Project Gutenberg's Handbuch der Kunstgeschichte, by Anton Heinrich Springer

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Title: Handbuch der Kunstgeschichte

Author: Anton Heinrich Springer

Release Date: October 26, 2014 [EBook #47205]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK HANDBUCH DER KUNSTGESCHICHTE ***




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Anmerkungen zur Transkription

§1-§3 fehlen im Inhaltsverzeichnis. Das wurde mangels Titeltexten so belassen. Die Verzeichnisse am Ende des Werks wurden neu umgebrochen. Auf oberster Ebene befinden sich die Städtenamen. Die Gebäudenamen darunter sind eingerückt. Architekturangaben zu Gebäuden stehen hinter den Gebäudenamen. Im Gebäude befindliche Kunstwerke sind darunter erneut eingerückt. Gebäudenamen sind gesperrt, Künstlernamen fett angegeben. Diese Markierung wurde ergänzt, soweit sie fehlte. Nähere Angaben zu Änderungen befinden sich am Ende des Texts.
Bildtafel

HANDBUCH
der
KUNSTGESCHICHTE.

Zum Gebrauche für Künstler und Studirende

und als

Führer auf der Reise.

Von

Dr. A. H. SPRINGER,

Privatdocent der Kunstgeschichte an der Bonner Universität.

Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Fr. Th. Vischer in Tübingen.


Mit 93 Illustrationen, einer chromo-lithographischen Tafel und einem
kunsthistorischen Wegweiser auf der Reise durch Deutschland,
Italien, Spanien, Frankreich, Niederlande und England.

STUTTGART:

Rieger'sche Verlagsbuchhandlung.
(A. Benedict.)
1855.

[S. ii]

Buchdruckerei der Rieger'schen Verlagshandlung in Stuttgart.


[S. iii]

Vorwort.

Um jeden Schein einer eiteln Patronatsmiene von mir abzuwenden, erzähle ich schlicht, wie es kommt, dass ich dieses Werk mit einem Vorworte begleite. Ich hatte vor Jahren zugesagt, die Geschichte der bildenden Künste für die »Neue Encyklopädie der Wissenschaften und Künste« zu bearbeiten, wenn meine Aesthetik vollendet wäre; als ich erkannte, wie weit sich dies noch in die Jahre ziehen werde, wurde von der Verlagshandlung auf meinen Rath Herr Dr. Springer gebeten, die Aufgabe zu übernehmen. Dem Wunsche der ersteren, dass ich als eine Art von Ersatz für meine ursprüngliche Verpflichtung ein Vorwort zu dem Werke gebe, erklärte ich mich bereit zu entsprechen, weil mir der wissenschaftliche Geist und Standpunkt des Herrn Verfassers aus früherem persönlichem Austausch und aus seinen »Kunsthistorischen Briefen« hinlänglich bekannt war, um eine Leistung zu erwarten, die ich mit Worten der Uebereinstimmung begleiten könne; doch gab ich mein Versprechen nicht früher, als bis ich mich mit ihm selbst darüber verständigt hatte, dass er in meiner Zugabe keinerlei Ausdruck vornehmthuenden Protektorats, sondern nur einen Akt freundschaftlichen Zusammenwirkens erkennen werde.

Strenge Erforschung des Gegenstandes ist ein Grundzug der geistigen Bestrebungen unserer Zeit. Wir wollen uns in keinem Gebiete mehr mit allgemeinen Vorstellungen begnügen. Ebenso stark dringt aber unsere Bildung auf Allseitigkeit, auf die überschauende organische Idee, welche das Verschiedene, das Entgegengesetzte gerecht und unbefangen anerkennt und einreiht. Der Allseitigkeit darf am wenigsten das rein Menschliche, die lebendige Erkenntniss des Kunstlebens der Völker fehlen. Die Schwere der Aufgabe, den beiden grossen Forderungen der Zeit zu genügen, drückt auch den humanistischen Studien der Gegenwart einen Zug tiefen, gemessenen historischen Ernstes auf.

[S. iv]

Nun erwächst aber eine neue Schwierigkeit durch eine andere wohlbegründete Richtung der Gegenwart: den Drang nach Verbreitung der ächt menschlichen Cultur; die esoterische Wissenschaft soll sich für weite und weitere Kreise erschliessen und doch nicht oberflächlich werden, sondern ihr ernstes Angesicht, ihren gründlichen Blick bewahren. Wie weit liegen hinter unserer Kunstwissenschaft, selbst der im guten Sinne populären, bereits jene kurzen enthusiastischen Vorstellungen, mit denen sich die classische und romantische Stimmung der früheren Jahrzehnte unseres Jahrhunderts noch begnügte! Ja es könnte, da der Einzelforschung noch so viel zu thun bleibt, der Versuch überhaupt unräthlich scheinen, das bis jetzt Erkannte bereits in ein Gesammtbild zusammenzufassen. Dennoch hat der deutsche Geist wohl gethan, den Drang nach dem Allgemeinen, der ihm mit besonderer Kraft inwohnt, nicht länger zurückzustellen. Die Durchforschung des Stoffes gelangt ja nie zum Ende, und es kommt nur darauf an, dass der Moment richtig erfasst werde, wo sie des sicheren Materials so viel gegeben hat, dass die grossen historischen Entwicklungsgesetze ergründet, verfolgt, ohne zu fühlbare Lücken durchgeführt werden können. Frisch und entschlossen griff Franz Kugler in die Zeit und schenkte der deutschen, der europäischen Literatur die erste allgemeine Geschichte der Malerei, dann die erste universale Kunstgeschichte, welcher er jetzt die Geschichte der Baukunst folgen lässt. Neben dem noch unvollendeten ausführlicheren Werke des tief und sinnig eingehenden Schnaase behaupten Kuglers Schriften ihren Werth im besten Sinne der guten Popularität als treffliche Handbücher. Das Werk, das hier der Oeffentlichkeit übergeben wird, will, wie es sich von selbst versteht, diesen höchst verdienstvollen Leistungen eines reichen, bedeutenden Talents, welche, unterstützt durch den Anschauungs-Apparat des Bilder-Atlasses, unserer Nation einen Schatz von ästhetischer Bildung zugeführt haben und weiterhin zuführen werden, nicht Concurrenz machen; es hat sich die besondere Aufgabe gestellt, die Geschichte der bildenden Künste in eine noch gedrängtere Form zusammenzufassen, concis genug, um selbst auf der Reise als nicht belastender, lehrreicher Begleiter zu dienen, oder, wenn man eine Vergleichung aus untergeordneter Sphäre nicht missdeuten will, es wird jenen comprimirten Speisen ähnlich sein, die als Reiseproviant nicht beschweren und am Herde doch zu einer Fülle kräftiger Nahrung[S. v] aufquellen. Ein Ortsverzeichniss durfte daher hier noch weniger, als in Kuglers Kunstgeschichte, fehlen; mit der gründlichsten Bemühung ausgearbeitet, fügt es zur zeitlichen Uebersicht die räumliche Orientirung, zur Geschichte die Periegese, und das Werk dient so als gewissenhafter Cicerone. Unter diesem Titel hat Burckhardt in derselben Weise die italienische Kunst behandelt; er erzählt uns, er entwickelt vielmehr in der gediegensten Kürze die Geschichte der italienischen Kunst, und auf jedem Schritte öffnen sich in der Halle des ernsten Lehrvortrags Pforten, durch die wir zur Anschauung der Kunstwerke selbst hinaustreten. Diesem Werke, das, jede leere Allgemeinheit, jede Phrase mit haarscharfem Messer abschneidend, in den wenigsten Worten den reichsten Inhalt gibt, jedes Prädikat mit männlicher Reife abwägt und aus der warmen Tiefe der Anschauung den urtheilenden Gedanken in der gemessensten Abkürzung heraufarbeitet, stellt sich würdig das vorliegende zur Seite. Die Aufgabe war noch ungleich schwerer: es umfasst nicht nur die Geschichte aller bildenden Künste, sondern auch in allen Kulturländern der neueren Zeit, und zwar, um den praktischen Zweck nicht zu verfehlen, auf noch knapperem Raume. Die grossen Haupt-Epochen, die Style, die Schulen, die Meister sollten charakterisirt werden und zugleich kein bedeutenderes Kunstwerk, noch sein Ort ungenannt bleiben: der Körper der Kunstgeschichte im gedrängtesten Auszug und ihre Seele, ihre innersten bewegenden Federn und Gesetze sollten uns vorgeführt, aufgeschlossen werden. Massenhafte Studien mussten gemacht, die Resultate neuerer und der neuesten, bis jetzt noch wenig benützten Entdeckungen, kritischen Untersuchungen mussten zur Anwendung gebracht und doch oft in eine halbe Zeile, ja ein Wort zusammengepresst, der lange Weg, der zu ihnen führte, mit schwerer Entsagung versteckt werden. Man sieht leicht, mit welcher unendlichen Schwierigkeit die Bewegung zwischen jenen beiden Aufgaben zu kämpfen hatte, eine Bewegung, der zugleich das Ziel ihrer Linie auf wenig über 20 Bogen gemessen war. Es ist vorauszusehen, dass von entgegengesetzten Seiten unzufriedene Stimmen sich erheben werden: die Einen werden klagen, dass nicht genug Allgemeines gesagt, dass die Hauptlichter nicht stark, die Charakteristiken nicht ergiebig genug seien, die Andern, dass nicht genug historischen Stoffes gegeben worden; Beide, weil jeder der beiden Standpunkte übersehen wird, dass auch dem andern genügt[S. vi] werden musste. Ich meines Theils gestehe, dass ich dem rothen Faden, der durch die Kunstgeschichte geht, vollere Farbe, den grossen Epochen und nationalen Richtungen schärfere Beleuchtung ihrer Stylgegensätze, zum Theil auch den Schulen und Meistern nachdrücklichere Lichtpunkte der Charakterschilderung gewünscht hätte, aber ich bescheide mich vollständig, zu meinen, dass ich vermocht hätte, dieser Seite der Aufgabe umfassender zu entsprechen und gleichzeitig mit so gründlicher Kenntniss, so vielseitigem Quellenstudium, so scharfer Durchforschung des Materials dem weicheren Kerne den straffen geschichtlichen Körper so wohlsitzend, so fest, so körnig anzugiessen. Der Beweis liegt vor, dass die grössere Sparsamkeit, welche der Verfasser auf der Seite des Allgemeinen sich aufgelegt hat, nur ein Akt männlicher Enthaltung ist: wer die grossen nationalen und individuellen Charaktere der Kunstgeschichte so warm zu entwickeln, die Blüthe der Kunst auf ihre Wurzeln im klimatischen, anthropologischen, politischen, sozialen, religiösen Völkerleben so lebendig zurückzuführen weiss, wie der Verfasser in seinen kunsthistorischen Briefen, der darf erwarten, dass man erkenne, wie hier nur dem Geiste der strengsten Objektivität ein freies Opfer gebracht ist, darf Denjenigen, der die allgemeinen Grundzüge gelöster, selbstständiger entwickelt betrachten will, auf die eigene frühere Leistung verweisen.

So möge dies Werk als ernster Führer recht Viele in die Kunst einweihen, Eingeweihten in willkommener Kürze und Wohlordnung ihren geistigen Besitz zusammen und dem versagenden Gedächtniss immer neu vorhalten, den reisenden Kunstfreund begleiten und äusserlich und innerlich orientiren, Denen, die sich zu leicht mit allgemeinen Vorstellungen begnügen, ein männlicher Mahner zur sächlichen Gründlichkeit, Denen, die sich zu leicht empirisch in der Breite des Stoffs verlieren, zur Energie der zusammenfassenden Idee.

Tübingen im August 1855.

Fr. Vischer.


[S. vii]

Vorwort des Verfassers.

Ich habe dem Vorwort des Hrn. Prof. Vischer nur Weniges hinzuzufügen. Um dem Wunsche des Verlegers nach rascher Vollendung des Werkes zu genügen, musste ich zwar längst begonnene Arbeiten weit zurückschieben, und meinen Studienkreis plötzlich ändern, ich musste Gebiete durchwandern, welche ich bloss zu meiner eigenen Belehrung, nicht um Andere zu unterweisen, wiederbetreten wollte. Doch unterzog ich mich der Mühe mit redlichem Eifer. Als Lehrer fühlte ich seit Jahren das Bedürfniss eines gedrängten, leicht zugänglichen Handbuches der Kunstgeschichte. Auch dünkte es mir eine dankbare Aufgabe, der Ratlosigkeit des Publikums, wenn es im Angesichte älterer Kunstwerke steht — und das ist heutzutage bei dem erweiterten Verkehre und der allgemeinen Reiselust oft genug der Fall — zu Hülfe zu kommen, ihm die Mittel an die Hand zu geben, wie die Empfindung zu einem Urtheile geschärft, bestimmter gefasst, in ihrer Unklarheit berichtigt werden kann.

Trotz der nicht unbegründeten Klage über den verfallenden Geschmack, den getrübten Schönheitssinn in der Gegenwart, habe ich dennoch von den Zeitgenossen die gute Meinung: Es fehle meistens nur an der sicheren Grundlage und an äusseren Kenntnissen, um die irrigen Anschauungen und thörichten Urtheile zu verbessern. Diese Grundlage wird hier geboten. In Folge dessen musste nothwendig die Mittheilung von Thatsachen überwiegen, die eingehende Betrachtung in die tieferen Wandlungen der Phantasie im Laufe der Zeiten zurücktreten. Auch ein äusserer Grund gebot diese Beschränkung. Es ist zwar ein grösseres Verbrechen, Andere abzuschreiben, es ist aber gewiss ein ärgeres Laster, sich selbst zu kopiren. Ich habe eben den Versuch, das Kunstleben der Vergangenheit in seinem allgemeinen historischen Zusammenhange zu schildern, vollendet. Ist der Versuch gelungen, so werden ihn die Leser schon unmittelbar zur Hand nehmen; habe ich das Ziel verfehlt, so werde ich es nicht[S. viii] besser treffen, wenn ich den Leser zwinge, den gleichen Weg mit mir noch einmal zu wandern.

Wünschenswerther als die Erweiterung des Textes schien mir die Vermehrung der Illustrationen. Da dieselbe jedoch die weite Verbreitung des Buches gehindert hätte, so musste darauf Verzicht geleistet werden. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass der treffliche Kunstatlas Voit's und Guhl's unter meinen Lesern viele neue Freunde finden wird. Dann habe ich die Sparsamkeit der Illustrationen in dem vorliegenden Buche nicht zu bedauern.

Das Urtheil, Vieles hätte in dieser Schrift besser und anders, das Eine ausführlicher, das Andere gedrängter dargestellt werden können, unterschreibe ich willig. Während der Arbeit, ja während der Drucklegung selbst wurden ununterbrochen neue, nicht selten wichtige Entdeckungen bekannt. Sie alle einzutragen, war ich gern bereit, doch wann wäre das Buch druckfertig geworden? Ich kann daher nur versprechen: Sollte das Handbuch sich die dauernde Gunst des Publikums erwerben und ein neuer Abdruck benöthigt werden, so werde ich es besser machen.

Bonn, im September 1855.

A. H. Springer.


[S. ix]

Inhalt.

Die Anfänge der Kunst. §. 1–9.
Die Anfänge der Baukunst.
Seite
  §. 4. Tumuli, Topen, Pyramiden4
§. 5. Steinaltäre8
§. 6. Feengrotten und Steinkreise9
Die Anfänge der Bildnerei.
§. 7. Steinpfeiler, Gebaute Thierbilder10
§. 8. Bildersteine und Idole11
Die Anfänge der Malerei.
§. 9. Bilderschrift13
Die Kunst des Alterthums. §. 10–68.
A. Der Orient.
1. Die assyrische Kunst. §. 10–18.
§. 12–13. Assyrische Architektur16
§. 14–17. Assyrische Bildnerei und Malerei22
§. 18. Grabmonumente29
2. Die persische Kunst. §. 19–22.
§. 20. Die Ruinen von Persepolis31
§. 21. Die Ruinen von Pasargadä33
§. 22. Grabmonumente34
3. Die ägyptische Kunst. §. 23–29.
§. 24. Monumente von Unter- und Mittelägypten38
§. 25. Monumente von Theben39
§. 26. Monumente von Nubien42
§. 27–28. Aegyptischer Tempel- und Grabbau43
§. 29. Aegyptische Bildnerei und Malerei46
4. Die Kunst in Vorderasien. §. 30–33.
§. 31. Phönikische Kunst51
§. 32. Jüdische Kunst54
§. 33. Die Monumente in Phrygien und Lycien55
B. Die Kunst des klassischen Alterthums.
1. Hellas. §. 34–49.
§. 34. Die Anfänge der hellenischen Kunst58
§. 35–40. Die hellenische Baukunst61
§. 41. Die Monumente69
[S. x]
§. 42. Die Anfänge der hellenischen Plastik73
§. 43. Die äginetische, altattische, sikyonische und argivische Schule75
§. 44. Pythagoras und Myron77
§. 45. Phidias78
§. 46. Polyklet81
§. 47. Skopas, Praxiteles und Lysipp83
§. 48. Die Schulen von Pergamus und Rhodos86
§. 49. Vasenbilder88
§. 50. Hellenische Malerei93
2. Etrusker und Latiner. §. 51–55.
§. 51. Die Baukunst der griechischen Colonien97
§. 52. Gräberbau98
§. 53–54. Bildnerei und Malerei99
§. 55. Die Anfänge der römischen Kunst102
3. Rom. §. 56–61.
§. 57–59. Baukunst105
§. 60. Bildnerei111
§. 61. Malerei113
4. Das christliche Alterthum. §. 62–68.
§. 63. Die Katakomben117
§. 64. Die altchristlichen Basiliken119
§. 65–67. Die Monumente122
§. 68. Bildnerei und Malerei126
Die Kunst des Mittelalters. §. 69–92.
A. Der Orient.
1. Die Kunst des Buddhaismus und der Sassaniden. §. 69–71.
§. 69. Buddhaistische Monumente in Indien128
§. 70. Chinesische Bauten133
§. 71. Sassanidenkunst133
2. Die Kunst des Islams. §. 72.
§. 72. Monumente im Oriente, Aegypten, auf Sicilien und in Spanien135
3. Byzantinische Kunst. §. 73–74.
§. 73. Baukunst143
§. 74. Malerei und Bildnerei148
B. Das Abendland.
1. Die germanischen Völker im ersten christlichen Jahrtausend. §. 75–76.
§. 75. Baudenkmäler151
§. 76. Bildnerei und Malerei157
2. Die Architektur des christlichen Mittelalters. §. 77–85.
§. 77. System der romanischen Architektur159
§. 78. System der germanischen oder gothischen Architektur165
§. 79. Monumente in Frankreich172
§. 80. Monumente in Spanien und Portugal175
[S. xi]
§. 81. Monumente in Grossbritannien176
§. 82. Romanische Monumente in Deutschland178
§. 83. Gothische Monumente in Deutschland184
§. 84. Monumente in Italien189
§. 85. Dekorative Architektur193
3. Bildnerei und Malerei. §. 86–92.
§. 86–87. Monumente194
§. 88–89. Styl und Symbolik207
§. 90. Prager und Kölner Schule209
§. 91. Italienische Bildnerei212
§. 92. Italienische Malerei213
Die Kunst des XV. und XVI. Jahrhunderts. §. 93–113.
A. Die italienische Kunst.
1. Baukunst.
§. 94. Der ältere Renaissancestyl220
§. 95. Der Renaissancestyl des 16. Jahrhunderts223
2. Bildnerei.
§. 96. Oberitalienische Plastik. Die Lombardi228
§. 97. Ghiberti und seine Zeitgenossen229
§. 98. Michelangelo Buonarroti236
3. Malerei.
§. 99. Uebersicht der Entwicklung der Malerei im 15. Jahrhundert240
§. 100. Masaccio und seine Schule244
§. 101. Leonardo da Vinci247
§. 102. Fra Bartolomeo und die Florentiner am Anfange des 16. Jahrhunderts251
§. 103. Die umbrische Schule252
§. 104. Raphael Santi254
§. 105. Michelangelo Buonarotti261
§. 106. Correggio263
§. 107. Venetianische Schule265
B. Die Kunst diesseits der Alpen.
§. 108. Die Kunstschulen zu Dijon und Tournay. Die Eyck'sche Schule272
§. 109. Der Kupferstich und Holzschnitt280
§. 110. Die nieder- und oberdeutschen Schulen. Die Nürnberger Bildnerei283
§. 111. Dürer, Holbein d. J. und Cranach d. Ä.290
§. 112. Die Kunstschule von Tours. Spanien296
C. Der Renaissancestyl ausserhalb Italien.
§. 113. Die Schule von Fontainebleau. Spanien. Die deutschen Länder298
Die Baukunst im XVII. und XVIII. Jahrhundert.
§. 114. Der Jesuitenstyl. Bernini und Borromini. Styl Louis XIV.303
Die Bildnerei im XVII. und XVIII. Jahrhundert.
§ 115. Italienische Sculpturen. Die Schule von Versailles307
[S. xii]
Die italienische Malerei im XVII. Jahrhundert.
§. 116. Die Naturalisten und Eklektiker. Caravaggio und Caracci311
§. 117. Florentiner und Neapolitaner317
§. 118. Ausgang der italienischen Kunst321
Die französische Malerei im XVII. Jahrhundert.
§. 119. N. Poussin, Lesueur, Lebrun. C. Poussin, Claude Lorrain322
Die spanische Malerei im XVII. Jahrhundert.
§. 120. Die Schulen von Madrid und Sevilla325
Die niederländische Malerei im XVII. Jahrhundert.
§. 121. Rubens und seine Schule331
§. 122. Rembrandt und die holländischen Sittenmaler337
§. 123. Die Landschaftsmalerei341
§. 124. Schlussbetrachtung344
Kunst-Wegweiser durch Deutschland, Frankreich etc. nach dem Alphabete der Städte347

Erklärung der Bildtafel.

Zum besseren Verständnisse der §.§. 40 und 87, welche von der Polychromie der Architektur handeln, wurden in der Bildtafel Beispiele der vielfarbigen Bemalung von Baugliedern und ganzen Bauwerken zusammengestellt.

Die beiden Säulenkapitäle deuten die Anwendung der Polychromie in der ägyptischen Architektur an, und sind Wilkinson's Customs and Manners of the ancient Egyptians entlehnt.

In dem Dachbaue des dorischen Tempels wurde das von Kugler und Strack festgestellte System der Polychromie beibehalten. Sind auch die Meinungen über das Maass der Farbe an antiken Bauwerken noch immer getheilt, so bleibt dennoch das angeführte System am meisten empfehlenswerth, nicht allein, weil es unseren Vorstellungen von dem Schönheitssinne der Alten vollkommen entspricht, sondern auch, weil es mit den Zeugnissen der antiken Schriftsteller und mit den vorhandenen Resten am besten sich vereinigt.

Die Skizze der gothischen Polychromie ist nach einer Originalaufnahme des Inneren der Pariser Sainte Chapelle angefertigt worden. Bei der Restauration dieses mittelalterlichen Schatzkästleins fanden sich noch so viele und so deutliche Reste der ursprünglichen Bemalung vor, dass dieselbe mit vollkommener Treue und Genauigkeit erneuert werden konnte. Bemerkenswerth ist der rhythmische Wechsel in der Bemalung. Die Hauptdienste, welche in Verbindung mit zwei Nebendiensten als Gewölbeträger fungiren, sind wechselweise blau mit goldenen Lilien und roth mit kleinen Thürmen (fleurs de lys und château de Castille bilden die Wappenzeichen Ludwig des Heiligen) bemalt, so dass eine feste Regel durch die reiche Polychromie sich hindurchzieht; nur die beiden Pfeiler der Westseite, welche den Eingang einschliessen, weisen an demselben Dienste sowohl das eine wie das andere Ornament auf: Lilien im blauen Felde wechseln mit Thürmen im rothen Felde ab. Dass auch dieser Abweichung eine verständige Regel, ein kräftiges Gefühl für Symmetrie zu Grunde liegt, bedarf keines Beweises. Die Eingangsseite enthält die beiden Dekorationsschemata vereinigt, welche in der Längenrichtung auseinander treten und in lebendiger Weise sich fortbewegen. Jede andere Anordnung hätte das Gefühl für Harmonie verletzt. Der gleiche künstlerische Sinn für Harmonie spricht sich in dem Farbenverhältnisse aus, in welchem die bemalten Skulpturen zur polychromen Architektur stehen, wie überhaupt durch die vollständige Bemalung des Inneren und die glänzende Fenstermalerei eine gewisse Einheit gewahrt wird.


[S. 1]

Die Anfänge der Kunst.

§. 1.

Reich verzweigt und mannigfaltig sind Gegenstand und Aufgabe der Kunstgeschichte, unter welchem allgemeinen Namen der Sprachgebrauch die Geschichte der bildenden Künste, nämlich der Baukunst, Bildnerei und Malerei begreift. Sie soll die Erscheinungen des Schönen in ihrer zeitlichen Bewegung darstellen, die innere nothwendige Entwicklung des künstlerischen Ideales schildern, die Lebensgeschichte der einzelnen Kunstgattungen liefern; sie soll aber auch gleichzeitig von der Phantasiethätigkeit der mannigfachen Völker ein anschauliches Bild entwerfen, und den Zusammenhang derselben mit den übrigen geschichtlichen Lebenskreisen aufweisen. Auf solche Weise steht die Kunstgeschichte sowohl mit der Aesthetik als ihre Ergänzung und Wahrheit, wie mit den kulturgeschichtlichen Disziplinen in Verbindung. Die verschiedenartigen Wechselbeziehungen schliessen keineswegs die innere Einheit der Kunstgeschichte aus, noch setzen sie dieselbe zu einem blossen Aggregate ästhetischer Lehrsätze und historischer Thatsachen herab, da die räumliche und zeitliche Entwicklung des Kunstlebens und die allmälige Entfaltung der Schönheitsbegriffe bis zur höchsten Vollendung sich aneinander legen und vollkommen decken. Dennoch bleibt die Ausführung der Kunstgeschichte auf solcher wahrhaft weltgeschichtlichen Grundlage wegen unserer lückenhaften empirischen Kenntnisse erst der Zukunft vorbehalten. Seit einem Menschenalter hat sich die Summe der kunstgeschichtlichen Thatsachen mindestens verdoppelt, in Niniveh ist eine neue Kunstwelt aus dem Schutte herausgegraben worden, in Bezug auf die ägyptischen Denkmäler haben wir kaum erst den Standpunkt der staunenden Neugierde verlassen, ja selbst hinsichtlich der doch so vielfach bearbeiteten griechischen und mittelalterlichen Kunst befinden wir uns erst im Zeitalter der Entdeckungen. So lange die[S. 2]selben nicht abgeschlossen sind, bleibt unsere kunstgeschichtliche Erkenntniss fragmentarisch, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, welche auch dann noch die verschiedene ästhetische Wertschätzung der Denkmäler der exakten Behandlung der Wissenschaft entgegenstellen wird.[1]

§. 2.

Gleich die erste Frage nach den Anfängen der Kunstthätigkeit, nach dem historischen Ursprunge der Kunst, lässt keine vollkommen genügende Antwort zu. Es lässt sich nicht der Zeitpunkt, auch nicht das Volk angeben, welches zuerst seiner Phantasie einen äusseren Ausdruck verlieh, Kunstwerke schuf. Jene Kunstthätigkeit, welche wir als den Anfang unserer Kunst zu betrachten gewohnt sind, d. h. in welcher die antike und weiter die mittelalterliche Kunst wurzeln, wie etwa die assyrische oder die ägyptische, setzt selbst wieder eine längere Kunstübung voraus, und ist keineswegs der absolute Anfang der Kunst. Jene rohen formlosen Produkte der unentwickelten Volksphantasie hingegen, welche in Wahrheit den ersten und ursprünglichsten Kunstregungen beigezählt werden müssen, stehen wieder weder räumlich noch zeitlich mit den folgenden Entwicklungsstufen im Zusammenhange. Eine streng geschichtliche Ableitung des späteren vollendeten Kunstlebens im Oriente aus den ersten Keimen und Ansätzen zu Kunstschöpfungen ist daher nicht möglich. Immerhin lässt sich aber der Ursprung und der stetige Entwicklungsgang der Kunst versinnlichen, wenn man von folgenden verhältnissmässig richtigen Voraussetzungen ausgeht: Das eigenthümliche Wesen, welches die Kunstthätigkeit der einzelnen Völker und der verschiedenen Zeitalter offenbart und welches auf die verschiedenen geographischen Einflüsse, auf die mannigfaltige Volksnatur, auf die bald so, bald anders gestaltete historische Stellung, Tradition u.s.w. zurückgeführt werden muss, besteht am Anfange des Kunstlebens nicht. Der Ursprung und die erste Entwicklung der Kunst ist bei allen Völkern die gleiche. Wenn wir also auch bei [S. 3]den Völkern, welche am frühesten eine höhere Kunstentwicklung besitzen, auf die wahren und ursprünglichen Kunstanfänge nicht stossen, so können wir doch die letzteren von anderen Volksstämmen borgen, bei welchen es bei dem blossen Anfange und Ansatze blieb, welche nach Jahrtausenden noch die Bildungsstufe wiederholen, die in anderen Räumen, unter günstigeren Verhältnissen schon längst überwunden und vergessen ist.[2]

§. 3.

Dürftig und armselig genug sind die Anfänge der Kunst. Um sie kennen zu lernen, müssen wir namentlich an der Hand neuerer Reisenden ferne Räume durchschweifen, die Kunsterzeugnisse der Polarnomaden, der Südseeinsulaner mit den Spuren altamerikanischer Bildung, mit den Resten celtischer Denkmäler bunt mischen, die Bibel, Homer, Herodot mit modernen Antiquaren und Geographen vergleichen. Eine Phantasiethätigkeit in dem später gültigen Sinne des Wortes ist nicht vorhanden; die Stelle von Kunstwerken vertreten einfache Erinnerungszeichen und Gedächtnissmale. Zufällig und äusserlich stehen sie mit Gedanken in Verbindung, der Inhalt wird willkürlich in sie hineingetragen, nicht mit Nothwendigkeit aus ihnen herausgeschaut, die Form und Gestalt ist nicht frei gebildet, oft nur zufällig gefunden, oder wenigstens ganz nothdürftig unter der menschlichen Hand umgearbeitet; das Seltsame, Schreckenerregende reizen die Sinnlichkeit mehr, als das einfach Schöne und Erhabene, und bilden die ersten ästhetischen Kategorien. Dazu kommt noch die Unfähigkeit, die einzelnen Kunstgattungen zu trennen und jede derselben mit festen Grenzen zu umschreiben. Plastische und architektonische Werke gehen unvermerkt ineinander über, im Angesicht einzelner Kunstprodukte ist die Entscheidung, ob sie zur Architektur oder Bildnerei gerechnet werden sollen, oft eben so schwierig, wie die Einordnung niedrigst gestellter Organismen unter das Thier- oder Pflanzenreich. Die Malerei besteht zuerst als wirkliche Bildschrift; die Architektur begnügt sich mit der Nachbildung ungegliederter Naturkörper, wie Hügel, so dass auch das Natur- und Kunstprodukt unterschiedslos ineinanderfallen. Die nächsten Stufen über die rohen Massenbauten, Bildsteine und Bildschriften hinaus zeigen dann nicht den Fortgang zur übersichtlichen architektonischen [S. 4]Gliederung, zur ausdrucksvollen, scharfen Körperbildung, sondern erdrücken die Grundformen durch überladene Zierathen. Ehe noch Architektur und Plastik eine höhere Entwicklung erklimmen, blüht schon eine üppige, nicht selten vollendete Ornamentik. Sie ist der Ausdruck der aus der ursprünglichen Erstarrung erwachten, unruhig gewordenen Phantasie, welche sich noch nicht zum klaren Ernste gesammelt hat, in ein endloses Spiel sich verläuft, durch äusseren Glanz und Reichthum blenden will. Ueber diese und ähnliche Entwicklungsstufen hinauszukommen, gelingt nicht allen Völkern. Wo aber günstige geographische Bedingungen die regsame Volksnatur unterstützen, da zeigt sich auch bald eine Scheidung der Kunstgattungen, und in jeder derselben eine stetige, innere Entwicklung, die Kunstwerke reden eine offene Sprache, und verbergen nicht ihren Gedankengehalt hinter einer fremdartigen, zufälligen Form, sie tragen das Gepräge einer individuellen Schöpfung an sich, und streben deutlich die Schönheit, die beseelte Form an. Dann erst stehen wir nicht mehr in der Vorhalle, sondern im innersten Heiligthume der Kunst.

§. 4.

Auf dem Gebiete der Baukunst gewahren wir die ersten und einfachsten Spuren künstlicher Thätigkeit. Einfachere, gleichzeitig aber auch rohere Kunstwerke als die gewöhnlich über einem Grabe oder zu Ehren Verstorbener errichteten Erdhügel, tumuli, lassen sich nicht mehr denken.[3] Dies erklärt auch ihre Verbreitung über den ganzen Erdkreis, selbst bei den ungebildetsten Völkern. Bei den Kaffern und Hottentotten wollen sie Sparmann und Barrow bemerkt haben, wie Pallas bei den Samojeden, Ostiaken; sie kommen in Syrien (bei Aleppo), in den Steppen der Ukraine, in Skandinavien, Böhmen, im westlichen Europa vor und werden jenseits des Ozeans in endloser Zahl von den grossen Seen im Norden angefangen durch das Stromgebiet des Mississippi bis zum La Platastrom gefunden. In Ohio allein zählt man an zehntausend; rückwärts in unserer Geschichte begegnen wir denselben in der Bibel, in der Ilias und Aeneide; neben den Pyramiden dienten sie den Bewohnern von Meroe als Grabdenkmal, sie waren den alten orientalischen Völkern eben so wohl bekannt, als den Griechen und Italienern. Sie bilden [S. 5]die unterste Kunststufe, wenn sie vereinzelt, oder in unregelmässigen Haufen stehen und aus blosser Erde aufgeschüttet sind. Als Fortschritt muss man die Benützung von grösserem Gestein zu ihrer Errichtung, ihren Bau aus Werksteinen anstatt der blossen Erdanhäufung (wie z. B. bei den tumuli in Afghanistan), und endlich die regelmässige Gruppirung derselben betrachten. Eine solche soll nördlich vom Nicaraguasee bei Juigalpa entdeckt worden sein. Viele Meilen weit angelegte Laufgraben erweitern sich in Zwischenräumen zu elliptisch ausgehöhlten Plätzen, welche in regelmässigen Abständen mit 5–6 Fuss hohen Steinhügeln besetzt sind.[4] Hier bilden die tumuli also nur ein einzelnes Glied eines grösseren Bauwerkes. Auch die tumuli in Afghanistan sind in den meisten Fällen Nebenbauten, welche nebst Felsenhöhlen das Zugehör zu den gleich näher zu beschreibenden Topen bilden. Dass ihre Errichtung nicht in eine arische Urzeit zu legen ist, zeigt bereits ihre gegliederte Form. Sie zerfallen in einen Unterbau und eine Kuppel, wie der nebenstehende Durchschnitt (Fig. 1) ergibt, und bergen im Innern oft regelmässig angelegte Kammern. Ueberhaupt ist der kegelförmige Stein oder Erdhügel der Ausgangspunkt für zahlreiche Bauwerke, namentlich im Oriente, so zunächst für die Tope oder Stupa, in Indien, besonders häufig angetroffen westlich vom Indus, zwischen Peschaver und Kabul.[5] Seit der ersten Entdeckung einer Tope 1794 bei Benares und namentlich seit der Gesandtschaftsreise Elphinstones nach Kabul 1808 hat sich die Kenntniss dieser Bauten [S. 6]vielfach erweitert. Eine Tope besteht aus einem cylindrischen Körper, welcher auf einer breiten Plattform aufsitzt und in einer meist gedrückten Kuppel endigt. Ob sich über der letzteren nicht noch ein thurmartiger Aufsatz erhob, lässt sich an den vorhandenen Topen nicht ermitteln, ist aber durch die Vergleichung mit kleinen im Inneren der Topen aufgefundenen Specksteinmodellen wahrscheinlich gemacht. Der cylindrische Mittelkörper — das unterscheidende Merkmal einer Tope vom Tumulus — ist mit einer Pfeilerstellung (Fig. 2) umgürtet, oder durch schachbrettartige Zierathen ausgezeichnet, überhaupt der äussere Steinmantel, der sich um den massiven inneren Kern legt, mit grosser Sorgfalt gearbeitet. Die Topen sind ein Mantelbau, eine Tope wird von einer anderen umschachtelt (Fig. 3), die Trennungslinien scharf bezeichnet. Die Bestimmung der keineswegs durch ein hohes Alter bemerkenswerthen Topen (man hat in ihnen Sassaniden- und byzantinische Münzen aus dem fünften Jahrhundert gefunden) war die eines Reliquienschreines. Aus der natürlichen Vorliebe, in der Nähe der Reste buddhistischer Heiligen zu ruhen, erklärt sich das Vorkommen der zahlreichen Grabhügel in der Um[S. 7]gebung der Topen. Diese Bestimmung des Reliquienschreines theilen die Topen mit den übrigens auch in der Form verwandten Dagops (Fig. 4). Sie bilden entweder das Heiligthum buddhistischer Tempel (Ellora) oder stehen selbstständig da (Ceylon) und werden zu einer gewaltigen Höhe und mit grossartiger Pracht aufgeführt. Die sog. Pagode bei Rangun im Birmanenreiche z. B. steigt bei einem Umfange von 1355' zu einer Höhe von 300' empor. Der Form der Dagops wird ausdrücklich eine symbolische Bedeutung verliehen. In der Kuppelwölbung spricht sich der sansâra, der wechselnde Kreislauf der Dinge aus, der Sonnenschirm darüber (Fig. 4) versinnlicht den Himmelskreis[6] oder auch den heiligen Feigenbaum, unter welchem einst Buddha in seligen Schlummer versank.

Fig. 1. Tumulus von Bàr Robát bei Jellalabad.
Fig. 2. Tope von Kotpur.
Fig. 3. Durchschnitt der Tope von Kotpur.
Fig. 4. Buddhistischer Dagop.

In der Bestimmung mit den Grabhügeln, in der Bauweise namentlich auch mit den Topen verwandt sind die berühmten ägyptischen Pyramiden. Auch sie sind nach Lepsius umfangreichen Untersuchungen ein Mantelbau, d. h. eine kleine in Absätzen aufsteigende Pyramide bildet den Kern, um welchen sich allmälig mehrere Steinmäntel herumlegten; die Stufen des äussersten Mantels wurden dann verkleidet und so die strenge Pyramidenform gewonnen. Diese theils aus Nilziegeln, theils aus Werksteinen errichteten, orientirten Königsgräber, deren Inneres Grabkammern und Steinsärge birgt, sind sowohl in Aegypten (am linken Nilufer von Abu Roasch bis nach Dahschur, bei Lischt, Meidum, in Fayum) wie in Aethiopien (Dschebel Barkal, Nuri, Assur, Naga) zu Hause, wechseln in ihren Maassen in hohem Grade — die Cheopspyramide misst 755' (724' nach Perring) im Umfange, und 461' (435' nach Perring) in senkrechter Höhe — und gehen in ihrer Bauzeit von der dritten Manethonischen Dynastie bis auf die griechische und römische Herrschaft herab. Das höchste Alter beanspruchen zwei Steinpyramiden bei Dahschur (Akanthus); jene von Gizeh stammen aus dem Jahre 5121, die jüngste pharaonische am Moerissee aus den Jahren 2192–2051 vor unserer Zeitrechnung; die Pyramiden von Meroe rühren dagegen erst aus der griechischen Periode her.

[S. 8]

§. 5.

Ein anderer mächtiger Keim zu Bauformen tritt uns in den Felsen- und Steinaltären entgegen. In der einfachsten Gestalt erscheinen dieselben als abgeplattete Bergkuppen, welche Pausanias in Griechenland erwähnt (Apesus bei Nemea), oder aus unbehauenen Steinen auf Bergen errichtete Steinaltäre, wie sie Moses den Israeliten vorschreibt. Aus einzelnen Steinen zusammengesetzte Opferaltäre, so dass zwei oder mehrere aufrecht gestellte Blöcke eine grosse Tafel stützen, kommen unter dem Namen Lichaven und Dolmen in der Bretagne (Locmariaquer, Kerdaniel, Carnac u. s. w.) in Anjou, Puy de Dôme, bei Namur, in England vor, und werden auf die Celten zurückgeführt. Eine reichere Entwicklung gewann der Altarbau in den Stufenpyramiden, deren oberste Platte mit einem Altare oder Tempel bekrönt war. Diese Form trug der Birs Nimrud westlich vom Euphrat, im Umkreise Babylons, (der Nimrodspalast der Araber, der Kerker Nebukadnezars bei den Juden, der babylonische Thurm bei älteren Reisenden) wenigstens an der einen Seite an sich; die andere Seite fiel nach Layard's Vermuthung vertikal (?) ab und war gleich den babylonischen Palästen bemalt (Fig. 5).

Fig. 5. Birs Nimrud von der Ostseite nach Layard's Restauration.

Gleiche Bildungen fand Layard westlich von Mosul bei Abou Khamera, Mokhamur u. s. w. vor.[7] Auch die mexikanischen Teokallis aus der Aztekenperiode (u. 1100 u. Z.) besitzen die gleiche Gestalt; auch sie steigen in Absätzen zur Höhe von 50 Fuss und darüber empor, und haben auf der Plattform Tempel, Hallen oft von [S. 9]bedeutendem Umfange, wenn auch selten von grosser Höhe. Die Gliederung ist in vielen Fällen reich belebt und namentlich der ornamentale Theil (Zickzacklinien, Mäander, verschlungene Bänder, Kassetten) übermässig bedacht. Sie finden sich in grosser Zahl von anderen Bauten umgeben in Mexico, Veracruz (Papantla, Fig. 6), Oaxaca, Chiapa, Yukatan u. s. w. vor, haben aber bis jetzt keine ausführlich technische Untersuchung erfahren.[8]

Fig. 6. Teokalli von Papantla in Veracruz.
§. 6.
Fig. 7. Feengrotte bei Tours.

Wenn die bisher betrachteten Bauwerke: Hügel, Pyramiden, Altäre, Massenbauten darstellen, ohne eine Scheidung des inneren Raumes von der äusseren architektonischen Hülle zuzulassen, so sind andere Bauwerke, bei aller Rohheit in der Anlage, dadurch bemerkenswerth, dass das Steinwerk einen inneren Raum als Umwallung mehr oder weniger regelmässig umschliesst, also der Bau in einen äusseren und inneren sich gliedert. Die einfachste Form des Gliederbaues sind die celtischen »Feengrotten«, erweiterte Dolmen (Fig. 7); Decke und Wand sind geschieden, ebenso ein Eingang angedeutet und das Innere (bei Essé unweit Rennes) zuweilen in zwei Kammern getheilt. Noch reicher ist die Anordnung der Steinkreise (cromlech, stonehenge), welche nicht allein in England, in der Bretagne und in Deutschland (bei Helmstedt) vorkommen, sondern auch nach Meadow Taylor's Mittheilungen[9] in Dekkan bei Heiderabad angetroffen werden. Concentrische Steinringe, die einzelnen Steine zu Pfeilern bearbeitet und mit [S. 10]wagrechten Steinen belastet, umschliessen einen inneren Raum, das Heiligthum, wo ähnliche Kreise isolirte Steinpfeiler umgeben. Die berühmtesten Denkmäler dieser Gattung sind der Stonehenge bei Salisbury (Fig. 8) und der von einem Wallgraben eingeschlossene und mit Pfeileralleen verbundene Cromlech bei Abury (Fig. 9). Den Beginn des eigentlichen Tempelbaues versinnlichen auch die heiligen Stätten der Südseeinsulaner, Morai. Ein grosser regelmässiger Platz mit Korallenplatten gepflastert und von Prellsteinen oder einem hölzernen Zaun umgeben, führt zur Behausung des Gottes, einer kleinen Hütte, in welcher das Götzenbild bewahrt wird.

Fig. 8. Stonehenge bei Salisbury.
Fig. 9. Cromlech von Abury.
§. 7.

Die Anfänge der Plastik sind nicht weniger roh und ungebildet, als die ersten Keime der Baukunst. Auch hier beginnt die Kunstthätigkeit mit der Errichtung gestaltloser Gedächtnisszeichen, welche aus der Naturwirklichkeit aufgegriffen und von der Menschenhand unangetastet gelassen werden. Hier kann man nicht wie bei der vorgeschrittenen Bildnerei Material und Form unterscheiden, das Eine fällt mit dem Andern zusammen, das noch ungeformte Material gibt auch schon die ganze Form. Derartig sind die celtischen Steinpfeiler (Menhir oder Peulvan) in der Bretagne u. a., welche theils isolirt, theils in grossen Haufen (1200 bei Carnac) vorkommen oder als Sinnbilder der Gottheit den Mittelpunkt der Steinkreise bilden. Die Steinpfeiler sind wieder die Grundlage einer ausgedehnten Klasse von Denkmalen, wie der ägyptischen Obelisken, die vom architektonischen Standpunkte eben nur regelmässig zugehauene Steinpfeiler sind, auch wenn ihre Bedeutung von dem[S. 11] Sinne der celtischen Menhir abweicht, und der indischen Löwensäulen am Jamuna, in Allahabad, bei Bakhra, zu Ehren Buddhas von Açoka errichtet, 40 Fuss hoch, mit Inschriften versehen und auf dem Lotoskapitäl mit einem Löwen geschmückt.

Fig. 10. Gebaute Thierbilder in Wisconsin.

Man kann darüber streiten, ob diese Monolithen zur plastischen oder architektonischen Gattung gehören; auf eine wirkliche Vermischung beider Gattungen, auf eine gebaute Plastik stösst man am Mississippi und in Wisconsin. Grosse Gruppen von aufgeworfenen Thiergestalten: Vögel, Frösche, Schildkröten, Schlangen u. s. w. mit Hügeln vermischt, wie sie die nebenstehende Zeichnung (Fig. 10) versinnlicht, erheben sich hier in der Nähe der Flüsse, gleich den Mounds Zeugniss gebend von einer untergegangenen amerikanischen Cultur.

§. 8.
Fig. 11. Bildstein vom Huronsee.

Die abnorm gestalteten Bäume, welche bei den Ostiaken, durch Form oder Farbe ausgezeichnete Geschiebe, welche bei den Arabern (Kaabastein) verehrt werden, sind bereits ein weiterer Fortschritt in der Bildnerei, da hier die Aufmerksamkeit auf eine auffallende Form gelenkt ist, ein Bild gesucht wird, nur dass dasselbe, wie bei den bekannten Bildersteinen, nicht von Menschen geschaffen, sondern von aussen angenommen wird. Unter Bildersteinen versteht man Gerölle, welches durch eigenthümliche Formen, namentlich durch eine entfernte Aehnlichkeit mit menschlichen Zügen (Fig. 11) sich auszeichnet, und nachdem die menschliche Hand durch Striche und Farbe nachgeholfen, als Werk der Geister verehrt und in den Hütten oder am Wasser auf[S. 12]gestellt wird. Die Bildersteine sind sowohl bei den Indianern Nordamerikas unter dem Namen Schingabawossin wie bei den Nomaden in Nordasien im Gebrauche. Die letzteren besitzen aber nicht allein Bildersteine, sondern fertigen auch ausgestopfte mit Kleidern behangene Götzenpuppen, an welchen die bildende Kraft der Phantasie zum erstenmale sich selbstständig versucht. Wir treten aus dem Kreise des Unförmlichen in jenen des Missgeformten. Alle Gestalten aufzuzählen, welche diesen niedrigsten Kreis der eigentlichen Bildnerei bevölkern, und die verschiedenartigen Götzen zu beschreiben, bei welchen der religiöse Sinn in der symbolischen Bedeutung für die missgestaltete Form vollkommenen Ersatz findet, würde uns zu weit führen, da ähnliche Gebilde überall wiederkehren, bei allen Völkern, in allen Zeiten zu Hause sind. Nachdem die Plastik in ihrer inneren Entwicklung über sie hinausgeschritten ist, hat ihr Dasein keine kunstgeschichtliche Bedeutung mehr. Doch darf man nicht Alles, was uns als missgeformt erscheint, einfach aus der Unzulänglichkeit der bildenden Phantasie der Barbaren erklären. Die Idole von den Sandwichsinseln (Fig. 12) z. B., welche uns durch das Missverhältniss der einzelnen Glieder, die riesigen Helme, die fratzenhaften Köpfe erschrecken, sind nicht ohne Absicht so verzerrt worden. Das Schreckhafte lag im Plane des Künstlers und musste wiedergegeben werden, sollte das Bild dem Begriffe des Gottes entsprechen; bei der Ausarbeitung selbst aber wurden die Mittel, durch welche z. B. der neuseeländische Krieger den Feind in Furcht versetzen will, nachgeahmt, also ein gewisser Realismus der Darstellung beobachtet. Noch viel deutlicher gewahrt man das gleiche Streben in den neuentdeckten Denkmalen in Centralamerika (Honduras, Guatemala, Nicaragua). Die piedras antiguas am Nicaraguasee hat namentlich Squier einer genaueren Untersuchung unterworfen. Sie befinden sich auf der Insel Momotombita, in Subtiaba, Pensacola, Zapatero, und obzwar von den Missionären vielfach zerstört und verstümmelt, und gegenwärtig im Walddickicht vergraben, lassen sie doch noch ihre ursprüngliche Beschaffenheit erkennen. Es sind diese wahrscheinlich am Fusse der Teokallis aufgestellten Basaltstatuen meist von an[S. 13]sehnlicher Grösse, mit Riesenköpfen versehen, die oft wieder von einem Thierrachen umschlossen werden, die Zungen bis zur Brust ausgereckt, der Mund offen, und eben im Begriff ein Herz zu verzehren — jedenfalls ein Ausdruck der furchtbarsten Hässlichkeit. Die naturalistischen Züge in der Darstellung lassen sich jedoch nicht verkennen. Noch haben die Indianer beim Sitzen dieselbe hockende Stellung, welche an den piedras antiguas ausnahmslos bemerkt wird; die Darstellung der Kultusgebräuche ist vollkommen treu, die Köpfe sind überdies streng individualisirt, scharf umrissen und mit den Adlernasen und hohen Backen vortreffliche Meister des nationalen Typus. Dass Arme und Beine bei denselben nur leise angedeutet, dagegen die Geschlechtstheile stark betont werden, ist ein Zug, der mit grosser Uebereinstimmung an allen alterthümlichen Skulpturen wahrgenommen wird.

Fig. 12. Idol von den Sandwichsinseln.
§. 9.

Der Anfang der Malerei ist die förmliche Bilderschrift. Die Gestalten gelten nicht für sich, sondern sind bloss sinnliche Zeichen für Vorstellungen; demgemäss wird auch die Form nur angedeutet und ohne Rücksicht auf Schönheit so weit ausgeführt, als es die Deutlichkeit verlangt. Noch heutigen Tages bedienen sich die Indianer Nordamerikas, allerdings durch den Gebrauch abgeschliffener, mechanisirter Bildzeichen, um ihre Vorstellungen schriftlich niederzulegen, und malen Sätze, wie wir Buchstaben schreiben.[10] Die mexikanischen Hieroglyphen sind nicht phonetisch, wie die ägyptischen, sondern wahre Bilderschrift, in der Inkasprache dasselbe Wort (quellccanni) daher für Malen und Schreiben im Gebrauche. Mit dieser Bilderschrift in der Form verwandt, ebenfalls nämlich abgekürzte Gestalten gebrauchend, sind die mit zahlreichen Figuren in Hellroth bemalten Felsen am Nihapasee (Nicaragua) (Fig. 13) und die »beschriebenen Felsen« von Masaya.[11] Die Felswand ist geglättet und mit roh [S. 14]eingeschnittenen Contouren von figürlichen und symbolischen Gestalten gänzlich überdeckt.

Fig. 13. Bemalte Felsen am Nihapasee.

Ob die nahe gelegenen Felsmalereien von S. Catarina wirklich Tanzgruppen enthalten, steht dahin. Mit dieser Bildschrift hängt sowohl die Ornamentenmalerei zusammen, welche sich bei halbgebildeten Völkern in so reichem Maasse entwickelt, dass vor der Fülle des Nebenwerkes die organischen Grundlinien der Gestalt zurücktreten, wie die gemeisselten Chroniken der Assyrer und Aegypter. Dieser Uebergang von der Malerei zur Reliefdarstellung darf nicht Wunder nehmen, da auf einer gewissen Kunststufe beide Gattungen zusammenfallen, die eine durch die andere ersetzt und (bei gefärbten Reliefs) unterstützt wird.


Die Kunst des Alterthums.

A. Der Orient.

1. Die assyrische Kunst.

§. 10.

Mit der Entwicklung des religiösen und staatlichen Lebens geht die Steigerung der künstlerischen Thätigkeit Hand in Hand. Die Pracht des religiösen Kultus, der Glanz der Herrscherwohnung erhält durch die bildenden Künste einen vollendeten Ausdruck, und diese dadurch nicht allein zahlreiche Aufgaben, sondern auch eine innige und bewusste Verbindung mit den höchsten Lebenszwecken. Wir umgehen die Frage nach den ältesten Sitzen gereifter gesellschaftlicher Bildung, da sich dieselbe weder auf kunstgeschichtlichem Wege entscheiden lässt, noch die Resultate der Untersuchung einen erheblichen Gewinn für die kunstgeschichtliche Erkenntniss versprechen, und halten nur an den allgemeinen Thatsachen fest, dass die Wurzeln unseres Kunstlebens im Oriente gefunden, dass auf arianisch-semitischem und auf ägyptischem Boden die ältesten Formen ausgebildeter Kunst geschaut werden, und dass schliesslich die letzteren die Tradition bilden, welche aller folgenden Kunstthätigkeit bis auf unsere Tage zu Grunde liegt. Die tiefere Einheit[S. 15] der arianischen Völker diesseits und jenseits des Indus, sowie die Wechselwirkung zwischen der Bildung des südwestlichen Asiens und Aegyptens sind Thatsachen, welche vorläufig für die kunstgeschichtliche Erkenntniss werthlos bleiben. Wir behalten daher nur die unmittelbare Wirklichkeit der neben einander gestellten assyrisch-persischen und ägyptischen Kunst vor Augen. Die vorhandenen und bekannten Denkmäler der assyrischen Kunst stehen zwar in Bezug auf das Alter hinter den ägyptischen weit zurück; denn während die ersteren kaum in das zehnte Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung reichen, werden zahlreiche ägyptische Bauwerke in das dritte Jahrtausend v. Chr. und weiter hinauf versetzt. Dennoch erscheint es passend, die Geschichte der bildenden Künste mit der Beschreibung der assyrischen Kunst zu beginnen. Die bekannten Reste von Niniveh sind keineswegs der ältesten, sondern theilweise der jüngsten assyrischen Kunstperiode angehörig und nur unter der Voraussetzung vorangegangener längerer Kunstübung verständlich; die assyrische Kunst schliesst ferner bereits im sechsten Jahrhundert v. Chr., dagegen erhält sich die ägyptische bis in die griechische Zeit lebendig, und endlich spricht auch für unsere Anordnung das allgemeine Fortschreiten des Völkerlebens von Osten nach Westen.

§. 11.

Die orientalische Kunst wird in der neueren Kunstlehre als die symbolische bezeichnet. Zunächst wird durch diesen Namen die Eigenthümlichkeit der religiösen Begriffe bei den Orientalen charakterisirt: ihre Anschauung des Göttlichen in unpersönlichen Bildern, welche selbst, wenn sie überfliessen und in unendlicher Ausdehnung gedacht werden, dennoch unfähig bleiben, das göttliche Wesen zu erfüllen. Doch gilt auch von der Kunst der Orientalen ein ähnliches Verhältniss. Namentlich wird die orientalische Bildnerei von symbolischen Beziehungen geleitet, die äussere Gestalt nicht als schöne Form, sondern als das zufällige Zeichen des Geistes betrachtet, durch die Steigerung der Grösse, durch die Vervielfältigung von Gliedmassen, durch die Vermischung fremdartiger Formen, wie thierischer und menschlicher, die Bedeutung des Kunstwerkes versinnlicht. Auch die Architektur strebt eine unendliche äussere Fülle an, häuft entweder Massen auf Massen, oder setzt Räume neben Räume, ohne dass dieser Raumerfüllung eine innere nothwendige Grenze gesetzt[S. 16] ist. Die Grundlage der orientalischen Architektur bildet nicht das geschlossene Haus, sie trägt vielmehr durch ihre weite Ausdehnung, durch die Mannigfaltigkeit der Anlage, und den unmittelbaren Einschluss grösserer Flächen ein gewisses landschaftliches Gepräge. Noch in anderer Hinsicht überschreitet die Architektur das ihr gewöhnlich gesetzte Maass und die später übliche Schranke. Sie unterwirft auch die Bildnerei ihrer Herrschaft und lässt die Werke der letzteren im architektonischen Style als belebte Pfeiler und Säulen gebildet werden. Zu dieser architektonischen Skulptur gehören die geflügelten assyrischen Palastwächter und die Sphinxe und Bildsäulen in Aegypten, welche theils die Tempelstrasse zu beiden Seiten begrenzen, theils an die Pfeiler im Inneren der Tempel und Grabmonumente sich anlehnen. Ihre Bestimmung erklärt auch den Mangel an individuellem Leben, die mechanische Wiederholung desselben Typus bei allen Gestalten. Neben der architektonischen Plastik breitet sich dann die Reliefkunst aus. Die Wände der assyrischen und ägyptischen Monumente sind fast durchgängig mit Relieftafeln bedeckt, welche, wenn sie auch zahlreiche artistische Mängel verrathen, ohne Rücksicht auf die Perspektive gearbeitet und mehr vom Verstande, der nach Treue und Deutlichkeit strebt, als von einer dichterischen Phantasie gedacht sind, doch wegen ihres geschichtlichen Inhaltes, als eine ausführliche Chronik des öffentlichen und privaten Lebens der Anwohner einen überaus grossen Werth besitzen. In diesen Gattungen der Bildnerei sind die vielversprechendsten Ansätze zur weiteren Entwicklung bereits vorhanden, und zwischen denselben und der vollendeten griechischen Plastik keineswegs eine unübersteigliche Kluft wahrnehmbar; nur fehlt es zur Zeit noch an Erfahrungen, um die einzelnen Entwicklungsstufen fest zu bestimmen.

§. 12.
Fig. 14. Plan der Plattform und Paläste zu Nimrud.

Im Jahre 1820 machte der englische Resident Rich zuerst auf die zahlreichen Erdhügel gegenüber von Mosul, am östlichen Ufer des Tigris, aufmerksam. Die Lokaltradition hatte schon längst hier das Grab des Propheten Jonas erblickt und in den Namen Nimrud, Aschur einen deutlichen Fingerzeig über die Bedeutung dieser Trümmerhügel gegeben. Diese Ahnungen einer unter dem Schutt begrabenen assyrischen Prachtstadt bestätigten zufällige Funde von Skulpturen. Rich's Vermuthung fand namentlich auch bei dem Reisenden[S. 17] Layard 1840 vollen Glauben. Nur zufällige Hindernisse verhinderten die Ausführung systematischer Ausgrabungen, und sicherten dem französischen Konsul zu Mosul, Botta, die Ehre des ersten Spatenstiches 1842. Die Ausgrabungen übertrug Botta von Kuyundschik, nachdem die ersten Versuche hier misslangen, nach dem fünf Stunden von Mosul in nordöstlicher Richtung entfernten Khorsabad. Reliefplatten und Riesenstatuen stiegen rasch nach einander aus der Erde hervor, Kammern auf Kammern wurden bloss gelegt. Nach einigen Monaten Arbeit war es keinem Zweifel mehr unterworfen, dass man einen altassyrischen Palast vor sich hatte, welcher durch Feuer zerstört worden war. Auf Botta folgten seit 1845 Layards noch ausgedehntere und folgenreichere Entdeckungen. Er blieb bei seinem alten Plane und begann die Ausgrabungen im Nimrudhügel, dessen Form als ein Parallelogramm (1800' Länge auf 900' Breite) angegeben wird, mit einem hohen konischen Hügel an der Nordwestecke (Fig. 14). Ein zweimaliger längerer Aufenthalt in diesen Landschaften (1845 und 1849) verschaffte Layard nicht allein eine genaue Uebersicht der Ruinen von Nimrud, sondern gab ihm auch Gelegenheit zu Ausgrabungen an anderen Punkten, von welchen jene in Kuyundschik gegenüber von Mosul die wichtigsten sind (Fig. 15). Nach Layards Ansicht stehen wir erst am Anfange, oder besser gesagt, am Ende der assyrischen Kunst, wir kennen[S. 18] erst die Reste der jüngsten Bauten und dürfen hoffen bei weiteren und tieferen Forschungen auf ältere Monumente zu stossen. Spuren solcher älteren Werke kommen nach Layard häufig vor. Und welcher Name gebührt den Ruinen? Layard hält Nimrud, Khorsabad, Kuyundschik, Karamles (alle diese Ruinen lassen sich durch ein Parallelogramm verbinden) und Nebbi-Yunus für Paläste und Parkanlagen einer einzigen Stadt, und zwar Ninivehs, dagegen will Rawlinson nur die letztgenannten Trümmerhügel auf Niniveh bezogen wissen. Das Alter der einzelnen Monumente bestimmt Layard, gestützt auf die Entzifferungsversuche der Keilinschriften, welche seine Freunde begonnen, in folgender Weise: Der Nordwestpalast in Nimrud (Fig. 14, a) wurde etwa 900 v. Chr. erbaut und ist der älteste bis jetzt bekannte Bau Assyriens. Der Sohn des Erbauers des Nordwestpalastes gründete daselbst den Centralpalast (b) 885 v. Chr., welcher von Tiglath-Pileser oder Pul wieder hergestellt und nachmals von Asarhaddon bei dem Baue seines Palastes (c) als Material benützt wurde. Das grössere Alter der Nimrudmonumente gegen die Trümmer von Khorsabad (erbaut von Sargon um 720) und Kuyundschik (erbaut von dem Sohne Sargons, Sennacherib um 700) beweist nächst den Königsnamen in den Keilinschriften die Verschiedenheit in der Anordnung der Relieftafeln, mit welchen die Wände verkleidet sind. Jene zu Nimrud sind durch Inschriften in zwei Friese getheilt, und jede Tafel bildet für sich ein abgeschlossenes[S. 19] Ganzes, in Kuyundschik dagegen sind die vier Wände einer Kammer von einer einzigen Bilderreihe ohne trennende Inschriften ausgefüllt, und die ganze Kammer der Darstellung einer zusammenhängenden Geschichte gewidmet. Der jüngste Bau ist der vom Enkel Asarhaddons errichtete Südostpalast zu Nimrud (d). An keinem der erwähnten Punkte sind die Nachgrabungen abgeschlossen, überall sind bis jetzt nur Fragmente der Bauanlagen an den Tag gefördert worden. Dieselben sind bedeutend genug, um in Nimrud neun selbstständige Palastbauten unterscheiden und in Kuyundschik über siebenzig Kammern beschreiben zu können. Das Endurtheil über die assyrische Kunstbildung, über das Verhältniss der einzelnen Bauten zu einander und über die Bedeutung der Trümmer von Kalat-Schergat, wo Thoncylinder aus dem 12. Jahrhundert v. Chr. gefunden wurden, sowie jener von Arban am Khabur, westlich vom Tigris, mit den Resten archaistischer Skulpturen, viel einfacher im Detail, viel roher in der Muskelbezeichnung, und mit zahlreichen ägyptischen Skarabäen aus dem 15. Jahrhundert v. Chr., muss demnach noch aufgeschoben bleiben. Bezeichnend für die Lebenskraft der assyrischen Kunst ist noch der Umstand, dass Layard bei Gunduk (nordöstlich von Mosul) Felsskulpturen christlichen Inhaltes fand, welche den assyrischen Styl mit vollkommener Treue wiedergeben.[12]

Fig. 15. Plan des Palastes von Kuyundschik.
§. 13.

Das Material der assyrischen Bauwerke war nicht auf ewige Dauer berechnet. Die an der Sonne getrockneten Ziegelsteine, aus welchen die Mauern aufgeführt wurden, zerfielen nach der Zerstörung der Bauwerke zu Staub, ohne eine deutliche Spur von den Formen und Linien des Oberbaues zu hinterlassen. Vollends nivellirt wurden die Bautrümmer durch den heissen Sommerwind, welcher Sand und Staub in seinem Gefolge führt und im Laufe der Zeit den[S. 20] Kunstanlagen den Schein natürlicher Hügel verleiht. Wir können nur den Unterbau verfolgen, nur den Grundriss blosslegen; über die Beschaffenheit des Oberbaues dürfen wir uns höchstens einzelne schüchterne Schlüsse erlauben.

Fig. 16. Grundriss des Portales zu Kuyundschik.

Gleich wie in Persien und Babylonien erhoben sich auch in Assyrien die Bauwerke auf künstlichen 30–40 Fuss hohen Plattformen. Befanden sich auf einer Plattform mehrere selbstständige Gebäude, wie z. B. zu Nimrud, so wurden dieselben durch Terrassen getrennt. Auf breiten Treppen erstieg man die Plattform, von ihrem Rande zum Eingange des Palastes mochten wohl Statuenreihen führen, wenigstens lassen die Reste von Piedestalen, nördlich vom Kuyundschikpalaste, auf eine solche Anordnung schliessen. Ueber den Portalbau und seinen plastischen Schmuck sind wir verhältnissmässig am besten unterrichtet. In der Regel hatte jede Façade drei Eingänge (Fig. 15, a). Als Wandfüllung dienten riesige Mannlöwen oder Mannstiere, so angeordnet, dass die Seitenansicht ihres Leibes die Tiefe des Portales bildet, Kopf, Brust und Vorderbeine, voll von vorne genommen, aus der Façade heraus schauen. Aehnlich gestaltete Figuren, den Kopf seitwärts gewendet, Rücken gegen Rücken gekehrt und mit löwenzwingenden Helden und Genien abwechselnd, ziehen zwischen dem mittleren und den Seiteneingängen an der Façade hin. In dieser Weise sind die Portalbauten zu Kuyundschik (Fig. 16) und Khorsabad, und auch die bedeutenderen Eingänge im Inneren gebildet. Die innere Anordnung des Palastes zeigt grössere Hallen, oder wahrscheinlich offene Hofräume (Fig. 15, b) 126–140', 90–124' im Ausmaasse, um welche sich kleinere Kammern herumgruppiren. Galerien (Fig. 15, c), oft in einer Länge von 214', verbinden die Palastabtheilungen. Höchst wahrscheinlich waren für die Prunkgemächer und das Harem verschiedene Theile des Palastes angewiesen; dieselben jedoch in der Wirklichkeit aufzufinden, ist bis jetzt noch nicht gelungen. Bei der Untersuchung der höheren Bautheile verlässt uns jeder sichere Führer. Dass die Assyrer sich nicht mit der Aufführung roher Steinmassen begnügten, sondern dem Auge Ruhepunkte gewährten, einzelne Bautheile vor andern zurücktreten liessen, eckige und gerundete Glieder kannten, beweist z. B. das in Khorsabad[S. 21] gefundene Karniessgesimse (Fig. 17). Auch die Anwendung stützender Säulen und zwar einer Säulenart, welche der sogen. ionischen Säule in Griechenland sehr nahe kommt, lernen wir aus Reliefdarstellungen kennen. Diese Säulen trugen nicht allein Decke und Dach (Fig. 18), sondern wurden auch bei dem Fensterbaue als trennende und tragende Glieder verwendet (Fig. 19). Das untenstehende Bild gibt eine deutliche Anschauung, in welcher Weise das Licht — hart unter dem Dache — in die Gemächer eingeführt wurde. Dass viele der letzteren, namentlich jene, welche die offenen Hofräume umgaben, keine besonderen Lichtöffnungen besassen, ist sehr wahrscheinlich. Zur Bedeckung der Räume dienten, wie die vielen Holzkohlen in den Schutthügeln beweisen, Holzbalken; doch waren Gewölbe bei den Assyrern keineswegs unbekannt. Die Relieftafeln zeigen regelmässig die Thoröffnungen im Rundbogen gewölbt, auf solche stiess man auch bei der Ausgrabung eines Portales in Khorsabad und in Nimrud. Der grosse ionische Hügel in der Nordwestecke (Fig 14, e), welcher die Trümmer eines stufenförmigen Thurmes in sich birgt und als das Grab Sardanapals bezeichnet wird, wird im[S. 22] Innern von einer 100' langen, 12' hohen gewölbten Galerie durchzogen. Auch im Südostpalaste stiess man auf gewölbte Gänge und lernte überdies ihre Construktionsweise kennen. Da die Ziegel viereckig waren, so blieben im Bogen Lücken übrig, welche durch langgelegte Ziegel ausgefüllt wurden. Gewölbt waren schliesslich die Abzugskanäle, welche man unter den Palästen von Nimrud und Khorsabad entdeckte. Bekrönt wurden die Tempelpaläste durch staffelförmig aufsteigende Zinnen (Fig. 18); selten kommt auf den Relieftafeln ein Bauwerk zur Darstellung, das nicht auf die eben erwähnte kräftige Weise abgeschlossen wäre. In Bezug auf die Dachform hat der um die Restauration der assyrischen Architektur verdiente Fergusson die Ansicht ausgesprochen, dass die Bauten statt des Daches eine Plattform trugen, auf welcher sich Feueraltäre erhoben.

Fig. 17. Marmorkarniess, gefunden in Khorsabad.
Fig. 18. Relief aus Khorsabad.
Fig. 19. Relief aus Kuyundschik.
§. 14.

Die Bildnerei und Malerei fanden in Babylon und Assyrien eine reiche Stätte. Im ersteren Lande verhinderte zwar der Mangel an passendem Materiale, welches sich den Anwohnern von Niniveh in den nahen Alabasterbrüchen so reichlich darbot, die Anwendung eines plastischen Schmuckes. Man begnügte sich mit glasirten und emaillirten Ziegeln, und malte auf dieselben geschichtliche und religiöse Scenen. In Niniveh dagegen verband sich Malerei und Bildnerei zur glänzendsten Verzierung der Bauwerke. Nur wenige Kammern zu Nimrud entbehren der Reliefdarstellungen und scheinen bloss mit Gemälden auf einem Gypsgrunde geschmückt gewesen zu sein; das gewöhnliche System bestand aber darin, dass erst über den Relieftafeln ein gemalter Fries sich hinzog, theils figürlichen, theils ornamentistischen Inhaltes, welcher die Wände mit der ebenso reich bemalten und vergoldeten Holzdecke verband. Die Figuren sind in schwarzen oder weissen Umrissen auf blauem oder grünem Grunde gezeichnet, in einzelnen Fällen aber auch der Fleischton glücklich nachgebildet. Die am meisten üblichen Farben waren: roth, gelb, weiss, schwarz und blau, und ihre Kraft und Tiefe ebenso gross, als die Geschicklichkeit in ihrer Verbindung bewunderungswürdig. Für die Durchführung eines Ornamentes in complementären Farben, wie Blau und Gelb, herrschte gleich wie in Aegypten eine grosse Vorliebe. Schon die Fülle des malerischen Schmuckes an der Decke und über den Relieftafeln duldete nicht die kalte grauweisse Naturfärbung der[S. 23] letzteren. Auch der oberste Grundsatz der assyrischen Kunst: ein umständliches Festhalten an der äusseren Wirklichkeit, konnte sich nicht mit der blossen Idealität der reinen Plastik befreunden. Nicht allein die Analogie mit der ägyptischen und älteren griechischen Kunst, auch die unverkennbaren Farbenspuren, namentlich an den Skulpturen zu Khorsabad, sprechen für die Anwendung der Polychromie in der assyrischen Bildnerei.

§. 15.

Als Layard seine Ausgrabungen in Kuyundschik schloss, berechnete er bereits die Länge der entdeckten Relieftafeln auf 9880', oder zwei englische Meilen, und selbst dieser eine Palast ist noch lange nicht in seiner vollen Ausdehnung bekannt. Wie gross muss nicht die Summe der plastischen Thätigkeit überhaupt gewesen sein! Mit diesem quantitativen Reichthume steht auch die Fülle der dargestellten Gegenstände in vollkommener Uebereinstimmung. Keine Seite des assyrischen Lebens ist übergangen, kein Kreis menschlicher Thätigkeit vergessen. Wir begegnen den Symbolen und Verkörperungen des assyrischen Glaubens. Vieles bleibt uns freilich noch unverständlich; doch erkennen wir den Fischgott, den phönikischen Dagon, menschlich gebildet, der Fisch nur als Zierde von der Mitra herabhängend oder sinnreich als das Gewand des Gottes behandelt, oder das böse Prinzip, aus einem Löwen, Adler und einem anderen Vogel zusammengesetzt und von den Blitzstrahlen eines geflügelten Helden verfolgt. Auch die Fervers, die Wahrzeichen des arischen Glaubens, geflügelte beinlose Gestalten, in der Luft schwebend und von einem Kreise oder Nimbus eingeschlossen, treffen wir zahlreich auf den Monumenten an. An den Riesenlöwen und Riesenstieren (Fig. 20), welche gewöhnlich den Eingang bewachen, erfreut uns die Tüchtigkeit der Technik und die Gesundheit der Anlage. Die menschlichen Köpfe erscheinen dem thierischen Rumpfe nicht angefügt, sondern wie mit Notwendigkeit herausgewachsen. Viel weniger organisch gestaltet sich das Bild Nisrochs (?) mit dem Adlerkopfe auf dem geflügelten menschlichen Leibe, eine Figur, welche theils in Prozession wandelnd, theils in der Verehrung des heiligen Baumes begriffen, ebenso häufig in Niniveh vorkommt, als die einfachen geflügelten Gestalten, die Mitra auf dem Kopfe und ein Körbchen, eine Zapfenfrucht, Getreideähren, Waldthiere u. s. w. in der Hand.

[S. 24]

Fig. 20. Thorwächter aus Khorsabad.

Auf weltliche Darstellungen übergehend, finden wir den König als den vorzugsweisen Gegenstand der Darstellung. Wir begleiten ihn auf seinen Kriegszügen. Der Kampfplatz sind bald Marschen, bald bewaldetes Hügelland. Der König, von seinem Wagenlenker und Waffenträger umgeben, schleudert vom Streitwagen Pfeile auf den Feind, der theils die Flucht ergreift, theils von den dahin stürmenden Rossen zertreten wird. Aehnlich wie im offenen Felde wird derselbe auch in seinen festen Plätzen besiegt, und diese mit Anwendung von Kriegsmaschinen eingenommen. Im Triumphe, voran taktschlagende Sänger, Harfenspieler und Flötenbläser, in weiterer Folge dann die verzweifelnden Gefangenen, die Träger der Trophäen (darunter die Köpfe der erschlagenen Feinde) und die Leibwache des Königs (Fig. 21), kehrt der letztere in seine Residenz zurück. In anderen Kammern sind andere Scenen abgebildet; hier eine Jagd, dort die Huldigung zinspflichtiger Völker, deren Vertreter mit den[S. 25] Landesprodukten, mit Wild, Früchten, Blumen u. s. w. beladen, dem prachtvoll geschmückten Königsthrone nahen. Oder es wird, wie in der langen Gallerie zu Kuyundschik (Fig. 15, c) der Palastbau, die Aufstellung der Riesenthiere zur Darstellung gebracht. Der Steinblock wird aus dem Flusse an das Land gezogen, hier schon am Ufer fertig gemeisselt und in der gleichen Weise, welche auch Layard nach mehr als 20 Jahrhunderten die passendste erschien, in den Palast transportirt. Es haben überhaupt die meisten Schilderungen der Sitten, Gewohnheiten und Fertigkeiten auf den Ninivehdenkmälern[S. 26] bis auf den heutigen Tag bei den Anwohnern ihre volle Wahrheit behalten, und mögen nicht allein dem Geschichtsschreiber, sondern auch dem Ethnographen zu Illustrationen dienen.

Fig. 21. Relieffigur aus Khorsabad.
§. 16.

Im Gegensatze zu dem gewöhnlichen Vorurtheile eines unbedingten Stillstandes der orientalischen Phantasie zeigt die genaue Betrachtung der Ninivehmonumente mehrfache Entwicklungsstufen des Kunstgeistes, einen Beginn, die höchste Blüthe und auch wieder den sichtlichen Verfall der plastischen Thätigkeit. Es wurden bereits die alterthümlichen Bildwerke in Arban angeführt. An Rohheit der Form werden dieselben von zahlreichen gravirten Steincylindern übertroffen. Doch mag hier vielleicht der streng religiöse Charakter des Inhaltes die archaistische Form mitbedingt haben. Die Nimruder Reliefs zeigen dann einen weiteren Fortschritt, ohne jedoch die kräftig bewegte Zeichnung zu besitzen und in jene Detailmalerei sich einzulassen, welche die Skulpturen von Kuyundschik auszeichnet. Es vertreten die erstgenannten gewissermassen den strengen Styl, während die Reliefs zu Khorsabad und Kuyundschik mehr durch äusseren Reichthum und die schärfere Naturnachahmung glänzen. Diesen Gegensatz zum älteren, gemessenen, ernsten Styl sollen namentlich die erst in der jüngsten Zeit durch Hormuzd Rassam neu entdeckten Basreliefs mit grosser Bestimmtheit offenbaren. In Kuyundschik selbst entdeckt man wieder in einzelnen Kammern die Spuren der verfallenden Kunst. Das Material wird mit geringerer Sorgfalt ausgewählt, die Umrisse sind minder scharf, die Zeichnung der Pferde und der Thiere überhaupt entschieden nachlässig. Aus dem Gesagten ergibt sich das allmälige Fortschreiten der assyrischen Kunst von einer idealisirenden Schilderungsweise zum ausgebildeten Naturalismus, von einer ernsten, gebundenen Grossheit der Darstellung zu einer zierlichen, für das treue Wiedergeben aller Einzelnheiten besorgten und zuletzt flachen Eleganz; es ergibt sich weiter eine doppelte Blüthezeit, eine ältere und jüngere Schule, die eine im Zeitalter Aschurak-pal's (um 900 v. Chr.), die andere im Zeitalter Sennacherib's (um 700 v. Chr.) thätig.

§. 17.
Fig. 22. Löwe aus Bronze, in Khorsabad entdeckt.

Nicht immer geben die grossen monumentalen Werke den sichersten Prüfstein der künstlerischen Entwicklung eines Volkes ab. Deutlicher als an den Portalfiguren und Relieftafeln gewahrt man[S. 27] den reichen Formensinn und die ausgebildete Technik der Assyrer an den kleinen Thonsiegeln, welche in Kuyundschik gefunden, offenbar einst Urkunden angehängt waren und bezüglich ihrer Schönheit den griechischen Intaglio's wenig nachstehen. So sind es auch nicht die riesigen Thorwächter oder die symbolischen Göttergestalten, welche die Naturwahrheit und die technische Tüchtigkeit der assyrischen Bildhauer in das hellste Licht setzen, sondern die einfachen Thierfiguren (Fig. 22). Es kommt bei den thierischen Darstellungen namentlich auch der Ausdruck der besonderen Situation, die Hast und Kampflust z. B. der Streitrosse, der Grimm verwundeter Löwen u. s. w. deutlich zum Vorscheine. Ist nun auch die energische Naturwahrheit die durchgreifende Grundlage der assyrischen Bildnerei, wie sich aus der starken Betonung der Muskeltheile des Körpers, aus der sorgfältigen Behandlung der Haupt- und Barthaare, aus der überaus fleissigen Ausführung der Waffen, des Schmuckes, der Kleider und der Geräthschaften überhaupt ergibt, so stossen wir doch auch nicht selten auf grelle Uebertretungen ihrer Gesetze, sei es, dass die künstlerischen Mittel nicht ausreichen, sei es, dass ästhetische Bedenken dies folgerichtige Wiedergeben der äusseren Wirklichkeit abrathen, sei es endlich, dass der allzu grosse Eifer nach naturwahrer Schilderung gegen dieselbe verstossen liess. Das letztere ist z. B. bei den fünffüssigen Mannlöwen und Mannstieren an den Palastportalen der Fall. Sie sollten ebensowohl in der Vorderansicht, wie von der Seite betrachtet, ganz erscheinen, und es wurde dem[S. 28]nach der eine Vorderfuss doppelt gezeichnet (Fig. 20). Die Stellung dieser Skulpturen rechtfertigt einigermassen diesen Fehler, der übrigens erst bei ihrer Aufstellung in unseren Museen und nicht an Ort und Stelle auffiel. Die Abweichung von der Naturwirklichkeit aus ästhetischen Bedenken gewahrt man z. B. bei den Bogenschützen. Sie spannen die Sehne gegen alle Regel, so dass sie die Hand bis hinter den Kopf zurückziehen; oder wenn jene auch in eine richtigere Lage gebracht wird, so wird, damit die Sehne nicht den Kopf durchschneide (denn aus diesem Bedenken ging die oben erwähnte Anordnung hervor), die obere Hälfte der Sehne als auf der anderen Seite des Kopfes befindlich, also unsichtbar dargestellt. Auch bei den Kampfscenen, in der Art und Weise, z. B. wie die Rosse über die Leiber der Verwundeten einherjagen, kann man die Abneigung der assyrischen Künstler gegen alle durchschneidenden Linien, gegen das Ineinanderschieben der Gestalten beobachten. Für viele derartige Anomalien ist der Reliefstyl, der alle Gestalten nur im Profile darstellt, und dann das Unvermögen perspektivischer Anordnung verantwortlich. Das Aufmarschiren aller Figuren in Reihen, anstatt dass sie sich zu lebendigen Gruppen sammeln, die strenge Symmetrie, wenn mehrere Gestalten nebeneinander dargestellt werden sollen, verleiht den assyrischen Skulpturen eine gewisse Einförmigkeit; die Profilstellung der Beine, während der Kopf gerade blickt, die Richtung jener nach links, während sich dieser nach rechts zurückdreht, beweist die enge gezogenen Schranken des assyrischen Formensinnes, oder richtiger den Mangel an künstlerischer Tradition, auf deren Schultern die weitere Entwicklung angebahnt werden könnte. Doch, wenn auch die Gestalten und Gruppen, statt nach der Tiefe des Bildes zurückzutreten, sich aufeinander thürmen, wenn auch für die Darstellung landschaftlicher Umgebung geringe Andeutungen, gleichsam Symbole, genügend gefunden werden und den Relieftafeln der belebende Hauch der individuellen Künstlerphantasie abgeht, so besitzen dennoch diese Werke, abgesehen von ihrer kulturgeschichtlichen Wichtigkeit, keine geringe künstlerische Bedeutung. Die Gestalten, welche den Palasteingang bewachen, sind nicht allein riesig in ihren Verhältnissen, sondern tragen auch den Stempel der Erhabenheit an sich, die Relieftafeln sind freilich gemeisselte Chroniken, aber schon dadurch, dass sie das geschichtliche Leben schildern, den liebevollen Sinn für die umgebende Wirk[S. 29]lichkeit, und in den meisten Einzelnheiten ein frisches Formengefühl verrathen, dass sie selbstverständlich sind und nicht als abstrakte Zeichen erscheinen, überragen sie weit die früher geschilderten Ansätze zur Kunstthätigkeit und haben das volle Recht auf den Namen wahrer, ächter Kunst.

§. 18.

Dem Gedächtnisse der Todten waren die ersten und ältesten Kunstdenkmäler geweiht. Diese Sitte setzte sich auch in der späteren Zeit bei den Orientalen fort und schuf bei denselben überall eine besondere Gattung von Monumenten, welche, wenn auch in der künstlerischen Ausschmückung verschieden, doch darin übereinkommen, dass sie in den lebendigen Fels gehauen, unzugänglich gemacht, die Eingänge verborgen gehalten werden. Derartig sind auch die wenigen bis jetzt entdeckten assyrischen Grabdenkmäler. Gegenüber dem Dorfe Bavian erhebt sich eine steile Felswand, in welche zahlreiche Relieftafeln eingehauen sind. Sie enthalten Königsbilder, vielleicht die Portraite der hier Beigesetzten, und verdecken den Eingang zu den in den Felsen gehauenen, aber bereits ausgeplünderten Grabkammern. Auch von den Felsskulpturen zu Malthaiah, auf dem Wege von Kurdistan nach Mosul gilt die Vermuthung, dass sie zu Grabdenkmälern gehören. Vier Tafeln erblickt man in den Felsen eingehauen, auf jeder Tafel neun Figuren, theils Könige, theils auf Thieren stehende Götter. Dem Style nach dürfte die Entstehung dieser Werke gleichzeitig mit dem Baue von Khorsabad fallen. Es bleibt der Zukunft überlassen, eine nähere Einsicht von der Beschaffenheit dieser eben erwähnten Denkmäler zu nehmen und die Untersuchung der assyrischen Palastbauten abzuschliessen. An den Wunsch, dass dies bald geschehe, knüpft sich der andere, auch die babylonischen Trümmerhügel, namentlich jene von Akerkuf und Al Hymer einer gründlichen Durchforschung zu würdigen. Bis jetzt bilden die oft sehr fein gearbeiteten geschnittenen Edelsteine (Siegel, Amulete) den wichtigsten Fund auf babylonischem Boden.


[S. 30]

2. Die persische Kunst.

§. 19.

Die Perser wurden bekanntlich die Erben der assyrischen und babylonischen Macht. Mit der politischen Macht erbten sie auch die künstlerische Bildung, so dass auf der Ebene von Merduscht fortgesetzt wurde, was der Reichthum und die Prachtliebe der assyrischen Könige im Stromlande des Tigris und Euphrat begonnen hatte. So lange die Reste von Niniveh unter der Erde begraben lagen, konnte man über den Ursprung und die Entwicklung der persischen Kunst die mannigfachsten Vermuthungen aufstellen, und namentlich nach beliebter Weise in Aegypten die Lehrmeister der Kinder Ormuzds suchen; gegenwärtig ist es keinem Zweifel unterworfen, dass die persische Kunst in allen ihren Zweigen mit den Ninivehmonumenten im engsten Zusammenhange steht und an den letzteren grossgezogen wurde. Die Verwandtschaft der nationalen Anschauungen und religiösen Vorstellungen erklärt die gemeinsame Kunstform, welche ebensowohl aus der allgemeinen Bauanlage, wie aus der Anordnung und Beschaffenheit der Skulpturen erhellt. Aehnlich wie in Niniveh erheben sich die persischen Paläste auf Terrassen, auch der Portalschmuck, die Mannstiere, sind hier und dort die gleichen, und ebenso die Verkleidung der Kammern mit Reliefplatten, der Inhalt und die Formen der letzteren an beiden Orten identisch. Für die Abweichungen, welche man in der persischen Kunst bemerkt, sind theils das verschiedene Baumaterial, hier vortrefflicher, mehr zu Tage liegender Haustein, während sich Mesopotamien mit Backsteinen behelfen musste, theils die spätere Zeit der Entstehung der persischen Monumente massgebend. Sie fallen nämlich meist in das Zeitalter des Darius Hystaspis und Xerxes (522–465), und sind durch vier Jahrhunderte von den Nimruddenkmälern geschieden. Natürlich macht sich diese zeitliche Entfernung auch in der Kunstform fühlbar, und es stehen die persischen Skulpturen den jüngsten assyrischen Werken ungleich näher, als den alterthümlichen Arbeiten zu Nimrud. Man kann diese grössere Verwandtschaft auch an Aeusserlichkeiten, an dem Kopfputze der beflügelten Gestalten, an dem Kostüme u. s. w. beobachten. Auch von den jüngsten Denkmälern von Khorsabad und Kuyundschik unterscheiden sich aber die persischen Skulpturen besonders durch die faltenreichere, freiere[S. 31] Behandlung der Gewänder. Eine Vergleichung der Architektur würde wahrscheinlich zu den gleichen Resultaten führen, nämlich den persischen Baustyl als eine Ableitung des assyrischen aufweisen, wenn nicht die überaus geringen Reste, die uns von dem Oberbaue der Paläste erhalten sind, jede solche Untersuchung verböten. Doch sprechen die persischen Säulenformen dafür, dass zur Zeit ihrer Bildung der Kunstverfall bereits sichtlich einbrach, und das Verständniss der alten Bautraditionen zu weichen begann.[13]

§. 20.
Fig. 23. Grundriss von Tschil-Minar.

Den grössten Ruhm und auch die grösste räumliche Ausdehnung unter allen persischen Monumenten nimmt der vielsäulige (Tschil-Minar) Bau zu Persepolis, (Fig. 23) nordöstlich von Schiraz für sich in Anspruch. Die hier entdeckten und jüngst entzifferten Keilinschriften lehren, dass Darius Hystaspis den Bau begann, Xerxes und Artaxerxes Ochus denselben fortsetzten. Ob derselbe jemals vollendet worden und nicht vielmehr Alexanders Brandfackel in das erst halb fertige Werk geschleudert worden, ist fraglich. Am Fusse des Rachmedberges gelegen, nimmt der vielgliederige, auf einer Plattform sich erhebende und in mehreren Terrassen aufsteigende Palastbau einen Raum von 4000 Fuss ein. Ein wahres Wunderwerk der Architektur, eine doppelte Treppenflucht aus Marmor (Fig. 23, a), breit und bequem genug, dass zehn Reiter neben einander dieselbe hinaufjagen und beladene Kameele sie ersteigen können, führt an der nordwestlichen Ecke des Unterbaues auf die erste Terrasse, wo uns sofort eine Ehrenpforte (b) empfängt. Vier Pfeiler stehen noch von derselben, ihre Mauerstirnen mit symbolischen Thiergestalten, gekrönten Mannstieren, geschmückt. Zwischen den Pfeilern waren vier Säulen aufgerichtet, deren Ka[S. 32]pitäle und Basen eine der wesentlichsten Eigenthümlichkeiten der persischen Architektur versinnlichen. Die überaus reich gebildete Basis zeigt als Hauptglied über der viereckigen Platte einen umgestülpten mächtigen Kelch; als Kopf der schlanken und gefurchten oder kannelirten Säule erblicken wir über einem blätterverzierten Doppelkelche noch einen hohen Aufsatz, zu dessen Seiten je vier spiralförmig gewundene Bänder oder Voluten herabhängen (Fig. 24). Weit entfernt, dass diese Voluten das Vorbild des ionischen Kapitäls abgeben, müssen sie sogar jünger sein, als die Entstehung des letzteren, da sie die natürliche, nämliche liegende Lage der Voluten bereits als zweckloses Ornament verkehrt, d. i. aufrecht stehend zeigen.

Fig. 24. Säulenkapitäl aus Persepolis.

Wir kehren nun wieder zur Beschreibung von Tschil-Minar zurück. Verfolgt man den Weg in gerader Richtung von der Haupttreppe, so stösst man auf kein bedeutendes Bauwerk mehr; wendet man sich dagegen, auf der ersten Plattform angelangt, nach rechts, so hat man eine neue Doppeltreppe (c) vor sich, welche zur zweiten Terrasse führt. Der plastische Schmuck der Doppeltreppe wurde mit Recht als das glänzendste Zeugniss der persischen Kunstblüthe hervorgehoben. Das Mittelfeld zwischen dem vorderen Treppenpaare nehmen 7 Speerträger, die Leibwache des Königs, ein, in den Ecken sind Thierkämpfe dargestellt. Die Wand aber, die sich zwischen dem vorderen und hinteren Treppenpaare hinzieht, schildert den Zug der Völker und der Abgesandten zum Königsthrone. An Cypressen vorüber schreiten die Perser im höfischen faltenreichen Gewande, andere Stämme in enganliegender kurzer Nationaltracht, ihnen gegenüber die Gesandten von zwanzig Völkern, von Stabträgern eingeführt, und die für den König bestimmten Geschenke: Vasen, Weihrauchschalen, Salbenbüchsen, Geschmeide, Felle u. s. w. vor sich tragend, oder gezäumte und geschirrte Rosse, Stiere, Widder, Dromedare nachziehend. Drei Friese übereinander nimmt der Festzug ein, doch ist leider der oberste Fries zur Hälfte abgebrochen. Auf der zweiten Terrasse erhebt sich der Hauptbau, der Audienzsaal. Ein quadratischer, von 36 Säulen getragener Mittelraum (e) hat kleinere zwei Säulen tiefe Nebenhallen vor und neben sich. Die Säulen der Haupthalle (55' hoch) sind den oben beschriebenen ver[S. 33]wandt, jene der Nebenhallen (60' hoch) haben als Kapitäl zwei Halbstiere, die mit ihren Leibern zusammenstossen und so einen Einschnitt bilden, in welchen das Gebälke eingefügt wurde. In der Richtung gegen die Felswand (l) haben sich gleichfalls beträchtliche Reste eines Prachtbaues, etwa des Thronsaales (e) erhalten. Hundert Säulen, in zehn Reihen aufgestellt, erfüllten das Innere desselben, die acht Eingänge waren der allgemeinen Regel gemäss von symbolischen Thieren bewacht, die Thürpfeiler und die Wände mit Reliefs bedeckt. Ihren Gegenstand bilden eine Audienz bei dem Könige, die Huldigung der Völker und Kämpfe des Fürsten mit Greifen und Löwen. Hinter dem Säulenbaue führen Treppen zu höheren Terrassen, auf welcher sich nach der Meinung Vieler die eigentlichen Palastwohnungen des Xerxes und Artaxerxes befanden. Man erkennt wohl noch Portiken (f, g) und grössere, in Vorhallen, Säle und Kammern gegliederte Räume (h, i, k), doch haben sich dieselben noch schlechter erhalten, als die Bauwerke auf den niederen Terrassen.

§. 21.

Neben Tschil-Minar werden noch andere Denkmäler der persischen Baukunst und Bildnerei genannt und von den Reisenden beschrieben. Auf dem Wege von Ispahan nach Schiraz, nordöstlich von Persepolis, liegt die Ebene von Murghab, gewöhnlich mit Pasargadä identifizirt. Hier stösst man auf zahlreiche Ruinengruppen, auf Plattformen von 600' im Umfange, auf Feueraltäre und zertrümmerte Säulenhallen. Nicht das geringste Interesse erregt das Reliefportrait Cyrus, welches Ker Porter an einem isolirten Marmorpfeiler aufgefunden hat. Der grosse König schreitet mit erhobener Hand gemessenen Schrittes einher, ein reichverbrämtes faltenloses Gewand, mehr assyrisch als persisch in der Form, reicht bis an die Knöchel, vier mächtige Flügel entwachsen seinen Schultern, eine eng anliegende Kappe bedeckt das Hinterhaupt, das Gesicht ist leider so stark zerstört, dass man nur den Umriss und den kurzen buschigen Bart erkennen kann. Ein seltsamer Aufsatz steigt über dem Kopfe empor. Auf einem Hörnerpaare ruhen kleine Kreise, über welchen drei kleine karaffenartige Gefässe angebracht sind. Die Inschrift über dem Bilde lässt über seine Bedeutung keinen Zweifel.

Am Flusse Cyrus trifft man auch die Trümmer eines befestigten Platzes, welcher einen Tempel und Palast einschloss. Eine Säule,[S. 34] mit zusammengefügten Stierleibern als Kapitäl, ähnlich den früher erwähnten zu Tschil-Minar, steht noch aufrecht, andere liegen neben Resten von Umfassungsmauern und Thürpfosten zertrümmert umher. Auch Schiraz bewahrt in der Nähe des Saadigrabes Trümmer aus der Achämenidenzeit. Sie gehören einem kleinen viereckigen Tempel an, dessen Portalwände mit Reliefs reich geschmückt waren.

Schliesslich bleiben noch die Felsskulpturen von Behistun bei Kermanschah zu erwähnen. Semiramis soll hier nach der Erzählung des Diodor einen Park von zwölf Stadien im Umkreise geschaffen und auf dem Felsen ihr Portrait, umgeben von den Bildern ihrer Leibwache, eingehauen haben. Davon ist freilich nichts vorhanden, wohl aber eine historische Scene aus dem Leben des Darius Hystaspis. Er hatte den Aufruhr, der sich seiner Thronbesteigung widersetzte, besiegt, und lässt sich nun die gefangenen Rebellen, die Prätendenten von Susiana, Babylon u. s. w. vorführen. Neun derselben sind durch einen um ihren Nacken gewundenen Strick aneinander gefesselt, der zehnte wird von den Füssen des Königs getreten, über dessen Haupte der Ferwer schwebt. Die artistische Ausführung des Bildes, welches nach Rawlinson aus dem Jahre 516 stammt, ist nicht sonderlich, und gegen die allgemein geschichtliche Bedeutung desselben jedenfalls weit zurückstehend.

§. 22.

Die persischen Grabdenkmäler, welche neben der Palastarchitektur die Kunstthätigkeit der Orientalen am meisten beschäftigten, kommen an drei Punkten vor: in Murghab, bei Tschil-Minar und in Nakschi-Rustam. Ihrer Form nach zerfallen sie in freistehende und Felsengräber. Mit Hülfe der entzifferten Keilinschriften wurde das Bild des Cyrus entdeckt, ihnen verdanken wir auch die Kenntniss seines Grabes. Es liegt in der Ebene von Murghab, umgeben von anderen Baulichkeiten, im Volksmunde unter dem Namen des Grabes der Mutter Salomons bekannt, und erhebt sich auf einer pyramidalaufsteigenden Stufenbasis. Die Form des 8' hohen, 7' breiten und 10' tiefen Grabes ist die eines Giebelhauses, die Anlage desselben dadurch, dass der Giebel aus einem einzigen Felsstücke gearbeitet ist und die Steinblöcke durch die Dicke der Mauer hindurchgehen, der Ewigkeit trotzend. Die einfache Schönheit des Baues, der ruhige Linienzug, die Abwesenheit aller Ornamente fällt nicht wenig auf. Doch steht dieses Beispiel eines organischen Baues[S. 35] keineswegs einzig da; auch die Felsengräber oder vielmehr ihre Façaden zeichnen sich durch den Reichthum der einzelnen Bauglieder und das glückliche Zusammenwirken der letzteren aus. Man kennt bis jetzt drei Felsengräber in der Nähe von Persepolis und vier in dem Berge, welcher bei den Anwohnern den Namen Rustamsbild (Nakschi-Rustam) führt. Da die Anordnung aller Genannten im Wesentlichen übereinstimmt, so genügt die Beschreibung des niedrigsten von Nakschi-Rustam, welches Ker Porter genau untersucht hat.

Fig. 25. Säule in Nakschi-Rustam.

In die Felswand ist eine Façade in der Form eines Kreuzes eingehauen, der obere Arm und die Querarme des letzteren architektonisch behandelt. Vier Halbsäulen, gekrönt von den schon früher beschriebenen Doppelstieren, tragen ein beinahe in griechischer Weise gegliedertes Gebälke (Fig. 25). Auf einen Stufenbau folgt dann ein von zwei Karyatiden eingeschlossenes Reliefbild: Zwei Reihen von Männern, baarhaupt, mit kurz geschürzter Tunika, tragen schreitend auf ihren emporgehaltenen Armen zwei Friese. Ueber denselben steht wie auf einem Katafalke der König im weitfaltigen Gewande vor dem Feueraltare, die eine Hand zum Ferwer emporhaltend, der in der Luft schwebt und mit ausgestrecktem Arme dem Könige die Krone überreicht. Auch die Seitenflächen der vertieften Felswand sind in Felder getheilt und auf diesen links Speerträger, rechts das wehklagende Gefolge des Verstorbenen abgebildet. Das Innere, in welches man mit Gewalt durch die zwischen den Halbsäulen angebrachte Scheinthüre eindrang, ist gewölbeartig ausgehauen und im Hintergrunde mit drei, jetzt leer stehenden Nischen versehen.

Wenn es gestattet ist, von diesen Façaden einen Schluss auf den allgemein in Persien üblichen Baustyl zu schliessen, so haben wir allerdings keine Ursache, zwischen der orientalischen und der europäischen Kunst eine schroffe Kluft zu ziehen, mag auch vorläufig die Ableitung der besonderen Bauglieder aus der assyrischen und persischen Tradition grossen Schwierigkeiten unterliegen.


[S. 36]

3. Die ägyptische Kunst

§. 23.

Mit dem gleichen Rechte, mit welchem die Kultur der Assyrer und Babyloner mit dem vorderasiatischen Doppelstrome verknüpft und darauf hingewiesen wird, dass jene zumeist an der Vernachlässigung des Irrigationssystemes zu Grunde ging, verehrt man auch im Nile die Lebensader der ägyptischen Bildung. Doch darf die dadurch für Aegypten erzielte Kultureinheit nicht unbedingt und ausschliesslich gelten, da die geographische Verschiedenheit zwischen dem marschigen Unterägypten und dem von Felsen enger eingeschlossenen oberägyptischen Thale gleichfalls unter den Kulturbedingungen zählt. Es verhält sich damit ähnlich, wie mit der gerühmten Unveränderlichkeit der ägyptischen Kunstweise. Noch heute wird der Laie Platons Ueberzeugung theilen, dass Jahrtausende keinen Einfluss auf die ägyptische Kunst üben und uralte Werke von den jüngsten in Nichts verschieden sind, und dennoch findet das geübte Kennerauge gewichtige Unterschiede zwischen den einzelnen Kunstwerken, und folgenreiche Wandlungen in der Auffassung und Darstellung im Laufe der vielen Jahrhunderte, in welchen die ägyptische Kunst ihre Thätigkeit entfalten konnte. Die ägyptische Kunst ist weder fertig entstanden, noch in ihrem ursprünglichen Zustande unversehrt bewahrt worden. In Bezug auf ihren Ursprung muss man wieder zur Annahme einer selbstständigen inneren Entwicklung zurückgreifen, nachdem die früher beliebte Hypothese: die Kultur sei mit dem Nile von dem uralten Priesterstaate Meroe nordwärts nach Aegypten gewandert, in den vorhandenen Denkmälern nichts weniger als ihre Bestätigung gefunden hat. Die äthiopische Kunst ist ein spätes Nebenreis der ägyptischen, nicht über das 7. Jahrhundert v. Chr. hinausreichend. Als ein solches Nebenreis wird von Vielen auch die griechische Kunst betrachtet, oder wenigstens die Vererbung wichtiger Bautheile an die Griechen behauptet. In dem enggezogenen Kreise der Denkmälerkunde kann man aber diesen Zusammenhang nicht beweisen. Den angeblichen Vorbildern der griechischen Architektur, z. B. der sogen. protodorischen Säule Champollions, fehlen entweder wesentliche Theile, oder sie können nur durch gewaltsame Willkür auf die griechische Form gebracht werden. Durch die Abweisung der Meroehypothese ist allerdings für die Er[S. 37]kenntniss des positiven Ursprunges nicht viel gewonnen. Beinahe viertausend Jahre v. Chr. reichen unsere Nachrichten zurück, am Anfange dieser Periode, in welchen auch die Erbauung der früher erwähnten Pyramiden fällt, sind aber schon die meisten Architekturtheile ausgebildet, die Bildnerei und Malerei erfolgreich gepflegt. Für die folgenden Zeitalter bis zur Ptolemäerherrschaft lassen sich dann mannigfache Veränderungen im Kunststyle nachweisen. Sie werden oft durch äussere Veranlassungen hervorgerufen, so z. B. wenn die Frauen in der Kunst des alten Reiches einen gelblichen, seit der 18. Dynastie aber einen röthlichen, den Aethiopern eigenen Fleischton erhalten. Dieser Farbenwechsel hat seinen Grund in der Raçenmischung zur Zeit der fünfhundertjährigen Hyksosherrschaft. Innere, im Wesen der ägyptischen Kunst gelegene Gründe veranlassten dagegen die dreimalige Aenderung des Kanons der Körperverhältnisse in der Skulptur. Auch die Technik der letzteren Kunstgattung blieb sich nicht stets gleich. Während die ältesten Skulpturen im flachen, bemalten Relief dargestellt sind, kommt seit Ramses II. (19. Dynastie) ein vertieftes Relief, so dass selbst die höchsten Contouren noch innerhalb der Wandflächen zu liegen kommen, auf, bis dann wieder seit der 26. Dynastie das flache Relief in den Vordergrund tritt. An die 26. Dynastie, die letzte vor dem persischen Einfalle, knüpft sich überhaupt der Beginn des Kunstverfalles. Es schwindet die freiere Zeichnung, die einfache aber kräftige Wirkung der Skulpturen; das dekorative Element entfaltet zwar gegen früher einen grösseren Reichthum, ohne aber die gesteigerte Einförmigkeit der Darstellung zu verhindern. Dem an der Skulptur und Malerei bemerkten Zuge nach Veränderung folgte gewiss auch die Architektur. Viele halten die Grottenbauten, besonders Nubiens, für älter, als die freien Tempelanlagen, in welchen sie die ersteren nachgebildet und weiter entwickelt gewahren. Gegen diese Annahme wurden aber so gewichtige Gründe vorgebracht, dass sie schon gegenwärtig als veraltet zur Seite gelegt werden kann, zumal häufig Eigenthümlichkeiten des Kultus dafür einzustehen haben, was in unserer Unkenntniss als Stylentwicklung genommen wird. Im Wechsel der Bauverhältnisse, entsprechend den Veränderungen im plastischen Kanon, in der gesteigerten oder geschwächten Wirkung einzelner Bauglieder wird hier wie überall die hauptsächlichste Entwicklung zu suchen sein. Leider fehlen darüber zur Zeit noch genauere Untersuchungen.

[S. 38]

§. 24.

Vom Nildelta bis tief nach Nubien erstrecken sich in beinahe ununterbrochener Folge, bald hart an den Nilstrom gerückt, bald weiter von demselben entfernt, die ägyptischen Denkmäler.[14] Jene von Unterägypten haben sich aber in viel schlechterem Zustande erhalten als die südlicheren, so dass unsere Denkmälerkunde thatsächlich auf Oberägypten beschränkt ist. Nach Heliopolis (On) richtet sich gewöhnlich der erste Ausflug der Reisenden, um den ältesten uns erhaltenen Obelisk (2300 v. Chr.) zu bewundern. Es folgen dann am linken Nilufer die Pyramidenfelder, und gegenüber der zweiten Pyramide (Chafra oder Chephren) der berühmte Riesensphinx. Eine Backsteinmauer schloss ihn ein, er selbst ist ein natürlicher Felsen, von kunstfertiger Hand zum Königsbilde umgeschaffen. Wo der Meissel nicht ausreichte, half man mit Mauerwerk nach, um die Löcher des Felsens zu schliessen und die Körperformen schärfer wiederzugeben. Zwischen seinen Tatzen stand ein kleiner Tempel, dessen Hinterwand eine elf Fuss hohe Granitstele aus der Zeit Thutmosis IV. (18. Dynastie) bildete. Den wichtigsten kunstgeschichtlichen Fund macht die Todtenstadt am Fusse der Pyramiden aus, von welcher Lepsius 82 Gräber verzeichnet und 45 nach ihren Inhabern bestimmt hat. Sie sind den Pyramiden gleichzeitig und gehören den Verwandten und Dienern der Pyramidenbauer an, so z. B. ein 70' langes, 45' breites und 15' hohes Grabgebäude, aus massiven Quadern mit schrägen Mauerflächen aufgeführt, mit ausgesparter Grabkammer und 60' tiefen Felsenschachten, einem Sohne des Cheops: Merhet, dem Intendanten aller Bauten des Königs.

Vom uralten Memphis am Eingange in das engere Nilthal haben sich mit Ausnahme des halbverschütteten Kolosses Ramses-Sesostris nur formlose Trümmer erhalten; dagegen konnte der Grundriss des Labyrinthes bei Arsinoe von der preussischen Commission mit grosser Deutlichkeit aufgedeckt werden. Drei mächtige Gebäude[S. 39]massen umschliessen einen viereckigen Raum, an dessen vierte Seite sich eine Pyramide anlegt. Zur Zeit des alten Reiches angelegt, erfuhr das Labyrinth unter der 26. Dynastie einen durchgreifenden Umbau, auf dessen Beschaffenheit sich die im Ganzen wichtige Beschreibung Herodots bezieht.

Mittelägypten ist durch die reiche Fülle von Denkmälern aus dem alten Reiche (vor der Hyksoszeit) berühmt. In die 6. Dynastie führen uns die Felsengräber von Zaouiet el-Meïtin, 19 an der Zahl, und jene bei Siut; der Blüthezeit des alten Reiches, der 12. Dynastie, gehören die grossartigen Grotten bei Beni Hassan, die Todtenstadt des nun von der Erde verschwundenen Nus, andere bei Berscheh, hinter Siut u. s. w. an. Alle Tempel- und Stadtruinen, die sich hier zu beiden Seiten des Nil vorfinden, anzuführen, wäre zu weitläufig, und verweisen wir desshalb auf den Ruinenkatalog bei Wilkinson. Bloss Abydus mit dem sogen. Memnonpalaste und dem Osiristempel aus der Zeit Ramses II. und Denderah mit dem zwar jungen, aber nächst dem Tempel zu Edfu besterhaltenen Hathortempel heben wir aus der Reihe der mittelägyptischen Monumente hervor.

§. 25.

Bei Theben, dem Hauptsitze der ägyptischen Kunstbildung, besonders aus der Zeit der 18. und 19. Dynastie, erweitert sich das Nilthal, auf der Ostseite Raum gewährend zu einer mächtigen Stadtanlage. Hier breitete sich die eigentliche Stadt Theben aus, das linke Ufer, viel enger vom libyschen Gebirge begrenzt, diente vorzugsweise als Todtenstadt. Wie bereits zu Strabo's Zeiten sind an die Stelle der hundertthorigen Stadt vier isolirte Dörfer getreten, nach deren Namen die Monumente gewöhnlich bestimmt werden. Es sind dies: Karnak und Luqsor am rechten, und Qurna und Medînet-Habu am linken Nilufer. In Karnak zieht zuerst der dem Ammon-Ra geweihte Reichs-Tempel die Aufmerksamkeit auf sich. Im dritten Jahrtausend v. Chr. gegründet, nach der Wiederkehr heimischer Herrschaft im 17. Jahrhundert erneuert und von allen folgenden Herrschern glänzend bedacht, verdankt derselbe seinen Hauptruhm der riesigen Säulenhalle, welche Sethos I. dem Tempel vorbaute. Hundertvierunddreissig Säulen, die mittleren 36' im Umfange, 66' in der Höhe, die übrigen 27' im Umfange und 40' Höhe messend, stützen das steinerne Dach, welches einen Raum von 164' Tiefe und 320' Breite, also etwa den gleichen Raum, wie ihn nur die[S. 40] grössten Dome des Mittelalters aufweisen, bedeckt. Die ganze Tempelanlage, alle Nebenbauten mitgerechnet — und ein ägyptischer Tempel besteht eigentlich nur aus einem Nebeneinanderbau — mag sich wohl über eine Fläche von 2000' im Gevierte erstrecken. Viel kleiner in den Dimensionen, aber in seiner Anordnung ein gutes Bild ägyptischer Tempelbauten gewährend, ist der südlicher gelegene Tempel des Chensu aus dem 15. Jahrhundert (Fig. 26). Durch Sphinxreihen und Kolonnaden stand das Heiligthum in Karnak mit den Tempelbauten zu Luqsor in Verbindung, welche gleichfalls der 18. Dynastie ihren Ursprung verdanken.

Fig. 26. Tempel des Chensu in Karnak.
Fig. 27. Tempel von Qurna.

Das linke Nilufer besitzt vor der Nekropole noch eine Stadt der Lebendigen, welche sowohl an Zahl der Bauten, wie in der Pracht der Anlage mit dem gegenüberliegenden Stadttheile wetteifert. Gleich aus dem Beginne des Reiches finden wir hier, theilweise in den Felsen eingehauen, den Tempel der Königin Numt-Amen. Das Heiligthum selbst lag im Felsen, vor demselben durch Treppen mit einander verbunden drei Vorhöfe; eine Sphinxallee führte von diesen an den Fluss und in gerader Richtung auf den Reichs-Tempel in Karnak. Die folgenden Dynastien bauten näher am Flusse, im Thale selbst. Wieder vom Norden nach Süden wandelnd, stossen wir zuerst auf den sogen. Tempel von Qurna (Fig. 27), von Sethos I. und dessen Sohne Ramses II. erbaut. Er unterscheidet sich auffallend von den anderen Tempelanlagen durch die offene Säulenfaçade und seine geringe Tiefe bei beträchtlicher Breite. Etwas südlicher zwischen unförmlichen Trümmerhaufen liegt dann der grosse Tempel Ramses II., nach der einstimmigen Aussage aller Reisenden den schönsten Anlagen Aegyptens beizu[S. 41]zählen, besser unter dem Namen des Grabmales des Osymandyas bekannt. Hinter der geschlossenen Façade ziehen sich zuerst unbedeckte, dann bedeckte und von Säulen getragene Hallen hin, durch welche man zu zahlreichen kleineren Kammern und Heiligthümern gelangt. Vom Tempel des Amenophis III., in der Nähe von Medînet-Habu, haben sich nur die beiden Kolosse erhalten, welche einst den Eingang zum Tempel bewachten. Der nördliche derselben — sie mögen wohl ursprünglich 60' gemessen haben — ist als Memnonssäule durch die Sage von dem klingenden Grusse, den Memnon allmorgendlich seiner Mutter Aurora darbringt, berühmt geworden. Den südlichen Abschluss erhält Theben an dieser Seite des Niles durch den Tempel Ramses III., dessen isolirter, thurmartiger Vorbau die Wohngemächer des Königs enthielt und den Namen des Pavillons von Medînet-Habu führt. Wir steigen jetzt zur Stadt der Todten in das Gebirge empor.

