Schwarzhaarige brach in plötzliches Schluchzen aus. Streng beobachtete sie Kylin. Er brüllte rot anschwellend: „Habt ihr gesehen, was hier gelegen hat? Ihr habt es noch nicht genug gesehen. Bringt sie wieder her. Ja. Her!“ Er riß das Buschwerk zurück von dem kleinen liegenden Körper: „Da ist sie. Ich habe sie erdrosselt. Hab’ es getan. Was habt ihr darauf zu sagen, Idatto? Und du?“ „Bedeck sie doch, Kylin.“ „Ich hab’ den halben Tag hier gelegen bei der Leiche; ihr habt sie noch lange nicht genug gesehen.“ Ein bärtiger bronzefarbener Mann trat auf Kylin, nahm ihm die Zweige des Busches aus der Hand: „Es ist nicht leicht für Idatto und für andere. Wir wollen nicht mit ihnen rechten. Und wer weiß, wie unsere Wege gehen. Laß ihnen Zeit.“ Da stand Kylin still, kreuzte die Arme auf der Brust: „Das Land fordert Opfer; es kann nicht genug Menschen schlucken. Es ist gut, ein Brandmal am Arm zu haben; es ist gut auch daran zu denken.“ Vor ihm schluchzte trotzig Idatto an der Schulter des bärtigen Mannes: „Sage du, war Tika On eine Verbrecherin? War sie nicht lebendig, ein Lebendes, vor dem ich hinfallen darf?“ Kylin murmelte etwas, Flimmern in den Augen. Er ging rasch fort. Vor Beginn der Nacht wollte man den Leichnam verbrennen; Kylin schrie: „Die Flamme? Keine Flamme! In die Erde. Ich sage: in die Erde.“ Eine Spannung und Entfremdung trat zwischen Kylin und seiner Gruppe ein und wuchs, je mehr sie südlich stießen. Sie wollten sich in der fruchtbaren Landschaft hier und da niederlassen, aber Kylin schob sie kalt und ohne Erklärung weiter. Viele dieser gehärteten Menschen schmolzen, wie sie sich über dem Land verbreiteten. Rechts und links blieben sie in den Siedlungen. Sie pflügten sangen lachten mit den Starken Wonnigen an der Garonne, im Languedoc, an den Rhoneufern. Sie kamen sich erlöst vor. Die Urtiere verloren erst jetzt ihr Grauen, Island ließ sie los. Wie ein Zeichen hatte Kylin an der Schwelle des Landes den Mord an der Tika On aufgepflanzt; es wirkte nicht. Nur eine Anzahl mit Kylin war sicher. Man sah, daß er rang wie die anderen und litt und nicht sprechen konnte, daß er in einem zornigen Gefühl tiefer und tiefer in das Land hinein verlangte. Ein graublonder langer Backen- und Kinnbart war ihm gewachsen; leicht gebückt ging er. Selten wagte ihn einer anzusprechen. Und eines Tages hieß es bei Toulouse, daß Venaska in der Nähe sei. Die gelbbraune Frau im karmoisinfarbenen Hemd, goldgestickten Hosen, gab ihm auf dem Erdbeerfeld die Hand. „Venaska, du bist es. Ich irre herum. Ich wollte dich lange sprechen.“ „Und nun hast du mich getroffen.“ „Weißt du, wer ich bin?“ „Nein, ich werde dir einen Namen geben.“ „Laß. Ich bin Kylin. Mit mir sind andere Männer und Frauen aus Grönland.“ „Grönland ist weit. Nun freue ich mich, daß ich dich sehe.“ Sie strich seine Schulter; er erschrak über ihre Sanftheit: „Venaska, ich wollte dir erzählen, was nicht mit Grönland zusammenhängt. Wir sind bei Montauban einer rothaarigen Frau, einem fremdartigen Wesen begegnet, Tika On. Die habe ich erschlagen.“ Sie hielt noch ihre Hand an seiner Schulter, zog sie zurück. Sie beugte den Kopf: „Oh.“ Auf den schwarzen Boden sah sie; still mit schlaffen Armen stand sie, rief matt einen Namen. Zwei Frauen erhoben sich aus dem Feld, liefen neben sie. Klagend schwach Venaska: „Dieser Mann heißt Kylin. Er hat Tika On erschlagen. Bei Montauban ist er ihr begegnet.“ Drohend verwirrt die Frauen. Venaskas Kopf hing auf der Brust. Kylin: „Ich habe nichts mit diesen zu sprechen. Ich will dich allein sehen, Venaska.“ Sie bewegte den Kopf nicht: „Das kann ich nicht. Du wirst mich umbringen.“ „Ich bin kein Mörder.“ „Du bist es. Ich fühle es.“ Sie nahm den Arm einer Frau: „Komm mit in den Hof. Wir wollen uns setzen.“ In ihrem Haus ließ sie die Türen und Fenster offen. Sie setzte sich in einen Winkel. Eine Zeitlang sprachen sie nicht. „Was willst du von mir, Kylin? Du heißt Kylin. Du bist Hojet Sala. Der steile Absturz.“ „Ich muß dich erfahren.“ „Was ist das.“ „Wir sind nach Grönland gefahren, weil man uns schickte, Venaska. Die Stadtschaften, die jetzt zugrundegehen, hatten uns geschickt. Wir waren in Island, einer Vulkaninsel, und über Grönland. Ich selbst habe geholfen den Plan der Senate auszuführen. Das ist das Erste. Das Zweite: es hat uns etwas Furchtbares überschüttet, uns gerüttelt mich und die anderen, die noch leben blieben. Das war das Zweite. Dann haben wir, habe ich zugebissen. Das habe ich, Venaska. Ich wollte das, was mich zuschüttete. Ich habe mich ihm unterzogen. Genauer kann ich es nicht sagen. Und weil ich das getan habe, habe ich Tika On beseitigt. Da blieb nichts weiter übrig. Ich habe sie nicht aufgesucht, sie ist gekommen.“ „Hojet Sala, ich höre nur den Ton deiner Worte. Was willst du von mir.“ Kalt blickte der langbärtige Mann auf sie: „Du bist nicht gekommen. Dich habe ich aufgesucht. Komm näher, daß ich dich fühle.“ „Weißt du, was du sagst.“ „Ja.“ In ihm dachte es: „Dies ist der Nebel. Ich bete an. Wenn ich erliegen soll, so soll es sein. Dann tauge ich nichts. Es kommt nicht auf einen an.“ Sie stand in dem Winkel auf: „Dreh mir den Rücken zu. Sieh mich nicht an.“ Er wartete, immer dachte er: „Es kommt auf mich nicht an.“ Aber nur Sekunden. Plötzlich erweichte er: es ist die Entscheidung; ich wage die Probe; entweder steh ich unter Schutz oder nicht. Er drehte ihr den Rücken zu. Venaska hatte sich nicht aus dem Winkel entfernt. Ihre sanfte Stimme: „Wohl tust du mir, daß ich dich sehen kann. Ich habe dir Unrecht getan. Ich komme schon zu dir.“ Glitt von rückwärts zu ihm, zog ihn ans Fenster, lächelte das Mädchen an, das in die Türe trat: „Bleib nur draußen.“ Sie drückte, in der Mitte des kleinen Raumes stehend, ihr Gesicht an seine stumpfe zerschrammte Lederjacke, umfaßte seinen Kopf mit den Händen. „Ich habe dich vorher tönen hören, Hojet Sala. Jetzt mach ich mich auf die Reise nach Grönland. Da. Mir begegnet nichts. Der steile Absturz schadet mir nicht. Hör draußen! Unsere Vögel. Vögel! Nichts schadet!“ Sie löste sich lächelnd, nahm summend seine Hände: „Angst habe ich doch vor dir, Hojet Sala. Aber du tust mir nichts. In dir keimt etwas für mich. Laß es nicht verkommen.“ „Warum gehst du?“ „Milch bringen lassen.“ Sie trank von ihrem Glas, gab es ihm: „Tu mir die Freude. Damit ich die Angst verliere.“ „Hätte ich etwa“ dachte es in ihm, „die Tika On nicht töten sollen. Ich hätte sie auch so erlegt.“ Er trank aus ihrem Glas. „Und jetzt willst du gehen, Hojet Sala?“ „Ich dachte zwei Tage bei dir zu bleiben. Ich war auf Schlimmes gefaßt, Venaska.“ „Und jetzt?“ „Jetzt gehe ich zurück.“ „Und kommst nicht wieder?“ Er lächelte: „Du hast noch Furcht vor mir, Venaska. Deine Milch war gut, ich trank auch aus deinem Glas. Ich will meinen Freunden sagen –“ „Was?“ „Ich weiß noch nicht. Daß du mich steiler Absturz, Hojet Sala, genannt hast. Und –“ Da legte er sich in seinem Stuhl zurück, faßte seinen Dolch, schloß die Augen. Sie betrachtete ihn lange. Er öffnete die Augen: „Gut war es bei dir. Ich habe keine zwei Tage gebraucht. Ich kam her, ich gestehe es dir, Venaska, mit dir keine Gnade zu haben. Tika On, es lohnt nicht über sie zu sprechen, mußte hin. Ich hatte vor dir Furcht, daß du zunicht machst, was uns in Grönland – geworden ist.“ „Und jetzt? Und wieder jetzt? Erkenne ich dich nicht, Hojet Sala? Gleich wie ich dich sah, wollte ich dir den Namen geben.“ Sie wollte vor ihm hinfallen. „Küß den Dolch.“ „Das ist der Dolch, mit dem du sie –“ „Nein, mit den Händen tat ich das. Du mußt den Dolch küssen.“ Sie umarmte Kylin, weinte an seinem Gesicht. Er murmelte finster: „Nicht das, Venaska. Küß den Dolch.“ „Muß ich das?“ Er zitterte, machte sich von ihr los, ballte die Faust, seine Augen waren weit: „Küß den Dolch.“ Er hielt ihr den Griff mit dem Vulkanzeichen hin. Sie beugte den Kopf mit der Feigenblüte, zog den Dolch an den Mund. Er keuchte noch: „Wie kannst du es wagen“, und rührte sich nicht. „Geh nicht so, Kylin. Was hab ich getan.“ Er ging aus der Tür, über den Hof. Venaska hinter ihm: „Verzeih mir.“ Erst an dem Fuß des Hügels, auf dem sie wohnte, stellte sie ihn. Er blickte sie nicht an: „Warum läufst du hinter mir?“ Dann war er ruhiger: „Wir haben nichts zu besprechen, Venaska.“ Sie griff nach seiner Hand: „Gib mir den Dolch.“ Sie küßte ihn lange, inbrünstig: „Möge dir jeder Kuß wohltun, lieber Dolch. Mein Kuß wird trocken: vergiß ihn trotzdem nicht.“ Kylin betrachtete den Dolch: „Lieber Dolch, lieber Dolch“, lächelte er, umarmte sie. Sie standen unter einem Oleander: „Zittere nicht. Jetzt nehme ich selber deine Küsse an. Ich weiß wieder, wie süß Menschen sind. Du bist sicher das Süßeste von ihnen. Ruhig, Venaska.“ Sie nahm den Feigenzweig vom Haar, gab ihn ihm. Wie sie vor ihrem Haus war, brach sie in Weinen aus, weinte lange auf der Bank vor dem Haus, von den Frauen gehalten. Kylin kehrte nach wenigen langsamen Schritten zu dem Oleanderbaum zurück, den Feigenzweig an der Brust: „Gesegneter Ort.“ Streichelnd legte er den Zweig von sich an den Boden, berührte die Erde, ging davon. Östlich von Toulouse auf der Hochfläche von Sidobre warfen sich bei der großen Zusammenkunft der Islandfahrer die ersten Menschen in das Feuer. Den fünf Geopferten ging Idatto voran freiwillig in die Glut. Der Zarte war schon lange nicht mehr bei Kylin; die schmachtenden Geister hatten sich seiner bemächtigt. Er fand nicht den Entschluß, sich von Kylin zu trennen; das Brandmal auf seinem Arm blickte ihn an. Und wie die Flamme brauste auf Sidobre, süß geheimnisvoll und streng, wußte er seinen Weg. Das Gerede von den Islandfahrern verbreitete sich in den Landschaften. Die strengen bändigenden Feuer sah man bald überall brennen. Der Steile Absturz, wie man Kylin nannte, blieb mit ihnen auf Sidobre. Die Islandfahrer blieben auf Sidobre, bis sie fühlten, daß sie die anflutenden Erdgeister bezwangen. Dann blickten sie weiter um sich. Die reinen niederwerfenden Feuerbrände waren schon weit vor ihnen nach Norden getragen worden. Die Siedler sammelten sich um das Licht; die sicheren harten entschlossenen Menschen, die vom Meere kamen, heischend sich bewegten, überwältigten sie. Die Islandfahrer drangen durch das ganze südliche Land. Als Kylin sah, daß die Feuer sich nach Norden bewegten, die Siedler sich zusammenballten, verließ er Sidobre. Er spannte frische Pferde vor seinen Wagen, lenkte ihn, sein Innerstes stählend, auf die erdversunkenen Stadtreiche. * * * * * Aus den Erdgewölben, in denen Mentusi und Kuraggara saßen, waren neue Wesen hervorgelaufen; die Giganten hatten sich mit ihren Gehilfen zusammengetan, die ihnen die Türen der Versuchsgewölbe öffnen mußten. Als Wiesel, kleine grauhuschende Mäuse fuhren sie aus den Türen. Flitzten durch die Straßen, immer in Gefahr erschlagen zu werden, kratzten pfiffen vor den Versuchsgewölben. Und nach Tagen flogen sie als Reiher mit dicken Köpfen, schwerhängenden Köpfen über die Plätze der Erdstadt, spreizten die Flügel, streckten die Hälse aus, fuhren durch die Schächte auf. In den Laboratorien mußte man sie in Menschen zurückverwandeln. Da standen sie dann, schüttelten sich, als kämen sie aus dem Wasser hervor, murrten, fanden sich nicht zurecht, machten sich zu einem neuen Sprung bereit. Dumpfer heißgewalttätiger kamen sie aus den Verwandlungen hervor. Ihre Gehilfen und Gehilfinnen waren Männer und Männinnen wie sie. Die Giganten fielen die Gehilfen, wie sie aus den Bädern Feuern Spannungen der Verwandlung stiegen, oft noch in dem Drang des Tierischen an, schlugen sie, zerstörten Apparate. Man hatte schwer die wieder Menschgewordenen zu bändigen. Die Lust, sich in Tiere zu verwandeln, erlosch bei vielen Giganten Londons und Brüssels, als man einige von ihnen erschlagen und in Stücke reißen mußte, wie sie nach ihrer Wiederkehr über die Gehilfen, kostbare Apparate fielen. Gierig machten sich da Giganten Londons daran, Menschen aufzugreifen, in Massen, in immer größeren Massen, um ihre Kräfte zu zeigen. Vor ihren stierwilden Gehirnen stand die Erinnerung an die schrecklichen Gebilde, die die fallenden zerschellenden Urtiere unter sich geschaffen hatten: die mit Mensch Tier Pflanze Stuhl Tür aufbrausenden kochenden Häuser. Die Fahrt nach Island und Grönland war nicht vergeblich gewesen, die Urkraft war in ihren Händen, sie wollten sich ihrer bedienen. In zwei Wochen vollendete Kuraggara, die Männin, selber in eine Fledermaus verwandelt, in London ein schreckliches Werk. Sie konnte wie ein grönländischer Drache speicheln; ein Tropfen des Speichels lief über den Schleier, den sie, selber geschützt, an ihrem Hals trug. Schon wuchsen unter ihr die Balken, die Eisenträger dunsteten auf und quollen, entsetzlich dicke Menschenarme schwollen lang aus den Fenstern, zerbrachen die Fensterrahmen. Die Gebäude wurden von Fleisch umwuchert. Die unterirdischen Gewölbe mit Menschen, Häusern, Wagen wuchsen zu, durchwühlten einander. Von der Erdoberfläche waren die Menschenmassen vor den Grönlandbestien geflohen; jetzt saßen sie, hingen wie ein Korallenstock unter der Erde. Und Kuraggara, von Tag zu Tag wieder Mensch, jauchzte. Mentusi, Kara Ujuk, Schagitto, Dejas Tessama wurden von ihrem Fieber angesteckt. Über die fliehenden vor Angst wahnsinnigen Menschen im untersten Teil Londons fielen sie, surrten als Kolibri, schrien als Goldfasan Häher Elstern, ließen sich jagen, tropften ihr Gift. Der unterste Teil Londons, die Wasserstadt, wurde von den täuschenden flatternden Tieren begraben, Stein Sand Mensch Eisen ineinander gequirlt. Der Boden dort sank ein; Wasser schwemmte in die Spalten, die Hohlräume, die sich bildeten. Delvil, der Gewaltigste von ihnen, tat den flatternden Tieren Einhalt, erschlug einige von ihnen, kämpfte die anderen, die wieder ihre Gestalt angenommen hatten, nieder. Er drohte ihnen: „Das tat not, daß ich mich für euch mühte. Es tat not, daß wir für euch Menschen nach Island schickten. Der Schleier für euch! Nehmt euch in acht. Vier leben nicht mehr.