The Project Gutenberg eBook, Die doppelköpfige Nymphe, by Kasimir Edschmid

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Title: Die doppelköpfige Nymphe

Aufsätze über die Literatur und die Gegenwart

Author: Kasimir Edschmid

Release Date: April 11, 2011 [eBook #35826]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE DOPPELKÖPFIGE NYMPHE***

 

E-text prepared by Jens Sadowski

 


 

 

 

Kasimir Edschmid

Die Doppelköpfige Nymphe

Aufsätze über die Literatur und die Gegenwart

 

 

 

 

 

 

 

Verlegt bei Paul Cassirer in Berlin
1920

 

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten
Copyright 1920 by Paul Cassirer, Berlin

 

 

 

 

 

Mit ein paar Ausnahmen geschrieben im Dezember Neunzehnhundertneunzehn

 

 

 

 

 

Für Paul Cassirer

 

 

 

 

 

Wenn man zwischen Diner und Dessert
alten Käse mit Salat ißt, soll man diesem
noch farcierte Oliven und Caviar hinzufügen.

Der Admiral Briggs

Man kann nichts tun gegen diese unvermeidlichen
reaktionären Kanibalen. Ich will
noch eine an Europa gerichtete Schrift veröffentlichen.

Benjamin Constant

 

 

Inhalt

Notwendiges als Einleitung

1. Situation der deutschen Dichtung

2. Kritik

3. Schnitzler und die Nervenzerfetzer oder der psychologische Roman

4. Graf Keyserling und die Gefühlsmosaikler oder der impressionistische Roman

5. Dichter, Zeit, René Schickele

6. Der neue Roman und Herr Wassermann

7. Dichter, Staatsanwalt, Unzucht, Freiheit

8. Deutscher Casanova

9. Der Reisende

10. Datterich-Dialekttragik

 

Profile:

11. Däubler und die Schule der Abstrakten

12. Leonhard Frank

13. Döblin und die Futuristen

14. Jüdisches (Die Ehrenstein, Brod, Lasker-Schüler, Meyrink)

15. Sternheim

16. Heinrich Mann

 

17. Durchstich durch den vierundzwanzigsten Januar Neunzehnhundertzwanzig der deutschen Prosa

18. An einen Staatsmann oder die Tat

19. Bilanz

Namen

Notwendiges als Einleitung

Seltsame Sechzehnjährige meiner Zeit, die Neid auf Unsterblichkeit schon umbuhlt . . .!

Wir hatten damals noch bis zum Scheitel der Zwanzig Ehrgeiz um Game und Goal und Jolle und waren in den weißbehosten Turnieren und Regatten schöner zu Hause als jene Jaguare und Hyänen, die schon im Kindbett mit dem Geiste kokettieren und Unzucht treiben mit Erfolg. Als wir einmal zu Kunst gelangten, schlugen wir vom Sport und dem Umherschweifen aus uns auch entschlossener und ungehemmt an das Gesicht des Neuen. Man hatte auch nach rückwärts unbefangenere Freiheit, Dichterisches anderer Epochen ungestempelt und wie neu durch die Hände laufen zu lassen. Einige begannen zu lachen, wo sie sie trafen, über die Professionels der Literatur, die kleinen Eingeschlossenen der Dichtung, arme Fanatiker und Bürokraten der Kunst. Sie waren abergläubig und subaltern für ewig in ihre Berufswolke gekettet und trugen in grotesker Überschätzung und blutloser Kindischkeit ihre Geist-Atmosphäre durch das ihnen unbekannte Leben. Die Bedauernswerten wußten nicht, daß es Wichtigeres und Glücklicheres gab als Kunst . . . . .

Herrlich wer, da er die Städte und die Berge und das Meer und die Menschen vollauf erlebte, an der Spitze der Berufung und mitten in der Leistung, ein Außenseiter geblieben ist.

Ich habe Umwege über Ski und Segelboot stets gepriesen und, indem ich entzückt ihnen von neuem nachgehe, habe ich keinen anderen Ehrgeiz, als, wo ich angreife, lobe und scheide, es wie ein Nichtzünftiger zu tun.

Gute Diana, wir fanden einen Maimorgen in der Rue de Richelieu eine deiner schönsten Gefährtinnen, an denen die Meute der Midinettes des Quartiers sich vergriffen, weil sie mit ländlichen Hüften und einer Frische des Blutes kam, daß die Wälder und Flüsse hinter ihr sich bogen. Als wir sie auffütterten, nahm sie Abschied, ohne zu weinen, und manche, die sie später am Montmartre gesehen, hatten dieselbe Bewunderung und den Respekt für ihre Haltung.

Sie hatte sogar Kritik und Duldsamkeit bekommen.

Ich habe nie etwas mehr gehaßt wie falsche Würde und jene dichterische Separation, deren Phrasenhaftigkeit kein gutes Werk je verdeckte, und nichts schien mir lächerlicher und mehr eine Schwäche und Ohnmacht anzuzeigen, als das Verneinen der Tatmöglichkeiten und die Scheu vor der Wirkung. Männlicher wie mit feisten Worten bei Seite zu stehen, war es mir und kühner auch erschienen, in jeder Arena aufzutreten und das zu sagen, was Zeit und Minute unter den Fingern brannte. Einmal mußte wohl, wenn die Literaten versagten, ein Irgendwer, ein Mann aus dem Publikum auftreten, dem dies alles ganz egal sein könnte, der lieber sein selbst gewähltes Dasein nach seiner Farbe und seinem Geschmack weitertriebe . . . . und in das zeitgenössische Affengeschrei des Betriebes seine wohl anderen Zwecken zugewandte Stimme legen. Ich habe immer den Schriftsteller in mir geliebt und propagiert, obwohl ich mir nie verhehlte, daß, zum mindesten den Deutschen ich in der Erneuerung der Sprache und der dichterischen Prosa Wege gewiesen und neue Möglichkeiten geboten habe.

Wenn etwas von Verantwortung aber bestand, war es jedoch trotz anderer Wünsche und Sehnsucht, nicht musiger Idylle allein sich hinzugeben, sondern, mehr als wissenschaftliche Wühler wollen und deutsche Dichter zu unbegabt oder zu feig sind, den Zusammenhängen der Prosadinge der letzten Dezennien in Bauch und Seele zu leuchten. Ein Buch war nicht im Plan, aber es ist aus vielen Einzelgängen sehr rasch gewachsen. Es ist nicht methodisch, eher attackierend, ich denke es klärend, aber ich bin des festen Wissens, daß es so radikal wie lang ist. Die Dünnen lieben es nur, schmale Nieren als das Unentwegte hinzustellen, doch echter scheint es mir, die Epoche aus den Büchern zu den Traditionen, den Werten und vor allem zu den Menschen zu runden in einer Zeit wo nur Greise, Ehrgeizige und Idioten das Pfund der Kritik und der Bewertung der Prosa hüten. Schicklicher dünkt mir dies und eines Dichters, dessen Titel allein mich irgendwo letzthin natürlich begleiten möge, würdiger als hinter Faltenschwüngen und steif gewordenen Worten die byzantinischen Gebärden der praktischen und das heißt menschlichen Impotenz zu verbergen.

Vor sechs Jahren erzählte in Paris dem Dreiundzwanzigjährigen Veniselos mit der Armwunde, man habe in seinem Garten zu Syrakus eine Herme gefunden, auf der geritzt war, wie Zeus abends eine Nymphe neben dem Fluß gefunden, deren tragisches und stilles Weinen ihn zum Anhalten erschütterte. Sie sagte in seinem Arm, daß in der aphroditischen Gefolgschaft sie einsam wandre, Kränze flechte und jene Lieder ersänne, die an allen Festen zu Oliven und Kornernte über das Land sie trieben, und die nach Jahren aus den Städten der Menschen ihnen wieder entgegenschallten. Venus aber habe sie gestraft, daß sie, in Baum und Wolke nach ewigen Gesängen feurig suchend, Gefahr, Zeit und Notwendigkeit des Dienstes und Urteils vergäße, worauf Zeus sich herunterbiegend ihr verlieh: daß unsichtbar den anderen neben dem von dichterischen Gefügen überströmten Antlitz sie noch ein Gesicht trage, das nach Vergangenheit und Zukunft spähend, Verantwortung der Zeit und des Geschehens um sie herum ihr gewähre und in seinen kühnen Biegungen, dem anderen vom Ewigen erleuchteten nicht unähnlich, immer anschaue, verstehe, liebe und hasse, aber bedenke auch und urteile vor allem, abgrenzend und bestimmend, und jede Sekunde im Dienst.

Ich habe diesem nichts von Bedeutung hinzuzufügen.

Partenkirchen, März 1920.

Kasimir Edschmid.

1. Die Situation der deutschen Dichtung

Heutige Dichtung der Deutschen ist eine sehr klüftereiche Sache. Da ist wohl Fluß und Weiher, Park, Chaussee und Sturzbach, Wald und Himmel. Aber da ist auch Lust nach Himalaja neben Dachsberg, Laubenkolonie und Sibirien, leninischer Durchbruch und tirpitzsche Kanone, auch kruppsche Stauanlage. Es geht alles toll durcheinander. Man braucht aber Chaos nicht anzuerkennen. Es kommt auf den Kern an. Schält man ab, was vorbei ist der Gesinnung und Form nach, streicht man weg, was an Qualität nicht Äußerstes befriedigt, nimmt man die (oft bedeutenden) Außenseiter nicht zu wichtig, mißt man Geist der Dichtung am guten Barometer des Zeit- und, ohne sich zu verwirren, des Welt-Geistes, so muß schon ein Typisches herauskommen. Es kann nicht anders sein.

Es ist das Expressionistische.

Daneben noch einige Menschheitsdichter, die ihre Entschlossenheit wie Heilige, Sektierer und Irre weit über ihr kleines Talent hinaufreißt. Vor dem Schicksal steht ihre Kunst en garde. Virginiatabak und Benzin ist ein Geruch, der aktuell in den besetzten Gebieten, aber nicht von Dauer ist. Diese Leute kommen mit Posaunen der Liebe, aber sie werden in der Geschichte keine sortie d’éclat haben. Eine unbefangenere Generation, die auf Kunst lüstern an sie herangeht, wird die Achseln zucken. Was blieb, ist Null. Was ist uns Herwegh anders als schlechte Literatur? Aber sie werden im Unterstrom der menschlichen Dienstbarkeit an der Idee human, tapfer und wie wenige mitgearbeitet haben. Agitierend wie Redner, deren Schall erlischt, haben sie Brände erregt. Man hat es grausam mit ihnen von oben her gemeint, daß man sie zum Anonymen warf. Da liegt aber in der Regel unseres Volkes beste Fleischportion. Wenn sie aber große Künstler waren, sind sie Expressionisten.

Doch ist das nichts Neues, nicht Formwitz, nicht Mode. Pyramiden, Strindberg, die Frühgriechen, Gotiker, Litaipe, Novalis, Brueghel waren auf dem gleichen Marsch. Die Bataillone des Geistes hatten immer die gleiche Richtung und ähnlich modellierte Köpfe. Man soll sich nicht verblüffen lassen durch äußerliche Extravaganz. Die Kraftresultanten zieht zwar einmal ein anderer und die Parade der Künstler und ihrer Leistung nimmt später erst einmal an Lende und Zeugung ein schnauzbärtiger Gott strengerer kommender Zeit ab. Kümmert uns wenig . . . . . .

Aber eine Sache ist fatal verbürgt: Es geht in der Absicht und mit viel Not das steilste Recken der deutschen Seele vor sich seit Gotik, Barock, Romantik. Scheinbar ist auf Geistterrain ein Hügel aufgeschossen, der jedem der drei ähnlich sieht. Er ist an der Spitze sehr scharf, gläsern und schwertspitz, denn er mußte Gestrüpp, aber auch die Ablagerung deutscher Kultur der letzten hundert Jahre, und ihm schien: eine geistverfluchte kleine Hölle durchstoßen, um ins Belichtete zu kommen und mit seiner unerbittlichen Form zu beweisen, es gäbe keinen anderen Ausdruck für die Zeit.

Aber die tausend Rückbleibsel verkalkter Tradition fanden sich rasch in Stellung.

Es gab einen Teufelsskandal.

In anderen Ländern ist die Kluft zwischen neuer Dichtung und alter nicht so gewaltig wie bei uns. Das kommt, weil ihre Literatur Nabelschnur hat. Unsere aber nur die Zentrifugalkraft des Karussels. Wir waren früher nicht allzu reich an Dichtung, die Sperma hatte und Eizellen, um zu zeugen, fort- und hochzuentwickeln. Wir hatten gewöhnlich ein Paar Riesen, die keine Kinder machten, um sie herum Miesnicke, die karnickelhaft den Stumpfsinn, das drittklassige Niveau, die internationale Kitschigkeit weiter entwickelten. Von der Romantik ab verloren wir total die Orientierung. Da ging das Bürgerliche mit allen Gewehren vor, zimmerte sich in der Literatur seines glorreichen neunzehnten Jahrhunderts eine eklatante Fanfare, einen Termitenbau, speziell vom Keller bis zum Plafond für bürgerliches Weltgefühl eingerichtet. Es fehlte nicht an Hygiene, auch nicht an elektrischem Licht. Weltanschauung europäischen oder kosmischen Gefühls suchte man bei bequemen Klassikern, schlug es tot in Deutschland, so es sich reckte, verjohlte es, gewann es an Stärke, verwies es aus der gesellschaftlichen Struktur, hatte es (was jede gute Dichtung haben muß) revolutionäres Blut. Wilhelm der Zweite bestellte Logen ab, ein Dichter schwankte am Galgen. Sein heldenhafter Sohn geruhte unter schiefer Mütze ein Stammeln, ein Festspiel wurde abgesagt. So kindisch war jedoch das Niveau nicht ganz. Das Kunstgemäch der Fürsten, des Adels, der höfischen Gesellschaft nahm kein Chauffeur mehr ernst. Konditoren wußten, dies sei einmal diskutabel zur Renaissance gewesen. Der Kitsch der Siegesallee war ungefährlich, weil er komisch war. Die dichterische Ambition der bürgerlichen, liberalen Gesellschaft war gefährlich, weil sie mit ihrer Weltanschauung, deren Himmel Aktienbläue, deren Form Mechanik, deren Seele die Rhythmik der Transmissionen und Pferdekräftestärke war, das Geistige in ihren Bann zog. Da schrieben die Dichter Romane, die nur in solchem Ideenkreis zirkulierten und darstellten, daß das Leben nicht lebenswert sei, weil ein Oberst einen Leutnant nicht grüßte, oder daß Glück nicht sei, weil morganatische Trauung undurchführbar sei im Kodex eines fürstlichen Hauses, und daß die größte Tragik sei, den guten Namen zu verlieren, oder wenn eine Fabrik einen Handelsmann erledigte. Arme Narren von Dichtern! Statt den Sirius auf den Mond prallen zu lassen, vertaten sie ihr oft großes Talent an Affereien, nahmen die Uniform als Weltregulator, das Kapital als Maschine, als Demiurg, sahen nie die Tragik hinter dem Menschen. Sahen nur Anwälte, Franzosen, Engländer, Kaminkehrer, Divisionäre. Sahen darum nur Schuld und Leid der gesellschaftlichen Konvention. Nie das Leid des einfachen wahren Menschen. Sondern das Leid der Attrappe, des Kleides. Welche Destruktion! Welche Dekadenz in so viel Fett! Diese Dichter waren keine Europäer. Sie waren Nationalisten und noch ärmer als solche. Denn sie malten das blöde Ideal der Engherzigen nach, statt den Fluch auf die abgewirtschaftete Gesellschaft sehr breit und deutlich an den Himmel Europas zu schreiben. Sie fühlten sich aber wohl, wie es ihnen ging. Die Bourgeoisie hielt sie aus. Meutern ward streng bestraft. Das Ganze war glänzend und hohl. Als der Krieg, als die Katastrophe kam, stürzte es ein, verschwand es, eingezogen, aufgeschluckt. Weg! Dann kam das Neue von der Schicksalstiefe aufgeschaukelt, sein Hebelarm wogte hoch. Es war da schon vor dem Krieg, mit noch unsichtbaren Munden, aber durchdringender Stimme sich aus der Tiefe anzeigend, hielt Liebe, Gerechtigkeit, Furor, neue Fahnen und den Sturm des weitgespannten Geistes an sich gefesselt. Das Erwachen war mächtig. Es war wie in der Politik. Die Katastrophe machte die Kontraste überdeutlich. So auch die Kunst, die in Form und politischer und geistiger Gesinnung revolutionär war.

In anderen Ländern war die Fassungslosigkeit nicht so groß. Hatte der Geist genug Tradition, um sich nicht ganz zu verlieren. In anderen Ländern konnte ein Verändern der Formprinzipien nicht solche Tumulte hervorbringen in der Dichtung. Seit der Romantik hatten wir an Dichtung nichts. Bei den Franzosen steht zwischen Hugo und Barbusse immerhin Maupassant. Zwischen Balzac und France zum mindesten Flaubert. Die Norweger haben seit Jahren, als bei uns schlimmster Naturalismus äußerliche Gravüren des Elends verbrach, Hamsun, diese köstlichste Erscheinung europäisch untendenziösen Geistes, den Dichter, der irgendwie alles hat, was man expressionistisch nennen kann, den bei uns die Impressionisten mit Beschlag belegten, patentierten, mit Zucker verdünnten und nachher nachmachten. Rußland hatte in dieser Zeit schon einen Dostojewski, Gorki, Dymow. Irgendwie war bei ihnen allen ein Strang, der die Volksseele mit der Ewigkeit verband und seismographisch mit jeder Nuance der Wechselwirkung erzitterte. Bei uns ist die Volksseele noch nicht so eindeutig entwickelt, wird mit nationalistischer Seele (Gott strafe England) verwechselt, und dann hatte sie siebzig Jahre kein Bedürfnis nach Ewigkeit. Man wollte den Bau der bürgerlichen Gesellschaft literarisch ausgebaut haben. Gab dazu Senkrechte, Lot, Maß und Höhe. Die bürgerliche Gesellschaft wollte ihre eigene Dichtung. Sie bekam sie. Der Dichtung bekam es schlecht. Sonst fühlte man sich wohl. Auch die Dichtung war behaglich temperiert. Kleine Fronde des sozialistischen Naturalismus, kleine Frivolitäten und sentimentale Weibergeheule der raffinierten Psychologen waren angenehme Kitzel, halfen im Verdauen. Bedürfnis nach Humanität ward nicht geleugnet, war aber gedeckt. Dafür war Tolstoi vorhanden.

Es mußte etwas kommen, was resolut und mit der Brutalität der Güte das Affenzeug durchhieb, Pförtner, Diener, Besitzer hinauswarf und dem erstaunten Parkett den adamitischen Menschen zeigte. Damit war alles getan. Nationalismus war geistig überwunden, sobald die Brüderlichkeit postuliert, nein, sobald sie nur genannt war. Krieg war Dummheit, sah der Mensch ihn vom rein menschlichen Punkt aus. Der reine, auch primitive, das heißt in seinen Gefühlen gottnahe und daher unverfälschte und groß schauende Mensch wird mit Liebe zu Acker, Nachbar, Saatwind und großen Ideen geboren. Der Mutterleib, der ihn barg, hat wenig Verbindung mit Montanaktie, Erzbecken von Briey, mit Marne, Schantung, Monroe, Tabaktrust und Südseehegemonie. Er will den inneren Menschenwert steigern. Er will die großen Ideen der Menschheit, die mit Wolkenschönheit seinen Horizont überschwimmen, pflegen und geben dem, der es nicht faßt. Er will Liebe lernen, Kreatur und Mensch. Er liebt nicht die Parzellierung der Volksstämme hinter Festung und Grenzstrich. Er will die Erde als eine Sache, die sein Gesicht umfaßt. Hat er sie geläutert, wird er sich vielleicht der Kassiopeia zuwenden. Ihm sind Franzosen, Bergarbeiter, Russen, Skandinaven gleich, nämlich Menschen. Er haut die geistigen Grenzen durch, durchschreitet, verachtet sie, stößt begeistert auf gleiche Gedanken. Bald ist er europäisch ganz zu Hause, völlig eingerichtet. Der Kosmos ist seiner Lunge, dem Herzen Freund. Nichts mehr von Stand und Ansehn und Schicksalembryo der bürgerlichen Einstellung! Der Blick geht auf die Ewigkeit. Das ist die ganze Situation der jungen, deutschen Literatur.

Das ist der geistgeschichtliche Weg, die Entwicklung und der Zustand. Verändert sich der Geist so stark, bekommt das Gesicht sehr durchlittene und heldenhafte Linien, der ganze Habitus verflucht und geheiligt anderen Umriß. Nie hat die Welt, weil sie so lange an Abziehbilder gewöhnt war, das Recken eigener visionärer Formsprache, mit soviel Abscheu, Schauder, Haß und Wut begeifert. Zu lange war der Geist in Villeggiatur am Nil oder auf Spitzbergen gewesen, daß, als er in Mitteleuropa wieder die Städte betrat, Polizisten auf ihn zu schießen begannen. Er war ihnen fremd geworden, und sein ungewöhnliches Aussehen, das weder mit Orden noch Uniformen bedeckt war, machte feindlichen Eindruck.

Die Gesinnung der deutschen Dichtung, soweit sie ehrlich, jung, qualitativ ist, ist europäisch, einem Völkerbund zugeneigt, den sie selbst, sehr anders wie die Versailler, schaffen möchte. Den Bund der guten Europäer. So klangen in aufrührender Novelle, Gedicht und Essay schon die Rhythmen anfangs des Kriegs. Bald gab es Phalanx. Es gab Töter des Seitherigen. Aufpflanzer neuen Ideals. Schwärmer der ungebundenen neugöttlichen Kraft, die sich in die großen Himmel, die aufbrachen, stürzten. Aufbauer neuer Architekturen. Als Motor das Herz, das ohne Ermüdung kämpfte und baute. Es gab keine Behaglichkeit mehr, auch nicht immer Ordnung, aber einen Trieb, ein Ziel. Die letzten Stangen der abgegrenzten Möglichkeiten galten allein als erstrebenswert. Die Literatur (und Malen, Bildhauern, Häuserbauen, Musizieren allsamt) begannen den Weg, den sehr leidvollen, sehr ruhmreichen, an dessen Anfang anfeuernd der Geist steht, an dessen Ende schmerzlich mit neuer Anstrengung als Ziel der Geist steht. Dazwischen Hasten und Kämpfen. Eine fiebrige Epoche. Alle Völker der Welt gehen ihn, haben ihn schon beschritten oder müssen ihn beschreiten. Vielleicht wird eine klassische Epoche hinterher in kühle Harmonien bannen, was hier mit Blut gearbeitet wird. Denn heut noch ist das romantische Streiten, Boden gewinnen, Urwald einhauen. Schließlich schwankt ja seit jeher die Welt zwischen diesen beiden Spannungen. Im Grund ist ihr Sich-Ablösen immer das Gleiche. Nur der Geist, der in unendlichem Saft steht, formt die Variation ein jedes Mal mit unbegrenztem fanatischen Neusein.

2. Marginalien zur Kritik

Kritik heißt nie: über eine Sache reden, sondern über ihr stehn. Nicht sie zerfasern, sondern ihr gütig nahen. Kritik heißt nicht wahlloses Urteil, sondern sie verlangt große Politik. Die Kritik unserer Zeit ist noch nicht erfunden. Ihr Niveau ist eine Unerträglichkeit. Auf keinem Gebiet der geistigen Disziplinen würde gewagt werden, mit solcher Verantwortungslosigkeit vorzugehen. Zur Kanarienvogelzucht, zu Petroleumtrusts würde nie ein Laie delegiert. Über Bücher schreibt jeder Dilettant. Doch selbst Fähigkeiten genügten nicht. Es bedarf des Menschen. Denn Kritik heißt Aufbau. Nicht Zerstörung. Heißt Liebe haben und nicht Haß. Dies ist das Zentrum. Nur eine große Persönlichkeit kann die ungemeine Verantwortung tragen, Kritik ist nichts Artistisches. Es ist eine humane Angelegenheit. Es ist der sicherste und direkteste Weg zur Kultur. Denn ihr Sinn ist, Niveau zu schaffen. Aus Liebe das Ungenügende zu zerstören, aus Liebe das Große immer wieder zu betonen. Das Wichtige zu plakatieren. Immer Diener sein der eigenen Verantwortung. Durch keinen Zweck der Person, durch keinen Gewinn, keine Frau, keinen Ehrgeiz gestört, getrübt zu werden. Nicht im Zeitlichen stehen bleiben, nicht dem Augenblicksreiz unterliegen, sondern immer das Momentane messen an der Verantwortung. Aber den Geist der Zeit fördern. Zeigen, daß Pazifismus nötig ist, aber noch lange nicht Rechtfertigung eines mißlungenen Gedichts. Aber kühn behaupten, daß Hölderlins Hymnen ein ungeheures Ethos tragen ohne einen zeitlichen Gehalt. Immer die Idee der Qualität als das Letzte nehmen. Den expressionistischen Nachläufer stäupen, den besseren Impressionisten unseres Tages bedauern, aber loben. Immer den Weg finden aus Zeit und Unzeit zur ewigen Prägung des Fürstworts. Feurig sein gegen das Gesinnungslose, kühl gegen Anmaßung. Fehler bekennen. Immer Linie halten. Nie den großen Dichter um Kleinigkeiten tadeln, während den Nebbich man laufen läßt als das, was er ist. Vielmehr auf das Wichtige sehen. In jahrelanger Arbeit nie den Lesenden verwirren, sondern ihn erziehen. Kritik ist im allerletzten und bedeutendsten Sinne Aufbau, Architektur, Arbeit am Leib des Volkes. Es bedarf nur neuer Rasse, das Werk zu machen. Radikal zu sein im Dienst am Geist. Klug wiederum mit Bescheidenheit auf vieles Wissen, da es nichts ist als Voraussetzung. Göttlich streitbar für Junges, ohne es innerlich zu überschätzen. Ohne literarische Geste, ohne Kunst zu wichtig zu nehmen, aber wissen, das alles groß Erlebte in sie zurückströmt. Vieles gesehen haben, das Meiste kennen und Menschliches verstehen in seinen Wurzeln, Fehlern und Güte — und dann zu richten . . . eine Aufgabe von solcher Humanität ausüben, ja allein auf diesem Boden der Gesinnung zu stehen, dazu bedarf es so ungewöhnlicher Menschlichkeit, daß es nicht erstaunt, heute keine Urteilenden gerecht am Werke zu sehen. Ist der neue Mensch geschaffen mit Einkehr, Lust an der kämpfenden Liebe und Hingabe am Werk, wird eine Generation von Kritikern aufstehn. Keine Eitelkeit wird mehr Triebfeder sein, kein geistiger Imperialismus Ziel, Diktatur nicht der Zweck, sondern ameisenhafte Arbeit an der Größe und Aufgabe. Und so Kultur und eine Tradition guten Sinnes. Und eine nicht zerstörerische und idiotische Kritik, sondern eine schöpferische, helfende, keine Analyse, sondern eine dauernde Tat.

3. Schnitzler und die Nerven-Zerfetzer oder der psychologische Roman

Was dem deutschen Roman fehlte, war europäische Fülle. Kleine Kritiker und sentimentale Idioten wagten daraus ein besonderes Lob zu gestalten. Seien wir gerecht. Grimmelshausen war noch eine große Sache und die mitteldeutsche Epik hatte wundervollen Weltstoff. Er ging verloren, verhüllte sich in Autobiographisches, und die Schicksalsrinne persönlicher Lebenskurven riß nicht Welt und Dasein in sich hinein. Die Felder der Prosa wurden nicht durchpflügt, sondern schraffiert. Eine Tradition war es wahrlich nicht, lief der Individualwahnsinn von Meyer bis Stehr, sondern es war Impotenz und Entsagung, Nichtkönnen, das sich kühn mit dem Trotz des Nichtwollens frisierte. Außenseiterei proklamierte sich als Typus und Wächter der heiligen Seelenfeuer der Deutschen und höhnte die großen Einsamen, die es im Wesenlosen, wohin es irgendwie in seiner Vereinsamung geflüchtet, suchten. Ehrlicher und anständiger ist das Geständnis, gefehlt zu haben und unvermögend gewesen zu sein, in Jahrzehnten den Geboten des Geistes zu folgen. Die Gründe ergeben sich von selbst.

Denn Stil der Kunst und des Lebens folgert sich nicht aus Stil selbst, sondern aus drängenden harmonischen Kräften, die durchblutend dahinterstehen. Die sind in Europa sonst nicht selten, Frankreich und Rußland, Österreich besitzen sie ohne Zweifel. Vielleicht hat das militaristische Preußen damit sogar Fontane gemacht, jedoch als Korrektor nur der Unzulänglichkeit. Sonst war Deutschland dazu nicht mehr in der Lage. Die Tradition der Bayern, Badenser und Schwaben war doch nicht kosmisch genug, um Weltliteratur zu machen, und brachte nur eine epigonenhafte Lokaldichtergarde hervor, die Gewohnheiten, jene faule Mischung von Denkunvermögen und Bequemlichkeit, für Stil, für stürzende und gestaltende Kraft hielten. Auf Frau Supper, Herrn Finkh, Herrn von Bodmann braucht die deutsche Literatur nicht stolz zu sein. Aus dem Grabe des immerhin großen Gottfried Keller saugen sie noch etwas vermodernde Kraft. Was diskutabel ist in dieser Folge ist Hesse, der, wenn auch Nachfolger auf diesem Gebiet der Schreibweise, dennoch mit einer süddeutschen Idyllischkeit und einem Anstand seltener Gesinnung weit über Nur-Literarisches hinausreicht. Er ist einer jener Deutschen, die, wenn auch Formung von Welt und Schicksalsbreite und Tiefe ihnen fernliegt, eine fast klassische Schönheit erreichen, tauchen sie in die Jugendzeit zurück. Man muß das ganze Werk dann ansehn und das Leben einer schon langen künstlerischen Gesinnung. Ausmaß zu großen Schaffenskomplexen haben noch andere hinter Keller her. Carl Hauptmann zerlegt es in oft zart und süß, aber immer zerfahrene impressionistische Gefühle. Stehr, der tatsächlich manchmal wahrhaft Durchleuchtendes hat, ist einer der schlechtesten Könner, obwohl’s bei ihm aufs große Maß hinausgeht, und kann Naturalistisches und Visionäres nie zusammenbringen. Er hat stets zittrige Hände, es wird nie was draus. Schaffner zöge gern reflektierend den Gedankenkreis der Epoche ins Rollende der Handlung, allein er bleibt im Schatten, breit, langweilig, schwerblütig und Desperado seiner Impotenz. Der stärkste, männlichste unter ihnen ersteht in Wilhelm Schäfer. Hier staut sich das Kellerische noch einmal in einer dunklen maskulinen Glut und sucht Generation und Ewiges zu Architektur und jener Allgemeingültigkeit des Übernationalen zu formen. Dennoch steht es neben der Zeit, es ist zu unnatürlich beruhigt in einer Zeit der ekstatischen Suche. Es ist gute Tradition, jedoch nicht die des suchenden Geistes, sondern einer Lebensform, die heute vom satanischen Brodeln des Entwickelns nicht durchleuchtet ist, und später, wenn Klassisches, das heißt Klar-Gewordenes, wieder die Allgemeinschicht der Kultur sein wird, auch nicht typisch sein wird. Denn ruhig kann nur werden, was bewegt war. Und das andere wird kalkig sein, weil es stets besänftigt war, und nur in alten Venen ein feuriges Atmen noch einmal aufging. Das alles sind Künstler von manchen, manche von hohen Rängen des Könnens, aber nicht in jenen mystischen Konnexen vereinigt mit Weltgewissen und Weltdrehung, die irgendwie erst das Repräsentative schaffen.

Dazu gehört eine tiefere, saftvollere Verwurzelung. Nicht eine Fortzeugung der Form, sondern ein Wurzel-Haben im Wesenhaften, im Völkischen, im Bodenwasser, im Ideensaft der Volksschicht. Dazu gehört eine Kultur, nicht nur Tragfähigkeit und gummihafte Dehnung einer Schreib- und Anschauungsweise.

Mit der wachsenden Skepsis und inneren Hohlheit, mit dem Bewußtsein der negativen Gehalte der vergangenen Epoche begannen Zerstörungen an dem sinnigen Erzählungsaufbau der süddeutschen Klassiker. Die Skandinaven beeinflußten. Hamsuns Größe verstand man nicht, und wie van Gogh die Maler, hielten die Literaten ihn für einen Impressionisten, genau wie die fadenfeinen Dänen Bang und Jacobsen. Aus all dem gab es ein impressionistisches Gemisch mit Klugheit wie Bahr, mit Virtuosität wie Kellermann, mit Aperçus wie Altenberg. Mit den überraschend und überschätzt aufgenommenen Naturwissenschaften wurden die Seelen zu Präparaten geschlagen. Die Dichtung ging in Dienst, hatte chemische Aufgaben der Auflösung, medizinische der Diagnose. Krankheitsfälle wurden tatsächlich Thema der Darstellung. Von Ibsen zu Hans Heinz Ewers ist der Weg nicht weit. Wassermann rettete sein sehr großes Talent, das auch aus solcher geistigen Niederung vogelhaft hervorbrach.

Schnitzler rettete Wien, machte ihn repräsentativ.

Man hat im preußischen Deutschland gute Witze gehabt, Österreich zu unterschätzen. War die politische Kombination auch unmöglich, hatte es dennoch eine weit überlegene Kultur. Sagt man Rokoko, meint man die Harmonie der Dinge vom Bidet bis zur Tragödie. Sagt einer Wien, ergibt sich das Gleiche. Hier ist, ohne daß der Wert kalkuliert werden soll, Kultur, wovon die Deutschen keine Spur haben. Da und im bayrischen Gebirg’, in England, in Stockholm hat das Germanische sich Achsen seines Weltausdrucks geschaffen. Überall da ist Züchtung, ein erlesenes Prinzip am Werk, Leidenschaft, Landschaft, Gewohnheit und Geist und Menschen zu einer Einheit zu bringen, sie hautwarm durch die wechselnden Epochen zu tragen. Das Wienerische ist das Schwächlichste darunter, aber es ist eine ausgesprochene Sache. Theater, Speise, Mädchendessous und Mentalität und Gesellschaftsform haben denselben einenden Rhythmus. Reden die Preußen von ihren Kurfürsten, von friderizianischen Gesten, von Pflicht und Kaste und Geist, so ist das diese oder jene Attitüde, Schutzwehr, Kokettieren und Gepflogenheit einer Herrscherkaste, die manchmal sich in ihrer Einseitigkeit zu gewissen auffallenden Formen verdichtet hat, aber keine Breite hat, keine Lebensbasis, keine Volkssaftigkeit, eine vielleicht sehr bewundernswerte, aber schlechthin abscheuliche Sache ist. Was zwischen den Bergstämmen Bayerns, wo mystischer Saft des Bodens die Menschen groß in die Landschaft hineinformt, und Schweden liegt, ist Chaos, Unkultur. Es ist bewundernswert in seinem irren Laufen, seinen großen Heldentaten, seinen Opfern und Märtyrern, um deutschen Stil zu formen. Aber es ist noch nichts. Was die heutige Generation von früheren und von der ganzen Kellerschule scheidet, ist wesentlich die Idee, als breite Generation diesem Ziel dienend und neu zu leben.

Weil Schnitzler nur aus diesen Komplexen heraus begriffen werden kann, ist es schwer, ganz an ihn und seine Bedeutung zu kommen. Wie Männer nicht nach einmaliger Tat, Weiber nicht nach einer Umarmung, darf man ihn nicht nach dieser oder jener Äußerung betrachten, Die Einstellung würde läppisch und kindisch. Wie für den Mann Kriterium und Abschluß erst ein ganzes Leben ist, bei der Frau erst: sie ganz bis an die letzten Seelen- und Körperrände ausgenossen haben . . . . . so bei diesem Dichter erst das klingende, runde, massive, in die Hand genommene und gewogene Werk. Bedeutsam ist nicht ein Glied, sondern die ganze Anspannung. Tastet man so weiter, kommt aus vielem Verhüllten erst die Ahnung, später der Umriß, dann die glatte Form. Seine Tradition, sein Halt, seine Stadt, seine Kraft, das ist seine Atmosphäre, die er atmet, die ihn politisch umschnaubt, wehmütig verdunkelt, zärtlich verführt, Anregung und Erfüllung. Das ist Wien. Das ist seine Kunst. Milieu wie Figur. Außen und Durchdringung. Hingegebene und Geliebter. Gestaltung und Liebe. Also: sein Weltgefühl.

Natürlich macht der Wiener Körper sich die Welt entsprechend seinem Wuchs, es wird keine große Welt. Aber indem Schnitzler ihr Produkt ist, wird sie ausgeprägt, genau wie Paris sich Musset formt, und hinter Tschechows zarter, Schnitzler so naher graziöser und leichtfarbiger Welt die große Seelentraurigkeit des slavischen Ostens steht. Die Deutschen glauben oft großer Kultur nah zu sein, indem sie fremde imitieren, und die Männer sind stolz, tragen die Taillen ihrer Weiber den Rock, der nur den französischen Hüften angepaßt liegt. Man ist bei uns noch im großen Durchschnitt bei der Nachahmung, noch nicht einmal bei der Schulung. Die Österreicher und die Schwedinnen haben ihren eigenen Rock, irgendwie wohl westlich orientiert, aber irgendwie auch der Form des Lebens, des Charakters und der Schenkel organisch angepaßt. Und selbst die grauenhafte Verirrung der Wiener Werkstätten war immerhin in erschreckender Zeit der Formlosigkeit noch ein Stil.

So ist die Schnitzlersche Leistung unterschiedlich, kommt einmal heftig vom Arom erfaßt, quillt einmal dünn, ist wohl nie zu abgeschlossener und ganzer Leistung gekommen. Man kann jede einzelne Sache von ihm völlig zerreißen. Aber von Buch zu Buch geht Ton auf Ton, in immer neuer Fülle, in drängender Gestalt, der Aufbau zu einer Grundmelodie. Diese und jene Seite der Stadt, der Herzschlag der Menschen, in Höhe und Tiefe die Luftschicht, die Erregung, vom Lächeln bis zum Schmerz nur eine sekundliche Bewegung und dazwischen doch alles gestapelt . . . so ergibt sich seine Zeit. Die Skepsis seiner Epoche läßt ihm, obwohl alle ihre Elemente ihn zu einem wundervollen Exemplar aller ihrer Eigenschaften machen, etwas Distanz zu dem, was er schafft. So leitet er seine Figuren, nicht ohne sein Blut mit ihrer Erregung zu mischen, ein wenig Sentimentalität mit ihren Abstürzen fühlend, ihre Lust und Höhe mit dem tragischen Gestus des Zweifels im Handgelenk zittrig machend, etwas Spott um die Lippen. In dieser dunklen Heiterkeit schwanken die Schicksalsevolutionen. Es verdichtet sich der Raum aus der städtischen zur menschlichen, zur Daseinsschicht. Ohne Wollen. Ohne Absicht. Die Leistung bekommt plötzlich die allgemeingültige Bedeutung ausgeprägter hoher Kunst. Man wird in hundert Jahren den Gradmesser der Zeit an den Schnitzlerschen Büchern nehmen, sagen: das war Österreich.

Das ist nicht wenig.

Das ist unbestreitbar in Aufbau und Höhe und Herausschälung aus der Flut der anderen. Hier einigt sich fast allein (außer Keyserling) Werk und Zeit und Volk. Es entbindet aber nicht, das Urteil über den Wert dieser Lebens- und Zeitepoche zu fällen. Sie ist das morbide Schlußglied eines Auseinanderfalls, der schöne Moment vor einem Schlußstrich, das Zeitgefühl, das auch bis vor die Guillotine gepudert, lebhaft und bei guter Gesundheit ist. Der Gipfel Schnitzlerscher Kunst ist eine Erhebung, ohne Zweifel, aber eine sehr kleine neben Lessing, Laotse, Cervantes, Ekkehard, Notker, Balzac. Aber es ist einer, das ist sein Stolz. Es ist seine Zeit, die ihn selbst, die er wieder geschaffen und gestaltet. Die Frage nach Schnitzlers Wert ist nicht auf künstlerischer Ebene allein zu fällen, sie fällt parallel mit der nach dem seiner Zeit.

Sie decken sich ganz. Man kann sich nicht täuschen: der Atem dieser Kunst ist oft schwach, dünn gehaucht, Gefühle aus zweiter Hand, Heroisches überschrien, in fremden Stoffen Dargebotenes doch nur Wiener Geschnaas. Der Lebensrhythmus dieser Arbeiten stößt nicht heiß, rasch und tief ins Herz. In diesen Romanen und Novellen ist zarte und bezaubernde Oberfläche gegeben und der Hin- und Hergang entzündeter Herzen, und oft ist eins wie das andere. Und schließlich ist keines der Bücher ganz ein Ja und keines ein Nein. Sondern alles zwischendurch empfunden und beurteilt. So liegt der Fall und die Frage.

Aber sowie sie sich erhebt, wendet sie das Gesicht weg, dreht es nicht steinern vor den Mann, den Schaffenden, Abhängigen, sondern weiter hinaus gegen die Fülle seiner Zeit. Denn daher kommt er. Dahin wendet sich Anerkennung und Anklage, beides. Was auf ihn allein zu fallen hat, ist Beurteilung seiner Menschlichkeit. Da er zweifellos Liebe hat für die von ihm gezeichnete und vorgewiesene Kreatur, war demokratischer Atem in seinem Werk schon in noch sehr absolutistischer Zeit. Dies ist nun nicht mehr wichtig, aber es gibt die Linie des Anstandes zurückwandelnd wieder. Dabei ist er kein ekstatischer Bekenner, kein Täter, kein Konsequenzen-Zieher. Sondern auch in der Opposition voll Reserve. Untadelig wie wenige, wie fast kaum einer seines Ranges, seines europäischen Ansehens während des Kriegs. Die Haßschreie und der nationalistische Wahnsinn fanden in ihm keinen Trabanten. Auch im Künstlerischen war er nie nach Konjunktur aus, nie voll Wechsel wie Gerhart Hauptmann. Tadellos, ein vornehmer Repräsentant nicht nur seiner Zeit und Stadt, sondern des künstlerischen Gewissens geht er in die neue Zeit, deren Vorkämpfer und Führer wenig gemein haben mit seinem Werk, seiner Atmosphäre, deren große Wertschätzung und Verehrung, deren Gruß und Achtung ihm, wie jedem echten Menschlichen, gerne und eifrig zukommt.

Die Technik seiner Schreibweise, die den Menschen zerfaserte und an seinen Nerven hinaufschleichend ihn erriet, statt ihn zu bestimmen, die ihn festnagelte, statt ihn ins uferlos Göttliche und Menschliche hinaufzutreiben, war die gepflegte und modernste vor der expressionistischen Zeit. Wien züchtete champignonhaft Legion dieser Dichter kleineren Ranges.

Schnitzler scheint nunmehr, wo Zeit sich zwischen die Werke schon stellt, als bester und gesündester Vertreter. Die Geltung der Kunstform, die er vertritt, die Grenze der ganzen psychologischen Prosa bestimmt sich durch ihre Begrenzung schon selbst. Sie ist Kunst wie jede, beschränkt wie jede. Doch weniger in Stoffgebiet und Breite, als in der Höhe. Tragisches, Elementares, also Aufrüttelndes und Menschen allein Tragendes kann aus ihr nicht kommen. Nur liebevolles Nachgehen und Erklärenwollen bestenfalls, wo vor Schicksal, Tod und Ewigkeit im Grunde nichts zu erklären ist. Diese Kunst hat nicht Rausch, nicht unvermittelte Hingabe an große Gestirne, die unser Leben leiten. Sie rätselt, sie klagt nicht an. Sie jubiliert nicht vogelhaft, sie ist geistreich vielmehr. Sie kennt nicht den unbeweglichen, alles bestimmenden Geist, denn sie umschreibt. Sie ist endlich nicht einfach. Sie will das auch nicht. Sie hat ihr Maß, streckt sich in ihre Proportion. Im klugen Wissen um die Grenzen des ihr Möglichen gerät sie nicht auf falschen Ehrgeiz. Als Ganzes beschaut, füllt Schnitzlersches Werk seinen Platz mit Haltung und meisterlich aus. Letzte Größe ist ihm versagt, doch kümmert das nicht. Es ist darauf gerichtet, sich selbst zu genügen, Träger zu sein, nicht Aufwerfer und Neugestalter. Es will Gerechtigkeit vor seiner Zeit. Die Zeit ist in ihm wie in einem Spiegel.

Das ist sehr viel.

4. Keyserling und die Gefühls-Mosaikler oder der impressionistische Roman

Die Gefahr des Feudalismus warfen die französischen Revolutionen schon gegen die Wand. Adel ist heut keine Drohung mehr gegen die Freiheit, Feind ist allein die geistverdickende Bourgeoisie. Adel ist heute ausgewählter Stoff und Symbol der Züchtung. Seine Männer sind körperlich Träger guter Gewohnheiten, seine Frauen haben allein (neben Jüdinnen) Rasse und Körper und Takt des Anzugs. Der Ausleseprozeß hat sie durch Generationen müd gemacht, aber er hat sie gestaltet. Kosmopolitische Ansicht einigt sich gern mit dem Weitblick alter Magnaten, nie mit dem kleinen und schneidigen Vertreter raschen Reichtums oder bedachtsamer Bürgerlichkeit. Zwischen guten Revolutionären und alter konservativer Rasse ist immer ein Findepol, denn beide haben die Kühnheit und die Rücksichtslosigkeit von Ideen um sich. Wird das Gezüchtete, Adlige sogar geistige Auslese, ergibt sich unbedingt eine Hochsteigerung des National-Möglichen. Vielleicht, daß es beschränkt und problematisch, verfluchbar oder politisch hymnisch ist, jedenfalls wird es eine ganze Sache sein. Denn in solchen Verfeinerungen trifft sich der aus dem Jahrhundertwerden aufsteigende Saft mit der Wellenbrechung der Zeit. Nicht in Büchern, Reden und Museen setzt sich Kultur und Bewußtsein ausgeglichner und großer Vergangenheit fort, sondern wie jede große Musik nur in den Menschen. Der Reinhalteprozeß der Aristokratie ist irgendwie inferior, weil er, nach bornierten Gesichtspunkten angelegt, nur Macht, Würde oder Ansehen, nicht Geist und überhaupt Führerqualität durch die Jahrzehnte mischt und schleudert. Aber es ist ein wenn auch enger, so doch unbestreitbarer Züchtungsvorgang. Hier kommt aus gepflegter und immer wachgehaltener Tradition Tat, Leidenschaft und Dasein vergangenen Geistes heraus. Nichts Gelebtes, Gedachtes, was eine Zeit groß machte, was hier nicht in dem Bewußtsein noch säße. Darum ist ihre Bewegung mehr nach rückwärts geneigt, weil sie früher stark nach vorne gingen. Sie sind belastet und nicht aktiv mehr, aber das Reservoir, die große Stauung des Seitherigen, ein enormer Besitz. Hier einigt sich Überliefertes mit Blut, ein unerhörtes Zusammentreffen.

Denn wirkender Stil ist ja nicht Oberfläche, sondern tiefe Verankerung. Nie Gewohnheit, sondern aus dem Muß herausgegangene immer wieder bejahte Form, die stündlich begründet, sekündlich durchatmet wird. Stil sind die drei Kronen auf den schwedischen Banknoten, auf den Eisenbahnpolstern, das Zeichen ist selbstverständlich, räumlich schön, ist, kurz, symbolisch geworden, in den Volkskörper übergegangen. Stil ist Walpurgis auf Haselbakken, ist ein Allgäuer Haferlschuh, ist der Kontakt der Gräfin M. mit den Pergamentbüchern und Wappen in ihrem Burgturm, ist das Lächeln einer Pariser Hure im lateinischen Viertel, Essen im Café de la Paix, das Fest nach der Hopfenernte am Bodensee, Smörgasbord auf skånischen Schlössern, ist die Anmut einer verschlossenen Dame, die Geistiges andeutet. All das erbt man, aber lernt es nicht. Überall ist die Form wie Nebensächliches, ja schon souverän jenseits des Formalen, beherrscht von einem alten Gehalt, von Errungenem und sich in den Sitten und Äußerlichkeiten spielerisch weiterbewegende Wahrheit. Stil ist kein Korsett, keine Rückenmarkstarre, sondern die ungemeine Lebendigkeit derselben Sache. Stil ist ganz rund, ganz eindeutig, ganz bestimmt und präzisierbar wie ein Körper, jedoch in seiner Vollkommenheit so vibrierend, so erregend und derart ungewöhnlich scheinend, daß er nicht zu bestimmen ist. Ganz feminin im Reiz. Nicht heute Köchin, morgen Dame, dann Dirne, dann Weib, sondern das Weibliche schlechthin und zwar in der Form der tadellosen Dame, jedoch mit solchem Geschiller und derartiger Möglichkeitslinie in Gesicht, Geruch und Stellung, daß alles, was ausdenkbar und erwünscht in weiblichem Weltbild, darum ist. Stil ist darum nie Mode. Nur Kindische und flache Denker verwechseln seine Äußerung und seinen treibenden Grund. Was heute Expressionistisches ist, bleibt in den echten Äußerungen nach zwanzig Jahren dasselbe, nur mit anderem Namen. Ewiges ward immer in die Spirale modischer Formen gebaut und was Dürer, was Rembrandt seinen Mitmenschen bedeutsam zu machen schien, war sicher das Nebensächliche, nicht sein Kern. Schreien im Jahre Neunzehnhundertzwanzig Dadaistenjünglinge den Tod des Expressionismus aus, ist das ein Zeichen ihres Hirnes, das im Tempo der Schreibmaschinen nur Zeit und Symptome faßt, nur sieht, daß eine seit Persiens Miniaturen, seit Amenophis, Böhme, Ekkehard, Büchner, Strindberg bestehende geistige Richtung in ihrer modischen Schale falsch verstanden und von Knaben und Snobs zu blendenden Exercitien vergewaltigt wird. Irgendwo ist unter uns, ist in uns der dunkle Strom eingeschaltet, der das nie versiegende Feuer des Geistes auf uns richtet und die uralten Gehalte weitertreibt in die Kanäle des großen Ausbruchs und der inneren Verbundenheit. Auch das ist Stil. Er hat keine Gesetze, sondern Berufung. Ein Bauer, ein Proletarier kann fortsetzen, was vor hundert Jahren an erlauchter Stelle herauskam. Fritz v. Unruh schreibt manchmal, als ginge keine Überlieferung ihm voraus. Der Sohn eines Mehlhändlers schwärmt in verzücktesten Adelstraditionen. Die Völkerattitüden selbst vertauschen sich manchmal sogar scheinbar. Der Däne Jensen schreibt wie ein Norweger, Madelung wie ein halber Russe. Deutsche manchmal wie Österreicher. Auch zwischen Deutschen und Franzosen beginnen Wechselspiele. Am deutlichsten bleibt immer der Russe, trotzdem ist Kusmin vollständig französiert. Dennoch gibt es dem Kenner und Einsauger des Vorgesetzten letzthin keinen Zweifel. Aus der Zivilisationsgier des kleinen Mannes dringt die Geilheit, mehr zu scheinen, durch, neben der Sehnsucht, die vielleicht vorhanden, nach wahrer Erhöhung. Irgendein Fadendünnes ist auch in Jensens Wolfsgebiß. Das Weltgefühl, die geistige Substanz, die das Ganze gliedert, ihm den Aufbau gibt und die Wärme, in der es atmet, schwankt unentrinnbar hinauf. Nichts ist delikater wie Stil. Vor so langer Pflege besteht nichts, was nicht auserwählt ist und was seine Natur verläßt, wird verlogen und ist erledigt. Nur innere letzte Wahrheit bringt ans Ziel, und die grobe und wilde Geste des zupackenden Stürmers hat genau die Überlieferung des Geistes, wie jene des Besingers der langen schönen Finger und der abgewandten in sich selbst zufriedenen Gebärden. Nur gibt es einen Unterschied: Wohl ist auch Zusammenhang zwischen Revolutionär und Revolutionär. Aber das Weltgefühl einer Rasse, das in ihr aufgespeichert in jeder Bagatelle des banalen Lebens Ausdruck und Sinn fand, kommt in ganz anderer Abgeschlossenheit, ganz anderer Endgültigkeit ins Kunstwerk, hat einer dieser Rasse selbst den Funken, der ihn aufsteigen läßt und reden. Hier ist alles vorbereitet. Eine innere Größe des Stils ist als Vorbedingung vorhanden von einer Sicherheit, die tötlich, einer Glätte des Seelischen, die souverän, einer inneren Haltung, die von vorn herein grenzenlos überlegen steht über Ahnungslose, die stumpf und unklar nach dem noch forschen, was jener im Blut hat.