Fig. 28. Felsgrab des Merenptah in Theben.

Nur wenige Gräber reichen in die Periode des alten Reiches zurück, die meisten, jenseits Qurna im Asasifthale gelegen, fallen in das neue Reich. Die meisten Könige der 19. und 20. Dynastie, ihre Verwandten und Diener haben hier ihr Grab gewählt. Als die Tiefe der Felswände keinen Raum mehr bot, musste die steinigte Ebene vor denselben den Raum zum Begräbnisse leihen. So geschah es von der 26. Dynastie (700 v. Chr.) an. Ueber die Anlage der Königsgräber, die architektonisch unbedeutend, durch die Fülle und die Schönheit ihrer Wandmalereien glänzen, belehrt die nebenstehende Zeichnung (Fig. 28). Lange, schmale Gänge, mehr oder weniger steil und winklig angelegt, oft durch Treppen mit einander verbunden, führen in einen grösseren gewölbten Pfeilersaal, in dessen Mitte der königliche Sarkophag stand. Seitenkammern wurden nach rechts und links in den Felsen gebrochen, die er[S. 42]wähnte Gliederung des Raumes in Corridors und Säle oft wiederholt. Die jüngeren Gräber waren nur theilweise in den Felsen gehauen und zeichneten sich durch die grössere Zahl und Ausdehnung ihrer Vorbauten aus. Die Grundfläche einzelner solcher Gräber ist auf 23,148 ⎕ Fuss, die Länge einzelner Königsgräber von 40–440 rh. Fuss berechnet worden.

§. 26.

Jenseits Theben setzt sich die Monumentenreihe ununterbrochen fort. An Hermonthis und Esneh vorüber berühren wir Edfu mit dem prachtvollen Tempel des Horus und der Hathor, und an den Katarakten die Monumente von Philae und Elephantine. Sie stammen aus junger Zeit, wie die meisten nubischen Monumente; nur sind die letzteren von den Ptolemäern und römischen Kaisern nicht neu gebaut, sondern auf Grundlage alter pharaonischer Reste wieder hergestellt worden. In Gerf Hussên (fälschlich Girscheh genannt) beginnt ein von der gewöhnlichen Weise abweichender Tempelbau. Es ist der Tempel theilweise in den Felsen gehauen und nur der Vorbau aus Werkstücken gearbeitet. Den Pfeilern, welche die Decke der inneren Hallen tragen, treten, Karyatiden verwandt, mehr durch ihre Grösse als durch ihre Schönheit bedeutende Statuen vor. Eine gleiche Anordnung zeigt der Tempel zu Sebua, gleich dem oben genannten vom grossen Ramses gegründet. Vollständige Grottenbauten sind nebst dem Tempel zu Derri die zwei 1816 von Belzoni entdeckten Tempel von Abu Simbel, an den Katarakten von Wadi Halfa, nach ihrem Gründer auch Ramessopolis genannt. Die Façade des grösseren Tempels, durch einen schrägen Rahmen von dem Felsen geschieden, wird durch vier sitzende Kolosse ausgefüllt. Aehnliche Kolosse stehen auch mit gekreuzten Armen vor den Pfeilern in der Vorhalle, hinter welcher noch vierzehn Kammern in gerader und schräger Richtung in den Felsen getrieben sind. Von den Pyramiden und Tempelbauten auf dem Boden des alten Meroe (Assur, Naga, Merawe) wurde schon oben bemerkt, dass sie nicht der ältesten, sondern der jüngsten Zeit des ägyptischen Reiches angehören und wie der vermeintlichen geschichtlichen, so auch der kunsthistorischen Bedeutung entbehren. Aegyptens Macht hat sich bekanntlich zeitweise auch nach Asien erstreckt. Es lag im Charakter der ägyptischen Eroberer, ihre Züge durch Monumente zu verherrlichen. Doch sind die bis jetzt auf asiatischem Boden entdeckten[S. 43] Gedächtnissmale meist nur durch ihre Inschriften dem Forscher merkwürdig. Artistische Bedeutung besitzen unter denselben die Basreliefs, die Ramses-Sesostris bei Lycus in den Felsen eingraben liess.

§. 27.

Bei der Erwähnung der Pyramiden wurde bereits das eigenthümliche Bauprinzip der Aegypter: das krystallinische Wachsen der Bauten durch den Ansatz gleichartiger Theile, berührt. Um die erste Pyramidenschale, welche die Grabkammer barg, legte der König, je nach der Länge seiner Regierung, neue Steinschichten herum, so dass gewissermassen die Zahl der Steinmäntel Jahresringe vertritt. Ganz die gleiche Bauweise kommt auch bei den Felsengräbern vor. Je länger der Inhaber des Grabes lebte, desto mehr häufte sich die Zahl der Korridore und Pfeilersäle. Es ist zwar kein Mantelbau, wie bei den Pyramiden, vorhanden, aber dennoch die Erweiterung auch durch die Reproduktion der ursprünglichen Anlage gewonnen. Ein ähnliches Verhältniss findet schliesslich auch bei den Tempelbauten statt. Wir haben keine Baueinheit, kein geschlossenes Tempelhaus vor uns, bei welchem die einzelnen Theile nur als organische Glieder eines Leibes an ihm und nicht neben ihm auftreten, sondern ein System von Nebenbauten, gleichgültig aneinander gerückt und zu jeder beliebigen Erweiterung gefügig. Dazu kommt noch, dass das eigentliche Heiligthum, die Cella, vor der Grösse und Pracht ihrer Umgebung nahezu verschwindet, und ähnlich dem Kultus selbst, in ein dunkles Geheimniss sich hüllt. Rings um die Cella lagern sich zahlreiche Kammern, ihr voran gehen bedeckte und unbedeckte Hallen, und je weiter vom Heiligthume entfernt, desto gewaltiger und umfangreicher werden die Bauten. Keine geringe Belehrung gewährt in dieser Hinsicht die von Lepsius entzifferte Baugeschichte des Reichs-Tempels zu Theben. Der eine König umgab die Cella mit Kammern und legte ihr einen Hof vor, der andere vergrösserte diesen Bau durch die Anfügung einer Säulenhalle und neuer Kammern. Ein dritter (Sethos I.) setzte die riesige Säulenhalle an die bereits vorhandenen Vorbauten an, und diesem Hypostylos wurde nochmals ein offener von Säulen eingeschlossener Raum wieder vorgelegt. Konnten die Neubauten nicht mehr in der Achse der Cella angeschoben werden, so wurde die Fläche zwischen dem Tempel und den äusseren Umfassungsmauern mit architektonischen Anlagen erfüllt. Diese Vergrösserung der[S. 44] ägyptischen Tempel nach aussen, im Gegensatz zu der allmähligen Vertiefung der Gräber nach innen, wird bei der Mehrzahl derselben angetroffen.

Die Erklärung dieser unorganischen Bauweise muss man in dem ägyptischen Gottesdienste aufsuchen. Schon das Wenige, was wir von dem letzteren wissen, verhilft zum besseren Verständniss einzelner Bautheile. Auf die Prozession waren die endlosen, von Sphinxen begrenzten und von Thurmbauten — Triumphpforten vergleichbar — unterbrochenen Tempelstrassen berechnet, ebenso wie der majestätische Vorbau mit seinem farbigen Flaggenschmucke und instruktivem Bilderreichthume. Ja selbst noch in den Vorhallen setzt sich die Andeutung der Tempelstrasse fort. Die mittleren Säulen (Fig. 26, c) sind häufig erhöht und bei den vielsäuligen Räumen, die zu einer Reihe gehörigen Säulen stets mit gleichem Schmucke bedacht.

Fig. 29. Pylonenbau.

Die besondere Anordnung einer ägyptischen Tempelanlage war in der Regel folgende: Hatte man die äussere gepflasterte Tempelstrasse durchschritten, so kam man zu dem Pylonenbau (Fig. 26, a und Fig. 29). Zwei im Grundrisse rechteckig, im Aufrisse als gestutzte Pyramiden gebildete Thürme, oben mit einer tiefen Kehle und Platte bekrönt, schliessen die mit dem gleichen Gesimse geschlossene Thüre ein. Den Mangel an architektonischem Schmucke (nur die Ecken sind mit Stäbchen eingefasst) ersetzt das farbige Bildwerk, womit die Mauern bis zum Gesimse bedeckt sind. Obelisken und Kolosse stehen vor den Pylonen, Flaggenstangen waren an denselben befestigt. Dem Pylonenbaue folgen zuerst unbedeckte, von einem Säulengange umschlossene (Fig. 26, b), dann bedeckte vielsäulige Räume. Die Hallen verengen und verkleinern sich, bis man zu dem kleinen unbeleuchteten Heiligthume (d) gelangt, welches in einzelnen Fällen aus dem Felsen gehauen ist. Neben und hinter der Cella setzen sich die Nebenräume fort. Nur spätere und kleinere Tempel weichen von dieser reich zusammengesetzten Anordnung ab, so z. B. die sogen. Typhonien oder Mammisi, die Geburtsstätten der Götter bei Elephantine, Philae, Edfu,[S. 45] Tentyrah u. s. w. Sie sind von Säulen umschlossen und ohne alle Böschung oder Abschrägung erbaut. Dadurch, dass die Säulen durch Zwischenmauern verbunden sind und an den Ecken Mauerpfeiler vortreten, geht der Eindruck des von Säulen getragenen Hauses wieder verloren.

§. 28.
Fig. 30. Säulenformen.

Von den einzelnen Baugliedern verdient die Säule die ausführlichste Betrachtung. Ihr Gebrauch in Aegypten ist ebenso ausgedehnt, als ihre Formen mannigfach. Gewöhnlich ist die Säule durch eine kreisrunde Scheibe mit dem Boden verknüpft. Der cylindrische, bereits an der Basis geschwellte Stamm ist bald glatt, bald gefurcht (Fig. 30, c) und mit horizontalen Bändern versehen. In der Regel bedecken ihn auch Hieroglyphen und Bildwerk. Noch mannigfacher als der Schmuck des Stammes ist die Form des Kapitäls. Bald ruht auf dem Stamme eine einfache viereckige Platte (Beni Hassan), bald steigt das Kapitäl als weit ausladender Blumenkelch (Fig. 30, a) aus dem Stamme empor. Eine minder organische Form zeigt Fig. 30, b, wo das unten ausladende Kapitäl nach oben wieder eingezogen erscheint. Eine vierte Variation bildet das Maskenkapitäl. Die vier Seiten eines Würfels sind zu Köpfen ausgearbeitet, über welchen sich noch eine kleine Tempelarchitektur erhebt (Tentyrah). Wenn auch Einzelnheiten an den Säulen, wie z. B. die Kannelirung des Schaftes (c), an griechische Formen erinnert, so liegt dennoch kein Grund zur Annahme einer unmittelbaren Ableitung der letzteren aus den ägyptischen Säulen vor. Die Motive für die Form und die Dekoration sind einheimischen Pflanzen entlehnt, ob der vielgenannten Lotosblume, haben neuere Forschungen wieder fraglich gemacht. Den grössten Schmuck erhielten die Säulen durch ihre Bemalung. Für die Blätter wurde wie natürlich die blaue und grüne, für die dazwischen gestellten Hieroglyphenschilder und den Grund die rothe und gelbe Farbe gewählt.[S. 46] Nächst den Säulen kommen auch viereckige und polygone (Fig. 30, d) Pfeiler, selbstständig und mit vortretenden, aber nicht stützenden Statuen verbunden, vor. Ein schmaler Würfel lagert auf den Kapitälen und verbindet die Säule mit den deckenden Steinbalken. Als Regel kann man wohl die flache Bedeckung der ägyptischen Bauwerke annehmen, doch war auch die Wölbekunst den Aegyptern nicht unbekannt. Die sogen. pelasgische Wölbung, dadurch gebildet, dass die Steine der vertikalen Mauern nach oben immer mehr vortreten, bis sie durch einen einzigen Block geschlossen werden konnten, kommt nicht selten vor; auf eine seltenere Form des Scheingewölbes stösst man im Tempel zu Abydus. Der Steinbalken reicht wie bei der flachen Decke von Pfeiler zu Pfeiler; er liegt aber mit seiner Schmalseite auf und ist in seiner unteren Hälfte zu einem Rundbogen ausgehauen. Solche Scheinwölbungen haben nichts besonderes an sich; wichtiger sind die Entdeckungen eines nach dem Keilschnitte gearbeiteten Ziegel- und Steingewölbes. Das letztere, in den Pyramidengräbern gefunden, reicht in das 6. Jahrhundert v. Chr., die Ziegelbogen aber in der Nekropole zu Theben gehen sogar bis in das Jahr 1540 v. Chr. zurück. Auch das 12' weit gespannte Tonnengewölbe der Nebenhallen am sogen. Grabe des Osymandyas stammt aus der Zeit des grossen Ramses. Man kann immerhin diesen frühen Gebrauch des Bogens und der Wölbung zugeben, nur darf man nicht aus der Erinnerung lassen, dass sich in späteren Zeitaltern auf den Bogen der ganze Baustyl gründet, während diese ägyptischen Bogen auf das Prinzip der heimischen Architektur nicht den geringsten Einfluss genommen haben. Bei Felsbauten lag übrigens die gewölbeartige Rundung der Decke sehr nahe. Auch wo die Felsdecke nicht wie bei dem Grabe in Saqâra mit Steinplatten belegt, durch das Steingewölbe gestützt ist, wird jene häufig in der Form eines flachen Kreissegmentes geführt (Beni Hassan).

§. 29.

Alle Flächen an den ägyptischen Baudenkmalen waren mit Bildern bedeckt, die meisten architektonischen Glieder und die Reliefs farbig dargestellt. Die Rechtfertigung der Polychromie ist gegeben, sobald man den nordischen Luftton und die nordischen Vorurtheile vergisst, und die plastische Technik der Aegypter berücksichtigt. Die tief geschnittenen, nicht scharf sich abhebenden Reliefs verlangten eine Nachhülfe durch die Farbe; diese aber konnte[S. 47] in einem Lande, wo die Luft selbst in Farbengluth strahlt, schon reich und kräftig genug aufgetragen werden, ohne Gefahr, in schreiende Misstöne zu verfallen. Rückten durch die consequente Bemalung der Skulpturen die beiden Gattungen der bildenden Kunst bereits einander nahe, so wird diese Verwandtschaft durch den technischen Vorgang bei der Bildnerei noch erhöht. Nachdem der Künstler die Reliefs in rother Farbe skizzirt hatte, wurden vom Zeichner die Umrisse mit schwarzer Farbe nachgezogen, dann erst kam der eigentliche Bildhauer an die Arbeit. Ein eigenthümlicher plastischer Styl, im Gegensatze zu dem in der Malerei üblichen, hatte kein Dasein.

Gleich den assyrischen Bildtafeln, mit welchen sie auch sonst eine mannigfache Verwandtschaft haben, ziehen die ägyptischen Basreliefs die nächste Aufmerksamkeit durch ihren Inhalt auf sich. Wir lernen in dieser ausführlichsten Chronik der Welt das öffentliche und Privatleben des Volkes kennen, wir begleiten in den Skulpturen zu Karnak das ägyptische Heer nach Asien, wohnen zahlreichen Schlachten, Belagerungen und Einzelkämpfen bei; wir machen an der südlichen Aussenwand des Tempels den Zug des kriegerischen Scheschonk gegen Jerusalem mit, und lernen die Grösse der Pharaonen im Felde, die Pracht ihrer Triumphzüge kennen. Noch mannigfacher ist der Inhalt der Skulpturen und Malereien in den Felsengräbern, bei welchen auch die Form weniger beengt, der individuellen Phantasie ein grösserer Spielraum gegönnt erscheint, als bei den Tempelbildern. Nächst der Schilderung der Zustände nach dem Tode und biographischer Züge aus dem Leben des Verstorbenen haben die Künstler auch allgemein gültige Lebensbilder hier entworfen, und weder Fleiss in der Ausführung noch Laune in den Motiven gespart. Der Glaube an die mürrische Verschlossenheit der alten geknechteten Aegypter weicht im Angesichte der frischen Genrebilder, an welchen besonders die Gräber zu Theben einen grossen Reichthum zeigen. Hier wohnen wir einem leckeren Gastmahle bei und sehen die Wirkungen des reichlich genossenen Weines; dort belauschen wir die Damen in ihrem Gespräche über Kleider und Juwelen. Selbst bei der Darstellung eines Leichenzuges konnte der Künstler den Kitzel sarkastischer Schilderung nicht vermeiden. Bei der Fahrt über den Todtenfluss muss gerade das mit Speisen beladene Boot umschlagen und uns in Ungewissheit lassen, ob die[S. 48] kreischende Klage des Gefolges dem Tode des Freundes oder dem Verluste des Leichenschmauses gilt u. s. w. Die Quelle aller unserer Kenntnisse über die Sitten und Gebräuche der alten Aegypter sind jene Bildwerke, und ihre Darstellung ist so treu, ihre Schilderung so genau und ausführlich, dass wir kaum die Gelegenheit erhalten, den Verlust der übrigen historischen Quellen zu beklagen.

Nicht im Stofflichen allein liegt jedoch das Verdienst der ägyptischen Kunst. Für die hohe Ausbildung des Formensinnes sprechen namentlich die Ornamente. Die Verzierungen der Decke in den Grabkammern, die Formen ihrer Meubel und namentlich der Vasen lassen an Reinheit der Linien, an geschmackvoller Zierlichkeit nichts zu wünschen übrig. Vieles, was wir als ein Eigenthum des griechischen Kunstsinnes zu betrachten gewohnt sind, ist ägyptischen Ursprunges, hier wenigstens viel früher im Gebrauche gewesen, als in Griechenland. Die Führung des Ornamentes in farbigen unter einem rechten Winkel gebrochenen Linien, in Wellen- und Zickzackform, weiter die sinnige Verwendung thierischer Gestalten zur Dekoration der Vasen, als Henkel und Deckel, sind in der ägyptischen Kunst ganz gewöhnlich. Die technische Geschicklichkeit und handwerkmässige Fertigkeit der Aegypter sind berühmt genug, seltener wird aber diese höhere Begabung in der ornamentalen Kunst anerkannt. Daneben fehlt es nicht an Schattenseiten. Von eigentlicher malerischer Wirkung kann bei schattenlosen Silhouetten nicht die Rede sein; die Regel, zuerst den nackten Körper zu zeichnen und darüber erst das Gewand anzulegen, hinderte nothwendig die Entwicklung des Gewandstyles. Dann sind auch die Grenzen des Reliefstyles enge abgesteckt. Er kennt keine Perspektive, und auf seinen ersten Stufen auch keine Gruppen. Wir sehen Reihen neben und hinter einander. Ueber die Vortrefflichkeit der Thierbilder herrscht seit Mad. Staël nur ein Lob, desto fühlbarer sind die Mängel in der Darstellung menschlicher Figuren. Während die Beine in der Profilstellung vorschreiten, ist der Oberkörper in Vollsicht genommen; auch für die Köpfe ist stets das Profil gewählt, nur die Augen davon ausgenommen. An den sitzenden Kolossalstatuen sind gleichfalls die flachen und breiten Füsse, ohne Andeutung einer Artikulation, die hochgestellten Ohren, die anliegenden Arme u. a. auffällig. Weitere Schranken der Kunstentwicklung lagen in der kindischen Anschauung der Herrschergrösse, die auch körperlich ihre Umgebung[S. 49] überragen musste, und in den religiösen Begriffen des Volkes (Fig. 31). Das Ideal menschlicher Schönheit war nicht in den Göttern verkörpert, diese vielmehr durch thierische Symbole charakterisirt, der künstlerischen Darstellung vielfach unfähig.

Fig. 31.

Hier ist auch der Ort, den ägyptischen Kanon der Verhältnisse andeutend vorzuführen. Der Kanon im alten und neuen Reiche nahm den menschlichen Fuss zur Einheit. Die sechsmalige Wiederholung der Einheit gab die Höhe bis zur Stirn, die Mitte der Höhe fällt unter die Scham, die Stellung der übrigen Theile wird durch 18 Verhältnissfelder bestimmt. Vorzugsweise durch die Kürze des Kniees unterscheiden sich nach Lepsius Forschungen der erste vom zweiten Kanon. Der dritte ptolemäische Kanon legt eine andere Eintheilung[S. 50] — 23 Theile bis zur Scheitelhöhe — zu Grunde und bildet den Kopf grösser, die Brust länger, den Nabel höher. Dieser letzte Kanon ist keineswegs ein Fortschritt gegen die frühere Gesetzmässigkeit, und schafft auch nicht richtigere oder schönere Gestalten. Er gab die nationale Grundlage auf, welche offenbar die alten Verhältnissregeln mitbestimmt hat, und setzt an die Stelle des einfach strengen, aber wirksamen Styles, übertriebene und unklare Formen.

In Bezug auf die Farbengebung ist ein ähnlicher Kanon nicht bekannt. Doch gilt auch bei der ägyptischen Malerei, wie bei den ältesten Stufen dieser Kunstgattung überhaupt, der Vorzug der primären Farben (blau, roth, gelb) vor den sekundären.


4. Die Kunst in Vorderasien.

§. 30.

Indem wir die vorderasiatischen Küstenländer von der Mündung des Wadi el Arisch bis an den Pontus Euxinus hinab durchwandern, nähern wir uns merklich dem Schauplatze fast aller späteren Kunstthätigkeit. Es theilen zwar diese Gebiete mit Aegypten die Begrenzung durch das Mittelmeer, doch während das letztere für Aegypten in Wahrheit eine blosse Grenze bleibt, über welche hinaus der ägyptische Einfluss seine Wirksamkeit verliert — die ägyptischen Einflüsse auf die griechische Bildung besitzen keineswegs die ihnen früher eingeräumte Wichtigkeit — sind die vorderasiatischen Länder mit ihrem Dasein auf das Mittelmeer angewiesen. Weit entfernt, ihnen fremd zu stehen, bildet dasselbe vielfach den Boden für ihre Thätigkeit, es wird von ihnen bis an seine westlichen Grenzsteine, die Säulen des Herkules, beschifft, an seiner nördlichen wie südlichen Küste von Vorderasien aus kolonisirt, und hier überall der Keim zu dauernder Civilisation gelegt. Der Name der Phöniker reicht hin, die gegebenen Andeutungen im Geiste zu einem reichen, anschaulichen Bilde zu ergänzen. Die mannigfache Regsamkeit und weitausgreifende Thätigkeit der Anwohner Vorderasiens erschwert aber in bedeutendem Grade die Erkenntniss ihrer Kunstbildung. Als ein wahres Uebergangsvolk, welches Lokalkulturen vermittelt, im[S. 51] mächtigen Handelsverkehre die orientalische Abgeschlossenheit glücklich durchbricht und häufig wechselnder Herrschaft unterworfen ist, überschreitet es auch in seinem Kunstleben die unmittelbaren Landesgrenzen und offenbart eine nicht geringe Geschmeidigkeit der Kunstformen. So lange nicht der Entdeckungseifer unserer Tage den heimisch-phönikischen Boden blossgelegt hat, bilden Bautrümmer im westlichen Becken des Mittelmeeres die wichtigste Quelle unserer Anschauungen von der phönikischen Kunst; ägyptische und assyrische Anklänge sind aus der geographischen Lage und der politischen Stellung Vorderasiens zu den ältesten weltherrschenden Stämmen leicht erklärlich; wir stossen dann auf eine mannigfache Verwandtschaft mit der alten griechischen Kultur, die ja gleichfalls, nur im höheren Sinne, Orientalisches und Occidentales vermittelt, müssen nicht ein blosses Nebeneinandergehen der vorderasiatischen und altgriechischen Anschauungsweise, sondern eine theilweise Verwebung derselben annehmen und finden schliesslich die ausgebildete antike Kunst auf die nächstgelegenen asiatischen Gestade rückwirkend. In den späteren Zeitaltern ist namentlich die kleinasiatische Kunst ein integrirendes Glied der griechischen, sowie Syrien derjenige Punkt, auf welchem die klassische Phantasie ihre letzten Athemzüge aushaucht. Die vielbehandelte Frage über das nichthellenische Element in der griechischen Bildung führte auch eingeschränkt auf die Untersuchung eines möglichen phönikischen Einflusses bis jetzt zu keinem ergiebigen Resultate.

§. 31.

Im Gegensatze zu der früher giltigen Meinung von der ausgedehnten künstlerischen Wirksamkeit der Phöniker,[15] auf welche man altgriechische Vasenbilder, Thonfiguren u. s. w. bereitwillig zurückführte, gilt gegenwärtig die Ansicht, dass die vorwiegende praktische Thätigkeit und industrielle Betriebsamkeit dieses weitblickenden Volkes einen fein entwickelten Kunstsinn nicht zuliess. Es scheint die Natur des herrschenden religiösen Kultus die freie bildnerische Kraft, die von der Anerkennung der Schönheit der reinen Menschengestalt ausgeht, gelähmt und gerade die gerühmte [S. 52]technische Fertigkeit der Phöniker im Giessen, Schmelzen und Wirken es bedingt zu haben, dass die ausgebildetere phönikische Baukunst nicht den Weg einer organischen Entwicklung nahm, sondern in den Dienst einer höher gestellten Kultur gerufen, die ursprüngliche Formlosigkeit durch eine glänzende Dekoration: Erzplatten, Teppiche u. s. w. verhüllte. Die Betrachtung einzelner Baudenkmäler, welchen man gegenwärtig, wenn auch nicht ohne Widerspruch, einen phönikischen Ursprung zuschreibt, bringt uns auf die einfachsten Anfänge der Kunstthätigkeit zurück. Hierher gehören die zahlreichen kegelförmig verjüngten Rundthürme, etwa 40' hoch, mit scheingewölbten Kammern im Innern versehen und mit einer Plattform geschlossen auf Sardinien und den Balearen, dort Nuraghen, hier Talayots genannt, und für Feuertempel ausgegeben. Verwandter Natur sind die Thürme zu Marathos im phönikischen Heimathlande, monolithe oben zugerundete oder spitz auslaufende Kegel, phallusähnlich, welche auf einem abgestuften Untersatze ruhen und über unterirdischen Grabkammern sich erheben. Auch die Gigantengräber in Sardinien und den keltischen Dolmen entsprechende Anlagen in Nordafrika, auf ehemals karthagischem Gebiete, haben die ursprüngliche Formlosigkeit nicht überwunden. Bei späteren Grabdenkmälern auf Rhodus, Cypern, in Algerien und auf karthagischem Gebiete (Grab des Thugga) zeigt sich der griechische Einfluss vorherrschend wirksam. Die Tempelreste auf der Insel Gozzo (Gaulos) und Malta werden ebenfalls auf die Phöniker zurückgeführt. Die sogen. Giganteia auf Gozzo umfasst zwei dicht aneinander stossende Anlagen, von cyclopischem Mauerwerke eingeschlossen, und jeden einzelnen Tempel wieder in mehrere Haupträume gegliedert. Eine elliptische Thürschwelle führt bei dem der Astarte wahrscheinlich geweihten Tempel in den vorderen Hofraum, welcher elliptisch wie die Schwelle gestaltet, durch einen schmalen Durchgang mit dem hinteren gleichförmigen nur grösseren Hofe verbunden ist. Im Hintergrunde, in der Axenrichtung des Tempels, bemerkt man wieder einen im Halbkreise gezeichneten erhöhten Raum, so dass die ganze Anlage einem Doppelkreuze mit zugerundeten Armen ähnlich erscheint. Durch Stufen, Gitter und Schranken werden die in die Seitenrundungen verlegten Heiligthümer von dem Durchgangsraume abgesondert, Trümmer von Altären, Opfertischen, Taubenbehältern u. s. w. deuten auf einen reichen, ausgebildeten Gottesdienst hin, doch bleibt auch hier die architek[S. 53]tonische Gliederung ärmlich, der künstlerische Schmuck auf die spiralförmigen Ornamente an einzelnen Steinen beschränkt. Der nächstgelegene, viel kleinere Tempel, auch darin von dem Astartetempel unterschieden, dass hier der hintere Hofraum dem vorderen an Grösse weit nachsteht, sowie der Hadjar-Chem auf Malta haben eine verwandte Beschaffenheit, und bilden ebenfalls eine Summe elliptischer, rundlicher Räume. Vom paphischen Tempel auf Cypern haben sich so viele Spuren erhalten, dass man wenigstens den Grundriss ahnen kann: Zwei Höfe von beinahe gleicher Grösse, der vordere von Säulen umstellt, umspannen eine 150 Schritte lange, 100 Schritte breite Fläche. Seitwärts im zweiten Hofe ist die Cella für das kegelförmige Idol angebracht, deren architektonische Gestalt, nach erhaltenen Münztypen zu urtheilen, durch einen erhöhten Mittelbau und niedrige, von Säulen getragene Seitenhallen bestimmt wurde. Der Tempelhof zu Marathos, der Insel Arados gegenüber, erscheint aus dem lebendigen Felsen gehauen, welcher nur in der Mitte des Hofes zur Herstellung eines Götterthrones stehen blieb. Ob die verschiedenen Götter verschiedene Kultusanlagen erforderten, etwa die offenen bald runden, bald viereckigen Hofräume, von erhöhten Schaubühnen eingefasst, mit einem kleinen bedeckten Heiligthume im Hintergrunde dem Astartedienste angehörten, der Molochdienst pyramidale Feuerstätten verlangte, bleibt unentschieden; gewisser ist die Uebereinstimmung der philistäischen Tempel (Askalon, Gaza) mit den beschriebenen phönikischen Anlagen. Die Säulen einer solchen Emporbühne, wie sie zu Paphos, Tarsos bemerkt wurde, waren es, welche Simson im Dagontempel zu Gaza zum Falle brachte, und so die versammelte Menge begrub.

Die bildende Kunst der Phöniker, für uns durch aufgefundene sardische und afrikanische (Algerien) Idole vertreten, scheint die primitiven Kunstanfänge so wenig überschritten zu haben, als die Architektur. Alles deutet darauf hin, dass die allen künstlerisch halbentwickelten Völkern eigenthümliche Tendenz, die Göttergestalten nicht durch Formenschönheit, sondern durch einen grellen schreckhaften Ausdruck wirken zu lassen, auch von den Phönikern verfolgt wurde. Die einzelnen Götter werden durch äussere Attribute (Gabelstock, Hörner, Sicheln) unterschieden, durch Vervielfachung der Köpfe, unförmliche Symbole aber arg entstellt, die Körperformen in[S. 54] rohester Weise angedeutet. Die Beine sind wenig geöffnet, die Verhältnisse der Gliedmassen verzerrt, die Stelle des Kopfes häufig durch einen unförmlichen Klotz vertreten, in dessen Mitte ein Dreieck als Nase hervorragt. Die auf Cypern gefundenen Venusidole, durchgängig von den sardischen u. a. unterschieden, haben keineswegs einen phönikischen, sondern altgriechischen Ursprung.

§. 32.

Die vollkommene Dunkelheit, welche bis auf unsere Tage über die altjüdische Kunst herrschte, behaupten neueste französische Reisende glücklich durchbrochen zu haben. Sie haben nicht etwa das traditionelle, sondern das wahrhaftige Grab Absalons und Davids — die Ruinen von Sodoma u. a. erblickt und einen förmlichen altjüdischen Kunststyl entdeckt. Doch wurden gegen die Richtigkeit dieser Behauptungen so zahlreiche und gewichtige Bedenken vorgebracht, die Treue der Reisenden so schwer angeschuldigt, dass es vorläufig rathsam erscheint, die alte, bescheidene Unwissenheit festzuhalten. Die Sitte, die Todten in Felshöhlen zu begraben, wurde seit uralter Zeit ununterbrochen geübt, und in dieser Beziehung die Tradition bis zum Falle Jerusalems unverbrüchlich gewahrt. Desshalb aber die Nekropole im Thale Josaphat, die Gräber am Oelberge und die sogen. Königsgräber vor dem Damaskusthore im Alter weit bis auf Davids u. A. Zeitalter zurückzusetzen, liegt um so weniger ein Grund vor, als der architektonische Styl unzweifelhaft auf die Zeit des Herodes und der Römer hindeutet. Im Thale Josaphat ist derselbe gemischte ägyptisch-griechische Styl heimisch, welcher auch an den arabischen Felsmonumenten zu Wady Musa bemerkt wird, und am Beginne unserer Zeitrechnung in den orientalischen Provinzen des römischen Reiches aufkommt. Ein Grab erinnert durch seine Pylonenform und die charakteristische starke Hohlkehle als Bekrönung an die Pyramidengräber zu Gizeh; anderwärts steigt über dem griechisch gegliederten monolithen Denkmale noch eine vierseitige Pyramide empor; die Prophetengräber (das Labyrinth) zeigen eine rundgewölbte Vorhalle, von welcher aus gleichfalls gewölbte Gänge zu den Grabkammern und Nischen führen. Bei den Gräbern vor dem Damaskusthore betritt man zuerst zwei viereckige Höfe, an deren Ende ein reiches Portal in verderbt griechischer Form zu den Grabkammern leitet.

Es bleibt demnach noch immer der salomonische Tempel auf[S. 55] dem Berge Moriah[16] als das Hauptdenkmal der altjüdischen Kunst bestehen. Nur von dem Grundbaue, der zur Erweiterung der Bodenfläche angelegt wurde, sind einzelne Reste auf uns gekommen; in Bezug auf die Beschaffenheit und den Styl des Oberbaues bleiben wir auf die wenigen dunkeln Nachrichten beschränkt, welche die biblischen Schriftsteller aufgezeichnet haben. Bei dieser schwankenden Grundlage blieb es den Alterthumsforschern vorbehalten, je nach ihrer persönlichen Neigung den salomonischen Tempel, zu welchem König Hiram von Tyrus nicht allein Cypressen und Cedern vom Libanon, sondern auch den verständigen Künstler Hiram Abif gesendet hatte, bald in ägyptische, bald in assyrische u. a. Formen zu kleiden. Auch hier traten dem Tempel zwei geschlossene Vorhöfe vor; der innere war für die Priester bestimmt und enthielt nebst den bekannten zwei freistehenden Säulen: Jachin und Boas, das eherne Meer (Wasserbecken) und den grossen Brandopferaltar. Der Tempelbau selbst zerfiel in die Vorhalle, den heiligen Vorraum und das Allerheiligste; um die beiden letztgenannten Theile lief ein dreistöckiger Anbau herum. Die Maasse werden für die Vorhalle: 10 Ellen Tiefe (120 Ellen Höhe?), für den Mittelraum: 40 Ellen Tiefe und 30 Ellen Höhe, für das Allerheiligste: das Kubikmaass von 20 Ellen bestimmt. Der Bau war in Quadern ausgeführt, im Innern mit Holz verkleidet und mit Goldblech überzogen, jedenfalls also durch den schwerwiegenden Glanz des Materiales und die Pracht des Schmuckes ausgezeichneter, als durch eine feine architektonische Gliederung oder eine massenhafte Grösse der Anlage, weiter aber den phönikischen Tempeln, wie die Vorhöfe, die den höheren Mittelbau umgebenden Seitenflügel (vergl. Paphos) andeuten, verwandter als jeder anderen Baugattung.

§. 33.

Aehnlich wie in Syrien am Nahr-el-Kelb, so bemerkt man auch in Kleinasien[17] monumentale Reste einer uralten Bildung, welche durch die Berührung mit den weltherrschenden Stämmen des [S. 56]Orientes eine besondere, später fast spurlos abgewaschene Färbung erhielt. Vieles erinnert an die Weise und Form, welche wir dem höchsten europäischen Alterthume eigenthümlich annehmen; wir treffen nicht allein die aus gewaltigen polygonen Steinblöcken errichteten Mauern (Cyclopenmauern) hier an; auch Bauglieder, welche später in der griechischen Kunst eine hervorragende Rolle spielen, wie die ionischen Voluten über dem Säulenstamme, scheinen hier heimisch zu sein. Dazu tritt z. B. in der aus einem Steine gehauenen Thorwölbung ein ägyptisirendes Element, in den an den Portalen vortretenden Löwenbildern ein Anklang an die assyrische Kunst. Die Felsreliefs, welche sich in der Nähe der ausgedehnten Bautrümmer (Boghaz-Keui und Euyuk im alten Galatien) an den Wänden eines offengelegten Felsraumes (Yasili-Kaia) befinden, sprechen gleichfalls für eine selbständige asiatische Kunstübung, für eine mannigfachen Wurzeln entstammende, wahrhaft geschichtliche Bildung.

Eine interessante Denkmalgruppe bilden die zahlreichen kleinasiatischen Gräber, namentlich in Phrygien und Lycien. Zwischen den gewaltigen, aber unförmlichen Grabhügeln, welche besonders in Lycien häufig vorkommen, und der später hier reich gepflegten griechischen Kunst, nehmen dieselben eine mittlere Stellung ein. Wo sie auch bereits die griechischen Einflüsse verrathen, wie im Giebelbau, bleiben dennoch mannigfache Spuren streng lokaler Kunstbildung aufrecht. Die Architektur hat sich noch nicht völlig von der heimischen Tradition losgelöst, während die Skulptur (Xanthus) mit den gleichzeitigen griechischen Werken wetteifert. Selbst im Kreise der Architektur sieht man Aelteres und Neueres friedfertig miteinander gehen, cyclopisches und regelmässiges Quadermauerwerk zusammenhängend verbunden (Cadyanda).

Die Gräber in Lycien sind bald freie Bauten, mit einem Pfeiler obeliskenartig gekrönt, oder als Tempel auf hohem Unterbaue mit geschweiftem Dache gestaltet, theils Felsfaçaden, den Holzbau nachahmend, und offenbar auch einem älteren Holzbaustyle entstammend. Das Gebälke hat die Form rundlicher Baumstämme, sogen. Schwalbenschwänze treten vor, die Fügungen der Holzconstruction, das Bohlendach, werden treu festgehalten. Die in griechischer Weise gebildeten Gräber — und merkwürdig genug ist diese Grabtempelform noch in den Hütten der gegenwärtigen Anwohner deutlich er[S. 57]kennbar — haben niemals die Gliederung, welche uns später unter dem dorischen Namen entgegen treten wird, sondern die heimischere ionische Form.

Wir heben unter den zahlreichen lycischen Gräbern jene zu Antiphellus hervor, in mächtiger Sarkophagform mit einem Pfeiler bekrönt, dessen geschweiftes Dach an den Schmalseiten einen spitzbogigen Giebel bildet. Andere aus dem Felsen gehauene Monumente ahmen den Holzbau nach. Die Gräber zu Xanthus, ebenfalls aus dem Felsen gehauen, laufen wie die früher erwähnten in ein geschweiftes Dach aus. Zu Tlos, ebenso in Myra und Termessus, sind ganze Felswände in über- und nebeneinander angeordnete Façadenreihen verwandelt und zu Gräbern ausgehöhlt. Die Façaden wiederholen theils den griechischen Tempelstyl, theils den bekannten Holzbau; einzelne haben freie Portiken vor sich.

Verwandter Natur sind die phrygischen Grabdenkmäler zu Aezani, Doganlu u. a. Auch sie ahmen einen alterthümlichen Holzbau nach, sind als getäfelte Thore gemeisselt und mit einfachen, an das Assyrische erinnernden Ornamenten geschmückt. Ihr Alter ist nicht bedeutend, die Herrschaft der griechischen Anschauungsweise während ihrer Errichtungszeit an zahlreichen Einzelheiten bemerkbar. Die überaus grosse Ausbeute, welche Kleinasien für die Skulptur bietet — das ganze Land einwärts und nördlich von Smyrna ist voll antiker Trümmer — spricht allerdings für eine ungemein rege und mächtige Kunstthätigkeit. Fast alles bisher Aufgefundene gehört aber nicht der selbständigen kleinasiatischen Kunst mehr an, sondern der Periode der hellenischen Kulturherrschaft, kann uns daher über den Zustand der ersteren nicht aufklären. Auch das schon von Pausanias angeführte Steinbild am Berge Sipylos in Lydien — die trauernde Niobe — ist nicht geeignet, uns eine genaue Vorstellung der altheimischen Plastik zu geben und zur Feststellung des Verhältnisses zwischen dieser, der ägyptischen und assyrischen Kunst, die sich hier, nach den früher erwähnten Monumenten zu Euyuk zu schliessen, begegnet haben mochten, beizutragen.

[S. 58]


B. Die Kunst des klassischen Alterthums.

1. Hellas.

§. 34.

Nur im mittelbaren Zusammenhange, so weit eben die Geschicke des ganzen Menschengeschlechtes eine Einheit bilden und ineinander greifen, stehen die bis jetzt betrachteten Kunststufen zu unserer und unserer näheren Vorfahren Bildung. Unmittelbar lebendig dagegen, auch ästhetisch gültig, und für die praktische Nachbildung befähigt ist die klassische Kunst der Griechen. Auch ihr Schauplatz, die Gestade des Mittelmeeres, fällt bereits in unsere Welt. Gleich wie wir in diesen Räumen uns unmittelbar heimisch fühlen, und keinen bis zum Abstossenden fremden geographischen Mächten begegnen, so sind auch die Phantasiebilder, die auf diesen Räumen erzeugt, und die künstlerischen Formen, in welche jene eingekleidet werden, uns ohne weitere Vermittlung verständlich. Die freie, heitere Menschlichkeit, die jeden Kreis griechischer Thätigkeit durchleuchtet, bildet das festgeschlungene Band zwischen der griechischen Kunst und jener der folgenden Zeitalter. Dass die gewöhnliche, auf den ästhetischen Genuss bedachte Anschauungsweise der griechischen Kunst wählerisch verfährt und ihre Entwicklungsgeschichte wenig berücksichtigt, ist selbstverständlich. Die historische Betrachtung darf aber die Anfänge und ersten Versuche der hellenischen Phantasie nicht ausschliessen, mögen auch dieselben im Vergleiche zu späteren Werken des feinen und verfeinerten Geschmackes unbedeutend und unförmlich erscheinen und die Meinung von der gleich ursprünglichen Vollendung griechischer Kunstwerke etwas herabstimmen.[18]

Die Frage, welche auch hier wie bei den früher betrachteten Volksstämmen wiederkehrt: ob die griechische Kunst ein einheimisches Produkt bilde, oder von Aussen, etwa von Aegypten oder Assyrien in das Land gebracht worden sei, bildet noch gegenwärtig eine unentschiedene Streitfrage. Die Behauptung einer gänzlichen [S. 59]Abgeschlossenheit des hellenischen, seefahrenden Stammes ist unbedingt verwerflich. Auf der anderen Seite kann aber auch die Meinung, dass fertige Kunstformen von den Griechen übernommen wurden, nicht begründet werden. Selbst das Vorkommen des ionischen Kapitäls in Assyrien, und dorisirender Säulen in Aegypten zugegeben, kann doch das hellenische geschlossene Giebelhaus nicht aus diesen Einflüssen erklärt werden. Auch Diodors Versicherung, dass die Dädalusbilder im Style den ägyptischen gleich kommen, ist nicht über jeden Zweifel erhaben; viel grösseren Glauben verdient daher die Ansicht, welche nur einen stofflichen Zusammenhang mit dem Oriente annimmt, die Umformung dieser Bildungsstoffe aber als ein selbständiges Werk der Griechen betrachtet.

Die Anfänge der griechischen Baukunst, im Wesentlichen von den allgemeinen Kunstanfängen nicht unterschieden, haben wir in den Resten der pelasgischen Vorzeit zu suchen.[19] Auf dem Peloponnes, namentlich in Argolis, in Attika, in Epirus, auf den Inseln befanden sich noch die Trümmer alter Ummauerungen der Akropolen, auffallend durch das wuchtige Material, die aller Zerstörung trotzende, aber formlose Arbeit. Die einzelnen Steinblöcke haben riesige Verhältnisse, gehen oft durch die ganze Dicke der Mauern, sind aber weder regelrecht bebauen, noch geradlinig gefügt. Die roheste Form dieser cyklopischen Mauern zeigt die Steinmassen einfach aufeinandergewälzt, die fortschreitende Technik fügt dann die polygonen Blöcke an ihren Bruchflächen zusammen und füllt die Lücken mit Kleingestein aus, bis allmählig die Schichtung gerader, die einzelnen Lagen gleichförmiger werden und der Quaderbau entsteht. Die Thore, welche die Mauern durchbrechen, sind häufig als Dreieck gestaltet (Missolunghi, Ephesus), und selbst dort, wo sie mit einer breiten Oberschwelle bedeckt und nicht zugespitzt sind, verjüngen sie sich nach oben und haben ein entlastendes Dreieck über sich, so z. B. an dem berühmten Löwenthore zu Mykenä. Hier ist das Dreieck mit zwei Löwinnen, vielleicht der ältesten europäischen Skulptur, ausgesetzt, welche zwischen sich das Symbol des thürhütenden Apollo, eine Säule mit vier Kugeln auf der Deckplatte, halten. Eine gleiche Construction wie die Thüren [S. 60]offenbaren auch die in der Tiefe der Mauer angelegten Gänge zu Mykenä, Larissa, Tiryns. Auch hier treten die Steinlagen nach oben immer mehr vor, bis sie oben, einen Giebel bildend, zusammenstossen, was diesen übrigens noch wenig aufgehellten Galerien den Schein eines Spitzbogenbaues verleiht.

Auch Pyramiden und Innenbauten haben sich aus der altgriechischen Zeit erhalten. In der Form Grabkammern entsprechend, führen diese den conventionellen Namen von Schatzhäusern, so z. B. der Thesauros des Atreus zu Mykenä, andere zu Orchomenos, bei Amyklä, Pharsalus u. s. w. Insofern als auch hier eine Trennung von Decke und Mauer nicht eingehalten, die erstere durch Vorkragung der oberen Theile aus der Mauer unmittelbar gewonnen wird, kommt der gleiche Grundsatz wie bei der Bildung der Thore und Galerien zur Geltung. Das Schatzhaus des Atreus ist im Grundrisse kreisrund; die einzelnen Mauerringe treten je höher desto mehr auf allen Seiten gleichmässig vor, bis sie zuoberst nahe genug aneinander rücken, um durch einen Schlussstein eingedeckt zu werden. Dadurch gewährt der Bau den Eindruck eines Kuppelgewölbes, als dessen Durchschnitt ein Spitzbogen erscheint. Die Wände waren, anklingend an die phönikische Kunstsitte, mit Metalltafeln ausgelegt.

Das Dunkel, welches über die Anfänge der griechischen Architektur verbreitet ist, erhellt sich nicht bei den Anfängen der Bildnerei. Den Cyklopen, welchen die Sage die alten Bauwerke zuspricht, gesellen sich auf dem Gebiete der Bildnerei die mythischen Telchinen, Daktylen und Kureten bei. Auch Dädalus, der Künstler, der Sohn des »gediegenen Handwerkers,« der bald an die Spitze der attischen, bald an die Spitze der griechischen Kunst überhaupt gestellt, und auf seinen Wanderungen durch die ganze damals bekannte Welt geführt wird, gehört der Sage an. Er schnitzt Götterbilder aus Holz (Xoanen), wie sie die in Griechenland herrschende Tempelsitte verlangte, und wie sich ähnliche Werke, puppenartig aufgeputzt und mit einer vollständigen Garderobe versehen, noch lange nachher für den kirchlichen Gebrauch als hieratische Bilder erhielten; aber Dädalus ist gleichzeitig auch ein Reformator der Kunst. Er hebt die geschlossenen Beine, die enganliegenden Arme und die blossen Augenschlitze auf, öffnet die letzteren, hebt die Arme vom Leibe ab und lässt die Gestalten schreiten. An Dädalus reiht sich dann eine zahlreiche Schule der Dädaliden an, deren[S. 61] Endglieder erst von der Sage zur Geschichte führen. Auch von Butades, dem Erfinder der Thonbildnerei und Portraitirkunst, bleibt als historischer Kern nur die frühzeitige Blüthe der eigentlichen Plastik in Sikyon und Korinth übrig, welche den späteren Sitz des Erzgusses in diesen Städten erklärt.

Baukunst.

§. 35.

Von den pelasgischen Bauresten zum ausgebildeten griechischen Tempelstyle ist ein gewaltiger Sprung. Die dazwischen liegende Kluft zu überbrücken, ist, da uns nur Bauwerke jüngeren Alters bekannt sind und die Verheerungen der Perserkriege, sowie der steigende Reichthum der Griechen viele Neubauten veranlassten, bis jetzt nicht der geringste Versuch gemacht worden, es sei denn, dass man die früher beliebte Entwicklung des griechischen Steinbaues aus einem untergegangenen Holzbaustyle dafür nimmt. Für den altitalischen oder tuskischen Styl ist diese Ableitung allerdings gerechtfertigt, dagegen muss der griechische Säulenbau unzweifelhaft schon als ein ursprünglicher Steinbau gefasst werden.

Der griechische Tempel ist die wahrhafte Wohnung des Gottes, die Steinhülle, welche sein Bild schützend umschliesst. Aus diesem Grunde erhebt er sich auf einem mächtigen Stufenbaue, mit dem eingeschlossenen Bilde selbst zur Verehrung emporgehalten; er hat keine ausgedehnten inneren Räume, da er nicht der Gemeinde zur Versammlungshalle diente, und wählt für den Säulen- und Bildschmuck die Aussenseite im Angesichte des vor dem Tempel versammelten Volkes. Den Hauptraum im Innern nimmt die Cella (Fig. 32, b) ein; in ihrem Hintergrunde vor der Rückwand steht in einer besonderen Kapelle, oder wenigstens auf erhöhter Bühne, das Kultusbild; längs der Seitenwände sind die Weihgeschenke aufgestellt. Den Zugang zur Cella gewann man durch den offenen Pronaos (a), in welchem nebst dem Weihbecken (c) fernere Agalmata Platz fanden. Hinter der Rückwand der Cella befand sich bei grösseren Anlagen die Schatzkammer des Tempels, der Opisthodomos (d), und entsprechend dem Pronaos an der Rückseite des Tempels das Postikum (e), gleichfalls zur Aufbewahrung von Weihgeschenken dienlich. Je nach den Eigenthümlichkeiten des Kultus erlitt der Tempel mannigfache Modifikationen; so hing namentlich[S. 62] vom Kultus des Gottes es ab, ob die Cella bedeckt wurde, oder ein Theil derselben unbedeckt blieb — Hypäthraltempel. Bei der Errichtung eines Hypäthraltempels wurde auch im Innern der Cella eine Säulenstellung gezogen (Fig. 32) und auf diese die Ränder des ausgeschnittenen Daches gelagert. Die schräge Stellung des Daches verlangte erhöhte Stützen; um den Säulen nicht eine ungebührliche Höhe zu geben, setzte man zwei Säulen übereinander. Die in jüngster Zeit gegen die Existenz der Hypäthraltempel erregten Zweifel sind glücklich beseitigt worden, indem man überdies auf die materielle Nothwendigkeit eines solchen Opaion hinwies, um dem Inneren eine hinreichende Lichtsumme zuzuführen. Auch spricht die ausdrückliche Nachricht von der Wölbung der Lichtöffnung im grossen eleusinischen Tempel durch Xenokles, weil der Gottesdienst hier nicht im Angesichte des Himmels abgehalten werden durfte, für die Regel der Hypäthraltempel.[20]

Fig. 32. Grundriss des Parthenon.
§. 36.

Der gemeinsame hellenische Charakter ist den Tempelbauten durch folgende Merkmale aufgedrückt: Zur Stütze dient folgerichtig die cylindrische, kraftbegabte Säule; über der Decke schwebt mit ausgebreiteten Flügeln das Giebeldach; die Form der einzelnen Bauglieder, die Linien, in welchen sie vor- oder zurücktreten, recht[S. 63]eckig geschnitten oder geschweift werden, stehen stets mit ihrer materiellen Bestimmung, ob sie tragen oder getragen werden, belastet sind oder frei schweben, im engsten Zusammenhange. Diese ihre Bestimmung wird überdies in dem dekorativen Schmucke, der sie bedeckt, symbolisch angedeutet. So führen z. B. freischwebende Glieder aufgerichtete Blumen als Ornament, belastete dagegen sind durch überfallende Blätter charakterisirt, bandartig sich hinziehende Theile des Theiles entlehnen ihren Schmuck den Heftbändern u. s. w.

Innerhalb dieser allgemeinen Einheit zieht sich durch die Geschichte der griechischen Architektur der Gegensatz des dorischen und ionischen Styles. Man kann weder den letzteren aus dem ersteren ableiten, noch auch für den dorischen Styl ein höheres Alter in Anspruch nehmen. Entsprechend der Gliederung des hellenischen Volkes in zwei Hauptstämme, entwickeln sich auch die beiden Stylarten nebeneinander, um erst nach vollendeter selbständiger Bildung in einen gegenseitigen Austausch zu treten. Der handwerksmässigen Unterschiede zwischen dem dorischen und ionischen Style zählt man viele; die grundsätzliche Verschiedenheit aber liegt darin, dass im ersteren Style die Beziehung der einzelnen Glieder auf das Ganze strenger festgehalten, und eine knappere Einheit durchgeführt wird, während im ionischen Style die Einzelglieder eine freiere Bewegung athmen, reicher und ungebundener dargestellt sind. Es vertheilt sich der Vorzug gesetzmässiger Nothwendigkeit und reizenden Reichthumes zwischen beide Style.

§. 37.
Fig. 33. T. in antis.

Zahlreiche, untrügliche Zeichen sprechen dafür, dass die vorhandenen Denkmäler dorischen Styles einer umgebildeten Kunstweise angehören, in welcher bereits einzelne Glieder die bloss traditionelle Geltung haben, ohne ihre ursprüngliche Funktion zu erfüllen. Doch können wir den altdorischen Styl nur voraussetzen, nicht in seiner Besonderheit darlegen. Selbst für die Ansicht, dass der ursprüngliche dorische Tempel keineswegs allseitig von einer Säulenhalle umschlossen (templum peripteros), sondern an den Seiten von einer festen Wand umgeben war, welche unter den Giebeln vortrat, so dass die Säulen zwischen den Stirnpfeilern standen. (Parastadentempel, templum in antis) (Fig. 33) liegen keine unmittelbaren monumen[S. 64]talen Belege vor.[21] Der ausgebildete dorische Styl aber gliedert sich in folgender Weise:

Fig. 34. Bildung des Kymation.
Fig. 35. Dorisches Kapitäl.

Unmittelbar aus der gemeinsamen, durch einen Stufenbau gebildeten Tempelsohle steigen die Säulen empor, nicht erst durch eine besondere Basis mit derselben verbunden, sondern mit dem in leise geschwungener Linie (entasis) verjüngten und mit zwanzig flach ausgehöhlten, aber scharf aneinander stossenden Furchen (Kanneluren) versehenen Stamme an den Boden anstossend. Viel schärfer noch als die Kanneluren drückt das Kapitäl, welches durch ein Heftband (annuli) mit dem Stamme verknüpft wird, den Begriff des Belastetseins aus. In der Handwerksprache Meerigel (echinus) oder Viertelstab, auch Eierstab genannt, wird das Kapitäl nach Bötticher's Vorgang richtiger als ein Kymation (alle Glieder, die aus dem Zusammenstoss tragender und lastender Elemente entstehen und den Conflict durch ihre wogenförmige Aufbauschung ausdrücken, heissen κὑμα) aufgefasst und nach Fig. 34 entwickelt. Das Profil eines frei aufsteigenden Blattes bei a wird unter der Last eines Körpers nothwendig eine überfallende Form (b) annehmen, und materiell ausgedrückt die Gestalt eines echinus (c) erlangen. Man denke sich nun eine Reihe von Blättern im Kranze vereinigt und belastet, so erhält man ungezwungen das dorische Kapitäl (Fig. 35, a), welchem überdies der Kranz überfallender Blätter in der älteren Zeit förmlich aufgemalt war. Dem Kymation folgt eine niedrige viereckige Platte, der Abakus (Fig. 35, b), die von den Säulen gestützte Decke andeutend und demgemäss mit einem Deckenornamente, dem Mäander, geziert. Die Stirnpfeiler der Cellawand, ein Mittelding zwischen Wand und Säule, sind nicht kannelirt und mit einem [S. 65]leichteren Kymation gekrönt. Ueber den Säulen spannt sich in horizontaler Richtung das Epistylion (Architrav) (Fig. 36, a), das unterste Glied des Oberbaues, durch ein Abakus (b) mit den folgenden Gliedern verknüpft. Es folgen dann kleine an drei Seiten geschlitzte Pfeiler (Triglyphen) (c), welche die Last des Dachbaues aufnehmen und hinter sich die Stirne der Deckenbalken gelagert haben. Ihr aufstrebender Charakter wird bereits am Architrav durch kleine Riemchen, an welchen sechs bommelartige Körper frei schweben, die Tropfenregula (e), angedeutet; als tragende Glieder besitzen sie einen selbständigen Abakus (f); die Räume zwischen den einzelnen Triglyphen, die Metopen (d), waren ursprünglich offen, wie man noch aus den Resten des alten Hekatompedon ersieht, und wurden erst später durch Tafeln verschlossen und mit Reliefbildern geschmückt. Ueber den Triglyphen schliesst die Celladecke ab und beginnt der Dachbau. Wieder lagert sich ein massives Gurtband, das Geison (g), in horizontaler Richtung, weit vorspringend, mit der vorderen Hälfte frei schwebend und aus diesem Grunde durch Unterschneidung entlastet, sowie an der schrägen Unterseite mit viereckigen Platten (viae), an welchen Tropfen hängen (h), belegt. Das Geison trägt aber auch, nämlich die Traufrinne (sima) (i) und muss demnach mit einem leichten Kymation und Abakus (k) bedeckt werden. Für die unbelastete Sima dienen aufgerichtete Blatt-Fächer als Ornament, die Profilirung ist Gefässformen entlehnt. Das »schwebende« Dach geht an den Schmalseiten des Tempels in die Form des Giebels über, welcher den reichsten bildnerischen Schmuck aufnimmt, ein eigenes Geison (l) besitzt und am Firste wie an den Dachecken mit Blattfächern oder Akroterien bekrönt ist. Noch bleibt[S. 66] die Form der Decke im Pronaos und Cella zu erwähnen. Die kreuzweis über die Epistylien gespannten Balken werden von rechteckigen vertieften Tafeln (Kalymmatien) ausgefüllt, welche wieder in Felder getheilt und mit Säumen, Perlenstäben und Sternen verziert werden.

Fig. 36. Dorischer Oberbau.
§. 38.
Fig. 37. Spira ionica.
Fig. 38. Ionisches Kapitäl.

Das ionische Tempelhaus besass schon ursprünglich die Form eines Peripteros und hob den Zusammenhang auf, welcher im Parastadentempel zwischen der Cella und dem Säulenbaue besteht. Dieses Streben nach Trennung der einzelnen Glieder und freier individueller Bewegung lässt sich noch weiter verfolgen. Der Säulenstamm verwächst nicht mit der Tempelsohle, sondern ruht auf einer selbständigen Basis (spira ionica). Auf einer viereckigen Platte oder Plinthe erheben sich eine oder zwei in entgegengesetzter Richtung sich bewegende Einziehungen (trochilus), welche zu oberst mit einem starken Pfühle verknüpft werden (Fig. 37). Der Säulenstamm unterscheidet sich von dem dorischen durch eine geringere Verjüngung, eine grössere Schlankheit und tiefere, aber durch Stege getrennte Kanneluren, am schärfsten und auffälligsten jedoch durch die Bildung des Kapitäls. Dem kräftig skulptirten Kymation setzt sich an die Stelle des viereckigen Abakus ein elastisches Band oder Polster, zu beiden Seiten des Kymations in schneckenförmigen Windungen (Voluten) zusammengerollt, auf, wodurch gleichzeitig der Begriff der Belastung ausgedrückt und die Säule selbständiger gedacht wird (Fig. 38). Die Belastung der Säule ist aber lange nicht so stark, als im dorischen Style. Das Epistylion zerfällt daher in mehrere leichte Platten (Fig. 39, a); an die Stelle des Triglyphen- und Metopenwechsels tritt, weil der leichter gestaltete Bau keiner Concentration der Kraft bedarf, ein stetiges Band, der Fries (Zophoros, Thrinkos) mit Skulpturen geschmückt (Fig. 39, b), und ebenso verliert das Geison seine Unterschneidung. Auch wurden zur Erleichterung des vorspringenden Theiles an der unteren Hälfte des Geison tiefe Aus[S. 67]schnitte gemacht und gleichsam nur einzelne Zähne (Zahnschnitt) zurückgelassen (Geisipodes) (Fig. 39, c). Bezeichnend für den Charakter des ionischen Styles ist es, dass nicht allein die Kapitäle der Ecksäulen von jenen der Mittelsäulen verschieden gebildet sind, sondern auch an den letzteren die Frontseiten des Abakus von den Nebenseiten abweichen.

Fig. 39. Ionischer Oberbau.
§. 39.
Fig. 40.

Eine Milderung des ionischen Styles und theilweise Annäherung an die dorische Weise ging in Attika vor sich, wodurch der attisch-ionische Styl, besonders charakterisirt durch das Wegfallen der Plinthe und das Zwischenlegen eines Trochilus zwischen zwei Pfühle (Fig. 40) an der Säulenbasis, in das Dasein gerufen wurde. Auch die korinthische Säulenordnung, deren künstliches Wesen schon durch die Anekdote ihres Ursprunges angedeutet wird, ist nichts weiter als eine Mischung dorischer und ionischer Elemente. Sie duldet Triglyphen über dem Architrav, nimmt beliebig Tropfen oder den Zahnschnitt an und kehrt durch die Gleichheit aller Fronten ihres Kapitäls wieder zur dorischen Weise zurück. Die ursprüngliche Form des üppigen korinthischen Kapitäls ist ein korbähnlicher Blätterkelch, bei welchem die Blätter weniger belastet, also nur wenig überfallend erscheinen.[S. 68] Neben dieser einfachsten Form kommen noch drei andere Kapitälformen vor: das Kapitäl mit doppeltem Blätterkelche (Windethurm in Athen), jenes mit einem Blätterkelche, welchem aber vier unter den Ecken des Abakus überfallende und zu Voluten gekrümmte Blätter entwachsen und schliesslich das gewöhnliche korinthische Kapitäl (Fig. 41) mit volutenförmigen Ranken (helices) an den Ecken und kleineren blumentragenden Voluten in der Mitte des Abakus. Der Eklekticismus, der sich in dieser Mannigfaltigkeit der Kapitälbildung kundgibt, zeigt sich auch in dem Auftreten der korinthischen Säulengattung neben und mit den anderen Bauweisen, z.B. am Tempel der Athena Alea zu Tegea, wo das äussere Peripteros in ionischer Weise gebildet war, im Innern der Cella aber auf dem dorischen Portikus korinthische Säulen aufsetzten.

Fig. 41. Korinthisches Kapitäl.
§. 40.

Hatten die Kelle und der Meissel ihre Arbeit am griechischen Tempel vollendet, so kam schliesslich der Pinsel zur Ergänzung des dekorativen Theiles hinzu. Ueber das Maass der an griechischen Bauwerken angewendeten Färbung, denn die Thatsache einer solchen steht zweifellos fest, herrscht seit Jahren ein bitterer Streit,[22] dessen Resultate in Folgendem sich zusammenfassen. Die Polychromie wurde in der älteren Zeit fleissiger gebraucht, als später, sie trat dort, wo die Ornamente skulptirt waren, in den Hintergrund, fand den grössten Raum in der dorischen Architektur und richtete sich nach der Güte des Materiales. Der Marmor, dessen glatte schimmernde Fläche keines Verputzes bedurfte, zog natürlich dadurch auch der Polychromie engere Grenzen. Eine Bemalung auch des architektonischen Knochengerüstes kann nur ausnahmsweise gelten; da[S. 69]gegen war für die kleineren dekorativen Glieder der polychromatische Schmuck die gewöhnliche Regel. Dem dorischen Kapitäl waren die überfallenden Blätter in rother und grüner Farbe aufgemalt, korinthische Kapitäle, die Voluten des ionischen wurden vergoldet, oder die Säume der Voluten blau, roth gefärbt, das innere Auge auf blauem Grunde vergoldet (auch grün in roth); den Architrav zierte ein Palmettensaum, sein Abakus zeigte sich in rother Farbe; auf blaue oder vergoldete Tropfen folgten blaue Triglyphen mit dunkleren Schlitzen, die Metopen waren blau oder braunroth, blau auch der Giebelgrund. In den Kymatien wechseln roth und gelb mit blauer und grüner Farbe ab, für den Mäander und die untere Geisonfläche wurde die rothe Färbung festgehalten. Die Beweise für diese Thatsachen wurden von den theilweise chemisch untersuchten Resten einer grossen Zahl griechischer und italischer Tempel herbeigeholt.

§. 41.

Die griechische Baugeschichte nimmt mit der dorischen Einwanderung im Peloponnes und der Festsetzung der Ionier in Asien (328 und 268 vor Ol. I.) ihren Anfang. Unsere Kenntniss des altgriechischen Baustyles ist, wie schon erwähnt, äusserst dürftig und auf wenige allgemeine Thatsachen, wie den Gebrauch kurzgedrungener, stark verjüngter Säulen, schwerfälliger Kymationprofile, die Errichtung eines hohen Dachbaues, steilen Giebels u. s. w. beschränkt. Auch jüngere, aber doch noch vor den Perserkriegen entstandene Bauten, kennen wir fast ausschliesslich nur aus schriftlichen Nachrichten, so z. B. das Heraion von Samos, den Artemistempel zu Ephesus, den älteren Parthenon und den Zeustempel zu Athen. Die Blüthezeit der griechischen Architektur, wie alles geistigen Lebens überhaupt, fällt nach den Perserkriegen in das Perikleische Zeitalter. Die Prachtbauten auf der Akropolis zu Athen sind ihr unsterbliches Zeugniss. Karg zugemessen, wie den Schwesterkünsten, blieb auch der Architektur die Dauer ihrer höchsten Blüthe; doch fehlt es selbst im Zeitalter Alexanders und seiner Nachfolger nicht an glänzenden Beispielen kunstreicher Architektur, und in einzelnen Richtungen derselben an gesteigertem Fortschritte. Die zahlreichen neuen Städteanlagen in Aegypten, Antiochien u. s. w. boten der schöpferischen Phantasie und technischen Geschicklichkeit der Baumeister umfassende Aufgaben. Was an Schönheit verloren ging, ersetzten die kolossalen[S. 70] Verhältnisse, die Pracht der Ausführung und der Reichthum der Dekoration. Die korinthische Säule, die schmuckreichste von allen und für die Verbindung mit jeder beliebigen Stylweise geschickt, stiess natürlich auf die grösste Vorliebe; neben ihr kamen auch phantastische Säulenformen, Palmen und Thyrsen nachahmend, zur Geltung; bei der Bedachung Kuppelformen in Aufnahme. Nicht mehr im Dienste des Volkes, diente die Architektur auch nicht mehr den Göttern; von den prunkliebenden Nachfolgern Alexanders in Anspruch genommen, wurde ihr wichtigster Gegenstand der Palastbau. Das Höchste in der Gattung des Luxusbaues bildeten wohl das dionysische Zelt Ptolomäus II. und die schwimmenden Paläste Philopators und Hieros II. von Syrakus. So weitläufig, dass er erst von 4000 Ruderern in Bewegung gesetzt wurde, besass überdies der eine derselben, das Nilschiff, Gärten und Säulengänge, der andere Schiffspalast sogar ein Gymnasium und Vertheidigungsthürme. Mit der Verbreitung der griechischen Bildung über die alte Welt verlor die nun jenseits der Grenzen Griechenlands am meisten gepflegte Kunst ihr nationales Gepräge und damit ihre geschichtliche Bedeutung; doch dauert die Uebung der griechischen Architektur im Allgemeinen bis in die römische Kaiserzeit, welcher Periode z. B. der Ausbau des Jupitertempels in Athen angehört.

Bei der Aufzählung der wichtigsten griechischen Bauwerke bis auf die Zeit Alexanders des Grossen, mischt sich nothwendig mit der Klage über die rauhe Schicksalshand, welche nur kärgliche Trümmer weniger Monumente auf unsere Zeit brachte, das Bedauern über die Vernachlässigung der griechischen Baugeschichte durch die Kunstwissenschaft, über die ausschliessliche Betonung des Systems auf Kosten der Entwicklungsgeschichte.

Nicht wegen ihres Alters, wohl aber weil sie das altdorische Planschema, die Parastaden, bewahrt haben, verdienen der Tempel der Artemis zu Eleusis und jener der Themis zu Rhamnus (mit cyklopischem Unterbaue) an die Spitze gestellt zu werden. Auch die Säulenreste des Pallastempels (?) zu Korinth zeigen in ihren stämmigen Verhältnissen das Gepräge des älteren Styles.

An die Blüthezeit reicht bereits der Minervatempel zu Aegina (75. Ol.) heran, ein dorischer Peripteros hypäthros, sechssäulig in der Fronte, 94 × 45', die Säulenhöhe 5 ¼ Durchmesser (als Maasseinheit gilt der Durchmesser des Säulenstammes an seinem unteren[S. 71] Ende, oder der Halbmesser, modulus) mit deutlichen polychromatischen Spuren.

Der Tempel des Theseus zu Athen, einer der besterhaltenen, aus Cimon's Zeit (Ol. 77, 4), ein dorischer Peript. 104 × 45', sechssäulige Fronte, bei gleicher Breite eine grössere Länge als der Aeginatempel, auch schlankere Säulenverhältnisse (die Höhe = 5 ½ Durchmesser oder 11 moduli).

Die Bauwerke der Akropolis: Seitwärts von den Propyläen lag der Tempel der Nike Apteros, aus Cimon's Zeit, ein ionischer Amphiprostylos, aber noch nicht in ausgebildeter attisch-ionischer Weise, 27 × 18', Säulenhöhe 15 mod.

Der Parthenon, kein eigentlicher Kultustempel, von Iktinos und Kallikrates 454–438 v. Chr. erbaut (Fig. 32), ein dorischer Peript. hypäth., achtsäulige Fronte, 227 × 101', Säulenhöhe = 5 ⅔ Durchmesser. Feine Spuren des mildernden ionischen Einflusses sind bemerkbar.

Die Propyläen, das Prachtthor der Akropolis an der Westseite von Mnesikles 436–431 mit einem Aufwande von 3 Millionen Thalern (2012 Talente, nach heutigem Geldwerthe wohl 10 Millionen) erbaut. Dem Hauptbaue legen sich vorspringende Flügelbauten zur Seite, jener selbst zeigte eine ionische Halle zwischen dorischen sechssäuligen Thoren.

Das Erechtheum, 409 v. Chr. im Rohbau vollendet, nach Construction und Bestimmung Gegenstand langwierigen Streites, das älteste Heiligthum Athens, wegen der Mannigfachheit der hier verehrten Kultusgegenstände von der gewöhnlichen Tempelform abweichend. Der Hauptbau, der Athene Polias (die westliche Hälfte dem Poseidon) geweiht, ist ein sechssäuliger ionischer Prostylos, und hat unter der Cella noch eine Krypta; zu beiden Seiten der Cella südlich und nördlich legen sich Vorbauten, die eine im ionischen Style, die andere mit Karyatiden als Gebälketräger an.

Der grosse Demetertempel zu Eleusis aus Perikles Zeit, unter der Leitung des Iktinus im dorischen Style, aber abweichend von der gewöhnlichen Tempelform, fast quadratisch erbaut und zur Aufnahme einer grösseren Menge eingerichtet, die äusseren Propyläen jenen der Akropolis nachgebildet.

Der grössere Themistempel zu Rhamnus, aus dem fünften Jahrhundert, den athenischen Prachtbauten verwandt, dorischer Peript.; sechssäulige Fronte, 33 × 71'; Säulenhöhe 5 ⅔ Durchmesser.

[S. 72]

Der Tempel der Athene auf dem Vorgebirge Sunion, dorischer sechssäuliger Peript., aus Perikles Zeit.

Der Zeustempel zu Olympia, 435 von Libon erbaut, dorischer sechssäuliger Peript. hyp.; 95 × 230', nur in wenigen Resten erhalten.

Der Tempel des Apollon Epikurios zu Bassae von Iktinus 430 erbaut, dorischer sechssäuliger Peript. hyp. mit ionischen Säulen in der Cella; 48 × 126'; Säulenhöhe 5 ½ Durchmesser; die Länge des Tempels grösser als bei den attischen Bauten.

Der Tempel der Athena Alea zu Tegea, von Skopas im Anfange des vierten Jahrhunderts erbaut, ionischer Peript. hyp., im Innern mit dorischer und darüber korinthischer Säulenstellung.

Für den Baustyl des vierten Jahrhunderts sind zwei kleine choragische Monumente in Athen, jenes des Lysikrates und Thrasyllus, das erstere mit korinthischen Säulen, das letztere mit dorischen Pilastern (aber nicht mehr den Triglyphen darüber) versehen, und für die letzte Zeit der griechischen Kunst (3. Jahrhundert) der sogen. Windthurm oder die Uhr des Andronikos in Athen charakteristisch.

Der Apollotempel zu Delos, dem Themistempel zu Rhamnus verwandt, nur das Kapitäl schwerer und die Säule stämmiger (Höhe 10 ⅔ moduli oder etwas über 5 Durchmesser); ebendort Reste eines von K. Philipp errichteten Portikus; die Form des Kymation in ihrer Schwunglosigkeit, die flachen mutuli charakteristisch für die Verfallzeit des dorischen Styles; Säulenhöhe über 6 Durchmesser, während jene vom alten Apollotempel zu Korinth nur 4 ¼ beträgt.

Die Baureste in Ionien sind zahlreich genug, aber selten noch vom kunsthistorischen Standpunkte gewürdigt.

Der Tempel des Apollon Did. bei Milet aus dem fünften Jahrhundert, von Päonios und Daphnis erbaut, ionischer zehnsäuliger Dipteros hyp.; 164 × 303'. Die Höhe der Säulen mehr als 10mal so gross als ihr Umfang, unvollendet geblieben.

Der Tempel der Pallas Polias zu Priene, von Pytheus 340 gebaut, ionischer sechssäuliger Peript.; 64 × 116'; mit eigenthümlicher Volutenbildung der Eckkapitäle; die Säulenbasen ruhen gegen die frühere Sitte auf Plinthen.

Der Tempel des Dionysos zu Tlos von Hermogenes im vierten Jahrhundert erbaut, ein Peript., und jener der Artemis zu Magnesia, ein Pseudodipteros.

[S. 73]

Auch in Phrygien (Aezani: ionischer Peript.), Lycien (Xanthus), Karien (Labranda: ein korinthischer Tempel; Aphrodisias: ionischer Aphroditentempel), in der Landschaft nördlich von Smyrna u. a. werden zahlreiche Tempelruinen, doch meistens aus später Zeit, angetroffen.

Bildnerei.[23]

§. 42.

Etwa um die 50. Olymp. (580) beginnt das bis dahin sagenhafte Element zur Geschichte sich zu verdichten. Wir lernen mannigfache Erfindungen kennen, welche das Handwerk erleichtern und die Ausdrucksmittel der künstlerischen Phantasie erhöhen. Theodoros erfindet das Winkelmaass, die Richtwage, Drehbank, und mit seinem Genossen (nicht Vater) Rhökos den Erzguss; Glaukos aus Samos die Erzlöthung; Byzes aus Naxos die Marmorsäge. Andere Umstände kommen zu diesen technischen Fortschritten hinzu, um den Aufschwung der Bildnerei zu erklären. Die Tempel bergen nebst den Kultusbildern noch andere Götterstatuen, bei welchen wegen ihrer nichtkirchlichen Bestimmung das Formgefühl freien Spielraum hatte. Die Schränke und Tische im Pronaos und Donarium füllen sich mit Weihgeschenken. Anfangs freilich besitzen dieselben nur stofflichen Werth, wie die Geschenke des Krösus und die nach Olympia geweihte Jupiterstatue aus Gold des Kypselos; aber schon die Lade desselben Kypselos mit eingelegten Gold- und Elfenbeinbildern nimmt auch künstlerischen Werth für sich in Anspruch. Als dann nebst den Göttern auch die Heroen zur Darstellung kommen, die öffentlichen Spiele nicht allein den plastischen Sinn anregen, sondern auch in den Bildsäulen der Sieger (spätestens seit der 59. Olym.) dem Künstler zahlreiche Stoffe darbieten, musste die Unförmlichkeit der alten Werke rasch verlassen werden. Im Kreise der Tempelkunst allein behielt dieselbe eine längere Dauer; selbst als die Künstler es schon besser verstanden, scheuten sie sich, die [S. 74]traditionellen Typen zu verletzen, und die Verehrung des Volkes galt stets mehr dem durch das Alterthum Ehrwürdigen, als dem vollendeten Formenideale.

Fig. 42. Hieratische Reliefs.

Wir stossen im Anfange nur auf vereinzelte Künstler und Künstlergruppen, ohne ihren Zusammenhang mit der früheren und späteren Kunstbildung zu erkennen. Bloss bei den als Marmorbildnern berühmten Dipönos und Skyllis auf Kreta werden wir auf Dädalus als ihren Kunstahnen verwiesen und erfahren von ihren zahlreichen Schülern in Sparta. Sonst werden noch Künstler in Theben, Korinth, Elis, auf Paros angeführt; wir kennen auch die Namen von Smilis auf Aegina, dessen Gestalten noch eingeschlossene Beine besassen, von Melas, Bupalos, dem Caricaturenbildner, dessen Werke noch im kaiserlichen Rom geachtet waren, auf Chios, von Rhökos, Theodoros, Telekles auf Samos, und besitzen auch die Namen ihrer Werke und von jenem des Magnesiers Bathykles, dem Apollothrone zu Amyklä eine nähere Beschreibung des Inhaltes, aus welchem auf die Lebenszeit des Künstlers in der 50. Olymp. geschlossen wird; doch fehlen uns alle genaueren Merkmale über den künstlerischen Charakter der Arbeiten dieser Männer. Unsere Kenntniss desselben müssen wir aus den namenlosen Werken holen, welche mit dem Gepräge des höchsten Alters ausgestattet, mit Fug und Recht in diese erste Periode der griechischen Kunst versetzt werden. Es sind dies die Reste von etwa 60 Statuen an der heiligen Strasse von Milet, mehrere Apolloköpfe, das Fragment eines Basreliefs aus Samothrake: Agamemnon (Fig. 42, a) mit zwei Heroen (aus der 70. Olymp.) ein Basrelief: Apollon (Fig. 42, b) mit Herkules um den Dreifuss kämpfend, ein Basrelief einer Brunneneinfassung von Korinth: die Versöhnung des Herkules, der dreiseitige Zwölfgötteraltar im Louvre, mehrere Nachbildungen alter Schnitzbilder in Marmor (Minervastatue in Dresden, eine andere aus Herkulanum), die Reliefs am Harpyengrabe zu Xanthos u. a. Diese Werke vertreten einen langen Zeitraum, sind keineswegs alle in gleicher Weise gebildet, besitzen aber doch der gemeinsamen Merkmale so viele, dass sie[S. 75] zur Charakteristik einer und derselben Kunstperiode zusammengefasst werden können.

Wir finden in einzelnen Fällen eine ganz unbestimmte Zeichnung, charakterlose Köpfe, anliegende Beine, eine schwere künstliche Haarbildung. Bei den besseren und vielleicht späteren Werken tritt an die Stelle der säulenartigen Steifheit eine heftig ausschreitende Bewegung oder ein zierlicher Tanzschritt; die Gewänder sind steif und geradlinig gefältelt, die Verhältnisse gedrungen, die Muskeln übertrieben, die Umrisse hart. Die Künstlichkeit in der Haarbildung dauert fort. Mit Recht erblickt man in diesen Merkmalen, sowie in der Unfähigkeit, die allgemeinen, nur durch äussere Kennzeichen unterschiedenen Typen zu idealen Charakteren fortzuführen, die Nachwirkungen des alten Tempelstyles, und begreift die Kunst der ganzen Periode unter dem Namen der hieratischen um so mehr, als es auch an äusseren Anklängen an Kultusgebräuche, z. B. in der Haltung der Finger, nicht fehlt. Das Ruhenlassen des ersten Fingers auf dem Daumen ist eine Nachahmung der Adorationsgeberde.

§. 43.

Noch im hieratischen Style, aber durch einen mannigfachen Lokalcharakter bereits verschieden gefärbt, erscheinen die Werke der ältesten Kunstschulen, auf welche wir nach der 60. Olymp. stossen.

Aegina. Glaukias, der Athletenbildner, Anaxagoras, dessen Kolossalstatue des Jupiter in Erz gegossen, Herodot und Pausanias erwähnen, Kallon, dessen Lebenszeit in Folge verworrener Nachrichten bald in die 60., bald in die 70. Olymp. gesetzt wird, und vor allen Onatas (78. Olymp.) in vielseitiger Thätigkeit glänzend (der eherne Apoll in Pergamus, eine Gruppe der griechischen Helden vor Troja, eine Kriegergruppe, beides Weihgeschenke in Delphi, ein Viergespann u. s. w.), in Epigrammen wegen der Göttlichkeit seiner Gebilde gefeiert, füllen den Rahmen der äginetischen Schule aus. Den Schulcharakter der Aegineten zu erkennen, bieten die in München bewahrten Giebelskulpturen vom Minervatempel auf Aegina (u. 78. Olymp.) die trefflichste Gelegenheit. Die minder gut erhaltene Gruppe des Ostgiebels stellt Laomedons Tödtung durch den von Herakles begleiteten Telamon, die westliche Giebelgruppe den Kampf der Trojaner und Achäer um Patrokles Leichnam vor. Verwundete Krieger füllen die Giebelecken aus, die linke Seite des[S. 76] Giebels zeigt Ajax, des Oileus Sohn (Fig. 43), Teuker den Bogenschützen und den vorkämpfenden Ajax, den Telamoniden mit geschwungenem Speere und vorgehaltenem Spiesse; durch die Kolossalfigur der Minerva in der Mitte des Giebels und den zu ihren Füssen zum Tode hinsinkenden Patrokles getrennt, stürmen in der rechten Giebelseite Hektor, Paris u. A. einher, jede einzelne Gestalt der einen Seite mit der entsprechenden der anderen Seite in strenger Uebereinstimmung gedacht. Eine zurücktretende Stirn, künstlicher Haarschmuck, hinaufgezogene Mundwinkel, ein kräftiges Knie, kurzer Leib, stark vortretende Brustknorpel, spitzes Knie, in der Muskelbildung, wie überhaupt in der ganzen Anlage des Leibes die sorgfältigste Naturwahrheit sind die Merkmale dieser äginetischen Giebelgruppe. Bemerkenswerth ist die viel grössere Vollendung und Individualität der Körper im Verhältniss zu den typischen Köpfen, und der Naturalismus in den einzelnen Helden im Vergleich zu der im strengen Tempelstyle gebildeten Göttin.

Fig. 43.

Athen. Schon die Alten führen die attische Schule im Gegensatze zur äginetischen an. Welche unterscheidenden Merkmale der einen und der anderen eigen sind, lässt sich nicht mit Genauigkeit angeben; da aber der schärfste Naturalismus in der Bildung der einzelnen Körperformen bei einer gewissen schwerfälligen Härte in der Composition die Aegineten besonders auszeichnet, so dürfte wohl ein minder scharfer Naturalismus, dagegen ein feineres Stylgefühl den Charakter der attischen Schule bezeichnen. Von den altattischen Künstlern werden namentlich angeführt: Antenor (67. Olymp.), der Verfertiger der Statuen der Tyrannenmörder; Endoeus, von welchem sich vielleicht ein Athenebild in Athen erhalten hat; Hegias (oder Hegesias), Kritios, Nesiotes, beide gemeinschaftlich wirkend, und Aristokles, dessen Grabstele eines marathonischen Kriegers im flachen Relief, eines der wenigen erhaltenen altattischen Monumente bildet. Die Gestalt des Kriegers steht hinsichtlich der Naturwahrheit nicht unter den Aegineten, namentlich wird die Behandlung des Panzers und der Schienen, die kräftige Zeichnung der Muskeln gerühmt, sie über[S. 77]trifft aber dieselben in der Freiheit der Bewegung, in dem Rhythmus der Composition.

Sikyon. Der erste und grösste Künstler dieser Schule, Kanachus der Aeltere (u. 67. Olymp.), ist trotz des Ruhmes, den Sikyon im Erzgusse geniesst, auch über das übrige Material der Skulptur, Holz, Elfenbein, Marmor (?) Herr. Von seinem milesischen Apollon mit dem Hirschkalbe auf der Hand, hat sich ein Nachbild (brittisches Museum) erhalten. Der Bruder des Genannten, Aristokles, setzt die Schule fort, die bis zur 100. Olymp. (Sostratos, Pantias) ihren Zusammenhang und Lokalcharakter bewahrt, ohne dass wir Näheres über den letzteren anzugeben im Stande sind.

Argos. Mit Eutelidas und Chrysothemis (65. Olymp.) beginnt die stetige argivische Schule, deren letztes Glied, Ageladas, (70–81. Olymp.) allein eine allgemeinere Bedeutung in Anspruch nimmt. Diese Bedeutung stützt sich für uns, die wir seine Werke (Zeus als Knabe, unbärtiger Herakles, Muse mit dem Barbiton — nicht das Original der sogen. barberinischen Muse in München — Reiter, Viergespann u. s. w.) nicht kennen, vorzugsweise auf sein Lehrerverhältniss zu den grossen Künstlern der folgenden Periode: Phidias, Polyklet, Myron.

§. 44.

Auf den mannigfachsten Punkten Griechenlands regte sich gleichzeitig die bildnerische Thätigkeit; zuerst mochten wohl die Pfade der einzelnen Schulen nebeneinander laufen, später aber verschlingen sie sich (Argos und Athen, Sikyon und Aegina) und bilden Knotenpunkte. Den wichtigsten derselben erkennen wir in Athen, unter Perikles Führung dem Vororte Griechenlands im politischen wie im künstlerischen Kreise. Die äusseren Bedingungen, welche Athen die Herrschaft in der Kunstwelt brachten, der belebende Einfluss des öffentlichen Lebens, der Poesie u. s. w. auf die bildenden Künste sind bekannt genug. Der höchsten Kunstblüthe im Perikleischen Zeitalter sind die letzten Meister der eben betrachteten Zeit nahe gerückt. Zur unmittelbaren Vorbereitung diente das Abstreifen der alten Typen, der Fortschritt von der äusseren Naturwahrheit zum innerlich wahren, unbeschränkten Realismus, der nicht bloss Leben scheint, sondern Leben ist.

Diese Tendenz verfolgen nebst dem Pythagoras aus Rhegium (73–87. Olymp.), (von dem Plinius rühmt, er habe zuerst Nerven[S. 78] (Sehnen) und Adern ausgedrückt, und die Haare sorgfältiger, d. h. in freieren Partien und auf Licht und Schatten berechnet, behandelt, sowie Diogenes Laertius den Rhythmus und die Symmetrie seiner Gestalten lobend anführt, dessen Hauptwerke Apollon als Kitharöde und Schlangentödter, ein geflügelter Perseus, der schmerzdurchwühlte Philoktet und Athletenbilder bilden) zwei Zeitgenossen des Phidias, die in Athen thätigen Kalamis (80. Olymp.) und Myron.

Kalamis übersah das ganze äussere Gebiet der Bildnerei, und durfte sich der grössten Vielseitigkeit seines technischen Talentes rühmen; die grösste Vollendung aber nahmen seine Rossegestalten in Anspruch.

Beschränkter in der Wahl des Materiales, meist nur als Erzbildner (äginetische Mischung) erscheint Myron, desto mannigfacher in der Wahl der Gegenstände: Götterbilder, Heroen (Perseus, Erechtheus), Athleten (unter diesen der Läufer Ladas und der Diskuswerfer), Genrebilder, wie eine betrunkene Alte aus Marmor, und schliesslich Thierbilder, keines berühmter, als die durch 36 Epigramme verherrlichte Kuh, stammen von seiner Hand. In allen diesen Werken wird der vollendete Realismus, der scharfe Auffassungssinn des Künstlers und seine Geschicklichkeit, flüchtige Momente festzuhalten und den Ausdruck derselben jedem einzelnen Körpergliede zur höchsten Harmonie einzuverleiben, gerühmt. Auch konnte ohne eine lebensvolle Naturwahrheit die Schilderung z. B. des Schnellläufers oder des Diskobols[24] gar nicht versucht werden.

§. 45.

Nachdem das äussere Formengerüste der Plastik vollendet, die Ausdrucksmittel für die bildende Phantasie reich vermehrt waren, konnte wieder die auf der unmittelbar vorhergehenden Stufe nicht so deutlich vortretende Ideenfülle in die Gestalten verkörpert und der erhabene Idealismus, in der älteren Zeit auf Kosten der Formenwahrheit ausgebildet, nun auf Grundlage formeller Vollendung neu geschaffen werden. Darin liegt des grössten griechischen Künstlers — Phidias Bedeutung. Für seine umfassende Thätigkeit bürgt die Zahl der Künstler und Handwerker, die seiner Leitung anvertraut waren: Holz-, Metall- und Marmorarbeiter, Maler, Buntweber, Ciselirer, und seine ordnende Theilnahme an den Bauten des Perikles; [S. 79]auch seine technische Meisterschaft kann nicht in Zweifel gezogen werden, charakteristisch jedoch für seine Stellung in der Kunstgeschichte bleibt, dass seine Phantasie von der religiösen Substanz des Volkslebens sich nährte und er die religiösen Ideale in seinen Gebilden nicht allein mit innerer Wahrheit wiedergab, sondern auch schöpferisch weiter bildete.

Phidias, des Charmides Sohn, mag etwa 70. Olymp. geboren sein, sein Tod (im Gefängnisse) fällt in Olymp. 87, 1, etwa in sein siebenzigstes Lebensjahr. An der Spitze seiner Werke, nicht der Zeit, aber der Grösse nach, steht der thronende Zeus im Tempel zu Olympia,[25] aus Gold und Elfenbein über einem Holzkerne (als Chryselephantine) gebildet, auf dem Haupte einen Kranz aus Oelzweigen, in der Rechten die Nike, in der Linken das Scepter haltend, den Oberleib unverhüllt, vom Schosse herab in ein faltenreiches Goldgewand gekleidet, so erschien der wieder lebendig gewordene Göttervater.[26] Von besonderer Wirkung waren bekanntlich die Augenbraunen und das Haar. Gold, Ebenholz und Elfenbein bildeten den Stoff des Thrones, an dessen Füssen vier Viktorien standen, wie an der Rücklehne die Grazien und Horen; auch die Querleisten, welche die Füsse des Thrones verbanden, Schemel und Basis, waren mit reichem Bildwerke verziert, das Ganze von einer Brustwehr, daran Gemälde des Panänus, umgeben. Nur einmal schuf Phidias den Jupiter, siebenmal dagegen Pallas Athene; hier wie dort blieb seine Auffassung des Gottes für die Folgezeit maassgebend. Die berühmtesten unter den Minervabildern waren: Athene Parthenos auf der Akropolis, eine Chryselephantine, die Athene Promachos ebendort aus Erz in kolossalen Verhältnissen, und die zarter gehaltene Lemnische Minerva, von den Lemniern auf die Akropolis geweiht.[27] Ausserdem werden als Werke des Phidias eine Aphrodite Urania, aus Elfenbein und Gold, eine andere aus Marmor, Hermes in Theben, Apollon aus Erz auf der Akropolis, eine auf den Speer sich stützende Amazone, die Statue des Miltiades u. a. angeführt. Bekanntlich [S. 80]wird auch der eine Koloss auf Monte Cavallo zu Rom, in der Kaiserzeit verfertigt, durch die nachträgliche Unterschrift und von der Tradition auf Phidias zurückgeführt.

Weder von Phidias, noch von seinen namhaften Schülern: Agorakritos (Nemesis zu Rhamnus), Alkamenes (Olymp. 84–94), von welchen zahlreiche Götterbilder (Aphrodite, Ares, Hephaistos) und eine Giebelgruppe am Zeustempel zu Olympia herrühren, und Kolotes sind Werke auf uns gekommen. Doch besitzen wir in den Skulpturen am Parthenon, Theseustempel und zu Phigalia ausreichende Zeugnisse von der Höhe der Kunst im Zeitalter und in der Schule des Phidias.

Fig. 44.

Die Parthenonskulpturen, zum grössten Theile unter dem Namen der Elgin-marbles im brittischen Museum verwahrt, zerfallen in die beiden Giebelgruppen — Ostgiebel: die Erscheinung der Athene im Götterkreise; Westgiebel: der Streit Poseidons mit Athene — in 92 Metopentafeln, Kampfscenen geweiht und in das 528' lange, 3 ⅕' hohe Friesrelief, welches an der Cellawand herumlief und den Festzug der Panathenäen nach der Akropolis zum Gegenstande hatte. Der Zustand der Giebelgruppen ist leider der schlechteste, und dieselben uns nur fragmentarisch erhalten. Doch reichen diese Fragmente (vom östlichen Giebel: das mit den Köpfen aus dem Ozean emportauchende Gespann des Helios, der ruhende Theseus, zwei sitzende Göttinnen (Fig. 44), die eilende Iris, und von der anderen Giebelhälfte drei ruhende Göttinnen und der weltberühmte Pferdekopf zum niedertauchenden Gespann der Nacht gehörig; vom westlichen Giebel mehrere Torsos und die Statue des Ilyssus) vollkommen hin, die technische Vollendung, die Schönheit und Wahrheit der einzelnen Gestalten,[S. 81] die poetische Fülle der Gedanken und die Unübertrefflichkeit des Styles, d. h. die meisterhafte Verbindung der Skulpturen unter sich und mit dem architektonischen Hintergrunde bewundern zu lassen. Den gleichen Ruhm der Vollendung nimmt auch der Fries für sich in Anspruch. Auf blauem Hintergrund in flachem Relief dargestellt, die Köpfe aller Figuren gleich hoch, mögen sie Reitern, Fussgängern oder Sitzenden angehören, in scharfen Umrissen vom Grunde sich abtrennend, bilden sie für den reinen Reliefstyl mustergiltige Beispiele.

Die Friesbilder des Theseustempels stellen den Kampf des Theseus mit den Pallantiden, und jenen der Centauren mit den Lapithen, der innere Fries im Apollotempel zu Bassae bei Phigalia die Schlacht der Griechen gegen die Amazonen und wieder den Kampf der Lapithen und Centauren dar. Es bedarf keines Beweises, wie vortrefflich diese Motive zur plastischen Verkörperung sich eignen, und wie meisterhaft dieselbe den athenischen Künstlern gelang. Vom Zeustempel zu Olympia haben sich nur wenige Metopenbilder erhalten; die Giebelgruppen des Alkamenes und Päonius aus den Trümmern wieder zu gewinnen, ist noch immer die Hoffnung nicht verschwunden. Schliesslich müssen noch die Karyatiden am Erechtheum als Werke aus dem Zeitalter des Phidias erwähnt werden. Von dem reichen Künstlerkreise, der sich an Phidias anschloss und gleichzeitig mit ihm oder bald nach ihm in Athen wirkte, haben sich nur die Namen (Kallimachus, Demetrius, Lykios u. A.) erhalten.

§. 46.

Mit Phidias theilt den Lehrer, theilt weiter den Ruhm, auf dem Gipfel der griechischen Kunst zu stehen und für die Bildung einzelner Göttergestalten massgebend zu sein: Polyklet der Argiver (Olymp. 89). Wie Phidias das Zeusideal, so schuf Polyklet in seiner chryselephantinen Statue im Tempel bei Argos das Ideal Hera's, der hohen Himmelskönigin. In der grossartigen Junobüste der Villa Ludovisi bei Rom (Fig. 45) besitzen wir eine ungefähre Anschauung des Polykletischen Werkes.[28] Nächst Hera wird dann das Erzbild des Hermes zu Lysimachia gerühmt. Grösser aber und ausgezeichneter noch ist Polyklet in der Bildung von Menschen, in der Dar[S. 82]stellung formell vollendeter, ebenmässiger jugendlicher Gestalten. Die alten Schriftsteller führen aus diesem genreartigen Kreise folgende Werke an: den Jüngling, der sich die Siegerbinde um das Haupt legt — Diadumenos, den Doryphoros, mannhafter gebildet (Gegenstücke?), zwei Würfel spielende Knaben, einen Ringer, der sich den Palästrastaub abschabt, eine Amazone, die sogar im Wettstreite mit Phidias den Preis errang u. s. w.[29]

Fig. 45. Colossalbüste der Juno Ludovisi.

Wie die Formengebung bei Polyklet bereits eine selbständigere Rolle beansprucht, als ihr bei Phidias zu Theil wurde, dem sie einfach zum Ausdrucke inhaltsreicher Ideen diente, beweist nicht nur die Wahl seiner Stoffe, sondern auch der Umstand, dass er die Lehre von den Verhältnissen des Leibes systematisch darlegte und den gefundenen Kanon auch in einer Statue (man hält den Speerträger gewöhnlich dafür) verkörperte. So erklärt sich auch das Lob und der Tadel, den ihm das Alterthum spendete: die Gleichförmigkeit seiner Gestalten, das geringere Vermögen zu erhabenen Bildungen, aber auch die Sicherheit und Vollendung in der Ausführung, die Kenntniss leichter und bewegter Stellungen.

Nicht weniger als achtzehn Künstler, in dem von Polyklet vorgezeichneten Kreise sich bewegend, werden von Pausanias und Plinius aufgezählt. Ihre Thätigkeit fällt in die 90. Olymp.; die wichtigsten Namen sind: ein jüngerer Polyklet, des Naukydes Schüler, Antiphanes u. A. Auch Messene (Damophons Werke zu Megalopolis), Theben, Phokäa (Telephanes), Chios haben in dieser Periode an der Kunstthätigkeit Griechenlands Theil.

[S. 83]§. 47.

Die Zeit um die hundertste Olympiade, nachdem der peloponnesische Krieg das staatliche Leben Griechenlands in neue Bahnen geworfen hatte, macht auch in der griechischen Kunstgeschichte einen neuen Abschnitt. Als äusseres, aber nicht wenig bedeutsames Merkmal mag der überwiegende Gebrauch des Marmors dienen; ein anderes ist die allmälige Lösung des Dienstes, in welchem früher die Bildnerei zum öffentlichen Leben stand, ihre Verwendung zu Privatzwecken. Damit hängt die räumliche Erweiterung des Wirkungskreises der einzelnen Künstler zusammen, und das Heraustreten der künstlerischen Persönlichkeit aus den geschaffenen Werken. Stofflich und in der Composition gegen die ältere Zeit minder gebunden, in seinen Werken auf wirkungsreiche Wahrheit, virtuose Vollendung der Formen und feinsinnigen Reiz angewiesen, erscheint nun der Künstler als der Mittelpunkt; die ehemalige Unterordnung unter das Werk, die Theilnahme der religiösen Tradition an seinem schöpferischen Wirken verschwinden. Ein eigentlicher Kunstverfall ist jedoch nicht vorhanden. Es werden nicht die alten Ideenkreise in die neue Stylweise gewaltsam gezwängt, sondern neue Ideenkreise, den veränderten ästhetischen Anschauungen angemessen, aufgesucht, auch die angestrebte formelle Vollendung nicht auf Kosten des Seelen- und Charaktervollen durchgeführt.

Die Meister dieser Periode können zwar nicht in unmittelbarer Weise auf Phidias und Polyklet zurückgeleitet werden, doch stehen sie mit den durch diese Letzteren gebildeten Kunstschulen zu Athen und Argos im Zusammenhange. Auch die jüngeren Athener sind gleich Phidias mit Vorliebe Götterbildner, nur dass sie den Götteridealen den reizenden jugendlichen Schein verleihen und die untergeordneten, durch keine religiöse Tradition fixirten Götterkreise mit Gestalten bevölkern; dagegen bewahrt die jüngere sikyon-argivische Schule das Erz als Material und erreicht gleich der älteren ihre Grösse in Athletenbildern und überhaupt solchen Gestalten, welche das körperliche Leben in seiner vollen Kraft und Schönheit darstellen.

Skopas aus Paros (Olymp. 97–107). Gleich so vielen anderen Künstlern, die Kenntniss der Architektur und Bildnerei vereinigend, hat Skopas den Athenetempel zu Alea und die Giebelgruppen an demselben und theilweise wenigstens das Grabmal des Mausolos zu Halikarnas (Relieftafeln davon in London und Genua) in das Da[S. 84]sein gerufen. Auch die vielberühmte, aber verloren gegangene Gruppe: die Ueberbringung der von Hephaistos für Achilles gefertigten Waffen durch Thetis, von den Nereiden gefolgt, war wahrscheinlich eine Giebelgruppe. Von Einzelstatuen werden Apollon als Kitharöde, die Eumeniden, die unbekleidete Aphrodite, eine rasende Bacchantin mit fliegendem Haare, ein in der Wuth getödtetes Zicklein in der Hand u. a. angeführt.[30] Die Aufzählung dieser Gebilde reicht hin, das Pathetische der Composition, die Neuheit vieler Motive erkennen zu lassen.

Praxiteles (107. Olymp.). Die Wandlung, welche mit der Kunst dadurch vor sich geht, dass auf die Schönheit und ergreifende Wahrheit der Erscheinung, auf einen feinsinnlichen Reiz der Gestalten der grössere Nachdruck gelegt wurde, offenbart sich in der Veränderung, die Praxiteles in den Götteridealen bewirkte. Dionys mit Epheu bekränzt, mit der Linken auf den Thyrsus gestützt, nach Nachbildungen zu schliessen mit fast weiblichen Hüften, süss lächelndem Munde und schwärmerischen Augen, Satyren als Knaben gebildet, Apollon gleichfalls in grösster Jugend dargestellt, wie er einer Eidechse mit dem Pfeile (Sauroktonos) nachstellt; Eros, dreimal vom Meister dargestellt, der Thespische von ihm selbst den besten Werken zugezählt, und vor Allem die knidische Venus, nackt, von allen Seiten gleich treffliche Ansichten bietend, angeblich nach einem Hetärenmodelle verfertigt, ungleich bewunderter als die bekleidete Venus, welche Praxiteles für Kos gearbeitet, bilden den von Praxiteles gepflegten religiösen Kreis.[31] Neben diesen und anderen werden dann noch zwei Statuen der Phryne, die Gegenstücke einer weinenden Matrone und heiteren Buhlerin, und schliesslich, aber erst von der mittelalterlichen Tradition und mit Unrecht der andere der Kolosse vom Monte Cavallo als Praxiteles Werke angeführt. Ueber die Niobidengruppe hatte bereits das Alterthum keine Gewissheit, ob sie Skopas oder Praxiteles angehöre. Sie wurde im 16. Jahrhundert bei Rom gefunden und später nach Florenz geschafft. Nicht alle Figuren, die man in demselben Raume ausgrub, gehören zusammen; [S. 85]dagegen erhält dieselbe durch einzelne Statuen in anderen Museen eine treffliche Ergänzung, theilweise auch Wiederholung. Welche Statuen unter den zahlreichen Niobiden Originale, welche spätere Kopien sind, darüber konnte bis jetzt keine Entscheidung gefällt werden, wohl hat man sich aber über die ursprüngliche Aufstellung der Gruppe in einem Giebelfelde geeinigt, von welcher Stelle allerdings die Wirkung dieser erschütternden, vom tiefsten dramatischen Gefühle durchgeisteten Schöpfung noch lebendiger sein musste, als bei ihrer gegenwärtigen zerstreuten Aufstellung.

Lysippos aus Sikyon (Olymp. 114). Bei diesem Hauptmeister der jüngeren sikyonischen Schule treten mannigfache Veränderungen in der griechischen Kunstweise ein, theilweise nur Folgerungen aus der früheren Entwicklung, theilweise aber auch die Resultate der herrschenden Zeitbildung. Der Kanon der Verhältnisse wechselt: schlankere Glieder, verjüngte Köpfe, leichtes, bewegtes Aussehen. Die Porträtbildnerei gewinnt ansehnlich an Umfang. Nicht allein, dass Lysippos seinen Gönner Alexander den Grossen in den mannigfachsten Situationen vom Knabenalter beginnend darstellte, so vereinigte er auch Porträtstatuen zu grösseren Gruppen, wie in der turma Alexandri, aus 34 Statuen bestehend, und in der Aktion eines Gefechtes abgebildet, und in der Jagd Alexanders. Schliesslich erscheint im Kairos, einer Knabengestalt mit Schermesser und Wage in der Hand, den günstigen Augenblick darstellend, die Allegorie zum erstenmale berechtigt im Kreise der plastischen Kunst. Wäre es unbestritten, dass Lysipp 1500 Werke gefertigt habe, so würde in dieser Vielarbeit ein neues bezeichnendes Merkmal für diese Kunstperiode gewonnen sein. Unter seinen Götterbildern, alle in Erz gearbeitet, wird der kolossale Zeus zu Tarent, Neptun zu Korinth und der Sonnengott mit dem Viergespann hervorgehoben. Den grössten Ruhm erwarb Lysippos durch die Vollendung des Heraklesideales. Vier Heraklesstatuen führen die alten Schriftsteller namentlich an, darunter den ehernen Koloss zu Tarent: der sorgenvoll ruhende Held und den Herakles Epitrapezios, auf einem Felsstücke sitzend, in der Rechten den Becher, in der Linken die Keule, nach den kleinen Verhältnissen zu schliessen, ein Tafelaufsatz.[32] Es hält nicht schwer, in der Entwicklungsweise der Götterideale vom Zeus [S. 86]des Phidias bis zum Lysippischen Herakles das Walten eines bestimmten Gesetzes, und in der übermenschlich mächtigen Körperlichkeit des letzteren den natürlichen Schluss der Götterbildungen zu erkennen.

An jeden der genannten Meister schliesst sich ein zahlreicher Künstlerkreis an.

Um Skopas gruppiren sich Leochares (Ganymed), Bryaxis (Olymp. 117) (Serapis), um Praxiteles dessen Söhne: Kephisodot und Timarchos; andere athenische Künstler dieses Zeitalters sind der Autodidakt Silanion (sterbende Jokaste), Apollodor u. A.

Der sikyon-argivischen Schule werden eingefügt: der Maler Euphranor, zwischen dem alten und neuen schlankeren Kanon der Verhältnisse schwankend und Subtilitäten im Ausdrucke (Paris, in dessen Gesicht der Liebhaber, der Held und der Schönheitsrichter gleichmässig zum Vorschein kam) zugeneigt; Lysistratos auf äussere Naturwahrheit bis zum Extreme bedacht (Erfinder der Gypsmasken), Daippos, Boedas und Euthykrates des Lysipp Söhne, Eutychides (Tyche von Antiochia), dessen Schüler Chares (Koloss des Sonnengottes zu Rhodus) u. A.

Einen theilweisen Ersatz für den Verlust fast aller Originalwerke dieser Periode, obgleich in der Plastik die Kluft zwischen der Kopie und dem Original minder schroff ist, als in der Malerei, besitzen wir in dem reizenden Friese am Monumente des Lysikrates: Dionysos sich an den tyrrhenischen Seeräubern rächend, und in den Reliefs am Harpagosdenkmale zu Xanthus. Wiewohl namenlos, besitzen diese Werke den Vorzug untrüglicher Originalarbeit aus dem vierten Jahrhundert.

§. 48.

Alexanders des Grossen Siege verbreiteten den griechischen Ruhm und die griechische Bildung in den weitesten Kreisen. Die Begründung neuer Reiche durch seine Nachfolger führte auch der Kunst neue Thätigkeitssphären zu. An Mangel an Beschäftigung durften die bildenden Künste so wenig klagen, als die Architektur, wohl aber bleibt die Vergeudung der Kräfte für Eintagszwecke bei Gelegenheit von Todtenfeiern, Festzügen u. s. w. zu bedauern. Das eigentliche Griechenland, die bisher herrschenden Kunstschulen treten in den Hintergrund, die griechischen Grenzländer werden der Mittelpunkt wie der politischen Macht, so auch der künstlerischen Thätigkeit.

[S. 87]

Die wichtigste Stelle nimmt die Kunstschule von Pergamos ein, vertreten durch Isigonos, Phyromachos (Olymp. 120), Stratonikos und Antigonos. Gegenstand ihrer Werke waren die Schlachten des Attalos und Eumenes gegen die Gallier. Fragmente dieser Gruppenbilder haben sich in dem sterbenden Fechter (kapitol. Museum) und der Gruppe des sogen. Paetus und Arria (Villa Ludovisi) erhalten. Kunstgeschichtliche Bedeutung gewinnt diese Richtung durch das tiefe Erfassen und überaus wirkungsreiche Wiedergeben der Situation, dann aber durch das Eingehen auf die Mannigfaltigkeit der Körperbildung bei den verschiedenen Stämmen. Die allgemeine Idealität der Körperbildung hat ihre Geltung verloren, gegenüber gewaltiger realer Charakterschilderung.

Eine zweite Kunstschule breitet sich auf Rhodus aus. Wir kennen mehr als 20 Künstlernamen und haben auch sonst Nachricht von dem ausgedehnten Kunstbetriebe auf der üppig blühenden, handelsreichen Insel. Wir besitzen aber nur zwei Werke, welche uns über die Richtung der rhodischen Schule aufklären, und auch von diesen ist das berühmtere, die Laokoongruppe im Vatikan, von Agesandros, Polydoros und Athenodoros aus Rhodus gefertigt, noch immer in Bezug auf seine Entstehungszeit, ob in der Periode der Diadochen, oder in der römischen Kaiserzeit geschaffen, einzelnen Zweifeln unterworfen. Das andere Werk, von Tauriskos und Apollonios gearbeitet, und Dirkes Schleifung durch den Stier mit Zethos, Amphion und Antiope als Theilnehmer vorstellend, wird unter dem Namen des farnesischen Stieres in Neapel verwahrt. Die meisterhafte Bewältigung des Materiales, die überall durchdringende anatomische Kenntniss, der ruhige Aufbau der Gruppe und daneben die grossartige Bewegung in den Einzelgestalten stellen den Laokoon in die erste Reihe der Antiken, obzwar dies Werk schon nahe an der Grenze des Plastischen liegt und eine gewisse Berechnung in der Composition nicht verbirgt.

Ueber das Schlussschicksal der griechischen Bildnerei nach der Zerstörung von Korinth sind wir auf wenige lückenhafte Nachrichten angewiesen. Eine Unterbrechung der Kunstthätigkeit ist keineswegs anzunehmen, ihr Hauptschauplatz aber allerdings in Rom und Italien zu suchen. Die athenische Geburtsstätte der meisten namhaften Künstler macht die ununterbrochene Fortübung der Bildnerei in Athen sehr wahrscheinlich. Während wir für die früheren Perioden entweder[S. 88] die blossen Künstlernamen oder namenlose Werke besitzen, ist in diesem Zeitalter die Inschrift des Künstlers auf seinem Werke nicht selten. Wir kennen den vielbewunderten Heraklestorso im Vatikan als das Werk des Apollonius; der sogen. farnesische Herkules zu Neapel aus der ersten Kaiserzeit wurde von Glykon, die mediceische Venus von Kleomenes, die sogen. Germanikusstatue (Hermes) im Louvre von einem anderen Kleomenes, die Karyatiden am Pantheon des Agrippa von Diogenes, sämmtlich Athenern, gefertigt. Neben Athen bleibt Kleinasien die Heimath zahlreicher Künstler, wie Ephesus, woher Agasias der Schöpfer des borghesischen Fechters im Louvre, Priene, woher Archelaos (die Apotheose des Homer, Relief im brittischen Museum) stammt, ebenso Aphrodisias u. s. w.

§. 49.

Einseitige ästhetische Lehrmeinungen haben den Glauben an die Farblosigkeit der griechischen Kunst, an die untergeordnete Bedeutung der Malerei aufgebracht. Es galt als ein Frevel an dem idealen Formensinn der Hellenen, die zureichende Kraft der blossen Linie ohne eine belebende Nachhülfe durch die Farbe zu bezweifeln; es erschien der plastischen Natur dieses Volksstammes widersprechend, dass es auch eine reiche malerische Phantasie entwickle. Unbestreitbaren Thatsachen gegenüber sind beide Ansichten unhaltbar geworden; es muss nicht allein der Malerei eine ausgedehnte Pflege und hohe Blüthe im griechischen Alterthum zugeschrieben werden, auch die Skulptur hat zweifellos die Mitwirkung der Farbe nicht verschmäht, gleich der Architektur die Anwendung der Polychromie gestattet. Ein strenges System der Polychromie der griechischen Skulptur lässt sich bei dem mannigfachen Grade und der vielfachen Abstufung der üblichen Bemalung nicht füglich aufstellen. Es gehört zur Polychromie bereits der Gebrauch eines verschiedenen Materiales für die nackten Theile und die Gewandung, sei es nun eines grobkörnigen Steines für die Gewandung (und männliche Gestalten), eines feinkörnigen für die Fleischtheile, wie in Selinunt, oder Holz und Marmor, Elfenbein und Goldblech, ebenso wie die Bemalung der Kleidersäume, die Vergoldung der Haare und Waffen, und die angebliche vollständige Uebermalung, für welche einzelne Archäologen den Beleg in der Erzählung des Plinius von der »circumlitio« praxitelischer Marmorbilder durch den Maler Nicias finden wollen, obgleich wahrscheinlich dieses Wort nur die farbige Einfassung der[S. 89] Gewandränder, Haare (oder einen enkaustischen Wachsüberzug?) bedeutet. Farbenreste sind an den erhaltenen Monumenten, sowohl an den Tempelskulpturen, wie an freistehenden Statuen in so grosser Zahl nachgewiesen worden, von den äginetischen und lycischen Skulpturen bis zur mediceischen Venus herab, dass die allgemeine Sitte der Polychromie kaum bezweifelt werden kann; nur ging dieselbe nicht so weit, dass sie den plastischen Werken einen bunten Ausdruck verlieh, oder eine auch im Kleinen und Besonderen durchgeführte Naturwahrheit anstrebte. Namentlich Marmorwerke traten dem Beschauer in wesentlich weisser Erscheinung entgegen. Wir finden den Augenstern durch Farbe bezeichnet, und damit die Richtung des Blickes bestimmt oder aus edlem Materiale eingesetzt, die Haare vergoldet, die Lippen bemalt (Aegineten), die Gewandsäume mit farbigen Zierathen bedeckt, auch wohl das ganze Gewand mit Farbe angestrichen (vatikanische Amazone), die Attribute, Waffen, Pferdegeschirre von Metall angesetzt u. s. w. Im Allgemeinen ist also die Farbe nur als belebender Schmuck verwendet, das zufällige äussere Zugehör ungleich reicher und ausführlicher bemalt, als die organischen Glieder, das Nackte bei den Erz- wie bei den Marmorbildern in der natürlichen Farbe des Materiales belassen, kurz die gleichen Grundsätze hier festgehalten, welche an der Polychromie der Architektur wahrgenommen werden. Auch dort dient die Farbe dekorativen Zwecken, oder zur schärferen Abhebung und Trennung der einzelnen Glieder, die grösseren Massen jedoch bleiben von derselben befreit.

