The Project Gutenberg EBook of Reise durch England und Schottland by Johanna Schopenhauer This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Reise durch England und Schottland Author: Johanna Schopenhauer Release Date: January 24, 2004 [EBook #10823] Language: German Character set encoding: ASCII *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE DURCH ENGLAND UND SCHOTTLAND *** Produced by Tina Gr"we Reise durch England und Schottland Johanna Schopenhauer ENGLAND VORLAeUFIGE BEMERKUNGEN UeBER ENGLAND Es ist eigentlich recht erfreulich, in diesem Lande zu reisen. Die schoensten Landschaftsgemaelden aehnlichen Parks, die Gaerten, die zweckmaessige Einrichtung der Haeuser, der raffinierte Luxus, die Nettigkeit der Ordnung ueberall, die selbst in dem unbedeutendsten Hausgeraete sich zeigende Eleganz und Bequemlichkeit, machen Einen frohen Eindruck auf den Besuchenden. Man wuenscht sich alle diese Dinge nicht, weil man ihrer nicht gewohnt ist, oft nicht einmal ihren Gebrauch kennt; aber man bekommt ein Gefuehl von heiterem Lebensgenusse. Nur den Wunsch, sich der Kunstwerke recht zu erfreuen, sie zu studieren, vielleicht etwas zu kopieren, muss man nicht aufkommen lassen; denn seine Erfuellung ist in diesem Lande mit so vielen Schwierigkeiten umgeben, dass sie fast undenkbar wird. Von den Schoenheiten des Landes und der Wege, von den bequemen Gasthoefen, die man auch in den abgelegensten Gegenden findet und in welchen man nur einen wohlgefuellten Beutel braucht, um gleich so gut und vielleicht besser als zu Hause zu sein, von der trefflichen Einrichtung des Postwesens ist ueberall viel gesagt und geschrieben, und dennoch nicht zu viel, um dieses in seiner Art vollkommenste Ganze gehoerig zu loben. Fuer jetzt wollen wir uns aber darauf beschraenken, eine allgemeine Idee eines englischen grossen Landhauses mit seinen Umgebungen aufzustellen und alsdann versuchen zu beschreiben, was wir auf einer Reise von London durch das noerdliche England nach Schottland zu sehen Gelegenheit hatten. Ein englischer Park ist von dem, was man sich in Deutschland unter diesem Namen denkt, merklich verschieden. Er umfasst die das Wohnhaus oder Schloss zunaechst umgebenden, eigentlich zu demselben gehoerigen Laendereien und ist gewoehnlich von ziemlichen Umfange. Aecker und Wiesen, mit lebendigen Hecken zierlich eingefasst, durchschnitten von wohlgehaltenen Kieswegen zum Gehen und Fahren, liegen in seinem Bezirk, sowie auch einzelne Wirtschaftsgebaeude von gefaelliger, aber doch ihre Bestimmung andeutender Form. Ueberall hat man nach malerischen Effekten gestrebt, und die sanften Anhoehen und Vertiefungen dieses Landes erleichtern dieses Streben; aber immer ist das Nuetzliche mit dem Schoenen vereint. Der hoechste Schmuck dieses Parks sind die ueppige Vegetation der wohlbestellten Aecker, die unvergleichlich schoenen gruenen Wiesen und die praechtigen Baeume, groesstenteils Eichen und Buchen, welche ueberall in Gruppen verteilt stehen. In England haben die Baeume das Eigne, dass sie mehr als in anderen Laendern gleich von der Wurzel an ausschlagen und kleinere Zweige treiben. Enge, durch dichte Schatten und Gebuesche sich hinschlaengelnde Gaenge findet man in keinem Parke; auch Gehoelze sind, wie ueberall in England, selten. Man koennte sagen, es fehle Schatten, wenn nicht gerade in diesem Lande, wo bei sehr milder Luft dennoch die Sonne selten recht heiss und hell scheint, der Schatten entbehrlicher waere als anderswo. Die Kioske, Tempel, Einsiedeleien unserer Parks fehlen dort ebenfalls; alle diese zur Zierde dienenden Gebaeude sind in die vom Park ganz verschiedenen, das Haus naeher umgebenden Anlagen, in die sogenannten Pleasure-Grounds verwiesen. Nur in sehr grossen Parks, wie die von Blenheim oder Stowe, steht hier und da ein Obelisk, eine Pyramide oder ein Turm, um vom Schloss aus eine Ansicht zu gewaehren. An Wasser darf es nie fehlen. Kuenstliche Wasserfaelle kennt man nicht Und noch weniger Springbrunnen. Fliesst aber ein kleiner Fluss oder nur ein betraechtlicher Bach in der Naehe einer solchen Besitzung, so muss er, wenn auch mit grossen Kosten herbeigefuehrt, sich in mannigfaltigen Kruemmungen hindurchschlaengeln. Fehlt es an lebendigem Wasser, so sucht man wenigstens einem stehenden Kanale den Schein davon zu leihen. Man gibt ihm eine leichte, natuerliche Kruemmung, verdeckt Anfang und Ende mit ueberhaengendem Gebuesche, wirft schoene Bruecken darueber und taeuscht so das Auge, oder man verwandelt die Ufer eines Teichs in die unregelmaessigen Umgebungen eines kleinen Sees. Ueberall strebt man nach dem Schoenen und flieht das Gesuchte, Steife, Pretioese. Die Staffage vollendet diese lebendige Landschaft. Hunderte von halbzahmen Hirschen und Rehen weiden beinahe ganz furchtlos auf den gruensten Wiesen der Welt; mit ihnen die schoensten Pferde, Kuehe und Ziegen, besonders in der Naehe des Hauses, wo sich die Wiesen rings umher wie ein Teppich auf das herrlichste ausbreiten. Die schoenen Gestalten dieser Tiere, ihre leichten freien Bewegungen, ihr Wohlsein geben dem Ganzen einen unbeschreiblichen Reiz. Immer liegt das Wohnhaus auf einer sanften Anhoehe, alle Baeume sind aus seiner naechsten Naehe verbannt, damit Licht, Luft und Sonne kein Hindernis finden. Dennoch ist es nicht heiss in den Zimmern, teils weil es ueberhaupt in England nicht heiss ist, teils wegen der wenigen Fenster, die aber so verstaendig angebracht sind, dass jeder Teil des Gebaeudes sein hinlaengliches Licht hat. Die aeussere Ansicht der englischen Landhaeuser ist aus unzaehligen Kupferstichen bekannt genug. Selten herrscht ein ganz reiner Geschmack darin, oft sind sie mit Verzierungen ueberladen. Die Hauptfassade ist gewoehnlich mit Saeulen geziert. Sind gleich die Verhaeltnisse derselben nicht immer die richtigsten, scheinen sie oft muessig dazustehen, so gewaehren sie doch immer ein angenehmes, schattiges Plaetzchen vor dem Hause, von welchem man recht behaglich ins Freie ueber den gruenen Wiesenplan hinaussieht. Unter und vor diesen Saeulen stehen unzaehlbare fremde Gestraeuche und Blumen in Vasen, teils auf schoenen Gestellen uebereinander getuermt, teils auf den Stufen des Eingang und den Gelaendern zierlich geordnet. Der Luxus, den man mit diesen Pflanzen treibt, ist unglaublich. Taeglich muessen die verbluehten hinweggeschafft und andere an ihre Stelle gesetzt werden. Hoechst reizend ist der Anblick dieser Shrubberies. Florens Schaetze werden aus allen Laendern der Welt hierher gezaubert. Doch auch ueber diese schoensten Kinder der Natur herrscht in England das eiserne Zepter der Mode. In der Zeit, aus welcher diese Beschreibung stammt, hatte sie gerade die Eriken oder Heidekraeuter ihrer besonderen Huld gewuerdigt. Man gab wohl fuenfzig und mehr Guineen fuer so ein geruch-, oft farbenloses Kraut hin, wenn es nur aus einem recht entfernten Winkel der Erde herstammte. Grosse Orangerien sind in England, ausser in den koeniglichen Gaerten, selten anzutreffen. Die innere Einrichtung der Haeuser richtet sich hier, wie ueberall, nach dem Reichtum und Geschmacke des Erbauers, des Bewohners und des Zeitalters, in welchem sie entstand. Die meisten haben grosse, vollkommen erleuchtete und hohe Souterrains, in welchen sich die Kueche, die Gewoelbe zur Bewahrung der Vorraete nebst den Bedientenzimmern befinden. Letztere sind durchaus gut moebliert, ja die der Haushaelterin und des Haushofmeisters (in England Butler genannt) sogar elegant, huebsch tapeziert, mit Mahagonimoebeln und guten Fussteppichen. Auch bei den Bedienten wird die englische Sitte beobachtet, dass sie ausser ihren Schlafzimmern noch Wohnzimmer und Speisezimmer haben. Aus dem Garten tritt man gewoehnlich zuerst in eine grosse, hohe, oefters von oben beleuchtete Halle, die mit Gemaelden oder Statuen, Basreliefs oder Vasen geziert ist. Zu beiden Seiten liegen die verschiedenen Putz- und Wohnzimmer; ein langes Zimmer enthaelt die Bibliothek, deren schoene Schraenke und zierliche Einbaende sie zu einem der elegantesten Zimmer des Schlosses machen. In vielen Haeusern ist es Sitte, dass die Familie sich zum Fruehstueck darin versammelt. Sonst gibt es noch Fruehstueckszimmer, Arbeitszimmer, Musikzimmer, Gesellschaftszimmer, (Drawingrooms), Wohnzimmer (Parlours), Speisezimmer, Spielzimmer in Menge, doch selten von ausgezeichneter Groesse. Ueberall einfache Pracht, Fussboeden, Treppen und Vorplaetze mit schoenen Teppichen belegt. In vielen Haeusern wechselt man im Sommer die warmen Winterteppiche mit kuehlen, von gemalter Wachsleinwand, welche von betraechtlicher Dicke eigens dazu fabriziert wird. Mahagoniholz sieht man meistens nur an Treppengelaendern, grossen Esstischen, Bettstellen; die Moebel in den herrschaftlichen Zimmern sind von fremden koestlicheren oder kunstreich lackierten Hoelzern. Man findet es buergerlich, unmodisch, laecherlich, die Moebel an den Waenden hinzustellen, wie es in Deutschland gebraeuchlich ist; in den Wohn- und Gesellschaftszimmern stehen alle in einem grossen Kreis umher, so dass noch ein betraechtlicher Raum zum Spazieren zwischen den Stuehlen, Sofas, Tischen und den Waenden uebrig bleibt. Die Schreibtische sowohl als die Pianofortes sind immer mitten im Zimmer, wo eben das Licht am guenstigsten faellt und man nicht von der Hitze nahe am Kamin oder vom Zug nahe am Fenster leidet. Noch muessen wir der Kamine gedenken, die, kuenstlich in Marmor gearbeitet oder mit brillantiertem Stahl geschmueckt, eine der groessten Zierden der Zimmer ausmachen. Schoene Vasen und praechtige Kandelaber prangen auf ihren Gesimsen. Der zweite Stock enthaelt die Schlafzimmer, welche indessen den Fremden nur selten gezeigt werden. Diese, besonders die der Damen, sind ein Heiligtum, in welches kein sterbliches Auge dringen darf. Oft hoerten wir Englaenderinnen mit wahrem Grausen von der Sitte der Franzoesinnen sprechen, welche gerade ihre Schlafzimmer zum Besuchszimmer vorzugsweise erwaehlen. So viel von der inneren Einrichtung der englischen Villen im allgemeinen. Kehren wir jetzt zurueck zu den naechsten aeusseren Umgebungen derselben. Die Obst- und Gemuesegaerten, die Treibhaeuser liegen mit allen zur inneren Oekonomie gehoerigen Gebaeuden ganz nahe am herrschaftlichen Hause, werden aber durch mancherlei Vorkehrungen dem Auge entzogen. Diese Bezirke sind es, was der Englaender eigentlich Gaerten (Gardens) nennt. Der zur Fusspromenade bestimmte Teil der Besitzung heisst Pleasure-Ground und liegt ganz nahe am Hause. Hier trifft man Aehnlichkeit mit den deutschen Parks: Gaenge, die sich bald durch dichte Schatten, bald mehr im Freien hinschlaengeln, Tempel, Saeulen, Denkmaeler, Ruheplaetze und den ganzen architektonischen Reichtum der neueren Gartenkunst. Alle Gebaeude sind von Stein, alle Gelaender und Tueren von schoenem eisernen Gitterwerk. Hier bluehen und gruenen die vielen einheimischen Gestraeuche, Baeume und Blumen neben den aus fremden Laendern heruebergebrachten, die stark genug sind, den Winter im Freien zu ertragen. Viele Pflanzen, die wir in Deutschland sorgfaeltig vor der Kaelte schuetzen muessen, halten den durch Seeluft gemilderten englischen Winter aus, zum Beispiel der Laurus Tinus, da Heliotropium und der Jasmin (Jasminum officinale). Die beiden letzteren haben wir oft in einer Hoehe von sechs bis acht Fuss sich an den Mauern hinziehen sehen. Obstbaeume aller art werden aus diesen Anlagen verbannt. Die verstaendige Weise, mit welcher alle Baeume mit Hinsicht auf Hoehe, Wuchs und die dunklere oder hellere Farbe ihres Laubes geordnet sind, gibt dem Ganzen einen Zauber, den man fuehlt, ohne sich ihn gleich erklaeren zu koennen. Alles ist zur schoensten befriedigenden Einheit gebracht. Das Auge wird sogar in Hinsicht der Entfernung eines Gegenstandes oft getaeuscht. Die englischen Gaertner sind wahre Landschaftsmaler im Grossen, ja wir moechten sie fast fuer die einzigen eigentlichen Kuenstler der Nation erklaeren. Jeden Vorteil, den Optik und die Regeln der Perspektive ihnen darbieten, wissen sie gar gut zu benutzen, ohne doch ins Kleinliche zu fallen. Mit den Nadelhoelzern aller Art, den verschiedenen, uns zum Teil in Deutschland unbekannten, immergruenen Stauden und Straeuchern, deren einige sogar bisweilen im Dezember bluehen, werden sehr schoene Effekte hervorgebracht. Gewoehnlich sieht man davon in der Naehe des Hauses eine Art Wintergarten an einem sonnigen Platz angelegt, in welchem man sich bei winterlichem Sonnenschein ergehen und, von allen Seiten durch das Gruen getaeuscht, in den Fruehling hineintraeumen kann. Solche Anstalten sind auf jener Insel notwendiger als bei uns: denn derselbe wunderliche Geist, der die Einwohner dieses Landes die nacht zum Tage umzuschaffen bewog, verwirrte auch den Lauf der Jahreszeiten. Der Winter herrscht in Hinsicht auf Kleidung und Vergnuegen bis ueber die Mitte des Junius hinaus. Dann faengt der Fruehling erst an, und so muss der Sommer und mit ihm der Aufenthalt auf dem Lande, welcher in der Regel erst im August und noch spaeter beginnt, bis nach Weihnachten verlaengert werden, damit jedem neben dem Unrecht auch sein Recht geschehe. Der Haupteingang zum Park, ein oft sehr praechtiges Tor, hat zu beiden Seiten zwei kleine Gebaeude, die Wohnung des Tuerhueters und seiner Familie, bei welchem sich jeder Einlassbegehrende vermittelst einer Glocke meldet. Dieses Tor mit seinen Gebaeuden, the Lodge genannt, ist eine Hauptzierde des Parks. Die beiden Pavillons sind bald im gotischen Geschmacke, bald im aegyptischen; sie stellen Tuerme, griechische Tempel oder auch nur artige, moderne Gartenhaeuschen vor, je nachdem der Geschmack des Erbauers war. Immer hat der Tuerhueter eine freundliche, artige Wohnung darin, mit Kueche und Keller und allem, wessen er bedarf, wohl versehen, und manche angesehene Familie in Deutschland wuerde zufrieden sein, einen solchen Sommeraufenthalt zu besitzen. Woburn-Abbey [Fussnote: Johanna trat die Reise nach laengerem Aufenthalt in London mit ihrem Gatten am 30. Juni oder 31. Juli 1803 an] Dieser Landsitz, der erste, welchen wir besuchten, ist das Eigentum des Herzogs von Bedford, des reichsten Particuliers und zugleich des groessten Oekonomen in England. Sein Bruder, der Oekonomie mit noch groesserem Eifer ergeben, starb vor wenigen Jahren, sechsunddreissig Jahre alt, und hinterliess dem jetzigen Besitzer, welcher sich dem geistlichen Stande gewidmet hatte, das grosse Vermoegen. Woburn liegt eine Tagesreise von London entfernt. Das erste, was man uns hier zeigt, waren natuerlicherweise die Wirtschaftsgebaeude, vor allem die Viehstaelle: denn der Herzog, wie seine Vorgaenger, beschaeftigt sich hauptsaechlich mit diesem Zweige der Landwirtschaft. Auch machen die vierbeinigen Eleven aller Art ihrem Erzieher Freude und Ehre. Sie tragen bei den in England gewoehnlichen Preisbewerbungen in Hinsicht der Groesse, Schoenheit und des Gedeihens gewoehnlich ueber alle anderen Mitbewerber den Preis davon. Dafuer wird auch alles getan, um ihr Andenken nach ihrem leider fast immer gewaltsamen Tode zu verewigen. Im Schloss wimmelt es von gemalten oder in Stein gehauenen aehnlichen Bildnissen der wohlgeratensten unter ihnen. Viele davon sind sogar in Kupfer gestochen, und ihr Portraet prangt in den Londoner Kupferstichlaeden neben anderen beruehmten Portraets von grossen Gelehrten oder Ministern. So wenig wir auch vom Landhaus verstehen mochten, so war es uns doch unmoeglich, die Ordnung ueberall und die zweckmaessigen Einrichtungen ohne Vergnuegen und Bewunderung zu sehen. Man zeigte uns viele in diesem Lande der Industrie erfundenen Maschinen, um die laendliche Arbeit zu vereinfachen, zu erleichtern und eintraeglicher zu machen. Zum Beispiel eine Dreschmaschine; eine andere um das Getreide abzuschaelen, damit kein Mehl in den Kleien verlorengehe; noch eine, womit man in der Muehle vier Sorten Mehl mit einem Mal durchbeutelt, und noch manches andere von dieser Art. In den Viehstaellen herrscht eine unglaubliche Reinlichkeit, besonders da, wo wir sie am wenigstens vermuten konnten, im Schweinestalle. Die Bewohner dieses Orts hatten aber auch ein so gesegnetes Gedeihen, waren so gross und von der Last ihres Fettes so niedergedrueckt, dass sie uns voellig lebensmuede erschienen. Noch zeigte man uns verschiedene ihrer Schoenheit wegen beruehmte Stiere und einige indianische Kuehe. Letztere haben einen geraderen Ruecken und einen kleineren Kopf, uebrigens sehen sie wie andere Kuehe aus. Der Park mit seinen herrlichen Wiesen und den ehrwuerdigen Baeumen ist von pittoresker Schoenheit. Herden zahmer Hirsche und Rehe grasten darin umher, zu achtzig Stueck und mehrere zusammen, mitten unter ihnen die schoensten, groessten Schafe, einige asiatische mit dicken Fettschwaenzen. Die furchtlose Ruhe dieser Tiere von so verschiedenen Gattungen erfreute uns jedes Mal, so oft wir den lieblichen Anblick auch sahen; sie fuehrte ein Bild der schoenen goldenen Zeit vor die Seele. Das an sich grosse Schloss zeichnet sich vor andren weder durch besondere Pracht noch grosse Schoenheit aus. Es ist zu neu, um ehrwuerdig, zu alt, um elegant zu erscheinen. Nur montags steht es Fremden offen; fuer uns traf es sich diesmal sehr gluecklich. Wir durchliefen eine Menge Zimmer voll Gemaelden, groesstenteils Portraets. Sechs grosse wunderschoene van Dycks, ganze Gestalten in Lebensgroesse, fielen uns besonders auf. Dann auch das Portraet des ungluecklichen Grafen Essex, ebenfalls in Lebensgroesse. Er hatte eine schlaue, hoechst bedeutende Physiognomie und einen ganz roten Bart. Ihm gegenueber haengt das Portraet der Koenigin Elisabeth, im geschmacklosesten, uebertriebensten Putz, ohne allen weiblichen Reiz. Der historischen Gemaelde und Landschaften, groesstenteils aus der niederlaendischen Schule, sind eine grosse Anzahl, und darunter gewiss Stuecke von hohem Werte. Auch eine sehr elegante Bibliothek befindet sich im Schlosse. Das Orangeriehaus ist einfach praechtig. Acht grosse Marmorsaeulen tragen in der Mitte desselben eine von oben erleuchtete Kuppel und umgeben eine grosse, mit Basreliefs geschmueckte antike Marmorvase, ueber die man ein ganzes Buch schreiben koennte und an der wir fluechtig voruebereilen mussten. Zu beiden Seiten der Orangerie ist eine oben bedeckte Promenade angebracht: sie bildet einen halben Kreis und dient zum Spazierengehen bei schlechtem Wetter und im Winter. Geissblatt, Rosen, echter Jasmin, Heliotrop und viele andere aehnliche Gewaechse umranken die Pfeiler und die auf ihnen ruhenden Bogen, welche die Bedachung tragen; unzaehlige seltene und schoene Blumen und Gewaechse stehen in Vasen, der Promenade entlang. Ganz in der Naehe ist das Reithaus, ein anderes Haus zum Ballschlagen und eine Art von Pracht-Milchkammer, mit Fenstern von gemaltem Glase. Alle zur Milcherei gehoerigen Gefaesse sind darin von seltenem japanischen und chinesischen Porzellan--Die eigentlichen Spaziergaenge fanden wir, im Vergleich mit den uebrigen, weder gross noch praechtig, aber geschmackvoll angelegt. Stowe's Garden Landsitz des Marquis von Buckingham Diese Gaerten werden mit Recht fuer die schoensten und praechtigsten in England gehalten und liegen in nicht gar grosser Entfernung von Woburn. Wir erreichten sie noch denselben Abend, nachdem wir nachmittags Woburn verlassen hatten, und fanden in dem dicht daneben liegenden Gasthofe sehr gute Bedienung. Stowe's Garden enthaelt einen Reichtum von Tempeln, Obelisken, Saeulen, Pavillons aller Art. In jedem beschraenkteren Platze ist freilich weise Sparsamkeit mit solchen Verzierungen nicht genug zu empfehlen; aber hier in diesem grossen Raume faellt die Anzahl der Gebaeude nur auf, weil man jedesmal die glueckliche Wahl bewundern muss, mit der sie angebracht sind, und zugleich den Reichtum, der die Mittel darbot, auf eine so kostbare Weise eines der natuerlich schoensten Plaetzchen der Erde noch zu verschoenern. Unmoeglich ist's, diese Gaerten durch blosse Worte darzustellen, man muss sie gesehen haben, um sie sich denken zu koennen. Sie bilden die schoenste, lieblichste Landschaft, die nur eine Dichter-Phantasie erfinden konnte. Auch wandelt man hier auf klassischem Boden. Lord Cobham, dem sie hauptsaechlich ihre Verschoenerung verdanken, lebte hier in der glaenzendsten Zeit der englischen Literatur. Die besten Koepfe Britanniens waren seine Freunde und teilten in diesem reizenden Aufenthalte frohe Tage mit ihm. Auch ist alles getan worden, um hier das Andenken jenes seltenen Vereins zu erhalten. In einem der Freundschaft gewidmeten Tempel stehen Cobhams und seiner Freunde Buesten in Marmor, eine Art halboffener Rotunde enthaelt die Buesten merkwuerdiger Menschen, die zu verschiedenen Zeiten sich um das Vaterland verdient gemacht haben. Koenig Alfred, Koenigin Elisabeth, Pope, Newton, Franz Drake und mehrere andere, durch Jahrhunderte voneinander getrennt, sieht man hier, wo nur das allen gemeinsame Streben gilt, in geschwisterlichem Vereine. Eine hohe Saeule, welche Lord Cobham zu erbauen anfing, ist von seinem Nachfolger Lord Temple vollendet und seinem Andenken gewidmet. Sie ist inwendig hohl und enthaelt eine hundertsiebzig Stufen hohe Wendeltreppe. Man geniesst oben einer vortrefflichen Aussicht nach Oxford zu. Eine andere Saeule steht hier zum Andenken des General Wolf; eine kleinere, mit einem Globus verziert, zu Ehren des Weltumseglers Kapitaen Cook. Noch muessen wir eines gotischen Tempels gedenken, mit Fenstern von gefaerbtem Glase, durch welche die Gegend umher sich wunderbar ausnimmt. Diese Anlagen sind reich an schoenen alten Baeumen, besonders Eichen und Zypressen; ein ungeheuer grosser Taxusbaum zeichnet sich besonders aus. Schattige Gaenge ziehen sich um einen kleinen See. Einige natuerliche Wasserfaelle, schoene malerische Bruecken, alles ist hier vereint, was einen solchen Platz nur zu verschoenern vermag. Das Haus besteht aus einem zwei Stock hohen Hauptgebaeude und zwei Fluegeln von einem Stock. Unter einer von Marmorsaeulen getragenen, weit vorspringenden Attika bluehen die seltensten Pflanzen in Blumentoepfen. Von hier tritt man in die praechtige, durch eine Kuppel von oben erleuchtete Halle. Am Friese ist ein roemischer Triumphzug in Marmor abgebildet. Marmorsaeulen zieren ringsumher diese Halle; zwischen ihnen stehen marmorne Statuen. Aus der Halle tritt man in einen kleineren, mit antiken Buesten verzierten Saal, in dessen Mitte ein schoener Apoll aufgestellt ist. Diese Statue sowohl als der groesste Teil der in der Halle befindlichen, sind Antiken. Die nicht ganz modern dekorierten Zimmer enthalten einen Reichtum an Gemaelden, meist Niederlaendern, namentlich Rembrandts, unter anderem das eigene Portraet dieses Meisters, dessen Arbeiten in England besonders hochgeschaetzt werden. Ein Kabinett voller Portraets, groesstenteils aus dem merkwuerdigen Kreise, den Lord Cobham hier um sich versammelte, ist sehr sehenswert. Hier findet man Pope, Swift, Steele, Addison, der ein hoechst gutmuetiges Gesicht hat, und viele andere; auch ein Originalportraet der ungluecklichen Maria Stuart. Sie ist in wunderlicher Kleidung mit einem sehr hohen Halskragen dargestellt und erscheint weit weniger schoen, als man sie sich zu denken gewohnt ist; doch mag auch wohl die nicht ausserordentliche Kunst des Malers daran schuld sein. Lady Buckingham und ihre Tochter beschaeftigen sich auch mit der Malerei. Die Mutter malt in Oel, die Tochter Pastell; sie haben ein ganzes Zimmer mit ihren Arbeiten dekoriert, von denen sich uebrigens nichts weiter sagen laesst, als dass es von solchen Damen doch lobenswert ist, wenn sie ihre Zeit auf diese Weise hinzubringen suchen. Wir fuhren denselben Abend, an welchem wir uns in Stowe umgesehen hatten, nach Woodstock, einem Staedtchen, das auf vielfache Weise bekannt ist. Das praechtige Schloss Blenheim, welches die Koenigin Anna ihrem Lieblinge, dem Herzog von Marlborough [Fussnote: John Churchill (1650-1722), Staatsmann und Feldherr, gewann vor allem durch den Einfluss seiner Frau Sarah auf die Koenigin Anna, die letzte Herrscherin aus dem Hause Stuart (1702-14), hoechste politische Macht.], zum Dank fuer seine erfochtenen Siege schenkte und nach einem der glaenzendsten benannte, liegt ganz nahe daran. Auch werden hier die vorzueglichsten, in ganz England beliebten Stahlarbeiten nicht fabrikmaessig, sondern von einzelnen Arbeitern in ihren Haeusern verfertigt. Wir besuchten einen der geschicktesten, um einiges von ihm zu kaufen. Wie ein Maler, der sein Lieblingsbild mit Gold weggeben muss, so betrachtete der gute Alte seine besten Scheren und Messer mit wahrem Kuenstlerschmerz, ehe er sie uns uebergab und ermahnte uns noch beim Schneiden, sie ja gut zu bewahren und zweimal des Tages mit Wolle abzureiben: denn ihm schienen sie das Wichtigste, was uns beschaeftigen koennte. In historischer Hinsicht ist Woodstock besonders merkwuerdig. Auf einer Wiese, die jetzt zum Park von Blenheim gezogen ist, stand einst ein Landhaus, in welchem die Koenigin Elisabeth in ihrer Jugend erzogen, ja gleichsam gefangen gehalten ward. Sie konnte damals nicht hoffen, dass ihre Ansprueche an die Krone von England einst geltend werden wuerden; und eben diese Ansprueche, die sie gewiss oft in jenen Zeiten bitter beweinte, waren es, die ihr Freiheit, Umgang mit Menschen und jede Jugendfreude raubten. Hier erwarb sie sich alle die Kenntnisse, die Festigkeit, Klugheit, welche sie spaeterhin zur weisen, gluecklichen Regentin machten. Wie war es aber moeglich, dass diese fruehere Erfahrung des Ungluecks, diese Einsamkeit, diese Bekanntschaft mit allen Guten und Grossen, was weise Maenner vor ihrer Zeit dachten und schrieben, sie nur klug, nicht auch gut machten? Sie, die einst auch gefangen war, wie konnte sie ihre unglueckliche Schwester Leiden fuehlen lassen, welche sie selbst nur zu gut aus Erfahrung kannte und sie zuletzt dem fuerchterlichen Tode auf dem Blutgeruest weihen! Die Nachwelt ist gerecht. Jeder Englaender spricht noch jetzt von Elisabeth, dem Weibe, und der Name der ungluecklichen Maria wird noch ueberall mit Liebe und Mitleid genannt. Die Fehler der Stuart sind vergessen, aber ihr Unglueck und ihre Liebenswuerdigkeit lebt noch in allen Herzen. Blenheim Als wir uns in Woodstock morgens frueh anschickten, nach unserer Gewohnheit vor's erste den Park zu durchwandern, sahen wir mit Erstaunen, dass ein himmelhoher Phaeton [Fussnote: leichter, eleganter Wagen], mit zweien ziemlich unbaendig scheinenden Schimmeln bespannt, unser vor der Tuer des Gasthofes harrte. Die Wirtin versicherte uns mit der in solchen Faellen gebraeuchlichen Eloquenz, es waere geradezu unmoeglich den Park zu Fusse zu sehen. Wir fuegten uns also ihrer Einrichtung, bestiegen das so gefaehrlich aussehende Fuhrwerk und hatten alle Ursache, mit diesem Entschlusse zufrieden zu sein. Der Park ist so gross, dass kaum anderthalb Stunden zu der Fahrt hinreichten. Die Schimmel waren weniger unbaendig, als sie zuerst schienen, und die grosse Hoehe des jetzt aus der Mode gekommenen ganz unbedeckten Fuhrwerks erleichterte gar sehr das Umsehen nach allen Seiten und den Genuss der verschiedenen sich darbietenden Aussichten. Uebrigens wird Blenheim auf eine noch umstaendlichere und dadurch auch kostspieligere Weise gezeigt, als es bei anderen Landsitzen gebraeuchlich ist. Der Geist der stolzen Frau ihrer Zeit, der Lady Sarah, Marlboroughs Gemahlin, scheint noch jetzt auf die in ihrem ehemaligen Wohnsitze uebliche Etikette Einfluss zu haben. Ein grosses, praechtiges Tor mit zwei Nebengebaeuden, die Wohnung des Tuerwaerters, dient dem Park zum Haupteingange; eine Inschrift auf einer darueber angebrachten Marmorplatte belehrte uns, dass Lady Sarah diese Art von Triumphbogen ihrem verstorbenen Gemahl zu Ehren erbaute. Der Tuerhueter empfing uns mit einer wahrscheinlich fuer diesen Zweck ein fuer allemal auswendig gelernten Anrede, ging ganz ernsthaft etwa fuenfzig Schritte neben dem Wagen her, dann liess er ihn halten. "Dies ist die erste Aussicht", rief er uns zu; "da drueben sehen Sie ein Wasser mit einer schoenen geraden Bruecke; daneben rechts steht ein hoher Obelisk, des Herzogs taten, die Schlachten, die er schlug und gewann, sind daran zu lesen; seine Statue steht auf der Spitze des Obelisks und ist zehn Fuss hoch, so klein sie auch von hier aus erscheint." So ging es eine feine Weile; uns ward langweilig zu Mute: denn alles, was wir spaeter in der Naehe sehen sollten, ward hier von weitem gezeigt, ohne dass man uns Zeit gelassen haette, der wirklich mannigfaltigen und lieblichen Aussicht uns zu erfreuen. Dennoch war es unmoeglich, dem Strome dieser eingeuebten Rede Einhalt zu tun. Endlich waren wir an dem Orte, wo der laestige Redner, nach der hergebrachten Regel dieses Hauses, von uns scheiden musste. Er uebergab uns einem Foerster, der uns zu Pferde begleitet, legte uns noch zum Beschluss, trotz der herzoeglichen Livree, die er trug, den endlichen Zweck aller seiner Redekunst, besonders an's Herz und schied, nachdem er ihn erreicht hatte. Sein Nachfolger war zum Glueck weniger beredt; bescheidentlich ritt er neben uns her und sprach nur, wo es notwendig war. Der Park ist einer der schoensten in England. Sanfte Anhoehen, liebliche Taeler in freundlicher Abwechslung, bedeckt mit dem schoensten Grase, werden von vielen hundert Rehen und Damhirschen belebt. Mehrere schoene steinerne Bruecken fuehren ueber einen Kanal, welchem man sehr taeuschend das Ansehen eines sanft sich hinwindenden Stroms zu geben wusste. Einige zerstreut liegende Tempel und andere Gebaeude, der Obelisk mit der Statue des grossen Marlborough und unzaehlige alte herrliche Baeume gaben ihm einen unbeschreiblichen Reiz. Ueberall sind mannigfaltige Aussichten auf das Schloss, das Wasser, die Bruecken, die Gebaeude mit Auswahl und bescheiden sich verhuellter Kunst veranlasst. Nachdem wir alles gehoerig bewundert und uns auch mit dem Foerster abgefunden hatten, uebergab uns dieser dem Gaertner, welcher uns in den das Schloss in der Naehe umgebenden, zum Spazierengehen bestimmten Anlagen herumfuehrte. Auch diese sind sehr reizend und lieblich, aber bei weitem nicht so praechtig als die von Stowe. Ihre zierliche Einfachheit muss zwar gefallen, doch duenkte uns, sie wuerde sich besser zu jenem kleineren, in prunkloserem Stil erbauten Schlosse schicken, und dagegen die mit so viel Reichtum ausgestatteten Gaerten von Stowe zum Prachtpalaste von Blenheim. Eine wasserreiche, immer laufende Kaskade, ein lieblicher Weg um einen kleinen See herum und viele vorzueglich grosse, schoene Baeume bilden hier die schoensten Partien. Als wir des nachmittags hingingen, das Schloss zu sehen, wurden wir am Eingange des zweiten Hofes von einer alten Frau empfangen, die wir anfangs fuer die Haushaelterin hielten, welche uns, wie das in England gebraeuchlich ist, die Zimmer zeigen sollte. Sie machte, wie alle Englaenderinnen der unteren Klasse, einen kleinen wunderlichen Knicks bei jedem Worte, das wir zu ihr sprachen, und fuehrte uns mit grosser Redseligkeit bis an das Schloss. Hier nahm sie wieder mit unzaehligen Knicksen Abschied und belehrte uns, ihr Amt waere, die hohen Herrschaften (the Quality nannte sie es) mit gebuehrendem Respekt zu empfangen und dahin zu sehen, dass sie, wie es sich gehoere, ueber den Hof begleitet wuerden. Wir gaben ihr lachen ein paar Schilling und das Zeugnis, dass sie ihrem Amte trefflich vorstehe, und so schieden wir mit wechselseitiger Zufriedenheit voneinander. Das Schloss ist ein durch seine Groesse imponierendes Gebaeude; uebrigens schwer, bunt, kraus, mit einer Unzahl von Saeulen, Vasen, Treppen, Gelaendern und Tuermen verziert oder verunziert. Die grosse Halle, in welche man zuerst im Schlosse tritt, ist sehr hoch, sehr gross und, wie die in Stowe, ebenfalls von oben erleuchtet. Sie hat einen schoen gemalten Plafond, den marmorne Saeulen unterstuetzen, schoene, zum Teil antike Statuen stehen ringsumher. Die uebrigen Zimmer sind von altmodischer Pracht, alles solid und koestlich, wie man es an diesem Orte erwarten muss. Franzoesische Hautelisse-Tapeten schmuecken mehrere Saele, alle stellen des grossen Herzogs Siege vor, sind aber leider sehr verblichen. Die Gemaeldesammlung ist sehr gross; eine Magdalena von Tizian und eine heilige Familie von Leonardo da Vinci, zwei Marattis, Bettelbuben vorstellend, einige Portraets von van Dyck sind uns bei dem schnellen Durchfliegen noch einigermassen im Gedaechtnisse geblieben; Raffaele zeigte man uns wenigstens ein halb Dutzend, von denen dieser grosse Meister selbst wahrscheinlich nie einen sah. Treffliche Niederlaender sind hier, verschiedene Gemaelde von Rubens, Bauernstuben voll Leben und Wahrheit von Ostade, Steen und anderen. Gewaltsam mussten wir uns von diesen, in engen Banden gehaltenen Schaetzen wegwenden. Ein grosses Gemaelde von Sir Joshua Reynolds, den jetzigen Herzog und seine Familie vorstellend, haengt auch hier; aber die Nachbarschaft sowohl als das Kostuem tut ihm Schaden. Noch ein grosser, hoher, von oben erleuchteter Saal, von la Guerre mit vieler Wahrheit gemalt, duenkt uns des Erwaehnens wert. Der Plafond stellt den Herzog vor, wie Zeit und Friede ihn in seinem Triumphwagen aufhalten. Die Waende sind wie eine offene Halle gemalt; rundum laeuft ein Gelaender, hinter welchem alle europaeischen Nationen mit charakteristischer Physiognomie und Kleidung in verschiedenen Stellungen stehen. Die Figuren, etwas ueber Lebensgroesse, uebrigens von taeuschender Wahrheit, ragen halb ueber das Gelaender vor. Die Bibliothek, ein sehr langes schmales Zimmer, soll an siebzigtausend Baende enthalten. Am Ende derselben steht die marmorne Statue der Koenigin Anna in voelliger Staatstracht; mit dem Koenigsmantel, dem langen, ueber einen oben schmalen, unten breiten Reifrock gespannten Kleide, dem hohen Halskragen und der Krone auf dem Haupte, sieht sie wie eine grosse Weihnachtspuppe aus; Spitzen und Stickereien aber sind mit bewundernswuerdigem Fleisse in den harten Stein gearbeitet. Auch in der Bibliothek haengen viele Portraets; der grosse Herzog und seine Sarah sind hier abgebildet; sie haelt die herzogliche Krone recht fest und schaut keck und uebermuetig in die Welt hinein. In der Schlosskapelle zeigte man uns das grosse Grabmal, welches Lady Sarah sich, ihrem Gemahl und ihren zwei Kindern noch bei Lebzeiten setzen liess. Die Familie ist in Lebensgroesse darauf zu sehen, nebst einem ansehnlichen Gefolge von Tugenden und Genien. Es ward in London gefertigt und sehr teuer bezahlt; das ist alles, was wir davon zu sagen wissen; weder der Gedanke noch die Ausfuehrung zog uns an. Des fluechtigen Sehens ueberdruessig, ermuedet von dem Stehen und Gehen in den vielen grossen Zimmern, eilten wir in unseren Gasthof zurueck und entsagten einer Sammlung von altem echten japanischen und chinesischen Porzellan, die man uns als etwas sehr Merkwuerdiges zu zeigen sich erbot. Birmingham und Soho Wir reisten jetzt auf Birmingham [Fussnote: heute einer der groessten Industriestaedte der Welt mit ueber 1 Million Einwohnern, hatte zur Zeit Johannas etwa 75 000] zu. Die Gegend verschoente sich mit jeder Meile, Berge wechselten mit lachenden Taelern. Wir mussten zuweilen die Raeder einhemmen, weil der Weg zu steil bergab fuehrte. Die Aussichten von der Hoehe sind sehr reizend. In Birmingham selbst erklommen wir noch einen steilen Berg, der uns lebhaft an den Hradschin in Prag erinnerte, ehe wir zu dem grossen eleganten Gasthofe gelangten. Dieser heisst noch immer "Zur Henne mit den Kuechlein", obgleich der Wirt in unseren, immer vornehmer werdenden Zeiten sich alle Muehe gibt, ihn zu Lloyd's Hotel umzustempeln. Birmingham ist durch seine Fabriken weit und breit beruehmt, ja man koennte fast behaupten, es gaebe kein Dorf im kultivierten Europa, vielleicht kein Haus, in welchem nicht irgendein Produkt der Industrie dieser Stadt zu finden waere, sei es auch nur ein Knopf, eine Nadel oder ein Bleistift. Die Stadt selbst ist schon durch ihre bergige Lage nicht schoen; der Rauch der vielen Fabriken und Werkstaetten, die hier ihr Wesen treiben, gibt ihr ein duesteres, schmutziges Ansehen. Ueberall hoert man haemmern und pochen, alles laeuft am Tage geschaeftig hin und wider, niemand hat Zeit, solange die Sonne leuchtet. Dafuer hallen des abends die Strassen vom Geschrei und von Gesaengen derer wider, die sich den Tag ueber unter der schweren Last des Lebens abarbeiteten. In den wenigen Stunden, die sie dem alle Sinne laehmenden Schlafe des ermuedeten Arbeiters abstehlen koennen, suchen sie in Tavernen und Spielhaeusern die Freude zu haschen, an die sie den Tag ueber nicht denken konnten. Den Tag nach unserer Ankunft eilten wir, den merkwuerdigsten Punkt dieser Gegend, Soho, das zwei Meilen von Birmingham gelegene Etablissement des Herrn Boulton [Fussnote: Matthew (1728-1809) gruendete mit James Watt die erst Dampfmaschinenfabrik der Welt; die Fabrikanlagen in Soho gruendete er 1762], zu besuchen. Wir finden in ganz England, vielleicht in ganz Europa keinen glaenzenderen Beweis von dem, was Industrie, Fleiss und anhaltendes Streben nach einem Ziele vermoegen, als diesen kleinen freundlichen Fleck. Herzlich freuten wir uns, seinen Schoepfer, den achtzigjaehrigen Boulton, noch in voelliger Geisteslebendigkeit kennen zu lernen, obgleich sein Koerper der Krankheit, dem Alter und der unermuedeten Arbeit laengst unterlag. Wir fanden ihn durch Steinschmerzen voellig gelaehmt; im Hause liess er sich durch zwei ruestige Bediente herumtragen; im Freien fuhr er sich selbst in einem der kleinen bequemen Fuhrwerke, die in England zum Troste der dort so haeufigen Lahmen und Gebrechlichen erfunden wurden. Alles dies hinderte ihn nicht, uns, die wir ihm durch einen seiner Freunde empfohlen waren, ueberall selbst hinzubegleiten. Sein dunkles Auge blitzte von Jugendfeuer, als er uns erzaehlte, wie er alle die vielen sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten mutig bekaempfte und gluecklich ueberwand. Freundlich erklaerte und zeigte er uns alles. Und als wir in die dortigen Anlagen traten, die er mit Hilfe einer Dampfmaschine dem unfruchtbaren Sumpfe abgewann, sprangen uns seine bluehenden Enkel entgegen, spannten sich vor sein Waegelchen und fuhren den gluecklichen Greis wie im Triumph davon. Achthundert Menschen finden in Soho taeglich Arbeit und Brot. Hier werden englische Kupfermuenzen und auslaendische, fuer die ostindische Compagnie, fuer Amerika und manche fremde Hoefe gepraegt. In Deutschland sagt das Geruecht: Boulton lasse auch die vielen falschen Muenzen fabrizieren, die von England aus Deutschland ueberschwemmen. Dem ist aber nicht so, er hat an dem gesetzlichen Wege mehr Arbeit, als er bestreiten kann, und ist zu rechtlich, zu reich, um sich einem so gefaehrlichen Handwerke zu unterziehen. Vor diesem war das Nachpraegen fremder Muenzen, wenn nicht erlaubt, doch in England toleriert; sie wurden wie Rechenpfennige angesehen und in grosser Menge, meistens auf Bestellung spekulativer Koepfe in Deutschland und anderen Laendern, ziemlich oeffentlich fabriziert. Seitdem aber der Galgen so gut auf diesen Zweig der Industrie gesetzt ist wie auf das Nachmachen englischer Banknoten und Muenzen, wird dieses Geschaeft nur ganz heimlich betrieben. Es soll indessen in Birmingham an dergleichen Fabriken, welchen oft eine Knopffabrik zum Aushaengeschild dient, nicht fehlen. Ausser der Muenze enthaelt Soho noch eine grosse Fabrik von plattierten Waren aller Art, eine Glasfabrik und eine von Dampfmaschinen. Die erstaunenswuerdigste Erfindung der letzteren, bei dem Reichtum an Steinkohlen fuer England von unermesslichem Wert, hat Boulton erst auf den Gipfel von Vollkommenheit gebracht, auf welchem sie jetzt steht. Er verfertigt Dampfmaschinen fuer ganz Europa und Amerika, laesst aber diese Fabrik niemanden sehen, weil sich oft Leute bei ihm einschlichen, die seine Gastfreundschaft missbrauchten und muehsam errungenen Vorteile ihm abzusehen strebten, waehrend er sie freundlich bei sich aufnahm. Er sagte uns, wir wuerden es unartig gefunden haben, dass er in allen Gasthoefen, viele Meilen um Birmingham her, ein Avertissement anschlagen liess, in welchem er bekanntmachte: dass ohne besondere Empfehlung an ihn keinem Fremden sein Etablissement gezeigt werden. Durch den ewigen Zulauf von Fremden, der ihm oder doch einem seiner Associes alle Zeit raubte und unter seinen Arbeitern ewige Stoerungen veranlasste, wurde er zu diesem Schritte gezwungen, den er hoechst ungern tat. "Nichts ist unertraeglicher", sagte er, "als ein Haus zu besitzen, das eine Sehenswuerdigkeit ist (a rare show) oder gar selbst eine zu sein; beides war mein Fall, denn jeder, der Soho gesehen hatte, glaubte schon aus Hoeflichkeit dessen Stifter in Augenschein nehmen zu muessen, und so wusste ich mir am Ende nicht anders zu helfen, als auf diese unfreundliche Weise." Das Wohnhaus in Soho ist ein huebsches, bequemes und grosses Gebaeude, ueberall Sauberkeit und Eleganz, nirgends Pracht, nirgends ein Streben, mit den praechtigen Villen der Grossen des Landes zu wetteifern. Es liegt sehr angenehm: aus den vorderen Zimmern uebersieht man eine sehr schoene, reiche Gegend, im Vordergrunde die Stadt; fruchtbare angebaute Huegel steigen ueber ihr empor. Dicht vor dem Hause liegt ein huebscher Garten voll Blumen und fremder Pflanzen und hinter dem Hause eine reizende Promenade, laengs den Ufern eines kleinen Sees, welchen Boulton schuf, indem er vermittelst der Dampfmaschine die alten Suempfe austrocknete und das Wasser hier sammelte. In einer Ecke desselben ergiesst sich ein Wasserfall von einem mit schoenen Blumen und Baeumen gezierten Huegel. Alles dieses war vor ungefaehr zwanzig Jahren eine oede, sumpfige Heide. Die Fabrik von plattierten Sachen erschien uns besonders interessant. Es ist unmoeglich, schoenere Formen und bessere Politur zu sehen, als dem Silber hier gegeben wird. Man kann das Plattierte von dem ganz Silbernen durch's Auge allein nicht unterscheiden, und es gibt auch, auf die Weise wie hier gearbeitet, dem Silber an Dauer wenig nach. Auf ein Stueck Kupfer, etwa eine halbe Elle lang und eine Achtelelle im Durchmesser, werden Laengen aus zwei Platten von ganz reinem Silber, etwa den zehnten Teil so dick als Kupfer ist, oben und unten aufgeschmolzen. Dann wird es durch Walzen, von einer Dampfmaschine getrieben, zu Blech ausgedehnt, so duenne man es bedarf. Das Silber bleibt dabei immer mit dem Kupfer im naemlichen Verhaeltnisse. Dieses Blech braucht man zur Verfertigung der Leuchter, Kannen und allen Silbergeraetes, welches eine Flaeche bietet; zu den Henkeln, Fuessen und dergleichen nimmt man eine runde, mit Silber belegte Stange Kupfer, die auf die naemliche Weise, wie wir oben beschrieben, behandelt wird. Die aeusseren Ecken werden den Gefaessen von massivem Silber angesetzt; auch sind die meisten Verzierungen daran ganz Silber. Die Glasschleiferei ist ebenfalls merkwuerdig. In einem sehr langen Zimmer sieht man eine Menge Schleifsteine unaufhoerlich schnell sich drehen. Eine lange hoelzerne, am Boden horizontal liegende Walze, welche durch eine unter dem Zimmer sich befindende Dampfmaschine getrieben wird, setzt sie alle in Bewegung. Mit der groessten anscheinenden Leichtigkeit schleifen die Arbeiter die schoensten Muster auf die Glaeser mit einer bewundernswuerdigen Genauigkeit, ohne alle Vorzeichnung, indem sie dieselben an die wie von Zauberei getriebenen Scheiben halten. Von hier aus kommen groesstenteils die schoenen Girandolen, Luester, Trinkglaeser und Prachtvasen, die glaenzendste Zierde grosser Tafeln, welche wir oft in den, bei naechtlicher Beleuchtung einem Feenschloss aehnlichen, flimmernden Glaslaeden Londons nicht genug bewundern konnten. Die letzte Politur wird dem Glase vermittelst einer hoelzernen Scheibe, statt des Schleifsteins, gegeben. Die Muenze arbeitete gerade diesen Tag nicht. Herr Boulton liess aber einige kleine Geldstuecke praegen, um uns den Mechanismus zu zeigen. Acht Praegstoecke werden hier ebenfalls von einer Dampfmaschine getrieben; jeder derselben praegt in einer Minute dreissig bis einhundertzwanzig Stuecke aus, je nachdem sie groesser oder kleiner sind, und zwar auf beiden Seiten zugleich. Bei jedem Stempel ist eine hoechst sinnreich erfundene Maschine angebracht, die mit Blitzesschnelle das eben gepraegte Stueck fort und ein noch ungepraegtes an dessen Stelle einschiebt. Alles dieses scheint wie von unsichtbaren Geistern getrieben. Das Gepraege der Muenzen ist durchgaengig schoen. Sie sind alle vollkommen rund, von gleicher Groesse und moeglichst gleichem Werte. In einem anderen Zimmer werden die Muenzen geschnitten, ehe sie gepraegt werden; noch in einem anderen nach dem Praegen gereinigt, indem sie in langen leinenen Saecken hin und her geschwungen werden. Auch diese Operation wird durch die Dampfmaschine bewerkstelligt. Zum Abschiede statteten wir noch der Dampfmaschine selbst einen Besuch ab. Wir sahen in einem unterirdischen Gewoelbe eine Pumpe durch den Dampf des darunter in einem verschlossenen, eingemauerten Kessel kochenden Wassers unaufhoerlich in Bewegung gesetzt. Diese Pumpe trieb einige grosse Raeder, diese Raeder kommunizierten mit den vielen, in den oberen Zimmern befindlichen mannigfaltigen Maschinen und brachten alle die Wunder hervor, die uns oben in Erstaunen gesetzt hatten. Das ist alles, was wir durch's blosse Anschauen von dieser bewundernswerten Erfindung begriffen. Das Wasser muss das ganze Jahr im Kochen erhalten werden, damit die Maschine nie stocke. Herr Boulton versicherte uns, es gehoere weit weniger Feuerung dazu, als man auf den ersten Augenblick glauben moechte. Burton und Derby Von Birmingham reisten wir ueber Burton [Fussnote: Burton-upon-Trent, beruehmte Brauereistadt, die ihre Entstehung den braukundigen Moenchen der Burton Abbey im 11. Jahrhundert verdankt. Die Guete dieses Bieres wird auf die Qualitaet des Wasser zurueckgefuehrt] nach Derby. Burton ist ein freundliches Staedtchen, weltberuehmt durch das Ale [Footnote: helles, alkoholreiches, stark gehopftes Bier mit bitterem Geschmack und kraeftigem Schaum], welches nirgends so gut gebraut wird als hier. In Friedenszeiten gehen jaehrlich grosse Sendungen davon nach ganz Europa, besonders nach Russland. Auch nach Amerika ward viel davon verschifft. In England trinkt man es, wenn es einige Jahre gelegen hat, in buergerlichen Haeusern zum Dessert. Auch ist es dann durch die Zeit so stark, dass es sich mit jedem Wein an Geist messen kann und den Biergeschmack ganz verliert. Derby ist eine ziemlich grosse, aber nicht schoene Stadt. Sie enthaelt viele Fabriken, unter anderen eine Seidenspinnerei; am ausgezeichnetsten ist die Porzellanfabrik. An Feinheit des Tons mag das hiesige Porzellan wohl dem Meissner und Sevres nachstehen; aber in Hinsicht auf Farben, Vergoldung und Schoenheit der Form in den verschiedenen Vasen und Geschirren laesst es nichts zu wuenschen uebrig. Die Figuren von Biskuit bleiben weit hinter den saechsischen zurueck, sowohl in der Erfindung als der Ausfuehrung. Auch hier sieht man deutlich, wie der englische Kunstsinn nur das gerade Nuetzliche und Bequeme hervorzubringen vermag; doch dieses auch in der hoechsten Vollkommenheit. Zum erstenmal in England mussten wir bei unserer Abreise auf Pferde warten, und endlich erschienen um sechs Uhr abends zwei, die des Tages Last reichlich getragen hatten. Wir wollten nach Matlock, einem siebzehn Meilen von Derby im gebirgigen Derbyshire gelegenen Badeorte. Siebzehn Meilen sind in England gewoehnlich in zwei bis drei Stunden abgefahren; daher achteten wir den heftigen Regen nicht, der uns ohnehin in unsere Zimmer eingekerkert haette, und reisten ab. Die Pferde waren sehr muede: der Postillon konnte sie ungeachtet allen Treibens kaum von der Stelle bringen; langsam schlichen sie fort, Schritt vor Schritt. Uns war, als waeren wir auf irgendeiner Poststrasse in der Mark. Wir fuerchteten, die armen Tiere wuerden zuletzt aus Ermuedung ganz stille stehen. Der Regen stroemte heftiger, und die Nacht brach sehr finster herein, obgleich wir uns in der ersten Haelfte des Junius-Monats befanden. Der Weg war sehr bergig, hohe Felsen tuermten sich vor uns auf; wir sahen ihre kolossalen Konturen nur schwach durch die dunkle Nacht. Nah und fern flammten Feuer aus den Ziegelbrennereien ringsumher, feurigen Gespenstern gleich, was uns die Finsternis nur auffallender machte, ohne sie zu erleuchten. Die Pferde scheuten sich einigemal davor. Wir fuhren steile Abhaenge hinab und hinauf, tief unten brausende Waldstroeme liessen uns Abgruende neben dem Wege ahnen. Das Geklapper der vielen Muehlen, das Brausen der vom Wasser getriebenen Raeder aller Art in dieser fabrikreichen Gegend, das Sausen der Gewaesser ringsumher, der Wind, der Regen, die flammenden Limekilns (Kalkoefen), alles vereinte sich, diese Nacht zu einer der schauerlichsten zu machen. Die Situation war romantisch, das ist nicht zu leugnen; wir freuten uns indessen doch sehr, nach elf Uhr ihr Ende und das Ziel unserer Reise erreicht zu haben. Im alten Bade in Matlock fanden wir allen Komfort, den man nur in einem englischen Gasthofe erwarten kann, und die abenteuerliche, ermuedende Reise machte ihn uns doppelt angenehm. Badeorte Es wimmelte in England von Badeorten aller Art. Jeder am Ufer des Meeres gelegene Ort, dessen Strand und andere Umgebungen es erlauben, ist zum Bade eingerichtet. In allen findet man mehr oder weniger, vornehmere oder geringere Gesellschaft, je nachdem die Mode es gewollt hat. Zu diesen Badeplaetzen sowohl als zu den im Lande gelegenen mineralischen Quellen fluechtet jeder, der keine eigene Villa besitzt, oder auf keiner eingeladen ist, und doch der Schande entgehen will, im Sommer in London gesehen zu werden. Bekanntlich ist dann die Stadt (so heisst London vorzugsweise in ganz England) leer, obgleich die Strassen von Menschen wimmeln und der Fremde diese angebliche Oede gar nicht bemerkt. Alle Leute, welche man vom Anfang Julius bis gegen Weihnachten in London sieht, sind sogenannte Niemands (Nobodies) und werden gar nicht gerechnet. Die feinere Welt, die Muessigen, die Reichen, die Gluecksritter, alles fluechtet aufs Land oder ins Bad. Die Seebaeder sind im ganzen die besuchtesten und luxurioesesten. Die mineralischen Quellen werden oefter von der mittleren Klasse besucht, welche dort mehr laendliche Freuden als rauschende Ergoetzlichkeiten sucht. Bath macht hiervon eine Ausnahme: im Sommer besuchen es die wahrhaft Kranken, die Lahmen und Gichtbruechigen der warmen Quellen wegen. Die eigentliche Saison aber faengt dort erst im Dezember an und waehrt bis zum Fruehjahr. Alle Londoner Freuden sind alsdann wohlfeiler und nach verjuengtem Massstabe auch in Bath zu finden. Deshalb eilen die dorthin, welche gern gross und vornehm leben moechten und doch nicht reich genug sind, um dieses in London zu koennen. Viele grosse Familien bringen einige Winter in Bath zu, um durch diese Oekonomie ihren zerruetteten Finanzen wieder aufzuhelfen. Nach Bristol hingegen treibt selten die Freude, oefter die Not, so ausgezeichnet schoen auch die dortige Gegend ist. Man weiss, wie viele Opfer die Schwindsucht jaehrlich in England hinwegrafft. Bristols Quelle wird gewoehnlich als der letzte Versuch der Rettung von den englischen Aerzten angeraten. Dass es wirklich oft der letzte sei, bezeigen die vielen Denkmaeler auf dem dortigen Gottesacker. An allen diesen Plaetzen ist die Lebensweise sehr verschieden: in den kleinen Baedern, wie in Matlock, lebt man still und ruhig, geselliger zwar, wie es sonst in England unter Unbekannten gebraeuchlich ist, aber dennoch weit weniger so als in Deutschland in aehnlichen Verhaeltnissen. In den grossen, von den Vornehmen besuchtesten Baedern herrscht eine strenge, wunderliche Etikette. Wir werden weiterhin Gelegenheit finden, hiervon ausfuehrlicher zu sprechen. Vorjetzt kommen wir zu Matlock und seinen Umgebungen. Matlock Freundlich und dennoch erhaben, einsam und dennoch voll regen Lebens, ist dieses liebliche Tal eines der schoensten Plaetzchen Britanniens. Sei es immer, dass seine Heilquelle wenig wirksam ist, es braucht ihrer nicht, um in dieser himmlischen Gegend neue Lebenskraft zu finden. Auch sahen die fuenfzig oder sechzig Badegaeste, die wir hier fanden, gar nicht aus, als ob Aeskulap sie mit seinem Schlangenstabe hierher gebannt haette. Sie schienen sich vor dem wilden, unsteten Treiben des Lebens hergefluechtet zu haben, um einmal ruhig Atem zu schoepfen und dann mit frischem Mute wieder an ihr Werk zu gehen. Der eigentliche Badeort besteht nur aus drei schoenen grossen Gasthoefen und zwei Logierhaeusern. Das Dorf Matlock liegt etwa anderthalb Meilen davon. Es ist unmoeglich, dies reizende Tal durch blosse Beschreibung anschaulich darzustellen: so still, so heimlich liegt es da, durchrauscht von der Derwent, umgeben von hohen, kuehnen Felsen, die bald schroff und nackt gen Himmel starren, oefter noch ihre mit den schoensten Baeumen gekroenten Gipfel freundlich erheben. Wir schifften in einem Nachen auf der Derwent umher, so weit sie befahrbar ist; freilich nur eine kleine Strecke; denn es ist ein wildes Bergwasser, voll Faellen und Strudeln. Die Felswaende zogen sich enger zusammen, als wollten sie uns den Weg versperren; die Straeucher am Ufer bildeten Lauben ueber den Nachen, und drohend schauten die Felsspitzen von oben hinein. Dann traten sie wieder zurueck, und wir sahen freundliche Huetten, mit Gaertchen und Wiesenplaetzchen untermischt, an ihrer Seite hangen; stattliche Haeuser, grosse Fabrikgebaeude, zu ihren Fuessen liegen. Kunstlose, wie von der Hand der Natur geschaffene Spaziergaenge ziehen sich an beiden Ufern zwischen Wald und Fels dahin, bis zurueck zu unserem Gasthofe. Ihm gegenueber erhebt sich der hoechste Fels dieser Gegend. Die Landleute nennen ihn High Tor. Auf einem groesstenteils schattigen, nicht sehr beschwerlichen Wege stiegen wir hinauf. Wir erblickten oben von einer Seite das enge Tal in der ganzen Pracht seiner ueppigen Vegetation. Mitten hindurch gaukelt der Strom; an dem gegenueberstehenden, waldbewachsenen Fels lehnen die netten Gebaeude des Bades und geben ein freundliches Bild des bequemen, geselligen Lebens in dieser Abgeschiedenheit. Von der entgegengesetzten Seite blickten wir in ein zweites Tal. Als ob noch nie ein menschlicher Fuss bis hierher gedrungen waere, so heimlich in verborgener Stille liegt es da, rings umgeben von gruenen Bergen. Schoene Herden weideten ohne Hirten im hohen Grase. Nirgends sahen wir die wilde, einfache Schoenheit der Natur gluecklicher mit hoher Kultur vereint als hier am Ufer der Derwent. Die Freuden der Badegaeste beschraenken sich groesstenteils auf den Genuss dieser herrlichen Natur; denn ein Bowling green [Fussnote: dazu Johanna in einer Anmerkung: "Ein gruener, solgfaeltig mit Walzen geglaetteter Rasenplatz, zu einem nur in England gebraeuchlichen Spiele mit Kugeln."] und einige Billard-Tafeln sind alles, was die Kunst zu ihrem Ergoetzen ihnen hier darzubieten wagt. Getanzt wird selten und nur auf Veranlassung der Badegaeste selbst: denn der Spekulationsgeist der hiesigen Wirte reicht nicht so weit. Dem Wasser erzeigt man die Ehre, es warm zu nennen, wir fanden es kaum lau; es schmeckt recht gut und ist sehr klar. Die Baeder sind so bequem und reinlich eingerichtet, wie man es nur in diesem Lande erwarten kann. Fuer den Geologen ist Matlock hoechst interessant, die verschiedenen Steinarten, Flussspate, Stalaktiten usw., welche Derbyshire hervorbringt, sind allbekannt. In Matlock findet man sie in zwei eleganten Laeden in aller ihrer Mannigfaltigkeit zum Verkaufe und zum Anschauen ausgestellt, zum Teil roh in sehr schoenen Exemplaren fuer den Liebhaber und Sammler, der auch zu Kaminen, Urnen, Vasen, Schreibzeugen und unzaehligen anderen Dingen verarbeitet wird. Alle diese Sachen werden zu niedrigen Preisen hier verkauft, sie sind vortrefflich poliert, von schoener Form und sehen ungemein glaenzend und elegant aus. Leider ist es wegen ihrer Zerbrechlichkeit schwer, sie weit zu verfuehren. Noch ist eine versteinernde Quelle [Fussnote: kalksinterhaltiges Wasser] hier merkwuerdig. Alles, was man hineinlegt, wird in kurzer Zeit inkrustiert, und wenn es laenger liegt, ganz in Stein verwandelt. Der Waechter dieser Quelle zeigte uns eine auf diese Weise verewigte Peruecke und einen Haarbesen, die beide in dieser Gestalt gar wunderlich aussahen. Jenseits der Derwent, dem Dorfe schraeg gegenueber, liegt Cromford Mill, die Baumwollspinnerei des Sir Richard Arkwright [Fussnote: (1732-92), urspruenglich Barbier, baute 1769 die erste brauchbare Spinnmaschine, die wegen der Anwendung von Wasserkraft auch Wassermaschine genannt wurde], die erste, welche er,der eigentliche Erfinder der in ihren Wirkungen ans Wunderbare grenzenden Spinnmaschinen, erbaute. Dieser durch seine mechanische Geschicklichkeit und seinen ausdauernden Mut so merkwuerdige Mann war urspruenglich ein Barbier; er hatte bei seinen Unternehmungen Schwierigkeiten zu bekaempfen, denen ein gewoehnlicher Mann unterlegen waere. Er verdiente, maechtige Freunde zu finden, die ihm hilfreich beistuenden, und er fand sie; sein grosses Unternehmen gelang, und er selbst lebte lange genug, um im hohen Wohlstande sich dessen zu erfreuen. Noch heute ist diese Fabrik, welche jetzt aus drei Spinnmaschinen besteht, im Besitz der Familie Arkwright, welche die ganz nahe dabei gelegene schoene Villa Wellersley bewohnt. Das von weissen Steinen massiv erbaute Wohnhaus sowohl als die grossen Fabrikgebaeude am Ufer des Stromes, beschirmt von maechtigen Felsen, erhoehen die Schoenheit der Gegend. Noch erfreulicher aber ist der Anblick des Wohlstands, der durch sie ringsumher unter den Einwohnern des Tals verbreitet wird. Wir sahen mit wahrer Freude an einem Sonntagabend die wohlgekleideten Arbeiter mit ihren geputzten Weibern und Maedchen spazieren gehen, umspielt von schoenen reinlichen Kindern. Die englischen Bauernmaedchen und jungen Weiber sind durchgaengig schoene Gestalten, aelter werden sie oft zu dick. In ihrem Putze sehen sie gewissermassen vornehm und damenhaft aus. Ein feiner Strohhut, mitfarbigem Bande geschmueckt, auf einem kleinen schneeweissen Haeubchen, steht den artigen bescheidenen Gesichtern sehr gut. Dazu grosse, weisse musselinene Halstuecher, ein Rock von durchgestepptem Zeug von eine hellen Farbe, himmelblau oder rosenrot bei den Eleganten, und ein vorn offenen kattunenes langes Kleid, hinten kuenstlich mit Nadeln aufgesteckt, alles blendend rein bis auf die feinen weissen gewebten Struempfe [Fussnote: dazu Johanna in einer Anmerkung: "Nur die aermsten Englaenderinnen stricken; diese Arbeit wird bei ihnen fuer schimpflich gehalten]. Dies ist ihr Sonntagskostuem, von welchem das der Wochentage nur durch dunklere Farben und schlechteren Stoff abweicht. Hinter dem Wohnhause von Wellersley strecken sich die dazu gehoerigen grossen, wohlangelegten Promenaden hoch den Berg hinan. Die mannigfaltigen Ansichten des Tales von oben herab sind wunderschoen. Die Gaerten enthalten Treibhaeuser und eine huebsche Orangerie. Ueberall sieht man die segensreichen Fruechte des Fleisses und der Industrie. An einem fruehen Morgen verliessen wir endlich ungern das freundliche Matlock. Lange noch zog sich der Weg durch das Tal am Ufer der bald ruhig hinfliessenden, bald ueber Felsstuecke wild daherbrausenden Derwent. Dann wand sich der hohe Berge hinan, deren Gipfel uns eine weite Aussicht auf das fruchtbare, durch unzaehlige Fabriken und Haeuser belebte Land eroeffneten. Jetzt fuehrte der Weg abwaerts; im Morgenlicht schimmerte uns ein praechtiges Gebaeude entgegen. Es war Chatsworth [Fussnote: das Schloss wurde 1687-1706 vom Herzog von Devonshire in italienischem Spaetrenaissancestil erbaut, anstelle eines aelteren Schlosses, in dem Maria Stuart gefangen gehalten worden war; 1820 wurde der Nordfluegel angebaut. Das Zimmer, das Johanna hier beschreibt, ist also nicht das urspruengliche Zimmer Marias gewesen.], seit zweihundert Jahren der Landsitz der edlen Familie von Cavendish, jetzt ihrer Abkoemmlinge, der Herzoege von Devonshire. Das Schloss liegt romantisch in einem weiten tiefen Tale. Hinter demselben erhebt ein hoher Fels den stolzen, waldgekroenten Scheitel. Vor dem Schlosse windet sich silbern die Derwent durch das lachende Gruen, eine sehr schoene steinerne Bruecke fuehrt hinueber. Wir fuhren durch den Park; neugierig guckten seine Bewohner, die Hirsche und Rehe, von beiden Seiten des Wegs in unsere Postchaise. Chatsworth Landsitz des Herzogs von Devonshire Das in einem edlen Stil erbaute Haus ist von aussen eines der groessten und praechtigsten in England und seine Front einhundertzweiundachtzig Fuss lang. Die auswaerts stark vergoldeten Fensterrahmen, welche wir sonst nirgends in England sahen, flimmerten im Sonnenstrahle und gaben ihm ein wunderbares feenartiges Ansehen. Diese aeussere Pracht sticht auffallend ab gegen die grosse Stille und Einsamkeit der wilden Gegend umher; es ist, als ob ein Zauberer dieses Schloss hier zu eigenen Zwecken entstehen liess. Auch hatte es einst eine traurige Bestimmung. Maria Stuart beweinte hier sechzehn Jahre lang ihre Freiheit, jedes Glueck des Lebens entbehrend. Ihre grausame Feindin sandte sie zuerst nach Chatsworth in enge Gefangenschaft; nach sechzehn Jahren brachte man sie dann nach Fotheringhay in Northumberland, wo sie hingerichtet ward. Die innere Einrichtung des Schlosses von Chatsworth enthaelt wenig Merkwuerdiges. Seit Jahren von den Eigentuemern nicht besucht, zeigt es ueberall nur Spuren alter, allmaehlich hinsinkender Pracht; dennoch wird es im ganzen wohl unterhalten, nur nichts Neues hinzugefuegt, und so fehlt ihm die Frischheit, die sonst die englischen Landhaeuser so angenehm macht. Fuer uns hatte es dennoch ein hohes Interesse. Im zweiten Stock des aeltesten Teils des Schlosses findet man das Zimmer der ungluecklichen Maria Stuart, ganz so eingerichtet und moebliert, wie sie es bewohnte. Es ist sehr gross und hoch; alte gewirkte Tapeten, die ihm ein finsteres, schauerliches Ansehen geben, haengen an den Waenden. Ein hoher Betstuhl steht in der Naehe eines Fensters, die Aussicht aus demselben ist nicht erheiternd: man sieht ihn eine zwar schoene, aber hoechst einsame, von Bergen eingeschlossene Gegend. Alle Moebel im Zimmer, die hohen schweren Stuehle mit kleinen Treppen davor, die eichenen und nussbaumenen unbeweglichen Tische versetzten uns in jene trueben Tage, welche die schoenste und ungluecklichste Frau ihrer Zeit hier verlebte. Ihr Bette mit schweren rotsamtenen Gardinen, die mit breiten silbernen Tressen besetzt sind, stand noch da; uns war, als saehen wir noch die Spuren der einsamen Traenen, die sie hier verweinte. Der Garten von Chatsworth ist sehr alt und in einem der jetzigen Zeit fremden Geschmack angelegt. Man koennte ihn altfranzoesisch nennen, wenn er regelmaessiger waere, doch mag er dies wohl eher gewesen sein; denn es ist sichtbar, dass viele Anlagen, Alleen, Parterres, Berceaus und dergleichen eingegangen sind. Was ihn im ganzen Lande beruehmt macht, sind die Wasserkuenste, die aber mit denen von St.