The Project Gutenberg EBook of Gedichte und Sprüche in Auswahl, by Walther von der Vogelweide This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Gedichte und Sprüche in Auswahl Author: Walther von der Vogelweide Release Date: April 8, 2011 [EBook #35795] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GEDICHTE UND SPRÜCHE IN AUSWAHL *** Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
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Walther von der Vogelweide
Im Insel-Verlag zu Leipzig
FRÜHLINGSSEHNSUCHT. geschadet ist wie geschât zu lesen; der Winter hat uns allerwärts Nachteil gebracht. – val, entfärbt. – stimme, Vogelstimme. – maget, nicht Magd, Dienerin, sondern Jungfrau. – wache ich, muß ich wachen. – die wîle, die Zeit über, so lang. – nît haben, etwas hassen. – den strît lân, das Feld räumen.
TRAUMDEUTUNG. dar, dahin. – was sîn ganc, nahm er seinen Lauf. – mære, herrlich, lieb. – bære, [mir Schatten] verschaffte. – umbe daz, darum: deshalb schlief ich rasch ein. – bedûhte, däuchte. – alliu lant, alle Reiche. – gebâren, sich gebärden, benehmen; der Sinn ist: als wenn ich Beherrscher der Welt und, was ich auch auf Erden tun möchte, doch des Himmels sicher wäre. – walden, Gewalt haben über etwas, dafür sorgen. – enwart, ward nicht. – unsælic, verwünscht. – schrîen, krächzen. – gedîen, gedeihen: o daß es allen Krähen so ergehen möchte, wie ich es ihnen gönne, d. h. daß sie verwünscht seien. – nam, benahm, raubte. – michel, groß. – wan daz, nur daß, nur weil. – niht steines, kein Stein: hätte ein Stein da gelegen, es wäre ihr Tod gewesen. – suonetac, der Tag der Sühne, des Gerichts, der jüngste, letzte Tag. – wan, aber, indessen. – wunderalt, sehr alt. – eiden, eidlich verpflichten, in Pflicht und Eid nehmen. – bescheiden, auseinandersetzen, auslegen. – dannoch, sodann noch: überdies sagte sie mir noch. Das Folgende eine sprichwörtliche Redensart.
FRÜHLING UND FRAUEN. sô, wenn. – same, sam, gleichwie, als wenn. – spilede = spilende, funkelnd. – wîse, Melodie. – sich genôzen, sich gleichstellen, vergleichen. – sich gelîchen, gleich sein, gleichen. – dicke baz, oft noch besser. – wol gekleidet, geputzt, in festlicher Kleidung. – wol gebunden, mit schönem gebénde, mit schön aufgebundenem, geschmücktem, mit Blumen bekränztem Haar. – durch kurzewîle, wegen (zur) Kurzweil, Unterhaltung; in große Gesellschaft. – hovelîchen hôchgemuot, in edler sittsamer Heiterkeit. – niht eine, nicht allein = in Begleitung. – under stunden, von Zeit zu Zeit: zuweilen ein wenig sich umsehend. – alsam, gleichwie. – kapfen, offenen Mundes schauen, gaffen. – welt, wollt. – hôchgezît, Freudenfest. – krefte, von kraft, Macht, Fülle. – wederez, welches von beiden. – überstrîten, im Kampfe, Wettstreit übertreffen. – ôwê, ach. – küre, von kiesen, auswählen, aussuchen. – hêr Meie, Personifikation. Der Sinn ist: lieber mags wieder Winter werden, als daß ich meine Herrin hergäbe.
LIEBESTRAUM. sêt, sieh, da nimm. – iu, euch. – hân, habe, besitze. – sule wir = sulen wir, wollen wir. Das Blumenbrechen vor dem Walde oder auf ferner Aue gilt für bedenklich, und der Ausdruck wird doppelsinnig gebraucht. Rosen lesen und ein Kuß von rotem Munde sind gleichbedeutend. – kint, junges Mädchen. – êre, Ehrgefühl, Scham. – sich erschamen, in Scham geraten; da schlug sie ihre leuchtenden Augen verschämt nieder. – neic, sie verneigte sich dankend. – schône, freundlich. – tougen, heimlich. – ie, allezeit, fortwährend. – bî uns, neben uns. – von, vor, aus. Aus Freude über dieses wonnevolle Glück, das mir im Traume beschert war, mußte ich lachen. – muose, mußte. – meiden = megeden, Jungfrauen. – vast' = vaste, sehr, genau, eifrig. – under diu ougen oder under ougen, ins Gesicht. – lîhte, vielleicht. – eniu, jene: die ich im Traume sah. – mir ist buoz, ich werde von etwas erledigt, befreit: so bin ich meiner Sorgen, meines Kummers quitt. – waz obe, wie wenn, wer weiß ob nicht. Der auch anderwärts begegnende Ausdruck an dem tanze gên deutet auf eine mehr ruhige Bewegung.