Bleibt trotz aller Zugeständnisse an die Polychromie das Wesen der Plastik unberührt, und uns vergönnt, an einfachen ungefärbten Gypsabgüssen die eigenthümliche Schönheit des griechischen Formensinnes zu studiren: so können wir auch ohne Bedenken das Vorurtheil von der ausschliesslichen plastischen Begabung der Hellenen aufgeben und an die ausgedehnte Blüthe der Malerei glauben, ohne desshalb späteren Kunstperioden, welche für sich die höchste Ausbildung der Malerkunst in Anspruch nehmen, nahe zu treten oder die hervorragende Bedeutung der griechischen Skulptur zu verkennen. Nichts berechtigt zu der Annahme, die griechischen Künstler hätten in ihren Gemälden die specifisch malerischen Wirkungen, die Reflexe des Lufttones, das eigenthümliche Licht- und Schattenspiel angestrebt, welches wir an Werken der neueren Zeit bewundern; es blieb viel[S. 90]mehr auch hier der Umriss, die Modellirung, die Form die Hauptsache, die tiefere innere Einheit mit der Plastik bewahrt. Den Beweis dafür liefert, in Ermangelung der Originaldenkmäler, deren Verlust wir leider sämmtlich zu beklagen haben, ausser Quintilians Erzählung von dem Verfahren der Maler, die einzelnen Figuren auseinander zu halten, dass nicht die Schattenwirkung die Einheit der Form beeinträchtige, die Art und Weise, wie die Nachwelt die Entstehung der Malerei auffasste und als Sage überlieferte. Sie erzählt von der Tochter des korinthischen Töpfers Butades, welche den Schattenriss des scheidenden Geliebten an der Wand festhielt, (auch Kleanthes von Korinth und der Aegypter Philokles werden als die Erfinder der Umrisszeichnung gepriesen) von dem Korinther Ardices und dem Sikyonier Telephanes, welche den äusseren Umrissen auch innere Linien zur Andeutung der Körperformen hinzufügten, von dem Korinther Kleophant, welcher zuerst einfarbige Bilder (Monochromen) fertigte, von dem Athener Eumarus, welcher bereits die Geschlechter auch in der Farbe unterschied u. s. w., bis allmälig das lange Zeit gültige System der Tetrachromie, die Anwendung von vier Hauptfarben: Weiss, Roth, Gelb und Schwarz sich herausbildete. Können wir in diesen Sagen auch nur die kunstphilosophische Anschauung einer späteren Zeit, wie sich dieselbe die Entwicklung der Kunst dachte, nicht deren reale Geschichte erkennen, so bleibt dennoch die vorausgesetzte plastische Richtung auch der ältesten Malerei, die Stellung, welche man derselben zur Skulptur einräumte, im höchsten Grade charakteristisch.

So mager auch diese ästhetische Erkenntniss ist, wir wären dennoch trotz der zahlreichen Nachrichten über die Maler des Alterthums bei römischen und griechischen Schriftstellern über den herrschenden Styl nicht viel besser unterrichtet, kämen uns nicht glücklicher Weise die zahllosen Vasengemälde zu Hülfe, welche noch unaufhörlich dem griechischen und italischen Boden entlockt werden, eine verhältnissmässig geschlossene geschichtliche Entwicklung an sich offenbaren, und nachdem sie die längste Zeit zu einem unfruchtbaren archäologischen Spielzeuge dienten, jüngst auch eine geläuterte wissenschaftliche Behandlung erfahren.

Die Fundorte für bemalte Vasen sind in Griechenland namentlich Athen, Korinth, die Inseln, dann in Italien: Sizilien (Girgenti), auf altem bruttischem Boden Locri, ferner Apulien (Rubi), Lukanien[S. 91] (Armento, Anxia), Kampanien (Nola) und im Norden der Tiber auf etrurischem Gebiete: Veji, Caere, Vulci, Volaterrae u. a. Die nolanischen Vasen, zierlich geformt, intensiv und glänzend gefärbt, die Bilder nicht figurenreich, mit Vorliebe auch das Privatleben behandelnd und die inschriftenreichen vulcentischen, in der vollendeten Technik den erstgenannten gleichstehend, aber im Style gemessener, höher gegriffen als jene, bilden mit Recht die berühmtesten Gruppen. Der ehemals vorausgesetzte etruskische Ursprung der Vasen ist gegenwärtig allgemein zurückgewiesen, die griechische Abstammung über jeden Zweifel hinaus festgestellt, und zwar weisen die in der älteren Zeit vorherrschenden dorischen Inschriften auf Korinth, der später ausgebildete reine Atticismus auf Athen als den Fabriksort hin, womit auch der bekannte Ruhm beider Städte in der Erzeugung von Töpferwaaren übereinstimmt. Dass namentlich seit der Zerrüttung der öffentlichen Verhältnisse Griechenlands neben der Einfuhr eine einheimische Fabrikation in Italien bestand, wird keineswegs geläugnet; für Apulien und Lukanien, wo es an griechischen Kunstanregungen keineswegs fehlte, dann für Etrurien, wo die Neigung für den älteren Styl herrschend blieb, gilt dieser selbständige Betrieb als unbestrittene Thatsache; nur sind griechische Vasen überhaupt in der Mehrzahl vorhanden, und ihre Benützung als Vorbilder auch für die einheimisch italienische Produktion ebenso gewiss als die letztere selbst. Die Gefässformen, welche wir an den gewöhnlich in Gräbern gefundenen bemalten Vasen bemerken, haben bis jetzt noch keine scharf bestimmte, klare Eintheilung erfahren, besser sind wir über die Stylentwicklung der Vasenbilder unterrichtet.

Der ältesten Zeit gehören die sogen. ägyptisirenden Vasen von blassgelbem Thone und schwarzbraunen Malereien an, welche letztere ausser Pflanzenmotiven und anderen Ornamenten phantastisch gebildete Thiergestalten enthalten. Der häufigste Fundort ist ausser Nola, Vulci, Veji u. a. Griechenland, wohin die eigenthümliche Dekorationsweise wohl aus assyrisch-babylonischen Landschaften sich verpflanzt hatte.

Eine zweite Stylepoche, durch mehrere Mittelstufen mit der erstgenannten verknüpft (Françoisvase in Florenz), wird durch die schwarzen Figuren auf rothem Grunde vertreten. Bei höchst sauberer Ausführung ist doch alle Bewegung und Kraft auf den eigentlichen Körper concentrirt, und diese mit heftiger Gewaltsamkeit ausgedrückt;[S. 92] dagegen mangelt den stets im Profil gezeichneten Köpfen ebenso sehr die Schönheit als das Leben. Noch während diese Vasengattung im Gebrauche war (man rechnet die Dauer des alten Styles etwa bis zur 114. Olymp.), begann man bei der Bilderfertigung das entgegengesetzte Verfahren einzuschlagen und die Gestalten auf schwarzem Grunde roth zu färben, ja zuweilen wurden beide Weisen, rothe und schwarze Figuren, auf einem Bilde vereinigt. An die erstgenannten legt sich alle weitere Entwicklung der Vasenmalerei an. Man unterscheidet einen älteren strengen Styl, den äginetischen oder lycischen Skulpturen vergleichbar, und den jüngeren schönen Styl (bis Alexander den Grossen). Schon bei jenem verschwinden alle symbolischen Beihülfen einer noch ungelenken Zeichnung; die letztere erscheint durchgebildeter, scharf bestimmt, die Composition lebendiger, gruppenreich, wenn auch beides, Zeichnung und Composition, noch eine mannigfache Gebundenheit, jene an das Profil, das Unverkürzte, diese an das gemessen Würdevolle, Züchtige in der Empfindung, offenbaren. Im schönen Style tritt bei übrigens gleicher Technik und schlanken, höchst eleganten Gefässformen die Richtung auf das Anmuthige, Ueppigweiche in den Umrissen und in den mit Vorliebe behandelten jugendlichen und weiblichen Formen in den Vordergrund, wofür namentlich die Schilderungen des bacchischen Lebenskreises die geeignetsten Vorwürfe abgaben. Erst nachdem in Attika die Vasenfabrikation sank, seit dem dritten Jahrhundert v. Chr., bildet sich in Lukanien und Apulien ein selbständiger Betrieb aus. Die hier vorherrschende griechische Bildung erklärt das hellenische Element namentlich im Inhalte der Darstellungen. Die späte Zeit, das in dem fremden Lande nicht so wie auf griechischem Boden heimische ideale Maass der Phantasie macht die Flüchtigkeit und Ueberladenheit des Styles begreiflich. Der Name von Prachtvasen mag den dieser Gattung angehörigen Gefässen billig bleiben, nur darf dabei nicht an einen tieferen künstlerischen Werth gedacht werden. Gleichzeitig mit Apulien und Lukanien entwickelte sich auch in Etrurien eine heimische Vasenfabrikation, ohne aber die Bedeutung der früher genannten zu erringen, bis die vordringende Römerherrschaft dem ganzen Kunstzweige ein Ende setzte.

Von den Vasenbildern nun lassen sich einzelne Züge auch für die griechische Malerei abstrahiren, unter der Einschränkung jedoch,[S. 93] dass man den Unterschied zwischen dem handwerksmässigen Betriebe und der künstlerischen Schöpfung stets festhält und die Parallele auf die späteren Perioden (Alexandrinisches Zeitalter) nicht ausdehnt. Damals nämlich trat in der Malerei das Streben nach Coloriteffekten in den Vordergrund, wofür die nur durch den Contrast der glänzend schwarzen Farbe zum natürlichen Roth des Thones und sonst nur durch die ideale Zeichnung wirksamen Vasenbilder auch nicht die entfernteste Andeutung gewähren können.

§. 50.

Die ersten Entwicklungsstufen der griechischen Malerei, von der Umrisszeichnung zur Andeutung der Muskulatur und des Gliederbaues durch flüchtige Linien, zu mannigfachen Kopfwendungen, schärferem Gliederausdruck, bestimmter Muskelbezeichnung und freierem Faltenwurfe, welches Alles dem Kimon von Kleonai zuerst zugeschrieben wird u. s. w., wurden bereits früher erwähnt. Nähere Nachrichten über den weiteren Gang der Entwicklung besitzen wir nicht, wenn gleich einzelne Künstlernamen (Bularchos von Kandaules u.A.) und Bildernamen (Uebergang des Darius über den Bosporus vom Baumeister Mandrokles nach Samos geweiht) aufbewahrt sind. Erst das Zeitalter des Phidias bringt uns über die Schicksale der Malerei nähere Kunde und zeigt die athenische Schule bereits in hoher Blüthe.

Um den Thasier Polygnot, des Malers Aglaophon Sohn (u. 79. Olymp.), reiht sich eine zahlreiche Künstlergruppe: Panänos, des Phidias Vetter und Gehülfe (bei der polychromen Statuenverzierung), Timagoras aus Chalkis, der Aeginete Onatas, der als Pferdemaler berühmte Mikon, der Bühnenmaler Agatharchos, Dionysios aus Kolophon, Aglaophon u. A. Der Hauptschauplatz ihrer Wirksamkeit war die Lesche in Delphi, die Poikile in Athen, die Tempel in Platää, Thespiai, die Gegenstände der Darstellung historischer und mythischer Natur. So malte Panänus in der Poikile die Schlacht bei Marathon und zwar mit porträtartiger Charakteristik der Feldherrn, Polygnot in der delphischen Lesche das eroberte Ilion, die Abfahrt der Hellenen, Odysseus Besuch in der Unterwelt, Mikon im Theseustempel Kämpfe der Amazonen und Centauren. Aus den Merkmalen, welche alte Schriftsteller an Polygnots Werken rühmend hervorheben und welche wohl von dem gesammten gleichzeitigen Künstlerkreise gelten mögen, sich ein klares Bild von dem Kunstcharakter des Meisters[S. 94] zu entwerfen, unterliegt mannigfachen Schwierigkeiten. Bei einfachem strengen Colorite erscheinen die Augenbrauen schön gezogen, die Wangen geröthet, der Blick belebt, der Mund sprechend geöffnet, die Gewänder leicht und zierlich gefaltet und durchsichtig (?) gemalt. In der lebendigen Zeichnung liegt also Polygnots technische Stärke, dazu kommt Aristoteles Bemerkung von dem Maler edler Charaktere, welcher die Menschen besser darstelle als sie seien, und die aus den Inhaltsangaben seiner Bilder gewonnene Ueberzeugung von dem Figurenreichthume seiner Compositionen. Auch durch den Gegensatz zur späteren Malweise lässt sich Einzelnes für die Erkenntniss seines Kunstcharakters abgewinnen.

Nachdem der Bühnenmaler Apollodor die Wirkungen von Licht und Schatten, die malerische Illusion in das Bereich der Studien gezogen und einen glänzenderen sinnlichen Reiz seinen Gestalten einverleibt hatte, so dass erst sie das Auge des Beschauers dauernd fesselten, beginnt auf ionischem Boden (Ephesus) im vierten Jahrhundert v. Chr. eine neue Periode in der Geschichte der griechischen Malerei. Die epische Breite der Composition, an Polygnots Werken mit Recht hervorgehoben, verschwindet, auch der ideale strenge Sinn in der Auffassung, die gemessene, einfach reine Zeichnung tritt zurück, Raum gebend einer in das Einzelne arbeitenden, individualisirenden Ausführung, wobei der Farbe ein ungleich grösserer Wirkungskreis anheimfiel. Leider sind wir nicht im Stande, aus dem Gebiete der Vasenmalerei ähnliche Parallelen für diese Kunstweise heranzuziehen, wie dies mit den Vasenbildern strengen Styles für Polygnot der Fall ist. Der Vorwurf, den Aristoteles über die Bilder des Zeuxis (u. 90–100. Olymp.) fällt, es mangle denselben die sittliche Würde, das Ethos; die Vorzüge, welche von den Werken der ionischen Schule behauptet werden: die Kraft der Illusion (die bekannten Trauben des Zeuxis und der Vorhang des Parrhasios), die weiche Rundung der Formen, die Feinheit der Contouren (von Parrhasios gerühmt), die nicht die Gestalten reliefartig abschnitten, sondern sich sanft verliefen, der pathetische Ausdruck im Bilde des Timanthes: Opfer der Iphigenia, bezeichnen die auf das Malerische, Individuelle gerichtete Kunstweise. Auch die Gegenstände, welche zur Darstellung gewählt werden, sind für die herrschende Sinnesrichtung charakteristisch. So malt Zeuxis die Helena, Penelope, Alkmene, den Pan, den thronenden Jupiter, den jugendlichen[S. 95] Drachentödter Herakles, eine Centaurenfamilie, Parrhasios den Theseus, der nachmals auf dem römischen Kapitole bewahrt wurde, die Gruppe des Melager, Herakles, und Perseus, zwei Hopliten, den einen schweisstriefend in den Kampf eilend, den anderen ermattet niedergesunken, die Personifikation des athenischen Demos, so lebenswahr und ausdrucksvoll, dass man in der Gestalt alle Eigenschaften des athenischen Volkes, auch die widersprechendsten, zu lesen wähnte, und andere Heroen und Porträtfiguren. In dieser Vorliebe für die Darstellung von Einzelgestalten und einfachen Gruppen, wobei nothwendig die scharfe Individualisirung, der Reiz der Färbung die wichtigste Aufgabe wurde, spricht sich der Gegensatz zur figurenreichen, epischen Composition der älteren attischen Schule deutlich aus.

Der ionischen Malerschule geht die sikyonische, von Eupompos und Pamphilus (97–107. Olymp.) gegründet, zur Seite. Ihre nähere Entwicklungsgeschichte ist unbekannt, ihr Kunstcharakter ist wohl als ein schärferes Eingehen auf den Naturalismus aufzufassen, der eine minder reiche Färbung, als den Ionern eigenthümlich war, aber eine sichere, feste Zeichnung im Gefolge hatte. Auch die ausgedehnte theoretische Bildung, eine gewisse akademische Gelehrsamkeit wird den Merkmalen der sikyonischen Schule beigezählt. Eine reichere Ausbildung und vielfache Anwendung erhielt in dieser Zeit die enkaustische Malerei (Aristides und Pausias), eine Technik, von welcher wir nur so viel wissen, dass sie die Farbstoffe mit Wachs verband und dem Grunde einbrannte, ohne trotz vielfacher Versuche sie wiederherstellen zu können. Ausser den genannten Meistern Eupompos und Pamphilus aus Macedonien werden noch Echion (die verschämte Neuvermählte, Semiramis, die Allegorien der Tragödie und Komödie u. a.), Melanthius, wegen der verständigen Anordnung seiner Bilder berühmt, Pausias, in der Dekorationsmalerei ausgezeichnet, in der Verkürzung und Schattirung (Modellirung) der Gestalten kenntnissreich (Kranzwinderin Glykera) hervorgehoben; Euphranor, in Athen thätig, scheint mehr die heroische und historische Malerei gepflegt zu haben (Zwölfgötter, Theseus, kräftiger gebildet als des Parrhasios gleichnamiges Bild, Reitergefecht); auch der Athener Nikias widmet, vielleicht der heimischen Kunsttradition folgend, ähnlichen Darstellungen von figurenreichen mythischen und historischen Scenen seinen Pinsel. Dagegen wird[S. 96] Aristides von Theben durch den leidenschaftlich pathetischen Ausdruck in seinen Bildern gerühmt.

Alle Maler Griechenlands überstrahlt an Reichthum der Begabung, Gewandtheit der Ausführung und Grazie Apelles von Cos (356–308 v. Chr. thätig). Er vereinigte die Vorzüge der sikyonischen und ionischen Schule (oder hob vielmehr die hier einseitig verfolgten Richtungen auf), wusste durch die Frische der Färbung und Zartheit der Umrisse zu fesseln und über seine Werke den Hauch der Anmuth zu verbreiten. Die Venus Anadyomene, den Meereswellen entsteigend, für Cos gemalt, später nach Rom gebracht, erwarb ihm den höchsten Ruhm; ausser diesem Werke werden noch Schlachten- und Heroenbilder und zahlreiche Portraite (namentlich Alexanders) aufgezählt. Der Glanz, welchen Apelles Thätigkeit im Zeitalter Alexanders des Grossen auf die Malerei warf, scheint unter der Herrschaft seiner Nachfolger wenigstens äusserlich nichts verloren zu haben. Ausser den Zeitgenossen des Apelles: Protogenes, Asklepiadorus, Ktesilochus sind uns noch zahlreiche Künstlernamen erhalten, ohne dass wir über den artistischen Charakter derselben näher unterrichtet wären. Bezeichnend ist die häufig beklagte Vorliebe für parodirende Darstellungen, für Gegenstände des sogen. Genrefaches und Stilllebens. Pyreikus, unbekannten Alters, soll zuerst Barbierstuben und Schusterbuden, junge Esel, Küchengemüse u. dgl. gemalt haben. Auch die Mosaikmalerei zu Dekorationszwecken kam erst jetzt am Schlusse der griechischen Kunst in Aufnahme (Sosus von Pergamus). Dass der Naturalismus, den wir schon in der früheren Periode in der griechischen Malerei waltend erblickten, zuletzt auch die Stoffwelt umwandeln und die Dinge des gewöhnlichen Lebens als der künstlerischen Verherrlichung würdig empfehlen werde, ist begreiflich, ebenso wie die Auflösung der Malerei in eine dekorative Kunst nur ein allgemein gültiges Gesetz der kunstgeschichtlichen Entwicklung wiederholt.


[S. 97]

2. Etrusker und Latiner.

§. 51.

Die alteinheimischen Stämme Italiens: die Japyger, Etrusker, Latiner, der umbrisch-sabellische Stamm haben vor der griechischen Einwanderung keine kunstgeschichtliche Stellung. Es mag denselben nicht an künstlerischen Anregungen und Ansätzen gefehlt haben, der Kultus wartete nicht erst auf hellenische Lehrmeister, um sinnliche Zeichen und Bilder der Götter zu entwerfen; vor dem hellenischen Einflusse aber tritt die heimische Eigenthümlichkeit stark in den Hintergrund zurück, so dass neben der unmittelbar aus Hellas verpflanzten und in den griechischen Colonien gepflegten Kunst, auch die übrigen Kunstweisen der stetigen griechischen Einwirkung unterworfen bleiben. Die Wanderungen des Dädalus in Italien sind der sagenhafte Ausdruck dieses Verhältnisses. Die Ablagerungen der älteren griechischen Kunstbildung in Italien lassen sich stufenweise verfolgen. Cyklopische Mauern kommen in Pyrgi, Cosa, Saturnia, noch viel häufiger auf latinischem Boden, die Scheinwölbung durch vortretende Mauertheile in den Gräbern von Caere, Alsion, im Brunnenhause (tullianum) auf dem Kapitole vor. Doch ist auch die wirkliche Wölbung im Keilschnitte nicht unbekannt, ja hier früher ausgebildet gewesen, als in Griechenland. Ihre ältesten Beispiele sind die Mündung eines Abzugskanals bei Graviscae, die Mündung der cloaca maxima in Rom und mehrere Stadtthore (Tarquinii, Volterra u. A.). Bei der eigentlichen Tempelarchitektur haben wir die Bauten der griechischen Colonisten auf Sicilien und in Unteritalien von den Bauanlagen der heimischen Bevölkerung zu unterscheiden. Jene (Selinunt: sechs Tempel, Agrigent, Egesta, Syrakus, Pästum: Neptun- und Cerestempel, Metapont) haben den griechischen Styl festgehalten, ihre Erbauer ebensowenig in der Architektur und Bildnerei (die alterthümlichen Metopenbilder zu Selinunt) als in Sitten und Rechten den Zusammenhang mit dem Mutterlande aufgegeben. Fremdartiger erscheinen die Tempel der heimischen Stämme, wie der Etrusker, der älteren Römer. Von monumentalen Resten hat sich zwar nichts erhalten als einige Säulentrümmer zu Volci und Bomarzo, aus welchen eine besondere tuskische Säulenordnung herauszudeuten schwerlich gelingen kann. Auch die Ansicht, die tuskische Säule sei aus Griechenland, und zwar zu einer[S. 98] Zeit herübergebracht worden, in welcher der dorische und ionische Styl sich noch nicht getrennt hatten (daher das dorische Kapitäl und die halbionische Basis bei den tuskischen Säulen), besitzt nur hypothetischen Werth, zumal sie ihre Voraussetzung, die ursprüngliche Einheit der griechischen Säulenformen, erst beweisen müsste. Doch haben sich schriftliche Nachrichten von der allgemeinen Anlage italischer Tempel erhalten. Ihre Eigenthümlichkeit beruht auf dem steilen, weitvorspringenden Dache, dem Holzgebälke und dem beinahe quadratischen Grundrisse. Die Vorhalle erhält eine grössere Tiefe, als bei den griechischen Tempeln, der Säulenbau umschliesst nicht den ganzen Tempel, sondern beschränkt sich auf die Fronte und die beiden Langseiten. Alle diese Abweichungen sind nicht so bedeutend, um die Möglichkeit griechischer Wurzeln abzuweisen, welche allerdings in Folge des verschiedenen Kultes mehrfache Veränderungen (z.B. drei Cellen) erlitten.

§. 52.

Ueber eine andere Architekturgattung haben neuere Forschungen und Ausgrabungen ein grösseres Licht verbreitet, nämlich über den Gräberbau der Etrusker.[33] Viele dieser Gräber gehören dem früher beschriebenen Hügelbaue an, und sind nichts weiter als Nachklänge aus der Kindeszeit der Kunst, so z. B. der Cucumella bei Volci, ein viereckiger Thurm auf einem kreisrunden Unterbaue, wahrscheinlich von Kegeln umgeben, andere Steinhügelreste in Tarquinii, das sogen. Grab der Horatier und Curiatier bei Ariccia (römischen und späteren Ursprungs) und das von Plinius beschriebene Grab Porsenas. Wichtiger sind die Façadengräber bei Norchia und Castel d'Asso in der Nähe von Viterbo. Der Felsen, in dessen Innerem die Grabkammern verborgen sind, wird nach oben abgeschrägt, mit einem kräftigen, geradlinigen Gesimse (selten einem Giebel) gekrönt; eine Scheinthüre, deren Sturz durch eine Schweifung mit den Pfosten verbunden ist, bildet die Mitte dieser Façade. Die Grabkammern sind bei dieser Gattung unansehnlich und niedrig, die Aehnlichkeit mit den lycischen Gräbern wohl nur äusserlich und zufällig. Natürlich konnten die Façadengräber nur in felsigen Gegenden in Gebrauch kommen; in [S. 99]offenen Landschaften wurde der äussere Bau der Gräber aufgemauert. Da aber der Mauerbau eine geringere Dauer besitzt als Felswände, so fehlen uns hier die Spuren der äusseren Architektur (tumuli), und sind wir bloss auf die unterirdischen Grabkammern angewiesen. (Volci, Tarquinii bei Corneto, Caere oder Cerveteri.) Desto lohnender ist die hier gemachte Ausbeute. Nicht selten ist in der Behausung des Todten die Wohnung des Lebendigen nachgebildet, der Eingangstreppe ein weiter Vorraum angereiht, welcher erst zu den eigentlichen Grabkammern führt. Die Wände sind mit Wandmalereien geschmückt, die Decken den Holzbauten nachgeahmt, giebelförmig oder kuppelartig ausgehauen, Pfeiler stützen die Decke; den Wänden entlang stehen die Sarkophage, auf Steinbänken ist der Hausrath des Verstorbenen aufgestellt. Diese Ansammlung des mannigfachsten Geräthes, namentlich der Vasen, verleiht den etruskischen Gräbern noch einen besonderen archäologischen Werth. Als Beispiel möge das sogen. Grab der beiden Sessel (Fig. 46) dienen, eines der bedeutendsten in der Nekropole von Caere. Dem Vorraume (A) schliessen sich zwei rechteckige Kammern an, von welchen die eine (B) als Triklinium diente, die andere (C) das Leichenbett und zwei Sarkophage enthält. Der mittlere Hauptraum (D) ist bis auf die beiden aus dem natürlichen Stein gehauenen Sesseln (a) die treue Nachbildung eines Prunkzimmers; die drei hintersten ungleichen Kammern, mit Bänken versehen, bargen die dem Todten beigegebenen Geschenke.

Fig. 46. Grab aus Caere.
§. 53.

Die Bildnerei in Stein verhinderte der Mangel an einem passenden Materiale, desto zahlreicher und bedeutender sind die in Metall und Thon ausgeführten Werke. Nicht alles jedoch, was uns aus dem italischen Alterthum bewahrt wurde, darf auf Rechnung der Etrusker[S. 100] gesetzt werden. Neben ihnen behaupten sich in der altitalischen Kulturgeschichte die Latiner (von umbrischen Bildungsstoffen ist nichts bekannt, doch hat der Mars von Todi, eine Bronzefigur im etruskischen Museum des Vatikan, eine umbrische Inschrift), und weit entfernt, den Etruskern an Kunstsinn nachzustehen, muss vielmehr das reinere Schönheitsgefühl den Anwohnern von Latium zugeschrieben werden. Eine scharfe Trennung der etruskischen und latinischen Kunstweise lässt sich zwar aus dem doppelten Grunde nicht durchführen, weil sie vielfach ineinander fliessen und theilweise eine gemeinsame — griechische Wurzel besitzen (doch ist die engere griechische Heimath der latinischen Kunst schwerlich dieselbe, wie jene der etruskischen). Nur einzelne Unterschiede liegen klar am Tage, wie z. B., dass die gravirten Schmuckkästchen den Latinern, die gravirten Spiegel den Etruskern angehören; bei den letzteren ferner der Gebrauch, die Gräber mit Wandgemälden auszuschmücken, ausschliesslich herrscht, während im Uebrigen allerdings auch die Latiner an der Blüthe der italischen Malerei ihren gebührenden Antheil haben. Von grösseren plastischen Werken hat die kapitolinische Wölfin, deren antiker Ursprung übrigens nicht ohne Anfechtung geblieben, sowie die Porträtstatue des Aulus Metellus Anspruch auf latinischen Ursprung, bei den anderen deutet ihr Fundort, wie z. B. Arezzo, die etruskische Abstammung an. Die bekanntesten Werke in Erz sind nebst den genannten die Chimära in Florenz, der Knabe mit der Gans in Leyden, die geflügelte Minerva und der jugendliche Tages (ein am Boden sitzender Knabe mit der Bulla am Halse) im vatikanischen Museum u. s. w. Bei steifer, harter Zeichnung und alterthümlichen Haltung ist die derbe Lebendigkeit der Köpfe bemerkenswerth. Von den grossen Thongebilden, in deren Fertigung sich die Etrusker dauernden Ruhm erwarben, sind natürlich nur geringe Reste auf uns gekommen. Von dem rothbemalten Jupiter im kapitolinischen Tempel, von dem Viergespanne auf dem Tempelgiebel hat sich bloss der Name des Künstlers: Volcanius von Veji erhalten. Doch bewahrt das etruskische Museum im Vatikan mehrere Terracottenfiguren auf Sarkophagdeckeln und Terracottenreliefs, welche über den Styl der etruskischen Kunst, ihre Verzerrung griechischer Stoffe, das grosse mechanische Geschick und den wenig ausgebildeten Formensinn Auskunft geben.

Nicht in Monumentalwerken, sondern in Gegenständen der[S. 101] Kleinkunst, in Bronzegeräthen, wie Schalen, Kelche, Kandelaber, in Goldarbeiten liegt der Glanzpunkt der etruskischen Kunst. Den äusseren Beweis dafür liefert die Gunst, welche derlei Werke in Athen fanden. In der That ist die Fülle der Motive, welche uns bei den schlanken Kandelabern entgegentreten, die sinnige Verzierung der Dreifüsse, dort die Vögel, Katzen, Schlangen, die einander verfolgend an der gewundenen Kandelaberstange emporklimmen, hier die Thiergestalten, auf welchen das Gestelle ruht, dann die in Gold getriebenen Blumenkränze, die feine Löthung des Goldes, der tadellose Geschmack der Ornamente des höchsten Lobes würdig. Fremdartiger weht uns der figürliche Theil der Dekoration, namentlich an den älteren in Caere gefundenen Gefässen an, die Thierkämpfe, die mannigfachen Fratzen und Masken, für welche wir keine Bedeutung auffinden können und die uns unwillkürlich in den Orient zurückversetzen. Doch ist an einen ägyptischen oder assyrischen Ursprung schwerlich zu denken.

§. 54.

Nächst den bemalten Thongefässen ziehen in neuerer Zeit die auf der Rückseite mit gravirten Zeichnungen versehenen Metallspiegel die Aufmerksamkeit der Archäologen auf sich. Die Gegenstände der Darstellung sind der griechischen Mythen- und Sagenwelt entlehnt, die Zeichnung oft übertrieben, hart oder flüchtig, die Compositionen aber stets ausdrucksvoll und die Gruppen geistreich dem runden Rahmen eingepasst. Dass wir es mit etruskischen Werken zu thun haben, beweisen die etruskischen Inschriften; auch lässt sich aus den Stylunterschieden, wenn nicht auf verschiedene Zeitalter, so doch auf verschiedene Schulen schliessen; im Ganzen aber entziehen sich diese Arbeiten noch der genaueren kunsthistorischen Bestimmung, so einladend und genussreich auch die Einzelbetrachtung ist. Aehnliches gilt von den gravirten Schmuckkästchen (cistae mysticae), für welche der latinische Ursprung als Regel angenommen wurde. Nur ein Beispiel muss als eines der edelsten und reinsten Erzeugnisse der antiken Kunst namentlich hervorgehoben werden: Die ficoronische Ciste im Museum Kircherianum, der cylindrische Körper mit Darstellungen aus dem Argonautenzuge verziert, Füsse und Deckel von anderer, plumperer Hand und auf der Fussplatte eine Inschrift aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. mit dem Namen des Künstlers: Novius Plautius. Hat Novius Plautius[S. 102] den Mittelkörper geschaffen, so würden wir darin ein Werk kampanischer Kunstfertigkeit erblicken, wo allerdings griechischer Kunstsinn eine dauernde Heimath fand. Die bewunderungswürdige Vollendung so vieler gravirten Darstellungen bei den Etruskern lässt auf eine grosse Blüthe der zeichnenden Künste überhaupt, also auch der Malerei, schliessen. In dieser Erwartung findet man sich bei der Betrachtung der etruskischen Grabbilder (Tarquinii, Clusium, Veji, Vulci) nicht wenig getäuscht. Die Motive sind zwar reichhaltig genug und lassen das religiöse und private Leben des Volkes in Todtenzügen, Festgelagen, Tänzen u. s. w. vor unseren Augen vorüberziehen, aber schon die Zeichnung hat neben übermässiger Bewegung der einzelnen Gestalten eine grosse Gebundenheit, ein enges architektonisches Maass, und vollends die Färbung führt uns in ein völlig fremdes Gebiet. Im Gegensatz zu der Mannigfaltigkeit der natürlichen Färbung wird hier Alles auf die vier primären Farben zurückgeführt, und jeder dieser Haupttöne einer grösseren natürlichen Farbenskala gleichgesetzt. Himmelblau z. B. umfasst neben Blau auch noch Grün, Grau, das Hellfarbige überhaupt und wird bei der Malerei von Pflanzen, Pferden, Metallgeräthe u. s. w. ohne Bedenken angewendet. Es herrscht in diesem Farbenprinzipe keineswegs rohe Willkür, schon die Thatsache seiner weiten Verbreitung (Aegypten, Griechenland) spricht für eine bestimmte Regel; auch entbehrt dieser conventionelle Vortrag keineswegs fester Analogien. Es scheint die Wiederkehr der Hauptfarben gesetzlich festgestellt; die nähere Beleuchtung dieser Malweise und namentlich ihre Zurückführung auf optische Gründe lässt aber noch Alles zu wünschen übrig.

§. 55.

Die Anfänge der römischen Kunst vermischen sich unlösbar mit der etruskischen und latinischen Thätigkeit auf diesem Gebiete. Die altrömische Kunst, deren Zeugnisse allerdings nur in spärlichen schriftlichen Nachrichten auf uns gekommen sind, benützte die Fertigkeit der weiter vorgeschrittenen Nachbarstämme verhältnissmässig in dem gleichen Grade, wie später der griechische Kunstgeist in römische Dienste gepresst wurde. Eine praktische Richtung offenbaren die zahlreichen Nutzbauten: Wasserleitungen, Trockenlegung der Sümpfe, Strassenbauten, Brückenanlagen. Schon im dritten Jahrhundert der Stadt aber treffen wir auf Bereicherungen mit griechischer Kunst. Der Tempel der Ceres beim Circus Maximus wurde[S. 103] von zwei berühmten Plasten und Malern Damophilos und Gorgasos ausgeschmückt; auf der anderen Seite begegnen wir aber später einem Römer als Baumeister in Athen: Cossutius, welcher im Auftrage des Antiochos Epiphanes den Zeustempel umbaut. Auch der Sarkophag des Scipio Barbatus (454. s. E. R.) im Vatikan zeigt die Kenntniss und freie Mischung griechischer Formen. Dass der plastische Idealismus in Rom keine günstige Heimath fand, dafür spricht der frühe Gebrauch von Wachsmasken der Verstorbenen, die im Atrium aufgestellt und bei Aufzügen herumgetragen wurden, die Abneigung der Sitte gegen Darstellungen des Nackten und schliesslich die frühzeitige Pflege der Malerei, welche Kunstgattung wegen ihrer grösseren sinnlichen Kraft den derberen Römern besser zusagte. Ein realer Sinn, und die Verwendung der Kunst für praktisch-politische Interessen macht sich schon ursprünglich in der römischen Kunst geltend.


3. Rom.

§. 56.

Die römische Kunst, soweit sie in die geschichtliche Entwicklung der Kunst überhaupt eingreift, beginnt in Wahrheit mit der Plünderung der sizilischen und griechischen Kunstschätze und ihrer Ansammlung als Trophäen in Rom. Die Plünderung und Zerstörung von Korinth bezeichnet den Höhepunkt dieses prahlerischen Strebens (146 v. Chr.). Nicht lange dauerte es aber und diese, dem Barbarenstolze entsprungene Raubsucht wich einem ästhetischen Sammelgeiste, der die schöpferische Unfähigkeit durch die Ueberfülle des Genusses zu ersetzen suchte, und conservativen Staatsmännern frühzeitig für den politisch-kräftigen Geist der Bevölkerung Gefahr drohend dünkte. In der That wurde auch in der Cäsarenzeit die Kunst als Zähmungsmittel des Volkes verwendet, also auch jetzt wieder die Kunst ihrem eigentlichen Zwecke entfremdet. Das Entstehen einer Kunstkennerkaste, die sich stolz über die übrigen Idioten erhob, konnte diesen Mangel eines gesunden Bodens nicht ersetzen, und so bleibt bei aller Grösse, die den Zeugnissen des römischen Kunstgeistes sonst anklebt, und welche namentlich in der Architektur ganz unläugbar[S. 104] ist, die innere Nothwendigkeit vermisst, und der Luxus als eine wesentliche Quelle der künstlerischen Thätigkeit fühlbar. Auf der anderen Seite freilich erhielt sich eben dadurch die griechische Kunst länger lebendig und in ihrer Eigenthümlichkeit unangetastet, und vollends für die äussere Verbreitung der Kunstbildung, für die Weltgültigkeit der antiken Kunstformen hat gerade das raublustige, plündernde, sammelnde, naschende römische Volk das Grösste geleistet. Es hiesse aber mehr behaupten, als begründet werden kann, wollte man Rom in der letzten Zeit der Republik und in der ersten Kaiserzeit alle selbständige Kunstthätigkeit abstreiten. Sie ist in der Architektur sowohl, wie in den übrigen bildenden Künsten vorhanden. Der Klage, dass der organische griechische Säulenbau in Rom verunstaltet und verdorben würde, was sich an zahlreichen Gliedern nachweisen lässt, z. B. in den Eckmetopen, in der Anwendung ionischer Voluten auch bei Pilastern, in dem schwächlichen Gebälke, den wulstigen, plumpen Gesimsprofilen, den schlechten Verhältnissen u. s. w. stellt sich als Gegengewicht der Fortschritt der Architektur zum Gewölbebaue entgegen. Die organische Gliederung der griechischen Baukunst wird zur Dekoration: dekorativ ist das schwere prunkvolle römische Säulenkapitäl, zum erstenmale am Titusbogen angewendet und von dem korinthischen durch die derben Voluten, welche dem Blätterkranze entspringen, unterschieden, dekorativ die Säule selbst, nicht selten dem Hauptbaue vortretend und keineswegs zum Tragen bestimmt (Triumphbogen des Septimius Severus), dekorativ die sima, nicht mehr nämlich zur Regenrinne ausgehöhlt u. s. w.; aber im Gegensatze zu diesem Spiele erscheint der Massenbau nirgends so ausgebildet und in der Wirkung vollendet, als gerade wieder in Rom.

In der Bildnerei kann man den Römern die unreine Vermischung der Götter mit den Cäsaren, die grosse Zahl leerer allegorischer Gestalten, der virtus, honor, fides, aeternitas u. s. w., vor Allem die Einführung fremdartiger Götter, wie der Isis, des Mithras in den Kunstkreis, und die Versuche, materiell pantheistische Vorstellungen plastisch zu verkörpern, vorwerfen. Es darf aber der markige Realismus der Porträtstatuen (Marc Aurel), die scharf ausgeprägte Individualität in der Auffassung, die Naturwahrheit in den beinahe vollgebildeten Reliefdarstellungen auch nicht vergessen werden. Die Denkmäler der römischen Malerei sind nicht so mannigfaltig, als dass[S. 105] man einen allgemein gültigen Schluss auf ihren Zustand ziehen könnte; aber eine Gattung wenigstens, die zierlich-heitere Dekorationsmalerei, schuf schwer zu übertreffende Muster und wusste durch Reichthum und Schönheit zu fesseln, ohne ihre enggezogenen Schranken zu überschreiten. Die Unterschätzung der römischen Kunst tritt stets ein, wenn man die einzelnen Perioden nicht scharf auseinander hält und die Zeit von der Zerstörung Korinths bis auf Hadrian zusammenfallen lässt mit der folgenden Periode, in welcher allerdings das Ausleben der antiken Stoffwelt mit dem Verfalle der Formen gleichen Schritt hält, und nur das kulturgeschichtliche Interesse an den Denkmälern noch rege bleibt.

§. 57.

Nur wenige Baudenkmäler aus der Zeit der Republik entgingen der maasslosen Baulust besonders der ersten Imperatoren.[34] Doch hat sich von jenen wenigstens ein bedeutender Rest erhalten, nämlich der Unterbau des Capitols, das Tabularium, von C. Lutatius Catulus erbaut, eine innere Galerie, welche die Strebepfeiler des Oberbaues birgt, durch eine flach gewölbte Treppe mit dem Forum verbunden und darüber ein von dorischen Halbsäulen getragener Portikus. Nirgends erscheint vielleicht die Constructionskunst der Römer grösser als hier. Auch das Tempelsystem in S. Nicola in Carcere, drei Tempel so angeordnet, dass ihre Façaden in einer Linie zu stehen kommen, reicht in die Zeiten der Republik zurück. Sie führen den Namen der Pietàs (191 v. Chr.), Spes (254 v. Chr.) und Juno sospita (167 v. Chr.) und sind mit Ausnahme des letztgenannten dorischen Peripteros im ionischen Style erbaut. Der sogen. Tempel der Fortuna virilis (S. Maria egiziaca) mit einem falschen Säulengange an den Langseiten, d. h. mit halbvermauerten Säulen, ist charakteristisch durch die Anwendung bloss inländischen Materiales: Tuff, Peperin und Travertin, und die Terracottadekoration des Frieses; Servius Tullius soll ihn gegründet haben.

Fig. 47. Grundriss des Tempels in Tivoli.

Mit Augustus beginnt die Blüthezeit der römischen Architektur. Man begnügte sich nicht mit der Ausführung von Einzelbauten, sondern legte gleich neue gewaltige Stadttheile an, baute Fora, von einer zusammenhängenden Architektur eingeschlossen (Fora des Augustus, Nerva, Trajan), Lager (Tiber) und verlieh selbst den Ein[S. 106]zelanlagen (wie Thermen, Amphitheatern) eine kolossale Ausdehnung. Nebst Augustus stehen Nero, Vespasian und Trajan im Vordergrunde der römischen Baugeschichte. Dem Wanderer durch Rom sind die malerischen Tempelruinen am Forum und anderen Orten wohlbekannt. Sie hier alle namentlich aufzuzählen, ist nicht zulässig, und die Auswahl der durch Eigenthümlichkeit der Formen ausgezeichneten, aus mehrfachen Gründen gerechtfertigt. Charakteristisch sind zunächst die Rundtempel, meist als Vestatempel angeführt; das zierlichste Beispiel eines solchen bildet der Vestatempel zu Tivoli (Fig. 47), mit griechischem Stylgefühle in den Einzelheiten ausgeführt. Der Kuppelbau in seiner ganzen Majestät tritt uns im Pantheon des Agrippa, ursprünglich zum Abschlusse einer Thermenanlage bestimmt, entgegen (Fig. 48). Die tiefe Vorhalle, die Form des Hauptbaues verbergend, ist, ganz abgesehen von neueren Verunstaltungen, ein entschieden ungünstiger Zusatz, dagegen das Innere des Rundbaues mit der 70' hohen Wölbung von grossartiger Wirkung. Zur Entlastung der Mauern sind aussen Reihen sogenannter Constructionsbogen angebracht, im Innern in die 20' dicke Mauern acht Nischen gewölbt. Sechs derselben sind mit kostbaren Säulen ausgesetzt, und über ihrem Gebälke eine kleinere Pfeilerstellung angeordnet (Attika). Die Wölbung selbst (Fig. 50) ist mit einem der flachen Decke entlehnten Ornamente, den Kas[S. 107]setten, geschmückt. Da das kostbare Material (giallo antico) zu allen Säulen nicht ausreichte, so wurde bei sechs derselben durch eine Beize der gelbe Farbenton hervorgebracht, überdies die Attika mit farbigen Marmortafeln verkleidet. Für die Kenntniss der Polychromie ist der Verlust der letzteren sehr zu beklagen, wie denn überhaupt der seit dem 7. Jahrhundert in eine Marienkirche verwandelte Bau Gegenstand wiederholter Beraubung und Verunstaltung wurde.

Fig. 48. Grundriss des Pantheon.
Fig. 49. Kuppel des Pantheon.
Fig. 50. Isometrische Darstellung eines Tonnengewölbes.

Ein weiterer für den Wechsel der Bauformen charakteristischer Bau ist der Doppeltempel der Roma und Venus, von Hadrian nach eigenem Plane erbaut. Eine korinthische Säulenhalle, selbst wieder von einem ausgedehnten Vorhofe umgeben, umzog den Tempel, der in zwei mit den Nischen gegeneinanderstossende Cellen getrennt war. Dieser Abschluss der Cella mit einer halbkuppelförmigen Nische und die Ueberwölbung der ganzen Cella bilden wie die Kuppelwölbung des Pantheon (Fig. 49) folgenreiche Neuerungen in der antiken Architektur. Die consequente Verbindung des Bogens mit der Säule musste bereits den Organismus der von Griechenland überlieferten Bauweise lockern; man begnügte sich aber nicht mit der blossen Lockerung; man ging sogar bis zur ausgesprochenen Missform, wenn sich die neuen Elemente in die alte Gliederung nicht fügen wollten, z. B. bei der verlassenen K. S. Urbano bei Rom, einem ehemaligen Tempel oder Grabbaue. Da das Innere desselben mit einem Tonnengewölbe (Fig. 50) überdeckt war, so musste auch der Aussenbau eine[S. 108] Erhöhung erhalten. Man half sich auf die Weise, dass man zwischen Fries und Giebel eine hohe Backsteinmauer zog, welche zwar dem Zwecke entspricht, aber die Harmonie des Baues vollständig zerstört.

§. 58.
Fig. 51. Basilika des Maxentius.

Nicht in den Tempelbauten liegt die Grösse und Eigenthümlichkeit der römischen Architektur der Kaiserzeit, sondern in den für praktische und öffentliche Zwecke bestimmten Bauanlagen, mit welchen namentlich die Kaiser des ersten Jahrhunderts u. Z. die Hauptstadt der Welt bevölkerten, und welche dann auch in den reicheren Provinzialstädten eine mannigfache Nachahmung fanden. Hierher gehören die Basiliken (die erste von Cato 568. s. E. R. errichtet), nach aussen abgeschlossene Hallen, bestimmt, die Verhandlungen der Geschäftsleute dem Lärmen des Forums zu entziehen, später auch als Gerichtshallen verwendet und mit einem erhöhten Tribunale für die Richter versehen. Ihre Einrichtung bildet noch gegenwärtig den Gegenstand hartnäckigen Streites.[35] Schwerlich darf man von den älteren Basiliken (Fulvia, Julia, Aemilia) die gleiche Bauform, wie sie die Basiliken von Byzanz, Antiochia u. a. besassen, voraussetzen. Die Fragmente des antiken Stadtplans von Rom zeigen die Säulen, welche eine Empore trugen, auf allen vier Seiten umlaufend, also das in der Form einer Nische gewöhnlich gedachte Tribunal jedenfalls von der Säulenhalle getrennt. Die Ausgrabungen der fünfschiffigen Basilika Ulpia auf dem Prachtforum des Trajan geben über den Schluss derselben keine Aufklärung, da sie sich bloss auf die Mitte des Bauwerkes beschränken. Dagegen hat sich die grosse Basilika des Maxentius und Constantin bei dem Forum theilweise erhalten, und beweist wenigstens für dieses Zeitalter den nischenförmigen Abschluss der einen Schmalseite (Fig. 51).

[S. 109]

Auch hier zeigt sich die Wölbekunst der Römer auf einer sehr hohen Stufe der Ausbildung, da die Spannweite der Mittelwölbung jener vielbewunderten der Peterskirche gleichkommt. (Die Nische oder Apsis bei a ist ein späterer Zusatz, welcher die Form der Basilika in jene eines Kreuzes verwandelte.)

Unter den Schaubühnen, deren Ausrüstung und Standhaltung zu den politischen Geschäften des Kaiserreiches gehörte, verdienen wegen ihrer Grösse und wenigstens theilweisen Erhaltung das Theater des Marcellus und das flavische Amphitheater oder Colosseum eine namentliche Erwähnung. Hier, wie bei den übrigen Amphitheatern zu Pola, Nimes, Verona u. s. w. macht sich in der Uebereinanderstellung dorischer, ionischer und korinthischer Halbsäulen ein klar verständliches System geltend, welches auch sonst häufig zur Anwendung kam. Mit Recht führt der Bau Vespasians, der 80,000 Zuschauer fasste, und dessen allein erhaltene Mauerschale alle neueren Bauanlagen zwerghaft erscheinen lässt, den Namen des Kolosseums, und dennoch machen ihm in Grösse und Glanz die Thermen noch den Rang streitig, vor allen jene Caracallas (217) und Diokletians. Die erstgenannten nehmen den Raum von 124,140 Quadratmetres ein, und umfassen eine fast unübersehbare Fülle von Hallen, Sälen, Bädern (1600), offenen Anlagen, Palästen, eine Bibliothek, Museum. Von grossartiger Wirkung musste namentlich der Kuppelsaal sein, welcher die Warmbäder bedeckte. Um die Pracht der Ausstattung begreiflich zu machen, mag eine Anschauung der Mosaikboden und die Erinnerung, dass hier die beste Fundgrube plastischer Schätze vorhanden war, genügen. Von den Thermen Diokletians, gleich jenen Caracallas, auf mächtigen Substruktionen ruhend, hat sich der Hauptsaal als Kirche S. Maria degli Angeli und ein Rundbau, jetzt S. Bernardo, erhalten. Eine andere Gattung architektonischer Monumente bilden dann die Ehrendenkmäler, theils in Form von Säulen (Trajanssäule, Säule des Marc Aurel) von einem Skulpturbande umwunden, theils als Triumphthore gebildet (in Rom: Triumphbogen des Titus, des Constantin, aus Fragmenten des Trajanbogens zusammengesetzt, des Septimus Severus u. a.).

Schliesslich sind noch die römischen Grabmäler zu erwähnen. Auch ihre Form wechselt mannigfach, ohne dass es stets gelingt, die Besonderheit der Anlage einem allgemeinen Typus zu unterordnen, da auch die Laune des Verstorbenen, wie z. B. des ehr[S. 110]samen Bäckers Eurysaces, die Gestalt mitbestimmte, oder wie bei Cestius exotische Formen (Pyramide) beliebt waren. Dass die Via Appia von Grabmonumenten begrenzt wird, und zwischen ihr und der Via Latina eine riesige Gräberstadt angelegt war, ist bekannt. Einzelne Gräber, wie jene der Cäcilia Metella, eines Cotta, der Plautier u. A. haben das alterthümliche Element des Grabthurmes zur Grundlage; nur in das Riesige erweitert finden wir dieselbe Form bei den Mausoleen des Augustus, Hadrian. Unterirdisch dagegen sind viele Gesellschaftsgräber angelegt, als ein gemauerter Gewölbebau; in die Wände wurden Nischenreihen eingelassen, welche kleine Aschenkisten, Tempelchen u. s. w. bergen. (Columbarium bei der Porta Latina, zwei neuentdeckte in der vigna Codini u. s. w.)

§. 59.
Fig. 52. Grundriss des Palastes zu Salona.

Schon unter Hadrian macht sich ein Eklekticismus der Bauformen bemerklich, der am Schlusse der Kaiserzeit, besonders im Oriente, immer mehr um sich greift, und die Einheit der antiken Architektur gänzlich zerstört. Grösse der Anlage, ein kühner Gebrauch der Bogen, ein malerischer Wechsel in der Gliederung lässt sich den Bauwerken nicht absprechen, aber auch die sinkende Technik und die geistlose Trockenheit in der Profilirung nicht abstreiten. Die Ruinen von Baalbek und Palmyra (Heliopolis und Tadmor) sind im Oriente die besten Beispiele dieser üppig überladenen, in ausschweifenden Linien sich gefallenden Bauweise; im Occidente lernen wir das Absterben der Architektur besonders deutlich am Schlosse Diokletians zu Salona oder Spalatro kennen (Fig. 52), welches einem Kriegslager nachgebildet, selbst wieder den Palastbauten des ersten christlichen Jahrtausends zum Vorbilde diente. Eine breite Strasse, von Portiken umgeben, durchkreuzt den Vorbau, welcher die Wohnungen des Gefolges in sich schloss. Jenseits der Querstrasse zu beiden Seiten des Portikus lagen Tempel; am Ende der Hauptstrasse a erschloss sich das Vestibulum (c), hinter welchem erst die eigentliche[S. 111] Wohnung des Kaisers, leider aber am schlechtesten erhalten, sich erhob. Von der Rohheit der Profilirung mag Fig. 53 überzeugen, ebenso wie die Ansicht des Hauptthores (porta aurea) über die Barbarei der Bauformen belehrt. Die Säulen, die auf schwachen Consolen stehen und kurze, über Fenstern und Nischen gewölbte Bogen tragen, sind aus Hauptträgern des Baues eine blosse Dekoration geworden.

Fig. 53. Gesimsprofil von Salona.
§. 60.

Die üppige Genusssucht der Römer begnügte sich nicht mit dem Sammeln griechischer Kunstwerke, sondern ging auch an die Reproduktion derselben. Von ihrer Massenhaftigkeit kann man sich nur annähernd einen Begriff machen, wenn man die Summe der vorhandenen Werke zieht und zu derselben die viel grössere Summe des Verlorenen und Zerstörten hinzufügt. Der grösste Theil der erhaltenen Antiken hat nur das Vorbild in Griechenland, die Ausführung selbst fällt in die römische Zeit, welche bis auf Nero wenigstens die überlieferte virtuose Technik und die dramatisch wirkungsvolle Darstellung festzuhalten verstand. Werke, wie die Kolosse auf dem Monte Cavallo, der Apollon vom Belvedere (Fig. 54), die ihm in der Bildung verwandte Diana zu Versailles, zahlreiche Venusstatuen u. s. w. mögen den Beweis von der verhältnissmässigen Höhe der römischen Kunst liefern. Auch selbständigere Werke, wie die Personifikation von Flüssen (Nil, Tiber) athmen einen frischen Geist, und die Kindergruppen, die sich um den gewaltigen Nilstrom beschäftigen, zeigen eine Fülle reizender Motive. Da aber doch die Mehrzahl der Werke mehr oder weniger frei behandelte Kopien nach älteren Meistern sind, kann die Kärglichkeit in der Angabe von Künstlernamen nicht auffallen. Es werden namentlich angeführt: Decius, der eine Kolossalbüste auf dem Kapitole fertigte (697. s. E. R.); Arkesilaos, von Cäsar beschäftigt; Pasiteles aus Grossgriechenland, ein Zeitgenosse des Pompejus, und seine Nachfolger: Stephanos und Menelaos, von welchem die berühmte Gruppe des Orestes und der Elektra in der Villa Ludovisi stammt, die meisten dieser Künstler theils durch ihre Werke, theils durch Anekdoten als Naturalisten charakterisirt; Dioskorides, der berühmte Gemmenschneider unter Augustus (nächst den Cameen der Ptolemäer[S. 112] sind jene aus der ersten Kaiserzeit, z. B. die gemma augustea in Wien u. a. am höchsten geschätzt); Zenodorus, der Schöpfer des grössten Erzkolosses (Nero) im Alterthum u. a.

Fig. 54. Apollo vom Belvedere.

Specifisch römisch sind die zahlreichen Porträtskulpturen und die historischen Reliefbilder an den öffentlichen Denkmälern. Von den ersteren besitzen selbstverständlich die Bildnisse aus der Zeit des Augustus und seiner nächsten Nachfolger die grösste Vollendung, (Statuen der Agrippina, Livia), besonders in den Köpfen, weniger in der überkünstlichen Draperie und den durchscheinenden Gewändern; aus der späteren Zeit ragen das Musterbild einer Reiterstatue: Marc Aurel und die Idealporträte des Antinous, das letzte Produkt der selbständigen antiken Phantasie hervor.

Die technische Eigenthümlichkeit der historischen Reliefs wurde bereits oben angeführt, ihr künstlerischer Werth ist je nach ihrer frühen oder späteren Entstehung verschieden. Die Bildwerke am Titusbogen zeigen bei handwerksmässiger Ausführung noch viel Erfindungsgeist und klaren Formensinn; bei dem Reliefband, welches[S. 113] sich um die dem Trajanus 114 errichtete Säule herumschlingt und in 2500 Figuren die Kriegsgeschichte des Kaisers enthält, beginnt bereits das malerische Princip den echten Reliefstyl zu verdrängen. Diese Anordnung der Figuren über und hintereinander tritt dann noch viel stärker an der Säule Marc Aurels und am Triumphbogen des Septimius Severus hervor. Bemerkenswerth bleibt aber die historische Treue der Darstellung; glücklich und den Geist der römischen Kunst bezeichnend sind alle Barbarenbildungen. Unter Constantin geht die bildende Kunst der Römer wieder auf ihre Anfänge zurück und kann sich nur durch die Beraubung älterer Monumente ernähren. Was sie selbständig schafft (Triumphbogen des Constantin, soweit er nicht aus den Resten des trajanischen besteht), hat selbst die äussere Aehnlichkeit mit den antiken Schöpfungen verloren.

Seit dem Zeitalter der Antonine werden auch die Sarkophagreliefs zahlreich. Für die Geschichte der antiken Ideenwelt, wie die Trostlosigkeit und schmerzliche Sehnsucht hereinbricht und die Ahnungen der Unsterblichkeit immer mächtiger anschwellen, dann auch für die Stofflehre, da sie nicht selten ältere Bilder wiederholen, sind die römischen Sarkophage von grosser Wichtigkeit; auf formelle Vollendung aber machen sie, meist fabrikmässig gearbeitet und von Handwerkern ausgehend, nicht den geringsten Anspruch. Luna und Endymion, die Entführung der Kora, Amor und Psyche, Orestes Schicksale, Niobe, Phädra und Hippolyt, Prometheus bilden den gewöhnlichen, symbolisch bedeutsamen Gegenstand der Darstellung.

§. 61.

Verhältnissmässig frühe und theilweise von heimischen Kräften wird die Malerei bei den Römern betrieben. Neben den Griechen Theodotos und Demetrios und dem Halbgriechen Pacuvius stossen wir, und zwar im 3. Jahrhundert v. Chr., auf Fabius Pictor, welcher den Tempel der Salus mit Bildern schmückte, und erfahren weiter von der praktischen Bedeutung der Malerei im römischen Volksleben, insofern sie bei den Triumphzügen mit benützt wurde, in lebendigen Zügen Zeugniss abzulegen von der Heldenkraft und der politischen Macht Roms. Seit Mummius Zeiten wurden die Römer auch mit griechischen Malerwerken bekannt, und der griechische Styl wie in allen übrigen Kunstgattungen hier heimisch; doch sank das äussere Ansehen der Kunst und galt die Beschäftigung mit der Malerei[S. 114] keineswegs für besonders ehrenvoll. In Cäsars Zeitalter sind Timomachus aus Byzanz (Ajax, Medea, Orestes und Iphigenia), Dionysios, Arellius und die Porträtmalerin Lala die uns bekannten Träger der Malerei; in der älteren Imperatorenzeit Ludius, Fabullus (der Maler des goldenen Hauses), Ascius Priscus (der Maler des Tempels des Honos und der Virtus) u. v. A.; im zweiten Jahrhundert n. Chr. Aetion (Alexander und Roxane mit Eroten), Eumelos, Aristodemos; noch später Hilarius aus Bithynien. An diese äussere Künstlergeschichte, ärmlich wie sie ist, reihen sich noch ärmlichere Nachrichten über die innere Entwicklung. Der Dekorationsstyl erscheint vorherrschend, die historische Malerei neben der Zimmermalerei — nur dass die letztere unendlich hoch über der modernen gleichnamigen Kunstgattung steht — unbedeutend; über das Haschen nach recht auffälligen Effekten, über das Streben nach drastischen Wirkungen wird schon von gleichzeitigen Schriftstellern geklagt. Dass das architektonische Stylgefühl bei dem Anblicke der leichten luftigen Architekturmalerei, welche die Säulen schilfrohrartig in die Höhe führt, das Gebälke durch zierlich geschlungene Gewinde ersetzt, alle Glieder spielend behandelt, vielfach verletzt werden konnte und hie und da eine barocke Auffassung durchscheint, muss wohl zugegeben werden, ohne dass jedoch das Verdammungsurtheil des pedantischen Vitruv über die Skenographie gerechtfertigt werden soll. Dies verwehrt die Betrachtung der pompejanischen Zimmerdekoration, deren Studium überhaupt für die Erkenntniss der antiken Malerei von der grössten Wichtigkeit ist. Rom selbst bewahrt im Vergleiche zu den in Pompeji und Herkulanum ausgegrabenen (und theilweise im Museum zu Neapel aufgestellten) Monumenten nur unbedeutende Reste, da die Wandgemälde in den Thermen des Titus, in der Pyramide des Cestius u. a. beinahe völlig erloschen sind. Das Hauptwerk bleibt noch immer hier die sogen. Aldobrandinische Hochzeit (Dionysos Vermählung mit Kora) in der vatikanischen Bibliothek, eine mittelmässige Reproduktion eines überaus fein und geistreich gedachten Werkes, woran sich sodann zahlreiche Fragmente von Mosaikfussboden (Tauben des Sosus im kapitolinischen Museum, das Asaraton des Heraklitos im lateranischen Museum, die Landschaft mit dem Löwen in der vatikanischen Bibliothek u. a.) reihen. Dagegen ist die Fülle der pompejanischen Bildwerke wahrlich unübersehbar, und ein unsterbliches Zeugniss von der Tiefe und dem[S. 115] Reichthum der antiken Phantasie, welche noch in späten Zeiten, in einer wenig bedeutenden Provinzialstadt so kräftig lebte, um selbst den Produkten eigentlich nur handwerksmässig gebildeter Geister einen mannigfachen künstlerischen Reiz zu sichern. Die allgemeine Anordnung zeigt über dem Sockel das in kräftigen Farben: Roth, Gelb, Blau, Schwarz gemalte Hauptfeld, welches durch die schon oben erwähnte arabeskenartig behandelte Architektur belebt wird und in der Mitte einen Raum für die eigentlichen Gemälde lässt. Eigenthümlich ist, dass häufig die unteren Flächen lichter gefärbt sind als die oberen, selten eine dominirende Farbe (Casa di Nerone) vorkommt, und auch das reine Schwarz als Grundfarbe gebraucht wird. Die Wandgemälde selbst umfassen alle Gattungen der Malerei, und haben mythologische Scenen (Diana und Aktäon in der Casa di Atteone, Achill und Briseis, Mars und Venus u. a. im Museum zu Neapel), Schilderungen des Alltagslebens (knöchelspielende Mädchen; Wer kauft Liebesgötter?), landschaftliche und architektonische Ansichten zum Gegenstande. Bei der Beurtheilung derselben darf man ihren dekorativen Charakter nicht ausser Acht lassen. So erklärt sich die Malerei der Landschaften im durchgehenden grünen und braunen Tone, der mit Rücksicht auf den Farbenton der gesammten Wandfläche gewählt ist, das geringe Eingehen in die Detailschilderung, die bloss andeutende Angabe des Hintergrundes. Eigentliche Coloritwirkungen im modernen Sinne wurden nicht angestrebt, auch die Perspektive hat eine elementare Beschaffenheit, die entfernteren Figuren erscheinen wie auf erhöhtem Plane, die einzelnen Gestalten werden gern auseinandergehalten, Einzelfiguren und kleinere Gruppen gelingen am besten (Tänzerinnen, Amorinen, tanzende Satyren, Niobiden). Die Fähigkeit reicher malerischer Gruppirung darf jedoch der antiken Kunst desshalb nicht abgesprochen werden. Ihre hohe Begabung auch in dieser Hinsicht beweist das 1831 in der Casa del fauno ausgegrabene Mosaikbild: die Alexanderschlacht, welches mit Recht den berühmtesten historischen Compositionen der neueren Zeit zur Seite gestellt wird, bei geringen malerischen Mitteln (weisser Hintergrund) die höchste dramatische Kunst entwickelt, und die Grenzen des Reliefstyles, innerhalb welcher man die Malereien des Alterthumes gewöhnlich bannte, weit überschreitet.


[S. 116]

4. Das christliche Alterthum.

§. 62.

Während die antike Ordnung die unbestrittene Berechtigung des Daseins noch genoss, und in scheinbar unverlöschlichem Glanze prunkte, bereitete sich bereits unvermerkt und geheimnissvoll ihr Sturz und die Herrschaft einer neuen Weltordnung vor. Die Umwandlung der antiken in die christliche Welt geht ausserhalb des kunstgeschichtlichen Kreises vor sich; die Kunstgeschichte kann den inneren Prozess nicht stetig verfolgen und muss wie bei dem Beginne eines jeden neuen Zeitalters ihre Voraussetzungen der allgemeinen geschichtlichen Betrachtung entlehnen. Sie kann um so weniger den scharfen Gegensatz zwischen der alten und neuen Welt aufdecken, als gerade auf ihrem Gebiete der Antike eine längere Dauer gestattet ist. Das Festhalten an der Antike als künstlerischer Tradition hat nichts Befremdendes, da einestheils die künstlerische Bildung noch an dem alten, vom griechisch-römischen Geiste tief getränkten Boden haftet, und aus diesem Grunde sich nicht plötzlich von den gewohnten Anschauungen und Bildern lossagen kann, und da anderentheils die antiken Kunstformen genugsam abgeschliffen und mechanisirt sind, um ohne Verletzung der neuen Ueberzeugungen verwendet zu werden. Die Zahl antiker Vorstellungen, welche ihres Inhaltes wegen von der altchristlichen Kunst gebraucht werden, ist äusserst gering (Orpheus mit der Lyra); dagegen wandert allerdings nebst der Technik das ganze äussere Formengerüste in die christliche Welt. Merkur als Widderträger, Helios im Aufgange, die Viktorien, Genien, die Andeutungen des Raumes durch Personifikationen der Flüsse, Berge u. a. sind solche formelle Typen, welche etwa wie antike Versarten in der christlich-lateinischen Poesie sich auch dann noch erhielten, nachdem der Geist, der sie geschaffen hatte, schon verblichen war. Wenn sich schon in diesen Dingen offenbart, wie die Gewohnheit die altchristliche Zeit den Fusstapfen des Alterthums nachgehen liess, so ist vollends die Autorität des letzteren in den rein äusserlichen Formen, in der Anordnung und Stylisirung eines Bildes, in der Gewandung, in der Profilirung der Köpfe unangetastet geblieben. Das Gleiche gilt von der Architektur, welche die Säulenformen, die Gebälkeglieder u. s. w. der römischen Kunst ohne Bedenken festhielt, und für den neuen Anschauungskreis auch[S. 117] einen neuen architektonischen Ausdruck zu schaffen erst einer späteren Zeit als Aufgabe aufbewahrte. So bildet das erste christliche Jahrtausend, dessen Kultur überhaupt noch von den alten Trägern der Weltgeschichte bestimmt wird, gleichzeitig einen kunsthistorischen Abschluss und Uebergang. Noch besitzt die Antike eine unmittelbare Geltung, noch bedarf es keiner Reflexion wie im 15. Jahrhundert, um in ihr einen Formenkanon zu schauen; sie ist noch immer ein Theil des Lebensbodens für die Kunst, ihr absolutes Ende erst mit dem Schlusse der altchristlichen Periode gegeben; diese bereitet aber auch in allen Richtungen die Kunst des eigentlichen Mittelalters vor; sie setzt den Stoffkreis der christlichen Kunst fest und schafft die Typen der wichtigsten Gestalten. In dieser letzteren Beziehung erscheint als eine der folgereichsten Thaten die Schöpfung des Typus für den historischen Christus (mit getheiltem, herabwallendem Haare, länglich gezogenem Kopfe, kurzem Kinnbarte) im fünften Jahrhundert an der Stelle des jugendlichen symbolischen Typus, welcher früher vorherrschte und aus dem Bilde des guten Hirten hervorgegangen war.

§. 63.

In den römischen Katakomben, nicht den einzigen (Neapel, Syrakus), aber den ausgedehntesten und wichtigsten unterirdischen Grabstätten der altchristlichen Zeit, sucht und findet man auch die ältesten Denkmäler der christlichen Kunst.[36] Diesseits und jenseits der Tiber gelegen, bilden sie einen ziemlich fest geschlossenen Ring um die ewige Stadt. Die Katakomben am Vatikan reichen die Hand jenen bei der via Aureliana und weiter des S. Pontianus an der porta Portuense. Am anderen Tiberufer befinden sich Katakomben an der via Ostiensis, Ardeatina, Appia, Latina, Labicana, Praenestina, Tiburtina, Nomentana und Salaria. Die einzelnen führen nach den Hauptheiligen, deren Grabstätte man hier verehrt, noch besondere Namen. Ihrer Gestalt nach sind sie unterirdische Gänge, in Tuf ausgehauen, unregelmässig in Richtung und Grundfläche, gewöhnlich von geringer Weite, doch häufig auch von grösseren Räumen, sogen. Grabkapellen oder Oratorien unterbrochen, auch wohl in mehreren Stockwerken übereinander angelegt. Die Oratorien wechseln in Grösse und Form, sind drei-, vier-, fünf- und achteckig; in [S. 118]ihnen wurden die Verstorbenen nicht allein in Nischen, wie in den Grabgängen, sondern auch in Sarkophagen beigesetzt. Die meisten Katakomben stehen mit einander in Verbindung; über ihren Ursprung einigt man sich jetzt entschieden dahin, sie nicht als verlassene Steinbrüche — es soll bereits die Natur des hier gegrabenen Tufsteines den Gebrauch zu Bauzwecken ausschliessen, sondern als von den alten Christen selbst, und zwar mit der Bestimmung, als Begräbnissplatz, coemeterium, zu dienen, angelegt zu betrachten.

In den Oratorien vermuthen Viele die Grundform der altchristlichen Kirchen oder Basiliken. Doch kann sich dies nur auf die innere Einrichtung, namentlich auf die Anordnung des Altarraumes beziehen. Für die äussere Architektur und den Grundriss konnten diese unterirdischen, unter sich vielfach abweichenden Kapellen unmöglich das Vorbild abgegeben haben. Ist nun auch der architektonische Werth der Katakomben untergeordnet, so bilden sie doch wegen der Fülle des bildnerischen und malerischen Schmuckes, den sie bergen, wegen der zahlreichen Geräthschaften und Inschriften (die älteste bis jetzt bekannte ist aus dem Jahre 111), welche in ihnen gefunden wurden, eine reiche Quelle kunstgeschichtlicher und archäologischer Belehrung.

Die Sarkophage, gewöhnlich älter als die Wandgemälde (Sarkophag des Junius Bassus 359, des Probus 395), schliessen sich in Styl und Arbeit den spätrömischen Werken enge an. Die Gestalten sind gedrückt, der Faltenwurf handwerksmässig angedeutet, die Reliefs beinahe rund gearbeitet; die einzelnen Gestalten und Gruppen stehen entweder ungetrennt neben einander, oder werden durch Säulen gesondert. Rieselungen in der Form eines S bilden das gewöhnliche Ornament. Der Inhalt der Darstellungen ausser den Brustbildern der Verstorbenen ist: Christus lehrend, mit der Schriftrolle in der Hand, auf dem Firmamente stehend, oder auf dem Berge, dem die vier Flüsse des Paradieses entspringen, von Aposteln umgeben, diese, sowie Christus selbst auch wohl durch Lämmer angedeutet, und dann Scenen aus dem alten und neuen Testamente, welche stofflich mit den Darstellungen der Wandgemälde zusammenfallen. Die Malereien der Decke sind durch Halbkreise und Kreise in Felder getheilt, das Mittelfeld gewöhnlich von Orpheus oder dem guten Hirten eingenommen. Die Wandgemälde besitzen den mannigfachsten Inhalt. Wir finden einzelne Betende (mit ausgebreiteten Händen), Noah, Moses den Felsen[S. 119] schlagend, Isaaks Opferung, Daniel in der Löwengrube, Hiob, Adam und Eva, Susanna zwischen den beiden Männern (ein Schaf zwischen zwei Füchsen mit den Inschriften Susanna und Senirris), Christus am Brunnen, die Speisung der 5000, die Auferweckung des Lazarus, das letzte Abendmahl, Liebesmahle u. a. Im Unterschiede zu späteren Darstellungen sind die meisten Männer unbärtig gebildet; lange weisse oder rothbraune zierlich gesäumte Tuniken bilden das gewöhnliche Gewand. Besonders merkwürdig wegen der Mischung heidnischer und christlicher Vorstellungen ist ein Wandgemälde in der Katakombe S. Praetextatus: Abreptio Vibies et Descensio. Pluto, Proserpina, Merkur, die Parzen werden in Verbindung mit Engeln gebracht, der heidnischen Hölle der Aufenthalt der Seligen (septem pii sacerdotes) im Himmel gegenübergestellt. Hinsichtlich der Anordnung, der Zeichnung, der Farbentechnik stehen die Katakombenbilder mit den spätantiken Darstellungen auf völlig gleicher Stufe.

§. 64.

Seit dem vierten Jahrhundert, nachdem der christliche Cultus die öffentliche Anerkennung erlangt und im römischen Kreise die Herrschaft errungen hatte, erhoben sich auch öffentliche, ausgedehnte Gebäude zum Zwecke des Gottesdienstes. Ihre nähere Beschaffenheit und Einrichtung wurde natürlich durch die Bedürfnisse des Cultus bedingt. Eine andere Form erhielten die Ekklesien, in welchen sich die Gemeinde versammelte, eine andere jene Baudenkmale, welche über einer heiligen Stätte (Grab Christi, Himmelfahrtsstelle u.s.w.) sich erhoben, zu Ehren der Heiligen (Apostelk. in Byzanz) errichtet wurden, also mehr den Votivkirchen entsprechen oder nur zu einem bestimmten Theile des Gottesdienstes, z. B. zur Taufe, dienten. Ein oblonger Raum war dort, eine Rotunde hier die natürliche Folge. Für die Annahme der Rundform bei Denkmalkirchen und Taufkirchen sprach ohnehin die Tradition. Bei den eigentlichen Kultuskirchen verlangte wieder die Trennung des Klerus von den Laien, und die Absonderung der Katechumenen, das Geheimniss des Opfers, die verschiedenen Theile des Gottesdienstes, die Lesung z. B. der heiligen Schriften, besondere Anordnungen. Dass sich an die Kultuskirchen die Entwicklung der christlichen Baukunst namentlich im Abendlande beinahe ausschliesslich knüpft, ist wohl begreiflich. Auch herrscht über diesen Punkt nicht der ge[S. 120]ringste Zweifel, wohl aber über ihren Ursprung. Sind die altchristlichen Basiliken,[37] denn diesen Namen führen die Kirchen des ersten christlichen Jahrtausends, den römischen Basiliken nachgebildet oder eine selbständige Schöpfung der neuen Lehre? Der Streit darüber harrt noch seiner endgültigen Lösung. Der gleiche Name darf nicht bestechen, da er noch andere Ableitungen als jene von den römischen Gerichtshallen zulässt, um aber aus der Identität oder Verschiedenheit des Styles die Entscheidung zu schöpfen, dazu fehlt es an einer genaueren Kenntniss der römischen Vorbilder, von welchen allerdings die jüngsten aus der constantinischen Periode eine Verwandtschaft mit den altchristlichen Bauwerken verrathen, aber eben wegen ihrer Gleichzeitigkeit mit den letzteren schwerlich als Musterbilder angenommen werden können. Das sogen. Schiff der Kirche, welches mit der Säulenhalle der römischen Basilika die gleiche Bestimmung hatte, ist auch architektonisch gleich gebildet, verschieden dagegen, als eine selbständige Schöpfung des christlichen Kunstgeistes, erscheint die Anlage des Chores und der Abschluss an dem einen Schmalende durch eine gewölbte Nische. Diese nämlich tritt hier in eine unmittelbare Verbindung mit dem Langhause, während sie in der römischen Basilika durch einen Portikus von ihm getrennt, viel selbständiger angelegt war.

Die durchschnittliche Baugliederung einer altchristlichen Basilika war folgende: Eine kleine Pforte führte in einen von bedeckten Hallen umgebenen viereckigen Hofraum (atrium, paradisus), dessen Mitte der Reinigungsbrunnen (cantharus) einnahm. Die östliche Halle (die Orientation der Kirchen wurde allmälig eine allgemeine Regel) bringt zu dem Eingange in die Kirche, welchem zunächst der Narthex für die Katechumenen, durch eine Schranke wahrscheinlich vom eigentlichen Schiffe getrennt, sich befand. Das Langhaus für die Gemeinde zerfiel in das erhöhte Mittelschiff und zwei oder vier nicht immer gleich breite Seitenschiffe. Säulen durch Bogen verbunden oder noch nach älterer Sitte mit geradem Gebälke überdeckt (die alte Petersk., S. Maria Maggiore, S. Lorenzo, S. Prassede) trugen den Oberbau des Mittelschiffes und schieden dasselbe von den Seitenschiffen, über welchen sich zuweilen eine nach dem Mittelraume geöffnete Empore zur Aufnahme der Frauen (Bas. zu Tyrus [313], S. Lorenzo, S. Agnes in Rom) erhob. Der dem Altar[S. 121]raum zunächst gelegene Theil des Mittelschiffes wurde durch Schranken (cancelli) abgesperrt und diente als Chor (Fig. 55) für die Sänger. Zwei erhöhte Pulte (Ambonen) waren in demselben zum Vortrag des Evangeliums und der Epistel angebracht. Jenseits des Chorstandes, auf mehreren Stufen erhöht, häufig über einer kleinen Krypta stand der Altartisch. Ein tempelartiger Aufsatz (ciborium), von vier Säulen getragen, krönte denselben, Vorhänge zwischen den Säulen befestigt (später durch verschliessbare Thüren ersetzt) verbargen ihn und das auf ihm verrichtete Opfer den Augen der Laien. In der Tiefe der Apsis endlich, im Presbyterium, befand sich der Bischofsthron, cathedra, umgeben von den Bänken für die niedere Geistlichkeit. Wo sich zwischen die Apsis und das Langhaus ein Querschiff (S. Paul bei Rom) einschob, erhielt die Basilika in dem Triumphbogen, jenem Bogen nämlich, welcher über dem Eingange des Querschiffes gespannt wird, einen neuen bedeutsamen Schmuck. Gewölbe kamen nicht zur Anwendung. Entweder wurde eine flache kassettirte Decke über die Schiffe gelegt, oder es blieb der reichverzierte, bemalte Dachstuhl offen. Wenn man die nicht selten (S. Pietro in Vincoli, Araceli, Maria in Cosmedin u. a.) älteren Denkmälern entlehnten Säulen ausnimmt, entbehren die altchristlichen Basiliken des reicheren architektonischen Schmuckes, der mannigfaltigen Gliederung. Als Ersatz treten Teppiche, Mosaikmalereien u.s.w. ein.

Fig. 55. Chor in S. Clemente.
[S. 122]§. 65.

Ungeachtet der Verlegung des Kaisersitzes von Rom nach Byzanz behielt dennoch die erstere Stadt für die christliche Baukunst ihre volle Wichtigkeit. Bereits im 4. Jahrhundert erhoben sich hier kirchliche Prachtbauten, angemessen in ihrem Glanze der Würde, welche Rom in der kirchlichen Welt einnahm; doch hat gerade diese ältesten Bauten (die vatikanische Basilika 330, und die Paulskirche an der Via Ostia 386) die grösste Ungunst des Schicksals getroffen. Die erstere wurde bei dem Neubaue der Peterskirche im 15–17. Jahrhundert niedergerissen, die andere ging 1823 durch Feuer zu Grunde. Beide Basiliken waren fünfschiffig, mit einem Querschiffe versehen, in der Paulskirche überdies die Säulen bereits durch Bogen, die unmittelbar auf der Deckplatte des Kapitäls aufsitzen, verbunden. Die chronologische Reihe der übrigen römischen Basiliken ist folgende:

Aus dem 5. Jahrhundert stammen: S. Sabina (425) im 16. Jahrhundert modernisirt, S. Pietro in vincoli (442) zu wiederholten Malen erneuert, in beiden Kirchen antike Säulen verwendet; S. Maria Maggiore (432) im 12. und 16. Jahrhundert mehrfach umgebaut, der Osttheil am besten erhalten; aus dem 6. Jahrhundert: die Hinterkirche von S. Lorenzo (580) mit antiken Säulen, nach der Erweiterung der Kirche im 8. Jahrhundert als Chor benützt; S. Balbina aus dem 7. Jahrhundert: S. Agnes (Fig. 56) (625) gleich S. Lorenzo mit einer Empore als Weiberschiff versehen; S. Giorgio in Velabro (682) an den Bogen der Goldschmiede angebaut, wie häufig mit verschiedenartigen Säulen.

Fig. 56. Basilika S. Agnes.

Aus dem 8. Jahrhundert: S. Maria in Cosmedin (790) noch mit den alten Ambonen und den Spuren der oben beschriebenen Choranlage; unter der Kirche eine geräumige Krypta; aus dem 9. Jahrhundert: S. Nereus et Achilleus (800); S. Prassede (817) mit geradem Gebälke, S. Clemente (872), welche Kirche trotz ihres geringen Alters und späterer Restaurationen die innere Anordnung altchristlicher Basiliken am treuesten wiedergibt.

[S. 123]

Von der alten Lateranensischen Basilika, ursprünglich einem constantinischen Baue, aber im 10. Jahrhundert neu errichtet, stehen seit der Erneuerung der Kirche im 16. Jahrhundert nur die Grundmauern; von anderen Basiliken, deren architektonische Beschaffenheit ein hohes Alter verräth (wie S. Saba u. a.), ist die Bauzeit unbekannt. Im Uebrigen beweist namentlich diese letztere Kirche, wie lange die antiken Bautraditionen in Rom sich lebendig erhielten. Die Kapitäle an den ionischen Säulen der Vorhalle haben der antiken Constructionsweise ganz entsprechend, aber gegen die mittelalterliche Uebung, ihre Polster nach vorne gewendet.

§. 66.
Fig. 57. Ravennatischer Bogen.

Neben Rom spielt keine italienische Stadt eine so grosse Rolle in der Baugeschichte, als Ravenna,[38] die Residenz der letzten abendländischen Kaiser, der ostgothischen Könige und der byzantinischen Exarchen. Weniger unmittelbar von antiken Einflüssen berührt, in der späteren Zeit mit Byzanz in reger Verbindung, brachte Ravenna neue Entwicklungsglieder in die christliche Kunst. Neue Bauformen werden angenommen, die vorhandenen weiter gebildet. Gilt schon die Verbindung der Säulen durch Bogen bei den römischen Basiliken als Fortschritt, so ist die Erhöhung des Bogens durch Verdoppelung des Kapitäls oder das Einschieben eines keilförmigen Gliedes zwischen Bogen und Kapitäl (Fig. 57) als die weitere Consequenz davon zu betrachten. Auch der reichere Schmuck der Aussenseiten durch flache Arkaden ist ein Verdienst der ravennatischen Baumeister. Von den ravennatischen Basiliken aus dem Beginne des 5. Jahrhunderts (eccl. Ursiana, Petriana, bas. S. Giovanni, S. Agata und Francesco) haben sich geringe Reste erhalten; vortreffliche Muster des Basilikenstyles im 6. Jahrhundert bieten dagegen die K. Apollinare nuovo und Apollinare in classe (549), letztere mit drei polygonen Apsiden. Auch die Klasse der Denkmalkirchen findet sich in Ravenna reich vertreten. Das altchristliche Rom liefert zu dieser Baugattung die Mausoleen der Helena (Torre pignattara) und Costanza, beides Rotunden, die letztere mit einer von 24 Doppelsäulen getragenen Kuppel; in Ravenna erscheint die Grabkirche der Galla Placidia (450) in der Form eines Kreuzes; der [S. 124]Kuppelbau aber erhebt sich bedeutsam über der Mitte der Kirche, an jener Stelle, wo sich die Kreuzarme durchschneiden. Theodorichs Mausoleum wieder, eine Doppelkirche, setzt auf die massive, zehneckige Gruft als zweites Stockwerk einen Rundbau, welcher mit einer Felskuppel bedeckt wird.

Taufkirchen oder Baptisterien, von welchen Rom seit der Erneuerung des achteckigen lateranensischen Bapt. kein altchristliches Muster mehr besitzt, finden sich in Ravenna in den K. S. Giovanni in fonte und S. Maria in Cosmedin vor. Letztere ist der erstgenannten nachgebildet, diese als ein Achteck in zwei Geschossen angelegt und die Wände durch grössere und kleinere Bogenstellungen belebt.

Die Stellung, welche das ostgothische Reich zur römischen Bildung einnahm, macht die Zähigkeit der antiken Bautradition begreiflich. Nur in der Bildung der Detailglieder offenbart sich ein neuer, roher Formensinn, sonst bleiben noch immer die alten Vorbilder bestehen, so z. B. bei dem Palaste Theodorichs, von welchem sich einige wenige Reste erhalten haben, die ziemlich deutlich auf den Palast Diokletians, als das nachgeahmte Muster, hindeuten. Die ravennatischen Bauten sind ein wichtiges Entwicklungsglied in der christlichen Kunst; sie bringen in den Basilikenstyl Ordnung und Regel, aber bis zum Durchbrechen und Verlassen des antiken Kunstkreises gelangen sie nicht. Am weitesten entfernt sich von demselben eines der jüngsten ravennatischen Bauwerke, die K. S. Vitale (526–547). Sie führt uns in den zweiten altchristlichen Bautypus, den Centralbau, ein.

§. 67.

Obgleich Rom kein Denkmal im Style der Centralbauten besitzt, so muss doch ihre technische Grundlage auf Rom, auf die Kuppelbauten der Thermen zurückgeführt werden, mit dem Unterschiede allerdings, dass sich die Kuppelsäle der Thermen in der Fülle nebengeordneter Bauwerke verlieren, während sie in der altchristlichen Zeit als architektonischer Mittelpunkt herrschen, und ihre Umgebung in strengster Unterordnung unter sich halten. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass die ältesten Centralanlagen nicht dem regelmässigen Gottesdienste gewidmet waren, sondern eine ausserordentliche Bestimmung, z. B. als Palastkirchen, besassen.

Im Grundrisse weisen sie den Gegensatz zu dem lebendigeren,[S. 125] langgestreckten Langbaue der Basiliken, also das Quadrat, Polygon, oder den Kreis auf; der bedeutsamste Bautheil wird die Mitte, über welcher die Kuppel emporsteigt, die Nebenschiffe erscheinen als Umgang, die Apsis sinkt zum untergeordneten Anbaue herab. Die schwere Wucht des Kuppelbaues duldet nicht mehr schlanke Säulen als Träger, an ihre Stelle treten massive Pfeiler, die Säulen werden nur bei Zwischenstellungen und in den oberen Stockwerken verwendet Neben der Kuppel ist für flache Decken kein Raum übrig; auch die Nebenräume werden gewölbt, als Halbkuppeln, Tonnengewölbe gebildet. Der tiefere Reiz perspektivischer Wirkung ging bei diesen Anlagen natürlich verloren; als Ersatz konnte der kühn in die Höhe emporgeführte Bau und der glänzende malerische Schmuck, zu welcher die grossen Wandflächen einluden, gelten.

Gleichzeitig treten uns in Ravenna und Byzanz die Musterbilder des Centralbaues entgegen, so dass es schwer fällt, die abgeleiteten von den Originalwerken zu trennen. Die grösste Wahrscheinlichkeit spricht aber für den Ursprung im Oriente, wo bereits das constantinische Zeitalter in der Grabkirche zu Jerusalem, in der Hauptkirche zu Antiochia, in der Georgskirche zu Salonich, in der Eliaskirche ebendort, in der Apostelkirche zu Byzanz verwandte Bauten kannte, ohne desshalb den Basilikenstyl vollkommen auszuschliessen. (Geburtskirche in Bethlehem, Bas. zu Tyrus, die alte Sophienkirche, jene der Blachernen und des Johannes Studius in Constantinopel.) Noch nicht vollständig entwickelt erscheint der Kuppelstyl in S. Vitale zu Ravenna. Auf acht Pfeilern, deren Zwischenräume mit einer doppelten Säulenstellung ausgefüllt werden, ruht die Kuppel, kreisrund gewölbt und aus Thongefässen gebildet. Verwandt mit S. Vitale sind die verbaute S. Lorenzokirche in Mailand (römisch?) und S. Sergius und Bacchus in Constantinopel.[39] Die Mittelkuppel ruht gleichfalls auf acht Pfeilern, die Zwischensäulenstellungen bilden zurücktretende Halbkreise, aber die äussere Umfassungsmauer ist nicht mehr wie bei S. Vitale im verwirrenden Vielecke, sondern im ruhigen Quadrate gezogen. Zum Abschluss und zur höchsten Vollendung gelangt der Centralbau in der Sophienkirche zu Constantinopel (Fig. 58), nach dem Brande der älteren unter Justinian, seit 530 durch Isidor von Milet und Anthemius von Tralles erbaut. [S. 126]

Die Kuppel (a) in einem Durchmesser von 108' steigt, von vier Pfeilern getragen, bis zu einer Höhe von 169' über den Boden, Halbkuppeln (b), die theils auf den Hauptpfeilern, theils auf je zwei Nebenpfeilern ruhen, lehnen sich an die mittlere Kuppel an und werden wieder ihrerseits von gewölbten Nischen (c) durchschnitten. Vorhallen und Seitenschiffe umgeben allseitig den mittleren, im Grundriss beinahe elliptisch gebildeten Raum.

Fig. 58. Grundriss der Sophienkirche.

Mit der Ausbildung des Centralbaues stockt die Bewegung der christlichen Architektur, welche in der unmittelbaren Tradition der Antike ihren Ausgangspunkt nahm, und es hört die gleichfalls unmittelbare Einwirkung der letzteren auf.

§. 68.

Dass Werke der höheren Skulptur in der altchristlichen Periode spärlich angetroffen werden, hängt theils von dem heidnischen Geruche der antiken Plastik, theils von der eigenthümlichen Natur der christlichen Lehre ab, welche gleich ursprünglich in der Malerei ihre vollendetste künstlerische Verkörperung ahnte. Ausser den Sarkophagreliefs vertreten die altchristliche Bildnerei vorzugsweise die Diptychen, elfenbeinerne Schreibtäfelchen zum Zusammenklappen und an der Aussenseite mit Reliefs geziert, und die Prachtgeräthe in den Kirchen. Dagegen entwickelt sich in den Mosaikgemälden, welche die Wände, Wölbungen und Kuppeln der altchristlichen Kirchen bedecken, ein selbständiger, überaus wichtiger Malerstyl. Das Material (farbige und vergoldete Glasstifte) brachte es mit sich, dass man von einem naturwahren Hintergrunde, von reichen, ineinandergreifenden Gruppen und lebendiger Composition absah, und sich mit Einzelgestalten und Gestaltenreihen begnügte, welche dafür durch die einfache Grösse der Umrisslinien, die würdige Ruhe der Haltung, den glänzenden Schimmer der Farbe sich auszeichnen. Es bilden die Mosaikbilder den kirchlichen, typischen[S. 127] Styl, welcher nicht bis zur individuellen Charakteristik, zur dramatischen Schilderung herabsteigt, die erklärenden Beischriften schwer vermisst, aber innerhalb dieser engen Grenze die strengste Erhabenheit athmet. Wie sich bald ein scharf abgegrenzter Styl ausbildete, so erhielt auch die äussere Anordnung der musivischen Bilder frühzeitig ihre Regeln. Die Tiefe der Apsis zeigt den thronenden Erlöser, von Aposteln oder den Kirchenheiligen umgeben, kräftig hervortretend aus dem goldenen oder mit Ranken gezierten Hintergrunde. Der Triumphbogen war gewöhnlich apokalyptischen Darstellungen gewidmet: die Evangelistenthiere, die 24 Aeltesten, die sieben Lämmer und Leuchter u. s. w. füllen den Bogen, der oben mit dem Brustbilde Christi oder seinem symbolischen Zeichen, dem Lamme mit dem Kreuze, dem apokalyptischen Stuhle schliesst. Die Wände des Schiffes waren dann mit historischen Scenen, aus dem Leben Christi, mit Zügen heiliger Männer und Frauen u. s. w. geschmückt. Die Basiliken Roms (S. Maria Magg., S. Paul, S. Cosmas und Damian, Lorenzo, Sabina, Pudenziana), die ravennatischen Kirchen (vorzüglich schön die musivischen Bilder in S. Nazario e Celso, S. Giov. Ev., S. Vitale, Apollinare nuovo), die leider wenig durchforschten Kirchen in Byzanz liefern zahlreiche Musterbilder des Mosaikstyles. Die römischen Kirchen setzten die Mosaikkunst das ganze Jahrtausend fort; aber auch auf diesem Gebiete zeigt sich am Schlusse der Periode eine gänzliche Erstarrung und das völlige Verschwinden des antiken Einflusses, welcher bei den älteren Werken in Zeichnung, Gewandung u. s. w. deutlich vorherrscht.

Die Geschichte eines anderen Kunstzweiges, die Verzierung der Handschriften durch Miniaturbilder, hat den gleichen Verlauf.[40] Die älteren Handschriften (Genesis in Wien, Buch Josua, nach einem älteren Werke im 9. Jahrhundert kopirt, im Vatikan, die Predigten des Gregor v. Nazianz, ein Psalterium in Paris, mehrere andere Handschriften im Vatikan) lehnen sich nicht allein in der Composition, in den Formen, in der Behandlung des Details an die spätantike Kunst an, sondern greifen auch in den zahlreichen Personifikationen und Allegorien in den traditionellen Kunstkreis zurück. Berge, Wälder und Flüsse erhalten die menschliche Gestalt, die Melodie, die Stärke u. a. werden personificirt. Dieser Einfluss der [S. 128]Antike beschränkt sich nicht etwa auf Rom, sondern ist in Byzanz, das ja kein selbständiges nationales Element in der ersten Zeit in sich barg, im Gegentheile von den Resten der althellenischen Kultur im nahen Griechenland sich nährte, wie z. B. die Behandlung des architektonischen Details in altbyzantinischen Kirchen beweist, in gleichem Maasse vorherrschend. Eine durchgreifende Scheidung der christlichen Kunst in eine orientalische und occidentale ist erst gegen das Ende des Jahrtausends zulässig, wo dann die abendländische Kunst von frischen Völkern getragen, neue Bahnen einschlägt, die orientalische, ihres antiken Ursprunges nicht mehr erinnerlich, im engen conventionellen Kreise sich bewegt.

Die Kunst des Mittelalters.

A. Der Orient.

1. Die Kunst des Buddhaismus und der Sassaniden.[41]

§. 69.

Der Aufgang des Buddhaismus bildet für Hinterasien einen historischen Abschnitt von ähnlicher Schärfe und Tragweite, wie der Beginn des Mittelalters für die europäische Menschheit. Dass die bildenden Künste in Indien von der neuen, dort zuerst heimischen Lehre vielfach befruchtet wurden, kann keinem Zweifel unterliegen. Welcher Art aber der Umschwung war, welchen die bildenden Künste erfuhren, ist bei unserer Unkenntniss ihres früheren Zustandes unmöglich anzugeben. Ueberdies führen die Anfänge der buddhaistischen Kunst in die Nähe des absoluten Anfanges der Kunst zurück; die Stupas gehören in die Reihe der einfachsten und ursprünglichsten Kunstorganismen, die wir kennen, wodurch eine neue Schwierigkeit, die Natur der Kunst des indischen Alterthums zu be[S. 129]stimmen, erwächst. Denn wenn eine spätere Kunststufe dem Anfange der Kunst so nahe steht, wie soll man sich die älteren Glieder beschaffen denken? Damit soll das hohe Alter der indischen Kunstthätigkeit nicht abgeläugnet werden. Die Thatsache, dass im Mahabharata und Ramayana Werke einer ausgebildeten Civilbaukunst, regelmässige Stadtanlagen, grosse und reiche Paläste angeführt werden, beweist für sich das Dasein einer alterthümlichen Kunst, doch muss ihr näheres Wesen erst entdeckt, die Chronologie der indischen Kunst durch die Entzifferung der Inschriften festgestellt werden. Ueber kein Land ist die kunsthistorische Kunde so sparsam gesäet, die Zahl leerer Meinungen und oberflächlicher Ansichten so gross, als gerade über Indien.

Ueberall, wo der Buddhaismus sich ausbreitete, schuf er Stupas zur Aufbewahrung von Reliquien und Viharas zur Wohnung der Priester. Die Beschaffenheit der ersteren wurde an einer früheren Stelle geschildert; die Viharas wurden häufig in Felsen ausgehöhlt und gaben die Veranlassung zur Anlage ausgedehnter Felsbauten, auf welchen der grösste Ruhm der indischen Baukunst beruht. Die erste baugeschichtliche Nachricht besitzen wir von Kandragupta's Enkel, dem Könige Açoka (246 v. Chr.), dem ersten indischen Fürsten, welcher die Sache des Buddhaismus zur eigenen machte. Nicht weniger als 84,000 Tempel sollen ihm ihre Erbauung verdanken, in acht Stupas vertheilte er die Reliquien Buddhas. Ausführlicher ist unsere Kunde über die Bauunternehmungen Duschtagamanis auf Ceylon (161–137 v. Chr.). Der Eisenpalast (Lohapasada) maass 225' im Umfange und erreichte die gleiche Höhe. Er ruhte auf 1600 Säulen und stieg in 9 Stockwerken, in jedem Stockwerke 100 Priesterzellen, empor. Die Mitte nahm eine offene Halle ein, welche von Löwen-, Tiger-, göttergestaltigen Pfeilern getragen wurde. Die Erzählung von dem Baue des riesigen Reliquienbehälters oder Dagop (Mahastupa) ist vollkommen mährchenhaft, der Bau selbst aber, aus Backsteinen über einer Grundfläche von 120 Schritten zu 189' emporgeführt, unter dem Namen des Ruanwelli erhalten.

Zu den ältesten Felshöhlen rechnet man ferner: Sieben Felshöhlen bei Gajâ oder Burabur. Eingänge in Pyramidenform führen in das glatt polirte gewölbte Innere, welches im Grundrisse bald viereckig (46'-19'), bald oval ist und in einer Höhle mit einer[S. 130] Nische, in einer anderen mit einem Dagop schliesst. Eine zweite Höhlengruppe findet sich in Orissa auf dem Berge des Sonnenaufganges Udajagiri. Mit Ausnahme einer einzigen Höhle sind die übrigen in Zellen getheilt, von mässiger Tiefe, der Zugang aber ist gewöhnlich unter einer von Pfeilern getragenen Galerie angebracht. Alle diese Bauwerke reichen einige Jahrhunderte vor unsere Zeitrechnung zurück. Die ungenügende Untersuchung derselben bleibt um so bedauerlicher, als eine der Udajagirihöhlen (Ganeça Kumbha) durch die Vortrefflichkeit ihrer Reliefskulpturen (Schlachtscenen) gerühmt wird. In unsere Zeitrechnung dagegen fallen die ausgedehnteren Felsbauten, an welchen namentlich das westliche Indien so reich ist; so die Felsenklöster zu Ajanta. Die einfachste Form derselben ist ein offener Altan als Vorhalle mit einer quadratischen Zelle dahinter; in einigen Fällen folgen die Zellen nicht unmittelbar dem Altane, sondern liegen einer inneren viereckigen Halle zur Seite. Die Wandmalereien in einer Höhle: Löwen, Gazellen, ein betender Knabe harren noch ihrer genauen Beschreibung. Der nächste Fortschritt dieser Höhlenarchitektur wird durch die Erweiterung der inneren Halle gewonnen. Die grössere Fläche derselben verlangte eine Unterstützung der Felsdecke durch Pfeiler (in Ajanta achteckig ohne Basis und Kapitäl, aber durchgängig bemalt), wodurch wieder eine Gliederung des Raumes in Schiffe hervorgerufen wurde. Die Decke der Schiffe ist durchgängig gerippt, die Rippen theils in den Felsen eingehauen, theils aus Holz gearbeitet. Im Hintergrunde erhebt sich der einfache, massive Dagop mit dem hölzernen Sonnenschirme, zur Seite liegen kleinere Zellen. Derartige Bauten finden sich in Ajanta, bei Bag und Karli. Hier beträgt die Gesammtlänge des Tempels 146' bei einer Breite von 46'; die Länge des Mittelschiffes, welches durch je 15 Säulen von den Seitenflügeln getrennt ist, 31'. Vor dem Tempel erhob sich auf zwei Pfeilern eine in Holzwerk reich verzierte Musikgalerie, wie solche bei den Tempeln der Gainasekte noch heutzutage üblich ist, und in dem grossen Felstempel auf der Insel Salsette sich erhielt.

Keine Anlage zur Grottengattung gehörig, geniesst einen so grossen Ruhm und nimmt einen so gewaltigen Umfang ein, als die Bauwerke von Ellora. Ein Bergkranz von Granit, länger als eine Stunde in Ausdehnung, ist zu Grotten, Tempeln, Höfen, Skulpturen ausgehöhlt und in einen Wunderbau von mährchenhafter Pracht ver[S. 131]wandelt. Unter den 13 namentlich angeführten Tempeln erschienen besonders reich gebildet: die Grotten Indras, in zwei Stockwerken, von Pfeilern getragen, von Höfen umgeben und durch schmale Gänge mit den benachbarten Anlagen verbunden, der Tempel des Visma-Karma, mit zierlich ausgemeisselten offenen Vorhallen, äusseren Galerien und einer dreischiffigen Grotte, deren Decke, ein natürliches Tonnengewölbe, durch breite Rippen gegliedert ist, und schliesslich der Kailasa, ein Raum von 400' Länge und 150' Breite, bis zu einer Tiefe von 100' ausgehöhlt, so dass in der Mitte der Felsen zu Tempeln ausgehauen übrig blieb, die Umgebung zu einem Hofe ausgegraben wurde. Die angrenzenden Felsenwände waren gleichfalls architektonisch bearbeitet, in Pfeilergänge verwandelt und gleich den Tempeln untereinander, durch Felsbrücken mit dem Mittelbaue verbunden. Der Haupttempel, der grösste bekannte Monolith, 17' hoch, worüber sich ein Dom bis zu 90' erhebt, 103' lang, 56' breit, wurde von 16 Pfeilern gestützt und an den Ecken von Elephantenkolossen getragen. Andere freistehende Felsmonumente finden sich auf der entgegengesetzten Seite Indiens, an der Koromandelküste, unter dem Namen von Mahamalaipur vor. Ihre architektonische Beschaffenheit ist minder anziehend als die Reliefdarstellungen, welche sich an den Felswänden in unübersehbarer Schaar hinziehen.

Die Thurmbauten, welche theils isolirt, theils in Verbindung mit anderen Anlagen (Pagoden) in Indien vorkommen, lassen sich sämmtlich auf die Grundform der Hügel zurückführen. Die einfachsten Denkmäler dieser Gattung, die Stupas in Kabulistan, wurden bereits an einer anderen Stelle beschrieben; gegliederter sind die fünf Topengruppen bei Bhilsa, mit vier Thoren versehen, durch Säulen gegliedert, an den Thorwegen mit reichen Skulpturen geschmückt. Im Laufe der Zeit werden diese Thurmpyramiden immer glänzender ausgebildet und als architektonische Schaustücke behandelt. Sie bilden einen Hauptbestandtheil der Pagodenbauten, welche über einen weiten Raum ausgedehnt, ein landschaftliches Gepräge entfalten, innerhalb der Umfassungsmauern zahlreiche Einzelbauten, heilige Teiche, Baumgruppen, Portiken u. s. w. bergen. Solche Pagodenbauten sind im Gebiete von Madhura (Ramisseram), Tanjore (Chillambrum), Orissa (Jaggernaut, Bhavanasvera) besonders zahlreich, und wurden mit dem Buddhaismus auch nach Hinterasien (Java: die 116' hohe Pyramide zu Boro-Budor) ver[S. 132]pflanzt. Die Pyramide zu Chillambrum, welche als Durchgang dient, steigt in 7 Stockwerken zu einer Höhe von 150' empor und ist an den Aussenseiten mit Ornamenten und Skulpturen vollkommen bedeckt. Selten steht die Architektur eines Volkes in einem so unmittelbaren und klar ersichtlichen Zusammenhange mit der Naturumgebung, wie die indische. Die Naturmächte, die Indiens geistiges Leben bestimmten, und allen Regungen des Volkes den Stempel zerfliessender Ueppigkeit und Maasslosigkeit verliehen, haben auch die Gestalt der Architektur bedingt und ihr den Charakter der Kolossalität, des Schrankenlosen und Ungeheuren, und auf der anderen Seite wieder der Skulptur das Gepräge des unbestimmt Weichlichen gegeben. So klar aber auch das allgemeine Wesen der indischen Kunst auftritt, so wenig ist ihre besondere Beschaffenheit bekannt. Auffallend erscheint die Verbindung des Holzbaues mit Grottenwerken, regellos die Formen der Pfeiler und der kleineren Bauglieder. Nicht zu vergessen ist freilich der Umstand, dass die indischen Baumeister durch ihr Material, den lebendigen Felsen, nicht wenig gebunden waren, und von seiner Beschaffenheit die Formen des Baues abhängig blieben. So erklärt sich die bunte Mannigfaltigkeit der Dachformen, wo neben dem symbolisch bedeutsamen Dome geschweifte Dächer, einfache Giebeldächer u. s. w. sich erheben, oder die Verschiedenheit in der Pfeilerbildung. Charakteristisch dagegen und leicht verständlich ist die Anwendung thierischer Gestalten als architektonischer Schmuck, sei es an den Kapitälen der Säulen, oder in selbständiger Weise, so dass thierische Kolosse den Oberbau tragen. Eine scharfe Trennung zwischen Baukunst und Bildnerei findet sich in Indien noch nicht ausgesprochen.

Die gerechte Würdigung der indischen Skulptur und Malerei muss bis zur näheren Erkenntniss der Felsskulpturen und Wandmalereien aufgeschoben bleiben. Die wenigen Denkmäler, welche nach Europa gelangten, zeigen bei der Darstellung weiblicher Formen und ruhiger Situationen einen ausgebildeten, aber weichlichen Formensinn; wie weit die allen Gesetzen der Plastik entgegenlaufenden Göttergestalten auf das Kunstgefühl Einfluss nahmen, in welchem Grade die Polychromie in der indischen Architektur herrschte, sind Fragen, welche wie die andern von der Einwirkung der griechischen Kunst auf einzelne indische Bauwerke (die Tempel auf Takti[S. 133]-Suleiman, bei Islâm-âbâd und Pajak in Kaçmira sollen griechische Bauglieder besitzen) von der Zukunft beantwortet werden müssen.

§. 70.

So weit der Buddhaismus in China eindrang, hatte er die Verpflanzung buddhaistischer Bauformen, namentlich des Dagop, zur Folge. Auf diese Gestalt lassen sich sowohl der mit grünen Porzellanplatten belegte und mit buntfarbigem Holzdache versehene Thurm von Nanking (1413 errichtet), wie die berühmte Pagode bei Tschinkiang-fu zurückführen. Bei beiden ist die Form der Pyramide, in 9 Absätzen allmälig aufsteigend, beibehalten, bei der letztgenannten aber als Material Gusseisen gewählt, der innere Raum mit Ziegeln ausgefüllt. Das bedeutendste Baudenkmal der Chinesen ist unstreitig das Grab Tait'su's, aus dem 14. Jahrhundert bei Nanking, unter dem Namen Horang-lin (Gräber der Könige) bekannt. Eine halbkreisförmige Allee von Elephanten-, Löwen-, Hunden-, Pferden- und Soldatenpaaren begrenzt, führt zum Begräbnissplatze, welcher drei geräumige, durch Höfe getrennte und auf Terrassen angelegte Bauten in sich schliesst. Der erste Bau bildet die Vorhalle; der zweite, die kaiserliche Halle, wird von 36 hölzernen Riesensäulen getragen und misst 260' in der Länge, 100' in der Breite. Der dritte aus Kalkstein errichtete Quadratbau steht am Fusse eines Hügels, auf welchem sich drei Erdkegel, die eigentlichen Gräber, befinden. Man erkennt unschwer, wie die primitiven Bauformen hier wie in Indien, zwar mannigfach modificirt und mit reicher Dekoration versetzt, aber nicht organisch umgewandelt wurden. Im Uebrigen müssen die Erzeugnisse der chinesischen Kunst den kulturgeschichtlichen Disciplinen zur Darstellung überlassen bleiben.

§. 71.

Die Kulturbewegung in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung ergriff auch Persien und schuf auf diesem bildungssatten Boden eine reizende Episode, da zur nachhaltigen Wirkung die Kraft im Angesichte des anstürmenden Mohamedanismus nicht ausreichte. Es ist darunter die durch die Sassaniden versuchte Restauration der altpersischen Zustände, des Feuerdienstes und des Zoroasterschen Gesetzes (221–642 v. Chr.) gemeint. Folgen auch die bildenden Künste in dieser Periode einem verwandten Streben, so können sie doch die früheren Berührungen mit der antiken Kunst, welche seit[S. 134] den Heerzügen Alexanders im Oriente heimisch wurde, nicht verläugnen, am wenigsten die Architektur der Sassaniden. Wir besitzen ausgedehnte Baureste in Madain oder Ktesiphon: Tak-i-Kesra, dann in der Nähe von Mosul in Al Hathr, einem Tempel und Palaste angehörig und aus einer Reihe gewölbter Hallen von verschiedener Grösse bestehend, in Schapur bei Kazerun mit den Resten einer Palastmauer und einem theaterartigen Baue, in Takt-i-Bostán mit 2 tiefen in den Felsen gehauenen Hallen, deren Façadenschmuck von den mannigfachen Einwirkungen der antiken Kunst aussagt. Zu beiden Seiten des Bogens der grösseren Halle sind zwei vertikale Gesimse von gräzisirender Form angebracht; um den Bogen schlingt sich eine doppelte Bordüre ineinander verschlungener Linien; am Beginne desselben stehen zwei geflügelte Figuren, unverkennbare Nachbilder römischer Viktorien. Auch das Innere der Halle ist mit einem Friese mit Weinlaub und kannelirten Pilastern, an die korinthische Ordnung erinnernd, geschmückt. In den Felsbauten erkennen wir ein heimisches, orientalisches Element, die Details sind theils der altpersischen (Lotoskapitäle, die Hohlkehlen der Kranzgesimse), theils der spätantiken Kunst entlehnt; das Neue, man möchte sagen Mittelalterliche, was in der Sassanidenkunst auftritt, ist die consequente Anwendung der Bogen und Kuppeln. Die Bogen nähern sich der Hufeisenform, die Kuppeln sind überhöht, die Wölbung regelmässig als Tonnengewölbe angelegt. Die Existenz des Spitzbogens unter den Sassaniden ist vorläufig noch fraglich. Auch die sogen. Feueraltäre, die bei Naksch-i-Rejib und sonst noch entdeckt wurden, haben mit der persischen Bautradition nichts gemein. Es sind dies massive Felswürfel, die Ecken mit plumpen Säulen eingefasst, die Zwischenräume in Bogenform vertieft, das Ganze mit Zinnen gekrönt.

