The Project Gutenberg EBook of Die Osternacht, by Leopold Schefer This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Die Osternacht Zweite Abtheilung Author: Leopold Schefer Release Date: August 18, 2012 [EBook #40524] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE OSTERNACHT *** Produced by Jens Sadowski
Die Osternacht.
Zweite Abtheilung.
Sinnwort:
Soldatenfreuden
Sind Menschenleiden.
Nun wird die gute Zeit wohl aus sein! sprach Christel, mit gesenktem Köpfchen zur Erde sehend und ihre Hände gefaltet.
Vater, die Straße brennt! rief Daniel, durch das Thor in den Hof springend.
Ach, daß die nur brennte, nicht auch unser liebes Zahlbach, und Häuser, Gehöfte, Dörfer und Kirchen im Lande! erwiederte ihm Johannes und nahm ihn an die Hand. Wo erst die Pferde Rauch machen, da machen die Menschen dann Feuer und Elend.
Was für Menschen? frug Wecker, fast erhaben darein sehend, und mit dem Ohre wie vom Himmel auf eine Antwort horchend. Aber, mein Daniel, fuhr er mit belehrender Geberde fort, die da kommen, das sind gar wundersame Menschen, Cento- oder Milletauren aus Taurien, mit vier Pferdebeinen und Pferdeschwänzen, und mit zwei Köpfen — einem Pferdekopf, der sehr klug ist, und Hafer frißt, auch grüne Saat und Dachschoben von den Strohhütten und liebes Brod von den Tischen — und einem Menschenkopf mit einem Bart wie ein Ziegenbock, und mit zwei Händen, wovon die eine so lang ist, wie ein Spieß, und von Holze, und ganz vorn der eine Finger daran von Eisen! — Cavallerie, von Cavallo, nicht von Cavalier! wie euer alter Vater Frommholz sagt, Johannes!
Ach, scherzt doch nicht, Wecker! bat Christel. Mir ist wie vor einem Gewitter, das still heraufzieht.
— Und vorüber! meinte Wecker. Ist am Himmel nur Eine Wolke von heute früh nur, oder von gestern, von vor dem Jahre, von vor hundert oder tausend Jahren zu sehen! — seht hinauf, mit euren lieben feuchten Aeuglein, liebe Christel: Alle sind weg! Verflogen, verregnet, verdonnert, verstoben — und der alte Himmel ist hell! Und kommen auch neue Wolken, so wird der Schwarm, so groß und barbarisch er ist, auch vorüberziehen, und die Erde wird wieder rein sein — wie nach der Sündfluth, Der arme Noah! Der litt einmal! Es ist auch ein Elend, viele, viele, ja alle andere Menschen umkommen zu sehen, und selbst feuer- und wasserfest und wohlverpicht in seiner Arche zu sitzen, und Tauben und Raben hinaus zu lassen, um zu wissen, ob die Erde wieder gangbar ist? — Und hätte ich nachher den Regenbogen gesehen, so hätte ich gesagt: Verzeih’ mir’s Gott! er gefreut mich nicht; — es sind gar zu viel Menschen ersoffen, denen er — Frieden bedeutet! Das sind nur die Thränen von allen den Leuten, die zum Himmel geweint haben, aller der desperaten Sünder! Darum lieber selbst etwas mitleiden, etwas mitweinen, ein paar Glieder von den Seinigen oder von seinem Leibe miteinbüßen, wenn ganze Korporationen in und am corpore — dem corpus delicti — leiden, das ist in bösen Zeiten ein wahrer Trost! Das macht uns zu Mitmenschen, Mitkönigen und Mitbauern, je nachdem wir nun dies oder das sind, liebe Christel. Die Kinder Gottes leiden! Von jeher, und noch wie lange, weiß Niemand! Und die Herren denken: haben sie so lange gelitten, mögen die paar Millionen auch noch ein paar tausend Unglücke weiter leiden. Denn sie bleiben es doch. Aber — Wecker bleibt Wecker!
Ach, Ihr meint es rechtschaffen, mit uns und der ganzen Welt! sprach Christel.
Das wollt’ ich nur wissen! erwiederte er weich, da sich oben am Himmel ein Regenbogen aufbaute. Glaubt nur, Kinder, für einen Rechtschaffenen ist das ganze Himmelszelt, so groß es ist, nur eine Hütte! Er ist viel größer, viel leichter als die Bläue, viel fester in seinem Kerne, und lebt und schwebt mitten darin und doch hoch darüber — wie euer alter Vater, Johannes, da droben als Zimmermann an dem Kirchthurme hängt, wie ein Grünspecht mit seiner grünen Jacke, und hackt! Seht nur, jetzt hackt er die Axt fest, und sieht sich um über die Gegend nach Britzenheim zu, und sieht den Schwarm der Feinde kommen, davon wir nur erst noch den Staub erblicken, nicht die Herren Staubmacher, zu Staubmacher und zu Staubwerder selbst!
Jetzt blieben alle eine Weile still, denn es fiel ein Kanonenschuß von der Klubbistenschanze vor der, nur eine Viertelstunde von Zahlbach entfernten Festung Mainz; und als er verdonnert, und in den Thälern verhallt war, sahen sie sich an, Wecker aber fuhr fort: Kinder, das war seit langer Zeit der erste! Die blauröckigen Kinder drin werden wach, und schau . . . sie haben den Staub auch gesehen! Aber um hinauf zu dem alten Großvater Frommholz auf den Thurm zu kommen, seht nur, er läßt die Axt eingehackt und kriecht zum Loche hinein! Er wird herunter kommen, und uns berichten . . . oder kommt er bloß zum Abendessen? Das wäre besser! Aber dabei bleibe ich: Jetzt in der allgemeinen Noth marschirte ich mit keinem lieben Vieh, je einem Männlein oder Fräulein, und mit meiner seligen Frau, mit Söhnen und Töchtern und sündlosen Anverwandten, auch wenn ich welche hätte, doch nicht in die aufgethane Arche, und lebte darin in Freuden, und wohlverpicht! Denn das erlebe ich, daß auch mein Sohn Friedrich Wecker, der wohlgerathene Tambour, aber mißrathene Schulmeister, ohne Arme oder ohne Beine — ad lubitum der Herren Feinde, aus Rußland oder aus Deutschland angewackelt kommt — oder nur von Hanau, wo man unserem Hochverehrten den Weg verlegt hat, die Breite und nicht die Länge. Verkehrt! Denn von der Seite reitet man ein Pferd um. Aber mag er kommen ohne Trommel, ohne Arm, ohne Zehrpfennig — er soll mein lieber Sohn sein! Ich will mich im Geiste seiner Mutter, als meiner lieben Ehehälfte im Grabe, wovon die andere Hälfte, als nämlich ich, noch über dem Grabe vagirt — freuen, und wieder einmal weinen, als ein einsamer Mensch, der gar Niemanden mehr schelten kann; denn ihr alle, der alte Großvater Frommholz, Ihr Johannes, Christel und eure Kindlein, ihr seid doch Alle gar zu gut, und ich habe nichts, als im Herzen euch Dank zu sagen! Aber Mann und Weib ist ein Leib. Aber was ist ein Wittwer und eine Verklärte? nämlich meine Ehehälfte. Es ist doch ein närrisches Leben, wenn Einer halb im Grabe liegt mit schwarz bombasinenem Kleide und cannevassener Haube — und zugleich auch halb draußen steht, wie Ich, und als Ich, ganz, gesund, alt, mager und sechs Fuß hoch, wie ein Weinstock — ohne eine einzige Rebe, vor dem Winter eingepackt in einen alten Rock, grob wie eine Matte, und einen Stock im Leibe, damit die ganze Vogelscheuche nicht einfällt! Darum mein großer Friedrich, komme Du heim, komme mir nur heim, ob ich gleich keine Heimath habe! Aber ich habe eine Brust und ein Herz, da sollst Du Schlingel zu Hause sein, weil Du doch einmal darin immer zu Hause gewesen bist — auch so lange Du entlaufen warst, oder wohlgerathener Landstreicher und Tambour — vielleicht . . . Major!
Nun, sprach Christel, das Unglück der Großen ist oft, wenn nicht immer, der Kleinen Glück; wenn ein Sack — wie Napoleon, reißt, fallen viel Körner heraus; und so kommt vielleicht auch mein Bruder, der Stephan, wieder, der mit Gewalt mit angeworben wurde, weil er kein Weib, keine Kinder, sondern nur . . .
— — nur Haus und Hof, Kühe und Kälber, Pferde und Ochsen hatte, fiel Wecker ein. Freilich, um die war’s nicht Schade, ob sie ihn gleich vielleicht auch gut gekannt und lieb gehabt haben! Aber wer kann alle Herzensangelegenheiten schonen!
Daniel winkte zu hören, und sprach nach einer langen Pause: Wie sie gesungen kommen —
— daß einem das Herz im Leibe lacht und der Magen, meinte Wecker. So in Fugen singen sie; Einer fällt nach dem Andern ein, der Dritte, der Vierte, und Alle aus vollem Halse. Und wie es fromm klingt! Das sind gewiß gute Menschen! Wer singt, ist gut, nämlich so lange er singt, und den Mund dazu braucht.
— Horcht! nun pfeifen sie gar! rief Daniel, freute sich, und wollte zum Thor gehen, um aus dem Gehöfte auf den Weg das Dorf hinauf zu sehen.
Ach, seufzte Christel, was sollen wir thun? Was ist jetzt gut, oder was ist schlimm von dem, was wir Leute gewohnt sind? Jetzt ist kein Schritt recht oder gleichgültig, kein Fleisch recht gekocht, kein Huhn gut gebraten, keine Suppe recht gesalzen! Da lob’ ich meinen Johannes und euch Alle! — Ihr wart immer mit mir zufrieden. Aber darum vernachläßigte ich nichts, in dem guten Zutrauen auf eure Geduld; sondern je begnügter ihr wart, je sorgsamer strengte ich mich an, und lauschte und merkte mir gern, was der Kleinste gern hatte. Nun werde ich nichts recht machen; und ich möchte wahrhaftig mein Sophiechen oder meine Clementine sein! Heut nur in unserm Zahlbach! Denn . . . seht nur, wie glücklich sind doch die Kinder! Wie leben sie überall und immer im Paradiese! Ohne Sorge und Furcht, glücklich, wenn nur die Mutter lächelt und spricht: Du bist mein liebes Kind! Seht nur, mein kleines Osternachtkind, die kleine Clementine, die ich der guten gnädigen Frau zum Andenken so genannt — sie versprach mir gestern Nacht: ohne mich ganz allein einzuschlafen, wenn ich ihr ein Brodchen mitbüke; und so konnte ich ungestört backen; jetzt hat sie es dort bei sich; und da ihr das Schaukeln so gefällt, so denkt sie: dem lieben Brodchen soll es auch gefallen, und so hat sie es auf den Sitz der Schaukel gesetzt, und schaukelt es mit ihren kleinen Aermchen! Ach mag doch Alles verloren gehen . . .
. . . Also hübsch langsam! schaltete Wecker ein. Verloren gehen, nicht verloren rennen!
Auch das! fuhr Christel fort; mag heut, schnell, gleich Alles verloren werden, und hin sein, selber das tägliche Brod, sogar wie es Luther auslegt, nur nicht . . . nur nicht: Mann und Kinder! Nicht Ein Kind! Weiter bitte ich Gott um nichts . . .
. . . Um nichts weiter! Ei, meine bescheidene Christel, da bittet Ihr recht viel, recht grob den lieben Gott! sprach Wecker. Denn, wie ich Euch kenne, habt Ihr eben nichts weiter, nichts Anderes in Euren Gedanken, in Eurem Herzen, als den Mann und die Kinder. Ihr wollt also nur geradezu Alles behalten, was Ihr habt und besitzt; denn die Tausend Gulden von Eurem Vater, die der alte Herr von Borromäus für Euch am Kaufgelde hat fahren lassen müssen, und die Ihr ausgeborgt habt für die Kinder, die kümmern Euch nicht; auch nicht die dreihundert Gulden Lotteriegewinn vom Gevatter Pathen Leineweber Krieg, die Euch Dorothee wiederbezahlt, weil sie nun mehr hat, und nichts schuldig sein wollte, das protzige Mädchen, das nicht aus Fleisch und Blut zu bestehen scheint, sondern aus lauter Ehre zusammengebacken, und mit Mädchenstolz gesäuert.
Ihr habt nicht ganz Unrecht, . . . Meister Wecker, wie Ihr ohne Schule nun einmal wollt genannt sein, damit Ihr doch noch etwas wäret oder hießet; sprach Johannes dazu. Selbst die saubern Geräthschaften, Tische, Stühle, Schränke, Betten, Gebetten, Kisten und Kasten mit Wäsche und sächsischer Leinwand, und was wir Alles aus Herrn Paschalis Schiffchen packten, freute meine gute Christel nur um der Kinder willen; die freuten sich! Aber doch Sonntags, wenn Alles fein sauber aufgeräumt war, die liebe Sonne in die blanke Stube schien, und Christel selbst auch sonntäglich in dem lieben Sonnenschein stand, da gewann ihr die neue Heimath denn doch ein heimliches Lächeln ab. Das Geld haben wir nicht zum Bauen gebraucht; denn als meinem Vater seine zweite Frau gestorben war, mit welcher er Alles erheirathet hatte, da ward ich wieder sein Sohn, da durfte ich wieder zu ihm kommen, da mußte ich sogar Haus und Garten und Feld von ihm nehmen, zum Zeichen, daß er heimlich immer mein guter Vater gewesen.
Jetzt kam der alte Frommholz vom Thurme. Die Kinder liefen ihm entgegen, auch die Kleinste mit ihrem Brodchen, und er mußte sie auf den Arm nehmen. Der alte Mann nahte und trat zu ihnen. Seine Gestalt war hoch, sein Gesicht ernst geworden von dem langen Zuschauen der wechselnden Erde, die ihre schönsten und besten Kinder, die Menschen, wenig zu achten scheint; dennoch war seine Stellung fest, sein Auge getrost, aber seine Hand vom Alter mager, von der Sonne braun; und das Kind hatte sein kleines, weißes Händchen darauf gelegt, wie ein Blüthenästchen auf einen trockenen Ast; und — wie eine Rose an ein altes Gemäuer — lehnte es sein kleines Gesicht weiß und rosig an das gleichsam wettergraue Gesicht des Alten; und die noch nicht gefärbten weißlichen Haare der Kleinen mischten sich mit den schon wieder entfärbten, und nun auch weißen Haaren des Großvaters, die ihm voll bis auf die Schultern hingen, und er hieß bei Menschen ein ehrwürdiger alter Mann, entweder weil er die Sonne lange gesehen hatte, oder sie nicht mehr lange schauen sollte. — Da will ich die Wahl haben! meinte der lebenssatte Wecker, wenn die Leute demselben Glück zu dem schönen Alter wünschten und ihn bewunderten — wie den eingefallenen Thurm zu Babel, und die vornehme Nase, die nach Damaskus — geschaut hat, in ihrer Jugend.
Nun, Großvater, sagte jetzt Christel, Ihr stellt Euch so ruhig und schweigsam zu uns! Erzählt uns doch! Rathet uns doch!
Wer kommt denn eigentlich? frug Johannes; unsere große, ganz klein gewordene Armee?
— Unser Friedensstifter, Vermittler, Bundruthe unseres Rheinbundes, unser allergroßmächtigster Kaiser und allezeit Mehrer des Reiches, auch wenn er ein Stück von seinem Kaisermantel nach dem andern verliert? fragte Wecker.
Was sollen wir thun? frug Johannes; sollen wir hier bleiben, draußen? oder hineingehen? Kochen, braten oder backen? Und was? Oder sollen wir Alles stehen und liegen lassen, und ein ruhiges Land aufsuchen?
Kinder, sagte der Alte, heut zu Tage kann man immer auf das Entgegengesetzte von dem gefaßt sein, was alle Menschen vermuthen und glauben, selbst die Herren Potentaten. Alles kommt anders und besser, als selbst der Freiestgesinnte und Beste denkt, und ganz etwas Neues! So kommen auch jetzt unsere Feinde, die Kosaken, vor unserer Armee, als ihre Vorreiter, Voresser und Vortrinker. Aber, was Ihr thun sollt, meine Kinder? — Nichts! Wenn böse, gefährliche Zeiten kommen, muß Jeder schon das Seine gethan haben: gelebt, gebaut, geheirathet, gesorgt, verdient und gespart. Die böse Zeit tritt zum Menschengeschlecht als sein Richter, und spricht: So wie du gelebt hast, so wird dir geschehen; mein Buch ist geschlossen, deine Rechnung gezogen. Die sieben fetten Kühe müssen die sieben magern übertragen. Wer die sieben fetten in’s Haus geschlachtet hat, der kommt um! — Aber, sprach er mit Lächeln, ein ruhiges Land aufsuchen? — Wo denn? Jetzt nirgend. Wenn Erndte ist, ist überall Erndte, ein Paar Tage, ein Paar Wochen später; aber Erndte ist gewiß, gute oder schlechte, wie und was Jeder gesäet hat. Vielleicht hätten wir sollen mit den verständigen, freien Würtembergern, den Rhein hinunter, nach Amerika ziehen. Wenn in einem Lande Herbst wird, ziehen die Lerchen, die Schwalben und Störche von dannen, und sind unverständige Vögel. Sie nisten über dem Meere nicht, aber der Mensch baut sich an, und gedeiht überall wohl, wo nur die Erde ist, und nur die Erde ist sein Vaterhaus und seine gute gleichnährende Mutter überall. Die große Lehre hat uns Schmach und Schande gelehrt. Uns aber ließ man doch die vorzüglichste Freiheit — wegzuziehen, wenn es uns nicht unter dem neuen Herrn des Landes gefiel; und nur die Freiheit des freien Abzugs mit Weib und Kindern, kleinen und großen, zu jeder Zeit muß den Menschen bleiben, wenn sie so durcheinander gewürfelt und hinüber und herüber verspielt und gewonnen werden, wie bis jetzt anno 1813, als wenn die Unterthanen liebes Vieh wären, und kein Herz hätten, und zu Niemand ein Herz haben sollten. So wollte man, und so ist den ihr Wille geschehen. Amen!
Amen! Amen! In Ewigkeit! sprach Wecker fromm und gläubig dazu. Der Bauer Adam Müller hat doch Recht gehabt! Es ist Krieg geworden, 1812, wie in dem Briefe an den seligen Herrn von Borromäus stand! Vielleicht gehen nun auch die unschätzbaren schlechten Zeiten an, die er verheißen, und worüber sich das Landesväterchen so gefreut!
Die Unsrigen rücken aus Mainz dem Feinde entgegen, und wahrscheinlich begegnen sie hier sich im Dorfe; sagte der Alte erst jetzt. Es kommt darauf an, wer schneller reitet.
Mein Gott! stöhnte Christel. Wer hätte gedacht, daß man unter einer Festung Napoleons nicht sicher wohnte!
Sogar er selber nicht mehr, sprach der Alte. Aber wenn Er sogar nicht mehr sicher ist, so können alle Andern, die nicht solche Männer wie Er sind, nicht ihren festen Sitz auf hundert Jahre verpachten, ohne daß der Pächter nicht vor Ablauf der Pachtzeit — stirbt.
Wecker schüttelte sich und sprach: Mir ist ordentlich als ginge Jemand mit Geisterschritt in den Wolken, und warnte herab mit dem Finger, und spräche große Lehren herab; und auf Erden liefen Teufel umher, und hielten den großen Menschen die Ohren zu, und sprächen: Das da oben ist bloßes Luftgebrause! Unsinn am Himmel! Wer nicht gehört hat, der darf nicht folgen. Erlauben Sie also gnädigst, Ihre hochgeehrten Ohren mit dem weichsten schadlosesten Wachs zu verkleben; es ist gelbes natürliches Wachs, ohne allen Arsenik! Sehen Sie, ich verschlinge ein Stück davon. — Und bei den Worten brach Wecker einen Krumen von Clementinens Brodchen, und verschlang ihn im Eifer.
Der Lärm ist im Dorfe! sprach Christel bestürzt. Riegelt das Thor zu!
Da sprengen sie es ein! und werden erst wüthende Gäste! versetzte der Greis.
— Verbergt Euch!
Da holen sie uns hervor mit Flintenkolben und flachen Klingen.
— Fliehen wir!
Da zünden sie das Haus an, oder richten uns Alles zu Grunde.
— Kommt in das Haus!
Da kommen sie nach, und erbitterter! Das weiß ich als alter Soldat. Thut, als kämt Ihr, sie zu begrüßen. Sagt, Ihr wartet auf sie. Laßt Alles offen! Bleibt, wo Ihr seid; wir sind überall in Gottes Händen! Wer da denkt: Gott hat ihn nur im Mutterleibe gebildet, und da das Leben gegeben; und nicht glaubt, daß Gott ihn jeden Augenblick so wunderbar fort bildet, und seinen Odem ihm leiht, der ist ein Blinder.
Das wollt’ ich nur wissen! meinte Wecker.
Wißt, denkt, glaubt es doch auch, Ihr alle meine Lieben; fuhr der Alte fort, während man kaum vor Geräusch und Geschrei und Geklirr und Gestampf seine Stimme recht hörte. Wißt Ihr es auch. Die Rosse hat Er geschaffen, die eisernen Spitzen sind aus seiner Erde, die Menschen sind aus seinem Paradiese. —
Die Wuth aber ist vom Teufel! schloß Wecker.
Denn von den Feinden, die sich eben im Dorfe einnisten wollten, aber schon wieder ihre Feinde: französische Infanterie, begegneten, kam ein Kosak in den Hof gesprengt, der einen Franzosen verfolgte. Der Franzose lief in einem Zickzack um die schönen Linden, die jetzt schon gelbe Blätter verstreuten, auf das Haus zu. Alle sprangen nach dem Hause; Wecker mit Gotthelf, Christel mit Sophiechen, Johannes mit Daniel, und der alte Großvater Frommholz war mit dem kleinen Osternachtkinde, mit Clementinen, die er auf dem Arme trug, der Letzte. Das Kind sah über die Achsel des Großvaters nach dem weißen Pferde, und hielt sein Brodchen hoch und bereit, es dem fremden Manne zu geben — da verfehlte der Kosak mit der langen, rothen, eschenen Lanze seinen Feind, der eine schnelle Wendung machte, und sich platt mit seinem Gewehr auf die Erde warf, und die eiserne lange Spitze der rothen Stange fuhr dicht über der Schulter des Großvaters mitten in die kleine Brust des Kindes, und durch und durch, daß der alte Mann die Spitze mit seinem rechten Auge erblickte; und er stand wie angewurzelt, wie mit Feuer begossen von dem Gedanken, was da geschehen sei; und ohne Kraft, das Schicksal der leichten, aber unglücksschweren Last zu tragen, sank er auf seine Kniee; vor seinen Augen war gänzliche Nacht, und in der Nacht war gänzliche Wüste; aber das Kind hielt er noch fest.
Nur der Kosak schrie auf — menschlicher Weise gedenkbar: selbst in der eigenen Wuth noch erschrocken über das — Kriegsglück, daß er statt des Feindes, das Kind durchbohrt. Aber es war ein Schuß gefallen; denn der bedachte, absichtlich handelnde Franzose hatte sich gleich wieder auf ein Knie gerafft, richtig den Augenblick ergriffen, sicher gezielt und sicher getroffen, und der Kosak lag am Boden. Niemand konnte erkennen, daß er ein alter Mann mit silberweißem Barte war, kaum daß er ein Mensch sei, wenn es nicht die übrige Gestalt noch hätte schließen lassen; denn über Augen und Gesicht floß lichtrothes Blut von der Stirn, unter der rothen vierlappigen Mütze hervor, und überfloß den breiten Bart, als sei er aus blühendem Fuchsschwanz künstlich gemacht; und die gerötheten Zähne im Munde klapperten vor Schmerz oder Wuth; denn er war gleichsam nur ein blautuchener Schlauch voll deutscher Beute.
Die indeß genahten Franzosen hatten mit einer Salve der reitenden Artillerie die Kosaken wie sechsbeinige Hasen aus dem Dorfe gebürschet. Man hörte in der Ferne nur schreien und reiten, und sah wieder die Straße brennen. Im Dorfe aber und in Johannes Hofe war es still. Der Franzose hatte den Schimmel am Zaume aufgegriffen, und an der Linde angehangen, stand ruhig, putzte seine Flinte rein, und ladete sie wieder, während er mit finstern Seitenblicken zu dem Kosaken auf die Erde zwischen den Zähnen murmelte: Moskowiter! Ismaeliter! Esauwiter! — Da liegst Du — und Ich nicht! — Du bist mein — und Ich nicht Dein!
Wecker war in heiliger Entrüstung indeß bei dem alten Frommholz vorüber, herausgeschritten, und in Bezug auf den in seinem Blute schwimmenden Asiaten sprach er mit innigem Bedauern und herzlichem Wohlmeinen zu dem Franzosen: Kain! Kain! Kain! o fliehe! fliehe! — Du hast Deinen Bruder erschlagen! Wir wollen unsere Augen indeß zudrücken, daß wir nicht wissen, wohin Du geflohen!
Und so drückte er seine Augen zu, und stand mit geröthetem Angesicht harrend. Da er aber nur ein verwundertes Lachen hörte, schlug er die Augen wieder auf, sah den Lachenden mit Erstaunen an, und frug ihn, ganz irr’ an sich und der Welt: Nun so sagt: Wer hat Euch das Recht gegeben, den Mann zu erschlagen?
Ihr seid verrückt! entgegnete der Franzose.
Das habe ich schon von Andern gehört! entgegnete Wecker; aber, mein Freund — — denn auch Ihr seid noch mein Freund — aber auch so ein Ungeheurer, wie ich, kann fragen; also ernstliche Antwort: Wer hat Euch das Recht gegeben, geliehen, geschenkt oder vermeint zu geben, zu leihen, zu schenken!
Das Beispiel! närrischer Mensch. Die Trommel, der Feldwebel, der erste Kanonenschuß, das Wort „Marsch!“ Kein Mensch hat es uns eigentlich laut gesagt.
An der verschämten Art haben sie wohl gethan! sprach Wecker mit einiger Freude; aber gemeint haben sie es doch!
Und das recht redlich! Die Hohen befehlen, die Kleinen thun, die Alten thun es vor, die Jungen nach.
O Volk, du heiliger Affe! „sacra simia,“ wie auch Horaz den verfluchten Hunger nennt; aber kennt Ihr nicht aus dem Vorschreibe-Versbüchlein das Symbolum? Daniel! Wo bist Du? Bete doch dem Herrn Todtschläger den Vers vor: „Flieh, wenn Du — —“ Da er aber den Daniel nicht gewahrte, dictirte er gleichsam die Zeilen dem Manne in die Feder oder in die Flinte — wie er bemerkte — und sprach laut und warnend:
Flieh, wenn Du Böses siehst,
Und thu’ es niemals nach!
Du bist so strafbar sonst,
Als der es erst verbrach!
Der Franzose aber hatte einen großen russischen Hund, Peter, oder der große Peter gerufen, mitgebracht; und der Hund nun beroch den Kosaken; und hungrig, wie Peter sein mochte, leckte er ihm endlich das warme Blut vom Gesicht und aus den Augenhöhlen — und der Kosak stöhnte, schlug die Augen auf und erblickte seinen Schimmel, der sich von der Linde los gemacht, und mit gesenktem Kopfe neben seinem gefallenen Herrn, Freund und Vater stand. Und der Kosak schloß die Augen wieder.
Der kleine Gotthelf aber frug Weckern: Meister Wecker! Ist das ein Centaure?
Ja, mein Söhnchen, mein Gotthelfchen! erwiederte er. Gott helfe ihm! Es ist ein solcher guter, armer Teufel, wie einst ein gewisser Pferde- und Menschendoctor, Chiron benannt! Ist dieser hier nicht so lange todt wie Jener, so wird er es doch bald so lange werden. Aber die Todten holen sich wohl nicht ein? Indeß, so weit her sind sie Beide, und unser Gast wohl noch weiter her, der daher gekommen, um unsere Erde zu kosten, und statt um ein drei Ellen hohes Federbett, nur um ein drei Ellen tiefes Wurmlager bittet, ja nicht einmal bittet — so gut ist der liebe, alte Mensch; mein Gotthelf, mein Gotthelf. O, helfe doch Gott allen Menschen!
So sprach er in heißer Entrüstung und mit zum Himmel gestreckten Händen, und er schickte sich an, dem armen Alten beizustehen, und wo möglich noch Hülfe zu leisten, da er doch noch ein Lebenszeichen von sich gegeben — als Christel laut aufschrie.
Jetzt erst war sie herausgetreten; jetzt erst hatte die Mutter ihr Kind gesehen. Es lag auf dem Rasen neben der Thüre, und als es die Mutter erblickte, streckte es beide Händchen nach ihr. Der alte Mann hätte sein Enkeltöchterchen vielleicht sogleich hineingetragen, wenn er nicht befürchtet, dem Kinde durch eine Wendung oder durch das Nachschleppen der langen, schweren Lanze, an der es steckte, weh oder weher in seiner Brust zu thun; und so hatte er es nur ruhig hingelegt, und sich selbst auf die Bank gesetzt, wo er kraftlos und athemlos saß. Die Mutter bedeckte die Augen vor ihrem Kinde mit ihren Händen. Sie hatte gesehen . . . Alles mit einem Blick . . : es lebte noch! Es blutete nicht! Denn der Speer verschloß seine Wunde zugleich! Aber das holde Gesicht des Kindes war blaß, und die rosenrothen Wangen auf Zeit der Erde oder des Himmels dahin! Der Blick aus den schönen blauen, Hülfe bittenden Augen in ihre Mutterseele hatte ihr schweigend gesagt: sie sei des Kindes Mutter nicht mehr! Die liebe Kleine sei ihr auf einmal vom Herzen gefallen, so fremd geworden, und werde ihr bald so unkenntlich und so unergründlich sein, wie — Erde, und immer ferner, weit, fern, unerreichlich fern, und doch so nahe, so fest, so recht innig im Herzen, wie der durchbohrende, schmerzliche Speer in der kleinen Brust des Kindes. Ihre volle Mutterliebe stand auf einmal an einem grausen Abgrund still, wie ein gefrorner Wasserfall — und nur in der Tiefe schlich noch ein kleiner, zusammengedrängter, warmer Quell unter der eisigen Decke, das ewige schöne Gefühl: sie liebe noch! und jetzt erst unaussprechlich, unausweinbar, und zerflöße sie selber zu Thränen. Der blaue Himmel war ihr sonst nur die herrliche, gleichsam unsichtbare Decke über die Erde gewesen; die Erde selbst aber nur das weite, breite Haus für die Menschen, und die Sonne das stille Geleucht zu den Geschäften und Sorgen und Mühen aller solcher treuen Mütter wie sie, solcher redlichen Väter wie ihr Johannes, und solcher von Liebe der Aeltern gedeihender Kinder wie ihre! Jetzt war ihr die Erde kein fester Boden mehr; denn er schwand unter ihren Füßen hinweg, als habe sie auf falschem, nichtigem Gewölk gestanden; sie taumelte und hielt sich an die Pfosten der Thür. Und so war auch der Regenbogen über ihr nur ein Schatten; und die Sonne — dem Regenbogen gegenüber — war ihr nur ein grauses Gespenst, ein Gesicht ohne Augen, ein kahler, liebloser, lebloser Scheitel ohne Haar — sie hatte vergessen, daß es eine Welt gab, und ein Leben; denn dieses ihr Kind war hin! Und ihr Mutterherz empfand in dieser ihrer Noth keine andern Kinder mehr, sie waren ihr alle gestorben — und sie schrie laut und durchdringend. Dadurch hatte sie sich selbst aufgeweckt; sie blickte schüchtern und ängstlich und neugierig umher, ob es wahr sei, was sie geträumt — und als sie nun wiederum sah, es ist wahr . . . . es bleibt und bleibt wahr . . . . da strömte Eifer zu retten über sie; sie kniete hin und wollte dem Kinde den Speer aus der Brust reißen mit schneller, schonungsloser und schonender Hand.
Der französische Soldat aber sprang hastig hinzu, und wehrte ihr mit den Worten: Junge Frau, thut das nicht! Sonst verblutet sich erst das Kind. Es kann noch leben, bis ein verständiger Arzt kommt, der das vernünftig macht!
Johannes lief auf das Wort sogleich in das Dorf nach dem Dorfbarbier.
Seht, sprach der Soldat weiter, und riß seine breite, weiße, mit Haaren männlich geschmückte, schöne, hohe Brust auf, ich bin mitten hindurch geschossen, und lebe und kann schreien wie Einer: „Es lebe der Kaiser!“ — Mein Gehirn ist abgedeckt worden durch einen mich dumm zu machen meinenden Säbelhieb eines albernen Russen, aber, Gott sei Dank, ich bin noch so klug — wie ein Franzose! — Eine Kanonenkugel ist mir quer an den Augen vorüber gesauset, und hat sich unterstanden mir das Nasenbein verstellen zu wollen — aber seht, meine Nase ist noch musterhaft und der feinste Riecher! Und so schwach ich sehe, so sehe ich doch — aus Uebung den Feind, er sei blau, grün, weiß oder roth, wenn Ihr das versteht, liebe junge Frau! Ich muß denken — es ist Herbst auf immer für mich geworden, oder Abenddämmerung zwischen Hund und Wolf, oder die Frau Erde hat ihr Schleierkleid für mich angezogen — also sie hat mich ausgezeichnet durch ihre besondere Gunst.
Er sah sie bei diesen Worten an, und mußte zu ihr mitleidig lächeln, so freundlich sprach ihn das schöne, blasse, ängstliche Muttergesicht der Christel an, und er war eigen sanft und mild gegen sie, wie gegen eine frühere liebe Bekannte. Und das war sie auch wirklich. Christel war seine Schwester. Aber als er aus dem Vaterhause gezogen, war sie noch ein ganz kleines Jüngferchen gewesen; und er erkannte sie nicht, weil sie groß, ausgebildet, verändert durch ihre Reife, und verwandelt in ihrem Wesen durch ihr schreckliches Leid jetzt vor ihm stand; und nicht im Vaterhause, sondern im Hause eines fremden, ihm unbekannten Mannes, und als Mutter von erd- und weltfremden Kindern. Christel aber erkannte ihren Bruder Stephan nicht, weil sie sich nur seiner angehenden Jünglingsgestalt und obendrein nur dunkel erinnerte, er aber jetzt ein gebräuntes, bartverwachsenes Gesicht hatte, dem wohlgeheilte Wunden dennoch eine Entfremdung für sie gegeben; und der Mann schien ihr Bruder nicht, der aus einem sanften Knaben jetzt kriegverwildert vor ihr stand, auf die frühere Gutmüthigkeit jetzt rauh, roh und hart erschien, groß und älter geworden, wie sie ihn nie gesehen. Hätte er sie erkannt, dann hätte sie das Bild ihrer Erinnerung von ihm mit seiner gegenwärtigen kriegerischen Gestalt vertauschen müssen; aber ihn hinderte vorzüglich die Unwahrscheinlichkeit: sie könne es seyn, daran; und in ihrer reinen, liebenden Seele wurde jede mögliche Ahnung durch den Gedanken niedergedrückt: Das ist ein Mörder — der hat einen Mann erschlagen — der kann dein Bruder nicht sein! Und dennoch sah sie ihm in die mild auf sie gerichteten Augen, und frug nach seinem Namen.
St. Etienne heiße ich, antwortete er nicht ganz unbefangen, weil er sich durch und durch französisch gemacht hatte; und darauf schlug sie die Augen nieder und seufzte tief, als habe sie keine Ursache dazu, die sie wüßte; und ihr Anblick war wunderbar, bis sie sich über ihr Kind hinbeugte, und ihre Gedanken vergingen in heiligem Mutterschmerz. Aber sie hatte in Wahrheit ihren Bruder doch wiedergesehen. Und so hatte sie das Geschick auf eine zwar unverstandene, doch heilige Weise geheim und zart getröstet — und sie konnte weinen! Und das Kind hielt sich fest an dem Hals der weinenden Mutter geklammert.
Wecker aber hatte sich herzugekehrt, seine Augen waren immer größer geworden, sein Mund offener, sein langes, blasses Gesicht immer länger, seine Hände immer krampfhafter von ihm gestreckt, und zitternd gehalten, bis er nun die beiden stillen, theuern Wesen sah, seinen Nacken beugte und leise zu dem Kinde sprach:
Wie freundlich thust du dich doch zu,
Und greifst mit beiden Armen
Nach aller Welt, in Lieb’ und Ruh
Uns ewig zu umarmen!
Denn ich war Dir auch gut, Clementine, ob Du gleich noch nicht schulfähig warst! Nur Aepfel- und Birnenfähig, die ich Dir brachte. O, mein Kind! —
Der Kosak hatte sich mühsam aufgesetzt, und starrte vor sich ihn, als ob er zusähe. Und so gab Wecker ihm gleichfalls seinen Vers: „Hast Du noch etwas einzuwenden, Du armer Teufel! Ei komm’ her, versuch’ es ob Du was kannst enden; laß hören, was ist Dein Begehr? Doch Trotz Dir, Du verfluchter Geist, daß Du mich von dem Kreuze reißst!“ — „Pfeif, pfeif, Du tückische Sirene, und locke, Du vertrackte Welt! Ja, mach’ es noch einmal so schöne, und preise, was Dir wohl gefällt: bei einem, der sich hier befindet, da kommst Du Narre viel zu blind!“ — Er schämte sich aber, da der alte Mann, auf der That bestraft, wieder umsank; beugte sich zu Christeln, rührte sie an der Schulter an, und sagte ihr, während Thränen aus seinen Augen tropften:
„Wer hätte bei den Mördern
Die Unschuld doch gesucht?
Den Segen zu befördern
Wirst du von Gott verflucht.
Die Dich zu Boden treten,
Woher Dir weh geschieht.
Für diese willst Du beten;
Mehr Rache weißt Du nicht.“
Diese Worte erweichten Christel vollends. Und nun wußte sie nicht, was sie dem Kinde vor seinem Tode noch schleunig sagen, Liebes thun, vorsprechen oder versprechen sollte, um es über die böse Stunde hinweg zu bringen, oder nur die Augenblicke noch zu benutzen.
Kennst Du mich denn? mein liebes Kind! frug sie leise und hold, so hold sie es vermochte. Und die kleine Clementine lächelte nur, und drohte ihr mit dem Finger. Und dennoch frug sie, um es noch einmal zu hören: Nun wer bin ich denn?
„Nun meine liebe Mutter!“
Nun so habe mich einmal recht lieb! einmal („nur noch einmal“ vermochte sie nicht zu sagen). Und das Kind drückte sie, daß es zitterte, und küßte sie wieder und frug dann: „Mutter, aber was weinst Du denn gar so sehr!“
Und die Mutter antwortete ihr, sich bezwingend: Darum, daß Du nicht aufstehen kannst, nicht herumspringen, daß Dir die Brust wohl weh thut?
„Ach, es ist nur so wenig Luft geworden, und gar so heiß ist es, Mutter. Gieb mir nur mein Brodchen — ich will auch heute wieder ohne Dich einschlafen!“
Die Mutter schloß die Augen über das Wort, und gab ihr das Brodchen und sagte ihr dann: Sei nur noch ruhig und gelassen, bis der Vater wieder kommt. Wenn Du hübsch fromm bist, sollst Du auch ein ganz neues weißes Kleid kriegen, neue grüne Schuhe, und in Deine Härchen einen Kranz von den schönen Astern, die Du nicht hast pflücken sollen, und auch nicht angerührt hast, mein folgsames Kind!
Da sie aber den Todtenkranz gemeint, so konnte sie nicht weiter sprechen, wandte sich ab, und schüttete schnell ihre Thränen aus.
„Mutter, lachst Du? Ja, ich freue mich auch!“ Und das Kind lachte, klaschte in die Hände, und die Mutter lachte mit ihr, unaussprechliches, sanftes und heiliges Lachen.
Das Kind hatte aber bei der Erschütterung der kleinen Brust große Schmerzen empfunden, und sagte auf einmal: „Mutter, ich werde sterben. Lebe wohl, und grüße den Vater. Sage dem heiligen Christkind, es soll mir bei Euch nicht bescheren, sondern gleich oben — Du weißt schon: wo!“
Der Mutter war fast unerträglich im Herzen, und es kam jener Ernst über sie, wo der Schmerz ein freundlicher Wahn wird, und die Gedanken die Pforten der Heimath der Menschen aufthun, und die Welt zum schönen Mährchen wird. Und so sprach sie mit verschlossenen Augen: Nun so gehe in Gottes Namen von uns, mein liebes, liebes Kind! Sage dem großen Vater: wir hätten Dich in seinem Namen lieb gehabt, beinahe wie er selber Dich lieb hat; oder beinahe wie wir ihn lieben — ich hätte Dich immer sanft am Morgen mit einem Kusse geweckt, mit einem Kusse seist Du eingeschlafen im Mondschein oder wenn draußen die Sterne standen — — — sage ihm: ich hätte Dich immer sauber und warm gekleidet, Dich auf meinem Schooße getränkt und gespeiset, und Dir von seinem Sohne erzählt, und von ihm selbst, der die schönen Blumen Dir gemacht hat, an jedem Morgen neue! Sage ihm, wir würden Dich sanft in seine Erde senken, und er möchte Dich mir da bewahren, wie einen großen Schatz — und darinnen schlafe Du ruhig, bis ich komme, und mich zu Dir lege. —
„Du kommst doch gewiß?“ frug die Kleine.
— Gewiß, Gewiß! Das dauert nicht lange! antwortete die Mutter.
„Aber in die Erde!“
— Habe ich Dir denn nicht gesagt, daß der liebe Gott auch in der Erde ist! Denn Du weißt ja, die andern Sträucher und Blumen können die Blumen nicht machen, und machen sie nicht — und doch hast Du immer welche am Morgen gefunden, die er verborgen Dir aus der Erde heraus gesteckt: frisch, fertig und voller Geruch! Also kommst Du da zu ihm, Du liebe Blume, Du mein Herz!