Als daher die Jünglinge und Männer scharenweise begannen, die Welt in kleine Teile zu zerlegen und mit Watte, Sachet und Sentiment umbrämt die einzelnen Stücke nebeneinanderzustellen, als ein Dilettantismus des Schreibens ausbrach, der keine Scham trug neben so ausgezeichneten Künstlerleistungen der impressionistischen Malerei zu existieren, als die Mädchen und Jungfrauen Deutschlands in Ansammlungen sich aufmachten, Kellermann zu lesen, blieb Keyserling, Graf, Balte und Dichter die einzige Entschuldigung, die einzige Rechtfertigung dieser Zeit. Er ist nahe bei Renoir. Er hält Deutschland allein gegen Bang und Jacobsen. Was Kellermann im Virtuosen, Altenberg im Albernen mit Erfolg unternahmen, rechtfertigte er in Stille. Sonst haben wir niemand. In der Malerei Liebermann, Slevogt. Dieser Stil hat wenig Positives jenseits der Trikolore geschaffen, wo Renoir über Manet und Pissaro die glänzende und ruhige Schönheit eines Jahrhunderts in silbernen Rausch fing. Präsentiert man uns Pierre Loti, die Dänen, den Schweden Gejerstam, Peladan, den Engländer Wells, den Russen Korolenko, Brjussow, den Anfang des Spaniers Baroja, ständen wir mit schlappen Mäulern, hätten wir den einen nicht. Er ist sogar, was kein deutscher Maler der Zeit, kein Dichter sagen kann, unbeeinflußt. Die anderen schlugen krachend in Zolas Kerbe, schielten nach Monet, Cézanne, warfen sich den Nordländern in die Hände, die das feine Gestrichel der Impressionen mit Gefühlen weich im Kreise schwangen, und deren sinnierendes und augenblickshaftes Leben den Boden abgab, wo dieser Stil glänzend und fast national ward. Er ist der einzige Nenner gegen die Zeitblamage, wo in Deutschland Autoren begannen ein Raum- und Stilgefühl aufzulösen, das gar nicht vorhanden war, und nur süßliche Vapeurs in eine übelriechende Luft wälzten: Eine Revolution, die in alten Rahmen vor sich ging, die Sensation eines roten Fracks, aber im Salon der Frau Meyer. Er war ein Adliger in der Zeit der sozialsten Anfangskämpfe, der Literaturbarrikaden, des Proletariatszusammenschlusses. Zu seiner Zeit schwoll das Gesinnungshafte auf in zerflatternden Elendszenen, in naturalistischer Photographie. Was blieb? Wenn heut Aktivisten den Tod der Kunst brüllen und nur gesinnungshafte Sauhatz loben, fällt dies Echo als barbarischer Keil in einem Dezennium auf ihre nackten Schädel. Ich bin mit jedem Aktivisten gegangen, ich habe ihn im Krieg als einzige Flamme gesehen der Jugend. Ich habe ihn geschützt, weil die Idee wichtig war, weil das Prinzipielle mehr gilt als dies und das darum, was grün und faul und dumm war. Ich habe jede Überschärfung der Forderungen gebilligt, weil ich weiß, da ich das Leben aus den Tiefen her und mehr in den Höhen auch als viele kenne, daß die Forderungen säbelscharf überspitzt wurden, weil man auf dem Weg zum Gestaltwerden der Idee die besten Stücke aus den Lenden beißt. Aber liebe Freunde, werdet Ihr starr und kalt und dogmatisch wie deutsche Professoren, diktiert, verbannt, richtet, nehme ich mir freie Luft und die Möglichkeit jeder Bewegung. Ich bin für jede Aktivität, aber für jede Duldung. Ist Handlung nur Motor, Geist nur Zweckmaschine, rette ich mich in jene Landschaft, wo Menschen an Wachstum und Fülle, Tropischem und Bodenfrucht still und menschlich Freude haben. Wächst aus Politik kein gutes und rasches Machtgefühl, werdet Ihr geschliffen zu Kastratenkompromissen, und, wo Illuminierte eingingen, speien die Tore Zwitter aus. Was heut proklamiert wird, soll von der ersten Eizelle an den Menschen bessern, es wird nicht mit Kommandos gehn, er muß willig sein, überredet werden, nicht militarisiert zum Geist. Dann kommt nur aus großer Zeitkunst, wo Form, Idee, Kraft und Genie sich zu geheimnisvoller Schöpfung vereinigt, zurück, was bleibt, da ist, und ein neues Geschlecht begeistert, befittigt. An Zweckkunst allein erbricht sich das Gefühl wie der Steiß an Jugendstilmöbeln. Nicht Kunst ist unwichtig, sondern nie war sie wertvoller und von größeren Sonnen beschienen. Geist ist nicht Enge, nicht Diktat, sondern wie jede Äußerung des Ungewöhnlichen und Großen loyal und auch in der Duldung voll Größe. Schaut in ein Dutzend Erdumdrehungen die Erde nach anderen Schwüngen, sind die Voraussetzungen heutiger Ekstasen vorbei. Nichts bleibt als Gestaltung.

Immer war die Muse die große Trösterin und die schön Aufnehmende unseres Leides, und kein Gott hat gewagt, ihrem unerbittlich großen Gang sich entgegenzustellen. Eine seltsame Erleuchtung hat es unternommen, daß, als erste soziale Feuer sich entfachten und hymnische Knaben erfanden, daß „Freiluftkunst“ und Fidus, Naturstimmung und Stammeln Höhen des Erlebnisses seien, ein Aristokrat die reinste Musik seiner Jahrhundertshälfte in der Prosa formte, indem er in vollendeter und schöner Schwäche den Todesgesang und das entzückende Sichneigen seiner Rasse und seiner Generation begann. Außer Menschen, die die Wehmut seiner Sprache liebten oder Dandysmus des Gefühls in der spielerischen Geste zu sehen glaubten, außer Frauen und emporgekommenen Jünglingen hat niemand seine Sprache vernommen, niemand diesen großen Abschluß begriffen. Ehe er starb, war er jahrelang blind. Jenseits der Menschen schon, wie er über der Form stand, gleich Klee und Renoir ein Handwerkszeug so meisterlich beherrschend, daß er es fast nicht mehr gebrauchte. Eine Könnerschaft ging weg, wie in der Ausbalanzierung der Worte, in der Elastizität der schwankenden Sätze, in der tragischen Grazie dieses Land sie generationenlang nicht besaß. Wie allein Sternheim in der unheimlichen Knappheit jahrhundertalter Hirnkultur sie konstruktiv danebenstellen kann, aber niemals diese Gelassenheit erreicht, in der alte Möbel und Schlösser, Schlachten, Heiraten, Herbste, Ernten, Rokoko und erlauchte Blutmischungen Farbe und Erinnerung hineingaben. Da wir Kraft des Ausdrucks scheints mehr schätzen und haben als erlesene Prozesse der inneren Läuterung, liegt dem Deutschen und Kaffern das Einfühlen dahinein schwer. Weltgefühl hatten Staufer, die Ottonen. Man hat es nicht bewahrt. In der Breite blieb keine Form. Kommt ein Spätling damit ans Licht, zeigt in sieben Sätzen davon mehr als der Durchschnitt heutiger Autoren aufweisen kann, schelten sie ihn, achselzucken sie: Artist. Niemand ahnt, keiner weiß, welche Leiden, Mühen und Jahrzehnte es erst braucht, setzt aus den Stürmen und Kämpfen unseres Weltgefühls heut sich einmal nur die erste Stufe glatter Tradition, so daß irgendeiner schon jenseits all unserer Kämpfe leicht wie in luftloser Freiheit Summen und süße Kraft zieht. Im Chaos unserer Bewegung durch die Jahrhunderte steckt beste Kraft. Aber das ist kein Zustand, ist barbarische Gewohnheit. Lästerern, die sich der Roheit brüsten, ja uns allen, die an der Roheit wir ohne Schuld tragen, ist nur selten ein Zeichen gekommen, das zur Arbeit an der Gemeinsamkeit einer Harmonie riefe. Hier verscholl eines. Sein Gedanke war in andere Welt gekehrt. Kein Fanatismus, keine Problematik gab es mehr. Zeitfragen waren Stoff und Vorwurf, der so unwesentlich ihm war wie irgendeinem. Zum Schluß sah er nur noch Menschen. Die Melodie, mit der eine Welt aufwuchs noch einmal, war beste europäische, männlich, zurückhaltend und auch in der Schwäche ernst.

Zwischen Rußland und Deutschen hat die baltische Kultur sich in abgeschlossenen Jahrhunderten zu Reife und Enge entwickelt. Chinesisches kam aus ähnlicher Einsamkeit. Die Herrenkaste haßte Deutsches und Preußisches, schwang in Rußland die Geißel. Schon das Kokettieren mit Preußen, als der slavische Imperialismus die Brücken und Stoßwagen verbrannte, hätte diese über Zeit und Jahrhunderte unwahrscheinlich gebogenen Zustände innerlich zerstört. Zwischen Bolschewiken und Junkern laviert eine Kaste, die ein Jahrhundert zu lang Kondottieri und Ritter geblieben war. Um ihre Wälder und Schlösser aber staute sich die Zeit wie eine Schale gegen den Himmel. Darin wuchs wie aus Urformen Gewohnheit und Blutstraße sich zu einem Daseinsrhythmus, der in seiner Überzüchtung weit über Wien hinausgehend, den Rekord auf deutschredendem Boden mit tausend Längen schlug. Hier war ein Volk noch aristokratisch, noch mittelalterlich, flackten Feuer, Feste, Fackelzüge übers Eis in Übung und Sinn des achtzehnten, des zwölften Jahrhunderts. Stoffe und Menschen, der Frühling und die Geburt kamen in Einstellung auf ein Dasein, dessen Inhalte diese Vorgänge nie gliederte, sondern nur beherrschte. Alles ist abgerichtet, fertig. Den letzten Dichter der Epoche läßt das Schicksal sterben, ehe eine neue Zeit das alles zerstört. Was er findet aber, ist so vorbereitet, so vollendet, so voll verhaltenem, kaum ertragbarem Ton, ist so in seine Hand hineingetrieben und ihren Rinnen gemäß gebaut, daß seiner geringsten Bewegung alles gehorcht. Er denkt die Vorgänge in seine Prosa, nie schreibt er. Das Mechanische ist tief unter ihm. Wissende spüren, wie ungeheuer das Bedeutendste bei ihm zwischen den Zeilen ist, wie bei Hamsun in der Atmosphäre so nah liegt, daß es nie, sondern nur Unwichtiges gesagt wird. Barbaren warfen mykenischen Stuten Menschen zum Fraß vor. Religiöse und Erschauerns fähige Völker wagten den Namen Gottes nie auf die Lippe zu nehmen und umschrieben ihn mit einfachen Symbolen.

Er filtriert Menschen nicht zur Idee, denn was Menschen damit meinen, ist in ihrer langen Vergangenheit schon irgendwie ihnen begegnet, in sie eingetaucht, Probleme gibt es nicht mehr. Die Zeit ist so alt geworden, daß alles bekannt und freund ist. Leidenschaften werden nicht mehr von Belang. Sie werden getragen, sind sie zu stark, stirbt man unter ihnen wie bei zu sehr Geliebten. Ein Heroimus des stillen Unterliegens und der passiven Widerstände erhebt sich und wird allgemein, nicht besonders. Gutes, Böses, Soziales und die Forderungen, mit denen Zeit und Schicksal die ewige Drehung des Gestirns begleiten und dirigieren, werden nicht mehr bewußt, das ist geregelt, Widerstand wird nicht erdacht. Es würde Unsinn, denn in welche Welt wäre zu scheiden aus dieser, es sei denn in den Tod? Man trägt. Wie bei den Russen. Auch hier wie bei Tschechow. Aber erlesener, man hat mehr an Süßigkeit vergangener Zeit und ungemeinen Geschehens auf seinen Leib gesammelt. Die großen Gebärden waren schon da, sie werden aus Achtung nicht wiederholt. Die Welt ist ganz in Zurückhaltung zusammengewachsen. Was den Neu-Aufgekommenen bestaunbar, stürmisch, durchwatbar und Meersehnsucht des Unendlichen scheint, belächelt man. Es war zu den Kreuzzügen schon Fanal. Die Landschaft gliedert sich in Alleen mit Nebel, auch etwas Sonne. Natürlich ist es sehr farbig im Herbst, der Sommer bringt zum tausendsten Mal Frucht. Die Seelen der Frauen sind sehr seltsam geworden in diesen Wiederholungen der Körper. Bild an der Wand gleicht Bild an der Wand und denen, die sie beschauen. Der Makrokosmos ist in ihre Seelen schattenhaft eingegangen. Man kennt nicht viel, weiß aber fast alles. Daher ist die Wehmut in allem, im Glück, in der Zeugung, im Schrei. Manchmal hat sie die äußersten Grade des Süßen erreicht, vollendet bis zum Glanz des Porzellans und starr geworden wie die Welt asiatischer Miniaturen, dünn im Atem und tötlich in der Tragödie und von einer Selbstverständlichkeit der menschlichen Schwünge und Charaktere, daß die zitternde Hand vor dem Sausen der Natur zurückschreckt.

Mit feinem Anschlag kommt eine Hand an die Tastatur. Beherrscht, klar, Gefühl bei Gefühl, die tanzende Weltkugel in der Mitte auf Wasserstrahl in absoluter Geschlossenheit, mit gewähltestem Anstand, beginnt ein Orchester. Bläser und Trommeln sind nicht vonnöten. Man sieht überhaupt keine Instrumente. Nur ein großer Dirigent hat eine heimliche Melodie angeschlagen, aber, als er begann, waren Solisten und Instrumente schon in jenen Nebel entzogen, den die Zeit vor die Abschlüsse stellt. Doch da sie zur Katastrophe den guten Ton setzt, haben, lang noch, Engel und Verfluchte Glanz und erlesene Substanz irgendwo im Raum von einer Wolke abgelesen.

Jedes Schachteln und Bestimmen hört damit auf. Er wurde aus einer Schule heraus groß. Ein Schlagwort hat immer allgemeinen Sinn, und sage ich zögernd expressionistisch, meine ich Cheops so gut wie Roswida, Däubler, den Baalschem, den William Shakespeare. Mir wächst das Wichtige ins Gesicht, nicht die gorillahafte Färbung. Heut ist mir’s Ausdruck des Weltgefühls meiner Epoche, es bedeutet mir Phalanx mit Pazifisten, Mutigen und Aktivisten und Malern. Es können Blasse dabei sein und Fliegerleutnants. Es sind Brüder zum Ziel. Messe ich nach fünf Jahren, lasse ich nur die Leistungen passieren, das, was hart und dick geworden ist. Das Schlagwort zerflattert. Wahrscheinlich ist mir dann, ich habe es nie gewußt. Daß, als Keyserling lebte, getüpfelt ward, Bang strichelte, Jacobsen schraffierte, Gejerstam an dem Filetrahmen saß, Programme darauf geschrieben wurden, Gierige sie ausschrien und sich damit kostümierten, hat nie eine Zeile des Mannes umgedreht. Zuviel war hinter ihm. Stil und Haltung, die ihn trugen, waren geschmeidig genug, den Luftzug aufzunehmen und sich untertänig zu gestalten, wie alles, was die Zeit herantrug. Als van Gogh und Cézanne tot waren, schlug sich der Pöbel, der von ihnen lernte und lebte, darum, ob sie als Im- oder als Expressionisten sich gedacht hatten, solange sie sehnsüchtig oder überdrüssig den romanischen Teil der Oberfläche Europas besiedelten. Sie haben schwer sich geschunden und um den Ausdruck ihrer Kraft gerungen. Was große Persönlichkeiten einfängt in die Spiegeleien an den vier Wänden der aktuellen Zeit, ist nur von sekundlichem Belang. Was säuselte in impressionistischen Kapiteln, ist abgefallen, nicht mehr da. Die Zeit drängt enorm zusammen. Bald werden Renoir und Picasso dicht nebeneinander liegen. Das ist die große Einstellung. Im Ausscheiden und Niveaudurchbilden von Monat und Jahr geht es ums andere, ums Gegeneinanderstellen, um die Kontraste, ums Deutlich- und Gesundmachen der problematischen Vereiterungen durch Operation. Von denen der letzten fünfzig Jahre ist Wassermann durch Romancierfülle in einer asketischen und mager gewordenen Romanzeit, Heinrich Mann durch die große Geistigkeit, Sternheim über seine schmale und glitschige Florettbegabung durch die Zeitprophetie und sein unerschütterliches Bekennertum weit und sehr über Schulehaftes hinausgestrebt.

Da gibt es nach dem Durchbruch eine Luftschicht, wo unten sich Befeindendes zusammenrückt. Man ist unter sich, Cervantes, Chrestien von Troies, Tomas a Kempis und Hutten, Heine und Hölderlin. Zola und Maupassant. Man darf in dieser Höhe die unten wichtigen Unterscheidungen der Stile nicht zu ernst nehmen. Man tut es im letzten Grund überhaupt nicht, auf Gipfel, Kerle, Leistungen bedacht. Die kleinen Gefühlvollen haben den großen Dichter deutscher Prosa einen Ästheten genannt. Manchmal war er allerdings gegen feuchte Hände und Röllchen. Es war ein Reinlichkeitstrieb, den selbst Papageien und Hunde haben, mit Dichtung hat dies nichts zu tun. Fortgeschrittene liebten ihn wegen seiner Milieus und seiner Gefühle. Sie waren nicht gefährlich, auch Gouvernanten erkannten im Leben der Vielen, die sich selbst unterdrückten, ihre geschundene Kreatur wieder und beschlagnahmten ihn für sich. Kenner aber statuierten ihn zum Impressionisten. Liebe Ahnungslose, er war nicht von euch, der das Martyrium reiner Menschlichkeit in zu sehr auserlesenen Exemplaren zu Hyperbel und Schleife über den Schicksalsrücken zog. Indem er jenseits von Kunst stand, weil er zusehr sie beherrschte, war er nicht mehr kategorisierbar. Wohl war nicht stark seine Hand, ein Knick in jedem Buch, langsam das Blut und fadendürftig das Rollen des Vorgangs, aber es war ein Bild. Ein Erdbild. Schon als er begann es auszusprechen, war er Symbol einer Zeit, die fast nicht mehr bestand, als er endete, war sie vorüber. Ihr Weltgefühl ist nur noch in seinem Werk. Ein kleiner Narr nur redet von Kunstform vor solcher Wölbung aus der Jahrhundertkurve. Dieser Mann nur, nicht Hauptmann, nicht Thomas Mann, nicht euer dummer Liliencron, kann auf solcher Höhe mit solchem Anspruch neben France, Chesterton, D’Annunzio auf irgendeinem Olympos der Völker, wo schon nicht mehr um Forderung und um Zeit gefeilscht, sondern um Repräsentation der Gefühle und Gezeiten gefochten wird, in erster Linie und mit der Haltung solcher Würde eingeführt und empfangen werden.

5. Dichter — Zeit — René Schickele

Die deutsche Dichtung ist sehr stark in die Politik getrieben. Es begann schon, ehe die Probleme von damals Katastrophen wurden. Das Ästhetische und Artistische, das sich in müder Prätention auf den Oberflächen sehr sicher lagerte, brach mit einem bestürzenden Ruck ein und sah sich einer Phalanx gegenüber, die entschlossen diese Generation bei Seite legte. Der Krieg machte dann die Atmosphäre aufs äußerste zugespitzt. Aus seinen Zuckungen erwächst der Jugend, dem Nachwuchs, überhaupt der ganzen Masse der Dichter und Künstler die politische Verschmelzung. Die soziale Idee dringt rasch in den Mittelpunkt. Sie wird nicht mehr naturalistisch nachmalend geformt, wie Zola es tat (der ein genialer Riese war, und mit der monumentalen Wucht der aufeinandergeschichteten Tatsachen cyklopische Wirkungen erreichte, wenn auch nicht künstlerische in dem Sinn, wie wir Gestaltetes verstehen) vielmehr ist das Soziale und Politische nun nur eine Umschreibung, ein Deutlichermachen der Begriffe Gerechtigkeit und Liebe, ein kosmisches Hineinschwärmen, ein tapferes Reiten für die Internationale des Geistes. Immerhin: es ist selbstverständlichstes Thema geworden, sogar so sehr, daß die Polizisten dieses literarischen Links-Terrains schon Gesinnungslosigkeit riechen, geht ein Dichter auf Minnesang oder Weiberabenteuer. Ja es wurde so sehr fast Konjunktur, daß junge Leute statt mit fester Arbeit mit tendenziösen und pazifistischen Gedichten sich in die Avantgarde hineinpauken wie Korpsstudenten ehemals mit Mensuren. Es kam so weit, daß, in Deutschland wie in Frankreich Worte wie Pacifismus, Demokratie, Politische Literatur bei den Aufrechten und Ehrlichen in jenen Verruf gekommen sind wie alle Altäre, deren Schwurempfänge die größten Lügenposten sind. Die Aufrechten müssen flüchten aus den Zirkeln, die sie selbst gegründet haben, weil die Hyänen mit den Masken der Frommen und Begeisterten die Zäune übersteigen. Aber selbst diese äußersten Fälle haben innere Figur, gestalten das Bild ins Typische. Die Idee marschiert, man muß sie schon vor den eigenen Sklaven schützen. Unter dem Gesicht keines Dichters aber kommt die politische Lagerung so deutlich und echt und schon so früh heraufgeschwommen wie aus dem Schickeles.

Er ist Elsässer, als Dichter das Bedeutendste, was dieser Grenzstrich seit Gottfried von Straßburg abgestoßen. Es gibt schlechthin in Deutschland nichts, was an spiritueller Bewegtheit, an Buntheit, Geist und Weisheit auch annähernd nur die maskuline Eleganz dieser gallisch-allemanischen Figur erreichte. Seine Abstammung, seine Heimat rückten ihn in den Brennpunkt der Weltkatastrophe. Damit die Revolution im Osten zustande käme, hat die Vorsehung es wohl gewollt, daß die Verständigung im Mittelpunkt Europas nicht erreicht würde. Denn hier mehr als am Balkan lag das Gespenst. Und hatte unter der dritten französischen Republik auch anfangs die Kriegsidee etwas Verachtetes und Überwundenes, dem auf internationale Weltfreiheit eingestellter Blick kaum Bedeutung beimaß, so sprengten beim ersten Anstoß die atavistischen militärischen Instinkte die republikanische Bonhomie und entfachten mit Elsaß-Lothringen als Kampfruf die nationalistische Gebärde. In Deutschland war noch weniger Verständigung. Man wies Jaures aus, der als einzige Möglichkeit den Frieden zu erhalten und die deutsch-französische Verständigung als „pivot de la politique mondiale“ zu verwirklichen, die Verleihung der Autonomie an Elsaß-Lothringen innerhalb des Deutschen Reichs gefordert hatte. Das hätte den Krieg gebremst. Aber im Sommer Neunzehnhundertachtzehn noch, als Einsichtige in Berlin und im Hauptquartier wie Tiger dafür kämpften, war niemand da, der, um sein Volk zu retten, dies bißchen Freiheit konzediert hätte. Man war mit Blindheit sehr geschlagen, wie dies bei allen großen Katastrophen im Lager der Machthaltenden ist. Man schließt die Ventile, bis die Kessel platzen. Die Vorsehung hat es wohl so dirigiert, daß die Explosion ihr die erwünschte Möglichkeit war, Kräfte zu steigern und frei zu machen. Aber einige wenige Köpfe, denen der Einsatz von Millionen Toten zu hoch schien, um diesen Preis zu erlangen, hatten wie Löwen und Irrsinnige ihr Hirn wund gestritten, um es billiger zu haben. Sie kämpften seit einem Jahrzehnt, je mehr die Kriegsseuche heraufschwoll, den elsässischen Reizkörper zu entfernen, indem sie ihm durch größere Freiheit die Glätte und die Beweglichkeit gaben, ohne Reibung und Verwundung zwischen den beiden Ländern zu rollen, glatt und vermittelnd, wie dies die große kulturschöpferische Aufgabe des herrlichsten aller Grenzländer sein muß, wo zwei der besten Völker der Erde sich schon so deutlich im Körper und im Geist gemischt haben. Zu ihnen gehörte die geistige elsässische Jugend, darunter der sehr unwillig in solchem Krieg gefallene Ernst Stadler, dessen Herz ganz von einer großen Internationale dröhnte, und den es zerriß, das heldenmütig tun zu müssen, was er aufs heißeste bekämpft hatte: in dem Völkerhaß eine Rolle zu spielen. Alle diese jungen Leute wollten für das Grenzland die Autonomie. An ihrer Spitze Schickele.

Man hat nie begriffen, daß die Elsässer sich nie als Deutsche oder Franzosen dachten, wenn sie ihre Mission auf diesem Gestirn überlegten. Sie hatten lediglich die Sehnsucht, sich selbst, also, nicht wahr, Elsässer zu sein. Eine ganz eigene Sache, was sie ja auch, wenn nicht der Politik oder der Geographie nach, sondern um ihrer Mentalität und ihrer überleitenden aber hartnäckigen Situation halber waren. Übersahen sie ihren Standpunkt und die Entfernung zum Ziel, so war es nicht ihre Schuld, wenn sie von Deutschland gar nichts, von Frankreich immerhin Einiges zu erwarten hatten. Die Schwenkung nach Frankreich war also ein taktischer Schritt zur Freiheit, aber nur der erste und eine Etappe. Die Bewegung wird nicht stille stehen, und zweifellos aus Frankreich genau so hinausführen, wie aus Deutschland und wird erst ein Ende haben, wenn die Autonomie da ist. Dann wird dies so oft eingeschlungene und ausgestoßene, reiche und paradiesische Land, das diese Wanderung mit vielen Läuterungen, aber auch vielen Schmerzensrufen unternommen hat, die Plattform sein einer neueren und europäischeren Gesinnung und Berührung der Geister. Man muß sich das ohne Haß und mit viel Hingabe klar machen und ohne jede nationalistische Voreingenommenheit sich einstellen. Denn hier ist einer der seltsamsten Prozesse im Werden, der für die neuen völkerschaftlichen Beziehungen von einer taktischen Bedeutung ist wie der Sozialismus, denn er bedeutet das Sichpräparieren eines Erdstücks auf den Übergang aus nationalistischen Grenzen in sich selbst und darüber hinaus ein Zusammenführen der beiden noch getrennten anderen Gebiete über sich ineinander. Ein Bindeglied, das sich in beide auflöst und die beiden damit aus ihren Grenzen reißt und entnationalisiert. Diese Aufgabe, die das Elsaß in sich trägt, seit jeher aber nie erreichte, ist erst möglich, wenn es selbst im Zustand der letzten Glücksphase eines Volkes angelangt ist, in dem der Freiheit. Wer aber diesen Gedanken schon immer liebte, propagierte, den Tauben in die Ohren schrie, Weltfrieden damit stützen, Militarismus damit stürzen, irgend einen paradiesischen Zustand damit heraufführen wollte, es nicht erreichte, aber auch im Zusammenbruch all seiner Pläne, im Krieg, die Fahne hochhielt, immer höher: Schickele.

Er machte den Kampf gegen den Krieg. Alles, was eigentlich seither über Politisches, Geographisches und Landschaftliches gesagt ist, ist über Schickele gesagt. Es deckt sich vollauf das Persönliche und das Allgemeine. Man muß diese Dinge sehr genau und mit aller Wahrheit und voll Nachdruck sagen, damit sie unbefangen genommen und in ihrer ganzen Kühnheit begriffen werden. Schickele kämpfte gegen den Krieg. Er stellte sich außerhalb dieser Dinge, wo Feldherren und Völker sich töteten und die Grenzen der Länder wie Goalstangen hin- und herschoben. Er nahm keine deutsche Partei. Aber auch keine französische. Er trieb eine europäische Politik, und es mag sein, daß er, Elsässer (das heißt weder Deutscher noch Franzose, sondern in diesem Fall fast schon Bewohner eines fremden Sterns, denn wer war sonst außer Planetenbewohnern ohne Haß), daß er als Elsässer, die Situation klug bedenkend, taktisch denselben Ruck machte wie das Elsaß und den Sieg des demokratischen Gedankens und der Befreiung des Elsaß mehr von einer Demütigung des deutschen Militarismus erwartete als von der des französischen. Hier muß ein Akzent gemacht werden. Schickele war nicht für einen französischen Sieg, er war überhaupt für keinen Sieg, weil er nur ein Imperium des Geistes liebte und jede Gewalt bekämpfte, sei sie für Wilhelm den Zweiten oder für Lenin. Er glaubte höchstens, wie viele der besten Deutschen, daß eine Niederlage des militaristischen Geistes das deutsche Volk im Sinne der Humanität und der Liebe weiter seiner Vollkommenheit und seiner Mission entgegenbringen werde. Sein Kampf war kühn, tapfer und ehrlich. Aber er ist in die furchtbarste Lage gekommen. Die Menschen verstanden ihn nicht. Die Deutschen schalten ihn Deserteur. Die Franzosen machten eine Kampagne gegen ihn als Kompagnon Erzbergers und Beteiligten an der deutschen Propaganda, obwohl Schickele Erzberger nicht kennt. Die „Tägliche Rundschau“ nennt ihn einen Vaterlandsverräter und übergießt ihn mit jener Mayonnaise, die an Verleumdung, Verdächtigung und Deutsch der Gosse ein wesentliches und penetrantes Requisit der alldeutschen Presse ist. Der Führer der Elsässer, Grumbacher, der aus der Schweiz heraus den Krieg bekämpfte, dämpft den französischen Aufruhr, indem er im Mühlhauser „Republikaner“ für Schickeles unantastbare Ehrlichkeit eintritt. Aber er zeichnet Schickeles Bild nicht als das des Europäers, sondern malt seine Gesinnung mit den Farben der Trikolore, den Farben, die nur den Durchmarsch der Elsässer auf dem Weg zum eigenen Volk umgeben. Das verdirbt seine Stellung wieder gegen Deutschland. Und kürzlich veröffentlicht die französische Regierung den Erlaß, daß Schickeles Altersklasse zu den Fahnen gerufen werde, als mobilisiert betrachtet sei. Und Schickele, durch die Annexion seiner Heimat Franzose geworden, Schickele, der den deutschen Militarismus bekämpft hat, steht dem französischen nationalistischen mit der gleichen Geste gegenüber. Schält sich nicht aus so zwischen zwei Fronten hin- und hergehetzter Figur, aus solch zwischen den Heerlagern der Völker von Mißverständnissen umwölkter Person die europäische reine Menschlichkeit? Die Linie seines Geistes liegt von vornherein klar. Seine Taktik, sein menschlich sichtbarer Weg ist der seines Landes. Nur Narren können hier verwechseln und die Idee da nicht sehen, wo sie schon siegt.

Was Schickele in solchem Kampf zu sagen hat, das ist die „Genfer Reise“. Es ist ein Buch, so üppig wie seine Landschaft, mit schräger Sonne und muskulösen, herben, doch von starker Grazie geführten Vogesenzügen, an deren Abhängen der Wein wächst und über denen französische Winde und deutsche Wolken stehen. Dieses Buch ist locker komponiert. Es schlingen sich Marginalien um eine Reise von Zürich nach Genf. Aber immerhin ist in dem Buch das Bedeutendste gesagt, was ein Dichter Geistiges über den Krieg gesagt hat. In Sätzen von blühendster Kraft und springender Schönheit verblutet ein europäisches Herz, das keinen Augenblick bereut, sich an einen Ort begeben zu haben, dessen unerhörte Kühnheit den Lebenden noch zu nah ist, um gebilligt zu werden, dessen großer Kampf gegen den Kampf und das heißt gegen die Welt, aber nie das tapfere Echo verlieren wird, solange noch Jünglinge da sind und mutige Männer, die den Herzschlag weitertragen in eine Epoche, die unsere Zeit mit dem Abscheu besieht, den das wahre Menschliche der Barbarei gegenüber unentwegt getragen hat. In dem Buch stehen Novellen, die Essais sind. Aufsätze von der Anmut tiefer Erzählungen und der spröden Glätte und Durchsichtigkeit der Sprache. Es ist bezaubernd und weise. Spielerisch, aber unter der vollendeten Form das Tiefste nicht verschweigend. Als selbstverständlich und darum aus leichtem Handgelenk gebend, was eigentlich großes Wagnis und überzeitliche Kühnheit ist. Die Hüften der früheren schönen Göttinnen sind darin gemalt, die Säulenheiligen, der duftige Mai, in dem die Kathedralen liegen, die heidnische Fruchtbarkeit eines Landes, das eine Normandie hat und gleichzeitig bis in die Levante sich schiebt. Dazu ist die Blondheit, die Strenge des Gemüts des Germanen gegeben. Zur Phrase die Sachlichkeit. Der sittliche Ernst zur Begeisterung. Das tieflangende Schwert zum schmalen Segelboot. Etwas ganz Germanisches, das sich auflöst in schöne Segelschwünge. Ein schweres Flugzeug manchmal mit zärtlicher Flügelstellung. So und ähnlich ist die Tragödie des Menschen im Krieg beschrieben. Die Not des Geistigen und die tiefe Trauer dessen, der aus dem Hüben und Drüben zu einem Über-beiden-sein will. Das Buch ist locker komponiert, weil es viel umfassen will, es ist ungemein viel geschaut und gezeichnet, was an Ideen und Menschen Schatten warf gegen die Wand dieses neutralen Landes. Der geistige Mensch reißt sich unter heftigsten Qualen von allem los und läutert sich langsam zu den übernationalen Erkenntnissen des reinen Geistes. Wenn einmal das, was heut noch französischer Mensch, deutscher Mensch heißt, in einer utopischen, aber nicht weniger realen Zeit sich zum Idealtyp mischt, wird ein Name ausgegraben: Schickele. Es war alles bereits in ihm. Der gallische Hahn hatte hier schon Gründlichkeit, die deutsche Barke einen grazilen Fock. Auch wurde hier mit Tapferkeit der Seele mehr wie von Priestern der Konfessionen und nicht minder fanatisch und bis ins letzte brav und ehrlich wie von jenem Rabbi Jeschua von Nazareth, männlich und zwischen den Schlachten der Welt, Liebe gepredigt. Man wird sehr verblüfft sein über die Entdeckung.

6. Der neue Roman und Herr Wassermann

Tut Euch nicht dick, Freunde, die Ihr aufs Neue stolz seid. Das war erst der Durchbruch. Noch schleift Ihr die Schenkel Euch ab um den Roman. Nichts ist da, was wie ein Globus kompakt und glasig, wie ein Kuheuter am Belchen voll Saft, kühn wie ein Verführer und voll Zeitdonner und Anklage wie die Stimme Jaurès. Eingänge nach Licht sind geschlagen, die Novelle steht im besten Saft. Noch rauft Ihr um Programme und blökt um Ziele, aber das Querschnittbuch ist noch nicht geschrieben. Weltgefühl ist da, addiert man die Zähler. Es fehlt die Repräsentation. Vous êtes foutus, ein Kropf hängt die Volkstragödie an Euren Hälsen. Wo Ihr bereit steht, endlich mit schönen Netzen den Kosmos einzufangen, fehlt Euch der Tüll, und die Schwünge sind Euch nicht mehr geläufig. Am großen Start versagen Eure Gäule. Noch habt Ihr wie Besessene ums Drumherum zu kämpfen, während Ihr vergeht vor Geilheit, den Geist zu fassen. Nie hatten Eure Vorfahren Zeit. Schließlich braucht’s fünf oder sieben Generationen, bis eine Volksart nationalen Ausdruck findet. Wir wurden nach zweien jeweils von den Nachbarn wegen Ungeheuerlichkeiten erledigt oder schlugen uns nach dreien heulend, lachend selbst die Schädel ein. Als Ihr von den Terrassen Eurer Träume herunterkamt, den neuen Menschheitstag zu grüßen und empfangen, waren die Stufen zerschlagen und die Röte über den Seen kam durch den verwilderten Park nicht herauf. Eure Soldaten rühmten sich, mit Faust und Bibel im Tornister zum Krieg gezogen zu sein, welches Durcheinander, was hat beides miteinander zu tun und welche Dreistigkeit mischt hier Gott mit den Verdammten? Seht Ihr Euch um, ist Wahnsinn um einige Pyramiden gesammelt. Zwischen Balzac und Dostojewsky ist am Rhein nichts übriggeblieben. Kein deutscher Roman mischt Euer Blut mit europäischen Säften. Ihr habt da und dort ein paar Bücher (Döblins „Drei Sprünge“, Heinrich Manns „Kleine Stadt“, Hauptmanns „Quint“). Nationalistische Hybris will Euren Volksnamen degradieren, und, heulen sie deutsch, meinen sie Blöm und Herzog. Noch ist nicht ganz vergessen, wie sie im Vorzimmer des speisenden Kaisers mit Ganghofer die traurigen Siegesmärsche den kämpfenden Armeen zugetrieben. Deutsch heißt nicht annexionistisch, hat mit Talmud und Kalewala mehr zu tun als mit Generalkommando-Lyrik. Ausgleich muß einmal endlich stattfinden zwischen Eurem Charakter rein menschlichen Gefühls und dem Weltgeist, Zwiesprache zwischen Leid deutscher Kreatur und Demiurg. Das ist das einzige Alphabet göttlicher Dichtung, und nur, ob es sanfter oder wilder erschallt, ist ein Zeichen, ob’s serbische oder malayische Menschheit singt. Noch sind wir daran, Europa zu nivellieren. Man hört die russische Stimme, Dostojewskys in sich selbst verzehrte, Tankschlachten in den Nerven ausspielende, ungeheuer nach erlösendem Oben sich drängende Demut. Seine Landsleute kommen weiter in die Seele hinein, indem sie sich opfern, und die Thermopylen ihres Geistes beginnen stärker als die hellenischen Überlieferungen die Jugend zu ergreifen. Bei France und Flaubert kommt aus der souveränen Skepsis die Engelsehnsucht untadelig und elegant in der heiligen Prozessuale. Selbst die kleinsten Völker scheinen mit Schallrohren sich anzukündigen. Schweden mit Belman voran. Am Ende des Zugs für das allerkleinste mit Munch der Norweger Hamsun, neben Gorki und France der beste Mann Europas. Die deutsche volle Stimme ist nicht in dem Orchester. Einige untadelige Geister bemühen sich um Gehör, aber es scheint, sie schweben im Raum. Keiner ist da, aus dem wie aus einem apokalyptischen Maule die Musik eines Volkes bräche und stürze, und wo das deutsche Temperament, jene Mischung aus Güte, Barbarei und Hochmut, sich schrankenlos auflöste in die Einheit des Kosmos, dem sie diente und der Zeit, die sie schallend und freundlich einfügte ins Orgelgerippe ihrer Brust.

Man hat eh’ Ihr in die Flammenwerfer geworfen wurdet, Thomas Mann Euch vorexerziert als Wahrzeichen anständigen und deutschen Gefühls. Ach, aus seiner Welt, die er vornehm baute, kam keine Erneuerung. Nach wenigen Monaten, als die Katastrophenfeuer am magischen Horizont blitzten, rückte er ab wie die Gesellschaft, die er dichterisch vertrat. Es schwindelte ihnen vor soviel neuer Grelle. Heinrich Mann, den sie Franzosen schalten, trat in einen Kreis, der sich ums deutsche Spektrum nicht mehr stritt, sondern weitläufigere Sorgen hatte. Ihr verlort damals auch Dehmel, den bewunderten Streiter von früher. Der Süddeutsche Wassermann zeigte in einem Kartenspiel historischer Gestalten, was er für deutsch hielt (Charaktere), und stellte das meiste auf jenen preußischen Drilltyp, der, mit einem Funken Geist, damals Deutsches verkörperte. Narren machen Euch aus Temperamentsfarbigkeiten ein bürgerliches Bild des Nationalcharakters. Winkt ab. Gingen die Erbauer der Dome nicht nach Frankreich und lernten fromm wie Schüler, und ist die Gotik nicht steil wie die höchste sonntägliche Inbrunst Eurer heidnisch großen Herzen? Auch Franz Marc ist deutsch wie die Idillischkeit Eurer See, auch wenn seine Seele dorther kommt, wo aus byzantinischen Sprüchen und asiatischen Legenden Eure deutschen Märchen stammen. Ihr seid Söhne der Erde, die Asien, das Euch einmal austrieb, besonders liebte, und Europa ist so nahe und klein, daß in dem schmalen germanischen Herzstück ein weiter Ton gefunden werden müßte, der Euch mit großen Traditionen vereinigt. Der Stern, den Ihr bewohnt, hat sich lebhaft gedreht. Ihr seid mitgezuckt und habt durch den Spalt gesehen. Die früheren Generationen fanden nichts, den dreihörnigen Stier zu fassen. Vor Euch aber hat sich die Sperrkette gesenkt, und manchmal erreicht Euer Blick die Formen des neuen Paradieses. Schaut rückwärts, klagt an! Schaut vorwärts und preist und stachelt nach dieser Richtung! Es kommt nicht an auf Geschwätz, die Richtung ist eindeutig, die Anspannung ist nur noch vonnöten, der heroische Angriff, Impetus zum Heulen schön und zum Zerplatzen gewaltig. Endlich sind die Barrikaden gelüftet, die Dezennien vor den Freiheitsstraßen lagen. Schaut der deutsche Mensch nun lange über so weit ins uferlos Neue wogende Chausseen, wird er beruhigter und klarer an deutsche Seelenaufgaben denken. Atmet er eine Zeitlang in die Welt statt in Divisionsverbände, spricht er in ein Publikum von Europäern statt Generälen und Standeskonventikeln, wird er aus dem Hin und Wider auch seine deutsche Sehnsuchtsstellung zur Ewigkeit und der Erde erhalten. Was seither bedrängte, fiel ab. Man hat plötzlich den verantwortungsvollen Blick Europas auf Euch gerichtet.

Tut Euch nicht dick. Noch schleift Ihr Euch die Schenkel um den Roman. Das muß ein Grundstock werden mit Sperma wie keiner. Was Ihr in der Weltachse jetzt einsetzt, ist Beginn. Packt Ihr’s, ist es eine triumphale Sache, mißglückt es, wart Ihr am Werk, immerhin. Es kommt darauf an, daß Männer und Kräfte da sind, die alles wie immer entscheiden, wo das Gute daneben steht. Nichts fehlt von Belang. Ihr habt die Begeisterung, die Mühe ums Handwerk, das Thema ist Euch gelegt, hinter denen eine Welt zurückkracht, vor denen eine neue urwaldsüß sich breitet. Als die Schweden in Polen einen italienischen Helm eroberten, war das ganze Weltgeschehen in ihn hineingeschrieben, und mancher Abbate hat malend die Kirchenfenster und Portale des frommen Mittelalters damit geschmückt. Malt die neue Welt hämmernd, meißelnd in die Herzen, eine Aufgabe, so Lobes und Kühnheit wert und gierig, wie selten eine von der Zeit gebotene. Es ist viel Neugier auf Euch da, und was noch nicht so weit im Vordergrund steht, wartet wie auf den Rängen, daß der Vorhang aufgeht und die krachenden Evolutionen sich vollziehen, auf denen Ihr in die parnassische Höhe mit massiven Ergriffenheiten schreitet.

Einer hat seine Hand über Euch weggestreckt, und einer der wenigen, die vor Eurer Zeit um großes Romanwerk sich bemühten, einer der vier oder fünf, hat vor Euch eine Trompete geblasen: Wassermann. Was er seither geleistet, ist großer Aufwand. Er besitzt, was bei Euch unerprobt noch, das Können, den Griff, den Griff. Zwar stammt seine Form aus impressionistischen Gefühlslagen, sein Gemälde aus einer Tradition, die beschaulich und malend das Erlebnis bewältigte. Doch war sein Geist immer auf Weites aus, zwar bürgerlich oft in Konflikten und Breiten. Doch nie ohne Lust nach Größe. Manchmal kam er herauf und schaukelte über seiner üblen Zeit. Man muß sehr genau horchen, wenn dieses Können nun Eure Themen und enthusiastischen Probleme bewältigen will, denn es ist der Verdacht, daß, wenn die Hände schon jenseits des Flusses an neuen Architekturen klug und geschickt formen, der Geist noch diesseits des Wassers ruhet und Larven sucht, um sich die Augen zu maskieren.

Hat dieser den Ehrgeiz, das Zeitbuch zu schreiben, muß es zwei Bogen haben. Der erste zeigt das Seither, das Leben, an dem er jahrelang schon malte, die Gesellschaft, das stolze und farbige Spiegeln der kapitalistischen Epoche. Das zweite muß geben was folgt, das Nachher, die neue Zeit. Das erste muß den Zusammenbruch schildern, unerbittlich sein, das Gehetz aufbrechen und das Geglänz. Der zweite muß den Schwung haben, die Forderung, den Schrei ans Schicksal. Der zweite muß die Vollendung sein, muß den Menschen zum Paradies hinentwickeln, auch in der Zeithölle das Unfehlbare, Göttliche weisen. Sonst ist das ganze Ethos Humbug. Sonst ist das Ganze Schwindel, ein Nichts. Sonst bleibt das Ganze ein kühner Ingenieurkniff, eine Brücke über Festland geschlagen, zwecklos, ein Marnesieg. Ein verantwortungsloses Kunststück. Hohl, verfehlt, verworfen eben des großen Ausmaßes halber, das es plant. Da hilft kein Können, kein Sprachglanz, kein Mal-Virtuosentum, kein Wortplätschern. Steht einer da vor dem Abgrund und schildert, während die anderen einsacken, Herrlichkeit der Blitzzüge und Luxusdampfer, ist er ein Phantast, vielleicht ein Schwätzer, aber kein Verantwortungsvoller, kein Helfer. Darauf kommt es allein an. Talent ist Vorbedingung, guter Wille selbstverständlich. Alles andere ist verbrecherisch. Wassermann macht tatsächlich den großen und staunenswert kühnen Versuch, den umfassenden deutschen Zeit-Roman zu schreiben. Er unterliegt völlig.

Es soll die große Welt zuerst gegeben werden. Der Aufwand ist bedeutend. Zwanzig, vierzig Menschen, ebensoviel Schicksale gleiten durcheinander. Das Technische ist vorzüglich, die Kuppelungen, die Konstruktion außerordentlich, die Linien gebrochen, weitergeführt, in langen Atmungen hingestreckt. Jede Vorbedingung die des großen Künstlers. Das Ausmaß ist Dostojewsky. Der Gehalt: Belletristik. Der Russe stürzt in solch weit abgestecktes Terrain ein mit einer Psychologie, die wild wie ein Tier, explosiv, aus dem Chaos unzähmbarer Kraft der russischen Seele nicht nach außen, sondern nach innen sich zerfetzt. Wassermann hat keine elementare Bindung in den Boden hinein. Er hat Gemischtes, Jüdisches, Deutsches, Österreichisches, Ästhetisches, also viel Vorbereitung für eine Kunst schöner Spiegelungen und idealer Seelenzerlegung, aber nicht das heisere, rauhe Seelenhurra der Naturkraft. Er hat Hirn, und zwar mehr als Blut. Das ist schon eine Inkonsequenz im schöpferischen Menschen. Er hat geschickte Hand, geniale Konstruktion, die wechselnden Schicksale laufen wie Springnummern des Automaten — aber er hat nicht Dynamik, die unabwendbare Schicksale schleudert. So wird sein erster Romanteil Konstatierung und lediglich Schilderung, und es mag wahr sein, daß keiner das Jahrzehnt vor den Kriegen so groß und elegant, in solchem Fresko und mit solcher Leidenschaftlichkeit gemalt hat. Damals lebte man wohl, um zu reisen, schlief lange, um gut zu dinieren, nahm Kunst wie Parfüm, Politik wie Poker, lebte einsam, unbeteiligt an der Menschheit. Unendlich einsam im Reichtum und abgeschlossen durch Genuß. Ahnte vielleicht, die Nase zuhaltend, den Vulkan unter sich am üblen Geruch aus dem Inneren der Dampfer, aber übertäubte das Grollen der sozialen Welle, die Weltwende bedeutete, indem man sie ignorierte. Wurde vielleicht im besten Falle hypnotisch angezogen, ging hin und sah es, stieg vielleicht hinunter. Aber was war das? Mischung aus Sensation und Magie des Schicksals. Neugier und Blutdünne. Weiter nichts. Aber Thema und Ergebnis des Wassermannschen Romans.

Dies alles Zeug, was da lebt, genießt und glücklich ist, soll ein Querschnitt sein, aber nur Vorbereitung für das Kommende. Jedoch, es wird wohl gegen die Konstruktion, aber nicht gegen das Herz des Autors Hauptsache. Da steht mit Kainz und Saharet und Heymel und vielen lebenden, nur wenig cachierten Typen die vorkriegerische Welt jener etwas fauligen Gesellschaft, die Geld und Stellung und gepflegtes Fleisch bis zu einer Sterilität und äußerlich raffinierten Kultur gebracht hat, die beim ersten Ruck zusammenflog. Da stehen wundervolle, von großer Künstlerschaft zeugende Kapitel. Doch nicht jener Sproß des Reichtums, der sich umwendet und in die andere Welt der stinkenden Löcher geht, wie es die Lineatur des Romans verlangt, entwickelt sich hier, spielt hier Flöte und Klavier seines Schicksalsmarsches. Was gekonnt und vollendet ist, ist das eigentlich Nebensächliche, ist die große Tänzerin, ist der Gourmet Crammon. Das ist mit Liebe und mit oft klassischer Zartheit gemalt. Aber wo sind die Ergebnisse? Angedeutet vielleicht, ein Wind wird wohl gehört, der Laternen dieses Festes ausbläst. Aber wo bleibt die Verantwortung, wo der Dichter, der anklagt? Nichts. Nur im einzelnen, bei diesem, bei jenem, wird eine Folgerung gezogen. Im Großen versagt das alles, hat keinen typischen Wert. Hier liegt schon die Tragik. Das Weltbild versagt. Das Ziel kann nicht werden, da der Dichter verstrickt ist. Es kann sein, daß irgendeiner, der diese Welt haßt, ihre Weiber, ihre Genüsse aber bis zum Exzeß liebt und braucht, menschlich vielleicht zu schwach ist, zu entsagen, aber darunter leidet und in der Sache und in der Wahrheit seine Anklage darum um so heftiger schleudert. Aber wem diese Welt so maßlos imponiert, wer so innerlich fasziniert ist von ihr wie Wassermann, kommt nicht frei. Der zieht keine Schlüsse. Der kommt nicht zu Summen. Der macht keinen Strich. Der hat in keiner Weise jene Radikalität der Wahrheit, die künstlerisch allein Wertvolles hinsetzt. Der malt und zeichnet immer noch auf der Oberfläche, während in der Tiefe die Entwicklung sich schon vollzog. Das ist aber ohne Bedeutung. Die Zeit schildert nur der, welcher aus dem Alten das Neue herausentwickelt. Wir haben keine Lust, zuzuhören, wenn um eine Sache herumgeredet wird. Es fehlt uns die Geduld zu Umwegen ohne Ergebnis. Das Motto ist nicht: ich weiß — sondern: ich kreuzige mich. Die Fahne weht nicht: ich komme dahin — sondern: ich erkenne, erreiche oder gehe ein. Alles andere ist mißverstanden, wird überhört oder verflucht.

