The Project Gutenberg EBook of Das Bücher-Dekameron, by Kasimir Edschmid

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Title: Das Bücher-Dekameron
       Eine Zehn-Nächte-Tour durch die europäische Gesellschaft und Literatur

Author: Kasimir Edschmid

Release Date: January 21, 2015 [EBook #48040]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Produced by Jens Sadowski





KASIMIR EDSCHMID:

DAS
BÜCHER-
DEKAMERON

Eine
Zehn-Nächte-Tour
durch die europäische Gesellschaft und Literatur

Zweite Auflage

ERICH REISS VERLAG / BERLIN 1923

Geschrieben im Juli und halben August
Neunzehnhundertzweiundzwanzig

Copyright by Erich Reiß Verlag 1922

INHALT

Erster Vormittag
DEUTSCHLAND
SEITE 9

Die erste Nacht
DEUTSCHE
SEITE 41

Die zweite Nacht
FILM • THEATER • SCHAUSPIELER • REGISSEURE • ESSAYISTEN • LEBENDIGE
SEITE 69

Die dritte Nacht
BIBLIOTHEK (ABER DAS LEBEN IST HERRLICHER)
SEITE 95

Die vierte Nacht
SATIRE
SEITE 121

Die fünfte Nacht
KUNST UND GESELLSCHAFT
SEITE 145

Die sechste Nacht
POLITISCHE DICHTUNG??
SEITE 185

Die siebente Nacht
NEUE SCHULEN
SEITE 227

Die achte Nacht
DIE ANDERN
SEITE 251

Die neunte Nacht
UND EUROPA??
SEITE 267

Die zehnte Nacht
MIJNHEER!
SEITE 297

Letzter Vormittag
GELASSENHEIT
SEITE 301

Erster Vormittag

Mijnheer, wir sind eingeschneit.

Von den Spießhörnern bis zur Todtnauer Hütte jagt der Schneesturm schon den dritten Tag. Das Zastler Loch ist verhüllt und um Herzogenhorn ballt sich die Schneeflut zu neuem Angriff. Zum Bärental häuft sich der Schnee schon wie Meer. Als ich zuletzt Sie traf in ähnlicher Lage, war es am Brenner, Sie kamen mit Wolken Schnee auf breiten Eschenbrettern herauf, ich schnallte die Hickorys, um in die Schweiz zu fahren, und die schon fast italienische Sonne glühte über Tirol das Gebirge zu Metall.

An diesem Tag zog D’Annunzio mit seinen Freischaren nach Fiume, heut empfängt er den russischen Volksbeauftragten Tschitscherin. Was ich an dem blitzkurzen Tag Ihnen damals sagte, steht in der „Doppelköpfigen Nymphe“. Was macht es, solange meine Landsleute sich mit seinem Ja und Nein nicht lernend auseinandersetzen? Habe ich recht behalten oder nicht? Wie hat in der Zwischenzeit das Karussell der Zeit sich umgedreht!

Finden Sie Boden in diesem Mosaik, das mit Pferden und Menschen und Schreien um die eigne Achse sich ohne Pause dreht? Damals schoß man in Haufen auf den Straßen um Weltanschauungen. Heute doziert in Offenburg, während die Witwe geladen ist, der Staatsanwalt an Erzbergers präpariertem Schädel den Bauern-Geschworenen mit dem Bleistift die Einschußrichtungen seiner Mörder. In den Festungen sitzen nach dem Proletarischen hin ausgeschwärmte Dichter. Feldherren des Kaisers nehmen Paraden ab über die Truppen der Republik. Auf dem Rhein flitzen belgische Kanonenboote, auf keinem der Dampfer zwischen Mainz und Bingen sehen Sie die Farbe Schwarz-Rot-Gold. Die Bäder der deutschen Ostsee-Küste sind zwischen den Strandkorbburgen millionenhaft mit den Fahnen des Kaiserreichs beflaggt. Der erste deutsche Botschafter in Amerika übergibt seine Beglaubigung im Namen von „The German Empire“, und man antwortet ihm in Washington, er meine wohl seine Republik. In Bayern ist in Sturmtrupps die Bauernschaft blockiert: vivat Rupertus Rex. Der Reichspräsident, der München besucht, erhält feierlich am Bahnhof unter Gepfiff eine rote Badehose gereicht.

Sie interessieren sich nicht für Politik?

Ich auch nicht.

Es ist unsere Zeit aber Mijnheer. Das ist der Boden, den wir treten, das sind die Wolken, unter denen wir atmen. Wo schieben sich ähnlich knisternd Begriffe und Revolten und erlauchte Traditionen durcheinander!

Zwei Stunden nördlich übers Gebirge, in Baden-Baden, endigte früher die bevorzugte Schnellzugslinie von Paris. Hier fuhr als Dauphin Eduard der Siebente in Hemdsärmeln vierspännig den Blumenkorso über die Lichtenthaler Allee, führte Prinz Hamilton am blauen Band ein Schwein als Wette durch den Kurgarten, sauste der britische Hoftroß mit Bettlaken nachts in Droschken zum alten Schloß, Gespenster für harmlose Passanten zu spielen. Die Fürstin Gagarin telegraphierte aus Syrakus an ihr Palais Stourdza, um ihre Ankunft zu melden: „Préparez trois cotelettes pour les chiens“, hier wurde den Gazellen des siamesischen Sultans jeden Morgen in einem Springbrunnen ein Bad fin champagne gerüstet, wurde dem jungen Portugiesenprätendenten eine Straße gebaut, um zwei Gärten zu vereinen. Hier, wo Liane von Pouchi tanzend ihre Triumphe feierte, beginnt einige Jahre nach Krieg und Revolte unbedrückt vor Angst, daß niedere Klassen mit Schüssen und Raub darauf antworten, unter jahrhundertalten Bäumen das Leben wieder feierlich und reich zu spielen.

Die bengalischen Feuer schmeicheln dem sanften Anfang der dunklen Höhen, und unter den Schatten der Bosketts gleiten die Lampions mit den wohligen Seufzern der Menschen zusammen zum immer festlich bereiten Nachthimmel. Die Blüte aller Bäume von Flieder bis Magnolien und von den feierlichen Kastanien bis zu den wilden Rosen und Geisblatthecken wird dieses Jahr zusammenfallen, und die von den Fontänen besprühten siebenfarbenen Rhododendronbüsche werden vor der Spiegelfassade des Hotel Stefanie mit unbekannter unterdrückter Leidenschaft blühen.

Ein Geschlecht von wenigen bevorzugten und finanzierten Deutschen, aber Hollands und Amerikas Kleinbürgerschaft wird die wundervolle Burg des großen Lebens in Besitz nehmen, indem es sich das Vorrecht der früheren Jahrhunderte mit einem Geld, das mit Hundertzwanzig bis Zweitausend usw. die Mark kauft, sichert. Guizots Rat: „Enrichissez-vous!“ hat nach jeder Revolte und jedem endlosen Krieg sein Publikum verstanden, eine neue Schicht, die nach Leben und Wirkung mit allen Zähnen bleckt, ist aus der Tiefe aufgehoben worden und hat von der Oberfläche die seitherigen Gebieter ablaufen lassen. Aber Gambettas Beispiel, der die Subskriptionsbälle für die neue Gesellschaft seines Landes schuf und Salons aus der Erde zauberte, indem er flüsterte: „La république manque de femmes“, Gambettas Beispiel hat keine Nachfolge gefunden. Die Elite des deutschen Volkes und seine Gesellschaft grollt unversöhnlich, ja vernichtend der Republik, deren Vorsteher nicht die Weltmännischkeit besaßen, diese Masse an sich heranzuziehen. Ich habe an kaum einem sichtbaren bürgerlichen Ort einen Republikaner gefunden, ich kenne keinen Republikaner außerhalb des Klüngels der Politiker und Schreiber. Ja sogar der befreundete Leiter einer Sternwarte, der behauptet, mit einem Überguß Schwefelsäure auf seiner äußersten Linse das politische Bewußtsein seiner Opfer gespiegelt zu sehen, versicherte betrübt und gelangweilt, seit Monaten sehe er in Flugzeugen und Autos und Äckern nur die Farben der Vorkriegszeit.

Man mußte den manischen Alten, der vor Sucht nach einem Republikaner verging, wegen Farbenblindheit einer Heilanstalt zuführen, die Sehnsucht nach der Republik hatte ihm seinen Beruf und seine wissenschaftliche Carriere gekostet. Kein Bankier kaum ansonst, kein Industrieller, der auf die neue Flagge schwört und höchstens einige Juden, die verschämt über die Thora mit ihr kokettieren. Selbst die Direktoren demokratischer Industrieregenten wagen in Ruhrort und Recklinghausen und Duisburg nicht, durch das gleiche Bekenntnis wie ihr Zar dem gesellschaftlichen Terror zu widerstehen. Denn Gesellschaft heißt in Deutschland nicht wie in anderen Ländern: durch die Jahrhunderte in einem Rassebewußtsein zu gewissen Neigungen und Bewegungen filtriert sein, sondern heißt jene Clique, die vor dem Krieg zufällig verdiente, adlig war und die Ämter beherrschte. Die schwört heute auf die Reaktion. Die arbeitende Klasse kämpft, schon in der Verteidigung wieder, um den Achtstundentag. Die großen Auseinandersetzungen werden noch kommen.

Auf dieser Atempause der Geschichte, auf einem gläsernen Regenbogen steht die Republik.

Eine Generation junger frecher und halb hilfloser Leute mit sehr roten Handschuhen und hellen Koffern aus Leder hat zwischen Franc und Dollar die Plätze der Eisenbahnen belegt. In Innsbruck sahen wir, von den Ötztaler Alpen vor drei Wochen heruntersteigend, den Adel Tirols aus den Schlössern zusammenströmen und ihre Komtessen tanzen in den Kostümen der Mode von vor fünfzehn Jahren, da ihr Geld die neue nicht mehr kauft, aber mit phantastischem Familienschmuck, den sie nicht veräußern, noch exklusiver wie früher, und einen gewissen tötlichen Stolz in den zwanzigjährigen Gesichtern. Das ist Deutschland.

Bald haben alle Fürsten und Feldherrn ihre Memoiren herausgegeben und alle schieben die Schuld auf den andern genau wie, als die Franzosen den vorletzten Krieg verloren, Ollivier, Benedetti, Leboeuf, Wimpfen sich die Niederlage an die Köpfe warfen, bis man in dem Spitzbart Bazaine den Prügeljungen entdeckte. Für unser Schrifttum ist der Haufen Papier ein verwegenes Nichts, für die Erinnerungsliteratur keine Bereicherung des Stolzes, der letzte große Memoirenschreiber der Deutschen aber, der pfaueneitle jedoch illustre Fürst von Muskau hätte mit einer Handbewegung diesen Hahnenkampf seiner Kaste abgelehnt: „Quelle blague.“ Ich traf im Sommer auf einem Bodenseedampfer einen früheren russischen Attaché, der Schweine für die deutsche Regierung in Belgrad gekauft hatte, der riet, zur Südsee auszuwandern mit einem Harem von Frauen und schönen Tieren, und fünfzigjährig in das dann befriedete Europa zurückzukehren wie Apoll, der bei Winterbeginn zu den Hyperboräern jagt, um erst wieder, von Päanen gerufen, im Frühling zum silbernen Kephissos und seiner geliebten Quelle Kastalia im Schwanenwagen zurückzukehren.

Den Russen langweilten die Zuckungen, mit denen die Erde Europas sich langsam wieder in ein festes Bett zurückstemmt und er wußte, daß nicht die Spur nachzuhelfen sei mit Kongressen, Parlamenten und Paraden des Geschwätzes, und daß elementare Gewitter nicht durch Beschwörungen der Regenmacher sondern nur durch elementare Ausströmungen langsam sich sänfteten.

Ich bin, obwohl ich abenteuerlustig las, in Mozambique bei Beira hätten Kaffern endlich die Seeschlange angeschwemmt gefunden, und obgleich Sir William Loyd Davkins in „Manchester Guardian“ hinzufügt, ihre Köpfe seien groß wie die Leuchtfeuer von Makuti gewesen und die Kaffern hätten zwölf Tage lang an der gelben Gallerte fressend gelegen . . . . . . ich bin, obwohl alle Himmel der Fremde und alle noch nicht genossene Seligkeit der Erde mit beispiellosen Kontinenten, Mondgebirgen und barbarisch dunklen Meeren dahinter locken . . . . ich bin für Bleiben.

Die Luft unserer Jugend ist elektrisch wie die Cinnas und Hannibals und des dritten Otto und jenes vierten Heinrich, der einer der schlausten Anwälte der Deutschen war, aber sie ist auch noch schicksalgesättigter in ihrer zuckenden Röte als die des großen Korsen. Die Ausschweifungen der noblen Jugend, die Reisen ins Tropische unserer Leidenschaft sind uns verdorben. Die Sommernachtsfahnen der Freude haben unter anderen Sternen anderen Generationen geflaggt. Es gibt nur eine Haltung des Anstandes, in den Krisenfeuern, in denen Europa sich anschickt einen neuen Stern zu gebären oder zu krepieren, mitten im Land und unter seinen Leuten zu stehen, ihnen zu helfen zur Lösung oder zu neuem Kurs sie zu überreden, oder wie auf einem Schiff mit ihnen zu ersaufen . . . . und sei es auch nur, den hoffnungslosen Kampf mit der Politik zu sehen, den diese Menschen, die Andersdenkende ruhig (wie zur Zeit, wo Mord bei den Germanen noch reine Privatsache der betreffenden Familien war) erschießen aber die Pferde innig lieben, die oft roh sind wie Tataren aber gütig und sentimental wie die Engel, die manchmal wie jener Thomas Münzer, der sich mit dem Schwert Gideonis unterzeichnete, unflätig in den Gesten aber in den Herzen voll dunkel flackernder Begeisterung sind . . . . . . sei es auch nur dem hoffnungslosen Kampf dafür unbegabter aber herrlicher Menschen mit der Politik in einer mitleidlosen Zeit beizuwohnen.

Diese Deutschen!

Man muß hinter Düsseldorf am Rhein gelegen sein, um die Größe dieses Landes mit dem stillen Verströmen des Flusses zu spüren. Man muß zwischen Bingen und Sankt Goar seine Romantik fliegen gesehen haben voll jahrhundertblauer Gewalt. Wie haben die Spessartwälder gedröhnt von der Musik ihrer donnernden Wölbung. Wie haben die bayrischen Seen unter der Pranke des Herbstmonds mit aufschießenden Nebeln gebuhlt und die Morgenberge mit wilder Idylle gespiegelt. Wie hat der sommerliche Schwarzwald vor Behagen aus allen samtenen Fichtenhängen geraucht und die Nacht noch sanfter an den glatten Muskeln des Vogesenbruders in den Rheingau fallen sehen. Wie hat der Odenwald von Sagen an allen Quellen aufgezittert und wie reif sind über der Mosel die Sonnensegnungen gelegen.

Wie haben die Sturmfluten die Nordseehäfen überdeckt, während der Mond bleirote Lähmung gespenstisch darüber flutete, daß die Molen verzaubert von soviel Glanz reglos von den Raubwellen zerrissen wurden — und mit welchem Jubel haben wir als Jünglinge die tänzerische Grazie Bayreuths und die Stierwucht von Bamberg und die Rothenburger Silhouette vor den Abendhimmeln des Sommers empfunden. Die Parke unserer Kindheit waren voll von Tritonen und Bächen und flötentragenden Göttern der Büsche und Wälder und den stampfenden Pferden besinnungslosen Glücks auch im dunklen Erschauern der Zukunft.

Wie hat Friesland uns später mit schwarzen Bauerngütern in fetter Erde unter seinen Herden gebebt, wie haben die Ostseeleuchttürme den Dreimastern und Hochseebooten herzbange Grüße durch die Jasminnacht geworfen, wie haben die Züge gejauchzt, als die süddeutschen Erntefelder sie mit beispielloser Goldfülle verschlangen. Wie hat der Wein des Elsaß sich zur Melancholie der Eifel in unseren Knabenfahrten herrlich gesellt, und mit welchen Farben haben die mecklenburgischen Teiche sich noch an den grauen Himmel pommerscher Riesengüter gemalt, wenn die Wildgänse darüber flogen.

Wie hat das ganze Land sich gereckt wie ein Weib, bis es die Schönheit erreichte und bis aus jeder Falte ihrer Erde der Duft der Anmut und der Vollendung in solcher Musik stieg, daß wir vor Liebe und Demut die Sünden und Fehler der Bewohner fast vergaßen. Die Luft unserer Jugend ist stürmisch wie die des Cinna und Hannibal, aber, unverrückbar, die Seen und Wälder und Berge unserer Leidenschaft und unserer Heimat sind von erhabenem Gleichmut der Schönheit.

Welche Zeiten!

Gleichsam auf einer zweiten unsichtbaren Ebene darüber aber steht wie ein zitternder Kessel zwischen den Manometern und Fieberkursen der Valuten „The German Empire“, so, als sei zwischen den Zustand seiner Fluren und den eines möglichen Glückes die heutige Misere wie ein verlegener Alpdruck hineingeschmettert und als seien die Geister, die um diesen Zustand irrten, vor Verzweiflung fast schon bereit sich selbst zu verhöhnen und auch der letzten Entschlußkraft beraubt. Ich fürchte, gäbe es in der Politik einen Eros und Stufungen der Geschlechter wie bei den Lebewesen, man würde „The German Empire“, das weder wagt mit dem Glanz der Senatoren von Catos Strenge bis zu Clemenceaus Unerbittlichkeit eine Republik zu sein, noch sich für ein wahrlich neues Kaiserreich zu entscheiden, zu den Zwischenstufen zählen, denen zwar viel Nüancen aber keine eindeutigen Himmelfahrten erlaubt sind.

Aber der Haß auf ihre Gegenwart hat nie vermocht, die Liebe zu ihr zu unterdrücken, und die besten Augen des Landes sind unbeirrbar auf jede ihrer Bewegungen gerichtet. Denn man liebt nur, wo man helfen will und man ist voll Zärtlichkeit nur da, wo man zu verzweifeln begonnen hat.

Im Kreis darum aber laufen die Ringe unerbittlich weiter, die die Mörder mit den Heiligen und die Tüchtigen mit den Träumenden durcheinander werfen. Ein Tropf, der nicht sein Schicksal zu korrigieren sucht, wo Kunst und Wahrheit nie so isoliert (aber kaum je von den Wenigen geliebter) in der Welt standen. Wer vermag festen Grund zu sehen, wo alle Maßstäbe aufhören, wo das Natürlichste: gut zu speisen und innerhalb Deutschland zu reisen, schon ungewöhnlicher Luxus dünkt und das Leben der mittleren Schichten (ohne daß sie es merken, weil sie ihr früheres Glück in soviel Fatalität vergaßen) eine Versuchung ist mit Gott zu hadern. Die apartesten Gegensätze durchdringen sich mit einer gewissen Heiterkeit, und jede Handlung wird mit auffälligem Ernst von einer Gegenhandlung begleitet, deren Gesicht die Grimasse des Widerspruchs trägt.

Vermuten Sie, daß am Tag, als Max Hölz mit Kommunisten und Räubern das Vogtland unterjochte, ein eigens gebautes Segelboot mit dreiundzwanzig deutschen Künstlern aufbrechen sollte, die Welt zu umreisen zum größeren Ruhm des Geistes? Ach Sie vermuten nicht, daß am gleichen Vormittag, als diejenigen Deutschen, die gerne mit endlichem und praktischem Erfolg die Welt befrieden möchten, zu einer großen Konferenz zusammentraten, in der anderen Ecke dieses Landes die männlichen Mitglieder einer Junkerfamilie zum Spaß mit Schrotgewehren auf alle vorbeifahrenden Automobilisten schossen. Täglich beobachtet man, daß führende Generäle der Kriegszeiten plötzlich ausgerechnet die Agenturen der Lebensversicherungen übernehmen, daß Juden mit einem Male führende Sportleute werden, daß korrekte Assessoren Autofabriken gründen, daß die Bohèmes der Literaturkaffees plötzlich infolge der Beschäftigung mit Wohnungsschiebung liebenswürdige Cavaliere werden mit einem Anflug sicherer Beleibtheit, die den Frieden mit Gott, Welt und Satan immer voraussetzt.

Sehen Sie die Wirtschaft gigantisch wachsen, die von der Kohle über die Erze, die Hochöfen, die Walzwerke, die Maschinenfabriken, über den Vertrieb der Erzeugnisse, über die Schiffahrtslinien eine ungeahnte neue Konzentration herstellt und, fast schon mächtiger als der Staat, beinahe alles erzwingen aber alles verhindern kann, während vor sechs Jahren man glaubte, sie sei in der Hochkurve? Vermutlich wird sich das technische Zeitalter noch zu einer mythischen Größe recken, Dampfer von ungeheuren Maßstäben und tausendfacher Kraft werden durch Motore gelenkt werden, daß sie wie die Delphine im kleinen Kreise tanzen, und die Luft wird derart bezwungen scheinen, daß die Menschen, knapp an die Grenze der großen Weltgeheimnisse wirklich kommend, erst im letzten Augenblick, und nicht ohne Größe, gestürzt werden.

Aber heute gastieren im Schatten dieses Wachstums noch die vielen Schauspieler der Verwirrung und ich vergesse nicht, wie es entrüstete und amüsierte, als auf dem Concours hippique in Kissingen im Frühjahr nur der Stallmeister der luxemburgischen Großherzogin im grauen Seidenzylinder erschien und dann ein Kinobesitzer und nicht Graf Görtz die Sache machte. Man glaubte, das Apokalyptische käme hernieder und die germanische Midgardschlange lasse die Erde aus ihrer Umklammerung fallen. Die Oberfläche der Zersetzung schwankte ein wenig und man sah die gesamten Akteure der Zeit mit einem Male, wie sie über die Hürden und Koppelricks herauf und herunterjagten, als welle sich die Erde unter ihnen.

Europa ist heute ein großer Faschingsball mit schönen Debardeurs und anderen maskierten Gestalten und dem fallen die Triumphe zu, der die kühnsten Griffe und die besten Lenden aufweist. Man demaskiert erst in einer späteren Zeit. Ich habe daran denken müssen heute Nacht, als ich hörte, man habe den großen Ahnen aller Abenteurer des Geistes und Lebens zurückgerufen, indem man das Grab des Marquis von Seintgalt in Dux in Böhmen gefunden. Es war nur ein Zufall, der es beim Legen von Wasserrohren wieder in die Welt spielte, auf dem Grabstein stand mit einer gewissen schlichten Haltung: „Casanova Siebzehnhundertneunundneunzig.“ Im gleichen Jahre wurden der Baron Balzac und der Jude Heinrich Heine geboren, die die gleichen Umschichtungen des Lebens in Frankreich in ihren Büchern damals schon schilderten und mit Kunst einen gewissen Schlußstrich setzten unter die letzte große Kurve einer Zeit, die der kluge und genießende Casanova im Leben noch einmal unerhört gespiegelt hat: den Glanz und die spielerische Abenteuerlichkeit der Welt . . . ., eh sich die Wagschalen des Daseins in die tragischen Entscheidungen von heute stellten.

Man hat nunmehr gelernt nüchtern zu werden, selbst in der erregtesten Zeit, teilt Arbeit und Leben und berechnet selbst seine Zufälle. Wir sind eingeschneit, Mijnheer. Ihr großes Gepäck ist nicht transportabel, der Schneepflug braucht drei Stunden für hundert Meter Weg. Die Dame, die Sie erwarten, kann nicht herauf, es sei denn, sie flöge. Von Stübenwasen bis Gisiböden steht der Schneesturm und wirft Sie über den Kamm, sobald Sie ihn betreten. Versuchten Sie ohne Gepäck ins Tal zu kommen auf Skiern, ist Ihnen nur der Weg der Waldflächen offen, wo der Schnee sich nicht so hoch gesetzt hat, aber schon an den ersten Matten ersaufen Sie im Schnee trotz Ihrer Bretter wie eine Maus.

Wir sitzen fest. Am Tage ists manchmal möglich, vielleicht sich in die Latschen zu schlagen oder Sprunghügel zu bauen, vielleicht geht die Sonne auf und drückt die Schneeflut zusammen, man hat Möglichkeiten und man rechnet mit ihnen. Völlig abmarschieren kann man aber erst, wenn der Sturm gefallen ist, jedoch der Meteorologe versichert, er stehe zehn Tage über dem Gebirg. Das war noch nie, und solche Kaskade von Weiß warf der deutsche Himmel seit meiner Geburt noch nie über Baden. Man muß resignieren und eine Beschäftigung suchen, die wir leicht von selbst gehabt hätten, wäre es uns nicht eingefallen, die braun brennende Sonne des Arlberg mit der schwarzen des Schwarzwalds noch zu vertauschen. In St. Anton wäre der Sirocco uns zu Hilfe geeilt und hätte die Wolken nach Norden geschmissen, die hier von allen Schwarzwaldbergen sich heben und wie Rabenchöre um den Feldberg kreisen. Schon Lukian hat die Reiselust verspottet, nun sind wir die Opfer. Es gibt nichts, was einem unabhängigen Gentleman unerträglich werden könne? Beweisen wir es.

Als im Jahre Dreizehnhundertachtundvierzig sich unter Pampineas Führung die sieben Frauen Boccacces mit den drei Liebhabern vor der Pest aus Florenz flüchteten, lag es nahe, daß sie dem Gespenst nur die Anmut von Vergnügungen entgegenhielten, die ihre Zeit ihnen bot. Es war ihre einzige Waffe. Um sie blühte die Zeit, große Männer und erfüllte Epochen umstanden ihre Welt und es gab nur die Möglichkeit, mit Grazie und gepflegtester Sinnlichkeit dem barbarischen Tod gegenüber sich verächtlich zu zeigen.

Wir haben hier kein Schloß, Mijnheer, mit Dienerinnen, wir haben keine Frauen, was ich sah seit der Ankunft ist nicht erregend und unsere Freundinnen, mit denen wir vertraut sind, sind von uns getrennt. Wir verstehen die Einfalt jener Menschen des Dekameron nicht mehr, die bei Dambrettspiel in den Gärten mit Anrufung Gottes pikante Geschichten erzählten, daß vor der Anmut ihrer lorbeergeschmückten Königin selbst das Schicksal zurückrauschte. Wir sind nicht Kinder einer erlesenen Epoche, sondern Freibeuter eines Zusammenbruchs. Wir haben die Pest nicht draußen und die runde und vollendete Welt im Herzen, sondern um uns kracht die nüchterne Phantastik unseres Säkulums und wir haben nichts in der Brust als die Kühnheit es doch zu lieben.

Boccacces Jahrhundert hatte die Pflicht zu genießen, was bleibt einem Gentleman anderes heute, als die Freiheit, sich mit seiner Zeit in Ordnung zu bringen. Man kann das auch bei Cocktails aus Milch, Ei, Gin, Whisky und Worchestersauce, und wenn der Tag dem Leben reserviert bleibt, haben die Nächte Raum für eine europäische Diskussion. Was kann einen Holländer, dessen Land neutral blieb, dessen Literatur ihn nicht interessiert, der die Musen liebt und Horaz in einer seltenen Ausgabe im Koffer mitführt (wie Casanova selbst in die intimsten Situationen), was kann einen holländischen Edelmann mehr reizen, als zu sehen, wie die Zeit sich in den wichtigsten Literaturen spiegelt, denn in nichts erkennt man, wie Flaubert in seiner Einsamkeit schon verspürte, den Menschen und die Nation so sehr wie im Buch.

Auch den Boccacce hat seine Zeit, weil er ein Ausschweifender und gleichzeitig ein frommer Mann war, mitten in die Kirche seiner Vaterstadt beigesetzt, weil die Zeit in ihm ihre Vorzüge und Eigenschaften am besten erkannte. Und doch hat seine Stimme die Wollust wie kein anderer zierlich bis in das Herz der Frömmigkeit getragen, aber es war die Sprache eines Dichters, und seine Sprache kam aus der des Apulejus und des Lukian und sang sich weiter bis zu dem roten Hymnus des d’Annunzio. Welche Vergangenheit einer Sprache! Ja, Mijnheer, man muß, um ein europäisches Gespräch zu führen, zuerst den Sinn der Sprache begreifen und ihren Weg betasten. Das ist wichtiger wie Whisky und Frauen und der fatale Ernst unserer Einsamkeit.

Ich habe heute Nacht daran denken müssen, als ich am Fenster nichts vernahm als die Dünung des Sturms, den Aufschlag des weichen Schnees und das Zustreun des Geländes, und ich unter dem Bord der hölzernen Veranda eine Schar Vögel entdeckte, die vor der Katastrophe der Natur zu den Menschen flüchteten und nichts hatten sich verständlich zu machen, als ihren aufgeregten, im Hals zitternden Herzschlag und die schreckliche Angst ihrer Augen. Ich hörte, während ich Stare und Amseln auf die Heizung hereinhob, die Wetterhähne dröhnen und die Blitzableiter wie die Elstern schreien. Hinter ihnen aber stand auf den Untertönen des Winds die Musik der Schwarzwaldwälder mit einem dunklen Brausen. Durch die gleiche Musik haben Germanen hier manchen ihrer Kaiser auf kreuzgelegten Speeren aus dem Ruhm des Südens, den sein Haupt gesucht, tot zurückgetragen.

Ach es stand im Donnerton der Tannen in der Dünung mit verzweifelter Melancholie die Irrnis unserer Geschichte, die das Unmögliche stets wie knabenhaft begehrte und ohne Ziel dann ihren schönsten Kopf sich einschlug. Erst als ich vom Balkon zurücktrat, gelang mirs ohne Bitterkeit zu atmen, und als ich mit den Vögeln sprach, war ich lauter als das Sturmwehen. Der Schneezyklon schoß von oben auf den Dachfirst, warf sich zu Boden und hob sich in einem flimmernden selbst in der Nacht sichtbaren Kreis über dem Steinsee. Da blieb er wie ein Krater, der sich rasend drehte.

Es klang verführerisch jetzt hinter dem geschlossenen Fenster, wenn ich die Vögel ansprach, gleichwie als sammelte die Sprache sich in seinen Rhythmen und hebe aus den Jahrhunderten den Ton der Heimatlaute herauf voll unerfüllter Leidenschaft und der heiteren Wehmut seiner unbewußten Schönheit.

Geliebte Sprache:

Als die antiken Zeiten sich von unseren schieden, entführten sie als Dialekt der Mythen und Götter das Griechisch und es blieb nur noch eine moderne Sprache, das Latein. Nie gab es vorher und später ein menschliches Ausdrucksmittel, das so präzis und zugleich flimmernd die Begriffe aufstach und die Umwelt dazu glänzend umschrieb, das ebenso vollendet das Vorgestellte in kristallene Nähe zwang und zugleich das Phantastische in eine Bannmeile atemloser Erregung darum sammelte. Es war die Sprache der Weltleute und der Kommis, der Dichter und der Feldherrn. Herrlich band schon Tacitus ihre Kühnheit im Bilde, als er beschrieb, Germanien sei von anderen Nationen getrennt durch Furcht und Berge. Für die Deutschen war es zu scharf, wie diese Prosa blitzte, zuhieb und trennte. Eine Zeitlang versuchten sie miteinander die Verschmelzung, aber die Mönche jagten das Latein in ihre Klöster. Wie zuckte es manchmal noch aus Klerikerhand brünstig ins Weltliche hinaus, wie mischte es sich anfangs voll und farbig mit den steifen kirchlichen Liedstollen, wie gab es noch der Mariensequenz von Muri die demütige Schlankheit: „Ave vil liehtu maris stella.“ Umsonst, es mußte nach Westen fliehen und ließ seinen Schatten nur zurück, der als Theologie vermummt und enthauptet durch das Mittelalter irrte.

Der deutsche Dialekt der Germanen kam jetzt in seinen raschen tropischen Glanz. Allein gelassen nun ward er die Stimme der großen Epen und der germanischen Troubadoure. Wie glühte der kurze Sommer seiner Pracht in des Vogelweiders Strophen, wie verschlang sich Gedanke und Reim und kehrte voll Musik zurück in die heiß und kindlich gefaltete Kadenz. Nie hat, selbst in Rilkes Versgeäder, Deutsch wieder die Größe der Einfalt und die Vollendung des Tons und die Linie der Grazie erreicht wie in der flötenhaften Lage der Walther-Strophe:

Daz er bî mir laege, —

wessez iemen

(nu enwelle got!), sô schamt ich mich.