„Aber der Vater soll auch nachkommen zu Bett, und Brüder und Schwestern!“
— Wir kommen! Wir kommen! sprachen sie alle, und reichten ihr die Hände, daß sie sie nicht alle fassen konnte. Und so schloß sie die Augen und lächelte sehr. Die Mutter beugte sich über sie und schwieg, so, lange, während die Abendglocke geläutet ward vom Thurme, weil die Sonne zu Rüste ging und zu Golde ward, und zerschmolz.
Indeß war das Kind gestorben. Und als die Mutter merkte, daß es ausgezittert hatte an ihrem Halse, da entfloh sie und warf sich im Garten in das Gras unter die Bäume — aber durch das so eben geschehende Wunder der Natur war es der armen Mutter: ein weiches smaragdenes Bett, und der Schirm des Baumes über ihr: ein von der untergehenden Sonne purpurn und golden leuchtender Baldachin; und der Herbstwind fuhr eilig, doch sanft, von der Abendröthe daher und streute falbe Blätter leis über sie nieder, und breitete den Hall der Abendglocke wie himmlischen Duft weit über ihr Gefild aus, und bewegte die blauen Astern, die zum Todtenkranz für das Kind bereit standen — und diese schauerten und nickten mit ihren schönen Engelsgesichtern.
Wecker aber sagte langsam zum alten Frommholz: Vater! Großvater! noch immer kaum glaublicher Großvater von einer kleinen Todten! Beweiset nun Eure Zimmermannskunst an dem Kinde; faßt Euch ein Herz; nehmt den Fuchsschwanz und sägt die Länge des unschuldigen Spießes von beiden Seiten ab, sonst muß der Todtengräber ein unmöglich tiefes oder langes Loch machen! Geht, alter Vater, geht! Braucht Euer rechtschaffenes Handwerkszeug einmal dazu! Die schönen grünen sonnigen Hügel auf Erden dienen ja auch zu kleinen grünen Hügeln für Todte! Der Herr hat die schöne Erde also auch dazu bestimmt! Seid nicht dagegen, Großvater! und laßt die Sachen sein, was sie sind, weil sie Gott dazu bestimmt; ob ich Euch gleich sage, daß ich es nicht begreife, wenn so ein Acker schöner weißumblühter und mit gelben Blumen geschmückter Frühlingserde zu solchem Jammer dienen soll! Aber ich mag hinsehen wie ich will: die großen Hügel bleiben grün unter dem blauen Himmel, und die kleinen Todten-Hügel bleiben bunt von gelben und rothen Blumen, die duften und wehen; und die liebe, wahrscheinlich unverständige Sonne wärmt sogar darauf und beleuchtet sie recht. Närrisch, aber wahr! Alter Frommholz — seid einmal von Holze und fromm dabei, so wird es sich sägen mit Gottes Hülfe! Und dann seid hübsch ehrlich — gebt die eiserne Spitze und den rothen Schaft seinem Herrn wieder! Die 5 Zoll Holz aber die dazwischen fehlen, die wird sich das Kind schon verdient und bezahlt haben — durch seine zwei schönen, blauen, zugemachten Aeuglein. Zwei Augen zumachen, ist das schwerste Werk der armen Menschen, geschweige der Reichen! Selbst der kleinen Kinder, geschweige der Großen!
Zu den Kindern aber sprach er: Mein Daniel! geh und setze Dich still dort neben die Mutter! Denn damals als Du aus Mangel an Holz erfroren warst, da bekam sie gleichsam statt Deiner die kleine Osternachttochter Clementine; jetzt, da das Kind durch ganz überflüssiges Holz umgekommen, nun geh Du wieder hin, daß sie Dich habe statt jener, besonders da ich Dich erweckt habe mit einem Strohwisch, als so viel ich Apotheker-Spezerei zur Hand hatte. Und wenn sie Dich ansieht, dann sage nur, Wecker hat mich erweckt, und ist ein bloßer Schulmeister! Jener ist aber der hohe Patron der Schule der großen Menschenkinder, der hat gar andere Mittel die Kinder aufzuwecken, als bloße Strohwische; und alle Apotheken sind bloße Mördergruben gegen seine Offizin mit Lebensbalsam, der alle Frühjahre schon die todten Blumen erweckt, daß sie riechen, daß wir sie riechen und kostbar! Gehe, geh. — Sophiechen, geh Du auch hin; Du bist ein Mädchen, die Mutter muß also sehen, wenn hinter ihrem Mutterauge die Mutterseele nicht am trauerschwarzen Staar leidet, daß sie noch ein Töchterchen hat! Und willst Du, so magst Du auch den Kern-Vers von Johann Menzer beten und sprechen: „Nun ist nur noch der Tod zurücke; jedoch er hat mir wenig an: mein Jesus bricht ihm das Genicke, so ist’s um seine Macht gethan: weil er mir Christum nur nicht frißt, so weiß ich gar wohl wie mir ist.“ Gehe, geh. — Und Du, Gotthelf, gehe auch, und setze Dich hin, und sprich weiter nichts, als: Liebe Mutter, Gotthelf ist da! Und, liebe Mutter, Du hast mir sonst immer gesagt: „Wenn Du der Mutter folgst und das thust und das annimmst von ihr, was sie will, so ist Dir gleich wohl, mein Kind; nun, liebe Mutter, nimm Du auch einmal das an, was der Vater will — so wird Dir auch gleich wohl sein! Gehe, geh.“
Und als Wecker sah, daß die Kinder langsam zur Mutter schlichen, da ging er selbst aus dem Gehöft auf den Kirchthurm — um frische Luft zu schöpfen. St. Etienne aber machte sich an das Aussuchen und Ausplündern des Kosaken, des Don Tauro, wie er ihn nannte, oder an das Beutemachen. Aber das erste Wort des Aufgerüttelten, sich wieder Besinnenden und Hülfe Flehenden war: — — „Mutter! — — Schnaps!“ —
Unterwegs traf Wecker seinen Schutz- und Brodherrn Johannes außer Athem. —
„Er war nicht da, er war nicht dort, er war nirgends!“ sprach er zu Wecker.
Wer denn? frug Wecker. — Nun, der Sonntagsbarbier, der wochentags sechs Handwerke treibt. —
Geht nur heim, Johannes, tröstete ihn Wecker, „der Herr hat schon geholfen!“
Und so eilte Johannes fröhlich nach Hause.
„Aber der Christel steht bei!“ rief ihm Wecker nach, und sprach dann zu sich: „Jetzt ist es in deinem kleinen Oberstübchen nicht richtig, mein lieber Meister, darum gehe du in dein großes Oberstübchen! auf den Thurm! der hilft! Ein Thurm ist ein gewaltiger Freund in der Noth; aber das alberne Volk läuft drunten hinweg, und kennt nicht die Kraft der tausend Riesen, die bloß im Lande umher als dumme Jungen stehen!“
In der Halle begegnete er dem Chirurgus, den er herzlich bat, den Kosaken in seine Cur zu nehmen. Der aber entschuldigte sich mit dem Wort: er sei ein bloßer Civilchirurgus, und als solcher habe er keine solche wallfischmaulgroße Wunden von Pferden, Kanonenkugeln, ja von Kanonen selber, zu verbinden oder wohl gar zu heilen — übrigens zahle die Soldateska nichts, es geschehe Alles auf Regiments-Unkosten, und das Regiment — marschire weiter . . . mit klingendem Spiel! Kurz er gehe nicht, und werde lieber seine Pfeifen curiren und purgiren; denn sein Herr Bruder komme zu ihm, der Herr Licentiat! mit Frau Licentiatin!
Wecker fielen alle dessen Sünden, selbst das Schweinchen, aufs Herz, und so ergriff er den in der Halle stehenden schwarzen, rußigen Besen, und trillte den störrischen Menschenfreund zum Tempel hinaus, und ein Stück auf dem Weg zu Johannes fort; dann warf er „das chirurgische Operationsinstrument“ in den Winkel, und begegnete auf der Thurmtreppe — dem Teufel — den er herabwünschte, um Deutschland rein zu kehren, und anfing ihn zu beschwören; aber der brummte: noch nicht; doch bald; — und er erkannte den Schornsteinfeger, der sich nach den brennenden Dörfern umgesehen, und reichte ihm die Hand, um ihm seinen frommen Irrthum abzubitten.
„Euer Breitenthal brennt auch!“ sagte ihm der Schwarze. „Auf dem Striche, der droben auf der Dorf-Rose gerade nach dem Feuer weiset, steht richtig Breitenthal; es kann auch ein Dorf dahinter sein. Bei Tag scheint das Feuer zu weit, bei Nacht zu nah. Aber ehrlicher Freund, stürmt nicht erst mit der Glocke! Welch Dorf soll jetzt dem andern helfen? Jedes braucht seine Beine, Arme, Augen und Ohren zu Hause; und obendrein alles voll Soldaten!“
Wecker aber sah droben von der Zinne des Thurmes den Erdspectakel, den Krieg, wie er laut sagte, wodurch die Menschen zu Vieh ohne Mitleid zu werden — gezwungen waren — so offenbar und hell, wie der Himmel feuerroth zu werden gezwungen war. Und als er einige Zeit hinüber gestarrt und ganz geblendet und wüthend war — stand plötzlich der Teufel neben ihm. Wecker starrte ihn an, indem er die Hände mit ausgespreiteten Fingern gegen das Ungethüm, wie zur Abwehr, hielt; und er hörte es sprechen: „Denkst du, ich bin gestorben? Närrisches Haus! der Teufel — et le Roi — stirbt nicht, als aufgehoben zum letzten Gericht. Und wenn ich mit allen Gestirnen im Abgrund der Welt verschüttet läge, also nicht mit Pfeffernüssen — die kleinste Sünde der letzten Zeit erweckt den Teufel in seiner ersten Kraft wieder auf — und jetzt geschehen tausend Große, nun geht mein Reich wieder an, diesmal nur ein kurzes, aber Höllefüllendes: das Reich der Unterlassungssünden! Wie lange habe ich mit meinen vorzüglichsten Geistern gearbeitet: die Welt klug zu machen, und das wahre, ächte, erste Christenthum auszubreiten! Erschrick nicht ungläubig, Schulmeisterlein, sondern höre mich aus. Erfahren und weise muß die große Welt, oder auf französisch (denn das ist meine Sprache): le grand monde werden, damit sie doppelt strafbar werde, damit doppelt so viel Große und Kleine zur Höllen fahren — und nicht wieder auferstehen. Wenn ein verlorenes Lämmchen zurückekehrt, wird ein Kalb geschlachtet, wenn sich ein Hoher verkehrt, dann brate ich einen Leviathan ganz, als Rost-beef. Wie jener fromme — Kreuzzug mit leckern Ziegen und Gänsen und glattzöpfigen Kuttenträgern an der Spitze nach einem heiligen Grabe, das, wie sie wußten, doch nirgends vorhanden war und keinen Leichnam enthält, — so beginnt nun ein neuer Kreuzzug blutdürstend nach einem lebendigen Leichnam. Und nun sie so erfahren und so weise sind, nun erst will ich alles alte Unrecht, allen alten Unsinn, ich will den Papst und seine — oder meine Schaaren — wieder auf die Beine bringen und sein Regiment durch ein Regiment zu meinem Regiment wieder einsetzen lassen. — Kann ich frömmer und christlicher handeln? Mir ist Niemand auf Erden schätzbarer als Christus. Denn seit das Licht in die Welt gekommen, und die sogenannten Menschen dennoch in Finsterniß wandeln, Werke der Finsterniß fördern und thun, sich im Namen des Lichtes dazu vereinigen, die Finsterniß auszusäen wie Ruß und Mohn; seitdem ist Gedräng in den Pforten der Hölle, und ich habe neue erbliche Pairs müssen creiren, um neue unsterbliche Strafen zu stiften! Es lebe Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! Aber Wecker, mein närrisches Haus — denn alle Narren sind mein — beruhige Du Dich! Für jeden Einen, der in den Kreuzzügen hochlöblicher Maaßen umgekommen, sind schon Millionen — Aepfel und Birnen gewachsen; Pflaumen und Kirschen (aus Kerasus mitgebracht) gar nicht gerechnet! Und wie viele St. Lampertsnüsse werden noch wachsen! O schmackhafter Profit der Kreuzzüge, großer, kindlicher Gewinn! Hat Clementinchen Dir nicht nach dem — Kreuzzuge die Taschen oft ausgesucht: Und was hätte sie sonst gefunden, als ächtdeutsche Plunschken und schöne, blaue, abscheuliche Schlehen? So werden auch künftige Kinder die Früchte dieses Kreuzzuges aus den Taschen der Verrückten suchen. Ist das kein Gewinn für die schöne, die große Welt, wenn Weiber, Kinder und Sperlinge etwas zu naschen haben in Ewigkeit! Sage: „Ich bin Wecker, bin verrückt, und ich sage Ja!“ Und nun sei ruhig über das Surren und Stechen des Schwarmes, der nur einen Leichnam — meinen großen Sohn in das Grab schaffen wird, und Kindern — wenn nicht Enkeln — und Sperlingen — wenn nicht Adlern nutzen wird, und gewißlich doch mir; durch Weisheit, die Dummheit wird; durch Wahrheit, die Lüge wird; durch Versprechungen, die Wortbrüchigkeit wird. O, meine Sperber freuen sich auch, und ich lasse die Hölle neu dielen, und die Dielen um des Pilzes Stamm in der Mitte voll von den Herren Musicis — mit Blumengewinden malen zum Festball. — Mit der Bande bin ich nun fertig; nun noch ein Wort an Dich, Schulhauptmann! Höre einen großen Vorschlag: Ich gebe Dir alle Reiche der Herrlichkeit, nicht etwa, wenn Du niederkniest und mich anbetest — das ist abgedroschen; nein, wenn Du nur heute das kleine Mädchen willst mit dem Speere durchstoßen haben; — eine pure Kriegslappalie, eine Kinderei gegen die hunderttausend Todten, die Millionen Wunden und Billionen Thränen, die daheim Wittwen und Waisen, Väter und Mütter und Brüder und Schwestern um sie weinen werden. Was ist also ein solches albernes Kind, und was sind alle Reiche der Herrlichkeit, Wecker? Wach’ auf! Schlag ein! Und Du sollst sie ganz monarchisch, ja türkisch oder autokratorisch besitzen, ohne Constitution, ohne gebundene Hände, ohne gebundenes Maul, oder irgend eine gebundene Gliedmaaße; ja ich gestehe Dir viel zu — ohne Papst und Jesuiten! Schlag’ ein, nimm das Kind auf Deine Seele, und sei legitimer Herr Aller.“
„Hebe Dich von mir, Satan!“ rief Wecker in äußerster Empörung. „Was hülfe es mir, wenn ich die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an meiner Seele.“
„Das wollt’ ich nur wissen!“ rief sein Satan lachend. „Sie — sie werden Schaden an ihrer Seele nehmen durch Selbstsucht, Habsucht und elende Seelenkratzerei — und doch nicht die Welt gewinnen, noch sich arrondiren; denn wie können alle Bienenzellen rund werden, Du Esel! Oder wie sollen alle Menschen Hörner bekommen, Du Schaaf!“
Wecker führte einen gewaltigen Streich mit der Faust nach dem Lügengeist. Aber der stürzte sich jäh vom Geländer hinab, und zerfloß drunten wie Wasser in eines alten katholischen Bischofs Grabe, und Leichenduft kam herauf. Aber wie eine wispernde Eidechse, kroch auch noch am Thurme die vergessene Einladung herauf: . . . „Wecker, komm’ wieder! Ich komme auch wieder. Verstanden?“
— Fahre zum Teufel, also zu Dir selber! Lügengeist! sprach Wecker, von wirbelnder Angst erlöst. Was will der Mensch — oder verzeihe mir Gott, der Extract des Bösen der Menschen, bei Dir? Sollst Du seine Meinung ausposaunen? Bist Du eine Posaune, Wecker! — dann müßte Dich Jemand blasen! und das wollte er! Aber das wären abscheuliche deutsche Herzen, die nicht zufrieden wären mit der Arbeit und Frucht von 30 Jahren der Erde, wenn Diese auch nichts gethan hätten, als den Veruneiner, Hetzer und Schandesäer von Deutschland zu Grabe zu tragen! Und wenn sie auch 15, ja 30 Jahre auf solch eine Höllenarbeit ruhten — und ein langes Leichenessen feierten — ich gönnte ihnen den Sabbath! Wer das gethan, hat auf Jahrtausende gethan, o Du Schänder, Spötter, Lügengeist — Teufel! — Eine neue Volksbewegung mag Neues erstreiten! Und Deine — des Teufels Lobrede auf Christum — und Dein Vivat! — mir stehen noch die Haare zu Berge! —
Indem er so sprach, und sich, aber bedächtiger und menschlicher als der Teufel über — Stufe für Stufe — die Treppe hinab vom Thurme stürzen wollte, um unter Menschen zu kommen, da trat eine weibliche, schwarz gekleidete, tief verschleierte Gestalt heraus auf den Gang, die ihn nicht wahrnahm, niederkniete, den Lockenkopf beugte, die weißen Hände vor die Stirn gefaltet oder gewunden hielt, noch einmal beten wollte, aber nur verworrene Worte murmelte, sich hastig auflöste, sich wild umsah, bebend sich auf das Geländer schwang, und wahrscheinlich sich — gerade an des Teufels Stelle hinunter stürzen wollte.
„Du weiblicher Teufel!“ schrie Wecker. „Hier geht’s in die Hölle. Halt! in aller Engel Namen, ich fasse Dich an den Haaren!“ Und so hatte er sie schon ergriffen, mit beiden Armen um die Kniekehlen gefaßt, und hob sie herab, und setzte sie derb nieder auf ihre Füße. Aber sie setzte sich auf den Boden, und als er sehen wollte, wer sie sei, schrie sie laut, und hielt sich den Schleier fest über Haupt und Gesicht. Wecker aber nahte ihr ganz, und beim Scheine der Abendröthe sah er — wie er meinte — durch den angezogenen Schleier ein Gesicht, das er kannte — und er fuhr zurück, wie ein redliches Herz vor einem solchen Gedanken.
Und als er sich gefaßt hatte, trat er wieder näher, legte der weinenden Gestalt seine Hand sehr sanft auf das Haupt und sprach vorsichtig-allmählig zu ihr, so mild er nur konnte: — „D . . . Do . . . Doro . . . Dorothea, ja ganze, leibhafte Dorothea, Gott weiß es ja doch, wer Ihr seid — das war albern! Ich weiß, Breitenthal ist abgebrannt — oder brennt noch da drüben — aber wegen Breitenthal, und wenn es Langenthal — Goldenthal dazu wäre — so kenne ich Euch nicht, brave Jungfrau!“
— Sie schauderte. —
„Oder, oder — ich weiß — Ihr seid Braut mit dem gar lieben, jungen Herrn von Ellenroth — ist Euch der etwa untreu geworden? Dann weinen gewöhnlich treue Mädchen, die Gott danken sollten, daß sie vorher klug werden, nicht nachher!“
— Die Gestalt lehnte sich kraftlos an. —
„Oder ist er Soldat geworden, und kann erschossen werden? Oder ist er schon Soldat und zerhauen worden?“
Die Verschleierte stöhnte tief, aber das Stöhnen klang Weckern wie Freude.
„Oder . . . wenn nur Euer Vater, der ehrbare Herr Paschalis nicht gestorben ist,“ sprach er, „so wird sich Alles geben. Ihr lebt ja! Aus Euch ist noch Alles zu machen, die schönste, beste Frau im Lande! Und für allen Dank erbitte ich mir nur auf Eurer Hochzeit erscheinen zu dürfen — ein Hochzeit- oder Kindtaufenschmaus ist das beste Regal der geplagten Schulmeister! Und da ich nicht mehr geplagt bin, wird es mir desto besser schmecken, und gar erst auf dem Kindtaufenschmaus . . .“
— Die Gestalt beugte ihr Haupt, und drückte die Ballen der Hände in die Augen. —
„. . . Da wird sich Wecker freuen, wie der Großvater Paschalis!“ fuhr er unwissend fort, gutgemeinte, aber der unerhört Gefallenen oder gewaltsam Herabgerissenen, entsetzliche, unerhörte Worte zu sagen: „Denn wenn der gemeinste Schuft Vater, ach, Vater und endlich gar Großvater wird, und noch so verwerflich gelebt hat, wird er eine Respectsperson, und so betrachtet, so behandelt; und der himmlische Vater stößt Jeden selbst mit der Nase auf seine Würde, und aller Firlefanz fällt nun weg — es geht ihm Niemand mehr darauf ein, wer da weiß, was er ist und vorstellt auf Erden bei Menschen und bei den Seinen. So sicher und herrlich sorgt Gott für Jeden, der nur jemals Eine seiner lieben Jungfrauen recht angesehen hat; denn dann muß er heirathen; über sein, ihm von Gott hingesetztes Kind erschrecken, erstaunen, das Wunder bewundern, das Mysterium der Kindtaufe ausrichten, sich Vater von seinem Weibe rufen lassen, und ein neues, seliges Leben anfangen, er mag wollen oder nicht.“
— Die Verschleierte schrie laut. —
Wecker schwieg betroffen, aber in seiner Freude setzte er hinzu: „Ihr seid verschämt, und ein keusches Kind, das wissen wir, darum vergebt! Denn ich habe große Freude. Wäre die arme Clementine der armen Christel nicht umgekommen, so rannte ich nicht auf den Thurm! Wollte mich der Teufel nicht zu einem Teufel machen, so wäre ich nicht Euer Engel geworden und hätte Euch nicht gerettet — denn ich war fort! Oder gar nicht da! Furchtbar! Entsetzlich! Ja nun freu’ ich mich ordentlich, daß ich so alt geworden, so lange gnädiges Brod — sogenanntes Gnadenbrod, aber von der guten Christel: wirkliches — gegessen, und ich möchte bald rufen wie Satan: Es lebe Christus, der Sohn . . . . aber heut kann ich nicht, vielleicht morgen — wenn ich ihn vergessen. Aber wollt Ihr nicht mit hinunterkommen zu der armen Christel? Ihr könnt ihr helfen das Kinderzeug machen, das letzte weiße Kleid, das nicht mehr gewaschen wird! Kommt!“
— Sie wollte aufstehen und reichte ihm matt die Hand. —
„Haha!“ lachte Wecker und rieb sich die Hände, „haha! Das wollt’ ich nur wissen! Ihr seid es . . . Ihr liebe Person seid Dorothea — die Gabe Gottes — sonst wolltet Ihr nicht zu Christel kommen! Ja, ja, Mitleid läßt gute Menschen nicht sterben, und sie richten sich vom Sterbekissen noch einmal auf . . . und leben wieder lange. Weiß Gott, was in der Welt steckt; ich glaube: der liebe Gott!“
Da sprang die Gestalt so plötzlich auf, daß Wecker erschrak und zurückfuhr.
„Nun gut,“ sprach sie, und riß ihren Schleier empor und hielt ihn so mit der rechten Hand; „ich bin Dorothea — . . . oder — ich war sie! — Aber Eure Hand darauf — schweigt, schweigt, schweigt . . . daß Ihr mich hier gesehen . . .“
„. . . und was ich gesehen!“ setzte er hinzu. „Wecker bleibt Wecker. Ich bin ein alter Mann und keine alte Frau. Und sollt ich mich selber rühmen, daß ich nicht der Teufel war, sondern bei einem guten Engel zugriff! Und wollt Ihr nicht mit mir kommen, kommt nach! Auf der Treppe ist’s lange schon dunkel. Euer Vater ist wohl auch da? . . oder kommt doch?“
Und da sie leise nickte, sprach er: „nun so seid ihr gebunden — da kommt Ihr schon; denn Ihr scheint nun wieder so vernünftig wie ich!“
Und so ging er. Und sie seufzte tief.
In Johannes Hause leuchtete der Kamin hell zu den hellen Scheiben hinaus, und von draußen sah die Wohnung sich so ruhig und erdglücklich an wie je. In Christels Stübchen nach Morgen war auch Licht. Rauch stieg aus der Esse gerade und ein wenig mondbeleuchtet von der Sichel des Neumonds zu dem dunkelblauen herbstlichen Himmel empor, und er hatte seinen alten weißen nächtlichen Friedensbogen sich umgegürtet und die Gestirne schienen still so fort, und jeder Stern brannte ruhig und unbewegt so fort, ohne zu flackern und Strahlen zu schießen, wie in einer heilig dunkeln Todtenkammer — der Lebendigen.
Auf Johannes Hofe aber stand ein — bei Tage und von Prunkthoren sogenannter prächtiger englischer Reisewagen, aber diesmal, statt der geraubten, braunen vier — National-Engländer mit sechs schwarz und weiß großgescheckten holländischen Kühen bespannt, und hinten, statt der Bedienten mit zwei angebundenen Mastochsen. Auf dem Bocke aber saß neben dem englischen Kutscher die Kuhmagd, die besser als er ihr liebes Vieh zu bereden und zu regieren wußte. Die Kühe sollten für Herrn Paschalis und seine Tochter Milch geben; die Mastochsen aber frisches Fleisch, wenn sie in der Festung Mainz vor dem doppelten Feinde, den Russen und der Krankheit sich eingeschlossen hätten, wie in dieser Nacht noch geschehen sollte; und die Viehmagd trug schon die unsichtbare Bestimmung an sich, dann Kammerjungfer zu sein, wozu sie schon jetzt so treu als hübsch genug war. Der englische Kutscher war dann ein nothwendiges Uebel und Ueberlei, und ward bloß auf bessere Zeiten aufgehoben, wie ein leeres gutes Weinfaß von einem Winzer auf bessere Weinlesen.
Paschalis war ausgestiegen und that kaum einen Blick nach der Gluth am Himmel zurück; ein schwerer, ja der allerschwereste Seelenschmerz schien ihn zu bedrücken, ja niederzubeugen; denn er hielt ein weißes Schnupftuch in der Hand, und wie er in dem Düster der Nacht unbemerkt zu sein glaubte, hielt er es plötzlich vor die Augen, als wenn er eine Fluth von Thränen darein ausgießen wollte, ob gleich kein Tropfen darein floß und sein Gehirn wie ausgetrocknet war, und doch wollte er nur — wenn ihn ja Jemand bemerkt — das Ansehen tragen: als habe er genieset; und er nahm wieder Tabak aus seiner goldenen Dose; aber er steckte ihn in den Mund — denn es war schwarzbraunes egyptisches Opium.
Johannes hatte das schöne Vieh brüllen gehört, sich hinaus getraut, seinen dankbaren Freund Paschalis gefunden, sich gewundert, und voll wie sein Herz war — demselben in einfachen Worten das Schicksal mitgetheilt, das sein Haus betroffen, aber keinen Trost erhalten, als einen langen Händedruck und keine Antwort als: „Dankt Gott für dieses reine Leid, mein lieber Johannes!“ und auf die Frage, wo Dorothea sei, erhielt er nur den Bescheid: „sie ist auf Euren Thurm gestiegen, um den Rauch von Breitenthal noch einmal zu sehen.“
Während nun Johannes für die Leute und das Vieh sorgte, schlich Paschalis sacht an die lichten Fenster, lehnte leis die Stirn an und sahe hinein, und er sahe: In der großen Wohnstube, ihm gegenüber an der Wand, hatte der alte Frommholz seine Hobelbank, und er arbeitete mit Daniel an einem kleinen Sarge; denn es waren schon sechs Brettchen zugeschnitten, und der Knabe und der Alte sägten eben an den vier kleineren.
„Ach, Ihr seyd glücklich!“ sagte Paschalis und schlich vorüber, an Christels Stübchen. Seine Angst, als Vater Dorotheas, war groß; seine Ungewißheit war halbe Verzweiflung. Denn während in seinem Schlosse sieben Feinde, Kosaken, gelegen, schien seiner Tochter ein unmenschliches Unglück zugestoßen zu sein. Er vermuthete es nur, er wußte es nicht. Er hatte sie nicht gefragt vor Entsetzen und Scham; sie hatte also auch nicht geredet, vor Entsetzen und Scham, Aber in dieser Meinung hatte er ein siebenfaches Verbrechen begangen, und das marterte ihn. Aber auch Dorothea schien ein siebenfaches Verbrechen begangen zu haben, so gut oder so schlimm wie er, nur auf andere Weise. Er vermuthete das gleichfalls nur, und er wußte auch das nicht. Aber Dies zugleich — oder Jenes allein, schien sie zu foltern; und er war kein Vater und kaum ein Mensch mehr, nur sein eigener körperlicher runder Schatten; und seine Seele war nur noch wie der schrillende Klang einer geborstenen Glocke, die er nicht wagte anzurühren mit dem leisesten Gedanken, aus Furcht, sie verrathe den schmählichen Riß — ihm selber. Und noch unglücklicher hätte er sich gefühlt, wenn er nur hätte ahnen können, mit welchen seligen tröstenden Worten von Brautstand und Ehestand Meister Wecker seiner Tochter Dorothea die leidende unschuldig-schuldige Seele zerrissen.
Jetzt sah er in Christels Fenster. Da drinnen aber sah es anders aus. Denn Christel hatte es unmöglich über das Herz bringen können, den Gebrauch noch vieler Deutschen nachzuahmen, welche die Gestorbenen sogleich aus ihrem Bette reißen, und mit kaum zugedrückten Augen und kaum verbundenem Munde nackend auf ein Brett legen, darauf schon die halbe Stadt oder das halbe Dorf gelegen hat, und dann die Aermsten, zur Dauer für die Würmer, wo möglich in ein finsteres kaltes Gemach stellen, bis zum Tage ihrer Einkleidung für die Gruft. Die herzige Mutter hatte dagegen ihr Kind, nach schicklicher Ruhe, sogleich schön gewaschen und angezogen, ihm über die Bettchen seiner Wiege — worin es noch geschlafen — ihr feinstes weißes Tuch gebreitet, und das liebe Mädchen darauf gelegt. Selbst der Kranz von rothen und blauen Astern schmiegte sich schon wehmüthig-schön um das theure kleine Haupt. Und wie es die Mutter so ansah, that ihr sonderbar genug recht eigen leid, daß die Kleine mit einer gefallenen und noch ungeheilten Wunde auf der Stirn in das Grab gelegt werden sollte; wie ein Maler sein eben vollendetes Werk gern recht sauber und ohne Stäubchen aus seinen Händen giebt, es noch einmal zurückverlangt aus den Händen des Empfängers, es genau überblickt, noch ein Sonnenstäubchen vorsichtig von dem goldenen Rahmen haucht, und dann lächelnd und zufrieden es auf immer dahin läßt und spricht: „Nun, so!“ — Christel aber, welche die Wunde nicht hatte weghauchen oder wegküssen, noch mit Thränen wegwaschen können, hatte sie unter eine Blume versteckt — schüchtern sich umgesehen, als ob ihre redliche Seele Jemanden getäuscht habe, und leise gesagt: „Nun, so!“
Zu den Kindern aber hatte sie gesagt: „Meine Kinder, seht euch noch an eurem Schwesterchen satt! Ihr habt sie nur noch, bis zweimal die Sonne untergeht — dann seht ihr sie lange nicht wieder!“ — Und so hatten die Kinder ihre Weihnachtswachsstöckchen aus ihren Schränkchen hervorgeholt, sie in lauter kleine Lichter zerschnitten, sie zu Häupten der Wiege an den Tischrand geklebt, angezündet — alle auf einmal — und nun waren die goldgeschmückten Lichtlein in Kurzem alle auf einmal niedergebrannt, und sie weinten nun, daß es würde finster sein, und sie ihr Schwesterchen nicht mehr sähen. Die Mutter hatte den Schaden gut gemacht durch angezündete Lichter. Aber Sophiechen war über das Weinen eingeschlafen; und Gotthelf war müde und hungrig eingeschlafen und hatte sich nicht getraut, heut von der Mutter ein Abendbrod zu bitten. Und so lagen die lieblichen Kinder alle drei wie vom Schlafe gelöst, noch mit den Gesichtern zusammen; zweien davon blühten die Wangen rosig und sie athmeten leis, aber ihre Haare waren unbekränzt — dem dritten aber blühten die Wangen von einem tiefern Schlafe weiß und rein, und es bedurfte die Erde zu keinem Athemzuge mehr; aber seine Härchen waren bekränzt. Christel aber hatte dem Mörder des Kindes, nachdem er nothdürftig verbunden worden, ihr eigenes Bett eingeräumt; er lag auf demselben; und wie sie jetzt vor ihm stand und ihn ansah, seufzte sie schwer darüber, wie sehr er sie beraubt habe, und sprach, nun ihn deswegen aus tiefer Seele bedauernd: „Armer, armer Mann! Armer Sebast-Janow!“ Denn St. Etienne hatte seinen Namen in seinen Sachen aufgezeichnet gefunden und ihr ihn gesagt. St. Etienne hatte ihr aber auch zum Abschied und zum Troste ein Bildniß dagelassen, welches er dem Sebastianow, als dessen Raub und nun seine Beute, mit abgenommen, und welches Christel hatte annehmen müssen, aber noch nicht angesehen, ja nur hingelegt; er aber hatte es ihr an dem goldenen venetianischen Kettchen hingehangen. Denn das Bildniß hatte unläugbare Aehnlichkeit mit der kleinen Tochter Clementine. Christel drehte das funkelnde Geschmeide jetzt kaum neugierig um — aber sie sahe die Brillanten daran nicht vor Ueberraschung: denn das Bild stellte ihre Schwester Martha dar . . . . Niemand anders hatte es getragen, als ihre Dorothea, welcher es der Vater Paschalis geschenkt . . . Dorothea hätte es lebend Niemandem von ihrem Herzen gegeben . . . es war ihr also nur gewaltsam geraubt . . . und Christel trat hastig drei Schritt nach der Thüre zu. Aber wo wollte sie hin? Was konnte sie ändern? Sie war in der Stimmung, worin sie aus Noth und Tod, aus Vertrauen und Liebe von aller Welt das Beste hoffte. Und mit ganz anderem Sinn stellte sie sich wieder vor den verwundeten Sebastianow und sprach jetzt mit Thränen: „Armer, armer Mann!“ — Aber die Worte zerschnitten ihr Herz. Sie blickte auf ihr Kind; sie küßte alle drei schlummernde Häupter; sie setzte sich zu ihnen, und eines davon schlang in halbem Schlafe — die Mutter ahnend — sein Aermchen um ihren Nacken und wandte sich um, ohne aufzuwachen.
Dem weinenden Paschalis aber war zu Muth, als sähe er in die seligen Gefilde eines Mährchens: oder als sei ihm jetzt erst die Welt zu einer großen heiligen Wundergrotte geworden; oder die Welt sei schon lange, lange undenkliche Zeit der Zaubersaal des Gottes, in der That und unläugbar; und es bedürfe nur Augen der Seele dazu, es zu sehen, daß er das sei; und nun dachte er, daß sich der himmlische Vater freuen müßte, wenn auch Er das Alles sähe: — Eine gute Menschenmutter in ihrem heiligen Schmerz! Ein Weib, das freilich keine Unsterbliche sei, und bald selbst auch von der Erde verschwinden werde; aber daß hier ja keine Unsterbliche zu sein brauche, um alles Menschliche richtig zu thun und zu leiden, und das als Sterbliche eben noch wunderbarer daliege, wie in einem Mährchen, mit dem Haupt neben den kleinen Häuptern der drei schlummernden Kinder! Und wenn Er sähe: Gute Kinder voll Liebe, Leid und Mitleid — welche schöne Gefühle alle in ihrem engen Geiste nur Traum seien . . . . und einen guten Vater, der um alle still und schweigsam besorgt war; vor allem aber: den Großvater, der alle um ihrer Liebe willen liebte und um ihrer Schmerzen willen litt, aber auch für alle gefaßt war und thätig — denn sein eigenes Leben hatte er überstanden und gleichsam zugemacht wie einen schönen Bildersaal, und ihn kümmerte nur noch das Leben und Glück der Seinen. Paschalis aber dachte nicht nur, er glaubte, er empfand, daß der himmlische Vater zugleich mit ihm, und doch ganz anders, in das Stübchen sähe; und er kehrte sich vor unerträglicher Seligkeit des reinen Menschenlebens ab; denn Verzweiflung ergriff ihn, und er — niesete wieder!
„Ei, meine allerbeste Gesundheit! und zugleich meinen allerschönsten guten Abend, theuerster Abgebrannter und Herr Paschalis!“ sagte Wecker, der still gekommen. „Nicht wahr . . . ein himmlischer Guckkasten, worein Sie beliebten zu sehen! Ein trauliches stilles Hirtenhäuschen — das eben ruht; nur die Papierwände freilich etwas groß von himmelblauem Himmelspapier! Aber still . . . da kommt ihre Tochter, unsere Dorothee — was ein wahres Glück ist! Denn gewisse Leute können sogar mit allen zerschmetterten Gliedmaaßen — nicht — füglich — mehr — wandeln — — am wenigsten anhero!“ — Und, um seinem Wohlthäter auf eine unverständliche Weise zu verstehen zu geben, wie er ihm heut vergolten habe, setzte er hinzu: „Denn heute habe ich alter Mann — wie Sie mich hier sehen — eine gleich große schöne Jungfrau geschaffen! Mit diesen dürren Meisterhänden! Ja ihr auch eine neue Seele in ihre eigene Rippe geblasen — denn Eva war eine Rippe — aber Adam’s, wissen Sie — wie ich weiß — können Sie denken! Der Mann bin ich.“
O Wecker, wenn Ihr das könntet! sprach Paschalis leise, und zog ihn still um die Ecke des Hauses in’s Düstre; und Dorothee ging darauf langsam hinein zu Christel.
Johannes aber, von einer andern Seite kommend, brachte schon wieder etwas Neues: die Ansagung von zwanzig Mann Einquartirung auf ihr Haus, und schon diese Nacht! Beide wurden dadurch gehindert zu sehen, wie Dorothea sich bei Christel bezeigen würde, und zu hören, durch welch ein Wort sie sich vielleicht errathen lasse. Denn auch ihrem Vater war ihre plötzliche Verwandlung in’s Tiefe, Abgeschlossene, Finstre, Verschwiegene, Qualvolle und Weltverachtende selbst ein Räthsel, wenn er auch ohngefähr vermuthen konnte: was sie gethan. Denn auch gethan hatte sie etwas, ja ein Grausames und Schreckliches. Aber das behielt er als Vater für sich, und niesete nur auch jetzt wieder auf diese neue Nachricht, Wecker wünschte aber diesmal sein höflichstes: „Gotthelf!“ wozu Paschalis nur leise verneinend den Kopf bewegte.
Hoho! sagte Wecker, kann auch der nicht mehr helfen!
Johannes aber hatte eine große Bitte auf dem Herzen und sprach: Ich getraue mich kaum es zu sagen, wenn Ihr es nicht wäret — unser lieber Herr Paschalis, der an uns schon so viel gethan. Darum habe ich auch jetzt mein Vertrauen auf Euch gesetzt, und bitte Euch: nehmet unsere Kinder mit! Nach der Stadt ins Sichere! Wir sind gewarnt auf Zeitlebens! Und hat der Großvater aus zu großem Vertrauen die Vorsicht uns versäumen lassen, möge Gott nicht auch mein Mißtrauen gegen unsere Lage, im Dorfe hier einsam und unter der Schanze, mit Unglück bestrafen! Aber wie es auch komme — ich nehme es auf mich; denn ich meine es gut; und so wird es gewiß auch der himmlische Vater meinen — meinet Ihr es auch gut mit den Kindern, mit Christel und mir! Nur der Großvater wird in der Sicherung der Kinder einen stillen Vorwurf gewahren, und nur deswegen möcht’ ich kaum bitten . . . . aber ich bitte doch!
Wenn das nur Christel zufrieden ist; meinte Paschalis; die Kinder wird Dorothea schon wohl besorgen; und — liebe Sorge thut dem Herzen wohl, und trägt uns furchtlos über grause Wogen!
Lieber Herr Paschalis, sagte Johannes, was einem Manne so recht wohlgemeint in die Gedanken kommt, das will seine Frau gewiß auch, sonst käme es ihm gar nicht ein, oder er bliebe nicht lange dabei! Ich rede aber aus ihrer Seele, wie sie immer aus meiner; denn wir sind Eheleute — Ihr wißt das nicht; nehmt das nicht übel; aber Ihr werdet meine Rede bestätiget finden! —
Als sie nun alle hineingegangen in die Wohnstube, wo Frommholz und Daniel arbeiteten, kam Christel herüber, grüßte Paschalis, und — als könne sie es vor Angst nicht länger ertragen, bat sie unverweilt: er möchte sie selber mit nach Mainz nehmen!
Paschalis lächelte niedergeschlagen darüber, als habe Dorothea ihr das gerathen, und sagte dagegen: Die Kinder! liebe Christel. So meinte Johannes.
Ja, ja, die Kinder! rief sie bestimmt.
Und Johannes sagte zu Paschalis: Sie hat nicht, wie ich, gewußt, daß sie 20 Mann Einquartirung bekommt.
„Zwanzig Mann, nicht Männer!“ erklärte Wecker.
O Gott, scherzt nicht! verwies ihm Christel und eilte Anstalt zu treffen für die „Mann“ und die Kinder. „Dorothea schläft!“ hatte sie Paschalis noch gesagt.
„Ungegessen? oder: ohne gegessen zu haben — wie ich die Schulkinder verbesserte; eine sonderbare Braut!“ sprach Wecker.
„Die schlafende Clementine hat sie angesteckt!“ meinte Paschalis, zu welchem Daniel jetzt bescheiden trat und ihn frug, was für einen Text aus der Bibel, die er ihm hinhielt, er auf dem Kreuze der kleinen Schwester zitiren solle?
Und Paschalis nahm das Buch, setzte sich an das Kaminfeuer, blätterte, seufzete, las, blätterte wieder und sagte ihm endlich: „Lieber Daniel, hier! Zitire Deinen Namens-Vater Daniel oder das sechste Capitel aus dem Buche der Weisheit, das paßt jetzt auf alle Welt. Denn die Schrift ist für alle Zeiten geschrieben, und jeder Mensch und jedes Jahrhundert findet seine Lehre, und sein Urtheil darin. Gebe nur endlich Gott, daß die ganze Welt zusammen nur Einen Vers daraus hält, als etwa gleich diesen!“ — Er wollte Einen sagen, aber seine Leiden verwandelten ihm die Worte im Munde und er sprach, zu aller Verwunderung diese: „Ach, daß ich wüßte, wie ich ihn finden, und zu seinem Stuhl kommen möchte, und das Recht vor ihm sollte vorlegen, und den Mund voll Strafe fassen, und erfahren die Rede, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde!“
Und Wecker sprach leise zu den Andern: Stille, stille! Er meint den lieben Gott! Er ist jetzt Hiob! Laßt ihn schlafen; er senkt schon sein Haupt auf die Brust. Setze Dich neben ihn, Daniel, und nimm ihm nachher die Bibel leise aus seiner Hand, damit er nicht aufweckt, wenn sie zu Boden fällt! Ich aber übernehme das diesmal leichte Colfactoramt am Kamin, und will — nicht mehr anlegen! So wird ihm der Kopf nicht noch heißer vom Feuer! Lasset ihn schlafen, und ruhet Ihr auch!
