*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 45600 ***
The Project Gutenberg eBook, Almansor, by Heinrich Heine, Edited by Erwin
Kalischer and Raimund Pissin
Anmerkungen zur Transkription
Die im Original links stehenden Zeilennummern wurden nach rechts verschoben und in
den Fällen, in denen eine Verszeile auf mehrere Druckzeilen verteilt ist, in die
letzte zur Verszeile gehörende Druckzeile gesetzt. Die Zeilennummern 315 bis 350 sind
im Original um eine Zeile nach vorne verschoben; dies wurde korrigiert.
Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt.
Die auf dem Titelblatt genannten Werke „Ratcliff“, „Der Doktor
Faust“ und „Die Göttin Diana“ sind in diesem E-Book nicht
enthalten.
Anmerkungen zur Transkription
(speziell für mobile Geräte)
Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen, lediglich
offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Am Ende des Textes findet
sich eine Liste der vorgenommenen Änderungen.
Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Im Original
gesperrt gesetzter Text wurde
kursiv wiedergegeben.
Die auf dem Titelblatt genannten Werke „Ratcliff“, „Der Doktor
Faust“ und „Die Göttin Diana“ sind in diesem E-Book nicht
enthalten.
Das Cover war nicht Teil des Originals und wurde unter Verwendung der Schrift der
Original-Titelseiten im Zuge der Transkription erstellt.
Almansor
Heines
Werke
in fünfzehn Teilen
Herausgegeben
mit Einleitungen und Anmerkungen versehen
von
Hermann Friedemann, Helene Herrmann,
Erwin Kalischer, Raimund Pissin und
Veit Valentin
Berlin — Leipzig
— Wien — Stuttgart
Deutsches Verlagshaus Bong & Co.
Heines Werke
Fünfter Teil
Almansor — Ratcliff — Der Doktor
Faust
Die Göttin Diana
Herausgegeben
von
Erwin Kalischer und
Raimund Pissin
Berlin — Leipzig —
Wien — Stuttgart
Deutsches Verlagshaus Bong & Co.
Alle Rechte vorbehalten
Druck von August
Pries in Leipzig
Einleitung des Herausgebers.
Das leidenschaftliche Erlebnis Heines, das seine ersten Gedichtsammlungen
beherrscht, hat sich auch in dramatischer Form aussprechen wollen; 1823 erschienen die
beiden Tragödien Heines, „Almansor“ und „William Ratcliff“.
— Der „Almansor“ ward in jenem Spätsommer 1820, den Heine im Dorfe
Beul bei Bonn verbrachte, zu schreiben angefangen und während des darauffolgenden
Göttinger Aufenthalts nahezu beendigt. Ein Brief Heines an Fouqué (10. Juni 1823)
bekennt, die Romanze „Donna Clara und Don Gayferos“ aus Fouqués
„Zauberring“, an die er in bedeutenden Lebenssituationen habe denken
müssen, habe ihm vorgeschwebt, als er den „Almansor“ schrieb. Indessen ist
es nicht vielmehr als die Gegnerschaft von Mauren und Christen und das Motiv der Liebe,
die aus dem einen Lager in das andere übergreift, was die Fouquésche Romanze für den
Almansor abgab (sie wirkte viel stärker auf Heines Gedicht „Donna Clara“
ein). Vielleicht war es jene schwüle Spannung zwischen Christen und Juden, die Heine in
Hamburg verspürte, und die 1819 in einigen deutschen Städten zu Beunruhigungen der
Juden durch den Pöbel führte, welche in ihm, der von Haus aus nichts weniger als Haß
gegen das Christentum kannte, das Gefühl des konfessionellen Gegensatzes zum Bewußtsein
gebracht, zu einer lebendigen Angelegenheit für ihn gemacht hat; dergestalt, daß er das
dargebotene Motiv religiöser Gegnerschaft mit persönlicher Erbitterung aufgriff. Heine
selbst bezeichnete das Stück als „religiös-polemisch“, und so verstand man
es auch; am Rhein erhoben sich sogleich katholische Stimmen dagegen. Es ist die
Indignation des Juden, die aus der maurischen Maske redet. — Heine gestand sich
schon in Göttingen ein, was er da geschrieben, sei nicht nur keine gute Tragödie,
sondern verdiene gar nicht mal den Namen Tragödie (4. Februar 1821). In der Tat ist
sein „Almansor“ nichts weiter als ein Geschöpf des aufflackernden Gefühls,
ohne
Körperlichkeit, ohne
Schwere. Der junge Mensch, der dies Stück verfaßt hat, will nicht ein Weltbild
schaffen, sondern sich nur einen Exzeß der Leidenschaft bereiten. Dieselbe juvenile
Einschätzung der Leidenschaft, wie sie den Gedichten Heines aus dieser Zeit zugrunde
liegt, wählt sich hier einen auf nichts als auf seinen maßlosen Affekt gestellten
Helden, der bereit erscheint, ohne daß er darum minder ernst genommen würde, um dieses
Affekts willen die Glaubenspartei preiszugeben. Was nur eine moralische Bildungsstufe
des Verfassers zu sein scheint, ist zugleich eine künstlerische: soweit nicht seine
subjektivste Empfindung die Figuren zum Reden bringt, versiegt die Gestaltung. Er
ergreift Partei, er ist nicht mit derselben bildenden Liebe wie bei seinem Helden beim
Antagonisten, den er vielmehr zu einer magern Karikatur verzerrt; er fühlt seine
Menschen nicht nach ihrem ganzen seelischen Komplex durch, es ist ihm genug, sie
pittoreske Stimmungen aussprechen zu lassen: das Finale des Stückes, daß Zuleima in
allem Ernst und ohne mehr zur Besinnung zu kommen, im Himmel zu sein glaubt und so sich
hingibt und untergeht, ist ein Balladeneinfall. Und balladenhaft, ein bloßes
Stimmungsbedürfnis befriedigend, bewegen sich die Figuren gegeneinander: zu rechter
Zeit ist der alte Hassan da, wenn Almansor eine Frage in den Wind tut; Zuleima hat ein
langes Liebesgespräch mit Almansor, bis ihr einfällt, daß sie ja heut mit einem andern
Hochzeit machen muß; und wie in der Ballade, wo die einfachste Replik schon, indem sie
als symbolisch empfunden wird, die schwerste Wirkung tun kann, stürzt Almansor auf ihre
wenigen Worte hin unter Verfluchungen auf und davon. Wie das Renegatentum des Hauses
durch die drei Motive der bisher verbotenen Speise (der Schweinskopf), der Kleider (das
maurische Kostüm, das noch als Maske gut ist), des Tanzes (statt des maurischen der
spanische Fandango) ironisch schmerzlich fühlbar gemacht wird, das hat ganz die Art,
wie Heine so etwas in der Ballade behandeln würde: dort mit voller Wirkung, denn man
nimmt es andeutend; hier in der „Tragödie“ bleibt es ein dünnes Spiel. So
schwankt schließlich auch das Zuständliche dieser dramatischen Welt zwischen dem
Wirklichen und dem Sinnbildlichen: daß etwa Almansor in Zuleimas Garten statt der
Myrte, die Zypresse findet; den Granatbaum vermißt, wo die Nachtigall ihr Liebesweh den
roten Rosen klagte, und ihm erwidert wird: „Die rote Rose ward vom Sturm
entblättert, Die Nachtigall samt ihrem Liede starb, Und böse Äxte haben abgehau'n Den
edlen Stamm des blühenden Granatbaums.“ Und wenn er sich im Schwärmen:
„Bekannte Bilder hüpfen aus den
Büschen ..“ unterbricht: „Doch sprich, mein Lieb, dort
steht ein fremdes Bild“, so besitzt dies Bild, das Bild des Crucifixus, wie nur
durch das Wort herbeigezogen, kaum mehr die Realität eines wirklichen Requisites. Ganz
ungegenständlich ist vollends der Chor, der in seinen epischen Zwischensatz eine
aktuelle Anspielung auf den modernen spanischen Insurgenten Rafael del Riego einwebt.
Die völlig undramatische Organisation dieser Arbeit läßt sich am sichersten in der
Sprache fühlen. Einem empfindlichen Gehör wird schon der Versstil, in welchem Satzende
und Versende allzu wohlig zusammenfallen, verdächtig sein. Der ornamentale Aufbau der
Reden in parallelen Satzgefügen mit gleichen Anfangsworten, bereichert durch
Antithesen, entgeht niemandem. Auch die rhythmische Gliederung im großen ist auffallend
genug: etwa im Zwiegespräch Almansors und Zuleimas durch die dreimal in Abständen
vorgebrachten Einwürfe Almansors: „Doch, sprich mein Lieb ...“, was
unmittelbar an die Technik Heinescher Gedichte erinnert. Die verblümte Beredsamkeit,
mit der jedes Gefühl mehr umschrieben als ausgesprochen wird, die Bilderfülle hat Heine
selbst schon als Mängel seines dramatischen Gedichtes empfunden. Im Grunde bedeuten
diese Künste des musikalischen Aufbaues der Reden, des in sich selbst schwelgenden
Ausdruckes nichts anderes, als daß die Personen gar nicht miteinander reden, sondern
jede für sich; daß nicht dialogisch, sondern auf dem Boden der Einzelrede die
Steigerung des Gefühls gewonnen wird. Ja, man muß nur an die Arie denken, die Almansor
auf die einfachen Worte Zuleimas anstimmt: „Zuleima wird vermählt heut Mit einem
Mann, der nicht Almansor heißt“, wie er sich monomanisch, durch Bilder, durch
Redefiguren auf den Gipfel der Erregung bringt; oder: wie er sich aus der Rede Zuleimas
„Ins Haus der Liebe trat dein Fuß, Almansor ...“ allein das Wörtchen
„Liebe“ herausholt, um gleich darüber ein Wortfeuerwerk abzubrennen, und
man wird der tief undialogischen Natur dieses Dichtwerks inne werden. Mit seinen
Figuren, die so schlecht ihrem Gegenspieler zuhören, muß man die Geschöpfe eines
wirklichen Dramatikers wie Heinrichs von Kleist vergleichen, die mit einer wahren
Begierde sich das Wort vom Mund abfragen. Was der Dichter dieses „Almansor“
in der Welt sieht, ist nicht das Aneinandergebundensein der Menschen, das eigentliche
Thema des Dramatikers; es ist vielmehr die einzelne Seele, der Zustand einer Seele, was
ihn gefangen nimmt.
Die kleine Tragödie „William Ratcliff“, in der Heimat der Ballade, im
Schottischen Hochland angesiedelt, nannte er später selbst einmal eine
„dramatisierte Ballade“. Ihre „Grundidee“
bezeichnete er dem Buchhändler, dem er sie
zum Verlag anbot, als „ein Surrogat für das gewöhnliche Fatum“. „Das
gewöhnliche Fatum“ — der Ausdruck ist nicht ohne Humor. In der Tat: es ist
das von Hand zu Hand gegebene Inventarstück der damals Mode gewordenen
Schicksalstragödie; kurz bevor Heine den „Ratcliff“ schrieb, hatte er die
„Ahnfrau“ im Theater gesehn. Aber wie dies modische Fatum ist auch die
„Grundidee“ des Ratcliffs nichts, was mit einer persönlich notwendigen
Konzeption des Wirklichen zu schaffen hätte. Das Motiv, daß eine ungestillte Liebe
zwischen dem Vater des Helden und der Mutter der Geliebten dem Helden seinen Pfad
vorzeichnet, bleibt eine poetische Seltsamkeit; es ist nur dekorativ gefaßt und bringt
mit seiner Pantomimik allenfalls den Effekt einer ahnungsvollen Stimmung hervor. Die
Sprache faßt sich hier knapper und unverblümter als im „Almansor“, doch muß
über die dichterische Organisation, die hinter dieser Arbeit steht, dasselbe gesagt
werden, was bei Gelegenheit des ersten Stücks gesagt worden ist. — Auch der
„Ratcliff“ bezieht sich auf das entscheidende Erlebnis des jungen Heine:
ja, er hat dem Dichter für eine „Hauptkonfession“ gegolten. Was in den
„Jungen Leiden“ sich andeutete, springt hier nackt in Lebensgröße hervor.
Amalie Heine hatte sich 1821 verheiratet, und das alte Gefühl, das noch einmal
hervorbrach, ist zur phantastischen Wildheit gesteigert: weil die Geliebte nein sagt,
wird der Liebhaber zum Vagabunden. Jenes Leben in Hamburg — „toll, wüst,
zynisch, abstoßend“ — das er damals in seinem wütenden Schmerz geführt
haben will (an Wohlwill, 7. April 1823), spiegelt sich mit einem finstern Glanz nun
hier in dem romantischen Leben William Ratcliffs wider, und so ist es für den Dichter
eingebracht: „Auch hab' ich mich ehrlich Tag und Nacht Mit Lumpengesindel
herumgetrieben, Und als ich all diese Studien gemacht, da hab' ich ruhig den Ratcliff
geschrieben“. Es war nichts als ein Stimmungsrausch, eine Selbstrechtfertigung,
Selbstverklärung, eine Exaltation des Ich, woraus der Ratcliff hervorging; man glaubt
es gern, daß diese atemlose Flucht kleiner Szenen in drei Januartagen des Jahres 1822
improvisiert wurde, „in einem Zug und ohne Brouillon“. Ihre Substanz
erschöpft sich fast im Erzählen. Ihre Figuren — bis auf den Helden — sind
wieder nur obenhin angelegt, sie setzen eine vage Situation voraus, mit der eine
Ballade, nicht ein Drama auskommt. Sie wirken nicht durch Verwicklung, durch
dialogisches Ineinandergreifen der Spieler, sondern durch Gefühlsaufruhr und durch
stimmungmachende Akzessorien: die greise Margarete ist nichts als eine unheimliche
Staffage, die
Edwardballade ist wie ein musikalisches Motiv in das Ensemble der Stimmen verwoben.
Als Heine 1851 den „Ratcliff“ seinen „Neuen Gedichten“
einverleibte, wußte er besonders zu rühmen, daß darin schon „die große
Suppenfrage“ brodle. Er dachte an die Szene in der Diebsherberge. In Paris
bildeten die sozialen Probleme eines seiner lebhaftesten Interessen: so begreift sich,
daß er auch diesen Ton aus seinem geliebten Jugendwerk heraushören wollte. Mit ruhigem
Blute wird man in den Bitterkeiten dieses William Ratcliffs, die dem jugendlichen
Dichter sein allgemeines Verhältnis der Opposition eingab, kaum eine Gesinnung
verspüren, der der soziale Organismus im Ernst fragwürdig geworden ist.
Auf die Bühne kam zu Heines Lebzeiten nur der „Almansor“. Er wurde am
20. August 1823 in Braunschweig unter dem Direktor Klingemann aufgeführt, der das
Stück, in dem „eine südlich brennende Phantasie“ herrsche, wert hielt.
Einer Personenverwechslung halber — es ward verbreitet, ein Braunschweiger
Geldwechsler Heine sei der Verfasser — scheiterte die Aufführung, man konnte
nicht zu Ende spielen. Klingemann wagte nicht, die Vorstellung zu wiederholen, die
Absicht, den „Ratcliff“ zu geben, ließ er fallen.
Andere dramatische Pläne, mit denen Heine umging, sind nicht reif geworden. Im
Sommer 1823 dämmern ihm die Umrisse einer venezianischen Tragödie, er liest
Italienisches dafür, will „Naturmystik“ darin geben (23. Juni, 23. August
1823), — man weiß nichts weiter darüber. In den Jahren 1824 bis 1826 meldet sich
immer wieder der Schatten einer Faustdichtung. Das Tagebuch seines Freundes Wedekind
(vgl. Blumenthals „Neue Monatshefte für Dichtkunst und Kritik“ V., 325 f.)
erzählt unterm 20. Juni 1824: „Wir kamen auf Goethes Faust zu sprechen.
‚Ich denke auch einen zu schreiben,‘ sagte er [Heine]; ‚nicht um mit
Goethe zu rivalisieren, nein, nein, jeder Mensch sollte seinen Faust
schreiben.‘“ Man erfährt weiter (16. Juli): Heines Faust soll nicht, wie
der Goethesche, selbst handeln, befehlen, vielmehr von Mephistopheles zu allen
Teufeleien verführt werden. Sein Faust soll ein Göttinger Professor sein; der Teufel
belegt Kolleg bei ihm, macht ihn kirre, so daß er anfängt liederlich zu werden. Er kann
sich in der Stadt nicht halten und geht mit dem Teufel auf Reisen. „Auf den
Sternen haben die Engel inzwischen Teegesellschaften, zu denen sich Mephistopheles auch
einfindet, und dort beratschlagen sie über den Faust. Gott soll ganz aus dem Spiele
bleiben. Der Teufel schließt mit den guten Engeln eine Wette über Faust. Die guten
Engel liebt
Mephistopheles sehr, und diese Liebe, besonders zum Engel Gabriel, denkt Heine so zu
schildern, daß sie ein Mittelding zwischen der Liebe guter Freunde und der Liebe der
Geschlechter wird, die bei den Engeln nicht sind.“ „Über das Ende ist sich
Heine noch nicht gewiß.“ Man könnte Heine einen solchen phantastisch-satirischen
Faustentwurf ganz gut zutrauen und braucht wohl nicht anzunehmen, daß er damit den
Freund habe mystifizieren wollen; es läßt sich in jenen Heineschen Jahren gar kein
Gehalt, außer dem der Satire, entdecken, der in einem Faust niedergelegt werden sollte.