SCHÖNHEIT UND TUGEND. Wol mich, wohl mir: Heil der Stunde. – erkennen, kennen lernen. – muot, Seele, Gemüt: mich an Leib und Seele. – betwingen, bezwingen, unterwerfen. – sît deich, seitdem ich. – sô gar, so gänzlich. – wande, wandte, richtete. – verdringen einen eines dinges, wegdrängen von etwas: deren sie mich beraubt hat. – gescheiden, sich trennen, losmachen. – getar, von geturren, sich unterstehen, getrauen, dürfen. – eines dinges an einen muoten, etwas von einem verlangen, ihm zumuten. Was immer ich von ihrer Güte verlangen darf, möge zu einem guten, uns beide befriedigenden Ende gebracht werden.
UNTER DER LINDE. friedel, Geliebter. – ê, vorher, früher. – hêr, erhaben, vornehm, heilig: hl. Jungfrau (Maria). – stunt, hinter Zahlwörtern: Mal. Ob er mich geküßt hat? ja, wohl tausendmal. – alsô, verstärkend, im Sinne von: sehr. – bettestat, Lager-, Ruhestätte. – das pfat, der Pfad. – bî den rôsen, an den Rosen: da wo die Rosen liegen. – mir'z = mir daz. – niemer niemen, nimmer niemand, verstärkte Negation. – bevinde, erfahre, soll das erfahren. – wan, außer. – getriuwe, zuverlässig, verschwiegen.
GEGENSEITIGE LIEBE. unmære, unwert, gleichgültig, zuwider. Ob du mich liebst, weiß ich nicht, ich aber liebe dich. – swære, schmerzlich. – vermîden, unterlassen. – erlîden, ertragen. – huote, Vorsicht: tust du das etwa aus Vorsicht (vor den Spähern), daß du mich so selten anblickst? – ze guote, zum Nutzen. – wîzen, tadeln: so tadle ich dich deswegen nicht. – sô dû baz enmügest, wenn du nicht weiter (gehen, mehr tun) kannst. – swanne, wann immer. – ich s' = ich sie, die: ich alle diejenigen betrachte, die. – von schulden, aus zureichendem Grunde, mit Recht. – behagen, gefallen. – âne rüemen, ohne Prahlerei. – sumelîch, mancher. – z'ihte, zu irgend etwas, einigermaßen. – mære, wert: ob ich dir etwas gelte. – niwet, ältere Form von niht.
SCHÖNHEIT UND ANMUT. frouwelîn: das Diminutivum bezeichnet die niedere Herkunft der Geliebten. – willeclîchen, willig, bereitwillig. – muot haben eines dinges, Verlangen, Lust, Absicht haben, etwas zu tun: dazu wäre ich gerne bereit. – mê, weiter. – wan daz, außer, als daß. Das bereitet mir Schmerz. – verwîzen, einem tadelnd vorwerfen; verweisen, daß ich so Niedrigem meinen Gesang weihe. – liebe, Anmut, Liebreiz. Dafür sollen sie keinen Dank empfangen; eine Verwünschung. – getraf, bewegte, ergriff. – guot, Geld, Vermögen, Reichtum. – haz, Hassenswertes. – gâch, jäh, schnell: lasse sich keiner von der Schönheit zu rasch fesseln. – gêt nâch = steht nach: die Anmut geht der Schönheit vor. – schœne, unflektierte Form; verschönt die Frau. – vertragen, ertragen, hingehen, sich gefallen lassen; nämlich den gegen meine niedere Minne ausgesprochenen Tadel. – glesîn vingerlîn, Fingerring von Glas, im Mittelalter häufig getragen. Durch den Glasring, den der Dichter dem Goldreif einer Fürstin vorzieht, ist die Armut und niedrige Stellung der Geliebten angedeutet. – dîn ân' angest gar, in bezug auf dich gänzlich unbesorgt. – iemer, jemals. – mit willen, mit Vorsatz, absichtlich.