Wes er mit mir pflaege,

niemer niemen

bevinde daz, wan er und ich.

Wunderbar füllte die deutsche liedhafte Zartheit die gläserne Wölbung des frühen Mittelalters mit Auben, Weckrufen, Taggesängen, Hörnern, Kreuzzügen und heroisch-sanften Mythen, aus deren Bau die Sprache jubeln konnte noch stolzer wie Horaz, daß wahrlich nie gehörte Sänge ihr entströmten . . . ., bis mit der schönsten Zeit der Welt, der Epoche der Dome und Kaiser und lichter Maienhaftigkeit Europas sie in den tragischen Schlußvers fiel. Deutsch ward nun die Knochensprache kleinbürgerlicher Meistersinger, die barbarische und oft wildsaftige der Volksbücher oder die robuste Dämonie Grimmelshausens und die Pedanterie der gelehrten Habenichtse.

Doch wie hatte das Latein, das über den Rhein gezogen und mit den Galliern sich vereinigt hatte, im Französisch sich zu geschliffener Klarheit mittlerweile vollendet! Wie hatte auch sein Mittelalter gehallt von den unter Ölbäumen von den Sarazenen heraufreitenden Trouveres, wie hatten die Regenbogen der großen deutschen Epen mit einem Fuße tief in der Provence gestanden, die breit und groß am feierlichsten Meer wiederum sich der Levante und den Dichtern afrikanischer Erde hingab. Wie lärmte über Spanien und Frankreich graziös und gottselig der vogelvolle Himmel der Frühzeit der Menschheit dann aber weiter bis hoch in den vollen Zenith. Und wie erfüllte er sich neu immer durch die lateinische Vergangenheit, die stets die zarte umschwebende Luft blieb, bis zu schönster Vollendung aus den Allegorien der Götter noch tief in der Renaissance der herrlichen Plejade und den späten Prunk des Rokoko. Immer gings aufwärts aus dem Blutsaft der Antike bis in ihre kühnste Moderne.

Aber wir:

Als der ältere Balzac seine„Lettres“ wie Schlittschuhkurven der französischen Prosa vorbog, sielte das Deutsch noch im Jargon der Sauhatz; glaubte Herr Opitz aus Bunzlau am Bober durch Beschreibung des Vesuvs deutsche Dichtung einem neuen Frühling entgegenzuführen. Als der taube Gentleman Ronsard und die Sechs seiner Plejade den Horizont Frankreichs mit dem Duft der farbigsten Lieder bewölkten, knabberte Hans Sachs die Klebsilben aus dem Skelett seiner sechsunddreißig Bücher deutscher Sprache. Während der flotte Offizier Descartes kristallinische Treppen mit seinem Französisch in den Nebel der Philosophie hineinbaute, sang Herr Simon Dach, Professor der Poesie in Königsberg: „Der Mensch hat nichts so eigen / so wohl steht ihm nichts an / als daß er Treu erzeigen / und Freundschaft halten kann“, und glaubte damit, während Shakespeare schon lebte, eine Revolution der deutschen Dichtung geschmissen zu haben. Rabelais, ein entlaufeper Benediktiner, der wundervollste Vagabund neben Villon, und vierzigjährige Medizinstudent führte das Französisch in das ungeheuerlichste Barock, während der Bürger Ayrer seine üblen Fastnachtsscherze schrieb. Im Französischen bildete sich Niveau. Bei den Deutschen war es nur, wenn Wundervolles aufsprang, eine begabte Revolution. Denn auch Ekkhart war den Deutschen nur das mystische Gewissen, Fischart blieb nur die skurrile Blähung voll gewaltiger Einfälle und Luther war keine Sprache sondern nur ein Temperament.

Die Kriege der anderen und die Reformationen, denen Deutschland den Rücken hinzuhalten das Schicksal hatte, haben die Einheit der Empfindung und die Sprache zerstört. Als man sie wieder hätte sammeln können, gelang es nicht den schlanken Bau der Gotik und die Süße mittelalterlicher Gefühlskraft wieder zu entzaubern. Es gab keine Gemeinschaft, keinen so zentralen Hof, der sie glanzvoll gepflegt hätte. Die Führer und Verantwortlichen haben von jeher den Geist und das Volk im Stich gelassen. Man hetzte Hirsche und drillte Soldaten. Das war genug.

Wie anders hat Frankreichs Volk die Muse gehegt! Als Marquisen mit Vaugelas Grammatik unter dem Arm dozierend durch die Schloßparke schritten, korksten deutsche Fürsten wie Stotterer den Dialekt oder retteten sich ins Französisch. Wie hat die Literatur seit Margarethe von Navarra, dieser erlesenen Frau, seit Karl dem Neunten, seit dem ersten Franz, dem vierzehnten, fünfzehnten Louis um die Höfe sich gereckt, die Sprache sich veredelt, wie war der Ausdruck des Menschen Maßstab fast mehr wie die Geburt geworden, daß schon über die Übertreibungen die Spötter des Molière in Lachkrämpfe verfielen. Ja die Macht war so groß, daß selbst revolutionäre Dinge gelitten wurden, wenn ihr Anspruch ihrer Würde und Vollendung entsprach, und die Gesellschaft vernahm mit der Grazie der Gegeißelten die Anmut der Geißler.

Den blauen Salon des Hotel Rambouillet besuchten die Prinzen neben Bossuet und Scudéry, und die Geistigkeit der Marquise, die empfing, war stark genug aus ihren Jours und Empfängen eine literarische Bewegung zu machen, die Richelieu zur Gründung der Akademie trieb. Und während über Deutschland der Dreißigjährige Krieg flutete, war der politische Einfluß der Literatur so ungemein, daß der größte Staatsmann Frankreichs im Streit um Corneilles „Cid“ mit allen Pressionen die gebildeten Kreise mobil machte, Corneille zu zerreißen, weil ihm dessen Geschwärm für Duelle und Spanien seine Taktik kontrekarrierte, die den Adel auf den Bauch warf und Spanien an die Wand drückte. Am Arm von Herzoginnen aber besuchte der große Dramatiker den sich über die Ehre tief verbeugenden und den Besuch des höchsten Adels wahrlich gewohnten Bernini, Italiens damals größten Künstler, unter der Aufmerksamkeit der ganzen gebildeten Nation, während in Wasserstiefeln deutsche Pastoren, submissest verhungernd, als schlesische Dichterschule schüchtern verkleidet, weltfremd einen dünnen, wenn auch nicht uncharmanten Barock auf deutsche Flaschen ziehen wollten. Wie hat noch hundert Jahre später der große Friedrich seine armseligen Dichter verachtet und mit welcher frivolen Überlegenheit dem Schweizer Henri de Catt die Aperçus über einen gewissen Hofmann erzählt, der mit demselben Hemd ein ganzes Wörterbuch verfertigte und der, als man ihm drohte, am jüngsten Tage werde er allein unter den lichten Gottseligen unrein bekleidet vor Gott erscheinen, den saftigen Wunsch aussprach, daß er lieber, als das Hemd zu wechseln, auf die Auferstehung verzichte.

Wie verachtet, wie schmählich verkuppelt ist in dieser Gesellschaft die Sprache der Heimat geworden, wie erlösend und rührend aber ist sie manchmal dennoch in die Hände von Einzelnen zurückgekehrt, die sie für ihre Launen und für ihre Begeisterung züchteten und sie auf dem langen Weg der Erniederung schön über die beflaggten Barrieren ritten! In Frankreich steht ein gezüchteter Schlag.

Bei uns kommen manchmal die interessanteren Hengste und wiehern die Erinnerung der großen Zeit und blitzen Hoffnung auf die Zukunft aus dem schönen Schlag der Hufe.

Heil Lessing, der mit Strenge säuberte, Sturz, der sie schlank wie ein Florett im Kreis auf seine Hände zurückband. Grabbe, der sie dunkel durchwühlte, Kleist, der ihr die Stahlsehnen des jungen Genius durch den Torso zog, Jean Paul, der erste, der ihr den Nebel und die göttliche Atmosphäre der Worte wie einem gigantischen Stern zur Wielandschen Grazie gab, Büchner, der sie zu heroischer Schlankheit des Mutes begeisterte, Heine, ihr geliebtester Sänger der vogelleichten Kraft, die Romantik, die sie träumerisch wieder mit dem Gesicht ins Übersinnliche wandte, Nietzsche am Schluß mit dem jubilierenden Hurra der obersten Verzweiflung. Geliebte Dichter! Sie waren gute Jokeys und vorzügliche Trainer, aber sie ritten ohne Tribüne und ihre Ställe und Concours hatten keinen Zulauf ihres Publikums, auch hatten sie keine Kenner, obwohl ihre Klasse von internationaler Güte war. Sie waren Desperados der Kunst gegen die Gesellschaft, die sich nie recht formierte, während sonst in Europa diese Gesellschaft die Kunst wie eine sanfte und schöne Krönung über sich trägt.

Selbst Pindar war nur in diesem Sinne ein Dichter für feinere Sportfeste seiner dorischen homosexual gerichteten Geldaristokratie, Shakespeare und Molière die Fabrikanten der von ihren Höfen bestellten Theaterstücke, Calderon war seines spanischen Hofs Arrangeur für pompöse Vergnügung, die Maler der Renaissance die Hauseinrichter ihres sie bezahlenden geschmacklich kultivierten Publikums, Bernini der Baumeister für luxuriöse Ausschweifungen des Barock und der Vogelweider im Lyrischen der Pressechef seines staufischen Adels.

Die Menschen guter Zeiten gaben sich durch die Leute, deren sie sich zur Herstellung angenehmer Verzierung ihrer Epoche bedienten, ein veredeltes Gesicht. Das war alles. Manchmal achteten sie diese Leute nicht einmal, erst Michelangelo machte sich mit seinem Anspruch zum Fürsten. Damit blieb er, genau wie wenn man ihn als Sklaven gehalten, das gleiche Ornament seiner Zeit. Daß man aber ohne Zusammenhang mit seiner Epoche, rund um eine Zeit rasend, die keine Gesellschaft barg, Dramen zusammenschrieb, Bilder zusammenmalte, Türme in die Wolken hineinschickte, Bücher wohl über Probleme der Ideen aber nicht über die Erziehung zur Nation zusammenstapelte, das ist in seiner generationenlangen Dauer so rührend wie unglaublich, aber deutsch. Hat uns nun, seit man in Autos und Flugzeugen und Bahnen fährt, telephoniert und drahtlose Depeschen sendet, die Muse heftiger und vereinigender geküßt? Man hat uns, Mijnheer, noch mehr wie die Schafe auseinandergetrieben. Die Techniken haben uns ein jagendes Tempo in die Adern gesetzt, aber sie haben uns weiter von den Wurzeln deutschen Seins gescheucht wie der Dreißigjährige Krieg.

Was hinter den Romantikern herkam, hatte Plattes und Sauberes, hatte Persönliches und Albernes aber es hatte kein Niveau. Die bärtigen Leute um Paul Heyse hatten die Vehemenz des Dichterischen schon ganz vergessen, als sie nazarenisch in ihren lombardischen Wein den Zucker ihrer Gefühle füllten. Die Holz und Schlaf, die diese in schwacher Nachahmung des großen Zola entthronten, hatten nur schlechte Manieren aber keine Kraft. Es blieb wohl Einsicht, aber keine Stärke, sondern Geschrei. Daß gegen diese dann wiederum die geölten und geschmackvollen Jünglinge des Dichters George marschierten, der ihnen langsam an Baudelaires und Mallarmés erhabenem Beispiel das Geheimnis der strengen Form beigebracht hatte, bewies wohl Einsicht und Sinn für das Dichterische, aber es stellte gegen den Schlamm der Epoche nur einen Salon von Süßlingen. In der Tat, Georges Beispiel ist sinnbildhaft von Bedeutung, es schuf in Wahrheit nur einen Zenakel und dieser war denkbar nur in Frankreich, aus dem er kam.

Erst als die Schicksalsuhren tragischer ins Volk bellten, suchten einige Dichter und fanden einige einer neuen Generation eine Sprache, die, wie die keiner Epoche vorher, wenn auch nicht aus den Klarheiten so doch aus den Krämpfen ihrer Dezennien sich der Zeit anschloß. Die Unerbittlichkeit Wedekinds, der Zauber Schickeles, der breite Döblin, die tapfere Kolb, der hell urteilende Kerr, Sternheim, Benn, Kaiser versuchten ihre Generation zu einem mörderischen Glanz zu verdichten. Das Material Balzacs war ihnen nicht gegeben zwar, sondern nur ein zersplitterter Spiegel. Sie pappten ihn nicht, sondern sie schossen ihn zusammen. Eine Weile deckte sich Kunst und Zeit. Wir sind in der Gegenwart.

Wir sind in der Gegenwart, Mijnheer. Sie liegt vor uns wie Land und Meer, und wo sie zusammentreffen ist Hafen und Schiff. Und wo sie sich schneiden, hat Kunst und Nation sich berührt. Zehn Nächte bei Flips und Cocktails und Gin und Kerzen sind eine knappe Zeit das Terrain zu beschauen. Was interessiert einen holländischen Gentleman an der Gegenwart? Er hat ein Haus in ’s Gravenhage, eine Herde in Utrecht, eine Bibliothek in Delft. Er reist durch die Welt, von Krieg verschont, von Kriegssteuern ledig, den Passeport von der Königin visiert, unabhängig und gebildet, gelangweilt von seinem Lande, und neugierig, was aus Europa geworden ist. Dazu, weil er bereits aus den Gärten der Jugend in die Üppigkeit gepflegter Gelehrsamkeit geführt ward, voll Eifer zu sehen, wie in den Literaturen das europäische Gewürm sich vereinigt. Was kann Sie besonders reizen, nehmen Sie das Glas und beschauen Sie die Linie zwischen Meer und Land.

Die paar Pioniere, von nicht sehr großer Lunge, die die Vereinigung betrieben, haben nicht natürlich Gesellschaft gebildet und Volk und Kultur sich wie im Paradies unter Tränen gerührt ans Herz sinken lassen. Sie haben das Wichtige, wohl unter großen Fehlern, dem Wachstumfähigen genähert. Mehr nicht, aber es ist wohl viel. Will einer nun wissen was kommt, was sonst an Schiff, Barke, Floß, an Haus und Matrose diese Phantasie-Gegend bevölkert, ist die Untersuchung der Gegenwart immer von Reiz, das Prophezeihen aber Kinderei. Der Ehrliche sagt immer nur, was ist. Das Kommende folgert er zum Teil, ahnt er zum andern, zum größten weiß er es nicht. O navis referent in mare te novi fluctus? Ich zweifle nicht, aber ich begebe mich der Antwort. Wir sind zu verwirrt ineinander, man reißt die Kunst nicht der Zeit aus dem Bauch und gibt ihr eine gewünschte Direktion. Auf Zukünftiges die Antwort kann nur Deutschland geben.

In diesem Augenblick, wo es sich anschickt, in die Arena der Entscheidungen Europas zu treten, nimmt es uns alle mit in seine Fahrt. Wie auch immer es sich anschickt, mit seinen dunklen Meeren, den blauen Gewässern und den flammenden Ernten seine Fahrt zu nehmen, sind auch unsere Schicksale mit dem seinen in sein Gesicht gebrannt. Wir können uns nicht trennen. Ob es der rechte Weg ist oder der verfluchte, wir müssen ihn gehen, vielleicht müssen wir ihn auch lieben. Wir können nur hoffen, es möge der rechte Weg sein.

Zehn Nächte Mijnheer sind lange Zeit, man muß alles bereden. In Boccacces „Dekameron“ beginnt unter Pampineas Szepter das Spiel, sich die Ergötzlichkeiten des Daseins zu erzählen, und reihum geht der Königsstab von Frau zu Mann jeden Tag, ein König führt sie am Ende lebend nach Florenz. Wir sind nur zwei, zu wenig für einen König. Und mit zuviel Gestrüpp und Sturm um unser Gespräch, als daß das Spielerische eines Fürsten hinein passe. Mijnheer, Sie sind Monarchist. Ihren Ahnen hat Greco gemalt, ein anderer fuhr zu Cortez und zog in Mexiko ein. Ihr Wappen zeigt mit einem verschnörkelten M, daß einer mit Karl dem Fünften zum Kloster ging. Mit einem anderen kam Ihr Geschlecht nach Holland, nahm javanisches Blut auf, hatte vielleicht schon jüdisches in sich. Mijnheer, Sie sind konservativ und urban. Sie sind nicht reaktionär und dumm. Ihre Tradition macht Sie gepflegt und weit und nicht verkümmert und eng. Was seither je vor unseren Blick kam, hatte die gleiche Geltung für Sie und für mich. Sie sind nicht weniger Europäer als ich, ich aber bin nicht weniger stolz ein Deutscher als Sie ein Mann der Niederlande. Aber vermögen wir die Gegenwart, deren erlesene Dinge nicht deutlich von der Zeit distanziert sind, mit gleichem Auge zu beurteilen in einer Epoche, die nicht nach Vorzügen und Glanz, sondern nach Zwecken, nach Angst, nach Wünschen und Richtungen urteilt? Haben wir den gleichen Blick, wenn wir, wie vor Kanonen, vor die Gegenwart geprellt stehn?

Wie soll ich es Ihnen am deutlichsten sagen?

Hören Sie die Geschichte meines Geburtstags.

Am Tag, als im Grunewald die Mörder den Reichsminister Walther Rathenau erschossen, fuhr ich aus dem Süden im Auto in meine Heimat. Als wir gegen Mittag den Main überkreuzten, kamen wir, von nickenden Birkenalleen flankiert, nach Wilhelmsbad, wo die Prinzen von Hanau ihr Versailles in einen schönen Park gebaut hatten. Über einem Atlas mit einer Löwenpranke vor dem Geschlecht, der eine sechzehnflächige Sonnenuhr trug, sahen wir einen kleinen innen gehöhlten Berg, in dessen Innerem zwei Pferde seinerzeit im Dunkeln nebst den Lakaien einen Hebel im Kreise drehten. Oben jedoch, vor dem seidigen blauen Himmel flogen auf dem derart gedrehten Karussell die Prinzen der Zeit durch die Luft ihrer spielerischen Entzückung. Wir lachten und kamen in die Wetterau.

Aus den weichen Schatten, mit denen die Wolken über die Ähren wanderten, am bläulichen Grün des Saftes in den meilengroßen Ebenen, im Wind der Weiler, die aus Baumspalieren mittaglich träumten, aus der fetten Kraft und sprudelnden Wucht des Bodens spürte ich die Heimat. Hier haben meine Ahnen, die Lanzen im Arm, gewohnt. Durch diese Täler sind sie von ihren Burgen gezogen. Meine Mutter hatte etwas von dem besinnlichen braunen Glanz alter Wildheit im Auge. In Friedberg, das am Horizont blieb wie ein Starnest, habe ich sechsjährig auf den Burgzinnen Dohlen gejagt und unter den Sommerbüschen der Schwarzdorne und gelben Ginster habe ich die Platten der Rittergräber mit dem Finger abgefahren. In Büdingen hängt in der Schloßkapelle die Isenburger Kriegsfahne, gegen die sie gezogen. Am Schloßportal erfuhr ich die Ermordung des Ministers, die Lakaien standen am Schloßgraben und schwatzten, der Pförtner in einer sagenhaften Uniform öffnete das Tor.

Ich bin den Mittag weiter durch meine Heimat gefahren, die Störche saßen auf allen Giebeln, die Schwalben sangen sich über den Eichen, die wie Pappeln gewachsen sind, in klarem Sang herauf und herunter, und an den Enden des Horizonts zogen sich violette Schatten, die langsam den Himmel wie große Zeichen der Festlichkeit heraufkamen.

Um uns rauschte das reifende Korn geheimnisvoll in den mittaglichen Glanz, und die Felder mit farbigem Mohn bogen verführerisch in die Stille der Hänge. Wie ein roter Regen flogen die Alleen mit den satten Kirschen über uns, als wir nach Gelnhausen kamen und sofort die Pfalz des besten Hohenstaufen suchten. Während seine Vorgänger und seine Nachfolger den Dom bauten, setzte er in den Sumpf für eine Geliebte die Pfalz von wunderbarer Wucht, den Pallas von einer Brust der leichtesten Säulen gegliedert. Der Jasmin flutete mit dem Geruch des weißen Hollunders durch die Ruinen und umdampfte das steinerne Gesicht des Barbarossa.

Sein Kopf springt aus der Wand über dem Eingang hervor und läßt keinen, der eintritt, ohne Blick. Der Bart ist gespalten und nach außen in die Höhe gezogen, bis er die Höhe seiner Augen erreicht. Auf den Spitzen des Bartes tanzen da zwei kleinere Köpfe, der des Hundes, der ihn in die weiten Jagdfelder führte, der jenes Weibes Gela, die er liebte wie ein Toller, die ihn zwanzigmal von italienischen Fahrten und deutschen Revolten an ihre Wärme zurückriß. Aus der Tiefe dieser Schatten kam mir manches ins Blut geschossen, als sich die Hollunderbüsche teilten.

Ich bin wie trunken, gesättigt vom Atem aller großen Zeiten durch meine Heimat gefahren und die Bäume hatten etwas Erkennendes in ihrem Dunklerwerden und die Vögel in ihrem Schweigen und die Felder in ihrem helleren Rauschen und die Wolken selbst, die den satten Ton der Dämmerung auf ihre lila Segel genommen, erstiegen die Höhe des Himmels mit grüßendem Triumph. Ich sah die Rehe flüchten und den Mond über den Barockschlössern aufgehen, deren Spiegel die Nacht silbern erhellten, ich sah die Nymphen der Dächer fester in ihre Hörner blasen, wenn die Nachtwinde aus den Feldern sie trafen und ich sah den Main mit seinen Schiffen heraufkommen in der weißen Nacht mit einer Größe und Verwandtheit, die ich aus den Jahrhunderten, die wir hier verbrachten, sofort verstand.

Ich bin durch die Empfänglichkeit meines romantischen Blutes wie ein zu dem Stern der großen Kaiser und adliger Erinnerungen Verführter durch die Nacht meiner Heimat gefahren, in deren Landschaft deutsches Schicksal und deutsche Welt sich durch Generationen entschied und Ausdruck und Figur erhielt bis an ihre besten Maße. An diesem Tage wurde Rathenau als der vierhundertste wehrlos, von hinten, erschossen. Ich bin für die Republik.

Ich bin für die Republik, Mijnheer, wir sind angelangt bei politischen Dingen und haben sie schon überwunden, indem wir es erkannten. Denn Sie wie ich werden bemüht sein, ich von dem Ihren und Sie von meinem Herzen aus die Gegenwart zu sehen. Und wir sind beide genug voll innerer Distanz zu den Dingen, um nicht zu verstehen, das Saubere von dem Gemeinen und das Echte vom Gefälschten zu unterscheiden. Sonst ist nichts von Belang. Welches Volk aber von Barbaren, Mijnheer! Man kann mit diesen Leuten nicht sein, die den Mord heiligen, um zu Monarchien zu kommen, deren Absurdheit Sie wie ich in jener Form verachten, wie vernarrte Jünglinge und verbissene Greise sie wollen. Das hat kein Band mit den Erinnerungen meines Blutes.

In meinem Wappen stehen unter dem springenden Löwen die sechs Punkte des Gleichgewichtes. Der Wahlspruch schrieb: „fidèle sans blâme“. In Ihrem ist das Segel der Fregatte, mit dem ein Ahn die Mauren jagte, ein späterer seinen König nach den Niederlanden führte und darunter steht: „Illum oportet crescere me autem minui“ wie bei dem furchtbaren Johannes des Grünewald, der vergehen wollte wie ein Blatt, damit der Nazarener aufschieße wie ein Baum. Ach, wenn die Könige Europas doch auch wie junge Heilige wüchsen! Auch Ihr Monarchismus hat eine Idee und es wäre Ihnen darum unmöglich, den Meuchelmörder zu rufen, wo ein Gedanke Sie erfüllt. Napoleon Bonaparte hat als Letzter die Monarchie einer europäischen Idee verfochten und ich gestehe, daß ich das Verführerische dieses Glaubens spüre. Ich sehe aber in diesem Europa meiner Jugend keinen Weg und keinen Führer dazu. Ich bin für die Republik.

Mijnheer, wir sind eingeschneit. Die Läufer, die zurückkehren, haben die Figuren von Tieren. Wir sind mit ihnen in dieser angenehmen Höhle eingesperrt. Sie wollen nunmehr mich in der Zwischenzeit veranlassen, mit der gleichen animalischen Unvoreingenommenheit der Kunst nicht nur die Knospen des Busens zu bewundern und den zitternden Elan der Schenkel zu bestaunen, sondern der schönen Gejagten den Bauch zu beklopfen und alle Sehenswürdigkeiten aber auch alle Fehler ihres Baues in unser Entzücken und in unser Urteil aufzunehmen. Die Wertungen ihrer Schönheit fällt allerdings erst die spätere Geschichte.

Aber die Göttlichkeit des Augenblicks, die versteckte Herrlichkeit einer ihrer sekündlichen Bewegungen und den Schatten der Sonne auf ihrer schlanken Hüfte bringt keine Ewigkeit zurück. Es lebe der Augenblick!

Ich habe daran denken müssen, als nicht nur die Wände des Barbarossa-Pallas mit den schmalen Scharnieren der Säulen sondern auch die Färbungen der Ecken und die Dunkelheiten der Verließe und die schmerzlichen Lücken des Fehlenden mir den Ruhm ihrer Zeit erst völlig entgegenbrachten. Fesseln wir den Augenblick! Durchbohren wir ihn, weil er erst dann unsterblich ist. Alles andere geht, wie Deutschland geht. Es lebe die Republik!

Wir gehen in die erste Nacht, Mijnheer, als ob wir in die Verbannung gingen und Deutschland so fern hinter den Schneewehen sei, als habe das Exil sich wahrlich zwischen uns und die Heimat gelegt. Der Sturm, der an den Schwarzwaldbergen hängt, hat die Gegenwart wie die eines Sternes entfernt, man sieht durch den Kerzenschein nur Kämpfe und Gesinnungen wie bei Homers großer Schlacht. Man sieht nur die Dichte der Leistung und den Adel des Wettspiels und erschrickt nicht, wenn man beim Reden das Herzblut der Zeit auf den Lippen spürt und stirbt nicht daran wie jene Geliebte und Liebende von Coucy, die wie am Blitz starb, als sie das Kreuzzugherz ihres Freundes durch Irrtum verspeiste. Hinter dieser Betrachtung formieren sich dann schon die Massen. Man kommt nirgens ohne innere Haltung aus: „Après vous, messieurs,“ schrien englische Cavaliere französischen Rittern zu, als diese höflich den Briten den Vorrang der ersten Salve bei einer Schlacht lassen wollten. Diese Devise ist nicht flacher in einer Zeit, wo die Schwengel sich duellieren und die Edelleute sich öffentlich verleumden. Man darf nicht erstaunt sein, beim Untersuchen der Zeit statt einer Armee von Helden ein Lager von Schelmen anzufinden, aber man braucht deshalb seine Unparteilichkeit und seine Manieren nicht zu verlieren. Man kann unbefangen sein und kalt wie ein Fisch im Urteil und doch seine private Sehnsucht vor alles Richtige nachher wie einen Traber vorspannen.

O Deutschland!

In seinen Tälern beginnen die zaghaften Anfänge des Frühlings schon in den ersten Sommer einzukreisen und aus den Gärten bricht schon der Geruch der vielen Blumen. Unsere Träume haben keine Muse, teilzunehmen an so sanften Entzückungen seines Wesens. Im Gewirr seiner Pfade einen Weg suchen und die Beete zu unterscheiden ist eine Aufgabe, die verflucht ist, auch wenn die Donner eines stürmischen Frühjahrs nicht mit dunklen Gewittern über uns hingen. Unser dreißigstes Jahr ist nicht heiter wie das der Jünglinge des Boccacce und unsere Jugend ist stürmischer wie die des Cinna und Hannibal. Was ist noch zu tun?

Ich habe gehört, daß über mein Ordnen und Schichten und Höhe- und Tiefe-Weisen einige schrien, es sei Diktatur, die versucht werde, aber da es, wie ich näher hinsah, erbärmliche Schatten waren, die schrien, habe ich nicht geantwortet und mein Ehrgeiz war nicht klein genug zum Kampf mit den Gerippen. Die Erfolglosen, die das Nein gegen die Gesunden stets im Munde führen, haben mich nie gereizt und Verneiner sind nichts anderes als frühzeitige Tote.

Man hat in Deutschland wie das züchtigende Ja so auch das Ringen um die klar erkannten Ziele und das Bewußtsein der handwerklichen Leistung ganz verlernt. Man hat sich so zerspalten, daß man nichts mehr weiß von jener weltumspannenden Kameraderie der Handwerke, von der gemeinsamen Wollust europäischer Arbeit, von jener Staffelung in Gut und Schlecht und Volk und Arbeit . . . . und wie in seinem Mittelalter man sich verehrte, nicht weil man berühmt war, sondern weil man etwas konnte, wie man sich gegenseitig unterwarf und lernte und schließlich allesamt bewußt dann kreiste, der Vollendung nahe nachher, um die Achse eines sicheren Weltgefühls. Es gibt heute keine Schüler mehr und keine Belehrer, nur seltsame Meister ohne Boden und ohne Himmel.

Man muß ihnen zeigen, was ist, diesen armen unbelehrbaren Menschen. „Ich werde Euch lehren den Arm, ein Bein, mit Grazie zu biegen,“ sagte Boucher zu seinen ungelenken begabten Schülern. Hokusai, der seit dem fünften Jahre unendlich viel zeichnete, verwarf, was er vor dem siebenzigsten Jahr geschaffen und glaubte, mit Dreiundsiebzig etwas von der Farbe der Dinge zu begreifen. Ronsard empfiehlt in seiner Poetik den Dichtern, zu Schlossern und Goldschmieden zu gehen, um zu lernen die Sprache zu ziselieren. Ingres empfahl, wenn man für hunderttausend Francs Handwerk habe, keine Sekunde zu zögern noch für einen Sou dazuzukaufen. Und Flaubert, der es wissen mußte, wie keiner, schrieb nachts an Madame X. von Croisset nach Paris, er habe auf hunderttausend Arten einen Ausdruck gesucht, behauen, gegraben, gewendet, durchstöbert, gebrüllt, bis er ihn unter Garantie endlich habe und nun, nachts um ein Uhr stehe er mit fieberndem Kopf und brennender Kehle seiner Geliebten zur Verfügung.

Sie wußten alle, daß Talent nichts sei als lächerliche Voraussetzung und daß bei genauer Prüfung schließlich wohl jedermann ein Talent habe, und daß ohne die grauenvollste Arbeit nach einem Ziel, das man sehe, im Sinne aller Meister jedes Geschreib und Gemale nur ein dilettantischer Schmus und ein zweckloser Unfug sei. Sie wußten, man müsse den Menschen zeigen, wie sie arbeiten sollten, wo die Quellen lägen und wohin sie ihre vom Übermaß der Bemühung geröteten Gesichter freudig wenden sollten.

Ein Glockengeläute gibt zuerst, weil der Klöppel eine Seite lediglich berührt, einen hellen dünnen Ton. Erst wenn er die andere Seite unter geschickter Führung dazu noch erreicht, überbaut den ersten Anschlag die dunkle Kraft des zweiten . . . . und so, voneinander nehmend und sich überbietend, baut sich die Stufe der Melodie immer breiter dröhnend in den Himmel.

Man darf nicht zögern, das Seil zu führen, wenn man Musik liebt. Man will das nicht wissen? Man kann es nicht sehen? Um so besser. Ist niemand da, der die Kontrolle führen will . . . . hier ist er. Vergessen Sie die Kerzen nicht, Mijnheer. Der Sturm hat ein Rad über die Gletscher geschlagen. Er vergißt uns nicht.