-Cloud, von Herrenhausen und der Wilhelmshoehe bei Kassel keinen Vergleich aushalten. Nur dass sie die einzigen im Lande sind, macht ihren Ruhm aus. Eine kuenstliche, zwei- bis dreihundert Fuss hohe Kaskade mit Stufen, der es aber, wie den meisten dieser Art, an hinlaenglichem Wasser fehlt, wird zuerst gezeigt. In einem anderen Bassin muss das Wasser die Gestalt einer glaesernen Glocke annehmen. Neben dieser Glocke steht noch ein dem Ansehen nach verdorrter Baum; er ist aus Kupfer kuenstlich gebildet, das Wasser spritzt schaeumend aus seinen Zweigen, er sieht dann ganz artig aus, als ob er mit grossen Eiszapfen und Schnee bedeckt waere, kleine Wasserstrahlen steigen ringsumher aus der Erde empor. Zwei andere Springbrunnen werfen den Wasserstrahl neunzig Fuss hoch gen Himmel und machen eine recht huebsche Wirkung. Die Englaender, welche in den ringsumher liegenden Baedern hausen, wallfahrten fleissig her, staunen das nie zuvor Gesehene an und erheben Chatsworth zu einem Wunder der Welt. Castleton Voll von Mariens Schicksale und stolz, dass unser Schiller den Briten den Rang abgewann und ihrem Andenken das schoenste Denkmal schuf, verliessen wir das traurig schoene Chatsworth. Nur kurze Zeit noch und die zwar einsame, aber dennoch reiche Gegend verschwand. Ein enges, schauerliches Tal empfing uns: kein Baum, keine Spur von Vegetation, nur nackte und steile Felsen, zwischen denen wir uns aengstlich hindurchwinden mussten, die jeden Augenblick den Weg zu versperren schienen. Zu Anfange sahen wir noch zwischendurch ansehnliche Fabrikgebaeude von grossem Umfange; auch diese oedeste, schauerlichste Gegend in England, die Bleiminen von Derbyshire. Es waren deren unzaehlige von allen Seiten zu sehen, zwischendurch die aermlichsten, aus Feldsteinen aufgetuermten Huetten, vor ihnen langsam wandelnde bleiche Gestalten, Bewohner dieser Oede, von der schrecklichen Arbeit in den Bleiminen entkraeftet. Zu Mittage langten wir in Castleton an, einem so armen, kleinen Staedtchen, wie wir noch keines in England sahen. Wir bestellten in dem aermlich aussehenden Gasthofe unser Mittagessen und eilten nach der Peakshoehle mit einem Fuehrer, der sich gleich beim Aussteigen aus dem Wagen unserer bemaechtigt hatte. Die Peaks Hoehle Diese sehr beruehmte Hoehle liegt nahe vor der Stadt, der Eingang derselben ist wahrhaft gross und imposant. Eine Reihe meist senkrecht steiler Felsen von wunderbar zackiger Form erhebt die mit Baeumen gekroenten Scheitel. In einem derselben hat die Natur ein schauerliches, zweiundvierzig Fuss hohes und einhundertzwanzig Fuss breites Tor gewoelbt, durch welches man in undurchdringliches Dunkel zu blicken waehnt. Langsam fliesst ein schwarzes, ziemlich breites Wasser aus der Unterwelt an's Tageslicht hervor. Vor der Woelbung haengen ungeheure, bizarr geformte Tropfsteine; wildes Gestraeuch rankt dazwischen, Efeu umwindet sie und flattert in leichten Kraenzen darum her. Felsenstuecke haengen herab, Untergang drohend dem Haupte dessen, der vorwitzig in die Geheimnisse der Unterwelt dringen will. Wir traten in die Hoehle, die dunkle Nacht war dem allmaehlich sich daran gewoehnenden Auge zur Daemmerung. Bald unterschieden wir darin eine Menge Weiber und Kinder, emsig spinnend, die aermlichsten Gestalten, welche die Phantasie nur erdenken kann. Gnomen gleich hocken sie in dieser kalten feuchten Dunkelheit und fristen kuemmerlich ihr armes leben; des nachts schlafen sie in kleinen bretternen Huetten, die sie sich in der Hoehle erbauten und deren wir eine ziemliche Anzahl umherstehen sahen. Ungestuem bettelnd umgaben sie uns, sowie sie uns gewahrten; wir waren froh, nach dem Rate der Wirtin in Castleton, eine Menge Kupfergeld eingesteckt zu haben, um uns loszukaufen. Dies ist die unterirdische Stadt, von der mancher Reisende gefabelt hat. Die Waerme der Hoehle im Winter, die ein eigentliches Haus entbehrlich macht, der kleine Gewinn, den die neugierigen Fremden ihnen gewaehren, besonders aber die Freiheit von Abgaben, welche nur auf der Oberwelt, im Sonnenlichte gefordert werden, bewegen diese Armen, eine so unfreundliche Wohnung zu waehlen. Wie wir uns selbst erst von ihrem Ungestuem losgekauft hatten, kauften wir Lichter. Jeder von uns musste eins tragen, der Fuehrer trug deren zwei voraus, und so ging es denn weiter in den ganz finsteren Hintergrund der Hoehle. Der Fuehrer machte uns auf einige ungeheuer grosse Tropfsteine aufmerksam, welchen er allerhand Namen gab, ohne dass wir die Aehnlichkeit mit den dadurch bezeichneten Dingen finden konnten. Dann oeffnete er eine schmale niedrige Tuer, und wir standen in einem grossen Gewoelbe, von dessen Decke grosse Felsenstuecke, drohender als je, ueber unsere Haeupter herabhingen. Der Schimmer der flackernden Lichter machte sie noch grausenvoller, sie schienen sich zu bewegen. Jetzt ward das Gewoelbe ganz niedrig. Gebueckt, mit unsicherem Tritte auf dem schluepfrigen unebenen Boden, mussten wir uns lange durch eine enge Felsenspalte winden; bald ging es steil in die Hoehe, bald ebenso hinunter. Wir stiessen von allen Seiten an die vorragenden Felsen; ein einsames Licht brannte hin und wieder und diente nur, das Grabesdunkel noch sichtbarer zu machen; die Luft war schwer, wir moechten sagen zaehe, denn ihr Widerstand schien uns fuehlbar. Endlich konnten wir unsere Haeupter erheben, wir befanden uns in einem kleinen Gewoelbe und bald am Ufer des unterirdischen Stroms, der hier, wie der Styx, kalt und stumm in ewiger Nacht die schwarzen Wellen langsam dahinwaelzt. Wir fanden einen mit Stroh angefuellten Kahn, in welchem zwei Personen ausgestreckt nebeneinander liegen konnten. Der Fuehrer stieg ins Wasser, welches ihm fast bis an die Huefte ging, so schob er den Kahn vor sich hin, in welchem wir auf dem Stroh lagen und kaum zu atmen wagten. Es ging unter Felsen weg, die nur eine Hand breit von unserem Haupte entfernt, alle Augenblicke einzustuerzen schien; von beiden Seiten war kein Zoll breit Ufer, um darauf fussen zu koennen. Nie war uns die Idee eines lebendig Begrabenen anschaulicher als hier in dem sargaehnlichen Kahne mit der schwarzen, schweren Felsendecke ueber uns. Der Fuehrer musste ganz gebueckt waten, ein Stoss an einen der Felsen, der ihn besinnungslos gemacht haette, und wir waren verloren auf die entsetzlichste Weise. Mit diesen erbaulichen Gedanken beschaeftigt, schwammen wir eine ziemliche Zeit, bis wir landen konnten, immer das Licht in der Hand. Endlich stiegen wir aus unserem Sarge. Schwindlig von der Fahrt, mussten wir uns erst eine Weile erholen, ehe wir um uns blicken konnten, und fast waeren wir es beim ersten Umherschauen von neuem geworden. In einem ungeheuren Dom, der nach der Aussage des Fuehrers einhundertzwanzig Fuss hoch, zweihundertsiebzig lang und zweihundertzehn breit war, funkelten eine Menge hin und wider zerstreuter Lichter wie Sterne, die nicht leuchten. Hier ist der Tempel des ewigen Schweigens, zu dem noch nie ein Strahl der sonnigen Oberwelt, ein Laut der Freude drang. In dieser unabsehbaren Hoehle war uns noch baenglicher als in den engen kleinen; die Entfernung von allem Leben war hier fuehlbarer durch den Raum, der uns sichtbar davon trennte. Muehsam kletterten wir ueber abgerissene, rauhe Felsstuecke und kamen wieder an das Wasser; wir standen still, es war als ob Toene einer sehr fernen Musik zu uns herueberschluepften. Der Fuehrer stieg abermals ins Wasser und trug einen nach dem anderen eine ziemliche Strecke auf den Schultern hindurch. In einer kleinen runden Hoehle, in welcher das Wasser tropfenweise von allen Seiten unaufhoerlich niedersinkt, und die deshalb Rogers Regenhaus heisst, fanden wir eben in diesem ewigen Troepfeln die Ursache jener Toene, die uns zuvor wie Musik aus der Ferne schienen. Der Fussboden war mit tausend wunderlichen Schnoerkeln aus Tropfstein bedeckt, und das Gehen darauf hoechst beschwerlich, besonders da die ewige Naesse ihn schluepfrig macht. Die Luft war hier noch unangenehmer kalt und feucht als zuvor. So gut als es anging, eilten wir weiter, und in einer hoeheren, gewoelbten Abteilung der Hoehle harrte unser eine sonderbare Ueberraschung. Ein Chor von Maennern empfing uns mit einem langsamen, eintoenigen Gesang. Lichter in den Haenden haltend, die sie hin und her schwenkten, standen sie fuenfzig Fuss hoch ueber uns in einer Art von Nische, welche die Natur in einer der Seitenwaende geschaffen hatte. Ihr Gesang war rauh, aus wenig Toenen zusammengesetzt, wild und klagend, aber dennoch nicht unangenehm. Nach diesem wunderlichen Empfange ging es weiter. Aengstlich gebueckt schlichen wir unter und ueber Felsenmassen bis zu einem kleinen Gewoelbe, noch grausender und schauerlicher als alle uebrigen, und ein schwarzer Abgrund, zu welchem wir schaudernd hinableuchteten, gaehnte dicht vor unseren Fuessen. Der Fuehrer zeigte uns den steilen, furchtbaren Fusssteig, welcher ueber schluepfrige Tropfsteine hinabfuehrt. "Dies ist der Teufelskeller", sagte er, und indem er ploetzlich einen von uns beim Arm ergriff: "Hier bin ich Herr", sprach er widerlich lachend, "hier kann ich tun, was ich will; ich wollte, ich haette Napoleon hier!"-- Wir koennen's nicht leugnen, wir erschraken, denn er war nur zu sichtbar Herr, und wir hatten es laengst gemerkt, dass er uns fuer Franzosen hielt. Indessen fassten wir uns bald und antworteten ihm, dass wir ihm die Erfuellung dieses Wunsches gern goennen wollten, wenn nur Napoleon [Fussnote: zur Zeit von Johannas Reise stand England im Krieg mit Frankreich] nicht die Gewohnheit haette, immer mit starker Begleitung zu kommen; schon unsere Begleiter, die, wie er wohl wisse, draussen geblieben waeren, wuerden ernstlich nachforschen, wenn uns hier ein Unglueck widerfuehre. Dies Argument schien ihm deutlich und machte ihn etwas hoeflicher. Unser Erschrecken ueber das wunderliche Benehmen des Fuehrers waere indessen weit heftiger gewesen, wenn wir damals schon gewusst haetten, was wir spaeter erfuhren, dass vor mehreren Jahren ein Herr und eine Dame in einem einspaennigen Whisky ohne andere Begleitung ankamen, gerade vor die Hoehle fuhren, das Pferd anbanden, hineingingen und nie wieder gesehen wurden. Der Fuehrer leuchtete jetzt in den Abgrund vor uns hinab. Die wenigsten Wanderer wagen sich den steilen Pfad hinunter, der einhundertfuenfzig Fuss tiefer fuehrt; sie lassen bloss den Fuehrer mit einigen Lichtern hinabgehen und begnuegen sich mit dem schauerlichen Anblicke von oben. Wir taten dies auch. Kuehne, bogenaehnliche Vertiefungen, emporstrebende Saeulen, geformt von der Hand der Natur, sahen wir im flimmernden Lichte, das Wasser plaetscherte lebendiger im tiefsten Grunde. Der Fuehrer sagte uns, es waere dort von kristallener Helle. Endlich stieg er wieder herauf, wir traten den Rueckweg an, ein ferner Schimmer des Tages, den unser, an die Dunkelheit gewoehntes Auge jetzt in der zweiten Hoehle vom Eingang entdeckte, erfreute uns unbeschreiblich. Zwei Stunden waren wir in der Wohnung der Nacht und des ewigen Schweigens geblieben. Wie wir nun wieder hinaustraten an's erfreuliche Sonnenlicht, wie uns wieder die milde, schmeichelnde Sommerluft warm und lebendig empfing, da war uns, als erwachten wir von einem beaengstigenden Traume; alles umher, die ganze Gegend in ihrer wilden Pracht erschien uns in himmlischem Glanze. Es freue sich, riefen wir mit Schiller: Es freue sich, was da lebet im rosigen Licht! Dort unten aber ist's fuerchterlich Und der Mensch versuche die Goetter nicht. Wir fuhren weiter nach Buxton, einem Badeorte, wo wir uebernachten wollten. Die Aussicht vom Gipfel eines hohen steilen Berges, dicht hinter Castleton, ueber welchen der Weg fuehrt, ist des Verweilens wert. Man erblickt das fruchtbare, bebaute Tal und von beiden Seiten die wunderbar gestalteten Felsen, die es umschliessen. Einer dieser Berge heisst Win Hill, der andere Lose Hill, von einer Schlacht, die hier in uralten Zeiten gefochten worden sein soll. Der merkwuerdigste unter ihnen ist der Mam Tor, auch der Shivering Hill, der schaudernde Berg genannt. Die Sage geht, dass seine Oberflaeche sich immer aufloese und wie Sand herabkruemle, ohne dass er dadurch abnehme. Der schaudernde heisst er, weil das Herabrieseln des Sandes von weitem aussieht, als ob er zusammenschaudre. Die Wahrheit ist, dass Regen und Wetter jaehrlich groessere und kleinere Fragmente von Mam Tor abloesen, indem er ungewoehnlich schroff und steil ist, aber auch, dass er, genauen Beobachtungen zufolge, allerdings kleiner dadurch wird. Die Landleute bleiben indes bei ihrem alten Glauben und rechnen ihn zu einem der sieben Wunder des Peaks Gebirge. Ueber unfruchtbare Felsen, oede Heiden ging es fort bis Buxton, welches wir noch zu guter Tageszeit erreicht. Buxton Ebenfalls ein Badeort, aber wie himmelweit verschieden vom zauberisch schoenen Matlock! Rund umgeben von kahlen Felsen, liegt es wie in einem Kessel. Wild und traurig ist die ganze Gegend umher, grosse Schaetze verbarg die Natur hier tief im Schosse der Erde, aber dem Wanderer laechelt sie nicht freundlich entgegen. Eine Meile von Buxton liegt die ebenfalls beruehmte Pools Hoehle; man versicherte uns, sie waere nach der von Castleton kaum sehenswert und ueberdies noch beschwerlicher zu besuchen. So viel bedurfte es nicht einmal, um uns von dem Unternehmen, sie zu sehen, abzuschrecken. Buxton, sonst ein unbedeutendes Dorf, ist durch seine warme Heilquelle, welche die Roemer schon gekannt haben sollen, ein ziemlich ansehnlicher Ort geworden. Das Wasser ist lauwarm, schmeckt nicht uebel, und wird sowohl zum Trinken als zum Baden gegen Gicht, Skorbut und viele andere Uebel gebraucht. Man lebt hier ziemlich einfach und langweilig. Der Morgen wird mit Promenieren im Crescent, einer im Halbzirkel gebauten Reihe zierlicher Haeuser, hingebracht. Letztere enthalten viele huebsche Wohnungen fuer die Brunnengaeste und ein paar elegante Gasthoefe, in welchen sich die zu Baellen und Assembleen bestimmten Saele befinden. Dessen ungeachtet haben sie das Ansehen eines einzigen grossen Prachtgebaeudes von mehr als dreihundert Fenstern in der Front. Elegante Laeden, ein paar Leihbibliotheken, in welchen man nach englischem Badegebrauch von der Promenade ausruht, und einige Kaffeezimmer erfuellten das Erdgeschoss, ringsumher laeuft ein oben bedeckter Saeulengang fuer die Spaziergaenger, zum Schutze bei dem hier sehr gewoehnlichen Regenwetter. Das Brunnengebaeude und die Baeder liegen ganz in der Naehe. Nach der Morgenpromenade wird die uebrige Zeit des Tages mit Spazierenfahren und Reiten zugebracht, obgleich die Gegend eben nicht einladend ist. Die Jagd macht hier fuer die Herren eine Hauptergoetzlichkeit aus. Liebhaber davon koennen auf eine Koppel Jagdhunde, die dazu gehalten wird, subskribieren. In England fehlt es ueberhaupt am Wilde, hier aber in dieser oeden Wuestenei gibt es noch bisweilen Hasen und Fuechse, auch wilde Enten und andere Wasservoegel in Menge auf den nahegelegenen Suempfen des Stroemchens Wye. Des Abends ist Ball oder Spiel-Assemblee, und dreimal die Woche Schauspiel in einer zu diesem Behufe ganz artig aufgeputzten Scheune. Die groesste Merkwuerdigkeit sind hier die praechtigen, vom Herzog von Devonshire erbaute Pferdestaelle; man haelt sie fuer die schoensten und in ihrer Art vollkommensten in Europa, und unseres Wissens moegen sie diesen Ruhm wohl verdienen. Im Zirkel gebaut, umgeben von einer Kolonnade, unter welcher die Pferde, geschuetzt vor Wind und Regen, den ganzen Tag nach englischer Weise gepflegt, geputzt und gestriegelt werden, umschliessen sie eine sehr schoene, bequeme Reitbahn. Ein Teil des Gebaeudes enthaelt Wagen-Remisen, und das Ganze ist von betraechtlicher Groesse, so dass es aussieht, als ob die vierbeinigen Brunnengaeste hier die Hauptpersonen waeren. Ein daran hinfliessender Bach dient dazu, diese Prachtstaelle reinlich zu halten und fast allen ueblen Geruch zu verbannen. Das Interessanteste fuer uns war eine Fensterscheibe in der Halle, dem aeltesten Absteigequartier in Buxton, in welchem Maria Stuart auf ihrer ungluecklichen Reise von Schottland verweilte. Sie schrieb mit prophetischem Sinn folgende Zeiten darauf: "Buxton! whose fame thy baths shall ever tell; which I perhaps shall see no more, farewell!" Manchester [Fussnote: eines der bedeutendsten Industriezentren Englands. Die industrielle Umwaelzung, die Johanna voll miterlebte, brachte der Stadt einen ungeheuren Aufschwung. Die Bevoelkerung stieg von 20 000 um 1750 auf 100 000 Einwohner im Jahre 1803] Fruehmorgens verliessen wir Buxton und erreichten gegen Mittag diese beruehmte, grosse Fabrikstadt. Dunkel und vom Kohlendampfe eingeraeuchert, sieht sie einer ungeheuren Schmiede oder sonst einer Werkstatt aehnlich. Arbeit, Erwerb, Geldbegier scheinen hier die einzige Idee zu sein, ueberall hoert man das Geklapper der Baumwollspinnereien und der Webstuehle, auf allen Gesichtern stehen Zahlen, nichts als Zahlen. An Freude und Vergnuegen zu denken, hat das arbeitsame Voelkchen hier eben nicht viel zeit, doch sind einige Anstalten dazu getroffen. Es gibt hier ein Theater, einen Konzert- und einen Assembleesaal, in welchem sich winters die Subskribenten zum Spiel, mitunter zum Tanze versammeln; und damit der liebe Gott doch auch sein Teil bekomme, hat man ihm ganz kuerzlich eine neumodische tempelartige Kirche erbaut, die aber ziemlich schwerfaellig geraten ist. Im Ganzen blieb der feine Geist der Geselligkeit Manchester, wie anderen bloss von Fabriken lebenden Staedten, ziemlich fremd. Die Maenner erholen sich in Tavernen bei der Bouteille von der ermuedenden Arbeit, die Frauen haben ihre Zirkel unter sich. Wie amuesant aber solch eine Gesellschaft von lauter Englaenderinnen sein mag, wuenschten wir lieber zu erraten, als zu erfahren. Die Gegend rings um Manchester hat wenig Einladendes. Die oeffentliche Promenade in der Stadt, eine Art von botanischem Garten, waere nicht uebel, fuehrte sie nur nicht immer dicht am Kranken- und Irrenhause auf und ab; so aber hoert man unaufhoerlich das Geschrei und Geplapper der armen Verrueckten, sieht sie auch mitunter, wie sie gewaltsam in dem am Irrenhause dahinfliessenden Wasser zu ihrer Heilung gebadet werden. Dies ist, wie man wohl denken kann, eben nicht ergoetzlich; doch die Einwohner von Manchester scheinen sich daran gewoehnt zu haben und lassen sich durch solche Kleinigkeiten nicht in ihrer Promenade stoeren. Wir besuchten eine der groessten Baumwollspinnereien. Eine im Souterrain angebrachte Dampfmaschine setzte alle die fast unzaehligen, in vielen uebereinander getuermten Stockwerken angebrachten Raeder und Spindeln in Bewegung. Uns schwindelte in diesen grossen Saelen bei dem Anblicke des mechanischen Lebens ohne Ende. In jedem derselben sahen wir einige Weiber beschaeftigt, die nur selten reissenden Faeden der unaufhoerlich sich drehenden Spindeln wieder anzuknuepfen; Kinder wickelten und haspelten das gesponnene Garn. In einem grossen Saale reinigte man die noch ungesponnene Baumwolle; in grossen viereckigen, watteaehnlichen Stuecken lag sie ausgebreitet auf grossen Tischen; eine Menge Weiber und Maedchen, in jeder Hand mit einem duennen Stecken bewaffnet, pruegelten lustig darauf los; in einem anderen Saale ward sie durch eine einem ungeheuren Kamme aehnliche Maschine getrieben und glich nun einem aeusserst duennen, aber doch zusammenhaengenden Gewebe; noch in einem anderen ward sie zu einem lockeren, fast zwei Finger dicken Faden gesponnen, und so durch viele Saele hindurch, immer feiner, bis zu der Feinheit eines Haares. Alles wird hier auf die leichteste Weise durch Maschinen bewirkt, deren jede uns ein Wunder der Industrie erschien. So sahen wir zum Zusammendrehen und Einpacken der fertigen Stuecke Garn ganz eigene Vorrichtungen. Eine andere, einer Schnellwaage aehnliche Maschine zeigte vermittelst eines Zeigers die Nummer und zugleich den Grad der Feinheit der daran gehaengten Garnspule. Alles in der Fabrik, auch das Geringste, geschieht mit bewundernswerter Genauigkeit und Zierlichkeit, dabei mit Blitzesschnelle. Am Ende schien es uns, als waeren alle diese Raeder hier das eigentlich Lebendige und die darum beschaeftigten Menschen die Maschinen. Betaeubt von den gesehenen Wundern verliessen wir das Haus und bestiegen den Wagen, der uns zu einem anderen Wunder, dem vom Herzog von Bridgewater angelegten Aquaedukt [Fussnote: Bridgewater Kanal, verbindet Manchester mit Liverpool und wurde 1758-71 von Brindley erbaut; nicht zu verwechseln mit dem 1894 eroeffneten Manchester Schiffskanal, der die Stadt direkt mit dem Meer verbindet], bringen sollte. Dieser Herzog hat sich um sein Vaterland, besonders um Manchester, unsterblichen Verdienst erworben, sowohl durch Anlegung der Kanaele, die hier den Warentransport so sehr erleichtern, als durch die Verbesserung und Bearbeitung der benachbarten Kohlenminen, die denn doch die Seele des hier waltenden mechanischen Lebens sind. Der Aquaedukt, zu welchem wir jetzt fuhren, ist des Herzogs hoechster Triumph und erschien uns ein Werk, wuerdig der Zeiten der alten Roemer. Der Anblick war in der Tat feenhaft. Wie in der Luft sahen wir ein Kohleschiff mit vollen Segeln hinschweben, waehrend ein anderes in entgegengesetzter Richtung darunter hinfuhr. Dies seltene Schauspiel traf durch den gluecklichsten Zufall von der Welt grade mit dem Moment unserer Ankunft bei dem Kanale zusammen. Nachdem die Wirkung des ersten Erstaunens vorueber war, besahen wir uns die Sache naeher. Ein schiffbarer Fluss stroemt zwischen hohen Ufern dahin; ein Kanal fuehrt auf dem hoeheren Lande in einer ihn gerade durchkreuzenden Richtung. Ueber den Fluss ist eine auf drei ungeheuren Bogen ruhende schnurgerade Bruecke (anders wissen wir es nicht zu nennen) gebaut. Diese, Gott weiss wie? wasserdicht gemacht, empfaengt den Kanal in einem Bette, welches tief genug ist, um nicht bloss Kaehne, sondern auch Schiffe von ziemlicher Groesse zu tragen. Zu beiden Seiten des Kanals ist noch ein breiter Fusssteig gelassen. Wenn man oben wandelt und nicht gerade hinunter blickt, so ahnt man nicht das Dasein der Bruecke, sondern glaubt noch immer auf festem Lande zu sein. Jetzt ging es zu den nicht gar weit entfernten, sehr betraechtlichen Kohlenminen. Die wilden, in den Bergwerken sich ansammelnden Wasser, die sonst dem Bergmann soviel Not machen, wurden auf Angabe des Herzogs in einem, Meilen weit in das Innere der Erde sich erstreckenden, fuer ziemlich grosse Kaehne schiffbaren Kanal gesammelt. Tief und weit unter der Oberflaeche fuehrt er in verschiedenen Richtungen hin, an einigen Stellen breit genug fuer zwei einander begegnende Kanaele. Ueber ihm woelbt sich die nicht gar hohe, teils gemauerte, teils in den Felsen gehauene Decke. So wie er an's Licht des Tags kommt, ist er mit anderen das Land durchkreuzenden Kanaelen in Verbindung. Der Eingang zu diesem Reiche der Unterwelt ist imposant: ein grosses Tor, in einen senkrecht steilen, majestaetisch hohen Felsen eingehauen. Wir bestiegen einen langen schmalen Kahn, der sonst zum Kohlentransporte dient; mit Brettern und Kissen waren ziemlich bequeme Sitze fuer uns darin bereitet, am Rande und im Boote selbst kleine Leuchter mit brennenden Lichtern angebracht; so schifften wir hinab auf der schwarzen, stillen Flut. Unser Fuehrer war ueber die Massen redselig und wir merkten bald, dass er sich ein wenig zu sehr gegen die kalte unterirdische Luft versehen hatte; doch war hier an keine Gefahr zu denken. Immerfort perorierend bugsierte er uns langsam weiter, indem er sich von Zeit zu Zeit gegen die Waende des Gewoelbes stemmte. Nach einer Viertelstunde verschwand jeder Schein des goldenen Tageslichts, kalt, duester, unheimlich war es um uns her. An der ersten Mine kletterten wir aus dem Kahne. Eine Menge gewoelbter Gaenge in verschiedenen Richtungen durchkreuzten sich hier, alle so niedrig, dass man nur mit Muehe ganz gebueckt durchkriechen kann. Die Kohlen liegen ganz frei da und wurden von halbnackten, bald knienden, bald auf dem Ruecken liegenden Maennern mit einer Bergmannshaue losgebrochen. Die Arbeit schien uns hoechst muehsam und beschwerlich, auch ist sie nicht ohne Gefahr, und viele Menschen verlieren hier ihr Leben. Giftige Daempfe entstehen ploetzlich und ersticken den Arbeiter, oder entzuenden sich an seinem Grubenlichte und verbrennen ihn, wenn er sich nicht mit dem Gesichte platt auf die Erde wirft, sobald er gewahr wird, dass die Flamme seines Lichts blau brennt. Der naechste Augenblick ist gewoehnlich schon zu spaet. Nachdem jedes von uns ein Stueck Kohle heruntergeschlagen hatte, was wir zum Wahrzeichen mitnehmen mussten, waren wir nicht ferner begierig, tiefer ins Innere der Erde zu dringen. Wir eilten zurueck in unser illuminiertes Boot, zu unserem noch besser illuminierten Fuehrer und erblickten bald darauf wieder das schoene Licht der Sonne. Auf dem Rueckwege nach Manchester hielten wir uns noch in einer ganz allein liegenden Bleistiftfabrik auf. Den Eignern schien unser Besuch nicht viel Freude zu machen; doch liess man uns, auf die Fuersprache unseres Begleiters von Manchester, die ganze Verfahrensweise dabei sehen. Ein Mann hobelte die kleinen, etwa eine halbe Elle langen und breiten Brettchen von Zedernholz ganz glatt; ein anderer schnitt sie in Streifen zu viereckigen Bleistiften und machte mit einem Instrument die Spalte, welche das Blei aufnehmen sollte; ein dritter setzte das Blei hinein. Es waren etwa vier Zoll lange und halb so breite Stuecke, gerade so dick, dass sie in die Spalte passten. Vorher wurden sie in eine schwaerzliche Fluessigkeit getaucht und, wenn sie in die Spalte gefuegt waren, mit einem sehr scharfen Messer dicht am Holze glatt abgeschnitten. Ein vierter Arbeiter leimte kleine, dazu abgepasste Spaene hinein, die das Blei bedeckten. Zuletzt ward der bis jetzt viereckige Bleistift auf einer Maschine rund gemacht. Das Ganze ging blitzschnell und war gar leicht und artig anzusehen. Leeds Den folgenden Morgen setzten wir unsere Reise fort nach Leeds in Yorkshire. Traurig war die erste Haelfte des Weges, wieder mussten wir steile, himmelhohe Felsen erklimmen. Wie sehr irrt der Bewohner des festen Landes, der sich gewoehnlich ganz England als ein schoenes, fruchtbares, einem Garten aehnliches Land denkt. Oede, unangebaut, ohne Spur freudiger Vegetation war die Gegend umher; hier muessen, wie auf den westfaelischen Steppen, durch die wir frueher gekommen, die Jahreszeiten ebenso unmerkbar fuer die Bewohner hinschwinden: denn keine bringt ihnen Gaben, womit sie gluecklichere Erdstriche erfreuen. Kein Baum, kein Kornfeld, keine laendlichen Gaerten, aber ueberall Blei- und Kohlenminen, Steinbrueche, Schmelzoefen, Ziegelfabriken, unterbrochen von grossen, einzeln liegenden Baumwollspinnereien und anderen Manufakturgebaeuden. Die Luft war schwarz und dick vom Kohlendampfe; ueberall sahen wir den Armen arbeiten, um den Reichen noch reicher zu machen, waehrend jener selbst nur kuemmerlich sein armes Leben dabei fristet. Ein Gemaelde menschlichen Fleisses, doch nicht von der erfreulichen Seite. Wie erheiternd ist doch der Anblick des ruestigen Landmanns, der im Schweisse seines Angesichts der Erde sein Brot abgewinnt, indem er sie schmueckt! Wie traurig sieht dagegen der bleiche, schmutzige Bewohner der Minen aus, der wie ein Maulwurf in ihr Inneres sich hinein wuehlen muss, um nur wenige Jahre elend zu leben! Ein beaengstigendes Gefuehl des Mitleids draengte sich uns unwillkuerlich auf bei diesem Schauspiele, das wir bis jetzt nur zu oft und zu lange gehabt hatten. Bei Wakefield war die Gegend freundlicher und laendlicher; wir dachten des guten Vikars, der uns allen aus Goldsmiths [Fussnote: Oliver (1728- 74) "The Vicar of Wakefield", 1766] gemuetlicher Dichtung bekannt ist, aber vergebens suchten wir hier sein Doerfchen, sein wirtliches Dach. Wakefield ist ein Staedtchen voll Fabriken. Gegen Abend erreichten wir Leeds, eine ziemlich grosse Stadt, welche hauptsaechlich aus Tuchmanufakturen besteht. Unser Eintritt war von einer hoechst traurigen, herzzerreissenden Szene begleitet. Wir bemerkten mit Erstaunen, dass der Wegegeldeinnehmer am Schlagbaum, dicht vor der Stadt, heftig weinte; neben ihm stand seine Frau mit der Gebaerde trostloser Verzweiflung; zwei ganz kleine Maedchen blickten stumm und verwundert auf Vater und Mutter. "Gute Leute, was fehlt euch?" fragten wir mitleidig. "Unser einziger Sohn ist eben ertrunken", antwortete der Mann mit halb erstickter Stimme. Nun machte das verzweifelnde Mutterherz sich Luft, mit Haenderingen rief sie: "Ach, er war der schoenste Knabe im Ort, vierzehn Jahre alt, immer gehorsam und fleissig; heute um vier Uhr kam er mit gutem Zeugnis froehlich aus der Schule, und nun--." Wir fuhren mit schwerem Herzen und nassen Augen weiter; denn wer von uns konnte es wagen, hier troesten zu wollen? Wunderbar ist's, dass in England nicht unendlich viel Kinder verungluecken; nirgends scheint der alte fromme Glaube, dass jedes seinen eigenen Engel habe, der es beschuetzt, einheimischer als hier; denn nirgends werden sie mehr ohne sichtbare Aufsicht sich selbst ueberlassen. In den Staedten und Doerfern, auf den volkreichsten Strassen kriechen kleine, kaum zweijaehrige Saeuglinge in den Fahrwegen umher, groessere Kinder laufen ohne Furcht im Gewuehle zwischen Raedern und Pferden durch, und der Reisende sitzt aengstlich im pfeilschnell rollenden Wagen und zuernt ueber die unachtsamen Muetter. Die Tuchfabrikanten machen den groessten Teil der Einwohner von Leeds aus; sie haben hier eine eigene Halle, in welcher jedem sein bestimmter, mit seinem Namen bezeichnete Platz angewiesen ist, auf welchem er an Markttagen seine Waren zur Schau legt und feil haelt. Diese Halle, ein grosses, ganz bedecktes Gebaeude, schliesst einen geraeumigen Hof von allen vier Seiten ein und ist einer Boerse nicht unaehnlich. Man macht sehr huebsche Teppiche in Leeds, sie werden auf gewoehnlichen Webstuehlen gearbeitet. Es war lustig zu sehen, wie schnell die schoenen Blumen und Muster in reicher Farbenpracht vor unseren Augen entstanden. Bei den breiten Fussdecken fuer die Zimmer arbeiten immer zwei Personen an einem Webstuhle; bei den schmalen zu Treppen und Vorplaetzen nur einer. Studley Park. Fountain's Abbey. Hackfall Ripon, ein freundliches, reinliches Landstaedtchen, liegt in einer zwar bergigen, aber angenehmen fruchtbaren Gegend. Es ist ein Borough [Fussnote: urspruenglich Bezeichnung fuer eine Burg oder eine befestigte Stadt; Kreisstadt, die im Parlament vertreten ist: Parliamentary Borough] und hat also das Recht, bei jeder Parlamentswahl ein Mitglied zu waehlen und nach London zu schicken. Nun gehoeren alle Haeuser in Ripon einer alten achtzigjaehrigen Dame, die unermesslich reich, auch die Besitzerin von Studley Park, Hackfall und mehrerer Gueter im fruchtbaren Yorkshire ist. Sie allein, als die einzige Grundbesitzerin in Ripon, waehlt also dies Mitglied, und das Gewicht, welches sie hierdurch in der Nachbarschaft, ja im ganzen Koenigreich erhaelt, ist fast nicht zu berechnen. Nach ihrem, wahrscheinlich jetzt schon erfolgten Tode erbt eine Miss Lawrence alle ihre Reichtuemer und Rechte. Diese Dame, obgleich auch schon laengst ueber die Jugendjahre hinaus, wird, wie man leicht denken kann, von Anbetern und Freiern umlagert, wie weiland Penelope, sie aber widersteht allen und erklaert laut: sie wuerde jetzt keinen heiraten, weil niemand sich um sie bewarb, ehe sie die reiche Erbin war, welche sie erst kuerzlich durch den unerwarteten Tod ihres Bruders wurde. Miss Lawrence ward uns uebrigens als sehr gut und auch im Aeussern nicht unliebenswuerdig geschildert. Wir fuhren nach dem nicht weit entlegenen Studley Park: das Haus enthaelt nichts besonders Sehenswertes, auch die Aussenseite desselben zeichnet sich auf keine Weise aus. Die sehr weitlaeufigen Spaziergaenge gehoeren aber zu den schoensten in England. Der Park hat einen, ihn von den gewoehnlichen Parks unterscheidenden ernsteren Charakter. Freie sonnige Partien, gruene Rasenplaetze trifft man weniger, aber herrliche Schattengaenge, unter dem Schutze himmelhoher Buchen und Eichen, am Abhange der bewachsenen Felsen, auf lachenden Hoehen und in duftigen Taelern. Mit unbeschreiblichem Vergnuegen wandelten wir hier und ahnten nicht, dass die Krone des Ganzen uns noch erst wunderbar ueberraschen sollte. Unser Fuehrer, ein alter vernuenftiger, eisgrauer Gaertner, seit mehr als vierzig Jahren hier in Dienst, oeffnete ploetzlich eine kleine, unscheinbare Gartentuer, und wir erblickten in einem lieblichen gruenen Tale die schoensten gotischen Ruinen, die wir je sahen. Vom Morgenstrahl geroetet lagen sie da in stiller, feierlicher Pracht. Es waren die Ueberbleibsel von Fountains Abbey [Fussnote: in seinem Grundriss einer der gewaltigsten Klosterbauten Englands. Zisterziensergruendung: 1132. Die Anlage verfiel unter der Regierungszeit Heinrichs VIII.; die Ruinen zaehlen zu den eindrucksvollsten der Welt], einem im zwoelften Jahrhundert erbauten Kloster, nun schon seit zweihundertfuenfzig Jahren in Truemmern. Diese zeugen vom ehemaligen ungeheuren Umfange. Das Dach fehlt gaenzlich, die Seitenwaende groesstenteils auch; aber noch stehen, wie trauernde Geister auf dem Grabe der Vergangenheit, viele, reich mit Skulptur gezierte Saeulen, die weiland das Schiff der Kirche ausmachten; feste Gewoelbe, hohe Bogenfenster trotzen noch der Zerstoerung, alles bezeichnet ehemalige hohe geistliche Pracht. Einige alte steinerne Saerge stehen umher, gewaltsam ans Licht der Sonne gezogen. Deutlich zu unterscheiden ist noch die Stelle, wo sonst der Hochaltar war, so auch die Kreuzgaenge, das Refektorium, der Versammlungssaal. Viele unterirdische Gaenge und Gewoelbe sind fast noch unversehrt; auch erkennt man eine Kueche, und an dem die Wand schwaerzenden Rauche die Stelle, wo sonst der Herd stand. Fountains Abbey ist ein grosses Grab vergangener Zeiten, dennoch draengt sich ueberall das frische Leben der ewig jungen Natur ueppig hervor. Efeu umschlingt die verwitternden Pfeiler und kleidet sie in die Farbe der Hoffnung, junge Blumen und Straeuche nicken aus den hohen Bogenfenstern und von den Kapitellen der Saeulen. In der Kirche wandelt man unter dem Schatten bejahrter Baeume. Ueberall neues Entstehen mitten unter den Truemmern der Zerstoerung, ueberall die Lehre, Menschenwerk ist vergaenglich, wie Menschenleben, aber der Geist der schaffenden Natur waltet fort, kennt weder Vernichtung noch Grenzen. Welche Verzierungen fuer einen Park sind diese Ruinen, wie sinkt alles so kleinlich dagegen zusammen, was selbst grosse Fuersten auf ihren Landsitzen unternehmen, um nur etwas aehnliches zu erkuensteln! Der vorige Besitzer von Studley Park erkaufte sie freilich fuer eine grosse Summe, aber er gab seinen Besitztum dadurch einen hohen, einzigen Wert und sicherte zugleich diese heiligen Ueberreste zwar nicht gegen den langsam zerstoerenden Zahn der Zeit, aber doch gegen vernichtenden Mutwillen, der leider ueberall dem Schoenen droht. Von Studley Park ging es nach Hackfall. Alle Parks, die wir bis jetzt sahen, erschienen uns als freundliche Punkte unserer Reise, an die wir noch nach Jahren gern zurueckdenken werden; hier aber fuehlten wir das Trostlose des Geschicks des Reisenenden, nur fluechtig am Schoenen vorueberstreifen zu koennen und es nur im Bilde davonzutragen. Hier wuenschten wir Huetten zu bauen. Wie schoen muss sich's in diesem heimliche verborgenen Tale wohnen! Gruenend, bluehend liegt es zwischen malerisch geformten und bewachsenen Felsen. Wege schlaengeln sich bald in schwindelnder Hoehe, bald tiefer in lieblichen Schatten an den Bergen hin; ganz unten braust und blinkt und wogt ein spiegelheller Fluss, von allen Felsen rauschen und gaukeln Baeche zu ihm hinab, bald sprudelnd und schaeumend, bald wie im leichten Tanz. Endlich gelangt man hinauf zur hoechsten Hoehe. Ein Pavillon ziert sie. Von dort aus blickt man weit ins offene fruchtbare Land. Da liegt die Welt vor uns und ihr unruhiges Treiben, und zu unseren Fuessen das Tal mit seinem stillen Frieden. Zoegernd, wider Willen, verliessen wir abends diesen lieblichen Ort, ueber Berg und Tal rollten wir hin durch den schoenen, fruchtbaren Teil von Yorkshire, bis Catterick Bridge, einem grossen, ganz isoliert liegenden Gasthofe. Englische Gasthoefe Die Annehmlichkeiten eines solchen Gasthofes in England kennt man auf dem festen Lande nicht; darum erlauben wir uns hier einiges darueber zu sagen. Durchgaengig, auch in den Staedten, sind die englischen Gasthoefe sehr lobenswert: Zimmer, Betten, Bedienung, Reinlichkeit uebertreffen alles, was man in anderen Laendern in dieser Art antrifft, aber wir moechten fast behaupten, dass die guten Gasthoefe auf dem Lande wieder die in Staedten in dem Masse uebertreffen wie jene die deutschen. Die Teuerung ist auch nicht so gross, als man denken moechte, wenn man nur erst die Sitte kennt. Der Umstand, dass man durchaus nicht portionsweise speist, ist freilich unangenehm. Alle Vorraete des Hauses an Fleisch, Fischen, Gemuesen und dergleichen sind mit der hoechsten Sauberkeit und mit einer Art Eleganz in einem auf dem Flur befindlichen, mit Glasfenstern versehenden Kabinett zur Schau gestellt. Hier trifft man gewoehnlich die Wirtin oder ihre Stellvertreterin an. Ausser einigem Backwerk findet man nichts fertig zubereitet; die Haeuser, in welchen die oeffentlichen Fuhrwerke zu bestimmten Stunden einkehren, machen jedoch hiervon eine Ausnahme. In diesen ist mittags oder abends der Tisch gedeckt, an welchem die ankommenden Reisenden um einen festgesetzten Preis in Gesellschaft speisen koennen. Ausser diesem aber muss der einzelne Fremde in jenem Vorratsmagazine seine Mahlzeit und die Art der Zubereitung selbst waehlen und geduldig warten, bis sie fertig ist. Waehlt man nun einen Hammel- oder Rinderbraten oder sonst ein grosses Stueck, so bekommt man es ganz auf den Tisch und muss es auch ganz bezahlen, wenn es gleich kaum angeschnitten wieder abgetragen wuerde. Dies ist freilich nicht angenehm, aber der Landeskundige weiss sich einzurichten und bestellt kleinere, leichter zu bereitende Gerichte. Das Logis ist nicht teuer. Fuer das Zimmer, in welchem man speist und den Tag zubringt, wird, auch bei laengerem Aufenthalt, gewoehnlich nichts gerechnet, es sei denn, dass man nur im Hause wohne und immer auswaerts speise. Im Schlafzimmer bezahlt man nur das Bette, und dieses kostet selten mehr als einen Schilling die Nacht. Und welch ein Bett! Die schoensten Matratzen, die feinsten Bettuecher und Decken. Schoene Vorhaenge umgeben das Bett, ein huebscher kleiner Teppich liegt davor, eine feine weisse Nachtmuetze und ein Paar Pantoffeln fehlen auch nie dabei, deren sich reisende Englaender, die immer wenig Gepaeck mit sich fuehren, ohne alle Scheu bedienen. Es ist uns immer aufgefallen, wie dieses Volk, bei aller Reinlichkeit, tausend kleine Ruecksichten nicht kennt, die dem Deutschen, noch mehr dem Franzosen, zur Natur geworden sind. Kein Englaender, zum Beispiel, der nicht zu den vornehmsten Klassen gehoert, wird sich weigern, mit andern aus einem Glase oder Porterkruge zu trinken, oder mit Bekannten, auch wohl Fremden, in einem Bette zu schlafen, wenn es im Hause an Raum fehlt. Auch in den Staedten erscheint der Wirt gleich, um den Fremden beim Austritte aus dem Wagen zu empfangen, aber auf dem Lande ist's, als kaeme man zu einem laengst erwarteten Besuch. Der Wirt oeffnet selbst den Schlag und hilft dem Reisenden heraus; in der Tuer steht die Wirtin; mit dem freundlichsten Gesichte von der Welt knickst sie ein halbes Dutzend Mal kurz hintereinander, bemaechtigt sich der reisenden Damen sogleich, fuehrt sie in ein besonderes Zimmer und sorgt auf alle Weise fuer ihre Bequemlichkeit, waehrend ihr Mann bei den Herren die Honneurs macht. Wenn man auch nur die Pferde wechselt, ohne das geringste zu verzehren, so bleibt diese Hoeflichkeit sich dennoch gleich: Wirt und Wirtin begleiten die Reisenden an den Wagen, danken fuer die erzeigte Ehre und bitten, bald wieder zu kommen. Freilich haben die Wirte auf jeden Fall einigen Nutzen von den Reisenden, da sie die Post fuer eigene Rechnung bedienen. Je weiter man in's noerdliche England dringt und sich Schottland naehert, je mehr nimmt diese Aufmerksamkeit der Wirte zu, verbunden mit einer Art Kordialitaet, die unangenehm auffaellt. Der Wirt bringt immer die erste Schuessel auf den Tisch, sei sein Gasthof noch so gross und ansehnlich; ihm folgt seine Frau, selbst alle Kinder des Hauses, die nur einigermassen sich dazu schicken, folgen dem Alter nach in Prozession, alle bringen etwas; oft sahen wir zuletzt so einen kleinen goldlockigen Cherub von drei, vier Jahren geschaeftig mit einem Pfefferbuechsen dahergetrippelt kommen. Die Aufwaerter, Waiters, scheinen Fluegel zu haben, so schnell kommen sie auf jeden Klingelzug, und in allen Zimmern haengen gute, gangbare Klingeln, welche der reisende Englaender nach Herzenslust handhabt. So wie es keine aufmerksameren Wirte gibt, so gibt es auch keine viel verlangerenden Gaeste als in England. Das Wirtschaftswesen wird aber gewissermassen fabrikmaessig betrieben: jeder hat sein Departement, und so geht alles in schneller Ordnung. Die Pferde besorgt der Stallknecht, Hostler genannt, hat aber wohl im Stalle seine Untergebenen zum eigentlichen Dienste, denn er selbst sieht zu elegant dazu aus; er nimmt nur die Befehle der Fremden an und fuehrt die Pferde vor. Dann ist noch der Stiefelwichser; dieser, gewoehnlich der pfiffigste und gescheiteste vom ganzen dienenden Personal, wird schlechtweg Boots, Stiefel, gerufen, und ist eine sehr wichtige Person im Hause. Er besorgt gewissermassen die auswaertigen Angelegenheiten, bestellt Kommissionen, fuehrt die Fremden im Orte herum und gibt von allem Rede und Antwort. Unaufhoerlich hoert man in einem ganz eigenen, hellklingenden Fistelton durchs ganze Haus "Boots!" rufen, und immer ist er zur Hand. Abends beim Zubettegehen wird jedesmal das Kammermaedchen, Chambermaid, gerufen, sie erscheint im feinen kattunenen Kleide, mit einer schneeweissen Musselinschuerze, einem artigen Spitzenhaeubchen, kurz, so nett und damenhaft gekleidet als moeglich. Ihr Amt ist, den Fremden, ohne Unterschied der Person und des Geschlechts, einen Nachttischleuchter mit einem Wachslicht anzuzuenden, ihn in's Schlafzimmer zu fuehren und zuzusehen, dass es ihm an keiner Bequemlichkeit mangle. Dies geschieht jeden Abend, und wenn man Monate lang im Haus verweilte. Beim Abschiede erscheinen dann Waiter und Hostler und Boots, ganz zuletzt noch bittet die Chambermaid mit einem artigen Knicks, ihrer nicht zu vergessen, don't forget the Chambermaid. Man gibt diesen Leuten nicht viel, wenn man die Teuerung des Landes bedenkt, und man gibt gern, denn man wurde gut bedient. Nach dieser Digression kehren wir zurueck nach Catterick Bridge. Krankheitshalber mussten wir einige Tage dort verweilen und wurden gewartet und gepflegt, als waeren wir unter Bekannten und Freunden. Die Wirtin, Mistress Ferguson, wich nur aus dem Krankenzimmer, wenn ihre Geschaefte es notwendig machten; ihr Mann ritt selbst nach dem vier Meilen entlegenen Staedtchen Richmond, um den Apotheker des Orts zu holen, und der Sohn des Hauses, ein Landgeistlicher aus der Nachbarschaft, schleppte seine halbe Bibliothek herbei, um Kranken und Gesunden Unterhaltung zu verschaffen. Der Apotheker war ein vernuenftiger, guter Arzt, und das Uebel wich seinen Heilmitteln bald. In ganz England sind die Apotheker die am meisten gesuchten Aerzte; man nennt sie auch Doktor. Besuche der eigentlichen Aerzte werden, ausser bei reichen vornehmen Kranken, nur bei sehr grosser Gefahr gefordert. Sie sind zu kostbar: weniger als eine Guinee dar man keinem fuer jede einzelne Visite bieten. Diese wird ihnen gewoehnlich jedes Mal beim Abschiednehmen in die Hand gedrueckt. Eine Konsultation des Arztes in seinem eigenen Hause kostet die Haelfte. Die Apotheker werden ungefaehr wie die Aerzte in grossen deutschen Staedten bezahlt. Uebrigens wimmelt's nirgends so von Quacksalber wie in England; dies bezeugen die oeffentlichen Blaetter, deren groesste Haelfte aus Ankuendigungen von Arkanen besteht. Richmond Gaenzlich hergestellt kamen wir nach Richmond, einer kleinen Landstadt, am Abhange eines Felsens erbaut. Die Ruinen des uralten Schlosses Richmond, von welchem die jetzigen Herzoege von Richmond zwar den Namen fuehren, aber keine fuenfzig Pfund Einnahme haben, stolzieren hoch auf dem Gipfel desselben ueber die Stadt. Letztere liegt hoechst malerisch, und die Ruinen der sie umgebenden alten ehemaligen Waelle gewaehren eine weite herrliche Aussicht. Wald, Wiese, huebsche Landhaeuser, Gaerten, Doerfer, kleine fruchtbare Anhoehen wechseln auf eine unbeschreibliche anmutige Weise ringsumher, und ein Strom, ueber den eine steinerne Bruecke fuehrt, belebt das Ganze. Jeder Schritt entdeckt neue Schoenheiten; der wilde Fels, auf dem Schloss und Stadt erbaut sind, bildet einen wunderbaren Kontrast mit den lieblichen Umgebungen. Die Ruinen, zwar in einem ganz anderen Geschmack und weniger praechtig als die von Fountains Abbey, zeugen dennoch von ehemaliger Groesse und gesunkener Herrlichkeit. Sie werden gar nicht unterhalten und drohen stuendlichen Einsturz, zur grossen Gefahr fuer die an ihrem Fusse liegenden Wohnhaeuser. Ein einziger Turm steht erhalten da, alles uebrige sind nur hohe, ueppig mit Efeu bewachsene Mauern. Die Abteilungen der Gemaecher sieht man noch deutlich und die hohen Bogenfenster, aber das Dach fehlt gaenzlich; Regen und Wind haben ueberall freien Zugang. Aukland, Durham, Sunderland und Newcastle Von Richmond nach Aukland kamen wir in wenigen Stunden; es ist der Sitz des Bischofs von Durham. Sein Wohnhaus, ein grosses gotisches Gebaeude, zwar recht nett, aber doch ganz buergerlich und einfach moebliert, zeigt keine Spur geistlicher Pracht, alles ist, so wie es sich eigentlich fuer einen solchen Oberhirten schickt. Der zu dem Hause gehoerige Garten ist in Hinsicht der darauf verwendeten Kunst kaum nennenswert, aber von Natur eines der schoensten, lieblichsten Fleckchen der Erde. Er vereinigt Fels und Wald; ein rauschender Fluss stuerzt bald gaukelnd, bald unwillig ueber wildes Gestein, das sich ihm vergeblich in den Weg wirft. Unendlich viel Schoenes koennte hier mit Geld und Geschmack hervorgebracht werden, und doch, wenn man diese ungeschminkte Natur sieht, muss man unwillkuerlich wuenschen, dass alles so bleibe, wie es ist. Wir fuhren durch den grossen, sehr angenehmen Park nach der Stadt Durham. Sie ist eine der aeltesten, wenngleich nicht der groessten in England und liegt sehr malerisch in einem reizenden, von fruchtbar angebauten Bergen umgebenen Tale. Den folgenden Morgen gingen wir ueber Sunderland nach Newcastle. Sunderland ist wegen einer eisernen Bruecke, der groessten in England, sehr merkwuerdig. Ein einziger ungeheurer Bogen woelbt sich hundert Fuss hoch ueber die Flaeche des Wassers, so dass ein Schiff, ohne die Masten umzulegen, darunter hinsegeln kann. Nie sahen wir Zierlichkeit und Staerke so vereint. Wie ein Zauberwerk scheint die Bruecke in der Luft zu schweben. Nur der Bogen, auf welchem sie ruht, und die Gelaender, die sie an beiden Seiten einfassen, sind von Eisen, sie selbst ist von Stein. Auf einem bequemen Platze unter der Bruecke konnten wir den Mechanismus derselben recht betrachten. Sechs nebeneinander parallel hinlaufende Bogen vereinigen sich zu einem Ganzen. Jeder dieser Bogen besteht aus einer dicken eisernen Stange, die auf einer Menge nebeneinander aufrecht gestellter, ebenfalls eisernern Ringe ruht, von welchen jeder fuenfzehn Fuss im Diameter haelt. Diese Ringe ruhen unten wieder auf einer der oberen aehnlichen Stange; verschiedene Eisen sind symmetrisch angebracht, um die sechs Bogen nebeneinander zu verbinden. Das Ganze liegt an beiden Enden auf zwei mehr als armdicken eisernen Querstangen, die aber inwendig hohl sind. Der zierliche Anblick dieses Kunstwerks ist unbeschreiblich; augenscheinlich sieht man, wie viel mehrere schwache Kraefte vereinigt tragen koennen. Wenn auch etwas an diesen Bogen durch Zeit oder Gewalt zerstoert wuerde, so bleibt doch immer genug uebrig, das Ganze zu erhalten, und man moechte fast behaupten, es koenne nie sehr baufaellig werden, weil man mit leichter Muehe jedem kleinen Schaden bald abhelfen kann. Es wohnt hier ein eigener Waechter neben der Bruecke, der darauf zu sehen hat, dass sie immer im Stande erhalten werde. Man hat einen auch in Deutschland bekannten grossen Kupferstich, welcher den Kunstbau dieser wahren Wunderbruecke sehr gut und deutlich darstellt. In Newcastle, wohin uns jetzt unser Weg fuehrte, fanden wir nichts zu tun als auszuschlafen. Die Stadt ist ziemlich gross, hat neben vielen engen und winkligen auch einige huebsche Strassen und ist, besonders wegen des Steinkohlenhandels, fuer Grossbritannien sehr wichtig. Aber alles hat auch das Ansehen und den Geruch dieses Geschaefts und also fuer den bloss zum Vergnuegen Reisenden wenig Einladendes. Alnwick Castle und Berwick Alnwick, diesen alten Sitz der Herzoege von Northumberland, erreichten wir einige Stunden, nachdem wir Newcastle verlassen hatten. Der Anblick dieses Schlosses aus der Ferne versetzte uns zurueck in laengst vergangene Tage, wir glaubten eine Burg aus jenen Zeiten vor uns zu sehen, in welchen das Faustrecht noch galt, und jeder gegen feindliche Nachbarn mit eigener Kraft sich zu schuetzen suchen musste. Die wunderbare Erhaltung dieses grossen altertuemlichen Gebaeudes, an welchem durchaus nichts Verfallenes oder Ruinenartiges zu erblicken war, fiel uns vor allem auf. Die durchaus altertuemliche Burg mit ihren runden Ecktuermen, ihren mit Schiessscharten versehenen Ringmauern, ihren Brustwehren, ihren Toren, ihren ueber dem Schlossgraben fuehrenden Zugbruecken, schien wie durch ein Wunder der Gewalt der Elemente wie der gegen sie anstuermenden Feinde Jahrhunderte lang auf unbegreifliche Weise getrotzt zu haben. Es war eine Taeuschung, aber die gelungenste, die uns in dieser Art jemals vorgekommen ist. Alnwick Castle [Fussnote: eines der schoensten Feudalschloesser Englands, letzte, weitgehende Restaurierung im 19. Jahrhundert; durchaus nicht "ganz modernen Ursprungs", sondern nur oft und manchmal recht ungluecklich restauriert] ist ganz modernen Ursprungs und verdankt seine altertuemliche Gestalt nur der seltsamen Laune des Herzogs von Northumberland. Auf den Zinnen der Mauer und der Tuerme stehen alte Krieger in drohender Stellung, von Stein gehauen, in Lebensgroesse. So viel wir von unten davon urteilen konnten, sind diese Figuren recht gut gearbeitet. Ueber jedem Tor steht einer davon in gebueckter Stellung, mit beiden Haenden einen grossen Stein haltend, als waere er im Begriff, den Eintretenden damit zu zerschmettern. Die Idee kann man eben nicht gastfreundlich nennen; aber diese ganze Verzierung, so wunderlich und einzig in ihrer Art sie ist, macht einen grossen Effekt. Von weitem glaubt man fast, die Geister der alten Krieger, die einst hier hausten, waeren zurueckgekehrt und wollten der Neugier den Eintritt in ihr Heiligtum wehren: in so drohender mannigfaltiger Bewegung und Gebaerde stehen sie da. Auch sind sie nicht so harmlos, als man denken moechte. Mancher dieser Helden kam schon ungerufen herunter, wenn es ihm oben zu windig ward, und richtete auf der Erde Schaden und Unfug an. Das Innere der Burg ist ebenfalls im Geist der Vorzeit gehalten: hohe gewoelbte Zimmer mit Bogenfenstern voll kuenstlicher gotischer Verzierungen und Schnoerkeln, ungeheure Pfeiler und Mauern, lange sich durchkreuzende Galerien, dunkle, krumme Gaenge wuerden ein sehr schauerliches Ganzes machen, waeren die Zimmer nicht mit hellen Farben heiter und lustig aufgemalt. Indessen glauben wir doch, dass einer der englischen Schauerromane, einsam um Mitternacht hier gelesen, seine Wirkung nicht verfehlen wuerde. Wir eilten fort, hinaus in den freundlichen Sonnenschein, in den artigen, die Burg umgebenden, ganz modernen Garten, zu den wohl angelegten Treibhaeusern, in welchen wir uns zu unserer Freude, da der Herzog nicht da war, mit Weintrauben und Melonen fuer die Reise versorgen konnten. Den Park, der sich eben durch nichts von anderen Parks auszeichnet, sahen wir nur von weitem aus den Fenstern der Burg. Man wollte uns nicht erlauben hindurchzufahren, was doch bei anderen Parks selten Schwierigkeit findet. Jetzt fuehrte der Weg laengs der Kueste des Meeres, das wir fast nie aus dem Gesichte verloren, nach der uralten Stadt Berwick, an der aeussersten Spitze Northumberlands. In Northumberland, besonders in Berwick, der letzten englischen Stadt, fiel uns die Sprache der Einwohner auf. Das wunderliche allgemeine Schnarren, womit sie den Buchstaben R aussprechen, und die vielen ganz unbekannten Provinzialausdruecke, welche sie einmischen, machten, dass wir Muehe hatten, sie zu verstehen. Schon nach Newcastle spricht man das Englische sehr fehlerhaft, fast wie plattdeutsch aus. SCHOTTLAND Die Fahrt von Berwick nach Edinburgh, vierundfuenfzig englische Meilen, fast immer im Angesichte des Meeres, waere allein die Reise wert; von so seltener, wunderbarer Schoenheit ist die Gegend, aber deshalb wohl umso unbeschreibbarer. Bis dicht hinab an die Wellen der Kueste bebaut wie ein Garten: Kornfelder, Wiesen mit Herden bedeckt, Obst- und Gemuesegaerten wechseln, alles in der Pracht der ueppigsten Vegetation. Dazwischen kleine Gehoelze, duftende, bluehende Hecken, und in ihrer Mitte Doerfer, die umso malerischer erscheinen, da sie schon ein laendlicheres Ansehen haben und nicht, wie die englischen, kleinen Staedten aehnlich sind. Das Land ist nicht bergig, aber auch nicht flach; wellenfoermig erhebt es sich zu kleinen Anhoehen und sinkt wieder zu lieblichen Gruenden hinab. Freundliche, einzelne Landhaeuser liegen ueberall zerstreut, ehrwuerdige, efeubewachsenen Ruinen der Vorzeit erheben ihre alten Mauern und zeugen von vergangener Groesse. Und nun noch der Anblick des Meeres, dieses ewig wechselnden Elements, das jeder Gegend, auch der oedesten, Leben gibt! Kleine Inseln mit Leuchttuermen, entfernte blaue Felsen, die zackig und wild am Horizonte sichtbar werden, alles, alles vereint sich hier, um ein Ganzes voll wunderbarer Schoenheit zu bilden. Zwei Lager (Fussnote: in England befuerchtete man eine Invasion der Franzosen], jedes von ungefaehr dreitausend Mann, die eben hier die Kueste bewachen, kontrastieren mit der laendlichen Anmut rings umher. Der Anblick dieser Krieger, ihre Zelte, ihre glaenzenden Waffen und Uniformen, brachten ein neues, fremdes Leben in diese entzueckende Gegend. Schon hier, so nahe an der englischen Grenze, fiel uns der Unterschied zwischen dem englischen und schottischen Volke merklich auf. Freundliches, gutmuetiges Zuvorkommen, Treuherzigkeit, verbunden mit grosser, aber froehlicher Armut, erinnerte uns immer an die Bewohner deutscher Gebirge. Schuhe und Struempfe, ohne welche man in England keinen Bettler erblickt, sind hier schon hoher Luxus. Die arbeitende Klasse und der groesste Teil der Kinder, selbst wohlhabender Eltern, laufen Sommer und Winter barfuss; vielleicht geschieht dies fast ebenso oft aus Gewohnheit als aus Armut; aber es faellt sehr auf, wenn man aus England kommt, wo dergleichen unerhoert ist. Edinburgh In keinem der vielen schoenen Gasthoefe dieser Stadt konnten wir unterkommen. Es waren eben die letzten Tage der Woche, in welcher dort alljaehrlich Pferderennen gehalten werden. Wir fanden alles vollgepfropft von Fremden, die teils jenes edle Vergnuegen, teils die es begleitenden Lustbarkeiten, das Theater, die Baelle, Konzerte und tausend andere Freuden herbeigezogen hatten. Da wir bald eine artige Wohnung bei einem Kupferstichhaendler, einem der unzaehligen Mackintoshes, fanden, waren wir es wohl zufrieden, das Volk einmal in seiner Nationalfreude zu sehen. Die Stadt Edinburgh, von betraechtlicher Groesse, ist eine der schoensten und haesslichsten Staedte zugleich und verdient in dieser Hinsicht mit Marseille verglichen zu werden. Die Altstadt, ein grauen- und ekelerregender Klumpen alter, schmutziger, den Einsturz drohender Haeuser, die anscheinen ohne Ordnung in engen, winkligen Strassen an- und uebereinandergeworfen zu sein scheinen; die neue Stadt dagegen wetteifernd mit den schoensten Staedten Europas. Edinburghs ganze Lage ist einzig in ihrer Art, von hoher romantischer Schoenheit. An den Seiten eines hohen Felsens, der sich an eine lange, majestaetische Reihe anderer Felsen anschliesst, liegen die Haeuser der alten Stadt, wie Schwalbennester angeklebt, unter- und uebereinander; einige dieser Haeuser haben, von einer Strasse aus gesehen, zehn Stockwerke, waehrend sie von der anderen Seite deren nur zwei oder drei zaehlen, und man aus dem vierten oder fuenften Stock der niedriger liegenden Seite auf der hohen geraden Fusses ins Freie in eine andere Strasse geht. Wie krumm, wie eng, wie winklig der groesste Teil dieser Strassen ist, laesst sich schwer beschreiben. Einige derselben fuehren steile und hohe Berge hinauf und hinab, auf die allerbeschwerlichste Weise. Auf den hoechsten Gipfel dieser Felsenkette thront die uralte Wohnung der schottischen Koenige, das Kastell, hoch ueber den Haeusern der uebrigen Einwohner. Eine tiefe Kluft, aus welcher jene Felsen steil, fast senkrecht emporsteigen, trennt die alte Stadt von einer Anhoehe, auf welcher die neue Stadt erbaut ist. Einige schoene steinerne Bruecken fuehren hinueber und vereinigen beide Staedte. Tief im Abgrunde sieht man von einer dieser Bruecke Strassen, die dort unten liegen, wie im Erebus, denen Sonne und Mond fast nie scheinen, und deren Daecher noch lange nicht bis zu der Grundlage der Bruecke hinaufreichen. Die Menschen, die dort wandeln, erscheinen, von oben gesehen, wie Gnomen. Es ist unbegreiflich, wie man im Angesichte der schoenen, neueren Stadt diese unfreundlichen Wohnungen ertragen kann. Nur ein Teil dieser Kluft ist bebaut, der uebrige wird zum Teil als Viehweide benutzt, zum Teil liegt er steinig und unfruchtbar da. Die neue Stadt kann sich in Hinsicht der Regelmaessigkeit und Breite der wohlgepflasterten, mit breiten Fusswegen auf beiden Seiten versehenden Strassen mit den schoensten Staedten Europas messen; in Hinsicht der Schoenheit, der Soliditaet und des guten Geschmacks der aus Quadersteinen erbauten Wohnhaeuser uebertrifft sie solche vielleicht. Wie in London gibt es auch hier grosse Plaetze, umgeben von schoenen Gebaeuden, und in ihrer Mitte einen mit eisernem Gelaender eingefassten artigen Garten oder einen schoenen Grasplatz. Fast alle Strassen bieten Aussicht auf's Meer. Dieses grosse, ewig wechselnde, ewig neue Schauspiel erhaelt hier noch durch eine Menge kleiner, zerstreut liegender Inseln neuen Reiz. Ferne, blaue Berge begrenzen von der einen Seite die grosse Perspektive, die von der anderen sich in's Unendliche ausbreitet. Unvergesslich bleibt uns ein Abend, den wir in Princes Street bei einem unserer Bekannten zubrachten. Diese, eine englische Meile lange Strasse besteht nur aus einer Reihe sehr schoener Haeuser; gegenueber begrenzt eine eiserne Balustrade jene Kluft, welche die alte Stadt von der neuen scheidet, und welche, gerade hier unbebaut, Kuehen und Ziegen zur Weide dient. Senkrecht steigen daraus die ganz nackten Felsen empor, wild, zackig, in schoenen, wechselnden Formen. Hoch liegt die alte Koenigsburg und andere alte Gebaeude; ueber ihnen droht, von blauen Nebeln umwoben, Koenig Arthurs Sitz, ein wunderbar geformter Fels, fast wie ein Thron gestaltet. Von ihm erzaehlt sich das Volk manche schauerliche Sage der Vorzeit. In seiner Naehe erblickt man auf einem anderen Felsen die Ruine eines alten Schlosses, in welchem die unglueckliche Maria Stuart von ihrem eigenen Volke gefangen gehalten ward, ehe sie nach England in den Tod ging. Das Meer begrenzt die Aussicht am Ende der Strasse. Hier sahen wir die sinkende Sonne die Spitzen der Felsen roeten, spaeter den Mond die Wellen des Meeres versilbern, und schieden mit der Ueberzeugung, dass nicht leicht eine andere grosse, volkreiche Stadt uns ein aehnliches Schauspiel darbieten wird. Die dritte Abteilung von Edinburgh ist Leith. Eigentlich eine Stadt fuer sich, aber, fast mit Edinburgh zusammenhaengend, kann sie doch dazugerechnet werden. Leith liegt in der Tiefe, hart am Hafen, in einer niedrigen, etwas sumpfigen, unangenehmen Lage. Hier sind die Schiffswerften, Magazine, Comptoire und die Wohnungen derer, die mit allen diesen Dingen sich beschaeftigen. Hier gibt's des Draengens, Stossens, Treibens genug. Leith ist nicht so bergig, aber fast so haesslich als die Altstadt Edinburgh; die Strassen sind voll Gewuehl und Getuemmel; wir waren froh, bald zu entkommen. Das schoenste Gebaeude in Edinburgh ist das Register Office; es dient zu mannigfaltigen oeffentlichen Zwecken. In einer durch eine Kuppel von oben erleuchteten Rotunde sahen wir hier die marmorne Statue des Koenigs Georg des Dritten. Mrs. Damer, eine Dame von Stande in London, hat sie der Stadt geschenkt, und, was das Merkwuerdigste dabei ist, sie hat sie selbst verfertigt. Man muss ihren guten Willen ehren, die Statue selbst ist ein unfoermiges Machwerk. Das Kastell ist ehrwuerdig durch seine ehemalige Bestimmung, sein Alter und seine imposante Lage, hoch auf dem Gipfel des Felsens. Holyrood House, die Residenz des Koenigs von Grossbritannien, wenn er einmal nach Edinburgh kommen sollte, ist ein grosses, ganz gewoehnliches altmodisches Schloss, welches sich auf keine Weise auszeichnet, aber dennoch dem Palaste von St. James in London vorzuziehen. Verschiedene Privatpersonen, denen der Koenig die Erlaubnis dazu gab, bewohnen es jetzt; auch war es die Residenz des Grafen Artois, spaeterhin Koenig Karl der Zehnte. Die Wohnungen im Schlosse und dem es zunaechst umgebenden Bezirke haben das Vorrecht, dass niemand schuldenhalber darin arretiert werden kann. Sie werden deshalb sehr gesucht, besonders, wie man uns versicherte, vom schottischen Adel. Graf Artois [Fussnote: als Karl X. Koenig von Frankreich (1824-30). Er gruendete nach dem Sturm auf die Bastille mit dem Prinzen Conde die Emigration. In dieser Eigenschaft fuehrte er mehrere Feindhandlungen gegen Frankreich. Von 1795-1813 lebte er im englischen Exil von einer Pension, die ihm das englische Parlament bewilligt hatte.] lebte hier, soviel moeglich wie weiland zu Versailles. Zweimal die Woche speiste er oeffentlich, allein, wie es die Etikette fordert. Dreimal die Woche hielt er Lever vor einem Hofe von Emigranten, die er um sich versammelte. Wir sahen seine Zimmer; sie sind so ganz buergerlich einfach, dass sie ihn doch oft an die Vergaenglichkeit aller irdischen Dinge erinnert haben muessen. Uns waren nur drei Gegenstaende darin merkwuerdig: das Bildnis der Tochter Ludwigs des Sechzehnten, das ihrer Tante, der Prinzessin Elisabeth, und eine Aussicht auf Malta, welche diese unglueckliche Dame zu Paris im Temple [Fussnote: hier wurden die Mitglieder des Koenigshauses gefangengehalten] malte, und hoffentlich so, unterm Schutze der ewig heiteren Kunst, wenigstens einige Stunden den grossen Schmerz vergass, der schwer auf ihr lastete. Bei aller romantischen Pracht und Schoenheit eignet sich die Lage Edinburghs dennoch wenig zu Spaziergaengen. Es fehlt in der Naehe an Schatten, an laendlicher Lieblichkeit; doch findet man auch diese, wenn man sich nur die Muehe geben will, sie ein oder zwei Stunden weit aufzusuchen. Das Pferderennen, das man wohl den Karneval der Briten nennen darf, erfuellte waehrend der ersten Tage unseres Aufenthalts daselbst die ganze Stadt Edinburgh mit ungewoehnlichem Leben. Die Vergnuegungen jagten einander in dieser Woche. Sonst lebt man hier stiller, einfacher als in London, mehr ein Familienleben auf deutsche Weise. Die Kinder werden nicht, wie es dort durchaus gewoehnlich ist, in Pensionen erzogen, sie wachsen im Hause unter den Augen der Eltern heran. Die aeussere Froemmigkeit und besonders die Feier des Sonntags wird hier noch strenger beobachtet als dort. Einer unserer Bekannten, welcher uns an einem Sonntagmorgen zu einer Spazierfahrt abholte, schloss sorgfaeltig die Jalousien an seinem Wagen, solange wir in der Stadt fuhren; weil er sich scheute, den Leuten, die in die Kirchen gingen, zu zeigen, dass er in einer Stunde spazieren fahre, welche eine so heilige Bestimmung hat. Am Sonntagmorgen werden alle musikalischen Instrumente, alle Buecher, die nicht religioesen Inhalts sind, alle Spielkarten, alle Handarbeiten, auch die unbedeutendsten, sorgfaeltig weggeschlossen, damit auch selbst ihr Anblick nicht stoerend werde. Jedermann geht in die Kirche und haelt Andachtsuebungen zu Hause, wobei die Hausgenossen bis auf die geringsten Bedienten erscheinen muessen. Jede Ergoetzung ist hoch verpoent; den Herren bleibt nur die Flasche, bei der sie an diesem Tage noch laenger als sonst nach Tische verweilen, und den Damen der Teetisch. Zuvorkommende, gutmuetige Freundlichkeit und ein gewisses treuherzig- froehliches Wesen unterscheiden den Schotten merklich vom Englaender. Man achtet hier die Fremden mehr als in England, ist bekannter mit ihren Sitten und Gebraeuchen; denn Armut zwingt den Schotten oft, in der weiten Welt ein Fortkommen zu suchen, und er sucht es lieber recht fern, als in England, wo man sein geliebtes Vaterland mit ungerechter Verachtung betrachtet. Der groesste Teil der in Deutschland und anderen Laendern angesiedelten Briten sind eigentlich Schotten. Froemmigkeit, Ehrlichkeit, Arbeitsamkeit ist der Charakter des Volks im allgemeinen; dazu eine ungemessene Liebe zu ihrem Lande, zu ihrer vaterlaendischen Literatur. Mit ihr, wie mit den Alten, ist jeder bekannt, der nur auf Bildung einigen Anspruch macht. Sie hegen hohe Ehrfurcht vor allem, was auf ihre ehemaligen besseren Tage hindeutet. Maria Stuart hat hier noch unzaehlige warme Verehrer, und jede Reliquie, die von ihr uebrig ist, wird wie ein Heiligtum betrachtet und sorgsam vor dem Untergang geschuetzt. Die bildende Kunst will unter britischem Himmel nicht recht gedeihen; doch dass sie wenigstens nicht immer dort nach Brote geht, davon fanden wir den Beweis bei einem wirklich ausgezeichneten Kuenstler, mit Namen Reaburn. Wir besuchten ihn in seinem eigenen, elegant gebauten und moeblierten Hause, in welchem er mit seiner Frau und vier Kindern auf einem sehr angenehmen Fuss lebt. Ein aehnliches Landhaus besitzt er vor der Stadt, und alles dieses erwarb ihm sein Pinsel, denn er war ohne Vermoegen. Freilich hat er einen Kunstzweig erwaehlt, der wohl nirgends so belohnt werden wuerde als in Grossbritannien; er malt Pferde, aber so wunderschoen, mit solcher Wahrheit, dass selbst ein nicht englisches Auge davon entzueckt werden muss. Auch menschliche Portraets gelingen ihm mit ziemlichem Glueck, aber die Konterfeis der vierfuessigen Lieblinge manches reichen Lords haben eigentlich doch sein Glueck und seinen Ruhm gegruendet. In einem grossen, von oben erleuchteten Saale, den er sich zu diesem Zwecke erbauen liess, sahen wir viele seiner Gemaelde im schoensten Lichte mit wahrer Freude. Pferderennen Das Pferderennen, welches so viel Fremde in Edinburgh versammelt hatte, konnten wir nicht unbesucht lassen; wir wohnten noch den beiden letzten und daher wichtigsten bei. Gewoehnlich werden sie an anderen Orten auf einer dazu eingerichteten grosse Wiese gehalten, hier aber hat man, wunderlich genug, das Ufer des Meeres bei Leith dazu erwaehlt, eigentlich die sandige Flaeche, von welcher sich das Meer zur Zeit der Ebbe zurueckzieht. Darum muss die Stunde genau abgepasst werden. Uns schien die Expedition nicht ganz ohne Gefahr. Sollte den alten Poseidon einmal eine Laune anwandeln und er schickte seine Wogen etwas frueher zurueck, so moechte wohl die Katastrophe des Koenigs Pharao im Roten Meere nochmals wiederholt werden, und Edinburgh waere mit einem Male veroedet, denn niemand bleibt bei diesem wichtigen Vorgange zu Hause, wenn er nicht muss. Uns kann das ganze Vergnuegen etwas wunderlich vor. Auf dem nassen, pfuetzenreichen Sande, wo es unbegreiflich ist, wie die Pferde festen Tritt haben koennen, und der noch obendrein wie ein Fischmarkt riecht, ist ein Platz mit Schranken von Stricken umgeben. Alte, invalide Soldaten stehen ringsumher und halten auf Ordnung. An einem Ende dieses Platzes sitzen die Kampfrichter, auf einem hohen, mit Faehnchen verzierten Gerueste, gravitaetisch wie Rhadamant mit seinen Kollegen; die Helden des Tags, die Pferde, stehen daneben. Eine unzaehlige Menge Menschen umgibt den Platz. Auf die Daecher, an die Fenster der benachbarten Haeuser von Leith, auf die Mauern, auf eigens dazu erbaute Gerueste, auf den Quai des Hafens, ueberall, wo nur ein Plaetzchen zu finden ist, haben neugierige Fussgaenger sich hingestellt. Diese bunte, froehliche Menge gibt, vom Rennplatz aus gesehen, einen sehr huebschen Anblick. Die Gluecklichen, welche ueber ein Fuhrwerk oder Pferd disponieren koennen, tummeln sich, in Erwartung des grossen Schauspiels, lustig auf der Rennbahn herum und geben selbst dem Beobachter einen sehr belustigenden Anblick. Praechtige, mit Wappen und Grafenkronen verzierte, mit vier stolzen Pferden bespannte Equipagen und dann Karren mit einem alten, lebensmueden Gaul davor, Reiter und Reitpferde jeder Art, alle moeglichen Fuhrwerke, die Luxus und Lust zu fahren, es sei auf welche Weise es wolle, nur erfinden konnten, fahren und reiten untereinander herum im buntesten Gewuehl. Alles patscht ohne Zweck und Ziel die Kreuz und Quer im Schlamme und nassen Sande lustig darauf los. Waehrend der Zeit wird alles ganz genau von den Kampfrichtern untersucht, damit kein Betrug irgendeiner Art beim Rennen vorgehe. Die Jockeis, welche schon geraume Zeit vorher sich durch strenge Diaet auf diesen grossen Tag bereiten mussten, werden sorgfaeltig gewogen; keiner darf schwerer sein