“ Sie brüllten, was er vorhabe. Er tatzte eisig nach ihren Gesichtern: wenn sie begriffen, was er vorhabe, wäre es ihm recht; vorher sollten sie ihren Verstand bei ihm legitimieren. Mentusi und Kuraggara, die noch lebten, zwang er zu sich nach Cornwall herüber in die Dartmoorwaldungen. Auf Tieren, die sie sich geschaffen hatten, flachen Riesengeschöpfen, in deren Brustkorb sie saßen wie das Herz der Tiere, flogen sie an. Er zerbrach den Tieren die Hälse: „Kuraggara, das war dein Tier, das braune. Und das war deins, Mentusi. Das sind eure Späße. Damit glaubt ihr mir vor die Augen treten zu können.“ Kuraggara, wie eine Tanne hoch, hatte den Rumpf eines Menschen. Als Baumkänguruh war sie zuletzt gesprungen; braun und behaart war noch ihr Gesicht, schnauzenförmig verschoben Kiefer und Nase, kleine spitze Ohren drehte sie am Hinterkopf vor. Sie stand eingesunken auf den plumpen bekrallten Hinterbeinen, den buschigen Schwanz schlug sie vorn um den Leib. Schläfrig hörte sie auf Delvil. Mentusi hatte den langen rostbraunen Hals eines Gänsegeiers. Mit klatschendem Flügelschlag senkte er sich auf den Steinboden vor Delvil, hob den spitzen Menschenkopf, sträubte die Rückenfedern. Er hauchte dehnte sich: „Schlag nur den Kasten tot. Wir machen uns neue.“ „Du unsauberes Tier. Sieh, was hängt an dir, an deinem Federkragen. Das sind Därme!“ „Gut gesehen. Pferdedärme, Delvil. Die Menschen früher hatten nicht unrecht, Tiere zu fressen, die aus den Leibern anderer kamen. Das schmeckt mir besser als Meki. Ich werde noch Siedler.“ Delvil patzte ihm eine Handvoll Steine an die Stirn. Mentusi schnurrte zurück, lüftete die Schwingen, kreiste mit eingezogenem Hals zweimal um Delvil, ließ sich krächzend nieder. „Und du, Kuraggara, was stehst du.“ Delvil, ein Mensch von Gestalt, haushoch sie überragend, griff sie am Nacken an: „Schläfst du. Du hast gesehen, wen ich in London totgeschlagen habe. Willst du’s auch. Brauchst nur sagen. Mach dich zu einer Ameise oder zu einer Laus, das ist bequemer für mich.“ „Du bist neidisch auf uns, Delvil. Du gönnst uns unser Vergnügen nicht.“ „Was ist euer Vergnügen.“ Mentusi flog an ihm hoch: „Ist wohl Delvil zu guter Letzt Hüter der Menschen geworden. Was gehen dich die Menschen an. Mich gehen die Läuse und Ameisen ebensoviel an wie die Menschen.“ „Mich kümmern die Menschen auch nicht, du Aasfresser.“ Delvil kollerte über das Steinfeld: „Ich und Menschen. Ich und mich um die Menschen kümmern. Du hältst mich für einen Propheten und Führer. Ich sehe wie Marduk aus. Das ist vorbei, Mentusi. Die kümmern mich nicht mehr. Sie mögen siedeln oder Städte bauen oder Baumborke essen oder Schwefelsäure trinken. Aber trotzdem seid ihr Schufte, du und Kuraggara und Schagitto und die andern, die ich totgeschlagen habe. Ihr könnt spielen soviel ihr wollt. Ihr treibt es zu wild.“ Kuraggara hob sich auf ihren Sohlen auf: „Da war nichts wild. Du gönnst uns nichts.“ Delvil stieß mit dem Knie gegen sie. Sie klapperten unter seinem Steinregen in das Dickicht. Delvil dachte nur daran zu wachsen. Er verließ die Berge Cornwalls selten. Eine kleine Zahl inbrünstiger Gehilfen hatte er. Dejas Tessama schickte er nach Irland, einen Mann wie er. Sie wollten Grönland und die Urtiere nicht vergessen. Die Kette der Turmmenschen stand noch auf dem Gebirge, am Meer. Mit Inbrunst Weinen Haß betrachtete sie Delvil: „Das waren meine Freunde. Sie haben die Bestien aufgehalten. Wir haben sie opfern müssen.“ An den dunklen traurigen Wesen ging er vorüber. Er ließ sie verfallen, man brauchte sie nicht mehr. Sie vertrockneten zwischen den Steinen und Balken; ihr entsetzliches Gestöhn, tierartiges müdes Blöken hallte monatelang über den einsamen Bergen, über den wüsten Wasserflächen von Schottland nach Skandinavien. Die lockenden Schleierteilchen senkten sich mit den schrumpfenden Riesen. Steinmassen über Menschen- und Tierreste. Herab von den Flößen in die See. Delvil dachte nur zu wachsen. In Cornwall hielt er wochenlang. Sehr langsam ließ er sich auftreiben; er wollte nicht wie die Turmmenschen mit dem Boden verkitten. Felsblöcke konnten sich um ihn werfen, Wasser Balken. Oft wurde sein Bewußtsein dunkler und man mußte lange anhalten, damit nicht die Geister der Steine die Oberhand über Delvil gewönnen. Als ein ungeheures menschenähnliches Geschöpf schob sich Delvil vor London. Hatte Füße Zehen Knie eines Menschen. Dunkelbraune fellartige Haut. Sein schilfernder Leib trieb Warzen Beulen Brüste vor wie Erker und Kuppeln. Ein glockenartiges armbewegendes Geschöpf stieg aus seiner Magengrube. Aus den Weichen wuchsen schwarze und graue sich ringelnde spielende Schlangenleiber, bewegliche augenöffnende Röhren, die sich um seine Beine legten, um ihn zu liebkosen, die für ihn soffen und fraßen. Die Brust oben schwoll in langsamem Takt. Bäche sogen die Schlangenleiber auf; ihr Bett wurde leer; die Bäche liefen durch Delvils Leib. Er sah die Siedler unter sich laufen: „Krautfresser. Menschen. Das ist die Erlösung der Menschen. Erlösung! Kraut zu fressen! Menschen!“ Die Gräser Bäume Pferde Rinder betrachtete er mit seinem trüben Blick. Der Wind blies um ihn. „Der Wind, das ist etwas. Der Berg.“ Er stampfte um London, weil er sich fürchtete, den Boden zu zerbrechen. Über den sturmbrausenden Kanal stieg er; das Brausen hielt er aus, bis es ihm den Atem benahm. Bei Calais setzte er sich schnaufend hin, rüttelte an Strandfelsen. Ten Keir schweifte um Brüssel. Er sah die Verfinsterung des Himmels, den wolkenhoch anschaukelnden Giganten, hörte das meilenweit vernehmbare Grunzen Gurgeln Wasserrieseln Pfeifen der Schlangen. Voll Ekel floh er unter die Erde. Trübgierig irrte Delvil über den Kanal zurück, suchte tastend den Weg nach Cornwall. In Fudern schluckte er das Gestein. „Menschen. Krautfresser. Das ist ihre Erlösung.“ Er dachte dunkel: „In der Erde wurzeln. Wie die Berge. Es wird sich alles herausstellen.“ Und kaute mahlte schloß die Augen. * * * * * Die Giganten zogen auf Jagd. Kuraggara wollte nach Grönland. „Laß mich über das Meer fahren“ lachte sie den brütenden Mentusi an „komm mit. Ich jage auf Wunder. Du schläfst.“ Mentusi flog auf: „Laß sehen.“ Sie waren zwei Geier, die über das Meer schossen. Sie stießen durch den Sturm, Möwen zerrissen sie und trieben sie sich zu. Das Meer wogte, eine schwarze schillernde Platte, unter ihnen. Sie fuhren herunter, hackten Walen in die Köpfe. Schrie der Sturm: „hi!“ schrien sie: „hi“. Sie durchbrachen den Wind. Eisberge, die weiße Kälte flimmerte unten auf. Kuraggara schleuderte sich lustig in der Luft herum: „Wir sind bald da. Mentusi, wir haben es. Es war kein Drache da. Ist keiner gekommen. Sie sitzen im Eis fest. Wir wollen sie aufstöbern.“ Kein rosafarbenes Licht glomm mehr um sie. Das weiße Dämmern. Wallen des Nordlichts. Da war Jan Mayen. Wo war der Mutumbo, der sich in die Flachsee ein Loch gebrannt hatte, mit den Schiffen sich herabgelassen hatte auf den Meeresgrund. Das tosende Wasser war über ihn gekommen. Das Rosenlicht blühte vom Himmel, in gleichmäßiger Seligkeit machten sie Steinchen, Hölzchen, kleine Wellen, große Wellen zu Geliebten. Dann rollten schwarze Gewitterwolken an, Zyklone; und sie jauchzten noch. Und dann die flimmernde gleißende Wolke der fliegenden Lurche, der langhalsigen mit knochigen Kragen, Füchse in ihrem Gefieder. Spritzen Gießen von Tieren. Dröhnen der durchbrochenen Schiffsmauer. In das gewalttätige Wasser waren sie in einer Minute eingewühlt. Wie Öl die See schillernd über den verschwundenen Schiffen. Vorbei Jan Mayen. Bergketten tauchten im Ozean auf. „Das ist es“ jauchzte Mentusi, senkte sich. Es waren Inselgruppen. Und neues Wasser, stärkeres Schäumen, Brandungslinien. Weiße Gipfel, flache hüglige Ebenen. Die Geier krächzten, die Schwingen weit entfaltet, unbeweglich, ließen sie sich herab. „Grönland, Mentusi.“ „Kuraggara, ist das Grönland.“ Wonnig kreischte Kuraggara: „Weißt du, was du vergessen hast die ganze Reise? Weißt du? He? Die Drachen.“ „Die Drachen.“ „Ja, Mentusi. Jetzt greifen wir sie an. Hast du sie gesehen. Ich keinen einzigen. Wo sind denn aber die süßen Tiere, die uns solche Angst gemacht haben. Wo haben sie sich denn versteckt und wollen mit uns spielen.“ Sie prustete, tanzte auf dem Schnee, schlug mit den Flügeln, daß der Schnee stob: „Tot! Tot! Verreckt! Krepiert! Verendet! Vernichtet! Drachentod. Komm, wir wollen sie suchen. Ich möchte mit ihnen spielen.“ Sie sausten im Fluge die Berge ab. Schneemassen Eisplatten überall. Durch gelles weißes Licht schossen sie einen Tag, das Land endete nicht, dehnte sich unermeßlich weiß hin. Wie die Schwärze vom Himmel ausgebreitet wurde, Schneegestöber sie blendend einhüllte, lockte Kuraggara: „Ich seh eine Kluft. Wir warten die Nacht ab.“ Müde saßen sie unter einem Fels, schliefen träumten. Sie segelten über dem Meer, hoch in der Luft, die Flügel ausgespannt, ohne Bewegung, und wurden getrieben. Bei stechendem Sonnenschein wachten sie auf, Kuraggara wollte weiter fliegen. Mentusi, die Federn gesträubt, knurrte: „Warte, ich habe etwas geträumt. Ich will nicht in den Schnee. Wo sind die Drachen. Ich habe geträumt, sie liegen hier.“ Und sogleich fing er an über der Kluft zu kreisen. Der andere Geier ihm nach: „Ich sehe nichts.“ „Sie liegen hier. Unter dem Schnee.“ Sie krallten sich in den Schnee des Abhangs ein, schlugen mit den Flügeln um sich, wehten ihn fort, mit Klauen wühlten und kratzten sie. Der Schnee lag locker. Das Eis war lose bröcklig; es war ein Firn, blau weiß, der sich eben bildete. Sie warfen ihre warmen Körper an das Eis; es rann und floß weg. Wie ihre Klauen ermüdeten, nahmen sie die Köpfe, bohrten und hämmerten mit den Stirnen. Sie wälzten sich wie Räder, bis sich ihre Fänge wieder erholt hatten. Da brach auf einmal knarrend die Eis- und Schneemasse über ihnen von der Abhangsspitze herab. Ein Stück wurden sie abwärts gerollt, fast erstickend unter den Schneelasten. Dann schossen sie seitwärts hoch. In der Luft trafen sie sich: „Bist du es, Kuraggara?“ „Lebst du, Mentusi. Ich kann nicht weiter. Ich kann nicht, Mentusi.“ Sie saßen verschnaufend in der Ebene, eine Stunde. Mentusi jagte auf, zögernd flatterte die andere. Kreischte Mentusi, war verschwunden. Angstvoll erhob sich die andere, höher, höher. Sah den andern, den Riesengeier. Er hing an der Wand, bewegte sich hackend auf und ab. Sie näherte sich, erschrak. Stieß ein Kreischen wie Mentusi aus. Die Wand war schwarz und braun. Dünner Schnee überrieselte sie. Da ragten die Äste einer Baumkrone hervor. Starke Äste eines schief lagernden niedergebrochenen Baumes. Die kleine Lawine hatte die ganze Wand des Abhangs entblößt. Mentusi lief unten eine sonderbar gewundene Linie ab. Er schrie und hackte. Kuraggara flog herzu. „Das sieh, Kuraggara. Was sich hier biegt. Es bewegt sich nicht. Knochen Wirbel. Da, Rippen. Hier der Kopf, die Augenlöcher.“ „Ein Drache.“ „Einer, meinst du. Hier liegen nur Drachen. Hier liegen sie alle. Es war ihnen zu kalt. Ist aus mit ihnen. Sind eingeregnet, eingeschneit.“ Und sie stöberten den Abhang ab. Er war von einem Wald mit Bärlappbäumen bestanden gewesen. In kalten modrigen Blatt- und Moosmassen rührten sie. Zwischen Geröll Stämmen Blättern lagen Gerippe und Haufen zersplitterter Knochen, Eis dazwischen wachsend, Schnee Wasser Erde darunter rieselnd. Kuraggara schrie, flog auf, schaukelte sich in der Luft über dem Abhang: „Die Drachen, die uns erschlagen wollten. Die Drachen, die die Stadtschaften verwüstet haben. Ha! Ha!“ Mentusi schaukelte sich neben ihr: „Kuraggara, über das Land, über das ganze Land.