Indessen kann man mit Wedekind wohl zweifeln, ob er überhaupt ernstlich die Absicht
hegte, den Faust auszuführen. Als er 1824 Goethe in Weimar aufsuchte, soll er sich
gegen ihn über einen Faustplan geäußert haben (Maximilian Heine, Erinnerungen). 1826
kommt er auf seinen Faust zurück: „Ihnen [Varnhagen] ist es nicht hinreichend,
daß ich zeige, wieviel Töne ich auf meiner Leier habe, sondern Sie wollen auch die
Verbindung dieser Töne zu einem großen Konzert — und das soll der Faust
werden.“ Und noch einmal schrieb er im Sommer dieses Jahres aus Norderney:
„In diesem toten Zustande nehme ich dennoch viel Naturanschauung in mich auf, und
verarbeitet die Phantasie manches begonnene Gedicht, Seebilder und neue Szenen zu
meinem Faust.“ Danach läßt er nichts mehr über den Plan vernehmen. Das Tanzpoem
vom „Doktor Faust“, das er 1847 schrieb, hat wohl nichts mehr mit den
damaligen Gedanken zu tun.
Nur in der Form des Balletts, eben in diesem „Doktor Faust“ (1847) und
in der „Göttin Diana“ (1846), beide für den Direktor des Londoner Theaters
der Königin geschrieben, hat Heines Produktion seit seinen dramatischen Anfängen auf
die Vision selbständig bewegter Gestalten gegriffen; ja auch in diesen Ballettentwürfen
ist der Stoff nicht überall rein in den pantomimischen Ausdruck übergegangen, hin und
wieder zehrt ein Bild von dem erzählerisch interpretierenden Wort des Schriftstellers
(wenn sich etwa Faust mit einer „Mischung von Unbeholfenheit und Mut, von
linkischer Magisterhaftigkeit und trotzigem Doktorstolz“ bewegen soll). Auf die
Erfindung eines individuellen Gebärdenspiels, eigentümlicher Tanzfiguren hat der
Dichter sich nicht eingelassen, es sind vielmehr die ausgebildeten Tänze der Nationen
und Zeiten, die er mit großer Geschicklichkeit verwendet, und er begnügt sich
vorzuschreiben, was die Gebärden ausdrücken sollen. Auch die Dekorationen wirken mehr
charaktergebend, symbolisch, als daß sie als individuelle Bilder durchgedacht wären.
— Was den „Doktor Faust“ betrifft,
so war sich Heine von vornherein bewußt, daß er bei
den Mitteln, die ihm das Ballett zur Verfügung stellte, nicht mit Goethe konkurrieren
könnte; doch, von aller Behandlungsweise abgesehen, bleibt ein „Faust“, wie
dieser Heines, der allein auf das erotische Motiv abgestellt ist, außerhalb jedes
Vergleichs mit der Universalität von Motiven, die der Goethesche in sich begreift.
Heines „Faust“ steht in engstem Zusammenhange mit den Sagenstudien, die er
in Paris betrieb, eine Vorrede von nicht ganz zuverlässiger Gelehrsamkeit, eine
gelehrte Nachschrift, in die Form eines Briefes gekleidet, rahmen ihn ein; ja im Gefühl
dieser Gelehrsamkeit, in irgendeiner historisch-romantischen Zärtlichkeit für das
Überlieferte, wirft er es dem Gedicht Goethes vor, daß es seinen Helden, der Sage
zuwider, der Hölle entreißt, und glaubt selber darin den Vorzug zu verdienen, daß er
der alten Sage treu bleibt. Man braucht über diesen Vorwurf Heines, der einem seiner
allzumenschlichen Augenblicke entstammt, kein Wort zu verlieren: er hat schließlich mit
der Pietät gegen die Überlieferung, in welcher der Teufel am Ende den Helden holt, nur
ein Kuriosum hervorgebracht.
Das andere Ballett „Die Göttin Diana“ hat eine etwas persönlichere
Wendung. Die Antithese: deutsch-christlicher Spiritualismus und antike Sinnlichkeit,
die seit der Berührung mit dem Saint-Simonismus in Paris Heines Denken beherrscht, löst
er hier im Sinne seines Tannhäusergedichts: mit einer Glorie des Genusses. Stofflich
knüpft dies Tanzpoem an die Erzählungen an, die er in Erinnerung an das
Eichendorffische „Marmorbild“ in den „Elementargeistern“
gegeben hatte; er schloß es in seinen vermischten Schriften den „Göttern im
Exil“ bei, mit denen es sich auch unmittelbar berührt. — Aufgeführt worden
ist keines der beiden Poeme. Eine „Satanella“, die 1851 auf der Berliner
Bühne getanzt wurde, lehnte sich wie es scheint, im Stoff an seinen „Doktor
Faust“ an. Sie erinnerte aber, wie Heinrich Laube aussagt, nur wenig an diesen,
und Heines Ansprüche auf Entschädigung blieben unbefriedigt.
Es ist etwas Sinnvolles, daß der Dichter des „Almansor“ der das
stimmende Abendrot mit in das Spiel eingreifen ließ, dessen „Ratcliff“ in
schauerlich-pittoresken szenischen Effekten gedichtet ist, am Ende sich in dieser Form
der musikalisch-malerischen Pantomime äußert; was ihn hier reizt, ist dasselbe, wodurch
er sich anfänglich zu dramatischen Produktionen veranlaßt fühlte: nämlich die
Eigenschaft des Dramatischen, daß es durch Gegenwart bewegter Gestalten, durch
bedeutende
Hintergründe und Beleuchtungen unmittelbar auf das Gefühl wirkt. Dies ist aber nur eine
Seite des Dramatischen; wenn dramatischer Dichter sein heißt, den Streit der Dinge so
fühlen, daß man ihn in seiner ganzen Verfänglichkeit, mit Blut und Schmerzen, in sich
heraufbeschwören muß, so war Heine es nicht. Er verstand selber ausgezeichnet zu
streiten, er konnte tödlich lächeln und sich entrüsten, aber der Streit blieb ihm immer
das Unvernünftige, das Schlechte; das, was zwischen Vernünftigen und Guten vermeidbar
wäre: was jenseits von aller Vernunft, jenseits auch von Böse und Gut den Einzelnen in
sein Schicksal verwickelt, hat niemals sein Denken gebannt.
Erwin Kalischer.
Almansor
Eine Tragödie
Glaubt nicht, es sei so ganz und gar phantastisch
Das hübsche Lied, das ich euch freundlich biete!
Hört zu: es ist halb episch und halb drastisch,
Dazwischen blüht manch lyrisch zarte Blüte;
Romantisch ist der Stoff, die Form ist plastisch,
Das Ganze aber kam aus dem Gemüte;
Es kämpfen Christ und Moslem, Nord und Süden,
Die Liebe kommt am End' und macht den Frieden.
Das Innere eines alten, verödeten Maurenschlosses. Durch die
Seitenfenster fallen Strahlen der untergehenden Sonne. Almansor allein.
Almansor. Es ist der alte, liebe Boden noch,
Der wohlbekannte, buntgestickte Teppich,
Worauf der Väter heil'ger Fuß gewandelt!
Jetzt nagen Würmer an den seidnen Blumen,
Als wären sie des Spaniers Bundgenossen.
Es sind die alten, treuen Säulen noch,
Des stolzen Hauses stolze Marmorstützen,
Woran ich oft mich angelehnt als Knabe.
O, hätten unsre Gomeles und Ganzuls,
Abencerragen und hochmüt'ge Zegris
So treu wie diese Säulen hier, getragen
Den Königsthron im leuchtenden Alhambra!
Es sind die alten, guten Mauern noch,
Die glattgetäfelten, die hübsch bemalten,
Die stets dem müden Wandrer Obdach gaben!
Gastlich geblieben sind die guten Mauern,
Doch ihre Gäste sind nur Eul' und Uhu.
(Er geht ans Fenster.)
Still bleibt's! Nur du, o Sonne, hörtest mich;
Mitleidig schickst du mir die letzten Strahlen,
Und streust mir Licht auf meinen dunkeln Pfad!
Du, güt'ge Sonne, hör' mein dankbar Wort:
Entflieh auch du nach Mauritaniens Küste,
Und nach Arabiens ewig heitrer Flur; —
O, fürchte Don Fernand und seine Räte,
Die Haß geschworen allem schönen Lichte;
O, fürchte Donna Isabell, die Stolze,
Die, im Gefunkel ihrer Diamanten,
Allein zu glänzen glaubt, wenn Nacht ringsum;
O, flieh auch du den schlimmen, span'schen Boden,
Wo schon gesunken deine Schwestersonne,
Die goldgetürmte, leuchtende Granada!
(Geht vom Fenster.)
Beklommen ist mein Herz, als habe sich
Der untergeh'nden Sonne Flammenball
Auf diese arme, schwache Brust gewälzt.
Wie morsche, glühnde Asche ist mein Leib,
Und unter meinen Füßen wankt der Boden.
So heimisch ist mir hier, und doch so ängstlich!
Das Lüftchen, das mir lind die Wange kühlt,
Haucht Grüße mir aus längstverschollner Zeit.
In jener Schatten wechselnder Bewegung
Seh' ich die Märchen meiner Kinderjahre;
Sie regen sich, und nicken mir, und lächeln
Mit klugen Mienen, und verwundern sich
Daß jetzt der alte Freund so bang, so fremd tut.
Dort schwankt hervor die liebe, tote Mutter,
Und schaut wehmütiglich besorgt, und weint,
Und winkt, und winkt mit ihrer weißen Hand.
Und auch den Vater seh' ich dorten sitzen,
Auf grünem Sammetpolster, leise schlummernd.
(Er steht sinnend. Es ist ganz dunkel geworden. Man sieht im
Hintergrunde eine Gestalt, mit einer Fackel in der Hand, vorüberschreiten.)
Welch Nebelbild kam dort vorbei geflirrt?
War's nur ein Blendwerk, das mich toll umgaukelt?
War's nicht der alte Hassan, der dort ging?
Vielleicht liegt Hassans toter Leib im Grab,
Und nur sein Geist noch wandelt hier als Wächter
Der Burg, die er im Leben treu gehütet?
Es rauscht und rollet dumpf, und immer näher,
Als stiegen meine Väter aus den Gräbern,
Um mir zum Gruß die Knochenhand zu reichen,
Zum Willkommkuß die weißen, kalten Lippen —
Sie kommen schon — Eu'r Grüßen könnt' mich
töten —
Mehrere Mauren stürzen hervor mit blanken Säbeln.
Erster Maure. Das könnte wohl geschehn!
Almansor (zieht sein Schwert
aus der Scheide). So komm hervor,
Du wunderreiches, blankes Amulett,
Und schütze mich vor solchen schlimmen Geistern!
Zweiter Maure. Wie kömmst du, Fremdling, hier in unsre
Burg?
Almansor. Ich geb' die Frag' zurück, die Burg ist mein,
Und dieser Anwalt
(zeigt sein Schwert)
soll mein gutes Recht,
Auf eure Haut, mit roten Zügen schreiben.
Erster Maure. Ei! ei! wenn unser Anwalt Einspruch tut,
Ist seine Zunge nicht von Holz; fürwahr,
Metallvoll klirret seine Eisenstimme.
(Sie fechten.)
Erster Maure. Ei! ei! dein Anwalt kommt ja recht in
Hitze,
Und seine Rede sprühet Feuerfunken.
Almansor. Schweig nur, in deinem Blut soll er sie
löschen.
Dritter Maure. Der Spaß geht bald zu End', ergib dich
uns.
Hassan, in der linken Hand eine Fackel, in der rechten
einen Säbel, stürzt wild herbei.
Hassan. Ho! ho! habt ihr den Alten ganz vergessen?
Blutrache, wißt ihr ja, ist mein Gewerbe,
Und mir gehört der dort, ich muß ihn töten.
(Er ficht mit dem schon ermatteten Almansor; wie er ihn eben
niederhauen will, erblickt er das Gesicht desselben beim Scheine der Fackel, und
erschüttert stürzt er zu Almansors Füßen.)
Allah! Es ist Almansor ben Abdullah!
Almansor. Das bin ich noch, und du bist Hassan noch;
Steh auf du treuer Diener meines Hauses.
Ein nächtig Blendwerk hat uns hier verwirrt,
Und bald wär' mir die Vaterburg zum Grab,
Die alte Wiege mir zum Sarg geworden.
Erster Maure. Du schienest Spanier durch Barett und
Mantel,
Und unser Säbel nur bewillkommt Spanier.
Hassan (steht langsam auf
und spricht mit strengem Tone). Almansor ben Abdullah! steh mir Rede!
Wie kömmt dein Leib in diese span'sche Tracht?
Wer hat das edle Berberroß behängt
Mit dieser gleißend farb'gen Schlangenhaut?
Wirf ab die gift'ge Hülle, Sohn Abdullahs,
Tritt auf das Haupt der Schlange, edles Roß!
Almansor (lächelnd).
Du bist der alte Eifrer Hassan noch,
Und klebst noch fest an Farben und an Formen.
Die Schlangenhaut, die schützet wider Schlangen,
So wie die Wolfsfellhülle schützt das Lamm,
Das wehrlos fromm die Waldungen durchstreift.
Trotz Hut und Mantel bin ich doch ein Moslem,
Denn in der Brust hier trag' ich meinen Turban.
Hassan. Gelobt sei Allah! Allah sei gelobt!
Legt euch zur Ruhe, Brüder, ich will wachen;
Verjüngt hat plötzlich sich der alte Hassan.
(Die Mauren gehn ab.)
Almansor. Wer sind die Männer, die du Brüder nanntest?
Hassan. Es sind die Reste jener treuen Diener,
Die Allah noch in diesem Land besitzt.
Ach! ihre Zahl ist g'ring, und täglich schmilzt sie;
Derweil die Zahl der Schelme täglich anschwillt.
Almansor. Wie tief bist du gesunken, o Granada!
Hassan. Wohl sinken muß die Stadt, wo Doppelfeinde,
Wo drinnen Zwietracht, draußen Arglist wüten.
O! Fluch der Nacht, wo diese Weiberarglist
Mit Männerhabsucht süß gebuhlt! O! Fluch
Der Nacht, wo das Verderben von Granada
In solcher Glutumarmung ward beraten;
O! Fluch der Nacht, wo einst ins Brautbett stieg
Don Ferdinand zu Donna Isabella!
Wo solches Paar der Zwietracht Funken schürt,
Da flackert bald in Flammen auf das Haus.
Nicht durch den Speer des kräftigen Leoners,
Nicht durch des stolzen Aragoniers Lanze,
Nicht durch das Schwert kastil'scher Ritterschaft, —
Nur durch Granada selber fiel Granada!
Wenn der Erzeuger meuchelt seine Kinder,
Die wehrlos eignen Kinder in der Wiege,
Und wenn der Sohn die frevelhafte Rechte
Entgegenballt dem heil'gen Haupt des Vaters,
Und wenn der Bruder, auf des Bruders Leiche,
Des Thrones blut'ge Stufen frech erklimmt,
Und wenn des Reiches pflichtvergeßne Großen
Ehrlos der Fahne ihres Erbfeinds folgen:
Dann fliehn mit schamerfüllten Angesichtern
Die Engel, die der Hauptstadt Tore hüten,
Und siegreich ziehen ein der Feinde Scharen.
Almansor. Ich denke noch des unheilschwangern Tags;
Ich stand am Tor des Schlosses unten, plötzlich
Sprengt rasch einher, auf schwarzem Roß, ein Reiter.
Wild, und verstörten Blicks, und atemlos
Fragt er nach Vater. Schnell die Trepp'
hinauf, —
Und in des Vaters offne Arme sank er.
Da sah ich erst, es war der gute Aly —
Hassan (bitter). Der
gute Aly!
Almansor. Aly, sprich, was bringst
du?
Sprach schnell mein Vater, — O, da stürzten
Bäche
Blutdunkler Tränen über Alys Wangen,
Und schluchzend sprach er: In Granada haben
Don Ferdinand und Isabell den Einzug
Gehalten unterm Schalle der Drommeten,
Und König Boabdil hat ihnen knieend
Die Schlüssel überreicht auf goldnem Becken,
Und auf Alhambras Turm steht aufgepflanzt
Kastiliens Fahne und Mendozas Kreuz.
Hassan (hält sich die Augen
zu).
O! eine Gnade nur verlang' ich, Allah!
Lösch' aus in meinem Hirn dies Bild des Greuels!
Almansor. Noch schwebt mir's vor, wie dieser Botschaft
Blitz
In jedem Mund' die Zunge kalt gelähmt.
Bleich, stumm und stieren Blickes stand mein Vater,
Die Arme hingen lang und schlaff herab,
Die Kniee schlotterten, und wie er hinsank,
Erhub sich Weiberjammer und Geheul.