DIE HERRLICHE FRAU. wunderwol, wunderbar schön. – ich setze ir minneclîchen lîp: ich räume ihrem lieblichen Leibe eine würdige Stelle ein in meinem kunstvollen Gesang; ich bin gern bereit, allen Frauen zu huldigen; doch habe ich mir diese auserwählt, ein anderer kennt die seinige: ich habe nichts dagegen, wenn er diese lobt, selbst wenn es mit meiner Tonweise und meinen Worten (meinen eigenen Liedern) geschieht. – als, als wenn, wie wenn. – joch, auch. – dâ abe, davon, daraus. – dâ inne, darin. – ersehen, schauen; spiegeln. – mir s' = mir sie, nämlich die beiden Sterne (Augen). – haben, halten: o daß sie mir die Augen so nahe rückte, daß ich mich darin schauen könnte! – sô, dann. – jungen, jung werden. – und, wenn. – mir gernden siechen, mir Sehnsuchtskranken. – mir wirt baz, ich werde von etwas erlöst, befreit. – seneder sühte, von der Liebeskrankheit. – flîz haben eines dinges, Sorgfalt auf etwas verwenden. Gott verwandte auf ihre Wangen so große Sorgfalt. – streich: Präteritum von strîchen, streichen. – rœseloht, rosig; liljenvar, lilienfarbig. – vor sünden, ohne mich zu versündigen. – tar, mich getraue, darf. – himelwagen, das Sternbild des großen Bären. – hêr, vornehm, stolz: erhebe ich sie gar zu hoch, so kann es leicht geschehen, daß mein Lob meinem Herzen zum Schmerz (sêr) gereicht. – küssen, Kissen, Polster, so nennt der Dichter wortspielend die rotschwellenden Lippen. – ûf stân, erstehen, sich erheben. – nôt, Drangsal: so würde ich dieser Pein ledig. – smecken, riechen, duften. – sô, wenn. – iender, irgend, nur. – regen, bewegen, berühren. – allez, gänzlich, durchaus; als wenn es durch und durch aus Balsam bestände. – so dicke, so oft. – kel, der Hals. – ietweder, jeder von beiden, beide. – ze wunsche wolgetân, wie man nur wünschen kann, aufs beste, vollkommenste geschaffen; wenn ich daneben (zwischen Hals und Fuß) etwas loben darf, so meine ich allerdings noch mehr gesehen zu haben. – decke blôz, Imperativ, decke das Bloße! vielleicht ein Ausdruck aus dem Fechtunterricht, Zuruf des Lehrers. – mîn niht, nichts von mir, mich nicht. – schôz, traf, verwundete. – stichet noch, schmerzt noch (wie eine Wunde). – als, ganz so wie, wie. – dô, damals. – die reinen stat, die reine, schöne Stätte.
TROST IM LEIDE. ab, gekürzt für aber; will denn niemand wieder fröhlich sein, daß wir nicht immerfort in Sorgen leben müssen? – von, vor. – wîzen, tadeln, strafen, vorwerfen: ich weiß nicht, wem sonst ich die Schuld geben soll. – unbetwungen, uneingeschränkt, unbehindert: die haben nichts, was sie bekümmert. – des, darum. – stân, schlecht oder gut anstehen, ziemen. – Frô Sælde: die Glücksgötter: wie (eigen, ungleich) die Glücksgöttin doch ihre Gaben austeilt. – kumber, Bedrängnis, hier die Last der Armut. – sô, umgekehrt, auf der andern Seite. – gît s' = gibt sie. – daz ungemüete, Unmut. – nien' = niene schriet, Präteritum von schrôten, schneiden, zuschneiden; der Dichter bleibt beim Bilde des Kleidens; guote ist ironisch gemeint. – verholne, insgeheim, im stillen. – sorge, Kummer. – trage, trägt. – liehte tage = die sonnigen Tage des Sommers, die Sommerfreude. – erwelt, auserlesen. – lâ stân: laß ab, hör auf.
DAS HALM-MESSEN. zwîvellîch, ungewiß, verzweifelnd. – wân, hier etwa Gedanken. In zweifelnde Gedanken. – was ich gesezzen, hatte ich mich gesetzt, war ich vertieft, versenkt; daß ich meine Bemühung um sie, meine Bewerbung aufgeben wolle. – wan daz, außer daß: hätte mich nicht eine freudige Zuversicht zurück (davon ab) gebracht. – fröwen, freuen. – lützel ieman, wenig jemand = niemand. – er enwizze wes, ohne zu wissen weshalb, worüber. – er giht: er sagt (ich solle noch die Gunst der Geliebten gewinnen). – kleine, fein, zart. Unter dem Messen des Halmes haben wir dasselbe Spiel zu verstehen, das heute noch unter Kindern und Erwachsenen im Schwange ist und darin besteht, daß entweder die Knoten oder Ringe eines beliebigen Halmes oder auch die Blätter der Sternblume (wie von Gretchen im Faust), ja selbst die Knöpfe an Weste und Rock gezählt werden. Doch ist zu beachten, daß W. den Halm ein kleinez strô nennt, was die Deutung auf die Halmknoten unsicher macht.