Die erste Nacht

Die Mäuse huschen unter den Heizungsrohren durch die Zimmer. Erschrecken Sie nicht, wenn die Fallen klappen. Elf Uhr. Die elektrischen Bogenlampen draußen auf den Fahnenmasten für die Verirrten dringen keine zwanzig Meter in diese Nacht.

Das dumpfe Dröhnen sagt, daß der Neufundländer Bary vom Hebelhof diese Nacht nicht im Schnee schlafen kann und morgen nicht seine Geliebte, die Wolfshündin auf Herzogenhorn besuchen wird. Als wir vom Blösling das erstemal in der Lawinenzeit unter den Wächten herkamen und uns die schöne Frau mit dem Monocle und die beiden Badener von der Terrasse des Blockhauses, das unten mitten in der Ebene stand und jede Minute weggewischt ward von Schneewehen, mit Posaunen und Reiterdrommeln begrüßten, wie lachten wir vor Wonne über die Musik, die man wie ein Geschoß uns entgegenknallte . . . . . . aber wie entsetzten wir uns, als über der Grafenmatte mitten im Schußfeld wir Bary zum erstenmal erblickten, der unfehlbar einem schwarzen Bären glich, und wie umfuhren wir ihn mit entsetzten Schwüngen.

Denn der Wechsel von Licht und Schnee war so gespenstisch, daß uns kein Tier der Urzeit erstaunt hätte, wäre es aus diesem von Sonnenkanonaden und Luftspiegelungen durchwehten Tag aus der Landschaft herausgetreten, über die wir wie Götter herabkamen, achtzig Kilometer Stundengeschwindigkeit, auf Hickorys, immer neue schier unabsehbare Terrassen von Hängen hinunter. Nun sitzen wir auf den Fenstern und starren bei Kerzenschein in die Nacht. Kommt uns ein Echo zurück aus dem Brausen?

„Was nun ist deutsch?“, fragt Ihr Auge, Mijnheer, frug es schon oft an meinem. Frug es, als man den jungen Springer vom Hügel gestern brachte, der, als die Chirurgen die scharfen Knochenenden in den Oberschenkel zurückspießten, Ziehharmonika spielte. Es war schneidig, doch ich sah dasselbe bei Blériot. Sie frugen, ohne zu reden, das Gleiche, als hinter Konstanz ein Rotbart ins Coupé schaute und ehe er Platz nahm, schrie: „Sind Juden drin?“ Das war nur untermenschlich. Sie sagten einmal, daß in Ihrer Jugend in Grénoble, als französische Studenten den wahren Mut der Deutschen bezweifelten, ein alemannischer Skulptore vor Ihren Augen am Tisch des Cafés sich die Brust aufschnitt. Das war barbarisch aber nett. Nicht deutsch. Nun fragen Sie ernstlich und wollen eine Antwort, rund und klar und voll Verantwortung. Das ist nicht leicht. Das ist unmöglich.

Was ist italienisch, was spanisch? D’Annunzio oder Michelangelo? Cervantes oder Goya? Ein Teil jeder Nation würde jeden dieser Reflektanten bestreiten. Die Deutschen haben aber sogar in der Gesamtheit den Sinn für das wirklich nationale Grundgefühl verloren und sich falsche Götter aufgebaut. Goethe ist eine völlig romanische Mischung. Und Schiller hat das Pathos, nach dem sie sich vergeblich sehnen, weil sie es nicht wie die Romanen im Blut besitzen. Die Weimarer Tradition hat mit keiner deutschen Vergangenheit irgend etwas zu tun. Diese Klassik ist der stehengebliebene Wunsch der deutschen Germanen nach der südlichen Erlösung, der sie früher mit Schwerten und Kreuzzügen dienten. Rodin, der bestimmt Germanisches in seinem Wurf besaß, hielt die griechische Kunst nicht für mehr als gute Geometrie. Ein wahrhaft innerlich deutscher klassischer Stil würde nie bei dem von Pelasgern bewohnten Griechenland anfangen, die uns bei allem Neid auf ihre Vollendetheit so wesensfremd sind wie Chinesen und uns nur durch die Renaissance als Blutsbrüder vorgetäuscht wurden. Sondern er würde sich in jener Herbe erfüllen, die von den Domportalen her, von Mäleskirchner und Cranach, den Sängern des Nibelungenliedes, von Ekkhart, von Fischart, von Grünewald ausgeht und aus einer barocken Fontäne in einen stillgewordenen Himmel hinein sich formt.

Eher ist der Bamberger Platz bei all seinem Chaos deutsch, der immerhin einen Riesenwurf darstellt von dem romanischen Geist des Doms an über die Paläste der Renaissance und des Barock bis zur Schlußgestaltung des monumentalen Raums, als daß Deutsch sich offenbare in jener nichts-als-harmonischen Geste, auch wenn sie die größte Begabung, die je den Deutschen ward, zelebriert.

Dazu braucht es anderes Klima und anders vor Wonne des reinen Seins geschüttelte Himmel. Das Deutsche hat immer als Reiz, selbst in seiner landschaftlichen Atmosphäre den unbestimmbaren Hintergrund getragen, und war immer fern der farbigen Plastik, mit der die Südländer ihre Gebärden schließen. Constant, der gescheiteste Franzose, der gleichzeitig Deutschland, in dem er Jahre lang hörig hinter der Staël herreiste, heiß liebte, hat Goethes zentrale Schwäche rasch durchschaut. Denn er spürte unfehlbar, wo das schönste Genie der Deutschen abbog von seiner Bestimmung, die Menschen in Liebe zueinanderzuführen, indem es keine Stellung nahm zu ihren kriegerischen Konflikten, und statt in den geistigen Kampf zu jagen, einbog in die Verherrlichung einer Klarheit, die bei Deutschen nie Inhalt sondern nur Fassade sein konnte. Constant hielt den „Faust“ daher für eine Verhöhnung des Menschengeschlechtes und stellte Voltaires „Candide“ darüber, den er zwar gleich unmoralisch und dürftig aber geistreicher und besser gemacht fand. Teutonische Ajaxe werden dies Urteil unerhört finden, weil sie die Welt nur zwischen Elbe und Rhein und mit viel Vorurteilen gemalt sehen. Es ist jedoch nur gerecht. Denn andere Völker sehen mit Puppille, wie ihre Leidenschaft am idealsten sich in der entsprechendsten Form löst.

Die Deutschen haben aber keinen Sinn mehr für ihre Eigenart, verehren Götter, die keine sind und Heroen, die sich als Puppen aus falschen Sentiments entschleiern. Deutsch ist daher fast nie, was die heutigen Deutschen lieben, deren Andachtsheißhunger vor allem Anders-Seienden sie in Ideale hineinreißt, die andere, nur nicht sie selbst besitzen. Sie lieben entweder das Sentimentale, das klassisch aussieht, im Grunde aber Lüge ist. Oder sie verehren das unvollkommen Dunkle, das nicht das groß Barocke, sondern die eitle Ohnmacht von Narren ist, die ihre Schwäche damit verbergen. Stellen sie aber einmal ein Denkmal von Qualität auf ihre Landschaft, in der die verlogenen Feldmarschallbilder des Tuaillon mit erbärmlicher Glätte neben dem Kölner Dom stehen, so stellen sie Figuren Meuniers auf die Frankfurter Mainbrücke, die zwar Kunst sind, aber den nationalen Ausdruck wallonischer Fischer und nicht deutscher Seeleute ausdrücken.

Deutsch ist nicht das unvollkommen gestaltete Klare, sondern das im Dunkel ringend Gebaute. Deutsch ist nicht der magyarische Melancholiker Lenau aber etwas an Grabbe. Deutsch ist nicht Herr von Münchhausen, der einfach einen Panzer umtat und blödsinnig mit kriegerischem Gebrüll das Maul aufriß, wie er es für adlig hielt, aber sicher etwas von Richard Dehmel. Deutsch ist nicht etwa jener mit Kothurn auftretende Gott der Langeweile, der mit Paul Ernsts gesammelten Schriften am Arm erscheint, aber sicher etwas von der Malerei des Max Beckmann. Deutsch ist nicht das dumme hohle Zeug, das mit klassischem Jambus Herr von Wildenbruch in anständigster Gesinnung verbrach, aber sicher etwas in den tollen Phantasien des Architekten Poelzig, dem Deutschland keine Bauaufträge gibt. Deutsch ist vor allem nicht Gerhart Hauptmann, aber sicher etwas in Wedekind.

Was hat gerade diese sehr starke Begabung des Naturalismus, dieser Schlesier Hauptmann Unrechtes getan, daß ihn die jüdischen Literaten aus Respekt vor seiner arischen Rasse als Repräsentanten deutschen Wesens der Welt mit begeistertem Finger zeigen? Er ist der blendendste Beweis für den Irrtum, alles Halbe und Sentimentale, alles Greise und Weibisch-menschliche sei Deutsch, wenn es nur von Mondschein und einer gewissen hellen Hilflosigkeit übergossen sei . . ., während der blitzende Genius Wedekind, der sich ohne weiteres in die Kette der barocken Meister einordnet und der aus dunkelster Wirrung ein metallisches Werk hingab, von allen Hunden und Untermenschen Deutschlands noch heute zerfetzt wird. Was hat die badische Exzellenz, der Wirkliche Geheime Rat Dr. Hans Thoma Unrechtes getan, daß er, der den Schwarzwald wahrlich mit einer Fülle des Gefühls wie wenige malte, aber ungeheuerliche Dinge an Heiligen und Madonnen nebenher, daß an ihm bewiesen ward, Mondschein und Geige und jene penetrante Innigkeit der falschen Sentimentalitäten sei alleinig deutsch. Ach die Deutschen haben, als ihre Gesellschaft sich scheinbar in kleinbürgerlichen Behausungen konsolidierte, sich Markenschilder und Klischees ihres Wesens so anfertigen lassen, wie es ihren wirtschaftlichen Sehnsüchten am geeignetsten schien und sie sind vom Heroischen mit kalkiger Angst zum Sentimentalen gelaufen und haben der Antike, die sich ihnen in den Klassikern offenbarte, einige Denkmale der Huldigung unter der Adresse des deutschen Genius gesetzt.

Man schuf eine Waffenbrüderschaft für alles Dilettierende und Epigonenhafte, das sich „naiv“ gebärdete und erschlug die fabelhaften Wölfe der Sprache, wo sie in die Wälder kamen. Man verdarb mit falschem Zucker den Geschmack und hetzte die Mittelmäßigen auf das Ungewöhnliche. Man begann alles Unzureichende, soweit es auf Klarheit oder Erlösung sich färbte, als deutsch zu flaggen und alles Dramatische und Glühende zu hassen. Man liebt den Jungnickel mit den Papierblumen in der Hand, aber man will nicht den jungen elsässischen Dionysos Schickele. So war man für Freytag und gegen Nietzsche. Man schwärmte für Paul Heyse aber ließ den Günther krepieren. Man liebt die koiffierten Sänger des Rheins von dem Scheffel bis zu den Lauff und Bloem und Herzog, aber man ist gegen Heinse, gegen den Büchner, gegen den Eisenkonstrukteur Georg Kaiser und man nimmt Romantik (wo es ins Übersinnliche schon geht), nur durch die Verlegenheitsform der Musik.

Die Deutschen halten es mit der Dichtung wie die Weiber mit den Männern, die, wie Jean Paul meint, stets mehr den Bürger als den Menschen achten. Sie haben sich deutschem Wesen ganz entfremdet, haben sich von den Stilen entfernt, die ihr vielspältiges unruhvolles Wesen am deutlichsten geben, haben sich gegen die großen Formen erklärt, in denen germanischer Wuchs heroengleich in den Horizont sich trotzte und haben aus angestrichenen Fellgermanen mit Lippenrouge und Trikotbäuchen sich eine germanische Vergangenheit im Stile Richard Wagners, und aus unbestimmbaren qualvoll süßlichen Stimmungen klassischer Schlichte eine Gegenwart gezimmert für den Begriff des Deutschen, der niemals, der eine wie der andere, auch mit einer Ahnung nur am Leib der deutschen Dichtung war.

Es ist leichter zu sagen, was nicht deutsch ist, als das, was es ausmacht. Die Deutschen halten sich für schlicht und sind immer Verzweifelte gewesen. Sie haben keine Kultur, aber einzelne Herrlichkeiten. Ihre Haltung ist jener der Skandinaven unterlegen, ihre Grazie jener der Österreicher, ihre Motorräder, Tennisschläger, Kleider jenen der Engländer, ihr Weltdrang selbst dem der dickblütigen holländischen Germanen, ihre Parfüms den Franzosen, ihre Tänzerinnen den Russen, ihre Boxer den Niggern. Auf ihren Theatern pissen die Akteure, wie Heine sagt, mit den Herzen, während die Briten mit den outrierten Bewegungen der Shakespearezeit, die der Franzosen mit dem durch Ironie durchsüßten Pathos des Racine spielen. Ihre Maler malen den Kosmos, aber nicht nationale Farben und nicht ein gelungenes Weltbild ihrer Rasse. Der Kunsthändler Flechtheim hatte nicht unrecht, als er, der völlig französisch orientiert war, durch eine Ausstellung wildester moderner Kunst der Deutschen gehend, ausrief: „Herrlichkeiten, meine Herren, zwar keine Malerei und ich ahne es nicht, was es sein soll, aber ich glaube, daß es vorzüglich ist!“ . . . denn er zollte unbewußt neben dem Spott dem dunklen Trieb der echten Deutschen, sich mit Figur und toll aus dem Dunkel hochzuwühlen, den Tribut.

Da erscheint die Erinnerung jener Fanatiker wieder, die von den Dombauern bis zu Jean Paul sich zu jenem Barock im Ausdruck durchzuschlagen wußten, das auch die Strenge der Gotik und die Süße des Mittelalters umschließt. Damit seien aber im selben Atem die Überläufer gestäupt, die aus dem Unvermögen, sich auszudrücken, in jenes gescheite problematische Dunkel des Geschwätzes sich hüllen, das ein deutsches Publikum genau so begeistert und unverstehend aufnimmt, wie es erregt die Hände faltet, wenn Herr Bonsels sich auf Seele und Idylle frisiert. Im Grunde sind das die gleichen Täuschungen, nur daß die verquollene Geste die raffiniertere und spekulativere ist, ihrer beider Verfasser aber Charlatane, die von den jüdischen Literaten wenigstens die Psychologie gelernt haben, die diese in die deutsche Dichtung importierten: ihr Publikum genau zu kennen und zu bewerten.

Es gelang ihnen auf der ganzen Linie. Denn da es tragisches Schicksal deutscher Dichtung ist, unvollendet und fast an der Spitze der Vollendung abzubrechen und Torso zu bleiben, vollbrachten sie das Fälscherstück, den Torso überhaupt als das typisch Deutsche auszuschreien. Diese Komiker, die als Hamlete auftraten, vergaßen, daß es dem Unbestechlichen immer noch leicht ist, unverständliches und aufgeblasen gemurmeltes Zeug zu unterscheiden von einem metallen geglühten Stück Kunst, das nur an der Kulturlosigkeit der Zeit zerbricht.

Ja selbst, wie das gemeinhin leicht, aus dem Wesen der Frau die Statur des Volkes farbenklar zu erkennen, ist uns versagt. Die germanische Rasse ist bei den Britinnen viel klarer in der Zeichnung, anmutiger bei den Wienern, von geistreichster Grazie bei den schönen Frauen der Skandinaven Schwedens gezüchtet. Dennoch traf ich in der Heimat unvergleichbar lichte Frauen, zusammengesetzt jedoch aus Unbegreiflichem, mit vernichtenden Widersprüchen selbst in ihrer Anmut, unbestimmbar in ihrer Rasse und ihrem Wesen schon eine Stunde nach ihrer Entfernung.

Aber aus Erinnerung an sie formte sich plötzlich nachträglich die Idee: das war die Deutsche. Doch es war ein Hauch nur, unerklärlich. Aus einer Handlung der Gegangenen kam plötzlich ein Echo: das war sie. Schon entflohen, schon nicht mehr gestaltbar. Fast ein Traum und doch eine Gegenwart. Ein Abglanz vielleicht, der bleibt und den man nicht sieht. Aber man weiß dennoch, auch wenn man es nicht bestimmt, wenn man es nicht enträtselt: das gibt es. Das ist schon viel!

In Lyon traf ich in einer gebildeten Gesellschaft einen Kaufmann, der dachte, preußisch und deutsch sei zweierlei. Er hatte Recht wider Wissen. Preußisch ist leichter zu fangen als deutsch, es ist auch an Tiefe nicht so dunkelschön. Immerhin, es besteht, wenn auch nur als Erbteil von Potsdam. Mein Vermögen, meine geliebtesten Dinge gäbe ich, wenn ich auf Monate in fernes Ausland müßte, eher dem preußischen Granden, dem älteren General der aussterbenden Generation als einem der in Gesinnung der Menschenliebe bramarbasierenden Internationalen, so nah diese Ansicht mir steht. Ich bin für die Tradition und ich weiß, daß diese Ehre früher über den Tod hinaus unverbrüchlich als Weltbild der Samuraikaste der Preußen eingebrannt war, während ich nicht ahne, ob hinter dem Gesicht der Bruderliebe dieses oder jenes mehr steckt, als daß damit alles zu gewinnen und nichts zu verlieren ist. Das Ehrgefühl des preußischen Offiziers hatte früher Weltgeltung wie eine gewisse Treue der Germanen und darum ist Lessings „Minna von Barnhelm“ das beste deutschgeschriebene Lustspiel, weil wahrhaftiges auf beiden Beinen aufgepflanztes Weltgefühl hier tragisch gegen alle Seiten der Windrose rennt . . . so langweilig und trocken das Stück auch sein mag, und so sehr die Franzosen sich unter ihm krümmen, denen seine Klarheit und Gescheitheit überhaupt erst die Voraussetzung zu Dichtung scheint, während sie hier das Ende und Ziel schon ist. Man darf sich nichts vormachen. Wir sind, ohne Boden unter uns, um Jahrhunderte gehandikapt.

Es gab keinen Olymp bei den Deutschen, wo der Chor des Volkes und der Götter sich mit den Musen band, um im Zug vereint immer wachsend in einem unbeschreiblichen Hymnus die Kraft eines ganzen Zeitalters, die Götter und Heroen an der Spitze, zu gestalten. Einmal nur spielten in der Feinheit des Glücks die Dinge und die Menschen in organischer (nicht goethescher) Harmonie aus dem Bodenschoß des Landes her kurz ineinander, als in geheimnisvoll durchbluteter Fülle die Kraft seines Geistes so ungeheuer glänzte, daß die gotischen Götter von den Kirchen niederschritten, daß fromm und tapfer das gleiche Wort schien, daß in Schöpfungsmut die Vögel diesen kurzen Sommer mit den steinernen Heiligen um die Wette musizierten und die Engel Zeitgenossen der Erde geworden zu sein schienen.

Damals war das Helle und das Dunkle geeint, und die barocke Kraft hatte eine Flut von Licht in die Dunkelheit deutschen Wesens gesprengt, daß das Jahrhundert schwebte, wie von seidiger Luft gebildet aber wie von Stahl in der Rundung genietet. Die Wage war aufgestellt zwischen der Kraft und der Seligkeit, und wie auch das Ringende tobte, gesellte sich zu endgültiger Form ihm die Idylle. Die Strophen des Vogelweiders hatten jenes unersetzliche Gleiten aus den mythischen Schatten in die kristallene Lichte. Und wo sie geschliffen wie Glas in Bögen sprangen, war hinter ihnen noch das Blau der Schatten sichtbar, aus denen heraus sie sich rangen. Und über dem Rhein stand ihren hellsten Lichtern das dumpfe Schwälen Wolframs gegenüber, den aus dem Leichten es in wundervollem Abwägen schicksalshaft stets ins Dunkle zurückzwang.

Eine Kreatur blieb dann zurück, durch die Jahrhunderte der Zersplitterung hindurchgerissen, deutsch genannt, nicht mehr bestimmbar mit Kreis und Logik, mehr kühn wie gelassen, mehr zerbrechend als weise, schon etwas lorbeergeschmückter Barbar aber nie ganz Christ, doch stets voll Leidenschaft nach Erkenntnis in seinen besseren Exemplaren. Das gab Temperatur, aber noch nicht Guß und Statur. Das ward wohl aufgebrochener Acker, aber nicht Ernte. Es gab durch die Jahrhunderte hindurch keine Kette von jungen Helden, aber Kreise, die ohne Zusammenhang, aber wie die Jahrringe der Bäume umeinander gegürtet, die ewigen Quellen umringten. Und in der Isoliertheit voneinander gab es mehr mörderisch Verzweifelte als Jauchzende und es gab die kleine Menge derer, die zwischen den Pfäffischen und Geschickten, zwischen den Satrapen und Gauklern der Dichtung mit Genie das wirre Schicksal in Figur zu bringen suchten, in dem unsere beste Hoffnung liegt.

Sich ins Groß Barocke hinein zu äußern ist sowohl Schicksal als auch der gemäße Stil für das Deutsche. Die Chauvins, die ihm die aufgemalte italienisierende Statuenpose zuerteilen wollen, möchten am liebsten, es gebe nur Eichendorff, wobei sie beschränkt und heuchlerisch, wie alle falschen Radikalen, den Stoff mit der Melodie verwechseln und das für deutsch halten, was nur Anlaß zur Kunst ist. Denn Eichendorff ist eine jener graziösesten Verzierungen in der Architektur der deutschen Dichtung, deren oberste Ornamente (die über den dunklen Fittigen der Kreuzschiffe sich erheben) manchmal vor liedhafter Reinheit beben, als seien sie nicht mehr dem Bau zugehörig, sondern lägen wie die Falter frei in der Luft.

Es blieben immer nämlich einige Reiter und Figuren an den Firsten der Kathedrale deutscher Dichtung durch jede Epoche hindurch übrig und genau erblickbar, in deren Bewegtheit und linder Anmut man alle Helden des goldenen Zeitalters wieder erkannte, dessen schönster Ritter der von der Vogelweide war. Über den Eschenbacher Vaganten, über Günther und Hölty und Klopstock und Malermüller und Eichendorff geht es bis zu Heine. Zwischen den wilden Streitrufen des Thomas Murner und der Weltflucht des Silesius haben sie den Ton und das Vollendete weiter getragen und sich begnügt, etwas zu sein, was zwischen Schriftstellern und Dichtern die Deutschen allein als „Poeten“ besitzen, und was nicht das Deutsche, aber eine Spielart des Deutschen ist und im Ausgleich der beiden Wagen, die die Melodie bestimmen, die höchste und hellste Stimme ist, die der dunkelsten und schwersten Grundmelodie entspricht.

Sie haben etwas von Beschaulichkeit, manchmal von Weisheit an sich. Mit unmöglichen Vorstellungen von den Dingen dieser Welt beladen, sind sie jederzeit bereit beim Anblick des Meeres, des Frühlings und der Wiesen die Zahlenstaffel ihres Jahrhunderts zu vergessen. Aber sie sind in ihren sinnierenden und klaren Klängen niemals jenen Rotten verschrieben, die als Elegiker ihrer mißlungenen Karriere Hunger und Abstinenz als die Privilege der Dichter rühmen oder als Erfolglose neidig die Nutzlosigkeit des Ruhmes verkünden oder als klassizistische Epigonen, die zufällig in einer romantische Periode geboren wurden, Agitatoren ihrer Impotenz werden, welche sie dann von kleinen Schreibern und Eunuchen der Kritik als diskrete Erfüllung deutscher Mission in allen Blättchen loben lassen.

Sie haben nur die eine Absicht: zu musizieren. Ohne das stürben sie. Ihre schönste Stimme hat der Dauthendey. Er war so empfindsam, daß er in Tränen ausbrach, wenn ihn etwas störte. Er starb mit Fünfzig wie ein Kreuzfahrer auf Java (während in Deutschland alles verhungerte) bei guter Nahrung inmitten phantastischer Natur, vor Heimweh. Vielleicht, daß die Seele eines Schülers des Vogelweiders in ihn geflogen war, und daß Herr Ulrich von Singenberg oder der Brennenberger Reinmar aus ihm sang wie die verzauberten Vögel seiner Geschichten.

Nach soviel mißlungenen Skulpturen endlich ein Maler der Sprache, endlich einer, der so tief aus dem Dämmrigen kam, daß er das Schaumhelle spielmannshaft beherrschte. Er war so schön und so wichtig für seine Zeit, daß die Deutschen ihn auf der Stelle vergaßen.

Seit „Ardinghello“ aber hatte kein Deutscher diese helle Farbigkeit. Bei den Romantikern verschwamm zwar eine gewisse Leuchtkraft in ewig schönen Nebeln, Jean Paul hat Farbe gewiß zu riesigen Wolken jahrhundertgroß aufgewühlt. Die hellen glatten Farben hat seit Heinse keiner mehr so gehabt. Schon seine Valeurs bringen ihn nah ans Märchenhafte: Weiß, Perlmutter, Silber, Gold, Elfenbein. Er kam aus dem Kreis des lyrischen Dandy George, dessen Zucht sein Formgefühl anzog und wollte zu den glühenden Südseefarben des Malers Gauguin. Dazwischen lag der deutsche Naturalismus. Er hat von ihm seine Saloppheiten und das Banale einiger unkünstlerischer Wendungen. Er stellte ihm aber eine Prosa entgegen, die voll duftigem Atem, voll dichterischer Anmut und voll buntem Pathos war.

Endlich malträtierte Einer deutsche Erzählersprache nicht zu Ackerdienst, sondern ritt sie in die hohe Schule. Nun fing auch die Luft zwischen den Sätzen wieder einmal an zu leben, zu zittern und zu glänzen. Die Taumorgen und die Rosen und der Frühling bekamen das Geheimnis beispielloser Neuheit. Was war das Grau der Schilderer seiner Zeit, was war die Prosa der Wildenbruch und Schlaf und Beyerlein gegen diesen Glänzer!

Er kennt endlich wieder die Musik der Farben, er setzt sie mit den leichtesten Kühnheiten und bekommt immer Grazie und Melodie. Seine Farben, die ungebrochen von Weiß zu Gold gehen, wären ohne dieses Musikalische die kühlen Schilder irgendeiner nachempfundenen Klassik. Die schwälenden Farben von Purpur bis Mond-Orange haben schon die Romantiker aller Länder ins Übersinnliche geführt. Bei Dauthendey jedoch wandelt sich Weiß sofort zu Perlmutter, zu Lotos, zu Rose, zu Elfenbein, zu tausend Spiegelungen, die so leicht zueinander gesetzt sind, daß aus ihrer Helligkeit und ihrer Klarheit auch in der träumerischsten Luft nichts anderes als das Märchen sich entwickeln kann, das den Vorzug hat, ebenso deutlich wie unwirklich zu sein.

Das hat seit den „Serapionsbrüdern“ auch keiner vermocht. Deren Dichter hatte den Märchenton allerdings durch den romantisch besinnlichen Stoff und die Form des Erzählens und eine gewisse gedämpfte Dämonie zu beschwören vermocht. Der Dauthendey hat ihn schon von vornherein in der Atmosphäre, in die er lediglich hineinfabuliert. Seine Sprache ist nämlich derart ausdrucksvoll durch die mit allen träumerischen Schattierungen, aber auch durch alle Sinnlichkeiten phantastisch gefüllte Leuchtkraft, daß seine Figuren und Handlungen immer ohne Bemühung ins musikalisch Unwirkliche schweben, wo die Gesetze des Denkens aufhören, aber in einer liebenswürdigen Freiheit die Begebenheiten sinnbildhafte klare Schönheit annehmen.

Das Geheimnis des Märchenhaften liegt in der Tat nicht im Stoff, sondern im Ton. Der E. T. A. Hoffmann hatte ihn nach der dramatischen Wirkung hin, der Dauthendey nach der lyrischen. Aber es kommt nur auf den Ton an. Es kommt nicht auf die Naivität an und sicher nicht auf die Einfalt nationalen Gemüts, wie Annexionisten dieses Literaturgebietes so gerne träumen, und zwischen Vollmond und der Ausgabe von Grimm, zwischen Hans Thoma und Rotkäppchen die Erde als deutsches Terrain buchen. Die besten deutschen Märchen sind aus Asien gekommen, und ihr Ton ist wie der aller großen Literatur international. Zwischen Negern und Eskimos gibt es nur Unterschiede da in den Färbungen, nicht im Klang, wenn die Bäume einmal anfangen zu reden und der Mensch durch Zaubereien mit den Elementen kokettiert.

Von außenheran ist an das Märchenmotiv nicht zu kommen. Wer das denkbar Einfache, das in Wirklichkeit das unausdenkbar Raffinierte ist, versuchte, scheitert wie Oskar Wilde, der die Naturlaute mit Spitzenhosen und manikürten Rosanägeln maskierte. Neben Dauthendeys Neuheit ist selbst der Däne Jakobsen nur ein nervöser Empfindling, der doch dem Märchenhaften sehr nahe kam und selbst gegen Andersen, der, wirklich berufenen Tons, die alten Fabeln in seiner kindhaften Sprache ohne Eitelkeit noch einmal erzählte, hat Dauthendey eine unwahrscheinlich schöpferische Modernität.

Man war aber, als Dauthendey antrat, an das landläufige Klischee so sehr gewöhnt, daß man groteskerweise den Ton hinter dem neuartigen Äußern nicht erkannte. Welche Revolte, als „Der brennende Kalender“ und „Die in sich versunkenen Lieder im Laub“ erschienen! Als der Mann, der die Tradition der Märchenerzähler deutscher Erde weiter trug ins Neue, auftrat, warf man ihm wie einem exotischen Teufel alle Bannflüche entgegen, mit denen man den heiligen Herd schützt.

Dauthendey hatte aber alles gute Deutsche als Erbschaft in sich und nicht zum Geringsten die Sehnsucht nach der Welt, die er durchwandert. Er hat in seiner Heimatstadt Würzburg nicht nur die Helligkeit der Sonne auf dem Main, sondern auch die Inbrunst der Linien des Holzbildhauers Riemenschneider gesehen, er hat die tanzende Freudigkeit der Weingärten und das Katholische einer flötenhaften Gotik erfahren, und er hat das Spielmannhafte der Franken ebenso verschwenderisch wie ihre gut fundierte Eleganz. So kommt das Mystische zu dem Sinnlichen und die Heiterkeit des Lichtes zur Grazilität der Form, aber auch die Einfalt des künstlerischen Blickes zu einer fast unbegrenzten Möglichkeit der Farben. Und da er den Ton hat, der dies alles erst instrumentiert, ergibt sich, nicht ganz erlesen oft und im einzelnen sicher nicht vollendet, als Erscheinung aber erstaunlich, eine Prosa von nicht genügend erkannter Bedeutsamkeit.

Auch vermochte er, was bloß die besten deutschen Epiker des Mittelalters konnten, die ganze Welt zu sehen und in seinem Ton zu fangen, ihr nicht nachzulaufen in allen ihren Wundern, sondern sie, fast offenen Mundes, zu bestaunen, daß vor soviel Hingabe sie sich dem Stauner ergab. Dauthendey hat mit heidnischster Freude, animalisch und dichterisch zugleich, das Exotischste aus Asien und seinen Reisen gezogen, aber seine Musik, die mit der Schönheit und der Eleganz eines ritterlichen Spielmannes gelenkt wird, erzählt es nicht anders wie eine Aventure aus Herrn Walthers Lusamgarten in Würzburg. Die deutschen Dichterreisenden hingegen haben sich nur hingegeben, wenn sie die Welt durchfuhren, und nichts dagegen eingetauscht: es war nicht der deutsche Ton, aber wahrlich nicht die Stimme der fremden Völker; der Schwabe Hesse nicht und nicht der Rheinländer Ewers, der Breslauer Ludwig nicht und nicht der Holsteiner Bonsels, der Luxemburger Norbert Jacques nicht und nicht der Frankfurter Schmitz und nicht der Schlesier Hauptmann. Der Franke Dauthendey hat es gekonnt.