Und so setzte er sich hin. Das Feuer erlosch nach und nach, und es ward trauliches Dunkel und heimliche Stille im warmen Zimmer, und die Sterne schienen herein zu den Schlummernden.
Als aber der Mond purpurhell aufgegangen, und alles zu der kurzen Reise besorgt war, trug Johannes seine schlafenden drei Kinder in Paschalis Wagen — nicht ahnend: daß er Keines mehr wiedersehen würde. Und so war er froh, als er den Daniel aufgehoben, ohne daß er aufgewacht war, und ihm und sich nicht den Abschied erschwert, oder das Scheiden wohl gar unmöglich gemacht, wenn er gar so sehr gebeten hätte: bei Vater und Mutter zu bleiben und versprochen, Alles zu thun und zu dulden, was über sie käme. Daniel aber war doch halb wach, und redete im Schlafe, weil er während des Tragens doch merkte, daß etwas mit ihm vorging, und erzählte seinen Geschwistern im Traume, ohne die Augen zu öffnen, das Mährchen: „Die sieben Raben,“ und fuhr jetzt laut darin fort: „Nun ging das Schwesterchen immerzu, weit, bis an der Welt Ende, um seine sieben Brüder zu finden. Da kam es zur Sonne; aber die war zu heiß und fürchterlich und fraß die kleinen Kinder; eilig lief es weg, und hin zum Mond; aber der war gar zu kalt und auch grausig und bös; und als er das Kind merkte, sprach er: „ich rieche Menschenfleisch! ich rieche Menschenfleisch!“ — Diese Worte klangen aus eines Traumredenden Munde, in der Mondnacht und in der Nähe des todten Schwesterchens zauberhaft-ängstlich, und Johannes war herzlich froh, als er seinen Knaben glücklich hingelegt, und Daniel sagte nur noch: „da machte es sich geschwind fort und kam zu den Sternen, die waren ihm freundlich und gut. Der Morgenstern aber stand auf . . .“
Damit schwieg er. Die jüngern Kindern aber, Sophiechen und Gotthelf ängsteten den Vater nicht so, da sie fester schliefen; und nur Sophiechen hatte ihn fest um den Hals gefaßt und wollte die Arme nicht wieder wegnehmen. Johannes aber löste sie ihr langsam und legte sie ihr in den Schooß, und die Hand des Brüderchens darein, als sei es die Mutter. Und so, vom Mondlicht beschienen, sahe er seine Lieben noch einmal an, und Freude durchwallte sein Herz, sie in Sicherheit zu schicken, und empfand schon, wenn nicht ihr Glück, doch ihr Leben in der nächsten Zukunft, welche für ihn selbst, seine Kinder und ihrer Kinder und Kindeskinder fernste Zukunft war. So täuschte ihn sein Gefühl, und Ahnung künftiger sicherer Tage beglückte ihn.
Obgleich Paschalis gern versprochen hatte, für alles zu sorgen und es neu und gefällig anzuschaffen, was die Kinder bedürfen könnten, so brachte doch Christel zuletzt noch ein Körbchen mit den bekannten Spielsachen der kleinen Kinder, „damit sie doch gleich in der neuen Stadt ihre alten lieben Bekannten sähen und fänden, und glaubten zu Hause zu sein, wenn sie in ihren Spielen Vater und Mutter vergessen hätten; so gut wie die Kinder ja oft auch daheim lieber ihre Bilder, ihre kleinen Teller und Schüsseln und Becher und Fläschchen und ihre Hochzeiten und Kindtaufen, selbst Vater und Mutter stundenlang vergessen. Und sagt nur immer: „ich komme Morgen!“ sprach sie zuletzt zu Paschalis; und ich komme heimlich so bald ich kann. Da soll Freude sein in Mainz!“ —
Als aber die Wagen langsam fortgefahren und nicht mehr zu sehen waren, fiel Christel ihrem Johannes um den Hals und weinte. Und er sprach: Ja, meine Christel, das ist eine schreckliche Zeit, die die Menschen am Leben hindert, an Arbeit und redlicher Sorge für die Seinen. Aber sie sind in guten Händen; die Stadt ist nicht weit — und wir haben ja noch ein Kind — das auch in guten Händen ist! Komm hinein!
Und während jetzt, beim Einmarsch der Soldaten ins Dorf, die Trommeln wirbelten, gingen sie ruhiger Hand in Hand hinein; denn sie waren bei einander voll Unschuld und Muth und Vertrauen und Schmerz, und glaubten dem allgemeinen Elend ihr Opfer gebracht zu haben, und zwar ihr Liebstes. Was sollte noch Schlimmeres kommen, was Theuerers von ihnen gefordert werden? — sie fühlten das nicht, denn sie hatten sich, und rechneten sich beide für Eins.
St. Etienne, Christels unerkannter Bruder, trat jetzt bei ihnen als Sergeant mit 20 Mann ein, und meldete sich mit kurzen Worten diesmal als — Werber. Er hatte Vollmacht, aus jedem Hause alle gangbaren schießfähigen und erschießensfähigen Mannspersonen zu nehmen — ausgenommen den einzigen Wirth oder Stamm des Hauses. Selber Weckern hatte er gedroht in den Soldatenrock zu stecken, da er keine Wirthschaft, keine Schule, keinen Kix noch Kegel habe. Und wenn er nicht recht bei Verstande scheine, das sei eben recht! Selbstdenker brauche sein Herr nicht zu Soldaten; die Dummen raisonnirten so gut wie gar nicht, oder nur Dummes; und ein Verrückter werde, wenn er auch noch so Wahres fasele, billig für verrückt gehalten, und dürfe frei reden, was er wolle, weil ihm die Natur das Patent dazu gegeben. Eine Million Wecker, hatte er gesagt, und der Kaiser ist durch! Die Raisonneurs aber, die Besserwisser und die Anderswoller würden ihn als Vogelscheuche allein im Felde stehen lassen mit einer Flinte aus einem Stocke und einem Säbel von Span. So hatte St. Etienne sich zornig geredet und sich gelobt, Keinen zu schonen, sondern jeden Brauchbaren aus dem ja so bald von dem Feinde besetzten Lande herauszuziehen und dem Kaiser hinüber zur Hülfe zu schleudern, damit der Geschonte nicht sein Feind werden könne. Denn das unterstehe sich jetzt jeder Hasenfuß. —
Wecker kam über die Rede ergrimmt und erschrocken in die Küche zu Christel, die ihn seinetwegen tröstete, aber selbst erschrak, als sie darauf hineinkam mit dem Frühstück, das sie ihren Gästen freundlich brachte, denen sie alles, für die Ihren Gesparte, ohne Entgeld oder Dank dafür, hinzugeben verbunden war — denn „der Herr bedarf sein,“ wie Wecker dem Rechte den Titel gab. Sie erschrak, lächelte aber gefaßt und blickte St. Etienne endlich gar lachend an, als sie ihren Johannes im Soldatenrock und einem Chacot mit hohem rothen Stutze zugleich mit am Tische sitzen sah.
So gefällt mir mein Mann! sprach sie zu St. Etienne. Aber ich bitte Euch, zum Scherz sei’s genug! Gott sei Dank, daß die Kinder nicht da sind! Die schrien sich todt, und Daniel fiel Euch zu Füßen, wenn er in seines Vaters Hand „ein Pasquill auf das fünfte Gebot“ sähe, wie unser Wecker einen Säbel oder eine Flinte nennt! Eine Kanone aber nennt er gar den letzten Verstand*) der Menschheit. Pfui Johannes, ziehe Dich aus!
*) ultima ratio.
Und Wecker trat auch herzu und fragte St. Etienne: „Weß ist der Rock und das Bandelier?“
„Des Kaisers!“ sprach der Sergeant.
„Nun so gebet dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gotte, was Gottes ist!“ verlangte Wecker.
Christel wollte ihrem Johannes nun helfen, die im Scherz ihm aufgeredete Soldatenmaskerade wieder abzuthun. Der Sergeant wehrte ihr aber und sprach: Es ist nicht leerer Scherz; es ist voller Ernst, des Kaisers Ernst und meiner. Ihr habt noch den alten Frommholz zum Wirth — und euern Wecker zum Voigt in dem Bischen Wirthschaft: der Daniel wächst auch heran — und wie Ihr weint, mein junges hübsches Weib, so haben schon Viele geweint in aller Welt, und Viele schon aufgehört in aller Welt, und so fügt Euch darein in dieser Welt. Gebet dem Landesherrn, was des Landesherrn ist — und Er hat gesagt: „Der letzte Thaler und der letzte Mann ist mein!“
— Es ist Etwas Majestätisches um Einen großen Mann, sprach Wecker. „Denn die Erde ist des Herrn und alles, was darinnen ist. Er sitzet über dem Kreis der Erden, und die darauf wohnen, sind wie Heuschrecken! Der die Fürsten zu nichte machet, und die Richter auf Erden eitel machet: als hätte ihr Stamm weder Pflanzen, noch Saamen, noch Wurzel in der Erden; daß sie, wo ein Wind unter sie wehet, verdorren, und sie ein Windwirbel wie Stoppeln wegführt.“
St. Etienne hatte das betroffen angehört, denn es klang gewaltig, und er sprach lächelnd: Das kann kommen! Den König von Westphalen hat schon der Wirbelwind fortgeführt.
Die Wirbelwinde haben immer verschiedene Namen, je nach dem Ort, wo sie einherblasen, und werden sie immer haben, sprach Wecker; wie hieß denn also der Wirbelwind Hieronymi?
Tzschernitschef; hört’ ich, antwortete St. Etienne.
So ist das schöne Land ohne König! sprach Christel. So hört doch, St. Etienne! Das geht weiter! Was werbt Ihr also!
Johannes aber klagte aufrichtig aus seinem treuherzigen Sinne: Mein Gott, ein Land ohne König, wie soll das gehen? Das ist das größte Unglück. Mir däucht ordentlich als könne da keine Saat mehr keimen, kein Baum blühen und kein Weinstock tragen! Wenn ein Land auch Alles verloren, Menschen, Häuser, Habe, Vieh, Getreide, Geld und Wohlsein, wenn alle Uebel drin hausen und alle Krankheiten darin sich satt fressen, und es hat nur noch einen König, wie ein Bienenstock einen Weisel, so erholt sich der Stock wieder, setzt Brut, höselt Wachs, baut Zellen, schleppt Honig, und das ganze Land hat wieder ein süßes Maul. Wer wird nun die Steuern empfangen? Wer wird befehlen? Denn ohne Befehlen hört der Gehorsam auf. O schlimme amerikanische Zeit! —
Wir wollen Gott bitten, sprach Wecker, daß er sich wieder erbarmt und das Herz eines Andern regiert, der sich wieder des verwaiseten Thrones erbarmt!
Bittet nur bald, sonst bittet Ihr guten Leute zu spät; sprach St. Etienne. Ich bin glücklich! Wir sind glücklich! — Wir haben noch einen Kaiser; und der braucht Soldaten, nachdem er Sechsmalhunderttausend in Rußland — angeführt hat! Tüchtig angeführt! Also werbe ich! Denn ohne Soldaten bleibt Er sogar nicht vier Wochen auf dem Throne, geschweige ein Anderer fünfzehn Tage. Darum werden wir Soldaten auch beinahe auf Händen getragen, wenigstens, wenn’s Noth thut, auf Wagen gefahren zur Schlacht. —
„— Bank!“ setzte Wecker hinzu.
Also zur Schlachtbank — meinen Johannes! meinen einzigen Sohn, den einzigen Vater der Kinder, den einzigen Mann unsrer Christel! sagte der alte Frommholz betäubt: „Das ist der Kaiser nicht werth. Viel Hunde sind des Hasen Tod, und er wird es nicht lange mehr bleiben — aber jetzt freilich bin ich noch hier in dieser eurer Gewalt.“
„Ihr nicht! alter Mann!“ belehrte ihn St. Etienne, noch lachend.
Ja wohl ich, nur ich; stöhnte der Alte verworren und schwieg.
Ihr bleibt wo und wer Ihr seid, erklärte St. Etienne. Aber, freilich, wäret Ihr nicht, so wäre Johannes der Einzige auf der Bude, die zu Einquartirungen und Lieferungen und Abgaben und zur Zucht von neuen Soldaten gebraucht wird, und Johannes wäre frei.
„Frei!“ rief Wecker wie ein Echo aus jener Welt.
Warum hab’ ich so lange gelebt! seufzte der Alte. O, die Verheißung Gottes: ein langes Leben und graue Haare, sind nun ein Fluch und eine Strafe geworden! Aber meine Christel, sei ohne Kummer! Ich weiß ein . . . ja ich bin ein sicheres Mittel!
Wecker aber merkte, daß der Herr Sergeant erbittert worden und fragte darein: Aber Johannes, wie seid Ihr denn erst zu dem Rocke gekommen? — Und Johannes antwortete: — Der Herr Sergeant wollte seinen Rock ausbürsten, da sollte ich der ausgestopfte Mann dazu sein, oder der Nothnagel.
Dankt Gott, daß ich ihn Euch nicht am Leibe ausklopfe versetzte St. Etienne. Nachmittags 2 Uhr Exerciren, hier im Hofe! Alles, was noch gesund ist bei Euch im Dorfe, und werth auf dem Felde der Ehre zu sterben, wird auch hieher kommen. Der Tod darf keine alten Krüppel auf dem Schlachtfelde finden, sondern lauter nagelneue, brühwarme. Sollen wir Andere mit Lahmen und Blinden, mit Einäugigen und Buckligen — fallen, welcher brave Soldat wohl vertrüge die Schmach. — Also, Johannes, um zwei! —
Der alte Frommholz aber schlich sich fort in seine Kammer, setzte sich auf sein Bett, blieb erst lange schwermuthsvoll, dann gedankenvoll, und sprach endlich laut mit sich selbst: „Frommholz, altes mürbes Holz, Du hast Dir immer im Leben Rath gewußt; nun rathe Dir auch; oder nimm meinen Rath gleich lieber an, damit Christel keine Wittwe wird, die Kinder keine Waisen, und Du kein Bettelmann mit Weckern! Kein Mensch kann eines andern Treppe brauchen, das weißt Du als Zimmermann; und so hat auch jeder seine eigene passende Leiter zum Himmel. Zum Himmel? Ach, Frommholz! Doch, wer anklopft, dem wird aufgethan; und wer so anklopft wie ich, nicht um selbst hinein zu kommen, sondern um aus stürmischem kaltem Regenwetter gute verlorene Kinder hineinzusichern, den läßt man vielleicht mit einlaufen, wie auf der St. Bernhardsstraße den armen guten Hund, der verirrte Menschen in die warme Stube bringt! Ich wenigstens stieße das gute verständige, vor Kälte stumme Thier nicht wieder mit dem Fuße über die Schwelle zurück in den Schnee und die Kälte, in das Heulen und Zähnklappern hinaus — in die Hölle! Doch Frommholz, Frommholz! Du thust mir recht leid! — Wehe denen, die durch alle Jahre bis in ihr Alter richtig und glücklich gewandelt, und erst im letzten Jahre einen Stein im Wege finden, worüber sie Hals und Beine brechen! — Hals und Beine!“ —
Der alte Mann sprang erschrocken auf, und besah sich seine noch ganzen Gliedmaßen, und versuchte den Kopf auf dem Halse zu drehen, und er war auch noch ganz, — „Nun,“ sprach er, „so ist es doch schlimm, daß es Dich trifft, denn kein anderer kann helfen! Siehe aber, Du weißt ja, manches Holz macht dem Menschen wenig Plage — einige Mal den Stamm querdurch gesägt, die Himpel mit dem Keile gespalten, einige Schläge darauf, dann die Kloben in Scheite gespalten — so ist es verbrannt und Asche. Ein anderes bloßes Stück Holz aber soll eine Säule zu einer Wendeltreppe werden, oder ein geschnitztes Altarbild, und macht eine lange, saure Plage! Doch Deine ist kurz. Und gestehe nur, Soldat Frommholz, der Du in Deinen vierziger Jahren statt Späne von Balken, Arme vom Leibe, und Köpfe vom Rumpfe hiebst, gestehe nur, Du mein halbvergessener Vorfahr, daß Du die Strafe wohl verdient! Hiebst Du nicht bei Ankona, wo der Papst zur Veränderung auch einmal der Türken Bundesgenosse war, einen bildhübschen jungen Mann zusammen, weil „Erschlagen“ befohlen war, und derjenige ein Ehrenzeichen bekam, der es darin am weitesten gebracht! Und kamst Du dann nicht ins Quartier zu der jungen, schönen Gräfin, die ihr Knäbchen wiegte! Hörtest Du sie nicht laut aufschreien, als sie ihren geliebten Mann in der Gestalt herein trugen, in welche Du ihn verhunzt! — Hei! das war ein schönes Ebenbild Gottes! — Frommholz! Sahst Du nicht, wie sie ihr Kind aus der Wiege riß, es hoch empor hielt, und es des Vaters unsichtbarem Todtschläger zeigte — daß Dir die Haare zu Berge standen — und wie sie es Gott dem unsichtbaren Vater zeigte, daß Du vor Furcht Dich bücktest, — und die silberne Klapper aufhobst, die dem kleinen Waisenkinde vor Angst vor der Mutter aus dem Händchen gefallen war! Hörtest Du nicht, wie sie Rache schwur, wenn nicht der Welt, wenn nicht dem guten, schönen Menschengeschlecht, wenn nicht den Frevlern, die den Krieg herauf beschworen und ihn wüthen geheißen, bloß um selbst länger ihr Volk zu beglücken — denn doch Rache dem, der ihn erschlagen und sein schönes Gesicht entstellt, daß sie ihn kaum erkannten. Und Du, Soldat Frommholz, Du mußtest schweigen, und aßest still von ihrem weißen Brode und trankest ihren rothen, süßen Wein! Und mit heiler Haut gingst Du selber heim, legtest den Soldatenrock und die Höllenwaffen ab, und griffst zum Zimmerbeil wie nach einem Kleinod. Aber vergessen habe ich, ich grau werdender Zimmermann, nicht Dich Fleischer, Menschenjäger und Brandstifter auf anderer Leute Gewissen hin! Und ich Zimmermann sage Dir jetzt: Mensch, Du sollst Deinem Gotte mehr gehorchen, als den Menschen! Denn Menschen sind alle, wie sie auch heißen, ob sie Kronen tragen oder Pelzmützen, Sterne oder Knöpfe. Und kein Mensch kann das fünfte Gebot aus der Bibel kratzen, oder das „nicht“ aus demselben vertilgen und Gott zum Trotze mit seinem Kain-Finger in die Gesetzestafel schreiben: „Du sollst tödten!“ ohne daß ihn der Donner des Herrn erschlüge! — „Aber,“ warf ihm der Soldat Frommholz ein: „Sie thun ja doch so — und der Herr läßt regnen über Gerechte und Ungerechte, und seine Sonne scheinen über Gute und Böse.“ — „Das ist eben entsetzlich! Die sanfte, liebevolle, schweigende, himmlische Mahnung!“ entgegnete ihm der alte Zimmermann Frommholz. Manchmal, wenn ich in Frankfurt war, habe ich mich gewundert, warum denn die Juden nicht Christen werden! — Oder doch die Türken! — Da sagte mir ein vornehmer Mann, der meine laute Verwunderung hörte: „Ich würde die Juden und die Türken verabscheuen, wenn sie das werden wollten: was wir sind oder heißen, alter Mann! Und als Mahomed erschien, hatte seine Lehre reißenden Fortgang, weil es schon 300 Jahre vor ihm keine wahren Christen mehr gab. — Ich muß in die Sitzung! Lebt wohl!“ So schied er. Und jetzt da Einer 300 Meilen weit hergeritten kommt, um meine kleine, liebe Sohnestochter aufzuspießen, und ich sie nicht einmal vor dem Wirrwar hineingetragen — nun will ich, der Zimmermann, Deine Sünden wieder gut machen, Soldat, gottloser Frommholz! Aber weiche von mir auf Erden, und erscheine mir einst nicht im Himmel! Wir sind geschiedene Leute!“
„Und nun, mein Alter, sprach seine Seele weiter, Deine Sache ist leicht! Du zimmerst am Thurme ja, wie das ganze Dorf weiß; . . . Du legst nun das Brett auf einer Seite hohl; . . . Du haust fehl — es schwankt; . . . Du schwankst — es fällt; Du fällst . . . und Johannes ist kein Soldat, so wahr meine alten Gebeine nicht von Eisen sind! Und nur ein Scrupel bleibt: daß sie Dich ehrlich begraben! Johannes beweint mich redlich! Christel geht schwarz in Trauer um mich, und die Kinder pflanzen ihre paar Blumen auf mein Grab, und kommen zu mir, sie an schönen Sommerabenden frisch zu begießen. Und der Mond geht auf, und die Linden duften, und „zum Wahrzeichen“ hänge ich angenagelt und aus Holz geschnitzt und mit Oelfarbe bunt gemalt, an der Ecke des Thurmes — und die thörichten Kinder im Dorfe sprechen: „Das ist der alte Frommholz!“ Aber der Wahre hat die Seinen aus der Gewalt der erbärmlichen Zeit errettet. Denn was ein Mensch kann, das wissen die Millionen nicht!“
Johannes mußte nun auf Christels Fürbitte für den armen Sebastianow und auf des Sergeanten Befehl den Sonntagsbarbier holen. Dieser aber lag — krank, weil ihm schon Wecker im Thurme gedroht hatte: er müsse zu einem Russen kommen, der also wahrscheinlich die ansteckende gefährliche Krankheit an sich haben und ihm mittheilen konnte. Darum lag der vorsichtige Mann gleich lieber selbst gesund im Bette krank, und pflegte sich ganz im Geheim endlich einmal recht aus. Aber sein Bruder, der Licentiat war gekommen, um sich gleichfalls nach Mainz ins Sichere zu begeben, und hatte bei seinen Kunden umher, auf die Furcht vor der grassirenden Krankheit sich — das Reisegeld und die Aufenthaltskosten geborgt, und von den furchtsamen Leuten, die alle Hülfe vom Arzte erwarten, es auch gern, gefällig und richtig geliehen erhalten — und ohne Schuldschein. Starben sie also während der Abwesenheit seines Leibes — denn Geistesgegenwart besaß er nirgend — so waren sie bezahlt; oder er bezahlte die Familie durch neue Liquidationen, die gerade die Summe erreichten oder um einige Gulden oder Kreuzer noch überstiegen, damit die Rechnung nicht studirt schien. Der Licentiat nun konnte seinem alten Freunde Johannes nicht ausweichen, der mit Holenlassen zu drohen beauftragt war, und erwiederte: „Lieben Leute, Ihr thut wahrhaftig den Aerzten zu viel Ehre an, in dieser letzt betrübten Zeit, wo ich wenigstens meinen Bankrott gestehe. Wir sind so gewöhnlich gut, wo nichts ist; aber jetzt, wo diese Krankheit herrscht, da beweisen wir der Welt, daß Jeder selbst sein bester Arzt ist, wenn er sich vor ihr und vor uns sein in Acht nimmt — wie ich, und meine liebe Frau! Denn wir wissen das sicherste Mittel selbst gegen die Pest: — „Pest fliehe bald! Fliehe weit! Und spät erst kehre zurücke!“ — Und Jetzt kann man bei jedem Leidenden das Leiden vermuthen! O Gott, wann werden wir wieder drei Monate Zeit haben eine Krankheit zu curiren! Denn diese läßt sich nicht spinnen! Und Ein Thaler bei Tag für den ersten Besuch ist auch der letzte! Wie soll das werden?“ — Doch als die Frau Licentiatin gratulirend und lächelnd gefragt und gehört hatte, daß die vorher so preßhafte ganze Familie sich nun in gesegneten Umständen befinde, nicht bloß mehr die liebe Hausfrau Christel, also bezahlen konnte und gut bezahlen mußte, so legte sie bei ihrem Manne ein bittendes Fürwort ein, das aber wie er wußte, ein unweigerlicher Befehl war. Und so versprach er zu kommen — doch in der Dämmerung, aus besondern Gründen. Frau Licentiatin räucherte, daß Alle husten mußten; selbst der Kranke im Bett in dem Alkoven; und als Johannes schied, sagte sie ihm noch zum Troste in der Thür: „Vertraut nur der Christel . . .“
Das thue ich immer in Allem; versetzte Johannes.
„. . . Nein vertraut ihr nur das: „ihr Schweinchen hatte Finnen! So vergißt sie es leichter.“
Johannes aber schied stumm. Aber wie erschracken sie Alle, als am Abend — ein Elephant die Thür aufmachte, und seine lange, bis auf die Erde reichende und riechende Nase, oder den Rüssel, vorsichtig über die Schwelle zog — und „Guten Abend!“ sagte, hinter einer Larve mit Glasaugen hervor. Denn es kam nur der Anfang, das Vordertheil eines jungen Elephanten herein, dem der Körper fehle; denn die glanzleinewandene Erscheinung sagte gleich selbst: „Ich bin der Licentiat, der seine Sicherheitsnase, die nur etwas reine Luft an der Erde holt, nicht zu fürchten bittet!“
Sebastianow aber sprang von dem Bette; man hielt ihn, bedeutete ihn schwer, daß die Gestalt sein Doctor sei, und er ließ sich endlich zum Niedersitzen bewegen; schloß aber die Augen, als Christel Licht brachte, damit er verbunden werden könne, und bat unter nachlassendem Zittern um etwas Niederschlagendes für ihn, und rief: „Mutter, Schnaps!“
Entweder dieses niederschlagende Getränk, der Schreck, der Verband, die Hoffnung, oder Alle zugleich, stärkten Sebastianow, daß er dann aufblieb, und seines Glaubens eingedenk war, sobald er sich wieder allein befand mit der kleinen Todten. Er suchte sich aus den Bildern an der Wand Jemand aus, der seinem Schutzheiligen am ähnlichsten sah; zündete Lichter an, und las, nach seinen Gebräuchen, aus seinem Büchlein nun unaufhörlich Gebete, bald leise, bald laut, bald still, um auszuruhen. Das that er dem Kinde zum Nutzen im Himmel, und sich zum Vortheil auf Erden, weil auf die Beerdigung dann, seiner Meinung nach, ein prächtiges Abendessen zu hoffen stand, oder weil er sich dadurch Christels Gunst erwerben wollte, der die einfache Feier gefiel, die aber von selbst schon Alles an ihm that, um nicht zu ihrem Schmerz noch Rache zu fühlen, und sich nicht die heiligsten Tage einer Mutter zu verderben.
Als nun das Särglein fertig war, und grün und weiß gemalt mit der Farbe der Unschuld und Hoffnung, und Wecker den Text auf das Kreuz geschrieben, da schritten sie zu dem Begräbniß. Und Wecker las latent, wie er es nannte, erst selbst als Schuljunge oder Custos, an der Hausthüre mit nachgemachter Knabenstimme, die schöne Verkündigung von den Todten; dann las er wiederum selbst mit Baßstimme drinnen an der offenen Stubenthür die Trostworte des Engels, als geistlicher Herr, mit viel mehr innerer Würde; und wer ihn sah, der wußte, was er las, und weinte latent mit, wie er; denn das Haus war voll fremder, unbekümmerter Menschen. — Darauf sprach Wecker als bloßer angemaßter Schulmeister und treue Hausseele: „Nun sind wir so weit! Liebe Christel! Wenn nur Jemand Todtes da ist, so kann man immer begraben, nämlich einmal, nicht alle Abende, wie die Kinder den Staar. Wir warten vergebens auf einen ruhigern Tag, und Johannes steht schon seit Mittag im Hofe exerciren mit einem Prügel statt einer Flinte, wie ein Bär; und der abgewachsene Mensch und Ehemann lernt nun auf einem Beine stehen, wie eine Gans — ganz prachtvoll! und lernt den Kopf drehen, wie ein Wendehals, ganz wunderbar! Hört nur das Commando: Köpfe — — — links! Köpfe — — — rechts! und so fliegen ihnen die Köpfe, als wären sie nun jemand Anderm! — Prachtvoll! Und jetzt treten sie gar den Gänsemarsch an — Einer hinter dem Andern! Prachtvoll! Und nun Köpfe links! und Köpfe rechts dazu — schwer! doch nun ganz erstaunend! Hei, nun schwenken sie! sie defiliren hierher, wie Enten, Alle an einem Faden Zwirn, und der Hinterste hat den Speck im Leibe; und die Arme haben sie Alle ohne Windelschnur fest am Leibe, wie Wickelkinder — und schreien, ja mucken auch nicht, sondern sehen ganz jämmerlich-ehrwürdig aus! Soll ein Mensch nicht erstaunen, was aus einem vernünftigen Menschen werden kann, sogar eine Maschine! Also die Kunst ist nicht gelungen: eine Maschine zum Menschen zu machen, wie man schon einen Trompeter hat. Aber die Kunst florirt: Menschen zu Einer Maschine von Einem zu machen. Und die stille Musik dazu! Nein, ich bin außer mir vor Freuden! Laßt uns begraben, daß ich weinen kann! Denn ehe die Rekruten — schon ein ganz himmlischer Name — ein Rekrut — ehe nicht zwanzig Stück halb todt umgefallen vor Müdigkeit und Gänsestehen und Entenmarschiren, jetzt hier niedrig, jetzt drüben, ehe läßt man sie nicht aufhören zu exerciren. Johannes kommt also vor Nacht nicht in sein Haus, und marschirt wie ein Betrunkener vor seiner eigenen Thüre herum und vorbei! Laßt ihm die Freude! Uns aber laßt allein zu dem Werke schreiten; da die lieben, kleinen, weißen Mädchen des Dorfes nicht mittrippeln mit ihren Kränzen, so schreite ich mit. Denn Alte gehen nur mit Alten, Weiber mit Weibern, Jungfrauen mit Jungfrauen, und Männer mit Männern zu Grabe, nach unserem schönen Gebrauche in Zahlbach. Jetzt aber lassen die Aeltern, wie keine Gans und keine Henne noch Ente, auch die lieben Kindlein nicht heraus aus dem Wirrwar in allen Häusern in den Wirrwar vor allen Häusern; Sr. Auchwohlerwürden der Herr Schulmeister, kann auch nicht mit schreien, noch mit schreiten, denn er hat „vom Volke“ — wie wir mit Recht den Ausschuß desselben nennen — mit Unrecht Schläge bekommen, weil er die Suppe zu heiß ausgethan und die Herren sich die Schnäbel verbrannt, und ist ausgetreten. Sr. Hochehrwürden, der Herr Pfarrer Lademann aber kann nicht mit einherschlendern, weil er erst ein junges Weib, einen schönen, lustigen Finken aus Bockenheim, genommen; ist also noch eifersüchtig und ganz verschämt oder confus, besonders da sich der gnädige Gottlieb, nunmehriger Lieutenant bei den Cohorten, im Pfarrhause dermaaßen einquartiert, daß er jämmerlich schiert, um sich vorerst Furcht zu machen. Darum schreitet der Herr Pfarrer nicht dreißig Schritt geradeaus mit dem Rücken vom Hause, für dreißig Ducaten; aber zweihundert Schritt um die Ecke der Kirche, nicht um zweihundert Louisd’or. Da ziehen ihn Eure sechszehn Kreuzer denn diesmal nicht. Auch geht man jetzt nicht auf der Straße, sondern bei dem Wetter in der Straße bis an die Waden. — Ich muß also schon mit schreiten oder waten, das seht Ihr ein! Seid nur so gut!“ —
Und so fuhr denn der alte Frommholz das liebe Kind auf dem Gras-Schiebbock zu dem ausgeworfenen Grabe, und des Kindes Mutter ging allein still hinter ihm als Leidträgerin; Wecker aber vorn, als Schulmeister, Schule und Custos mit dem Kinderkreuz, und sang — stumm, oder latent, mit sehr beweglichem und bewegtem Gesicht, wie Jemand, der mit vollem Munde kauet; er aber hatte Seelenspeise auf der Zunge, und labte sich recht.
Als sie bei dem Hofthore auf dem rechten Flügel der „Rotte“ vorüber kamen, hätte Johannes, der mitten im langen Gliede stand, seelensgern rechts gesehen, um wenigstens seines Kindes kleinen, bunten Sarg noch einmal ins Auge und in die Seele zu fassen; aber die Köpfe waren links commandirt, und er hatte im rechten Auge nur einen mattblendenden Schein von dem sonnebeschienenen Särglein. Es zog ihn unwiderstehlich, doch hinzublicken; er wandte allein von der ganzen Rotte den Kopf rechts; und der gnädige Gottlieb, der als Lieutenant inspiciren gekommen, sprang zu, und rückte ihm denselben bei den Ohren gewaltsam in das heilige Commandowort „Links,“ und hielt ihn dann zornig am Kinn mit der Faust.
Und Johannes alter Vater, der das vorüberfahrend mit angesehen, sprach nur halblaut vor sich: „Es ist schon gut!“ — Johannes aber sah sogar die große soldatenbunte Gestalt des gnädigen Gottlieb nicht, die ihm nahe in die Augen grollte; sondern vom Scheidegefühl und dem stillen Lebewohl ganz anders ergriffen, sprach er nur, im Herzen still, die Worte seinem Kinde nach: „Der Herr behütet Dich, der Herr ist Dein Schatten . . . daß Dich des Tages die Sonne nicht steche, und der Mond des Nachts. Der Herr behüte Dich vor allem Uebel, er behüte Deine Seele. Der Herr behüte Deinen Ausgang und Eingang, von nun an bis in Ewigkeit.“ — „Amen!“ sprach er laut; und der Lieutenant lachte, und das Glied, und er ließ ihm das Kinn los.
Nahe bei der Kirche, wo die Wege sich kreuzen, ward aber Wecker von einer Schaar betrunkener Reiter überritten, deren jeder eine Koppel wilder Handpferde zur Armee führte; und ein, von den betrunkenen Menschen gleichsam mit wie betrunken gemachtes Pferd sprang über das Särglein, riß es dem Alten vom Schubkarren herab und auf, daß der Deckel weit hinflog; ein anderes schlug scheu aus, und traf das Kind, während Christel sich verhüllte, und mit gewundenen Händen darauf nach Hause lief wie vom Feuer verfolgt. — „Es ist Krieg!“ riefen die rohen Gesellen. Und Einer, an dessen Stimme Wecker seinen Sohn zu erkennen glaubte, sprach lachend: „Was führt Euer Weg über unseren Weg? Kronengut geht vor Bauerngut! Und wenn wir die Pest am Leibe hätten, wir zögen frei durch alle Lande, und schliefen in Eurem Bett! Fort aus dem Wege!“
„Es ist schon gut!“ stöhnte der alte Vater wieder. „Mein Sarg steht schon lange auf unserem Boden.“ Und so las Wecker das liebliche, wie vor Schreck blaß gewordene Kind wieder von der Straße in das Särglein, auch den kleinen frischen Asternkranz von heut, und das kleine Brodchen, damit es ohne die Mutter gut schlafe, und deckte den Deckel wieder leise und schonend darauf, daß er dem Kinde ja kein Fingerchen quetsche. — Und während der alte Frommholz stumm es darauf unter einzelnen fallenden Thränen versenkte, und zuwarf mit der immergleichen, unverweslichen Erde, sah Wecker zum Himmel und auch zum Thurme — und sah den Teufel auf der Spitze stehen, der ihn herunter angrinsete unter unhörbarem Hohngelächter, während er die schwere eiserne Fahne mit dem vergoldeten Adler um seinen Kopf schwenkte, so daß ein Kreis von Fahnen mit Adlern sich um den Knopf des Thurmes bildete, wie Schwalben sich an einander hängen. Und die Raben kamen zur Nachtruh in das alte Gemäuer geflogen, und krächzten ihr Lied. Wecker aber riß das neue schon gepflanzte Kreuz wieder aus, und hielt es — seiner Erscheinung empor, und sie verschwand. Zu den Raben aber sprach er empor, indem er seine Hände vor dem Munde zu einem kurzen Schallstück höhlte und rundete: „Ihr wißt nicht, wer ihr seid? Ihr seid Engel gegen die Adler, ja Engel gewiß, die ihr eurem kleinen Gespielen entgegen singt. Es klingt aber schlecht! Ich — ich kann nicht singen — mir ist die Kehle wie zugeschnürt: Der Mann bin ich! . . . Wollt’ ich sagen: Der Vater!“
Am Morgen leuchtete in Johannes und Christels Schlafkammer die purpurne Morgenröthe flammend herein, Christel setzte sich auf im Bett, und glühte geblendet von dem schmückenden Scheine. —
Wo ist denn das Kind? — Bei Dir Johannes? frug sie, sich umsehend. Da gewahrte sie durch das Fenster, daß Berge und Bäume und Garten und Gefilde verschneit waren vom reinsten Schnee. — Ach, seufzte sie, nachdem sie unter bewundernder Betrachtung sich besonnen: Ach, das Kind schläft unter einem andern Tuche! Es ist nicht ohne mich, denn — o mein Gott — es hat mich vielleicht vergessen; aber ich bin ohne seine frühe leise weckende Stimme: „Mutter, mache die Augen auf! . . . mach’ doch die Augen auf!“ und ohne seine Umhalsung und seine spielende Morgenfreude im Bett, und ohne sein Morgengebet, und das fromme Gesichtchen, das Falten der kleinen Händchen! Ach, ich bin um die kleinen Hemdchen und Röckchen, die Schüchel und die Schürzchen — ich bin um Alles — da hängt es, und liegt es, und sieht ganz erschrecklich aus, so still . . . und möchte doch reden! so bunt — und möchte doch schwarz sein, wie mein Band um die Haare. Und erst die letzte Schmach an ihm! — —
Es war die letzte! sagte Johannes; es ruht.
An ihm, die letzte! klagte Christel. Aber, mein Johannes, nun ist mir erst erschrecklich zu Muth! Denn so wie uns, ist es wenigstens Tausenden gegangen! Tausenden wird es gewiß noch so gehen — und ärger! Und was hilft das Unglück eines Menschen den andern? Was mir — das fremde? Und was den lieben fremden Menschen das meine — oder das unsere, wollte ich sagen, Johannes; sei nicht böse! Jeder leidet doch das eigene, das seine. Und ein Guter leidet noch das Leid des Andern mit, wie mein Kind mir schwer wird, als sollte ich tausend Kinder auf meinen Armen tragen. Aber, mein Johannes, ich habe nun auch das Mitleid erkauft, Du hast es schwer erkauft, aber wir haben es doch! Und Mitleid ist in traurigen Zeiten der heiligste Schatz. Aber ich habe es nun auch mit Dir! Denn Du, Johannes, sollst nun gar ein solcher Mensch werden, der alles Menschliche vergessen, ja mit Füßen treten muß! Das ist das Aergste, und schlimmer, als meine und Deine Einsamkeit, ja schlimmer, als wenn Du nicht wieder kämest, und Du mich verlörest, und ich Dich! Darum hat auch der Teufel die Fahne mit den Adlern geschwenkt — vertraute mir heimlich Wecker, besonders aber, weil der Pferdeknecht, der ihm bei der Pferdethat an dem Kinde so gräßliche Worte gesagt von Kronengut und Soldatenfreiheit — weil der Abscheuliche — sein großer Friedrich, sein lieber Sohn gewesen ist, der ihn nicht vermuthet hat; Wecker aber hat ihn erkannt — als ihn der Teufel gefragt hat: — „Wecker! war das nicht Dein Sohn, der da reitet nach Britzenheim!“ — Siehe, und so ist der alte, gute Vater Wecker fort, schon die Nacht, seinem Sohne nach; aber, was er bei ihm und mit ihm will — weiß Gott! Er hat ein Messer mitgenommen . . . .
„Ein Messer?“ frug Johannes erstaunt.
Ja! Aber um eine ungeheure Ruthe zu machen; denn er sagte: „Kein Vater darf sich das Recht über seine Kinder nehmen lassen — ausgenommen sie werden besser und klüger als er, und es werden ihnen vernünftigere und menschlichere Vorschriften gegeben, und heilsamere Handlungen vorgeschrieben, als bei ihm zu Hause! Sonst muß der Vater aufstehen! und lehren und strafen und rathen, wenigstens fortzulaufen und die schreckliche Bande im Stiche zu lassen, worein ihn der Kerl vom Thurme gemengt. Wecker, bleibt Wecker! Aber es ist doch entsetzlich, wenn so ein curioser Mann, wie ich, soll gescheidter sein, als viele ganz curiose Leute; und so ein armer Sünder, wie ich, soll besser sein, als die ruhmgekrönte, geschlossene Gesellschaft von christlichen Türkenhäuptern! Wozu sie noch der Corse, der Corsar zu Lande, macht, — und meinen Sohn! . . .“ — So sprach er stöhnend und jammernd, riß mir das verweigerte Messer geschwind aus der Hand, und ließ sich nicht halten!