Hassan. Lösch' aus in meinem Hirn dies Bild des Greuels!
Almansor. Da schloß mich an sein Herz der gute Aly;
Hielt mir besorgt die nassen Augen zu,
Um mir des Jammers Anblick zu verbergen,
Und zog mich fort, und hub mich auf sein Roß—
Hassan (bitter
lächelnd). Und trug dich fort nach seinem hübschen Schloß,
Wo dich empfing die liebliche Zuleima,
Und dir die Träne aus dem Aug' gelächelt,
Vielleicht geküßt —
Almansor. Du boshaft saurer
Hassan!
Vergiß nicht, daß ich noch ein Knabe war.
Auch irrst du dich, Zuleimas Augenstrahlen
Vermochten's nicht, mein nasses Aug' zu trocknen.
Ich stahl mich heimlich fort aus Alys Schloß,
Und war in wen'gen Stunden hier zurück.
Hier auf dem Boden wälzte sich mein Vater,
Sein Kleid zerrissen, Asche auf dem Haupt,
Und wildzerrauft des Bartes weiße Locken.
Hier neben ihm lag weinend meine Mutter,
Mitsamt den Dienerinnen schwarz verschleiert.
Und wenn es still ward, und nur eine Stimme
Aufseufzend rief das Wort „Granada!“ so
Ergoß sich doppelt laut die alte Klage.
Hassan (weinend).
Versieget nie, ihr ew'gen Tränenquellen!
Almansor. Sieh nicht so kläglich aus, du alter Hassan.
Weit besser kleidet dich der Löwentrotz,
Mit dem du, harnischglänzend, waffenklirrend,
Zu uns Erstaunten tratest in den Saal.
Ich seh' dich noch, wie du zum Vater sprachest:
„Ich kann nicht länger dienen dir, Abdullah,
Dieweil mein Gott jetzt seines Knechts
bedarf.“
Und festen Gangs verließest du das Schloß,
Und seit der Zeit sah ich dich niemals wieder.
Hassan. Zu jenen Kämpfern hatt' ich mich gesellt,
Die ins Gebürge, auf die kalten Höhn,
Mit ihren heißen Herzen sich geflüchtet.
So wie der Schnee dort oben nimmer schwindet,
So schwand auch nie die Glut in unsrer Brust;
Wie jene Berge nie und nimmer wanken,
So wankte nimmer unsre Glaubenstreue;
Und wie von jenen Bergen Felsenblöcke
Öfters herunter rollen, allzerschmetternd,
So stürzten wir von jenen Höhen oft,
Zermalmend, auf das Christenvolk im Tal;
Und wenn sie sterbend röchelten, die Buben,
Wenn ferne wimmerten die Trauerglocken,
Und Angstgesänge dumpf dazwischen schollen,
Dann klang's in unsre Ohren süß wie Wollust.
Doch hat solch blutigen Besuch erwidert
Unlängst Graf Aquilar mit seinen Rittern.
Der hat zum letzten Tanz uns aufgespielt;
Und beim Geschmetter gellender Trompeten,
Bei der Kanonen dumpfem Paukenschalle,
Beim Kehrausfiedeln kastilian'scher Klingen,
Und bei der Kugeln lustig hellem Pfeifen,
Flog jählings mancher Maure in den Himmel,
Und wen'ge nur entrannen wir dem Tanzplatz.
Doch sprich, Almansor, wie erging es Euch?
Mit jenen Freunden floh ich jüngst hierher,
Und fand nur öde Säle, und betrübt
Sahn auf mich nieder diese kahlen Wände,
Und traur'ge Ahnung gab das traur'ge Schloß.
Almansor. Verlange nicht ein Klagelied, laß schlummern
Die lieben Toten und Almansors Schmerzen.
Du sahst ja damals, wie auf schwarzem Roß
Der gute Aly hergebracht das Unglück.
Nie kommt das Unglück ohne sein Gefolge!
Tagtäglich kamen aus Granada schlimmre
Botschaften her; und wie der Wandrer schnell
Sich mit dem Antlitz auf den Boden wirft,
Wenn ihm entgegenweht der glühnde Samum,
So stürzten wir oft weinend hin zur Erde,
Daß uns der Kunden gift'ger Hauch nicht töte.
Bald hörten wir vom Abfall unsrer Priester,
Der Morabiten und der Alfaquis; —
Hassan. Gibt's irgendwo 'nen Glauben zu verschachern,
So sind zuerst die Pfaffen bei der Hand.
Almansor. Bald hörten wir, daß auch der große Zegri
In feiger Todesangst, das Kreuz umklammert;
Daß vieles Volk dem Beispiel Großer folgte,
Und Tausende ihr Haupt zur Taufe beugten; —
Hassan. Der neue Himmel lockt viel alte Sünder.
Almansor. Wir hörten, daß der furchtbare Ximenes,
Inmitten auf dem Markte, zu Granada —
Mir starrt die Zung' im Munde — den Koran
In eines Scheiterhaufens Flamme warf!
Hassan. Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher
Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.
Almansor. Am Ende kam die allerschlimmste Botschaft:
(Stockt.)
Daß auch der gute Aly Christ geworden.
(Pause.)
Da quoll kein Tropfen aus des Vaters Augen,
Kein Klagelaut entstahl sich seinem Mund,
Kein Haar entraufte er dem greisen Haupte; —
Nur seine Antlitzmuskeln zuckten krampfhaft,
Und wildverzerrt, und schneidend brach hervor
Aus seiner Brust ein gellendes Gelächter.
Und wie ich mich mit leisem Weinen nahte,
Ergriff's wie Wahnsinnwut den armen Vater.
Er zog den Dolch und nannt' mich „Schlangenbrut“
Und wollt' mir schon die Brust durchstoßen, —
plötzlich
Zog sich's wie sanftrer Schmerz um seine Lippen.
„Du, Knabe, sollst die Schuld nicht
büßen,“ sprach er,
Und wankte fort nach seiner stillen Kammer.
Dort saß er schweigend, ohne Speis' und Trank
Drei Tage lang. Doch wie er da hervorkam,
Schien er wie umgewandelt. Ruhig war er,
Befahl den Knechten: all sein Hab und Gut
Auf Maultier' und auf Wagen aufzuladen;
Befahl den Weibern: uns mit Wein und Brot,
Für eine lange Reise zu versorgen.
Als das geschehn, nahm er in seine Arme,
Und trug es selbst, das allerbeste Kleinod,
Die Rolle der Gesetze Mahomets,
Dieselben alten, heil'gen Pergamente,
Die einst die Väter mitgebracht nach Spanien.
Und so verließen wir der Heimat Fluren,
Und zogen fort, halb zaudernd und halb eilig,
Als wenn es unsichtbar, mit weichen Armen
Und schmelzend lieber Stimm', uns rückwärts zöge,
Und dennoch Wolfsgeheul uns vorwärts triebe.
Als wär's ein Mutterkuß beim letzten Scheiden,
So sogen wir begierig ein den Duft
Der span'schen Myrten- und Zitronenwälder:
Derweil die Bäume klagend uns umrauschten,
Wehmütig süß die Lüfte uns umspielten,
Und traur'ge Vöglein, wie zum Lebewohl,
Uns stumme Wandrer stumm umflatterten.
Hassan. Ihr hieltet fest in Euren treuen Händen
Den besten Wanderstab, der Väter Glauben.
Almansor. Wo Tariks Fuß zuerst dies Land betrat,
Setzten wir schleunig über nach Marokko,
Wohin die Besten unsres Volkes flohn.
Doch als wir landeten, erblich die Mutter,
Und legte still ins Grab ihr müdes Haupt.
Hassan. Von rauher Hand versetzt in fremden Boden,
Hat welken müssen solche zarte Lilie.
Almansor. In Trauerkleidern reisten wir von dannen,
Und schlossen uns an jene Karawanen,
Die nach dem heil'gen Mekka gläubig wallen.
In Yemen, in dem Land der Stammesbrüder,
Schloß auch Abdullah die verweinten Augen,
Und schlummerte hinüber nach der Heimat,
Wo kein Ximenes, keine Isabella.
Hassan. Und gibt es in Arabien keine Örter,
Wo man den toten Vater kann beweinen?
Almansor. O, kenntest du die Qual des Ruhelosen,
Den unsichtbare Flammengeißeln treiben!
Noch einmal wollt' ich küssen Spaniens Boden —
Hassan. Und bei Gelegenheit Zuleimas Lippen.
Almansor (ernst). Des
Vaters Diener ist nicht Herr des Sohnes
Drum, bittrer Hassan, laß dein bittres Deuteln.
Ja, ich bekenn' es, nach Zuleima schmacht' ich,
Wie nach dem Morgentau der Sand der Wüste.
Noch diese Nacht geh' ich nach Alys Schloß.
Hassan. Geh nicht nach Alys Schloß! Pestörtern
gleich
Flieh jenes Haus, wo neuer Glaube keimt.
Dort zieht man dir mit süßen Zangentönen
Aus tiefer Brust hervor das alte Herz,
Und legt dir eine Schlang' dafür hinein.
Dort gießt man dir Bleitropfen, hell und heiß,
Aufs arme Haupt, daß nimmermehr dein Hirn
Gesunden kann vom wilden Wahnsinnschmerz.
Dorten vertauscht man dir den alten Namen,
Und gibt dir einen neu'n, damit dein Engel,
Wenn er dich warnend ruft beim alten Namen,
Vergeblich rufe. O, betörtes Kind,
Geh nicht nach Alys Schloß! — du bist
verloren,
Wenn man in dir Almansorn wiedersieht!
Almansor. Besorge nichts; denn niemand kennt mich mehr.
Mein Antlitz trägt des Grames tiefe Furchen,
Getrübt von salz'gen Tränen ist mein Aug',
Nachtwandlerartig ist mein schlanker Gang,
Gebrochen, wie mein Herz, ist meine Stimme —
Wer sucht in mir den blühenden Almansor?
Ja, Hassan, ja, ich liebe Alys Tochter!
Nur einmal noch will ich sie schaun, die Holde!
Und hab' ich mich noch einmal süß berauscht
Im Anblick ihrer lieblichen Gestalt,
In ihre Augen meine Seel' getaucht,
Und schwelgend eingehaucht den süßen Odem; —
Dann geh' ich wieder nach Arabiens Wüste,
Und setze mich auf jenen steilen Felsen,
Wo Mödschnun saß und Leilas Namen seufzte! —
Drum sei nur ohne Sorge, alter Hassan,
Im span'schen Mantel geh' ich, unbemerkt
Und unerkannt, im ganzen Schloß herum,
Und meine Bundgenossin ist die Nacht.
Hassan. Trau' nicht der Nacht, sie birgt im schwarzen
Mantel
Viel arge Fratzenbilder, Molch' und Schlangen,
Und wirft sie heimlich hin vor deine Füße.
Trau ihrem bleichen Buhlen nicht, der droben
Liebäugelnd aus den Wolken niederblinzelt,
Und hämisch bald, mit schrägen, fahlen Lichtern,
Die Schreckgestalten deines Wegs beflimmert.
Trau' nimmer ihrer Bastardbrut dort oben,
Den goldnen Kindlein, die so munter funkeln,
Und freundlich tun, und liebeschmeichelnd nicken,
Und dennoch, wie mit tausend glühnden Fingern,
Am Ende spöttisch auf dich niederdeuten.
Geh nicht nach Alys Schloß! Am Eingang sitzen
Drei dunkle Fraun, und harren deiner Rückkehr;
Um würgend dich mit Inbrunst zu umarmen,
Im Liebeskuß dein Herzblut auszusaugen!
Almansor. Wirf hemmend dich in eines Mühlrads Speichen,
Dräng mit der Brust zurück des Stromes Flut,
Halt mit den Armen auf des Bergquells Sturz, —
Doch halte mich nicht ab von Alys Schloß.
Dort zieht's mich hin mit tausend Demantfäden,
Die sich verwebt in meines Hirnes Adern,
Und in den Fasern meines Herzens; — Hassan,
Schlaf wohl! mein altes Schwert ist mein Begleiter.
Hassan. Und deine Leuchte sei dein alter Glaube.
Alys Schloß. Erleuchtetes Kabinett mit einer großen
Mitteltüre. Man hört Tanzmusik. Don Enrique liegt zu Zuleimas Füßen.
Don Enrique (pathetisch). Ein Zauberduft betäubet meine Sinne,
Und schauernd weiß ich nicht, was ich beginne!
Anbetend sink' ich hin zu deinen Füßen,
Um dich als heil'ge Jungfrau zu begrüßen!
Du bist des Himmels Strahlenkuniginne,
Der ich nicht nahen darf mit ird'scher Minne!
Und wenn auch Hymens Bande uns umschließen —
Ich lieg' als Knecht dir immerdar zu Füßen!
Die Musik hat aufgehört. Don Diego ist während dieser
Apostrophe hereingeschlichen und hat beide Flügel der Mitteltüre geöffnet. Man sieht
einen prächtigen, menschenvollen Ballsaal. Die tanzenden Paare bleiben stehen und
schauen freudig nach Don Enrique und Zuleima. Einige Stimmen rufen:
Heil! Heil! Heil! unserm schönen Brautpaar!
(Trompetentusch. Don Enrique steht auf. Don Diego schleicht
sich wieder fort. Die Mitteltüre bleibt offen stehen.)
Zuleima (ernst).
Führt mich zum Saal!
Don Enrique (reicht ihr den
Arm; verwirrt). Sennora, mein Bedienter,
Der Schalk hat dies getan.
Zuleima. Gut, Sennor, gut.
Aly und ein Ritter treten in der Türe den
Vorigen entgegen.
Aly (er faßt Don Enrique
beim Arm). Nein, liebe Clara, laß mir deinen Bräut'gam;
Hier Don Rodrigo führet dich zum Saal.
(Zuleima, vom Ritter geführt, geht ab. Die Mitteltüre
schließt sich.)
Don Enrique. Ich wundre mich —
Aly (ernst).
Erinnert Ihr Euch nicht,
Daß ich noch ein Geheimnis für Euch habe,
Das ich versprach noch vor dem Hochzeitstag
Euch mitzuteilen, Sennor?
Don Enrique (neugierig und
schmeichelnd). Ach, Ihr habt
So vieles schon für mich getan —
Aly. Ich nichts,
Nur, nur von Donna Clara hing es ab,
Ob sie die Hand Euch reichen wollt'.
Don Enrique. Nein, Sennor,
Nur Eure Stimme, die des Vaters, galt.
Aly. Wohl hatt' ich Gründe, Claras Hand Euch nicht
Zu geben. Doch ich hatte nicht das Recht.
Denn wisset: Claras Vater bin ich nicht.
Don Enrique (kleinlaut). Ihr Vater nicht?
Aly (lächelnd).
Seid ohne Sorge, Sennor.
Urkundlich und durch Testamentes Kraft
Hab' ich sie anerkannt als eigne Tochter.
Jetzt, Sennor, seht Ihr wohl, warum nur Clara
Verfügen konnte über ihre Hand.
Doch merkt's Euch, niemand hier, sie selber nicht,
Kennt dies Geheimnis.
Don Enrique. Sennor, staunen muß
ich —
Aly. Mitteilen aber muß ich's Euch, dem Bräut'gam.
Doch erst gelobt mir, daß Ihr es verschweigt,
Sogar vor Eurer Braut, damit ich ihr
Den großen Schmerz erspare, und die Ruh'
Aus ihrem süßen Herzchen nicht verscheuche.
Don Enrique (gibt ihm den
Handschlag). Mit meinem Ritterwort' gelob' ich Schweigen.
Aly. Ihr wißt, ich hieß nicht immer Don Gonzalvo.
Don Enrique. Nicht minder schön und herrlich war der
Name,
Den jedermann Euch gab, dem guten Aly.
Aly. Ja, ja! den guten Aly nannt' man mich!
Doch hätt' man mich mit besserm Recht genannt:
Den Glücklichen. Denn Aly war einst glücklich,
Durch Freundschaft und durch Liebe.
Einen Freund,
Den seltensten der Schätze, gab mir Gott.
Und auch ein Weib, ein Weib, so schön, so
mild —
Nein, Sünde ist es, sie ein Weib zu nennen —
Ein Engel lag an meinem sel'gen Herzen;
Und auch noch Vaterfreuden sollt' ich fühlen.
Mein holdes Weib gebar mir einen Knaben;
Sie selber aber wurde bleich und bleicher, —
Und starb.
Da goß der Freund mir Trost ins Herz,
Und da sein Weib, just zu derselben Zeit,
Ein Töchterchen gebar, hat diese Gute
Zu sich genommen mein verwaistes Kind,
Und großgesäugt und mütterlich gepflegt.
Doch als ich wieder zu mir nahm ins Schloß
Den Schmerzensohn, ergriff bei seinem Anblick
Mich jedesmal aufs neu' der alte Schmerz
Ob seiner toten Mutter. Dieses merkte
Mein kluger Freund, und einst sprach er zu mir:
Was dünkt dir, Aly, wenn wir unsre Kinder
Schon jetzt als Braut und Bräutigam verlobten,
Um unsre Freundschaft fester noch zu gründen?
