The Project Gutenberg EBook of Der lebende Leichnam, by Leo N. Tolstoi This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Der lebende Leichnam Drama in sechs Akten (zwölf Bildern) Author: Leo N. Tolstoi Translator: Hermann Röhl Release Date: June 23, 2014 [EBook #46086] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER LEBENDE LEICHNAM *** Produced by Norbert H. Langkau, Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
Drama in sechs Akten (zwölf Bildern)
von
L. N. Tolstoi
Übertragen von H. Röhl
Im Insel-Verlag zu Leipzig
Fjodor Wasiljewitsch Protasow (Fedja). | ||
Jelisaweta Andrejewna Protasowa (Lisa), seine Frau. | ||
Mischa, der Sohn der beiden. | ||
Anna Pawlowna, Lisas Mutter. | ||
Sascha, ein junges Mädchen, Lisas Schwester. | ||
Viktor Michailowitsch Karenin. | ||
Anna Dmitrijewna Karenina. | ||
Fürst Sergei Dmitrijewitsch Abreskow. | ||
Mascha, eine junge Zigeunerin. | ||
Iwan Makarowitsch, ein alter Zigeuner | } | Maschas Eltern. |
Nastasja Iwanowna, eine alte Zigeunerin | ||
Ein Offizier. | ||
Ein Musiker. | ||
Erster Zigeuner. | ||
Zweiter Zigeuner. | ||
Eine Zigeunerin. | ||
Zigeuner und Zigeunerinnen (Chor). | ||
Ein Arzt. | ||
Michail Andrejewitsch Afremow. | ||
Stachow | } | Freunde Fedjas. |
Butkewitsch | ||
Korotkow | ||
Iwan Petrowitsch Alexandrow. | ||
Wosnesenski, Karenins Sekretär. | ||
Pjetuschkow, ein Künstler. | ||
Artemjew. | ||
Ein Kellner in einer chambre séparée. | ||
Ein Kellner im Restaurant. | ||
Der Wirt des Restaurants. | ||
Ein Schutzmann. | ||
Der Untersuchungsrichter. | ||
Melnikow. | ||
Der Protokollführer des Untersuchungsrichters. | ||
Ein Gerichtsdiener. | ||
Ein junger Rechtsanwalt. | ||
Petruschin, Rechtsanwalt. | ||
Eine Dame. | ||
Ein Offizier. | ||
Ein Gerichtsbeamter. | ||
Die Kinderfrau bei Protasows. | ||
Das Stubenmädchen bei Protasows (Dunjascha). | ||
Afremows Diener. | ||
Ein Diener bei Karenins. |
Die Handlung spielt in Moskau, in Protasows Wohnung. Die Szene stellt ein kleines Speisezimmer vor.
Anna Pawlowna, eine korpulente, grauhaarige Dame, sitzt im Korsett allein am Teetisch.
Anna Pawlowna und die Kinderfrau, die mit einer Teekanne hereinkommt.
Kinderfrau: Kann ich bei Ihnen etwas heißes Wasser bekommen?
Anna Pawlowna: Jawohl. Was macht der kleine Mascha?
Kinderfrau: Er ist sehr unruhig. Es ist recht übel, daß die gnädige Frau ihn selbst nährt. Sie hat so ihren Kummer, und das Kind leidet darunter. Was muß das für eine Milch geben, wenn die gnädige Frau bei Nacht nicht schläft, sondern immerzu weint.
Anna Pawlowna: Aber ich denke, sie hat sich jetzt beruhigt?
Kinderfrau: Gott bewahre! Es zieht einem das Herz zusammen, wenn man sie ansieht! Sie hat da etwas geschrieben und dabei immerzu geweint.
Anna Pawlowna, die Kinderfrau und Sascha, welche eintritt.
Sascha (zur Kinderfrau): Lisa sucht Sie.
Kinderfrau: Ich geh schon, ich geh schon. (Ab.)
Anna Pawlowna und Sascha.
Anna Pawlowna: Die Kinderfrau sagt, sie weint immerzu. Daß sie sich immer noch nicht beruhigen kann!
Sascha: Nein, Mama, über Sie muß man sich wirklich wundern. Sie soll sich von ihrem Manne, dem Vater ihres Kindes, lossagen, und Sie verlangen, sie solle dabei ruhig sein!
Anna Pawlowna: Daß sie dabei ruhig sein soll, verlange ich nicht. Aber was geschehen ist, das ist geschehen. Wenn ich als Mutter es nicht nur zugelassen habe, sondern mich sogar darüber freue, daß meine Tochter sich von diesem Manne lossagt, so muß er das doch wohl verdienen. Nicht grämen sollte sie sich, sondern sich freuen, daß sie von einem so schlechten Subjekte, von einem solchen Goldmenschen frei kommt.
Sascha: Mama, warum reden Sie so? Sie wissen ja doch, daß das nicht wahr ist. Er ist kein schlechter, sondern im Gegenteil ein vortrefflicher, ganz vortrefflicher Mensch, trotz seiner Schwächen.
Anna Pawlowna: Na ja, ein vortrefflicher Mensch! Sobald er nur Geld in die Hände bekommt, sei es eigenes oder fremdes ...
Sascha: Mama, er hat nie fremdes Geld genommen.
Anna Pawlowna: Ganz egal, das Geld seiner Frau.
Sascha: Aber er hat ja doch sein ganzes Vermögen seiner Frau hingegeben.
Anna Pawlowna: Warum hätte er es ihr auch nicht hingeben sollen, da er ja wußte, daß er sonst doch alles durchbringen würde.
Sascha: Ob er es nun durchbringt oder nicht, ich weiß nur, daß man sich von seinem Manne nicht scheiden lassen darf, und am wenigsten von einem solchen wie Fedja.
Anna Pawlowna: Nach deiner Meinung muß man damit warten, bis er alles durchgebracht hat und seine Zigeunerliebsten ins Haus bringt?
Sascha: Er hat keine Liebsten.
Anna Pawlowna: Das ist eben das Malheur, daß er euch alle irgendwomit behext hat. Nur mich nicht; ich durchschaue ihn, und er weiß das. An Lisas Stelle würde ich mich nicht erst jetzt von ihm losmachen, sondern ich hätte es schon vor einem Jahre getan.
Sascha: Wie Sie das nur so leichten Herzens sagen können!
Anna Pawlowna: Nein, nicht leichten Herzens. Mir als Mutter ist es ein Schmerz, meine Tochter als geschiedene Frau zu sehen. Glaube mir, daß mir das ein großer Schmerz ist. Aber es ist doch immer noch besser, als daß sie ihr junges Leben zugrunde richtet. Nein, ich danke Gott, daß sie sich jetzt entschlossen hat, und daß nun alles zu Ende ist.
Sascha: Vielleicht ist es doch noch nicht zu Ende.
Anna Pawlowna: Ach was! Wenn er nur erst in die Scheidung einwilligt.
Sascha: Was soll daraus Gutes hervorgehen?
Anna Pawlowna: Nun, sie ist noch jung und kann noch glücklich werden.
Sascha: Ach, Mama, es ist schrecklich, was Sie da sagen; Lisa kann doch keinen andern liebgewinnen.
Anna Pawlowna: Warum sollte sie das nicht können? Wenn sie erst frei sein wird? Es gibt Männer, die tausendmal besser sind als euer Fedja, und die sich glücklich schätzen werden, Lisa zur Frau zu bekommen.
Sascha: Mama, es ist nicht recht von Ihnen, so zu reden. Ich weiß, Sie denken dabei an Viktor Karenin.
Anna Pawlowna: Warum soll ich nicht an ihn denken? Er liebt sie schon zehn Jahre lang, und sie liebt ihn.
Sascha: Sie liebt ihn, aber nicht so wie ihren Mann. Das ist eine Jugendfreundschaft.
Anna Pawlowna: Diese Jugendfreundschaften kennt man! Wenn nur erst die Hindernisse beseitigt sind.
Anna Pawlowna und Sascha. Das Stubenmädchen kommt herein.
Anna Pawlowna: Was willst du?
Stubenmädchen: Die gnädige Frau hat den Hausknecht mit einem Briefe zu Viktor Michailowitsch geschickt.
Anna Pawlowna: Welche gnädige Frau?
Stubenmädchen: Jelisaweta Andrejewna, unsere gnädige Frau.
Anna Pawlowna: Nun, und?
Stubenmädchen: Viktor Michailowitsch hat sagen lassen, er werde sogleich selbst herkommen.
Anna Pawlowna (erstaunt): Eben erst haben wir von ihm gesprochen. Ich verstehe nur nicht, warum sie ihn hat rufen lassen. (Zu Sascha:) Weißt du es nicht?
Sascha: Vielleicht weiß ich es, vielleicht aber auch nicht.
Anna Pawlowna: Immer Geheimnisse.
Sascha: Lisa kommt gleich; die wird es Ihnen sagen.
Anna Pawlowna (kopfschüttelnd zu dem Stubenmädchen): Der Samowar muß wieder in Glut gesetzt werden. Nimm ihn mit, Dunjascha! (Das Stubenmädchen nimmt den Samowar und geht hinaus.)
Anna Pawlowna und Sascha.
Anna Pawlowna (zu Sascha, die aufgestanden ist und hinausgehen will): Es ist gekommen, wie ich gesagt habe. Sofort hat sie ihn rufen lassen.
Sascha: Vielleicht hat sie ihn in ganz anderer Absicht rufen lassen.
Anna Pawlowna: In welcher Absicht denn?
Sascha: Jetzt, in diesem Augenblicke, ist Karenin ihr ebenso gleichgültig wie jeder andere.
Anna Pawlowna: Nun, du wirst ja sehen. Ich kenne sie doch. Sie läßt ihn rufen, um sich von ihm trösten zu lassen.
Sascha: Ach, Mama, wie wenig kennen Sie sie, wenn Sie denken können ...
Anna Pawlowna: Du wirst ja sehen. Ich freue mich sehr; sehr freue ich mich.
Sascha: Wir werden ja sehen. (Sie geht, vor sich hinsingend, ab.)
Anna Pawlowna allein.
Anna Pawlowna (schüttelt den Kopf und murmelt): Sehr schön; lassen wir sie nur gewähren. Sehr schön; lassen wir sie nur gewähren. Ja ...
Anna Pawlowna und das Stubenmädchen, welches eintritt.
Stubenmädchen: Viktor Michailowitsch ist gekommen.
Anna Pawlowna: Nun schön; bitte ihn hereinzukommen und sage es der gnädigen Frau. (Das Stubenmädchen geht hinaus.)[S. 7]
Anna Pawlowna und Viktor Karenin.
Viktor Karenin (tritt ein und begrüßt Anna Pawlowna): Jelisaweta Andrejewna hat mir einen Brief geschickt mit der Aufforderung herzukommen. Ich hatte sowieso die Absicht, heute abend bei Ihnen vorzusprechen, und habe mich daher sehr gefreut ... Befindet sich Jelisaweta Andrejewna wohl?
Anna Pawlowna: Sie befindet sich wohl; aber das Kindchen ist ein bißchen unruhig. Sie wird gleich kommen. (In traurigem Tone:) Ja, ja, es ist eine schwere Zeit. Sie wissen ja wohl alles?
Karenin: Allerdings. Ich war ja vorgestern hier, als sein Brief ankam. Aber ist denn das wirklich unwiderruflich beschlossen?
Anna Pawlowna: Aber selbstverständlich. Das alles noch einmal durchzumachen wäre doch schrecklich.
Karenin: Ein solcher Trennungsschnitt will doch zehnmal überlegt sein. Ins lebendige Fleisch zu schneiden, das ist doch eine schwere Aufgabe.
Anna Pawlowna: Natürlich ist es eine schwere Aufgabe. Aber die Ehe der beiden war ja schon längst halb zerschnitten. Und daher war die vollständige Trennung weniger schwer, als es scheint. Er sieht selbst ein, daß nach allem Geschehenen seine Rückkehr ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Karenin: Wieso?
Anna Pawlowna: Aber wie können Sie das nur für möglich halten nach all den garstigen Dingen, die er begangen hat, und nachdem er geschworen hat, dergleichen werde nicht wieder vorkommen, und wenn es doch vorkäme, so verzichte er auf alle seine Rechte als Ehemann und gebe ihr ihre volle Freiheit wieder ...
Karenin: Ja, aber was will die Freiheit einer Frau besagen, die durch die Ehe gebunden ist?
Anna Pawlowna: Es soll die Scheidung erfolgen. Er hat ihr die Scheidung versprochen, und wir werden darauf bestehen.
Karenin: Ja, aber Jelisaweta Andrejewna hat ihn so geliebt ...
Anna Pawlowna: Ach, ihre Liebe ist so harten Prüfungen ausgesetzt gewesen, daß von ihr kaum etwas übriggeblieben ist. Es fallen ihm Trunksucht, Hintergehung und Untreue zur Last. Kann man denn einen solchen Mann lieben?!
Karenin: Der Liebe ist alles möglich.
Anna Pawlowna: Sie reden von Liebe; aber wie kann man denn einen solchen Waschlappen lieben, auf den gar kein Verlaß ist? Was hat er noch jetzt eben für einen Streich begangen! (Sie sieht sich nach der Tür um und beeilt sich mit ihrer Erzählung.) Der ganze Haushalt ist ruiniert, alles versetzt, kein bares Geld vorhanden. Da schickt ihm sein Onkel endlich zweitausend Rubel, um die Zinsen der Schulden zu bezahlen. Er entfernt sich mit diesem Gelde und ist verschwunden. Seine Frau sitzt mit dem kranken Kinde da und wartet; endlich erhält sie einen Brief, sie möchte ihm Wäsche und andere Sachen seines persönlichen Bedarfes schicken.
Karenin: Ja, ja, ich weiß.
Anna Pawlowna, Karenin. Lisa und Sascha treten ein.
Anna Pawlowna: Nun, siehst du, Viktor Michailowitsch ist auf deine Aufforderung erschienen.
Karenin: Ja, ich wurde ein wenig aufgehalten. (Er begrüßt die Schwestern.)
Lisa: Ich bin Ihnen sehr dankbar. Ich habe an Sie eine große Bitte. Und ich kann mich damit an niemand wenden als an Sie.
Karenin: Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht.
Lisa: Sie wissen ja doch wohl alles?
Karenin: Ja, ich weiß es.
Anna Pawlowna: Ich werde euch also allein lassen. (Zu Sascha:) Komm, wir wollen die beiden allein lassen. (Sie geht mit Sascha hinaus.)
Lisa und Karenin.
Lisa: Ja, er hat mir einen Brief geschrieben, er betrachte alles zwischen uns als beendet. Ich (sie drängt die Tränen zurück) fühlte mich so gekränkt, so ... nun, mit einem Worte, ich war mit der Trennung einverstanden ... und antwortete ihm, ich nähme seine Absage an.
Karenin: Und jetzt bereuen Sie das?
Lisa: Ja, ich bin zu der Empfindung gelangt, daß das von[S. 9] meiner Seite schlecht gehandelt war, daß ich es nicht tun kann. Ich will lieber alles erdulden, als mich von ihm trennen. Nun, kurz gesagt, händigen Sie ihm diesen Brief ein! Bitte, Viktor, händigen Sie ihm diesen Brief ein, und sagen Sie ihm ... und bringen Sie ihn her!
Karenin (verwundert): Ja, aber wie soll ich das machen?
Lisa: Sagen Sie ihm, ich bäte ihn, alles zu vergessen und zurückzukehren. Ich könnte ihm ja den Brief einfach zuschicken; aber ich kenne ihn: die erste Regung würde, wie immer, eine gute sein; aber dann macht sich irgendein fremder Einfluß geltend, und er wird anderen Sinnes und tut nicht das, was er in Wahrheit will.
Karenin: Ich werde tun, was ich kann.
Lisa: Sie wundern sich wohl, daß ich gerade Sie bitte?
Karenin: Nein ... übrigens, um die Wahrheit zu sagen: ja, ich wundere mich ...
Lisa: Aber Sie sind mir nicht böse?
Karenin: Als ob ich Ihnen überhaupt böse sein könnte.
Lisa: Ich habe Sie deswegen gebeten, weil ich weiß, daß Sie ihm zugetan sind.
Karenin: Sowohl ihm als auch Ihnen. Das wissen Sie. Ich bin ihm nicht um seinetwillen zugetan, sondern um Ihretwillen. Und ich bin Ihnen dankbar für das Vertrauen, das Sie mir schenken. Ich werde tun, was ich kann.
Lisa: Das weiß ich. Ich werde Ihnen alles sagen: ich bin heute bei Afremow gewesen, um zu erfahren, wo er sich jetzt aufhält. Es wurde mir gesagt, er habe sich zu den Zigeunern begeben. Und gerade das ist es, was ich fürchte. Diese Verlockung fürchte ich. Ich weiß, daß, wenn man ihn nicht rechtzeitig zurückhält, er sich verlocken und hinreißen läßt. Darum muß das geschehen. Also Sie werden hinfahren?
Karenin: Selbstverständlich, sofort.
Lisa: Fahren Sie hin, machen Sie ihn ausfindig, und sagen Sie ihm, daß alles vergessen ist und ich ihn erwarte.
Karenin (steht auf): Aber wo soll ich ihn suchen?
Lisa: Er ist bei den Zigeunern. Ich bin selbst dort gewesen. Ich war an der Haustür und wollte ihm den Brief hineinschicken; aber dann besann ich mich anders und beschloß, Sie zu bitten ...[S. 10] Hier ist die Adresse. Sagen Sie ihm also, er möchte zurückkehren; es sei nichts geschehen; alles sei vergessen. Tun Sie das aus Liebe zu ihm und aus Freundschaft gegen uns.
Karenin: Ich werde alles tun, was ich kann. (Er verbeugt sich und geht hinaus.)
Lisa allein.
Lisa: Ich kann es nicht, ich kann es nicht. Ich will lieber alles erdulden als ... ich kann es nicht.
Lisa, Sascha, welche eintritt.
Sascha: Nun, wie ists? Hast du ihn hingeschickt?
Lisa (nickt bejahend mit dem Kopfe).
Sascha: Und er hat sich dazu bereitfinden lassen?
Lisa: Natürlich.
Sascha: Warum hast du gerade ihn geschickt? Das ist mir unbegreiflich.
Lisa: Wen hätte ich sonst schicken sollen?
Sascha: Aber du weißt doch, daß er in dich verliebt ist?
Lisa: Das gehört alles der Vergangenheit an und ist vorüber. Aber wen hätte ich denn deiner Meinung nach sonst darum bitten sollen? Wie denkst du darüber: wird er zurückkehren?
Sascha: Ich bin davon überzeugt; denn ...
Lisa, Sascha. Anna Pawlowna, welche eintritt. (Sascha verstummt.)
Anna Pawlowna: Nun? Wo ist Viktor Michailowitsch?
Lisa: Er ist weggefahren.
Anna Pawlowna: Wieso weggefahren?
Lisa: Ich habe ihn gebeten, mir eine Bitte zu erfüllen.
Anna Pawlowna: Was für eine Bitte? Das ist wohl wieder ein Geheimnis?
Lisa: Ein Geheimnis ist es nicht: ich habe ihn einfach gebeten, einen Brief an Fedja persönlich zu bestellen.
Anna Pawlowna: An Fedja? An Fjodor Wasiljewitsch?
Lisa: Ja, an Fedja.
Anna Pawlowna: Ich dachte, zwischen euch beiden wären alle Beziehungen abgebrochen?
Lisa: Ich kann mich nicht von ihm trennen.
Anna Pawlowna: Also soll die ganze Geschichte wieder von vorn anfangen?
Lisa: Ich wollte mich von ihm lossagen und habe mir alle Mühe gegeben; aber ich kann es nicht. Ich will alles tun, was Sie wollen, wenn ich mich nur nicht von ihm zu trennen brauche.