Dabei hat er nie Märchen geschrieben, indem er die bekannten Puppen tanzen läßt. Er konnte auch dies und hat von Java her noch in den „Heiligen Nächten“ das Innigste dieser Art seit vielen Jahrzehnten den Deutschen geschrieben. Er hat die kleinen malaiischen Kokotten und die Chinesen und die Wunder des „Bivasee“ und die sinnlichste Ausschweifung der genußfrohen Phantasie geschrieben. Er ist einer der unbekümmertesten Erotiker unserer Sprache, da seine Voraussetzungen so natürlich sind, daß selbst die nacktesten Frivolitäten sein Liebreiz kostbar macht. Aber er hat nie hinter fremden Stoffen herexerziert, sondern aus dem heißesten Morgenland seinen zeitlosen Zauber gemacht, zum Lotos den Tannenbaum, zum Stillen Ozean den Main gefügt und nichts besonderes dabei empfunden, da es harmonisch war. Es gibt nur in diesem Sinn einen Vergleichspunkt in der Gegenwart, das ist René Schickele, der, vom Elsaß kommend, aus Rhein und Ganges den gleichen Ton zu machen versteht, weil auch er als Nachkomme Gottfried von Straßburgs die Melodie hat und die Farbe, die alles in sich einbezieht.

Welch ein Musikant, welch ein Farbenkenner, der Dauthendey! Welch blitzende Haut auf all seinen Sachen und dabei in der Kontur (wie bei Schickele) diese weiße, helle Reinheit. Er, der sich nach Schwanken zwischen Malerei und Dichtung für die Literatur entschied und dessen „Singsangbuch“ noch die selbstgemachte Silhouette seines Kopfes schmückt, der von Würzburg aus die Welt immer wieder durchmaß und kein Schillern der Luft, den Geruch keiner indischen Frau und den Abenddampf keines Tierzwingers zu schildern vergaß, der den Mond liebte und um die Spiegelung aller Meere ebenso wußte wie um die Flamme jeder Leidenschaft, dieser Dauthendey hat — seltsamerweise — nichts groß und nichts vollendet gemacht. Auch ist Unterschiedliches im Verlauf selbst seiner besten kleinen Geschichten, die deshalb klein sind, weil sie nur Anlaß sind, zu fabulieren, nicht etwa, weil sie bescheiden an Umfang sind.

Zwischen Naturalisten und artistisch gesalbten Versmachern brachte er deutscher Prosa Licht und schwebende Farbe, Duft, Eleganz und Arom. Endlich war ein Erzähler leicht und dichterisch, glatt und voll Welt. Wie umschmeichelt er die Sätze, wie körperlich hautnah reibt er sich an den Hauptworten, wie poliert er die Adjektive und wie prall und voll Farbe setzt er das Verbum an! Zwischendurch erlahmt er zeitweise im Geschmus. Mitten in verzauberten Worten und bei höchster Eleganz trägt er den Vollbart seiner Epoche. Er ist trotzdem der schönste farbige Deutsche seiner Zeit. Allerdings hat er von den Ahnen, die er fortsetzt, wohl den Ton, aber, um gerecht abzugrenzen, nicht das Format. Gegen die ungeheuerliche Schönheit des Mittelalters hat er nur den Sinn einer lichten Erinnerung. Er ist vollendet, aber wie ein Schmetterling, nicht wie ein Gott. Er hat wohl den Schmelz, aber nicht die Heftigkeit der Couleurs. Er hat Bedeutendes, aber nicht den Zusammenhang mit der tiefen Tragik. Er ist Aquarellist, aber nicht ein flammender Entfacher. Er ist in seiner Mission vollendet, wenn auch nicht als groß geratene Figur über der Dichtung seiner Zeit, sondern als sanfter Chimärenreiter der Erinnerung, der, fast schon in Luft sich lösend, ins Spielerische seiner Art vom Dach der Kathedrale unserer Dichtung hineinsprengt.

Hinter ihm her tummelt eine kleine Eskorte, die, wenn sie auch im Einzelnen nicht großer Dichtung zugehört, die Liebe zum Schönen doch voll besitzt und auch im kleinsten Werk bewußt ist, daß ihr Ehrenwort Trouvere nichts anderes bedeutete, als den Könner der Phantasie und der Musik des Gedichts. Ins Gigantische begabt war ein Jean Paul aus ihrem Saft geworden. Der beste Bohème der Deutschen, Peter Hille, war aus der Schar. Als die Fabrikhausse um ihn rauchte, die sozialen Fragen alle deutschen Dichter fraßen (sie hatten keinen Zola), die Automobile anfingen mit offenem Auspuffrohr durch die Landschaften zu jagen, sang ein reiner Musikton aus ihm durch die Wälder. Er war ein Hüter des Wortes, er lebte an Lagerfeuern und in Kabaretts und auf dem Boden seines Landes. Aus seinen Briefen noch, die Pfennigaffären, kindische Unwichtigkeiten stammeln, steigt, wie über die ganze Misere seiner Person und seiner Zeit der Perlmuttglanz seiner Prosa. Sein Leben zersprang ohne Ordnung und sein Werk kam nur auf einige Splitter, aber wo er unterging, blieb das Durchleuchtende in dem Grau seiner Epoche, als wüßte man nichts weiter, kaum den Namen, kaum seine Gedichte . . . . nur daß einer der Chimärenreiter hier an deutsches Wesen streifte. Es geht nicht verloren.

Sein südlicher Bruder in der vagierenden Weise, Zeitgenosse wie Hille der Wallot, Bleibtreu, Hart, Henckell, Mackay, Wille, Oswald, Puttkamer, der Kretzer, Hartleben, Hirschfeld, Halbe, Bierbaum, Gumppenberg, M. G. Conrad (wo sind sie außer dem wüsten Panizza und dem tapferen Conradi?) sein südlicher Genosse in der Masse der Übergangsbegabungen, von denen keiner der deutschen Dichtung auch nur Anstoß oder sich selbst die Berechtigung seines Daseins zu beweisen verstände, sein südlicher Bruder ist Altenberg. Es ist fast, als breche hier die Spitze ab der Entwicklung, denn, obwohl er den Ton hat, bohrt er ihn in alles moderne Gekröse hinein, läßt wie zum Scherz durch Sanatorien und Pathologien ihn zwitschern und postuliert seine seltsame Figur zur Sehenswürdigkeit der Großstadt, daß bald der Ruf seines Gehabes, seiner Einfälle und seines Treibens mit Dirnenverehrung und narrenhaften Vermummungen seines Leibes fast mit Unrecht seine dichterische Note übertraf. Ja er versuchte wohl, schlau wie die Naturkinder, den raffinierten Europäer dieses Jahrhunderts durch seine Späße zu zwingen, sein Leben zu zahlen, jedoch, indem er seinen Lebensstil in den Vordergrund bluffte, hielt er seiner Dichtung eine verzweifelte Wacht. A corsaire corsaire et demi. Als Spaßmacher entriß er dem modernen amusischen Menschen sein Geld, dahinter schuf er neben Eduard Keyserling den einzigen Versuch eines Impressionismus in Deutschland, der sich neben Bang und Jakobsen halten könnte und führte eine neue, etwas alberne Drolerie in die deutsche Dichtung. Aus Nervenschwäche und Spielmannston, aus Menschenliebe und Verrücktheit, aus einer zeitlosen Heftigkeit seiner Gesichte und bescheidenen Anmut des Stils machte er seine Komik, die in der inneren Klarheit des Tons über Paul zu den tumben Sängern besserer Epochen führt.

Auch er hielt die Hand in der Luft und in der Luft hing ihm entgegen das geheimnisvolle Schlagwerk, das auch den Verschnittenen und Buckligen erscheint, wenn sie erlesen sind. Die Deutschen sind ein Volk der Zufälle, und selbst an den Unmöglichsten kann die Stunde herantreten, zu der er auserlesen ist. Sie sind mit einer gewissen Haltung irgendwo gestört und auf der anderen Seite voll Glanz. Sie haben, was Bonaparte von Murat sagte, er sei ein Narr aber der beste General der Kavallerie, oftmals scheinbar als eine der sichersten Tugenden ihrer unbestimmbaren nationalen Eigenschaften.

Manchmal hat sich jene deutsche Melodie, da die Erwachsenen sie nicht verstanden, zu den Knaben geflüchtet und dort mit einer Zartheit des Empfindens den Einzug gefeiert, der, wie dem genußsüchtigen Smyndiridus das gefaltete Rosenblatt, jede Berührung mit der Welt die Wollust trübte. Da kommt dann in der Gebärde ästhetischer Zärtlinge, mit primitiven aber samtenen Worten weltunwissende Unschuld des Gefühls wie im Paradies heran. Selbst das Homosexuale hat bei Eckart Peterich einen stillen Adel erreicht und ein idyllisches Entsetzen entsteht, wenn der junge Dichter, dem ein sanftes Weib in der Schlafstube erscheint, zum Lavoir flieht und mit Wasser sich begießt, statt von der Großäugigen sich verführen zu lassen. Denn wie Kurzbold, des nahen Limburger Domes Gründer, haßt er die Weiber wie das Äpfelessen, und aus dem Dunkel seiner Hintergründe taucht die Welt der silbern bestickten Gobelins mit Heiterkeit und Ruhe. Fragen der Kunst scheiden aus, wo nur die Atmosphäre des geteilten Lichtes spricht. Man zerstört nicht den Charme, wenn man nicht aufspießt und, indem man sich des Vergnügens nicht beraubt, rührt man nicht an die Zerbrechlichkeit der Werte.

Etwas viel Künstlicheres ist von derselben Farbe unter dem Schweizerhut des Robert Walser, der schon aus der unliterarischen Heiterkeit dieses Knaben tief in die Literatur springt. Das ist ein Maler, wenn er anhebt, und ein eitler Wissender wenn er aufhört, denn wenn er wie in ein Stereoskop die Welt bunt hineingepappt hat, hat sie den Glanz des Salomon Geßner verloren, dem sie nachgebildet ist, weil statt ihrer eigenen Einfalt die gespreizte Jünglingshaftigkeit ihres Dichters darin sitzt. Das Geckentum Walsers, der nur in ewiger Schlankheit die Welt nicht gläubig erleben, sondern in seine Tirolerjodler hinein blasen will, ist das gleiche wie das des Wilhelm Schäfer, nur daß der Schäfer mit seiner breiten Brust und seinem enormen Können ein böser Raunzer ist, der seine Verkanntheit mit naturburschenhafter Eitelkeit verbrämt.

Der Schäfer hat prachtvolle Sachen über Pestalozzi geschrieben, aber die Dunkelheit seines Blutes genügt nicht, ihn anders als einen Epigonen des Keller gefärbt zu sehen. Auch in den „Kammachern“ Kellers sinniert jedoch derselbe Vogelsang wie in den Jugendträumen Hermann Hesses. Und selbst der ungeschlachte Schlesier Stehr, dieser rührende Zu-Nichts-Kommer, hat manchmal den Wunsch, wie ein Füllen aus seiner Elefantiasis auf die Weide zu springen. Es scheint manchmal, die Deutschen vermöchten, wenn ein Kunstgriff ihnen die Änderung der Natur erlaubte, sofort aus ihren Gegensätzen sich zu lösen und mit Vorzug in der Lage zu sein, auch in der Form der Vögel zu existieren.

Aber auch die Prinzen haben sich an dem Rand der großen Symphonie deutscher Dichtung eingestellt. Aus den Märchen schon hob sich die leichte Grazie der mit seltsamer Jugendwürde verzauberten Edlen und manchmal trägt einer den unsichtbaren Kranz noch durch unser Jahrhundert. Sie sind bestimmt rasch zu sterben. In den Briefen des Zeichners Thylmann, der Bäume und Felsen geliebt und gezeichnet hat, hält einen Augenblick diese geheimnisvolle schlanke Würde. Er kam ebenfalls aus dem Kreis des Dichters George, der die Barbarei beging, so sehr es seiner salbentrunkenen Weltentrücktheit widersprach, durch Vergewaltigung in Taggesängen und Minneliedern das Mittelalter zurückzwingen zu wollen, das er selber nicht besaß. Seinem Schüler Thylmann aber gelang es, auch den märchenhaften Farbton neben die überlegene Würde des unbewußt erlesenen Menschen zu setzen und seiner Prosa eine schicksalshafte Kindlichkeit zu geben, die der schlanken Maße und der Reinheit der Haltung nicht vergaß.

Wurden die Prinzen früher verzaubert, genügte es ihnen, die Welt zu durchstreifen als Bettler oder Hirtenjungen von uns unverständlicher Grazie. Als sei des abgeschossenen Thylmann Seele in die Augen eines anderen getreten, geht sein Geist, nur ein wenig verwildert, durch die Sehnsucht Hans Siemsens. Denn auch dieses Vaganten Stimme hat die gleiche Kurve, in der der Fall von Glück und Traurigkeit und das Sichablösen der Stimmungen von der Landschaft hin und herschwingt und wo jede Frage schon ohne Erwartung ihres Echos angestimmt wird. Denn es ist bestimmt, daß diese Menschen unbegreiflicherweise dem Zustand ihres Glückes am nächsten sind, wenn es ihnen am entferntesten schaukelt. Denn es genügt ihnen, nichts zu haben, nichts zu erreichen, nichts zu wünschen, sondern nur großäugig zu staunen und zu bewundern und höchstens ihrer Besitzlosigkeit eine gewisse Gepflegtheit ihrer Körper wie ein heimliches Erkennungszeichen hinzuzufügen. Wäre sein Ansehen und sein Einfluß nicht zu deutlich, würde man den Meister in der Erziehung zur Schönheit dieser Jünglinge, den Sammler des Maler-Zöllners Rousseau, Wilhelm Uhde, leicht von ihnen weg zu den reinen Ästheten stellen. Es wäre ein Irrtum. Die Breite seines Romans von „Fortunat“ entspricht allerdings nicht seiner Gewalt, und seine Ründe sicher nicht seinem Aufbau, und es ist überhaupt bezweifelbar, ob der ein Künstler ist, der ihn schrieb, und nicht ein Bewahrer ausgezeichneter Traditionen, die, wenn auch überkultiviert und ein wenig blaß in der Farbe, dennoch die leichte Lösung unserer Krämpfe eher begünstigen, als daß sie sie bekämpften. Denn in der Ansicht mehr als im Ausdruck und in der Pflege seiner Idee von der Melodie mehr als in ihrer Ausübung ist hier die schlanke Grazie alter Farben gehütet, und wenn all diese Jünglinge auch Zärtlinge sind und Wollüstige und ihre kleinen Begabungen mehr als Lohn einer gewissen Verweibtheit als tiefer Abgründigkeitsqualen um die Kunst tragen, so nimmt ihnen kein Vorwurf die Anerkennung ihrer Existenz, mit der sie, wohl schmaler und feiner und unmännlicher als andere aber lebend und existierend mit ihren Melodien hinter den Reitern des Mittelalters her ziehen. Manche als Kavaliere wie Uhde in der Berline mit sechs Pferden, manche mit Kindertrompeten und Drachen, die über ihren Händen im Herbstwind steigen, manche auf gezüchteten Pferden oder bukolischen Ziegen oder auf den Rücken ihrer Freunde, in einer fast immer schon in dem Blau verschwimmenden Bewegung, mit dem die Luft sich unter ihre Körper schiebt und sie entführt.

Auch auf den geschnäbelten Wikinger-Schiffen der Dichtung hat sich der Ton gehalten, und als ob seine Galeere sich piratenhaft vom Domfirst höbe, schwingt René Schickele seine fast kämpferisch helle Melodie. Er ist der schönste und bewundernswerteste deutsche Dichter der Gegenwart. Wie Schickele schreibt keiner das Deutsch, daß es Prosa bleibt von aquamariner Dichte und doch Gesang. Sein Buch „Mädchen“ sind die schönsten und reinsten Erzählungen unserer Sprache seit Jahrzehnten. Er hat die Fülle seiner elsässischen Heimat zu der fliegenden Kraft seiner Sätze gezogen, und was die anderen alle an Kunst nicht erreichten, sondern an Anmut nur wiesen, hat er mit einer schmetternden Kühnheit auch an dichterischer Gewalt noch seiner Eleganz hinzugefügt. Hinter ihm wendet mancher sein Gesicht um in die Zeit. Da beginnt schon Gegenwart und manchmal grenzt das Träumen der Jünglinge schon an die Weite der Welt und nimmt den Kopf in die Hand und denkt nach. „Karlos und Nikolas“ ist die Geschichte zweier Jungen von einem gewissen aus Argentinien gekommenen nach ihm zurückgekehrten Rudolf Johannes Schmied, aber die Deutschen sollten dies Buch kennen wie die Franzosen Daudets „Lettres de mon moulin“ oder den „Tartarin“. Hätten sie Sinn für die Bescheidenheit und zugleich Sicherheit gegenüber der Welt, für Phantastisches, das mit Belehrendem sich mischt, für die Eleganz ihrer Schwächen und die Größe der Welt und die Anmut selbst in der Verzeichnung ihrer Typen, in Schulen und Auswärtigen Ämtern würde dieses Buch aufgestapelt. Ach die Deutschen flüchten lieber, weil sie den Glanz ihres tieferen Wesens auf dem Grund der Dinge nicht mehr sehen, zu den Plakaten, reißen sich um antisemitische Schmarren des Herrn Dinter, um erbärmliche Schlachtgeschichten des Bloem, um Borussiaden, die nur das Fatale, nicht das Edle der Preußen zeigen und wenden sich wie von läppischem Unrat von ihrem eignen Herzen. Seltsames Volk, das sich mit den Klappern der Wilden Götzen baut, wo es Götter hat.

Einmal mischte sich die alte zärtliche Melodie sogar mit Handlung und Urteil. Über Schmieds Distanz zur Welt geht Robert Müller zum Angriff. Er ist primitiv und raffiniert. Seine Frische hat eine sportlich gepflegte Gedanklichkeit. Aber sein Naturburschentum ist nervös. Wo er an die Grenze des landschaftlichen Dichters kommt, fängt der in großen Zusammenhängen kombinierende Journalist an. Wo die Gefahren des Reporters liegen, steht seine Tatkraft aufgepflanzt. Denkerisch bringt er im „Barbar“ manche Kühnheit, handelnd einen Pfauenschwanz von Zeit.

Dazwischen geht der Ton des Dauthendey wie auf Wiesen und läuft, bestimmend zwar und wichtig, aber fast unsichtbar zwischen trainierten Muskeln und geschultem Hirn in die europäische Arena, einer Troyka gleich, deren Außenpferde ziehen und deren drittes nur schön ist und die Richtung gibt, sonst nichts.

Ich bin nicht der Chargé d’affaires der Süßlinge. Ich erwarte kein Heil der Zeit von den Troubadouren, und meine Zweifel an der Kraft der Gefälligen sind wie meine Eigenliebe groß. Ich glaube nicht, daß die Homosexualen uns in das Glück führen, wie die heilige Schar der Thebaner, die nur aus sich Liebenden bestand, aber ich weiß, daß ihre Manieren besser sind und ihre Instinkte manches Männliche behielten, was die Robusten vergaßen. Absurd zu denken, daß ich den Knaben die Flöte halte, um deutschen Himmel damit zu ersingen. Selbst Don Quichote mußte sich gegen die Galeerensklaven sofort verteidigen, denen er selbst die Freiheit gab und ich muß die Winkel richtig stellen zur Schau.

Indem ich den Irrtum nehmen wollte, Klassisches oder Naives sei typisch deutsch, verlangte es mich die Verzierungen zu zeigen, die den wahren stillen Ton der Deutschen tragen neben den Falschen, die die Masse hört. Diese Sänger, die die Kette zum Vogelweider irgendwo selbst in der einfältigsten Blässe immerhin binden, sind nicht das Bild des Deutschen, sondern sie sind die leichten Schönheiten des Schaumes, die nur anzeigen in ihrer Anmut, mit welchen gigantischen Donnern das Element darunter liegt. Die schönen Chimärenreiter blasen die rosane Melodie auf den Firsten, um die dunkle Schönheit der Kathedralen unter ihnen und ihr gewaltiges Wachstum um so schöner zu beweisen. Ihre Töne kamen wie Blasen manchmal ins Urbane, sogar bis ins Bewußte. Aber unter ihnen liegt die unentbundene und ach vielleicht nie entbindbare wilde Kraft der deutschen Bestimmung.

Ach was wissen Sie nun, Mijnheer? Sie haben geträumt, gerochen, aber nichts gefaßt. Wie sieht ein Deutscher aus? Sie wissen es nicht. Ein Dicker, ein Bemonocleter, ein Tapferer, ein Schmalhüftiger, ein Zärtling, ein Hanswurst, einer mit Blumen am Hut, ein Amokläufer? Ich weiß es nicht. Ich ahne es kaum. Wenn Sie mich gut verstanden haben, werden Sie ihn dennoch erkennen in der Welt, des bin ich gewiß.

Manchmal, nicht selten, begab sich nämlich das Geheimnisvolle, daß mir war in der Fremde, ich träfe Deutsches unter den Söhnen anderer Nationen. Ich vertraute, ich liebte, ich wurde wieder geliebt, und ich erklomm die Höhe manches Glückes. Aber ich fand dagegen unter den Kindern meines Volkes, am Rhein, am Neckar und den Seen meiner Segelzeiten alle Fehler gehaßter Völker, ich wurde gehaßt und bekämpft und verleumdet. Ich starrte oft, wenn ich die Gaffel am Mast nach den Launen der Böen studierte, in einen namenlos entfremdeten Himmel über Bayern, aber ich fand in der Welt der Fremde oft deutschen Himmel voll Reife und Glück, die ich in Deutschland nie sah. Deutsches zu finden kann heißen vielleicht, in die Welt zu gehen und ist nicht abzumessen und anzugliedern vorerst nach Bau und Hand. Deutsches zu gestalten wird heißen, es aus der Welt und gereift zurückzutragen in die Heimat, aus der wie ein zersprungener Stern sich das Volk der Germanen über die Erde stürzte und Afrika, den Norden, Spanien, Asien und die Slawen mit seinem Blute düngte. Europäische Luft dringt durch die Kerzen herein, die unter dem Bewußtsein des Sturmes allein schon beben.

Sie sind fast abgebrannt. Wir haben lang geredet, selbst die Mäuse schlafen und die Vögel haben sich beruhigt. Die Alpen waren gegen Abend einen Augenblick lang aufgebrochen mit entflammter Idee, ihre Figuren geteilt wie Heroen, dann sank die rote Dämmerung über die Bäume, die unter den Lasten des Schnees schon tropischen Wäldern gleichen. Phantastische Palmen haben sich den großen Fichten gesellt und die Weiden tragen eine gläserne Gespenstigkeit, als kämen sie wie ein Traum von Hawai, wo die Bäume nicht nur die Form der Orchideen, sondern auch die Vielfalt und tolle Kraft der Träume tragen.

Ich liebe die Eifel, die Rhön, die Vogesen, den wilden Karwendel, die Alpspitze, den Schwarzwald, ich liebe alle Gebirge der Heimat, die ich durchwandert, befahren, überflogen seit meiner Kindheit. Aber oft stieß ich an Berge der Fremde, an Meere, die daran mit Größe und funkelnd sich schlossen, an Prärien der Freude, und ich dachte nicht der fremden Namen und der anderen Sprache, sondern dachte: auch hier ist Deutschland.

Und ich empfing die gleiche hinreißende Liebe wie zu einer Eroberung der Schönheit und ich verstand immer wieder den Wandertrieb der Germanen, die so sehr schließlich ihre Heimat überall empfanden, daß sie glaubten: wo auch immer es gut gehe, sei Deutschland gepflanzt. Es gibt keine deutsche Sehnsucht, die nicht in die Welt hineinführte, aber keiner hat verstanden, sie erfüllt aus der Welt zurückzutragen und damit an ihren Menschen zu bauen. Darüber zu trauern, ist chagrin de luxe. Es ist Bestimmung und Tragödie, das ändert kein Gefühl.

Wie sollte der Deutsche aussehen, den ein Wunsch im Innern unbewußt gestaltet? Der Fürst Pückler Muskau hatte etwas von ihm, der zur Melodie der alten Sänger die Bildung eines Seigneurs legen konnte und dem noch die Haltung des Briten und die Gewandtheit des Romanen hinzufügte. Ich vertrieb einmal, in den Gartenpavillon eines englischen Diplomaten tretend, den Besitzer, allein ich sah noch, daß er im Kimono floh, um sich anzuziehen. Neben dem Tisch seines Frühstücks aber lag eine Karte der Welt mit allen Festungen, Flüssen und Schiffahrtslinien und den Küsten und Städten aller Kontinente neben einem diplomatischen Bericht und den Oden des Horaz.

Das war ein Mann, der das Leben, das Geschäft und die Muse mit überlegener Würde anmutig zusammenhielt. In Schumanns Briefen steht er unbewußt einmal im Umfang ähnlich, an Figur noch klarer gezeichnet, wo dieser Musiker träumt von einem Mann, der zu Fuß Moskau, Rom, Marseille, Hamburg und die Welt dazwischen durchwandert habe, gut sich kleide, Thukydides lese, Algebra treibe und musiziere. Das ist die Zukunft, die wir hoffen, aber zuviel schon der Hoffnung. Die Kerzen sind aus. Aber der Sturm hat kein Ende.

Die zweite Nacht

Halten Sie die kleine Mannpistole gegen die Lampe auf den Fahnenmast, visieren Sie genau, so entdecken Sie einen hellen Punkt. Er bewegt sich. Es ist die Diva, die sich dem Schnee aussetzt.

Um acht Uhr öffneten sich die Türen zu dem Glasabschluß und in den Speisesaal kamen die Filmer, die seither, geschminkt in der Arbeitspause unter sich speisten. Man applaudierte ihren Einzug, zwischen den Damen in übermäßiger Toilette kamen die berühmten Allgeier und Schneeberger und Schneider-Sankt Anton und stampften mit den Füßen. Es schien, zwischen den sportliebenden Leuten der Gesellschaft, den Weltdamen des Films und den Schneeschuhheroen werde eine Stimmung sich entfachen von der leisen Heiterkeit des Kamins, aber es wurde nur Katastrophe. Es gab keinen gemeinsamen Ton, die Skiläufer waren zu laut, die Filmweiber ohne Gefühl für die ihnen provinziell scheinenden Damen der Gesellschaft und diese hatten von vornherein den Verdacht der Eingesessenen gegen das fahrende Volk. Die Musik rettete mit einer silbernen Kaskade neben der sie noch überzitternden Stimme einer italienischen Dame den Abend und gab mit dem wechselnden Überglänzen des Flügels und des Alts ihm einen gewissen Abschluß.

Sie hatten wohl alle die beste Absicht und suchten es sich zu bezeugen, aber sie gelangten alle nicht über die Grenze ihres Blutes, dessen vielfache Gehemmtheit Deutschland mehr zum Feldlager von Condottieri als zu einer Nation macht. Wen haßt der Deutsche mehr wie den Deutschen und wen kennt er weniger wie seinen Nachbarn? Wie nobel beweist sich manchmal sein Herz zu den Feinden und welche Voreingenommenheit und welche Ungeheuerlichkeit speit er dem Bruder ins Gesicht. Wenn Sie genau zusehen, werden Sie bemerken, daß die Diva in den roten Radius der Lampe geraten ist, und wenn Sie wollen, werden Sie spüren, mit welcher Bewegung sie in die Skiablage eintritt, denn sie reckt ihre Brust und den Nacken hoch und es ist als folgten geschmeidig die Hüften und die langen Schenkel, genau so, als bemühe sie sich in der liebenden Umklammerung einer Schlange aufzusteigen. Welche Rasse. Diese Filmbanden sind ein glänzender Nachzug jener wandernden Trupps in grünen Wagen, die Theater ins Land brachten, wenn auch das Tempo ihrer Automobile, der Schmuck ihrer Weiber und die Schecks ihrer Arrangeure andere Ansprüche dem Schicksal entgegenstellen als früher jene Lust geschundener Komödianten zu stellen hatte: nicht tiefer geachtet zu werden wie die Zigeuner, dafür aber Kunst machen, lieben und bieten zu dürfen. Die prächtigen Intelligenzbärte und alle Schleimsuppen des Geistes haben sich im Namen der Musen nicht zurückgehalten, „Stellung zu nehmen“ und den Film als unwürdig abzudonnern.

Die armen Schlauen haben ihr Geschütz falsch gerichtet und mit einem Mörser einen Sperling erschossen und triefen vor Zufriedenheit wie alle falschen Nimrods. Niemand hat die Behauptung so formuliert. Film ist keine Kunst. Aber er macht Vergnügen. Daher beschäftige ich mich mit ihm. Er ist die zweitgrößte Industrie des Landes und bewirtet die schärfsten Intelligenzen der Akteure, Regisseure, Techniker, daher interessiert er mich in seinen Möglichkeiten. Ich weiß, daß ein Husten Bassermanns mehr ist als die Film-Zauber des Nils. Aber es verlangt mich gelegentlich auf Seglern das Meer vor Nizza zu schauen, oder den Pullmanzug durch die Prärien rattern zu sehen und angewidert von der Arroganz und Erfindungslahmheit der zeitgenössischen Dichter eine Handlung in fabelhaften Kurven vor mir hinsurren zu spüren.

Ich ziehe es vor, ein Drama in Verfolgung und Erschießen im Ballon und die Maskierung von Verbrechern atemlos zu verfolgen als im Theater erleben zu müssen, wie Gerhart Hauptmann sich die seelischen Konflikte der Azteken Mexikos vorstellt — und ich achte staunend lieber darauf, wie von Häusern herabgeklettert wird und mit welchem Anstand man heute doch noch irgendwo scheinbar lebt und Haltung behält, reitet und schießt und das Ganze im Bildflimmern zusammensetzt, als daß ich schlafmohnumwunden die Dreizehn Bücher der Deutschen Seele von Wilhelm Schäfer lese. Wer Saphire in ein Zahnrad schmeißt, ist ein Idiot, wer Kunst in den Film trichtert, den weise man aus der guten Gesellschaft. Ich bin für den Film, wenn es mir Lust macht, und dagegen, wenn ich Unbehagen habe. Ich tue ebenso tausend andere Dinge, die mit Kunst nichts zu tun haben, ich reise, ich spiele Croquet, ich beschäftige mich mit meinem Hund und niemand wird mit mir über Kunst dabei diskutieren, sondern höflich bei seinem Thema bleiben. Es blieb den deutschen Dichtern vorbehalten, die so weltunwissend wie abgründig in ihrem Ausdruck sind, daß sie, die unter maßloser Überschätzung ihres Berufes leben und Welt und Wolken und Schicksal nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Verse und Szenen erbärmlich zu sehen wissen, es blieb ihnen vorbehalten, Bannstrahle „gegen Unbekannt“ zu schleudern und da von Kunst zu reden, wo es ums Geldverdienen geht.

Als Friedrich der Große, der sein Leben lang eifersüchtig auf Voltaires besseres Hirn war, Rapporte las, die ihn veranlaßten loszuschlagen oder zu verlieren, sagte er, beschwingt von dem schöpferischen Atem, der ihn beim Handeln endlich gegen den geistigen Nebenbuhler bevorzugte, ein wenig spöttisch vergleichend: „Was würde Voltaire tun?“, und schlug los. Er meinte, die Dinge im Leben gehörten sauber auseinander und er wäre gewiß der Ansicht gewesen, daß das Erlernen der Filmtechnik für deutsche Autoren wegen ihres Tempos und ihrer belebenden Form und auch für das Einkommen der Guten förderlicher sei, als daß man in dem Gebiet der Kunst für Geld erschreckliche Dinge tue von Balzacs Anfangsromanen bis zu Hauptmanns „Lohengrin“ und dem Kriminalbuch der waffenfrohen Amazone Huch. Um etwas anderes kann es sich beim Streit um den Film nicht handeln, denn das wäre nicht nur dumm, es wäre schon gefährlich.