als der andere, deshalb wird dem leichteren das fehlende Gewicht durch Blei in den Taschen ersetzt. Die wettlustigen Zuschauer schliessen indessen ihre Wetten. Ein Trommelschlag wirbelt durch die Luft, und alles eilt sich, an den Seiten zu rangieren; jedes strebt, einen guten Platz zum Sehen zu bekommen, viele Maenner steigen aus den Kutschen hinaus oben auf die Imperiale, einige Frauenzimmer setzen sich auf den hohen Kutschersitz neben ihren Kutscher; alles ist in der gespanntesten Erwartung. Mit dem zweiten Trommelschlage laufen die Renner aus, man haelt vor Begierde, sie zu sehen, den Atem an, man sieht sie fast nur einen Moment mit Blitzesschnelle vorueberrauschen und hernach, auf der entgegengesetzten Seite, ganz in der Ferne. Sie nahen wieder, rauschen zum zweiten Mal vorbei, sie naehern sich zum zweiten Mal dem Ziele, und nun reiten alle alten und jungen John Bulls [Fussnote: Spitzname fuer den Englaender, entnommen einer Satire "History of John Bull" von J. Arbuthnoth, 1712] auf die halsbrecherischste Weise, ohne auf irgend etwas zu achten, wie wuetend, hinterdrein, um bei der Entscheidung gegenwaertig zu sein. Zweimal, ohne anzuhalten, durchlaufen die Pferde im Kreise die Bahn, und das, welches das zweite Mal zuerst am Ziele ist, hat gesiegt. Der Weg, den die Renner so zuruecklegen, betraegt, genau gemessen, vier englische Meilen, von denen man fuenfe auf eine deutsche rechnet; die Zeit aber, die sie darauf zubringen, ist unglaublich kurz. Sowie das erste Rennen vorueber ist, faehrt und reitet alles wieder auf dem Platze durcheinander wie zuvor, bis ein neuer Trommelschlag verkuendet, dass andere Pferde zum Laufen bereit sind, und die Zuschauer wieder zur Ordnung verweist. Jeden Morgen waehrend der Woche des Pferderennens werden drei solche Wettlaeufe gehalten. Nach dem dritten eilt alles sehr befriedigt nach Hause. Es ist nicht erfreulich, die Pferde am Ziel anlangen zu sehen; ermattet, mit Schweisse bedeckt, atmen sie kaum noch, das Blut stroemt aus ihren von den Sporen zerrissenen Seiten. Auch die Jockeis sinken fast hin vor Ermattung; das pfeilschnelle Reiten benimmt ihnen den Atem, sie muessen unaufhoerlich mit der einen Hand vor dem Munde die Luft zu zerteilen suchen, um nur nicht zu ersticken. Die uebrige Zeit des Tages, welche Toilette und die Freunden der Tafel freilassen, wird in dieser Woche auf mannigfache Weise hingebracht. Anstalten genug gab es dazu. Wachsfiguren, Seiltaenzer, unsichtbare Maedchen und ein sehr interessantes Panorama von Konstantinopel. Naechst dem wechseln abends Baelle, Konzerte und Assembleen in den, zu diesem Zwecke bestimmten, sehr schoenen Saelen. Auch ein Vauxhall gibt es hier. Obgleich recht huebsch eingerichtet, haelt es doch keinen Vergleich mit dem beruehmten Vauxhall [Fussnote: Londoner Stadtteil mit Vergnuegungspark] in London aus, das wohl immer das einzige seiner Art bleiben wird. Das Theater wird stark besucht und das Publikum darin ist laut, ungestuem und souveraen herrschend wie in London; das Haus ist nicht gross, aber sehr huebsch dekoriert, gut erleuchtet und zweckmaessig eingerichtet. Nur die Schauspieler zeichnen sich auf keine Weise aus; keiner unter ihnen erhebt sich ueber die Mittelmaessigkeit, und die Schauspielerinnen bleiben sogar noch weit unter ihr zurueck. In dem sehr huebschen Konzertsaale ward ein echt schottisches Konzert vor einem sehr brillanten Auditorium gegeben. Es war als ein Vokalkonzert angekuendigt und bestand nur aus drei Singstimmen, begleitet von einem Pianoforte. Die Saenger gaben den ganzen Abend nur leichte Romanzen, Lieder und dreistimmige Kanons, hier Glees genannt. Diese Art Musik ist in England, noch mehr in Schottland, sehr beliebt. Musik und Text waren ganz schottisch. Letzterer oft aus Ossian entlehnt, erstere durchaus sanft und klagend, durch Molltoene sich hinwindend. Manche uralte Melodie ertoente hier und wurde mit heisser Vaterlandsliebe aufgenommen. Das Ganze waere fuer eine Stunde etwa recht angenehm gewesen; aber es hatte den Fehler aller Ergoetzlichkeiten in Grossbritannien, es waehrte zu lange. Das Auditorium war indessen sehr aufmerksam bis ans Ende; nur einige aeltliche Herren, die sich wahrscheinlich bei Tische das Wohl der Nation zu sehr zu Herzen genommen hatten, verfielen in suessen Schlummer und schnarchten ueberlaut den Grundbass zu dem etwas mageren Akkompagnement des Pianoforte. Die Singstimmen waren gut und sangen diese einfachen Melodien, wie dergleichen gesungen werden muessen, schmucklos, richtig und ausdrucksvoll. Die laermende Woche war nun vorueber, die Sehenswuerdigkeiten wurden eingepackt, die Assembleesaele geschlossen, die Fremden reisten fort, die Einheimischen zogen zum Teil auf ihre Landhaeuser, und alles kehrte zur gewohnten Ordnung und Stille zurueck. Wir blieben noch einige Zeit, um Edinburgh auch in der Ruhe zu sehen und zu geniessen; dann kam auch der Tag unserer Abreise. Wie wir aus der Tuer unserer Wohnung traten, hatten wir einen in England ganz ungewohnten Anblick: eine grosse Anzahl Bettler umlagerte unseren Wagen bis zur Haustuer; wir mussten unseren Weg von den Soehnen und Toechtern des Elends erkaufen. Endlich rollten wir fort. Die Morgensonne roetete das alte Schloss, Koenig Arthurs Sitz, und die Ruinen von Mariens Gefaengnis. Nochmals blickten wir zurueck auf das spiegelhelle Meer und eilten nun erwartungsvoll den Hochlanden zu. Carron, Stirling Rasch ging es vorwaerts auf ebenem Wege, durch ein schoen kultiviertes, nicht sehr bergiges Land. Bald erblickten wir von weitem viele grosse Gebaeude, mit abenteuerlichen, hohen Schornsteinen. Dicke schwarze Rauchwolken stiegen aus diesen empor und waelzten sich verfinsternd ueber die bluehende Gegend; hoch aufspruehende Flammen blitzten aus dem Dampfe gen Himmel. Es waren die beruehmten Eisengiessereien von Carron, denen wir uns nahten, vielleicht die groessten in aller Welt. Hier werden Kanonen, Moerser, grosse Kessel und alles moegliche Eisenwerk gegossen. Seit einigen Jahren wird Fremden der Eintritt in diese Kyklopenwohnung nicht mehr gestattet, auch uns ward er verweigert. Wir waren eben nicht unzufrieden darueber, denn auf Reisen sieht man manches, weil man einmal da ist, ohne Freude und Anteil, aus einer Art von Pflichtgefuehl, und waere zuweilen gern der Muehe ueberhoben. Das ganze hat hier, bei aller ungeheuren Groesse, dennoch wenig Einladendes. Der Steinkohlendampf versetzte uns den Atem, betaeubendes Getoese und Gehaemmer erscholl aus dem Innern der Gebaeude; ewige Daemmerung herrscht in diesen Rauchwolken, die weit und breit mit Asche und Russ Baeume und Pflanzen bedecken und die Vegetation ins Gewand der Trauer huellen. Nicht weit von Carron sahen wir einen grossen Kanal, der die beiden Stroeme Clyde und Forth verbindet und fuer den inneren Handel von unbeschreiblichem Nutzen ist. Gegen Abend erreichten wir Stirling. Diese ziemlich grosse, lebhafte Stadt wird schon zu den Hochlanden gerechnet. Jetzt war sie voller Soldaten, und Strassen und Haeuser umso lebendiger. Ihre Lage am Fusse eines hohen Felsen ist sehr schoen. Einige Strassen fuehren gerade den Fels hinauf, auf dessen hoechstem Gipfel ein altes Schloss thront. Jetzt ist es zum Teil zu Kasernen, zum Teil zu Offizierswohnungen eingerichtet. Von der Terrasse vor dem Schlosse genossen wir einer wunderschoenen Aussicht. Ein breites, fruchtbares Tal lag vor uns in aller Pracht der hoechsten Kultur, der ueppigsten Vegetation, mit einzelnen Wohnungen, Doerfern, stattlichen Baeumen wie besaet. In den mannigfaltigsten Kruemmungen windet der Fluss Forth sich durch die lachende Gegend; bald geht er vorwaerts, bald kehrt er auf lange Strecken zurueck und schleicht dann wieder zoegernd weiter, als straeube er sich, dies Paradies zu verlassen. Eine schoene, steinerne Bruecke, dicht vor der zu unseren Fuessen liegenden Stadt, macht die Landschaft noch malerischer. In der Ferne sieht man die Rauchwolken von Carron wie aus einem Vulkan emporsteigen. Schoene blaudaemmernde Berge schliessen von zwei Seiten die Perspektive, geradeaus ist sie unbegrenzt. Stirling besitzt viele Fabriken, sehr schoene Teppiche aller Art werden hier gemacht; auch das vielfarbige, gewuerfelte Wollenzeuch, worin die Bergschotten sich kleiden. Wir besahen eine dieser Fabriken und waren aufs neue gezwungen, den erfindungsreichen Geist zu bewundern, welcher in diesem Lande alle Arbeiten auf so mannigfaltige Weise vereinfacht und erleichtert. Als zuvor noch nie gesehen bemerkten wir hier eine Maschine, mit welcher ein Maedchen mehr als fuenfzig Spulen Wolle zugleich abhaspelte. Die Spulen waren in einem grossen Zirkel nebeneinander befestigt, und der Faden jeder dieser Spulen an die darueber stehende sehr grosse Haspel gebunden; das Maedchen setzte mittelst eines Rades die sehr einfache Maschine auf das zweckmaessigste und mit der groessten Leichtigkeit in Bewegung. Auch die Hunde werden hier zur Industrie gezwungen. Wir sahen einen sehr schoenen grossen Hund, welcher in einem Rade herumsteigen musste, wie ein Eichhoernchen, um eine Muehle zur Reibung der Farben zu treiben. Diese Arbeit schien ihn aber nicht sonderlich zu amuesieren, er nahm seinen Augenblick wahr und entwischte mit unglaublicher Behendigkeit, gerade wie er uns seine Kuenste vormachen musste. Jung und alt lief mit grossem Geschrei hinter ihm her, aber er entkam gluecklich seinen Verfolgern zu unserer grossen Freude und zum grossen Leidwesen seines Herrn. In Edinburgh wird die Nationaltracht der Bergschotten weit weniger gesehen als hier in Stirling, wo dieses schon sehr haeufig der Fall ist. Die Maenner tragen enge, blaue Muetzen, oben mit einer roten Quaste, bisweilen auch mit einer Feder geziert, mit einem Aufschlage von rot und weiss gewuerfeltem Zeuch; eine ziemlich lange Jacke und darunter ein nicht ganz bis zu den Knien reichendes, sehr faltenreiches Roeckchen oder Schurz von dem bekannten, bunt gewuerfelten, schottischen wollenen Zeuche. Ein Guertel, in welchem oft eine Art von Dolch steckt, befestigt diesen Schurz um die Hueften; auch haengt ein lederner, mit Troddeln gezierter Beutel daran, in welchem die Schotten Tabak und Geld verwahren. Ihre Fussbekleidung besteht in rot und weiss gewuerfelten, unten mit einer starken ledernen Sohle versehenen Struempfen, welche auch nur bis etwa ueber die Haelfte der Wade reichen; von da an bis ueber das Knie sind die Beine ganz bloss. Diese Fussbekleidung gibt den Schotten etwas sehr Fremdartiges; sie sehen damit aus wie die roemischen Soldaten in der Oper, und die roten Streifen in den Struempfen haben das Ansehen von uebergeschnuerten roten Baendern. Das Hauptstueck ihrer Kleidung, wir moechten sagen, ihres Mobiliars, ist der Plaid, ein langes breites Stueck von jenem gewuerfelten schottischen Zeuche, wie ein sehr grosser Shawl. Den Plaid tragen sie bei gutem Wetter wie ein Ordensband nachlaessig von einer Schulter zur Huefte vorn und hinten wieder heruebergeworfen. Zuweilen wird er auf der Schulter quer mit einer grossen silbernen Nadel befestigt. Diese Art Draperie sieht recht gut aus. Bei Regenwetter oder Kaelte nehmen sie den Plaid ueber den Kopf und huellen sich ganz hinein; nachts dient er ihnen auf Reisen statt Huette und Bette, und auch in ihren Wohnungen schlafen sie gewoehnlich in dem Plaid gewickelt ohne weiteres auf der Erde oder wo sie Platz finden. Die Tracht der Weiber hat nichts Ausgezeichnetes. Auch sie bedienen sich haeufig jenes schottischen Zeuches, uebrigens gehen sie sehr aermlich, schmutzig sogar, mit nackten Fuessen, oft in blossen, kurz geschnittenen Haaren, ohne Haube oder Hut. Die Schottinnen stehen im Ganzen in Hinsicht auf Schoenheit nicht hinter den Englaenderinnen zurueck. Sie uebertreffen sie vielleicht; aber in Hinsicht der Kleidung ist bei der geringeren Klasse, bei den Dienstmaedchen und den Dorfbewohnerinnen der Unterschied zwischen den Englaenderinnen und Schottinnen sehr gross. Keine langen Kleider, keine huebschen Strohhuete mehr, die man in England ueberall sieht. Blosse Fuesse, schlechte, baumwollene Roecke, unfoermige, bis an die Knie reichende weite Jacken, bisweilen unter der Brust mit einem Guertel gehalten, oefter noch lose haengend, weisse Hauben, die tief ins Gesicht gehen und bis auf die Schultern herabhaengen: dies ist das Kostuem der aermeren Schottinnen in den Staedten und mit weniger Abweichung auch auf dem Lande und in den Gebirgen. Die Wohnungen, sowohl in den Doerfern, durch die wir jetzt kamen, als auch die einzeln zerstreut liegenden Huetten, sehen hoechst aermlich aus. Oft sind sie nur aus aufgetuermten Feldsteinen und Lehmerde wie zusammengeknetet und haben kaum das Ansehen menschlicher Behausungen. Wie diese anscheinend grosse Armut mit der grossen Fruchtbarkeit und Kultur dieses Landstrichs sowohl als mit der Bildung der Einwohner zu vereinigen ist, ist uns unbegreiflich. Perth Von Stirling gingen wir eine Tagereise weiter nach Perth. Diese Stadt ist nicht klein, hat huebsche grosse Haeuser und schoene breite Strassen voll lebendigen Gewuehls. Alles sieht wohlhabend aus, denn auch hier bluehen Handel und Fabrikwesen; besonders beruehmt sind die grossen Bleichereien von Perth. Wie wir aus Stirling abfuhren, erfreuten wir uns noch an mancher schoenen Aussicht dieser herrlichen Gegend. Allmaehlich verlor nun das Land an Reiz, doch blieb es noch immer sehr kultiviert und fruchtbar. In blaeulichem Dufte breitete sich jetzt die Felsenkette der Hochlande duester vor uns aus; muehselig erklommen wir ein paar ziemlich hohe Berge, ueber welchen noch hoehere drohten. Der Weg senkte sich wieder etwas, die Berge zogen sich zurueck und begrenzten ein liebliches Tal, belebt von dem schoenen Strome Tay, an dessen Ufern die Stadt Perth erbaut ist. Wir machten von Perth aus eine kleine Ausflucht nach Scone Palace, dem ehemaligen Sitz der schottischen Koenige, wo sich auch das Parlament versammelte; heutzutage eine Art Rattennest, eher einer alten Scheune als einem Palaste aehnlich. Scone Palace gehoert dem Lord Mansfield, als ein Geschenk Koenig Jacobs des Zweiten an seine Familie. Der Besitzer wohnt hier immer noch von Zeit zu Zeit, obgleich das Haus so schlecht ist, dass mancher Kraemer oder Makler schwerlich zu einem Sommeraufenthalt damit vorlieb nehmen wuerde. Ein neues Wohnhaus wird jetzt neben dem alten Gebaeude erbaut, dieses aber mit aller Sorgfalt unveraendert erhalten, die sein ehrwuerdiges Alter und seine ehemalige hohe Bestimmung verdienen. Man zeigte uns noch manches uralte Zimmer darin, manche verblichenen Reste ehemaliger koeniglicher Pracht. Das Bette, in welchem Maria Stuart waehrend ihrer Gefangenschaft in jenem, jetzt in Truemmern liegenden Schlosse bei Edinburgh wohl oft vergebene Ruhe und Vergessen ihres Kummers suchte, wird hier wie ein Heiligtum aufbewahrt; auch eine Stickerei, die sie dort sehr muehsam und fleissig verfertigte. Mit Silber und Seide hat sie auf einem violett samtenen Vorhang eine Menge zerstreuter, mannigfaltiger Blumen gestickt; das Dessin ist steif, die Arbeit eine Art Kettenstich, sehr sauber und zierlich. Eine lange, schmale, duestere Galerie diente dem schottischen Parlamente zum Versammlungsorte; wenn man sie sieht, wird es schwer, an ihre ehemalige grosse Bestimmung zu glauben, so unscheinbar ist sie. An der gewoelbten, mit Holz bekleideten Decke bemerkt man Spuren von Malerei, die auch in ihrem glaenzendsten Zustande sehr unbedeutend gewesen sein muss. In einer alten, abgelegenen Kapelle im Garten, jetzt das Begraebnis der Familie Mansfield, wurden sonst die Koenige von Schottland gekroent. Die Gegend zwischen Perth und Scone Palace ist sehr angenehm und reich. Auf dem Rueckwege verweilten wir bei einer der grossen Bleichereien, deren es hier viele gibt. Der Besitzer derselben war sehr willfaehrig, uns ueberall herumzufuehren. Hier braucht's der Dampfmaschine nicht, um alle die verschiedenen Triebwerke in Bewegung zu setzen; das Wasser vertritt ihre Stelle auf eine weniger kostspielige Weise. Eine Baumwollspinnerei oben im Hause, das Stampfen der Leinwand und das Glaetten derselben wird durch Wasser betrieben. Die letztere Behandlung des Leinenzeugs, besonders des Tischzeugs, schien uns merkwuerdig. Die Waren erhalten hier einen Glanz, der alles Aehnliche, selbst den schoensten Atlas, weit uebertrifft. Diesen bringt man dadurch hervor, dass das Stueck Leinwand vermittelst eines Treibwerkes von einer grossen hoelzernen Walze auf die andere gerollt wird; diese zwei Walzen haben eine kleinere von Zinn zwischen sich, an welche sie so eng anschliessen, dass die Leinwand nur muehsam beim Aufrollen sich dazwischen durchdraengen kann, und diese Reibung ist es, welche ihr den vorzueglichen Glanz gibt. Wir waren entschlossen, von Perth aus eine Tour durch einen Teil der eigentlichen Hochlande zu machen. Die Wege in diesen sind, wenn auch nicht so gut wie im uebrigen Koenigreiche, dennoch zum groessten Teil fahrbar, seitdem man vor nicht langer Zeit die sogenannten Militaerstrassen anlegte; aber Posten waren noch nicht eingerichtet, Pferde ueberhaupt selten; deshalb mieteten wir welche in Perth fuer die ganze Strecke Weges und reisten dem Gebirge zu. Kenmore Durch eine zuerst ziemlich flache, fruchtbare Gegend gelangten wir in ein Tal von erhabener Schoenheit. Hohe, wilde Felsen umgeben es von beiden Seiten. So wie der Weg an ihrem Fusse immer in einer gewissen Hoehe sich hinwindet, oeffnen sich neue, entzueckende Aussichten. Tief unten rauscht und wogt der ziemlich breite Strom Tay. Kleine Kornfelder und Baumgaertchen gruenen und bluehen an den Ufern, zwischen ihnen zerstreuen sich einzelne Huetten. In einem tieferen Winkel, heimlich zwischen die Felsen gedraengt, sahen wir ein Doerfchen; Scharen froehlicher Kinder trieben darin ihr lautes Spiel, die Muetter spannen in den Tueren, die Maenner, in ihrer romantischen Tracht, waren in den Feldern und Gaerten beschaeftigt. Das ganze sah sehr fremd aus, und doch wieder so heimisch, so ruhig und zufrieden. Nachdem wir in einer Faehre ueber den Strom gesetzt waren, erreichten wir Dunkeld, und fanden gegen unsere Erwartung einen sehr guten Gasthof in diesem abgelegenen Winkel der Welt. Immer noch am romantischen Ufer des Stroms Tay fuehrte unser Weg nach Kenmore, einem Doerfchen, arm und klein wie alles in diesem Lande. Wir fuhren ueber Berg und Tal, zuweilen dicht an Abgruenden hin, die uns schaudern machten. Bald naeherten wir uns ganz dem Gestade des Stroms; bald sahen wir ihn voellig aus dem Gesichte; aber immer fuehrte uns der sich auf mannigfaltige Weise schlaengelnde Weg wieder in seine Naehe. Ein unnennbar freudiges Gefuehl von Ruhe und Frieden bemaechtigte sich unser in dieser Stillen Abgeschiedenheit, wo klare, lebendige Wasser durch fruchtbare angebaute Taeler rieseln und brausen, von hohen Bergen umfriedet. Diese starrten nicht, wie die von Derbyshire, rauh und nackt uns entgegen, schoene Waldungen bekleiden sie, fast bis zum hoechsten Gipfel hinaus, und winken freundlich dem Wanderer in ihre erquickenden Schatten. Der Anblick der armen Huetten, die wir einzeln in den Taelern, am Fusse der Felsen oder in der Naehe des Stroms zerstreut liegen sahen, wuerde uns schmerzhaft beruehrt haben, wenn die Bewohner mit ihrem klaeglichen Lose weniger zufrieden geschienen haetten. Wir sahen grosse Armut, aber nicht eigentliches Elend. Jede Huette hat ihr kleines Kartoffelfeld, das die Einwohner naehrt, und einige Ziege und Schafe, von einer besonderen, sehr kleinen Rasse, fast wie die Heideschnucken auf der Lueneburger Heide, welche ihnen Milch, Kaese und die notwendige Kleidung gewaehren. Die Haeuser in den schottischen Hochlanden sind wohl die schlechtesten menschlichen Wohnungen im kultivierten Europa; so enge, dass man nicht begreift, wie eine Familie darin Platz findet, aus rohen Steinen, oft ohne allen Moertel, nur zusammengetragen. Die Fugen sind mit Moos und Lehmerde verstopft, Tueren aus Brettern schlecht zusammengeschlagen, ohne Schloss und Riegel (denn wer sollte hier Diebe fuerchten?), Fenster, so klein, dass man sie kaum bemerkt, oft sogar ohne Glas. Die niedrigen Daecher von Schilf, Moos, Rasen, bisweilen auch aus Holz und Schiefer, haben oft statt des Schornsteins nur eine Oeffnung, durch welche der Rauch abzieht. Das Innere dieser Huetten entspricht dem Aeusseren. Menschen und Tiere hausen unter dem naemlichen Dache friedlich beisammen, nur durch einen schlechten bretternen Verschlag voneinander getrennt. In dem einzigen Zimmer des Hauses sieht man deutlich, bei dem fast gaenzlichen Mangel allen Hausgeraets, wie wenig der Mensch zum Leben eigentlich braucht. Der Fussboden besteht aus festgetretenem Lehm; der grosse Feuerplatz, dicht auf der Erde, ohne alle Erhoehung dient zugleich zum Feuerherd und Kamin. Ein an einer Kette haengender Kessel ueber dem Feuer, einige hoelzerne Schemel, ein gross zusammengezimmerter Tisch und in der Ecke ein Lager von Moos oder Stroh: das ist alles, was diese von aller Weichlichkeit entfernten Menschen zu ihrer Bequemlichkeit haben. Das Ansehen der Maenner ist wild, und ihre fremde Kleidung, die so sehr von jeder anderen europaeischen abweicht, ist zum Teil schuld daran. Im Umgange verliert sich der Eindruck gaenzlich, den ihr erster Anblick erregt. Ihr von Luft und harter Arbeit gebraeuntes Gesicht ist ausdrucksvoll, seine Zuege sind angenehm und regelmaessig. Stiller, an Trauer grenzender Ernst scheint der Grundton ihres Wesens; dennoch koennen sie sehr froehlich sein. Sie sind gebildeter, als man vermuten moechte. Die Geschichte ihrer Vaeter und ihre Heldengesaenge sind keinem fremd. Fast in jeder Huette, in welcher wir einkehrten, sahen wir eine Bibel, ein Gebetbuch, auch wohl irgend eine alte Chronik, aus welchen der Hausvater sonntags die Seinen erbaut. Winters moegen die Wege den Besuch der Kirchen sehr erschweren, doch kann gewiss nur die Unmoeglichkeit den frommen Bergschotten davon abhalten, obgleich die meisten einen sehr weiten Weg dahin zu machen haben. "Wir beten und spinnen!" antwortete mir ein junges, schoenes Maedchen auf die Frage: "Was tut ihr denn winters, wenn Kaelte und Schnee euch in euren Huetten gefangen halten?" In jedem Hause beinah haengt der Stammbaum der Familie, auf welchen sie oft mit Stolz blickten; gewoehnlich ist ein horizontal liegender geharnischter Ritter darauf abgebildet, der oft den Namen irgend eines alten schottischen, der Fabel halb verfallenen Koenigs fuehrt. Aus seiner Brust spriesst der Baum, der sich in unzaehlige Aeste verbreitet. Bekanntlich gibt's nur wenige, aber unendlich zahlreiche Familien in Schottland, deren Glieder alle einen Namen fuehren, sich in allen drei Koenigreichen, ja sogar in der ganzen Welt ausbreiten, aber doch durch ein heiliges Band sich vereinigt fuehlen und dies gewissenhaft anerkennen, wo sie sich treffen, wenn sie sich treffen, wenn sie sich auch vorher nie sahen. In Kenmore nahm uns abermals ein guter Gasthof auf, umringt von etwa zwanzig solcher Huetten, wie wir oben beschrieben. Sie machten das ganze Dorf aus. So klein sind alle Doerfer, die einzelnen Wohnungen liegen sehr zerstreut, oft meilenweit voneinander. Killin Eine sehr kleine Tagesreise von Kenmore liegt Killin. Von ersterem Orte an wurden die Felsen immer hoeher und wilder. Wir fuhren an ihrer Seite hin, fast immer im Angesichte des Stroms. Dieser ward nun zum See Loch Tay. Drohende, starre Felsen erhoben sich furchtbar ueber unserem Haupte, immer hoeher und hoeher uebereinander, waehrend wir den laengs dem Ufer des Sees sich hinwindenden Weg verfolgten. Wolken in seltsamer Gestalt umlagerten die hoechsten Gipfel der Berge und wogten im Winde, kamen und schwanden, alles um uns war feierlich, gross und einsam. Wir erstiegen, gefuehrt von einem Einwohner des Tales, den Gipfel eines Berges. Unsere Fuehrer nannten ihn uns Ben Lawers. [Fussnote: Johanna irrt hier; der hoechste Berg Schottlands und damit auch Englands ist der 1343m hohe Ben Nevis. Selbst Ben More ist niedriger als der von Johanna erstiegene Ben Lawers.] Die Aussicht oben war eine der einsamsten der Welt, wir erblickten nur andere kahle, schauerliche Felsen und zwischen ihnen dunkle einsame Taeler. Ben More, der hoechste Berg in Schottland, drohte aus der Ferne, das Haupt in graue Nebel gehuellt. Herden von jenen kleinen Schafen, gefuehrt von einem einsamen Knaben, belebten allein die feierliche Wueste. Wir kehrten zurueck zum Loch Tay und erreichten bald Killin, ein einsames, ziemlich ansehnliches Haus, umgeben von einigen, hart am Ufer des Sees erbauten Huetten. Die Fluesse Dochart und Lochay fallen hier in den See und bilden in sanften Kruemmungen kleine Halbinseln. Das Tal, welches diesen einschliesst, ist so gruen, Baeume und Straeucher wachsen in so ueppiger Fuelle, wie wir es nimmer in diesem noerdlichen Winkel der Welt erwarten konnten. Alles ist angebaut wie ein Garten, kleine wogende Kornfelder wechseln mit Kartoffelbeeten, und steinerne Einfassungen schuetzen die Felder gegen Beschaedigung durch Tiere des Waldes und der ueberall weidenden Schafe. Hohe Felsen umgeben dies liebliche Plaetzchen, als wollten sie es wie ein schoenes Geheimnis den Augen der Welt verbergen. Lange hielt uns noch die herrliche Aussicht auf Fels und Tal am grossen Erkerfenster im Gasthofe zu Killin fest. Sie ist als eine der schoensten in diesem Lande beruehmt, wie unzaehlige Inschriften, in Prosa und in Versen, an diesem Fenster verkuenden, und wahrlich, sie verdient diesen Ruhm. Der See bildet gerade vor dem Hause eine kleine, wunderschoene Bucht, ein einsamer Kahn durchschnitt die silberne Flaeche in mannigfaltigen Wendungen. Baeume und Straeuche spiegelten sich im klaren Wasser, die Felsen gluehten ringsumher im Abendbrot, die Nebel, welche ewig ihre Gipfel umwogen, glaenzten wie Purpur und Gold, und aus dem Kahn zu uns herueber toenten die klagenden Mollakkorde eines schottischen Volksliedes durch die feierliche Stille der sinkenden Nacht. Waehrend wir in stiller Freude an diesem Fenster verweilten, besorgten unsre treuherzig freundlichen Wirte alles auf's Beste, wessen wir bedurften. Bald dampfte eine koestliche Lachsforelle auf dem Tisch, die Beute jenes Fischers, dessen einfaches Lied wir eben belauscht hatten. Diese Bewohner der schottischen Seen sind von einer ganz eigenen Gattung; sie verdienten wohl, dass unsere modernen Gastronomen einzig um ihretwillen Wallfahrten nach Schottland anstellten, denn selbst die beruehmten Forellen in der Schweiz werden an Vortrefflichkeit von ihnen uebertroffen. Nahe bei Killin, auf dem Wege nach Tyndrum, kamen wir am folgenden Morgen an einem Wasserfall vorbei. Von einer betraechtlichen Hoehe eilt er dem stillen Loch Tay zu, wild einherbrausend und schaeumend ueber abgerissene Felsentruemmer. Seit Jahrhunderten schon glaenzen seine Tropfen gleich Traenen auf den gruenbemoosten Steinen eines ganz nahen Heldengrabes der Vorzeit, und sein Rauschen ertoent wie der Nachhall der Bardenlieder, die einst hier, mit ihm wetteifernd, die Taten des Toten besangen und seinen Geist in die ewigen Hallen der Vaeter geleiteten. Weiterhin wurden die Felsen immer schroffer und hoeher, oeder und einsamer die ganze Gegend umher. Wilde Bergwasser rieselten von allen Bergen und stuerzten hinab ins Tal, durch welches bald silberhell, bald wild tobend ein starker Bach sich wand. Nur selten erinnerte uns in dieser Wildnis ein kleines Kornfeld, eine niedrige Huette, dass in dieser abgeschiedenen Einsamkeit noch Menschen leben. Hier erscheint die Natur, wie Ossian [Fussnote: Sohn des Fingal, Hauptheld eines irischen Sagenkreises. Durch die Mystifikation des Schotten Macpherson ("Fingal" 1762), der seine eigenen Dichtungen als angebliche Uebertragung alter gaelischer Lieder des Ossian herausgab, gelangten diese Dichtungen zu grosser und weitreichender dichtungs- und geistesgeschichtlicher Bedeutung und hinterliessen auch in der deutschen Klassik und Romantik ihre Spuren.] sie malte, die Stroeme, die Felsen, die uralten einzelnen Eichen. Der Wind heulte ueber die Heide, die Distel wiegt ihr Haupt im Sturme am Grabe der alten Krieger. Die vier grauen, bemoosten Steine erheben sich noch einsam am Huegel der Helden und verkuenden stumm dem stillen Wanderer die Geschichte vergangener Jahrhunderte. Viele solcher alten Denkmale sahen wir, von den Urenkeln der Helden, deren Asche sie umschliessen, mit Ehrfurcht geschont und bewahrt. Koenig Fingal ruht, der Sage nach, in diesem Tale, im tiefen, dunklen Bette, und die Einwohner glauben, die geheiligte Staette noch bezeichnen zu koennen. Ossians, seines Sohnes, Name und Lieder sind zwischen diesen Felsen noch nicht verhallt, und die Geister der Helden koennen noch immer von ihrem Wolkensitze der alten wohlbekannten Toene sich erfreuen. Wir erreichten Tyndrum, einen fast ganz allein liegenden Gasthof, in einer schauerlich wilden Einoede, auf der hoechsten bewohnten Hoehe der schottischen Hochlande. Der Regen stuerzte jetzt in Stroemen herab. lange sahen wir zu, wie die schweren Wolken an den Bergen hinrollten, einzelne Streifen von Sonnenlicht bisweilen auf Momente die nackten Gipfel der Felsen verklaerten und der Wind den Regen wild herumpeitschte. Gegen Abend klaerte sich das Wetter auf, wir erfreuten uns des wunderbaren Spiels der Wolken, der Wirkung des schnell erscheinenden und wieder verschwindenden Sonnenlichts an den Bergen. Im flachen Lande kann man sich keinen Begriff von diesen magischen Erscheinungen machen. Die schweren Regenwolken schienen wie eine dunkle Decke auf den hoechsten Gebirgen zu lasten, leichteres Gewoelk zog sich wie ein heller Schleier um andere, tiefere Berge, verdeckte sie in diesem Momente ganz, rollte sich dann zusammen und verschwand im naechsten, oder zog pfeilschnell dahin in wunderbaren Gestalten, im ewigen Kampfe mit Sonnenlicht und Sturm, unendlich wechselnd mit Licht und Farbenspiel. Dalmally Der Weg von Tyndrum hierher war schlechter wie bisher, doch immer noch fahrbar, die Wildnis noch schauerlicher und oeder. Nur das Rauschen der von den kahlen Felsen schaeumenden herabstuerzenden Bergstroeme toente durch die leblose Stille der oeden Heide. Hie und da klommen einige Schafe an den mit spaerlichen Berggraesern und Heidekraeutern bekleideten Felsen, einsam und traurig blickte dann und wann ein Hirtenknabe von den Hoehen herab auf unseren Wagen, der ihm eine seltene Erscheinung sein mochte; jede andere Spur des Lebens war verschwunden. Viele halb versunkene alte Graeber zeigten, dass sonst ein maechtigeres Leben hier waltete. Am Himmel war geschaeftige Bewegung, Nebel und Wolken und Sonne trieben immer noch ihr wunderbares Spiel. Dalmally ist ein so kleines Dorf wie die anderen: es besteht aus einer handvoll armer Huetten und wieder aus einem fuer diese abgelegene Gegend sehr guten Gasthofe. Hier sahen wir die erste Kirche in den Hochlanden. Kaum konnten wir sie von den uebrigen Huetten unterscheiden, so arm und klein ist sie. Der sie umgebende Gottesacker entdeckte sie uns zuerst. Nur wenige Grabhuegel erhoben sich in dem kleinen Bezirke. Man stirbt beinahe gar nicht in diesem Lande, diese einfachen Menschen erreichen ein hohes, glueckliches Alter. Mit sechzig Jahren duenken sie sich noch gar nicht alt, sie gehen bis an das von der Natur ihnen vorgeschriebene Ziel, und nur mit dem letzten Tropfen Oel erlischt still und fast unbemerkt das Lebenslicht. Wir sahen in diesem Dorfe einen Mann von hundertdrei Jahren, seine Nachbarn gaben ihm sogar deren hundertelf und beschuldigten ihn, dass er sich juenger angebe, als er sei. In unseren kultivierten Laendern haette man ihm deren hoechstens sechzig zugetraut. Vor vierzehn Tagen hatte er eine Frau von vierzig Jahren geheiratet, an seinem Ehrentage ein Taenzchen gemacht und drei Lieder auf der Sackpfeife gespielt, denn er galt noch immer fuer einen der ersten Virtuosen auf diesem Lieblingsinstrument der Schotten. In diesem Dorfe wurden wir auf das lebhafteste an Ossian erinnert. Ein Greis, in der Nationaltracht, sass auf einem Steine nahe am Kirchhofe; sein langer, schneeweisser Bart flog im Winde, sein Ansehen war wild, ein Paar dunkle Augen gluehten unter einem hohen, kahlen Scheitel hervor; der Plaid hing phantastisch von den Schultern herab, wie ein Mantel; zwischen den Knien hielt er eine kleine Harfe, aus der er unzusammenhaengende Akkorde wie mit Gewalt einzeln hervorriss. Mit starker, tiefer Stimme sang er dazu alte Volksgesaenge; sein Gesang war eintoenig, fast mehr Deklamation als Lied. Um ihn her war das ganze Dorf versammelt, unter ihnen auch der hundertjaehrige Greis; alles hoerte feierlich aufmerksam zu. Unser Naehertreten stoerte weder den Saenger noch seine Zuhoerer im geringsten, nur machten sie uns mit natuerlicher Hoeflichkeit Raum in ihrem Kreise. Man sagte uns, der Greis sei ein Saenger, der mit seiner Harfe das Land durchziehe, ohne eigentliche Heimat, aber ueberall ein willkommener Gast, wie sonst die alten Barden. Leider konnten wir mit ihm nicht sprechen, denn er verstand nicht Englisch. Ueberhaupt trafen wir seit einigen Tagen selten jemanden, der Englisch sprach oder es auch nur verstand, ausser in den Gasthoefen. Inverary Ueber steile, unwirtbare Berge ging es weiter. Ploetzlich senkte sich der Weg; ein grosser silberner See breitete sich vor unseren erstaunten Blicken aus; es war Loch Awe. Frische schoene Baeume, kleine Gaerten vor den Huetten des Landmanns und Getreidefelder begrenzten seine Ufer. Vierundzwanzig englische Meilen lang streckte er sich hin durch das gruenende Tal, viele kleine Inseln erheben aus seinen Fluten die Felsenstirnen. Eine darunter zeichnet sich durch phantastisch geformte hervorragende Massen aus. Von fern glichen sie Ueberresten alten Gemaeuers, selbst mehr in der Naehe konnten wir nicht entscheiden, ob es Felsen oder Ruinen waeren. Kein Kahn war in der Naehe, uns hinueberzubringen; auch schienen die Ufer zum Landen zu schroff. Einige Einwohner, denen wir begegneten, verstanden unsere Sprache nicht. Unbefriedigt ueber diesen Punkt mussten wir weiter, aber der Anblick des Sees und seiner schoenen Ufer erfreute uns umso lebhafter, als wir mehrere Tage lang die Natur in ihrer furchtbaren Groesse angestaunt hatten. Im Gasthofe zu Inverary erfuhren wir spaeter, dass jene Felsenbloecke wirkliche Ueberbleibsel eines uralten, zu den Besitzungen des Lord Breadalbane gehoerenden Schlosses seien. Nur bei sehr hohem Wasserstande, wie jetzt, erscheint der Fels, den sie kroenen, einer Insel gleich; sonst haengt mehr mit dem Ufer zusammen. Zu bald mussten wir uns von dem herrlichen See wegwenden, um steilere Felsen als zuvor zu erklimmen; alles um uns ward wieder still, gross und schauerlich. Abermals senkte sich nun der Weg, frisches Laubgehoelz nahm uns auf in seine freundlichen Schatten; bald sahen wir uns in einem schoenen englischen Park, angestaunt von zahmen Rehen, die am Wege standen. Mitten drinnen ein gotisches Schloss mit vier runden Ecktuermen. Wir befanden uns jetzt in einer wahrhaft paradiesischen Gegend. Vor uns lag das schoene grosse Schloss Inverary, der Sitz des Herzogs von Argyle, mitten in einem durch herrliche Baeume und Buesche verschoenten fruchtbaren Tale. Lustpfade schlaengeln sich nach verschiedenen Richtungen hindurch, alle lockend und lieblich. Im Hintergrunde erheben schoene waldbewachsene Felsen das stolze Haupt, seitwaerts dem Schlosse winkt der eigentliche Garten voll bluehender Rosenbuesche; die zahmen Rehe schleichen neugierig um das leichte Gelaender, das ihn umgibt; auf der anderen Seite erhebt sich ein hoher, schroffer Felsen von wunderbar drohender Gestalt. Seine Spitze kroent ein Pavillon, zu welchem man ohne sehr grosse Beschwerden auf bequemen Pfaden steigt und dort eine Aussicht von unendlicher Schoenheit geniesst, die alles vereint, was die Natur Erhabenes und Freundliches darbietet. Kornfelder, Wiesen, Gebuesch fuellen in der reizendsten Mannigfaltigkeit das uebrige Tal. Vom Schlosse an erstreckt sich eine schoene Wiese bis hinab an den Loch Fyne. Dieser ist eigentlich ein schmaler Meerbusen, der hier tief in das Land hineinlaeuft. Eine schoene Bruecke woelbt sich dicht am Schlosse ueber ihn. Nahe und ferne Berge dehnen sich an beiden Ufern hin. Die Laenge des Loch Fyne ist dem Auge unuebersehbar, das ferne Meer, dem er angehoert, begrenzt ihn; gruen wie dieses spiegelt seine dunkle Flaeche, kleine, weisse Wellen huepfen wie im Tanz und schaukeln lustig die Fischerboote, kleine Schiffe und Barken, die darauf schwimmend der Szene neues frisches Leben geben. Dem Schloss seitwaerts ueber der Bruecke liegt das Staedtchen Inverary, mit dem kleinen Hafen voll Fahrzeugen mancher Art. Es hat ein sehr zierliches, nettes Ansehen mit seinen geraden Strassen und den weissen huebschen Haeusern, unter denen der Gasthof sich stattlich erhebt. Alles sieht aus, als waere es erst gestern fertig geworden. Und so ist's beinahe auch. Sonst lag die Stadt dem Schlosse gegenueber, aber der Herzog, dem sie an der Stelle die Aussicht zu verderben schien, liess sie abtragen und an ihrem jetzigen Platze wieder aufbauen. So etwas kann man denn doch wohl nur in Grossbritannien erleben. Arrochar Von Inverary bis Cairndow fuhren wir neun englische Meilen auf schoenem ebenen Wege durch ein fruchtbares, angebautes Tal, fast immer laengs dem Ufer des Loch Fyne. Wir haetten geglaubt, irre zu fahren, wenn das hier moeglich waere, wo nur eine fahrbare Strasse durch das Gebirge fuehrt: denn der Kastellan im Schloss von Inverary hatte uns den Weg, welchen wir jetzt nehmen mussten, als den fuerchterlichsten im ganzen Lande beschrieben; dunklere Kluefte, steilere, oede Felsenberge sollten wir noch nicht gesehen haben, besonders sprach er viel von einem hohen Berge, er nannte ihn rest and be thankful, ruht und dankt. Gleich hinter Cairndow merkten wir indessen gar wohl, dass wir uns auf dem rechten Wege befanden. Das Steigen begann, der See, das schoene Tal und alle Anmut der Gegend verschwanden unserem Blicke. Mehrere Stunden hindurch ging es immer hoeher und hoeher, ueber nackte Felsen, durch dunkle enge Kluefte, zuweilen durch duestere Taeler, dann wieder hoch auf Bergen. Nur feines gruenes Moos deckt wie ein Teppich das Gestein, sonst keine Vegetation, kein Leben, Totenstille und oede Einsamkeit herrschten ringsumher. Kein laut ertoent in diese Wueste als das Brausen der Felsenbaeche, die hin und wieder hinabstuerzen; keine Spur menschlichen Daseins ist sichtbar, ausser zuweilen eine jener armen Huetten, neben dem schaeumenden Bache in eine Felsenecke gedrueckt, einsam verloren. Diese traurigen Wohnungen machen die Einsamkeit noch auffallender. Im Winter muessen ihre Bewohner, ausgeschlossen von aller Moeglichkeit, zu Menschen zu kommen, ein Leben fuehren wie auf einer wuetenden Insel, und noch verlassener hier in diesem Lande, wo der Himmel auch im Sommer nicht freundlich laechelt. Dennoch veraendern sie ihren Aufenthalt nie. Bei aller Oede traegt diese Gegend aber auch den Charakter unbeschreiblich erhabener Groesse. Die maechtigen Felsen stehen ringsumher wie anbetende Riesen, in schauerlichem Schweigen; die rote Bluete des Heidekrauts bedeckt ihre kolossalen Konturen mit einem Purpurmantel, ohne sie zu verhuellen; ihre Haeupter sind umwogen von ewigen Nebeln, die ihm Sonnenstrahl zur Glorie werden; ein leiser, feuchter Duft schwebt ueber Berg und Tal, mit magischem Schimmer alles harmonisch vereinend. Endlich hatten wir den steilsten Gipfel des Weges erreicht; rest and be thankful lasen wir auf einen Stein gegraben und daneben die Namen der Regimenter, welche unter der Leitung ihrer Obern diesen Weg bahnten. Hier begegneten wir dem einzigen Wanderer auf dem ganzen Wege durch diese Wueste, einem jungen, raschen, in seinen Plaid gehuellten Hochlaender. Er sprach ein wenig Englisch und half uns bereitwillig, eine nahe Anhoehe zu ersteigen, wo eine ausgebreitete Ansicht sich uns eroeffnete. Doch uebersahen wir die imposanten Massen, die schwarzen zackigen Kronen unzaehliger anderer, von aller Vegetation entbloesster Berge; die Wasserfaelle, die von ihrer Seite herabtanzen und sich in dunklen Tiefen verlieren, ohne dass wir ihr Brausen auf dieser Hoehe vernehmen konnten. Zwischen diese Felsen eingeklemmt liegt auch das schauerliche Tal Glencoe [Fussnote: dieses Tag liegt am Ostende des Loch Linnhe und ist von Johannas Standpunkt aus nicht zu sehen. Am 13. Februar 1692 wurden viele Schotten vom Clan der Macdonalds durch englische Soldaten erschlagen, denen sie Gastfreundschaft gewaehrt hatten], dessen Einwohner zu Ende des fuenfzehnten Jahrhunderts in einer Nacht unter dem meuchelmoerderischen Schwerte der nach Rache duerstenden Englaender fielen, weil sie mit Treue dem Koenige anhingen, den sie als den einzigen rechtmaessigen Erben der schottischen Krone anerkannten. Wie Vogelnester erschienen von hier aus die wenigen kleinen Wohnungen am Fusse der Felsen oder am Eingange der schauerlichen, duesteren Taeler, die so enge sind, dass sie, groesseren Felsspalten gleich, wohl nur wenig Stunden des Tageslichts sich erfreuen. Hin und wieder sahen wir auch in der Ferne Herden jener kleinen Schafe kuemmerlich die Spitzen der Heidekraeuter benagen. Nur auf einem Punkte schimmerte uns dunkelblau ein Wasser und etwas Gruen entgegen: es war Loch Long, an dessen Ufer Arrochar liegt, das Ziel unserer heutigen Reise. Nun ging es tief hinab, immerfort ueber oede Felsen, durch duestere Kluefte und enge Taeler, bis zu den Ufern des Loch Long, der wie ein Strom sich durch ein Felsental windet. Dieser See ist eigentlich ein hier tief in das Land sich erstreckender Arm des atlantischen Meeres. Steile Felsen steigen senkrecht aus seinen salzigen Fluten und streuen ewig dunkle Schatten ueber sie hin, waehrend auch im Sonnenscheine die Bergwasser glaenzen, die von hohen Gipfeln hinab von allen Seiten zueilen. Arrochar, ein einzelner Gasthof, von wenigen Huetten umgeben, liegt hart am Ufer des Sees. In frueheren Zeiten war dieses Haus der Sitz einer edlen Familie, und noch immer erkennt man in dessen Bauart die Spuren jener hoeheren Bestimmung. Loch Lomond Wenige Meilen von Arrochar gelangten wir durch Schluchten, welche sich zwischen hohen Bergen eng hinwinden, an die Ufer dieses schoensten und groessten Sees in den Hochlanden. Laendliche Anmut und erhabene Groesse wechseln in seinen Umgebungen. Bald scheinen die praechtigen, groesstenteils waldbewachsenen Berge sich um ihn zu draengen, als wollten sie sich in seinen klaren Fluten spiegeln; dann treten sie wieder zurueck, und Wiesen und Felder umgeben das glaenzende Gewaesser. Zuerst empfing uns ein frischer, gruener Wald am Ufer; unter hohen Laubgewoelben fuhren wir hin und freuten uns des Silberglanzes im See und der mannigfaltigen Reflexe. Ein hoher Berg, einer der hoechsten, ueber die wir bis jetzt gekommen waren, stellte sich uns in den Weg; wir erreichten seinen Gipfel, der Weg senkte sich, und vor uns, unabsehbar breit, in aller seiner hohen Pracht, lag der ganze, herrliche See da, besaet mit kleinen und groesseren gruenenden Inseln, zwischen denen Fischerboote hindurchruderten. Millionen weisse, sich kraeuselnde Wellchen belebten die silberne Flaeche, aus der auf der anderen Seite der maechtige Ben Lomond senkrecht emporsteigt, bis zu den Wolken, die sein Haupt verhuellen. Die ganze Gegend ist von so wunderbarer Schoenheit, dass jeder Versuch, sie zu beschreiben, vollkommen zwecklos waere; aber nie werden wir den Tag vergessen, den wir an diesen Ufern verlebten. Unsere Herberge in dem hart am See erbauten Doerfchen Luss, leider dem letzten Orte in den Hochlanden, durch den wir kamen, war indessen gar nicht erfreulich. Eine Gesellschaft betrunkener Bergschotten hatte sich in einem der unteren Zimmer einquartiert und tanzte zu einer verstimmten Violine und einem Dudelsack, ganz unter sich, ohne Frauenzimmer, auf's lustigste herum. Die Maedchen hatten nicht bleiben wollen, das hinderte aber die Maenner nicht, dennoch ihre Nationaltaenze aufzufuehren und sich vortrefflich dabei zu divertieren. Das pferdemaessige Stampfen, das Freudengekreisch bei irgend einem wohlgelungenen Sprunge wuerde uns in's Freie getrieben haben, wenn uns die himmlische Gegend nicht herausgelockt haette. Nur fuer die Nacht war uns bange, und nicht ohne Grund. Unser Wirt war ebenfalls betrunken und dabei so gesellig, dass wir ihn alle Augenblicke aus dem Zimmer komplimentieren mussten. Seine Tochter, ein sehr huebsches Maedchen, erschien uns dabei recht interessant; sie gab sich alle Muehe, den Vater zur Ruhe zu bringen, und doch mit so zarter Schonung, immer strebend, das kindliche Verhaeltnis nicht zu verletzen, und wieder wie beschaemt, dass wir, die Fremden, die so weit herkamen, ihre Berge zu sehen, ihn in solchem Zustande treffen und dadurch an Bequemlichkeit leiden mussten. Glasgow Hinter Luss ward die Gegend allmaehlich flacher, der Weg besser; alles kuendigte uns an, dass wir das Land der Poesie verlassen und zurueckkehrten zum platten Lande mit seinem Alltagsleben. In Dumbarton schieden wir von unserem Fuhrmanne und seinen vier treuen Rossen, die uns ueber so manchen hohen Berg, durch so manches friedliche Tal gefuehrt hatten. Wir nahmen Abschied von den Hochlanden, aber die Erinnerung davon blieb uns. Sie reiht sich an so manche andere schoene Erinnerung aus der Schweiz und aus vaterlaendischen Gebirgen, von denen diese, die wir jetzt verliessen, sich indessen so merkwuerdig als merklich unterscheiden. Die Gegend von Dumbarton ward als schoen geruehmt; unsere Phantasie war nur von der naechsten Vergangenheit noch zu sehr erfuellt, als dass wir sie genau beachten konnten. Die Lage des Staedtchens schien uns indessen sehr freundlich. Ein hoch darueber emporragender Fels, dessen steilen Gipfel ein festes Schloss kroent, nimmt sich malerisch aus mitten in der wasserreichen Ebene, deren Horizont die dunklen Gebirge umgrenzen, welche wir eben verlassen hatten. Mit Postpferden langten wir gegen Abend in Glasgow an. Die Stadt ist ziemlich gross; schoene breite Strassen und Plaetze, sehr huebsche, von Quadersteinen erbaute Haeuser erinnerten uns an Edinburgh. Auch hier fanden wir wie dort in allen Haeusern breite steinerne Treppen, mit eisernen Gelaendern versehen; ein Luxus, auf welchen die Einwohner sehr stolz sind und ihn bei jeder Gelegenheit als grossen Vorzug vor London preisen. Dort, meinen sie, koenne man in einem oberen Stockwerke keine Nacht ruhig schlafen, weil man, wenn Feuer im Hause auskaeme, in der entsetzlichsten Gefahr waere, elendiglich umzukommen. Gleich bei unserem Eintritte in den Gasthof erhielten wir eine lustige Probe der hiesigen Industrie. Ein Gentleman liess uns auf das dringendste um die Erlaubnis bitten, uns in unserem Zimmer besuchen zu duerfen. Da wir endlich nachgaben, erschien ein sehr hoeflicher Herr mit ein paar dicken Buechern unter dem Arme und erbot sich, als Sprachmeister uns Englisch zu lehren; er hatte vernommen, dass wir beim Aussteigen aus dem Wagen ein paar Worte Franzoesisch untereinander sprachen, und hielt uns folglich fuer eine ausgewanderte franzoesische Familie, der er seine Hilfe notwendig anbieten muesse. Glasgow ist weit lebhafter als Edinburgh, denn Handel und Wandel sind hier zu Hause; uebrigens aber konnte uns niemand, soviel wir uns auch erkundigen mochten, irgend ein merkwuerdiges Gebaeude oder sonst einen Gegenstand angeben, welcher fuer ein nicht kaufmaennisches Gemuet naeherer Betrachtung wuerdig gewesen waere. Wir ruhten also, im eigentlichsten Sinne des Worts, die wenigen Tage, die wir hier zubrachten; denn die Fabriken, die man uns zu zeigen sich erbot, waeren doch nur Wiederholungen des schon Gesehenen gewesen. Dazu regnete es unbarmherzig die ganze Zeit ueber, wir sahen es mit Vergnuegen regnen und dankten dem Himmel, dass er diese Sintflut nicht in den Hochlanden ueber unsere Haeupter herabstroemen liess. Unter den Einwohnern Glasgows war uns wohl: gastfrei, anstaendig, zwanglos im Umgange, gebildet, vereinigten sie die guten Eigenschaften, die wir schon an ihren Landsleuten ruehmten, mit der Wohlhabenheit und allem vernuenftigen Luxus, welchen der hier bluehende Handel nur gewaehren kann. Die Faelle des Stromes Clyde Durch eine der reizendsten Gegenden Schottlands reisten wir weiter nach Lanark, um die beruehmten Wasserfaelle des Clyde zu sehen. Am Abhange hoher, zum Teil mit Wald bekleideter Felsen wand unser Weg sich hin; wir blickten hinab auf ein fruchtbar angebautes Tal, durchschlaengelt vom schoenen Strome Clyde; Gehoelze, Aecker, Landsitze, Doerfer wechselten hoechst anmutig. An einer Stelle, wo dichtes Gehoelz uns den Anblick des laut brausenden Stromes verbarg, stiegen wir aus und gingen einen sehr steilen und schluepfrigen Flusspfad hinab bis an das Ufer des Stroms. Ganz in Schaum verwandelt stuerzt er hier laut brausend von einer betraechtlichen Hoehe hinab, ueber grosse Felsstuecke, und windet sich dann zuernend und schaeumend weiter durch das liebliche Tal. Die hohen, malerischen Felsen, bekraenzt mit schoenem Gestraeuche und hohen Baeumen, von welchen wieder leichtere Efeukraenze hinflattern in der vom donnernden Fall ewig bewegten Luft, die grosse Wassermasse, die hier herunterstuerzt, der Kontrast des Schaumes, weisser als Schnee, mit dem dunklen, im ewigen Tau stets frischen Gruen, die Millionen Tropfen, die wie Diamanten im Abendstrahle blitzten, alles entzueckte uns und hielt uns lange fest. Wasserfaelle soll man aber nicht malen, weder mit dem Pinsel noch mit der Feder; die Wahrheit dieser Bemerkung fuehlt man am lebhaftesten, wenn man den Versuch wagt. Ziemlich spaet langten wie in Lanark an. Den folgenden Morgen setzten wir unsere Reise fort nach Douglasmill, zu den beiden anderen groesseren Faellen des Stroms. Die Gegend zwischen Lanark und Douglasmill gehoert zu den schoensten im unteren Schottland. Eine Meile ging es ueber Berg und Tal durch frisches, dichtes Gehoelz hin; nun erstiegen wir muehsam einen ziemlich hohen Berg, hoehere Felsen drohten ueber ihm gen Himmel. Als wir oben waren, erschreckte uns die fuerchterlich schoenste Ansicht, die wir jemals sahen: jeder Blick hinab war schwindelerregend, und doch war's unmoeglich, nicht immer hinzusehen. Hart am Rande eines tiefen steilen Abgrunds fuhr unser Wagen, keine Handbreit Raum zwischen uns und dem schrecklichsten Untergange. Ein Fehltritt der Pferde, der kleinste Unfall am Wagen waere unvermeidlicher Tod gewesen; es war unmoeglich, den Wagen halten zu lassen, unmoeglich an der Felsenwand, an welcher wir hinfuhren, auszusteigen; dennoch vergassen wir alle Gefahr bei dem Anblicke des wunderschoenen Tales, das uns viele Klafter tief im Glanze der Morgensonne entgegenschimmerte, durchstroemt vom Clyde, der zoegernd zwischen den bluehenden Gaerten und fruchtbaren Feldern sich fortwand. Eine kleine Stadt liegt mitten im Tale, nicht weit davon drei oder vier grosse ansehnliche Gebaeude mit schoenen Gaerten. Es sind Baumwollspinnereien, deren Maschinen hier wie in Perth vom Wasser getrieben werden. Wir sahen die Raeder behend sich drehen, die kleinen Faelle, welche durch diese veranlasst werden, blitzten wie fluessiges Silber; aber wir hoerten nicht ihr Geraeusch, es war zu tief unter uns. Jetzt senkte sich der Weg den Berg hinunter; dichtes Gehoelz empfing uns wieder in seine Schatten, laut hoerten wir den Strom donnern, und bald hielten wir vor einem Garten stille. Wir traten hinein, erstiegen einen kleinen Huegel, und vor uns stuerzte der Strom, weit wasserreicher und majestaetischer als gestern, ueber wilde hohe Felsen; noch einige Schritte weiter hinauf, und wir sahen ihn abermals ueber noch hoehere Felsen, in noch tiefere Abgruende gewaltig herabbrausen. Er faellt von einer so steilen Hoehe, dass er einen Bogen bildet; wer es wagen will auf dem schluepfrigen Boden, kann zwischen dem Felsen und der grossen Wassermasse hingehen. Unten in dieser kristallenen Grotte ist man wie im Nixenreiche; es muss ein betaeubendes Gefuehl sein, dazustehen und dieses ungeheure Toben und Wogen ueber seinem Haupte, vor seinen Augen zu haben, ja von allen Seiten davon umgeben zu sein; aber selten nur wagt jemand sich hinab, der blosse Anblick des Wagestuecks schreckt zurueck. Als wir den Garten verliessen, fuhren wir an einem schoenen Landhause vorbei, zu welchem er zu gehoeren scheint; wir wuenschten dem Besitzer desselben Sinn fuer sein Glueck. Nichts hinderte uns, des Gesehenen im Nachgenuss uns zu erfreuen, denn oede und traurig war die Gegend bis Douglasmill, einem kleinen, elenden Neste; ebenso bis Elvanfoot, einem noch elenderen Winkel, und immer so weiter, bis wir gegen Abend in dem artigen Staedtchen Moffat ankamen. Hier fanden wir eine freundliche Wirtin in einem sehr guten Gasthofe und ruhten aus von den Freuden und Leiden des vergangenen Tages. Moffat ist ein kleiner, von den Schotten haeufig besuchter Badeort; die hiesigen Heilquellen werden fuer sehr wirksam gehalten, nur konnten wir nicht erfahren, fuer welche Gattung von Uebeln sie eigentlich gebraucht werden. Fuer die Langeweile wohl nicht, wie so manche andere Baeder. Die Lage des Ortes ist angenehm, und das Staedtchen selbst sieht sehr freundlich aus; aber wir bemerkten keine Anstalten zu den hergebrachten Badelustbarkeiten, weder zu Assembleen, noch zu Baellen, noch zu Schauspielen, und schlossen daraus, dass wohl nur Kranke herkommen, denn fuer koerperlich Gesunde scheint nicht gesorgt zu sein. Ueber Lockerbie kamen wir den folgenden Tag nach Gretna Green, einem kleinen Dorfe, dem letzten auf der schottischen Grenze. Unbedeutend, wie es aussieht, ist es dennoch ein Ort von grosser Wichtigkeit. Hunderte bereuen es lebenslang, sich einmal unbesonnen hingewagt zu haben. Gretna Green ist der Schrecken aller Eltern, Vormuender, Onkel und Tanten in England, die reiche oder schoene Maedchen zu hueten haben; der Trost und die Hoffnung aller Misses, die in Pensionen sich Kopf und Herz mit Romanlektuere anfuellen, der Hafen, nach welchem alle Gluecksritter zusteuern, die besonders aus Irland mit leerem Beutel und vakanten Herzen nach Bristol, Bath, auch wohl nach London kommen, um mit Hilfe des kleinen blinden Gottes und seines oft noch blinderen Bruders endlich ein solides Glueck zu machen. In Gretna Green wohnt naemlich der alte beruehmte Hufschmied, der die unaufloeslichsten Ketten schmiedet. Er ist dort Friedensrichter, und dies Amt macht ihn zu einer sehr wichtigen Person. Denn in Schottland braucht es zu einer ganz legalen Trauung keines Aufgebots, keiner Einwilligung der Eltern, keines Priesters. Das liebende Paar geht zum ersten besten Friedensrichter, versichert, es sei frei und ledig, auch nicht in verbotenem Grade verwandt, und wird von ihm ohne weitere Umstaende getraut. Diese Trauung ist so gueltig und vor allen britischen Tribunalen so unaufloeslich, al waere sie von dem ersten Bischof im Lande vollzogen. Wer also in England, wo andere Gesetze gelten, ein von irgend einem widerwaertigen Argus bewachtes Liebchen hat, der nimmt die erste Gelegenheit wahr, packt es in eine Chaise, mit vier raschen Pferden bespannt, und galoppiert damit fort, nach Gretna Green, dem naechsten schottischen Grenzorte, wo oben erwaehnter Hufschmied Tag und Nacht bereit ist, sein Amt um ein Billiges zu verwalten. Im Gasthofe, wo wir abstiegen, wollte die Wirtin nicht gern von diesen Dingen sprechen, kaum, dass sie uns das Haus des Hufschmieds von weitem zeigte; gern haette sie alles abgeleugnet, aber Mauern und Fenstern sprachen von diesem Geheimnisse in ihrem Hause. Alles ist mit Inschriften und Namenszuegen gluecklicher Paare angefuellt, die ihrem wonnevollen Herzen Luft machten und leblosen Gegenstaenden ihre suessen, freudigen Gefuehle anvertrauten. Dem Hufschmiede war gar nicht Rede abzugewinnen; er sah wohl, bei uns war nichts zu verdienen; von anderen Einwohnern aber hoerten wir, dass Gretna Green ein gar gut besuchter Ort ist, und oft mehrere Paare in einem Tag anlangen. Auffallend war uns, die erste Tagesreise hinter Gretna Green auf englischem Boden, dass man uns nirgends anhielt, um Wegegeld zu fordern; alle Schlagbaeume flogen gleich auf, und die Zoellner kamen sehr gefaellig in die Gasthoefe, wo wir Pferde wechselten, das Geld zu holen. Alles scheint in dieser Gegend stillschweigend vereinigt, den Fluechtlingen [Fussnote: England hatte nach der Revolution in Frankreich viele Fluechtlinge aufgenommen] hilfreiche Hand zu leisten. ENGLAND Die Lakes Ueber Carlisle, ein huebsches, lebhaftes Staedtchen, das erste wieder auf englischem Boden, kamen wir nach Wigton, um von dort aus die Landseen von Cumberland und Westmorland, eine der gepriesensten Gegenden Englands, zu besuchen. Seit ungefaehr zwanzig Jahren ist es in London Mode geworden, hierher zu wallfahrten, um sich von der schoensten Natur entzuecken zu lassen. Die Londoner nennen diese Gegenden die englischen Hochlande, so wie man in Deutschland die Gegend bei Schandau die saechsische Schweiz nennt, und auch ungefaehr mit dem naemlichen Rechte. Von Wigton aus kamen wir durch eine rauhe, oede Gegend, bis ganz nahe vor Keswick. Hier oeffnet sich ein angenehmes, bebautes, fruchtbares Tal; ein kleiner See, Bassenthwaitewater, gibt ihm Reiz und Leben. Die Gegend ist bergig, aber die Felsen haben weder die schoenen Formen noch die imposante Groesse der schottischen. Keswick ist ein kleines, freundliches Staedtchen mit sehr angenehmen Umgebungen, die wir unstreitig sehr reizend gefunden haetten, waeren wir nicht eben aus Schottland gekommen. Aber diese kahlen Felsenhuegel verschwinden gegen jene gigantisch uebereinandergetuermten Kolosse; diese Seen ziehen sich zu Fischteichen zusammen, wenn man an Loch Lomond dabei denkt. Man sollte solche Vergleichungen nicht machen; sie wurden uns indessen sowohl von den Einwohnern als durch die Benennung der englischen Hochlande gleichsam aufgedrungen. Hinter Keswick wird die Gegend romantisch schoener, die Felsen werden hoeher; nur vermissten wir die Waelder, die in Schottland die niedrigeren Berge mit ihrem wechselnden Gruen bekraenzen. Zuerst kamen wir wieder an einen See, der, unregelmaessig, bald breiter, bald schmaeler, sich durch das Tal windend, fast einem Strome gleicht. Er heisst Derwentwater, und gern begruessten wir die freundlich Nymphe hier wieder, die Matlocks Felsen bespuelt. Einige huebsche Landsitze liegen sehr angenehm an den Ufern des Sees; Berge, Baeume, Felder, umgeben ihn in reizender Mannigfaltigkeit. Ein enges, rings von Felsen eingeschlossenes Tal empfing uns, als wir den See verliessen, durchrauscht von einem lebendigen Fluesschen, welches sich gegen die Mitte des Tales in einen kleinen schmalen See verwandelt, der Thirlmere Lake heisst. Einige Bruecken geben dem Ganzen ein recht pittoreskes Ansehen. Wir wurden hier lebhaft an den Plauischen Grund bei Dresden erinnert; es war, als saehen wir ein Miniaturgemaelde jener beruehmten Gegenden. Nahe bei Ambleside oeffnen sich weit ausgebreitete Aussichten, die durch den Kontrast mit dem engen Tale, durch welches wir vorher uns wanden, umso reizender erscheinen. Freundlich und lachend lag hier die Welt vor uns in mannigfaltiger Schoenheit, verschiedene kleinere Seen blitzten uns aus der Ferne entgegen, umgeben von aller Anmut einer reichen Vegetation und hoher Kultur. Ambleside liegt hoch; von allen Seiten bieten sich schoene Aussichten auf die benachbarte Landschaft dar; aber die schoenste derselben erwartete uns jenseits des freundlichen Staedtchens. Ein grosser spiegelheller See trat allmaehlich zwischen Bergen und Waldungen hervor. Zehn kleine Inseln von mannigfaltiger Gestalt scheinen darauf zu schwimmen, alle mit freundlichem Gruen bekleidet, mit Gebuesch und Baeumen gekroent. Auf der groessten dieser Inseln erhebt sich die elegante Villa eines reichen Gutsbesitzers, umgeben von freundlichen Gaerten. Sie heisst Curwens Insel, nach dem Namen ihres Eigentuemers. Zierliche, zu jener Villa gehoerige Gondeln wiegen sich auf den klaren Wellen, alles atmet Freude und Lust. Die Ufer des Sees sind von unbeschreiblicher, mannigfaltiger Schoenheit: rauhe, zackige Felsen, gruene bebaute, zum Teil waldige Huegel, praechtige, einzeln stehende Baeume, Wiesen, Kornfelder, Doerfer, einzelne laendliche Wohnungen liegen umher in lieblichem Gemisch. Die Berge von Keswick schiessen die blaeulich daemmernde Ferne. In Low Wood stiegen wir ab. Es ist dies ein sehr guter, einzelner Gasthof, hart am Ufer des Sees, an einer der schoensten Stellen erbaut. Der See heisst Windermere; er enthaelt mehrere Stunden im Umfange und ist der groesste in England. Lancaster Nachdem wir den See Windermere, die Krone dieser beruehmten Gegend, gesehen hatten, hielten wir es fuer ueberfluessig, auch die uebrigen kleineren Seen der Reihe nach zu besuchen und setzten daher unseren Weg weiter fort nach Lancaster. Das Land umher ist angebaut wie ein Garten, die Stadt selbst ist weder gross, noch lebhaft, noch huebsch. Viele Quaekerfamilien [Fussnote: eine um die Mitte des 17. Jahrhunderts vom G. Fox gegruendete Religionsgemeinschaft. Zu Beginn Verfolgungen ausgesetzt, gaben auch ihren Anhaengern 1689 die Toleranzakte Wilhelm III. Religionsfreiheit. Heute vor allem in den USA (Pennsylvania) noch verbreitet] bewohnen sie. Diese guten Leute stellen sich jetzt im Aeusseren mehr den Kindern der Welt gleich. Selten nur hoert man noch das alte treuherzige "Du" aus ihrem Munde; auch von der feierlichen Steifheit ihrer Bewegungen und Kleidung haben sie vieles nachgelassen; dennoch bleibt immer genug, um sie vor anderen auszuzeichnen. Die Maedchen und Frauen von Lancashire sind unter den Namen der Hexen von Lancaster, Lancaster Witches, als die schoensten in ganz England beruehmt, und wir trafen fast bei jedem Schritt in der Stadt Lancaster auf Beweise, dass sie dieses Ruhms vollkommen wuerdig sind. Reizenderes gibt es nicht als die hiesigen Quaekermaedchen in ihrer anspruchslosen, bescheidenen Tracht. Die dunklen Farben, in welche sie sich gewoehnlich kleiden, die Schuerze und das grosse Halstuch vom allerfeinsten Musselin, das schwarzseidene Huetchen, alles ohne die mindeste Verzierung, geben den frischen, bluehenden Gesichtern eine unendliche Lieblichkeit. Es ist etwas Kloesterliches in ihrer Erscheinung; aber da sie frisch und frei in Gottes Luft umherwandeln, so erregen sie nicht das beaengstigende Mitleid wie die Nonne; auch ist ihre einfache, reinliche Kleidung dem Auge weit angenehmer, als jene gotische entstellende Verhuellung. Wir reisten ueber das sehr huebsche, freundliche Fabrikstaedtchen Preston nach Liverpool. Gleich hinter Preston glaubten wir uns wie durch einen Zauberschlag aus England nach Holland versetzt. Das Land so flach als moeglich, unabsehbare Wiesen, von Kanaelen durchkreuzt, Graeben voll Wasser an beiden Seiten der mit Steinen gepflasterten Landstrassen, alles genau wie in Holland, nur das nette, geschniegelte Ansehen der hollaendischen Landhaeuser fehlte. In England wird kein Haus von aussen gemalt oder abgeputzt; in wenigen Jahren bekommen daher die Backsteine, aus welchen die meisten erbaut sind, ein altes, rauchiges Ansehen, welches dem nicht daran gewoehnten Auge missfaellt. Nichts ist dagegen huebscher und freundlicher als die laendlichen Wohnungen in Holland; das Holzwerk wird dort regelmaessig alle Jahre mit Oelfarbe angestrichen, die Ziegelsteine werden rot gefaerbt, die Fugen derselben weiss gemacht; alles sieht daher immer neu aus und gibt dem Ganzen ein unbeschreiblich froehliches und wohlhabendes Aussehen. Liverpool Diese Stadt, naechst London die groesste und bedeutendste in England, steht dennoch, sowohl in Hinsicht der Schoenheit als des Umfangs, weit hinter Edinburgh zurueck. Aber Handel und Betriebsamkeit haben ueber Liverpool ihr Fuellhorn ausgeschuettet, und Reichtum und Luxus glaenzen dem beobachtenden Fremden ueberall entgegen. Die reichen Kaufleute wenden ihren Ueberfluss auf eine sehr zweckmaessige Weise an, indem sie die an sich nicht schoene Stadt mit vielen neuen, praechtigen Gebaeuden verzieren. Vier neue palastaehnliche Kaffeehaeuser, Newshouses, Neuigkeitshaeuser hier genannt, sind seit kurzem durch Subskription erbaut; ein schoenes Theater, ein Konzertsaal, ein grosser Gasthof, viele mildtaetige Anstalten, welche der Menschheit Ehre machen, verdanken den reichen Einwohnern ebenfalls ihr Dasein. Das praechtigste und kostbarste Werk ihrer vereinten Kraefte sind aber die Docks. In diesen kuenstlichen Haefen liegen die Schiffe sicher und bequem, fast mitten in der Stadt zusammen, werden sogar da erbaut, ausgebessert, aus- und eingeladen, und ueberdies sind die Ladungen vor Dieben sichergestellt. Solche Docks kosten ungeheure Kraefte, um sie zustande zu bringen, sind aber auch fuer den Handel vom groessten Nutzen. Die Promenade laengs ihren Ufern fanden wir nicht angenehm: das Gewuehl, das Schreien, das Draengen und Stossen ist betaeubend, der Seegeruch unangenehm, aber der Anblick der offenen See ueber die Docks hinaus entschaedigte uns; den am Ufer des Meeres Geborenen geht es damit wie den Bergbewohnern mit ihren Bergen. Wir sehnen uns, wenn wir es vermissen, und sein Wiedersehen erfreut wie das eines alten Freundes. Das Meer verschoenert jede Gegend, ja die traurigste Sandsteppe erhaelt dadurch einen unbeschreiblichen Reiz. Das Brausen der Wellen toent wie bekannte Stimmen aus unserem Jugendlande herueber, und wir horchen gern mit stiller Wehmut zu. Wir haben schon bemerkt, dass Liverpool keine eigentlich schoene Stadt sei; auch die Umgebungen derselben zeichnen sich nicht vor anderen aus. Doch muessen wir die schoenen Wohnungen verschiedener reicher Kaufleute erwaehnen, die ganz nahe vor der Stadt, etwas abgesondert von dieser, auf einer maessigen Anhoehe erbaut sind. Hoechst elegant eingerichtet, vereinigen sie alle Vorteile des Land- und Stadtlebens auf die angenehmste Weise. Nur wird dieser Vorzug ihnen wohl nicht mehr lange bleiben, da sich die Stadt taeglich vergroessert und man schon jetzt berechnen kann, dass im Verlauf von einigen Jahren jene Haeuser mitten in ihr und in ihrem Gewuehl liegen werden. Der gesellschaftliche Ton ist in Liverpool vielleicht ein klein wenig leichter als in London; doch fehlt es hier wie dort an dem allgemeinen Interesse im Gespraech, welches die Fremden bald einheimisch macht. Sind die gewoehnlichen Redensarten, welche in diesem Lande immer von der allgemein angenommen Etikette herbeigefuehrt werden, abgetan, hat man ueber Wetter und Wohlbefinden sich ausgesprochen, so ist man in der Regel uebel daran, wenn man von Handel und Politik nichts weiss