Die wichtigsten Denkmäler der Sassanidenskulptur sind sechs Basreliefs zu Naksch-i-Rustam: Lanzenkämpfe, der Triumph Schapurs über Valerian, die Uebergabe eines Diadems durch Ormuzd an Ardeschir, den Wiederhersteller der altpersischen Ordnung, und durch diesen an die Königin u. s. w., ein Felsrelief von 16' Höhe und 12' Breite bei Rhey, die Reliefs in Schapur, andere in Takt-i-Bostan, Jagdscenen, Reiterfiguren vorstellend und auch grössere Statuen: eine Kolossalfigur, roh zugehauen in Takt-i-Bostan, die den Namen der Geliebten des Khosru-Purviz, der schönen Schirin, führt, und eine[S. 135] andere in den Trümmern von Schapur, angeblich das Porträtbild Sapors I. Der Inhalt der zahlreichen Relieftafeln zeigt, dass die Bildnerei unter den Sassaniden den gleichen Zwecken diente, wie unter den Achämeniden, und eine Chronik des Hoflebens gibt. Eine geringere Verwandtschaft offenbart die Form, welche von dem strengen Ernste des altpersischen Styles wesentlich abweicht, und wenn man die grössere Freiheit der Bewegung als ein fremdes, von Rom und Griechenland eingeführtes Element in Abschlag bringt, das Sinken des Kunstsinnes, jedenfalls eine Vermischung von Stylarten, die keine reine Frucht erzeugen können, verrathet.

Wie viel von der Sassanidenkunst als befruchtendes Element nach dem Sturze des Reiches übrig blieb, und in der Kunst des folgenden mohamedanischen Zeitalters sich erhielt, kann bei dem mangelhaften Zustande unserer Kenntniss der orientalischen Bildung im Mittelalter nicht angegeben werden.


2. Die Kunst des Islams.

§. 72.

Die Natur des Orientes ist im Vergleiche zu dem wandelbaren, freien Leben des Abendlandes unveränderlich, fest an dem Boden haftend, und kann in keiner Weise dem unmittelbaren Einflusse der landschaftlichen Umgebung entzogen werden. Selbst gewaltsame geistige Revolutionen ändern nicht viel und werden allmälig in den gewöhnlichen Wellenkreis hineingezogen. Die Lehre Mohameds war daher keineswegs mächtig genug, in dem weiten Gebiete, welches sie durchdrang, ihre feste Einheit zu bewahren; am wenigsten konnte die von ihr ausgehende Kunstbildung sich dem Einflusse der verschiedenartigen Traditionen entschlagen. Auch lag in dem mohamedanischen Cultus wenig vor, die Kunst der Gläubigen auf eine bestimmte Bahn zu bringen, der individuellen Phantasie einen gesetzmässigen Weg vorzuzeichnen. Die bildenden Künste waren bekanntlich nicht geduldet, auch in dem Mangel an mythologischen Gestalten der Reiz zur Ueberschreitung des Gebotes aufgehoben. Die kirchliche Architektur macht zwar die Wiederkehr gewisser Bautheile nothwendig, wie den Hof für die Waschungen, die Halle des Gebetes[S. 136] (Mihrab), den Raum zur Aufbewahrung des Korans (Maksura), die Kanzel (Mimbar), den Minaret zur Absagung der Gebetstunden (seit 710 in Damaskus); aber diese verhalten sich völlig gleichgültig zu einander und bedingen keineswegs bestimmte Bauformen. Daher zerfällt die mohamedanische Kunst schon ursprünglich in mehrere Gruppen, welche nur an der Oberfläche den Charakter der Einheit tragen, in Wahrheit aber von der Kunsttradition, die sie in den einzelnen Landschaften vorgefunden haben, abhängen; daher behalf sich dieselbe in der ersten Zeit des Kalifates mit der Usurpation christlicher Kirchen, so z. B. in Damaskus, Pergamus und wahrscheinlich auch in Jerusalem, wo ein achtseitiger Kuppelbau, in der Anlage der alten heiligen Grabkirche entsprechend, als Moschee verwendet wurde. Leider sind die Prachtbauten von Bagdad, die uns über den älteren Styl des Islams belehren könnten, beinahe ausnahmslos verschwunden, und auch in Persien bewirkt die Mongolenherrschaft eine längere Unterbrechung. Die neueren persischen Bauten seit dem 16. Jahrhundert zeigen Kuppeln in Birnform, die Gewölbe durch kleine Nischen mit herabhängenden Spitzen gebildet, die Bogen geschweift und zugespitzt (Kielbogen), die Aussenseiten buntfarbig verziert. (Ispahan: Königsplatz mit dem Palaste, zwei Moscheen und Bazars; Teheran; Tarbiz u. s. w.) Gegen die gewöhnliche mohamedanische Regel üben die Perser, altheimischen Traditionen folgend, auch die Malerei.[42]

Besser sind wir über die mohamedanische Architektur in Indien unterrichtet.[43] Delhi unter der Paladynastie, Neudelhi, Agra unter den Grossmoguln bilden ihren Hauptschauplatz. Dort ragt aus der älteren Zeit die Triumphsäule des Islam: Cootab-Minar, mit Rundstäben eingefasst, nach oben verjüngt und ehemals mit einer Kuppel geschlossen, bis zu einer Höhe von mehr als 240' empor; aus der späteren Zeit (17. Jahrhundert) werden der grosse Palast mit dem kostbaren Pfauenthrone, die grosse Moschee des Schah Jehan u. a. gerühmt. In Agra glänzen der Palast Akbars, die grosse und die Perlmoschee, an den Ufern des Yamuna die Grabmonumente der Moguln, unter ihnen das Monument Akbars zu Sikandra (1605), ein offener Pyramidenbau mit vier übereinander[S. 137]liegenden Grabkammern, und das Grabdenkmal der schönen Nur-Jehan, Tai-Mahal genannt. Im inneren Indien hat namentlich auch Bejapur zahlreiche und glänzende Denkmäler der mohamedanischen Baukunst aufzuweisen.

Die Ausstattung dieser hindustanischen Bauten sucht an Reichthum und Schönheit ihres Gleichen, doch ist dies nicht die einzige Glanzseite derselben. Die Grossartigkeit der Anlage wurde durch die Fülle der Dekoration nicht verdeckt, die Grossartigkeit aber läuft nicht wie in der älteren heimischen Kunst auf das Ungeheure und Ungemessene hinaus, sondern wählt ruhige und einfache Formen zu ihrem Ausdrucke. Der Grundriss der Moscheen ist gewöhnlich viereckig, die Pfeiler werden durch Kielbogen verbunden, Zinnen dienen als Mauerbekrönung, schlanke Thürme begrenzen die Ecken; über dem Hauptbaue erhebt sich die ausgebauchte, oben zugespitzte Kuppel. Im Einzelnen ist der Einfluss der älteren hindustanischen Architektur wohl sichtbar; in den ausladenden Dächern, in den mannigfaltigen Konsolen der Säulenhallen, auch wohl in manchen Barbarismen, z. B. in den aus einem Stücke gearbeiteten Steinketten; er zerstört aber keineswegs die Harmonie, welche durch das oben angedeutete regelmässige Bausystem hervorgerufen wurde.

Einer anderen Baugruppe gehören die mohamedanischen Monumente in Aegypten an.[44] Der Hof mit einem kleinen Kuppelbau für die Waschungen in der Mitte bildet den architektonischen Mittelpunkt; die Halle des Gebetes unterscheidet sich nur durch die grössere Breite von den Portiken, welche den Hof auf den übrigen Seiten einschliessen. Der reine Spitzbogen, doch keineswegs als Basis der Construction behandelt, wird regelmässig angewendet, und von Säulen oder durch Ecksäulen gegliederten breiten Pfeilern getragen, die Mauer durch ein seltsam gezacktes Zinnenwerk gekrönt. Altägyptische Einflüsse sind wenig bemerkbar, desto mehr die Einwirkung der altchristlichen Architektur. Die Moschee Amrus und jene Ebn Tulun's aus dem 9. Jahrhundert zu Kairo sind gute Beispiele des älteren Styles. Der Minaret an der letztgenannten Kirche ist nicht in der Ecke, sondern in der Mitte des Baues auf einer viereckigen Unterlage angebracht. Die Decke der Portiken ist aus Holz und kassettirt; unterhalb derselben zieht sich die Mauer entlang ein doppelter Fries, der obere mit kufischen In[S. 138]schriften, der untere mit geometrischen Linien (Fig. 59) bedeckt. Viel jünger, aber glänzender ausgestattet, ist die Moschee Hassans aus dem 14. Jahrhundert. Der mittlere Hofraum ist hier nur das Verbindungsglied für die vier mit einem spitzbogigen Tonnengewölbe versehenen Säle, wodurch der ganze Bau die Gestalt eines Kreuzes gewinnt. Noch jünger, aber wieder an die gewöhnliche Moscheenform sich anschliessend, ist die Moschee El-Moyed, zu deren Bau antike Säulen verwendet wurden. Der Reiz aller dieser Bauten liegt in dem buntfarbigen glänzenden Ornamente, womit alle Flächen bedeckt sind, weniger in der Kraft und Schönheit der Construction, da hier das Verhältniss der flachen Decke zu den Pfeilern drückend wirkt und die Gewölbeanlagen eine grosse Unsicherheit der Technik verrathen.

Fig. 59.

Von Afrika setzten die Araber nach Sizilien[45] über (9. Jahrhundert). Die politische Verbindung, in welcher die neuen Herren der Insel mit den Kalifen von Kairo blieben, lässt auch auf die Abhängigkeit der sizilianischen von der Kunst der Mohamedaner in Aegypten schliessen. Leider beschränkt sich aber die Zahl der erhaltenen Monumente auf äusserst wenige. Wenn man die Bäder von Cefalu und andere kleinere Ruinen ausnimmt, so bieten nur die beiden Schlösser Zisa und Cuba bei Palermo, vielleicht aus dem 10. Jahrhundert, Gelegenheit zur Erkenntniss des sarazenischen Styles auf Sizilien. Der Palast Zisa bildet im Grundrisse ein Viereck, an dessen Schmalseiten kleinere Pavillons vortreten. Arkaden, leise zur Spitze geschwungen, gliederten die Façade, die in drei Stockwerke getheilt und oben mit einem Inschriftenfriese gekrönt war. Der Empfangssaal mit Nischen und Springbrunnen, die Wände buntfarbig verziert, hatte über sich einen offenen Hof, um welchen Galerien und die Frauengemächer herumliefen. Aehnlich, nur noch zierlicher gestaltet, war die Kuba: Vierzig Fuss hohe Spitzbogenarkaden belebten die Façade, ein Kuppelsaal nahm den Hauptraum im Innern ein, Pavillons, von welchen noch einer erhalten ist, ein offenes Viereck, von Spitzbogen getragen und mit einer Kuppel bedeckt, umgaben den Bau. Die Anwendung des Spitzbogens weist auf Aegypten als Quelle zurück; die grosse Ge[S. 139]schicklichkeit in der Kuppelwölbung (es werden in den Mauerecken kleinere Bogen geschlagen und so das Viereck in das Achteck frei und sicher hinübergeleitet) kann wohl auf Rechnung byzantinischer Vorbilder geschrieben werden. Noch früher als auf Sizilien kam die Herrschaft der Sarazenen in Spanien[46] zur Geltung. Vom achten bis zum fünfzehnten Jahrhunderte haftet die Geschichte der spanischen Bildung und Kunst an ihrem Namen; doch sind es meist nur die jüngsten Luxusbauten, welche dem maurischen Style zu unsterblichem Ruhme verhalfen. Auch in Spanien verschmähte die mohamedanische Kunst das vorhandene ältere Material nicht, und benützte es in reichstem Maasse. Als Abdel Rahman 786 die grosse Moschee zu Cordova gründete, liess er in seinem Reiche die römischen Säulen aufsammeln und in dem neuen Baue aufstellen. Der Grundplan jedoch und die Construction des Inneren hat mit der antiken Tradition nichts gemein. Einundzwanzig Thore von Hufeisenbogen (Fig. 60) durchbrachen die Umfassungsmauer und führten in das Innere, welches in den nördlichen, durch Fontänen gekühlten und von Palmen und Cypressen beschatteten Hof und die Säulenhalle zerfiel. Eilf, später (seit El Mansours Erweiterung) neunzehn Säulenreihen, von 35 Säulenreihen in der Querrichtung durchschnitten, im Ganzen an tausend Säulen, füllten die Moschee. Unmöglich konnte auf diesen Säulen schon das Dach aufsitzen; um dem Baue eine grössere Höhe zu geben, wurden auf die Säulen noch schmale viereckige Pfeiler aufgesetzt, und von diesen zu dem nächsten Pfeiler in der Längenrichtung stets zwei Bogen übereinander geschlagen. Selbst so erreicht die Moschee nur die Höhe von 35 Fuss. Die ursprüngliche Decke (seit der Verwandlung der Moschee in eine Kirche im 13. Jahrhundert, wurde diese, wie so vieles Andere, verändert) war von Holz und reich mit Gold und Farben verziert, schmucklos dagegen die Säulen und Doppelbogen der Halle, mit Ausnahme des Säulenganges, der zum Heiligthume führte, und der vor diesem abgesteckte viereckige Raum. Die Bogen erscheinen hier ausgezackt [S. 140]und musivisch ausgelegt; namentlich strahlt auch die Eingangswand zum Heiligthume, wo der Koran niedergelegt wurde, von den auserlesensten Mosaikornamenten. Wie sehr musste ihre Farbenpracht erst blenden, wenn Tausende von Lampen ihr Licht darauf warfen. Der einfachere Linienzug, der in dem Mosaikschmucke zu Cordova im Unterschiede zu den späteren Arabesken sich bemerklich macht, rechtfertigt die Tradition, die Mosaikwand der Moschee sei aus byzantinischem Stoffe von byzantinischen Arbeitern errichtet worden.

Fig. 60. Hufeisenbogen.

Durch die Zerstörung des Palastes von Zahra bei Cordova aus dem 10. Jahrhundert ging die Handhabe zur Untersuchung des Entwicklungsganges der maurischen Kunst verloren, von welcher wir wieder erst aus den späteren Jahrhunderten zahlreichere Denkmäler besitzen. Erst in diesen erscheint der Architektursinn der spanischen Araber selbständig ausgebildet, von den älteren Traditionen befreit, und rückhaltlos den Einwirkungen der zauberischen Landschaft hingegeben. In Sevilla sind die Reste der Moschee in die Mauern des Domes verbaut; der Palast (Alcazar) hat zahlreiche Restaurationen erfahren, zeigt übrigens Formen, die an anderen Bauten noch klarer und schärfer vortreten; der Thurm der Kathedrale la Giralda hat nur in seinen unteren Theilen Anspruch auf ein höheres Alter (12. Jahrhundert). Er bildet im Grundrisse ein Rechteck und hat als äussere Dekoration Rautenfelder, zwischen welchen die meist spitzbogigen Fenster sich erheben. Die Minaretform des Orientes wich einer regelmässigen, mehr im Geiste des Abendlandes gedachten Anlage, welche in den westlichen Reichen des Islams (Tunis, Marokko) mehrfach nachgeahmt wurde.

Seit dem 13. Jahrhundert wurde Granada der Hauptsitz der maurischen Herrschaft. Trotzdem dass die Macht der Mauren unter den Schwertschlägen der christlichen Ritter immer weiter zurückwich, verlor sich doch nicht der Kunsteifer der Fürsten, im Gegentheil steigerte sich der Genusssinn, der Bildungstrieb zur höchsten Ueppigkeit, wurde die spielende Poesie des Lebens unübertrefflich in architektonischen Formen verkörpert. Zeuge dafür ist die Citadelle von Granada, die nach dem rothgebrannten Gestein ihrer Mauern und Thüren sogenannte al Hamrâ.[47] Im Jahre 1248 begann der Festungsbau, die Prachtbauten nahmen im 14. Jahrhundert [S. 141]ihren Anfang und wurden bis in das 15. fortgesetzt; die ganze Anlage nimmt einen Raum von 2500' in der Länge und 750' in der Breite in Anspruch.

Hat man das Thor des Gesetzes, den Platz der Cisternen und andere Vorbauten durchschritten, so gelangt man in den Hof des Fischteiches (Patio de la Alberca). Rosen-, Oleander- und Myrthenbüsche beschatten das Riesenbassin, gegen welches an den breiten Schmalseiten des Hofes 7 Bogen, zu Arkaden zusammengestellt, sich öffnen. Ueber den Arkaden erheben sich luftige Galerien mit herabhängenden, wie Tropfstein gebildeten Decken. Die nördlichen Arkaden führen zur Halle der Segnung und weiter zum Thurme des Comares, dessen dicke Mauern den glanzschimmernden Saal der Gesandten, eine reichvergoldete Kuppelhalle, bergen.

Fig. 61. Osttheil der Alhambra.

Der reizendere und bekanntere Theil des Baues liegt östlich vom Hofe der Alberca, um den sogen. Löwenhof gruppirt (Fig. 61). Die Mitte des Löwenhofes (123'-73') nimmt die zwölfeckige Alabasterschale (a) ein, von 12 Löwen von conventioneller Auffassung getragen. Hundertachtundzwanzig weisse Marmorsäulen stützen die Hallen, welche den Hof umgeben, und von welchen die südliche in die Halle der Abencerragen (b) führt. Oestlich vom Löwenhofe liegt der langgestreckte Saal des Gerichtes (c), der Plafond mit Malereien geschmückt; im Mittelfelde zehn schattenlose Greifen, links Jagdscenen, rechts den Kampf eines maurischen mit einem christlichen Ritter, die Darstellung eines Schachspieles und wieder Jagdscenen. Der Halle der Abencerragen gegenüber befindet sich das köstlichste Kleinod der maurischen Architektur, der kleine Saal der beiden Schwestern (d). Die viereckige Mauer geht nach oben in ein Achteck über, indem in jeder Ecke sich eine kleine Zellenkuppel erhebt; das Ganze wird durch eine Kuppel, die gleichsam aus lauter Bienenzellen zusammengesetzt ist, bedeckt. Ein kleiner Pavillon, das »Putzzimmer der Königin« (e) und Bäder (f) schliessen nach Norden den Bau ab. Die Construction der Alhambra, so leicht und luftig sie[S. 142] auch erscheint, lässt dennoch an Dauerhaftigkeit nichts zu wünschen. Doch weicht sie von der früher und später üblichen wesentlich ab. Die Bogen, gewöhnlich in erhöhter Rundform, haben nichts zu stützen und zu tragen, sie sind nur ein reizender Schein, wie die künstlichen Holzwölbungen und Kuppeln, eine blosse dekorative Wandfüllung, daher sie auch nicht auf den Säulen lagern, sondern neben denselben auf leichten Consolen ruhen. Die grösste und eigenthümlichste Schönheit der maurischen Architektur liegt in ihrer Dekoration. Sie soll Teppiche ersetzen, und besitzt auch ganz den Charakter einer gestickten und gewebten Arbeit (Fig. 62). Dem Gesetze, welches den in der mannigfachsten Weise ineinander verschrägten Linien zu Grunde liegt, nachzugehen, ist beinahe unmöglich, da die einzelnen Muster oft ganz nahe an geometrische Regelmässigkeit streifen, um sofort sich in ein üppiges Phantasiespiel zu verlieren. Dass Korantexte in die Arabesken mitverwebt werden können, Schriftzüge und Ornament oft unmerklich ineinanderfliessen, ist für die Richtung der maurischen Kunst sehr bezeichnend. Lohnend wäre es schliesslich, den Gesetzen der Polychromie nachzuforschen, welche die Bemalung, namentlich der Alhambra, lenkten. Gold herrscht vor, in den Kuppeln und Wölbungen werden nur die primären Farben: Roth, Blau, Gelb, an den unteren Wänden die sekundären: Grün, Orange, Purpur gebraucht. Rothgoldene und blausilberne Arabesken durchschneiden sich, und umsäumen blaugoldene Felder. Im Saale der beiden Schwestern ist in den unteren Malereien das Roth ausgeschlossen, die Ornamente bewegen sich in Schwarz, Weiss, Blau, Violet, Grün; Gelb dagegen herrscht als Grundfarbe an den oberen Friesen u. s. w. Neben der Alhambra sind noch als maurische Denkmäler das gegenüberliegende Generalife (Garten des Architekten) im Style der Alhambra, und dann die Palastbauten in Nordafrika zu nennen, welche sämmtlich den spanischen Bauten nachgebildet sind, ohne sie aber im Glanz zu erreichen, oder ihr Princip weiter zu entwickeln.

Fig. 62. Ornament aus der Alhambra.

Auf die lokalen Bauschulen von Sizilien und Spanien übt die[S. 143] dort heimische mohamedanische Architektur einen mannigfachen Einfluss, in das allgemeine Kunstgetriebe des Abendlandes aber einzugreifen, gelang ihr nicht. Hier bildet sie eine reizende Episode; dauernde Geltung besitzt sie nur im Oriente.


3. Die byzantinische Kunst.

§. 73.
Fig. 63. Katholikon in Athen

Die erste und unmittelbarste Abzweigung der altchristlichen Kunst tritt uns in dem byzantinischen Style entgegen. Die Scheidewand zwischen der einen und der anderen Kunstweise wird auch in der Regel nicht beobachtet, und bereits der Centralbau zur byzantinischen Kunst herübergezogen. Dass derselbe die Hauptmotive der späteren byzantinischen Kunst in sich schliesst, kann nun allerdings nicht abgeläugnet werden. Doch lagen zahlreichere Gründe vor, nämlich die hier wie bei den Basilikenbauten noch ungebrochene antike Tradition, ihn mit den Basiliken auf eine gleiche Linie zu stellen und gleich diesen als einen allgemein gültigen christlichen Urtypus aufzufassen. Andere Erwägungen, den byzantinischen Styl aus seiner unbestimmten Stellung zu reissen, traten hinzu. Der Centralbau war keineswegs im altchristlichen Oriente ausschliesslich herrschend. Neben den Rotunden des constantinischen und nachconstantinischen Zeitalters (den bereits angeführten fügen wir noch hinzu: die K. S. Johann ἑν Ἑβδὁμω und S. Maria Perib. in Constantinopel, Apostelk. in Athen) kommen noch Basiliken vor; die späteren byzantinischen Kirchen weichen von der Rundform vielfach ab; in der Plastik und Malerei kommt später ein anderes Princip zur Geltung, als bis zum 7. Jahrhundert üblich war; die Abgeschlossenheit der orientalisch-christlichen Bildung seit dem letzten Dritttheil des vorigen Jahrtausends übte auch auf die bildenden Künste Einfluss und verlieh ihnen einen bestimmten byzantinischen Lokalcharakter. Diesen Kulturabschnitt bezeichnet am schärfsten der Bilderstreit unter Leo dem Isaurier (726). Von hier datirt auch am natürlichsten der Beginn der byzantinischen Lokalkunst, um so mehr, als bald darauf auch im Abendlande durch den Eintritt der germanischen Völker in die Kulturwelt eine neue kunsthistorische Periode anbricht.[S. 144] Die Palastbauten der späteren byzantinischen Kaiser (Theophilus 829, Basilius Macedo, Constantin Porphyrogennetos) scheinen sich mehr durch ihre Ausdehnung und den Reichthum der Ausstattung, als durch die architektonische Schönheit ausgezeichnet zu haben; unter Basilius Macedo, dem Baulustigen, dürfte der byzantische Lokalstyl zum festen Typus gelangt sein. Diesen müssen wir aus den kärglichen Nachrichten, die wir über spätere byzantinische Kirchen zur Stunde besitzen, mühselig zusammenklauben.[48] Sehr häufig wurden die byzantinischen Kirchen ringsum von einem Hofraume eingeschlossen (S. Johann, S. Georg in Constantinopel, S. Laura auf d. B. Athos, Ecs-Miazin in Erivan, Modon in Morea u. s. w.); im Grundriss kehrte man zum Vierecke (Fig. 63) zurück, ohne aber die Längenrichtung stark vorherrschen zu lassen; die Façade zeigt entweder einen kubischen Mauerkörper ohne Giebel (K. im Quartier der Bäder zu Constantinopel, Panagia Nikodimo zu Athen), bloss von der Kuppel des Mittelbaues überragt, oder schliesst in geschweiften Kreislinien ab (Pantokrator, Mone tes Koras, Theotokos zu Constantinopel, Tenos im Archipel), seltener und später vielleicht unter abendländischem Einflusse mit dem Giebel (Katholikon, S. Theodor, Taxiarch, Kapnikaréa mit fünf Giebeln nebeneinander zu Athen, Daphni bei Athen, Mistra bei Sparta — wie Kapnikaréa — Vatopedi auf Athos, Ecs-Miazin); die Apsiden gehen aus dem Halbkreise in das Polygon über, die Nebenapsiden werden in der Tiefe der Mauer angebracht; bei kleineren Kirchen in Morea reichen die Apsiden nicht bis auf den Boden, sondern werden von Consolen getragen; eine grosse Umwandlung geht ferner mit den Kuppeln vor sich. Ihre Zahl wird gesteigert; um die Hauptkuppel legen sich kleinere als Trabanten herum (Navarin), oder es werden wohl gar alle, auch die Nebenräume, mit Kuppeln überdacht (Panagia Nikodimo). Ihre Gestalt gleicht wenigstens im Innern einer Halbkugel, aussen wird der untere Theil der Wölbung als senkrechte Wand gebildet, welche durch Säulen gegliedert und in Rundbogen geschlossen ist (Fig. 64). In der späteren Zeit treten an die Stelle der Säulen schwere Pfeiler [S. 145]als Widerlager (K. zu Mesembrio, Daphni, Patras). Eine besondere Ueberdeckung der Kuppeln, wie im Abendlande, ist nicht gebräuchlich, auch bei den zahlreichen Tonnengewölben nicht, welche nackt an die Oberfläche treten. Thürme kommen selten vor, und die wenigen Beispiele besitzen eine abnorme Gestalt (Daphni, S. Taxiarch in Athen, Sifanto, Dioulfa in Ispahan). Die Anordnung des Innern zeigt eine meist nach aussen geschlossene Vorhalle (Ausnahme die K. Theotokos); die Schiffe durch schwere Pfeiler geschieden, und mit Tonnengewölben, selten mit Kreuzgewölben überdeckt; über den Nebenschiffen öffnen sich die Weibertribünen (Gynaikonitis); der Altarraum ist durch eine Scheidewand (Ikonostasis) vom Schiffe geschieden. Die älteste Art der Ikonostase sind Vorhänge; später wurden dieselben aus Holz errichtet, mit Thüren versehen und mit Malereien bedeckt (die schönsten Muster sieht man in S. Theodor zu Pergamus, in der Hauptkirche zu Smyrna, Magnesia und aus jüngster Zeit in der griechischen Kirche zu Livorno). Krypten kommen in byzantinischen Kirchen nicht vor; auch besitzt der Altar nicht die Form eines Sarges, sondern ist ein einfacher Tisch (die Abendmahltafel) mit einem Ciborium überdeckt. Die Formen der Säulenkapitäle weichen von der antiken Tradition wesentlich ab. Sie bilden einen nach unten abgeschrägten, an den Kanten zugerundeten Würfel (Fig. 65), ihr Blätterornament ist mager, ihr gewöhnlicher Schmuck sich kreuzende Linien, Kreise u. s. w. Auch die Profile der Gesimse verlieren alle Feinheit und werden eckig und scharf. Eine starke Schräge, oben mit einer Deckplatte geschlossen, unten mit einem Rundstabe gesäumt, wird am häufigsten angetroffen. (Panagia Nikodimo, S. Theodosia, Katholikon zu Athen.)

Fig. 64. Byzantinische Kuppel.
Fig. 65. Kapitäl aus der Kapnikarea.

Für die Chronologie der byzantinischen Bauwerke fehlen sämmt[S. 146]liche Vorarbeiten; auch hat sie bei der Stabilität der späteren byzantinischen Kunst eine geringere Wichtigkeit. Ueber die Ausdehnung ihrer Herrschaft im Oriente besitzen wir durch neuere Reiseberichte genauere Daten.

Die koptischen Kirchen, häufig in altägyptische Trümmer hineingebaut, entfernen sich theilweise vom byzantinischen Typus und nähern sich der Basilikenanlage. Die Klosterkirche in Wadi-Gazâl z.B. ist eine dreischiffige Pfeilerbasilika, die Breite gleich der halben Länge, die Thüren, Fenster, Pfeiler im Rundbogen geschlossen, der Bau ringsum von einem Hofe umgeben.

Engverwandt sind dagegen die abchasischen Kirchen z. B. in Pitzounda am schwarzen Meere, nur darin vom byzantinischen Typus abweichend, dass über der Kuppel noch ein Steindach emporragt; in Nakolajevi in Mingrelien, in Bandara, Tschamokmodi, Daranda am Kodor, Tschuna am Kuban u. s. w. Auf den Kirchenstyl in Armenien wirkten nebst der byzantinischen Tradition noch andere (arabische?) Einflüsse ein. Auf dem rechteckigen Grundrisse wird durch höhere Wölbung einzelner Theile ein griechisches (gleicharmiges) Kreuz verzeichnet, über dessen Mitte die kegelförmige Kuppel sich erhebt. Die Portale und Nischen sind häufig polygon gebildet, so aber, dass das Polygon nicht aus der Mauer heraustritt, sondern einwärts gezogen wird, wodurch die Umfassungsmauer dreieckige Spalten erhält. Die geraden Linien herrschen vor, nicht allein in der Giebelanlage, sondern auch in dem überaus reichen Ornamente, welches die Thüren, Fenster einschliesst, die Friese bedeckt u.s.w. Die wichtigsten Denkmäler sind: das Kloster Ecs-Miazin bei Vagharschabad mit einer auffallend abendländisch-gebildeten Façade, eine Erneuerung der im 4. Jahrhundert gegründeten Kirche; die benachbarte K. der h. Ripsime, die K. in Arkhuri am Ararat aus dem 10. Jahrhundert, in Digour, in Ani, dann in Georgien seit dem 11. Jahrhundert: in Sion, in Karthli, Kutais, Ghelati in Imeretien, Mzketha, Martvili u. s. w.[49]

Mit der Religion wanderte auch die Kunstbildung aus Byzanz zu den östlichen Slavenstämmen. So lange die Russen sich byzantinischer Werkmeister und fremdländischen Materiales bedienten, waren ihre Kirchen auch strenge Kopien der byzantinischen Vorbilder, [S. 147]z.B. die Kirchen zu Kiew, Novgorod (11. Jahrhundert). Erst in späterer Zeit und bei kleineren Bauten kamen auch nationale Elemente zur Geltung, so bei den zahlreichen Holzkirchen (gute Beispiele dieses nationalen Styles liefern die ruthenischen Kirchen in Galizien) und auch bei Monumentalwerken wurde dann Einzelnes der Heimath entlehnt, z. B. die Walmdächer, über welchen erst die phantastisch gebildeten Kuppeln emporsteigen. Der eigentlich russische Styl entwickelt sich erst am Ende des Mittelalters, ohne aber die Abhängigkeit von fremden Mustern abzustreifen. Näheres über die zahlreichen übereinander angelegten Doppelkirchen ist nicht bekannt.

Auch nach dem Abendlande erstreckte sich der byzantinische Einfluss, wie auch umgekehrt occidentale Einwirkungen, vermittelt durch die Herrschaft der Venetianer in der Levante und durch die Kreuzzüge, dem Oriente nicht fern blieben (Daphni, Mistra). Unter den byzantinischen Bauten des Abendlandes darf man aber keineswegs, wie es früher Unsitte war, alle Werke des früheren Mittelalters verstehen, sondern muss den Namen bloss auf jene Denkmäler einschränken, welche den Lokalcharakter des byzantinischen Styles an sich tragen. Sie zerfallen in drei Gruppen: die venetianische, sizilianische und limousinische; von jeder Gruppe ist die unmittelbare Berührung mit der byzantinischen Bildung nachweisbar. In Venedig, dessen levantinischer Handel die Bekanntschaft mit orientalischen Bauformen sattsam erklärt, ist die Markuskirche (976–1085) als das wichtigste Beispiel byzantinischer Architektur hervorzuheben.[50] In der Form eines Kreuzes errichtet, die Haupträume mit Kuppeln überdacht, zeigt sie auch in der Vorlage eines breiten, abgeschlossenen Portikus und in dem Abschluss der Façade durch Halbkreise (die Zuspitzung derselben fällt später) an der Stelle des geradlinigen Giebels sich ihrem Vorbilde getreu. An die Markuskirche lehnen sich andere Werke wieder an, wie die Antoniuskirche in Padua (die Kuppeln sind dem älteren Baue aus dem 13. Jahrhundert angefügt), S. Fosca auf Torcello, S. Cyriaco in Ancona u. s. w. Ebenfalls byzantinisch sind S. Giacometto di Rialto (1094), S. Caterina bei Pola.

Auf Sizilien herrscht der byzantinische Styl nicht ausschliesslich vor, er bot aber ein treffliches Bindemittel zwischen der arabischen [S. 148]Kunstbildung und den römisch-christlichen Anschauungen der Normannen, der neuen Herren des Landes (1090). Im Grundrisse kehrt man wieder zur Basilika zurück; auch die Säulen als Stützen kommen wieder zur Geltung; aber über den Säulen erheben sich die arabischen Spitzbogen, byzantinische Kuppeln durchbrechen die Decke. Eine ähnliche Mischung des Arabischen und Byzantinischen herrscht auch in der Dekoration. Das glänzendste Beispiel dieser Baugattung im kleinen Raume bietet die Schlosskapelle in Palermo (1129). Von der Holzdecke der Basilika hängen die kleinen Zellen und Nischen herab, welche bereits als specifisch arabisches Deckenornament bekannt sind; den Raum vor der Apsis krönt eine elliptische Kuppel. Auch La Martorana oder S. M. dell'Ammiraglio (1143) erscheint mit seiner erhöhten Kuppel und in dem Detail der Verzierungen von Byzanz abhängig, ebenso S. Cataldo und S. Giov. degli Eremiti. Nur die Kathedrale von Cefalu 1131 und jene von Monreale 1177 (bei beiden Kirchen sind die Klosterhöfe bemerkenswerth) athmen einen strengen abendländischen Geist. Die Vorhallen sind von Thürmen eingefasst, die Kuppeln verschwunden, die kleineren Bauglieder den im Norden üblichen verwandt.[51]

Nach Limousin und Aquitanien überhaupt brachten zwar nicht venetianische Kaufleute, welche seit dem Ende des 10. Jahrhunderts in Limoges einen Stapelplatz für ihre Waaren errichteten, den byzantinischen Baustyl; aber auch wenn man die Ableitung des wichtigsten Denkmales: S. Front in Périgueux von der Markuskirche zu Venedig bestreitet, und ihr wegen der Zuspitzung der Bogen, auf welche sich die fünf Kuppeln stützen, ein jüngeres Alter (nach 1120) zuschreibt, so bleibt doch der byzantinische Charakter der Anlage unzweifelhaft. Eine grosse Zahl der aquitanischen Kirchen (in Souillac, Cahors, Angoulême, Fontevrault, Saintes u. s. w.) behalten im 11. und 12. Jahrhundert den Kuppelbau bei, wenn sie auch im Uebrigen den byzantinischen Typus verlassen.

§. 74.

Der Bilderstreit im 8. Jahrhundert hob nicht die Kunstübung im christlichen Oriente auf, veränderte aber die Stellung der Kunst zur Kirche und zum Leben, verlieh ihr den strengen Lokalcharakter, welchen die älteren Werke des christlichen Orientes nicht besitzen.

[S. 149]

Durch das mittelbare Verbot der Composition und durch die Beschränkung des Künstlers auf die Ausführung ging die lebendige Fortbildung der Kunst verloren. Wohl blieb noch die antike Tradition als feste Grundlage übrig; über eine mechanische Nachbildung des Hergebrachten kam man aber auch hier nicht heraus, da nicht das Formenprincip der Antike, sondern nur einzelne von der Kirche acceptirte Bilder in Geltung blieben. Die statuarische Kunst blieb grundsätzlich von der Uebung ausgeschlossen. Auf diesem Wege musste es nothwendig dahin kommen, dass die byzantinische Kunst in eine Kopistenschule ausartet, ihren Werken aller Reiz einer individuellen Schöpfung mangelt und allmälig ein Herkommen sich ausbildet, welches den Künstler aller Freiheit ebensosehr in der Handhabung der Technik, wie in dem geistigeren Theile seiner Wirksamkeit beraubt. Ein solcher minutiöser Kanon der Malerei wurde jüngst auf dem Berge Athos aufgefunden, und obgleich er erst aus dem Ende des Mittelalters stammt, so geht dennoch seine Grundlage in eine ältere Zeit zurück. Im Laufe der Zeit erstarrt nicht allein der Erfindungsgeist und geht der Formensinn verloren; auch das Material verändert sich; an die Stelle der Mosaikbilder tritt die Wandmalerei, bei welcher der mechanische Vorgang bei der Arbeit nur noch störender wirkt, allerdings aber die Quantität der Malerei mühelos vergrössert werden konnte.

Von den Mosaikbildern auf byzantinischem Boden haben sich nur geringe Reste erhalten, für das 11. Jahrhundert treten die musivischen Darstellungen in der Markuskirche zu Venedig massgebend ein; sie zeigen bei verhältnissmässig guter Technik eine erschreckende Rohheit und Verdorrung des Formensinnes. Auch die Mosaiken in sizilianischen Kirchen aus dem 12. Jahrhundert sind, wenn nicht von byzantinischen Künstlern, doch unter byzantinischem Einflusse entstanden. (Monreale, Cefalu, Capella Palatina u. a.) Im übrigen Italien ruhte seit dem 10. Jahrhundert die Mosaikkunst, und es war auch die Technik so sehr in Verfall gerathen, dass im 11. Jahrhundert griechische Künstler diesen Kunstzweig auf Montecassino neu beleben mussten. Ueberhaupt stand die byzantinische Kunst trotz ihrer Leblosigkeit am Ende des Jahrtausends doch noch höher, als die gleichzeitige italienische, wie die Kleinodien im Schatze zu Monza, das Kreuz Teodolindas, jenes Berengars, kaum winkelrecht gearbeitet, die eiserne Krone u. a. beweisen.

[S. 150]

Die Miniaturen[52] sind nur dann richtige Belege für den Zustand der byzantinischen Kunst, wenn sie nicht ältere, altchristliche Vorbilder kopiren. In jenem Falle zeigen sie auch den herrschenden Typus. Die ausführliche Schilderung gräuelhafter Martyrien ist charakteristisch für die Richtung der byzantinischen Kunst. Dazu kommen kleine mürrisch blickende Köpfe, magere, gestreckte Körper, conventionelle Gewandung, grelle Farben, ungelenke und unbewegte Stellungen. (Menologium des K. Basil aus dem Anfange des 11. Jahrhunderts im Vatikan, Dogmatica Panoplia (12. Jahrhundert) ebendort, Klimax des Johannes Klimakus ebendort u. a.) Die auf Goldgrund gemalten und mit Goldlichtern aufgehöhten, braungelblichen Tafelbilder entbehren der sicheren Datirung, um mit Nutzen kunstgeschichtlich eingereiht zu werden. Das wichtigste Tafelbild ist der Tod des h. Ephrem, von Tzanfurnari gefertigt, im Vatikan.

In anderen Kunstzweigen bewährten die Byzantiner nicht nur den Vorrang vor den übrigen Völkern, sondern hatten auch das Monopol der Verfertigung an sich gebracht; sie bildeten dieselben zu einer förmlichen Industrie aus und trieben mit den Kunstprodukten Handel nach dem Abendlande. So z. B. in Metallarbeiten. Bronzethüren byzantinischer Arbeit kennen wir in Amalfi, Atrani, Salerno, Venedig, in Megaspyleon auf Morea; Holzthüren mit Erzplatten belegt, die Umrisse der Figuren eingegraben und mit Silberdraht ausgefüllt, kommen in Venedig (Markusk.), in Gargano (Neapel) und (jetzt zerstört) in S. Paul bei Rom vor. Letztere wurde 1070 von Staurakios in Constantinopel verfertigt; Holzthüren mit Elfenbein ausgelegt befinden sich auf dem Berge Athos, mit Emailtafeln verziert auf dem Berge Sinai (Katharinenkloster). Getriebene Arbeiten und Goldschmiedwaaren (Email) bildeten überhaupt einen wichtigen Gegenstand byzantinischer Industrie und finden sich in allen Weltgegenden vor (Pala d'oro in der Markusk. aus dem 10. Jahrhundert). Aehnlich verhält es sich mit den Webereien und Stickereien. Die serica constantinopolitana war ihrer Zeit ebenso gesucht und berühmt, wie heutzutage etwa die articles de Lyon; neben ihnen auch die sarazenischen Webereien, deren Verfertiger im 12. Jahrhundert noch eine wichtige Corporation in Paris bildeten. Für die fabriksmässige Verfertigung der ersteren spricht der Gebrauch von Stempeln, die den versendeten Stoffen anklebten. Musterbilder für beide [S. 151]Gattungen sind im Aachener Schatze vorhanden, wohin sie wahrscheinlich K. Otto III. geschenkt hat. Von Prachtstickereien hat sich die sogen. Dalmatika K. Karl des Grossen (wahrscheinlich aus dem 12. Jahrhundert) in der Peterskirche zu Rom erhalten. Ein anderer Zusammenhang zwischen der nordischen und byzantinischen Kunst, ausser jenem, der durch die Einfuhr oben genannter Kunstartikel bestand, lässt sich nicht nachweisen; am wenigsten ist an eine stetige Einwirkung, z. B. in der Malerei, zu denken. Anders in Italien, obgleich auch hier neben dem byzantinischen Style eine einheimische und selbständige (in der Verwilderung mit jenem wetteifernde) Kunstweise ununterbrochen fortlebte.


B. Das Abendland.

1. Die germanischen Völker im ersten christlichen Jahrtausend.

§. 75.

Der Kulturzustand im Herzen des ehemaligen römischen Weltreiches am Schlusse des ersten christlichen Jahrtausends liess das Versinken der Menschheit in gänzliche Barbarei befürchten. Die Uebersättigung an Bildungsformen, der Widerspruch zwischen der alten überlieferten Kultur und der neuen Weltanschauung, die noch geringe Kraft des Ausdruckes der letzteren, verbunden mit den äusseren Stürmen der Zeit, Alles trug dazu bei, das Alte zu zerstören, ohne etwas Neues zu schaffen. Sollte die künstlerische Bildung wieder Raum gewinnen, so konnte dies nur auf einem neuen Schauplatze durch frische Träger geschehen. Diese Rolle übernahmen die germanischen Völker. Aber auch in der Kunstgeschichte des Nordens muss die Antike als Ausgangspunkt genommen werden, nicht so, als ob sie das dauernde Gesetz und die unabänderliche Regel für die germanische Kunst abgegeben hätte, wohl aber als Schule für die heimischen Kunstkräfte, als die Grundlage, auf welcher weiter gebaut wird. Vor der römischen Herrschaft in Gallien und am Rheine gab es keine entwicklungsfähige Kunst. Was sich von gallischen und germanischen Alterthümern vorfindet, reicht an den absoluten Anfang der Kunst (Hünengräber u. s. w.), leitet aber[S. 152] keineswegs die Kunst des Mittelalters ein. Höchstens kann man in den Zickzacklinien, Sternfiguren, in den phantastischen Thiergestalten, wie Drachen und Schlangen, welche die Thongefässe in germanischen und keltischen Gräbern und sonstiges Geräthe bedecken, die Motive der späteren mittelalterlichen Ornamentik, und in architektonischen Zierathen der folgenden Periode Nachahmungen des keltischen Flechtwerkes erkennen. Die Formen der römischen Kunst im Norden sind von der in Rom und Italien betriebenen nur in so weit verschieden, als eben hauptstädtische und Provinzialbildung von einander abweichen, also nur dem Grade nach, nicht im Wesen. Vieles, wie z.B. die Bronzestatuetten, wurde überdies nach den gallischen Provinzen eingeführt, die auch in ihren Vorstellungen anders gefärbten Thonbilder und Steinskulpturen dagegen wurden an Ort und Stelle gefertigt, und zeigen daher auch grössere Barbarismen (Matronensteine). Als Zeugnisse antiker Kunstthätigkeit auf nordischem Boden sind nebst den Resten einer in Mainz gefundenen Bronzethüre (jetzt in Wiesbaden) und zahlreichen Elfenbeintafeln (z.B. die Aachener Kanzelreliefs, irrthümlich im christlichen Sinne ausgelegt) die Mosaikboden bemerkenswerth, welche unter den Trümmern römisch-gallischer Villen gefunden worden, wie zu Köln, Fliessem und Nennig (50' lang, 30' breit) bei Trier.[53] In dieser Hauptstadt der germania prima concentrirt sich, was wir von monumentalen römischen Werken besitzen. Das constantinische Zeitalter kannte in der gegen jetzt doppelt so grossen Stadt Tempel, Bäder, Paläste, Kurien, Amphitheater, Basiliken, Kapitol und Forum. Die Tempel sind zwar verschwunden, vom Forum sind nur geringe Spuren unter dem neuen Pflaster vorhanden, doch von den Thermen, vom Amphitheater und von der Basilika noch ansehnliche Ruinen erhalten. Auf eine Thermenanlage wird der im Südostwinkel der Stadt gelegene Trümmerbau (porta alba) mit Recht zurückgeführt. Die einschiffige Basilika, ein gewaltiger Ziegelbau von mehr als 200' Länge mit einem erhöhten, durch einen 60' weiten Schwibbogen gesonderten Tribunale, ist trotz mannigfacher Entstellungen noch in ihrer ursprünglichen Anlage zu erkennen. Daran reiht sich das 70' hohe Grabdenkmal der Sekundiner zu Igel, alle Flächen mit Bildwerk bedeckt, welches theils in genrehaften, theils in mythologischen Scenen die verschiedenen Kreise menschlicher Thätigkeit schildert.

[S. 153]

Als das Christenthum in den nordischen Landschaften heimisch wurde, machte es den gleichen Entwicklungsgang, wie im engeren römischen Gebiete durch. Auch hier begann die christliche Kunst mit schüchternen symbolischen Zeichen: dem Oelbaume, Fischen, Tauben, dem aufblühenden und absterbenden Baume; auch hier dient der Weihspruch: quiescat in pace mit der genauen Angabe des Alters des Verstorbenen und des Namens des Denkmalspenders (titulum posuit) den Sarkophagen statt des künstlerischen Schmuckes, und mischen sich bei dem einzigen bis jetzt bekannten skulptirten Sarkophage (zu Trier) antike Typen (Genien) mit christlichen Vorstellungen. Dass noch während der römischen Herrschaft zum Kirchenbaue geschritten wurde, unterliegt keinem Zweifel; doch hat sich von altchristlichen Denkmälern nur der Dom zu Trier erhalten. Wenn man von den späteren Anbauten im Westen und Osten absieht, so bildete der Trierer Dom ursprünglich im Grundriss ein Quadrat; vier Granitsäulen, durch Halbkreisbogen verbunden, trugen die Decke, die Wände waren mit Marmortafeln belegt und mit Mosaik geziert. Von einem anderen Helenabaue, dem Gereonsdome zu Köln, hat man zwar neuerlich in das spätere Werk verbaute Mauerreste entdeckt, welche nach ihrer Technik, dem Lagerungswechsel von Ziegeln und Hausteinen zu schliessen, in das vorige Jahrtausend fallen, ohne dass über die nähere Zeit ihrer Entstehung entschieden werden kann. Von zahlreichen Bauten in Gallien aus dem fünften Jahrhundert berichtet Gregor von Tours, von der K. zu Tours und Clermont gibt er sogar eine ausführlichere Beschreibung; kein vorhandenes Denkmal kann aber zur Unterstützung seiner Aussagen angeführt werden. Die folgenden Jahrhunderte der fränkischen Herrschaft fördern wenig die kunstgeschichtliche Erkenntniss. Wir besitzen aus dieser Periode keine datirten Werke, und müssen uns bezüglich der Errichtung der einzelnen Werke auf das nicht selten täuschende Stylgefühl verlassen. An die Spitze der merovingischen Bauten wird neuerdings, und mit grosser Wahrscheinlichkeit, die porta nigra zu Trier gestellt. Dass der den Zweck des Thores mit dem einer Veste vereinigende Bau im Allgemeinen eine antike Anordnung befolgt, hindert nicht, ihn wegen der barbarischen Gesimsprofile und Säulenglieder in das 6. Jahrhundert zu setzen, da die altfränkische Kunst den Fusstapfen der Römer folgte. Auch der Clarenthurm in Köln, durch den Wechsel von Back- und Haustein musivisch aus[S. 154]gelegt, hat eher auf einen merovingischen als römischen Ursprung Anspruch. Daran reihen sich mehrere kleinere Bauten in Frankreich: die Taufkapelle S. Jean in Poitiers, in den Verhältnissen missgestaltet, die Säulen wechselnd mit Bogen und Giebeln bedeckt, aber in den Gesimsprofilen, den Säulen- und Pilasterkapitälen sichtlich römische Muster nachbildend, die kleine benachbarte K. zu Savenières, wo der Farben- und Schichtenwechsel (schräge Steinschichten [opus spicatum] folgen horizontalen) die Profile ersetzen muss; mehrere Reste in der Provence (Aix, Riez, Vaison) und einzelne zu Genf aufgefundene Trümmer der ältesten Kirchenanlagen.

Die Originalität, welche der merovingischen Periode mangelt, glaubte man in der lombardischen Kunst des 7. und 8. Jahrhunderts zu finden. Der Erfolg war nicht glücklicher. Nichts berechtigt, eine selbständige altlongobardische Kunst anzunehmen, weder die uns erhaltenen schriftlichen Nachrichten, noch die wenigen sicher gestellten altlongobardischen Bauten: S. Frediano und S. Michele in Lucca. Auch die neuerdings aufgestellte Hypothese über die frühe Entwicklung des Gewölbebaues bei den Longobarden (S. Evasio in Casal-Monferrato, Baptisterium zu Asti) ist, obgleich viel wahrscheinlicher, noch keineswegs gegen alle Anfechtungen sicher gestellt.

Das Zeitalter Karl des Grossen versuchte die Wiedergeburt der Künste durch den Rückgang auf römische Formen, welche, wie das römische Imperium überhaupt, keineswegs als etwas Fremdes betrachtet wurden. Deutlicher würde man dieses Streben verfolgen können, hätten sich zahlreichere Reste von karolingischen Bauwerken erhalten. Es waren aber vom Aachener Palaste schon im 12. Jahrhundert nur geringe Substruktionen übrig, so dass wir bloss über das Allgemeine der Anlage urtheilen können. Als Resultat ergibt sich die Nachbildung theils des ravennatischen Palastes Theodorichs, theils der byzantinischen Paläste. Auch vom Palaste zu Ingelheim haben sich nur die Trümmer des Festsaales erhalten. Er hatte die Gestalt einer dreischiffigen Säulenbasilika, die Apsis war ungewölbt, die Profile spät römisch, der Thürbogen durch Farbenwechsel belebt.

Als das wichtigste Werk Karl des Grossen bleibt demnach das Aachener Münster, die kaiserliche Hofkapelle, der Maria geweiht und von 796–804 gebaut, übrig. Seine besondere Bestimmung erklärt die von den gewöhnlichen Cultuskirchen abweichende Form, welche man gewöhnlich, aber mit Unrecht, aus der strengen[S. 155] Nachahmung der Vitalekirche zu Ravenna entstanden denkt. Der achtseitige Mittelraum (80' im Durchmesser) wird von einem sechzehnseitigen Umgange umschlossen, an dessen Westseite der Glockenthurm, von zwei runden Treppenthürmen flankirt, vortritt. Ueber dem Umgang erhebt sich eine Galerie, in hohen, durch eine doppelte Säulenstellung ausgefüllten Bogen gegen den Mittelraum geöffnet, und von einem halben Tonnengewölbe bedeckt, welches gleich den starken Pilastern an der Aussenseite zur Unterstützung der Kuppel bestimmt ist. Die Tragsteine, die Pfeilergesimse, die Pilasterkapitäle sind nach der antiken Tradition gearbeitet (die Säulen wurden bekanntlich aus Italien geholt), dagegen offenbart die Construction ein selbständiges Streben. Ein Bau von so grossem Ruhme und auffälliger Gestalt konnte unmöglich ohne Nachbilder bleiben, obgleich er auf die allgemeine Kunstentwicklung in den fränkischen Ländern keinen Einfluss übte. In der That sehen wir in den folgenden Jahrhunderten die Johanneskirche zu Lüttich (im vorigen Jahrhundert erneuert), die K. zu Ottmarsheim im Elsass (11. Jahrhundert), die Kapelle zu Nymwegen, die alte Münsterkirche zu Essen (nur drei Seiten im Westchore erhalten), nach dem Muster der Aachener Kirche errichtet, und einzelne Motive (die doppelte Säulenstellung) in der K. Maria auf dem Kapitol zu Köln (hinter der Orgelbühne) angewendet.

Einen weiteren Beweis von der Lebendigkeit der antiken Tradition im karolingischen Zeitalter liefert die in der Form eines Sarkophages im 9. Jahrhundert errichtete Begräbnisskapelle Ludwig des Deutschen zu Lorsch bei Worms. Vier korinthische Säulen tragen den polychrom (eccl. varia) dekorirten Oberbau, der durch ionische Pilaster mit aufgesetzten geraden Giebeln gegliedert und einem antik profilirten Kranzgesimse gekrönt ist.

Fig. 66. Grundriss des Klosters S. Gallen.

Von einem anderen karolingischen Bauwerke, der Klosteranlage von S. Gallen (9. Jahrhundert), bewahren wir zwar keinen Baurest; ein mehr als hinreichender Ersatz wird aber durch den erhaltenen Originalplan geboten, welcher wahrscheinlich am fränkischen Hofe verfertigt, als das Musterbild eines frühmittelalterlichen Klosters gelten kann und unstreitig das wichtigste baugeschichtliche Dokument, welches wir besitzen, bildet (Fig. 66). Die Kirche (A), wie so viele frühmittelalterliche Kirchen, besonders der Rheinlande, mit einem Doppelchore (a, a), welche Einrichtung irrthümlich aus dem[S. 156] Wechselgesang der Mönche erklärt wird, versehen, hat eine Krypta (b) und vor dem erhöhten Altarraume (c) den Sängerchor mit zwei Ambonen (analogia). Die Apsiden sind von halbkreisförmigen Vorhöfen (paradisus) (e) umgeben. Südlich von der Kirche stehen die inneren Klosterbauten, die eigentliche Clausur, und zwar zunächst der Kirche der Kreuzgang (B), links von demselben die Wärmstube (f) und die Schlafkammern (dormitorium), rechts der Keller (g), an der Südseite der Speisesaal (h) mit den Kleiderkammern darüber, mit der Küche (i) und der Brennerei in Verbindung gesetzt. Den Südflügel (C) nehmen die Wirthschaftsgebäude[S. 157] ein: k der Geflügelhof; l die Scheune; m die Werkstätten der Klosterhandwerker; n die Mühle; o der Dreschboden; p die Stallungen, welche sich am Westflügel fortsetzen. Die Nordseite (D), der Clausur entgegengesetzt, beherbergt die Abtei (r) mit eigener Küche, Keller und Bad (s), und die Schule (t) und die Gastwohnung (u). An der Ostseite (E) steht das Krankenhaus (v) mit der Krankenkirche (w) deren andere Hälfte (w') zu den gottesdienstlichen Uebungen der Novizen dient, die den anstossenden Bau (x) bewohnen. Den übrigen Raum nimmt der Baumgarten (y) und der Gemüsegarten (z) mit der Gärtnerwohnung ein.[54]

§. 76.

Die Geschichte der altfränkischen Bildnerei und Malerei unterliegt dem gleichen Entwicklungsgesetze wie jene der Baukunst. Auch hier wird an den spätrömischen Styl angeknüpft, von welchem im 4. Jahrhundert die gallischen Kirchen Proben aufwiesen (Arvern, Tours, Chalons u. a.). Neben der musivischen Kunst (S. Germain des-prés, S. Denys, S. Geneviève zu Paris) wurde auch die Wandmalerei geübt, in den Motiven jedenfalls eine grössere Freiheit entfaltet, als bei den Byzantinern gestattet war (nacktes Christusbild am Kreuze v. J. 600 in Narbonne), wenn auch die Formen schwerlich über eine barbarische Nachahmung antiker Typen sich erhoben. Denkmäler aus der merovingischen Periode, welche auf unsere Tage gelangten, sind äusserst sparsam gesäet (Reliquar des hl. Willibrord zu Emmerich), kaum grösser die Zahl der erhaltenen karolingischen Bildwerke. Der musivische Schmuck, in welchem die Aachener Münsterkirche prangte, ist verschwunden, ebenso wie die Wandgemälde im Aachener Palaste und dem Ingelheimer Festsaale (Paralleldarstellungen aus der alten und christlichen Geschichte) und die Wandbilder zahlreicher französischer und deutscher Kirchen aus dem 10. Jahrhunderte. Noch bestehen aber die Erzgitter am oberen Umgange des Münsters, der Adler als Pultträger (römisch?) u. s. w. Weitere Quellen zur Erkenntniss des karolingischen Styles sind die Diptychen und Bücherdeckel: das Diptychon des kunstgewandten Tuotilo aus S. Gallen in Elfenbein geschnitzt (9. Jahrhundert), die in Gold getriebenen Deckel des Codex aureus in München v. J. 870 u. s. w., ein Diptychon zu Tongern, ein anderes in Metz von [S. 158]Adalbero gefertigt, die Elfenbeindeckel zum Gebetbuche Karls des Kahlen in Paris, alle ungleich besser, als gleichzeitige italienische Arbeiten. Auch das Elfenbeinhorn mit Jagdscenen in der Berliner Kunstkammer, das Kreuz Lothars in Aachen, ein Reliquar in Sitten sind gute Muster der karolingischen Kunstweise. Die Hauptquelle bleiben aber die Miniaturbilder in Handschriften.

Wir unterscheiden mehrere scharf getrennte Schulen, zunächst eine irisch-angelsächsische, deren Hauptwerke theils in England, theils in S. Gallen vorhanden sind. Ihre Wanderung bis in das abgelegene Alpenthal wird aus der engen Verbindung, in welcher alle Benediktinerklöster, wie nachmals die Cistercienserklöster, unter einander standen, und speciell aus dem Aufenthalte zahlreicher irischer Mönche in S. Gallen: Moengal 850, der Lehrer Tuotilos und Notkers, Failan 991 u. A., erklärt. In Irland selbst waren die Bilderhandschriften schon im 6. Jahrhundert bekannt, erfahrene Meister in dieser Kunst wie der Abt Dagäus von Juniskeltra (587), Ultan (655) hoch geschätzt. Die Eigenthümlichkeit der irischen Miniaturen, das künstliche Geriemsel, die phantastischen Thiergestalten als Dekoration, die unnatürlich symmetrische Behandlung der Gewänder, die kalligraphische Auffassung des Figürlichen, die grelle schattenlose Färbung u.a. wird wohl richtiger auf den irischen Nationalcharakter, als auf ägyptische Vorbilder zurückgeführt. Einen ähnlichen kalligraphischen, technisch zierlichen, aber formlosen Charakter behaupten die angelsächsischen Handschriften (Cuthbertbuch in London, Evangelarium [8. Jahrhundert] in Paris).

Dagegen halten sich die fränkischen Miniaturen innerhalb der antiken, durch die altchristliche Kunst vermittelten Tradition. Von der byzantinischen unterscheiden sie sich durch die Jugend, die sie den meisten Personen (Evangelisten, selbst Christus) verleihen, durch die freiere Bewegung der Gestalten und das Inhaltreiche der Composition. Auf die Veranstaltung Karl des Grossen selbst wurden zahlreiche Handschriften mit Bildern geschmückt, von welchen Paris und Trier die wichtigsten Beispiele bewahren. Noch grösser war die Thätigkeit in diesem Fache unter K. Karl dem Kahlen im 9. Jahrhundert; aber auch der Verfall des Styles ist im Steigen (Bibel in S. Calist zu Rom, Paris, München). Den fränkischen Ursprung dieser Werke verbürgen die Namen der Maler: Gottschalk, Ingobert, Luithard, Beringar.

[S. 159]

Die deutschen Miniaturen stehen in theilweiser Abhängigkeit von der fränkischen Hofkunst und haben mit dieser den breiten Farbenauftrag, die antiken Reminiscenzen gemein. Das älteste Denkmal deutscher Miniaturkunst ist die Wessobrunner Handschrift vom Jahre 815, mit rohen, aber dennoch nicht ganz unförmlichen Federzeichnungen. In Deutschland steigert sich die Schönheit der Miniaturen bis in die sächsische Kaiserperiode; dagegen sinkt die angelsächsische Kunst im 10. Jahrhundert zur grössten Rohheit herab.[55]


2. Die Architektur des christlichen Mittelalters.

§. 77.

Die römische Einheit blieb das unerreichte und unerreichbare Ideal der karolingischen Welt. Sie konnte sich gegenüber den Regungen der einzelnen Nationalitäten nicht halten; sie verlieh, als sie den neuen nationalen Mächten wich, denselben und der ihnen entspriessenden Bildung einen gemeinsamen Grundzug; der herrschende Ton in der Welt des Staates aber, wie in jener der Kunst, ging von dem besonderen Volksthume aus, welches nach Durchbrechung der karolingischen Hülle in den einzelnen Landschaften zur allseitigen Geltung gelangte. Drei Elemente bedingen und bestimmen seit dem Schlusse des 10. Jahrhunderts die Kunstweise: die römische Tradition, die Kirche, in deren Händen für längere Zeit die Kunstübung ruht, ohne dass letztere desshalb zur byzantinischen Erstarrung herabgedrückt würde, und die Eigenthümlichkeit des Nationalcharakters. Je nach dem Vorherrschen des einen oder des anderen Elementes nähert oder entfernt sich die Kunst von dem im ersten Jahrtausende herrschenden Style. Wir beobachten diesen Vorgang zunächst an der Baukunst,[56] welche vom 11.-13. Jahrhundert [S. 160](1000–1250) den Namen des romanischen oder Rundbogenstyles führt, um die bis dahin noch immer gültige römische Bautradition hervorzuheben. Die altchristliche Basilika bleibt die Grundlage des romanischen Styles; das Langhaus gliedert sich in ein erhöhtes Mittelschiff und die niedrigen Seitenschiffe, im Westen wird dasselbe von der Vorhalle, östlich von dem halbkreisförmigen Altarraume begrenzt. Modificirt wird diese Grundlage im Grundrisse dadurch, dass die Vorhalle auch als Thurmhaus dient, zwischen Langhaus und Chor ein Querschiff sich einschiebt, der Altarraum über einer mehr oder weniger ausgedehnten Krypta sich erhebt. Die Seitenschiffe erstrecken sich bald nur bis zum Querschiffe, bald setzen sie sich jenseits des letzteren fort und schliessen zur Seite des Hauptchores in einer geraden Linie oder mit einer kleineren Apsis ab. In einzelnen Fällen bilden sie einen Umgang um den Altarraum und werden ihrerseits von einem Kapellenkranze umschlossen, so dass mindestens sechs Haupttypen (Fig. 67) aufgezählt werden, ganz abgesehen von den zahlreichen Varietäten des Grundrisses, welche die verschiedenen Baubezirke und in diesen wieder die einzelnen Kirchen darbieten. Hierher ist zu rechnen: die Abrundung des Querschiffes bei rheinischen Kirchen, der geradlinige Chorabschluss vieler Cistercienserkirchen, die Theilung der Kirchen in zwei Schiffe, welche bei der Einführung des Predigerordens in Frankreich (Paris, Agen, Toulouse) versucht wurde u. s. w.

Fig. 67. Grundrisstypen romanischer Kirchen.

Zur Trennung der Schiffe und zum Tragen des Oberbaues dienen stets isolirte Stützen, entweder Säulen, oder Pfeiler, oder ein Wechsel[S. 161] von Säule und Pfeiler. Dieselben sind stets durch Rundbogen verbunden, die Bogen aber nicht selten doppelt übereinander geschlagen, so dass über den Bogen, welche die unmittelbar nebeneinander stehenden Pfeiler oder Säulen verbinden, noch ein weiterer Bogen mit Ueberspringung eines Pfeilers gespannt wird. Die Oberwand ist durch die anfangs einzeln, später in Gruppen von zwei und drei angeordneten Bogenfenster durchbrochen, unterhalb der Fenster manchmal eine Empore in der Tiefe der Seitenschiffe, oder ein blosser Laufgang in der Tiefe der Mauer des Mittelschiffes angebracht. Geschlossen werden die Kirchen in der ältesten romanischen Zeit, mit Ausnahme der gewölbten Altarnische, regelmässig mit einer flachen Holzdecke. Eine tiefere Eigenthümlichkeit, als in der allgemeinen Anlage, offenbart der romanische Styl in der Ausbildung der einzelnen architektonischen Glieder.

Fig. 68. Romanische Basen.
Fig. 69. Basis mit Eckblatt.

Die Säule, selten kannelirt, verliert das Ebenmaass, welches sie im Alterthum auszeichnet; weder das Verhältniss der einzelnen Theile untereinander, noch die Höhe und die Dicke der meist stark verjüngten Säule bewahrt eine regelmässige Einheit. Als Basis dient gewöhnlich die attische Form, bald steiler, bald flacher gebildet (Fig. 68). Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts kommt ein eigenthümliches Schmuckglied an der Säulenbasis vor. Um den Uebergang zwischen dem runden Pfühle und der eckigen Platte zu vermitteln, steigt von der Kante der letzteren ein Knollen oder ein Blatt, das Eckblatt empor (Fig. 69), welches sich an den Pfühl anlegt und dem regen ornamentistischen Sinne des Zeitalters mannigfache Gelegenheit sich zu üben bietet. Das durch einen Ring mit dem Stamme verbundene Kapitäl wechselt in den Formen. Grobe Nachahmungen des korinthischen Kapitäls erhalten sich durch die ganze Periode; die gewöhnlichste Form aber bleibt das Würfelkapitäl (Fig. 70), im 11. Jahrhundert rundlich, im 12. eckiger gebildet. Woher es stammt, in welcher Landschaft es zuerst in den Gebrauch kam, ist noch nicht ermittelt. Dem byzantinischen Style waren ähnliche Kapitälbildungen nicht unbekannt; wahrscheinlicher ist aber seine selbständige Entstehung in germani[S. 162]schen Ländern. In der letzten Zeit des romanischen Styles treten wieder die kelchartigen Blätterkapitäle (Fig 71) in den Vordergrund, selten sind aber die Blätter naturalistisch ausgearbeitet; in den meisten Fällen bleibt es bei der groben Anlage und massenhaften Behandlung. Bei den Pfeilern, welche nicht immer den quadratischen Grundriss beibehalten, sondern durch die Kreuzform, durch Ecksäulen u. s. w. eine reichere Gliederung erfahren, ersetzt ein einfaches Gesims das Kapitäl (Fig. 72). Auch hier wechselt die Profilirung in den einzelnen Jahrhunderten und verschiedenen Landschaften, und verliert sich allmälig die antike Reminiscenz, welche den Pfeilergesimsen des 11. Jahrhunderts noch häufig anklebt.

Fig. 70. Würfelkapitäl.
Fig. 71. Blätterkapitäl.
Fig. 72. Pfeilergesimse.
Fig. 73. Romanische Dekoration.
Fig. 74. Bogenfries.

Die innere Ausschmückung der romanischen Kirchen war der Malerei als Aufgabe vorbehalten, an der Aussenseite lieferte aber die Architektur selbst die Dekoration. In vertikaler Richtung wurde der Bau durch vortretende Mauerbänder oder Lisenen unterbrochen (später erhoben sich an ihrer Stelle Pilaster und Halbsäulen durch ein gerades Gebälke oder durch Bogen verbunden). In horizontaler Richtung gliederten den Bau Gesimse, hart am Boden das Sockelgesims, mit jedem Jahrhundert höher, kräftiger und reicher gebildet, und unter dem Dache das Kranzgesims. Aus concav und convex gezogenen Gliedern, aus Pfühlen und Kehlen wurde es zusammengesetzt, mit Blättern in zierlichster Weise gestaltet, Halbkreisen, kleinen Cylinderstücken (Fig. 73), Würfeln, Kanten, Sternen, Nagelköpfen, Rollen u. s. w. geschmückt. Unterhalb des Kranzgesimses zog sich der Rundbogenfries (Fig. 74) hin,[S. 163] von kleinen Consolen getragen und in grösseren Abständen von den Lisenen auslaufend. Auch die anfangs nur abgeschrägten Fenster wurden durch skulptirte Bänder, Halbsäulen belebter gestaltet, mit dem glänzendsten Schmucke aber das in Abstufungen sich vertiefende Portale bedacht.

Fig. 75. Romanisches Widerlager.
Fig. 76. Kreuzgewölbe.

Die Mehrzahl der romanischen Kirchen erscheint gegenwärtig überwölbt. In Wahrheit war aber der Gebrauch der Wölbung in der romanischen Periode weder allgemein, noch die Wölbekunst ohne mannigfache Uebergänge, Ansätze und Versuche gleich systematisch ausgebildet. Bei vielen Bauwerken zeigt die Form der Wölbung ihre spätere Entstehung, nicht selten wurden aber noch im Laufe der romanischen Periode selbst Kirchen umgebaut, und aus Basiliken in Gewölbebauten umgewandelt. Man kann diese Thatsache von allen Kirchen, die sich aus dem 11. Jahrhundert erhielten und mit Gewölben versehen sind, behaupten, ja man kann sogar noch weiter gehen und beinahe in jeder alten Kirche die ursprüngliche Gestalt hinter und unter der gegenwärtigen Form verborgen vermuthen. Den Raum und die Zeit zu bestimmen, wo die Wölbekunst ausgebildet, wann sie als vollendete Thatsache angenommen wurde, hat unüberwindliche Schwierigkeiten. Das Bedürfniss der Wölbung lag überall gleich dringend vor; es zu befriedigen, konnte daher auf den verschiedensten Punkten gleichzeitig in Angriff genommen werden, zumal auch die Tradition des römischen Gewölbebaues überall fortlebte; auf der anderen Seite herrschte unter den romanischen Bauschulen, welche durchgängig von der Kirche abhängig waren, ein enger Zusammenhang, und der an einem Orte gewonnene Fortschritt konnte leicht durch geistliche Vermittlung in die Ferne verpflanzt werden. Die grösste Energie, den Gewölbebau zu entwickeln, die mannigfachsten Ansätze zu demselben gewahren wir im Schoosse der französischen Bauschulen. Die erste Stufe zeigt noch über dem Mittel- und Seitenschiffe den offenen Dachstuhl; nur der Altarraum ist mit einer Halbkuppel, der Umgang um denselben und die Flügel des Kreuzschiffes mit Tonnengewölben bedeckt. Am raschesten erhielten die Seitenschiffe die Wölbung, und zwar Kreuzgewölbe; das Mittelschiff blieb ungewölbt oder wurde mit einem von Querbogen gestützten Tonnengewölbe versehen. Um dem letzteren eine grössere Festigkeit zu verleihen, wurde über der Empore der Seitenschiffe noch ein halbes Tonnengewölbe im Viertelkreise gespannt[S. 164] (Fig. 75, a). S. Stephan zu Nevers, die Notredamekirche zu Clermont-Ferrand, Abbaye d. h. in Caen, die Kirche zu Grandson bei Neufchâtel u. a. sind Beispiele dieser Constructionsweise. Anderwärts (Poitou) liess man die Nebenschiffe bis zum Beginne des mittleren Tonnengewölbes emporsteigen und auf diese Art dasselbe stützen, allerdings auf Kosten des Lichtes, welches nun bloss durch die Seitenschiffe in die Kirche drang (S. Savin bei Poitiers). Oder man wölbte die Seitenschiffe in Tonnenform, richtete aber das Tonnengewölbe perpendiculär auf die Langenaxe des Schiffes, wodurch der Druck auf die Pfeiler des Mittelschiffes verringert und das mittlere Tonnengewölbe überdies durch Mauern, die sich über den Schwibbogen der Seitenschiffe erhoben, entlastet wurde (Limoges, Chatillon sur Seine, Fontenay). Alle diese Versuche, die sich durch das ganze 11. Jahrhundert hindurchziehen, führten nicht zum Ziele. Das Tonnengewölbe verlangte eine Unterstützung auf jedem Punkte und übte einen starken Druck und Schub, der weder durch aussen vorgelegte Pfeiler, noch durch seine Zuspitzung (Autun, Beaune, Saulieu) aufgehoben wurde. Der richtige Weg wurde eingeschlagen, als man das Kreuzgewölbe (Fig. 76) auch für das Mittelschiff anwendete (Vézelay). Durch zwei sich durchschneidende Tonnengewölbe gebildet, deren Scheitelpunkte allein zusammenfallen, bedarf es nur der Unterstützung seiner Endpunkte durch Pfeiler, um dasselbe zu sichern, zumal auch sein Seitenschub verringert ist. Eine doppelte Schwierigkeit blieb allein noch zu besiegen, nachdem die romanischen Kreuzgewölbe eingeführt waren. Die im Rundbogen gezogenen Kreuzgewölbe konnten schwer anders als über einem quadratischen Raume gespannt werden; über einem Rechtecke errichtet, durchschneidet der kürzere Bogen den weiteren unter seinem Scheitelpunkte. Weil aber das Gewölbe nur auf isolirten Stützen ruhte, war es rathsam, diese näher aneinander zu rücken. Die rechte Abhülfe[S. 165] gab erst das Spitzbogengewölbe, welches über jedem Plane mit gleicher Leichtigkeit construirt werden kann. Weiter war das ältere romanische Kreuzgewölbe noch zu wuchtig, nicht selbsttragend genug. Dieser Mangel wurde dadurch beseitigt, dass man ein Gewölbegerippe, Lang- und Quergurten und Rippen aus Hausteinen bildete, und die dreiseitigen Zwischenräume, ebenso viele isolirte Gewölbe, mit leichtem Stein- oder Ziegelwerk ausfüllte. Auch dieser Fortschritt fällt schon ausserhalb des romanischen Styles und wird erst in der folgenden Bauperiode des 13. Jahrhunderts vollkommen verwirklicht.

Fig. 77. Romanische Travée.

Um wieder auf den romanischen Gewölbebau des 12. Jahrhunderts zurückzukehren, so bedarf es keines besonderen Beweises, wie sehr dadurch das Wesen des bis dahin noch immer gültigen Basilikenstyles verändert wurde. Nicht alle Pfeiler erhalten nun einen gleichen Werth; jene, welche das Gewölbe stützen, müssen nothwendig kräftiger gebildet werden und mehr in die Augen springen, als die anderen, welche bloss den Schwibbogen tragen. Nicht alle Pfeiler werden aber als Gewölbestützen verwendet, sondern bloss die ein Quadrat begrenzenden. So entwickelt sich ein eigenthümlicher Rhythmus im Grundrisse und in der Pfeilerbildung, welcher auch auf die Gestalt des Oberbaues, die Anordnung der Fenster einen grossen Einfluss übt. Es kommt ein neues Bauglied zur Geltung: die Travée (Fig. 77), worunter man eben eine Gewölbeabtheilung mit dem ihr zugehörigen Pfeilersysteme begreift. Im romanischen Gewölbebaue sind einer Travée gewöhnlich zwei Arkaden untergeordnet.

§. 78.

Indem der romanische Styl den Gewölbebau annahm, wurde er von einer Consequenz zur anderen getrieben, als deren letzte das Aufgeben des eigenen Principes, das Eingehen in eine neue, theil[S. 166]weise ganz entgegengesetzte Bauweise erscheint. Von dem Widerspruche, der an dem romanischen Style als Gewölbebau haftete, wurde derselbe erst im gothischen oder germanischen Style befreit. Dieser ist das endgiltige Resultat, die Frucht der romanischen Architektur, daher auch die letztere unfähig, sich neben dem gothischen Style als gleichgeltend zu behaupten. Aus dem romanischen Gewölbebaue ging der gothische Styl hervor, oder noch bestimmter aus der Tendenz: den Gewölbebau aus jeder Gebundenheit zu reissen, die constructiven Funktionen auf einzelne isolirte Glieder zu concentriren, alles Uebrige als blosse Füllung zu behandeln, den Massenbau in einen Pfeilerbau zu verwandeln. Doch auch dies Letztere ist nur ein Korollar, die Hauptsache bleibt die Befreiung des Gewölbes von allen bindenden Schranken, welche dadurch erreicht wurde, dass man das Gewölbe im Spitzbogen spannte, die massiven Rippen an demselben ausschliesslich funktioniren liess, den einzelnen Rippen einzelne Pfeiler als Stützen unterstellte, und das Stützensystem durch die äusseren Strebepfeiler und Strebebogen vervollständigte. Aus dem Gesagten ergibt sich das Müssige der Untersuchung über das Alter des Spitzbogens zu dem Zwecke, dadurch über das Wesen des germanischen Styles Licht zu verbreiten. Der Spitzbogen macht den letzteren keineswegs aus, das Wesentliche sind die Streben, die singulären Stützen, die ogives in der Schweizer Maurersprache,[57] auf welche alle Tragkraft reducirt wird.

Von dem Einflusse, welchen der Gewölbebau auf die Gesammtanlage der Kirchen seit dem 13. Jahrhundert nahm, gibt gleich die Aenderung im Grundrisse der gothischen Kirchen Zeugniss.

Der romanische Styl trennte noch Apsis und Schiff, der gothische Styl kennt nur das die Wölbung schliessende Chorhaupt (Fig. 78), wodurch auch die perspektivische Wirkung kräftig gehoben wird. Die Pfeiler rücken im Kreise zusammen, die Gewölberippen vereinigen sich in einem Mittelpunkte, um das Chorhaupt setzen sich die Seitenschiffe als Umgang fort; ein Kapellenkranz endlich schliesst bei reichen Anlagen das Ganze nach aussen ab. Eine weitere Folge des engeren Anschlusses des Chores an das Schiff ist das Wegfallen der Krypta, die geringe Erhöhung des ersteren über das letztere.

[S. 167]

Fig. 78. Chorhaupt vom Kölner Dome.
Fig. 79. Gewölbeprofil.
Fig. 80. Pfeilerdurchschnitt.

Das Grundprincip des gothischen Styles, die constructiven Funktionen von der Masse auf einzelne Glieder zu übertragen, und in isolirten, selbständigen Organen auszudrücken, kommt natürlich auch im Besonderen zur Geltung. Gleichwie nicht mehr die ganze Wölbung gleichmässig lastet, so ist auch die Tragkraft nicht gleichmässig vertheilt. Sie concentrirt sich in den Pfeilern, welche im Inneren der Kirche bis zum Gewölbeanfange emporsteigen. Aber auch diese werden nicht als Masse behandelt, sondern in einen lebendigen Pfeilerbündel aufgelöst. Nur die Gewölbegurten und Rippen verlangen eine Unterstützung; da dieselben aber selbst in stärkere und schwächere Glieder zerfallen (Fig. 79), so folgen auch die Pfeiler dem gleichen Zuge. Dem Pfeilerkerne treten etwas ausgezogene, durch tiefe Kehlen getrennte Halbsäulen oder Dienste vor, welche mit dem entsprechenden Gewölbetheile in Verbindung stehen, und gleich diesem eine grössere oder geringere Stärke besitzen (alte und junge Dienste) (Fig. 80). Nur der den ganzen Pfeiler[S. 168]bündel umfassende polygone Sockel drückt die Einheit des Pfeilers aus; am Kapitäl oder Knaufe aber zeigt der lose um den Dienst gelegte, scharf ausgearbeitete Blätterkranz, welcher, wo der Kern des Pfeilers zum Vorschein kommt, unterbrochen wird, an, dass nicht der ganze Pfeiler, sondern nur die einzelnen Dienste eine Geltung haben. Den inneren Pfeilern entsprechen an der Aussenseite die Strebepfeiler, abgestumpfte, oben mit einem Giebel, einer Schräge oder mit einem lastenden Thürmchen geschlossene Mauervorlagen (Fig. 81, a), welche bei mehrschiffigen Kirchen und weit über die Abseiten emporragendem Mittelschiffe vermittelst des Strebebogens (Fig. 81, b) an das Gewölbe sich anlehnen und den Seitenschub des letzteren aufhalten. Namentlich an französischen Kathedralen kann man wieder den Entwicklungsgang beobachten, welchen die Bemühung, die massive Mauer zu durchbrechen und durch einzelne Streben zu ersetzen, nahm. Dass diese Widerlager keineswegs erst mit dem gothischen Style aufkamen, wurde bereits früher erwähnt, vollendet wurde aber allerdings erst das System derselben nach zweihundertjährigem fruchtlosen Suchen im 13. Jahrhundert, wo an den eben errichteten Riesendomen ein doppeltes System der Strebepfeiler und Bogen zur Anwendung kommt.

Fig. 81. Strebepfeiler und Strebebogen.

Nachdem auf solche Weise das feste Steingerippe des gothischen Domes gebildet war, konnten alle übrigen Theile als leichtes Füllwerk behandelt und dem Geiste der Zeit gemäss mit der üppigsten Dekoration ausgestattet werden. Namentlich war jetzt für eine grossartige Fensterarchitektur Raum gewonnen, und eine solche Fülle des Lichtes in das Innere geleitet, dass es rathsam wurde, sie durch Glasmalerei zu dämpfen. Ueber den Pfeilerarkaden, welche die Schiffe trennen, erhebt sich in der Tiefe der Mauer ein Laufgang oder Triforium, nach dem Mittelschiffe offen und von kleinen Pfeilerarkaden getragen, die Rückwand in vielen Fällen mit einem Fenster ausgesetzt; der übrige Raum über dem Triforium bis zum Gewölbe wird von den Fenstern ausgefüllt, deren gewaltige Grösse[S. 169] natürlich ihre innere Gliederung bedingt. Den Fensterraum umspannt, auf Pfosten ruhend, ein Spitzbogen, innerhalb desselben werden kleinere Spitzbogen geschlagen, und diese Unterordnung ein-, zweimal wiederholt. Auch hier bleibt der Gedanke, nur die einzelnen Stützen kräftig zu bilden, alles Uebrige als leichtes Füllwerk zu behandeln, gültig. Der Raum unter dem Bogenscheitel zeigt eine durchbrochene Steinarbeit, sogen. Maasswerk: Kreise in drei oder vier Blättern (Pässen) gegliedert (Fig. 82, a), die Lücken (b) zwischen den Kreisen und den Bogen werden mit kleinen sphärischen Dreiecken (Nasen) ausgefüllt, das Ganze so gedacht, als ob sich das Blattwerk von den Bogen ablöste. Der äussere Fensterbogen schliesslich wird von einem spitzigen Giebel, auf dessen Ecken kleine Pyramiden (Fialen) emporsteigen, oder von einem Wimperge belastet, der zuoberst mit dem gewöhnlichen gothischen Schlussornamente, der Kreuzblume, endigt und bis über den Dachrand sich erhebt. Dass die Bildung des gothischen Ornamentes nicht unmittelbar aus den constructiven Gliedern abgeleitet werden kann, ist schon aus der Thatsache ersichtlich, dass das gothische Bauwerk aus zwei selbständigen Theilen, dem organischen Baugerippe und dem Füllwerke besteht, diesem letzteren aber vorzugsweise das Ornament angehört. Dennoch liegt auch dem gothischen Ornamente ein klares und durchgreifendes Princip zu Grunde. Es wiederholt sich an demselben im Kleinen der Grundzug der gothischen Architektur überhaupt. Pfeilerbündel im Spitzbogen geschlossen bedecken die Wandflächen und[S. 170] bilden das Gerippe auch der kleineren und kleinsten Bautheile, die inneren Räume werden durch Maasswerk ausgefüllt, mit durchbrochenem Maasswerke auch die Galerien, die auf die Strebebogen gelegten Mauerstücke zur Ableitung des Wassers, die Thurmpyramiden versehen. Die Stelle, wo diese dekorativen Glieder angebracht sind, ändert ihre Gestalt nicht, sie bleiben im grössten und kleinsten Raume einander gleich, am riesigsten Dome, am kleinsten, der kirchlichen Architektur nachgebildeten Schmuckkästchen bewahren sie dieselben Formen; insofern kann man das mechanische Element in der gothischen Verzierungsweise nicht abläugnen; wenn jedoch von dem Walten schrankenloser Willkür in demselben, von seiner gänzlichen Gleichgültigkeit zur Struktur und materiellen Bestimmung der Bauglieder gesprochen wird, so trifft dieser Vorwurf erst das 15. und 16. Jahrhundert. Der spätgothische Styl ist an zwei Merkmalen vorzugsweise bemerkbar: Er übertreibt die technischen Erfolge der gothischen Bauweise in der Befreiung des Gewölbebaues, indem er die Gewölbe in ein Netz, eine Sternfläche, auflöst, den Stützen jede Selbständigkeit raubt, die Gurten und Rippen unmittelbar aus den Diensten hervorgehen lässt, die Pfeiler durch concave Einschnitte gliedert; er hebt weiter das organische Verhalten der dekorativen Glieder auf, indem er zum Füllwerke willkürlich ersonnene Formen, z.B. die sogen. Fischblase (Fig. 83), anwendet, die einzelnen dekorativen Glieder mechanisch aneinander knüpft, die Rundstäbe an den Pfeilern durch spielendes Stab- und Zweigwerk ersetzt, von der ursprünglichen Bogenform abweicht und in geschweiften oder niedergedrückten Linien (Eselsrücken, Frauenschuh, Tudorbogen) sich ergeht. Bei dem Urtheile über die unorganischen Formen des spätgothischen Styles darf aber nicht der Umstand vergessen werden, dass er den kirchlichen Charakter der älteren gothischen Weise aufgegeben hatte, und vorzugsweise an weltlichen Gebäuden zur Anwendung kam, wo die wuchernde Dekoration, das leichte, aber oberflächliche Formenspiel jedenfalls eine grössere Berechtigung ansprechen konnte, als etwa an grossen Kathedralen.

Fig. 82. Fenster vom Kölner Dome.
Fig. 83. Fischblase.
Fig. 84.

Wir können uns nun mühelos ein Gesammtbild einer gothischen Kathedrale (und nur unter grossartigen Raumverhältnissen übt der gothische Styl seine volle Wirkung) entwerfen. Den Glanzpunkt des äusseren Baues bildet die Façade, als mächtiges Giebelhaus ge[S. 171]formt, zu beiden Seiten von Thürmen eingefasst; über dem vertieften und mit reichem Bildschmucke bedachten Portale erhebt sich eine strahlende Rose oder ein Langfenster und darüber der Giebel, die Kanten mit den eigenthümlichen Knollen oder Krabben geschmückt, das Ganze mit der symbolischen Kreuzblume gekrönt. An den Langseiten baut sich über den Abseiten das System der Strebepfeiler und Strebebogen kühn empor, die einzelnen Abtheilungen durch die Schrägen und tief unterschnittenen Gesimse (Fig. 84) scharf und kräftig geschieden. Hat man die Thurmhalle durchschritten und das Innere betreten, so geniesst man den Reiz perspektivischer Wirkung, sowohl in der Richtung der Höhe, wie in jener der Länge, wo man die lebendigen Kreuzgewölbe im Chore abgeschlossen und in der Einheit zusammengehalten gewahrt. Nicht wenig erhöht wird dieser Augenreiz durch die gleichsam aus Sonnenfäden gesponnenen durchsichtigen Teppiche, in welche die Fenster durch die Glasmalerei verwandelt werden, und durch den polychromen Schmuck der wichtigsten Bautheile, wie der Kapitäle u. s. w. Die Bildnerei ist eigentlich in der Baukunst aufgegangen; nicht der Maurer, sondern der Steinmetz errichtet den gothischen Dom; aber auch der selbständigen Skulptur ist in den Portalen, an den Pfeilern, am Lettner — dem bühnenartigen Schranke, welcher das Schiff vom Chore scheidet u. s. w., ein überreicher Raum gegönnt. Auf alles Kirchengeräthe: Kelche, Monstranzen, Kreuze, Reliquienkästen, auf die kleineren Architekturen der Kanzeln, Taufsteine, Altäre, Orgelbühnen u. s. w. wirkte der gothische Styl befruchtend, Allem verlieh er den Stempel seiner eigenthümlichen Grösse und Zierlichkeit. Und nicht allein in der kirchlichen Welt kam er zur Herrschaft, auch das ritterliche und städtische Leben fand in ihm den vollendeten architektonischen Ausdruck, namentlich das letztere, welches gerade während der Blüthe des gothischen Styles seinen höchsten Aufschwung nahm, und nun denselben bei der Anlage der Rathhäuser, der Kaufhallen, der städtischen Wachthürme, sowie bei den Privatbauten verwendete. Die Wartburg, das Schloss zu Gelnhausen, Goslar, die Burg zu Reichenberg am Rhein, noch aus der romanischen Periode, das Schloss Marienburg, Meissen u. a. aus der der gothischen Zeit, dann die Reihe prunkvoller Rathhäuser in Belgien und Nordfrankreich, das Kaufhaus Gürzenich zu Köln, die malerischen Stadt- und Brücken[S. 172]thürme zu Prag, die Rathhäuser so vieler deutscher Städte, die zahlreichen Brunnen (Nürnberg, Ulm), Hochkreuze (Godesberg), die Privatarchitekturen zu Köln, Münster, Frankfurt a. M., Ulm, Nürnberg, die reizenden Holzbauten am Harz (Halberstadt) mögen als nächstgelegene Beispiele für alle anderen dienen.

§. 79.

Nicht allein die Hauptländer Europas, romanischen, germanischen und slavischen Stammes, sondern in diesen wieder die einzelnen Bezirke, ja selbst ganz enge begrenzte Lokalitäten, haben ihre eigene, oft ganz selbständige Baugeschichte. Eine vollständige Erkenntniss der Schicksale der mittelalterlichen Baukunst kann nur durch das Studium der verschiedenen Lokalarchitekturen gefördert werden, wozu glücklicher Weise der Stoff tagtäglich sich mehrt. Die Mannigfaltigkeit der baugeschichtlichen Gruppen wird aber überdies durch den Zusammenhang zwischen den Kirchen der einzelnen Mönchsorden vermehrt, auf welchen zu achten erst die jüngste Zeit sich angelegen sein liess. Von den Benediktinerkirchen wissen wir, dass wenigstens das Kloster zu Cluny für weite Kreise das architektonische Vorbild abgab; die Cistercienserkirchen haben beinahe alle die gleiche Signatur, und so weite Räume sie auch vom Mutterkloster trennen mögen, überall stossen wir auf französische Bautraditionen, die eben jene des Ordens waren; auch die Dominikanerkirchen und jene der Bettelmönche besitzen unter einander eine grosse Verwandtschaft. Nach dem Gesagten ist es begreiflich, dass eine vollständige und erschöpfende Darstellung der mittelalterlichen Baugeschichte vorläufig den frommen Wünschen der Wissenschaft beigezählt werden muss.

In Frankreich scheidet sich scharf der römische vom germanischen Boden. An der Rhone und Saône blieb die römische Kultur traditionell, die römische Baukunst in einer grossen Zahl von Denkmälern erhalten. Hier bewahren daher auch die romanischen Kirchen das antike Gepräge (K. zu Thor, Venasque, Pernes, die Portale von Notre-Dame zu Avignon, S. Trophime zu Arles und S. Gilles), welches in einzelnen Fällen mit byzantinischen Elementen, wie z. B. mit einem Kuppelbau, versetzt wird (Poitiers, Angers). Die gothische Architektur wird auf diesem Boden entweder sehr spät oder gar nicht (Auvergne, Provence) heimisch; die baugeschichtliche Entwicklung überspringt den gothischen Styl und geht aus[S. 173] dem romanischen unmittelbar in den neueren, gleichfalls der Antike nachgebildeten Renaissancestyl über. Erklärt wird diese auffallende Thatsache ausser aus der lebendigen antiken Tradition auch aus den Religionskriegen, welche im 13. und 14. Jahrhundert Südfrankreich verheerten und alle Bauthätigkeit hemmten. Diesen Unruhen ist auch das militärische Aussehen so mancher Kirchen- und Klosteranlagen Südfrankreichs (Alby, Béziers, Narbonne), die geringe Fensterzahl, die versteckten Seitenthore, die Zinnenthürme zuzuschreiben. Der Gewölbebau wird in mannigfacher Weise angebahnt; in der Provence (Kathedrale von Marseille, Fréjus, Alby) ist das Mittelschiff von Kreuzgewölben bedeckt, welche nach innen gezogene Strebepfeiler stützen; in Auvergne sind Tonnengewölbe heimisch, Poitou lässt die Seitenschiffe beinahe die Höhe des Mittelschiffes erreichen.

Viel regsamer und selbständiger ist der germanische Norden Frankreichs. Die Einfalle der Normannen machten seit dem 11. Jahrhundert neue Kirchenbauten zum Bedürfniss. Von keiner festhaftenden Tradition beengt, konnten der germanische Formensinn in den Ornamenten, die Bemühungen um ein ausgebildetes Gewölbesystem im reichsten Maasse sich entwickeln. Die Pfeiler sind durch vorgelegte Halbsäulen gegliedert, die Kreuzgewölbe auf einem quadratischen Plane aufgeführt, den einzelnen Travéen zwei oder drei Arkaden untergeordnet. Auch an der äusseren Architektur sind interessante Neubildungen bemerkbar. Mit der Façade werden gewöhnlich zwei schlanke Thürme enge verbunden, über der Mitte der Kirche überdies ein massiver Hauptthurm emporgeführt. Die Kirche zu Bernay, Jumièges, Cerisy aus dem 11., jene zu Bocherville, die Kirche S. Etienne, Nicola und Trinité zu Caen und schliesslich die teppichartig im Innern dekorirte Kathedrale von Bayeux sind die wichtigsten Denkmäler des normannischen Styles, aus welchem der ältere englische und theilweise der belgische Baustyl (Tournay) als Nebenreis hervorgehen.

Die französische Architektur des 12. Jahrhunderts besitzt ihren Mittelpunkt in der königlichen Domäne (Isle de France u. s. w.). Hier namentlich wurde der Gewölbebau mit Macht in Angriff genommen und in ununterbrochener Entwicklung bis zur Feststellung des gothischen Styles fortgesetzt. Die volkreichen Städte der Domäne verlangten bei den Kirchenbauten eine besondere Bedachtnahme auf[S. 174] angemessen ausgedehnte Raum Verhältnisse, auf die sorgfältige Benützung aller Räumlichkeiten, helle Erleuchtung u. s. w. Gewölbte Galerien über den Seitenschiffen kommen in den Kirchen der königlichen Domäne zahlreich vor, frühzeitig werden luftige und weite Oberfenster angeordnet; auch der Spitzbogen an der Wölbung war unter den mannigfachen Wölbungsversuchen in Gebrauch gekommen. Als nun am Schlusse des 12. Jahrhunderts fast gleichzeitig die grossen Kathedralen des Nordens (Paris, Chartres, Bourges, Laon, Meaux, Noyon, Amiens, Cambrai, Coutances, Rouen) in Angriff genommen wurden, konnte es nicht fehlen, dass für alle die erwähnten Bedürfnisse der passende architektonische Ausdruck gewonnen und gleichzeitig aus der Hülle der mannigfachen romanischen Bauformen der gothische Styl herausgeschält wurde. Rasch folgen die architektonischen Entdeckungen seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts aufeinander, rascher, als es die nicht gleichmässig fortgeschrittene und nun mit eilfertiger Hast betriebene Maurertechnik eigentlich verstattete. Ein Blick auf die wechselnde Gestalt der Stützen, des Grundrisses, namentlich im Chorumgange, der Höhengliederung der Widerlager seit dem Baue der Pariser Kathedrale (1163) bis zur Errichtung der Kathedrale von Amiens (1220–1288) überzeugt von dem reichen Erfindungsgeiste der Baumeister. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts kann man acht Bauschulen des nördlichen Frankreichs unterscheiden. Diese Gliederung bezieht sich aber nicht auf die Verschiedenheit der Lokalstyle, sondern auf die raschere oder langsamere Aufnahme der gothischen Bauweise. Die Provincialschulen, welche in der romanischen Periode eine so lebhafte Thätigkeit entwickeln, verschwinden seit der Feststellung der Gothik vom Schauplatze und machen einem allgemein gültigen Nationalstyle Raum, als dessen wichtigste Merkmale das längere Beharren auf der Säule als Gewölbestütze, eine flache Bogenprofilirung, der Kapellenkranz um das Chorhaupt, eine mehr in horizontaler als in vertikaler Linie angelegte Façadendekoration (Rosen über dem Portale, Nischenreihen, Galerien) hervorgehoben werden. Die hervorragendsten Monumente der französisch-gothischen Baukunst liegen in einem verhältnissmässig engen Umkreise beisammen. An die Kathedrale von Paris und die Kathedrale zu S. Denys reihen sich die Kathedralen von Soissons (1175), Meaux, Laon, Rouen (1200), Auxerre (1213), Rheims (1216), Bourges, Amiens (1220), Chartres,[S. 175] Beauvais, die sainte chapelle im Pariser Justizpalaste (1242) an, welchen für die spätere Zeit die Kathedrale S. Ouen zu Rouen (1318), die Kathedrale von Brou (1511) und jene von Orleans (1601) hinzuzufügen sind.[58]

In verwandter Weise, wenn auch unabhängig von den baugeschichtlichen Mittelpunkten Frankreichs, entwickelte sich die mittelalterliche Architektur in den Bisthümern von Genf, Lausanne und Sion. Die Kirche zu Romainmôtier tritt uns als eine Säulenbasilika mit Tonnengewölben, einem schweren Mittelthurme und primitiv roher Dekoration entgegen. Nach der äusseren Architektur zu schliessen, fällt ihre Bauzeit in das 11. Jahrhundert. S. Philibert zu Tournus, durch zwei Säulenreihen in drei Schiffe getheilt, mit einfacher aber wirksamer Parade, S. Johann zu Grandson mit Tonnen- und Halbtonnengewölben, S. Pierre zu Clages (Sitten) mit einer Kuppel und Kreuzgewölben, Notredame zu Neufchâtel, die Abteikirche zu Payerne mit fünf Apsiden und einem Tonnengewölbe über dem Mittelschiffe sind weitere Beispiele des romanischen, die Kathedralen von Genf und Lausanne des frühgothischen Styles auf diesem wenig bekannten, aber kunstreichen Boden.[59]

§. 80.

Abhängiger von der französischen Kunst, nebenbei mit maurischen Einflüssen versetzt, gestaltete sich die mittelalterliche Baukunst in Spanien.[60] Französische Bischöfe und normannische Baumeister werden als verdient um die Einführung des romanischen Styles angeführt. Noch aus dem 10. Jahrhundert stammen die Kathedrale S. Pablo del Campo und S. Pere de las Puellas zu Barcelona; die alte Kathedrale von Salamanca (1102) und jene von Zamora wurden von einem französischen Bischofe, Geronimo, dem Beichtvater des Cid errichtet und nach romanischem Muster erbaut, von welcher letzteren Bauweise auch andere Kirchen von Salamanca in der Dekoration Spuren aufweisen. Die Kathedrale zu Avila (1107) erhielt durch die Zinnenbekrönung am Chore und [S. 176]Thurme ein schlossartiges Aussehen, die Kathedrale S. Pedro ebendort, aus dem Schlusse des 12. Jahrhunderts, besitzt eine ähnlich reiche Pfeilergliederung wie der Dom zu Salamanca, und am Portale das den meisten spanischen Kirchen eigenthümliche Zickzack- und Kugelornament. An der Spitze der gothischen Bauwerke steht die Kathedrale von Burgos (1221), deren Thürme und Façade im 15. Jahrhundert ein deutscher Baumeister, Johann von Köln, emporführte. Deutscher Arbeit verdankt auch das Südportal und der Glockenthurm von S. Peter zu Valencia (1418), das Kloster Miraflores bei Burgos (1488) und angeblich auch die Façade der Kathedrale von Barcelona (1444), deren Arkaden noch im Rundbogen geschlossen sind, obgleich der Bau erst 1298 seinen Anfang nahm, ihre Entstehung. Die Façade von S. Maria del Mar zu Barcelona (1318) ist derjenigen von Arles offenbar nachgebildet, also auch in dem Zeitalter der germanischen Kunst der französische Einfluss neben dem deutschen bestehend. Der späteren Zeit gehören die Kathedrale von Toledo (1300–1492) an, sowie jene von Sevilla (1480–1519), fünfschiffig, von auffallender Breite, da sie den Raum einer Moschee bedecken sollte, deren Bauformen wohl auch die fast gleiche Höhe aller Schiffe bewirkten, die neue Kathedrale von Salamanca 1513, von Segovia 1525 u. a. In Portugal ist die Klosterkirche zu Batalha (1385) wegen ihrer zierlichen und harmonischen Bildung besonders hervorzuheben.

§. 81.

Ohne Zweifel besassen die brittischen Inseln,[61] England sowohl wie Irland, schon im vorigen Jahrtausend eine ausgebildete Baukunst, und fehlt es dem erstgenannten Lande ebensowenig an der Kenntniss römischer Bauformen, als der irischen Insel an einer eigenthümlichen architektonischen Ornamentik, deren Wesen wir nach Analogie der Miniaturen und nach einzelnen Bauresten zu schliessen, in flachen, aber reich verschlungenen Linien vermuthen. Doch ist von der altirischen und angelsächsischen Architektur nichts bekannt; die wenigen Reste, die der letzteren zugeschrieben werden: der Thurm von Wearmouth (Durham), die Krypten von Ripon und Hexham, die Kirche in Brixworth, Kirkdale (Yorkshire), Deerhurst (Gloucester) u. a., sowie die schriftlichen Nachrichten von dem römi[S. 177]schen Steinbau, den gallische Handwerker hier einführten, von dem heimischen schottischen Holzbaue sind nicht geeignet, uns über den angelsächsischen Styl näher zu belehren. Wenn wir von der alten sächsischen Bauweise absehen, so erhalten wir über die Entwicklung der englischen Architektur seit dem 11. Jahrhundert durch folgende zwei Thatsachen ein genaueres Licht: Sowohl der romanische, als auch der gothische Styl wurden in England durch französische Baumeister eingeführt. Es gibt wenige englische Kathedralen, von welchen nicht die Chroniken die Wiederherstellung oder den Neubau durch die ersten normannischen Bischöfe anführten und weiter bemerkten, dieselben wären in einer neuen Bauweise errichtet. Die Männer, an welche die erhöhte Bauthätigkeit im 11. Jahrhundert sich knüpft: Lanfranc, Gundulph, Ernulph, Roger Poor, sind sämmtlich Normannen, aus Caen gebürtig. Aber auch das älteste gothische Werk in England, die Canterburykathedrale, wurde nach dem Brande von 1174 durch den Franzosen Wilhelm von Sens nach dem Muster der Kathedrale von Sens neu erbaut. Diesen äusserlichen Ursprung kann auch die englische Architektur keineswegs verläugnen. Die älteren Kirchen zeigen ein sehr schlechtes Mauerwerk, wie es überall vorkommt, wo die schaffende und ausübende Thätigkeit nicht Hand in Hand geht; plötzlich und ohne Uebergänge wird ein weiterer Fortschritt im Bauwesen, z. B. die Gewölbeanlage, angenommen und an zahlreichen Punkten gleichzeitig eingeführt; die Richtung geht nicht auf die organische Durchbildung des Baues, dieser bleibt vielmehr roh und schwerfällig, sondern auf die reiche Dekoration.

Die Geschichte der einzelnen englischen Bauwerke bedarf fast durchgängig einer kritischen Revision. Aus dem 11. Jahrhundert hat sich schwerlich ein vollständiger Bau erhalten. Die meisten Denkmäler des englisch-romanischen oder normannischen Styles rühren aus dem 12. Jahrhundert her, in welcher Zeit das System bereits eine gleichmässigere Ausbildung erreicht hatte. Die Kathedralen von Rochester (1080), Peterborough (1117), Ely haben alle ein ungewölbtes Mittelschiff; die Kathedrale von Norwich (1096), mit dem seltsam dekorirten Mittelthurme, jene von Gloucester, Oxford, Durham sind durch die schwerfällige Anlage (die massiven Rundpfeiler) charakterisirt, die letztere übrigens in glänzender Weise[S. 178] verziert. Unter den germanischen Bauten, welche die unorganische Anordnung der Pfeiler und des Fenstermaass- und Stabwerkes, die Anlage eines mächtigen Mittelthurmes und eines doppelten Querschiffes zu unterscheidenden Merkmalen haben, ragen nebst den ältesten Bauwerken: dem Chor von Canterbury und der Londoner Templerkirche (h. Grabkirche), 1185 gegründet, hervor: die Kathedrale von Salisbury (1220–1258), Wells, Exeter (1280), Lincoln, die Londoner Westminsterabtei (1270), die Kathedrale von York (1291), mit Ausnahme des späteren Chores und der Façade, die Abtei Melrose, Bristol u. s. w. Die brittischen Archäologen haben für jedes Jahrhundert einen besonderen Stylnamen erfunden, und dem 14. Jahrhundert den zierlichen, dem 15. den perpendikulären Styl zugeeignet. Der letztere ist in der That eine Eigenthümlichkeit der englischen Architektur, und durch glänzendere Denkmäler vertreten, als sonst die Verfallzeit der Gothik aufzuweisen hat. Den Charakter des Perpendikulärstyles deutet schon der Name an. Namentlich an den Fenstern macht sich die perpendikuläre Richtung der Gliederung bemerklich; dazu kommt die niedergedrückte Form des Bogens (Tudorbogen), die complicirten, palmenartigen, mit hängenden Zapfen versehenen Gewölbe, an deren Stelle wohl auch das zierliche offene Dachwerk tritt, und die Ueberfülle der Dekoration. Die Kapelle Heinrichs VII. in Westminster, die New-College-Kapelle zu Oxford (1380), die Halle des Christ-Church-College ebendort, die Kapelle des Kings-College in Cambridge, die Bauten dieser beiden Universitätsstädte überhaupt sind die wichtigsten Beispiele dieser Bauweise, die erst unter der Regierung der Königin Elisabeth italienischen Formen wich.

§. 82.

Eine selbständige Bauregion im Mittelalter bildet Deutschland, obgleich die energische Bemühung um die Entwicklung des Gewölbebaues keineswegs so kräftig an den Tag tritt, wie in Frankreich, und die Resultate jenes Strebens wahrscheinlich als eine fertige Thatsache aus dem letztgenannten Lande übernommen wurden; denn was als der sogenannte Uebergangsstyl (am Rheine) bezeichnet wird, zeigt mehr eine freie, ungebundene Handhabung der romanischen Formen, als den ernsten Ansatz zur Begründung des gothischen Stylprincipes. Das 11. Jahrhundert zeigt die Form der Basiliken, sei es der Pfeiler- oder der Säulenbasilika, allgemein giltig;[S. 179] im 12. Jahrhundert wird der Gewölbebau in Angriff genommen und in übereinstimmender Weise so durchgeführt, dass über quadratischen Plänen Kreuzgewölbe gespannt werden. Natürlich kommt der quadratische Raum der Seitenschiffe jenen des Mittelschiffes nicht gleich, was zur Folge hat, dass ein Gewölbefeld des letzteren zwei Travéen der Seitenschiffe in sich begreift, erst jeder zweite Arkadenpfeiler des Mittelschiffes als Gewölbeträger fungirt. Die Bauschulen sondern sich nach den Landschaften ab und bilden, mit Ausnahme einzelner Ordenskirchen, z. B. der Cistercienserkirchen, welche regelmässig nach dem Muster des Mutterklosters Citeaux den Chor in einer geraden Linie abschliessen lassen, und auch sonst eine eigenthümliche Stylweise entwickeln, fest zusammenhängende Gruppen.

In den sächsischen Ländern waren bereits im 11. Jahrhundert zahlreiche Kulturstoffe angesammelt, um schon jetzt eine zierliche Gliederung und consequente Anlage der Basiliken zu versuchen. Dieselben besitzen regelmässig ein Querschiff und einen verlängerten Chor; diesem gegenüber an der Westseite eine doppelgeschossige Empore; Pfeiler wechseln mit Säulen; der Gewölbebau tritt nicht in den Vordergrund; dagegen erhält sich in den Detailbildungen die antike Tradition, und reift im 12. Jahrhundert der Formensinn, bezüglich des plastischen Schmuckes, einer staunenswerthen Vollendung entgegen. Zunächst sind die Schlosskirche zu Quedlinburg zu nennen (997–1021, nach Andern 1070–1129) und die ihr verwandten Kirchen zu Wester-Gröningen bei Halberstadt, Gernrode, Frose und Gandersheim. Der rhythmische Wechsel von Säulen und Pfeilern kommt bei den letztgenannten Kirchen, reicher ausgebildet und organischer bei den Kirchen von Hecklingen, Heiningen bei Wolfenbüttel, Ilsenburg (1087 gew.), Drübeck und Huysburg (1121 gew.) bei Halberstadt vor. In dem kunstreichen Hildesheim wird der sächsische Basilikenbau festgehalten, aller Nachdruck dann auf die architektonische Dekoration der Kapitäle, Gesimse u. s. w. gelegt. Ausser der verbauten Moritzkirche sind der Dom, vorzüglich aber die Godehards- und Michaelskirche (Fig. 85), beide aus dem 12. Jahrhundert, hervorzuheben. Als kleine Pfeilerbasiliken erscheinen in Halberstadt die Liebfrauenkirche (grösstentheils 12. Jahrhundert) und Burkhardskirche; dann die Wipertikirche bei Quedlinburg, Ulrichskirche zu Sangerhausen; eine weitere Entwicklung zeigen die Schlosskirche zu Wechselburg (1184)[S. 180] und Thalbürgel bei Jena. Schon ursprünglich auf den Gewölbebau angelegt finden wir die Katharinenkirche (1173) und die Martinikirche in Braunschweig, während derselbe bei der prachtvollen Abteikirche von Königslutter (1135) und den Pfeilerbasiliken von Riddagshausen und Loccum (1145 und 1240) erst später angefügt wurde.[62]

Fig. 85. Michaeliskirche in Hildesheim.

Die zweite deutsche Bauschule entwickelt sich am Rheine.[63] Von Bauten, welche über das 11. Jahrhundert hinausgehen, haben sich nur geringe Beste erhalten (Trierer Dom, S. Pantaleon [Vorhalle] und Gereon [Unterbau des Polygons] in Köln). Selbst das 11. Jahrhundert ist durch vorhandene Denkmäler karg vertreten, an den meisten Bauwerken im 12. Jahrhundert, nach Einführung des Gewölbebaues, eine gründliche Umwandlung vor sich gegangen. Die Adalbertskirche in Aachen (1005), die Georgskirche in Köln (1067) bewahren noch am besten ihre Basilikenform; auch der Westchor von S. Gereon und des Bonner Münsters verrathen an der äusseren Architektur ihren Ursprung im 11. Jahrhundert. Derselben Zeit gehört auch, mit Ausnahme der Gewölbe und der Gewölbestützen, die Kirche Maria auf dem Kapitol (1049) an. Dem durch Pfeiler gegliederten Schiffe ist ein mächtiger Chor- und Querbau vorgestellt; die schon ursprünglich auf ein Kreuzgewölbe berechneten Nebenschiffe werden als Umgang um jene herumgeführt, und eine verwandte Anordnung bei der Apostelkirche (u. 1150) und der [S. 181]Martinskirche wiederholt. Aus einer einzigen Bauzeit stammt, mit Ausnahme der S. Cunibertskirche (1248 gew.), kein einziger Kölner Bau; bei den meisten bemerken wir Baureste aus dem 11. Jahrhundert (die deutlichsten Spuren gewahrt man gewöhnlich an der alten Fensteranordnung), welche aber im folgenden Jahrhundert durch den Pfeilern vorgesetzte Halbsäulen, durch ein erhöhtes Mittelschiff, eine andere Fenstereintheilung, und den Gewölbebau in allem Wesentlichen verändert wurden (Spuren der älteren äusseren Architektur: an S. Gereon, Aposteln, Maria im Cap., S. Ursula, Bonner Münster u.s.w.). Durch einen strengen Organismus und eine einheitliche Gliederung zeichnet sich die gewölbte Laacher Abteikirche aus, fünfthürmig mit doppeltem Chore und Querschiff (1156 voll.). Das Triersche Gebiet besitzt in der westlichen Erweiterung des Domes durch Bischof Poppo (1049) und in der Abteikirche S. Willibrord zu Echternach (mit korinthischen Säulenkapitälen) Denkmäler des 11. Jahrhunderts; etwas jünger ist die Pfeilerbasilika S. Matthias zu Trier (1148). Am Mittelrheine nahm die baugeschichtliche Entwicklung eine andere Richtung, als in der Kölner Schule. Während diese auf die Ausbildung der Kuppelform über der Vierung hinstrebt, geht dort die Tendenz auf die Durchführung des Gewölbebaues innerhalb der romanischen Grenzen und eine ungewöhnliche Steigerung der räumlichen Verhältnisse. Auch am Mittelrheine bildet die Basilika den Ausgangspunkt: Limburg an der Haardt (1030–1042), Justinuskirche in Höchst (1090), durch die Neubildung der antiken Tradition bemerkenswerth, u. a. Nach den neuesten Untersuchungen bildeten die Dome zu Mainz (1009 zum erstenmal geweiht), zu Speier (1030 gegr.) und zu Worms (1016) gleichfalls ursprüngliche Pfeilerbasiliken, welche später (Mainzer Dom jedenfalls nach 1081, der Speyrer Dom 1137 oder 1195, der Wormser bis 1181), im Laufe des 12. Jahrhunderts, nach einer gemeinsamen Grundidee umgebaut wurden. Dieses gemeinschaftliche Element offenbart sich in dem Grundrisse, in dem Kuppelbaue zu beiden Seiten des Langhauses, in der Höhengliederung und in der Travéenanlage. Die hier gegebenen Anregungen zum Gewölbebaue wirkten in weiten Kreisen nach; die Kirche in Arnsburg in der Wetterau, Otterberg bei Kaiserslautern, Eberbach (1186 gew.), die Martinskirche in Worms zeigen eine verwandte Anordnung der Travéen und des Grundrisses. Auch Elsass und Lothringen befolgen im Allgemeinen den rheinischen[S. 182] Typus. Die Aufklärungen, welche neuerlich über die Geschichte der mittelrheinischen Dome gegeben wurden,[64] sind, abgesehen von ihrer Wichtigkeit für die lokale Baugeschichte, auch dadurch von grösstem Werthe, dass sie die Beruhigung der deutschen Kunst bei dem romanischen Style, das Nichtvorhandensein jener zahlreichen constructiven Versuche, aus den Grenzen des romanischen Styles herauszukommen, unzweifelhaft aufweisen, welche an der älteren französischen Architektur bemerkt werden. Dafür sprechen auch die Eigenthümlichkeiten des sogen. deutschen Uebergangsstyles. Im westlichen Theile von Deutschland, sonst aber auch in Sachsen, Thüringen und Franken, werden seit dem Beginne des 13. Jahrhunderts zahlreiche Bauwerke errichtet, welche einzelne Merkmale des germanischen Styles, also namentlich den Spitzbogen in den Arkaden und im Gewölbe, an sich tragen, und auf solche Weise die Gothik vorzubereiten scheinen. Sieht man aber genauer zu, so gewahrt man nur die Auflösung des romanischen Bauorganismus, das Streben nach reicheren, dekorativen Formen, aber nicht das nähere Eingehen auf die Grundlagen der gothischen Architektur. Die runde Apsis verwandelt sich in eine polygone; die Fenster erweitern sich, nehmen die Form von Fächern an, oder stellen sich zu grösseren Gruppen zusammen; die Arkaden gewinnen an Höhe, die Pfeiler an Gliederung, die Säulen an Schlankheit; aber es bleibt in vielen Fällen die Trennung des Schiffes durch den Triumphbogen von der Apsis, in anderen die quadratische Grundlage der Wölbung; es bleibt die Thurmanlage neben der Apsis, die Ueberkuppelung der Vierung, die Dekoration der äusseren Wände durch Felder u. s. w. Neben diesen wesentlich romanischen Eigenschaften verschwindet das vereinzelte Merkmal des Spitzbogens, also auch das Verdienst, den gothischen Styl begründet zu haben, der überdies schon früher festgestellt war, als die meisten dieser sogen. Uebergangsbauten datiren. Die wichtigsten derselben sind: Eine Gruppe am Niederrhein, von der kölnischen Bauschule abhängig; S. Cunibert, S. Andreas (Schiff) in Köln, das Langhaus des Bonner Münsters, S. Quirin in Neuss (1209), die Kirchen zu Sinzig, Remagen, Heimersheim, Andernach, Bacharach u. a.; dann die Domkirche zu Limburg an der [S. 183]Lahn, die Kirche zu Gelnhausen, das Basler Münster, der Bamberger Dom, das Schiff der Sebalduskirche in Nürnberg, die Kirche zu Memleben, und theilweise der Dom zu Naumburg und die Kirche in Freyburg an der Unstrut u. a.