Anna Pawlowna: Dann möchtest du ihn also wohl wieder zurückholen?
Lisa: Ja.
Anna Pawlowna: Und du willst dieses schändliche Subjekt wieder zu dir ins Haus lassen?
Lisa: Mama, ich bitte Sie, von meinem Manne nicht in solchen Ausdrücken zu reden.
Anna Pawlowna: Dein Mann ist er gewesen.
Lisa: Nein, er ist auch jetzt noch mein Mann.
Anna Pawlowna: Ein Verschwender, ein Trunkenbold, ein Liedrian ist er, und du kannst dich nicht von ihm trennen?
Lisa: Warum quälen Sie mich? Es ist mir so schon schwer genug ums Herz, und Sie scheinen mein Leid absichtlich noch vergrößern zu wollen.
Anna Pawlowna: Ich quäle dich! Nun, dann will ich abreisen. Das kann ich nicht mit ansehen.
Lisa (schweigt).
Anna Pawlowna: Ich sehe, daß ihr das wollt, und daß ich euch im Wege bin. Ich kann nicht hier bleiben. Ich verstehe euch gar nicht. Immer etwas Neues. Erst beschließt du, dich von ihm zu trennen; dann berufst du auf einmal einen Mann her, der in dich verliebt ist ...
Lisa: Das ist nicht der Fall.
Anna Pawlowna: Karenin hat dir einen Heiratsantrag gemacht, und nun schickst du ihn zu deinem Manne, um diesen holen[S. 12] zu lassen. Was stellt das vor? Willst du deinen Mann eifersüchtig machen?
Lisa: Mama, es ist schrecklich, wie Sie da reden. Gönnen Sie mir Ruhe!
Anna Pawlowna: Nun, dann jage deine Mutter aus dem Hause und laß deinen liederlichen Mann herein! Aber ich werde das nicht abwarten. Lebt wohl; Gott sei mit euch; meinetwegen macht, was ihr wollt! (Sie geht hinaus und schlägt die Tür heftig zu.)
Lisa und Sascha.
Lisa (läßt sich auf einen Stuhl sinken): Das fehlte noch!
Sascha: Nun, das ist nicht so schlimm. Es wird noch alles gut werden. Mama werden wir schon wieder beruhigen.
Lisa, Sascha und Anna Pawlowna, welche durchs Zimmer geht.
Anna Pawlowna: Dunjascha, meinen Koffer!
Sascha: Mama! So hören Sie doch! (Sie eilt ihr nach und zwinkert dabei ihrer Schwester zu.)
Vorhang.
Ein Zimmer bei den Zigeunern.
Der Chor singt ein Lied. Fedja liegt rücklings in Hemdsärmeln auf dem Sofa. Afremow sitzt dem Vorsänger gegenüber rittlings auf einem Stuhl. Ein Offizier sitzt an einem Tische, auf welchem Champagnerflaschen und Gläser stehen. Ebendort sitzt ein Musiker, der sich Notizen macht.
Afremow: Fedja, schläfst du?
Fedja (richtet sich auf): Schwatzt nicht! Jetzt: „Nicht der Abendstern”!
Ein Zigeuner: Das geht nicht, Fjodor Wasiljewitsch. Jetzt soll Mascha erst allein singen.
Fedja: Na, gut! Aber dann: „Nicht der Abendstern”! (Er legt sich wieder hin.) [S. 13]
Der Offizier: „Die Schicksalsstunde”!
Der Zigeuner: Einverstanden?
Afremow: Meinetwegen.
Der Offizier (zu dem Musiker): Nun, haben Sie es sich aufgeschrieben?
Der Musiker: Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Jedesmal klingt es anders. Und was ist das manchmal für eine Tonart! So gleich dieses hier. (Er ruft eine Zigeunerin herbei und fragt sie.) Stimmt das so? (Er singt.)
Die Zigeunerin: Ja, ganz richtig. Wundervoll.
Fedja (sich aufrichtend): Er wird es nicht aufschreiben können, und wenn er es aufschreibt und in einer Oper anbringt, so wird er alles verhunzen. Na, Mascha, dann mal los mit der „Schicksalsstunde”! Nimm die Gitarre! (Er steht auf, setzt sich vor sie hin und sieht ihr in die Augen.)
Mascha (singt).
Fedja: Gut gemacht! Bravo, Mascha! Na, aber jetzt: „Nicht der Abendstern”!
Afremow: Nein, warte mal! Erst mein Lied, mein Begräbnislied!
Der Offizier: Wieso denn Begräbnislied?
Afremow: Deswegen: wenn ich sterbe ... du verstehst, ich werde sterben und im Sarge liegen, und dann werden die Zigeuner kommen ... verstehst du? Das werde ich vorher meiner Frau zur Pflicht machen. Und wenn sie dann anstimmen: „Komm, mein Freund”, dann werde ich aus dem Sarge herausspringen, — verstehst du?! (Zu dem Musiker:) Das schreib einmal auf! Na, nun vorwärts! (Die Zigeuner singen.)
Afremow: Nun, was sagt ihr dazu? Jetzt: „Ihr meine braven Burschen”! (Die Zigeuner singen.)
Afremow (steht auf und macht ein paar Fechterbewegungen). (Die Zigeuner applaudieren ihm lächelnd und fahren fort zu singen.)
Afremow (setzt sich hin). (Das Lied ist zu Ende.)
Die Zigeuner: Bravo, Michail Andrejewitsch! Sie sind ein echter Zigeuner!
Fedja: Na, jetzt aber: „Nicht der Abendstern”! (Die Zigeuner singen.)[S. 14]
Fedja: Das ist mal ein Lied! Das ist mal ein Lied! Wundervoll! An das, was hier ausgesprochen wird, reicht keine Wirklichkeit heran! Ach, wie schön! Und warum kann der Mensch in ein solches Entzücken geraten, wenn es ihm doch nicht möglich ist, in diesem Zustande zu verharren?
Der Musiker (macht sich Notizen): Ja, es ist sehr originell.
Fedja: Nicht originell, sondern echt.
Afremow: Na ... nun erholt euch! (Er nimmt die Gitarre und setzt sich zu Katja.)
Der Musiker: Im Grunde ist alles ganz einfach; nur der Rhythmus, der Rhythmus!
Fedja (macht ihm eine geringschätzige Handbewegung, geht zu Mascha und setzt sich neben sie auf das Sofa): Ach Mascha, Mascha, wie du mein ganzes Inneres umkehrst!
Mascha: Nun, und um was habe ich Sie gebeten?
Fedja: Um was? Um Geld? (Er nimmt welches aus der Hosentasche.) Na, schön; da, nimm!
Mascha (lacht, nimmt das Geld und steckt es in den Busen).
Fedja (zu den Zigeunern): Da soll ein Mensch daraus klug werden! Mir schließt sie den Himmel auf, und sie selbst bittet um ein Trinkgeld. Du verstehst ja nicht das geringste von dem, was du selbst tust.
Mascha: Wie sollte ich es nicht verstehen? Ich verstehe, daß ich, wenn ich jemanden liebe, mir für ihn mehr Mühe gebe und besser singe.
Fedja: Und mich liebst du?
Mascha: Gewiß tue ich das.
Fedja: Das ist herrlich! (Er küßt sie.) (Die Zigeuner und Zigeunerinnen gehen hinaus. Es bleiben nur die Paare zurück.)
Fedja mit Mascha, Afremow mit Katja, der Offizier mit Sascha. Der Musiker schreibt. Ein Zigeuner klimpert auf der Gitarre einen Walzer.
Fedja: Ich bin ja aber verheiratet. Und dir wird es der Chor nicht erlauben.
Mascha: Der Chor ist eine gute Sache; aber das Herz bleibt doch[S. 15] immer das Herz. Wenn ich einen liebe, so liebe ich ihn, und wenn mir einer zuwider ist, dann ist er mir zuwider.
Fedja: Ach mir ist so wohl! Ist dir auch wohl?
Mascha: Natürlich ist mir wohl. Wenn wir nette Gäste hier haben, sind auch wir vergnügt.
Ein Zigeuner tritt ein.
Der Zigeuner (zu Fedja): Ein Herr fragt nach Ihnen.
Fedja: Was für ein Herr?
Der Zigeuner: Ich kenne ihn nicht. Er ist gut gekleidet. Trägt einen Zobelpelz.
Fedja: Ein vornehmer Herr? Na, gut, ruf ihn her!
Dieselben ohne den Zigeuner.
Afremow: Wer mag dich denn hier aufsuchen?
Fedja: Weiß der Teufel! Wer kann etwas von mir wollen?
Dieselben. Karenin tritt ein und sieht sich ringsum.
Fedja: Ah, Viktor! Na, dich hätte ich hier nicht zu sehen erwartet! Leg ab! Welcher Wind hat dich hierher geweht? Na, setz dich! Hör mal das Lied „Nicht der Abendstern” mit an.
Karenin: Je voudrais vous parler sans témoins.
Fedja: Worüber?
Karenin: Je viens des chez vous. Votre femme m'a chargé de cette lettre, et puis ...
Fedja (nimmt den Brief hin, liest ihn und macht ein finsteres Gesicht; dann lächelt er wieder freundlich): Hör mal, Karenin, du weißt gewiß, was in diesem Briefe steht?...
Karenin: Ja; und ich möchte dir sagen ...
Fedja: Warte mal, warte mal! Bitte, glaube nicht, daß ich betrunken bin und meine Worte unzurechnungsfähig sind, ich will sagen, daß ich nicht zurechnungsfähig bin. Ich bin betrunken; aber in dieser Sache sehe ich ganz klar. Nun also, was ist dir aufgetragen zu sagen?
Karenin: Es ist mir aufgetragen, dich aufzusuchen und dir zu sagen, daß ... sie ... dich erwartet. Sie bittet dich, alles zu vergessen und zurückzukehren.
Fedja (hört schweigend zu und sieht ihm in die Augen): Ich verstehe aber nicht, warum gerade du ...?
Karenin: Jelisaweta Andrejewna ließ mich rufen und bat mich ...
Fedja: So ...
Karenin: Aber ich bitte dich nicht sowohl im Namen deiner Frau als in meinem eigenen Namen: komm mit nach Hause!
Fedja: Du bist besser als ich. Was rede ich da für Unsinn! Besser als ich zu sein, das ist nicht schwer. Ich bin ein Taugenichts; aber du bist ein guter, ein sehr guter Mensch. Und gerade deswegen werde ich meinen Entschluß nicht ändern. Und nicht allein deswegen. Ich kann es einfach nicht und will es nicht ... Na, sag selbst: wie könnte ich so hinfahren?
Karenin: Komm jetzt mit mir in meine Wohnung. Ich werde ihr sagen, daß du zurückkehren wirst, und morgen ...
Fedja: Und morgen was? Ich werde immer ich bleiben, und sie immer sie. (Er tritt an den Tisch und trinkt.) Das Beste ist, den Zahn mit einem Male auszuziehen. Ich habe ihr ja gesagt, wenn ich wieder mein Wort nicht hielte, dann solle sie sich von mir lossagen. Ich habe mein Wort nicht gehalten, und nun ist alles zu Ende.
Karenin: Für dich, aber nicht für sie.
Fedja: Es ist erstaunlich, wieviel Mühe du dir gibst, daß unsere Ehe nicht zerstört werde.
Karenin (will etwas erwidern. Mascha tritt hinzu).
Fedja (läßt ihn nicht zu Worte kommen): Hör mal zu, wie sie das „Flachslied” singt. Mascha! (Die Zigeuner sammeln sich.)
Mascha (flüsternd): Wie redet man ihn an?
Fedja (lacht): Sage zu ihm: Herr Viktor Michailowitsch. (Die Zigeuner singen.)[S. 17]
Karenin (hört zerstreut zu; dann erkundigt er sich, wieviel er geben soll).
Fedja: Na, gib fünfundzwanzig Rubel!
Karenin (gibt das Geld).
Fedja: Das war wundervoll. Jetzt das „Flachslied”. (Die Zigeuner singen.)
Fedja (blickt sich um): Karenin hat sich davongemacht. Na, hol ihn der Teufel! (Die Zigeuner zerstreuen sich.)
Fedja und Mascha.
Fedja (setzt sich mit Mascha hin): Weißt du, wer das ist?
Mascha: Ich habe seinen Namen gehört.
Fedja: Das ist ein vortrefflicher Mensch. Er ist hergekommen, um mich nach Hause zu holen, zu meiner Frau. Sie liebt mich Dummkopf, und ich führe mich hier so auf.
Mascha: Nun, das ist nicht hübsch von Ihnen. Sie müssen zu ihr zurückkehren, mit ihr Mitleid haben.
Fedja: Meinst du, daß ich das muß? Aber ich meine, nein.
Mascha: Freilich, wenn Sie sie nicht lieben, dann kehren Sie nicht zurück! Nur die Liebe hat Wert.
Fedja: Aber du, woher weißt du das?
Mascha: Natürlich weiß ich das.
Fedja: Na, gib mir einen Kuß! Ihr Zigeuner! Noch einmal das „Flachslied” — und dann Schluß! (Die Zigeuner beginnen zu singen.)
Fedja: Ach, wie wohl mir ist! Wenn man nur nie wieder erwachte!... So möchte ich sterben!...
Vorhang.
Nach dem ersten Akte sind zwei Wochen vergangen. Bei Lisa.
Karenin und Anna Pawlowna sitzen im Eßzimmer. Sascha kommt herein.
Karenin: Nun, wie steht es?
Sascha: Der Arzt hat gesagt, es sei jetzt keine Gefahr mehr vorhanden. Nur dürfe er sich nicht erkälten.
Anna Pawlowna: Na, aber Lisa ist dabei ganz heruntergekommen.
Sascha: Er sagt, es sei unechter Krupp in gelinder Form. Was ist das? (Sie zeigt auf ein Körbchen.)
Anna Pawlowna: Viktor hat Weintrauben mitgebracht.
Karenin: Mögen Sie nicht zulangen?
Sascha: Ja, die ißt sie gern. Sie ist sehr nervös geworden.
Karenin: Wenn sie auch zwei Tage lang nichts gegessen, zwei Nächte nicht geschlafen hat.
Sascha (lächelnd): Sie selbst haben es doch ebenso gemacht.
Karenin: Mit mir ist das etwas anderes.
Dieselben. Der Arzt und Lisa treten ein.
Der Arzt (nachdrücklich): Also so: wechseln Sie alle halbe Stunde den Umschlag, wenn er nicht schläft. Wenn er schläft, stören Sie ihn nicht! Den Rachen zu pinseln ist nicht nötig. Die Zimmertemperatur halten Sie auf gleichmäßiger Höhe!...
Lisa: Aber wenn er wieder Atemnot bekommt?
Der Arzt: Das ist nicht wahrscheinlich. Sollte es aber eintreten, so wenden Sie den Zerstäuber an! Außerdem geben Sie ihm Pulver, morgens eines und abends eines! Ich werde sie sogleich verschreiben.
Anna Pawlowna: Mögen Sie nicht ein Glas Tee trinken, Doktor?
Der Arzt: Nein, ich danke; meine Kranken warten. (Er setzt sich an den Tisch, Sascha bringt Papier, Tinte und Feder.)
Lisa: Also es ist bestimmt nicht Krupp?
Der Arzt (lächelnd): Ganz bestimmt nicht. (Er schreibt.)
Karenin (zu Lisa): Nun, jetzt trinken Sie aber ein Glas Tee, oder, noch besser, gehen Sie hin und ruhen Sie sich aus; sehen Sie nur, wie entstellt Sie aussehen!
Lisa: Jetzt fühle ich mich neu belebt. Ich danke Ihnen. Sie sind ein wahrer Freund. (Sie drückt ihm die Hand. Sascha geht ärgerlich zur Seite.)
Lisa: Ich bin Ihnen herzlich dankbar. Da sieht man, wo ...
Karenin: Was habe ich denn getan? Zum Danken ist gar kein Anlaß.
Lisa: Aber wer hat die Nächte über nicht geschlafen? Wer hat uns diese Zelebrität ins Haus geholt?
Karenin: Ich bin schon dadurch hinlänglich belohnt, daß Mischa außer Gefahr ist, und besonders durch Ihre Güte.
Lisa (drückt ihm wieder die Hand und zeigt ihm lachend ein Goldstück, das sie in der Hand hält): Das ist für den Arzt. Nur weiß ich nicht, wie ich es ihm geben soll.
Karenin: Ja, ich verstehe mich auch nicht darauf.
Anna Pawlowna: Worauf verstehen Sie sich nicht?
Lisa: Dem Arzte das Geld zu geben. Er hat mir mehr als das Leben gerettet, und ich gebe ihm Geld! Das ist eine peinliche Empfindung.
Anna Pawlowna: Gib her; ich werde es ihm geben. Ich verstehe, wie man das macht. Es ist ganz einfach.
Der Arzt (steht auf und reicht das Rezept hin): Also diese Pulver rühren Sie in einem Eßlöffel voll abgekochten Wassers gut um und (er spricht weiter) ... (Karenin trinkt am Tische Tee; Anna Pawlowna und Sascha gehen nach vorn.)
Sascha: Ich kann das Benehmen der beiden gar nicht mehr mit ansehen. Sie ist ordentlich verliebt in ihn.
Anna Pawlowna: Was ist daran Verwunderliches?
Sascha: Es ist widerwärtig!
Der Arzt (empfiehlt sich allen und geht weg. Anna Pawlowna begleitet ihn hinaus).
Lisa, Karenin und Sascha.
Lisa (zu Karenin): Er ist jetzt so lieb und nett. Sowie ihm besser wurde, fing er sogleich an zu lächeln und zu plaudern. Ich will zu ihm gehen. Aber auch von Ihnen fortzugehen wird mir schwer.
Karenin: Sie sollten ein Glas Tee trinken und etwas essen.
Lisa: Ich brauche jetzt nichts. Es ist mir so wohl zumute nach all diesen Beängstigungen. (Sie fängt an zu schluchzen.)
Karenin: Da sehen Sie, wie schwach Sie sind.
Lisa: Ich bin so glücklich. Wollen Sie ihn sich ansehen?
Karenin: Natürlich.
Lisa: So kommen Sie mit! (Sie gehen hinaus.)
Anna Pawlowna kommt zu Sascha zurück.
Anna Pawlowna: Warum machst du denn ein so finsteres Gesicht? Ich habe ihm das Geld in sehr schöner Form gegeben, und er hat es ebenso genommen.
Sascha: Es ist geradezu empörend! Sie hat ihn mit in das Kinderzimmer genommen. Gerade als ob er ihr Bräutigam oder ihr Mann wäre.
Anna Pawlowna: Aber was geht es dich an? Weshalb wirst du so hitzig? Oder hast du vielleicht darauf spekuliert, ihn zu heiraten?
Sascha: Ich?! Diesen langen Tölpel?! Da würde ich lieber ich weiß nicht wen heiraten, aber nicht ihn. Das ist mir überhaupt nie in den Kopf gekommen. Es ist mir nur zuwider, daß Lisa nach ihrem Zusammenleben mit Fedja es fertigbekommt, einem fremden Menschen in dieser Weise näher zu treten.
Anna Pawlowna: Wie kannst du ihn einen fremden Menschen nennen? Er ist ihr Jugendfreund.
Sascha: Aber ich sehe ja an dem Lächeln, an den Augen der beiden, daß sie ineinander verliebt sind.
Anna Pawlowna: Was ist denn daran Verwunderliches? Er hat ihr während der Krankheit des Kindes soviel Teilnahme bewiesen[S. 21] und ihr geholfen; dafür ist sie ihm dankbar. Und außerdem: warum sollte sie sich nicht in Viktor verlieben und ihn heiraten?
Sascha: Das wäre schrecklich, empörend! Empörend!
Karenin und Lisa treten ein.