“ Sausten durch das Schneegestöber durch die Böen des eisigen Windes: „Das ganze Land unsere Fahne. Unsere Siegesfahne. Da liegen sie, da und da und da. Tausende, Millionen! Überall, wo es weiß ist. Der Schnee tut nichts als sie begraben. Und uns –“ Mentusi schnellte sich hoch, kreiste. Kuraggara, lachend: „Uns haben sie ihr Leben gebracht. Gerippe auf Grönland. Leben bei uns. Ha. Wollen noch Schnee fressen. Schnee Schnee.“ Und sie schluckten den Schnee. Der fiel über den Erdteil, versenkte die Wälder bis über die Baumkronen, brach die Stämme nieder, zerrieb sie, löste, was an Tieren zwischen ihnen lag. Auch die Fetzen des verkohlten Riesenschleiers von Turmalin, der ihn einmal beherrscht hatte. Schrill Kuraggara: „Nun, wie gefiel dir die Fahrt, Mentusi. Ich fresse mir den Magen mit Schnee voll; er ist unser Freund. Jetzt wollen wir zurück. Ich hatte mich auf ein anderes Wunder gefaßt gemacht. Aber auch das gefiel mir.“ „Und mir. Wenn ich erst zu Hause wäre. Wir müssen viel tun, Kuraggara. Ich habe unendlichen Durst, viel zu tun. Tun, tun.“ „Komm. Ein Tag, zwei Tage, wir sind zu Hause.“ Die Berge und Eisfelder vorbei. Den Atlantischen Ozean überflogen, Meridian auf Meridian. Das lungernde Wasser, das schlackernde wehende Fell des schwarzen feuchten Untiers. Klippen und weiße Brandung: die Shetlands Orkneys und Färöer. Schottische Bergketten, die Hochflächen. Kleine Schafherden bewegten sich unten; Menschen Siedler. Tun, mehr tun. Die beiden Geier schrien warfen sich in der Luft. Sie sausten mit zurückgebogenem Hals, blinzelten begehrlich gradeaus: meilenweite Trümmerfelder bis zu den Küsten; das grollende Meer im Süden. Das war London. Die Schimmelpilze der Siedlungen hatten es am Rande überzogen. In die Schächte und Spalten hinab die beiden Geier, den Kopf voran, die Fänge an den Bauch. Sie krächzten. Und da sie Delvil nicht sahen, taten sie, was sie wollten. Mit dem Geheul von Panthern erfüllten sie die Gewölbe der Erdstadt. Sie vervielfachten sich. Als die erschreckten Menschen die schrägen Spaltenwände hochliefen, die Schächte auffuhren, standen die stampfenden Mammute da. Die Rüssel schwangen sie wagerecht und senkrecht wie Keulen Peitschen Hämmer Steine. Wie sie die Rüssel gedreht über den platten Kopf warfen, die rote Riesenkluft der Mäuler entblößten, weiß heraus die Balken der Stoßzähne, gähnten sie klingend und rollend hell. Der Schall fuhr wie Meereswut über die wimmelnden Menschen, die auseinanderstoben. Die Mammute, die grauschwarzen, tanzten. Schächte traten sie ein. Die Menschen warfen sich aus den Erdkammern hoch. Die weiße Luft, der neblige Himmel war da, blasender Wind und Untiere, wie aus der Grönlandzeit. Sie ließen sich betäubt in die Stockwerke der Erde wieder herunter. Dann hinter ihnen das gräßliche Tiergebrüll, die Giganten. Sie waren außer Rand und Band; ihre Macht hatte sie zum Toben gebracht. Wie konnte man fliehen. Schächte eingestürzt, der Zugang zu den Mekifabriken verschüttet. Durch alle Risse quollen die Menschen herauf, verstopften die Wege. Dem Geheul der Tiere lief man entgegen. Wo das Geheul war, war eine Öffnung. Mentusi und Kuraggara, Gestalt um Gestalt wechselnd, tosten; Glück rasselte in ihren Kehlen: „Tummtumm! tumm tumm!“ * * * * * Dann ließen sie das kreischende London los, das Strudeln krabbelnder zitternder Menschen. Es durstete sie nach Cornwall zu Delvil. Fünf Giganten waren hinter ihnen her, die letzten, die London gemacht hatte. Zwei hüpften als Heuschrecken, hoch wie ein Mann, rieben die glashellen pergamentenen Flügel gegen die Hinterschenkel, daß Schrillen mit ihnen lief. Sie schnellten sich mit dem letzten spitzwinkligen Beinpaar, flügelausbreitend, hoch, schossen im Satz über die Gesteinshalden. Die drei anderen flogen als gelbe Wolken von Blütenstaub. Der Staub schwankte und löste sich manchmal, dann ballte er sich zusammen, schoß vorwärts wie ein geworfener Stein. Durch den Dartmoorwald ging Delvil; Cornwall verließ er eben. Eine gelbe Wolke, wie ein Mückenschwarm singend, legte sich weich vor seine großen dunklen Augen. Er hob einen Arm, um den Schwarm zu verjagen. Der legte sich dichter, nach Linden duftend, an, schwoll über seinen Nasenrücken gegen den Mund. Die Schlangen aus seinen Weichen zuckten auf, gegen eine Wolke, die sich um die Hüften legte. Die Schlangen rissen peitschend hochschnellend Spitzen von Tannen ab, zersplitterten Äste. Unter dem Hagel der Baumstücke wichen die Heuschrecken, die sich schrillend näherten, durch den schwarzen Wald. Delvil wandte seinen Rücken gegen die Wolken, nieste wischte sich die Augen mit dem behaarten Arm. Und wie er tief atmete hustete spie, – das Summen näherte sich von rückwärts seinen Ohren, er beugte den Kopf, – zerriß das Gelächter Mentusis und Kuraggaras die Luft. Ihre Flügelschläge sausten über den Tannenspitzen. Sie krächzten; rostbraun ihre gierig vorgestoßenen fast nackten Hälse; die Federn der Halskrempe grau; und sie flatterten in der Luft. Da erkannte Delvil die Giganten, mit denen er kämpfte. Er war auf dem trüben suchenden Wege wieder nach dem Festland gewesen. Er griff mit den Fäusten nach seinen Ohren, an seinen Mund, in die kitzelnden Wolken des Blütenstaubs. Die Massen, die auseinanderglitten, faßte er krampfend zwischen die Finger, quetschte, zerwarf sie, stieß mit den Ellbogen die aufdrängenden, zueinander quellenden Wolken zwischen seine Knie. Da klemmte er sie fest. Der Staub verfärbte sich, wurde rot, glühend. Aus dem Summen war ein rasch abbrechendes Zischen Zwirbeln wie ein Drosselschlag geworden. Die Schlangenmäuler weit gesperrt schnappten schlürften schluckten an der wallenden Masse. Während die Schlangenleiber kuglig anschwollen und sich wurmartig drehten rollten schaukelnd abplatteten, hob Delvil wieder den mähnebeladenen Kopf, auf dem Tannenäste lagen. Langsam drehte er sich um. Die beiden Gänsegeier, die Weißköpfe, mit schlaff hängenden Flügeln, die Schultern hochgezogen, krächzten ihn von den Baumgipfeln übermütig an. Brüllte Delvil: „Ihr, Kuraggara, Mentusi, ihr seid’s.“ Mentusi lachte: „Sieh dir den Haken an meinem Schnabel an. Damit zerreiß ich dir das Fell.“ Kuraggara: „Ich bin heut schmutzig. Heut war es nicht Pferdeaas. Heute war es Menschenaas.“ Keuchte Delvil. Seine schwarzen feuchten Augen traten hervor. Lange sprach er nichts. Dann brüllte und weinte er: „Das tut ihr. Das tut ihr. Darum ist alles geschehen. Den großen Krieg geführt. Grönland befahren. Die Drachen verjagt.“ Kuraggara hob sich auf den blaugrauen Fängen: „Von Grönland kommen wir. Darum sind wir lustig. Die Drachen haben wir gesehen, unter Eis. Jetzt sind wir die Drachen.“ „Du, Kuraggara, bist. Und du, Mentusi, bist. Und Pferde freßt ihr. Und Menschen freßt ihr.“ Und Delvil weinte. Sein Leib war in einem furchtbaren Schütteln. Die Geier flogen rückwärts. Winselnd und leise fauchend trat aus der Magengrube Delvils der korallenrote Riesenpolyp, die Purpurrose; die Wimpern der hundert Fangarme schlugen heftig; die Fangarme krümmten sich über den Mund. Und plötzlich während die Schlangen Springbrunnen von Wasser in Stößen hochschleuderten, fuhren Steine Baumstücke aus dem würgenden Schlund des leuchtend hochgehobenen starken Polypen; die Arme erzitterten; wie Augen blitzte unter der Mundscheibe ein Kranz blauer Warzen. „Ich lebe nicht mit euch“, ächzte Delvil, „ich bin nicht von eurem Blut. Nach dem Festland will ich. Ich will zu Marduk.“ Die Geier schrien: „Hähä! Zu Marduk. Willst Kraut fressen. Können dich brauchen. Werden sich freuen.“ Schon krachte und prasselte der Wald, Delvil ging. „Ich – zu Marduk. Ich – zu Marduk.“ Er wimmerte; stürmisch watete er vorwärts. Die Heuschrecken waren verschwunden. Der Blütenstaub lag wogend verzuckend in dicker Schicht über dem Boden. Kuraggara und Mentusi machten sich kreischend Mut, stoben hinter Delvil, saßen auf seinen Schultern, schlugen sich mit den spritzenden Schlangen. Den brausenden Kanal überschritt Delvil. An der Küste erschien er in Wolken grünschwarz, taumelnd, schreckenerregend. Den Rhein ließ er erst nach einem Tag. So lange tranken seine Schlangen an dem Wasser. Dann goß er seinen Harn in einen See. Der Teutoburger Wald. Den Harz umging er. In das Gewimmel der märkischen Landschaft geriet er; er kannte sie. Wo war Marduk. Das himmelhohe dröhnende Unwesen stand tagelang, langsam abblasend, im Havelland. Die Geier suchten ihn zu reizen. Er schluckte und bewegte sich nicht. Hier hatte Marduk gelebt. Dann rülpste grollte schrie Delvil viele Stunden, bis das Land um ihn menschenleer war. Er ließ sich auf die Knie. Dicht drückte er sein Gesicht an den Boden. Das Haus, in dem er Marduk gesprochen hatte mit der White Baker – wo war White Baker – erkannte er. Einen Geier hielt er bei den Fängen fest: „Mentusi, in diesem Haus ist Marduk. Sein Leib. Den muß ich haben.“ Widerwillig, unter dem Gelächter Kuraggaras gehorchte Mentusi. Träge schwebte er schon wieder zu Delvil hin; in seinen Krallen schaukelte der weiße Körper des Mannes, der die Mark zum bösen Gewissen der Städte gemacht hatte. Unter den Strahlen Zimbos war er gestorben; den Weg zur Erde hatte er gefunden. Delvil, der Gigant, lag weit nach vorn gestreckt auf den Knien. Gewitter und Sommerregen gingen über ihn nieder. Den gefrorenen Körper Marduks wühlte er in den schlammigen Sand, drückte sich mit seiner Brust, drückte die isländische Urkraft vor seiner Brust an ihn. Er hauchte stöhnte tagelang über dem Boden an der Leiche. Bis sich unter ihm der Körper zu regen begann, der Sand sich ballte, in langen Zügen, dünnen Linien auf den Körper zulief. Wie ein Gewächs stellte sich auf, stieg aus dem Boden der hagere graue Leib des Konsuls. Delvil hob sich. Er häufte mit beiden Armen Sand um den ruckenden nackten Körper, dem der Kopf fest über die Brust gebunden schien. Wie in Pulsschlägen strömten Erdhaufen unter den Armen Delvils auf den Körper zu; die Luft wirbelte und blitzte um ihn. Ihr eigenes Wasser spien die Schlangen Delvils auf den Boden aus. Als die Brust des hochgestiegenen Körpers, um den die Erde sich zu einer Grube vertiefte, zu dehnen wölben heben begann, die Finger sich spreizten, der Leib auf den gebogenen Knien sich aufzurichten mühte, löste Delvil, ein inbrünstiges Grunzen, tiefes Blöken ausstoßend, augenrollend, die Arme von dem Wesen, stemmte sich auf, blieb auf den Knien. Bis an den Hals reichte ihm Marduk, dessen silberweiße magere Beine in dem Sand wühlten. Delvil flüsterte, es dumpfte über die Ebene: „Marduk! Marduk!“ Er rief. Dringender jappste er: „Marduk, Marduk.“ Das Kinn des Konsuls löste sich von der Brust, der Scheitel stieg auf, die Nase, der Mund trat hervor. Zwei schwarze Augen stierten blicklos auf Delvils Hals. Die Hände bewegte Delvil rufend auf und ab. Heftiger traten unten die Füße. „Ah“ stöhnte der Mund, während der Kopf sich von links nach rechts drehte suchte. Eine Faust schwang Delvil vor dem Gesicht des Wesens auf und nieder. Der Kopf fing an zu folgen, senkte hob sich mit der Faust. Da hob Delvil die Faust langsam vor den eigenen Mund, vor seine Augen. Die Blicke des Wesens waren an Delvils Augen; er näherte sie den Augen Marduks, bewegte sie hin und her. Zugleich drängte er, eine Hand in Marduks Nacken gelegt: „Siehst du, du kennst mich. Marduk, du kennst mich. Ich bin Delvil.“ „Ah“, stöhnte tiefer der Mund, die weiße Unterlippe klappte herunter; zähes Wasser goß sich in einer Flut herunter. Angstvoll das Dröhnen Delvils: „Du bist Marduk. Der Konsul der Mark. Du kennst mich. Ich habe dich sprechen wollen.“ Aus dem Munde des Wesens, das jede Bewegung von Delvils Mund und Augen verfolgte, quoll ein langes „Ah“, dann ein ringendes „Was“ unter Erzittern der Gesichtsmuskeln. Dann röchelte es: „Wer, wer ich.“ Zärtlich Delvil: „Marduk bist du.“ „Ich?“ „Marduk. Ich habe dich geholt.“ „Wer – Marduk?“ „Du. Der Konsul der Mark. Wir haben hier gesprochen vor langen Jahren. Du warst in dem Haus unten.“ „Marduk.“ Das Wesen trat heftig mit den Füßen, blickte herunter zu den Sandstrudeln, stöhnte: „Los. Meine Füße.“ „Blick mich nur weiter an, Marduk. Du wirst wissen, wer du bist. Ich warte auf dich.“ „Ich – weiter. Ich – weiter.“ „Wir haben unten gelegen. Dies ist die Mark, wo du gelebt hast. Jetzt ist Zimbo hier. Der dich beendet hat. Der Schwarze. Achte, was ich sage. Du besinnst dich. Der Uralische Krieg war, du kamst nach Marke.“ Jetzt glättete sich das grauweiße Gesicht des Mannes, seine Lippen schlossen, spitzten sich; Delvil bebte: „Und nach Marke du. Die Menschen, die du geführt hast, leben noch. Sie sind wie du. Es wird dir Freude machen. Blick unter dich. Ist keine Stadt da.“ Der Sand schurrte um Marduk; er blickte herunter, zu Delvils dunklen Riesenaugen zurück, lallte: „Ich kenne. Ich erkenne.“ Delvil jubelte: „Du kennst es. Die Mark. Hier hast du gelebt. Ist keiner an dich herangekommen. Du warst groß.“ Der andere blickte zu den Wolken auf, lallte weniger: „Ich kenne. Ich kenne“, riß an seinen Beinen. Die waren bis zu den Knien im Sand vergraben, mit Adern Nerven Knochen im Sand verwurzelt: „Gehen. Weiter. Ich muß weiter.