Laut weinend fiel ich in des Freundes Arm,
Und in derselben Stunde ward beschlossen:
Daß ich des Freundes Tochter zu mir nehmen,
Und unter Ammenleitung hier im Schlosse,
Selbst auferziehen sollt', damit ich selbst
Dem eignen Sohn ein wackres Weib erziehe,
Und daß mein Sohn erzogen werden sollte
Von meinem Freund', damit er selber bilde
Den künft'gen Eh'mann seiner einz'gen Tochter.
Und dies geschah.
Don Enrique. Ich brenne vor
Begier —
Aly. Die Kinder wuchsen auf, und sahn sich oft,
Und liebten sich, — bis das Gewitter kam.
Ihr wißt wohl, wie sein Blitzstrahl eingeschlagen
In des Alhambras höchsten Turm, wie viele
Der edelsten Geschlechter von Granada
Zur Religion des Kreuzes sich gewandt.
Ihr wißt, daß es der frommen Christenamme
Schon längst gelang, Zuleimas sanftes Herz
Für Christum zu gewinnen, daß die Holde
Den Heiland auch bald öffentlich bekannte,
Und durch der Taufe heil'ges Sakrament
Den schönen Namen Clara sich gewann.
Ich ging denselben Weg, dem eignen Herzen
Und der geliebten Pflegetochter folgend.
Ich hegte keinen Zweifel, daß mein Freund,
Der Gleichgesinnte, gleichem Beispiel huld'ge.
Doch wehe mir, er war ein blinder Moslem,
Und nahm die Botschaft auf mit kaltem Zorne,
Und ließ mir melden: Seines Gottes Feind,
Den hasse er, als seinen eignen Feind,
Er wolle nie der Gottesleugnerin,
Der eignen Tochter Antlitz wiedersehn,
Er wolle fliehen aus dem Land der Schlangen
Und meinen Sohn, das eigne Pflegekind,
Den wolle er dem Zorne Allahs opfern,
Und mit des Sohnes Blut den Vater sühnen.
Und Wort gehalten hat der Wüterich!
Vergebens eilte ich nach seinem Schlosse;
Er war entflohn, entflohn mit seiner Beute.
Ich sah den armen Knaben nimmer wieder;
Und Krämer einst, die von Marokko kamen,
Erzählten mir vom Tode meines Sohns.
Don Enrique (mit
affektiertem Schmerze). O schrecklich! schrecklich! Rührung übermannt mich!
Mein Herz verblutet! Und Ihr habt Euch nicht
Furchtbar gerächt an diesem Wüterich?
Ihr hattet ja des Buben eigne Tochter
In der Gewalt? Wie habt Ihr da gehandelt?
Aly (stolz). Ich hab'
gehandelt, Sennor, wie ein Christ.
(Geht ab.)
Don Enrique (allein).
Soll ich es Don Diego sagen? Ja, ja.
Er soll mal sehn, daß er nicht alles weiß.
Er sieht mich an für dumm. Nur immer zu.
Wir wollen sehen, wer der Klügste ist.
(Die Tanzmusik beginnt wieder.)
Doch still davon. Da rufen schönre Töne,
Und meine schöne Donna darf nicht warten.
(Er geht ab.)
Nacht. Alys Schloß von außen. Die Fenster sind erleuchtet.
Fröhliche Tanzmusik im Schlosse. Almansor steht sinnend davor. Die Musik
schweigt.
Almansor. Fürwahr, recht hübsch ist die Musik. Nur
schade,
Hör' ich der Zimbeln hüpfend helles Klingen,
Fühl' ich im Herzen tausend Natterstiche;
Hör' ich der Geigen langsam weiche Töne,
Zieht mir ein Messer schneidend durch die Brust;
Hör' ich dazwischen die Trompeten schmettern,
Zuckt's mir durch Mark und Bein, wie'n rascher
Blitz;
Und hör' ich dröhnend dumpf die Pauken donnern,
So fallen Keulenschläge auf mein Haupt.
Ich und dies Haus, wie passen wir zusammen?
(Wechselnd nach dem Schlosse und nach seiner Brust
zeigend.)
Dort wohnt die Lust mit ihren Harfentönen;
Hier wohnt der Schmerz mit seinen gift'gen
Schlangen.
Dort wohnt das Licht mit seinen goldnen Lampen;
Hier wohnt die Nacht mit ihrem dunkeln Brüten.
Dort wohnt die schöne, liebliche Zuleima; —
(Sinnet, zeigt endlich auf seine Brust.)
Wir passen doch, — hier wohnt Zuleima auch.
Zuleimas Seel' wohnt hier im engen Hause,
Hier in den purpurroten Kammern sitzt sie,
Und spielt mit meinem Herzen Ball, und klimpert
Auf meiner Wehmut zarten Harfensaiten,
Und ihre Dienerschaft sind meine Seufzer, —
Und wachsam steht auch meine düstre Laune,
Als schwarzer Frauenhüter, vor der Pforte.
(Zeigt nach dem Schlosse.)
Doch was dort oben in dem hellen Saal
Prachtvoll geschmückt und prangend stolz einhergeht,
Und mit dem Lockenhaupte freundlich zunickt
Dem seidnen Buben, der sich zierlich krümmt, —
Das dort ist nur Zuleimas kalter Schatten,
Nur eine Drahtfigur, der man ein Glasaug'
Im Wachsgesichte künstlich eingefugt,
Und die, durch aufgedrehter Federn Kraft,
Den leeren Busen wechselnd hebt und senkt.
(Trompetentusch.)
O weh! da kommt der seidne Bube wieder,
Und fordert auf zum Tanz die Drahtfigur.
Das holde Glasaug' sendet süße Blitze!
Das liebe Wachsgesicht bewegt sich lächelnd!
Der schöne Federbusen schwillt und schwillt!
Mit rauher Hand berühret dort der Bube
Das leichtgebrechlich zarte Kunstgewebe —
(Rauschende Musik.)
Umschlingt's mit frechem Arm, und zieht es fort
In wilder Tänzer flutendes Gedränge!
Halt ein! halt ein! Ihr Geister meiner Leiden,
Reißt fort den Buben von dem Leib der Holden!
Schlagt ein! schlagt ein! Ihr Blitze meines Zorns!
[Und lähmt die Hand, die meinen Himmel faßt!]
Brecht ein! brecht ein! Ihr Mauern dieses Schlosses,
Und stürzt zermalmend auf des Frevlers Haupt!
(Pause; leisere Musik.)
Sie bleiben ruhig stehn, die alten Mauern,
Und meine Wut zerschellt an ihren Quadern.
Ihr seid gar stark gebaut, ihr festen Mauern,
Und doch habt ihr ein schwach und schlecht
Gedächtnis!
Ich heiß' Almansor, und war sonst der Liebling
Des guten Aly, und auf Alys Knieen
Wohnt' ich, und „lieber Sohn“ nannt' Aly mich,
Und strich mir dann mit sanfter Hand den
Kopf; —
Und jetzt steh' ich, wie'n Bettler, vor der Türe!
(Die Musik schweigt. Man hört im Schlosse verworrene Stimmen
und lautes Gelächter.)
Da spottet's mein; holla! ich lache mit!
(Schlägt an die Pforte.)
Macht auf! macht auf! ein Gast will übernachten!
Die Schloßtüre öffnet sich. Pedrillo erscheint mit
einem Armleuchter; er bleibt in der Türe stehen.
Pedrillo. Beim heiligen Pilatus! Ihr klopft stark;
Auch kommt Ihr spät zum Ball, er ist schon aus.
Almansor. Ich suche keinen Ball, ich such' ein Obdach;
Bin fremd und müd', und dunkel ist die Nacht.
Pedrillo. Beim Barte des Propheten — ich wollt'
sagen
Der heiligen Eli — Elisabeth —
Das Schloß ist keine Herberg mehr. Unweit
Von hier steht so ein Ding, das nennt man Wirtshaus.
Almansor. So wohnt allhier nicht mehr der gute Aly,
Wenn Gastlichkeit aus diesem Schloß verbannt ist.
Pedrillo. Beim heil'gen Jago von — von Compostella!
Nehmt Euch in acht, denn Don Gonzalvo zürnt,
Wenn man ihn noch den guten Aly nennt.
Zuleima nur, (schlägt
sich vor die Stirn) wollt' sagen Donna Clara,
Darf noch den Namen Aly nennen. Aly,
Der irr't sich auch, und nennt sie oft Zuleima.
Auch ich, ich heiße jetzt nicht mehr Hamahmah,
Pedrillo heiß ich, wie in seiner Jugend
Der heil'ge Petrus hieß; und auch Habahbah,
Die alte Köchin, heißt jetzt Petronella,
Wie einst die Frau des heil'gen Petrus hieß;
Und was die alte Gastlichkeit betrifft,
So ist das eine jener Heidensitten,
Wovon dies christlich fromme Haus gesäubert.
Gut Nacht! Ich muß jetzt leuchten unsern Gästen,
Es ist schon spät, und manche wohnen weit.
(Er geht ins Schloß zurück und schlägt die Pforte zu. Im
Schlosse wird es bewegter.)
Almansor (allein).
Kehr' um, o Pilger, denn hier wohnt nicht mehr
Der gute Aly und die Gastlichkeit;
Kehr' um, o Moslem, denn der alte Glaube
Ist ausgezogen längst aus diesem Hause;
Kehr' um, Almansor, denn die alte Liebe
Hat man mit Hohn zur Tür hinausgestoßen,
Und laut verlacht ihr leises Todeswimmern.
Verändert sind die Namen und die Menschen;
Was ehmals Liebe hieß, heißt jetzo Haß. —
Doch hör' ich schon die lieben Gäste kommen,
Und gar bescheiden geh' ich aus dem Weg.
(Geht ab.)
Das Schloßtor öffnet sich ganz; buntes Gewühl und
verworrene Stimmen. Bediente mit Lichtern treten hervor.
Alys Stimme. Nein, Sennor, nein, das leid' ich
nimmermehr.
Eine andre Stimme. Die Nacht ist ja recht schön und
sternenhell.
Unweit von hier stehn unsre Pferd' und Maultier',
Und weiche Sänften für die weichen Damen.
Eine dritte Stimme (beschwichtigend). Nur eine kleine Strecke ist's, Sennora,
Und nicht zu groß für Euren kleinen Fuß.
Damen, Ritter, Fackelträger,
Musikanten usw. kommen aus dem Schlosse. Jede Dame wird von einem Ritter
geführt.
Erster Ritter. Verstandet Ihr den leisen Wink, Sennora?
Seine Dame (lächelnd). Ihr seid heut' boshaft, boshaft, Don Antonio.
(Gehn vorüber.)
Eine andre Dame (heftig). Doch überladen war die Stickerei,
Und noch ein bißchen maurisch war der Schnitt.
Ihr Ritter (mit verstelltem
Ernste). Jedoch was soll das arme Mädchen machen
Mit all den alten, reichen Maurenkleidern?
Die Dame. Gibt's keine Maskenbälle, süßer Spötter?
(Gehn vorüber.)
Zwei Ritter gehn im Arm gefaßt.
Der Erste. Dem alten Herrn sah man den Ärger an,
Als ihm der Diener, mit gekreuzten Armen,
Des Bratens Unfall in der Angst berichtet.
Der Zweite (spöttisch). Das war noch nichts. Er biß sich blau die
Lippen,
Als Carlos laut den wilden Schweinskopf lobte,
Und scherzhaft drollig den Propheten schalt,
Der seinem Volk' ein solch Gericht versagt hat.
Der Erste (gutmütig).
Aus lieber Dummheit tat's der alte Schlemmer,
Dem Wein und Bratenduft den Sinn umnebelt.
Der Zweite (mit schlauem
Seitenblick). Die Dummheit geht oft Hand in Hand mit Bosheit.
(Gehn vorüber.)
Zwei andre Ritter kommen sprechend.
Der eine Ritter (sieht sich
sorgsam um). Wir waren wohl die einz'gen Maurenchristen,
Die Aly eingeladen, und als Carlos —
Der andre Ritter. Versteh', Schmerz zuckte über Alys
Antlitz,
Er sah uns forschend an, — wem traut man
jetzt?
(Gehn langsam vorüber.)
Musikanten, ihre Instrumente stimmend, gehen
vorüber.
Ein junger Fiedler. Gesprungen ist mir wieder eine Saite.
Der Alte. Ja, ja, im Kopfe springt dir sicher keine;
Die Saiten des Gehirns strengst du nicht an,
Und plagst mich immer mit den dümmsten Fragen.
Der junge Fiedler (schmeichelnd). Nur eins noch sag mir,
dein Verstand ist ja
So fein, wie eines Fiedelbogens Härchen;
Und du bist ja der Klügste von uns allen,
Du stehst ja zwischen uns, so wie dein Brummbaß
Großmächtig stehet zwischen unsern Geigen —
Doch du bist auch so brummig wie dein
Brummbaß—
O sag' mir doch: warum denn Don Gonzalvo
So hastig und so ängstlich auf uns einsprang,
Als wir den hübschen Maurentanz, den Zambrah,
Aufspielen wollten, und warum statt dessen
Hieß er den spanischen Fandango spielen?
Der Alte (mit selbstgefällig
pfiffiger Miene). He! he! das weiß ich wohl, doch sag' ich's nicht;
Denn so was spielt schon in die Politik.
(Sie gehn vorüber.)
(Man hört im Schlosse Don Enriques Stimme.)
Don Enrique. Ich hab' genug an einem Fackelträger.
Mein Esel, der Diego, leuchtet mir;
(zärtlich)
Und vor mir schweben immer, freundlich leitend,
Zwei Liebessternlein, Donna Claras Augen!
Verworrene Stimmen. Die Türe wird geschlossen. Don
Enrique und Don Diego treten auf; letzterer in Bedientenkleidung und eine
Fackel tragend.
Don Diego (stolz).
Wir tauschen jetzt die Rollen, gnäd'ger Herr,
Und Ihr seid jetzt der Diener und — der Esel.
Don Enrique (nimmt die
Fackel). Ich tat nach Kräften, Sennor, seid nicht launisch.
Don Diego (mit
Grandezza). Auf Ehre, Sennor, ganz ein andrer schien't Ihr,
Als ich zuerst Bekanntschaft mit Euch machte,
Im Zuchthaus zu Puente del Sahurro.
Don Enrique (beschwichtigend). Grollt nicht, ich bin Eu'r treuer
Zögling, Sennor.
Don Diego. Mein Zögling muß, mit beßren Schmeichelein,
Sich reicher Damen Gunst erwerben können.
Was soll denn der Vergleich mit schmächt'gen
Sternlein?
Mit Sonnen muß man so ein Lieb vergleichen!
Lernt nur auswendig besser unsre Dichter,
Und schmiert mit Öl geschmeidig Eure Zung',
Die Euch wie eingerostet lag im Munde,
Als Ihr so stumm an Claras Seite saßet.
Don Enrique (schmachtend). Ich sah entzückt auf ihr schneeweißes
Händchen!
Don Diego (auflachend). Hätt' Euch das Blitzen ihrer Demantringe
Das Aug' geblendet, und die Zung' gelähmt,
So ließ' ich gelten solch ein süß Verstummen.
(Ironisch langsam)
Entzücken soll Euch freilich Claras Hand,
Wenn sie der alte Herr gefüllt mit — Gold.
Dann will ich mit Euch teilen Eu'r Entzücken,
Das klingend helle, goldene Entzücken!
Doch überlass' ich Euch allein die Freude
Am süßen Spiele ihrer weißen Finger,
An ihrer Muskeln sanftgeschwellter Weichheit,
Und an der Adern bläulichem Gewebe!
Don Enrique (aufgeblasen). Kein Spott! Ich freie zwar des Vaters
Schätze,
Jedoch gesteh' ich: Claras Schönheit rührt mich.
Don Diego. Mistpfütze, hüte dich, daß man dich rühre!
Kein Ambraduft steigt auf durch solche Rührung.
Lieb' nicht nach innen, liebe nur nach außen!
Gefühle sind gar schlechte Liebeswerber;
Wort, Miene und Bewegung sind weit bess're.
Und dringen diese Werber noch nicht durch,
So helfen schön gefärbte Jünglingswangen,
Elastisch üpp'ge Waden aus Madrid,
Schnürleiber, hohe Polsterbrust und Kunstbauch,
Die Waffen aus dem Schneiderarsenal.
Und sind auch die zu stumpf, so helfen sicher
Die Mauerbrecher, —
(Sieht ihn kalt lächelnd an.)
Sennor, kennt Ihr noch
Die Dokumente, die ich ausgefertigt,
Mit alter Schrift und mit erlosch'ner Dinte,
Die vorsätzlich im Schloß verlornen Briefe,
Die Don Gonzalvo fand, und draus ersah —
(Lachend)
Ja, Sennor, mir, mir habt Ihr es zu danken,
Daß Ihr ein Prinz geworden; — Seid jetzt
folgsam;
Sprecht nur wie ich's Euch habe einstudiert;
Sprecht viel von Religion und von Moral;
Zeigt jene Wunden oft, die Euch im Zuchthaus
Der Büttel schlug, und nennt sie heil'ge Narben,
Die Ihr im Feldzug für die gute Sache
Erbeutet habt; sprecht viel von der Courage;
Vor allem aber kräuselt oft den Schnauzbart.