Karenin (empfiehlt sich schweigend).
Sascha (geht ärgerlich hinaus).
Anna Pawlowna und Lisa.
Lisa (zu ihrer Mutter): Was hat sie nur?
Anna Pawlowna: Ich weiß es wirklich nicht.
Lisa (seufzt schweigend).
Vorhang.
Zimmer bei Afremow. Auf dem Tische stehen Gläser mit Wein. Gäste.
Afremow, Fedja, Stachow (mit struppigem Barte), Butkewitsch (glatt rasiert), Korotkow (ein aufdringlicher Mensch).
Korotkow: Ich sage euch, daß er weit zurückbleiben wird. La belle du bois ist das erste Pferd Europas. Wetten?
Stachow: Sei nur still, Bruder! Du weißt ja doch, daß dir kein Mensch glaubt. Und auch wetten wird niemand mit dir.
Korotkow: Ich sage dir: dein Cartouche wird weit zurückbleiben.
Afremow: Nun hört auf, euch zu zanken! Ich will euch versöhnen. Fragt mal Fedja! Der wird es euch zuverlässig sagen.
Fedja: Die Pferde sind alle beide gut. Es kommt auf den Reiter an.
Stachow: Gusew ist ein Schurke. Den muß man streng halten.
Korotkow (schreit): Nein!
Fedja: Na, wartet, ich werde euer Schiedsrichter sein. Wer hat das Derby gewonnen?
Korotkow: Nun ja, das hat er gewonnen, aber das besagt nichts weiter. Das war ein Zufall. Wenn Cracouse nicht krank geworden wäre ... Sieh mal ... (Ein Diener kommt herein.)
Dieselben und ein Diener.
Afremow: Was willst du?
Der Diener: Es ist eine Dame gekommen, die nach Fjodor Wasiljewitsch fragt.
Afremow: Was für eine Dame?
Der Diener: Das weiß ich nicht. Aber es ist eine richtige Dame.
Afremow: Fedja, da will eine Dame zu dir.
Fedja (erschrocken): Wer ist es?
Afremow: Das weiß er nicht.
Der Diener: Soll ich sie in den Salon bitten?
Fedja: Warten Sie, ich will hingehen und zusehen. (Fedja und der Diener gehen hinaus.)
Dieselben ohne Fedja und den Diener.
Korotkow: Wer will da zu ihm? Gewiß Mascha ...
Stachow: Was für eine Mascha?
Korotkow: Die Zigeunerin Mascha. Die hat sich in ihn verliebt. Wie eine Katze verliebt ist sie.
Stachow: Ein allerliebstes Mädel! Und wie sie singt!...
Afremow: Ganz entzückend. Tanjuscha und sie, über die beiden geht nichts. Gestern haben sie mit Peter ein Terzett gesungen ...
Stachow: Er ist doch wirklich ein Glückspilz!...
Afremow: Weil ihn die Weiber lieben? Die gönne ich ihm!
Korotkow: Ich kann die Zigeunerinnen nicht leiden; Eleganz ist bei ihnen nicht zu finden.
Butkewitsch: Na, das kannst du denn doch nicht sagen.
Korotkow: Ich gebe sie alle für eine einzige Französin hin.
Afremow: Na, du bist ja als Ästhet bekannt. Ich will doch mal hingehen und sehen, wer es ist ... (Er geht hinaus.)
Dieselben ohne Afremow.
Stachow (ihm nachrufend): Wenn es Mascha ist, so bring sie her; sie soll uns etwas vorsingen! Nein, mit den Zigeunern ist es jetzt nichts Rechtes! Tanjuscha, die war früher eine großartige Sängerin; ach, hols der Teufel!
Butkewitsch: Ich meine, sie leisten noch dasselbe.
Stachow: Wie sollen sie denn dasselbe leisten, wenn sie abgeschmackte Romanzen statt der Volkslieder singen?
Butkewitsch: Es gibt auch gute Romanzen.
Korotkow: Wollen wir wetten? Ich werde die Zigeuner etwas singen lassen, und du wirst nicht erkennen, ob es ein Volkslied ist oder eine Romanze.
Stachow: Korotkow immer mit seinen Wetten!
Dieselben und Afremow.
Afremow (tritt ein): Meine Herren, es ist nicht Mascha. Aber Fedja kann sie nirgends empfangen als hier. Wir wollen ins Billardzimmer gehen. (Sie gehen hinaus.)
Fedja und Sascha treten ein.
Sascha (verlegen): Verzeih mir, Fedja, wenn ich dir ungelegen komme; aber höre mich an; ich bitte dich inständig! (Die Stimme zittert ihr.)
Fedja (geht im Zimmer auf und ab. Sascha hat sich hingesetzt und sieht ihn an).
Sascha: Fedja, kehre nach Hause zurück!
Fedja: Höre, Sascha, ich verstehe dich sehr wohl. Liebe Sascha, wenn ich an deiner Stelle wäre, so würde ich ebenso handeln:[S. 24] ich würde mir Mühe geben, alles wieder irgendwie in den alten Zustand zurückzuführen; aber wenn du, du liebes, feinfühliges Mädchen, an meiner Stelle wärest, wie seltsam es auch sein mag, das zu sagen, dann würdest du gewiß dasselbe tun, was ich tue, das heißt, du würdest deiner Wege gehen und ein fremdes Leben nicht länger stören ...
Sascha: Wieso stören? Kann denn Lisa überhaupt ohne dich leben?
Fedja: Ach, liebe Sascha, mein Täubchen, das kann sie, das kann sie, und sie wird noch glücklich werden, weit glücklicher, als sie es mit mir gewesen ist.
Sascha: Niemals!
Fedja: Das scheint dir nur so. (Er hält ihre Hand in der seinigen.) Aber darum handelt es sich nicht. Die Hauptsache ist, daß ich es nicht kann. Weißt du, biege ein Stück dickes Papier hin und her; du kannst das hundertmal tun, und es hält; aber biege es zum hundertundersten Male, und es geht entzwei. So steht es auch mit den Beziehungen zwischen mir und Lisa. Es ist mir zu peinlich, ihr in die Augen zu sehen. Und ihr ebenfalls, das kannst du mir glauben.
Sascha: Nein, nein.
Fedja: Du sagst nein, weißt aber selbst, daß es so ist.
Sascha: Ich kann nur nach mir urteilen. Wenn ich an ihrer Stelle wäre und du mir so antwortetest, wie du es jetzt tust, so würde das für mich schrecklich sein.
Fedja: Ja, für dich ... (Stillschweigen; beide sind verlegen.)
Sascha (steht auf): Soll es wirklich dabei bleiben?
Fedja: Es muß wohl.
Sascha: Fedja, kehre zurück!
Fedja: Ich danke dir, liebe Sascha. Du wirst mir allzeit eine teure Erinnerung bleiben ... aber lebe wohl, mein Täubchen! Erlaube, daß ich dich küsse! (Er küßt sie auf die Stirn.)
Sascha (aufgeregt): Nein, ich nehme nicht Abschied, und ich glaube es nicht und will es nicht glauben ... Fedja ...
Fedja: Nun, so höre! Aber gib mir dein Wort, daß du das, was ich dir sage, niemandem wiedersagen wirst. Gibst du mir dein Wort?
Sascha: Natürlich.
Fedja: Nun, so höre, Sascha! Ich bin allerdings ihr Mann, der Vater ihres Kindes; aber ich bin ein überflüssiger Mensch ... Warte, warte, erwidere mir nichts! Du glaubst, ich sei eifersüchtig? Ganz und gar nicht. Erstens habe ich kein Recht dazu; und zweitens habe ich keinen Anlaß. Viktor Karenin ist ein alter Freund von ihr und ebenso von mir. Und er liebt sie, und sie liebt ihn.
Sascha: Nein.
Fedja: Sie liebt ihn so, wie eine ehrenhafte, sittsame Frau lieben kann, die es sich nicht erlauben will, einen andern als ihren Mann zu lieben. Aber sie liebt ihn und wird ihn lieben, sobald dieses Hindernis (er zeigt auf sich selbst) beseitigt sein wird, und ich werde es beseitigen, und sie werden glücklich sein. (Die Stimme zittert ihm.)
Sascha: Fedja, sprich nicht so!
Fedja: Du weißt ja, daß das die Wahrheit ist, und ich werde mich über das Glück der beiden freuen und kann gar nichts Besseres tun ... Ich werde nicht zurückkehren und gebe ihnen volle Freiheit ... Das bestelle du ihnen nur! Und nun sage weiter nichts, sage weiter nichts; lebe wohl! (Er küßt sie auf den Kopf und öffnet ihr die Tür.)
Sascha: Fedja, ich bewundere dich!
Fedja: Lebe wohl, lebe wohl! (Sascha geht fort.)
Fedja allein.
Fedja: Ja, ja, wundervoll, prächtig, daß wir so damit zu Ende gekommen sind ... (Er klingelt.)
Fedja und ein Diener.
Fedja: Rufen Sie den Herrn! (Der Diener ab.)
Fedja allein.
Fedja: Das ist das Richtige, das ist das Richtige!
Afremow tritt ein.
Fedja: Gehen wir!
Afremow: Wie hast du denn die Sache erledigt?
Fedja: Wundervoll! Wundervoll! Wo sind die andern alle?
Afremow: Sie spielen Billard.
Fedja: Vorzüglich! Wir wollen auch hingehen und ein Stündchen da verbringen.
Vorhang.
Ein Zimmer bei Anna Dmitrijewna, in diskret-luxuriöser Art ausgestattet; voller Andenken.
Personen: Fürst Abreskow, ein sechzigjähriger, eleganter Junggeselle, glattrasiert, mit Schnurrbart, alter Militär, sehr würdevoll und melancholisch. Anna Dmitrijewna Karenina (Viktors Mutter), eine sich jung machende fünfzigjährige grande dame. Sie spickt ihre Rede mit französischen Ausdrücken. Ein Diener. Viktor. Lisa.
Anna Dmitrijewna (schreibt einen Brief).
Anna Dmitrijewna und ein Diener.
Der Diener: Fürst Sergei Dmitrijewitsch.
Anna Dmitrijewna: Ich lasse natürlich bitten. (Sie wendet sich zum Spiegel und bringt ihre Frisur in Ordnung.)
Fürst Abreskow (tritt ein): J'espère, que je ne force pas la consigne. (Er küßt ihr die Hand.)
Anna Dmitrijewna: Sie wissen, daß vous êtes toujours le bienvenu. Und jetzt, heute, ganz besonders. Sie haben mein Briefchen erhalten?
Fürst Abreskow: Jawohl, und mein Erscheinen ist meine Antwort.
Anna Dmitrijewna: Ach, mein Freund, ich fange an ganz zu verzweifeln. Il est ensorcelé, positivement ensorcelé. Ich bin bei ihm noch nie einer solchen Beharrlichkeit, einer solchen Hartnäckigkeit, einer solchen Mitleidslosigkeit und Gleichgültigkeit mir gegenüber begegnet. Seit diese Frau sich von ihrem Manne losgesagt hat, ist er vollständig umgewandelt.
Fürst Abreskow: Aber was ist denn eigentlich geschehen? Wie steht die Sache?
Anna Dmitrijewna: Er will sie unter allen Umständen heiraten.
Fürst Abreskow: Und wie stellt sich ihr Mann dazu?
Anna Dmitrijewna: Er willigt in die Scheidung.
Fürst Abreskow: Also so ist das!
Anna Dmitrijewna: Und er, Viktor, befaßt sich eifrig mit all diesen Dingen, mit all dem Schmutz, der dabei aufgerührt wird, und den Advokaten und den Schuldbeweisen. Tout ça est dégoûtant. Aber dadurch läßt er sich nicht abstoßen. Ich verstehe ihn gar nicht. Er mit seiner Feinfühligkeit und mit seiner Schüchternheit ...
Fürst Abreskow: Er liebt. Ach, wenn jemand so richtig liebt, dann ...
Anna Dmitrijewna: Ja, aber warum konnte denn zu unserer Zeit die Liebe eine reine, freundschaftliche, das ganze Leben hindurch anhaltende Liebe sein? Eine solche Liebe weiß ich zu verstehen und zu schätzen.
Fürst Abreskow: Die jetzige neue Generation vermag sich nicht mehr mit idealen Beziehungen zu begnügen. La possession de l'âme ne leur suffit plus. Dagegen läßt sich nichts tun. Aber was machen wir mit ihm?
Anna Dmitrijewna: Nein, sagen Sie das nicht mit Bezug auf ihn. Sondern das ist eine Art von Behexung. Er ist geradezu wie umgetauscht. Sie wissen ja: ich bin bei ihr gewesen. Er hatte mich so darum gebeten. Ich fuhr hin, traf sie aber nicht an und ließ meine Karte da. Elle m'a fait demander, si je pouvais la recevoir. Und heute (sie sieht nach der Uhr) zwischen eins und zwei, also sogleich, muß sie herkommen. Ich habe Viktor versprochen, sie zu empfangen; aber können Sie sich in meine Lage versetzen? Ich bin ganz verstört. Und nach alter Gewohnheit habe ich Sie hergebeten. Ich bedarf Ihrer Hilfe.
Fürst Abreskow: Ich danke Ihnen.
Anna Dmitrijewna: Sie werden sich darüber klar sein, daß dieser ihr Besuch für die ganze Angelegenheit, für Viktors Schicksal, entscheidend ist. Ich muß entweder meine Einwilligung verweigern ... aber wie kann ich das?
Fürst Abreskow: Sie kennen sie noch gar nicht?
Anna Dmitrijewna: Ich habe sie noch nie gesehen. Aber ich fürchte mich vor ihr. Eine gute Frau kann sich nicht dazu entschließen, ihren Mann zu verlassen. Und einen so guten Menschen! Er ist ja Viktors Kollege und hat bei uns verkehrt. Er war ein sehr liebenswürdiger Mensch. Aber wie er auch gewesen sein mag, quels que soient les torts qu'il a eus vis-à-vis d'elle, von ihrem Manne darf sie sich nicht lossagen. Man muß sein Kreuz tragen. Das eine verstehe ich nicht, wie Viktor bei seinen Grundsätzen es fertigbekommen kann, eine geschiedene Frau zu heiraten. Wie oft hat er, und erst kürzlich, in meiner Gegenwart mit Herrn Spizyn hitzig debattiert und den Beweis dafür zu führen gesucht, daß die Ehescheidung mit dem wahren Christentum unvereinbar sei, und nun wirkt er selbst auf eine solche hin. Si elle a pu le charmer à un tel point ... Ich fürchte mich vor ihr. Aber ich habe Sie hergebeten, um Sie zu hören, und statt dessen rede nur ich selbst immerzu. Was meinen Sie? Reden Sie! Was muß ich nach Ihrer Ansicht tun? Was halten Sie für nötig? Haben Sie mit Viktor gesprochen?
Fürst Abreskow: Ja, ich habe mit ihm gesprochen. Und ich glaube, daß er sie liebt, daß diese Liebe ihm schon zur vollen Gewohnheit geworden ist und eine gewaltige Macht über ihn gewonnen hat; und er ist ein Mensch, welcher Neigungen nur langsam in sich aufnimmt, sie aber dann um so energischer festhält. Was einmal in sein Herz eingedrungen ist, das geht nicht wieder hinaus. Er wird nie eine andere Frau als sie lieben und kann mit keiner andern glücklich werden.
Anna Dmitrijewna: Und wie gern würde ihn Warja Kasanzewa heiraten! Was ist sie für ein prächtiges Mädchen, und wie liebt sie ihn!...
Fürst Abreskow (lächelnd): C'est compter sans son hôte. Das ist jetzt ganz ausgeschlossen. Und ich glaube, es ist das beste, sich zu fügen und ihm zu der Heirat behilflich zu sein.
Anna Dmitrijewna: Zu der Heirat mit einer geschiedenen Frau, damit er dem ersten Manne seiner Frau fortwährend begegnet? Ich verstehe nicht, wie Sie mit solcher Ruhe davon reden können. Ist das etwa eine Frau, wie eine Mutter sie ihrem[S. 30] einzigen Sohne, und noch dazu einem solchen Sohne, zur Gattin wünschen kann?
Fürst Abreskow: Aber was ist da zu machen, liebe Freundin? Natürlich wäre es besser, wenn er ein Mädchen heiratete, das Sie kennen und gern haben. Aber wenn das eben nicht möglich ist ... Und dann: wenn er nun eine Zigeunerin oder Gott weiß wen heiratete? Lisa Protasowa aber ist ein herzensgutes, liebenswürdiges Wesen. Ich kenne sie durch meine Nichte Nelly: sie ist eine sanfte, gutherzige, liebevolle, moralisch tadellose Frau.
Anna Dmitrijewna: Eine moralisch tadellose Frau, die es fertigbringt, sich von ihrem Manne loszusagen?!
Fürst Abreskow: Ich erkenne Sie gar nicht wieder. Sie sind ja so hart und grausam. Der Mann dieser Frau ist einer von jenen Menschen, von denen man sagt, daß sie keinen andern Feind haben als sich selbst. Aber in noch höherem Grade ist er ein Feind seiner Frau. Er ist ein schwacher, völlig heruntergekommener, trunksüchtiger Mensch. Er hat sein ganzes Vermögen und ihr ganzes Vermögen verschwendet; sie hat ein Kind ... Wie können Sie nur eine Frau verurteilen, die einen solchen Mann verlassen hat? Zudem hat nicht sie ihn verlassen, sondern er sie.
Anna Dmitrijewna: Ach, welch ein Schmutz! welch ein Schmutz! Und ich soll mich damit besudeln!
Fürst Abreskow: Und Ihre Religion?
Anna Dmitrijewna: Ja, ja, die Vergebung! „Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.” Mais c'est plus fort que moi.
Fürst Abreskow: Wie kann sie denn mit einem solchen Menschen weiter zusammenleben? Auch wenn sie nicht einen andern liebte, müßte sie sich von jenem trennen. Um des Kindes willen müßte sie das tun. Er selbst, ihr Mann, der, wenn er sich in nüchternem Zustande befindet, ein verständiger, guter Mensch ist, er selbst rät ihr, dies zu tun.
Anna Dmitrijewna, Fürst Abreskow, Viktor, welcher eintritt, seiner Mutter die Hand küßt und den Fürsten Abreskow begrüßt.
Viktor: Mama, ich bin nur hergekommen, um Ihnen zu sagen, daß Jelisaweta Andrejewna sogleich hier sein wird; und ich bitte[S. 31] und beschwöre Sie nur um eines: wenn Sie immer noch gegen meine Heirat sind ...
Anna Dmitrijewna (unterbricht ihn): Selbstverständlich bin ich immer noch dagegen.
Viktor (fährt mit finsterer Miene fort) ... so bitte und beschwöre ich Sie nur um eines: reden Sie nicht von Ihrer Abneigung, sprechen Sie es nicht aus, daß Sie Ihre Zustimmung verweigern!
Anna Dmitrijewna: Ich meine, daß wir überhaupt nicht von etwas Derartigem reden werden. Ich wenigstens werde nicht davon anfangen.
Viktor: Und sie noch weniger. Mein Wunsch war nur, daß Sie sie kennen lernen möchten.
Anna Dmitrijewna: Ich verstehe nur eines nicht: wie kannst du deinen Wunsch, Frau Protasowa zu Lebzeiten ihres Mannes zu heiraten, mit deiner religiösen Überzeugung vereinigen, daß eine Ehescheidung gegen die Lehre des Christentums ist?
Viktor: Mama, Sie verfahren grausam mit mir! Sind wir alle denn so unfehlbar, daß wir von unseren Grundsätzen nie abgehen dürften, obwohl doch das Leben ein so kompliziertes Geflecht ist? Mama, warum sind Sie gegen mich so grausam?
Anna Dmitrijewna: Ich liebe dich und will dein Glück.