Dieser Held, der aus der schrankenlosen Fülle kommt, marschiert wohl auch in die Armut. Er geht in sie hinunter wie in einen Stollen. Er hält sich in ihr auf. Er befindet sich in ihr. Sein Zustand ist in ihr. Weiter kann man es nicht ausdrücken. Er ist so steril, daß er einfach hingeht. Genau wie er am Ende aus ihr herausgehen, sich aus ihr entfernen, sie verlassen könnte. Es wäre weiter nichts Erregendes. Es wäre eine Veränderung. Man flöge vielleicht bis dahin auf den großen Bären oder entdeckte ein Fischvolk unter Ceylon. Größer ist die seelische Temperatur beim Überschreiten des sozialen Äquators wirklich nicht bei ihm. Er tut das seiner Kaste Unerhörteste mit einem kindlichen Mißverstehen jedes sozialen Instinkts. Er kommt nicht unter Zuchthäusler, Huren, Verbrecher aus dem luziferischen Sturz her, sondern auf Grund einer Hypnose, einer Konstruktion. Er hält sich unter ihnen nur passiv auf. Er hat eine scheinbar sehr mystische Kraft, daß sich (groß angelegt, aber schlecht entwickelt) Übeltuende zum Guten entwickeln. Aber genügt das? Wo ist das Seelenfazit? Sammelt er die Elenden, schart sie um sich, klagt ihnen die Anklage vor gegen die Gesellschaft, organisiert er sie? Er lächelt. Er lebt unter ihnen. Aber das ist nur ein Affront gegen seines Vaters Millionen. Lange noch keine Tat. Knirscht er, leidet er unter dem Elend der Menschen? Er ist nicht ohne Güte, aber das kann auch bis zur Blüte kultivierter gesellschaftlicher Anstand sein. Das Ganze ist unsicher, unerlösend, ohne Absicht, ohne Bestimmung, ohne Ziel.

So steht auch die Form in Schwankung. Manche Partien sind expressionistisch, rattern herunter, schmeißen das Psychologische heraus. Verstehen aber nicht, im Gedrängten das Seelische elementar zu heben, sondern müssen das ausgestoßene Psychologische in langen Psychologieblasen wiederbringen. Manchmal geht es dann statt ins Übersinnliche ins Medizinische; Wissenschaft und Hysterie stellen sich, als ginge es nun an Gottes Vaterbrust. So kommt man aber nicht hin. Und dann hat der an Glanz und elegante Kurvenführung gewöhnte Stil gar kein Organ für die Kaschemme. Stilisiert geht es nicht. In unheilvoller Instinktlosigkeit wird es naturalistisch versucht. Das wird dann komisch, denn das wird toll Literatur, und diese Gespräche zwischen Lustmörder und Held sind in ihrer monumental gedachten Dialektfresserei, ihrem naturalistischen Geschwafel genau so verlogen und unecht wie die Tiraden der Profilromantiker. Für solche Dinge hat Wassermann gar kein Gefühl. Elend ist es noch lange nicht, wenn eine Hure berlinisch redet, oder wenn der Held das kostbarste Perlenband (das seiner Mutter) der Luetikerin, mit der er platonisch lebt, in den Schoß gibt. Elend ist das zitternde, nackte Leben, das nach oben will, wo Gerechtigkeit aufsteht und das Leidende anspannt, daß es groß wird in dieser Dehnung. Elend ist nicht eine Malerei von Dreck. So ist das Ganze: verfehlt, falsch gesehen, vorbeiverstanden, unerlöst. Dies alles spricht gegen die Einordnung dieses Versuchs in den Rang des Ziels, das es anstrebt. Lediglich dagegen. Man soll nicht verblendet sein und das Nichterfülltsein auf das Können des Autors zurückfallen lassen. Wer viel riskiert, setzt andere Maße voraus, höheres Gericht als dieser und jener Miesnick, der sein kleines Thema wacker herunterspielt.

Als Könner ist Wassermann einer der ersten Autoren der Zeit. Auf drei Seiten des Buchs gibt er oft mehr an grader Schönheit, da, wo er kontemplatorisch wird, ein Einzelschicksal wendet, meist mehr wie andre, die an sicherer Stelle segeln, im ganzen Werk. Auch der problematische Torso des „Christian Wahnschaffe“ verdient jeden, der ihm naht. Die blühende Fülle der Figuren gibt ihm Niveau von selten erreichter Breite.

Wir sind konsequent und wollen das Loyale. Im Schätzen und Anerkennen liegt aber nicht die letzte Liebe. Das Maul der Zeit ist grausam, und das Gewissen der weichenden Minute hat Gorgonisches im Ausdruck. Die Umkehrung wird symbolisch. Vor den Forderungen dieser Jahre bricht der Kern zusammen: es ist zu wenig. Mit diesen Sätzen, solchem Bau erreicht er nicht das obere Gerüst. Gespanntere Schenkel, wildere Kehlen erstürmen nur die Höhen des neuen Tons. Der Dichter bleibt geschätzt und ihm jeder Respekt. Aber die Hand soll drüben bleiben und den Vorhang nicht aufzureißen suchen, der sich eines Tages weit aufschlägt aus eigenem Schwung. Die Hand soll jene Epoche weiter malen, in der ihre Triumphe und Süßigkeiten liegen. Denn schöpferische Stärke ist gebannt an ihren mystischen Untergrund und gehorcht nicht wie Pferd und Autorad dem Hirn und der Klugheit. Von jener Insel, die schon hinter uns liegt und schwankt, wird kein neues Weltbild geschaut und geformt.

Erreicht Ihr es nicht, Freunde, fehlte Euch Kraft und Fülle, aber nicht die Berufung. Eure Torsos werden aber dann heller und reiner vom Geist heraus marmorn strahlen. Irgendwie wird der Boden, auf dem sie stehen, ihnen huldvoll und gnädig sein.

7. Staatsanwalt, Dichtung, Unzucht, Freiheit

Immer haben die jammervollsten Kämpfe der Menschen ihren eigenen Gesetzen gegolten und nie war ihre Verzweiflung größer, als wenn sie sich in den Maschen der kühl erdachten Normen in dem Augenblick verfingen, als ihr Blut heiß und ihre Leidenschaft so groß war, daß nichts mehr zwischen ihnen und dem Schicksal stand. Stets kam die Tragik unaufhaltsam bis in die erbärmlichsten Kalküls der Menschheit, wo sie lächelte statt zu erstarren. Nie haben Pensionierte aufgehört, die Glänzenden zu hassen. Bürger greinen hinter den Freien. Staatliche Autoritäre haben immer die unabhängigen Führer verfolgt. Nie hat das Starre versäumt, sich gegen das Bewegende zu verschwören, und keine Idee hat, wenn sie in die Tatsache übertrat, sich nicht sofort verleugnet und gegen sich selbst gekehrt. Als die Menschen das Gesetz erfanden, wichen die efeubekränzten, Pauken zur Flöte mischenden, Bacchantinnen in die thebanischen Wälder, und die Unzucht der Paragraphen ersann sich die scheußliche Mißgeburt des öffentlichen, bezahlten und zur Anklage verpflichteten Beamten. Das Gesetz nahm das intellektuelle Monocle ins Auge, den Staatsanwalt; und die Maschine der Gerechtigkeit erhielt die Musik der Vorstädte und der Verdammten, den Grammophonschrei, die blecherne Tirade. Die Humanität hatte einen starken Arm und spießte, ihrem Zeitalter nicht unwürdig, auf Degenspitzen die Opfer wie Gänseherzen über den Rost.

Der Haß gegen die Dichtung, die sich frei und ohne Zirkular bewegte, blieb immer in der Luft dieser Säle. Die Autodafés rauchten, aber man hat nie aufgehört das edelste Wild zu jagen. Die Gerichte waren immer Tempel der Reaktion, und die Politik hat ganze Arbeit mit ihnen gemacht. Vom Fall Dreyfus bis zu den Mördern der Landauer, Luxemburg, Liebknecht läuft eine Idee. Aber die Romanen haben irgendwie die Hartnäckigkeit ihres Geistes gegen die Formeln in jahrelangen Kämpfen bewahrt. Zola hat gesiegt, als er sich gegen das Dumpfe erhob und Dreyfus gerettet. Flaubert errang vor den Assisen, der unzüchtigen Dichtung angeklagt wegen der „Bovary“, einen Triumph. Die Deutschen verurteilten achtzehnhundertfünfunddreißig Gutzkow und mit seinem Werk die Freiheit überall, wo sie sich regte. Später setzten sie in Dresden ihm ein Denkmal. Das Blamabelste vollzog sich in Leipzig, als von Nichts berührte Richter im Juni achzehnhundertneunzig Alberti, Conradi, Wallot verurteilten und damit den Sinn ihrer Maschine und die Duldsamkeit der offiziellen Deutschen gegen den Geist in nie gut zu machender Geste verrieten.

Die Geschichte dieses Prozesses darf nicht vergessen werden.

Sie war kunterbunt und einfältig aber nicht ohne Warnung. Enkel und Optimisten werden ihre Freude daran haben, aber die Tieferschauenden werden grausen, wenn sie bedenken, wohin mancher Weg von heute im Zeitpark zu führen vermag. Die Verantwortungsvollen haben ihr sicheres Gefühl, das ihnen Ziel und Richtung ohne Unterlaß bestätigt. Wohl werden Hexen nicht mehr auf die Märkte ins Feuer geschleift, aber die Dummheit liebt wie immer die Symbole des Geistes zu zerstören, um im Stande der Macht gerne die Roheit des Siegers auch in den einfachsten Realitäten wieder zu genießen. Man ist am bequemsten eingerichtet, wenn das idiotische Gewissen die herrlichsten Formen der Vergangenheit am deutlichsten wieder in Übung nimmt, das hat jede Historie gezeigt und jede Entwicklungsempirie des menschlichen Herzens.

Leider kann man keine Apologie dieser Dichter geben, sie waren nichts. Aber nicht mehr und nicht weniger als ihre Zeit, die sie schließlich vertraten. Man schrieb den Dingen das Gesicht und den Leib nach, vergaß auch das Unaussprechliche nicht, die Kanäle und das Geschlecht. Vielleicht betonte man es heftiger, weil Paul Heyse und der Teutone Wildenbruch gar zu sehr darüber geschwiegen. Man stritt um die Bagatellen, daß auch, statt zuckriger Linien solche von Kot, gut gemalt, bedeutsam seien. Am Schluß war alles doch nur kindische Photographiererei und Provinz des Dichterischen. Von der ganzen Prosa ist ja nichts geblieben. Zola, ein Riese, kam aus monumentalen Talentgründen nur hoch darüber in sphärischere Luftschicht. Die anderen vergaß man bald, Doch haben sie, tapfer und eigentlich mehr Opfer als Führer so lumpiger Epoche, Bestes gewollt und mit Anstand gestritten. Auch hat der damalige Geistseismograph sie zu den bekanntesten und erlesensten Schriftstellern des Realismus angezeigt, was Geheime Hofräte schließlich und auch ein fürstliches Kabinett bezeugten. Aber als man sie verurteilte, hat nicht Deutschland einen Augenblick stillgestanden. Kein Atemzug hat das Volk aufhorchen lassen. Niemand hat daran gedacht, daß hier die tollste Kavalkade der Dummheit sich in das Fleisch der Kultur trieb. Zynisches blieb da und machte frivole Mätzchen. Der Dichter war den Menschen ein bunter Wolf, den hinterm Gitter man gern sah, dessen Berührung aber irgendwie beflecken mußte und wo man nie Garantien hatte, daß er nicht um sich biß oder gegen Regierung und offizielles Moralgesetz Ketzereien sagte. Das Urteil des Gerichts wird vor der Zeit gegen die Richter gesprochen, denn man kann die Freiheit nicht in Schutzmannshände geben und sie hat noch nie, wie jener Alberti von sich sagte, die Ehre gehabt, vor einem Gerichtshof zu erscheinen. Die Götter zahlen keine dreihundert Mark an fiskalische Kassen, weil sie „gröblich die Scham- und Sittlichkeitsgefühle mit unzüchtigen Schriften verletzten“. Wer den Geist insultiert, behängt sich selbst mit Fäkalischem. Die Dichter selbst, gegen die man sprach, wurden nur Träger des Mißverständnisses wie tausend vor ihnen, an denen sich in der Wut auf das Überlegene der Pöbel der Macht vergriff.

Auch war man über nichts im klaren. Seltsame soziale Schwärmer: M. G. Konrad beschwor Wilhelm den Zweiten sich der Überschwemmung durch ausländische Literatur entgegenzusetzen. Conradi grüßte im Kaiser den Führer der Neuen Generation. Man hatte gar keine Grundbegriffe, sonst hätte solche Narretei sich nicht vollziehen dürfen. Conradi starb an den Aufregungen des Prozesses später, und machte es oben aus, was ihn unten erwartete, wo man Gefängnisse öffnete, weil er in die Nähe des Namens Christi das Wort „verrecken“ setzte, ohne daß er anderes wollte, als den schweren Tod intensiver zu geben. Selbst der Figaro schrieb, die junge naturalistische Generation erwarte vieles von diesem Kaiser, und durch irgendwelche Manipulation geschah es in der Tat, daß Heinrich Hart eine Staatsunterstützung erhielt, um einen Humanitätsgesang unbeschwert zu schreiben. Die Anklage des Gerichts aber enthielt mit dem Aufgebot dreitägiger Verhandlung als Inkriminiation zwei Stellen: „und starrte verschlafen auf die weißen, wie Weiberbusen schimmernden Hügel“. Der Staatsanwalt stößt sich daran, daß ein Kleid zu eng war, daß ein Korsett geöffnet wurde, und daß Menschen Fleisch haben, schließlich aber auch, daß das Weiße des Spitzenbesatzes durch die oberste Öffnung der Robe geschimmert habe. Als der Dichter auf diese Sätze im Plaidoyer kommt, wird die Öffentlichkeit entfernt. Wie ein Sachverständiger erwähnt, in Italien stille man öffentlich, unterbricht ihn der Präsident ängstlich. Das Leben wird in dieser Atmosphäre eine staatlich regulierte Maschine. Man hat von Kind auf gelernt, wo man sich zu schämen, wo zu schweigen, wo zu reden hat. Lang nach Beginn der Verhandlung verteilt man die Bücher. Der Rechtsanwalt ruft: „Der Staatsanwalt verteilt unzüchtige Literatur“. Kein Richter hatte eine Ahnung, um was es sich handelt. Dem Gerichtshof ist literarischer Gebrauch, dichterisches Unternehmen höllisch entfernt. Er soupsonniert, Freiexemplare seien von den Autoren verlangt, um sie unter der Hand schielend und bückend zu verkaufen. Daß Dichter Geld erhielten für ihr Werk, kommt ihnen schamlos vor, die sich besolden lassen, um Urteile zu fällen, grausam zu sein, im Schmutz zu wühlen. Im frommeren Mittelalter war der Beruf des Henkers schändlich, und die Ritter zogen als Dichter auf den Pferden. Im Zeitalter gewonnener Kriege und beginnenden Autorennen ist der Dichter ein Aussatz, der öffentliche Ankläger jeder Würde wert. Sinn für menschlichen Anstand und die Würde der Tätigkeit ist verloren, eine Verdrehung des Gesichtsfelds von schauderhafter Groteske beginnt und würgt sich in der eigenen Lende ab bis zum Krieg. Der medizinische Sachverständige ist der berufenste. Stände er fest auf dem Standpunkt, im Zustand des Schöpferischen sei der Dichter verminderten Bewußtseins, der freien Bestimmung ausgeschlossen, der Präsident schlösse die Akten, spräche frei. Der Fall läge wie Trunksucht, zu Imbezillen und Mikrozephalen verwiese man den Träger der symbolischen Fackel. Nichts bestände, die Ausnahme zu konstatieren, die Zusammenhänge lägen kurioser. Von den Unterschieden wäre wenig die Rede. Die Seele ist in der Bürokratie einer Gesellschaft in solche Schablonen verraten worden, daß auch der schamloseste Inzest sich nicht mehr begreift. Man hat hier nicht einmal wie Makart und Fragonard gemalt, mehr wie Hogarth, aber das Düstere ist verfehmter wie wollüstiger Glanz diesen Menschen, die immer nur den Staat sehen, die blitzende, fressende Maschine eines kaiserlichen, traditionslosen und schneidigen Zeitalters. Wie Alberti, dessen Partie als Jude von vornherein verloren, sich auf Hebbel beruft und den Staatsanwalt Nagel in Parenthese fragt, ob er ihn kenne, antwortet der: „Nein, sind seine Schriften in Leipzig erschienen?“ Redet er von Goethes Tagebüchern, unterbricht ihn das Monocle, ob es sich um eine Publikation des Verlages Dettmann handle. Ihm dämmert hinter dem Glas, daß der Verlag steckbrieflich verfolgt sei. Man kann nicht davon reden, daß hier Stil fehle oder daß der Apparat nicht von einer Eindeutigkeit und Ausprägung sei, die Bewunderung verlange. Alberti muß vierzig Mark niederlegen, als er diesem Beamten sagt: er erlaube sich zu behaupten, daß auch Staatsanwälte es gebe, die den Ovid nicht begriffen. Das Einauge faucht. Die Macht wird eingeschaltet. Jedes Jahrhundert hat die Blamage, die es verdient.

Was ist Kunst? Begreifbar wie eine Wage, eine Algebra, eine Manipulation? Wehrt keinen die Scheu, von ihr zu reden? Jeder Plattkopf findet den Mut sich zu äußern und Respekt haben sie nur noch vor Spezialisten des U-Boots und der Parsevale, denen Wissenheit der Sanskrite und Etymologen schon humoristisch vorkommt, da es erwerbloses Gut ist und nichts einbringt den Häschern des Geldes. Da nur Geld ihnen gleich Geld gesetzt Wert wird, finden sie es anmaßend, auch nur den Geist gleich Geld zu setzen und nivellieren ihre Landschaft nur nach Kapital. Sie häufen und bremsen, schlingen das Überlegene in die Räder wie die stumme Materie, bis das Eisen sich durchfrißt am stärkeren Weltstoff. Dann stehen sie atemlos vor der Katastrophe. Ihre Besessenheit und der Frevel ist ihnen nicht bewußt und sie waren mit Blindheit gegeißelt, als sie sich am Licht vergriffen. Sie praßten innen in einer Welt, an deren Stacheldrähten die Dichter entlang strichen. Manchmal trieben sie einen Stier ihnen hinaus, daß sie ihn schlachteten, aber anderen Tages ließen sie sie in Kostümen paradieren und freuten sich des Spektakels. Einmal sollte der Tag kommen, wo dieser Gesellschaft die Rechnung schwer auf die Stirne gelegt und die Sünde der Generation auf Schultern geladen ward, die aus der Tragik, die die Welt spaltet, nicht aus ihrem eigenen Verschulden, ihnen als Erbteil werden sollte. Als sie den Nazarener übers Kreuz nagelten, Galilei peinigten, waren es Dieselben und meinten sie das Gleiche, als sie Heinrich Mann beschlagnahmten und nach der glorreichen deutschen Revolte Sternheim so unterdrückten, wie sie Unruh und Kerr in den dunklen Monaten vor dem Festungwerden der Welt beschlagnahmt hatten. Es sind immer die Gleichen und der Ton ist derselbe verschwörerische internationale, den jedes Jahrhundert und jede Sprache findet, wenn die Bedlamiten das heilige Beil gegen die Tapferen aus der Erdrinde graben.

Niemand kann den Mut finden in eine Diskussion einzutreten, die ernstlich die Gegenüberstellung eines Gerichts und des Geistes, der die Kunst darstellt wie jede menschliche Erhebung, versuchte, ein Gelächter würde in den Wolken entfacht, das benachbarte Planeten infizierte und unseren Irrsinn ihnen denunzierte. Das Wort will immer das Unfaßbare töten. Der Paragraph hat den Neid auf die Freiheit. Die Cochonnerien werden entschlüpfen, indem sie sich verkleiden, das geile Aufreizende, das verführt und sich enthält, die drittklassige Erotik werden lächeln und siegen. Das Logische wird das Falsche treffen, den Vorgang verwechseln mit dem Unwägbaren, was dahinter steht, der Form, der Gestaltung. Plumpe Finger werden selbst bei gutem Willen das Gute bluten lassen und die versteckte Ethik verfällt dem Gesetz. Wie Meer und Blitz und Erschütterung hassen sie das Direkte, und das Elementare ist von den Menschen stets verabscheut und gefürchtet worden, weil es ihre mühsamen Dämme einreißt, an deren Richtung und Stärke sie ihr Selbstbewußtsein und nichtige Größe gern vergleichen. Eine Umarmung und ein Donner sind Dinge voll Ehrfurcht und heilig gewesen, solange wir einfältig und einfach waren. Als wir uns in die Städte begaben und Moses vom Sinai abstieg, verloren wir die Spur der Erschütterungen und begannen ihnen feind zu werden. Das Zupackende ist ursprünglich und schön, ein Sommerregen, zwei verkettete Falter, der Sprung des Hengstes sind Äußerungen der erhabenen zeugenden Kraft. Es waren die schmutzigen Tiere, die den anderen die Unreinlichkeit vorwarfen und die Systeme haben erst das Menschliche geschändet, als sie begannen, es zu untersuchen.

Staatsanwälte, die ahnungslos vor der Wucht künstlerischer und geistiger Fragen das Leben mittelmäßiger Beamten zwischen Zahlenerörterungen und Bestimmungen vollbringen, stehen heute noch am Rande der Seelenäußerungen und zählen mit Uhr und staatlichem Messer Erlaubtes und Verfehltes als letzte Kompetenz. Der Zustand ist schamlos. Urenkel werden sich auf die Beine schlagen vor Entzücken. Unseren Kindern wird es vielleicht vorkommen wie Besuchern von Folterkammern in unseren Tagen.

„Haben sie keinen Areopag gehabt,“ werden sie fragen, „wenn sie wirklich Angst hatten, daß ein Volk von den Dichtern verführt und verdorben werde (statt auf Staatsmänner und Generale zu schauen), hatten sie keinen geistigen Areopag, vor dem sie ihre Gesetze sich selbst machen konnten? Mußten zwischen Dieben und Mördern sie auf den Anklagebänken sitzen vor Richtern, die ihre erlesensten Repräsentanten nicht kannten? Haben ihre Generäle selbst nach den Revolutionen je vor Tribunalen gestanden, die den Rang der Leutnante und der Divisionsführer nicht zu unterscheiden wußten? Und ist nicht, auch ohne rote Bestreifung der Pantalone und Goldverbuckelung ihrer Schultern das geistige Gesetz, das hier nur unterschied, von feinerer Substanz? Hat man das höchste Menschliche so wenig mehr gekannt, daß man selbst, als die Völker begannen, sich selbst zu regieren, so gering es bewertete, ja es noch unter die Kaste jener Mörder stellte, die die Landsleute zu Millionen um der Bereicherung willen schlachten ließen? Ist so tief der Schlamm der Jahrtausende um sie gehäuft gewesen, daß sie das Tönen darüber so wenig metallen erhörten?

Ach wie ist unser Leben doch besser und unsere Einsicht, so gering sie noch ist vor der großen Erhöhung des Lebens, daß wir doch wenigstens begonnen haben zu unterscheiden, wenn auch vom Erkennen und Befolgen oder gar dem Erreichen wir unsterblich noch entfernt sind. Diese Armen, die noch nicht, so stolz sie sich gebärdeten, sahen, daß sie immer ins Blinde schlugen, wenn sie reglementieren wollten, was über ihnen ist, daß sie das Schlimme sich zufügten, wenn sie das Lebendige fesselten, die noch nicht verstanden, daß aus dem Künstlerischen allein ihnen das ehrfurchtgebietende göttliche Gesicht entgegenstrahlt, und wie sie mit glasbeäugten Affen es schändeten und daß das einzige und letzte Gesetz nur die große und gütige Bewegung ist, die den Geist entläßt, im Widerspiel der Kräfte sich auszuwirken: die Freiheit. Daß aber keiner unter ihnen war, der, wohl lächelnd, aber doch voll Zorn gegen die Blödheit seiner Zeit auf einen Sockel stieg und schrie: Auf Kameraden! Daß niemand sich reckte und unter einem abendlichen Himmel oder aus einem übermäßig schönen Garten zwischen den hüpfenden Wassern ihnen die Liste vorlas der großen Namen und der Geschehnisse der Leidenschaft und Liebe von den Göttern her, Leda und Europas Abenteuer, Noas Scham, Sarahs Verkauf, von Lea, Hagar, von Thamar, Aristophanes Lysistrata, Trimalchios Szenen. Siegfried bei Brünhilde, die Töchter Loths, den Boccaccio, den Simplizissimus, Macchiavell, Cervantes, Plato, sogar die deutschen Klassiker, über die das Volk so beruhigt ist, daß in ihrem sicheren Besitz es geistlos bis in die Ewigkeit gern schliefe. Und Homer am Ende, wo lieblich und anmutig die Götter alle um Vulkan und Venus traten, Witze machten und sich des Spieles erfreuten. Und daß nicht alle dann sich aufmachten, zu zeigen, Begeisterung sei nicht erstorben, und in herostratischer Tat sich bewiesen, alle sich in die Maschine begaben und sich konfiszieren ließen, damit es heiße, nur der sei kein Dichter, der nicht dem Moloch geopfert und nicht verboten sei. Das wären Taten gewesen. Daß keiner aufstand und das Monocle einwarf, das den Geist schund! Aber es scheint, sie wußten nur, wenn sie schrieben, was Rausch und Welt war und gestalteten nur Träume, nicht tapfer genug als Leute der Welt und Überlegene ebenso zu leben wie sie dachten, und außerstande die Rolle einzunehmen, die ihnen vom Geist her zukam. Sie wußten, wenige ausgenommen, vielleicht nicht, daß Leben nicht nur über ihnen, sondern in ihnen war. Nicht einmal Hohn kannten sie, wo an Handlung es schon fehlte. Arme Dächse, die den Geist so verkannten, daß sie ihn anbeten, aber nicht zu erleben vermochten.“

Sie werden voll Mitleid neben der Verwunderung sein.

8. Deutscher Casanova

Sein Werk liegt als Wrack auf dem Grund. Es wird gehoben. Seine Bedeutung ist glatt vergessen. Sie wird geweckt. Es ist sehr an der Zeit geworden. Er hieß Friederich und nannte sich Fröhlich. Er ist sich der Ironie nicht bewußt geworden.

Goethes Verwandtschaft, der Schatten des Luftschiffers Blanehard, die nahe Erinnerung Voltaires scharen sich um seine Taufe. Die Totalität ist erreicht. Die Gruppierung wird symbolisch: Größe, Schweifen, intellektuelle Geschäftigkeit machen sein Leben aus. Seine Memoiren sind für die Deutschen ein großes Ding, die arm sind an Kerlen und Erscheinungen jener weltmännischen Kühnheit, die durch Absturz und Zurückfallen nie das Trommeln des Herzens und die Schönheit der großen Welt vergessen. Er beginnt seine Tagebücher mit einem spöttischen Fresco der Frankfurter Bürgerschaft. Ähnlich endet es. Dazwischen schweifen seine Gefühle um jeden kosmischen Pol. Eine tierhaft schöne Seelenbewegung spiegelt sich, keine Konfession. Er kann nicht mehr geben, als die Zeit, die ihn trägt, ihm verleiht, und das mindeste ist immerhin doch zum wenigsten, Träger gewesen zu sein einer europäischen Idee, die Napoleon zwar mit Kanonen aber nicht ohne seelische Größe betrieb. Heut stehen organisierte Massen und Sklaven schon hinter dem Gedanken aufmarschiert. Durch ein Jahrhundert der Verkautzung blitzt ein Bild, das zwar auf Genuß ging und lebte und stritt und Welt mit Leidenschaft umspannte, mit einer Inbrunst und Hingabe, die erst große Ziele geheiligt hätten, das aber die ungeheure Bedeutung besitzt, dagewesen zu sein. Nichts gilt mehr als das. Zwischen all dem kommt ein Leben, sehr gekurvt, wie ein Ball geschleudert. Keine Zone des Abenteuerlichen bleibt entfernt, denn keine Fläche und Erhebung, an der er unbewußt sich nicht beweist. Da rollt sein Dasein dahin, er sucht ihm keinen Sinn zu geben. Es vollendet den Sinn aus sich selbst.

Es gibt für alles dieser Art nur einen Maßstab: Casanova. Der ist die weitestgespannte Leistung. Er ist Maß für Geist, Politik und Frauen. Er ist Maß für Höhe und Tiefe, universal in Geschehnis, Wissen und Gefühl. Nicht daß andere nicht besser, dringlicher, im einzelnen stärker wären. Die Welt als Ganzes hat niemand so mit Persönlichkeit umfaßt wie er. Was sonst in unseren Zeitläufen an Memoiren erscheint, ist politisch, erotisch, kitschig, konfessionell. Es ist nicht universell.

Dieser Bursche aus der Wende des achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert aber erinnert stark an Casanova, denn er hat einen ungeheuren Drang nach der Welt der Bedeutung, der Frauen und auch des Geistigen. Zwar ist er nicht so breit, härter, herber und wohl auch bürgerlicher als der Venetianer, der seine Italienischkeit dauernd zu gallizieren suchte. Auch ist er weniger launenhaft und weniger literarisch als der Deutsche Pückler.

Es ist nicht allein die schrankenlose Bekenntnishaftigkeit, nicht das völlige Fehlen bürgerlicher Scham und ihr Ersatz durch rücksichtslose Persönlichkeit, es ist nicht allein die bestürzende Fülle von Welt, Tat und Größe, auch nicht die offengelegte Kultur der Zeit, die seinen Memoiren ihren höchsten Reiz geben. Es ist vielmehr die allen guten Bekenntnisbüchern bei größter Subjektivität trotzdem eigene Bedeutung des Sekundären. Es drängt sich nicht Psychologie in jede Falte der Erzählung. Es ist nicht alles Entwicklung aus den Nerven. Die Dinge, die Sätze entstehen elementar. Es ist ein stetes Geschiebe von Oberflächen, die heftiger wirken als sublime Vertiefungsversuche. Die große Persönlichkeit des Autors erhält dadurch Kühle und Distanz.

Es wird einfach alles hingesagt, gleichgültig, was es sei. Menschen kommen, verlieren sich, sterben, Man sagt es. Dinge geschehen und wirken tödlich. Man sagt es. Man sagt es wie das Herrlichste, Furchtbarste, Intimste. Darin steht noch einmal die Unpersönlichkeit, das Registrierende, das Uninteressierte des Rokoko gegen das Schicksal auf. Die Menschen unterstehen alle noch dem Ungefähr. Sie stehen noch im Kampf mit dem Elementaren. Was wir nur noch kennen durch den kleinen Ausschnitt der Zeitungsnotizen, was sich verringert hat auf die Unfälle des städtischen Verkehrs, braust hier täglich als dumpfes Ereignis herein. Jedermann nimmt es als Schicksal. Flüsse werden überschritten, Menschen ertrinken dabei, man rechnet damit. Menschen treten auf, an deren Laune tausend Leben hängen und die der Laune nachgehen, wann es ihnen beliebt. Morde und Entführungen sind alltäglich. Bagnosklaven rudern die Schiffe, Kugeln fallen und pfeifen. Blitze schlagen in die Mündungen der Gewehre. Überall stürmt das Leben heran mit seinen primären Äußerungen.

Und doch ist hier schon ein Wendepunkt der Zeit. Doch beginnt hier ein Ineinanderwachsen von zwei Welten. Es gibt heute noch eine wüste Seefahrt. Hunderte Menschen liegen seekrank gedrängt in engstem Raume. Die Menschen sterben in Scharen. Man wirft sie den Haien hinaus, die sie fressen. Die Matrosen aber fangen die Haie und speisen sie mit Wonne. Morgen aber ist alles schon Kultur. Theater, Seide, Geist, Parfüme wirken. Die Revolution ist schon vorüber. Noch klafft ein scharfer Riß zwischen alter Welt und neuer Welt der Organisation. Doch langsam entwickelt sich die Welt nach vorn.

In einem Frankfurter Familienhaus wird er geboren. Um 1789. In Frankfurt wird gut gespeist, gut getrunken. Das Gewoge einer Kaiserkrönung leuchtet noch einmal durch die Stadt. Seine Jugend überflutet bald Deutsches, bald Französisches. Er wächst heran, im kindlichen Herzen schon Zorn und Fehde gegen das Bürgerliche. Er kommt zur Erziehung nach Homburg. Sofort beginnt er nach Erlebnis zu suchen. Sie hetzen Säue in den Schloßgarten, werden verhaftet, schneiden der Wache die Zöpfe ab. Homburg loht vor Empörung. Nun kommt er nach Offenbach. Diese Stadt ist damals eine beliebte Niederlassung von Mystik. Ein Polenfürst und Heiliger lebt dort mit einer Sekte. Er reitet nur mit großer Leibwache aus. Tausend Magnaten aus Böhmen, Lausitz, Polen und Mähren kommen bei seinem Tode und füllen die Stadt mit Geschrei. Fröhlich eröffnet ein Liebhabertheater. Bettina Brentano ist dabei. Große Sensationen reißen ihn mit, er rückt aus nach Mainz, um die Hinrichtung des Schinderhannes zu sehen.

Hier zeigen sich schon deutlich zwei Pole seines Wesens: Theater und Frau. Man kann sagen, daß er ein unterdrückter Schauspieler gewesen sei. Als er es werden wollte, widersetzt sich die Familie, die Landgräfin in Homburg sperrt ihm die guten Häuser, denn Schauspieler werden hieß etwas sehr Gemeines sein. Fröhlich versucht es mit Gewalt, reißt aus und fährt zu Goethe nach Weimar. Zwar ist Schiller sehr freundlich, kann aber ohne Goethe nichts tun. Der aber empfängt Fröhlich steif. Frau von Staël steht neben ihm. Goethe weiß dem Jungen nichts zu sagen, schreibt aber sofort an Frau Rat, Frau Rat geht zu seiner Mutter und die Familie läßt den Ausreißer arrestieren.

In dem Knaben brennt die Lust nach Frauen. Der Knabe hat schon drei Geliebte. „Don Juan“, die „Liaisons“ und der „Faust“ sind ihm Lektüre und Inspiration. Ihm wird nun alles Weg zur Frau. Darum zog ihn auch das Theater. Alles, was er künftig nun tut, hat alle Rückwirkung, alle Bedeutung, allen letzten Sinn nur in der Richtung auf die Frau. Das Feminine wächst als Zentrum in sein Gehirn. Sein Leben gruppiert sich darum. Die Welt kristallisiert sich ihm mit allen Offenbarungen in die Frau. Wertlos ist ihm, was nicht dahin zielt. So ergibt sich für sein Leben Linie und Bestimmung. Darum wird er Offizier. Ihn lockt nicht dies Handwerk, dieser Beruf. Ihn reizt das Sekundäre. Die maßlose Weite der Welt mit allen Möglichkeiten und Ahnungen schließt sich darin für ihn auf. Als man ihm Hessen-Kasselsche Dienste offeriert, lacht er über die Parade-Zopfsoldaten. Er geht nach Mainz in französischen Dienst. Hier schlägt das Leben schon lebhaft. Er empfindet und philosophiert über den Gegensatz zwischen der leichten Lebensart dieser Stadt und der kalten Spießigkeit der Frankfurter Prozentgesichter. Er kommt in Berührung mit dem Französischen, das allen seinen Sehnsüchten entgegenkommt und ihn hebt, ihn aber mit einer so freien Lebensform belastet, daß ihm andere Milieus unerträglich werden müssen. Zuerst war sein Liebesempfinden bei allem Genuß keusch. Nun wird früh sein Urteil über Frauen bestimmter. Er sucht in der Liebe den Geist. Dirnen verachtet er. Hier ist er enger als Casanova, der in dem unscheinbarsten Mädchen die Welt sich offenbaren fühlte, der das Leben empfand im unbedeutendsten Femininen, weil das Weibliche ihm noch ungeheuerer als Fröhlich letzter Sinn und Mittelpunkt der Welt geworden war. Aber er hat mit Casanova gemein das Trösten über die Frau bei der Frau. Eine Trauer, die zur Vereinsamung führen müßte, treibt sie zu anderen Frauen, und diese saugen sofort den Schmerz ein.

Hier ist er sechzehn Jahre alt.

Man gibt ihm sechzig Soldaten. Deserteure, Russen, Verbrecher. Er führt sie in tollem Zug in Garnison nach Toul. Dort entwickelt sich ein Garnisonleben mit Liebe, Kaffeenächten, Duellen und Komödie. Das Milieu ist Gesellschaft und Militär, beides unsicherer Boden, von Frauenintrigen durchkreuzt. Die Männer haben alle eine Vergangenheit und pendeln zwischen Uniform und Galeere. Dann zieht er nach Avignon. Petrarcas Name deckt zahlreiche Amouren. In Tarascon liefern sie den Bürgern eine Schlacht und kommen in Garnison nach Montpellier. Fröhlich kommt in die Stadt und denkt: Frauen. Er läßt den ersten Friseur kommen, gibt ihm Gold und fragt ihn aus. Er beginnt schon mit Methode. Er lernt den Wert des Geldes kennen als Bahnbrecher zur Erlangung von Macht. Er schildert das Bagno, eine Menagerie angeketteter Verbrecher, Bischöfe, Generäle und Dichter. Dann fährt er zu den Besatzungstruppen nach Genua.

Seine Empfindung ist künstlerisch. Doch ist dies nicht wegen der Kunst als solcher, als abstrakten Genusses, so. Auch hier zielt er nach der Frau. Künstlerisches hat ihm nur Wert in Beziehung auf Empfindung und Leben. Leben heißt ihm aber: Frau. Bilder liebt er nicht. Natur, die er gut schildert, ist ihm letzten Endes gleichgültig. Er schaut sie als Hintergrund des Erlebnisses, als großen Rahmen des Abenteuers. Besucht er in neuen Städten Museen, alte Viertel, Kirchen, tut er es nur, vielleicht unbewußt, in dem Trieb, in dieser Atmosphäre der gesteigerten und erregten Menschlichkeit Weiber zu finden. Als er Canova kennen lernt, mißfällt ihm dessen monumentaler Napoleon. Aber die Figur einer Nymphe reißt ihn in alle Himmel. Durch die Frau kommt er zur Musik. Hier findet er unerschöpfliche Mittel, zurückzuwirken. Er bildet sich aus, singt, lernt Instrumente, komponiert und gibt Märsche heraus, mit denen die Garde später ins Feuer marschiert. Sein großer Trumpf ist Mozart. Überall holt er die Noten heraus und singt und die Frauen ergeben sich. Er macht Mozart zur Mode in Italien.

Aber er lernt auch sofort Italienisch. Es ist eine neue Waffe zum Triumph. Damit dringt er in das italienische Leben ein. Er kommt in die Gesellschaft, das Leben weitet sich vor ihm. Die kulturellen und sozialen Verhältnisse des Landes durcheilt er in äußerst reizvoller Schilderung. Er hat wunderbare Gaben, sich in fremde Milieus hineinzufinden. Er verkehrt bei den Doria und Spinola. Die Welt nächtlicher und mondbeschienener Polichinell- und Pierrot-Tragödien eröffnet sich. Die Damen flüstern: der französische Offizier, der den „Don Juan“ singt . . . Mit einer glänzenden und komplizierten Faschingsintrige erobert er eine große Frau, die Marchesa P. Und trotzdem diese Handlung ihn dem Tod aussetzt, trotzdem er seinen ganzen Willen, seine volle Erlebnisfähigkeit darauf gerade richtet, hat er dennoch andere Frauen nebenher.

Zum Abschied schenkt ihm die Marchesa einen Rubin. Morgens um sechs knattern die Trommeln. Sie ziehen weiter. Wasserleitungen, Mauern und Galgen bereiten Rom vor. Sie durchziehen Italien bis Neapel. Neapel wird ihm das Dorado der großen Welt. Die Eleganz des Lebens und der Theater ist fabelhaft. Die Mißstände der Regierung aber sind schlimm, da sie von schlechten Pariser Subjekten geführt wird. Der König Joseph verläßt sich auf die Minister, diese machen alle Mißgriffe der Organisation. Das Land gärt. Es gibt blutige Aufstände in Kalabrien. Die Engländer landen Truppen, die Franzosen erhalten eine Niederlage. Das Land loht ganz auf. Da siegen die Franzosen. Die Engländer schiffen sich ein und überlassen das Land seinem Schicksal. Die Weltgeschichte wiederholt sich Schlag um Schlag. Fröhlich macht bei dem ersten Rückzug einen Aufsehen erregenden Durchbruch mit wenig Leuten durch die Franktireurlandschaft. Er kämpft tollkühn, wie ein Löwe, und ganz kühl. Auf einer gewagten Streife fängt er einen falschen Fra Diavolo. Der echte wird später gefangen. In unzähligen Momenten offenbart sich in diesen Partien Einzelschicksal tragisch und elementar.

Fröhlich liebt den Krieg. Seine Phantasie fliegt dem Abenteuerlichen, dessen ewige Inkarnation die Frau ist, zu. Schlacht, Blut, unstetes Streifen sind Stationen, sind Wege zu ihr. Ruhm ist ein Glanz für die Frau. Keinen liebt sie mehr, als den, den sie in Gefahr weiß. Dies kennt er all. Rinaldo, Schinderhannes, Fra Diavolo — er bewundert sie, denn er sieht hinter ihren Taten den Eindruck auf die weibliche Psyche. Deshalb bekämpft er sie, um als ihr Besieger noch strahlender zu sein. Er ist ihnen innerlich näher als irgend einer. Er bekämpft sie. Aber aus Ruhm und nicht aus Moral.

In Rom führt er sich ein mit Musik. Seine Kehle ist geschult durch den großen Kastraten Matuccio. Dort besucht er auch Angelika Kaufmann. Sie unterhält sich mit ihm über Malerei. Sie drängt vom Körperlichen weg ins Geistige, ganz allgemein. Das mißfällt ihm, denn seine Tour ist das Gegenteil. Malerei allein langweilt ihn. Darum besucht er sie nicht mehr. In Rom formt er sich ganz an der ersten Gesellschaft. Das Frankfurtische verschwindet. Hier kommt ihm dann sein größtes Erlebnis: die Liebe einer Fürstin, die einzige, die groß scheint und auch ein gewisses Nachklingen in sein Leben hineinwirft. Er durchkostet es mit höchster Glut. Wie die Maler alter und beschaulicher Zeit liebt er die Kontraste. Er verliert sich mit ihr in den Katakomben und genießt ihren ersten Kuß, den Tod schon im Gefühl. Das steigert die Süßigkeit unendlich. Doch sie werden gerettet.

In einer Laune prügelt er gelegentlich einen Bischof. Es folgt die Strafversetzung nach Genua. Bald ist er wieder nach Rom zurück. Sein Empfinden in der Liebe verfeinert sich immer stärker, er nuanciert nach Städten, entwickelt das Geistige aus der Hautfarbe und gibt eine Psychologie der Frau nach Städten. Manchmal, besonders später, doziert er über die Liebe, gibt Lehren wie Casanova. Und zwar sind dies Lehren nicht gegen die Moral, sondern für sie. Er lehrt nicht das Verführen, er zeigt lediglich lächelnd seine Karten und warnt. Er ist aber darin Sohn der Revolution, daß er nicht nur philosophiert über dieses Thema. Er besitzt. Nie steigt er zu dem Flehen um Liebe, das dem Romanen eigen ist und ihn leicht süßlich macht, herunter, nie erreicht er Liebe mit einem Glissando der Seele. Freilich läßt er alle Minen springen, aber seine Eroberung ist stets etwas Maskulines. Das Ungefähr und die Freiheit der Verhältnisse, das abendliche aufreizende Italien, das nächtlich dunkle, von Paaren durchhuschte Rom, die freien Bälle, die Begegnung von Loge zu Loge in den Theatern ermöglichen alles. Nach zwei Jahren bricht er mit dem Heer auf gegen Spanien.

Zu diesem Lande hat er Distanz. Er kennt die Sprache nicht. Er beginnt sie sofort zu lernen. Aber es geht nicht so rasch, wie die Tatsachen laufen. Er wird kontemplatorisch in der Schilderung. Was er schildert ist allgemein, nicht durchschimmernd und fein wie in Italien und Frankreich. Das kommt, er hat das Land nicht durch die Frauen gesehen.

Dafür gibt es große Gemälde der Ereignisse. Aufstand in Madrid. Das Toben der Tausende, die verbissen in die Straßen gepfercht miteinander kämpfen, Kanonen und Frauen. Er wird von Murat angeredet. Dann belagert er Saragosso. Wieder prallen Massen aufeinander. Magazine fliegen in die Luft. Generäle werden erschossen. Nachts sausen glühende Kugeln in die Stadt und in den Ebro. Stürme gehen gegen die Mauern. Rasende Priester fechten gegen sie. Man verschanzt sich hinter toten Kapuzinern und Karmelitern. Trotzdem müssen die Franzosen zurück. Dazwischen fällt ein wenig Erlebnis der Liebe auf das entzückende Intermezzo eines Nonnenklosters. Vor Barcelona wird er verwundet. Er verträgt die Luft nicht und schlägt sich durch die englische Flotte auf einer Feluke nach der französischen Küste durch. Er kehrt nach Neapel zurück. Er spricht mit Murat, als er sich zur Eroberung Capris einschifft. Später muß er in Rom den Papst Pius VII. gefangen nehmen. Sie binden ihn auf einen Stuhl und lassen ihn an Seilen auf die Straße. Er tut es mit Bedauern, obwohl er Protestant ist, denn der Mann scheint ihm vornehm. Als Depeschenoffizier reist er verkleidet nach Wien zu Napoleon. Die Wienerinnen begeistern ihn, bei Männern findet er mit Recht den Dialekt abscheulich. In Schönbrunn empfängt ihn Napoleon. Er ist steif und kühl. Fröhlich bittet um Versetzung zur Garde. Napoleon: „Nous verrons.“

Als die Möglichkeit, in einer Mission nach Paris zu kommen, am Horizont auftaucht, verdoppelt er sich. Er fährt dann darauf hin, wie zu einem Magnet, der ihn an sich reißt, reist Tag und Nacht, sieht kein Bett. Am ersten Tag fährt er die ganze Stadt ab, um sie gleich voll zu umfassen. Dann ißt er um vierzig Francs zu Nacht und schläft sehr lange, um in den kommenden Wochen die Stadt im einzelnen zu durchtosen. Er kommt wieder hier in die große Welt. Salons und Foyers nehmen ihn auf. Er arrangiert ein Trauermahl, das Paris skandalisiert und Napoleon erzürnt, das Huysmans in seinem Roman „A rebours“ siebzig Jahre später glatt kopiert, das ähnlich De la Reynière schon vor der Revolution gegeben hatte und das schon in den Orgien des Roms der kaiserlichen Dekadenz Mode war. Das noch nicht modernisierte Paris schildert er berauschend mit Gassen und Pomp und seiner ganzen unaussprechlichen Süßigkeit. Er genießt es mit Massen und Festen und Illuminationen, wo Seiltänzer zwischen Raketen über dem Marsfeld schweben, er erlebt den Brand bei Napoleons Hochzeit und erklimmt den höchsten Triumph seines Daseins: liebt und besitzt Pauline, Napoleons Schwester. Sie gibt sich ihm in einer blauen Grotte, wo sie ihn erwartet. Allein er hat sie nicht erobert. Ihre Augen haben zuerst mit Wohlgefallen auf ihm geruht. Deshalb verläßt er sie bald. Aber er bekommt Einblick in die intimsten und privatesten Dinge des Reiches. Beim Abschied verschafft ihm Pauline eine Stelle bei der Garde Murats. Er kehrt zurück. Im Liebhabertheater führt er von sich selbst übertragen „Fiesko“ auf, Kotzebue und Zschokke. Bald kreuzen sich aber seine Liebeswege mit denen seines Königs. Murat läßt ihn fallen und sendet ihn nach Korfu.

Fröhlich liebt alles Wesen der Welt, nur nicht wie Voltaire le genre ennuyeux. Er arrangiert sofort Theater. Er schreibt ein Stück, in dem eine lange Versenkung vorkommt, um eine bewachte Schauspielerin sehen zu können. Er entführt aus Langeweile für alle seine Kameraden Griechinnen. Komplizierte Liebesintrigen folgen Schlag auf Schlag. Als Einwohner ärmlich verkleidet besucht er, den Homer in der Hand, die Insel des Odysseus, auf der achtflügelige Windmühlen wehen. Er kehrt zwischen zischenden Kugeln zurück. Er kommandiert eine Expedition nach Albanien, wo die Einwohner das Niegesehene europäischer Soldaten wie Zentralafrikaner umstaunen. Ihr Diktator Ali schenkt ihm vier Frauen, er gibt sie an seine Unteroffiziere weiter. Den Sommer tanzen sie, machen Feuerwerk, trinken und essen Langusten. Die Engländer blockieren die Insel dicht. Eines Tages kommt die Nachricht von Napoleons Fall, die Engländer übernehmen die Insel, die französische Besatzung schifft sich nach Frankreich ein. Als sie Elba passieren, steht Napoleon am Strand. Die Besatzung meutert schier. In Marseille hat er scharfe Quarantäne, weil durch dies Einfalltor die Pest aus der Levante sich auf Südfrankreich stürzt. Paris, von Emigranten, die zurückkehrten, überschwemmt, enttäuscht ihn. Er kehrt über Straßburg zurück. Auf den Hügeln der Bergstraße brennen Feuer zum Jahrestag der Leipziger Schlacht, Darmstadt durchfährt er, begreiflicherweise ohne Aufenthalt, kommt nach Frankfurt und nimmt preußischen Dienst.

Die Kurve der Bewegung neigt sich. Die Entwicklung stülpt sich um und geht nach rückwärts. Es war ein leichtes gewesen, sich aus der beschränkten Existenz der Jugend ins Weite zu verlieren. Von Frankfurt aus Europa zu durchschweifen, dies wollte nur heißen: Anspannung und Verbreiterung der Kräfte. Aus der Welt in das Begrenzte der scharfen Disziplin und der Sachlichkeit zurückzukehren, war schwerer. Es schien ihm grenzenlos einfältig. In der Kolberger Garnison lebt er fast blinden Auges für seinen Zustand und ist nur drauf aus, viele Weiber zu haben. Es ist ihm Rettung und Opiat für die beispiellose Nüchternheit dieses Daseins. Sein Verhältnis zur Frau verdoppelt sich. Die Weiber sind ihm näher gerückt, die einzige Berührung mit Welt. Seine Haltung zu ihnen wird summarischer. Er lockt nicht mehr im einzelnen Reize heraus, nimmt nicht mehr, immer wieder überrascht und erstaunt, das Plötzliche. Er instrumentiert jetzt seine Nerven und sein Gefühl. Das Tempo hat den Schlußfinish der Verzweiflung. Der erste große Schwung endet hier, vom festen gleitenden Boden weg, ins Uferlose aufgebogen. Er zerkracht. Er kann nicht stets, nicht jeden Tag an Brot und Zopf und makabrer Imbezilheit sich reiben, nicht jede Geste gleich an Wand und Mauer führen. Wie Casanova in England scheitert, kommt er in Preußen auf den Hund. Hier ist nicht mehr romanisches Land, wo Persönlichkeit, wo stolze Arrivierte alles sind. Hier ist eine Maschinerie trostloser Nichtigkeit, hier endet Welt allwege an Straße, Bach und Mauer. Und nie gabs Geist außerhalb des Reglements. Die Souslieutenants haben begonnen, einen Staat und ein Reich mit subalterner Ameisenhaftigkeit zu bauen, das von Mittelmäßigkeiten getragen, Idee und Geist verachtete und das Achtzehnhundertsiebenzig ironisch bestätigt, Neunzehnhundertachtzehn mit apokalyptischem Gelächter zurückgetrommelt ward in die Hundehütte, aus der es kam. Sogar die Opposition, die bei den Romanen das Heroische ist und von Ruhm und Leuchtkraft umgeben ist, ward hier ein Zustand, den Polizeibefehle richteten und den die gute Gesellschaft (während die Salons in Frankreich sie führten) verachtete wie Diebstahl, schlechten Anzug und Armut. Sein Widerstand, durch den er seither auffiel, der anzog und ihn hochtrieb, wird abgestoßen, in die Ecke verwiesen. Festung auf Festung. Er nimmt Abschied und reist.

Zwecklos zuerst noch, allein mit Kunst. In Polen sieht er melancholisch, da er die Sprache noch nicht ganz beherrscht, den Hintergrund lockender Erlebnisse sich verdunkeln. Die Frauen weichen schattenhaft zurück. Er neigt sich. Der Horizont des Daseins wird ungewisser, hie und da nur belichtet. In Berlin widert das Preußische ihn so, daß es ihn aktiv macht. Er kommt zur Satire. In Magdeburg lernt er Carnot kennen, ehemaligen Direktor der Republik. Im Scherz animiert der ihn, die Geschichte der Revolution zu schreiben. Noch lacht der andere, sieht Reisen und Abenteuer abgespiegelt im Abendhimmel.