“ Lachte grunzte Delvil: „Kannst nicht weiter. Warte. Ich mach dich bald frei. Ich bin Delvil. Ein Riese. Du bist es auch. Es gibt kein lebendes Wesen, das ich sprechen möchte, als dich. Ich habe Sehnsucht nach dir. Ich muß dich hören. Du wirst mir antworten.“ „Ich bin ein Riese. Was ist das?“ „Jetzt kann ich die Hand von dir nehmen. Du verstehst mich. Willkommen, Marduk, mein Freund, meine einzige Seele. So erbärmlich sind die Menschen, nichtsnutzig, ohne Stolz. Wir hatten nach Grönland schicken müssen, Marduk, wir wußten uns keinen Rat. Das Feuer ist jetzt bei uns, Marduk, das Feuer.“ Ohne Zucken stand der andere, der weißgraue Riesenleib, vor dem Giganten Delvil, der noch kniete, den Rumpf aufgerichtet, dunkles Auge in dunklem Auge. Marduk suchte mit den Blicken den wüsten wogenden Leib Delvils ab: „Das Gesicht Delvils. Ich war einmal hier. Du sagst Marduk zu mir.“ „Sprich weiter. Es ist deine Stimme.“ „Inzwischen. Inzwischen. Da war Jonathan. Elina. Zimbo.“ „Das Ende. Du bist in seine Strahlen gelaufen.“ „An der Havel.“ „Du kamst nicht heraus, hoho. Bist erstickt. Und jetzt hier.“ „Einen furchtbaren Leib habe ich. Meine Knie stecken im Sand. Im Sand. Ich muß weiter.“ „Tot, Marduk. Du bist wie ich durch das Feuer. Wir haben es aus Island geholt, es kann uns nicht mehr genommen werden.“ Marduks Brust hob sich; seine Augen irrten nach den Seiten: „Ich – leben. Ich lebe wieder.“ „Niemand raubt dir das Leben. Wir haben das Feuer. Für alle Zeit, für endlose Zeit haben wir das Leben. Und nun siehst du es. Marduk, was wollen wir tun?“ Starrte ihm Marduk auf die Stirn, knirschte gurgelte: „Was ist das? Was redest du?“ Richtete sich Delvil auf, die Schlangen soffen an einem Havelsee. Im Wolkennebel wiegte sich, lachknurrte sein Kopf: „Feuer besitzen wir. Das besitzen wir. Unauslöschbares Feuer. Das besitzen wir. Was die Blumen macht, die Tiere und Menschen macht. Was den Wind und die Wolken macht. Was die Gase treibt. Das besitzen wir. Marduk. Alles haben wir in Händen. Ich bin kein Großmaul; ich sage: alles. Dich habe ich machen können. Meki ist nichts; wir brauchen nicht Meki. Wir haben die Urwesen selbst.“ Sein Atem dampfte oben. Das Gesicht Marduks füllte spannte sich bei Delvils Worten. Die Erde hörte auf in gleichmäßig pulsierendem Schwall auf Marduk zuzurollen, klumpte sich, lag glatt, klatschte in seine Glieder, zu ihm auf. Marduk atmete: „Das ist es. Sprich mehr, Delvil. Ich habe lange nicht gelebt.“ „Nicht so lange. Wir gehen rasch. Nur Jahrzehnte sind vorbei. Es gibt dumme Tiere, deren kann man nicht Herr werden durch Gewalt oder Weisheit. Nur durch List und durch Zufall. Wir haben nichts gesucht und gewollt, waren selbst klein. War die Dummheit groß rechts und links. Unser Glück war doch größer. Auf Island brannten Vulkane, holten wir Feuer aus den Vulkanen. Wußten nicht, was wir hatten. Waren stolz Grönland zu enteisen, die Siedler zu bewältigen. Das Land wurde enteist. Und dann kamen die Untiere, Marduk, hoho, Untiere, zu uns herüber. Die hast du nie gesehen. Lurche Vögel Gallerten, Formen, Formen. Das Feuer hatte sie gemacht. Unsere Stadtschaften zerrissen sie. Die Häuser Bäume Menschen, Totes und Lebendiges klatschten sie zusammen. Das waren Gewaltige. Und wir verstanden noch immer nichts. Taten noch immer nichts, als uns fürchten. Marduk, wir taten vom Morgen bis Abend nichts als uns fürchten. Krochen unter die Erde. Haben die Küsten verlassen, weil der Wust durch den Ozean herankam. Bis wir der Katze auf die Krallen sahen. Marduk, hörst du. Marduk, was haben wir mit den Krallen getan? Abgeschnitten? Wir haben sie der Katze gelassen und uns neue gemacht, längere schärfere. Sieh mich an. Sieh dich an.“ „Ich höre, Delvil. Ich erkenne dich. Ach, die Mark. Da sind die Seen. Die Havel. Ich war hier erstickt. Mein Leib ist wieder lebendig.“ Delvil, das Ungeheuer, ließ sich vorsichtig tastend wieder auf die Knie: „Und nun, befühle dich, was will ich von dir im Havelland. Warum bin ich gekommen. Sieh, was hinter dir fliegt.“ „Geier.“ „Ja, sie, Gänsegeier. Mentusi und Kuraggara. Sie hacken gegen deine Füße. Sie möchten, daß du stirbst. Sie freuen sich ihrer krummen Schnäbel. Wie sie kichern, über uns. Das sind meine Gefährten. Giganten wie ich, Mann und Männin. Und das tun sie, das ist ihr Spaß. Und das, das, das ist aus uns geworden, Marduk! Aus uns Herren! Die die Apparate geschaffen haben, die die Menschen geführt haben. Sie wissen sich nicht aus noch ein. Nach Grönland getobt. London zertrampelt. Brüssel in Stücke. Sie spaßen. Ich, aber ich –“ wie keuchte Delvil, wie hob er um Marduks schwachen schlanken erzitternden Leib die beschwörenden Arme. Er sah nicht, daß Marduk schwächer schwächer wurde, daß er sich die Füße aus der Erde zerrte; im Gesicht wurden die scharfen alten Züge des ersten Marduk deutlich, als träte ein Licht, ein Feuer hinter einer Papierwand hervor, die es verdecken wollte – „Ich bin Delvil, ein Herr. Was hab’ ich in der Hand. Was ich in der Hand habe, weiß ich. Dies ist mir zugefallen. Meine Gefährten sind das nicht. Keinen habe ich. Marduk! Ich habe ein Amt. Und du auch. Rache fühle ich nicht.“ „Bist du so weit, Delvil.“ Finster schluchzend Delvil: „Nicht mißverstehen, Marduk. Du siehst jetzt anders als damals, wo ich zu dir kam. Du bist kein gezeugter Mensch. Ich habe mehr als Apparate hinter mir. Sieh dich und mich an. Du kannst jetzt nicht mehr reden wie damals in deinem Rathaus. Wir haben eine Pflicht. Das Feuer ist auf uns gefallen.“ „Die Dinge haben ihren Willen und ich habe meinen. Laß dich jagen von deinem Feuer. Delvil, schlage die Erde entzwei.“ „Ich bin nicht Kuraggara.“ „Die Erde entzwei. Was willst du anders.“ „Ich will nicht die Erde entzwei schlagen.“ „Ah, du willst nicht. Delvil kommt zu Marduk; er will nicht, was die Apparate und die Kräfte wollen. Ist etwas geschehen mit Delvil. Er hat Marduk geweckt. Es ist etwas geschehen. Hast du gewußt, daß du Marduk weckst?“ „Du bist es ja.“ „Hast du auch die Antwort gewußt, die dir Marduk geben wird. Wer A sagt, sagt B. Du brauchst mich, Delvil. Du bist kleiner als ich, du bist erlegen. Hilflos bist du. Unter Marduk bist du herunter.“ Wilder stöhnte Delvil: „Nicht mißverstehen. Da sind Krautfresser. Menschen, die siedeln und von dir sprechen. Das meinst du nicht. Kraut fressen wie die Kälber, das war nicht deine Meinung. Jetzt ist sie es sicher nicht. Was ich habe, hast du auch. Die Last ist auch deine.“ „Keine Last fühle ich. Wozu kriechst du vor mir. Wühlst mich aus dem Grab heraus. Du mußtest aus England herauskommen und stöhnst. Das hat dir deine Kraft gebracht. Was ist besser an dir, als an Kuraggara.“ „Schmäh nur, schimpfe.“ „Mich anzugreifen. Mich zu holen. Als ich lebte, wagtest du es nicht. Es gelang dir nicht. Es ist dir auch jetzt nicht gelungen. Geh weg. Hol Tote, hol Pharao, Hyäne. Husch, daß dein Feuer dich brennt.“ Es war Nacht. Marduks Körper leuchtete. Aus seinem Mund, seinen Augen, von seinem Finger sprühte mondhaft weißes Licht, zitterte wagerecht in Stößen um ihn. Delvil auf den Knien und Händen vor ihm kriechend, ihn betastend, um ihn kriechend, sah es, fragte nicht, war von Verlangen Bängnis Bitterkeit hingerissen. Die Schlangen unruhig fahrend überspritzten seinen heißen Leib. Das Pressen Krachen Knacken der roten kauenden Meduse nach Pausen des Fauchens. Delvil wühlte angstvoll am Boden. Er drückte Hügel beiseite; die umgelegten Tannen knisterten. Sein Gesicht tauchte er von einer Sehnsucht Ahnung gezogen in Marduks Licht. Der stand in seiner Grube, die sich nicht mehr bewegte. Die Beine zerrten noch an der Erde, bis zu den Knöcheln hatten sie sich befreit. Er atmete heftig, weit den Mund auf, den Kopf zurückgelegt; seine Arme ruderten durch die Luft: „Das ist es. Das kann ich. Die Erde Luft Augen; geht zu; meine Augen. Man hat mich hergeholt. Marduk, laß dich nicht rufen. Dies ist schon vorbei. Auseinander. Süße Leiber auseinander. Auf die Reise.“ Delvil suchte sich ihm mit der dampfenden, von der Urkraft umspannten Brust zu nähern, die Hände auf Marduks Schultern zu legen. Sie drangen nicht an. Seine Brust wurde seufzend schwer; sie wurde zurückgeschoben. Die Hände, Hände erlahmten. Bis in die Arme, wie unter einem Gift. Marduk schrillte und schlürfte Luft: „Dies Kleid nicht. Marduk, auf die Reise. Marduk, geh weg. Hin!“ Die Geier sausten jauchzend auf den Rücken des hingestürzten Delvil. Luftziehend, in ächzender Begier schleppte, rappelte er sich an die mondhafte Gestalt, die leiser tönte surrte sang „Marduk, Marduk.“ Licht strömte von ihr, dehnte sich, in Punkten, gezogenen Linien über die Landschaft. Dichtere Massen schwammen, wogten von der Gestalt ab, überlagerten Delvils Gesicht und Rücken, bezogen die Bäume, und den schwarz aufgerührten Boden, hauchten um die aufflatternden Geier. „Marduk“ klang die Gestalt eintönig, wallte stob begann sich in Funken zu drehen. In Wut und Grauen tatschte Delvil zu, heulte, wie das Wesen leicht mit höherem Summen abwich, über den Boden glitt. Es war kaum mehr ein Mensch, was da glitt und hinzog, ein See ein Dampf, der sich immer mehr verbreiterte, mit einem menschenähnlichen Kern, der sich lockerte. Hinrollte donnerbrüllte heulte Delvil: „Heran ihr! Mentusi, hilf mir. Kuraggara, sieh ihn an. Seinen Hals, faß ihn. Seinen Fuß, pack zu.“ In der schwarzen hohen Luft die Fänge und Pranken streckten die Geier, ließen sich blind über dem Wesen mit geschlossenen schlaffen Schwingen abwärts fallen, stürzten ins Leere, brachen in die Tannen. „Faßt ihn“ raste Delvil, ganz aufgerichtet, torkelnd über die Fläche watend, haschend, mit den schweren Beinen tretend. Die Gestalt zerrann, hob sich wie Silberschuppen, schwach in dem allgemeinen weißen Schein zu erkennen. In dem Schein rutschten Mentusi und Kuraggara vom Sturz tief benommen von den zersplitterten Tannenspitzen die Stämme abwärts. Delvils Schlangen hingen schlaff; die rote Meduse war aus dem Leib gestiegen, schlotterte; weit offen der Mund; ihre wulstige Wandung kehrte sie nach außen. Delvil fühlte einen Schmerz, als würde sein Leib zerrissen. Er keuchte betäubt in das weiße Nebelmeer. Die Geier schwankten bewußtlos mit den Tannen; die Meduse zerrte an seinen Därmen. Da bückte er sich, riß die Tiere auf seinen Arm, taumelte, starr aus den Wolken herunterblickend, rückwärts nach Westen. Schrie seine Wut gegen den schwarzen Himmel. Noch einmal jenseits der Havel machte er halt, aus der Betäubung sich raffend. Es war nicht denkbar, was geschehen war; auf seiner Brust hatte er den Schleier, der Marduk erweckt hatte. Nach Osten kehrte er um; seine Hüften versagten, schwankten nach den Seiten. Die Meduse, dem weißen Dämmer wieder genähert, stieg, als wollte sie etwas greifen, mit ängstlichen Armen empor, wulstete sich krampfend herunter. Über dem Havelland schwamm der milchig weiße Dunst. Die Bäume unten schaukelten sich langsam im Wind. Ein traumhaftes Zwitschern gaben die verborgenen Vögel von sich. In den Hütten Häusern Scheunen schliefen die Menschen. Die Erwachsenen reckten sich; sie gingen im Schlaf durch eine offene warme Landschaft, von einer weichen Gestalt geführt. Die Kinder im Stroh hatten die Augen geschlossen; ihre Münder zuckten; sie lachten. Und Delvil selber, unter allem Brennen in seinen Därmen, während er schwankte Luft schnappte, fühlte eine Müdigkeit. Die Lähmung war süß. Durch den blutgeschwollenen wolkenhohen Kopf gingen ferne Gedanken, von Menschen, sommerlichen Spaziergängen, von einem Becken mit Goldfischen. Seine Knie hatten die Neigung sich zu krümmen. Und wie er ringend mit rückwärts gebogenem Kopf in den Wolken Luft trank, stürzte er auf die Hüfte. Unerträglich peitschender Schmerz. Der jagte ihn hoch. Nach Westen, nach Westen. Die Geier raffte er auf. Er stürmte durch Hannover. Am Rhein kam er zu sich. Zwei Tage lang schrie er. Die Geier sausten nach Westen, kehrten in Verwirrung und Wut zu ihm zurück. Auf seinem Kopf saßen sie, während er den Kanal überschritt: „Mentusi, Kuraggara, was soll mir mein Schleier. Was nutzt uns unsere Kraft. Hat er uns besiegt?“ „Er ist geflohen. Wir wollen noch einmal zu ihm kommen.“ „Ich will nicht. Nach Cornwall. Ich greife die Erde an. Das tue ich. Habt ihr ihn gesehen, wie er in Licht aufgegangen ist. Ich zerreiß’ die Erde.“ Kreischend Kuraggara: „Die ganze Erde. Samt den Menschen. Und den Felsen und Meeren.“ In Cornwall aber stand Delvil noch lange Wochen brüllend und weinend: „Er hat Recht. Ich zerreiße die Erde.“ Von Mentusi erfuhren die Giganten, was geschehen war. Delvil knirschte verzweifelt: „Alles heran, was wir haben.