Viktor (zu Abreskow): Sergei Dmitrijewitsch!
Fürst Abreskow: Selbstverständlich wollen Sie sein Glück; aber uns mit unseren grauen Haaren wird es schon schwer, die Jugend zu verstehen. Und besonders schwer ist das für eine Mutter, die sich an den Gedanken gewöhnt hat, das Glück des Sohnes müsse ihren eigenen Vorstellungen entsprechen. Alle Frauen sind von dieser Art.
Anna Dmitrijewna: Nun ja, da haben wirs! Alle sind gegen mich. Natürlich kannst du es tun; vous êtes majeur ... aber du machst mich dadurch unglücklich.
Viktor: Ich erkenne Sie gar nicht wieder. Das ist mehr als grausam.
Fürst Abreskow (zu Viktor): Hör auf, Viktor. Die Mama redet immer schlechter, als sie handelt.
Anna Dmitrijewna: Ich werde zu ihr sagen, was ich denke und empfinde, und werde es zu ihr sagen, ohne sie zu kränken.
Fürst Abreskow: Davon bin ich überzeugt.
Anna Dmitrijewna, Fürst Abreskow, Viktor und ein Diener, welcher eintritt.
Fürst Abreskow: Da ist sie.
Viktor: Ich werde fortgehen.
Der Diener: Jelisaweta Andrejewna Protasowa.
Viktor: Ich gehe fort. Mama, ich bitte Sie ... (Er geht fort.)
Fürst Abreskow (erhebt sich ebenfalls).
Anna Dmitrijewna: Ich lasse bitten. (Zum Fürsten Abreskow:) Nein, bleiben Sie!
Anna Dmitrijewna und Fürst Abreskow.
Fürst Abreskow: Ich glaubte, es würde Ihnen en tête-à-tête angenehmer sein.
Anna Dmitrijewna: Nein, ich fürchte mich vor ihr. (Sie gerät in nervöse Unruhe.) Wenn mir der Wunsch kommen sollte, mit ihr tête-à-tête zu bleiben, so werde ich Ihnen einen Wink geben; ça dépendra ... Aber gleich von vornherein mit ihr allein zu bleiben, das würde mir peinlich sein. Ich werde dann so zu Ihnen machen. (Sie macht ihm ein Zeichen.)
Fürst Abreskow: Ich verstehe. Ich bin davon überzeugt, daß sie Ihnen gefallen wird. Seien Sie nur gerecht!
Anna Dmitrijewna: Wie ihr alle doch meine Gegner seid!
Anna Dmitrijewna. Fürst Abreskow, Lisa, welche im Visitenkostüm mit Hut eintritt.
Anna Dmitrijewna (erhebt sich): Ich habe bedauert, daß ich Sie nicht antraf; aber nun sind Sie so liebenswürdig, selbst herzukommen.
Lisa: Ich hatte Ihren Besuch in keiner Weise erwartet. Ich bin Ihnen so dankbar, daß Sie mich zu sehen gewünscht haben.
Anna Dmitrijewna: Sind Sie bekannt? (Sie zeigt auf den Fürsten Abreskow.)[S. 33]
Fürst Abreskow: Gewiß, ich hatte die Ehre, Ihnen vorgestellt zu werden. (Shake hands.) (Sie setzen sich.) Meine Nichte Nelly spricht zu mir oft von Ihnen.
Lisa: Ja, wir waren sehr befreundet (sie wirft einen schüchternen Blick auf Anna Dmitrijewna) und sind auch jetzt befreundet. (Zu Anna Dmitrijewna:) Ich hatte es in keiner Weise erwartet, daß Sie den Wunsch hätten, mich zu sehen.
Anna Dmitrijewna: Ich habe Ihren Mann gut gekannt. Er war mit Viktor befreundet und verkehrte vor seiner Übersiedlung nach Tambow in unserem Hause. Ich glaube, dort hat er Sie geheiratet?
Lisa: Ja, dort haben wir uns geheiratet.
Anna Dmitrijewna: Aber nachher, als er wieder nach Moskau gezogen war, hat er nicht mehr bei mir verkehrt.
Lisa: Nein, er hat fast nirgends verkehrt.
Anna Dmitrijewna: Und so hat er mich denn auch nicht mit Ihnen bekannt gemacht. (Unbehagliches Stillschweigen.)
Fürst Abreskow: Das letztemal traf ich mit Ihnen bei Denisows zusammen, bei einer Liebhabervorstellung. Es war sehr nett dort. Sie spielten auch mit.
Lisa: Nein ... ja ... gewiß ... ich erinnere mich. Ich spielte mit. (Wieder Stillschweigen.) Anna Dmitrijewna, verzeihen Sie mir, wenn Ihnen das, was ich sagen werde, unangenehm sein sollte; aber ich kann mich nicht verstellen, ich verstehe das nicht. Ich bin hergekommen, weil mir Viktor Michailowitsch sagte ... weil er ... das heißt, weil Sie den Wunsch hatten, mich zu sehen ... aber es wird das beste sein, wenn ich alles sage ... (Sie fängt an zu schluchzen.) ... Es ist mir sehr peinlich ... aber Sie sind so gut.
Fürst Abreskow: Ich werde lieber gehen.
Anna Dmitrijewna: Ja, gehen Sie!
Fürst Abreskow: Auf Wiedersehen! (Er empfiehlt sich den beiden Damen und geht.)[S. 34]
Anna Dmitrijewna und Lisa.
Anna Dmitrijewna: Hören Sie, Lisa ... Ich weiß nicht und will auch gar nicht wissen, wie Sie mit Vatersnamen heißen ...
Lisa: Andrejewna.
Anna Dmitrijewna: Nun, ganz gleich; ich möchte Sie einfach Lisa nennen. Sie tun mir leid; Sie sind mir sympathisch. Aber ich liebe Viktor. Ich liebe auf der ganzen Welt nur dieses eine Wesen. Ich kenne seine Seele wie meine eigene. Er ist eine stolze Seele. Schon als siebenjähriger Knabe war er stolz, stolz nicht auf seinen Namen, nicht auf seinen Reichtum, sondern auf seine hohe sittliche Reinheit; und diese Reinheit hat er sich bewahrt. Er ist rein wie ein junges Mädchen.
Lisa: Das weiß ich.
Anna Dmitrijewna: Er hat nie eine Frau geliebt. Sie sind die erste. Ich kann nicht sagen, daß ich nicht eifersüchtig auf Sie wäre; ich bin eifersüchtig. Aber wir Mütter — Ihr eigenes Söhnchen ist noch zu klein, und solche Gedanken liegen Ihnen noch fern —, wir Mütter müssen uns darauf vorbereiten, unsere Söhne einer anderen Frau abzutreten. Ich habe mich darauf vorbereitet, ihn einer andern abzutreten, ohne eifersüchtig zu werden. Aber ich wollte ihn einer Frau abtreten, die ebenso wäre wie er selbst.
Lisa: Aber bin ich ... bin ich denn ...
Anna Dmitrijewna: Verzeihen Sie, ich weiß, Sie tragen keine Schuld, Sie sind unglücklich. Und ich kenne ihn. Jetzt ist er bereit, alles zu ertragen, und er wird es ertragen und niemals etwas darüber sagen; aber er wird darunter leiden. Sein verletzter Stolz wird darunter leiden, und er wird nicht glücklich sein.
Lisa: Ich habe darüber nachgedacht.
Anna Dmitrijewna: Lisa, liebes Kind, Sie sind eine verständige, gute Frau. Wenn Sie ihn wahrhaft lieben, so müssen Sie doch mehr sein Glück wünschen als Ihr eigenes. Wenn es aber so ist, so werden Sie ihn nicht binden wollen und nicht schuld daran werden wollen, daß er es später bereut. Obgleich er es nicht sagen wird, es niemals sagen wird.
Lisa: Das weiß ich, daß er es nicht sagen wird. Ich habe darüber[S. 35] nachgedacht und mir diese Frage vorgelegt. Ich habe darüber nachgedacht und es ihm gesagt. Aber was kann ich tun, wenn er mir erwidert, daß er ohne mich nicht leben mag? Ich habe gesagt: „Wir wollen Freunde sein; aber richten Sie sich Ihr Leben für sich ein, und verknüpfen Sie nicht Ihr reines Leben mit meinem unglücklichen.” Aber er will nicht.
Anna Dmitrijewna: Ja, jetzt will er nicht.
Lisa: Überreden Sie ihn, von mir abzulassen! Ich bin damit einverstanden. Ich liebe ihn um seines, nicht um meines Glückes willen. Nur helfen Sie mir, und hassen Sie mich nicht! Lassen Sie uns beide, voller Liebe, auf sein wahres Wohl bedacht sein!
Anna Dmitrijewna: Ja, ja, ich habe Sie liebgewonnen. (Sie küßt sie. Lisa bricht in Tränen aus.) Aber trotzdem, trotzdem ist das alles so schrecklich. Hätte er Sie damals liebgewonnen, als Sie noch nicht verheiratet waren ...
Lisa: Er sagt, er habe mich schon damals geliebt, habe aber das Glück seines Freundes nicht stören wollen.
Anna Dmitrijewna: Ach, wie schrecklich das alles ist! Aber wir wollen einander trotz alledem liebhaben, und Gott wird uns helfen, zum Ziele unserer Wünsche zu gelangen.
Anna Dmitrijewna, Lisa und Viktor.
Viktor (tritt ein): Mama, liebe Mama! Ich habe alles gehört. Ich hatte es erwartet, daß Sie sie liebgewinnen würden. Und nun wird alles gut werden.
Lisa: Wie leid tut es mir, daß Sie alles gehört haben. Ich hätte es nicht gesagt, wenn ich das gewußt hätte.
Anna Dmitrijewna: Aber entschieden ist noch nichts. Ich kann nur sagen, daß ich mich freuen würde, wenn nicht alle diese peinlichen Umstände vorhanden wären. (Sie küßt sie.)
Viktor: Bitte, verbleiben Sie bei dieser Gesinnung!
Vorhang.
Ein bescheidenes Zimmer, ein Bett, ein Schreibtisch, ein Sofa.
Fedja (allein, es wird an die Tür geklopft. Eine weibliche Stimme fragt von außen: „Warum hast du dich eingeschlossen, Fjodor Wasiljewitsch? Mach auf, Fedja!...”).
Fedja und Mascha.
Fedja (steht auf und öffnet die Tür): Vielen Dank, daß du gekommen bist! Ich langweile mich hier, langweile mich furchtbar.
Mascha: Warum bist du nicht zu uns gekommen? Du bist wieder ins Trinken hineingeraten. Ach, du! Und du hattest doch versprochen zu kommen.
Fedja: Du weißt, daß ich kein Geld habe.
Mascha: Warum habe ich mich nun in dich verliebt!
Fedja: Mascha!
Mascha: Ach was! „Mascha, Mascha!” Wenn du mich liebtest, hättest du dich schon längst scheiden lassen. Deine Leute haben dich ja selbst darum gebeten. Du sagst, daß du deine Frau nicht liebst, und hältst doch an ihr fest. Du willst offenbar nicht ...
Fedja: Du weißt ja, weswegen ich nicht will.
Mascha: Das ist alles dummes Zeug. Die Leute haben ganz recht, wenn sie sagen, daß du ein schlaffer Mensch bist.
Fedja: Was soll ich dir darauf erwidern? Soll ich dir sagen, daß mir deine Worte ein Schmerz sind? Das weißt du ja selbst.
Mascha: Dir ist nichts ein Schmerz ...
Fedja: Du weißt selbst, daß ich nur eine Freude im Leben habe: deine Liebe.
Mascha: Ich liebe dich schon, aber du nicht mich.
Fedja: Nun, ich werde mich nicht auf Beteuerungen einlassen. Das wäre ja unnütz; du weißt selbst, daß ich dich liebe.
Mascha: Fedja, warum marterst du mich so?
Fedja: Wer martert wen?
Mascha (weint): Du bist kein guter Mensch.
Fedja (tritt zu ihr hin und umarmt sie): Mascha! Warum weinst du? Hör auf! Leben muß man, aber nicht schluchzen. Und dir steht das nun schon gar nicht, du mein schönes Kind!
Mascha: Liebst du mich?
Fedja: Wen sollte ich denn sonst lieben?
Mascha: Nur mich? Nun, lies mir einmal vor, was du da geschrieben hast.
Fedja: Es wird dich langweilen.
Mascha: Wenn du es geschrieben hast, wird es schon hübsch sein.
Fedja: Nun, so höre. (Er liest.) „An einem Tage im Spätherbst hatte ich mich mit einem Kameraden verabredet, daß wir uns auf der Murygina-Terrasse treffen wollten. Es war ein trüber, warmer, stiller Tag. Der Nebel ...”
Fedja und Mascha. Der alte Zigeuner Iwan Makarowitsch und die alte Zigeunerin Nastasja Iwanowna, Maschas Eltern, treten ein.
Nastasja Iwanowna (tritt auf ihre Tochter zu): Also hier bist du, du verlaufenes Schaf verfluchtes! Habe die Ehre, gnädiger Herr! (Zur Tochter:) Was tust du uns an, he?
Iwan Makarowitsch (zu Fedja): Du handelst nicht gut, gnädiger Herr. Machst das Mädchen unglücklich. Wirklich nicht gut. Du handelst unchristlich.
Nastasja Iwanowna: Nimm dein Tuch um und dann sofort marsch! Nun sehe einer an, weggelaufen ist sie! Was werde ich dem Chor sagen? Läßt dich mit einem armen Schlucker ein! Was kannst du von dem kriegen?
Mascha: Von Einlassen ist nicht die Rede. Ich liebe den gnädigen Herrn, weiter nichts. Ich werde mich von dem Chor nicht lossagen, werde weitersingen; aber daß ...
Iwan Makarowitsch: Wenn du noch ein Wort sagst, so reiße ich dir den Zopf aus. Du Dirne! Wer hat dir so ein Beispiel gegeben? Dein Vater nicht, deine Mutter nicht, deine Tante nicht. Es ist schlecht von dir, Herr. Wir haben dich lieb gehabt;[S. 38] wie oft haben wir dir umsonst etwas vorgesungen, weil du uns leid tatest. Aber du, was hast du uns angetan!
Nastasja Iwanowna: Du hast unser Töchterchen, unser liebes, einziges, süßes, goldenes, unschätzbares Töchterchen, mir nichts dir nichts zugrunde gerichtet, sie in den Schmutz getreten, — das hast du uns angetan. Du hast keine Gottesfurcht.
Fedja: Du urteilst falsch über mich, Nastasja Iwanowna. Deine Tochter ist mir wie eine Schwester. Ich taste ihre Ehre nicht an. Glaube so etwas nicht! Aber ich liebe sie ... Was ist da zu machen?
Iwan Makarowitsch: Aber als du noch Geld hattest, da hast du sie nicht geliebt. Du hättest damals dem Chor zehntausend Rubel stiften sollen, dann hättest du sie in allen Ehren bekommen. Aber jetzt, wo du alles durchgebracht hast, da hast du sie heimlich entführt. Schäme dich, Herr, schäme dich.
Mascha: Er hat mich nicht entführt; ich bin von selbst zu ihm gekommen. Und wenn ihr mich jetzt wegholt, so laufe ich doch wieder her. Ich liebe ihn — und damit basta. Meine Liebe ist stärker als alle eure Schlösser und Riegel ... Ich will nicht.
Nastasja Iwanowna: Na, liebste Mascha, mein Herzenskind, werde nicht hitzig! Du hast nicht gut gehandelt; na, und nun komm!
Iwan Makarowitsch: Na, nun ist genug geredet! Marsch! (Er faßt sie an den Arm.) Lebe wohl, Herr! (Alle drei ab.)
Fedja, Fürst Abreskow, welcher eintritt.
Fürst Abreskow: Ich bitte um Verzeihung. Ich bin wider meinen Willen Zeuge einer unangenehmen Szene geworden.
Fedja: Mit wem habe ich die Ehre?... (Er erkennt ihn.) Ah! Fürst Sergei Dmitrijewitsch! (Er begrüßt ihn.)
Fürst Abreskow: Ja, unfreiwilliger Zeuge einer unangenehmen Szene. Ich hätte gewünscht, sie nicht mit anzuhören. Aber da ich sie nun einmal mit angehört habe, so halte ich es für meine Pflicht zu sagen, daß dies geschehen ist. Man hatte mich hierher gewiesen, und ich mußte an der Tür warten, bis diese Herrschaften[S. 39] weggingen. Um so mehr, da mein Klopfen wegen des sehr lauten Redens nicht gehört wurde.
Fedja: Ja, ja. Bitte ergebenst, Platz zu nehmen. Ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie mir das gesagt haben. Das gibt mir das Recht, Ihnen diese Szene zu erklären. Was Sie von mir selbst denken, ist mir ganz gleichgültig; aber ich möchte Ihnen sagen, daß die Vorwürfe, die Sie diesem jungen Mädchen, einer Zigeunerin, Sängerin, machen hörten, ungerechtfertigt sind. Dieses junge Mädchen ist sittlich so rein wie eine Taube. Und meine Beziehungen zu ihr sind lediglich freundschaftlicher Art. Und wenn sie vielleicht einen poetischen Anflug haben, so beeinträchtigt das die Reinheit und die Ehre dieses jungen Mädchens nicht. Das ists, was ich Ihnen sagen wollte. Also was wünschen Sie von mir? Womit kann ich Ihnen dienen?
Fürst Abreskow: Ich möchte erstens ...
Fedja: Verzeihen Sie, Fürst! Ich bin jetzt zu einer solchen Stellung in der Gesellschaft gelangt, daß meine oberflächliche und schon weit zurückliegende Bekanntschaft mit Ihnen mir keinen Anspruch auf einen Besuch von Ihnen verleiht, wenn nicht eine geschäftliche Angelegenheit Sie zu mir führt; also worin besteht diese?
Fürst Abreskow: Ich will es nicht in Abrede stellen; Sie haben es erraten. Ich habe allerdings eine geschäftliche Angelegenheit. Aber dennoch bitte ich Sie zu glauben, daß die Veränderung Ihrer gesellschaftlichen Stellung keinerlei Einfluß auf meine Beziehungen zu Ihnen haben kann.
Fedja: Davon bin ich vollkommen überzeugt.
Fürst Abreskow: Was mich herführt ist dies: der Sohn meiner alten Freundin Anna Dmitrijewna Karenina sowie diese selbst haben mich gebeten, mich geradezu und direkt bei Ihnen danach zu erkundigen, welches Ihre Beziehungen ... Sie gestatten mir von Ihren Beziehungen zu Ihrer Gemahlin Jelisaweta Andrejewna Protasowa zu sprechen?
Fedja: Meine Beziehungen zu meiner Frau (ich kann sagen: zu meiner ehemaligen Frau) sind vollständig gelöst.
Fürst Abreskow: So habe auch ich die Sache aufgefaßt. Und nur deswegen habe ich diese schwierige Mission übernommen.
Fedja: Diese Beziehungen sind gelöst, und ich beeile mich, die Erklärung abzugeben, daß dies nicht durch ihre, sondern durch meine Schuld geschehen ist, einzig und allein durch meine Schuld. Sie selbst war eine makellose Frau und ist das auch geblieben.
Fürst Abreskow: Und nun, sehen Sie, hat mich Viktor Karenin sowie ganz besonders seine Mutter gebeten, Sie nach Ihren weiteren Absichten zu befragen.
Fedja (hitzig werdend): Was meinen Sie für weitere Absichten? Ich habe keine solchen. Ich lasse ihr völlige Freiheit. Ja, noch mehr: ich werde ihre Ruhe niemals stören. Ich weiß, daß sie Viktor Karenin liebt. Mag sie das tun! Ich halte ihn für einen sehr langweiligen, aber sehr braven, ehrenhaften Menschen und glaube, daß sie mit ihm, wie man sich gewöhnlich ausdrückt, glücklich werden wird. Und que le bon Dieu les bénisse! Weiter habe ich nichts zu sagen.