Andere Bauschulen von minder allgemeiner Bedeutung finden sich in Westfalen, Schwaben, Bayern und Böhmen. In Westfalen ist das zähe Festhalten am romanischen Typus bis spät in das 13. Jahrhundert, die frühe Ausbildung des Gewölbestyles, der geringe dekorative Reichthum auffällig, die Vorliebe für gleich hohe Schiffe (Hallenkirchen) schon in der romanischen Periode bemerkbar. Den Anknüpfungspunkt für die westfälische Kunst bildet gleichfalls die karolingische Bauweise (Corvey, westlicher Unterbau). Säulenbasiliken kennt man u. a. in Paderborn (Bartholomäuskirche), alle Schiffe unter einem Dache, mit romanischen Spitzbogen und tonnengewölbter Vorhalle, Neuenheerse, Harthausen; Pfeilerbasiliken: Die Dome in Soest, Osnabrück, Paderborn, die Ludgerikirche in Münster, Marienkirche in Dortmund, alle in der Folgezeit verändert und überwölbt; den sächsischen Stützenwechsel zeigt die Petruskirche in Soest; ganz oder fast gleich hohe Schiffe und ein fensterloses Mittelschiff: die Marienkirche in Lippstadt, Herforder Münster, Maria auf der Höhe in Soest, Johanneskirche in Osnabrück, die Kirche zu Methler bei Dortmund u. a. Die in Deutschland und namentlich in Böhmen nicht seltenen Rundbauten (Kapelle auf dem Krukenberge in Hessen, Matthiaskapelle bei Kobern [sechseckig], Loning, Steingaden in Bayern, Tulln, Znaim, Groitsch, Prag) werden in Westfalen durch die zwölfeckige Kapelle zu Drüggelte bei Soest vertreten.[65]

Die schwäbische Architektur und jene der Donauebene[66] überhaupt zeigt keine besondere Eigenthümlichkeit. Bauwerke des 11. Jahrhunderts kommen nur sehr selten vor, jene des folgenden Jahrhunderts halten sich nicht auf gleicher Stufe mit den früher genannten Landschaften, und nehmen den Gewölbebau in sehr später Zeit an. Nicht durch Formschönheit, wohl aber durch den räthselhaften Inhalt anziehend sind mehrfach die plastischen Ornamente der Kirchen (Belsen und Schwärzloch bei Tübingen, die Portale der [S. 184]Jakobskirche in Regensburg aus dem 13. Jahrhundert). Unter den Beispielen von Säulenbasiliken heben wir hervor, jene zu Hirschau (1071), Kleinkomburg, Faurndau (12. Jahrhundert), Alpirsbach (1098), Konstanz (1052), Heilsbronn bei Nürnberg (12. Jahrhundert), S. Jakob in Regensburg und Bamberg; Pfeilerbasiliken sind der Augsburger Dom in seiner ursprünglichen Gestalt (1065), S. Michaelskirche in Altenstadt bei Schongau und in Bamberg (1121), Sindelfingen (1083), Denkendorf, Maulbronn (1178) mit ausgedehnten Klosteranlagen, das verwandte Stift von Bebenhausen u. a. Den schwäbischen Bauten schliessen sich jene der Nordschweiz (Schaffhausen u. a.) enge an. Stützenwechsel kommt im Süden Deutschlands nur ausnahmsweise vor: Burkhardikirche in Würzburg, Rossheim und Lauterbach im Elsass.

Der skandinavische Norden sondert sich bereits durch das Material von dem Kunstkreise anderer Länder ab. Die hiesigen Holzkirchen können wohl im Allgemeinen dem Basilikenschema sich unterordnen, die besondere Formenbildung ist aber nothwendig vom Holzmateriale abhängig, wozu noch die verschiedene (byzantinische) Tradition bestimmend einwirkt. Die Kirchen (Urnes, Borgund, Hitterdal, Tind, Wang, 1842 nach Brückenberg in Schlesien übertragen u. a.) sind von Portiken umgeben, mit einem Brettergewölbe bedeckt, der Chor durch eine Bretterwand vom Langhause getrennt, dieses durch Säulenarkaden gegliedert, die ganze Anlage durch treppenartiges Aufsteigen der verschiedenen Giebel thurmartig behandelt. Unter den Steinbauten Skandinaviens hat der Dom zu Drontheim die grösste Wichtigkeit. Er ist im lateinischen Kreuze errichtet, im Osten mit einem achtseitigen Kuppelbaue unorganisch abgeschlossen, und mit demselben die ältere Klemenskirche verbunden, welche, wie die Kreuzflügel des Domes, noch den Rundbogen aufweist, während die übrigen Theile mit dem Spitzbogen geschlossen sind, und in Wahrheit schon in die folgende Bauperiode gehören. Dass das Ornament hier wie anderwärts dem normannischen verwandt ist, bedarf keines Beweises.[67]

§. 83.

Nach dieser Abschweifung zur Baugeschichte Deutschlands zurückkehrend, haben wir die Verbreitung des gothischen Styles und [S. 185]seine Schicksale auf deutschem Boden zu schildern. Dass derselbe bereits als eine fertige Thatsache bekannt war, als er in Deutschland eingeführt wurde, dafür spricht der Umstand, dass mehrere der ältesten Bauten (Liebfrauenkirche in Trier 1227–1244, Gereonsdom 1212–1227) ihn auf ältere Grundformen anwenden; für das specielle französische Vorbild der deutschen Gothik (welche aber keineswegs als mechanische Nachahmung angesehen werden darf, die französischen Motive vielmehr rasch in selbständiger Weise zu entwickeln lernt und einen eigenthümlichen, streng deutschen Styl schafft, wie dies die Elisabethkirche zu Marburg 1231–83 bereits darthut), lassen sich die Gründe aus der verwandten Anlage des Magdeburger Domes (1211–1363) und des Kölner Domes (Amiens), so wie aus dem in Deutschland gebräuchlichen Namen: französischer Styl (opus francigenum) ableiten. An der Spitze der deutsch-gothischen Bauten, ja der germanischen Architektur überhaupt, steht der Kölner Dom.[68] Durch Erzbischof Konrad von Hochstaden wurde 1248 der Grundstein zum Chorbaue gelegt; der alte Bau blieb bis in das 14. Jahrhundert unversehrt und dem gottesdienstlichen Gebrauche gewidmet, und wurde erst nach der Vollendung und vorläufigen Abschliessung des Chores (1322) allmälig niedergerissen, um dem langsam vorrückenden Baue des Langhauses zu weichen, woran sich zuletzt der Bau der Querschiffe anschliessen sollte. Bei dem einen derselben kam es nicht einmal zur Grundsteinlegung. Das Langhaus selbst wurde im 14. und 15. Jahrhundert bis zur Höhe der Seitenschiffe vollendet, die nördlichen Seitenschiffe eingewölbt, der südliche Thurm auf ein Dritttheil seiner Höhe gebracht. Die lange Bauzeit selbst, dann die innere Entwicklung der Gothik konnten nicht anders als in den einzelnen Bauformen Veränderungen hervorrufen: die Pfeilerbündel im Chore haben noch nicht das lebendige Profil der Schiffspfeiler, die Knäufe der letzteren einen reicheren Schmuck; die gleiche Verschiedenheit bemerkt man im Stab- und Maasswerke des nördlichen Seitenschiffes und der unteren und oberen Fenster des Chores; dieser selbst ist in seinem Oberbaue glänzender angelegt, als es ursprünglich wohl beabsichtigt war. Der Entwurf der Façade und der Thürme, der sich durch einen glücklichen Zufall im Originale erhalten hat, ist nicht im 13., sondern im 14. Jahrhundert [S. 186](von Meister Johann?) geschaffen, ja selbst die hässlichen Formen der spätesten Gothik haben sich an dem ersten nördlichen Strebepfeiler verewigt. Dennoch ist die Grundeinheit der Anlage vollkommen gewahrt und der Gedanke zu dem Riesenbau unstreitig eine That des 13. Jahrhunderts. Wer diesen Gedanken zuerst in seinem Kopfe getragen, darüber ist kein Licht verbreitet. Als erster Werkmeister angeführt zu werden, hat noch immer Gerhard von Rile das grösste Anrecht. Die Maasse des Kölner Domes sind für die Gesammtbreite und Höhe 161' (köln. Maass), jene auf das Mittelschiff und vier Seitenschiffe vertheilt, und für die äussere Länge und die Thurmhöhe 532'.

In Köln selbst wird der frühgothische Styl durch die ernste Minoritenkirche (1260), die spätere Weise durch das Schiff der Severinskirche (1394) und den Chor von S. Andreas (1414) vertreten. Nach dem Muster des Kölner Domes, nur einfacher gehalten, wurde die Cistercienserkirche zu Altenberg bei Köln (1255–1379) errichtet. Die übrigen wichtigeren gothischen Bauwerke der Rheinlande sind folgende: Der Dom zu Xanten 1263, im 16. Jahrhundert vollendet; der Münsterchor zu Aachen, im glänzenden Style des 14. Jahrhunderts (1353); die Stadtkirche zu Ahrweiler 1260; die Katharinenkirche zu Oppenheim 1262–1317, im Stabwerke schon dem dekorativen Style genähert; der Dom zu Frankfurt (1315 bis in das 16. Jahrhundert); das Strassburger Münster, dessen Schiff noch die einfachen Formen des 13. Jahrhunderts zeigt, während die von Ervin von Steinbach 1277 entworfene Façade französische Baumotive in der glänzendsten Weise verarbeitet. Der südliche Thurm wurde von Johann Hültz aus Köln 1439 in den damals üblichen Formen vollendet. Das Münster zu Freiburg vom 13.-15. Jahrhundert (die Thurmpyramide stammt ans dem 14. Jahrhundert); das Basler Münster (1363 wieder hergestellt) u. a.

In Westfalen herrscht die Hallenform vor, das Mittelschiff, selbst im Falle der Ueberhöhung, entbehrt der selbständigen Beleuchtung; die Aufnahme der gothischen Bauweise geschieht nur zögernd; erst im 14. Jahrhundert gewinnt sie eine allgemeine Gültigkeit. Der Dom zu Minden mit drei gleich hohen Schiffen gehört zu den ältesten gothischen Bauten Westfalens; die Johanniskirche zu Osnabrück, ebendort die Marienkirche (1306–1420) und Katharinenkirche; die Ueberwasser-, Liebfrauen- und Lambertikirche (1335)[S. 187] zu Münster, die Dominikanerkirche zu Dortmund (1354), die Wiesenkirche zu Soest (1337) u. a.

Die Niederlande, theilweise von Frankreich, theilweise von Deutschland abhängig, entwickelten den gothischen Kirchenstyl mit verhältnissmässig geringem Glücke. Durch die Anlage hölzerner Scheingewölbe ging das eigentliche Wesen der Gothik verloren, und auch sonst wurde der nüchterne Formensinn selten überwunden. Die regsamste Bauzeit fällt in das 14. und 15. Jahrhundert. Prachtbauten sind: S. Gudula in Brüssel (1220), der Dom zu Antwerpen (1352–1411), S. Johann in Bois le Duc, S. Peter zu Löwen (15. Jahrhundert), S. Michael zu Gent 1440 u. a. Desto glänzender gestaltet sich die bürgerliche Baukunst in den Beffrois (Tournay, Gent, Brügge u. a.), in Rathhäusern und Kaufhallen (Ypern, Brügge, Brüssel (1401), Löwen(1448–1463), Gent, Audenarde (1530) u. s. w.).

Im inneren und östlichen Deutschland hatte die gothische Baukunst gleichfalls erst im 14. Jahrhundert ihren vollen Glanz entwickelt. Die hervorragendsten Dome: Ulmer Münster mit sechseckigen Pfeilern im Mittelschiffe, dienstlosen Säulen in den Seitenschiffen, niedrigem einschiffigen Chore und reich dekorirter Vorhalle (1377–1507); der Stephansdom in Wien, mit drei gleich hohen Schiffen im Chore und einem fensterlosen Mittelschiffe, und dem über Verdienst gepriesenen 432' hohen Thurme, in den Haupttheilen von 1359–1519 gebaut; der Prager Domchor zu S. Veit (1343–1385); der Regensburger Dom, mit Ausnahme des älteren Chores, im 14. und 15. Jahrhundert errichtet, der Meissner Dom u. a. stammen alle aus verhältnissmässig späterer Zeit. Neben den genannten Kirchen sind noch anzuführen: Die Lorenzkirche in Nürnberg von 1280–1447; die Frauenkirche und Sebalduschor aus dem 14. Jahrhundert; die Stiftskirche von Wimpfen im Thale (1262); der Dom zu Halberstadt im 13. und 14. Jahrhundert; die Martinskirche in Landshut (1392–1478), ein Backsteinbau in Hallenform; die Frauenkirche in München (1468); die hallenförmige Stiftskirche in Stuttgart (1444); die Liebfrauenkirche in Esslingen (der Thurm vom Jahre 1440); der Dom zu Erfurt (Chor 1349, Langhaus 1456); die Marktkirche in Halle a. d. S. (16. Jahrhundert); die gleichbenannte zu Hannover, beide Hallenkirchen; die fünfschiffige Petri-Paulikirche in Görlitz (1423) und zahlreiche andere, die grösstentheils dem späteren gothischen Zeitalter angehören, und bald als roher Massenbau, bald als überzier[S. 188]licher Dekorationsbau erscheinen. Die später beliebte Hallenform wich nicht allein von der ursprünglichen Constructionsweise ab, sondern veränderte auch wesentlich die ästhetische Wirkung der Bauwerke; es werden die Verhältnisse der einzelnen Bautheile anders bestimmt; was der Bau im Innern an Helle, Uebersichtlichkeit gewinnt, geht an dem lebendigen Aufbaue wieder verloren. In dem Absehen von der traditionellen Gliederung, von der architektonischen Hierarchie, kann man mit Recht eines der ersten Zeichen der beginnenden Geisteskämpfe vermuthen.

Die norddeutsche Ebene trat erst spät in den romanischen Kunstkreis ein.[69] Nicht früher als in der Mitte des 12. Jahrhunderts regt sich die Bauthätigkeit, welche durch den Mangel an einer bindenden Bautradition und das eigenthümliche Backsteinmaterial zu selbständigen Formen gelangt. Nur die Grundform der Basilika wird beibehalten, die Details aber, wie das Säulenkapitäl (eckige statt runder Formen), der Bogenfries, dem Backsteinmaterial entsprechend verändert. Noch aus der romanischen Periode rühren die Pfeilerbasiliken: Dom zu Brandenburg (1179), die Kirchen zu Dobrilugk, Jüterbog, Arendsee, der Dom zu Lübeck und die Säulenbasiliken zu Jerichow. Den norddeutschen gothischen Styl charakterisirt die vereinfachte Dekoration, das Verschwinden der Strebebogen, welche bei den Hallenformen nothwendig wegfallen, des Maasswerkes, der durchbrochenen Galerien, die Anordnung nackter achteckiger Pfeiler im Innern, ferner das Streben, die Monotonie der mechanischen geformten Glieder durch wechselnde Farbenschichten zu brechen und (für das preussische Ordensland wenigstens giltig) der gerade Abschluss des Chores. Innerhalb dieses gemeinsamen Kreises entwickeln sich mehrere Lokalschulen: die niederrheinische, pommersche, preussische; die nähere Bekanntschaft mit Hausteinkirchen lässt in einzelnen Fällen vom schlichten Backsteintypus abweichen und reichere Dekorationsformen ersinnen (Katharinenkirche in Brandenburg (1401), Marienkirche in Stargard, Jakobikirche in Thorn (1309)); im Ganzen bleibt aber die baugeschichtliche Bewegung auf einen engen Kreis beschränkt, und die hier gewonnenen Resultate greifen auf die allgemeinen Schicksale der Baukunst nicht ein. Die Hauptdenkmäler sind: Am Nieder[S. 189]rheine die Kirche von Calcar und Cleve (1354); ferner die Marienkirche zu Lübeck (1276–1310), in der Form eines Kreuzes mit niedrigen Seitenschiffen; der Dom zu Schwerin (1350–1370), von ähnlicher Anlage; die Marienkirche zu Rostock (1398–1472); die Cistercienserkirche zu Dobberan (1368), abweichend vom landesüblichen Typus; der Dom zu Stendal (1461); die Klosterkirche zu Berlin (1290); die fünfschiffige Marienkirche zu Frankfurt a. d. O. (u. 1350); die Marienkirche zu Prenzlau (1340–1375), in Einzelnheiten die Hausteinarchitektur nachbildend; die Nikolaikirche zu Stralsund (1311); die fünfschiffige Hallenkirche (Marienkirche) in Colberg (1316–1410); die Marienkirche zu Danzig (1343–1502) u. a.

Den eigentlichen Glanzpunkt der norddeutschen Architektur bilden die preussischen Ordensschlösser, deren Typus im 14. Jahrhundert festgestellt wurde. Die Mitte des quadratischen, von Eckthürmen flankirten Baues, nimmt gewöhnlich ein geräumiger Hof ein. Denselben umgibt ein bedeckter, gegen den Hof offener Kreuzgang in zwei bis drei Geschossen übereinander. Diese Galerien sind aus Holzwerk, mit einer flachen Decke versehen (Rastenburg, Gollub), und zur Stütze der letzteren Steinpfeiler, durch Bogen verbunden, aufgerichtet (Rossel) oder im Kreuzgewölbe geschlossen (Marienburg 1309, Marienwerder, Rheden, Regnitz, Heilsberg). In der Fensterbildung ist die horizontale Richtung herrschend, die Gewölbe der Refektorien und Kapitelsäle breiten sich palmenartig aus, das kriegerische Aussehen ist mit glänzender Pracht glücklich verbunden.

§. 84.

Während die germanischen Stämme mit steigendem Erfolge nationale Grundlagen der Kunst feststellten und die Ausdrucksmittel der heimischen Kunstweise vermehrten, lastete auf Italien die unverwischbare antike Tradition.[70] Sie konnte nicht mehr zu einem frischen und reinen Leben gebracht werden, und liess doch für Neuschöpfungen keinen Raum. So kam es, dass das Zeitalter vom 11. bis zum 13. Jahrhundert in Italien verhältnissmässig nur eine geringe Kunstthätigkeit aufweist, zumal in der Architektur, welche seit der Begründung des gothischen Styles sich im schärfsten Gegensatze zur Antike bewegte. Die romanische Baukunst stand Italien nicht fern, in [S. 190]ihrem Kreise wurden auch grössere Erfolge erzielt; aber der gothische Styl blieb jenseits der Alpen eine unbegriffene Grösse, der man einzelne äusserliche Merkmale, den dekorativen Theil, absah, deren Grund und Wesen jedoch unbekannt blieb. Nicht wenige unter den gothischen Bauwerken Italiens verdanken nordischen Meistern ihre Errichtung, aber selbst im Angesichte trefflicher Vorbilder bewahrte die italienische Gothik keine Reinheit und sank zum Dekorationsbaue zurück.

Ober- und Mittelitalien entwickeln die grösste, Rom die geringste Rührigkeit in der Baukunst. In der Lombardei erfuhr der Gewölbebau eine consequente Anwendung, wie frühe, ist noch nicht ermittelt, wie denn überhaupt die italienische Baugeschichte gar sehr im Argen liegt; doch ist dafür die grösste Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass er auf römischen Reminiscenzen weiter entwickelt wurde. Auf die Longobarden kann er in keiner Weise zurückgeführt werden, wohl aber nahmen auf die Detailbildung, auf das Dekorative die germanische Phantasie und nordischer Formensinn Einfluss. Während das Innere der lombardischen Kirchen über doppelten Rundbogenarkaden schwere Kreuzgewölbe zeigt, den Chor im Halbkreise abschliessen lässt und über der Vierung eine Kuppel spannt, erscheint der Façadenbau als eine einfache, mit einem Giebel geschlossene Wand, welche die innere Kirchengliederung nothdürftig verrathet. Zierlich gewundene Säulen bezeichnen die Scheidung in mehrere Schiffe; offene Arkaden durchschneiden in horizontaler Richtung die Façade; über dem mittleren, in Rundbogen geschlossenen oder mit einem Giebel bedeckten Portale ist eine mächtige Fensterrose angebracht; der Giebel steigt in Stufen empor und hat bald einen Bogenfries, bald offene Arkaden (Arkadengalerien am Aussenbaue kommen häufig vor) zum Schmucke.

Die meisten Kirchen, welche wir der romanischen Periode zuschreiben, werden gewöhnlich, aber grundlos, in das altlongobardische Zeitalter versetzt: S. Michele in Pavia, durch schwerfällige Pfeilermassen in drei Schiffe gegliedert; S. Ambrogio in Mailand von verwandter Anlage, die gegenüberstehenden Pfeiler durch Spitzbogen verbunden; S. Zeno in Verona, wie alle lombardischen Kirchen mit einem isolirten Glockenthurme; S. Fedele in Como. In das zwölfte Jahrhundert fällt die Errichtung der Dome von Piacenza (1122 begonnen), Parma, Modena, Cremona, Lucca u. a. Die zahlreichen, bald runden, bald polygonen Taufkirchen in der Lombardei (Parma,[S. 191] Bergamo, Brescia) folgen im Allgemeinen dem für diese Bauwerke giltigen Typus.

Die Basilikenform ist auch in Mittelitalien maassgebend. Am grossartigsten und reichsten entwickelt sie der Dom zu Pisa. Das fünfschiffige Langhaus wird von einem dreischiffigen Querbaue durchschnitten, über dem Durchschneidungspunkte eine Kuppel gewölbt, das Mittelschiff ist flach, die Seitenschiffe mit einem Kreuzgewölbe eingedeckt. Die Säulen der Doppelarkaden sind römischen nachgebildet, wodurch ebenso, wie durch die Detailgliederung in der benachbarten Kirche S. Piero in grado, die Lebendigkeit der antiken Tradition bewiesen ist, die Aussenseiten durch Wechsellagen von schwarzem und weissem Marmor, Säulen- und Pfeilerarkaden dekorirt. Der isolirte Thurm (1174 von dem Pisaner Bonanno und Wilhelm aus Innspruck errichtet) hat, wie der Unterbau des Baptisteriums, von Diotisalvi 1153 erbaut, einen ähnlichen Arkadenschmuck. Seine schiefe Stellung wurde wahrscheinlich durch anfängliches Ungeschick und späteren Starrsinn hervorgerufen, und fand, von der Liebe zum Seltsamen freudig begrüsst, auch anderwärts (Bologna, Ferrara) Nachahmung. Noch entschiedener als in Pisa und den verwandten Bauten von Pistoja und Volterra zeigt sich die Anlehnung an die Antike in florentinischen Bauten: im Baptisterium, S. Apostoli und der Basilika S. Miniato aus dem Ende des 12. Jahrhunderts. Das musivische Täfelwerk spielt auch hier eine Hauptrolle; die Gesimsprofile, die Kapitäle, das gerade Gebälke über den Pilastern und der Façade sind in römischen Formen durchgeführt. Gleiches gilt von S. Maria in Toscanella (1206) in Bezug auf die innere Gliederung; dagegen ist das rundbogige Portal in rein romanischer Weise angeordnet und geschmückt. Für die Fortdauer der antiken Tradition auch im 13. Jahrhundert sprechen die brillanten Kreuzgänge von S. Paul und S. Lorenzo bei Rom. Zwar können der musivische Schmuck, die Skulpturen in den Bogenzwickeln, die mannigfach gewundenen Säulen nicht auf diese Quelle zurückgeführt werden, wohl aber ist die Form des Gebälkes in römischer Weise gebildet; die übrigen Kirchenbauten Roms vom 11. bis 13. Jahrhundert (S. Bartolomeo, Quattro santi, S. Maria in Trastevere, S. Lorenzo) wiederholen den altchristlichen Basilikentypus mit geringen Modifikationen.

Als im 13. Jahrhundert der germanische Styl in Italien eindrang, wurde die bis dahin übliche Bauweise in den Hintergrund[S. 192] gedrängt, aber keineswegs überwunden. Ja es ist überhaupt fraglich, ob die Uebung der romanischen Architektur jemals auf längere Zeit in Stocken gerieth. Der früheste bis jetzt bekannte gothische Bau in Italien ist die Klosterkirche zu Assisi, 1218 von einem deutschen Meister Jakob erbaut. Noch aus dem 13. Jahrhundert stammen der Dom zu Siena mit doppelfarbigem Façadenschmucke, aber Rundbogen im Innern, der formverwandte Dom von Orvieto (1290), der Dom von Arezzo; in Florenz die Kirche S. Maria Novella (1279), S. Croce und der Dom (1296). Als Baumeister der beiden letztgenannten Kirchen wird Arnolfo, Sohn des Cambio aus Colle, angeführt. Weder die Anordnung des Grundrisses, die gewaltige Breite des Mittelschiffes, noch die Anlage der Kuppel über dem Chore geschah im Geiste des gothischen Styles, welchem nur die in ein glänzendes Spiel übertragenen dekorativen Formen der Aussenseite entlehnt sind. Der isolirte Glockenthurm von ähnlicher Beschaffenheit, nämlich nur oberflächlicher Gothik, ist ein Werk des Malers Giotto im 14. Jahrhundert. Pisa besitzt in Campo santo, in der kleinen Kirche S. Maria della Spina und dem Oberbaue der Taufkirche gothische Bauwerke. In Norditalien nimmt der Dom zu Mailand, 1386 von einem Deutschen gegründet, die erste Stelle ein. Den kolossalen Verhältnissen und der glänzenden Dekoration entspricht schlecht die schwächliche Gliederung der Pfeiler. Einen günstigeren Boden fand die gothische Architektur in Venedig (ai frari [1250], S. Giovanni e Paolo [1246–1430]), die geringste Pflege dagegen in Rom (S. Maria sopra Minerva, 14. Jahrhundert) und Unteritalien.

Das vorherrschende dekorative Element in der mittelalterlichen Architektur Italiens hinderte einerseits den Aufschwung der kirchlichen Baukunst, andererseits wirkte es aber auf die zierliche und elegante Ausbildung des weltlichen Baustyles unendlich belebend. Für die romanische Periode sind namentlich einzelne Palastbauten in Venedig (Fondaco dei Turchi, Pal. Loredan) hervorzuheben; ebendort hat der gothische Styl in dem Dogenpalaste (u. 1350 von Filippo Calendario errichtet), in den kleineren Palästen Foscari, Sagredi, Ca' d'Oro u. a. die anziehendsten und reichsten Musterbilder weltlicher Architektur geschaffen. Auch der Backsteinbau wurde in Oberitalien heimisch und in Mailand (das grosse Hospital des Antonio Filarete 1456), Bologna u. a. in der glücklichsten Weise geübt. In Florenz entwickelte sich unter dem Einflusse der Gothik im[S. 193] eigenthümlichen Hallen- und Palaststyl: die sogenannte Loggia dei Lanzi, 1374 von Andrea Orcagna erbaut, die alten Paläste in Florenz und Siena, deren Motive, des schwerfälligen Charakters entkleidet, auch nach dem Verlassen der germanischen Bauweise mannigfach benützt wurden. Rom und Unteritalien bewahrten in dem sogenannten Hause Cola Rienzis, in dem Palaste Friedrichs II. zu Foggia und seiner Burg Castel del Monte die wichtigsten Reste frühmittelalterlicher Privatarchitektur.

§. 85.

Die dekorative Architektur war namentlich in der gothischen Periode nicht allein auf den Hauptbau beschränkt, sondern auch im Innern der Kirchen im reichsten Maasse angewendet. Wir rechnen zu diesen kleineren Architekturen: Die Ciborien und Baldachine über den Altären, die Sakramentshäuschen, Ambonen, Kanzeln, Lettner, Orgelbauten u. s. w. Altarbaldachine sowohl romanischer wie gothischer Art trifft man in Deutschland in Hamersleben und Fredelsloh (Niedersachsen), im Dome zu Regensburg, im Stephansdome, besonders häufig aber in Italien an, in Rom z. B. in S. Lorenzo, S. Clemente, S. Paolo vor den Mauern, im Lateran, S. Cecilia u. s. w. Diese letzteren Werke werden an den Namen der Cosmaten angeknüpft, eine in mehreren Generationen thätige römische Künstlerfamilie des 13. Jahrhunderts, welcher auch die Anlage der reichen Klosterhöfe von S. Paul, im Lateran, in Subiaco, die Vorhalle in Civita Castellana verdankt wird. Den Sakramentshäuschen verlieh der gothische Styl eine thurmartige Form; das 14. und 15. Jahrhundert brachte sie in allgemeine Aufnahme. Weltberühmt ist das Sakramentshäuschen Adam Krafts in der Lorenzkirche zu Nürnberg, 64' hoch, aus dem Ende des 15. Jahrhunderts; neben diesem sind noch die Tabernakel zu Kaschau in Ungarn, in den Domen zu Ulm, Regensburg, Fürstenwalde, in S. Severin zu Köln, in Löwen (S. Peter), Courtrai u. a. nennenswerth. Die mit einer Empore versehene Scheidewand zwischen Chor und Schiff, der sogenannte Lettner (lectorium), erhielt gleichfalls erst in der gothischen Periode ihre grösste Verbreitung. Romanische Lettner sind selten (Maulbronn, Zell im Pinzgau, Ostchor in Naumburg); gothische Lettner dagegen waren namentlich vor den Zerstörungen, welche das vorige Jahrhundert in mittelalterlichen Kirchen verübte, in grosser Zahl vorhanden (Naumburg, Halberstadt, Basel, Münster, Wetzlar, Löwen, Troyes u. s. w.). Kanzeln in der Form der alten[S. 194] Ambonen haben sich ausserhalb Italien nur an wenigen Orten (Wechselburg) erhalten; auch hier wie bei den Orgelbauten (Strassburg), bei den emporartigen Einbauten an der Westseite (S. Pantaleon in Köln) war für die Gesammtanlage und für die besondere Dekoration das gothische Formgefühl maassgebend, und namentlich die spätgothische Zeit von dem grössten schöpferischen Reichthume. Das zierliche Spiel, zu welchem die letztere die architektonische Grundform vereinigte, musste sie für die kleinere Architektur nicht wenig geschickt, und diese besonders beliebt machen, daher denn auch die architektonische Einrichtung der Kirchen so häufig die Kunstthätigkeit des 14. und 15. Jahrhunderts ausfüllt. Man muss, um den dekorativen Reichthum der späteren Gothik vollkommen zu übersehen, ausser den früher genannten Gegenständen, namentlich auch das Chorgestühl betrachten, an welchem die Rückwand, die Seitenlehnen und die Sitzklappe (an der unteren Seite) die reichste Gelegenheit zur Befriedigung der dekorativen Phantasie, und in einzelnen Fällen auch des plastischen Sinnes, boten. Das Chorgestühl im Ulmer Dome, von Georg Syrlin d. Aelt. 1469–1474 gearbeitet, besitzt den weit verbreiteten Ruhm, neben ihm jenes im Stephansdome zu Wien, Altenburg an der Pleisse, Blaubeuren und Geisslingen in Schwaben, Apostel- und Pantaleonskirche in Köln, Kathedrale von Amiens u. s. w. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass in diesen dekorativen Werken die üppigen, ausschweifenden Formen der späteren Gothik eine viel grössere Berechtigung besitzen, als in den grossen Monumentalbauten, obgleich auch dort das Uebermaass der Dekoration (Taufstein der Severinskirche in Erfurt) betäubend wirken kann, und zuletzt in ein ermüdendes flaches Spiel sich verliert.


3. Die Bildnerei und Malerei.[71]

§. 86.

In den Händen der Kirche ruhte die Baukenntniss, ihrer Pflege waren auch die Künste der Malerei und Bildnerei anvertraut. Neben den Gegenständen, welche das religiöse Bewusstsein der künstlerischen Phantasie zuführte, traten alle übrigen in den Hintergrund [S. 195]zurück, ebenso wurde die Auffassung, die formelle Seite der Phantasie, von dem christlichen Geiste geregelt, und schliesslich auch die Technik vorzugsweise in geistlichen Kreisen bewahrt, und fortgebildet. Kam auf solche Art, namentlich in die frühmittelalterliche Kunst, eine lebendige Einheit, so fehlte es dennoch nicht an einer Mannigfaltigkeit des Styles, an scharfen Gegensätzen der verschiedenen Kunstkreise. Auch wurden die verschiedenen Gattungen der bildenden Künste nicht überall mit dem gleichen Erfolge geübt, vielmehr eine fast ausschliessliche Vorliebe bald der einen, bald der anderen Kunstgattung zugewendet. Zunächst muss die italienische Kunst von der deutschen oder germanischen überhaupt streng geschieden werden. Dort ist gerade diejenige Periode, welche in der germanischen Kunstwelt an selbständigen Bestrebungen den grössten Reichthum entwickelt, die Zeit vom 11.-13. Jahrhundert, ohne alle grössere Regsamkeit, getheilt zwischen byzantinischen Einflüssen und einem verwilderten einheimischen Style. Der letztere macht sich besonders in den Hochreliefs (Bronzethüren in Trani von Barisanus, in Monreale von Bonannus, einem Pisaner, 1186, im lateranensischen Baptisterium von Hubertus und Petrus aus Piacenza 1203 gefertigt) und in Steinskulpturen geltend. Diesseits der Alpen hat das grössere oder geringere Festhalten an der römischen Tradition, das verschiedene Maass byzantinischer Einwirkungen, der Einfluss hervorragender kirchlicher Persönlichkeiten, welche Kunstweisen der einen Landschaft in die andere verpflanzten, und schliesslich die höhere oder niedere Kunstbegabung der einzelnen Stämme eine grosse Zahl von Kunstschulen geschaffen, deren Entwicklung und nähere Geschichte leider noch in das grösste Dunkel gehüllt ist.

Ob auch auf dem Gebiete der Bildnerei und Malerei in Frankreich der Norden und der Süden scharf gesondert sind, und in der letzteren Landschaft eine lokale byzantinische Schule sich behauptet, ist nicht genauer nachgewiesen, aber sehr wahrscheinlich. Für die letztere Thatsache spricht namentlich der Umstand, dass in Limousin, dem Hauptsitze byzantinischer Architektur, sich die Emailmalerei als besondere Specialität entwickelte, deren Pflege bekanntlich Byzanz sich angelegen sein liess, und welche durch Venedigs Vermittlung leicht in Limousin heimisch werden konnte. Für zwei Gattungen der Emailmalerei wenigstens: für die émaux de niellure (Ausfüllung der vertieften Umrisse durch einen schwarzen Schmelz) und für die[S. 196] émaux cloisonnés (Zwischenfäden aus Gold zwischen den Farben) muss das byzantinische Vorbild festgehalten werden.[72] Auch darüber sind wir im Unklaren, in wie weit die anderen Hauptstätten der Email- und Goldschmiedkunst: Nanzig und Köln, von Limoges abhängig sind, und ob die byzantinischen Vorbilder hier überall eine altbestehende Kunstübung nur auffrischten (denn die Emailmalerei war bereits den Aegyptern bekannt) oder den Kunstzweig neu schufen; dagegen ist die selbständige Entwickelung der nordfranzösischen Kunst und der grosse Reichthum nordfranzösischer Kirchen an bildnerischem und malerischem Schmucke eine unbestrittene Thatsache. Unmittelbar an karolingische Werke reihen sich die Wandgemälde von Auxerre, S. Venne, Rheims, Clugny, S. Savin, und weiter S. Denys, Vezelay, Charlieu, S. Jean in Poitiers, Alby u. s. w. an. Die Fülle plastischer Werke, namentlich an den französischen Kathedralen (Chartres, Paris, Amiens, Rheims u. a.), aus dem 13. und 14. Jahrhundert trotzt jedem Versuche einer vollständigen Aufzählung.

Die mittelalterliche Kunst in England ist, mit Ausnahme der Architektur, noch keiner näheren Untersuchung gewürdigt worden. Wie überall, so gab auch hier der gothische Styl den Impuls zu einer erhöhten bildnerischen Thätigkeit, und wurden seit dem 13. Jahrhundert die Kathedralen mit Statuen und Reliefs geschmückt. Es scheint jedoch die Bildnerei nicht ausschliesslich aus heimischen Wurzeln sich entwickelt zu haben, vielmehr werden besonders unter Heinrich III. italienische Künstler in England thätig angeführt. Ausser Lincoln, Wells, Salisbury, Canterbury ist die Westminsterabtei für die Erkenntniss der altenglischen Bildnerei von grosser Wichtigkeit (Grabstatuen König Heinrichs III. und der Königin Eleonore von William Forel, jene Eduards III. und die Skulpturen in der Kapelle Heinrichs VIII.). Für die spätere Zeit des Mittelalters (14. u. 15. Jahrhundert) sind als charakteristisch die gravirten Bronzeplatten auf Gräbern anzuführen, deren bekannte Zahl bereits mehrere Hundert übersteigt, und welche sämmtlich so gearbeitet erscheinen, dass die figürlichen und ornamentalen Theile im äusseren Umrisse ausgeschnitten, in einen steinernen Grund eingelassen werden.[73] Ganz die gleiche Technik ist am Rheine üblich, mit der einzigen Ausnahme, [S. 197]dass statt Bronze Marmor angewendet ist, welcher gleichfalls in eine andere steinerne Platte eingelegt wird (Maria im Capitol, Bonn u. s. w.), während die nicht minder zahlreichen Metallplatten Norddeutschlands (Verden, Lübeck, Schwerin Grabplatte Bischof Friedrichs [v. J. 1315], Stralsund, Thorn, Wismar, Lüneburg, Leubus a. d. Oder und ähnliche in Dänemark und Schweden [Aker im Upland, Dom in Upsala bei Abo]), ein solches Einlassen nicht kennen.[74] Von der Meinung, als hätten diese gravirten Grabplatten, welche auch in Frankreich (Paris und Umgebung) zahlreich vorkommen (Fig. 86), den Bilderdruck und Kupferstich vorbereitet, ist billig abzusehen, der Gebrauch gravirter Zeichnungen auf Metall auch um mehrere Jahrhunderte älter, als die oben angeführten Metallplatten. Als Beispiele seien hier angeführt, die gravirte Rückseite eines goldenen Kreuzes des Bischofs Bernward in Hildesheim (Magdalenenkirche) aus dem 11., und die 16 gravirten Tafeln an dem Kronleuchter, welchen Friedrich Barbarossa in das Aachener Münster schenkte, aus dem 12. Jahrhundert.

Fig. 86. Gravirte Grabplatte (XIII. Jahrh.) in Reims.

Von englischen Wandgemälden des 12. und 13. Jahrhunderts haben sich Reste in der Grafschaft Norfolk erhalten; [S. 198]andere wurden in Penally (bei Tenby), Stedham aufgedeckt. Die Westminsterabtei bewahrt die Reste eines Altarbildes aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, auf Goldgrund musivisch ausgelegt, aus welchen Angaben wenigstens die regsame Pflege der Malerei erhellt, wenn auch über den Werth dieser Werke und die Entwicklung der Schule nichts Näheres bekannt ist.

Aehnlich, wie in Limousin, begegnet uns auf wallonischem Boden, in Dinant bei Namur, eine Spezialität: der Metallguss. Nicht allein die Technik war hier in hohem Grade entwickelt, auch der Formsinn zeigt eine Vollendung, wie sie nur bei inniger Bekanntschaft mit der antiken Tradition erreicht werden konnten (Taufbecken in S. Barthélemy zu Lüttich vom Jahre 1112, von Lambert Patras aus Dinant angefertigt). Wandgemälde sind bis jetzt in den Niederlanden in geringer Zahl aufgedeckt worden (Hôpital de la Biloque zu Gent (13. Jahrhundert), Schloss zu Nieuport, Gorkum); ihr Styl und die Darstellung soll jener von Glasgemälden entsprechen. In Holland kennt man Wandgemälde in der Petrikirche zu Löwen, in Botsward, in der Buurkerke zu Utrecht u. a. Ueber die deutschen Kunstschulen des tieferen Mittelalters gilt im Allgemeinen Folgendes: Am Rheine zeigt die Bildnerei keineswegs die antike Tradition so lebendig, als man auf diesem mit römischer Kultur gesättigten Boden vermuthen sollte. Für die barbarische Rohheit des Pfarrthores zu Remagen aus dem 11. Jahrhundert muss das Ungeschick des Künstlers einstehen. Dagegen können wohl die fast rund gearbeiteten Reliefs (das Leben Jesu) an der Holzthüre in Maria auf dem Kapitol (u. 1050) als ein Beispiel des damals gültigen Styles dienen. Sie zeigen das Studium des menschlichen Körpers in gröbster Weise vernachlässigt, und selbst das Ornament in den primitiven Zustand zurück versetzt. Auch die Relieffigur der Plektrudis an der Aussenseite derselben Kirche eingemauert (12. Jahrhundert) ist von keinem individuellen Leben durchweht. Wunderbar gross und vom reinsten Formengefühle durchdrungen, erscheint daneben die Wandmalerei. Der Aberglaube, als wäre das tiefere Mittelalter in der Malerei gänzlich unfruchtbar geblieben, schwindet immer mehr im Angesichte der täglich wachsenden Entdeckungen alter Wandgemälde des 12. und 13. Jahrhunderts. Die Liebfrauenkirche zu Halberstadt, die Klosterkirche Neuwerk bei Goslar, die Krypta der Stiftskirche in Quedlinburg, [S. 199]der Dom zu Bamberg, jener zu Braunschweig, die Decke in S. Michael zu Hildesheim, Methler bei Dortmund, der Kapitelsaal in Brauweiler, ehemals Ramersdorf bei Bonn, zeigen mehr oder weniger gut erhaltene Reste monumentaler Malerei aus der romanischen und gothischen Periode. Als das vorzüglichste Werk müssen aber die erst jüngst gänzlich aufgedeckten Wandgemälde in der Unterkirche zu Schwarzrheindorf bei Bonn, aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, gelten. Sie haben hinsichtlich der Gedankenfülle und der Einheit der Composition gleichen Rang mit den Brauweiler Fresken, überragen sie aber noch in der Reinheit der Zeichnung und Lebendigkeit des Ausdruckes. Ueber den Ursprung und die Entwicklung dieser rheinischen Malerschule, mit deren Werken sich weder gleichzeitige italienische, noch spätere deutsche Werke messen können, haben wir eben so wenig eine nähere Kunde, als über die Bildnergruppe in Sachsen aus dem Ende des 12. Jahrhunderts, welche mit Unrecht von italienischen Meistern abgeleitet wurde. Den ältesten Werken der sächsischen Bildhauerschule sind beizuzählen die Reliefs in der Liebfrauenkirche zu Halberstadt: Madonna, Christus und die 12 Apostel in einer Gypsmasse gearbeitet, dann die Hochreliefs über den Kapitälen der Seitenschiffe und an der Mauer, welche den Chor von den Querflügeln trennt, in S. Michael zu Hildesheim, die Engel über den Bogenarkaden in Hecklingen, die Reliefs im Dome zu Bamberg (Georgschor). Die vollendetsten Werke sind aber nicht in Niedersachsen, sondern östlicher in Wechselburg und Freiberg im Erzgeb. zu suchen.[75] Die Reliefs an der Kanzelbrüstung zu Wechselburg (eigentlich Kloster Zschillen), deren Entstehung ungefähr in das Jahr 1184 fällt, stellen Christus thronend und von den Evangelistenthieren umgeben vor, ihm zur Seite Maria und Johannes, in den andern Feldern Abrahams Opfer, die Aufrichtung der ehernen Schlange, und unter dem letzteren Bilde das erste Brandopfer Abels und Kains. Die geringe Kenntniss des Nackten erscheint ebenso auffallend, als die Schönheit der Motive in den Köpfen und Gewändern. Nur wenig jünger ist die goldene Pforte in Freiberg. Zwischen den Säulen des Portals erheben sich freie Statuen: Noah, David, Salomon, Daniel, Johannes d. T. u. s. w.; in der Lunette ist die Anbetung der heiligen drei Könige (Fig. 87) [S. 200]dargestellt, und auch die Bogenwölbungen mit Figurenreihen ausgefüllt. Composition und Ausführung des früher vergoldeten und bemalten Werkes ist von gleicher Vortrefflichkeit, der Styl der Gewänder im Geiste vollendeter Plastik. Das gleiche Lob gilt von einem überlebensgrossen Kruzifix (aus Holz), von Maria und Johannes umgeben, im Museum für mittelalterliche Kunst in Dresden, von den Reliefs am Altare zu Wechselburg u.a. Wie wenig aber diese lokale Kunstblüthe geeignet ist, den allgemeinen Zustand der deutschen Bildnerei zu versinnlichen, zeigen die Externsteine bei Horn im Lippischen aus dem Anfange des 12. Jahrhunderts (Kreuzabnahme und der Sündenfall, in den lebendigen Felsen gemeisselt), und die überaus barbarischen Reliefs am Portale von S. Jakob in Regensburg, welche in die gleiche Zeit mit den Freiburger Skulpturen fallen, im Inhalte wie in der Form aber einer ganz verschiedenen Kunstwelt angehören. Ueber den Styl des neuentdeckten Reliefs im Georgskloster zu Prag (1150) fehlen nähere Nachrichten.

Fig. 87. Skulptur von der goldenen Pforte in Freiberg.
§. 87.

Der kirchlichen Einheit, welche die mittelalterliche Kunst durchweht, wurde die Mannigfaltigkeit der National- und Lokalschulen gegenüber gestellt. Mit jener Einheit ist aber noch keineswegs der gemeinsame Charakter, namentlich der Bildnerei des Mittelalters, erschöpft. Als durchgreifend bemerkt man auch noch die Abhängigkeit der letzteren von der Architektur und die Identität der Gesetze, welche hier wie dort den Entwickelungsgang bestimmen. Die Abhängigkeit von der Architektur zeigt sich darin, dass der Bildnerei selten eine selbständige Stelle gegönnt, ihre Werke grossentheils als architek[S. 201]tonischer Schmuck behandelt werden. Die Bedeutsamkeit des architektonischen Raumes, wie z. B. des Portales, wird in den Bildwerken näher erklärt, jener liefert den Stoff und die Motive für die letzteren. Zum architektonischen Organismus gehörig, erhalten die Skulpturen auch eine architektonische Form; als Bildungsgesetz gilt eine allgemeine Regelmässigkeit, gleichsam ein geometrisches Schema, ohne Bedachtnahme auf die besonderen Gesetze der plastischen Leiblichkeit. Auch dies ist ein Ausfluss des architektonischen Verhaltens, dass die Formenbildung zuweilen an das Ornamentale streift. Bei diesem engen Zusammenhange war es natürlich, dass die Schicksale der Baukunst in dem Fortgange der Bildnerei und Malerei sich treu und deutlich abspiegeln. Die der romanischen Baukunst anhaftende antike Tradition taucht auch und in noch viel stärkerem Grade in den Schwesterkünsten auf, und kommt hier sowohl in zahlreichen symbolischen Vorstellungen, wie in äusseren Formen nach. Die strenge Gebundenheit in den romanischen Bauformen kommt in den bildenden Künsten als Mangel an freiem Natursinne vor, und charakterisirt namentlich die Bildwerke des 11. Jahrhunderts. Der Aufschwung der deutsch-romanischen Architektur am Schlusse des 12. Jahrhunderts theilt sich der Bildnerei mit, besonders ist beiden Kunstgattungen in dieser Periode der nähere Anschluss an die Antike gemeinsam. Diese Identität des Entwicklungsganges der Architektur und der anderen Künste lässt sich sogar in den einzelnen Landschaften nachweisen, wie z. B. in Sachsen, in der rheinischen, süddeutschen Kunst. Die Blüthe der Plastik in der erstgenannten Landschaft wurde durch die Richtung, welche der romanische Baustyl daselbst nahm, wirksam vorbereitet; die geringe Bedeutung der Plastik am Mittelrheine erklärt sich aus dem Charakter der dortigen Architektur, der ausschliesslichen Entwickelung des Gewölbebaues, ohne Rücksicht auf die Durchbildung des Details und die dekorative Schönheit. Im 13. Jahrhundert tritt ein neues Bauprincip die Herrschaft an; demselben entsprechend, verändert sich der Formenkanon der Malerei und Bildnerei. Die Gestalten werden gestreckter, schärfer in den Bewegungen, individueller im Ausdrucke; ein freier Natursinn vermehrt nicht nur die Motive, die nun zur künstlerischen Darstellung gelangen, und lässt auch weltliche Gegenstände die Phantasie bevölkern, sondern bringt auch in die Körperformen, in die Gewandung, in die Köpfe der Gestalten ein neues, individuelles Leben. Dies gilt[S. 202] nun freilich nicht von allen Kunstwerken der gothischen Periode (1250–1400); im Gegentheil ist die Mehrzahl derselben in der Ausführung von keinem erheblichen Werthe; es trifft aber bei den mit der Architektur unmittelbar verbundenen Skulpturen häufig zu (Naumburg, Meissen, Bamberg, Liebfrauenkirche in Trier, Kölner Dom, Strassburger Münster, Nürnberger Lorenzkirche). Die einzelnen Werke dieser Periode einzeln vorzuführen, ist nicht zulässig; die Angabe der Gattungen, in welchen sich der Kunstsinn der gothischen Periode vorzugsweise bethätigte, muss genügen. Dass die Portale, die Nischen der Façade, die Tabernakel an den krönenden Thürmchen mit statuarischem Schmucke reich bedacht waren, wurde bereits oben erwähnt. Auch im Innern der Kirchen fanden Statuen an den Pfeilern eine passende Stelle. Um sie in Harmonie mit dem Farbenreichthume der architektonischen Glieder zu bringen — denn auch das Mittelalter kannte und übte die Polychromie in der Architektur — wurden dieselben vollständig bemalt, bei der Bemalung aber nicht das Hervorheben der plastischen Formen, sondern die Annäherung an die natürliche Wirklichkeit zum Gesetze genommen. Die reichsten und glänzendsten Beispiele polychromischer Skulptur liefern die Statuen an den Chorpfeilern im Kölner Dom und Aachener Münster aus dem 14. Jahrhundert; die ersteren besitzen noch die andere Bedeutung, dass sie Zeugniss ablegen für die hohe Blüthe der Goldschmiedkunst und Emailmalerei im alten Köln. Nur wo diese Künste blühen, konnte die an den Gewändern der Statuen bemerkte Technik: Glasflüsse auf Goldgrund u. s. w., angewendet werden. Der Holzschnitzerei bot sich in den grossen Altarwerken des späteren Mittelalters ein weiter Spielraum dar. Sie wurden als Flügelschreine gebildet, das Innere mit Relieftafeln ausgefüllt, die Aussenseiten mit Gemälden geschmückt. Die Composition ging stets über die Grenzen der Plastik hinaus, und schweifte in das Gebiet der Malerei hinüber. Sie legte einen Hintergrund an, ordnete die Figuren über und hinter einander, und verlieh auch den einzelnen Gestalten in der Haltung und im Ausdrucke einen malerischen Schein. Die Rücksicht auf das Holzmaterial, auf die architektonische und malerische Umgebung, und das immer stärker auftauchende realistische Kunstprincip führte zur durchgängigen Bemalung der Altarschreine. Derartige Holzskulpturen sind besonders seit dem 14. Jahrhundert in allen deutschen Landschaften heimisch; zu vorzugsweiser Vollendung scheinen sie aber[S. 203] in Pommern[76] gelangt zu sein. Als das bedeutendste Werk wird der Altarschrein in Tribsees (Regierungsbezirk Stralsund) genannt, aus dem Ende des 14. Jahrhunderts, die symbolische Verherrlichung der Transsubstantiation darstellend, roh in den Gedanken, von grosser Schönheit jedoch in Linien und Formen. Andere Schreine sind in Treptow a. d. R., in der Nikolaikirche zu Stralsund, in Stargard u. s. w. vorhanden. Von älteren Werken dieser Gattung bleibt noch der Clarenaltar im Kölner Dome aus dem 14. Jahrhundert zu erwähnen.

Auch Grabsteine bildeten einen reichen Stoff für die bildnerische Thätigkeit. Jene der gothischen Periode unterscheiden sich von der romanischen vorzugsweise durch den verschiedenen Formenkanon an den figürlichen Gestalten, dann aber auch durch die grössere Einförmigkeit des Stoffes: Sandstein und Metall, während in den früheren Jahrhunderten auch emaillirte Grabplatten (S. Maurice in Angers 1149, Abtei Fontevraud, jetzt Museum in Mans, 1190) und musivisch ausgelegt (jene des Laacher Abtes Giselbert im Bonner Museum) vorkommen, und später wenigstens durch die gleichmässige Anlage: ein Sarkophag mit gothischer Dekoration, auf welchem die fast rund gearbeitete Gestalt des Todten ausgestreckt ruht. Die Bemalung der Figuren ist keineswegs auf die gothische Periode beschränkt; man kennt polychromisch behandelte Grabplatten auch aus dem 12. Jahrhundert: Grabstein des Grafen von Gleichen und seiner Frauen im Dome zu Erfurt; die Porträtstatue auf dem Grabe des Richard Löwenherz in Fontevraud u. s. w. Die wichtigsten gothischen Grabdenkmäler befanden sich im Dome zu Köln (Konrad von Hochstaden aus Erz), Mainz (Erzbischof Siegfried und Peter), Elisabethkirche zu Marburg, Dom zu Bamberg, Vincenz- und Kreuzkirche zu Breslau (Grab Heinrichs II. und Heinrichs IV. aus gebranntem Thone), Münster zu Basel (Königin Anna), Reinhardsbrunn, Frankfurter Dom, S. Denys, Dom zu Amiens, Narbonne u. s. w.

Unter den Gattungen der Malerei erscheint die Glasmalerei[77] im innigsten Zusammenhange mit der Architektur. Dieselbe war zwar schon im 10. Jahrhundert in Deutschland (Tegernsee) bekannt, und [S. 204]schon im Anfange des 13. Jahrhunderts wird die dabei anzuwendende Technik systematisirt (diversarum artium schedula des Theophilus Presbyter). So lange man sich aber damit begnügte, die Fenstergemälde aus farbigen Gläsern musivisch zusammenzusetzen, und bloss die Contouren mit Schwarzloth zu zeichnen, konnte die Glasmalerei vorzugsweise nur in ihren dekorativen Theilen einen grossen Kunstwerth beanspruchen. Darin leistete sie aber auch, wie namentlich die zahlreichen französischen Glasmalereien des 13. und 14. Jahrhunderts, und in Deutschland die gemalten Fenster in S. Cunibert und im Dome zu Köln, im Strassburger Münster, an der Elisabethkirche zu Marburg u. a. darthun, Ausserordentliches. Nicht allein die Gluth der einzelnen Farbentöne, auch die Zusammenstellung der Farben, ihr reicher Wechsel und die Verbindung heller mit dunkeln Farben ist der grössten Bewunderung werth und zeugt von einem ausgebildeten Schönheitssinne. Im 15. Jahrhundert wurde die Technik zur grössten Vollkommenheit gebracht, grössere Scheiben, zahlreichere Farben angewendet, die Kunst, mehrere Farben auf einer Scheibe zu schmelzen erfunden, der figürliche Theil besser bedacht, doch ging darüber das echte und alte Princip, welches in den Glasgemälden nur durchscheinende Teppiche, nicht ausgeführte Bilder schaffen wollte, bald verloren.

Alle oben angeführten Werke der Bildnerei und Malerei haben den architektonischen Hintergrund gemeinsam, von welchem sie sich zwar abheben, aber keineswegs zur Selbständigkeit ablösen. Isolirte Bildwerke, wie sie die spätere Antike und die neuere Zeit so überaus reichlich vorbringt, waren dem Mittelalter verhältnissmässig fremd. Selbst der seit dem Ende des 10. Jahrhunderts wieder emporblühende Erzguss wurde selten zur Darstellung selbständiger Statuen und Bildwerke verwendet (Bernwardssäule zu Hildesheim, eine verjüngte Nachahmung der Trajanssäule) (11. Jahrhundert), der eherne Löwe auf dem Domplatze in Braunschweig (12. Jahrhundert), die Georgsstatue auf dem Domplatze in Prag (1373); desto häufiger aber bei der Anfertigung von Taufbecken (Dom in Hildesheim, 11. Jahrhundert), Grabplatten (die älteste in Merseburg: Grabmal Rudolphs von Schwaben u. 1080) und Thürflügeln (Mainz 1007, Hildesheim 1015, Augsburg 1070, Gnesen, Nowgorod) geübt.

Die grösste Betriebsamkeit herrscht jedoch in jenen Zweigen der Kunst, wo auf dem technischen Theile das Schwergewicht ruht,[S. 205] und das Handwerk die grössere Hälfte der Arbeit übernimmt. Von dieser innigen Verbindung des Handwerkes mit der Kunst haben wir den rechten Begriff verloren; für die künstlerische Würdigung des Mittelalters aber ist gerade dieser, aus den damaligen Kulturverhältnissen leicht erklärliche Umstand von der grössten Bedeutung. Hierher sind zu rechnen, die zahllosen Werke der Goldschmiedkunst, sowohl in getriebener Arbeit, wie mit Emailschmuck versehen. Altartafeln (jene König Heinrichs II. aus dem Basler Münster, jetzt im Museum Clugny, später umgearbeitet), Antependien (Komburg in Schwaben), Reliquienkästen (überaus zahlreich in den Rheinlanden: Aachener Münster, Kölner Dom, S. Ursula, Andreas u. s. w. in Köln, Deutz, Siegburg, Kaiserswerth, Trier; in Hildesheim, Marburg, Maastricht, Jouarre, Namur u. s. w.), Kronleuchter (Aachen, Hildesheim), kleine Kandelaber, Kruzifixe, Monstranzen, Kelche, Bischofsstäbe, Bücherdeckel u. a. beschäftigten reichlich die im Dienste der Kirche thätigen Goldschmiede. Dazu kommen die Elfenbeinschnitzereien, die Teppichweberei und Stickerei, die letztere in Klöstern und von Frauen betrieben, und in England und Deutschland zu besonderer Vollendung gebracht. Die Schatzkammern vieler Kirchen bergen noch in Fülle derartige Werke (Halberstadt, Aachen u. s. w.), doch mögen nur wenige die Grösse des Teppiches erreichen, welchen angeblich die Königin Mathilde zum Andenken an die Eroberung Englands durch ihren Gemahl, Wilhelm, sticken liess, und welcher zu Bayeux bewahrt wird. Er misst in der Höhe nur 19 Zoll, in der Länge aber 210 Fuss.

Schliesslich kommt noch die Miniaturmalerei[78] in Betracht. Es hat zwar dieselbe nur in wenigen Fällen einen schöpferischen Formensinn aufzuweisen, und überschreitet selten die Grenzen des zur Zeit üblichen Kunststyles, ja hinkt vielfach demselben nach; doch bildet sie wegen der festen Zeitbestimmung der einzelnen Handschriften den grössten Urkundenschatz der Kunstgeschichte, ganz abgesehen von dem Verdienste, welchen sie sich um die Bewahrung der künstlerischen Tradition und die Erweiterung des Darstellungskreises erwirbt. Im 11. und 12. Jahrhundert nehmen die deutschen Miniaturen den ersten Rang ein, und in Deutschland selbst wieder [S. 206]bilden bayrische Klöster (Tegernsee) den wichtigsten Schauplatz künstlerischer Thätigkeit. Noch fehlt es aber an einem ausgebildeten Formensinne, an einer frischen Auffassung der Wirklichkeit. Wie alle übrigen Künste, so nähert sich auch die Miniaturmalerei am Ende der romanischen Periode der Vollendung und knüpft enger an die antike Tradition an. Daneben kommt auch die Wirklichkeit im Kostüme, in den Waffen und Gerätschaften zu grösserem Rechte; die noch mangelnde dramatische Belebung wird durch eine eigenthümliche Geberdensprache, eine festgestellte überaus kräftige Mimik, besonders der Hände, ersetzt, im ornamentalen Theile, z. B. bei den Initialen, ein seltener Reichthum der Phantasie offenbar. Das Machwerk ist übrigens äusserst mannigfach, jeder Grad der technischen Ausführung von einfachen Umrisszeichnungen bis zu förmlichen Malereien vertreten. Die wichtigsten Denkmäler der deutschen Miniaturkunst des 11. und 12. sind in Berlin (Werinher's Gedicht vom Leben der Maria aus Tegernsee, Veldecks Eneidt, gleichfalls aus Bayern stammend), München (ausser mehreren Bamberger Missalen und Evangelarien des 11. Jahrhunderts, ein Evangel. aus Kl. Niedermünster in Regensburg [12. Jahrhundert] und das Evangelarium und Lectionarium des Konrad von Scheuern), Stuttgart (Weingartner und Zwiefaltner Codices), Trier (Evangelarien aus Kesselstadts Vermächtniss), Strassburg (hortus deliciarum der Herrad von Landsberg) u. s. w. aufbewahrt.

Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts gewinnt die Pariser Illuminirschule den unbestrittenen Vorrang, sowohl hinsichtlich der Technik, wie in Beziehung auf den Erfindungsgeist und die feinere Charakteristik der Vorgänge, ohne aber die niederländischen Miniaturen des 14. Jahrhunderts in der Naturwahrheit und in der kräftigen Färbung zu erreichen. Von den deutschen Denkmälern des 14. Jahrhunderts ist die Manessesche Minnesängerhandschrift (in Paris) unbedingt die bedeutendste.

Als dasjenige Land jedoch, in welchem die Miniaturmalerei verhältnissmässig die grösste Blüthe erreichte, muss Böhmen bezeichnet werden. Nur die Anfänge dieser Kunst im 11. Jahrhundert (Evangelarien in der Dom- und Universitätsbibliothek zu Prag) weisen byzantinische Quellen auf; im 14. Jahrhundert machen sich französisch-niederländische Einflüsse bemerkbar, sonst ging die Entwicklung selbständig und namentlich von der deutschen Kunstweise[S. 207] unabhängig vor sich. Die wichtigsten Monumente sind: die mater verborum, 1102 von Miroslav illuminirt, das Evangel. Sobieslavs 1060, biblia pictorata (Bibl. des F. Lobkowitz in Prag), die Bibel von Jaromierz 1258 (Maler Bohusch), das Passionale der Abtissin Kunigunde 1312 (Fig. 88) und dann die überaus zahlreichen Codices aus der Zeit Karl IV., unter anderem zwei Gebetbücher des Erzbischofs Ernst 1350, der liber viaticus des Bischofs Johann von Leitomischl, das Missale des Bischofs Johann von Olmütz, Thomas Stitnys Bücher von der christlichen Wahrheit 1376, sämmtlich mit ausgeführten Gemälden und reichem Arabeskenschmucke. Die Zeichnung ist frühzeitig entwickelt, scharf und lebendig, von besonderer Schönheit jedoch das Colorit.[79] Der grösste Ruhm sammelt sich um den Namen des Sbisco von Trotina.

Fig. 88. Passionale d. Kunigunde.
§. 88.

Die Betrachtung der formellen Entwicklung der mittelalterlichen Kunst schob den Inhalt der Kunstvorstellungen in den Hintergrund. Irrthümlich hält man denselben für unbedeutend und zerfahren, und meint sein Wesen mit der Hinweisung auf das phantastisch-unklare Element in der mittelalterlichen Kunstwelt ergründet zu haben. Das Fremdartige und für uns Unverständliche sehr vieler künstlerischen Motive und Gestalten kann nicht abgeläugnet werden, ebensowenig aber die Thatsache, dass gerade nach dieser Seite die grösste Regsamkeit und das frischeste Leben herrscht. Aus dem christlichen Geiste hervorgegangen, von der kirchlichen Bildung gepflegt und getragen, nimmt die Kunst des Mittelalters den symbolischen Zug in sich auf, und lässt diesen an die Stelle der vollen historischen Realität treten. Symbolisch wird die einzelne Gestalt aufgefasst, in der Schilderung über die leiblichen Zustände hinausge[S. 208]gangen und das innere religiöse Seelenleben, so gut es die beschränkten Mittel gestatten, dargestellt, symbolisch ist die Geberdensprache der mittelalterlichen Kunst, ebenso wie der Nimbus, die Glorie und Aureole. Ein symbolisches Gesetz bestimmt ferner die Gruppirung und Anordnung der Einzelgestalten und durchweht selbst ausgedehnte Bilderkreise. Der noch ungebrochene Zusammenhang mit der altchristlichen Zeit und durch diese mit der Antike bringt eine ganze Welt selbsterschaffener Gestalten allegorischer Natur besonders in die romanische Kunst, welche sie weiter bearbeitet und vermehrt. Es behalten noch bis in das 14. Jahrhundert die einzelnen historischen Scenen ihre symbolische Geltung, und wird namentlich das alte Testament als Vorbild des neuen Bundes dargestellt (Wandgemälde in Emaus zu Prag, 14. Jahrhundert). Eine reiche, eigenthümliche Symbolik tritt in der Darstellung der Thierwelt auf, deren Verständniss aber noch sehr mangelhaft ist. Die mystische Zoologie des Mittelalters, in den sogenannten Bestiarien niedergelegt, und bereits im 11. und 12. Jahrhundert in Deutschland und Frankreich (nach einem griechischen Originale) verbreitet, gibt in manchen Fällen die richtigen Fingerzeige zur Erklärung der symbolischen Thiergestalten. Die Löwen und Basilisken sind Masken des Teufels und werden demgemäss auch in Portalskulpturen von den Füssen des Heilandes getreten. Der Phönix bedeutet wie das Einhorn und der Pelikan Christus, die Eule (niticorax) Juden u. s. w. In den meisten Fällen muss man aber auf den altgermanischen Natursinn zurückgehen und in der deutschen Mythenwelt die Bedeutung der mittelalterlichen Thiergestalten suchen. Auf dieselbe Quelle, nur weniger unmittelbar, muss auch die humoristische Auffassung der Thierwelt zurückgeführt werden, die bekanntlich in der germanischen Poesie noch kräftiger auftritt, als in den bildenden Künsten, hier aber, besonders in der späteren Zeit, eine derbe satyrische Färbung annimmt (Brandenburg, Freiburg, Strassburg u. s. w.). Wie sehr dieser symbolische Charakter der mittelalterlichen Kunst die Idealität des Styles befördern musste, liegt auf der Hand; auf der anderen Seite freilich lag die Gefahr einer Verwilderung der Gedanken, einer Willkür in der Feststellung symbolischer Beziehungen nahe, welche auch seit dem 14. Jahrhundert vielfach bemerkt wird.

§. 89.

Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts bereitet sich im Kreise[S. 209] der bildenden Künste ein Umschwung vor, welchen wir zunächst, allerdings nur an äusseren Zeichen: Vortritt der Tafelmalerei, Entstehung von Malerschulen, erkennen, welcher sich aber auch an wesentlichen inneren Merkmalen: Ablösung der Malerei und Plastik von der Architektur, Verfeinerung der Formen, Streben nach idealer Schönheit u. s. w. kundgibt. Dieser Umschwung geht in Italien und Deutschland beinahe gleichzeitig vor sich, verfolgt aber hier und dort verschiedene Wege. Italien kann es nicht vergessen, dass Natur und Geschichte ihm die Antike als heimathliche Kunst bestimmen; es nimmt die antike Tradition nicht als ein einzelnes Bildungsmoment an, sondern sieht in der Rückkehr zur antiken Formenwelt das Ziel seiner Entwicklung; es macht mit der plastischen Auffassung der Natur und des Christenthums Ernst und bindet auch die Malerei an plastische Gesetze. Die Idealgestalten des Glaubens, nicht die in inniger Verehrung beharrende gläubige Gemeinde, sind der gewöhnliche Vorwurf der italienischen Kunst; für die Zeichnung der einzelnen Gestalten, für die Gewandung, den Ausdruck der Köpfe gilt vorzugsweise das plastische Maass, die Linie herrscht vor der Farbe vor, die Freskotechnik, welche mehr zeichnet als malt, ist hier zu Hause, ebenso wie der sogen. Styl in der Malerei, d.h. das Beharren auf einer allgemein giltigen Bildung der Gestalten, das Absehen von der zwar farbenreichen, aber zufälligen Individualität, das Begrenzen des Bildwerkes durch architektonische Gesetze. Die nordische Kunst dagegen hat schon ursprünglich eine streng malerische Richtung; wo sie ideal auftritt, geschieht dies nicht aus bewusstem plastischen Formensinne, sondern durch das Vorheben seelenhafter Innigkeit und durch die schüchtern-naive Formengebung. Der Idealismus ist für die nordische Kunst am Schlusse des Mittelalters ein blosser Durchgangspunkt; das rasch erreichte, aber nicht haltbare Ziel wird in der malerischen Schilderung der realen Wirklichkeit gefunden, die selbst dort nicht ausbleibt, wo der Gedanke des Kunstwerkes ein ideales Vorgehen bedingte.

§. 90.

Die älteste zusammenhängende Künstlergruppe im Norden bildet die Prager Schule des 14. Jahrhunderts. Der Stiftungsbrief der Prager Malerzeche datirt vom Jahre 1348. Wir besitzen wohl einzelne Namen: Theodorich von Prag, Nikolaus Wurmser von Strassburg, beide auf der Burg Karlstein thätig, Kunz, Thomas von Mu[S. 210]tina (aus Italien eingewandert), ohne aber im Stande zu sein, die zahlreich genug vorhandenen Werke (Fresken und Tafelbilder auf Karlstein, die Wandgemälde im Kloster Emaus, Tafelbilder in anderen Prager Kirchen und Prager und Wiener Galerien) auf die einzelnen Künstler zu vertheilen. Mit den gleichzeitigen deutschen Schulen ist kein Zusammenhang ersichtlich, die übermässige Weichheit der Formen ohne Kenntniss der Modellirung; der verhältnissmässig grosse Farbenschmelz, die Anmuth der Frauenbilder und andere Eigenschaften lassen sich theilweise aus dem reichen Betriebe der Miniaturmalerei erklären. Eine zweite Kunstschule tritt uns in Nürnberg entgegen. Hier hatte um die Mitte des 14. Jahrhunderts Sebald Schonhover die germanische Bildnerei zu einer eigenthümlichen Höhe herausgebildet, die weiche Formengebung mit einem lebendigen Natursinne vereinigt (Vorhalle der Frauenkirche, der schöne Brunnen). Die Malerei folgte dieser Richtung und verband mit der der Bildnerei abgelernten scharfen Modellirung und sicherer Zeichnung ein reges Streben nach idealer Schönheit der Köpfe und anmuthiger Bildung der Gestalten. (Tucher'scher Altar in der Frauenkirche 1385, der Haller'sche Altar in der S. Sebalduskirche, der Imhof'sche Altar 1420, der Volkamer'sche u. a. in der Lorenzkirche.)[80]

Die sonst in Deutschland aus dem 14. Jahrhundert geretteten Malerwerke in Schwaben, Norddeutschland lassen sich nicht auf bestimmte Schulen zurückführen; auch tritt ihr Werth gegen die Werke der Kölner Schule gewaltig in den Hintergrund. Hier hat die selbständige altdeutsche Malerei seit dem letzten Dritttheile des 14. Jahrhunderts ihren Hauptsitz aufgeschlagen, und die ältere ideale Richtung der deutschen Kunst, durch das Milde und Seelische im Ausdruck, die weichen Formen und Linien charakterisirt, ihre grösste Blüthe erreicht. Zu den zwei Namen, die man früher ausschliesslich kannte: Meister Wilhelm (von Herle), in der Limburger Chronik zum Jahre 1380 angeführt, und Meister Stephan (Lothener), dessen Existenz Dürers Tagebuch über seine niederländische Reise uns bewahrte, haben neuere Forschungen[81] zahlreiche neue Namen hinzugefügt, ohne aber unsere kunstgeschichtliche Kenntniss im Geringsten zu vermehren.

[S. 211]

Von den Wandmalereien an den Brüstungswänden des Domchores (u. 1320) bis zu den Bildern, die nach allgemeiner Uebereinkunft Meister Wilhelm zugeschrieben werden, ist eine bis jetzt noch unausgefüllte Lücke vorhanden. Die Vollendung seiner Arbeiten erscheint daher unvorbereitet und unerklärlich. Dass wir es aber keineswegs mit einer vereinzelten Erscheinung zu thun haben, vielmehr die gesammte Kölner Schule am Ende des 14. Jahrhunderts an dem Ruhme Meister Wilhelms Theil nimmt, beweisen die Werke anderer Hände, die man in Kölner Kirchen (Krypta S. Severin) und in Kölner Privatgalerien (Ruhl, Merlo, Fromm, Seydel u. s. w.) antrifft, und welche unzweifelhaft der gleichen Zeit angehören. Als Werke Meister Wilhelms werden genannt: Christus am Kreuze mit 6 Heiligen, Wandgemälde in der Sakristei von S. Severin, das Wandgemälde über dem Grabe Erzb. Kunos in S. Castor zu Koblenz, eine Madonna im Kölner Museum, der Clarenaltar im Kölner Dome, die Veronika in der Münchner Pinakothek u. a. Eigenthümlich ist Meister Wilhelm der zarte Schmelz der Färbung, eine rundliche Form der Köpfe, ein fliessender Faltenwurf, eine ruhige Anmuth in der Haltung. Bilder, welche die Entwicklung der Kölner Schule von Meister Wilhelm zu Meister Stephan (u. 1440) charakterisiren, sind in grösserer Zahl vorhanden. Des Letzteren grösster Ruhm beruht auf der Schöpfung des Dombildes: Anbetung der Könige als Mittelbild, innere Flügel: die hh. Gereon und Ursula mit ihrem Gefolge, äussere Flügel: die Verkündigung. Die Composition bewahrt die Ruhe der älteren Werke; auch in den Frauenköpfen ist noch die alte rundliche Form und durch sie die naive Anmuth erhalten; dagegen ist in den männlichen Köpfen eine viel grössere Kraft und Individualität schon bemerkbar, das Kostüme und alles Nebenwerk mit lebendiger Naturwahrheit gearbeitet. Weniger Rühmliches lässt sich von der Carnation sagen. Ein zweites Hauptwerk, welches Meister Stephan zugeschrieben wird, wahrscheinlich aber einem anderen Meister gehört, die lebensgrosse Madonna im Priesterseminar (u. 1420), hält sich mehr an die ältere Weise, bildet sie jedoch in eigenthümlich weicher Anmuth weiter. Im Dombild regt sich zuerst der innere Zwiespalt zwischen dem naiven Idealismus und dem lebendigen, echt malerischen Realismus. Der erstere, von keinen plastischen Studien gestützt, muss dem letzteren weichen, damit geht aber für die deutsche Malerei auch der selbständige Boden verloren. Sie entwickelt den[S. 212] Realismus nicht unabhängig, sondern nimmt die Grundlage für die weitere Kunstbildung von der niederländischen Malerschule an.

§. 91.

Die Geschichte der bildenden Künste in Italien[82] während des tieferen Mittelalters (11. bis 14. Jahrhundert) wurde früher, um den Zusammenhang nicht allzu sehr zu zerreissen, nicht erörtert, und mag hier, als Einleitung zur Darstellung der italienischen Kunst ihre Stelle finden. Das 11. und 12. Jahrhundert verging für Italien in trostloser Barbarei. Es erscheint als Uebermuth, dass die Meister ihre Namen auf ihren Werken verewigten, da dieselben fast durchgängig in roher Formlosigkeit verharren, und in keiner Weise einen lebendigen Kunstsinn verrathen.

Wir besitzen auf dem Gebiete der Bildnerei aus dem 12. Jahrhundert die Namen eines Wilhelm von Modena, Nikolaus in Verona und Ferrara, Benedikt in Parma, Robertus in Lucca, Gruamons in Pistoja, Biduinus in Pisa und Lucca, bemerken aber erst im Beginne des 13. Jahrhunderts, und zwar plötzlich und für uns wenigstens unvermittelt, den Aufschwung zum Besseren. Denselben bewirkt der etwa 1200 geborene Nicola Pisano. Ueber seine persönliche Entwicklung sind wir völlig im Dunkeln. Von den Werken älterer Zeitgenossen konnte er wenig lernen (Benedict Antelami in Parma 1176, Kanzelbrüstung in S. Pietro in Florenz); die allerdings wahrscheinliche Einwirkung der sächsischen Schule lässt sich nicht beweisen, auch das Studium der Antike nur im Allgemeinen vermuthen. Die sichergestellten Werke dieses vom Geiste idealer Plastik tief durchdrungenen Meisters, den man für einen unmittelbaren Vorfahren Michelangelos halten möchte, sind das Relief der Kreuzabnahme im Dome zu Lucca 1233, die Figuren und Reliefs an der Kanzel im Baptisterium zu Pisa 1260, und an jener im Dome zu Siena 1266. Verloren ging der Altar im Dome zu Pistoja 1273; dagegen beruht Nicolas Betheiligung an dem Sarkophag des hl. Dominik in Bologna auf einer irrigen Annahme, da derselbe 1267 unter [S. 213]der Mitwirkung des Fra Guglielmo da Pisa ausgeführt wurde. Die italienische Bildnerei des 13. und 14. Jahrhunderts erhielt sich nicht auf der von Nicola erklommenen Höhe; die an die Antike streifende Formenreinheit geht wieder verloren und macht einem mehr germanischen Stylgefühle Platz. Als bleibende Errungenschaft zeigt sich nur die Unabhängigkeit der Skulptur von der Baukunst. Bemerkenswerth sind der Sohn Nicola's: Giovanni Pisano 1240–1320 (der Brunnen auf dem Domplatze in Perugia, Kanzeln in Pisa und Pistoja); zwei Sienenser Agostino und Angelo (das Grab Guido Tarlatis in Arezzo 1330); Lanfrani in Bologna und Imola; Giotto (1276–1336), der zwar nicht häufig den Meissel führte, aber dennoch auch in dem Fache der Bildnerei thätig auftrat und wie die Architektur, so auch den Bilderschmuck für den Glockenthurm neben dem Florentinischen Dome entwarf; Andrea Pisano (1280–1345) Giottos Gehülfe (Bronzethüren am Baptisterium in Florenz), seine Söhne Nino und Tommaso, Andrea di Cione (1329–1389) (Altaraufsatz in Or S. Michele in Florenz), und neben diesen mittelitalienischen Meistern mehrere Bildhauer in der Lombardei und in Venedig (Fil. Calendario am Dogenpalaste). Wenn die Nachfolger Nicola Pisano's die Naturwahrheit einseitig hervorheben, so wird dies durch das Streben begründet, sich eine Sicherheit in der Formenbildung zu verschaffen, ohne welche eine ideale Auffassung nur durch einen zufälligen glücklichen Griff, wie dies bei Nicola der Fall war, möglich ist.

§. 92.

Auch die italienische Malerei hebt sich aus der nationalen Barbarei und der verkümmerten Nachahmung byzantinischer Vorbilder erst am Anfange des 13. Jahrhunderts. Die Vergleichung römischer Mosaiken des 12. Jahrhunderts (S. Maria Trastevere, Clemente u.s.w.) mit jenen des 13. in Florenz (Baptisterium von Jacobus und Andrea Tafi) spricht deutlich für diese Thatsache; doch selbst dann noch ist der Fortschritt nur bedächtig, und der Ruhm, den einzelne Maler genossen, wie z. B. Giunta von Pisa, vom Lokalpatriotismus über Gebühr erhöht worden. Gute Beispiele der italienischen Malerei im Anfange des 13. Jahrhunderts bieten die Wandgemälde im Baptisterium zu Parma und jene in S. Pietro in Grado bei Pisa. In Florenz und Siena sammelt sich, wie schon die zahlreichen uns bewahrten Malernamen bekunden, die[S. 214] grösste Kunstthätigkeit; namentlich die erstere Stadt wird für zwei Jahrhunderte der Hauptsitz der italienischen Malerei. Wenn von den alten Schriftstellern Giovanni Cimabue (1240–1303) an die Spitze der italienischen Maler gestellt wird, so kann dies keineswegs so gemeint sein, als ob Cimabue zuerst und allein einer neuen Richtung, welche sich durch eine naturgemässere Behandlung der byzantinischen Typen, eine flüssigere Färbung, im Gegensatze zur gestrichelten Pinselführung der Byzantiner, und lebendigeren Ausdruck auszeichnet, Bahn gebrochen hätte. So verdienstlich Cimabue's Werke (Christus thronend zwischen Maria und Johannes, Mosaikbild im Pisaner Dome, Madonna in S. Maria Novella und in der Akademie zu Florenz, die Wandmalereien in der Oberkirche zu Assisi [?]) in dieser Beziehung sind, so gross auch sein Ruhm und sein Einfluss auf die näheren Zeitgenossen, z. B. römische und florentinische Mosaicisten, erscheint, so gewinnt dennoch neben Cimabue und der florintinischen Schule die Gruppe gleichzeitiger Sienenser Künstler die gleiche, wenn nicht grössere Bedeutung.

Ein Guido von Siena wird bereits unter dem Jahre 1221 angeführt; von anderen Malern, die in Siena im Laufe des 13. Jahrhunderts thätig waren, sind wenigstens die Namen erhalten. Die höchste Stelle gebührt aber dem Duccio di Buoninsegna, von 1282–1311 in Siena thätig.[83] Sein Hauptwerk, eine auf beiden Seiten bemalte Altartafel (Vorderseite: Madonna von Heiligen umgeben, Rückseite: 24 Tafeln aus der Passionsgeschichte) zeigt ihn hinsichtlich der lebendigen Umformung byzantinischer Motive mit Cimabue auf gleicher Stufe, aber ihn noch weit überragend in Beziehung auf die Kenntniss des Nackten, den Fluss der Gewänder und die Schönheit der Linien. Aehnlich, wie es bei Nicola Pisano bemerkt wurde, halten sich auch die folgenden Maler von Siena nicht auf Duccios Höhe; sie bewahren aber gegenüber der florentinischen Schule noch lange Zeit ihre volle Selbständigkeit. Nebst Ugolino da Siena († 1339) steht an der Spitze der Sienenser im 14. Jahrhundert Simone di Martino (1276–1344). Dieser Meister will nicht die Schranken der künstlerischen Tradition durchbrechen, er weiss aber dieselbe durch einen idealen Schönheitssinn, eine bezaubernde naive Innigkeit des Ausdruckes und eine ernste Ruhe der Haltung zu verklären. Die Technik in seinen Temperabildern, [S. 215]der Fluss und Schmelz der Farben bei scharfen Contouren und überaus feiner Zeichnung der Haare, ist vollendeter als bei allen übrigen Zeitgenossen. Hauptwerke: Fragmente eines grossen Altarwerkes von Ernst Förster in Siena entdeckt; ein Wandgemälde, die Madonna von Heiligen umgeben, im Gerichtssaale von Siena (1330), die Heimkehr des 12jährigen Knaben Christus zu seinen Eltern, in Liverpool (1342) und die Verkündigung, von Simone di Martino und Lippo Memmi gemeinschaftlich gemalt, in den Uffizi zu Florenz.

Nicht bei den Sienensern aber, sondern bei den Florentinern ist die stetige Entwicklung der italienischen Kunst zu suchen. Die letzteren, an ihrer Spitze Giotto di Bondone (1276–1336), sind die Neuerer, welche die Technik vernachlässigen, auf die Einzelheiten in der Ausführung keinen Nachdruck legen, weder in der Zeichnung noch im Colorite mit den Sienensern verglichen werden können, welche den Mangel an Schönheitssinn gar häufig fühlen lassen, aber in der Composition eine neue Bahn brechen, hier eine bis dahin wenig gekannte poetische Schöpferkraft aufweisen, und die individuellen Gedanken, welche sie ihren Werken zu Grunde legen, mit Rücksicht auf Lebenswahrheit verkörpern. Nicht mit Unrecht wurde auf die gleichzeitige Blüthe der italienischen Poesie hingewiesen und die Verwandtschaft, sowie die Einwirkungen der letzteren auf die bildenden Künste erörtert. Es ist derselbe Geist, welcher das Leben und Wirken des grossen Nationalheiligen Franz von Assisi und seiner Schüler, und die Werke Dantes durchweht, welchem auch Giottos Schule dient. In allen Künsten wohlerfahren, als Maler von Avignon bis Neapel hin thätig, hat Giotto einen allseitigen Einfluss auf die italienische Kunst geübt, ausser der engeren florentinischen Schule auch in den anderen italienischen Landschaften Schüler und Nachahmer hinterlassen. Die Aufzählung der Werke Giotto's sollte mit der kritischen Untersuchung, welche von den zahllosen auf seinen Namen geschriebenen, Giotto nicht gehören, beginnen. Da aber dieselbe uns zu weit führen würde, so mag die Angabe der unzweifelhaften und sichergestellten Werke genügen. Die bedeutsamsten sind die allegorischen Bilderkreise in der Unterkirche zu Assisi: die drei Gelübde der Armuth, Keuschheit und des Gehorsams, sowie die Apotheose des hl. Franciskus; in der Incoronata zu Neapel die sieben Sakramente, in der Vorhalle der Peterskirche das Schiff der Kirche (Mosaik). Gleicher Natur ist der früher er[S. 216]wähnte Statuenkreis am Campanile zu Florenz, als dessen gemeinsamer Gedanke die Entwicklungsgeschichte der menschlichen Bildung angegeben wird. Von den gleichfalls allegorischen Wandgemälden im Bargello zu Florenz sind neuerdings Fragmente, darunter Dantes Bildniss, aufgedeckt worden. Das Hauptwerk Giottos aus seiner Jugendzeit 1303 bilden die Wandgemälde in der Kirche dell' Arena zu Padua: das Leben Christi und der Madonna mit allegorischen Nebenscenen. Von Tafelbildern hat sich nur Weniges erhalten: die Krönung der Madonna in S. Croce in Florenz, Madonna mit Heiligen in Mailand, ein Parallelcyclus aus dem Leben Christi und des hl. Franciskus, grösstentheils in der Galerie der florentinischen Akademie bewahrt, und einige kleine Bilder im Privatbesitze.

Gross ist die Zahl der Nachfolger Giottos, welche bald das allegorische Element, bald die lebendige Naturwahrheit in der Composition weiter entwickeln, wie Taddeo Gaddi (Leben der Maria in S. Croce), dessen Sohn Angnolo, Giovanni da Melano (Assisi, Temperabilder in Florenz), Nicola di Pietro (Passion in S. Francesco zu Pisa), Giottino (Florenz und Assisi), Lorenzo di Bicci u. A. Die wichtigsten Werke aus der Nachfolge Giottos sind in der spanischen Kapelle an der Kirche S. Maria Novella zu Florenz und in den Hallen des Pisaner Campo santo vorhanden. Dort ist an der Altarwand die Passion Christi in epischer Breite vom Ausgange aus Jerusalem bis zur Höllenfahrt geschildert, nach einer auch später beliebten Weise die aufeinanderfolgenden Scenen räumlich nebeneinandergstellt. Nicht weniger charakteristisch ist der Bilderschmuck der anstossenden Wände, rechts die Beschreibung der kirchlichen Macht und Thätigkeit, links der Triumph der christlichen Wissenschaft, mit besonderer Bezugnahme auf die Verdienste des hl. Thomas von Aquino und der Dominikaner (als gefleckte Hunde, domini canes, symbolisirt). Die Entstehung dieser Bilder fällt ungefähr in das Jahr 1350, ihr Schöpfer ist ungewiss. Um dieselbe Zeit wurden auch die Umgänge des Campo santo in Pisa mit Wandgemälden geschmückt.[84] Für die ältesten Bilder gab die Bestimmung des Raumes reiche und passende Motive: die Passion von Buonamico Cristofano, genannt Buffalmacco, dessen Namen florentinische Malerverzeichnisse zum Jahre 1351 anführen, der Triumph des Todes, das Weltgericht und die (später übermalte) Hölle von [S. 217]Andrea del Cione oder Orcagna, von welchem beglaubigtere und in der Technik vollendetere Werke in S. Maria Novella zu Florenz: Christus von Heiligen umgeben in Tempera 1357, und das jüngste Gericht und das Paradies als Wandgemälde vorhanden sind, und schliesslich das Leben der Einsiedler von Pietro Laureati (Lorenzetti?). Die anderen Bilder haben das Leben der Pisaner Schutzheiligen und alttestamentarische Scenen zum Gegenstande: das Leben des h. Ranieri (1360–1386) theilweise von Antonio Veneziano gemalt, das Leben der hh. Ephesus und Potitus von Spinello aus Arezzo, welcher im Palaste zu Siena 1348 die Geschichte des Papstes Alexander III., und in S. Miniato bei Florenz das Leben des h. Benedikt malte, die Schicksale Hiobs von Francesco aus Volterra (1372) und die Genesis von Pietro di Puccio aus Orvieto (1390); diese letzteren dadurch berühmt, dass sie nicht in der bis dahin üblichen Weise auf der trockenen Wand, sondern auf dem frischen Kalke al fresco gemalt sind. Nicht wenige der aufgezählten Bilder sind freie Erfindungen der Künstler, die meisten mit dem sichtlichen Streben nach scharfer Charakteristik und lebenswahrer Auffassung geschaffen. Giotto's Richtung entsprach viel zu sehr der Zeitbildung, als dass sie nicht auch ausserhalb Florenz Eingang gefunden hätte. So sehen wir einen jüngeren Sienenser Ambrogio Lorenzetti (1342 thätig) in einem grossen Wandgemälde im öffentlichen Palaste zu Siena sich in allegorischen Schilderungen der guten und der schlechten Regierung, der glücklichen Folgen der friedlichen Ordnung und der Nachwehen der Zwietracht und herrschender Laster ergehen, ohne desshalb alle Eigenthümlichkeiten der Sienenser Schule aufzugeben, die in den Werken des Pietro di Bartolo (Leben der Madonna im öffentlichen Palaste zu Siena [1407] u. a.) noch stärker vortreten. Auch in Oberitalien siegt Giotto's Richtung und bringt in Aldighiero da Zevio und in d'Avanzo aus Verona (Georgskapelle in Padua 1377) höchst bedeutende künstlerische Erscheinungen hervor.[85] Der letztere gehört, wie Nicola Pisano, Duccio zu den Pionieren der Kunst, welche ihrer Zeit voranschreitend, neue Bahnen entdecken, zu deren stetigen Verfolgung den nächsten Nachfolgern Muth und Geschick gebricht. D'Avanzo unterscheidet sich durch die dramatische Auffassung, die tiefere [S. 218]Färbung und die perspektivische Richtigkeit seiner Bilder überaus günstig von seinen Zeitgenossen.

Neben der Hauptschule Giottos erscheinen im 14. Jahrhundert noch zahlreiche Lokalschulen in Italien, welche aber auf den Entwicklungsgang der Kunst keinen wesentlichen Einfluss üben, wie z.B. in Neapel, in der Mark Ancona (Allegretto di Nuzio), in Bologna, Modena (Thomas und Barnabas, dieser noch im byzantinischen Typus befangen), Mailand, Verona, Venedig u. s. w.


Die Kunst des XV. und XVI. Jahrhunderts.

§. 93.

Die Umwälzungen in allen öffentlichen Verhältnissen Europas, welche besonders seit der Mitte des 15. Jahrhunderts um sich greifen, blieben auf den Entwicklungsgang der bildenden Künste nicht ohne Einfluss. Die veränderte Organisation der Gesellschaft, die neue Bildung zogen entsprechende Umwandlungen auf dem Gebiete der Architektur und der anderen Künste nach sich, der engere Zusammenhang der einzelnen Länder brachte neue Stoffe und Formen in Aufnahme, zerstörte die alten, aus isolirten Kulturverhältnissen herausgewachsenen, oder vermischte sie im besten Falle mit jenen. Das Nähere über diesen historischen Prozess, über den Kultursieg Italiens, die Wanderung italienischer Kunstformen über die Alpen, ihren Kampf hier mit der einheimischen Kunstweise und die interessanten Folgen dieses Kampfes, namentlich in Frankreich, muss an anderen Orten nachgelesen werden;[86] hier bleibt bloss die innere Entwicklungsgeschichte der Kunst zu betrachten. Das eigentliche Mittelalter hatte die bildenden Künste durch die Stufen der allgemeinen, idealen Typen, und der symbolischen Formen geführt, den Rechten der individuellen Phantasie einen immer grösseren Spielraum gegeben; es war die freie Erfindung der Motive, die schärfere Auffassung der Natur, die genauere Schilderung der Seelenzustände in der Kunst heimisch geworden. Auf diesem Wege fortschreitend, konnte nur ein doppeltes Ziel erreicht werden. Entweder wurde die [S. 219]reale Schilderung bis zur letzten Consequenz fortgesetzt, die Welt der äusseren Erscheinungen mit liebender Innigkeit und treuem Fleisse geschildert, oder es wurde der Nachdruck auf die Ausbildung der schönen Form gelegt, der traditionelle Idealismus festgehalten, aber mit Hülfe vollendeter Formenkenntniss verkörpert. Jenes führt zum streng malerischen, dieses zum plastischen Style, der malerische Realismus bildet das Wesen der germanischen, der plastische Idealismus den Mittelpunkt der italienischen Kunst. Dort schafft die neue Richtung ein neues Ausdrucksmittel: die Oelmalerei. Obgleich der Gebrauch des Oeles als Bindemittel der Farben schon längst bekannt war,[87] so wurde dasselbe doch erst in der niederländischen Schule zuerst praktisch verwerthet, und erhielt erst hier die Oelmalerei, welche an die Stelle der früher üblichen Temperamalerei (Bindung der Farben mit Harz, Eiweiss, Feigenmilch, Wachs, Pergamentleim und Harz) trat, eine ästhetische Bedeutung. In Italien behält die Wandmalerei, in der nothwendig idealisirenden Freskotechnik ausgeführt, ihre Geltung; dazu gesellt sich, als bestimmendes Merkmal des italienischen Kunstcharakters, das bewusste Studium der Antike als des vollendeten Formenkanons. Hier theilt aus begreiflichen Gründen die Bildnerei gleichmässig mit der Malerei die Blüthe, während im Norden unbedingt die Malerei die wichtigste Stelle einnimmt.

Für die gerechte Würdigung der neueren Kunstgeschichte sind noch folgende Thatsachen entscheidend. Die nordische Kunst entfernt sich im 15. Jahrhundert weiter von der mittelalterlichen Kunsttradition als die italienische; sie kommt überdies durch das energische Herauskehren des Realismus theilweise in Widerspruch mit der Natur der Ideen und Gestalten, deren Verherrlichung sie übernimmt. Das Streben, den Schein der unmittelbaren Wirklichkeit ihren Bildwerken zu verleihen, bringt die nordischen Künstler in Gefahr, den christlichen Ideenkreis nur als äusseren Rahmen für einen ihm fremdartigen Inhalt (die Schilderung der unmittelbaren Umgebung) zu benützen, wozu sich das weitere Uebel gesellt, dass dem einbrechenden derben Naturalismus und der phantastischen Formlosigkeit keine feste Schranke gezogen ist. Die italienische Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts bricht weder mit der Vergangenheit, noch [S. 220]stellt sie einen Gegensatz gegen den christlichen Ideenkreis auf. Die antike Tradition fand in Italien stets eine ungestörte Heimath und blieb hier der christlichen Kunst niemals fremd. Die natürliche Folge dieser Verhältnisse ist, dass die italienische Kunst sich einer ununterbrochenen Entwicklung bis zu ihrer Vollendung erfreut, und als die wahrhafte Erfüllung des mittelalterlichen Kunststrebens auftritt, dass sie weit über ihre nationalen Grenzen hinaus eine Allgemeingültigkeit erwirbt, während die germanische Kunst trotz ihrer nationalen Grundlage und der vielfachen Schönheitszüge im Angesichte der vollendeten italienischen Kunst plötzlich in ihrer geraden Richtung abbricht, umbeugt und in dieser ihr Vorbild verehrt. Die Architektur, die bis jetzt unbesprochen blieb, drückt den Umschwung der künstlerischen Verhältnisse vielleicht am schärfsten aus, verliert aber am meisten von ihrer früheren Geltung. Sie stützt sich nicht auf ein neues Constructionsprincip, bildet den Styl also auch nicht mit organischer Nothwendigkeit aus dem letzteren heraus; sie wird zum Gegenstande berechnender Reflexion und schliesslich ganz im Widerspruche zu ihrer Natur dahin gebracht, ihre Wirkung und ihren Ausdruck den anderen Künsten abzulauschen, malerische Effekte anzustreben und ihre eigenthümlichsten Gesetze zu übertreten.


A. Die italienische Kunst.

1. Baukunst.[88]

§. 94.

Die germanische Bauweise aufzugeben, hatte es in Italien, wo dieselbe stets nur ein Scheinleben gefristet, ebensowenig Noth, als die Grundlagen der römischen Architektur wieder in das Dasein zu rufen, zu deren erweiterten Kenntniss der im 15. Jahrhundert wieder aufgefundene Vitruv wesentlich beitrug. Ein allmäliges Hinübergleiten aus dem germanischen in den Renaissancestyl, welchen Namen bekanntlich der wiedergeborene antike Styl des 15. und 16. Jahrhunderts trägt, ist früh bemerklich. Am deutlichsten spricht sich dasselbe in der Karthause bei Pavia (1396–1473) aus, wo [S. 221]germanisches und italienisches Baugefühl mit einander kämpfen, bis das letztere in der brillanten, aber rein dekorativen Façade den Sieg davon trägt. Auch die toskanischen Palastbauten des 15. Jahrhunderts in Florenz und Siena athmen noch theilweise einen germanischen Geist, wenn gleich die Profilirung und die Gesimse gewöhnlich nach antiken Vorbildern gearbeitet sind. Es spiegeln sich in der massiven Anlage, in dem ernsten burgartigen Charakter derselben die fehdereichen Zustände des mittelalterlichen Toskana ab. Von den venetianischen Palästen kann man das Gleiche behaupten, dass sie nicht nach einem abstrakten Scheine gearbeitet und bloss dekorativ gehalten, sondern dem Lokalcharakter dieses städtischen Staates angepasst sind und der künstlerischen Tradition (byzantinische Formen) Rechnung tragen. Ueberhaupt hat der Renaissancestyl in weltlichen Bauten grössere und dauerndere Erfolge erzielt, als bei kirchlichen Anlagen, welche letztere den Mangel eines organischen Zusammenhanges mit dem Kultus, das Absehen von der üblichen und absolut berechtigten Tradition tief fühlen lassen. Im Ganzen genommen nähern sich die Renaissancekirchen dem Basilikentypus, nur dass sie häufig den Kuppelbau damit verbinden, die Wölbekunst (Tonnengewölbe) fortführen, und nicht selten Pfeiler an der Stelle der Säulen als Träger verwenden. Am störendsten erscheint der Façadenbau, eine müssige Dekoration, ohne Zusammenhang mit dem inneren Baue, selbständig gegliedert, an den Kirchenkörper nur angelehnt, und ebenso auch zur Bedeutung des Bauwerkes gleichgültig. Nichts bezeichnet schärfer das Wesen des Renaissancestyles, als dass man seine Erfinder benennen kann. Dieser Ruhm gebührt den Florentinern Filippo Brunelleschi (1375–1444) und Leo Baptista Alberti (1404–1472). Brunelleschi wollte, wie Vasari erzählt, die gute, durch den »barbarischen deutschen« Styl verdrängte Bauweise wieder in ihr Recht einsetzen. Er wanderte nach Rom, wo er Gesimse maass, die Grundrisse der antiken Gebäude aufnahm, die Wölbungsweise der Alten untersuchte, die verschiedenen Säulenordnungen studirte und auf diese Weise den Grundstein zum Renaissancestyl legte. In seiner praktischen Thätigkeit als Baumeister (die Kuppel am Dome zu Florenz, deren Baugeschichte einen seltenen novellistischen Reiz besitzt, die Kirche S. Lorenzo und S. Spirito, der Palast Pitti ebendort) ging er jedoch nicht mit der Halsstörrigkeit eines Theoretikers vor, wusste viel[S. 222]mehr mit seltenem Geschicke die durch das Studium der Antike erworbenen technischen Erfahrungen den traditionellen Bauformen anzupassen. Viel systematischer und einseitiger ist Alberti's Wirken, welchem die wissenschaftliche Begründung des Renaissancestyles, die gründliche, aber desshalb auch nüchterne Nachbildung der römischen Bauweise verdankt wird. Die Künstlergeschichte und die Geschichte der Bautechnik räumt dem allseitig gebildeten, rastlos thätigen Meister einen hervorragenderen Platz ein, als die Kunstgeschichte, welche ihn wegen seiner abstrakt-gelehrten Richtung tief unter Brunelleschi stellen muss. Seine unbedingte Verehrung der römischen Antike hatte zwar in der Baukunst weniger unglückliche Folgen, als in der Poesie, wo er das antike Versmaass auf italienische Gedichte zu übertragen versuchte, führte ihn aber auch hier zu mannigfachen Missgriffen, so wenn er z. B. die Façade an der im gothischen Style begonnenen Kirche S. Francesco in Rimini einem römischen Triumphbogen nachbildet (1450), und dieser Kirche eine nach dem Muster des Pantheon errichtete Kuppel aufzusetzen beabsichtigt, oder wenn er die Kirche S. Andrea in Mantua (erst nach seinem Tode vollendet) mit einem kassettirten Tonnengewölbe bedeckt. Ausser diesen und anderen Kirchenbauten verdankt Alberti auch der Palast Ruccellai in Florenz die Entstehung, seinen Schriften aber: de re ædificatoria, l. X, de pictura l. III. und breve compendium de componenda statua, die neuere Kunst ihre erste wissenschaftliche Begründung.

Die Bauthätigkeit der florentinischen Zeitgenossen Brunelleschi's umfasst die mannigfachsten Gegenstände. Kirchen: S. Bernardino in Perugia von Agostino di Duccio, dessen Ungeschick als Bildner Michelangelo die Gelegenheit gab, seine technische Meisterschaft zu beweisen; Madonna del Calcinajo bei Cortona von Francesco di Giorgio Martini (geb. 1439); die Kirchen in der Stadt Pienza, deren Bauwerke in einer Zeit und wie aus einem Gusse hervorgegangen, treffliche Beispiele der neueren italienischen Architektur bieten, von Bernardo Rossellini; mehrere römische Kirchen: S. Maria del Popolo, die sixtinische Kapelle (1473), S. Agostino, sämmtlich von Baccio Pintelli, welcher, wie alle früher genannten Meister, auch als Civilbaumeister (Palast in Urbino, an welchem auch ein Slavonier, Luciano Laurana, arbeitete, Ponte S. Sisto) eine grosse Thätigkeit entwickelte, und ähnlich, wie Brunelleschi, noch in Einzeln[S. 223]heiten die mittelalterliche Bautradition (Kreuzgewölbe, Fensterrosen) festhielt; Klosterbauten und Kapellen, S. Marco in Florenz von Michelozzo Michelozzi († nach 1472); andere Werke von demselben Meister in Fiesole, Assisi; Paläste: in Florenz von Michelozzo, Simone Cronaca († 1508), Benedetto da Majano, in Pienza von Rossellini, in Siena, Urbino, Rom (venetianischer Palast von Giuliano da Majano); Triumphbogen; Thore, Befestigungsbauten u.s.w.

Alle diese Meister bilden zusammen eine verwandte Künstlergruppe; sie beschränken ihre Thätigkeit nicht auf einen Ort, sondern wirken in einem weit ausgedehnten Kreise; doch bleiben neben ihnen, besonders in Oberitalien, noch einzelne Lokalschulen bestehen, so in Bologna (Laubengänge), in Venedig (Familie der Lombardi), dessen Kirchen zahlreiche Motive dem byzantinischen Markusbaue entlehnen, und auch in den Renaissancebauten (S. Zaccaria) eine eigenthümliche Ornamentik bekunden, Verona (die Geburtsstätte des Fra Giocondo [g. 1453], dessen Thätigkeit als Baukünstler über Verona, Venedig [Entwurf zur Rialtobrücke, welche aber nach dem Plane des Scarpagnino und 1588 nach jenem des Giovanni da Ponte ausgeführt wurde], Rom, Paris sich erstreckt, dessen Namen auch in der antiquarischen und philologischen Welt ruhmvoll klingt), Mailand u. s. w.

§. 95.

Die weitere Entwicklung der Architektur über diesen älteren Renaissancestyl hinaus führt nicht zur fortschreitenden Vollendung. Die Beziehungen zum unmittelbaren Leben und zur Tradition, die wir an der Baukunst des 15. Jahrhunderts bemerkten, der berechtigte Rückhalt gegen die unbedingte Aufnahme der Antike verschwinden, der Styl wird schematischer, strenger den römischen Formen nachgebildet, die Zusammenstellung und Anordnung der einzelnen Bauglieder noch mehr dem individuellen Ermessen überlassen, der Composition hier die gleiche Bedeutung wie in den Schwesterkünsten gegeben. Ein nicht minder bezeichnendes Merkmal der italienischen Baukunst des 16. Jahrhunderts ist die Fülle architektonischer Theorien, das nachhaltige Streben, der neuen Bauweise eine wissenschaftliche Grundlage zu geben, wie es sich in den Lehrbüchern Vignolas, Serlios und Palladios, in der Lehre von den fünf Säulenordnungen (die sogenannte toskanische ist die fünfte)[S. 224] kundgibt. Nirgend besser als an der Baugeschichte der Peterskirche in Rom lassen sich die Wandlungen des Renaissancestyles verfolgen.

Fig. 89. Grundriss der Peterskirche.

Das fünfzehnte Jahrhundert hatte die Macht des Papstthums zu neuer Blüthe gebracht, der päpstliche Hof seit Nikolaus V. und Sixtus IV. der nationalen Bildung die gleiche Theilnahme zugewendet, wie die anderen italienischen Fürsten. Rom, welches seit Jahrhunderten neben Florenz, Siena, Pisa nur eine untergeordnete Stellung in der italienischen Kunstgeschichte einnimmt, schickt sich an, den Kunstreigen zu führen. Mit einer erhöhten Bauthätigkeit wird begonnen; der Mittelpunkt der letzteren bleibt aber für mehr als ein Jahrhundert die Peterskirche. Bereits unter Nikolaus V. entwarf Rossellini den Plan zum Neubau, und es wurde hinter der alten Basilika der Grund zu demselben gegraben. Nach einer Unterbrechung von fünfzig Jahren wurde (1506) an die Fortsetzung des Begonnenen gedacht, Rossellinis Plan aber nicht im Geringsten beachtet, sondern von Donato Bramante (1444–1514), welcher schon früher in Mailand und in Rom selbst (Belvedere im Vatikan) grössere Bauten geleitet, ein neuer Plan ausgearbeitet. Nach demselben erhielt die Kirche die Form eines griechischen Kreuzes mit einer Kuppel in der Mitte zwischen zwei Glockenthürmen, und einem sechssäuligen Portikus an der Vorderseite. Die Hauptpfeiler der Vierung, die Tribüne und das südliche Querschiff, wurden noch zu Bramantes Lebzeiten, und zwar hastiger, als es für die Dauerhaftigkeit des Baues gut war, in die Höhe gebracht, der Bau dann unter der Leitung Giulianos da San Gallo (di Bartolo), von welchem unter anderen die Umwandlung des Mausoleums Hadrians in das Castell S. Angelo herrührt, des Giocondo da Verona und Raphael, dessen Privatbauten in Rom (P. Vidoni) und Florenz (P. Pandolfini) noch erhalten sind, fortgesetzt, dabei aber der Entwurf Bramantes wenig beachtet. Was Raphael vorgeschlagen, stürzte wieder sein Nachfolger im Amte: Balthasar Peruzzi aus Siena (1480–1536); dieser ging vom lateinischen Kreuze im Grundrisse auf das griechische zurück, gab jedem Arme die Form eines Halbkreises, setzte über die vier Winkel des Kreuzes Glockenthürme, und umgab die grosse Kuppel mit vier kleineren. Die schwierigen Zeitverhältnisse verhinderten den raschen Aufbau, und gaben den Nachfolgern Peruzzis Gelegenheit zu neuen Plänen. Jene waren Antonio da San Gallo d. j. († 1546), dessen überladenes Modell der Peterskirche sich erhalten hat, aber weniger[S. 225] zu Gunsten seines Schöpfers spricht, als der von ihm begonnene und von Michelangelo vollendete Palast Farnese und Michelangelo selbst. Ihm verdankt das gegenwärtige Gebäude vorzugsweise seine Entstehung (Fig. 89); seine Vollendung aber, wieder mit beträchtlichen Abweichungen von dem Entwurfe Michelangelos, fällt erst in das 17. Jahrhundert. Die Kuppel wurde 1590 geschlossen, später durch Carlo Maderno der Westarm verlängert, also doch endlich die Form des lateinischen Kreuzes durchgeführt, und von Bernini der Bau der Glockenthürme zu beiden Seiten der Vorhalle begonnen. Dieselbe Leichtfertigkeit, welche den Kuppelbau charakterisirt, — fast alle Nachfolger Bramantes begannen ihre Thätigkeit mit der Verstärkung der Kuppelstützen, — zeigte sich auch hier, und verhinderte den Aufbau derselben. Auch fertig geworden, hätten sie das[S. 226] nichtssagende Wesen der Façade wenig verändert. Wenn man mit dieser mäkelnden Willkür, dieser unruhigen Planmacherei die Baugeschichte des anderen Riesenwerkes der christlichen Kunst, jene des Kölner Domes, vergleicht, so fühlt man rasch den Hauptmangel des Renaissancestyles heraus, nämlich den Mangel an organischer Nothwendigkeit. Am wenigsten trifft diese Rüge die Palastanlagen, bei welchen die glückliche Massenwirkung, der regelmässige Wechsel der Säulenordnungen, das reine Verhältniss der einzelnen Bauglieder zu einander und die reiche Dekoration auch im 16. Jahrhundert vorherrscht. Rom zählt zahlreiche Paläste und Villen aus dieser Zeit, z.B. den Palast Farnese von A. Sangallo, die Farnesina von Peruzzi, die Cancelleria von Bramante, die Villa Pia von Pirro Ligorio, den Lateran von D. Fontana (1543–1607), andere Bauten von Vignola, Giulio Romano u. s. w. Auch Florenz (Ausbau des Pittipalastes durch B. Ammanati [1510–1592], Baccio d'Agnolo) und Genua, der Hauptschauplatz der Thätigkeit Galeazzo Alessis aus Perugia (1500–1572), welchem die Strada nuova, die Kirche S. Maria di Carignano, ein quadratischer Kuppelbau, der Palast Sauli ihre Anlage verdanken, gehen auf die durch Bramante angeregte Richtung ein. Der venetianische Palaststyl des 16. Jahrhunderts schliesst sich gleichfalls der antiken Formenbildung an, weiss sie aber mit der traditionellen offenen Façadenarchitektur glücklich zu verbinden. Neben der Schule Bramantes und Michelangelos wird die venetianische Bauschule als Vorbild für die folgenden Zeitalter maassgebend. Sie zählt zu ihren Häuptern Sansovino (eigentlich Jacopo Tatti aus Florenz [1479–1570], dessen Künstlerruhm und persönliches Leiden sich an den Bau der Markusbibliothek knüpft), Sanmicheli, Giov. da Ponte, und namentlich Andrea Palladio (1518–1580). Der Stadt, welche ihn geboren, Vicenza, widmete er auch seine grösste Thätigkeit. Ausser dem von ihm restaurirten Rathhause zählt man noch die Paläste Prefettizio, Chiericati, Tiene, Ca' del Diavolo, Barbarano, Valmarana, Capitanale, das Teatro Olimpico nach römischen Mustern und die nahe gelegene, von Goethe gepriesene Rotonda Palladiana, ein Kuppelraum mit vier Portiken, als seine Werke auf. Anderes baute er oder wurde nach seinen Rissen in Florenz, Venedig gebaut. Hier stammt auch ein vielbenütztes neueres Kirchenmuster: il Redentore, von ihm (Fig. 90). Die Kirche ist einschiffig, mit Seitenkapellen, das Querschiff im Halbkreise geschlossen, über der Vierung eine Kuppel errichtet. Halb[S. 227]kreisfenster schneiden in das Tonnengewölbe, ein Giebelbau römischer Ordnung bildet die Mitte der Façade, und wird unorganisch genug von zwei Halbgiebeln, die für das Auge sich hinter dem Mittelbaue ergänzen sollen, begrenzt. Im Gegensatze zu den älteren Renaissancekirchen und den Palastanlagen wird nur eine Säulenordnung angebracht, die Sitte, mehrere Säulenreihen übereinander zu setzen, aufgegeben. Auch die Façade zu der von Sansovino gebauten Kirche Franc. della Vigna ist Palladios Werk. Dass ein Zeitgenosse den Plan Sansovinos dahin abändern wollte, dass die Breite des Schiffes = 9 sei, dem Quadrat der heil. Dreizahl, und die Länge = 27, und dies Gesetz aus Platon ableitete, kann als Beweis für die Fortdauer der Zahlenmystik gelten, welche man bekanntlich den mittelalterlichen Bauten zu Grunde legen will. Aus Vicenza stammt auch der dritte Hauptmeister der venetianischen Baukunst, Vincenzio Scamozzi, durch seinen römischen Aufenthalt 1579 in der Liebe zur Antike befestigt, ein scharfsinniger Erklärer des Vitruv und eifriger Geschichtsschreiber seiner Kunst, dessen Bauentwürfe auch in Deutschland (Salzburg, Prag) gesucht wurden. Die neuen Prokuratien in Venedig zeigen ihn, einen Schüler Sansovinos, glücklicher darin, was er dem Meister nachbildete, als worin er selbständige Formen versuchte. Noch zahlreicher als Bramantes ist die Schule Palladios, und wenn auch im Allgemeinen das Schicksal der Architektur theilend, so hält sie doch länger an reinen Linien und geschmackvoller Einfachheit fest.