DAS RECHTE MASS. füegerinne, Schöpferin. – zewâre, fürwahr. – endarf: braucht sich nicht. – durch daz, deshalb. – ebene, im Gegensatz zu nidere und hôhe, im rechten Ebenmaße der Mitte. – werben, handeln, tun, werben (hier: um Minne). – vil nâch, nahezu, beinahe. – ze nidere, ze hôhe, durch zu niedrige, zu hohe Werbung. – ir lât mich âne nôt, laßt mich unbehelligt, in Ruhe! – swachen, erniedrigen. – kranc, schwach, gering, unwürdig. – beiten, warten, zögern. Ich möchte wissen, warum die Maße zögert (mich aus der Unmaße zu retten durch ihre Unterweisung). – verleitet, irregeführt: kommt die Maße nicht bald, so folge ich ratlos meinem Herzensdrang.
PREIS DER LIEBENSWÜRDIGKEIT UND TUGEND. gedinge, Hoffnung, Zuversicht. – liep, angenehm, süß. – mir liebet ein dinc, gefällt mir, ist mir angenehm. – enwiderstrît, um die Wette. – trôst hân ze freuden, zuversichtliche Hoffnung haben, daß etwas Erfreuliches geschieht. – baz, besser, mehr. – maz, abmessend, vergleichend betrachtete. – im, dem andern, was ihn mehr als alles Genannte erfreute. – entoben, sich erheben über. – an die frouwen mîn, in bezug auf meine Geliebte.
DEUTSCHLAND ÜBER ALLES. gar ein wint, gar nichts. – miete, Lohn, Belohnung. – êren, Preis. – tiusch, gekürzt aus diutisch, tiutsch, deutsch; ich will den deutschen Frauen solche Dinge verkünden, daß sie der Welt noch mehr (als bisher) gefallen werden. – âne, ohne. – unrehte, unrecht, unrichtig. – strîten, mit Worten sowohl als mit Waffen streiten. Was nützte es mir auch, wenn ich Falsches behauptete? – her wider, wiederum zurück. – hân erkant, kennen gelernt habe. – gelâz, Benehmen; falls ich mich anders auf Beobachtung von edler Bildung und körperlicher Schönheit verstehe, so möchte ich, so wahr mir Gott helfe, wohl schwören, daß hier die Frauen besser sind als anderwärts. – sam, beteuernd: so wahr, mir got sc. helfe.
DER MINNE RECHT. ich wil, ich meine: zwei Geliebte dürfen nach meiner Ansicht wohl miteinander zürnen, wenn es aus treuem Herzen kommt: abwechselnd Trauer und Heiterkeit, leichter Zorn und innige Versöhnung, das ist das der Minne zukommende, gebührende Recht, so will es herzliche Liebe.
IM GELOBTEN LAND. alrêst = allererst. Nun erst hat das Leben Wert für mich. – giht, von jehen, von jemand etwas sagen: das man so sehr rühmt und preist. – menneschlîchen, menschlich, als Mensch. – trat, wandelte. – er reine, er der Reine, Makellose. – wir eigen, wir Unfreie, Leibeigene. – heiden, darunter verstand man im Mittelalter namentlich auch die Mohammedaner. – mir ist zorn, ich gerate in Zorn. – übergenôz, der seinesgleichen nicht hat. – hinnen, von hinnen. – sunder scheiden, absondern, lostrennen. – al ein, alles eins: sie bilden eins. – sleht, glatt. – eben, gleichmäßig. – der zein, gegossener Metallstab. – geschenden, zuschanden machen. – sich heben, anheben, anfangen. – sluoc unde stach, geschlagen und gestochen hatte. – sande, gesandt hatte. – hin wider, hierher zurück. – einen tac sprechen, einen bestimmten Termin zur Gerichtsverhandlung ansetzen. – angeslîch, angstvoll, Angst erregend: den jüngsten Gerichtstag. – der weise, die Waise. – der gewalt, Vergewaltigung. – gestalt, von stellen, anstellen: die man an ihm hier verübt. – vergalt, bezahlt, gebüßt hat. – lantrehtære, Vorsteher eines Landgerichts. – tihten, das Erfinden, Urteilsspruch; juristische Spitzfindigkeiten, Erfindungen. – fristen, aufschieben, hintanhalten. – ze stunt, sogleich, auf der Stelle. – unverebenet, unausgeglichen, unberichtigt. – diu ger, das Verlangen, Begehren: unser Anspruch ist der berechtigte, darum ist es in der Ordnung, daß er ihn uns erfülle.