Näher läge jetzt in die Halle zu gehen, die Diva zu laden und mit ihr über neue Seiden, Crêpe marocain, über ihren Fiat-Wagen und wie sie aus dem Flugzeug springt, zu reden, widerspräche es nicht unserem Abkommen, die Nächte nicht zu unterbrechen und hätte ich nicht einen Frisson gegen Weiber mit Beruf. Näher liegt, vom Theater zu reden, aber auch das ist keineswegs in der Abwechselung mondän. Wo anders geht der Mensch in Frack oder Smoking oder selbst weichem Kragen, de rigueur oder wie es ihm beliebt, ins Theater, erheitert sich und geht sodann zum Speisen. Der Autor des Stücks illustriert die Gesellschaft, und wo er dramatisch wird, hilft ihm die Ironie zu unbeschwertem Takt. Der beste Dichter dieser Art seit Molière ist Shaw. In seinen Stücken ist keine Frage, kein Leid und keine Sehnsucht, die einen Menschen unserer Tage angeht, ungelöst und unbesprochen, trotzdem verläßt jedermann vergnügt das Haus.

Dieser Kelte hat es ihm ergötzlich serviert und den Weg, statt unterirdisch zu brodeln, von der heiteren Oberfläche her zu allen Tiefen gemacht und ist wieder zur Oberfläche zurückgekehrt, weltmännisch, groß, überlegen und wahrhaft modern. Die Schauspieler wirken daher in der Distinktion ihres Talentes lediglich wie geschmackvoll bewegte Landsleute dieses Iren, die der Franzosen aber sind überhaupt schon Gottes natürliche Schauspieler, die Zuschauer erblicken in ihnen nichts als besonders kultivierte Exemplare ihrer Rasse und Gewohnheit. Ähnliches hat, kann man überhaupt vergleichen, nur Wedekind bei den Deutschen, nur daß er lediglich infolge Fehlens einer Gesellschaft die Sünden seiner Zeitgenossen zu einer schief und lahm gelachten Zeitbande zusammenwarf.

Alles andere ist bei uns problematisches Zeug, Edelschmus und monologisierende Vorgänge, die, meist unverständlich, geredet werden, während man sie viel gemütlicher läse. Ohne Eindrillen der Jugend auf die Klassik, würde Goethes „Faust“ im Theater genau so als verquollen abgelehnt wie der Wechselbalg, in dem irgendein Jüngling sich auf seine Weise unklar mit der Welt ausdisputiert. Faust ist keine Rolle, und Gretchen, in dessen Lyrik Erhebliches an Dichtung steckt, wirkt auf der Bühne als alberne Gans. Niemand geht letzten Endes erlöst, kein Mensch erheitert aus dem Theater, die Bühne als moralische Anstalt ist ein Schlagwort der Verlegenheit unter den Gebildeten, das ihre Hilflosigkeit aber auch ihre Feigheit, gegen den dramatischen Theaterwust zu protestieren, schwülstig drapiert. Nie hat das Theater jemanden gebessert, niemand hat das gewünscht, das antike Theater ist kein Vergleich, weil es aus den Kulten kam und religiös verankert lag.

In Deutschland hat Theater mit dem Volk nichts zu tun, es hat überhaupt mit nichts etwas zu tun, sondern hängt wie ein Kunstwitz der Semiramis in der Luft. Wie soll Theater, in dem ein Volk stets am deutlichsten gespiegelt ward, zusammenhängen mit einer Nation, die Architekten aber keine neuen Städte, Künstler aber keine Kunst, erstklassische Revolutionäre aber nie eine anständige Reaktion besitzt . . . wo durch die Trümmerhaufen wohl geniale Irrlichter fahren, aber die Malerei sich nicht in die Wohnungen geschmiegt hat, die Plastik sich zu keinen Kathedralen fand, die Dichtung keine Nabelschnur zur Seele der Masse gewann. Das Witzkarnickel der Literaturgebildeten, Herr Sudermann, wollte viel mehr, als diese Dummlinge glauben, denn er suchte Gesellschaft zu geben, aber er gab Wasser und Leim. Er hatte tatsächlich nur das Mißgeschick kein Künstler zu sein, denn sonst wäre er Wedekind geworden. Jeder von ihnen suchte Gesellschaft zu schildern, der eine die, welche er sich vormogelte, der andere die, welche sein auf Disharmonien eingestelltes Jägerauge in das Vakuum bannte, wo diese Gesellschaft sein sollte, aber, sapristi, nicht bestand.

Mit den Verzückungen der Hrotsvita begann etwas Leben im deutschen Schauspiel, geistliche Herren setzten es fort, indem sie Weiber darstellten, die Rabbi Jesus salben wollten und den Engel trafen am Ostermorgen. Langweilige Sachen wurden daraus in den Osterspielen und Passionen, wo tagelang hunderte Menschen paradierten von Benediktbeuren bis Innsbruck, bis man schließlich mit Zoten die Angelegenheit würzte und Christus den Stuhl wegzog, als er sich setzten wollte. Die Rosenblüt und Sachs und die ihren brachten in die verdrießlichen Bibelszenen wenigstens Charaktere und feuerten um sich gegen Ritter und Papst, vor einigen Jahrhunderten spielten sie in Uri bereits nationalistisch den Tell. Die Kleriker riefen die Jesuiten zu Hilfe und diese erfanden den bewegten Rhythmus kolossaler Barockmassen und den sensationellen Klamauk musikalischer Aufzüge.

Es war an der Zeit, daß englische Akteure mit Marlowe und Shakespeare nach Deutschland kamen und dort den Stand der Schauspieler erstmalig gründeten. Sie lehrten die Deutschen ihr Gesicht zu mimischen Grimassen überhaupt erst zu verziehen, man lernte, was Tragödie war, und neben den italienischen Lazzis, neben Jean Potage und dem Pickelhäring der Holländer zog in der Komödie Hanswurst in Deutschland ein.

Nun kam Molière. Um Stil, koste es was es wolle, zu kriegen, krampfte sich Gottsched, der klüger war als die ihn verlachen, an Boileau und Aristoteles und schlug den Hanswurst übers Maul. Klopstock fürwahr brachte mit seinen sechs Dramen kein Theater auf die Höhe einer Gesellschaft, worauf Lessing wieder englisch auf Natur die Le Nôtre’sche Pallisade säuberte. Dann ging die Führung von den Dichtern völlig zu den Akteuren über, wo der Schauspieler Schröder die neue Nüchternheit mit seinem Organ beschwingte, Iffland die Schauspielerei wieder vom Kothurn ins Aufgeregte und Mimische zurückriß, Devrient das Zerblätterte ins Feurige des Eindrucks wieder hineintrug. Grillparzer floh zwischendurch ins Griechische und Uhland verfaßte „Herzog Ernst.“ Da Sie ihn nicht auf der Schule lasen, sind Sie einen Faden näher der Seligkeit wie ich. Wir sind in der Gegenwart.

Was sahen Sie? Entwicklung des deutschen Dramas? Sie sehen einen Raubzug. Man brach aus nach allen Seiten, plünderte Stoffe, holte Stile, suchte ein nationales Schauspiel. Man ging in freiem Ringkampf, catch as catch can, in die Arena der Völker, um ein Theater zu erwerben und eroberte die interessantesten Dinge. Aber was die Deutschen nicht besaßen, ließ sich nicht erwerben. Ihr Theater war immer das von anderen und von anderen nicht das Beste. Und war wie eine photographische Platte höchstens genial in der Kolportage von Fremdem, auf unserem Boden aber nie ein Stamm und ein Wuchs.

Das große heutige dramatische Theater der Deutschen um Fürsten und ältere germanische Herrschaften und unverständliche Riesenleidenschaften ist, wo man Gesellschaftliches und Zeitgemäßes will, nunmehr nur komisch. Das alltäglichste Wort „Wie geht es?“ heißt russisch: „kak poživaješ“ und schwedisch: „hur står det till?“ Was hält so irrsinnig andersredende Menschheit zusammen außer der Geste überkommener Sitte und Gesellschaft und ihre Mimik. Ihren Gesichtsausdruck mußten die Deutschen aber von den Engländern lernen, ihre Sitte von den Franzosen, es gibt heute weniger wie je ein Theater, das von der Oberfläche her die deutsche Zeit und Gegenwart aussagt. Die schweren in dramatischer Form gebotenen abstrakten und längst abgetakelten Mammute, mit denen die Dichter immer noch am Zaum erscheinen mit der Bitte um gefälliges Interesse, ersetzen nichts, sondern machen den Zwiespalt grotesk. Unruhs Schick, ihnen eine messianische Predigt an die Gegenwart am Schwanz prophetisch anzuhängen, ist die unkluge Geste eines sehr begabten Kopfes.

Solches Theater mit Weltausmaß, ehernen Ewigkeitsfiguren, Muskeldramen, Heroen mit Lotosblättern um die Gelenke, solches Theater: die Welt in tausend Personen, aber den Gigantenapparat in genialer Hand wie geölt, das hat der Shakespeare nur gekonnt. Aber er fügte auch die atemlose Spannung hinzu, schuf Menschen, nicht verkrampfte zu Lebewesen zerboxte Ideen und hatte Rollen von solcher Vielfalt, daß er sie gleich wie aus einem Füllhorn durch seine Schöpferzunge meteorhaft über die Erde blies. „Shakespeare enfant“ sagte Hugo zu Rimbaud, es war ein Kompliment an dessen lyrische Wildheit. Für unsere Dramatiker gesagt ist es ein Witz. Aber auch für den britischen Hünen war seine Urwelt, die er schuf, nur die Epoche seiner Fürsten, seiner Kriege und seines Adels. Weiter nichts. Aus diesem Humus, nicht aus seinen Fingern gesogen kam ihr Mark und Menschtum. Im Knochen unserer Titanen ist Tinte, Wasser und etwas Idee.

Da wir so viele Solostimmen aber kein Orchester besitzen, ist jedoch immer viel Lärm derer dagewesen, die den Stil erzwingen wollen. Da die Scharfschützen nicht von der Mitte aus schießen können, zielen sie von der Peripherie nach der Mitte. Nirgends wird daher der zeitgemäße Ausdruck übertriebener gesucht wie in Deutschland, kein Land färbte den Naturalismus so widerlich, spitzte die Stilzeiten so nadelscharf, walzte den Impressionismus so plump und gellte jede Kunstrevolte so exotisch in das friedliche Land. Wir sind bei Gott auch in Dingen der Kunst ein freudiges Negerlager, während sonstwo man versucht ein Haus zu bauen und Vater und Sohn statt ewigen Racheschwüren sich befriedigt nach dem Kampf die Hand schütteln. Sie fahren sonstwo alle im selben Schiff und wissen es, reden im gleichen Parkett, tauchen im selben Sumpf. Die Akteure spielen wie ihresgleichen, die nicht diesen Beruf erwählt haben, wenn sie im Métro, in Hasselbaken, in der City, am Lido, in Kopenhagen sich bewegen. Sie haben daher Theater. Wir haben nur Regisseure. Sie haben die bessere Schauspielerei. Wir haben die amüsanteren Kerle. Die Ausländer spielen auf das Menschliche hin durch das Medium ihrer nationalen Gebärde, die Deutschen aber spielen für den Mond. Das heißt, daß unsere Ensembles nichts taugen, daß wir aber manchmal vortreffliche Schauspieler haben.

Ich habe Schauspieler fast der ganzen Welt gesehen, ich fand Bassermann besser als Coquelin, Kraus amüsanter als Anders de Waal, die Durieux größer als die Bosse. Aber was sie boten, waren Leistungen, die man bestaunte und waren nicht vorzügliche Selbstverständlichkeiten. Als die Sarah Bernhardt mit französischen Kolonialleoparden über den Boulevard fuhr, tat sie es, um in zehn Roben bei fünf Gerichtsverhandlungen erscheinen zu können und die Quittung an den Abenden ihres Spielens vom Publikum zu erfahren, nicht für ihre Reklame, sondern für ihren Mut und ihre Phantasie, Nationaltugenden, die das Publikum bei ihr akklamierte. Wenn sie aber, die vollendetste Tragödin, an der Rampe sterbend und grün schon, während das Publikum vor Rührung weinte, ihrem Nachbar zuflüsterte „Merde“, so bewunderte ihr Publikum in diesem Zwischenfall, wenn es ihn später erfuhr, nicht die Unanständigkeit der reizenden Gebärde, sondern die Ironie der Überlegenheit, die selbst das Sterben meistert, und in der es eine der besten Eigenschaften des Volkes sieht. Das ist Theater und das ist Gesellschaft. Man kennt und bestätigt sich gegenseitig.

Es gab einen Deutschen, der auch diesen Zusammenhang herzustellen vermochte, wenn auch auf seine Weise: Wedekind. Ich sah ihn, sehr jung und wenig auf Kunst eingestellt, und war d’accord mit der Masse, die sich krumm über ihn lachte. Ich lachte herzlich und begriff nach Jahren, daß ich unbewußt das beste Deutsche damit verraten hatte. Aus seiner dilettantischen Spielerei reckte sich mit der ganzen Größe dichterischer Gewalt die Inbrunst des größten deutschen Dramatikers mit barocker, wenn auch unglücklicher nationaler Gebärde. Ich begriff das, nachdem ich von den Niggern bis zu den Japanern und den Provençalen Theater gesehen habe. Es ist natürlich Schwindel, schauspielerische Kunst als heroisch oder lyrisch, naturgemäß oder gotisch flankieren zu wollen, da es nur darauf ankommt, ob ein Bursche Blut hat und sich aus einem Körper in den andern zu schmeißen versteht. Ach Wedekind verstand keines, denn er war hilflos wie ein Kind auf der Bühne, aber er suchte, mit der Klarheit seiner Dichtung im Auge, die Figur dazustellen, die ihm, wenn auch anklagend, das Zeitbild schien. Der besessene, barocke, ringende und zu wundervoller Plastik sich bildende Mensch, mit Grübelei und Glanz um das Haupt, wuchs über ihn hinaus, denn je mehr sein Schauspielertum versagte, um so gewaltiger stieg die Kraft des Dichters aus ihm, ein berückendes Sinnbild deutscher Art.

Er war genötigt, sich selbst auf die Bretter zu stellen, da die Akteure seiner Zeit ihn nicht zu spielen vermochten, sie waren nach klassischen Attitüden oder platten Gemeingültigkeiten hin abgedreht. Sein Beispiel aber hat nicht umsonst gewirkt. Ich sah an jeder guten schauspielerischen Leistung in Deutschland etwas von dem gleichen Zauber, ob einer nun starr oder brillant, mit Feuerwort oder der Quaderstirn das Schicksal zu höhnen versuchte. Zwischen „Hidalla“ und „Wozzek“, zwischen Grabbe und Wedekind liegt der deutsche Stil und nicht zwischen Iphigenie und Ibsen. Das Publikum weiß nach soviel Verwirrnis nicht, wo die Quellen der nationalen Schauspielkunst liegen und schreit nach „Nora“ und Wildenbruch, aber die Selbstbewußtheit und der Instinkt verantwortlicher Spieler sollte sie ihren Traditionen wieder zuführen, indem man Wedekind spielt und da ansetzt, wo der Blutsaft deutschen Wesens einmal offen am Mund eines gut Schlürfenden und Erlesenen lag. Das wenigstens darf im Bewußtsein eines Volkes, das Amok gegen sich selbst läuft, und dessen Landstriche rauchen von den Autodafés seiner besten Bürger, nicht verloren gehn.

Die Eifrigen haben jedoch nicht versäumt, durch glänzende Kunststücke zu ersetzen, was die Natur entzog. Wo das Niveau versagte, hoben sich die Begabungen immer am steilsten ab, und was hier nicht aus dem Volksbewußtsein wuchs, zimmerten die Regisseure. Man spielte vor dem Krieg daher in Berlin so gut Theater wie kaum in der Welt. Jedoch das waren Dressuren, die vorzüglich funktionierten, und man sieht, daß, wo nach dem Krieg wirtschaftliche Zwischenfälle und die Gagen des Films diesen Zirkel zerreißen, kaum in der Welt wohl so schlecht gespielt wird wie in Berlin. Die besten Konstruktionen halten nicht ohne Basis und die genialsten Begabungen ersetzen keine Kultur. Natürlich ward es nicht nationaler Ausdruck, wenn man die Oper, das mittelalterliche Jesuitenstück, das antike Theater unter Scheinwerfer setzte und damit immerhin glänzende Wirkungen schuf, aber dennoch war über seine Zeit hinaus, für die er keine Verantwortung trug, Max Reinhardt wohl das stärkste Theatergenie unter den Deutschen. Denn er besaß die Fülle der Gedanken und die Glut eines Rhythmus und die Buntheit einer Phantasie neben der gestalterischen Kraft des Aufbaues, daß bei ihm wie nirgendwo in seiner Zeit die Anmut mit der Größe des Bildes sich paarte. Er hatte noch, zum letztenmal wohl, jene saftige Lockerung der Bildgefüge, jene fleischliche Gerecktheit und jenen wilden Duft der jungen Kraft, die sich selbstgefällig wiegte vor Jugend.

Was nach ihm kam und den Deutschen vorzuspiegeln bestimmt war, sie besäßen ein Theater, war schon wilde Steeplechaise, und die Regisseure waren mit Peitsche, Revolver und Gefrierkammern hinter den Schauspielern her, denen sie wie Papageiherden jedes Wort in den Mund legten und jede Bewegung einstudierten, daß die Vorstellungen manchmal so begannen, als führe ein Blitz in ein Panoptikum. Man jagte von den menschlichen Kräften zu den geballten Typen und man wechselte das Blut gegen eine ganz neue aber nicht sehr tragfähige geistige Energie der Routine. Mit seinem Hirn hält von Herrn Hartung bis Herrn Jessner jeder große Spielleiter der Nachkriegszeit sein Ensemble zusammen. Schießt man dem Mann eine Kugel durch den Kopf, ist das Zusammenspiel entzwei, die Schauspieler entwurzelte Wichte und das Geschwärm vom neuen Theaterstil der Deutschen eine geplatzte Blase.

Die Regisseure sind zu tief in die abstrakten Stile hineinmarschiert und haben vergessen, daß Übertreibungen immer dekorativ werden und haben über die Vergipsung ihrer Stücke vergessen, daß nur der Marmor eine Haut hat, die Milde atmet. Immerhin sind die Regiezeiten der Hartung, Jessner, Martin, Berger, Weichert, Viertel ungewöhnliche Steigerungen der Einzelkräfte, und wo sie verarmten an Atmosphäre und Grazilität und Fülle der bunten Gesichte, setzten sie dafür einen derartigen Willen zu Monumentalität und Straffung, daß ihr Fanatismus fast Reichtum vortäuschte statt Armut, die er irgendwie war. Sie taten allerdings nichts anderes, als daß sie dem stark ins Steile und Zusammengepreßte ausgeschlagenen Pendel der Zeit folgten, dessen wilde Kraft noch Wedekind und Strindberg über Europa richteten, und das ein bedeutsames Winken zu großer Sammlung war. Die beiden Dramatiker haben die ihnen folgende Generation ziemlich vorweggenommen, außer Sternheim und Kaiser ist die dramatische Generation nach Hauptmann (abgesehen von Hofmannsthal und Schmidtbonn) unwichtig. Hauptmann hat neben Unzulänglichem, und trotz allem, ein paar wenige Stücke großen Wurfs und starker Menschlichkeit geschrieben, von seiner Generation bleibt auf dem Theater sonst nichts. Kaiser hat mit einem verhüllten melancholischen Ton enorme quadrische Stücke geschaffen, deren Bau metallisch die Härte und lieblose Konstruktion dieser Zeit herabblitzt. Sternheim hat seine Epoche nicht mit der Wedekindschen Plastik, aber mit dem zugespitztesten Aperçu auf die Bühne begleitet und manche bittere Entlarvung für die Nachwelt vorgenommen. In beiden nähert sich Mitwelt und Dichtung soweit, wie Angreifer und Angefallene sich nähern können, da ja zu friedlicherer und menschennäherer Berührung kein Boden unter ihnen liegt.

Doch sind die Regisseure, die dieses moderne Theater führen und das vergangener Epochen in dieselbe Schwingung bringen, keine Minute Erfüller einer nationalen Kulturstufe, sondern sie sind höchstens Könner. Das Volk gipfelt nicht in ihren Bühnen, sondern sie zwingen etwas der Masse auf. Sie sind nicht für sondern immer noch gegen die Gesellschaft. Und sie haben kein Theater sondern irgendeinen verzauberten Ort, wo unter Scheinwerfern und Suggestionen geschrien, gestrampelt, getötet wird, wo aber, nie im Leben, das Volk sich edel spiegelt. Wenn sie den Ehrgeiz aber haben mit etwas wenigstens kongruent zu sein, so ist dies das irrsinnige Tempo einer mörderischen Zeit. Sie sind genau so Dompteure ihres Säkulum statt seine heiteren Erklärer, ebenso wie die Dichter statt der liebenswürdigen Former die Prediger ihrer Zeit geworden sind.

Denn ihnen fehlt die Festlichkeit und die Heiterkeit der Luft ihres Lebens und die Anmut jener Fruchtbarkeit des Geistes, die eine Dichtung wie einen Obstgarten am Bodensee überbauscht. Sie haben alle etwas zu sagen und vergessen das Blut in ihre Figuren zu pumpen und wissen nicht, daß sie doch nur Aufsätze und Ansichten gebildet haben mit den Körpern der Menschen, und daß diesen Puppen ihre Gescheitheiten und Lebensansichten purpurrot aber gedruckt zum Hals heraus hängen. Neun Zehntel der Dichtung ist Essai und Dreiviertel der Dichter sind Juden. Es scheint, das auserwählte Volk solle uns über die Zeit namenloser Zersplitterung, wenn auch nicht in Jehovas feurigem Wagen, so doch in einer klugen Gewandtheit und mit zusammengepappten Rossen über den Abgrund tragen, bis die Dampfwolken besserer Landeplätze zum deutschen Wesen weisen.

Wir sind von Natur aus wenig für Üppiges bedacht, die Natur gab uns einen kurzen regenschweren Sommer, kühle Nächte und wohl raffinierte Übergänge, aber ein scheußliches Klima ohne Goldton und ohne die ehern gefärbte Kantate eines begeisterten Himmels. Deshalb sind wir auch nicht das Volk der Pantomimen. Wer eine Segelregatta an südlichen Buchten sah, einen Stierkampf bei den Pyrenäen, weiß, daß der Sinn für Festliches, den die Skandinaven wiederum stahlblond und feurig besitzen, uns versagt ist wie das Geld, das diesen Aufwand in der Wage hält. Nie hätte eine Anlage wie Versailles, nie Madrid, nie Rom entstehen können ohne die Voraussetzung von Völkern, die ihre Freudigkeit zum Leben dadurch betonten, daß sie dem Leben hymnische und weite Gesten entgegenschlagen konnten. Wir Deutsche sind seit dem Verlust des Mittelalters nicht mehr genug Kinder, aber auch noch nicht so ins Ernste gestraffte Männer, daß wir den Prunk von beiden Enden des Lebens her lieben könnten. Wir geben dem Dasein eine kluge, aber nicht einmal schöne Wahrheit an den Kopf. Aber wir leben uns nicht unbekümmert, wie aus dem strahlenden Meer steigend, aus dem Leben selbst heraus. Wir sagen Dinge aus, aber wir leben sie nicht. Unsere Dichtung ist darum Essai, aber was ist unser Essai?

Er liegt da wie die Magd, die der Teufel im Dampfbad schälte und von der nichts zurückblieb als die Haut, an der aber die Augen, die Haare und die Nägel sich noch befanden. Es fehlt der Saft und das Fleisch. Wie im Theater die landläufigen Gescheiten und die gealterten Kritiker nur zwei Schablonen kennen, die Posse und die dunkle Tragödie, aber nicht das feine Lustspiel und das gepflegte Schauspiel, so gibt es unter den Schreibern über Zustände und Dinge nur Affen und Genies. Die deutschen Schriftsteller haben eine wundervolle Begabung einfache Dinge zu verwirren, indem sie dem klaren Kern eine Elefantiasis ins Geistige anwachsen lassen, oder indem sie hochstehende Dinge in der albernsten Form zum Vortrag bringen. Sie wissen nicht, daß es keineswegs auf die Dinge ankommt, sondern auf den Schriftsteller, der sie schreibt, und daß es dessen Pflicht ist, das dunkle Geheimnis des Seienden in eine muskulöse und adlig gebogene Form der Eleganz vorzutreiben, den leichten Angelegenheiten aber die angenehme Schwere der Bedeutsamkeit hinzuzufügen, die ihnen die Grazie nicht nimmt. Was wäre der Griechenzug durch Asien ohne Xenophon, wäre der wackre Mann Agricola ohne Tacitus, was bedeuteten tausend Menschen und Vorgänge ohne den Schriftsteller, der sie faßt und in bedeutsame und repräsentative Form bringt? Cäsar schrieb nicht wie ein General, sondern wie ein Autor. Napoleon nicht wie ein Kaiser, sondern wie ein Mann von Geist. Die deutschen Schriftsteller schreiben ihre Essais wie Bajazzos oder sie verfassen sie wie Alchimisten, denen daran gelegen ist, ihre Meinung nicht kristallen herausspringen zu lassen, sondern sie möglichst zu verbergen. Sie schreiben wie Geheimbündler, aber nicht wie Gentlemen.

Sie müßten natürlich allerdings die krummen Gänge und Qualen des Geistes, sich zu seinen Klarheiten durchzuringen, an der gestrafften Struktur der Sätze und der edlen Gebogenheit der Gedanken erkennen lassen, aber vor allem auch bestrebt sein, das Schwierige mit jener Anmut zu mildern, wie man das im Leben gemeinhin auch tut. Schon Fichte schrieb im Nachwort seiner Schrift über die französische Revolution (wo er noch nicht um den nationalistischen Schreibstuhl gewunden sich nach der Freiheit hin zu drehen suchte, sondern wo er fast anarchisch europäische Ideen fauchte), Fichte schrieb, man klage, er sei zu dunkel. Er meinte, wolle nur das Publikum sich bemühen ihn aufmerksamer zu lesen, verspreche er auch, faßlicher zu schreiben. Er wußte, daß durch das gewohnte platte und ungepflegte Zeug der Tagesliteratur und Zeitung das Publikum entwöhnt war, dem Gang der Feinheiten in der Sprache zu folgen. Aber er wußte auch, daß es für ihn ebenfalls darauf ankam, mehr zu dem Blutsaft des Ausdrucks vorzudringen, als im Nervendämmern hängen zu bleiben. Er meinte, wenn er sagte „faßlicher“: durchsichtiger, fleischiger, fester. Er meinte nicht, wie Dummköpfe ewig zetern: grammatikalischer. Denn Sprache ist keine Starre und vor allem in ihren Regeln eine nur zur leichteren Erlernbarkeit hergerichtete Dressurübung, sie ist vielmehr eine tropische Frucht, die wächst, vor Lust bebend, in alle Zonen des Traums und der Wirklichkeit, sie ist keine Logik, keine Lehraufgabe, sondern ein Tier wie die Erde selbst, die atmet vor Ewigkeit, sie ist ein Material weiblich und köstlich bereit für jede höchste Erkühnung, wenn nur der Meister kommt, der sie glüht und treibt und verführt nach seiner Kraft und seinem Genie und seinem Ehrgeiz. Man müßte zehntausend Herzen nur haben, um aus ebensoviel Kraft die Sprache klirren und sich bäumen zu lassen vor Duft und Bewegtheit. Sprache war nie ein Vorwand, sondern ist man selbst.

Da man dem Essai, statt ihn zu durchbluten, noch Saft für alle möglichen Sorten der Dichterei abzog, wankt er mit schlotternden Hüften in Deutschland herum und sucht Unterkunft bei ländlicher Kost oder bei pompösen Reitern. Ihn juckt es Pamphlete wie des Hutten und Luther zu reiten und unter des Büchner Schenkelschwung als falber Hengst die Sprünge der tapferen Jugend zu machen. Er war es gewohnt daß man ihn drillte, wie eine Nadel scharf und voll Kreiskraft wie ein Adler zu sein, die hochmütigen Gesten mit der Schärfe des Säbelhiebs in sich zu tragen, die großen Landschaften al fresco hinzuhauen, als käme er aus Tiepolos schöner Hand und die flammenden Sehnsüchte an einem Horizont voll Dunkelheit festlich aufzuziehen. Ihn gelüstete immer nach gefitzten Abenteuern der farbigen Ideen und langen ritterlichen Zügen durch das unterirdische Dunkel, bis er aufwuchs wie ein Liebling der Schöpfung, gehärtet zu edelstem Ausdruck, feurig und schmiegsam und voll Haß wie Liebe ausgewogen in den Hüften.

Wie war noch Heinse die Leiber antiker Statuen mit ihm so glücklich nachgezogen, daß diese Schilderungen, die schon Gesicht und erhöhtes Traumbild waren, bebend vor Kraft im Morgen der Sprache standen. In vornehmer Sachlichkeit behüteten ihn stets dann einige Braven. George lehrte ihn den byzantinischen Stelzschritt, aber es mißlang ihn auf die Würde der Brokate festzulegen und es wurde, anders wie im Gedicht, dekorativer schlechter Jugendstil. Hofmannsthal und Rilke schickten ihm das Flimmern und die Magie der wie unter Wasser gemalten und gehauchten Sätze, sie bogen ihn samtartig bis an die Gefühle, aber sie faßten ihn nicht, sondern ließen die Atmosphäre der Gedanken irisieren und begnügten sich mit diesem bengalischen Spiel. Borchardt fügte dem noch die Wirrheit einer Üppigkeit hinzu, die aus sich selbst wuchernd wie eine Pergola sich zuzog und mit mächtigen Bögen sich verrenkte. Zur Helligkeit, die mit der Weisheit benachbart ist und der Anmut, die der Schlagkraft nicht ermangelt, führte ihn René Schickele, der manchmal schon nah an den Gesang ihn brachte, während die tapfere Frau, Annette Kolb, wie Heinrich Mann, aus dem Gallischen die Verstandesschärfe nehmend, ihn fast antik in der ruhigen Haltung bauten. Wilhelm Michel verstand der Schwere der Gedanken Musik zu geben, daß sie auf einer makellosen Sprache mit schönen Linien flogen, Max Krell und Kesser setzten ihn auf das behutsame Postament einer gläsernen Intelligenz. Kerr, meisterlich, ritt ihn aber in alle Gangarten, schlug den Eindruck zu plastischer Form und traf mit dem nächsten die bunte blumige Fülle und zog die Landschaft an sich heran, was außer dem kleinen malerischen Idylliker kaum einer konnte. Die Österreicher, die auf Geselligkeit des Geistes immer bedacht waren, haben ihn spielender gehandhabt. Der gescheiteste Mann Österreichs, Hermann Bahr, hat ihn liebenswürdig gepflegt in der Disputation über die Dinge des Tages. Stefan Zweig hat ihm eine außerordentliche, nicht flammend feurige, aber edel entflammte Haltung gegeben, mit der er das Profil bedeutender Menschen festhielt. Die deutschen Aktivisten haben ihm den Imperativ wieder geschenkt, Kurt Hiller hat Schärfen des Hiebes in seinen Schwung gebracht, eh’ er begann nur noch in die Luft damit zu schlagen. Der größte deutsche politische Schriftsteller, Maximilian Harden, hat ihm eine Bildung, eine Kraft, einen Eifer, ein Gewicht und durch die Jahrzehnte der Verwilderung eine wöchentliche Erhabenheit gegeben wie keiner vor ihm. Geplaudert hat ihn Wiegler, sichere Gescheitheit der Zeit gab ihm Hübner, köstlich gescheite Nüchternheit Dornseiff, Theodor Wolff führte in der Journalistik ihm in Deutschland seltene Anmut zu, als Kritiker der bildenden Künste haben ihm Meier-Gräfe männliche schöne Haltung, Hausenstein die Differenziertheit, Däubler fast erzählerische Farbe bewahrt. Was bleibt? Drei fast runde Nummern. Zu wenig. Es müßten hundert sein. Sie haben aber alle irgendwie Taucherrüstungen, und wenn Borchardt noch schwimmt, sind das seine schlinggewächsigen Sätze, die wuchern, nicht er, und wenn Hiller einen Raubzug antritt, trägt er nicht Beute ins Positive, sondern er hat mit Domestiken ein Gezänk. Selbst Schickele biegt manchmal, verführt von der schönen Fahrt seiner Gedanken ab von den Urteilen und bestimmt nicht, sondern schildert. Harden, Deutschlands politischster Kopf, vermag nur das Urteil neben den Zustand zu setzen und die Anmut dem Angriff beizugesellen und aus Puppille und Ausscheiden und Vorschnellen der Begriffe und Gebären des einkreisenden Wortes das Ziel wie eine Frucht zu treffen. Kerr reitet es herunter. Es sind nur noch zwei.