oder nichts wissen will. Die Maenner dieser Stadt sind fast alle auf dem festen Lande gewesen, sie kennen fremde Sitten und Gebraeuche; dies macht sie wenigstens toleranter gegen Auslaender. Die Frauen aber sind echte Englaenderinnen im vollen Sinne des Worts, und im allgemeinen fehlt ihnen die hoehere Bildung, die denn doch in einer grossen Stadt wie London leichter zu erlangen ist als in einer Provinzstadt. Dafuer haben sie sich tausend Beduerfnisse und Zierereien angeschafft, die ihren Reichtum und ihren guten Ton zugleich an den Tag legen sollen, dem daran nicht Gewoehnten aber hoechst laestig und peinlich werden. Die Liverpooler besitzen in hohem Grade die Tugend der Gastfreiheit, die dem Englaender in Staedten sonst weder eigen ist noch seiner Einrichtung nach sein kann; dass aber die Langeweile an ihren wohlbesetzten Tischen auch hier gewoehnlich praesidiert, kann nicht geleugnet werden, wenigstens ist dies der Fall, bis die Damen aufbrechen und den Maennern bei Wein und Politik freien Spielraum lassen. In Liverpool, wie in ganz Lancashire, leben viele Quaeker-Familien; doch sind sie hier sehr ausgeartet und schaemen sich ihrer alten einfachen Sitte. Der neumodische Ton steht ihnen wunderlich; besonders benehmen sich die jungen Herren, welche Elegants sein wollen, ungemein link. Sie, deren Vaeter selbst vor dem Koenige nicht den Hut abnahmen, gruessen jetzt, zum Beispiel auf der Promenade, fast jedermann, um zu zeigen, wie vorurteilsfrei sie sind; ungefaehr wie elegante Juden, die, um ihre vorurteilsfreie Bildung an den Tag zu legen, sich an oeffentlichen Orten mit Schinkenessen Indigestionen zuziehen. In einigen Laeden fanden wir noch Quaekerinnen in der einfachen, sauberen Kleidung, die ihre Religion ihnen vorschreibt. Das "Du" klang in ihrem Munde so hoeflich und bescheiden, dass unser "Ihr" uns in dem Augenblicke recht laecherlich schien. Es handelt sich sehr gut mit ihnen; ihre Waren sind immer von vorzueglicher Guete, sie ueberteuern niemand, und kein Feilschen und Abdingen findet statt, das sie nur beleidigen wuerde. Das Theater ist nicht gross, aber sehr elegant und bequem eingerichtet. Man hoert ueberall im ganzen Hause vollkommen gut; die Erleuchtung ist vortrefflich, und die Dekorationen lassen nichts zu wuenschen uebrig. Wir besuchten hier die Vorstellungen einiger neuerer Schauspiele, welche wir schon in London gesehen hatten, und waren im Ganzen damit zufrieden, wenigstens mit den Schauspielern. Die Schauspielerinnen freilich scheinen sich einander das Wort gegeben zu haben, nicht ueber die beschraenkteste Mittelmaessigkeit hinauszugehen. Die Zuschauer waren weit weniger laermend als in London; unter ihnen bemerkten wir im Parterre die beiden betrunkensten Menschen, die uns je vorgekommen sind. Beide, ganz elegant gekleidet, sassen leichenblass, starr und steif nebeneinander, wie Tote, mit stieren, offenen Augen. Der eine fiel wie ein Stein vom Sitze herunter, der andere blieb, ohne es zu bemerken, steif sitzen. Einige Zuschauer im Parterre trugen sie hinaus, aber mit so zarter Schonung, mit so viel Teilnahme, dass man deutlich sah, jeder dachte im stillen: "Heute dir, morgen mir!" Wir haben schon oben der vielen menschenfreundlichen Anstalten erwaehnt, die hier der Wohltaetigkeit und dem Reichtume der Einwohner ihr Dasein verdanken. Eine davon, fuer Blinde, besuchten wir mit Freude und Ruehrung. Der Fonds dieser Einrichtung ist noch nicht hinreichend, um ein Haus zu erbauen, welches geraeumig genug waere, dass all diese Ungluecklichen darin wohnen koennen. Deshalb sind sie in der Stadt in Privathaeusern eingemietet, aber sie versammeln sich alle Tage in dem fuer sie eingerichteten Gebaeude, Asylum genannt; dort speisen sie zusammen, erhalten Unterricht in der Musik, in den Handarbeiten, die sie bei ihrem traurigen Zustande verrichten koennen, und bringen uebrigens den Tag nach Gefallen miteinander zu. In zwei Zimmern stehen gute Pianoforten zu ihrem Gebrauch, im dritten eine Orgel. Als wir in letzteres traten, sass ein junger Blinder an der Orgel und akkompagnierte drei jungen Maedchen, seinen Ungluecksgefaehrtinnen. Sie sangen dreistimmig eine ruehrende Klage, gemildert durch stille Ergebung und Hoffnung auf den Tag, der einst ihre lange Nacht erhellen wird. Ihre Stimmen waren angenehm und rein, sie bemerkten unseren Eintritt nicht und sangen ungestoert fort; geruehrt standen wir am Eingange des Zimmers still und hueteten uns wohl, sie zu unterbrechen. Im Ganzen sind diese Blinden wie fast alle ihre Ungluecksgenossen immer heiter und froh und gespraechig. In einem unteren Zimmer fanden wir eine Menge spinnender Weiber und Maedchen, Raeder und Zungen schnurrten lustig um die Wette. In einem anderen Zimmer, wo sich Maenner und Juenglinge mit Korbflechten beschaeftigten, ging es nicht weniger munter her. Wir bewunderten die Feinheit und zierliche Form der Koerbchen, sie flochten sogar Muster von gruenen und roten Weiden hinein und wussten diese von den weissen durchs blosse Gefuehl auf das genaueste zu unterscheiden. Die Blinden machen auch sonst noch allerhand nuetzliche Arbeiten, welche unten im Hause in einem Laden zum Vorteile der Anstalt verkauft werden; sie weben, machen Seile, ja es gibt sogar Schuhmacher unter ihnen. Diese Anstalt gehoert wohl zu den zweckmaessigsten und wohltaetigsten ihrer Art. Entfernt von allen Scharlatanerien, strebt sie nur den Ungluecklichen wirkliche Hilfe zu leisten, sie soweit moeglich zu nuetzlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu machen und ihren einsamen dunklen Pfad zu erheitern durch Arbeit und Musik. Hier werden sie nicht mit tausend Kleinigkeiten gequaelt wie in anderen aehnlichen Anstalten, wo man das, was der Menschheit das Ehrwuerdigste sein wollte, das Unglueck, zum Zeitvertreib einer muessig gaffenden schauspiellustigen Menge herabwuerdigt. Am Tage, ehe wir Liverpool verliessen, erscholl ploetzlich von allen Tuermen ein betaeubendes Glockengelaeute, welches eine ganze Stunde ununterbrochen fortwaehrte; die Glocken erklangen lustig bald die Oktave hinauf, bald herunter, bald Terzen, bald Quinten, die ganze Skala durch, nach Gusto der Kuenstler. Jeder von diesen Herren bimmelte nach Belieben der Nachbarschaft die Ohren voll, ohne sich an seine Kollegen zu kehren. Wir glaubten, es sei die Nachricht einer gewonnen Schlacht angekommen, oder der Geburtstag eines Mitglieds der koeniglichen Familie wuerde gefeiert oder wenigstens eine grosse, vornehme Hochzeit in der Stadt; denn auch an bloss haeuslichen Freudentagen darf jeder Englaender mit allen Glocken laeuten lassen, wenn er dafuer bezahlen will. Aber nichts von alledem, sondern eine alte, vor mehr als hundert Jahren verstorbene Jungfer war die Ursache alles dieses Laerms. Diese hat in ihrem Testamente saemtlichen Liverpoolschen Kuenstlern eine gebratenen Hammelkeule mit Gurkensalat und dem dazugehoerigen Porter fuer jeden Donnerstagabend das ganze Jahr hindurch auf ewige Zeiten vermacht. Sie verzehren dieses Gastmahl in Gesellschaft, muessen aber vorher mit ihren Glocken einen furchtbaren Laerm machen, der die Nachbarn der Kirchen in Verzweiflung bringt; alles zum Gedaechtnis des Namens der Erblasserin, und es fragt sich, ob diese Erfindung, eine Art von Unsterblichkeit zu erhalten, nicht so gut und besser ist als manche andere. Die Gegend hinter Liverpool fanden wir ebenso hollaendisch als die, durch welche wir hereinkamen. Das Land so flach als moeglich, aber hoechst kultiviert, durchschnitten von schiffbaren Kanaelen. Ueber Warrington, ein sehr freundliches Staedtchen, beruehmt durch Glasfabriken aller Art, kamen wir zum zweiten Male nach Manchester, von dort auf sehr unebenem Wege nach Disley. Die englischen Landstrassen werden mit Recht im Durchschnitt als hoechst vortrefflich gepriesen. Aber in der Naehe grosser Fabrikstaedte, wo schwerbeladene Wagen und Karren den ganzen Tag darauf hin und her rollen, sind sie es weit weniger und muessen den Chausseen um Dresden, im Dessauischen, im Oesterreichischen und anderen in Deutschland den Vorrang einraeumen. Eine Unannehmlichkeit fuer fremde Reisende in England besteht darin, dass es sehr schwer wird, frueh auszureisen. Bei aller Vortrefflichkeit der Gasthoefe ist es dennoch unmoeglich, vor sieben Uhr morgens das Fruehstueck zu erhalten: der Wirt und seine ersten Bedienten schlafen bis spaet in den Tag hinein; nur der Stiefelwichser ist zu jeder Stunde bereit, aber seine Macht erstreckt sich nicht weiter als hoechstens zur Herbeischaffung der Pferde. Diese Beschwerde fuehlt indessen nur der Fremde, namentlich der Deutsche: denn die Englaender sind in der Regel gewohnt, erst einige Stunden nach dem Aufstehen zu fruehstuecken und reisen immer eine oder ein paar Stationen, ehe sie ihren Tee mit geroestetem Butterbrote verlangen. In Disley, wo wir dem englischen Gebrauch gezwungen folgen wollten, fanden wir das Haus in so grosser Unordnung und Unsauberkeit, dass es uns unmoeglich war, den Wagen zu verlassen. Unsere Reise fiel gerade in die Zeit der allgemeinen Bewaffnung der Nation gegen die gefuerchtete Landung der beruechtigten Bateaux plats. Alt und jung spielte Soldaten; Comptoires, Werkstaetten, Laeden standen die Haelfte der Woche leer; jeder junge Mann suchte durch schoene Uniformen und Exerzieren bei heiterem Wetter im Angesichte der Damen seinen Mut an den Tag zu legen; bei Regenwetter gingen sie freilich wie die paepstlichen Soldaten mit Regenschirmen zur Parade. Nach dem Exerzieren wurden in Gasthoefen bei grossen gemeinschaftlichen Gastmaehlern die durch diese patriotische Anstrengung erschoepften Kraefte hinter der Flasche wieder ersetzt und die Nacht alsdann mit Tanz und Spiel vollends hingebracht. Diese Lebensweise galt damals durch ganz England, und die Chefs der darueber leerstehenden Comptoires und Fabriken wollten ob der grossen Vaterlandsliebe der jungen Helden schier verzweifeln. In Disley war eben diese Nacht solch ein patriotisches Fest gefeiert worden. Alles trug noch Spuren davon, welche, ziemlich abschreckend, dem Eintretenden auf alle Weise entgegenkamen. Hinter Disley war die Gegend zuerst recht freundlich, ganz englisch; alles gruen, ueber und ueber. Dann gerieten wir wieder zwischen unfruchtbare hohe Felsen. Duerftig mit Heidekraut bewachsen, boten sie uns alles Unangenehme einer Gebirgsreise, ohne uns durch erhabenen Schoenheit dafuer zu entschaedigen. Kurz vor Middleton kamen wir durch eine enge, zwischen Felsen von schoenerer Form sich hinwindende Schlucht; dann ging es weiter ueber noch hoehere und freudenlosere Berge bis Sheffield. Dies ist eine grosse, aber nicht freundliche Manufakturstadt. Kohlendampf, ueble Luft, unbeschreiblicher Schmutz wie in einer Schmiede ueberall. Die Strassen hallen wider von wildem, wuestem Geschrei und Gehaemmer, alles hat ein grobes, unangenehmes Handwerksansehen. Es werden in Sheffield sehr viele und sehr schoene Stahl- und plattierte Waren verfertigt. Unseres Bleibens konnte aber dort nicht lange sein; nichts zog uns an, wir eilten fort und freuten uns in dem nicht weit entfernten Landsitze des Lord Fitzwilliam, Wentworth House, wieder einmal frische Luft zu schoepfen. Wentworth House und Rotherham Es ward uns erlaubt, durch den Park von Wentworth zu fahren. Obgleich gross und angenehm, zeichnet er sich dennoch uebrigens nicht aus; ebensowenig die Gaerten und Anlagen. Das Merkwuerdigste hier sind die praechtigen Staelle; sie gleichen wahrlich mehr einem Palaste als der Wohnung von Pferden. Sie umschliessen einen grossen viereckigen Hof von allen Seiten. Der eine Fluegel des mit architektonischer Pracht verzierten Gebaeudes ist zur Reitbahn eingerichtet; in den drei anderen sahen wir eine Menge der schoensten Pferde, unter ihnen viele Jagdpferde, meistens von arabischer Herkunft; auch verschiedene beruehmte Renner, welche bei manchem Wettrennen unsterbliche Lorbeeren errungen hatten. Die Luft war in diesem Pferdestalle weit reiner als in der Stadt Sheffield. Die Pferde stehen alle auf steinernem, zum Abzuge der Feuchtigkeit hin und wieder durchbohrten Platten. Dies verhinderte allen unangenehmen Geruch. Ueber dem Stande der vornehmsten Pferde, der Jagdpferde und der Renner, war ihr Name, der Name ihrer werten Eltern und bisweilen ein noch laengerer Stammbaum zierlich geschrieben zu lesen. Einige Stuten hatten ziemlich grosse Spiegel vor sich, um zu bezwecken, dass ihre Nachkoemmlinge ihnen an Schoenheit gleich wuerden. In einem abgesonderten Teile des Hofes lief ein sehr huebsches persisches Pferdchen umher. Man sagte uns, es waere ueber zwanzig Jahre alt. Zahm wie ein Hund und auch nicht viel groesser, kam das zierliche Tier auf jeden Ruf freundlich und schmeichelnd herbeigesprungen. Muede und angegriffen vom Anschauen und Bewundern setzten wir unseren Weg fort nach Rotherham, wo uns Merkwuerdigkeiten anderer Art erwarteten. Hier waren wir wieder in Vulkans Wohnung, doch ging es uns diesmal nicht wie in Carron; wir wurden eingelassen und freundlich empfangen. Diese Eisengiesserei, an Groesse und Bedeutung die naechste jener nach Carron, gehoert Herrn Walker. Obgleich auch hier Fremde ohne besondere Empfehlung nicht eingelassen werden, und wir keine an Herrn Walker hatten, so genuegte ihm doch schon ein Blick auf einige offene Adressbriefe, die wir von London aus fuer andere Orte in England mitgebracht hatten, und er gab Befehl, uns ueberall herumzufuehren. Eine ungeheure Menge Blech wird hier geschmiedet, gereinigt, geschnitten, verzinnt und dann in Kisten gepackt in alle Welt versendet, wo es unter tausenderlei Formen wichtige und angenehme Dienste leistet. Das zu verarbeitende Eisen kommt alles aus Russland, teils roh, teils in langen Stangen. Die Eisengiesserei war uns besonders interessant. Einen schauderhaft schoenen Anblick geben die hochspruehenden Flammen und Funken, die roten zischenden Feuerstroeme, welche sich mit gluehendem Schein langsam hinwaelzen, bis sie sich in die Form wie ein Grab versenken, um dort auf immer zu erstarren. Ihn vermehren noch die schwarzen, kolossalen Maenner, welche sich auf mannigfaltige Weise darum her beschaeftigen. In Rotherham ward die grosse eiserne Bruecke gegossen, die wir bei Sunderland bewunderten, und eine zweite, noch groessere, ward hier vor kurzem nach Jamaika versendet. Das Eisen wird hier in unendlich verschiedene Gestalten gezwungen, von den kolossalen Bruecken an bis herab zum demuetigen Plaetteisen. Man verfertigt hier auch viel schoenes Gitterwerk, in geschmackvollen, meistens der Antike nachgebildeten Mustern, und braucht es sehr haeufig zur Verzierung der Balkone, Fenster, Gartenpforten, Torwege und Treppen. Es sieht sehr reich und elegant aus. Durch die Erfindung, dergleichen Dinge zu giessen, statt sie zu haemmern, ist ihr Gebrauch ungemein verbreitet worden. Geschlagenes Eisen ist zwar weit dauerhafter als gegossenes, aber dieses kostet auch nur halb so viel als jenes, und da es denn doch Eisen ist, so bleibt es seiner Natur nach noch immer dauerhaft genug. Das Glueck wollte uns so wohl, dass wir eine vierundzwanzigpfuendige Kanone giessen sehen konnten. Aus zwei Oefen floss brausend das fluessige Metall in zwei mit Sand und Erde eingedaemmte Kanaele, die sich bald in einem einzigen vereinten, aus dem es gewaltsam in die tief eingegrabene Form stuerzte. Dantes Hoelle und der feurige Phlegethon [Fussnote: Unterweltstrom aus der griechischen Mythologie] waren bei diesem Anblick die naechstverwandten Ideen. Drei Tage braucht es, ehe die Kanone erkaltet ist, dann zerbricht man die Form und bringt sie so heraus. Wir sahen auch eine Kanone bohren; denn sie werden alle massiv gegossen. Aus dieser Operation pflegte man sonst ein Geheimnis zu machen, doch ward sie uns ohne viele Widerrede gezeigt, sobald wir den Wunsch aeusserten, sie zu sehen. Die dazu noetige Maschine wird vom Wasser getrieben. Eine lange, eiserne Stange, genauso dick als die Muendung der Kanonen weit werden soll, steht in horizontaler Stellung fest. Ein platter Stahl, ungefaehr einen halben Zoll stark, mit scharfen Ecken, in Form einer Zunge, befindet sich am Ende der uebrigens ganz runden Stange. Die Kanone, mit undenkbarer Gewalt vom Wasser getrieben, wird gezwungen, sich um diese Stange wie eine Axt zu drehen und zu winden; die Zunge schneidet das Metall aus der Oeffnung, und die Stange poliert von innen ganz glatt und eben. Es ist unmoeglich, die Kraft ohne Staunen anzusehen, die hartes Metall wie weiches Holz bearbeitet. Wie wenig vermag der Mensch mit seiner Staerke allein, und wie viel Erstaunenswertes bringt er hervor mit Hilfe der Elemente, die er zur Dienstbarkeit zwingt, die sich aber auch an dem ohnmaechtigen Herrscher oft furchtbar raechen, wenn sie die Fesseln zerbrechen, die er schlau ersann, und in wilder Freiheit einhertoben, um in Momenten ganze Geschlechter zu vernichten. Nottingham Ueber das artige Staedtchen Mansfield reisten wir nach Notthingham, einer schoenen, ansehnlichen Fabrikstadt, in welcher besonders viele und grosse Strumpfwebereien sich befinden. Von dort gingen wir nach Derby, durch eine sehr reizende Gegend, dicht besaet mit Parks und freundlichen, zum Teil schoenen Landhaeusern, zwischen welchen einige stolze Schloesser der Grossen sich stattlich erheben. Unser Postillon fiel vom Pferde, die Pferde nahmen reissaus; doch auf diesen schoenen und lebhaften Strassen hat solch ein Vorfall wenig zu sagen, obgleich er fast in allen englischen Romanen als ein grosses Motiv paradieren muss. Unsere fluechtigen Pferde wurden bald angehalten, und wir kamen, zwar ein wenig erschrocken, doch wohlbehalten in Derby an. Hier waren die Pferderennen, auf die wir uns gefreut hatten, eben vorbei; auf unserer vorigen Durchreise war das Merkwuerdigste, was Derby darbietet, schon bewundert; deshalb setzten wir unseren Stab bald weiter und zogen gegen Warwick. Von Warwick kamen wir nach Stratford-on-Avon. Der Ort ist klein, arm und unbedeutend, aber ein heiliger Schimmer umgibt ihn: denn hier erblickte Shakespeare [Fussnote: das Grab ist heute bekannt und befindet sich im Chor der Holy Trinity Church. Das Fachwerk des Geburtshauses stammt tatsaechlich aus der Zeit Shakespeares] zuerst den Tag, hierher kehrte er zurueck am Ende seiner grossen Bahn, und seine Gebeine liegen hier begraben. Niemand weiss recht die Staette, aber in der Westminster Abtei, dort wo die Koenige ruhen, strahlt das Denkmal, welches die Nation ihm errichtete, deren Stolz er ist. Wir liessen uns zu der Huette fahren, in welcher sein Vater, ein wohlhabender Handschuhmacher, auch Wollkaemmer, einst wohnte, wo der grosse Geist, seiner selbst nicht bewusst, in der engen Eingeschraenktheit aengstlich und beklommen sich fuehlte, bis ins sechzehnte Jahr, in stetem Kampfe mit der ihn einengenden Aussenwelt, an den Banden riss, die ihn einzwaengten, und endlich, nach mancher wilden, ungezuegelten Aeusserung, zu welcher Jugendmut und ungeleitete Kraft ihn hinzogen, dem engen Leben wie dem kleinlichen Zwange entfloh und frei seinem Genius folgte. Die armen Lehnwaende des Hauses koennen sohl schwerlich schon vor weit mehr als zweihundert Jahren gestanden haben, obgleich Stratfords Einwohner es allgemein behaupten. In der Brandmauer am Feuerherde aber ist ein alter hoelzerner Lehnstuhl in einer Art von Nische eingemauert; der Herd selbst sieht sehr alt aus, eine grosse steinerne Platte liegt davor; hier hat gewiss Shakespeares Vater gesessen, eifernd ueber die wilden Jugendstreiche des Sohnes, der ihm bei aller Blutsverwandtschaft dennoch ein Fremder war und ewig sein musste. In einem oberen Zimmer zeigte man uns noch ein grosses altes Bettgestell, in welchem Shakespeares Mutter ihn zur Welt brachte; auch sein Stammbaum haengt hier. Das Haus wird jetzt von einem Fleischer bewohnt, der sehr arm zu sein scheint. Doch sorgsam wacht er ueber diese heilige Staette: denn sie bringt ihm durch die Besuche der Fremden bei seiner Duerftigkeit eine sehr willkommene Hilfe. Tewkesbury und Cheltenham In dem kleinen freundlichen Landstaedtchen Tewkesbury vernahmen wir, dass dort in einigen Tagen ein grosses Pferderennen gehalten werden sollte. Unter den Woelfen lernt man heulen, sagt das Sprichwort, unter den Englaendern wird man am Ende selbst eine Art John Bull. Wir beschlossen also die Zeit bis dahin in dem benachbarten Bade Cheltenham zuzubringen, dann an dem zu jenen Feste bestimmten Tage nach Tewkesbury zurueckzukehren, und reisten nach Cheltenham ab. Dieser beruehmte Brunnenort ist ein huebsches Staedtchen, in einem angenehmen, von Huegeln umgebenen, breiten Tale. Alles darin sieht neu aus. Die Stadt ist groesstenteils waehrend der letzten vergangenen fuenfzig Jahre erbaut, denn so lange ungefaehr ist es, dass die dortige Quelle bekannt und beruehmt ward. Cheltenham besteht aus einer einzigen, wenigstens eine englische Meile langen Strasse, an welche sich kleine Nebenstrassen und einzelne Gebaeude anschliessen. In dieser Hauptstrasse mit den schoensten Gebaeuden, den glaenzendsten Laeden, Leihbibliotheken und Kaffeehaeusern wogt die schoene Welt den Morgen ueber langsam und, wie es uns schien, auch langweilig auf und ab. Die Damen schleichen gaehnend zu zweien und dreien aus einem Laden in den anderen, waehrend die Herren mit Reiten, Trinken und Zeitungslesen die edle Zeit auf ihre Weise hinzubringen suchen. Der Geist geselliger Freude ist hier so wenig als sonst in England heimisch; man treibt alles ernstlich, und so wird auch das Vergnuegen zur Arbeit. Wenn der Morgen ueberstanden ist, so helfen Baelle, Assembleen, Konzerte und Theater, wie es eben die Reihe trifft, die uebrigen Stunden hinzubringen; fuer alles dies ist gesorgt, wenn auch nach etwas verjuengtem Massstabe. Waehrend der Saison praesidiert hier einer der Zeremonienmeister aus Bath, weil er den Sommer ueber dort muessige Zeit hat. Von dieser und anderen Einrichtungen der englischen Baeder sowie auch von der allen gemeinsamen Lebensweise behalten wir uns vor ausfuehrlicher zu sprechen, wenn wir zur Beschreibung von Bath, dieser Koenigin aller englischen Badeorte, kommen. Die Promenade, welche zu dem Brunnen von Cheltenham fuehrt, wird fuer eine der schoensten in England gehalten; wahrscheinlich erwirbt ihr in diesem Lande die grosse Seltenheit gerader, von hohen Baeumen eingefasster Alleen diesen Ruhm, denn hohe, schattige Ulmen umgeben hier von beiden Seiten eine breite, schnurgerade, etwa neunhundert Fuss lange Allee. In ihrer Mitte befindet sich der Brunnen in einem etwas schwerfaelligen Tempel eingeschlossen, daneben ein huebscher Saal zum Gebrauch der Brunnengaeste bei schlechtem Wetter, und in diesem ein Buch zu Subskriptionen fuer die Erhaltung der Promenade, des Saals usw. Jeder wohlerzogene Brunnengast unterzeichnet sich darinnen mit Namen und Stand; im Unterlassungsfall wird er fuer einen Nobody angesehen und keine Notiz von ihm genommen, wie billig. Am Ende der Promenade befindet sich noch eine gewoehnliche englische Gartenanlage; ein artiges, ebenfalls zur Belustigung der Badegaeste bestimmtes Gebaeude schliesst hier die Allee, und am anderen Ende derselben bildet der ziemlich spitzige Kirchturm das Point de vue. Es ist ein huebscher Anblick, wenn man morgens zwischen acht und zehn Uhr, der gewoehnlichen Brunnenzeit, die Badegesellschaft unter den ehrwuerdigen Baeumen langsam auf und ab wandeln sieht. Der eigene Reiz, welcher die Englaenderinnen in ihrer Morgenkleidung umgibt, ist bekannt, und hier, in diesem gruenen Daemmerlichte, zeigen sich die weiss gekleideten, nymphenhaften Gestalten der meisten auf's Vorteilhafteste. Zwar haelt diese Allee mit der von Pyrmont keinen Vergleich aus, die Englaender sind indes stolz darauf und meinen, sie sei die schoenste in der Welt. Waehrend man hier des Trinkens halber auf und ab spaziert, welches sehr charakteristisch die Morgenparade genannt wird, musiziert eine Bande Spielleute rasch darauf los, so gut es gehen will, und laesst laut ihr God save the King und Rule Britannia erschallen. Eine wunderliche Einrichtung ist's, dass man nicht anders als ueber den Kirchhof zur Promenade gelangen kann; dieser ist zwar ganz artig, mit huebschen Linden, aber daneben auch mit vielen Leichensteinen besetzt und mag wohl bei manchem zur Quelle wallfahrtenden Kranken Ideen erwecken, die deren Heilkraefte schwaechen koennten. Das Wasser von Cheltenham wird hauptsaechlich gegen Hautschaeden, Skorbut und aehnliche Uebel gebraucht. Koenig Georg der Dritte brachte durch einige Besuche diese Quelle zuerst in Mode, doch bekam ihm dieses sehr uebel. Er wollte hier von einem unangenehmen, aber eingewurzelten, vielleicht angeborenen Hautuebel genesen; es gelang ihm, der Ausschlag verging, aber der gute Georg geriet darueber in den traurigen Gemuetszustand, in welchen er bis an seinen Tod verblieb.[Fussnote: Georg III. regierender Monarch aus dem Hause Hannover zur Zeit von Johannas Englandaufenthalt (1738-1820). Er litt seit 1788 wiederholt unter Anfaellen von Geistesgestoertheit, lebte seit 1801 in einem eigenartigen Daemmerzustand, der nach einem voelligen Zusammenbruch 1811 die Regentschaft des Prinzen von Wales erforderlich machte.] Endlich brach der festliche Morgen an, der uns nach Tewkesbury rief; ganz Cheltenham wanderte mit uns zugleich aus, eine lange bunte Reihe zu Wagen und zu Ross. Dort war alles in geschaeftiger Bewegung, alles hatte den Sonntagsrock angezogen, huebsche Maedchen in weissen Kleidern und gelben Nankingschuhen liegen ueberall munter und froehlich umher. Eine Bande Seiltaenzer und zwei herumziehende Schauspielertruppen hatten hier fuer den Abend Thaliens und Terpsichorens Tempel aufgeschlagen, dazu war noch fuer die Nacht Ball und Assemblee. Man denke, was dies alles im Staedtchen Tewkesbury fuer Laerm machen musste, und wie die jungen, dieser Herrlichkeit ungewohnten Herzen schon beim blossen Herrlichkeit ungewohnten Herzen schon beim blossen Gedanken daran rascher schlugen. Und noch dazu alle die glaenzenden Herren und Damen aus Cheltenham, die Equipagen, schoenen Pferde, Bedienten und der uebrige Tross, es war zum Entzuecken! Gluecklich, wer wie wir beizeiten fuer Wohnung und Mittagessen gesorgt hatte: denn ohne diese Vorsorge war in dem Gewuehle schwerlich ein Unterkommen zu finden. Um zwoelf Uhr zog alles, Mann und Ross und Wagen, hinaus zum Rennplatze. Eine grosse schoene Wiese ist dazu eingerichtet, in einem halben Kreise zieht sich die Stadt darum her, und ferne blaue Berge schliessen rings die Aussicht. Das an sich schon recht huebsche Lokal, belebt von mehreren tausend froehlichen Menschen jedes Standes, gewaehrte ein sehr interessantes Schauspiel. Die Seiltaenzer hatten die mit unzaehligen Faehnchen recht bunt verzierten Gerueste, auf welchen sie den Abend ihre Kuenste zeigen wollten, mitten auf dem Platze errichtet; dieses, die tuerkische Musik, welche ertoente, um die Neugierde des Publikums zu erregen, und ihre leichte phantastische Taenzertracht, in der sie teils mitten unter der Menge umherliefen, teils auf ihren Geruesten sich gruppierten, machten das bunte Ganze noch bunter und lebendiger. Auch die beiden rivalisierenden Schauspielertruppen strebten bemerkt zu werden und einander den Rang abzugewinnen. Unermuedet teilten sie an alle Welt ihre Zettel aus, in die Kutschen flogen diese Ankuendigungen zu Dutzenden, und wenn einer eine Handvoll davon zu einem Schlage hingeworfen hatte, so eilte gleich sein Nebenbuhler durch den anderen Schlag ebenfalls das Lob seiner Gesellschaft zu verbreiten. Alles war Leben und Lust, nur die Wettenden schienen, mit Ernst und Eifer in ihren Zuegen, das froehliche Treiben der uebrigen veraechtlich anzublicken. Endlich toente die Trommel, die Pferde liefen vortrefflich, es waren einige beruehmte Renner darunter. Das Ganze gefiel uns weit besser als in Edinburgh und behagte uns in der Tat so gut, dass wir, wie der groesste Teil der uebrigen Gesellschaft, nach Tische wieder zum zweiten Rennen fuhren. Aber nun war der Reiz der Neuheit vorbei, und ums uns nicht am Ende eines froehlichen Tages zu langweilen, liessen wir Ball und Assembleen, Kunstreiter, Othello und Konsorten im Stiche und warteten sogar die Entscheidung des grossen Streits nicht ab: ob Jenny Spinster eine Viertelminute eher als Edgar am Ziele gewesen sei, oder ob beide zugleich angekommen waeren. Wir wuenschten den guten Einwohnern von Tewkesbury, die Shakespeare in einem seiner Meisterwerke als vortrefflich Senffabrikanten verewigt hat, viel Vergnuegen fuer den heutigen Abend und den morgigen Tag, an welchem gleiche Freuden sie erwarteten, bewunderten noch die schoene gotische Kirche, eine der groessten und schoensten im Reiche, und fuhren froehlichen Muts nach Gloucester. Diese Stadt schien uns beim Durchfahren ziemlich bedeutend, mit huebschen Haeusern und breiten Strassen. Uebrigens enthielt sie, so viel wir erfahren konnten, nichts, was unsere naehere Aufmerksamkeit auf sich zog. Bristol Die Reise von Gloucester nach Bristol ist eine der angenehmsten und der Charakter der Gegend voellig von dem des uebrigen England verschieden. Sie ist mannigfaltiger, suedlicher. Gruen ist nicht mehr so ganz die praedominierende Farbe, obgleich die Vegetation sich auch hier in hoechster Pracht darstellt. Schoenere, groessere Baeume als irgendwo, in gedraengten Gruppen, viele grosse Pflanzungen von Obstbaeumen, mit Mauern statt der gewoehnlichen Hecken eingefasst, zeichnen sie vor allen anderen in Grossbritannien aus. Hier glueht der Goldpepping [Fussnote: Goldreinette, Apfelsorte], der Stolz Englands, zwischen dem hellgruenen Laube und seufzt im Herbst unter der Presse, um spaeter als Cider [Fussnote: Apfelwein, Most] die Herzen des Mittelstandes, der die teuren franzoesischen und portugiesischen Weine nicht bezahlen kann, zu erfreuen. Hier reift die Birne auf hohen stattlichen Baeumen und liefert den Perry [Fussnote: Birnenwein, Most], der oft unter der Maske sprudelnden Champagners von den Weinhaendlern teuer verkauft wird. Der schoene Strom Avon belebt die herrliche Gegend, kleinere Schiffe schweben auf seiner silbernen Flaeche. Nahe bei Bristol wird er tief genug, um selbst grosse Schiffe von vierzig bis fuenfzig Kanonen zu tragen; acht englische Meilen weiter hin, in einer der reizendsten Gegenden, faellt er in den Severn See, eigentlich einen Meerbusen, der hier tief ins Land geht. Bristols Umgebungen sind unstreitig die schoensten in England; denn alles ist hier vereint: das Meer, der schiffbare Strom und Berg und Tal, Feld und Wald in hoechstem Reichtume, den weiser Fleiss und ein vortrefflicher Boden nur gewaehren koennen. Die Stadt schien uns groesser als Edinburgh. Strassen und Plaetze sind breit, wohlgepflastert, voll regen Lebens, umgeben mit schoenen Privathaeusern sowohl als oeffentlichen Gebaeuden und Kirchen, unter denen die Kathedrale und die von St. Mary Redcliffe als ehrwuerdige gotische Gebaeude sich auszeichnen. Das Theater ist gross, bequem und elegant, so auch das in der Vorderseite mit korinthischen Saeulen verzierte Gebaeude, in welchem unter der Aufsicht eines Zeremonienmeisters die Assembleen und Baelle waehrend der hiesigen Badezeit statt haben. Man vergleicht Bristol mit Rom; denn wie jene Koenigin der Staedte thront es ebenfalls auf sieben Huegeln, und einige davon gewaehren von ihren Gipfeln eine sehr schoene Aussicht in das Land ringsumher. Die Strassen, die hinauffuehren, sind aber groesstenteils sehr steil. Ausser dem schiffbaren Avon stroemt auch noch ein kleinerer Fluss, der Frome, durch die Stadt; huebsche steinerne Bruecken fuehren ueber beide Gewaesser. Der Quai am Hafen ist praechtig, ein Meisterwerk seiner Art; aber schaudernd wandten wir uns von seinem Anblick; denn hier war der Ort, von welchem aus die unmenschlichste Gewinnsucht Schiffe zum Sklavenhandel ausruestete, der Bristols Einwohner bereicherte. Blut und Seufzer von Millionen Menschen kleben an diesen Steinen. Indem wir dieses bedachten, wurde es uns unmoeglich, heiteren Mutes die schoenen Docks zu bewundern, welche hier, wie in Liverpool, Schiffe aus allen Gegenden der Welt sicher und bequem beherbergen. Eine der schoensten Partien um Bristol gewaehrt King's Weston, der Landsitz des Lord Clifford. Die Fassade des Hauses ist gross und stattlich, wenn auch etwas schwerfaellig und mit Verzierungen ueberladen; wir mochten uns aber mit naeherer Betrachtung desselben nicht aufhalten; sogar die schoenen Anlagen durchliefen wir nur fluechtig, so maechtig zieht hier die einfache Natur ringsumher von der ab, welche die Kunst zu schmuecken versuchte. King's Weston liegt auf einer betraechtlichen Anhoehe. Blickt man von oben herab, so bietet sich von einer Seite dem Auge ein reizendes Tal dar, ausgestattet mit allem dem Reichtum, aller der Kultur, welche England zu einem der schoensten Laender Europas machen, und liebliche Huegel, mit aller Pracht der ueppigsten Vegetation geschmueckt, scheiden diesen reizenden Punkt der Erde von der uebrigen Welt. Von der anderen Seite der Anhoehe von King's Weston sieht man den hier maechtigen Avon sich majestaetisch hinwinden durch ein jenem Tale aehnlichen Paradies. Schiffe aus allen Gegenden der Welt, umtanzt von Gondeln und kleinen Schifferbarken, schweben auf seiner silberblinkenden Flaeche. Lange verfolgt hier der Blick den Lauf des Flusses, sieht ihn immer maechtiger, immer breiter werden, sieht, wie die Felsen zu den Seiten immer pittoreskere, immer romantischere Formen annehmen, wie, ganz in blauer Ferne, das Meer zuletzt die Aussicht und zugleich den Lauf des schoenen Stroms begrenzt, indem es ihn in seinen Schoss aufnimmt und auf ewig mit sich vereinigt. Lange waren wir in diesem bezaubernden Schauspiel verloren; endlich nahmen wir unseren Weg durch den mit ehrwuerdigen Baeumen besetzten Park des Lord Clifford zu einem noch hoeheren Huegel, Penpole Point genannt. Noch einmal genossen wir hier dieselbe Aussicht, nur von einem anderen Standpunkt aus gesehen und noch reicher, noch ausgebreiteter, noch entzueckender. Ein sehr angenehmer Weg fuehrt von da nach Clifton. Man nennt Clifton ein Dorf, aber es ist ein Dorf, wir moechten sagen, aus Palaesten bestehend. Es liegt zerstreut, teils im Tale, teils auf der sonnigen Seite eines Huegels. Die schoenen grossen Haeuser stehen bald in der in England so beliebten Form des halben Mondes, teils in langen Reihen auf Terrassen, teils einzeln, oder bilden auch breite Strassen und schoene, regelmaessige Plaetze. Alles dieses ist durch Gaerten, Felder, steile, wilde Felsen und sanfte Anhoehen auf das Reizendste vermannigfaltigt. Einige dieser Gebaeude werden fuer immer oder auch nur den Sommer hindurch von reichen, angesehen Familien bewohnt; der groessere Teil derselben ist zum Gebrauche der Badegaeste eingerichtet, deren jaehrlich eine grosse Anzahl herkommt, in der Hoffnung, Heil und Rettung in der lauwarmen Quelle zu finden, welche nicht weit entfernt von Clifton fliesst. Leider oft vergebens; denn diese Quelle wird gewoehnlich als letztes Mittel gegen das traurigste aller Uebel, die unser kurzes Leben bedrohen, gegen Schwindsucht und Auszehrung, angewandt. Nirgends haeufiger als in England wueten diese Krankheiten, die fast immer die juengsten und liebenswuerdigsten Opfer sich erwaehlten, und sie verschoenen und verklaeren, indem sie sie zerstoeren. So blueht die vom Wurm gestochene Rose oft um so frueher und schoener auf. Es ist ein herzzerreissender Anblick, die jungen, aetherischen Gestalten atemlos, halb schon Bewohner einer anderen Welt, in diesen elysischen Gegenden ueber den gruenen Rasen hinwanken zu sehen und dann einen Blick auf den nahen Kirchhof, die Ruhestaette ihrer Vorgaengerinnen, zu werfen, auf dessen Leichensteinen die Zahlen von zwanzig und fuenfundzwanzig Jahren in einer langen traurigen Reihe fast ununterbrochen zu lesen sind. Hotwells Ein sehr steiler Weg fuehrt den Berg hinab nach Hotwells, wo die Quelle fliesst und ebenfalls viele schoene Wohnungen fuer Badegaeste erbaut sind. Nahe am Ufer des Avon rauscht sie maechtig hervor, aus einem der Felsen, die in majestaetischen Reihen sich von beiden Seiten laengs dem Bette des Stroms hinziehen. Ein huebsches Gebaeude ist ueber der Quelle erbaut. Zuerst tritt man in einen Vorsaal, der den Trinkenden zum Ausruhen und zur Konversation dient; hinter diesem liegt das Brunnenzimmer. Ein artiges Maedchen personifiziert hier die Hebe und schenkt das gar nicht uebel schmeckende, wie Champagner petillierende, lauwarme Wasser. Wenn es zuerst geschoepft wird, sieht es etwas truebe und weisslich aus, wird aber ganz klar, sowie es sich abkuehlt. Eine Menge artiger Kleinigkeiten, auch zum Teil seltene Konchylien, Steine und Mineralien aus den benachbarten Gebirgen, stehen hier zum Verkaufe, unter ihnen die bekannten Bristoler Steine, welche in den Ritzen und Spalten der den Avon umschliessenden Felsen gefunden werden und sowohl an Glanz als Haerte den wirklichen Diamanten sehr aehnlich sind. Die Aussicht aus dem Fenster des Brunnensaals ist beschraenkt, aber von ernster Schoenheit; wild und hoch streckend die dunkelroten Marmorfelsen von St. Vincent ihr majestaetisches Haupt hinauf in die blaue Luft. Der Avon draengt sich brausend durch das ihn einengende Felsenbette; ihm gegenueber, ebenso fruchtbar, in ebenso wilden Formen, starren andere, ganz aehnliche Gebirge; es ist, als haette der dunkle Strom hier, um seinen Weg zu bahnen, den Fels gespalten oder ein Erdbeben, maechtig seine Grundfeste erschuetternd, ihn zersplittert. Verfolgt man mit den Augen den Strom, der sich wohl anderthalb englische Meilen weit zwischen diesen Kolossen hinwinden muss, so erblickt man am fernen Horizont die schoenen blauen Gebirge von Wales, welche die nicht ausgebreitete, aber hoechst romantische Aussicht schliessen. Hinter dem Brunnenhause dient eine schoene, mit Baeumen besetzte Terrasse am Ufer des Avon zur Promenade. Tausend Schiffe kommen dort und gehen; kein Brunnenort hat wohl eine aehnliche Promenade aufzuweisen. Bei kaltem, regnerischem Wetter gehen die Gaeste unter einer in Form eines halben Mondes erbauten Kolonnade auf und ab, welche auf einer Seite von einer Reihe eleganter Laeden begrenzt wird. In Hinsicht der schoenen Gebaeude erscheint Hotwells wie eine Fortsetzung von Clifton; wie dort stehen sie hier einzeln und in schoenen Reihen und Strassen vereinigt. Dazu kommen noch die mannigfaltigen Aussichten auf See und Fluss, Berg und Tal; es ist unmoeglich, mit der Feder auszudruecken, wie ueberschwaenglich reich sich hier die Natur bewies. Aber auch fuer andere Vergnuegungen ist gesorgt. In zwei schoenen, zur Aufnahme der Gesellschaft eingerichteten Gebaeuden werden jeden Montag und Donnerstag Dejeuners dansants auf Subskription gegeben. Dienstags ist regelmaessig Ball, an den uebrigen Tagen fuellen Assembleen und Promenaden die muessige Zeit aus. Wie in den uebrigen groesseren Baedern praesidiert auch in Hotwells ein Zeremonienmeister; seine Gesetze haengen in den Saelen an der Wand angeschlagen und werden puenktlich gehalten. Sie sind in Hinsicht auf Kleidung etwas weniger streng als in Bath; in der uebrigen Etikette, besonders des Ranges, sind beide einander gleich. Die ganze Einrichtung von Hotwells gleicht der von Bath bis auf wenige Kleinigkeiten; wir verweisen deshalb den freundlichen Leser auf den zunaechst folgenden Abschnitt. Ausser den allen Baedern gemeinen Vergnuegungen, welche regelmaessige Promenaden, Assembleen, Baelle, Lesebibliotheken und dergleichen gewaehren, erfreuen sich die gluecklichen Bristoler Brunnengaeste noch viel mannigfaltiger Freuden, wenn sie die herrliche Gegend ringsumher durchstreifen; denn ausser King's Weston gibt es noch in ganz maessiger Entfernung viele Orte, die wohl eines mehrmals wiederholten Besuchs wert waeren. Leider waltete ueber uns das gewoehnliche Schicksal der Reisenden, wir konnten nicht alles Sehenswerte aufsuchen; aber wer Wochen, vielleicht Monate lang hier verweilt, muss sich manchen hohen Genuss verschaffen koennen, und unter diesen ist es wohl keiner der geringsten, auf dem silbernen Strome hinzuschiffen. Bisweilen unternimmt die Gesellschaft solche Exkursionen, wo die wilden Felsen dann widerhallen von Musik, welche die Boote begleitet. Bath Der Weg von Bristol nach Bath ist nur vierzehn englische Meilen lang. Im unaufhoerlichen Wechsel der reizendsten Aussichten faehrt man, wie in einem Garten, auf den schoensten, ebenen Wegen, durch ein Land von mannigfaltiger hoher Schoenheit. Die Jahreszeit war die guenstigste, um alles dies zu geniessen, aber nicht um das eigentuemliche Leben kennenzulernen, welches diese Stadt von den meisten anderen unterscheidet. Frueher hatten wir im Winter Gelegenheit dazu, und was wir waehrend unseres ersten und zweiten Aufenthalts in Bath bemerkten, finde vereint hier seinen Platz, um unseren Lesern eine zusammengestellte, vollstaendigere Ansicht dieses merkwuerdigen Orts zu geben. Vorher aber noch etwas im allgemeinen von dem Leben der Englaender in Badeorten, weil es uns zur Verstaendlichkeit des Ganzen unentbehrlich duenkt. Etikette ist in England ueberall an der Tagesordnung. Dem Briten geht es mit ihr wie den Frauen mit ihrer Schnuerbrust, wenn sie sich von Jugend auf daran gewoehnt haben. Sie fuehlen sich unbehaglich, wenn der gewohnte Zwang aufhoert, und wissen ohne ihn nicht zu leben. Schon mit dem haeuslichen Leben ist dieser Zwang auf das engste verwebt; in die heiligsten Bande, die Mann und Weib, Eltern und Kinder miteinander verbinden, ist er unzertrennlich verflochten; wie sollte er in den Baedern fehlen, wo der Brite, ganz wegen seiner Natur, unter Unbekannten lebt und sich mit ihnen nach einem etwas von dem Gewoehnlichen verschiedenen Takte, in etwas anders vorgezeichneten Kreisen dreht, dies ist's allein, wodurch das Badeleben vom Alltagsleben sich einigermassen unterscheidet. Damit aber ja niemand von dem ihm ungewohnten Takt abweiche, die ihm neuen Kreise aus Unbeholfenheit und Unwissenheit verletze, so ist in jedem Brunnenorte ein eigener Zeremonienmeister angestellt; in Bath gibt es deren sogar zwei. Dieser Zeremonienmeister sorgt fuer alles, er macht gleichsam den Wirt und kommt jedem hoeflich entgegen. Bei den Baellen und ueberall haelt er auf strenge Beobachtung der von der ganzen Gesellschaft fuer gueltig anerkannten Gesetze, in allem, was die Ordnung der dem Vergnuegen gewidmeten Stunden, der Kleidung, des Ranges und tausend anderer Zufaelligkeiten betrifft. Diese Gesetze sind in den Assemblee- und Ballsaelen angeschlagen, damit er sich gleich darauf berufen koenne. Tanzlustige Herren und Damen melden sich bei ihm, wenn sie nicht vorher so klug waren, fuer sich selbst zu sorgen, und er verschafft ihnen Mittaenzer, Partners, fuer den ganzen Ballabend. Jede Ursache zum Streit sucht er zu entfernen, jeden schon entstandenen zu schlichten. Unermuedet muss er fuer Anstand und Sitte wachen. Man sieht aus allem diesem, es ist nicht leicht, dort Zeremonienmeister zu sein. Maenner, die sich und ihr Vermoegen im grossen Strudel der Welt verloren, nun allein dastehen und aus dem allgemeinen Schiffbruche nur furchtlose Dreistigkeit, eine imponierende Gestalt, Weltton und einige vornehme Bekanntschaften gerettet haben, eignen sich am besten zu solchen Stellen und erhalten sie nach dem Tode oder der freiwilligen Resignation ihres Vorgaengers durch die Stimmenmehrheit der anwesenden Brunnengaeste. Das Leben, das sie fuehren, ist sehr ermuedend, ihr Lohn dafuer Achtung im Aeusseren, der Ertrag einiger Baelle, die jede Badezeit zu ihrem Benefiz gegeben werden, und von jedem Badegaste ein anstaendiges Geschenk. Dass sie ueberall freien Zutritt haben, versteht sich von selbst. Eine goldene Medaille, welche sie an einem Bande um den Hals oder im Knopfloch tragen, dient zur Bezeichnung ihres Amtes. Eine entfernte Aehnlichkeit mit den englischen Zeremonienmeistern haben die Brunnenaerzte in einigen der kleinen deutschen Baeder, wo sie auf Promenaden und an den oeffentlichen Tischen Gesunde und Kranke umflattern, alles anordnen, alles wissen, ueberall sind und nirgends. Die eigentlichen Brunnenaerzte fehlen in England gaenzlich; man haelt sich an die von Hause mitgebrachte Vorschrift seines eigenen Arztes, und nur in ungewoehnlichen Faellen zieht man einen aus dem Orte oder der Nachbarschaft zu Rate. Auch oeffentliche Spiele gibt es dort nicht, sie werden nicht geduldet, und man hat nicht wie in Deutschland schon vom fruehen Morgen den empoerenden Anblick dieser auf Raub ausgehenden Hyaenen und ihrer sinnlosen Beute zu ertragen. Hat man sich gleich nach der Ankunft im Badeorte haeuslich und komfortabel eingerichtet, welches in England sehr leicht und schnell abgetan ist, hat man Karten an die Badegaeste geschickt, die man schon kennt oder deren Bekanntschaft man zu machen wuenscht, so bleibt nun weiter nichts uebrig, als sich ueberall zu abonnieren, um ueberall Eintritt zu haben. Zuerst in die Assemblee-Saele, dann zu den an festgesetzten Tagen statthabenden Baellen, dann zu den Konzerten, die in den groesseren Baedern auch regelmaessig gegeben werden; vor allen Dingen aber zu den verschiedenen Leihbibliotheken, die man in jedem Badeorte in ziemlicher Anzahl findet. Diese sind der Herzenstrost, die letzte Zuflucht aller, welche mit dem allgemeinen Feinde, der Zeit, sonst nicht fertig zu werden wissen. Ist frueh das Wasser getrunken, welches gewoehnlich waehrend der Promenade in einem der Brunnensaele geschieht, hat man gebadet, en famille gefruehstueckt (oeffentliche Fruehstuecke sind selten), was faengt man dann mit dem langen Vormittage an, bis die zweite Toilette vor Tische beginnt? Reiten, fahren, gehen kann man nicht immer; die wenigen Visiten, die Revue der Putzlaeden sind bald abgetan. Welche eine Seligkeit, dann einen Zufluchtsort zu haben wie diese Leihbibliotheken! Man trifft dort immer Gesellschaft; mit Bekannten wechselt man ein paar Redensarten, die Unbekannten starrt man an und wird von ihnen wieder angestarrt. Und nun noch die Menge Romane, die Zeitungen, Journale, Broschueren, auf's eleganteste ausgestellt, die man entweder dort durchblaettert oder mit nach Hause nimmt. Dies ist noch nicht genug. Ausser den geistigen Schaetzen findet man in diesen Laeden noch deren von irdischerem Glanze. Eine Sammlung aller der zahlreichen Kleinigkeiten aus koestlichen Metallen und Steinen, die der Modewelt unentbehrlich duenken, und alles, was zum Schreiben und Zeichnen dient, vom simplen Bogen Papier an bis zum kostbarsten Schreibzeug oder Portefeuille. Von diesen immer zum Anschauen und zum Verkaufe fertig stehenden Herrlichkeiten wird sehr oft eines oder das andere lotteriemaessig verspielt und gewaehrt so diesen Anstalten ein neues Interesse. Zu Mittag speist man etwas frueher als in London, weil die Abendvergnuegungen schon um sieben Uhr anfangen. Jede Familie besorgt fuer sich zu Hause ihre Oekonomie selbst oder laesst sie ausser dem Hause besorgen. Einzelne Herren machen sich ihre Partie im Gasthofe. Hin und wieder gibt's auch Haeuser, wo die Gesellschaft, die im Hause wohnt, sich zugleich in die Kost verdingt und gemeinschaftlich speist; doch entschliessen sich nur wenige zu dieser Lebensweise, und sie ist nichts weniger als modisch, oder, wie die Briten sagen, stylish. Oeffentliche Tische lieben die Englaender nicht; nur in kleinen Baedern, wo die Gesellschaft, an Zahl, Vermoegen und Vergnuegungen beschraenkter, mehr zusammenhalten muss, trifft man sie. Damen nehmen immer ungern teil daran. Nach Tische wird in den groesseren Baedern die dritte Toilette gemacht. In der Regel hat jeder Abend der Woche seine feste Bestimmung. Abendessen sind nicht gebraeuchlich; um Mitternacht geht alles zur Ruhe, einige privilegierte Nachtschwaermer vielleicht ausgenommen. Das Badeleben in England ist weit bestimmter als in Deutschland: man weiss jeden Tag genau, wie man ihn hinbringen kann, und des zwecklosen Umhertreibens gibt es dort nicht so viel als in Pyrmont oder Karlsbad. Nur der Sonntag ist ein fuerchterlicher Tag. Spiel, Tanz, Musik, alles ist hoch verpoent alle Laeden, alle Leihbibliotheken sind geschlossen; da bleibt denn kein Trost als die Abendpromenade im Salon bei einer Tasse Tee. Die Gesellschaft ist im Durchschnitt sehr einfoermig, die Auslaender, die merkwuerdigen Menschen fremder Nationen, die unseren Baedern oft ein so hohes Interesse geben, fehlen ganz. Einige wenige Ausnahmen abgerechnet, sieht man nur Landeseinwohner. Ein Irlaender oder Schotte heisst sogar schon ein Fremder. In England muss nun einmal alles im Leben dem gewoehnlichen Laufe der Natur entgegenstreben. Der Sommer ward zum Winter, der Winter zum Sommer umgeschaffen, den Abend machte man zum Mittag, die Nacht zum Tage, und um diese allgemeine Veraenderung aller Zeiten recht vollkommen zu haben, beliebte man auch die Badezeit von Bath in den Winter zu versetzen. Vom November bis zum Mai wimmelt es dort von Badegaesten, die sich im Kreise stets wiederkehrender Lustbarkeiten bis zum Schwindel umherdrehen. Im Sommer ist's leer, die recht bresthaften Kranken schleichen dann still, traurig und einsam zur heilenden Quelle. Man sieht sie auf den Terrassen und Promenaden an Kruecken und auf Podagristenwaegelchen die belebenden Strahlen der Sonne aufsuchen. Im Winter herrscht Leben und Freude da, wo im Sommer einsame Seufzer traurig verhallen. Viele fuehrt das Vergnuegen, einige auch wohl eine leise Andeutung von Gicht und Podagra nach Bath; der groesste Teil der Badegaeste aber besteht aus einer eigenen Gattung von Kranken. Wer ein wenig zu schnell und lustig in die Welt hineinlebte und jetzt in ein paar etwas sparsamer verlebten Jahren seinen zerruetteten Finanzen aufzuhelfen denkt, wer bei beschraenkten Mitteln den Freuden der grossen Welt nicht zu entsagen versteht, der fluechtet hierher, wo er sie alle findet; freilich in etwas verjuengtem Massstabe wie in London gehalten, aber dafuer auch unendlich wohlfeiler. Zwar ist es auch hier sehr teuer leben, aber doch immer viel weniger als in London, wenn man in dieser Riesenstadt ein Haus machen muss. Schon in dem Umstande, dass die bergige Lage von Bath Pferde und Wagen entbehrlich, ja ganz ueberfluessig macht, liegt ein sehr bedeutender Ersparnis. Nach einigen in Bath verlebten Wintern ist man gewoehnlich wieder zu Kraeften gekommen und kann sich von neuem auf einer groesseren Laufbahn versuchen. Da die Gesellschaft hier groesstenteils aus Mitgliedern der muessigen und eleganten Welt besteht, so ist der Ton derselben so verfeinert und vornehm frivol als moeglich. An Gluecksrittern fehlt es dabei nicht; diese tragen aber zur Erheiterung des Ganzen bei, wo sie erscheinen. Vaeter und Vormuender reicher Erbinnen, welche diese bisweilen hierher fuehren, um sie zu ihrer Erscheinung auf einem groesseren Theater vorzubereiten, muessen sich freilich in acht nehmen. Von Bath aus ward schon manche Reise zum kunstreichen Schmied von Gretna Green vorbereitet oder gar angetreten. Bath liegt in einem lachenden Tale, rund umschlossen von betraechtlichen Anhoehen, die sich nur oeffnen, um dem schoenen Strom eben den Durchweg zu gewaehren. Langsam und majestaetisch windet er sich, bis zu dem zwoelf englische Meilen entfernten Bristol schiffbar, durch Tal und Stadt, erhebt die Schoenheit der Gegend und gewaehrt durch die leichte Kommunikation mit jenem grossen Seehafen betraechtliche Vorteile. Von wunderbar einziger Schoenheit ist der Anblick der Stadt. Bald ward das Tal zu eng, und sie erhob sich auf die naechsten Anhoehen, hoeher und immer hoeher tuermte sie Palaeste ueber Palaeste, wetteifernd untereinander an Schoenheit und allem Schmucke der neueren Architektur. Im sonderbaren Kontraste mit diesen leichten, luftigen Schoepfungen liegt unten im Tale am Ufer des Avon die alte Kathedrale [Fussnote: Abbey Church. Die heutige Kirche ist die dritte an dieser Stelle und im Stil der dekadenten Gotik im 16. Jh. erbaut.] zu welcher Koenig Osric schon im Jahre 676 den Grund gelegt haben soll. Ernst steht sie da, in alter Majestaet; ihre gotischen Tuerme streben wie aus eigener Kraft seit Jahrhunderten ins Blaue des Himmels hinaus, waehrend die bunte neue Welt um sie her die Huegel erklettert und sich gross duenkt. Die Haeuser sind alle von schoenen Quadersteinen erbaut, die man ganz in der Naehe in Menge bricht. Alles sieht neu aus, als waere es gestern erst fertig geworden. Squares, einzelne Reihen Haeuser, mehrere Circus, halbe Monde, aus eleganten Haeusern bestehend, die unter einem fortlaufenden Dache, ganz symmetrisch verziert, das Ansehen eines einzigen Prachtgebaeudes haben, stehen zerstreut, wo Laune der Erbauer oder Zufall sie hinsetzte, oft in sehr betraechtlicher Hoehe. Regelmaessig zu einem Ganzen verbunden ist dies alles nun gar nicht,, aber doch unbeschreiblich huebsch anzusehen; ausgezeichnet schoen der grosse Platz, Queen's Square genannt, mit seinen praechtigen, vielleicht ein wenig mit Zierart ueberladenen Haeusern, aus deren Fenstern man sich einer schoenen Aussicht erfreut. In der Mitte dieses Platzes umschliessen eiserne Gelaender einen artigen Garten, dessen sich die Bewohner der umliegenden Haeuser zum Spazieren bedienen koennen; schade, dass ein kleinlicher Obelisk ihn entstellt. Von Queen's Square geht es sehr steil in die Hoehe durch Gay Street zum Royal Circus, einem grossen runden Platze. Die ihn umgebenden Haeuser sind mit dorischen, jonischen, korinthischen und allen moeglichen Saeulen aller moeglichen Ordnungen verziert oder verunziert. Hinter ihm, noch viel hoeher, liegt der Royal Crescent; er besteht aus dreissig sehr schoenen Haeusern, die das Ansehen eines einzigen haben. Sie bilden einen halben Kreis, einfach, im edelsten Stil erbaut, mit einer einzigen Reihe jonischer Saeulen. Vor ihnen hin breitet sich ein herrlicher Wiesenteppich und laeuft hinab gegen die Ufer des Avon. Eine diesem aehnliche Reihe Haeuser, Marlboroughsgebaeude genannt, liegt ganz in der Naehe. Der hoechste bewohnte Platz in Bath ist der Landsdown Crescent, ebenfalls eine schoene, im halben Monde sich hinstreckende Reihe Haeuser. Sie liegen, gleichsam die Krone der schoenen Stadt, in schwindelnder Hoehe. Noch mehrere oder gar alle diesen aehnliche Plaetze und Strassen zu nennen, wuerde ermuedend werden, und vielleicht reicht das hier Gesagte schon hin, um dem Leser eine Idee von dem zu geben, was diese Stadt vor allen anderen so sehr auszeichnet. Es ist wahr, ihre so sehr bergige Lage hat viel Unbequemes, aber das herrliche Pflaster, die grosse Reinlichkeit der Strassen und nachts die wunderschoene Erleuchtung mildern diese Unbequemlichkeit gar sehr, und die Polizei wacht auf die musterhafteste Weise ueber alles, was zur Bequemlichkeit und Ruhe der Brunnengaeste beizutragen vermag. Am Fahren in der Stadt ist hier fast gar nicht zu denken. Mehrere der schoensten Strassen, Bond Street zum Beispiel, sind ganz mit grossen Quadersteinen gepflastert und gar nicht fuer Equipagen eingerichtet. Zu den Assembleesaelen, zu beiden Promenaden, die Nord- und Suedparade genannt, kann man durchaus nicht zu Wagen gelangen. Doch befuerchte man deshalb nicht, sich zu sehr zu ermueden: eine Anzahl von Portechaisen [Fussnote: Tragstuehle] steht ueberall bereit; auf den ersten Wink setzen diese sich in Bewegung und transportieren im schnellsten Hundetrott ihre Last bis auf den hoechsten Gipfel der Berge. Sie stehen unter strenger Aufsicht der Polizei, wie die Fiaker in London, sind alle numeriert und einer ziemlich maessigen Taxe unterworfen, die sie nicht ueberschreiten duerfen. Die ganze Stadt ist ein ungeheures Hotel garni. Alle die schoenen Gebaeude werden ganz oder teilweise an Badegaeste vermietet. Der festgesetzte Preis eines moeblierten Zimmers waehrend der Badezeit betraegt eine halbe Guinee die Woche; ein Bedientenzimmer kostet die Haelfte. Unangenehm ist es, dass man immer die ganze Reihe Zimmer mieten und oft deren sieben oder acht bezahlen muss, waehrend man kaum die Haelfte davon braucht. Es gibt zwar Haeuser, welche zugleich ihre Gaeste in die Kost nehmen, und in diesen ist man gefaelliger und vermietet einzelne Zimmer; aber freilich muss man auch dort weniger Ansprueche auf Eleganz und Bequemlichkeit machen. Was man ausser der Wohnung noch noetig hat, ist ebenfalls zu vermieten: Moebel aller Art, Betten, Porzellan, Kuechengeschirr, Hausgeraete und Gemaelde, Glaeser und Kronleuchter, Tisch- und Bettwaesche, alles wie man es verlangt, auf das Praechtigste oder zierlich einfach. In der Zeit von zwei Stunden kann ein grosses Haus mit allem Noetigen und Ueberfluessigen versehen werden. Ueberall findet man die einladensten Bekanntmachungen angeschlagen, ueberall, nach Londoner Sitte, alle Erfindungen des Luxus und der Bequemlichkeitsliebe hinter grossen Glasfenstern in schoenen Laeden zum Verkauf und zur Miete auf das Zierlichste ausgestellt. Das Wasser ist sehr heiss. Drei Stunden muss es stehen, ehe man sich hineinwagen darf. Es wird auch getrunken, doch mehr darin gebadet. Der heissen Quellen gibt es drei; man geht wie in Karlsbad beim Trinken von der schwaechsten zur staerkeren allmaehlich ueber. Die Aerzte empfehlen dabei die groesste Vorsicht. Das Wasser ist klar und schmeckt nicht unangenehm; Nervenuebel, Laehmungen, Podagra und Gicht sind die Krankheiten, gegen welche es hauptsaechlich angewandt wird. Die Zeit des Trinkens ist morgens zwischen sechs und zehn Uhr, und dann wieder einige Glaeser gegen Mittag. Gewoehnlich trinkt man in dem zur Quelle gehoerigen Brunnensaale. In der ersten Haelfte des vorigen Jahrhunderts herrschte in Bath der ekelhafte Brauch, in grossen gemeinschaftlichen Baedern in Gesellschaft ohne Unterschied des Geschlechts zu baden. Die Damen verzierten bei dieser Gelegenheit ihre aus dem Wasser hervorragenden Koepfe auf das Modernste und Vorteilhafteste; Zuschauer standen auf der das Bad umgebenden Galerie und machten mit den unten Badenden Konversation, um ihnen die Zeit zu vertreiben. Diese grossen Baeder existieren noch, vier an der Zahl, aber nur die geringeren Klassen machen auf die oben beschriebene Weise Gebrauch davon. Das erste dieser Baeder, das Koenigsbad genannt, liegt dicht hinter dem grossen Brunnensaale; eine Reihe dorischer Saeulen umgibt es; es ist fuenfundsechzig Fuss lang und vierzig breit, das Wasser hier zwischen einhundert und einhundertdrei Grad Fahrenheit heiss. Neben diesem Bade liegt der Koenigin Bad, es enthaelt nur fuenfundzwanzig Fuss im Geviert und ist etwas weniger warm. Das Kreuzbad fuehrt diesen Namen von einem Kreuze, welches ehemals hier stand, und hat einen eigenen kleinen Brunnensaal. Mit dieser Quelle, als der schwaechsten, faengt man gewoehnlich an zu trinken. Das heisse Bad hat einhundertsiebzehn Grad Waerme. Privatbaeder, Dampfbaeder und aehnliche Anstalten sind damit in dem naemlichen Gebaeude vereint. Diese Quelle, als die staerkste, wird selten getrunken, der dazugehoerige Brunnensaal ist dumpf und duester. Die erste Entdeckung der heissen Quellen von Bath verliert sich ins graueste Altertum. Die alten Briten kannten sie schon und bauten hier eine Stadt, die sie Caer yun ennaint twymyn, die Stadt der heissen Baeder, nannten. Spaeter gaben ihr die Roemer verschiedene andere Namen: Thermae sudatae, Aquae calidae, die Angelsachsen nannten sie Akemannus Ceaster, die Stadt der Gebrechlichen. Im Sommer moechte sie noch so heissen; wenn aber jetzt einer jener alten Herren, die sie so nannten, im Winter aus der Ewigkeit ploetzlich in einen ihrer Ballsaele versetzt wuerde, er gaebe ihr gewiss dann einen schoeneren Namen. Salisbury und Stonehenge Wir fuhren nun ueber eine unabsehbare Ebene. Armseliges Heidekraut spross kuemmerlich hier und da, nirgends ein Gegenstand, auf dem das Auge nur Momente haften koennte; die Lueneburger Heide ist ein Paradies dagegen. Es war die beruechtigte Ebene von Salisbury, auf der wir uns jetzt befanden, ein ungeheurer Kirchhof, besaet mit uralten Graebern laengst entschlafener Helden, deren Namen im Strome der Zeit untergingen. Wogen gleich, kaum noch sichtbar, erheben sich diese grossen, abgerundeten Huegel nur wenig ueber die graue, duestere Flaeche, und bloss an einigen entdeckt man die Spur eines sie einst umgebenden Grabens. Der blaue Himmel woelbt sich lautlos darueber hin, kein Vogel singt in dieser Einoede, denn nirgends steht ein Strauch, auf dem er sich niederlassen koennte. Wir rollten schnell vorwaerts und merkten doch kaum, dass wir weiterkamen. Kein Gegenstand bezeichnete unseren Weg; die Stelle, die wir verliessen, glich ganz genau der, auf welcher wir am naechsten Momente anlangten. Da sahen wir es am Horizonte aufsteigen wie Geistergestalten; grau, formlos, allem, was wir bis jetzt erblickt hatten, unvergleichbar, stand es da in einem Zauberkreise; wir kamen naeher und naeher, noch immer wussten wir nicht, was wir sahen; jetzt hielt unser Wagen, und wir standen vor Stonhenge [Fussnote: das bedeutendste Denkmal aus dem Megalithikum Europas. Ursprung und Bedeutung konnten bis heute nicht eindeutig bestimmt werden; sicher ist nur, dass die Steine, man schaetzt die Anlage auf 4000 Jahre, in Verbindung zur Sonnenbeobachtung und Zeitmessung standen.], dem aeltesten Monumente der Vorzeit in England, vielleicht in ganz Europa. Unfoermige, riesengrosse Steine, sichtbar von Menschenhaenden aufgestellt, erheben sich in ungeheuren Massen auf einer maessigen, nur ganz allmaehlich emporsteigenden Anhoehe. Hohen Saeulen gleich, stehen sie in einem der grossen tempelaehnlichen Kreise, immer zwei und zwei naeher aneinander, welche dann ein grosser, aehnlicher Stein, wie ein Querbalken oder Gesims auf ihrer Spitze ruhend, miteinander verbindet. Einige der Saeulen sowohl als der Querbalken sind umgesunken, dennoch bleibt die vollkommen runde Form des Ganzen deutlich. An den umgefallenen Steinen nimmt man noch wahr, wie sie befestigt waren; denn an jeder der Saeulen ist oben eine Art Spitze oder Knopf ausgehauen, freilich sehr roh und in ungeheuren Verhaeltnissen, und die quer darauf liegenden Steine haben zwei runde Vertiefungen an beiden Enden, welche genau auf jene Knoepfe passen. So bildete und verband sie die rohe, arme Kunst jener Zeiten fest und dauerhaft genug, um Jahrtausenden zu trotzen. Auch die Saeulen tragen Spuren des Meissels, sie sind viereckig, aber, ohne alle Idee einer Verzierung, ganz roh behauen, an Hoehe und Staerke einander nicht gleich, aber alle von erstaunenswuerdiger Groesse und Schwere. Schon vor tausend Jahren standen sie wie jetzt, und jede Spur ihrer ersten Bestimmung, ihres Entstehens, war schon damals verschwunden. Jetzt haelt man dies wunderbare Gebaeude fuer die Ueberreste eines alten Druidentempels. Hier ward das Feuer angebetet und die wohltaetige Sonne. Man hat beim Nachgraben unter diesen Steinen Spuren verbrannter Opfer gefunden, vielleicht bluteten sogar hier Menschen unter dem Opferstahle ihrer verblendeten Brueder. Mitten in dem grossen Kreise dieses alten Tempels entdeckte man Ueberbleibsel einer kleineren Abteilung, von niedrigeren Steinen gebildet; einige derselben stehen noch; in ihrer Mitte liegt ein grosser, platter Stein, wahrscheinlich der Altar, und diese Abteilung war das nur von Priestern betretene innere Heiligtum. Dieser Altarstein ist von einem der ungeheuren herabgestuerzten Quersteine des aeusseren Kreises in drei Stuecke zerschmettert. Seitwaerts, ausser dem Kreise, liegt ein zweiter, dem Altarsteine aehnlicher Stein von ungeheurer Groesse. Ungefaehr dreissig Schritte vom grossen Kreise stehen noch ein paar der saeulenartigen Steine aufgestellt, aber auch wohl dreissig Schritte voneinander entfernt. Vielleicht bildeten sie hier einen noch groesseren Kreis, der jenen engeren einschloss, eine Art Vorhalle des heiligen Tempels; denn gewiss ist das gigantische Werk, das wir anstaunten, nur ein kleiner Ueberrest von dem, was es Ungeheures war in seiner Vollendung. Wie diese gewaltigen Felsenmassen hergebracht wurden, welche fast uebermenschlichen Kraefte sie aufrichteten, ist undenkbar; doch fast ebenso unbegreiflich, wie sie zerstoert wurden. Vielleicht stuerzte ein Erdbeben sie um, es oeffnete sich die Erde und begrub zum Teil wieder in ihrem Schosse die ihr entrissenen Felsstuecke, welche sonst den ganzen Kreis bilden halfen und jetzt verschwunden sind, ohne dass es doch glaublich scheint, man habe sie zu anderem Gebrauche fortgefuehrt. Welch ungeheure Kraft waere auch erforderlich gewesen zum Transport dieser Riesenmassen! Was das Wunderbare noch mehr erhoeht, die Steine bestehen aus einer Art Granit, wie er mehr als dreissig englische Meilen in der Runde nicht anzutreffen ist. Wie war es moeglich, sie durch unwegsame Waelder, ueber Sumpf und Moor, Berg und Tal herzubringen? Wahrlich, wenn man sie sieht, man fuehlt sich sehr geneigt, der Tradition des Volks Glauben beizumessen, welche sie fuer das Werk einer frueheren Riesenwelt haelt, der maechtige Geister zu Hilfe kamen. Der Eindruck, den der Anblick des Ganzen macht, laesst sich nicht beschreiben. Ein stilles Grauen ergriff uns in dieser oeden Wildnis beim Anschauen eines Werks, dessen Urheber wir uns nicht deutlich zu denken vermochten und das vor uns stand wie die Erscheinung aus einer anderen Welt. Wir hatten Zeit, uns diesem Eindrucke zu ueberlassen; denn oede und traurig ging unser Weg ueber die grosse Ebene hin, die sich immer gleich blieb, bis wir spaet abends die alte Stadt Winchester erreichten. Von Winchester aus hatten wir sehr boese Wege; denn durch unsere Kreuz- und Querzuege waren wir von der grossen, gebahnten Strasse abgekommen und mussten sie nun durch fast unfahrbare Land- und Nebenwege wieder zu erreichen suchen. Oft stiegen wir aus und gingen die steilen Huegel, ueber welche unser Wagen muehsam hinrasselte, zu Fuss hinab; reiche, weit ausgebreitete Aussichten entschaedigten uns zuweilen fuer unsere Muehe. Endlich erreichten wir das Staedtchen Chichester. Wir fanden den ganzen Ort in einer Art von freudigem Tumult, als sollte es ein Pferderennen geben. Alle Fenster waren mit geputzten Frauen und Maedchen besetzt, die Strasse voller Leute, Erwartung auf allen Gesichtern. Das Regiment des damaligen Prinzen von Wales, welches hier in Garnison liegt, paradierte im festlichen Schmucke, in zwei langen Reihen aufmarschiert, dem Gasthofe gegenueber. In letzterem hatte niemand Zeit; Herr und Frau und Aufwaerter liefen mit den Koepfen gegeneinander. Nichts Kleines konnte all diesen Aufruhr veranlassen. Mrs. Fitzherbert [Fussnote: seit 1785 heimliche Gattin des Prinzen von Wales, des nachmaligen Georgs IV. Nach dem koeniglichen Ehegesetz von 1772 jedoch illegal, da der Koenig die Erlaubnis nicht gegeben hatte. Die Verbindung ueberdauerte auch die Eheschliessung des Prinzen mit Caroline von Braunschweig (1795) und ging erst zur Zeit Johannas in die Brueche.], die Freundin des Prinzen von Wales, war es; sie wurde auf ihrem Wege nach Brighton in Chichester erwartet. Nach zwei Stunden erschien sie, liess, ohne auszusteigen oder sich umzusehen, die Pferde wechseln und rollte davon. Die grosse Begebenheit war vorueber, die Soldaten marschierten ab, und alles beruhigte sich nach und nach. Wir gingen ebenfalls weiter nach Arundel. Der Herzog von Norfolk besitzt dort ein altes Schloss; es wurde eben durch ein neues Hauptgebaeude und einen daran stossenden Fluegel ergaenzt und vergroessert; alles war voll Laerm, Staub und Unordnung, wie es gewoehnlich beim Bauen ist. Der Anblick des alten Schlosses waere ueberall ehrwuerdig und imposant, nur hier, auf einem nicht sehr geraeumigen Hofplatze, neben dem neuen, ganz modernen Gebaeuden, verliert es unendlich. Einige mit Efeu bewachsene alte Mauern bewiesen, dass das Schloss von Arundel weit groesser und betraechtlicher gewesen sein muesse als jetzt. Der noch uebrige Teil des Gebaeudes mit runden Tuermen und einem schoenen Portal steht wie verwundert da neben der neuen, dicht dabei entstehenden Schoepfung. Schwerlich wird eines durch das andere gewinnen; isoliert, unterm Schutze alter Baeume, waeren diese heiligen Ueberreste vergangener Groesse zu dem Schoensten zu rechnen, was England in dieser Art aufzuweisen hat, so reich es auch an Denkmaelern der Vorzeit ist. Wir waren diesen Tag bestimmt, in den Gasthoefen alles in Bewegung und Unruhe zu finden. In dem zu Arundel hielten die Volontaers, von denen wir schon frueher sprachen, im Saale neben dem uns angewiesenen Zimmer ein grosses Bankett. Das Gebaeude bebte vom Jubel der Helden bei jedem ausgebrachten Toast; im Nebenzimmer machten die Oboisten des Regiments eine Musik, welche Tote haette erwecken koennen; die Aufwaerter hatten alle Haende voll Bouteillen und Korkzieher; die Pfropfen knallten, Waldhoerner und Trompeten schmetterten, die Janitscharentrommel drohte die Grundfesten des Hauses zu erschuettern, zu alledem der Jubelruf der vom Geiste ergriffenen Freiwilligen und die Anstalten, die wir zu einem Ball machen sahen. Das war zu viel, es trieb uns hinaus. Ganz gegen die Sitte des Landes reisten wir mit sinkender Nacht ab. Hart am Ufer des Meeres fuhren wir hin; ein sanfter Wind kraeuselte kaum dessen vom Monde versilberte Flaeche, die Wellen spielten und fluesterten und blinkten geheimnisvoll und leise; so kamen wir gluecklich nach Brighton. Brighton Dieser Ort, noch vor zwanzig Jahren ein kleines, unbedeutendes Fischernest, ist ein sprechender Beweis der Wunder, welche die Mode zu wirken vermag. In seiner neuen Gestalt hat er sogar den schwerfaelligen Namen Brighthelmstone verloren und heisst viel eleganter und kuerzer Brighton. Waehrend der Sommermonate war Brighton der Lieblingsaufenthalt des damaligen Prinzen von Wales, spaeterhin des jetzt schon bei seinen Vaetern ruhenden Koenigs, Georgs des Vierten [Fussnote: geb. 1762, 1811 Regent, nominell Koenig von 1820-50. Johanna brachte hier in seinem Todesjahr fuer die Herausgabe der "Saemtlichen Werke" ihre Reiseberichte auf den letzten Stand.]