EINST UND JETZT. war, wohin. – kündic, bekannt, wie der einen Hand die andere. – bereitet, »was einst unangebautes Feld, also Wiesengrund, war, ist jetzt umgebrochen in Äcker, der Wald ist umgehauen.« – wan daz, nur daß: flösse nicht das Wasser, wie es ehedem geflossen; fürwahr ich glaubte ... – trâge, träg, lässig, zögernd. – ungenâde, Trübsal, Mißgeschick. – enpfallen, bildlich: verloren gehen: die sind mir entschwunden, zerronnen. Wie ein Schlag ins Meer, in den Bach oder ins Wasser, ein bei den mhd. Dichtern öfter vorkommendes Bild für etwas schnell Vorübergehendes, spurlos Verschwindendes. – iemer mêre, für immer. – jæmerlîche, kläglich. – tuont, sich gebärden. – unvil, selten = niemals. – riuweclîche, bekümmert, betrübt. – kristenman, Christenmensch. – das gebénde, der Kopfputz der Frauen. – dörperlîch, dörfisch, bäurisch. – unsenfte, unerfreulich. – brieve, Bannbriefe, -bullen. – müet, betrübt, quält mich. – kiesen, wählen: daß ich nun das Lachen mit Weinen vertauschen soll. – wilde heißt alles, was im Walde lebt, im Gegenteil zu zam, das bei den Menschen lebt: selbst die dem Menschen fremden Waldvögel trauern mit uns. – dirre wünne, dieser, der irdischen Wonne und Freude. – vergeben, vergiften: wie sind wir mit den Süßigkeiten (dieser Welt) vergiftet! – iuwer dinc, eure Sache; euch, ihr Ritter, liegt es ob (das Kreuz zu nehmen). – rinc, Stahlring, Ringpanzer. – diu gewîhten swert, im Mittelalter wurden den Rittern bei Gelegenheit der Schwertnahme die Schwerter geweiht und gesegnet. – sigenunft, eigentlich Siegnahme; Sieg. Wäre ich würdig, an dem siegreichen (Kreuz-)Zuge teilzunehmen! – nôtic, arm, bedürftig. – joch, wahrlich. – huobe, Hube, mansus, ein Grundstück von 30–40 Morgen Landes; hier = Lehngüter. – die lieben reise über sê, die willkommene, erwünschte Kreuzfahrt übers Meer.
DER WAHLSTREIT. stein, Fels. – dahte, von decken, ebenso saste von setzen. – gesmogen von smiegen: geschmiegt. – daz wange, die Wange. – ange, dicht an-, umschließend, dann bildlich: mit ängstlicher Sorgfalt. – wes, weshalb. – der, deren, von denen. – diu zwei, zwei davon. – varnde guot, bewegliche (hier = vergängliche, irdische) Habe. – diu übergulde, was mehr gilt: die mehr wert ist als die beiden andern. – mêre, jemals wieder. – benemen, entziehen, unmöglich machen: Weg und Steg sind ihnen verlegt. – diu sâze, der Hinterhalt. – wazzer, Fluß. – diezen, tosen, rauschen. – fliezen, vom fließenden Wasser getrieben werden; schwimmen. – der keinez, keines von ihnen. – haz, Feindschaft. – starke stürme, gewaltige Kämpfe. – sam, ebenso. – under in, unter sich. – sie = sie en, wenn sie nicht. – zunge, Sprache, Nation, Volk: deutsche Sprache = Deutschland. – bekêrâ dich, kehr um. – der zirke, Zirkel, goldener Reif als Kopfschmuck der Fürsten. – ze hêre, zu stolz, hochmütig: die einfachen Fürstenkronen (Fürsten) sind (gegenüber der Königskrone, Reichsgewalt) zu übermütig geworden. – die armen künege, damit sind nicht die Bewerber um den deutschen Thron gemeint, sondern die ausländischen Könige (von England, Frankreich, Dänemark), die nach der staufischen Doktrin des kaiserlichen Weltimperiums im Verhältnis zum Vertreter der Reichsgewalt als arm, d. h. niederen Ranges erscheinen. – dringen, drängen. – en gekürzt aus den. – der weise, der kostbarste Edelstein in der deutschen Kaiserkrone, den der Sage nach Herzog Ernst aus dem hohlen Berge mitgebracht hat; den Namen führt er, weil ihm an Größe und Wert