Laß den guten Wecker mit seiner Ruthe ziehen! sagte ihr Johannes betrübt-lächelnd. Alles zu dulden bin ich auch nicht gemeint! Zum Ackern lassen sich selber die Ochsen geduldig anspannen, und ziehen im Schweiße ihres Angesichtes bis die heilige Sonne zu Rüste geht, und der Acker in Schatten und Dunkel liegt; aber wunderlich ausgeputzt mit goldenen Klapperblechen, werden sie rasend bei der Stierhetze, wie der Großvater von Rom uns erzählt hat. Wir Völker, mit uns allein, ohne Hetzer, sagte er, würden alle in Frieden leben, wenn man diejenigen ruhig beisammen ließe, die einerlei Sprache reden; höchstens würde einmal ein Viehstreit oder ein Hutungsstreit ein paar Stunden dauern. Aber, da sind Andere, die glauben, die Erde zu besitzen und verschenken zu können, wie einen großen grünen Schweizer Schabsickerkäse mit Kräutern und Maden und Milben — als nämlich mit uns Erwachsenen und Kindern, wie der Papst; — und Andere, die glauben: die Länder eigenthümlich, wie ein Müller seine Mühle oder die Mahlsteine zu besitzen, sie rund machen zu müssen, sie Mehl für sich mahlen zu lassen, sie verkaufen, vererben, ja entzweireißen und theilen zu können, als wären es wirklich bloß Steine . . . und nun kommt dazu: daß Viele das wollen, oder wie der Großvater eben behauptet: nur Einige; — und so mahlen sich die Steine zu Schanden, von einem dampfenden Menschenblut-Strome getrieben, und von fühllosen Rädern aus Eichenholz; und statt Mehl kommt Menschenasche und Knochenkleie herunter, die auf zum Himmel riecht, und die Müller selber werden elend von dem Elend, schleichen schlaflos auf den Gängen umher, hören mit Angst die Glocken rufen: „neue Menschenknochen aufzuschütten!“ und wollen doch Müller heißen und bleiben; denn anders haben sie nichts gelernt. Wenn sie aber Christen wären — ließen sie den lieben Gott seine Gaben auf seine Mühle schütten, ließen ihn das Mühlhaus beglücken, und hätten Freude und Schlaf und Dank. Und wenn der Müller nicht ein Christ wird, so kann es Gott selbst nicht anders bessern, als wenn die Menschen Christen werden, nämlich wir, wir Alle, und nichts mehr thun und leiden, als was Christus der Herr oder die zwölf Jünger gethan oder gelitten hätten. Darum muß sich das Volk nicht unterweisen lassen im Aberglauben, es muß keine Zauber- und Hexereistückchen-Fabrik mehr in Italien geben; das Volk muß nach der wahren Lehre Christi fragen, und darum fleißig das Wort Gottes lesen, um des Teufels Worte auszurotten!
„Nichts weiter!“ sagte Christel zum Morgengebet. „Nichts weiter;“ ich habe es gestern im Stillen weinend mit angehört, wie Dir Dein Vater das Alles gestern im Dunkeln gesagt hat. Ich war ja in der Stube. Doch indeß — indeß — bis dahin: wer will Dich retten. Soldat zu werden, mein Johannes, und von der Schmach: Deinem deutschen Vaterlande neue Ketten schmieden zu helfen mit Deinem christlichen Seitengewehr! Denn der Kaiser wird nicht klug! Ein anderer Vater wird menschlich, wenn er einen Sohn erhält; aber nun der seinen kleinen König von Rom hat, nun will er ihm erst das große Reich recht groß machen, wenigstens sicher und fest — aber Du weißt, was der Adam Müller prophezeiet hat! Das klingt ganz anders! Wenn ich den Mann nur einmal sehen sollte, der ein Bauer sein soll, doch was für ein Bauer — ein Prophet wie Daniel! — Ach, was wird mein Daniel machen? — „Ich muß fort, ich muß hin!“ sprach sie, von dem Namen des Propheten an ihren Knaben erinnert.
Gehe in Gottes Namen! hieß ihr Johannes. Ich aber habe Muth zu thun und zu leiden . . . . Jedes aber nur, so lange sich jedes mit meinem Gewissen verträgt. „Ich will ein Schaaf scheinen, wenn ich nur keines bin; und ich will ein Tiger scheinen, wenn ich nur keiner bin. Aber ich werde keiner, das fürchte nicht! Nur habe ich durch des Großvaters Worte eine große Hoffnung gefaßt! Wenn nur die Menschen alle die Hoffnung haben und die Aussicht, die das Wort Gottes verheißt, das nicht lügt — eben weil das Wort sich in jedem Menschen selbst wahr macht, und der Mensch selber ist — so sehen sie es eine Weile noch an, wie die Welt läuft, oder wie die Mühle geht; und wenn nicht gut, dann schützen sie selber den Blutstrom ein, und die Müller mögen ihre eigenen Kinder mahlen, nicht unsere! Denn wir, wir legen Alle, ein Jeder die Hand auf das Herz und sagen: Du sollst nicht länger bluten als dafür: — daß wir nicht länger bluten, und daß wir nicht länger zu Staube gemahlen werden, und unsere Kinder! — so sagt der Vater.“
Christel tröstete indeß ihren redlichen Mann, mit allen holden Tröstungen, die ein junges schönes liebendes Weib im Ueberfluß hat; und sie saßen in süßer stiller Betrachtung noch einige Zeit neben einander, indem sie sich still an den Händen hielten. „Deines Vaters Geburtstag ist heut,“ sprach sie endlich; „heut ist er siebzig Jahr.“ Gott erhalte ihn uns noch lange! besonders nur mir; denn was er mir thut, das thut er Dir und Deinen Kindern. Jedoch wenn er auch nur noch ist, lebendig und gegenwärtig; wenn er ißt, und es ihm schmeckt, und er sein Gutes empfängt von uns in seinen letzten Tagen, so ist ein Alter schon unersetzlich im Hause, ein wahrer Hausschatz, den kein anderes Gut mehr aufwiegt. Denn jedes ist schon ein eigenes, und ein alter Vater auch ein eigenes. Darum wollen wir den Tag still feiern, und kochen etwas Besseres für Alle, oder braten von den Gänsen; und so mögen es heut Alle bei uns gut haben, wenn sie auch nicht wissen: warum? selber der alte Sebastianow und der große Peter, der Hund. Ich aber gehe nach Mittags den kurzen Weg zu den Kindern in die Stadt, und zur armen Dorothea, die einmal nicht glücklich werden soll, das junge Mädchen. Auch bringe ich vielleicht von ihr heraus, was ihr ist, geschehen ist, oder Gott verzeihe mir, was sie vielleicht gefehlt hat! In diesen Zeiten ist Niemand vor großen Fehlern sicher, ja nicht vor Verbrechen; die Angst, die Furcht, die Entrüstung, die Rache sind los, und ergreifen Einen um den Andern, den Schuldigen und den Unschuldigen — und nichts ist länger, selbst die Gerichtsbank nicht, als Gottes Langmuth — spricht Wecker; aber in der Länge ist Muth und Gewißheit. Und erhasche ich nur ein Wort von Dorothea, verschweigt sie auch nur eine Antwort, so sehe ich durch ihr Wesen, wie durch einen Schleier, und kann ihr dann rathen und helfen! Nur ein Weib löst einem Weibe die Zunge, und weiß sie recht aus dem Grunde zu verstehen, recht aus der Seele Theil an ihr zu nehmen und es mit ihr gut zu meinen als wie mit sich; denn beide sind Weiber, und aus demselben weichen Stoffe — aus Liebe und Thränen! —
Christel brach ab; denn sie sahe durch’s Thor einen vornehmen Reiter herein in den Hof gesprengt kommen und halten. Als Johannes hinabgeeilt, kam er wieder und schickte Christel in den Hof. Der fremde, schöne, junge Herr rief sie nahe an sein Pferd und ritt dann an einer einsamen Stelle des Gehöftes, immer im Kreise langsam umher, während er hochglühend im edlen Gesicht, und doch sehr niedergeschlagen sagte: „Ich heiße Ellenroth und bin . . . oder war, oder heiße noch der Bräutigam Euerer Dorothea.“ Er holte schwer Athem, dann fuhr er mit einem Seitenblicke zu Christel geneigt fort: „Und so glaube ich Euch schon ganz bekannt zu sein; denn von einem Bräutigam wissen die Verwandten der Braut schon Alles; und wißt: ich bin ein junger Mann, der ein Mensch werden will durch ein Weib. Denn durch ein Weib wird man ein Mensch, nicht erst ein Mann; der muß man dazu ja gewesen sein. Auch bin ich Euch durch meine Liebe zu einer Verwandten von Euch gewiß schon lieb und vertraut — wie ein Anverwandter — wenigstens habe ich herzliches Vertrauen zu Euch, und bedarf Euern Rath und Euere Hülfe, denn Ihr seid jetzt gleichsam die Mutter der Dorothea, da Euere Schwester Martha dahin ist — dahin, wo . . . fürchte ich . . auch Dorothea bald folgen wird, oder zu folgen glaubt. Denn nehmt nur den Brief hier von ihr! „Sie will nicht die Meine werden“ — weil sie mich liebe und ehre; aber auch keines Andern — weil sie mich herzlich bemitleide und beklage. Ja, sie meint: „Gott erhalte mir nur meinen Verstand, damit ich nicht katholisch werde, weil ich dann in ein Kloster gehen könnte.“ Leset! Erkläret mir, helft! Ich bin unschuldig und rein wie der gefallene Schnee! Und auch Sie ist gewiß so leicht über die Erde gewandelt, wie über Schnee, ohne eine Fußtapfe zu beflecken! Da, nehmt!“
Christel nahm den Brief, blieb stehen und las, während Ellenroth in großem Kreise langsam umherritt. Darauf ging ihm Christel entgegen und sagte ihm traurig: „Was ein Mädchen, wie Dorothea sagt, so sagt, und schreibt, das hält sie gewiß, dabei bleibt es. Armer, junger Herr!“
„Geht zu ihr!“ bat er; „redet noch einmal zu ihr! Ich bin so thörig wie alle Menschen, die das Theuerste entbehren, das Aeußerste dulden, wenn sie nur klar wissen, warum? und wie es gekommen! Und diese Thorheit beweiset, daß es ein größer Glück giebt als alles Glück oder alles Unglück — und das ist: die Wahrheit, ist die Vernunft! Ach, daß die Liebe zu dem Weibe mir nur nicht höher wäre, liebe Christel! Denn erfahre ich auch den Grund der Zurückweisung und Verweisung meines Herzens auf sich selbst, so ist es doch leer, halb, zerrissen ohne Sie — und der Tod ist jetzt leicht zu finden: ich werde Soldat! oder erlöse durch meine freiwillige Gestellung vielleicht und gern noch einen gezwungenen Vater von Kindern! Vielleicht sollte das nur so kommen, das sollte ich im Leben vielleicht nur thun! Wer weiß, wozu ein jeder bestimmt ist auf Erden. Doch die Tage erst lichten das Leben auf — und die finstern: ein helles! Nur verdenkt mir nicht, daß mir die Augen tröpfeln! Vor Euch will ich es nicht verbergen.“
Christel meinte in diesen Worten auch eine Schickung Gottes zu sehen, ward durch und durch froh, und über und über roth, und wollte den verlorenen oder nicht erst erworbenen Freund inständigst bitten . . . wenn er denn wollte, was er müßte, oder müßte was er wollte . . . diesen Dienst dann ihrem Johannes zu leisten . . . den Vater ihrer Kinder frei zu machen von den Soldaten, durch sich! Aber sie erröthete bei dem Tröpfeln seiner Augen ganz anders. Denn Thränen rühren ein Weib am meisten, und unter allen Thränen, die Thränen eines Mannes, der schön und edel und muthvoll ist; ja diese solche Thränen erheben sie über sich selbst, und geben ihr alle ihren weiblichen Adel wieder und eine Himmelsseele dazu, oder erwecken sie nur in ihr, wenn sie schlummerte. Und so erwiederte Christel: „Armer Herr! Ich weiß gewiß, es ist vergeblich — aber ich gehe zu Euerer Dorothea. Bleibt bis zum Abend hier . . . und kann ich Euch nicht helfen . . . so helfet Ihr uns! Und Ihr . . . Ihr könnt es, und wollt es gewiß . . . schon um Dorothea’s willen! — Die wird sich doch freuen über Euch!“
„Sagt es dann gleich lieber jetzt!“ bat er. Aber sie beruhigte ihn damit, daß sie gleich nach Mittag in die Stadt gehen werde, nahm ihm das heißgerittene braune Pferd ab, und als er hineingegangen, sahe er bald darauf — den Johannes exerciren, und faßte im Stillen selbst den Entschluß: den redlichen, einfachen, aber den Seinen so kostbaren Freund zu erlösen . . . oder verstand er jetzt erst Christels Worte. Denn manche Worte werden erst spät verstanden, oft Jahre und Jahrhunderte nachdem sie verhallt sind, „wie die ächten wenigen Worte Christi,“ wie Wecker sagte.
Der alte Frommholz aber wußte von dieser fast gewissen Hülfe nichts, und auch von keiner andern irgend woher. Aber er wußte heimlich aus einem andern Hause den noch verborgen gehaltenen Befehl: „daß übermorgen, oder schon morgen, die Neugeworbenen, Alte und Junge, selbst halbe Greise und halbe Kinder, die nur verwüstet wurden, über den Rhein auf jene linke Seite geführt werden sollten.“ Darum hatte er beim Schlafengehen große Sehnsucht nach dem Tage. Der untergehende, prachtvoll schillernde Mond, der vor einigen Tagen schon voll gewesen, täuschte ihn: sehr früh aufzustehen, und zwang ihn gleichsam, die wechselnden aber immer wiederkehrenden Wunder der Nacht noch einmal recht zu genießen; bis er sich in seinen geschnitzten Lehnstuhl setzte, und mit stiller Freude endlich die Tritte seines Johannes über sich hörte. Da löschte er im Kalender, schon in der heiligen Morgenfrühe den Tag aus — den Montag — wie er sonst immer erst nach dem Abendsegen that; dann zog er die stehengebliebene Wanduhr auf; ließ den Kukuk die Stunden nachrufen — und schrieb noch einmal seinen Namen auf das mit Schiefer belegte Tischblatt, sahe ihn an, und löschte ihn lächelnd weg. Dann betete er aus seinem Kubach das sonderbare, doch ächte „Gebet eines Schieferdeckers, so er vom Thurme fällt,“ welches zwei Seiten lang ist, also einen wolkenhohen Thurm voraussetzt, wenn der dabei besonnene Unglückliche nicht eher auf Erden anlangen soll, als er es ausgebetet hat. Er merkte das, und lächelte die geringe Höhe seines Thurmes und seinen Fall, wie ein Kinderspiel, dadurch hinweg — und das Gebet bekräftigte ihn und machte ihn stark! Dann öffnete er die Stubenthür einen Fingerbreit, um noch einmal zu sehen: wie Alles darin morgen stehen würde! . . . . Wie in fünfzig Jahren . . . . in hundert Jahren die liebe Sonne so hereinscheinen würde!
Der stille Herr Ellenroth machte das Frühstück still. Doch sagte Christel dem Großvater, daß sie zu den Kindern hineingehen würde, und er ließ sie alle grüßen und bitten: „sie sollten ihn nicht vergessen!“ Das durfte er sagen. Aber Johannes durfte ihm nicht sagen, daß sie seinen Geburtstag begehen würden; um ihn beim Mittagsessen zu überraschen.
Als der Alte aber an die Arbeit gehen wollte, bat ihn Johannes: „Vater, bleibt doch zu Hause! nur heute zu Hause!“ Das Wort traf den alten Vater, als sei er verrathen. Doch als der Sohn hinzu setzte: „macht wenigstens Mittags bei Zeiten Feierabend; die paar Schläge an dem Thurme werden ja noch vor dem Winter gethan werden“ — da versprach er zu Mittag bei Zeiten bei ihnen zu Hause zu sein — und sähe sich jetzt um, wie es dann in der Stube unruhig aussehen würde, wie er daliegen würde todt und zerschmettert; aber auch, wie er des Sergeanten, ja des Kaisers grausame Befehle zu bloßem Wasser gemacht; und freute sich, daß so Jeder, der stark etwas Gutes will, frei ist von allen über den Ländern liegenden eisernen Gittern; und nur das Eine that ihm in seiner redlichen Seele leid, das ehrliche Begräbniß, das sie ihm würden angedeihen lassen; und das Bedauern, als sei er unglücklich gewesen in seinem Tode; da er doch grade sich säen wollte in Gottes Erde als einen Keim des Glücks für die Seinen. Und so sagte er nur zu Johannes: „Du bist mein lieber, mein einziger Sohn! Und Du meinst es gut mit mir — das merke ich heimlich! Merke nur auch heimlich: Ich meine es auch gut mit Dir — so gut wie ein alter Vater noch kann! — Lebe wohl — indeß!“
So ging er.
Aber auch Christel ging kurz vor Essen noch eilig in die Stadt; denn Paschalis Magd, die Einiges zu holen gekommen, hatte ihr gesagt: daß das kleine Mädchen sehr nach ihr geweint — und mit gewollt! Das war nun schon Stunden vorbei, aber das hielt sie nicht aus, obgleich das Kind gewiß jetzt längst schon wieder ruhig war.
Von den Kindern zurückgehalten, ging Christel erst am anderen Vormittage von Mainz nach Hause. So wußte sie nichts aus Zahlbach — und so gewährt der Himmel den guten Menschen das Glück ihrer Treue und Liebe; und wo das Glück ist, kann nicht zugleich Schreck und Pein sein; und so sind sie nicht nur nicht elend, sondern oben darein beseligt. Wie viel Ursache aber Alle, ja alle Völker haben: tagtäglich zu bitten, daß auch ihre Nachbarn und alle die Ihrigen auf unschädlicher, ja wohltätiger Bahn wandeln mögen, damit sie nicht durch ihren Verkehr mit ihnen und grade durch ihre Neigung und Freundschaft und Liebe recht Bitteres von ihnen leiden — das erfuhr sie heute.
Daniel begleitete sie in Mainz bis an das Thor. Unter dem hohen dunklen langen Gewölbe wandelnd umfingen sie gleichsam die alten Zeiten sichtbar und doch so wunderlich. Denn wenn draußen auf Markt und Straßen neue Sonnenhelle und neues Leben sich regte, so hingen hier drinnen still, wie Fledermäuse, an den schattigen Mauern, die Spuren vieler hundert verflogener Jahre; und Alles, was sich hier Fröhliches und Trauriges herein oder hinaus bewegt, herein oder hinaus geschollen war, das hatte sich gleichsam nur — als Rauch an die Bogen gehangen, und ihnen die wettergraue, alterbraune Farbe — der vergänglichen Welt gegeben. Die Gewölbe aber hallten nur wieder, selber stumm; und so sagten ihr die Steine nicht, daß so eben die Rekruten aus Zahlbach hier durch geschleppt worden waren, während die armen Teufel ihre Angst in lustigen Liedern zum Himmel gesungen.
„Aber Mutter!“ sprach Daniel, „sind das nicht unsere Kühe dort? und unsere vier neuen Räder am Wagen?“
Sie drängten sich hin vor die Wache, vor welcher der Wagen mit einem im Strohe liegenden Manne hielt; aber nahe hinan konnten sie nicht, denn Soldaten und Menschen umstanden ihn. Und ein Bürger sprach zu dem andern: „Das ist ein böses Zeichen! Die Welt hat den Krieg satt; und damit nun grade der Kaiser und seine Brüder, seine Herrn Vetter und Frau Muhmen, Töchter und Schwäger auf den mit Braten gepolsterten und mit Wein besprengten Thronen sitzen, und Niemand Anders, oder Niemand, deswegen wollen sich nun die dummen Bauern nicht mehr selber todt schlagen lassen, noch ihre Söhne als frische Schemmelbeine unter den Thron zerzimmern lassen!“ —
„Sie sagten, es wäre ein Zimmermann;“ versetzte ein Anderer.
„Ja,“ bestätigte ein Dritter. „Er ist vom Thurme gefallen; und nun hat der Lieutenant in Zahlbach gesagt: er habe sich hinunter gestürzt — weil er ihn habe früh morgens am Altare knien und beten sehen — weil er einen einzigen Sohn mit Weib und drei Kindern zu Hause habe.“
Ach Gott! der Großvater ist todt! sagte Christel zu Daniel.
„Der alte Mann gefällt mir!“ sagte der Erste. „Erstlich, weil er ein Mann auf seine Hand ist, der uns Allen vorleuchten sollte; zweitens, weil er soll den Arzt gefragt haben: ob er auch wirklich ein Krüppel wäre, nun er beide Beine zweimal gebrochen habe . . .“
Mutter! rief Daniel fast zu laut vor Freuden: der Großvater lebt ja! Er hat nur beide Beine zweimal gebrochen . . . .
„. . . und als ihm das ist bestätigt worden, hat er mit Freuden eingestanden: er sei nicht gefallen! Auf dieses sein Geständniß, daß er seinen Sohn dem forcirten Vaterlande habe vorenthalten wollen, ist er nun hier in Ketten hereingebracht und soll ins Gefängniß geworfen werden und, als Zimmermann am richtigsten in den Holzthurm — sie wissen nur noch nicht in welches, denn alle — Holzthürme sind voll: — Verräther, das heißt nur voll Freunde ihres alten wahren Vaterlandes, das da Deutschland heißt.“
„Schwager!“ versetzte der Dritte: „das ist das größte Elend auf der Erde, daß grade das wahre Herz der Völker jetzt ein Scorpion sein soll! und die alte ächte redlichste Treue — Verrath; weil sie nicht mehr paßt, und nicht höflich und artig ist, wenn ein Andrer das Vaterland zerrissen, erbeutet und unterjocht hat, und doch so gut wie ein alter treuer, lieber guter Vater nun Kindesdienste, ja die Kinder selber verlangt! Der gute liebe Mann! Und wenn ich hunderttausend Jahre alt würde — ich würde kein Franzose! Und wenn ich Millionen Jahre alt würde, so würde ich nie ein Russe, geschweige zehn oder tausend Russen mit meinen Kind und Kindeskindern — und wenn ich alle Tage 1000 Napoleons, oder alle Stunden 5000 heilige Andreaskreuze mit Brillanten — geschweige die Knute bekäme; — — denn so Etwas ist nicht möglich, wider den Mann und wider den Menschen, und das sollte man einsehen, besonders: — „Man, der Teufel!“
Darauf sahen sie einen schönen Knaben auf ein Rad des Wagens steigen, und jetzt nur erblaßt und ängstlich nach dem braven Manne darin spähen . . . dann langsam und vorsichtig über die Leiter steigen und sich zu ihm setzen; und der Alte hob sein Haupt auf, sahe ihn wieder an, und rief: „Daniel!“ und Daniel rief: „Mein Großvater!“
Darauf war es umher still vor Mitleid und Verwunderung; selbst die Soldaten wehrten dem Knaben nicht; und so überwand auch Christel die Scheu, aber nur durch eine starke innere Aufwallung, sich vor so vielen Augen zu zeigen; und so ließ sie die Menschen die Menschen sein, unbekümmert, ob sie solche heilige Kleinode unter der Stirn besäßen, die da zu sehen vermöchten, was unter der Sonne vorgeht; oder ob solche kleine Hämmer in ihren Ohren ihnen verkündigten, was aus einer Menschenbrust herauf und heraus getönt in die himmlische Luft — — sie drückte dem Vater die Hand, und hielt sie fest, während ihre thränengefüllten Augen über ihm schwebten. Denn sie bedachte mit staunendem Bedauern, wie nahe ihm die Hülfe des Himmels durch den entschlossenen Ellenroth gewesen sei, und welche That er aus Mangel an Vertrauen gethan — und sie drohte ihm mild mit dem Zeigefinger; — er kehrte sein Gesicht ab — und sie hatte nun eisernes Antlitz — vor aller Welt zu weinen! Dann erblaßte sie über und über vor Scham vor der Welt der Großen, und erröthete wieder über ihre eigene Schuld der Verschweigung gegen den Schwiegervater: welchen Trost ihr der Herr von Ellenroth gegeben! Aber „soll ein Weib denn alle Augenblicke Alles sagen? und gleichsam vom Herzen abschlagen, was noch nicht reif ist, sondern erst eine kleine grüne Frucht ansetzt, die noch abfallen kann?“ So tröstete sie sich selbst, faßte sich schwer aufathmend, und befahl ihrem Daniel leise, bei dem Großvater zu bleiben und ihn zu pflegen und darum wohl zuzusehen, wohin man ihn ins Gefängniß werfen werde, und dann Herrn Paschalis zu bitten, daß er sich seiner erbarme. Darauf gab sie dem Daniel Geld, stieg rasch vom Wagen und verlor sich unter der Menge.
Und der eine Bürger sagte wieder: „Schwager! Wenn wir nicht alle die Hoffnung hätten, daß eigentlich Nichts lange besteht, was die Großen thun, höchstens von einem Friedensschluß bis zum andern, und wenn es nicht ein wahres Glück wäre, daß ein Friede nicht von Eichenholz ist, also nicht versteinern kann, sondern der ewigste Friede nur etwa fünfzehn Jahr alt wird — so möchte ich kein Schuhflicker sein in Ewigkeit! Sela!“
„Und ich kein Schneider! Schwager!“ versetzte der Andre, „Aber wir hoffen, das deutsche Reich, dieses viel zerrissene und von aller Welt behaltene Gewand, das der liebe Gott am Schöpfungs-Sonntage selber abgelegt, das wird nun endlich wieder auf seine alte rechte Seite neugewandt werden, und auf eine beßre, ja hoffentlich gute Weise mit Cameelgarn und Seide wieder zusammengenäht, daß es so lange hält wie ein Rock der Kinder Israel in der Wüsten — 40 Jahr! Sela!“
„Wenn’s nur noch Stich hält!“ schloß der Dritte. „Menschenherzen sollten sie können zusammen nähen! So einen Schneider gebe uns Gott! Desselben Ziegenbock will ich sein in Ewigkeit!“
„Ich auch!“ sprach der Dritte. „Ich auch!“ schrie der Erste. Und von ihrem Gedanken gleich froh ergriffen, meckerten alle drei Freunde laut, und nunmehr erscholl unauslöschliches Lachen. Doch nun meckerten sie erst recht. Und die Kinder umher meckerten, die Lehrjungen meckerten; die Kühe brüllten; die Soldaten fluchten und schlugen ohne Auswahl und ohne Schonung unter die Menge. Und die drei ursprünglichen Ziegenböcke fingen an zu reden und sprachen: „Vergieb ihnen, Herr! denn Soldaten wissen ja nie, was sie thun! — nur was sie leiden!“
Christel, auf den Heimweg fortgeschlichen, hielt öfter ihre — mit den Ellenbogen wie in die Luft gestützte Hand vor die Stirn, wollte eilen, und ging, von Demuth ganz gebeugt, dennoch nur langsam. Denn sie betrachtete, daß das alles um ihrer und ihrer Kinder willen geschehen sei, und erklärte es sich aus gutem Herzen so: — „Johannes liebte sie; das sahe der Großvater; — und dieser liebte als Vater seinen Sohn, der wiederum sie und die Kinder liebte mit seiner Liebe.“ So war es gekommen. Darum beschloß sie, zu Hause nur wenige aber herzliche Worte zu reden, nicht aber zu schweigen, damit Johannes nicht meinte: sie behalte das Schwere auf ihrem Herzen. Und so ward dieses neue Unglück ein neues Band um sie und Johannes; denn jeder Verlust und jeder Gewinn, jeder Segen und jedes Unheil zieht ein gutes Weib nur fester ans Herz ihres Mannes, mit dem sie das Leben trägt, und um dessen willen sich ihr nur Alles begiebt, das Traurige und das Frohe.
Johannes aber stand vor ihr, als sie eingetreten, und frug nur: „Weißt Du?“ — Und sie antwortete nur: „ich weiß!“ Und nach zeitlangem Schweigen setzte er nur noch hinzu: „Deine schönen Kühe sind auch fort!“ — Sie aber versetzte heiter lächelnd: „aber die Kinder — die Kinder sind alle — ach nun alle die wir noch haben — gesund und fröhlich — bis auf den Daniel, der mich begleitete, und ihn nun pflegt, Du kannst Dir denken: Wen!“
Sie schwiegen darauf beide — aber übereinstimmend — und gingen an ihre Geschäfte, diese wahre Wohlthat des Lebens, oder das Leben des Einfachen selbst, der in ihren nöthigen Kreis unvermeidlich gebannt, nicht Zeit hat, ein Gespinnst aus den Gedanken und Gefühlen darüber zu machen, sondern seine Leiden und Freuden in seine Geschäfte hinein arbeitet oder hineinwirkt, wie ein Weber seinen Einschlag — und das Gottgeheißene willig und still vollendend, ein Mensch ist, ein ächter Träger der Zeit — wenn er bei Andern auch nur ein Handwerksmann, oder ein Bauer heißt.
Der junge Herr von Ellenroth, der Christel entgegen gegangen war, und sie verfehlt hatte, kam darauf; aber er erfuhr nur von ihr, und noch als ein großes Geheimniß kaum verständlich zugeflüstert: Daß Dorothea nichts gethan: — als eine Thüre zugemacht, eine Gewölbthür im Unterstock des Schlosses, — Das Mädchen derselben aber habe ihr, auf ihre weitere Erkundigung gesagt: „in dem Gewölbe habe ein großes Kohlenbecken mit glühenden Kohlen gestanden.“ — Mit diesem unverständlichen Bescheid wollte der verstoßene Bräutigam wieder nach Frankfurt reiten, aber — er nahm seinen Weg über Breitenthal, um zu erfahren: Wie „eine Thür zumachen“ seine Braut und ihn scheiden, und sie oder doch ihn so trostlos machen können.
So war denn im Hause wieder Ruhe, oder doch von Ordnung beherrschte Unordnung, und von Mühe und Sorge bezwungene Noth mit so vielen Gästen, die sich müßig pflegten und schonten bis zum Lord- — Todesschmause auf dem großen grünen Schlachtfeldstische, wobei sie die Speise sein sollten, nicht aber mitspeisen, höchstens ins Gras beißen, oder Erde kauen; — „so wie Bauern beim Schachspiel, welches morgenländische Herrscher mit lebendigen Figuren spielten oder noch spielen, und den verlornen und gewonnenen, vom Stehen müden Statisten die Köpfe abhieben oder noch hauen, abhauen lassen oder es befehlen; ohne daß die armen Schelme ein Wort vom Spiele erfahren als die Parole; oder einen Gewinn davon genossen, als — den Braten gerochen, den sie wie Jäger, noch grunzend im Walde für ihres gnädigen Herrn Wildpretskammer geschossen, und der ihnen den Leib mit den Hauern aufgerissen hat;“ wie Wecker gesagt.
Das Weihnachtsfest kam während deß herbei, aber nicht als ein dankbar-heiteres Fest der Geburt Christi, sondern als ein irdischer Lärm, und als eine Gelegenheit: das wenige Wohlschmeckende noch zu verzehren, was über den unfruchtbaren Winter hinaus bis zu den neuen Gaben der Erde hatte langen sollen. Darum fehlten die Kinder nur Christel am meisten — denen sie Freude machen konnte! Und doch bereute sie nicht ihre übereilte Furcht, aus welcher sie dieselben in die sichere Stadt gebracht. Denn wenn sie jetzt auch nicht am Leben gefährdet schienen, so war ihr kindliches Herz und ihre junge Seele doch in Gefahr der Verwahrlosung durch die rohen Gäste; und bei jedem frechen Worte und jeder frechen Geberde und That derselben, welche die Kinder nicht sahen und nicht hörten, dankte Christel Gott, und empfand nur Freude, als fromme Mutter, welche die Weise gefunden hatte: die Welt sich immer gut zu deuten in dem ihr entgegengesetzten guten Herzen.
Sie wollte den Kindern selbst bescheren gehen, saß in stiller Nacht vor dem Backofen und buck jedem sein Christbrod; und jedes gedieh sehr schön und ward groß; — selber das Christbrod, das sie für die kleine umgekommene Tochter Clementine, voll guter Sachen und voll großer Rosinen mitgebacken, ging hoch auf, und färbte sich lieblich braun; und Christel sah es mit feuchten Augen und weinte und dachte: „es geht Dir also wohl im Himmel, mein Kind, das seh’ ich an diesem Zeichen! Deine Bescherung aber soll ein armes Kind bekommen, das dagegen ohne Mutter ist, wie ich ohne Dich!“ — Auch für den verschollenen alten Hausfreund Wecker soll sein Christbrod groß und lockend daliegen, und der neue Rock dahängen — bis er kommt! Und zum Weihnachtsfest, oder doch zum Neujahr kehrt ein Jeder gerne heim. Sie freute sich auf Weckern, sah ihn im Geist das liebe Gut verzehren und hörte ihn wieder wie sonst dazu sprechen: „Daß wir durch des Christkindes Geburt nicht mehr Sklaven der weltlichen und geistlichen Tyrannen sind, sondern daß wir armen alten Schulmeister, ja jedermännig klüger sind, auch wohl besser, als anderleuts Narren zu sein oder nur zu scheinen, das verdient wohl, daß man ein paar Tage Christbrod ißt, oder wohl gar ein delikates Stück Mohnstriezel, der einem im Munde zergeht!“
— „Oder auch zwei Stück!“ sprach Christel dann fast laut, und legte ihm in Gedanken noch ein tüchtiges Stück hin; und Daniel legte ihm still das Seine auch dazu — und Wecker bedankte sich nicht bei ihr und dem Knaben, sondern bei dem Herrn Christus, besonders aber bei dem fast ganz aus der Acht gelassenen, ja wie in die Acht erklärten heiligen Geiste, dafür, als welcher es eigentlich so weit gebracht, daß Christbrod in der Welt sei — und gute Menschen!
Darauf weinte sie im Stillen vor alter Freude, und zuletzt vor neuem Leid. Aber das künftige kannte sie nicht, und ahnete es kaum; wie Niemand an bunten warmen Herbsttagen den Alles weiß bedeckenden Schnee. Und doch war ihr Herz voll Angst und Furcht vor der Zukunft, die sie gern gewußt hätte, nur ein Augenblickchen gern hinter den Vorhang der Jahre geguckt, oder nur hinter die Nebelwand, die vor dem nächsten Jahre hängt, um zu sehn, was für Gestalten dahinter standen; blutig, glänzend, wohlthätig, oder schrecklich — alle aber vom Himmel gesandt; — oder schon auf Erden wandelnd, aber ihre eigenen künftigen Thaten und Werke noch nicht kennend, und unerkannt unter der Menge wandelnd; bis ein Engel mit seinem Finger vom Himmel herab auf ihn deutet, laut seinen Namen nennt, ihn anruft und spricht: „Nun sei du selbst! Werde und wirke!“
Am Vorabend des Neujahrfestes 1814 trat da in der Dämmerung ein Mann in Johannes Stubenthür und sprach: „Willkommen!“ Sprich „Willkommen,“ mein liebes sogenanntes Pathchen, denn ich bringe Euch einen Gast mit! — Ich bin der sogenannte Leinweber Krieg mit der Baßgeige; aber ich habe sie heute nicht mit! Und der Fremde wird Euch gewiß lieber sein, denn er brummt nicht so, und ist ein stiller Mann und alter guter Freund von mir — und wird nicht lange bei Euch verweilen — sage ich Euch zum Troste. Nun tretet nur ein, sogenannter Herr Prophet Adam! Hier wohnen treue verschwiegene Leute. Das sei Gott geklagt! Nämlich: daß nicht in jedem Hause dergleichen Adamskinder wohnen, mein Adam! Denkt, Ihr seid ihr Urvater, macht’s Euch bequem, und setzt Euch nieder, als wärt Ihr zu Hause im sogenannten Paradiese. — Marsch, hinein! nicht hinaus! denn ich bin kein sogenannter Engel mit dem Schwert — nur mit dem Stocke, der heut gewiß so müde ist als ich — ob ich gleich als Leinweber das Treten gewohnt bin, aber — beim Sitzen, nicht beim Laufen! Nun Christel, macht sogenanntes Licht; das heißt: zündet es an, oder den Kamin! das heißt das Holz darauf, damit wir uns sehen und kennen lernen, und Adam nicht glaubt, ich habe ihn in ein sogenanntes Blindenhaus geführt, was jetzt die ganze Welt ist, nämlich nicht für immer, sondern nur bis wieder die sogenannte liebe Sonne aufgeht, das heißt: die Erde unter, das heißt: sich nur herumdreht mit den Betten voll schlafender Halbtodter, das heißt: nur immer eine Nacht Todter. Also nur Licht! Wärme, Brod, ein Schoppen Wein, und dann Stroh zu einem sogenannten Bett, mein liebes Pathchen! Erschreckt nicht über meine lange Eingangsrede; sie ist nicht der Eingang, sondern die Rede selbst, und ist nun aus und heraus! Vorhin war mir das Maul von der Kälte zugefroren — jetzt ist es aufgethaut.“
Christel schlug mit freudezitternden Händen Feuer und — machte Licht. Dann nahm sie dem lieben Pathen Leinweber den Pelz ab, und sahe mit sonderbarer Scheu zum ersten Mal in ihrem Leben einen Propheten. Der Mann war schlank und hager; seine großen schwarzen Augen funkelten sie an, und sie sahe darin Gutmüthigkeit, Treuherzigkeit und viel mehr Demüthiges als Stolzes, und vielmehr Offenheit als Schlauheit; wenn auch sein Mund nur freundlich grüßte, aber zurückhaltend dann schwieg, oder nur die nöthigsten Worte sprach. Denn er schien menschliches Wesen, den Lärm um das Heut und das Jetzt immerfort zu belächeln, wie das brennende sich verzehrende Licht; und doch beobachtete er alles Geschehende scharf, und schien es nicht recht fassen oder sich damit vertragen zu können. Und so lag eine gewisse, schwer zu verhüllende Hast und Ungeduld in seinen Geberden und Schritten, bis er wieder in einer Ecke still stand und sah und zusah. Wie Jemand, der selbst auf einer weitschauenden Höhe steht, und hinter den Bergen her viel fremde wunderbare Gäste erwartet, die ihm haben zusagen lassen: „sie würden kommen,“ und die alle Augenblicke, aber auch in Jahren erst kommen können, und die zu erwarten und zu begrüßen er auf die Höhe gestellt ist. Und so lag auch Ueberdruß auf seinem blassen Gesicht, und seine Kleidung war nur — Kleidung, und schien nicht sorgfältig angezogen, sondern nur umgehangen. Auch seine schweren langen schwarzen Haare hingen ihm grad und schlicht, ohne zu glänzen, bis auf die Schultern herab. Seine Sprache aber drückte selbst das Gewöhnliche so aus, als sei sie bloß für diese jetzige Sache von ihm erschaffen worden, und solle in der Welt nichts anders mehr bedeuten; und so erschien sie klar wie Wasser, das den Grund durchsehen läßt, doch nicht wie geprägtes fertiges Gold, sondern wie solches, das eben geprägt wird, das mühsam aber sauber und fehllos unter dem hörbar arbeitenden Stempel hervorkommt.
Sie hatten kaum zu Abend gegessen und sich ausgeruht, als ein furchtbarer Lärm im Dorfe entstand. Alle Soldaten liefen bewaffnet hinaus, und auch die Bewohner von Zahlbach standen eine Zeitlang betäubt in jenem allgemeinen Erschrecken, in welchem alles Grause, das in der Natur ist, aufgeschrien, wie Ungeheuer des Himmels, des Meers und der Erde drohend und schnappend mit offenen Rachen die Menschen umlagert, und gegen welches das größte Unglück nur Kinderei wird, wenn der Schreck seinen Namen durch die Taufe der Zeit erhalten. Und so ward sogar allen leicht um das Herz, als sich ein nahender Bote erbarmte und kund that: „Mainz brennt!“
Nun eilten Viele auf die Clubbisten-Schanze. Aber es war nur dort ein matter niedergehaltener Schein über der Stadt zu sehen; oder bisweilen einige leuchtende Funken um die Thurmspitzen, und dumpfes Geräusch scholl auf; dazwischen auch wohl ein Knall, hier einer und dort zwei, auch drei; dann schwieg es wieder und rauschte und rief nur fort und blieb hell, Johannes mit seiner Christel und der Leinweber Krieg mit seinem Propheten Adam Müller stiegen also auf den noch höher liegenden Berg zur Seite. Krieg prophezeihe Unglück — denn die sogenannten Verbündeten gingen in dieser Nacht über den Rhein! . . .
„Friede! Friede! Es ist Friede!“ scholl es von der Clubbistenschanze.
„Friede?“ rief Adam, aufglühend vor Zorn, „Friede! Der ist nicht! Der wäre schrecklich! Das kann ein Kind begreifen! Die Völker sollen Eins werden — und im Kriege erkennt Jedes das Andre als ein eigenes Wesen mit eigenen Rechten und Ansprüchen, und fühlt sein eigenes Unrecht und seine Sünden . . . wie seine Wunden! und kann den Himmel mit Händen greifen . . . wie seine Leichen. Friede? Entsetzlich! Wie würde da Frankreichs Licht ausgegossen über Europa! Der Kosak sticht in ein französisches Herz mit der Lanze, wie ein Hammerschmid in den hohen Ofen, und eine ganze Gans, ein Strom Feuer fließet ihm zu! Deswegen sind die rohen unwissenden Völker so kriegslustig — um zu wissen, und sterben gern wie Ameisen; denn sie wissen, ihre Nachkommenden erstürmen die Zuckerdose!“
In Mainz flogen Leuchtkugeln auf, und die nächste Umgebung ward schwach erhellt davon, wie von vielen kleinen zerplatzenden Monden.
„Seht nur,“ sprach der Leinweber; „das ist ein sogenannter alberner Spaß für einen Propheten, der den Feldmarschall Blücher wieder besuchen und ihm den Verlauf und den Ausgang des Krieges prophezeien will — nämlich daß alle sogenannten Schlachten jetzt so gut wie halb umsonst geschlagen werden, und daß das viele junge Blut jetzt umsonst fließet, weil Napoleon wiederkommt nach Jahresfrist — und nun machen sie Friede in Mainz!“
„In Mainz!“ versetzte Adam. „Der Friedensjubel ist nur eine Maske, in welche die endlich auch einmal schlau gewordenen Deutschen die Feinde gesteckt, damit sie drin tanzen und nicht — den Uebergang über den Rhein sehen.“
Also wird der Kaiser vom Throne gestoßen werden? frug Johannes. Sagt uns doch auch Etwas!
„Das kann ein Kind begreifen!“ sprach Adam; „freilich der Kaiser; denn ein ganzes Volk läßt sich nicht absetzen von seiner Menschenwürde oder auf den Thron stoßen! Darum sind alle Kanonen nur auf Ihn gerichtet, welche freilich den armen Franzosen Arme und Beine zerschmettern oder den Leib aufreißen, weil ein Potentat nur aus anderleuts Gliedmaaßen besteht. Aber nur ein schwangerer Mann wird ihn überwinden; denn mit einem solchen Elephanten-Unternehmen trächtig gehen, ist kein platter Spaß, sondern ein höherer Ernst, ihr Leutchen! Sein Sieger muß glauben, einen Elephanten gebären zu sollen. Nur wie man das einmal auf’s Theater bringen will, oder malen, ist meine Sache nicht; aber auch eingebildete Dinge sind wahr, und wär’ es ein junger Elephant. Das Blut muß aber doch vergossen werden.“
Und dann wird Friede? frug Christel fröhlich und getrost.