“ Und in einem Zerstörungstaumel brachen die Geier und Delvils Gehilfen in die nahen Festlandsstädte ein, die sie noch nicht zertobt hatten. Die Mekifabriken verwüsteten sie. Überall wo sie Teile des Turmalinschleiers wußten, schleppten sie sie heraus. Auf den Hügeln von Cornwall um den stöhnenden Delvil häuften sie sie an. Dann machten sie sich selbst zurück. Die Geierfedern warfen sie ab. In der Dartmoorwaldung wuchs Delvil. Westlich im Bodminmoor Mentusi. Nördlich am Tawafluß Kuraggara. Einen großen Halbkreis bildeten sie, der nach Norden offen war. Es war Platz für die anderen Giganten. Die Berge der Schleier hatten sie um sich. „Soll ich Grönland machen“ höhnte Mentusi, „wollen wir die Schleier über die Erde hängen und die Erde verklumpen. Soll ich das Meer über Europa schicken. Wollen wir den Pol zum Äquator herunterziehen.“ Delvil dumpfte: „Nach Norden. Alle Kraft nach Norden. Wir sind in Fahrt. Haltet die Kraft bei euch, daß ihr nicht umgeworfen werdet.“ Vom Tawafluß Kuraggara, die aus einem Berg heraus wuchs: „Und wenn die Erde zerreißt, so fahre ich durch die Luft.“ Delvil: „Wachst! Saugt die Erde auf. Nehmt auf die Fahrt mit, was ihr könnt. Norden.“ Und in finsterem Haß richteten die Giganten die furchtbare Wucht ihrer Kräfte um sich nach Norden, gegen das Meer, von wo einmal die Lurche und die Schleier gekommen waren. „Ich schick sie wieder zurück“ schrie Delvil. * * * * * Über den Boden aller Landschaften, auf allen Kontinenten Inseln zwischen den aufblühenden und verwelkenden Bäumen, zwischen den schnuppernden laufenden hungrigen und gesättigten Tieren, bewegten sich die sterblichen Menschen. Fühlten ihre Arme, die greifen konnten, nahmen die Säfte an, die ihnen aus der Erde zuquollen. Und dann verdorrten sie. Alterten erschlafften ergrauten. Unheimliche Kräfte arbeiteten an ihnen. Sie hatten nur die stolzen drängenden schwellenden gekannt; jetzt weinten sie. Die Flüsse liefen wie vorher, die Berge mit den Wäldern standen ruhig, die gelbe Sonne kam mit den Tagen herauf, unverändert nachts die blaue Schwärze des Himmels: nur sie gingen hin, wurden weggedrängt. Es fing an, sie lautlos zu bemalen. Graue Linien wurden um ihre Augen gelegt, die Lippen wurden bläulich blaß. Ein Meißel grub an den Gesichtern, unterschnitt die Jochbögen, trieb sie über den schlaffen Wangen hervor. Die Augen sanft eingesenkt, vermauerten sich, zogen sich kalt zurück. Eine unterirdische Arbeit zerlegte die Nase, legte Gruben über die Nüstern. Sie aßen und tranken, aber es war nichts aufzuhalten. Aus dem feinen Grat der Nase wurde ein breiter Pfad mit starren Wänden und dunklen feuchten Schlünden der Löcher. Die Haut, einmal flaumig, wurde dünn wie Papier über das Gesicht gezogen, eng über das Gesicht, bedrückend wie eine Maske; aus einer Maske sahen die Menschen armselig hilflos hervor. Wie einem Gebäude geschah ihnen, das auf den Grundriß demoliert wird. Sie fühlten es, schwiegen. Und die Kiefern klapperten weiter, mahlten das Brot, zerrissen das Fleisch, taten als wüßten sie nichts, und der Leib unten vertrocknete, verhärtete. Gelb wurden die dünnen knorpligen Ohren; starre Haare wuchsen in Büscheln heraus. Die Münder wurden nackt bloßgelegt, grausam die Lippen gefältet, die Lippen, die blaßroten nassen Bänder. Vom Halse herauf zogen sich Wulste quer und schräg zum Kinn; mit jeder Mundbewegung sich straffend. Knöchern die Hände, die Finger knotig zitternd. Und die Menschen saßen stumpf, gingen stumpf, erduldeten es. Bis das Letzte kam, das sie kaum mehr anrührte, der Tod, über der Leber, über dem Herz, den Hoden, der Gebärmutter, die der Krebs anfraß. Eine starre Ader in dem verdorrten Gehirn barst. Das zuckte, – die Augen irrten, lagen still, – war ein Mensch. Von der Hochfläche Sidobra bei Toulouse brachen die Menschen auf, die Island erlebt hatten. Mit ihnen Kylin, Hojet Sala, der Steile Absturz. Aus Toulouse, wo sie wieder die Serninkathedrale betrachtet hatte, kam die gelbbraune glatthäutige Venaska zu ihm herüber, bat, mit ihm wandern zu dürfen. Schon auf dem Wege durch ein Maisfeld, sah er sie starr an: „Willst du wirklich, Venaska?“ „Laß mich mit dir.“ „Ich habe deinen Feigenzweig unter dem Oleanderbaum weggelegt.“ „Hojet Sala, hier ist ein neuer.“ „Ich habe deine Küsse unter dem Baum angenommen. Ich weiß, wie süß Menschen sind.“ „Nimm mich. Ich möchte, daß du mich liebst.“ Und während es warm durch ihn ging, summte er: „Ich will sie mitnehmen. Ich wandere mit ihr.“ Träumte, sah auf seinen Arm, und begrub den Gedanken. Durch die blühende Ebene der Garonne fuhren sie auf Ziegengespannen nach Osten. Siedler und Islandfahrer begegneten ihnen auf den Roggenfeldern, zwischen den dichten Ansammlungen der Bäume, der laubabwerfenden stillen Wesen, die neu grünten. Wer von den Islandfahrern auf sie zukam, durfte sie begleiten; der Steile Absturz blickte weg, als Venaska die Männer und Frauen mit jungen Blättern auf ihre Art schmückte. Sie warfen sich täglich vor dem Feuer hin, das auf den Feldern angezündet wurde. Träumend stand Venaska, mit verschlafenen kleinen Augen, von den Anbetungen auf. Der Steile Absturz, immer hart und ernst, drängte nach Osten, zur Rhone; das Rhonetal aufwärts wollte er nach Lyon und nördlicher nach Paas. Durch leere Felstäler stiegen sie, Gießbäche umgingen sie. Jenseits des großen Flusses lag eine Ebene. Da schwollen ihnen Menschen von Norden entgegen. Der Steile Absturz schickte Männer unter die wandernden Gruppen; die ließen sich nicht aufhalten. Über den Fluß fuhren nach Westen Menschen. Sie suchten in das Gebirge hinauf, fragten nach Verstecken. Und dann hörten die Menschen um Kylin –, sie waren in der Nähe der Stadtschaft Lyon –, tagelanges nächtelanges Knattern und Schreie. Brandwolken, eine ungeheure Flamme über Lyon, die sich ab und zu verschattete. Unter dem Brausen flüchteten an ihnen Massen weinender erschöpfter Menschen, heller und dunkelfarbiger, vorbei. Der Stadtschaft Lyon hatten sich drei Giganten bemächtigt, zwei Männinnen und ein Mann. Die anderen Herren lagen erdrosselt. Sie selbst waren im Begriff sich in Dampfwolken zu verwandeln, um zu Delvil zu fahren. Ihre zähen mit Felsen und Erde genährten Leiber widerstanden der Glut. Das ganze Rhonetal hatten sie in Brand gesteckt, neue Wälder erhitzten sie. Aus der Tiefe brannte die Stadtschaft auf. Das berghohe Weib Tafunda stand breitbeinig über der Flamme, die an ihren Beinen leckte, goß ihren Harn in die Flamme, zitterte nach den beiden, sie sollten ihr helfen; aber sie schmolz nicht. Einer lag über der alten Vorstadt Macon wie ein Riesenberg blauer Seide. Sein Leib war nicht mehr zu erkennen, das Feuer zerfraß ihn; der Gigant kämpfte mit der Flamme, die ihn vernichten, verblasen wollte. Er hielt mit allen Sinnen seinen Leib, wie er sich auch streckte und wandelte, fest; das Feuer briet und röstete, er fühlte es nicht; die Flamme mußte tun, was er wollte. Er atmete selten, alles Feuchte hatte er von sich gegeben; aber der Wind bewegte seine blauen Massen noch nicht. Da riß sich der dritte Gigant, die Männin Kussussya, bis an den Hals in dem glutrasenden Erdloch Lyon im Süden, aus dem Boden: „Wir haben Zeit? Was ist das für Feuer.“ Und lachend tobend zerrte sie sich den Panzer der Giganten, den Islandschleier von der Brust, zerknäulte ihn, rieb ihn gegen einen Uferfels. Aufkrachen. Grüne Stichflammen. Ihr Leib verprasselte über den Wolken. Die Hitze hinblasend löste den Giganten bei Macon ab von der Erde. Er wallte wie ein blaues Lufttier. Molluskenhafte Arme streckte er hinstreifend nach Tafunda aus, die nach ihm schnappte loderte und nicht verbrennen konnte. Er schleppte das sich krampfende stöhnende ungeheure Gebilde. Kylin hatte starr auf dem Pilatberge gestanden; sie sahen in der Luft über sich den Giganten von Macon mit dem schwarzen sich windenden Gebilde die Berge umkreisen, nordwestwärts ziehen. In das Flußtal wollten sie heruntersteigen; sie vermochten es nicht unter dem widrigen stinkigen Branddunst. Der Menschenstrom hatte plötzlich nachgelassen. Und wie sie die letzten Hügel nach Osten begingen, hielt der ganze Zug der Fahrer an. Das Flußtal war sumpfig erweitert, Fußtapfen der Giganten, Hügel bei dem Gigantenkampf zerrissen, von Nordwesten her das Gebirge in das Tal gestürzt. Über die Ebene gesät Häusertrümmer, die rauchten. Und daraus wanden sich hervor Menschen und Tiere. Auf die Siedlungen war der Kampf und der Brand übergegriffen. Das Feuer hatte die fliehenden Wesen wie ein Vulkanausbruch überfallen; sie lagen, schwarzbraune Flecken, zusammengekrümmt, auf den Wegen; an manchen absperrenden Mauern in Haufen. Auf den östlichen Hügeln, an deren Lehnen sich der Qualm heraufzog, zitternd und heulend warfen sich auf den Boden und verbargen sich manche Islandfahrer, Männer und Frauen weinten; hielten sich die Ohren zu; das Gespenst Grönlands und der Vulkane zog wieder über sie her. Die meisten blieben starr; verbissen drängten sie weiter. Kylin hielt sich kaltgesichtig unter ihnen, lachte, manchmal krampfhaft stolz: „Sie bereiten sich selbst ihr Ende. Die Giganten, verfluchte Gesichter. Verfluchte Arme, zu denen wir geholfen haben. Könnte ich sie zerreißen, wie ich sie geschaffen habe.“ Schluchzend, jammernd hob er die Arme über sich: „Ich will das nicht mehr sehen. Feuer, ich kann an dich denken. Feuer auf Island, im Himmel, Feuer in meinem Leib, vernichte sie. Verbrenne sie, schlag sie nieder. Bestraf uns nicht wieder. Sieh, wie wir leiden.“ Er weinte laut mit den andern. Die Hügel herunter in das Tal zog er sie. Sie mußten nach den Verbrannten Zertretenen, den grauenhaft Zerquetschten sehen. „Sage einer“, klagte Kylin, „daß ein Mensch ist wie ein Baum, ein Stock, ein Sandhaufen. Er ist nicht dasselbe wie die Luft und der Stein. Die Steine sind zertrümmert, die Riesen haben die Felsen zertreten; die Bäume jammern mich, die sie zertreten haben. Aber dies zu sehen: die Menschen. Seht es euch an: es sind Menschen. Es ist mehr als Muskeln und Knochen und Haut. Die Riesen haben es nicht gesehen. Ich selbst habe es nicht gesehen. Sie haben gelebt. Sie sind hin.“ Sie weinten um ihn: „Wir wollen von hier. Müssen wir durch dies Jammertal?“ „Wir müssen“, der Steile Absturz erblaßte, rote Tupfen auf seiner Stirn und Backen, „es kann nicht zuviel sein. Dies ist das Feuer, das für uns ausgelegt ist. Kommt hinter mir her. Biegt euch, schmelzt, zerbrecht. Es ist kein Schade. Blickt euch um, was hinter euch nach Nordwesten zieht. Es triumphiert, es wird noch wüten, so, so. Unsere Schande. Es kann nicht schaden, wenn wir zerbrechen. Wir alle.“ Und wieder schluchzte er, krampfte die Fäuste, kniff die Augen zu: „Vernichte sie, wer es auch immer sei. Feuer, vernichte, blase sie in die Luft. Zerstäube sie. Laß nichts von ihnen übrig.“ Und durch das schreckliche Tal gingen sie weiter, bis ein Floß von Osten eine Schar verstörter irrer verstümmelter Menschen gegen sie losließ. Da bestiegen sie selbst das Floß, setzten über den qualmbeladenen Strom nach dem andern Ufer über. Kylin hetzte, während sie fuhren: „Da ist Wasser. Seht es euch an, ihr. Es gibt nichts zu weinen. Hier kann man ertrinken. Wenn man genug gebrannt hat, hier kann man ertrinken. Weg von der Erde.“ Es war Grausen ohne Maß, was auf den weiten Flächen des östlichen Ufers vor sie trat. Unersättlich, geschüttelt war Kylin, mehr, mehr zu sehen, ihnen zu zeigen. Vor die gähnende Öffnung der zackigen Krater der Erdstadt Lyon schleppte er sie, aus der die schreckliche lachende Männin gefahren war. Kylin lockte mit Hohn und Grausamkeit: „Auch hier hinein kann man sich stürzen. Sie hatte nicht Asche werden können; für uns reicht es.“ Es gelang ihnen tagelang nicht, Kylin von der furchtbaren Totenebene zu bewegen. Schon erkrankten von den Fahrern welche. Mit Haß und Genugtuung betrachtete der harte Kylin sie. Er hörte mit leuchtenden Augen, daß einige davongelaufen seien, irr vor Ekel, andere unfähig die Qual zu ertragen. „Wir müssen bleiben; wir werden sehen, wer zuletzt bleibt.“ Sie faßten ihn an: „Du willst uns opfern. Wir haben noch mehr vor.“ „Uns kann nichts Besseres geschehen als verbrennen. Wir müssen es den Giganten nachmachen. Wir müssen auch in einer Wolke nach London fahren.“ Wie sie herumirrten eines Abends, nach Hunden jagend, von deren Fleisch sie lebten, stieß Kylin auf Venaska, die verschleiert und geduckt um ihn ging, ihm auswich. Er zog an ihrem Schleier: „Ah, Venaska. Daß du mir begegnest! Gut! Du versteckst dich vor mir. Bei uns, an der Rhone Venaska! Ich habe nicht mehr an dich gedacht.“ „Hojet Sala. Ich gehe hier herum. Du hast mir gestattet, mit dir zu ziehen.“ Er hielt sie am Schleier fest: „Venaska. Ich kann es noch immer nicht glauben. Von der Garonne, von der Loire: Venaska. Du bindest dir einen Schleier um, du zwinkerst mit den Augen. Du mußt die Augen zumachen, die Nase zuhalten.“ „Hojet Sala, was sprichst du. Laß meinen Schleier.“ „Nein, diesen Augenblick sollst du wenigstens sehen und hören.“ „Ich habe immer gesehen und gehört. Vor dir hab’ ich mich versteckt. Vor deinem Anblick. Wie bist du schrecklich geworden.