Don Enrique. Ich beuge mich vor Eurer Klugheit, Sennor.
Nur kann ich noch Eu'r Kunststück nicht begreifen,
Wie Ihr den Pfaffen ins Intresse zoget?
Don Diego. Die Pfaffen sind ja auch vom Handwerk, Sennor,
Und heil'ge Männer haben heil'ge Zwecke,
Und brauchen Gold für ihre Kirchenkelche,
Und brauchen Wein, um sie damit zu füllen.
Ihr merktet nicht daß ich die Volte schlug?
Ich gab Euch gute Karten, und da trumpft
Nun Euer Herz die Dame, und den König,
Den Alten, trumpft Ihr lustig mit dem Kreuz;
Und morgen ist das Spiel gewonnen, morgen,
Dann gratulier' ich Euch zu Eurer Hochzeit.
Don Enrique (andächtig gen
Himmel schauend). Ich danke dir, du Vater in der Höh'!
Don Diego. Ja, freilich in der Höh', denn luftig schwebt
er
Am hohen Galgen, zu San Salvador.
(Sie gehn ab.)
Almansor tritt auf.
Almansor. Die buntgeputzten Fledermäus' und Eulen
Sind nun vorbei geflirrt. Recht widerlich
Drang mir ins Ohr ihr heiserharsches Schrillen,
Und atmen konnt' ich kaum in ihrer Näh'.
Zuleima, dich umschwärmt solch Nachtgevögel?
Dich, weiße Taub', umkreisen solche Raben?
Dich, schöne Ros', umkriechet solch Gewürm?
Hält denn ein Zauber dich umstrickt, Zuleima?
Ist denn das Bild des flehenden Almansors
In deiner Seele ganz und gar erloschen?
Kommt nie Erinn'rung an Almansors Liebe
Aus deinem Busen seufzend aufgestiegen?
Dort oben wallen tausend Liebesboten,
Und jedem gab ich tausend Liebesgrüße,
Und schmerzlich süß entfloß mein glühend Blut
Bei jedem Gruß, aus tausend Liebeswunden;
Und dennoch brachte keiner dieser Boten
Der Heißgeliebten meine heißen Grüße!
Schämt euch, untreue Boten, Sterne oben,
Die ihr so klug und pfiffig niederblinzelt,
Und euch als Menschenschicksal-Lenker brüstet!
Ihr konntet nicht bestellen meine Grüße —
Und blöde Tauben tragen, treu und sicher,
Den Liebesbrief des Hirten in der Wüste! —
Das Schloßgesinde ist zu Bett gegangen,
Bedächtig sind die Lichter ausgelöscht,
Und nur ein einz'ges noch strahlt dort durchs
Fenster.
Ich kenn' dies Fenster noch; dort schläft Zuleima.
Dort stand ich manche schöne Sommernacht,
Und ließ die Laute klingen, bis die Liebste
Mit süßem Wort auf dem Balkon erschien.
(Er zieht eine Laute hervor.)
Hier ist die alte Laute. Klingend schwebt mir
Im Kopf' das alte Lied; und sehen möcht' ich,
Ob auch der alte Zauberklang noch wirkt.
(Er spielt und singt.)
Güldne Sternlein schauen nieder
Mit der Liebe Sehnsuchtwehe;
Bunte Blümlein nicken wieder,
Schauen schmachtend in die Höhe.
Zärtlich blickt der Mond herunter,
Spiegelt sich in Bächleins Fluten,
Und vor Liebe taucht er unter,
Kühlt im Wasser seine Gluten.
Wollustatmend, in der Schwüle,
Schnäbeln weiße Turteltäubchen;
Flimmernd, wie zum Liebesspiele,
Fliegt der Glühwurm nach dem Weibchen.
Lüftlein schauern wundersüße,
Ziehen feiernd durch die Bäume,
Werfen Kuß und Liebesgrüße
Nach den Schatten weicher Träume.
Blümlein hüpfet, Bächlein springet,
Sternlein kommt herabgeschossen,
Alles wacht und lacht und singet, —
Liebe hat ihr Reich erschlossen.
Zuleimas (Stimme im
Schloß). Ist es ein Traum, der freundlich mich umgaukelt,
Und liebe Töne in mein Ohr zurückruft?
Ist es ein Unhold, der mich zu verlocken,
Des Freundes süße Stimme künstlich nachäfft?
Ist's gar der tote, irrende Almansor,
Der in der Nacht gespenstisch mich umschleicht?
Almansor. Es ist kein Traum, der täuschend dich
umgaukelt,
Es ist kein Unhold, der dich will verlocken,
Auch ist's kein toter, irrender Almansor —
Es ist Almansor selbst, der Sohn Abdullahs.
Er ist zurückgekehrt, und trägt noch immer
Lebend'ge Liebe im lebend'gen Herzen.
Zuleima tritt mit einem Lichte auf den Balkon.
Zuleima. Sei mir gegrüßt, Almansor ben Abdullah,
Sei mir gegrüßt im Reiche der Lebend'gen!
Denn längst kam uns die trübe Mär': tot sei
Almansor, — und Zuleimas Augen wurden
Zwei unversiegbar stille Tränenquellen.
Almansor. O süße Lichter, holde Veilchenaugen,
So seid ihr mir noch immer treu geblieben,
Als meiner schon vergaß Zuleimas Seele!
Zuleima. Die Augen sind der Seele klare Fenster,
Und Tränen sind der Seele weißes Blut.
Almansor. Und floß auch Blut schon aus Almansors Seele,
Am Grab' der Mutter und am Grab' des Vaters,
So muß sie jetzt doch ganz und gar verbluten,
Hier an dem Grabe von Zuleimas Liebe.
Zuleima. O schlimme Worte und noch schlimm're Kunde!
Ihr bohrt euch schneidend ein in meine Brust,
Und auch Zuleimas Seele muß verbluten.
(Sie weint.)
Almansor. O weine nicht! Wie glühnde Naphthatropfen,
So fallen deine Tränen auf mein Herz.
Mein Wort soll dich jetzt nimmermehr verletzen!
Verehren will ich dich wie'n Heiligtum,
In dessen Näh' sogar des Blutes Rächer
Die scharfe Spitze abbricht von der Lanze;
In dessen Näh' die Taube und Gazelle
Gesichert sind vor schlimmen Jägerspfeilen;
In dessen Näh' selbst gier'ge Räubershände
Sich demutsvoll nur zum Gebet bewegen.
Zuleima, du bist meine heil'ge Kaaba,
Dich glaubte ich zu küssen, als zu Mekka
Mein glühnder Mund berührt den heil'gen Stein; —
Du bist so süß, doch auch so kalt wie er!
Zuleima. Bin ich dein Heiligtum, so brich sie ab,
Die scharfe Lanzenspitze deiner Worte;
So laß im Köcher ruhn die argen Pfeile,
Die luftbefiedert in mein Herze treffen;
Und falte nicht wie zum Gebet die Hände,
Um desto sich'rer meine Ruh' zu rauben.
Genug schon schmerzt mich deine böse Kunde
Vom Tod Abdullahs und Fatymas; beide
Hab' ich wie eigne Eltern stets geliebt,
Und beide nannten mich auch gerne
„Tochter!“
O sprich, wie starb Fatyma, unsre Mutter?
Almansor. Auf ihrem Ruhebette lag die Mutter,
Zur Linken kniete ich, und weinte still,
Zur Rechten stand Abdullah, starr und stumm,
Und mit der Friedenspalme schwebte sichtbar
Der Todesengel über Mutters Haupt.
Ich wollte sie entreißen diesem Engel,
Und ängstlich hielt ich fest der Mutter Hand.
Doch wie die Sanduhr leis und leiser rinnet,
So rann das Leben aus der Hand der Mutter;
Auf ihrem bleichen Antlitz zuckten wechselnd
Ein Lächeln und ein Schmerz, und wie ich leise
Mich hinbog über sie, da seufzte sie
Aus tiefer Brust: „Bring diesen Kuß Zuleimen!“
Bei diesem Namen stöhnte auf Abdullah,
Wie ein zu Tod getroff'nes wildes Tier.
Die Mutter sprach nicht mehr, die kalte Hand nur
Lag in der meinigen, wie ein Versprechen.
Zuleima. O Mutter, o Fatyma, du hast noch
Bis in den Tod geliebt dein armes Kind!
Abdullah aber hat mich noch gehaßt,
Als er hinabstieg in sein dunkles Haus.
Almansor. Nicht mit ins Grab nahm er den Haß. Obzwar,
Wenn nur durch Zufall ihm ins Ohr geklungen
Die Namen Aly und Zuleima, so
Erwacht' in seiner Brust der Sturm, wie Wolken
Umzog es seine Stirn', sein Auge blitzte,
Und seinem Mund' entquoll Verwünschungsfluch.
Doch einst nach solchem Sturme fiel der Vater
Ermattet und betäubt in tiefen Schlaf.
Ich stand bei ihm, auf sein Erwachen harrend.
Wie staunte ich! Als er die Wimper aufschlug,
Da lag in seinem Blick', statt Zornesglühen,
Nur klare Freundlichkeit und fromme Milde;
Statt seiner Wahnsinnsschmerzen wildes Zucken,
Umschwebte heit'res Lächeln seine Lippen;
Und statt den grausen Fluch hervorzufluchen,
Sprach er zu mir mit leiser, weicher Stimme:
„Die Mutter will's nun mal, ich kann's nicht ändern,
Drum geh nur hin, mein Sohn, durchschiff' das Meer,
Geh nach Hispanien zurück, geh hin
Nach Alys Schloß, und suche dort Zuleima,
Und sage ihr“ —
Da kam ein Todesengel,
Und schnitt mit scharfem Schwerte rasch entzwei
Abdullahs Leben und Abdullahs Rede.
(Pause.)
Ich habe ihn ins Grab gelegt, doch nicht,
Nach Moslembrauch, das Antlitz gegen Mekka;
Gegen Granada hab' ich, wie er's einst
Befahl, sein totes Angesicht gerichtet.
So liegt er mit den stieren, offnen Augen,
Und sieht mir immer nach.
(Sich allmählich umdrehend.)
Du toter Vater,
Du sahst mich wandern durch den Sand der Wüste,
Und sahst mich schiffen nach der Küste Spaniens,
Und sahst mich eilen nach dem Schlosse Alys,
Und siehst mich hier, —
hier steh' ich vor Zuleima,
Sag nun, Abdullahs Geist, was soll ich sprechen?
Eine in einem schwarzen Mantel verhüllte Gestalt tritt
auf.
Die Gestalt. O sprich zu ihr: Zuleima, steig herunter
Aus deines Marmorschlosses güldnen Kammern,
Und schwing dich auf Almansors edles Roß.
Im Lande, wo des Palmbaums Schatten kühlen,
Wo süßer Weihrauch quillt aus heil'gem Boden,
Und Hirten singend ihre Lämmer weiden;
Dort steht ein Zelt von blendend weißer Leinwand,
Und die Gazelle mit den klugen Augen,
Und die Kamele mit den langen Hälsen,
Und schwarze Mädchen mit den Blumenkränzen,
Stehn an des Zeltes buntgeschmücktem Eingang,
Und harren ihrer Herrin — o Zuleima,
Dorthin, dorthin entfliehe mit Almansor.
Garten vor Alys Schloß, blühend und von der Morgensonne
beleuchtet. Zuleima liegt betend vor einem Christusbilde. Sie steht langsam
auf.
Zuleima. Und doch liegt noch die Sorg' auf dieser Brust!
Mein Herze zittert noch. Ist es vor Freude,
Daß er noch lebt, den ich als tot beweint?
Nein, nicht vor Freude, die verträgt sich nicht
Mit meinem heil'gen Eid, mit dem Versprechen,
Das ich dem frommen Abt des Klosters gab.
Almansor ist zurückgekommen! Wenn
Mein Vater das erfährt — wird nicht sein Zorn
Den Sohn des Todfeinds treffen? Noch erlosch nicht
Sein Groll, noch liegen lauernd in der Brust ihm
Viel schlimme Geister, die mit Wut entsteigen,
Wenn nur sein Ohr Abdullahs Namen hört.
Was hat Abdullah ihm getan? Mein Vater
Ist sonst so mild! Ich hab' ihn oft behorcht;
Des Nachts durchwandelt er des Schlosses Gänge,
Mit bloßem Schwert, und ruft: „Abdullah, komm,
Wir wollen fechten, Blut will Blut“ —
Almansor!
Dich darf er nimmer schau'n, entflieh! entflieh!
Der Väter Feindschaft bringt den Kindern Tod.
Mit meinem Schleier will ich dich umhüllen,
Daß meines Vaters Blick dich nimmer treffe.
Ich seh' dich in Gefahr, und es erwachen
All die Gefühle, die mich einst bewegten,
Als wir noch Braut und Bräut'gam kindisch spielten,
Als du den morschen Apfelbaum erklettert,
Als ich dich weinend, und mit bangen Bitten,
Herunterlockte von der schlimmen Höh'.
(Sinnend.)
„Tot ist Almansor“, sagten böse Leute,
Und böser Kunde glaubte böses Herz,
Und Braut des fremden Mannes ward Zuleima!
Ich will dich lieben, wie man liebt den
Bruder, —
Sei mir ein Bruder, lieblicher Almansor!
(Sie sieht zur Erde, und seufzt: „Almansor!“)
Almansor ist unterdessen hinter Zuleima erschienen,
naht sich derselben unbemerkt, legt beide Hände auf ihre Schulter, und lächelnd seufzt
er im selben Tone: „Zuleima!“
Zuleima (dreht sich
erschrocken um, und betrachtet ihn lange). Du hast dich viel verändert, mein
Almansor.
Du siehst fast aus wie'n starker Mann, doch hast du
Die wilden Knabensitten nicht vergessen,
Und störst mich wieder, ebenso wie sonst,
Wenn ich mit meinen Blumen heimlich spreche.
Almansor (heiter
lächelnd). Sag' mir, mein Liebchen, welche Blume ist es,
Die jetzt „Almansor“ heißt? Ein trüber
Name,
Der nur für Trauerblumen passen könnt'!
Zuleima. Sag' mir zuvor, du wilder, finstrer Buhle,
Wer war der schwarze Sprecher diese Nacht?
Almansor. Es war ein alter Freund, du kennst ihn gut.
Der alte Hassan war's, der vielbesorgt,
Wie'n treues Tier, gefolget meiner Spur.
Leg' ab, mein süßes Lieb, die finstre Miene,
Den schwarzen Flor, der deinen Blick umdüstert.
Wie'n Schmetterling die Raupenhülle abstreift
Und leuchtend bunt entfaltet seine Flügel,
So hat die Erde abgestreift das Dunkel,
Womit die Nacht ihr schönes Haupt umschleiert.
Die Sonne senkt sich küssend auf sie nieder;
Im grünen Wald erwacht ein süßes Singen;
Der Springborn rauscht und stäubet Diamanten;
Die hübschen Blümlein weinen Wonnetränen; —
Das Licht des Tages ist ein Zauberstab,
Der all die Blumen und die Lieder weckte,
Der selbst Almansors Seele konnt' entnachten.
Zuleima. Trau' nicht den Blumen, die hierher dir winken,
Trau' nicht den Liedern, die hierher dich locken,
Sie winken und sie locken in den Tod.
Almansor. Ich weiche nicht, und weich' auch nicht dem
Tod.
Mir ist so wohl, so heimlich wohl allhier!
Sie steigen auf, die goldnen Knabenträume!
Hier ist der Garten, wo ich gerne spielte,
Hier blühn die Blumen, die mir freundlich nickten,
Hier singt der Zeisig, der mich morgens
grüßt', —
Doch sprich, mein Lieb, ich sehe nicht die Myrte,
Wo sie einst stand, da steht jetzt die Zypresse?
Zuleima. Die Myrte starb, und auf das Grab der Myrte
Hat man gepflanzt die traurige Zypresse.
Almansor. Noch steht die Laube von Jasmin und Geißblatt,
Wo wir die hübschen Märchen uns erzählten,
Von Mödschnuns Wahnsinn und von Leilas Sehnsucht,
Von beider Liebe und von beider Tod.
Hier steht auch noch der liebe Feigenbaum,
Mit dessen Frucht du meine Märchen lohntest;
Hier stehn auch noch die Trauben und Melonen,
Die uns erquickten, wenn wir lang geschwatzt —
Doch sprich, mein Lieb, ich seh' nicht den Granatbaum,
Worauf einst saß und sang die Nachtigall,
Ihr Liebesweh der roten Rose klagend.
Zuleima. Die rote Rose ward vom Sturm entblättert,
Die Nachtigall samt ihrem Liede starb,
Und böse Äxte haben abgehau'n
Den edeln Stamm des blühenden Granatbaums.