Fig. 90. Grundriss der Kirche il Redentore zu Venedig.

[S. 228]

2. Bildnerei.

§. 96.

Die Betrachtung der italienischen Bildnerei seit dem 15. Jahrhundert wird uns die meisten Namen, die wir in der Geschichte der Baukunst kennen lernten, wieder vorführen. Es lag trotz der verschiedenen Natur der einzelnen Kunstgattungen doch genug des Verwandten und Einheitlichen in ihnen, um den Künstlern eine allseitige Thätigkeit zu gestatten. Wie sehr diese Einheit der bildenden Künste ihre Entwickelung förderte, wissen wir erst jetzt, nachdem dieselbe verloren gegangen ist, und jede Kunstgattung ihren eigenen Weg einschlägt, richtig zu würdigen. Die Architektur litt zwar unter dem Einflusse der Schwesterkünste, doch bleibt gerade das malerische Element ihr bester Schmuck; die Plastik und Malerei aber konnten nur durch die gegenseitige Unterstützung und Wechselwirkung zu der Höhe gebracht werden, auf welcher wir sie im 16. Jahrhunderte erblicken.

Die Thatsache, dass Florenz und weiter Toskana die grösste Summe von Künstlerkräften in sich vereinigt und für die Entwickelungsgeschichte der italienischen Bildnerei den Mittelpunkt abgibt, wird auch dann nicht wanken, wenn eine genauere Specialforschung uns die Kenntniss der zahlreichen Lokalschulen eröffnet haben wird, welche sowohl in Bologna, Ferrara, Venedig und im Lombardischen, wie in Unteritalien thätig auftraten.

Die Bildnerei in Oberitalien wird häufig von Künstlerfamilien getrieben, und vorzugsweise in Grabdenkmälern geübt. Eine solche in Ferrara, Ravenna und Venedig thätige Bildnerfamilie sind die Lombardi, Pietro mit seinen Söhnen Antonio und Tullio, und andere im 16. Jahrhundert wirkende Namensverwandten. Von Pietro Lombardi rührte das Grabmal Dantes in Ravenna her, so wie mehrere in S. Francesco daselbst erhaltene Grabmäler der Polentas. Andere Werke seiner Hand werden in Venedig bewahrt (S. Maria dei miracoli, S. Stefano, Kap. Zeno in S. Marco), ebenso wie zahlreiche Arbeiten seiner Söhne und Schüler (S. Francesco della Vigna, S. Giov. Crisostomo, S. Martino, S. Sebastiano, und besonders S. Giovanni e Paolo, ausserdem in S. Antonio zu Padua). Eine zweite venetianische Bildnerfamilie bilden die Bregni: Lorenzo und Antonio (S. Maria ai frari, S. Giov. e Paolo); unter den einzelnen Künstlern, bei[S. 229] welchen eine Lokalfärbung sich bemerkbar macht, obzwar sie im Allgemeinen der Entwickelung der italienischen Skulptur treu folgen, sind hervorzuheben: Andrea Riccio aus Padua (Bronzekandelaber in S. Antonio, Grabm. der Torriani in S. Fermo in Verona), Aless. Leopardi u. A. Den Zustand der lombardischen Bildnerei im 15. und 16. Jahrhundert kann man am besten an der Karthause bei Pavia erkennen, deren Statuen- und Reliefschmuck bekanntlich so gross ist, dass darüber die architektonische Wirkung des Baues verloren geht, so wie an dem Mailänder Dome. Antonio Amadeo, Andrea Fusina, il Gobbo, und später Ant. Begarelli und der übermüthige Marco Agrate, der sich Praxiteles gegenüberstellte, sämmtlich nebst vielen Anderen an der Karthause thätig, genossen bei ihren Zeitgenossen den grössten Ruhm.

§. 97.

Wir kehren nach dieser Andeutung der ausgedehnten Blüthe der italienischen Bildnerei zu den Florentinern zurück. Der Wettstreit, welcher sich über die Anfertigung der Bronzethüren am Baptisterium 1401 entspann, belehrt uns über den äusseren glänzenden Zustand der florentinischen Kunst und die Namen der Hauptmeister. Nach getroffener Auswahl unter den zahlreichen Bewerbern wurden sechs Meister, alle Toskaner, zur Probearbeit zugelassen: Brunelleschi, Jacopo della Quercia, Niccolo aus Arezzo, Francesco di Valdambrina, Simone da Colle und Lorenzo Ghiberti. Der Letztere trug den Preis davon. An der Tafel des Jacopo della Quercia setzte man den Mangel an Zartheit, an jener des Niccolo († 1417) die kurzen Verhältnisse aus — sie erschienen im Vergleiche zu Ghibertis Arbeit alterthümlich. Und in der That, wenn man die Bildwerke Jacopos, der auch den Namen della Fonte — nach den Brunnenskulpturen in Siena (1416–19) führt, namentlich die Grabdenkmäler in der Kathedrale und in S. Frediano zu Lucca (andere Werke: Portal von S. Petronio in Bologna, Bronzereliefs in S. Giovanni zu Siena) betrachtet, so stösst man noch in der Anlage und Ausführung an Anklänge des älteren Styles, von welchen sich Lorenzo Ghiberti (1378–1455), ursprünglich ein Goldschmied, vollkommen befreite. Ghiberti that aber im Laufe seiner Entwickelung noch mehr, als dass er in der Composition nach Klarheit und zierlicher Gruppirung strebte, und die einzelnen Gestalten mit lebendigem Ausdrucke und in der Form der Antike verwandt darstellte. Die[S. 230] ältere Bronzethüre (1402–1424) bewahrt noch den einfachen plastischen Styl; dagegen wollte er in der jüngeren (1424–1447) und im Grabmale des heiligen Zenobius (1439), wie er selbst sagt, »die Natur auf alle Weise nachahmen, im Maasse, in den Lineamenten, in schönen Zusammensetzungen und im Reichthume der Figuren.« Die Composition erhält ein malerisches Gepräge, die Ausführung zeigt die perspektivischen Gesetze berücksichtigt, der Hintergrund hat ein flacheres Relief als der Vorderplan, die nahestehenden Figuren sind grösser, die entfernteren kleiner gearbeitet. Beruht auch dieser malerische Styl in der Plastik auf einer Verirrung der Phantasie, so lässt sich dennoch die grosse Wirkung der Ghibertischen Arbeiten, namentlich der jüngeren, überaus reich dekorirten Bronzethüre, welche Michelangelo würdig hielt, an den Pforten des Paradieses zu stehen, nicht wegläugnen. Gleich den Reliefs sind auch die Statuen Ghiberti's am Or S. Michele (heil. Stephan und Matthäus) in Bronze gegossen.

Ghibertis Reliefstyl kann nur aus dem Anschluss an die zeitgenössische Malweise erklärt werden. Wie die lombardischen Bildhauer die Malereien ihrer Heimath wiedergeben, so befolgen auch die florentinischen Bildner die Richtung, welche die Hauptkunst des Zeitalters mit so grossem Erfolge eingeschlagen. Es galt aber in der florentinischen Malerei der durchgreifende Realismus, die scharfe und vollendete Auffassung der Natur als die nächste Aufgabe. Dasselbe Streben offenbaren Ghibertis Compositionen, den gleichen Weg schlägt auch Donatello (Donato di Betto Bardi 1383–1466) ein, nur dass er den Hauptnachdruck auf die Charakteristik innerer Affekte legt, und mit grosser Vorliebe bei der Schilderung leiblicher Bewegungen und des äusseren Lebens verweilt. Er kommt dadurch den antiken Formen näher, fällt aber gleichzeitig in die Gefahr, wie z.B. bei dem in S. Croce bewahrten Holzkruzifixe, die ideale Wahrheit vermissen zu lassen. Die wichtigsten Werke Donatellos, wie bei allen Bildnern seiner Zeit, sind die Reliefarbeiten, in welchen er den antiken Styl mit grossem Glücke wiedergab: Verkündigung in S. Croce, tanzende und musizirende Kindergruppen bald in Marmor, bald in Bronze (Dom und Uffizigalerie in Florenz, Kanzel in Prato und Altarstaffeln in S. Antonio zu Padua), zahlreiche Reliefplatten an Grabmälern (Neapel, Rom, Montepulciano), Kanzeln (S. Lorenzo in Florenz) u. s. w. Donatellos Richtung brachte es mit sich, dass er[S. 231] statuarische Werke mit grösserem Glücke als Ghiberti ausführte. Die Kenntniss des äusseren Lebens, die Fähigkeit scharfer charakteristischer Auffassung, das energische Studium der Antike, welcher er nicht selten Motive für seine Darstellungen entlehnte (Schale mit Silen und einer Bacchantin), und durch Anregung zu Sammlungen, durch Restauration verstümmelter Werke (Marsyas) seine Anhänglichkeit bezeigte, waren ebenso viele Bedingungen zu einem günstigen Erfolge in der statuarischen Kunst. Der Kahlkopf (zuccone) auf dem Kampanile neben dem Dom und der hl. Georg und Markus am Or S. Michele, die Judith in der Loggia dei Lanzi (Bronze), David in den Uffizi, haben als treffliche Charakterbilder voll Wahrheit und Leben, sowie als Zeugnisse für den wohlberechnenden technischen Verstand des Meisters (die Feinheit der Ausführung machte er von der Entfernung des Standpunktes abhängig, und vermied alle gespreizten Stellungen und ungestützten Bewegungen), mit Recht einen grossen Ruhm erlangt. Weniger glücklich war er in seinem Holzbilde der Magdalena (Baptist. zu Florenz) und in der Bronzestatue Johannes d. T. im Dome zu Siena (auch sonst noch und besser dargestellt), wo ihn sein realistisches Streben auf die Würde der Erscheinung vergessen liess. Ausserdem rühren noch von Donatello mehrere Büsten und die Reiterstatue Gattamelatas vor S. Antonio in Padua, das erste in grossen Verhältnissen ausgeführte Gusswerk Italiens, her. Sein längerer Aufenthalt in Padua verschaffte ihm hier mehrere Schüler (Jac. Vellano, Giovanni aus Pisa); den grössten Einfluss übte er jedoch auf seine Zeitgenossen und Nachfolger in Florenz. Einzelne derselben, welche noch mit der älteren Richtung des Andrea Pisano und Orcagna zusammenhängen, wurden bereits oben genannt, so Niccolo aus Arezzo, in Florenz, Arezzo, Rom und Bologna beschäftigt, und auch als Baumeister thätig. Gleichfalls der älteren Richtung angehörig sind die Schüler des Jacopo della Quercia: Niccolo aus Bologna oder Dalmatien († 1494) wegen seiner Betheiligung am Grabmale des hl. Dominik in Bologna, dell'arca genannt, und Lorenzo di Pietro aus Siena († 1482). Für eine andere Gruppe von Bildnern können wir nur im Allgemeinen die Einwirkung der florentinischen Hauptmeister annehmen und müssen sie denselben nebengeordnet anführen: Nanni d'Antonio di Banco († 1421), eine träge, aber bescheidene Natur, wie ihn Vasari charakterisirt, dessen Statuen am Or San Michele ihn nur als einen untergeordneten Künstler[S. 232] erscheinen lassen; auch musste seinem geringen technischen Geschicke Donatello zu Hülfe kommen; Matteo Civitali aus Lucca (1435–1501), ein Meister voll des liebenswürdigsten naiven Naturalismus, den Malern des 15. Jahrhunderts innig verwandt (Hauptwerke in Lucca, unter ihnen ein hl. Sebastian [Kapelle des Volto santo], den angeblich Perugino kopirte), dann die Baumeister Brunelleschi (Holzkruzifix in S. Maria Nov. und Relief der Opferung Isaaks im Wettstreite mit Ghiberti), Benedetto da Majano, als Holzarbeiter berühmt, aber auch als Marmorbildner (S. Maria Nov., S. Croce und Misericordia) von zahlreichen Verdiensten, Francesco di Giorgia in Siena, Michelozzo mit Donatello gemeinsam thätig, A. Filarete in Rom u. A.

Eine selbständige Stellung nimmt auch die Künstlerfamilie der Robbia in Anspruch, durch das Betreiben eines eigenthümlichen Kunstzweiges, der bemalten und glasirten Terrakotten, bekannt, und bis in das 16. Jahrhundert (Santi Buglioni) thätig. Der Stifter, Lucca della Robbia († nach 1472), ist Ghiberti vielfach verwandt, und übertrifft ihn noch in der Einfachheit der Gruppirung und der Wahrheit der Bewegungen. Zu seinen früheren Arbeiten gehören die Marmorreliefs an der Orgelbühne im Florentiner Dome, Musikchöre darstellend und mit überraschender Lebendigkeit gearbeitet, dann die Bronzethüren an der Sakristei daselbst (seit 1446), das Grabmal des Bischof Ben. Federighi von Fiesole in S. Franc. di Paola; seine Hauptthätigkeit bezog sich aber auf den Betrieb der bald zum Handelsartikel gewordenen Terrakotten. Die ältesten derartigen Werke fertigte er für den Dom: Auferstehung und Himmelfahrt Christi (1446), zahllose andere sodann mit Hülfe seiner Brüder und Neffen (Andrea, geb. 1444) für Kirchen und Privatwohnungen in Florenz, für Spanien, Frankreich und Neapel. Die Terrakotten sind entweder weiss glasirt auf blauem Grunde oder auch vollständiger bemalt. Formenschärfe ist diesen, in den meisten Museen Europa's vertretenen Thonreliefs selten eigen, wohl aber eine ausdrucksvolle Zierlichkeit und Anmuth.

Wichtiger ist die Reihe jener florentinischen Bildner des 15. Jahrhunderts, welche die von Ghiberti und Donatello eingeschlagene Richtung weiter verfolgen, und namentlich durch die Verbindung beider Stylarten eine höhere Entwickelung anstreben. Obgleich Ghiberti von grossem Einflusse auf die Folgezeit blieb, so bildete[S. 233] doch nur Donatello eine eigene Schule. Antonio Pollajuolo († 1498), welcher mit Ghibertis Sohne, Bonaccorso, dem Meister an der Laubwerkeinfassung der jüngeren Bronzethüre half, und gleich Ghiberti das Goldschmiedhandwerk mit dem grössten Erfolge übte, kann als Bildhauer (Grabm. Sixtus IV. und Innocenz VIII. in der Peterskirche) unmöglich Ghiberti angereiht werden; dagegen zog Donatello mehrere unmittelbare Schüler, so den vielseitigen Andrea Verrocchio aus Florenz 1432–1488, Desiderio da Settignano (thätig 1453), Bertoldo, der Leiter einer förmlichen, von Lorenzo Medici gestifteten Kunstschule, Antonio Rossellino u. s. w. Von den Genannten besitzt Verrocchio, ursprünglich Goldschmied, die grösste Bedeutung. Seine Marmorarbeiten (Relief am Grabmale der Tornabuoni in der Uffizigal.) zeugen zwar von keiner grossen technischen Uebung, und auch einzelne seiner Gusswerke (Christus und Thomas am Or S. Michele) verrathen eine gewisse Trockenheit und ängstliche Ausführung, doch gehören andere, wie der geflügelte Knabe mit dem Delphin unter dem Arme auf der Brunnenschale im Pal. vecchio zu Florenz, die Reiterstatue des Colleoni in Venedig, zu den schönsten Werken des Jahrhundertes, dessen künstlerische Richtung durch die strengen Naturstudien Verrocchios wesentlich mitbestimmt wurde. Er hat zwar den Gebrauch der Gypsabgüsse nach der Natur nicht erfunden, wohl aber verbreitet und zu künstlerischen Zwecken benützt. Ant. Rossellino konnte schon die von Donatello empfangenen Anregungen mit der fortgeschrittenen Technik und den fliessenderen Formen Ghibertis in seinen Werken (zahlreiche Grabmäler in Florenz, Neapel, Lyon, anmuthiges Presepio in Maria di M. Oliveto in Neapel u. s. w.) verbinden. Wie Antonio, so wurde auch sein Bruder Bernardo, dann Desiderio und dessen Schüler Mino da Fiesole († 1486) zumeist mit Grabskulpturen betraut, in welcher Gattung von Kunstwerken die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts eine grosse Vollendung erreicht. Sie übertreffen die älteren Grabmonumente in Technik und Ausführung, und halten doch an der traditionellen Anordnung (Sarkophag in einer mit christlichen Reliefs geschmückten Nische) fest; von den jüngeren unterscheiden sie sich aber vortheilhaft durch die grössere Naivetät der Gedanken, die unmittelbare Lebendigkeit der übrigens fast durchgängig malerischen Composition. Nächst Florenz sind auch die Grabskulpturen in Rom, wo im Anfange des Jahrhunderts Paolo Romano mit mehreren Schülern blühte, und später[S. 234] Mino da Fiesole einflussreich wurde, bemerkenswerth. Am Anfange des 16. Jahrhunderts kommt die Richtung, welche namentlich Donatello eingeschlagen, der bewegte, affektvolle Realismus, zum vollständigen Durchbruche. Das malerische Element in der Bildnerei geht keineswegs verloren, nur tritt es nicht mehr in der naiv reizenden Weise der Ghiberti'schen Reliefkunst, sondern viel bewusster, in leidenschaftlich bewegten, überkräftigen und überströmenden Formen auf. Der Anschluss an die Antike schliesst bei aller Innigkeit das Selbständige in den Gedanken und Formen der Bildnerei des Cinquecento nicht aus; es werden ihr zahlreiche Motive der Darstellung entlehnt, und die reinen plastischen Formen abgelauscht; was von der Antike nicht gelernt wurde, worin sich die Zeit selbst produktiv erwies, das ist die Herrschaft der Skulptur über die Baukunst, welche letztere nur eine untergeordnete dekorative Geltung für sich in Anspruch nimmt, das ist weiter die dramatische Tendenz in der Bildnerei, der Ausdruck eines stürmisch erregten Lebens, die oft dämonische Grösse, welche in den einzelnen Gestalten waltet. Den Schlüssel zum Verständnisse dieser Kunstrichtung gibt die Geschichte des Zeitalters, gibt namentlich die Lebensgeschichte des Mannes, welcher ihr einen klassisch vollendeten Ausdruck gab — Michel Angelo Buonarotti's. Darin, dass die Plastik des 16. Jahrhunderts vorzugsweise der Ausfluss einer scharf ausgeprägten Individualität ist, liegt ihre fesselnde Wahrheit, aber auch die Nothwendigkeit des raschen Verfalles. In den Händen anderer Personen, welche zum abstrakten Gesetze stempeln, was in dem einzigen schöpferischen Individuum das Resultat innerster Lebensthätigkeit ist, musste sie zur conventionellen Lüge werden.

Neben Michelangelo bemerken wir noch zahlreiche Künstler wirkend, welche sich weniger scharf von dem Grunde der vorausgegangenen Kunstentwicklung abheben, die ältere Richtung abschliessen, die jüngere einleiten. Zu ihnen gehören Andrea di Ferrucci aus Fiesole († 1522), Benedetto da Rovezzano († nach 1550), vielfach in dekorativer Skulptur thätig, in den Reliefs zum Grabe des hl. Gualberto (Uffizigalerie) noch an Ghiberti erinnernd, dessen malerischen Styl er aber in dem Grabmale Soderinis (del Carmine) zum Kunststücke übertrieb (er wollte in dem Baldachin schwarzes Tuch nachahmen), Baccio da Montelupo (eigentlich Bartol. Lupi), von welchem ausser zahlreichen Holzkruzifixen die Bronzestatue des[S. 235] Ev. Johannes am Or S. Michele bewundert wird, Leonardo da Vinci, wie Giovanni Rustici, Schüler des A. Verrocchio. Das harte Schicksal, welches Leonardos Werke überhaupt traf, beraubte uns auch der riesigen Reiterstatue des Herz. Franz I. Sforza, deren Modell Leonardo zweimal fertigte, ohne zum Gusse desselben zu gelangen. Doch sollen die drei berühmten Statuen über der Hauptthüre des flor. Baptisteriums: Johann Bapt., ein Pharisäer und Levite, ein Werk des in Frankreich verstorbenen Giov. Rustici, unter Leonardos Einfluss entstanden sein. Sie gehören in der That zu den schönsten Schöpfungen des 16. Jahrhunderts.

Aus der Schule A. Pollajuolos ging Andrea di Contucci aus Sansovino (1460–1529) hervor. Weit zerstreut sind die zahlreichen Werke dieses höchst bedeutsamen Meisters: in Portugal, Genua (Domk.), Loreto, wo er die Marmorverzierung der santa casa leitete und einzelne Reliefs selbst ausführte, Florenz (Taufe Christi in Statuen in S. Giov. und Kap. Corbinelli in S. Spirito), Rom (S. Agostino: Gruppe der hl. Anna und Madonna. Grabmäler in S. Maria del Popolo, berühmt wegen der Schönheit der ornamentalen Theile) u. s. w. Steht schon Andrea Sansovino dem Genius Buonarottis nahe, nur dass er in dem Ausdrucke der Kraft noch Maass hält und eine grössere Milde entfaltet, so geht sein Schüler Jacopo Tatti Sansovino (1477–1570) noch tiefer in Michelangelos Formengebung ein. Tatti machte seine Kunststudien zuerst in Florenz bei dem älteren Sansovino, dessen Beinamen auch ihm beigelegt wurde, dann in Rom (Kopie Laokoons); nach der Plünderung Roms durch den Connétable von Bourbon 1527 wanderte er nach Venedig, wo er als Baumeister und Bildner eine grossartige Thätigkeit entfaltete und eine zahlreiche Schule hinterliess. Von seinen älteren Werken ist namentlich sein Bacchus (Uffizigal.) durch sein Ebenmaass und die freie Haltung bemerkenswerth; in Venedig ragen die Sakristeithüre in S. Marco, nach dem Muster des Ghiberti'schen Werkes, nur kräftiger und freier gearbeitet, die Kolosse an der Treppe des Dogenpalastes: Mars und Neptun, S. Marcus über dem Portale von S. Giulia, die Kanzelreliefs in S. Marco und in der Kap. del Santo (Antoniusk.) in Padua hervor, wo der neuere plastische Styl bereits in aller Schärfe auftritt. Seine Liebe zur Antike bewiesen ausser den bereits angeführten Werken die Statue des Apollon an der Loggetta des Glockenthurmes von S. Marco, die für den Herzog von Ferrara gearbeitete Statue[S. 236] des Herkules und eine als ungemein schön gerühmte Statue der Venus für den Herzog von Mantua. Die Zahl seiner Schüler aus allen Theilen Italiens gibt Vasari, nur auf die berühmteren sich beschränkend, auf zehn an, darunter den Baumeister Ammanati in Florenz, Al. Vittoria, in der Ausführung von Marmorbildnissen geschickt, Tizian aus Padua, Danese Cattaneo und Girolamo aus Carrara, Niccolo Tribolo in Florenz, Luca Lancia aus Neapel u. s. w. Unter den Zeitgenossen Michelangelos darf auch Raphael nicht unerwähnt bleiben, von welchem, ausser dem Jonas in S. M. del popolo in Rom, die wunderbar schön componirte Gruppe des vom Delphin getragenen todten Kindes (zu Downhill in Irland) als Proben seiner allseitigen Grösse erhalten sind.

§. 98.

Michelangelo Buonarotti (1474–1563), den wir bereits als Baumeister kennen lernten und auch auf dem Gebiete der zuerst erlernten Malerei verfolgen werden, bildet den Mittelpunkt der neuern italienischen Bildnerei. Die Einheit in dieser bewunderungswürdig reichen, fast alle Zweige des menschlichen Könnens und Wissens umspannenden Thätigkeit gab sein gediegen ausgearbeiteter, nach dem Maassstabe eines Helden zugeschnittener Charakter. Stürmisch und leidenschaftlich in seinem Wollen und Dichten, ebenso wenig unbekannt mit persönlichen Leiden, die ihn namentlich als Künstler hart trafen, wie mit tragischen Conflikten, als es sich darum handelte, zwischen dem kunstliebenden Fürsten und dem bedrohten Vaterlande zu wählen, als Künstler stolz und vor keiner irdischen Grösse sich beugend, als Freund der zartesten Regungen fähig, als Mensch erhaben denkend und einsam lebend — so schauen wir die persönliche Erscheinung des grossen Florentiners und finden darin den Schlüssel zur Erkenntniss des Charakters seiner Werke. Die ruhige Schönheit und Anmuth, den ungebrochenen Frieden zu schildern, in lyrischen Zügen sich zu ergehen, am glänzenden äusseren Schein der Dinge zu verweilen, war nicht seine Sache; er hatte, seiner persönlichen Entwicklung entsprechend, nur Sinn für das dramatisch Erhabene, für die Schilderung eines grossartig bewegten Lebens, für das energische Erfassen der Grundzüge, welche hinter der zufälligen äusseren Erscheinung lauschen. Dies erklärt Michelangelos Grösse als Bildhauer und das vorherrschende plastische Element in seinen Malerwerken, seine Bedeutung als Freskomaler, seine geringe Liebe für die Oelmalerei.

[S. 237]

Michelangelo erhielt seinen ersten Unterricht in der Malerwerkstätte des Dom. Ghirlandajo, seine Bildung in der Skulptur gemeinsam mit dem abenteuernden Pietro Torrigiano (Hauptwerk: Grabmal Heinrichs VI. in der Westminsterabtei) u. A. in der früher erwähnten mediceischen Kunstschule. Die Erstlingswerke: Faunenkopf, Relief der Centaurenschlacht in der Casa Buonarotti zu Florenz, ein Engel und ein hl. Petronius am Grabmal des hl. Dominik in Bologna, zeigen noch nicht den künstlerischen Charakter des Meisters in voller Entfaltung. Aus seiner römischen Studienzeit (1496) stammen die vielbewunderte Gruppe des Bacchus mit dem naschenden Satyr (Uffizigalerie), und die gross gedachte und technisch vollendete Pietàs (Maria mit dem Christusleichname) in der Peterskirche, aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts (1501), nachdem er nach Florenz zurückgekehrt, der aus einem verdorbenen Blocke geschickt herausgehauene David und die nur aus dem Gröbsten gearbeitete, aber meisterhaft angelegte Statue des Ev. Matthäus (in der florentinischen Akademie). Durch diese Werke und die gleichzeitige Thätigkeit in der Malerei war Michelangelos Ruf schon zu grosser Höhe gelangt; der Auftrag, den ihm der geistesverwandte Papst Julius II. gab, sollte denselben noch steigern, der Richtung des Meisters genugthun und auch durch die äussere Riesenhaftigkeit alles Vorhandene übertreffen. Es galt das Grabmal dieses Papstes zu errichten. An dem dekorativen Unterbaue sollten nach dem ursprünglichen Entwurfe (der aber mehrfach umgeändert wurde), ausser den Bronzereliefs, 40 Statuen allegorischen, christlichen und heidnischen Inhaltes angebracht werden, zuoberst aber der Sarg des Papstes, von den Engeln der Trauer und der Freude getragen, ruhen. Wiederholte Störungen verhinderten die Ausführung, und schränkten die grossartige Anlage auf die gegenwärtige Gestalt (S. Pietro in vincoli) ein. Zwei Gefesselte im Louvre, eine andere Gruppe im Palazzo vecchio zu Florenz (ein Gefangener zu den Füssen eines nackten jugendlichen Helden), die hart angefochtene, jedenfalls gewaltsam ergreifende Statue des Moses, und jene des thätigen und beschaulichen Lebens an dem Grabmale selbst, sind allein aus der Hand des Meisters hervorgegangen. Eine Skizze des Moses, in Thon gebrannt, noch reiner im Ausdruck als die grosse Statue, befindet sich auf Bellevue bei Cöpenick. Ein kaum geringeres Missgeschick traf andere Arbeiten Michelangelos, wie die Kolossalstatue Julius II., später in eine Kanone umgegossen, der Kopf aber[S. 238] spurlos verschwunden. Auch die Grabmäler der Julian und Lorenzo di Medici in der Sakristei von S. Lorenzo zu Florenz kamen nicht zur Vollendung. Man muss sich mit der Bewunderung der einzelnen Gestalten begnügen, da der ideelle Zusammenhang derselben untereinander und ihre Beziehung zum Denkmale unaufgeklärt bleibt. An dem Sarkophage Lorenzos ruhen die Morgen- und Abenddämmerung, an jenem Julians der Tag und die Nacht. Die Krone des Werkes, an welchem mit Recht eine gewisse Absichtlichkeit der Stellungen getadelt wird, ist die Statue Lorenzos, gedankenvoll sinnend (il pensiero) in ruhiger, meisterhaft gedachter und ausgeführter Haltung. Noch bleiben als Bildwerke Michelangelos zu erwähnen: Christus mit dem Kreuze in S. M. sopra Minerva zu Rom, Apollo in der Uffizigalerie, die Madonna in S. Lorenzo zwischen den oben angeführten Grabmonumenten, die Kreuzabnahme im Dom zu Florenz, P. Paul III. im Museum zu Neapel, und eine Madonna, das Christkind vor sich haltend, in Notredame zu Brügge, ursprünglich für Genua bestimmt.

Neben Michelangelo konnte sich keine selbständige Richtung in der Bildnerei erhalten. Sein Einfluss wurde für alle seine jüngeren Zeitgenossen maassgebend und für das Schicksal der italienischen Kunst entscheidend. Zum Guten konnte er nicht ausschlagen, da das Grosse und Bedeutende an Michelangelos Kunst Sache der persönlichen Entwickelung war. Seine Gestalten greifen mehr nur in der Conception über das Plastische hinaus; in der äusseren Form wusste er noch die Gesetze der Bildnerei meisterhaft zu wahren oder durch den kühnen Gedankenwurf zu motiviren; bei seinen Nachfolgern ging aber gerade in der äusseren Gestaltung das Verständniss des Plastischen verloren, und es blieb bei dem Uebermaasse der äusserlichen Hast und Bewegung, bei den anatomischen Schaugerichten. Von seinen unmittelbaren Schülern sind Giacomo del Duca, ein Sizilianer, Raphael da Montelupo, fra Giovanni Montorsoli zu nennen. Auch Michelangelos böser Gegner, Baccio Bandinelli (1487–1559), dessen Leben bereits die schlimmen Seiten des Künstlerdaseins offenbart, den Neid, die Eifersucht, die Eitelkeit, die Geldgier, wovon die folgenden Zeitalter so reich sind, musste sich dem Einflusse des grossen Meisters beugen. Seine Werke oder wenigstens die Entwürfe zu denselben sind sehr zahlreich (die wichtigsten: Hercules und Cacus vor dem Pal. vecchio zu Florenz, das Grabmal Giov. di Medici auf dem Platze S. Lorenzo, der Chorschmuck im Dome u. s. w.),[S. 239] und noch immer den besseren Werken des Jahrhunderts beizuzählen. Ausserdem gehören noch Pierino da Vinci, Guglielmo della Porta, von welchem das geschätzteste Grabmonument in der Peterskirche, jenes Paul III. herrührt, Vicenzio Danti, Giovanni da Bologna, ein Niederländer von Geburt, und Benvenuto Cellini (1500–1572) zur Nachfolge Michelangelos. Der letztgenannte Meister, durch seine ausführliche Selbstbiographie genugsam bekannt, war zwar ursprünglich ein Goldschmied und erwarb auch in diesem und den verwandten Fächern den grössten Ruhm (ein Salzfass oder richtiger Tafelaufsatz, Becher und Kanne in Wien, ein Schild in Windsor, Buchdeckel in Neapel); doch wirkte er auch als Bildhauer, wie das Relief der Nymphe von Fontainebleau (Louvre), die Bronzestatue des Perseus in der Loggia dei Lanzi, die Kolossalbüste des hl. Cosimus in der Uffizigalerie, ein Marmorkruzifix (in Spanien) u. a. beweisen.

Auf die durch Cellini so vortrefflich getriebene Goldschmiedkunst und die verwandten Zweige der Medaillenkunst, des Gemmenschnittes, der Waffenschmiede muss ein besonderer Nachdruck gelegt werden, soll die ganze Ausdehnung der italienischen Kunstblüthe richtig erkannt werden. Die grosse Zahl der Männer, welche von Goldschmieden zu Kunstbildnern emporstiegen, beweist an sich dies regsame Leben im Kunsthandwerke. Von den florentinischen Goldschmieden des 15. Jahrhunderts führen wir nur Tommaso Finiguerra (1426–1464) an; er war als geschickter Arbeiter in Niello (Metallplatten mit gravirten Umrissen) berühmt, und soll nach Vasari zuerst auf den Gedanken gekommen sein, von diesen gravirten Platten Abdrücke in Schwefel und auf Papier zu machen, und so den Kupferstich erfunden haben. Die erste zu diesem Zwecke benützte Platte ist eine sogen. Pax (Platte, die bei feierlichen Messen zum Friedenskusse herumgereicht wird) vom Jahre 1450. Der unmittelbar von der Platte genommene Papierabdruck befindet sich im Pariser Kupferstichkabinet. Gegen beide Thatsachen wurde von Rumohr Einsprache erhoben. Es ist weder die Pax ein Werk Finiguerras, noch der Pariser Abdruck von der Originalplatte genommen (?). Die berühmtesten Medailleure des 15. Jahrhunderts sind in Oberitalien zu Hause: Vittore Pisano, Matteo Pasti, Giulio della Torre, Giov. Pomedello aus Verona, Giov. Fr. Enzola in Parma, Sperandio in Mantua, Fr. Francia in Bologna, Nicc. Cavallerino aus Modena u. A., woran sich die Steinschneider Giovanni delle Carniuole aus Florenz, Domenico de' Cammei[S. 240] in Mailand, Pier Maria da Pescia anreihen. Beide Kunstzweige wurden im 16. Jahrhundert, wie die Arbeiten des Giov. Bernardi, Alessandro Cesati, Matteo dal Nasaro, Valerio Vicentino u. A. beweisen, zur höchsten Blüthe getrieben.


3. Malerei.

§. 99.

Wir verliessen die italienische Malerei auf der Stufe freier individueller Composition, aber noch wenig ausgebildeter Formen. Wohl wird schon im 14. Jahrhundert auf die Naturwahrheit und die reale Schilderung des Lebens Rücksicht genommen. Um dies Streben aber zur Vollendung zu bringen, muss dem Künstler eine reiche Formenfülle zu Gebote stehen, auch das tiefere Wesen der malerischen Erscheinung mit feinem und eindringlichem Sinne erfasst werden. Diese Formenfülle zu schaffen, durch das Studium des Nackten und der Gewandung, durch die genauere Kenntniss der Gesetze, welche den Körperformen an sich und in ihren bestimmten Erscheinungen (Anatomie und Perspektive) zu Grunde liegen, die Wirkungskraft der Bilder zu erhöhen und der Phantasie vollkommene Ausdrucksmittel entgegenzuführen, ist die Aufgabe des 15. Jahrhunderts. Natürlich muss die italienische Malerei bei solchen Bestrebungen ein realistisches Gepräge annehmen und zuweilen die ideale Wahrheit vermissen lassen. Es führen dieselben namentlich zu einer behaglichen Breite der Composition, zum Herabziehen der Darstellung in die nächste Gegenwart. Das Porträt findet Eingang auch in religiöse Scenen; zu den handelnden Personen gesellt sich ein weiter Zuschauerkreis, ausgefüllt durch die kräftigen Bürger des 15. Jahrhunderts. Die eigentliche Handlung wird in den Hintergrund gerückt und nur als Motiv zur Schilderung zeitgenössischer Sitte und weltlichen Lebens benützt. Diese Neigungen rufen eine Verwandtschaft der florentinischen Malerei — denn Florenz ist auch im 15. Jahrhundert der Vorort der italienischen Kunst — mit der niederländischen hervor, welche auch äusserlich durch die Gunst niederländischer Maler bei den Florentinern und durch die Annahme der Oelmalerei kundgegeben wird. Der Maler Antonello da Messina[S. 241] soll die letztere über die Alpen gebracht und zuerst dem Domenico Veneziano mitgetheilt haben. Dieser machte sie in Florenz, und zwar dem Andrea del Castagno, bekannt. Doch geht diese Verwandtschaft über eine bestimmte Grenze nicht hinaus und erhält durch die Liebe zu reinem Formenmaasse und durch den altheimischen plastischen Sinn ein starkes Gegengewicht. Weder gewinnt das landschaftliche Element eine so grosse Ausdehnung wie in der nordischen Kunst (Alesso Baldovinetti 1425–1499 macht eine Ausnahme; seine Geburt Christi im Vorhofe der Annunciata zu Florenz wird wegen der fleissig-mühsamen Ausführung und der reichen Landschaft gerühmt, aber eben desshalb hier ein direkter niederländischer Einfluss vermuthet), noch siegt der formlose phantastische Zug oder der um die Form unbekümmerte derbe Naturalismus über die reinen Linien. Man braucht nur die Vorliebe für das Nackte, die Eigenthümlichkeit der italienischen Gewandmotive, die Sorge für den übersichtlichen Gruppenbau zu betrachten, um sich von der Scheidewand zwischen nordischer und italienischer Kunst zu überzeugen. So wenig als die Gegenwärtigkeit in der Composition, d.h. das Uebertragen der Handlung auf den unmittelbar heimischen Boden, kann das einseitige Verfolgen einzelner Formengesetze, die ausschliessliche Betonung der Perspektive oder Anatomie auffallen. Die erstere soll nach Vasari's Erzählung das Hauptaugenmerk des Paolo Uccello (1389–1472) gebildet haben; später wird Piero della Francesca (1408–1496) wegen seiner Kenntnisse in der Perspektive und Geometrie, sowie wegen seiner Fertigkeit in der Verkürzung der Figuren gerühmt. Die anatomische Richtung in einseitiger Härte wird namentlich durch A. Verrocchio und A. Pollajuolo, welche durch ihre plastische Thätigkeit in diese Richtung getrieben wurden, sowie durch Andrea del Castagno († 1480) vertreten. Die bewusste und grundsätzliche Nachbildung der Antike ist keineswegs im 15. Jahrhundert allgemein gültig, sie erscheint vielmehr nur als Lokalcharakter der paduanischen Malerschule. Nicht als ob hier die der Antike nachstrebende Kunstweise traditionell gewesen wäre; als aber der Maler Jacopo Squarcione (1394–1474) seine auf Reisen in Italien und Griechenland gesammelten Antiken in seiner Vaterstadt aufstellte, und einen regelmässigen Schulunterricht nach denselben einführte, musste diese Richtung nothwendig eine Zeit lang vorherrschen. Sie hat ihren[S. 242] Hauptvertreter in dem Paduaner Andrea Mantegna (1430–1506) und zählt als Hauptwerk, in welchem sich das Einleben in die Antike am schärfsten ausspricht, dessen Triumphzug Cäsars, in 9 Bildern mit Leimfarbe gemalt (in Hamptoncourt bei London), auf. Nicht darin allein, sondern auch in der überaus scharfen Auffassung der Natur, welche ihn in seinen älteren Werken zu einer mageren Härte verführte, in der energischen Durchführung der perspektivischen und der Farbenwirkungen liegt Mantegna's Verdienst. Seine ausgedehnteste Wirksamkeit fand er am Hofe der befreundeten Gonzagas in Mantua, ohne dass sich jedoch Wesentliches hier von ihm erhalten hätte. (Hauptwerke: Wandmalereien in der Eremitenkirche zu Padua, Tafelbilder in Verona, Rom, Florenz, Paris, Berlin u. s. w.) Die paduanische Schule bildet den Ferment in der Entwicklung der meisten übrigen Schulen, von ihr ist ebensowohl die Schule von Bologna (Marco Zoppo) wie die lombardische (Bramantino) abhängig; sie übte auf die Venetianer (Jac. Bellini, B. Vivarini, C. Crivelli), Ferraresen und wahrscheinlich auch Florentiner Einfluss, und zählte sonst noch zahlreiche Künstler zu ihren mittelbaren Nachfolgern, u. A. Melozzo da Forli (Himmelfahrt Christi in S. Apostoli in Rom).

Während alle hier genannten Künstler und Künstlergruppen mit raschem Schritte neue Bahnen aufsuchen, begegnen wir noch einzelnen conservativen Künstlerkreisen, welche nur geringen Antheil an der Formenentwicklung in der zeitgenössischen Kunst nehmen, durch eine eigenthümliche Zartheit der Empfindung, durch naive Heiterkeit oder stillvergnügte Frömmigkeit die ältere Richtung zu einer zweiten, überaus anziehenden Blüthe bringen. An der Spitze steht Gentile da Fabriano († 1450), ein Schüler des Allegretto Nuzi da Gubbio. Es haben sich nur wenige Werke desselben erhalten (Anbetung der Könige in der florentinischen Akademie 1423, ein ähnliches Bild im Berliner Museum, Krönung der Madonna in Mailand), sie genügen aber vollkommen, um den anmuthigen Sinn des Meisters, seine Freude an heiteren Lebensschilderungen zu charakterisiren. Vielleicht sein Schüler, jedenfalls auf das Innigste mit ihm verwandt, nur eingeschränkter in der Phantasie, ist das Ideal des kunstliebenden Klosterbruders: Fra Giovanni Angelico da Fiesole, ein Dominikanermönch (1387–1455). Sein Beiname Angelico charakterisirt ebenso gut seine Richtung, wie der Name[S. 243] Gentile die künstlerischen Eigenschaften des früher genannten Meisters. Die Gruppen in seinen Tafelbildern, die gleichartigen Kopfformen, die Schüchternheit der Bewegungen, Alles spricht noch für seine Anhänglichkeit an die ältere Kunstsitte; innerhalb dieser Schranken weiss aber Fiesole durch das religiöse Pathos seiner Schilderungen, durch den zarten und lieblichen Ausdruck der Köpfe, durch die reiche heitere Färbung im höchsten Grade zu fesseln (Fig. 91). Er ist der Vertreter der kirchlichen Kunst während des 15. Jahrhunderts, er ist aber weiter der vollendetste und darum auch noch in neuester Zeit nachgeahmte Träger der religiösen Malerei überhaupt. Tafelbilder von Fiesole's Hand sind gar häufig (Galerie der florentinischen Akademie, Louvre [Himmelfahrt Mariä], Perugia u.s.w.); viel bedeutender sind die Freskobilder, mit welchen er ausser der Kapelle des P. Nikolaus im Vatikan (Leben der hh. Stephan und Laurenz) und dem Dome von Orvieto, die Zellen, den Kapitelsaal und den Kreuzgang des Klosters S. Marco in Florenz schmückte. Hier ist namentlich die rührende Darstellung der Kreuzigung im Kapitelsaale der grössten Beachtung werth.

Fig. 91. Fra Giovanni Angelico.

Fiesole's Richtung konnte natürlich gegenüber den entgegen[S. 244]gesetzten Bestrebungen seiner Zeitgenossen nicht durchgreifen; selbst seine unmittelbaren Schüler, wie Benozzo Gozzoli, wurden auf die Bahn des Realismus gezogen, doch blieb er nicht ohne Einfluss auf die Kunstweise seiner Zeit; er hält durch sein Beispiel das religiöse Kunstelement aufrecht und bildet eine wohlthätige Ergänzung der übrigen Bestrebungen; in ähnlicher Weise wie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die umbrische von den Sienensern, von Gentile u.A. angeregte Schule (Benedetto Bonfigli, Fiorenzo di Lorenzo, Matteo da Gualdo, Pietro A. da Fuligno u. A. später zu nennende) ergänzend den Florentinern entgegentritt.

§. 100.

Als das Haupt der Florentiner Schule gilt mit Recht Tommaso aus der Familie der Guido, gewöhnlich Masaccio genannt (1402–1443). Seine Künstlerbildung verdankt er dem Masolino da Panicale († ung. 1418), einem um die Freskotechnik verdienten Manne, welcher wieder als der Schüler des wenig bekannten Starnina angeführt wird. Man irrt nicht, wenn man der gleichzeitigen Skulptur einen grossen bestimmenden Einfluss auf den florentinischen Malerstyl zuschreibt, wodurch die unter den letzten Ausläufern Giottos sinkende Kunst wieder aufgefrischt wurde, und die verbesserte Technik, die dadurch gewonnene Möglichkeit harmonischer Färbung und zarter Carnation als weiteres Förderungsmittel annimmt.

Masaccios Styl kann man nicht an den ihm zugeschriebenen Fresken in S. Clemente in Rom, wohl aber an den Gemälden in der Karmeliterkirche (Cap. Brancacci) zu Florenz erkennen. Masolino hatte hier das Leben Petri begonnen, nach Masaccios frühem Tode ein späterer Florentiner Filippino Lippi das Werk beschlossen. Masaccios Bilder, ausgezeichnet durch die klare und würdige Lebendigkeit der Composition, die treffliche Rundung der Körper, die Durchbildung des Nackten, die feinere Berechnung der Lichtwirkungen haben für das 15. Jahrhundert die gleiche Bedeutung, wie zwei berühmte Cartone Vincis und Michelangelos für das 16. Sie dienten den Zeitgenossen als unerschöpfliches Studium, und vererbten Masaccios Weise nicht nur auf einzelne Nachfolger, sondern auf die gesammte Schule.

Die Verdienste und Eigenthümlichkeiten der Letzteren lernt man nicht an den Tafelbildern, die sie nur nebenbei fertigten, sondern an den Freskogemälden erkennen. An diesen gewahrt man den[S. 245] immer weiter vordringenden Realismus, das energische Streben nach lebensvoller Auffassung und sinnlich wahren Formen, so schon an den Werken eines jüngeren Zeitgenossen Masaccios, des abenteuernden Fra Filippo Lippi († 1469) in Prato (Leben des h. Stephans und Johannes des Täufers) und Spoleto (Scenen aus dem Leben Maria's). Ungleich in der Ausführung, oft nur flüchtig und sorglos bemüht, die Räume mit Gestalten auszufüllen, hält Lippi daran fest, die unmittelbare Naturwahrheit der einzelnen Gestalten durch eine lebhaft bewegte Handlung und affektreiche Schilderungen zu unterstützen. Dieses Streben theilt sich seinen Schülern Francesco di Pesello und Sandro Filippi, genannt Botticelli, 1437–1515 (Hauptwerk in der Sixtina: Leben Moses in zwei Bildern, jenes, welches Moses Geschichte von der Tödtung des Aegypters bis zum Auszuge schildert, ungemein grossartig in der Bewegung und im Ausdrucke, und die Versuchung Christi) mit (Fig. 92), und durch[S. 246] den Letzteren auch seinem Sohne Filippino Lippi (1460–1505). Dieser oft flüchtig wie sein Vater und hastig bewegt wie sein Lehrer, beweist in anderen Werken wieder einen Schönheitssinn von seltener Reinheit (Madonnaköpfe) und eine schwungvoll dramatische Auffassung (Fresken in del Carmine, S. Maria novella [Apostelgeschichte] in Florenz und M. sopra Minerva [Leben des h. Thomas] in Rom).

Fig. 92. A. Botticelli.

Verschieden von dieser Malergruppe, weniger auf bewegte Handlungen und affektvolle Bewegungen, als auf die sinnliche Wahrscheinlichkeit und Richtigkeit in der Charakteristik des Einzelnen zielend, ist der Styl des mit dem Alter zurückschreitenden Cosimo Roselli († 1506), dessen bestes Werk die Versetzung eines wunderthätigen Kelches in S. Ambrogio zu Florenz darstellt (ausserdem Fresken in der Sixtina und mehrere Tafelbilder). Das Höchste in dieser ruhig gemessenen Auffassung des Lebens leistet Domenico Ghirlandajo (1449–1495). Er vor Allen weiss den Darstellungen der heiligen Geschichte eine unmittelbare gegenwärtige Wahrheit zu verleihen, indem er sie im Kreise seiner Zeitgenossen, ruhigen, aufmerksamen Zuschauern mit würdigen Köpfen und edel abgemessener Haltung, sich ereignen und abwickeln lässt, und erwirbt in stetigem Wetteifer mit sich selbst und den anderen Künstlern eine immer grössere technische — seine Fresken sind unübertrefflich gemalt — und künstlerische Vollendung. Die naive Unbefangenheit, mit welcher er Porträtfiguren entfernten historischen Scenen einverleibt, hat durchaus nichts Störendes, erhöht vielmehr nur den Reiz der malerischen Behandlung. Hauptwerke: In der Sixtina: Berufung der Apostel 1480, in Ognissanti zu Florenz: das Abendmahl 1480, Trinita: Leben des hl. Franciskus 1485, S. Maria Novella, Leben der Maria 1490, Dom in Pisa: Engelreihen 1494. Domenico's nächste Nachfolger sind seine Brüder David und Benedikt und Francesco Granacci, sein grösster Schüler aber Michel Angelo.

Neben diesen Hauptrichtungen nimmt Benozzo Gozzoli (1424 bis 1485) eine eigenthümliche Stellung ein. Er theilt mit seinen Zeitgenossen, besonders mit Domenico, das freudige Behagen an Schilderungen der unmittelbaren Wirklichkeit und ergeht sich in wahrhaft epischer Breite; auch seine Werke sind durch den Reichthum der Motive, die liebevolle Ausführung, die Fülle lebendiger[S. 247] Episoden überaus anziehend, doch weiss er die plastischen Formen minder gut handzuhaben, und wirkt mehr durch die Anmuth, mit welcher er Körperbewegungen darzustellen und selbst rasch vorübergehende Situationen festzuhalten weiss, und durch jene zarte Physiognomik, welche Fra Angelico, sein Lehrer, zuerst in das Leben gerufen hatte. An dem reichen Bilderschmucke in der Kapelle des Palastes Riccardi (Verkündigung der Hirten und Zug der Könige) und an den 24 Wandbildern aus dem alten Testamente, welche er im Laufe von 16 Jahren (1469–1485) an der Nordwand des Pisaner Campo santo fertigte, lernt man die liebenswürdigen Eigenschaften des launigen Meisters am besten erkennen.

Wir sehen auf solche Weise am Schlusse des Jahrhunderts unter überaus günstigen äusseren Verhältnissen eine allseitige Regsamkeit in Florenz verbreitet, und die nahe Vollendung der künstlerischen Entwicklung verkündigt. Nicht vergessen darf die bereits früher erwähnte streng plastische Richtung einzelner Maler bleiben, welche in Pier di Cosimo (1441–1521) und in dem Vorgänger Michelangelos, Luca Signorelli aus Cortona (1440–1521), einem Schüler des Pier della Francesca, aus ihrer Einseitigkeit gerissen und mit den Resultaten der sonstigen Bestrebungen harmonisch vereinigt wird. Lucas Hauptwerk im Dome zu Orvieto: die Geschichte des Antichrist, die Auferstehung der Todten, die Hölle und das Paradies ist durch die Gedankenfülle der Composition, und das vollständige Beherrschen der Form, die Kenntniss des Nackten und die Reinheit der Gewandmotive den edelsten Erzeugnissen der italienischen Malerei ebenbürtig.

§. 101.

Die Vollendung, welcher die italienische Malerei am Ende des 15. Jahrhunderts raschen Schrittes entgegeneilt, konnte nur durch das Zusammenfassen der bis dahin vereinzelten Vorzüge im Schoosse einer schöpferischen Phantasie und durch den Rückgang zum Idealismus bewirkt werden, welcher das Zufällige und nur Lokalgültige in der Auffassung und Darstellung aufhebt, sich in den Gegenstand vertieft, ihn in seinem ewigen Wesen und in allgemein gültigen Formen wiedergibt. Die Männer, welche diesen Prozess vollführen, gehen zwar aus Lokalschulen hervor, gehören aber in ihrer Wirksamkeit denselben nicht mehr an und haben auch keine Lokalschulen zur Nachfolge. Ihr Einfluss erstreckt sich auf die gesammte[S. 248] italienische Kunst und bald noch darüber hinaus. Die Reihe derselben beginnt mit dem allumfassendsten Talente Italiens, mit Leonardo da Vinci (1452–1519). Gleich Lorenzo di Credi († 1536), auf dessen Fortbildung der geniale Mitschüler den grössten Einfluss übte, in der Werkstätte Verrocchio's erzogen, überbot er nach kurzer Zeit den Meister, wie man aus der Taufe Christi des letzteren (Florentiner Akademie) ersieht, in welchem Bilde ein Engel von Leonardos Hand stammt. Sein grenzenloser Thätigkeitstrieb, welcher jede Wissenschaft und Kunstfertigkeit sich anzueignen bemüht war, hinderte die Anfertigung zahlreicher Malerwerke, welche überdies noch hart vom Schicksale mitgenommen wurden. Von seinen Jugendwerken hat sich nichts Sicheres erhalten, es sei denn, dass man die vortrefflich gemalte Medusa (Uffizigalerie) und die Madonna mit dem Blumenglase in der Sammlung Borghese für Originale ansieht. Um das Jahr 1480 veränderte Leonardo seinen florentinischen Aufenthalt mit Mailand, wo Lodovico Sforza einen reichen Kreis von Künstlern und Gelehrten um sich sammelte. Der Ruf nach Mailand galt nicht so sehr dem Maler als dem Musiker, oder vielmehr dem praktischen Encyclopädisten, welcher in einer kurzen Denkschrift an den Herzog freimüthig und bescheiden seine universelle Befähigung entwickeln durfte, ohne Gefahr, Lügen gestraft zu werden. Leonardo rühmt sich daselbst als Kriegs- und Civilbaumeister, als Ingenieur und Artillerist, als Bildhauer und Maler. Wir müssen als Ergänzung noch seine grossen Verdienste um die Naturforschung, Geometrie, Anatomie anfügen. Wenn man aber aus dieser weitausgreifenden Wirksamkeit den Schluss zieht, Vinci habe an der Malerei eben auch nur das wissenschaftliche Interesse eines Experimentators gehabt, so unterschätzt man seinen Geist. Die grossen Verdienste, besonders um die Verbesserung der Oeltechnik zum Schaden für die Dauer der eigenen Werke, seine epochemachenden Beobachtungen über die Luftperspektive, das Colorit (er hat zuerst die selbständige Poesie der Farbe aufgewiesen und das Vorherrschen der Zeichnung über die Farbe beseitigt) zugegeben, bleibt doch noch seine kunstgeschichtliche Bedeutung nicht vollständig begriffen. Sie liegt in dem selbstthätigen Schöpferakte, mit welchem er die ganze bisherige Kunstentwicklung organisch verband. Man betrachte sein Hauptwerk, das Abendmahl im Refectorium des Klosters delle grazie zu Mailand, welches nur als traurige Ruine auf[S. 249] unsere Tage gekommen ist, nachdem die geringe Vorsicht des Meisters (es ist in Oel auf einer feuchten Wand gemalt), die Wuth der Elemente und die Barbarei der späteren Geschlechter an seinem Verderben gearbeitet. Die Handlung ist aller naturalistischen Hüllen entkleidet, in ihrer ewigen Wahrheit erfasst und mit ergreifendem dramatischen Leben geschildert. Die Gruppen bauen sich frei und dennoch in wohlgefügtem Rhythmus auf; die einzelnen Gestalten sind ebenso sehr vom bloss allgemeinen Typus, wie von der zufälligen Porträtwahrheit entfernt, vielmehr als historische Charaktere gefasst.

Andere Malerwerke aus der Mailänder Periode sind das Porträt des Herzogs Lodovico und das unter dem Namen la belle ferronière bekannte Frauenbildniss, jetzt auf den Namen der Lucretia Crivelli, einer Geliebten des Herzogs, geschrieben, im Louvre. Nach dem Sturze Moros 1499 kehrte Vinci nach Florenz zurück, doch nicht ohne bereits einen bleibenden Einfluss auf die weiteren Schicksale der lombardischen Schule gewonnen zu haben. Der Carton, welchen er in Florenz entwarf, die hl. Anna neben der Madonna mit dem Kinde und dem kleinen Johannes ist unversehrt in der Londoner Akademie erhalten; weniger günstig war das Schicksal einem andern berühmteren Cartone. Michelangelo, der bis dahin nur wenig im Malerfache gearbeitet, und Vinci erhielten den Auftrag, den Rathhaussaal mit historischen Gemälden zu schmücken. Michelangelo (1504) entwarf die Schilderung eines Ueberfalles der Florentiner, die eben im Arno baden, durch die Pisaner; Vinci (1503) wählte den Sieg der Florentiner über Piccinino bei Anghiari (1440) zum Gegenstande. Wir besitzen ein eigenhändiges Programm des Meisters über den Inhalt des Bildes, nach welchem dasselbe eine grosse Verwandtschaft mit der Constantinsschlacht Raphaels aufwies; erhalten hat sich jedoch nichts als eine Reitergruppe, um die Fahne kämpfend, und auch diese nur in dem fremdartigen Gewande von Nachbildungen. Das gleiche Schicksal, um so auffallender, als beide Werke das Hauptstudium der Florentiner Künstler bildeten, fand übrigens auch Michelangelos Werk, welches spurlos verschwunden wäre, wenn nicht schon frühzeitig Kupferstecher einzelne Gruppen gestochen und Bastiano Aristotile das Ganze skizzirt hätte. Die Zeit vom Jahre 1502–1516 wurde durch mehrfache Reisen nach Mailand, Rom ausgefüllt, und praktischen Beschäftigungen und[S. 250] wissenschaftlichen Studien, welche den Meister nur selten zum Pinsel greifen liessen, gewidmet. Der Ruf an den Hof Franz I. nach Frankreich 1516 kam der Kunst wenig zu Gute, da Leonardo bereits 1519 zu S. Cloud starb.

Die Zahl kleinerer Bilder, die auf Vincis Namen in den verschiedenen europäischen Galerien geschrieben werden, ist keineswegs gering, doch gehört die Ausführung bei den meisten seinen Schülern an. Unbestrittene Originale sind das leider verblasste Bild der Mona Lisa und Johannes des Täufers im Louvre, die Madonna unter dem Felsen in Charlton (das bekanntere Bild im Louvre ist nur eine Kopie), eine Madonna in Wien (Esterhazy), eine hl. Familie bei Woodburn in London, eine Madonna in Fresko in S. Onofrio in Rom u. a. Dagegen gehören die vielgerühmte Flora (la Colombine) in Petersburg, die Leda (Caritas) im Haage, die zwei Halbfiguren (Modestia und Vanitas) in der Galerie Sciarra zu Rom, die Vierge aux balances (von Ces. da Sesto) und Christus mit den Schriftgelehrten (Londoner Galerie) nicht Vinci, sondern grösstentheils seinem Schüler Bernardo Luini an. Dieser Meister, der den besten Theil seiner Werke und mit ihnen auch seinen Ruhm an Leonardo abgeben musste, hat mit seltener Innigkeit die Eigenthümlichkeiten des Lehrers erfasst und in anmuthiger Weise, durch einen glänzenden Farbensinn unterstützt, wenn auch die charaktervolle Zeichnung abschwächend, weiter gebildet. Seine Hauptwerke sind die Fresken in Lugano 1529 (Kreuzigung) und in Saronno 1530 (Leben der Madonna); auch Mailänder Kirchen und die Brera bewahren zahlreiche Arbeiten Luini's, sowohl in Oel, wie in Fresko ausgeführt, und die letzteren besonders durch die Farbengluth ausgezeichnet. Es ist bezeichnend, dass die Technik Leonardos auf die Lombarden eine so unwiderstehliche Wirkung übte, dass darüber die Eigenthümlichkeit der einzelnen Künstler fast gänzlich in den Hintergrund tritt, so bei Marco d'Oggiono († 1530), Andrea Salaino, Beltraffio (1467–1516), Fr. Melzi (g. 1491), Cesare da Sesto u. A. Nur der überaus fruchtbare Gaudenzio Ferrari (1484–1549) eignet sich eine gewisse Selbständigkeit an, welche durch seine umbrischen und römischen Studien begründet ist. Das blühende Colorit, auch in der Freskomalerei, charakterisirt ihn, wie alle Lombarden; daran knüpft sich aber eine grössere Erfindungskraft und freiere Composition, als sonst bei seinen Landsleuten angetroffen wird.

[S. 251]

§. 102.

Nicht minder fruchtbringend und folgenreich als der Mailänder Aufenthalt war Vincis Wirksamkeit in Florenz. Ihm und der gleichzeitigen Thätigkeit Michelangelos verdanken zahlreiche Florentiner die idealere Formengebung, die weichere Modellirung und reizendere Färbung. Unter diesen letzten Ausläufern der Florentiner Lokalschule ist zuerst der Dominikaner Fra Bartolommeo della Porta (1469–1517) zu nennen, in der Geschichte der Technik wegen der Einführung des Gliedermannes und Ausbildung der Malerei mit durchsichtigen Farben (Lasuren) berühmt. Leider ist sein grosses Freskobild, das jüngste Gericht in S. Maria Novella, fast gänzlich zu Grunde gegangen; dagegen haben sich zahlreiche Tafelbilder erhalten, welche bei einfacher Composition durch das Würdige der Bewegungen, den einfachen Fluss der Gewandmotive, den Schmelz des Colorites eine grosse Anziehungskraft üben. Zu seinen berühmtesten Werken gehört der hl. Markus in der Galerie Pitti, Madonna in der Galerie der Akademie zu Florenz, Anderes in Lucca, Paris, Besançon, Wien. In seiner Weise malten noch Mariotto Albertinelli und Fra Paolo da Pistoja. Noch sichtlicher den Coloristenschulen sich zuneigend, dabei aber auch von Michelangelo berührt, erscheint ein jüngerer Florentiner Andrea Vanucchi del Sarto (1488–1530). Unter seinen Freskowerken haben die Bilder aus dem Leben des hl. Philipp in der Annunziata und besonders die Madonna del Sacco, nach dem Sacke benannt, auf welchen der hl. Joseph lehnt, den grössten Ruhm. Seine Staffeleibilder, meist Madonnen und heilige Familien (Uffizigalerie des Marquis Hertford, und die Disputa-Heilige in ruhiger Unterhaltung begriffen — in der Galerie Pitti), sind durch frische Färbung bemerkenswerther als durch die Durchbildung der Köpfe. Andrea arbeitete gleich wie Rosso Rossi (1496 bis 1551) längere Zeit in Frankreich, wohin Franz I. zahlreiche italienische Künstler berief. Schüler del Sartos sind M. Franciabigio, Jacopo da Pontormo und die Brüder Puligo. Noch bleiben zwei Florentiner zu erwähnen, in welchen sich die Lokalkunst zu einer eigenthümlichen Blüthe emporhob: Raffaellino del Garbo (1476 bis 1524) in seinen älteren Werken, ehe er sich an Michelangelo und Raphael anschloss, und Ridolfo Ghirlandajo († 1560), des Dominico Sohn. Seine Darstellungen aus dem Leben des hl. Zenobius (Uffizi) athmen eine Lebensfrische, eine Kraft der Cha[S. 252]rakteristik, wie sie nur von den ersten Meistern der Zeit erreicht wurde.

§. 103.

Die Spitze der Entwicklung hat die italienische Malerei in keinem der genannten Meister erreicht, bald fehlte es an den günstigen äusseren Bedingungen, bald an der Tiefe und Vielseitigkeit der Phantasie. Sie bildet erst Raphael Santi (1483–1520), welcher eben immer machte, was Andere zu machen wünschten. Ohne Vincis und Michelangelos Vorgang, ohne die Einwirkung Fra Bartolommeos und anderer Florentiner ist Raphaels Grösse unbegreiflich. Er steht aber nicht allein auf den Schultern dieser Männer, er schliesst auch die Gegensätze, in welchen sich die italienische Kunst bis dahin hauptsächlich bewegte, zusammen. Als Anhänger der umbrischen Schule tritt er in Florenz auf, bemächtigt sich mit energischer Kraft der Eigenthümlichkeiten dieser Schule und macht auf diese Art als persönliche Entwicklungsstufen durch, was bis auf seine Zeit die verschiedenen Richtungen trennte.

Die kunstgeschichtliche Stellung der umbrischen Schule wurde bereits oben angedeutet. Zwar nicht der älteste, aber doch der erste bedeutende Vertreter derselben ist Niccolo Alunno aus Fuligno (u. 1460 thätig). Die Richtung, die Niccolo und seine Nachfolger einschlugen, ist für die Entwicklung einer grösseren Gedankenfülle und eines ausgedehnten Formenreichthums nicht günstig; der schwärmerisch-sehnsüchtige Zug, der Ausdruck begeisterter Hingebung und überirdischen Seelenfriedens kann nur bei einem eingeschränkten Ideenkreise ungestört sich äussern. Damit hängt auch das besondere Gelingen der Frauengestalten in der umbrischen Schule, die Ausbildung der Madonnenmalerei und das häufige Verflachen der Künstler nach dem Ausleben der jugendlichen Innigkeit zusammen. Von Niccolo haben sich vorzugsweise Staffeleibilder erhalten, darunter die Verkündigung in S. Maria nuova zu Perugia, Anbetung des Kindes (1483) in Nocera u. a. Den von Niccolo gegebenen Anregungen folgten: Bernardino di Betto, genannt Pinturicchio (1454–1513), welcher in seiner besseren, früheren Zeit die Empfindungstiefe der Umbrier mit reicherer Charakteristik und Formenkenntniss glücklich verbindet (Hauptwerke: Fresken in Araceli [Leben des hl. Bernardin], S. Croce [Kreuzerfindung] und im Vatikan in Rom, Libreria zu Siena [Leben des Aeneas Sylvius], Dom zu[S. 253] Spello und Tafelbilder: Madonna mit Heiligen in der Akademie zu Perugia), Andrea di Luigi, genannt l'Ingegno (Madonna auf dem Kapitol, anderes in Assisi) und der Lehrer Raphaels: Pietro Vannucci Perugino (1446–1524), dessen voller Werth gleichfalls nur aus seinen älteren Werken erkannt wird. Durch das Studium florentinischer Meister (Verocchio) suchte er die Schranken der ihm früher angelernten Richtung zu durchbrechen. Dass er es mit nicht geringem Erfolge that, beweisen seine Fresken in der Sixtina (1480). Doch kehrte er nach seiner Ansässigkeit in Perugia wieder zur älteren, nur freier behandelten Kunstweise zurück. Seine Werke sind einförmig, ohne besondere dramatische Lebendigkeit erfasst, aber überaus anziehend durch die lyrische Innigkeit, den zarten Schmelz seiner jugendlichen Köpfe und die reiche Wirkung des Colorites. Seine Madonnenbilder (im Louvre aus der Haager Sammlung, Villa Albani bei Rom, Vatikan, Uffizi, Fano, Münchner Pinakothek, Wiener Belvedere) werden mit Recht als Ideale jungfräulicher Zartheit gerühmt; ausserdem sind zu nennen: die Kreuzabnahme in der Galerie Pitti, Himmelfahrt Christi in Lyon, Himmelfahrt Mariä und Christi am Oelberge in der Florentiner Akademie, dann das Wandbild (Christus am Kreuze) in der Kirche de' Pazzi zu Florenz und die Fresken im C. d. Cambio zu Perugia.

Die Schüler Peruginos: Giovanni lo Spagna (Spoleto, Trevi, Assisi), Eusebio di Giorgio, G. Manni, Adone Doni u. A. verfielen theils in das Handwerksmässige, theils opferten sie ihre lokale Eigenthümlichkeit der durch Raphael geschaffenen Weise, welche hier wie überall alles neben ihr Bestehende aufzehrte. Der grossen Stylverwandtschaft wegen muss noch ein Meister von Bologna, der Goldschmied Francesco Francia (eigentlich Raibolini) (1450–1517), der umbrischen Schule angereiht werden. Welchen Anregungen Francia die Ausbildung seines anmuthig lebendigen Formen- und kräftigen Farbensinnes, seines reinen Gefühles verdankt, lässt sich geschichtlich nicht nachweisen; doch spricht die grösste Wahrscheinlichkeit nächst den Venetianern für Perugino. Ausser in Bologna, dessen Pinakothek mehrere treffliche Bilder von Francia bewahrt (sowie die Kirche S. Cecilia theilweise von ihm selbst ausgeführte Fresken, reich an lieblichen Formen), kommen auch in Dresden (die hl. drei Könige), München, Köln, in der Londoner Nationalgalerie (Christus von seiner Mutter und Engeln beweint) [S. 254]u. s. w. Bilder von seiner Hand vor. Auch nach Siena reicht der umbrische Einfluss (Pacchiarotto), ohne aber besondere kunstgeschichtliche Folgen nach sich zu ziehen.

§. 104.

Im Schoosse der umbrischen Schule erhielt Raphael seine erste Bildung.[89] Sein Vater Giovanni, in Urbino ansässig, selbst Künstler und Schriftsteller, und als Künstler, wie seine Fresken zu Cagli (Deleg. Urbino) und die in der ankonatischen Mark häufigen Tafelbilder zeigen, nicht der Unbedeutendsten einer, leitete Raphaels Unterricht bis in dessen elftes Jahr. Dass er bereits in diesem Alter dem Vater werkthätige Hülfe geleistet, läuft als Sage um, ohne dass aber darüber irgend ein sicherer Beleg vorhanden wäre. Nach des Vaters Tod, und nachdem er eine Zeit lang den Unterricht Luca Signorellis und Timoteo Vitis genossen, kam Raphael 1495 in die Werkstätte des Perugino. In mehreren Arbeiten Peruginos wird die Theilnahme des Schülers vermuthet (der junge Tobias in Mailand bei Duca Melzi, Anbetung des Christkindes im Vatikan, Auferstehung ebendort, irrthümlich auch an den Fresken im Wechselgericht zu Perugia); selbständige Werke, in der Anlage Peruginos Styl überragend, in der Ausführung noch schülerhaft befangen, kommen erst seit dem Jahre 1500 vor: Kirchenfahne (Dreieinigkeit mit Heiligen) in Città di Castello, Kruzifix mit Heiligen (früher in der Galerie Fesch), die Madonna mit dem Stieglitz in Berlin, Madonna der Gräfin Alfani und im Hause Connestabile zu Perugia, die Krönung der Maria (1503), und am Schlusse dieser ersten peruginischen Periode die Vermählung der Maria (lo Sposalizio 1504) in der Brera, anderer kleinerer Bilder und der Entwürfe zu den Bildern in der Libreria zu Siena nicht zu erwähnen. Raphael folgte dem Beispiele seines Lehrers, als er zu Ende des Jahres 1504, dem Gonfaloniere P. Soderini als talentvoller Maler warm empfohlen, Perugia mit Florenz vertauschte, wo bereits L. da Vinci und Michelangelo der neuen Kunstrichtung Bahn gebrochen hatten. Sein Aufenthalt währte nur wenige Monate, während welcher Zeit die M. del Granduca in Florenz und einige Porträte entstanden sind. In dieselbe Zeit versetzt eine übrigens bestrittene Unterschrift das 1845 entdeckte Freskobild: das Abendmahl in dem ehemaligen Kloster S. Onofrio (Via Faenza). Das Auge jedes Beschauers entscheidet [S. 255]sich unbedingt für Raphaels Urheberschaft; nicht allein, dass die Mischung peruginischer und florentinischer Kunstbildung vollkommen deutlich ist, so besitzen einzelne Köpfe (Thomas, Jakob d. J.) das Gepräge der specifisch raphaelischen Formen, daher denn auch namentlich in der Künstlerwelt jeder Zweifel an dem raphaelischen Ursprunge verbannt ist. Auf der anderen Seite lassen sich gewichtige historische Bedenken nicht wegläugnen. Gegen den gewöhnlichen Fortgang in Künstlerstudien erscheint die Technik viel weiter vorgerückt, als die Composition, welche sich noch streng an die ältere Auffassung des Gegenstandes hält, und auch chronologisch ist das Werk, nachdem die Kürze des ersten florentinischen Aufenthaltes feststeht, schwer einzureihen. Im Jahre 1505 brachten mehrere Bestellungen Raphael nach Perugia zurück, wo er eine Madonna mit Heiligen (Neapel), eine Altartafel ähnlichen Inhaltes (Blenheim bei Oxford) und in Fresko: Christus in der Glorie mit Heiligen (S. Severo) malte. Schon im Herbste desselben Jahres kehrte er nach Florenz zurück und verweilte hier mit Ausnahme kürzerer Reisen nach Bologna, Urbino, Perugia, bis ihn der Ruf des Papstes Julius II. im Jahre 1508 nach Rom führte. Seine Thätigkeit während dieses zweiten Florentiner Aufenthaltes beschränkt sich auf die Fertigung von Staffeleibildern, unter welchen ausser der pathetischen Grablegung in der Galerie Borghese zu Rom (1507), den drei Grazien (in England, wo?) und mehreren Porträten (Selbstporträt in Florenz) die Madonnenbilder den grössten Ruhm geniessen: die Jungfrau im Grünen (Wiener Belvedere), die Madonna mit dem Stieglitz (Tribüne in Florenz), la belle jardinière (1507) im Louvre, Madonna aus dem Hause Tempi in München, aus dem Hause Colonna in Berlin, die hl. Familie aus dem Hause Canigiani, bemerkenswerth wegen der festgeschlossenen Composition, in München, Madonna del baldacchino mit Heiligen und Engeln im Palaste Pitti zu Florenz, und die Himmelfahrt Mariä in England, beide Bilder von anderer Hand vollendet.

Erst in Rom, mit der Schöpfung monumentaler Werke betraut, fand Raphael den rechten Boden für die freie Entwicklung seines Geistes. Er begann mit der Ausmalung der päpstlichen Prunkgemächer im vatikanischen Palaste, den sogen. Stanzen, ohne jedoch das Ende dieses ausgedehnten Werkes zu erleben. Die Macht des Papstthumes und die göttliche Herrlichkeit der Kirche zu schildern,[S. 256] dazu trieb die Bestimmung der Säle. Diese Macht und Herrlichkeit offenbart sich für die Italiener des 16. Jahrhunderts nicht allein in geschichtlichen Wunderthaten, im Siege über äussere Feinde, in der Anerkennung durch die weltlichen Herrscher; für Raphaels Zeitalter knüpft sich nothwendig daran die Wiedererweckung der Wissenschaften und die Blüthe der Künste. So wird die Verherrlichung des kirchlichen Wesens in der Phantasie des Künstlers gleichzeitig zur Apotheose der Zeitbildung und ihrer doppelten Wurzeln im christlichen Bewusstsein und in der antiken Tradition. Die Auffassungsweise war nach der Richtung der Zeit und nach dem Vorgange der Dichter die allegorisch-historische, zu welcher ohnedies die Gegenstände der Darstellung selbst drängten. Was die besondere Anordnung anbelangt, so enthalten die Wände die Hauptbilder, und unter denselben grau in grau gemalte Sockelbilder, auf den Inhalt der Hauptbilder bezügliche Nebenscenen; an der Decke wird jener zumeist in symbolischen Darstellungen weiter geführt. Im Folgenden werden nur die Hauptbilder angegeben.

1. Stanza della Segnatura (1508–1511): Allegorische Darstellung der Grundlagen, auf welchen das geistige Leben des Jahrhunderts: die religiöse und weltliche Wissenschaft, das Recht und die Poesie beruhen. In der Disputa, dem zuerst ausgeführten Bilde, ist die Basis des religiösen Wissens, das Sakrament, verherrlicht, wie es offen angebetet wird im Himmel von den Männern des alten und neuen Testamentes, und im Geheimniss auf Erden geschaut von den Kirchenlehrern und Theologen; der Parnass feiert die Einheit der älteren und neueren Poesie, gibt den Musenführer im Bilde des Improvisators Giacomo Sansecondo, und reiht den Sängern des Alterthums die italienischen Dichter an; in der Schule von Athen sehen wir die Vorbilder der neueren Bildung, die Denker der Antike in lebendiger Situation und meisterhaftem Style geschildert; als Fundament der Jurisprudenz wird in einem Doppelbilde, welche Anordnung durch das Wandfenster bedingt ist, die Uebergabe der Dekretalen und des justinianischen Codex dargestellt.

2. Stanza d'Eliodoro (1512–1515): Rettung der Kirche vor äusseren und inneren Feinden, mit Anspielungen auf Zeitereignisse, welcher Umstand auch das Auftreten von Zeitgenossen in Scenen der Vergangenheit erklärt: Vertreibung Heliodors aus dem Tempel von Jerusalem, die wunderbare Messe von Bolsena, die Befreiung[S. 257] Petri aus dem Kerker des Herodes (mit künstlichem Lichteffekte) und die Befreiung Roms von Attila.

3. Stanza dell'Incendio (1515): Darstellungen aus dem Leben der Namensverwandten des regierenden Papstes: Leo III. und IV. mit ähnlicher apologetischer Tendenz, wie die Bilder des zweiten Saales: die Löschung des Brandes in Borgo durch den päpstlichen Segen, der Sieg bei Ostia über die Sarazenen, der Reinigungseid Leos III. und die Krönung Karls d. Gr. durch den Papst.

4. Die Sala di Constantino (theilweise nach Raphaels Zeichnungen von seinen Schülern 1520 ausgeführt) schildert die wunderbare Gründung der Kirche: die Erscheinung des Kreuzes, die Constantinsschlacht (Meistercomposition der allegorisch-historischen Kunst), die Taufe Constantins und die Schenkung Roms an den Papst.

Die Erhaltung dieses grössten Werkes der neueren Kunst lässt leider viel zu wünschen übrig, namentlich in den älteren, grösstentheils von Raphael selbst ausgeführten Sälen.

Während Raphael noch an den Stanzen arbeitete, erhielt er von Papst Leo X. den Auftrag zu zwei anderen ausgedehnten Malerwerken. Um den älteren Theil des Vatikans ziehen sich offene Hallen in drei Stockwerken, von welchen die mittleren ihren dekorativen und figürlichen Schmuck Raphael verdanken. Die dreizehn Kuppelgewölbe dieser Loggien enthalten (je 4) Darstellungen aus dem alten und (in der letzten Kuppel) neuen Testamente in kleinen Bildern, die sogen. Bibel Raphaels, nach den Entwürfen des Meisters von seinen Schülern ausgeführt, die Pfeiler und Wände aber sind mit geistreichen dekorativen, im Sinne der Antike behandelten Motiven, Blumen-, Fruchtgewinden, Arabesken von der Hand des in diesem Kunstfache vollendeten Giov. da Udine bedeckt. Die Wichtigkeit, welche dieser Dekorationsstyl in den späteren Zeitaltern erreichte, konnte leider das Verderben der Originale nicht hindern. Das zweite Werk, welches Raphael im Auftrage des Papstes (1513–14) fertigte, sind die Kartone zu den für die sixtinische Kapelle bestimmten 10 Tapeten. Sie wurden in Arras gewirkt und sind noch, obgleich vielfach verletzt und verblichen, erhalten; von den Originalkartons (in Hamptoncourt) gingen drei spurlos verloren. Ihr Inhalt ist aus dem Leben der Apostelfürsten geschöpft, und in grossartigen dramatischen Zügen, mit feiner Berechnung der Wirkungskraft des Materials, in welchem die Zeichnungen ausgeführt wurden, dargestellt:[S. 258] Petri Fischzug, Uebergabe der Schlüssel, Heilung des Lahmen, Tod des Ananias, Bestrafung des Elymas, Paulus und Barnabas von den Einwohnern von Lystra göttlich verehrt, und Pauli Predigt in Athen.

Zwischen den früher und später ausgeführten Bildern Raphaels bemerkt man mannigfache Unterschiede, zunächst jenen, dass die ersteren meist von Raphaels eigener Hand ausgeführt sind, während bei letzteren der technische Theil der Arbeit gewöhnlich den Schülern überlassen bleibt; im Laufe der Zeit steigert sich auch die Compositionskraft und die Ideenfülle; der Kreis des Einfachschönen, der anmuthigen Innigkeit, in welchem sich die Jugendwerke Raphaels bewegen, wird siegreich überschritten; die dem Meister eigenthümliche Grazie verbindet sich mit epischem Reichthum und dramatischem Leben; inhaltsvolle Gedanken durchziehen die Gruppen und einzelnen Gestalten, und geben selbst ausgedehnten Bilderkreisen eine innere Einheit. Auf diese Umwandlung der Raphael'schen Kunst, welche eine Vergleichung früherer und späterer Werke, z. B. des Sposalizio mit der sixtinischen Madonna und der Transfiguration, die Fresken von S. Severo und selbst der ersten römischen Werke mit den Tapeten und der Constantinsschlacht, mit der wünschenswerthesten Deutlichkeit darlegt, hatte Michelangelo einen mitbestimmenden Einfluss. Michelangelo war zwar zur Ausführung plastischer Werke nach Rom berufen, aber bald zur Vertauschung des Meissels mit dem Pinsel gezwungen worden. Er erhielt gegen seinen Wunsch 1508, wie man sagt, auf das hinterlistige Betreiben Bramantes, den Auftrag, die Decke der sixtinischen Kapelle zu malen. Trotz seines Widerwillens musste gerade dieses in wenigen Jahren vollendete Werk den Ruhm des Meisters vorzugsweise begründen. Die Gemälde der architektonischen Grundlage anzupassen, lag damals schon ausser dem Geiste der Zeit. Michelangelo malte ein selbständiges architektonisches Gerüste, getragen und gestützt von dekorativen Figuren, und ordnete diesem Scheinbaue die Gemälde, deren allgemeinen Inhalt die Vorgeschichte der Erlösung bildet, ein. Die flache Mitte der Spiegelwölbung enthält die Geschichten der Genesis, eine Bilderreihe, nicht minder gross durch den erhabenen Schauer, der ihn durchweht, als durch die in ihm geoffenbarte Schöpferkraft des Künstlers. Michelangelo stellte hier für ewige Zeiten den Typus Gott Vaters fest, wie in den Propheten und Sibyllen am Gewölberande die allge[S. 259]mein giltigen Charaktere für diesen Gestaltenkreis. Nicht minder reich, die ganze Skala des Ausdruckes von erhabener Verzückung und plastischer Kraft bis zur innigzarten Ruhe umfassend, sind die Vorfahren Mariä und die Retter Israels: Judith, David, Moses, Ahasverus, welche die Stichkappen und Gewölbeecken zieren.

Es konnte nicht fehlen, dass dieses grossartige Werk schon durch seinen Gegensatz zur Geistesrichtung Raphaels auf den letzteren einen tiefen Eindruck übte. Wo Raphael sich in unmittelbarer Nachbildung versuchte, wie in dem Propheten Jesaias (S. Agostino), blieb er hinter dem Gegner zurück, wo er aber die Auffassungsweise des letzteren frei verarbeitete und mit seinem reinen Schönheitssinn verwebte, wie in den vier Sibyllen (S. Maria del pace) und in dem kleinen Oelbilde: Vision des Ezechiel (G. Pitti), in den Kuppelbildern der Kap. Chigi (S.M. de popolo), erreicht er die gleiche Vollendung. Seinen heiteren, reinen Schönheitssinn bewahrte Raphael unter allen Umständen; er allein machte ihn fähig, mit Freiheit den Geist der Antike zu erfassen und ihrem Kreise die reizendsten Motive zu entlehnen. Den Beweis dafür liefern seine Fresken in der Farnesina, die Meeresfahrt der Galathea und die Geschichte der Psyche (1518), sowie in Bibienas Badezimmer im Vatikan: launige Schilderungen aus dem Leben Amors und Venus; beide zuletzt genannten Werke grösstentheils von seinen Schülern ausgeführt.

Die Bewunderung für Raphael steigt noch bei der Betrachtung seiner Produktivität. Die Zahl seiner Werke, welche die gesammte Stoffwelt ausbeuten und keine auch noch so geheime Falte der Phantasie bei Raphael unvertreten zeigen, geht weit über ein halbes Tausend (287 Bilder, 576 Zeichnungen und Entwürfe, also bei einer 20jährigen Thätigkeit 43 Werke in jedem Jahre) hinaus. Wir zählen darunter: 14 Madonnen mit Heiligen, 35 hl. Familien mit 4 und mehr, 30 mit 3 Figuren, 37 einfache Madonnenbilder, 14 Darstellungen aus dem Leben der Maria, 24 aus dem Leben anderer Heiligen, 80 Männer- und 15 Frauenbildnisse. Wir können nur die hervorragendsten Staffeleiwerke, nach Möglichkeit chronologisch geordnet, und alle zweifelhaften ausgeschieden, angeben.

1508–1512: Die Porträte des Papstes Julius II. in mehreren Exemplaren (Gal. Pitti), des Bindo Altoviti (München), die fälschlich sogen. Fornarina in der Tribuna, mit venetianischer Glut gemalt, die ächte Fornarina im Pal. Barberini in Rom. Die Madonna aus dem[S. 260] Hause Alba (Petersburg), Madonna aus dem Hause Aldobrandini (Privatbes. in London), die Madonna mit dem Diadem, vom schlafenden Kinde den Schleier hebend (Louvre), M. di Fuligno (1511) im Vatikan, M. dell' impanata (Pitti), Mad. in der Sammlung Rogers in London.

1512–1515: Die Madonna mit dem Fische in Madrid, die hl. Cäcilia in Bologna, von vollendeter Farbenharmonie, la vierge aux candelabres in England.

1515–1520. Porträte: Gf. Castiglione (1515) im Louvre, Johanna von Arragonien (in vielen Exemplaren), Papst Leo X. mit zwei Cardinälen (1518) in der Gal. Pitti, der Violinspieler (1518) im Pal. Sciarra zu Rom, Card. Bibbiena und F. Inghirami in der Gal. Pitti u. A. Die M. della Sedia 1516, Rundbild im Pal. Pitti, M. della tenda, mit dem Vorhange (München und Turin), die hl. Familie (Perle) in Madrid, die grosse und kleine hl. Familie im Louvre, der hl. Michael 1517 und die hl. Margaretha ebendort, die sixtinische Madonna, nach Rumohrs Muthmassung ein Fahnenbild (1518), in Dresden; die Kreuztragung in Madrid, von welcher neuerdings behauptet wird, dass ihr bloss eine flüchtige Skizze Raphaels zu Grunde liege, und Raphaels Schwanengesang, die erst nach seinem Tode vollendete Verklärung im Vatikan. Dem Entwickelungsgange Raphaels vollkommen entsprechend, fallen die reichen componirten Staffeleibilder und die das lyrische Maass überschreitenden Madonnen vorzugsweise in sein späteres Alter. In der Transfiguration droht der dem Bilde eingehauchte Gedankengehalt, die tiefsinnige Symbolik, beinahe den Rahmen zu sprengen. Ob Raphael, wäre er nicht vom Schicksale mitten in seiner Jugendblüthe der Erde entrissen worden, die Gefahr einer berechnenden, mehr an den Verstand und die äusseren Sinne, als an die Phantasie gerichteten Reflexion von sich fern gehalten hätte, wer kann dies entscheiden? Seine Schule entspricht nicht der vollendeten Grösse des Meisters, und zeigt bereits die italienische Kunst von ihrem Gipfel herabgleitend. Doch liegt die Ursache davon auch in der Unmöglichkeit, die graziöse Schönheit des Raphael'schen Styles auf dem Wege des Lernens zu erwerben.

An der Spitze der Schule steht Giulio (Pippi) Romano (1492 bis 1546), dessen Theilnahme an zahlreichen Werken Raphaels, gemeinschaftlich mit Gian Fr. Penni il fattore, bereits früher gedacht[S. 261] wurde, dessen Styl jenem des Lehrers auch am nächsten kommt, ohne jedoch eine nüchterne Auffassung und Künstlichkeit der Composition zu vermeiden. Seine bedeutendste Thätigkeit entwickelte er seit 1524 in Mantua, wo er im älteren Palaste die Jagd der Diana und den trojanischen Krieg, in dem von ihm erbauten Palaste del Te den Gigantensturz, reich an theatralischen Effekten, und die Geschichte der Psyche malte. Hier schon beginnt die Gedankenlosigkeit, der leere Formalismus sich geltend zu machen, woran nach wenigen Menschenaltern die gesammte italienische Kunst krankt. Unter seinen wenig zahlreichen Staffeleibildern verdienen die älteren (Tod des hl. Stephan in S. Stefano zu Genua) unbedingt den Vorzug. Je höher Raphaels Ruhm stieg, desto grösser wurde auch die Zahl seiner Schüler und Gehülfen. Sie kamen von den mannigfachsten Lokalschulen herbeigeströmt, aus Florenz (Perino del Vaga † 1547), Bologna (Timoteo Viti 1470–1523, Bart. Ramenghi, genannt Bagnacavallo 1484–1542), Ferrara (Benvenuto Tisio, genannt Garofalo 1481–1559), Venedig (Giov. da Udine † 1564), Neapel (Andrea Sabbatini aus Salerno 1480–1545) und verbreiteten nach der Auflösung der römischen Kunstgenossenschaft die erworbene Manier in allen Gauen Italiens. So stossen wir ausser den genannten Schülern auf Raphaelisten in Florenz, Neapel (Polidoro da Caravaggio), Bologna (Innoc. da Imola), Ferrara (Dosso Dossi), Mantua (Fr. Primaticcio † 1570), Genua u. a.

§. 105.

Michelangelos Namen wurde unter den Begründern der italienischen Kunstblüthe aufgezählt; er trat uns als Zeitgenosse Raphaels, als einer der Doppelgipfel des Cinquecento entgegen; auch jetzt bei der Schilderung des Verfalles der italienischen Kunst muss wieder mit ihm begonnen werden. Kein Vorwurf haftet an dem grossen Manne, weil aus seinen Gebilden oft ein herber Geist spricht, oder weil er in der Oelmalerei nicht das rechte Ausdrucksmittel seiner Fantasie fand. Abgesehen davon, dass dieser scheinbare Mangel dadurch gehoben würde, dass er seine Zeichnungen von farbenkundigen Meistern (Marcello Venusti, Sebastiano da Piombo) ausführen liess, so ist selbst Michelangelos geringes Geschick als Oelmaler mehr als zweifelhaft geworden, nachdem zu dem Rundbilde der hl. Familie in Tempera (Tribüne) neuerdings das Porträt der Vittoria Colonna (seit 1851 in Rom) als ein Originalwerk hinzukam.[S. 262] Wohl aber muss ihm als Schuld angerechnet werden: das Verleiten zur willkürlichen Behandlung der Ideen, zur unbedingten Ueberordnung der künstlerischen Laune über den objektiven Inhalt der Darstellung, zum virtuosen Formalismus und zur Bravourcomposition. Ganz leise klingen schon diese Irrungen in den späteren Werken Michelangelos an. Er schritt, gleichzeitig in der paulinischen Kapelle im Vatikan mit der Darstellung der Bekehrung Pauli und Kreuzigung Petri beschäftigt, im Jahre 1531 an das jüngste Gericht, welches die Altarwand der sixtinischen Kapelle einnimmt, und vollendete das Werk als 67jähriger Mann. Die gewaltig erschütternde Wirkung der Composition, die an die Worte des berühmten Dies iræ mahnt, die unübertreffliche Vollendung in der Zeichnung, die siegreiche Bewältigung aller Formenschwierigkeiten, dies Alles hat dem Riesenbilde die wohlverdiente Unsterblichkeit gesichert; doch kann nicht verhehlt werden, dass eine erschöpfende Darstellung der Idee hier nicht erreicht ist, und Michelangelos Kunst der Gruppirung, in ein äusserliches Schulgewand gekleidet, zum Verderben führen musste. In der That ist es die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vorherrschende Schule Michelangelos in Florenz und Rom, welche uns plötzlich in den tiefsten Kunstverfall führt. Schnellmaler, mit der Hand über die Mauer oder Tafel fliegend, als »wären sie mit den Türken im Handgemenge«, nur äusserlichen Effekten nachhaschend, in Wahrheit aber ebenso roh in der Zeichnung und matt in der Farbe, als gedankenlos, können sie weder der Einwirkung der grossen Meister, die wie ein Alp auf ihnen lastet, sich entschlagen, noch das Wesen der letzteren in Wahrheit erfassen. Sie schaffen nicht, sie machen nur, sie haben keinen Styl, nur Manier, der abstrakten Kunstregeln und kritischen Meinungen die Fülle, aber an poetischer Empfindung und malerischem Sinne den grössten Mangel. Die unmittelbaren Schüler Michelangelos, wie Fra Sebastiano da Piombo 1485–1547, welcher die Vorzüge der Venetianer Schule (Altarblatt in S. Crisostomo in Venedig) mitbrachte, und in seinem Hauptwerke (Auferweckung des Lazarus im Wettstreite mit Raphael, gegenwärtig in der Londoner Nationalgalerie), die Compositionskraft seines zweiten Lehrers nur frei benützte, oder Daniel von Volterra (Kreuzabnahme in S. Trinità in Rom), lassen noch wenig von dem Verfalle ahnen, welcher in der zweiten Generation desto greller auftritt. Diese bilden der bekannte Kunstschriftsteller Giorgio Vasari aus[S. 263] Arezzo (1512–1574), Angiolo Bronzino, Santi Titi und die römischen Maler Girol. Sermoneta, Taddeo und Feder. Zuccaro (Kuppel des Florentiner Domes), Cavaliere d'Arpino, die Bologneser Pr. Fontona, Dion. Fiammingo (Calvart aus Antwerpen), Luca Longhi u. A.

Dort, wo die erdrückenden Einwirkungen der grossen Künstler des Cinquecento weniger unmittelbar vorherrschen, wie in Siena und Neapel, tritt auch der Manierismus weniger grell auf. Siena erfreute sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts einer höheren Blüthe, als die anderen, sich auslebenden Lokalschulen. Es verdankt dieselbe dem Lombarden il Sodoma (eigentlich Gianantonio Razzi, † 1549), welcher in seinen Werken den Einfluss Vinci's durchblicken lässt, und an Anmuth und Liebreiz mit den besten Künstlern wetteifert (Hauptwerke: Hochzeit der Roxane und Alexander im Zelte des Darius in der Farnesina, und die Fresken in S. Domenico und Bernardino zu Siena). Neben ihm erscheinen Domen. Beccafumi (Mosaikboden im Domchore), Balth. Peruzzi, Arcangiolo Salimbeni, Fr. Vanni u. A. thätig. Auch Neapel, wo seit dem Beginne des 15. Jahrhunderts eine abgesonderte realistische Richtung auftaucht und ein unmittelbarer flandrischer Einfluss sich geltend macht (Col Antonio da Fiore, † 1444, Ant. Solario, genannt lo Zingaro, die Brüder Donzelli), widersteht glücklich den ärgsten Verirrungen des Manierismus.

§. 106.

Oberitalien nimmt neben Florenz und Rom eine selbständige Stellung in Anspruch. Weniger berührt von antiken Traditionen, findet es auch nicht in der Ausbildung des plastischen Styles das unmittelbare Ziel der Kunst, sondern entwickelt eine strenger malerische, im Colorite wirkungsreiche Richtung. Die übrigens rasch verfallende Schule von Parma nimmt von Antonio Allegri da Correggio (1494–1534) ihren Ausgangspunkt. Auf seinen Bildungsgang nahm sowohl die Schule Mantegnas und die ältere lombardische (Fr. Bianchi Ferrari), namentlich aber Leonardo da Vinci's Farbengebung Einfluss. Ob er Rom gesehen, ist eine vielfach bezweifelte, neuerdings jedoch wieder wahrscheinlich gemachte Thatsache. Correggios Idealismus beruht auf der erhöhten Stimmung, welche er seinen Gestalten verleiht; sie treten aus dem Kreise der ruhigen Empfindung und des gemessenen Ausdruckes heraus, geben sich unbeschränkt einer begeisterten Aufregung, einer jubelnden Bewegung hin, und[S. 264] athmen eine leidenschaftliche Innigkeit, welche, wenn sie auch oft der objektiven Wahrheit zu nahe tritt, doch niemals ohne ergreifenden Eindruck bleibt. Aus dieser Grundrichtung entwickelt Coreggio eine eigenthümliche Formengebung. Ruhige, übersichtliche Formen hätten jener schlecht entsprochen; die bewegte Stimmung theilt sich den Körpern mit, und zeigt dieselben in den mannigfachsten perspektivischen Verkürzungen, eine Vorliebe, welche schon bei Coreggio zur gänzlichen Vernachlässigung der architektonischen Gesetze führte und bei seinen Nachfolgern in eine widerliche Affektirtheit ausartet. Die wesentlichste Unterstützung seiner Gefühlsweise fand er aber in der Ausbildung des Helldunkels. Coreggio pflegte seine Bilder hell zu untermalen und dann in der Farbe noch höher zu stimmen, wobei er das reine weisse Licht, wie den farblosen Schatten vermied, Licht und Schatten in feinen Abstufungen ineinander verschmelzen liess, ihre Gegensätze aufhob, und so den seiner künstlerischen Stimmung entsprechenden, fast überirdischen Lichtschimmer erreichte.[90] An den zahlreichen Tafelbildern tritt die Eigenthümlichkeit seiner Farbengebung besonders deutlich hervor. Noch nicht völlig ausgebildet erscheint sie in seinen Jugendwerken: Mad. mit dem hl. Franziskus (1514) in Dresden und vier Heilige in der Galerie Ashburtons in London. Vollendet entwickelt ist sie in der Vermählung der hl. Katharina (Louvre), Ruhe in Aegypten oder la Zingarella (Neapel), Madonna mit dem hl. Hieronymus (Parma), und in den herrlichen Bilderschätzen, welche die Dresdener Galerie von Coreggios Hand bewahrt: Die Anbetung der Hirten oder hl. Nacht, die thronende Madonna von Heiligen umgeben, nach den Hauptfiguren des hl. Sebastian und Georg genannt, und die liegende Magdalena. Andere Werke von gleicher Schönheit bewahren Londoner Galerien: Ecce homo, Christus am Oelberge, hl. Familie (la v. au panier). Nicht minder wirkungsvoll weiss Coreggio den Liebreiz und Lustschauer in mythologischen Genrebildern zu schildern: Erziehung Amors durch Venus und Merkur (Londoner Nationalgalerie), Ganymed (Wien), Diana (G. Borghese), Antiope (Louvre), Leda (Wien und Berlin), Jo (Berlin) u. a. Die überwältigende Kraft des Ausdruckes, welches Coreggio diesen Schilderungen verleiht, beweist am besten das Schicksal der (stark erneuerten) Berliner Bilder, als sie noch in der Galerie Orleans zu [S. 265]Paris sich befanden. Coreggios Thätigkeit als Freskomaler beschränkt sich auf Parma, wohin er 1518 berufen wurde: Mythologische Malereien im Nonnenkloster S. Paolo, die Kuppel in S. Giov. Bapt. (Himmelfahrt Christi), und die Domkuppel (Himmelfahrt Mariä); das letztere Werk, trotz der durch das Ganze waltenden begeisterten Stimmung, wegen der verworrenen Anordnung (Froschragout) minder erfreulich. Dagegen zeigt ein kleineres Freskogemälde: Madonna mit dem Kinde in der Galerie zu Parma, alle Reize seiner Auffassungsweise in hohem Grade.

Coreggios Schüler brachten die von dem Meister ererbte Richtung zum raschen Falle. Seine poetische Empfindungskraft liess sich nicht auf mechanischem Wege aneignen und führte, wo sie ohne innere Befähigung nachgeahmt wurde, zur widerlichen Manier; hinsichtlich der Formenreinheit stand schon Correggio selbst dem Abwege nahe, und wie es bei Schulüberlieferungen stets vorkommt, dass die Schüler die Fehler des Meisters am besten lernen, übersprangen die Nachfolger diese Grenzlinie zuerst. Durch die Aufnahme des römischen Styles aber die heimische Weise zu verbessern, war bei dem schroffen Gegensatze beider Richtungen unthunlich. Franc. Mazzuoli, il Parmegianino (1503–1540) erlangte noch den grössten Ruhm und besitzt in seinen Jugendwerken (Mad. mit Johannes d. T. und Hieronymus in der Londoner Nationalgalerie) das grösste Verdienst; später weiss er nur durch übertrieben gestreckte Verhältnisse und eine affektirte Beweglichkeit zu wirken. Doch weist bei ihm, wie bei den anderen unmittelbaren Nachfolgern (Fr. Rondani, Bern. Gatti, Lelio Orsi u. A.), die meisterhafte Handhabung des Colorites noch den Zusammenhang mit Coreggio auf; dagegen übertrifft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die Schule von Parma alle anderen an Manierirtheit.

§. 107.

Venedig stellt geographisch und politisch eine Welt für sich vor. Abgesperrt von der Terra ferma, auf den Handelsverkehr mit dem fernen Osten, als seine Machtquelle, angewiesen, im Besitze einer eigenthümlichen selbständig entwickelten Verfassung, welche mit dem Leben und Denken des Volkes eins geworden ist, nimmt Venedig auch in der Kunstwelt eine entsprechende unabhängige Stellung ein. Hier hat sich die byzantinische Weise nicht allein lange Zeit — bis tief in das 14. Jahrhundert — erhalten, sondern[S. 266] auch, obzwar nicht auf die Dauer, eine lebendige innere Entwickelung erfahren (Mosaiken in der Kap. Zeno in S. Marco). Und als sie endlich, nicht ohne einen zähen Widerstand, wich, da geschah es nicht in Folge der Einwirkung der mittelitalienischen Schulen, sondern weil bereits die Lokalbildung auch für den künstlerischen Ausdruck reif geworden war. Dieser altvenetianische Styl lässt in dem warmen, durchsichtigen Colorite das Wesen der späteren Kunst ahnen; er ist zierlich glänzend, in der Composition einfach, oft alterthümlich, in der Ausführung durchgebildet, eine ernste Würde der Gestalten, einen weichen Linienfluss erstrebend. Von byzantinischen Einflüssen noch nicht völlig befreit, erscheint Niccolo Semitecolo (ung. 1350), vorgeschritten in der Behandlung der Gewänder und Köpfe: Lorenzo Veneziano (1367), Michele Mattei aus Bologna, Niccolò di Pietro (1397), Mich. Giambono (1430), von welchem der Mosaikschmuck in der Kap. di mascoli in S. Marco herrührt, und auch durch den Realismus der Darstellung anziehend, zwei muranische Künstler, Giovanni (ein Deutscher?) und Antonio Vivarini (1440). Ein jüngerer Vivarini, Bartolomeo, bringt ein neues Element in die Schule, indem er in der Zeichnung den Styl Mantegnas wiedergibt und eine schärfere Charakteristik anstrebt; doch wird dieser Einfluss durch die eigenthümliche Lokaltradition und die Gegenwirkung Gentiles vor jeder einseitigen Geltung bewahrt, und bald darauf durch die Kenntniss der Oelmalerei der altheimischen Kunstweise eine grossartige, stetige Entwickelung verliehen.

Antonello aus Messina hatte diese Technik, wie schon früher erwähnt wurde, den Niederländern, deren Styl in seinen älteren Werken (Museum in Palermo und Berlin) deutlich durchscheint, abgesehen und nach Venedig verpflanzt. Erst im Besitze dieses Ausdrucksmittels konnten die Venetianer ihrer Liebe zur leuchtenden Farbe genugthun, das wirkliche Leben, welchem sie weder in der Composition, noch in der Formgebung sich entfremdeten, im schmucken Glanze und üppigen Reichthume wiederspiegeln und die einzelnen Gestalten mit gehobener, adeliger Würde, dem Gepräge ernster Tüchtigkeit und kräftigen Sinnes bekleiden. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts beginnt die zweite Periode der venetianischen Malerei, eingeleitet durch Gentile Bellini (1421–1501) und Marco Basaiti (-1520), vorzugsweise vertreten durch Giovanni Bellini (1426–1516), dessen Künstlergrösse auch im höchsten Alter nicht sinkt, welchen[S. 267] noch A. Dürer 1506 als den »pest im gemell« preist. Seine in venetianischen Kirchen und Galerien (Madonna in der Kirche ai frari 1486, andere in der Akademie, S. Giov. e Paolo, Zaccaria 1505, Chr. in Emaus in S. Salvatore u. a.) überaus zahlreichen Werke zeigen seine Compositionen von jener in Venedig gewöhnlichen ruhigen Art, welche dem Künstler gestattet, auf die Durchbildung der einzelnen Gestalten allen Nachdruck zu legen, verbunden mit einer überaus wirksamen Kraft und Tiefe des Colorites. An Giov. Bellini reiht sich eine grosse Schaar von Schülern und Nachfolgern (Girolamo di S. Croce, Giambattista Cima da Conegliano, Andrea Previtali, Vinc. Catena u. A.); auch ausserhalb Venedigs, in der Lombardei, wird sein Einfluss, verbunden mit den Nachwirkungen Mantegnas, ersichtlich, z. B. in Verona (Girolamo dai Libri), Como u. s. w. Von der Bellini'schen Kunstweise unabhängig, aber nichts desto weniger vom venetianischen Geiste vollkommen durchdrungen, sind Vittore Carpaccio's (-1522) Sittenschilderungen im Rahmen religiöser Vorgänge. Sein Auge hat sich an den Bauten, Trachten und Gestalten Venedigs gesättigt, seine Phantasie in diesem Kreise sich eingeschlossen, so dass sich seine Darstellungen aus dem Leben der Heiligen (Ursula, Wunder des Kreuzpartikels u. s. w.) zu reichen Schilderungen altvenetianischen Lebens gestalten. Diese Vorliebe, die religiösen Geschichten der venetianischen Oertlichkeit anzupassen und sich in glänzenden Schilderungen zeitgenössischer Sitte zu ergehen, haftet auch in der Folgezeit an der venetianischen Kunst; doch knüpft die Blütheperiode der Venetianer keineswegs aus diesem Grunde etwa an Carpaccio an, sie geht aus der Schule Bellinis, welcher alle Häupter der venetianischen Kunst: Giorgione, Palma, Tizian zu seinen Schülern zählt, hervor.

Mag es die Sinnenfreude und befriedigte Lebenslust sein, welche die Venetianer schildern, oder das leidenschaftliche religiöse Pathos, die Charakterkraft und die vornehme Selbstbeherrschung in den männlichen, die üppige Schönheit in den weiblichen Bildnissen, mögen sie einzelne Gestalten in ruhig ansprechender Situation vereinigt malen, oder ihnen einen allegorischen Gedanken zu Grunde legen, oder schliesslich historische Scenen beschreiben, immer bleibt die Farbe das vorzugsweise Ausdrucksmittel ihrer Phantasie. Sie führen die breite Pinselführung, den pastosen Farbenauftrag ein, wissen durch die Farbe den Formen Rundung und Leben zu geben. Meister in der[S. 268] Farbenharmonie und ebenso sehr befähigt, durch Combinationen der Töne die lebhafteste wie die zarteste Wirkung hervorzurufen, haben sie auch für die Wirkung des Lichtes, namentlich auf nackte Formen, einen überaus feinen Beobachtungssinn. Obgleich sie die starken Schatten und grellen Gegensätze vermeiden, und gleichsam nur »mit Licht malen,« fehlt es weder dem Colorite an Tiefe, noch den Formen an Modellirung. Durch die Farbenpoesie entfernen die Venetianer sich von der naturalistischen Auffassung, welcher sie auch in den Gewandmotiven keineswegs huldigen, und verleihen ihren Bildern eine der Antike verwandte ungebrochene Schönheit.

Giorgio Barbarelli, gen. Giorgione (1477–1511), eröffnet den Reigen der venetianischen Farbenkünstler. Noch wirft der weltliche Glanz, welchen die venetianischen Bilder so vollendet schildern, keinen Reflex auf die Lebensverhältnisse der Künstler. Nach herkömmlicher Sitte beginnt Giorgione seine Thätigkeit mit der Fertigung von Betteneinfassungen und Vertäfelungen für Kabinete; er errichtet selbst eine Malerbude, in welcher er Schilder, Schränke, Kisten mit Gemälden schmückt, und dekorirt Häuserfaçaden mit Fresken. Dies hindert ihn keineswegs, in seinen leider seltenen Tafelbildern eine ergreifende Poesie zu entfalten und selbst gleichgiltigen und uns unverständlich gewordenen Vorgängen eine unwiderstehliche Anziehungskraft zu entlocken, so z. B. dem sogen. Astrologen (ehemalige Galerie Manfrini), dem Conzerte (Galerie Pitti) u. a. Die Porträte fasst Giorgione häufig als Charakterköpfe auf und versetzt sie in eine besondere Situation (Lautenschlägerin, der Musikmeister); in anderen Bildern erfindet er nach Novellistenart die Motive und gibt unterhaltende Schilderungen aus dem Leben, psychologische Gemälde. Historische Bilder von Giorgione sind selten, und die meisten dafür ausgegebenen Galeriestücke unächt, die vorhandenen aber, hinsichtlich der Technik, der innigen Poesie und der reichen lebendigen Motive, von dem grössten Reize: Findung Moses in der Brera, Seesturm in der venetianischen Akademie, Jakob und Rahel in Dresden.

In Tizian Vecelli aus Cadore, dem »Könige der Maler« (1477 bis 1576), findet Giorgiones Richtung, wie die venetianische Kunst überhaupt, ihre Vollendung; in ihm erscheint auch Alles, was die letztere auszeichnet, persönliches Eigenthum. Die Geschichte seines Lebens ist auch schon die Geschichte der venetianischen Kunst.[91]

[S. 269]

Nur der Mann, welcher mit Kaisern und Königen im Briefwechsel stand und hoch genug auf der socialen Stufenleiter gerückt war, um die Würde eines Grafen des lateranensischen Palastes führen und für seinen Freund Pietro Aretino wegen des Cardinalhutes unterhandeln zu können, nur dieser feine und kluge Weltmann war im Stande, die Porträtbilder zu Werken wahrhaft geschichtlichen Inhaltes zu erhöhen, sie ebenso scharf psychologisch zu zeichnen, wie ihnen das Gepräge edler, sicherer Ruhe zu verleihen. Nur der eigene Genuss eines glänzenden glücklichen Lebens befähigte ihn zu den glänzenden Farbenschilderungen eines genussvollen, über den Kreis der Gewöhnlichkeit weit hinaus gerückten Daseins, wie auch nur der Mann, der es liebte, mit schönen Frauen und heiteren Freunden beim üppigen Mahle zu weilen, während das Auge über das Meer und die Inseln schweifte, und Musik und Gesang von den fernziehenden Gondeln das Ohr beseligte, die Züge jener feinen Sinnlichkeit treffen konnte, die an seinen Frauengestalten und mythologischen Bildern bewundert wird. Das religiöse Element tritt natürlich in Tizians Werken in den Hintergrund; auch hier zeigt sich bald der ruhige Ernst eines befriedigten Daseins, wie in den sogen. Conversationen (Heilige im Gespräche begriffen) und den Madonnenbildern, bald eine, wenn auch feierliche und begeisterte, doch weltlich freie Stimmung (Himmelfahrt Mariä in der Akademie zu Venedig) herrschend. Bald benützt er die Gelegenheit zu genreartigen Schilderungen (Tempelgang Mariä in der Akademie zu Venedig), bald wirkt er durch die Entfaltung eines grossartigen dramatischen Lebens (Grablegung Christi in der Galerie Manfrini, Tod des Petrus (Märtyrer) in S. Giov. und Paolo, Marter des hl. Lorenz in der Jesuitenkirche, berühmt durch den Lichteffekt). Zu den besten religiösen Bildern Tizians gehören Christus mit dem Zinsgroschen aus seiner früheren Zeit (in Dresden), Mad. mit der Familie Pesaro (Kirche ai frari), der hl. Hieronymus (im Louvre) u. a. Zahlreich sind die mythologischen Bilder Tizians, von ihm als passende Motive zur Schaustellung nackter weiblicher Gestalten benützt, wie die vielfach vorhandenen sogen. Venusbilder, welche die Sage auf Porträtfiguren, z. B. die Prinzessin von Eboli, zurückführt. Um ein charakteristisches Erfassen des mythologischen Inhaltes ist es dem Meister keineswegs zu thun, sondern nach eigenem Geständnisse um die Wiederholung schöner Körperformen in mannigfaltigen Lagen und Situationen. (Zwei Venusbilder in der[S. 270] Tribüne zu Florenz, ähnliche in Wien, Neapel, Dresden, England, Madrid, Ausrüstung Amors in der Galerie Borghese, Bacchus und Ariadne in der National-Galerie zu London, Bacchanale in Madrid u.s.w.) Allegorischer Natur sind die drei Lebensalter in mehreren Exemplaren und die sogenannte irdische und himmlische Liebe in der Galerie Borghese. Porträtbilder von Tizians Hand, unübertreffliche Muster dieser Kunstgattung, werden in allen bedeutenderen Sammlungen Europas angetroffen; berühmt sind vor allen die Geliebte Tizians, wiederholt gemalt (Louvre, Uffizi, Pittipalast, Galerie Sciarra), die Tochter Tizians Lavinia(?) im Berliner Museum, die Familie Cornaro in London u. s. w. Von seinen historischen Bildern im Dogenpalaste ging leider das Meiste mit zahlreichen älteren Werken im Brande 1577 zu Grunde; erhalten haben sich die Fresken in der Gerichtshalle zu Vicenza (Urtheil Salomo's) und jene in der Schule von S. Antonio zu Padua. Schliesslich bleibt noch der nach Tizian gearbeitete Riesenholzschnitt: der Triumph des Glaubens, zu erwähnen.