Fürst Abreskow: Ja, aber wir würden gern ...
Fedja (unterbricht ihn): Und glauben Sie nicht, daß ich auch nur im geringsten eifersüchtig wäre. Wenn ich von Viktor gesagt habe, er sei langweilig, so nehme ich diesen Ausdruck zurück. Er ist ein vortrefflicher, ehrenhafter, sittlich guter Mensch, beinah das reine Gegenteil von mir. Und er hat sie von der Kinderzeit her geliebt. Vielleicht hat auch sie ihn schon damals geliebt, als sie mich heiratete. So etwas kommt vor. Die beste Liebe pflegt diejenige zu sein, von der man selbst nichts weiß. Ich glaube, sie hat ihn immer geliebt, hat aber als ehrenhafte Frau dies nicht einmal sich selbst eingestehen mögen. Aber das ... es lag eine Art von Schatten auf unserm Eheleben ... indessen wozu mache ich Ihnen solche Geständnisse?
Fürst Abreskow: Bitte, fahren Sie fort! Sie können mir glauben, daß mich zu diesem Besuche bei Ihnen in erster Linie der Wunsch veranlaßt hat, in diese Beziehungen einen vollständigen Einblick zu gewinnen. Ich verstehe Sie; ich verstehe, daß ein solcher Schatten, wie Sie sich so treffend ausdrückten, vorhanden sein konnte ...
Fedja: Ja, er war vorhanden, und vielleicht war das der Grund, weswegen das Familienleben, das sie mir gewährte, mich nicht befriedigen konnte, so daß ich anderwärts umhersuchte und auf[S. 41] Abwege geriet. Aber das klingt fast, als versuchte ich, mich zu rechtfertigen. Das liegt nicht in meiner Absicht, und das kann ich auch nicht. Ich bin ein schlechter Ehemann gewesen, das sage ich ganz offen; ich bin es gewesen, denn jetzt bin ich in meinem Bewußtsein schon längst kein Ehemann mehr. Ich betrachte sie als vollständig frei. Also da haben Sie die Antwort auf Ihre Mission.
Fürst Abreskow: Ja, aber Sie kennen Viktors Familie und ihn selbst. In seinen Beziehungen zu Jelisaweta Andrejewna hat er immer eine respektvolle Entfernung innegehalten und tut das auch jetzt. Er hat ihr beigestanden, als sie sich in schwieriger Lage befand.
Fedja: Ja, ich habe durch meinen liederlichen Lebenswandel zu der gegenseitigen Annäherung der beiden mitgewirkt. Was ist zu machen? Es hat wohl so sein sollen.
Fürst Abreskow: Sie kennen seine und seiner Familie streng rechtgläubigen Anschauungen. Ich teile diese Anschauungen nicht. Ich betrachte die Dinge von einem freieren Standpunkte aus. Aber ich achte diese Anschauungen und habe für sie Verständnis. Ich verstehe, daß für ihn und ganz besonders für seine Mutter ein nahes Verhältnis zu einer Frau ohne kirchliche Eheschließung undenkbar ist.
Fedja: Ja, ich kenne seine dum ... seine schlichte, konservative Denkungsart in dieser Hinsicht. Aber was wollen die beiden? Die Scheidung? Ich habe ihnen schon längst gesagt, daß ich bereit bin darein zu willigen, daß aber, wenn ich die Schuld auf mich nehmen und mich der ganzen damit verbundenen Lügerei unterziehen soll, das doch eine sehr schwere Bedingung ist.
Fürst Abreskow: Ich verstehe Sie vollkommen und teile Ihre Anschauung. Aber was soll geschehen? Ich meine, es wird sich doch in dieser Weise ein Arrangement finden lassen ... Übrigens haben Sie recht. Das ist furchtbar, und ich verstehe Sie.
Fedja (drückt ihm die Hand): Ich danke Ihnen, lieber Fürst. Ich habe Sie immer als einen ehrenhaften, guten Menschen gekannt. Nun, sagen Sie also, wie soll ich mich verhalten? Was soll ich tun? Versetzen Sie sich ganz in meine Lage! Ich suche mich nicht besser zu machen, als ich bin. Ich bin ein Taugenichts. Aber[S. 42] es gibt Dinge, die ich nicht ruhigen Herzens tun kann. Ich kann nicht ruhigen Herzens lügen.
Fürst Abreskow: Aber eines ist mir an Ihnen unverständlich: Sie sind ein so wohlbefähigter, kluger Mensch mit einem so feinen Gefühle für das Gute: wie konnten Sie so auf Abwege geraten und dermaßen all die Anforderungen vergessen, die Sie selbst an sich stellen? Wie sind Sie so weit gekommen? Wie haben Sie es fertiggebracht, Ihr eigenes Leben zu zerstören?
Fedja (unterdrückt die Tränen, die ihm die Erregung in die Augen treibt): Jetzt führe ich mein Lotterleben schon zehn Jahre lang, und zum ersten Male hat mich ein Mann wie Sie bemitleidet. Meine Kumpane und die Weiber haben mich bedauert; aber ein verständiger, guter Mann wie Sie hat das niemals getan. Ich danke Ihnen. Wie ich dazu gekommen bin, mich ins Verderben zu stürzen? Da ist erstens der Wein. Nicht, daß ich so besonders viel Geschmack an ihm fände. Aber ich mag tun, was ich will, immer habe ich die Empfindung, daß es nicht das Richtige ist, und dann schäme ich mich. Da rede ich jetzt gerade mit Ihnen und schäme mich. Wenn ich Adelsmarschall war, wenn ich Hasard spielte, da schämte ich mich, schämte mich gewaltig. Und nur wenn ich trinke, hört dieses Schamgefühl auf. Und dann die Musik ... ich meine nicht Opern und Beethoven, sondern die Zigeunermusik — da durchströmt einen ein solches Leben, eine solche Energie! Und dazu noch freundliche schwarze Augen und ein heiteres Lächeln. Und je mehr man sich davon hinreißen läßt, um so mehr schämt man sich nachher.
Fürst Abreskow: Nun, aber die Arbeit?
Fedja: Auch damit habe ich es versucht. Aber es war alles nicht das Richtige; mit allem war ich unzufrieden. Aber wozu rede ich da von mir selbst? Ich danke Ihnen.
Fürst Abreskow: Was soll ich also meinen Auftraggebern sagen?
Fedja: Sagen Sie ihnen, ich würde tun, was sie wünschen. Sie wollen sich ja doch heiraten und wünschen, daß ihnen dabei nichts im Wege stehe?
Fürst Abreskow: Gewiß.
Fedja: Ich werde das bewirken; sagen Sie ihnen, ich würde das bestimmt bewirken.
Fürst Abreskow: Wann denn?
Fedja: Warten Sie einmal! Nun, sagen wir: in vierzehn Tagen. Genügt das?
Fürst Abreskow (steht auf): Das darf ich also bestellen?
Fedja: Ja. Leben Sie wohl, Fürst; ich danke Ihnen nochmals. (Fürst Abreskow geht hinaus.)
Fedja allein.
Fedja (sitzt lange da und lächelt schweigend vor sich hin): Gut, sehr gut! Das ist das Richtige, das ist das Richtige, das ist das Richtige. Vortrefflich!
Vorhang.
In einem Restaurant. Chambre séparée.
Ein Kellner führt Fedja und Iwan Petrowitsch Alexandrow herein.
Fedja, Iwan Petrowitsch und der Kellner.
Der Kellner: Bitte hier herein! Hier wird Sie niemand stören; das Papier werde ich sofort bringen.
Iwan Petrowitsch: Protasow! Ich werde auch mit hereinkommen.
Fedja (ernsthaft): Meinetwegen, komm herein; aber ich bin beschäftigt und ... Wenn du willst, so komm herein!
Iwan Petrowitsch: Du willst auf die Forderungen dieser Leute antworten? Ich werde dir sagen, wie du es machen mußt. Ich würde es anders machen. Ich spreche immer offen und handle entschieden.
Fedja (zum Kellner): Eine Flasche Champagner! (Der Kellner ab.)
Fedja und Iwan Petrowitsch. (Fedja zieht einen Revolver hervor und legt ihn auf den Tisch.)
Fedja: Warte ein Weilchen!
Iwan Petrowitsch: Was ist denn das? Du willst dich erschießen? Das ist auch ein Weg, gewiß. Ich verstehe dich. Sie wollen dich demütigen; aber du zeigst ihnen, wer du bist. Dich tötest du mit dem Revolver und die beiden durch deine Großmut. Ich verstehe dich. Ich verstehe alles; denn ich bin ein Genie.
Fedja: Nun ja, nun ja. Nur ... (Der Kellner kommt herein mit einer Flasche Champagner, Papier und Schreibzeug.)[S. 45]
Fedja, Iwan Petrowitsch und zu Anfang der Kellner.
Fedja (bedeckt den Revolver mit einer Serviette): Zieh die Flasche auf! Laß uns trinken! (Sie trinken.) (Fedja schreibt.) Warte ein bißchen!
Iwan Petrowitsch: Auf deine ... große Reise! Ich nehme da einen höheren Standpunkt ein. Ich werde dich nicht zurückhalten. Leben und Tod, das macht für ein Genie keinen Unterschied. Ich sterbe im Leben und lebe im Tode. Du tötest dich, damit sie, diese beiden Menschen, dich bedauern. Ich aber, ich töte mich, damit die ganze Welt begreift, was sie verloren hat. Ich werde nicht schwanken, nicht überlegen. Ich ergreife ihn (er faßt den Revolver), bautz — und alles ist erledigt. Aber es ist noch nicht an der Zeit. (Er legt den Revolver wieder hin.) Und etwas zu schreiben beabsichtige ich auch nicht; sie müssen es von selbst begreifen ... Ach, ihr ...
Fedja (schreibt): Warte ein bißchen!
Iwan Petrowitsch: Klägliche Menschen! Da wimmeln sie umher und mühen sich geschäftig ab. Und sie verstehen nicht, daß ... gar nichts verstehen sie. Ich rede nicht zu dir. Ich rede nur so für mich, spreche meine Gedanken aus. Aber was tut der Menschheit not? Sehr wenig: daß sie ihre Genies zu schätzen wüßte; aber die hat sie immer hingerichtet, vertrieben, gefoltert ... Nein! ich werde nicht euer Spielzeug sein! Ich werde euch entlarven. Neei—n! Ihr Heuchler!
Fedja (ist mit Schreiben fertig, trinkt sein Glas aus und liest das Geschriebene noch einmal durch): Nun, bitte, geh weg!
Iwan Petrowitsch: Ich soll weggehen? Na, dann leb wohl! Ich werde dich nicht davon zurückhalten. Ich werde dasselbe tun. Aber es ist noch nicht Zeit für mich. Ich will dir nur sagen ...
Fedja: Schön! Du kannst es mir sagen, aber erst nachher. Jetzt paß mal auf, lieber Freund: bitte, gib doch dies hier dem Wirt (er gibt ihm Geld) und frage, ob ein Brief oder ein Paket für mich da ist. Sei so gut!
Iwan Petrowitsch: Schön! Du wirst also warten, bis ich zurückkomme? Ich will dir noch etwas Wichtiges sagen. Etwas Derartiges, wie du es weder in dieser Welt noch im Jenseits zu[S. 46] hören bekommen wirst, wenigstens nicht, bevor ich dorthin komme. Also soll ich das Ganze abliefern?
Fedja: So viel, wie nötig ist. (Iwan Petrowitsch ab.)
Fedja allein.
Fedja (seufzt erleichtert auf, schließt hinter Iwan Petrowitsch die Tür zu, nimmt den Revolver, spannt den Hahn, setzt die Waffe an die Schläfe, zuckt zusammen und läßt sie sachte wieder sinken. Er stöhnt): Nein, ich kann es nicht, ich kann es nicht, ich kann es nicht! (Es wird an die Tür geklopft.) Wer ist da?
Maschas Stimme (von außen): Ich.
Fedja: Wer ist das: „ich”? Ah, Mascha ... (Er schließt die Tür auf.)
Mascha: Ich bin in deiner Wohnung gewesen und bei Popow und bei Afremow, und dann fiel mir ein, daß du wohl hier sein würdest. (Sie erblickt den Revolver.) Na, das ist ja nett! Bist du ein Dummkopf! Wirklich, ein Dummkopf! Hast du das denn wirklich gewollt?
Fedja: Ich habe es nicht gekonnt.
Mascha: Und an mich hast du wohl gar nicht gedacht? Gottloser! Mit mir hast du kein Mitleid gehabt! Ach, Fjodor Wasiljewitsch, schäme dich, schäme dich! Ist das der Dank für meine Liebe?...
Fedja: Ich wollte den beiden die Freiheit geben; ich habe es ihnen versprochen. Und meinem Worte untreu werden, das kann ich nicht.
Mascha: Und ich, ich?
Fedja: Du? Dich würde ich damit auch von einer Fessel losmachen. Willst du dich denn lieber noch länger mit mir abplagen?
Mascha: Ich muß es doch wohl lieber wollen. Ich kann ohne dich nicht leben.
Fedja: Was hast du für ein Leben mit mir zusammen? Du würdest ein bißchen weinen und dann ruhig weiterleben.
Mascha: Ich würde überhaupt nicht weinen! Hol dich der Teufel, wenn du mit mir kein Mitleid hast! (Sie weint.)
Fedja: Mascha, mein Herzchen! Ich wollte es doch recht gut machen!
Mascha: Ja, recht gut für dich!
Fedja (lächelnd): Aber inwiefern wäre es denn für mich recht gut, wenn ich mir das Leben nähme?
Mascha: Selbstverständlich wäre es für dich recht gut. Aber was beabsichtigst du denn eigentlich damit? Das sage mir mal!
Fedja: Was ich damit beabsichtige? Gar vieles.
Mascha: Na was? was?
Fedja: Erstens beabsichtige ich damit, mein Versprechen zu halten. Das ist das Erste, und das genügt schon. Zu lügen und all die andern garstigen Dinge zu tun, die zu einer Scheidung erforderlich sind, das bringe ich nicht fertig.
Mascha: Das ist allerdings garstig. Ich selbst ...
Fedja: Ferner beabsichtige ich, den beiden, das heißt meiner Frau und ihm, Freiheit des Handelns zu geben. Sie sind ja doch gute Menschen. Wozu sollen sie sich quälen? Das war Nummer zwei.
Mascha: Na, an ihr kann doch nicht sehr viel Gutes sein, wenn sie sich von dir losgesagt hat.
Fedja: Nicht sie hat sich von mir losgesagt, sondern ich mich von ihr.
Mascha: Na gut, gut! Du nimmst immer alle Schuld auf dich. Sie ist ein Engel. Und was nun noch?
Fedja: Dann sage ich mir noch, daß du ein gutes, liebes Mädchen bist und ich dich liebe und dich, wenn ich am Leben bleibe, unglücklich mache.
Mascha: Das ist ja nicht deine Sache. Ich weiß schon allein, wo ich glücklich und wo ich unglücklich werde.
Fedja (seufzt): Und die Hauptsache, die Hauptsache: was ist mein Leben? Ich sehe ja doch, daß ich ein tief heruntergekommener Mensch bin und zu nichts tauge. Allen und mir selbst bin ich nur zur Last, wie dein Vater gesagt hat. Ich bin zu nichts nütze ...
Mascha: Dummes Zeug! Ich lasse nicht von dir. Ich halte dich fest, und damit basta! Und wenn du ein unordentliches[S. 48] Leben führst, trinkst und dich herumtreibst, so läßt sich das doch abstellen. Du bist ja ein verständiger Mensch. Wirf das von dir! Ganz einfach!
Fedja: Leicht gesagt.
Mascha: Mach es so!
Fedja: Ja, wenn ich dich so ansehe, so meine ich, ich könnte alles ausführen.
Mascha: Und du wirst es auch ausführen. Alles wirst du ausführen. (Sie erblickt den Brief.) Was ist das? Hast du an die beiden geschrieben? Was hast du geschrieben?
Fedja: Was ich geschrieben habe? (Er nimmt den Brief und will ihn zerreißen.) Der Brief ist jetzt nicht mehr erforderlich.
Mascha (entreißt ihm den Brief): Hast du geschrieben, du werdest dir das Leben nehmen? Ja? Von der Pistole hast du nichts geschrieben, sondern nur im allgemeinen, daß du dir das Leben nehmen werdest?
Fedja: Ja, daß ich bald nicht mehr sein werde.
Mascha: Warte mal, warte mal, warte mal! Hast du „Was ist zu tun?”[1] gelesen?
Fedja: Ich glaube, ich habe es gelesen.
Mascha: Es ist ein langweiliger Roman; aber eines ist darin sehr gut, sehr gut. Er, dieser, wie heißt er doch? Rachmanow, erweckt den Anschein, daß er ertrunken sei. Das könntest du auch tun! Schwimmen kannst du nicht?
Fedja: Nein.
Mascha: Na, siehst du wohl! Du mußt alle deine Kleider hergeben, alles, auch die Brieftasche.
Fedja: Und wie weiter?
Mascha: Warte, warte, warte! Wir fahren zu dir nach Hause. Da kleidest du dich um.
Fedja: Aber das ist ja ein Betrug.
Mascha: Das schadet nichts. Du bist baden gegangen und hast deine Kleider am Ufer gelassen. Und in der Tasche steckt die Brieftasche und dieser Brief.
Fedja: Nun, und dann?
Mascha: Und dann? Dann fahren wir weg und führen ein wunderschönes Leben.
Fedja, Mascha und Iwan Petrowitsch, welcher eintritt.
Iwan Petrowitsch: Nun sehe mal einer an! Und was wird mit dem Revolver? Den werde ich mir nehmen.
Mascha: Nimm ihn, nimm ihn; wir wollen fahren.
Vorhang.
Salon bei Protasows.
Karenin, Lisa.
Karenin: Er hat es so fest versprochen, daß ich bestimmt glaube, er wird sein Versprechen zur Ausführung bringen.
Lisa: Es ist mir peinlich, aber ich muß es doch sagen, daß das, was ich über diese Zigeunerin erfahren habe, mir ein vollständiges Gefühl innerer Freiheit gegeben hat. Glaube nicht, daß das Eifersucht wäre. Es ist nicht Eifersucht, sondern, weißt du, ein Gefühl der Befreiung. Wie soll ich Ihnen das deutlich machen?...
Karenin: Wieder „Ihnen”.
Lisa (lächelnd): Nun also: dir. Aber lassen Sie mich, laß mich meine Empfindungen aussprechen! Was mich am meisten quälte, war das Gefühl, daß ich zwei Männer liebte. Denn das bedeutet, daß ich eine sittenlose Frau bin.
Karenin: Du eine sittenlose Frau?!
Lisa: Aber seit ich erfahren habe, daß er mit einer anderen Frau zusammenlebt und ich also für ihn keine Bedeutung mehr habe, seitdem bin ich innerlich frei geworden und fühle, daß ich ohne zu lügen sagen darf: ich liebe Sie, — dich. Jetzt ist in meiner Seele alles hell und klar, und nur meine äußere Lage quält mich[S. 50] noch. Diese Scheidung. Das ist alles so qualvoll! Dieses Warten!
Karenin: Es wird sich in allernächster Zeit entscheiden. Abgesehen davon, daß Fedja uns sein Versprechen gegeben hat, habe ich auch noch meinen Sekretär ersucht, sich mit einem Bittgesuche an das Konsistorium zu ihm zu begeben und nicht eher wieder fortzugehen, als bis er seine Unterschrift gegeben hat. Wenn ich ihn nicht so genau kennte, so würde ich glauben, daß sein Zaudern Absicht ist.