“ „Sie leidet. Venaska leidet. Um mich. Es ist nicht nötig um mich. Schämst du dich nicht so zu sprechen. Sprich Liebesworte zu mir; dein Handwerk wird hier auch blühen. Oleanderbäume Feigenbäume der Provence, nicht wahr, das ist nichts gegen dies. Hier ist es süß. Das hier unten neben dir, was so stinkt, ist der Leib und der Mastdarm eines Mannes oder eines Weibes; ich kann es von weitem nicht unterscheiden. Und auf der braunen Haut ausgebreitet: sieh zwei Kinderbeine; aber das Kind fehlt. Venaska, was sagst du zu diesem Kind. Ist die Schnelligkeit des Kindes nicht bewundernswert, die Beine sind dem Kind zu langsam gelaufen, da ist es selbst – mit wem wohl? mit den Giganten gerannt, Rumpf Arm Kopf, hurra, hurra, hopp! Die sehen sich jetzt von der Fußsohle eines Giganten das Meer an, vielleicht schon London. Ein neugieriges witziges Kind. Ein Genie und so früh gestorben! Warum unterbrichst du mich nicht, Venaska; mit Freudenausrufen oder mit einem Gesang. Deine Kehle ist so geschickt darin. Tränen, Tränen, vorwärts.“ „Warum wütest du gegen mich? Was beleidigst du mich?“ „Du fielst mir nur als ein Farbenfleck in dieser Landschaft auf. Nein, Venaska, du schleichst mit Recht herum, der Schleier ist an seinem Platz. Du bist doch verflucht, siehst du es nicht. Ja, du. Du weißt wohl nicht, was verflucht sein heißt. Sieh dir diesen zermatschten Darm an, die Kinderbeine, die darauf kleben; das waren Menschen, das war ich, ich.“ „Ich nicht, ich nicht, ich habe sie nicht zertreten. Hör auf, Hojet Sala. Siehst du nicht, zu wem du sprichst.“ „Und weil ich dich sehe, spreche ich so. Ich dich nicht sehen. Daß du es wagst hier zu sein. Hier ist das Grabmal aller menschlichen Würde, du bist das Triumphlied dabei. Unsere Schande führst du uns vor Augen, bei unserer Schande sättigst du dich.“ Sie drängte an ihn. Er sank unter dem wilden wütenden Druck ihrer Umarmung in die Knie. Ihre Lippen zitterten, die Augen glühten; seinen Mund suchte sie zu küssen. „Mein Mund. Wäre ich dir gefolgt, wenn es so wäre, Hojet Sala?“ Er stöhnte und widerstrebte nicht: „Pfui. Umarmen! Mehr! Küssen. Hinwerfen. Deinen Schoß an meinen. Es ist gut. Was sagst du, daß ich dich nicht kenne. Zeig mir ganz, was ich bin.“ „Ich weine mit dir. Ich tue dir nichts. Vergrab dich nicht, Hojet Sala.“ „Umarmen, Venaska. Mir nutzt sonst nichts.“ Er hatte sich ganz hingeworfen: „Gurre, Venaska! Den dreckigen Boden müßte ich küssen. Von Grönland mußte ich bis Lyon fahren, um von dir enthüllt zu werden. Meine ganze Schande zu sehen. Deinen Schoß her. Unsere ganze Menschenschande.“ Sie zog an seinen Armen. Todblaß stand er, knirschte: „Komm mit Venaska.“ Er schleppte sie zwei Tage durch das grauenvolle Tal, sah sie leiden. Dann ertrug er es nicht mehr. Sie hatte sich nicht verändert, ihre Augen lagen in fast grünlichen Höhlen, sanft war sie geblieben. Da irrte er um den Trichter der qualmenden Erdstadt herum, immer dichter; er schien erst langsam zu wissen, was er wollte. Er trieb sie an eine der gräßlichen Spalten, in denen Verwesungsgase stiegen: „Riech das mit mir, Venaska. Das ist das Bad für uns, bevor wir Hochzeit feiern. Was bist du?“ Schmerzlich rang sie an ihm: „Ich bin nicht anders als du.“ Sie zitterte kreischte. „Nicht schreien, Venaska. Du bist nicht anders als ich. Zeig es mir.“ „Ich tue nicht, was du jetzt willst.“ „Doch. Venaska. Du bist wie ich. Du bist mein Leben. Wärst du nicht so schön, so süß. Geh weg. Geh hinunter. Was macht es aus. Keiner von uns ist ja.“ „Ich geh’ nicht.“ „Erreg mich nicht, Venaska. Reize mich nicht, Venaska. Verhöhne mich nicht mit Liebe. Habe ich nicht zu büßen. Unendlich unendlich zu büßen. Ich sterbe in diesem Gestank. Mach ein Ende.“ „Hier hast du mich hergeschleppt. Du willst mich hineinstürzen.“ „Nein. Du selbst sollst es tun. Du kannst es tun. Tu es, wenn du die Augen auf hast.“ „Ich tue es nicht. Ich bleibe bei dir, Hojet Sala. Jetzt mehr als sonst. Du wirst Reue um mich empfinden.“ „Ich will dich nicht. Sprich mich nicht an. Dich kenne ich. Grausige. Du – bist aus dem Geschlecht der Giganten. Du bist die letzte. Du bist selbst ein Untier, das Grönland ausgeworfen hat. Du lebst in mir, gräßlich: meine Besinnungslosigkeit. Laß dich anfassen, liebe Besinnungslosigkeit. Der Steile Absturz bin ich.“ Sie wimmerte: „Ich schäme mich. Wie bin ich geschändet. Süße Erde, nimm mich.“ In den Qualmwolken der Spalte flatterte Venaska, den Boden in ihrer sanften Art streichend. Sie kroch weg, verschwand vor Hojet Sala, der hinter ihr schäumte. Am selben Tag verließen die Fahrer das Rhonetal. Der Steile Absturz hatte vor den andern geglüht: „Venaska ist weg. Ich habe sie erkannt. Wir sind Menschen. Sie war es nicht. Ich erkannte sie. Sie war aus dem Geschlecht der Lurche und Riesen.“ Als man neben ihm klagte: „Stöhnt. Schmerz her. Der Schmerz. Davon brauchen wir Eimer, Zentner jeden Tag. Für uns Menschen ist nur die Hölle gut. Wenn das Feuer nicht ist, werden wir zu Steinen. Nur die Hölle tut uns not. Der Schmerz ist unsere Seele, unser Gott.“ Und leiser: „Wißt ihr, sie ist in das Feuer gegangen und war ein Stück von mir. Gesegnet, wer Erniedrigung gibt.“ * * * * * Venaska, die süße, flüchtete nach Westen. Den Dampf- und Verwesungsgasen der Krater von Lyon war sie entkommen. In Angst schleppte sie sich, allein. Sie weinte viel. Sie war das Glück der Entsetzten, zwischen denen sie sich bewegte und denen sie die braunen Hände gab. Wohin ging sie. Wohin wollte sie. Zu den Wesen Grönlands gehörte sie, hatte der Steile Absturz gesagt. Sie wollte hin zu ihnen, nach Grönland. Und dann kam sie im Westen unter die verzweifelten, oft kannibalischen hungrigen Völkermassen, die sich aus Orleans und Paris rissen. Von den Riesen sprachen sie, die sich in Cornwall versammelten. Zu den Riesen: das wollte sie. Ein bewußtlos tiefes Verlangen befiel sie, hüllte sie ein; sie lechzte zu den Riesen. Die hatte Hojet Sala geschmäht, die waren von ihrem Blut. Wie jäh das ihr gewiß war. Sie verstand nicht mehr das Klagen Heulen der Massen, das röchelnde Fluchen auf die tobsüchtigen Giganten. Ihre eigene Verzweiflung war wie die Nacht von einer Morgenröte ausgelöscht. Was ächzte und brüllte man. Wer nannte die Giganten, die fernen. Sie standen in Cornwall, gräßlich ihre Taten, grauenhaft ihre Leiber. Aber man kannte sie nicht. Nur sie allein kannte sie durch Taten und Leiber hindurch: ihr Blut, ihre Brüder. „Meine Brüder, meine geliebten Brüder“ seufzte es Tag und Nacht in ihr. Die Landschaft der Loire blickte Venaska süß an: „Ich bin wieder da, liebe Bäche, liebe Birken, liebe Gräser. Ich habe euch lange nicht gesehen. Ich war verzaubert.“ Sie legte sich nackt in einen Bach: „Liebes Wasser, das ist mein Leib. Er ist ganz für dich. Ich will nach Norden. Hilf mir herüber.“ Sie stand blaß auf dem Bergabhang, ließ sich von der Luft trocknen: „Bist kalt, lieber Wind. Das ist mein Leib, meine Brust. Hilf mir nach England.“ Das warme Licht kam hervor: „Ach die Sonne. Wozu hab’ ich Augen und Ohren. Ich fühle dich durch die Haut, auf dem Rücken, am Nacken, an den Füßen. Auf meiner Wanderung kommst du mit.“ Sie fuhr mit Menschen, die sie berückte, lange Tage bis zur Seine hinauf. Dann wollte sie niemand mehr fahren; die Furcht vor den Riesen war zu groß. Sie lachte ging, war voll Sehnsucht: „Geht nur. Die Riesen sind nicht eure.“ Die Ufer der Seine lief sie entlang, über Wiesen, durch Buschwerk. Sie war glücklich und voll Sehnsucht. Die Landschaft hing an ihr. Je rascher sie lief, um so mehr hielten die Wesen der Landschaft sie fest. Die Gräser wickelten sich um ihre Schuhe. Sie mußte die Schuhe ausziehen und barfuß laufen. Die Bäume stellten sich nachts, wenn sie schlief um sie und ließen sie nicht heraus. Sie lief, lief. Das Buschwerk, die Gräser liefen mit ihr. Die Kastanienbäume, die Linden, sommerlich blühend, wogten bei ihrer Annäherung auf. Duftwolken brunsteten sie aus, dann senkten sie ihre Wipfel, griffen mit den Ästen nach ihren Haaren. Sie kicherte, koste die Bäume: „Ach ihr! Ich muß nach Cornwall. Laßt meine Haare frei. Helft mir nach Cornwall; ich muß zu den Riesen, meinen Brüdern.“ Das Meer kam nicht, das Meer kam nicht. Sie grämte sich, sie weinte. Die dichten Gräser schlossen sie ein. Venaska war glücklich in ihrer Liebe und schluchzte vor Verlangen. Während sie ermüdete, Schritt für Schritt ging, von dem Lande umfaßt, streckte sie die Arme nach Norden aus. Die Tränen stürzten aus ihren Augen. Die Tränen liefen der Venaska voraus, fielen auf die Schultern der Giganten. In Cornwall standen, stumme Gebirge, die Giganten im Halbkreis vom Bodminmoor bis nach Egmoor im Norden. Die Erde um sich hatten sie ausgehöhlt, Felsen und Wassermassen in sich aufgesogen. Mit Erzquadern wurzelten sie in den Gabbromassiven der Tiefe. Grüne Hornblendenädelchen durchwuchsen ihre Füße, schwarzbrauner Olivin, eisendurchzogen, schob sich bis an ihre Brüste herauf, ein steinerner Mantel. Die Strahlenträger, die gesponnenen Netze, hielten sie vor sich auf der Brust, gleichmäßig alle grünschwarzen zerklüfteten wasserüberflossenen Gesichter nach Nordwesten auf das Meer gerichtet, das Meer aufzureißen, den Meeresboden aufzuschmelzen, die Flamme die Lava hervorbrechen zu lassen, Länder zu verschütten. Keine jauchzende Wildheit Krampf war mehr in den Wesen. Die Gebirgsströme brausten durch sie. Die Erdmasse lähmte sie, wollte sie vergewaltigen; sie mußten mit allen Seelenkräften anringen, um nicht zu versinken. Das Meer, die grünen Wasservölker, waren längst von der Cardiganbucht über Wales hingesprungen, durchtobten den Bristolkanal, schäumten bis zu den Füßen der steinernen Kuraggara im Norden. Tag und Nacht wallten vom Atlantischen Ozean mit Wut die ungeheuren hinpeitschenden Wogen an. Irland überdonnerten sie in ganzer Breite. Rasend stieg die Flut von Nord herunter, eine meilenbreite von schwarzen Gewittern überlagerte Straße schiebend, wühlte gegen Cornwall. Jenseits der Hebriden rissen die Wellen dampfend auseinander, entließen gähnend Dunstwolken. Neue Massen schwemmten herüber, kochten füllten die Spalten. Heller und heller von einer unsichtbaren Quelle wurde es von Woche zu Woche über der brandenden Kampfstraße. Durch Glimmen und Dämmer fuhren unaufhörlich die Blitze. Endloser Regenguß, brüllender Donner. Auf Cornwall, die Erde einziehend in ihren Leib, Flüsse aufsaugend, rangen die Giganten mit ihrem Bewußtsein. Zu dem Brüllen des Donners gesellte sich ihr tiefes Grunzen Röcheln. Das Bewußtsein wollte ihnen schwinden. Und wenn einer stöhnte, stöhnten die anderen mit, um ihn durch ihren Lärm zu erwecken. Delvil, die Dartmoorwaldungen auf seinem Rücken, bewegte nur noch die Augenlider. Die Kiefern- und Tannenstämme, lose durch seine Adern strudelnd, bohrten sich durch die rauchschwarze Haut. Die Felsen wie in einem Trichter in ihn schwemmend, packten sich an seinem Hals hoch. An seinen Schultern, an der Brust trieben sie Kanten vor, waren Abhänge Klüfte, in dem sich das gischende Wasser verfing. Und im Sturm, wie er stand –, woran dachte er, wollte sich erinnern – brannte ein Schmerz an seinem Nacken. Er achtete nicht darauf, sein bewaldeter seenwiegender Kopf sank tiefer. Da zuckten seine Finger, der Arm krümmte sich, es brannte im Nacken; welch Schmerz. Er tastete nach hinten. Etwas rief. Von wo rief es. Er murrte. Venaskas Tränen stürzten gegen seine Schultern, seinen Hals entlang. Ein Rufen: „Delvil Delvil Delvil.“ Über ihn hin dachte es: es ruft mich bei Namen. „Delvil. Delvil.“ Mit den Tränen kam der Schrei. Seine Finger tasteten hinein, warm waren sie; über seine Schulter rief es durch das Gewitter: „Delvil. Hilf mir doch. Ich bin im Gras verwickelt. Ich will zu dir.“ „Sie ruft mich bei Namen. Immer der Name. Der Name. Es ist wie damals, als Marduk entkam.“ Er brütete erregt, stöhnte: „Ich muß den Schleier halten.“ Die Tränen sammelten sich kitzelnd brennend hinter seinen Ohren. Es klagte; hörten die andern es nicht. Arme griffen über seinen Mund. Das waren Arme, über seine Augen. Er bewegte den Kopf keuchend rückwärts; ein heller Schreck durchfuhr ihn. „Delvil, ich kann nicht zu dir. Was stehst du hier. Heb du mich, süßer Bruder.“ „Oh“, bäumte er sich, grunzte hohl, „weg von mir“ und stöhnte mit den übrigen: „Die Steine. Es sind die Steine die Bäche. Sie nehmen mir das Bewußtsein.“ Das Gewitter prasselte, Schwärze, glühender Strahl. Er preßte den Schleier. „Meine Arme halten dich. Nun sind sie doch froh bei dir zu sein. Ich komme bald; nichts soll mich zurückhalten. Du bist mein Blut. Nach dir habe ich Sehnsucht. Sehnsucht, Delvil.“ Es zuckte züngelte durch sein Gehirn. Es trieb ihn an seinen Beinen zu ziehen. Was hing an seiner Brust; welche toten Körper waren seine Beine. „Du wirst mich nicht verwirren. Das Meer kommt an. Die Erde reißen wir auf.