Für die Lebenskraft der venetianischen Malerschule gibt es kein sprechenderes Zeugniss, als die verhältnissmässige Selbständigkeit der Zeitgenossen Giorgiones und Tizians. Dieselben üben zwar einen weitgreifenden Einfluss und erzwingen eine allgemeine Aenderung des bis dahin giltigen Styles, haben aber keine blinden Nachahmer und manierirte Schulen im Gefolge. Zu den älteren Meistern, die sich nach Giorgione bildeten, gehört der farbenglänzende Jac. Palma vecchio (g. 1476), dessen Madonnen und h. Familien eine eigenthümliche Milde athmen (Hauptwerk in M. formosa zu Venedig), dann Rocco Marconi, Lorenzo Lotto u. A. Tizian schliessen sich an: Bonifazio Veneziano (1494–1563), Andrea Schiavone, der in religiöser Innigkeit mit Fiesole verwandte Moretto (1524–75). Die Vaterstadt Brescia besitzt von ihm zahlreiche Werke, ausserdem Frankfurt, Wien und Berlin. Entfernter stehen schon der Schüler des Letztgenannten, der Porträtmaler Moroni, dann Giov. Ant. Licinio Regillo aus Pordenone (1484–1539), berühmt durch den weichen Farbenschmelz und die harmonische Gesammtwirkung seiner Porträtgruppen (Ehebrecherin im Berliner Museum), der ebenfalls im Porträtfache ausgezeichnete Paris Bordone (1500–1570) und Batt. Franco, il Semolei, welcher, ohne die Eigenthümlichkeit der Venetianer aufzugeben, dem Style der römischen Schule nachgeht. Nach zwei Seiten konnte die durch Tizian zur höchsten Vollkommenheit gebrachte Richtung eine weitere[S. 271] Fortbildung erfahren, durch eine Annäherung an den Naturalismus und durch die Verbindung mit den Errungenschaften anderer Schulen. Im ersten Falle blieb die Grundlage der Schule unberührt; nach wie vor behauptet das Colorit seine Schönheit und seine Geltung, nur wird es materiell prächtiger, in der Stoff- und Gefässmalerei sein Glanz mit Vorliebe entwickelt; auch die Schilderungen des gehäbig-geniessenden Daseins sind sinnlicher und prunkvoller, ohne den poetischen Reiz, welchen ihnen Tizian zu leihen weiss. Der Hauptvertreter dieser Richtung ist Paolo Cagliari Veronese (1528–1588). Seine allegorischen und mythologischen Bilder im Dogenpalast fesseln nur durch Einzelschönheiten; dagegen sind die Gemälde in der K. S. Sebastian in Venedig wahre Meisterwerke in der Farbengebung, dessgleichen die zahlreichen Schilderungen von Festzügen und Gelagen (Hochz. zu Cana im Louvre, Gastmahl im Hause Levi's in der Venet. Akad. u. a.), welche die Richtung des Meisters am schärfsten aussprechen und auch seinen Ruhm am weitesten verbreiteten. Sowohl die dargestellten Motive, wie die feierliche Stimmung und der schimmernde Glanz, der eben der Ausdruck eines höheren Daseins ist, trennen Paolo Veronese von dem eigentlichen Naturalisten der Schule von Jac. da Ponte, gen. Bassano 1510–1592, welchem Mythe und heilige Geschichte nur als zufällige und gleichgiltige Motive dienen, um seiner Lieblingsneigung, der Schilderung der gemeinen Wirklichkeit, bald in Genrebildern, bald im sog. Stillleben nachzugehen. Bei ihm vermittelt nur noch die Farbentechnik den Zusammenhang mit der älteren Schule.

Die andere, oben angedeutete Richtung, die venetianische Eigenthümlichkeit durch ein näheres Eingehen auf die Formengebung Michelangelos zu ergänzen, entwickelte Jac. Robusti, gen. Tintoretto (1512–1594). Seine Studien führten ihn aber nur zu einer unnützen Ueberfüllung des Bildraumes mit nackten und verkürzten Gestalten, zu einer schärferen Schattengebung, als bei Tizian üblich war, und merkwürdiger Weise zu einem übertriebenen, geistlosen Naturalismus (Abendmahl in S. M. dell' Orto). Nicht sein riesiges Oelbild im Dogenpalaste: das Paradies (74' lang und 30' hoch), sondern nebst mehreren älteren Werken seine Porträte bilden seine verdienstlichsten Arbeiten. Noch weniger als Tintoretto konnten jüngere Künstler fremden Einflüssen sich entziehen und vor der allgemein einreissenden Manierirtheit sich retten; doch war des Unver[S. 272]wüstlichen in der venetianischen Schule noch genug vorhanden, um selbst im 17. Jahrhundert (Palma giovine, Aless. Varotari il Padovanino u.A.) durchzubrechen, und die Schönheit der alten Meister, wenn auch nur theilweise, wieder aufleben zu lassen.


B. Die Kunst diesseits der Alpen.

§. 108.

Gleichzeitig mit Italien vollführt auch der Norden in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts den Uebergang zum Realismus. Die Verschiedenheit in der Entwickelung und im Ziele hier und dort wurde bereits früher angedeutet, und das Wesen der nordischen Kunst in der Ausbildung des streng malerischen Styles gefunden. Als Folge desselben erscheint das individualisirende Element in der Composition und in der Behandlung der einzelnen Gestalten. Der Gegenstand der Darstellung wird in eine bestimmte Zeit und in einen bestimmten Raum versetzt; dieser letztere mit allen Mitteln der Schilderung ausgemalt; in den Köpfen herrscht die porträtartige Auffassung vor; in den Gewändern wird stets der bestimmte Stoff zur Anschauung gebracht. Noch entfernt sich aber diese Richtung von dem späteren Naturalismus durch den symbolischen Gedankengehalt, welchen sie im Anfange nicht nur beibehält, sondern auch in tiefsinniger Weise weiter entwickelt, sowie auch der auf die Ausmalung der Reichthümer der Erde und der mannigfaltigen menschlichen Zustände verwendete innige Fleiss einen idealistischen Zug verrathet. In diesem Reichthume und dieser Mannigfaltigkeit soll sich die Macht des göttlichen Geistes spiegeln, das allumfassende Wesen des göttlichen Reiches in der bunten Gestaltenfülle zum Ausdrucke gelangen. Menschen und Natur ziehen ein Festkleid an, die Innigkeit der Andacht, die Begeisterung des Glaubens bilden das vereinigende Band der Individuen, und der Sieg der christlichen Idee strahlt nur um so glänzender, je verschiedenartiger die Natur ihrer Bekenner, je ausgedehnter der Kreis ist, welchen sie belebend durchdringt. Kein Bild versinnlicht daher die Richtung der nordischen Kunst so deutlich, als der Pilgerzug der Magier und ihres Gefolges zur Krippe des Christkindes, keinem Motive begegnen wir desshalb auch häufiger und mit grösserer Vollendung geschildert, als diesem. Wenn nun aber trotz des[S. 273] malerischen Styles keine den Venetianern oder Correggio und da Vinci verwandte Coloristenschule sich ausbildet, so wird dies durch den Mangel an Formstudien begründet, wodurch die Gelegenheit mit der Farbe zu modelliren und durch Abtönung und Verschmelzung den Gestalten den Schein plastischer Rundung zu leihen, benommen ist. Die letzteren erscheinen vielmehr in den Umrissen scharf, oft eckig; ebenso die Gewänder kleingebrochen und knitterig.

Nicht in Deutschland, sondern in Flandern wurde die neue Kunstweise begründet.[92] Es fehlte hier nicht an günstigen äusseren Bedingungen zur raschen Kunstentwickelung; die reiche Blüthe der flandrischen Handelsstädte Brügge und Gent, die glänzende Pracht am burgundischen Hofe nährten Auge und Phantasie; die vorangegangene kampfreiche Zeit hatte dem Künstler eine Welt männlicher Kraft und festen Bürgersinnes eröffnet, welche für die eingeschlagene Kunstrichtung vortrefflich passte. Auch können die Leistungen in verwandten Kunstfächern, welche in benachbarten Landschaften im 14. und am Beginn des 15. Jahrhunderts angetroffen werden, als Vorbereitung des flandrischen Realismus gelten. Schon im Anfange des 14. Jahrhunderts zeigen niederländische Miniaturen das Streben zu individualisiren, eine sorgfältigere Angabe von Schatten, frische und mannigfaltige Farben; in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts steigert sich die Individualisirung und die Naturwahrheit, launige Darstellungen aus dem Kreise des gewöhnlichen Lebens sind beliebt und werden mit hellen glänzenden Farben ausgeführt. Die alte Kunstschule zu Dinant, die neu emporblühende zu Dijon (dort Jehan dos Joses (1372) hier der Bildhauer Claus Sluter und Claux de Vousonne, der Bildschnitzer Jack Baerze, der Maler Melchior Broederlam u. A.) gehen gleichfalls auf den Realismus der Darstellung ein, welcher in der Bildhauerschule zu Tournay zu hoher Vollkommenheit gebracht wird, und hier bereits im 14. Jahrhundert den gleichen Kunststyl erzeugt, welcher im 15. Jahrhundert in Brügge die Malerei beherrscht. (Wir kennen den Künstlernamen: Guillaume du Gardin (1341), Colard de Feclin (1341)); die wichtigsten Denkmale der Schule sind die Grabmonumente in Tournay, theils im Privatbesitze, theils in den [S. 274]Kirchen bewahrt. Der spezielle Entwickelungsgang der flandrischen Malerschule, bis sie in den Brüdern Hubert und Johann van Eyck zu wunderbarer, scheinbar unerklärlichen Vollendung gelangt, ist aber noch immer in Dunkel gehüllt. Die Brüder Eyck stammen von der Maas; wie viel verdanken sie den schon von Wolfram von Eschenbach besungenen Schilderern von Maestricht, welche Anregungen erhielten sie in Brügge, wohin der ältere Hubert im Anfange des 15. Jahrhunderts wanderte? Wesentlich unterstützt wurde die wunderbare Raschheit der Entwickelung durch die Verbesserung der Technik, die Anwendung des Oeles als Bindemittel, durch dessen längere Flüssigkeit der pastose Farbenauftrag, die Verbindung und Verschmelzung der Farbentinten auf dem Bilde selbst möglich wurde, sowie die Mischung des Oeles mit einem unbekannten Harze den Farben einen tiefen Glanz und unzerstörbare Dauer verschaffte. Ohne diese technischen Hülfsmittel musste das ganze Streben der flandrischen Schule erfolglos bleiben. Schon Hubert, dem etwa 30 Jahre älteren Bruder (1366–1426?) wird die unrichtig sogenannte Erfindung der Oelmalerei (denn sie war nicht allein den Bildhauern von Tournay, sondern auch nach Aetius den Vergoldern und Wachsmalern des 6. Jahrhunderts bekannt) zugeschrieben; den grössten Ruhm jedoch erwarb der auch historisch besser bekannte Jan van Eyck (um 1400–1441). Bereits am Hofe Johanns von Bayern werthgehalten und als »peintre et valet de chambre« (1425) angestellt, fand er auch an Philipp dem Guten einen warmen Gönner, in dessen Auftrage er sich der Gesandtschaft des Herrn von Roubaix nach Portugal (1428) anschloss, um die Herzogsbraut, die Infantin Isabella zu conterfeien. Das Hauptwerk der Brüder Eyck, das berühmte Genter Altarbild (1432 vollendet) und theils in Gent — S. Bavo — theils in Berlin bewahrt, belehrt uns am sichersten über die Stylverschiedenheit zwischen beiden Brüdern. Hubert hatte es begonnen, Jan fortgesetzt und vollendet. Aus 12 Tafeln bestehend, zeigt es, wenn die Flügel geöffnet werden, im Hauptbild die Anbetung des Lammes durch die Erzväter, Propheten, Apostel und Märtyrer, welchen sich auf den Seitentafeln die Streiter Christi und die gerechten Richter, die Pilger und Einsiedler anschliessen. Die inneren oberen Tafeln, zum Theile Hubert zugeschrieben, zeigen Gott Vater mit Maria und Johannes d. T., musizirende Engelchöre und Adam und Eva. Die weichere Behandlung, der idealisirende Faltenwurf, der[S. 275] tiefe bräunliche Farbenton in diesen letzten Tafeln stimmt mit dem Charakter eines anderen Bildwerkes von gleichem symbolischen Inhalt in der Galerie S. Trinidad zu Madrid: der Born des lebendigen Wassers, überein, welches aus diesem Grunde gleichfalls Hubert zugeschrieben wird. Auch ein hl. Hieronymus in den Studii zu Neapel, gewöhnlich Col Antonio getauft, gilt für ein Werk Huberts van Eyck, dessen Theilnahme, sowie die seiner Schwester Margaretha, auch in mehreren Bilderhandschriften (Messbuch und Brevier des Herzogs von Bedford u. A.) vermuthet wird. Datirte Werke Jan van Eycks besitzen wir folgende: die Weihe des Thomas Becket zum Bischofe 1421 (bei der Hz. von Devonshire), Mad. unter dem Schirmdache 1432 (Liverpool, bei Blundell), das Ehegelöbniss, genremässig behandeltes Porträtbild 1434 (Nat.-Galerie in London), thronende Madonna mit Heiligen und Donataren 1436 (im Brügger Museum), Bildniss des Jan de Leeuw 1436 (Belvéder Galerie), die hl. Barbara grau in grau 1437 (Antwerpener Museum), Christuskopf 1438 (Berliner Museum), das Bildniss seiner Frau 1439 (Brügger Museum?), stehende Madonna 1439 (Antwerenper Museum). Grösser ist die Zahl der undatirten Bilder, und unter diesen allerdings die Mehrzahl ohne allen Anspruch auf den Namen des Meisters. Unbestrittene Originale sind: Zwei kleine Flügel (Kreuzigung und jüngstes Gericht) ehemals in Spanien, Bildniss des Jodocus Vyts in der Belvéder Galerie, Madonnenbilder ebendort, in Dresden, Louvre, Antwerpen (Privatbesitz), Haag, der hl. Hieronymus (Stratton, Hampshire) u. a.

Theils die äusseren Verhältnisse, in welchen die nordischen Künstler lebten, theils der Umstand, dass sie keine in dem Gedächtniss der Zeitgenossen und Nachkommen festhaftenden Monumentalwerke, sondern kleine Tafelbilder fertigten, haben einen traurigen Mangel an sicherer historischer Kunde zur Folge. Es fehlt weder an Namen, noch an Werken, aber beide zu verbinden hält bei den nothwendigen Schwankungen aller Urtheile, die sich auf das Stylgefühl gründen, überaus schwer. Auch fehlt es bei der gleichmässigen Technik in der Eyck'schen Schule und dem geringen Hervortreten der subjektiven Weise der Künstler an übersichtlichen inneren Unterschieden. An Hubert van Eyck reihen sich Peter Christophsen, von welchem eine Madonna in Frankfurt a. M. 1417, der hl. Eligius als Goldschmied (in Köln bei Oppenheim) vom Jahr 1449 und zwei[S. 276] Altarflügel im Berliner Museum, vom Jahr 1452 datirt, vorkommen, Gerhard van der Meere in Gent und ein sonst unbekannter Jodocus von Gent an. Ausserdem besitzen die Münchner Pinakothek (Melchisedech und Mannasammeln, die Gefangennehmung Christi), das Berliner Museum (Elias und das Passafest, mit den erstgenannten in München ein Werk bildend, wozu die Mitteltafel: das Abendmahl in der Peterskirche zu Löwen bewahrt wird), das Madrider Museum (zwei Flügelbilder vom Jahr 1438 mit dem Donator Werlis aus Köln), das Antwerpner Museum (7 Sakramente), Werke, welche jedenfalls der älteren Schule der Eycks angehören, mag schon über ihren bestimmten Urheber Streit und Zweifel herrschen. Nach dem Stifter der Schule besitzt den weitest verbreiteten Ruhm der ältere Roger van der Weyden (u. 1400–1464) in Brüssel sesshaft und längere Zeit in Italien thätig. Authentische Bilder dieses Meisters, dessen scharfe Charakteristik innerer Seelenzustände, graziöse Malerei und treffliche Zeichnung von alten Schriftstellern gerühmt wird, besitzen wir nicht; doch haben die Madonnen mit Heiligen im Städel'schen Museum, und der sogenannte Reisealtar Karl des V., welchen König Johann der Karthause von Miraflores schenkte, im Berliner Museum mit der Kreuzabnahme als Hauptbild (nur Kopie?) den grössten Anspruch auf den Namen Rogers. Von einem grossen Werke im Brüsseler Rathhaus, welches heroische Akte der Gerechtigkeit: Herkenbald und Trajan in 4 Bildern behandelte, und Dürers Bewunderung erregte, haben wir nur schriftliche Nachrichten. Ausserdem werden ihm der Johannesaltar (im Berliner Museum), das jüngste Gericht im Hospital zu Beaune, der hl. Lukas (Münchner Pinakothek), die Anbetung des Kindes (in München und Berlin), Bathseba und David (Stuttgart) mit grösserem oder geringerem Rechte zugeschrieben. Aehnlich wie Roger haben auch zwei andere Zeitgenossen, Hugo van der Goes aus Gent (u. 1420–1473) und ein Justus von Gent (1474 thätig) in Italien Werke aufzuweisen, jener in S. M. nuova zu Florenz: die Geburt Christi mit Flügeln, und dieser in S. Agata zu Urbino: die Einsetzung des Abendmahles; doch folgt daraus keineswegs ein längerer Aufenthalt dieser Künstler jenseits der Alpen, da zwischen den flandrischen Städten und dem Süden ein eifriger Handelsverkehr herrschte, und die Bestellungen in Brügge oder Gent selbst erfolgen konnten.

Die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts brachte die Eyck'sche[S. 277] Kunstrichtung zur allgemeinen Herrschaft in den Niederlanden und den benachbarten Reichen, und zeigt einen staunenswerthen Reichthum an Künstlernamen. Als Karl der Kühne 1467 seine Hochzeit in Brügge feierte, konnte er behufs dekorativer Arbeiten über hundert aus Tournay, Brüssel, Antwerpen, Cambray, Arras, Valenciennes, Löwen, Ypern herbeigeeilte Maler und Kunsthandwerker gebieten; wir werden den flandrischen Einfluss in Frankreich, Spanien, Deutschland waltend erblicken, und stossen auch im benachbarten Holland und Brabant auf Schüler und Nachfolger der Brüder Eycks. In Holland lernen wir Dirck Stuerbout von Harlem (thätig 1462) kennen, welcher im Rathhause zu Löwen ähnliche historische Schilderungen ausgezeichneter Gerechtigkeitspflege malte wie Roger in Brüssel, dann Gerhard von Harlem und Albert Ouwater. Von den zahlreichen Bildern, welche früher dieser holländischen, in der Färbung kühleren, in der Composition oft trockenen Schule zugeschrieben wurden, ist das Danziger Altarbild das berühmteste. Es wurde 1467 gemalt und kam 1473 als Kriegsbeute nach Danzig. Auf dem Mittelbilde wird das jüngste Gericht (Hauptfigur des hl. Michael), auf den Flügeln die Hölle und das Paradies mit Aufwand aller Farbenpracht, ausgestattet mit humoristischen Zügen in lebendiger, überaus naturwahrer Weise, zur Darstellung gebracht. Die Urheberschaft wird bald Ouwater, bald Justus von Gent, bald Hemling zugemessen. Der letztgenannte Meister hat den grössten Anspruch darauf.

Während die Eyck'sche Kunst siegreich nach aussen sich verbreitete, blieb sie auch in ihrer eigentlichen Heimath nicht ohne Fortbildung. Sie knüpft an den Namen Hans Hemling oder Memling an und führt den Realismus in der Composition wie in der Ausführung siegreich durch. Das symbolische Element tritt zurück, die Vorliebe für die ausführliche Schilderung der Erscheinungswelt steigt. Der landschaftliche Hintergrund wird selbständiger und reicher behandelt, die Haupthandlung durch mannigfache Nebenscenen belebt, die Färbung ist weicher, in der Gruppirung noch häufig die architektonische Symmetrie festgehalten, aber die Bewegung der Einzelgestalten freier und mannigfacher. Ueber Hemlings Bildungsgang und Lebensverhältnisse belehrt uns nur eine flüchtige Tradition. Sie gibt ihm zum Lehrer Roger v. d. W. und lässt den Künstler nach der Schlacht bei Nancy (1477) krank und hülflos nach Brügge zurückkehren, wo er im Johanneshospitale freundliche Aufnahme und Heilung fand. Als das Land,[S. 278] wo er starb, gilt, obwohl unbegründet, Spanien. Durch die Namensunterschrift beglaubigte Bilder sind bis jetzt bloss zwei entdeckt worden, beide im Johanneshospitale bewahrt, und im Jahre 1479 gearbeitet. Das eine stellt die Anbetung der Könige mit der Geburt Christi und der Darstellung im Tempel auf den Flügeln, das andere die Vermählung der hl. Catharina (Johannesaltar) vor. Ebendort befindet sich ein anderes Hauptwerk des Meisters, der Kasten der hl. Ursula, mit 6 Bildern aus der Legende der Heiligen. Gerade die kleinen Verhältnisse der Tafeln gestatteten Hemling eine freie Entfaltung seiner Vorzüge, und liessen ihn hier ein Werk schaffen, welches in der einfachen Klarheit der Erfindung, in der zarten, ausdrucksvollen Ausführung und in der Schönheit des Colorites seinesgleichen sucht. Hemlings Name besitzt einen viel zu guten Klang, als dass nicht eine endlose Zahl von Bildern mit demselben geschmückt würde. Mit verhältnissmässiger Sicherheit dürfen folgende Werke auf ihn zurückgeführt werden: Das grosse Flügelbild mit der Passion im Lübecker Dome (1491), die sogenannten 7 Freuden Mariä in München und die 7 Leiden in Turin, die Kreuzabnahme im Johanneshospitale zu Brügge, eine Madonna mit dem Stifter Martin von Niewenhoven ebendort, eine andere im Strassburger Museum und der Reisealtar Karl V. im Madrider Museum: Anbetung der Könige mit der Geburt Christi und der Darstellung im Tempel auf den Flügeln. Die blosse Inhaltsangabe reicht hin, die Eigenthümlichkeit Hemling'scher Bilder, dass nicht allein eine zusammengehörige Geschichtenfolge auf mehreren Tafeln vertheilt ist, sondern eine Tafel die mannigfachsten Momente einer Begebenheit in epischer Breite vor die Augen stellt, zu verdeutlichen. Dieselbe kommt zwar auch anderwärts vor, nirgends jedoch ist sie von so grossem Einflusse auf den Styl und Charakter des Künstlers. Ergänzend muss noch Hemlings Thätigkeit als Miniaturmaler erwähnt werden. Das bedeutendste Werk dieser Gattung ist das Gebetbuch des Cardinal Grimaldi in der Markusbibliothek zu Venedig, von Hemling mit Hülfe des Livin von Antwerpen und Gerhard von Gent mit Randzeichnungen und selbständigen Gemälden geschmückt.

Obgleich uns kein Name von Schülern Hemlings erhalten ist, so unterliegt doch der nachhaltige Einfluss auf seine Zeitgenossen keinem Zweifel. Dass aber schon das nächste Geschlecht, von einer geistigen Unruhe weiter getrieben, sich mit der Eyck'schen Kunst[S. 279]weise nicht mehr begnügte und nach neuen Bahnen suchte, lag in der Nothwendigkeit, den Realismus in allen Consequenzen zu vollenden. Dieser barg ein doppeltes Element in sich, er zerstörte die mittelalterliche Anschauungsweise und verweltlichte die Kunst, sei es, dass er die Unterordnung der äusseren Erscheinungswelt unter allgemeingiltige geistige Ideen verwarf, sei es, dass er die letzteren in phantastischer Willkür sich auflösen liess; er wollte aber auch auf entgegengesetztem Wege den älteren Idealismus durch die dramatische Composition und die Grösse und Gewalt der äusseren Formen erreichen. Den ersten Weg schlug die jüngere holländische, den anderen die Brabanter Schule ein.

Lucas von Leyden (1494–1533), der Schüler des wenig bedeutenden Cornelius Engelbrechtsen (1468–1533), mehr Kupferstecher als Maler, bricht der weltlichen Kunst, welche das gemeine Leben zum Vorwurfe ihrer Darstellungen nimmt, und auch religiöse Scenen als Genrebilder behandelt, Bahn. Sein jüngstes Gericht im Rathhause zu Leyden besitzt keine grossen Verdienste; dagegen sind sein Zahnbrecher (Devonshirehouse in London), seine Spieler (Wiltonhouse) ebenso charakteristisch für die Richtung des Künstlers, als folgenreich für die spätere holländische Kunst. Das phantastische Element wird vorzugsweise durch Hieronymus Bosch aus Herzogenbusch ausgebildet, für dessen Zerrbilder seltsamer Weise Philipp II. von Spanien eine besondere Vorliebe besass. Noch jetzt bewahrt Spanien seine wichtigsten Werke: Anbetung der Könige, wo das Landschaftliche vor den Figuren vorherrscht, Versuchung des hl. Antonius, Sturz der Engel, Triumph des Todes, die Eitelkeit der Welt, sämmtlich im Madrider Museum und durch die wunderlichsten Spukgestalten und Karikaturen ausgezeichnet. Auch das Berliner Museum bewahrt eine von reicher Erfindungskraft zeugende, aber durch die Hässlichkeit der Formen anwidernde Darstellung der Hölle.

An der Spitze der wenig bekannten Brabanter Schule steht Quintin Messys, der Schmied von Antwerpen († 1529). Er verwarf die kleinen Verhältnisse des flandrischen Styles, ebenso wie die Zersplitterung des Raumes durch endlose Schilderungen und den Detailreichthum, suchte durch die dramatische Kraft der abgeschlossenen Composition, durch mächtige und ausdrucksvolle Formen zu wirken. Seine Hauptwerke sind die Kreuzabnahme im Antwerpener Museum, mit den Martyrien Johannes d. T. und des Evangelisten auf[S. 280] den Flügeln, und ein Flügelaltar (Anna und Maria) in der Peterskirche zu Löwen. Ausserdem schuf er ein vielbeliebtes und oft kopirtes Genrebild: die beiden Geizhälse. (Mehrere Exemplare dieses, sowie andere gewöhnlich auf Quintin geschriebene Sittenbilder rühren von seinem Sohne Johann Messys her.) Es konnte aber dieses Streben nicht ohne Umwege zur Vollendung gelangen, da den Künstlern dieses Zeitalters die Formstudien fehlten und sie auf ihrer Bahn nothwendig an die italienische Kunst anstreifen mussten. Dann lag aber das Eingehen auf den Idealismus des Cinquecento näher und bequemer, als die abgeschlossene Entwickelung eines verwandten Styles. In der That kehren auch die niederländischen Meister des 16. Jahrhunderts der heimischen Weise den Rücken und werden Anhänger der römischen Schule, so Joh. Gossaert oder Mabuse (u. 1469–1532), Bernhard van Orley aus Brüssel (1490–1560), Johann Schoreel aus Holland (1495–1562), Michael Coxcie aus Mecheln (1497–1592), Martin van Veen oder Heemskerk (1498 bis 1574), bei welchen Meistern zwischen den Werken, welche sie vor und nach ihrer italienischen Studienzeit fertigten, wohl unterschieden werden muss. Die italienisirende Richtung und Vorliebe bald für Raphael, bald für Michelangelo steigert sich im Laufe des 16. Jahrhunderts und lässt bei der jüngeren Künstlerfolge die heimische Tradition vollkommen zurücktreten: Lambert Suterman oder L. Lombard (1506–1560), Frans Vriendt oder Floris (1520–1570), der »flandrische Raphael« (Loth mit seinen Töchtern im Berliner Museum), die Brüder Franck, Fr. Pourbus d. ä., ebenso wie sein Sohn gleichen Namens, beide als Porträtmaler verdienstlich, Martin de Vos 1534 bis 1604 (Schlosskapelle in Celle), nach Floris Tode das Haupt der niederländischen Schule und gleich diesem von einer grossen Zahl von Schülern umringt, Carl van Mander, Barthol. Spranger, Goltzius und zahlreiche Andere. Dass die Werke dieser Meister zu den unerfreulicheren Erscheinungen der Kunstgeschichte gehören, und namentlich alle Wahrheit und Poesie vermissen lassen, ist bei der herrschenden Manierirtheit in ihren italienischen Vorbildern doppelt begreiflich, dennoch aber der Glaube, diese ganze Richtung sei eine blosse Abirrung ohne Nothwendigkeit und Gesetz, in keiner Weise gerechtfertigt.

§. 109.

Auch die deutsche Malerei des 15. Jahrhunderts vollzog den Uebergang zum unmittelbar lebendigen Realismus, und sagte sich[S. 281] vom typischen Idealismus los; sie vollzog ihn aber nicht in selbständiger Abgeschlossenheit, sondern unter der Einwirkung der flandrischen Schule. Am frühesten und beinahe ohne Gegengewicht zeigt sich dieser Einfluss in den benachbarten rheinischen Schulen; später und bedingter taucht er im inneren Deutschland auf. Hier findet auch die deutsche Kunst ihre weitere Fortbildung, und im 16. Jahrhundert ihren Gipfelpunkt, ohne dass wir im Stande wären, mehr als die Spitzen der künstlerischen Thätigkeit in Deutschland zu erkennen. Die geringe Kunde von deutschen Künstlern, die Namenlosigkeit so vieler Werke, der auffallende Umstand, dass viele Schulen nur durch einen einzigen Namen oder eine Künstlerfamilie vertreten sind, vor und nach welchen wieder dunkle Nacht herrscht, hat seinen Hauptgrund in den inneren Zuständen der deutschen Kunst. Sie hält am festesten am Handwerksboden und lebt in dem engsten Zunftverbande. Allerdings theilt sie alle Vortheile, welche den bildenden Künsten aus dem Zusammenhange mit dem Handwerke entwachsen: die sichere Technik, die lebendige Tradition, das feste Beherrschen des Erworbenen; aber sie muss auch die Nachtheile, welche aus der Abgeschlossenheit in einer engbegrenzten Bildungssphäre hervorgehen, tragen. Andere Sammelplätze künstlerischer Thätigkeit, in den Niederlanden, in Italien, entgehen der letzteren durch häufigere Berührungspunkte nach aussen, einen erweiterten Wirkungskreis der Künstler, und ein vielseitigeres Leben derselben, während die deutschen Reichsstädte die Anschauungen und den Formensinn ihrer »Stadtmaler« nur in beschränkter Weise anregen konnten. Gerade der durch das Colorit, die Mächtigkeit und den Adel der Formen wirkende Realismus der Malerei aber muss ein weites Gebiet der Erscheinungswelt beherrschen, und den Reichthum der Erde selbst schauen und geniessen. Kein Wunder, wenn bei der Mehrzahl der deutschen Werke dieser Periode das Harte, Eckige, oft Hässliche der Formen vorwaltend gefunden, und bei den Künstlern das Bewusstsein der Grenzlinie vermisst wird, welche die Phantasie von der Phantastik, die lebendige Wahrheit von Verzerrungen und Uebertreibungen des Ausdruckes scheidet. Diese Mängel fallen in den ausgeführten Tafelbildern am grellsten auf. Zum Glücke beschränkt sich aber die Thätigkeit der altdeutschen Schulen nicht auf die Fertigung derselben; neben der Oelmalerei wird der Holzschnitt und Kupferstich eifrig gepflegt, [S. 282]und in diesen Kunstgattungen die positive Seite der altdeutschen Kunst glänzend entwickelt. Man irrt, wenn man den altdeutschen Malern Phantasiearmuth vorwirft, und sie unfähig erachtet, geistige Zustände mit Wahrheit und lebendiger Kraft zu schildern. Ihre Phantasie überschreitet im Gegentheile oft die Schranken der malerischen Ausdrucksmittel, und lässt die äusseren Formen der Gedankenfülle nachhinken; ebenso gross sind ihre Verdienste als Physiognomiker und Charakterzeichner. Um nun diese Eigenthümlichkeiten frei entwickeln zu können, bedurfte es eines absolut gefügigen, jeder Wendung der Phantasie folgenden Materiales, welches keinen Anspruch darauf macht, das Auge zu einem längeren Beharren bei den äusseren Formen zu zwingen, auf den Schein glanzvoller Realität verzichtet, und einen Ueberschuss des Inhaltes über die Form aufweist. Dieses Material ist der Holzschnitt und der Kupferstich, Kunstgattungen, welche gegenwärtig meist nur zur Vervielfältigung grösserer Bildwerke dienen, ursprünglich aber die gleiche Selbständigkeit, wie z.B. die Oelmalerei, besassen. Der Holzschneider und Kupferstecher war nicht Kopist, sondern auch der Erfinder seiner Tafeln.

Unter diesen Umständen ist es begreiflich, dass die Erfindung und die Ausbildung dieser Kunstgattungen vorzugsweise dem germanischen Norden anheim fällt. Unbestritten ist der Holzschnitt ein deutsches Produkt. Bereits das 14. Jahrhundert kannte in Ulm Briefmaler (Verfertiger illuminirter Holzschnitte) und Formenschneider; aus dem Beginne des 15. Jahrhunderts (1407) hat sich in Augsburg ein Holzschnitt (hl. Mauritius) erhalten; der gleichen Zeit entstammen mehrere Blätter aus Tegernsee; andere tragen das Gepräge der altkölnischen Schule (hl. Barbara und Katharina im Berliner Kupferstichkabinet), können daher auch nur im Anfange des 15. Jahrhunderts entstanden sein. Schliesslich wäre noch der Buxheimer Christoph (im Louvre), mit dem Jahre 1423 bezeichnet, welcher lange Zeit vor allen anderen Schnitten das höchste Alter für sich in Anspruch nahm, zu erwähnen. In Bezug auf den Kupferstich streiten Italien und der Norden um den Vorrang der Erfindung. Nach Vasaris Erzählung soll der Goldschmied Maso Finiguerra die Kunst, von vertieften Zeichnungen Abdrücke zu nehmen, zuerst erfunden haben. Auch zeigen die ältesten italienischen Kupferstiche eine nielloartige Behandlung, so dass die Ableitung der Kupferstiche von den Nielloplatten nicht unbegründet erscheint. Während aber kein italienischer Kupferstich das Jahr 1471, wo Baccio Baldini und Sandro Botticelli den Monte santo di Dio[S. 283] herausgaben, überragt, kommen in Deutschland bereits im Jahre 1461 (maître aux banderoles in der Basler Bibliothek) und 1466 (der niederdeutsche Meister E. S.) von längerer Kunstübung zeugende Blätter vor. Für das höhere Alter der deutschen und niederländischen Kupferstichkunst spricht ferner eine alte Tradition, welche den berühmten Martin Schön in Colmar als ihren Erfinder preist. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass Martin Schön, ein Schüler des älteren Roger, diese Kunst in den Niederlanden erlernte, aus welcher Landschaft mehrere der ältesten Kupferstiche, ganz in der Weise der Eycks gearbeitet, stammen. Von den Niederlanden wandert mit der Malweise die Kupferstichkunst nach Deutschland; während aber die erstere in den Händen der deutschen Nacheiferer an Werth verliert, wird die letztere erst auf deutschem Boden zur Vollendung entwickelt.

§. 110.

Wir beginnen die Aufzählung der deutschen Malerschulen des 15. Jahrhunderts mit der Niederrheinischen und Kölnischen. Die unmittelbare Schule Meister Stephans tritt uns in dem Maler der Ursulalegende (Ursulak.) in ihrer gänzlichen Verflachung entgegen. Desto energischer erscheint der Fortschritt zum Realismus, desto eingehender das Studium der Niederländer in dem namenlosen Meister der Lyversberg'schen Passion oder Pseudoisrael (u. 1463), und zahlreichen verwandten Künstlern. Der genaueren Specialforschung bleibt es vorbehalten, die erhaltenen Werke zu sondern und der einreissenden Sucht, Alles auf denselben Namen zurückzuführen, eine Grenze zu setzen. Wesentlich verschieden von dem hell und bunt färbenden, übertrieben ausdrucksvollen Meister der Passion (8 Tafeln, ehemals im Besitze Lyversbergs, jetzt des Herrn Baumeister in Köln), von dessen Hand auch die Altarbilder in Linz und Sinzig am Rheine angeführt werden, sind die Scenen aus dem Leben Mariä (in der Münchner Pinakothek und bei Herrn Neven in Köln), und andere im Museum und im Privatbesitze zu Köln befindliche Bilder. In den Werken zweier namenloser Meister (die hl. Katharina und Barbara mit Donataren bei Herrn Dormagen, und drei weibliche Heilige bei Herrn Clave in Köln, sowie die Legende des hl. Sebastian im städtischen Museum) wird mit Glück der lebendigen Naturwahrheit eine anmuthige Kopfbildung verknüpft; in dem letztgenannten grell gefärbten Bilde aber auch schon der knitterige Faltenwurf beliebt. Die gleiche Grundlage [S. 284]der flandrischen Einwirkung offenbaren auch Calcarer Werke, welche auf den Namen eines älteren und jüngeren Meisters von Calcar geschrieben werden (Hauptaltar in Calcar, Mater dolorosa in der Münchner Pinakothek u. a.), und durch die formengerechte Zeichnung, die Mannigfaltigkeit des Ausdruckes, den gesteigerten Naturalismus in der Composition hervorragen. Aus dem letzteren zu einem höheren Style sich emporzuringen und der äusseren Lebendigkeit auch ein tieferes inneres Leben beizugesellen, ist das Ziel zweier Kölner Künstler um das Jahr 1500, des Pseudolukas und des Pseudoschoreel, welche gegenwärtig nach ihren Hauptwerken: Meister des Bartholomäus oder Thomas und Meister vom Tode Mariä, benannt werden. Dass auch dieselben nur die Spitzen einer zahlreichen Künstlergruppe vorstellen, unterliegt keinem Zweifel. Der Erstgenannte, auch Meister Christoph betitelt, suchte dies Ziel durch Zierlichkeit der Wendungen, durch den Reichthum äusserlicher Motive zu erreichen (Hauptwerke: in der Münchner Pinakothek, Bilder mit Heiligenfiguren, im Privatbesitz zu Köln, die Kreuzigung, und Thomas, die Wundmale berührend, beide Flügelbilder); der andere bedeutendere Meister durch eine feinere Charakteristik innerer Zustände und affektvolle Darstellung (Hauptwerke: Tod der Maria in der M. Pinakothek, Klage um den Leichnam Christi im Städel'schen Museum, Ausgiessung des hl. Geistes in der Abel'schen Sammlung zu Stuttgart u. a.). Die Vorliebe, welche diese jüngere Kölner Schule für Passionsscenen hat, ist ebenso bedeutsam, als ihr Zusammenhang mit der späteren niederländischen Kunst (Quintin Messys) unbestreitbar. Noch bleiben mehrere Kölner Maler des 16. Jahrhunderts anzuführen, wie Johann v. Melem, der als Formschneider berühmte Anton von Worms (Prospektus von Köln) und Barthol. Bruyn (-1560), mit welchem die selbständige Kölner Schule abschliesst, um sich in die Nachahmung der italienischen Manier zu verlieren. Sein Hauptwerk ist der Hochaltar im Xantener Dome; zu seinen besseren Leistungen gehören mehrere Bildnisse. Die Identität des Kölner Styles in der Malerei und Bildnerei wird ersichtlich in den Orgeldekorationen zu S. Pantaleon und Maria auf dem Kapitol.

Bedeutender und anziehender ist die Entwickelung der Malerei in Westfalen. Der conservative Kunstcharakter dieser Landschaft liess noch einzelne Züge der älteren Weise bestehen und die flandrische Lebendigkeit mit einer eigenthümlichen idealen Anschauung sich verbinden. Als Hauptmeister dieser Richtung erscheint ein[S. 285] Künstler, von welchem die Fragmente des Liesborner Altares (aus dem Schlusse des 15. Jahrhunderts), gegenwärtig in England, herrühren. Andere im Privatbesitze befindliche Bilder deuten eine zahlreiche Schule an, welche sich um diesen deutschen Fiesole gruppirte, ohne dass der immer mächtigere Realismus auf die Dauer abgewehrt werden konnte. Er zeigte sich in den Werken der Soester Malerschule (Flügelaltar in der Marienkirche, Triptychon des Meisters Suelnmeigr, Altar des Jarenus (?) im Berliner Museum) und in den Werken des Victor und Heinrich Dunnwegge zu Dortmund. In der späteren Zeit des 16. Jahrhunderts tritt die Künstlerfamilie zum Ring in Münster (Ludger d. Ä. u. J., Hermann) thätig auf, theilweise, wie noch andere namenlose westfälische Bilder an die jüngere Kölner Schule anmahnend.

Tiefer in Deutschland tritt uns der niederländische Einfluss am Oberrheine und in Schwaben entgegen. Dort bethätigt ihn Martin Schön oder Schongauer, zu Colmar thätig, einer Ulmer Künstlerfamilie entsprossen, aber in den Niederlanden (durch den älteren Roger) gebildet (u. 1420–1488 oder 1499?). Geringer ist die Zahl und auch der Ruhm seiner Oelgemälde, als jener der von ihm gefertigten Kupferstiche, deren man 119 Blätter religiösen und sittenbildlichen Inhaltes kennt. Die ersteren sind vorzugsweise in Colmar verwahrt (die Madonna im Rosenhage, Anbetung des Christkindes u. a.), sonst auch in München (Davids Einzug), in Rom (Tod der Maria in P. Sciarra) vorhanden. Sie zeigen bei mageren Formen einen tiefen Ausdruck, einen mehr nach innen gekehrten, als mit der ausführlichen Schilderung von Aeusserlichkeiten beschäftigten Sinn, eine mehr zeichnende als malende Behandlung, und im Ganzen einen Meister, der sich im freien Kupferstiche wohler fühlt, als in der gebundenen Oelmalerei. Ueber seine gewiss zahlreiche Schule fehlen uns alle Nachrichten.

In Schwaben, wo noch im 15. Jahrhundert der typische Idealismus sich herrschend erhielt, die Künstlerfamilien der Beham, Acker, Schön, Lindenmayer, Stocker, Knechtelmann blühten, und die Werke des Lukas Moser (Tiefenbronn), Ulrich zu Maulbronn, eine verwandte Richtung mit der gleichzeitigen Kölner Schule aufweisen, brachte Friedrich Herlen, in Ulm und Nördlingen thätig († 1491), die niederländische Weise in Aufnahme. Man kann unter niederländischer Arbeit schwerlich die bunt gefärbten Altarschnitzwerke ver[S. 286]stehen, da dieselben schon viel früher in Deutschland bekannt waren, wohl aber hat das realistische Kunstprincip der flandrischen Schule diesen eigenthümlichen Kunstzweig, der Skulptur und Malerei äusserlich aneinander knüpfte, und auch innerlich verwebte, zu reicher Entwicklung gebracht. Schwaben ist vor den meisten deutschen Landschaften an polychromer Holzbildnerei reich bedacht. Nur Pommern besitzt eine ähnliche Fülle mit der Malerei verbundener Skulpturen (ausserdem verdient Brüggemans Altar in Schleswig eine besondere Erwähnung). Von dem oben erwähnten Friedrich Herlen rührt der Altarschrein in der Jakobskirche zu Rothenburg a. d. T. 1466 her; ähnliche Werke sind in Nördlingen, Bopfingen, Herrenberg (v. 1450), Gmünd, Hall, Kreglingen, Blaubeuren u. a. vorhanden. Künstlernamen kommen, wie es diese Kunstgattung mit sich bringt, selten vor. Den besten Klang besitzt jener Jörg Syrlin's d. Ä. zu Ulm (u. 1458–1482 thätig), von dessen Hand zwar keine bemalten Altäre aufgewiesen werden können; wohl aber waren die Steinskulpturen am sogen. Fischkasten (Marktbrunnen) farbig behandelt, und nehmen seine Holzarbeiten eine gewisse Mustergiltigkeit in Anspruch. Syrlins Einfluss erstreckte sich über seine Familie hinaus, und würde die Blüthe der Holzschnitzerei in Oesterreich miterklären, wenn sein Aufenthalt in Wien beglaubigt wäre. Das ihm zugeschriebene Chorgestühl im Stephansdome war von Wilh. Rollinger (1484) verfertigt worden. Auch ist eine selbständige Entwickelung einer österreichischen Maler- und Bildhauerschule, vertreten durch Mich. Pacher von Brauneck (Flügelaltar in S. Wolfgang, in Gries bei Botzen und im Privatbes. in München), Ruheland, mehrere durch blosse Monogramme bezeichnete Meister, Meister Pilgram (Kanzel im Stephansdome), N. Lerch und Michael Dichter (Grabmal Friedrichs III.), nicht unwahrscheinlich.

Fritz Herlen und seine Familie weichen vor dem Ruhme zurück, welcher um die Ulmer Malerschule sich sammelt. Hans Schülein (Tiefenbronn bei Calw), namentlich aber Barthol. Zeilbloom (1468–1517 thätig), bilden ihre Spitze. Des Letzteren Werke (ausser dem Altarwerke auf dem Heerberge bei Gaildorf, meist im Privatbesitze [Abel] zu Stuttgart), zeigen den Meister mit sinniger Phantasie begabt und der Farbengebung nicht wenig kundig; weniger naturalistisch als sein Nachfolger Martin Schaffner (1499–1535 thätig), auf welchen bereits Italien zu wirken begann, fesselte er durch die biedere Schlichtheit des Ausdruckes, und musste, nach der[S. 287] grossen Zahl der in seinem Geiste gemalten Werke zu schliessen, bei seinen Zeitgenossen grosses Gefallen erregt haben. Die Schicksale der Augsburger Malerschule in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sind wenig bekannt; ebenso gering ist unsere Kenntniss der späteren Zustände, wenn wir die beiden Künstlerfamilien der Holbein und Burgkmaier ausnehmen, deren Ruhm weit über ihre Vaterstadt hinaus reicht. In drei Generationen üben diese Familien ihre Kunst; während aber die Holbeins im jüngsten Gliede die höchste Bedeutung erringen, ist die jüngste Generation der Burgkmaier unbedeutend, und der manierirten Nachahmung der Italiener verfallen. Ein Denkmal gemeinsamer Thätigkeit beider Familien bewahrt die Augsburger Galerie in den Darstellungen der 7 Hauptkirchen Roms, deren untere Hälfte die Kirchen abbildet, die obere die betreffenden Kirchenheiligen verherrlicht. Von Hans Holbein, dem Grossvater, stammt die Kirche S. Maria Magg. mit der Krönung der Madonna (1499), ein Bild von anmuthigen Formen und harmonischer Färbung, weniger berührt von naturalistischen Uebertreibungen, als die Werke seines Sohnes Hans Holbein d. Aelt. (1460–1526), von welchem die Augsburger Galerie, nebst dem hl. Paulus, noch die Dreieinigkeit und die Verklärung Christi besitzt. Thomas Burgkmaier († 1523), fertigte die hl. Sebastian und Laurentius, in derber, geschmackloser Lebendigkeit; sein berühmterer Sohn, Hans Burgkmaier (1472–1599?), arbeitete die Kreuzigung, den hl. Petrus und Johannes d. Evang. für den oben angeführten Bilderkreis. Die Stärke des letztgenannten Meisters liegt aber nicht in seinen, oft an Schnitzwerk erinnernden Oelbildern, sondern in seinen überaus zahlreichen, technisch und poetisch gleichbedeutenden Holzschnitten (Triumphzug Kaiser Maximilians, Weisskunig, die östreichischen Heiligen, Neues Testament, im Ganzen 700 Blätter). Unter seinen Oelbildern wird, bezeichnend für die Richtung der Zeit, ein kleines Kabinetstück in Nürnberg: Maria mit der Traube, am meisten gerühmt. Hans Holbein d. J. gehört wohl nach Geburt und erster Bildung zur Augsburger Schule. Doch behielt er keineswegs in seinen Werken den Lokalcharakter bei, und vertauschte auch Augsburg mit Basel als Aufenthalt, wohin sein Vater, ung. 1508, als Malermeister zur Ausschmückung des Rathhauses berufen wurde.

Idealistisch, wie allerwärts in Deutschland, war der ältere fränkische Kunststyl, ehe theils der niederländische Einfluss, theils die[S. 288] veränderte Zeitrichtung eine Gegenwirkung hervorrief und die Schule auf die Seite des grellen, oft formlosen Naturalismus herüberbrachte. Ein leiser Uebergang, der Weise des Kölner Meisters Stephan vergleichbar, kündigt sich bereits im Imhofschen Altare vom Jahre 1420 an, sowie in der Waldburgischen Gedächtnisstafel in der Frauenkirche zu Nürnberg (1430); der flandrischen Richtung verwandt, aber noch maassvoll in der Schilderung, ist der Löffelholzische Altar in der Sebalduskirche (1443). Dann tritt uns aber plötzlich in den Werken des Meisters Michael Wohlgemuth (1434–1519) der neue Styl handwerksmässig zugeschnitten, geistig verkümmert und grell übertreibend entgegen; es schwindet unter dem mechanischen Gewerbsbetriebe die technische Tüchtigkeit, mit dem verschlechterten Machwerke sinkt auch die Phantasiebildung. Zu den besseren Werken Wohlgemuths gehören der Zwickauer Altar (1479), die Flügel des Chemnitzer Altares im Dresdener Alterthumsmuseum, der Peringsdorfer Altar in der Moritzkapelle zu Nürnberg (1487), die Altäre zu Schwabach (1506), Heilsbronn u. a. Tüchtiger als seine Bildtafeln, und durch die naive Ausführlichkeit der Formenschilderung anziehend, sind die bemalten Schnitzwerke, welche in der Regel die Mitte der Altarwerke ausfüllen. Ueberhaupt bilden die Leistungen in der Skulptur die Glanzseite der fränkischen Schule. Viele und darunter treffliche Werke, wie die betende Maria in dem Landauer Brüderhause (Schnitzwerk) und die ehemals bunt bemalte Rosenkranztafel auf der Burg (7' hoch, 5' breit) sind namenlos. Von namhaften Meistern sind anzuführen: der früher in Krakau thätige Veit Stoss († 1533), von welchem ausser einem Entwurfe zum Sebaldusgrabe der berühmte englische Gruss (Schnitzwerk) in der Lorenzkirche (1518), ein Kruzifix in der Sebalduskirche und eine Anbetung der Hirten in der oberen Pfarre zu Bamberg herrühren; Tilman Riemenschneider (geb. zu Osterode † als Bürgermeister zu Würzburg 1531), ein handwerksmässiger Naturalist von weitverbreitetem Rufe (Grabmal König Heinrichs im Bamberger Dome, Grabmonument in Würzburg); Loyen Hering in Eichstädt; Seb. Lindenast, der kunstreiche Kupferschmied von Nürnberg; Adam Kraft († 1507) in Nürnberg. Fleissig und betriebsam, in den Formen peinlich ausführlich, aber im Machwerke sorgfältig und gediegen, jedem Idealismus fremd, erscheint A. Kraft als der würdigste Vertreter der Nürnberger Kunstbildung. Seine Hauptwerke in Stein, sämmtlich in Nürnberg aufgestellt, sind die[S. 289] 7 Fälle Christi an den Stationen zum Johanniskirchhofe, die Grablegung Christi auf dem letzteren selbst, die Passion oder das Schreier'sche Begräbniss (34' lang) an der Sebalduskirche, das Relief über der Stadtwage, ein vortreffliches Genrebild, und das 64' hohe Sakramentshäuschen in der Lorenzkirche. Die höchste Blüthe erreicht die Nürnberger Bildnerei in der Rothgiesserfamilie der Vischer. Von dem älteren Namensgenossen, Hermann Vischer († 1487), stammt das Taufbecken in der Wittenberger Stadtkirche; dem berühmteren Sohne, Peter Vischer (thätig 1489–1529), aber verdankt die deutsche Skulptur ihre bedeutendsten Werke. Obgleich er in seinem persönlichen Wirken sich keineswegs von seinen Nürnberger Fachgenossen unterscheidet, und gleich diesen die Kunstthätigkeit mit dem Handwerksbetriebe naiv verbindet, so kann dennoch seine Richtung nicht aus der Nürnberger Lokalbildung erklärt werden. Auf welchem Wege er sich von der lokalen Manier befreite, und es erlernte, frisches, naturwahres Leben seinen Gestalten einzuverleiben, ohne in das Harte und Eckige zu verfallen, und antike Motive zu verwerthen, ohne seine deutsche Eigenthümlichkeit aufzugeben, ist unbekannt; desshalb aber seine Verdienste gering anzuschlagen und ihn zu einem blossen Giesser nach fremden (Veit Stossens) Modellen herabzuwürdigen, unbegründet und thöricht. Die Zahl der von ihm gefertigten oder ihm zugeschriebenen, im Werthe ungleichen Grabplatten, ist sehr bedeutend. Sie befinden sich in Römhild (Grafschaft Henneberg), Magdeburg, Breslau, Bamberg, Krakau, Nürnberg, und zeigen, soweit sie aus seiner früheren Zeit stammen, noch Anklänge an die zeitgenössische Nürnberger Kunstweise. Erst in seinen späteren Werken gelangt er zur vollen Selbständigkeit. Dieselbe und die Eigenthümlichkeit des Vischer'schen Styles lernt man besser als an dem berühmten Sebaldusgrabe (1508–1519) mit seinen 12 Aposteln, zahlreichen Reliefbildern und Dekorationsfiguren in den Reliefbildern zu Regensburg (Christus bei Lazarus Schwestern im Dome), zu Wittenberg (Krönung Mariä in der Schlosskirche und Denkmal Friedrichs des Weisen ebendort), zu Berlin (Orpheus und Eurydike in der Kunstkammer) und in der kleinen Apollostatue im Landauer Brüderhause kennen. Von seinen fünf Söhnen, welche am Sebaldusgrabe thätig zugriffen, erreicht keiner eine besondere Höhe, dagegen offenbart sich als ein tüchtiger Schüler Peter Vischers der Schöpfer des bekannten Gänsemännchens: Pancr. Labenwolf (1492–1563).

[S. 290]

§. 111.

Alle bis jetzt betrachteten deutschen Kunstschulen ermangeln nicht der Entwickelungsfähigkeit, werden aber durch ungünstige äussere Verhältnisse an raschen Fortschritten gehindert. Wenn die spätere geniale Sonderstellung der Künstler den Verfall der Kunst bedingte, so hat die knappe Einordnung der alten deutschen Meister in den Handwerksverband das Zusammenwirken in weiten Kreisen, den freien Aufschwung zur Vollendung abgewehrt. Wir erfahren selten von Schülern, desto häufiger von Gesellen, und scheiden die einzelnen Werke richtiger nach Lokalgruppen, als nach besonderen Individuen. Dass trotz dieser mannigfaltigen Schranken einzelne Meister zu grosser Vollendung sich erheben und ihren Schöpfungen einen allgemein giltigen Werth zu verleihen wissen, verdient nur eine desto höhere Bewunderung. Wir zollen sie auch gegenwärtig, nachdem unser Kunsturtheil eine heilsame Läuterung erfahren, in vollem Maasse dem Nürnberger Goldschmiedsohne Albrecht Dürer (1471–1528) und dem vielwandernden Hans Holbein d. J. (1498–1554).

Dürers Ausgangspunkt ist die fränkische Schule. Fünfzehnjährig kam er zu Meister Wohlgemuth in die Lehre, blieb in dessen Werkstätte, weidlich von den »Mitknechten« geplagt, drei Jahre, und ergriff sodann, der Handwerkssitte gemäss, den Wanderstab. Im Jahre 1494 heimgekehrt, wurde er Meister, heirathete und begann seine selbständige Wirksamkeit. Aus der ersten Periode derselben (1505) wissen wir, charakteristisch genug, nur von wenigen Oelbildern, und diese sind beinahe durchgängig Porträte (Selbstporträte vom Jahr 1498 in der Uffizigalerie, ein anderes, in ausgebildeter Technik vom Jahr 1500 in der Münchner Pinakothek u. a.) Die grösste Thätigkeit entfaltet er auf dem Gebiete des Holzschnittes und Kupferstiches (Offenbarung Johannes 1498, Adam und Eva, Kupferstich 1502). Es erklärt sich diese freiwillige Einschränkung aus der richtigen Selbsterkenntniss und Abschätzung seiner Kräfte. Dürer verläugnet nicht den deutschen Kunstcharakter; die Tüchtigkeit als Charakterzeichner, die geringe Beachtung der formellen Schönheit, ein unüberwindlicher Hang, sich im Gedankenspiel zu ergehen, wodurch die Formen zum unselbständigen Ausdrucke herabgesetzt werden, und die Darstellbarkeit dem poetischen und phantastischen Reize, der im Inhalte liegt, zum Opfer wird, sind Kennzeichen, welche Dürer eben so sehr als seinen Fachgenossen ankleben. Auch darin kommt er mit[S. 291] den letzteren überein, dass ihn bei der Feststellung der Kopfformen häufig subjektive Willkür leitet, und seine Gewandmotive selten günstig für die Entwickelung der Körperformen sich gestalten. Bei aller Schärfe der Auffassung gilt ihm doch nicht die Natur als ausschliessliche Richtschnur. Auch die Farbe, so glänzend sie auch strahlt, folgt vielfach mehr der Eingebung der Phantasie, als dass sie die äussere Erscheinung wiedergäbe, sie ist erfunden, wie jene Kopfformen. Wodurch aber Dürer die meisten Künstler überragt, das ist die unerschöpfliche Fülle dichterischer Gedanken, sein tiefer Humor. Das Bewusstsein dieser Gaben musste ihn nothwendig das gefügige Material des Stiches und Schnittes, diese Schnellschrift der Kunst, den spröderen malerischen Formen so lange vorziehen lassen, bis er auch nach dieser Seite seine Entwickelung vollendete. Dieselbe beförderten zwei Reisen, welche er in längeren Zwischenräumen, 1506 nach Venedig, 1520 (in Geschäftsangelegenheiten) nach den Niederlanden vollführte. Die tiefe Einwirkung der venetianischen Malweise spricht sich besonders deutlich in dem (am Strahov in Prag verwahrten) sogenannten Rosenkranzbilde aus. Die Madonna, von Engeln gekrönt, ertheilt an den Kaiser, das Christkind an den Papst einen Rosenkranz; die gleiche Handlung vollziehen an den umstehenden Personen der hl. Dominik und mehrere Engel. Dieses Werk wurde in Venedig 1506 verfertigt, und so weit die traurige Uebermalung einen Schluss auf den ursprünglichen Zustand gestattet, auch in venetianischer Weise, ganz verschieden in der Farbenharmonie und im Farbenauftrag von seinen früheren Werken ausgeführt. Eine ähnliche Einwirkung der Niederländer wird in einzelnen seiner letzten Werke offenbar. Nicht wenig gewinnt Dürers Künstlergrösse durch die Einsicht in sein stetiges Fortschreiten, in sein unablässiges Streben nach Vollendung. Hat Dürer seine Entwickelungskraft erschöpft? Er selbst in einem merkwürdigen Geständnisse (von Melanchthon überliefert) verneint es und beklagt die Unmöglichkeit, die erst als Greis gewonnene Erkenntniss künstlerisch zu verwerthen. Wohin dieselbe ihn geführt hätte, bezeichnet er selbst, indem er die simplicitas als das höchste Ziel der Kunst aufstellt, und seine älteren bunten Bilder verdammt.

Mit der Rückkehr aus Venedig beginnt Dürers fruchtbarste und beste Zeit. Wir zählen aus dem Gebiete der religiösen Malerei folgende Hauptwerke auf: die Marter der Zehntausend 1508 (Belvedere[S. 292]galerie), in der Composition zerstreut und unerquicklich, in der Ausführung überaus fleissig; die Dreifaltigkeit von Heiligen angebetet 1511 (ebendort); die Geburt Christi und die Klage um Christus in der Münchner Pinakothek; der Tod der Maria in Porträtgestalten wiedergegeben (Belvedere), und schliesslich die vier lebensgrossen Charakterfiguren des Johannes, Petrus und Markus, Paulus (Pinakothek) 1526, auch als die vier Temperamente bezeichnet, und von Dürer unter dem Einflusse der herrschenden Zeitideen, in einem wahrhaft monumentalen Style, unendlich verschieden von seiner älteren Manier geschaffen. Unter den zahlreichen Bildnissen, welche Dürer malte, hat das überaus scharf gezeichnete Porträt des Hieronymus Holzschuher in Nürnberg (1526) den grössten Ruhm erlangt; nicht minder bedeutend sind aber auch die in Köpfen gestochenen Bildnisse (Melanchthon, Pirkheimer, Erasmus von Rotterdam u. A.), wie denn überhaupt in den Dürer'schen Stichen und grossen Holzschnittwerken die Eigenthümlichkeit des Meisters hell strahlt und seine sprudelnde Phantasie unsterbliche Denkmale sich setzte. Sein Ritter und der Tod, die Melancholie, die hl. Hubertus und Hieronymus, woran sich die köstlichen Randzeichnungen zum Gebetbuche K. Maximilian anreihen lassen, charakterisiren vortrefflich Dürers selbständigen Dichtersinn und allseitige Phantasiebildung. Unter den von ihm herausgegebenen Holzschnittwerken verdienen die grosse und die kleine Passion, das Leben der Maria (1511), die Ehrenpforte des K. Maximilian (1515) und der Triumphwagen des Kaisers (1522) besondere Erwähnung. Auch die Leichtigkeit des Schaffens darf nicht bei der Beurtheilung Dürers übersehen werden. Er war als Schnellmaler berühmt und in allen Zweigen der Kunst, auch als Miniaturmaler, Bildhauer und theoretischer Schriftsteller thätig. Die Zahl der von ihm gefertigten Kupferstiche beläuft sich auf 108, der Holzschnitte (d.h. der Zeichnungen zu Holzschnitten) auf 170. Einer so ausgedehnten Thätigkeit musste auch ein entsprechend ausgedehnter Einfluss auf seine Kunstgenossen zur Seite gehen. In der That lenkte Dürer zahlreiche Künstler in seine Bahn und besass eine reiche Nachfolge. Dass sich dieselbe nicht über die zweite Generation hinaus erstreckte, daran trugen theils die allgemeinen deutschen Kunstverhältnisse, theils die Zeitstürme und die ihnen folgende Erschlaffung des deutschen Geistes die Schuld.

Den zweiten deutschen Grossmeister lernen wir im jüngeren[S. 293] Hans Holbein kennen. Frühreif, elastischen Geistes, unter günstigen Bedingungen gebildet, und in verhältnissmässig glänzenden Verhältnissen lebend, schliesst er seine Laufbahn als Porträtmaler. Nicht als ob diese Kunstgattung den Stempel der Unbedeutendheit an sich trüge, oder Holbeins individuelle Grösse dadurch beeinträchtigt würde, aber immerhin bezeichnet es das Wesen der deutschen Kunst, dass Dürers und Holbeins berühmteste Malerwerke, die vier Apostel und die Madonna mit der Familie Meyer, das eine einzelne Charaktergestalten gibt, das andere förmlich in die Porträtsphäre herabsteigt, und dass auch die grössten deutschen Künstler, theils durch äussere Umstände gehindert, theils durch den eigenen Bildungsgang gehemmt, an reiche historische Compositionen nicht herankommen. Einen Schlüssel zur Erklärung dieser Thatsache liefert auch die Stellung derselben zu der bis dahin allgemein giltigen Weltanschauung. Namentlich Holbein zeigt sich dem traditionellen Ideenkreise fremd, und in den neuen Anschauungen heimisch. Die symbolische Auffassung weicht der dramatischen, eine derbe Spottlust, oft zum Humor gesteigert, bricht sich Bahn, die Antike tritt auch im Stoffkreise berechtigt auf, freie allegorische Erfindungen lassen die Einwirkung der Zeitströmungen bemerken. Auch Holbein muss den Einfluss Italiens über sich ergehen lassen. Sind wir auch über seinen näheren Bildungsgang im Dunkeln, so bleibt doch sein Studium oberitalienischer Meister unbestritten. Holbein ist aber der einzige und erste Deutsche, welcher sich ungestraft der Fremde zuwendet, und die völlige Freiheit, die Fähigkeit, zu sich selbst zurückzukehren, sich wahrt. Noch aus Holbeins frühester, in Augsburg verlebter Jugend, stammen mehrere, theils in Augsburg, theils in München verwahrte Bilder (Märtyrium des hl. Sebastian); während seines Aufenthaltes in Basel fertigte er das Aushängeschild eines Schulmeisters, zwei vortreffliche Sittenbilder, die Geburt Christi und die Anbetung der Könige (Freiburger Münster), die fast gänzlich zerstörten Fresken im Basler Rathhause (römische und griechische Geschichten) und nach einer in Italien unternommenen Studienreise den Leichnam Christi und die dramatisch überaus wirksamen acht (kleinen) Bilder der Passion (sämmtlich in der Basler Sammlung). Aus dem Jahre 1529 stammt die Madonna als Schutzfrau der Familie Meyer (in zwei Exemplaren: im k. Schlosse zu Berlin und in der Dresdner Galerie), ein Bild, welches weniger durch den Reiz der Farben, als durch den Ernst der Auffassung und die kräftige[S. 294] Wahrheit wirkt. In England, wohin er 1526 berufen wurde und mit wenigen Unterbrechungen bis zu seinem Tode verweilte, widmete er seine Thätigkeit, mit geringen Ausnahmen (Triumph des Reichthumes und der Armuth, eine verloren gegangene Freske im Hansahofe), dem Bildnissfache, in welchem er nur von wenigen Künstlern erreicht wird. Dass das Porträt Moretts in Dresden lange Zeit auf L. da Vinci geschrieben werden konnte, ist in mehrfacher Hinsicht bedeutungsvoll.

Holbeins Wirken würde unvollständig beurtheilt werden, wenn man seine Zeichnungen zum Todtentanze zu erwähnen vergässe. Schwerlich gab es eine Idee, welche dem Zeitgeiste und dem phantastischen Zuge der deutschen Kunst besser entsprach, als die alle Stände und Alter unerbittlich ergreifende Gewalt des Sensenmannes. Während aber in den gewöhnlichen Darstellungen (Dominikanerkloster in Basel, Lübeck, Dresden) die Vorstellung in trockener Wörtlichkeit wiedergegeben wird, hat Holbein (und gleich ihm der Berner Dichter, Maler, Krieger, Politiker und Reformator, Niclas Manuel [1484–1530], in den nur in Kopien erhaltenen Fresken im Dominikanerkloster zu Bern), des Todes Thätigkeit mit beissendem Humore in geistreich gedachten lebendigen Zügen geschildert. Schon in diesem Bilderkreise klingt das Tendentiöse der deutschen Kunst des 16. Jahrhunderts durch, welches in den fliegenden Blättern der nächstfolgenden Zeit noch stärker ausgebeutet wurde, und die Kunst zu einem wirksamen Agitationsmittel machte, aber ihr die Gelegenheit zur ruhigen Ausbildung anübte.

Diesen beiden eben geschilderten Meistern schliesst sich, weniger weil er die deutsche Kunst zur Vollendung, als vielmehr zum Ende brachte, Lucas (Sunder?) von Cranach (1472–1553) an. Ein treffliches Beispiel der Vielgeschäftigkeit deutscher Künstler — er trieb auch das Apotheker- und Buchhandelgeschäft, sowie den Papierhandel, als Gewerbe — in die Zeitereignisse innig verflochten, und an der kirchlichen Polemik auch als Künstler (Passional Christi und Antichristi) betheiligt, bewahrt Cranach die Formenbeschränktheit seiner älteren Genossen, bricht aber gleichzeitig mit der bis dahin giltigen Kunsttradition. Die Einführung von Bildnissen in seinen Altartafeln ist keineswegs der Ausfluss eines naiven Naturalismus, sondern Tendenzsache, und soll eine den Zeiterscheinungen entsprechende neue Symbolik liefern. Seine antiken Schilderungen (Apollo und[S. 295] Diana, Venus, Herkules und Omphale) scheiterten, wie die Darstellungen des Nackten überhaupt (Adam und Eva), an seiner mangelhaften Formenkenntniss, und verletzen oft durch den unreinen Sinn. Anziehender sind Cranachs volksthümlich derbe Uebertragungen alter Mythen und Sagen (Simson und Delila in Augsburg, Prinz Paris oder Alfred und Albonak in Wörlitz, der Mund der Wahrheit in Schleisheim, der Jugendbrunnen in Berlin), in welchen die Verwandtschaft mit gleichzeitigen Volksdichtungen deutlich durchschlägt, und reiche kulturgeschichtliche Beziehungen aufgewiesen werden können. Bei seinem handwerksmässigen Betriebe der Kunst fällt es oft schwer, die eigenhändigen Werke von der Gesellenarbeit zu scheiden; auch wurde in jüngster Zeit gegen die Authentizität mehrerer Altartafeln Einsprache erhoben, wie z. B. gegen das grosse Schneeberger Altarwerk, jenes zu Wittenberg und Halle. Auch das berühmte Altargemälde in der Stadtkirche zu Weimar: Christus am Kreuze mit Johannes d. T., Luther und Cranach rührt nur theilweise von dem Letzteren her. Andere Werke sind im Dome zu Glogau, Meissen und in den verschiedenen deutschen Galerien vorhanden. Unter seinen zahlreichen Schülern, welche Cranachs Weise das ganze 16. Jahrhundert festhielten, erscheint sein Sohn und Nachfolger im Bürgermeisteramte zu Wittenberg, Lucas Cranach d. J., als der bedeutendste.

Auch an den jüngeren Holbein und A. Dürer schlossen sich mehrere Künstler an, an jenen Hans Asper in Zürich und Chr. Amberger, ein guter Bildnissmaler in Augsburg; Dürers Weise beherrschte vorzugsweise die Nürnberger Kunst: Hans (Wagner) von Kulmbach († 1545), Hans Schäuffelein († 1539) aus Nördlingen, Alb. Aldegrever († 1562) aus Soest, Alb. Altdorfer († 1538), dessen Alexanderschlacht und Susanna in der Münchner Pinakothek die Richtung der deutschen Kunst trefflich charakterisiren und die Unmöglichkeit einer Fortentwickelung auf diesem Wege, wo die Naivität in eine kindische Auffassung ausartet, darthun, Melch. Fesele, Barthol. und Hans Beham, der erstere, sowie Georg Pencz († zu Breslau 1550), in der Folgezeit italienischen Einflüssen unterworfen, Jak. Bink, der Miniaturmaler Nic. Glockendon (Aschaffenburg und Wolfenbüttel), nahmen sämmtlich von Dürer ihren Ausgangspunkt. Die Mehrzahl dieser Meister waren auch Kupferstecher und arbeiteten Zeichnungen für den Holzschnitt, welcher in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, so lange er den Charakter der Federzeichnung bewahrte, zu grosser[S. 296] Blüthe emporstieg und in den Kämpfen der Zeit eine wirksame Waffe darbot. Zu den berühmtesten Formschneidern des 16. Jahrhunderts gehört Hans Lützelburger, mit dem jüngeren Holbein enge verbunden; in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entwickelt namentlich der vielseitige Jost Amman aus Zürich (1539–1591) eine staunenswerthe Thätigkeit. Die Zahl der von ihm gezeichneten Holzstöcke konnte kaum auf einem Lastwagen fortgeschafft werden.

Zwar nicht zur Schule Dürers gehörig, doch seinem Einflusse unterworfen, erscheinen der oberdeutsche Maler Hans Baldung Grien († 1552 zu Strassburg) und Matthias Grünewald von Aschaffenburg (u. 1516 thätig). Das Hauptwerk des ersteren ist der Hochaltar im Freiburger Münster, dessen äussere Seitentafel (Geb. Chr.) durch den glücklich angebrachten Lichteffekt anzieht, wie die andere (Flucht nach Aegypten) durch die durchwehende poetische Stimmung. Grünewald, welcher wohl auch als Lehrer Cranachs gilt, überragt seine Zeitgenossen in merkwürdiger Weise durch die harmonische Kraft der Farbe und ein feineres Formengefühl, ohne aber eine scharfe Charakterzeichnung zu besitzen. Seine Werke sind in der Frauenkirche zu Halle, in Annaberg, Münchner Pinak., Colmarer Galerie (Isenheimer Altar) u. a. vorhanden.

§. 112.

Der flandrische Einfluss, welcher die Entwickelung der deutschen Kunst des 15. Jahrhunderts so wesentlich bestimmte, durchzog auch das französische Gebiet. Ehe die italienische Kunst hier herrschend auftrat, wirkte, unter dem oben erwähnten Einflusse, den neueren Styl vorbereitend, und blühte besonders in Tours, eine selbständige französische Schule. Namen und Werke dieser Schule sind uns bewahrt worden: Jean Fouquet, der Hofmaler Ludwigs XI. (Miniaturbilder), Jean Hesdin, Pierre Valence, Pinaigrier, Claude Vignon, Abr. Bosse, J. Clouet (Porträtmaler), Mich. Colomb (Brunnen in Tours 1510) u. A. Als unmittelbarer Schüler der flandrischen Meister gilt der König René von Anjou (1408–1480), welcher ausnahmsweise vom italienischen zum flandrischen Style überging, und den letzteren in seinen Altarwerken (Villeneuve bei Avignon, Aix), wie in seinen Miniaturbildern treu befolgte.

In Spanien[93] gelangte das nationale Element stets nur in grösseren Unterbrechungen zum künstlerischen Ausdrucke; mehr als in [S. 297]anderen Landschaften herrschten hier fremde, bald italienische, bald flandrische Einflüsse. Die älteren Skulpturen vom 11.-13. Jahrhundert zeigen den in der romanischen und germanischen Periode allgemein herrschenden Styl. Auch der Styl des 14. Jahrhunderts (Skulpturen im Kreuzgange und in der Sakristei zu Burgos) entspricht dem gleichzeitigen nordischen; seit dem 15. Jahrhundert mischen sich durch eingewanderte flandrische und italienische Künstler fremde Weisen der heimischen Kunst bei. Die Grabmonumente in Avila, Toledo, Sevilla, Granada u. a. sind häufig von italienischen Künstlern ausgeführt (M. Domenico, Alexandro, Miguel, Torregiano aus Florenz, Leoni aus Arezzo, Th. Torné, Ad. Vuibaldo, Peralta aus Genua); auch Alonso Berruguete machte im 16. Jahrhundert seine Studien in Italien, welche seltsam genug in Holzskulpturen (Valladolid) von ihm verwerthet wurden. An letzteren ist Spanien ausnehmend reich. Noch im 17. Jahrhundert wurde die Holzschnitzerei in Verbindung mit der Polychromie mit grossem technischen Geschicke (Emailschein der Färbung) geübt, und die in der früheren Zeit erworbene Tüchtigkeit festgehalten. Ob nicht nordischer Einfluss auch hier sich geltend machte, ist nicht entschieden. Im 15. Jahrhundert werden deutsche Künstler nach Sevilla berufen, um den grossen Altar in der Kathedrale zu Sevilla zu fertigen: Dankart, Jorge Fernandez und dessen Bruder Alexo. Im 16. Jahrhundert werden Felipe de Vigarny aus Burgund (Granada und Toledo), Diego Copin aus Holland (Toledo), Gregorio Fernandez, geb. 1566 (Valladolid), Juan de Juni († 1614) und Estévan Jordan besonders gerühmt.

Die spanischen Gemälde des 15. Jahrhunderts (Kathedrale von Salamanca, Barcelona) entsprechen dem gleichzeitigen italienischen Style, welcher in einem einzelnen Falle (Alhambra) schon im 14. Jahrhundert auf spanischem Boden auftritt; seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts geht neben dieser italienischen Weise die Eyck'sche Schulrichtung einher, vertreten sowohl durch eingewanderte Niederländer, wie durch eingeborene Künstler: Juan Sanchez de Castro in Sevilla, Fernando Gallegos in Salamanca, Antonio del Rincon (1446–1500) in Granada u. A. Im 16. Jahrhundert kam hier wie überall die italienische Manier zur grössten Geltung. Die Miniaturmalerei, welche bis zum Schlusse des 16. Jahrhunderts in der Verzierung von Missalen und Chorbüchern die reichste Pflege fand, befolgt im Ganzen das gleiche Entwickelungsgesetz, wie die Tafelmalerei.


[S. 298]C. Der Renaissancestyl ausserhalb Italiens.

§. 113.

Theils die inneren Zustände der nordischen Kunst, theils äussere Kulturverhältnisse riefen im 16. Jahrhundert auf germanischem Boden eine Krisis hervor, welche die heimische Kunstsitte verwerfen liess und mit dem unbedingten Siege der italienischen Bildung schloss. Italien beherrschte nicht allein auf dem Gebiete der bildenden Künste die nordischen Völker; auf allen Wegen und Stegen, im öffentlichen Leben eben so wohl, wie auf geistigem Boden, machte sich italienischer Einfluss geltend. Das italienische Volk mochte über die Bedrückung seines Daseins klagen, aber seine formgewandten, klugen Söhne, die allein das Geheimniss zu herrschen und das Leben mit poetischem Glanze zu färben verstanden, rächten ähnlich, wie die alten Griechen an den Römern, den Niedergang ihrer Nationalität, indem sie ihre Besieger der italienischen, damals vorzugsweise höfischen Bildung unterwarfen. Von der officiellen italienischen Kunst des Nordens, vertreten durch eine reiche Schaar diesseits der Alpen Geld und Ruhm suchender Italiener, ist die im Schoosse der nordischen Kunst unabhängig entstandene Neigung zu italienischen Kunstformen wesentlich zu unterscheiden. Das Gesetz, welches dieselbe hervorrief, wurde bereits früher angegeben; hier muss noch hinzugefügt werden, dass bei aller Nothwendigkeit des Ueberganges zum Renaissancestyl doch die altheimische Kunstweise keineswegs widerstandslos beseitigt wurde, diese vielmehr, namentlich im Kreise der Architektur, theils noch lange ein abgesondertes Dasein forttrieb, theils einzelne Motive dem neuen Style aufdrang. Dieser Kampf lässt sich am deutlichsten und schärfsten in Frankreich beobachten, wo die italienische Einwirkung, Dank den zahlreichen Berufungen italienischer Künstler an den Hof Franz I. (L. da Vinci, A. del Sarto, Rosso Rossi, Primaticcio, Vignola, Serlio, Ang. Montorsoli, Benvenuto Cellini u. A.), mit besonderer Macht auftrat und eine entsprechende Gegenthätigkeit weckte. Es entwickelte sich an den Palastbauten, welche Franz I. selbst aufführte, oder nach seinem Vorgange von den Grossen des Reiches aufgeführt wurden: Fontainebleau, Chambord, Blois, Chenonceaux, Madrid, Azay-le-Rideau, Louvre u. a., ein eigenthümlicher, glücklich durchgeführter Mischstyl, welcher bei grosser malerischer Wirkung die ältere Constructions[S. 299]weise und Grundanlage mit italienischen Motiven sinnreich verbunden aufweist. Diese Werke unterscheiden sich noch vielfach von den gleichzeitigen, nüchternen italienischen Bauten, und lassen sich eher älteren italienischen Schöpfungen des 15. Jahrhunderts anreihen. Uebrigens fehlte es auch nicht an systematischen Reproduktionen der wiedererstandenen Antike (Philibert Delorme, Pierre Lescot, Jean Bullant, du Cerceau). Zu diesen Meistern müssen, um die »Schule von Fontainebleau« vollständig aufzuführen, Pierre Nepveu aus Blois (Erbauer von Chambord) und Semblançay (Erbauer von Azay-le-Rideau) hinzugefügt werden. Von Lescot rührt die westliche Hoffaçade des Louvre, vom technisch durchgebildeten Delorme das Schloss Anet und der älteste Theil der Tuilerien her. Auch die dekorative Architektur und Skulptur Frankreichs schloss sich nur mit einer gewissen Zurückhaltung der neuen Weise an, und hielt, während sie für Detail das Vorbild der Antike benützte, in der Gesammtanordnung zuerst noch an dem germanischen Style fest. Den Beweis dafür liefert das prachtvolle Denkmal der Familie Amboise zu Rouen (1516–1524), von Roulland le Roux. Doch machte sich auch gleichzeitig ein strengerer Anschluss an die Antike in den Werken des Jean Juste (Grabmal Ludwigs XII. in S. Denys, des Dauphins in der Kathedrale zu Tours) geltend. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zeigt die französische Bildnerschule in voller Blüthe, im Allgemeinen die Bahn der Italiener befolgend, aber dennoch durch ein eigenthümliches nationales Gefühl, das sich in den Werken ausspricht, durch einen frischen naturalistischen Zug und die mehr zierlich-eleganten als richtigen Formen, von einer blind nachahmenden Manier weit entfernt. Der vorzüglichste Meister führt den Namen Jean Goujon, (maistre tailleur d'ymages) aus der Normandie. Unter der Leitung Pierre Lescots schmückte er 1544 den Lettner von S. Germain l'Auxerrois mit Skulpturen, welche theilweise noch aus den Revolutionsstürmen gerettet wurden; von ihm rühren noch ferner die Najaden an der Fontaine des Innocents, die Karyatiden im Louvresaale, das Marmorbild der Diana von Poitiers, neben dem Hirsche ruhend, ein Basrelief, Christus am Kreuze u. a., her. Jean Cousin aus Sens, dem berühmtesten Glasmaler seiner Zeit, werden die Grabmonumente des Louis de Brézé in Rouen (?), jenes der Diana von Poitiers, früher in Anet, jetzt in Neuilly, und des Admiral Chabot im Louvre zugeschrieben. Andere namhafte Meister sind Germain Pilon († 1590),[S. 300] in dessen Hauptwerke: die drei Grazien im Louvre, ehemals in einer Kirche aufgestellt, sich bereits die Dürftigkeit der Phantasie einstellt, Pierre Bontems, am Mausoleum Franz I. beschäftigt, Barth. Prieur, ein Schüler Pilons u. A. Die geringste Bedeutung in dieser frühen Renaissanceperiode besitzt die Malerei, die wesentlich nur als Dekoration geübt wird.

Bereits im fünfzehnten Jahrhundert sinkt der germanische Baustyl in Spanien zur blossen Dekoration herab, und wird aus dem monumentalen Steinbaue, theilweise unter dem Einflusse der von den Mauren hinterlassenen Werke eine Silberschmiedarchitektur (arch. plateresca), deren Wesen in einer sinnlosen Fülle das ganze Gebäude überspinnender Ornamente, in den kühnsten, aber vollkommen unberechtigten Constructionsformen besteht. (Beispiele sind in den Patios, mit Laubgängen versehenen Höfen zu Valladolid, Guadalajara, Salamanca u. a. zahlreich vorhanden). Unter diesem dünnen Ornamentenschleier geht der Uebergang vom gothischen zum Renaissancestyl unvermerkt vor sich. Während noch einzelne Kathedralen des 16. Jahrhunderts in einer allerdings spielenden Gothik aufgeführt werden, erscheint der neuitalienische Baustyl an der Façade des Colegio mayor zu Valladolid (1494 gegründet), schon vorherrschend. Der Baumeister Henrique de Egas aus Brüssel hat auch das grosse Hospital zu Toledo (1504) geschaffen, hier aber ältere Motive noch häufiger festgehalten. Für die Einführung des reineren Renaissancestyles war Al. Berruguete, der Anführer einer zahlreichen Schule, besonders thätig (Colegio mayor und jenes der Irländer in Salamanca), nächst ihm in Sevilla Diego de Riaño und Martin de Gainza, welcher Letztere aber auch noch im gothischen Style baute, Mechuca, der Erbauer des Palastes Karls V. in der Alhambra und der Hofarchitekt Philipps II., Juan de Herrera, ein Schüler des Juan Bautista de Toledo. An den Werken Serlios und Palladios gebildet, hielt er die Regeln und Stylgesetze der Renaissancekunst zwar fest, wusste aber das Schwerfällige und Massive der Anlage nicht zu gliedern, und einen anderen Eindruck als den des kalten Pompes hervorzurufen. Ein charakteristisches Beispiel für den Geist, der an Philipps Hofe herrschte, ist der von Herrera erbaute Escorial, schwerfällig, finster, ohne allen architektonischen Schmuck, einem Gefängnisse ähnlicher, als einem Palaste.

Sowohl durch die Reisen spanischer Künstler nach Italien, wie[S. 301] durch die häufige Beschäftigung italienischer Künstler in Spanien (Pablo aus Arezzo, Francisco aus Neapel) verbreitete sich im 16. Jahrhundert auch in der Malerei die italienische Weise. Noch nicht ganz den heimischen Styl verdrängend, zeigt sich dieselbe in den Werken des Alexo Fernandez, Pedro Fernandez de Guadalupe Santos Cruz, vorherrschender in jenen des Juan de Borgoña. (Leben der Madonna im Kapitelsaale des Rathhauses von Toledo.) Alonso Berruguete (Toledo) folgte im Allgemeinen dem Style Vincis und Sodomas; nach Raphael bildeten sich Blas de Prado (1497–1557), Luis de Vargas aus Sevilla (1502–1568) in Fresko und Oel thätig, in der Zeichnung dem Virtuosenthum sich zuneigend, Pedro de Villegas (1520–1597 in Sevilla), Vicente Joanes (1523–1579 in Valencia), der spanische Raphael genannt, gleich dem flandrischen aber nüchtern und affektirt, Francesco Ribalta (1551–1628 in Valencia). Selbständiger entwickelt, aber durchaus nicht bedeutend, ist Luis de Morales, genannt el divino aus Badajoz († 1586), welcher fern von dem gesunden Naturalismus der spanischen Schüler einem willkürlich geschaffenen idealen Style nachstrebte, einen engbeschränkten Vorstellungskreis besass, aber durch eine sorgfältige Technik sich auszeichnet.

Von fremden Künstlern, die in späterer Zeit in Spanien wirkten, nennen wir den Schüler Tizians Dom. Theotocopuli aus Griechenland (-1625), Pedro Campaña aus Brüssel (1503–1580), ein Meister von wirksamer Schilderungskraft, und Ferd. Sturm aus Zierikzee.

Der Verbreitung des Renaissancestyles im Norden nachspürend, stossen wir auf den ersten Renaissancebau in Belgien bereits im Jahr 1495 (Hôtel der Biskayer in Brügge); doch ist dies nur ein vereinzeltes Beispiel, welches erst im dritten Jahrzehente des 16. Jahrhunderts eine allgemeine Nachfolge findet. Die Stellung des germanischen und des neuitalienischen Styles bezeichnet die Thatsache, dass der erstere auch noch im 16. Jahrhundert ausschliesslich als Kirchenstyl angewendet wird, der letztere, in seiner Ausbildung übrigens durch den Bürgerkrieg unterbrochen, als Civilbaustyl auftritt. Der Uebergangsstyl wird durch die schmalbrüstigen, fensterreichen Zunfthäuser auf der grande place zu Antwerpen vertreten; reiner tritt der Renaissancestyl in der Schützengilde zu Brügge, in der Fischerzunft zu Mecheln auf; durch massive Verhältnisse und Ausdehnung wirken das Rathhaus und der Hansahof zu Antwerpen,[S. 302] beide von Corneille Vriendt, gen. Floris, 1561 erbaut, welcher auch den Lettner in der Kathedrale zu Tournay fertigte.

Die Bauthätigkeit in Deutschland während des 16. Jahrhunderts erscheint dürftig, wenn man nur grosse Monumentalwerke berücksichtigt; sie lockt aber ein nicht geringes Interesse ab, wenn man den eigenthümlichen Backstein- und Holzbau Norddeutschlands mit in Betracht zieht. Ein Gang durch Halberstadt oder Hildesheim, wo das glänzend hergestellte Gildenhaus der Knochenhauer vom Jahre 1529 wieder in heiterer Farbenfülle prangt, reicht hin, von dem noch unverdorbenen (aber nur unverdorben, weil er an ältere Traditionen anknüpft) Bausinne und einer gesunden dekorativen Phantasie zu überzeugen. Den meisten Anspruch auf die früheste Ausbildung des Renaissancestyles dürfte wohl Böhmen haben. Die verheerenden Hussitenkriege hatten eine reiche Zahl von Bauaufgaben hinterlassen, die spätgothische Periode zeichnet sich hier durch eine energische und theilweise auch glückliche Bauthätigkeit aus, und vererbt dieselbe auf das folgende Zeitalter. An Mathias Reysek reiht sich, bereits zum neuen Style hinneigend, der Baumeister K. Wladislavs Benesch von Laun (Hradschiner Schloss 1484); das 16. Jahrhundert sah hier eine der zierlichsten Schöpfungen des Renaissancestyles, das Ferdinandeische Lustschloss von Ferrabosco di Lagno, und grossartige Saalbauten im k. Schlosse erstehen. Bedeutendere Schöpfungen des Renaissancestyles sind ausserdem die Vorhalle des Kölner Rathhauses (1569) und der ältere Theil (Otto-Heinrichsbau) des Heidelberger Schlosses (1556).

Die Nachfolge der italienischen Malerei in Deutschland in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Joh. v. Aachen, Chr. Schwarz, J. Rottenhammer u. A.) brachte keinen grossen Gewinn; bedeutendere Leistungen offenbaren sich in der Skulptur, welche durch zahlreiche Façadenbildwerke (Köln, Heidelberg), Grabdenkmäler (Köln, Mainz, Würzburg, Freiberg, Innsbruck), und im Fache des Broncegusses ausserdem auch durch zahlreiche Brunnen (Nürnberg, Augsburg) vertreten wird.


[S. 303]

Die Baukunst im XVII. und XVIII. Jahrhundert

§. 114.

Die Baugeschichte der römischen Peterskirche, welche das Vorbild für zahllose neuere Kirchen lieferte, den Kuppelbau über der Kreuzführung, die angeklebten Façaden, die, Schmarotzerpflanzen ähnlich wuchernde, Dekoration für zwei Jahrhunderte sanktionirte, belehrt am besten über das Princip der neueren Architektur. Eine organische Durchbildung der architektonischen Idee wurde in den seltensten Fällen beabsichtigt, an eine Unterordnung der Formen unter jene niemals gedacht. Aus den todtliegenden Baugliedern in geistreicher Weise ein neues Ganzes zusammenzusetzen, nicht nach innerer Nothwendigkeit, sondern nach der subjektiven Vorliebe des Künstlers, den Reichthum der dekorativen Phantasie zu bethätigen, durch eine Fülle bewegter Linien, die heftige Lebendigkeit der einzelnen Formen, die sich nur gezwungen dem Hammer und der Kelle fügen, und immer überfliessend und fliehend erscheinen, darin lag das Ziel der Baukunst des 17. Jahrhunderts. Eine gewisse Verdienstlichkeit lässt sich ihren Schöpfungen nicht absprechen. Sie bestechen oft durch ihre Massenhaftigkeit und blenden durch den sinnlichen Glanz der Dekoration; auf eine malerische Wirkung berechnet und hie und da nach den Gesetzen der Perspektive aufgeführt, sind sie vom Standpunkt der landschaftlichen Kunst lobenswerth durchgeführt; nur haben diese Vorzüge mit dem Wesen der Architektur wenig zu schaffen und verbergen nothdürftig den Mangel eines inneren Lebens. Die kirchliche, mit reichen Kräften getriebene Architektur hat dem Baueifer der Jesuiten das Meiste zu danken, welche in ähnlicher Art, wie die Cisterzienser und Predigermönche in früheren Jahrhunderten ihren Stiftungen ein festes Gepräge aufdrückten und den sogenannten Jesuitenstyl schufen. Obgleich sie in einzelnen Fällen noch der germanischen Bauweise (Koblenz, Köln, Bonn) huldigten, so blieb doch der zeitgenössische Styl, welcher der im Orden gepflegten eleganten Bildung so gut entsprach, vorzugsweise bevorzugt. Die Kirche del Gesu in Rom, von Vignola 1568 begonnen und von Giac. della Porta fortgesetzt, beginnt den Reigen der über die alte und neue Welt verbreiteten Jesuitenschöpfungen. Bis in das 18. Jahrhundert setzt sich die Bauthätigkeit des Ordens fort,[S. 304] im Verhältniss zu den gleichzeitigen Werken auch dann durch eine klare Conception und einen kräftigen Formensinn ausgezeichnet. Wie die Professhäuser in der Regel in der Grösse der Anlage und in den massiven, einfachen Verhältnissen untereinander übereinstimmen, so tragen auch die Ordenskirchen und Sodalitäten ein gemeinsames Gepräge. Die Façaden zeigen wieder zwei Säulenordnungen übereinander gestellt, die Säulen oder Pfeiler gekuppelt, das Gebälke verkröpft, die Fenster und Thüren mit geraden oder geschweiften Giebeln bekrönt, den Mittelbau über die Seiten erhoben und mit einem Giebel geschlossen, mit schneckenförmigen Halbgiebeln (Fig. 93) zur Seite, offenen Glockenthürmen; im Inneren wird das Tonnengewölbe und die Kuppel beliebt, die Gliederung des Raumes aber vorzugsweise durch eine übermässig verschwendete malerische Dekoration vollzogen. An den riesigen Altarbauten (S. Peter, del Gesu u. a. in Rom) wird die wüste Willkür der herrschenden Bauweise, die nicht mehr Styl, sondern Mode ist, am traurigsten offenbar. Die Natur derselben bringt es mit sich, dass keine nationalen Schulen mehr vorkommen, die Künstler aller Stämme und Länder mit gleichen Mitteln das gleiche Ziel anstreben. Wohl ist die Zahl der ausserhalb Italiens verwendeten Architekten nicht unbeträchtlich, sie unterscheiden sich aber keineswegs von ihren nordischen Fachgenossen, und auch diese letzteren zeigen sich jenseits der Alpen vollkommen akklimatisirt.

Fig. 93. Halbgiebel.

Noch aus dem vorigen Zeitalter ragt in die Periode des beginnenden Zopfstyles Carlo Maderno (1556–1629) herüber. Gleich seinem Vorfahren im Amte eines Bauvorstehers an der Peterskirche, bewahrt Lorenzo Bernini aus Neapel (1556–1629) eine gewisse nüchterne Regelmässigkeit in seinen Bauwerken (Colonnaden am Petersplatze, S. Andrea delle Fratte, Palast Barberini), während in den Werken seines Gegners Francesco Borromini (1599–1667) die Todfeindschaft gegen die geraden Linien anbricht und der willkürlichste Dekorationsstyl Platz greift. (S. Agnese auf Piazza Navona, Sapienza, Kirche und Colleg der Propaganda u. a.) Die zahlreichen Nachfolger Borrominis in und ausserhalb Roms sind einer namentlichen Anführung durchaus unwürdig, ebensowenig als die[S. 305] schulmässigen italienischen Architekten des 18. Jahrhunderts eine besondere Erörterung in Anspruch nehmen.

Spanien, welches keine nationale Bautradition der einreissenden Mode als Damm entgegenstellen konnte und schon in früheren Zeitaltern eine Neigung zum Barocken aufwies, that am Ende des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Seinige, die Baukunst in eine sinnlose Dekoration zu verwandeln. Mit Pedro de Ribera beginnt Verwilderung, in José Churriguera erreicht sie ihren Höhepunkt (arquitetura churriguera z. B. Carmeliterkirche in Granada). Abgelöst wird diese Baumanier unter der Einwirkung italienischer Künstler, am Ende des vorigen Jahrhunderts, durch eine leblose Schulrichtung.

Auch in Frankreich hielt sie sich im 17. Jahrhundert nicht auf der durch die Schule von Fontainebleau erklommenen Höhe. Die kirchlichen Anlagen (S. Louis et S. Paul von Derand 1627, S. Gervais et Protais von Jacques de Brosses 1616 in Paris) lassen Vignolas Einfluss durchschauen und bilden den Jesuitenstyl nach, und wenn sie auch von Uebertreibungen sich fern halten, wie die Invalidenkirche von Bruant und Mansart (vollendet 1705), so vermögen sie doch nicht den nüchtern-kalten Eindruck auszulöschen. Das sogenannte Pantheon (S. Géneviève) von Soufflot nimmt unter allen verwandten Werken den ersten Platz ein. Die Civilbaukunst wird durch zahlreiche Palastanlagen vertreten, ohne dass sie aber von der glänzenden Kunstblüthe des Reiches unter Louis XIV. ein günstiges Zeugniss ablegten. (Pal. Luxembourg von J. de Brosses, Louvre Façade von Cl. Perrault, Versailles von Mansart u. A.)

England hielt bekanntlich die längste Zeit am gothischen Baustyle fest, es konnte sich auch einer ausgebildeten Holzbaukunst (Chester, Hereford, Ludlow, Oswestry, John Abels Werke im westlichen England 1650) rühmen, ging aber dessen ungeachtet auf die Ausbildung der italienischen Manier gleichfalls ein, und fand die Vorbilder für kirchliche und weltliche Werke jenseits der Alpen. Der Palast von Whitehall, im Palladiostyle von Inigo Jones (1572 bis 1652) erbaut, ragt nebst dem im 18. Jahrhundert errichteten Somersethouse (von Chambers) unter den Civilbauten ebensosehr hervor, wie die Paulskirche unter den religiösen Anlagen. Sie wurde nach dem grossen Londoner Brande 1666 von Christopher Wren in der Form eines lateinischen Kreuzes mit einer überaus effektvollen Kuppel (1675–1723) erbaut, und kommt an Grundfläche einem Dritttheil[S. 306] der Peterskirche gleich. Richtiger componirt als die meisten gleichzeitigen Bauten, in der Anlage des Querschiffes nicht ohne Anklang an den älteren englischen Styl, kann sie den Vorwurf einer nur auf den Schein berechneten Architektur nicht ganz von sich abwälzen.

Vortheilhaft unterscheidet sich Belgien von anderen Ländern in seiner Bauthätigkeit. Ausser Italien und Böhmen erreicht hier der Jesuitenstyl, getragen von den Architekten J. Franquart (geb. 1577), Coeberger (geb. 1560), Fayd'herbe u. A. seine glänzendste Entwicklung; die Civilarchitektur, welche in dem benachbarten Holland im Amsterdamer Rathhause von Jac. Campen (1648 gegr.) ein technisches Meisterwerk aufzuweisen hat, blieb dagegen in ihrer Entwickelung und Ausbreitung weit zurück.

An den kleinen deutschen Fürsten- und Bischofshöfen, in den theils neugegründeten, theils neu empor blühenden Residenzen fand der Zopfstyl einen weiten Schauplatz für sein Auftreten. Einzelne Rathhäuser (in Augsburg von Elias Holl 1615, in Nürnberg von Holzschuher 1616) wurden noch im 17. Jahrhundert errichtet; die grösste Zahl der Bauten diente aber kirchlichen und höfischen Zwecken. Unter den Schloss- und Palastwerken zeichnen sich aus das Residenzschloss zu Würzburg von Neumann (1720), Schönbrunner Schloss von Pacassi und Valmagini (1744), der Dresdner Zwinger von Pöppelmann (1711), die Bamberger Residenz von Leonh. Dientzenhofer (1712), mehrere Prager Paläste (Czernin, Lobkowitz, Nostitz, Clam Gallas von Fischer von Erlach 1707 u. A.), das königl. Schloss in Berlin von Schlüter (1699–1706), das Zeughaus in Berlin von Nehring und de Bodt (1685) u. A. In der kirchlichen Architektur macht Prag allen anderen Städten den Vorrang streitig, und bewahrt verhältnissmässig einen reineren, wirksameren Baustyl (Nikolauskirche von Dientzenhofer (1628 beg., im 18. Jahrhundert vollendet), die Kreuzherrnkirche 1671, K. Strahov im 17. Jahrhundert von Canevale und Carloni erbaut u. A.) Bunter und ungebundener erscheinen die Karlskirche in Wien von Fischer von Erlach 1716 mit zwei als Säulen behandelten Glockenthürmen, und die katholische Kirche in Dresden von Chiaveri 1756, während in Berlin (Kirchen auf dem Gensdarmenmarkte von Gontard 1780) der Rückgang zu einfacheren Bauformen versucht wird, welcher die Architektur am Schlusse des 18. Jahrhunderts überhaupt charakterisirt und den reineren antiken Styl unseres Zeitalters vorbereitet.


[S. 307]

Die Bildnerei im XVII. und XVIII. Jahrhundert.

§. 115.

Noch rascher als in der Baukunst verliert die Schönheit und Wahrheit in der Bildnerei alle Geltung. Die Antike erscheint den Künstlern nicht reich, die Natur nicht lebendig genug, eine willkürliche Manier voll Uebertreibungen und malerischer Scheineffekte wird erfunden, die in der Technik erreichte Virtuosität meist dazu benützt, dem bildnerischen Stoffe Gewalt anzuthun, und die seltsamsten Einfälle einer geschmacklosen Einbildungskraft zu verkörpern. Die weichsten und dünnsten Stoffe, Teppiche und Schleier werden nachgebildet, die Gewänder flattern und bauschen sich ohne Sinn, die Gestalten nehmen eine übermässige Schlankheit an, die Bewegungen werden gewaltsam, der Ausdruck übertrieben, den Mangel an charaktervoller Darstellung muss ein seichter allegorischer Prunk ersetzen, selbst die architektonische Skulptur, wie z. B. Karyatiden, zeigen Unruhe und eine widerspruchsvolle Lebendigkeit. Einzelne besser organisirte Naturen versuchen zwar, sich dem schädlichen Einflusse der Zeitrichtung zu entziehen und leisten in einzelnen Fällen Verdienstliches; hie und da imponirt die Kräftigkeit der Formen, die Keckheit der Anlage; der Mehrzahl nach haftet aber an den Bildwerken eine unerquickliche, trockene Absichtlichkeit; sie sind lügenhaft und oberflächlich. Ein ungebundener Naturalismus erscheint noch als das geringste Uebel, wie dies der Vergleich der hl. Cäcilia (gleichnam. K. in Rom) des Carlo Maderno mit den Werken seiner Zeitgenossen, ja mit seinen anderen Werken selbst lehrt. Man wollte aber über das Natürliche hinaus und erstrebte einen angeblichen idealen Styl, der in Wahrheit nur als geistlose Manier erscheint. Auch hier führt der frühreife Lor. Bernini in Rom den Reigen. Dass die Statuen, mit welchen er die Engelsbrücke zu Rom schmückte, für jüngere Künstler lange Zeit eine vielstudirte Schule abgaben, spricht nicht für ihre Tüchtigkeit, sondern nur für die allgemein herrschende Geschmacklosigkeit, ebenso wie die Lobsprüche, welche seinem Tabernakel in der Peterskirche gespendet wurden, nur ein ungläubiges Lächeln erregen können. Die Zahl seiner Werke ist erstaunlich gross. Ausser mehreren öffentlichen Brunnen (piazza Navona), Grabmonumenten (Urban VIII., Alexander VII.) führen wir[S. 308] nur die von Bernini selbst seinen besten Schöpfungen beigezählte hl. Theresia (K. della Vittoria) und die Reiterstatue K. Constantins im Vatikan an. Minder begünstigt von den äusseren Verhältnissen als Bernini erscheint Aless. Algardi (1602–1654), welcher längere Zeit mit der Fertigung kleiner Modelle für Goldschmiede und Giesser sich begnügen musste, und erst spät mit Monumentalwerken betraut wurde. Keines der letzteren (Statue des Filippo Neri, P. Innocenz, Grabmal Leo XI.) trug ihm einen so grossen Ruhm ein und ist für die Kunstrichtung des 17. Jahrhunderts so vielsagend, wie das riesige Marmorrelief: die Vertreibung Attilas in der Peterskirche. Aus 5 Marmorstücken zusammengefügt, misst es 32 Palmen in der Höhe und 18 in der Breite. Alles hatte der Künstler in diesem Werke berücksichtigt, die Perspektive, den malerischen Reiz, die Lehre von den Verkürzungen, und nur eine Sache vergessen, diese aber ist das Recht und die Grenzen der Plastik. Es ist ein künstlich auf Stein übertragenes Gemälde, eine nur zufällig im plastischen Stoffe verkörperte malerische Composition.

Die italienische Kunstweise beschränkte, wie schon früher bemerkt wurde, ihre Herrschaft nicht auf ihre unmittelbare Heimath, sondern zog auch den Norden in den Kreis ihrer Besitzungen. Als Ersatz dafür erzwang sich der Norden in einzelnen seiner kunstgebildeten Söhne in Italien selbst die unbedingteste Anerkennung, so in François du Quesnoy aus Brüssel, gewöhnlich il Fiammingo genannt, und neben Bernini in Rom thätig (1594–1644). Tizian'sche Gemälde sollen ihm die Motive für seine heiteren Kindergestalten geliefert haben, in welchen er sich so glücklich und so häufig versuchte, und für die nächsten Künstlergeschlechter zum Vorbilde wurde (Manneken-pis in Brüssel, in M. dell'anima in Rom, Neapel). Ausserdem werden die Statuen der hl. Susanna (S. M. di Loreto) und des hl. Andreas (Peterskirche) und die Mater dolorosa in S. Jakob zu Antwerpen von ihm gerühmt.

Rom bildete fortan die hohe Schule, wie Italien das gelobte Land für die Künstler, in Rom selbst war Bernini im Fache der Skulptur das am meisten bewunderte Vorbild. Gehülfen und Nachahmer desselben füllen den Bildnerkatalog des 17. Jahrhunderts aus; unter ihnen sind noch am meisten bemerkenswerth: Ercole Ferrata, Melch. Caffa (S. Rosa in Lima); G. Mazzuola; A. Razzi, il Lombardo, beide an Bernini'schen Werken beschäftigt; G. Finelli und Andr. Bolgi[S. 309] aus Ferrara; der Letztere ebenso wie Fr. Mocchi von Bernini zur Fertigung einer der vier Kolossalstatuen unter der Kuppel der Peterskirche zugelassen, u. A. Die anderen italienischen Städte liefern eine noch geringere Ausbeute. In Florenz wird die Bildnerei selten anders als zu Luxusmonumenten in Gärten (Boboli), Palasthöfen, zur Aufstellung von Schaugerüsten bei öffentlichen Festen benützt. Ausserdem können noch einzelne Grabdenkmäler in S. Croce zur Beurtheilung der Kunstzustände in den zwei letzten Jahrhunderten angezogen werden. Den grössten Lokalruhm genoss hier Foggini, wie in Neapel C. Fansaga. Mit Rom wetteifert Venedig in dem äusseren Reichthum an Bildwerken, zu welchen die noch immer rege Bauthätigkeit eine stetige Gelegenheit bot. Massenhafte Grabdenkmäler schufen B. Longhena (ai frari) und Tirali (Giov. und Paolo); ausser ihnen wurden auch deutsche Künstler in grosser Zahl beschäftigt. Auch A. Corradini, dessen Statue einer verschleierten Frau im P. Manfrin ihrer Zeit ein so grosses Staunen erregte (ein ähnliches Werk: Christus mit dem Grabtuche bedeckt, lieferte Sammartino für Neapel (C. de' Sangri)), arbeitete in Venedig. Schon hier scheint die Abirrung des Geschmackes den höchsten Grad erreicht zu haben, und doch sind diese Werke noch einfach und geschmackvoll zu nennen gegen den Menschenknäuel, welcher unter dem Namen des Engelsturzes in Padua von der Hand A. Fasolatos bewahrt wird. Darin werden alle monströsen Bildungen des vorigen Jahrhunderts noch übertroffen.

Die spanische Bildnerschule, soweit sie die Tradition festhält, und bei der Fertigung in estofado vollendeter Holzschnitzwerke beharrt, lässt den Kunstverfall in keiner Weise merken. Im Gegentheil nimmt die Bildnerei an der hohen Blüthe der Malerkunst im 17. Jahrhundert Theil, und entzückt durch die Anmuth der Köpfe, die Feinheit der Ausführung und die Schönheit der Zeichnung. Der Schauplatz ihrer Thätigkeit ist vorzugsweise der Süden: S. Martinez Montañes († 1649) zu Sevilla, von welchem die Kathedrale eine fast lebensgrosse Conceptio in Holz bewahrt; Alonso Cano aus Granada, Schüler d. V. (1601–1667), der grösste Bildschnitzer Spaniens, und Pedro Roldan aus Sevilla (1624–1700).

Das Zeitalter Louis XIV. zeigt uns die höfische Sitte zu Versailles tonangebend, und als modische Bildung über ganz Europa [S. 310]verbreitet; es sollte in der Schule von Versailles auch ein künstlerischer Ausdruck dieser Bildung geschaffen werden. Doch bleibt es bei einem kalten, nüchternen Pompe; an die Stelle der idealen Formenbildung tritt eine gemachte, theatralische Manier, der frische Naturalismus kann unter den Allongeperücken nur mühselig sich entfalten. Die Bildnerei wie die Malerei tragen das deutliche Gepräge der Versailler Scheingrösse und Unnatur. Unter den Bildnern ragen hervor: Simon Guillain, Jacques Sarrazin (g. 1590), die Brüder Michael und Franz Anguier, Fr. Girardon (1630–1715), welcher nach Lebrun'schen Zeichnungen seine in Versailles und Trianon zahlreichen Werke ausführte (Raub der Proserpina, Apollo von Nymphen bedient in Relief, die Büste Boileaus). P. Puget (1622 bis 1694), von seinen Zeitgenossen Michelangelo gleichgestellt, während wir in seinem Hauptwerke: Milon von Croton, von einem Löwen zerrissen, nur einen melodramatischen Effekt finden; Desjardins, eigentlich Mart. van den Bogaert († 1694), A. Coysevox († 1720) aus Lyon (Grabmal Colberts in S. Eustache), N. Coustou, P. Legros (1656–1719) in Rom, Turin und Paris thätig, in dessen marmorbunten Denkmale des Stanislaus Kostka (S. Andrea di Monte) wir ein trauriges Zeugniss des gröbsten Ungeschmackes erblicken u. A. Doch sind diese vielbeschäftigten und meist in Rom gebildeten Künstler noch ungleich anziehender als ihre Nachfolger im Zeitalter Louis XV. Ausser Edm. Bouchardon (1698–1762), an dessen Werken (bogenschnitzender Amor, Fontaine de Grenelles, Reiterstatue Louis XV.) die verhältnissmässige Einfachheit und Strenge der Zeichnung gerühmt wird, vertritt J. Pigalle (1714–1784) den bizarren und aufgeblasenen Styl seiner Zeit. (Hauptwerk: das Grabmal Moriz von Sachsen in Strassburg.)

Eine besondere Eigenthümlichkeit strebt weder die niederländische, noch die deutsche Bildnerei an. Dort herrscht eine Zeit lang (Arth. Quellinus) ein frischer Naturalismus vor, hier wird noch lange die Holzschnitzkunst gepflegt; aber im Allgemeinen waltet überall der unduldsame Berninische Einfluss. Grabdenkmäler, überaus zahlreich vorhanden, bieten die beste Gelegenheit zur Erkenntniss des giltigen barocken Styles. Kleinere Skulpturwerke, wenigstens reich geputzt, wenn auch unrein in der Zeichnung, gerathen besser als grössere Werke, an welchen nüchterne Allegorien und ein gänzliches Verkennen der plastischen Gesetze sich übermässig breit machen. Der vom Tod in das Grab zurückgewiesene General Lam[S. 311]berg im Mainzer Dome (1680), die aus dem geborstenen Grabe auferstehende Pastorin Langhans in Hindelbank bei Bern (1751) sind bekannte und nicht die schlimmsten Beispiele des in der Bildnerei wuchernden malerischen Geschmackes. Wir heben aus dem 17. Jahrhundert Balth. Lentz in Köln (Ursulakirche), G. Schweigger in Nürnberg (Kastorkirche in Koblenz), die Giesser Seb. Kopp aus Forchheim (Bamberger Dom), Wolf Herold und K. Enderlein in Nürnberg, die Bildschnitzer Pronner aus Kärnthen (in Nürnberg thätig) und Thamasch aus Tirol hervor. Im 18. Jahrhundert erwarben sich eine reiche Wirksamkeit: J. Würth in Wien, Brokov in Prag (Brückenstatuen), Permoser in Wien und Dresden, Nahl in Bern und Kassel, und der unter seinen Zeitgenossen durch ein gesundes Stylgefühl hervorragende Andr. Schlüter (1662–1714) in Berlin.