Zu einem Mädchen, das er gehabt, sagte der blondperückte Übersetzer Shakespeares: „Liebes Kind, vergiß nie diese weihevolle Stunde, wo A. W. von Schlegel dich küßte!“ Ich nehme an, daß der Geck sie auf den Mund liebkoste. Die deutschen Essayisten haben dieselbe Gespreiztheit, aber sie haben ihre Muse mit dem gleichen Hochmut nur auf den Hintern geküßt. Sie haben nicht genug Geist, um klar sein zu können und sie verfügen über zu wenig Kenntnis der Welt, um einfach die Zeit zu erblicken, sie besitzen daher genügend Anmaßung, um das nicht einmal eingestehen zu wollen. Ein Essai ist kein dürrer Gaul, aber er ist auch keine fette Dirne. Er ist: man selbst.

Kam aber einer, der von dem liebenswürdigsten der Lessingperiode, von dem Peter Helfferich Sturz die Grazie, von Merck die Ironie, von Lichtenberg die tolle Bitterkeit hatte, kam ein Hahn, so schön wie Heine und prunkte seinem Erbteil noch den Kampfruf von europäischer Höhe hinzu, so schmähten ihn die seichten Enten der banalen Gewässer, aber die großen Chemiker der Prosa höhnten: Journalist. Ist dies Land nicht seltsam, wo die Berufe sich miteinander bombardieren, ein Musiker ein Schuster, ein Dichter ein Reporter, ein Journalist ein Schwärmer gezankt wird und wo Keiner Respekt hat vor der Vollendung, die jedes Handwerk zu erreichen in der Lage ist?

Geliebter Heine! Welche Fülle saß hinter seiner Glätte und welche Tapferkeit nistete in seinem Hohn. Welche Reife über seiner Eleganz und welche Idee hinter der zart gefalteten wasserklaren Verästelung der Begriffe! Ihm war der Tiefsinn nicht fern, und wenn er der schlechten Dunkelheit der Deutschen spottete, war er ihnen näher, weil er sie liebte, als wenn er mit Lot und Blei ihnen in ihren Wirrwarr gefolgt wäre, den er verachtete. Er konnte auch dies. Aber er wußte, daß es nicht darauf ankam, die Welt zu verschleiern, sondern ihr Geheimnis zu zauberschöner Figur zu enthüllen.

Er hat die schönste deutsche Prosa geschrieben, hat die Landschaft erlebt, seine Feinde gezüchtigt, seine Hasser übergangen, hat verachtet und maßlos Deutschland geliebt und um die Freiheit geworben wie ein Geliebter, und hat seine Sprache mit seinen Gefühlen durchschritten wie ein Page so erlesen und wie ein Gentleman so groß. Er hat versucht Sprache gesellschaftlich zu machen, und hat sie wahrlich aus den schönen Wäldern und aus den unklaren Schwülsten in die Üppigkeit eines noblen Barocks geleitet. Da aber schrieen genial erscheinende Strizzis, es habe zur Journaille hin gemeutert. Er hatte aber nur die Flüssigkeit einer Höhenlage erreicht, die ihn über alle in ihren Goldton stellte. Dann starb er im Exil, furchtbar von den Göttern heimgesucht, die ihm zu seinem Siechtum immerhin die Gabe nicht vorenthielten, es mit der inneren Schönheit seiner Sprache wie ein Genius zu überstehen.

Nichts, Mijnheer, wird uns gegeben, was wir nicht zahlen müssen, und für die Höhe jedes Glückes wird uns die Rechnung eines Tages gewiesen. Sie wissen es wie ich und ahnen, daß gutes Leben und beneidetes Schicksal nur in der Kunst besteht, mit der wir diese Narben maskieren. Tyche, die Glücksgöttin, die der Okeanos auswarf, hatte zwei Steuerruder in der gleichen zarten Hand, das des guten und das des üblen Ausgangs und lenkte sie, wie es ihr gefiel, indem sie die Sterne ansah, aber die wirklich Lebendigen haben immer ebenso wie die Spieler an sie als die nur richtig und glückhaft Steuernde geglaubt, weil ihre Steuerung oft ins Rechte führte. Schon Pindar jubelte ihr als dem unbedingt Glückbringenden zu, und der Sklave Servius Tullius setzte ihr Tempel, als er auf dem Throne saß. Man muß nur vertrauen.

Höben Sie jetzt ihre kleine Pistole Mijnheer, so schössen Sie ins Nichts, denn was sollten Sie anderes treffen als das heulende Dunkel um den Schnee. Und doch lockt es mich hinaus von den Kerzen, und von den verschneiten Wäldern zog es mich die ganze Nacht schon in die Dämmerbläue des Südens, obwohl ich nichts weiter wünsche, wie noch Wochen auf dem Berg hier zu bleiben und die Kämpfe des Frühjahrs mit dem Firnschnee zu sehen und zu empfinden, wie die schwarze Sonne des Mai die Matten auflodert zu Wolken von Geruch und den Schneeharsch der Nordseiten mit dem gierigen Maul der Panterin beleckt. Aber wie lockt mich toll der Gedanke an Brioni, daß ich den Hafen von Marseille wieder sehe und das Donnern der Jetée vor dem Blumengarten von Genf wieder höre. Es reißt uns immer aus einem Zustand des besitzenden Glücks in die Leere nach neuem und, seltsames Widerspiel der Kräfte, trägt uns die Blutfahrt von der Eroberung zu dem Verlassenen zurück. Welches Glück, welche Wanderschaft, mit der wir kreisen um unsere Achsen und, ach, welches Vertrauen, daß Tyche das Steuer richtig warf.

Im Norden Schwedens erzählte mir der Dichter Didring, daß es ihn treibe aus den wundervoll gewellten Wiesen, aus den Wäldern mit dunkelblauen Schatten Skånes und Smålands, im Lauf der Jahre, in die Gletscher aufzubrechen, die das Gebirge zwischen Lappland und Rußland formieren, bei den Bahnarbeitern in Baracken zu leben wie ein Hund, die Sonne aufgehen zu sehen wie einen geliebten Stern der Heimat und dann wieder, das Herz von Entbehrungen voll wie ein Wolf aber in Glück gebadet, zu den rauschenden Pappeln und den Silberwinden seines Südens zurückzufahren. Welcher Widerspruch, Mijnheer, der Gefühle, und wo, wenn dies unsere Wegfahrt ist, fängt Glück an, hört Glück auf? Denn, wenn es da ist, fühlen wir es nicht, und wenn es war, wissen wir es wohl, aber es ist schon Legende hinter den Wäldern und Jahren. Man legt sein Leben daran, es, wie die bengalischen Jäger den Tiger, mit Raketen aufzujagen und erkennen später vielleicht einmal, daß unbeachtet von uns, in der stillsten Stunde, auf einfachstem Lande, das Glück uns die Bestimmung und die lichteste Minute auf die Schultern warf. Was wollen Sie, was bleibt?

Weiterleben.

In Elis stand Tyche schon groß neben dem kleinen Halbgott der Stadt als die Schützerin, denn man glaubte so stark an ihren guten Wurf, daß sich die Zuversicht schon zum Monument verdichtete. Aber man war nicht gesonnen, anzunehmen, daß das Steuer nach der dunklen Seite falle, und die recht Lebendigen haben den Gedanken, daß das Furchtbare komme, stets mit der überlegenen Lache behandelt, mit der aus dem vollen Prunk des Rokoko der Herzog von Lauzun von dem Miserabelen sprach: „Ich behandelte es nach Kavaliersitte, es wurde zur Treppe hinuntergeworfen.“

Als wir vom Theater sprachen, dachte ich einen Augenblick, es sei vielleicht an der Zeit und ein guter Stil, die alten Häuser der Melpomene abzubrechen und mit Autos und Zelten durch die Hauptstädte der Welt und ihre Landschaft zu rasen, und, wo die Entfernungen nichts mehr gelten, die Kulte der Völker, von ihren wild gewordenen Maschinen aus, durcheinanderzuwerfen und so einen großen Stil der internationalen Vaganten wieder zu kreieren, aber auch die Völker wie mit Blitzen untereinander und ohne die üblichen Sentimentalitäten zu befruchten. Der Flieger Manucci stieg mit seinem Zweidecker über die Poebene und streute aus viertausend Meter die Asche seiner Geliebten auf das Land, das er liebte, und auch in seiner modernen Geste stak die sinnbildhafte Liebe zur Befruchtung. Warum sollte eine neue Generation nicht, da die alten Tempel überall versagen, vom Tempo ihrer Zeit aus, auch wenn es verbrecherisch ist aber wie alles Böse und Dämonische nicht ohne erhabene Schönheit, warum sollte eine neue Generation nicht ihren Ausdruck und ihre Zufriedenheit mit ihren verzehnfachten PS erjagen?

Aber als ich die Diva gereckt wie eine Liane und mit der Spannung der großen Katzen über den Körper durch den Schneesturm in das blendende Hell der Halle treten sah, reizte mich als das Zeitlichere die Filmform ihres Lebens. Denn diese Leute haben nicht nur Erfolge, sondern auch Wirkung, sie geben nur ihre Körper hin, aber sie sind nicht verpflichtet ihre Seelen hinauszuspeien. Sie haben den Beifall und das Publikum der Millionen, sie erreichen die Schichten der Menschheit, die keine Zeitung, keine Mobilmachungsordre, kein Gesetzbuchparagraph, selbst kein Beauftragter Gottes mehr erreicht und sie haben den einzigartigen Vorzug, daß sie nicht an die Sprache ihrer Heimat, sondern an die gesamte Menschheit nur verpflichtet sind. Welche Breite, welcher Radius.

Aber auch welche Fülle, wenn sie aus den elektrischen Kanonaden der Ateliers hinaustreten und ihnen, denen die Landschaft der Natur in ihrem Gewerbe lieblich schaukelt wie keinem anderen der Berufe, heute von den Sprunghügeln des Engadin herunterfegen können und morgen die Motorjachten des Züricher Sees überfüllen, später den Bobsleigh in Oberwiesental führen, Skijöring in Partenkirchen, Fuchsjagd über den Schnee Oberhofs und Kitzbühls treiben, auf den Kamelen von Tunis schwanken und ohne über einen Scheck von märchenhafter Größe zu erbleichen, sich beim Valutastand von einigen Tausend auf den Dollar nach den Prärien von Texas, den Quecksilberurwäldern Mexikos und den Bergen des Dalai-Lama aufmachen. Dies Leben ist zeitgemäß wie nur eines, denn es verneint alle Schwierigkeiten der wirtschaftlichen Krisen, hat die Richtung nach der natürlichen und prunkvollen Erhöhung des Daseins, ohne dabei seinem Wurfspieße zu entgehen oder sein Dunkel nicht zu kennen. Es ist allerdings keine Kunst.

Aber was ist Kunst? Gehen wir schlafen. Denn die Sehnsucht nach der Festlichkeit anderer Völker, nach Walpurgis auf Hasselbacken, nach Micarême in Paris, nach der Weihnacht der Magyaren schneit mit dem Triebschnee gegen die Züge der Fenster. Kunst ist: mit Dreißig Jahren sein Leben auszubalancieren, daß die Leistungen aber auch der Genuß in die erste Reihe des Möglichen treten. Je suis l’ami des bons jours. Aber ich liebe die Nächte auch. Schlafen Sie tief, aber nicht lang. Das Wetter ist ein Weib und wirft uns vielleicht Sonne durch den Morgen herein.

Die dritte Nacht

Das Wetter ist ein Weib, Mijnheer, die Sonne hat geschienen und in den Kerzen liegt noch das beglückende Gefühl dieser Minute, als das Gestirn, selber zitternd vor Wonne, die Riesenschleife über das Bärental begann. „Apportez-moi une femme,“ schrie Bonaparte nach Marengo, er hatte das Wunder abgeschlossen und begab sich zu seinem Widerspiel in den Realitäten.

Wären Sie die Frau, Mijnheer, mit der ich vor Jahren einen halben Monat hier oben verbrachte, ich spräche lieber zu ihr wie zu Ihnen heute und ich sagte ihr statt Ihnen, weil man Gedanken aus einem Zustand der Beglückung nur an einen Gegenstand des Glückes zu adressieren vermag, ich sagte ihr:

„Liebe, im Schloßgrün Favorits ließ ein früherer Markgraf einen Türken aus dem Bett seiner Gemahlin ziehen, enthaupten und stellte das Monument seines Kopfs auf den lieblichen Brunnen, aber er vermochte nicht zu verhindern, daß das Auge des Mongolen das Schlafzimmer der tollen Dame mit einer mörderischen Melancholie im Blick hielt. Selbst den Tod tragen die Männer durch die Kunst den Frauen wie eine Bereicherung wieder zu. Wie viel heftiger muß ihr Leben jede Sekunde bereit sein, an sie verschwendet zu werden. Säßest du statt an dem Kamin, dessen Buchenfeuer dem Spiel deiner braunen Muskeln Salut knattert, nach sieben Frühlingen und sieben Sommern, die du mit mir verlebtest, an einer Bai, bei Sankt Malo am Hafen, in einem Fischerhaus Swinemündes, einer Villa Partenkirchens, ich umgäbe dich nach soviel Leben erst mit Kunst. Aber ich würde vorher versucht haben, dir alles zuzuführen, was an Entzückungen, Werten und Erfahrungen, an Reisen, Steinen, Wollüsten und Leiden mir zugänglich und auf dich übertragbar ist, so daß du erst aus dem vollsten Rahmen und glücklichsten Reifsein des Daseins heraus dich zu seinen seltsamen Spiegelungen in der Kunst wendetest, die manchmal noch gelungener aber, gestehen wir es, nie so sehr Himmelfahrt sind wie es selbst. Erst wenn man viel gelebt und fast alles erfahren, manches genossen und das meiste durchforscht hat, bekommt der Abglanz des gedachten und gestalteten Daseins jene wundervolle Süße, die dem Lebendigen sein Dasein bejaht und gereinigt zurückreigt.

Ohne das sind Bücher langweilig wie tote Ratten und das Leben nur hat „chien dans le ventre“. Ein schöner Mann flößt, wie die Chronik sagt, den Frauen Vergnügen ein, jedoch ein Buch von seinen Träumen allein dürfte sie beträchtlich verkühlen. Ich weiß, daß ich die Leiber des Rubens und Boucher und Ingres aber auch die der blühendsten Statuen erst begriff, als ich reell wußte, wie süß die Vertiefungen an den Gelenken der Lebenden, wie reich die Brüste, die mit der ganzen Wurzel den Busen umfangen, wie herrlich die Kreise über den Hüften, wie rührend die Übergänge des Brustkorbs und des weichen Unterleibes und wie heiß die Linien der Schenkel und Waden aus dem Leben selber entgegenschlagen. Und auch erst, als ich das dritte Jahrzehnt meines Daseins rastlos benutzte, alles zu wissen und das Mögliche zu erfahren aber das Unausdenkbare selbst noch zu erfassen, erst nach dem Gelebten gelang es mir in breiterer Fülle das Gespinst der Kunst und des zu Gestaltenden bis in die Tiefen zu durchprüfen, zu verwerfen oder zu begrüßen, je nachdem es unter dem Anhieb vor Berufung brannte oder als Schwindel verknallte.

Kunst ist keine Sache neben dem Leben her, sondern springt aus dem Dasein wie ein Tier aus der Mutter und wird begriffen nur durch das Beispiel der großen Erzeugerin. Es ist verächtlich, der Kunst leben und das gewaltig sie überrollende Leben nicht sehen zu wollen, aber jedes weit und herrlich gelebte Dasein kehrt, zum mindesten in dem erreichten Gleichmaß seines Wuchses, als Beispiel der Vollendung zur Kunst zurück.

Was man Frauen sagt, muß man vorsichtig sagen. Es wird zu leicht eins vom andern getrennt. Als Herr Herwarth Walden, berühmt durch die Proklamation wichtiger Maler der Moderne und scheinbar auch durch Kompositionen eigner Hand, in Paris bald nach dem Krieg ein Konzert gab, schrieb er in seiner Zeitschrift, es sei ein immenser Sukzeß gewesen, selbst der chinesische Gesandte habe als dem ersten europäischen Konzert seines Lebens dem seinen beigewohnt. Der Gesandte aber hatte lachend später gesagt, er habe geäußert, zwar detestiere er Musik und sei unbeschreiblich unverständig auf diesem Gebiete, aber in Anwesenheit so schöner Frauen (die ihn mitgebracht), habe er zum erstenmal in seinem Leben es vermocht, einer Musiksache beizuwohnen bis zum Ende. Ich will sagen, um mich deutlich zu fassen, es verdrießt mich zu sehen, wie die Frauen mit Buddhas Sprüchen und Konfutses Epigrammen und des Grafen Hermann Keyserling (in Darmstadt für die ihn unterstützenden jüdischen Finanzleute Deutschlands modisch aufgezäumten) Freibeuter-Wahrheiten herumlaufen, Frauen, deren Lebensradius kaum den Kilometer ihrer Heimatstädte durchmißt und die von Kindergebären und Motorrädern ebensowenig wissen, wie sie davonlaufen, wenn sie einen Epileptiker fallen sehen. Ich finde es komisch, eine Blaugestrumpftheit gegen das Dasein zu züchten, statt die blassen Literaturhyänen erst durch das erlebte Dasein auf diese Papiersachen loszulassen. Es verdrießt mich, Sportmädels mit schönen Körpern mit dem Strindberg und Dostojewski unter dem Arm durch die Landschaft rennen zu sehen, als sei es nicht der offenbarlichste Greuel, zu so viel Frische so viel wohl künstlerischen aber abscheulichen Ballast zu packen, und als gehöre zu der Anmut der kühnen Jugend nicht die Feurigkeit und der freche Adel eines apollonischeren Dichters.

Ach, es versteht niemand mehr heute die Kräfte und die Mittel zueinanderzupassen, und die ausgewählten und füreinander bestimmten Elemente des Lebens marschieren nicht zueinander. Die Frauen tragen Kostüme, die ihrem Wuchs nicht entsprechen, essen Krebse im Frühjahr, Gänse im Sommer, Aale im Winter, und tragen Farben, die barbarisch die Natur rebellieren, statt dem Beige der Birke im Herbst und dem gedämpften Lila des Rhododendron im Frühling oder dem gepflegtesten Grün der atlantischen Zeder im Sommer sich anzuschließen. Sie treiben den Sport, der ihrem Körper nicht paßt, entblößen die Partien, die sie verschweigen sollen, und verhüllen die Décolletés, die am vorzüglichsten sie ehren. Sie fahren in Wagen durch die Parks, in denen man an Fontänen auf dem Rücken liegt, und pilgern zu sportlichen Festen in Wüsten von Sand und Asphalt, die man mit den schnellsten Motoren gern flöhe. Sie reisen zu Zeiten, wo die Hitze jede Landschaft unerträglich macht und verkennen die schönen Falten der Jahreszeiten, wo im anschwellenden April und im ausgeweiteten Oktober der Glanz des Jahr-Beginns und das Kupfer seines Endens voll Schönheit unser Klima überfunkelt. Sie wissen ihre Zeit nicht zu ihrem Leben zu passen, scharen sich zu ihrem Widerpart, treffen ihre Glückskrisen an den abscheulichsten Stellen, pflegen ihre Körper zu den falschen Jahreszeiten und wenn sie suchen ihr Leben mit dem Adel einer Haltung zu vereinen, züchten sie einen Geschmack von Blech oder eine Kultur von Benzin.

Ihre Hände sind wohl manikürt und auf den Nägeln gerötet aber sie haben nicht die glücklichen Linien beachtet und wissen die Siegeszeichen und die des Todes nicht von denen der tötlichen Anmut und der Bestimmung zur rasenden Liebe zu unterscheiden. Sie haben Risse zwischen sich und ihrer Umgebung, sind geblendet vor ihrem eigenen Blut und wenn sie ihren Stil zu haben glauben, haben sie den Schwanz ihres Bullis in der Hand oder das Hirn eines anderen in der Pfanne oder statt dem Geliebten den Kühler des Autos am Herzen. Du lächelst. Ich rede wie ein Père noble der französischen Bühne. Eine kluge Frau zu lieben, sei das unbestrittene Vorrecht der Päderasten, sagte lachend ein Wüstling, aber er wußte nicht, daß es Frauen gibt, die den Vorzug besitzen, ihren Verstand nicht aus den Schriften von Waldemar Bonsels oder des Doktor Steiner aus Stuttgart, sondern aus einem alles klug beherrschenden aber sich nicht versagenden Leben genommen zu haben.

Säßest du mit mir an jener Bai, über der Bucht von Sankt Malo, an einem Hafen, in einer Villa von Rottach und wir dächten: wie sind wir gewandert, welchen Genüssen und welchen Schmerzen haben wir, einander noch frisch wie Geliebte, am Busen gelegen, da baute dann ich eine Welt wohl um dich von Büchern und du durchschrittest sie wie den Spiegelsaal von Versailles, der jede Linie deines Wuchses schöner zurückgab. Du fändest dich in jedem Abenteuer und in jeder Verdammnis. Aber keine Wollust, die du genossen und keinen Traum, den du unterdrückst, den du nicht auch darin fändest. Das wäre nicht erlesen Gekünsteltes, sondern du fändest die Welt einfach wieder und würdest nun klarer zu ihr geführt.

Mit einem deutschen Fürsten, belesen wie keiner der Schriftsteller Deutschlands, die selbst ihrer sechzig Jahre Bildungslosigkeit und Faulheit nicht ekelt, redete ich in seinem Weinberg von seinen Büchern und er machte den Unterschied, der mich verblüffte, zwischen Büchern für den Salon und den anderen. Er gab seiner Geliebten bestimmte Sachen nie aus einem Gefühl der Grandezza, während im Leben er ihr keine Rundfahrt der Leidenschaft versagte. Ich fand dasselbe darin, wie in dem, was ich selber befolgte, nur schien mir, daß er seine seigneurale Reinlichkeit verwechselte mit dem Bestreben, nur das der Geliebten entsprechende stets zu nehmen und daß er aus der Gepflogenheit seiner Manieren heraus das für Ablehnen hielt, was in Wahrheit nur Auslese war, die sein Instinkt bestimmte.

Man schenkt nach seinem Geschmack, bildet nach seinem Gefühl, liest nach Temperament. Einer Sechzehnjährigen gäbe ich dasselbe wie einer von Vierzig, wenn ich den gleichen Flair für beide hätte, aber der von Dreißig würde ich vielleicht das Gleiche wie der von Fünfzig versagen. Mit Fünfundzwanzig entwarf ich den Plan einer Bibliothek, die man an zehn Armeekorps und in dreißig Fabriken sandte. Du könntest sie alle lesen, aber ich würde dir keines davon schenken. Ich würde mehr wollen und weniger, aber vor allem stets nur deiner Ruhe wie deinen Leidenschaften gerne das gleiche zitternde Erlebnis der Schönheit zuzuführen wünschen. Alles andere ist hors de ligne. Was ich täte? Was man im Gefühl hat, hat man nicht im Kopf wie die kleinen Lyriker, die ihre Zehngroschenverse stets zur Rezitation bereit tragen. Was ich dir brächte nach soviel Abschreibungen, Pathos und Abschweifung? Ich weiß es nicht.

Wenn du weiße Haut hättest, wäre es anders, besäßest du Lotosaugen statt die eines Vogels, wäre mein Einfall ein wieder erneuter. Ich brächte dir, was für dich paßte aus diesem Erleben, aus jener Reise, aus dieser Beglückung und aus irgendeinem Zorn. Und ich könnte dir höchstens heute so, morgen anders spielerisch gleich den Wolken des Kamins eine Welt der Literatur an die Wand malen, wenn du wünschest, daß ich dich mit Träumerei unterhalte. Denn ich liebe die Welt vor allem um ihres Wechsels und ihrer Lust am Spiele willen, und wenn du nicht die Fähigkeit hättest, aus allen Lagern deiner Seele und allen Fallen und Festlichkeiten deines Körpers in immer andere hineinzuspringen, hättest du an mir schon lange nicht mehr den Jäger.

Geliebte Diana.

Ich ließe vor allem der Wildheit, mit der du die Hänge befährst, die Eleganz des Geistes und das Seltene der Vergangenheit von ähnlich vollendeter Anmut sich gesellen. Du lerntest zuerst, eh du die Grazie der Franzosen erführest, das Deutsch des Mittelalters. Dem Mittelhochdeutsch naht der Deutsche sich noch immer mit der barbarischen Geste des Gunther, der, als er zum erstenmal zu Brünhild ins Bett sprang und ihre Nüancen nicht beachtete, erlebte, daß sie ihn fesselte und an einen Nagel der Wand hing. „Er wânde vinden friunde: dô vant er vîntlichen haz.“ Du lerntest so das verlorene Paradies von des Reuenthalers derben Späßen bis zu Walthers Süße, von Hartmans Wundern im „Iwein“ bis zu Wolframs Herbe und des Alten Reinmars Seligkeit. Jede Übersetzung ist eine lächerliche Dreistigkeit, denn man kann eine höhere Sprache nicht mit einer niederen übertragen. Wir haben heute wohl gelernt, Tempos wie die Teufel in die Sprache zu bringen, Raffiniertes bis zur Verzweiflung auszudrücken und Begriffe bis ins Aschgraue zu benennen und zu finden, aber den Wohllaut der Musik und die Einfachheit der klar blitzenden Welt und die große Verzücktheit der Gefühle erreichen wir nicht wieder. Wer aber glaubt, ohne Studium, den Fall der Vokale, die Trennung der Diphthonge, die Rhythmik der Satzbogen verstehen zu können, begeht die gleiche Dummheit wie jener, der ihrem Wesen nah zu sein denkt, weil die Worte alle den unseren ähnlich sind, aber fast alle verfeinerten und anderen Sinn bedeuten. Du wirst diese Bemühung nicht auf dich nehmen, ohne daß der Zauber, dem du begegnest, auf dich zurückwirkt.

Unser Hunger nach Dasein ist groß, das Leben zu kurz, unsere Bewegungslinie zu eng, wir können nicht alles haben. Aber jedes Genossene treibt uns nach mehr. Als im Jahre Zwölfhundert der Marschall der Champagne Villehardouin als erster Grande und Lebemann anfing, Geschichte zu schreiben und die Menschen mit der Gewalt eines Rubens in sein Gemälde hineinwarf, als der Pfaffe Konrad, der ein schlechter Künstler war, die „Kaiserchronik“ schrieb, begann die Literatur der Briefe und Memoiren, uns die Völker und Menschen mit jungfräulicher Plastik heranzutragen. Statt dünner Schicksale, die mäßige Dichter gestalten, redet plötzlich die Phantastik der Zeit. Von den Aufzeichnungen des Kardinal Retz, der sich nur so ausdrücken konnte, daß er an eine Dame schrieb, und der den Atem seiner Zeit zur höchsten Höhe blies, über des großen Kanzelredners Bossuet Porträte verstorbener Fürsten, über Montesquieus erwachenden Blick für die Breite gelebter Zusammenhänge bis zu dem fabelhaften und glühenden Fresko, das der Herzog von Saint Simon von der Zeit des vierzehnten Louis schrieb, lernst du, deinen eigenen Erfahrungen die der großen Epochen und Menschen hinzufügend, einen Schritt mehr zur Weisheit.

Nimm die Memoiren der großen Katharina von Rußland hinzu, die Briefe der bis zu den weißen Haaren hin geliebten Ninon de Lenclos, die Novellen der Bibel, die Briefe der wilden Caroline und Brantômes Leben der galanten Frauen. Lies die Aufzeichnungen Casanovas und des Deutschen Pückler-Muskau Bände. In den barocken Sätzen des Abts von Brantôme hast du die Menschen der Renaissance, in Casanova den Ausgang des Rokoko, in Caroline die Romantik. Keiner konnte schreiben so wollüstig und so geistreich wie Casanova und niemand in Deutschland so mit Erhabenheit und Temperament sich mit Ideen und Reisen der Welt gegenüberstellen wie der Pückler. Bürgerlicher aber herumgeworfener hast du in des Frankfurter Friedrich-Fröhlich Aufzeichnungen die Epoche des ersten, in Flauberts Briefen mit der Sand die des dritten Napoleon. Jakob Burkhardts Briefe an einen Architekten malen nüchtern das Jahrhundert am Anfang, nicht weit aber amüsant für dich gesehen, von einem hölzernen Liebhaber der Künste. Dagegen hat die furchtbare bürgerliche Epoche am Ende des Jahrhunderts der gebildete und in guter Familie erwachsene Schriftsteller Kurt Martens, wenn auch nicht seigneural, so doch mutig und schlicht in seiner Lebensbeichte gegeben.

Mit Mozarts Briefen hast du Österreich und mit Benvenuto Cellinis Leben den Radius des Glanzes, den ein Renaissance-Italien um sich häufte und in den Briefen des Van Gogh und in Bernards Erinnerungen an Cézanne siehst du das Martyrium unserer Kunst und Zeit nicht ohne die Ironie, die dich das Menschliche hier so absurd und das Künstlerische so verzweifelt schauen läßt. Im „Pitaval“ sind die hervorragendsten Prozesse geschildert und du erkennst die Menschen aller Jahrhunderte. Ich werde Hardens „Köpfe“ dir daneben legen. Du wirst das Buch der entzückenden Staël über Deutschland lesen und mit Petrons „Gastmahl des Trimalchio“ vergleichen. Ich werde das Buch der Markgräfin von Bayreuth hinzutun, die des großen Friedrich Schwester war und das Kamasutram, wo nicht nur die Inder belehrt werden über die Zweihundertfünfzig Formen des Liebesgenusses und über alle unzählbaren Formen der Entzückung dazwischen, sondern wo der Liebende auch angehalten ist, nach allen Spielen der Wollust auf das Dach des Hauses im Mondschein mit der Geliebten sich zu setzen, den Glanz mit ihr anzuschauen und ihr die Reihe der Sternbilder zu erläutern, den Polarstern besonders sowie den Kranz der sieben Sterne des großen Bären.

Die Zeit hinter dir hat sich geöffnet wie ein Weib, du kommst von den Geschichten nicht zu Büchern sondern zu Schicksal und aus der Fülle nicht zu Vorstellungen sondern zu Menschen. Von den kühnsten unter ihnen streift man zur Erde zurück. Man muß die alten Exploiteure fremder Erdteile lesen, denen die Natur sich noch unberührt gab, die nicht gafften sondern eroberten, nicht Afrika vom Schiff aus sahen und weiches Garn aus ihren Gefühlen spannen, sondern die darin starben, nicht solche, die empört, während sie innerlich schmatzen, Bordelle in Ceylon beschreiben, von denen ein Portier ihnen erzählte, sondern solche, die Elefanten noch mit dem Säbel gejagt haben und du wirst sehen, wie die Natur mit derselben Frische riesig aufdampft, mit der du einige Stücke aus ihr in deinem eigenen unverdorbenen Blute erlebt hast.

Lies, wie ein gewisser Barrow Esqu. im achtzehnten Jahrhundert in Begleitung des englischen Gesandten China durchquerte, lies die Geschichte der Reisenden Percy und Gallow, die die Tatarenländer durchfuhren, lies die Eroberung Mexikos und die Geschichte Cooks, den Insulaner erschlugen. Sieh, wie mit Dominikanermönchen Curjello nach Afrika kam. Lies die Berichte der Lebemänner, die Europa durchfuhren und von denen einer, dessen Name ich nicht mehr kenne, auf Schlittenwagen sogar den Nordpol über Norwegens Poststationen erreichen wollte. Lies bei Franklin, wie sie die Wale harpunierten und bei Livingstone, wie die Zähne ihnen ausfielen vor Fieberluft und sie die Flamingos und das Nashorn jagten. Wie sie mit ihren Karawanen durch die Wüsten sich durchhungerten, um zu entdecken und sich zu begeistern und den menschlichen Geist an die Spitze des Abenteuers zu hissen. Lies Gessi, Gordon, Emin Pascha, den Halbgrönländer Rasmussen, lies Stanley, lies die Jagden des Baker in Abessynien. Du riechst die Luft der anderen Kontinente und erfährst die Beispiele menschlicher Tugend und Tapferkeit und du wirst nicht gebildet, sondern du wirst klüger oder besser.