„Das kann ein Kind begreifen!“ sagte ihr Adam. „Aber, meine Frau Christel: ein Donnerwetter im Frühjahr ist nur eine sichtbare, hörbare und wandelnde Schaffung der Blüthenzeit auf der Erde. So soll und wird der bekannte gemeine Krieg nicht aufhören, damit der bekannte gemeine Friede wird, sondern damit der reine große ewige Krieg wieder anheben kann, welchen die Menschheit unter sich tagtäglich kämpft. Denn Leben ist der Streit und das Ringen nach Weisheit, Recht und Freiheit; und in diesem soll bewährt werden die Liebe und die Tugend; denn die Thränen und Wunden, die Schmerzen und Tode in dem stillen Kriege der Menschen, der da Frieden heißt, sind unaussprechlich tiefer, schwerer und tödtlicher, und millionenfacher — als in dem lauten Kriege. Darum bete ich um Frieden, auf daß der wahre Krieg wieder seinen großen Verlauf beginne; und der leibliche Krieg muß nicht mehr geduldet werden von keinem Volke, weil er den Welt- und Geisterkrieg nur unterbricht. Und da müßte Einer oder Mehrere blind, stock — blind sein, wenn sie nicht sehen, daß das deutsche Volk nun aufsteht die Auferstehung, die mit dem nie dahin begrabenen Kaiser im Kyffhäuser gleichsam begraben liegt, seine große, ganze Auferstehung! Nicht dafür, daß Jeder wieder seine vorher so beglückten Leute wieder so wie bisher beglücken soll; denn das kann ein Kind begreifen: das Volk steht nicht begeistert auf für Andere, sondern für sich, von einer großen Ahnung voll: das große gemeinsame Vaterland soll leben und dastehn, nicht Heinze oder Kunze, die als Sterbliche doch bald umfallen. Für Heinzen und Kunzen opfert es also scheinbar auch sein Blut; deutlicher aber schon: um die Schande los zu werden, daß es ein fremder Tyrann nach seinem eignen Gefallen beherrscht. Und Deutschland wird durch seinen Sturz sich emporrichten; den ihm Niemand abgewehrt, den im Gegentheil ihm Viele lange herbeigeführt haben durch Habsucht und Uneinigkeit; und Deutschland wird durch seine Erniedrigung erhöhet werden, wozu ihm nur Gott der Herr hilft. Und das weiß das Volk — und Gott! Und das Volk wird siegen mit Gott!“
Jetzt erdonnerten hundert Kanonenschüsse rund um die Stadt, aus feurigen freudigen Schlünden, wie Triumphhall; die deutsche Erde bebte, und die deutschen Augen weinten auf dem Berge. Aber Adam setzte sich traurig nieder, sahe auf Mainz hin und weinte auch, aber ingrimmig; und der Mann schien eine feurige Flamme, die aus der Erde gefahren, und aus der Flamme sprach es: „Ja, jubele nur Du unschuldige Stadt, Neu-Bethlehem, Du Stadt des Unheils der unschuldigen Kinder, um das Wort der Weisen zu Schanden zu machen: daß die Erlösung nun da sei und das Licht geboren! In Dir wird man hören aus thörigen Kindern, was — die Erde will, und um dieser Kinder willen wird man ein Netz über alle Lande legen, ein eisernes Netz, das zehntausend Millionen Goldstücke kosten wird, und in einer Sommernacht zerreissen wird wie von Spinnenfäden, und dann keinen Kreuzer mehr werth sein wird, wie ein zerrissenes Kreuzspinnennetz! Denn die Kreuzspinnen werden es spinnen, und eine große Kreuzspinne mitten darin still sitzen und Spinnen brüten, und hineilen, wo nur ein Fädchen sich lösen möchte. Aber das Netz hat der Spinne letzte Lebenskraft gekostet; sie kann es nicht wieder verschlingen, nicht mehr verdauen, um es neu zu weben, so lange der Himmel bleibt.“ —
Da erscholl mit erschütternder Wirkung vom Thurme des Domes Posaunenhall durch die Nacht, und himmlische Luft trug unter den heiligen Sternen und über der heiligen Erde die Worte her: „Herr Gott, Dich loben wir!“ — „Herr Gott, wir danken Dir!“ —
„Er hat schon geholfen!“ schrach der Leineweber. „Mir ist, als spielte ich das Lied mit meinem Basse mit, und striche furchtbar dazu, daß es die adligen vornehmen Todten in den Grüften beim Altare hörten, und die gemeinen Bauern-Todten draußen in schlechter Erde auf dem Gottesacker! Blaset nicht mehr! Ich halte es nicht aus — ohne meine Baßgeige! Hört auf, ihr Menschen!“
Und gleich auf der Stelle trifft das ein, was Ihr voraussagt, Herr! sagte Christel. „Das Netz soll zerreißen“ — und gleich danken sie Gott dafür in Mainz!
„Nicht nur in Mainz, meine Christel!“ sprach Johannes. „Aber besinne Dich nur! Denn Du vermischest seine wahre Rede mit ihrer falschen Freude; — eigentlich posaunen sie Unsinn! Sie sind nur zum Narren gehabt!“
„Aber nicht Narren! — Hilf Deinem Volke, wirklicher, nicht nur sogenannter Herr und Gott! Das trifft gewißlich ein;“ meinte der Leinweber.
„Alles Gute trifft ein. Denn das Gute ist Gott! Und Gott ist nicht todt zu machen, und Gott bleibt nicht aus! Er ist immer da und nah! Gebt acht!“ — sagte Adam Müller. —
Und eine ungeheure Nachteule, groß wie der Vultur papa, oder auf Deutsch: der Papst der Geier, rauschte niedrig am Boden vor ihnen vorüber, und krächzte schauerlich-furchtbar und furchtsam wieder heran. Denn sie war geblendet, und wahrscheinlich aus dem alten, dunkelrothen Dome der Stadt verblasen und verschossen worden. Sie setzte sich nahe vor ihnen hin; ihre Augen funkelten; ihre Federn standen ihr zu Berge; sie war aufgehuschert, wie zum Schlafe. Und Peter, der Hund, der ihnen nachgekommen war, stürzte sich auf sie, und zerfederte sie; aber die Eule klammerte sich über seinem Maule fest, und hackte nach seinen Augen; und der Hund heulte, von ihren Krallen zerkratzt, durch die Zähne; schnaufte, boll dumpf, wälzte sich, biß sie endlich todt, und schüttelte das schändliche Schloß mit Schmerzen und Qual vom Munde, und kam dann blutend und doch fröhlich zu den Menschen.
Allen war grauenvoll zu Muth.
Ist das auch ein Zeichen heut in der Neujahrsnacht? frug Christel.
„Die Natur verstehe ich nicht auszulegen;“ erwiederte der Prophet, „ich sehe nur Gesichte. Aber etwas Aehnliches kann kommen. Denn das deutsche Volk nimmt jetzt einen ungeheuren Anlauf zum Hohen und Großen, wie nie zuvor; und unfehlbar auf immer; und wenn es Eines wird in Sinn und Geist, würde es furchtbar allen Blinden und Taubstummen — wenn es nicht ein treuer Hund wäre, der eher wacht und schützt, als raubt und verschlingt, wie ein Wolf. Deswegen werden die vergrößerungssüchtigen, falschen — Türken seinen Herren falsche Angst machen; daß der Hund nun ein Ungeheuer werden könnte, und bitten und rathen, und befehlen, daß ihm ein Schloß vor den Mund gelegt werde, damit er nicht . . . reden lerne wie Bileams Esel, und kaum klagen könne seine Nothdurft, aber nur dumpf, aber nicht bellen noch beißen — das treue arme gute Thier! Seht nur, wie Peter blutet! heißt er nicht so? Denn was jetzt geschehen wird, das kann ein Kind begreifen . . . aber in den dreißiger Jahren, wenn der Komet kommen wird . . . da wird die Erde Angstschweiß schwitzen, wie ein Roß vor dem Kameel! Und wie die Fliegen, die auf dem Rosse sitzen, von dem Angstschweiß sterben; so werden die Menschen, die Fliegen und Würmer der Erde — sterben. Denn heut ist es ein Jahr, da klopfte es um Mitternacht an mein Fenster. Ich horchte; aber ich las still fort in den großen Propheten. Da klopfte es wieder. Ich sah hin — es schwieg — ich las fort. Aber — ich weiß nicht auf welche Weise, ich schlich leise zur Hausthür, und harrte. Und als es zum dritten Mal pochte, riß ich die Thüre auf, um zu sehen, wer . . . doch ich sah — laßt mich schweigen — ich sah Jemand in einem weißen langen Gewande, weiß, wie der Schnee . . und es blickte mich an mit hohlen Augen . . . und es winkte mir fort — und als ob ich von ihm an einer Kette geführt würde, mußte ich folgen, und wir schritten durch das mondhelle todtenstille Dorf auf den mondhellen todtenstillen Gottesacker — — und die Pforten der Kirche standen offen, und es zog mich hinein, und die Pforten fielen hinter uns zu, und die Schlösser verriegelten sich — die Gestalt deutete nach dem Altar, und versank vor meinen Füßen in die Steine des Bodens, wie Wasser zerrinnt; und ich stand allein in der mondhellen todtenstillen Kirche. Aber sie war heller als von einem bloßen Monde, und so still, daß ich das Blut vor meinen Ohren sausen hörte, wie Rauschen des Meeres. Und aus Furcht schritt ich zu dem Altar hin, wo es heller war, und die Gestalten von Engeln wenigstens aus Stein gehauen um mich waren. Aber da kamen vor meinen Augen — wie drei goldene Kähne still aus einem Wasser tauchen — drei Särge aus dem Boden herauf, und an jedem stand eine Jahrzahl, wie von einem inwendigen Feuer glühend und licht. Und mich zog es wider meinen Willen hinzu, und ich mußte den Deckel des ersten Sarges abheben — und der Sarg war voll von warmem noch dampfendem Menschenblut — aber das Blut schrie leis und unaussprechlich bang zum Himmel, wie ein neugebornes Kind schreit in seinen Windeln. Das Blut aber wimmerte in drei Sprachen zum Himmel . . . und nannte drei Namen, und rief über jeden Namen dreimal Wehe! — und die Engel neben mir riefen: „Wehe!“ — Und ich konnte es nicht ertragen. Und um Grausen mit Grausen zu vertilgen, riß ich den Deckel vom zweiten Sarge . . . und ich sah . . . er lag voll Menschengebeine . . . und die Gebeine regten sich und klapperten, und dürre Hände falteten sich wie zu beten, und wollten sich aufstellen und konnten nicht, und fielen immer wieder in die Asche zusammen, wie Kartenhäuser den Kindern . . . . Und der tiefste Ton in der Orgel fing an zu sausen und mit dem Tremulanten zu zittern, daß die steinernen Glieder der Engel zitterten und klapperten; und die Steine der Kirche zitterten und klapperten mit, und die Fenster klirrten; der Mond von draußen und das Licht von drinnen erlosch, und ich stand in schwarzer Nacht. Und vom Orgelchor sang eine einsame Stimme eines Knaben — vom Tremulanten in einem Tone begleitet, die Worte: „Und dann, wenn kein Elend mehr laut genug ächzen kann, dann wird ein Schaafsterben kommen und die Hirten erschrecken. Endlich muß Jeder dadurch einsehen: „Jeder sorgt zugleich für sich am besten, wenn er für die Andern sorgt: für die Armen, die Hungernden und Nackten, und die zugleich arm, hungernd und nackt sind! Endlich soll nach den sechstausend Jahren seit der Schöpfung im Paradiese, Gottes Ebenbild und alle seine tausend kleine Bilder, nicht mehr tausendmal schlechter sein als das Vieh, das sein Fell — seine Kleidung, sein Gras — seine Nahrung hat für den Leib. Denn selbst das Vieh bleibt nur gesund und giebt Nutz, wenn es sein Futter bekommt zu rechter Zeit. Aber demüthig, ohne Fell und ohne Futter stehen noch Millionen Kinder Gottes und beten: „O Pest! Stecke nicht durch uns die Reichen an, sondern eröffne die Augen derer, die Zungen haben, daß der ungerechte Ueberfluß aufhört, und die überflüssigen Rechte, daß nicht länger Unbarmherzigkeit sei auf Erden! Darum soll dein Name, o Menschenvertilgerin, genannt werden: „Die endlich barmherzige Mutter der Menschheit!“ — Da erklang ein ungeheurer Lärm von lauter verstimmten Instrumenten, Geigen und Bässen, Fagotten und Hörnern und Trompeten und Pauken; die Orgel aber spielte noch obendarein einen halben Ton tiefer dazu, und ein Gelächter erscholl, wie von hundert brüllenden Löwen. Ich sah mich um, und alle Orgelpfeifen waren gleissende dicke Schlangen und hatten Teufelsköpfe, und die Köpfe lachten alle; und eine große Schlange zischte und gebot dem Gelächter Stille, und die Stimme sprach dann herab: Niemand ist barmherzig als Gott! Kein Teufel läßt einen Kreuzer aus seinem Sacke Gold fahren; kein Gewaltiger läßt ein Haar nach von seinen geerbten Rechten, als höchstens gezwungen ein Paar, um die übrigen sich zu erhalten! Niemand ist barmherzig als Gott! Kein Teufel!“ — Und die Köpfe verfielen wieder in ihr Gelächter, und lachten sie aus die Barmherzigkeit der Menschen. — Und wie mir da grauenvoll zu Muthe war — siehe da springen die Pforten der Kirche auf, und blendendes Licht bricht herein; und die Halle bricht oben aus einander, und die Gewölbe und das Schiff der Kirche bersten oben auseinander, und als wären die Mauern und Pfeiler und Säulen von blauem Weihrauchduft, werden sie lichter und lichter, durchsichtig und leicht, und duften nach und nach hinweg; und der tiefe blaue Himmel ist droben und drunten und um mich. Und ein Stern, groß wie zwölf Scheiben des Mondes, und weiß wie Schlehenblüthe, nahet da langsam wie ein Mensch, kommt herein in den Raum, und ich weiche vor ihm bis an den Altar, und er nahet und bleibt ruhig schwebend, wie die Sonne am Untergange anschaubar stehen vor den drei Särgen. Und der Stern war — ein großes himmlisch-schönes Antlitz, und es blickte mit thränenfeuchten Augen auf die Gebeine im zweiten Sarge, und das Blut aus dem ersten Sarge sprach wieder, aber leise: Das ist das leidende Gesicht der Menschheit! Sieh es an! — Und ich schaute es nun getroster an, und das Blut sprach: Siehst Du das leidende Gesicht der Menschheit von solchem Nebel umblasen, daß es wie blind ist und nicht gern die Augen aufmacht, weil ihm die Augen übergehen! Verwegene Buben haben ihm Nießwurz unter die Nase gestrichen, und es muß niesen, und schlägt mit dem Kinn auf das vor ihm zugemachte in Eisen eingebundene harte Buch, worin es gern lesen möchte . . . die Weltgeschichte. Das Haupt ist wie ein Engelshaupt, ohne Leib, ohne Hände und Füße, und rückt nur höher wie die Sonne; aber in tausend Jahren nur eine Spanne hoch, und sieht noch kaum die Erde vor Nebel und Glanz. Aber ach, es hat auch nicht Flügel wie Engel, und es muß auf Erden bleiben, es mag ihm gehen wie es will. Andere Dämonen wollten ihm die Augenlieder abschneiden, wie griechisch-gläubige Kaiser ihrem Vorgänger, damit es niemals schlafen könne, sondern nur, unschädlich, in einem irrigen Traume dahin starre! Sieh nur; das kindlich fromme Gesicht hat Wunden über und über aus tausend Kriegen, und Pestspuren, und sieht hungersatt, arbeitsmatt und kummervoll aus, und trägt einen Ausdruck in seinen götterschönen Zügen, der selbst dem härtesten Menschen das Herz im Leibe erweichen müßte, wenn er eins hätte — und ihm das leidende Gesicht der Menschheit einmal erschiene. Du aber bist gewürdigt worden es zu sehen, und sage es nur, sage nur die Wahrheit: das erbarmungswürdigste, ehrwürdigste, leidendste und doch das schönste, was es geben kann, ist das leidende Gesicht der Menschheit! — — Ich selbst nun wollte ihm einen frommen Trostspruch aus Gotteswort in das Ohr rufen — aber das Ohr war taub! und ich hatte zu viel Ehrfurcht, um zu schreien; aber das Haupt neigte sich, wie ein stillwahnsinniges Kind, und seine frommen großen milden Augen sahen freundlich auf mich; über das Antlitz flog einmal — ein trauriges Lächeln, und die schönen Lippen zuckten, als wollten sie sprechen. Aber es bedeckte seine Augen wie blaue Glockenblumen, mit den schöngewölbten, langbewimperten Augenliedern — und schwieg. Und ich rief außer mir: „Geduld, Geduld, wenn’s Herz auch bricht; mit Gott im Himmel hadre nicht!“ und es war, als hätte das Haupt sein Herz in der Erde, und das Herz desselben schlug laut unter mir, und hämmerte wie ein tiefes unterirdisches Werk in stiller weithörender Nacht. — Und der Chorknabe stand jetzt drunten neben mir in himmelblauem Gewande und frug, und Thränen rannen ihm dabei über seine reinen Wangen, er frug: „Ist es möglich, giebt es wohl so harte selbstsüchtige Herzen, dies Himmelsantlitz so tief zu kränken! Ist es möglich, ihm nicht alles Liebe und Holde zu thun, ihm selbst sein Herz zu opfern — nicht wie dem Abgott Fitzliputzli — denn das Antlitz ist Gottes Ebenbild und Gottes des Sohnes Ebenbild — und was ihr ihm thut, das habt ihr ihm gethan — oder ihm „nicht“ gethan. Aber hast Du Muth zu sterben und nur eine Viertelstunde todt zu sein (wenn Du, der schändlichen Welt entrissen, nicht immer unter den Seligen bleiben willst), so will ich Dich schauen lassen, welche Strafen und Qualen alle die leiden, die diesen Himmelsaugen nur eine Thräne ausgepreßt, über die das in der Erde schlagende Herz nur einmal verborgen geseufzet!“ — Und er sank hin vor meinen Augen und starb und war todt — und eine geheimnißvolle innere Macht hielt mein Herz an, wie eine Uhr, nahm den Hauch aus meiner Brust und schloß mir leicht und süß die Augen zu, und ich war gestorben und todt — aber ich wunderte mich, daß ich noch lebte, als der Knabe mir an einem fremden Orte leuchtend entgegentrat, daß ich sah; aber Alles klarer, so daß ich zugleich es einsah; und daß ich hörte, aber aus ungemessenen Fernen, und doch Alles deutlich unterscheidbar und unterschieden. Und wir standen auf einem Berge, mitten in grüner, großer Ebene, groß, wie dem Schiffer die offenbare See um ihn her; doch die Ebene schien wie die Erde voll Saatfelder, Bäche, Flüsse mit Bäumen besäumt, mit Hügeln und Felsen und wunderlichen Gebäuden und altem Gemäuer besetzt, und sonderbare Gestalten regten sich emsig im ganzen Gefilde. In der Mitte desselben stand ein riesengroßer Kandelaber, und erleuchtete den ganzen Raum mit hellem Purpurlicht; denn keine Sonne, kein Mond und kein Stern war hier zu sehen; denn diese hatten noch alle ihre göttliche Arbeit in der lebendigen Welt. Auf dem Kandelaber aber stand als rubinrothe Lampe — ein Menschenherz. Es war durchsichtig, und man sah das Blut in den Adern desselben umlaufen, und zu den Ohren des Herzens lüfteten sich von Zeit zu Zeit lichte Flämmchen heraus, wie wenn man Stahl in Lebensluft verbrennt; und in dem Kandelaber liefen Röhren, wie Adern, hinauf, die dem leuchtenden Menschenherzen sein Oel — das vergossene Blut aus der Erde überall zusammensaugten und heraufführten. Wärme aber gab ein ungeheures Felsenthor in einem Gebirge zur Seite, worin man Flammen brennen sah — „das Feuer, das bereitet ist vom Anbeginn“ — sagte mein Führer. Am Himmel waren keine Wolken zu sehen, nur reine azurne Wand, aber in den vier Himmelsgegenden: vier himmelhohe Bilder, nicht gemalt, sondern nur in Umrissen, ausgelegt mit buntschimmernden falschen Edelsteinen. Ein Anblick, wie ihn selbst so groß und erstaunend der gestirnte Himmel nicht zeigt, der dagegen nur aussieht, wie eine — blaue Wiese, oder eine blaue Höhe mit gelben Schmergelblumen. Aber hier war Arbeit! Gegen Morgen ragte das Bild der Herrschsucht empor, und die Gestalt hatte ein Kind mit einer eisernen Spindel statt des Rückgrates auf ihren Armen — den Stolz, der eine barbarische verachtende Unterlippe hatte, an welcher drei schwere Ordenskreuze hingen. Gegen Mittag aber stand die Habsucht, mager und lauschend, mit gierig umhergreifenden Händen wie Polypen, die jappend und schnappend im Leeren sich selber faßten und ansaugten und fraßen; weil der Himmel umher, wie eine Wand mit Eisenspitzen bewaffnet war, daß sie sich blutig ritzten. Gegen Norden aber stand die Furcht, wie auf dem Sprunge zu entfliehen, aber zu schwer gepanzert, als daß sie entfliehen konnte; und sie trug an ihrem Gürtel viele Arten Waffen. Ihr Mund aber war mit Schlangenzähnen besetzt, und statt des Herzens, sah man durch die Gestalt — trug sie einen grünen Beutel voll Scorpionen, und auf dem Beutel stand: „Das böse Gewissen.“ Gegen Abend aber stand die Religion, aber sonderbarer Weise nur als ein großer Deckmantel abgebildet, mit wunderlichen Zeichen, Mützen, Ketten, Bullen und Bullenbeißern und Fackeln farbig gestickt. Wie eine große Gallerie aber lief, über den Köpfen der vier Riesenbilder, horizontal unter der Kuppel des Himmels umher, ein breiter schwefelgelber Streif mit einer schwarzen Umschrift, die aber nicht still harrte, wie eine andere Schrift, bis sie Jemand läse; sondern sie rief immerfort selbst ihre eigenen Worte laut umher aus: Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Land. Denn, sagte mein Engel: Gott hat zwar gesagt im neunten Gebot: Du — also Jedermann, wer es sei, denn Gott redet jeden Erdenwurm aus Machtvollkommenheit mit „Du“ an: Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Haus; und im zehnten Gebote hat er gesagt: Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh oder Alles, was sein ist. Aber weil der gute Vater der Menschen nicht erst die Vermessenheit eines sterblichen Sünders für möglich gehalten, daß Einer hunderttausend Häuser, nebst Millionen Weibern, Millionen Knechten, Mägden, unzählbares Schaaf- auch Rindvieh und Alles, was ihr ist, begehren, ja sogar nehmen, ja sogar behalten würde; darum steht nun hier deutlich ausgedrückt: Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Land! Auch hatte er jene Gebote nur mit dem Finger auf stumme Steine geschrieben; darum spricht sich nun sein erläutertes Gebot ohne Rast und Ruhe Tag und Nacht, wie von Gott gerufen, selbst ganz laut aus, und Niemand kann die göttliche Stimme hemmen oder zum Schweigen bringen, noch in sich und in Andern betäuben; denn sie übertönt Alles, und nach ihr wird an jenem großen Tage ein Jeder unerbittlich gerichtet werden. Denn wie soll der gerechte, ja der barmherzige Gott Jemandem seine tausend Pfund, oder so etwas Heiliges wie sein Weib und seine Kinder, seinen Vater und seine Mutter wiedergeben, und die Seligkeit dazu, wenn ein Mensch so etwas Sorgenvolles und kurz Besessenes wie ein Land, seinem Nächsten auf Erden nicht wiedergegeben? Die zehn Pfund! — Mitten in dem Aetherdome aber hing ein erstaunend und furchtbar großes Kreuz, ganz einsam und allein, an einer langen, langen Wurzel des Lebensbaumes herab; doch Christus hing nicht an dem Kreuze, sondern es war nur verhüllt und umwunden mit schwarzem Trauerflor, und statt der Inschrift: I. N. R. I., an der Stelle wo sein Haupt für die Menschheit gestorben, glühten rubinroth die Worte: Bis heute vergebens! Aber sie riefen sich nicht selber laut aus über die Welt, wie des Gebotes Erfüllung: Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Land, sondern sie schwiegen unbeschreiblich wehmüthig anzublicken, und weinten immerfort, wie ein still rinnender lebendiger Quell in Tropfen herab, die verblinkten wie Thau und verdufteten wie Himmelsthau. Hoch droben aber, über dem Kreuze hing im Schlusse der Kuppel des Alles umfangenden Aetherdomes die große Posaune zum Weltgericht an Spinnenfäden; und ein Engel schwebte Wache um sie, mit einem silbernen Mundstück in der immer bereiten Hand. — Gerade unter dem trauerumflorten gewaltigen Kreuze aber war ein Chor erbaut, auf welchem sechshundert auf Erden ermordete Tyrannen und Herrscher, in Bärenhäute gekleidet, saßen, mit ihren Weibern und Kindern und Brüdern und Schwestern und Vätern und Müttern. Und ich hörte sie singen, und frug; und der Engel antwortete mir: Höre nur, wie befangen, widerwillig und immer trotzig sie singen; denn sie singen die Marseiller Hymne immer durch, und vom Ende wieder zum Anfang in einem ewigen da Capo, bis der, wie ein feuriger Stahl und Strahl auf die Erde gefallene Gesang, dessen gleichen seit Paulus Worten nicht erscheinen, und seit welchem für die Menschheit das neue Reich anhebt, bis er in ihr Haupt gestiegen, und wo möglich in ihr Herz, damit ihre Seelen nicht verloren gehen. Denn das will der große Vater nicht! Sie singen ihn aber zugleich zur Ermunterung der Millionen Arbeiter in diesem großen Fabrikgefilde. Denn siehe, für alle Verbrechen muß erst Wiederersatz geleistet werden; und das konnten sie Alle nicht im Leben, im immer gedrängtvollen, breit mit Werken besetzten Hause der Menschen; darum müssen sie Schadenersatz und Genugthuung leisten im Tode. Und hier in diesen Räumen — dem Orte des Wiederersatzes — hier ist unendlicher unbehinderter Raum dazu, und unendliche unbehinderte Zeit. — Denn ehe nicht Jeder und Alle: Jedes und Alles wieder in den Stand gebracht, in welchem es war, ehe er es verdorben, verwüstet oder zerstört, ehe kann ja nicht das Weltgericht beginnen, wo erst die Sünde jeder That gewogen und vergolten wird! Hier also ist die bloße Vorbereitung zum Weltgericht, zum Gericht der Seelen, wo Herz und Nieren geprüft werden. Und der Engel rief einen alten Griechen, der Gesanglehrer bei dieser Singacademie war, und frug: Dionysius! Wer kann die Hymne? — Sie singen und brummen alle die Weise, die wir wissen: Du einem Menschen eingegeben hast; aber . . . aber . . . ich will fragen! und nun frug er: — He! Cäsar! — Und mit Mühe und Noth sang Cäsar — der vor Lange unsern Calender verbessert — den ersten Vers:*) „Sei uns gegrüßt du holde Freiheit! Zu dir ertönt froh der Gesang! Du zerschlägst das Joch der Bezwinger, Du erhebst zu Tugend und Heil. Uns zu erneu’n kehrst Du vom Himmel, längst deinen Geweihten ersehnt. Was hemmt ihr Bezwinger, noch in verschworener Wuth die Erneuung? Mit Waffen in den Kampf! für Freiheit und Recht!“ — und Alle fielen ein: „Wir nah’n, wir nah’n! Beb’ Miethlingsschwarm, entfliehe und stirb!“ — — „Ja die Chorworte wissen sie Alle!“ sprach Dionysius lächelnd. „Aber, Richard der Dritte! wie heißt der zweite Vers?“ — Und Richard wußte den Anfang nicht, und stammelte die zweite Hälfte. „Ihr, die zum Vieh Menschen entwürdigt, Unmenschen, ihr trotzt noch jetzt? Ihr straft, wo ein Gedank’ ertönt, und erzwingt fühllosen Gehorsam . . .“ „Und der sechste Vers . . . Landvoigt Geßler! wie lautet der?“ — Und Geßler stand auf wie ein großer Schulknabe und brummte: „Und es erträgt zahllose Heere, die wie der Feind lasten und drohen, nur genährt zum Dienste der Willkür, dem Gewerb’ und Pfluge geraubt! Und es erträgt Kriege des Throns, Arglisten und Launen ein Spiel! und Jammer!“ — — — Da erscholl eine dumpfe gesprungene eiserne Glocke, und läutete Mittag; und plötzliche Ruhe und tiefes Schweigen ward überall. Vom Himmel aber regnete es Mannakörner, aber nicht zur Speise, nur statt derselben. Denn ich kostete ein Korn, und es war bitter mit Galle gewürzt — damit die Genugthuenden immerwährend nur einen bittern Geschmack im Munde hätten, wie mein Führer sagte; und Becher mit Thränen gefüllt, welche Menschen einst über sie geweint, gingen herum; aber nur die sonst am durstigsten Gewesenen, setzten sie kaum an die Lippen, und gaben sie weiter. Und während die Ersatzleistenden von ihrer Arbeit feierten, ging ich in ihren Werkstätten umher, und sah und besah, was sie geleistet oder noch zu leisten hatten; und ich erstaunte und sah vor Verwunderung empor — da zog am Himmel sich ein Augenlied von einem Auge weg, das ich nicht bemerkt hatte, und ein Donnerschlag erklang durch das ganze Gefild. Und mein Führer sprach: „Entsetze Dich nicht! Lilith, des Teufels Großmutter, schlägt ihr Wächterauge auf, um zu sehen, ob die Genugthuenden diesen halben Tag genug gethan? Denn ein teuflisches Weib sieht am meisten, und sieht am eh’sten, was fehlt; denn sie weiß am besten, was sie selber unterlassen und verbrechen würde. Darum ist sie die Wächterin, und so oft sie ihr Auge aufthut, fällt ein Donnerschlag, und die Trägen erschrecken und fallen mit Hast auf ihr Werk. Aber hörst Du? Sie lacht! Hohngelächter! Denn Nichts ist vollendet. Und Alles ist schwer zu thun, aber Ersatz zu leisten am schwersten.“ Und das sah ich nun selbst. Denn nicht weit von uns stand die unbeschreiblich schöne Charlotte Corday; vor ihr lag der todte frischerhaltene Marat mit noch bluttriefender Brust, und sie sollte die Wunde des Dolches heilen; um sie standen alle köstlichen Salben, lagen Geräthe und Binden — aber sie saß nur, das Werk bedenkend, in tieferem Schweigen, und düsterer Verdruß stand auf ihrem schönen ängstlichen Gesicht. Weiterhin stand Napoleon und hatte dem erschossenen Palm die Kugel aus dem Herzen gezogen, und hoffte ihn wieder lebendig zu seiner Wittwe und seinen Kindern nach Erlangen zuschicken. Und ich sprach verwundert: Napoleon lebt ja noch auf der Erde, und er steht doch auch schon hier unten und leistet Ersatz! — Ja, sprach mein Führer: „Der Leib ist nicht der Mensch, sondern seine Seele, sein Wille. Der Mensch besteht aus so vielen Thaten als er gethan hat, guten und bösen — und mit jeder That stirbt er einmal und stellt sich fest in ihren Reichen, in dem seligen oder dem unseligen Werke; und so siehst Du Napoleon dort eben wieder; aber einen andern seines Gepräges — wie er dreimal hundert tausend Franzosen, die erfroren sind, durch seinen Trotz und sein blindes Gottvertrauen auf linden Winter, wieder durch Schnee, oder durch was er sonst meint und dazu begehrt, lebendig machen soll, und so, daß Keinem mehr eine Zehe schmerzt, oder eine Nase roth wird, wenn Nordwind streicht. Eher kommt er nicht von hinnen. Und dort steht noch ein Napoleon, der den Schill in der heiligen Arbeit hat. Denn jeder Mensch muß selbst das entgelten, was er Andern befohlen hat, die gehorchen mußten; und die da schlechte unmenschliche Befehle vollzogen, müssen eben noch selbst auch dasselbe entgelten; denn dort arbeiten noch zehn Andere an dem Herzog von Enghien, die ihn erschossen haben, und jeder Einzelne hat seinen eigenen Herzog vor sich und für sich. Darum siehst Du auch hier im Gefilde so wenige Könige und Fürsten; meist nur die erbärmlichen Handlanger, Rathgeber und heimlichen Regenten der Leidenschaften und Leiden der Regierenden: — ihre Frauen, Geliebte, Leibärzte, Kammerhusaren, Beichtväter, ja oft auch nur ihren Koch oder Hofnarren in mannigfach angezogener Person. Denn die Fürsten sind gut, und thäten gewiß lauter Königliches, wenn sie lauter edle Könige zu Freunden hätten, nicht unzähliges Volk dazu wählen müßten, das sich in Respect vor ihnen verhüllt, wie in eine Nebelkappe, so daß sie nie einen Menschen sehen; denn ein ächter Mensch ist wahr und frei, weil er gut ist, und gut, weil er frei ist, und nur das Gute, die Freiheit will und die Wahrheit.“ — Und so erstaunt’ ich nicht mehr so stark, als ich eine verwüstete und verbrannte Stadt sah, die ich an ihrem schönen Dome als Magdeburg erkannte, und keine Seele war darin — als Tilly, der Mutter-Seelen allein eine Kirche wieder aufbaute, die er zerstört. In den einigen Jahrhunderten hatte er nun Ziegel gestrichen, Grund gegraben, und war fast mit dem Sockel heraus; aber indem er hier mauerte, war dort ein Theil vom Wetter schon wieder verwaschen und aufgelöset — und er sah mich wüthend an, als ich ihn lachend ansah. Eben so gewahrte ich Suwarow im Hemde arbeitend, wie er Warschau wieder baute — und ich sah ihn auch wieder vor einer dabei liegenden Festung — Ismael — wo er dreißigtausend Menschen wieder Athem einblasen sollte. „So geht’s dem treuen Diener der Mutter!“ sprach er; einem Throne dienen, und Gott, oder nur den schofeln Menschen, ist ein Unterschied wie Suwarow oben und Suwarow drunten! Und er sah mich wüthend an, als ich ihn lachend ansah. Weiterhin aber gewahrte ich wahre Kriegsräthe, die unübersehbares Elend gut zu machen hatten hier unten, ob es gleich Gott der Herr wieder droben gut gemacht, so weit das selbst der Allmacht möglich ist in der Zeit. Sie fingen aber ihr Werk gründlicher an, als Charlotte Corday mit Marat — sie studirten die Natur, und Einzelne versuchten Einzelnes nachzumachen, Diese: Augen; Andere: Adern und Nerven, wozu ihnen alle Zuthat unentgeldlich geliefert ward. Aber Manche saßen schon Jahrtausende und sahen ganz schimmlig und ganz zerdacht aus, und waren noch nicht mit der Bildung eines Auges zu Stande gekommen, das nicht sah! geschweige mit einem Ohre, das nicht hörte! Andere hatten zwar Zungen fertig liegen, aber sie schmeckten nichts; denn es fehlte der Jemand, der Geist dazu, den sie aus dem Tode nicht wieder in den beinahe vollendeten künstlichen Leib herauf beschwören noch beten konnten, und studirten nun: erst nur einen Geist zu machen. Kurz, ihre Arbeit war schwer, und mehrere, selbst alte deutsche Minister und Kriegsräthe hatten siebzig bis achtzig tausend Menschen herzustellen, die Pferde und Ochsen ungerechnet — die sie nachher machen wollten, oder sich an ihre Stelle gestellen; und zum Trocknen der Thränen und Aufwaschen des Blutes wollten sie sich Weiberkleider anziehen, wenn sie bis zu der letzten Arbeit gelangt wären. Einige theuer bezahlte Engländer aber bauten türkische Flotten in griechischen Häfen, und waren fast damit — bis auf die Türken selber — fertig, und fluchten ein God dam nach dem andern, daß ich entsetzt mich entfernte. — „Du wunderst Dich, über diese unerlassenen Wiederherstellungen,“ sprach mein Begleiter. „Und eure Könige fordern für einen elenden Hirsch oder einen jämmerlichen Hasen erschrecklichen Ersatz und Strafen, wenn Jemand eines dieser unvernünftigen Thiere in ihren Thiergärten gebürscht. Aber in Gottes Garten soll Alles frei stehen zu verwüsten und zu zerschlagen, selber der Mensch! Aber seid ihr nicht besser als viele Sperlinge? Und sind nicht alle eure Haare auf euren Häuptern gezählt, geschweige eure Adern und Gebeine, eure Thränen und Kinder! Du guter Narr! Und wisse: Auch Tyrannei, Gräuel und Mord darf kein Mensch tyrannisch, graunvoll und mörderisch wieder gut machen, noch Unrecht auf ungerechte Art. Glaube ja nicht, daß die Herrscher Alles thun, weder alles Gute noch alles Böse; sie thun in Wahrheit sehr wenig in dem großen Erdenleben, sondern bewachen das Volk bloß wie ein Nachtigallfreund die Ameisen, welche die Eier ihm dahin tragen, wo er ihnen ein Grübchen gemacht und mit Laub bedeckt. Das Volk thut Alles sich selbst, das Meiste aber durch sein Leiden, und alle eigene Hülfe soll bloß die sein, daß Alle besser werden, und wo möglich gut sind; dann fällt Unvernunft und Gewaltthat nimmer es an, wie keine Leichenwürmer und Asseln den Leichnam Christi, geschweige seinen lebendigen Leib, noch gar seinen verklärten, zu welchem die Menschen ja werden sollen!“ — Ich schwieg tief betroffen und überzeugt, ging beschämt von ihm — und sprach mit Andern aus verschiedenen Völkern; und Alle verstanden mich, und ich verstand Alle; denn hier galt der Sinn der Rede wie Blumenduft, und die Worte waren nur wie erschütterte Luft, die ihn fort- und hinführte. Aber auch hohle Gebilde sah ich reglos liegen, denn ihr Geist war jetzt — wo Nacht auf Erden war — hinauf geschwebt als Träume, damit sie ihre Söhne oder Freunde bewegten: das zu halten für sie, was sie einmal versprochen und nicht gehalten. Und ich rührte die entgeisterten Gebilde an, und sie zuckten wie Chrysaliden und ihr Gesicht war in blutigem Angstschweiß gebadet und sah unbeschreiblich flehentlich aus — so flehentlich wahrscheinlich, wie ihre Seele jetzt bat: ihr gegebenes heiliges Wort zu lösen! Und Grauen und Mitleid erfaßte mich um die Elenden — und ich sah mich selbst — meine eigene hohle Gestalt, die durch mein Nahen beseelt, wie rasend über mich herfiel, — und vor Schreck — erwachte ich . . . in der Kirche, und als ich zu mir gekommen war, faßte ich mir zum Troste meinen Begleiter an der Hand. Und als ich mich in dem leeren Raume umsah, sprach er: „Du wirst das leidende Gesicht der Menschheit wiedersehen . . im Kleinen abgedrückt auf allen Menschengesichtern in dieser Zeit; aber groß und erschütternd zu schauen, wird es selber lebendig wiederkommen am Himmel . . . und es wird der Komet sein! Der Komet, der in zwanzig Jahren erscheinen wird, um ihnen Frist zu lassen. Das Antlitz wird stumm fragen, tief in alle Augen und Herzen blicken, und Schrecken über alle Bösen und Säumigen bringen, Schrecken über Alle, die sich vor dem Volke fürchten mehr als vor Gott; die da aus Selbsterhaltung fürchten ihm Gutes zu thun und sein göttliches Recht und seine göttlichen Gaben ihm auszuhändigen, — als sei Gottes Ebenbild des Teufels Ebenbild, und die Menschen lauter Teufel! nicht: arme Kinder der Erde, leicht froh zu machen und durch eine kleine Gabe herzlich dankbar, und schwer weinend vor Schmerz und leicht schluchzend vor Freude! — Du aber verschweige nicht dies Gesicht; denn alle Engel Gottes schützen den mit übergewaltigen Händen, der selber schuldlos und arglos im Herzen, nur will: daß Keinem ein Uebles geschehe, selbst einem Wurme nicht, und der durch himmlische Gesichte und Gottes unfehlbare Gerichte die Zweifelnden warnt: nicht darein zu verfallen, sondern durch jede ihrer Thaten sich täglich hinauf in das selige Reich zu stellen und tausend Engel zu werden aus einem Menschen, und zu leuchten wie die Sterne; denn die Gerechten sollen leuchten wie die Sterne; aber diejenigen, die da wissen, daß die Gerechtigkeit nur göttliche Milde und feurige Liebe sei, und Liebe üben, die sollen leuchten wie die Sonnen — und Sonnen sein!
*) Von Johann Heinrich Voß.