“ „Mein Blut, du, und du hast Verlangen nach mir. Ich kenne dich, wenn du dich auch wehrst. Mein Mund ist bei dir. Da ist er. Toter Bruder, sieh das Meer, es ist schön. Du fühlst mich, du fühlst alles. Du bist Wald Gebirge Fluß. Sieh das süße Leben an dir. Unser süßes Leben, Wald Fluß Gebirge. Laß sie heraufkommen zu dir. Laß sie nur kommen.“ Das Bewußtsein schwand ihm: „Ich muß stöhnen. Sie sollen mitstöhnen. Sie soll mich wecken.“ „Mein Herz kommt zu dir. Jetzt ist es da. Toter Bruder, blick dich um. Jetzt wirst du lebendig.“ Sein Kopf zuckte wild nach rückwärts. Durch die Schwärze, zwischen den Blitzen näherte sich, näherte sich ein blutendes triefendes Gebilde. Aderspielend, glühend kam das Herz Venaskas an, lautlos langsam. Senkte sich in den Berg. Den durchströmte es auf Sekunden warm. Ein weiches Dunkel bodentief brodelte durch Delvil. „Warum nicht, Delvil. Warum nicht.“ Sein Kopf war nicht mehr da, das rasende Meer war verdämmert. „Toter Bruder, nun ist uns gut. Nun hab’ ich dich. Streck dich aus. Du hast Beine, sink hin. Hin. Hin. Wir sinken. Ach ist es schön zu sinken.“ Es war nicht mehr Delvil, in Berg See Wald ausgedehnt, auseinanderfließend. Es war nicht mehr Delvil. Und zu den andern Giganten, von Bodminmoor bis zum Egmoor am Bristolkanal schwoll Venaska. Sie rangen, in Syenitmassen versenkt, mit den grünen sprießenden sie durchwuchernden Augiten, den Sandmassen, die ihre Stirnen überschütteten, den Haufen von Trümmergestein, die durch ihre Adern türmten. Die Waldbäche strömten kühl an ihnen herauf; Quellen brachen auf, wogten durch sie. Es zuckte in ihnen. Ihre Lippen suchten sich zu spitzen. Flehen Singen nahe bei ihren Ohren. Sie wurden am Hals, an den Fingern berührt. Und wie sie noch staunten aufröchelten, um sich zu erwecken, wurden sie im Innersten beseligt und ihr Mund blieb offen. Hin schwanden wie Dunst ihre Gedanken. Ein Traum schoß zu blendender Helligkeit auf: bei Namen wurden sie gerufen, Kuraggara, Tafunda, Mentusi. Tränen über die Nacken stürzend, Gurren einer Stimme. Wer war das. Wärme Sinken. Eine erschreckend sanfte süße Stimme: Kuraggara, Tafunda, Mentusi. Ist das der Tod. Ach was gibt es in der Welt. Es waren nicht mehr die Giganten, auseinanderprasselnd in Wälder Gebirge. Das donnernd sich anhebende Meer sprühte, wusch die Massen, die abstürzten, lose Stämme, leichtes Gestein und die Schleier ab. An Felsen zerrieb es sie, zersprengte sie in Lohe. Dann verebbte die schwarze Meeresstraße von Norden. Das tausendarmige Gewässer zog sich nach der Cardiganbucht zurück. Der Dampf über dem Meer verwehte. Irland hob sich seenflutend wieder aus dem Wasser. Auf Cornwall zerkrachten abrollend die steinernen Häupter und Arme der Giganten. * * * * * Aus den Löchern und Nestern der verschütteten Stadtschaften quollen die Verstörten. Sie waren ohne Nahrung; Haß Kannibalismus herrschte. Geschlossene Horden kamen von den dröhnenden britischen Inseln, Reste von dem überschwemmten Irland, schlugen sich mordend raubend durch das westliche Europa. Die Mekifabriken waren verschüttet, die Äcker nur wenig durch Siedler bestellt. Wie ein Wolkenbruch, ein Hagelwetter stürzten verheerend die Menschen, die von den Tritten der Giganten verschont waren, auf die Landschaften. Monatelang liefen sie. Leichen ließen sie hinter sich auf dem Boden. Was stark war, verschanzte sich in den wüsten Wäldern, auf Äckern, einzeln, meist in Kampfgenossenschaften, würgte was sich näherte, war hart wie Knochen, jagte Tiere. Die Ausschüttung und Überschwemmung des europäischen Kontinents, die ungeheure Katastrophe, war in einem Jahr in ihrem ersten Schwall beendet. Das Verschieben der Massen, Hin- und Herdrängen, Überwallen und neues Verschütten dauerte noch lange an. Die Islandfahrer, im wildesten Strom, waren vorbereitet ihn zu empfangen. Sie stellten sich den furchtbaren Massen mit nicht geringerer Furchtbarkeit entgegen. Arbeiteten, als wenn sie über den Vulkanen schwebten. Hielten vertierte Menschengruppen, teilten sie, trieben andere weiter. Erschienen bewaffnet, überall miteinander im Zusammenhang, in den belgischen Gebieten, an der Seine, der mittleren Loire, der Rhone. Wallartig mußten sie sich vor den glücklichen Landschaften südlich der Garonne aufbauen, um ihre Zertrümmerung zu verhüten. Schleppten nach Calais Le Havre Antwerpen, an die Girondemündung Schiffe, die aus der Grönlandexpedition rostend und faulend in den nördlichen Häfen lagen. In die afrikanischen weiten und längst aufgeschlossenen Landschaften, nach dem nördlichen und südlichen Amerika führten sie große Massen. Wie beim Uralischen Krieg, als die Feuerwalzen zusammenschlugen, das Kaspische Meer, wurde die Ostsee bei der Zertrümmerung der dänischen und skandinavischen Stadtreiche von entsetzten hungernden sterbenden Menschenwesen überschwemmt. An der südlichen Küste dieser See dehnten sich die Märker aus, bis nach Litauen im Osten, an den Rhein im Westen. Sie hatten fruchtbare bestellte Gebiete zwischen sich. Hier verdarb um diese Zeit der schwarze Konsul Zimbo, als er den Augenblick benutzen wollte, um die märkische Macht durch Überfälle nach Norden und Westen auszudehnen. Die bewaffneten starken ackerbauenden Horden erschlugen ihn in Berlin während einer Beratung, öffneten ihre Grenzen nach Norden und Westen, nahmen Scharen der Flüchtigen auf. Über die Rheingrenze gingen damals helfend märkische Horden. Die Erhaltung des größten Teils der späteren westlichen Bewohner war ihr Werk. Durch ihr eigenes Gebiet führten sie nördliche Scharen über die Warthe, die Weichsel. Die russische Tiefebene betraten sie, die wieder geglättet beruhigt begrünt war nach dem Flammenkampf. Nomadisierende mongolische und sibirische Stämme nahmen sich der einschmelzenden Städtereste an. Von den in die Stadtschaften Verlockten und Verschlagenen blieben nur die Nachkommen der älteren härteren Weißen und Dunklen auf dem Kontinent; der junge Zufluß, der nicht verkam, verebbte nach Süden. Dünn besiedelt war das Land, auf dem die gewaltigen Stadtschaften, die Mütter der Giganten gewachsen waren. Es waren in der Masse Nachfahren indianischer Mischlinge und noch nicht lange eingewanderte körperstarke Mestizen, versprengte Reste Weißer. Dann war die Wut des Orkans gebrochen. Auf dem europäischen Kontinent rangen in furchtbarster drängender Arbeit die Menschen mit dem Boden. Amerika hatte keine Gebilde entwickelt wie Delvil Tafunda Kuraggara. Hier flossen die Stadtschaften früh aus, die Senate schwanden, Apparate und Wissenschaften verdarben. Als der östliche Teil des einstmaligen Völkerkreises sich selbst zerschmetternd zusammenbrach, hatte der amerikanische Kontinent noch viele kleine fröhliche Städte innerhalb der verfallenden, Berge und Wiesen überziehenden Reste der ungeheuren Stadtreiche. In Dorfstaaten, oft bei den schwach besiedelten Resten der alten Stadtschaften ballten sich in Europa die Menschen. Es kamen nicht viel später Angriffe afrikanischer Raubhorden, die den alten Hang zum nördlichen Kontinent nicht verloren hatten. Die Vorstöße führten zu Gegenbewegungen, zur Festigung europäischer Stammesgebilde und Volksgruppen und zur Ausdehnung am Mittelmeer. Über Nordeuropa zog nach den Vorgängen in Cornwall Staub wie von Vulkanausbrüchen, wochenlang gingen Regengüsse nieder. Man beachtete es in der Verkrampfung und tödlichen Wut dieser Tage nicht. Und wer von den noch Lebenden an die Giganten dachte, fürchtete sie nicht; man kannte jetzt keine Furcht. Erst wie das Ringen zu Ende ging, besann man sich der tobenden Giganten. Und man sah die harten ledergekleideten Islandfahrer, die, hinter sich kleine Scharen neuer Entschlossener, durch die Länder ritten, Fußpfade herstellten, die verfallenen Chausseen freirissen, große Wanderscharen auseinandertrieben. Im Belgischen und am Rhein verbreitete sich das Gerücht, dies seien Männer und Frauen der alten Herrengeschlechter, die gegen die Senatoren rebellisch geworden wären, sich ungeheurer Kräfte auf Island und Grönland bemächtigt hätten und die Giganten auf den britischen Inseln niedergekämpft hätten. Seien Männer und Frauen wie Marduk und die White Baker, nur stärkere; sie hätten die Giganten mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Es nutzte nichts, daß die Islandfahrer den Gerüchten entgegentraten. Sie schwiegen zu viel, man sah ihr Vulkanzeichen und wie sie sich vor dem Feuer demütigten. Das mußte die Gewalt sein, die sie selbst niederhielt. Ob sie sich wieder wie die alten Herren über die Menschen erheben würden. Und während man vor ihnen auf der Hut war, tat man den Fahrern nach, verehrte das Feuer, um mit ihnen auf einem Boden zu stehen und auch, um nicht eine große unbekannte Gewalt zu beleidigen. Den Islandfahrern selbst, die mit ihnen siedelten, brachte man Ehrfurcht entgegen, fiel vor Hojet Sala hin. Harte Sitten der Märker, die sich nicht mehr abschlossen, zogen im Westen und Süden ein. Wie Flugsamen verbreiteten sich aber auch bei den stadtentlassenen Menschen auf den Feldern, in den Dörfern, auf den Stadtresten die ernsten liebevollen und ehrfürchtigen Gedanken des Südens. Neu fühlte man sich in das Gewitter ein, in den Regen, den Erdboden, die Bewegungen der Sonne und Sterne. Man näherte sich den zarten Pflanzen, den Tieren. Das Feuer der Islandfahrer stand wie der nachuralische Metallstier in den Landschaften zur Erinnerung an die Katastrophe. Aber schon betete man freudig und langsam atmend vor dem flackernden Licht, vor den großen Kräften, die alle errettet hatten und sie jetzt neu beseelte. Zeichen von Tieren, Holzbilder Idole tauchten an vielen Gegenden auf. Man verehrte sie, stellte sich unter ihren Schutz. Stündlich war man von geheimnisvollen Kräften umgeben; Geisterglaube wurde sehr lebendig. * * * * * Hojet Sala träumte schwer: er irrte am Seineufer entlang; auf diesen steppenartigen Flächen, zwischen diesen sich windenden Bäumen mußte vorher jemand gewandert sein, Venaska. Weiter wollte er, mußte suchen. Da war ein Dickicht. Er wollte hinein, er wollte durch. Er kam nicht heran. Er drängte und drängte. Und wie er den Hügel mit dem Dickicht anlief, wurde er plötzlich erhoben, über das schwere Buschwerk hinweg. Über den Boden, die weiten süßen sehnsüchtig begehrten Flächen flog er weg. Er wand sich, er flog. Über das brausende Wasser mußte er fliegen, das war der Kanal, in der hohen schwarzen Luft. Den Mund öffnete er: „Jetzt bin ich bald da.“ Da war auch die schwarze Wüstenei, Cornwall. Die Arme wehten wie zwei Bänder vor ihm. In der steinigen Dartmoorlandschaft ließ er sich nieder. In das knatternde Gestein senkte er sich ein. Sein Leib wurzelte in dem Berg; ein Gigant wurde er, ein steinerner toter Felsenriese. Hojet Sala erhob sich von dem Traum, vom Kopf bis zu den Füßen zitternd. Er wanderte durch die Landschaften, die von den Siedlern aufgebrochen wurden, in denen sie sich umfluten ließen vom Atem der finsteren Tannengeschöpfe und grünen Buchen. Er trat nach Norden in die Ebene des alten oberirdischen Brüssel. Da saß Ten Keir. „Ten Keir, ich suche dich. Komm von den Trümmern herunter. Du hast nur Haut und Knochen. Schließ dich uns an. Wir sind von Island und Grönland gekommen, du weißt es. Wir sind alle errettet.“ „Warum sprichst du zu mir, und kommst zu mir, Hojet Sala. Es gibt genug, die sich von dir haben brennen lassen. Warum rührst du an mir. Fürchtest du nicht, daß ich dich verbrenne und du mein Zeichen nimmst?“ „Was für ein Zeichen?“ „Ach, du meinst du triumphierst und ich verkomme auf meiner leeren zertretenen Stadt. Aber an mir ist nichts zu erretten. Ich beuge mich nicht. Es gibt keinen Gott und keine Gewalt, von der ich ein Zeichen annehme. Ich bin ein Mensch. Und du, Hojet Sala, du bist keiner.“ „Ich bin keiner, Ten Keir?“ „Nein du nicht. Sonst würdest du sitzen wie ich. Würdest jammern, daß die Giganten hin sind.“ „Die Giganten. Wohl uns, daß sie hin sind.“ „Was sprichst du, du frommer Gläubiger Heiliger. Sie sind hin. Ungeheuer sind sie gestorben. Ich weiß nicht, was sie verschlungen hat. Du warst es nicht, rühme dich dessen nicht. Du warst Kylin. Und jetzt bist du ein Steiler Absturz. Der Steile Absturz. Unterworfen, hast kein Leben, du hast kein Leben und die anderen auch nicht. Ihr seid davongelaufen vor Grönland. Ihr seid eurer Würde nicht gewachsen gewesen, wie ich, wie wir alle. Ich sitze hier. Und schäme mich und klage um die Giganten. Und auch du schlägst die Augen nieder.“ „Mein Wahn, Ten Keir, hat sich gelegt. Ich bin dadurch nicht schwach geworden.“ „Dein Wahn. Das Zittern ist in euch. Ihr sinkt, ich weiß nicht wovor, zusammen. Delvil allein ist stark geblieben. Du weißt es selbst. Warum kommst du sonst her. Ich verfluche mich und schlage mich, daß ich es erst jetzt sehe. Darum um mich zu foltern, nagele ich mich an diesen Trümmern fest. Und labe mich an diesem letzten Anblick, den sie mir hinterlassen haben. Das sind sie doch gewesen, die Riesen. Gerast haben sie, grausig waren sie, Rache haben sie geschnoben. Aber im Recht waren sie über euch und über mich. In aller Raserei hatten sie recht über mich und gar über dich, Hojet Sala. Ihr seid erbärmlich, lächerlich. Unwert der Dinge, die die Menschen geschaffen haben. Da liegt alles zertrümmert. Triumphiert.