Lisa: Absicht? Nein, das ist alles bei ihm nur Schwäche und Ehrenhaftigkeit. Er will nicht die Unwahrheit sagen. Aber du hast nicht gut daran getan, ihm Geld zu schicken.
Karenin: Es ging nicht anders. Das konnte die Ursache der Verzögerung sein.
Lisa: Nein, Geld hat etwas Unschönes.
Karenin: Nun, er könnte schon weniger pointilleux sein.
Lisa: Was wir für Egoisten geworden sind!
Karenin: Ja, ich bekenne es auch von mir. Aber daran bist du selbst schuld. Nach all diesem Warten und dieser Hoffnungslosigkeit bin ich jetzt so glücklich. Und das Glück macht egoistisch. Du bist daran schuld.
Lisa: Du glaubst, du allein seist glücklich. Ich bin es ebenfalls. Ich fühle, daß meine Seele ganz voll Glücksempfindung ist, sich gleichsam in ihrem Glücke badet. Alles kommt zusammen: Mischa ist wieder gesund geworden, und deine Mutter liebt mich, und du liebst mich, und, was die Hauptsache ist, ich, ich selbst liebe.
Karenin: Ja? Und du befürchtest nicht, es jemals zu bereuen und anderen Sinnes zu werden?
Lisa: Seit jenem Tage hat sich alles in mir umgewandelt.
Karenin: Und das Alte kann nicht wiederkehren?
Lisa: Nein, niemals. Ich habe nur einen Wunsch: daß auch in deiner Seele alles Vergangene ebenso vollständig abgetan sein möchte wie in der meinigen.
Karenin, Lisa. Die Kinderfrau mit dem Knaben tritt ein. (Der Knabe geht zur Mutter. Sie nimmt ihn auf den Schoß.)
Karenin: Was sind wir doch für unglückliche Menschen!
Lisa: Wieso? (Sie küßt das Kind.)
Karenin: Als du dich verheiratet hattest und ich bei meiner Rückkehr aus dem Auslande dies erfuhr und fühlte, daß ich dich verloren hatte, da war ich unglücklich; aber ich freute mich, als ich erfuhr, daß du dich meiner noch erinnertest. Das genügte mir. Als sich dann später freundschaftliche Beziehungen zwischen uns herausbildeten und ich fühlte, daß du mir freundlich gesinnt warst, und daß in unserer Freundschaft ein Fünkchen eines Gefühles glimmte, das stärker war als bloße Freundschaft, da war ich beinahe glücklich. Es quälte mich nur das ängstliche Gefühl, daß ich Fedja gegenüber nicht ehrlich war. Indessen hatte ich immer ein so festes Bewußtsein von der Unmöglichkeit anderer als rein freundschaftlicher Beziehungen zu der Gattin meines Freundes (und ich kannte ja auch dich hinlänglich), daß ich mich nicht mit Selbstanklagen peinigte und ganz zufrieden war. Als dann nachher Fedja dich durch seinen Lebenswandel zu quälen begann und ich fühlte, daß ich dir eine Stütze war, und daß du dich vor meiner Freundschaft fürchtetest, da war ich bereits sehr glücklich, und eine unbestimmte Hoffnung regte sich in mir. Später, als er schon unmöglich geworden war und du dich entschlossen hattest, dich von ihm zu trennen, und ich dir zum erstenmal alles sagte und du nichts erwidertest, aber in Tränen von mir weggingst, da war ich schon vollkommen glücklich. Und wenn ich gefragt worden wäre, welchen Wunsch ich noch hätte, so würde ich erwidert haben: keinen. Aber dann zeigte sich die Möglichkeit, mein Leben mit dem deinigen zu vereinigen; meine Mutter gewann dich lieb; diese Möglichkeit begann sich zu verwirklichen; du sagtest mir, daß du mich geliebt hättest und liebtest; und dann sagtest du mir, wie jetzt eben, daß er für dich nicht mehr existiere, daß deine Liebe nur mir gelte: was bleibt mir da noch zu wünschen übrig, sollte man meinen? Aber nein, jetzt, jetzt quäle ich mich mit der Vergangenheit herum und möchte, daß diese Vergangenheit[S. 52] nicht vorhanden wäre, daß nichts vorhanden wäre, was mich an sie erinnert.
Lisa (vorwurfsvoll): Viktor!
Karenin: Verzeih mir, Lisa! Ich sage das nur, weil ich nicht will, daß irgendein Gedanke in meiner Seele, der dich betrifft, dir verborgen sei. Alles dies habe ich absichtlich gesagt, um dir zu zeigen, wie schlecht ich bin, und wie wohl ich weiß, daß ich mit mir selbst kämpfen und mich überwinden muß. Und ich habe mich überwunden. Ich liebe ihn.
Lisa: So ist es recht. Ich habe alles getan, was ich konnte. Oder vielmehr: in meinem Herzen hat sich alles so herausgebildet, wie du es nur wünschen konntest; jedes andere Bild außer dem deinen ist daraus verschwunden.
Karenin: Jedes?
Lisa: Ja, jedes, jedes. Sonst würde ich es nicht sagen.
Karenin, Lisa, die Kinderfrau mit dem Knaben und ein Diener.
Der Diener: Herr Wosnesenski.
Karenin: Er bringt die Antwort von Fedja.
Lisa (zu Karenin): Lassen Sie ihn in dieses Zimmer eintreten!
Karenin (steht auf und geht zur Tür): Nun, da werden wir die Antwort zu hören bekommen.
Karenin, Lisa. (Sie gibt der Kinderfrau das Kind zurück. Die Kinderfrau ab.)
Lisa: Wird sich jetzt wirklich alles entscheiden, Viktor? (Sie küßt ihn.)
Karenin, Lisa und Wosnesenski, welcher eintritt.
Karenin: Nun, wie steht es?
Wosnesenski: Er war nicht zu Hause.
Karenin: Nicht zu Hause? Und er hat die Bittschrift nicht unterschrieben?
Wosnesenski: Die Bittschrift hat er nicht unterschrieben; aber er hat einen Brief an Sie und Jelisaweta Andrejewna hinterlassen. (Er zieht einen Brief aus der Tasche und reicht ihn Karenin hin.) Ich kam nach seiner Wohnung; dort wurde mir gesagt, er sei in einem bestimmten Restaurant; ich ging dorthin, und da sagte mir Fjodor Wasiljewitsch, ich möchte in einer Stunde wiederkommen. Ich kam wieder hin, und da hatte er diesen Brief hinterlassen ...
Karenin: Ob er wirklich immer neue Verschleppungsversuche und Ausflüchte macht? Nein, das ist geradezu häßlich von ihm. Wie tief ist er doch gesunken!
Lisa: So lies doch; mach!
Karenin (öffnet den Brief).
Wosnesenski: Bedürfen Sie meiner noch?
Karenin: Nein, adieu, ich danke Ihnen ... (Er liest und stutzt erstaunt. Wosnesenski ab.)
Karenin und Lisa.
Lisa: Was steht darin? Was steht darin?
Karenin: Das ist schrecklich!
Lisa (greift nach dem Briefe): So lies doch vor!
Karenin (liest): „Lisa und Viktor, ich wende mich an Euch beide. Ich will nicht lügen, indem ich Euch die Beiworte ‚lieb’ und ‚teuer’ gäbe. Wenn ich an Euch und Eure wechselseitige Liebe und an Euer Glück denke, so kann ich mich eines bitteren Gefühles nicht erwehren; Vorwürfe mache ich allerdings nur mir selbst, aber doch bereiten sie mir Qual. Ich weiß alles. Ich weiß, daß ich, trotzdem ich der Ehemann bin, Euch seinerzeit doch nur infolge einer Reihe von Zufälligkeiten gehindert habe, ein Paar zu werden. C'est moi qui suis l'intrus. Aber doch kann ich ein Gefühl der Bitterkeit und der Kälte Euch gegenüber nicht unterdrücken. Theoretisch liebe ich Euch beide, besonders Lisa, die gute Lisa; aber in Wirklichkeit bin ich mehr als kalt. Ich weiß, daß ich daran unrecht tue; aber ich kann mich nicht ändern.”
Lisa: Wie kann er nur ...
Karenin (liest weiter): „Aber zur Sache! Eben dieses zwiespältige Gefühl veranlaßt mich dazu, Euren Wunsch in anderer Weise, als Ihr es gewollt habt, zur Ausführung zu bringen. Zu lügen, eine unwürdige Komödie aufzuführen, die Beamten des Konsistoriums zu schmieren, und was der garstigen Dinge mehr sind, all das ist mir widerwärtig und unerträglich. Wie garstig ich auch selbst sein mag, wenn auch garstig in einem anderen Sinne, so kann ich mich doch an diesem garstigen Tun nicht beteiligen; ich kann es einfach nicht. Der andere Ausweg, den ich jetzt einschlage, ist der allereinfachste! Ihr wollt Euch heiraten, um glücklich zu werden; ich bin Euch hinderlich; folglich muß ich aus dem Leben scheiden!...”
Lisa (faßt Karenin an den Arm): Viktor!
Karenin (liest weiter): „... muß ich aus dem Leben scheiden. Und das werde ich auch zur Ausführung bringen. Wenn Ihr diesen Brief erhaltet, bin ich nicht mehr. P.S. Es tut mir sehr leid, daß Ihr mir Geld zur Betreibung der Scheidung geschickt habt. Mir war das unangenehm, und Eurem ganzen Wesen entsprach es nicht. Na, da hilft nun nichts. Ich habe so viele Fehler begangen, da könnt Ihr auch einmal einen begehen. Das Geld geht Euch wieder zu. Mein Ausweg ist kürzer, billiger und sicherer. Um eines bitte ich Euch: seid mir nicht böse und behaltet mich in gutem Andenken! Und noch etwas: hier lebt ein Uhrmacher, namens Jewgenjew; könnt Ihr dem nicht helfen und seine wirtschaftlichen Verhältnisse ordnen? Er ist ein schwacher, aber braver Mensch. Lebt wohl! Fedja.”
Lisa: Er hat sich das Leben genommen! Ja ...
Karenin (klingelt und läuft in das Vorzimmer): Rufen Sie Herrn Wosnesenski zurück!
Lisa: Ich habe es gewußt, ich habe es gewußt! Fedja, lieber Fedja!
Karenin: Lisa!
Lisa: Es ist nicht wahr, nicht wahr, daß ich ihn nicht geliebt hätte und auch jetzt nicht liebte. Ich liebe nur ihn allein. Ich liebe ihn. Und ich habe ihn ins Verderben getrieben! Laß mich! (Wosnesenski tritt ein.)[S. 55]
Karenin, Lisa und Wosnesenski.
Karenin: Wo ist Fjodor Wasiljewitsch? Was hat man Ihnen gesagt?
Wosnesenski: Man hat mir gesagt, er sei am Morgen unter Hinterlassung dieses Briefes weggegangen und nicht wieder zurückgekehrt.
Karenin: Das muß ich in Erfahrung bringen, Lisa; ich verlasse dich.
Lisa: Verzeih mir, aber auch ich kann nicht lügen. Laß mich jetzt allein! Geh und stelle fest, was geschehen ist!...
Vorhang.
Ein schmutziges Zimmer in einer Schenke. Ein Tisch mit Gästen, welche Tee und Branntwein trinken. Im Vordergrunde ein Tischchen, an welchem Fedja, ganz heruntergekommen und in zerlumpten Kleidern, sitzt und bei ihm Pjetuschkow, ein höflicher, zarter Mensch, dem seine langen Haare ein geistliches Aussehen verleihen. Beide sind ein wenig angetrunken.
Fedja und Pjetuschkow.
Pjetuschkow: Ich verstehe, ich verstehe. Ja, das ist echte Liebe. Nun, und was dann?
Fedja: Ja, wissen Sie, wenn diese Gefühle bei einem jungen Mädchen aus unserer Sphäre zutage kämen, so daß sie für den geliebten Mann alles zum Opfer brächte, dann würde man das noch erklärlich finden; aber hier handelt es sich um eine Zigeunerin, deren ganze Erziehung auf Eigennutz gerichtet war; und dabei doch diese reine, selbstlose Liebe! Sie gibt alles hin, ohne für sich selbst auch nur das geringste zu verlangen. Dieser Kontrast ist besonders merkwürdig.
Pjetuschkow: Ja, das nennt man bei uns in der Malerei valeur. Ein volles, grelles Rot kann man nur dann herausbringen, wenn ringsumher Grün ist. Na, aber das gehört nicht hierher. Ich verstehe, ich verstehe ...
Fedja: Ja, und das ist, glaube ich, die einzige gute Tat, die ich zur Rettung meiner Seele getan habe, daß ich ihre Liebe nicht mißbrauchte. Und wissen Sie warum?
Pjetuschkow: Aus Mitleid.
Fedja: Ach nein. Mein Gefühl ihr gegenüber war nicht Mitleid. Ich war, wenn ich sie sah, immer voller Entzücken, und wenn sie sang, — ach, wie sang sie! Auch jetzt singt sie vielleicht noch — Und immer blickte ich zu ihr wie zu einem höheren Wesen[S. 57] empor. Ich habe sie einfach deswegen nicht unglücklich gemacht, weil ich sie liebte, sie innig liebte. Und selbst jetzt noch ist das für mich eine schöne, schöne Erinnerung. (Er trinkt.)
Pjetuschkow: Sehen Sie, ich verstehe das, ich verstehe das. Das ist etwas Ideales.
Fedja: Ich will Ihnen was sagen: ich habe seinerzeit auch so meine Schwärmereien und Liebschaften gehabt. Und so war ich denn auch einmal verliebt, in eine schöne Dame, und ich war in einer häßlichen, sinnlichen Art verliebt, und sie gab mir ein Rendezvous. Und ich blieb weg, weil ich der Ansicht war, das sei eine Gemeinheit gegen den Ehemann. Und bis auf den heutigen Tag geht es mir merkwürdig: wenn ich daran zurückdenke, so möchte ich mich freuen und mich dafür loben, daß ich ehrenhaft gehandelt habe; aber — ich bereue es wie eine Sünde. Aber hier, bei Mascha, ist es gerade umgekehrt. Ich freue mich immer, freue mich sehr, daß ich dieses mein Gefühl mit nichts beschmutzt habe. Ich kann noch tiefer sinken, kann ganz verkommen, alles, was ich auf dem Leibe habe, verkaufen, kann verlaufen und die Krätze bekommen; aber dieser Brillant, oder besser, dieser Sonnenstrahl, ja, der bleibt für immer das Eigentum meiner Seele.
Pjetuschkow: Ich verstehe, ich verstehe. Wo ist sie denn jetzt?
Fedja: Ich weiß es nicht. Und ich möchte es auch gar nicht wissen. Das gehörte alles einem andern Leben an. Und jenes Leben will ich nicht mit meinem jetzigen vermischen. (Man hört das Geschrei einer Frau an dem hinteren Tische. Der Wirt tritt heran; ein Schutzmann erscheint; die Frau wird abgeführt. Fedja und Pjetuschkow schauen hin, hören zu und schweigen.)
Pjetuschkow (nachdem es dort wieder ruhig geworden ist): Ja, Ihr Leben ist ein ganz wundersames gewesen.
Fedja: Nein, ein ganz gewöhnliches. Wir alle in der Lebenssphäre, in der ich geboren bin, haben zwischen drei Dingen die Wahl, nur zwischen dreien. Erstens, ein Amt zu bekleiden, Geld zu verdienen, den Schmutz, in dem wir leben, noch zu vergrößern; das war mir zuwider; vielleicht verstand ich es auch nicht; aber die Hauptsache war: es war mir zuwider. Zweitens, diesen Schmutz zu bekämpfen; dazu muß man ein Held sein, und ich bin kein Held. Oder drittens, sich selbst zu vergessen, zu trinken,[S. 58] zu bummeln, zu singen; und eben dies habe ich getan. Und nun ist das Lied ausgesungen. (Er trinkt.)
Pjetuschkow: Nun, und das Familienleben? Ich wäre glücklich, wenn ich eine Frau hätte. An meinem Unglück ist meine Frau schuld.
Fedja: Das Familienleben? Ja. Meine Frau war eine ideale Frau. Sie ist auch jetzt noch am Leben. Aber was soll ich Ihnen sagen? Es fehlten die kleinen Rosinen. Wissen Sie, die kleinen Rosinen im Kwas?[2] Es fehlte in unserm Leben das Element des heiteren Spieles. Und es war mir doch Bedürfnis, mich zu vergessen. Und ohne solches heiteres Spiel kann man sich nicht vergessen. Und da fing ich an, garstige Dinge zu tun. Sie wissen ja aber: wir lieben die Menschen wegen des Guten, das wir ihnen getan haben, und empfinden Abneigung gegen sie wegen des Bösen, das wir ihnen zugefügt haben. Und ich habe ihr viel Böses zugefügt. Sie schien mich zu lieben.
Pjetuschkow: Warum sagen Sie: „Sie schien”?
Fedja: Das sage ich, weil sie mir seelisch nie so nahe gestanden hat wie Mascha. Aber darum handelt es sich jetzt nicht. Sie war in andern Umständen, und dann nährte sie das Kind; ich aber trieb mich umher und kam betrunken nach Hause. Natürlich liebte ich sie eben deswegen immer weniger. Ja, ja. (Er gerät in Entzücken.) Da fährt mir eben ein Gedanke durch den Kopf: darum liebe ich Mascha, weil ich ihr Gutes getan habe und nicht Übles. Darum liebe ich sie. Jene aber habe ich gequält, und darum ... aber ich kann nicht sagen, daß ich Abneigung gegen sie empfände; nein ich liebe sie einfach nicht. Eifersüchtig bin ich gewesen, ja; aber auch das gehört der Vergangenheit an.
Fedja, Pjetuschkow und Artemjew, welcher herantritt. (Er trägt eine Kokarde, einen alten, geflickten Anzug und hat einen gefärbten Schnurrbart.)
Artemjew: Guten Appetit. (Er verbeugt sich vor Fedja.) Sind Sie mit dem Künstler bekannt geworden?
Fedja (kühl): Ja, wir sind miteinander bekannt.
Artemjew (zu Pjetuschkow): Nun, haben Sie das Porträt fertiggemacht?
Pjetuschkow: Nein, ich war nicht bei Stimmung.
Artemjew (setzt sich): Ich störe Sie doch nicht? (Fedja und Pjetuschkow schweigen.)
Pjetuschkow: Fjodor Wasiljewitsch hat allerlei aus seinem Leben erzählt.
Artemjew: Geheimnisse? Dann will ich nicht stören; fahren Sie nur fort! Was mach ich mir aus euch, ihr Ochsen! (Er geht zum Nachbartische und läßt sich Bier geben. Während der ganzen folgenden Zeit biegt er sich zu Fedja und Pjetuschkow hin und behorcht ihr Gespräch.)
Fedja: Ich kann diesen Herrn nicht leiden.
Pjetuschkow: Er hat sich beleidigt gefühlt.
Fedja: Na, meinetwegen. Ich kann mir nicht helfen: wenn so ein Mensch dabeisitzt, bringe ich kein Wort heraus. Sehen Sie, in Ihrer Gesellschaft fühle ich mich wohl und behaglich. Wovon redete ich doch gerade?
Pjetuschkow: Sie sagten, Sie seien eifersüchtig gewesen. Nun, und auf welche Weise haben Sie sich von Ihrer Frau getrennt?
Fedja: Ach! (Er wird nachdenklich.) Das ist eine wunderliche Geschichte. Meine Frau ist verheiratet ...
Pjetuschkow: Wie denn das? Ist eine Scheidung erfolgt?
Fedja: Nein. (Er lächelt.) Sie ist als meine Witwe zurückgeblieben.
Pjetuschkow: Aber wie meinen Sie denn das?
Fedja: Nun ja, als meine Witwe. Ich lebe nicht mehr.
Pjetuschkow: Sie leben nicht mehr?