Der redliche Mann hatte sich selbst ganz erweicht durch seine Worte. Die ganze Angst, die er für alle Andern in seinem reinen besorgten Herzen fühlte, stand sichtbar auf seinem glühenden Gesicht. Er trieb nach Hause, und dort griff er sogleich nach dem Stabe, um diese Nacht noch weiter zu gehn; Krieg, der ihn kannte, machte keine Einwendungen, sondern erklärte bloß: er selber bleibe da. Auch Christel bat nicht; sondern von seinen Bildern und Worten fromm ergriffen, segnete sie seinen Weg. Ihr war, als müsse seinem klaren Auge die Nacht helle sein und der Weg licht; die Steine müßten vor seinem Fuße wegrollen, und die Kinder aus den Dörfern kommen und seine Hände küssen, weil er es gar so wohl, gar so herzlich meinte — und sie küßte ihm selber die Hände zum Abschied, worüber er sie lächelnd ansah. — „Ihr wollt noch etwas wissen?“ frug er als Menschenkenner . . . „Was in dem dritten Sarge war? Meint Ihr, Goldstücke, die daraus emporflogen wie flügge Vögeleier, und die sich im Fluge verwandelten in bunte Spielsachen der großen und kleinen Kinder, in Pferde, Häuser, Kirchen, Schäfereien, kurz in die goldene Zeit! — Ja wohl. Aber nicht so. Es lagen darin die Urkunden der Nachwelt; Landkarten mit den neuen Grenzen; blutig unterstrichene Städte und Dörfer mit den zwei Schwertern dabei, zum Zeichen der bei denselben zu liefernden Schlacht. — Dann Volkslieder, und wie soll ich es ausdrücken: gedämpfte Kronen; mattgoldene Scepter mit Pergamentrollen umwunden, und kleine geschnitzte Modelle zu Thronen, alle mit eines gewissen Rousseau Bildniß in Brillanten. Dazu aber die Namen derer, die in fünfzig Jahren darauf sitzen werden; denn das kann ein Kind begreifen, daß alle jetzigen Daraufsitzer alsdann zu Staube sein werden, so herzhaft sie jetzt auch noch reiten, befehlen und unterschreiben. Wie es aber dann sein wird; und wie die von ihrem Anführer zehn Jahr angeführten oder betrogenen Franzosen dann im Geiste wiederkommen werden, also mächtig unschlagbar und gar nicht todt zu machen, und wie sie für ihre Erlösung dann dankbar sein werden, nämlich ein bloßes Licht, das will ich meinem lieben Vorkämpfer des deutschen Volkes getreulich, aber geheim berichten! Denn Wissen ist dem Guten gut!“ —
„Ach nein!“ sagte Christel, „das kümmert uns nicht, und Gott Vater auch nicht, denn der wird alles ohne Sorge und Mühe gewißlich thun; und wie Wecker sagt, weiß Er gewiß auch so viel von der heiligen Rechnenkunst: ob fünfzig Familien oder fünfzig Millionen Familien mehr sind; ich wollte nur wissen, wie es uns ergehen wird in dieser Zeit?“ — „Euch?“ frug der Prophet sich verwundernd, „Euch, meine liebe Frau Christel, und Eurem ganzen Hause wird es immer wohl, ganz wohl gehen! denn also seht Ihr mir aus! Wie der Mensch lebt, so geschieht ihm. Wie er ist, so ist ihm! Das kann ein Kind begreifen. Drum ist es mir auch immer wohl ergangen, und wird mir immer wohl gehn, so lange ich weiß — daß ich bin. Länger braucht es nicht. Lebt wohl!“
So ging der alte Mann allein fort in der Nacht, von einem innern Drange unaufhaltsam hingezogen. Krieg hatte nicht geglaubt, daß er ohne ihn, ohne Ausruhe, gleich wirklich jetzt um Mitternacht sich aufmachen werde, und er that ihm leid, schon als er hundert Schritt auf dem Wege nicht mehr zu sehen war. Er wollte ihm nachrufen, auf ihn zu warten; aber sein guter — Verstand hielt ihn davon ab. Und sie waren kaum hineingetreten, als sie hörten, daß doppelte Wache vor Haus- und Hofthür angestellt ward. Sie schliefen aber ruhig; bis am Morgen St. Etienne herüber kam und erstaunte und frug, wo der fremde Wahrsager sei? Er erfuhr die Wahrheit und sandte ihm Flüche nach, weil ein wenig Sauerteig von einem Narren, ein ganzes landgroßes Backfaß zu Narren machen könnte; wenn auch solche neue Mähren nur schädlich würden, wenn sie Jemand glaubte und wahr machen wollte! Oder wahr machte . . . was möglich sei — wie das Türkenthum oder die Peterskirche. Und der Unglücklichen wären jetzt sehr viel, und der Hoffenden noch mehr — und die wollten alle einen Kern in ihre hohlen Nüsse, und ein Bild in den leeren Rahmen ihres Gehirns. Und zum Beweise seiner Rede setzte er zornig hinzu: „Bei uns hat man Länder — das ganze große Reich — nach dem Spiel Karten einer Mamsell aus der Normandie regiert und wird nach ihren Karten verspielen, ja sterben! Nun, laßt ihn, laßt ihn laufen; wer weiß, wem er mit seinem Hirngespinnst die Augen blind macht, daß er die Zeit nicht sieht, und ihm ein Brett vor die Stirn hängt, das zehn Tischler nicht durchschroppen können — weil es unsichtbar ist! Ja das Herz kann er damit versteinern und Männer zu furchtsamen Hasen machen — laßt den Hasenfuß laufen! Doch zwei Husaren . . .“
Der Leinweber Krieg sprach aber beherzt den Vers darein: „Er ließ keinen Menschen ihnen Schaden thun, und strafte Könige um ihretwillen. Tastet meine Gesalbten nicht an, und thut meinen Propheten kein Leid!“ — St. Etienne aber sagte: „Weil Ihr unserer Frau Christel Pathe seid . . . versteht Ihr mich! . .“
Christel schwieg. Denn so geneigt sie ihr Herz dem unbekannten Bruder fühlte, so gefürchtet und widerlich waren ihr seine freundlichen Blicke, und seine zutraulichen Reden mit ihr; und ihr war nur freier zu Muth, wenn er zürnte und grob war, oder wenn er recht log oder großsprach; dann war dem guten Weibe das Herz leicht; denn an der Stelle der Neigung quoll dann das Blut feindselig in ihrem Herzen. Und mit ihm war ja das Unglück ins Haus gekommen. Mit ihm hatte sie das Zutrauen zur Welt und den Verlaß auf sich selbst verloren. Er war an allem Unglücke Schuld, oder hatte seine Hände dabei mit im Spiel, was ihren lieben Johannes betroffen, ja was der Großvater gethan hatte und deswegen jetzt noch litt. Und dennoch weinte sie im Geheimen nur über Alles — auch über den verhaßten Etienne! Als sie sich aber eines Abends Zeit genommen bei Licht zu spinnen, und er erst heimlich nur mit dem Schatten ihrer schönen, an der Wand sich bewegenden Haare gespielt; dann als er sich sogar geneigt und das liebliche schwarze Bild ihres sich auf den Faden neigenden Gesichtes geküßt hatte, worauf sie, wie aus Versehn, den Rocken angezündet, um eine halblächerliche und halbgefährliche Beschäftigung auf die Bahn zu bringen, um alle Fenster aufzumachen, ihn in dem Rauch und der Kälte stehen zu lassen, und selbst zu Johannes hinüber zu gehen oder zu flüchten; — als er angefangen von seinem Golde für den schweren Bedarf in ihrem Hause einzukaufen und mit zu sorgen; — — als er sie eines Morgens an den Stall geführt, die Thüre aufgestoßen, und ihr ihre beiden schönen Kühe wieder gezeigt, und als sie ihn darauf sogar an der Hand gehalten, oder sie gar gedrückt hatte, sie wußte das nicht gewiß, da sprach sie nur zu sich; „Ich weiß nicht wie mir ist! Aber Zeit ist es, daß . . . daß . . . .“ Und sie wußte nicht, was geschehen sollte oder möchte.
Darum war es ihr willkommen — ein gutes Werk zu thun, und in die Stadt zu Dorothea zu gehn, deren Namen nennen zu hören sie jedoch erschütterte, aber mit Muth: unter tausend Feinden, ja unter hunderttausend Freunden: Christel zu sein und zu bleiben. Paschalis schrieb ihr nämlich ein Blatt voll — „Hauszeitungen.“ Dorothea hatte einen Frauenverein gestiftet, die Verwundeten und Kranken zu pflegen. Sie hatte aber nicht nur Geld und Leinwand gegeben, wie viele Andere, sondern sich selbst als Pflegerin gestellt, vielleicht als Opfer. Doch mit eigensinniger Auswahl hatte sie nur solche Opfer ihres Vaterlandes übernommen, deren Wunden an Kopf oder Brust — Lanzenwunden, also wahrscheinlich Kosakenwunden waren. Jetzt lag sie an der mitgebrachten Krankheit darnieder, und begehrte herzlich nach Christel. Und wie die Tochter bat, flehte auch der Vater nach ihr — „nur auf kurze Zeit! Denn die Zeit der Kranken rinnt durch eine zerbrochene Sanduhr; ihr Leben ist Sand und ihr Leib ist Glas und der Mensch überhaupt nur Vexier — Erde — nur durch Einschmelzen in das ewige läuternde Feuer wieder aus Staube zu einem Gefäß zu blasen, und bleibt Blase, worin sich die Welt nur schimmernd spiegelt, hier die Erde oder dort die Sonne, der Himmel oder die Hölle!“ —
Der Brief war vom 20. Februar 1814. In der Nachschrift stand: „Kann ein Selbst- oder Andere-Beherrscher in ein gesundes feindliches Land pestbehaftete Soldaten schicken, oder kranke angesteckte Soldaten in alle gesunden Dörfer ihrer eigenen Heimath — nach Hause schicken; so darf ein Mensch, ein wahrer Vater wohl einmal die Pflegemutter seiner Tochter bitten: in ihrer letzten Krankheit zu ihr zu kommen. „Völkerrecht — Hausrecht!“ Ich habe gebeten, — das Kommen nun steht bei Euch. Ich sage Euch aber aufrichtig: Eure Kinder bitten: Ihr sollt nicht kommen! Daniel aber gesteht doch: der Großvater wundere sich, daß er Euch noch mit keinem Auge in seinem Kerker gesehen habe, und meine: er habe das verdient.“ —
Der Christel war der Sinn der Worte des Briefes zu hoch, und sie verstand nicht: durch dieselben das zerrissene Gemüth des Vaters zu sehen, der, um seine Leiden nicht ewig fühlen zu müssen, lieber gewünscht hätte — neu eingeschmolzen zu werden und überall — auch in der Sonne . . . . im Himmel . . . . oder in der Hölle schmelzbar oder zerbrechlich zu sein. Aber die Weiber werden von dem Unverständlichen oder Unverstandenen am tiefsten ergriffen, und leben und bewegen sich darum so sicher und froh in der Welt, weil sie ihre Gefühle und Gedanken ganz unbehindert hineinlegen können, und unbeschränkt darinnen verbreiten. Und so erschütterte der Brief ihre Seele. Die Nachschrift aber erinnerte sie an Anderer Grausamkeit; — an die guten, für sie fürchtenden Kinder; — an den Großvater, der seine Leiden meinte zu verdienen, indeß sie den durch ihn erlösten Johannes besaß und genoß; und so war sie weiblich wunderlich, grade entschieden, diesen ihren Johannes zu verlassen und grade zu den sie liebenden Kindern hinzueilen! Und ihr Herz war doppelt froh.
Die Ereignisse erleichterten ihr aber auch den Gang. Die Verbündeten hatten an demselben Tage Mainz berannt. Die Soldaten, die noch draußen auf den Dörfern sich genährt, und gesund erhalten hatten, waren alle, bis auf hundert Mann, aus Zahlbach fort, hineingezogen — und in ihrem Hause lag nur noch St. Etienne allein. Dagegen war nun der Leineweber Krieg bei Johannes, bei welchem er bleiben mußte: denn er war durch eine Vorpostenkette rund abgesperrt, und konnte nirgends hinaus nach der nahen Heimath. Die Feinde standen sogar in Britzenheim nur eine Viertelstunde von Zahlbach. Dieses ihres schönen freundlichen Dorfes Schicksal war voraus zu sehen, und Johannes trieb seine liebe Christel nicht allein zu dem Gange nach Mainz, sondern er bat sie auch dort zu bleiben. Denn die Einwohner von Zahlbach vergalten jetzt den braven Mainzern ihre tagtäglichen Spaziergänge zu ihnen heraus, die Sonntagsfeste und Morgen- und Abendbesuche unter ihren grünen Weinlauben, Kastanienbäumen und Wallnußbäumen, und flüchtete, jetzt ihr — Vieh in die Häuser der Stadt, ihre Habe und Gut, ja Weiber und Kinder; denn das Dorf war kein Dorf mehr, sondern nur eine Caserne. Die Clubbistenschanze stand mit Kanonen bespickt und mit Soldaten besetzt, deren Vorhut im Dorfe stand, das nun der Belagerungsschauplatz werden mußte. Und so hatte Christel nur eine Bitte: daß Johannes mit ihr in die sichere Festung Mainz käme! Er aber wollte sein Erbe nicht Preis geben, und Alles zu Grunde gehen lassen, ohne es so lange wie möglich geschützt — und dann seinen Untergang wenigstens selbst mit angesehen zu haben. Und so zeigte er jetzt den Muth des Landmanns, den Muth, den er seiner Christel unlängst mit kurzen aber wahren Worten versichert; und er wollte nicht sich selber, was sie besaßen, für sich bewahren, sondern eben für seine Christel und ihre Kinder. Und so gut er ihr war, so fest blieb er bei seinem Vorsatz, wenn er ihn auch nur in halblauten milden Worten mehr andeutete als vertheidigte. „Thut es Noth,“ sprach er, sie bei der Hand fassend, „dann bist Du bei mir, oder ich bei Dir — wie der Herr trifft. Denn die Soldaten laden und feuern nur los — auf Gottes Gnade und in Gottes blauen Himmel.“
Da nun auch ihr Pathe Leinweber Krieg dablieb, der als vieljähriger Wittwer sein Hauswesen und selbst Küche und Heerd und Töpfe zu seiner eigenen Zufriedenheit wohl bestellt, ja wie er sagte, sich sogar nie eine sogenannte Suppe versalzen habe, die — er nicht habe essen können oder müssen; so brachte Christel ihr Haus in enge, leicht übersehliche Ordnung, führte die beiden Männer in Stall, in Keller, in Hausgewölbe bedächtig und belehrend umher, und deckte alles auf, und wieder zu, damit sie wüßten, wo, wieviel und in wie gutem Zustande alles vorhanden sei; klopfte mit dem Knöchel des Fingers an die ganzen Töpfe, und stellte die wenigen bei Seite, die einen Riß hatten, aber doch noch gute trockene Dienste leisteten; wobei der Pathe versprach, einen sogenannten Ring von Draht um dieselben zu legen, oder nach Verdienst und Würdigkeit dieser alten stillen Freunde und Hausgenossen, sie über und über in Ketten und Banden zu legen, oder zu überstricken. Als sie dann auch beide, Einer nach dem Andern, in die Rauchkammer hatten gucken müssen, was sie, des Rauches wegen, mit zugemachten Augen gethan, und als der Gevatter Pathe die prächtig gefärbten starken wohlriechenden Schinken, Speckseiten und Würste — aus Liebe und Zutrauen zu Christel — mit Verwunderung über das sogenannte quale et quantum aufrichtig gelobt hatte, so war die Uebergabe geschehen; und Christel stand im Hause als sei sie überflüssig, verborgt, verschenkt oder verkauft, und ihr war zu Muthe, sie wußte nicht wie. Sie legte an die Bestellung des Abendessens keine Hand an, schlich nur einmal heimlich nachsehen, schürete das Feuer, legte, wie ein kleines Mädchen, spielend ein Scheitchen mit zu, nahm es aber aus Rechtschaffenheit wieder weg und löschte es in der Asche aus — und legte es doch wieder ins Feuer, weil es einmal angebrannt war und verrathen hätte, daß sie die Küchenmeisterin gemacht. Dann setzte sie sich an den Tisch wie ein Gast beim Kirchweihfeste, ließ lächelnd decken und auftragen und Jedem und sich selber austhun und aß — ob ihr gleich vor Bangigkeit kein Bissen schmeckte — von allem recht viel, und lobte die Speisen und die zwei Köche, die dasmal nichts versalzen noch verdorben, und vermahnte sie scherzhaft so fortzufahren! St. Etienne war über Nacht auf dem Posten; und Johannes ließ in der Ferne der ruhigen Zeiten dem Gevatter Pathen, zur Dankbarkeit für seinen Beistand, wieder die Aussicht auf einen fröhlichen Kindtaufenschmauß erblicken, bei einer kleinen neuen Clementine, oder am liebsten: der alten vorigen — wenn der Herr seiner Christel dieselbe wieder in ähnlicher Gestalt in die Wiege legen wolle. Ihre in Thränen schwimmenden Augen aber verlöschten die Aussicht wieder, und sie saßen still, dankten still, und standen still vom Tische auf, nachdem sie ihrem Johannes noch einmal die Hand über das weiße Tuch hinüber gereicht, um seines Lebens Wärme zu empfinden und von seinem Dasein recht handgreiflich überzeugt zu werden. Dann aber sprach sie als gute Wirthin nur leicht: „Aber ihr alten Kinder, das ist ein gutes Tischtuch! Jetzt verrichten es die mittlen. Und ihr kleckt nicht wie die Kleinen — zur großen Wäsche bin ich wieder zu Hause.“
Dann gingen sie ruhen. Am Morgen aber stand sie allein schon lange vor Tage auf. Ihr Johannes schlief zu fest; so ließ sie ihn schlafen. Aber wie sie an die Thür trat, hatte er ihr im gelben Morgenscheine, eine fahle todtenähnliche Farbe auf Gesicht und Händen. Sie trat hastig hinzu, und sah — aber er athmete leis und schlief so ruhig — und ruhig ging sie weg, während Daniels Monats-Täuberich, schon früh auf im Taubenschlage, über ihnen im Giebelfelde zu Neste heulte und trommelte. Wenn aber ein zukunftskundiger Mann oder ein Geist, der das kleine Leben der Menschen überschaut, sie gesehen hätte so ruhig hinweggehen, der hätte gesagt:
So schlummert der Wandrer
Voll sicherer Gnüge
Im eigenen Hause
Der sorglos und trauend
Am blühenden Morgen
Von Weib und von Kindern
Dann scheidet, kaum einmal
Sich umsieht — und hingeht,
Wo jählings am Abend
Der Tod ihn ereilet,
Ihn schweigend die Fremde
Verschlingt und zurückhält;
Und Heimath und Hütte
Mit Bäumen und Blumen
Sie bleiben auf immer
Still hinter ihm stehen,
Und ruhig bescheint sie
Die leuchtende Sonne!
Nun traf es sich, daß an diesem Tage St. Etienne’s Geburtstag fiel. Da er aus so vielen Landen und Schlachten glücklich wieder bis in die Gegend seiner Heimath gelangt, so war er nicht ohne Schadenfreude, nämlich über seine geheilten Wunden; und wenn der Soldat keinen Sonntag hat, als wenn die Sonne scheint, und keinen Feiertag, als wenn er im Feuer steht, so war ihm in alle dem wüsten Leben nur noch der Tag, durch den er da war, im Herzen geblieben, und zwar ihm nicht mehr werth, als eben sein unvergnügtes Dasein jetzt selber, aber doch so viel, und in dem heutigen Tage lag die Erinnerung alle der frühern — glücklichen — mit. Auch machte ihn wohl der Verdruß ernst, daß Christel fehlte und ferner nicht da sein sollte. Und so setzte er sich bei drei Flaschen vaterländischen Rheinwein hin — und begehrte die Bibel; und Johannes brachte die große Bibel von Christels Vater und Seinem, und ließ ihn allein zur Andacht.
St. Etienne besah den gepreßten Deckel, schlug ihn um — und fand von seines Vaters treubekannter Hand: „seine liebe Tochter Christel“ darinnen verzeichnet, und seine Schwester Martha und die andern Geschwister und sich selbst. Und er las das:
„Mein lieber Sohn Steffen, den Gott gedeihen lasse, ward mir geboren während der unsichtbaren Sonnenfinsterniß, den“ — —
Aber die Augen gingen ihm über. Und er trank hastig ein Glas Wein nach dem andern, schlug dann das wohlbekannte Buch zu, legte sich zugleich mit den Lippen darauf, als wenn er Vater, Mutter, Geschwister und Schwester Christel darin küssen wollte, blieb dann lang mit dem Gesicht darauf liegen, bis er Alles durchgedacht; dann richtete er sich auf, legte die gefalteten Hände auf die Bibel, und blieb so sitzen. Er war heim. Denn er hatte keine andere Heimath mehr, und wußte nicht welcher Stein diese Nacht noch sein Ruhekissen werden könnte, und welcher Rasen sein Deckbette. — „Welches Unglück! Wenn nun meine Schwester nicht ein Weib — wie Christel war, sondern ein Weib, wie — ich weiß nicht wie viel!“ dachte er. „Aber wenn die andern zu albern-guten Dinger auch nicht meines Vaters Töchter sind — haben sie nicht alle einen Vater: Einen!“ — Dabei schlug er mit der Hand noch auf gut soldatisch auf die Bibel; aber die Hand kam, von Scheu gemäßigt, nur sanft darauf hernieder. „Heute möchte ich Feldprediger sein! wenn wir welche hätten! Aber das sieht der Kaiser ein, daß Der, dessen Wort er lehrt, und die, die ihm alle Augenblicke Hohn sprechen, sich nicht wohl passen. Der, — warum nicht einmal wieder den Namen nennen — Jesus weinte über seine Vaterstadt, die sein Vaterland war; aber König darüber mochte er nicht sein, noch weniger: sich durch hunderttausend Umbringungen von seinen Brüdern als Herrscher erhalten — und herrscht doch, aber inwendig in den Menschen allein. Das Inwendigherrschen ist andern nicht respektabel genug! Das macht ihm kein Teufel nach, selbst unser Allergnädigster nicht. Es ist aus mit Ihm! Ich bin auch nichts mehr! Wir Alle sind nichts! Und zu erkennen geben kann ich mich nicht. Als wir im Siege waren, da redeten unsere Thaten. Nun im Verluste . . . mußte ich nicht ruhmredig werden, aufthauen wie ein altes Weib, das von ihrer Schönheit spricht, die einmal über ihr Gesicht gefahren, wie die Hand über . . . „den Verräther der Menschheit.“ Mußte ich nicht beschönigen und lügen! Großthun! Aufschneiden, um nur vor den Leuten bei Ansehen zu bleiben; und selber bei mir nicht vor Scham zu vergehn! Plagte mich nicht der deutsche Ahnen- und Titel-Teufel: mich für eines großen Mannes Sohn auszugeben, für eines Generalpächters Sohn, der wahrscheinlich eines Prinzen Sohn gewesen — weil er mit der ganzen noblen Gesellschaft das Hasenpanier ergriffen, anno: anno! Dies Jahr! wo es wieder andre Noble ergreifen werden! O Hasenpanier! Du bist allgegenwärtig! Und ich, ich möchte dich auch ergreifen, wenn ich nicht Sergeant wäre! Und den großen Unglücklichen verlasse ich nicht! Und mich auch nicht! Sitze, mein Stephan, und thue Gutes! Vielleicht lernst Du noch wieder beten — wenn das die Noth lehrt! Wir sind aber gelehrt: eher auf die Nase zu fallen, als auf die Kniee. Doch Unglück schickt sich! Und nun sang er, halbberauscht, gar den neuen Vers:
Soll Unglück sich schicken.
Stößt man sich am Grase,
Und fällt auf den Rücken
Und bricht sich — die Nase!
sang aber noch ärger dafür:
Man fällt auf die Nase
Und bricht sich — den Rücken!
Dabei sank er selbst auf den Rücken, dämmerte ein, schloß die Augen und redete dann halbschlafend, halbträumend: „Sacre: wenn meine Kinder in Rußland jetzt vielleicht die Knute kriegen, das sollte mich doch verdrießen! Oder wenn Einer von meinen Buben in Italien sollte Horas singen, oder, was Gott verhüten möge, in Rom einmal gar Papst werden; oder ein Schlingel wie der Mufti; oder in Spanien endlich ein Großinquisitor; alles und jedes möglich . . . denn was ist, oder das türkische Verhängniß beriefe mein Söhnlein aus Aegypten, und er würde ein Großthier — wie der Groß . . . das sollte mich doch verdrießen! Oder wenn gar eine oder die andere von meinen unbekannten lieben Töchtern — gewiß jetzt schon recht hübsche Mädchen! — das werden sollten, was ihre Mütter waren, Ehebrecherinnen, oder erlöste Nonnen und Contessinnen — —“
Er ward wüthend und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß sie blutete, und schwere Bibel und Weinflasche wie vor Schreck in die Höh’ sprangen. Aber sich erinnernd, setzte er leiser nur grimmiger noch hinzu:
Doch Unglück schickt sich!
Schickt sich . . . . schickt sich . . . . murrt’ er und murmelt’ er. Unglück schickt sich nicht! Nicht einmal der Teufel schickt es. Wir machen es selber. Unglück — Ungeschick! Unglücklich — unschicklich . . . . . . Na! das dortige Unglück! Die Schönheit macht alles ausstehbar! . . . Das hiesige aber hat sich nicht geschickt, und hätte sich nicht geschickt. „Steffen! mein Steffen!“ würde der Vater sagen . . und die Mutter — — ach, es ist doch nichts besser als eine Mutter! — Rief sie nicht? —
„Mutter, hie bin ich!“ rief er, erweckte sich selbst, sprang auf — und Johannes stand vor ihm.
Und Stephan war verwandelt, und sah ihn mit großen Augen an, ergriff das Glas, setzte es aber derb nieder, um nicht zu verrathen, daß er sich schäme. Und Johannes wischte die Bibel vom Wein ab.
„Haltet das Buch in Ehren, Johannes!“ sprach Stephan; „es macht gute Freunde!“
Und so war es auch von nun an. Stephan schob auf den Soldaten, als einen mit Willen und Geheiß bewaffnet „losgelassenen Mordläufer“*), oder Subject aus einer Menagerie, was er auf den Menschen nehmen sollte, der in dem rasenden Tiger steckt oder gesteckt wird, und meinte: „mit Hunderttausenden dergleichen Subjecten losgelassen zu werden, vermehre die Wuth hunderttausendfach, und aller alten todten Soldaten Geist, ja aller heidnischen alten Armeen Dämon — denn bloß die christlichen Völker haben den Teufel — fahre in einen neuen Soldaten; und mit dem angezogenen Rocke ziehe der vernünftigste Mensch seinen Menschen aus, wie der frömmste Mönch, der des Papstes Kleider auf seine paar öffentlichen Jahre anziehe. Das sei Kastengeist, und die ganze Welt stecke separirt in tausend dergleichen Kasten, wie in Tollhauskammern und werde gleich wieder gescheid, wenn sie herauskomme, und wieder dumm und toll, so wie sie wieder hineinfahre, Berlicke! Berlocke! Berlicke! Berlocke! Wenn ein Mensch im Kriege seinen Feind auf Händen tragen und füttern wolle, wie sein kleines Kind — das wäre gegen Ordre, und ginge nicht! Und wenn ein Mensch zu Hause — nicht anderleuts Vater und Bruder, sondern bloß seinen Vater, seine Geschwister und seine Kinder so mit Bajonetten zerfleischen und mit Kugeln zerfetzen wolle, und Haus und Hof sich selber über dem Kopfe anstecken wolle . . . das ginge nicht! Johannes möge das glauben!“
*) In Indien geht Jeder einem solchen weit aus dem Wege.
Und Johannes glaubte das redlich, und der Leinweber Krieg, der da meinte: es wundre ihn nur, daß Alle, oder ein Paar nur, was schon genug wäre, nicht glaubten: daß Alle Gottes Kinder wären! — Stephan sprach erst nur so, weil der Ruhm der Seinen jetzt vom Sturme aus Deutschland zerblasen ward, wie eine reife Distel — „gefressen!“ sprach er satyrisch im Stillen; da er jedoch sich zu Hause bei den Seinen fühlte, so ward diese seine gute Gesinnung allgemach redlich, und er sagte laut zu Johannes, daß er für sie alle — und meinte Christel — einmal in eine verlorene Schlacht gehen wolle, geschweige alles andere thun. — Mehr könne ein ehrliebender Soldat sich nicht erbieten! Er trieb Johannes, daß er ginge und Christel holte, weil er ihr etwas gar Wunderschönes zu sagen habe von ihm und von ihr!
Christel aber schickte von selbst nach Johannes, aber mit sehr gelassenen Worten, weil sie wußte, daß solche bei ihm stets hinreichten, ihr alles zu thun, und schon eine Bitte ihn verlegen machte vor Rührung, so daß er oft darüber sie bittend angesehen, als bitte er um Schonung. Und um vielleicht ihm jetzt einen Schreck zu ersparen, hatte sie diesmal so spät, vielleicht zu spät geschickt.
Er eilte also bloß mit der Lust und Hoffnung: sie wieder zu sehn, nach der Stadt. Es dämmerte schon. Die letzten Dohlen flogen zu Rüste. Der Himmel war schwarz umwölkt — denn aus schwarzen Wolken fällt der weiße Schnee — und der Wind wehte mit den Flocken, wie Kinder Flaumfedern vor sich her blasen, um sie nicht auf die Erde zu lassen; — und wirklich: er hörte im Felde Kinder rufen . . . aber so weit rechts ab, daß er im Winde seine eigenen Kinder nicht erkannte. Und doch stand er und horchte, ob sie nicht riefen, vor Angst sich zu verirren? oder nach Hülfe? Und sein Herz klopfte laut, und er stand auf dem Sprunge hinüber zu eilen. Aber er freute sich; denn die Kinder riefen nur: „Mutter! Mutter!“ — Und wie ein Traumbild sah er auch ein Weib — sein eigenes Weib, seine Christel, stehen bleiben, und etwas Dunkles, wahrscheinlich ein kleines Kind, auf den Arm nehmen — das sein kleines Sophiechen war. Und er freute sich wie das Kind, daß es die Mutter hatte, und daß das Weinen still ward, und die Mutter wieder den beiden andern größeren Kindern voranschritt oder sprang! — kam es ihm vor. Und das Weib hatte in dem Nebelflor des Schneegeflirres ein gespenstisches Ansehen; und wenn er scharf genug sahe, so war sie nur halb bekleidet, und die Haare flatterten ihr in dem Winde voraus. Nun that ihm die arme Frau leid, die jetzt in den Thalweg nach Britzenheim zu verschwand . . und die Kinder verschwanden ihm hinter ihr — und alles war weg! Er lehnte sich an das hohe rothe Kreuz am Scheidewege, das im Winter ein Wegweiser war, und starrte noch eine Weile hin; aber es blieb still; und er hörte nur den Schnee säuseln; in der Ferne den Wind pfeifen; und wie der Wind herstrich, hörte er auch die Mühle von Zahlbach gehen; und die Mühle von Britzenheim; und dort in dem Dorfe ward Licht, und ein langer Schein strahlte davon bis zu ihm her, und weiter hinaus in den Himmel. Ihm grauste. Er schritt hastig zu, nur von dem Gedanken getröstet: Das Dorf sei nicht weit, und ehe er in Mainz sei, seien die Kinderchen und das arme Weib in Britzenheim!
Er eilte nun durch die wohlbekannten Straßen der Stadt nach Paschalis Wohnung. Er durfte an keine Thüre klopfen, denn sie standen offen; aber in allen Zimmern — Niemand! Keine Christel! Kein Daniel! Kein Sophiechen! Kein Gotthelf! Kein froher Kinderruf: „Vater!“ kein „Willkommen!“ schallte ihm wo entgegen. Ueberall Niemand. Bis er durch das Wohnzimmer hindurch ging, worin nach hinten hinaus noch eine Thür war, und vielleicht Menschen dahinter. Vielleicht dachte er, sind sie alle bei Dorothea! Die Thüre war, wie ein Schrank, nur mit dem Schlüssel aufzumachen; er merkte also nicht, daß sie verschlossen gewesen.
Beim Dämmer einer an drei vergoldeten Ketten hängenden rubinrothen Lampe erkannte er aber nur an ihrer Kleidung das treue Mädchen, das an jenem Abende neben dem englischen Kutscher die vier Kühe vom Bocke gefahren. Mit dem Gesicht lag sie, wie eingeschlafen, auf einem Gebetbuch mit goldenem Schnitt. Medizinflaschen und Gläser und Tassen und Schächtelchen auf dem Tische, waren alle beiseite an die Wand geschoben; und auf dem weißen Bette, mit zurückgezogenen grünseidenen Vorhängen, lag Dorothea, wie er meinte, sehr leise schlafend, und hatte gewiß gebetet; denn ihre Hände waren ausgestreckt und gefaltet. Jetzt fuhr das Mädchen in die Höhe, als habe sie Dorothea gerufen. Sie sprang zu ihr; sah nach ihr; besann sich aber, seufzte ein tiefes Ach; und kehrte sich leise von ihr um; und erschrack vor Johannes, daß er selber erschrack, und beide sich fragend anstarrten. —
„. . . Schläft sie?“ frug er leise.
„Sie schläft;“ antwortete das Mädchen; „aber Ihr könnt laut reden, Johannes; sie schläft fest.“ Und doch sagte sie das auch nur halblaut vor Furcht oder Ehrfurcht.
„. . . Also ist ihr wohl und besser?“ frug er zutrauensvoller.
„Wohl. Und besser. So bleibt ihr nun gewiß;“ erwiederte sie.
„. . . Nun ich gönne das Glück unserem Herrn Paschalis! Der wird sich freuen!“ sagte Johannes mit Augen, die vor Mitfreude glänzten. „Die liebe ehrenwerthe Tochter war seine Lust und sein Leben!“ —
„Und kann nun sein Tod sein!“ sprach das Mädchen. Und die Worte schnitten Johannes und ihr in das Herz, und sie schluchzte vor Thränen. Und als Johannes einen Schritt näher zum Bette gethan, und forschender hingesehen, trat er zurück, sank auf den Stuhl, und lag nun mit seinem Gesicht über dem Buche, wo vorhin des Mädchens Gesicht gelegen, und die Blätter waren noch naß. Aber er fühlte es nicht, sondern weinte frische, warme Thränen zu ihren kalten.
„Gönnt ihr die Ruhe!“ sprach das Mädchen, „Ihr war zu schrecklich zu Muth. Sie hat viel Gutes gethan, aber ich denke, ich denke, warum! Es war so kein rechtes Gutes, denn sie war in Eifer, ja öfter in Wuth dabei. Und wenn sie sich auch die Krankheit geholt, und zum Tode krank daran danieder gelegen, so ist sie doch nicht daran gestorben — spricht der Licentiat, sondern an einer gewissen Furcht, die aber gewiß wäre, an einer Furcht vor einer sogar guten Hoffnung; sagte er einmal dem Vater, der sich über das Wort vor die Stirn schlug, als gehörte sein Kopf einem Andern von Holze. Eure liebe Frau Christel hat es mit angesehen und mit angehört, noch in der letzten Nacht, wie Dorothea in weißen Nachtkleidern aufsprang, uns ansah, ohne uns zu sehen, und so recht herzlich Jemanden frug: „Sage mir nur: Wer an dem ganzen Unheile Schuld ist? Kann der Morgen herkommen mit seinen Seuchen und Teufeln, wenn der Abend nicht hingeht und ihn holt? Und saß der Abendstern auf dem Thron, wenn noch die alte Nacht darauf saß mit ihren Gespenstern! Ist also Jemand Schuld an der neuen Zeit, als die alte tyrannische, elende Zeit, als das alte Glück an dem neuen Unglück? Die Könige des vorigen Jahrhunderts an den Königen des jetzt laufenden! O, daß alles Unheil liefe, verliefe wie Wasser aus Thränen und Blut, und ich mit darauf hinschwämme zu der großen Pforte hinein, schön und hoch und golden und purpurn wie das Abendroth! Aber sage mir auch, ob sich noch heute Teufel in Menschengestalt verwandeln können, und ein Teufel in sieben Gestalten, eine teuflisch wie die Andere; in der einen — siebenarmigen — Hand sieben blitzende Säbel, und in der andern siebenarmigen Hand sieben Flaschen alten Rhein! — Und sage mir nur: giebt es auch sieben Tode? — — Und sieben Gewissen — und sieben Schlangen in Jedem! — Ah!“ — — So phantasirte die arme Dorothee. Dann sank sie vor Schreck um, schrie Hülfe, rang sich mit Jemand wild umher, ächzte, und lag dann lange wie todt — dann sprang sie wüthend auf, starrte umher, daß uns die Haare zu Berge stiegen, zerschlug den Spiegel, oder ihr Bild darin, daß die Stücken umher flogen, und zertrat das letzte, aus dem sie noch ihr eigenes Auge ansah. „Aber,“ frug sie dann höhnisch lachend: „wäre es für die Welt nicht besser: Ich wäre sieben Kaiserstöchter! Oder nur sieben Königstöchter! Aber mein Vater ist auch ein König, und ein ganz Anderer, und das ist besser für den Himmel; besonders wenn er seine arme Tochter in den Himmel nimmt, und die sieben Teufel in die Hölle stößt. Aber Gott auf Erden thut nur Alles mittelbar. Und ich muß auch so thun? Nicht wahr!“ — — Und dann lachte sie recht heimlich aber seelenfroh, und versicherte den, mit welchem sie sprach: . . . „Ich habe gethan! Das Gewölbe hat gethan; der Wein hat gethan; und — die Thür hat gethan! und das Letzte das Beste! Aber meinst Du nicht, mir wäre doch besser jetzt und in der abscheulichen Zukunft; selber im Himmel wäre mir und dem sündigen Herrn Paschalis besser, wenn Er . . . nein, wollte ich sagen, wenn die sieben Teufel alle andere Gebote nicht gehalten hätten, alle nicht: Das Erste, das Zweite, das Dritte, Vierte, Fünfte — — Siebente, Achte, das Neunte, das Zehnte nicht — aber nur Eines, das Eine, ein einziges Mal!“ Und dann weinte sie aus geschlossenen Augen, und zählte dann wieder die Teufel: Einer, Zwei, Drei, Vier, Fünf — — — dann erwachte sie aus ihren Gedanken, und fuhr, erschrocken vor uns, daß wir da gewesen, und fuhr in das Bett, wie ein Gespenst, zog die Tücher über sich, und wir hörten sie darunter dumpf mit den Zähnen klappen, und dazwischen noch aus ihrem Traume die behaltenen wieder auftauchenden Worte murmeln: „Es wäre doch gut für die Welt: ich wäre Sieben Königstöchter; denn die Sieben Kaiserstöchter hätten Sieben Väter, und die Sieben Väter hätten Sieben Herzen und Sieben Steuer solchen Unglücks“ — — — —
Das Mädchen deckte jetzt den weißen Schleier von Dorotheas Gesicht und Brust; und wie sie so schön und ruhig lag, und ganz unverstehlich und unausforschlich lächelte, sprach ihre Pflegerin zu Johannes: „Seht nur, ob Sieben Königstöchter schöner sein können! Seht nur getrost hin: Sie ist nun eine Königstochter! Und eines ganz andern Königs Tochter, der ein ganz anderes Herz hat.“
Sie schwieg; denn die Thüre ging auf, und ein französischer Soldat, in feiner Uniform mit dem Orden der Ehrenlegion geschmückt, trat herein; Johannes erkannte den jungen Herrn von Ellenroth, der als Soldat noch einmal so männlich, und in seinem Schmerz noch einmal so schön, ihn mild begrüßte. Er wollte leis aber gerade zu Dorothea hingehen, als wenn sie noch lebte; aber er blieb vor ihr stehen, wandte sein Gesicht zurück, und sagte: „Wie kann man das so bald vergessen, daß Du todt bist! Ach nur, weil ich es nicht glauben kann, daß Du todt sein sollst; weil Du in mir so fort lebendig mir da bist, wie je, und aus mir, und mit mir schaltest, wie Du willst, und wolltest!“ — Er nahm den Orden von der Brust, und sagte leis: „Doch . . . hier ist der Orden der Ehre, für die Sieben Kosaken, die ich Dir zum Opfer gebracht in diesen Tagen, die diesen Deinen Sterbetag mich erwarten ließen. Mit Erlaubniß der Obern wurden sie mein, und so viel ich erlegen kann oder will. Aber Sieben sind genug — und nun falle ich Andern zum Opfer, ohne mich zu wehren. Der Achte aber liegt schon verwundet bei Johannes, und ist heilig; und da er ein Prophet unter seinem Volke ist, wie sie sagen, so ziehe der Unglücksvogel heim und prophezeie! Und noch aus seinem Grabe dringe seine Stimme, wenn er da hinunter gestiegen! — Das waren schwere Tage, mein Johannes!“ sprach er jetzt noch milder. „Wir sind Leidensgefährten! Denn Eure Christel, von derselben Krankheit befallen, sehr krank, irr, und immer noch hülfreich auch in ihrem Wahn — ob sie gleich wirklich gehört, daß Wecker in Britzenheim als Spion sitzt, und morgen, ich weiß nicht wie: abgethan werden soll — Eure Christel ist entsprungen! Und Daniel und die anderen Kinder hinter der Mutter! Ihr nach, nach Ihr; kein Winkel ist im Hause undurchsucht — und in den Straßen hat man sie nicht gesehen; denn jetzt hat Jeder seine eigene Noth; aber im Thore, das nach Zahlbach führt, meinte eine Kastanienfrau, es wäre ihr wohl so, als wenn ein halbgekleidetes Weib hindurch geschlichen wäre, und bald nachher drei Kinder, wovon das kleinste nach warmen Kästen (Kastanien) verlangt. — Ihr müßt sie begegnet haben — sonst ist Paschalis umsonst ihr nach. Ich verließ ihn im Thore; und daher komm’ ich, noch naß von den Flocken.“
Johannes hörte ihn kaum aus, und eilte von hinnen. Ihm war Alles im Innern klar. Nun hatte er sein Weib gesehen! Das waren seine Kinder gewesen! Doch er verirrte sich noch erst in Paschalis Hause, in den Zimmern, kam in die Kinderstube und sah seiner Kinder weggehangene Kleidchen und die Spielsachen, und Christels Bett, und die kleinen Bettchen; drunten an der Hausthür aber erwartete ihn sitzend der Hund Peter, der ihm als seinem Brodherrn nachgelaufen war, und jetzt fröhlich an ihm emporsprang. Dann eilte er durch die Gasse voll Menschen und Kinder, die dem Zapfenstreich mit türkischer Musik nachliefen, durch das Thor ganz geblendet ins Freie, und auf der Straße in Sturm und Wetter dahin; und wie er sein Weib und die Kinder vorher wie Gespenster gesehen, so schwebten sie jetzt in der dunkeln Nacht ihm wieder vor seinen Augen, luftig, und unerreichlich, immer voraus; und an dem hohen Kreuze stolperte er und fiel mit dem Gesicht in den Schnee. Er besann sich, wo er war; und während ihn der Hund mit der Pfote scharrte und um ihn herum boll, betete er an diesem Zeichen der angefangenen Erlösung in der Angst um Rettung den Vers: „Nun danket Alle Gott!“ Und aus der verhallten Neujahrsnacht erklangen ihm wieder die Posaunen vom Dome dazu, und die Freudenschüsse fielen, und die Eule kam, und der Hund erinnerte ihn an den Hund, und sein Gebell an seinen Gang. Und er sprang auf, schlug nun den Thalweg nach Britzenheim ein, sah schon das Licht in der Mühle — aber da sah ihn auch der Posten der Vorhut, und donnerte ihm sein: „Zurück,“ entgegen.