“ „Ten Keir, wie quälst du mich. O wie du mich quälst. Was hat die Giganten umgebracht? Es trieb sie, sich selbst zu vernichten.“ „Damit beschwichtigst du dich nicht und mich nicht. Sie wollten sich nicht vernichten, das sage ich dir. Ein Fehler, ein Irrtum, eine Schwäche muß sie auf Cornwall umgerissen haben. Sie hatten sich übernommen. Aber dir sage ich: gesteh es, blick mich doch an. Du gehörtest zu uns, du, und zu ihnen. Besinn dich auf dich. Kylin, denk an dich. Ich bereue, daß ich nicht Delvils Freund geblieben bin und ihn hab hinsterben lassen. Wir bereuen. Du auch. Hilf, was noch zu helfen ist. Es ist kein Mensch so verzweifelt gestorben wie ich, wenn ich jetzt sterben muß, ohne Rettung gesehen zu haben. Denk Kylin, was wir besaßen. Niemand war diesen Dingen gewachsen. Weil sie in Räuberhände fielen, in mißbrauchende Hände, waren sie nicht weniger unerhört. Und groß, und unser. Die Giganten hatten den Schleier; sie haben ihn in Wut und Rachsucht verwandt. Sie haben an sich selbst gebaut, Angst wurde mir, aber jetzt fasse ich, es war das Stolzeste, Menschenwürdigste das jemals geschah. Es ist jetzt hin, zertrampelt. Aber vielleicht, vielleicht Kylin, nicht zu spät. Sie konnten es nicht beherrschen, es kam zu rasch, immer muß Lehrgeld bezahlt werden. Ach Kylin, wir haben dich nach Grönland geschickt, um einen neuen Erdteil zu schaffen. Was war schon Meki für ein Erdteil, den wir geschaffen haben. Und du. Jetzt weinst du.“ „Nicht um die Giganten. Komm von den Trümmern herunter.“ „Ich will deine Menschen nicht sehen. Weil ich mich ihrer schäme, sitze ich hier.“ „Komm von den Trümmern, Ten Keir. Du siehst, ich weine. Du wirst nicht feige sein. Verkriech dich nicht auf Mörtelhaufen, zwischen verbogenes Eisen, verhungere nicht zwischen dem weißen Kalk. Bist du noch Ten Keir? Soll ich dich nennen. Du bist Tauschan-Dagh, Hasenberg.“ „Ich werde sterben.“ „An der Berührung mit mir, fürchtest du daran zu sterben? Komm zu mir.“ Der vertrocknete kleine, in der Sonne bebende Menschenleib wand sich herunter von den rieselnden klappernden Steinen: „Da bin ich, du.“ „Bleib bei mir.“ „Komm, Kylin, ich werde dich führen.“ Einen Tag gingen sie, einen zweiten dritten, nach Norden, durch die Dickichte und Siedlungen. Nachts wimmerte Ten Keir; er weinte um die Giganten. Beim Gehen blickte er nicht um sich. Das große schwarzgrüne Wasser kam, die Nordsee. „Abschiednehmen. Es gibt keine Rettung. Auch für dich nicht. Hier wollte ich hin. Ich nehme Abschied von dir, Kylin.“ Mit gesenktem Kopf stumm stand Hojet Sala, als der hinfällige Mann sich von ihm löste, sich über den windgeworfenen Sand schleppte. Vor den klatschenden anbrausenden Wellen blieb er. Er stand. Stand. Plötzlich rutschte Ten Keir in den Sand, lag auf der Seite. Nach einiger Zeit zog ihn der andere an der Schulter, hauchte: „Du. Ten Keir.“ Der: „Nicht anfassen. Weg.“ Hojet Sala zog seine schweren Füße die Dünen hinauf, bis er den andern nicht sah. Nach einer Stunde trug er sich wieder an das langsam anwallende Meer, das sich violett und schwarzblau überzogen hatte. Ten Keir, ein kleiner schwarzer Haufe lag in dem Sand. Still setzte sich Hojet Sala neben ihn. Der kleine richtete nach einer Weile den Kopf hoch, zuckte, setzte sich auf, schwieg, das Gesicht in die Hände gedrückt. „Du hältst mich für feige, Hojet Sala. Bin ich so erbärmlich. Ich kann nicht hier hinein. Es ist das Wasser, das sie verschlungen hat. Das hat die Giganten verschlungen.“ „Komm fort, Ten Keir, du hast hierher gedrängt. Ich leide sehr. Begnade auch mich. Bleib nicht zu lange liegen.“ Wimmernd, oft sich hinsetzend, oft die Fäuste vor den Augen, meist schlaff, folgte der ausgemergelte hohläugige dem langbärtigen Hojet Sala. Sie wanderten zurück durch den Bereich der nördlichen Siedlungen. In einem Wald, in dem man rodete, lagen gefällte abgeschälte Tannenstämme. Da setzten sie sich nebeneinander. Hojet Salas Gesicht war nach dem Boden gekehrt, überwölkt verschlossen. Am späten Nachmittag rief er Siedler in der Nähe an, die ihn erkannten. Sie sollten für ihn Steine aufhäufen mitten in der Lichtung. Er half mit, die schweren Blöcke, weiße und dunkle, heranzuschleppen. Ten Keir sah ihm eine Weile zu. Wie ihre Blicke sich begegneten, nickte Hojet Sala: „Ja. Hilf mit.“ Und der zerlumpte fühlte sich bewogen aufzustehen, aus dem Boden die harten Steine zu ziehen und zu wälzen. Und während er trug, wußte er, was sie taten: sie trugen Steine zusammen zu einem Zeichen für die Giganten. Gegen Abend war der hohe breite Haufe fertig. Die Siedler verließen sie. Zwei Tage lagerten Hojet Sala und Ten Keir bei dem großen steinernen Denkzeichen in der Lichtung. Dann bewegte sich der Langbärtige, faßte den andern bei der Hand: „Wir wollen jetzt weiter, Ten Keir.“ Sie gingen auf Brüssel zu. Vor der Steinwüste legte der Islandfahrer zum Abschied den Arm um die Schulter des andern: „Hier ist Brüssel, Ten Keir.“ Der hielt seine Hand fest: „Nicht Ten Keir. Tauschan-Dagh hast du gesagt. Laß mich nicht allein. Wir wollen um die Stadt herumgehen.“ Sie umschlangen sich. Die Diuwa, glanzäugig milde, fuhr auf einem Ochsengespann im Winter durch die schneeflatternden Landschaften, suchte in der Pariser Gegend Hojet Sala. Wollte ihm danken für den Schutz der südlichen Siedlungen, sie litt auch um Venaska, die er bei Lyon verjagt hatte. Die volle Frau mit dem schweren roten losen Haar vermochte aber nicht zu klagen. Hojet Sala ging auf den beschneiten Feldern neben ihr. Vor Kindern stand er, lachte mit ihnen, knackte trockene Zweige, sah träumerisch Krähen nach, wiegte halb scherzhaft die Arme, als wollte er mit ihnen fliegen. In seinem Häuschen sang er oft feierlich morgens wie die britischen Siedler. Er faßte auf dem Feld einmal die Diuwa bei den kalten Händen an. Ob sie ihm vorwerfen wolle, daß er nicht genug auf Schmerz sehe, daß er keine Menschen quäle, sie nicht mehr ins Feuer schicke. „Ich habe den Schmerz nicht vergessen. Wir haben die Giganten im Gedächtnis. Es sind überall Steinzeichen zu ihrer Erinnerung errichtet. Und zu ihrer Feier; sie waren gewaltige Menschen. Wir haben auch das Feuer. Es ist uns nichts entschwunden. Wir müssen dies festhalten. Diuwa, das Land nimmt uns, aber wir sind etwas in dem Lande. Es schlingt uns nicht. Wir haben keine Furcht vor der Luft und dem Boden. Kennst du, Diuwa, Ten Keir? Du kennst ihn. Er ist still geworden. Er weiß, wir haben die Kraft, das wirkliche Wissen, und die Demut. Er ist mein Freund. Er hat unser Zeichen genommen und geschworen, nicht von mir zu gehen. Warum? Er sieht, wir sind reicher und stärker geworden. Wir sind die wirklichen Giganten. Wir sind es, die durch den Uralischen Krieg und Grönland gegangen sind. Und wir, wir sind nicht erlegen, Diuwa. Du kannst an der Garonne und an der Rhone erzählen, was ich sage. Man wird uns bald auf der ganzen Erde sehen.“ Er senkte die Augen, saß auf einem Feldstein, hüllte sich bis an den Hals in sein Lammfell. Er pries Venaska; sie wäre verschwunden und wäre nicht verschwunden. Wenn er durch das Gebüsch an der Seine gehe, wisse er, wo sie verschwunden sei. Es werde alles aufbewahrt. Hojet Sala griff mit der Hand in die eisige helle Luft: ihm schiene, die große Urmacht, die sie verehrten, hätte die Giganten auf Cornwall weggerafft und sie hätte sich Venaskas bedient. Denn es ist keine tote Macht, sondern ein wissendes schwelgerisch tiefes Wesen. Diuwa, die sanfte Frau, drückte sich das lose Haar an der Schläfe fest. Sie sah den Langbärtigen, wie er aufrecht saß, ernst war, sie voll anblickte, lächelte. Sie faßte sich ans Herz: es war etwas von Venaska an ihm. Dem neu aufgeschlossenen ährenwiegenden weiten Land von der belgischen Meeresküste über die Seine bis zur Loire gab Hojet Sala den Namen Venaska. Die fleischernen blühenden welkenden Menschenwesen lagen über dem südlichen Faltenland Europas, den Schollen des Westens mit seinen uralten Massiven, den jungen Tiefländern, den ebenmäßigen schwarzen Schichten der russischen Tafel. Gebirgsmassen Höhenzüge Senken bewegte die Erde unter ihnen und um sie. In Strömen zog das weiße Wasser hin, füllte Seenbecken. Braune und grüne Pflanzengeschöpfe drangen aus dem Boden. Büsche und Wälder bauten sich längs der Donau auf, längs des Dnjepr und Don. Urwälder und Moraste von der atlantischen Küste bis zu den südlichen Pusten. Auf ihnen girrten schluchzten starben Feldblumen Gräser Vögel. Über die Flächen krochen schwammen mit nackten schuppigen behaarten Leibern Tiere, gaben nicht Ruhe um sich zu greifen, aufzunehmen, sich zu entleeren. Bis der Boden, das wandlungssüchtige Wasser, die verzehrende Luft sie ganz wieder hatte. Die Scharen der Menschen in Ruhe und Tod, in Werben und Brautkämpfen, unter Vulkanausbrüchen und Ertränkungen. Hielten sich aneinander fest, schwanden tränend hin, Schwall über Schwall, Mutter und Kind Mutter und Kind, Geliebter und Geliebte. Und immer sehnsüchtig die Gase der Luft in die Lungenbläschen hinein, an die kleinen Zellen, die Kerne, das weiche Protoplasma, immer angezogen und weiter gegeben. Und wenn die Herzen stillstanden, die Zellen sich trennten und auflösten, waren sie neue Seelen, zerfallendes Eiweiß Ammoniak Aminosäuren Kohlensäure und Wasser, Wasser das sich in Dampf verwandelte. Leid- und lustbegierig, wanderungssüchtig, Seelenvereine in Schneelandschaften, in dem pendelnden weiten Meer, in den blasenden Stürmen, den Steinvölkern, die der Boden zu Bergen hochtrieb. Schwarz der Äther über ihnen, mit kleinen Sonnenbällen, funkelnden verschlackenden Sternhaufen. Brust an Brust lag die Schwärze mit den Menschen; Licht glomm aus ihnen. Ende Werke von Alfred Döblin S. Fischer / Verlag / Berlin Die drei Sprünge des Wang-lun Chinesischer Roman / 12. Auflage Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine Roman / 4. Auflage Der schwarze Vorhang Roman von den Worten und Zufällen / 3. Auflage Wallenstein Roman in zwei Bänden / 8. Auflage Die Nonnen von Kemnade Schauspiel / 2. Auflage Linke Poot: Der deutsche Maskenball 4. Auflage Bei Georg Müller, München: Die Ermordung einer Butterblume Novellen Die Lobensteiner reisen nach Böhmen Novellen Auslieferung Ernst Rowohlt, Berlin: Lusitania Drei Szenen Druck vom Bibliographischen Institut in Leipzig Anmerkungen zur Transkription Die experimentelle Zeichensetzung des Romans, insbesondere das Weglassen von Kommata und Fragezeichen, wurde beibehalten. Desgleichen wurde die variierende und von der heutigen Norm abweichende Schreibweise geographischer Namen beibehalten. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere Änderungen, teilweise unter Verwendung späterer Ausgaben, sind hier aufgeführt (vorher/nachher): [S. 30]: ... Sie werden dir dein Gesichtchen, das sein Mütterchen ... ... Sie werden dir dein Gesichtchen, das dein Mütterchen ... [S. 39]: ... wurde neben den Senat Londons gestellt. Carceris ... ... wurde neben den Senat Mailands gestellt. Carceris ... [S. 337]: ... Zone der arktischen Länder mit Spitzbergen Norwegen Semlja ... ... Zone der arktischen Länder mit Spitzbergen Nowaja Semlja ... [S. 346]: ... zog sich lang durch die Atlantik ein unterseeischer Bergrücken, ... ... zog sich lang durch den Atlantik ein unterseeischer Bergrücken, ... [S. 356]: ... zu Häupten und Füßen überrundeten. Zwei Ringe umsausten ... ... zu Häupten und Füßen überrundeten. Zwei Ringe umsauste ... [S. 372]: ... es nicht wieder. Es war nicht das Wasser, das sie auf der Heimfahrt ... ... es nicht wieder. Es war nicht das Wasser, das sie auf der Herfahrt ... [S. 382]: ... hatten die Stadtschaften für die Grönlandexpedition Felsen abtragen, ... ... hatten die Stadtschaften für die Grönlandexpedition Felsen abgetragen, ... [S. 386]: ... sie stand auf Seite Kylins und De Barros’. Heftige Schmähworte ... ... sie stand auf Seiten Kylins und De Barros’. Heftige Schmähworte ... [S. 394]: ... Springbrunnen weiß aus den Nasenlöchern auf dem schwarzen ... ... Springbrunnen weiß aus den Nasenlöchern auf den schwarzen ... [S. 409]: ... habe ich getan? Habe dich gekränkt? Indem ich Jeloud diese ... ... habe ich getan? Habe ich dich gekränkt? Indem ich Jeloud diese ... [S. 576]: ... Sie kicherte, koste die Bäume: „Ach ihr! Ich muß noch Cornwall. ... ... Sie kicherte, koste die Bäume: „Ach ihr! Ich muß nach Cornwall. ... [S. 576]: ... Laßt meine Haare frei. Helft mir noch Cornwall; ich muß zu ... ... Laßt meine Haare frei. Helft mir nach Cornwall; ich muß zu ... *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BERGE MEERE UND GIGANTEN *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. 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