Dann faßt ihn der Plan, läßt ihn nicht wieder los. Er kommt zum Schreiben. Grillparzer, den sehr zu Unrecht die Deutschen für einen bedeutenden Dichter halten, meinte, Außenseiter der Gesellschaft seien zu Landsknechten früher, jetzt zur Literatur gelaufen. Irgendwie wird es in höherer Sphäre in anderem Sinne aber in völliger Dreiheit wahr. Er geht in die deutsche Opposition und das heißt in ein Leben der Verachtung, der Reibung mit den minimalen Hirnen, ins Elend. Das Bürgerliche kreist ihn ein. In Frankfurt, Offenbach, Köln ediert er Zeitschriften, attaquiert und kämpft. Er frondiert, verpufft sich im Kleinen. Die Tragik nähert sich stärker. Seine Memoiren sind ein Spiegel, in dem er Vergangenes in allen metallenen Farben zurückgestrahlt sieht. Um ihn herum ist die kleine Meute, in deren Radius er sich verstrickt hat, die er reizt und die ihn hetzt. Regierung, Senat, Frankfurt, Gericht, Verleger, alles ist von dem Geist der kalten Schulter beseelt, die ihm gegenüber bleibt und nicht wankt, ihn ignoriert und verhöhnt, und an der seine Briefe und Beschwerden abprallen, nutzlos, vertan. Die Ohnmacht, allein einer Welt kleinbürgerlicher Miasmen gegenüberzustehn, hebt seinen Mut, überspitzt sein Selbstvertrauen. Er schildert sich, wie alle Verzweifelten, denen Mut aus eigener Überschätzung kommt, da in Verwechselung der Kräfte sie sich für die Idee selbst halten, von der sie nur gestreifte und versprengte Schildhalter sind: „Voll Feuer, Geist und Leben, von sehr interessantem Äußeren, wohlgewachsen, voller Talent und Kenntnisse, ein Todfeind aller Vorurteile, sehr galant, ein trefflicher Reiter, ebenso guter Tänzer als Schütze und Fechtmeister, der Liebling der Damen.“ Er hatte keinen Wert darauf gelegt, als Vorkämpfer einer Richtung, einer Herzenssache sich zu präsentieren. Ihm war Europa Gleitbahn und Lebensnotwendigkeit, Spiel des Hirns. Er wollte nach oben und vorwärts, hatte die Sehnsucht nach Welt und gut zu leben. Aber vom Dienen im Sinn der Idee wußte er nichts. Er versteht nicht darum zu leiden. Er begehrt es, wie eine Frau, die er haben, aber nicht durch Bemühung der Seele leidend erringen will. Er kennt nur die Tuschs und die Clairons. Irgendwo hinter der forcierten Eleganz steckt der arme Schlucker. Mit Prinzessinnen ging es. Mit den Bürgern ist das Leben aus und vertan.

Einmal hat er noch Erfolg, Glanz der Liebe kommt aus großer Welt. Der Park von Ludwigsburg biegt sich um nächtliche Zusammenkunft. Man redet von Entführung, London, Heirat, er glaubt es vielleicht, aber im Grunde will er es nicht. Zwar packt er das Erlebnis mit aller Gier, es verbindet ihn noch einmal mit jener Sphäre, als er italienische Fürstinnen hatte und schwärmerisch Don Juan sang. Er ist zu sehr schon zugedeckt von seinem neuen Milieu, er sieht die Liebe nur als unverhoffte letzte Frucht. Nun ist der Horizont leer geworden, die Frauen sind ganz tief und verblaßt hinausgetreten. Es bleiben Arbeiten, Kämpfe, rastloses, zweckhaftes Mühen um Gewinn, Leben, Geld. Doch vergißt er die Freiheit nicht. Sie ist mit langsamer Schönheit irgendwie vor alles andere getreten. Doch er liebt sie wie eine Courtisane, nicht wie eine Heilige. Er hat sie im Blut, sie hat ihn infiziert. Sie hat ihn wie Pauline. Aber er hat nicht den unsäglich mühsamen Weg gemacht, um sie ganz zu begreifen und so tief lieben zu können, daß er stürbe für sie.

Er hatte auch bei den Weibern nicht den Elan, sich in der Liebe für die Ewigkeit so hoch zu recken. Er ist Abreke, Abenteurer, Jeu-Genie. Um den Augenblick der Liebe zu fassen, setzt er lächelnd das Leben ein. Ein ganzes Leben Liebe ist ihm tötliche Angst. Er ist ein Impressionist im Leben, eine schöne und oft sehr farbige Angelegenheit, aber auf der Ebene der Herumgeworfenen, Eitlen und Nur-Talente. Wo er aufhört, fängt der große Erotiker erst an. Viele Frauen zu haben ist ein Talent der Oberfläche, der Verführung und der Kraft, zu gefallen. Aus ihnen herauszuholen, was an Fiktivem und Echtem in ihnen ist, an das zitternde Menschliche zu geraten, ist schon Genie. Es fehlt ihm im ganzen Leben, was Casanova hatte: die große Inbrunst, die Lust zur langen Liebe. Nie wird dem Venetianer ein Weib leid. Sie bieten ihm noch Möglichkeiten, wenn das Leben ihn von ihnen reißt. Es fehlt dem Deutschen auch Liebe solcher Frauen, die, auch wenn sie sich trennen, immer Daheim, Hafen und Rückkehr ihm sind und die seine Berührung wie göttliche Auszeichnung durch ihr an Glanz nicht armes Leben tragen. Seine Frauen sind ausgezeichnet, innig, aber einmalig und ohne Echo für das Weitere. Es mangelt ihm das Lauschen, lange Kosten, die tiefe genießende Süßigkeit des Venetianers. Ihm schien das Weib der Mittelpunkt der Welt. Aber er sucht nur und geht weiter. Casanova aber sucht in ihr, wenn er sie hat, alle Endlichkeiten des Kosmos bis zur Unendlichkeit.

Doch er hat seine Zeit in sich, seine Sehnsucht bleibt ihr treu. Seine Tagebücher hat er abwechselnd, durcheinander deutsch, italienisch, französisch geführt. Das Werk, das er aufbaut, hat immer als Titel: Welt, Enzyklopädien, Zeitschriften, Welttheater. Immer will er das Ganze fassen. Je härter ihn die Umgebung bedrängt, um so weiter will er hinaus. Politische Phantasierereien lassen ihn den Globus immer dichter zusammenziehen, das Deutschland, das vor der Revolution noch fünfzehnhundert Regenten „beherrschten“, wird immer einheitlicher. Er ist gegen das Soziale, weil er die darauf folgenden Tyranneien fürchtet. Er ist Aristokrat, aber er haßt Feudalismus, weil er die Freiheit liebt. Er baut an lenkbaren Luftschiffen, an Unterwassertorpedos, er möchte gern den Meergrund und die Planetenhöhe einbeziehen. Er kämpft seinen kleinen Kampf mit aller Tapferkeit und als Seigneur, der nur selten zeigt, daß diese Rolle nur die Verlegenheit der Situation ihm gegeben. Daß er viel lieber um Throne und Feldherrn und große Städte mit Macht und Ruhm sein Leben herumbewege, als zu schreien und fechten, mit einem Gegner, den er so tief verachtet. Und manchmal, sehr selten, ist in seiner Allüre der Ton des Ausgetriebenen, des Neidischen, des Hundes, der seine Tätigkeit auch verachtet, aber in der Welt, wie sie hinter Napoleon sich schloß, keine andere Wegfahrt sieht, als den Widerspruch, die Pasquille, das Buch des Protestes. Seine spielerische Klugheit führt in politischen Dingen ihn bald auf den Grund der Probleme, er ist nicht sehr engagiert und sieht daher klarer. Er ist für die Revolte der Herzen, wohin die Resignation an den Revolutionen bald die Engagierten führt. Doch ist es Kalkulation, nicht Glaube. Er weiß, daß INRI nicht nur das Schild des Nazareners war, sondern das Anagramm der napoleonischen Idee war und dem französischen Imperator die südliche Königswürde der Italer zufügte und das europäische Mittelterrain bedeutete, und daß es aus damit sei für lange Zeit. Daß er Napoleon bekämpfte, beweist gerade in seiner Feurigkeit nur, wie sehr sein Herz an den Dingen dieses Zeichens hing.

Deutschland ist kein Land zum Sterben. Ganz in ihm zu leben haben trotz oder wegen ihrer Liebe zu ihm seine besten Kreaturen nicht vermocht. Aus der Dumpfheit des Rheinlandes kommt er nach Paris. In Ingouville sieht er: der Himmel ist unendlich, die Terrassen der Villen und Lichter senken sich. Die Seine hat blau den Ozean erreicht. Die Natur hat eine große Melodie angeschlagen. Sie ist aus seinem Leben hinausgetreten und küßt den noch einmal, den das Sterben wohl nicht drückt.

Dort hat er seine Memoiren geschrieben. Da kam es ihm herauf aus Welle und Mondbogen: die Welt. Man hat das Werk in viele Sprachen übersetzt. Die Deutschen hatten das Dokument bald vergessen, wie sie Pückler versäumten, aber Ebers und Freytag wie Gebäck und Bier konsumieren. Sie sind kein weltmännisches Volk und berauschen sich eher am barbarischen Spiegel sentimentaler Urvergangenheit als an den Momenten ihrer Geschichte, wo Weltwende fiel und Schicksal zwischen den Zeilen der Passion gewittrig sich ballte. Dem Geist der Kriegervereine und Kaiser-Geburtstagsfeiern ist Denken und Zusammenhang eine Pest. Sie haben auch Casanova als Erotiker abgetan, der doch ein geistvolles Zentrum der Welt war, und, nur wissend, wie sehr aus den primitiven, das heißt den erotischen Wurzeln Menschen, Völker und Schicksale sich entscheiden, sein Weltbild wachsen ließ vom Phallischen in den Geist. Sein Ausmaß ist riesiger wie das des Deutschen. Den hat die Vorsehung nie so fessellos gepackt wie den, der als Besitzer des Alphabetes sich Marquis de Seintgalt nannte. Der Deutsche hat als Offizier eine Kaste, einen Ausschnitt. Von da aus erlebte er, von da aus schlug ihn die Welt. Den Venetianer aber wirft das Schicksal an jeden Strand und an jede Hölle. Er erfährt Höheres, aber auch jede Tiefe des Daseins. Sein Fall ist furchtbarer, sein Aufstieg illuminanter. Der ganz große Schicksalsausschlag fehlt dem Deutschen. So fehlt auch seinem Ende die große Tragik Casanovas, der, wie der Prinz von Ligne sagt, zahnlos und alt, ein Spott der Domestiken ward, ein Hürchen in Venedig aushielt und an jenem Petrolfeuer sich zurückerinnernd fabelhafter Erlebniswürfe, wie glühender keinem Menschen vor ihm sie gelangen, den Prunk und die Grazie und die Weisheit seiner Memoiren schrieb. Dies ist Schicksal.

Es hatte ihn ganz umgeschmissen, aber er griff um so höher hinauf. Der Deutsche blieb in der Mittellage. Nicht so maßlos repräsentativ wie Seintgalt. Aber, endlich auf das Maß seines Anspruchs gebracht: wundervolle Haut, abgeschöpft von seiner Zeit. Er wollte nichts, aber die Zeit bewies sich gerade darum in ihm. Sein Kampf vom Augenblick an, wo er ins Bürgerliche desertierte, ist nicht Tragödie, sondern Marsch in die Spirale, ins Enge und ins Unwesentliche. Nur blieb er auch hierbei seinem Blut treu, schrieb den Deutschen in ihre minderwertige Memoirenliteratur ein Oeuvre erster Form und blieb zwischen Händlern und Spießern ein Funke größeren Lichts. Es fehlte dies und dies und dies zu Größe. Er hatte die europäische Einstellung. Aber nicht den Charakter. Er hatte die Sehnsucht dumpf danach. Aber nicht die unerbittliche Richtung. Hätte er an Revolutionen geglaubt, er hätte ganz richtig von den Franken sie erwartet, denn die Unfähigkeit der Deutschen gerade hierzu kannte er deutlicher wie ein anderer. Aber er hätte sie des Glanzes und der freiheitlichen Geste halber nur von dieser Seite gewünscht und nicht gedacht, daß wohl die Explosion vom Westen, der Geist aber vom Osten kommen könne. Dahinaus war er verschlossen. Nicht aus Leichtsinn. Eher aus Courtoisie. Aber im ganzen darum: man war noch nicht so weit. Einem Panter, einer Antilope gleich, die nicht wissen, wo Hottentottisches gegen Suaheli sich grenzt, glitt sein Geistiges durch europäischen Bezirk. Es blieb, an Terrain und geringes Feld der Zäune gebunden, nichts anderes später als in Melancholie oder Verachtung zu krepieren. Es hat das letzte an sich genommen und einen tapferen Kampf mit den Stäben geführt. Das Meer mit den Schiffen unter Le Havre wird ihn erlösend, wird Befreiung gewesen sein. Sein Zirkel kreist nicht gerade die Senkrechte einer Zeit ab, und um Polhöhe zu schweifen war in Wirklichkeit nicht lange seine Mission. In ihm, dem von allen Leidenschaften und Talenten der Epoche Gefüllten, läuft das unterirdische Sehnsuchtsströmen der Vereinigung und Weite, das alle großen Herzen getrieben hat und in dem seine Zeit ihn aufweist, lässig und richtungslos wie eine Glaskugel, die ihr Strahl hebt und senkt. Mehr wollte sie damals nicht. Die spielerische Grazie hat ihr wohl genügt. Ein Pedant möchte nur verurteilen, wo die Wichtigkeit allein im Anschauen besteht.

9. Der Reisende

Es wäre Lästerung, nicht sofort auf das Bild und den Namen des Mannes zu stoßen, der schon früh hier unerreichbare Erfüllung war. Ungekannt von den Deutschen, verschollen seine Bücher, vergessener noch mehr sein menschliches Bild, das in der Zeit, die Menschen braucht wie keine, wichtig und bedeutsam ist. Es muß gewagt sein, seine Erscheinung in einer Laune, die so groß war, daß nur er sie wagen konnte, sein Bild in einem gebogenen Glas zu geben: Auf einer europäischen Landstraße rollt ein Wagen, himmelblau ausgeschlagen, mit goldenen Quasten, riesigen Spiegelscheiben. Ein Windspiel auf dem Teppich innen als einzigen Gast. Hinten auf dem Bock ein blonder Jäger, vorn auf dem Bock der Herr. Er ist schlank, vornehm, in seiner Haltung ist Zartes gemischt mit großer Energie. Er trägt Nankinghosen und Lackschuhe. Die Stirn ist ungewöhnlich. Sein dunkles Haar fällt aus einem tunesischen Fes. Er schaut nachlässig mit einer Lorgnette in den Wald. Den Hals bedeckt ein bunter Kaschmirschal. Erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Dies ist Fürst Pückler-Muskau, der größte deutsche Reisende. Er ist der europäischste Charakter. Er steht dicht neben Casanova in der unerhörten Urbanität der Gesinnung. Wie der Venetianer stets Italiener, bleibt er immer typisch deutsch. Seine moralische Einstellung kommt nicht aus dekadentem Hirn, sondern aus dem Temperament. Aristokrat der Gesinnung und Haltung, ist sein Kosmopolitismus rein aus dem Geist. Er reist, als Reisen Gefahr ist und Frage der Persönlichkeit, nicht Nuance des Kapitals. Er wird Kaleidoskop seiner Zeit. Seine Schilderung Karlsbads gliedert das gesellschaftliche Jahrhundert. Seine Lebenskurve ist sehr weit gespannt. In der Nähe Abessyniens ist seine Geste dieselbe wie am Berliner Hof. Ein französischer Autor sucht ihn zu erledigen, indem er aus seinen Büchern die Menüs zusammenstellt. Zwischen einer Anekdote und einem inbrünstig erlebten Sonnenaufgang lächelt ihn der Fürst zu Tod. Er hat eigene Orthographie, die pittoresk ist. Sein Buch über Parks ist die größte Form. Er scheidet sich von der geliebten Frau, um in England reich zu heiraten, verwirft den Plan, lebt geschieden mit ihr weiter. Er fährt unter betäubendem Donner von Fregatten- und Linienschiffen im Hafen Alexandrias ein, wo er sich mit Mehemed Ali befreundet, dessen Werk, wäre es gelungen, eine Revolution der Historie geworden wäre. Auf afrikanischer Erde das erste Glas trinkt er auf seine Frau. Er ist zart, gesund und anmaßend. War Rittmeister in der Garde, in russischem Dienst, Gouverneur von Brügge. Die Literaturgeschichten Deutschlands lieben ihn ahnungslos zu zerreißen. Bei Louis Philippe geladen, kommt er zu spät, die Königin nimmt gleich seinen Arm, er lobt die Küche, redet von Politik. Er dringt nach den Nilquellen vor, weiter wie je ein Europäer. Kamele tragen seine Weine. Löwen fallen die Karawane an, in der Frauen und Knaben seiner Wahl mitreisen. Einer sagenhaften Stadt nachfahrend, ihr gegenüber erkrankt er. Im Zelt von Blitzen umjagt, liest er zum zehnten mal Voltaires Candide fährt dann auf dem mit Affen und Vögeln beladenen Boot aus dem Sudan zurück. Sein Wissen ist profund. Seine wissenschaftliche Rolle bedeutend. Gesinnung, Pikantes, Muskelhaftes spielen wundervoll ineinander. Sein Stil oft dichterisch, seine Erlebnisfläche unerhört, sein Aspekt stets von weltmännischer Objektivität . . . . . wer hätte solchem Zueinanderkommen von so viel Glück und solcher Beherrschung Ähnliches entgegenzusetzen?

Zumal unter Deutschen. Wer versteht den tieferen Sinn des Weltdurchlaufens von ihnen? Reisen heißt: Gesamtwillen haben, Spannung besitzen, eine Persönlichkeit sein, die zentripedal den großen Radius zu Urteil zusammenzieht. Wer hat unter den Deutschen die Geste, die Selbstverständlichkeit, die innere Voraussetzung, bei solch innerer Zerrissenheit der Kultur die Welt beschauen zu können? Wer ist so stark, von so ungefestigtem Boden her, gegen das Totalste treten zu wollen, das uns sichtbar gegeben ward: die Erde? Sie, die sich sphinxhaft verhüllt, zu entschleiern, aufzubrechen, auf Leib und Brust ihr loszugehen, ihr Rätsel schließlich aufzulösen und zu großem Ausdruck zu gestalten . . . . . welche Aufgabe?

Ändern sich die Voraussetzungen des Reisens, so ändert sich auch die Psychologie. Früher riskierte der Schweifende sekündlich den Leib. Später ging es nur um eine Diarrhöe in Honkong, ein Fieber in Kapstadt. Früher war der Reiz unerhört und bedrückend. Nun geht es mehr um das Urteil. Früher kam es an aufs Entdecken, aufs Wühlen in Unbekanntem. Heute schaut man, Reisen wird Politik des Geistes.

Aus welchem Herzen kam früher der Drang in die Welt? Gelehrte, Verzweifelte, Abenteurer waren die Heroen. Große Exploiteure brechen in Afrika ein. Gordon legt Eisen um den Sudan. Gessi, Baker, kämpfen dort. Emin Pascha liegt im Krankenbett zu Bagomoio, während sein Retter Stanley auf der „Somali“, gefolgt von einer ganzen Flotte, europäischem Ruhm entgegendampft. Livingstone, der Schwede Andersson treffen den See Ngami, durch die Wüste, durch Betschuanen sich durchschlagend. Rane, Franklin stoßen nach den Polen vor. Schreiben sie, ist es bezaubernde Sachlichkeit. Ihnen ist die Gebärde fern, die heut Helden zu Feuilletonisten ihrer Tat erniedrigt. Sie schreiben lediglich sich und ihrem Gewissen einen Bericht. Der Chevalier Chardin reist segelnd über Smyrna vor einigen hundert Jahren als Juwelenhändler nach Persien. Im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts sendet die französische Akademie Bouguer nach Peru, um die Erdgrade unter der Mittellinie auszumessen. Mit dem britischen Gesandten durchquert John Barrow Esqu. China 1793. Die spanischen Dreieinigkeitsmönche brauchten Ärzte in Tunis. So kam Herr Grager nach Afrika. Da die Revolution sein Herz degoutiert, wandert De la Tocnaye zu Fuß durch Irland und Skandinavien. Aus Tübingen bricht der Chemie- und Kräuterwissenschafts-Lehrer Gmelius auf und bereist Sibirien auf das Ersuchen der russischen Regierung. 1788 kommt Philipp Ticknesse nach Frankreich und Katalonien. Ein Prozeß hat dem Weltmann die Rente gekürzt. Er reist um zu sparen.

Diese Leute schrieben ohne Ehrgeiz, sahen, schilderten gläubig. Ihre Mission war getan. Das Buch war ihnen das sekundäre. Ihre Aufgabe war anderswohin orientiert.

Das Bild der Erde ordnete sich, vervielfachte sein Einzelnes, kam in genaues Maß. Nun Reisende befuhren sie auf Bahnen und Schiffen, um sie zu beschreiben. Sie repetierten Geschildertes in die Unerträglichkeit des tausendsten Falles. Sie dilettierten mit geschmacklosen Impressionen. Bürgerliche Herzen reflektierten den Strahl der Welt zu grauenhafter Uniformität. Das Mechanische ist leicht geworden. Niemals begriff der Reisende aber, der fuhr aus Reichtum, aus Genuß, aus Langeweile, daß das Geistige sich maßlos komplizierte. Gelehrte sind phantasielos, wo der Stoff sich nicht selbst betont. Dichter und Künstler fahren, geben dieser Gegend jenen Reiz ihrer Anschauung, dieser die Leuchtkraft ihres Stils. Da nichts zu entdecken mehr, bleibt die Sensation der individuellen Darstellung. Solch Geschaffenes kann schön sein, aber für das Allgemeine ist es ohne Wichtigkeit. Es bleibt im Ästhetischen wie bei Kellermann. Im bürgerlichen Impressionimus wie bei Hesse, Bonsels. Der große Auftrieb fehlt. Es genügt nicht. Es wird dichterisch in manchem Höhepunkt vielleicht wichtig als Gestaltung, wie bei Loti, Brun und Suarès. Dies zielt aber in anderes Gebiet. Hier entsteht Dichtung. Aber die vielgestufte Erde wird damit nicht umfaßt.

Es bedarf der Persönlichkeit. Überlegenheit des Temperamentes ist die erste Forderung dieser imaginären Figur. Seine Stirn bleibt stets oberhalb der betäubend in Fülle ihn umschwankenden Erde. Sein Auge dichterisch, seine Phantasie leicht gezügelt, sein Herz voll Gesinnung . . . . . erlesenes Zusammenspiel. Er kann schreiben, aber dies ist ihm nur Durchgang. Er schaut, er durchlebt, er übersieht. Am Hebelwerk von Zivilisation und Kultur erblickt er den ewigen Ausgleich der Welt mit der Triebkraft der Elemente. Er geht durch das Schöne, das ihn berauscht, hinunter zu den schöpferischen Quellen humaner Existenz. Im Wirbel der Nationen erkennt er das Endgültige und legt das Einzelne danach aus. Mensch zu sein als oberste Pflicht, gerecht zu sein mit Härte als Bedingung . . . . wie entschält bei solcher Haltung sich das Dasein zu ungeahntem Zusammenhang. Wie kreist die Fülle, blendet der bunte Umschwung, gebiert sich das Rätsel. Er ist Dichter und Gelehrter, er ist ein Kerl und Geliebter, voll Schmutz und voll Inbrunst. Ihm geht nichts, was erhebt und erniedrigt, ab . . . welche Mischung. Er sieht durch den Gegenstand durch auf den Sinn. Ihm kommen die Zusammenhänge entgegen. Darum schildert er nicht. Er hat glühendere Leidenschaft. Er sieht, und das bedeutet ihm Abschätzung. Er urteilt. Er reist . . . . und das heißt — um endlich die Spitze zu treffen — er ist politisch. Weltmann, Genießender und Forderer . . . . diesen Politischen Sinn hat unter den Deutschen nur der fürstliche Muskauer gehabt. Aus der Totalität seines innerlich kultivierten Herzens vermochte er die Erde zu beurteilen und sich gleichzeitig an ihr zu berauschen. Er konnte es damals schon, als er in unbekannte Territorien stieß. Denn er war ein Mensch, der sich rund wußte. Der seine Verantwortungen kannte und somit die Verantwortungen der Schicksale, der Erde sah. Nur das Bild des innerlich geformten, in Gesinnung erglühten Menschen spiegelt die ganze Form der Schöpfung wieder. Die fremde Erde, die wunderbaren Gärten der Inseln und entlegenen Länder und die Betriebsamkeit ihrer Städte und Völker fallen und steigen vor solchem Blick nach dem Rhythmus der menschlich gerichteten Gesetze. Er sieht und urteilt. Was er entschält, ist der Mensch. Ist sein Bild gut, wird auch das Antlitz der zerrissenen Erde heiter und schön sein. Weiter hat alles andere keinen Sinn.

10. Datterich (Dialekt-Tragik)

Ich setze diese (zu seiner Säkular) geschriebene Zeilen hierher, um Niebergalls Andenken zu retten. In seiner Heimat streiten Pastoren und Pollissons, ob er als versoffene Unke oder gleisnerisch und im Gehrock sehr früh die Jagdgründe vertauscht habe. Seine Tragik ist aber, daß diesen Schaffer des stärksten Dialektgeballs zehn Stunden hinter seiner Vaterstadt kein Mensch und keine Rübe mehr versteht. Er wollte das größte und hat (immerfort) das kleinste Publikum. So deutsch schrieb kaum je einer, es ward aber (den anderen) chinesisch. Er war ein armer Kerl, vor dessen Werk die Zeit ihre Ironie exerzierte. Er soll im Angedenken nicht verloren gehen.

Kann etwas leichter sein, als mittags, das Gesicht gegen den Himmel schwebend, zu liegen. Zwischen Himmel und Gesicht hängt das Glasdach eines Atelier. Kann etwas leichter sein, als daß Märzgewitter klingend darüberspielen, Hagel auf dem Dach sich zerhaut, der aus dem Imaginären kommt und mit einem Mal ganz nahe wie ein Tier in wütendem Bündel gegen das Gesicht stürzt. Aber das Glas schwebt ihm entgegen, leicht und glänzend, und das Eis zerknackt sich an ihm mit klirrendem Anprall. Es lautet, als beiße der Hagel sich toll die Zähne aus und unser Gesicht liegt lächelnd darunter. Gewitterschläge schwingen und stehen überall in der Luft. Regenbogen laufen über das Kristall des Atelier, einer Blase von Glas gegen die süße Wut der Gewitter aufgebeult und mit einem Male dann wieder lichter Ballon und breiter Schmetterling in seidiger Sonne schwimmend, von strahlendem Himmel gehalten. O Leben unserer beiden hessischen jungen Dichter, das diesen Tagen glich wie ein Tanz einem andern und jeder kurze Rausch den ungeheuren Räuschen dieses Seins. Georg Büchner, erster und liebster der Darmstädter Dichter, dessen Kunst ein zuckendes Tremolo von Faustschlägen war über einem schlanken Stück Jugend, und der aus der fabelhaften Explosion seines vierundzwanzigsten Jahres wie ein metaphysisches Projektil in rasende Unendlichkeiten geschleudert wurde. Und dann, Genosse seiner Stadt und Zeit, trunkener Bruder seines maßlosen Suchens, stiller und seßhafter Mensch, Ernst Elias Niebergall, Hauslehrer und Theologe, immer gefüllte, nie zerplatzende Petarde im sonntäglichen Raum der kleinen Stadt, aber immer geschwellt und ewige Drohung, auf einem schmalen gezäunten Steg Leben lavierend, manchmal von Räuschen überschaukelt, taumelnd durch Wein und Bürgertum, und im achtundzwanzigsten Jahre sanft hinausgeschoben über die breite Dürftigkeit des Lebens, das mit groteskem Schweigen und wahnsinniger Komik gefüllt war bis zum obersten Rand. In Darmstadt heißen sie solche, die mit neidisch-verkrampften Fingern gierig und bebend nach dem Glas haschen, ehe es noch die Tischkante berührt, deren Hände tanzen den ganzen Tag vor zitternder Sehnsucht und die sich erst beruhigen im Griff des Römers, solcher Leute Zustand heißen sie Datterich. Ernst Elias Niebergall hat seine verschwiegene Tragik, seinen unheimlichen Humor, in ein Stück hineingeschrieben, dessen Mittelpunkt, Helden und Partikulier er Datterich nannte. So heißt auch das Stück, das zu herrlich war, als daß man es über hundert Jahre hätte vergessen können. Es kann sein, daß man das Stück sieht fünfmal, fünfmal in vier Wochen, es kann sein, daß das Falsett begeisterungsfähiger Weiber in Lerchentönen schluchzt, das Herz muß folgen, denselben Takt, denselben Takt.

Hier schwankt das bürgerliche Leben in jeder Breite voll Tollheit, Dürre, klebend, aber wundervoll in allen Gängen bewegt gleich einem rasch durchhauenen Ameisenbau in der Vielheit der Gestalten hin und her. Luft vom Anfang vorigen Jahrhunderts, dick und bleischwer, weht mit Figuren belebt, die taumeln. Niemand kennt mehr diese Butzenscheiben und guten Stuben und blankgefegten Dielen der Kneipen, die das Geschehen der Dinge, diese Menschen einschließen. Überall hier kämpfen Außenseiter des Bürgerlichen den uralten Kampf ihrer ewigen Legion gegen die starre Barrikade der kleinen Stadt. Typen, Typen, Typen . . . es ist unsäglich, Saft, Blut, aufspritzende Kraft, trunkenstes Sein . . . das Leben ist zu rund, ist zu massiv, als daß es töten könnte. Wie Geigenstriche rennen die Streiche der Kneipenhocker über die biedere Physiognomie der Stadt. Ihre Sprache hat eine Gedrängtheit von lapidarem Humor, ihre Geste hat das Groteske des Tragischen, ihre Hose die Seßhaftigkeit der langen Nächte und des gering gebliebenen Horizonts. Aber in der nichts Weites und Glühendes gewohnten dürftigen Enge ihrer Seelen und Gesichte heult mit dunkler Ewigkeit die klingende Fronde. In ihren Herzen vagabundiert die Endlosigkeit der Welt, während sie skaten und saufen. Ihre Lüge ist Geistigkeit, ihre Kehlen, die strotzend voll Musik liegen wie die Bäuche der Baßgeigen, legen jedes Wort hin wie einen Stein, so fest, und fassen alle Sachen ihres gewöhnlichen Lebens in Worte von ungewöhnlichster Gewalt. All ihre Anstrengungen scheinen nur Kämpfe gegen Kellnerinnen, Schuster, Vorstöße gegen Beamte, Metzger, Barone, aber im tieferen Grunde ist es gegen die unerhört schöne Borniertheit des schlechthin Bürgerlichen der Anprall der heißen Welle der Phantasie. Zwischen den großen Fugen liegen die kleinen Entreakte von Liebeslauten gelispelter Derbheit, Duelle der Drechsler, Politik im Mikrokosmos des Weindorfs, nächtliche Parke und Philomelen, von bourgoisen Blicken gestreichelt, bourgoisen Rahmen eingeordnet und doch in einem tollen Wirbel darüberhinaus sich hängend wie schwere Goldreinettes über Landschaftswegen. Manchmal aber fällt alles in einen bacchantischen Strudel des Geschehens, der Rede, der mitlebenden Szene. Worte fallen, platzen. Gesten explodieren, die gefesselte Seele des Stücks entzündet sich über die Enge des spießerischen Raumes hinaus, brennt immanent dem Milieu, strahlt von innen, glüht, johlt, die Szene biegt sich wie unter dem Gestampf eines schweißig ringenden Paares, die Bühne birst vor der Kraft und steht am Ende dampfend da und erledigt von der Wucht des Gewesenen.

Durch den unermeßlichen Strudel in Emotion gebrachter und glühender bürgerlicher Weltatome aber schwingt sich wie ein Sommermond schön, tragisch, toll und hundsföttisch die Figur des Datterich. Er hält gleich einer überlegen parodierenden Gerechtigkeit die sechs Bilder des Stücks in seinen Händen, doch sie werden seinem Gleichgewicht zu schwer und ziehen ihn nach der Seite und lassen ihn eine Weile in hellen Zirkusrädern hinrollen, bis er in einer Minute neuer Balance in eine große Pose zurückfällt. Am Ende schlägt sich das Stück mit allen Agierenden in einem bunten und prachtvollen Rad noch einmal vor ihm auf und er hält Abrechnung mit der Welt, den Kopf in den Nacken gelegt, die Hand leis bewegt von oben nach unten. Er ist überlegen in allem Angeborenen und vom Blut Bedingten, himmlischer Gegenpol des Städtischen, Verschwisterten, Engzusammengebauten, siegreich, glänzend, allein. Kurz darauf aber jagt ihn am letzten Horizont des Stücks die harte Realität eines Fußtritts aus der Bahn. So schwenkt auch hier in einer höheren Bedeutung der tolle Kreislauf des Lebens den Helden in einer entzückenden Miniatur aus dem Hochgefühl in die Beschämung, denn es ist gut und recht so, daß ein Wechsel sei.

Datterich ist alles, was das Leben schön macht: er ist Romantik, ist geistvoll, ein Schwein, verkommen, voll boshafter Lyrik und pragmatischen Sentiments, Filou, brennend vor Unternehmen, ein Hund, voll Ehre bis unter den Fingernagel, ohne Geld und das Leben wie auf einem Karussell mitfahrend, auf dem Gelage, Wind und Abenteuer ist. Seine Gestalt erscheint komisch und heldisch, aber unethisch am Ende, weil sie alles hat, nur nicht das letzte und trübste Requisit des Nichts-Als-Bürgerlichen: Güte aus Sentimentalität. Durch das Transparent von Spießigkeit und feineren Weinen ist er ein Fenster auf die tragische Narrheit des Lebens, das leichter und klüger scheint wie das der Bouffons des Briten und vor allem — viel zu massiv als daß es töten könnte.

Schneidet man ein Filet von gutem Ochsen, rasch auf heißestem Rost gebraten, blank auf, läuft der Fleischsaft hellrot heraus. Das ist die Sprache des Stücks, Dialekt, Darmstädtischer, stumpfer, modulationsloser wie der des Elsaß, mehr in allen Kapriolen der A und O aufsteigend und fallend, nicht schillernd, unmusikalisch, aber schwielig und breit und ungeheuer spießisch, derbblutig, doch ohne Elan. Und wie das klingt . . . und drüber hinaus, wie die Drähte laufen vom Lokalen zum letzten Seelischen und vom Dialekthaften plötzlich ins bitter Schmerzende und um alles schließlich Funken der großen Fahrt aufsprühen in der rasenden Bewegtheit, der latenten Seinsrealität in allem Fließenden . . . wie die Sätze jagen, Schlag um Schlag, Schläuche gefüllt mit Drastik, Urtum, Bauernhaftigkeit und derbem Leben . . . wie das Ganze so muskelhaft ist, daß es die besten Spieler unserer Zeit mit den redlichsten Darstellungen nicht verhunzen können — man muß das sehen, es ist mit der verzweiflungsvollsten Wucht noch immer nicht zu sagen.

Daß das Stück Lokalposse heißt, ist eine Bescheidenheit, die sich nach sechs Sätzen von selbst auffrißt. Denn hebt man das kriwwelnde Gehäuse tiefsten Bürgertums unter eine rasche Lupe, stürzt in einem jähen Aufrauschen die Welt mit größtem Geschehen unter das Glas, und mit einer schreckhaften Blässe erkennen wir keine Gebundenheit mehr an Zeit, Ort und Sprache, sondern alles Zierliche und Kleine hängt mit einem Male in ungeheueren Dimensionen mit gewaltigen Mäulern schluckend und saufend an den breiten Mutterbrüsten der obersten Welt.

Ernst Elias Niebergall wurde geboren Achtzehnhundertfünfzehn und starb mit achtundzwanzig Jahren. Neben anderem liebte er Wein. Auch war er nicht ohne europäische Gefühle.

Kann etwas leichter sein, als an Dichter denkend, mittags, das Gesicht gegen den Himmel schwebend, zu liegen. Zwischen Himmel und Gesicht hängt das Glasdach eines Atelier. Märzgewitter stehen wie wilde Hummeln über dem seidigen Blau im Horizont.

Profile

11. Theodor Däubler und die Schule der Abstrakten

Theodor Däubler ist im menschlichen Schnitt schon kosmisch geraten. Aber seine Monumentalität ist nicht mehr rassehaft; mit schwarzem Bart, dem riesigen Körper und den kleinen halbmondhaften, schrägen Augen langt er nach Asien wie sein Werk. Es geht da alles schon übers Europäische hinaus. Auch ist er der einzige, der neben Schickele weise genannt werden kann. Seine Blutmischung ist romanisch-italienisch, die des Schickele romanisch-fränkisch. Wir scheinen keine germanischen Geistsouveräne mehr zu haben, sind in einem Tiefstand der Rasseäußerung. Wir hätten sonst den Krieg nicht angefangen und nicht verloren. In Clémenceau, in George, in Pétain ist ein auch dem Blutfeind ins Gesicht hüpfender Überlegenheitswille. Bei Jagow, Scheidemann, Hindenburg eine platte Mittelmäßigkeit. Erst aus den Katastrophen wird die deutsche Seele, wahrscheinlich später, wenn beruhigtere Epochen uns ablösen, sternhafte Klarheiten äußern. Däubler ist eine der wenigen Figuren, die heut nicht nur genial sind, sondern eine Größe darstellen, wie sie die überlegeneren Franzosen mehr besitzen. Er ist ein Bruder des Francis Jammes, des in Deutschland fast unbekannten großen Charles Louis Philippe, aber auch einer Litaipes und der Veden. Er ist einer der von innen Leuchtenden, selbst das Dunkle und Wirre hat den einfachen Reiz. Eigentlich ist er wohl Lyriker. Über Kunst hat er das Schönste nicht nur, sondern auch Wesens-Tiefstes gesagt. Als europäischer Wanderer hat er noch für Impressionisten gekämpft, Picasso durchgesetzt, und ist erst im Kriege nach Deutschland gekommen. Man sagt, auch über Musik habe er Bedeutendes geäußert. Lange, ehe italienische Nationalisten damit energisch Schule propagierten, hat er futuristische Verse geschrieben. Seine Prosa ist von großer Bedeutung für die Entwicklung. Sie ist wie sein Vers merkwürdig undiszipliniert, an manchen Stellen läuft sie hinter ihm her, als kümmere sie ihn nicht. Dann aber macht er sie wie Schnee.

Das ist der geheimnisvollste Prozeß auf der Erde überhaupt. Im Schneien sind alle Farben, Freuden und Abenteuerlichkeiten des Erlebens immer vorhanden. Bauern und Gebirgler unterscheiden ihn auch nicht etwa weiß, sondern blau und rot. In Wahrheit ist das natürlich erst der Anfang, ihn zu begreifen. So ist das Wichtigste wohl an ihm. Man muß denken, daß er stark im Süden wandre und am besten von dort aus seine Sehnsuchtsverschwisterung mit den Sternen erreiche, und man kann nicht verfehlen, dabei von Malern reden zu müssen, um ihn deutlich zu machen. Da ist Chagall, der ja auch im slavischen Seelenlabyrinth die Südlichkeit hat. Die russische Seelenbreite hat Däubler gewiß, aber es ist nur ein Bogen. Dann hat er jene Klarheit, die schon aus dem Gefühl vom Jenseits der Gegenstände kommt, das Klee in guten Momenten erreicht. Jenes Nur-Wissen um Tiefe der Farben und der Mondbewegungen. Manchmal scheint es, als laufe die ganze Epoche dort hinaus und das dauernde Zerstören der Form lande in einer ganz abstrakten Kunst. Mir scheint das ein bedeutsamer und enger Irrtum. Denn nur ganz wenigen und innerlich erlauchten Personen ist es verliehen, über die Dinge hinaus zu sehen und die Mauer zu überblicken, hinter der das Weltgeschehen wie ein schönes und feierliches Changieren der leuchtenden und klaren Weltkörper vor sich geht. Dahin rechne ich nicht die italienischen Futuristen, aber Chagall, Klee und Däubler. Die andere Kunst wird immer auf der Erde bleiben, wo sie im Kampf mit den Gegenständen und ihrer Vergeistigung schwere Niederlagen und heftige Siege von fast gleicher Größe erreichen wird. Auf das ins grammophon- und bilderbuchhafte Treiben des Dramas, das in den Scharnieren schon knackt, geistig wohlverstanden, aber dennoch knackt wie ein Panoptikumsaffe, wird ein wilder Hereinsturz naturalistischer Gefühle folgen. Ihr habt’s zu weit geschoben schon. Das Negieren der Tatsachen und Ins-Blaue-Wursteln mit reinen Vorstellungen ist eine Räterepublik von 1919. Die Bauern werden Euch mit Knüppeln erschlagen. Eine Schule der gegenstandslosen Kunst halte ich für unmöglich, aber es wird vielleicht ein starker dekorativer Stil daraus entstehen. Die Suggestivität des erregenden und harmonisch-einschlingenden Weltalls werden nur ganz wenige überirdisch schauende Künstler fertigbringen. Fast alle abstrakten Künstler sonst würden versagen, wenn man sie vor Aufgaben der Stofflichkeitsbezwingung stellte, und zwar so, daß ihnen nur offensichtlich Dilettantisches und Dünnes gelänge. Das heißt, ihr Zusammenbruch wäre kein radikaler und bestürzender, was ja für sie spräche, sondern er würde werden wie eine Entschleierung. Nun hat aber Däubler noch etwas, nämlich auch die kosmische Ruhe, das Idyllische und sich im Geistigen so zu-Hause-Fühlende, als sei das seit Jahrtausenden die Tätigkeit seiner Familie. Etwas ähnliches hat Franz Marc bei uns versucht, indem er auf die großen persischen Vorbilder kam. An geistiger Idylle haben wir ja den Schweizer Walser. Der schreibt immer wie ein Knabe, aber nicht ohne Raffinement. Walsers idyllische Welt hat auch Regenbogen, aber mehr im Sinne der naiven Kinderbücher, sie ist doch in wichtigen Momenten ins andere Jahrhundert zurückgewandt und hat bürgerlich-romantisches Blut wie der Spitzweg. Seine Abenteuerlichkeit besteht doch wesentlich darin, daß er sich abseits der Gesellschaft empfindet, er steht im Gegensatz zu ihr, aber deshalb noch lange nicht in Ninive. Wenn die Schweiz die Welt allein wäre, ließe sich diskutieren, daß er ein großer Dichter des Kosmos sei. Aber wenn Däubler erstaunt ist, ist es nicht die erzwungene Naivität des graziösen, fast rokokohaften Jünglings, sondern das Staunen der ersten Tiere, der Heiligen, des Defoe und der Erdkörper selbst, wenn es wahr ist, daß sie in einem göttlichen Atem immer schaukeln. Sein Glaube an die Erde und gerade ihre Mission und die der Menschen ist ungemein groß. Seine Prosa sagt es genau wie die Lyrik. Interessanter, als was er sagt, ist daher immer das Darumzitternde. Obs ein Bild oder eine Nacht ist, plötzlich geistert es. Natürlich hat er nie Erzählungen geschrieben oder Sachen, die vorgehn. Höchstens, daß er auf sie gleich einem Schemel steigt, um rasch da hinauf zu kommen, wohin ihn es zieht. Seine Sätze werden sofort visionär, umnebeln sich und irren im Freien. Dabei haben sie eine Zeugungskraft in sich selbst, die Däubler oft fast in Hoffmannsthalsche Nähe bringen, wo Lust und Klang sich berauschen an sich selbst. Doch er gleitet immer heraus, er ist weich und monumental, das weist ihn auch (wie die Lasker-Schüler) auf den Erdteil manchmal, der der Welt geistig näher ist als Europa, nach Asien. Suchte man ähnliches im Rein-Deutschen heut, bliebe Hans Thoma, mit guten Altmännersprüchen und der meisterlichen Gestaltung eines Stücks Deutschtum, das man Waldbach oder Mondschein nennen kann, das aber nicht in Siriusakkorde einschwingt. Tief unter Däubler. Wir sind doch sehr arm, eben weil wir, den Anschluß verloren hatten. Welche Geistriesen waren die Ottonen, war Heinrich der Vierte und Geprüfteste noch gegen diesen armen mechanisierten Ludendorff. Däublers Sprache ist eigentlich tatsächlich Schnee. Sie setzt sich aus wenigen Flocken in ein Gestöber um, Vision opalisiert sich an Vision der Farben, öfter kommt eine fabelhafte Gebirgsgegend unter fast fremder Sonne mit donnerndem Blauhimmel. Er hat in der Sprache keine logische Absicht mehr, sondern vielmehr den Willen, aus ihrer ungeheuren Vielhaftigkeit immer das Sternspiel herauskommen zu lassen, berauscht sich am Anblick und spielt damit immer weiter, bis er rasch in Seelenzustände wieder hineinschwingt. Dabei bekommt die verhüllte Farbskala immer einen dalmatinisch silbernen Schatten um die Kontur. Immer neue Landschaften der Seele fallen vor den Wortvisionen auf.

Er hat da einen Antipoden und einen Freund im gleichen Bezirk, sowie einen, der halb in seinem Ring, halb außer ihm liegt. Nämlich das sprengende Prinzip, das ähnliches erreicht, doch nicht mit Pendelschwingen eines alles einbeziehenden Gefühlsmeeres, sondern mit einer bombenhaften Zerschmetterung aus dem Hirn her, das ist Gottfried Benn. Er hat nur ein ganz kleines Territorium inne gegen Däubler, ist aber neben ihm in anderem Sinne gleich wichtig für die in ganz ungekannte Grenzen brandende Bedeutungsentwicklung der Prosa, die wahrlich heut fast genau so viel ausdrücken kann wie die Lyrik. Auf Vorgänge kommt es ihm nicht an, ihn sensationiert das Wort wie eine Metallkugel, in der ihm alles gespiegelt ist, was er liebt, braune Haut, Weiber, Göttliches in Überfülle. Das Zerebrale feuert ihm die Welt auseinander, fast um sich beißend, drückt er aus dem Wort die letzte Schlagkraft heraus, ein dramatischer Vorgang, ein Krampf immerhin. Sein Gesicht wird derart mit Spannung und Ladekraft überhäuft, daß es ungemein angezogene Kurven erhält. Im molluskenhaften Urnebel Däublerscher Sprache vollzieht sich der Bennsche Vorgang wie Kristallisieren, Eckenbekommen, geometrische Schlagkraft des Ewigkeitsausdrucks. Die Entschlossenheit ist ähnlich wie die von Heckel oder Kirchner, wahrscheinlich aber innerlicher und neuere Gebiete aufbrechender als die der beiden Maler. Tatsächlich wird hier explodiert und bis zum Wehtun intensiv umgedacht in gehämmerte neue Gestalt.

Genau so sicher verleugnet Franz Kafka alles, was im menschlichen Bezirk beziehungshafte Bedeutung hat, es interessiert ihn keine Minute. Logik und Psychologie und alles, was uns an menschliche Begrenztheit und Abgeschlossenheit gegenüber dem Äther erinnern könnte, ist gar nicht mehr da später. Allerdings noch am Anfang, was ihn allein von den anderen unterscheidet, denn er fängt Geschichten zu erzählen an, Handlungen und Hergänge wie die Dichter unserer Großmütter auch. Aber dann ist bis zum Gefrieren erschreckend, mit welch übersinnlicher Sicherheit und Präzision sich die Sache ins Kosmische entwickelt. Grad’ wie er die Linien durchbricht, die unsere Welt von der außenliegenden absperren, ist phänomenal. Plötzlich, wie durch Magnetisches, sind sie durch das Glas weg, was uns einschließt, und gehorchen mit gleichen Absichten ganz anderen und größeren Gesetzen. Man denkt an Jules Vernes Vorgang der Expeditierung der Menschen auf den Mars mittels des Fernrohrs, natürlich nur ein recht grober Vergleich. Jedenfalls praktiziert Kafka das Wunder tatsächlich ganz natürlich in seine Vorgänge hinein, die sich auch ganz übernatürlich auflösen. Tod, Schmerz und Lust existieren in diesen Räumen nicht mehr, da entwickelt alles sich aus den Formen eines übergeordneten tragischen Geschehens. Diese Form ist im Grunde natürlicher und bedeutender wie die Meyrinks, der sein Geisterreich immer konstruiert, immer einen Fächer aufschlägt, immer die Pose hat, daß selbst der naivste Schwung bemerkt: alleweil geht es ins Nebulose. Allerdings kommt er dann auch glatt hinein. Natürlich ist aber Kafka ein bescheidenes Talent in der Kraft seiner Äußerung, schmale Novellen und Betrachtungen machen einen recht kleinen Kreis um Prag. Aber die Eindeutigkeit ist gewiß sehr ausstrahlend.

Ebenso ist es mit Paul Adler. Diese Dichter all haben ja nicht die Absicht und wahrscheinlich keineswegs die Gestaltungskraft, das Bild einer Epoche und eines Volkslebens aufzubauen wie Dickens, Voltaire, Balzac, Zola. In diesem Sinn kommen sie überhaupt nicht in Frage und können so gar nicht angeschaut werden. Es fällt eher in Philosophisches statt in soziale Strukturen, was sie erstreben, und viel mehr ins Abseitige, aber ungeheuer erweiternde, Material, geistiges Fundament und Bedeutung Schaffendes als in Kunst allein oder Architektur der Geistesbogen. Wenn Däubler im Nebel der Adria einen Raben schreiend auffliegen sieht, bestürzt ihn der Ton so, daß ihm das Gefühl gibt, dies sei der erste menschliche Ton. Er schaut im Sanskrit nach, da stimmt der Laut. Auf solchen Bögen läuft hier alles; von den ersten Ursprüngen des Existierens bis in die letzten Geahntheiten der Menschenkugel. Alle Grenzen sind durchbrochen, die eine Handlung, einen Zeitkatafalk bauen könnten. Stürzen die Dämme des hochgelegenen Festlands ein, wird Meer Afrika, Asien, Australien, Amerika, Europa, die Pole und alle Inseln überschwemmen. Das wird vielleicht eine Sensation ungemeinen Grades sein. Die Südseeflecken, Palau und Otaheiti werden wie Monde in dem brausenden Nebel zittern, vielleicht wird eine Stadt, Moskau oder Theben, zehn Meter unter der Oberfläche silbern, die Dschungeln, der Bois de Boulogne und der Lunapark mit dem Hradschin und Pekingzentrum auf Mondregenbögen flackern. Es wird ein gewaltiges Ahnen großer Zusammenhänge des Weltgeschehens da sein. In dieser Verbreiterung, die nicht Chaos ist, sondern nur Überwinden der menschlichen Gebundenheiten, vollzieht sich diese Kunst. Bei Paul Adler sind die letzten Konsequenzen gezogen. Er hat einen archimedischen Punkt außerhalb des Sterns gefunden. Von dort aus setzt er sich die Erinnerung des menschlichen Gestirns neu und besser zusammen. Raum und Zeit hebt er auf und schiebt alle Ebenen ineinander, die sehr sauber und abgestaubt auf der reinlich-bürgerlichen Erde übereinanderstanden. Was früher dämmrig war, ist ihm das Chaos der Gebundenheiten, Verwirrungen und Tierheiten. Daraus entwickelt er aus Räumen mystischer Verwandlungsfähigkeit sich ins Gottsucherische hinan. Samten und goldweich seine Sprache. Unergründlich die glanzvoll gedämpfte Biegung der Bilder. In Graves und Largos ergeht die Zwiesprache mit der Schöpfung und aus paradiesisch umnachtetem Raum singen Steine, reden die Pferde. Keine Verwüstung geschieht hier, nur ein Durcheinanderhäufen, damit das harmoniesuchende Menschliche tiefer steigen und höher gleiten kann.