Denn das Wort war ein Donnerkeil, und spaltete sein Herz. Seine Fragen waren umsonst, denn die Wache war eben erst abgelöst; seine Bitten waren umsonst, denn der von seiner Erzählung nicht ungerührte Soldat aus dem Elsaß, fragte ihn nur: „Ob er wolle, daß er erschossen werde? Denn seine Bitte begehre seinen Kopf. Und wenn er auch kein Spion sei — so könne er durch einige fünfzig Stockschläge einer werden, indem er in aller Unschuld nur Alles treulich sage, wie es in Mainz aussehe? und wo die Wache stehe? und so könne er vielleicht hundert Mann um ihr Leben bringen, durch hundert Schritte vorwärts. — Wenn Euer Weib hierzu gekommen ist, so hat sie sich vielleicht in dem Schneewetter, ungesehen, glücklich zwischen den Posten durchgeschlichen nach Britzenheim.“ —
Der redliche Johannes war traurig überzeugt, blieb aber doch noch lange Zeit neben dem Manne sitzen, bis er vor Gedanken fast einschlief, und das Kommen der neuen Wache ihn weckte, und er still nach Hause schlich, den Pathen im Bette weckte, und ihm sein Herz ausschüttete, und seine Thränen still in sein Kissen.
Vom frühesten Morgen des, auf die betrübte Nacht schön anbrechenden Sonntags durchstrich und durchmusterte Johannes bei Sonnenlicht mit noch brennenden Augen, nebst Petern als Hauptperson, und dem Pathen Leinweber und einem gutwilligen Nachbar die ganze engbeschlossene Gegend, so weit er es durfte. Zuerst stellte er sich auf den Ort, wo ihm Christel und die Kinder verschwunden waren; ging der Richtung nach, suchte Fußtapfen auf, ließ Petern auf die Fährte — aber die Tritte waren vom eingefallenen Schnee verweht und verschüttet, und der Hund sah ihm rathlos in die Augen. Johannes starrte betrübt in die stille, sonnenblitzende Ferne, die ein schweres Geheimniß für ihn bedeckte, indeß es doch gewiß an seinem Orte ein offenbares war, und er weinte die lächelnde Sonne an. Darauf ging er — als Gottesdienst — den Vater besuchen, den er gestern vergessen hatte, wie Jemanden, den er im Sichern wußte. Der Leinweber Krieg aber ging in den Krug, um vor Mißmuth und Trauer den Baß zum Tanze zu streichen; im Grunde aber, um von irgend Jemand aus der Menge ein Wort zu hören, da das Volk Alles erfährt, Alles weiß; weil Alles sich meist auf unentdeckte und oft auf unbegreifliche Weise viel schneller hinaus und umher verbreitet, als schnaufende Pferde mit Schnellreitern und ledernen Täschchen die Kunde berichten. Er traf aber hier nur Soldaten; denn selber die Tanzjungfern waren Soldaten, die sich zierlich verkleidet hatten, damit doch wenigstens Weiberkleider zu sehen und zu fassen wären. Steffen hatte den Kummer im Hause gemerkt, fragte ihn jetzt weit leichter dem Bassisten ab, erschrack, bedachte, gebot ihm Schweigen, und versprach ihm Hülfe.
Und nicht ganz vergebens. Denn schon am Morgen hatte er einen „Blauspecht“ gefangen, wie er sich ausdrückte, der in Britzenheim gestanden, und nun die gewöhnliche Soldatenbeichte ablegen mußte. Und so ließ sich der heimgekehrte Johannes nun selber erzählen, daß ein Weib in das Dorf gekommen, und drei Kinder; und der Wirth hätte sie wohl gekannt und wohl aufgenommen in diesen schweren Tagen, „wo die Menschen wunderlich durcheinander geworfen würden, damit das Volk desto mehr Gelegenheit hätte, sein Herz zu beweisen;“ wie ein alter närrischer Kerl gesagt, den man als Spion eingebracht mit einer großen Ruthe. Das Weib aber sei schwer krank, die Kinder aber gar wohl, bis auf den Gram um die Mutter.
Der Gefangene ward in die Stadt geführt, und Johannes begleitete ihn ein Stück, um Alles noch einmal zuhören, oder nur noch einen kleinen neuen Umstand. Aber die wiederholten Worte brannten in Johannes Herz nur schmerzlich und tief das Verlangen ein: um jeden Preis zu seiner Christel hindurch zu dringen, und zu seinen Kindern — da sie nicht zu ihm nach Hause konnten. Er wäre gern auf den Thurm gestiegen, um nur nach Britzenheim zu sehen; aber des alten Vaters Frommholz wegen war er sogar nicht mehr in die Kirche gekommen, weil da der Altar stand, woran sein Erlöser vom Kriege gekniet und gebetet hatte; und er sah keinen Pfarrer darauf, nur immer den alten Zimmerman; und er war ihm theurer, und erschien ihm eben so liebend und fürsorgend, als der alte gute weißbärtige Zimmermann Joseph, der auf dem Altarblatte den Esel mit seiner anbefohlenen Maria mit ihrem Kinde, am Strick nach Egypten zog, aber seit mehr als hundert Jahren noch keinen Schritt weiter gekommen war; und der Esel hatte noch immer die Distel am Wege nicht erschnappt; und die Distel war nicht verblüht, und der alte Joseph zerrte unermüdlich noch immer an dem morgenländischen vierbeinigen Wagen mit dünnhaarigem Schwanze; und sein Gesicht sah nur staubig aus, aber nicht von egyptischem Sande, sondern vom Kirchenstaube. So unverändert kniete in seiner blauen Jacke, die Axt zur Seite, ihm auch der eigene wahre alte fromme Vater Frommholz; und so war der arme Johannes denn auch um den Trost von Gottes Worte aus des Magisters Lademann Munde. Außer der Vermuthung: daß sich die Seinen wahrscheinlich bei dem Richter befänden, der in Krieges- und Friedenszeiten Vieles umsonst zu tragen und Alles im Dorfe zu verantworten hat; daß sie, als im Nachbardorfe, dort bekannt oder doch nicht fremd, und jedenfalls bei Menschen, und unter dem alten treuen Himmel wären, von welchem klarer als die Sonne, aber noch stiller und ganz verborgen ein Auge herabblicken und aller Menschen Geschick bewachen soll — außer dieser Vermuthung tröstete ihn nur sein Entschluß, zu ihr durch die Vorpostenkette zu dringen, und hielt ihn hin, wie die Menschen sind, von Tage zu Tage, von Nacht zu Nacht mit dem Bewußtsein, er könne ihn ausführen, in welcher Nacht er wolle — und auch in der Nacht schlummre und schlafe das Auge nicht, und sei nicht untergegangen, wie die eigentlich doch treulose Sonne; und das Eine Auge sei dann tausend Augen, und schieße zu Zeiten goldene Blicke, wie Gestrahl eines fallenden Sternes.
Johannes theilte sein Vorhaben dem Pathen Gevatter mit, —
„Ich gehe zwar mit, wenn Ihr geht,“ sprach dieser; „denn ich habe den sogenannten Propheten im Stiche gelassen, und das treibt mich aus Reue mit Euch. Aber ich rathe uns Beiden: nicht zu gehen! Die sogenannten Feinde können näher heranrücken, Zahlbach nehmen, und sich vor die Schanze legen — dann kann Christel herein — oder noch her begraben werden, wenn sie gestorben ist; oder wir, das heißt, unsere sogenannten Freunde, können einen Ausfall machen, und Britzenheim nehmen, wie man so einen Jammer kurz umschreibt, da er kein sogenannter Diebstahl noch Raubmord ist; und dann könnt Ihr zu Christel und den Kindern hinaus. Ich rathe Euch zu Geduld! Denn mit Geduld kommt der Mensch sehr weit, unglaublich weit, und ist aller Verhältnisse gelassener Herr, besonders weil die Welt keine Geduld hat, am wenigsten aber mein hungriger Namensvetter, der Krieg, die große Lappenpuppe, die aus lauter Magen und Geldbeuteln besteht! Und nichts ist für den Menschen erschrecklicher, als wenn Gott morgen einen sichern glücklichen Weg für uns macht, und wir, wir machen einen unsichern unglücklichen — heute. Etwa heute die Nacht! Selber einen alten Handwerksburschen, einen sogenannten Steuerbruder, der gewiß niemals mehr zu einem dreibeinigen Sitze kam, oder gar zu seinem eigenen sogenannten Werstbänkel, den lumpigen lebensmatten Gesellen hörte ich lustig einmal in die Morgenluft singen: „Es bleibt dabei: Wer warten kann, Der trifft sein Glück bei Zeiten an!“
Johannes aber schob, als Antwort, seinem Freunde nur den neuen Kalender auf 1814 hin, worin unter andern freigesagten Lehren der Freiheit, auch auf Jahrhunderte nachhaltende Sprüche über Menschenrechte standen, auf deren ersten Johannes ihm mit dem Finger wies, und dann die geballte Faust ganz ruhig auf dem Tische hielt, so lange Krieg las:
Drei Dinge stehen jedem Menschen zu,
Die Niemand niemals ihm verkümmern darf:
Die Gaben Gottes, daß er sei, und froh sei;
Die Hülfe seiner Lebensmitgenossen;
Das Dritte aber macht ihn erst zum Menschen,
Das Recht: den Gott zu ehren und die Seinen
In Noth und Tod zu lieben. Ohne Liebe
Fällt dieses große Haus der Welt zusammen,
Ein jedes kleine Haus, und jedes Herz.
D’rum ohne dies Recht, muß er lieber sterben,
Dies Recht zu üben, froh den Tod nicht scheuen.
„Wie gesagt,“ erwiederte der Pathe Leinweber hierauf: „Ich gehe mit — denn meine Baßgeige wird nicht zur Wittwe, und meine paar Geigen nicht zu Waisen! Die kann Jeder streichen, und den Webstuhl Jeder treten, außer Einem oder Tausenden, denen die Beine weggeschossen worden oder werden. Aber Eure Frau ist keine Baßgeige, und die Kinder keine Armgeigen oder sogenannte Bratschen — die schon jämmerlich genug klingen. Doch, ich will Euch nicht wehren . . . . .“
„. . . Niemand! Niemals!“ schloß Johannes; „denn da steht auch: „Die Gottes Wege gehn, schützt Gott mit seiner Macht.“ —
Und doch ließ der bedenkliche Vater noch Tag nach Tag, noch Woche nach Woche verstreichen. Denn die Vergleichung seiner Christel mit einer, und gar noch verwittweten Baßgeige, gefiel ihm auf keine Weise. Noch die Waisen —
In dieser Zeit wurde seine Spannung und Angst immer größer, und St. Etienne’s Freundschaft zu ihm deswegen immer vertrauter. Auch Johannes wollte ihm wohl, recht wohl. Darum dauerte ihn der arme Schelm, als er ihm eines Abends sein Soldaten- und Beutegeld aus allen Nähten ausgetrennt und in einen kleinen Beutel versammelt, brachte, ihm aushändigte, ungezählt, denn ein lachender oder . . . vielleicht auch weinender Erbe nehme Alles ungezählt, und zähle dann schon selber nach, oder sich und den Seinen vor: wie viel es sei, was sich der gute Narr abgedarbt und aufgespart, und tränke allen Geizhälsen ein Vivat. „Doch ernstlich,“ sprach St. Etienne: „Die Posten werden jetzt weggeputzt wie Krauthäupter; und da zwanzig Lieutenants auf einen Gemeinen aus Rußland und Deutschland wiedergekehrt sind, so haben wir Sergeanten sogar die Ehre tagtäglich Wache zu thun; „wie ein Kronprinz einmal im Leben, bei vollem Magen den vollen Ranzen trägt, um zu wissen, wie schwer es den Soldaten Allen zeitlebens, besonders auf Hundertmeilenmärschen bei leeren Ranzen wird.“ Wir haben die Ehre! Sag’ ich, und wahrlich, das ist die größte Ehre — vor Schusse zu stehen! Als gemeiner Soldat bin Ich im Grunde der König des Krieges, der Gott des Schlachtwogenmeeres, des Dampfes und Donners! Der Oberwelt und der Unterwelt! Im Pulverdampfe athme ich Lebenslust! Wenn die Schlacht brüllt, wenn die Batterien rasen, da genieße ich meines Lebens, da bin ich mir aller meiner Kraft bewußt, und bin bis an die schlagenden Halsadern, voll von dem, im Schwanken und Schweben erst sicheren Gefühl: Ich bin da! Ich bin in der Welt! Was kümmert mich, wer siegt? Mein Sieg, mein Triumph ist mit dem ersten Schritte entschieden; Ich siege gewiß über Furcht und Elend des Lebens! Mein Muth ist unzweifelhaft — Ich bin unbesiegbar im Kampfe mit einer halben Million Feinde; denn ich stelle ihnen Allen: den Einen, einzigen — meinen Mann gegenüber, mein Alles, meine Habe, mein Gut, meine Erde und meinen Himmel. Ich bin ein Kern der Saat, die da wächst gegen die Rasereien der Menschen! Ich bin ein Vermittler und Friedensstifter! Der Kaiser kann geschlagen werden — Ich? — Nie! Er sitzt auf seinem Teppich und brockt Todesbrocken ein — Ich esse sie aus! Ich bin ein Soldat — Er ist ein bloßer Kaiser und König — von Gottes Gnaden! Und Gottes Gnade wendet sich überall stets von den Alleinklugen, den Blinden, den Tauben und Taubblinden. — Da nimm den Bettel!“
Und als Johannes das Gold nicht nehmen, selbst nicht ungezählt in Verwahrung behalten wollte, sagte er ihm: „Siehe mich, so lange ich noch sichtbar bin! Und siehe mich recht an! Wir haben uns wenigstens zweimal hunderttausend Jahre nicht gesehen, und können uns dreimal hunderttausend Jahre nicht wiedersehen, und das Wiederkennen ist schwer zwischen Masken und Masken . . . auf einem weltbreiten und weltlangen Corso! oder himmlischen Großthustraße! Jetzt aber wirst Du mich zu erkennen glauben, Johannes (denn so dumm und gläubig ist der Mensch); wenn ich Dir sage, Deine Christel ist meine Schwester! Und ich bin also ihr Bruder! So nennen die Menschen solch kleines Geschmeiß aus einem Mutterschooße! Und Du bist mein Schwager. Oder ist sie so gut, und ich so schlecht, so bin ich ein Soldat, ein unbegreifliches Ding und künftiges Unding; wenn die Todten nicht noch Dinge sind, oder nur Dünger, Bautzner Dünger, Leipziger Dünger und dergleichen, und Christel ist eine Mutter! Und eine Mutter ist das beste Thier unter den Cherubim und Seraphim! Meine auch! Geh’, bringe die Bibel! Die Bibel macht Freunde — Bluts- und Herzensfreunde und Seelenfreude! — Das war noch einmal ein Spaß, Steffen, daß Dir die Augen überlaufen! Nun mag man sagen: Schach dem — Kaiser! — der weidlich: „Schach den Königen,“ gesagt, und manchen matt gesetzt! Ja meinetwegen mögen selbst die schachmatten, durch die Völker — die Bauern — entsetzten Könige nun einmal zum Danke sagen: Schach den Völkern! und die Völker mögen sagen: Schach den Königen! oder mag ein Tölpel von Kometen gar das Schachbret umstoßen — der Spaß bleibt! Der Spaß war herrlich!“
Auf diese Freude, besonders auf dieses Zutrauen, das Johannes zu diesem Soldaten, der ihm ganz fremd und herb gewesen, und durch ihn nun zu allen Soldaten bekam, fehlte nichts: seinen Entschluß fröhlich sogleich auszuführen, als daß noch ein Handwerksbursche, ein Waffenschmied, im Dorfe und auch bei ihm fechten — Brod erfechten — umherging, der glücklich durch die Vorposten durchgeschlichen, nur ein weißes Hemd über seine Kleider angezogen, um in dem Schnee einem Schneemann ähnlich zu sehen, oder weiß auf weiß gar nicht gesehen zu werden, und der über den Gang nur Scherz trieb, den er aus der — für Johannes zu leicht wiegenden — Ursache unternommen, um in seinem Vaterlande, dem Elsaß, Waffen gegen die Deutschen, auch Russen zu schmieden. „Hundert!“ sagte er; „und mit jeder Spitze kann man hundertmal stechen, wie eine Wespe und nicht daran sterben. Denn der Waffenschmied selbst bleibt gesund und frisch dabei, und freut sich am Feuer, und schlägt nur mit Bosheit aufs Eisen. Wir Waffenschmiede sind unsichtbare Geister, und sollten alle wenigstens Geheime Kriegsräthe heißen! Ohne Geld keine Schweiz. Ohne Waffen, kein Polen! kein Frankreich! Häuser ins Wasser baut man auf Rost — von Holze; aber alle Reiche ruhen auf frischem oder doch auf altem verrosteten Eisen, Darum ist Vulcanus unser Patron, weil er hinkt, und weil er hinkt, hinken die armen Reiche auch alle, und haben auch keine Kinder, wie der Gott der Maulesel, und müssen sie darum rauben, wie Amazonen, aus väterlicher Kinderliebe!“ — So sprach er. Und für ein warmes Frühstück sang er viel lustige Lieder, und zeigte ihnen Schmachbilder auf Malaparte; denn wer sein Theil erwähle und behaupte, der habe nunmehr das schlechte Theil erwählt. Aber Gott schützt Frankreich.
Die Marterwoche, der Charfreitag zog nun Johannes unwiderstehlich zu Christel. Vor zwei Jahren hatten sie an dem Tage den Tremulanten gehört, und das ängstliche, ja abscheuliche blinde gotteslästerliche alte unsinnige Lied:
„O große Noth:
Gott selbst ist todt.“
und sie hatte darauf vom Tode Gottes geträumt, um zu merken: er lebe; sie hatte die Wassersuppe aus Bettelbrod vom Daniel mit Danke gegessen; und das Andenken an das arme gute Weib durchzuckte ihn, während er zwei weiße Ueberhemden und zwei weiße Nachmützen für sich und den Pathen aus der einsam stehenden Lade nahm; und der auf den Deckel gemalte Vogel sah ihn mit seinem großen Auge recht wunderlich an, und die gemalten Blumen selbst thaten ihm leid um Christel, geschweige sein Weib selbst, seiner Kinder Mutter, und selber die Kinder!
Als nun Stephan zur Nacht auf Wachposten gezogen, stellte er ihm noch zu Morgen den Schinken bereit auf den Tisch, und schrieb mit Kreide dazu: „Morgen komme ich wieder —“ fütterte Petern; vergaß aber ihn einzusperren; überließ dem schwachen russischen Unglückspropheten und Mitverbrecher an Dorotheen, dem in seiner armseligen Seele sich ohne alles Unrecht fühlenden, übrigens pudelguten Kosaken Sebastianow das Haus, wollte die morgende Nacht wieder zurück sein, nur einen Tag mit den Seinen verleben, wissen, wie es ihnen gehe, sie pflegen, ihnen rathen, helfen!
Und in der Nacht, noch ehe der Vollmond aufzugehen drohte, stand Johannes bereit zu dem kalten Gange, in das weiße Hemd gekleidet; und der Pathe Leinweber im weißen Hemde; und Einer setzte dem Andern vergnügt die weiße Nachtmütze auf; und in der dunkeln Stube, worein nur das Schneelicht durch die Fenster fiel, kamen sie sich vor wie Gespenster und gaben sich seufzend die Hände, und die Pelzhandschuhe gaben einen dumpfen Laut. Und als der Leinweber noch also von seinem Freunde Abschied genommen — weil er selbst gern der Noth entkommen, nicht das Letzte mit aufzehren zu helfen und nach so lange auch wieder nach Hause wollte — traten sie Beide die Viertelstunde Weges an, der wie eine Kettenbrücke, über eine gefährliche Kluft führte, die sie bisher unerträglich getrennt hatte. Aber sie wären lieber durch die Luft geschritten, als auf der Erde einen knisternden Schritt nach dem andern dahin.
Sie traten heraus; und linksher erklang ihnen ein glückliches Zeichen in himmlischer Luft. Denn der alte Psalm des alten Heerführers Moses erfüllte, wie heiliger Erdduft aus umgeackerter Erde die Räume der heitern glänzenden Nacht voll derselben alten Gestirne, und die alten Worte flossen zum Herzen, wie Blut der Welt. Und sie standen betroffen und hörten. „Ehe denn die Berge worden, und die Erde, und die Welt geschaffen worden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der du die Menschen lässest sterben, und sprichst: Kommet wieder Menschenkinder!“ —
„Die Menschenkinder sind die Franken auf der Schanze!“ sprach der Leineweber leise, während sie weiter gingen. „Die Psalmen haben sie aus ihrer Kinderzeit noch behalten, sonst nichts. Und wie der Herbst den Hirten ein Lied abzwingt, so preßt ihnen die stille Gewalt der Winternacht auch wieder ein Lied aus, Lebensmost! und wir trinken ihn mit den — Ohren! Ich möchte auch aus mir was herauspressen! Aber alles, was seine Zeit hat, hat auch seine sogenannte Unzeit!“
Johannes schwieg.
Sie kamen nun vor dem Dorfe ins Freie. Unten Alles ein unübersehliches weißes Gefild. Es war, als wenn die weiße silberfunkelnde innere Domdecke vom Himmel ab, auf die Erde gefallen, und nur von dem breiten Gurt des Gewölbes nicht; denn die Milchstraße war breit und weiß, wie stiller wolkiger Flor da droben hangen geblieben; aber sie schimmerte nicht silbern, sondern funkelte golden; und daneben — da überall, wo die Decke herabgestürzt und wo nun ein unergründlicher Bau durchsichtig sich aufgethan hatte, da funkelten klare Gestirne golden, wie große Ampeln in fernen, fernen Gemächern und Sälen, nur klein, und ruhig. Und während Johannes, der voran ging, den Himmel vor Angesicht hatte, fiel ein Stern aus dem dunkeln Blau, entzündete sich wie ein feuriger Komet, und schoß mit langem Schweife, Strahlen und Funken versendend, vorüber.
Sie blieben einen Augenblick stehn — und Peter der Hund war bei ihnen.
Denn in Daniel war die Sehnsucht der Mutter zur Reife gekommen, wie Saft und Kraft und Wärme der Erde hinaufgesogen wird in ein junges Fruchtbäumchen; und statt ihrer und seiner Geschwister war er glücklich in seines Vaters Haus gelangt, ein Bündel mit frischbackenem Kuchen, wohlgeschichtet und vorsichtig getragen, im reinen Tuch, und tausend Grüße auf seiner Zunge. So saß er daheim auf der Ofenbank, und harrte des Vaters, nachdem er in der dunklen Schlafstube leise auf sein Bette gefühlt und davor gefragt: „Lieber Vater! schlaft Ihr schon? Die Mutter ist wieder gesund!“ Und beim zweiten Bett hatte er gesagt: „Lieber Vater! Ich bin da! Seid aber ja nicht böse; Ihr konntet mir’s nicht erlauben, und die Mutter weiß es nicht. Nur Wecker. Aber ich bringe Euch Kuchen, den sie gebacken hat; denn sie hilft dort im Hause und macht die Wirthin.“ So hatte er gestanden, bis er gefühlt, daß das zweite Bett auch unberührt war, und in allen Winkeln Niemand; und so saß er denn still im Dunkeln am Ofen, und neben ihm schnarchte der ihm verhaßte, weißbärtige Sebastianow, während der Vater und Krieg in der Nacht hinschritten.
Der Hund aber schlug jetzt einmal zu bellen an, da das Feldgeschrei der nahen Vorposten umher scholl; denn er hörte seines Herrn, St. Etienne’s Stimme heraus, der nicht mehr entfernt, auf dem letzten Posten stand, wo Johannes mit seinem Gefährten vorüber mußte, Johannes rief Petern; und sie knüpften zwei Tücher zusammen, das eine Ende derselben fest an den Ring seines Halsbandes, das andere fest an einen Zaunpfahl im Felde, und bedrohten ihn stumm und streichelten ihn, damit er schwiege und bliebe. Ihre Angst erwachte. Denn der tiefe Hohlweg, der sie bis zu der Zahlbacher Mühle gedeckt hatte, gab sie nun auf und frei; und nachdem sie die Mühle umschlichen, deren Geklapper ihr Ohr erfüllt, standen sie eine Weile mit Herzklopfen nach der zweiten, der Britzenheimer Mühle spähend und horchend, nach welcher sie nun links über das offene Feld sich schleichen mußten. Und hier in der Stille hörten sie wieder, aber schwächer den von vielen deutsch-französischen Männerstimmen gesungenen Psalm: „Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. Denn er ist mein Hort, meine Hülfe, mein Schutz, daß mich kein Fall stürzen wird, so groß er ist. Wie lange stellet ihr Alle Einem nach, daß ihr ihn erwürget, als eine hangende Wand und zerrissene Mauer? Sie denken nur wie sie ihn dämpfen, befleißigen sich der Lügen, geben gute Worte, aber im Herzen fluchen sie. Sela.“ — Die Luft strich ein Weilchen, und bog den, schwach ihnen nachfließenden Gesangstrom seitwärts, und wandte ihnen erst wieder die Worte zu: „Meine Zuversicht ist auf Gott. Hoffet auf ihn allezeit, lieben Leute, schüttet euer Herz vor ihm aus. Gott ist unsere Zuversicht. Sela. Aber Menschen sind doch ja nichts, große Leute fehlen auch; sie wägen weniger denn nichts, so viel ihrer ist.“ —
„Wenn der knisternde Schnee jetzt fünf Minuten lang nur Flaumenfedern wäre! oder heute schon: künftiges Wasser, daß er nicht knarrte!“ flüsterte der Leinweber dem Pathen zum Ohr. „Jetzt, Johannes, denkt, ihr seid wieder ein Knabe; und daß Euch der Vater nicht sieht, sollt ihr unter den niedrigen Fenstern wegkriechen, zu den andern Kindern, zum Spiele. Also gebückt! Und glaubt mir in aller Stille, daß mir der Buckel dabei weit weher thut, als Euch — denn ich bin kein Schneider! Wir Leineweber sitzen kerzengrade; und wir Baßstreicher stehen wie Lichter — aber ein Wurm krümmt sich — denn dort dämmert der letzte Posten, bei dem wir, Schneckenpost, vorüber müssen. Nun, Glück zur höflichen Reise!“
Und während sie jetzt so wunderlich wie zwei weiße Eisbären — vom losgekommenen Hunde gefolgt, schweigend und mit verhaltenem Stöhnen, dem Posten sich nahten, und ihn umschleichen wollten, auf welchem grade in dieser Nacht St. Etienne stand, wurden sie die Nähe von dem ersehnten Britzenheim und der Feinde, in der stillen Nacht deutlich aus dem fröhlich gesungenen Liede (von Theodor Körner) inne: „Die Hölle braust auf in neuer Gluth, umsonst ist geflossen viel edles Blut, noch triumphiren die Bösen. Doch nicht an der Rache des Himmels verzagt, es hat nicht vergebens blutig getagt, roth muß ja der Morgen sich lösen.“
Jetzt trat plötzlich ein blutrother Mond aus dem Himmel; aber er blieb nicht stehen, sondern er flog über dem Himmel, wie ein purpurner Ball von einem Riesen geworfen, erhellte die Gegend — und fiel entfernt, wie es schien, in die schwarzgrünen Fichten der Berge. Und um nicht aufzustehen, setzten sich vor Verwunderung die Freunde einen Augenblick, und sahen sich nahe in die Gesichter, um sich einander schweigend zu fragen: welch Zeichen das sei? Und wieder floß deutscher Gesang jetzt näher und stärker daher: „Und noch regt sich mit Adlerschwung der vaterländische Geist! Und noch lebt die Begeisterung, die alle Ketten reißt! Und wie wir hier zusammenstehn, in Lieb’ und Luft getaucht, so wollen wir uns wiedersehn, wenn’s von den Bergen raucht. Drum frisch, Gesellen, Kraft und Muth! Der Tag der Rache kömmt! Bis wir sie mit dem eignen Blut, vom Boden weggeschwemmt. Und Du, im freien Morgenroth, zu dem dies Hochlied stieg, du führ’ uns, Gott wär’s auch zum Tod! Führ’ uns das Volk zum Sieg!“ —
Jetzt sahe Johannes den letzten französischen Posten, und auch der spürende Hund sah ihn und boll. Der Pathe hielt ihm die Schnauze zu. — —
„Wer da?“*) rief St. Etienne.
*) Qui vit?
Krieg drehte sich hinter Johannes um, und nahm eine andere Richtung in seinem Krebsgang; aber seine jetzt grade ungewogneren Tritte knisterten lauter im Schnee. Johannes blieb todtenstill, hatte die Augen fest geschlossen und war sich selbst wie verschwunden. Peter winselte freundlich und wedelte mit dem Schwanze.
„Wer da?“ scholl es lauter.
Und Johannes warf sich auf die Erde und kroch auf Händen und Füßen weiter, während von einer andern Seite die Worte ihn mit Schneegeflirr vermischt überrieselten: „Nicht leichten Kampfes siegt der Glaube, solch Gut will schwer errungen sein. Freiwillig tränkt uns keine Traube, die Kelter nur erpreßt den Wein; und will ein Engel himmelwärts, erst bricht im Tod ein Menschenherz.“
„Wer da?“ rief St. Etienne jetzt zum dritten Male in gespannter Entrüstung,
Der Hund lief hin. Johannes wollte behend wie ein Pfeil entrinnen; er wollte hinzu, und mit dem Manne mit männlicher Gewalt kämpfen — und zuletzt glaubte er, zwischen den schnellen Entschlüssen schwebend, er glaubte Stephans Stimme erkannt zu haben . . . und vor Freude und Hoffnung versagte ihm die Sprache. — Da sank er schon; und den Schuß selber hörte er nicht in den Schluchten verhallen.
Die Wache tritt ins Gewehr. Der gnädige Gottlieb hört von St. Etienne, daß er Etwas erschossen, was sich durch die Posten schleichen wollen. Der Hund springt an ihm herauf. Herr von Ellenroth eilt mit der Laterne zum Ort. Der gnädige Gottlieb folgt mit den Andern, und St. Etienne findet die sonderbare Gestalt, wendet sie um, leuchtet ihr in das Gesicht, und erkennt seinen Wirth, seinen Freund, der noch athmet, der ihm kein Wort mehr sagen kann, nur schwach die Hand noch reichen. Und als St. Etienne seine noch übrigen paar Thränen, kurz aber heiß über den armen Freund geweint, sprach er: „Hättest du nur deinen Namen genannt! Oder ein Anderer nur deinen — ich hätte nicht geschossen; und ich begreife beinah: wie ein Mensch Jemandem mehr sein kann, als ein Kaiser und König. Aber waren nicht Alle die vielen Andern auch Menschen . . . die ich . . . . — Ach! . . . . Meiner Schwester wollte ich Freude machen; und ach, ich habe nicht ihm in die Brust geschossen, sondern mit ihm — Ihr grade ins Herz! Sie selber läge hier besser! Und ich am besten!“
Der sausende Mond aber war ein Zeichen zum Ueberfall gewesen; — ein im Dunkeln durchblitztes, durchklirrtes, durchschrieenes Getöse wie von Geistern — und in einer Viertelstunde war kein Feind mehr in Britzenheim und weiter hinaus. Die Wege waren frei, und Christel war frei, die ruhig schlief, während der wahre Mond wie eine goldene Scheibe im Feuer glühend, doch kühl über den Horizont heraufstieg, und mit göttlicher Ruhe das heiligruhende, purpurschimmernde Schneegefild beschien — und Johannes entlaubte Bäume, und Johannes auf immer verlassenes Haus. So still! So göttlich!
Inhaltvolle besorgte Eil schien nun Stephan zu drängen. Nach der getümmelverworrenen Nacht erst suchte er seinen todten Freund wieder auf, und ließ ihn nach Zahlbach tragen in sein Stübchen; nicht nach Britzenheim, wohin doch der Lebende — vor sein Leben gern begehrt. Dem Todten aber meinte er keinen Willen mehr zu brechen, noch einen zu erfüllen; und statt Freude bei Christel zu bringen, hätte er ihr nur plötzlichen Schreck gebracht. Als aber die Sonne aufgegangen, machte er sich dafür selbst auf den Weg zu seiner Schwester, die schon unglücklich genug, noch auf vielfache Weise unglücklicher hätte werden können, und jetzt noch, ja erst werden konnte, je nachdem in ihrer Seele die Ereignisse sich nun reiheten, und in welcher Folge sie über ihre Brust fielen, wie Tiger. Und so ging sein größter Kummer, wie ein unsichtbares Gespenst, unempfunden an ihm vorüber, weil er nicht wußte, daß der Leinweber treulich mit Johannes gegangen und treulos entflohen war. Diese Kenntniß würde ihn rathlos gemacht haben auf seinem Gange zu Christel; denn der hohlsausende Thauwind, der plötzlich grau gewordene verwesende Schnee auf den Feldern; der herabrieselnde Regen; ja selbst die neugrün hervortauchenden Raine und Kämme der Saatfelderbeeten, die wie aus einer seligen, seligen Zukunft erschienen waren, die er nicht fröhlich mehr sehen sollte; selbst ein, wie aus dem Winter geretteter Vogel, der, einige Töne zwitschernd, die Kehle probirte zum Frühlingsfeste, keine Ruh auf den Zweigen hatte, zwischen hangendem Schnee und braunen Frühlingsknospen, und eifrig von Baum zu Baum flog, weil ihm keiner gefiel, und doch die rechten grünbelaubten, mit Blüthen ihn verbergenden, säuselnden „Häuser auf einem Stamme“ noch nicht da waren; und vollends erst das Geräusch der sich sammelnden Wasser . . . und das ferne süße heilige Rauschen auf Berg und Wald — das Alles stimmte ihn weich, wie er als Knabe gewesen voll Hoffnung; aber jetzt weicher, denn alle seine Hoffnung war hin, und aller Schmerz war da, und das Vorgefühl des größten und des letzten. Doch auch die letzte Freude war nah; und sie austräumend, und ausspinnend, ging er mit gesenktem Haupte, aber lächelnd, und sahe seine Christel gleichsam unter der Schneedecke des Weges immer mit ihm schweben: wie sie jetzt roth ward; jetzt blaß; jetzt weinte; und ihm war, als schiffe er, übergebeugt im leisen Kahne, oder als ginge er auf dem blühenden Ufer eines tiefen, klaren Wassers, und Christels klare Gestalt unter ihm war sein eigenes Bild in dem Wasser!
Plötzlich stand ein Mann vor ihm, der ihm erstaunt ins Gesicht sah.
„Wecker! Todtenwecker!“ rief St. Etienne, und reichte ihm die Hand.
„Ein Ungehangener darf sie schon nehmen und geben!“ sprach Wecker, der viel von seiner saubern Tracht verloren, und den kleinen Gotthelf auf dem Rücken — reiten hatte. „Gut, daß Ihr Britzenheim gefangen habt! denn leider Niemand, das heißt kein Mann, kam aus Zahlbach, der mich kannte und anerkannte! Lieber will ich, ehrlich erschossen, auf einem bockenden Pferde in aller Welt herumgaloppiren, als auf den Tod sitzen, den Strick in der Hand, und aqua toffana schwitzend vor Bosheit! Ich habe es gestern durch den Daniel dem Johannes sagen lassen, denn meine — wollte ich sagen: Christels Angst war groß!“
„Wo ist mein Daniel! Ist er bei Euch?“ rief jetzt Christel, ihr Kleinstes auf dem Arme, über den Weg; und ihr Mutterherz trieb sie getrost, sogar dem gemiedenen Sergeanten unter die Augen zu treten, herüber durch den Schneewasser-Bach auf dem Wege. Stephan ergriff ihre Hand, um sie auf den Fußweg zu ziehen und sprach: „Euer Johannes schickt Euch gewiß den Händedruck: und ihm ist wohl, so wie wir Menschen davon wissen! Seid nicht böse. Aber Daniel ist bei uns zu Hause?“ frug er bedenklich.
„Nicht! Nicht?“ tönte aus der Mutter Brust, wie aus einer zerrissenen Welt; und ihre großgeöffneten flehenden Augen gossen einen heiligen Strom von Wehmuth — in seine Augen voll Wehmuth.
„Wo wird er denn sonst sein!“ rief Wecker, barsch vor Angst.
„Christel,“ sprach Stephan gedrängt, „was soll ich es Dir verhehlen liebes, liebes, gutes Weib — ich komme Abschied von Dir zu nehmen — ich ziehe nach Hause zum Vater, denn ich bin schwer verwundet — — —“
Christel erröthete und erblaßte.
Stephan nahm ihr das Kind vom Arm, liebkosete es, und sagte: „Also lebe wohl! und reiche mir zum letzten Male Deine Hand!“
Sie gab sie. Er aber hielt sie fest, sahe ihr tief und nah in die schönen schwarzen Augen, und flüsterte ihr leise zu: „Weißt Du noch, als der Vater das Haus baute, und Du ein Lamm hattest als kleines Mädchen; und das Lamm Dich umstieß; und wie Du aus den Blumen aufstehen wolltest, und wie es Dich immer wieder hinstieß — wer erlösete Dich denn aus den Blumen? Christel! „Brodchristel,“ wie wir Geschwister Dich nannten!“
„Mein Bruder!“ rief Christel; „Steffen!“
„St. Etienne!“ sprach Stephan, mit dem Finger auf seine Brust deutend. Aber wie sie vorgebeugt, und mit offenen Lippen und irren Augen ihm in das Gesicht sah, sank er langsam um, und mit einem Schrei ergriff sie das Kind. So blieb sie wie aus einem Traume erwachend stehen, und aus ihren Zügen entstieg gleichsam, wie rauchender Hauch aus Wasser im Winter, die ausgestandene Angst, und Schreck legte sich wie Reif über ihr blaß gewordenes Antlitz; und wie sie so reglos stand, erhob sich Etienne wieder, küßte sie auf die schöne geneigte Stirn — schrie laut, wandte sich ab und schritt von hinnen. Denn er sah von weitem Daniel gelaufen kommen, der ja nun wußte . . . daß er, ihr Bruder, ihr den Mann erschossen . . . . und vielleicht auch mehr erzählte, als Christel jetzt erfahren sollte — bis er dahin geschieden.
„Bruder!“ rief sie ihm nach, „mein Bruder!“
„Zum Teufel! Gott sei bei uns . . .“ rief Wecker, „so bleibt doch!“
„Schwester! — Schwester, leb wohl,“ rief er zurück, und sprang in den Hohlweg, wie ein Seliger froh; denn seine Schwester hatte ihren Bruder wieder gesehen, rein den Reinen, ohne Schuld und Fehl; und nun sollte sie ihn nur auch noch rein und redlich — den Redlichen beweinen, wenn auch nicht den Reinen; dann mochte sie Alles erfahren; denn keine spätere Schuld kann frühere Unschuld rückwärts im Herzen ermorden; kein späterer Schmerz kann einmal genossenes Glück zu Unglück verwandeln — nur färben! „und wie oft habe ich nach durchwachten Nächten gesehen,“ sprach er: „wie die Morgendämmerung selbst schwarze Gegenstände herrlich blau färbt, selbst Todtenkreuze! Und vielleicht auch thut es die Abenddämmerung . . . in welcher das neue junge Weib von sieben und zwanzig Jahren nun leben wird, bis ihr das Alter oder der Tod die Zahl zwei und siebenzig dafür ganz leise auf das Kreuz ihres grünen Hügels schreibt!“
Und doch stand Stephan hinter einer hohlen Eiche, und harrte, und lauschte, und brannte zu hören, wie Daniel seiner Mutter erzählen würde, wie er sich allein bei dem Vater gefürchtet, den sie ihm in das Haus getragen in weißem langem Hemde.
Und siehe, da richtete sich Johannes in weißem, langem Hemde vor Stephan auf, der ihn aus der Eiche, wie aus der Erde hervorkommen sah. Und ob er es gleich nicht begriff — so durchzuckte ihn Freude, daß er gelähmt stehen blieb, und dann laut seiner Schwester rief. Doch sich besinnend erkannte er den Pathen Leinweber, der im ungewohnten Lauf und der blendenden Nacht sich an einem Pfahl gestoßen hatte und liegen geblieben war, durchnäßt, von Furcht, vom Krampfe, und endlich vom Schlafe gefesselt.
Krieg frug ihn, belebt, nach Johannes.
„Ich weiß nichts von ihm;“ antwortete Stephan, froh, daß jener nichts wußte, und deutete ihm auf Daniel, und Wecker und Christel, die dem Knaben entgegen eilten.
Krieg schlich auf sie zu. Und auch Stephan faßte den äußersten Muth: stehen zu bleiben. Und selbst in der geringen Entfernung war er jetzt am hellen lichten Tage wie unsichtbar, weil Christel ihn jetzt nicht vermißte, an ihn nicht dachte, vor Freuden über Daniel. Aber . . . er hörte die Stimme des Knaben, die der Wind zerriß; und das Weinen; und ihren Ausruf über die Gestalt des Leinwebers . . . und die Wörter . . . „Baßgeige,“ und „Armgeigen,“ und Weckers lautes Wort: „so muß er begraben werden — am Auferstehungstage! Auf den Fall giebt es noch kein Lied! . . . Schade, daß der alte Vater Frommholz nicht mitkommen kann! Wir zwei begraben rechtschaffen! Das kleine Ding, Clementinchen, rückt zu; das ist ein gutes Kind! Und mein großer Friedrich ein großer Schlingel!“ — Und er sahe darauf, wie sie Krieg an die nahe Stelle führte, wo Johannes Blut den Schnee befleckt hatte — und sah seine Christel verschwinden . . .
Und er zog seinen Weg.