Fedja: Nein. Ich bin ein Leichnam. Ja. (Artemjew biegt sich herüber und horcht.) Sehen Sie, Ihnen kann ich es ja sagen. Es ist schon lange her, und meinen richtigen Familiennamen kennen Sie nicht. Die Sache trug sich so zu. Als ich meine Frau schon ganz zermartert, alles, was ich konnte, vergeudet hatte und ganz unerträglich geworden war, da erschien ein Beschützer für sie. Glauben[S. 60] Sie nicht, daß da irgendetwas Schmutziges, Häßliches vorgegangen wäre; nein, der Betreffende war mein eigener Freund und ein guter, sehr guter Mensch, nur in jeder Hinsicht das gerade Gegenteil von mir. Und da ich viel mehr schlechte Eigenschaften besitze als gute, so war und ist er denn ein guter, sehr guter Mensch: ehrenhaft, charakterfest, enthaltsam, mit einem Worte tugendhaft. Er hatte meine Frau von Jugend auf gekannt, sie geliebt und dann, als sie mich heiratete, sich mit seinem Schicksal ausgesöhnt. Später aber, als ich so garstig wurde und anfing, sie zu quälen, da begann er häufiger bei uns zu verkehren. Ich wünschte das selbst. Und sie gewannen einander lieb; ich aber geriet zu jener Zeit ganz und gar auf Abwege und sagte mich selbst von meiner Frau los. Und dann kam noch Mascha hinzu. Ich machte ihnen selbst den Vorschlag, sie möchten sich heiraten. Sie wollten es nicht. Aber ich machte mich immer unmöglicher, und die Sache endete damit, daß ...
Pjetuschkow: Wie immer ...
Fedja: Ich bin davon überzeugt und weiß, daß sie rein blieben. Er ist ein religiöser Mensch und hielt eine Ehe ohne kirchlichen Segen für Sünde. Na, sie begannen also die Scheidung zu verlangen; ich sollte dazu meine Einwilligung geben. Wenn aber die Scheidung durchgesetzt werden sollte, mußte ich die ganze Schuld auf mich nehmen und mich zu einer großen Lügerei verstehen. Und das brachte ich nicht fertig. Werden Sie es glauben: es wäre mir leichter geworden, mir das Leben zu nehmen als zu lügen. Und ich wollte mir auch schon das Leben nehmen. Aber da sagte eine gute Person zu mir: „Warum willst du das tun?” Und es wurde alles arrangiert. Ich ließ ihnen einen Abschiedsbrief zukommen, und am andern Tage fand man am Ufer meine Kleider und meine Brieftasche mit verschiedenen an mich gerichteten Briefen. Schwimmen kann ich nicht.
Pjetuschkow: Nun, und wie war es mit der Leiche? Wurde die nicht gefunden?
Fedja: Ja, die wurde gefunden; denken Sie sich nur: eine Woche darauf wurde eine Leiche gefunden. Meine Frau wurde zur Besichtigung hinzugerufen. Die Leiche war schon stark in Verwesung übergegangen. Meine Frau sah sie an. „Ist er es?” wurde sie[S. 61] gefragt. „Ja, er ist es!” antwortete sie. Und dabei blieb es denn auch. Ich wurde begraben, und sie heirateten sich und leben hier und fühlen sich glücklich. Und ich lebe auch; ich lebe und trinke. Gestern ging ich an dem Hause der beiden vorbei. Hinter den Fenstern war Licht; der Schatten eines Menschen glitt an dem Rouleau vorüber. Manchmal ist mir dabei scheußlich zumute; aber manchmal mache ich mir nichts daraus. Scheußlich ist mir zumute, wenn ich kein Geld habe ... (Er trinkt.)
Artemjew (tritt näher): Na, nehmen Sie es nicht übel, ich habe Ihre Geschichte mit angehört. Es ist eine sehr nette und vor allen Dingen eine sehr nützliche Geschichte. Sie sagen, es sei Ihnen scheußlich zumute, wenn es Ihnen an Geld fehle. Allerdings, es gibt nichts Scheußlicheres. Aber Sie in Ihrer Lage müßten doch eigentlich immer Geld haben. Sie sind ja ein Leichnam. Nun gut ...
Fedja: Erlauben Sie! Ihnen habe ich das nicht erzählt, und ich wünsche Ihre Ratschläge nicht.
Artemjew: Ich aber wünsche sie Ihnen dennoch zu geben. Sie sind ein Leichnam, und wenn Sie wieder aufleben, dann sind jene beiden, Ihre Gattin und der betreffende Herr, die sich jetzt so glücklich fühlen, einfach Bigamisten und spazieren günstigsten Falls nach einem nicht allzu entlegenen Verbannungsorte. Also warum sollte es Ihnen an Geld fehlen?
Fedja: Ich ersuche Sie, mich in Ruhe zu lassen.
Artemjew: Schreiben Sie ganz einfach einen Brief! Oder wenn Sie wollen, werde ich einen schreiben; Sie brauchen mir nur die Adresse zu geben. Sie werden mir später noch dankbar sein.
Fedja: Scheren Sie sich weg, sage ich Ihnen! Ich habe Ihnen nichts mitgeteilt.
Artemjew: Doch, das haben Sie getan. Da ist ein Zeuge. Der Kellner hat es gehört, daß Sie sagten, Sie seien ein Leichnam.
Der Kellner: Ich weiß von nichts.
Fedja: Sie Taugenichts!
Artemjew: Ich ein Taugenichts?! He, Schutzmann! Es muß ein Protokoll darüber aufgenommen werden!
Fedja (steht auf und geht hinaus). (Artemjew halt ihn fest. Ein Schutzmann kommt.)
Vorhang.
Die Handlung spielt auf einem Gute, in einer von Efeu umrankten Veranda.
Anna Dmitrijewna, Karenin, Lisa (die in andern Umständen ist), die Kinderfrau mit dem Kinde.
Lisa: Jetzt fährt er schon vom Bahnhof im Wagen hierher.
Der Knabe: Wer fährt?
Lisa: Der Papa.
Der Knabe: Papa fährt schon vom Bahnhof im Wagen hierher!
Lisa: C'est étonnant, comme il l'aime, tout-à-fait comme son père.
Anna Dmitrijewna: Tant mieux! Se souvient-il de son père véritable?
Lisa: Ich spreche nie mit ihm von diesem. Ich denke, wozu soll ich ihm den Kopf wirr machen? Manchmal aber denke ich wieder, ich müßte es ihm eigentlich doch sagen. Was meinen Sie, Mama?
Anna Dmitrijewna: Ich meine, Lisa, das ist Sache des Gefühls, und wenn du dich deinem Gefühle überläßt, so wird dein Herz dir schon zuflüstern, was du ihm sagen sollst und wann. In wie wunderbarer Weise doch der Tod versöhnend wirkt! Ich muß gestehen, es hat eine Zeit gegeben, wo er, Fedja (ich habe ihn ja gekannt, als er noch ein Kind war), für mich etwas Unangenehmes hatte; aber jetzt erinnere ich mich seiner nur als eines liebenswürdigen jungen Mannes, als eines Freundes von Viktor und als jenes leidenschaftlichen Menschen, der, ob auch in gesetzwidriger, nicht religiöser Weise, sich selbst für diejenigen zum Opfer brachte, die er liebte. On aura beau dire, l'action est belle... Hoffentlich hat Viktor nicht vergessen, Wolle mitzubringen; meine ist gleich alle. (Sie strickt.)
Lisa: Da kommt er. (Man hört Rädergerassel und Schellengeklingel. Lisa steht auf und tritt an den Rand der Veranda.)[S. 63]
Lisa: Er hat jemand bei sich. Eine Dame mit einem Hute. Es ist meine Mama! Es ist eine Ewigkeit, daß ich sie nicht gesehen habe. (Sie geht zur Tür.)
Lisa, Anna Dmitrijewna Karenina, die Kinderfrau mit dem Kinde. Karenin und Anna Pawlowna treten ein.
Anna Pawlowna (küßt Lisa und Anna Dmitrijewna): Viktor hat mich getroffen und hergebracht.
Anna Dmitrijewna: Sehr recht von ihm.
Anna Pawlowna: Ja, gewiß. Ich dachte oft, ich möchte euch einmal wiedersehen, schob es aber immer auf. Da bin ich nun mitgekommen und werde, wenn ihr mich nicht fortjagt, bis zum Abendzuge hier bleiben.
Karenin (küßt seine Frau, seine Mutter und den Knaben): Und ich bin so glücklich, — ihr könnt mir gratulieren. Ich kann zwei Tage zu Hause bleiben. Morgen werden sie sich auf dem Büro ohne mich behelfen.
Lisa: Das ist ja prächtig! Zwei Tage! Das ist lange nicht dagewesen. Laß uns nach dem Klösterchen fahren; ja?
Anna Pawlowna: Wie ähnlich das Kind seinem Vater ist! Und was ist er für ein forscher Junge geworden! Wenn er nur nicht alles von seinem Vater geerbt hat; dessen gutes Herz, nun ja ...
Anna Dmitrijewna: Aber nicht seine Schwäche.
Lisa: Er ist sein vollständiges Ebenbild. Aber Viktor ist mit mir derselben Ansicht, daß, wenn er nur von klein auf richtig erzogen wird ...
Anna Pawlowna: Nun, ich verstehe das alles nicht; ich kann nur sagen: ich vermag nicht an ihn zurückzudenken, ohne daß mir die Tränen kommen.
Lisa: Mir geht es ebenso. Wie er in unserer Erinnerung gewachsen ist!
Anna Pawlowna: Ja, das finde ich auch.
Lisa: Wie schien doch eine Zeitlang alles unlösbar verworren zu sein! Und wie entwirrte sich dann plötzlich alles!
Anna Dmitrijewna: Nun, Viktor, hast du die Wolle mitgebracht?
Karenin: Gewiß, gewiß! (Er nimmt seine Reisetasche und holt allerlei daraus hervor.) Da ist die Wolle, und da die Eau de Cologne, und da die angekommenen Briefe, und da ein amtliches Schreiben an dich. (Er gibt es seiner Frau.) Nun, Anna Pawlowna, wenn Sie Lust haben, sich nach der Fahrt zu waschen, so werde ich Sie führen. Auch ich muß mich säubern; wir essen sogleich zu Mittag. Lisa, ich soll Anna Pawlowna doch wohl in das Eckzimmer im Parterre bringen? (Lisa, die ganz blaß geworden ist, hält das Schriftstück in den zitternden Händen und liest es.)
Karenin: Was ist dir, Lisa? Was steht darin?
Lisa: Er ist am Leben. Mein Gott! Wann wird er mich endlich freigeben?! Viktor! Wie hängt das zusammen? (Sie schluchzt.)
Karenin (nimmt das Schriftstück und liest es): Das ist entsetzlich!
Anna Dmitrijewna: Was denn? So sprich doch!
Karenin: Das ist entsetzlich. Er ist am Leben. Und sie ist eine Bigamistin, und ich bin ein Verbrecher. Dieses Schreiben kommt vom Untersuchungsrichter, der Lisa vorladet.
Anna Dmitrijewna: Welch ein entsetzlicher Mensch! Warum hat er das angerichtet?!
Karenin: Es ist alles Lüge, alles Lüge.
Lisa: O, wie ich ihn hasse! Ich weiß nicht, was ich rede. (Sie geht weinend ab, Karenin folgt ihr.)
Anna Dmitrijewna und Anna Pawlowna.
Anna Pawlowna: Wie in aller Welt geht das zu, daß er noch lebt?
Anna Dmitrijewna: Ich weiß nur, daß Viktor, seit er mit dieser Welt des Schmutzes in Berührung gekommen ist, immer mehr hineingezogen wird. Und jetzt versinkt er darin. Alles ist Betrug, alles Lüge!
Vorhang.
Amtszimmer des Untersuchungsrichters. Der Untersuchungsrichter sitzt am Tische und unterhält sich mit Melnikow. Seitwärts blättert der Protokollführer in Akten.
Der Untersuchungsrichter, Melnikow, der Protokollführer.
Der Untersuchungsrichter: Ich habe ihr das nie gesagt. Sie hat sich das ausgesonnen und macht mir nun Vorwürfe.
Melnikow: Sie macht dir keine Vorwürfe; sie ist nur sehr betrübt.
Der Untersuchungsrichter: Nun gut, ich werde zum Mittagessen kommen. Aber jetzt haben wir hier eine sehr interessante Sache. (Zum Protokollführer:) Lassen Sie sie eintreten!
Der Protokollführer: Beide?
Der Untersuchungsrichter (hört auf zu rauchen und verwahrt die Zigarette): Nein! Nur Frau Karenina oder richtiger nach ihrem ersten Manne, Frau Protasowa.
Melnikow (geht weg): Ach, es handelt sich um Frau Karenina!
Der Untersuchungsrichter: Ja, es ist eine unsaubere Sache. Allerdings fange ich die Untersuchung eben erst an; aber schön ist die Geschichte nicht. Na, dann adieu! (Melnikow ab.)
Der Untersuchungsrichter und Lisa, die schwarz gekleidet und verschleiert eintritt.
Der Untersuchungsrichter: Bitte ergebenst. (Er weist auf einen Stuhl.) Wollen Sie mir glauben, daß ich die Notwendigkeit, Ihnen einige Fragen vorzulegen, sehr bedauere; aber ich befinde mich in einer Zwangslage ... Bitte, beruhigen Sie sich; ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie die Antwort auf meine Fragen verweigern dürfen. Nur bin ich der Ansicht, daß es für Sie und[S. 66] für alle das Beste ist, alles der Wahrheit gemäß auszusagen. Das ist immer das Beste und Zweckmäßigste.
Lisa: Ich habe nichts zu verheimlichen.
Der Untersuchungsrichter: Also hier (er blickt in ein Aktenstück). Ihren Namen, Ihren Stand, Ihre Religion, das habe ich alles schon hingeschrieben; stimmt es?
Lisa: Ja.
Der Untersuchungsrichter: Sie werden beschuldigt, obwohl Sie wußten, daß Ihr Mann am Leben war, einen andern geheiratet zu haben.
Lisa: Ich wußte es nicht.
Der Untersuchungsrichter: Und ferner werden Sie beschuldigt, durch Zahlung einer Geldsumme ihren Mann zur Begehung eines Betruges, nämlich zur Vorspiegelung eines Selbstmordes, veranlaßt zu haben, in der Absicht, von ihm loszukommen.
Lisa: Das ist alles nicht wahr.
Der Untersuchungsrichter: Gestatten Sie mir also einige Fragen. Haben Sie ihm im Juli vorigen Jahres zwölfhundert Rubel übersandt?
Lisa: Dieses Geld gehörte ihm. Es war der Erlös aus seinen Sachen. Und in der Zeit, als ich mich von ihm getrennt hatte und darauf wartete, daß er die Scheidung in die Wege leite, da schickte ich es ihm.
Der Untersuchungsrichter: So so, sehr wohl. Dieses Geld wurde ihm am 17. Juli übersandt, das heißt zwei Tage vor seinem Verschwinden.
Lisa: Es mag am 17. Juli gewesen sein. Ich erinnere mich nicht.
Der Untersuchungsrichter: Warum wurden aber die Bemühungen beim Konsistorium zu derselben Zeit eingestellt und dem Rechtsanwalt das erteilte Mandat wieder abgenommen?
Lisa: Das weiß ich nicht.
Der Untersuchungsrichter: Nun, aber als die Polizei Sie aufforderte, die Leiche zu rekognoszieren, auf welche Weise erkannten Sie in derselben Ihren Mann?
Lisa: Ich war damals so aufgeregt, daß ich die Leiche nicht genauer ansah, und war so davon überzeugt, daß er es war, daß ich, als ich gefragt wurde, antwortete, er sei es wohl.
Der Untersuchungsrichter: Ja, Sie haben ihn in einer sehr erklärlichen Aufregung nicht genauer angesehen. Sehr wohl. Nun aber gestatten Sie die Frage: warum haben Sie denn allmonatlich Geld nach Saratow geschickt, nach eben der Stadt, wo Ihr erster Mann wohnte?
Lisa: Dieses Geld hat mein Mann hingeschickt. Und über die Bestimmung desselben kann ich nichts aussagen, da das nicht mein Geheimnis ist. Nur soviel: es wurde nicht an Fjodor Wasiljewitsch geschickt. Wir waren fest davon überzeugt, daß er nicht mehr am Leben sei. Das kann ich Ihnen wahrheitsgemäß sagen.
Der Untersuchungsrichter: Sehr wohl. Gestatten Sie mir nur die eine Bemerkung, gnädige Frau: wir sind Diener des Gesetzes; aber das hindert uns nicht, Menschen zu sein. Wollen Sie mir glauben: ich habe ein volles Verständnis für Ihre Lage und wende ihr meine ganze Teilnahme zu. Sie waren an einen Menschen gebunden, der das Vermögen verschwendete, Sie hinterging, mit einem Worte ein schweres Kreuz für Sie war ...
Lisa: Ich liebte ihn.
Der Untersuchungsrichter: Ja, aber es mußte doch in Ihnen ganz natürlicherweise der Wunsch rege werden, von ihm loszukommen, und Sie wählten diesen einfachen Weg, ohne zu bedenken, daß er Sie zu etwas führte, was als ein Verbrechen angesehen wird, zur Bigamie; das ist auch mir verständlich. Und auch die Geschworenen werden dafür Verständnis haben. Und daher würde ich Ihnen raten, alles offen zu gestehen.
Lisa: Ich habe nichts zu gestehen. Ich habe nie gelogen. (Sie weint.) Bin ich nicht mehr nötig?
Der Untersuchungsrichter: Ich möchte Sie bitten, noch ein Weilchen hier zu bleiben. Ich werde Sie nicht weiter mit Fragen belästigen. Haben Sie nur die Güte, dies hier durchzulesen und zu unterschreiben. Es ist das Protokoll über Ihre Vernehmung. Sind Ihre Antworten richtig wiedergegeben? Bitte ergebenst, dort Platz zu nahmen. (Er zeigt auf einen Lehnstuhl am Fenster.) (Zu dem Protokollführer:) Rufen Sie Herrn Karenin!
Der Untersuchungsrichter, der Protokollführer, Lisa. Karenin tritt mit ernster, feierlicher Miene ein.
Der Untersuchungsrichter: Bitte ergebenst!
Karenin: Ich danke. (Er bleibt stehen.) Was steht zu Ihren Diensten?
Der Untersuchungsrichter: Ich bin verpflichtet, Sie zu vernehmen.
Karenin: In welcher Eigenschaft?
Der Untersuchungsrichter (lächelnd): Ich in meiner Eigenschaft als Untersuchungsrichter bin verpflichtet, Sie in Ihrer Eigenschaft als Beschuldigter zu vernehmen.
Karenin: Wieso? Weswegen?
Der Untersuchungsrichter: Wegen einer Ehe mit einer verheirateten Frau. Gestatten Sie aber, daß ich die Fragen der Reihe nach stelle. Nehmen Sie Platz!
Karenin: Ich danke.
Der Untersuchungsrichter: Ihr Name?
Karenin: Viktor Karenin.
Der Untersuchungsrichter: Stand?
Karenin: Kammerherr, Wirklicher Staatsrat.
Der Untersuchungsrichter: Alter?
Karenin: Achtunddreißig Jahre.
Der Untersuchungsrichter: Religion?
Karenin: Rechtgläubig. Vor Gericht habe ich noch nie gestanden und bin nie in Untersuchung gewesen. Nun?
Der Untersuchungsrichter: War Ihnen damals, als Sie die Ehe mit Ihrer Frau eingingen, bekannt, daß Fjodor Wasiljewitsch Protasow am Leben war?
Karenin: Nein, das war mir nicht bekannt. Wir waren beide der Überzeugung, daß er ertrunken sei.