Nun ist für „Tausendundeine Nacht“, für den „Don Quichote“ des Cervantes und den Defoe mit seiner Europamüde, ist für „Robinson Crusoe“ und „Gullivers Reisen“ dein Hirn offen, denn sie geben zur einfachen Wildheit der Erde die Phantasie und das Spielerische, das alle Gefahren überwindet. „Mesnevi“ mit seinen schönen Sprüchen, den indischen Roman von Dandin von den zehn Prinzen, die Märchen der Südsee, „Tuti Nameh“, das persische Papageienbuch machen die Welt noch bunter und führen schon an das Legendäre einer großen Klugheit. Der Maler Gauguin hat auf Tahiti neue Farben gesucht und hat die Abenteuer seiner modernen Sehnsucht in „Noa Noa“ geistreich und ein wenig desolat wie ein echter Franzose beschrieben. Hundertzwanzig Jahre früher hat Bernardin de St. Pierre in „Paul et Virginie“ schon einmal die Natur in prachtvoller Glut für Europa entdeckt. Hamsun hat den Kaukasus erlebt und ihn in gestrichelter Weise mit neuer Optik für Naturbeschreibung dargestellt. Laurids Bruun hat mit dänischer Weichheit den grauen Glanz seines norwegischen größeren Freundes nachgemalt.

Das ist nur schwacher Schimmer noch von den früheren Heroen, doch ist, da du von heute bist, und ja auch ich dir nicht in der gekräuselten Allonge-Weise entgegentrete, doch ist von den Heutigen zwar Sven Hedin nur ein Schwätzer aber kein Nahbringer, jedoch das Buch der Fürstin Lichnowski über Ägypten von modernem preziösem Charme, ist zwar das Buch Ludwigs über Afrika eine Sirupfalle für den Kurfürstendamm, aber des Suarès Italienbuch eine heroisch gemalte Landschaft; und keusch wie Villehardouins Seele, wenn er im Kreuzzug das Morgenland betritt, ist Lafcadio Hearns Sprache, wenn er das verschwindende asiatische Japan, kurz vordem Europa es verschlingt, noch einmal wie eine Geliebte streichelt.

Du mußt noch den Kipling lesen, der mit Tieren dir die Welt bevölkert und mußt sehen, wie der Däne Fleuron dem heldenhaften Anfang des Briten den melancholischen und schönen Abgesang gibt, wenn er davon redet, wie die edlen Tiere sterben. Nur wenn bei Jürgensen der Kongo vor Tiergebrüll donnert, der Schwede Madelung seine Jagden schildert, der schönste aller raubtierhaften Dichter, Jensen, die Gletscherzeit zurückruft, kannst du das Gefühl haben, aus deinem Säkulum rückwärts bis zum Paradies marschiert zu sein. Was heißt Kunst, wenn du leben willst? Es bedeutet nichts gegen die Fülle des Lebens, aber es wird schon helles Licht auf allen Zinnen, wenn du durch soviel Dasein hindurch dich an die Erkenntnis herangetastet hast, daß auch ein vollkommenes Leben einer gewissen Vollkommenheit in der künstlerischen Gestaltung bedürfe. Wenn du reicher bist, hast du mehr Anspruch. Hast du die Masse der Welt, willst du sie in Schönheit. Hast du das Dasein begriffen, verlangt es dich auch nach seiner schönsten Gestalt.

Aber vergiß nicht, es ist wichtiger, daß du lebst, als daß du träumst, nötiger, daß du blühst, als daß du redest, und es ist alles umsonst, wie auch immer du von der Welt schwärmst oder fluchst, wenn sie nicht wie eine Pantermeute in dein Blut gestürzt ist.

Zuerst du, dann alles andere.

Fähigkeiten hat jedermann, mir imponiert das allein keineswegs. In Zentralafrika laufen die Neger so rasch wie die Schnellzüge, die Eskimos schlagen sich als Duell stundenlang ohne Schwierigkeit wechselseitig auf den Kopf und die Theosophen sollen durch anhaltendes Training im Sichzurückvertiefen bereits das Jahr Sechstausend vor Anfang unserer Zeitrechnung erreicht haben. Es kommt bei Talenten nur darauf an, sie seinen Fähigkeiten und Zielen nach zu entwickeln. Ich sehe es lieber, daß ein frischer Menschenkerl in des Schwergewichtsmeisters Flint Buch über das Boxen, in die „Gazette du bon ton“, in eine Zeitschrift des Hokeyspiels, in Henry Hoeks vorzügliche Skibücher oder die „Vogue“ sich vertieft, als daß er mit der Herde seiner Genossinnen Tagores flache Gedichte über Thee gießt, in Jakobus Böhmes Dunkelheit lustwandelt und, Herrn Blümners Niggerrezitation im Kopf und Dadaistenabende im Hirn, über Spenglers „Untergang des Abendlandes“ sich in Urteilen verzückt. Geistmayonnaise ist keine Speise für eine Diana und Mode ist ein zu kleiner Witz für ihre Erhabenheit. Ein gebildeter Tiger ist eine Dummheit, ein schöner Tiger wird aber, wenn er sich vollendet in seine Form gefunden hat, auch immer etwas von jener höheren Klugheit haben, die stets der letzten Vollkommenheit des Lebens zugeteilt ist.

Du wirst, wenn du dich nicht blenden läßt, spüren, daß die schon jenseits des Lebendigen abgebrochenen Dramen des Bildhauers Barlach, wenn du ohne innere Reife an sie gerätst, genau so wenig zu deinem Temperament passen, wie die feierliche Plattheit, mit der Herr Lienhard ein neues Weimar besingt. Und du wirst mit bestimmter Sicherheit spüren, wie gleichgültig es dich läßt, wenn man des Schönlings Gleichen-Rußwurm süßholzwässrigen Kulturgeschichten dir nahebringt, gleichwie wenn du ein aus Schreien und Beleidigungen zusammengesetztes Gedicht von Johannes R. Becher nicht begreifst. Du bist durch deine Gesundheit und Frische von vornherein dafür absolviert, daß dir weder die Eunuchen noch die Verrannten liegen.

Aber ich werde dich gerne bei der Lektüre von allem sehen, das, wie ein Springbrunnen einen Silberball, also mit Kraft und mit Anmut, die Welt schaukelt, denn das entspricht dir ebenso wie jene Nüchternheit, die die robuste Kraft metallen aus dem Dunkel hebt. Du wirst alles von dem zärtlichen und feurigen Melancholiker Alfred de Musset und alles von seinem Nachfolger Hugo von Hofmansthal lesen, alles von Anatole France, der die Leidenschaften seiner Welt in seinem Lächeln bannt und von Eduard Keyserling, dessen Romane die zarte Vollendung der feudalen deutschen Rasse in wohlgeädertes Weltbild heben. Du wirst etwas von Schnitzler und etwas von Sternheim haben. Alles von Shaw, alles von Byron. Fast nichts von den Russen. Vieles von Swift. Alles von Voltaire, der eine Welt mit der Schärfe eines Geistes bekämpfte, der aber verstand sich der Kadenzen der Nachtigall zu bedienen. Alles von Heine. Einiges von Thackeray. Alles von Maeterlinck, der die Ahnungen in die Atmosphäre brachte und alles von Georg Büchner, dessen Jünglingstorso die Helligkeit eines schönen Athleten besitzt und alles von Shakespeare, dem einzigen großen Dichter der Welt, der die Eisenscharniere seines Geistes mit Heroenschönheit frei um die Welt herum zu spannen bestimmt war, als seien es Arabesken, die er im Traum hinmalte.

Lyrik wirkt bei Frauen fast immer provokant. Bei Männern versöhnt wenigstens, daß sie sich infolge des natürlichen Egoismus ihres Geschlechts stets wieder danach in Geschäfte und Politik schmeißen. Die Frau wird von Lyrik aber zu unerträglichen Gefühlsstauungen verführt. Muß es Gereimtes sein, dann sei es Lyrik, die eine Distanz zu den Gefühlen hat und sich nicht hingibt, sondern sich behauptet. Shelly, Petrarka, Baudelaire, Keats, Lamartine, Stadler, Novalis, d’Annunzio. Die heutige Zeit kann sich überhaupt der lyrischen Dichter nur mit Erröten erinnern, denn sie ist weder so voll Schwung, daß sie diese begriffe, noch so voll Sentimentalem im Untergrund, daß ihr die Eichendorff und Ronsard und Verlaine und Mörike lägen. Ich gestehe, was ich auch künstlerisch fühlen mag, daß ich eine Frau vorziehe, welche die Härte der weltmännischen und zurückhaltenden Strophen ähnlich wie die Schönheit einer Plastik mit halb kalter, halb hingerissener, aber beherrschter Leidenschaft bewundert, statt eine Dame zu schätzen, die zwischen den Erregungen der Börse und den Demonstrationen der Politik heute, was man nicht kann, in Sentimenten schluchzt und in Rhythmen wimmert. Die Epoche ist scharf wie Senf, aber die Moustarde wird durch Tränen nicht leckerer.

Doch das Phantastische ist stets ein kleiner Park gewesen, in dem alles, was einer Zeit fehlt oder womit sie zuviel beladen ist, in der Nähe der Träume ausgeglichen in Beeten und Pergolen duftet. In Achim von Arnims „Majoratsherren“ ist das gespenstische Grau, das so schwer zu gestalten ist, wundervoll in der Luft und nimmt den gesamten Meyrink voraus. In Hoffmanns „Elixieren“ tobt das Diabolische wirklich, das in vielen seiner anderen Bücher ein plattes Nichts ist. Die „Nachtwachen des Bonaventura“ bringen die Romantik. Der Russe Remisow das Gespenst der Slawen, das auch in Puschkins Gespenstergeschichten, bei Gogol und Saltikow doch sich nie so lieblich befreit wie bei den Deutschen, sondern an ihren Nerven angehängt bleibt und eine Krankheit eher ausdrückt als das Jenseits und mehr verrückt ist als überirdisch. Das Grausen mit aller Kälte hat Poe in die Wirklichkeit seiner Bücher geschmettert, die auch nur zum Teil gelungen sind, dann aber die vortrefflichsten ihrer Art scheinen. Der Franzose Barbey d’Aurevilly hat in den „Teuflischen“ dasselbe leis verkitscht, Villiers de l’Isle Adam aber in „Edisons Weib der Zukunft“ ihm eine zeitgemäße Mechanik verliehen. Der Maler Kubin hat noch einmal liebenswürdig versucht, den Schatten der romantischen Gespenster aufzurufen, aber sie sind aus den dichterischen Prärien in die Kriminal- und Abenteurerbücher desertiert und haben dort eine exaktere und zeitgemäßere, wenn auch uniformierte Anstellung gefunden.

Mit den Wissenschaften beleben sie den Mond in Erinnerung ihrer guten Vergangenheit in des Polen Zulawskis Roman „Auf silbernen Gefilden“. Der deutsche Scheerbart hat in „Lesabendio“ sie auf die Milchstraße verfrachtet und der Franzose Renard hat sie mit Ironie und Grausen, aber vielem Charme uns Menschen technisch mit unseren eigenen Waffen überwinden lassen. Zur Utopie erzog sie der humane Brite Wells. Zur Exaktheit Conan Doyle, der sie wie Automaten der Klugheit dressierte und den Schlag der Verbrecher und Kriminalgeschichten gründete, der den Abenteurerroman der May und Gerstäcker, Defoe, Kapitän Marryat und Cooper (zu denen auch Walther Scotts „Pirat“ gehört und manches andere bis zu den Kreuzzugepen) völlig abgelöst hat für einige Zeit.

Es war ganz klar, daß diese Mechanik, einen spannenden Vorgang nicht mit Hilfe der Phantasie wie früher, sondern mit allen blitzglatten Hilfsmitteln unserer Technik und Überlegung abrollen zu lassen, das Kino einfach aus der Luft herausziehen mußte, wenn es nicht entdeckt gewesen wäre. Denn Film ist nur die glatte Übertragung der Techniken der Soyka, Heller, Jack London, Eje, Elvestad ins Bildhafte. Film hat mit Theater nur soviel zu tun, als Schauspieler dabei beschäftigt sind. Wer würde aber aus der Tatsache eßfroher Akteure oder tribadischer Aktricen auf die Zusammengehörigkeit von Theater mit der Kochkunst oder den Gebräuchen von Lesbos schließen? Dagegen beweist der Umstand, daß die schönen Gespenster klirrende Maschinen geworden sind, zwar nicht gerade eine Erhöhung der Dichtung, aber keinesfalls, daß die Maschinen schlecht sind. Die Kriminalbücher der Deutschen existieren zwar nicht, lediglich der Österreicher Soyka gehört in die internationale Konkurrenz, allein einiges bei den Skandinaven und Engländern ist in seiner Weise vortrefflich. Das genügt.

In der Liebeslektüre kann man jeder Frau carte blanche für alle Gefühle geben, denn es ist leicht die von fremden Leidenschaften Erschütterte zu den eigenen Leidenschaften zurückzuführen. Von „Aucassin et Nicolettes“ rührender Geschichte bis zu den Büchern des Charles Louis Philippe ist ein weiter Weg, und die gesellschaftlichen Formen, unter deren furchtbarem Zwang die Liebenden sich zwischen Kloster und Bastille suchen mußten, haben sich gewandelt. Heute stehen Spanier auf den Straßen und suchen die Augen ihrer Auserwählten, flirten Engländer beim Sport, Franzosen in den Promenoirs und Deutsche lieben sich in den Gärten. Keine Frau ist unerreichbar. Keine Liebe ist so unselig und so beglückend zwischen das Schicksal und die Sehnsucht gespannt wie früher, als das Mittelalter die Herzen auseinanderriß und die Willkür menschlicher Elemente und starrer Satzung die Natur bei Seite schoben. Du kannst von Richardsons „Clarissa“ über Rousseaus „Nouvelle Heloise“ bis zu Goethes „Werther“ lesen, wie ein Dichter sich auf den Sockel des anderen stellte und wie ein Herz tragisch ans andere durch Nationen und Jahrzehnte rührte.

Ich glaube jedoch nicht mehr an die sichtbare Existenz dieser Gefühle in unserer Zeit, wo die Knechte an der Börse spekulieren und die Damen das politische Wahlrecht ausüben und man den Kokotten, die man zum Diner einlud, am anderen Morgen eine bare Entschädigung für die Abnutzung der Toiletten als Supplement zusendet.

Aber ich glaube mit ganzem Credo meines Herzens, daß die großen Leidenschaften, deren Anmut nicht in ihrer Tragödie endete, immer der Unterton geblieben sind aller schönen Beziehungen, und daß die jetzt veränderten Formen der Welt die gleichbleibende Lage ihrer Melodie nicht zu stören vermochten.

Wenn man wie du ein Gesicht sowohl zärtlich und schön wie Hermelin als auch mit kühnem Bogen der Augen und Nase besitzt, vermag man bei einiger Breite des Sinnes auch zu verstehen, daß Cayennepfeffer die milden Gerichte auf seine Art wie ein Wildpret anregt. Du hast Gelegenheit, um zu vergleichen. Wenn du die Briefe gelesen hast, welche die Nonne von Alcoforado an einen Offizier eines anderen Landes schrieb und die von Abälard und Heloise kennst und Balzacs übersinnlich zarte „Ursula Mirouet“, und die bis ins Verbrecherische zärtlichen Beziehungen Desgrieux und Manons in des Abbé Prevost „Lescaut“ dazugenommen hast und die Briefe der Mademoiselle de l’Espinasse und Flauberts „November“ und des De Costers maischöne „Hochzeitsreise“ und die Frauen des Jean Paul, die dahinbleichen an übermenschlicher Verbundenheit . . . dann kannst du es wagen, nicht ohne Gewinn zu sehen, wie in Crébillons „Sopha“ und in Heinses „Ardinghello“, in Wielands „Biribinker“ und in Heinrich Manns „Göttinnen“, bei Rétif de la Bretonnes zweihundertdrei Bänden und den „Liaisons dangereuses“ des Laclos bis zu des Marquis de Sade Abscheulichkeiten und den männerliebenden Strophen Oscar Wildes und des großen Edelurnings Withman sich vom klaren Fluß des liebenden Feuers die phantastischsten Bündel lösen. Aber du wirst erkennen, daß auch diese Verzerrungen sich von der Liebe nicht trennen, sondern sich von ihr ernähren und daß in ihren Formen, ob sie dir gefallen oder ob du sie verachtest, immer der gleiche Blitzschlag der Größe zuckt wie in der dir gemäßen.

Du wirst dadurch nicht hochmütig werden, sondern du wirst nur eher die Menschen verstehen, wenn sie mit ihren Schicksalen an dir vorüberschweifen und gleich den anderen Kreaturen steigen und fallen nach diesem und jenem Gesetz. Du wirst duldsamer sein und also weltwissender und es wird deiner Leidenschaft auch nur noch das Verstehen jeder anderen hinzugeben. Man wird in Indien nicht Hetäre durch Verführung, Mißgeschick oder Neigung, sondern durch Abstammung, man kann also keusch im Herzen und eine Dirne durch Schicksal sein. Auch die Heiligen werden nicht gezüchtigt, und mancher, der ein Mordbrenner im Herzen schien, erreichte durch Übung den Glauben. Im Grunde ist alles die Liebe. Aber in der Liebe wird man eben alles durch das Leben oder man wird nichts.

Die Venetianer besaßen die besten Diplomaten Europas und ihre Berichte waren erstaunliche Stücke an Schärfe des Auges und des Verstandes, ja sie bildeten sie zu einer hohen Stufe der Kunst aus. Die Handlungen aber des Staates nahmen die Dogen erst vor, nachdem sie alle eingeforderten Berichte verglichen. Du hast nunmehr von dem dir als Frau am leichtesten Zugänglichsten, von der Liebe her zu vergleichen gelernt. Was mir noch übrig bleibt, ist so gut wie nichts. Nun kannst du schwimmen, in welches Problem, welche Nation, welches Genre du willst. Du wirst Grabbe lesen neben des James Morier „Abenteuer des Hadschi Baba“, das der erste Roman über Persien aus dem achtzehnten Jahrhundert ist, wirst den prachtvollen Rheinländer Schmidtbonn mit seiner herben und männlichen Duftigkeit verstehen gegen des Belgiers Rodenbach „Totes Brügge“. Wirst staunend des Bildhauers Rodin Werk über die Kathedralen seiner Heimat neben des Thomas Manns schwächlich schönem, formvollendetem, aber innerlich, dekadentem „Tod in Venedig“ halten, wirst die „Studien“ des pastelligen Idyllikers Stifters neben dem riesenhaften Rabelais genießen, wirst fühlen daß die „Küsse und feierlichen Elegien des Johannes Sekundus“ andere Worte sind wie die des zärtlichen und royalistisch verschwärmten Francis Jammes in „Almaide“, der schönsten lyrischen Tenorstimme des heutigen Frankreichs. Du wirst den Zola, der auch ein Gigant war, trotzdem er etwas tierisch schaffte, neben der von Schwedens Bodendampf mythisch umwehten Lagerlöf lesen. Wirst Wisthlers „Die artige Kunst sich Feinde zu machen“ zu Annette Kolbs zarter Kammermusik in „Zarastro“ legen und die Geschichte des alemannischen Webers, der sich in kindlicher Einfalt der „Arme Mann von Toggenburg“ nannte, zu des gescheitesten Engländers Chesterton „Verteidigung des Schundromans“ tun. Du wirst Schlegels „Luzinde“, das voll schöner leidenschaftlicher Süßigkeit ist, neben die Modebücher der Brüder Goncourt halten, wirst das Buch der Frau von Winternitz von dem wilden Liebesleben der keuschen Vierzehnjährigen neben dem „Schelmufsky“ des siebzehnten Jahrhunderts lesen und kannst die satanischen Ausschweifungen des Huysmans in „La bas“ hinnehmen mit derselben Überlegenheit, wie du an Kerrs Reiseberichten und Dauthendeys Reinheit dich ergötzest. Du kannst den Frauenspiegel der Renaissance von Castiglione und das Leben Dantes von Boccaccio und Quevedos Spitzbubenroman von Segovia mit derselben Gegenwärtigkeit lesen, wie du Storms Novellen, Eichendorfs „Taugenichts“ und Dickens Roman aus den Millionenstädten hinüberleiten kannst zu des Verhaeren flamisch breiten Malereien, zu Schickeles „Glück“ und zu dem „Puppenbuch“, in dem der Lotte Pritzel und Erna Pinner barocke und groteske Figuren einen höhnischen oder vielleicht auch mitleidigen Cancan der Ausgelassenheit auf unsere Mühe, sie zu deuten, tanzen.

Du wirst dadurch so voll von gelesenem Erlebnis geworden sein, daß man dir wie den Bankerotteuren Montecarlos eine Viatique geben muß, um aus den verführerischen Launen der Literatur dich wieder ohne Kosten auf den Kontinent des Daseins hinüberzuretten. Es wird wohl an der Zeit sein, wenn du das alles gelesen und an deinem Wesen wie an einem Pegel und Thermometer die Höhe und die Temperatur der Maße genommen hast, dich wieder der Natur allein zuzuführen. Denn du hast dann für das diesseitige Existieren genug gelesen und jede Zeile mehr wäre zuviel.

Mehr verträgt ein Irdischer nicht, es sei denn, er sei vom Schicksal bestimmt, eine noch steilere Kontrolle auszuüben und die Ausmaße des Lebens auch noch mit denen der künstlerischen Vollendung zu vergleichen und den Gladiatoren der Kunst die Urteile auf die Nacken zu brennen. Einer Frau kommt das nie zu, sei ohne Sorge.

Männern sollte von der Natur erst in den sechziger Jahren, wenn sie statt mit Frauen sich mit Schnepfenköpfen zu beschäftigen beginnen, das kritische Amt vorbehalten sein. Ich fürchte, es würden bei allem Ehrgeiz, den das Greisentum mitführt, selbst die Besterhaltensten dies Alter nicht erreichen wollen. Ist es einem aber bestimmt, durch Schmutz und Crapule ein Stück verdammt geliebter Jugend und herzrot gelebten Daseins dranzugeben, dies Handwerk mit Kunst zu vollführen, so sollen die heulenden Hunde spüren, daß es auf den Schriftsteller ankommt und nicht auf die Meute, über die er sich in gerechter Leidenschaft ausläßt und es soll zum mindesten, wie Châteaubriand von St. Simon sagte, teufelsmäßig für die Unsterblichkeit geschrieben werden.

Man gewinnt kein Ding, wenn man es nicht zugleich liebt und abstößt, und keine Vollendung eines Lebens ward erzielt, die nicht vorher ausgewogen war bei jedem großen Gefühl in den Wagschalen der Liebe und des Hasses. Du kannst dich selbst nur erreichen, wenn du dich durch das Leben selbst gewinnst, aber du darfst nicht scheuen, davor zu desertieren und wieder zu ihm zurückzukehren. Denn nur die Treue, die sich an anderen Reizen durch Untreue erprobt, hat den Zug der Beständigkeit in sich, der dein Leben dann um die stete Achse rundet. Du wirst zwischen der Inbrunst der Bücher und den Banalitäten des Lebens genau im selben Grade leiden, wie du die Unterschiedenheiten zwischen deinen Idealen und der Nüchternheit der gelesenen Schicksale gemein findest.

Das Verhaftetsein an eine einzige Anschauung ist auch im Lesen nicht pikant, und wahrlich zurück zu sich zwingt immer nur die Größe, die Betrug erträgt. Der Herzog von Lauzun, der gerne und nicht ohne Tiefe lebte, schildert eine Dame: „Sie erwiderte mir meinen Besuch zu Pferd, in Dragoneruniform und Lederhosen. Mehr brauchte es nicht, um mich für immer von einer Frau abzuschrecken. Das hielt mich aber keineswegs ab, sie dennoch zu besitzen.“ Er liebte das Weibliche so abgründig, daß er es auch in der provokantesten Form nicht abzulehnen in der Lage war und die sicheren Genüsse nicht über der fatalen Aufmachung vergaß. Man hat verdammte Last mit seinem Dasein zwischen Leben und Kunst und Sein und Schein sich durchzuschlagen, und es bleibt auch dir als Frau nicht erspart, die Kämpfe zwischen deinen Vorstellungen und deinem Blute bitter auszutragen.

Das aber verleiht endlich erst die Reife und die Wollüste jener Überlegenheit, die die Ahnungslosen nie kennen werden, die ohne Geschmack jener Räusche sind, in denen wahrhaftiges Leben und wahrhaftig gepflegter Geist zusammenschlagen, und ich glaube manchmal, wenn du als Diana die Ränder der Wächte mit der Geschwindigkeit des Blitzzuges auf Skiern herunterkommst, ich vermöchte auf deiner Haut auch die Glut deines Geistes zu erblicken. Nur in Liebe vermögen beide sich zum Augenblick des größten Daseins zu verschmelzen. Ich erinnere mich eines französischen Theaters in Paris, wo ein Offizier desertierte und nach einem Dutzend Kniffen und Entwischungen gefaßt wurde. Als sein General ihm die Degradierung verkündete, erlaubte er sich einen Vorwand anzubringen, und als er salutierend vortrat und erklärte: „c’était par amour,“ gelang es dem Kommandeur in keine andere Pose zu verfallen als in eine bewundernde Handbewegung des Verzeihens und Verstehens, und jenes Publikum des Boulevardtheaters hatte mit seinem frenetischen Beifall auch nichts anderes im Sinne, als sowohl die Leidenschaft des Offiziers als auch die begreifende Tugend des Generals mit nationalem und, bei einem so militaristischen Volk wie den Franzosen, menschlichem Beifall zu begrüßen. Mir fällt diese Begebenheit, die an sich bedeutungslos ist, ein, weil an diesem Abend zum erstenmal die Linden für mich Paris mit dem Duft überzogen, der mir früher nur der der Heimat allein war, aber der mir von diesem Tage ab hundertmal in allen Zonen entgegenkam, daß er mir die freundliche Welle des Himmels für alle Liebenden seither zu sein schien.

Denn wärest du durch die Sonne des Morgens nicht im bronzenen Mondglanz deines braunen Gesichtes mit Telemarks um die jungen Bäume des Winterwaldes geschwungen, sondern säßest mit mir im Jasmin eines frühen Sommers oder der Fruchtluft des Herbstes an Flüssen, an Weiden, an Seen, ich würde dir, zwar ebensowenig vollkommen, aber in anderen Namen und Nennungen dasselbe gesagt haben.

Denn nicht die Bücher und nicht die Jahreszeiten und nicht die Liebkosungen machen die Form aus, in der das Glück und die Bereicherung sich begibt, sondern der Sinn der Liebe ist immer der einzige Führer und der alleinige Grund. Und wenn ich von deinem Lächeln, das, selbst ermüdet, unter dem Kaminfeuer noch lockend zuckt, mit dem Vorbehalt des Liebenden sage, es sei wohl ein süßes Lachen aber das Lachen eine Frau, so teile ich dich nicht auf in das Beseligende und das Luder, sondern ich weiß, wie wundervoll der Zauber der Verbundenheit aus diesen beiden dich gestaltet hat.

Denn du bist ja letzten Endes evahaft aus Lehm und Wollust gemacht und bist schon jederzeit zum Leben zurückgekehrt, leiblich und frisch, wenn du nur, etwas schlapp, die langen Beine der Jägerin weit ausstreckst und alles vergißt. Bist du für eine Limousine morgen lieber, oder für Schmuck oder eine Reise nach Tunis, bleibst du die gleiche. Auch Geist wiegt nicht mehr als Eisen und Fleisch, man muß es aufs deutlichste sagen, wenn diese Frage gestellt wird. „Adieu Ihr Freunde, adieu Ihr Bücher“, schrie Petrarka, der gut und in angefülltem Jahrhundert gelebt hatte, beim Sterben und jammerte zuerst um das Dasein, das er verlassen mußte und dann erst um den Ruhm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .“

Solchergestalt Mijnheer hätte ich gesprochen, wenn Sie eine Frau wären. Doch Sie sind ein Mann, aber es gilt dennoch dies Alles auch für Sie!

Mijnheer, man erzählt, daß griechische Helden eine Schar junger Nymphen im Walde des Kythäron trafen, die sie durch liebliche Bewegungen und alle Stellungen der Anmut zwangen, sie mit immer heißerem Atem zu verfolgen, bis sie an einer Quelle plötzlich die Mädchen Waffen ergreifen und mit feurigem Päan schlachtlustig auf sich losstürzen sahen. Sie kämpften den Tag und die Nacht mit den schönen Amazonen, ohne enttäuscht zu sein, denn, was sie zum Liebesspiel zu locken schien am Morgen, blieb als streitbare Erregung in ihren Adern und tobte in der Adligkeit der Kämpfe sich aus, in denen sie statt Geliebten nur Krieger fanden. Ich hätte Ihnen, Mijnheer, nicht vermocht, heute so zu reden, wenn ich das nicht gelebt hätte vor Jahren, was ich heute sagte. Und wenn das Fresko von Büchern etwas verwirrt hängen bleibt, inmitten dieser vorn und hinten abgebogenen Geschichte, so hat es wie der von Löwen gesäugte attische junge Eros die Fähigkeit, sich nach den beiden Seiten des Geschlechts zu adressieren.

Denn was daran die Frau über das Leben zu Liebe entflammte, entzündet den Mann zum Ringkampf mit der Welt. Man denkt oft seinen Kopf zur Ruhe zu legen und steht in Kürze vor dem Streitruf der Amazonen, aber es ist dennoch fatal, einen holländischen Gentleman zu sehen, wo man mit aller Kraft der Phantasie eine nördliche Diana zu sehen gezwungen ist.

Ein Mann ist eine triste Sache, wo die Luft noch nach dem Leben einer Frau riecht. Auch Ihre Ironie vermag mich nicht zu desillusionieren. Ernüchtern ist ein kalter Witz, den die Leidenschaft verzehnfacht an die Wand spritzt. Ich schwärme nicht für Vergangenes, aber ich habe alles gehabte Dasein im Blut. Mit dem faden Panzer des Lächelns und einer Flasche Cointreau kommt man nicht über erbitterte Situationen hinweg, sondern man lügt sich nur eine falsche Maske der Überlegenheit in den Spiegel, statt sich seiner Leidenschaft hinzugeben.

Das Leben wäre verflucht einfach, wenn wir es nicht mit Stolz am falschen und Demut am rechten Platz abscheulich komplizierten.

Ich werde eine Stunde auf den Damm hinausgehen und nach dem Mond ausschauen, der irgendwo in dem Schnee stecken geblieben ist.

Die vierte Nacht

Ich will Ihnen von Norland erzählen, Mijnheer, und die Geschichte vom Lachen des Ski. Zu witziges Zeug grimassiert heute schon durch den Morgen. Bereits, als ich erwachte, glaubte ich das leise Panterrauschen der Sonne zu hören, da entdeckte ich eine Fledermaus hinter dem Laden und draußen stand der Sturm. Im Sportraum kam mir der Springer Schneeberger entgegen und hinter ihm saßen auf den breiten Ofengalerien die besten Läufer Deutschlands zwischen den Aktrizen vom Film. In jedem Sporthotel der Welt siegt der Bedeutendste seiner Branche, und Thor und Apoll und der junge Alexander treten trotz der Seltsamkeit ihrer Schönheit zurück hinter Jockey Schmidt in Iffezheim, dem Boxer Dempsey, dem Tennis-Wilding, dem Ski-Schneider aus St. Anton, der seine vierzig Meter ebenso toll wie traumwandelnd sicher springt. Nun aber sah ich, daß die robusten Burschen ihre Haare in Netzen trugen, mit welchen Toilettefirmen ihre Reklamehelden gern in Zeitungsinseraten zeigen. Sie sangen ein bayrisches Schnadahüpferl mit Einstieg zum Fenster über das Heu, während man doch hier zum Stall nur durch einen Tunnel unterm Schnee kommt, aber das brachte mich nicht zum Lachen. Nur wie ich, nunmehr den Schneeberger, Springer erster Klasse, an dem von Eiszapfen bis zum Boden vergitterten Fenster die zwei Kufen seiner Springskis mit Skiwachs glätten sah, und sich sein schwarzes Gesicht über dem Katzenkörper verweibt in der beschleiften Haube bewegte, fiel mir über alles Pêle-Mêle hier Norland ein und das Lachen des Ski.