Almansor. Hier ist mir wohl! Auf diesem lieben Boden
Klebt fest mein Fuß, wie heimlich angekettet;
Ich bin gebannt in diesen lieben Kreisen,
Die du um mich gezogen, schöne Fee;
Vertraute Balsamdüfte mich umhauchen,
Die Blumen sprechen und die Bäume singen,
Bekannte Bilder hüpfen aus den Büschen —
(Er erblickt das Christusbild, befremdet.)
Doch sprich, mein Lieb, dort steht ein fremdes Bild,
Das schaut mich an so mild, und doch so traurig,
Und eine bittre Träne läßt es fallen
In meinen schönen, goldnen Freudenkelch.
Zuleima. Und kennst du nicht dies heil'ge Bild, Almansor?
Hast du es nie geschaut in sel'gen Träumen?
Trafst du es wachend nie auf deinen Wegen?
Besinn' dich wohl, du mein verlor'ner Bruder!
Almansor. Wohl traf ich schon auf meinem Weg dies
Bildnis,
Am Tage meiner Rückkehr in Hispanien.
Links an der Straße, die nach Xeres führt,
Steht prangend eine herrliche Moschee,
Doch wo der Türmer einst vom Turme rief:
„Es gibt nur einen Gott, und Mahomet
Ist sein Prophet!“ da klung jetzund herab
Ein dröhnend dumpfes, schweres Glockenläuten.
Schon an der Pforte goß sich mir entgegen
Ein dunkler Strom gewalt'ger Orgeltöne,
Die hoch aufrauschten und wie schwarzer Sud
Im glühnden Zauberkessel qualmig quollen.
Und wie mit langen Armen, zogen mich
Die Riesentöne in das Haus hinein,
Und wanden sich um meine Brust, wie Schlangen,
Und zwängten ein die Brust, und stachen mich,
Als läge auf mir das Gebirge Kaff,
Und Simurghs Schnabel picke mir ins Herz.
Und in dem Hause scholl, wie'n Totenlied,
Das heisre Singen wunderlicher Männer,
Mit strengen Mienen und mit kahlen Häuptern,
Umwallt von blum'gen Kleidern, und der feine
Gesang der weiß- und rotgeröckten Knaben,
Die oft dazwischen klingelten mit Schellen
Und blanke Weihrauchfässer dampfend schwangen.
Und tausend Lichter gossen ihren Schimmer
Auf all das Goldgefunkel und Geglitzer,
Und überall, wohin mein Auge sah,
Aus jeder Nische nickte mir entgegen
Dasselbe Bild, das ich hier wiedersehe.
Doch überall sah, schmerzenbleich und traurig,
Des Mannes Antlitz, den dies Bildnis darstellt.
Hier schlug man ihn mit harten Geißelhieben,
Dort sank er nieder unter Kreuzeslast,
Hier spie man ihm verachtungsvoll ins Antlitz,
Dort krönte man mit Dornen seine Schläfe,
Hier schlug man ihn ans Kreuz, mit scharfem Speer
Durchstieß man seine Seite, — Blut, Blut, Blut
Entquoll jedwedem Bild. Ich schaute gar
Ein traurig Weib, die hielt auf ihrem Schoß',
Des Martermannes abgezehrten Leichnam,
Ganz gelb und nackt, von schwarzem Blut
umronnen —
Da hört' ich eine gellend scharfe Stimme:
„Dies ist sein Blut,“ und wie ich hinsah, schaut'
ich
(schaudernd)
Den Mann, der eben einen Becher austrank.
(Pause.)
Zuleima. Ins Haus der Liebe trat dein Fuß, Almansor,
Doch Blindheit lag auf deinen Augenwimpern.
Vermissen mochtest du den heitern Schimmer,
Der leicht durchgaukelt alte Heidentempel,
Und jene Werkeltagsbequemlichkeit,
Die in des Moslems dumpfer Betstub' kauert.
Ein ernst'res, bess'res Haus hat sich die Liebe
Zur Wohnung ausgesucht auf dieser Erde.
In diesem Hause werden Kinder mündig,
Und Münd'ge werden da zu Kindern wieder;
In diesem Hause werden Arme reich,
Und Reiche werden selig in der Armut;
In diesem Hause wird der Frohe traurig,
Und aufgeheitert wird da der Betrübte.
Denn selber als ein traurig, armes Kind
Erschien die Liebe einst auf dieser Erde.
Ihr Lager war des Stalles enge Krippe,
Und gelbes Stroh war ihres Hauptes Kissen;
Und flüchten mußte sie wie'n scheues Reh,
Von Dummheit und Gelehrsamkeit verfolgt.
Für Geld verkauft, verraten ward die Liebe,
Sie ward verhöhnt, gegeißelt und gekreuzigt; —
Doch von der Liebe sieben Todesseufzern
Zersprangen jene sieben Eisenschlösser,
Die Satan vorgehängt der Himmelspforte,
Und wie der Liebe sieben Wunden klafften,
Erschlossen sich aufs neu' die sieben Himmel,
Und zogen ein die Sünder und die Frommen.
Die Liebe war's, die du geschaut als Leiche
Im Mutterschoße jenes traur'gen Weibes.
O, glaube mir, an jenem kalten Leichnam
Kann sich erwärmen eine ganze Menschheit;
Aus jenem Blute sprossen schön're Blumen,
Als aus Alradschids stolzen Gartenbeeten,
Und aus den Augen jenes traur'gen Weibes
Fließt wunderbar ein süß'res Rosenöl,
Als alle Rosen Schiras liefern könnten.
Auch du hast teil, Almansor ben Abdullah,
An jenem ew'gen Leib und ew'gen Blute,
Auch du kannst setzen dich zu Tisch mit Engeln,
Und Gottesbrot und Gotteswein genießen,
Auch du darfst wohnen in der Sel'gen Halle,
Und, gegen Satans starke Höllenmacht,
Schützt dich mit ew'gem Gastrecht Jesu Christ,
Wenn du genossen hast sein „Brot und
Wein“.
Almansor. Du sprachest aus, Zuleima, jenes Wort,
Das Welten schafft und Welten hält zusammen;
Du sprachest aus das große Wörtlein
„Liebe!“
Und tausend Engel singen's jauchzend nach,
Und in den Himmeln klingt es schallend wieder;
Du sprachst es aus, und Wolken wölben sich
Dort oben hoch, wie eines Domes Kuppel,
Die Ulmen rauschen auf wie Orgeltöne,
Die Vöglein zwitschern fromme Andachtlieder,
Der Boden dampft von wallend süßem Weihrauch,
Der Blumenrasen hebt sich als Altar, —
Nur eine Kirch' der Liebe ist die Erde.
Zuleima. Die Erde ist ein großes Golgatha,
Wo zwar die Liebe siegt, doch auch verblutet.
Almansor. O, flechte nicht zum Totenkranz die Myrte,
Und hüll' die Liebe nicht in Trauerflöre.
Der Liebe Priesterin bist du, Zuleima,
Die Liebe wohnt in deines Busens Zelle,
Aus deiner Äuglein klaren Fenstern schaut sie,
Ihr Odem weht aus deinem süßen Munde —
Auf euch, ihr sammetweichen Purpurkissen,
Auf euch, ihr holden Lippen, thront die Liebe,
Auf euch möcht sich Almansors Seele betten, —
Ei, hörst du nicht Fatymas letzte Worte:
„Bring diesen Kuß Zuleimen, meiner
Tochter.“ —
(Sie sehen sich lange wehmütig an. Sie küssen sich
feierlich.)
Zuleima. Fatymas Totenkuß hab' ich empfangen,
Nimm hin dagegen Christi Lebenskuß!
Almansor. Es war der Liebe Odem, den ich trank
Aus einem Becher mit Rubinenrande;
Es war ein Freudenborn, woraus ich trank
Ein Öl, das heiß durch meine Adern rinnet,
Und mir das Herz erquicket und verbrennt.
(Umschlingt sie.)
Ich lass' nicht ab von dir, von dir, Zuleima!
Und ständen offen Allahs goldne Hallen,
Und Huris winkten mir mit schwarzen Augen,
Ich ließ' nicht ab von dir, ich blieb' bei dir,
Umschlänge fester deinen süßen Leib, —
Dein Himmel nur, Zuleimas Himmel nur
Sei auch Almansors Himmel, und dein Gott
Sei auch Almansors Gott, Zuleimas Kreuz
Sei auch Almansors Hort, dein Christus sei
Almansors Heiland auch, und beten will ich
In jener Kirche, wo Zuleima betet.
Beseligt schwimm' ich wie in Liebeswellen,
Von weichen Harfenlauten süß umklungen; —
Die Bäume tanzen wunderlichen Reigen; —
Die Englein schütten neckend Sonnenstrahlen
Und bunten Blütenstaub auf mich herab; —
Erschlossen ist des Himmels stille Pracht; —
Hellgoldne Schwingen tragen mich hinauf, —
Zur Seligkeit hinauf! —
(In der Ferne hört man Glockengeläute und Kirchengesang.)
Zuleima (sich erschrocken
von ihm wendend). Jesus Maria!
Almansor. Welch dunkler Laut zerreißt den goldnen
Schleier,
Womit mich sel'ge Träume leicht umwoben?
Erblassen seh' ich plötzlich dich, mein Lieb,
Mein Röslein wandelt sich in eine Lilie, —
Sag' an, mein Lieb, hast du den Tod geschaut,
Der unsichtbar erscheinet, uns zu trennen?
Zuleima. Der Tod, der trennet nicht, der Tod vereinigt,
Das Leben ist's, was uns gewaltsam trennt.
Hörst du, Almansor, was die Glocken murmeln?
Sie murmeln dumpf:
(verhüllt sich)
„Zuleima wird vermählt heut
Mit einem Mann, der nicht Almansor heißt.“
(Pause.)
Almansor. So hast du mir ins Herz hineingezischt
Dein schlimmstes Gift, du Schlangenkönigin!
Von diesem Gifthauch welken rings die Blumen,
Des Springborns Wasser wandelt sich in Blut,
Und tot fällt aus der Luft herab der Vogel.
So hast du mich hineingesungen, Falsche,
In jene Folterkammer, die du Kirch' nennst,
Und kreuzigst mich an deines Gottes Kreuz,
Und ziehst geschäftig an den Glockensträngen,
Und spielst die Orgel, um zu übertäuben
Mein lautes Reu- und Angstgebet zu Allah!
So hast du mich gelockt, du schlimme Fee,
In deinen Muschelwagen mit den Täubchen,
Hast mich hinaufgelockt bis in die Wolken,
Um jählings mich von dort herabzuschleudern.
Ich höre fallend noch dein Spottgelächter,
Ich sehe fallend, wie dein Zauberwagen
Zu einem Sarge wird, mit Feuerrädern,
Wie deine Tauben sich in Drachen wandeln,
Wie du sie lenkst am schwarzen
Schlangenzügel, —
Und grausen Fluch hinunterbrüllend, stürz' ich
Hinab, hinab, bis in den Schlund der Hölle,
Und Teufel selbst erschrecken und erbleichen
Bei meinem Wahnsinnfluch und Wahnsinnanblick.
Fort! fort von hier! Ich weiß noch einen Fluch,
Spräch' ich ihn aus, müßt' Eblis selbst erblassen,
Die Sonne müßt' erschrocken rückwärts eilen,
Die Toten kröchen zitternd aus den Gräbern,
Und Mensch und Tier und Bäume würden Stein.
(Stürzt fort.)
Zuleima, die bis jetzt verhüllt und unbeweglich stand,
wirft sich nieder vor dem Christusbilde. Ein Kirchenlied singend ziehen Mönche, mit
Kirchenfahnen und Heiligenbildern, in Prozession vorüber.
(Waldgegend.)
Der Chor. Es ist ein schönes Land, das schöne Spanien,
Ein großer Garten, wo da prangen Blumen,
Goldäpfel, Myrten: — aber schöner noch
Prangten mit stolzem Glanz die Maurenstädte,
Das edle Maurentum, das Tarik einst,
Mit starker Hand, auf span'schen Boden pflanzte.
Durch manch Ereignis war schon früh gediehn
Das junge Reich; es wuchs und blühte auf
In Herrlichkeit, und überstrahlte fast
Des alten Mutterlands ehrwürd'ge Pracht.
Denn als der letzte Omayad entrann
Dem Gastmahl, wo der arge Abasside
Der Omayaden blut'ge Leichenhaufen
Zu Speisetischen höhnend aufgeschichtet;
Als Abderrham nach Spanien sich gerettet,
Und wackre Mauren treu sich angeschlossen
Dem letzten Zweig des alten Herrscherstamms, —
Da trennte feindlich sich der span'sche Moslem
Vom Glaubensbruder in dem Morgenlande;
Zerrissen ward der Faden, der von Spanien,
Weit übers Meer, bis nach Damaskus reichte,
Und dort geknüpft war am Kalifenthron';
Und in den Prachtgebäuden Cordovas
Da wehte jetzt ein rein'rer Lebensgeist,
Als in des Orients dumpfigen Haremen.
Wo sonst nur grobe Schrift die Wand bedeckte,
Erhub sich jetzt, in freundlicher Verschlingung,
Der Tier- und Blumenbilder bunte Fülle;
Wo sonst nur lärmte Tamburin und Zimbel,
Erhob sich jetzt, beim Klingen der Chitarre,
Der Wehmutsang, die schmelzende Romanze;
Wo sonst der finstre Herr, mit strengem Blick,
Die bange Sklavin trieb zum Liebesfron,
Erhub das Weib jetzund sein Haupt als Herrin,
Und milderte mit zarter Hand die Roheit
Der alten Maurensitten und Gebräuche,
Und Schönes blühte, wo die Schönheit herrschte.
Kunst, Wissenschaft, Ruhmsucht und Frauendienst,
Das waren jene Blumen, die da pflegte
Der Abderrhamen königliche Hand.
Gelehrte Männer kamen aus Byzanz,
Und brachten Rollen voll uralter Weisheit;
Viel neue Weisheit sproßte aus der alten;
Und Scharen wißbegier'ger Schüler wallten
Aus allen Ländern her nach Cordova,
Um hier zu lernen, wie man Sterne mißt,
Und wie man löst die Rätsel dieses Lebens.
Cordova fiel, Granada stieg empor,
Und ward der Sitz der Maurenherrlichkeit.
Noch klingt's in blühend stolzen Liedern von
Granadas Pracht, von ihren Ritterspielen,
Von Höflichkeit im Kampf, von Siegergroßmut,
Und von dem Herzenspochen holder Damen,
Die streiten sahn die Ritter ihrer Farbe.
Doch war's ein ernst'rer Ritterkampf, worin
Sie selber fiel, die leuchtende Granada,
Und ritterliche Großmut war es nicht,
Als jüngst sein Wort, womit er Glaubensfreiheit
Verbürget hatt', der Sieger listig brach,
Und den Besiegten nur die Wahl gelassen,
Entweder Christ zu werden, oder fort
Aus Spanien nach Afrika zu fliehn.
Da wurde Aly Christ. Er wollte nicht
Zurück ins dunkle Land der Barbarei.
Ihn hielt gefesselt edle Sitte, Kunst
Und Wissenschaft, die in Hispanien blühte.
Ihn hielt gefesselt Sorge für Zuleima,
Die zarte Blume, die im Frauenkäfig
Des strengen Morgenlands hinwelken sollte.
Ihn hielt gefesselt Vaterlandesliebe,
Die Liebe für das liebe, schöne Spanien.
Doch was am meisten ihn gefesselt hielt,
Das war ein großer Traum, ein schöner Traum,
Anfänglich wüst und wild, Nordstürme heulten,
Und Waffen klirrten, und dazwischen rief's:
„Quiroga und Riego!“ tolle Worte!
Und rote Bäche flossen, Glaubenskerker
Und Zwingherrnburgen stürzten ein in Glut
Und Rauch, und endlich stieg aus Glut und Rauch
Empor das ew'ge Wort, das urgebor'ne,
In rosenroter Glorie selig strahlend.
(Geht ab.)
Almansor wankt träumerisch einher.
Almansor (kalt und
verdrossen). In alten Märchen gibt es gold'ne Schlösser,
Wo Harfen klingen, schöne Jungfraun tanzen,
Und schmucke Diener blitzen, und Jasmin
Und Myrt' und Rosen ihren Duft verbreiten —
Und doch ein einziges Entzaub'rungswort
Macht all die Herrlichkeit im Nu zerstieben,
Und übrig bleibt nur alter Trümmerschutt,
Und krächzend Nachtgevögel und Morast.
So hab' auch ich mit einem einz'gen Worte
Die ganze blühende Natur entzaubert.
Da liegt sie nun, leblos und kalt und fahl,
Wie eine aufgeputzte Königsleiche,
Der man die Backenknochen rot gefärbt,
Und in die Hand ein Zepter hat gelegt.
Die Lippen aber schauen gelb und welk,
Weil man vergaß sie gleichfalls rot zu schminken,
Und Mäuse springen um die Königsnase,
Und spotten frech des großen, goldnen
Zepters —
Es ist das eig'ne Blut, das uns hinaufsteigt
Ins Aug', wodurch mit schönem, roten Schimmer
Bekleidet werden all die Rosenblätter,
Jungfrauenwänglein, Sommerabendwölkchen,
Und gleiche Spielerei'n, die uns entzücken.