Das ist ein entzückendes Spiel, das der Geist sich mit dem Kosmos gestattet. Manchmal gelingt es dem einen oder anderen, mit einem Traum wie mit einem Tritt die Erde bei Seite zu schieben, dann sieht er das Aquarium des Geschehens in rätselhafter Schönheit. Es wird nicht ganz gelingen vorderhand, solang der Stern noch so unvollkommen, die Menschen so irregeleitet und die Führer so kleinköpfig sind, die Erde selbst zu ignorieren. Wir anderen sind magisch an sie gebannt, müssen ihre Schmerzen durch Bauch und Herz mitschreien, ihr Weggehen mitwandeln, die Not und das Leid unserer Erdenjahre erdulden, mitleiden und gestalten und unser Durchgemachtes aufbauen zu dem Monument, das, einmal an Schmerzen und Sühnen übergroß geworden, den Weg uns ins Kosmische gestattet. Nicht aus dem Spiel des Geistes kommen wir hinter die Mauer, wo Kometen laufen und Raum und Zeit in schöne Farbdunkeleien eingestürzt sind, sondern vorderhand durch die Streiterei und das Aufunsnehmen der Welt. Wir müssen hindurch uns bohren und können uns nicht, schöne Verantwortungslose, hinübersehnen oder sie bei Seite schieben in einer erstaunten Stunde. Zentaurisch sind wir am Leib der Zeit festgewachsen. Das ist Weg und Ziel der Generationen. Das andere ist ein Spiel von Größe, aber ein Spiel nebenan. Es ist sehr wichtig, weil es uns unerschöpfliche Neuatmungen, Aussichten, Farben, Pollen, Fabeltiere, zeigt und zuträgt. Manchmal sehen wir, die wir uns Tausende von Jahren noch mühen müssen, wichtiger als die anderen, wie Däubler dann, der Genosse der großen Indier und Chinesen, von einem Baum aus Sterne wie Uhren reguliert und überwandert ist von Monden, viel größer geworden wie die Sterne all um ihn, später aufstehend und wie in einem Regen zwischen ihnen urwärts fortwandern.

12. Leonhard Frank

Nun wird die Welt sehr fest und hart. Granit und Basalt werden angespieen von dem Geist. Aus den dicksten und schwersten Kristallen wird die Form gebrochen. Die Situation liegt so, daß hier das Deutsche sich mit den Realitäten auseinandersetzt. Zwischen zwei Polen wird hier geschafft: Dostojewsky plus deutsch. Leonhard Frank ist ein Bauernformat, ein Schlosser, ein Fußballspieler, außen rechts, den beim Goalsprung die ekstatische russische Seelenhölle überfällt. Sie hat ihren Zug durch Deutschland schon vor Lunatscharsky und Lenin begonnen. Eigentlich werden Tolstoi und Dostojewsky jetzt erst aktuell. Ganz vom (gewöhnlich jüdischen) Geist her aufgefaßt und weitergegeben, hat sie mancherlei Gefolgschaft. Kornfeld hat sie in Arien und dramatischen Monologen oft bezaubernder Art gefangen. Mondän und elegant verfuhr mit ihr schon Bruno Frank, doch ist er nicht hier einzuwechseln. Sehr deutlich ward die Angelegenheit, als sie tatsächlich auf rein germanischen Ambos geriet. Sie wurde mit furioser Wucht aufgelegt und mit dem Schreien eines Stieres geschichtet. Die Musik der ganz reinen Wolkengeister ist immer für den Cenakel, den ergriffenen Schwärmer unter der Abendlampe und für abstrakte Kaffern. Geschmetter und Zulauf und Wirkung, Tat, vor allem kommt nur, wenn ihr unterwegs ein gesunder Naturalismus begegnet und sie rasend in ihn fährt. Aus der Reibung, dem bis an alle Himmelsdecken dampfenden Beischlaf fährt erst das elektrische Gewitter der aufziehenden Idee. Zuerst stieß Frank, noch grob und derb, gegen die Erziehung, denn was er seither schrieb, ist filtriert aus seinen schlechten Erfahrungen, und seine Wunden bluten sich ins Buch. Da war noch Jugendliches manchmal, aber es drängte schon Bitternis nach. Dann griff er entschlossen ins Dostojewskyhafte und stellte es auf massive deutsche Beine, das heißt, er ahmte es nicht nach, sondern infizierte sich damit. Aus der Okulierung kam seine Sprache, zuerst noch schleichend wie ein verstörter, im Leben unsicherer riesiger Proletarier, dem aber Ziel und Gewißheit unfehlbar sicher sind. Im Krieg gab er Novellen, die Predigten sind. Man wird einmal finden, sie seien das einzige Dokument der deutschen Dichter gegen den Krieg. Ein paar Exemplare, die dank gesinnungshafter beamteter Wächter durch die Pressezentralen der Generalkommandos aus der Schweiz nach Deutschland sickerten, wühlten Tausende auf. Er hat tatsächlich Furor. Man kann nicht sagen, er habe in die Sprache besondere Akzente getragen, ins Dichterische neuen Schwung gebracht. Er war jedenfalls eine Erscheinung von Breitbrüstigkeit in der Herde der Dünnpinkel und Schleimiers, die auf schmalen Flöten sich ungemein erbosen. Auch hat er eine anfangs sehr naturalistische Sprache in höllische Zucht genommen und in die Sätze Sprengstoff und klotzige Geistdurchwitterung getrieben. Bedenklich ist nur die Intensitätsgrube seiner Kraft. Da seine Stärke der Angriff ist, muß man ihn sich in Güte vorstellen. Das ist unmöglich. Das Menschliche reicht nur zur Klage und Drohung. Das kann ein Anfang sein, kein Ende ist denkbar so aus Unfruchtbarkeit und Zorn allein gehoben. Was Liebe in ihm an Augen aufschlägt, kommt nicht aus Hingebung und nicht direkt aus seinem Blut. Zu innerst steht der Haß nur auf, und über diesen Umweg liebt er erst das, was er nicht haßt. Er liebt Opfer der bürgerlichen Gesellschaft. Aber er liebt nicht das Opfer. Zutiefst ist bei aller Flamme eine tiefe Wut, sonst nichts. Es ist von enormster Wichtigkeit, daß Erscheinungen wie Leonhard Frank existieren, und ihr Mut wird nicht vergessen sein, wenn irrgeleitete Knaben mit neu polierten Phrasen in neue Kriege ziehen werden. Viele Unbestochene werden an seinem Namen einen Halt finden und werden sein Buch dem Wahnsinn vielleicht entgegenhalten. Aber es werden auch heute Menschen da sein, die in die tieferen Gründe sehen wollen und eine unbedingte Angst tragen, dieser Dichter, der Liebe forderte wie wenige, aber nichts tat als Felsen schleudern, würde, in den Stand der Macht gekommen, die Menschen nicht schonen sondern erschießen lassen. Es wäre zum mindesten konsequent. Aber es ist nicht der Wille des Schicksals, daß außenseitige Fallen in das Fleisch der ewig marschierenden Ideen schlagen.

13. Döblin und die Futuristen

Am achten März an der Rampe des Theaters Chiarella war die Schlacht von Turin. Auf hinuntergegebene Ideen folgten ebensoviele Faustschläge. Die Futuristen gaben dreitausend Menschen ihr erstes Manifest. Es war ihre heftige Zustimmung zu dem, womit ein Jahr früher Marinetti im Figaro die dichterischen Programme aufwarf. Am neunundzwanzigsten Mai entwickelte neunzehnhundertelf im Circolo Internazionale Artistico in Rom der Maler Umberto Boccioni die Ideen des malerischen Futurismus auf breiter Basis. Carrà, Russolo, Balla, Severini schlossen sich an. Am fünften Februar Montags neunzehnhundertzwölf stellten sie in Paris bei Bernheim-Jeune aus. Es ist nicht unwichtig, die Daten festzuhalten. Europa war eine große Sensation reicher. Manche behaupten, das Moment der Zersetzung dieses Erdstrichs habe damit begonnen. In Deutschland fand sich erst nach fünf Jahren ein innerlicher Vertreter dieser Richtung, George Grosz, bedeutender scheinbar wie die nationalistischen Italiener. Stichhaltig blieb nicht viel mehr als die Mission der Zerstörung.

Vielleicht war nicht einmal das wichtig, denn im Grunde ward das alles überschätzt. Es war ja nichts anderes als das Mosaik, mit dem die Impressionisten noch einzeln spielten, plötzlich in einen Ventilator zu Dutzenden gebracht und durcheinandergewirbelt. Sieht ein Genie die Welt so, wird sie dermaßen ebenfalls in allen Schönheiten strahlen, das ist sicher. Als rein künstlerisches Schema ist es bedeutungslos. Junge Artisten, die mit Übergehung von Arbeit und Sorge gern in den großen Saal der Öffentlichkeit rasch hinein sich turnen, lassen Artikel, Satzzeichen und Frisur weg und wähnen sich Expressionisten. Es ist dieselbe Betrügerei vor dem Geist. Die Nebenumstände irritieren, diskreditieren. Die Zeit fegt das rasch in ihre Eimer und fährt es auf die Äcker hinaus zu Gemüse, Pul und Baum.

Die Futuristen waren nur ein Wind, der apokalyptisch zu wehen begann. An großen Figuren sollte sich später manches daran erfüllen. Man sagt, der Maler Pascin habe, obwohl gut gekleidet, durch die raubtierhaft aufreizende Freiheit seiner Atmosphäre auf den Boulevards harmlose Spazierer älteren Jahres und guter Herkunft und Pfründe in solche eigentlich grundlose Erregung gebracht, daß sie mit klirrendem Stock und bebenden Favorits vor dem stehen blieben, der sie gar nicht sah. Auch die Futuristen gellten den Bürger auf, wie es kaum eine Revolution vermocht hatte. Denn dieser gegenüber hatte er gerade noch Angst. Die anderen aber reizten wehrlos alle seine Instinkte bis zur reißenden Wut und es mag sein, daß dies symbolische Zeitzeichen ein Gleichnis ihres Sinnes und ihrer Mission gewesen ist. Sie sind mir persönlich trotz allem ungewöhnlich sympathisch gewesen.

Über Ja oder Nein eines Stils zu streiten ist armer Unsinn. Immer wird nur der ihn vertragen, der ihn frißt und verdauen kann. Auch die Starken haben den Appetit nach dem Geist, der sie umgibt, weil sie allein ihn vertragen können. Beredet kann nur werden, ob ein Stil gelegentlich so mächtig und im ethischen Bedürfnis der Zeitgenossen von Rang so gläubig verankert ist, daß er sich zu wölben vermag: oben als Kuppel, unten als Tragfläche der Zeit. Man kann in diesem Sinn nicht von den Futuristen, die verbrecherisch sich von der mütterlichen Erde ins Anarchische begaben, reden, wohl aber von den Expressionisten.

Als Alfred Döblin in Deutschland die futuristischen Prinzipien „voll und ganz“ unterschrieb, war er zweifellos von dem Moment der Bewegung und der Änderung überzeugt, das mit einem Male durch die Welt autote. Allein es ist nicht wichtig, eine Sache zu begreifen, sondern sie zu erleben. Zählen die Hillerschen Aktivisten und andere heute auf Sekunde und Woche fest, wann dieser, wann jener schon aktiver, jener noch ästhetisierender Mensch gewesen ist . . . . wird Sandglas und Stechuhr Kontrolle für den Gehalt dieses oder jenes Revolutionärs, dann beginnt schon die Starre, die Verkalkung wird nicht lange auf sich warten lassen. Ein Hirnschlag steht bevor. Erkenntnisse verpflichten zu keiner letzten Bindung, kommen sie nur aus dem Intellekt. Ich sehe manche, die heute rechnen, erbleicht vor der ungeheuren Stärke des kommenden Schicksals, sehen sie sich plötzlich vor Änderungen und Weltkonstellationen gestellt, die sie nicht erahnen und errechnen konnten. Mathematik in der Weltbetrachtung ist viel niederer als Glaube und Wille. Und wo die Genauigkeit ist, weilt nie die Fülle. Aber die Ehrgeizigen waren stets daran, sich am Ziele zu dünken, wenn sie beweisen konnten, daß sie es erstrebt hatten. Doch schon im Herzählen zeigte es sich, daß sie Angst nur hatten, es möge sie einer überholen, und da sie Kraftfülle nicht in diesem Maße mehr spürten, schrieben sie ihre Daten in Stein und kategorisierten andere Läufer, die aus dem Dunklen kamen, nach Tag und Woche und Jahr. Die aber schauten nicht darauf.

Döblin hatte das Programm nicht probiert, als er es lobte, und wie er es anpaßte, sprengte er es auseinander. Er ist einer der stärksten und bedeutungsvollsten Prosaiker heute, manchmal sogar fast monumental. Doch das gilt nur von dem chinesischen Buch. Er war viel zu breit und zu architektonisch, darum konnte er keine Schnitzeljagd und Konfettibattaillen der Bilder und Ballone um sich wirbeln lassen. Ein futuristisches Wirken ist wohl auch nur in der Lyrik recht denkbar, wo Stramm und Becher es bewiesen. Doch brachte Becher nur eine Leistung, weil er wohl Genialisches besitzt, das allerdings noch nicht zur Rundheit, ja fast noch nicht zum Gedicht geschwollen. Stramm aber, einer der wenigen wahrhaft echten Stotterer, erregte nur das Blut wie javanische Instrumente, wie Bartänze, Niggersongs.

Als die Lappen vor unserem Wagen in Småland sangen, wurden wir auch nach dem Eis und der Einsamkeit sehnsüchtig wie ausgehungerte Wölfe, obwohl ihre Melodie uns nicht einging, aber weil die Erregung ihrer Seelen sich uns mitteilte. So wird aus dem Futuristischen sicher nur ein interessanter dekorativer Stil, aber man wird, wie den Jugendstil, ihn in zehn Jahren nicht mehr ohne Wanken sehen können. Was an überirdischen Spektren und Monden aber abstrakte Maler heute gestalten, wird vielleicht tragbarer sein und länger halten.

Döblin hat riesenhaften Respekt vor der Kunst, ist wie ein Frettchen hinter der Psychologie her, deren man keine Spur in seinem Terrain antrifft, er läßt sich von keinem Schlagwort, keiner Begeisterung vom Kunstduft wegdrängen. Gelobt und bestaunt, der das heute wagt, wo Achselzucken und Denunziation dem Freien folgen. Das macht ihm einen guten Boden. In seinen Novellen probiert er andere Dinge aus als im Roman. Dort ist er zu klug, Experimente zu machen im Grundbau, daß ihm die ganze Geschichte dann das Genick einschlägt. Da hat er kürzere Stellen vor sich, eine Mauer nur oder ein Gestell, gewöhnlich nur ein paar Menschen, die er umfassen kann. Sie sind ihm zu naturalistisch, zu nah, er will sie in allgemeinere Luft stellen. Das strengt ihn sehr an, liebenswürdig kann er es nicht machen. Auch ist er nicht so dumm (weil er etwas an athletischer Statur in seiner Schreiberei hat), den Fehler zu machen, den geisttiefe, aber muskeldünne Juden oft probieren. Die netzen solange mit Säuren an der armen Menschgestalt, bis bloß vom schönen Fleisch nur noch das Gerippe übrigbleibt. Nun, meinen sie, hätten sie den wahren Menschen. Um die Ohren sollte man den Burschen das Geknoche schlagen. Wir wollen das Fleisch, aber in gehobeneren Übersinnslüsten. Döblin macht es nun so, daß er das Fleisch mit Geistinjektionen so fabelhaft durchwühlt und durchschimmert, daß nur das Gespenst (was eine andere Geschichte ist als das Skelett) entsteht. Im Drama hat das ja der Schwede Strindberg auch fertiggebracht. Im Prosastück ist es aber ein anderes Ding. Denn das verlangt eine Kurve, eine Folgerung, einen Abschluß und bedankt sich dafür, plötzlich einfach sich aufzulösen, wie ein Rauchkringel zu verschwinden und infolge einiger Doppelampullen Ewigkeitsspritzen aus einer schönen Handlung sich geschwinde aus der eigenen Existenz herauszudrücken. Schließlich ist Prosa keine Graphik. Was dem mächtigen Radierer Beckmann recht ist, hat mit Herrn Döblin aus Berlin nichts zu tun. Wo junge Literaten nur noch malerisch säuseln und aus der auffallenden Parallele der Künste instinktlos und, vom Malerischen selbst in keiner Weise berührt, lerchenhaft geschwätzige Hymnen über Malerisches anstimmen (auch ich tat es einmal, kreuziget ruhig), muß man polizeihaft darauf schauen, daß Unbefugte und Kindliche die Grenzen der Künste, das heißt ihrer Wirkungsmöglichkeiten, nicht verwischen. Die Misere kommt aber aus einer Kraft, weil Döblin nämlich, wie alle starken Handwerker und Leidende am embarras de richesse, die Sprache nicht nur als Mittel, sondern als Selbstzweck ansehn. Auch die großen Erotischen wollen nicht nur Kinder, sondern spielen nächtelang mit den Frauen, und Zweck allein ist eine Fessel für den Geist, eine Unzucht und eine Ignoranz strafhafter Niedrigkeit vor der Fülle und Tropischkeit der Welt.

Döblin ist ein langer Maurer, er geht immer hin und her mit Steinen, Mörtel tut er keinen dazwischen. Er setzt nur breites, viereckiges, genau bemessenes Stück auf das gleiche. So kommt er zum Roman. Da ist tatsächlich noch Welt wie sie in naturalistischen Büchern auch besteht. Man verführt Euch in kein Geschluchz hinter Tüchern, in keine Askese nackter Dialoge, wo, wie man sagt, zwischen Stoffbespannung der Geist „reiner“ sich entfalte. O Kulissenschieber der unreinen Zeitseele, ist das nicht eine Frage des Polsterers oder des Dekorateurs oder Oskar Wildes, und kann der Geist, wenn er irgendwo ist, schöner sein als im vollen und weiten Menschlichen, man muß ihn doch nicht in die Hirnwüste senden. Döblin beschreibt sogar, wird ganz real und zeichnend, wenn es auch immer Vierecke sind. Sein Geheimnis beim Roman ist, daß er eben einfach das Künstlerische zum Menschlichen hinzutut. Nicht mehr und weniger als Rubens in seine Fleischmassen, Lionardo in seine Gesichte, Grünewald in seine Visionen. Es ist nämlich nichts studiert und wiedergegeben, sondern da fängt er erst an: er denkt, er schaut, er formt es sich zurecht. Aber immer, selbst bei den Novellen, wo die Handlung und der Mensch gern ins Unsichtbare auskneifen, ist eine kontinuierliche Entwicklung da, ein schwerer Bogen, der die Last der Idee nie fahren läßt, sondern sie hoch und unwandelbar bis zum Ende trägt. Da ist von Futurismus keine Spur. Der Körper der schöpferischen Kraft ist viel zu zäh, als daß er sich aufgäbe. Er schafft sich weiter. Einmal erreicht er auch First, Turm und Regentraufe, steckt den Dannebusch mit Bändern an die oberste Gerüststange.

Von weitem sieht das Werk dann aus wie ein riesiger Würfel, drohend in der Unbezwingbarkeit seiner Architektur. In der Nähe ist manches nicht so unbedingt. Schließlich besteht das Wachstum jedes powren Grases aus Zellen, die ein Saft, eine Leidenschaft nach Leben durchzieht. Bei Döblin ist eine Konstruktion enormer Breite und Höhe, aber es ist, sie sei etwa aus einem Stein, der die Eigenschaften des Eises habe. Kein Blut, kein Saft pullt sich empor. Keine Leidenschaft wühlt die Formen auf. Man ist nie abgeneigt, große Bewunderung sehen zu lassen, aber man sehnt sich nach den Skisprüngen, mit denen in Blutsonne und Firnschnee Schickeles eifrige und hautsüße Geistigkeit in die Schußfahrt geht. Selbst Franks Fanatismus hat Hochofenglut und Fackeltempo.

Dies da ist aber wie ein Wachstum schon abgestorbener Kristalle. Es wird mit dem Fernrohr noch originell aussehen, und manches Verblüfftsein wird sehr lange währen. Als wir, Zwanzigjährige, von Paris nach Brüssel fuhren, um, mit allen heimatlichen und familiären Geldquellen verkracht, nach Zeitungsverkäuferzirkulation über die großen Boulevards und Araberstatistereien im Odeon auf der Weltausstellung als Führer unermeßliche Goldmünzen uns zuzuerwerben, waren wir gezwungen, im Speisewagen beim Servieren zu helfen und, da uns die Umstände der größeren Welt nicht unbekannt waren, wurde jene Pause und Passion des Daseins kein Stilverstoß. Wie ein mächtiger Amsterdamer auf der Silberplatte den herrlichsten Zander sah, den ihm mitteleuropäische Speisewagen vor den Blick gespült, erhöhte er einen Augenblick sich vor Erstaunen über die Schönheit des Biestes, aber als Kenner und eingedenk des Kommenden winkte er ab und sprach: Visch laat een mensch als ie is. Er pflegte nur das Fördernde zu sich zu nehmen, auch sprach er ein wenig Dialekt, aber ich möchte nicht mißverstanden sein.

14. Jüdisches (Die Ehrenstein, Lasker-Schüler, Brod, Meyrink)

Wer das jüdische Weib kennt von der Wollust bis in den Todesschrei, hat keine Notwendigkeit, den Geist der Rasse lange zu studieren.

Das klingt im Überlegungsweg wie eine Roheit. Aber es ist eine mächtige Lobpreisung. Es gibt im Schreibtum wie bei den Frauen die zwei Linien, von denen eine das Ghetto durchgemacht hat, von denen die andere stolz und aristokratisch aus Spanien über Saloniki oder Amsterdam ins zentrale Europa kam. Einmal gab es eine national-übernationale Poesie unermeßlichen Flügelschwungs, die Bibel, die Psalmen, das hohe Lied. Im Ghetto ging diese Unmittelbarkeit verloren, da schliffen in den Judengassen die Städte, Feudalen und Bourgois den Asiaten so die Leber, daß ihnen nichts andres übrig blieb als Verteidigungs-Parade wie eine dolchscharfe Kultivierung des Hirns. An dieser Übung zehrt, krankt und jubelt die ganze jüdische Dichtung, die, ob sie deutsch, polnisch, russisch sich coiffiert, im Boulevardrock, in Talmudlocken doch immer international und asiatisch ist. Das ist wie ihre Diaspora wohl auch ihre Mission, so sehr Erwerbs- und Konjunkturbeflissene, sowie einige in den Stand der Bourgeois Übergegangene im Krieg sich germanisch maskierten, keltisch fluchten oder jingoisch die Zähne bleckten. Das ist Rampenkomödie. Im Blut rollt unerbittlich, golden und von den Jahrtausenden gefeiert der Rhythmus des Roten Meeres und des Jordans und der Tempel Jerusalems.

Gott warf das Volk hinaus, damit es den groben Teig der stumpfen und westlichen Völker durchsäure, es aufpeitsche, vermittle, Märtyrer sei für die großen Ideen und die neuen Gewitter der geistigen und künstlerischen Spannungen, aber er gab ihnen auch die wundervollste Tragik: nie vergessen zu können, daß sie aus schöner Heimat zum schweren Dienst nur ausgesandt seien, in Wahrheit aber die Sehnsucht nach der Rückkehr und der eigenen Bestimmung nie verlören und einmal wohl bestätigt sehen würden. Die großen Rabbiner des Ostens fanden, als sie gegen die rabbinitische Dogmatik kämpften, in die Schlichtheit des Herzens zurückkehrend, wieder Klänge von der Reinheit der davidischen Sänge. Baalschem hat eine in wundervollen quellklaren Ekstasen Gott erreichende Stimme. Als Werfel zu singen begann, war man erstaunt, in ihm die Ansätze manchmal einer Hymnik zu finden, die unbeschwert und hell war. Doch sie dauerte nicht lange. Der größte Rufer zu dem Goldton hin ist heut Martin Buber, der die junge jüdische Generation zu einer Selbstbesinnung überzeugt. Ihm ist Palästina nicht so wichtig wie das Bewußtsein der palästinensischen Idee. Schüler von ihm haben sich an Hölderlin verschenkt, aber sie ertrinken in ihm. Das alles sind Kämpfe gegen ein tragisches Schicksal. Nur die Lasker-Schüler, auf Mondsicheln fahrend, ist frei. Sie ist die bedeutendste Dichterin des jüdischen Volkes seit Jahrhunderten. Weib und Geist der Rasse sammeln sich unmittelbar in ihr, fast über der Erde. Asien ist mächtig aufgewacht. Sie steht dicht neben dem hohen Lied, keine irdische Passion, die sie hemmt. Wahrscheinlich ist sie durch einen Irrtum einige tausend Jahre zu spät in die Körperlichkeit geraten. Sie hat das Blutfunkeln, was auch Planetengeleucht sein kann, und der Geruch ihrer Gedichte und ihrer Prosa ist von den dumpfen und schönen Uranfängen der Menschheit. Sie trägt frei und königlich das, worum die anderen unten sehr verzweifelt streiten. Manchmal scheint es, sie lächle über diese Bemühung.

Das andere ist verhirnt. Doch darf man diesen Zustand nicht mit Europäischem verwechseln, wo es vertrocknet, unschöpferisch, pedantisch, lehrhaft klingt und den Kunstfunken schon bei der Geburt kastriert. Bei den Juden ist das Hirn in die geistigen Zeugungsorgane gerutscht. Vielleicht auch stieg das Sperma in das Hirn, es ist anatomisch nicht zu erklären. Jedenfalls ergab sich aus der Ghettozeit her eine Vereinigung. Das rein Gescheite kann nunmehr so sehr beflügelt werden, daß es Wolkenhöhe nehmen und Blumenduft erreichen kann. Manchmal reitet das Hirn zärtliche Menuetts, oft ist es auch in galanten Situationen. Es hat seine straffe Begrenzung ausgezeichnet erweitert. Was an Vorrat bei einem von uns Goijims nur ein mittelmäßiger Aufsatz oder eine Überzeugungstafel würde, kann sich zu dichterischer Glosse und gut geformter Novelle hier steigern. Sie haben eben Handikap, und als wir mit Macht und Gewalt jahrhundertelang sie striezten und dumm und breit verlachten, wuchs ihr Hirn und ihr Instinkt ein paar Jahrhunderte und viele Kilometer uns voraus. Stets hat der Geist sich gegen die Brutalität gewehrt und gerächt mit Sieg. Schreit alldeutscher Pressepöbel heut hepp hepp gegen jüdische Entrepreneure, vermöchte ihr teutonischer Gott, selbst mit Stierhelm und Wolfsgurt herabsteigend, sie leider nicht davon zu überzeugen, daß, wer dem verkannten Künstler, dem genialen Projekt, dem extravaganten Gedankenjongleur zäh, mit unbedingtem Glauben und materiellem Einsatz jahrelang die Treue hielt, auch später Lohn dafür ernten dürfe. Es gibt für alles Neue die ersten Jahre ja nur jüdisches Publikum. Sie opfern sich schon für den von ihnen sofort erkannten Gehalt, während die protzigen Kimbern sich noch vor Lachen über die Verrücktheit ihre fetten Wänste schlagen. Auch ich bin, als ich zum erstenmal bei anderen die Sachlage erkannte, von Wodan zu Jehova übergegangen. In gewissen Fällen, mit einigen Vorbehalten, aber mit der besten Überzeugung.

Als unter dem großen Päderasten und Savoyer Eugen man mit Kreuzfahnen noch gegen Belgrad und weiße Halbmonde zog, starrte Wien als Bollwerk des Abendlandes gegen den züngelnden Orient. Heut haben Asiaten die Kanonen herumgeworfen, und die Praterstadt ist die Schleuse, aus der Asien unabänderlich in uns sich ergießt. In diesem Boden, wo es quirlt von Zukunft und Rasse, und wo slavisch-südlicher Kulturboden ganz nah ist, hat das Jüdische sich glänzend entfaltet. (In Norddeutschland hat nur Kerr einen freien Blutstil des Essaiistischen gefunden und Hillers Intellektualismus zieht einen rassig hirn-expressionistischen Stil herauf (den er aber nicht haben will). Arnold Zweig, Heymann, auch Sternheim und tausend andere haben das rein jüdische Bewußtsein nicht so bewahrt oder es bürgerlich, politisch oder literarisch gemischt.) Der bedeutendste Sänger seines Leids an der Überbewußtheit ist dort Ehrenstein. Manchmal reißt er sich zu Gesängen auf, die fast klassisch in ihrer schmerzlichen Kühle werden. Seine Verzweiflung wird oft kosmisch, eine teuflische Hilaritas, ein Veitstanz aus dem wienerischen Geklügel ins Transzendente, Gelächter mit Geheul drin. Kinder, es weint sich ein Beschnittener ins Himmelreich. Die Welt ist über ihm als eine Wand, darum sucht er sie einzuschlagen, zu anarchisieren. Keine großen Worte schüttet er auf seine Pistole. Er geht spazieren an Wirtshausschildern, da weiß er alles, was ihn quält. Er sieht da Arme, Reiche, an allem fühlt er begeistert, was ihn reißt. Er zäumt das Zerebrale bis in die barocke Phantasie hinauf, aber auch in den exotischsten Reichen, in spinneten Zuständen reißt er nur die Ironie bitter in sie hinein. Sein Kampf ist karnevalisch-grotesk und erhaben im Pathos wie ein Stück alten Stils. Wenn auch die Erkenntnis des Intellekts ihn immer wieder befreit, läßt sie den Juden immer weiter schinden in der Entsetzlichkeit der Realität. Es gab einmal eine „analytische Malergruppe“, die nur grau malten. Ähnlich schon, wie er schreibt, aber er hat Geniales, während die anderen spekulative Lapins waren. Das ist der Unterschied. Aber in diesem kleinen Zerschlagenen und Aufgebäumten hat die jüdische Intellektdichtung ihre heroisch-depressive Höhen Ein Zwerg hadert mit sophokleischen Worten vom Sinai gegen Gott, aber dieser schaut nicht nach dem Buckligen. Drumherum stehen Weltwendegewitter.

Ehrenstein kam aus Wien, wo die Psychologen im Zerspalten immer groß waren. Auf tschechischem Kampfboden schlug die Einstellung etwas verändert aus. Übrigens ist auch von da Galizien nicht mehr weit, wo die Hemmungslosigkeit wohnen soll, und es gab und gibt viele, die Not und Eigenart der jüdischen Seele aufzeichnen, ihre Landschaftslosigkeit, ihre Heimatlichkeit in Jordanideen, ihre Efeuzähe, das Angeschmiegte an jede Staude, und doch im Herz der unsplitterbare Glaube an die eigene Berufenheit. Scholem Alechem und noch dichterischer Micha bin Gorion. Aber sie sind Schauende, Gebende, Willige. Mehr zeigen die Gepreßten, die von der Tragik selbst Gehobenen, die Exponenten des Zustandes. Die Prager gaben es bald auf, zu zerfasern und Betrachtungen durch Zerlegung ihres inneren Wesens vorzunehmen. Sie waren gläubig und hatten gleich ihr Ziel hoch im Ethischen aufgepflanzt und machten sich entschieden gegen höchste Klarheiten hin auf. Das besserte ihr Niveau ganz erstaunlich, und man dachte gar nicht so sehr an ihre Machtfülle, sondern an ihre Absicht und über die Klugheit, die fast glatt und sicher so sehr wußte, was not tat und was sie wollte.

Die Vordergrunderscheinung ist Max Brod und der medizinisch einwandfreieste Fall. Wären Unruh oder Frank so gescheit, es zerschnitte ihnen mit vielen Messern jeden Arbeitsblock. Bei Brod schleift es und treibt es voran. Je unheimlicher das Kluge Gott zu suchen scheint, um so näher kommt es ihm scheinbar, ja es findet bei „Tycho de Brahe“ sogar einen philosophischen Kunstgriff, ihn zu erreichen. Baalschem sandte wie einen Atemkringel den Kreis der Gläubigkeit aufwärts, und bald stand der um den Jehova gespannt. Brod erreicht ihn im Tennisduble. Es wird ein Kombinationsspiel. Netzspieler und Driveschläger ergänzen sich zum dreifach eingesackten Satz. Der bewußte Schaffer und der plötzlich eintretend Berufene erspielen die Lösung, den HERRN zu erreichen. In Haag nennt man das „Swanze“. In Marseille sagt man im Theater: „Une blague“. Am Hafen: „Un canard“.

Daß das mit Anstand, immer dichterisch, oft sehr langweilig, aber im Grunde mit der letzten hingebenden Haltung, die das Talent ausgibt, gemacht ist, darüber diskutiert man nicht. Aber diese Feststellung ist ungenügend. Es kommt auf die Ausgiebigkeit an. Auf die Trommel der Brust, die Penetranz des Tons. Man kann es nicht ganz als offene Karte hinnehmen, wenn zufällig, weil es fast gleich aussieht, Gehirnwürze statt Unmittelbarkeit und vornehmste Klugheit als Geist auftreten. Man wird sie entwirren.

Man schießt Brod wie Hirsche beim Wechseln ab.

Nach einer Wiese geht seine Sehnsucht besonders absonderlich, aber es ist sehr schwer für ihn hineinzukommen. Das ist das Übersinnliche. Er rennt, wenn er sich unbeobachtet glaubt, immer davor auf und ab, und sieht man ihn aus der Ferne, schaut es aus, obwohl gar nichts Hemmendes da ist, er renne wie ein Zimmerfalter gegen Glas. Es gibt da etwas, was ihn hemmt, was er nicht sieht. Aber da die Bewußtheit bis in die höchste Kultur bei ihm verfeinert ist, weiß er es wohl, was hemmt, und es bedrückt ihn.

Durch nahe Schleier sieht er die wundervolle Weite der jüdischen Mystik, die oft donnernder ist von Gottes Nahen als die katholische, und er möchte gern in ihr sein wie die Rabbiner, die Propheten, möchte auch das Gras essen des Rabbi Nachmann, und des Sirach. Aber ach, der Eingang ist ihm unsichtbar versperrt. Nun hat er aber den heilgen Berg in manchem Traum auf raffiniertesten Zirkeln seiner Seelenwege erschlichen, darum probiert er jede Finte, mit dem Geweih, mit den Tönen, duckt sich, macht sich unsichtbar, umschmückt sich mit Laub, daß er Bäumen gleiche.

Ehern ist ihm der Eingang gesperrt.

Einmal scheint es, er habe es erreicht. Doch ist es eine Spiegelung gewesen. Je schwerer es wird, um so zäher wird er es versuchen. Es wird noch lange so gehn.

Aber es gibt keinen Weg ins Übersinnliche, weil es im Herzen selbst ist. Und wo die Einfachheit der Blutkanäle fehlt, kommt keine überlegene Geistigkeit hinein. Sein Schleichen um die paradiesische Wiese ist ein Zirkulieren um sich selbst. Er hat gezeigt, daß man Gott erleben kann auch aus dem Hirn. Er hat es gewiesen auf die edelste Weise. Auch Karl May würde auf seine Art es nicht unversucht lassen, dies Gleiche uns ebenfalls zu klären. Schon in dem Augenblick, wo nur der Gedanke auftaucht, er wolle ins Unsinnliche, liegt schon eine Welt zwischen ihm und dem Ziel. Wo er versucht, das Mystische zu beschwören, indem er auf die Wiese wechselt, springt ihm das eigene Hirn ins Gesicht und macht ihn blind.

Ich habe bei Hagenbeck in „Beasts and Men“ ersehen, daß er glaube, in den Sümpfen Afrikas würden ohne Zweifel noch Dinosauren leben. Kürzlich las ich in der „Times“, bei Port Elizabeth im Kongo hätte Herr Levage ein Vieh angeschossen, das einen Rüssel und zwei Nashörner hatte, vorne die Beine des Gauls, hinten zwiegespaltene Hufe und zwischen den Schultern schalige Wülste. Es werden dies, wie ich, auf dem Lande, in York, Chester, Norfolk, im Lincoln Wold, in Kingston, in Hornby, Australien, Neuzeeland, im schottischen Wigtown, in Haidarabad, im kanadischen Athabaska, am Missinaibi-River, im Betschuanaland, in Somerset, in Kent, viele einfache Menschen, Bauern, Neger, Kinder, lesen und glauben. Sie werden Gott näher sein wie Max Brod, indem er ihn am heftigsten beschwört. Ich zweifle nicht, eine solche Sache würde den Prager sehr reizen, aber er in phantastischem Intellekt oder in logischer Ausschweifung daran verderben. Ich glaube, er würde das Tier theleologisch erklären und auch der Tatsache des Wunders einen tieferen Sinn und eine humane Notwendigkeit verleihen. Das gute Tier bei Port Elizabeth aber frißt und liegt in der Sonne afrikanischer Wollust, leckt sich den Bauch und verdaut. Ich muß dies bei aller Liebe und Bewunderung zu so feiner Züchtung des Hirns hinzufügen.

Aber der Zeitgeist liebt Räderschlagen. Der Nichtjude Meyrink geht auf der Wiese spazieren. Er ist tatsächlich darauf anwesend und geht mit Selbstverständlichkeit in den jüdisch-mythologischen Bezirken sogar. Ihm ist dagegen sehr unwohl draußen im Lebenskalkül. Als der Krieg ausbrach, beschloß er sogar, als er mit dem Marktnetz, um Gemüse zu kaufen, nach München hineinfuhr, in eine Bank einzutreten. Doch halfen ihm die plötzlich einsetzenden Börsenhaussen seiner Bücher darüber hinweg. Ist er jedoch aus dem Erd-Gedrückten ins Übersinnliche gekommen, hebt sich ihm Tatkraft und Kopf, er wird gleich in Vollwichs erscheinen. Buber wird schmerzlich lächeln und diese Prosa als Schändung des Göttlichen empfinden. Darüber hat, da es ums Heiligste geht, wohl der feinste Jude nur das richtige Urteil.

Meyrink ist der bedeutsamste Groteskendichter (weil symbolisch) unserer Zeit. Er konnte früher fast allein überweltliche Atmosphäre gestalten. Gewiß war sie oft von außen her gekommen, aber schließlich drang sie doch in die Zimmer. Es ist etwas an Unerlöstheit schon daran, wie bei Kubin, wo zwar die Gesichte manchmal tadellos durch die Bewußtseinsketten stürzen, aber meist doch eine literarische Vorstellung bleibt. Auch mache ich das Kreuz vor den Erfolgsbüchern. Man befaßt sich nicht literarischen Erwerbs halber jährlich mit der Abfassung eines Buches um die letzten Dinge. Dennoch ist er schwer verkannt. Sein Wesentliches wird effektiv lange währen, wenn auch die Signale und Symbole, die er um sein Starnberger Haus gesteckt hat, mit manchen Winden nach der Zugspitze flattern werden. Aber aus Kolportage, Bordell und heiliger Handlung richten sich gleich Fahnenspitzen die Dinge immer ins Gespenstige und das Entscheidende tritt ein, daß es hieraus genau so sicher ins Symbolische geht. Also ist Größe oft nicht fern. Auch ist die Sprache oft von dichterisch gezähmter Kraft. Manchmal kommt er von Kubin bis Ensor und zu Munch. Und das Jüdische mit mittelalterlicher Ghettoverdichtung, mit Angst, die Berufung verlieren, die Ewigkeitsverbindung übers Leben hinaus, den Hineinbruch des Todes in die Lebensebene als eine Parallele . . ., das sammelt sich hier in einer Hellsicht, die vielleicht gartenlaubisch gefühlt ist, aber die Atmosphäre hat, den Prozeß, die Faust und das Gelöste. Und selbst die Fanatiker, die jeden, der in Deutschland mit Auflagen die Kaffeehausziffer überschreitet und Erfolg hat, als Karrieremann und Miesnick so lange verbrüllen, bis sie das gleiche erreicht haben und verächtlich nach hinten schauend lächeln über die zurückgebliebenen Radikalen, auch jene Hanswurste der falschen Entschlossenheit werden zugeben, daß ihm eine Reinheit des Gefühls sehr oft nicht fehle, die an eine schönere und übersinnlichere Welt ein aromatisches und gutes Erinnern trüge.

So wandelt er, vielleicht kitschig aber sicher, auf den mystischen hebräischen Wiesen. Es hat den Fünfzigjährigen verwundert, als die Antisemitischen ihm die Fenster einwarfen. Unten schaukelten seine Segelboote, oben las er im aufgeschlagenen Fachblatt: „Wenige unseres Klubs werden wissen, daß unser Ruderobmann Meyrink auch ein bekannter Schriftsteller ist“. Aber wie Großes kann aus jüdischer Dichtung kommen (schon Werfel zeigt es), wenn sie vom Hirn einmal wieder losgelöst ist und mit Meyrinkscher Geschlossenheit auf den Wiesen geht. Buber wird Wege wissen, wie dies zu erreichen sei. Wahrscheinlich wird die Zeit es noch umfassender verstehen. Umsonst ist das internationale Band durch die Palästinensische Invasion nicht um die Völker der Erde geschlungen.

15. Sternheim

Er hat die Zeitzusammenhänge am tiefsten und erbittertsten begriffen, schließlich ist er tatsächlich schier ein Komplex von Profetie. Er deckte auf, riß Hüllen weg, geißelte und spottete wie keiner. Ehrgeizig gab er sich selbst den Namen des Neuen Moliere. Damit man ihn gut begreife, machte er die Sprache zu Latein, wundervoll glatt wie ein Tänzerinnenleib aus Lodz, gespannt und schmal wie ein Negerbogen von Fungurume, elegant wie ein Zebrafell, totsicher in der Führung der Linie wie Gulbransson oder der Fjord bei Tvervik. Noch interessanter wie seine Stücke spielen seine Prosanovellen in der Arena. Eine doppelte Bühne ist gebaut, übereinander. Unten geht vor sich im Detail und peinlich genau gezeichnet der Lebenslauf eines Kriminalen, einer Köchin, einer Ladnerin. Oben marschieren in ihren Körperhüllen (scheints), ebenfalls aber schemenhaft, imperatorisch aufgeblasen, dantehaft, hölderlinisch verzückt ihre Gefühle. Zwischen den beiden Bühnen ist ein Brett. Später wird um das Groteske zu nehmen, eine Vereinigung nötig. Der himmlische Ausgleich soll bewiesen werden. Da von unten die Kocherls nicht von selbst nach oben flammen, die Schutzleute sich nicht aus eigener Kraft aufsalutieren können, da Bewegung des Irdischen unten mit der himmlischen oben noch auseinanderklappt wie Kinobewegung und begleitende Musik, wird ein Apparat zugezogen. Schleier fallen, Scharniere kreischen, Nietungen krachen, ein Looping the Loop tritt in Tätigkeit, die guten kleinen Kerle kommen in die Schleife und sausen mit Motorgepuff, Vergaserradau in die dritte Kurve und die obere Seeligkeit. Einige riefen Herrn Sternheim auf die Bühne, da es ihnen schien, er habe die Regie verantwortlich gezeichnet. „Un Dupe“ schrie ein verkleideter Heiliger, der von Gethsemane gekommen, und die neue parsifalische Verheiligung der niederen Menschen besichtigen wollte, verließ seine Loge und fuhr, auf franziskanische Schablone eingestellt, nach Kopenhagen, um den Minister und Gesandten der französischen Republik Herrn Paul Claudel, der immer noch nicht gegen den Versailler Vertrag protestiert hat, aber ein großer Gläubiger sein soll, zu besuchen. Es war dem Wanderer bitter um das Herz geworden, denn er gab Geist und Können leicht und billig hin in einer Zeit, wo, wie er vernommen, es auf Gesinnung mehr ankam und auf Bekennertum wie auf das übrige.

Doch tat er Sternheim Unrecht, indem er ihn für einen Buffone ansah und das Geknirsch der Maschinerie für die Taktiken eines Roßtäuschers hielt oder irgend eines Brouillon. Die Unterstützungen durch die Mechanik waren nicht die Taten eines Böswilligen, sondern die Handlungen eines Verzweifelten, der die Gesinnung riesenhaft in sich spürte, aber nicht Muskel genug besaß, ihren Aufforderungen ganz zu genügen. Prokrusteisch eingespannt in Muß und Nicht-ganz-können zog er es vor, mit den Mitteln der Geistmaschine nachzuhelfen. Auch die Kreuzfahrer hatten sie verwandt, als sie die Mauern brachen, die die Predigt nicht stürzte.

Ja, als einige Zweifelnde, eine öffentliche déconfiture witternd, die Kulissen erstürmten, fanden sie einen Fleiß und eine Bemühung, die sie fast erschütterte. Die Ideen waren zwar in der zweiten Bühnenetage nicht mehr vorhanden, denn sie traten nur auf, solange unten die kleinen Existenzen im Parterre agierten, und waren nur solange bereit, diese in sich aufzunehmen, damit sie aus der Existenz übersinnlicher Marionetten oder weltlicher Schatten in eine einmalige und ganze Realität sich schlössen. Denn dann erst könnte allen deutlich bewiesen werden, wie sowohl Welttragik, wie Kunst, wie Herr Sternheim sich aus dem üblen Fall, daß alles in dem Dasein zweihaft sei, herauszöge und Gut und Bös, Groß und Klein, Gerecht und Unglück, zwischen die sich immer Tragödie klammert, zu einem unirdisch schönen Lebenssymbol sich verbände. Sie untersuchten genau. Aber ach, sie fanden nichts, was gegen Sternheim spräche. Die Auswahl seiner Puppen war glänzend, er beherrschte das Weltbild, er kannte die Drähte, die Schliche, die Leidenschaften und Fehler seiner Zeit und des Menschen überhaupt wie kaum je einer. Die Könige, die Dirnen, die Männer, die Generäle, die Niederen waren geordnet und gestaffelt wie der Geist es verlangte. Das Spiel war auf bestes Gelingen angelegt im Sinne der größten Dramatiker, die diese Erde überwandert. Sogar zur Unterstützung waren den Figuren die Linien großen Geschehens in die glatten erlebnislosen Hände hineingemalt.

Sie mußten sich achselzuckend und verlegen entfernen. An der souveränen Führung und Einsicht, auch am besten Glauben des Autors war nicht zu zweifeln. Auch der Herr aus Gethsemane hatte geirrt und eine Verwechselung vorgenommen zwischen der Einsicht des Dichters und seinem Können. Denn der Apparat war ihm schon profanierend. Ritt er jetzt nach Kopenhagen, ritt er, wie die Damen vor hundert Jahren, à califourchon.

Das Malheur ist eingetreten, daß ein Dichter hier zwar fast allein in einer Epoche früh kapiert hat, daß die Zeitlüge gezüchtigt werden muß bis aufs Skelett, damit dahinter eine neue Menschlichkeit vorgewiesen werden kann, daß einem neben der klaren Einsicht der genialste Kopf für Instinkt verliehen wurde, eine eigene neue Sprachform ihm zufiel, und daß dies alles aber nur bis zu viereinhalb Metern und nicht bis zum fünften genügte. Es fehlte Fähigkeit, umzuschmeißen, Kraft der Erschütterung, Schmiß ins Blut. Es blieb bei den Nerven. Man war abgestoßen oder entzückt, jedenfalls voll unbeschränkter Bewunderung. Keiner wird es lieben. Niemand, was selbst vollkommenste Werke verursachen können, wird Schrei oder Weinen fühlen. Man wird sie auch nicht hassen, höchstens beschimpfen.

Einer zog aus, den Stein der Kalifen zu suchen, aber als er ihn fand, war seine Hand zu klein, ihn zu heben. Jedoch auch daß er ihn nur fand und nach allen Richtungen drehte, ist im menschlichen Umkreis ein unvergeßliches Verdienst. Erstaunlich, mit welcher Sicherheit und Unfehlbarkeit Sternheim die Touren der Drehung nun vornimmt. Das Thema bleibt klein umschrieben, an einen geringen Kreis, an die Erde immer gebannt. Er versucht auch nicht titanisch ihn zu recken, müllert nicht, auch schwedische Gymnastik liegt ihm fern. Er bringt Hebebalken und Dampfdruckpressen, so kommt er manchmal etwas höher. Jedenfalls weiß der Autor immer, was nötig ist, wohin es muß. Er weiß es so genau, daß, wenn seine geliebten Marionetten am Horizont hinziehen und sie als typische Anonyme, als Kleine, Bagatellen der Zeit erscheinen, ihre Kulmination ausgezeichnet verläuft. An den Schnüren und Drähten menschlich vorgeschriebener, preußischer oder beamteter Existenz, zwischen Standesanschauung und gesellschaftlicher Verpflichtung läuft solch ein Dasein bis zur Schleife, wo das passiert, was keinem erspart bleibt. Da kommt Tod, Schmerz oder Umwurf oder irgend eine andere Maskerade des Tragischen daher. Das ist der brennende Moment. Nun kommts auf den Entschluß der Seele an, auf ihre Läuterung. Sternheim hat allein kapiert, daß hier der Schwerpunkt aller Kunst in unserer Zeit liegt. Nämlich zu 1: daß die Zeitlichkeit geschildert und dargestellt werde statt in phantastischen Zirkeln allein zu laufen und daß z. B. im Moment des tragischen Blitzschlags die Läuterung der Subjekte zu der seeligen Allgemeinmenschlichkeit vor sich gehe. Versteht sich wohl, natürlich und aus den Subjekten pflanzenhaft herausgewachsen.

Aber der Teufel fügte es, daß gerade an diesem Moment der Stein zu groß, die Hand zu klein war für den mächtigen Intellekt. Da aber stürzt sich, um zu retten, was möglich, Sternheim selbst in seine Figuren. Nun bewohnt nicht mehr das Schicksal den Busen der Bonne, sondern Herr Sternheim singt aus ihr das allgemeine Lied der Schöpfung und der Göttlichkeit. Nun ruft nicht aus der Pflichtgebärde des Schutzmanns eine sanfte Stimme von Aufgehn in der Kosmischkeit, sondern wie Kätchen Paulus an der Mongolfiere, durchfährt an ihn geklammert Sternheims scharfes Sprechorgan die Ballonkurve zur Ewigkeit. Im springenden Moment aufklafft der Knax. Der Sprung ist nicht zu übersehen. Einmal nur gelangs ihn zu verdecken. Doch diese Novelle ist von seiner Frau.

Vielleicht liegt mancher hervorragender Erscheinungen Sinn wesentlich in der Befruchtung, und ein reifrundes Werk hätte nur wieder einen Einzelblock in unseren Kulturweiher geschmissen. Wo aber Reste blieben, sammelt sich bald eine Armee. Hofmannsthal hat seine Generation gelehrt, auf Zwischenfarben zu sehen, geheimnisvolle Musik aus den Worten zu schlürfen. Wilde zeigte, wie apart es sei, daß Apfelschimmel Isabellaschnauzen hätten. Es paßte wohl in ihre Zeit. Wo die Erdachse heißer sich läuft an unteren Gewittern, sind schon stärkere Programme nötig. Führend ist Sternheim dabei ohne Zweifel an der Spitze. Auch hat er nebenbei nach Keyserling den klassischsten Stil im Deutschen, so barock er ihn aufzäumt und so grotesk er ihn verführt. Es ist ein Stil. Weltgefühl kommt hinzu, ergänzend zum dasigen Elend tut er die rosaschöne Ewigkeitsgebärde nach dem Loch ins Jenseits. In seiner Ironie ist wirklich auch Liebe zum Bessern, in der Anklage Wissen um neue Gebiete, der Haß ist oft überschrieene Verzweiflung.

Wie der Türke den Hund faßt er sein Lieblingsinstrument, den Bürger, nur mit der linken Hand an, das bringt die entzückende Schiefe in seine geistige Haltung. Wie einen Kinderdobsch jagt er ihn an der Treibschnur das Parkett der Gesellschaftsstruktur hinauf und dann decrescendo, worauf unfehlbar ein ethischer Träger schlicht in seinem Prunk am Ende erscheint. Und er kennt seine Welt. Verbeugungen, Ihr ahnungslosen Nichtse der Gesellschaftsschilderung, vor diesem Könner! Nicht nur den knabbernden kleinen Bourgeois hat er unterm Mikroskop, den großen auch. Die Welt ist aus Waschküche und schlecht gelüftetem Doppelbett nicht allein gemacht, das bürgerliche Zeitalter hat auch seine luxuriösen Idioten. Nur die Symbole, die Richtungen, die Sehnsüchte sind die gleichen bei Kriegervereinsprolet und kapitalbuntem Landrat.

Oben steigen die einfach geschlemmten Mahlzeiten ins Raffinierte. Was da Kalbsbraten mit Gurkensalat, kann sehr wohl bald sein Artischockensoße aus Milch, und Eier in Zitronensaft. In der Provence speist man Trüffeln, Wachteln, Bordeaux, Ortolane. Sternheim schreibt es nicht, denn er kennt nur die Brüßler und Pariser Küche. Ich füge Terrine de Nérac und Pâte de Toulouse hinzu. Auch Kaffee mit gestoßenem Kandis und Wein in Lackledergefäßen. Da unten fangen die Frauen schon an, vergoldete Augenbrauen zu tragen. Jasminessenzen steigen in die Nase. Ein tolles Leben. Die schönen Saffias tanzen mit den Bäuchen . . . .