. Es liegt nur vierundfuenfzig englische Meilen von London entfernt. Dies ist kaum eine kleine Tagesreise in diesem Lande, und wahrscheinlich bestimmte die Naehe der Hauptstadt den englischen Thronerben, sich gerade das noch vor kurzem ganz unbedeutende Fischerstaedtchen zu erwaehlen. In Brighton bewirkten seine Gegenwart oder Entfernung jedesmal eine wahre Ebbe und Flut unter den uebrigen Brunnengaesten. War er abwesend, so wurde alles oede und leer, mit ihm kehrten Lust und Leben zurueck. Wie sehnsuechtig die Londoner elegante junge Welt nach Brighton blickte, ist unbeschreiblich und erscheint dem, der dem Zauberstabe der Mode nie unterworfen war, beim Anblicke des Orts sogar unglaublich. Die Lage desselben, hart an der See, ist so wenig einladend, dass dessen eifrigste Verehrer, um ihre Vorliebe nur einigermassen zu motivieren, gezwungen waren, die Luft als ungemein gesund anzupreisen und zu behaupten, die Leute im Orte wuerden ungewoehnlich alt. Und in der Tat ist das Klima hier sehr gemaessigt. Ein Amphitheater von leider ganz kahlen Bergen schuetzt die Stadt gegen Nord- und Ostwinde. Sie liegt, trocken und gesund, auf einer maessigen Anhoehe; Seeluefte mildern die zu grosse Hitze im Sommer. Die Stadt ist klein. Stattliche Haeuser aus der neuesten und unscheinbare Huetten aus der kaum verflossenen Zeit stehen wunderlich untereinander gemischt und geben ihr ein buntscheckiges, nicht angenehmes Aeussere. Man baut hier von Kieseln, die mit Moertel verbunden sind; nur die Einfassungen der Fenster und Tueren bestehen aus Ziegeln. Man ruehmt die Dauer solcher Mauern sehr, sie sehen aber schlecht aus, besonders da es in England gar nicht gebraeuchlich ist, den Haeuser von aussen einen Tuench zu geben. Ganze Reihen geraeumiger, bequemer Haeuser fuer Fremde, alle unter einem Dache fortlaufend, haben das Ansehen eines einzigen Palastes. Von dieser Art sind ein Crescent oder halber Mond, mit einer huebschen Aussicht auf das Meer, verschiedene Terrassen und sogenannte Paraden zum Spazierengehen, von einer Seite mit schoenen Haeusern besetzt, waehrend man von der anderen ebenfalls der Aussicht auf das Meer sich erfreut, alles nach dem Muster von Bath, nur in kleinerem Massstabe. Die Promenaden sind von der Natur wenig beguenstigt. Nackte Berge umgeben von zwei Seiten die Stadt; gegen Westen erstrecken sich grosse Kornfluren; das Meer begrenzt alles dieses. Es ist hier zu flach, als dass grosse Schiffe in der Naehe vorbeisegeln koennten; daher gewaehrt es einen ziemlich einfoermigen Anblick, den nur Fischerboote etwas beleben. Die Hauptpromenade, der Steine, ehemals eine zwischen den Bergen sich hinziehende huebsche Wiese, ist jetzt fast ganz mit neuen Gebaeuden bedeckt, denn die Terrassen, Paraden und einzelnen Fischerhaeuser sind fast alle auf dem Steine angelegt. Die Wohnung des Prinzen, der Marine Pavillon [Fussnote: Royal Pavillon], liegt ebenfalls am Steine, ein huebsches, mit einer Kolonnade verziertes Gebaeude; da es nicht von bedeutender Groesse ist, erscheint es etwas niedrig. Die innere Einrichtung desselben soll sehr praechtig gewesen sein, aber niemand Fremdes wurde hineingelassen. Der Prinz versuchte Gaerten anzulegen, doch kommen Baeume und Straeucher hier auf keine Weise fort. Eine grosse pechschwarze Negerfigur mitten im Hofe, welche einen Sonnenzeiger traegt, nimmt sich wunderlich aus und spricht nicht sehr gut fuer den guten Geschmack der uebrigen Verzierungen. Ein ebenfalls am Steine gelegenes Gebaeude enthaelt die Baeder. Man findet dort deren kalte und warme, Schwitzbaeder, Schauerbaeder, kurz alles, was je erfunden ward, um die Uebel, die unser armes Leben bedrohen, fortzuspuelen. Zu allen diesen Baedern wird Seewasser genommen. Bademaschinen, wie in anderen Seebaedern, um damit sicher und ungesehen in der freien See zu baden, gibt es in Brighton nicht, vermutlich weil der Strand es nicht erlaubt; aber man badet doch bisweilen im Freien. Zwei ganz voneinander abgesonderte Plaetze, einer fuer Herren, der andere fuer die Damen, sind dazu angewiesen, aber das freie Baden hat hier, wie leicht zu erachten, manches Unbequeme: bei Nordostwinden, wo dann die See stark anschwillt, ist es sogar nicht ohne Gefahr. Der Steine vereinigt so ziemlich alles, woraus das Leben in Brighton besteht; sehr unangenehm aber ist es, dass auch die Fischer sich in diesen glaenzenden Kreis draengen, und gerade in der Gegend, wo man am haeufigsten spaziert, ihre Netze zum Trocknen ausbreiten und die Luft verderben. Die zweite, jedoch weniger besuchte Promenade ist ein Garten. Ihn umgeben schattige Baeume, die hier als eine Seltenheit verehrt werden, obgleich man sie an anderen Orten kaum bemerken wuerde. Er enthaelt auch einen huebschen Salon mit einem Orchester. Die Versammlungssaele befinden sich in zwei Tavernen oder Gasthoefen, der Kastelltaverne und der alten Schiffstaverne. In ersterer wird gespielt; man findet noch ein Kaffeehaus, ein Billard und dergleichen darin; in der zweiten ist dieselbe Einrichtung, doch koennen hier auch noch Fremde wohnen. Wir fanden indessen die Aufnahme in derselben weit weniger gut, als man es in England gewohnt ist. Die Saele beider Haeuser bestehen wie die in Bath aus einem Tanzsaale und einigen Nebenzimmern zum Spiele, Tee und Unterhaltung. Sie sind alle artig und zweckmaessig verziert. Bei unserer Abreise von Brighton blieben wir zwei Tage in dem auf halbem Wege gelegenen Staedtchen Reigate, weil wir jemanden vorausschickten, der unsere Wohnung in London zu unserem Empfange einrichten lassen sollte. Wir freuten uns, nach langem Herumstreifen einmal Halt zu machen und Atem zu schoepfen, ehe wir auf's neue in den ewig kreisenden Strudel der grossen Hauptstadt gerieten. Aber in diesem kleinen Orte war wenig an Ruhe und Stille zu denken: Postchaisen, Equipagen, oeffentliche Fuhrwerke aller Art rollten unablaessig an unserer Wohnung vorueber. Es war, als ob alle Frauenzimmer aus London emigrieren wollten, denn aus ihnen bestand bei weitem die Mehrzahl der Vorueberreisenden. Die Landkutschen fuellten von innen und aussen Weiber und Maedchen, und stattliche Ladies in eleganten Postchaisen guckten kaum mit der Nase ueber Berge von Putzschachteln hinweg, welche die Zuruestungen zu kuenftigen Triumphen enthielten. Man trieb und jagte, um nur keinen Auenblick zu verlieren; eifriger ward nie nach Loreto gepilgert als hier nach Brighton, wohin alles zog. RUeCKKUNFT NACH LONDON Wir setzten unsere Reise weiter nach London [Fussnote: zur Zeit Johannas zaehlte die Stadt etwa 900 000 Einwohner] fort, wo wir gluecklich anlangten und uns in den gewohnten Umgebungen wieder etwas einheimischer fuehlten als auf der eben beendeten, nur durch wenige Ruhepunkte unterbrochenen Reise. Schwer ist's, in dieser ungeheuren Stadt sich ganz zu Hause zu finden. Zwar lebt es sich zwischen den vertrauten vier Waenden hier wie ueberall heimisch; doch kaum setzt man den Fuss auf die Strasse, so ist man in einer unbekannten Welt, in der Fremde, und haette man auch ein Menschenleben in London zugebracht. Das rastlose Treiben einer Million Menschen, auf einem verhaeltnismaessig immer kleinen Punkte, reisst unaufhaltsam alles mit sich fort, indem es zugleich alles trennt. Da wir uns indessen eine geraume Zeit in diesem grossen Strudel mit herumwirbeln liessen, so gelang es uns wenigstens manches aufzufassen aus dem unendlichen Treiben und manches ganz Individuelle zu bemerken. London Von welcher Seite man auch diese Stadt betreten mag, immer glaubt man schon lange in ihrer Mitte zu sein, ehe man noch ihre Grenzen erreichte. Keine der groessten Staedte Europas, nicht Wien, nicht Berlin, selbst nicht Paris kuendigt sich aus der Ferne so imposant an. Haeuser reihen sich an Haeuser, durch fast unbemerkbare Zwischenraeume in verschiedene Flecken, Staedtchen und Doerfer abgeteilt, alle scheinen zu einem Ganzen vereint, alle vergroessern ins Ungeheure die Stadt, welche ohnehin in ihrem Bezirke, bei verhaeltnismaessiger Breite, anderthalb deutsche Meilen lang ist. Zu ihr fuehren von allen Seiten schoene breite Heerstrassen, welche, auch ausser den Staedten und Flecken, mehrere Stunden weit von London mit Laternen besetzt sind. Ein ewiges Gewuehl von Wagen und Reitern verkuendigt dem Fremden schon von ferne, dass er dem Wohnorte von fast einer Million Menschen sich naehere. Von Shooter's Hill [Fussnote: Arthur Schopenhauer notierte zu diesem Aussichtspunkt: "Mittwoch, 25. May. (Die Familie hatte am Vortage die Insel betreten.) Wir fuhren diesen Morgen von Canterbury ab, fruehstueckten in Rochester, und assen in Schooting-Hill zu Mittag. Man hat von hier eine praechtige Aussicht auf London und die umliegende Gegend, die wir aber eines starken Nebels wegen nicht sehen konnten. Nachmittag kamen wir in London an.], einer sechsundzwanzig englische Meilen von London entfernten Anhoehe, erblickten wir zum ersten Male die ungeheure Hauptstadt, lang sich hindehnend an den Ufern der koeniglichen, mit Schiffen bedeckten Themse. Hoch in die Luefte sahen wir St. Pauls wunderbaren Dom sich erheben, weiter zurueck den schoenen gotischen Doppelturm der Westminster Abtei, daneben noch die Tuerme von weit ueber hundert anderen Kirchen. Es war ein schoener, heiterer Tag; aber der aus so vielen Kaminen aufsteigende Steinkohlendampf liess uns die Gegenstaende wie durch einen Flor erblicken. Schnell rollten wir hin auf dem praechtigen Wege und glaubten, wie alle Fremden, schon lange am Ziele zu sein, ehe wir es erreichten. Endlich sahen wir die Themse vor uns. Die schoene Blackfriars Bruecke fuehrte uns hinueber, und nun erst waren wir in London. Betraeubt von dem Gewuehle rund um uns her, erreichten wir das nicht weit von der Bruecke entlegene York Hotel, wo wir fuer's erste abstiegen, um spaeterhin mit Bequemlichkeit eine stillere Wohnung in einem Privathause zu waehlen. Fast alle Fremden, welche laengere Zeit in London zu verweilen gedenken, tun dies. Der Aufenthalt in den Londoner Gasthoefen ist unglaublich teuer, die Zahl derer, in welchen Fremde nicht nur essen und trinken, sonder auch wohnen koennen, ist verhaeltnismaessig klein zu nennen, und selbst von diesen sind nur sehr wenige so bequem eingerichtet, als man es bei einem Aufenthalt von mehreren Wochen oder gar Monaten verlangen muss, eben weil dieser Fall den Gastwirten nur selten vorkommt. Hingegen findet man mit leichter Muehe in allen Strassen vollkommen gute, gleich zu beziehende Wohnungen, mit Kueche und Keller und allen sonstigen Erfordernissen versehen; groesser und kleiner, elegant und einfach moebliert, wie man es wuenscht, sogar ganze Haeuser mit Stallung und allem Zubehoer. Man braucht nur durch die Strassen des Quartiers zu gehen, in welchem man zu wohnen wuenscht, ueberall erblickt man angeschlagene Zettel an den Haeusern, welche Wohnungen zur Miete ausbieten, so dass bloss die Wahl unter so vielen den Fremden in Verlegenheit setzen kann. Die Eigner dieser Wohnungen sind Leute aus dem Mittelstande, angesehene Landhaendler oder Handwerker, Witwen von beschraenktem Einkommen. Alle beeifern sich auf das zuvorkommendste, dem Fremden jede moegliche Bequemlichkeit zu verschaffen. Gewoehnlich uebernimmt es auch die Haushaelterin oder die Frau vom Hause, fuer Reinlichkeit der Zimmer und fuer die Kueche zu sorgen, so dass man sich wie zu Hause am eigenen Herd ganz heimisch in seinen vier Pfaehlen befindet. London in aller seiner Groesse, seiner Pracht und seiner Individualitaet ganz zu schildern, ist ein Unternehmen, dem wir uns nicht gewachsen fuehlen; auch waere es nach so vielen, zum Teil trefflichen Vorgaengern ein sehr ueberfluessiges. Nur das, was wir waehrend unseres Aufenthaltes einzeln sahen und aufzeichneten, koennen wir dem Leser hier geben, kleinere Zuege zu dem grossen Gemaelde liefern, welches andere vor uns schufen. Der Gegenstand ist bedeutend genug, um auch in sonst weniger beachteten Details interessant zu erscheinen. Ein Gang durch die Strassen in London [Fussnote: Johanna bewundert hier noch den Lichterglanz der Stadt vor der Einfuehrung der Gasbeleuchtung um 1807.] Man erzaehlt von einem der unzaehligen kleinen vormaligen Souveraene des weiland Heiligen Roemischen Reichs: er habe, da er spaet abends in London seinen Einzug hielt, gemeint, die Stadt sei ihm zu Ehren illuminiert. Waere er bei Tage durch die volkreichsten Strassen der City, etwa durch Ludgate Hill oder den Strang gekommen, er haette ebenso leicht meinen koennen, ein allgemeiner gefaehrlicher Aufruhr setze die Einwohner alle in Bewegung. Niemand, der es nicht mit seinen Augen sah, kann sich einen Begriff machen von dem ewigen Rollen der Fuhrwerke aller Art in der Mitte des Weges, von dem Wogen und Treiben der Fussgaenger auf den an beiden Seiten der Strassen hinlaufenden, etwas erhoehten Trottoirs. Nicht die Leipziger Ostermesse, nicht Wien, selbst nicht Paris koennen hier zum Vergleiche dienen. Dennoch geht es sich nirgends besser zu Fuss als in London, sobald man sich in die Art und Weise der Eingeborenen zu finden gelernt hat. Dies gewaehrt den Fremden, besonders den reisenden Damen, einen grossen Vorteil, um alles zu sehen und zu bemerken. Wenn man wie in anderen grossen Staedten immer in seinem Wagen festgebannt bleiben muss und keinen Schritt gehen kann, lernt man den Ort kaum zur Haelfte kennen; auf den schoenen Quadersteinen der Londoner Trottoirs aber kommt man vortrefflich fort, selbst wenn das Wetter auch nicht ganz guenstig waere. In den Hauptstrassen sind diese breit genug, um sechs, acht und mehr Personen bequem nebeneinander hinwandeln zu lassen; in den engen winkeligen Gassen der eigentlichen City ist's freilich nicht so bequem, weil die Fusspfade dort auch schmaeler sein muessen. Fremde kommen indessen wenig in jenes, einem Ameisenhaufen aehnlichen Stadtviertel, wo Handel und Wandel so ganz im eigentlichen Ernst ihr Wesen treiben und Mode und Luxus noch wenig Eingang fanden. Die praechtigen Laeden, die Ausstellungen aller Art trifft man groesstenteils in den breiten Strassen, welche gleichsam das Mittel halten zwischen der arbeitsamen City und dem vornehmeren, nur geniessenden Teile der Stadt. Die Gewohnheit der Englaender, immer zur rechten Hand dem Entgegenkommenden auszuweichen, erleichtert das Gehen sehr und verhindert fast alles Stossen und Draengen. Den Damen und ueberhaupt den Respektspersonen laesst man immer die Seite nach den Haeusern zu, sie mag zur rechten oder linken Hand stehen. Anfangs kommt es der Fremden wunderlich vor, wenn der sie fuehrende Londoner, so oft man eine Strasse durchkreuzt hat, ihren Arm loslaesst und hinter ihr weg auf die andere Seite tritt; doch gar bald wird man von dem Nutzen dieser Nationalhoeflichkeit ueberzeugt. Auf dem Mittelwege, wo Hunderte von Wagen sich ewig von allen Richtungen her durcheinander draengen, ist freilich die Ordnung nicht so leicht zu erhalten als auf den Fusspfaden. So breit die Fahrwege auch im Durchschnitt sind, so entsteht dennoch oft eine Stockung, die mehrere Minuten dauert und durch die Mannigfaltigkeit der Wagen, der Pferde, der Beweglichkeit des Ganzen einen recht interessanten Anblick gewaehrt; nur muss man dem Laermen gelassen aus dem Fenster zusehen koennen. Elfhundert Mietwagen stehen den ganzen Tag auf den dazu angewiesenen Plaetzen bereit, und dennoch ist's oft unmoeglich, einen zu finden, wenn man ihn eben braucht. Die Italiener selbst fuerchten vielleicht den Regen nicht so sehr als die Londoner; nass werden ist ihnen eine schreckliche Idee; sobald nur ein paar Tropfen vom Himmel fallen, eilt alles, was keinen Regenschirm fuehrt, sich in einer Kutsche zu bergen. Im Hui sind dann alle Wagen verschwunden, und man findet selbst jene grosse Anzahl noch bei weitem nicht zulaenglich. Die Fiaker sehen im Durchschnitt recht anstaendig aus und wuerden in Deutschland noch immer als stattliche Equipagen paradieren; nur das Stroh, womit der Fussboden belegt ist, macht sie unangenehm. Die Pferde sind in unbegreiflich gutem Zustande, wenn man bedenkt, dass sie taeglich ueber zwoelf Stunden auf dem Pflaster bleiben. Auch werden sie moeglichst gut verpflegt; sowie sie einen ruhigen Augenblick haben, bindet ihnen der sorgsame Kutscher einen langen, schmalen, genau um den Kopf passenden Beutel voll Hafer um, aus welchem sie sich guetlich tun. Die Polizei haelt strenge Aufsicht ueber die Fiaker; alle sind numeriert. Wehe dem Kutscher, der sich beigehen liesse, die festgesetzten, sehr billigen Preise zu ueberschreiten, oder sonst auf irgend eine Weise sich gegen die ihm vorgeschriebenen Gesetze aufzulehnen; jeder voruebergehende, der Sache kundige Englaender wird dann sein Richter und haelt streng auf die einmal festgesetzte Ordnung. Zu jeder Stunde der Nacht kann man sich einem Fiaker sicher anvertrauen, waere man auch ganz allein, und truege man auch noch so viel Geld oder Juwelen bei sich; wenn nur jemand aus dem Hause, wo man einsteigt, die Nummer des Wagens so bemerkt, dass es der Kutscher gewahr wird. Von der Pracht der Laeden und Magazine ist schon vielleicht zum Ueberfluss viel geschrieben. Wahr ist's, nichts setzt den Fremden mehr in Erstaunen als der Reichtum und die Eleganz derselben. Die kostbaren glaenzenden Ausstellungen der Silberarbeiten, die schoenen Drapierungen, in welchen die Kaufleute, welche mit Musselinen und anderen Zeuchen handelt, ihre Waren hinter grossen Spiegelfenstern dem Publikum zeigen, der feenhafte Schimmer der Glasmagazine, alles blendet und reizt. Aber auch viel geringere Gegenstaende werden auf eine dem Auge gefaellige Weise zum Verkaufe ausgestellt. Die Kerzengiesser zum Beispiel wissen ihre Lichter recht zierlich hinter den Fenstern aufzuputzen. Die Apotheker, hier Chymisten genannt, verzieren ihre Laeden mit grossen glaesernen Vasen, angefuellt mit Spiritus oder Wassern in allen moeglichen schoenen und glaenzenden Farben; dazwischen prangen grosse kuenstliche Blumenstraeusse. Abends, wenn hinter allen diesen farbigen Glaesern Lampen brennen, schimmern diese Laeden wie Aladins Zaubergrotte. Nichts Lockenderes kann man sehen, als einen der vielen grossen Obstlaeden, in welchen die Fruechte aller Jahreszeiten und Zonen, von der koeniglichen Ananas bis zum kleinen sibirischen Staudenapfel, in zierlichen Koerben, mit Blumen und Orangerien geschmueckt, prangen. Die Kuchenlaeden, in welchen es Ton ist, morgens einzusprechen und einige kleine Toertchen, heiss von der Pfanne weg, zum Fruehstueck einzunehmen, praesentieren sich auch recht huebsch. Alles, was Kuchenbaecker und Konditoren nur erfanden, steht, lockend angerichtet, auf schneeweiss behangenen Tischen, dazwischen Blumen, Gelees, Eis, Likoere, Dragees von allen Farben und Arten in zierlichen Kristallvasen. Bald fesseln uns wieder die Kupferstichlaeden, in welchen taeglich neue Gegenstaende dargeboten werden, oft wahre Kunstwerke, oefter Erguss satirischer Laune oder Portraets beruehmter Menschen, auch wohl Tiere, wie es kommt. Immer umlagert ein Kreis Neugieriger diese Fenster. Fast ist's unmoeglich, vorbeizugehen, ohne wenigstens einige Augenblicke von der Schaulust festgehalten zu werden. Die Magazine der Buchhaendler gewaehren ebenfalls taeglich neuen Genuss. Bald sind es Neuigkeiten, bald schoene Prachtausgaben aelterer Schriftsteller, bald kostbare Kupferwerke, sogenannte Stationers, die mit allen moeglichen, zum Schreiben und Zeichnen brauchbaren Dingen handeln, zeigen taeglich tausend neue Dinge, uns Deutschen fast unbekannte Papparbeiten, Verzierungen, Kupferstiche, Vergoldungen und dergleichen; wieder andere haben in ihren Laeden Brieftaschen, nichts als Brieftaschen, von der riesenmaessigsten Mappe an bis zum winzig kleinen, zierlichen Necessaire. Dazwischen flimmern Magazine, wo die herrlichsten Stahlarbeiten im Sonnenglanze das Auge blenden. Die Miniaturmaler stellen ihre oft sehr schoenen Arbeiten dem Publikum vor's Auge; gewoehnlich sind's sehr aehnliche Portraets bekannter Personen, Schauspieler und Redner, um die Lust zu erwecken, auch sein eigenen wertes Ich so taeuschen vervielfacht zu sehen. Schon der Anblick der vielen Inschriften unterhaelt, welche an den Haeusern mit vollkommen schoen gezogenen goldenen Buchstaben glaenzen. Welche Mengen Beduerfnisse, die der genuegsame Deutsche kaum kennt! Besonders faellt es auf, dass die koenigliche Familie so viele Kaufleute und Handwerker beschaeftigt. Aber jeder derselben, bei dem einmal zufaellig fuer ein Mitglied des koeniglichen Hauses gekauft wird, jeder Schuster oder Schneider, der einmal so gluecklich war, fuer einen Prinzen einen Stich zu tun, hat das Recht, sich auf der Inschrift seines Hauses dessen zu ruehmen und die Gunst des Augenblicks fuer dauerns auszugeben. So prangt denn auch der Name eines mit allerhand Arkanen Handelnden auf der Inschrift seines Hauses am Strand mit dem praechtigen Titel: Bugdestroyer to Her Majesty, the Queen, Wanzentilger Ihrer Majestaet der Koenigin. Gewiss ein Titel, der noch auf keiner Hofliste gefunden ward! Wunderbar abstechend ist der Kontrast, wenn man aus dem Gewuehl der City in den anderen Teil der Stadt tritt. Hier deutet alles auf bequemes, ruhiges Geniessen; kein rauschender Erwerb, kein Gedraenge der arbeitenden Menge. Alles hat Zeit, alles scheint einzig bedacht, diese auf das angenehmste hinzubringen. Die Magazine und Laeden bieten dar, was nur der raffinierteste Luxus verlangt, weit teurer als in der City, aber auch schoener, moderner, eleganter. Der Schuhmacher in der City verkauft zum Beispiel seine Waren im Laden, huebsch aufgeputzt, und nimmt in seiner an denselben stossenden, reinlich moeblierten Stube das Mass, wenn's verlangt wird; in Bond Street aber wird man in ein elegantes, mit Diwan, koestlichen Lampen und seidenen Gardinen geschmuecktes Boudoir zu diesem Zweck gefuehrt, und schwerlich wuerde der Artist einen Fuss beruehren, der nicht aus einer Equipage gestiegen waere. Dafuer kostet aber auch sein Kunstwerk zwei Guineen. Nach diesem Massstabe geht alles. Nichts ist schoener als die grossen Plaetze in diesem Teile von London; zwar umgeben sie keine Palaeste, denn deren gibt's ohnehin hier wenige, aber schoene grosse Haeuser, alles solid und praechtig. Dazu die huebschen Boskette in der Mitte der Plaetze, zu welchen jeder Bewohner der umliegenden Haeuser fuer eine Guinee einen Schluessel haben kann. Glaenzende Equipagen rollen, Mohren, bunte Livreen, geputzte Herren und Damen beleben die Trottoirs, ohne Gedraenge, ohne Laerm Der Fremde aber, dem es darum zu tun ist, das englische Volk kennen zu lernen, kehrt bald gern zurueck aus diesem vornehmen Quartiere, wo es wie ueberall in der grossen Welt zugeht, und sucht das neue, sonst nirgends gesehene Leben der eigentlichen Stadt London auf. Bettler Vom eigentlichen Bettler wird man in Londons Strassen wenig gewahr, dennoch wissen die Armen auf mannigfaltige Weise die Wohltaetigkeit anzuregen. So sahen wir oft zwei Matrosen: einem fehlte ein Bein, dem anderen ein Arm; aufeinander gestuetzt schwankten sie durch die Strassen, indem sie mit lauter Stimme nach einer wilden, klagenden Melodie eine Art Ballade sangen, welche die Geschichte ihrer Leiden enthielt. Mitleidig weilte John Bull bei ihrem Klageliede und belohnte es gern mit einigen Pence. An den Kreuzwegen, wo man, um in eine andere Strasse zu gelangen, die Trottoirs verlassen und ueber den Fahrweg gehen muss, stehen immer Leute, die geschaeftig einen reinlichen Fusspfad kehren, der freilich alle Augenblicke durch darueber rollende Wagen wieder zerstoert wird. Bescheiden wagen sie wohl zuweilen die Frage: ob man nicht einige einzelne Pfennige fuehre? Und auch ohne diese gibt man ihnen gern. An wenigen betretenen Plaetzen, besonders im ruhigen Teile der Stadt, sieht man oft Maenner, die mit Kreide auf den breiten Quadersteinen der Trottoirs wunderschoene kolossale Buchstaben malen, Namen, Sentenzen, Sprueche aus der Bibel. Der Voruebergehende steht still, bewundert ihre Kunst und belohnt sie unaufgefordert mit einer kleinen Gabe. Unbegreiflich war es uns immer, wie Leute, die eine so schoene Hand schreiben, so tief in Armut versinken koennen. Auf dem festen Lande muesste jeder dieser Bettler als Schreibmeister oder Schreiber seine reichliche Existenz finden, denn es ist unmoeglich, etwas Vollkommeneres in seiner Art zu sehen als diese Schrift. Besonders merkwuerdig aber erschien uns eine Bettlerin, der wir taeglich in den volkreichsten Strassen der City begegneten. Man hielt sie allgemein fuer eine durch verschuldete oder unverschuldete Ungluecksfaelle so tief gesunkene Schwester der beruehmten Schauspielerin Siddons, wenigstens trug sie eine unverkennbare Aehnlichkeit mit dieser in ihren Zuegen. Dieselbe hohe, edle Gestalt, derselbe Adel in Blick und Miene, nur aelter, blass und wie versteinert durch lange Gewohnheit des Ungluecks. Niemand beschuldigte Mme. Siddons der Haerte gegen ihre unglueckliche Schwester, denn alle, welche diese Frau fuer solche ausgaben, fuegten hinzu: sie naehme nichts von ihr an und wolle nun einmal bloss von fremdem Mitleid ihr Leben fristen. Oft begegnete uns diese wunderbare Erscheinung. Sie trug immer einen schwarzseidenen Hut, der nicht so tief in's Gesicht ging, dass man nicht dessen Zuege haette bemerken koennen; ein gruenwollenes Kleid, eine schneeweisse grosse Schuerze und ein ebensolches Halstuch. Schweigend, mit stolzem Ernst wandelte sie, gestuetzt auf zwei Kruecken, langsam und ungehindert durch die Menge. Jedermann wich ihr mit einer Art Ehrfurcht aus und ehrte in ihr die Heiligkeit eines grossen, ungekannten Ungluecks. Sie forderte nicht, sie bat nicht, aber reichliche Gaben wurden ihr dennoch von allen Seiten geboten, jeder fuehlte sich gezwungen, getrieben, ihr zu geben. Es war, als muesse man ihr danken, dass sie die gebotenen Gabe nur nahm. Sie dankte nicht; mit dem Anstande einer Koenigin nahm sie das Dargebotenen und wandelte stumm weiter wie ein Geist. Die bildende Kunst hat sich diese auffallende, grosse Gestalt, diesen weiblichen Belisar, moechten wir sagen, oft zum Vorbild gewaehlt. In allen Kupferstichmagazinen, bei allen Ausstellungen der Maler fand man ihr sprechend aehnliches Bild, denn diese Zuege drueckten sich leicht der Phantasie ein. Wohnungen in London Eigentlich wohnt man im Durchschnitt nicht sonderlich in London. Da der Eigentuemer eines Hauses sich hier grosser Vorzuege im buergerlichen Leben zu erfreuen hat, so strebt jeder, eines zu besitzen. Daraus entsteht dann, dass London fast aus lauter kleinen Haeusern zusammengesetzt ist. Wer auch kein eigenes Haus hat, will doch fuer sich allein wohnen; dies verengt den Platz ungemein. In Paris, moechte man sagen, schweben vier Staedte uebereinander; in London macht jeder Anspruch auf sein Plaetzchen auf Gottes Erdboden, und nur Fremde, einzelne Familien oder in ihren Mitteln sehr beschraenkte Personen bewohnen Etagen, die dann auch freilich bei der Kleinheit der Haeuser wenig Bequemlichkeit darbieten. An eine Suite mehrerer Zimmer ist in gewoehnlichen buergerlichen Haeusern nicht zu denken; selten, dass man zwei aneinanderstossende findet, selbst in denen der reichen Kaufleute; jedes Stockwerk enthaelt gewoehnlich nur zwei Zimmer, eines nach der Strasse, eines nach dem oft engen Hofraum zu. Ueberall enge Treppen, wenige und kleine Zimmer. Die Kuechen und Bedienstetenwohnungen sind in den Souterrains untergebracht, die Tueren alle auffallend enge und hoch, sowohl die Haustueren als die in den Zimmern. Jene sehen bei groesseren Gebaeuden oft nur wie eine enge Spalte aus; in diesen findet man fast niemals Fluegeltueren. Auch die Fenster sind schmal, die Spiegelwaende zwischen denselben dagegen sehr breit. Die schoenen Teppiche aber, die selbst bei wohlhabenden Handwerkern nicht allein die Fussboeden der Zimmer, sondern auch Treppen und Vorplaetze von der Haustuere an bedecken, die zierlichen Moebel, das schoene Mahagoniholz mit seinem bescheidenen Glanze, die Reinlichkeit ueberall, geben diesen kleinen Wohnungen einen eigenen Reiz. Alles sieht sauber, bequem, elegant aus und ist es auch. Die Kamine, die oft mit Marmor, Stahlarbeiten und dergleichen geschmueckt sind, dienen zu keiner geringen Zierde der Zimmer; schoene Vasen von Wedgwoods Fabrik [Fussnote: Josiah Wedgwood (1730-95); Schoepfer der englischen Tonwarenindustrie. Beruehme Manufaktur] und kristallene Kandelaber zieren den Sims; der staehlerne Rost, in welchem das Feuer brannte, Zange, Schaufel und alles Metallgeraet glaenzen hell poliert; Kupferstiche schmuecken die Waende, schoene Vorhaenge die Fenster. Nichts in der Welt ist gemuetlicher, als ein englisches Wohnzimmer. Das Schlafzimmer kann selten viel mehr als ein Bett fassen. Die englischen Bettstellen sind alle sehr gross. Drei Personen faenden bequem darin Platz; auch ist's allgemein Sitte, nicht allein zu schlafen; Schwestern, Freundinnen teilen ohne Umstaende das Bett miteinander, und fast jede Frau nimmt in Abwesenheit ihres Mannes eines ihrer Kinder oder im Notfall sogar das Dienstmaedchen mit sich zu Bette, denn die Englaenderinnen fuerchten sich nachts allein in einem Zimmer zu sein, weil sie von Jugend auf nicht daran gewoehnt wurden. Federdecken sind ganz unbekannt, nicht so Unterbetten von Federn; seit einigen Jahren kommen diese sehr in Gebrauch, doch sind Matratzen gewoehnlicher. Betten ohne Gardinen, sowie Zimmer ohne Teppiche kennt nur die bitterste Armut. Lebensweise Der groesste, fleissigste Teil von Londons Bewohnern, die Handwerker und Ladenhaendler (beide werden hier zu einer Klasse gerechnet), fuehrt im Ganzen ein trauriges Leben. Die grossen Abgaben, die Teuerung aller Beduerfnisse, die durch den einmal herrschenden Luxus in Kleidung und dergleichen ins Unendliche vermehrt sind, zwingt sie zu einer grossen Frugalitaet, die in anderen Laendern fast Aermlichkeit heissen wuerde. Ewig in den Laden und an die daran stossende, oft ziemlich dunkle Hinterstube gebannt, muessen sie fast jedem Vergnuegen entsagen. Die Theater sind ihnen zu entlegen, meistens zu kostbar, kaum dass die Frau eines wohlhabenden Kaufmanns dieser letzten Klasse zweimal im Jahre hinkommt. In's Freie kommen sie fast gar nicht; mehrere versicherten uns, sie haetten seit zehn Jahren keine anderen Baeume als die von St. James Park gesehen. Die Woche ueber duerfen sie von morgens neun Uhr bis Mitternacht den Laden fast gar nicht verlassen; dieser ist sehr oft das Departement der Frau, und der Mann sitzt dann in dem oben erwaehnten Hinterzimmer und fuehrt die Rechnungen. Sonntags sind freilich alle Laeden geschlossen, aber die Theater auch, und da alle Untergebenen an diesem Tage die Freiheit verlangen, auszugehen, so muss die Frau vom Hause es hueten. Der groessere, wirkliche Kaufmann fuehrt ein nicht viel troestlicheres Leben. Auch er muss in gesellschaftlichen und oeffentlichen Vergnuegungen weit hinter den reichen Kaufmannshaeusern von Hamburg oder Leipzig zurueckstehen. Doch liegt das wohl auch zum Teil an der Landesart. Die Frauen lieben mehr haeusliche Zurueckgezogenheit, sie sind an das rauschende Leben, an die vielen grossen Zirkel nicht gewoehnt. Sie wollen ihre Ruhe, Ordnung und Gleichfoermigkeit in ihrem Hause nicht derangieren. Die Maenner hingegen suchen nach vollbrachten Geschaeften die Freude gern auswaerts, in Kaffeehaeusern und Tavernen. Die Familien der meisten wohlhabenden Kaufleute wohnen den groessten Teil des Jahres, oft das ganze Jahr hindurch auf dem Lande, in sehr zierlichen, groesseren und kleineren Landhaeusern, die sie Cottages, Huetten, nennen, obgleich sie wohl einen vornehmeren Namen verdienen. Hier geniessen Frauen und Kinder die freie Luft, halten gute Nachbarschaft und erfreuen sich ganz gelassen und anstaendig, vielleicht etwas langweilig, des Lebens; waehrend das Haupt der Familie den Tag in London auf seinem Comptoir zubringt und sich dann abends in ein paar Stunden auf den herrlichen Wegen, zu Pferde oder Wagen, zu den Seinigen begibt. Von der Lebensweise der Grossen und Vornehmen laesst sich nichts sagen: diese gehoeren in keinem Lande zur Nation, sondern sind sich ueberall gleich, in Russland wie in Frankreich, in England wie in Deutschland. Auch ist von dem Luxus, den sie, besonders auf dieser Insel, auf's hoechste gesteigert haben, von der Art und Weise, wie sie Jahres- und Tageszeiten durcheinander wirren, schon von anderen so viel geschrieben, als man in unserem Vaterlande zu wissen braucht. Wir wollen also jetzt davon schweigen und nur, wenn sich die Gelegenheit dazu kuenftig darbietet, im Voruebergehen das vielleicht Noetige erwaehnen. Unser Streben auf Reisen ging immer dahin, die Landessitte der eigentlichen Nation kennen zu lernen; diese muss man aber weder zu hoch, noch zu tief suchen. Nur im Mittelstande ist sie noch zu finden. Ein Tag in London Wer spaet zu Bette geht, steht spaet auf, das ist in der Regel; daher hat die goldene Morgensonne nirgends weniger Verehrer als in London, wo doch sonst das Gold nicht zu gering geachtet wird. Vor neun bis zehn Uhr wird's nicht Tag. Anstaendig gekleidet, versammelt sich dann die Familie in dem zum Fruehstueck bestimmten Zimmer, die Herren in Stiefeln und Ueberroecken, die Damen unbeschreiblich reizend gekleidet, schneeweiss verhuellt bis ans Kinn, mit zierlichen Haeubchen. Das Neglige ist der Triumph der Englaenderinnen; mit der geschmackvollen Einfachheit vereinigt es die hoechste Eleganz; der volle Anzug hingegen faellt of steif und ueberladen aus. Nichts Einladenderes gibt's in der Welt als ein englisches Familienfruehstueck, auch wird die dabei hingebrachte Stunde durchaus fuer die angenehmste des ganzen Tages gehalten, und man verlaengert sie gern. Auf dem hellpolierten, staehlernen Roste lodert die stille Flamme des Steinkohlenfeuers, selbst im Sommer, wenn das Wetter feucht ist. Das elegante Teegeraete steht in zierlicher Ordnung auf dem schneeweiss bedeckten Tische, daneben frische, ungesalzene, in Wasser schwimmende Butter, das weisseste Brot von der Welt, Zwieback, hartgekochte Eier, auch wohl, nach schottischer Sitte, Honig und Marmelade von Pomeranzen. Hotrolls, heisse Rollen, eine Art warmer, mit Butter bestrichener Semmeln, und Toasts, Brotschnitten, welche, von beiden Seiten mit Butter bestrichen, langsam am Feuer roesten, duerfen nie fehlen; letztere stehen in einem dazu verfertigten silbernen Gestell im Kamin, der Teekessel braust und siedet gesellig daneben. Mit allem diesem waere aber dennoch das Fruehstueck ohne die neuesten Zeitungsblaetter sehr unvollstaendig, sie sind ein Hauptstueck dabei. Ein selten vermisstes Stueck des deutschen Fruehstuecks, die Tabakspfeife, ist, zum Lobe der Londoner sei's gesagt, bei ihnen ganz verbannt; dies schmutzige Vergnuegen wird der letzten Klasse des Volks ueberlassen; hoechst ergoetzt sich noch zuweilen ein alter, ausgedienter Seemann oder ein kaum halbzivilisierter Landjunker in seinen einsamen vier Pfaehlen daran. Die Dame des Hauses bereitet den Tee, zwar viel umstaendlicher, aber auch viel besser als wir. Die Tassen werden erst sorgfaeltig mit heissem Wasser ausgewaermt, der Tee abgemessen, das heisse Wasser nach gewissen Regeln darauf gegossen, und um fuer alle diese Muehe den gehoerigen Ruhm zu ernten, wird der Reihe nach gefragt: ob der Tee nach jedes Wunsch geraten sei? Alles geschieht langsam und mit einer feierlichen Ruhe, welche die Englaender gern ihren Mahlzeiten geben: denn sie moegen dabei keine anderen Gedanken aufkommen lassen, ausser den des gegenwaertigen Genusses. Nur die Zeitungsblaetter machen beim Fruehstueck hiervon eine Ausnahme, und die Herren und Damen beschaeftigen sich eifrig damit: denn nicht nur politische Neuigkeiten werden darin aufgetischt, auch Theater- und Familiennachrichten, und vor allem die neuesten Stadtgeschichten, frohe und traurige, erbauliche und skandaloese, wahre, halbwahre und ganz erdichtete. Alles wird gelesen, alles wird besprochen. Dass bei solchen Faellen das Gespraech seltener stockt, als sonst wohl geschieht, ist natuerlich. Nach dem Fruehstueck begeben sich die Maenner an ihr Geschaeft, ins Comptoir, oder wohin ihr Beruf sie treibt. So viel moeglich wird den Vormittag ueber alle Arbeit abgetan, und trotz des spaeten Anfangs ist er lang genug dazu, da niemand vor fuenf bis sechs Uhr zu Mittag speist. Nach Tische feiert jeder gern, wenn ihn nicht gerade ein hartes Schicksal zur Arbeit zwingt. Viele Herren besuchen bald nach dem Fruehstueck ihr gewohntes Kaffeehaus, wo sie einen grossen Teil ihrer Geschaefte abtun, eine Menge Briefe aus der Stadt und andere Bestellungen harren dort schon ihrer; dorthin verlegen sie auch gewoehnlich ihre Zusammenkuenfte mit Freunde, um ueber wichtige Dinge sich muendlich zu besprechen und Verabredungen zu treffen. Die Wirtin des Hauses nimmt auf ihrem erhoehten Sitz unten am Eingange alles an und bestellt es mit puenktlicher Treue an ihre Kunden, die sie alle persoenlich kennt, weil sie es fast nie verfehlen, sich zur naemlichen Stunde einzustellen. Diese Gewohnheit, sich taeglich an einem bestimmten Orte finden zu lassen, ist in dieser ungeheuren Stadt von grossem Nutzen; eine Menge unnuetzer Gaenge und viel sonst verlorene Zeit werden dadurch erspart. Obendrein gewinnt der haeusliche Friede dabei, denn naechst der fleckenlosen Reinheit des eigenen Anzugs liegt einer Englaenderin nichts so sehr am Herzen, als die ihres Hauses, ihrer Treppen, ihrer Fussteppiche, und wie sehr ist fuer alles dies dadurch gesorgt, dass so manches ausser dem Hause gemacht wird, was sonst in demselben Unordnung oder doch wenigstens Unruhe erregen muesste! Die Ladies gehen nun auch an ihr Geschaeft. Sie greifen zu den Morgenhueten, denn jede Tageszeit hat ihr eigenes Kostuem, und selbst im Wagen wuerde es auffallend erscheinen, wenn sich eine Dame in den Vormittagsstunden ohne Hut wollte sehen lassen. Waere sie auch in siebenfache Schleier gehuellt, alles wuerde sie anstarren, gleich etwas nie Gesehenes. Wollte sie es vollends wagen, ohne Hut, selbst nur wenige Schritte zu Fuss ueber die Strasse zu gehen, sie waere ganz verloren; unbarmherzig wuerde sie der Poebel verfolgen, als haette sie die groesste Unanstaendigkeit begangen. Wohlversehen also mit grossen Hueten, mit Halstuechern, Shawls, wandern wir nun aus, denn die Mode will, dass man sich in den heissen Stunden des Tages am sorgfaeltigsten verhuellt. Visiten haben wir nicht viel zu machen, der Kreis unserer eigentlichen Bekannten ist klein, man schraenkt sich zum naeheren Umgange auf wenige Haeuser ein, wie in allen grossen Staedten. Das Visitenwesen wird in London ueberdies fast immer mit Karten abgemacht. Indessen, einen Wochenbesuch haben wir doch abzustatten, denn diese sind hier, wie ueberall, unerlaesslich; nur werden sie spaeter als bei uns angenommen. Wir finden die Dame in dem glaenzenden Schlafzimmer. Vor allem prunkt das grosse Bett. Die Kissen, die Decken sind mit Spitzen und feiner Naeharbeit verziert, mit gruener Seide gefuetterte Draperie vom thronartigen Baldachin herab, so dass man die schoenen Saeulen von Mahagoni- oder anderem, noch kostbarerem Holze frei erblickt. Das Neglige der Dame ist ueber und ueber mit den teuersten Spitzen geschmueckt und bekraeuselt; alles ist fein und erlesen, alles zeigt Reichtum. Den Hauptgegenstand des Gespraechs gewaehrt die auf einem Seitentisch ausgestellte Garderobe des neuen Ankoemmlings. Er selbst ist nicht sichtbar, sondern in der Kinderstube mit seiner Amme, denn das Selbststillen der vornehmeren Muetter ist in England nicht so allgemein wie in Deutschland. Es gibt hier bedeutende Laeden, wo nichts anderes verkauft wird als Kinderzeug, und zwar zu sehr hohen Preisen. Alle Waren dieser Laeden prunken dann in dem Wochenzimmer verschwenderisch aufgehaeuft. Selbst ein grosses Nadelkissen in der Mitte ist nicht zu vergessen, auf welchem man mit Stecknadeln von allen Groessen kuenstliche Muster steckt, die einer schoenen, reichen Silberstickerei gleichen. Wahrscheinlich werden diese Dinge selten oder nie gebraucht, denn sie sind ihrer Natur nach zu zart und vergaenglich, sie dienen nur zum Prunke. Sind wir mit dem Besehen und Bewundern endlich fertig, so wandern wir weiter a Shopping, dies heisst: wir kehren in zwanzig Laeden ein, lassen uns tausend Dinge zeigen, an welchen uns nichts liegt, kehren alles Unterste zu oberst und gehen vielleicht am Ende davon, ohne etwas gekauft zu haben. Die Geduld, mit der die Kaufleute sich dieses Unwesen gefallen lassen, kann nicht genug bewundert werden; keinem faellt es ein, nur eine verdriessliche Miene darueber zu zeigen. Sehr vornehme Damen fahren a Shopping. Ohne sich aus dem Wagen zu bemuehen, lassen sie sich den halben Laden in die Kutsche bringen, zur grossen Beschwerde der Kaufleute sowohl als der Voruebergehenden auf dem Trottoir. Man erzaehlt, dass ein Trupp Matrosen, dem eine solche mit offenem Schlag dastehende Equipage den Weg versperrte, ohne Umstaende einer nach dem anderen hindurchspazierte, indem sie der darin sitzenden Dame hoeflich guten Morgen boten. Die mannigfaltigen Ausstellungen von Kunstwerken sowohl als von Naturseltenheiten bieten uns angenehme Ruhepunkte, wenn wir es endlich muede sind, die Kaufleute in Bewegung zu setzen. Die Promenade im St. James Park koennte auch eine Abwechslung gewaehren; doch wird sie im Ganzen weniger besucht, so reizend sie auch ist. Zwar fehlt es nie an Spaziergaengern darin, aber nur bei sehr seltenen Gelegenheiten findet man sie so bevoelkert, wie es die Terrassen der Tuilerien alle Tage sind. Es gibt der muessigen Maenner weit weniger in London als in Paris. Die englischen Damen gehen nicht so viel aus als die Pariserinnen, und wenn sie es tun, so ziehen sie eine Shopping party allen anderen Promenaden vor. Die Kuchenlaeden, deren wir frueher gedachten, liegen, gleich anderen, frei und offen unten an der Strasse; daher koennen Damen recht anstaendig allein dort einkehren. Nur in dem beruehmtesten aller Etablissements, bei Mr. Birch, in der Naehe der Boerse, geht dies wohl nicht an; hier kann man sich nicht ohne maennliche Begleitung blicken lassen. Das nicht sehr geraeumige Fruehstueckszimmer befindet sich hinten im Hause, am Ende eines langen Ganges. Kein Strahl des Tageslichts wird darin geduldet, Wachskerzen erleuchten es, und wenn die Sonne draussen noch so hell schiene; die uebrige Einrichtung des Zimmers ist anstaendig, ohne sich besonders auszuzeichnen. Immer findet man Gesellschaften von Herren und Damen darin, die gewoehnlich schweigend ihre Schildkroetensuppe und ein paar warme kleine Pastetchen verzehren. Weiter wird in diesem Hause nichts zubereitet; aber die Pastetchen sollen die besten in der ganzen Welt sein, und nun vollends die Schildkroetensuppe, darueber geht nichts. Nirgends weiss man sie so zu bereiten wie hier, so behaupten die Londoner. Uns aber kam die Gelassenheit, mit welcher die Herren und Damen das von Madeirawein und Cayennepfeffer gluehende, uns Zunge und Gaumen verbrennende Gemengsel genossen, weit bewundernswerter vor als die Suppe selbst. Der vorige Besitzer dieses Hauses, Mr. Horton, brachte indessen bloss mit diesen Pastetchen und der Suppe in nicht gar langer Zeit ein Vermoegen von hunderttausend Pfund Sterling zusammen, und sein letzter Nachfolger, Mr. Birch, ist auf gutem Wege, es ihm nachzutun. Dennoch sind die Preise in diesem Hause sehr billig und wie ueberall ein fuer allemal festgesetzt. Was jeder verzehrt, ist eine Kleinigkeit, aber die Menge der Verzehrenden gibt eine ungeheure Einnahme. Gegen fuenf Uhr wird es Zeit, nach Hause und an die noetige Toilette vor Tische zu denken. Heute sind wir zu einem Dinner geladen, aber wenn wir auch ganz en famille den Tag zu Hause zubraechten, so waere es doch hoechst unschicklich und bei gesunden Tagen unerhoert, im Morgenkleide zu bleiben. Selbst die Maenner ziehen den Boersen-Rock aus und mit ihm alle Gedanken an Geschaefte, um in einem eleganteren Anzuge zu erscheinen. Schoen und etwas steif geputzt fahren wir nun um halb sieben zum Mittagessen. Gastfrei sind die Londoner eben nicht, sie scheuen nicht sowohl die grosse Teuerung aller Dinge als vielmehr die hier von allen geselligen Zusammenkuenften durchaus unzertrennliche Etikette, welche einen solchen Tag fuer die ohnehin Ruhe liebende Hausfrau zu einer schweren Last macht. Daher werden gewoehnlich solche Dinners nur durch aeussere Anlaesse herbeigefuehrt, wie etwa die Gegenwart von Fremden, denen man die Ehre antun zu muessen glaubt. Sonst fuehrt der Londoner seinen Freund lieber in eine Taverne, als dass er ihn bei sich aufnimmt, dort tete a tete, oder in einem groesseren, doch immer geschlossenen Zirkel tun sie sich bei Wein, Politik und lustigen Gespraechen guetlich. Zu Hause aengstigt sie die Gegenwart der Frauen, denen man zwar die groesste Hochachtung im Aeusseren aufweist, aber ihnen auch, wie allen Respektspersonen, eben deshalb gern so viel moeglich aus dem Wege geht. Doch wieder zu unserem Dinner. In dem Besuchszimmer finden wir die Gesellschaft versammelt; es fasst hoechstens zwoelf bis vierzehn Personen. Nach den herkoemmlichen Begruessungsformeln nehmen die Damen zu beiden Seiten des Kamins in Lehnstuehlen Platz, die Herren waermen sich am Feuer, und nicht immer auf die schicklichste Weise. Schlaefrig, einsilbig, langsam wankt die Konversation zwischen Leben und Sterben, bis endlich der willkommene Ruf ins Speisezimmer ertoent. Dies liegt oft eine Treppe hoeher oder niedriger als das Besuchszimmer, weil, wie wir schon frueher bemerkten, die Wohnungen, selbst sehr reicher Leute, nichts weniger als geraeumig und bequem sind. Die Tafel steht fertig serviert da, bis auf die Glaeser. Servietten gibt es jetzt an den englischen Tafeln, seit die Englaender so viel reisen, wenigstens, wenn man ein Dinner gibt. Vor weniger Zeit fand man sie nur in Haeusern, welche auf fremde Sitten Anspruch machten. Das Tischtuch hing damals und haengt auch noch wohl jetzt, wenn man en famille speist, bis auf den Erdboden herab, und jedermann nahm es beim Niedersitzen auf's Knie und handhabte es wie bei uns die Serviette. Die Dame vom Hause thront in einem Lehnstuhl am oberen Ende der Tafel, ihr Gemahl sitzt ihr gegenueber unten am Tisch, die Gaeste nehmen auf gewoehnlichen Stuehlen zu beiden Seiten Platz, so viel moeglichst in bunter Reihe, nach der Ordnung, die ihnen vom Herrn des Hauses vorgeschrieben wird. Alle Gerichte, welche zum ersten Gange gehoeren, stehen auf der Tafel. Die englische Kochkunst hat auch in Deutschland ihre Verehrer; wir gehoeren nicht dazu, uns graute vor dem blutigen Fleisch, vor den ohne alles Salz zubereiteten Fischen, vor dem in Wasser halb gar gekochten Gemuese, den Hasen und Rebhuehnern, die, wie alle anderen Braten, ungespickt, ohne alle Butter, bloss in ihrer eigenen Bruehe zubereitet werden. Die Dame serviert die reichlich mit Cayennepfeffer gewuerzte, uebrigens ziemlich duenne Suppe, nachdem sie jeden Tischgenossen namentlich gefragt hat: ober er welche verlange? Des Fragens von Seiten der Wirte und des Antwortens von Seiten der Gaeste ist an einem englischen Tische kein Ende. Eine grosse Verlegenheit fuer den fremden Gast, der, wenn er auch der englischen Sprache sonst ziemlich maechtig ist, dennoch unmoeglich alle diese technischen Ausdruecke wissen kann. Er muss Rede und Antwort von jeder Schuessel geben, ob er davon verlangt, ob viel oder wenig, mit Bruehe oder ohne Bruehe, welchen Teil vom Gefluegel, vom Fisch, ob er es gern staerker oder weniger gebraten hat, eine Frage, die besonders oft die Fremden in Verlegenheit setzt; man sag: much done or little done, woertlich uebersetzt heisst das: viel getan oder wenig getan. Diese Fragen ertoenen von allen Seiten des Tisches zugleich, denn ein paar Hausfreunde helfen dem Herrn und der Frau vom Hause im Vorlegen der Schuesseln. Alle werden nach der Suppe zugleich serviert, nicht nach der Reihe wie in Deutschland. Sie bestehen aus einem grossen Seefisch, einem Lachs, Kabeljau, Steinbutt oder dergleichen, der, beim Kochen gesalzen, vortrefflich waere, so aber dem Fremden fast ungeniessbar bleibt, aus Puddingen, Gemuesen, Tarts und allen Gattungen von Fleisch und Gefluegel, ohne Salz, Butter oder andere fremde Zutat in eigener Bruehe gedaempft, geroestet, gebraten oder gekocht, nur der Pfeffer ist nicht daran gespart. Hat man ueber eine solche Schuessel einen duennen, trockenen Butterteig gelegt, so beehrt man sie mit dem Titel einer Pastete. Die halbrohen Gemuese muessen ganz gruen und frisch aussehen, erst bei Tafel tut jeder auf seinem Teller nach Belieben geschmolzene Butter daran. Kartoffeln fehlen bei keiner Mahlzeit, sie sind vortrefflich, bloss in Wasserdampf gekocht. Die Puddings aller Art waeren auch sehr gut, nur sind sie oft zu fett, fast nur aus Ochsenmark und dergleichen zusammengesetzt. Die Tarts, der Triumph der englischen Kochkunst, bestehen aus halbreifem Obst, in Wasser gekocht und mit einem Deckel von trockenem Teige versehen. Die Pickels, welche den Braten begleiten, eigentlich alle Arten Gemuese, Mais, unreife Walnuesse, kleine Zwiebeln und dergleichen, mit starkem Essig und vielem Gewuerze eingemacht, sind vortrefflich. Mit diesen sowie mit der Soja- und anderen pikanten Saucen, die hier im Grossen fabriziert und verkauft werden, treibt London einen grossen Handel durch die halbe Welt. Diese Saucen, Senf, Oel und Essig stehen in zierlichen Plattmenagen zum Gebrauch der Gaeste da, sowie auch immer fuer zwei Personen ein Salzfass. Der Salat wird von der Dame vom Hause ueber Tische mit vieler Umstaendlichkeit bereitet und klein geschnitten; er besteht aus einer sehr zarten, saftigen Art Lattich, dessen Blaetter schmal, aber wohl eine halbe Elle lang sind; ausser England sahen wir sie nirgends, dafuer aber ist auch unser Kopfsalat dort unbekannt. Unermuedet bieten die Vorlegenden alle diese Dinge den Gaesten an; dafuer muessen diese wieder alles pflichtschuldigst loben und versichern, sie haetten in ihrem Leben kein besser Kalb- oder Hammelfleisch gesehen, und es waere auch alles ganz vortrefflich zubereitet. Das Zeremoniell beim Trinken ist, besonders den fremden Damen, noch beschwerlicher und versetzt uns oft in wahre Not. Da sitzen wir betaeubt und aengstlich von alledem wunderlichen Wesen; ploetzlich erhebt der Herr vom Hause seine Stimme und bittet eine Dame, und aus Hoeflichkeit die Fremde zuerst, um die Erlaubnis, ein Glas Wein mit ihr zu trinken, und zugleich zu bestimmen, ob sie weissen Lissaboner oder roten Portwein vorziehe? Denn die franzoesischen Weine sowie der Rheinwein kommen erst zum Nachtisch. Verlegen trifft man die Wahl, und mit lauter Stimme wird nun dem Bedienten befohlen, zwei Glaeser Wein von der bestimmten Sorte zu bringen. Zierlich sich gegeneinander verneigend, sprechen die beiden handelnden Personen wie im Chor: "Sir, Ihre gute Gesundheit! Madam, Ihre gute Gesundheit!" trinken die Glaeser aus und geben sie weg. Nach einer kleinen Weile toent dieselbe Aufforderung von einer anderen Stimme, dieselbe Zeremonie wird wiederholt und immer wiederholt, bis jeder Herr mit jeder Dame und jede Dame mit jedem Herrn wenigstens einmal die Reihe gemacht hat. Keine kleine Aufgabe fuer die, welche des starken Weins ungewohnt sind. Abschlagen darf man es niemandem, das waere beleidigend; obendrein muss man noch mit dem ersten Glase den Wunsch fuer die Gesundheit jeder einzelnen Person an der Tafel wenigstens durch ein Kopfnicken andeuten und auch genau acht geben, ob jemand der anderen Gaeste uns diese Ehre erzeigt. Es waere die hoechste Unschicklichkeit, wenn eine Dame unaufgefordert trinken wollte, sie muss warten, waere sie auch noch so durstig, doch bleibt die Aufforderung selten lange aus. Auch die Herren muessen sich zu jedem Glas einen Gehilfen einladen, ein Dritter hat aber die Erlaubnis, sich mit anzuschliessen, wenn er vorher geziemend darum anhaelt. So hat man denn mit Antworten auf die Einladung zum Essen und Trinken, mit Gesundheittrinken, und mit Achtgeben, ob niemand die unsere trinkt, vollauf zu tun. Kein interessantes Tischgespraech kann aufkommen, es wird sogar fuer unschicklich gehalten, wenn jemand den Versuch macht, eines aufzubringen; der Herr des Hauses faehrt gleich mit der Bemerkung dazwischen: "Sir, Sie verlieren Ihr Mittagessen, nach Tische wollen wir das abhandeln." Die Damen sprechen ohnehin nur das Notwendigste aus lauter Bescheidenheit. Die Fremden koennen sich nicht genug vor zu grosser Lebhaftigkeit des Gespraechs hueten; es gehoert hier gar nicht viel dazu, um fuer ungeheuer dreist, monstrous bold, zu gelten. Ist der erste beschwerliche Akt des Essens ueberstanden, so wird der Tisch geleert, die Brotkrumen sorgfaeltig vom Tischtuch abgekehrt, und es erscheinen verschiedene Arten von Kaese, Butter, Radieschen und wieder Salat. Letzterer wird ohne alle Zubereitung bloss mit Salz zum Kaese gegessen. Dieser Zwischenakt dauert nicht lange, er macht einem zweiten Platz. Jeder Gast bekommt nun ein kleines, schoen geschliffenes Kristallbecken voll Wasser zum Spuelen der Zaehne und zum Haendewaschen und eine kleine Serviette; man verfaehrt damit, als waere man fuer sich allein zu Hause. Die ganze so beschaeftigte Gesellschaft erinnerte uns oft an einen Kreis Tritonen, wie man sie Wasser speiend um Fontaenen sitzen sieht. Die Damen ermangeln nicht, grosse Zierlichkeit im Abziehen der Ringe und Benetzen der Fingerspitzen anzubringen; die Herren gehen schon etwas dreister zu Werke. Nach dieser Reinigungszeremonie aendert sich die ganze Dekoration. Das Tischtuch, mit allem was darauf stand, verschwindet, und der schoene, hellpolierte Tisch von Mahagoniholz glaenzt uns entgegen. Jetzt werden Flaschen und Glaeser vor den Herrn des Hauses hingestellt, das Obst wird aufgetragen, und jeder Gast erhaelt ein kleines Couvert zum Dessert, ein Glas und ein kleines rotgewuerfeltes oder ganz rotes, viereckig zusammengelegtes Tuch. Letzteres aber darf man nicht entfalten, man benutzt es nur, das Glas darauf zu stellen. Das Obst wird nicht herumgereicht, sondern wie vorher die anderen Gerichte vorgelegt und mit vielen Fragen ausgeboten. Es ist im Ganzen schlecht, sauer und halbreif. Haselnuesse, die Lieblingsfrucht der Englaender, welche sie Jahr fuer Jahr knacken, fehlen nie dabei, suesse Konfitueren und Bonbons sind wenig im Gebrauch. Jetzt fangen die Flaschen an, die Hauptrolle zu spielen; jeder schiebt sie seinem Nachbar zu, nachdem er sich etwas eingeschenkt hat, viel oder wenig, wie man will, nur leer darf das Glas nicht bleiben, und bei jedem Toast muss das Eingeschenkte ausgetrunken werden. Den Damen sieht man indessen durch die Finger, wenn sie bloss ein wenig nippen. Der Wirt bringt nur einige Toasts aus, er laesst seine Freunde leben, die sich denn wieder durch ein Gegenkompliment an ihm und der Dame vom Hause revanchieren; die koenigliche Familie wird nie bei dieser Gelegenheit vergessen. Einige der Gaeste geben Sentiments zum besten, das heisst, kurze Saetze, die zuweilen auf die Damen Bezug haben, zum Beispiel: merit to win a heart and sense to keep it, Verdienst, ein Herz zu gewinnen, und Verstand, um es zu behalten. Alle diese Gesundheiten werden beim Trinken mit lauter Stimme von jedem wiederholt. Diese Gesundheiten, Ermunterungen zum Trinken, Ermahnungen, die Flasche weiterzuschieben, sind alles, was man jetzt hoert. Bald nachdem man dem Koenig die gebuehrende Ehre erzeigt hat, erhebt sich die Dame des Hauses aus ihrem Lehnsessel; mit einer kleinen Verbeugung gibt sie den uebrigen Damen das Signal, alle erheben sich und trippeln sittsamlich hinter ihrer Fuehrerin zur Tuer hinaus. Sogar wenn Mann und Frau tete a tete allein essen, geht Madame fort und laesst den Eheherrn allein hinter der Flasche. Ob er dann auch Toasts ausbringt, ist uns nicht bekannt. Jetzt, da die Frauen fort sind, wird es den Herren leichter um's Herz, aller Zwang ist nun verbannt, sie bleiben unter sich allein, bei Wein, Politik und manchem derbem Spass, den sie waehrend unserer Gegenwart muehsam zurueckhalten mussten. Ihr lautes Sprechen und Lachen verkuendet dem ganzen Hause, dass ihnen gar wohl zu Mute sei. Wir aber, wir Armen, was wird aus uns? Da sitzen wir wieder am Kamin und sehen uns an und gaehnen mit geschlossenem Munde. Nicht einmal Kaffee gibt es, um uns einigermassen munter zu erhalten, Handarbeit in Gesellschaft waere auch unerhoert, der gegenseitige Anzug ist leider zu bald durchgemustert. In der trostlosesten Stimmung sitzen wir hier und sind allesamt des Lebens herzlich muede. Wie gern schliefen wir ein! Aber das schickt sich nicht. Endlich ist eine Stunde so jaemmerlich hingeschlichen. Wir haben vom Wetter gesprochen, vom Theater; das ist hier aber kein so gangbarer Artikel als in anderen Orten, denn man geht viel seltener hin. Die Fremde ist zehnmal gefragt worden, wie ihr London gefaellt, und sie hat zehnmal pflichtschuldigst geantwortet: ganz ausnehmend wohl; da macht dann endlich die Frau vom Hause dem Jammer dadurch ein Ende, dass sie die Herren zum Tee bitten laesst. Man sagt, die schnellere oder langsamere Befolgung dieses Winks sei das sicherste Zeichen, wer im Hause herrsche, ob der Mann oder die Frau. Indessen, wenn sie auch zoegern, sie kommen doch, die Herren, ein wenig heiter, ein wenig redselig; aber, zu ihrer Ehre sei es gesagt, betrunken haben wir bei solchen Gelegenheiten keinen gesehen. Die Dame macht jetzt den Tee sehr umstaendlich. Die Fragen, wie man ihn findet, wie man ihn wuenscht, ob suess, ob mit viel Milch oder wenig, werden auch hier nicht unterlassen. In einigen Haeusern wird er draussen serviert und vom Bedienten herumgereicht; doch dies sind Ausnahmen von der Regel; die englischen Ladies lassen sich ungern den Platz am Teetisch nehmen, den sie so ehrenvoll behaupten. Neben dem Tee wird auch sehr schlechter, duenner Kaffee geboten. Die Konversation geht nun ein klein wenig rascher, indessen die Herren haben sich bei der Bouteille rein ausgesprochen, die Damen sind muede und sprechen ueberhaupt wenig, es wird selten ein munteres, erfreuliches Gespraech daraus. Nach dem Tee faehrt man nach Hause, denn fuer's Theater ist's zu spaet, oder man bleibt zum Spiel, je nachdem man eingeladen ist. Whist ist das einzige uebliche Spiel in Gesellschaft; von unserer Art zu spielen weicht man darin ab, dass man nur Partie Simple oder Double zaehlt, kein Tripel oder Quadrupel. Auf diese Weise kann man hoechstens sieben Points in einem Tobber verlieren, deren man immer drei spielt, nie mehr, noch weniger. Die Karten sind sehr teuer und gross, aber ungeschickt. Dies ist wohl das einzige Fabrikat, in welchem die Englaender anderen Nationen nachstehen. Kartengeld ist nicht gebraeuchlich, ebensowenig Trinkgeld an die Bedienten. Dass die Englaender sehr gut, sehr ernst und schweigend dies ihr Nationalspiel spielen, ist bekannt, nicht aber, dass keineswegs die Spielenden, sondern der Herr des Hauses zu bestimmen hat, wie hoch seine Gaeste spielen sollen. Dieser Taxe muss man sich ohne Widerrede unterwerfen, wenn man nicht beleidigen will. Einige bestimmen aus Ostentation ein sehr hohes Spiel, andere, die vernuenftiger sind, tun das Gegenteil. Dem Fremden ist zu raten, dass er sich vorher nach der Sitte des Hauses erkundige, ehe er zum Spiel geht, sonst kann er in unangenehme Verlegenheit geraten. Nach dem Spiele setzt man sich noch zu einem kalten Abendessen von Austern, Hummer, Tarts und dergleichen; dies wir sehr schnell abgetan. Froh, das Vergnuegen des Tages ueberstanden zu haben, faehrt man spaet nach Mitternacht durch die noch immer von Menschen wimmelnden Strassen nach Hause. Alle Laeden sind noch offen und erleuchtet, die Strassenlaternen brennen ohnehin immer, bis die Sonne wieder scheint. Es gibt noch eine Art geselliger Zusammenkuenfte, welche die erste Klasse des Mittelstandes, von der wir hier sprechen, dem vornehmeren, aus den ersten Familien des Reichs bestehenden Zirkel abgelernt hat. Sie heissen Routs, gleichbedeutend mit unseren Assembleen in Deutschland. Mit dem Wort Assembly verbindet man in England immer die Idee einer auf Unterzeichnung gegruendeten Zusammenkunft an einem oeffentlichen Orte. Die Frau vom Hause macht die Honneurs dieser Routs und ladet dazu ein. Schon mehrere Tage vorher werden allen Bekannten Karten zugeschickt, und zwar ungefaehr dreimal so vielen Personen, als das Lokal gemaechlich fassen kann. Es versteht sich von selbst, dass man zu einem solchen Feste eine bessere Wohnung als die gewoehnlichen haben muss, die doch wenigstens eine Art von Folgereihe mehrerer Zimmer enthaelt. Um zehn Uhr, oft noch viel spaeter, faengt man an, sich zu versammeln, draengt sich durch, um die Wirtin zu begruessen, die gewoehnlich unfern der ersten Tuer im Zimmer Posto gefasst hat, und nimmt dann Platz an einem der vielen Spieltische, die dicht zusammengedraengt den ganzen Raum erfuellen. Tee und andere Erfrischungen werden herumgereicht, solange die Bedienten durchkommen koennen. Wird es zuletzt so voll, dass niemand mehr atmen kann, dass vor allgemeinem Geraeusch kein Wort mehr zu verstehen ist, dass es an Stuehlen und Raum fehlt, welche zu stellen, ja, dass die zuletzt Kommenden auf Treppen und Vorplaetzen stehen bleiben muessen, so hat das Vergnuegen seinen Hoehepunkt erreicht. Um zwei, drei Uhr gegen Morgen entwickelt sich der Menschenknaeuel langsam, wie er anschwoll. Man faehrt nach Hause und hat einen delizioesen Abend im grossen Stil hingebracht. Die Dame vom Hause zieht sich in ihr Zimmer zurueck, zwar betaeubt vom Laerm, wie zerschlagen an allen Gliedern von dem ewigen Stehen und allen Begruessungsformeln, aber doch mit dem stolzen Bewusstsein, die hoechste Glorie des geselligen Lebens erreicht zu haben. Sonntag Welch ein Tag fuer die arbeitende Klasse auf dem festen Lande! Die Greise freuen sich schon sonnabends auf den Ruhepunkt, wo sie nach sechs muehevollen Tagen die Ihrigen reinlich und festlich gekleidet in Freude und Lust um sich sehen; die Kinder rechnen schon Montag, wie lange es noch zum Sonntag sei, dann ist keine Schule, dann koennen sie frei und frank herumlaufen und spielen nach Herzensgefallen, und vollends den jungen Leuten oeffnet sich ein Himmelreich bei Musik und Tanz, unter der Linde und in der Schenke. Von den Vornehmen in den Staedten haben freilich viele alle Tage Sonntag, wenn sie wollen; dennoch ist fuer alle Staende der Tag des Herrn nicht nur ein Ruhetag, sondern auch ein Tag der Freude, geselligen Vergnuegens und vor allem Familienzusammenkuenften geweiht. Wenige gibt es, die nicht diesem Tage, so oft er erscheint, mit irgend einer frohen Hoffnung entgegensehen, und waere es nur die, einmal ins Schauspiel zu gehen, nachdem man die ganze Woche alle Abende bei der Arbeit war. Ganz anders ist es in London: Musik und Tanz sind hoch verpoent, an Theater ist gar nicht zu denken erlaubt, alle Laeden, alle Ausstellungen sind dicht verschlossen. Die fanatische Pedanterie, mit der man hier fuer die Heilighaltung des Sabbats wacht, uebertrifft noch die der Juden, welche doch nur die Arbeit untersagen, aber das Vergnuegen erlauben. Einige der vornehmsten Familien des Reichs wurden vor kurzer Zeit fast namentlich in den Kirchen als Sabbatschaender und schreckliche Suender abgekanzelt und in allen oeffentlichen Blaettern mit Schmaehreden