Ich hab' die rote Brille abgelegt —
Und sieh'! welch schlechtes Machwerk ist die Welt!
Die Vögel singen falsch; die Bäume ächzen
Wie alte Mütterchen; die Sonne wirft,
Statt glühnder Strahlen, lauter kalte Schatten;
Schamlos, wie Metzen, lachen dort die Veilchen;
Und Tulpen, Nelken und Aurikeln haben
Die bunten Sonntagsröckchen ausgezogen,
Und tragen ihr geflicktes, graues Hauskleid.
Ich selbst hab' mich verändert noch am meisten;
Kaum kann ein Mädchensinn sich so verändern!
Ich bin nur noch ein knöchrichtes Skelett;
Und was ich sprech', ist nur ein kalter Windstoß,
Der klappernd zieht durch meine trocknen Rippen.
Das kluge Männlein, das im Kopf mir wohnte,
Ist ausgezogen, und in meinem Schädel
Spinnt eine Spinn' ihr friedliches Gewebe.
Auch wein' ich einwärts jetzt; denn als ich schlief,
Stahl man die Augen mir, und glühnde Kohlen
Hat man gefugt in meine Augenhöhlen.
Du Engel oben, du, von dem die Amme
Mir einst erzählte, daß du jede Träne,
Die meinem Aug' entflösse, sorgsam zähltest,
Du hast jetzt Feierabend! Mühsam war
Dein Tagewerk, du armer Tränenzähler, —
Hast du dich nie verzählt? und konntest du
Die großen Zahlen stets im Kopf' behalten?
Du bist wohl müd', und ich bin auch recht müd',
Und auch mein Herz ist müd' vom vielen Klopfen,
Und ausruhn wollen wir.
(Er legt sich nieder, an einen Kastanienbaum gelehnt.)
Ich bin recht müd'
Und krank, und kranker noch als krank, denn ach!
Die allerschlimmste Krankheit ist das Leben;
Und heilen kann sie nur der Tod. Das ist
Die bitterste Arznei, doch auch die letzte,
Und ist zu haben überall, und wohlfeil.
(Er zieht einen Dolch hervor.)
Du eiserne Arznei, du schaust so zweifelnd
Mich an. Willst du mir helfen?
Hassan tritt auf und naht sich leise.
Hassan. Allah hilft!
Almansor (ohne ihn zu
bemerken, noch immer mit dem Dolche sprechend).
Du murmelst was von Allah und dergleichen.
Bedarf der Dolch noch eines spitz'gen Wortes,
Um mir das Herz im Leibe zu verwunden?
Hassan. Was Allah tut, ist wohlgetan.
Almansor (immer noch mit dem
Dolche sprechend). Ha, ha, ha!
Moralisieren, scheint es, will der Dolch!
Ich rate, schweig', denn schweigend sprichst du
mehr,
Als mancher Moralist mit seinem Wortschwall.
Hassan (seufzend).
Almansor ben Abdullah, was beginnst du?
Almansor (Hassan
erblickend). Ha! ha! Du sprachst, zweibeinig kluges Ding!
Trägst du nicht Hassans Bart und Hassans Augen?
Bist du gar Hassan selbst? Das ist recht schön.
Wir wollen Abschied nehmen. Lebe wohl!
Gleich reis' ich ab!
(Zeigt ihm den Dolch.)
Sieh, diese schmale Brücke
Führt aus dem Land der Trauer in das Land
Der Freude. Drohend steht am Eingang zwar,
Mit blankem Schwert, ein kohlenschwarzer
Riese, —
Der ist dem Feigen furchtbar, doch der Mut'ge
Geht ungestört hinein ins Land der Freude.
Ja, dorten ist die wahre Freude, oder —
Was doch dasselbe ist — die wahre Ruh'.
Dort summt ins Ohr kein überläst'ger Käfer,
Und keine Mücke kitzelt dort die Nase;
Dort fällt kein grelles Licht ins blöde Aug';
Und nimmer quält dort Hitz', und Frost, und Hunger
Und Durst; und was das beste ist, dort schläft man
Den ganzen Tag, und obendrein die Nacht.
Hassan. Nein, Sohn Abdullahs, feige ist der Schwächling,
Der keine Kraft hat mit dem Schmerz zu ringen,
Und ihm den Nacken zeigt, und zaghaft von
Des Lebens Kampfplatz flieht — steh' auf,
Almansor!
Almansor (hebt eine Kastanie
von der Erde). Durch wessen Schuld liegt diese Frucht am Boden?
Hassan. Durch Wurm und Sturm; der Wurm zernagt die
Fasern,
Und leicht wirft dann der Sturm die Frucht herab.
Almansor. Soll nun der Mensch, die allerschwächste
Frucht,
Nicht auch zu Boden fallen, wenn der Wurm,
(zeigt aufs Herz)
Der schlimmste Wurm die Lebenskraft zernagte,
Und der Verzweiflung wilder Sturm ihn rüttelt?
Hassan. Steh' auf, steh' auf, Almansor! Nur der Wurm
Mag sich am Boden krümmen, doch der Aar
Fliegt stolz hinauf zum ew'gen Sonnenlichte.
Almansor. Reiß' du dem Aar die mächt'gen Flügel aus,
Und auch der Aar ist Wurm und kriecht am Boden.
Des Mißmuts Schere hat mir längst zerschnitten
Die goldnen Flügel, die mich einst als Knabe
Gen Himmel trugen, hoch, gar hoch hinauf.
Hassan. O, zeig' mir einen Stein, der kalt und stumm ist,
Und sprich: das ist Almansor! Ich will's glauben.
Doch du bist's nicht, du, der mit offnen Augen
Dort zaghaft liegst, und liegst, und glotzend
zusiehst,
Wie man die Schmach auf deine Brüder wälzt,
Wie span'scher Übermut der Mauren beste
Und edelste Geschlechter frech verhöhnt,
Wie man sie schlau beraubt, und händeringend
Und nackt und hilflos aus der Heimat
peitscht —
Du bist Almansor nicht, sonst dränge dir
Ins Ohr der Greise und der Weiber Wimmern,
Das span'sche Hohngelächter und der Angstruf
Der edlen Opfer auf dem glühnden Holzstoß.
Almansor. Glaub' mir, ich bin's. Ich seh' den span'schen
Hund!
Dort spuckt er meinem Bruder in den Bart,
Und tritt ihn noch mit Füßen obendrein.
Ich hör's: dort weint das arme Mütterchen;
Sie aß am Freitag gerne Gänsebraten,
Drum bratet man sie selbst jetzt, Gott zu Ehren.
Am Pfahl daneben steht ein schönes Mädchen —
Die Flammen sind in sie verliebt, umschmeicheln,
Umlecken sie mit lüstern roten Zungen;
Sie schreit und sträubt sich hold errötend gegen
Die allzuheißen Buhlen, und sie weint —
O schade! aus den schönen Augen fallen
Hellreine Perlen in die gier'ge Glut.
Jedoch was sollen diese Leute mir?
Mein Herz ist ganz durchstochen wie ein Sieb,
Hat keinen Raum für neue Schmerzenstiche.
Der blut'ge Mann, der auf der Folter liegt,
Hat kein Gefühl für einer Biene Stachel.
Glaub' mir's, ich bin Almansor noch, und gastfrei
Steht meine Brust noch offen fremden Schmerzen;
Doch, durch die engen Pförtlein Aug' und Ohr
Sind Riesenleiden in die Brust gestiegen,
Die Brust ist voll —
(Ängstlich leise.)
Gar ein'ge wunde Gäste
Sind, herbergsuchend, mir ins Hirn gestiegen.
Hassan. Steh auf! steh auf! sonst sag' ich dir ein Wort,
Das dich aufgeißeln wird, und neue Glut
In deine Adern gießt —
(Sich zu ihm herabbeugend.)
Zuleima
Liegt heute nacht in eines Spaniers Armen.
Almansor (aufspringend und
sich krampfhaft windend). Die Sonne ist mir auf den Kopf gefallen,
Das Hirn ist eingebrochen, und die Gäste,
Die dort sich eingenistet, taumeln auf,
Umflirren mich, wie graue Fledermäuse,
Umsummen mich, umächzen mich, umnebeln
Mich mit dem Duft vergifteter Gedanken!
(Hält sich den Kopf.)
O weh! o weh! die Alte faßt mich an,
Reißt mir das Haupt vom Rumpf, und schleudert es
In einen Hochzeitsaal, wo zärtlich bellend
Ein span'scher Hund mein süßes Liebchen küßt,
Und schnalzend küßt und herzt — O weh! O hilf mir!
(Wirft sich zu Hassans Füßen.)
O hilf dem blut'gen, abgerißnen Kopf,
Der keine Arme hat, den Hund zu würgen —
O leih mir deine Arme, Hassan! Hassan!
Hassan. Ja, meinen Arm will ich dir leihn, Almansor,
Und auch die starken Arme meiner Freunde.
Wir wollen würgen jenen span'schen Hund,
Der dir entreißen will dein Eigentum.
Steh auf! du sollst Zuleima bald besitzen.
(Almansor steht auf.)
Als ich Eu'r gestrig Nachtgespräch belauscht,
Riet ich zu schneller Flucht, allein vergebens;
Doch soll Almansor nicht verzweifeln, dacht' ich.
Ich habe meine Freunde hergeführt;
Sie harren meines Winkes, und wir stürmen
Nach Alys Schloß, wir ungeladne Gäste.
Du nimmst dir deine Braut, und bringst sie mit
Nach unserm Schiff', das an der Küste liegt.
Zuleimas Liebe wird schon wiederkommen.
Almansor. Ha, ha, ha! Liebe! Liebe! Fades Wort,
Das einst, mit schläfrig halbgeschloss'nen Augen,
Ein Engel gähnend sprach. Er gähnte wieder,
Und eine Welt voll Narren, alt und jung,
Hat gähnend nachgelallet: Liebe! Liebe!
Nein, nein! ich bin kein schmächt'ger Zephir mehr,
Der schmeichelnd fächelt eines Mädchens Wange;
Ich bin der Nordsturm, der ihr Haar zerzaust,
Und rasend mit sich reißt die scheue Braut.
Ich bin kein süßes Weihrauchdüftchen mehr,
Das einer Jungfrau Nase zärtlich kitzelt;
Ich bin der Gifthauch, der sie dumpf betäubt,
Und schwelgend dringt in alle ihre Sinne.
Ich bin das Lamm nicht mehr, das, fromm und mild,
Sich hinschmiegt zu den Füßen seiner Schäf'rin;
Ich bin der Tiger, der sie wild umkrallt,
Und wollustbrüllend ihren Leib zerfleischt.
Zuleimas Leib ist's, was ich jetzt verlange;
Ich will ein glücklich Tier sein, ja, ein Tier;
Und in des Sinnenrausches Taumel will ich
Vergessen, daß es einen Himmel gibt.
(Ergreift hastig Hassans Hand.)
Ich bleibe bei dir, Hassan! ja, wir wollen
Auf wilder See ein lustig Reich begründen.
Tribut soll uns der stolze Spanier zollen;
Wir plündern seine Küst' und seine Schiffe; —
Auf dem Verdecke kämpf' ich dir zur Seite; —
Mein Säbel spaltet stolze Spanierschädel —
Die Hunde über Bord! — das Schiff ist unser!
Ich aber eile jetzt, mich zu erquicken,
Nach der Kajüte, wo Zuleima wohnt,
Umfasse sie mit meinen blut'gen Armen,
Und küsse ab von ihrer weißen Brust
Die roten Flecken — Ha! sie sträubt sich noch?
Zu meinen Füßen, Sklavin, sollst du wimmern,
Ohnmächtig Ding, das meine Sinne kühlt
Nach wilder Kampfeshitze, — Sklavin, Sklavin,
Gehorche mir, und fächle meine Glut!
(Beide eilen fort.)
Saal in Alys Schloß. Ritter und Frauen sitzen, festlich
geschmückt, an einer Speisetafel. Aly, Don Enrique, Zuleima, ein
Abt. Musikanten. Speisenauftragende Bediente.
Ein Ritter (steht auf, mit
einem gefüllten Becher in der Hand). Ein schöner Name klingt in meiner
Brust:
Es lebe Isabella von Kastilien!
(Er trinkt.)
Ein Teil der Gäste. Hoch lebe Isabella von Kastilien!
(Bechergeklirr und Trompetentusch.)
Der Abt. Noch einen Namen nenn' ich euch: Ximenes,
Erzbischof von Toledo, lebe hoch!
(Er trinkt.)
Ein Teil der Gäste. Hoch lebe der Erzbischof von Toledo!
(Bechergeklirr und Trompetentusch.)
Ein anderer Ritter. Laßt uns die besten Namen nicht
vergessen.
Stoßt an: Es lebe hoch das edle Brautpaar!
(Er trinkt.)
Alle. Hoch lebe Donna Clara und Enrique!
(Bechergeklirr und Trompetentusch. Zuleima und Enrique
verneigen sich.)
Don Enrique. Ich danke euch.
Zweiter Ritter. Doch Eure Braut ist
stumm.
Don Enrique. Die holde Clara spricht zwar wenig heut,
Doch heut bedarf's nur eines einz'gen Wortes,
Des Jaworts am Altar, und ich bin glücklich.
Zuleima. Die Brust ist mir so sehr beklommen, Sennor.
Dritter Ritter. Ein schlimmes Zeichen ist es, Don
Enrique,
Daß Ihr das Salzfaß eben umgestoßen.
Vierter Ritter. Ein schlimm'res Zeichen wär's, wenn Ihr
den Becher
Mitsamt dem Weine umgestoßen hättet.
Dritter Ritter. Don Carlos ist ein Säufer.
Vierter Ritter. Ja, gottlob!
Und kein trübselig Sonntagskind, wie Ihr,
Dem gleich das beste Mahl versalzen ist,
Wenn jemand unverseh'ns das Salzfaß umwirft.
Ja, ja der Wein, das ist mein Element!
In seinen goldig hellen Liebesfluten
Will ich gesund die kranke Seele baden;
Und lachen muß ich immer, wenn ich denke,
Wie Mekkas nüchterner Prophet —
Ja, Sennor,
Der Wein, der Wein, ja, ja, ich wollte sagen
Der Wein ist gut, —
Aly. Pedrillo! Hör' Pedrillo!
Pedrillo. Genäd'ger Herr?
Aly. Laß alle Possenreißer
Und alle Gaukler kommen, alle Springer,
Und auch den Harfenspieler, das Gesindel
Aus Barcelona.
Pedrillo. Versteh' schon, gnäd'ger
Herr!
(Geht ab.)
Fünfter Ritter (im Gespräch
mit einer Dame). Heuraten werd' ich nimmermehr, Sennora.
Die Dame. Ihr scherzt, Ihr seid bei Laune, Don Antonio;
Ihr seid ein Damenfreund, und Freund der Liebe.
Fünfter Ritter. Ich liebe wohl die Myrte, ich ergötze
Mein Auge an dem frischen Grün der Blätter,
Erquicke mir das Herz an ihrem Duft;
Doch hüt' ich mich, daß ich die Myrte koche,
Um als Gemüse sie zu speisen, — bitter,
Sennora, bitter schmeckt ein solch Gericht.
Der Abt (im Gespräch mit
seinem Nachbar). Das war ein herrliches Autodafé!
So etwas labt das Herz des frommen Christen,
Und schreckt die starren Sünder auf den
Bergen —
(zu Aly)
Wißt Ihr die Nachricht schon vom Sieg der Unsern,
Und von der Heiden blut'ger Niederlage?
Sie haben sich zerstreut, unweit von hier
Durchstreifen sie die Gegend, —
Aly (nach der Türe
sehend). Gott sei Dank!
Ich hab' es schon gehört, ehrwürd'ger Herr, —
Doch soll uns jetzt das Gaukelspiel ergötzen —
Der Harfenspieler (singt).
In dem Hofe des Alhambras
Stehn zwölf Löwensäul' von Marmor;
Auf den Löwen steht ein Becken
Von dem reinsten Alabaster.
In dem Becken schwimmen Rosen,
Rosen von der schönsten Farbe;
Das ist Blut der besten Ritter,
Die geleuchtet in Granada.
Aly. Ein traurig Lied. Es ist zu melancholisch.
Gebt uns ein lustig Hochzeitlied, recht lustig!
Der Harfenspieler (singt).
Es war mal ein Ritter, trübselig und stumm,
Mit hohlen, schneeweißen Wangen;
Er schwankte und schlenderte schlotternd herum,
In dumpfen Träumen befangen.
Er war so hölzern, und täppisch, und links,
Die Blümlein und Mägdlein, die kicherten rings,
Wenn er stolpernd vorbeigegangen.
Oft saß er im finstersten Winkel zu Haus;
Er hat sich vor Menschen verkrochen.
Da streckte er sehnend die Arme aus,
Doch hat er kein Wörtlein gesprochen.
Kam aber die Mitternachtstunde heran,
Ein seltsames Singen und Klingen begann,
An die Türe da hört er es pochen.
Da kommt seine Liebste geschlichen herein,
Im rauschenden Wellenschaumkleide.