Napoleonisch reitet Sternheim die Parade ab seiner Welt, läßt dann alles sich bis auf die Unterhosen entkleiden, da kommen trotz der ausgesuchten Laster bemerkenswerte und ignominöse Dinge zum Vorschein. Er vermeidet es, keine bis auf die Hoden zu verspotten. Auch läßt er die Städte der Menschen mit Spiegeln aushängen, das verdreifacht den entsetzlichen Effekt. Man darf nicht eins oder das andere seiner Kommandos anfassen, sie sind oft dünn und zerbrechen. Im ganzen hat er eine bestaunbare Strategie bewiesen, Kapital und Arbeit, Soziales und Gesellschaft gegenüberstellt, jedes nicht zu treffen vergessen, aber da geschoben, wo es nach vorne ging. Dann hat er wie der beste Mann de l’ancienne Roche sich nicht festgelegt, sondern den guten und idealen Menschen allen vorgeschildert. Aristokratisch letzthin im Prinzip wie Heinrich Mann auch und, wie sein stilistischer Bruder Cicero in seinem Buch über den Staat, gleichfalls die Meinung geäußert, nur die weisesten und edelsten Männer sollten den Staat regieren. Mag er selbst mauscheln, bleibt ihm irgendwo das heißgeliebte Ideal, die Flamme. Zwar etwas mager geraten und nicht gut von Statur zu Pferde, aber in ausgezeichnetem Trab und mit glänzender Fechtkunst schlägt er sich durch Barbarei und Dummheit, oft fast an ihr vor Wut krepierend, kreuzritterhaft mittenmang: en l’honneur de Dieu et de Notre Dame. Das ist wohl seine allgemeine Lage.

Aber vergessen darf nicht werden, daß das Instrument klein ist. Die Variationslinie war von reizvollster Krausheit, aber doch nur ein umfaßbarer Kreis an Radius. Bongré malgré ein genialer Könner mit Krücken. Aber da alles bis in die Satzzeichen und Gotteinstellung tadellos und von Spannkraft, ist die Wirkung auf breitere Fläche geronnen. Selbst Kaiser und Heinrich Mann gingen in das Garn dieser skeletthaft geschmeidigen Prosa. Alles wird gepackt und durchstoßen. Immer wieder wird krampfhaft und eifrig mit Jägerpfeifen und Balzen das Menschliche durchs Transparent der Leiber und Kröpfe hindurch hervorgelockt. Diese Bemühung ist so konsequent, daß sie nicht echolos bleiben kann. Auch der Versager muß Anerkennung sich erzwingen. Auch hat die Linie der Prosa eine hypnotische Wirkung. Wie in Rilkes leicht faßbaren Rhythmus verfingen die jungen Leute sich an sein rasch lernbares Diktat.

Doch auch das genialste Rezept ist nur gut für seinen Koch. Die Sternheim degengesenkt und schweigend vor Respekt anhörten, selbst wenn er ihnen zum Kotzen zuwider war, begannen leicht zu schwindeln, als diese Drachen am Himmel zu steigen begannen. Es schien, es sei die Sonne und das Blau aus ihm vergangen. Jugend, Dampf der Kuhfladen und Äcker, Einfältiges und Wildheit sei vor solch eisiger Diszipliniertheit, solch pinguinischer Leidenschaft und greisenhafter Athletik davongegangen. Die Büsche selbst begannen zu weinen, da es ihnen dämmerte, nun käme Le Nôtreische Zeit wieder und die Natur werde gleich den Pferdeschwänzen von neuem kupiert. Es würde ein erstaunliches Gähnen geben, hätte je dieser Stil die Gartenlauben erreicht. Doch die Imitation hat natürlich keine Frucht.

Wohl aber kommt das Beste aus Sternheims leidenschaftlicher Kraft des Ausscheidens. Nicht deshalb sind seine Sätze sehnenhaft, weil sie dünn gedacht wären, sondern weil er gleich Sherlock Holmes seine Produktionszellen bewacht, die mit der Funktion ausgezeichneter Nieren nur das Geschiedene durchlassen. Das Oberflächliche hat er am radikalsten verjagt. Er hat am intensivsten aufs rein Wesentliche den intellektuellen Stil beschränkt, und was kritische Köpfe von der Ovalform Rudolf Presbers ihm als Telegrammstil vor die Füße warfen, war nichts anderes, als das operative Messer, das als Zeitstil die musisch gewellten Leibchen des Kronprinzendichters unkeusch lüftete und in den Boreas hing.

Auch verführte Sternheim sehr zur Sachlichkeit, was nicht unwichtig ist. Begrenzt ist es natürlich, geht er vor gegen das Ekstatische. Man liebt ja seine eigenen Fehler gemeinhin so wenig wie die Tugenden seiner Feinde. Doch gilt es nicht eine subjektive Norm hinzustellen, sondern bloß Klares und Unklares abzuwägen, um zu harmonischem Urteil zu kommen. Es ist etwas infantil, sein Temperament als Maß für die Welt zu projizieren. Das ist vielleicht Politik, aber nicht Urteil. Ist eventuell erklärlich, aber keineswegs gerecht. Vielleicht ist es in manchen Fällen sogar klug, aber es ist nicht das Bestimmende. Darauf aber kommt allein es an. Auch ist wichtig, daß er allzuvielen Ekstatisierern immerhin ein kühl lächelndes Gegengewicht bietet. Auch auf die Balance kommt es an. Eine Sternheimschule als führende Literaturrichtung Deutschlands würde keine menschliche, ja nicht einmal eine literarische Angelegenheit, es würde eine rein stilistische. Wir hätten die ledernste Akademie.

Der Autor ist auch selbst nicht einseitig in dem Werk selbst. Schwingt sein Reck doch selbst zwischen zwei Regionen, der irdischen und der paradiesischen. Allerdings hat er nicht genug Wade und Hüfte, um ganz hinüberzuschwingen. Jedoch ist keinem seine Richtung unklar: daß es ihn aus dem Boshaften und Harten immer ins Weiche und Unendliche verlangt, jenem Georg dem Vierten nicht unähnlich, der nicht allein ein herber König der englischen Menschheit, sondern auch ein Liebling an Gärten und großer Blumenamateur gewesen war.

16. Heinrich Mann

Ein glänzender Blitz fährt durch Europa vom Süden herauf über Venedig, Genf, München, Paris, Stockholm. In den Städten ist grenzenlose Bläue. Landschaft mit schwebenden Gärten. Meer glüht, See oder Fluß bis in uferlose Berauschung. Die Luft ist erregend, im Blut nur zu verstehen und auszutragen. In der deutschen Achse steht Heinrich Mann, nicht umsonst ist die Leopoldstraße die schönste Gerade Deutschlands, nicht umsonst fällt auf die Dächer der Theatinerstraße schon italienischer Himmel. In Frankreich hätten sie Mann gefeiert, die Römer hätten ihm gehuldigt. Bis in sein fünftes Jahrzehnt haben ihn die Deutschen geschmäht. Er hatte Hohn nur auf die Bourgeoisie und empfing die Quittung. Auch haben seine Bücher einen Stil nach konzentrierter einsamer Größe, daß man, allein an Plumpuddings und Gelees gewöhnt, die breite Schärfe nicht begriff. Was an ihm schon ins Europäische wollte, hielten sie für französisch. Sie hatten nicht ganz unrecht. Er war wie eine Brücke aus dem Sumpf in die hellen Orchester einer jungen Generation, aber auch der Schwebebalken, den die absterbende große romanisch-demokratische Kultur tief in die deutsche Ratlosigkeit hinübersenkte.

Als Rembrandt, Poussin, Bernini starben, stand das Spätbarock den großen Meistern schon ohne Verständnis gegenüber. Wieland höhnte, als Bodmer sich an seinen Zöpfen erhing. Auch Heine hatte nicht viel übrig für die Romantik, die wiederum an den Klassikern nur Gefühle der Abneigung empfing. Seltsam, daß aber in der Zeit widerstrebender kleiner Kämpfe die großen Übergangsbegabungen gleichzeitig die Riesen waren und, noch halb verwirrt und oft ziellos nur im Instinkt, schon nach dem griffen, was der kommenden Generation als einzig sicheres, klares Bild vorschwamm. Wedekind, Strindberg, Heinrich Mann wurden plötzlich aus der Einsamkeit der nachnaturalistischen Zeit zu Mittelpunkten erhöht. Man kann ruhig auch Kerr hinzufügen. Es scheint heute, sie hätten die breiteren Achseln gehabt, während die Generation heut sehniger, aber schmäler ist. Bei den Schauspielern ist’s das gleiche. Bassermann, Steinrück, Wegener spielten den Kitsch ihrer Zeit, aber wen setzt die geisthafte junge Schauspielerschaft ihnen an Blutfülle, Erdkraft und Gewalt der Wirkung gegenüber? Heinrich Mann hatte vor drei Jahren die Liebe der Jugend, es ist möglich, daß es sich ändert. Sie erkannte an ihm im Instinkt den Kämpfer gegen Seitheriges und den angestrengten Arbeiter nach gemeißelter Form, den Erhalter des Dichterischen in der Prosa, als vogelweidhaft aufgeputzte Bürger und Beamte diese in ihre niederen Betten führten. Auch war sein Wuchs zu deutlich, sein Oeuvre das einzig Repräsentative in der neuen geistigen Haltung und Politik (wenn auch lange nicht so geschlossen wie das des Grafen Eduard Keyserling, doch um vieles sicher mächtiger im Können). Das Ausmaß dieses lange Alleinigen zog den Respekt an. Er war unter dem Ansturm einer ihn begeifernden Zeit sehr breit geraten. Auch die Griechen liebten die Eckpfeiler der Säulentempel ein Sechzehntel dicker zu nehmen wie die der Kolonnen, da, wie Vitruv sagt, die Ungeheuerlichkeit der Luftmasse sie dauernder attackiere wie die anderen, und sie nicht, wie die inneren Rohre der Sphinx, aneinandergelehnt und gesichert stünden.

So entwickelte sich die Sache, doch ist die historische Form des Anfassens genau wie ihre Wahrheit wahrlich nicht de saison. Wie die Jungen Mann holten, werden sie ihn wieder abstoßen. Die Entwicklungen haben lange gezögert und sich dann überstürzt. Dem deutschen Publikum waren es lange Anaglyphen, was er edel und unentwegt forderte. In absolutistischer Zeit stritt er für Demokratie. Als der Zustand erreicht war und man seine Bedeutung plötzlich erkannte, war die Seele der Jugend weiter gerutscht und versuchte nicht mehr in Parlamenten und der Mehrzahl völkischen Wollens Gottes Finger an unserm Geschick zu erkennen. Die Distanzen werden sich vergrößern, er wird tatsächlich zwischen den Generationen stehen als ein Könner, der einzige Romancier Balzacschen Sinnes, ein großer Diener und Bewältiger der Idee einer imaginären Gerechtigkeit auf der Erde. Wahrscheinlich werden sogar die für Gestaltung unzugänglichen Literaturgeschichten nach uns dies de rigeur annehmen. Ich habe keine Lust, perpendikulär zu kommen. Aber es wäre möglich, daß durch eine Flankenbewegung in noch späterer Zeit Mann wieder Anschluß bekäme.

Denn die ganz ins Linke geflogene jüngere Generation könnte aus dem Versagen der Revolutionen sich zu einem souveränen Skeptizismus erheben, der wohl Bessern aufs Panier setzt, aber an die Verwirklichung nicht glaubt. Denn immer zog nach heftigsten Revolten die Anziehungskraft der Erde das Bestehende noch grausamer zurück. Die Menschheit war selbst in Ruhrepidemien, zur Blüte der Pestbeulen und in dreißigjährigen Kriegen zu träg und zu elend, sich vorbereiten zu lassen auf das irdische Paradies. Sie liebten ihre Peiniger, und je mehr die Dämonen ihnen das nackte Fleisch aus dem Körper fraßen, lobten sie ihren Biß. Als Dom Miguel nach seiner Verbannung am dreißigsten Juni Achtzehnhundertachtundzwanzig den Staatsstreich in Portugal machte und alles tierisch tyrannisierte, war es genau die gleiche Erscheinung und das nämliche Theater, das im gesegneten Jahr Neunzehnhundertundneunzehn in Budapest und München die Generäle der weißen Garden aufführten. Aber es ist vergessen worden. Auch sonstwo trifft sich in jeder Jahrhundertparzelle der Historie dasselbe Spektakel, nur daß Deutschland die raffinierte Würze hat, den Akt durch eine sozialistische Regierung in Szene gesetzt zu sehen. Immerhin glaubt und kämpft die europäische Jugend noch fest an einem Ziel, das über Manns Ideale der Demokratie weit hinausgeht. Selbst wenn es Utopie und Bürgerspaß bleibt, wird der Akkumulator der ethischen Energien es nicht umsonst sammeln und eines Tages zurückgeben aufgespeichert, gespannter und wie alles Gerade und Kühne nicht umsonst getan.

Die Menschen von ganz links sind die besseren, weil sie die ganz anständigen und idealistischen sind. Die von ganz rechts sind die Schlauen, weil sie auf festem Boden stehen und Kilometerstaffeln der Unterstützung durch alle Dummen und Trägen haben. Außerdem riskieren sie nur wenig. Vielleicht wird eine geistige Partei der optimistischen Skeptiker oder der schlauen Idealisten sich ergeben. Sie werden taktischer vorgehen. Vielleicht ist Heinrich Mann dann aber, wenn sie ihn wieder erreichen könnten, schon von Sturzböen der Zeit überschwemmt, und andere unvorhergesehenen Richtungsschwenkungen der Weltwagen machen dieses Problem hinfällig. Auch dies wäre Tragik. Doch darf man über das Ganze sich keiner Täuschung hingeben. Es ist ein komplizierter Vorgang.

Genau wie Werk und Figur des Mannes selber, der als ein glänzendes Bild des Mutes der unentwegten Gesinnung und des fast beispiellosen Könnertums dasteht. Immer schlingen sich aber Verwirrungen hinein. Eigentlich ist er eine Bestätigung von der ungewöhnlichen Prägungskraft der Form, zu der alles letzthin strebt, und die allein uns alles groß Menschlich-Gewagte zurückgibt. Dies starre, die Materie zermalmende Element fraß sich bei Manns Büchern allein durch die Unkultur seiner Jahrzehnte, ohne sie wäre alles ihm auseinandergefallen. In seinen ersten Vorstößen ist soviel Jugendstiliges, Breites, Kitschiges, daß nur die überlegene Gestaltung es hält. Später ist das klassizistische Suchen und Schwärmen in reinen italienischen Linien uns arg lugüber. Die Fäule des oberen Bürgertums zu detaillieren genügt noch nicht; auch wußte er anfangs nichts damit zu machen. Die minervischen Enthaltsamkeiten der Herzogin von Assy führen in einen geschlechtlosen Ästhetizismus. Es hält schwer, sich für diesen Marmor zu begeistern. Es ist interessanter, bei einem Gewitter einer Dame mit roten Seidenstrümpfen Alfred de Musset vorzulesen.

All das damals Geschaffte hält tatsächlich nur die Form. Doch steckt hinter ihr natürlich als Motor der unerbittliche Geist. Irgendwo kommt auch in den satirischen Büchern, wo’s mehr um Unterleib und Bürgerluxustapeten geht, die radikale, durchpfeifende Fanfare der Gerechtigkeit und des siegreichen Feldherrn Geist durch. Auch in der virtuosen Hanswurstiade von der „Kleinen Stadt“ krönt das schließlich. Gewöhnlich findet er für seine Bücher keine Schlüsse, da wird er tastend, unsicher, bricht in ganz neue Themen aus und kneift irgendwie in den anderen Stoff. Das ist natürlich bezeichnend für den Übergang, er ist sich noch nicht klar in der Welt, auch ein Wort wie Gerechtigkeit und Demokratie muß bis in die letzten Konsequenzen des Weltgefühls gestaltet werden können, wie Balzac aus einer Wiese, aus Blumen und Früchten Ursein machte. Bei ihm wird aber noch viel reflektiert und gedacht. Es ist da ein Zwiespalt. In den Essais ist die Lage fest erfaßt, doch geht es da um Denken und nicht um Stadt, Schwanz, Rasse und Gewächs. Das einzurangieren blieb auch dem nicht ganz erfüllt, der zweifellos der größte Geist der Epoche ist. Auch all das Scheitern sagt nichts dagegen.

Seine Novellen werden neben Kleist gesetzt werden, obwohl sie um etwas Hohles herum gemacht sind. Innen ist ein Krampf. Klopft man die Faßrundung ab, klirrt es nach Ungefülltem. Etwas fehlt. Einmal dekouvriert er sich: Er hat gekämpft jahrelang und manches erreicht, den Deutschen ein großes Oeuvre hingesetzt, für das selbst die Jugend hinter ihm her ihn liebt, wie es scheint. Aber er kennt den Spalt in seinem Wollen. Sein romanisches Mischblut vermag es oft glänzend zu überdecken. Er möchte alles tun, muß aber alles denken. Er muß sich entscheiden zwischen Leben und Schreiben. Er wählt das letzte. Er schreibt und krepiert vor Neid um den Tatmensch. Jene Entscheidung, die jedes Künstlers Zwiespalt ist und die der Instinkt eines jeden von selbst reguliert aus der Kraft heraus, die entscheidet bei Mann sich einseitig. Er geht nur auf das Nachschaffen des Lebens. Er asketisiert sich. In ungeheuren Gebilden phantasiert er Leben zurecht, aber er verzichtet selbst. Liberi aut libri! Er ist für die Bücher, aus ihnen soll der Geist hinausgehen, es wird ein entsetzlicher Krampf, wohl mit Ehre, Ruhm, Ansehen und Glück bekränzt. Spöttisch sieht er gegen die Wand, wo ein Condottieri im Rahmen steht, der nur mit Frauen und Raub sich befaßte, nie geistig Geronnenes in unsterbliche Phantasien schmolz.

Als sich die Blicke treffen, senkt sich der des Dichters.

Hier ist vieles verfehlt. Sein Bau zwar ist errichtet, doch in der Mitte ist Unerlebtes, aus Angst Versäumtes, einer Fischleiche nicht unähnlich, die nur die leere Blase aufrecht hebt. Mediziner und Betrachter niedrigen Rangs nannten es Hysterie. Es ist das Sichaufsparen einer nicht ganz genügenden Potenz für eine einzige Richtung. Manchen Tag wird er sagen: Roi ne puis, Duc ne veux, Rohan suis. Aber es wird eine Verlegenheit sein, die der Geist ihn taktisch zwingt zu gestalten. Er wäre wohl gern das eine und das andere und hätte nie wohl das Königliche vermieden, wäre es in Leben und Gestalten, in Fülle und Geist ihm verliehen worden.

Beschränkung und Verdoppelung kam so aus Schwäche. Indem er sich zurückzog in die Empfindlichkeit seiner Nerven, hat er nicht verfehlt, den Kontinent der Abenteuerlichkeit und der geistigen Navigation bis in die exotischsten Häfen anzulaufen. Er wird oft grausam in der Verhaltenheit, aber die tragischen Hügel seiner Wanderung erhalten eine Süße, als seien Madonnen und Ölbäume auf ihre karge Erhebung gepflanzt. Auch speit er und keift aus Haß gegen die Woge der Zeit, die an ihn heranschwemmt, Gründerjahre und Geld, die ihn manchmal verführen zu spielen, statt zu richten. Aber im einzelnen ist der Geist unfehlbar bei ihm.

Den Menschen erreicht er stets und treibt ihn an die Rampe mit wundervollen Triumphen. Die Gebärde des Stolzes ist spät aber byzantinisch im Goldton und demütig in der Verantwortung. Die Enttäuschung bei so breit angelegten Werken hält ihn nie auf. Plus je connais l’homme, j’aime le chien hat Pascal, nie ihn zur Flucht gewendet. Auch Skepsis wird ihn nie überwältigt haben, so sehr die romanischen Nischen seines Bewußtseins ihn dazu führen. Das verwechselt sich leicht mit Gerechtigkeit, die er sich konstruiert. Er wird nie Partei nehmen, auch nahm er sie nie. Etwas Ängstliches kommt dann ins Gesicht der Sätze. Er ist nicht für Tat und Konsequenz, mehr für Aufgabe. Und für den Egoismus, sich ihr zu erhalten. Vergeßt diese Reservatio nicht. Doch bleibt er, schaut nach einem langsamen Jahrhundert man zurück, ein Turm da, wo er stand. Er konnte viel. Vielleicht irrten, die ihm Plätze zuwiesen, an ihm mäkelten. Vielleicht wird man erst in zweien Säkulis das Hohle wieder hören, dann donnert es vielleicht. Die Zeiten trennen sich jedenfalls hier. Manche werden vielleicht von rückwärts aus der Jahrhundertiefe vor uns ihn reklamieren, etwa kann’s auch geschehen, daß er vom Zukünftigen vor und heftig verleugnet wird. Jedenfalls ist hier Küste. Manchmal stürzten Wachttürme ein und man vermißte sie später nicht.

Letzten Endes kann er immer die Lebenskonsequenzen nicht ziehen. Er hat sich faustisch dem Gerechtigkeitskompaß verschrieben. Das führt ihn zu Summen, die er nicht zu addieren, die er nicht zu gebrauchen vermag. Er weiß den Sinn zu predigen. Als er ans Soziale gelangt, zerbricht es ihm in der Hand. Er hat die Renaissance durchschweift, Seelen und Körper sich hingeben lassen an den Glauben und verschwendet wie kein Deutscher vor ihm. Aristokrat auch er und Gemeines hassend wie Pest. Nun soll er, muß er, geführt und geleitet von dem führenden Stern, die proletarische Kaste beschreiben, die er nicht versteht, deren Sinn ihm nebelhaft ist. Er weiß, das will herauf. Er sieht, wie Zola gigantisch sich gemüht. Er hätte vielleicht vermocht, in einer viel späteren Existenz die Seelengröße des Zeitalters, entfernt und voll innerer Kühle, zu geben wie keiner. Das genügt nicht mehr, er soll nun führen, Weg weisen, nicht Tragik der Tribunen geben. Ach, dieses Ufer ist nackt und ohne Farbe. Es bröckelt Sand ihm aus der Hand. Weiter nichts. Es bleibt vielleicht die Schilderung der Zeit, das Herzeigen der Konflikte, nicht ihre Überwältigung. Matt wird das Blut, dünn der Aufstieg. Auch hierin steht er zwischen der Zeit.

Die Jungen nennen voll Ehrfurcht seinen Namen, übergehen Tadel gerne, weil es ihm geschuldet ist aus den tausend Wunden, die er voll Zähigkeit für sie trägt. Doch sehen sie ihn nur noch spielen mit Ideen und Formeln der Gerechtigkeit, nicht mit ihrem blühenden Fleisch. Als der letzte Große aus Rom kam, den Louvre zu bauen, empfing ihn der Hof des vierzehnten Ludwig mit den größten Ehren, die der Geist verlangte. Den Bau hat aber später ein Junger, Perrault, geschafft. Wundervoll die gespannte, innen tief verhaltene und verkrampfte Gebärde, mit der, wie niemand heute, Heinrich Mann, geistig und adlig, sein vielspaltiges und großes Werk zusammenhielt. Ohne diesen Ring bräche es auseinander wie eine aufgeschnittene Garbe. Es war Leuchte und Kraft in ödester Zeit. Man wird nicht aufhören, sich der Herzogin von Assy zu verneigen, die Süßigkeiten und Trauermärsche stolzen Seelenbewußtseins schwingend zu verspüren. Einer hat die Zeit wütend da gegeißelt, voll Distanz, und beherrscht, und ihr doch das Schöne gewiesen der Inseln der Schiffe, der Tapferkeit tief aus den Rinnen der Historie herauf. Ausschweifungen des Geistes fanden keinen strahlenderen Heros. Süden, Macht des gerechten Kampfes und Blutes sind um ihn. Seine Jacht ist um den Tierkreis und die Erde weit herumgelaufen, während er träumte, auch hat er gebaut, an manches gedacht und kolonisiert. Fahnen senken sich, Häupter sind entblößt vor der Leistung.

Manchmal wird nur gedacht, wo es hohl klinge in der Wölbung des Werks, sei vielleicht falsch gehört. Kein künstlerisches Vakuum sei im Zentrum, auch nicht allein das Versagen. Er habe vielmehr, indem er sich der einen Richtung des Geistes verschrieb, gegen das Menschliche versündigt und mehr gegeben, als er dafür nahm. Ruhm wohl empfangen auf dem Weg des Geistes, aber es sei ein dürrer Kranz. Wo er gegeizt habe wie ein Wucherer, wo er gespart und gefeilscht habe, vom Leben und der Tat immer wegnehmend und es ins Imaginäre der Idee setzend, um Kraft aus der Schwäche zu ziehen, da sei ein Fehler in das Zentrum gefahren, er habe das Wichtigste versäumt und mit schiefer Einstellung nur noch gesehen. Wo blutig das Herz schlüge, sei blaues Eis.

Er habe die Menschen nicht geliebt, sondern ihre Ideen.

Sei fanatisch, aber egoistisch gewesen, habe als schiefer Radikaler und verschobener Märtyrer nur der Pfunde gewaltet. Sei nie bis an die Menschen gekommen, habe, Hand über den Augen, tief denkend, an der letzten Küste gehalten.

Der Weg war indirekt.

Ob er es begriffe.

Am Kap Matifu, als er in Tunis strandete, schrie Karl der Neunte: Glück sei die Hure, die nur von Jugend karressiert sein wolle. Am Ufer sind Kämpfe weit von Mann, neue Generationen aufmarschiert mit anderen Losungen. Ob ihm ein Schleier reiße und er fühle, er habe eigentlich sie nie erreicht, nie erfaßt?

Edel in der Haltung, wird vielleicht er es nicht verstehen, nicht sehen, neuen Büchern zufahren, während die Zeit sich vollendet in seinem Rücken. Vielleicht aber ist jedes Wort falsch und jeder Schritt unrecht, den die am Ufer tun. Aber sie haben sich entschieden und haben aus heißer menschlicher Leidenschaft gehandelt. Doch auch das würde dem Wegfahrenden wohl nicht klar sein, denn es wäre zu nah für ihn. Er kann es aus dem Blut nicht verstehen, nur aus dem Geist. Der aber segelt ihn nur bis dahin, wo das Begreifen beginnt. Hier scheiden sich die Wasser, man muß es nicht deutlicher zeigen wollen, als es ist.

17. Durchstich durch den vierundzwanzigsten Januar Neunzehnhundertzwanzig der Literatur

Zur Not begriffe mein Hund Tobias, daß, als die Menschen in Zahnradbahnen auf die Gletscher glitten, mit Gasbomben und Feuerspritzen sich töteten, im Luftschiff nach Stockholm vom Bodensee aus flogen, das Fett des Zivilisatorischen ihre Brüste und Hüften übergoß, und die heimlichen Lenden der Dichtung abmagerten wie Mädchen im fünfzehnten Jahr. Darum waren Revolutionäre der Ideen wie Baudelaire entschlossene Gegner des Fortschritts. Die Schlappschwänze, welche die Prosa von einem Krieg zum andern zu hüten hatten, liefen aber hinter den Techniken her, und unfähig, sich überhaupt des Größeren zu begeben, verloren sie sogar die Verantwortung vor dem Wort. Bierbaum, der seine Zeit fürstlich repräsentierte, hatte stilistisch nicht mehr als ein Kommis. Man schrieb, wie man aß, badete, ins Bett stieg. Die Magie der Sätze, die Farbskala der Vokale, die dichterische Biegung und Bremsung der Perioden, es galt ihnen nichts. Sie hatten es vergessen. Die Sprache ward Mittel und Zweck, sie kehrten ihre Lächerlichkeiten damit in die Ecken. Jeder Wurm, dem drei Verse gelangen, war ein Papst, aber der Titan, der die mißhandelte, tags genotzüchtigte Sprache aus Gosse und Bürgerschleim auftrieb, melodisch beschwingte und zu Glut der Entfesselungen bestürmte, ward verlacht, übergangen. Irgendwo lebte zwar Nietzsche. Man wußte es nicht. Sie hatten an nichts sich mehr erinnert. Man wird ihre Unfähigkeit vielleicht entschuldigen, weil sie schließlich ihr Leben auch gelebt haben wie andere und nicht mehr Fähigkeit abgeben konnten, als in ihren Knochen Saft hockte, doch man wird sie ohne Besinnen in die Kehrichte schmeißen, weil sie vor der Verantwortung fahrlässig sündigten und wie betrunkene Kutscher vergaßen, wohin sie sollten; aber noch mehr, welche Vermächtnisse und Aufgaben hinter ihnen lagen.

Geliebte Dichter.

Wie saß im Stabreim schon, der nichts anderes war als beherrschte Prosa, die heidnische Rhythmik wie ein gefesselter Athlet und zuckte mit den Muskeln. Man hat die ganze germanische Dichtung erzählend vorgetragen: Die Zaubersprüche der Merseburger, Wiens Hundesegen, Lorscher Bienensegen und Blutsegen, der wundervolle Torso des Wessobrunner Gebets das hinter einer Litanei eine heidnische große Schöpfung schwingt. Notker Labeo entriß den Klerikalen sie aus dem Latein. Hinter dem Epos her führten Ekkehard und Mechthild sie bis an den Rand der Seelendarstellung, glühten sie in Inbrünsten und Sehnsüchten. Brant und Gailer hinterher. Grimmelshausens Sprache ist breit und gewachsen. Volksbücher bringen Derbes, Abenteuerliches, Unzüchtiges hinzu, es geht manchmal schon gewaltig al fresco. Hutten schmiß sie wieder aus dem Außenseiterigen der Bildung und feuerte den Mut und das Bekenntnis hinein, es stieg ins Menschliche und auf die große Tribüne der Gerechtigkeit. Luthers Plastik. Lessings übersachliche Strenge. Nun wurde es reifer Obstgarten, himmlische Schmiede und hohes Urteil. Die Eleganz gab Wieland. Büchner den wilden Aufruf und die Jugendlichkeit der Begeisterung. Die gigantische Ausweitung kam bei Jean Paul, dem schöpferischsten Phänomen der Deutschen. In romantischen Epochen schwankt der Geist immer mehr in der Atmosphäre, und Jugend ist auf Treppen, Dächern und Bergen aus, ihn zu suchen. Dazwischen Heines üppige Schärfe und Gepflegtheit. Klassisches kommt in der Regel auf Jambus und träumt sich in Alexandriner, hat Kothurne für die Bühne. Was in ihr für Prosa bleibt, ist gemessene Beschreibung und zu edel und zu sehr voll Langeweile, die feurigen und sehnsüchtigen Pferde der Sätze die Gangarten großer Erhebungen machen zu lassen. Mit gutem Geschmack ist ein Gedicht Paul Heyses zwischen glitschigen Austern und Crême fraiche vielleicht noch zu ertragen, seine Prosa unentschuldbar. Heinrich Mann und Kerr und Wedekind standen umheult, als nach der Romantik die Prosa in die Trottoirs des Verkehrs geriet und man sie dort verbuhlte. Es scheint, man hatte ihr ein Opiat eingegeben, und die armseligen Verbrecher, die sie beschliefen, entlockten ihr immer wieder das Gedächtnis daran, woher sie komme und welche Haltung und Würde ihr angemessenes Mindesterbe sei. Sie fuhren mit ihr Schnellboot und, Lunapark und Hundertzwanzigpferdekräftler, und als Herr Kellermann sie besaß, hatte sie einen eleganten Geliebten, der sie wohl kühn aus bürgerlichem Gequassel entführte und Geschmeidigkeit und Tempo ihr vorführte wie keiner der Nullen vorher, aber nur raffiniert überkandierte Schleifen mit ihr jagte, innerlich unbeteiligt blieb und reizlos wie Herr Ebers und Schlaf, und nie daran dachte, den Kreisschwung zum Rosahorizont Geist mit ihr zu machen. Er hatte sie getäuscht, denn er sah Bildern früherer Geliebter ähnlich. Sie verließ ihn rasch, als die anderen und Neuen kamen und Verantwortung und das große Pathos um die Lippen hatten, welches sie seit dem Malermüller und der Bettina nicht mehr gesehen. Auch ging ein Schatten über die Pupille und sie kam näher an Europa. Sie nahm ohne Zögern eine Fackel in die Hand.

Sie hatte damit immer schon hinüber und herübergeleuchtet. Einmal gings zwischen Dänen und Deutschen mit den Sagen der Helden. Von den Italienern kams, als Petrarca nach Prag kam, Hutten zwischen den Humanisten heraufritt. Spät gings hinüber zu den Tschechen. Später noch, als der Glîchezare den Ysengrimes den Niederländern nahm, und die indische Fabel unter dem Scheine hereinzog zwischen Elbe und Ems. Immer aber hatte sie zwischen den Vogesen geleuchtet und ohne Pause war es über den Rhein herübergeströmt. Über der Mystik stand Bernhard von Clairvaux. Zwischen Silberhimmel und Olivengrün kam das Provençalische zum Minnesang herüber. Namen fielen ihr ein, als sie Gottfrieds von Straßburg, Wolframs, des von der Aue gedachte, die als gute und große Führer diesen Deutschen den Weg gaben: Chrestien de Troies, der von Britanje, Benoit de St. Maure. Hinter diesen zogen scharf und fast blau die Pyrenäen und das Loch aus dem Asiatischen her, wo blonde Mauren einmal in das bräutliche Fleisch Europas eingeritten und die Dulce France von den Höhen her mit fremden und schönen Orchestern so überspielten, daß es bis über den Rhein, nur in französische Zungen umgebogen, brauste. Immer hatte die Fackel den Zug der europäischen Bindungen überschienen.

Sie lächelte, als große Worte heraufklangen. Es schien ihr, als ob ihre Haut und ihre schönen langen Schenkel bald wieder in paradiesischen Gärten und um wilde Pferdebäuche gehen würden. Als sie den Bart des Francis Jammes sah, der die schönste Stimme Frankreichs hat, nickte sie. Auch Schickele übersah sie nicht, als er sich aufmachte, das denen über dem Rhein zu sagen. Es wurden Feste in München, Heidelberg, Berlin, Darmstadt und in den Bergen gefeiert.

 

Man war dort sehr erfreut, denn die jungen Dichter fühlten den Atem der gleichen Absicht, das humanitäre, straffe, helfen wollende und leidenschaftlich angreifende aus der Luft. Zurück wich mehr gegen den Rand das Allzuviele, in dem ihre Straße nur als blankster Keil lag. Es kam Verwandteres und Geliebteres als das, was Volksgenossen immer noch den Kriegsinstinkten, den Hetzereien, der bösartiger Dummheit und den einfältigen Lastern gaben, und wo schlechte Handwerker an großen Aufgaben turnten. Epigonen des alten Schrifttums herum schlugen die Leier als Elegiker ihres Verkanntseins und hatten endlich als Fürsten Herrn Paul Ernst sich erwählt. Geschwänzte Knaben ritten Foxtrott auf den Sätteln, unter denen Gäule fehlten, aber sie übertönten den Galopp mit Geschrei. So brandet es rechts und links und von allen Höhen heran, man hält die Mitte und schaut nicht um, aber man saugt es gern auf, stürzt der Horizont herunter mit fremden Freunden. Ich sage es gern.

Denn natürlich steht mir Anatole France näher wie Hermann Stehr. Und René Arcos und Martinet, Goldring, Barbusse, Duhamel, Jules Romain, Dymow näher wie Herr Presber, Herr von Zobeltitz, Frau Dill, Frau Gabriele Reuter, Frau Boy-Ed, wie dieser oder jener Literaturschieber Cohn oder Kahn. Natürlich ist es wichtiger, das nackte Herz der Fremden eigenem Volk angenehm zu zeigen als Quatsch und Bockkohl eigener Volksproduktion immer wieder am Weg zu sehn.

Aber es muß einen Sinn haben, wie der Austausch sich untereinander verbindet.

Einmal müssen endlich die Zollwächter der Verantwortung an den Rhein- und Elbbrücken stehen und auf den Bodenseemonitoren, auf den Ost- und Nordseetorpedos sitzen, damit nur das bei uns einfällt, was als gute Sternschleuder bis auf den Boden zischt und die Völker einander kenntlich macht: so sind diese, das sind jene . . . und daß die Idee, mit Blei und Kugel einmal gegen diese an einem unsinnigen Tag heran zu ziehen, verzischt und verknallt. Aber natürlich darf nichts in jener Tendenz nahen wie die unsterblichen Dokumente der Dummheit, in denen Heerführer und Gesandte anderen Völkern ihre Barbarei bewiesen, indem sie den prunkvollen Glanz deutscher Demut und Kraft ihnen anpriesen wie Wurst und Präservativs. Die Vorsehung wollte es, daß man den gegenteiligen Zweck erreichte. Auch hat man gelacht. Man braucht den Deutschen nur zu zeigen, daß auch die Anderen Menschen und nicht Mörder sind. Haben sie das kapiert, wird ihnen auch die Folgerung aufgehn. Man braucht nur zu sieben, daß nicht der französische Schlamm hereinbricht, sondern daß die Bücher Laternae Magicae der Qualität als Dichtung und der menschlichen Gedanken als Inhalt sind. Das genügt. Aber man muß sie deutlich und mit nicht nachlaßbarem Nachdruck zeigen. Sonst halten sie es für einen Film.

Immer war Deutschland schon der Kulturbottich und das mitteleuropäische Bassin, in dem die fremden Fischsorten schwammen, Delphine und Krabben, Schildkröten und Heringe. Auch Miesmuscheln und Sand. Haifische und Hechte waren selten geworden, eher noch fette Schollen. Aber sie waren immerhin von Zeit zu Zeiten da. Man war urban, um es mit Gerechtigkeit zu sagen. Man gab den Refugiés des Geistes immer Asyl, aber die mittlere speckige Ware kochte ebenfalls durch alle Kessel. Jedoch auch die Genies der kleinen Völker wurden gemünzt. Heut noch degoutieren die Schweden den August Strindberg, heut noch führt ihr repräsentativer Dichter Per Halström (den sein konservatives Herz nur schlafen ließ, wenn die Deutschen am Tage ein Tausend Gefangener machten . . . so waren unsere Freunde) Krieg gegen ihn und den famosen Inselbewohner Hamsun, während das von Millionen beschossene und berannte Deutschland seine späten Stücke zuerst spielte, seinen Namen wie den eines Halbgotts feierte. Den Norweger Hamsun nahmen sie auf, zogen sie aus seinen paar hunderttausend Landsleuten, kiepten ihn auf die Schleuder und zeigten auf dem Donnerschlag des Paukenfells zwischen Alpen und Holstein, daß hier ein Genie lebe, von dem die Franzosen zwei Jahre nach dem Rückzug der Deutschen aus Pikardie und Belgien kaum den Namen und nicht eine einzige Übersetzung kannten. Sie verdarben sich, indem sie Herrn Ibsen zehn Jahre lang ausschließlich spielten, die Schauspielerschaft einer ganzen Generation mit Nervengeflüster und bemerkten gar nicht, daß sie darüber ihren bedeutendsten Dramatiker der letzten fünfzig Jahre, Frank Wedekind, gänzlich vergaßen. Sie haben die Dänen Jensen, Jürgensen, Jacobsen, Madelung, Aage von Kohl, die Schweden Gejerstam, Lagerlöf, Heidenstam weit über ihr Verdienst hinaus, aber auch dreißig hinter diesen her, in die Mitte gezettelt. Sie grinsten in allen Pressenotizen hinter d’Annunzios Abenteuern, Bangs Lastern, Wildes Extravaganzen, Björnsons Späßen schamlos her. Sie haben sich weit ausgebreitet, waren wirklich aufnehmend, geschmacklos in der Gastlichkeit nach allen Seiten wie das Haus eines Parvenüs (das sie auch hatten). Doch erstaunlicherweise, sogar im Kriegsgeifer zeigten sie etwas Genie, serbische Gedichte kamen, Russen und immer mehr Franzosen von Repräsentation erschienen und ihre Geister schwebten ruhig im Kanonenlärm. Zwar hatten der dramatischen Industrie Beflissene unter der strategischen Leitung der Presber und Fulda verlangt, bei Kriegsausbruch schon, den Fremden die Freiheit deutscher Bühnen zu sperren. Doch werden auch in den kaufmännischen Branchen Wucher und Unfairheit mittlerer Häuser keineswegs der ganzen Zunft als belastend ausgelegt. Auch waren die besten Dichter im Dienst des Übertragens. Schon begann im übelsten Lärm der Zeitgenossen die Solidarität der Künstler und geistigen Führer. Die ersten Stufen stiegen sie und proklamierten den Weg, den im Dienste des menschlichen Gedankens sie so bald nicht aufhören werden zu gehen: den zur Macht.

Sie haben einen langen Chausseestaub an sich bis zu diesem Punkt. Der häßliche kleine Homosexuale Sokrates hat sie noch bespieen, selbst Plato sie zu einfältigen Ingenieuren der Idee verwiesen. Das Pamphlet auf sie zu schreiben, blieb Plutarch, der zur öffentlichen Verachtung aufrief, aber Lukian, dem wohl gefiel, was sie schufen und der die Tragweite der heiligen Form begriff, war hinter den Verfertigern noch her als Tagedieben, Apachen und Fronsäuen. Auf den Märkten wandernd führte sie Dio Chrysostomos ans göttliche Licht, Plotin zeigte, ihre Schwängerung sei vom Geist, und Dürer machte sie deutlich, offen die Brust und diese ganz voller Figur. Alberti und der schöne Lionardo hoben sie in die geistige Sphäre ohne Makel hinein, und, im Quattrocento setzte sie der Facius genau neben die Päpste und Kaiser und Fürsten. Aber die Dämonie erst, mit der Michelangelo den Menschen die Überlegenheit seines Lebenssaftes unerhört bewies, stieß den Stand an die Linie des Sichtbaren heran zu Bedeutung und Einfluß. Bürgerliche Epochen haben das manchmal wieder verwischt, aber sie wagten es nie, wie im Mittelalter den Künstler und geistigen Menschen in den Abhub zu stoßen. Man hielt sie für gefährlich, vielleicht für Revolutionäre und Schweine, aber nicht für Schmutzsäcke und Sklaven. Sie waren Herren geworden, Marquis, Kavaliere, Gentlemen. „Ich verlange, daß Sie keine Kleinigkeiten von mir erwarten“ sagte hochfahrend ein italienischer Sculptore der adligen Hofwolke, als ihn der größte französische König empfing. Dort gings um Ruhm noch. Die Richtung ist abgebogen. Es geht um der Menschen und der Gerechtigkeit willen, um den Staat und die Macht. Die Geistigen schließen sich zusammen, werden ein Faktor. An einem Tage der Weltgeschichte werden die Schacherer der staatlichen Maschinerie, die Horde der Minister, Gesandten, Beamten unter die Kontrolle anderer Führer endlich gekommen sein.

Aber man muß die Einzelnen lernen, Sinn aus europäischen Einflüssen zu ziehen. Lobe ich die entgegenkommende Tornüre der Teutonen, gebe ich lang noch keinen Preis. Sie taten es aus einer angeborenen Tugend oder Neugier, vielleicht aus Haltlosigkeit allein, keineswegs aus Verstand oder Moralität. Man weiß wohl, Mischung sei gut und tut es bei Dünger, Tabak und Weinen. In England nimmt man zur Aussat durchgängig ausländisches Getreide. Die Bardrinks sind internationalste Koloristik. Kinder aus zweierlei Volk sind schöner, ja, der Verfasser des alten Buches über „Zeichen und Wert des verletzten und unverletzten jungfräulichen Zustands“ ist der Ansicht, die Häßlichkeit der Juden und Neger stamme lediglich von ihrer Abscheu sich stramm zu vermischen. Auch sind die Kinder südlicher Serails, wo Frauenelite aller Stämme in schönen Ställen stutet, von bester Form. Doch setzt dies alles voraus, daß Wille und Sehnsucht da ist zur anderen Vereinigung. Die Deutschen haben aber ohne Sinn und meskin und roh gelesen und getauscht.

Sie waren sehr verblüfft, daß Maeterlinck über seine großen deutschen Auflagen nicht vergaß, daß der Preuße ihm sein belgisches Haus zerstörte und daß Verhaeren, dem Deutschland mehr als Frankreich Bett und Heimat war, Flüche sprach, als Belgien überflutet wurde. Der deutsche Mensch hatte geglaubt, Dank erwarten zu müssen. Er hatte alle Seelen umsonst studiert, alle Bücher ohne Sinn gelesen, großen Aufwand aus den Fenstern geschmissen in den Hof und den Mist. Sie hatten nicht gelernt, aus der Luft der Freiheit in Tolstoi und Balzac die Lehre zu ziehen, sich selbst zu regieren, und seine Regierer rannten wie arme und stolze Wölfe gegen die ganze Welt, die ihnen so fremd war wie der Geist. Es half dem guten deutschen Teufel den Dreck, daß in seinem Kulturbottich die halbe europäische Literatur bis zu den kleinsten Schreibsardinen saß, als die Generalität in Belgien hauste. Und daß wir an Dichtern und guten, nur seither machtlosen Herren nicht ärmer sind als andere, unterstützte uns nicht die Spur, da draußen in der Breite der Masse man sie nicht kannte. Man setze dies den gallischen Freunden aufs Genick und schreibe es in die Minusspalte. Nur solche, die selbst nichts Gelingendes verstehen, sind drüben bei der Vermittlung tätig. Kleine Literaten und schiefe Journalisten übertragen. Man kann ein hochsteigendes Buch den Stallknechten zum Reiten nicht geben. Deutsche schlupften gern in das Trikot jedes Boulevardschmarrn. Doch zur Zeit des direktesten größten Einflusses unsrer Dichtung auf die romanische, als Musset, Hugo, Gautier vom Saft deutschen Genies überlebten und neben Byron in Hoffmann sich verzückten, gab es nur einfältige Verstümmelungen, nichts an Rhythmus und Klarheit ähnlich aufgetürmtes. Während die Staël von Deutschland schwärmte, empfahl Mathieu de Mirampal, da er dies Land für eines der Eisberge hielt, zum Zurückdrängen der Geschlechtsreife die französische Jugend in das kalte Klima zu senden. Selbst der zarte und süßeste Dichter des Rolla kannte kein Wort in Deutsch. Nun aber wird getan und nicht geschwatzt. Es geht nicht um Utopie, sondern um Aktion. Schon sind bereite und tapfere Hände da, das Blau des Vergessens und der Besserung auf die Wunden zu legen, mit denen man den ärmsten vom Krieg zerstörten Tieren, den Pferden, die geschlagenen Fesseln und Beine bedeckte. Steht Mensch zu gleichgeartetem Mensch erst einmal freundlich im Bund, ist das beste Geschütz gebaut gegen Kriegsgeheul, Revanche, Kastengeknurr. Man könnte ein neues Zeitalter einläuten, wollte man nicht mit der Skepsis, die aller Tapferkeit gesundester Bankert ist, die Resultate erst abwarten. Doch sind die Straßen voll von einigen Zügen Entschlossener, den Griff zu versuchen, der ihnen Mitbestimmung an den Leitungen der Völkergeschicke gäbe. Es ist dafür reichlich an der Zeit geworden.

Währenddem hat d’Annunzio mit Freischaren sich nach Norden begeben. Die Versailler Cäsaren haben in ihrem kompromißlichen Herzen eine Torte Europas zurechtgeschnitten, die zwar die Kandierung eines ersten Völkerbundes versüßte, aber in ihrer wilden Annexionsgier den stolzen südlichen Romanen nicht genügte. Ein Dichter hat Divisionen gegen den Völkerbund geführt und hat kein Unglück damit gehabt. Man hat ihn im pazifistischen Europa ein Konjunkturferkel genannt. Die Pariser haben unter der Führung Barbusses, der mit seinem „Feuer“ den Krieg allen Menschen bloß und grausam in nackter Verviehtheit vor die Pupillen warf, dagegen protestiert. Augenfällig: hier scheidet sich alte und neue Welt.

Man muß gerecht sein. Die Nebbiche sollen einen Dichter nicht verheulen. D’Annunzio wird die Segel gerefft bekommen, die er auf dem Nationalismus aufgezogen hat. Das ist die Zeit, die solche Kühnheiten als eitel und verbraucht bei Seite legt. Als Dichter ist d’Annunzio stärker als Barbusse. Doch dessen ethisches und großes Pathos füllt die Welt wie seinerzeit nur der Engländer Richardson. Die Wikingerei d’Annunzios ist eine Farce. Der Sturzhelm des Fliegers tanzt ein wenig wie auf der neapolitanischen Maskerade, allein wenn er dem Geist abtrünnig geworden, so ist er doch von ihm gestreift und auch nach dem Sturz noch Ritter. Der letzte Knauf ist in ihm von jener Pyramide, mit der die Romanen seit Jahrhunderten selbst den Ruhm dem Staate zuführten und die große Entdeckung und die Beute des Geistes immer nur so sahen, als seien sie lediglich da, bedeutenderen Glanz um das Gefüge ihres Volkes zu legen. Manchmal kam d’Annunzio in seiner Verehrung des Heldentums so weit, daß er wie der Verfasser des Speculum historicum glaubte und wie die Kathedralen französischer Brudererde es lehrten, seit der Ankunft des Christus habe außer Bekennern, Doktoren und Märtyrern die Welt keine großen Männer mehr gehabt, und er wies den Eroberern, Siegern, Kaisern und Königen den geringsten, aber für Hirten, Äbte, Mönche und Bettler den erhabensten Platz an. Doch aus dieser Gabelung treibt ihn rasch in die andere das, was an Glanz und Bedeutung der Jahrhundertsaft in ihm vorangezeigt am Heldentum der Tollkühnen, der Strategen, der Volksführer. Wie von Cicero bis zu dem Mittelalter und den Tempelrundungen alles Italienische ihn durchdringt, so stehen alle Glänzenden auf in der Historie der Schlachten und Niederlagen und geben ihm die Entscheidung. Er wird Instrument mehr als freier Wille. In ihm erfüllt sich eine Epoche und sein Zug wird symbolisch als Abgrenzung der Linie. Da endet irgendwie eine Welt, die vielleicht aufsteht einmal wieder in diesem und jenem Jahrhundert, die aber den Fangspieß im Hals hat, weil zum ersten Mal sich groß und mit aller Bedeutung der Erstmaligkeit eine neue erhoben hat. Meisterlich und sehr verehrt als Dichter hüllt d’Annunzio Schweigen. Um Barbusse steht irgendwie schon die Weisheit.