kein anderer gleichkommt, er also der Einsame, Verwaiste ist. – Philippe ist Dativ: Deutschland wird aufgefordert, Philipp zu krönen. Dabei ist zu bemerken, daß Philipp als Bruder des vorigen Kaisers und als Reichsverweser die Kleinodien in Verwahrung hatte. Als Walthers Wunsch nachher in Erfüllung ging, freute er sich, wie schön die Krone dem kaiserlichen Haupte Philipps stehe, wie das edle Gestein und der junge König einander anleuchten und nun der Waise aller Fürsten Leitstern sei. – hinder sich, zurück. – man und wîbe ist gen. pl. – tougen, Geheimnis. Ich sah mit meinen Augen die Geheimnisse der Männer und Frauen, d. h. aller Welt. – liegen, lügen. »Papst Innocenz III. spielte in bezug auf die deutsche Kaiserwahl ein so feines Spiel, daß, wie er selber schreibt, bis zum Frühjahr 1199 beide Könige sich seiner Gunst rühmen konnten und in Deutschland laut die Rede ging, nicht auf die Wohlfahrt des Reiches, sondern auf seine Erniedrigung und Zerrüttung habe er es abgesehen.« – zwêne künege, unter diesen beiden betrogenen Königen sind die beiden Staufer Philipp und Friedrich, der zum König erwählte Sohn Kaiser Heinrichs VI., zu verstehen. – der meiste, der größte. – sich zweien, sich trennen, entzweien. – vor bedeutet den Vorzug: über. – lîp unde sêle, d. h. jener durch die Laien, diese durch die Geistlichkeit. – diu stôle, das priesterliche Hauptgewand; Symbol der geistlichen Gewalt. – sie bienen: sie bannten. Das bezieht sich auf den vom Kardinallegaten am 29. Juni 1201 über Philipp und seine Anhänger verhängten Bann. – niuwet (ahd. niowiht), nicht: und nicht denjenigen, den sie sollten, nämlich Otto, der nach Walthers Ansicht den Bann allein verdient hätte. – stôrte, zerstörte. – diu ungebære, Wehklage. – ein klôsenære, über diesen Klausner, den Walther noch an zwei andern Stellen nennt, ist schon viel hin und her geraten worden, ohne daß die Frage zu einem sichern Entscheid gebracht wäre. – ôwê, der bâbest ist ze junc, Papst Innocenz III. war bei seiner Wahl (8. Jan. 1198) 37 Jahre alt. Dies für einen Papst jugendliche Alter wurde in staufischen Kreisen mit seinen reformatorischen Plänen und seinem gewalttätigen Vorgehen gegen die weltliche Macht in Verbindung gebracht.
VORZEICHEN DES JÜNGSTEN TAGES. zuo gên, nahen. – gein dem, im Hinblick auf den: dem mit Bangen entgegensehen darf. – diu kunft, das Kommen, Nahen. – spehen, auskundschaften, erkennen. – den schîn verkêren, sich verfinstern. – ûz rêren, ausstreuen. – zuo, auf, an die Wege. – einem liegen, ihn anlügen. – geistlîchez leben in kappen = Klostergeistlichkeit. – diu kappe, langes Überkleid mit Kapuze, Chormantel, Kutte. – stegen, den Steg führen, leiten, den Weg bereiten. – ûf gên, aufsteigen, die Oberhand gewinnen. – gelegen, müßig liegen bleiben: hier ist schon zuviel versäumt worden. Der Dichter meint, daß es die höchste Zeit sei, der Gewalt zu steuern und das gebeugte Recht wieder aufzurichten.
MORGENGEBET. swar, wohin immer. – kêren, gehen, kommen, eine Richtung nehmen. – lâ, Imperativ von lân, lâzen. – schîn werden, sichtbar werden. – kripfe, Krippe. – læge, lagest. – erwinde, ablasse, aufhöre. Ebenso nimm auch du mich in deinen Schutz, damit dein göttliches Gebot an mir nicht unerfüllt bleibe.
DER WAISE. smit, Goldschmied. – ebene, genau passend. – zimt ir, paßt zu ihr. – dewederez, keines von beiden. – leitesterne, Leitstern; eig. Polarstern, auch Meerstern genannt, nach welchem die Seefahrer sich richten.