ueberhaeuft, weil sie sonntags unter sich Liebhaberkonzerte gaben, und weil es bisweilen vorkam, dass die Gesellschaften, welche sie sonnabends bei sich versammelten, bis nach Mitternacht bei Tanz und Karten verweilten und dadurch den Tag des Herrn entheiligten, ehe er noch recht erschienen war. "Ist's wirklich wahr, dass man in Deutschland am Sonntage Karten spielt?" hoerten wir eine Dame fragen. "Keinen Tag lieber als sonntags, wo man doch nichts zu tun hat", war die Antwort. "Good Lord!" seufzte die zweite Dame; "aber", setzte sie belehrend hinzu, "man kann's ihnen nicht verdenken, sie werden nicht besser gelehrt", und dabei blickte sie mitleidig auf uns Heiden. "Aber sie spielen doch nicht um Geld?" fragte eine dritte. "Freilich um Geld, oft um viel Geld!" Alle fuhren schaudernd zurueck. "God bless us all", Gott segne uns alle!, sagte die vierte, "ich habe einmal sonntags (und um gar nichts) Karten gespielt, und ich kann's mir heute nicht vergeben." Alle vier hatten zwei Minuten vorher bitterlich ueber den Sonntag geseufzt, der ihnen nicht erlaubte, einen Robber zu machen; man war auf dem Lande bei abscheulichem Wetter und hatte die schrecklichste Langeweile, waehrend die Herren bei der Flasche wie angemauert blieben. Der echte Englaender teilt den Tag zwischen oeffentlichem Gottesdienst, haeuslicher Betstunde und der Flasche; seine Frau bringt die Zeit, welche ihr die Andacht uebrig laesst, mit irgendeiner Frau Gevatterin zu und laesst den lieben Naechsten eine etwas scharfe Revue passieren, denn das ist sonntags erlaubt. Die Kinder sind gar uebel daran, seit man eigene Schulen fuer die Sonntagabende errichtet hat, in welche sie prozessionsweise getrieben werden, nachdem sie den Tag ueber zweimal in der Kirche und einmal zu Hause die sinn- und geistlose Liturgie des englischen Gottesdienstes haben herbeten muessen. Aber wie noch erbaermlicher geht's dem des Zwangs ungewohnten Fremden! Sie oeffnen das Klavier, die Wirtin knickst in's Zimmer herein und bittet, den Tag des Herrn nicht zu vergessen. Sie ergreifen ein Buch, da kommt ein Besuch, sieht, dass Sie einer weltlichen Lektuere sich ueberliessen, und haelt Ihnen eine wohlgemeinte Ermahnungsrede. Aergerlich setzen Sie sich in's Fenster; ohne daran zu denken, ergreifen Sie ein Strickzeug, da versammelt sich der Poebel vor dem Hause, mit Schimpfen und Schelten zieht er Ihnen einen neuen Besuch der Wirtin zu, welche im heiligen Eifer sich diesmal etwas weniger glimpflich ausdrueckt, als kurz vorher. Beschaeftigen Sie sich fern vom Fenster in Ihrem Zimmer, so aeussern die Bedienten, so oft sie hereintreten, ihren heiligen Abscheu, wenigstens durch Mienen, wenn nicht durch Worte. Wollen Sie mit ihren Landsleuten eine Partie Whist in ihrem eigenen Zimmer machen, so hat Ihr eigener Bedienter das Recht, Sie beim naechsten Friedensrichter zu verklagen, und Sie entgehen sicher der Strafe nicht. Was faengt man aber mit dem Tage an, der zweiundfuenfzigmal im Jahre wiederkommt? Man macht kleine Reisen, wenn die Jahreszeit und das Wetter es erlauben, und achtet's nicht, dass die Wegegelder am Sabbat doppelt erlegt werden muessen, zur Ehre des Herrn. Im Winter, bei schlimmem Wetter, fasst man sich in Geduld, anderen Rat gibt's nicht. OeFFENTLICHE VERGNUeGUNGEN Theater Nicht allein an der Sprache erkennt man die verschiedenen Nationen, welche Europa bewohnen, auch am Gange, am Tone, an der Gebaerde. Jede derselben unterscheidet sich von der anderen durch schwer zu bezeichnende, aber deshalb nicht weniger sichtbare und untruegliche Kennzeichen. Auch auf die bildende Kunst hat dieser angeborenen und angeeignete Unterschied der Nationen grossen Einfluss. Kein Niederlaender malt wie ein Italiener, kein Franzose wie beide; alle muessen ihrer Nationalitaet treu bleiben. Die Gestalten, die Gebaerden, der Himmel, die Beleuchtung, die wir von Jugend auf sehen, praegen sich uns mit unausloeschlichen Zuegen ein. Wir koennen nur wiedergeben, was wir in uns tragen, und der Unterschied der Schulen liegt mehr an dem Himmel, unter dem sie entstanden, als an den Meistern, die man fuer ihre Stifter erkennt. Bei der theatralischen Kunst blickt diese Nationalitaet noch deutlicher hervor, und waere es moeglich, einem Schauspiel zuzusehen, ohne dass man ein Wort davon hoerte, so muesste doch der kundige Beobachter gleich entscheiden koennen, ob er ein englisches, franzoesisches oder deutsches Theater vor sich saehe. Alle drei koennen in ihrer Art vortrefflich sein und werden dennoch dem Fremden missfallen. Denn dieser, mit der Individualitaet der Nationen noch nicht bekannt genug, will nach seinem eigenen, von hause mitgebrachten Massstabe messen. Nur nach und nach wird er entdecken, dass das, was ihm zuerst widerwaertig, unnatuerlich, uebertrieben erschien, dennoch treu, wahr und bewundernswuerdig ist. Betrachtet man eine theatralische Vorstellung als ein vollendetes, abgerundetes Ganze, so haben wir Deutschen vor den anderen Nationen keinen Vorzug, so viel vortreffliche einzelne Kuenstler wir auch aufzuweisen haben. Das Weimarische Hoftheater, beguenstigt durch ein Zusammentreffen vieler seltener, ausserordentlicher Umstaende, war vielleicht das einzige in Deutschland, auf welchem man noch zuweilen einzelne Darstellungen einiger Meisterwerke der vorzueglichsten Dichter erblickte, da sich, durch das Zusammenpassen jedes Teils zum Ganzen, der Vollkommenheit naeherten. Dass der deutsche Schauspieler allen alles sein muss, ist ein Unglueck; dadurch wird er verhindert, sein Talent auszubilden fuer das seiner Persoenlichkeit am besten zusagende Fach. In Paris und London ist das anders. Jeder widmet sich den Rollen, zu welchen seine Individualitaet ihn ruft. Mit dem Alter nimmt man es dort weit weniger genau als bei uns. Gerechter als wir, bedenkt man: wieviel dazu gehoert, eine hohe Stufe in irgend einer Kunst zu erringen. Kein vollendeter Kuenstler ward geboren. Jahre voll Anstrengung und Studium gehoeren dazu, um das grosse Talent auszubilden; oft ist die Jugend entflohen, wenn jenes erst in vollem Glanze strahlt. In Frankreich und England erkennt man dies und laesst sich lieber willig durch Schminke, Kleidung, Beleuchtung taeuschen, als dass man den hoechsten Genuss, den die Kunst gewaehren kann, verschmaehte, weil der Kuenstler einige Jahre zuviel zaehlt. Der vorzuegliche deutsche Schauspieler ist in Gebaerde, Ton, Deklamation und Stellung bei weitem der gemaessigste, weil Masshalten und Ernst in der Natur des Deutschen liegen. Wir erscheinen unseren Nachbarn kalt, aus demselben Grunde, aus welchem sie uns uebertrieben erscheinen. Ebenso wird der westfaelische Bauer gewiss glauben, der Provenzale oder Gascogner wolle ihn totschlagen, wenn jener ihm bloss nach seiner Landessitte einen guten Morgen bietet. Nennt man ein nach festgesetzten Regeln genau gebildetes Ganzes ein vollendetes Kunstwerk, so hat die franzoesische Tragoedie vor allen anderen den Vorzug. Streng abgemessen sind Zeit und Ort. Jeder Vers, jedes Wort findet im Parterre Richter, die keinen Verstoss gegen einmal festgesetzte Regeln hingehen lassen. Gesetze des sogenannten Wohlstandes, wie keine andere Nation sie kennt, binden den Dichter wie den Schauspieler. Beide duerfen sich nur in scharf gezogenen Schranken bewegen. Das auf diese Weise muehevoll hervorgebrachte Kunstwerk blendet, setzt in Erstaunen, erregt Bewunderung; aber wir bleiben ohne Teilnahme dabei, und ein Froesteln, das wir ungern Langeweile nennen moechten, bemaechtigt sich unser. Die Stellungen der beruehmtesten Schauspieler, schoen und kunstreich, wie sie sind, erinnern doch immer an jene akademischen Figuren, die wir auch auf den franzoesischen Gemaelden finden, und von denen es auch ihren besten Meistern nicht gelingt, sich ganz zu befreien. Der Geist der Tragoedie ist nicht der Geist der Nation, die von jeher alles leicht nahm, was das Schicksal auch immer ueber Sterbliche verhaengen mag. Die Sprache selbst, ihr Mangel an Tonfall, widerstrebt der hoeheren Poesie, widerstrebt jeder Deklamation. Alles wird bloss durch Kunst hervorgebracht, es ist, als hoerte man einen auf das kunstreichste gebildeten Saenger, dem aber die Natur eine sonore Stimme versagte. In der hoeheren Komoedie hingegen steht der Franzose auf der ersten Stufe. Da ist Geist, Leben, Witz, Laune und der fein gebildete Konversationston zu treffen, welcher ihn auch im gemeinen Leben vor allen Nationen auszeichnet. Das englische Theater steht auf dem ganz entgegengesetzten Punkte. Keine Regel beschraenkt den Dichter, keine den Schauspieler. Ungebunden ueberlassen beide sich ihrem Genius. Alles steht dem Dichter zu Gebot, Verse und Prosa, ewiger Wechsel der Szene, Ausdehnung der Zeit ins Unendliche, alle moeglichen Motive. Wie schwer es sei, von dieser unbeschraenkten Gewalt den rechten Gebrauch zu machen, lehrt der Mangel an guten neuen Tragoedien; nur Shakespeares Riesengeist konnte sie zum Rechten anwenden; noch immer steht er allein da, das Volk verehrt ihn als seinen einzigen Dichter und draengt sich unermuedet zu seinen Meisterwerken. Die englische Komoedie gibt ein treues, oft etwas ueberladenes Bild des haeuslichen und geselligen Lebens, der Fehler, der Tugenden, der Laecherlichkeiten, die man in den verschiedenen Staenden trifft. Die Eigenheiten der verschiedenen Provinzen, der Schotten und Iren, besonders ihrer Dialekte, erhoehen das Komische derselben und werden mit vieler Treue dargestellt. Charakter-Komoedien, wie die Franzosen deren meisterhafte besitzen, in denen sich alles um eine Rolle dreht, die dadurch bis ins kleinste Detail herausgehoben wird, kennt der Englaender nicht. Dafuer wimmeln alle Stuecke von Personen, die uns als Karikaturen erscheinen, die es aber bei diesem originellen Volke nicht sind. Nur die staerksten Zuege ein wenig verflacht und gemildert, und man trifft ueberall im geselligen Leben die Urbilder dazu an. Selbst bei den besseren der gezeichneten Karikaturen, an denen wir uns auch zuweilen in Deutschland ergoetzen, ist dieses schon der Fall; Aehnlichkeit liegt immer zugrunde, und bei weitem nicht so mit fremden Zuegen ueberladen, als man im Auslande wohl glaubt. So streng man sonst in England in allen Zirkeln, die aus Maennern und Frauen gemischt sind, auf Dezenz haelt, so nachsichtig ist man in dieser Hinsicht auf dem Theater. Frauen, die im geselligen Leben jedes nur von fern ihr Zartgefuehl beleidigende Wort empoert, sehen Szenen an, von denen jede Franzoesin sich zuernend wegwenden wuerde und die gewiss das Pariser Publikum mit dem entschiedensten Unwillen aufnaehme. Der englische Tragiker spielt natuerlicher als der franzoesische, feuriger als der deutsche. Zu treu kopiert er die Natur und ueberschreitet oft die Grenze des Schoenen. Der wuetendste Ausdruck des Leidens, selbst der laute Schrei koerperlichen Schmerzes, alle Verzerrungen des Wahnsinns, konvulsivisches Zucken des Sterbenden, nichts wird dem Publikum erlassen, welches in diesem allem die hoechste Kunst zu sehen glaubt und mit gestraeubtem Haare dann am lautesten in Beifallsbezeugungen ausbricht, wenn es vor Schrecken schaudert. Die Groesste des Schauspielhauses zwingt die Schauspieler, ueberlaut zu sprechen, denn der im entferntesten Winkel sitzende Matrose will fuer seine Sixpence so gut alles hoeren und vernehmen als die vornehmste Lady in der ersten Loge. Deutliche Aussprache ist demnach die erste Forderung, welche das englische Publikum an den Schauspieler macht. Dieser muss daher mit der aeussersten Anstrengung jedes Wort, jede Silbe abstossend betonen. Bei den mittelmaessigen Kuenstlern bringt dies eine sehr unangenehme, oft laecherliche Wirkung hervor; nur die besten von ihnen wissen mit unglaublicher Muehe diese Schwierigkeit zu bekaempfen. Aber auch die besseren Schauspieler heben gewissen Tiraden hervor, welche auf Patriotismus, Freiheit und Nationalitaet Bezug haben, und von denen sie voraus wissen, dass das Publikum sie jedes Mal beklatscht. Diese Stellen werden ganz an dasselbe gerichtet, und die Mitspielenden waehrend einer solchen Hauptaktion gar nicht beachtet; ihre Zeit tritt spaeter wieder ein. Periodenweise deklamiert der Schauspieler seine Rede ab. Zwischen jedem Satze wird eine hinlaengliche Pause fuer den Beifall gelassen, dann weitergesprochen, dann wieder geschwiegen, so dass das Ganze sich wie ein Melodram ausnimmt, zu welchem das Publikum das Akkompagnement liefert. Die englische Deklamation hat ohnehin einen eigenen singenden Ton, ohne grosse Modulation, etwas dem Fremden affektiert scheinendes Pathetisches, das sich nicht beschreiben laesst; bei etwas Aufmerksamkeit aber findet man ihn im gemeinen Leben wieder, bei jedem durch Leidenschaft gehobenen Gespraech. Es ist die der englischen Sprache eigene Melodie; jede Sprache hat die ihrige. Im Komischen, besonders im Possenspiel, uebertreffen die Englaender vielleicht alle anderen Nationen. Schon der bekannte, angeborene Ernst dieses Volkes macht seine seltene Lustigkeit umso ergoetzlicher. Die Spaesse sind nicht immer die feinsten, oft ein wenig breit und plump, aber sie reizen unwiderstehlich zum Lachen; einige Schauspieler, zum Beispiel Munden [Fussnote: Joseph, beliebter Komiker, von der zeitgenoessischen Kritik jedoch als Grimassenschneider einschraenkend beurteilt.], brauchen nur sich zu zeigen, und das Haus erbebt bis in seinen tiefsten Grund von der rauschendsten, lautesten Freude. Viel will dies sagen bei einer Nation, welche das Lachen fuer unanstaendig haelt und dem Gebildeten hoechstens nur ein Laecheln erlaubt. Hier siegt die Natur, unterstuetzt von der Kunst, und Regel und Zwang sind vergessen. Opern werden selten gegeben, ein englisches Rezitativ ist undenkbar, und der Englaender findet die Abwechslung von Rede und Gesang unnatuerlich. Das Volk liebt ueberhaupt die Musik wenig. Doch spielt man zuweilen als Nachspiel irgend eine kleine Oper, und es fehlt nicht an guten Saengern und Saengerinnen, um sie fuer ein englisches Ohr ganz angenehm aufzufuehren. Das englische Publikum im Theater Dies verdient ein eigenes Kapitel, denn es ist einzig in der Welt. Wie es despotisch ueber die bretterne Welt herrscht, davon hat man in ganz Europa keinen Begriff, auch in Frankreich nicht, wo man doch noch weit von der Langmut der Deutschen entfernt ist. Oft, wir gestehen es, wenn wir sahen, wieviel sich das deutsche Publikum von seinen Lieblingen gefallen laesst, wuenschten wir diese nur auf wenige Monate auf die englische Buehne, damit sie erkennen lernten, wie wohl es ihnen zu Hause geht. Im Ganzen laesst sich das Verfahren dieser Insulaner durchaus nicht rechtfertigen. Jedes zu leise gesprochene Wort, jede Vernachlaessigung, jedes Stocken wird unbarmherzig geahndet; nur gegen Debuetierende zeigt man grosse Nachsicht und muntert sie auf alle Weise auf. Daher kam es aber auch, dass wir nie einen Londoner Schauspieler sahen, der seine Rolle nicht gelernt haette. Der Souffleur mit seinem alle Illusion vernichtenden Kasten ist gaenzlich von der Buehne verbannt; nur ganz dem Publikum verborgen, stehen auf beiden Seiten in den Kulissen Einhelfer, die emsig fuer sich nachlesen und dem Schauspieler notduerftig zu Hilfe kommen, wenn diesen einmal sein Gedaechtnis verlaesst. Wie ueberall, so hat auch hier der auf den hoechsten Spitzen befindlichen Teil des Publikums die lauteste Stimme; jedes Liedchen, jede Arie, welche diesen Erhabenen gefaellt, muss zweimal, oft dreimal gesungen werden. Und ihnen gefaellt vieles. Selbst die stolze Billington musste in unserem Beisein sich gefallen lassen, eine Bravour-Arie und ein Duett zweimal zu singen. Entsteht eine Unruhe, ein Streit im Parterre oder auf der Galerie, wird jemand krank und muss weggebracht werden, gleich erschallt von oben herab der Befehl an die Schauspieler, inne zu halten, bis die Ruhe wieder hergestellt oder der Unruhestifter hinausgeworfen ist. Bisweilen wird der Laerm so arg, dass die Schauspieler das Theater verlassen muessen, bei der Wiederkehr werden sie mit Haendeklatschen empfangen, und genau, wo sie aufhoerten, fangen sie wieder an. Wie es bei allem diesem um die Illusion stehe, darum kuemmert sich niemand; die Hauptsache ist, dass jeder fuer sein Geld alles sehe und hoere, was es zu sehen und zu hoeren gibt. Zuweilen werden die Zuschauer Schauspieler. Ein Matrose kam, wie wir eben im Theater waren, einst auf den Einfall, in einem Zwischenakt ein Liedchen zu singen. Gleich wurde von oben herab Stillschweigen geboten, und alles gehorchte. Der Matrose sang fuer das, was er war, gut genug und mit einer ganz ertraeglichen Stimme, dabei ganz furchtlos, obgleich sein Auditorium zum Teil aus den Vornehmsten des Reichs bestand. Er fand vielen Beifall und sollte noch einmal singen. Jetzt wollte er es aber zu schoen machen, ueberstieg sich ueber seine Kraefte und warf mitten in einer Roulade foermlich um. Ein allgemeines Gelaechter endigte fuer diesmal die Szene. Einrichtungen der beiden grossen Londoner Theater in Hinsicht auf die Zuschauer Um halb sieben Uhr soll jede Vorstellung anfangen, doch wird es fast immer sieben Uhr, und auch diese Stunden ist noch zu frueh fuer ein Publikum, das im Durchschnitt erst gegen sechs Uhr und oft weit spaeter noch zu Mittag speist. Die Vorstellungen dauern so lange, dass jede nicht englische Geduld ermueden muss. Selten kommt man vor Mitternacht nach Hause. Kurz und gut ist nun einmal nicht das Symbol der Englaender: ueberall lieben sie lange Sitzungen, im Parlament, an der Tafel und auch im Theater. Jeden Abend muessen zwei Stuecke gegeben werden, eines von fuenf Akten und ein Nachspiel, welches auch oft zwei bis drei Aufzuege hat. Gewoehnlich spielt man zuletzt irgend eine Posse, selten eine kleine Oper, oft irgend ein den neuen englischen Romanen nachgeformtes Unding voll Nacht und Graus. Ob uebrigens das Nachtspiel zum ersten Stueck passend gewaehlt ist, ob es nicht mit den durch jenes erregten Empfindungen auf das schreiendste kontrastiert - dies kuemmert niemanden; genug, der Zuschauer bekommt volles Mass fuer sein Geld. Beide grossen Theater von Drury Lane und Covent Garden sind vom Monat September bis Ende Junius geoeffnet, dann werden sie geschlossen und das kleinere Sommer-Theater zu Haymarket kommt an die Reihe. Im Monat Mai und Junius werden die meisten Benefiz-Vorstellungen fuer die aelteren und besseren Schauspieler gegeben; sie gehoeren mit zu deren Gehalt. Dann waehren diese Vorstellungen oft bis nach ein Uhr; denn um das Publikum vollkommen gut zu bewirten, schiebt man noch allerhand Saechelchen in die Zwischenakte ein, bald ein Liedchen, bald einen Tanz. Diese gefallen gewoehnlich den hohen Zuschauern, muessen zwei- bis dreimal wiederholt werden und kosten viel Zeit. Die Logen sind sehr geraeumig und so gebaut, dass man aus allen gleich gut sehen kann. Sie enthalten saemtlich mehrere Reihen Baenke, die sich uebereinander erheben; so ist's auch im Parterre, welches sich, ohne Parkett oder Parterre noble, vom Orchester bis ans Ende des Hauses erstreckt. In allen Reihen Logen werden die Plaetze gleich zu sechs Schilling bezahlt, das Parterre kostet etwas ueber die Haelfte. Ueber die Logen erheben sich noch zwei Galerien, zu zwei und einem Schilling die Person, und hoch ueber der letzten Galerie ganz im Hintergrunde thronen, wie unsichtbar, die respektablen Personen, die, wir wir eben erzaehlten, gewoehnlich den Ton angeben. Niedrige Abteilungen trennen jede Loge von ihren naechsten Nachbarn. Hell wie Tageslicht erleuchtet, angefuellt mit Zuschauern, gewaehren sie einen bezaubernden Anblick. Die Etikette will, dass alle Damen im vollen Putz das Theater besuchen, wenn sie auf die vordersten Sitze in den Logen Anspruch machen, besonders in denen des ersten und zweiten Ranges. Keine Dame wird mit einem tiefen Hut hineingelassen, ein kleiner, mit Federn oder Blumen gezierter Putzhut ist erlaubt. Im Parterre dagegen erscheint man in gewoehnlicher Kleidung mit grossen Hueten, die aber ohne Widerrede abgenommen werden muessen, wenn es verlangt wird. Frauenzimmer des Mittelstandes und Herren jedes Standes besuchen das Parterre. Es ist ein ganz anstaendiger Platz, nur muss man frueh, oft vor Oeffnung des Hauses kommen, um eine gute Stelle zu finden; denn kein Vorherbestellen findet dort statt. In die beiden ersten Logenreihen wird zu Anfang keine Dame hineingelassen, die nicht zuvor ihren Namen ins Logenbuch hat aufschreiben und dadurch ihren Platz bestellen lassen. Dies geschieht, um die oeffentlichen Stadtnymphen von diesen Logen zu entfernen, welche fuer die ersten und unbescholtensten Familien des Reichs bestimmt sind. Jenen Damen sind eigene Sitze im Hintergrund des Schauspielhauses angewiesen. Mit dem Einschreiben des Namens gewinnt man das Recht, mehrere Plaetze, in welcher Reihe Baenke man will, bis zu Ende des ersten Aufzuges fuer sich aufbewahren zu lassen. Man kann seinen eigenen Bedienten hinschicken, oder, was gewoehnlicher ist, einen Shilling bezahlen. Fuer diesen Preis wird jemand von dem Logenwaerter hineingestellt. Bis Ende des ersten Aktes werden diese leeren Plaetze freigelassen, spaeter hat jeder das Recht, sich ihrer zu bemaechtigten. Niemand darf fuer mehr Plaetze bezahlen, als er braucht, und taete man es, mietete man auch eine ganze Loge, es wuerde nichts helfen. Der Englaender behauptet: niemand duerfe durch sein Geld einen anderen, der auch bezahlt, vom Genusse eines oeffentlichen Vergnuegens ausschliessen, wenn es der Raum erlaubt. Deshalb findet auch in den englischen Theatern kein Abonnement statt. Selbst die koenigliche Familie muss ihre Loge vorher bestellen, die sich uebrigens durch nichts von den uebrigen unterscheidet und ohne Unterschied wie die uebrigen besetzt wird, wenn niemand vom koeniglichen Hause da ist. Nach dem dritten Akt wird jedermann fuer den halben Preis hineingelassen; dieser Gebrauch ist sehr unangenehm fuer den besseren Teil der Gesellschaft. Mit grossem Geraeusche schwaermen dann jene Nachtvoegel, die man so gern aus diesem Kreise abhielte, herbei, und alle Vorkehrungen dienten nur, sie von den ersten Reihen der Sitze in den Logen zu vertreiben. Die schlechteste Gesellschaft, freilich vorschriftsmaessig gekleidet, verbreitet sich dann durch's ganze Haus; deshalb gehen auch Damen nie ohne maennliche Begleitung ins Theater, und kein Mann tritt einem hinter ihm sitzenden, ihm unbekannten Frauenzimmer seinen Platz ab, aus Furcht, die neben ihm Sitzenden in eine unpassende Nachbarschaft zu bringen. Dies ist einer von den Faellen, in welchen ein Fremder, der diese Sitte nicht kennt, aus grosser Hoeflichkeit unhoeflich werden koennte. Drury Lane [Fussnote: Das Haus, das Johanna besuchte, stammte aus dem Jahre 1794 und brannte 1809 wieder ab. Die Gruendung des Drury Lane Theaters geht auf Thomas Killigrew zurueck, der mit koeniglichem Patent 1662 hier ein Theater gebaut hatte, das aber ebenfalls mehrmals restauriert und umgebaut wurde. Das Patent besagte, dass nur Drury Lane und Covent Garden das Recht hatten, reine Schauspiele aufzufuehren; daher durch Jahrhunderte die Stellung dieser beiden Buehnen. Seit 1802 hatte mit dem Abgang der Geschwister Kemble, Robert Kemble und Sarah Siddons, Drury Lane die Fuehrung gegenueber Covent Garden verloren, und sein besonders skrupelloser Direktor Sheridan wirtschaftete das Haus auch finanziell ab. 1812 wurde ein neues Haus eroeffnet, das in wenig veraenderter Form bis heute besteht.] Dieses Theater ist von innen eines der groessten und schoensten in der Welt; die Aussenseite desselben sahen wir nicht vollendet. In einem schwerfaelligen Stil erbaut, wie fast alle oeffentlichen Gebaeude Londons, scheint es trotz seiner Groesse von einem ungewoehnlich hohen Dache fast erdrueckt zu werden. Dies Dach ist indessen fuer das Ganze von unschaetzbarem Nutzen, nicht allein wegen der Flugwerke und uebrigen Maschinen, die darin angebracht sind, sondern weil es einen eisernen Vorhang enthaelt, der im Fall, dass waehrend der Vorstellung Feuer auf dem Theater auskaeme, sogleich herabgelassen wird und den Teil des Hauses, welchen die Zuschauer erfuellen, vor aller Gefahr sichert. Von innen ist das Haus hell gemalt, geschmackvoll dekoriert; es enthaelt vier Reihen Logen, ohne die Galerien. Wenigstens fuenfzig glaenzende kristallene Kronleuchter und noch viel mehr Spiegelwandleuchter sind ringsum in zierlicher Ordnung angebracht, mehrere Hundert von Wachslichtern brennen darauf, und doch schwindet ihr Glanz gegen den des Theaters, sowie der Vorhang aufgeht. Erleuchtet durch eine Unzahl von Lampen strahlt dieses wie im hellsten Sonnenscheine. Die Dekorationen sind des Ganzen wuerdig; der hintere Vorhang derselben ist eigentlich kein Vorhang, er wird nicht aufgerollt, sondern zerlegt sich in mehrere Teile, je nachdem der Gegenstand ist, den er vorstellt; diese einzelnen Teile trennen sich wieder in kleinere, schieben sich ineinander und werden so in die Hoehe gezogen. So steigen sie auch herab und entwickeln sich mit Zauberschnelle, keine Spalte deutet ihre Zusammensetzung an. Diese Einrichtung hat den Vorteil, dass die Dekorationen durch das Aufrollen nicht beschaedigt werden, dass sie keine Falten und Streifen zeigen und nie so in Bewegung kommen wie unsere Vorhaenge, die uns oft in den friedlichsten Szenen ein Erdbeben vergegenwaertigen. Die glaenzendsten Sterne des theatralischen Himmels hatten sich, wie wir in London waren, in Covent Garden vereint; doch blieb Drury Lane, besonders im komischen Fach, noch reich genug, um durch sehr ausgezeichnete Vorstellungen zu erfreuen. Vor allem glaenzte Mme. Jordan [Fussnote: Wilhelm, Herzog von Clarence, Koenig Wilhelm IV. von 1830-37, hatte Dorothy Jordan 1785 im Drury Lane zum ersten Mal auf der Buehne gesehen und sich in die junge Frau verliebt. Sie lebten 20 Jahre miteinander, hatten 10 Kinder; 5 andere, die aus einer Beziehung vor Wilhelm bestanden, hatten sie in der Nachbarschaft untergebracht. Zwischen ihren Geburten trat sie weiter auf. Ein Jahr nach Johannas Aufenthalt kam es dann zum Bruch, da Wilhelm sich mit Heiratsabsichten trug, Dorothy ging ins Ausland und starb in Frankreich in bitterster Not.] hervor, die Geliebte, oder, wie einige behaupteten, die heimlich angetraute Gemahlin des damaligen Herzogs von Clarence, des jetzigen Koenigs, der auch vor der Welt sie auf alle Weise ehrte und sie immer in seiner Equipage mit seiner Livree ins Theater fahren liess. Beim Anblick dieser wunderbar reizenden Frau musste man ganz vergessen, dass sie schon ziemlich weit ueber die erste Bluete der Jugend hinaus und fuer jugendliche Rollen etwas zu stark geworden war. Der froehlich schalkhafte Ausdruck ihres sehr huebschen Gesichts, ihr angenehmes sonores Organ, die naive Grazie und Wahrheit in jeder ihrer Bewegungen bezauberten unwiderstehlich und liessen nichts vermissen. Wir wollen hier einer Vorstellung in Drury Lane gedenken, die uns vor allen gefiel. Man spielte Shakespeares "Much Ado about Nothing" (Viel Laerm um nichts). In Deutschland sehen wir zuweilen eine Verkrueppelung dieses herrlichen Lustspiels unter dem Namen: "Die Quaelgeister" [Fussnote: von dem Mannheimer Schauspieler Beck. Johanna besuchte diese Vorstellung bei ihrem ersten London-Aufenthalt, am 30. Mai, wenige Tage nach ihrer Ankunft in England.], und es unterhaelt auch da noch, soviel Muehe sich dessen Verfasser gegeben hat, es zur Mittelmaessigkeit herabzuziehen, so unbeholfen sich auch Shakespeare in der engen Uniform eines modernen Leutnants oder Hauptmanns bewegt. Welch ein ganz anderer Genuss aber ist es, dieses Stueck mit wenigen Weglassungen, die unsere Sitten durchaus notwendig machen, in seinem urspruenglichen Glanze zu sehen! Madame Jordan als Beatrice und Mr. Bannister [Fussnote: John; "den besten niederen Komiker auf der Buehne" nannte ihn Leigh Hunt in seinen "Critical Essays", 1807.] als Benedickt waren ganz an ihrem Orte. Die Szenen zwischen beiden, wo ein Witz den anderen wie ein Wort das andere jagt, muss man von beiden gesehen haben, um zu glauben, dass etwas auswendig Gelerntes mit dieser Wahrheit wiedergegeben werden kann. Die langsam pathetische Abstossung der Worte, deren wir oben gedachten, war hier wie bei allen guten englischen Komikern ganz verschwunden; alles ging Schlag auf Schlag, dennoch verlor kein Zuhoerer in dem ungeheuren Hause nur eine Silbe. Freilich, sowie die Verse und mit ihnen der Ernst wieder eintreten, erscheint auch wieder der feierliche Predigerton. Ueber alles ergoetzlich waren der Richter Dogberry und seine Gesellen mit ihrem breiten Bauerndialekte. Das ganze grosse Haus bebte vom unaufhaltsamen Gelaechter der Zuschauer; sowie sie erschienen, mussten sie oft innehalten, um nur gehoert zu werden. Mme. Bland, eine kurze, dicke, aeltliche Favoritin des Publikums, die fuer eine vortreffliche Saengerin galt, weil sie gewaltig schrie und dabei deutlich aussprach, sang in einem Zwischenakt eine englische Liebesromanze, "Poor crazy Jane" (die arme wahnsinnige Hanna). Es sind die einfachen Klagen eines von seinem Geliebten betrogenen und darueber wahnsinnig gewordenen Maedchens. Die Musik war nicht sonderlich; doch musste sie unter lautem Beifall zweimal wiederholt werden. Hierzulande gilt der Text mehr als die Musik, und solche Schilderungen des hoechsten menschlichen Elends sind einmal die groesste Freude der Englaender. Mit ihrem Gefuehl geht es ihnen wir mit dem Cayennepfeffer: nur das moeglichst Starke vermag bei ihnen Herz und Magen zu reizen. Den Beschluss machte fuer diesen Abend, oder wie man hierzulande passender sagt, fuer diese Nacht, eine grosse, meistenteils von Italienern aufgefuehrte Pantomime; ein Schauspiel, das wir in dieser Vollkommenheit noch nirgends sahen. Ein Zauberer sass auf seinem Throne, umgeben von dienenden Geistern aller Art. Im Hintergrunde, hinter einem eisernen Gitter, erblickte man den alten Pantalon, Harlekin, Colombine und den treuen Diener Pierrot, alle in Todesschlummer versunken, in Saergen liegen. Der Zauberer musste notwendig verreisen, und alles kam darauf an, dass jemand einstweilen an seiner Stelle auf dem Throne saesse und das Szepter aufrecht hielte, ohne einzuschlafen. Ein kleiner, neckischer Kobold, unuebertrefflich von einem Signor Grimaldi [Fussnote: der Clown Grimaldi gehoerte seit seiner Kindheit dem Haus an und war ein ueber alle Massen beliebter, aber auch von der Kritik geruehmter Pantomime.]gespielt, wird zu diesem Ehrenamt erlesen und weiss sich nicht wenig damit. Der Zauberer ermahnt ihn auf's Dringendste, ja nicht einzuschlafen, und faehrt ab in seinem Drachenwagen. Eine Weile geht es vortrefflich; der kleine naerrische Kobold ist ausser sich vor Freuden auf dem weiten praechtigen Thron. Nun aber meldet sich der Schlaf, umsonst widersteht er aus allen Kraeften, umsonst nimmt er aus einer ungeheuren Dose eine so starke Prise, dass er dreimal niesen muss, bei jedem Niesen wenigstens drei Ellen hoch vom Sitze in die Hoehe geschnellt wird, in der Luft sich ein paar mal ueberschlaegt und immer wieder auf den Sitz zurueckplumpt. Die Natur siegt, er schlaeft ein, das Zepter entsinkt einen Moment seiner Hand, der Zauber ist zerstoert, und der bunteste Wirrwarr hebt an. Die Schlafenden erstehen hoch erfreut aus ihren Saergen, alles verschwindet. Harlekin und die Seinen sind nun auf ewiger Flucht, ueberall, in tausend Abwechslungen, lassen sie sich haeuslich nieder und fangen an, ihr lustiges Wesen zu treiben, ueberall verfolgt sie der Kobold. Ewiger Szenenwechsel, Dekorationen, so praechtig man sie nur erdenken kann, Verwandlungen, bei denen man verleitet wird, an Hexerei zu glauben, folgen in der schnellsten Mannigfaltigkeit, dass das Auge kaum Zeit hat, alles zu bemerken. Die Mimiker waren alle vortrefflich, wie die Dekorationen; ein echter komischer Zug jagte den andern. Das Haus erscholl vom unaufhaltsamsten Gelaechter; alles lachte, alles war erfreut, aber gewiss niemand imstande, zu Hause zu erzaehlen, was er gesehen hatte. Gegen ein Uhr endigte das Schauspiel. Covent Garden [Fussnote: Das Haus, das Johanna besuchte, war 1792 durch den Architekten Henry Holland wesentlich vergroessert worden (3600 Plaetze statt vorher 2000). Hauptattraktion war ein eiserner Vorhang, der aber dennoch nicht verhindern konnte, dass das Haus 1806 einer Brandkatastrophe zum Opfer fiel; Neubau 1809. Nach einem neuerlichen Brand erstand es 1858 in seiner modernen Gestalt unter dem Namen Covent Garden Opera House.] Das Haus, nicht voellig so gross als das von Drury Lane, aber nicht weniger elegant dekoriert, erscheint fast noch blendender, noch praechtiger als jenes, denn viele grosse und kleinere angebrachte Spiegel vervielfaeltigen die Menge der strahlenden Wachskerzen ins Unendliche. Hier auf diesen Brettern sah man oft in einer einzigen Vorstellung die beruehmtesten Kuenstler vereint. Zuerst nennen wir Mme. Siddons die, seit wir sie sahen, das Theater verlassen hatte. [Fussnote: Sarah (1755-1830), geniale Tragoedin. Garrick holte sie 1775 zum ersten Mal ans Drury Lane, doch konnte sie sich nicht durchsetzen und kam 1782, nun schon beruehmt, ein zweites Mal an diese Buehne. Ihre Glanzrolle, die Lady Macbeth, hat sie allein in London 139 Mal gespielt. Gerde in der Spielzeit 1804/05 verlor sie etwas das Publikumsinteresse, da sich dieses dem dreizehnjaehrigen Wunderknaben Master Betty zuwandte, der Hamlet und Richard III. spielte. 1802-12 spielte sie im Covent Garden, zog sich dann vom Theater zurueck, trat aber noch mehrmals auf.] Sie war eine hohe koenigliche Gestalt. Als ob Melpomene, wie alte Meister sie uns darstellen, das Piedestal verlassen haette, um unter den Lebenden zu wandeln, so trat sie einher, gross, schoen, im einfachen Ebenmass. Ihr ganzes Wesen war zur Tragoedie geschaffen, der Ausdruck, die Form ihres schoenen Gesichts passte nur fuer das Trauerspiel, unmoeglich konnte man sie sich froehlich oder gar lachend denken. Unbeschreiblich melodisch war ihre Stimme, sanft und durchdringend zugleich, sie hatte unnachahmlich klagende Toene in ihrer Brust. Schon lange war sie nicht mehr jung, aber die Zeit konnte ihr wenig rauben; bei diesen edlen regelmaessig schoenen Zuegen vermisste niemand den Glanz der Jugend; sie war ziemlich stark; aber auch dies machte keinen Uebelstand bei ihrer hohen Gestalt. Sie waere ein Ideal gewesen, ueber das hinaus man sich nichts denken konnte, haette sie sich nicht zuweilen von der Lust, dem Publikum zu gefallen, hinreissen lassen, ihr grosses Talent zu missbrauchen. So aber ueberschritt sie oft die Grenzen des Schoenen und ward fuerchterlich. Als Isabella zum Beispiel in dem Trauerspiel: "The Fair Penitent" (Die schoene Buessende) [Fussnote: von Nicholas Rowe, seit der Urauffuehrung (1703) vielgespieltes Repertoirestueck.], wo sie im fuenften Akt den Dolch sich ins Herz stoesst, verschied sie mit einem lauten, konvulsivischen, herz- und nervenzerreissenden Gelaechter, das ziemlich lange anhielt und den Zuschauern die Haare zu Berge straeubte. Aber so etwas will der Englaender, und halb London stroemte ins Theater, um Mme. Siddons lachen zu hoeren, obgleich die Damen Kraempfe und Ohnmachten davontrugen. Ihr wahrer Triumph aber war wohl die Rolle der Lady Macbeth: denn in dieser hatte sie ein weites offenes Feld fuer ihr grosses Talent. In der Szene des Nachtwandelns machte ihr blosser Anblick jeden Blutstropfen erstarren. Ihr Bruder Kemble verdiente ihr Bruder zu sein [Fussnote: John Philipp, Bruder der Sarah Siddons, doch nicht von ihrer genialen Begabung. Seine entscheidende Leistung lag auf dem Gebiete der Regie, in seinem Bestreben, Kostuem und Szenerie sinnvoll in den Gesamteindruck einer Auffuehrung einzugliedern, worauf man bis dahin wenig Wert legte.]. Seine Gestalt war noch sehr edel und schoen, obgleich auch er die Jugendjahre weit ueberschritten hatte. Zuweilen schien er vielleicht ein wenig monoton, aber sein Spiel war immer durchdacht und motiviert, und immer erkannte man darin seine Lehrerin. Der junge Siddons, der noch obendrein seiner Mutter sprechend aehnlich sieht, und seine Frau, die mit Jugend und Schoenheit ein grosses Talent fuer sanfte, duldende, liebende Rollen vereint, zeichneten sich ebenfalls aus, teils durch das, was sie schon damals leisteten, teils durch die Hoffnungen, die sie, gebildet in dieser Schule, fuer die Zukunft gaben. Unmoeglich kann man die Rolle der Julia lieblicher dargestellt sehen als von der juengeren Mme. Siddons. Ein Meister anderer Art war Cooke. Die Natur versagte ihm eine schoene Gestalt; dafuer gab sie ihm eine desto ausdrucksvollere Physiognomie, besonders fuer die Rollen, die er sich erwaehlt hatte, Tyrannen, Boesewichte; kalte, kuehne, trotzige Charaktere spielte er unuebertrefflich. Sein Triumph aber war Richard der Dritte. Nie war diese Rolle vor ihm so dargestellt worden, nie wird sie nach ihm es werden; er machte darin Epoche. Seine Feinde behaupteten sogar, er spiele sie immer, in allen seinen anderen Rollen blicke immer Richard der Dritte hervor. Gestalt, Ton, Blick, Gang, alles war in dieser Rolle Wahrheit an ihm. Wo er unverhuellt boshaft erschien, schauderte man vor seiner kalten Besonnenheit, wo er heuchelte, bestach er selbst die Zuschauer Wenn er mit kaltem Hohne alles, selbst seine eigene Haesslichkeit bespoettelte, wenn er in wilder Verzweiflung "Ein Pferd! ein Pferd! Mein Koenigreich fuer'n Pferd!" rief, wenn er mit heuchlerischer Demut das Herz der Lady Anna am Sarge ihres Gemahls eroberte--immer war er sich gleich, immer gross und wahr. In Hinsicht der sonst hier gewoehnlichen Pracht vernachlaessigt man oft die Shakespearschen Meisterwerke, die schon ihres inneren Werts wegen immer ein gefuelltes Haus bringen, und verwendet den Flitter lieber an neueren Darstellungen, die durch nichts anderes glaenzen koennen. Dennoch muss man jene Stuecke gerade auf diesem Theater sehen, um der grossen Schauspieler willen, welche in den Hauptrollen wahrhaft glaenzen. Die Nebenrollen fallen freilich umso unangenehmer auf. Das langsame, einem Gebelle aehnliche Perorieren der mittelmaessigen Schauspieler wird erst laecherlich, dann unertraeglich. Freilich mag es sehr schwer sein, so laut zu sprechen und doch noch Modulation in der Stimme zu behalten. Leider spielt man fast alle Shakespearschen Stuecke, die noch gegeben werden, nach den Umarbeitungen Garricks der wie viele seinesgleichen in dem Wahne stand, ein grosser Schauspieler muesse auch ein guter Dichter sein, und deshalb sich mit dem grossen Meister ganz unerlaubte Freiheiten herausnahm [Fussnote: David Garrick (1717-79), beruehmter englischer Schauspieler, Stueckeschreiber und Theaterdirektor. Verkoerperte eine neue Schauspielkunst, die auf Schlichtheit und Natuerlichkeit Wert legte.]. In "Romeo und Julia" zum Beispiel erwacht Julia, wie Romeo noch sterbend ist; dies verursacht eine unaushaltbare Szene; die Amme ist ganz gestrichen. "Hamlet" wird dem Originale ziemlich treu gegeben, nur bleibt Fortinbras am Ende weg. Hamlet ist Kembles Hauptrolle, er spielt sie bis in die kleinsten Details, als haette er "Wilhelm Meister" gelesen. Was Cooke und Kemble in der Tragoedie, das waren Munden, Fawcett, Lewis in der Komoedie, vor allem Munden [Fussnote: William Lewis, Inbegriff des jungen Gecken]. Dumme Bediente, alberne Jungen, wunderliche alte Herren waren sein Hauptfach und Polonius im "Hamlet" sein Triumph. Uebrigens uebertraf er in Gesichterschneiden und naerrischen Stellungen alles, was wir je gesehen haben. Stuermisch geht es in Covent Garden her wie in Drury Lane. Einst, bei einer Benefizvorstellung von "Menschenhass und Reue" [Fussnote: von August Kotzebue. Die erfolgreiche englische Fassung hiess "The Stranger or Misanthropy and Repentance"], welche in den komischen Rollen besonders vortrefflich dargestellt ward, trat im Zwischenakt ein junger Mann mit einem Hornpipe auf [Fussnote: dazu fuehrt Johanna in einer Fussnote an: "ein in Matrosenkleidung getanztes Solo, wie man es auch zuweilen auf deutschen Buehnen sieht."]. Sehr unschuldigerweise gefiel er den hohen Goennern, denn er tanzte herrlich schlecht. Man forderte Wiederholung des Tanzes, aber der junge Herr war so ungefaellig, nicht zu erscheinen. Nun entstand ein Laermen, als sollte das Haus einstuerzen wie weiland die Mauern von Jericho vor dem Trompetenschalle. Wer solch einem Aufruhr zum ersten Mal beiwohnt, kann sich in der Tat der Furcht nicht erwehren; es uebersteigt allen menschlichen Begriff. Ein Schauspieler stand auf der Buehne und wartete, bis die Schreihaelse einmal wuerden pausieren muessen. Der Moment kam endlich; mit tiefen Buecklingen trat er hervor und erbat sich die Erlaubnis, ein Lied zu singen, dabei versicherte er, der andere Gentleman wuerde gleich darauf tanzen, er erhole sich nur ein wenig. Jetzt war der Beifall ebenso rauschend als zuvor der Tadel; der Saenger sang ein naerrisches Lied von einem Yorkshireman [Fussnote: ebenfalls Johanna: "Die Bewohner von Yorkshire sind wegen ihrer schlauen Gewandtheit zum Sprichwort geworden. Man sagt von ihnen: give him a saddle and he will find a horse, d.i. gebt ihm einen Sattel, ein Pferd findet er schon."]; es hatte unendliche Verse, musste aber dennoch zweimal wiederholt werden. Dass der Saenger sich nicht lange darum bitten liess, versteht sich von selbst. Sowie das Lied geendigt war, trat der Taenzer wieder auf, man liess ihn gelassen tanzen und pfiff ihn hinterher aus. Im folgenden Zwischenakt ahmte ein Schauspieler die bekanntesten Mitglieder beider Theater auf's taeuschendste nach; etwas, das doch wohl bei keiner Buehne anderer Nationen geduldet werden wuerde. Gang, Sprache, Deklamation, alles war zum Verwechseln; mit lautem Beifall rief das Publikum den Namen des jedes Mal dargestellten Schauspielers aus. Sehr interessant war es, dieselbe Stelle einer Tragoedie mehrere Mal hintereinander auf ganz verschiedene Weise deklamieren zu hoeren. Auf alles dieses folgte noch ein Nachspiel, ohne welches das Publikum gewiss nicht ruhig nach Hause gegangen waere, obgleich schon fast der Tag wieder anbrach. Den groessten Laerm aber erlebten wir in Sheridans Umarbeitung von "Rollas Tod", im "Pizarro". Bis jetzt hatte man dieses Stueck nur in Drury Lane, aber vielmal hintereinander gegeben, denn Sheridan war bekanntlich Mitdirektor jenes Theaters. Jetzt ward es mit neuen praechtigen Dekorationen auch im Covent Garden angekuendigt. Mme. Siddons sollte die Cora, Kemble den Rolla, Cooke den Pizarro spielen. Alle Logen waren laengst auf diesen Tag vorbestellt, alles war voll Erwartung. Die Direktion von Drury Lane konnte den Triumph von Covent Garden unmoeglich gleichgueltig ansehen, und sie ergriff sonderbare Mittel ihn zu vereiteln. Fuer's erste kuendigte sie dasselbe Stueck fuer den naemlichen Abend an. Der Fall, dass das naemliche Stueck an einem Abend in beiden Haeusern gegeben werden sollte, war damals nicht vorgekommen, solange die Londoner Theater existierten. Sodann gab sie den Tag vor der Vorstellung ein praechtiges Mittagessen, Herrn Cooke zu Ehren. Dass auf englische Weise dabei viel getrunken ward, dass der Held des Tags mit einem ziemlichen Rausche nach Hause gebracht werden musste, war in der Regel. Abends darauf, als das Schauspiel anfing, fand sich eine ungeheure Menge Zuschauer ein, die glaenzendste Versammlung, die man seit langer Zeit in Covent Garden gesehen hatte. Zu Anfang ging alles vortrefflich, bis Cooke als Pizarro auftrat und--trotz aller Anstrengung--nicht imstande war, auch nur ein lautes Wort hervorzubringen. Er versuchte zwei, drei Mal zu reden, umsonst, er musste verstummen. Nur zu gut hatten die Schauspieler von Drury Lane die Schwaeche ihres ehemaligen Mitgenossen gekannt und berechnet, denn jedes Mal war Cooke den Tag nach einem Rausche durchaus heiser, so dass er unmoeglich spielen konnte. Das Uebel dauerte nur den einen Tag, deshalb hatte man ihn abends vorher so hoch fetiert. Der Zorn, das Wueten des Publikums ueberstieg nun alle Grenzen; das vom wildesten Orkan aufgeregte Meer ist nur ein schwaches Bild des unbeschreiblichen Tobens des Parterres und der Galerien. In den Logen blieb man ziemlich ruhig, die Damen zitterten, alle waren leichenblass, und einige wurden ohnmaechtig hinausgebracht. Alle Schauspieler mussten auf dem Theater bleiben. Mme. Siddons, Kemble, der in der indischen Tracht [Fussnote: indianische Federmaentel] wunderschoen aussah, standen aengstlich verlegen dem entsetzlichen Laerm gegenueber, denn sowie sie nur Miene machten, das Theater zu verlassen, drohte man es zu stuermen. Cooke war wie vernichtet im Hintergrunde. So laermte man eine starke Stunde durch; unbegreiflich blieb es uns, wie es die Lungen nur aushielten. Kemble versuchte endlich Cookes ploetzliche Krankheit und ein anderes Stueck fuer den heutigen Abend anzukuendigen, kaum liess man ihn zu Worte kommen. "Pizarro, Pizarro!" riefen tausend Stimmen, "Cooke ist betrunken!" riefen andere und achteten nicht darauf, dass Kemble mit den demuetigsten Gebaerden das Gegenteil versicherte. Das Toben nahm jeden Augenblick zu, die Schauspieler schienen sich aengstlich untereinander um Rat zu fragen. Nun trat Kemble wieder vor und fragte: ob das Publikum dem jungen Siddons erlauben wolle, den Pizarro mit dem Buch in der Hand zu spielen. Lauter Beifall erfolgte, der Sturm legte sich, Cooke schlich sich von der Buehne fort, und das Stueck wurde genau von da an weitergespielt, wo man erst abgebrochen hatte. Unbegreiflich war uns die Fassung, mit der alle, besonders Mme. Siddons und Kemble, nach einem solchen Auftritt fortspielten; sie uebertrafen sich selbst, die Dekorationen waren wunderschoen, und auch Pizarro nahm sich trotz des Buchs besser aus als man erwarten konnte. Alles war vergeben und vergessen, nur da Kemble das Stueck fuer den folgenden Tag wieder ankuendigte, rief man ihm von allen Seiten zu: "Sagt Cooke, er solle sich nicht wieder betrinken!" Die italienische Grosse Oper [Fussnote: das grosse Theater am Haymarket, bis 1714 The Queen's, nachher The King's Theatre genannt. 1789 abgebrannt, 1791 neu eroeffnet (dieses Haus stand in seiner Groesse kaum der Mailaender Scala nach), 1867 wieder abgebrannt und 1892 abgerissen, da niemand mehr Geldmittel fuer dieses kostspielige Theater aufbringen wollte.] Von diesem grossen Theater, dem Stolz der Nation, wenden wir uns jetzt zur italienischen Oper. Obgleich die Vornehmsten es beschuetzten, so ist dieses Theater dennoch dem Volke verhasst, weil es auf alle Weise dem Nationalgeiste entgegenstrebt. John Bull geht hoechstens einmal hin, um sich hernach zeitlebens darueber lustig zu machen. Die fremde Sprache, das ganze auslaendische Wesen, vor allem die franzoesischen Taenzer erscheinen ihm wie ebenso viele Entheiligungen des vaterlaendischen Bodens. Laengst waere die ganze Anstalt zugrunde gegangen, wenn nicht der Grossen Eitelkeit, Prachtliebe und Vorliebe fuer das Auslaendische sie erhielte; deutlich sieht man, dass sie hier nicht gedeihen kann und trotz der grossen Summen, die darauf verwendet werden, nur kuemmerlich vegetiert. Das Haus, noch groesser als Drury Lane, enthaelt ausser dem Parterre fuenf Reihen Logen und zwei Galerien. Ueber und ueber mit Malereien ueberladen, schien es, ungeachtet der sehr glaenzenden Erleuchtung, dennoch dunkler als die anderen Schauspielhaeuser. Die Verzierungen waren ziemlich geschmacklos, ueberall schwaermen Amoretten zwischen tausend Schnoerkeln und Girlanden auf dunklem Grunde; das Ganze erschien bunt, aber nicht heiter. Dieses Theater ist der glaenzendste Vereinigungspunkt des hohen Adels, dem es hauptsaechlich seine Erhaltung verdankt; wer sonst auch noch auf feinen Ton, auf Bildung, auf hohen Stil Anspruch macht, der tut wenigstens als besuche er es fleissig und sei jedes Mal entzueckt, wenn er auch noch so oft mit geschlossenem Munde waehrend der Vorstellung gaehnen musste. Alle Logen von unten bis oben sind zu Preisen vermietet, fuer welche man in mancher Stadt des festen Landes ein ganzes Haus nich allein mieten, sondern sogar kaufen koennte. Vom Monat Dezember bis Ende Junius sieht man woechentlich zweimal, dienstags und sonnabends, in diesen Logen die schoensten, beruehmtesten, reichsten und vornehmsten Damen des Reichs in ihrem prunkvollsten Schmucke versammelt. Strahlend von Diamanten sitzen sie in langen Reihen und gewaehren einen Anblick, der das eigentliche Schauspiel weit uebertrifft. Wer nicht abonniert ist, muss ins Parterre, welches hier an Rang den Logen gleichgehalten wird. Das Billett kostet eine halbe Guinee, und die Etikette befiehlt auch hier in Gala zu erscheinen, die Herren in Escarpines, den Dreieck unterm Arme, die Damen auf's schoenste geschmueckt; sonst wird man auf die erste Galerie gewiesen, die halb soviel kostet als das Parterre. Ob sich aber dort im sechsten Stockwerk viel sehen und hoeren laesst, muessen wir billig bezweifeln. Unser Schicksal wollte, dass wir die von Winter komponierte Oper "Calypso" sehen sollten, denn an eine Wahl ist hier nicht zu denken [Fussnote: Peter von Winter (1754-1825), einst international angesehener Komponist, seit 1788 in Muenchen Hofkapellmeister. Schrieb ueber 40 Opern, ferner Oratorien, Messen, Kantaten und Kammermusik. Zur Einstudierung seiner Oper "Calypso" weilte Winter 1803-05 in London.]. Mehrere Wochen hindurch erscheint eine und dieselbe Oper, ein und dasselbe Ballett ununterbrochen hintereinander fort, bis Saenger und Taenzer es muede sind; denn das Publikum in den Logen ermuedet nicht, immer das naemliche zu sehen und es vortrefflich zu finden. Kaum dreimal werden den Winter ueber die Vorstellungen gewechselt. Die beruehmte Billington erschien als Calypso wenig zu ihrem Vorteile. [Fussnote: Elizabeth, geb. Weichsel; geboren in London als Tochter eines deutschen Musikers, gestorben 1818. 1794-1801 weilte sie in Italien, kehrte dann nach London zurueck und blieb bis 1809 am Theater.] Ihre reichlichen vierzig Jahre konnte man uebersehen, waere sie nur nicht so unerlaubt dick gewesen, wie wir noch nie eine weibliche Gestalt auf dem Theater erblickten, haette sie sich nur bemueht, durch Spiel und Ausdruck Jugend und Gestalt zu ersetzen. Aber sie hielt es unter ihrer Wuerde, Schauspielerin zu sein; bewegungslos stand sie da und sang, und glaubte damit schon ein uebriges getan zu haben. Die Englaender hielten sie fuer die erste Saengerin der Welt. Ihre Stimme war in der Tat rein, voll und besonders in der Hoehe von grossem Umfang, dabei kunstmaessig gebildet, aber Ausdruck und Vortrag fehlten ihr ganz. Wie es ihr vorgeschrieben war, so sang sie alles richtig hintereinander ab, gleich einem Uhrwerke; brachte hin und wieder Kadenzen und Triller an, wobei dem Zuhoerer der Atem verging, und glaubte so die hoechste Stufe der Kunst erreicht zu haben. So ein Triller von einer Viertelstunde, darueber geht dem Eglaender kein Gesang der Welt. Alle uebrigen Saenger und Saengerinnen, groesstenteils Italiener, waren fast noch weniger als mittelmaessig. Unter den schlechtesten als die schlechteste zeichnete sich die zweite Saengerin aus, und man sagte uns, die Direktion haette sie bloss engagiert, weil ihr die Kleider ihrer Vorgaengerin wie angegossen passten. Das Orchester war lobenswert, die Dekorationen recht huebsch, aber bei weitem nicht mit denen der anderen Theater in London zu vergleichen. Die ganze Anstalt schien uns mit einer Mesquinerie [Fussnote: Kleinlichkeit] betrieben, die sowohl der grossen Summen, welche darauf verwendet werden, als des Publikums, das sich dort versammelt, unwuerdig ist. Sehr vergnuegt sahen wir den Signore Telemaco endlich seinen Luftsprung machen und freuten uns auf das Ballett. Leider aber hatte auch dieses drei Akte und schien gar kein Ende nehmen zu wollen. Es war ein moralisches, sentimentales Wesen. Mlle. Parisot, L'Arborie, dessen Frau und noch einige, deren Namen uns nicht beifallen, waren vortrefflich. Die Haupttaenzer sind es immer; denn man engagiert alljaehrlich ausgezeichnete Kuenstler aus Paris fuer die Saison um grosse Preise. Desto schlechter stechen aber die anderen Taenzer, noch mehr die Figuranten dagegen ab, sowohl in Hinsicht der Kunst als der Kleidung; nirgends eine Spur des Geistes, der uns im Pariser Ballett in eine andere Welt versetzt. Nach ein Uhr kamen wir ermuedet, als haetten wir mitgetanzt, zu Hause an, um sieben Uhr waren wir schon hingefahren. Vauxhall [Fussnote: der Vergnuegungspark entstand um die Mitte des 17. Jahrhunderts und wurde gegen 1830 aufgelassen. Vauxhall, urspruenglich der Name eines Dorfes, heute ein Stadtteil von London, diente in der Zeite der Bluete des Vergnuegungsortes auch fuer aehnliche Anlagen in anderen Staedten, so auch in Edinburgh, von dem Johanna berichtet.] Reizender, blendender, feenhafter laesst sich nichts denken als dieser, in einer kleinen Entfernung von London am Ufer der Themse gelegene Garten, besonders in sogenannten Galanaechsten, wenn er zur Feier des Geburtstages irgend eines Mitglieds der koeniglichen Familie in doppelter Erleuchtung prangt. Gegen fuenfzehntausend wohlgekleidete Maenner und Frauen wandeln dann im Schimmer unzaehliger Lampen auf diesem magischen Flecken Erde zwischen schoenen Baeumen und bluehenden Straeuchern im froehlichsten Gedraenge umher. Musik toent durch die laue Sommernacht, alles atmet Lust und Vergnuegen; es ist, als betraete man das Paradies der Mohammedaner. Nirgends sieht man herrlichere Gestalten als hier, wo die in allen Farben prangende sonnenhelle Beleuchtung jeden Reiz erhoeht. Gleich der Eintritt in diesen Zauberort ueberrascht und blendet. In der Mitte eines grossen, ringsum mit schoenen Baeumen umgebenen Platzes erhebt sich das Orchester hoch in die Luft. Aus tausendfarbigen Lampen zusammengesetzt, strahlt es blitzend gegen den dunklen naechtlichen Himmel wie ein aus Edelsteinen erbauter Feenpalast. Leicht und lustig steht das phantastische Gebaeude da, und doch innerlich fest genug, um nahe an hundert Personen sicher zu tragen. Hinter den ebenfalls erleuchteten Baeumen ziehen sich oben bedeckte Arkaden hin, unter welchen mehrere hundert kleine Bogen und Pavillons angebracht sind. Auch an diesen Arkaden reiht sich Lampe an Lampe; oben, unten, an den Seiten, ueberall funkelndes Licht und brennende Farbenpracht. Von diesem Platze aus laufen mehrere hell erleuchtete Alleen neben einigen dunklen. Letztere betritt die gute Gesellschaft nie. Transparente Gemaelde endigen die erleuchteten Alleen; Saele mit Statuen, Transparenten, Blumen und kristallenen Girlanden geziert, bieten Schutz gegen Kaelte, Wind und ploetzlich einfallenden Regen. In einigen vom Orchester entlegenen Saelen spielen kleine Musikchoere. Mehr als hundert wohlgekleidete, gewandte Aufwaerter stehen neben den Bogen, welche den grossen Platz umgeben. Jedes Winks bereit, besetzen sie im Nu die darin fertig gedeckt stehenden Tische mit allem, was man an einem solchen Orte von kalten Speisen und Getraenken verlangen kann. Das Orchester besteht groesstenteils aus Blasinstrumenten. Wir hoerten hier unter anderen ein Konzert auf der Trompete in einer Vollkommenheit, deren Moeglichkeit wir nie getraeumt haetten. Ein im Dienste des Prinzen von Wales stehender Kuenstler blies es. Auch die beliebtesten englischen Theatersaenger, einige wenige der vornehmsten ausgenommen, lassen sich hier mit einzelnen Arien, Volksliedern, Kanons und vielstimmigen Gesaengen hoeren. Im Freien klingt jede Musik gut, aber der Effekt, den diese aus dem Feentempel erschallenden maechtigen Toene in der funkelnden, schweigenden Nacht hervorbringen, ist unbeschreiblich; denn trotz der grossen Menschenmenge hoert man doch nirgends wilden Laerm auf diesem Platze. Schweigend oder fluesternd wandelt alles umher und horcht der Musik, bis eine Glocke uns in einen etwas abgelegenen Teil des Gartens ruft. Dort sehen wir in einem grossen, sich bewegenden Gemaelde einen Wasserfall auf das taeuschendste dargestellt. Man hoert das wilde Rauschen der Flut und sieht sie in staeubendem Schaum sich verwandeln. Die Szene belebt noch eine am Fusse des Wasserfalls angebrachte Bruecke, ueber welche mancherlei Fuhrwerke, Fussgaenger, Reiter und Tiere passieren, alles auf's natuerlichste und taeuschendste dargeboten. Von hier kehrt man zum Orchester zurueck, von welchem um diese Zeit gewoehnlich eine grosse Arie oder sonst ein ausgesuchtes Tonstueck erschallt; dann lustwandelt man in den hellen Alleen und besucht die verschiedenen Saele. Pfeilschnell verfliegt die Zeit; ehe man es erwartete, ist's Mitternacht. Eine zweite Glocke ruft uns in einen anderen Teil des Gartens, zu einem artigen Feuerwerke, bei welchem man aber freilich nicht an die Flammenpracht im Wiener Prater denken muss. Nach dem Feuerwerke verteilt sich der groesste Teil der Gesellschaft in die Logen, wo man in kleinen, selbstgewaehlten Kreisen froehlich zu Abend isst und dabei die draussen umher wandelnde schoene Welt die Musterung passieren laesst. Spaeterhin wird auf dem gruenen Rasen in der Naehe des Orchesters getanzt. Die Damen, welche hier tanzen, moegen freilich wohl nicht die unbescholtensten sein. Schwerlich wuerde sich in London ein Maedchen von gutem Rufe zu einer solchen oeffentlichen Ausstellung verstehen; auch bemerkten wir fast immer dieselben Taenzerinnen und schliessen daraus, dass sie vom Unternehmer der Anstalt hier zu tanzen engagiert sind. Indessen, sie tanzten mit dem Ausdruck der Freude und dennoch anstaendig, so dass sie eine vollkommene Illusion hervorbrachten. Alle waren schoen, jung und wohlgekleidet, und so fragte niemand danach: wer sie wohl eigentlich sein moechten? Gewoehnlich bricht der Tag ueber alle diese Freuden an, doch pflegt die gute Gesellschaft sich vor zwei Uhr zu entfernen; spaeter artet der Ton aus und wird zuweilen zu wild und baccantisch, als dass man gern dabei verweilen moechte. Konzerte Beruehmte Virtuosen, welche in London binnen wenigen Jahren ein Vermoegen erwarben, das sie auf dem festen Lande waehrend einer ganzen Lebenszeit nicht erworben haetten, wissen am besten, wie man hier die Musik liebt. Die Nation selbst ist eigentlich nicht musikalisch. Es fehlt ihr nicht bloss an Talent, sondern auch an Gehoer und Geschmack. Daher gibt's nichts Ungefaelligeres, Monotoneres als die englische Volksmusik. Wir haben schon frueher bemerkt, dass hier der Text mehr gilt als die Melodie, deutliche Aussprache mehr als alle Kunst des Saengers. So ist's beim Volk und der mittleren Klasse; die Grossen aber, welche auf Reisen Gelegenheit hatten, das Bessere kennenzulernen, nehmen auslaendische Talente gern in Schutz und belohnen sie mehr als fuerstlich. Viele von ihnen haben in ihren Haeusern zu bestimmten Tagen musikalische Vereine, an welchen fremde beruehmte Tonkuenstler teilnehmen. Wohl dem, der mit einer einzigen Bekanntschaft oder Adresse nach London kommt; sein Glueck ist gemacht. Verschiedene grosse Subskriptionskonzerte existieren den Winter ueber in London, wo alle bedeutenden fremden und einheimischen Virtuosen engagiert sind. Auch diese Konzerte, die ziemlich kostbar sind, werden groesstenteils von den Vornehmeren besucht und erhalten. Das glaenzendste derselben wird waehrend der beiden letzten sogenannten Wintermonate woechentlich einmal in Hanover Square, in einem schoenen, hochgewoelbten Saale gegeben, an welchen zwei brillante Konversationszimmer stossen. Es ist hauptsaechlich der Vokalmusik geweiht. Nie hat uns ein Konzert mehr Vergnuegen gewaehrt als dies. Das sehr glaenzende Auditorium war still und aufmerksam. Londons beste Saenger wetteiferten miteinander. Mme. Billington, die uns im Konzerte weit besser gefiel als zuvor in der Oper, Mme. Storace, Mme. Dusseck, die Frau des beruehmten Klavierspielers [Fussnote: Tochter Domenico Corris, eines Opernkomponisten. Corri gruendete 1797 mit seinem Schwiegersohn Dusseck in London einen Musikverlag, der aber bald fallierte. Johann Ladislaus Dusseck (geb. 1761 in Boehmen, gest. 1812 in Paris) war ein bedeutender, vor allem aber sehr effektvoller Virtuose am Pianoforte.], sangen sehr angenehm. Letztere liess sich auch auf der Harfe hoeren, die sie meisterhaft spielte. Besonders entzueckte uns der Tenorist Braham [Fussnote: eigentlich Abraham, John; (1774-1856). Bedeutender Saenger, der zeit seines Lebens in London wirkte. In Webers "Oberon", der fuer London komponiert wurde, war er der erste Hueon.], welcher damals vielleicht die schoenste Stimme hatte, die existierte. Er ist eigentlich ein Israelit und heisst Abraham. Arien, Duette und vierstimmige Musikstuecke wechselten miteinander ab, manches musste wiederholt werden, denn der Englaender, hoch oder niedrig, laesst sich's nicht nehmen, fuer sein Geld zu befehlen, ohne Umstaende und Ansehen der Person. Die Kuenstler muessen gehorchen, wenn's ihnen auch noch so schwer wird, und sich's am Ende noch zur Ehre rechnen, wenn sie encored werden, wie man's hierzulande nennt. Am Ende des Konzerts sang ein siebenjaehriger Knabe, der Sohn des Unternehmers, ein italienisches Liedchen, gut genug fuer sein Alter. Die Gutmuetigkeit des englischen Volks, die gern jedes aufkeimende Talent aufmuntert, zeigte sich hier. Auch er wurde encored, obgleich es schon Geduld erforderte, das kindliche Stimmchen gleich nach Brahams maennlich schoenem Gesange auch nur einmal anzuhoeren. Palast von St. James. Die Parks von Kensington Gardens Kein Fuerst, auch nicht der kleinste regierende Herr, dessen Besitzungen kaum auf der Karte zu finden sind, hat eine schlechtere Residenz als der Koenig von England. Kaum traut man seinen Augen, wenn man das alte, winkelige, rostige Gebaeude ansieht, das mit dem stolzen Titel: St. James Palast prangt [Fussnote: nach dem Brand von Whitehall (1691) die staendige Residenz der englischen Koenige von Wilhelm III. bis Georg IV.; 1809 zerstoerte ein Feuer den Ostfluegel, so dass wenig mehr vom alten Tudor Palast uebrigblieb.]. Auch bewohnte Koenig Georg der Dritte es gelegentlich nicht, und nur zum Schein prunkte ein grosses Bette mit rotsamtenen Vorhaengen im grossen Leverzimmer. Alle Hoffeierlichkeiten wurden zwar nach althergebrachter Weise in diesem koeniglichen Rattenneste gehalten; aber die hohen Herrschaften begaben sich immer vorher incognito hin und wohnten eigentlich im Palaste der Koenigin, Buckingham House genannt [1703 von John Sheffield, Herzog von Buckingham, erbaut, 1761 von Georg III. angekauft und von Georg IV. 1825 nach Plaenen von Nash umgebaut und spaeter noch mehrmals ergaenzt, zum letzten Mal 1913 von Aston Webb. Seit dem Regierungsantritt der Koenigin Victoria (1837) Residenz der englischen Herrscher: Buckingham Palace.], einem etwas moderneren Gebaeude, welches aber auch, weit entfernt von aller koeniglicher Pracht, weder sehr gross noch sehr schoen aus blossen Ziegelsteinen erbaut war. Es liegt in dem an den Palast von St. James anstossenden St.James Park, der Lieblingspromenade der Londoner. Dieser Park ist eigentlich nur eine sehr schoene grosse Wiese, durchschnitten von angenehmen Fusswegen, belebt durch einen ihn durchkreuzenden Kanal und geziert mit hin und wieder zerstreuten Gruppen schoener alter Baeume. Alles darin ist einfach, aber unaussprechlich angenehm durch den Kontrast dieser laendlichen Stille mit dem Geraeusche der grossen Hauptstadt, aus welchem man unmittelbar hineintritt. Am westlichen Ende des Parks liegt Buckingham House mit seinen Gaerten. Der Green Park zieht sich laengs diesen hin, ebenfalls eine zur Promenade eingerichtete Wiese, mit wenigen Baeumen besetzt. Der Hyde Park begrenzt beide; groesser als sie, geht er bis an die Gaerten von Kensington; ein in mannigfaltigen Kruemmungen sich hindurchwindender silberheller Strom verschoent ihn; Kuehe und schoene Pferde weiden am Ufer, alles ist frisch und gruen, als waere man hundert Meilen von der Stadt. Wenn man vom Hyde Park aus in die Gaerten von Kensington tritt, waehnt man am Eingange eines uralten heiligen Hains zu sein; so majestaetisch erheben die hohen, schoenen Baeume, der ausgezeichnetste Schmuck jener Gaerten, ihr praechtiges Laubgewoelbe. Diese Gaerten, das gewoehnliche Ziel der Spaziergaenger, gehoeren ebenfalls dem Koenige und stehen, solange die schoene Jahreszeit waehrt, von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends dem wohlgekleideten Publikum offen. Sie sind nicht im neuesten Geschmacke angelegt, man findet noch nach alter Weise breite, nach der Schnur gezogene Alleen darin und eine gewisse Symmetrie, von welcher die neue Gartenkunst nichts wissen will; desto besser aber eignen sie sich zur Promenade einer grossen Hauptstadt. Angefuellt mit Spaziergaengern, die unter diesen praechtigen Baeumen lustwandeln, machten sie einen ebenso reizenden als imposanten Eindruck. Der zu diesen Gaerten gehoerende Palast von Kensington verdient nur wegen seines Eigentuemers diesen praechtigen Namen. Die koenigliche Familie kommt nie hin, er wird von einigen Privatpersonen bewohnt, welche vom Koenig die Erlaubnis dazu erhielten. Jeden Sonntag nachmittags bei schoenem Wetter wimmelt im Sommer der St. James Park von wohlgekleideten Spaziergaengern, die zwar Nobodies sind, sich aber doch ebenso gut ausnehmen, als wuerden sie wirklich mitgezaehlt. Alles was die Woche hindurch sich in den Ladengewoelben und Arbeitszimmern der City abmuehte und kein Haus zu hueten hat, eilt dann hinaus, um frische Luft zu schoepfen, gruene Baeume zu sehen und wohl auch seinen Sonntagsputz zu zeigen. Der Anblick dieser wohlgekleideten Menge ist sehr angenehm; weit interessanter aber noch der, den der Hyde Park im Fruehling gewaehrt. An schoenen Sonntagsmorgen, nach Londoner Rechnung zwischen zwei und fuenf Uhr nachmittags, faehrt, reitet und geht dann die schoene Welt dort spazieren. Eine unzaehlbare Menge der schoensten Equipagen, der herrlichsten Pferde bedecken in dieser Zeit den durch Hyde Park fuehrenden Fuhrweg bis Kensington; kein Fiaker, kein oeffentliches Fuhrwerk darf diesen Weg befahren; nichts darf sich zeigen, was uns daran erinnern koennte, dass es auch Leute in der Welt gibt, die nicht reich und vornehm sind. Der Anblick der vielen schoenen Reiter und Pferde, der tausend Equipagen von allen Formen und Groessen, der schoenen Frauen und lieblichen Kinderkoepfchen, die aus diesen herausgucken, ist einer der praechtigsten, den nur irgendeine grosse Hauptstadt gewaehren kann. Nichts gibt einen anschaulicheren Beweis der Opulenz und Bevoelkerung Londons. Auch die Spaziergaenge wimmeln von Spazierengehenden, die zum Teil jene schimmernden Equipagen verliessen, um hier zu lustwandeln und Bekannte zu treffen. Besonders brillant sind dann die Alleen von Kensington; man hat berechnet, dass an solchen Tagen bisweilen hunderttausend Menschen zugleich sich in den Parks und den Gaerten von Kensington des blauen Himmels und der schoenen Erde freuen. Auch im Winter versammeln sich oft viele tausend Menschen dort, besonders, wenn bei starker Kaelte der Strom im Hyde Park mit Eis bedeckt ist. Dann zeigen die Schlittschuhlaeufer ihre Kuenste, man eilt hin, sie zu bewundern; fuer Erfrischungen und Waerme ist in dazu erbauten Pavillons gesorgt, und was noch besser ist, fuer Hilfe bei moeglichen Ungluecksfaellen, durch eine sehr zweckmaessige, an den Ufern des Stroms errichtete Rettungsanstalt. Des Koenigs Geburtstag Dieser Tag, der vierte Junius, welchen auch der Nachfolger Georges des Dritten als seinen Geburtstag angenommen hatte, ist fuer die Londoner feiner Welt der wichtigste im ganzen Jahre, der Wendepunkt, welcher den Sommer von dem Winter scheidet, er gibt fuer die naechsten zwoelf Monate den Ton an fuer Moden, Equipagen; alles wird fuer diesen Tag und nach diesem Tag berechnet. So war es wenigstens, solange des alten Koenigs Gesundheit ihm erlaubte, sich oeffentlich sehen zu lassen. Sein spaeteres anhaltendes Uebelsein wird freilich in Hinsicht des an diesem Tage ueblichen Zeremonielles manche Aenderung herbeigefuehrt haben, doch die Hauptsache blieb gewiss, solange er lebte, und es wird auch spaeter, solange es Koenige von England gibt. Schon Monate vorher sind alle Sattler, Wagenfabrikanten, Schneider, Juweliere und Modehaendler in grosser, eilender Geschaeftigkeit; neue Kleider, neuer Putz werden ersonnen und gemacht, Juwelen umfasst, Pracht-Equipagen und glaenzende Livreen angeschafft, alles wird aufgeboten, um an diesem Tage eine Stunde lang zu glaenzen, denn viel laenger waehrt die ganze Herrlichkeit nicht. Die Zeitungen tun freilich das ihrige nach besten Kraeften, um diesen Glanz, soviel an ihnen liegt, zu verewigen. Sie fuellen viele Tage hindurch lange Kolonnen mit Beschreibungen desselben aus, jedes Quaestchen an den Damenkleidern, jeder Stickerei an den Galaperuecken der Herren wird ehrenvoll darin gedacht, auch Wagen und Livreen werden nicht vergessen; aber was hilft das alles? Solch eine papierene Ewigkeit ist in unseren Tagen von gar kurzer Dauer. Im Park von St.James bemerkten wir an diesem Tage um ein Uhr viele Leute vor einer kleinen Hintertuere des Palastes, die den Koenig dort aussteigen sehen wollten, wenn er vom Buckingham House kaeme. Kanonendonner verkuendete einstweilen die Feier des Tages; Erwartung, Freude, Liebe strahlte von allen Gesichtern, denn das Volk hing mit kindlicher Liebe an dem guten alten Georg, unter dessen langer Regierung der groesste Teil desselben geboren ward. Wir warteten seine Ankunft nicht ab, um nicht zu sehr ins Gedraenge zu geraten, sondern begaben uns in die schoene und breite Strasse von St.James, welche gerade zum Haupteingange des Palastes fuehrt. Von dem Balkon eines Privathauses konnten wir dort den Zug der Glueckwuenschenden bequem ansehen. Es war ein schoener, lebensfroher Anblick! Kein Fenster, kein Balkon der ziemlich langen Strasse blieb unbesetzt, frohe Gesichter schauten aus allen herab; Kopf an Kopf, dicht gedraengt, sogar die Daecher wimmelten von Zuschauern; eine unzaehlbare Menge wohlgekleideter Leute draengte sich auf der Strasse weit ueber den Fusspfad hinaus, so dass in der Mitte kaum Platz fuer die Wagen blieb. Eine Menge Equipagen und Mietwagen bildeten an der einen Seite eine lange, stillstehende Reihe. Fast lauter huebscher Frauen und Maedchen blickten neben den reizendsten Kinderkoepfchen neugierig daraus hervor in das bunte Gewuehl. Vor dem Schlosse paradierte die schoene koenigliche Garde zu Pferd, reich gekleidete Hofbediente standen am Tore desselben, auch die hundert Yeomen des Koenigs eigentlich eine Art Schweizergarde [Fussnote: King's Body Guard Yeomen of the Guard, 1485 als Leibwache fuer den Herrscher aufgestellt. Nicht zu verwechseln mit den Yeomen Warders, die im Tower den Dienst versehen und bedeutend frueher gegruendet wurden.]