 

Empfange ich Neunzehnhundertzwanzig am vierundzwanzigsten Januar, bereit, in die Schweiz zu fahren, einen Ausländer, der den Hut abnimmt, hinsitzt und ernsten Auges fragt: „was habt Ihr getan, wo steht Ihr, ich will nicht Auskunft, eher Rechenschaft“, es wäre schwer, ihn zum Tee zu bitten in solcher Eile. Sind Sie ein Spanier, sagte ich wohl, kennen Sie das Spottbild, wo jedem ein anderer Spruch aus dem Hals speit, Volk König, König Minister, Klerus Arbeiter bestiehlt und alle der Teufel einsackt. Nicht sehr viel anders die Mischung. Über die Grenze können Sie aber noch schärfer sehen und Wichtiges an der Farbe und vertrauten Bewegung im Zentrum erblicken. Wären Sie Deutscher, wäre Ihnen die Orientierung ganz versaut. In Italien lassen sie die Manegen hügelaufwärts legen, daß die Gäule klettern lernen und die Passanten die Muskelarbeit und die Schrittunterschiede glatt unterscheiden. Die Deutschen treiben ihre Pferde ins Wasser, daß sie, statt zu reiten, fast ersaufen, und Publikus nur die Nasen sieht und dem größeren Schnauber die Sympathie zuwedelt. Wohl wäre es angenehmer und eine Erlösung unter sich, europäisch zu sein. Aber es ist wichtiger, aus Unterschriftstellern, Ahnungslosigkeit und Niedertracht der eigenen Volksschreiberei ein gangbares Niveau herzustellen. Die Sehnsüchtigen nach Klarheit und Übersicht wagen sich nicht auf die trügerische Ebene ohne Pfadkenntnis. Anders kommen wir aber nie zu Stil, Ausbreitung des Gefühls fürs Wichtige. Da liegt aber der einzige Quellpunkt, Deutschland unter einem Kulturdruck von annehmbaren Graden allgemein und überall zu setzen. Mir, der ich nicht um Geldes willen mich damit beschäftige, neben der dichterischen eigenen Betätigung mich mit der Bücherwelle auseinanderzusetzen, und nicht schreibe und rede, um Feinde zu treffen, Menschen zu gefallen, Weiber zu haben, es auch nicht nötig habe, an irgendwie für mächtig Gehaltene mich anzufreunden, da ich selbst mächtig bin . . . sondern dies mache, weil ich glaube, damit einer Sache zu dienen, die ich vielleicht schlecht mache, aber im besten Glauben tue, sie tun zu müssen, weil ich keine zwei sehe, die es hinreichend heut verstünden: mir scheint, um Prinzipielles endlich zu sagen, die Form falsch, dumm und sinnlos, wie heut die Masse über Geschriebenes orientiert wird. Das macht den Knäuel noch undurchsichtiger. Erfolg kann nur erzielt werden durch Bearbeitung von langer Hand und bedeutender, immer gleicher Richtung. Das ist das mindeste, was unter heutigen demokratischen Regierungsformen erwartet werden kann. Dauerndes Beisammensein mit ausgewählten Dingen kultiviert bis zu den Graden, zu denen überhaupt auf diese Weise zu gelangen ist, und das ist schon eine gute Portion. Der Herzog von Modena, der anfangs ein Schaf schien, pflegte in seiner Galerie sich rasieren zu lassen, und da Correggios, Raffaels, Tizians ihn umgaben, wurde ein genauer Kenner der Bildkunst aus ihm. Selbst Halbblinde sollen auf Inseln und Prärien, weil sie leben mußten, ausgezeichnete Schützen und Jäger geworden sein. Aber natürlich war eine Vorsehung da, die sie in Zusammenhang brachte mit Wild und Objekt. In Deutschland ist der Schicksalsführer in der Regel ein Dummling, seine Rolle, höflich gesagt, eine Drôlerie. Statt daß die schöpferischsten Kräfte, wie bei allen Führer- und Gesellschaftsschichten, sich mühten, stolz alles nur halb Genügende auszuscheiden und selbst Richter zu sein ihres Gebiets, lassen sie Halunken und Reporter die letzten Urteile fällen. Der Tanz dieser Dioskuren ist einer der blamabelsten Versager unserer geistigen Einrichtung. Daß die Unfähigsten die Richter über die Fähigen werden, hat kein Negerstamm erlaubt. Ihnen fehlt natürlich in der Mehrzahl die Bildung, die Souveränität, die Schreibkunst und die Übersicht. Liebliche Naturen geben Inhalte wieder, intelligentere machen Synthesen. In Caféhäusern ist das Kitzel einiger Literaten. Im übrigen Humbug und Schwindel. Denn die Herrn Stein und Damen Ellenbach und Kuntze, die belehrt sein wollen, denen ist das eine Hieroglyphe, ein Zéro. Die sind aber die einzigen Zielscheiben, nach denen gerichtet werden muß. Das einzelne Buch ist völlig schnuppe. Wirkung vollzieht sich nur, wenn von einem weitsichtigen Feldherrn methodisch und nach Gesichtspunkten der Schlachtplan gegen Barbarei und Dummheit vorgetrieben wird. Es handelt sich um die Abgrenzungen, das Ausscheiden, das Herausschälen der Kerne. Daß die Leute endlich Witterung bekommen, schon riechen, wo Geschmack und Dichte sitzen. Daß er unbedingt weiß „Aha“. Daß er spürt, worum es geht und welche Wichtigkeit es hat in der Gesamtoperation, geht ein Sturmtrupp genial vor oder versagt einer mit aufgebogenen Schnurrbartspitzen. Ist ein ganzer Durchbruch gelungen, ist das all nicht mehr nötig. Aber ich fürchte, es wird erst direkt vor dem Einlaufen ins Paradies sein, zu dem die Erdfahrt ja wieder geht, womit der Kurs erledigt sein wird und Ewigkeitsengel wohl die Lichter löschen und abblasen. Weiter kann man nicht denken. Aber um diese Form der Kritik zu erreichen, bedürfte man Kerle. Die Menschen, die eben in allen Entscheidungen zu geringes Maß haben, fehlen auch hier. Denn in einem Lande, wo die bestwollenden Gazetten auf einer Seite wöchentlich in einer Beilage zwanzig Männlein über zwanzig Bücher reden lassen (wobei ihr Niveau noch toller ist wie ihre Voraussetzung und die Verschiedenart des beschwatzten Materials), in einem Lande, wo knapp drei Buchkritiker erheblichen Verständnisses vorhanden sind, gibt es infolgedessen sehr bizarre Resultate und Schiebung über Schweinerei. Der deutsche und kluge Dichter scheut aus Eitelkeit die Konsequenzen mutigen In-die-Bresche-Springens. Es ist keine Kleinigkeit, sich mit den mittleren Gemeinen einzulassen, überschaut man sie nicht und wirft hin und wieder einen wie die Fischer zweimal aufs Maul. Leider haben aber, wie Livingstone des öfteren bemerkte, die Löwen stets dem Nashorn gegenüber das bessere Teil der Tapferkeit erwählt.

In das Gelände, wo winterlich jetzt die deutsche Schreiberei sich ergeht, ist zwischen viel zerstreutes Publikum endlich eine glatte und feurige Bobbahn gelegt. Sie ist der Mittelpunkt und das fiebernde Herz, wo die Jugend rattert zwischen Signalen, Pfeifen, Starts und irgendwo fern hinter Kurven hängenden Zielen. Die Sonne, scheint es, ist inbrünstig in das Stahlband verliebt. Die Expressionisten haben sie auch in höheren Gesängen gehuldigt. Die wesentlichen Bobs sind die gleichen wie vor drei Jahren. Die alten Farben tuten gut vorbei. Man bemerkt neu Herrn Krell, der fast einzig den Ehrgeiz zum großen Roman mit bedeutenden Massen fährt, in den Kurven nicht ganz sicher noch ist, aber das meiste übrige etwas schlank, aber mit eisernster Übung überrundet. In der Nähe der Prager ist Oskar Baum in einer zarten Übersinnlichkeit noch ein wenig verwoben. Klabund hat Larven vor das Gesicht der Barmädels getan, mit denen er fährt. Sehr verbissen und berlinisch hat Essig gekurvt, haarscharf abgemessen. Sein Bob ist siebensitzig, großes Format und heißt Taifun. Er hat den besten satirischen Roman seit Jahrzehnt, da er ihn an der Ewigkeitsschleife tatsächlich ins Dichterische und nicht, wie die Besatzung des Mann-Schlittens, ins Zeitpolitische hinauftreibt. Auch Alfred Wolfenstein hat sich für einige Stunden mit starrer und liebender Sorgfalt zu den Prosaikern gesellt, es sehnt ihn schon wieder zu der kubischen Schöne seiner Verse. Paul Zech in robustem Hörnerschlitten mit Schmiedeglocke, Maurus Fontana mit italienischem Geleut und Jugendlichkeit sind passiert. Die Fürstin Mechtild Lichnowsky hat rosagepflegte Kufen und geigt mit fast strindbergscher lautloser Musik das Eis. Robert Müller ist sehr sportlich, fährt auf dem Bauch, kopfvoran, man hofft, daß ihm nichts zustößt. Es ist nicht ganz einfach, sich auf das Hirn zu verlassen, selbst wenn es apfelsinenfrisch ist, fruchtsaftig und voll geistigem Schneid. An der Ewigkeitskurve soll er hurra gerufen haben, doch war es gewiß nicht militaristisch gemeint. Als Herr Wilhelm Lehmann erschien, dachten manche wegen der phallischen Form seines Vehikels Dionysos käme und riefen Evoë, daß die Fahnen wackelten, in der Nähe hatte der Bob aber Butzenscheiben und Kautzornamente, da schwiegen einige wieder. Aber es blieb trotz barocker Verknorzung der Stützhölzer eine fast erotomanisch flagellierte und kräftig schöne Luft. Schon warf es an der Ewigkeitskurve einen um, der mit einer Menagerie scheinbar beladen und Musikgebumm angefahren war Er schien die böse Nachläuferschaft zu symbolisieren, denn als er aufgeschmissen war, entstieg dem Schnee nur ein Pierrot, so daß viele lachten, die ihn für einen kanibalischen Dresseur gehalten. Es war Herr Curt Corrinth. Er suchte aus Scham, indem er einen Affen kopierte, seine Primitivität und Stärke zu beweisen, auch hatte er ein Paar Hosen von Sternheim an und athletische Runen in ein Gesicht geschminkt, das wie das des armen Beardsley aussah. Die Massary, die das scharmanteste Lächeln in Deutschland hat und die vorüberkam, gab ihm Fondants, als er von der Erlösung der Welt durch Umarmung sprach, sah auf ihre Snow-Boots und empfahl ihm, den Amerikaner Edward Bellamy zu lesen. Zuletzt kam als Jüngster der dämonische Bürgerschreck Westdeutschlands, Herr Mierendorff-Vielgeschrey gefahren. Er hatte unter anderem Wilhelm Michel als Passagier, während er selbst am Steuerrad murkste. Sein weiser Mitsitzer war nicht gestört durch das Tempo, es gefiel ihm, aber er dachte wohl an etwas anderes, wahrscheinlich, daß später einmal eine neue Jugend Hölderlin, über den er das Tiefste gesagt hatte, als Führer und Leitstern nehmen werde. Er fühlte sich zwar wohl in seinem augenblicklichen Zustand, doch jener Gedanke erwärmte ihn wie ein Allasch. Weiter unten hatten sie ein Kruzifix angefahren, errichtet Gustav Sack, den sie im Krieg erschossen hatten. Die Lektoren bedeutender Verlagshäuser hatten ihn zu Lebzeiten abgelehnt, sein Horoskop stand nicht auf geschäftlichem Erfolg. Die Lektoren waren der Ansicht gewesen, für Menschenliebe und Förderung seien die auf Humanität abgestempelten Lyriker der Verlage da. Nach seinem tragischen Weggang werden hohe Auflagen und Ruhme mit ihm erzielt. Guido Reni hatte, als ihm billige Bilder entlockt und wo anders auf dem Markt hochgepumpt wurden, eine Taxe festgesetzt: Köpfe fünfzig, Halbfigur hundert, Ganzfigur zweihundert Taler. Degas hat weise im gleichen Fall die Achseln gezuckt. Renoir hat hereingemausert, was er konnte. Sie hatten allerdings Chance und Zeit dazu, da sie weiterlebten. Sack, wie dem anderen Ekstatiker Van Gogh, schoß die Vorsehung Bleiernes ins Gekröse. Ein wirrer Kopf, Herr Sack, aber strammste Potenz, bezeichnend für alle Zerrissenheiten der Zeit, Mischung von Barbarei und Genie. Er hatte nicht Volkshumus, um anzusetzen und Wurzeln zu schlagen, so gab das Ganze ein unerlöstes Monstrum, aber in einigen Partien ist dieser Mann ein Feldherr gewesen. Tausend Möglichkeiten starren aus seinem Kadaver, aber die Seele ist weg. Hier vorbei geht immer wieder die scharfe Fahrt, die die neue Generation gelegt hat. Kommen aber die hohen und großen Signale, zum Zeichen, man habe von Herrn Schickele bis Däubler und Sternheim und Heinrich Mann den Start betreten, werden die Fahrer wieder zu Zuschauern und sehen die größeren Bobs flitzen.

Auf einer Berghalde üben manche schöne Schwünge, ihnen kommts auf Kraft und Zeitfanfare nicht an, sie wollen die gutgebogne Wade sehn, die schmelzende Bewegung. Es genügt nicht, um auf Skiern Touren zu fahren, aber ihnen ist genug. Die um George waren die einzigen, die von Baudelaire und ein wenig von Verlaine herkommend seinerzeit dem Naturalismus ein Retraite zubliesen, ihre Tat in der Lyrik ist unbedenklich epochal gewesen. Aber Prosa war ihnen nur ein dekorativer Schmarrn, Erzählches und minderes Handwerk. Georges Prosa selbst sogar ist schwach ästhetisierend, die des Schöpferischsten Gundolfs, erhebt sich bei aller Schärfe nicht über brokatene Würde. Was die hornbebrillten Jünger in Sandalen und Schillerhemd züchtig und voll Hochmut schufen, ist trocken berechneter Geist. Nur den österreichischen Hofmannsthal umgaukelte Sinnliches. Doch ging er lieber zu Pantomime und Ballett, und gibt er dichterische Handlung in Prosa, bei Gott, es wird keine Almeh, die ihre Abenteuer aus dem Blut heraus mit perlumwickelten Brustspitzen in roten weiten Hosen mit grüner Bauchschleife tanzt, es wird erlauchtes Ballett. Es kommen effektiv die Seelenvorgänge nicht aus dem Herzen, sondern aus der Pose, mit der die Tänzerinnen es ohne Wort hervorcharchieren würden. Sehr graziös und angenehm, aber etwas dünn fährt Herr Hofmannsthal seine Schwünge. Viel gelöster erreicht es Stucken, herzuhalten, er ist auch ins wurzlichere Terrain mit den Ameisen-Hügeln gestiegen. Früher schrieb man an seinem Tisch gern germanisch-mystische Dramen mit Binnenreimen. Jetzt aber hat man zehn Jahre die Kultur der Azteken durchschaufelt und eine Trilogie geschrieben, die auf der Linie der Paul et Virginie und der Salambo liegt und Deutschland ein bedeutsames Werk hinterließ. „Die weißen Götter“ sind mit guter Form von ihm überwunden worden, als er der Form nicht mehr bedurfte und also auch in ihr nicht wie ein Kaninchen im Netze hängen blieb. Da ist auch Kahane, schon halb drüben bei den Keller-Leuten, aber doch mit der Liebe neuromantisch orientiert. Er lächelt manchmal ein pastellsanftes, verzückt jünglingshaftes Lächeln. Hinter ihnen, die sich gut abzeichnen im Schnee, ist die neuromantische Sphinx in Kontemplation versunken.

Was man an Weibern sieht, da und dort, ist nicht sehr appetissant. Ein Papst meinte schon, es sei unkeusch, wenn sie Männerakte zeichneten, sie möchten großen Vorbildern nacheifern. Er hatte als Klerk den guten Geruch, daß er sie von eigenen Wegen verwies, sie tappen sofort in Männerspuren und werden beispiellos peinlich, verfallen sie in deren Seelenjargon. Sirach, Eurypides und der Kompilator des kessen Buches: ob Weyber Menschen seyn . . . haben es drastischer herausgedrückt. Sie können dem fast alle nicht ausweichen, selbst da, wo sie wie Frau von Winternitz mit einer schönen Seele, den Formen Manns und Wassermanns klug folgen. Doch gibt es ohne Zweifel Menschen, die auf menschlichen Gehalt gierig aus sind, und denen wie bei Kahane die überall entblößte dichterische Figur in ihrer menschlichen Nähe wärmer, bequemer und zärter ist als alle Erschütterungen der Welt. Sie mögen es haben, auch diese Sache hat ihr Recht. Auf der nach klassischer Vergangenheit hingewandten Seite läßt sich eine Führerschaft der Frau Huch nicht leugnen. In der Nähe der Neuen steht mit sehr farbigem koketten Sweater die silberblonde aparte Frau Godwin. Sie fällt gewiß nie in maskuline Allüre. Ist in ihr alles Kätzchenhafte gesammelt bis an den Punkt, wo das Weibliche ins Häschenhafte übergeht, so muß niemand zweifeln, daß weniger mondän aber international und mit Duft nach Königshäusern, Jesuiten und Parfüms die Weiblichkeit der Annette Kolb schließlich alle überkreist. Es ist wohl nie ein weiblicheres Buch auf so hoher Ebene und so überlegen geschrieben worden wie ihr „Exemplar“, und selten hat eine Frau so gekämpft wie sie. Frau Lasker-Schüler soll auf einem sagenhaften Almfeld fahren. Sie ist ganz über allen, zeitlos und eigene Klasse. Einige hörten, daß es ein Versehen sei, und daß sie keine Zacke dieses Gestirns sondern den Walfisch und den kleinen Hund und nur manchmal den Äquatorbogen befahre.

Am kleinen Sprunghügel haben sich die Wiener gesammelt, sie haben die breitest geschnittenen Breeches, schwarzweiß gewürfelte Sweater und öfter ixige Beine. Man macht in dem Kostüm keine Gletscherfahrt, aber elegantestes Handwerk, nicht ohne Kühnheit. Den Boden zu verlassen und zurückzugleiten auf seinen Rücken, ist nicht nur mutige Tugend, sondern Eifer und Leidenschaft. Irgendwo ist in der Nähe Kultur. Mit Dichtung hat es nicht viel zu tun. Gepflegtsein ist noch nicht Tiefe, brave Eleganz noch nicht Geist. Doch sie veredeln das Handwerk, in den Bau kommt Erfreuliches. Unterhaltungsliteratur als Bedürfnis wegleugnen zu wollen, ist Sache des weltfremden Dichters oder der Snobin. Hier wird er auf eine Höhe kultiviert, die ihn den Schleimstreichern, der Courths-Mahler und dem Rudolf Herzog abnimmt, deren unverhüllte Roheit der Krebsschaden ist. So etwas kommt sonst nur noch mit dänischem Einschlag oder aus den Ostprovinzen, wo Fundamente da sind. Statt als armselige Dichterepigonen geranienblasse Gefühle das dritte Mal zu pervertieren, tun diese begabten Talente den Schritt ins Handwerkliche, ohne Ambition der Herzenskonflikte. Herr von Flesch Bruningen schreibt famos Phantastische Bücher, die die Deutschen nicht haben, Herr Soyka geht zu Knipslaterne und Revolver und Dietrich und stellt den einzigen deutschen Kriminalromancier hin. Andere Völker, zumal die Skandinaven, haben das dutzendfach. Sven Elvestad, Frank Heller, Doyle, Renard, Eje, Wells sind Phänomen. Den Deutschen fehlt Selbstvertrauen und Sicherheit dafür, die Huch versuchte es, es mißlang. Sie ist eine Frau. Die Männer klauben in Kaffeehäusern dünnste Lyrik und scheuen die Wirkung mit Sensation wie gesellschaftlichen Affront. Im Grund ist das ein Kodex voll eigentlich zappelndst bürgerlicher Instinkte, mit Freiheitsphrase garniert und einer maßlosen Überschätzung des künstlerischen Berufs überimpft. Große Dichter scheuten keine Arbeit, aber wohl müssen die Geringsten mit schiefer und ohnmächtiger Radikalität ihr mangelndes Vermögen keusch verdecken. Das Feigenblatt der arroganten Würde ist ein verheerendes Ornament für eine humane Zeit. Statt mit Trommel, Erbsenblase und Kolophoniumstreichen tätig zu sein, ist mancher lieber Pasquillant und Togaschwinger. Der Baron von Knigge, der zwar ein moralisierender Junker, nationalistischer Piepmatz köstlicher Geschwätzigkeit, aber ein sehr kluger Mann war (weshalb er für Pressefreiheit schwärmte), hat, indem er zugab, daß der deutsche Roman der elendste sei auf der Erde, in seinem Buch über Schriftstellerey vor hundertdreißig Jahren schon jene Mittellage der Dichtung verlacht, die zu fadenscheinig als Dichter, zu vornehm für Schriftstellerei, drohnenhaft und mit empfindlichsten Nerven die weiten Räume der Literaturgeschwätze bewohne. Er war ein Weltmann und schlug sie zur Verachtung vor. Es ist mehr im Sinn der Menschheit gehandelt (um im dichterischen Argot zu sprechen), wenn das Niveau gebessert wird, als wenn Impotente hinter Großen herwanken. Wir haben nichts davon. Lesen die Menschen statt Tovote an Dichterischem geschulte Unterhaltungsbücher, verbessert sich der Geschmack, der Weltblick, die ganze Struktur. Die hier sich hingeben, sind wahrhaftig im menschlichen Dienst. Sie tun etwas, um mit Feuilles volantes die Gemüter und Seelen furchtbar zu laxieren. Schwäne haben das weißeste Vogelgefieder, aber das schwärzeste unbrauchbare Fleisch, weshalb die klugen Rabbiner sie in die Klasse der Heuchler zählten.

Am Sprunghügel sammeln sich viele Menschen, die Gelenke knacken hübsch, wenn die Kniee beim Aufsprung sich gewandt und sehnig biegen und unerwartete Wendungen durch die Publikumsreihen jagen. Immerhin ist die Gefahr nicht groß, denn der Absprung ist nur sechzig Zentimeter. Die großen Rennen mit den dreißig Meter-Sprüngen werden keineswegs hier ausgefahren.

Es hatten Weidenkätzchen im Schnee schon Goldfahnen aufgesteckt, dahinter erhob sich Bardala-Heilo-Geschrei. Doch sah man es nicht, denn mit Gottfrieds Bild kamen die Keller-Leute in Prozession den Klammweg heraufgetrappelt. Sie waren wenig sportiv, man vernahm nur sächsisch und schwäbisch, später erst wurde deutlich, wie Herr von Bodman eine Ode auf seinen Helm rezitierte. Er fand genügenden Beifall. Sie nahmen Richtung auf die Hütte, wo zur Zither gespielt wird, der Kaffee soll wärmend dort sein, kommt man mit Försterpfeifen und sinnigem Gespräch bei Straßenrock und Gummischuh durch Schnee. Entfernt von ihnen, die am Waldrand heimatliche Lieder sangen, ging Karl Röttger, mit christushafter Milde und wahrer Hingebung im gläubigen Gesicht. Auch der Anstand und die vornehme Haltung des Herrn Kurt Martens war deutlich im Profil. Hinter den Weidentroddeln ward das bärenhafte Gerüpel wieder deutlich, als sie verschwanden, und nun sahen sie den Skandinaven Adolf Paul, der die Tuiskodichtung beschwor, in nationaler Reckengröße in den Jusquauboutismus zu wachsen. Doch Wotans bankrotte Firma zog nicht sehr. Damit der Geist der Kriegsschieberei, die Täglichen Anzeiger und Landeszeitungen in dunkelster Provinzen heftig singen, nicht in den Zeitstrom faulig dringe, malten geschickte Jongleure ihm die Zeichen seiner Tiefe auf die Rüstung, indem sie eine Ziehglocke aus Draht hinzufügten. Doch als ein Eingeborener dies seltsame Watercloset benutzte und zog, ergab es wohl dröhnendes Gelärme des Wassersturzes — aber selbst das Metall, das kupfern geglänzt hatte, erwies sich als Blech und barst.

Man sah in einem Schlitten Herrn Meyer-Gräfe, Herrn Hausenstein, Herrn Westheim, Herrn Wolfradt nahen. Sie waren gut eingehüllt und etwas nervös. Es hatte sie sekiert, daß jemand ihnen, die das Malerische als Domäne hatten, sagte, das Tagebuch des Herrn von Chantelou enthielte bereits seit Jahrhunderten alles Wissenswerte über jede Kunst. Das Pferd, mit Fuchsschwänzen und Schellen geschmückt, hätte fast an Herrn Steffen gestoßen, denn er ging mit verträumtem Auge und sah nur, was in früherer Existenz an diesem Orte vorgegangen und für ihn allein erreichbar in der Luft zurückgeblieben. Er wußte die Prosa mit schlichter Schweizerischkeit, seinem angenehmen Nachbar Hesse darin ähnlich, in eine gläubige Höhe zu bringen, die seiner Muskulatur nicht entsprach. Aber die Innigkeit seines theosophischen Glaubens gab ihm bedeutende Unerbittlichkeit. Nur vergaß er, daß nur Vorbereitete und Eingeweihte die Farbkombinationen einer solchen Lehre verständen und daß er, der verehrungswürdig ist, besser in Predigten rede als in dem Kunstrahmen, der sie erstickt. Er geht sehr allein und gehörte eigentlich der Kellerprozession zu, allein da er künstlerisch nur nebensächlich, als guter Menschenführer aber eigentlich zu betrachten ist, ist wie das meiste suchende Deutsche er nirgendswohin zu stellen. Es laufen einige originelle Menschen ähnlich durch den Schnee. Die Dialektler, aus denen allein ja die Sprache neu heraus wächst, da sie tropisch ist und herrlich unlogisch, haben den Hessen Alfred Bock, der in Dörfern und Mundartschluchten ein saftiges und eigentümliches Mentalitätsgebräu sucht. Auf Hickoryskieren kommt Löns, der deutsche Freund des Kipling, des Jürgensen, der das Kongograuen zeigt, des Fleuron, der die Tierseele aus sich selbst heraus entwickelt (daß Menschen denken, Biester zu sein, statt des umgekehrten beliebten Verfahrens). Er hat ein Gewehr auf dem Buckel. Kleine Sachen, große Sachen. Erdgeruch, ähnlich dem frühen Jensen und Madelung. Ein Landschaftler mit wie die Erde toll und grausamem Gefüge. Wie er ansaust und bremst: erste Klasse, erste Klasse. Man kann am Abend den dritten Outsider bei Bauernweibern hören. Herr Utzarsky macht Späße seiner spanischen Reise. Das wurde der deutschen Prosa nicht mehr zugetraut, daß sie so festen Hintern habe, so derb qualme, so stänke und so saftig sei. O Geist Cervantes, der mit Rabelais sich mischt. Auch die Fabliaux und Squenz und Straparola haben um die Petrolkugel der Gespräche geschwebt. Es zog sie wütend an, wo seit Jahrzehnten sie kein Medium fanden, in das sie stürzen konnten. Nun hocken sie zusammen. Das gebildete Publikum eilt hinweg vor so viel Fleisch und Unanständigkeit. Im Qualm hat es das Aussehen eines Holzschnitts, allein das Bild bewegt sich manchmal, man merkt mit allen Sinnen, wie stark es existiert. In jedem guten Sinn ist hier was deutschbarock geworden. Jedoch ist für engagierte Teutonen die Tafel vor dies Wort gehängt, daß keine neue Fraktion und nichts Politisches damit gemeint sei.

Die Wintergegend ist noch groß. Man kann sie schwer in allen Winkeln übersehen. Hier ist ein Prisma, es ist genug verkreuzt. Nur gibts noch tausend Abseitigkeiten, die Maulwürfe haben die ganze Talkesselung umwühlt und ihre Hügel überall gesetzt. Auch wo von heuschleppenden Pferden Abfall hinkam, haben blau und grün schillernde Käfer in Legionen sich gesammelt. Man soll den Zuschauenden nicht belästigen. Mist ist wie Kokotten und Militarismus auch international von durchaus gleichstem Element. Auch ist, was ich angedeutet, nicht eine Menschenlebensdauer, es ist tatsächlich eine Saison. Doch sind die Zufallsfischzüge die charakteristischsten. Ich bin nicht in Verlegenheit, dem Frager Wichtiges und das gezeigt zu haben, was der Pflug durch die Geistebene bei Seite wirft. Ein Demiurg schuf auch die Würmer und die Engerlinge. In der Mitte des scheinbaren Ödlands aber hat eine Schar die Ehrfurcht vor dem dichterischen Wort ergriffen.

Sind Sie ein Spanier in der Tat, der ausfragt, wo am vierundzwanzigsten Januar Neunzehnhundertzwanzig ich in Eile bin, in die Schweiz zu fahren, sind Sie Afrika näher als ich. Was von ägyptischer Geistigkeit der Jahrtausende blieb, ist nur etwas Form, etwas Kunst. Es ist jedoch eine riesenhafte Sache. Auch hatten sie Niveau. Sie waren nicht für jenen, diesen Außenseiter. Ein einzelner Obelisk war ihnen Blödsinn. Sie machten zweireihige Alleen. Da das Durcheinander so bedeutend ist und so vieles noch nebeneinander wächst, ist nichts nötiger, wie einen guten Durchschnitt zu bilden. Es geht um die Tat, das eigene Terrain ins Europäische langsam heranzuführen, nicht darum, in exklusiven europäischen Schichten in Klubsesseln wohl zu sein. Die Qualitätsfrage nimmt fast das Schema sozialer Strukturen an. Auch ist trotz alles Delabrements die Situation hoffnungsfreudig. Erreichten wir dieses Minimum nicht, wäre es vorzuziehen, gleich Butonesen nicht mehr sich zu waschen und an den Beinen in Bäumen sich zu erhängen. Immer aber schwebte die geflügelte Erde mit der Schlange vor den Tempeltoren. Man ist auf dem Weg scheinbar und besingt sie heftig. In Tirol, mein Herr, sah ich eine Orgel, die so langsam lief, daß der Curé, während er spielte, das Vergangene hörte, das Gegenwärtige nur auf die Taste setzte, aber mit dem Blick schon auf der dritten Ebene, den kommenden Noten, weilte. Er spielte gut und hatte das Augenblickliche fest in der Tastatur der Hand. Aber mit aller Spannung und jeder Wirkungsabsicht hatte auf das Kommende er zärtlich den Blick gerichtet. On est bien à la toilette, quand on attend son amant.

18. An einen Staatsmann oder die Tat

Lieber Herr Staatspräsident, Sie sind alt, temperamentvoll und klug. Sie wissen wie ich: eine Soldatenrevolte, ein verlorener Krieg, das ist noch nicht Revolution. Sie haben in einem kleinen Staat die Macht an sich genommen. Ich heiße sein Bestehen gut, es soll nicht alles Deutsche ins Preußische gefalzt werden, und ehe nicht die Lust zur Einheit aus innerer Kraft zur Einheit kommt, ziehe ich die Reibungskoeffizienten der bunten Landkarte vor. Es ist ja im Grund ohne Bedeutung und nur formal. Das geographisch kleine Maß macht keine Verringerung des Anspruchs. Keine Tat wuchs in der brennenden Stunde auch aus kleinstem Ausmaß, ohne sofort symbolisch zu werden. Ihre Verantwortung, auf die ich Sie festnagle, liegt in Ihrer Erstmaligkeit. Was Sie tun, ist wichtiger als Handlungen derer nach Ihnen. Haufen Dinge warten auf Sie. Sie werden sie tun. Aber es wäre entsetzlich, wenn es die falschen wären, die unwichtigen, die von Hundsfötten und Irren die praktischen genannt werden. Was Sie heut versäumen, holen Sie, holt keiner nach Ihnen ein.

Es ist unwichtig, verbrecherisch und fatale Klugheit, wenn Ihre Umgebung, die Parteifunktionäre, die Sie bearbeiten, Ihnen vorkauen, es sei notwendigstes Gebot, Wahlgesetze zu entwerfen, ein Parlament einzuberufen, mit liberalen Bürgerparteien zu schachern, links und rechts zu lauern, welchen Kurs der November weiterhin nimmt. Es ist lachhaft, zu denken, wie Sie die bourgeoisen Beamten im Zartgefühl schonen, von der Front zurückflutende Truppen schwarz-weiß-rot empfangen, den Soldatenrat langsam kastrieren und die Finanzräte der Kriegsanleiheanimierung das tolle Wort führen lassen. Kunst und Macht der Betriebe schnurren wie Gummi langsam in die zitternden Hände der Bäuche und Provinzheroen zurück. Die Jugend und die Entflammten der Revolution staunen mit erwartungsvollen Augen nach Ihrem Haus. Sie verstehen nicht, daß nun nichts anderes komme als Kartoffelsorgen und die Verfügung gegen Unabhängige und als liberales Geschenk die Aufhebung der Bezugscheine. Man kümmert sich den Buckel darum.

Das ist ein Bluff, ist nichts.

Diese Stunde leuchtet nur einmal im Jahrhundert. Was Sie vor „realen Tatsachen“ heut nicht sehen, geht an Ihnen vorbei in den Abgrund. Es ist das Wertvollste. Später erschlägt es Sie und die Ihren, wenn die anderen das irgendwo umherirrende Tier eingefangen haben und gegen sie geritten.

Greifen Sie der Stunde an die Gurgel, vergewaltigen Sie sie vor Freude unsinnig, sie wird schön zu ihnen herüberkommen. Noch ist Zeit. Verfallen Sie nicht dem Irrtum, daß Sie hier ständen, sei die Folge der schießenden Soldaten, der Hanswurstiade von neulich nachts, der Organisation Ihrer Partei. Ahnungslose. Nur die treibende Kraft nach Freiheit und Gerechtigkeit (wovon Sozialisierung ein geringer kleiner Teil, nicht der obere, wie Sie glauben), das allein feuerte Sie hoch. Nun halten Sie nicht. Es genügt nicht, daß Sie die Macht haben. Festigen Sie sie. Gründen Sie sie, indem sie die Sockel aufstellen, die sie erhalten, legen Sie weiten Blickes die Fundamente zu ihrer schöpferischen Existenz. Denn wenn nicht der Geist, der seither unterdrückt war, nebenan stand und verdammen mußte, wenn der nicht weiterhin hineinspült in Ihr Werk, wird es austrocknen, verdorren, die Häscher werden es zusammenhauen, sobald sie sich von ihrem Choc erholt. Wir brauchen keine Rücksichten aufeinander zu nehmen. Sie sind durch Ihr Alter sehr klug geworden, sehr berechnend, ich fürchte: nicht weise. Sie ironisieren, wenn ich sage, der Geist. Man hat seither in der Politik diesen Zähler nicht gekannt. Mit Schachspiel führen Sie die Menschen nicht in die Seligkeit. Nur mit Bekenntnis und Tapferkeit. Auch das ist Ihnen juvenil. Sie wissen, daß ich meine Ziele sehr weit hinter den Realitäten aufstelle, aber daß ich die Gegenstände, die ich will, enorm ramponiere. Reden wir taktisch.

Jean Baptiste Colbert begann die Aufforstung Frankreichs, da er kein Holz hatte, um zum großen Ruhm des absolutistischen Königreichs, das er schuf, eine Flotte zu kreieren. Der größte Künstler der Welt riet Ludwig dem Vierzehnten, die Porzellanmanufakturen auszubauen, denn nichts trage den Namen des Königs so weit in die anderen Erdstriche. Man tat das Gute aus Instinkt für eine nebensächliche und schlechte Wirkung. Tun Sie es der Sache und der guten Tat selber halber, wie die Franzosen nach ihren Revolutionen sofort den Geist zu sich rissen, damit entflammten, wie Lenin durch von Kandinsky gemalte Kilometerstraßen seine Triumphzüge der größten und bedeutendsten Revolution der Geschichte ziehen ließ. Kuppelten sie früher die schöpferischen und inneren Kräfte des Volks an zackige Kronen, war es meistens Notzucht. Sie aber stehen heut zwischen den Lagern, können ins freiere, immerhin revolutionierte Volk Ströme gleichen Sinnes fallen lassen. Sie brauchen nur den Hebel zu drehen. Dann wird keiner Sie vergessen.

Nichts gibt mehr Überzeugung wie das Existierende. Und heute haben Sie noch die Macht, um die ich Sie grenzenlos beneide, das Schlechte auszuscheiden und aus dem Fließenden das Neue zu gestalten, schöpferisch in der Politik, wie kaum einer unserer größten Ahnen in der Kunst es vermochte. Dies Volk der Sklaven und des ewig untertänigen Verstandes hat zum ersten Mal den Mut gehabt, sich zu befreien. Werfen Sie ihm Notringe, Schwimmgürtel, Rettungsboote hinaus, daß es nicht, erschrocken von der Uferlosigkeit der Freiheit, geschwind und feig und blaß die Küsten wieder erschwimme, wo zwischen Polizisten, Paragraphen und Galgen es den Paradeschritt des untertänigen Hirnes wieder beginne. Den weiten kreißenden Sternblick verträgt nur der innerlich Freie, der immer Melodie in sich spürt und von Musiken gespeist wird, die ihn geschliffen von Kraft gegen das Unendliche anschleudern lassen. Der Wicht, die Nulpe will Ordnung und Essen. Nimmt dafür Stall und Dressur. Es ist ihm lieber, er hätte vier Beine und könnte bellen. Es hätte Bequemlichkeit für sich, und auch der Hund trägt gerne Marken und Orden um den Hals.

Als Sie noch schliefen in einer Nacht, nie glaubten, Sie trieben durch Organisation die Revolution auf, platzte dort schon ein Vers, nahm dort vor Jahren eine Novelle eine Kurve nach oben, kam Erleuchtung und Umsturz in dies Bild, jenes Manifest. An den Ecken des Reichs verbrannten sie den faulen bürgerlichen Zauber. Die Revolte begann schon da. Die Zerstörung hatte eine Schleuse aus der Erde gerissen. Dort begann es mehr als in der Nacht ein paar Jahre später, als Sie im Manifest des Zusammenbruchs Herr wurden der neuen Form. Die geistigen Signalfeuer der Revolution haben in kleinen Zeitschriften und Büchern Jahre hindurch gebrannt, haben sich an den Peripherien geeinigt und sind im Kreis gegen die Mitte zu gejagt. Sie kamen recht, zu sehen, daß sie Gefahr liefen, umsonst gekommen zu sein.

Vermeiden Sie das schmerzlichste, daß die geistigen Führer wieder ausgeschaltet, wieder voll Anklage neben der neuen Macht stehen müßten, wie neben der alten. Schaffen Sie sich Fanfaren ins Herz des Volkes. Lassen Sie die Literatur, die Ihre Macht vorbereitet hat, eingreifen und feuern. Noch haben Sie nur Maschinengewehre, die in Ihren Händen auf die Dauer ein Witz sind. Wie könnten Sie sich halten mit den Waffen, die selbst den Bayernrupprecht, den Ludendorff nicht schützten. Machen Sie das Wort zur Waffe statt den Säbel. Entfernen Sie die alte Kulturspielerei, die Schamlosigkeit der Volksbildungsbestrebungen. Fort mit dem Rummel, der Ahnungslosigkeit, dem Gespiel, Getu, Geschwätz. Sprengen Sie Schulen und Universitäten vor allem in die Luft. Es ist Zeit, daß Sauerstoff in diese Gelb- und Kreuzgasschwaden kommt. Schmeißen Sie die Hebel zurück, die der Intelligenz den Zugang sperren und nur privilegiertem Geldbeutel ihn öffnen.

Vielleicht wird eine neue Rasse des Führertums entstehen statt Querköpfen und Têtes melons, deren akademische Graduierungen das Gespött der fortgeschrittenen Tiere sind. Es kämen die Ideale unserer Zeit in die Brennpunkte der Kulturwirbel und es würden nicht weiterhin (wie früher Schlachtrosse der Helden und gute Muttersäue) die Fahnenschwünge von Achtzehnhundertzwanzig dort in Übung und Gnadenfutter gehalten. Endlich einmal muß doch der Kontakt zwischen der Intelligenz und dem Volk überspringen. Noch fließt er hinter Zement irgendwo vorbei. Ein Skandal, daß nicht am neunten November schon Deutschland unter Geistflut gesetzt wurde. Es hätte noch erfolgreicher den reaktionären Barbaren widerstanden als das ypernsche Gelände, mit dessen Überschwemmung die Belgier unseren Generälen das Tor des Sieges donnernd gegen die Stirne schmissen.

Zwei Lager seh ich allerwege. Ein Volk, das aufbraust und eine Kunst und Ideologie, die zutiefst mit politischen Idealen sich trifft. Ein Wink, und Dichter werden wie in Zeiten großer hellenischer Vergangenheit öffentlich lesen. Auf zur Hebung der Schichten, die im Dunklen schaffen, zur Macht der Weisheit. Machen Sie aus den Theatern eine Säule, auf der Gesinnungshaftes gespielt wird. Haben Sie nicht Museen, Bildungsstätten, Akademien? Nivellieren Sie sie, machen Sie sie wieder auf, damit sie nicht Gebirgswinkel der Reaktion, damit sie lesbare Symbole unserer Zeit sind. In geistigen Dingen noch wichtiger als in formal-politischen ist die Kapitulation des seitherigen Systems. Schon der früheren Regierung war ihre Kunstpolitik diskreditierend. Und Sie schleifen den toten Bären mit.

Einmal, öfter, in Renaissance, Barock, Rom, Byzanz, waren Geist und Päpste und Fürsten Schmelzpunkte von einer Klarheit, daß es uns heute noch blendet und uns Geständnisse unserer Dürftigkeit entpreßt. Heute muß zwischen freiem Volk und Geist die gleiche Annäherung kommen, oder Ihr seid verloren. Hier wird nicht gearbeitet für den Tag, sondern für die Generation. Nieder mit der Kunst der Gesinnungslosigkeit, dem unhumanitären Geplärre der Aufpäppelung der Kitschiers mit der Ruhmesglorie, dem Mangel an Richtung, Profil, Gesicht. Nehmen Sie das, was auf den Straßen Ihnen bereit liegt, riesige Arme zur Ertastung des Volksbluts, der Sicherung des Zustands.

Versichern Sie sich der Jugend vor allem. Halten Sie ihr die Größe der zukünftigen Ideen vor, damit nicht ihr Rausch abgelenkt werde und nationalistische Piraten sie mit den Leuchtfeuern der Kaisermythen und der Schlachtlenker-Legenden in ihre Häfen täuschen. Gehn Sie an die Wurzel, entfernen Sie unbedingt an den Schulen Minderwertiges, Verfaultes, Konträres. Es sollte wie bei den Peripathetikern der Stand des Lehrenden der erste und nicht wie seither bei uns der geschmähteste zu Trommler und Pauker entehrte sein, dessen Verachtung die weltmännisch sich gebärdenden hohen steifen Kragen irgendwelcher Juristen kaum eine Sekunde zu unterdrücken geneigt sind.

Hier wächst Ihnen entweder ein Geschlecht oder der Abgrund.

Entfernen Sie den Schund der Lesebücher, geben Sie ihnen eine andere Kursstellung. Geschichts- und Geographieunterricht nach internationalen Richtungen. Seien Sie unerbittlich aber auch loyal. Lassen Sie die Staatsmaschine einmal Glühendes statt Papier speien. Lassen Sie Staatszeitschriften hinausgehn, jedes Haus erreichen, werben, erklären. Eifern Sie den Katholischen nach, deren Organisation für ein geistiges Ideal ihnen jede Macht gibt und selbst die amerikanischen Trusts weit übersteigt an Disziplin. Machen Sie Riesenbibliotheken für das Volk. Kontrollieren Sie die Öffnungen, aus denen öffentliche Meinung gemacht wird. Legen Sie den Arbeiterzünften Redner zu, die nicht das taube Korn der Partei vormahlen, sondern ihnen „Moulins Rouges“ der neuen Zeit vor die Stirnen stellen. Stellen Sie an hervorragende Posten Männer, die keinen Verdienst haben als in der Idee dem Volke gedient zu haben. Wer im Krieg wagte, dem schneidigen Regime zu widerstehen und es in seinen Büchern und Handlungen zu verklagen, hat mehr Recht auf der Spitze des sichtbaren Kreuzes zu stehen, als einer, den die Maschine der Fraktion oder des Zufalls hinaufgekartet oder gewürfelt hat. Auch wird es gewaltig über die Grenzpfähle wirken, erst gering und klein (wie bei uns auch) aber später wie ein Prairiebrand. Ersticken Sie ihn nicht. Es geht endlich einmal, so sehr ich Zweckliches als Feldgeschrei ablehne, endlich einmal nicht um Artistisches, um Ästhetisches, um Schlagsahne, Samt und Geld, kurz nicht um Literatur, sondern um eine moralische Sache. Es ist ein Widersinn und eine blanke Dummheit, sollten die, welche in der Schwarmlinie einer ganzen Generation nach Gerechtigkeit und sozialen Ideen rufend, vor ihnen her die Revolution gefordert, nicht auch Träger der Idee nach innen hinein werden. Es wäre der erhabenste Stumpfsinn.

Denn bald würden Sie einer Phalanx von Einfältigkeit und Machtgier der Seitherigen gegenüberstehen, und manche, die Ihnen heut zunicken, werden drüben sein. Et facti sunt amici in illo die Herodes et Pilatus. Ich weiß, daß das Schicksal die sozialistische Welle weiterrollen lassen wird, aber ich kenne nicht die Formen, unter der wie das Christentum der Zusammenstoß von Idee und Sachen sie vielleicht zum Gegenteil umschweißt.

Aber ich zöge es, da ich an napoleonische Tage nicht glaube, und unter Rupprecht und Lettow-Vorbeck kaum eine Atmensmöglichkeit erblicke, indessen einen tapferen und guten Absolutismus aber diesem Düngerhaufen des Geistes dennoch voranstellte, ich zöge es vor, unter dem dritten Otto, dem vierzehnten Louis oder dem achten Urban gelebt zu haben. Womit ich in der Tat selbst aber mich keiner Konsequenz der Zeit, auf der mit festen und in keiner Übung ungewohnten Schenkeln ich sicher zu stehen glaube, entziehen möchte.

Ich sage eindeutiger, einseitiger und erregter Ihnen das in diesen Novembertagen des Jahres Neunzehnhundertachtzehn schon, da Sie es wissen wollen. Sie haben zweieinhalb Mal solange das Leben gesehen wie ich und die Berechtigung, die Augen manchmal zu schließen und die Dinge nicht so ernst zu nehmen, da Sie vieles gesehen und meistens überlebten. Ich weiß, daß die Skepsis zur Ekstase gesellt erst jene kühle Tatsicherheit gibt, die gebraucht wird. Ich entziehe mich dem nicht. Doch ich möchte, der Krach eines panischen Entsetzens möge einmal wenige Sekunden lang in Ihr Bewußtsein schlagen. Dann hätten Sie, mit Falten der Klugheit um Stirn und Auge plötzlich vielleicht weiter gesehen, als die Vorrechte Ihrer Erfahrung Ihnen gestatten. Denn diese sind nur wertvoll als Ergänzung des Willens, nicht als sein Gehalt.

Da es darauf ankommt, die Menschen mit ihren Ideen zu erneuern, nicht nur ein paar Räder der Verwaltung auszutauschen, müssen Sie Konsequenzen sich hingeben, die tiefer stehen, als Ihre parteipolitische Navigation Ihnen zeigt. Machen Sie die Bahn dazu frei. Revolution heißt Verpflichtung an ihrem Geist. Es wäre eine Niederlage sondergleichen, ja des menschlichen Gedankens überhaupt, wenn Sie es versäumten. Denn vergessen Sie nicht, daß, was Sie an einem kleinen Volk tun, den Ewigkeitswert jeder ersten Tat, jeder erstmaligen Erkenntnis hat und daß Sie es nicht in partikulärem, sondern in ganz großen Maßstäben zu verantworten haben werden.

Damit man nicht sage, Sie hätten das Schlimme getan, das Gift geträufelt, den Vogel fliegen lassen und die Revolution so quittiert wie jener Ingenieur Megret, der, als er Karl den Zwölften tot in der Trenche fand (womit der schwedische Imperialismus krepierte), sagte: „Nun hat die Komödie ein Ende. Wir wollen zum Nachtessen gehen“.

19. Bilanz

Kurz . . . um eine Addition zu machen . . .

Vor einigen Jahren rollte die Welle der Stoßtrupps neuer Gesinnung und neuer Form vor, steckten die Grenzlinien ab, verteilten die Terrains, gewannen die Anfangsschlachten, überschritten die Marne. Ihr Sinn ist näher bei Tolstoi als bei Gustav Freytag, ihre Art mehr zu Grünewald und Bosch gewandt als zu den Nazarenern und Symbolisten. Es ist ihnen nicht viel nachgekommen, einiges, was ergänzte, ein paar Farbflecke neu, aber keine überstrahlende Figur. Genau wie in der Malerei. Es gibt keinen Nachwuchs. Lehmbruck, Marc sind tot. Barlach, Feininger, Rohlfs, Klee, Purrmann, Pechstein, Nolde sind nicht mehr jung. Es bleiben die sieben oder acht zwischen Heckel und Kirchner und Beckmann, die die ersten Eruptionen warfen und nun ins Oeuvre hineinwachsen. Hinter ihnen wie den dichtenden Musen ist nichts wie Krampf, Getös, Radau und jene widerliche verfluchte revolutionäre Geste, die den dicken Wilhelm des radikalsten Expressionismus mimend nicht andeutet: Durchbruch oder ich verrecke . . . sondern: wie schiebe ich mich am verdrehtesten und auffallendsten in eine meschuggene Pose. Junge Leute, Ihr werdet schwer verknüppelt, wenn Ihr es, was wahrscheinlich, nicht vorziehen solltet, der nächsten kleinen Wendung mit gesteigertem Gebrüll zu folgen. Aber man hält das Gähnen nicht vor solcher Steeplechase. Die Eselsohren erscheinen, die mangelnde Lende wächst durch die Tunika, während die Offiziere und Echten und Elementaren der revolutionären Bewegung in die eroberten Städte einziehn.

Kann man auch mit dem Zirkel schon einen Kreis um das Vorliegende schlagen, tangentieren und nach Laune mathematische Erörterungen springen lassen, so gibt es doch noch nicht die leiseste Ahnung, ob wir im Anfang sind der neuen Prosaentwicklung, ob mitten drin, ob vielleicht schon am Ende. Es scheint, als ob die Geschichte, die verzweifelte Dirne sich wiederholender Handlungen, lehre, die Exploiteure und Buschmänner neuer Weltgefühle und Stile seien auch ihre wesentlichsten Träger. Es ist dutzendfach zu beweisen. Doch kann das Wesentliche auch erst im Schatten dieser Anstrengungen heraufwachsen. Die Spannung, die zwischen Geist und Stoff heut liegt, ist zweifellos feindlich, da es immer auf Vergewaltigungen herauskommt. Das wird nach legitimeren Formen und ehelicheren Annäherungen leiten. Zuerst geht es mit den radikalen Lagern, ganz links oder ins Tief-Katholische. Nicht jene offizielle Religion wird geliebt, die der Krieg kompromittierte. Einmal hat sie der Belgier Masereel, der Daumier unserer Zeit (wenn auch ohne seinen Bizeps) gezeichnet, aus der Bibel lesend, das Feuerkommando gehend. Es wird das Übernationale der katholischen Gläubigkeit gesucht werden wie das Internationale der sozialistischen Ideen, ein humanitärer menschenliebender und vereinender Passat streicht über die Erde. Vorderhand marschiert man tapfer auf eine Mauer zu, die irgendwie wo steht. Das ist überhaupt die Art der Lebensroute. Von Schickele bis Däubler und Mann ist man von der Partie. Erst in dem Augenblick, wo man dicht die Steine berührt, wird ein Teil einfallen, ein ungeahnt großer, neuer Horizont wird da sein. Und Ihr werdet sehr erstaunt sein. Das Neue kommt von einer Seite und Richtung, an die Ihr gerade am wenigstens dachtet.

Es wird wohl nicht ins Uferlose der Form hineinziehn und Geistkonstruktionen werden der neuen Landschaft sehr fern sein, es wäre blamabel, an solche Starre zu denken in sicher melodischerem Vogelgesang der ersten Sekunden. Wirft Flake mir herüber, meine Temperamentsnovellen liefen Gefahr, die große Oper des Heroischen zu werden, freut sich alles in mir, ihm zu sagen, ich habe es vorgezogen, statt ein Gehirnzwitter immerhin ein Kerl gewesen zu sein. Wie ich es mehr liebe, in der Mitte des Mahls Beefsteaks vom Rost mit Blut und Kruste zu speisen als Zirbeldrüsen, in denen, wenn ich nicht irre, der Sitz des Verstandes sein soll, und durch deren Genuß wohl der Sinn für die Konjunkturen des literarischen Betriebes geschärft wird, und sei es selbst in dem regenbogenhaften Ritt durch alle geistigen Phasen und Stile, an dessen Ende der Elsässer Flake keineswegs als der Pol der Epoche landet, sondern als die bewegliche und nicht ganz stilreine Kuriosität eines „Kleists des Feuilletons“, der er immer schon war. Hat die Zeit einmal im Abstrakten sich ausgeschweift und gesehen, daß nur Hirnräuschlein aber keine durch Tod und Hölle sausenden Erschütterungen zu holen sind, wird sie sehr bald in sanftere und geregeltere Beziehungen zum Naturalistischen gehen. Sie werden dann nicht mehr unerhörte Abenteuer erleben, nicht wie reißende Wölfe das Feminine im Vorwurf und Reiz erstreben, sondern dem Seienden die Größe der Seele und die Souveränität des Geistes wohl als milde Ausstrahlung hinzufügen. Ich zweifle nicht, daß es so gehen wird. Vielleicht bleibt man aber auch wieder im Nazarenertum stecken. Wer heut Kraft hat, wird auch weiter eine Sache sein, die man zuerst behandelt, wie die Hunde mit Denkmalen tun und dann gewaltig respektiert. Ob Ihr in Zukunft Kunst wie Erbsen au sucre oder à l’anglaise anmacht, das Resultat wird letzten Endes dasselbe sein. Zeit fragt nicht, wie die Schar der Gourmets nach den Mayonnaisen, sondern nach dem Fleisch. Das ist ihr unbestreitbarer und unerschütterlicher Vorzug. Das alles liegt noch in weiter Sicht und wird nur wie die äußersten Saiten birmanischer Instrumente sozusagen als Untermelodie und pizzicato mit überspielt. Denn vorderhand scheinen wir noch mitten in der Melodie zu sein, und noch hat kein Abgesang begonnen einzufallen. Was Dadaisten heulen, ist nur Geschrei der Unvorsichtigen und nicht aus Geist, sondern aus Dummheit Überkühnen, die an den äußersten Rändern unseres Weltbildes sich die Finger verbrannten. Anarchie ist nicht möglich in dieser Form und Zeit. Das Mißverständnis und die Desavouierung kamen aus dem Erfolg und der modisch gewordenen Haltung, als das Pendel durch die öffentliche Anerkennung durchschwang, die im Grunde belanglos ist und in der Konsequenz gefährlich.