Sie blüht und glüht, wie ein Röselein,
Ihr Schleier ist eitel Geschmeide.
Goldlocken umspielen die schlanke Gestalt,
Die Äugelein grüßen mit süßer Gewalt —
In die Arme sinken sich beide.
Der Ritter umschlingt sie mit Liebesmacht,
Der Hölzerne steht jetzt in Feuer;
Der Blasse errötet, der Träumer erwacht,
Der Blöde wird freier und freier.
Sie aber, sie hat ihn gar schalkhaft geneckt,
Sie hat ihm ganz leise den Kopf bedeckt
Mit dem weißen, demantenen Schleier.
In einen kristallenen Wasserpalast
Ist plötzlich gezaubert der Ritter.
Er staunt, und die Augen erblinden ihm fast,
Vor alle dem Glanz und Geflitter.
Doch hält ihn die Nixe umarmet gar traut,
Der Ritter ist Bräut'gam, die Nixe ist Braut,
Ihre Jungfrau'n spielen die Zither.
Sie spielen und singen; es tanzen herein
Viel winzige Mädchen und Bübchen.
Der Ritter, der will sich zu Tode freu'n,
Und fester umschlingt er sein Liebchen —
(Pedrillo stürzt ängstlich herein.)
Pedrillo. O, Allah hilf! Jesus Maria Joseph!
Wir sind verloren, denn sie kommen, kommen!
Alle. Wer kömmt?
Pedrillo. Die Unsern kommen!
Alle. Wie? die Unsern?
Pedrillo. Nein, nicht die Unsern. Die verfluchten Heiden,
Die schändlichen Rebellen von den Bergen,
Die sind herangeschlichen auf den Strümpfen —
Wir sind verloren, draußen sind sie, hört ihr?
(Man hört Waffengerassel. Verworrene Stimmen rufen: Granada!
Allah! Mahomet!)
Einige Ritter. Wohlan, sie mögen kommen!
Andre Ritter. Unsre Waffen!
(Die Damen geben Zeichen des Schreckens. Zuleima sinkt
ohnmächtig hin. Laute Bewegung im Saale.)
Aly. O seid nur außer Sorge, schöne Damen.
Der Maure ist galant, und selbst im Zorne
Wird er den Damen ritterlich begegnen.
Wir Männer aber wollen tüchtig kämpfen —
Alle Ritter (ihre Schwerter
ziehend).
Wir kämpfen für den Leib und für die Ehre!
Waffengeklirr. Verworrene Stimmen. Die Mauren brechen
herein; an ihrer Spitze Hassan und Almansor. Letzterer bricht sich Bahn
zur ohnmächtigen Zuleima. Gefecht.
Waldgegend. Man hört in der Nähe Waffengerassel und Kampfruf.
Pedrillo kommt ängstlich und händeringend gelaufen.
Pedrillo. O weh! die hübsche Hochzeit ist verdorben!
O weh! die hübschen, seidnen Hochzeitkleider,
Die werden jetzt zerhauen und zerfetzt,
Und blutig obendrein, und statt des Weines
Fließt Blut! Ich lief nicht fort aus Feigheit, nein,
Beim Kampfe wollt' ich niemand in dem Weg stehn.
Sie werden fertig ohne mich. Schon sind
Die Feinde aus dem Saal zurückgedrängt, —
Und sieh!
(Nach der Seite gewendet.)
Schon vor dem Schlosse kämpfen sie.
Sieh dort! O weh! Der säbelt lustig drein!
Mir wär's nicht lieb, wenn solch ein krummes Ding
Mir flink und zierlich durchs Gesicht spazierte.
Dem dorten ist die Nase abgehau'n,
Und unserm armen, dicken Ritter Sancho
Hat man den fetten Schmerbauch aufgeschlitzt.
Doch sieh! wer ist der rote Ritter? Seltsam!
Er trägt den span'schen Mantel und gehört
Zur maurischen Partei — O Allah! Jesus!
(Weint.)
Ach, unsre arme, freundliche Zuleima!
Dem roten Ritter liegt sie auf der Schulter,
Er hält sie fest mit seinem linken Arm,
Und mit der rechten Hand schwingt er den Säbel,
Und haut, wie'n Rasender — er ist verwundet —
Er sinkt — Nein! nein! er wankte nur — Er
steht,
Er kämpft — er flieht —
O weh! wo soll ich hin,
Auch hier muß ich den Leuten aus dem Weg gehn.
(Eilt fort.)
Almansor wankt ermattet vorüber. Er trägt auf dem Arm
die ohnmächtige Zuleima, schleppt sein Schwert nach sich, und lallt:
„Zuleima! Mahomet!“ Kämpfende Mauren und Spanier treten auf.
Die Mauren werden weiter gedrängt. Hassan und Aly kommen fechtend.
Wildes Gefecht zwischen beiden. Hassan wird verwundet. Don Enrique,
Diego und spanische Ritter treten auf.
Hassan (niedersinkend). Ha! ha! die Christenschlange hat
gestochen!
Und just ins Herz hinein — O schläfst du, Allah?
Nein, Allah ist gerecht, und was er tut,
Ist wohlgetan — Vergißt du meiner? —
Nein,
Nur Menschen sind vergeßlicher Natur —
Vergessen ihren Gott, und ihren Freund,
Und ihres Freundes besten Knecht — Sag', Aly,
Kennst du den Hassan noch, den Knecht Abdullahs?
Abdullah —
Aly (in Zorn
ausbrechend). Abdullah ist der Name jenes
Verräterischen Buben, jenes feigen,
Blutdürst'gen Bösewichts, der meinen Sohn,
Den teuern Sohn Almansor, mir gemordet!
Abdullah heißt Almansors Meuchelmörder —
Hassan (sterbend).
Abdullah ist kein Bösewicht, kein Bube,
Abdullah ist Almansors Mörder nicht!
Almansor lebt — lebt — lebt — ist
hier — es ist
Der rote Ritter, der Zuleima raubt', —
Dort, dort —
Aly. Mein Sohn Almansor lebt? es
ist
Der rote Ritter, der Zuleima raubt'?
Hassan. Ja, ja! fest hält er was er einmal hat —
Du lügst, Abdullah war kein Meuchelmörder,
Und war kein Bösewicht, und war kein Christ —
Laß mich in Ruh' — Es kommen schon die
Mädchen,
Mit schwarzen Augen, schöne Huris kommen —
(Selig lächelnd.)
Die jungen Mädchen und der alte Hassan!
(Er stirbt.)
Aly. O Gott, ich danke dir! Mein Sohn, er lebt!
O Gott, das ist ein Zeichen deiner Gnade!
Mein Sohn, er lebt! Kommt, Freunde, laßt uns jetzt
Verfolgen seine Spur. Er ist uns nah,
Und hat als Beute schon davongetragen
Die holde Braut, die ich ihm einst erkor.
(Alle gehen ab, bis auf Don Enrique und Don Diego, die sich
lange schweigend ansehn.)
Don Enrique (weinerlich). Und nun? Nun, Don Diego?
Don Diego (ihm
nachäffend). Und nun, Don
Enrique del Puente del Sahurro?
Don Enrique. Was wollen wir jetzt tun?
Don Diego. Wir? wir? Nein,
Sennor,
Wir beide sind geschiedne Leute jetzt.
Ihr habt kein Glück. Das kostet mir zweihundert
Dukaten. Geld ist fort. Die Müh' verloren.
(Ärgerlich lachend.)
Ich plage mich von Jugend auf, mit Kniffen
Und Pfiffen, denke mir die Haare grau;
Auf krummen Pfaden schleiche ich im Wald,
Daß mir der Dornbusch Rock und Fleisch zerreißt;
Durch steile Felsen wind' ich mich, und springe
Von Spitz' zu Spitz', daß wenn ich niederfiele,
Die Raben meinen Kopf als ein Ragout
Verspeisen würden — dennoch bleib' ich arm!
Ich bleibe arm, wie eine Kirchmaus arm!
Derweil mein Schulkam'rad, der blöde Dummkopf,
Der immer, recht schnurgrade und behaglich,
Auf seiner breiten Landstraß' schlendert,
Noch immer seinen Ochsengang fortschlendert,
Und ein geehrter, dicker, reicher Mann ist.
Nein, ich bin's müde, Sennor; lebet wohl!
(Geht ab.)
Don Enrique (steht lange
sinnend). Ob Don Gonzalvo mir nichts borgen wird?
(Geht ab.)
Felsengegend. Almansor, matt und blutend, und die
ohnmächtige Zuleima tragend, erklimmt den höchsten Felsen.
Almansor. O, hilf mir, Allah, bin so müd und matt,
Hab' mir zurückgeholt mein weißes Reh,
Just als des Jägers Hand es schlachten wollte.
(Er setzt sich auf des Felsens Spitze und hält Zuleima auf
dem Schoße.)
Ich bin der arme Mödschnun, und ich sitze
Auf meinem Felsen, spiel' mit meinem Reh;
Denn in ein Reh verwandelte sich Leila,
Und sah mich an mit freundlich klaren Augen.
Jetzt sind die Äuglein zu, mein Rehlein schläft.
Still! still! Du Zeisig, zwitschre nicht so schmetternd.
Du Käfer, summe leiser. Liebes Lüftlein,
Durchraschle nicht so laut die Blätter, —
Stille!
Ein Wiegenlied will ich dir singen. Stille!
(Er wiegt Zuleima im Schoße und singt.)
Die Sonne wirft ihr Nachtkleid um,
Gar rosenrot und schön;
Die Vöglein werden still und stumm,
Sie woll'n zu Bette gehn.
Schlafe mein Rehlein auch du!
Mein Rehlein schläft, recht hübsch; doch gar zu lang.
Die schmachtend süßen, liebeklaren Äuglein
Sind zugeschlossen jetzt, fest
zugeschlossen, —
Und bleiben zu? Ist denn mein Rehlein tot?
(In Tränen ausbrechend.)
Tot! Tot! mein weiches, weißes Rehlein tot!
Die süßen Sternlein ausgelöscht und tot!
Mein totes Rehlein! sanft will ich dich betten
Auf Rosen, Lilien, Veilchen, Hyazinthen.
Aus goldnem Mondschein web' ich eine Decke,
Und deck' dich zu. Ein Trauerlied soll dir
Rotkehlchen singen, und es sollen zwölf
Goldkäfer ernsthaft Schildwacht stehn des Tags
An deinem kleinen Blumenbettchen, zwölf
Glühwürmchen sollen flimmernd dort des Nachts,
Wie stille Totenkerzen, leuchten; aber
Ich selber will dort weinen Tag und Nacht.
(Zuleima erwacht aus ihrer Ohnmacht.)
Was seh' ich? Heimlich regen sich
Die zarten Glieder, und der seid'ne Vorhang
Der süßen Augen rollt sich langsam auf!
Das ist kein Rehlein, das ist Leila nicht,
Das ist Zuleima, Alys schöne Tochter —
(Zuleima öffnet die Augen.)
Der Himmel schließt sich auf, das Himmelreich!
Zuleima. Bin ich im Himmel schon?
Almansor. Aus starrem Tod
Bist du erwacht.
Zuleima. Ich weiß es wohl, daß
ich
Gestorben bin, und jetzt im Himmel bin.
(Sieht sich überall um.)
Wie schön ist's hier, wie leicht und rein die Luft,
Und alles trägt ein rosenfarbig Kleid.
Almansor. Ja, ja, wir sind im Himmel, süßes Lieb,
Siehst du die Blumen, die dort unten spielen,
Die Schmetterlinge, die dazwischen flattern,
Und, neckend, bunten Diamantenstaub
Den armen Blümlein in die Augen werfen?
Hörst du dort unten, wie das Bächlein rauscht,
Wie bläuliche Libellen es umsummen,
Und grüngelockte Wassermädchen, plätschernd,
In rötlich goldne Wellen untertauchen?
Siehst du die weißen Nebelbilder wallen?
Es ist der Sel'gen Schar, die, ewig jung,
Im ew'gen Frühlingsgarten sich ergehn.
Zuleima. Wenn das der Sel'gen Wohnung ist, Almansor,
So sage mir, wie bist du hergekommen?
Denn unser frommer Abt hat mir versichert:
Daß nur wer Christ ist selig werden kann.
Almansor. O zweifle nicht an meiner Seligkeit!
Ich halte dich, mein Lieb, in meinen Armen,
Und selig, dreimal selig ist Almansor.
Zuleima. So log der fromme Mann, er sagte auch,
Den edeln Don Enrique müßt' ich lieben.
Ich hab's getan, so gut es ging. Almansor
Wollt' ich vergessen. O, das ging nicht gut.
Ich hab' es auch geklagt der Mutter Gottes.
Die hat gelächelt, freundlich, gnädig, huldreich,
Und hat mich eingehüllt in ihren Schleier,
Und hergetragen in die lichte Höh'.
Musik erklang auf meinem Weg'; es bliesen
Die Englein auf Waldhörnern und Schalmein,
Und sangen süße Lieder; — süße Lust!
Ich bin im Himmel, und das beste ist,
Almansor ist bei mir, und in dem Himmel
Bedarf es der Verstellungskünste nicht,
Und frei darf ich gestehn: Ich liebe dich,
Ich liebe dich, ich liebe dich, Almansor!
(Das scheidende Abendrot verklärt die beiden Gestalten.)
Almansor. Ich wußte längst, du liebest mich noch immer,
Mehr als dich selbst. Die Nachtigall hat mir's
Vertraut, die Rose hat's mir zugehaucht,
Ein Lüftlein hat es mir ins Ohr gefächelt,
Und jede Nacht hab' ich es klar gelesen
Im blauen Buche mit den goldnen Lettern.
Zuleima. Nein! nein! der fromme Mann hat nicht gelogen,
Es ist so schön im schönen Himmelreich!
Umschließe mich mit deinen lieben Armen,
Und wiege mich auf deinem weichen Schoß,
Und laß Jahrtausende mich Wonnetrunk'ne
In diesem Himmel in dem Himmel liegen!
Almansor. Wir sind im Himmel, und die Engel singen,
Und rauschen drein mit ihren seidnen
Flügeln, —
Hier wohnet Gott im Grübchen dieser Wangen, —
(Waffengeklirr in der Ferne. Almansor erschrickt.)
Dort unten aber wohnet Eblis, furchtbar
Dringt seine Stimm' hinauf, bis in den Himmel,
Und streckt er nach mir aus die Eisenhand.
Zuleima (erschrocken). Was schrickst du plötzlich auf? was zitterst
du?
Almansor. Nenn's Eblis, nenn' es Satan, nenn' es
Menschen,
Die tückisch arge Macht, die wild hinaufsteigt,
In meinen Himmel selbst —
Zuleima. So laß uns fliehn,
Hinab ins Blumental, wo Blümlein spielen,
Die Schmetterlinge flattern, Bächlein rauscht,
Libellen summen, Nachtigallen trillern,
Und stille, sel'ge Nebelbilder wallen —
Trag' mich hinab, ich bleib' an deiner Brust.
(Sie schmiegt sich an ihn.)
Almansor (springt auf und
hält Zuleima im Arm). Hinab! hinab! die Blumen winken ängstlich,
Die Nachtigall ruft mich mit bangem Ton,
Der Sel'gen Schatten strecken nach mir aus
Die Nebelarme, riesig lang, ziehn mich
Hinab, hinab —
Fliehende Mauren eilen vorüber.
Die Jäger nahen schon,
Mein Reh zu schlachten! dorten klirrt der Tod,
Hier unten blüht entgegen mir das Leben,
Und meinen Himmel halt' ich in den Armen.
(Er stürzt sich mit Zuleima den Felsen hinab.)
Spanische Ritter, die den Mauren nacheilen,
sehen beide herabstürzen, und treten entsetzt zurück. Man hört Alys Stimme.
„Sucht ihn, sucht ihn, er muß uns nahe sein!“ Aly tritt auf.
Mehrere Ritter. Entsetzlich!
Aly. Habt ihr ihn und sie
gefunden?
Ein Ritter (hinter den
Felsen zeigend). Gefunden wohl, der Wütende hat sich
Herabgestürzt mit seiner teuern Last.
(Pause.)
Aly. Jetzt, Jesu Christ, bedarf ich deines Wortes,
Und deines Gnadentrost's und deines Beispiels.
Der Allmacht Willen kann ich nicht begreifen,
Doch Ahnung sagt mir: ausgereutet wird
Die Lilie und die Myrte auf dem Weg,
Worüber Gottes goldner Siegeswagen
Hinrollen soll in stolzer Majestät.
Anmerkungen zur Transkription
Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen, lediglich
offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.
Liste der vorgenommenen Änderungen
Im folgenden sind die Änderungen am
Originaltext aufgeführt. Unter der Beschreibung der Änderung steht jeweils zuerst die
Textstelle im Original, dann die geänderte Textstelle.
-
Seite 17: Fehlenden Punkt ergänzt:
Hassan (steht langsam auf und spricht mit
strengem Tone)
Hassan (steht langsam auf und spricht mit
strengem Tone).
-
Seite 45: Fehlenden Punkt ergänzt:
und Heiligenbildern, in Prozession vorüber
und Heiligenbildern, in Prozession vorüber.
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 45600 ***