. Ihre Kleidung ist noch genau dieselbe, die sie im fuenfzehnten Jahrhundert war, bunt und wunderlich anzuschauen. Das Volk nennt diese Trabanten des Koenigs Ochsenfresser, the King's Beefeaters, und ihre wohlgenaehrten Figuren scheinen diesen Ehrentitel reichlich zu verdienen. So sonderbar sie in der ueber und ueber mit Gold besetzten, scharlachroten altenglischen Kleidung, mit den auf Brust und Ruecken glaenzenden silbernen Schilden und dem flachen, mit bunten Schleifen gezierten Barett auch aussehen, so gibt ihre Erscheinung dem Feste doch etwas Feierliches, Altvaeterisches, das uns in vergangene Zeiten versetzt. Dieser Eindruck wurde noch vermehrt, als die lange Reihe der Leute von der Feuer-Assekuranz-Kompagnie aus dem Palaste wo sie ihren Glueckwunsch abgelegt hatten, in Prozessionen nach einer Taverne zog, um dort auf des Koenigs Gesundheit feierlichst zu trinken. Auch diese erschienen in wunderlicher, karmesinroter Kleidung. Vor ihnen her wurde das beliebte God save the King geblasen [Fussnote: in dem zu jener Zeit stark feuergefaehrdeten London gab es keine staedtische Feuerwehr, sondern die Phoenix Versicherungsgesellschaft hielt sich eine Truppe von Leuten, die eingesetzt wurden, wenn ein bei der Gesellschaft versichertes Haus in Brand geriet.]. Durch alles dieses hindurch bewegte sich langsam die unabsehbare Reihe Kutschen, in welchen die Gratulanten nach Hofe fuhren. Diese gaben den reichsten und mannigfaltigsten Anblick. Nirgends kann man praechtigere Kutschen von der neuesten, noch nie zuvor gesehenen Form, nirgends schoenere, stolzere Pferde erblicken. Ein Schwarm reichgekleideter Livreebedienten umgab die Schritt vor Schritt langsam fahrenden Wagen, ungeduldig schnoben die Pferde, aber der mit einer grossen, runden Peruecke versehene, auf dem befransten Bocke majestaetisch thronende Kutscher hielt sie in Respekt. Wie in anderen Laendern Schnurrbaerte, so sind in England solche dicken runden Peruecken Abzeichen der Kutscher, und je vornehmer der Herr, je groesser sind die Peruecken. Die reichgekleideten Herren und Damen in den Kutschen schienen sich bei der langsamen Kavalkade ein wenig zu langweilen. Die Damen nahmen sich von oben nicht sehr grazioes aus in dem ueberladenen Putze und der steifen, aengstlichen Stellung; fast wie die ueberfuellte umgestuelpte Schachtel einer Modenhaendlerin, ein formloser Berg von Flor, Blumen, Federn und tausend schoenen Sachen. Der Lord Mayor und die Sheriffs der City in ihrer schwarzen Amtskleidung, mit schweren goldenen Ketten geschmueckt, fuhren in grossen, ueber und ueber vergoldeten altmodischen, doch neuen Staatswagen, an welchen ueberall fast ebenso vergoldete Bediente mit grossen Federhueten hingen. Zum Teil ziemlich rosige Hofkutschen (die uns an die Dresdner Fahrten nach Pillnitz erinnerten) machten von Zeit zu Zeit von ihrem Vorrechte Gebrauch, aus der Reihe hinaus allen anderen vorbeizufahren. Die Herzoege von York, von Glocester und andere Glieder der koeniglichen Familie sassen in beinahe ganz glaesernen Staatswagen, so dass man sie von allen Seiten deutliche sehen konnte. In alle diese Pracht mischten sich ganz gewoehnliche Fiaker und behaupteten ihren Platz in der glaenzenden Reihe so gut wie die anderen. Groesstenteils sassen Offiziere und Geistliche darin, ja ein Spottvogel neben uns wollte in einem derselben drei Bischoefe erblicken, die so, das Stueck fuer sechs Pence, an den Hof fuhren. Zur Seite dieses langen Zuges trabten brillant gekleidete Portechaisentraeger ihren Hundstrott, mit schoen aufgeputzten Portechaisen, deren Deckel des hohen Standes der darin sitzenden glaenzenden Dame, und ein Schwarm reichgekleideter Livreebediensteten begleitete jede derselben. Von ein bis sechs Uhr waehrte dieser Zug ununterbrochen fort, ohne zu stocken; die Herren und Damen stiegen aus, sowie sie ankamen, machten dem Koenig und der Koenigin ihr Kompliment, vielleicht ohne im Gewuehl der Menge einmal bemerkt zu werden, und fuhren dann wieder fort, um anderen Neuankommenden Platz zu machen. Dies war die ganze Freude, mit so vielem Aufwande an Geld, Zeit und Vorsorge errungen. Nach der Cour gab die Koenigin ein Familiendinner, das einzige im ganzen Jahre; auf dieses folgte ein Konzert, zu welchem der dafuer besoldete Hofpoet jedesmal eine neue sogenannte Ode machen muss. Auch zum Konzert werden nur wenige von den Vornehmsten auserwaehlt und zugelassen. Sonst pflegte diesem Konzerte noch ein Ball zu folgen, der hoechstens zwei Stunden waehrte und bei welchem die strenge Rangordnung und Etikette den Vorsitz hatte; seit einigen Jahren aber begnuegt man sich mit uebrigen Freuden des Tages. Abends waren einige oeffentliche Gebaeude, die Theater und die Haeuser der Kaufleute und Handwerker, welche den Hof bedienen, ziemlich huebsch illuminiert, und damit endigte dieser wichtige Tag. Pension fuer Maedchen [Fussnote: der fuenfzehnjaehrige Arthur notierte dazu: "Mittwoch den 1sten Juny. Wir waren diesen Mittag bey Hrn. Harris, er wohnt dicht vor London, hat aber von seinem Hause eine sehr schoene Aussicht. Wir fuhren diesen Abend mit ihm nach einer Pension (Boarding-School) von jungen Maedchen, wo Hr. Harris auch zwey Toechter hatte. Sie lernen hier auch tanzen, und hatten heute eine Art Ball, wo sie alle in Gegenwart ihrer Eltern, und andrer, die als Zuschauer hinkommen, tanzen. Es war ein allerliebster Anblick hier ueber 40 junge Maedchen, von acht bis sechzehn Jahren, wirklich mit vielem Anstand, unter sich, und alle gleich gekleidet, tanzen zu sehn. Nachher wurden ein Paar Taenze getanzt in die sich auch Herren mengten, und die ich auch mittanzte."] Oft begegneten wir sonntags auf unseren kleinen Lustreisen in der Gegend bei London einem Zuge von dreissig bis vierzig jungen Maedchen, auf dem Fusspfade neben der Landstrasse andaechtig zur Kirche wandelnd. Es war ein lieblicher Anblick. Schneeweiss gekleidet, mit artigen Strohhueten, gingen sie paarweise hintereinander fort, einige in eben aufbluehender jugendlicher Schoenheit, andere frisch und rot in knospender Kindheit. Mehrere Aufseherinnen begleiteten sie, strenge wachend ueber jeden Tritt, jede Miene, damit ja kein Freudensprung, kein lautes Lachen ihnen auf dem ernsten Wege entschluepfte. Zuweilen kam von der anderen Seite ein aehnlicher Zug Knaben daher, dem naemlichen Ziele zuwandelnd, begleitet von seinen Lehrern. Die Aufseher und Aufseherinnen und gruessten sich wohl als Bekannte, aber die Kinder schielten sich nur von der Seite ein wenig an und wandelten mit gezwungenem Ernst weiter. Es waren die Zoeglinge aus irgendeiner der vielen Pensionen, welche jeden Sonntag zweimal feierlich zum Gottesdienste getrieben werden. Doerfer und Flecken ringsumher wimmeln von solchen Erziehungsanstalten, die alle gedeihen, da fast niemand seine Kinder zu Hause erzieht, wo sie zu viel Unordnung und Unruhe machen wuerden. Sowie Knaben und Maedchen aus der Kinderstube kommen, werden sie in jene Erziehungsanstalten gegeben und kehren erst nach ganz vollendeter Erziehung, beinahe erwachsen, in das vaeterliche Haus zurueck. Die Maedchen lernen in diesen Anstalten von allem etwas, aber wenig Gruendliches. Man lehrt sie Geschichte und Geographie; dennoch weiss eine Englaenderin selten, wie es ausser ihrem Vaterlande aussieht und was dort in frueheren Zeiten sich begeben hat. Auch in der franzoesischen und italienischen Sprache erhalten sie Unterricht, aber dem Fremden, der nicht Englisch kann, ist damit nichts gebessert; schwerlich wird er in der Gesellschaft eine Dame finden, die ihm in einer fremden Sprache Rede stuende. Musik und Zeichnen wird sehr oberflaechlich und gewoehnlich nur betrieben, um beides spaeterhin so bald als moeglich wieder zu vergessen. Die Maedchen lernen sticken, Papierblumen machen, sie fabrizieren artige Papparbeiten, Kaestchen von vergoldetem Papier, Vasen von Eierschalen, tausend zierliche Dinge; aber was man eigentlich fuer's Haus braucht, bleibt ihnen gewoehnlich unbekannt. Der Hauptzweck des groessten Teils der Vorsteherinnen solcher Anstalten ist vor allen Dingen, einmal im Jahre mit ihren Zoeglingen recht zu glaenzen, wenn sich die Eltern und Verwandten derselben bei dem grossen Pruefungsfeste versammeln. Mehrere Monate vor diesem Feste hoert schon aller ernstliche Unterricht auf, alles wird angewendet, um die Kinder fuer den wichtigen Tag zu dressieren. Musikstuecke werden ihnen eingelernt, die sie vor der entzueckten Versammlung mechanisch ableiern sollen, Zeichnungen werden mit Hilfe des Lehrmeisters verfertigt und dergleichen mehr. Die Hauptsache aber bleibt, sie fuer den Ball, der abends gegeben wird, abzurichten, und der Tanzmeister kommt mehrere Wochen lang kaum aus dem Hause. Eine Dame unserer Bekanntschaft, deren Toechter in dem nahe bei London gelegenen Flecken Southwark in Pension waren, fuehrte uns zu solch einem Fest dahin. Die Vorsteherin des sehr grossen Hauses empfing uns mit vieler Artigkeit. Wir wurden in einen grossen Saal gefuehrt, an dessen einem Ende die hocherfreuten Muetter und uebrigen Verwandten der jungen Maedchen sassen; die Zoeglinge selbst waren am entgegengesetzten Ende auf mehreren Reihen amphitheatralisch uebereinander sich erhebender Baenke wie zur Schau ausgestellt. Auch gewaehrten sie einen sehr reizenden Anblick. Man denke sich fuenfzig junge Maedchen von acht bis sechzehn Jahren, huebsch, in bluehender Gesundheit, einfach, aber geschmackvoll in die Uniform des Hauses gekleidet, mit schneeweissen kurzen Kleidern und blauen Schuhen. Ein silbernes Netz um's Haar, eine silberne Schaerpe um den Leib war ihr ganzer Putz; so sassen sie da, gluehend vor rascher jugendlicher Erwartung und Freude. Unter Anleitung des Tanzmeisters begann endlich der Ball. Die Maedchen tanzten unter sich lauter ganz bescheidenen Taenze; keinen Walzer, keinen Shawltanz, keine kuenstlichen Spruenge, sondern eine Art Menuette zu sechs bis acht Paaren, welche der Tanzmeister fuer sie eigens komponiert hatte und die wohl sonst nirgends in der Welt getanzt werden als in Pensionsanstalten wie dieser. Die geschickten Taenzerinnen hatten kleine Solos darin, um sich recht zu zeigen. Nach Endigung jedes Tanzes wurden sie von Muettern und Verwandten gelobt und geliebkost. Nur zwei arme kleine Hollaenderinnen standen traurig und unbemerkt in einer Ecke allein, niemand bekuemmerte sich um die Fremden, die aus ihrem Vaterlande hierher zur Erziehung geschickt waren. Wir, Fremdlinge wie sie, fuehlten uns ihnen verwandt, riefen sie zu uns, erzaehlten ihnen, dass wir unlaengst aus ihrem Vaterlaende kaemen, und hatten bald den Trost, auch aus ihren kindlichen klaren Augen die Freude leuchten zu sehen. Als die auf die Laenge etwas langweilige Paradetaenze abgetan waren, kamen einige englische und schottische an die Reihe. Froh, des Zwangs entledigt zu sein, huepften die lieblichen Kinder unbefangener umher, und einige junge anwesende Vettern und Brueder erhielten die Erlaubnis, sich mit ihnen herumzudrehen. Mit stiller Ruehrung sahen wir ihre sorglose Freude. Tanzend bereiteten sich die holden Geschoepfe zu dem Leben, das sie jetzt, in dem Augenblick, da wir dies niederschrieben, schon laengst mit seinem ganzen Ernste ergriffen hat. Erwartungsvoll blickten damals so viele helle Augen der Zukunft entgegen, als waere auch sie ein Tanz der Freude; jetzt fuellen sich diese Augen beim Andenken an jene unwiederbringlich hingeschwundenen Tage wahrscheinlich mit Traenen der Sehnsucht. Ahnend dachten wir damals ihrer Zukunft und verliessen sie, noch mitten in der Freude, mit stillen Wuenschen fuer die Zukunft. Pension fuer Knaben Gewoehnlich sind es Landprediger, die irgend ein grosses schoenes Lokal, unfern der Kirche, in welcher sie predigen, mieten oder kaufen und neben ihren Berufsgeschaeften dieses Erziehungsgeschaeft treiben, wobei sich die sehr ehrwuerdigen Herren ungemein wohl befinden. [Fussnote: dazu notierte Johanna in einer Fussnote. "Most reverend Sir, sehr ehrwuerdiger Herr, der Titel der englischen Geistlichen."] Wir hatten Gelegenheit, die Erziehungsanstalt des Herrn Lancaster in Wimbledon, acht englische Meilen von London, genau kennenzulernen. Sie gilt fuer eine der besten, selbst Lord Nelson liess zwei seiner Neffen da erziehen [Fussnote: Admiral, Lord, lebte zu dieser Zeit zurueckgezogen mit Lady Hamilton in der Grafschaft Surry. Am 21. Oktober 1805 schlug die englische Flotte unter seinem Befehl die spanisch-franzoesische bei Trafalgar vernichtend. Er selbst kam dabei ums Leben.] Im Grunde gleichen sich alle; nur die Zahl der Zoeglinge, die groessere oder beschraenktere Einrichtung des Ganzen unterscheidet sie voneinander. Der sehr ehrwuerdige Herr zu Wimbledon befasste sich gar nicht mit dem Unterrichte; unsichtbar fuer seine Schueler sass er den Tag ueber in seinem Studierzimmer, wo er eine Anzahl junger Fremder, die bloss als Kostgaenger, nicht als Schueler in seinem Hause lebten, im Englischen unterrichtete. Nur mittags, nach vollendeten Schulstunden erschien er auf einem Katheder im Schulzimmer, um sich von den Lehrern Rapport abstatten zu lassen. Vier Lehrer, die im Hause wohnten und von denen wechselweise einer jede Woche die Spezialaufsicht ueber die Schueler hatte, gaben den notwendigen Unterricht, und zwar alle zugleich in dem naemlichen grossen Zimmer. Jeder steht auf einem kleinen Katheder, und die Schueler gehen wechselnd, pelotonweise von einem zum anderen. Dies waehrt vier Stunden lang ununterbrochen von acht bis zwoelf. Die Schule wird mit Gebet eroeffnet und geschlossen, ganz nach der englischen Liturgie, wobei auch des Koenigs, seines Hauses, der Schwangeren und Saeugenden usw. von den Knaben christlich gedacht werden muss. Die Knaben erhalten Unterricht in den alten Sprache, in Geographie, Geschichte, Schreiben, Rechnen und der franzoesischen Sprache. Wer Fechten, Musik, Tanzen und Zeichnen lernen will, muss es besonders bezahlen; die Lehrer dazu kommen woechentlich einige Male von London herueber; an alles uebrige Wissenswerte, was unsere Kinder in Deutschland lernen, wird nicht gedacht. Die Zoeglinge essen zusammen, ziemlich schlecht, unter Aufsicht des die Woche habenden Lehrers, werden zu bestimmten Zeiten von ihm auf der Gemeinhut des Dorfes spazieren getrieben, spielen unter seiner Aufsicht auf dem grossen Hofe und werden taeglich in einem grossen Bassin gebadet, auch im Winter, wo dann erst das Eis aufgehauen werden muss. Alles, Lehre, Strafe, die ganze Behandlung der Kinder, wird nach angenommenen Gesetzen mechanisch betrieben, ohne Ruecksicht auf Alter, Charakter und Faehigkeit. Wie koennte es anders sein, ihrer sind sechzig, zwischen sechs und sechzehn Jahren; alle Wochen wechselt der die Aufsicht habende Lehrer und dankt Gott, dass er auf drei Wochen die Last los ist und sich bei der sehr reichlich besetzten Tafel des sehr ehrwuerdigen Herrn mit den Kostgaengern und der uebrigen Gesellschaft, von der in der Woche ausgestandenen Not und Mangel erholen kann. Kein Lehrer lernt die Kinder genauer kennen, da jeder sie nur ungefaehr zwoelf Wochen im Jahre in so verschiedenen Zeitraeumen unter seiner Aufsicht hat. Die Kostgaenger haben dagegen ein herrliches Leben, denn sie bringen dem ehrwuerdigen Herrn dreimal soviel Guineen als die Schueler. Nur einige Schueler, deren Eltern es zu bezahlen vermoegen, gehoeren auch dazu. Diese nehmen zwar an den Schulstunden teil, essen aber an dem gut besetzten Tische, koennen nach Herzenswunsch im Lustgarten und im Obstgarten ihr Wesen treiben, waehrend ihre Kameraden auf dem oeden Hofe bleiben muessen und entsetzlich gepruegelt werden, wenn sie sich einmal in jene verbotenen Reviere eingeschlichen haben. So muessen die Kinder schon in der Jugend lernen, dass dem Reichen alles erlaubt, und Geld daher das hoechste Ziel ist, wonach man zu trachten hat. Hat ein Knabe einen Fehler begangen, seine Lektion nicht gelernt oder beim Spiel Unordnung gemacht, so wird ihm vom Lehrer zur Strafe aufgegeben, eine Seite Griechisch oder Latein auswendig zu lernen. Wenn er diese zur bestimmten Zeit nicht auswendig weiss, so schreibt der Lehrer seinen Namen auf und legt ihn auf's Katheder des Herrn Lancaster. Abends werden dann die so Verklagten zu ihm ins Studierzimmer gerufen, so viel ihrer sind, alle zugleich. Er redet sie mit Sir oder Gentleman an und fragt, ohne fernere Untersuchung ihres Vergehens, ob sie ihre Aufgabe gewusst haben? Sie muessen natuerlich mit "Nein" antworten. Ohne sich auf etwas Weiteres einzulassen, fragt er: was sie dafuer verdient haetten? Sie antworten: gepruegelt zu werden, und ohne Aufschub vollzieht der sehr ehrwuerdige Herr an ihnen dies Urteil mit eigener Hand, oft an sieben oder acht nacheinander, ohne Ruecksicht, ob der Knabe sechs oder sechzehn Jahre alt ist, und dazu auf die beschimpfendste Weise. Haben zwei Knaben miteinander Streit gehabt oder sich geschlagen, so verklagt einer den anderen; wenn aber auch seine Klage noch so sonnenklar waere, er bekommt kein Recht, solange der Beklagte leugnet. Der Klaeger muss Zeugen mitbringen; sagen dagegen er und seine Zeugen noch so augenscheinlich die Unwahrheit, der Beklagte wird bestraft, wenn er nicht andere Zeugen beibringen kann, die seine Unschuld beweisen. Alles wird nach der Form abgetan wie vor englischen Richterstuehlen; den Charakter der Kinder zu ergruenden, ihr Gefuehl fuer Recht und Unrecht im hoeheren Sinn, ihre Liebe fuer das eigentliche Wissen zu bilden, daran denkt niemand. Wir enthalten uns aller Bemerkungen ueber eine solche Erziehungsmethode, jeder macht sie gewiss selbst und fuehlt, welchen Vorzug auch in dieser Ruecksicht wir Deutsche vor jenen stolzen Insulanern haben, und welche Resultate sich von einer solchen fruehen Behandlung erwarten lassen. Sonntagmorgens werden die Schueler im Schulzimmer versammelt. Herr Lancaster ist nicht Prediger in Wimbledon, sondern Merton, einem eine halbe Stunde weit entlegenen Dorfe; aber zu seiner Uebung haelt er seinen Schuelern die Predigt, die er mittags dort halten wird, erst einmal in der Fruehe. Damit verbindet er den in der englischen Liturgie vorgeschriebenen Gottesdienst, so dass das Ganze eine starke Stunde waehrt. Um elf Uhr werden sie in sauberen Sonntagskleidern paarweise auf dem Hofe rangiert und treten dann in Begleitung der vier Lehrer den Marsch nach der Wimbledoner Kirche an, wo sie bei Predigt, Gesang und Litanei zwei Stunden verweilen muessen. Nachmittags werden sie wieder auf die naemliche Weise zur Kirche getrieben, und abends um acht Uhr wird abermals in der Schulstube grosser Gottesdienst gehalten, wobei wieder des Koenigs und seines Hauses gedacht wird. Zwischen allen diesen Andachtsuebungen muessen sie in der Bibel lesen und duerfen in Begleitung der Lehrer einen Spaziergang machen; alle Spiele aber und alle lauten Ausbrueche der Freude sind hoch verpoent, und werden streng bestraft. Das Britische Museum [Fussnote: groesstes Nationalmuseum Grossbritanniens (Geschichte, Archaeologie, Kunst und Voelkerkunde) und Nationalbibliothek; die naturgeschichtlichen Sammlungen sind heute in Kensington untergebracht. 1753 kam die Sammlung des irischen Arztes Hans Sloane an das Museum, das im Montagu House untergebracht wurde. Als die Erweiterung der Sammlungen den Raum beschraenkt werden liess, erbauten die Brueder Smirke in den Jahren 1823-55 das neue Museum.] Diese reiche, in einem schoenen Lokal aufgestellte Sammlung verdient, der grossen Nation anzugehoeren, deren Namen sie fuehrt. Der unermuedliche Sammler, Sir Hans Sloane, legte in der Mitte des vorigen Jahrhunderts den Grund dazu, indem er sein eigenes, sehr bedeutendes Museum der Nation vermachte. Mehrere grosse Sammlungen wurden damit vereinigt, und so erreichte das Ganze den Grad von Vollstaendigkeit, auf welchem es sich heute befindet. Die praechtige Vasensammlung des Sir William Hamilton ist die schoenste Zierde desselben; [Fussnote: Altertumsforscher (1730-1803); nahm als Gesandter in Neapel an der Entdeckung von Herculanum und Pompeji teil; Gatte der durch Lord Nelson bekannt gewordenen Lady Hamilton. Die Vasensammlung, die er dem Britischen Museum verkaufte, ist durch die 240 Umrisse Tischbeins bekanntgeworden. Hamilton schrieb ein grundlegendes Werk der Vasenkunde: "Antiquites etrusques, grecques et romaines", 4 Bde., Neapel 1966-67.] froh verweilten wir im Anschauen dieser schoenen Formen, welche, von den englischen Fabrikanten gluecklich benuetzt, durch ganz Europa die bis dahin Mode gewesenen haesslichen, verkrueppelten Formen verbannten und nach und nach unserem Hausgeraete die jetzt uebliche schoene, geschmackvolle Gestalt gaben. Alles, was uns an die goldene Zeit, an die schoenen Jahrhunderte der Roemer und Griechen erinnern konnte, fanden wir hier vereint. Mannigfaltiger Schmuck, Siegelringe, Lampen, Hausgoetter, unendliches kleines Geraet, aus den Graebern von Pompeji und Herkulaneum auf's Neue zum freundlichen Tageslicht gefoerdert, vergegenwaertigte uns das heitere, gefaellige Dasein der Alten; wir lebten mit ihnen, solange wir in diesen Zimmern verweilten. Schnell streiften wir hernach durch die Saele, welche das Naturalienkabinett, die ausgestopften Tiere und Mineralien enthalten, so auch durch das sehr betraechtliche Muenzkabinett. Wenn man in seiner Zeit so beschraenkt ist, wie wir es hier waren, so muss man entbehrend zu geniessen wissen und lieber vieles aufopfern und nur etwas mit Musse betrachten, um davon eine bestimmte interessante Erinnerung mit sich zu nehmen. Momentanes Verweilen bei vielen Gegenstaenden verwirrt und ermuedet ohne allen Nutzen. Auch die von Kapitaen Cook [Fussnote: James (1728-79), Forscher und Weltumsegler. Seine Reisebeschreibungen, in Deutschland durch G. Forster bearbeitet, haben ihn sehr bekannt gemacht.] aus dem fuenften Weltteile mitgebrachten Merkwuerdigkeiten, die hier ein ganzes Zimmer anfuellen, betrachten wir nur im Voruebergehen. Mehrere Zimmer enthalten in Schraenken, mit Drahtgittern versehen, die grosse, reichhaltige Bibliothek. Ausser eine grossen Zahl aelterer, zum Teil sehr seltener Buecher, fasst sie beinahe alles, was bis auf den heuten Tag in England herauskommt; denn von jedem mit Privilegium gedruckten Buche muss ein Exemplar hier abgeliefert werden. Wir verweilten nur einige Zeit in dem Zimmer, in welchem sich die Manuskripte befinden. Nicht nur alte Handschriften aller Art, von den beschriebenen Palmblaettern und in Stein gehauenen aegyptischen Hieroglyphen an bis auf die krausen, bunten Schriftzuege der Moenche des Mittelalters, werden hier aufbewahrt, sondern auch zahllose Briefe und Manuskripte der interessantesten und beruehmtesten Menschen spaeterer Zeiten; eine unendliche Fundgrube fuer den Geschichtsforscher, dem ein freundliches Geschick erlaubt, sie mit Musse und Auswahl zu benutzen. Und welch ein Feld wuerde sich hier dem Anekdotenjaeger und Zeitblaettler eroeffnen, der nach Willkuer fouragieren koennte! Wie viele Baende interessanter Briefe koennten da ausgewaehlt werden, zum Nutz und Frommen unseres lese- und schreibsuechtigen Zeitalters, vor welchem kein Schreibtisch, kein Portefeuille mehr sicher ist! Briefe vieler englischer Koenige und Koeniginnen, vieler Maenner, die auf ihr Zeitalter wirkten, fuellen, wohlgeordnet in Mappen, eine Menge Schraenke. Man war so gefaellig, uns manches zu zeigen; unter anderem einen ganzen Band eigenhaendiger, mitunter ziemlich zweideutiger Briefe der Koenigin Elisabeth an ihren ungluecklichen Liebling, Grafen Essex. Ihre Handschrift ist merkwuerdig. Diesen nicht schoenen, aber mit Schnoerkeln ueberladenen, sehr grossen Buchstaben sieht man es an, dass sie langsam und vorsichtig geformt wurden, und trotz aller Schmeichelworte, die sie ihrem Geliebten hinzirkelte, moechte man in etwas veraendertem Sinne mit Schillers Maria Stuart ausrufen: "Aus diesen Zuegen spricht kein Herz!" Auch von dieser ungluecklichen Nebenbuhlerin Elisabeths werden hier viel Briefe aufbewahrt, groesstenteils in franzoesischer Sprache. Besonders ruehrend war uns der, welchen sie an Elisabeth liebend und vertrauend schrieb, sowie sie die englische Grenze betreten hatte, ohne die traurige Zukunft zu ahnen, die sie sich mit diesem Schritt bereitete. Man zeigte uns auch den Entwurf einer ziemlich langen Rede, welche Wilhelm der Eroberer [Fussnote: I. (1066-87); geb. 1027 oder 1028 als Sohn Herzog Roberts II., des Teufels, von der Normandie. 1051-52 weilte er als Gast Koenig Eduards des Bekenners in England, der ihm die Krone versprochen haben soll. Sein Anspruch auf England-- er liess sich 1066 in Westminster kroenen--stiess das Land in langwierige kriegerische Unruhen und Aufstaende; dennoch gelang es ihm, ein autokratisches Koenigtum in England zu errichten und ein streng durchgefuehrtes feudales Lehenssystem zu begruenden.] an das englische Volk halten wollte. Sie ist durchaus von seiner Hand in franzoesischer Sprache geschrieben, ziemlich unorthographisch und voll Korrekturen und ausgestrichener Stellen. Nach ihrem Inhalte war er bloss aus Liebe zu dem Volke heruebergekommen, um dieses gluecklich zu machen. Unter den neuen Manuskripten bemerkten wir Popes "Essay on Man", so wie er ihn zuerst niederschrieb, ebenfalls voll Verbesserungen und Aenderungen. Nicht ohne Grund nennt ihn einer seiner Zeitgenossen den Papier sparenden Pope, paper sparing Pope. Das ganze Gedicht ist auf kleinen Papierstuecken sehr schlecht und unleserlich niedergeschrieben, auf Briefkuverte, Visitenkarten, Einladungsbillette, ja sogar auf den Raendern alter Zeitungsblaetter, und dann mit Stecknadeln und seidenen Faeden bestmoeglichst zusammengeflickt. Auf einem Pulte mitten in diesem Zimmer thront triumphierend das Heiligtum der Englaender, die urspruengliche Magna Charta, [Fussnote: liberatum, The Great Charter; Privileg fuer die englischen Staende, am 15. VI1215 von Johann ohne Land unter Druck von Klerus, Adel und Staedten erlassen; sie sichert Freiheit der Kirche, Feudalordnung, Widerstandsrecht gegen willkuerliche Bestrafung, persoenliche Freiheit und persoenlichen Besitz.], unter Glas und Rahmen. Lange war sie verloren und ward gluecklicherweise in dem Moment entdeckt, in welchem ein Schneider seine entheiligende Schere schon ansetzte, um Riemchen zum Massnehmen daraus zu schneiden. Jetzt wird sie hier, wenn auch etwas verblichen, etwas zernagt vom Zahn der Zeit, dennoch sicher, kommenden Jahrhunderten aufbewahrt und von jedem echten Briten mit Ehrfurcht betrachtet. Gern waeren wir an einem anderen Tage ins Museum zurueckgekehrt, aber die bestehende Einrichtung erschwerte uns diesen zweiten Besuch. Zuviel Fremde wuenschten das Museum zu sehen, als dass die naemlichen oefter als einmal dazu kommen koennten. Nur wenige Personen duerfen zugleich zugelassen werden, und man muss sich lange zuvor um die Erlaubnis dazu anmelden. Donnerstag morgens wird es zwar oeffentlich gezeigt, aber es ist weder Freude noch Nutzen dabei, von ziemlich unwissenden Aufsehern mit einer Menge von Leuten durch die Zimmer gedraengt zu werden. Wer zu wissenschaftlichem Zwecke diese Sammlungen benutzen will, kann auf gewisse Bedingungen die Erlaubnis dazu von den Vorstehern erhalten. Ein mit Schreibmaterialien und allem Erforderlichen wohlversehenes ruhiges Zimmer steht einige Stunden des Tages den Arbeitenden offen. Herrn Whitbreads Brauerei Wieviel Anstalten zu einem Kruge Porter! Welch ein Treiben und Knarren und Rasseln aller Maschinen! Biertonnen, groesser wie ein Haus in den Hochlanden! Kuehlfaesser wie Meere!--Diese Brauerei verdiente in Walhalla fuer Odins Helden den staerkenden Gerstentrank zu bereiten. Ohne fernere Ausrufungen koennen wir versichern, dass sie wenigstens zu Londons ersten Sehenswuerdigkeiten gehoert. Der alte Koenig, welcher sie einmal mit seiner ganzen Familie besuchte, nahm im Brauhause ein Fruehstueck ein, das dem Eigentuemer auf fuenfzehnhundert Pfund Sterling zu stehen kam, und der beruehmte englische Dichter, Peter Pindar [Fussnote: Pseudonym fuer John Wolcot (1738-1819); Arzt und Geistlicher. 1778 kam er nach London und wurde ein gefuerchteter Satiriker, der weder vor der koeniglichen Akademie noch vor dem Herrscherhaus zurueckschreckte.], war beflissen, diese merkwuerdige Begebenheit in wohlgesetzten Reimen auf die Nachwelt zu bringen. Unter anderem fragte damals der Koenig Herrn Whitbread: wie viel Faesser er besitze? Die Antwort war: "Der Laenge nach dicht aneinandergelegt, moechten sie wohl von London bis Windsor reichen." Bekanntlich liegt Windsor zweiundzwanzig englische Meilen von London: sieht man aber diese ungeheure Anstalt, so erscheint die Behauptung Herrn Whitbreads gar nicht unwahrscheinlich. Eine nicht grosse, im Souterrain angebrachte Dampfmaschine ist die Triebfeder des ganzen ungeheuren Werks, die sauberste, einfachste, geraeuschloseste, die wir je sahen. Man hat berechnet, dass sie die Arbeit von siebzig, Tag und Nacht beschaeftigen Pferden verrichtet. Sie schafft das noetige Wasser herbei, leitet den fertigen Porter durch unterirdische Kanaele quer ueber die Strasse in ein anderes Gebaeude, wo er in Faesser gefuellt wird, bringt die Faesser zum Aufladen aus dem Keller herauf, mahlt das Malz, ruehrt es in den zwanzig Fuss tiefen Malzkufen und windet es vermittelst einer schraubenartigen Vorrichtung bis oben hinauf in die Spitze des Gebaeudes. Dort sind auch die ungeheuer grossen, aber nur sechs Zoll tiefen Kuehlschiffe oder Zisternen zum Abkuehlen des Porters; wahre Seen, von denen man uns versicherte, sie wuerden fuenf englische Acker Land bedecken; auch braucht der Porter nur sechs Stunden darin zu stehen, um kalt zu werden. Alles in dieser grossen Anstalt traegt das Gepraege der hoechsten Reinlichkeit und Ordnung und geht mit anscheinender Leichtigkeit vonstatten. Taeglich werden zur Verbesserung des schon so Vollkommenen neue Erfindungen gemacht; besonders ist man auf Ersparung der Feuerung bedacht, welche die drei grossen Kessel, jeder zu fuenfhundert Fuss, erfordern. Zweihundert Arbeiter werden taeglich beschaeftig und achtzig ungeheuer grosse Pferde. Letztere sind vielleicht die groessten Tiere ihrer Rasse, die es gibt; denn die Hufeisen eines derselben, welches krankheitshalber getoetet werden musste, wogen vierundzwanzig Pfund. Wahre Pferderiesen! In einem Gebaeude, hoch und gross wie eine Kirche, stehen neunundvierzig grosse Faesser, in welchen der Porter aufbewahrt wird, bis man ihn zum Gebrauch in kleinere abfuellt. Dadurch, dass er eine Zeitlang in so grosser Masse beisammenbleibt, soll er vorzueglich verbessert werden. Waere das Fass, welches Diogenes bewohnte, von solchem Kaliber gewesen, so konnte der Philosoph fueglich an einem runden Tische zwoelf Personen bewirten und noch ein artiges Boudoir fuer sich behalten. Das groesste dieser Faesser hat oben eine Art Balkon, zu welchem eine Treppe fuehrt, es ist siebenundzwanzig Fuss hoch und haelt zweiundzwanzig Fuss im Diameter; von oben bis unten ist es mit eisernen, etwa vier Zoll voneinander entfernten Reifen beschlagen, unten gegen den Boden liegt Reif an Reif. Alle sind von starkem Eichenholz, mehrere enthalten dreitausendfuenfhundert gewoehnliche Faesser; der Heidelberger Kollege [Fussnote: das bekannte "Grosse Fass" im Heidelberger Schloss] kaeme in dieser respektablen Gesellschaft um seinen Ruhm. Als wir das Haus verliessen, waren wir wie betrunken vom Geruche des Porters; man muesste in dieser Atmosphaere schon von der Luft leben koennen. Die darin beschaeftigten Arbeiter sahen indessen gar nicht aus, als ob sie sich auf solche Experimente einliessen. Greenwich Mitten im Geraeusche der in ewiger Arbeit emsig sich bewegenden City, an der Londoner Bruecke, schifften wir uns auf einem der Boote ein, die, so wie die Fiaker in den Strassen, auf der Themse numeriert und unter polizeilicher Aufsicht dem Publikum zu Gebote stehen. Diese Bruecke, die aelteste der drei, welche in London ueber die Themse fuehren, war schon seit einiger Zeit bestimmt abgebrochen zu werden, um einer auf einem einzigen Bogen ruhenden eisernen Platz zu machen. Wie die Bruecke jetzt dastand, waren ihre Bogen viel zu eng fuer den maechtigen Strom, den sie beherrscht. Ungestuem draengt er sich wild brausend hindurch und verschlingt jaehrlich mehrere Opfer, welche die Verwegenheit, trotz der augenscheinlichen Gefahr hier durchzuschiffen, mit dem Leben bezahlen muessen. Unabsehbar erstreckt sich in einer langen Reihe viele Meilen weit der Wald von Masten, durch den wir schifften. Der Strom wimmelt wie die befahrenste Landstrasse von Barken und kleinen Fahrzeugen aller Art; eben ankommende oder abgehende grosse Schiffe bewegen sich majestaetisch durch sie hin, von allen Seiten ertoent das Rufen des froehlichen Schiffsvolks, Lebewohl und Willkommen schallen durcheinander; die mit Auf- und Abladen beschaeftigten Arbeiter an den Schiffen, die Schiffswerften am Ufer, alles verkuendigt hier den Markt der Welt. Sowie wir uns von London entfernten, boten die Ufer des Stromes uns von beiden Seiten die mannigfaltigsten, lachendsten Aussichten. Endlich, fuenf englische Meilen von der Stadt, breitete sich das Invalidenhospital von Greenwich [Fussnote: 1694 gegruendet und in dem durch Christopher Wren fertiggestellten Bau untergebracht; gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgelassen. Heute Marineschule.] mit seiner schoenen Terrasse und allen seinen reizenden Umgebungen praechtig und gross vor unseren Augen aus. Diese Freistatt, welche die Nation dem vom Kampfe mit den wilden Elementen endlich ermuedeten Helden darbietet, ist mit Recht ihr Stolz; denn die Welt hat dessengleichen nicht. Eigentlich sind es vier voneinander ganz abgesondert liegende Gebaeude, die aber, von der Wasserseite gesehen, wie ein einziger grosser Palast sich ausnehmen, geziert mit Saeulen, Balustraden und aller Pracht der neueren Architektur. Eine grosse Terrasse, die eine entzueckende Aussicht nach London zu bietet, zieht sich davor hin bis an den Strom, zu welchem man auf breiten steinernen Treppen hinabsteigt. Hier bestieg Georg der Erste [Fussnote: (1660-1727); Kurfuerst von Hannover, erster englischer Monarch aus dem Hause von Hannover, das mit dem Ableben der Koenigin Victoria 1901 erlosch. Georg I. betrat am 29. September 1714 hier zum ersten Mal englischen Boden.] zuerst das Land, ueber welches er herrschen sollte. Mit welchen Erwartungen mag er nach St. James gefahren sein, wenn er vom Hospital auf die Residenz der Koenige schloss! Das ganze Gebaeude ist aus schoenen Quadersteinen erbaut. Vorzueglich bewundert man die mit fast verschwenderischer Pracht geschmueckte Kapelle. Sie prangt mit Marmorsaeulen, einem gut gemalten Plafond und jeder einem solchen Orte geziemenden Zierde. Einige schoene grosse Hallen dienen den Invaliden zum Spazierengehen bei schlechtem Wetter, besonders zeichnet sich die groesste, mit einer Kuppel versehene Halle aus; sie ist hundertsechs Fuss lang und hat einen gut gemalten Plafond, schoene Saeulen und Malereien. Ein angenehmer Park mit einer auf einem Huegel erbauten Sternwarte umgibt das Gebaeude von der anderen Seite. Es war ein schoener, menschenfreundlicher Gedanke, diese Ruhestaette am Ufer der Themse zu erbauen, im Angesichte aller ankommenden und auslaufenden Schiffe. Die abgelebten Helden haben hier den Tummelplatz ihres ehemaligen Lebens noch immer vor Augen; und dem in See stechenden Schiffer gibt der Anblick dieses Ruhehafens Trost und Mut. Nahe an dreitausend Veteranen ruhen hier von ihrem muehevollen Leben aus. Sie wohnen fuerstlich, werden gut genaehrt und gepflegt, alle zwei Jahre neu, anstaendig, bequem gekleidet und erhalten woechentlich ein gar nicht unbedeutendes Taschengeld zu ihren kleinen Beduerfnissen und Vergnuegungen. In Krankheiten werden sie mit Sorgfalt gewartet. Sie sind nicht, wie in anderen Verpflegungsanstalten, von allem, was ihr Leben bedeutend machte, geschieden, sie leben und weben noch darin und kaempfen mit alten Kampfgenossen nochmals alle ihre gewonnenen Schlachten in froher Erinnerung, vor Gemaelden, welche diese vorstellen und die Waende ihrer Speise- und Wohnsaele schmuecken. Besonders gut eingerichtet fanden wir die Schlafstellen. In langen, hohen, luftigen Saelen, welche zur Winterszeit von mehreren grossen Kaminen erwaermt werden, sind auf der den Fenstern entgegengesetzten Seite eine Reihe Schiffskajueten aehnlicher Kabinette dicht aneinander gebracht. Jedes derselben hat neben der nach dem Saale ausgehenden Tuer zwei Fenster und ist gross genug, um ein nach englischer Art geraeumiges Bett, einen Tisch, einen Stuhl und einen Koffer zu enthalten. Es gibt nichts Netteres und Saubereres als diese kleinen Zimmerchen; jedes hat einen Teppich, Fenster und Bett sind mit reinlichen Vorhaengen versehen, an den Waenden auf dazu angebrachten Leisten stehen die zierlichen Tabaks- und Teekaesten, Glaeser, Tassen und dergleichen in gefaelliger Ordnung. Kupferstiche zieren die Waende. Jeder haengt daran nach Gefallen Bildnisse des Koenigs, der Koenigin oder beruehmter Seehelden auf; dazwischen Seeschlachten, Haefen und auch wohl manche lustige Karikatur. Hundertvierzig Witwen verdienter Seemaenner wohnen ebenfalls im Hause, sie verrichten darin alle weiblichen Arbeiten, pflegen die Kranken und werden in aller Hinsichte ebenso gut gehalten als die Veteranen selbst. Auch fuer die Waisen der gebliebenen Seemaenner ist hier gesorgt; denn einige hundert Knaben werden in einem abgesonderten Teile des Hauses zum Gewerbe ihrer verstorbenen Vaeter erzogen. Noch dreitausend Invaliden, die im Hause nicht Platz fanden, erhalten ausser demselben Pensionen. Die St. Paulskirche [Fussnote: ein barockes Meisterwerk, von Christopher Wren zwischen 1675 und 1710 erbaut in Form eines lateinischen Kreuzes, auf Anordnung Jakobs II. und gegen den Wunsch des Architekten, dessen Plaene ein griechisches Kreuz vorsahen. Dazu eine Anmerkung Johannas: "Man zeigt noch in St. Paul ein Modell von dem ersten Plan des Baumeisters Sir Christopher Wren. Die damaligen regierenden Zeloten verwarfen ihn wegen seines heidnischen Ansehens, und waehlten dafuer die jetzige Kreuzform." Die Behauptung Johannas, die Kirche waere nach der Peterskirche in Rom die groesste, ist irrig; die Kathedralen von Mailand, Sevilla und Florenz sind ebenfalls groesser.] Das Aeussere von St. Paul ist durch Kupferstiche allbekannt. Leider uebersieht man auf diesen das ungeheure Ganze besser als in der Wirklichkeit, in deren Umgebungen es nirgends einen guten Standpunkt dafuer gibt. Diese Kirche, nach der Peterskirche in Rom die groesste in Europa, liegt auf einem viel zu kleinen Kirchhof eingeklemmt zwischen Haeusern, umgeben von engen Strassen. Auch im Innern findet sich keine Stelle, von der man sie ganz uebersehen koennte, ueberall draengt sich die Architektur vor und verhindert eine reine Uebersicht. Mit allen diesen Fehlern macht dieses wunderbare grosse Gebaeude dennoch einen imposanten Eindruck. Es scheint ganz leer, denn leicht uebersieht man einige wenige Statuen und eine kleine, zum Gottesdienst eingerichtete Abteilung. Diese befindet sich in einem der Fluegel, welche die Kreuzform bilden, in der die Kirche erbaut ist. Ueberall herrscht ehrfurchtgebietende, schauerliche Stille und Einsamkeit; nichts wird man von dem kleinlichen Geraete gewahr, welches die Menschen noetig zu haben glauben, um sich mit dessen Hilfe zur Gottheit zu erheben. Es ist ein Tempel im hoechsten Sinne des Worts. Ein feierliches Grauen, eine Art Bangigkeit, die uns fast den Atem raubte, ergriff uns, als wir, mitten in der Kirche stehend, da hinauf blickten, wo beinahe unabsehbar der Dom sich woelbt, "ein zweiter Himmel in dem Himmel". Es war kein erhebendes, es war mehr ein beaengstigendes Gefuehl. Die wenigen Menschen um uns her schwanden fast vor unseren Blicken und machten durch ihre Kleinheit die gewaltige Groesse dieser Steinmasse uns erst recht anschaulich. Es wurde sehr schwer, sich von diesem ersten Eindrucke loszureissen. Solche Pygmaeen waren es doch auch, dachten wir endlich, welche dies erstaunenswerte Werk durch vereinte Kraft emportuermten, und ein einziger unter ihnen bildete es vor in seinem Geiste, noch ehe es sich in die Luefte erhob. Ja, er dachte es sich noch weit herrlicher, als es jetzt dasteht, er allein leitete die Kraefte der vielen Hunderte, die arbeiteten und sich abmuehten und doch nicht deutlich wussten, was sie taten. Jetzt ruhen der Werkmeister und die Arbeiter; aber ihr Werk wird stehen, trotzend der maechtigen Zeit, in herrlichen Ruinen, wenn die ganze volkreiche Stadt laengst eine Wueste ward wie Palmyra und Persepolis. Beherzter blickten wir nun hinauf und wandelten in dem hohen Raume, in welchem unserer Tritte feierlich widerhallten; wie lauter Donner ertoente es durch das weite Gewoelbe, als man oben auf der Galerie, die am Fusse des Doms rings um denselben hinlaeuft, eine Tuer zuwarf. Wir stiegen hinauf zu dieser Galerie; wunderbar ist der Blick von dort hinab und hinauf. In der Hoehe glaubt man eine zweite Kirche sich erheben zu sehen, so hoch ist noch immer von hier das Gewoelbe des Doms. In der Tiefe scheint der aus grossen schwarzen und weissen Marmorquadern zusammengesetzte Fussboden wie feines Mosaik. Die Galerie heisst die Fluestergalerie, Whispering Gallery, weil das an die Mauer gelegte Ohr auf einer Stelle derselben alles deutlich vernimmt, was auf der entgegengesetzten Seite ganz leise gegen die Wand gesprochen wird. Von dieser Galerie stiegen wir noch weiter, bis aussen, wo auf der hoechsten Hoehe des Doms sich die sogenannte Laterne erhebt. Wir betraten die ihren Fuss umgebende Galerie mit der Hoffnung, aber der Steinkohlenrauch der vielen Feueressen verbarg uns die Naehe und der dem englischen Himmel eigene nebelartige Duft die Ferne. Ein Trupp Matrosen, den wir mit grossem Geraeusche heraufsteigen hoerten, trieb uns hinunter. Wie wir durch Ludgate Hill, eine dem Kirchhof zunaechst gelegene sehr volkreiche Strasse nach Hause gingen, sahen wir alle Fussgaenger still stehen und aengstlich nach dem von unten sehr klein scheinenden Kreuze hinblicken, welches ueber einer Kugel oben auf der Laterne des Doms von St. Paul befestigt ist. Auch wir sahen natuerlicherweise hin und bemerkten etwas oben am aeussersten Ende des Kreuzes sich Bewegendes. Mit Hilfe eines Glases entdeckten wir endlich einen der Matrosen, die uns vorhin in der Kirche begegneten. Er machte sich das halsbrechende Vergnuegen, auf dieser entsetzlichen Hoehe allerhand gefaehrliche Stellungen anzunehmen, den Hut zu schwenken, auf einem Beine zu stehen, bloss um die Zuschauer unten in aengstliche Bewunderung zu versetzen. Ihm, der auf dem wilden Meere, oben im hohen schwankenden Mastkorbe, gewiss laengst jede Idee von Schwindel verlernt hatte, mochte dieser doch immer unbewegliche Standpunkt trotz seiner Hoehe wohl gar nicht gefaehrlich duenken, waehrend uns andere beim blossen Anblick banges Grausen ergriff. Der Tower [Fussnote: alte Stadtfestung und Gefaengnis von London; aeltester Teil (White Tower) von Wilhelm dem Eroberer erbaut. Die Graeben wurden 1843 trocken gelegt. Der Tierpark wurde 1834 in den zoologischen Garten in Regent's Park gebracht.] Wir wollen die Loewen sehen, sagen die englischen Paechter- und Landjunkerfamilien, wenn sie eine Wallfahrt nach der Hauptstadt und ihren Merkwuerdigkeiten unternehmen. Diese Loewen, eigentlich die im Tower aufgewahrte koenigliche Menagerie, dienen ihnen, als die Hauptmerkwuerdigkeiten der Stadt, zur Bezeichnung alles Sehenswerten in derselben. Leider sind die edlen Tiere mitsamt ihrer Residenz durch diese Popularitaet etwas verrufen, und ein Fremder von gutem Tone wagt es kaum, den Tower zu besuchen. Wir gingen indessen doch hin, auf die Gefahr etwas gar Unmodisches, mit dem hohen Stil ganz Unvertraegliches zu unternehmen, und suchten den Tower mit seinen Loewen am aeussersten Ende der City auf, wo er nahe am Ufer der Themse liegt. Graemlich und duester blickt dieser uralte Schauplatz unzaehliger Greuel mit seinen grauen Tuermen ueber den ihn umgebenden Wassergraben. In einem dicht ueber demselben erbauten, ziemlich niedrigen Gewoelbe ist die Pforte angebracht, durch welche die Staatsverbrecher hineingefuehrt wurden. Sie heisst das Tor der Verraeter, Traitor's Gate; man brachte die Unseligen von der Themse bis zu diesem Eingange, der sich hinter ihnen oft fuer immer verschloss. Wir gingen durch das Tor des Haupteinganges hinein, welches zur Not fuer eine Kutsche Raum hat. Man machte uns aufmerksam auf die kleinen vergitterten Fenster ueber dem Tore. Sie befinden sich in dem Zimmer, in welchem der entsetzliche Richard der Dritte die beiden jungen Soehne seines Bruders ersticken liess, als sie eben sanft und ruhig im festen Schlummer der Kindheit dalagen und von keiner Gefahr traeumten. Uns geluestete nicht, das Mordzimmer zu betreten. Eine alte Sage gibt Julius Caesar fuer den ersten Erbauer dieser Veste an; die Geschichte aber sagt uns, dass Wilhelm der Eroberer in der Mitte des elften Jahrhunderts den Grund dazu legte, um seine vielgeliebten Londoner im gehoerigen Respekt zu erhalten. Man sieht es dem sehr weitlaeufigen Ganzen an, dass kein fester Plan bei dessen Gruendung vorwaltete, sondern waehrend der Regierung mehrerer Koenige bald hier, bald da daran gebaut und zugesetzt ward. Jetzt gleicht der Tower fast einer kleinen Stadt; er umschliesst in seinem Bezirke mehrere Strassen, eine Kirche, Magazine, Kasernen fuer die Garnison, Haeuser fuer die Offiziere, Zeughaeuser, die Muenze, nebst Wohnungen fuer die dabei beschaeftigten Offizianten und sonst noch mancherlei Gebaeude. Ein breiter Wassergraben laeuft ringsumher, und zwischen diesem Graben und der Themse befindet sich eine Art Terrasse, auf welcher sechzig Kanonen stehen, die bei feierlichen Gelegenheiten abgefeuert werden. Der Tower wird, wie es bei Festungen Gebrauch ist, mit Sonnenuntergange geschlossen. Die Yeomen oder Ochsenfresser haben die Wache darin und dienen zugleich den besuchenden Fremden als Ciceronen. Hier sind sie ganz augenscheinlich am rechten Platze; ihre Kleidung und ihr ganzes Ansehen traegt gleich am Eintritte dazu bei, uns in fruehe dunkle Jahrhunderte zu versetzen. Die Muenze mit den dazugehoerigen Gebaeuden nimmt ein gutes Drittel des Towers ein. Sie wird nicht gezeigt. Uns blieb der weisse Turm, die Schatzkammer und die Loewen zu sehen. Letzteren machten wir zuerst unseren Besuch. Nicht nur Loewen werden hier in einer besonderen Abteilung in starken Kaefigen bewahrt, auch Panther, Leoparden, Tiger und mehrere Arten wilder Bewohner der Wuesten, grimmige stattliche Bestien, denen man es ansieht, dass sie gut gehalten werden. Nach englischer Sitte hat jede derselben ausser dem Schlafkabinette noch ein Wohnzimmer in ihrem Kaefig, wo sie Besuch annimmt. Alle prangen mit christlichen Namen, besonders die Loewinnen; da findet man eine Miss Howe, Miss Jenny, Miss Charlotte, Miss Nanny, als waere man auf einer englischen Assemblee. Viele dieser Tiere wurden hier im Tower geboren und erzogen, und es ist merkwuerdig, dass diese gerade die wildesten und unbaendigsten sind. Die Kronjuwelen [Fussnote: sie befinden sich im Wakefield Tower.], welche ebenfalls der Tower aufbewahrt, zeigt man auf eine wunderlich aengstliche Weise, die sehr gegen die Liberalitaet absticht, mit welcher Fremde im Dresdner gruenen Gewoelbe herumgefuehrt werden. Der uns leitende Ochsenfresser oeffnete uns eine kleine Tuere, wir traten hinein und mussten uns alle in einer Reihe auf eine dastehende Bank setzen. Die Tuer ward hinter uns abgeschlossen, und wir befanden uns in einem kleinen steinernen, ganz dunklen Gewoelbe wie in einem Gefaengnis. Die unerwartete Finsternis blendete uns; es waehrte lange, ehe wir dicht vor uns ein starkes eisernes Gitter entdeckten und hinter demselben eine alte Frau zwischen zwei Lichtern. Dieser etwas drachenaehnliche Hueter unterirdischer Schaetze zeigte uns nun viele Kostbarkeiten. Manches Stueck davon war wegen der alten, mitunter sehr feinen Arbeit merkwuerdig; zum Beispiel ein goldener Adler, dessen Hals das heilige Oel zur Salbung der Koenige enthaelt; der goldene Loeffel, in welchen der Bischof bei der Kroenung dieses Oel giesst, und vieles uralte Tischgeraete von Gold und Silber. Dann sahen wir auch das mit franzoesischen Lilien verzierte Zepter, den Reichsapfel, viele Kronen und mehr dergleichen Dinge, die bei Kroenungen und anderen festlichen Gelegenheiten noch zum Teil gebraucht werden. Eine Perle von unschaetzbarem Werte, ein Smaragd, der im Umfange sieben Zoll gross ist, und ein wunderschoener Rubin schmuecken die Krone, welche der Koenig im Parlamente auf dem Haupte traegt; die Krone des Prinzen von Wales wird im Parlamente vor diesen hingesetzt, als ein Zeichen, dass er noch nicht berechtigt ist, sie zu tragen. Alle diese Herrlichkeiten blitzen von koestlichen Edelsteinen. In der duesteren Hoehle sahen sie wie ein von boesen Geistern bewachter Feenschatz aus; ihr Wert wird ueber zwei Millionen Pfund Sterling angegeben, ohne die seltenen Steine, deren Wert man gar nicht bestimmen kann. Von hier wandten wir uns zum weissen Turme, der aber weder ein Turm noch weiss ist, sondern ein grosses viereckiges Gebaeude mitten in der Festung, alt, grau und rostig anzuschauen. Vier Wachttuerme kroenen dessen Zinnen, von welchen einer zur Sternwarte eingerichtet ist. Im ersten Stock sahen wir die der grossen spanischen Armada abgenommenen Trophaeen. Lauter alte, zum Teil recht sonderbar erdachte Mordgewehre. Eine Menge Daumenschrauben befinden sich dabei; die Spanier fuehrten sie bei sich, um damit bei ihrer Landung von den besiegten Englaendern Auskunft ueber etwa verborgenen Schaetze zu erpressen. In diesem Saale ist eine lebensgrosse Puppe zu schauen, welche die Koenigin Elisabeth vorstellt, wie sie eben im Begriffe ist, einen weissen Zelter zu besteigen. Sie traegt die Kleider, welche Ihre Majestaet trug, da sie nach diesem merkwuerdigen Siege zum Volke sprach [Fussnote: Untergang der spanischen Armada im Kampf gegen die englische Flotte unter Sir Francis Drake 1588.]. Wir moechten aber keiner Schauspielerin raten, sich zur Rolle der Elisabeth nach diesem Muster zu kostuemieren. Die gute Dame sieht schrecklich aus, besonders das zu einem hohen, breiten Turme aufgekraeuselte Haar, welches gar nicht mehr wie Haar aussieht, und die unendliche, spitzig zulaufende, in einen Harnisch gepresste Taille. Hier sahen wir auch das Beil, unter welchem der Anna Boleyn schoenes Haupt fiel [Fussnote: zweite Gattin Heinrichs VIII.; 1536 enthauptet.], und mehr dergleichen traurige Merkwuerdigkeiten, von denen der Tower wimmelt. Die Waffen neuerer Zeit sind in einem anderen sehr grossen Saale aufgestellt. Nimmer haetten wir diesen Mordgewehren zugetraut, dass sie einen so huebschen Anblick gewaehren koennten. Sie sind hier auf's Zierlichste und mit einer Art Erfindungsgeist und Geschmack geordnet; die Waende blitzen von Bajonetten, Pistolen, Degen und Saebeln, in tausend verschiedenen Formen gestellt; da sieht man daraus zusammengesetzte Kirchenfenster, eine Orgel, Wappen, Sterne, Schlangen; die Decke ruht auf Pfeilern von Musketen, um welche zierliche Girlanden von Pistolen sich winden. In einem anderen grossen Saale sind alle Koenige Englands, von Wilhelm dem Eroberer an bis auf Georg den Zweiten in einer langen stattlichen Reihe, zu Pferde, in voller Ruestung zu schauen. Die zum Teil sehr praechtigen Ruestungen sind die naemlichen, welche ihre Inhaber bei Lebzeiten trugen. Auch Georg der Zweite hat eine ueber und ueber vergoldete Ruestung an; der Ochsenfresser, unser Cicerone, versicherte uns sehr naiv, dieser Herr habe solche nie getragen. Der beruehmte John of Gaunt, Sohn Eduards des Dritten, muss ein Riese ohnegleichen gewesen sein; seine Ruestung ist sieben Fuss hoch, Schwert und Lanze dem angemessen. Auch Heinrich der Achte war gewiss ein ansehnlicher Herr; die fuer ihn in seinem achtzehnten Jahre verfertigte Ruestung gibt der des John of Gaunt an Groesse wenig nach. Der Palast von Westminster [Fussnote: Der Palast brannte 1834 ab. Im heutigen Parlamentsgebaeude sind nur die Westminster Hall und die Krypta und der Kreuzgang der St. Stephens Chapel aus der Zeit von Johannas Besuch. Als Hauptgerichtshof diente die Hall bis 1883. Sie stammt vom Palast Richards II. aus dem Jahre 1398.] In diesen Ueberbleibseln eines uralten, von Eduard dem Bekenner erbauten Palastes thront jetzt die Goettin Themis [Fussnote: Goettin der goettlichen und natuerlichen Ordnung.]. Gleich den Koenigen von England ist auch sie schlecht logiert, und ihre Residenz sieht von innen und aussen sehr zerfallen aus. Neugierig, den Schauplatz so vieler merkwuerdiger Entscheidungen, den Tummelplatz der beruehmtesten Redner der Welt zu sehen, eilten wir eines Morgens hin. Zuerst traten wir in die Westminster Halle. Es ist ein hoher, gewoelbter Saal, zweihundertfuenfundsiebzig Fuss land und vierundsiebzig breit. Man haelt ihn in England fuer den groessten in Europa, dessen Decke nicht auf Saeulen ruht. Dies moegen wir nicht bestreiten, aber trotz seiner Groesse gewaehrt er keinen brillanten Anblick. Die Waende sind ohne alle Verzierungen, und die kuenstlich geschnitzte Decke von Eichenholz nimmt sich, von unten aus gesehen, schon wegen der braunen Farbe des Holzes nicht besonders aus. In der Naehe betrachtet, sollen diese Verzierungen im gotischen Geschmacke nicht ohne Kunstwert sein. In frueheren Zeiten diente diese Halle bei grossen Festen und Schmausereien den Koenigen zum Speisesaal. Richard der Zweite soll darin auf einmal zehntausend Personen bewirtet haben. Oft ward hier das Parlament versammelt, hier war der grosse Gerichtshof, in welchem der Koenig persoenlich praesidierte. Der unglueckliche Karl der Erste [Fussnote: wegen seiner absolutistischen Bestrebungen stand er im Gegensatz zu Parlament und Cromwell. Als er mit den Schotten zu paktieren suchte, wurde er wegen Hochverrats vor ein ausserordentliches Gericht gestellt, am 25. Januar 1649 zum Tode verurteilt und am 30. vor seinem Palast Whitehall enthauptet.] ward in dieser Halle verhoert und verurteilt, und noch jetzt versammeln sich hier die Richter bei wichtigen seltenen Rechtsfaellen, wenn ein Pair des Reichs oder irgendeine andere sehr wichtige Person angeklagt wird. Gewoehnlich aber dient diese Halle den Advokaten und ihren Klienten zur Promenade, bis die Reihe sie trifft, bei Gericht vorgelassen zu werden. Wir sahen hier viele der ersteren in schwarzen Maenteln, mit grossen, weissgepuderten Peruecken auf- und abwandeln. Sehr ungeniert ging es uebrigens zu, jeder wandelte, wohin es ihm beliebte; keine Wache, kein Tuersteher, niemand, der auf Ordnung hielte, war sichtbar. Auch wir eilten ungestoert umher, traten von ungefaehr hinter einen an der Seitenwand der Halle angebrachten Vorhang und sahen uns ploetzlich zu unserem Erstaunen in einem nicht grossen, nicht schoenen, aber ziemlich dunklen Zimmer, das uns wie eine Dorfkapelle vorkam. Auf einer kleinen Erhoehung hinter einem Tische sass ein schwarzbemaentelter Herr mit einer gewaltig respektablen Staatsperuecke. Es sprach sehr angelegentlich und eindringend; wir aber verstanden kein Wort von dem, was er sagte, denn eine Menge Leute gingen mit grossen Geraeusche aus und ein und machten einen Laerm, als waeren sie fuer sich allein zu Hause. Zuweilen rief wohl irgend jemand: "Silence!", aber niemand kehrte sich sonderlich daran, der Laerm dauerte fort nach wie vor. Rund um den Tisch sassen dreissig bis vierzig andere Herren auf Baenken, ebenfalls mit schwarzen Talaren und weissen, obgleich etwas kleineren Peruecken. Alle schienen emsig beflissen, dem Redner zuzuhoeren, so gut es sich bei so bewandten Umstaenden tun liess. Zu unserem Erstaunen vernahmen wir, dies sei der hohe Gerichtshof, High Court of Chancery, und der Herr obenan der Lordkanzler, die anderen waeren die Richter, welche in diesem unruhigen Winkel sich versammelten, um sehr bedeutende Prozesse zu entscheiden. Man kann indessen von ihrer Entscheidung noch an das Oberhaus appellieren. Verwundert ueber die leichte Art, mit der hier die wichtigsten Dinge betrieben werden, irrten wir eine Weile im alten Palaste umher, durch viele uralte gewoelbte Gaenge, Treppen auf und ab, kreuz und quer; zuletzt fanden wir uns wieder nahe an der grossen Halle, im Gerichtshofe von Kingsbench, Court of Kingsbench. Hier sah es nicht besser aus als im hohen Gerichtshofe; derselbe Laerm, dieselbe Unordnung. Zwei Herren, mit Peruecken angetan, die auf einer groesseren Erhoehung sich befanden, praesidierten; einer von ihnen war der Oberrichter, Lord Ellenborough. Vor ihnen, hinter Schranken, standen ein paar arme Teufel mit wahren Armesuendergesichtern, ueber deren Haupt es eben herzugehen schien. Vor dem Gerichtshofe von Kingsbench werden fast alle Kriminal- und Polizeiverbrechen gerichtet; der beruehmte Mr. Erskine [Fussnote: Thomas, englischer Advokat und Staatsmann, seit 1805 Lord und Lordkanzler. Verteidiger von Thomas Paine.] und sonst noch mehrere ausgezeichnete Rechtsgelehrte treten hier oft als Verteidiger oder Klaeger vor die Schranken. Hoffentlich goennt man diesen Maennern mehr Aufmerksamkeit, als sonst hier gebraeuchlich ist. Nie und nirgends sahen wir das, was doch erst das ernsteste Geschaeft der Welt ist, die Entscheidung zwischen Recht und Unrecht, Schuld und Unschuld, Lohn und Strafe, Leben und Tod, auf eine so leichtsinnige Weise betreiben. Keine Spur war zu erblicken von dem imponierenden Ernste, der von jedem Richterstuhle unzertrennlich sein sollte. Unbegreiflich ist es nur, wie Richter und Advokaten diesen Laerm ertragen, ohne alle Aufmerksamkeit, fuer ihr Geschaeft zu verlieren. Wir eilten hinaus und resignierten gern darauf, noch zwei Gerichtshoefe zu sehen, die sich ebenfalls im Palaste von Westminster befinden und in welchen es nicht besser hergeht als in den beiden, welche wir besuchten. Da das Parlament leider nicht versammelt war, so wollten wir doch wenigstens das Lokal sehen, in welchem das Oberhaus zusammenkommt. Dies ist ein alter, mittelmaessig grosser, raeucheriger Saal. Verblichene gewirkte Tapeten, welche den Sieg ueber die Armada vorstellen, bekleiden die Waende; man ruehmt ihre Kunstwert, aber die verheerende Zeit und der ihr treulich beistehende Staub und Schmutz haben sie dermassen entstellt, dass wenig mehr von ihrem ehemaligen Glanze zu entdecken ist. Am oberen Ende des Saals, auf einer Erhoehung, steht der koenigliche Thron, der wie der Baldachin einer vom Troedel geholten, altmodischen, rotdamastenen Himmelbettstelle sich ausnimmt. Daneben, zur rechten Hand, stand ein ebenso alter und unscheinbarer Lehnstuhl fuer den Prinzen von Wales und zur Linken sechs Stuehle fuer die uebrigen Prinzen. Mitten im Saal liegen vier grosse viereckige, mit rotem Zeuge bezogenen Wollsaecke fuer die Lords, welche zugleich Richter sind; die uebrigen Lords finden ihre Plaetze auf einigen zu beiden Seiten stehenden Reihen Baenken. Ein sehr grosser Kamin vollendet das Ganze; er ist mit einer Barriere von eisernem Gitterwerke versehen, vermutlich damit niemand im Eifer des Debattierens hineinfalle. So sieht der Saal aus, in welchem oft das Schicksal von Millionen entschieden wird, der Saal, in welchem die ersten und maechtigsten Glieder einer Nation sich versammeln, welche gern dem ganzen Erdball Gesetze gaebe und noch nie fremde annahm. Vielleicht ist gerade diese Unscheinbarkeit der sprechende Beweis des Stolzes, der, auf innerem Bewusstsein ruhend, allen aeusseren Glanz verachtet. Im Unterhause sieht es nicht glaenzender aus; nur der Thron und die Wollsaecke fallen weg, sonst ist die Einrichtung des Saals ungefaehr die naemliche. Die Waende sind mit braunem Holze getaefelt, und an einer Seite, oben, befindet sich eine Galerie fuer die, welche den Sitzungen als Zuschauer beiwohnen wollen. Keine Frauen werden hier waehrend derselben zugelassen. Auch moechten wenige es ertragen koennen, sich zur Erhaltung eines guten Platzes schon um neun oder zehn Uhr morgens einzufinden und dann oft bis Mitternacht dort auszudauern. Indessen ist doch dafuer gesorgt, dass man nicht verhungere; denn ein Gastwirt haelt in einem unter dem naemlichen Dache befindlichen Kaffeezimmer Erfrischungen fuer die Mitglieder des Unterhauses bereit; auch Fremden ist's erlaubt, sich in seiner Kueche zu erquicken und zu staerken. Es ist Sitte, dass man nach einer solchen Exkursion seinen Platz in der Galerie unbesetzt wiederfindet. Urspruenglich war der Saal des Unterhauses eine Kapelle, vom Koenige Stephan [Fussnote: Stephan von Blois, Enkel Wilhelm des Eroberers, von 1135-1154 Koenig von England.] dem Schutzheiligen seines Namens gewidmet. Der prachtliebende Eduard der Dritte stellte sie in der ersten Haelfte des vierzehnten Jahrhunderts wieder her. Heinrich der Sechste gab ihr ihre jetzige Bestimmung, liess sie dazu einrichten und durch mancherlei Abteilungen zu Gaengen und Nebenzimmern verkleinern. Leider ward dadurch eins der schoensten Werke gotischer Kunst so gut als vernichtet. Vor mehreren Jahren riss man einen Teil der Vertaefelung, welche die Waende bekleidet, herab, um den Saal zu vergroessern. Mit Erstaunen entdeckte man die Ueberbleibsel der reichen Verzierungen an der urspruenglichen Mauer und schloss mit Bedauern aus diesem Wenigen auf die ehemalige Pracht des Ganzen. Man fand unschaetzbare Spuren der Kunst jener Zeiten, wunderkuenstliches Schnitzwerk, Malereien und Vergoldungen, frisch und glaenzend, als waeren sie von gestern; besonders am oestlichen Ende der Kapelle, wo man noch deutliche Spuren des Hochaltars sah. Seitenwaende und Decke waren dort mit schoenem Schnitzwerke und alten Wappenbildern ganz bedeckt; dazwischen einige lebensgrosse gemalte Figuren und ein uraltes Gemaelde, die Anbetung der Hirten vorstellend, fuer den Freund der Kunstgeschichte von unendlichem Werte. Alles wurde barbarischerweise zerstoert und gaenzlich vernichtet, um dem jetzt existierenden traurigen Saale Platz zu machen, als gaebe es in ganz London keinen anderen Raum, in welchem die Herren des Unterhauses sich versammeln koennten. Von aller dieser Herrlichkeit blieb nur ein einziges schoenes gotisches Fenster, durch welches die Sonne jetzt truebe blickt, als vermisse sie den ehemaligen Glanz. Von aussen sah das ganze Gebaeude traurig und verfallen aus, sowie auch die schoene, gegenueberstehende, dazugehoerige Kirche, die beruehmte Abtei von Westminster. Man wendete wenig Muehe und Kosten daran, diese Denkmaeler frueherer Zeiten zu erhalten, und sie schienen allmaehlich ihrem