NEUER LEBENSMUT. alsô gewarp, es so weit brachte, dahin kam. – dêr = daz er. – an der sêle genas, die Seele rettete; weil er auf der Kreuzfahrt im Gelobten Lande, also in göttlichen Diensten starb. – kranechentrit, hochmütiger, gespreizter Gang nach Art der Kraniche. – in d' erde, in die Erde: er dämpfte, demütigte meinen stolzen Gang, Übermut. – slîchen, leise schreitend gehen. – als, wie. – swar, wohin immer. – hanhte, von henken, hängen lassen. – nâch vollem werde, meiner vollen Würde, Standesehre gemäß. – ze fiure komen, gastliche Aufnahme finden. – rîche, Imperium, aber auch Imperator. – des ist buoz, meine Not hat ein Ende. – alrêrste, jetzt erst kann ich ruhig und bequem auftreten. – daz hôchgemüete, erhöhte, freudige Stimmung.
KÖNIG PHILIPPS KRÖNUNG. eins keisers bruoder, Philipp, selbst Kaiser (weil er noch nicht in Rom gesalbt war, hier nur König genannt), war Kaiser Heinrichs VI. Bruder und Kaiser Friedrichs I. Sohn, vereinigte also in seiner Person (wât, Kleidung) drei Namen, dreifache Würde. – swie doch, obgleich. – treten, auftreten, schreiten. – lîse, leichtauftretend, und gâch, eilig, rasch sind Gegensätze: der kaiserliche Anstand verlangt gemessenen Schritt; rasche ungestüme Bewegungen widerstreben überhaupt der höfischen Sitte und Etikette. – ein hôchgeborniu küniginne, Irene, früher Verlobte Tankreds von Sizilien, Tochter des byzant. Kaisers Isaak Angelus, zu Pfingsten (25. Mai) 1197 auf dem Gunzenlê bei Augsburg mit Philipp getraut. Sie erhielt in Deutschland, wo man sie um ihres zarten jungfräulichen Wesens willen ungemein verehrte, den Namen Maria, daher sie der Dichter Rose ohne Dorn und Taube ohne Galle nennt. – niener = niender, nirgends: war dort in reichstem Maße vertreten.
BERUFUNG AN HERZOG LEOPOLD. sich genieten, sich befleißen. – Stolle, damit ist wohl einer von den unhöfischen Verkehrern seines Gesanges am Kärntner Hofe gemeint. – der knolle, unförmlicher Auswuchs; kn. gewinnen, bildlich: vor Zorn aufschwellen, zornig werden. – krage, Schlund, Hals, Rachen. – muot, erregte Stimmung, Zorn. – entswellen, abschwellen: so legt sich mein Zorn.
DER RÖMISCHE STUHL. allerêrst, nun erst. – berihten, wohl versehen, besetzen. – val = Fall in die Hölle. ze valle geben, ins ewige Verderben stürzen. – niwet wan, nichts als. – wan, warum nicht. Warum rufen nicht usw. – wâfen, Hilfs- und Wehruf. – slâfen, nach alttestamentlicher Ausdrucksweise (Psalm 44, 21 ff.) = ruhig zusehen. – widerwürken, entgegenwirken, hintertreiben, vereiteln. – sîn kamerære, Schatzmeister = der Papst. – himelhort, der Schatz göttlicher Gnade, welchen der Papst auf Erden verwalten und austeilen sollte, den er aber zu seinem eigenen Nutzen verwendet. – süener, Richter, Mittler, Friedensstifter.
DER VERFÜHRER. seiten, umstricken, fesseln. – von den buochen schaben, aus den Büchern (der Bibel) tilgen. – gotes gâbe, nicht allein die Sakramente, sondern alle andern kirchlichen Wohltaten. – bî, beschwörend: so wahr wir Christen sind. – êt' z = eht ez, nun möge es ihn auch lehren; nun möge er aus ihm zusammenlesen. – swarzes buoch, Zauberbuch, aus dem die Schwarzkunst, die Nigromantie, gelernt wird. – der hellemôr, der Teufel. – rôr ist schwierig zu deuten, aber auf das folgende, auf die Bedeckung des Chors durch Schilfrohr, hat es kaum einen Bezug; eher sind Rohrpfeifen gemeint, womit man Leichtgläubigen etwas vorpfeift, Künste, die zur Betörung Schwacher aus Zauberbüchern gelernt werden. – iuwern kôr, euern Chor: die römische Kirche, schützt ihr vor Sturm und Regen. – alter frône = frône alter, der heilige, der Hochaltar: der wichtigste Teil für das Ganze: die Kirche.
WIRT UND GAST. wirt, Hausherr. – nîgen, sich dankend verneigen. – daz heim, das eigene Haus, Heimwesen. – unschamelîch, dessen man sich nicht schämen muß. – hînaht, aus hia naht, diese (die kommende) Nacht. – gougelfuore, das Treiben eines Gauklers, Jongleurs, Spielmanns: was ist das für ein Gauklerleben? – âne haz, beliebt, willkommen.