Die italienische Malerei im XVII. Jahrhundert.

§. 116.

Wollte man von dem Zustande der Baukunst und Bildnerei in den letzten Jahrhunderten auf den gleichmässigen Verfall der Malerei schliessen, so würde man sich nicht wenig von der Wahrheit entfernen. Die Bedingungen, welche den Rückgang in jenen Kunstgattungen hervorriefen, waren hier nicht vorhanden, der Entwickelungskreis der Malerei noch nicht geschlossen. Wohl fehlte der religiöse Ernst der älteren Kunst, und das Bewusstsein der hohen Würde, welche die Kunst unter den weltherrschenden Geistesmächten einnimmt. Der Künstler besitzt nur selten mehr den keuschen Sinn, um seine Persönlichkeit dem Werke zu unterordnen; diese tritt in den Vordergrund und verlangt die unbedingteste Achtung. Des Künstlers Wirken und Schaffen ist ausschliesslich darauf gerichtet, seiner individuellen Grösse als Folie zu dienen, er bricht und beugt willkürlich die Ideen und Motive, um sie seinen subjektiven Neigungen mundgerecht zu machen; er sieht in seinen Genossen nicht mehr Mitthätige im gleichen Dienst, sondern Gegner und Concurrenten. Die Lichtseite dieses vorherrschenden Individualismus offenbart sich in der bedeutenden technischen Tüchtigkeit der meisten[S. 312] Künstler. Technische Fortschritte bildeten früher die Lebensaufgabe der Individuen, jetzt ist ihre Kenntniss und leichte Handhabung nach vollendeter Lehrzeit schon vorhanden, wie überhaupt der Künstlererziehung die grösste Sorgfalt gewidmet wird. Zur gesteigerten technischen Virtuosität gesellt sich eine freiere Stellung zu den Meistern des Cinquecento. Ferner gerückt, üben diese keinen unmittelbaren und unwiderstehlichen Druck aus, erzwingen nicht eine blinde, geistlose Abhängigkeit, treten vielmehr in die Reihe der Tradition zurück. Ihre Vorzüge und Eigenheiten können mit grösserer Freiheit abgewogen, die Vorbilder unabhängiger ausgewählt werden. Sie erdrücken nicht die natürliche Eigenthümlichkeit der lebendigen Künstlergeschlechter, verleihen derselben nur eine bestimmte Färbung. Es herrscht die Sitte, die italienischen Künstler des 17. Jahrhunderts nach ihrem Verhältnisse zu ihren Vorfahren zu gliedern, eine eklektische Schule den Naturalisten, welche sich von der Tradition entschiedener lossagen und nur den unmittelbar gegebenen Impulsen folgen, gegenüber zu stellen. Doch trifft diese Unterscheidung nicht scharf zu. Die Berücksichtigung des Cinquecento, ähnlich wie das Studium der Antike, wird bei keinem Künstler vermisst und gehört wenigstens zur Schulbildung desselben. Auf der anderen Seite bildet auch für die eifrigsten Verehrer der »Alten« der Naturalismus die Grundlage ihrer Anschauungen. Derselbe muss schon aus dieser Ursache eine allgemeine Geltung in Anspruch nehmen, als eine lebendige leidenschaftliche Auffassung, ein dramatisch kräftiger Ausdruck auch im religiösen Kreise galt, und der ehemals herrschende reine Idealismus durch den Reichthum und die Mächtigkeit der äusseren Formen, durch das Pathos der Schilderung ersetzt werden sollte. Selbst die wüsten und gemeinen Gestalten der Naturalisten geben sich noch als Nachkommen, wenn auch nur als »liederliche Nachkommen des im plastisch hohen Style erzeugten Riesengeschlechtes«, zu erkennen; die Eklektiker aber, die gleichfalls die Ausbildung des malerischen Styles anstreben, konnten dieses ohne Hingabe an naturalistische Formen nicht bewirken. Es zeigt sich in dieser Berührung beider Richtungen der vermittelnde Einfluss der praktischen Thätigkeit. Konnten auch die Werke nicht scharf nach den beiden erwähnten Kategorien geschieden werden, so bleiben diese doch in den theoretischen Grundsätzen geltend; die Schulansichten allerdings stellen den Eklekticismus und Naturalismus in den Vorder[S. 313]grund, die Künstlerparteien schreiben diese Worte auf ihre Fahne. Wir besitzen ein Sonett des Agostino Carracci, worin er aus den Charakterzügen sechs verschiedener Maler ein neues Ideal zusammenklaubt, und dieses so gebraute Ideal mit antiker Zeichnung, venetianischem Colorit und lombardischen Farbenschmelze versetzt; wir kennen die Verachtung Caravaggios alles dessen, was nicht das Gepräge unmittelbarer Wahrheit an sich trägt. Dennoch kommt der schroffe Gegensatz mehr nur im Munde der Künstler vor, in ihren Werken erscheint er verhältnissmässig abgeschwächt und gemildert. Gemeinsam ist beiden Richtungen die Opposition gegen die namentlich in Rom vorherrschende geistlose und trockene Manier, welche das Verständniss der Bestimmung der Kunst verloren hatte, und auch in der eigentlichen Technik die ärgste Verwahrlosung zur Schau trug, weniger aus Unfähigkeit, als durch schiefe Ansichten vom Schönen verleitet; verschieden sind aber in diesem Kampfe die Mittel und das Ziel. Die Einen, geführt von der Künstlerfamilie der Carracci aus Bologna, wollten nur das wuchernde Unkraut beschnitten haben, und hielten an der alten Kunsttradition fest. Sie sind gleich den älteren Meistern Stylisten, ein architektonisches Gefühl waltet noch in ihrer Composition und Gruppirung, in der Wahl der Motive; in der Zeichnung gehen sie nach den alten Regeln vor; auch die Freskotechnik, welche doch vorzugsweise der älteren Kunstweise entspricht, findet in ihrem Kreise noch eine gute Pflege, ja sogar eine glückliche Fortbildung. Ihre Opposition gegen die Manier des 16. Jahrhunderts ist keine prinzipielle; auch sie finden das Heil der Kunst in dem Festhalten des bereits vollendeten Styles, nur dass sie freier in der Nachbildung sich bewegen, die Auffrischung der Tradition durch eine lebendige Naturwahrheit, namentlich in der Farbe, nicht verschmähen; auch sie glauben an die Möglichkeit, die Kunstweise der grossen Vorfahren in systematischer Lehre auf die kommenden Geschlechter fortpflanzen zu können, und begründen die akademische Richtung. Dagegen ist der Kampf der Naturalisten gegen die bisher giltige Grundlage, den traditionellen Styl, selbst gerichtet, als Aufgabe eine vollständige Umwälzung der alten Anschauung und Auffassung der Natur hingestellt. Die Einen sind Reformer, die Andern Revolutionäre. Damit ist die Bedeutung der Naturalisten noch keineswegs erschöpft. Wir können nicht läugnen, dass auch die Eklektiker von dem veränderten, mehr glänzenden als innigen religiösen Ideen[S. 314]kreise berührt wurden; aber mit Energie der eigenen Zeit die ihr innewohnenden künstlerischen Motive abgelauscht zu haben, dies bleibt dennoch vorzugsweise das Verdienst der Naturalisten. Ihre Werke, das Produkt des wild zerfahrenen, stürmischen 17. Jahrhunderts, der Wiederschein der ausgehöhlten öffentlichen Ordnung, die eben nur den weiten Tummelplatz persönlicher Leidenschaften und Intriguen bildet, besitzen auch ein kulturgeschichtliches Interesse. Damit hängt auch das bei den meisten Vertretern dieser Richtung bemerkbare wüste, abenteuerliche Leben zusammen. Gleich der erste Künstler, der die Fahne des Naturalismus aufpflanzte, Michelangelo Amerighi da Caravaggio (1569–1609), ein Schüler des Cavaliere d'Arpino, dessen manierirte Weise er aber bald überblickte und leidenschaftlich bekämpfte, zählt unter seinen biographischen Zügen Mord, Flucht, Verfolgungen und Elend; schon bei ihm kommt das Sonderlingswesen, so charakteristisch für diese späte Kunstperiode, zum Durchbruche. Sein Colorit, scharfe Lichtblitze auf den dunkel gehaltenen Gestalten, kann nicht streng naturwahr genannt werden, erscheint aber effektvoll und mit seiner Sinnesrichtung übereinstimmend. Auch der Charakter vieler seiner Gestalten geht durch das ihnen anklebende Pathos über die gewöhnliche Wirklichkeit hinaus, nur steht derselbe, bei religiösen Scenen, in grossem Widerspruche mit dem geistigen Wesen der dargestellten Personen, so in der Grablegung (Vatikan), hl. Familie (Galerie Borghese), Tod der Maria (Louvre), Christus am Oelberge (Berlin). Sittenbilder gelingen besser, Schilderungen der Nachtseiten der Gesellschaft (falsche Spieler) am besten. Schon diese Eigenheit beweist die Unzulänglichkeit seiner Kunst für monumentale Zwecke, und erklärt die immer mehr einreissende Neigung, für Bildersammlungen, für einen abstrakten Zweck, die Gemälde zu arbeiten. In Rom selbst zählt Caravaggio zu Nachahmern C. Sarazano aus Venedig, A. Caroselli, Tom. Luini u. A. Auch M. Valentin († 1632) und Simon Vouet, beide Franzosen, und der holländische Maler Gerh. Honthorst (1592–1662), durch seine Nachtstücke berühmt, gehören zu seiner Schule, welche die lebendigste Fortbildung in Neapel erhielt, und hier an den herrschenden wilden Zuständen eine wesentliche Stütze fand. Gius. Ribera, lo Spagnoletto (1588–1656), spanischen Ursprunges, führt den Reigen. Wie alle Naturalisten ein tüchtiger Colorist, wobei ihm das Studium der Venetianer Vorschub leistete, begnügt er sich in[S. 315] der Regel, diesen Vorzug leuchten zu lassen, unbekümmert um die übrigen Formen des Schönen. Seine Phantasie ergeht sich gern in der Schilderung abgelebter, skelettartiger Gestalten (Anachoreten, Philosophen) oder abstossender Gräuelthaten; nur in einzelnen Fällen (Kreuzabnahme und Abendmahl in S. Martino zu Neapel) offenbaren seine Werke einen tieferen poetischen Sinn. Nach Sicilien verpflanzte Caravaggios Styl der Syrakusaner Mario Minniti.

Diesen Spitzen der naturalistischen Richtung sind die Häupter des Eklekticismus gegenüber zu stellen. In Bologna, getragen von den Carraccis, trat derselbe zuerst auf, um die Runde durch ganz Italien zu machen und schliesslich den Entwickelungsgang der italienischen Kunst zu beendigen. Die Begründung der Schule und die systematische Ausbildung des akademischen Unterrichtes (Akademie d. Incamminati zu Bologna) bildet das wichtigste Verdienst des älteren Lodovico Carracci (1559–1619), sowie seines Neffen, des auch als Kupferstecher berühmten Agostino Carracci (1558–1601). Die grösste Produktivität aber und den höchsten Kunstruhm besitzt der andere Neffe, Annibale Carracci (1560–1609). Das Streben, den älteren Meistern ihr eigenthümliches Wesen abzulauschen, ist an mehreren seiner Werke ersichtlich; oft erscheinen auf einem einzigen Bilde verschiedene Malweisen neben einander gestellt (Mad. mit Heiligen in der Pinakothek zu Bologna); doch erschöpft dieser Eklekticismus nicht die Thätigkeit des Künstlers. Er geht in anderen Fällen von einer freien Naturauffassung aus und übt gerade dann den grössten Eindruck. Annibales Hauptwerk ist sein mythologischer Bilderkreis im Palast Farnese zu Rom. Die technische Durchbildung und virtuose Anordnung der Bilder erregen die grösste Bewunderung. Dass dieselben darauf eingerichtet sind, am besten bei künstlichem Kerzenscheine genossen zu werden, bezeichnet trefflich den Standpunkt der damaligen Kunst. Die Zahl der Künstler, welche der akademischen Lehre der Carraccis ihre Bildung verdanken, ist nicht unbedeutend; kunstgeschichtlich wichtig und auf die Fortbildung der italienischen Malerei von Einfluss sind aber nur folgende Schüler: Domenico Zampieri oder Domenichino aus Bologna (1581–1641), der trotz der eigenen Neigung zum Naturalismus den Verfolgungen der selbstsüchtigen Anhänger dieser Richtung nicht entgehen konnte, und durch Eifersucht sowohl in Rom wie in Neapel seine Wirksamkeit beschränkt sah. Durch pathetischen Schwung zeichnet sich[S. 316] der Evangelist Johannes, der die Offenbarung empfängt (in Petersburg?), aus; ein grossartiger, rein idealer Styl durchzieht die al Fresko ausgeführten Evangelisten in der Kuppel von S. Andrea della Valle in Rom; sonst verfügt Domenichino ziemlich willkürlich mit den religiösen und historischen Motiven, und lässt seinem schilderungskräftigen farbenreichen Pinsel auf Kosten der Haupthandlung freien Lauf. Die Darstellung des Lebens der hl. Cäcilia in S. Luigi zu Rom, die Geisselung des hl. Andreas in der Kapelle zu S. Gregorio in Rom und die Geschichten des hl. Nilus in Grottaferrata bei Frascati sind zunächst nur äusserst lebendig gedachte und vollendet ausgeführte Volksscenen. Seine fruchtbare Thätigkeit lernt man in römischen Kirchen, dann in Fano, Viterbo, Neapel kennen; auch Oelbilder lieferte er in grosser Zahl und mannigfachen Inhaltes. Zu den hervorragendsten Werken in dieser Gattung gehören die Beichte des hl. Hieronymus in der vatikanischen Galerie (nach dem gleichnamigen Bilde Agost. Carraccis componirt), und die Diana mit Nymphen in der Galerie Borghese. Der gleichen Schule entsprungen und mit Domenichino wetteifernd, ist Guido Reni (1575–1642), von seinen Zeitgenossen hochgepriesen, und in der That die meisten derselben an Formensinn und Compositionskraft überragend, aber in seinem idealistischen Streben, zu dessen Verwirklichung er antike Gestalten oft unmittelbar benützte, unklar und unwahr, und zuletzt in der Arbeit sich überstürzend, geistlos und leichtfertig. Das Schwankende und Unsichere seiner Kunstweise, worin sich übrigens nur der Schulcharakter der Eklektiker ausspricht, beweisen auch seine Versuche, Caravaggio nachzuahmen (Kreuzigung Petri in der vatikanischen Galerie) und die häufigen Wandlungen im Colorite, welches endlich eine oberflächliche Weichheit, einen flauen Ton annimmt, aber nichts desto weniger von seinen zahlreichen Schülern am eifrigsten nachgebildet wurde. Unter Guidos Freskobildern stehen die Aurora und Phöbus im Palast Rospigliosi, die Bilder in S. Gregorio zu Rom und die Geburt Christi in S. Martino zu Neapel obenan; unter den zahlreichen Oelgemälden besitzen aus der früheren, besseren Zeit ein Kruzifix und der bethlehemitische Kindermord zu Bologna, aus der späteren Periode die oft wiederholte Fortuna, die Himmelfahrt der Madonna (Münchner Pinakothek) und das Fahnenbild (il pallione): Madonna mit Heiligen in der Pinakothek zu Bologna, den grössten Ruhm. Einförmiger und charakterloser erscheint der dritte grosse[S. 317] Schüler der Carracci, der als Maler der Liebesgötter, oder wie ihn seine Bewunderer auch nannten, als Horaz der Malerei wohlbekannte Francesco Albani aus Bologna (1578–1660). Seinen gemalten Pastoralen fehlt dasselbe, was den arkadischen Poesien der Italiener abgeht, die naive Wahrheit. Innerhalb dieser Beschränkung, und wenn man das häufige Durchscheinen der gebrauchten Modellfiguren übersieht, aber entfaltet Albani einen regen Sinn für anmuthige oder wenigstens zierliche Formen, eine blühende Färbung und heitere Phantasie. Die Motive seiner meisten Bilder sind der antiken Mythe (Venus, Diana, Danae, Galatea u. a.) entlehnt und von zierlichen Amorettengruppen belebt; auch Gemälde allegorischer Natur (die vier Elemente in Turin u. a.) kommen vor; im religiösen Kreise entsprach das auf dem Kreuze schlafende Christkind und die Himmelfahrt der Madonna (M. del pace zu Rom) am besten seiner Neigung. Die anderen Schüler Carraccis, sowie die Anhänger der eben genannten Meister: Lanfranco, Cavedone, dann Passeri (ein Schüler Domenichinos), Cignani und Sacchi (Albanos Schüler), Cantarini, Sirani (Guidos Schüler), erheben sich nicht über die Mittelmässigkeit, andere, wie Spada, der Modenese Schedone, rücken dem Naturalismus näher. Nicht im Schulverbande, aber doch unter dem Einfluss Carraccis, steht Francesco Barbieri, gew. Guercino da Cento, genannt (1590–1666). Auch er gelangte, von mannigfaltigen, oft entgegengesetzten Einflüssen gedrängt, zu keinem festen Style, und scheute, das Ideale mit dem Schwächlichen verwechselnd, die ursprünglich ihm innewohnende Formen- und Farbenkraft. Seine Werke sind in italienischen Galerien, zu Rom, Bologna, Mailand (Hagars Verstossung), Florenz, Genua u. a. sehr häufig. Fresken von seltener Farbentiefe schuf er im Casino der Villa Ludovisi und im Dome zu Piacenza.

§. 117.

Der Richtung der Carracci verwandt, d. h. gleichfalls mit ernstem Sinne um die Wiederherstellung der älteren Kunstweise bemüht, doch in keinem Schulverbande mit jenen, treten uns mehrere, minder bedeutende Künstlergruppen entgegen, so die Familie der Campi zu Cremona, bereits im 16. Jahrhundert thätig, aber ohne allen nachhaltigen Einfluss auf die folgenden Geschlechter, jene der Procaccini zu Mailand, Nacheiferer Correggios, unter ihnen der bedeutendste Camillo, das Geschlecht der Crespi aus Cerano, dessen[S. 318] wichtigstes Glied Daniele Crespi († 1630) in Mailand wirkte und die Schule der Procaccini besuchte. Ein anderer Eklektiker von tüchtiger Kraft, dessen Bildungsgang noch nicht aufgehellt wurde, ist Giov. Salvi aus Sassoferrato (1605–1685). Im Gegensatze zu den nach dramatischen Effekten haschenden Zeitgenossen durch ein lyrisches Gefühl ausgezeichnet, führten ihn seine Studien bis auf Perugino zurück. Fleissig ausgeführte Copien nach raphaelischen Madonnen trugen dazu bei, seiner Weise — er malte vorzugsweise Madonnenbilder — das Gepräge der Innigkeit zu verleihen.

Die florentinische Schule, aus der im 15. Jahrhundert erklommenen Höhe, im 16. tief herabgeschleudert, begann gleichfalls im 17. Jahrhundert sich einigermassen zu heben. Kulturmomente, welche etwa der Kunst neue Keime zugeführt hätten, lagen nicht vor, so verblieb es denn auch bei der blossen Verbesserung der Formen, einem richtigeren Studium der Vorfahren, womit das Anstreben grösserer Farbenwirkungen verbunden wurde. Durch die Anlehnung an den römischen Maler Baroccio und an dessen Vorbild Correggio kam die Restauration des guten Geschmackes zu Stande. Lodov. Cardi aus Cigoli (1559–1613), durch ein lebhaftes Colorit und gute Verwendung des Helldunkels ausgezeichnet, ist der erste, welcher sich den Fesseln der bis dahin giltigen flachen Manier entzieht. (Marter des hl. Stephan in Uffizi, hl. Franciskus in Pitti-Gal. u. a.). Ihm folgten mehrere Schüler (Pagani, Dom. da Passignano); die grösste Tüchtigkeit aber unter den jüngeren Florentinern offenbart der Meister der Judith (Gal. Pitti), Cristofano Allori (1577–1621). Die Schöpfung dieses ebenso technisch durchgebildeten als pathetisch wirksamen Bildes gehört zu den gelungensten Thaten der neueren Kunst, und lässt bis auf diesen Tag Alloris Lorbeeren nicht unbeneidet. Noch bleiben als Vertreter der jüngeren florentinischen, durch die Geschicklichkeit im Copiren ausgezeichneten Kunst, Jac. da Empoli und der treffliche Schulhalter Matteo Roselli zu nennen. Auch Carlo Dolce (1616–1686) gehört zu des letzteren Schülern. In der Phantasie beschränkt, der Ausbildung einer sanften Anmuth und leicht verständlichen, weil übertriebenen Sentimentalität beflissen, hat er zu seinen Lebzeiten und später zahlreiche Verehrer gefunden. Seine Bilder (Tochter des Herodias, hl. Cäcilia in Dresden, hl. Sebastian in Pommersfelden bei Bamberg, Magdalena in München u. a.) machen es dem religiösen Sinne unendlich leicht, verlangen keine[S. 319] besondere Erhebung des Geistes, lullen vielmehr, modernen italienischen Melodien, wie richtig bemerkt worden, ähnlich, das Gemüth in einen leichten sinnlichen Rausch ein. Dies verleiht dem Meister ein kulturgeschichtliches Interesse, obgleich dadurch eine höhere ästhetische Stellung nicht begründet wird.

Wenn im römischen Künstlerkreise die Richtung der Carracci nicht ausschliesslich herrschte, so hatte sie die Genugthuung, dem Nebenbuhler auf neapolitanischem Boden Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Hier war zwar der Naturalismus vorzugsweise heimisch; neben ihm galten aber auch eklektische Einflüsse. In venetianischer Weise malte Belisario Corenzio, dem Annibale Carracci folgte Giambatt. Caracciolo, beide natürlich dem Naturalismus nicht völlig fremd, und überdies vorzugsweise durch ihre gehässige Feindseligkeit gegen alle fremden Maler, die in Neapel einen Wirkungskreis suchten, berüchtigt. Vor derselben bewahrte weder Ansehen, noch eine befreundete Kunstrichtung, sie traf Ann. Carracci, Domenichino, den Car. d'Arpino und andere römische Maler; sie richtete ihre Giftgeschosse sogar auf jüngere einheimische Kräfte, wie auf den naturalistisch gebildeten Massimo Stanzioni († 1656), den Hauptführer der späteren neapolitanischen Schule, welche wieder ausschliesslicher auf Spagnolettos Darstellungsweise eingeht und in Aniello Falcone und Salvator Rosa (1615–1673) die letzte reichere Blüthe entwickelt. Beide Künstler haben zwar in anderen, als in der religiös-historischen Gattung, die grösste Bedeutung errungen, doch muss namentlich Salvators Verschwörung des Catilina (Galerie Pitti) schon hier als ein Denkmal des wirkungsreichsten Naturalismus angezogen werden. (Andere historische Gemälde sind in der Grosvenorgalerie [Demokritos] zu Corshamhouse [hl. Lorenz]). Mit dem Verständnisse der idealen Formen ging auch das Interesse an idealem Inhalte verloren. Der weitere Schritt von der Einkleidung religiöser Vorgänge in derbe zeitgenössische Formen zur selbständigen Darstellung des unmittelbaren weltlichen Lebens kostete keine Ueberwindung; er war vielmehr ein nothwendiger, jenen Widerspruch glücklich beseitigender Fortschritt. Wir bemerkten schon im Kreise der Venetianer die Neigung zu sittenbildlichen Darstellungen, welche bei Bassano zu virtuosen Schilderungen des menschlichen Werketaglebens führt. Noch befreundeter erscheint das Sittenbild der naturalistischen Schule des 17. Jahrhunderts. Caravaggios Leistungen in diesem Fache wurden[S. 320] oben erwähnt; unter seinen Nachfolgern in Neapel ragt der früher angeführte An. Falcone (geb. 1600) als Schlachtenmaler hervor. Das gleiche Fach übten Cerquozzi (der Schlachten-Michelangelo, geb. 1602) und der römische Jesuite Jacques Courtois, gen. Bourguignon (1621 bis 1676). Die in Galerien nicht seltenen Werke des Letzteren sind nicht immer richtig gezeichnet, aber stets lebendig gedacht und kühn angeordnet; Cerquozzi ging später zur Darstellung von Volksscenen über, in welcher Gattung seine leichtschaffende Phantasie und seine scharfe Beobachtungsgabe mit Erfolg sich äusserten. (Masaniello, von Lazzaronis beklatscht in der Gal. Spada?). Die Aufnahme des niedrigen Volkstreibens, der Kesselflickerscenen, in den Darstellungskreis wird gewöhnlich auf Peter Laar aus Holland (1613–1674) zurückgeführt, welcher längere Zeit in Italien lebte, und nach dessen Spottnamen Bamboccio die ganze Gattung Bambocciaden genannt wurde. Doch ist die Sache in Italien älter als der Name, Laar selbst der Einwirkung, namentlich Cerquozzis, unterworfen gewesen. Eine nachhaltige Bedeutung für die italienische Kunstweise kann man den Bambocciaden nicht zusprechen; dagegen ist die im 17. Jahrhundert reichblühende Landschaftsmalerei für die Entwicklung der ästhetischen Anschauungen in Italien von grossem Belange. In ihr spricht sich der moderne Sinn am schärfsten aus, die Vertiefung in die landschaftliche Schönheit, das Verständniss der Naturstimmungen erscheint als das wichtigste und auch künstlerisch fruchtbarste Merkmal der neueren Bildung. Die Venetianer, voran Tizian, beginnen den Reigen, auf die Venetianer fusst Ann. Carracci und seine Schule (Grimaldi, Albano, Domenichino u. A.), wozu sich des niederländischen Landschafters Paul Brill (1554–1626) Einfluss gesellt. Dieser siedelte sich am Schlusse des 16. Jahrhunderts in Italien an und begann nicht allein antike Ruinen als Staffage zu verwerten und die Formen der italienischen Natur mit Wahrheit zu reproduciren; er wusste auch seinen Bildern eine elegisch-ruhige Stimmung anzuhauchen, welche später einen so vielfachen und so vollendeten Ausdruck gewann. Neben diesem Kreise von Landschaftsmalern, weniger durch die ruhige Schönheit der Linien und klare Ausprägung der Formen ausgezeichnet, als durch die geistreiche Auffassung einzelner Naturmomente und die poetische Schilderung des finsteren Wald- und Gebirgslebens berühmt, steht ziemlich selbständig der vielseitige Salvador Rosa. Meisterhaft weiss er durch eine lebendige Staffage[S. 321] und glücklich angebrachte Lichteffekte die Eigenthümlichkeit seiner landschaftlichen Motive zu heben und zu charakterisiren. Auch die klare Farbe und fleissige Durchführung fehlt seinen besseren (meist in England bewahrten) Werken nicht.

§. 118.

Die italienische Kunstweise stirbt zwar in dem Zeitraume, den wir betrachten, noch nicht vollständig ab, sie greift über ihren unmittelbaren Schauplatz hinaus, und vererbt sich wenigstens theilweise auf die französischen, spanischen und deutsch-niederländischen Schulen, wie denn überhaupt eine bestimmte nationale Trennung der verschiedenen Stylarten nicht mehr vorhanden ist; doch bricht die unmittelbare selbständige Entwicklung schon am Schlusse des 17. Jahrhunderts ab, und die eben beschriebene Blüthe weicht wieder dem einreissenden Schlendrian und der oberflächlichen Manier. Den Keim zur Verflachung bot das Kunstprinzip der Carraccis. Seine verkehrten Folgen blieben, so lange tüchtige künstlerische Persönlichkeiten dasselbe anwendeten, verborgen, weil diese von der consequenten Durchführung zurücktraten; erst in den Händen des späteren Geschlechtes machte sich das Verderbliche der abstrakten Kunstbildung und des willkürlich erfundenen Idealismus geltend. Weder die Antike noch die Meister des Cinquecento entgingen der schulmeisterlichen Kritik der Akademiker, das Bessermachenwollen schloss aber das Bessermachen keineswegs ein. Jene Gattungen, welche geringere Ansprüche erhoben, die Wirklichkeit mit einfacher Treue wieder gaben oder eingeständlich als blosse Dekoration auftraten, wie die Architekturmalerei (Bern. Canal und sein Schüler Ant. Canal gen. Canaletto zu Venedig) leisteten Besseres; auch die Restauration älterer Werke hatte in einzelnen Fällen (Carlo Maratta in seinen Restaurationen Raphael'scher Fresken) den erweiterten Kunstkenntnissen Manches zu danken. Grössere Werke jedoch sind fast durchgängig aller Wahrheit und alles Lebens bar, das dekorative Geschick an denselben, die Fähigkeit, mit vielen Figuren Räume zu füllen und eine zauberhafte Geschwindigkeit bei der Arbeit zu entwickeln, um so widerwärtiger, je anspruchsvoller sie auftreten. Luca Giordano's (1632–1705), Beiname Fa Presto, seine Fertigkeit in der Technik und in der Nachahmung mannigfacher Kunstweisen, seine unbedingte Unterwerfung unter die Meinungen der blinden Menge charakterisiren den Geist des Zeitalters vollkommen. Neben ihm gilt Pietro Berrettini da Cortona (1596–1669) [S. 322] als der Hauptvertreter der wieder beginnenden Manier. So wenig als ihm (Deckenbilder im P. Barberini zu Rom) lässt sich seinen zahlreichen Schülern die grosse Handfertigkeit und eine auf den Schein berechnete Virtuosität des Machwerkes absprechen; eine namentliche Anführung der letzteren ist aber bei der gänzlichen Bedeutungslosigkeit der einzelnen Individuen hier durchaus nicht am Platze.


Die französische Malerei im XVII. Jahrhundert

§. 119.

Die Richtung der französischen Malerei im 17. Jahrhundert kann zwar nicht in dem Sinne national heissen, als ob sie die Grundlagen des französischen Volksthumes in sich fasste, sie entspricht aber vollkommen der Tendenz, welche die höfische Bildung unter den modernen Römern, wie die Franzosen wohl häufig genannt werden, nahm. Das Urtheil über die französische Malerei der »klassischen Periode« fällt gänzlich mit jenem über das klassische Drama des Nachbarvolkes zusammen. Wer dieses preist und als vollendet anerkennt, muss sich zu den Malerwerken N. Poussins u. A. gezogen fühlen; wer in jenen nur ein leeres, aufgeputztes, conventionelles Wesen erblickt, wird auch die klassischen Gemälde verdammen. Hier wie dort tritt uns ein äusserer antiker Zuschnitt, eine glänzende Rhetorik und ein merklicher Mangel an individueller Schilderung entgegen. Aehnlich wie im 16. Jahrhundert ging auch im folgenden die Anregung zur bestimmten Kunstweise von Italien aus. Rosso's und Primaticcio's Einfluss sank erst im Anfange des 17. Jahrhunderts; in diesem Zeitalter trafen wir schon wieder Vouet und Valentin im Kreise der italienischen Naturalisten. Doch sind es nicht die letzteren, sondern die älteren Italiener und mittelbar die Antike, welche die französische klassische Kunst befruchten. Unter den Bestrebungen, den sogenannten reinen Geschmack wieder herzustellen und im hohen Style zu schaffen, ging die unbefangene Wahrheit der Darstellung, die scharfe Charakteristik, verloren. Es mangelt den meisten Werken die belebende und individualisirende Farbe; die Bewegungen und[S. 323] Stellungen sind studirt, die Köpfe nach einem abstrakten Schönheitsgesetze zugeschnitten, die Wärme der Erfindung wird von einer prunkvollen, aber kalten Reflexion verdrängt. Dass daneben viel Verdienstliches auch vorkommt, bedarf keiner Versicherung. Der bedeutendste Meister ist der fast ausschliesslich in Rom thätige Nicolas Poussin (1594–1665). Kein Ideenkreis ist ihm fremd, Christliches und Antikes, Geschichte und Mythe behandelt er mit gleicher Liebe; doch bleiben wegen des antiken Formenschnittes seine allegorischen und mythologischen Darstellungen widerspruchsfreier, als alle übrigen. Auch handlungsreiche Scenen, wie die Pest zu Athen (Leigh-Court), die Mannalese (Louvre) u. a. gelingen ihm trefflich, mag auch hie und da die Anordnung tableauartig erscheinen. Zu Poussins berühmtesten Bildern gehört ferner der Besuch eines Hirtengrabes (et in Arcadia ego, im Louvre), ein um so verdienstlicheres Werk, als das Idyllische jenem Zeitalter äusserst fern lag, und nur allzuleicht in manierirte Süsslichkeit überging. Poussins Weise wurde von dem jüngeren Geschlechte: Jacques Stella (1596 bis 1657), Sebast. Bourdon (1616–1671), Noel Coypel (1628–1697), Phil. Champagne aus Brüssel (1602–1674) fleissig befolgt. Des Letzteren Porträte, frisch in der Färbung und geistreich in der Auffassung, sind seinen historischen Bildern bei weitem vorzuziehen. Das Gleiche gilt von Pierre Mignard, gen. le Romain (1610–1695), dessen Studiengang, obgleich er wie die folgenden Künstler als Schüler Vouet's angeführt wird, auf unmittelbare italienische Einflüsse hinweist. Eustache Lesueur (1617–1655), von seinen Landsleuten über Gebühr gepriesen, neigt sich bereits in der schwächlichen Anlage und ermüdenden Einförmigkeit seiner Charaktere und marklosen Färbung (Leben des hl. Bruno in 20 Bildern im Louvre) dem Style Louis XIV. zu, dessen Hauptvertreter der bekannte Charles Lebrun (1619–1690) wird. Die nothwendigste Eigenschaft eines Hofkünstlers, die allzeit fertige Produktionskraft und zauberschnelle Technik, besass er in hohem Grade. Damit hängt das Hauptübel der Lebrun'schen Richtung, die nur an wenigen Bildern (Jabach'sches Familienbild im Berliner Museum, Steinigung des hl. Stephan im Louvre) nicht bemerkbare kalte theatralische Manier, die nüchterne dekorative Auffassung (Alexanderbilder im Louvre) zusammen. Aber gerade durch diese Mängel gewinnt die Schule Lebruns eine gewisse historische Bedeutung, und erscheint sie als klassischer Ausdruck der am Ver[S. 324]sailler Hofe und weiter an allen Höfen Europas herrschenden Bildung. Uebrigens wäre es irrig, alle Nachfolger Lebruns über denselben Leisten zu schlagen; so erscheinen namentlich Nicolas Colombel (1646–1714) und Jean Jouvenet (1644–1714) als ansprechende und verhältnissmässig gesunde Künstler, und auch Hyacinthe Rigaud (1659–1743), der berühmte Porträtmaler, liefert nicht allein charakteristische, sondern auch fleissig ausgeführte und wirkungsvolle Bildnisse. Dass Sittenbilder, die humoristische Verherrlichung des ungebundenen, jeder Form spottenden Lebens im pompösen Zeitalter Louis XIV. keine Pflege fanden, und Jacques Callot's (1594–1635) humoristische Harlekinaden, Teufelsscenen und zeitgeschichtliche Skizzen, die meisten nur in Kupfer gestochen, ohne Nachfolge blieben, kann nicht Wunder nehmen; nur entfernt vom Hofe (Le Nain in Laon) oder durch eine glückliche Entdeckung des Malerischen, was in dem gepuderten Arkadien dennoch verborgen lag (Ant. Watteau 1684 bis 1721), konnte das Sittenbild sich lebendig erhalten. Desto bedeutender, frisch und kräftig ist die Thätigkeit der französischen Schule in der Landschaftsmalerei. Auch hier ist eine Anlehnung an die Italiener (Carracci) bemerkbar, auch hier minder das tiefe Eingehen in das geheimnissvolle Leben der Natur, als der ernste gemessene Styl, der reine Linienbau zu loben, und wenigstens in äusseren Motiven, in der Architektur z. B., in der Staffage die Antike als Vorbild benützt. Des früher erwähnten Nicolas Poussin grösster Ruhm beruht, und zwar mit Recht, wie man sich in englischen Kunstsammlungen (Grosvenorgalerie) überzeugen kann, auf seiner landschaftlichen Thätigkeit. Er wird aber noch weit überstrahlt von seinem Schwager Caspar Dughet, gen. Poussin (1613–1675), und dem unvergleichlichen Claude Lorrain. Caspar Poussins Werke sind von einem viel tieferen malerischen Gefühle beseelt, als jene seines älteren Verwandten; die Schilderungen des Aufruhrs in der Natur wetteifern an poetischer Wahrheit mit den Darstellungen grossartiger Ruhe in der Landschaft. Ist auch die Farbe selten noch in frischem Glanze vorhanden, so erfreut doch die Reinheit und Fülle der Formen, die überaus wirkungsvolle Anlage namentlich der Mittelgründe, und die warme, von Wolkenschatten unterbrochene Beleuchtung. Poussins beste Arbeiten müssen in Rom (Gal. Doria, K. S. Martino a' monti) und in England aufgesucht werden. Zur höchsten Vollendung brachte diese, von italienischen Studien genährte sogenannte heroische Richtung[S. 325] in der Landschaftsmalerei der bei Mirecourt 1600 geborene Claude Gelée, nach seinem Stammlande Claude Lorrain genannt. Dem Leben des Alterthumes entlehnte Staffagen, nach der Antike gezeichnete Bauten und Ruinen kennzeichnen äusserlich seine Werke, welche auch dort, wo die Nebendinge wie die Architekturen und Figuren minder lobenswerth erscheinen, durch den Zauber der Beleuchtung (Sonnenlicht) und die zarte Abtönung der Farben bis zur verschwindenden Ferne eine ungewöhnliche Anziehungskraft üben. See- und Hafenbilder, grenzenlose Flächen, im Vordergrunde durch schwungvoll gezeichnete Eichengruppen belebt, stille Wasser von Felsen und Bäumen eingefasst, schwüle Nachmittage und Sonnenuntergänge, alle Erscheinungsformen der landschaftlichen Natur behandelte Claude mit gleicher Meisterschaft. Kein Wunder daher, dass seine Werke der Gegenstand eifriger Nachfrage wurden und noch bei Lebzeiten des Meisters betrügerische Nachbildungen in den Handel kamen. Um diesem zu steuern, sah sich Claude gezwungen, von seinen Originalgemälden Skizzen zu zeichnen, und diese, gleichsam die Urkunden der Aechtheit, zu bewahren. Sie befinden sich, 200 an der Zahl, unter dem Namen des libro di verità gesammelt, im Besitze des Herzogs von Devonshire zu London; die letztere Stadt, wie England überhaupt, dann Rom (G. Doria), Wien und Paris bergen auch die trefflichsten und meisten Oelgemälde Claude's, welcher 1682 mit Hinterlassung einer zahlreichen Nachfolgerschaft starb.


Die spanische Malerei im XVII. Jahrhundert

§. 120.

Erst im 17. Jahrhunderte verliert sich das Abhängigkeitsverhältniss, in welchem wir die spanische Kunst bis jetzt bald zu Italien, bald zu den Niederlanden erblickten, und gewinnt das nationale Element auch eine ästhetische Geltung. Die gleichzeitige Blüthe der spanischen Poesie und Malerei ist keine zufällige Erscheinung, vielmehr, wie schon die verwandte Grundstimmung in beiden Kunstgattungen andeutet, unter gleichen Bedingungen hervorgerufen worden. Die allgemeine Herrschaft des Naturalismus in der Malerei des 17. Jahr[S. 326]hunderts begünstigte wesentlich den Aufschwung der spanischen Kunst, welche bei allen äusseren Einflüssen strenge Beziehungen zum Leben bewahrt, und trotz aller Kirchlichkeit der sinnlichen Gluth des Südens sich nicht entfremdet hatte. In der erhöhten Seelenstimmung, im flammenderen Ausdrucke, in der zum Ueberschwänglichen gesteigerten Leidenschaft, welche nur den Gegenstand, nicht die Form wechselt, findet der spanische Künstler die Mittel, auch religiöse Motive zu verkörpern, darin unterstützt von der Richtung, welche das katholisch-kirchliche Leben im 16. und 17. Jahrhundert überhaupt nahm. Es kann daher nicht befremden, dass auch das Sittenbild und namentlich das Porträt hier auf einen reichen Boden stiess, eine streng und nur den Gedanken wiedergebende Compositionsweise seltener, dagegen ein wirkungsreiches Colorit gewöhnlich angetroffen wird. Auf das Letztere nahmen die Venetianer und die gleichzeitigen Niederländer Einfluss, doch bleibt sowohl in der allgemeinen Behandlung der Farbe, wie in den für die Carnation gewählten Tönen das nationale Element vorherrschend.[94]

Nachdem im 16. Jahrhundert vorzugsweise der raphaelische Styl als Vorbild gegolten hatte, bemerkt man am Schlusse dieses Zeitalters, und zwar zunächst in Sevilla, die ersten Regungen der national-naturalistischen Weise. Franc. Pacheco (1571–1654) wirkte vorzugsweise als Lehrer des jüngeren Künstlergeschlechtes (Geschichte des Dädalus, Deckengemälde in Sevilla, jüngstes Gericht ebendort u. a.), wie er denn auch neben seiner praktischen Thätigkeit gelehrte und kunsttheoretische Studien trieb, während seine beiden Zeitgenossen, der nach Tintoretto gebildete Juan de las Roélas (1558–1625) und Franc. de Herrera d. Ä. (1576–1656) schon die eigenthümlichen Vorzüge der jüngeren Schule, das effektvolle Helldunkel, die geschickte Vertheilung von Licht und Schatten, den breiten, massigen Auftrag, den kecken und doch nicht gemeinen Naturalismus an sich tragen. (Werke des Ersteren: S. Jakob in der Schlacht bei Clavigo in der Kathedrale von Sevilla, Martyrium des hl. Andreas im Museum zu Sevilla, Moses Wasserwunder im Museum zu Madrid; Werke Herreras: Mannalesen in der Gal. S. Trinidad zu [S. 327]Madrid, das jüngste Gericht in S. Bernardo zu Sevilla, Andreas im Louvre u. s. w.) Den Genannten verwandt, werden drei Glieder der Familie Castillo, und Alonso Vasquez angegeben; unbedeutend dagegen erscheint der Sohn des Bravourmalers Herrera: H. el mozo, von den Italienern, die ihn zu Rom sahen, als Fischmaler gerühmt.

Im Schoosse von Sevilla erstehen nach einander die berühmtesten Maler Spaniens, so dass die Schule von Sevilla mit der spanischen Kunst in ihrer höchsten Blüthe gleichbedeutend wird. In Francisco Zurbaran (1598–1662), dem Schüler des Roelas, und in Diego Velasquez da Silva (1599–1660), dem Hofmaler Philipp IV., lernen wir die verschiedenen Richtungen des spanischen Naturalismus bereits in grossartiger Vollendung kennen. Der Letztere, von welchem das Madrider Museum 62 Bilder bewahrt, ist vorzugsweise Porträtmaler; seine Werke fesseln aber nicht allein durch frische Lebenswahrheit und die meisterhafte Behandlung des Helldunkels und der gebrochenen Farben, sondern besitzen die Bedeutung historischer Gemälde, so scharf ist seine Charakteristik, so reich das Leben seiner Gestalten. Das berühmteste seiner Bilder, las meninas, zeigt den Maler vor der Staffelei, wie er im Begriffe steht, die Bildnisse des spanischen Königspaares zu malen, in der Mitte des Gemaches aber die Infantin Margarita mit ihren Gespielinnen und zwei Zwergen. Unübertreffliche Bildnisse sind ferner die Darstellungen des K. Philipp IV., seiner Gemahlinnen, des Herz. Olivarez und des Infanten Balthasar zu Pferde. Reine Sittenbilder sind der Wasserverkäufer, wie alle früheren Werke noch etwas trocken in der Farbe (in London, Privatbesitz) und die Trinker (los borrachos). Gleichfalls durch die porträtartige Schärfe ausgezeichnet ist ein anderes Madrider Bild: die Uebergabe von Breda. Dagegen lassen ihn mythologische (Apollo bei Vulkan) und religiöse Darstellungen (Anbetung der Könige, Krönung Mariä, Steinigung Stephans u. a.) befangen und in einem fremden Kreise sich bewegend erscheinen. Hier ist Zurbaran (Kathedrale und Museum zu Sevilla) vorzugsweise heimisch, ein Künstler, welcher die eigenthümliche Verbindung naturalistischer Anschauungen mit religiösen Vorstellungen mit besonderer Deutlichkeit offenbart; zwar als Colorist weniger bedeutend (doch wird seine Behandlung weisser Gewänder mit Recht gerühmt); aber durch den Ausdruck ekstatischer Begeisterung in seinen Gestalten ausgezeichnet. Ungleich milder und ruhiger, tief empfunden in der Farbe, dabei sicher und[S. 328] scharf in der Zeichnung treten uns die Werke des vielseitigen Alonso Cano entgegen. Ausser mehreren Kruzifixen und Bildnissen gehören zu seinen besten Arbeiten die Madonna in der Einsamkeit (Kathedrale von Granada), die Madonna del rosario (Kathedrale zu Malaga) und Christi Leichnam im Madrider Museum.

Wie die meisten spanischen Künstler, so kann auch ihr berühmtester Genosse Bartolomeo Estéban Murillo aus Sevilla (1618 bis 1682) nur in seiner Heimath richtig erkannt werden. Gegen die Fülle und Schönheit der in Spanien trotz aller Kunstplünderungen vorhandenen Werke erscheinen die diesseits der Pyrenäen gebrachten Proben, mit wenigen Ausnahmen, unbedeutend. Murillo, in seiner Jugend mannigfachen Kunsteinflüssen ausgesetzt, ursprünglich ein Schüler des Juan del Castillo, aber auch von Velasquez, Van Dyck angezogen und später durch eine überhäufte Produktion zur Eilfertigkeit verleitet, hat natürlich nicht immer und überall Tadelloses geleistet. Es dauerte einige Zeit, ehe er die anfänglichen Schärfen und Härten des Colorites überwand; er erreichte darin aber nach längerer Uebung das Höchste. Wie Mondschein entzündet der Silberton seiner Bilder die Seele zur milden Sehnsucht und schwärmerischen Liebe; doch verliert er sich in der letzten Zeit in eine süssliche, unklare Verblasenheit. Auch eine selbstgenügsame Ausbeutung des einmal glücklich erfundenen Motives, eine ungleichmässige Ausführung der Bilder kann tadelnd hervorgehoben werden. Dies hindert jedoch nicht, an Murillo die Vielseitigkeit seiner Phantasie, die Tiefe seiner Farbenkenntniss zu bewundern, und die stets edle und ergreifende Richtung des Naturalismus in ihm anzuerkennen. Die Studien über Murillo sind lange nicht ausgedehnt genug, um uns in den Stand zu setzen, ein übersichtliches Bild seiner Entwicklung zu liefern. Wir müssen uns mit einer summarischen Aufzählung seiner Werke, nach Gattungen gesondert, begnügen. An der Spitze derselben stehen die zahlreichen Darstellungen der verklärten Madonnen, die meistens unter dem Namen der Conception bekannt sind, oft aber auch als die Himmelfahrt der Madonna (auf der Mondsichel ruhend) angeführt werden. Mit wunderbarer Vollendung erscheint hier der feierlich religiösen Stimmung ein frischer Naturreiz vermählt, und bei aller blendenden Farbenglut doch schliesslich ein ergreifender, ernster Eindruck bewahrt. (Louvre, drei Bilder in der Galerie zu Sevilla, zwei Bilder im Madrider Museum). Diesem Kreise schliessen sich die Schilde[S. 329]rungen ekstatischer Zustände ebenbürtig an: S. Franciscus, den Gekreuzigten umarmend (Museum zu Sevilla), der hl. Joseph mit dem Christkinde (ebendort), der hl. Antonios von Padua, welchem die Jungfrau ihr Kind darreicht (Kathedrale in Sevilla), die Vision des hl. Bernhard u. a. im Madrider Museum. Wie in mehreren dieser Bilder, so greift Murillo auch in seiner Darstellung der Geburt Christi (Museum zu Sevilla), vielleicht noch trefflicher als Correggio, den Gegensatz des himmlischen und natürlichen Lichtes wirkungsreich auf. Es bedarf aber nicht erst solcher kunstreichen Mittel, um Murillos Werke anziehend zu machen. Seine historischen Darstellungen: das Wasserwunder Moses (La Sete in S. Georg zu Sevilla) und andere aus demselben Cyclus, theils noch am ursprünglichen Orte aufbewahrt oder nach Madrid und Paris verpflanzt, erfreuen durch den Reichthum der Composition und die frisch-lebendige Behandlung. Nur in wenigen Fällen (der Grindkopf in der Pflege der Kranken durch die hl. Elisabeth in der Madrider Akademie) überschreitet der Naturalismus die ästhetischen Grenzen. Zahlreich sind ferner kleinere Heiligen- und Madonnenbilder, sowie die auch in nordischen Kunstsammlungen wohlbekannten Sittenbilder aus dem Sevillaner Strassenleben. Die gleiche Verbreitung wäre seinen geistreich gefassten und kräftig ausgeführten Porträten zu wünschen, von welchen in Berlin, im Louvre (Selbstporträt), in der Kathedrale zu Sevilla und im Madrider Museum treffliche Beispiele vorhanden sind.

Sowohl Velasquez, als auch Murillo hinterliessen Schüler und Nachahmer. Unter Murillos späteren Nachfolgern kam Alonso Miguel de Tobar des Meisters äusserem Verfahren am nächsten, so dass seine Copien häufig für Originale gelten. Ein anderer Schüler, Don Pedro Nuñez de Villavicencio, war namentlich in der Gattung des Sittenbildes heimisch, ohne aber die göttliche Freiheit der Murilloschen Strassenjungen zu erreichen. Velasquez' Anhang setzte sich vorzugsweise in Madrid fest. Hier behaupteten im Anfange des Jahrhunderts die Florentiner Bart. und Vic. Carducci und die Brüder Ricci, gleichfalls italienischen Ursprunges, den ersten Rang. Auch Antonio Pereda aus Valladolid (1599–1669), ein Schüler des Pedro de las Cuevas, hatte in Madrid grossen Ruhm erworben (Hauptwerk: die Kreuzabnahme im Madrider Museum) und als glänzenden Coloristen sich bewährt. Zur unmittelbaren Schule des Velasquez rechnet man Juan de Pareja (1606–1670), von Sklaveneltern[S. 330] geboren, einen derben Naturalisten, Nicolas de Villacis, Juan de Mazo u. A.

Es bildete bis jetzt vorzugsweise die Schule von Sevilla den Gegenstand der Betrachtung; die Schule von Madrid, die vorzugsweise im Porträtfache glänzende Hofschule, wurde nur nebenbei erwähnt. Und auch von den Sevillaner Malern wurden nur die Spitzen hervorgehoben. Zur Ergänzung mögen noch aus der Schule von Sevilla die Namen: Pedro de Moya (1610–1666), theilweise nach Van Dyck gebildet, und dessen Schüler Juan de Sevilla (1627–1695), ausschliesslich in Granada thätig, und Valdes Leal (1630–1691), dessen bis zum Widerlichen naturwahre Weise, sowie sein anmassendes persönliches Auftreten den beginnenden Kunstverfall offenbart, angeführt werden.

Zur Madrider Schule rechnet man ausser den früher Genannten noch Juan Careño (1614–1685) und dessen Schüler Mateo Cerezo, beide Nachahmer des Van Dyck, Juan Escalante (1630–1670) und mehrere Schüler des Pedro de las Cuevas.

Unter den Malern, welche in Valencia thätig auftreten, ragen die beiden Ribaltas (Vater und Sohn), Jacinto de Espinosa (1600 bis 1680) und Pedro Orrente (1550–1644) hervor. Bei allen ist die Mischung der heimischen Weise mit italienischen Elementen (auch Spagnoletto hat in Valencia seinen Ausgangspunkt) charakteristisch; doch hat sich in Valencia ebenso wenig als in Toledo eine stetige Lokalschule entwickelt, welche jener von Sevilla oder Madrid ebenbürtig zur Seite gestellt werden konnte.

Der Betrieb der Landschaftsmalerei kann bei der deutlich ausgesprochenen Vorliebe der spanischen Kunst für die Schilderung der Wirklichkeit nicht befremden, noch weniger dann der streng nationale Stempel der spanischen Landschaftsmalerei, durch Velasquez, Iriarte, del Mazo vertreten, auffallen. Sie gibt den Charakter der spanischen Landschaft treu wieder, und lässt auch hier die eigenthümlichen Vorzüge in der Farbengebung und in der Behandlung der Luftperspektive walten.

Ebenso rasch als in Italien ging auch in Spanien die Kunst ihrem Untergange entgegen. Im eklektischen Zusammenfassen älterer Vorbilder (Claudio Coello, † 1693) oder der äusseren Nachahmung eines einzelnen Meisters (Miguel de Tobar) glaubte man eine Zeit lang dies Heil zu erblicken, oder es sollte die theoretische Gelehr[S. 331]samkeit (Palomino, der spanische Vasari, 1653–1726) die Leichtfertigkeit des Machwerkes verdecken. Aber auch diese Zustände waren im Verhältnisse zu der folgenden akademischen Langweile zu preisen, welche intolerant gegen das Alterthum, aufgeblasen in ihrer Nichtigkeit, selbst bessere Talente, wie den Ant. Viladomat († 1755), verdarb und erst im Beginne des 19. Jahrhunderts ihre Herrschaft wanken gewahrte.


Die niederländische Malerei im XVII. Jahrhundert.

§. 121.

Die niederländische Malerei hatte im 16. Jahrhundert, wie wir gesehen haben, in der allzu hastigen Nacheiferung der italienischen Kunsthelden Ziel und Richtung verloren. Diese Thatsache, sowie das herbe Urtheil, welches über die ihrer Zeit vielgepriesenen Manieristen gefällt wurde, wird auch nicht durch die Erwägung wankend, jener Abfall von sich selbst sei durch den allgemeinen Gang der Bildung nothwendig bedingt gewesen. Es war eben, wie es im Laufe der Geschichte nicht selten bemerkt wird, die herrschende Kultur dem bestimmten Kunstgeiste eines Volkes minder günstig und dieser daher zum Feiern verurtheilt. Nur die Porträtmalerei und das Sittenbild blieb der nationalen Tradition treu und bewahrte eine anziehende Frische. Im letztgenannten Fache ist es Peter Breughel d. Ä. (geb. 1510?) zum Unterschiede von seinen Söhnen, dem als Landschaftsmaler bekannten Sammtbreughel, und dem ähnlich wie H. Bosch in phantastischen Nachtgebilden sich ergehenden Höllenbreughel, der Bauernbreughel genannt, welcher in den Motiven sowohl, wie in der Auffassung und den Formen an der Heimath festhält und von seiner italienischen Reise nur landschaftliche Eindrücke mitbringt. Ja die historische Malerei blieb selbst dann noch unter italienischem Einflusse, als die Alleinherrschaft der Manieristen in Italien zu brechen begann. Erst am Schlusse des Jahrhunderts begann die Erinnerung an die heimische Weise zu tagen und zunächst die technische Seite der Kunst ausgebildet zu werden. Des grossen Rubens dritter Lehrer, Otto van Veen oder Venius (1556–1634), bahnte in dieser Beziehung den berühmten Malern Antwerpens im 17. Jahrhundert den[S. 332] Weg. Ein siebenjähriger Aufenthalt in Italien machte ihn mit den musterhaften Leistungen der früheren Zeitalter bekannt; seine gelehrte Erziehung befähigte ihn, der herrschenden Zeitbildung, welche mit wenigen Ausnahmen das Poetische im Allegorischen erblickte und mit dem Verstande dichtete, einen ausgedehnten Raum auch in der Malerei zu verschaffen. Verständige Berechnung der technischen Mittel, namentlich eine wirkungsvolle Benützung des Helldunkels, bilden noch die grössten Verdienste seiner in Belgien zahlreichen Bilder; eine höhere geistige Begabung leuchtet aus ihnen keineswegs heraus.

Peter Paul Rubens, der Vollender der neueren Richtung, wurde wahrscheinlich zu Siegen 1577 geboren († 1640), wo sein Vater, der rechtsgelehrte Antwerpner Schöffe, Johannes Rubens, die schwerbeleidigte Familienehre Wilhelms von Oranien mit langjähriger Haft büssen musste. Die ersten Lebensjahre verbrachte er in der rheinischen Hauptstadt, bis die spanische Gnade die Rückkehr der verbannten Familie in die flandrische Heimath 1588 gestattete. Die gelehrte und höfische Erziehung, welche Rubens anfangs zu Theil wurde, blieb nicht ohne Einfluss auf seine spätere geistige Richtung, unterdrückte jedoch keineswegs die früh in ihm erwachten künstlerischen Keime. Um sie zu pflegen, wurde er zu Tobias Verhaegt, dann zu Adam van Noort in die Lehre gegeben; die grösste Ausbildung verdankt er seinem dritten und eigentlichen Lehrer, Otto Venius. Es waren aber weder der Einfluss des Letztgenannten, noch die 1600–1609 nach Italien und Spanien unternommene Reise im Stande, die künstlerische Sinnesweise Rubens von ihrem ursprünglichen Wesen dauernd abzulenken. Die vor der italienischen Reise gefertigten Bilder (hl. Familie bei Herrn Wuyts in Antwerpen, Christus im Schoosse Gott Vaters im Antwerpner Museum) zeigen schon dem angelernten Style kräftige selbständige Züge beigemischt; ebenso sind seine italienischen Werke (in römischen Kirchen und Palästen) zwar in der Färbung, aber nicht in den Formen und in der Composition den Einwirkungen der italienischen Kunst unterworfen. Dass nächst Venedig besonders Genua und dessen stolze Prachtbauten Rubens Phantasie am meisten fesselten, dass er seine Vorbilder überhaupt nicht im 16. Jahrhundert, sondern unter seinen näheren Zeitgenossen, dem P. Veronese und den Carraccis aufsuchte, erscheint in hohem Grade für den Wandel in den ästhetischen Anschauungen bezeichnend. Rubens selbst entging auf diese Weise der Gefahr, seine flandrische Natur, ähnlich wie so viele[S. 333] Vorgänger, einzubüssen. Und dass dieselbe bei ihm in starken Zügen ausgeprägt war, dies zeigt nicht nur das von ihm angenommene Frauenideal, die Vorliebe für derbe, fleischige Formen, und die Farbenstimmung seiner Bilder, dafür spricht auch der heitere Natursinn, die freie Weltliebe, die seine Phantasie durchdringt. So knüpft er an die ältere heimische Kunstweise wieder an. Nur war in der Eyck'schen Schule die Naturfreude, die heitere Weltanschauung durchaus naiv, man möchte sagen unbewusst, und überdies unmittelbar mit der tiefsten religiösen Innigkeit verbunden, von einem kirchlichen Hauche durchweht. Dies ändert sich. Bei Rubens und seiner Schule sind die Anschauungen bewusster, sinnlicher; die Einheit des Irdischen und Ueberirdischen erscheint aufgehoben. Die landschaftliche Schönheit, die Zustände und Ereignisse des Werktagslebens bilden selbständige Motive der künstlerischen Darstellung. Rubens ist ein ausgezeichneter Landschaftsmaler; auch seine Genrebilder (Louvre) und Thierstücke bekunden seine Meisterschaft und seine Heimath auch in diesen Daseinskreisen. Dass die Porträtmalerei eine wichtige Stelle in seiner künstlerischen Wirksamkeit einnimmt, kann nicht auffallen. Das kräftige Individualisiren lag ohnehin in der Richtung der niederländischen Kunst, noch mehr aber förderten die zeitgenössischen Zustände die grossartige Entwicklung der Bildnissmalerei. Die Stürme des 17. Jahrhunderts brachten alles Gemeinsame und Oeffentliche in Schwanken und Gährung; was fest blieb, gerade jetzt eine gewaltige Kraft, eine Fülle geistiger Ressourcen, hier Trotz, dort Klugheit und fein berechnete Schmiegsamkeit, hier Willensstärke, dort Leichtsinn offenbarte, in Leidenschaften und in keckem Lebensgenusse gleich sehr sich auszeichnete, das war das Individuum, dessen Schilderung nun ungleich dankbarer für den Künstler erschien, als in den früheren Perioden des Gattungslebens. Rubens Porträte sind überaus zahlreich und natürlich von verschiedenem Werthe. Ausser den oft und mit besonderer Vorliebe behandelten Bildnissen der eigenen Familie verdient wegen der technischen Vollendung das Mädchen mit dem spanischen Hut (irrig chapeau de paille benannt), im Besitz der Familie Peel, eine namentliche Erwähnung. In den religiösen Bildern macht sich das affektreiche, pathetische Element vorzugsweise geltend. Die Schilderung ruhiger Momente fesselt durch den Glanz der Farbe und die äussere Vollendung; schöpferische Kraft offenbaren nur jene Bilder, in welchen die Leidenschaft, das, auch das[S. 334] leibliche Leben durchdringende Pathos, wirksam auftritt. Die religiösen Anschauungen der Zeit hatten eine eigenthümliche Färbung erlangt, das kirchliche Leben einen neuen Impuls erhalten. Im Angesichte des feindlichen Gegensatzes bemühte man sich, den Kultus durch äusseren Glanz, durch die Anregung heisser Empfindungen eindringlicher zu gestalten. Das Wallfahren, die Verehrung wunderthätiger Bilder nimmt einen neuen Aufschwung, die Verbreitung der Lehre in fernen Welttheilen, unter wilden Völkern, lässt die Macht der Kirche neu bewundern und steigert die andächtige Volksstimmung. Dabei bewahrt die Liebe für das klassische Alterthum ihre Lebendigkeit, und es werden im Wetteifer mit den kirchlichen Gegnern humane Studien gepflegt. Den künstlerischen Ausdruck dieser Kulturzustände bieten die neuaufblühende Kirchenmusik, in der Architektur der jüngere üppige Renaissancestyl, in der Malerei mit besonderer Vollendung Rubens Werke. Wie schon erwähnt, sind die Darstellungen ruhiger Situationen gewöhnlich nur technische Meisterstücke; ausser der funkelnden Pracht der Farbe fesselt die lebendige Wahrheit der angebrachten Bildnisse, so z. B. bei der Uebergabe des Messgewandes durch die Madonna an den hl. Ildephons (Wien), bei der Darstellung des ungläubigen Thomas (Antwerpen). Ueberaus ergreifend und wahr sind dagegen die dramatischen Bilder, welche sich in Kreisen gesteigerter Empfindungen bewegen, ein furchtbares Leiden, eine gewaltige Kraftentwicklung zum Gegenstande haben, so z. B. die Wunder des heil. Franziskus und Ignatius (Wien), die Kreuzigung, Christe à la paille (Antwerpen), die Bekehrung Pauli (Leight court), das Wunder der ehernen Schlange (Madrid), namentlich aber die jüngst erst wieder zum alten Glanze hergestellte Kreuzaufrichtung und Kreuzabnahme im Antwerpner Dome. Das letztgenannte Werk gilt mit Fug und Recht als eine wahre Mustercomposition, durch unmittelbares dramatisches Leben und vollendetes Colorit zu noch grösserer Wirksamkeit erhoben. Die Gestalten sind so angeordnet, dass sie eine durchaus geschlossene Gruppe bilden und doch die vollkommenste Freiheit und Natürlichkeit der Bewegung bewahren, und bei aller Mannigfaltigkeit der Aktion eine dem Auge wohlthuende Symmetrie offenbaren. Das wuchtige Niederfallen des todten Körpers, der eben vom Kreuze abgelöst wurde, die gewaltsame Anstrengung der beiden Männer oben am Kreuze, den Körper von dem plötzlichen Sturze abzuhalten, die Sorge der Umstehenden, den Leichnam auf[S. 335]zufangen, der sie den eigenen Schmerz vergessen und ganz und gar, die wehmüthig aufblickende Mutter ausgenommen, bei der äusseren Beschäftigung verharren lässt: dies Alles ist mit einer unübertrefflichen Kraft und Wahrheit geschildert. Aus der profanen Sphäre gehören die Löwenjagd (München), die Amazonenschlacht, der »Quos ego« (Dresden) hierher.

Rubens wäre kein Sohn seiner Zeit gewesen, hätte er nicht der Allegorie gehuldigt, nach der damals beliebten Sitte abstrakte Vorstellungen, wie den Krieg und die Zwietracht, körperlich bekleidet, mythologische Gestalten als Dekoration zur Verherrlichung zeitgenössischer Ereignisse benützt. Das Unlebendige und Willkürliche, was in der spielenden Allegorie liegt, konnte Rubens nicht überwinden; doch lässt er es in einzelnen Bildern, durch die Kraft der Charakteristik und das schäumende Leben, das er in seine Gestalten legt, vergessen. Erst in der Folgezeit tritt das Seichte und Müssige der allegorischen Kunst nackt an den Tag, bei Rubens verbirgt es sich noch theilweise hinter seiner grossartigen, malerischen Begabung. Seine Nachfolger hätten aus dem berühmten Bilderkreise, welcher das Leben der Maria von Medici in 21 theilweise allegorischen Gemälden (Paris) feiert, eine unendlich langweilige Dekoration gemacht, während Rubens wenigstens theilweise (Geburt Ludwig's XIII., die Ankunft in Marseille, die Versöhnung) dem Werke ein frisches Leben einzuhauchen verstand.

Die künstlerische Thätigkeit des grossen Antwerpner Meisters überschreitet beinahe die Grenzen des Möglichen, und kann nur durch die Art und Weise, wie er später bei der Ausführung (mit Hülfe seiner Schüler) vorging, erklärt werden. Seine 1200 Bilder vertheilen sich in alle europäischen Galerien, den Löwenantheil aber besitzen Antwerpen und Wien. Rubens äusseres Leben, sein persönliches Auftreten und Erscheinen bilden ein wesentliches Moment in der Erkenntniss seiner Künstlerschaft; ähnlich, wie Tizian, verdankt auch Rubens den glänzenden Lebensverhältnissen, in welchen er sich bewegte, einen gewichtigen Halt seiner Phantasie. Man muss auf den Urheber der Bilder zurückgehen, auf den schönen, kräftigen Mann, mit den klugen Augen, die von dem keck auf das eine Ohr gedrückten, breitkrempigen Hute beschattet werden, auf seine Liebe zu einem schmucken Auftreten — eine reiche Goldschnur muss den Hut umschlingen, eine schwer goldene Gnadenkette ruht auf der[S. 336] breiten Brust, ein feiner Spitzenkragen umschliesst den Hals, ein glänzender Sammtmantel fällt von der Schulter — um den Geist, die Lebenslust, die geschmackvolle Sinnlichkeit, die männliche Kraft, die in den Bildern ruht, vollständig zu begreifen. Auch über Rubens besten Schüler, Anton van Dyck (1599–1641), dessen künstlerische Natur und Abweichungen vom Rubensstyle, gibt die Künstlergeschichte allein ausreichende Auskunft. Seine Phantasie ist einförmiger, der Kreis seiner Thätigkeit minder ausgedehnt. Wie der bereits im Schoosse des Reichthumes geborene Sohn eines Emporkömmlings, meidet er das gewaltsame Ringen, die wuchtigen Leidenschaften, welche Rubens Gestalten beseelen; er bewegt sich in ruhigen Kreisen; der Charakter des Schmerzes, wo er diesen malt, nimmt eine elegische Färbung an; die Giganten sind wieder Menschen, graziöse Menschen geworden. Was van Dycks schöpferische Kraft in historischen Werken beschränkte, stempelte ihn zum unübertrefflichen Porträtmaler. Niemand verstand sich besser auf die feinsinnige Auffassung individueller Charaktere, auf das treue Wiedergeben eleganter Formen, auf die lebenswahre Charakteristik nobler Cavaliere, Niemand hatte die Menschen seiner Zeit mit so tiefem Auge durchforscht, als der Künstlercavalier, dessen kostspielige höfische Passionen ihn bekanntlich am Hofe Karls I. von England frühzeitig in das Grab brachten. Es sind auch vorzugsweise (von religiösen Bildern sind die oft wiederholten Scenen des Christus am Kreuze, und namentlich der Klage um den Leichnam Christi, ausgezeichnet) die zumeist noch in England vorhandenen Bildnisse seiner Zeitgenossen, welche van Dycks Ruhm sichern. Dieselben liefern, verbunden mit den zahlreichen, nach van Dyck gravirten Porträten, mit richtigem Auge geschaut, eine vollständige Geschichte des Jahrhunderts; sie sind aber auch von rein artistischem Standpunkt, was Stellung, Zeichnung, Farbenharmonie, elegante und sorgsame Ausführung (Hände) anbelangt, unbedingt vollendete Werke.

Neben van Dyck treten alle übrigen Schüler Rubens in den Hintergrund; neben der Schule selbst verschwinden die mannigfachen Antagonisten, die Epigonen der älteren Schule, wie M. Pepyn (1575- nach 1643), A. Francken, Corn. de Vos († 1651), die zwischen Altem und Neuem Schwankenden, wie Abr. Janssens (1567–1627), Wenc. Koeberger, und die Manieristen, wie Cornel. Schut (1589–1655). Eine persönliche Bedeutung gewinnen von[S. 337] allen Schülern (Er. Quellyn, van Hoek, van Thulden, Diepenbeck, van Egmont, van Uden, Wouters) eigentlich nur J. Jordaens (1593–1678), in seinen älteren religiösen Darstellungen durch Kraft des Ausdruckes und Schönheit der Farbe dem Meister nahestehend, sonst auch durch seine grossen komischen Sittenbilder (Bohnenkönig; wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen) bekannt, dann der Mitarbeiter an einzelnen Werken Rubens, der treffliche Thiermaler Fr. Snyders (1579–1657) und der jüngere David Teniers (1610–1690). Er verfolgt die von Rubens angeregte Richtung, und schildert die Freuden und behaglichen Stimmungen des Privatlebens, die Lust der Kirmessen, das Glück des Rauchers, das Trinkvergnügen mit fleissiger Sorgfalt, klarer Farbe und zuweilen wenigstens mit komischer Kraft. Auch die Kriegsereignisse entlocken seinem Pinsel mannigfache Erzählungen von Marodeuren und Schnapphähnen. Die phantastischen Motive der Versuchungen des hl. Antonius, der Hexen und Zauberer finden sich gleichfalls bei Teniers wieder vor, der hier, wie auch in anderer Beziehung, die Thätigkeit der Breughels, des sogenannten Bauernbreughels, wie des Höllenbreughels, zweier älterer Antwerpner Künstler, fortsetzt. Teniers Bilder sind in den meisten Galerien in genügender Zahl anzutreffen. Zu den von Rubens wenigstens mittelbar angeregten Künstlern gehören Casp. de Crayer (1584–1669) Gerh. Seghers († 1651), van Oost, van Obstal († 1714) u. A.

§. 122.

Die religiösen Kämpfe des 16. Jahrhunderts in den Niederlanden übten im südlichen wie im nördlichen Gebiete einen mächtigen Einfluss auf die Kunstentwicklung, und bedingten theilweise den bewunderungswürdigen Aufschwung der Malerei im folgenden Zeitalter. Während aber in den südlichen Landschaften der alte Glauben aus den Wirren und Kämpfen mit neuer Macht emporstieg, und die Malerei in der Verherrlichung desselben noch immer ihre wichtigste Aufgabe fand, trat in Holland auch auf künstlerischem Boden der Bruch mit der Tradition ein. Der bildscheue Kultus duldete keine religiöse Malerei; wo die gothischen Kirchen zu gross, zu mächtig erschienen, und mit nüchternem Geiste schonungslos verschalt und mit Brettern verschlagen wurden, konnte die Liebe für spiritualistische Richtung nicht bestehen. Aus anderen Quellen schöpfte die Künstlerphantasie. Die Landesverhältnisse, die wichtigsten Volksbeschäftigungen, die Zeitereignisse steigerten den Werth jedes einzelnen[S. 338] Augenblickes, liessen, was das Leben bot, voll geniessen, verliehen auch den untergeordneten Daseinskreisen einen besonderen Reiz. Es ist nicht das Rauchen und Trinken, es ist die köstliche Ungebundenheit, die freie Lebenslust, die Selbstgewissheit der Menschen, die sich darin abspiegelt, welche den holländischen Sittenbildern ihre besondere Anziehungskraft verleiht. Bereit, im nächsten Augenblicke Alles aufzugeben, ungewiss, wie lange das gegenwärtige Glück dauern wird, eilt das aus derbem Holze geschnitzte Volk, dasselbe in tiefen Zügen zu leeren, und zeigt darin denselben Ungestüm, die gleiche unerschöpfliche Kraft, die es für die ernsten Kämpfe der Zeit bereit hält. Darin liegt die tiefere Bedeutung der zahllosen holländischen Sittenbilder, die im 17. Jahrhundert gefertigt wurden, und wie es bei diesem Fache natürlich, ja nothwendig ist, durch eine tüchtige, ausgebildete Farbentechnik sich auszeichnen. Die sorgfältige Behandlung seitens des Künstlers, die feine Beachtung und das Wiedergeben auch des geringsten Details mit allem Ernste gehört wesentlich dazu, um die ursprüngliche Unbedeutendheit des Stoffes vergessen zu lassen und seine poetischen Seiten hervorzukehren. Dies bedingte aber wieder eine innige Vertrautheit des Künstlers mit den Lebenskreisen, welchen jene Motive angehörten, wodurch das Vorherrschen des Vagabundenelementes in der Künstlergeschichte dieses Zeitraumes nur allzu deutlich erklärt wird. Wir finden es z. B. in hohem Grade bei Adrian Brouwer (1608–1640), dem virtuosen Schilderer des Kneipenlebens, und auch Jan Steen von Leyden (1636–1689) wird nachgesagt, dass sein künstlerischer Enthusiasmus sich bald in eine materielle Neigung zu den Gegenständen seiner Bilder, den Kneipen, verwandelte. Jan Steen, der »lustige Schenkwirth«, nimmt unter den holländischen Sittenmalern durch den bis zum Humor zugespitzten satirischen Zug in seinen Werken eine besondere Stelle ein. Er schildert die Ursachen und Wirkungen bei einer trinklustigen Gesellschaft, malt nichtsnutzige Streiche, die sich innerhalb der Grenzen des Komischen noch halten, beschreibt die Hauswirthschaft des in abstrakten Nebeln lebenden Alchymisten u. s. w. Doch läuft es dabei nicht, wie bei Hogarth, bloss auf eine tendenziöse Moral hinaus, es bleibt das frische ästhetische Interesse gewahrt, der künstlerische Standpunkt, auch in der Technik, festgehalten. Steens übrigens nicht zahlreiche Bilder finden sich vorzugsweise im Haag und in Amsterdam, und dann in England. Andere Sittenmaler der Periode, harm[S. 339]loser als der Leydner Schenkwirth, meist auf Bauern- und Wirthshausscenen eingeschränkt, gesunde Farbenkünstler, sind der Lübecker Adrian van Ostade (1610–1685) und sein Bruder Isaak, W. Kalf († 1694), Brakenburg, Breckelenkamp, Corn. Bega u. A., die sich an Ostade; Tilburg, H. Martensz. (Zorg) u. A., die sich an den jüngeren Teniers anschliessen. In Verbindung mit dieser Künstlergruppe, selbst ein ausgezeichneter Sittenmaler, aber seine Genossen an Fülle der Phantasie, und namentlich an Virtuosität in der Farbe überragend, steht Paul Rembrandt van Ryn, geb. zu Leyden (1608 bis 1669). Die gesammte holländische Schule stand im Widerspruche zu der künstlerischen Tradition des vergangenen Zeitalters, ihr ungeschminkter Naturalismus, die geschwärzten Mauern, niedrige, qualmende Stuben, wettergeprüfte Gesichter, schmutzige Kleider u. s. w. waren der grellste Gegensatz zu dem bis dahin herrschenden Idealismus. Aber Niemand hatte denselben in scharfer bewusster Weise ausgedrückt, Niemand den alten Idealen offenen Krieg erklärt, bis Rembrandt kam, der Curiositätensammler, der Gegner der Antike, der die griechische Grazie entzauberte, Ganymed in einen flennenden Buben verwandelte und die christlichen Glaubensgestalten in die Synagoge und den Orient zurückwarf. Eine solche negative Richtung hätte keineswegs Rembrandt den Anspruch auf einen bedeutenden Künstlerruhm verschafft (in der That sind auch alle jene Werke, wo sie grell auftritt, widerlich), wenn er nicht eine grossartige Kenntniss der Farbenwirkungen, eine meisterhafte Auffassung individueller Charaktere als Ersatz geboten hätte. Sein Farbenprinzip, dem leuchtenden Glanze des Lichtes bei Correggio gleichmässig verwandt und entgegengesetzt, ein zauberhaftes Helldunkel, das keine Analyse der Einzelformen bildet, aber für den Gesammteindruck überaus fein berechnet ist, ist häufig der nothwendige materielle Träger seiner phantastischen Gedanken, die nur auf diese Art verkörpert werden konnten, häufig aber auch die innere Wahrheit der Darstellung beeinträchtigend; wie denn überhaupt bei der willkürlichen Weise, mit welcher Rembrandt in Bezug auf innere und äussere Charakteristik verfuhr, die Bestimmung des Gegenstandes eines Bildes nicht selten zweifelhaft bleibt, da derselbe ebenso gut dem alten Testamente, wie der Zeitgeschichte, dem Oriente, wie der Synagoge von Amsterdam angehören könnte. Den reinsten und vollsten Genuss gewähren Rembrandts Porträte und Porträtgruppen. Doch hat er in diesem Fache an Miereveldt (1567[S. 340] bis 1641), Franz Hals (1584–1666), und namentlich an Barthol. van der Helst (1613–1670) [Gastmahl in Amsterdam] würdige Nebenbuhler. Rembrandts beste Porträte sind in seinem Vaterlande und in England zu finden, auch seine berühmtesten Porträtgruppen: Der Anatom Tulp mit seinen Zuhörern, und die sogenannte Nachtwache, ein Schützenauszug, werden im Amsterdamer Museum bewahrt. Sonst lieferte ihm namentlich das alte Testament die Vorwürfe für seine Bilder, an welchen das Costüme und der derbe Naturalismus der Auffassung auffallend, die Lichteffekte aber, wo sie vorkommen, in hohem Grade wirksam und anziehend erscheinen. (Moses in Berlin, Familie des Tobias im Louvre, Christus vor Pilatus bei Esterhazy in Wien, Passion Chr. in München, Ehebrecherin in London u. s. w.). Rembrandts zahlreiche Radirungen dürfen nicht unbeachtet bleiben, will man ein vollständiges Urtheil über seine Richtung und die Kraft des malerischen Ausdruckes gewinnen. Rembrandts Weise wurde durch Ger. van den Eeckhout, Gov. Flink, Ferd. Bol, Salom. Koning u. A. zum Theile, namentlich im Porträtfache, in tüchtiger Weise fortgesetzt.

An Rembrandt lehnen sich, theils als Schüler, theils weil sie die technische Virtuosität und die Malerei ausschliesslich bilden, mehrere holländische Meister an, welche übrigens in der Richtung der Phantasie nichts mit ihm gemein haben. Sie steigen vielmehr aus den dämonischen oder wenigstens phantastischen Kreisen in die unmittelbare Wirklichkeit herab, und feiern mit ihrem Pinsel die Glanzseiten des wohlhäbigen Verkehres und Daseins unter den Menschen; sie führen uns in stille Familienkreise, zu Kranken und Aerzten, zu lebenslustigen Frauen, wohl auch in Kramladen und Küche, und können oft alle Virtuosität an die Malerei eines Atlasgewandes, oder des Küchengeräthes, der Zimmereinrichtung verschwenden. Die Bilder des einen Künstlers, köstliche Cabinetsstücke: Gerhard Terburg (1608–1681) schauen sich wie kleine Novellen an; auch hat man mit grossem Geschicke zu einzelnen die novellistische Einkleidung hinzugedichtet, wohl auch hineingedichtet. (Hauptbilder im Haag, Amsterdam, Paris, München, Wien, London.) Der eigentliche Stoffmaler und glänzendste Detailist Gerhard Dow (1598? bis 1674?) wurde in Rembrandts Schule gebildet, von welcher ihm auch die glückliche Behandlung von Lichteffekten (Mädchenschule in Amsterdam) anklebt. Seine Bilder sind in der Situation minder an[S. 341]sprechend, als jene Terburgs, aber durch die zierliche und doch auch im Gesammteindrucke wirksame Behandlung alles Einzelnen überaus anziehend. Gabr. Metsu (g. 1615), Casp. Netzcher (1639–1684), Fr. von Mieris (1635–1681), Dow's Schüler, Slingelandt, de Hoogh und A. folgen dieser Richtung, die allmählig in eine seichte, glatte Eleganz, ein oberflächliches Virtuosenthum bei den beiden Werffs, Adrian (1659–1722) und Peter sich verliert.

Näher und inniger mit den zeitgenössischen Zuständen verknüpft, als ein unmittelbarer künstlerischer Wiederschein der eben gegenwärtigen Ereignisse, treten uns die Schlachtenbilder entgegen. Gemalte Commentare des Simplizissimus, erscheinen diese Bilder noch als der letzte Nachhall der den ganzen Mann erfordernden, mehr individuellen Kampfweise der vergangenen Zeit, und erfreuen durch die Frische, die bewegte Lebendigkeit der Darstellung. Palamedes Stevens (1604–1680) ist der Hauptvertreter dieser Kunstgattung; neben ihm treten noch Jean le Ducq (1636–1671), van der Meulen, Rugendas von Augsburg (1666–1742), und der auch sonst als Pferdemaler berühmte Philipp Wouwerman (1620–1668), einer der besten Sittenschilderer des 17. Jahrhunderts (Hauptwerke in Dresden und England) in den Vordergrund.

Gegen das Ende des Jahrhunderts erlahmte die künstlerische Bewegung in den Niederlanden, deren Reflexe auch auf Deutschland fielen, und welche die vereinzelten Anhänger der italienischen Kunst: Gerh. Honthorst (1592–1662), den Maler künstlicher, aber roher Lichteffekte, J. Sustermans ohne Einfluss liess. In Deutschland huldigten der italienischen Weise: der Kunstschriftsteller Joachim von Sandrart (1606–1685), M. Merian, die Böhmen Karl Skreta, Brandel, Rainer, der Ungar Kupetzky u. A. In Balth. Denner (1685–1749) kann man das Ausleben der künstlerischen Phantasie, den Bodensatz des Naturalismus, von dem nur noch das geistlose Nachäffen der äusseren Wirklichkeit zurückbleibt, beobachten.

§. 123.

Auch die Landschaftsmalerei gewann, getragen von der eigenthümlichen Kulturrichtung, im 17. Jahrhundert in den Niederlanden einen mächtigen Aufschwung. Man kann die Wurzeln der Landschaftsmalerei in den Niederlanden, wie in Deutschland ziemlich weit zurückverfolgen, und bereits in der Schule der Eycks die Keime der späteren Verherrlichung der nordischen Natur entdecken. Die[S. 342] Zwischenglieder bis zur selbständigen vollendeten Entfaltung der Landschaftsmalerei sind: J. Patenier und Herri de Bles im Anfange des 16., der sogenannte Sammt- oder Blumenbreughel im Anfange des 17. Jahrhunderts. Noch fehlt aber die Stimmung, die poetische Grundempfindung, das Zusammenwirken der Einzelheiten zu einem Gesammteindrucke in diesen Bildern. Sie wird bemerkbarer bereits in den Werken des Roland Savery (1576–1639) und Dav. Vinckebooms (g. 1578), bis sie, nicht ohne Einwirkung von Rubens (seine Schüler in diesem Fache sind Jod. Momper und Luc. van Uden) zur selbständigen Vollendung sich erhebt. Wie in den übrigen Kunstfächern, so finden wir auch hier einzelne Meister in Italien heimisch, und der nordischen Heimath vergessend, so z. B. Paul Brill (1554–1626), einflussreich auf die italienische Landschaftsmalerei, Corn. Poelenburg, auch Ad. Elsheimer aus Frankfurt (1574–1620) u.s.w. Andere Niederländer schliessen sich an C. Poussin (Bloemen, Glauber, Rysbraeck), andere an Claude Lorrain (Swanevelt, J. Both, Pynacker u. s. w.) an. Daneben bildet sich aber eine selbständige niederländische Schule der Landschaftsmalerei aus, schärfer an die wirkliche Natur sich anlehnend, empfindungsreicher, weniger berechnend in den Linien, aber, wenn der Ausdruck erlaubt ist, musikalischer wirkend als die Anhänger der »heroischen« Schule. Nur durch eine sorgfältige Einzelbetrachtung ist es möglich, über den Charakter, die Lieblingsmotive dieser Meister ein klares Urtheil zu fassen, ja wie bei lyrischen Gedichten entschlüpft die Schönheit, wenn man sie umschreiben und den unsagbaren Reiz der Farbenstimmung in Worten ausdrücken will; daher hier nicht füglich mehr, als die trockene Nomenklatur gegeben werden kann. An der Spitze der nordischen Landschaftsschule stehen Jacob Ruysdael (1635–1681), dessen Bilder häufig eine tiefe elegische Stimmung hervorrufen, und der in der norwegischen Natur wohlbewanderte Alb. von Everdingen (1621–1675). Neben ihnen machen sich die etwas älteren J. G. Kuyp, van Goyen, van der Kabel, J. Wynants, A. Waterloo, Artus van der Neer, und Ruysdaels Schüler Hobbema bemerkbar. In der verwandten Marinemalerei müssen wenigstens van der Velde d. j. († 1707) und L. Backhuysen († 1709), in der Architekturmalerei Peter Neefs d. ä., in der Blumenmalerei de Heem († 1674), Rachel Ruysch († 1705) und van Huysum († 1749) genannt werden. Als Thiermaler werden, ausser den schon angeführten Snyders und Ph. Wouverman,[S. 343] noch J. Fyt († 1700), J. Weenix († 1719), Melch. Hondekoeter (Hühnerhof) und der Augsburger Elias Ridinger († 1767) am meisten geschätzt.

Viele Künstler verbinden die einzelnen Zweige, beleben die Landschaft mit Staffage, wobei bald die letztere, wie bei dem Meister in der naturwahren Darstellung des Rindes: Paul Potter (1625 bis 1654) die Hauptrolle spielt, bald der modischen Liebe für das Idyllische Rechnung getragen wird. Der Mehrzahl nach werden dann die Motive der italienischen Natur entlehnt, und durch klassische Ruinen, Hirten und Hirtinnen belebt. (J. B. Weenix († 1660), N. Berchem († 1683), Adr. van der Velde († 1622), J. H. Roos († 1685), sein Sohn Philipp, gen. Rosa di Tivoli u. s. w.) Jedenfalls hat die Landschaftsmalerei und die ihr verwandten Zweige die grösste Lebensdauer bewährt und eine verhältnissmässig gesunde Blüthe geoffenbart, während alle übrigen Gattungen bereits dem Siechthum verfallen waren. Man kann diesen Umstand nur aus dem erst der neueren Zeit angehörigen bewussten Sinne für landschaftliche Schönheit zuschreiben; man muss in der Landschaftsmalerei die eigentliche und wahre moderne Kunst, wenigstens diejenige, die den geringsten Gefahren ausgesetzt, der modernen Natur am meisten verwandt ist, anerkennen.


[S. 344]

Schlussbetrachtung.

§. 124.

Das 18. Jahrhundert verging ohne Thaten und Ereignisse; im Kupferstichfache allein, wo seit dem 17. Jahrhundert die technische Vollendung Alles in Allem wurde (Hauptmeister neben vielen niederländischen Malern, die in Rubens Schule ausgebildeten Soutman, Vorstermann, Paul Pontius, Bolswert, Hondius; in Frankreich: Cl. Melan, Masson, Nanteuil, Audran, Dorigny, Drevet und [wenigstens nach französischen Meistern gebildet] Gerh. Edelinck; in Deutschland: W. Hollar aus Böhmen), macht sich noch ein innerer Zusammenhang, eine gesunde Bildung geltend, die freilich auf jede schöpferische Thätigkeit verzichtete, aber in dem geschickten Wiedergeben der älteren Meisterwerke ein grosses Verdienst um die Ausbreitung des Kunstsinnes erlangte. Italien führt uns P. Aquila, Cunego († 1794), G. Volpato († 1803), Anderloni, Bettelini, R. Morghen (1756–1833) vor; Deutschland wird namentlich durch G. F. Schmidt und Chodowiecki, England durch Strange, Sharpe, Townley u. A. vertreten. Auf dem Gebiete der Malerei begegnen uns nur vereinzelte Talente, welche in der grossen Masse der seichten Manieristen und oberflächlichen Farbenkenner sich verlieren und ohne Einfluss bleiben. Höchstens in England wird ein regeres Kunststreben bemerkbar, und scheidet keine tiefe Kluft das moderne Kunstleben von der Thätigkeit des 18. Jahrhunderts. Josua Reynolds († 1792) ist in vielfacher Beziehung der Gründer der gegenwärtigen englischen Malerei, und auch auf W. Hogarth († 1764) können einzelne Eigenthümlichkeiten der gegenwärtigen Kunst jenseits des Kanals zurückgeführt werden.

Erst gegen das Ende des Jahrhunderts beginnt unter dem Einflusse eines gesteigerten und reineren Studiums der Antike, nachdem schon Raphael Mengs (1728–1779) und Pompeo Batoni († 1787) den Kampf gegen den Manierismus glücklich angefangen hatten, ein[S. 345] besserer Geist im Kreise der bildenden Künste zu walten und die Bahn des positiven Fortschrittes sich zu eröffnen. Unterstützt von den gesellschaftlichen Kämpfen in Frankreich, getragen von der nach dem Römerthum und der antiken Republik sich zurücksehnenden Bildung im Revolutionszeitalter erhob Jacques L. David (1748–1825) die Fahne des Klassizismus in der Malerei. Er lässt freilich die Antike gewöhnlich mit dem rhetorischen Pathos, das auf der französischen Bühne üblich war und ist, auftreten, und besitzt einen matten Farbensinn; immerhin fesseln seine Werke durch den Ideenreichthum, die grossartige Anordnung und den leidenschaftlichen Ausdruck. Das gleiche Ziel, die Wiederbelebung des antiken Geistes, nur mit einfacheren und reineren Mitteln, verfolgte Asmus J. Carstens in Deutschland, er blieb jedoch unverstanden, und die von ihm eingeschlagene Richtung erst einige Jahrzehnte später in ihrem ganzen Masse gewürdigt. Was Carstens nicht gelang, die Neubelebung der deutschen Malerei, wurde das Werk der romantischen Bildung, die im Anfange des Jahrhunderts auch die Künstlerkreise ergriff, und den tieferen Ideengehalt in den Bildern, das Hervorholen der Frescotechnik zu unmittelbaren Resultaten hatte. Die letzten zwanzig Jahre haben uns von dieser Richtung schon wieder weit entfernt, andere Anschauungen, andere Grundsätze und andere Neigungen gelten. Auch in Frankreich ist Davids Schule von der sogenannten romantischen abgelöst, in den Niederlanden eine erfolgreiche Wiederbelebung der nationalen Kunsttradition versucht worden. Wohin diese Bestrebungen führen werden, entzieht sich noch dem sicheren Urtheile. Die Architektur, die Bildnerei, die religiöse Malerei, die eine geringere Originalität anstreben, an die klassischen Vorbilder der Antike oder des Mittelalters sich fest anschliessen, durcheilen im Ganzen eine sichere Bahn; verschlungener und verworrener ist der von der Malerei betretene Weg. Lässt man das Auge nur bei den Spitzen der modernen Kunst weilen, dann erscheint jeder Zweifel an dem kräftigen Aufschwunge der gegenwärtigen Malerei thöricht, beobachtet man aber das Kunsttreiben in den zahlreichen untergeordneten Kunstkreisen, wie dort die leichtfertige Charge den Styl ersetzt und den gesunden Formen- und Farbensinn verdrängt, anderwärts wieder eine inhaltlose, bloss äusserlich glänzende Technik als höchstes Ziel geschaut wird, noch anderwärts wieder das Ungeschick im Handwerke hinter einer vorgeblichen Gedankentiefe sich birgt,[S. 346] und die Malerei aus ihrer natürlichen Stellung verjagt wird, um mit der Wissenschaft zu concurriren, wie vollends im wirklichen Volksleben, im Kreise der Mode und des Kunsthandwerkes noch überall der barocke Styl des 17. und 18. Jahrhunderts herrscht, so erscheint die Zukunft der Kunst keineswegs vollkommen sichergestellt. Die Entscheidung ruht übrigens, auch wenn diese den besten Willen hätten, nicht bei den Künstlern, sondern bei dem Volke und der Richtung, welche dessen Bildung und Zustände einschlagen werden.


Fußnoten.

[1] Literatur: Allgemeine kunstgeschichtliche Werke: Kugler's Handbuch der Kunstgeschichte, Stuttgart 1848; Schnaase's Geschichte der bildenden Künste (bis jetzt 5 Bände), Düsseldorf 1843 ff.; Springer's kunsthistorische Briefe, Prag 1854. Vergl. auch Vischer's Aesthetik; dritter Theil 1–3 Heft. Als Bilderatlas für das gesammte Kunstgebiet dienen Voit's Denkmale der Kunst, fortgesetzt von Guhl und Caspar, Stuttgart 1853.

[2] Vergl. H. Hettner: Der Ursprung der Kunst im deutschen Museum 1852. II. S. 172.

[3] Literatur: Recherches sur les Tumuli in Bullet. de la soc. sc. et lit. du Limbourg. T. I. fasc. 3. 1853.

[4] Squier's Nicaragua.

[5] Literatur: C. Ritter, die Stupas der indobaktrischen Königsstrasse. Berlin 1838; Ariana antiqua by H. N. Wilson. London 1841; Memoir on the topes of Afghanistan by C. Masson. ibid.

[6] Lassen, indische Alterthumskunde II. S. 1172.

[7] Rich, Memoir on the Ruins of Babylon, London 1816, Ker Porter Travels T. II. London 1821, Layard, Niniveh and Babylon, London 1853.

[8] Literatur: A. Humboldt, Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neuspanien und Vues des Cordillères; Braunschweig, über die altamerikanischen Denkmäler, Berlin 1840; Kingsborough Antiquities of Mexico; Stephens, Incidents of travel in Yucatan, London 1843 u. s. w.

[9] Journal of the Bombay Branch of the asiatic society. 1853.

[10] Schoolcraft, the Indian in his Wigwam S. 296.

[11] Squier Nicaragua.

[12] Literatur: Ausser den Prachtwerken Botta's, Flandin's und Layard's vergl. Lettres à M. Mohl im Journal asiat. 1843 u. 44; Layard, Niniveh and its remains. 2 Bde. London 1849; Layard, Niniveh and Babylon, London 1853. Eine gute Uebersicht der neuesten Entdeckungen gibt: Vaux, Niniveh and Persepolis, London 1850; Bonomi, Nineveh and its palaces, London 1852, und der von Layard selbst bearbeitete Katalog des Assyrian court im Krystallpalaste, London 1854. Layard's populärer Bericht über die Ausgrabungen zu Niniveh und Vaux's Uebersicht sind auch in deutscher Uebersetzung (Leipzig, Dyk) erschienen.

[13] Literatur: Ker Porter, R. Travels in Georgia, Persia etc. London 1821; Heeren, Ideen über die Politik, den Verkehr und Handel d. vorz. Völker der a. W. I. Göttingen 1824; Texier, Description de l'Arménie, de la Perse etc. Paris 1842; Coste et Flandin, Voyage en Perse. Paris 1844.

[14] Literatur: Description de l'Egypte (v. der Napoleonischen Commission); Gau, neuentdeckte Denkm. von Nubien; Rosellini, i monumenti dell'Egitto e della Nubia; Wilkinson, Topography of Thebes and general view of the Egypt, London 1835; ders., Manners and customs of the ancient Egyptians. 5 Bde. London 1851. Hauptwerk: Lepsius, Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien, nach den Zeichnungen der preussischen Commission. Berlin (bis jetzt) 50 Liefrg.

[15] Literatur: Gerhard, Kunst der Phöniker in Abh. d. Berl. Akad. 1846. Barth, zur Kunst der Phöniker in Archäol. Zeit. 1848 und 1850. Della Marmora, Voyage en Sardaigne. Barth, Wanderungen durch die Küstenländer des Mittelmeeres.

[16] Literatur: Keil, der Tempel Salomos, 1839; Krafft, die Topographie Jerusalems, 1846; Robinson, Palästina und die südlich angrenzenden Länder, 1841; Kunstblatt 1831, 1834 und 1844.

[17] Literatur: Texier, description de l'Asie Mineure; Steuart, description of some ancient monuments in Lydia and Phrygia; Fellows Journal written during an excursion in Asia Minor und ders. an account of discoveries in Lycia.

[18] Literatur: Winckelmann, Geschichte der Kunst des Alterthums (sämmtl. Werke 1. Bd.), Dresden 1839; O. Müller, Handbuch der Archäologie der Kunst. 3. Aufl. 1850; Hettner, Vorschule zur bildenden Kunst der Alten, Oldenburg 1848; Brunn, Geschichte der griechischen Künstler, Braunschweig 1853. Ueber die zahlreiche monographische Literatur vergl. Weigels Kunstkatalog und Gerhards archäologische Zeitung.

[19] Literatur: Gell, Probestücke von Städtemauern des alten Griechenland, München 1831; Dodwell, views and descriptions of cyclopean or pelasgic remains in Greece and Italy, London 1834.

[20] Literatur: K. Fr. Hermann, die Hypäthraltempel des Alterthums; C. Bötticher, der Hypäthraltempel der Alten, Potsdam 1846; L. Ross, Hellenica, 1846; Raoul-Rochette im Journal des savants, 1846.

[21] Literatur: C. Bötticher, die Tektonik der Hellenen, 2 Bände mit Atlas. Potsdam 1849.

[22] Literatur: Semper, Vorläufige Bemerkungen über die bemalte Architektur und Plastik bei den Alten; ders., die vier Elemente in der Baukunst, Braunschweig 1851; Hittorff, Restitution du temple d'Empedocle etc. Paris 1851; Kugler, über die Polychromie d. gr. Arch. u. s. w. in kl. Schr. u. Stud. z. Kunstgesch. I. Stuttgart 1853; Hettner, griechische Reiseskizzen, S. 185, Braunschweig 1853.

[23] Literatur: A. Feuerbach, Geschichte der griechischen Plastik, herausgegeben von H. Hettner, Braunschweig 1853; Brunn, Geschichte der griechischen Künstler, 1. Band. Ein übersichtlicher Bilderatlas ist Ol. Müllers Handbuch der Archäologie beigegeben: Denkmäler der alten Kunst von Oesterlein und Wieseler, 2 Bände, Göttingen 1853. Die monographische Literatur ist in den oben angeführten Quellen nachzulesen.

[24] Eine Nachbildung desselben in Marmor findet sich in der Villa Massimo zu Rom.

[25] Reconstruktionsversuche des Werkes haben Quatremère de Quincy: Jupiter Olympien, Rathgeber in Ersch und Gruber und jüngst Brunn in den Ann. des arch. Inst. 1851 geliefert.

[26] Nachbildungen: Jupitersbüste aus Otricoli im Vatikan, die Statue des Jupiter Verospi ebendort.

[27] Nachbildungen des Parthenons: Minervastatue im Augusteum zu Dresden, eine andere im Kasseler Museum und die Pallas von Velletri im Louvre.

[28] Nachbildungen der Hera in den Münzen von Argos. Ausser der Kolossalbüste in Villa Ludovisi wird noch eine andere in Zarskoje Selo und im Mus. zu Neapel gerühmt. Nachb. des Hermes: Antinous von Belvedere.

[29] Nachbildungen des Diadumenos im Palast Farnese zu Rom.

[30] Nachbildungen der Mänade auf Reliefs, des Apollo im vatik. Museum.

[31] Nachbildungen des ruhenden Faunes im vatik. und kapitol. Museum; des Ap. Sauroktonos im Vatikan, Nachb. der knidischen Venus im vatik. Magazin (früher in den vatik. Bädern), eine verwandte Statue in der Glyptothek (Nr. 135). Vrgl. Levezow: Ob die Mediceische Venus ein Bild der knidischen sei? Berl. 1808.

[32] Nachbildungen des ruhenden Herkules: der farnesische Herkules im Vatikan, eine roh gearbeitete Statue im Hofe des Palastes Pitti zu Florenz.

[33] Literatur: Inghirami, Monumenti etruschi; Monum. inediti dell'instituto di corrispondenza archeologica. Rom. Musei etrusci in aedibus Vaticanis monumenta, Rom 1842; Dennis, Städte und Begräbnissplätze Etruriens. Aus dem Engl. übers. Leipzig 1852.

[34] Literatur: Bunsen und Platner, Beschreibung von Rom; Canina, Architettura antica (Sez. Rom); Braun, die Ruinen und Museen Roms.

[35] Literatur: Zestermann, de basilicis libri tres, Leipzig 1847; Urlichs, die Apsis der alten Basiliken, Greifswald 1849.

[36] Literatur: Catacombes de Rome etc. par L. Perret, Paris 1851 (bis jetzt 65 Liefrgn.); Marchi, monumenti delle arti cristiane primitive, Roma 1844.

[37] Literatur: Bunsen, die Basiliken des christlichen Roms, München 1840.

[38] Literatur: Quast, die altchristlichen Bauwerke von Ravenna, Berlin 1840.

[39] Literatur: Salzenberg, die altchristlichen Baudenkmale in Constantinopel. Berlin 1854.

[40] Literatur: Waagen, Kunstwerke und Künstler in England und Paris, Leipzig 1837.

[41] Literatur: On the Rock-cut temples of India by J. Fergusson im VIII. B. des J. of the R. As. S.; ebendort die Abhandl. von Prinsep, Cunningham u. A. Ein veraltetes Werk: Langlès, mon. anciens et modernes de l'Hindoustan. Longpérier, Antiquités de la Perse, Paris 1854; Texier, Descr. de l'Arménie, de la Perse etc., Paris 1843.

[42] Literatur: Dubois de Montpéreux, Voyage en Caucase; Texier, Armenie et Perse.

[43] Literatur: Daniell, Oriental scenery.

[44] Literatur: Coste, Arch. arabe ou monuments du Caire, Paris 1823.

[45] Literatur: Girault de Prangey, Essai sur l'arch. des Arabes et des Mores en Espagne, en Sicile et en Barbarie, Paris 1841.

[46] Literatur: Murphy, Arabian antiquities of Spain, London 1813.

[47] Literatur: Plans, elevations and details of the Alhambra from drawings taken by J. Goury and Owen Jones, London 1842.

[48] Literatur: Alb. Lenoir, Archit. Byzantine (Revue de l'archit. Bd. I.), Paris 1840; Couchaud, églises byzantines dans la Grèce, Paris 1842 u. s. w.

[49] Literatur: Dubois de Montpéreux, Voyage autour du Caucase, Paris 1839; Texier, Description de l'Arménie etc.

[50] Literatur: Kreutz, die Markuskirche in Venedig, Venedig 1843.

[51] Literatur: Architecture moderne de la Sicile par Hittorff et Zanth, Paris 1835; Gally Knight, Saracenic and Norman remains, London.

[52] Vergl. Waagen's periegetische Werke.

[53] Literatur: Chr. Schmidt, Baudenkm. in Trier.

[54] Literatur: Keller, Bauriss des Klosters S. Gallen vom Jahre 820, Zürich 1844.

[55] Literatur: Waagen, Kunstw. u. Künstler in England u. Paris, Lpzg. 1839, I. Bd. S. 132 ff. III. Bd. S. 332 ff.; Keller, Bilder und Schriftzüge in den irischen Mnskr. der Schweiz. Biblioth., Zürich 1850; Kugler, kl. Schriften und Studien z. Kunstg., Stuttgart 1853, I. Bd. S. 76 u. ff.

[56] Literatur: Vergl. Lübke, Vorschule zur Gesch. der Kirchenbaukunst des Mittelalters, 3. Aufl., Dortmund 1852; Springer, die Baukunst des christl. Mittelalters mit 300 Fig., Bonn 1854.

[57] Vgl. Blavignac, Histoire de l'arch. sacrée dans les anciens evèchés de Genève, Lausanne, Sion. Lausanne 1853, S. 221 ff.

[58] Literatur: Ausser zahlreichen monograph. Werken vgl. Caumont, histoire de l'architecture; de Laborde, les monuments de la France; Chapuy, le moyen âge pittoresque; Viollet le Duc, dictionnaire raisonné de l'arch. française.

[59] Blavignac, s. o.

[60] Literatur: Villa-Amil, España artistica y monumental, Paris 1842.

[61] Literatur: John Britton, the cathedral antiquities of England u. a. Uebersichtlich: Introduction to the gothic architecture, Oxford 1849; Bloxam, die mittelalterl. Baukunst in England, Leipzig.

[62] Literatur: Puttrich, Denkmale der Baukunst in Sachsen, Leipzig; Kugler's kl. Schriften und Studien zur Kunstgeschichte, Stuttgart 1854; Deutsches Kunstblatt, Berlin 1850 ff.

[63] Literatur: Boisserée, Denkm. der Baukunst am Niederrhein; Geier und Görz, Denkm. romanischer Baukunst am Rhein; Moller-Gladbach, Denkm. der deutschen Baukunst; Schmidt, Baudenkmale in Trier.

[64] Literatur: Quast, die romanischen Dome des Mittelrheines, Berlin 1853, nebst den Berichtigungen Kugler's und Schnaase's im deutschen Kunstblatte 1853 und 1854.

[65] Literatur: Lübke, die mittelalterliche Kunst in Westfalen, Leipzig 1854.

[66] Literatur: Manch, die mittelalterliche Bauk. in Schwaben; Stillfried, Alterthümer des Hauses Hohenzollern; Deutsches Kunstblatt.

[67] Literatur: Dahl, Denkm. einer sehr ausgebildeten Holzbaukunst in Norwegen, 1837; Alex. Minutoli, der Dom zu Drontheim, Berlin 1852.

[68] Literatur: Boisserée, Gesch. u. Beschreibung des Kölner Domes, München 1842; ders., Ansichten, Risse des Doms zu Köln, 18 Kupfertafeln.

[69] Literatur: Kugler, Pommersche Kunstgeschichte in kl. Schr. und Studien zur Kunstgesch. I. Bd. S. 659; Minutoli, Denkm. d. Altmark Brandenburg; Quast, Denkm. d. Architektur in Preussen; deutsches Kunstblatt, 1850.

[70] Literatur: Gally Knight: Ecclesiastical architecture in Italy 1840; Willis Remarks on the architecture of the middle ages especially in Italy, London 1835, und zahlreiche Sammelwerke und Monographien.

[71] Literatur: Schnaase, Gesch. der bildenden Künste im Mittelalter. Düsseldorf 1850; Kugler, Gesch. d. Malerei, Berlin 1847; Em. David, Histoire de la peinture au moyen âge. Paris 1842. Periegetische Werke von Schnaase, Kugler, Waagen, Passavant; deutsches Kunstblatt; Didron, Annales archéologiques.

[72] Literatur: Notices des Émaux exposés dans les galeries du Musée du Louvre par M. de Laborde. Paris 1852.

[73] Literatur: The monumental brasses of England by Ch. Boutell, London 1849.

[74] Literatur: Deutsches Kunstblatt 1851, Nro. 3, 4; 1852 Nro. 35, 43.

[75] Literatur: Puttrich, Denkm. d. Bauk. des Mittelalters in Sachsen, Leipzig 1836. Förster, Denkmale der deutschen Kunst, Leipzig 1854. Waagen, Künstler und Kunstwerke in Deutschland. I. Bd. S. 9. Leipzig 1843.

[76] Literatur: Kugler, Pommersche Kunstgesch. in kl. Schr. u. Stud. zur Kunstgeschichte. I. Bd. S. 796. Stuttgart 1854.

[77] Literatur: Gessert, Gesch. d. Glasmalerei. Stuttgart u. Tübingen 1839. Lasteyrie, Histoire de la peinture sur verre. Paris. Martin et Cahier, Monographie de la Cathédrale de Bourges.

[78] Literatur: Waagen u. a. O.; Kugler, kl. Schr. u. Stud. z. Kunstgesch. I. Bd.; Dibdin, a bibliographical tour in France and Germany; v. d. Hagen: Ueber die Gemälde in den Sammlungen altdeutscher lyrischer Dichter. Bastard.

[79] Literatur: O starobylé české malbě od Popova; Wocel, Grundzüge der böhmischen Alterthumskunde. Die wohlverdiente kunstgeschichtliche Würdigung dieser Werke bleibt noch immer ein frommer Wunsch.

[80] Literatur: Rettberg, Nürnbergs Kunstleben, Stuttgart 1854.

[81] Literatur: Merlo, die Meister der altkölnischen Malerschule, Köln 1852.

[82] Literatur: Rosini, storia della pittura italiana, Pisa 1838; Lanzi, Gesch. der Malerei in Italien, übersetzt von Quandt, 1830; Cicognara, storia della scultura, Venedig 1818; Kugler, Gesch. der Malerei, 1848; Rumohr, italienische Forschungen, Berlin 1827; Förster, Beiträge zur neueren Kunstgeschichte, Leipzig 1835; Vasari, vite de piu eccellenti arch. pitt. et scult. italiani, letzte Florentiner und die Schorn-Förstersche deutsche Ausgabe. Ranalli, storia delle belle arti in Italia, Firenze 1846.

[83] Literatur: Braun, la passione di G. Chr. etc. 27 Bl. in Fol., Rom 1847.

[84] Literatur: Lasinio, pitture a fresco del campo santo di Pisa, Firenze 1832.

[85] Literatur: Förster, die Wandgemälde der S. Georgskapelle zu Padua. Berlin 1841.

[86] Literatur: Vergl. Springer, kunsthistorische Briefe, viertes Buch.

[87] Literatur: Eastlake, Material for a history of oil painting, London 1847; Deutsches Kunstblatt 1851.

[88] Literatur: Quatremère de Quincy, hist. de la vie et des ouvrages des plus cel. Architect. Rumohr, Gay, Vasari u. a. O.

[89] Literatur: Passavant, Raphael von Urbino, 2 Bde., Leipzig 1839.

[90] Literatur: Vgl. Quandt in Lanzi, Gesch. d. ital. Mal. II. 319, und Unger, das Wesen der Malerei, Berlin 1851.

[91] Literatur: Vgl. Guhl, Künstlerbriefe, Berlin 1853. S. 260.

[92] Literatur: C. van Mander, het Schilderboeck. Amsterdam 1618; Schnaase, niederländische Briefe, Stuttgart 1834; Hotho, Geschichte der deutschen und niederländischen Malerei, Berlin 1842; Michiels, Histoire de la peinture flamande et hollandaise, Bruxelles 1846; de Laborde, les ducs de Bourgogne, Paris 1851 u. A.

[93] Literatur: Passavant, die christliche Kunst in Spanien. Leipzig 1853.

[94] Literatur: Vergl. Passavant, die christliche Kunst in Spanien 1853; Ceán Bermúdez, Diccionario historico de los mas ilustres profesores de las bellas artes en España. Madrid, 1800; Viardot Notices sur les principaux peintres de l'Espagne, Paris 1839 u. A.


[S. 347]

Kunsthistorischer Wegweiser

auf der Reise

durch Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich,
Niederlande und England.


[S. 348] 
 

 
 

[S. 349]Wegweiser.

Abkürzungen: A. = Architektur. D. = Dekorative Architektur und Sculptur. B. = Bildnerei. M. = Malerei. W. = Wand. T. = Tafel. Mi. = Miniatur. Mo. = Mosaik. Gl. = Glasmalerei. Grabpl. = Grabplatten. Grabm. = Grabmal. Grabt. = Grabtafel. Altarschr. = Altarschrein. b. = byzantinisch. r. = romanisch. g. = gothisch. ren. = Renaissance. fr. = früh. sp. = spät. — Die römische Zahl bedeutet das Jahrhundert der Entstehung des Werkes.

I. Deutschland.


II. Italien.


III. Spanien.


IV. Frankreich.


V. Niederlande.


[S. 386]

VI. England.

(Ausführliche Nachrichten über die zahlreichen Privatsammlungen siehe in Waagens »englischen Kunstschätzen«, neueste englische Ausgabe.)

Anmerkungen zur Transkription

Satzzeichen wurden korrigiert, ohne hier im Einzelnen Erwähnung zu finden. Umlaute wurden korrigiert, ohne hier im Einzelnen Erwähnung zu finden, da diese vielfach durch mangelnde Druck- oder Scanqualität nicht erkennbar waren. Fehler wurden nicht geändert, wenn die falsche Schreibweise gebräuchlich war, wie etwa: Inkonsistenzen wurden nicht geändert, wenn beide Schreibweisen mehrfach verwendet wurden oder gebräuchlich waren, wie: Im Text vorgenommene Änderungen: Folgende Fehler konnten nicht korrigiert werden: Bemerkungen:





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