Endlich fuhr Christel empor und eilte mit Daniel, Hand in Hand, nach Hause.
„Sie werden bloß zum bloßen Hause kommen, nicht mehr nach Hause! Wittwen und Waisen haben keine rechte sogenannte Heimath mehr, und müssen erst wieder von Grund aus, d. h. vom Tode des Vaters aus, ein neues Leben anfangen;“ sprach Krieg zu Weckern, indem sie beide langsam nachfolgten, jeder Eins der Kinder auf dem Arm, die Wunderliches frugen, und von den beiden Alten gar wunderliche Antworten erhielten. Sie kehrten vor Hunger in der ersten — wohlriechenden Mühle ein, ja selbst in der zweiten, obgleich bei diesen erst der Backofen wohlroch, und — wärmten die Kinder aus. Aber es war zu viel zu malen, um Kuchen zu schneiden. „Verdammter Krieg!“ sprach Krieg. Zuletzt verweilte Wecker den alten Freund noch auf dem Kirchhofe, „wegen eines drei Ellen tiefen und doch unergründlichen Loches,“ in welches er als Kind stundenlang hinabgesehen, um die Grube auszugrübeln und auszustudiren. — Und so überzögerten sie „die erste wahrhaft traurige Zeit eines Weibes, aber nicht die letzte — und die Frist: daß eine wie vom Himmel gefallene Wittwe sich nothdürftig ausweint, und den Thränenquell zum Fließen bringt! Und ein Mann ist nicht Freund von Klagen ohne Hülfe, und schenkt nicht gern den noch ungegohrenen trüben Most des Trostes ein, wobei Zwei alte Menschen Ein Narr sind oder Ein Stummer“ — wie Wecker sagte.
So fanden sie Christel mit ausgeweinten Augen, aber schon sehr sauber in weißem — Trauerkleide, da sie kein schwarzes hatte. Aber das schwarze Tuch um den Busen und Kopf erregte ihr bei den Kindern und selbst bei den Alten: die uralte Scheu und Ehrfurcht vor der uralten Nacht und dem Tode, die an Lebendigen, Liebenden und Geliebten so sichtbar schwarz und traurig abgespiegelt, ganz wundersam, ja heilig erschienen. Die Kleinen aber packten das Tuch mit dem Kuchen auf, langten Beide jeder Zwei Stück, je Eines in jedes Händchen, und setzten sich schon hin in den Winkel, um ruhig umzeche von beiden zu essen; als Daniel es ihnen verwies und sagte: „Wie könnte ich nur den Kuchen essen, der für den Vater bestimmt ist! Ich wüßte da nicht, ob Er ihn äße, oder Wer!“ Und die Kleinen legten ihn hin. — „Ja,“ sagte Wecker, „folgt nun Eurem Daniel! Er ist nun Euer kleiner Vater.“ Und so langte er selbst zu, und legte dem Pathen hin, und die Alten aßen; und selbst der hingestellte Schinken ward von dem so lange hungernden Weber angeschnitten. „Muth!“ sagte Wecker; „was schadet Rauch und Fleisch der Traurigkeit? Denn ein Schinken bleibt ewig ein Schinken — oder leider nur eine kurze Abschnittszeit — Wecker bleibt Wecker! Und Johannes bleibt Johannes in Ewigkeit und kommt nur nicht wieder.“
Christel aber brachte ihnen die letzte Flasche Wein, goß in die Gläser, kostete selbst — weil ihn Johannes gepreßt hatte, und gab auch den Kindern zu nippen von des Vaters — Mühe und Wohlthat, die so golden im Glase blinkte, wie sie still dabei empfand. Dann stellte sie das Glas hin und erblickte die große mit Kreide deutlich geschriebene Schrift:
„Morgen komme ich wieder, lieber Steffen.
Seid ja nicht böse auf mich!
Johannes.“
Sie las sie vor Schreck, unbewußt, laut; und ging vor Wehmuth dann hinüber zu ihm, und legte sich schlummern. Daniel aber sah es durch das Fenster, und setzte sich in das kalte Haus vor die Stubenthür Wache, daß Niemand die Mutter störe, die von schwerer Krankheit unter Sorge und Kummer mühselig genesen, schon lange so blaß aussah, daß er ihr sonst im Scherz, aber aus innerer Angst, die Wangen roth rieb mit den warm gehauchten drei Fingerspitzen; dann sahe sie wohl aus, dann war er froh!
Sie aber träumte jetzt bis die Sonne unterging — nicht von dem neuen Unglück, welches der wohlthätige stilleste Freund der armen Menschen, der Traum, erst wie eine nachreifende Frucht, bis sie süß und lieb ist, auf spätere Nächte aufspart; sondern sie träumte von ihrem alten Glück. — Sie war ein kleines Mädchen; und das Lamm stieß sie in die Blumen; und Stephan nahm sie auf und an seine Brust, und sie schluchzte vor Seligkeit. — Sie schlug grade die Augen auf, als die blitzende Sonne sank — und ein ungeheurer Donnerschlag fiel und riß sie empor von dem Bett; und das Haus schütterte; selbst die Bäume zitterten; und die Erde unter ihren Füßen bebte weit hin — und die Thüre sprang auf, und sie sah den Knaben sitzen; und eh’ noch der Wiederhall rings umher den Wetterschlag ausposaunt, stand sie, in irrigem Wahn, schon vor ihrem todten Johannes, was ihm geschehen sei? Aber es quoll nur Blut aus seiner erschütterten Brust.
Wecker und Krieg und selbst Daniel liefen hinaus. Sie erblickten nur noch eine sanft sich verziehende Wolke von blauem Dampf, der die Abendröthe durchschimmerte. Auf der nahen Klubbistenschanze standen aber mehrere Soldaten um Etwas, das sie betrachteten; und so eilten sie mit einigen aus dem Dorfe auch zu den Neugierigen, und drängten sich endlich Raum zum Sehen, und sahen und hörten. Und Einer sprach zu den Andern! „Uff! der hat kurzes Ende gemacht statt des langen! Er sah, Wir fallen alle, verlieren den Ruhm und vergehn in Schande. Er starb noch in vollem Monde der Ehre, im großen Tage des Vaterlandes, in welchem bald — einst — und nie ein Franzose mehr sterben kann!“ Und ein Andrer sprach: „Die sechs Kanonen hat er auf Einen Punkt gerichtet, da er jetzt Wache hier stand — alle mit Granaten geladen; dann durch einen mit Pulver eingeriebenen Faden, über kurze Luntenstummel verbunden, hat er hier stehend sie alle zugleich abgeprotzt.“ — „Ein Vorwand! Ein Kind von zwei Müttern geboren!“ sagte noch ein Andrer. „Er hat in letzter Nacht seine Schwester durch ihren Mann erschossen. Durch und durch! Also zwei aufeinmal.“
„Also das Wer da? Wer lebt? heut in der Nacht auf unserem Wege zu Christel kam von Stephan?“ sagte Krieg bestürzt.
„Ist gekommen!“ sprach Wecker. „Dein Reich komme!“
„Und hier erschießt er sich nun!“
„Hat sich!“ sprach Wecker wieder. „Vergieb uns unsere Schuld! Es ist kein tempus besser für Jeden, als das praeteritum! Und zum Glück ist unser Aller Gegenwart kein Wartendes, sondern ein Gehendes, Laufendes, Verschwindendes.“
„Der Mann ist wie verschwunden!“ sagte der gnädige Gottlieb. — „Er liegt in hundert Stücken;“ sagten Mehrere, ohne seine Gebeine zu sammeln, und besahen nur die Brocken des tapfern verwogenen Mannes — zerrissene Stücke von Tuch, von Leder, vom Seitengewehr, keines einen Handteller groß; und weit verstreute einzelne Knöpfe. Nur ein Lustigmacher setzte sich den weggeschleuderten Tschako auf. „Wen der Teufel holt, der braucht keinen Sarg!“ meinte der gnädige Gottlieb. Daniel aber sah etwas entfernt, Petern, den Hund, an einem Strauche sitzen, ging hin, und wollte das verlassene Thier mit zur Mutter nehmen. Er kam aber stumm wieder zu Wecker und Krieg gelaufen, und zog sie nach; und sie sahen den Hund vor dem unversehrten Kopfe St. Etienne’s sitzen, und die Augen desselben sahen dreist in den Abendhimmel. Und Wecker sprach: „Ein Hund weiß doch, wer der Mensch ist! Er sitzt nicht bei einem Beine, oder Arme; nicht beim Seitengewehr, selbst nicht beim Herzen — er sitzt bei den Augen, bei dem Kopfe, beim Verstande! Darum sollte Peter eigentlich nicht bei dem Unverstande sitzen!“ Darauf kam Herr von Ellenroth, hob den Kopf behutsam auf, verhüllte und bewahrte ihn, und trug ihn fort; und der Hund lief nun mit ihm, wie gebannt.
„Schweigt!“ hatte der junge Freund ihnen noch geboten! Und sie nun wieder empfahlen dem Daniel zu schweigen, der Mutter willen. „Siehe, mein Sohn,“ sagte Wecker, „so kann Jemand nichts gesehen haben in der Welt! So haben wir Alle in Europa jetzt Nichts gesehen und gehört — und schweigen, und wissen doch, wer den Kopf nun hat, und wer keinen — nämlich wir! nämlich nicht! Aber wir haben ein Herz! Und die Stunde zum Reden wird kommen, mein Daniel, dann kannst Du der Mutter Alles sagen.“ Da ihm Christel aber auch des Propheten Gesicht von der Genugthuung, als Vorbereitung zum jüngsten Gericht, erzählt hatte, so sprach er auch noch voll Verwunderung: „Wie aber der Stephan einmal sich selber wieder herstellen wird, — das ist mir zu hoch!“
So mit gedrücktem Herzen und scheuen Blicken traten sie wieder zu Christel ein; aber nur Daniel fiel ihr um den Hals. Und die Mutter sagte ihm selber: „Du guter Junge! Wir sind ja nicht ganz verlassen — ich habe nun meinen Bruder! Der wird mein Trost und Euer Vater sein. Nur heute morgen war er so sonderbar — Ihr wißt aber nicht warum, und danket Gott dafür!“
„Ach, meine Mutter!“ sprach Daniel, und wandte sich weinend weg.
Eine geraume Zeit nach dem Sonnenuntergang, eben als der Kukuk neunmal in der Kammer rief, als sehnte er sich nach dem alten Frommholz, trat der Herr von Ellenroth langsam und leise ein — und sagte aus gutem Herzen nicht: „Guten Abend,“ sondern: „Ich muß Euch doch besuchen, liebe Christel; ich komme so gern, und muß. Denn hört Ihr nicht aus der Ferne die Schüsse? Man wird uns die Vertreibung vertreiben, und uns Eingeschlossene noch enger einschließen. Darum läßt Euch Herr Paschalis sagen und bitten: Ihr sollt so bald als möglich mit den Euren in die Stadt zu ihm kommen. Am Hause kann Euch nichts mehr gelegen sein, und er will Euch jede Stecknadel mit einem ganzen Briefe vergüten, geschweige das Andere, was Ihr hier laßt, oder lieber sogleich an die Aermsten im Dorfe verschenkt, wozu Paschalis Euch rathen läßt. Ich habe den armen Vater Paschalis ganz verändert gefunden; denn seit jenem Abend, wo vormals Euer — nun wieder der Welt angehörige Johannes meine Dorothea todt gesehen, war ich aus Schmerz und vergeblicher Sehnsucht nicht mehr bei ihm im Hause gewesen. Heute zur Osternacht ließ er mich zu sich entbieten. Er meint es auch gut mit Euch. Kommt! glaubt mir! Denn . . . ich habe eine Todte, und Ihr einen Todten; wir leiden dasselbe, und wir verstehen uns, nicht wahr, liebes Weib, so jung und schon so verlassen. Denn wir Beide erwerben nichts weiter mehr in der Welt! Und zu unserem möglichsten Glück! Wer immer wieder gewinnen, wer Alles ersetzen kann, was er verloren, meine Christel . . . der hat Nichts besessen! Aber wir haben gehabt, was die Seele begehrt und erfüllt — wenn auch meine Seele nur mit Hoffnung und Thränen — und dieses Bewußtsein ist immerwährend ein großes Glück — oder für arme Menschen doch — das größte!“
Christel schwieg.
Da die Schüsse von Britzenheim her, aber jetzt deutlicher zu hören waren, sprach Wecker: „Die Christen feiern die Osternacht — auf ihre altgläubige Art! Wie Herodes die Weihnachtsnacht! Aber Herodes war noch kein Christ! sondern hatte nur wüthenden Respect vor Christo. Aber den Johannes können wir doch nicht todt zur Stadt fahren, wie einen gewissen alten Hector, der auch in seinen besten Jahren umgekommen, und einen kleinen Zweig, Ast-Anax, verlassen. Darum sage ich: Der Todte ist da, als die Hauptperson zu jedem noch so schlechten Begräbniß. . . . Das auf der elenden Erde berühmteste Loch, das Loch in die Welt, das Allerweltsloch, wodurch alles Schöne heimlich herausläuft, wie aus einem See, so daß die Welt nur eine löcherige Pauke ist, die ich nicht einmal pauken mag, weil sie abscheulich dumpf und hohl und leer klingt — als würfe man Erde auf einen Sarg — das Thränenloch ist bald abgetäuft . . . . zu der großen Maskerade im Finstern ist Johannes bald proper genug angethan . . . . des Vaters Bretterhaus wird des Sohnes unsterbliche Wohnung; denn Bäume sterben zwar ab, aber Bretter verfaulen nur . . . und jetzt, zur heiligen Osternacht ist es schön, einen Lieben zu begraben, während alle Dörfer umher jetzt denken, denn singen dürfen sie’s nicht: „Christ ist erstanden!“
Christel war Alles zufrieden, wie den raschen Tod, so das schnelle Begräbniß.
Besser Eins wie Keins, sagte Wecker. Wer ein Kind verloren, und einen Mann; das heißt: seinen Einen Einzigen, wie soll der nicht gelassen sein, und verlassen ansehen, was sich etwa noch weiter Albernes in der Welt begiebt! Ihr seid nicht ganz dumm, Frau Christel, eine Frau bleibt Ihr doch, und die beste auf drei Quadrat — Schuhe im Umkreis — denn um die Lebendigen stehen alle guten Todten! Weiber und Männer; gewiß auch Johannes! Denn, sagt man, ein ganzes Jahr lang steht noch ein Vater bei seiner Wittwe und seinen Kindern hinter der Thür!“
Und Alle schwiegen bangselig, als die kleine Sophie die Thür vorsichtig aufthat, weit offen stehen ließ, so daß Licht in das Haus fiel, und weit vorgebogen mit dem Köpfchen hinter die Thür nach dem Vater sah.
Aber Christel rief sie, band ihr und den beiden andern Kindern den Flor um den Arm; und Daniel fiel dabei auf die Kniee und sprach in verworrenem Schmerz, des Vaters und Stephans gedenkend mit gefalteten Händen wie betend: „Ach, Mutter! ein Hund ist ein treues Thier, geschweige ein Kind! Ich will den Vater zeitlebens vor Augen haben, wie . . . wie . . . und Euch im Herzen wie Er!“
Darauf beschickten die Männer, mit der nächsten Nachbarn Hülfe, den sonntäglich angezogenen Johannes in die geweihte Erde; während Christel, die einen kurzen getrosten Abschied genommen — weil alle Wittwen ihren Männern ja bald nachzufolgen glauben — mit Daniel und den Kleinen zu Hause geblieben, und zuletzt nur bis in den Hof trat, Sie hörte jetzt wirklich die Marseiller Hymne singen, blickte zum Himmel — und so sah sie nun auch — aus der Neujahrsnacht — das leere Kreuz, das Zeichen der angefangenen Erlösung vom Himmel herab hangen, und die Posaune des Weltgerichts, und die Inschrift rund umher mit den großen Buchstaben; und in der Ferne regte es sich arbeitsam-gespenstisch; und auch das Feuer der Hölle schien am Horizont herein; ein naher Kanonenschuß war ihr nur der Donnerschlag aus dem Wächterauge der Großmutter des Teufels „über die Arbeitenden im Gefild;“ über die im Gefecht stehenden Soldaten; und sie sah die vier Riesenbilder an den Weltwänden — aber es waren Wolkengestalten; und das Feuer war der Schein des aufgehenden Mondes; und sie wußte es, und doch sah sie das blasse Antlitz an als das leidende Gesicht der Menschheit — und endlich ward das Antlitz ihr eigenes blasses Gesicht; und sie selber sah sich unaussprechlich leidend an, lange, lange. Und eine kalte Hand berührte ihre Schulter . . . und es war Wecker, der fröhlich die kalten Hände reibend sagte: „Vor der Hand ist das Loch in die Welt zu, und Johannes hindurch in alle Welt! Die Welt ist groß und schön, meine Christel; trotz des weltberühmten Allerweltsloches — ja eben des Loches wegen! Wenn ich nicht die Aussicht hätte, mich einmal vor mir selbst darein zu verkriechen und eine Einsicht und Aussicht und Ansicht darin zu haben — vielleicht: das Antlitz Gottes, statt Eures lieben, schönen, leidenden Mondscheingesichts — so wollt’ ich, wir gingen sogleich nach Mainz!“ Die Gedanken waren ihm vor Leid vergangen.
Und so thaten sie. Und nichts nahm Christel mit, als ein kleines Glasschränkchen mit den besten Angedenken: dem Osterei des Daniel; einem kleinen, kleinen Strohwisch aus Weckers großem, womit er den Daniel erweckt hatte; mit einem Span von dem Holze, das Christel entwendet; mit Johannes ABC-Buch; und der eisernen Spitze, die ihr Clementinchen durchbohrt; und zuletzt, mit dem Stück ausgeschnittenen Hemde, wodurch ihrem Johannes die Kugel in die Brust gegangen war. Wecker trug dieses kleine Leidenhäuschen „das Monstrandum, die Monstranz, oder das Monstrum“ feierlich, als wollte er es aller Welt zeigen; aber mit langen Schritten. „Denn,“ sprach er, „unser Geschichtschreiber wird sagen: „Sie eilten, von den nahenden Schüssen gedrängt, durch die finstere Mitternacht, und gelangten, froh des eignen davon gebrachten Lebens, in die sichere Stadt — denn selbst seine Schmerzen werden dem Menschen unabkaufbar-lieb; und um sie fort zu genießen, selbst das elende Leben; denn der Schmerz ist ein Zauberspiegel mit allem genossenen Glücke klar und nah dahinter, statt Folie; und der Spiegel ist so warm und beredt, als das Glück groß war, daß es nicht ausgesprochen werden konnte — wie das Leben.“
Zu Paschalis Hause, das dem Dom gegenüber stand, wählten sie den Weg durch die erleuchtete, offene, menschenerfüllte Kathedrale, worin so eben Christus Auferstehung durch eine lebensgroße Puppe künstlich dargestellt ward, und — der Kinder willen wählte Christel den Weg durch die Kirche; obgleich Ellenroth sie so führte, daß sie an dem Grabmale des Churfürsten Albrecht von Mainz zu stehen kamen, der vom Papst Leo X. den Ablaß für Deutschland, wie ein Jude den Zoll, gepachtet hatte, so daß der geistliche Pascha seine große Pachtsumme nebst doch einigen Procenten den Deutschen ausängsten mußte — damit das deutsche Volk sich selbst auf ewig davon erlöste; wie der Wecker dem Schulmeister, und der Schulmeister dem Weber jetzt an dem Grabmal desselben stehend, davon erzählte.
Hier aber begrüßte sie leise Paschalis; und als er mit Christel allein einmal um das Altar gegangen, frug er sie: „Darf ich Dir den Schmerz um Johannes aus der Brust nehmen?“ — Und sie sagte: „Ich dächte nicht! Nicht gern.“ „Aber doch!“ sagte er langsam. „Siehe Christus ist erstanden: — — und Dein Bruder Stephan ist umgekommen.“
Und Paschalis hatte wahr geredet. Denn das neue Leid erfüllte nun ganz ihre Seele. Jetzt war der Mutter das Kind nicht begraben worden; Johannes war nicht begraben worden; Alles lebte ihr in ewigem, heiligem, verborgenem Sein — und nur St. Etienne lag ihr als Leiche in der ganzen großen Welt, und die ganze Welt war ihr nur: der schöne geliebte todte Bruder. Und Paschalis ließ sie, still vor der Heiligkeit des Ortes, still ausweinen, während sie in’s Dunkel gekehrt ihre Stirn an einen kalten Engel legte, und ihn fest an dem kalten Händchen hielt.
Und als endlich Christel wieder Paschalis angesehen, und ihm eine Hand gereicht, und als er wieder mit ihr um das Altar gegangen, fragte er sie noch milder als zuvor: „Darf ich Dir wieder den Schmerz um den Bruder aus der Seele nehmen?“ Und sie sagte wieder: „Ich dächte nicht! Nicht gern!“— „Aber doch!“ sagte er: „Dein Bruder hat sich selber erschossen.“
Und eine jubelnde Musik fiel ein, und jauchzende Sänger riefen vom Chor über die Menschenhäupter durch den Kerzenglanz und den Weihrauchduft: „Christ ist erstanden!“ und die, das uralte, mächtige Wort zurückhallenden mächtigen Pfeiler schienen es mitzusingen, wie versteinerte Riesen, denen das Wort Sprache gegeben; und an den Bogen des Gewölbes wälzte es sich vor Freuden dahin, und stieg herauf, und floß wieder herab . . wie ein Schmerzensstrom in Christels Brust. Und sie rief die Kinder zu sich, setzte sich in einen geschnitzten Stuhl und versank in die Tiefe ihrer Seele.
Und als sie endlich aufsah, aber zürnend und doch niedergeschlagen, frug sie Paschalis wieder: „Soll ich Dir auch diesen Schmerz verwandeln?“ — Und sie sagte jetzt: „Gern! Aber unmöglich!“ „Aber leicht!“ sagte er: . . . „Dein Bruder hat Deinen Johannes erschossen.“
Und Christel ward blaß, schloß die Augen, lehnte sich zurück, und über den schlafenden Augen und den schlafenden Ohren und dem zugeschlossenen Herzen verrauschte das Halleluja! so machtlos und freudlos und still, als würde es tausend Klafter tief unter einem steinernen Bilde der schönsten Mater dolorosa in der Erde von Erdgeistern gesungen; oder in tiefem Meeresgrunde sängen es, in den verborgenen zauberisch schönen Meeresgärten, die wundervollen Blumen mit Blumenlippen — und hoch, hoch, hoch darüber schiffte ein einsam verschlagenes Schiff auf den wüsten stürmenden Wogen mit nur noch Einem Menschen, einem Todten! Und die Todte wäre Christel! . . . Die Kinder wollten schreien, aber sie rüttelten nur an der Mutter, die erwachte, die Augen wild aufschlug, umhersah, jäh auffuhr, die Kinder vergaß und davon fliehen wollte, sie wußte nicht wohin. Paschalis hielt sie sanft, aber sicher am Arme; und an ihn sich stützend, ward sie wieder völlig munter, und war wieder aufgetaucht in die öde — liebevolle Welt.
„Denke doch, Christel,“ sprach Paschalis, „das liebevolle Herz schlägt ja eben in der Welt! Wäre die Welt nicht, nicht gewesen . . . Wen oder Was hättest Du doch geliebt? Die Welt ist nicht öde, sie ist nur graunvoll — denn eben unser Licht wirft nur graunvolle Schatten und schafft sie erst! Stirb, — und die Welt wird ruhig und voll, voll, schwervoll sein, wie — ein Grab. Das kann ich mir Alles denken! Ich aber, ich weiß, ich empfinde ganz Anderes. — Ihr habt Euch nicht selbst geholfen — Ihr leidet nur selbst. Das ist Nichts! spreche ich, und kann ich sagen! Nun komme mit mir! Jetzt glühst Du vielleicht so heiß in Gefühlen, und die Marterkammer der Menschen ist Dir so nah vor den Füßen aufgeborsten, Du wandelst noch selbst auf dem flammenerhitzten und durchzuckten Boden, um meiner Leiden Abgrund zu ermessen! — Kommt, Krieg! Wecker kommt; und komme auch Du — Du, Sebastianow! — Ich kann alle Leiden heilen — wie Moses selber sterbende Schlangen! Kommt!“
Und im Gehen sagte Wecker: „Ja! Seht, meine Christel, wie gut! Wir haben Alle nicht freventlich in der Arche gesessen! Wir sind rechtschaffen mit ersoffen! Deswegen verstehen wir nun recht die Sündfluth der gemachten Leiden und die schlagenden Herzen der geschlagenen Menschen weit und breit — denn wie hier, wie Uns ist es Hunderttausenden gegangen. Wir verstehen das Leid! Das Mitleid! das der Herr auf Erden wieder erwecken will, denn es hat lange, zu lange eisern geschlafen! Wir verstehen den Krieg, und — und — und werden nun auch erst recht die Früchte mit Muth zu verlangen, mit Kraft zu erlangen, zu schmecken und zu würdigen wissen, die uns der Friede bringen wird, der Friede der Lebendigen und der Todten! Denn der bloße nackte Friede selber, ohne seine versprochenen Gaben, ist bloß ein dummer Junge — ein wahrer „dummer Friede!“ Eine Scheune voll leerer Strohschütten nebst abgedroschenen Flegeln! Früchte wollen wir sehen und mit Freuden erndten, die wir mit Thränen gesäet! Die sollen uns schmecken, wie Nürnberger Pfefferkuchen! Nicht wahr Kinder?“
Und die Kleinen sagten: „Ja!“
„Armer hoffender Wecker,“ sagte Paschalis; „Ihr hofft für Andre. Mäßigung ist die beste Frucht der Unmäßigkeit.“
„Die Todten gehen nicht auf;“ seufzte Christel.
„Ihr wißt,“ erinnerte der Leinweber, „die Urheber müssen Alles gut machen, ersetzen; gut macht es dann der sogenannte Herr!“
Paschalis führte Alle darauf in den Saal seines Hauses. In der Mitte über der runden Tafel leuchtete nur ein uralter Kronleuchter, fast wie eine dickbäuchige Kreuzspinne mit langen, dünnen Arm-Beinen, an jeder Fußspitze ein Wachslicht. Er lud sie ein sich zu setzen, vertheilte Osternachts-Gaben — bunte Eier, ungesäuertes Brod und Honig, hatte aber wenig Geduld und viel Hast dabei, und sagte: „Ich reise weit weg; auf lange; und fahre die Nacht noch ab. Bleibt hier in meinem — nun Eurem Hause, bis Ihr aus der Arche gehen könnt. Ich lege meine Ehre und meine Schande in Eure Zunge. Auch meine Jungfrau Maria binde ich Euch mit Liebesstricken und Unglücksbanden auf’s Herz! Vielleicht, lieber Ellenroth, da Sie schon in Griechenland waren, reisen Sie noch mit Ihr nach Italien — nach Rom, — nach Loretto in die Casa santa!“
Von Ellenroth und die Anderen sahen ihn an — aber Paschalis fuhr fort: „Meine Christel, — Dich bitte ich, künftig in dem jetzt ausgebrannten Schlosse von Breitenthal, wenn es wieder eingerichtet ist, eine wirklich gnädige „gnädige Frau“ zu spielen; den alten weinseligen Herrn von Borromäus aus dem Vogelheerde zu erlösen, und ihm den Jäger Niklas zum Diener zu geben. Das Gut bleibe dann den Kindern. Der Leinweber und Wecker sollen Deine Amtleute und Rechnungsführer sein.“ Zu dem Herrn von Ellenroth meinte er: „Geld ist Ihnen lieber! Mein ganzes übriges Vermögen — wirklich nun ganz übrig — möge Sie an meinen guten Willen erinnern, Ihnen meinen edelsten Schatz auch gern anzuvertrauen, wenn der Schatz wollen durfte!“
Er gab ihm dabei einige Papiere, die der Schwiegersohn in — ewiger — spe, wie er ihn nannte, sogar aus Verlegenheit nahm und in Händen behielt. Darauf ward Paschalis sehr ernst, indem er nach Etwas in seiner Brusttasche zu fühlen schien, und sagte: „Dorothea ist todt! Meine und Ihre.“ Aber . . . sprach er verstummend, ging und that leise die Thüre zu einer mäßig großen Halle zur Seite des Saales auf, welche ganz wie das heilige Haus, die Casa santa in Loretto eingerichtet und hell erleuchtet war — „seht! Sehet recht hin! — Dorothea lebt!“
Christel sprang auf. Ellenroth wandte sich hin, und blieb wie bezaubert stehen.
„Dorothea lebt;“ sprach Paschalis mit bebender Stimme; „sie lebt; so scheint es. Ich weiß jedoch nicht, und nur sie wird es wissen, ob es noch unser Leben ist, wenn Jemand Andres in uns und aus uns lebt, denkt, empfindet und spricht . . . . wenn ein jetziger Mensch ein nunmehr gewiß sehr altes, ja todtes Weib ist; nicht seine Gedanken, sondern ein Gedanke der curiosen Welt, also für sich ein Wahn, ein Hirngespinnst, ein Gespenst — aber ein unerträglicher Geist für mich! Denn sie ist und bleibt meine Tochter, nichts weiter. Sie aber — — so hat sich ihre Krankheit gelöst . . . so hat sich ihre Seele wieder hergestellt, oder der Sache ein Mäntelchen umgehangen — denn sie — sie ist sich: die Jungfrau Maria. Und also sind alle ihre Schmerzen verhallt, alle ihre vergeblichen Wünsche auf Erden wieder in dem Himmel ihrer Seele erfüllt. Sie war hoffärtig! Stolz! Sicher im Gefühl ihrer strengen Zucht und Ehre — der Herr hat sie gedemüthigt; aber die Niedergeworfene wieder aufgehoben, doch sie — Wecker geht hin und seht, — sie hat das ABC stets vor sich auf dem Schooß, den Lobgesang Mariä aufgeschlagen, und betet oft kniend laut daraus mit Freuden und Dank, daß mir die Haut schauert . . . denn sie betet: „Er übet Gewalt mit seinem Arm, und zerstreuet, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößet die Gewaltigen vom Stuhl, und erhebet die Elenden!“ —
Und sie traten an die Thür und sahen das schöne blasse Mädchen, eingeschlafen; aber auch schlafend noch in ihren morgenländischen Kleidern, nur sonderbar mit dem Bande der Ehrenlegion geschmückt, auf alterthümlichem Sessel sitzend, die Linke auf die Lehne gelegt, die Rechte auf dem aufgeschlagenen Kinderbuche. Um ihren Kopf schimmerte ein ächtpersisches buntes Tuch, und auf dem Wirbel schimmerte eine kleine silberne Krone. Im Zimmer war wenig, aber gleichfalls alterthümliches Geräth; und an der Wand hing eine Copie der Verkündigung von der Angelika Kaufmann, die zur Seite der Casa santa in der Kirche zu Loretto hängt.
Und wie dort der willfährig empfangene Engel, kniete jetzt hier der verstoßene Bräutigam vor sie hin, und beugte sich dann zu ihren Füßen nieder. Wecker aber nahete leise, legte sehr sanft die alte zitternde Hand auf ihr Haupt und sagte zu der Schlafenden: „Hätte ich Dich doch hinunter stürzen lassen, wo ich den Teufel vom Thurme stürzte! Denn Du arme Verrückte hast ja doch gethan, wovor Dich Gott, laut Deines Briefes, bewahren sollte: — Du bist katholisch geworden!“ — Dann zog er die Hand zurück.
„Wecker!“ tadelte ihn der Leinweber: „die wahre Jungfrau Maria ist nie katholisch gewesen! Selbst Christus war kein Katholik, höchstens rein evangelisch, und das noch kaum: Er war nur Er selbst ganz allein, nicht ein Christ, sondern Christus.“
Die Kinder aber fürchteten sich hinein zu gehn, und die Kleine war schon schlafend bei ihren Ostereiern am Tische sitzen geblieben. Christel stand also entfernt mit Daniel und Gotthelf. Sebastianow, der Mitverwüster dieser starken Seele, dieser schönen Jungfraugestalt, aber zitterte am ganzen Leibe wie vor dem jüngsten Gericht, das so eben wie Wetter hereingebrochen, und bebte nun seinen Namen zu hören.
Paschalis aber sagte ihm mild auf Russisch: „Janow — Zschartowitsch!*) Gehe getrost hinein. Sie kennt selbst den Vater nicht, denn sie wohnt in Nazareth, in alten, heiligen Tagen; und ich bin ihr nur ein fremder, fremder Mann aus der Zukunft . . . und doch bekannt . . . wie aus dem Paradiese! Hast Du aber vorhin in der Kirche, nach Eurer Sitte, vor jedem Geistlichen dreimal ausgespuckt, so schlucke hier dein Gift hinunter.“ — Dabei schenkte er ihm einen Beutel mit Golde, und der Mensch betete ihn bald an. „Ziehe in Frieden!“ sagte er ihm, sich von ihm wendend, ob er ihn gleich mit keinem Auge angesehen.
*) Teufels-Sohn.
„Nun, Christel.“ frug er diese, „hast Du noch einen Dolch im Herzen, um Dorothea! Auch den Schmerz will ich aus Deiner reinen Brust nehmen! Ja, wenn Du auch um mich noch einen Stich empfinden solltest, so will ich vorher dem Dolche die Spitze umbiegen. Ja, was Du auch gelitten hast, Du sollst Dich darüber freuen und dem Herrn dafür danken! Denn ich halte noch ein kleines aber furchtbares Licht in meiner Hand, das mich brennt es fallen zu lassen. Und doch bin ich innerlich schon dadurch verkohlt. Ich bin todt, und darf nur die Augen noch zuthun. Doch das ist bald gethan.“
Die Andern traten jetzt Alle um ihn, und Paschalis sprach ernst: „Nun wohl, so mögt Ihr es wissen, besonders der Bräutigam. Wie der bessere Mensch nur ein Wort ist, und die meisten nur ungesetzte Buchstaben im Buchdruckerkasten, die der Geist der Welt setzt, so konnten die Menschen, jeder eine Lehre aus seinem Leben ziehen: wieder das Wort. Klarer aber, als da draußen aus der furchtbar wogenden Welt, springt aus unserem kleineren Leben eine große Lehre heraus, und die will ich als Kaufmann noch ziehen! Mäßigung, sagte ich angeklungen vorhin, Mäßigung ist die beste Frucht der Unmäßigkeit. Auch Mäßigung in den Wünschen. Die Hoffnung war auch etwas werth. Der Betrug wird auch klug machen. Ein Volk, das nur einmal wieder tüchtig zugestutzt worden ist, selbst bis auf den Stamm und die Wurzel, das hat wieder Lebenskraft erhalten, verjüngt sich wieder und geht nicht ein. Am schrecklichsten aber bestraft sich Selbsthülfe? Wenn sich ein Mensch helfen will, so thue er es bloß durch weise-, gelassen- und gut-sein. Völker denken oft anders. Aber auch zu ihrem Schaden; denn wenn Alle klug sind und fromm, kann Einer oder werden Mehrere nicht mehr gottlos und dumm sein. Sela.“
„Das wollt’ ich nur wissen!“ sprach Wecker.
„Ich aber verabscheue die Selbsthülfe, wenn sie nur ein wenig mehr ist, als Ertragung und Verwünschung der Uebel, selber der schwersten und schmählichsten,“ (Er sah wehmüthig nach Dorothea.) „Denn der Lastträger hat Kraft; der Verwünschende hat weiseres Wissen und Zorn gegen das Böse, und den Wunsch des Bessern, ja des Guten. Ich aber — beweint mich nicht — ich habe mir selber so geholfen . . . daß ich mir nicht mehr zu helfen weiß. Meine Tochter hat sich geholfen . . . bis in den Scheintod, ja bis zur Jungfrau Maria! Und ihr war doch schon geholfen durch mich. Der alte Zimmermann Frommholz hat sich geholfen . . . bis in den Kerker — und sein Helfer war schon bereit! — Johannes hat sich geholfen . . . bis in den ewigen Kerker — und die Kugeln rührten sich schon in den Läufen, die ihm freie Bahn machten! Stephan hat sich geholfen — Alle haben sich selber geholfen . . . und Niemand kann ihnen mehr helfen, selbst ein Gott nicht, der seine Welt nicht auf Selbsthülfe berechnet hat, sondern auf seinen Rath und seine Führung und seine Kraft, der Niemand, Niemand widersteht; und auf seine Liebe, die Allen angedeiht; und auf das Zutrauen zu Rath, Führung, Kraft und Liebe des außerdem — Erschrecklichen! Zermalmenden! — Gottes!“
Paschalis ging einige Schritte bei Seite; stand, wandte sich ab; bog den Kopf zurück, als starre er hinauf in den Himmel; aber er hatte dabei seine Hand am Munde. Dann kam er zurück und sprach: „Kinder, Daniel und Gotthelf, geht doch zu Euerem alten Großvater Frommholz! Keines von Euch hat ihn bemerkt. Er sitzt schlafen hinter der offenen Thür, da ist sein warmes Plätzchen. Ich hab’ ihn erlöst; und als alter Zimmermann paßt er sich wohl hieher.“ Und die Kinder gingen und der Pathe.
Darauf sprach Paschalis eilend und schneller, aber auch schwächer und doch wie entzückt: „Sonderbar! Nun ich weiß: Ich — Ich habe sieben Menschen umgebracht — und weiß: nur gräßlich Schuldige, also Thiermenschen — und Ich habe sie geschlachtet, nicht meine theuere Dorothea hat es gethan — nun ist mir leicht! Denn sie sind eher an meinem mit Kirschlorbeerkraft vergifteten Rheinwein gestorben, als sie erstickt sind, nicht worden. Mein Kind hat es also nicht gethan — ob sie es gleich gethan hat — sondern doch nur gewollt. Todte kann man nicht tödten. Jeder Mensch, sieben oder einer — auch Ich — können nur einmal sterben. Ich könnte den sonderbarsten Prozeß mit meiner Tochter führen . . . und nur gewinnen! Denn Ich bin der Rächer für ihre erlittene Schmach! Mein Kind, mein armes Kind ist unschuldig wie das Lamm Gottes, das — der Welt Sünde trägt.“ Er taumelte. Und eilender sprach er: „Holt keinen Arzt! Ihr Thoren, sterben werde ich nicht — bis Gott stirbt.“
Er zitterte; er holte heißeren Athem; sein Gesicht glühte; seine Augen standen glotzend. Ihn erdrückte das Gewicht der Worte, die er gesprochen — daß sein Kind unschuldig sei, während sie doch der Welt Sünde trug, und schmachgebeugt, bis zur Unkenntlichkeit ihrer schönen Seele, vor ihm vergangen war, und herabgesunken bis zum Gespenst der Jungfrau Maria. Und zum Glück oder Unglück erhob sich jetzt die schöne stille Königin der Trauer, Dorothea, und kam in ihren rauschenden, langen Gewanden, mit schimmernder Silberkrone auf Paschalis zu. Und da sie so viele befreundete Menschen sah, breitete sie ihre Arme mit getäuschter und gesammelter Empfindung — nach ihrem Vater aus. Und er sank in ihre Umarmung.
So blieben sie lange. Bis Dorothea wankte, und sie ihr zu Hülfe kommen mußten. Denn der Vater, vom Gewissensschlag gerührt, wie Ananias, von Jammer zerrissen, und vom stillen schnellen Gift ausgelöscht wie ein Licht, war in ihren Armen vergangen.
Sie lehnten ihn hin. Und Dorothea verwunderte sich nicht, vergoß keine — Klage, ja ihre Augen wurden nicht feucht.
Und Christel zog und drückte ihre Kinder an sich, und pries sich glücklich, ja selig. „Der Prophet hat wahrgesagt! Mich würde kein Unglück treffen;“ dachte sie. Denn sie selber litt rein das unreine, schmähliche, aber nicht beschmitzende Leid des Lebens.
Nur Dorothea sah sie groß an, und lächelte spöttisch. Und Christel erröthete vor dem Geiste St. Etienne’s, der ihr erschien und verschwand. Und sie seufzte tief aus befreiter, nicht schuldig gewordener Brust auf . . .
Paschalis aber hielt in seiner Hand noch ein kleines Blatt Papier, das er vorhin, während er gesprochen, immer langsam um beide Zeigefinger spielend gerollt hatte. Dorothea langte es geisterhaft daraus, und wog es. Dann starrte sie lange hinein.
Und als gälten die Worte sowohl dem Vater, als eben so wohl auch ihr, las sie erst halblaut . . . dann laut . . . dann begeistert, und wieder wie entseelt, und Alle zu Thränen hinreißend:
„Meine Grabschrift.“
„Es ist nur Eine Ruh’ vorhanden.“ Doch
Die träge Ruh’ im Grabe ist sie nicht!
Die stille Kraft des Geistes ist sie,
Der in der Welt, doch über aller Welt
Festschwebend, alles Uebel niederhält,
Nur voll vom Guten, nicht das Böse kennt,
Und rein die Liebe walten läßt! Ihm ist
Das regste Leben: ungestörte Ruhe;
Der Kampf mit aller Welt: der tiefste Frieden!
Der allverbreiteten urstillen Kraft,
Die Ungemessenes unablässig wirkt,
Der willst Du Ruh’ und Fried’ und Seligkeit
Absprechen? Gott? — Und Gott liegt nicht im Grabe!
Ich selber gehe durch das Grab zu ihm,
Und hoffe bei der Kraft und Liebe — Ruhe!
Gott ist nichts Besseres als Du . . . sein kannst.
„. . . Seine Tochter bin ich schon . . . seine Schwiegertochter!“ sprach Dorothea holdselig und begnügt.
Quelle: Leopold Schefer's ausgewählte Werke. Siebenter Theil. Veit und
Comp., Berlin, 1845, pp. 1-178.
Im Original gesperrte Textstellen werden
kursiv wiedergegeben.
Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):
End of the Project Gutenberg EBook of Die Osternacht, by Leopold Schefer *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE OSTERNACHT *** ***** This file should be named 40524-h.htm or 40524-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/0/5/2/40524/ Produced by Jens Sadowski Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. They may be modified and printed and given away--you may do practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. *** START: FULL LICENSE *** THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg-tm License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is in the public domain in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country outside the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org 1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived from the public domain (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg-tm License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided that - You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation." - You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm works. - You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. - You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg-tm works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread public domain works in creating the Project Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.