Der Untersuchungsrichter: An wen haben Sie nach der unwahren Nachricht von Protasows Tode allmonatlich Geld nach Saratow geschickt?
Karenin: Diese Frage möchte ich nicht beantworten.
Der Untersuchungsrichter: Sehr wohl. In welcher Absicht[S. 69] haben Sie Herrn Protasow kurz vor der Simulation seines Todes am 17. Juli zwölfhundert Rubel übersandt?
Karenin: Dieses Geld hatte mir meine Frau übergeben.
Der Untersuchungsrichter: Frau Protasowa?
Karenin: Meine Frau hatte es mir übergeben zur Absendung an ihren Mann. Sie hielt dieses Geld für sein Eigentum, und da sie alle Beziehungen zu ihm abgebrochen hatte, so hielt sie es für unrecht, dieses Geld zurückzubehalten.
Der Untersuchungsrichter: Jetzt noch eine Frage: warum haben Sie die Bemühungen um die Ehescheidung eingestellt?
Karenin: Weil Fjodor Wasiljewitsch diese Bemühungen auf sich genommen und mich davon brieflich verständigt hatte.
Der Untersuchungsrichter: Besitzen Sie diesen Brief?
Karenin: Der Brief ist verloren gegangen.
Der Untersuchungsrichter: Merkwürdig, daß alles das, was geeignet wäre, das Gericht von der Richtigkeit Ihrer Angaben zu überzeugen, verloren gegangen und nicht zur Stelle ist.
Karenin: Wünschen Sie sonst noch etwas?
Der Untersuchungsrichter: Ich wünsche weiter nichts als meine Pflicht zu erfüllen; Ihnen aber liegt ob, sich zu rechtfertigen, und ich habe soeben Frau Protasowa einen Rat gegeben und möchte ebendenselben auch Ihnen erteilen: nicht zu verheimlichen, was doch für einen jeden offensichtlich ist, und alles so zu erzählen, wie es sich in Wirklichkeit zugetragen hat. Um so mehr, da Herr Protasow schon alles so ausgesagt hat, wie es gewesen ist, und wahrscheinlich auch vor Gericht bei seiner Aussage verbleiben wird. Ich möchte Ihnen raten ...
Karenin: Ich würde Sie bitten, sich innerhalb des Rahmens der Erfüllung Ihrer Pflichten zu halten und Ihre Ratschläge beiseite zu lassen. Dürfen wir weggehen? (Er tritt zu Lisa hin; sie steht auf und nimmt seinen Arm.)
Der Untersuchungsrichter: Ich bedauere lebhaft, daß ich Sie noch zurückhalten muß ... (Karenin wendet sich erstaunt um.) O nein, nicht in dem Sinne, als ob ich Sie verhaften lassen wollte. Wiewohl das zur Erforschung der Wahrheit ganz zweckdienlich sein würde, werde ich doch nicht zu dieser Maßregel greifen. Ich möchte nur Herrn Protasow in Ihrer Gegenwart verhören und[S. 70] Sie mit ihm konfrontieren; Sie werden dabei eine bequeme Möglichkeit haben, ihn der Unwahrheit zu überführen. Bitte, nehmen Sie Platz! (Zum Protokollführer:) Rufen Sie Herrn Protasow herein!
Der Untersuchungsrichter, der Protokollführer, Lisa, Karenin. Fedja, schmutzig und verkommen, tritt ein.
Fedja (wendet sich zu Lisa und Karenin): Lisa, Jelisaweta Andrejewna, Viktor, ich bin nicht schuld daran. Ich wollte es recht gut machen. Wenn mich aber doch eine Schuld trifft, so verzeiht mir, verzeiht mir! (Er verbeugt sich tief vor ihnen.)
Der Untersuchungsrichter: Ich bitte Sie, auf meine Fragen zu antworten.
Fedja: Fragen Sie!
Der Untersuchungsrichter: Ihr Name?
Fedja: Den wissen Sie ja doch.
Der Untersuchungsrichter: Ich bitte Sie zu antworten.
Fedja: Na, Fjodor Protasow.
Der Untersuchungsrichter: Ihr Stand, Ihr Lebensalter, Ihre Religion?
Fedja (schweigt zunächst): Schämen Sie sich denn nicht, solche dummen Fragen zu stellen? Fragen Sie doch, was nötig ist, und nicht solche Torheiten!
Der Untersuchungsrichter: Ich ersuche Sie, in Ihren Ausdrücken vorsichtiger zu sein und auf meine Fragen zu antworten.
Fedja: Na, wenn Sie sich nicht schämen, dann hören Sie! Stand: Kandidat[3]; Lebensalter: vierzig Jahre; Religion: rechtgläubig; na, nun weiter!
Der Untersuchungsrichter: War es Herrn Karenin und Ihrer Frau bekannt, daß Sie am Leben geblieben waren, als Sie Ihre Kleider am Flußufer hatten liegen lassen und selbst verschwunden waren?
Fedja: Bestimmt nicht. Ich hatte mich wirklich töten wollen, aber dann ... na, das brauche ich nicht zu erzählen. Tatsache ist, daß sie nichts wußten.
Der Untersuchungsrichter: Wie kommt es denn, daß Sie dem Polizeibeamten ganz andere Aussagen gemacht haben?
Fedja: Welchem Polizeibeamten? Ach so, als einer zu mir in das Nachtasyl kam? Ich war betrunken und log ihm etwas vor; was, das weiß ich nicht mehr. Das ist alles dummes Zeug. Jetzt bin ich nicht betrunken und sage die volle Wahrheit. Sie haben nichts gewußt. Sie glaubten, ich sei nicht mehr am Leben. Und ich freute mich darüber. Und es wäre auch alles so geblieben, wenn sich nicht dieser Schuft Artemjew hineingemischt hätte. Und wenn jemand eine Schuld trägt, so ist er es allein.
Der Untersuchungsrichter: Ich verstehe, daß Sie sich großmütig zeigen wollen; aber das Gesetz verlangt Wahrheit. Warum ist Ihnen Geld geschickt worden?
Fedja (schweigt).
Der Untersuchungsrichter: Sie haben durch Simonow das Geld erhalten, das Ihnen nach Saratow geschickt wurde?
Fedja (schweigt).
Der Untersuchungsrichter: Warum antworten Sie nicht? Es wird im Protokolle vermerkt werden, daß der Beschuldigte auf diese Fragen nicht geantwortet hat, und das kann sowohl Ihnen als auch jenen beiden sehr schaden. Also wie wollen Sie sich nun verhalten?
Fedja (nach anfänglichem Schweigen): Ach, Herr Untersuchungsrichter, daß Sie sich nicht schämen! Warum stöbern Sie in einem fremden Leben herum? Sie freuen sich darüber, daß Sie die Macht haben, und um diese Macht zu beweisen, martern Sie, wenn auch nicht physisch, so doch seelisch, Leute, die tausendmal besser sind als Sie.
Der Untersuchungsrichter: Ich ersuche Sie ...
Fedja: Da ist nichts zu ersuchen. Ich sage alles, was ich denke. (Zum Protokollführer:) Schreiben Sie es nur nieder! Wenigstens werden auf diese Art zum erstenmal in einem Protokolle vernünftige menschliche Gedanken stehen. (Dann mit erhobener Stimme:) Da waren drei Menschen: ich, er und sie. Unter uns[S. 72] bestanden komplizierte Beziehungen; es war ein Kampf des Guten mit dem Bösen, ein seelischer Kampf, von dem Sie keinen Begriff haben. Dieser Kampf endete mit einer bestimmten Situation, die alle Schwierigkeiten löste. Alle Beteiligten kamen zur Ruhe. Jene beiden waren glücklich und bewahrten mir ein freundliches Andenken. Und auch ich war trotz meines tiefen Falles glücklich darüber, daß ich meine Pflicht getan hatte, daß ich unnützer Mensch aus dem Leben gegangen war, um nicht zwei andern, braven, lebensfrischen Menschen im Wege zu sein. Und wir waren alle drei am Leben geblieben. Auf einmal erschien ein Taugenichts, ein Erpresser, der von mir verlangte, ich solle mich an der von ihm geplanten Erpressung beteiligen. Ich wies ihn von mir. Er ging zu Ihnen, dem Kämpfer für das Recht, dem Hüter der Moral. Und Sie, der Sie an jedem Zwanzigsten des Monats Ihr Gehalt für die Gemeinheiten erhalten, die Sie verüben, Sie zogen sich Ihre Uniform an und tun sich nun leichten Herzens diesen beiden Menschen gegenüber wichtig, denen Sie nicht wert sind die Schuhriemen aufzulösen, und die Ihnen nicht einmal den Eintritt in ihr Vorzimmer gestatten würden. Aber Sie haben sich diese beiden Menschen vorgenommen und freuen sich ...
Der Untersuchungsrichter: Ich werde Sie hinausbringen lassen ...
Fedja: Ich fürchte mich vor niemand; denn ich bin ein Leichnam, und Sie können mir nichts antun; es gibt keine Lage, die schlimmer wäre als die meinige. Na, dann lassen Sie mich nur hinausbringen!
Karenin: Dürfen wir nun gehen?
Der Untersuchungsrichter: Sofort; ich bitte Sie nur, erst noch das Protokoll zu unterschreiben.
Fedja: Was würden Sie für eine komische Person sein, wenn Sie nicht so ekelhaft wären.
Der Untersuchungsrichter: Führen Sie ihn ab! Ich verhafte Sie.
Fedja (zu Karenin und Lisa): Also verzeiht mir!
Karenin (tritt zu ihm und gibt ihm die Hand): Es hat wohl alles so sein sollen ... (Lisa geht vorüber. Fedja verbeugt sich tief.)
Vorhang.
Korridor im Gebäude des Bezirksgerichts.
Im Hintergrunde eine Glastür, bei der ein Gerichtsdiener steht. Rechts eine andere Tür, durch die die Angeklagten hineingeführt werden. Der ersteren Tür nähert sich Iwan Petrowitsch Alexandrow, in zerlumpter Kleidung, und will hineingehen.
Der Gerichtsdiener und Iwan Petrowitsch.
Der Gerichtsdiener: Wo wollen Sie da hin? Es ist nicht erlaubt. Solche Dreistigkeit!
Iwan Petrowitsch: Warum ist das nicht erlaubt? Das Gesetz sagt: die Sitzungen sind öffentlich. (Man hört Beifallsklatschen.)
Der Gerichtsdiener: Es ist nicht erlaubt; das genügt. Es ist verboten.
Iwan Petrowitsch: Flegel! Du weißt nicht, mit wem du sprichst. (Ein junger Rechtsanwalt im Frack kommt heraus.)
Der Gerichtsdiener, Iwan Petrowitsch und der junge Rechtsanwalt.
Der junge Rechtsanwalt: Was ist mit Ihnen? Sind Sie bei dem Prozeß beteiligt?
Iwan Petrowitsch: Nein, ich bin Publikum. Aber der Flegel von Cerberus hier läßt mich nicht hinein.
Der junge Rechtsanwalt: Das ist ja auch kein Eingang für das Publikum.
Iwan Petrowitsch: Das weiß ich; aber mich könnte er schon hineinlassen.
Der junge Rechtsanwalt: Warten Sie einen Augenblick; es wird gleich eine Pause gemacht werden. (Im Begriff wegzugehen begegnet er dem Fürsten Abreskow.)[S. 74]
Der Gerichtsdiener, Iwan Petrowitsch, der junge Rechtsanwalt und Fürst Abreskow.
Fürst Abreskow: Gestatten Sie mir die Frage: wie weit ist die Verhandlung gediehen?
Der junge Rechtsanwalt: Die Verteidiger halten ihre Plädoyers. Jetzt spricht Petruschin. (Erneutes Beifallsklatschen.)
Fürst Abreskow: Nun, und wie ertragen denn die Angeklagten ihre Situation?
Der junge Rechtsanwalt: Mit großer Würde, namentlich Karenin und Jelisaweta Andrejewna. Es ist, als ob sie nicht angeklagt wären, sondern über die Gesellschaft zu Gericht säßen. Das ist das allgemeine Gefühl. Und auf diesen Ton hat auch Petruschin seine Rede gestimmt.
Fürst Abreskow: Nun, und Protasow?
Der junge Rechtsanwalt: Er ist furchtbar aufgeregt. Er zittert am ganzen Leibe; indes ist das freilich bei seinem Lebenswandel erklärlich. Aber er ist von einer besonderen Reizbarkeit und hat mehrmals den Staatsanwalt und die Verteidiger unterbrochen. Er befindet sich in einer eigentümlichen Erregung.
Fürst Abreskow: Was meinen Sie? Wie wird das Urteil ausfallen?
Der junge Rechtsanwalt: Das ist schwer zu sagen; die Zusammensetzung der Geschworenenbank weist eine bunte Mischung auf. Jedenfalls werden sie keinen Vorbedacht annehmen; aber trotzdem ... (Ein Herr kommt heraus. Fürst Abreskow geht auf die Tür zu.) Wollen Sie hineingehen?
Fürst Abreskow: Ja, ich möchte gern.
Der junge Rechtsanwalt: Sie sind Fürst Abreskow?
Fürst Abreskow: Ja.
Der junge Rechtsanwalt (zu dem Gerichtsdiener): Lassen Sie den Herrn hindurch! Gleich linker Hand ist ein Stuhl frei.
Der Gerichtsdiener läßt den Fürsten Abreskow hindurch. Man sieht einen plädierenden Verteidiger. Der Gerichtsdiener, der junge Rechtsanwalt und Iwan Petrowitsch.
Iwan Petrowitsch: Ja, ja, diese Aristokraten! Ich bin ein Aristokrat des Geistes, und das ist noch etwas Höheres.
Der junge Rechtsanwalt: Nun, entschuldigen Sie mich jetzt! (Er geht fort.)
Der Gerichtsdiener, Iwan Petrowitsch und Pjetuschkow, welcher eilig kommt.
Pjetuschkow: Ah, guten Tag, Iwan Petrowitsch! Wie weit ist die Sache?
Iwan Petrowitsch: Bei den Plädoyers der Verteidiger. Aber man wird nicht hineingelassen.
Der Gerichtsdiener: Machen Sie hier keinen Lärm! Hier ist keine Schenke. (Wieder Beifallsklatschen. Die Tür öffnet sich, und es kommen Rechtsanwälte und Zuhörer heraus: Herren und Damen.)
Dieselben, eine Dame und ein Offizier.
Die Dame: Herrlich; er hat mich geradezu bis zu Tränen gerührt.
Der Offizier: Das ist schöner als jeder Roman. Unbegreiflich ist mir nur, wie sie ihn hat lieben können. Ein entsetzliches Subjekt!
Dieselben. Es öffnet sich die andere Tür, und die Angeklagten kommen heraus, zuerst Lisa und Karenin, die dann auf dem Korridor auf und ab gehen; nach ihnen Fedja, allein.
Die Dame: Still, still! Das ist er. Sehen Sie nur, wie aufgeregt er ist. (Die Dame und der Offizier entfernen sich.)
Fedja (tritt an Iwan Petrowitsch heran): Hast du ihn mitgebracht?
Iwan Petrowitsch: Da ist er. (Er gibt ihm etwas.)[S. 76]
Fedja (steckt den erhaltenen Gegenstand in die Tasche und will gehen; dabei erblickt er Pjetuschkow): Die ganze Gerichtsverhandlung ist dumm und gemein; langweilig, langweilig; sinnlos. (Er will weggehen.)
Dieselben und Petruschin (Rechtsanwalt, wohlbeleibt, mit frischer Gesichtsfarbe und lebhaftem Wesen; er tritt zu Fedja heran).
Petruschin: Nun, lieber Freund, unsere Sache steht gut; verderben Sie sie mir nur nicht durch Ihre letzte Ansprache!
Fedja: Ich werde gar nicht reden. Was sollte ich ihnen sagen?! Ich werde es nicht tun.
Petruschin: Nicht doch; reden müssen Sie. Haben Sie nur keine Angst! Wir haben jetzt schon so gut wie gewonnenes Spiel. Sagen Sie nur das, was Sie schon zu mir gesagt haben: daß Sie im Falle einer Verurteilung nur deswegen verurteilt werden würden, weil Sie einen Selbstmord, das heißt eine nach bürgerlichem und kirchlichem Rechte als Verbrechen geltende Handlung nicht begangen hätten.
Fedja: Ich werde nichts sagen.
Petruschin: Warum nicht?
Fedja: Ich will es nicht und werde es nicht tun. Sagen Sie mir nur: was kann im schlimmsten Falle erfolgen?
Petruschin: Das habe ich Ihnen bereits gesagt: im schlimmsten Falle Verschickung nach Sibirien.
Fedja: Das heißt, wer würde verschickt werden?
Petruschin: Sowohl Sie als auch Ihre Frau.
Fedja: Und im besten Falle?
Petruschin: Kirchenbuße und selbstverständlich Annullierung der zweiten Ehe.
Fedja: Das heißt also, man würde mich wieder an sie fesseln, oder vielmehr sie an mich.
Petruschin: Ja, so wird es wohl kommen. Aber regen Sie sich nicht auf! Und bitte, sprechen Sie nur so, wie ich es Ihnen sage, und nur die Hauptsache, nichts Überflüssiges! Na, aber ... (er bemerkt, daß sich ein Kreis von Zuhörern um sie gebildet hat) ich bin müde geworden und will weggehen und mich ein Weilchen still[S. 77] hinsetzen. Sie sollten sich ebenfalls ein bißchen erholen. Die Hauptsache ist: nicht ängstlich sein!
Fedja: Und anders kann die Entscheidung nicht ausfallen?
Petruschin (im Weggehen): Nein, anders nicht.
Dieselben außer Petruschin; ein Gerichtsbeamter.
Der Gerichtsbeamte: Gehen Sie weiter, gehen Sie weiter! Nicht auf dem Korridor stehen bleiben!
Fedja: Sofort. (Er nimmt den Revolver heraus und schießt sich ins Herz. Er fällt zu Boden. Alle stürzen zu ihm hin.) Es ist nichts Schlimmes; mir ist wohl. Ruft Lisa!...
Aus allen Türen kommen die Zuhörer, die Richter, die Angeklagten und die Zeugen herbeigelaufen. Allen voran Lisa. Hinter ihr Mascha, Karenin, Iwan Petrowitsch und Fürst Abreskow.
Lisa: Was hast du getan, Fedja! Warum nur?!
Fedja: Verzeih mir, daß ich dich ... nicht anders frei machen konnte. Nicht um deinetwillen ... für mich selbst ist es so das Beste. Ich wollte es ja ... schon längst tun ...
Lisa: Du wirst am Leben bleiben. (Ein Arzt biegt sich zu ihm herab und horcht.)
Fedja: Ich weiß auch ohne Arzt Bescheid ... Viktor, leb wohl ... Und Mascha ist zu spät gekommen ... (Er weint.) Wie wohl ist mir! Wie wohl!... (Er stirbt.)
Vorhang
Ende.
[1] Ein berühmt gewordener, nihilistisch gefärbter Tendenzroman von Tschernyschewski, erschienen im Jahre 1863.
Anmerkung des Übersetzers.
[2] Ein säuerliches Getränk aus Roggenmehl und Malz.
Anmerkung des Übersetzers.
[3] Ein juristischer Grad, mit der Berechtigung auf die zehnte Rangklasse.
Anmerkung des Übersetzers.
Druck von Breitkopf
und Härtel in Leipzig
Im Text wurde folgende Korrektur vorgenommen:
S. 14 "Gascha" durch "Sascha" ersetzt.
End of the Project Gutenberg EBook of Der lebende Leichnam, by Leo N. Tolstoi *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER LEBENDE LEICHNAM *** ***** This file should be named 46086-h.htm or 46086-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/6/0/8/46086/ Produced by Norbert H. Langkau, Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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