DREI GASTLICHE HÖFE. gelesen, d. h. bereit, im Keller. – sûsen, sausen, vom Knistern der Bratpfanne. Der Sinn ist: so kann es mir weder an Speise noch Trank fehlen. – missewende frî, tadel-, makellos. Unter dem biedern Patriarchen ist aller Wahrscheinlichkeit nach Wolfger von Passau gemeint, der 1204–1218 Patriarch von Aquileja war. – zwir ein fürste, zweimal ein Fürst, nämlich von Steiermark und Österreich. – gelîche, vergleichen könnte. Ich weiß keinen Lebenden mit ihm zu vergleichen. – sîn veter, darunter ist sein Oheim (Vatersbruder), Herzog Heinrich, gemeint; er wohnte in Mödling bei Wien und starb 1223. – der milte Welf, Welf VI. (der letzte) von Bayern, † 1191 zu Memmingen, wo er seit 20 Jahren ein schwelgerisches Leben geführt und seine großen Güter in Italien und Deutschland vergeudet hatte. – ez ist nâch tôde guot, es überdauert seinen Tod. – mir ist unnôt, ich habe nicht nötig. – durch handelunge, um Bewirtung willen. – verre strîchen, in die Ferne schweifen, weit gehen.
VERWÜNSCHUNG. riuten, reuten, den Wald ausroden. – leide, weh. – gezemen, passen. – gemach ist Annehmlichkeit, Bequemlichkeit; ungemach das Gegenteil. – lâ stân, hör auf. – wis, sei: bleib du von den Leuten.
GÖTTLICHE BOTSCHAFT. frônebote, in der Rechtssprache eine hohe, unverletzliche Gerichtsperson, hier jedoch Abgesandter des Herrn, Herrenbote. – er hiez, er befahl = er läßt. – voget, das lat. advocatus, Schirmherr; Stellvertreter. – brogen, sich übermütig erheben, großtun, trotzen. – lasterlîche, schimpflich. – gerne = zu eurem eigenen Vorteil. – einem rihten, Recht schaffen, zum Recht verhelfen. – verschulden, eine Schuld abtragen, vergelten. – pflihten, laßt ihn euch verpflichtet werden.
AAR UND LÖWE. wide, wit, Strick aus gedrehten Reisern zum Binden und Hängen; gebieten oder verbieten bî der wide, stehende Formel: bei der Strafe des Hängens. – die fremeden zungen, die ausländischen Sprachen = Völker: so setzt ihr euch bei den Nachbarvölkern in Ansehen. – süenen, versöhnen: ihr sollt der Christenheit den Frieden geben. – tiuren, im Werte erhöhen, verherrlichen. – ellen, Kraft, Mannheit. – schilte: das Wappen Ottos IV., das er bei seiner Krönung zu Rom im Schilde führte, waren drei Löwen und ein halber Adler. – herzeichen, Feldzeichen, Fahne, aber auch Wappen. – hergeselle, Kampfgenosse. – manheit bezieht sich hier auf den Löwen, milte (Freigebigkeit) auf den Adler, der der Sage nach seinen Raub nie ganz verzehrt, sondern kleineren Vögeln immer einen Teil davon liegen läßt.
AN KÖNIG FRIEDRICH. voget von Rôme, römischer Schirmvogt = Kaiser. – Pülle, Apulien. – armen, arm sein. – zahî, wohlan, frischauf.
DAS LEBEN. al die werlt, hört es, ihr Leute alle. – der hornunc, Februar, bildlich für Frost, Frostbeulen. – zêhe, die Zehe; an die zêhen, nämlich zu bekommen. – bœse hêrren, Anspielung auf König Otto. – berâten, mit dem Nötigsten ausrüsten, versehen. – den sumer, adv. acc., den Sommer über. – der butze, Larve, Popanz; in butzen wîs, wie eine gespenstige Schreckgestalt. – sô volle scheltens, so voll vom Schimpfen.
11.–20. Tausend.
*
Druck von Breitkopf
und Härtel in Leipzig
Anmerkungen zur Transkription:
Im folgenden werden alle geänderten Textstellen angeführt, wobei jeweils zuerst die Stelle wie im Original, danach die geänderte Stelle steht.
End of the Project Gutenberg EBook of Gedichte und Sprüche in Auswahl, by Walther von der Vogelweide *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GEDICHTE UND SPRÜCHE IN AUSWAHL *** ***** This file should be named 35795-h.htm or 35795-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/3/5/7/9/35795/ Produced by Norbert H. Langkau, Jana Srna and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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