O Ihr Jungfrauen von Kötzschenbroda, Ulm und Gnesen, die Ihr statt Schlummerrollen und Holzschnitzereien Eure unverstandene deutsche Schwermut nun in abstrakten Landschaften und gedreieckten Visionen dem erschreckten und ahnungslosen Publikum Eurer Heimat vorweist, wie sehr habt Ihr (wie die meisten alle) mißverstanden, daß die Wölfe allein imstande sind, die schlanke Geistesbeute zu fassen und zu zerreißen, und daß die Tauben und die idyllischen Hühner, selbst wenn sie die tragischen Masken tragen, unerbittlich an Girren und Scharren gebunden sind. Wer wähnte, die neue Kunst sei modern und es sei nötig und guten Tones gewiß, sich mit zeitgemäßem Badekostüm, Teekleid und Fingergestus auch dem Geistigen bestimmt nun modisch anzuschließen, hat schlechte Börsentips des Geschmacks getan. Modern ist bei Gott hier nicht die Spur — was hier erstrebt ward, war uralt. Modern ist allein und undeutsch auch nebenbei der Kitsch, den die guten Schulen unseres Mittelalters und aller anständigen Vergangenheit nicht kannten.

Eins jedenfalls ist sicher: die Generation ist ausgekernt. Überraschung wird nur noch aus der Leistung kommen, nicht aus dem Affront. Die Redner, Maler, Dichter, Regisseure, Plastiker dieser Jugend stehen in der Arbeit, es ist wohl abgeschlossen, was hinter ihnen kommt.

Das Formale ist als Frage und Problem wohl erledigt. Nun kommt die stille Arbeit. Ich bin für die Leistung. Aber ich bin gegen Expressionimus, der heute Pfarrerstöchter und Fabrikantenfrauen zu Erbauung umkitzelt. Es hat mich nie gereizt, eine Schar zu führen, die in geometrischen Orgien und stilistischen Wettrennen auch nur erstrebenswerte Stationen der Kunst erblickte. Ich erschauere über die nachgeplapperte Gebärde, deren Sinnlosigkeit Brechreiz erregt. Ich bin dagegen, daß die siebentklassigen Leute sich verdrehen, schöne Mädchen und zu anderen Hoffnungen durchaus berechtigende Knaben sich ereifern, die Welt mit kosmischen Tapeten und hysterischen Gedichten zu erfüllen, statt ein bescheideneres und menschlicheres Dasein sich zu erwählen. Ich bin dagegen, daß die Programme der Theater und der Kunstgewerbeschulen und der öffentlichen Vergnügungshäuser schon allgemach beginnen, sich „steil ins Visionäre aufzurecken“, und das die alternden Damen bereits nicht weit davon entfernt scheinen, ägyptische Coiffuren den schlichten und sicher in ihrer Unreizbarlichkeit gelasseneren aufgeklebten Teetassen vorzuziehen. Ich bin voll Gram und Übelkeit über diese Dürre, diese Trockenheit, dieses Mißverständnis eines Nachwuchses, der keiner ist, sondern ein Ameisenhaufen von Ehrgeizigen, Affen und Modischen und Harlekins. Wahrlich, so setzt ein Stil sich nicht durch, nie geschieht durch die kritiklose Aufnahme der Idioten die Wandlung in schöpferische Breite. Glaubte ich nicht, daß, nachdem (Lob, wenn es bald sich ereignet) die Allzuraschen das Geraffte wieder treulos verworfen haben, glaubte ich nicht, daß gegen die Programme, gegen die sie hilflos sind, die Sicheren und Aufrechten, dennoch, sich wandelnd mit der Zeit und dem aufsteigenden Saft ihrer eigenen Reife, diese Mischung von Glauben, Einfachheit und Stärke des Ausdrucks zum guten Ziel breiten werden . . . ., müßte ich wirklich denken, dies Gewimmel von Nichtsen und Nachbetern sei die „moderne Schule“, ich wüßte keinen anderen Wunsch, als daß ich sekündlich bei aller meiner antimilitaristischen Überzeugung bäte, irgend ein deutscher oder gallischer oder tonkinesischer Kriegsgott mit aufgesteiltem Schnurrbart möge dies alles sporenklirrend in die Welt-Latrinen tragen.

Jedenfalls hat das Volk wie das Blut den Bauchtanz der Stilaffereien satt. Als ein Schiff namens Titanic auf einer Rekordfahrt im Frieden von Neunzehnhundertzwölf oder Dreizehn sich an einem Eisberg zerschlug, damit eine englische Linie schneller sei wie eine deutsche, hallte die Sensation noch Monate in den Völkern Europas nach und die Konjunkturgerüsteten verarbeiteten es, wie später den Krieg, zu Novelle, Film und Drama. So begann es, aber niemand dachte bis zu den Wurzeln hinunter und fühlte, hier steige der Riß auf im gottverdammten zivilisierten Jahrhundert, der bald alles zerschmeiße. Man strafte nur Kapitän und vorgeschobene Laffen. Lloyd strich die Versicherung ein. Niemand holte den Zeitgeist vor die Assisen und strafte ihn mit dem Bann. Man hätte ihm damals schon das E. K. I und die Légion d’honneur verleihen sollen, man wäre dann allgemein gefaßter auf das Kommende gewesen. Es sind dann zuviel Schiffe gesunken, Städte zerschossen, Millionen verreckt, Kaiser gewandert, Revolutionen aufgeflackt, als daß irgendeine Sensation außer der des Messers direkt vor der eigenen Kehle die Menschen noch erschütterte. Man will Ruhe. Vorderhand betäubt man noch die Resignation. Auch der Expressionismus ist kein Stachel mehr oder tiefer wie eine rothaarige Barmaid oder die erste englische nach dem Kriege importierte Kokotte mit den neuesten Plissees am Nachtpyjama und famosen Lastern in den Fingerspitzen. Ich fürchte, man wird sehr katholisch werden oder sich süßgefälligem Klassizismus in die Hände werfen, hat man erst an Tanzbarrikaden, Aufklärungsfilms, Bac . . . bac und Homosexualem genug. Sie werden dann vielleicht auf nackten Sohlen zu Traktätchen schliddern und nachts ihre Bonnen auf Filzsohlen besuchen oder ästhetisch werden mit jenem Oberflächenschleim, der alle Unkultur zudeckt. Sie haben dann vielleicht Krausen um die Hälse und Filetmanschetten und mehr Zeit, die Nägel zu polieren als auch in das Gekröse der Zeit zu schauen und Blutdampf der Schlächtereien zu ertragen. Ihnen wird ein Weltbild pastelliert wie eine gebügelte Omelette serviert. Wahrscheinlich wird ihr Anzug auch farbiger sein wie der unsere, wahrscheinlich phantastischer und nicht so idiotisch beschränkt. Das wird ihr wesentliches Plus sein. Uns werden sie als Drecksäcke bestaunen, weil sie sich in Parfümwolken geflüchtet haben. Die Armen werden nicht wissen, daß, neben anderem, wir auch das kannten und, hols der Teufel, die Höhen des Daseins abgelaufen haben wie irgendeiner. Sie haben seinerzeit unter Paul Heyse auch Büchner und Shakespeare wie zusammengeschossene Kuriositäten sich lachend und fröstelnd vorgesetzt, als sie in einer dünnen und lächerlichen Lyrikwolke saßen und, wie immer dieselben, glaubten, ein barbarisches Erdgelächter und die Dicke und Fülle seien Ungeschmack. Ich hoffe, diese Perspektive wird unter den vielen Perspektiven die des falschen Traums gewesen sein. Es wäre zu lächerlich und beschämender als ein Bankerott. Auch ist es wurscht. Man tut das seinige. Mehr ist uns nicht zugeschrieben in dieser übel begrenzten Welt.

Irgendwie hat Kunst eine tiefere Aufgabe als nur ihrer augenblicklichen Zuhörerschaft etwas zu kitzeln. Sie bedeutet heut ein klein wenig Niveau. Endlich eine Anschwemmung von Festland im Morast. So und nicht anders beginnt der Weg zur Kultur und zu den menschheitlichen Aufgaben. Etwas neues ist in unseren Tagen in die Welt getreten und zum ersten Mal zeigen sich Bodensätze, auf denen nach anderen Grundrissen als seither das Gebäude der Erdbewohner gemacht werden kann. Die Dichtung hat diesem oft und früh Ausdruck gegeben, vieles präpariert, manches schon geschaffen. Aber es ist noch ein Molekül. Es fehlt noch das Zusammen- und Ineinanderschweifen der Stile, Geister, Kunst, Gefühle zu einer Zeitharmonie, die tatsächlich von Haus bis Bordell, Glück, Ehe, Krieg, sozialen Gleichheiten einen Raum wie eine Glaskugel so glatt und selbstverständlich baute. Wichtiger als das Drama scheint in der Dichtung Prosa und Lyrik. Ohne Strindberg, Wedekind, Claudel ist die heutige Schaubühne undenkbar, ja fast alles heutige ist in ihnen schon erfüllt. Merkwürdigerweise haben sie die Prosa gar nicht beeinflußt im Kern. In einer absolut neuen und vornehmen Formgebung scheint sich in ihr die Vereinigung slawischen und romanischen Geistes zu vollziehen. Dies ist eine große und praktische europäische Aufgabe. Alles Große ist ja von Urgrund an verbunden, die Themen jeder bedeutenden Kunst sind die gleichen, nie siegte die Gewalt, durch Leid erklomm Mensch und Kreatur erst sich selbst und Seligkeit. Das Europäische steht sich noch näher, denn, so sehr wir natürlich modern sind, sind wir doch Kinder Flauberts und Jammes und Voltaires, und auf der anderen Seite waren die Russen auch vor uns da. Nirgends scheint mir das so gesammelt wie in unseren Prosabüchern. Die letzten Resultate stehen noch aus. Vorderhand ist alles noch zerrissen. Schlössen sich die Kulturansätze dichter zum Kern hin und ginge ein überlegenes Gouvernement vor und plättete die Ansammlungen um einige Kulturzentren besser auseinander, käme es auch mehr ins Breite. Da der Krieg die ethische Seite zum Zerplatzen anzog, kam gute Dichtung ziemlich in die Massen. Tatsächlich brauchts aber Nivellierung, denn die großen Außenseiter machen das Niveau nicht, sondern machen nur die Distanz zu den kleinen deutlicher und die Zerrissenheit größer. Vorderhand vollzieht sich der Blutausguß immer noch in zwei bis drei Zentren, und die Theater, sehr überholte und, Parlamenten gleich, nachhinkende Instrumente sind doch ganz einem Kreis von Kapitalisten, Snobs, Begeisterten und Modisten ausgelieferte Tribünen. Die Masse, das Proletariat zumal, wird überhaupt nicht erreicht. Nicht so wichtig ist, daß eine der Zeit entsprechende Kunst da ist, als daß die Menschen davon erreicht werden. Noch sitzt nicht in jedem Nest ein aufs Gute kontrollierter Buchladen, marschieren Gemäldeausstellungen in die Gebirgstäler, spielen die Kinosterne Hella Moja und Fern Andra wichtige und menschliche Stücke auf jener Flimmerleinwand, die heute der fabelhafteste Schuß ins Volksherz ist, surren gute Vorstellungen durch Vorstadt und Bergwerk. Die Sache ist schiefgewickelt. Was auf dem Großen Bären passiert, ist mir an Europa und vorderhand durch die Valuta an Deutschland geschmiedeten, ganz pulde. Für den Marburger ist München gleich Mond, Berlin dem Rosenheimer schon Sirius. In Roßdorf und Pöcking ist selbst der Name dieses Gestirns noch unbekannt.

Es gibt Architekten, aber kein Baugeld. Für Plastiker keine Säle. Für die Ergriffenen nichts, was statt der gotischen Kirche aus dem Boden wüchse und unsere Zeit als Denkmal über den Erdrücken hin in die Unsterblichkeit trüge. Einheit ist noch sehr fern. Das Expressionistische scheint in der Vielheit seiner Aufgaben und der Flamme, die es aus dem Bündel holte, ein entschiedener und entschlossener Ansatz, vielleicht nur eine Vorbereitung, damit es dazu komme, daß Seele, Raum, Umgebung, Leben zusammenfließe zur Einheit. Als der Akademiker Annibale Carracci die Galerie Farnese anfing, malte er die Decke, komponierte die Gewölbe und entwarf sogar, dieses cervello grande, wie der Cavaliere Bernini ihn nannte, Hermen und Ornamente nach den Gesichtspunkten originaler Perspektiven. Und dies war nur das Barock. Daniele da Volterra (mag er heutigen tausendmal ein Troddel scheinen) fragte Michelangelo um Rat wegen Architektur, und der große Bildhauer machte bedeutende Verse. Es gab in bedeutenden Höheerscheinungen der seitherigen Welt manchmal wunderbare Durchdringungen des Geistsaftes aus allen Lagern und Poren.

Dazu muß beim Menschen angefangen werden. Das Politische muß sich auslavieren. Die Revolution ist nicht tief in die Stollen vorgedrungen, hat aber immerhin eine Anzahl Bollwerke erobert und halten können. Die Reaktion ist kühn auf dem Marsch, die Parlamente begannen ihr ausgequietschtes Scharnierspiel wieder zu schaukeln. In Spanien folgte eine Zeit lang in Monatsabständen ein konservatives immer auf ein liberales Kabinett. So annullierten sie stets das vorher Verfügte. Ähnlich wird man sich wieder die Wage halten, ein unfruchtbares Schaffen wird demokratisch genannt werden. So ließen immer die Völker ihre Rücken biegen und solange sich zu Exerzierfeldern benutzen, bis zu übermütige Belastungsproben ihren Unwillen erregten. Dann ließen sie die Minen springen. Der geheime Zündstoff ist nie verloren gegangen. Ihn heißt es hüten als gutes Feuer und Signal, man muß ihn zum ersten Mal verständnisvoll anlegen lassen, damit eine künftige Revolution endlich einmal zur rechten Stunde und nicht als Ente kracht, daß sie am rechten Platz und nicht aus zufälligen Vesuven steigt und daß vor allem Menschen da sind, die nicht von ihr bleich gegen die Wände gefeuert, sondern grüßend dastehn und sie heimholen als die große Meerentstiegene. Einmal muß der wilde Bulle einen endgültigen und vorzüglichen Sprung tun.

Man soll heftig dabei bleiben und vor allem, was an Tradition da war, nicht vergessen. Das ist Besitz und nicht Belastung, wie die Futuristen meinten, man muß eben nur zu entwickeln verstehen. Das Miese auf den Mist. Das Erhaltene aber in den Humus. Gibt es zwischen Kerr und Fontane noch keine Bindung, muß man sie erkennen und von dort aus Enterhaken ins Zukünftige werfen. So ist schon eine Kette da, Stationen warten, sind hergerichtet, es ist vorbereitet dies und das. So kommt man immer aufs Wesentliche. Das andere muß liegen bleiben bei Seite oder als Dung, wie es sich eignet. Talente genügen nicht mehr. Verantwortungen müssen da sein. Auch der Hecht ist wichtig, als Raubtier hat er Adel und Aufgabe. Auch unerbittliche Verneinung ist Liebe in diesem Sinn. Aber im Guten auch muß die Absicht moralisch sein, nicht nur bon sens. Standhaftigkeit und Urbanität. Kein Krähwinkel der Eitelkeiten. So kommt Höherzüchten, Besinnung, Sachlichkeit. Kommt zwischen Peitschenknall der Hirten und hörnerblasenden Engeln ein neues Tagen. Ein Novum ist in die Welt getreten, viele haben es verspürt, die meisten vergessen. Der Wille zur Einheitlichkeit der Handlung und des Zueinanderwollens hat sich in die Seelen der Völker festgesetzt immerhin. Man soll die Zahl der Entschlossenen nicht überschätzen. Aber das Buch ist eine adlige und gute Angriffstruppe. Zwar haben sie auch Voltaire und Platon gelesen, aber sie haben es auch nicht vergessen. Vorderhand ist unsere Zeit noch barock. Eine Rampe ist nicht vorhanden, nur für wenige, die es hören können, hat das große Schauspiel auf einer geheimen Bühne angefangen, und die unsichtbaren Schlachten und Donner und Verschwiegenheiten der Dialoge und Handlung haben begonnen. Die anderen aber sind auf ihren Stühlen geblieben und haben nichts vernommen. Orbis pictus nannten die Guten früher, was an Welt sie schilderten. Welttheater. Sie sind heute mit unendlicher Dummheit geschlagen, weil sie nicht zur Bühne hinschauen, aber auch nicht spüren, daß statt dort in allen Logen von ihnen selbst ein irres Drama gespielt wird. Nirgends spiegelt sich die Welt wie in uns.

O Deutschland.

Vor vier Jahren, als es begann, Euch kratzig zu gehen, besannet Ihr Euch auf Euren Chauvinismus und nanntet uralt lothringische Nester in Eure Zunge zurück: Mein Metzer Weinnest Siy zu Sigach, Flaucourt zu Flodoaldshofen. Selbst Jouy-aux-Arches, statt seine bochische Herbheit zu lieben, machten sie zu Gaudach, indem sie der römischen Silbe den ersten Wehruf ihrer Verderbnis folgen ließen. Heut machen sie drüben aus Bismarckstraßen die Avenue Foch und aus der Vogesenstraße Straßburgs den Boulevard Clemenceau. Ludendorff begibt sich in die Versammlungen deutscher Burschenschafter und ernennt sie zu Trägern des Vermittlungsgedankens zwischen Arbeitern und Fettbäuchen und nimmt das irrsinnige Jubelgeheul als Honorierung für die Einheizung des monarchischen Gedankens. Die Flieger waren im Krieg Feuilletonisten geworden, ich hatte es nicht geahnt, als ich Lambert auf dem Marsfeld als einer der ersten Passagiere begleitete. Sie rochen damals noch nach Benzin und waren zwar herrlicher aber fast so ungeistig wie die Reporter des Matin, die sie interviewten. Aber gefallene Generäle haben von Würde so wenig Ahnung wie die Bankerts aus Pudel und Dachs. In Garmisch segnet Henny Porten die Loisacher und Werdenfelser, die ausmarschieren, München von den Räten zu befreien. In Tegernsee dürfen Damen und Herren selbst in keuschesten Anzügen nicht zusammen am Seestrand baden. Fährt meine Jolle zwei Meter weiter im Bodensee, René Schickele auf der anderen Seeseite zu sehen, erschießen mich schweizerische Bleie, da das Wasser hier schnell und deutlich andere Territorialität annimmt, ohne im mindesten an Nässe und Grün und chemischer Substanz zu verlieren. In München zeigt man Cook-Reisenden verrostete Stacheldrähte an der Vier-Jahreszeiten-Bar aus den Apriltagen Neunzehnhundertneunzehn, und während den Lemberger und Darmstädter Spießer es im Fette gruselt, erschießen sie Leviné an der Gefängnismauer im Auftrag einer sozialistischen Regierung. In Passau ist ein Markt von elfenbeinernen Rokokoöfen, der Ausverkauf der Schlösser beginnt. Flieger schaffen Perlen nach Trelleborg, und Luzern überfüttern sie mit Gold und Banknoten. In Mainz ist das Fest des vierzehnten Juli prächtig verlaufen, in Galauniform hat General Mangin eine Rede auf der illuminierten Mainbrücke gehalten. Es sei besser, man mauschle und schiele mit den Füßen, schöbe und habe Geld, statt zu versuchen, geistreich zu sein und keines zu haben, denkt einer im steifen Hut im Wartesaal, wo Dichter schwärmen zwischen zwei Zügen. Ebert spricht von Schiller und Goethe in Weimar, während die eigentlichen politischen Leidenschaften des Volkes die Schienen um ihn und seine Nationalversammlung aufreißen. Man schraubt Preise und Geist. Einen millionenschweren Dichter verhaften die Weißen Garden in München, weil er (Gelächter der Literaten) im Besitz der zahmsten Zeitschrift, Bies Neuer Rundschau, war. In Darmstadt ist aus dem weltberühmten Exerzierplatz ein Negerdorf für Kinoaufnahmen geworden, Noske schrie beim Besuch die Minister an, weil keine Generäle da waren. Doch sind die Hessen Pazifisten, blind und kriegerisch nur in der Etappe. Später veröffentlichte man das Menu in den Zeitungen, es fand sich, daß es nicht karg war, und die Konservativen feixten. Die Sozis waren aber böse, weil das Ernährungsportefeuille ihnen von den Agrariern wie eine Gipsstukkatur abgerannt wurde. In Moskau hält man aber die Bauern für die Stützen der bolschewistischen Idee. Die Bürger schreiben in ihren Gazetten, taucht irgendein neuer Revolutionär auf, sofort, er sei lungenkrank und geistesgestört, eh sie seinen Namen wissen. Später fügen sie hinzu, er habe siebenjährig sein Wasser ins Bett abgeschlagen und vierzehnlenzig auf Karneval vor Generälen gescheut, was Anomalie sei. Die im Land irrenden gehetzten Kommunisten wollen die Bürgergarde zum Äckerdung. Die im November Neunzehn kalkig und kindsfromm verschwanden, pauken wieder auf Bauch und Blasbalg die nationalistische Phrase. Von Fähnrichs werden nicht grüßende Matrosen erschossen. Bald wird es so kommen wie in Wien, wo achtzehnhundertvier, wie Benjamin Constant nebenbei anmerkt, ein fünfundzwanzigjähriger Mann gehängt wurde, weil er ein Gedicht zum Lobe der Revolution geschrieben habe. Otto Flake biegt seinen Kriegsnovellen die Knospen ab, schraffiert sie, läßt Kommas und Artikel beiseite und schreibt damit einen pazifistischen (klugen) Roman und nennt ihn Revolution der Prosa. Als mein Freund Colin als erster Franzose und europäischer Generalsekretär der „Clarté“ zuerst in Deutschland als mein Gast in Darmstadt sprach nach dem Kriege, sangen draußen zum Protest gegen die Menschlichkeit die Helden des „Mückebundes“, Gymnasiasten und kassierte Leutnants mit entblößten Häuptern im strömenden Regen die Wacht am Rhein, bis die Sturmtrupps der U. S. P. und der S. P. D. sie gemeinsam in unsterbliche Prügel zogen. Ich werde paßkontrolliert, wenn ich von Darmstadt nach Frankfurt fahre, und als gesinnungstüchtige Besitzer von Lastautos die wachstehenden Franzosen dreiviertel Jahr nach der Beendigung des Krieges mit herausgestreckter Zunge im Vorbeifahren grüßten, schloß Herr Foch wegen dieser Beleidigung seiner Armee die Bahnen, und die Fahrten gingen gegen unendlichen Wucher in den Autokähnen der Arrangeure durch internationale Staubwolken aufs feurigste vor sich. Aus dem Festungsgefängnis Eichstädt schrieb der Führer der roten Münchener Armee, Ernst Toller: „Ich habe Ihren Prinz gelesen, es durchfuhr mich so vor Lust nach dem Dasein und der Fülle des Lebens, daß ich mit den Fäusten gegen die Wand trommelte, und mein Gefängnisnachbar, der mein Blut fühlte, trommelte wieder. Wir erinnerten uns und bewiesen uns unser Dasein.“ Die Glasbilder und Bauernmöbel im bayrischen Gebirge sind ausverkauft. Einmal wird man auch energisch der Wohnungsnot steuern. In Fiume sitzt d’Annunzio, während hinter seinen annexionistischen Freischaren hundertzwanzig Sozialisten ins Parlament gewählt werden. In Japan war, wie „Nieuwe Rotterdamske Courant“ schreibt, ein Zyklon. In Brüssel verliert der Direktor des Blattes „L’Art libre“ seine Museumsposten, da er, um ein wenig Belgien vor der Gerechtigkeit zu schützen, gegen den Versailler Vertrag protestierte, und die „Ligue du Souvenir“ schwärmt in der Ablösung der deutschen Kriegervereine. Warum ist Hindenburg nicht in einem friedlichen Zeitalter Schalterbeamter in Oberau geworden? Tirpitz als Reichskanzler verfolgt als Traum das Hirn und die Nacht eines Dragonerrittmeisters. Immer wühlen, trotzdem wir kaum japsen können, junge Offiziersknaben für frisch-fröhlichen Krieg. Die Adlerwerke arbeiten nur noch zwei Stunden. Die Wirtschaft ächzt in verstopfte Ohren. Bald wird die Kriegsanleihe auf 25 gesetzt werden. Treffen Bekannte sich, reden sie zuerst, wie sie Steuern defraudieren. Die Katastrophenhausse in Wertpapieren hat begonnen. Es ist wenig Holz, keine Kohle vorhanden. Die Bergwerke sind nicht verstaatlicht. Die Lokomotiven durch die Kriegsrekorde ruiniert, Es wird ein kalter Winter werden.

Deutschland.

Deine wenigen Getreuen in dir selbst haben dich nie verlassen und sind nicht mutlos genug, trotz aller Katastrophen und aller Unzucht an deinem schönen Leib die Größe deiner Wälder und Sagen und die Berge mit den guten Namen, die weiten Kornfelder und die Flüsse mit wandelndem blauen Wasser und über ihnen deine große und schöne Mission zu vergessen. Deine Menschen haben aus der Revolution noch weniger gelernt wie aus dem Krieg, und die Pleite einer geistigen Verwüstung sondergleichen an dich herangetragen. Ihr Pazifismus ist nur eine Taktik, mit der sie losgerissene und früher geraubte Stücke des Besitzes deines Landes wieder erluchsen wollen. Als man Schlagworte in die Volksmasse streute, fachte die Dummheit der chauvinistischen Leidenschaft dich wieder zu so tragikomischer Größe, daß man verzweifeln könnte, hätte man es nicht lange verlernt. Wer die Verschickung belgischer Arbeiter mit tausendfachem Menschenmassaker freudig lobte und gern dafür sprach, russische Kriegsgefangene jahrelang nach Friedensschluß ihre Güter bewirtschaften zu lassen, heult nun mit ethisch-roten hektischen Köpfen gegen die Zurückhaltung der deutschen Gefangenen, was eine Schweinerei, aber nach dem Paragraphen der Abmachungen präzisestes Recht ist. Und die Krüppel der Zeit, die kaum Überzeugten gegen das Regime seither, heulen, schreien mit. Die Revolution haben sie zu Lohnschrauben verhandelt, auf den Straßen liegt sie wie eine alte Sau. Die Idee hat sich auf einige Köpfe zurückgezogen. In Wirklichkeit blieb nichts, was wir hofften. Die Schulen hängen Kaiserbilder auf. Die Universitäten sind Fischkästen der Reaktion. Die ganze Jugend haben sie nicht gewonnen, ist verloren. Alles aus der Hand gleiten lassen, das das Volk für ihre Idee gewinnen konnte. Ein Unteroffiziersverstand grenzenloser Nachlässigkeit hat die Macht an sich gerissen, aber die Instinkte waren zu hündisch, als daß er die Fülle und Größe der Aufgabe nur in ihrer Ahnung begriffe. Die Musen lieben zu scherzen und tragen manchmal statt des marmornen Ernstes der erfrorenen Züge kleine Larven und Tamburine. Der Geist steht abseits, enttäuscht, diesem Staat zorniger noch gegenüber wie dem vorherigen. Die Methoden sind nur verschärft und vergröbert herübergerutscht. Verbote, Erschießungen, Mord, Zensur bläken mit vergällterer Grimasse. Die Jugend wendet sich langsam ab, verläßt die Feuer und geht mit Wandermienen und schlankem Schritt in die Wälder und die langentbehrten Berge, die mit entschlossenem und Irdischem abgewendeten Gesicht ihre ewigere Mission tragen. Es mußte ein royalistischer Aristokrat der französischen Armee sein, der lächelnd sagte, dies sei wohl ein Plunder, eine Farce, die Tat eines Coviello, vom Geist eines Molièreschen Dieners entzündet, was sie in Deutschland als Revolution entfachten. Wir verstanden uns sehr gut. Hätte er das Wort Cambronnes hinzugefügt, was er vermied, ich hätte ihm nichts entgegnen können. Er hatte den Mut und die Überzeugung, so zu reden, da er wußte, daß in Paris zur Stunde des Petardeschlages andere innere Gewalt und andere Abrechnung und Konsequenz gegen seine Schicht aufschlagen werde, und kein Chiaroscuro, sondern nackte fleischhelle Klarheit streng und vorbereitet in die Zukunft falle.

Die Menschen versagten.

Auf Barrikaden, in Büros, im Bergwerk, in öffentlichen Ämtern, an grünen Tischen. In Syndikaten, Bürgermeistereien, Freikorps, Räten, Versammlungen, im Herzen, im Mund, im Hirn. Die oberen, die unten, die von der Mitte. Die Kühnsten waren ohne Hilfe. Die Auserwählten hatten keine Vorbereitung. In der Verwirrung zertraten sie eine der schönsten Frauen, aber da sie unsterblich war, verließ sie diesen Ort der Scham und der Dummheit. Als einige später Versäumtes, Zerstörtes, als sie der kalten Pleite ins Gesicht schlugen, erkannten sie, daß es die Freiheit war, die sie geschändet und daß für lange Zeit sie wie Entmannte nun verflucht und zerknüttelt leben müßten. Einige schossen sich kaputt, andere gingen hin und beschlossen hingebender und entschlossener dem Ziel zu leben.

Das Karussell rast weiter, schaukelt, knallt. Manchmal fliegt es wie ein Ballon durch den erhellten Abendhimmel.

Einer, von dem sie sagten, er sei ein Eingeweihter, verriet mir, es werde nach Art lenkbarer Luftschiffe gesteuert und nur von Wahnsinnigen bedient, damit sie das übernatürliche Tempo halten könnten. Aber ein Italiener gestand, von Fiesole her sehe es aus schon wie eine Seifenblase, die an ihrer Gelbheit bald in den Äther platze.

In Wiesbaden fahren auf der Ludwigsstraße amerikanische Kapitäne in einem Auto mit nackten Weibern die Treppen des Glashotels hinauf und zahlen, unten wieder, hunderttausend Mark für zertrümmerte Spiegel. Im Baltikum wird der deutsche Kriegssekt kalt gehalten, damit er mit krachendem Pfropfen am Kaisertage der Reaktion phönixgleich steige. In Düsseldorf verhöhnen bei Jahrhundertfeiern der Akademie die Expressionisten sich selbst, der sozialistische Kultusminister Hänisch bedauert, keine Orden mitbringen zu können. Trotzky hat in seiner roten Armee die Tapferkeitsmedaillen wieder eingeführt. In Baden-Baden reisen frühere Generäle zu und übernehmen die Organisation neuer Spielbanken. In Hessen hat eine Militärvolkshochschule sich geöffnet. Wer Revolutionäre erschlägt, wird finanziert und geehrt. Wer einen Bürger meuchelt, wird erschossen. In Breslau sitzt einer, führt meinen Namen, sagt, er sei ich, wer ist der echte? Selbst die schlechtesten Künstler fliehen aus den Künstlerräten. Die Leiter der Schauspieler-Demokratien legen allgemach die Ämter nieder, der Spielplan saust zu Kitsch zurück, die Erhebung ebbt ab, sobald, wo nur die gerechte Diktatur des großen Könners helfen kann, die Imbezilen, Talentlosen und Abortfrauen mit dem Stimmzettel in der Hand die Führer und die geistigen Spielwerte küren. In Kelsterbach ist ein Meteor niedergegangen, er wird wohl wissen, warum er sich die alte Porzellanmanufaktur ausgesucht hat. In Berlin ist ein Fall Hiller ausgebrochen, wie die „Frankfurter Zeitung“ sich drahten läßt. Aber es war eine Täuschung. Die Aktivisten haben immer noch keine Menschen gefischt und mit sich im Sturm vorgetragen, es handelt sich nur um einen Oberleutnant und Soldatenmißhandlung. „Gib ihm einen Tritt vor den Hintern, daß er verreckt“, sagte der Offizier, als in der Latrine der Soldat immer noch nicht sterben wollte. Im November lag schon Schnee heuer und machte eine unwahrscheinliche Weihnacht. Himmel und Bäume blühten auf, glashell und zärtlich wogten die Büsche gegen den Seelenhimmel.

Das Paradies schien gekommen. Am einunddreißigsten Dezember des Jahres Neunzehn, wo einen Strich zu machen, Summen zu schließen und Bilanz zu ziehen es heißt, schwört ein kleiner Korrespondent des Petit Parisien mir gegenüber, der mich ausfragt, sein Blatt sei ein liberales und humanitäres Papier. Wieviel haben die Kelten von den Preußen gelernt, daß sie selbst dem Übermaß des Hasses erlagen, als sie sich anschickten, aus der Gerechtigkeit her ihn zu besiegen. Die Buchhändler verdienen sechzig Prozent am Exemplar, die Dichter bestenfalls zwanzig. Es ist die Zeit, den Ambitionen des Esprits zu entsagen und in Bankhäusern und Betrieben ein genügsames Einkommen zu haben für alle, die nicht Kraft und Glück haben, auf breiten Wellen zu schwingen. Selbst die Homosexualen seufzen, daß ihnen die Novemberrevolte nicht einmal die Aufhebung ihres Paragraphen gebracht. Die Theater sind gehemmt, verwüstet. Die Zirkusse kommen sehr selten. Die Arbeiterschaft verlangt als Revolutionsfeier den Freischütz. Die konservative Presse wird täglich, wo sie sich in Opposition gesetzt sieht, besser. Die Beamtenkliquen schieben weiter wie gewohnt. Die Neuen Machthaber desgleichen. Beide schwer entrüstet. Die Preise gehen wie Kinderdrachen hoch. Das Ausland hermetisch geschlossen. Das Proletariat verliert seine revolutionären Spannungen. Die Geistigen in holdem Wahnsinn. In Ingelheim in der Pfalz wurden Zwillinge geboren, deren eines tonkinesische, das andere afrikanische Züge aufwies. Die Mutter war blond, blaue Augen. Vielleicht wird hier die neue Weltrasse gezüchtet.

O Europa.

Im Schloßgrün Borgebys geht in Småland mein Freund, der nordische Dionysos, Ernst Norlind, durch den Park, steigt in den Wagen, die Hengste traben ihn durchs flache Land bis an die Nordsee. Schief links liegt Petersburg, rechts hinüber Rügen. Er liegt auf dem Rücken im weißen Sand Bjerreds, der Ostwind trägt ihm die Spiegelung der Blausee mit allen zartflimmernden Segeln wundervoll ins Gesicht. Er denkt, wie schön dies Dasein. Fühlt: wie herrlich der Tag, die herunterfallende Welt. Adler und Krähen, die im Wind immer jagen. Auch silberne Fische springen zierlich, fein, voll Freude das Dasein. Vierzehnjährige Mädchen tanzen nackt auf der Klippe. Das Allströmende hat ihn aufgesaugt. Alles andere kümmert ihn einen Dreck. Kein Brief, kein Schrei würde ihn stören. Eine schöne Frau, die jeder gern hätte, im malayischen Archipel, auf Tubuai, die lacht, Netze flickt, Obst aufbeißt, weiß keine meiner Sorgen. Wie arm sind wir letztendig mit unseren Schmerzen. Vor einem Sonnengewitter vor den Klippen Bodös auf dem glatten Bauch des Meeres und dem Nordseestahlhimmel versaust unsere menschliche Kleinheit wie ein Makrelenschwanz. Selbst die Lieblinge des Schöpfungstages, die großen und rosaschlanken Flamingos wissen nicht, wenn sie in den Gärten des Jardins des Plantes, in Frankfurts Zoo, am Stockholmer Skansen an ihren Teichen träumen, wie die Welt des Geistes trotzdem wie Wasser in die Mühlenräder fällt.

Aber dennoch.

Europa.

Sie haben selbst vor dem erschütterndsten Anblick deinen Bau nicht vergessen. Als sie die Erde schwängerten, hat ihr Leib gezittert eine Sekunde. Das Herz blieb stehen und zuckte. Nie ist das Beben aus der Erinnerung geschwunden. Schon haben heiße Blutströme begonnen, den Körper bis in die Poren der Haut zu durchlaufen. Einmal hat sich der schöne und große Muskel des Bauches schon stärker gehoben. Junge Leute stehen im Kreis und rufen sich Losungen zu.

Namen

Adler, Paul 121, 122

Alberti, Konrad 69, 73, 74

Alberti, Leon Battista 177

Ali von Albanien 9

Altenberg, Peter 25, 36

Amenophis 35

Andersson, C. Joh. 104

Andra, Fern 218

d'Annunzio, Gabriele 46, 176, 180, 181, 182, 225

Arcos, René 174

Aristophanes 98

Arnim-Brentano, Bettina von 83, 172

Baalschem 43, 138, 142

Bahr, Hermann 25

Baker, Samuel 104

Balla 129

Balzac, Honoré de 15, 29, 57, 122, 163, 179

Bang, Hermann 25, 36, 44, 176

Barbusse, Henri 15, 174, 180, 181, 182

Barlach, Ernst 209

Baroja, Pio 37

Barrow, John Esqu. 104

Bassermann, Albert 159

Baudelaire, Charles 169, 189

Baum, Oskar 186

Beardsley, Aubrey 187

Becher, Johannes R. 132

Beckmann, Max 134, 209

Bellamy, Edward 187

Bellman, Carl Michael 58

Benn, Gottfried 121, 143

Benoît de St. Maure 172

Bernhard von Clairvaux 172

Bernheim-Jeune 129

Bernini, Lorenzo 158, 219

Bie, Oskar 223

Bierbaum, Otto Julius 169

Björnson, Björnstjerne 176

Blanchard, Luftschiffer 79

Bloem, Walter 57

Boccaccio, Giovanni di 78

Boccioni, Umberto 129

Bock, Alfred 195

Bodman, Emanuel v. 23, 193

Bodmer, Johann Jakob 159

Böhme, Jakob 35

Bonsels, Waldemar 105

Bosch, Hieronymus 209

Bouguer, Profossor 104

Boy-Ed, Ida 174

Brant, Sebastian 170

Britanje, Thomas von 172

Brjussow, Valerij 37

Brod, Max 137, 142, 143, 144, 145

Brueghel, Pieter 12

Bruun, Laurids 105

Büchner, Georg 35, 109, 171, 216

Buber, Martin 138, 145, 147

Byron, George Noel Gordon Lord 179

Cambronne, Pierre Jacques Etienne Graf, General 227

Canova, Antonio 85

Carnot, M. F. S. 93

Carrá, Carlo D. 129

Carracci, Annibale 219

Casanova, Giacomo, Marquis de Seintgalt 80, 84, 92, 95, 98 101, 102

Cervantes, Miguel de 29, 45, 78, 196

Cézanne, Paul 37, 44

Chagall, Marc 117, 118

Chantelou, Sieur de 194

Chardin, Chevalier 104

Chesterton, G. K. 46

Chrestien de Troyes 45, 172

Cicero, M. T. 155, 181

Claudel, Paul 149, 217

Clemenceau, Georges 116, 221

Colin, Paul 224

Colbert, Jean-Baptiste 201

Conrad, M. G. 71

Conradi, Hermann 69, 71

Corregio, Antonio di 183

Corrinth, Curt 187

Constant, Benjamin 224

Courths-Mahler, Hedwig 191

Däubler, Theodor 43, 116-125, 188, 211

Daumier, Honoré 210

Defoe, Daniel 119

Degas, Edgar 188

Dehmel, Richard 58

Dickens, Charles 122

Dill, Lisbet 174

Dio Chrysostomos 177

Döblin, Alfred 57, 129-136

Dostojewsky, Fedor 15, 57, 62, 126

Doyle, Conan 192

Dreyfus, Kapitän 69

Duhamel, Georges 174

Dürer, Albrecht 34, 177

Dymow, Ossip 16, 174

Ebers, Georg 97, 172

Ehrenstein, Albert 137, 140

Eje, Anders 192

Ekkehard, Meister 29, 35, 170

Ellenbach, Dame 184

Elvestad, Sven 192

Emin Pascha 104

Ensor, James 146

Ernst, Paul 173

Erzberger, Matthias 23

Essig, Hermann 186

Eugen, Prinz von Savoyen 140

Evers, Hanns Heinz 25

Euripides 190

Facius, F. W. 177

Farnese, Galerie 219

Feininger, Lyonel 209

Finkh, Ludwig 23

Flake, Otto 211, 224

Flaubert, Gustave 15, 58, 69, 217

Flesch-Brunningen, Hans v. 192

Fleuron, Svend 195

Foch, General 221, 224

Fontana, Oskar Maurus 186

Fontane, Theodor 23, 220

Fra Diavolo 87

France, Anatole 15, 46, 58, 174

Frank, Bruno 126

Frank, Leonhard 126-128, 136, 142

Franklin, John 104

Freytag, Gustav 98, 209

Fröhlich, Friedrich 79-100

Fulda, Ludwig 176

Gailer, von Kaisersperg 170

Ganghofer, Ludwig 57

Gautier, Theophile 179

Gejerstam, Gustaf af 87, 44, 176

Georg IV. v. England 157

George, Lloyd 116

George, Stefan 189

Gessi, Romolo 104

Glîchezare 122

Gmelius, Kräuterwissenschaftler 104

Godwin, Catherina 192

Goethe, J. W. v. 83, 223

Gogh, Vincent van 25, 44, 188

Goldring, Douglas 174

Gordon, Charles George 104

Gorki, Maxim 16, 58

Gottfried von Straßburg 48, 172

Grager, Herr 104

Grillparzer, Franz v. 93

Grimmelshausen, J. Cristoph von 22, 170

Grosz, George 129

Grumbacher, Abgeordneter 52

Grünewald, Matthias 135, 209

Gulbransson, Olaf 148

Gundolf, Friedrich 189

Gutzkow, Karl 69

Halström, Per 175

Hamsun, Knut 15, 25, 41, 58, 175

Hänisch, Konrad 228

Hart, Heinrich 72

Hartmann von Aue 172

Hauptmann, Carl 23

Hauptmann, Gerhart 30, 45, 57

Hausenstein, Wilhelm 194

Heckel, Erich 121, 209

Hejdenstam, Verner van 176

Heine, Heinrich 159, 171

Heinrich IV. 120

Heller, Frank 192

Herwegh, Georg 12

Herodes 207

Herzog, Rudolf 57, 191

Hesse, Hermann 23, 105, 195

Heymann, Walther 140

Heyse, Paul 70, 171, 216

Hiller, Oberleutnant 229

Hiller, Kurt 131, 140

Hindenburg, Paul v. 116, 225

Hoffmann, E. T. A. 179

Hofmannsthal, Hugo von 120, 153, 186

Hölderlin, Friedrich 20, 45, 130, 187

Homer 78

Huch, Ricarda 190, 182

Hugo, Victor 179

Hutten, Ulrich von 45, 170, 172

Huysmans, Joris-Karl 90

Jacobsen, Jens Peter 25, 36, 44, 176

Jagow, Traugott v. 116

Jammes, Francis 116, 173, 217

Jaurès, Jean 49

Ibsen, Henrik 25, 176

Jean Paul 171

Jensen, Johannes V. 35, 176, 195

Jeschua, Rabbi v. Nazareth 55

Jesus Sirach 143, 190

Joseph v. Neapel 86

Jürgensen, Jürgen 176,195

Kafka, Franz 121, 122

Kahane, Arthur 190

Kahn, Hannibal 174

Kaiser, Georg 155

Karl IX. 168

Karl XII. von Schweden 208

Kandinsky, Wassily 201

Kauffmann, Angelica 87

Keller, Gottfried 23

Kellermann, Bernhard 25, 36, 105, 171

Kerr, Alfred 25, 140, 159, 171, 220

Keyserling, Eduard Graf von 28, 32-46, 153, 159

Kirchner, Ernst Ludwig 121, 209

Kipling, Rudyard 195

Klabund 186

Klee, Paul 39, 117, 118, 209

Kleist, Heinrich von 163, 211

Knigge, Baron von 192

Kohl, Aage von 176

Kohn, Herr 174

Kolb, Anette 191

Kompilator des Buches: Ob Weyber Menschen seyn 190

Kornfeld, Paul 126

Korolenko, Wladimir 37

Kotzebue, August von 90

Krell, Max 186

Kubin, Alfred 146

Kuntze, Dame 184

Kusmin, Michail 25

Lagerlöf, Selma 176

Lambert, Graf 222

Landauer, Gustav 69

Laotse 29

Lasker-Schüler, Else 120, 137, 139, 191

Lehmann, Wilhelm 187

Lehmbruck, Wilhelm 209

Lenin 52, 126, 201

Lettow-Vorbeck, General 207

Lessing, G. E. 29, 171

Levage, Herr 144

Leviné, Eugen 222

Lichnowsky, Fürstin Mechthild 186

Liebermann, Max 36

Ligne, Prinz von 98

Liliencron, Detlev von 46

Liebknecht, Karl 69

Lionardo, da Vinci 135, 177

Li-tai-pe 12, 116

Livingstone, David 104, 185

Löns, Hermann 195

Loti, Pierre 37, 105

Louis Philippe von Frankreich 102

Ludendorff, Erich 120, 203, 221

Ludwig XIV. 201, 207

Lukian von Samosata 177

Lunatscharsky 126

Luther, Martin 171

Luxemburg, Rosa 69

Macchiavelli, Niccolo 78

Madelung, Aage 35, 176, 195

Maeterlinck, Maurice 178

Manet, Edouard 37

Mangin, General 222

Mann, Heinrich 44, 57, 58, 75, 155, 158-168, 171, 211

Mann, Thomas 45, 58

Marc, Franz 59, 119, 209

Marinetti, F. 129

Martens, Kurt 194

Martinet, Marcel 174

Masereel, Frans 210

Massary, Fritzi 187

Matuccio, Kastrat 87

Maupassant, Guy de 15, 45

May, Karl 144

Megret, Ingenieur 208

Mechthild von Magdeburg 170

Mehemed, Ali von Ägypten 102

Meier-Gräfe, Julius 194

Meyer, Conrad Ferdinand 22

Meyrink, Gustav 122, 137, 145, 146, 147

Micha bin Gorion 142

Michel, Wilhelm 187

Michelangelo Buonarotti 177, 219

Mierendorff, Carlo 187

Miguel, Dom von Portugal 161

Mirampal, Mathieu de 179

Modena, Herzog von 183

Moja, Hella 218

Molière 227

Monet, Claude 37

Mozart, W. A. 85

Mahler-Müller, Wilhelm 172

Müller, Robert 186

Munch, Edvard 58, 146

Murat, Joachim 20

Musset, Alfred de 27, 162, 179

Nachman, Rabbi 143

Napoleon I. 89, 90, 97

Niebergall, Ernst Elias 108-114

Nietzsche, Friedrich 170

Nolde, Emil 209

Norlind, Ernst 230

Noske, Gustav 223

Notker Labeo 29, 170

Novalis 12

Otto III. 207

P., Marchesa 86

Pascal, Blaise 165

Pascin, Julius 130

Paul, Adolf 194

Pauline, Napoleons Schwester 90, 95

Paulus, Kätchen 153

Pechstein, Max 204

Peladan, Sar 37

Perrault, Charles 166

Pétain, General 116

Petrarca, Francesco 172

Philippe, Charles Louis 116

Picasso, Pablo 44, 117

Pissaro, Camille 37

Pius VII. 89

Plato 177, 221

Plotin 177

Plutarch 177

Pontius Pilatus 207

Porten, Henny 222

Poussin, Nicolas 158

Presber, Rudolf 156, 174, 176

Pückler-Muskau, Fürst Hermann 80, 97, 101

Purrmann, Hans 209

Rabelais, Francois 196

Raffael Santi 183

Rane, Elisha Kent 164

Rembrandt van Rhyn 158

Renard, Maurice 192

Reni, Guido 188

Renoir, Auguste 36, 39, 44, 188

Reuter, Gabriele 174

Reynière, de la 90

Richardson, Samuel 181

Rilke, Rainer Maria 156

Romains, Jules 174

Rohlfs, Christian 209

Roswida von Gandersheim 43

Röttger, Karl 194

Rubens, P. P. 135

Rupprecht von Bayern 203, 207

Russolo 129

Sack, Gustav 188

Schäfer, Wilhelm 24

Schaffner, Jakob 24

Scheidemann, Philipp 116

Schickele, René 47-55, 116, 136, 173, 188, 211, 222

Schiller, F. von 83, 223

Schinderhannes 83

Schlaf, Johannes 172

Schnitzler, Arthur 22-31

Severini, Guino 129

Shakespeare, William 43, 216

Slevogt, Max 36

Sokrates 177

Soyka, Otto 192

Spitzweg, Karl 119

Stadler, Ernst 50

Staël, Me. de 179

Stanley, Henry 104

Steffen, Albert 195

Stehr, Hermann 22, 174

Stein, Erwin 184

Steinrück, Albert 159

Sternheim, Carl 39, 44, 75, 140, 148-157

Stramm, August 132

Straparola von Cavaraggio 196

Strindberg, August 12, 134, 159, 175, 217

Stucken, Eduard 189

Suarès, André 105

Supper, Anna 23

Thoma, Hans 120

Thomas a Kempis 45

Ticknesse, Philipp 104

Tirpitz, Admiral 225

Tizian 183

Tocnaye, de la, Weltmann 104

Toller, Ernst 224

Tolstoi, Leo 16, 179, 209

Tovote, Heinz 193

Trotzki, Leo 228

Tschechow, Anton 27, 42

Unruh, Fritz von 35, 75, 142

Urban VIII. 207

Uzarsky, Adolf 196

Veniselos, E. T. 9

Verfasser des Buchs: Zeichen und Wert des verletzten und unverletzten jungfräulichen Zustands 178

Verfasser des: Speculum historicum 181

Verlaine, Paul 189

Verne, Jules 122

Vitruv 160

Voltaire 90, 122, 217, 221

Volterra, Daniele da 219

Wallot, Wilhelm 69

Walser, Robert 119

Wassermann, Jakob 25, 44, 56-67, 190

Wedekind, Frank 159, 171, 176, 217

Wegener, Paul 159

Wells, H. G. 37, 192

Werfel, Franz 138, 147

Westheim, Paul 194

Wieland, Christof Martin 159, 171

Wilde, Oskar 135, 153, 176

Wildenbruch, Ernst von 70

Wilhelm II. 13, 52, 71

Winternitz, Friederike von 190

Wolfenstein, Alfred 186

Wolfradt, Willi 194

Wolfram von Eschenbach 172

Zech, Paul 186

Zobeltitz, Fedor von 174

Zola, Emile 37, 45, 69, 70, 122, 166

Zschokke, Heinrich 90

Zweig, Arnold 140

 

 


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electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
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property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
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Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
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LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
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TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
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in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS,' WITH NO OTHER
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with this agreement, and any volunteers associated with the production,
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harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
business@pglaf.org.  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://www.gutenberg.org/about/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://www.gutenberg.org/fundraising/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's
eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII,
compressed (zipped), HTML and others.

Corrected EDITIONS of our eBooks replace the old file and take over
the old filename and etext number.  The replaced older file is renamed.
VERSIONS based on separate sources are treated as new eBooks receiving
new filenames and etext numbers.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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identical to the filename).  The path to the file is made up of single
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