Untergange zusinken zu wollen. Die Westminster Abtei Diese Behausung beruehmter Toter steht oede und trauernd, selbst einem grossen Grabmale vergangener Jahrhunderte aehnlich. Die alte Herrlichkeit und Schoenheit der in der gewoehnlichen Kreuzform erbauten gotischen Kirche kann man von aussen nur ahnen; denn hier so wenig wie bei St. Paul ist ein Standpunkt zu finden, von welchem es moeglich waere, das Ganze zu ueberblicken. Zwei schoene viereckige Tuerme kroenen die hohe Zinne; jeder derselben ist nach gotischer Art mit mehreren kleinen, leicht in die Luft sich erhebenden Tuermchen geziert; ein praechtiges Portal fuehrt in das innere Heiligtum. Vom Eingange an der Westseite ueberblickt man den ganzen Plan desselben. Einem versteinerten heiligen Haine gleich, steht es vor uns in seiner ehrwuerdigen erhabenen Pracht. Schlanke und doch verhaeltnismaessig starke Pfeiler tragen das hohe, wie von Geisterhaenden kuehn geschaffene Gewoelbe, an welchem Bogen ueber Bogen sich leicht und luftig erheben. Jeder dieser Pfeiler besteht aus eine Gruppe von fuenf Pfeilern, die sich zu einem einzigen vereinen. Das durch die hohen bemalten Fenster verschleiert eindringende Sonnenlicht verbreitet heilige Daemmerung ringsumher, ueber alle die unzaehligen, mit unendlichem Kunstfleisse gearbeiteten Verzierungen, welche diesen ehrwuerdigen Tempel schmuecken. Alles Alte darin ist gross, herzerhebend und erfreulich; desto unangenehmer sticht alles Neuere dagegen ab. Besonders fremd nimmt sich der moderne, von weissem Marmor im sogenannten griechischen Geschmacke erbaute Altar in dem wunderherrlichen alten Chor aus, in welchem die englischen Koenige gekroent werden. Auch die unzaehligen Momente, welche diese Kirche eigentlich ueberfuellen, zerstoeren die Einheit des Gebaeudes. Ohne Ordnung und Wahl stehen sie durcheinander, als haette man sie vor irgendeinem Unfalle hierher gefluechtet und einstweilen hingestellt, wo eben ein freies Plaetzchen zu finden war. Obendrein scheinen die wenigsten, wenn man sie als Kunstwerke betrachtet, diese Sorgfalt zu verdienen. Viele sehen in dieser hohen Umgebung nur um so kleinlicher aus; oft sind Mauern aufgefuehrt, an die sie lehnen, und obgleich es ein schoener Gedanke ist, dass eine grosse Nation hier in ihrem heiligsten Tempel, bei den Graebern ihrer Koenige, das Andenken grosser, verdienter Maenner dankbar aufbewahrt, so kann man sich doch nicht enthalten zu wuenschen, dass dieses auf eine weniger stoerende Weise geschehen sein moechte. Ein grosser Teil der Ausfuehrung des schoenen Zwecks geht durch die Art verloren, mit welcher alles unter- und uebereinander gestellt ist. Durch Staub, Schmutz und unzaehlige Spinnweben muss man sich draengen, um manches Monument in seinem engen Winkel zu betrachten, und dabei den Kummer zu fuehlen, das wahrhaft Schoene und Grosse durch soviel Mittelmaessigkeit verdraengt und entstellt zu sehen. Eine Ecke in einem der kuerzeren Fluegel ward dem hoeheren Talent gewidmet. Sehr unpoetisch nennt man diese Abteilung den Poetenwinkel, The Poets Corner. Hier finden wir Goldsmith, Haendel, Shakespeare, Garrick, Chaucer, Buttler, Thomson, Gay, Johnson, Milton, Dryden und viele andere, nur nach Swift, Sterne und Pope suchen wir vergebens. Der Platz ist sehr enge, und mancher hochgefeierte Name muss sich in diesem Pantheon aus Mangel an Raum mit einem unscheinbaren Winkel behelfen. Ein Medaillon mit dem Profil des durch Talent und Schicksal unserem Hoelty so nah verwandten Goldsmith ist ueber der Tuere angebracht. Haendel sitzt schreibend und aufhorchend, als belausche er die Melodie der Sphaeren und eile, sie auf dem Papiere festzuhalten. Im koeniglichen Schmucke tritt Garrick hinter einem Vorhange hervor und schaut entzueckt und geblendet die neue Szene. Gedankenvoll lehnt Shakespeare an einem Postament und zeigt auf eine herabhaengende Pergamentrolle mit folgender Inschrift aus seinem "Sturm: "So werden Die wolkenhohen Tuerme, die Palaeste, Die hehren Tempel, selbst der grosse Ball, Ja, was daran nur Teil hat, untergehen, Spurlos verschwinden. Wir sind solcher Zeug Wie der zu traeumen, und dies kleine Leben Umfasst ein Schlaf." Unter den im uebrigen Teil der Kirche zerstreuten Denkmaeler wird das dem Lord Mansfield gewidmete und von den Englaendern besonders hoch gehalten. Es ist vom juengeren Flaxmann gearbeitet [Fussnote: John (1755-1826), bekannter Bildhauer und Illustrator]. Dieses und das des Lords Chatham, Vater des beruehmten William Pitt [Fussnote: im Gegensatz zu seinem Vater der juengere Pitt genannt (1759-1806). War zweimal Premierminister. Seine groessten Verdienste um das Staats- und Wirtschaftsleben Grossbritanniens waren die Ostindische Bill, die Verfassung Kanadas und die Union mit Irland. Vorkaempfer gegen Napoleon.], wurden jedes mit sechstausend Pfund Sterling bezahlt. Lord Mansfield, in der weiten, der plastischen Kunst gar nicht vorteilhaften Tracht der englischen Richter, sitzt in ziemlich ungrazioeser Stellung auf dem Richterstuhle; eine Hand stuetzt sich auf's Knie, die andere haelt eine Pergamentrolle. Neben seinem Sitze, etwas niedriger, stehen Weisheit und Gerechtigkeit, hinter ihm der die Fackel ausloeschende Tod, gewagt genug in der Gestalt einer schoenen, nackten, weiblichen Figur dargestellt. Hoch auf dem Piedestal, in Rednerstellung, steht Lord Chatham; viele Tugenden weinen zu seinen Fuessen und lassen es unentschieden, ob seine Rede sie ruehrt, oder ob er Dinge sagt, ueber welche die Tugend weinen muss. Auch die traurigen Manen des ungluecklichen Majors Andree, der im amerikanischen Kriege vom erbitterten Feinde als Spion gehaengt ward, finden hier ein ehrenvolles, seinem Andenken geweihtes Monument. Zwoelf an die Kirche sich anschliessende Kapellen enthalten die Asche der Koenige und einiger sehr vornehmer Familien. Seit Elisabeths Zeiten ward keinem Koenige ein Monument hier errichtet, obgleich alle hier begraben lieben. Gern betrachteten wir jene alten Denkmaeler; fast alle sind grosse, viereckige Sarkophage, auf welchen die Statue des Verstorbenen in voelliger Staatskleidung ausgestreckt daliegt, mit gefalteten Haenden, ruhig wie im Schlummer. Keine Zerrbilder fanden wir wie in Paris aux petits Augustins, wo Franz der Erste, Maria von Medici und Karl der Neunte in den graesslichsten Verzerrungen des Sterbens, mit wild zerstreutem Haare, fast nackt, in entsetzlichen Konvulsionen auf ihren Graebern abgebildet liegen. Geruehrt standen wir hier am Grabe der Maria Stuart. Man hat sie unweit ihrer Todfeindin und Moerderin gebettet; das Gesicht ihrer Statue war durch die Zeit fast unkenntlich geworden. Die aelteste der zwoelf Kapellen enthaelt das Grab Eduards des Bekenners [Fussnote: angelsaechsischer Koenig (1042-66) [Fussnote: Koenig von England (1272-1307); er kehrte 1274 aus dem Heiligen Land zurueck, nachdem er mehrere Jahre dort gekaempft hatte.); es war mit Mosaik von farbigen Steinen geziert, welche leider groesstenteils von ungezogenen Altertumsfreunden ausgebrochen und mitgenommen wurden. Eduard der Erste ruht ebenfalls hier; neben ihm seine Gemahlin, Eleonore von Kastilien, dieses Muster ehelicher Lieber und Treue bis in den Tod. Als ihr Gemahl noch Kronprinz war, zog auch er 1274 zum frommen Kriege ins gelobte Land. Eleonore begleitete ihn, achtete nicht der weiten, gefahrvollen Reise, wollte lieber alles Ungemach dulden, als von dem so hoch Geliebten entfernt lebten. Gestaerkt durch ihren Anblick, angefeuert durch ihren Mut, richtete er siegend unter den Sarazenen bald grosse Verwuestungen an. Die Unglaeubigen raechten sich aber fuerchterlich und tueckisch. Sie sandten Meuchelmoerder gegen ihn aus, die ihn mit einem toedlich vergifteten Pfeile am Arme verletzten. Die Moerder fielen zwar unter den raechenden Schwertern seiner Getreuen, aber Eduard ward bewusstlos in sein Zelt getragen. Die Aerzte gaben ihn ohne Rettung verloren, wenn nicht einer seiner Diener das Gift aus der Wunde zu saugen und das Leben des Gebieters mit Aufopferung des eigenen Lebens zu erhalten sich entschloesse. Starr und stumm standen all um das Sterbebette ihres kuenftigen Koenigs; sie hatten oft dem Tode in seiner furchtbarsten Gestalt getrotzt, dennoch konnte keiner zu diesem Opfer sich entschliessen. Da eilte Eleonore herbei; niemand durfte es wagen, sie zu hindern; sie warf sich auf den verwundeten Arm, und bald schlug der Gerettete die Augen wieder auf. Mit welchem Gefuehl er auf diese Weise sich dem Leben wiedergeschenkt sah, wie sie, fuerchtend ihn auf's neue zu vergiften, es nicht wagte, ihn zum letzten Mal an die treue Brust zu druecken, und nur von ferne, zitternd vor Freude, vor ihm stand, dafuer haben wir keine Worte. Konnte das Gift diesem engelreinen Wesen nicht schaden? War es vielleicht nur bei einer aeusseren Verletzung toedlich? Dies wissen wir nicht; genug, Eleonore lebte noch mehrere Jahre ein glueckliches, schoenes Leben an der Seite ihres Gatten, teilte bald darauf mit ihm den Thron und fand erst neunzehn Jahre spaeter hier ihre letzte Ruhestaette. So erzaehlt die Sage, und zu schoen, um ihre Wahrheit zu bezweifeln, obschon einige beruehmte Geschichtsschreiber diese ruehrende Begebenheit nicht erwaehnen. Auch auf diesem Sarkophage ist die Gestalt der darunter Schlummernden abgebildet. Die Kunst war damals noch in der Kindheit, aber diesmal fuehrte ihr Genius den Meissel des Kuenstlers, ein schuetzender Engel wachte ueber das Bild und barg es vor der zerstoerenden Zeit. Eleonorens Gesicht strahlt noch von hoher Schoenheit und wunderbarer Guete und Milde auf dieser ihre Zuege der Nachwelt aufbewahrenden, wohlerhaltenen Abbildung. Die Graeber Eduards des Dritten [Fussnote: Koenig von England [1327-77)] und Heinrichs des Dritten [Fussnote: Koenig von England (1216-72)] sind ebenfalls in dieser Kapelle. Das Monument Heinrichs des Dritten, ein merkwuerdiges Denkmal alter Kunst, ist reich verziert mit Porphyr, Mosaik und Vergoldungen; seine in Erz gegossene Statue ruht darauf. Hier stehen auch die alten Sessel, auf welchen die Koenige bei der Kroenung sitzen; in einen derselben ist der Stein eingefuegt, welcher den Koenigen von Schottland zum Koenigsthrone diente. Eduard der Erste liess ihn von Scone, welches die Leser aus dem ersten Teile dieser Erinnerungen kennen, hierher bringen. Die dicht daran stossende Kapelle Heinrichs des Fuenften [Fussnote: Koenig von England (1485-1509] ist wegen ihrer altertuemlichen Pracht eine der merkwuerdigsten. Leider liegt der gute Koenig ohne Kopf auf seinem Grabmale, auch Reichsapfel und Zepter sind seinen Haenden entrissen. Alles dies war, dem solide Pracht liebenden Geschmack jener Zeit gemaess, ganz von gediegenem Silber und konnte selbst in diesem Heiligtume der schlauen Habsucht listiger Diebe nicht entgehen. Neun andere Kapellen, verschiedenen Heiligen geweiht, deren Namen sie noch fuehren, enthalten viele fuer den Altertumsforscher hoechst merkwuerdige Gegenstaende, viele Belege zur Geschichte des Kunstgeschmacks und der Lebensweise im Mittelalter; selbst das uralte hoelzerne Monument des saechsischen Koenigs Sebert, welcher zuerst an diesem Orte eine Kirche erbaute. Merkwuerdig war uns das Grab eines Grafen Leicester wegen seiner Aehnlichkeit und zugleich Unaehnlichkeit mit dem beruehmten Bettstelle des Grafen von Gleichen. Gar stattlich ruht der edle Graf im ritterlichen Schmucke, mitten auf dem ungeheuer breiten Sarkophage, den er sich selbst errichten liess; neben ihm, zur rechten Hand, in holder Bescheidenheit, seine erste Gemahlin; aber der ziemlich weite Platz zur Linken ist leer. Seine zweite Gemahlin konnte unmoeglich sich entschliessen, ihrer wenn auch toten Nebenbuhlerin im Range zu weichen, sie wollte durchaus nicht mit der linken Hand vorlieb nehmen, waehrend ihre Vorgaengerin zur Rechten laege. Noch auf dem Totenbette war es bis zum letzten Augenblicke die angelegentlichsten Sorge der rangsuechtigen Frau, solche Unbilde zu verhindern. Sie erreichte ihren Zweck, man begrub sie anderswohin; niemand weiss, wo ihre Gebeine ruhen. Das Andenken ihres Lebens waere laengst verschollen, wenn nicht das ihrer Torheit auf dieser leeren Stelle kommenden Jahrhunderten aufbewahrt worden waere. Alle diese Kapellen sind mit der Westminster Abtei unter einem Dache, nur die letzte und schoenste, die Kapelle Heinrichs des Siebenten, [Fussnote: Koenig von England 1485-1509)] ist daran angebaut, so dass nur der Eingang dazu in der Kirche steht. Dies Gebaeude ist eines der schoensten seiner Zeit, aber leider sahen wir es in einem unverantwortlich vernachlaessigten Zustande, mehr noch als die Kirche selbst. Kaum wurde das Dach desselben notduerftig unterhalten; haette man die langsam zerstoerende Zeit noch laenger ungehindert fortwueten lassen, so waere bald alles zu einer schoenen Ruine zusammengesunken, die ueberall sich besser ausgenommen haben wuerde als an dieser, dem heiligen Andenken grosser Vorfahren geweihten Stelle. Von aussen ist die Kapelle mit aller Pracht der gotischen Baukunst geschmueckt, das Ganze im schoensten Ebenmasse, leicht und erfreulich. Vierzehn schoene durchbrochene Tuerme sind die Hauptzierde. Zum Eingange, von der Kirche aus, dient ein praechtiges, in Stein gehauenes Portal, welches drei sehr kuenstlich gearbeitete Gittertueren von vergoldetem Eisen verschliessen. Die Decke ist ueber und ueber mit schoener Bildhauerarbeit von Stein geschmueckt, schoene, gewoelbte Bogen, unterstuetzt von Pfeilern im reinsten Ebenmasse, praechtige Fenster, herrliches Schnitzwerk, alle Pracht gotischer Architektur ist hier zu finden. Unmoeglich kann man dieses schoene Ueberbleibsel frueherer Zeit zu hoch preisen, und wohl waere es wuenschenswert, dass die Kapelle einen Freund und Verehrer faende, wie der Dom von Koeln ihn an dem Herrn von Boisseree fand, [Fussnote: Sulpiz und Melchior, zwei Brueder, gebuertige Koelner, deutsche Kunstsammler und -historiker, mit Goethe befreundet. Sulpiz (1783-1854) vor allem war es, der durch eine Beschreibung die Vollendung des Koelner Doms anregte. Zum ueblen Erhaltungszustand hat Johanna in der Ausgabe von 1830 in einer Anmerkung ergaenzt: "Dieser Wunsch ist seit dem ersten Erscheinen dieses Buches erfuellt, und auch fuer die bessere Erhaltung der Westminsterabtei wird Sorge getragen."] welcher der kommenden Zeit wenigstens im treuen Bilde ein Andenken der sichtbar hinsinkenden Herrlichkeit aufbewahrte. Mitten in der Kapelle steht das Grab Heinrichs des Siebenten von schwarzem Basalt, verziert mit vergoldeter Bronze, umgeben von einem ebensolchen, sehr praechtigen Gelaender. Sechs Basisreliefs und vier Statuen von vergoldetem Erze schmuecken dies Werk des Florentiners Pietro Torregiano. Ausser diesen wirklich merkwuerdigen und ehrwuerdigen Kunstwerken werden hier auch aufgewahrte Wachsbilder alter Koenige und Koeniginnen in alten Glasschraenken gezeigt. Wahre Vogelscheuchen, die dem Untergange laengst haetten uebergeben werden sollen. Nur das leiht ihnen einiges Interesse, dass sie mit den naemlichen Kleidern angetan sind, welche die hohen Herrschaften bei Lebzeiten trugen. Wuesste besonders die Koenigin Elisabeth, welch ein haessliches Bild von ihr die Nachwelt hier anstaunt, so wuerde die ihr im Leben so eigen gewesene Eitelkeit ihr noch im Grabe keine Ruhe lassen. LONDONS UMGEBUNGEN Windsor [Fussnote: von Eduard dem Bekenner erstmals erbaut; Eduard III. liess es niederreissen und durch William of Wykeham im 14. Jahrhundert ein neues Schloss bauen. Es wurde unter den folgenden Herrschern mehrfach erweitert, zuletzt im 19. Jahrhundert unter Georg IV., und Koenigin Victoria unter Leitung des Architekten Sir Jeffrey Wyattville.] An dem suedlichen Ufer der Themse, zweiundzwanzig englische Meilen westlich von London, thront auf einer Anhoehe das alte stattliche Schloss von Windsor. Von dieser herab geniesst man eine der ausgebreitetsten Aussichten auf die schoene, reiche Gegend umher. Wunderbar kontrastiert diese mit dem ernsten Anblicke des Schlosses, seinen alten Mauern und mit Efeu umrankten Tuermen. Wilhelm der Eroberer erbaute dieses Schloss, kurze Zeit nachdem er sich zum Herrn von England gemacht hatte. Mit einer Mauer umgab es Heinrich der Erste und vergroesserte es. Spaeter erwaehlte Eduard der Erste Windsor zu seinem Lieblingsaufenthalte, und Eduard der Dritte ward hier geboren. Vorliebe fuer den Ort, an welchem seine Wiege stand, bestimmte diesen, das Schloss, welches er zu seiner Sommerwohnung waehlte, nach einem neuen Plane praechtiger zu bauen. Auch Koenig Karl der Zweite wendete viel auf die Verschoenerung von Windsor, und seit seiner Zeit blieb es der Lieblingsaufenthalt der Koenige von England und ihre gewoehnliche Sommerwohnung. Unter der Regierung Georgs des Dritten ist ebenfalls manche Veraenderung und Verschoenerung damit vorgenommen worden. Der Schlossgraben ward ausgefuellt, ein Huegel, welcher die Aussicht gegen Morgen beschraenkte, wurde geebnet, Festungswerke wurden abgetragen. Dennoch sieht das Schloss noch immer ehrwuerdig und altertuemlich genug aus, obgleich es viel von seinem ersten imponierenden Ansehen verloren haben mag. Es hat zwei Hoefe, den oberen und unteren; beide werden durch den sogenannten runden Turm, die Wohnung des Kommandanten, voneinander getrennt. An der Nordseite des oberen Hofes befinden sich die Staats- und Audienz-Zimmer, an der Ostseite die Appartments der Prinzen und gegen Sueden die der vornehmsten Kronoffizianten. Der untere Hof ist wegen der St. Georgen Kapelle bemerkenswert. Die verschiedenen Saele und Staatszimmer zieren Tapeten und Malereien, bald von hoeherem, bald von geringerem Werte. An allen ist die Wirkung der Zeit sichtbar, und sie machen im Ganzen keinen heiteren Eindruck. Der merkwuerdigste unter den Saelen ist der Georgen-Saal, der Kapitelsaal der Ritter des Ordens vom Hosenbande [Fussnote: Order of the Garter; angesehenster englischer Orden. Gestiftet von Eduard III. Der Ueberlieferung zufolge verlor Eduards Geliebte, die Graefin Salisbury, bei einem Tanz ihr blaue Strumpfband. Der Koenig hob mit dem Band auch den Rocksaum der Graefin auf und entbloesste dabei ihre Beine. Bis in das 19. Jahrhundert hinein war es zwar schicklich, die Bueste mehr oder minder frei zur Schau zu stellen, nicht jedoch irgend etwas von den Beinen zu zeigen. Aus dieser Situation wird der Wahlspruch abgeleitet.]. Er ist einhundertacht Fuss lang, am Ende desselben steht der koenigliche Thron, ueber diesem sieht man das St. Georgen-Kreuz in einer Glorie, umgeben mit dem von Amoretten getragenen Strumpfbande und der bekannten Inschrift: Honny soit qui mal y pense. Die Staatszimmer haengen voll Gemaelden, welche man aus Mangel an Zeit nur zu fluechtig betrachten muss. Dem Anschauer werden im Voruebereilen die Namen der groessten Meister wie Tizian, Poussin, van Dyck, Holbein und viele andere genannt. Auch eine heilige Familie von Raffael und eine Anbetung von Paul Veronese zeigt man den Fremden als die Krone der Versammlung. Der schoenste Punkt von Windsor Castle ist die grosse, in ihrer Art einzige Terrasse. Sie erstreckt sich laengs der oestlichen und eines Teils der noerdlichen Seite des Schlosses, ist eintausendachthundertsiebzig Fuss lang und von verhaeltnismaessiger Breite. Die Aussicht auf die Themse, welche sich durch eine der reichsten Landschaften hinschlaengelt, auf die mannigfaltigen Landhaeuser, Doerfer und Flecken, die ihre Ufer beleben, auf den parkaehnlichen Wald von Windsor und die in der Naehe liegenden Gaerten, ist ueber alle Beschreibung schoen und reizend. Nicht im eigentlichen Schlosse von Windsor wohnte die koenigliche Familie Georgs des Dritten, sondern in einem modernen Gebaeude, welches der suedlichen Terrasse gegenueberliegt. Hinter diesem Gebaeude erstreckt sich ein wohlangelegter Garten, den man von einem Winkel der grossen Terrasse uebersieht. In ihm befindet sich ein zweites Gebaeude, das die Prinzessinnen bewohnten. Die Koenigin besass nahe bei Windsor noch ein kleines, buergerlich aussehendes Haus mit einem unbedeutenden Garten. Diese Besitzung, welche sie sehr liebte, heisst Frogmore. Hierher machte sie oft Landpartien mit ihren Toechtern und einigen Lieblingen unter ihren Damen. Kleine laendliche Feste an den Geburtstagen der Prinzessinnen, Fruehstuecke und dergleichen wurden hier gegeben, in einem sehr beschraenkten Familienzirkel. In Windsor musste man vor der traurigen Krankheit Georgs des Dritten die koenigliche Familie sehen, um sich von ihrer Lebensweise uns Persoenlichkeit einen Begriff zu machen. Hier fielen die Schranken, welche Etikette und strenge Eingezogenheit in London um sich zogen. Dort hatte man kaum Gelegenheit, sie zu Gesichte zu bekommen, wenn man sich nicht praesentieren lassen wollte. Im Theater erschienen sie sehr selten, und beim Spazierenfahren oder Reiten eilten sie zu schnell vorueber, als dass man die Gestalten auffassen konnte. Waehrend ihres Aufenthaltes zu Windsor hingegen sah man sie alle Sonntage morgens in bescheidenen Neglige, nach englischer Sitte, beim Gottesdienst in der Georgen-Kapelle versammelt. War der Koenig gesund, so versaeumte er auch an Wochentagen nie, um sieben Uhr des Morgens in der koeniglichen Kapelle im oberen Hofe des Schlosses seine Morgenandacht feierlich zu halten, wobei ebenfalls jedermann zugelassen wurde. Spaeter traf man ihn vormittags oft in den Wirtschaftsgebaeuden, in den Pferdestaellen, ueberall. Er trug dann einen einfachen, dunkelblauen Oberrock, mit einer runden braunen Peruecke, die ihm voellig das Ansehen eines wohlhabenden Paechters gab. Er pflegte es nicht ungern zu hoeren, wenn man ihn Farmer George nannte; laendliche Oekonomie war in frueheren Zeiten seine Lieblingsbeschaeftigung. An jedem heiteren Sonntagabend promenierte die ganze Familie auf der grossen Terrasse, und dieses gewaehrte dann einen in seiner Art einzigen Anblick. Von der einen Seite die grauen altertuemlichen Mauern des Schlosses mit ihren Zinnen und Tuermen, von der anderen die oben erwaehnte reiche Aussicht auf den Strom, Feld und Wald im verklaerenden Glanze der sinkenden Sonne, und nun das bunte draengende Gewuehl aller Staende, jeden Alters, beinahe jeder Nation; denn kein Fremder versaeumte es leicht, Windsor wenigstens einmal von London aus an einem Sonntage zu besuchen. Zu der Menge von Fremden gesellten sich die Bewohner der umliegenden Gegend, vom vornehmen Gutsbesitzer bis zum geringsten Landmann; zwischen ihnen bewegten sich schwerfaellige Bewohner der City mit ihren wohlbeleibten geputzten Ehehaelften und zierlichen trippelnden Misses. Auch wir waren an einem Sonntage gleich den anderen Fremden nach Windsor gefluechtet und mischten uns unter die bunte Menge. Auf und ab wogte das Gewuehl, die grosse Terrasse war fast zu enge. Um sieben Uhr erschienen zwei Banden militaerischer Musik auf der Schlossmauer an beiden Ecken der Terrasse. [Fussnote: dazu Johanna: "In England sagt man immer eine Bande Musiker. Uns duenkt dies recht charakteristisch."]. Beide spielten gar lustig God save the King, ohne sich sonderlich umeinander zu kuemmern; die Entfernung und das Geraeusch waren auch zu gross, als dass sie viel voneinander haetten hoeren koennen. Mit dieser beliebten Melodie fuhren sie ohne weitere Abwechslung den ganzen Abend fort zu musizieren. Die koenigliche Familie erschien bald darauf; ein einziger Konstabler ging mit dem Stabe voraus, um nur einigermassen Raum fuer sie zu machen. Man draengte sich von allen Seiten um sie her. Der Koenig ging zuerst, an seiner Seite die Koenigin. Wo er einen Bekannten erblickte, redete er ihn an oder nickte ihm einen freundlichen Gruss zu, ohne Unterschied von Rang und Stand. Neugierig forschte er nach den Namen jeder ihm aufzufallenden Gestalt, und wir hoerten verschiedentlich, wie er nach seiner alten, durch Peter Pindar so bekannt gewordenen Gewohnheit ein einsilbiges Wort oft drei- bis viermal hintereinander wiederholte. Mit dem Astronomen Herschel sprach er, so oft er ihm begegnete, einige Worte; auch die Koenigin war ausgezeichnet freundlich gegen diesen ihren Landsmann. Die Promenade schien ihr viel weniger Freude zu machen als ihrem Gemahl, an dessen Arm sie hing. Das Gehen auf den hohen, spitzigen Absaetzen, die sie noch immer trug, wurde ihr sichtbar schwer; sie war sehr klein, und in dem grautaftenen Kleide, welches sie hoch in die Hoehe nahm, mit einem altmodischen Maentelchen von weissem Taft, sah sie gar nicht koeniglich aus. Der Koenig schien oft ganz zu vergessen, dass er sie fuehrte, und ging, stand oder kehrte ploetzlich um, wie es ihm eben gefiel. Hinter dem koeniglichen Paare wandelten die beiden aeltesten Prinzessinnen am Arme einer Hofdame. Die zweite, Mary, hat ein interessantes Gesicht. Jetzt folgte die Prinzessin Elisabeth, auf zwei Hofdamen gestuetzt. Nach der Prinzessin Elisabeth folgten die beiden juengeren Schwestern am Arme ihres Bruders, des Herzogs von Cambridge. So zogen sie in Prozession durch das Gewuehl auf und ab; stand der Koenig, so standen alle, wendete er um, so folgten sie ihm. In der Zeit von anderthalb Stunden begegneten wir ihnen wenigstens zwanzigmal, denn so wie der Koenig an einen etwas menschenleeren Teil der Terrasse kam, kehrte er um. Diese Promenaden machten ihm viel Vergnuegen; selten kehrte er vor der Daemmerung nach Hause. Wir waren ihrer eher ueberdruessig als er, denn er wandelte noch ganz munter umher, als wir die Terrasse verliessen. Das Staedtchen Windsor hat wenig Ausgezeichnetes; es zieht sich den ganz betraechtlichen Huegel hinan, auf welchem das Schloss liegt. Die Strassen sind folglich bergig und unbequem zum Fahren und Gehen; auch die Gasthoefe fanden wir weniger gut, als man es in dieser Naehe des Hofes vermuten sollte. Das Dorf Eton, bekannt durch die hohe Schule Eton College, liegt am Fusse des Huegels, jenseits der Themse, und wird nur durch eine Bruecke von der Stadt Windsor getrennt. Die Schulgebaeude zeichnen sich nicht durch ihre Bauart aus; die Kapelle aber ist ein schoenes gotisches Gebaeude, welches die reiche Landschaft noch mehr verschoenert. Heinrich der Sechste stiftete und erbaute diese Schule im Jahr 1440. Sechzig Pensionaere werden dort auf Kosten des Koenigs erzogen, aber auch Soehne guter Familien fuer Bezahlung darin aufgenommen. Die Schueler sind in zwei Klassen geteilt, deren jede noch drei Unterabteilungen hat. Die Erziehung in diesen Anstalten, sowie auch das Studieren in Oxford und Cambridge haben noch viel Strenges und Kloesterliches, sogar in der Kleidung. Im Monat August werden die Schueler in Eton examiniert und diejenigen ausgewaehlt, welche nach Cambridge gehen sollen, um ihre Studien fortzusetzen. Die zwoelfe unter diesen, die sich im Examen am besten auszeichnen, haben das Recht, nach drei Jahren Mitglieder der Universitaet Cambridge zu werden, Fellows of the University, welches ehrenvoll und eintraeglich ist. Die Bibliothek in Eton ist bedeutend. Weitlaeufige, wohlunterhaltene Gaerten umgeben die Schulgebaeude. Die Gaerten von Kew Durch den Hyde Park hindurch, vorueber an den schoenen Gaerten von Kensington, fuehrt der Weg zu diesen, besonders in botanischer Hinsicht mit Recht beruehmten koeniglichen Gaerten. Vier englische Meilen faehrt man von Kensington nach Kew zwischen einer seltenen ungebrochenen Reihe eleganter, mit zierlichen Grasplaetzen und Gaerten eingefasster Landhaeuser. Groesstenteils sind diese der Aufenthalt wohlhabender Londoner Familien, deren Haeupter in der Stadt ihren Geschaeften nachgehen, waehrend Frau und Kinder, fern von der dunstigen Atmosphaere der City, sich hier einer reineren Luft und aller Annehmlichkeiten eines laendlichen Aufenthalts in der schoenen Gegend erfreuen. Oft schon erwaehnten wir in diese Blaettern der unbeschreiblichen Reize, welche Sauberkeit, Geschmack und augenscheinliche Wohlhabenheit diesen halb staedtischen, halb laendlichen Wohnungen geben; beinahe ist es unmoeglich, nicht immer in neue Lobsprueche auszubrechen, so oft man ihrer gedenkt, und sich dabei des Gefuehls von haeuslicher Ruhe und behaglichen Wohllebens erinnert, welches ihr blosser Anblick selbst dem voruebereilenden Wanderer einfloesst. Nur die Gaerten sind in Kew merkwuerdig; das Haus des Koenigs ist klein, unbedeutend und dient ihm und seiner Familie bei den nicht seltenen Morgenpromenaden zu diesem Lieblingsorte nur gelegentlich zum Absteigequartier. Es wird nie von der koeniglichen Familie bewohnt und ist auch auf keine Weise solcher Bewohne wuerdig. Indessen war man waehrend unseres dortigen Aufenthalts beschaeftigt, ein grosses massives Gebaeude zum kuenftigen Witwensitz der Koenigin zu erbauen [Fussnote: Caroline von Braunschweig, Gattin Georgs IV., 1818 hier gestorben.]. Nie sahen wir etwas Ungeschickt-Schwerfaelligeres als diese, im seinsollendgotischen, ganz verfehlten Geschmack aufgetuermte Steinmasse. Ungeheuer dicke Mauern, kleine, spaltenaehnliche Fenster, dicke, unbeholfene Saeulen geben ihr eher das Ansehen eines Staatsgefaengnisses als der Wohnung einer Koenigin. Die botanischen Gaerten von Kew vereinigen eine unzaehlige Mannigfaltigkeit von Pflanzen aller Weltteile, aller Zonen, und gehoeren gewiss zu den merkwuerdigsten in Europa, wenn sie nicht vielleicht alle uebrigen uebertreffen. Die ueberall wehende englische Flagge brachte von den entferntesten Ufern auf diesen kleinen Punkt fast alles zusammen, was nur auf Erden waechst. Von der Zeder des Libanons bis herab zum bescheidenen Heidekraut findet alles hier Pflege, Boden und Klima, wie es sie bedarf, um nicht nur kuemmerlich zu vegetieren, sondern ueppig zu wachsen, zu gruenen und zu bluehen. Der Koenig liebte die Botanik, er wandte viel Geld und Muehe auf diese Gaerten und freute sich ihres Gedeihens. Der beruehmte Weltumsegler Sir Joseph Banks nahm sie unter seine spezielle Aufsicht, und seine, in den entferntesten Weltgegenden mit unsaeglicher Muehe und Gefahr erworbenen botanischen Kenntnisse fanden hier ein weites, fruchtbares Feld. Auf diese Weise musste etwas sehr Vollkommenes entstehen. Das durch die waermende Seeluft unendlich gemilderte Klima, der natuerlich warme Boden Englands tragen das ihrige bei, um der Anstalt das hoechste Gedeihen zu geben. Hier, wo der Winter den Wiesen ihren gruenen Teppich nie raubt, wo die Herden das ganze Jahr hindurch im Freien ihre Nahrung finden, wird jede aus einem milden Klima hergebrachte Pflanze bald einheimisch. Sehr viele, welche selbst im suedlichsten Teile von Deutschland den groessten Teil des Jahres im Hause gehalten werden muessen und nur waehrend der Sommermonate dort der Luft ausgesetzt werden duerfen, wachsen hier ueppig im Freien, wie in ihrem Vaterlande, zum Beispiel die grossblaettrige Myrte, der duftende Heliotrop und noch viele mehr. Es ist eine grosse Freude, auf den festgewalzten, bequemen Kieswegen dieser Gaerten zwischen mannigfaltig geformten Blumenbeeten zu wandeln und sich an dem freundlichen, ewig wechselnden Spiele der Natur mit Farben und Formen zu ergoetzen; dann in die grossen Treibhaeuser zu treten, in jedem derselben eine andere neue Welt zu finden, in dem einen die seltensten Produkte des gluehend heissen Afrika, im anderen alles zu bewundern, was im suedlichen Amerika waechst; dann wieder sich an den Pflanzen milderer Zonen zu erfreuen, und doch immer das auf einem Punkte vereinigt zu sehen, was zusammengehoert und gleichsam ein fuer sich bestehendes Ganzes ausmacht. Auch die lebendigen Blumen der Luefte werden hier gepflegt. Eine grosse Voliere vereinigt eine Menge der schoensten auslaendischen Voegel, die darin, wenigstens in scheinbarer Freiheit, ihr lustiges Wesen treiben, als waeren sie zu Hause. In einer groesseren Abteilung des Gartens werden eine Menge der schoensten Gold- und Silberfasanen gehalten, neben ihnen stolzieren praechtige, zum Teil seltene Pfauen und mehrere andere Arten groesserer fremder Voegel. Mitten in dieser Abteilung des Gartens befindet sich ein Teich mit einer Insel, auf welcher ein chinesischer Pavillon erbaut ist. Wasservoegel aller Art, mit langen und breiten Schnaebeln, schwimmen auf den silberhellen Wellen, oder wandeln auf langen Stelzbeinen gravitaetisch am Ufer. Alles dieses fremde Volk ist froh und lustig, als waere es im Vaterlande. Auf einer grossen gruenen Wiese sahen wir ein anderes lustiges Schauspiel; einige vierzig Kaenguruhs huepften darauf in voelliger Freiheit umher. Nichts Laecherliches gibt es in der Natur als diese wunderlichen Tiere. Sie wandeln mit Hilfe ihrer langen Schwaenze aufrecht und machen dabei ganz gewaltige Saetze. Die kurzen Vorderbeinchen, die sie zum Gehen gar nicht brauchen koennen, halten sie auf eine possierliche Art vor der Brust. So aufrecht haben sie wohl Mannshoehe. Neugierig gucken die Jungen aus dem Beutel, in welchem die Muetter sie tragen, in die weite Welt. Macht die Mama einmal zu arge Spruenge, so faellt wohl so ein liebes Kleines aus dem Beutel heraus auf die Erde, wird aber gleich wieder sorgfaeltig aufgehoben und eingesteckt. Bisweilen erzuernten sich ein paar Maennchen und fochten miteinander, indem sie, auf einem Hinterfusse und dem Schwanze stehend, sich mit dem langen scharfen Nagel am anderen Hinterbeine gewaltige Hiebe versetzten. Lange sahen wir dem argen, wilden Treiben dieses naerrischen Volkes zu, das uns oft lautes Lachen abnoetigte. Als wir die eigentlichen Lustgaerten von Kew zu sehen wuenschten, ging unsere alte Not wieder an. Sie wurden nur sonntags gezeigt, und wir waren an einem Wochentage da. Als kein Zureden, kein Bitten, keine Vorstellungen etwas fruchteten, wurden wir verdriesslich und liessen unseren Unmut untereinander in gutem, vernehmlichem Deutsch aus. Zu unserem Glueck hoerte dies ein in der Naehe arbeitender deutscher Gaertner. Der suesse Klang aus dem Vaterlande bewegte sein Herz, und er nahm sich der Landsleute so kraeftig an, dass ihm endlich erlaubt wurde, unser Fuehrer zu sein. Wir fanden die Promenaden sehr angenehm, viel hohe, herrliche Baeume in einzelnen Gruppen; dichte Schattenpartien wechselten mit lichten Gaengen zwischen Gras, Blumen und kleinem Gestraeuch. Besonders reizend erschien uns ein reich geschmueckter Blumengarten mit einem kleinen Wasserbassin, in welchem Goldfischchen spielten. Nur ein wenig zu ueberladen mit Gebaeuden sind diese Gaerten. Da gibt's Tempel in Menge, der Bellona, dem Pan, dem Aeolus, dem Frieden, der Einsamkeit und wem nicht noch sonst geweiht; da ist ein Haus des Konfuz, eine Wildnis mit einem maurischen Gebaeude, eine chinesisch seinsollende Pagode, eine Moschee, roemische Ruinen, kurz - viel zu viel fuer den guten Geschmack. Keines dieser Gebaeude ist ausgezeichnet schoen, aber auch keines seines Platzes ganz unwert. Man kann sich indessen doch nicht enthalten, manches davon wegzuwuenschen; denn dieses bunte Allerlei wird niemandem gefallen, der Gelegenheit hatte, die liebliche Einfachheit der englischen Parks zu bewundern. Richmond Hill Ein hoechst angenehmer Weg fuehrt durch die Gaerten von Kew zu den daran stossenden von Richmond. Viele Gebaeude, mit denen auch diese unter der Regierung mehrerer Koenige und Koeniginnen ueberladen wurden, sind gluecklicherweise wie von selbst verschwunden. Auch waren sie wohl nirgends schlechter angebracht als auf diesem zauberisch schoenen Flecke, wo die ganze Gegend ringsumher einem grossen herrlichen Garten gleicht. Nur ein Landhaus der Koenigin, welches diese oft mit ihrer Familie besuchte, steht an einem der freundlichsten Plaetzchen des Gartens, einfach und anspruchslos; an einem andere Orte die vom Koenige erbaute Sternwarte. Sie soll besonders wegen mehrerer, vom Doktor Herschel verfertigter Instrumente merkwuerdig sein. Wir besuchten sie nicht, die Erde erschien uns hier zu schoen, um von ihr weg den Blick zum Himmel zu wenden. Schon von der huebschen steinernen Bruecke aus, die nahe vor dem beruehmten Huegel von Richmond ueber die Themse fuehrt, geniesst man einer entzueckenden Aussicht auf dem Strom, seine mit schoenen Villen geschmueckten Ufer und den sich sanft zu keiner sehr betraechtlichen Hoehe erhebenden gruenenden und bluehenden Huegel. Weit schoener noch ist es, wenn man diese Anhoehe ersteigt und nun aus dem Fenster des darauf erbauten Gasthofs hinabblickt auf eines der reizendsten Taeler der Welt. Groessere, ausgebreitetere, romantisch schoenere Aussichten gibt es viele, aber keine, welche an Anmut diese uebertraefe. Ein unaussprechlich suesses Gefuehl von Ruhe, stillem Glueck, Freude am Leben ergreift jeden maechtig, der von hier aus den Blick herabsenkt. Alles gruent und blueht in der herrlichsten, ueppigsten Vegetation. Die hoechstmoegliche Kultur schmueckt das weite, von einem der schoensten Sroeme belebte, von sanft anschwellenden, waldgekroenten Huegeln umgebene Tal. Selbst England bietet keine solche zweite Aussicht dar, und ausser dieser Insel kann es keine aehnliche geben; wo faende man noch dieses frische Gruen in Wiese und Garten, Feld und Wald? In mannigfaltigen Biegungen und Kruemmen durchstroemt die Themse dies Paradies. Hier ist sie noch nicht der maechtige Strom, der dort, nahe bei der Hauptstadt, sich praechtig weit ausbreitend, die Schaetze aller Weltteile auf seinem Ruecken traegt. Nur schiffbar fuer kleinere Fahrzeuge, gleitet sie durch die friedliche Landschaft, selbst das Bild eines schoenen taetigen Lebens in stillem Frieden. Ueberall traegt sie die klaren Wellen hin, verschoent, erfrischt, traenkt die Umgebungen und wandert dann geraeuschlos weiter. Das ueppigste Gedeihen fuellt Wald, Hoehe und Tal, kroent die Ufer, die schoenen Huegel, so weit das Auge nur reicht. Weisse Giebel freundlicher Paechterwohnungen, schoene Fassaden praechtiger mit Saeulen geschmueckter Villen, Landhaeuser, umrankt von Jelaengerjelieber, Tuerme entfernterer Kirchen, stattliche Schloesser, freundliche Doerfer und Staedtchen blinken ueberall hervor aus Baeumen und Gebuesch, in der Hoehe und in der Tiefe, in der Naehe und in der Ferne. Wohin das Auge sich wendet, erblickt es freundliche Gegenstaende, ueberall ist Lebensgenuss und Freude, nirgends Geraeusch und aengstliches Treiben. Am Ufer des schimmernden Stromes draengt sich alles dies noch freundlicher zusammen und spiegelt sich in den klaren Wellen, damit alles Schoene und Herrliche verdoppelt erscheine. Aus der Ferne schauen die ehrwuerdigen grauen Tuerme von Windsor von ihrem Huegel herueber, unten, mehr in der Naehe, breitet sich stattlich das grosse koenigliche Schloss Hampton Court aus; fast ganz im Vordergrunde, nahe an der Themse, liegt das reizende Schloss Strawberry Hill; dicht daran das aus lauter schoenen Haeusern zusammengesetzte Dorf Twickenham mit seiner huebschen Kirche. Hart am Strome zeichnet sich die elegante, ehemals vom Dichter Pope bewohnte Villa aus. Es waere sehr zwecklos, diese wunderbar reizende Gegend umstaendlich beschreiben zu wollen; nicht einmal der Pinsel, viel weniger die Feder koennen ihren Zauber wiedergeben. Wer von unseren Lesern vielleicht einst aus dem einen Eckfenster des kleinen Schlosses, auf der Hoehe von Dornburg bei Jena, hinab in das stille Saale-Tal, auf die sanft sich hinwindende Saale blickte, der hat einen schwachen Abriss, ein Miniaturbild des Tales von Richmond gesehen. Uns ergriff die Aehnlichkeit dieser Aussicht mit der von Richmond Hill beim ersten Anblick. Nur dass dort alles gross, mannigfaltig ausgebreitet daliegt, was sich hier eng und klein zusammenschmiegt; auch schmuecken nicht unzaehlige Tuerme und Gebaeude das stille, einsame Saaleufer, wie sie dort die Ufer der stolzen Themse kroenen. Aus den Fenstern des auf Richmond Hill erbauten Gasthofs zum "Stern und Strumpfband", Star and Garter, uebersieht man all diese Herrlichkeiten mit einem Blick. Nicht nur die einzig schoene Lage, sondern auch die vorzueglich gute Einrichtung und Bedienung erheben diesen Gasthof zu einem der ersten in England. Ihm gegenueber ist der Eingang zum Park, den man zu den groessten rechnet und dessen Umfang acht englische Meilen betraegt. Bescheiden hat die Kunst hier nur fuer die Bequemlichkeit der Wandelnden gesorgt, ohne sich vorzudraengen. Zahme Hirsche und Rehe weiden hier in grosser Anzahl zwischen herrlichen Baeumen. Sie wurden von Hampton Court, wo sie sonst wohnten, hierher gebracht, da der alte Koenig dort selten hinkam. Ueberall im Park oeffnen sich Aussichten auf einzelne Teile der grossen Landschaft, die man von Richmonds Huegel erblickt; in anderen Zusammenstellungen,von einem anderen Standpunkte aus gesehen, bilden sie hier neue Ansichten und vervielfaeltigen den Genuss ins Unendliche. Staines. Slough. Oatlands Wenige Meilen hinter Hampton Court, etwas entfernter von der Themse, fuhren wir durch den schoenen Park von Claremont, alsdann durch das nahe daran gelegene freundliche Staedtchen Chobham nach Painshill. Das Haus von Claremont Park wird Fremden nicht gezeigt. Seine Aussenseite verspricht nichts Ausserordentliches. Man lobt sehr dessen innere Einrichtung und die vielen Gemaelde und anderen Kunstwerke, die es verbirgt. Die Gaerten von Painshill waren die ersten, welche wir vor mehreren Jahren bei einem frueheren Aufenthalte in London besuchten. In der Naehe dieser Hauptstadt gibt es keinen Landsitz, dessen Promenaden sie an Groesse und Schoenheit uebertraefen. Erwartungsvoll, als gingen wir einem alten Freunde entgegen, langten wir an; aber der heutige Tag war ein Tag getaeuschter Hoffnungen fuer uns. Wir wurden nicht eingelassen. Painshill war seit kurzem verkauft. Der jetzige Besitzer, ein reicher Londoner Bankier, erlaubte niemandem mehr den Eintritt in sein mit baren Guineen bezahltes Paradies. Traurig sahen wir von weitem die schoenen Baeume, nach deren Schatten wir uns sehnten, und wandten uns wieder zur Themse, nach dem hart an ihren Ufern erbauten Staedtchen Staines, in dessen Nachbarschaft es eben sehr lustig beim Pferderennen herging. Das frohe, bunte Gewuehl der Zuschauer ergoetzte uns und zerstreute schnell den Verdruss ueber unser Missgeschick in Painshill und Claremont Park. Er erinnerte uns von neuem auf das Lebhafteste an die Jahrmaerkte und Kirchmessen, welche in Deutschland von Zeit zu Zeit Doerfern und kleine Staedten Leben und Freude bringen. Dicht neben dem Gasthofe in Staines fuehrt eine hoch und kuehn gewoelbte Bruecke ueber den Strom. Nicht ganz so gross als die bei Sunderland, gleicht sie jener auf's Genaueste und verdient allein, dass man die kleine Reise von London hierher macht, besonders wenn man nicht nach Newcastle und Sunderland zu reisen Gelegenheit hat. Leicht und zierlich wie ein kuehner Sprung wirft sie sich ueber den Strom, und der Pont aux arts in Paris laesst sich trotz seiner mit Orangenbaeumen garnierten Gelaender auf keine Weise mit diesem schoenen, wie von Feenhaenden durch die Luft gezogenen Bogen vergleichen. Von Staines fuehrte uns ein sehr angenehmer Weg durch eine hoechst reizende, fruchtbare Gegend, fast immer im Angesicht der Themse, ueber Windsor nach dem nahe dabei gelegenen Salthill, einem einzelnen Gasthofe, welcher alle Bequemlichkeit bietet, die man nur wuenschen kann. Von London aus werden oft Landpartien dahin gemacht, besonders von Fremden, die mehrere Tage hier verweilen, um alles Schoene mit Musse zu geniessen, was Windsor und die mannigfaltigen Reize der Gegend ringsumher gewaehren. Ganz nahe an Salthill liegt das kleine Dorf Slough, in welchem Doktor Herschel seit mehreren Jahren in einem nicht grossen, aber sehr huebschen, vom Koenige ihm geschenkten Hause wohnt [Fussnote: Sir William (1738-1822); entdeckte den Planeten Uranus und ueber 250 Nebel und Sternhaufen. Seine Schwester Karoline (1750-1848) entdeckte mehrere Kometen.]. Wir hatten ein Empfehlungsschreiben an unseren beruehmten Landsmann. Freundlich empfing er uns, er und seine ihm an Geist und Ausbildung aehnliche Schwester. Waehrend diese die Aufsicht ueber den Himmel mit dem Bruder teilte, machte sie ihm zugleich das Leben auf der Erde so angenehm als moeglich und ueberhob ihn jeder irdischen Sorge. Fast gleich aneinander an Jahren, beide ganz demselben hohen Zwecke ergeben, genossen diese seltsamen Geschwister in ruhiger, laendlicher Stille hier ein schoenes, glueckliches Dasein. Die koenigliche Familie, unter deren besonderem Schutze sie einzig ihrer Wissenschaft lebten, zeichnete sie auf alle Weise aus, besonders waehrend des Sommeraufenthaltes in Windsor. Die ganze Nachbarschaft, Reiche und Arme, Vornehme und Geringe, ehrten und liebten sie; ueberall war man ihres Lobes voll, sowie wir nur ihren Namen nannten. Trotz seines hohen Alters und der von seiner Wissenschaft unzertrennlichen Beschwerden, die in den feuchten englischen Naechten vielleicht zerstoererischer sind als irgendwo, erfreute sich Doktor Herschel einer festen, dauerhaften Gesundheit. Im Umgange war er heiter, anspruchslos und nahm auf's erste Wort fuer sich ein, so auch seine Schwester. Durch den langen Aufenthalt in England hatten beide ihre Muttersprache verlernt, wenigstens wurde es ihnen schwer, sich gelaeufig darin auszudruecken; uebrigens aber waren sie Deutsche geblieben, und ihr ganzes Wesen trug unverkennbar den Stempel unserer Nation. Gefaellig und freundlich zeigte uns Herschel seine astronomischen Instrumente. Das grosse Riesen-Teleskop in seinem Hofe betrachtete er selbst mehr nur als eine Seltenheit und bediente sich fast immer kleinerer Fernrohre. Er gestand, dass er mit diesen alle seine wichtigen Entdeckungen machte, und dass nicht die Groesse der Glaeser, sondern unablaessige Aufmerksamkeit, Fleiss und Treue in seinen Beobachtungen ihn zu der Hoehe brachten, die er erreicht hatte. Alles, was wir hier sahen, ist in Deutschland bekannter, als wir, bei unserem Mangel an den dazugehoerigen Kenntnissen, durch unsere Beschreibung es machen koennten. Herschel erschien uns immer selbst das Merkwuerdigste unter allen seinen Umgebungen. Nach dem bekannten Sprichworte lobt zwar das Werk den Meister, aber uns duenkt doch, dass der Meister immer ueber sein Werk erhaben bleibt. Doktor Herschel gehoerte zu den merkwuerdigen Menschen, die ohne aeussere Unterstuetzung, ohne dass ihre Eltern sie durch eine, ihrem Talent angemessene Erziehung auf das Leben vorbereiten konnten, in die Welt treten, arm, freudlos, aber mit festem Willen, hellem Blick und nie zu ermuedendem Mute bei allen Stuermen des Lebens. Er ward 1738 im Hannoverischen geboren. Sein Vater, ein armer Musiker, mit vielen Kindern, konnte wenig mehr fuer ihn tun, als dass er ihm, so gut er es vermochte, in seiner eigenen Kunst Unterricht erteilte. Doch fand der Knabe bald Gelegenheit, Franzoesisch zu lernen, und gluecklicherweise war sein Lehrer auch uebrigens ein unterrichteter Mann, der ihm einige logische und mathematische Kenntnisse beibrachte, die den jungen Geist des lernbegierigen Schuelers auf das lebhafteste beschaeftigten. Waehrend des siebenjaehrigen Krieges gingen Herschel und sein Vater mit dem Musikchor eines hannoverischen Regiments nach England. Der Vater kehrte nach einiger Zeit mit seinem Regiment zurueck ins Vaterland, waehrend der Sohn sich entschloss, in London zu bleiben und dort sein Glueck zu versuchen. Aber sein Stern war noch nicht aufgegangen. Verloren in der Menge, uebersehen, zurueckgestossen ueberall, gehoerte sein fester Geist dazu, um hier nicht den Mut zu verlieren. Er verliess die glaenzende Hauptstadt, die dem schutzlosen unbekannten Fremdling sich so unfreundlich zeigte, und wanderte ins noerdliche England. Auch hier irrte er eine Zeitlang von Ort zu Ort, bis endlich in Halifax ihm eine bleibende Staette ward. Die Stelle eines Organisten war dort eben erledigt, er meldete sich dazu, bestand in den Proben und ward angenommen. Ausser den Stunden, welche er seinem Amte widmen musste, und einigen anderen, die er, um Geld zu verdienen, auf musikalischen Unterricht verwendete, gab er alle seine uebrige Zeit jetzt dem Sprachenstudium hin. Mit der italienischen Sprache fing er an, dann lernte er mit vieler Anstrengung Latein, in welchem er grosse Fortschritte machte; das Griechische, was er auch zu studieren anfing, gab er indessen bald wieder auf. Alle diese Studien trieb er fuer sich allein, ohne fremde Hilfe. Vom Studium der Sprachen schritt er weiter zu noch ernsteren Kenntnissen, immer allein und ohne Lehrer. Zuerst erwarb er sich eine vollkommene Uebersicht des ihm zunaechst gelegenen, der Theorie der Harmonie, dann drang er weiter und immer weiter zur Mathematik und allen ihr verwandten Wissenschaften. So verflossen ihm in Halifax einige von ihm hoechst nuetzlich verwandte Jahre auf das Angenehmste, dann ward er, ebenfalls als Organist, nach Bath berufen. Hier fand er mehr Arbeit in seinem einmal erwaehlten Stande, er musste in den Assemblee-Saelen spielen, in Konzerten, im Theater, aber alles dieses hinderte ihn nicht, in seinem eigentuemlichen Berufe fortzufahren. Trotz der ueberhaeuften Arbeit, trotz der Lockungen zu einem zerstreuten Leben in der glaenzenden Aussenwelt, die ihn umgab, blieb er seinem Genius treu und verwachte viele Naechte bei den abstraktesten Gegenstaenden. Astronomie und Optik beschaeftigten ihn jetzt fast ausschliessend. Mit unbeschreiblichem Vergnuegen betrachtete er den gestirnten Himmel durch ein von einem Freunde geliehenes Teleskop. Unwiderstehlich erwachte in ihm der Wunsch, einen ganzen astronomischen Apparat zu besitzen. Unbekannt mit den dazu erforderlichen Kosten, schrieb er einem seiner Londoner Bekannten, er moege ihm fuer's erste ein groesseres Teleskop aus der Hauptstadt schicken. Dieser, verwundert ueber den dafuer geforderten Preis, wagte den Einkauf nicht, ohne Herschel vorher davon zu benachrichtigen. Auch dieser erschrak nicht wenig darueber, denn die verlangte Summe schien ihm unerschwinglich. Statt sich aber dadurch niederschlagen zu lassen, fasste er jetzt den kuehnen Entschluss, selbst ein solches Instrument, wie er es sich wuenschte, zu verfertigen. Nach unendlichen fehlgeschlagenen Versuchen mit den schlechtesten Hilfsmitteln, immer angefeuert durch seinen strebenden Geist, gelang es ihm endlich im Jahr 1774, den Himmel durch einen, von ihm selbst verfertigten, fuenffuessigen Newtonschen Reflektor zu betrachten. Jetzt strebte er weiter und immer weiter, verfertigte Instrumente von einer zuvor nie gesehenen Groesse und hielt doch fest bei seinem einmal angefangenen Berufe. Oft eilte er aus dem Theater, aus den glaenzenden Konzertsaelen, waehrend der Pausen hinaus ins Freie zu seinen Sternen und kehrte dann zur rechten Zeit zurueck zum Notenpulte. Von dieser Zeit an datieren sich seine weltbekannten astronomischen Entdeckungen. Herschel ward beruehmt und zuletzt drang sein Ruf bis zum Koenige. Im Jahr 1782 nahm ihn dieser ganz unter seinen Schutz, befreite ihn von seinen beschwerlichen Berufsarbeiten, gab ihm eine lebenslaengliche Pension und raeumte ihm die Wohnung in Slough ein, wo wir so gluecklich waren, den ehrenwerten Mann persoenlich kennenzulernen, und von wo aus er bis an seinen vor einigen Jahren erfolgten Tod die Geheimnisse der Sphaeren belauschte. Von Slough nahmen wir unseren Weg ueber Oatlands zurueck nach London. Diese einsame laendliche Wohnung der seitdem auch verstorbenen Prinzessin Friederike von Preussen [Fussnote: Gattin des Herzogs von York, eines Bruders von Georg IV., den sie 1791 heiratete. Wegen Kinderlosigkeit trennten sie sich nach sechsjaehriger Ehe. Die Wochenendgesellschaften in Oatlands waren beruehmt, und auch der Herzog besuchte sie bisweilen trotz ihrer Trennung.], Gemahlin des Herzogs von York, liegt in geringer Entfernung von den Ufern der Themse, fast am aeussersten Ende des schoenen Tals, welches der Blick von Richmonds Huegel aus beherrscht. Hier wohnte diese Fuerstin, die Tochter Koenig Friedrich Wilhelms des Zweiten, als Kind schon der Liebling ihres grossen Oheims, beinahe das ganze Jahr hindurch in kloesterlicher Eingezogenheit, umgeben von wenigen Damen. Selten nur kam der Herzog mit einigen Freunden nach Oatlands und brachte Abwechslung in ihr einfoermiges Leben. Ihre Hauptbeschaeftigung waren wunderschoene Stickereien, an welchen sie mit ihren Damen bis tief in die Nacht arbeitete. Wenn der Morgen daemmerte, ging sie gewoehnlich erst zur Ruhe, und stand auf, wenn die Sonne wieder zu sinken begann. Der boese Genius, der uns vom Anfange dieser kleinen Reise begleitete und uns so manche Erwartung vereitelte, schien uns auch hier noch nicht verlassen zu wollen. Wir waren leider wieder nicht an dem Tage dort, an welchem Fremden der Eintritt erlaubt wird, und haetten durchaus an einem Sonntage kommen sollen, versicherte uns eine alte, ziemlich graemliche, korpulente Dame, die Frau des Kastellans. Neben ihr stand ein ebenso wohlbeleibter und verdriesslicher Berliner Mops und wies uns knurrend die weissen Zaehne. Trotz dieser trueben Aspekte versuchten wir unsere Redekuenste und gluecklicherweise nicht ohne Wirkung. Wir stellten ihr vor, wie wir ausdruecklich aus Deutschland ueber's Meer hierher gekommen waeren, um unseren Landsleuten hernach sagen zu koennen, wie es in der Wohnung unserer Prinzessin aussaehe und wie es ihr erginge? Dies ruehrte das Herz der alten Dame, zusehends wurde sie freundlicher, der knurrende Mops ward auf sein Kissen verwiesen, sie schrieb ein Billett an Madame Silvester, eine deutsche Favorite der Herzogin, und machte zuletzt noch eine grosse Toilette, um uns selbst ins Schloss zu begleiten. Langsam wedelnd watschelte jetzt der Mops gesellig neben uns her. In dieser Begleitung durchwanderten wir zuerst einen schoenen grossen Park, dann traten wir in einen Blumengarten, voll der schoensten und seltensten Pflanzen. Eine Menge grosser und kleiner, lang- und kurzgeschwaenzter Affen trieb darin ihr lustiges Wesen. Die Herzogin liebte diese und alle Tiere, welche sich zur haeuslichen Geselligkeit erziehen lassen. Fremde und einheimische Voegel, Papageien, Hunde aller Art fanden wir in grosser Anzahl ueberall in und um ihre Wohnung. Die groesste Zierde des nicht gross, nicht praechtig, sondern ganz einfach und fast buergerlich eingerichteten Schlosses waren die kuenstlichen Stickereien der Fuerstin und ihrer Damen. Die Spaziergaenge fanden wir sehr angenehm, sehenswuerdig allein eine schoene, mit seltenen Versteinerungen und Fossilien aus Derbyshire etwas phantastisch verzierte Grotte, die ein marmornes Bad enthaelt. Rund um sie her lagen die mit Inschriften versehenen Graeber der verstorbenen Lieblingshunde und Affen der Fuerstin. Diese erinnerten uns lebhaft an den Kirchhof, welchen Friedrich der Grosse in Sanssouci fuer seine vierbeinigen Freunde einrichtete und in dessen Mitte er einst, in einer trueben Stunde, sein eigenes Grab bereiten liess. Westindische Docks. Knole, Landsitz des Herzogs von Dorset Die noerdlichen Ufer der Themse in der Grafschaft Kent sind nahe bei London mit unzaehligen Magazinen, Schiffswerften und anderen dem Seehandel unentbehrlichen Gebaeuden bedeckt. Hier auf der befahrensten Strasse zum "Markte der Welt" ist alles der rastlosesten Taetigkeit geweiht, und die laendlichen Freuden fliehen von selbst diesen ewigen Laerm, wo der Amboss und der laute Ruf einer zahllosen Menge arbeitender Menschen unaufhoerlich ertoent. Nahe an der Stadt erblickt man ein Riesenwerk unserer Tage: die dem westindischen Handel gewidmeten Docks. Eine Gesellschaft Londoner Kaufleute erbaute sie vor nicht gar langer Zeit. Sie kosteten die ungeheure Summe von sechshunderttausend Pfund Sterling. Eine Abgabe von den hier abzuladenden Waren entschaedigt die Unternehmer fuer ihre Auslage vollkommen, denn alle Westindienfahrer muessen in diesem durch Kunst hervorgebrachten Hafen ihre Waren ein- und ausladen. Er besteht aus zwei ungeheuren Bassins, von welchen das kleinere bloss zum Laden dient, das groessere zwei- bis dreihundert grosse Schiffe beherbergen kann, die darin sicher und bequem unter Schloss und Riegel liegen. Man kann sich den imposanten Anblick des Ganzen kaum vorstellen. Schoene breite Quais, belebt von allem Gewuehl des Seehandels, umgeben die mit Schiffen bedeckten Bassins. Einer Reihe Palaeste gleich, stehen die grossen praechtigen Magazine die Quais entland; kein Fleck ist unbenutzt, und trotz der Groesse des Ganzen scheint es oft noch an Raum zu fehlen. Diese Einrichtung gewaehrt dem Handel nicht zu berechnende Vorteile; denn die mit den kostbarsten Waren beladenen Schiffe liegen hier gesichert gegen allen Diebstahl, in einem ganz abgesonderten Raume, geschieden von den uebrigen Fahrzeugen, welche den Hafen ueberfuellen. Da die Westindienfahrer gewoehnlich in grossen Flotten zugleich anlangen, so entstand bei ihrer Ankunft sonst immer eine gewaltige Verwirrung, ein fuerchterliches, unendliches Schaden und Verlust mit sich bringende Gedraenge auf dem Strome. Dem ist nun vorgebeugt, und alles geht mit Ruhe und Ordnung vonstatten. Den praechtigen Docks gegenueber breitet sich das stattliche Greenwich aus, und man braucht nur in einem der immer bereit liegenden Boote quer ueber die Themse zu schiffen, so ist man in diesem der Ruhe gewidmeten Asyl; nur einige Schritte weiter in dem schoenen Park von Greenwich und die friedlichste Stille umgibt uns, kein Laut von jenem unruhigen Treiben der gelderwerbenden Menge toent mehr herueber. Hinter dem Park erstreckt sich die nicht grosse, aber als Haupttummelplatz englischer Strassenraeuber beruechtigte Heide von Blackheath, welche jedoch in ueblerem Rufe steht, als sie es verdient. Im Ganzen scheint die Zahl jener Unholde in England ziemlich abgenommen zu haben, und manche Mordgeschichte, die man in den englischen Blaettern liest, wurde nur ersonnen, um den Platz zu fuellen, oder den uebrigen, oft faden Inhalt der Neuigkeiten bekannter zu machen. Von Blackheath aus machten wir eine kleine Lustreise durch einen anderen Teil der Grafschaft Kent, als der war, welchen wir auf der Reise von Dover nach London sahen. Gleich anfangs erfreute uns, wenige Meilen von London, eine in ihrer Art einzige, wunderherrliche Aussicht. Wir sahen die maechtige Stadt, ihre unzaehligen Tuerme und den Dom von St. Paul ausgebreitet daliegen am Ufer des Stroms, der, bedeckt mit Masten, wirklich im strengsten Sinne des Worts wie ein seiner Zweige beraubter Wald sich zeigte. Gerade vor uns lag Greenwich, zur linken Hand die nicht unbetraechtliche, fast einzig dem Schiffsbau gewidmete Stadt Deptford mit ihrem Hafen, ihren Docks, ihren gewuehlvollen Schiffswerften, rechts die ihr aehnliche Stadt Woolwich, in welcher sich das ungeheure Arsenal der englischen Seemacht nebst vielen dazugehoerigen Schmieden, Magazinen und Fabriken befindet. Das sanfthuegelige Land ringsumher, belebt durch unzaehlige Doerfer, traegt ganz den englischen Charakter; alles ist gruen, fruchtbar, angebaut und geschmueckt mit einzelnen Gruppen ehrwuerdiger Eichen und Buchen. Manchen schoenen Park mit seiner Villa, manche reizende laendliche Wohnung sahen wir im Vorbeifahren, bis zu dem vierzehn Meilen von London entlegenen Landstaedtchen Bromley. Hier draengen sich indessen die Landsitze nicht so aneinander als in der Gegend um Richmond herum, denn es fehlen die hoeheren Reize, die dort der alles belebende Strom gewaehrt, und ueberhaupt mangelt es der Grafschaft Kent an Gewaessern. Nahe bei Bromley besuchten wir einen alten Freund, den wir vor mehreren Jahren in einem kleinen Hause der City als einen mittelmaessig wohlhabenden Kaufmann in seinem Comptoir verliessen und hier als den reichen Besitzer von Tunbridge Park wiederfanden. Ein schoener Park, angenehme Gaerten und Spaziergaenge umgeben die elegante, von unserem Freunde ganz im italienischen Geschmacke erbaute Villa. Der Tempel der Ceres nahe bei Rom diente der Hauptfassade zum Modell. Wenige Meilen weiter, nahe beim Staedtchen Sevenoaks, liegt Knole, der uralte Sitz des Herzogs von Dorset. Bis hierher behaelt die Gegend denselben Charakter, huegelig, gruen, angebaut wie ein Garten. Das durch sein Alter ehrwuerdige Schloss liegt mitten in einem weitlaeufigen Parke, dessen himmelanstrebende Eichen vielleicht schon vor seiner Erbauung dastanden. Es ist ein duesteres, weitlaeufiges Gebaeude, dessen innere Einrichtung aus einem wunderlichen Gemisch von Altem und Neuem besteht. Einige Zimmer sind ganz modern moebliert, andere, wie sie vor ein paar hundert Jahren es waren; die uebrigen, gerade die am meisten bewohnt zu werden schienen, enthalten Altes und Neues durcheinandergemischt und nehmen sich eben nicht zum besten aus. Besonders merkwuerdig fuer den Forscher nach alter Sitte sind zwei Zimmer; das erste steht noch da, wie Koenig Jakob der Erste [Fussnote: Koenig von Grossbritannien und Irland (1603-25), als Koenig von Schottland Jakob IV. (1567-1625), Sohn Maria Stuarts.] es verliess, der einmal eine Nacht darin zubrachte. In dem hohen geschnitzten Bette koennten wenigsten sechs Personen bequem Platz finden; an den Spiegeln ist mehr Schnitzwerk als Glas, und die zentnerschweren Lehnstuehle sind mit kleinen Treppen zum Hinaufsteigen versehen. Das andere Zimmer, dessen Einrichtung aus derselben Zeit stammt, ist ein kostbares Denkmal der damaligen soliden Pracht. Die aus Gold und Silber gewirkten Gardinen des Bettes, welches allein zwanzigtausend Pfund Sterling gekostet hat, scheinen ihre Entstehung eher dem Amboss und Hammer als dem Webstuhle zu verdanken, so massiv sind sie, und die mit einer zolldicken kuenstlichen goldenen Stickerei ueber und ueber verzierte Decke desselben wuerde jeden, der darunter schlafen wollte, durch ihre Schwere erdruecken. Eine silberne Toilette von schoener alter getriebener Arbeit, ein grosser silberner Tisch und ein geschnitzter Schrank, gross wie ein Haus in den Hochlanden, ueber und ueber besetzt mit silbernen Prunkvasen, machen das Ameublement vollstaendig. Viele andere Zimmer enthalten eine Menge guter alter Gemaelde. Besonders merkwuerdig in dieser Hinsicht ist eine lange Galerie voll Familienportraits und Bildnissen ausgezeichneten Menschen frueherer Zeit. Manche wunderliche Karikatur, aber auch mancher vortrefflich gemalter Kopf blickt hier von den Waenden auf uns herab. Zu den letzteren gehoert besonders ein sehr charakteristisches Portraet Cromwells, naechst dem Luthers, dessen bleichen Freundes Melanchthon und Erasmus, gemalt von Lucas Cranach. Die Portraets fast aller bekannten und beruehmten Gelehrten und Dichter Englands fuellen ein besonderes Kabinett. Weiterhin hinter Knoles erhebt sich die Gegen allmaehlich; hoehere Berge gewaehren dem Reisenden manche schoene Aussicht; bald zeigen wunderbar gestaltete Felsen ihre kahlen Scheitel; weiter blick man hinab in die tiefen Schluchten eines sehr pittoresken Steinbruchs; dann zeigt sich die schoene Ruine eines uralten Schlosses hoch auf einem Berge, der drohend auf das and seinem Fusse liegende Staedtchen Tunbridge hinabschaut. So geht es fort bis zu dem einige Meilen weiterhin gelegenen freundlichen Badeorte Tunbridge Wells. Dieser wird sehr haeufig besucht, da er nur sechsunddreissig Meilen von der Hauptstadt entfernt ist und man den Weg dahin in wenigen Stunden zuruecklegt. Wir wuerden indessen die Grenzen der naechsten Umgebung ueberschreiten, wenn wir uns auf dessen naehere Beschreibung hier einliessen; auch zeichnet er sich weder durch seine innere Einrichtung noch durch seine Lage vor anderen aehnlichen Orten aus. Tunbridge sei also der Scheidepunkt, wo wir dem Leser, der uns freundlich bisher begleitete, ein dankbares Lebewohl sagen. End of the Project Gutenberg EBook of Reise durch England und Schottland by Johanna Schopenhauer *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE DURCH ENGLAND UND SCHOTTLAND *** ***** This file should be named 10823.txt or 10823.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: https://www.gutenberg.org/1/0/8/2/10823/ Produced by Tina Gr"we Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. They may be modified and printed and given away--you may do practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. *** START: FULL LICENSE *** THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg-tm License (available with this file or online at https://gutenberg.org/license). Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is in the public domain in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country outside the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org 1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived from the public domain (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg-tm License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided that - You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation." - You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm works. - You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. - You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg-tm works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread public domain works in creating the Project Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH F3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at https://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at https://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit https://pglaf.org While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed (zipped), HTML and others. Corrected EDITIONS of our eBooks replace the old file and take over the old filename and etext number. The replaced older file is renamed. VERSIONS based on separate sources are treated as new eBooks receiving new filenames and etext numbers. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: https://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. EBooks posted prior to November 2003, with eBook numbers BELOW #10000, are filed in directories based on their release date. If you want to download any of these eBooks directly, rather than using the regular search system you may utilize the following addresses and just download by the etext year. For example: https://www.gutenberg.org/etext06 (Or /etext 05, 04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90) EBooks posted since November 2003, with etext numbers OVER #10000, are filed in a different way. The year of a release date is no longer part of the directory path. The path is based on the etext number (which is identical to the filename). The path to the file is made up of single digits corresponding to all but the last digit in the filename. For example an eBook of filename 10234 would be found at: https://www.gutenberg.org/1/0/2/3/10234 or filename 24689 would be found at: https://www.gutenberg.org/2/4/6/8/24689 An alternative method of locating eBooks: https://www.gutenberg.org/GUTINDEX.ALL