Es wird keine lange Geschichte, Mijnheer, und sie ist nicht kurzweiliger wie viele, aber ich muß ausholen dazu, jedoch nicht weiter wie mein Arm breit ist. Ich bin Liebhaber der Sports wie Sie, nicht nur um des Mutes, der Gefahr und des Risikos willen, die ich mir dabei beweise, sondern auch um der Pausen willen, in denen im Gegensatz zu „in Form sein“ der Fachausdruck „faul sein“ heißt. Man kann von diesem Beruf aus nämlich, ohne die Hetzjagd der Epoche mitzumachen, auch wenn man manchmal verdammt gestrafft nach der Leistung packt, sich nachher ohne Besorgnis die Welt auf den Bauch scheinen lassen, wie alle Inselmenschen es jahrhundertelang taten und alle rassigen Tiere es lieben.

Aber, hören Sie, Mijnheer, ich bin nicht nur verliebt in die Sports, sondern ich bin passioniert an dem Handwerklichen, das ihre Ausübung bis zur Vollendung erst ermöglicht. Ich bin nicht nur mit einem rotbraunen Segel an der Savoyer Küste gefahren, mit einem roten in Bjerred, einem grauen in Brunshaupten, einer weißen Fregatte in Genf, moosgrün zwischen Marstrand und Göteborg, purpurn in Südfrankreich und mit milchgelbem Spinnacker vor Tutzing und Schloß Berg im Gewitter gelegen. Sondern ich wußte auch, daß an dem savoyer Boot die Schwalbensegel kreuzweis den Wind nehmen mußten, daß mein Ostseeflunderboot keinen Kiel hatte und einen fatalen Fock, daß die Rennjolle des Starnberger Sees so überfeinert war, daß sie dem Fingerdruck, ja der Idee schon parierte, während das Boot der Marseiller rund wie ein Walfischrücken sein vierecktes Segel nicht anders wie eine Harpune gehißt hatte, und daß auf dem Kahn, mit dem wir durch die Schären nach Christiania zu kommen suchten, das Schwert nicht marschierte und bei Sturm das Großsegel riß . . . und ich war verliebt in die Fehler, weil ich sie kannte und daher beherrschte.

Aber die Vollkommenheit der Yacht erst, Mijnheer, die Vollkommenheit der Yacht erst, mit der wir zwischen Schachen und Mersburg an den blühenden Obstbäumen den Bodensee entlang fuhren, war so erschreckend, daß mich nur die Grimassen trösteten, mit denen die Schweizerinnen im Badeanzug auf meiner Luvseite beim Vorüberrauschen die Bewohner der Villen ärgerten und damit jede Sekunde der Blitzfahrt durch ihren Klamauk gefährdeten . . . . Denn da ich Gefahr plötzlich sah, war ich gespannt auf dem Posten und durch die Witze über die Unfehlbarkeit des Bootes versöhnt und erheitert.

Mijnheer, nebenbei, die Geschichte der Menschen ist möglich ohne Aeschylos und Dante, aber ausgeschlossen ohne Segelei. Die Entdeckung der Beziehung zwischen Leinwand, Wind und Pinne ist die genialste Kombination dieser Erde. Das gesegnete Hirn, das sie warf, besaß die Kühnheit vorher unvorstellbarer Gedankenflüge. Daß man um Troja kämpfte, ist eine Bagatelle, daß man es beschrieb, ein Witz. Daß man hinsegeln konnte, war erst die Leistung. Auch sonst erfand sich ein Messer, ein Mord, ein Dampfer von selber. Beim ersten Segel müßte die Zeitrechnung unserer Rasse beginnen. Ich liebe inbrünstig das Segeln, ich beherrsche es besser wie den Ski, aber ich wollte Ihnen von Norland erzählen, ich schweife ab, aber es ist nicht ohne Sinn.

Ich habe in Norland die Vielheit des Schneehandwerkzeugs kennen gelernt, das deshalb so vielfältig ist, weil man ohne es nicht leben kann in dieser Zone. Von Finnland bis Lappland geht seit der Urzeit der Verkehr nur auf den Brettern, gäbe es die nicht, stürbe man dort aus. Der Ski ist ein nationales Instrument, und wer es nicht von Geburt besitzt, kennt es nicht wie alles Nationale, was man hat aber nicht lernt. Darum sind diese Hölzer fast von Geschwätzigkeit, weil sie die Gefahr und die Kunst von Jahrhunderten erzählen, bis sie so wurden, wie sie sind.

Während die Deutschen ohne Tradition dieser Art nur ein paar Sorten Hölzer besitzen, ist von den blonden Schweden bis zu den fetten Eskimos die Form verästelt in hunderte von Arten. Ich sah von Upsala bis zu den Lappen breite Schaufeln wie Lotos, dünne Renner, dreifach über unser Maß gelängte, in der Mitte gekerbte, die aussahen wie Brillen, gewundene wie Schlangen, vorn geplattete oder plötzlich wie Zungen gespitzte, ich sah sie in abenteuerlichen Formen und sah sie in roher Nüchternheit.

Aber einmal, als ich von dem Zeltdorf der grünlichen Lappen mit einem Rudel schwarz gekleideter mit grünen Blusen geschmückter Kinder zur Feier der Heimkehr specktragender Weiber den Hügel herunterlief und abschnallte, sah ich eine Figur auf den Ski geritzt. Sie stellte einen Lappen dar in unanständiger Stellung, der sich im Sturz befand und die Skispitze abbrach. Ich amüsierte mich über den Fetisch, aber ich hörte, daß der Besitzer der beste Läufer der Gegend war, und daß seine Hölzer in Holz und Kufung so vollkommen waren, wie seine Fähigkeit, sich ihrer zu bedienen. Er hielt es aus irgendeinem Gefühl aber für nötig, seiner Vollkommenheit seinen Hohn entgegenzusetzen. Man hatte durch die Jahrhunderte sein einziges Werkzeug bis zur letzten Spitze des Möglichen getrieben und kann nicht weiter. Da belächelt man sich. Man nannte das Bild „das Lachen des Ski“.

An diesem Sonntag durchschaute ich guter Junge einen Haufen Weltbetrug:

Ich verstand, daß es nie Helden gegeben, und daß, wenn irgendwelche Irdischen wirklich Kerle waren, die selbst den Himmel zu erschrecken im Stande schienen, sie dennoch fraßen und stanken und es nicht verbargen, sondern sich damit preisgaben, um nicht in Würde zu krepieren. Entweder gab es Götter oder es gab Menschen, und alle Halbgötter waren Humbug der Zeit, die sie zu ihrem Gebrauch fabrizierte. Wer Größe hatte, besaß stets den Mut sich zu verspotten und erhellte durch das Gelächter seinen Mut.

Selbst der Olymp mit den menschenähnlichen Göttern und das gute Walhall suchte den Ausgleich und tobte vor Witzen. Kein großer Maler fiel mir ein, der nicht Karikaturen von sich machte, und Eurypides hat ebenso den Diminutiv von sich geliebt wie Scipio sich verlachte und Bonaparte freudig fauchte, wenn einer den Spott gegen seine Kriegsführung trieb. Die primitiven Völker entstellten sogar die Bildwerke ihrer Weiber durch enorme Busen und Schenkel, um sich mit dieser Verzeichnung ins Über-Üppige den Geschmack an der Wirklichkeit noch gepfefferter zu machen, und selbst den Kultdramen der Griechen sandte man, um die Heiligkeit des Pathos auszugleichen, gewisse Zoten hintennach. Stets befreite sich die bedeutende Person ebenso wie die Vollendung einer Epoche von der Bürde der Größe, indem sie dieselbe ironisierte und ins Menschliche somit zurückzog.

Nur die fahlen Schatten spanischer Kaiser ersannen den Trick, sich nie zeigend, in ihrer Würde zu verschwinden und einige Dichter mit vielem Ehrgeiz und mangelnder Sicherheit zu ihrem Talent machten die Geste ihnen nach, sich nicht preiszugeben und täuschten durch gesalbte Regie und Prophetentum hinter den Mauern dem Volk eine Bedeutung vor, die sie vor sich selbst nie zu glauben gewagt hätten. Denn sie hätten den Mut sonst gehabt, sich preiszugeben statt sich zu verstecken.

Wer den Schneeberger wie eine Katze des Gebirgs von der Schanze in die Luft sausen und nach vorne fallen und nach vierzig Metern mit einer glühenden Kurve den Boden des Abhangs wieder fassen sah, fand die Geste liebenswürdig, mit der er sich durch das Kopfnetz verkleinerte, und wer den Lappen schwingen sah, hatte erst an dem „Lachen des Ski“ den Maßstab, sein Könnertum zu bestaunen. Man gewinnt nur, wenn man riskiert. Und man ist nur schön, wenn man sich im Häßlichen beweist. „Er verstehts,“ sagen die Liliputaner von den Cagliostros, die sich mit Würdenebeln vor der Pupille der andern verstecken, aber sie gröhlen dann mit vor Vergnügen und halten sich den Magen, wenn die geölten Gauche bald zusammenkrachen. Das Leben ist verdammt grausam und läßt den Würdling, der ihm ausweicht und sich aufbläst, platzen wie ein Meßschwein. Nichts bleibt verborgen, man kann beruhigt schlafen.

Das Lachen des Ski taucht auf, sowie eine Zeit ihren Zenith erreichte. Sie hat dann stets für ihre Erhabenheit einen Gettatore mit dem bösen Blick gefunden, der sie bis zur wollüstigen Komik beschielte. Das Mittelalter war bereits seiner Sache so sicher, daß es sogar in seinen Domen sich verspottete und in die stolze Brust dieser heiligen Monumente Wasserspeier voll Sodomie, Klerikerstatuen im Zustand wilder Cochonnerien und die Bilder seiner Baumeister in undezenten Posen aufnahm, genau wie die ägyptischen Kulturen so mächtig saßen, daß sie den Künstlern gestatteten, in den Friesen die Herrscher zu verhöhnen.

Die katholische Kirche, die das fundierteste Gebäude auf dieser Erdkugel hat, ist so dehnbar und leutselig in ihrer Unangreifbarkeit, daß sie das Lächeln des Spottes mit jener Vorliebe aufnahm, deren Liebenswürdigkeit von vornherein garantierte, daß es die Attacken tötete, indem es sie ohne Abwehr ertrug. Von den sadistischen schwarzen Messen bis zu Origines, der sich der Sainte Vièrge zuliebe entmannte und dem spanischen dritten Karl, der keine Geliebte nahm, um es seinem Beichtvater nicht gestehen zu müssen, infolge seiner Vollblütigkeit jedoch verrückt ward, ja bis zu den Faschingfesten, die dem Fasten vorausgehen, und dem Papst, der ein Weib war, begleitet das Lächeln ihren Bau hinauf bis an die Spitze.

Es begleitete auch, wie ein Zwerg die Fürstinnen, die Gesellschaft. Je höher ihr Stil, um so klarer das Lächeln. Je verderbter und köstlicher die gesellschaftlichen Formen, um so vollendeter das Lächeln. Es paßte sich denen an, die es geleitete, und das Rokoko war schließlich und nicht nur in Mozarts Musik und Molières Stücken ein ewiges zartes Gelächter über sich selbst. Die Österreicher allein haben etwas von dieser Grazie der Satire bewahrt, da sie sich niemals ganz für ernst nahmen und genau wußten: daß sie bereits seit zweihundert Jahren tot seien und daß man also nur noch als sympathische Leiche fast wider Willen und erstaunt über seine eigene Atmung noch lebe.

Die Deutschen verstanden die Satire nie im Sinn des Spiegels, sondern sie führten sie fast stets als Streitaxt gegen zeitliche Feinde und machten sie zu Waffen der Politik. Michelangelo hat in einem Sonett angedeutet, der Dichter dürfe nichts schaffen, was die Zeit vernichten könne und hat gewußt, daß, wenn die angegriffene Unke geplatzt ist, der Angreifer nur die komische Figur bleibt. Die Deutschen attackierten Zustände, aber trafen die Menschen nicht mit. Im Mittelalter turnierten sie gegen die Dämonen, als die Blüte dieser Epoche schon vorbei war, später mit Rosenblüt und Hans Sachs gegen den Klerus. Huttens Satiren sind Plaidoyers eines Staatsanwaltes, Fischarts Werk ein ungeheuerliches persönliches Pamphlet. Der„Simplizissimus“ Grimmelshausens ist nur zufällig satirisch und im „Squenz“ hat Gryphius einen Spott ausgegeben, den er für seine Sachen in gleicher Weise verdient hätte. Das siebzehnte Jahrhundert ist von Moscherosch bis Reuter pedantisch und ohne Grazie, lediglich der „Schelmufsky“, der aber nur eine Mode belacht, hat einen zeitlichen Schmiß. Wieland war ein glatter Bursche und hatte genau den Flair, worauf es ankam und übte sich trefflich und elegant in der Manier des „Don Quichote“ und der „Pucelle“, aber vergaß, daß die Grundlagen des deutschen Wesens in gar keiner Verbindung standen mit dem Feenspiegel, den er ihnen vorhielt. Denn es gab keine Typen, die er hätte zeichnen, keinen Charakter, den er hätte karikieren können und keine nationalen Zusammenhänge, die sich wieder erkannt hätten. Er gab wie jene Leute, die mit Visitenkarten seinerzeit herumliefen, auf denen „Neffe Rossinis“ und „Freund von Liszt“ stand, lediglich eine Kopie der fremden Satiren und bedachte nicht, daß Freund oder Neffe eines Genius zu sein nicht bedeutet: Genie & Co.

Bei dem witzigen Liscow und dem hellen Lessing ward der Kampf eine Zweckfrage des Schreibtums und blieb eng im Rahmen der Literatur. Zachariäs „Renommist“ ist ein Studentenwitz, weiter nichts. Es gelang keinem, über die Opfer seiner Schüsse hinaus, an menschlichen Zielscheiben die ewig menschlichen Gebrechen zu belächeln. Sie schossen auf rohe Studenten, armselige Pastoren und auf die Gans des Aberglaubens, ohne den Ehrgeiz zu haben, erst hinter dieser Jagd den Horizont der irdischen Schwächen und Stärken liebevoll aufzuziehen. Sie durchbohrten einen Panzer, aber das Herz war ihnen ein Schmarrn. Die Armen brauchten alle Kraft, um nur die ersten Hiebe zu tun, denn um ein Zentrum zu treffen, muß eines vorhanden sein. Zeiten ohne Humor sind miserable Zeiten, nicht weil ihnen das Salz fehlt, denn es können zahlreiche Witzbolde in ihnen herumrennen, sondern weil sie nicht so üppig sind und so ausgewachsen, um sich mit einer gewissen Wollust in der Ironie zu baden.

Es kommt nämlich auf den Rückschluß an, nicht auf die Betonung. Es kommt nicht auf die Mäuse an, sondern auf den Speck in der Nähe. Es ist an sich gleichgültig, ob es Satirisches gibt, aber wo Satirisches funkelt, ist bombensicher eine vollendete Zeit in der Nähe. So ist der Weg. Jean Paul, der mit seinen scharf gedachten „Grönländischen Prozessen“ keinen Erfolg fand, der aber ein Riesenwerk der Satire als Talent zu bauen in der Lage gewesen wäre, beweist, daß nur Humor, daß nur das persönliche Gelächter über die Welt anzustimmen den Deutschen möglich war. Er konnte nicht die Zeit, ein wenig schief gelegt, formen, sondern er amüsierte sich auf eigene Faust. Wilibald Alexis bluffte seine Landsleute, indem er ihnen einen Roman als Übersetzung Scotts vorsetzte, das war aber nicht Satire der Zeit, sondern ein Witz, den die Zeit ihm erlaubte.

Zweimal nur gelang es vor Heine, einen Zipfel der Epoche lustig und erhaben zu stehlen aus der Rüstkammer der sortierten aber nie gesammelten deutschen Begriffe, das war in „Minna von Barnhelm“ und in Büchners „Leonce und Lena“, wo Lessing das preußische, Büchner aber einen Teil jenes romantischen reellen Weltgefühls der Deutschen (über ihre siebenundachtzig Potentaten hinweg) menschlich festzuhalten vermochte. Meissonier macht mit Unrecht den Deutschen den Vorwurf, der Protestantismus habe sie statt zu Überlegenheiten zu nüchternen Kostspendern wie Kaulbach und Piloty geführt. Der Protestantismus hat ohne Zweifel den Wurzelkeim einer nationalen Kultur zerrissen, wenn er überhaupt bestand, aber mehr Schuld ist ohne Zweifel, daß die Führer ihre Deutschen klein gehalten und nur zum Genie der Gesetzparagraphen erzogen haben. Ihre Freiheitsidee ist von der Schwungkraft eines Karussells, sie saust nach außen, aber sie baut keinen Staat, ihre politische Einsicht vermag nicht die Bedürfnisse augenblicklicher Not oder Gewinne zu überspringen, und ihr nationales Bewußtsein ist immer, soweit es öffentlich betont wurde, das von Generälen oder nationalistischen Gauchos gewesen. Daß Deutschland viele Hauptstädte hat, büßt es damit, daß es keine geistige Zentrale besitzt. Und daß dadurch wohl Leben aber kein zentrales Bewußtsein in das Volk drang, zeigt sich heute, wenn der republikanische Staat in seiner Ausbalanziertheit bereits wackelt. Undenkbar, daß die Provence, daß Smaland, daß York abfiele von ihren Mutterstaaten, weil ihnen da in der Leitung etwas nicht passe oder sie eine andere eigene Form der Gouvernements vorzögen. Daß Bayern wie ein Kind monatlich damit droht, beweist nur deutlich, daß die Deutschen noch nicht Deutsche sondern eine Zusammenstellung von Charakteren, und daß sie nicht national, sondern Querköpfe sind.

Heine ist der einzige Künstler, der eben dies und dazu vom Ausland her, wo er exiliert saß, fast zu einem Weltbild der deutschen Art zusammenzuschließen vermochte, indem er es mit den Tönen der höchsten Liebe verspottete. Er verstand es allein, wie Voltaire auch, im obersten Sinne national zu sein, indem er angriff und spiegelte. Deutschland hat nicht an ihm gelernt, sondern hat ihn verachtet, und weil Heine wagte, es durch seinen liebenswürdigen Hohn zu erziehen, hat es ihm ein Denkmal verweigert, das es ihm unweigerlich gesetzt hätte, wäre er in der Lage gewesen, in der militärischen Laufbahn einige Städte zu zerstören. Die Satire springt aber hier aus dem deutschen Spiegel und setzt sich mit dem blanken Rückenteil der Epoche mitten in das Gesicht. Sie wird unfreiwillig. Nicht das Vollendete erfreut sich seiner Karikatur, sondern das Unharmonische macht sich erbärmlich, indem es die Windmühlen angreift, die es von einem Feenberg necken. Die Deutschen verachten das Spiegelbild, das, wenn es in seiner satirischen Schiefe recht hätte, nur der Beweis der Höhe ihrer nationalen Kultur wäre und sie verachten sich damit selbst.

Des Briten Pope „Lockenraub“ und Boileaus „Lutrin“ und des Italieners Tassoni „Geraubter Eimer“ und Cervantes Bücher sind aber nicht Angriffe gegen betrunkene Studiker oder eifersüchtige Lords oder ehrgeizige Kleriker oder fahrende Ritter, sondern sie sind vorzügliche Karikaturen der Menschen in eine unbeschreiblich schöne Spiegelung der Zeit hineingezeichnet, so etwa, als beuge sich jemand über Wasser und es bliebe, durch eine Welle gestört, das Bild auch unter dem Zittern mit solcher Klarheit, daß man die Anmut und Grazie auch durch die Verzerrung zu empfinden verstände.

England und Frankreich entwickelten die literarische Karikatur so, daß sie Bestandteile des nationalen Lebens wurden und der Schritt vom Sublimen zum Belachbaren nicht ein Vorwurf, sondern ein Vorzug wurde. Molière und Lafontaine und Boileau waren nicht die Karnickel, sondern die Schoßkinder ihrer Zeit, die ein Entzücken darin fand, die Feinheit zu studieren, mit der man die Fehler ihrer Rasse bespottete. Auf dem französischen Theater erzog man den heroischen Ton so, daß er in seiner höchsten Pathetik bereits wieder die Untermelodie des Mokanten erreichte, kein Staatsmann, kein Künstler war zufrieden, wenn ihm nicht sein Erfolg und seine Bedeutung dadurch bezeugt wurde, daß man ihn anmutig verlachte. Fénélon hat den Franzosen seiner Zeit in seinem „Télémaque“ über die Scherze, die er sich mit ihnen erlaubte, hinaus sogar ein Idealstaat gezeigt, Le Sage ließ sie durch seinen Teufel einen Blick in alle Häuser tun, Montesquieu traf mit den reisenden Orientalen, die über Frankreich zum Orient berichten, den entzückenden Blickwinkel, der alles unter dem Vergleich mit anderen Weltsitten veränderte,

Voltaire ward der Riese, der ohne Gewalt nur mit dem gierigen Zug seiner Grimasse den Klerus und die auf ihm hockende Masse des Staates zerlächelte, bis Beaumarchais Gelächter eine Zeit völlig in ihrem Stürzen begleitete, deren Rekonstruktion als bürgerliche Gesellschaft Anatole France mit einer weisen und müden Ironie wieder zu Tod zu lächeln beginnt, wo sie schon wieder ein Jahrhundert alt und schon greisenhaft zu werden anfängt. Man wird Satirisches in Frankreich nie mißverstehen und nach Möglichkeit nicht verfolgen, das Volk ist in der Lage, jede Bemerkung auf ihre Ironie und ihr Vorbild hin sofort zu verstehen, es ist tatsächlich so erzogen, daß es fast automatisch beim Heroischen bereits das Belachbare sieht. Weil sie diese Fähigkeit, im wahren Sinne dem Leben gegenüber Esprit zu beweisen, bei den Deutschen vermissen, haben Constant dem Nüchternen und Stendhal dem Verquollenen und nicht Charakterfesten an ihnen die Schuld für ihre fehlende Kulturbasis gegeben. Wenn man der Sarah Bernhardt die dürr wie eine Peitsche war, aber sehr fette Finger besaß, den Rat gab, sich zur Bequemlichkeit lieber auf die Hände zu setzen, so ist das ebenso bezaubernd wie unanständig, lobt und verspottet die Künstlerin gleichermaßen und wird überall genau so verstanden, wie wenn ihr großer Komödiendichter sagt: „J’aime mieux un vice commode / Qu’une fatiguante vertu,“ — — — was nicht ein Paradox sondern ein witzig gebrachter und verstandener Bestandteil des Volkscharakters ist.

In England folgte das Volk mit fast ehrfürchtiger Scheu den literarischen Verzierungen, die, aus Gelächter gebogen, an den Bau der Gesellschaft angefügt wurden. Pope ward zwar wegen einer Pasquille gegen einen Lehrer aus der Schule geschmissen, vermochte aber ganz Europa mit dem Ruhm seiner satirischen Schriften so zu erfüllen, daß er sich vom Erlös einer Übersetzung allein ein Landgut kaufen konnte. Das England um Siebzehnhundert zitterte vor Swift, und die Regierung mußte, weil er dagegen war, achtzigtausend Pfund Sterling Kupfergeld aus Irland zurückziehen, da, obwohl Newton die Güte bescheinigte, Swift erklärte, es sei ungut und das Volk ihm glaubte. Auch Dickens und hundert Jahre nach dem Verfasser des Gulliver hat Thackeray in „Punch“ und in „Vanity-fair“ seine Gesellschaft in ganz großen Karikaturen gefangen, die oft fast an die Predigt eines Sardonikers erinnern. Swift aber hat am tollsten eine Tradition geschaffen, an deren Gültigkeit England glaubt, und hat, wie Demokrit mit dem Maskenbündel, bald dieser bald jener Seite seines Volkscharakters ein anderes Spiegelbild gezeigt, unerschütterlich in seinem Angriff und seiner Zusammenfassung der Zeit.

Er konnte seinem Werk sogar den ausgezeichneten Einfall hinzufügen, daß er sein Leben dem Geist seiner Bücher anglich, indem er als Epileptiker geboren ward und als Idiot verstarb. Während die Franzosen durch Frivolität weise zu werden suchten, indem sie lachen, haben die Briten eine orthodoxe Miene im Gesicht und haben darum eine unbegrenzte Hochschätzung vor ihren Karikaturisten, weil sie den Sinn der Moral in ihnen sehen und sie daher lediglich für eine Sorte von Lachern halten, die ein strengeres Zusammenraffen des nationalen Geistes in dieser Maskerade verlangen. Beide aber wissen, daß ihr Zerrbild im Grunde ein Lob ist und letzten Endes eine positive Sache wie jeder Witz.

Die Deutschen aber haben für die, welche ihre Heimat lieben, den Spruch vom Vogel entdeckt, der sein Nest beschmutze und sich, was ihre Fehler angeht, in einen abscheulichen „cant“ verkrochen. Sie haben ihn oft den Briten vorgeworfen, aber diese haben an Selbstkritik stets das Letzte geleistet, wenn sie auch Heuchler in anderen Dingen sind. Aber die Deutschen haben sich einen Traum von ihrer Erlesenheit und Vorzüglichkeit angedichtet, dessen Anzweiflung schon Ausschluß aus der Volksgemeinschaft bedeutet. Kritik aus Liebe zu Deutschland üben heißt Fehme auf sich nehmen.

Das hat diejenigen, welche ihre Heimat und ihre Zeit neuerdings satirisch spiegeln wollten, durch diese erbiesterte Form der Ablehnung nicht zu Lächlern, sondern zu Pasquillanten gemacht. Sie haben oft Liebe sagen wollen, aber es ist ihnen im Mund zu Haß geworden. Es ist der gleiche Liebeshaß, der die Geschlechter unter Bissen zueinanderwirft, der auch ihre Stellung zur Heimat ausmacht. Die Deutschen wollen nicht erzogen werden, die Dichter aber meinen, man müsse sie erziehen oder sterben. Die Deutschen wünschen, daß diese Schreier, die ihnen Fehler zeigen, das Land lieber verlassen. Diese aber meinen, man müsse diese nationalistischen Schreier erst erschlagen, um an Deutschlands Herz zu kommen. Was die Franzosen lieben und die Engländer verehren und was beide zu einem Block nationaler Größe zusammenschließt, erregt in Deutschland den moralischen Bürgerkrieg. Das Volk vermag im Schild dieser Kämpfer nicht sein Gesicht zu sehen, weil dieses Gesicht in Wirklichkeit nicht besteht, die modernen Satiriker glauben aber, sie müßten wie Savonarola hetzen, um das Volk auf seine Fehler zu stoßen.

Sie reden dabei aber eine Sprache, die das Volk nicht versteht, weil es ja auch seine Fehler nicht sehen kann, da diese Fehler in seinem Gewissen nicht bestehen. Die Deutschen haben eben keine Gesellschaft, denn besäßen sie diese, hätten sie einen nationalen Ausdruck und seinen Zwillingsbruder, die Satire. Es wird hier ein furchtbarer Kampf gestritten, da jeder leider vom besten überzeugt ist und man sich in dieser Überzeugung die Gurgeln abschneidet ohne Resultat.

Nach einer großen Demonstration gegen die Reaktion sah ich in einer Straße der Altstadt ein neues Spiel, ein Junge hatte den anderen unter sich, schlug ihm den Kopf auf den Boden und schrie: „Sag, es lebe die Republik!“ Man lehrt es so nicht, indem man dem, der rufen und glauben soll, den Kopf zerhaut. Man müßte eine überzeugendere und überlegenere Art finden, sich mit seiner Meinung durchzusetzen. Da es ohne Frage ist, daß Satire nötig und daß sie fruchtbar ist, darf sie sich nicht, wie in Deutschland gemeinhin üblich, vorher selbst kastrieren. Es wird da leider aus Haß der Zuneigung nicht gespottet, sondern gehaßt. Es wird nicht angegriffen, sondern es wird vernichtet. Der Delinquent, den man überzeugen will, wird zuvor in den Bauch getreten, eh’ er Argumente hört und hat infolgedessen Recht, sich Belehrungen zu verbitten, die Belästigungen sind.

Man rennt wie wild geworden gegen die Zeit los, aber man spießt auch tatsächlich nur Institutionen auf. Man kommt, während man geistig hinreißend sein will, in den Ruf, ungebildet und frech zu sein. Leider wird auch gar nicht versucht, die Menschen durch ihre Zeit zu bespiegeln, sondern sie werden wie Indianer-Gefangene skalpiert und hingerichtet und zum Schluß verspeist. Das gebildete Publikum hat seinen satirischen Schriftstellern gegenüber die Einstellung des Mannes, der ausspuckt, oder es hat die Angst, die Andersen hatte vor Heine, von dem er kindlicherweise annahm, er verschlinge ihn, obwohl es ein Weltmann war, den er dann traf. Die deutschen Satiriker nutzen im Augenblick nichts, sondern sie verderben nur, im besten Falle geben sie der Zukunft ein Material über die Zeit.

Sie sind eben tragischerweise nicht die ungezogenen Kinder der Zeit und der Nation, sondern sie sind fremde Bastarde. Die Nation erinnert sich keiner Fehltritte, die Bastarde bestehen darauf, die Nation davon überzeugen zu wollen, daß sie dennoch die Produkte dieses Fehltritts seien, sowie daß Fehltritte unnötig seien, wenn die Nation sich rechtmäßig mit einer anständigen kulturellen Haltung kopuliere. Schmerzlich ist, daß wohl seinerzeit die Kreuzzugprediger von allen begeisterten Völkern trotz ihrer anderen Sprachen verstanden wurden, daß die Deutschen aber wie Kaffern und Chinesen einander nicht verstehen und dadurch nur mißtrauischer werden.

Hätte Heinrich Mann die Zartheit Anatole Frances besessen, so hätte er seine satirischen Bücher statt als Kanonade gegen seine Zeit mit der Ewigkeitseinstellung des Dichters losgelassen. Er hat, wo er den Bürger zerknittert, keine Distanz sondern Vergnügen an der Vernichtung. Es wäre darauf angekommen, zu zeigen, daß die „Untertanen“ und „Professor Unrat“ nicht getötet werden müssen, sondern daß dies der winzige Teil einer menschlichen Schwäche sei, die amüsant besonders im wilhelminischen Zeitalter blühte. So wäre zur Objektivität die Heiterkeit gekommen, die Frances Spitzbart umwölkt, und dazu vor allem die Wirkung. Denn Manns Romane haben die Deutschen nicht gebessert, sondern ihren Feinden nur das Material zu ihrem schadenfrohen „Kreuziget“ gegeben. Er hat nicht die Einstellung des weisen Mannes gefunden, der das Kleine nicht allzusehr beachtet und das Große auch nicht als Dupe hinnimmt, sondern vielmehr die die Welt als das Vergängliche, das sie ist, mit graziöser Skepsis zwischen den gespitzten Fingern aufhebt. Obwohl neben den Novellen die satirischen Romane seine besten Arbeiten sind, erreichen sie um dieser Einschränkung willen nur den dokumentarischen, nicht den menschlichen Wert großer Kunstwerke.

Sternheim hat den Instinkt für Voltaire viel gerissener im Blut und weiß eher, daß nicht die Zerfleischung, sondern die Sammlung der Untugenden in einer komischen Linse not tut, er hat einige meisterliche Novellen für Deutschland geschrieben, aber die Maßlosigkeit seiner Ausdrucksweise zerstört das meiste seiner Wirkung. Er ist wohl der Ansicht, es sei überhaupt nicht für die Gegenwart sondern für ein Publikum der Zukunft zu schreiben, allein er weiß nicht, daß das Kolossale einer satirischen Wirkung nicht durch die Unflätigkeit des Ausdrucks, sondern durch die möglichst unbeteiligte Form geschieht, mit der man seine Nation in den schrägen Winkel gleiten läßt, der das Bild ins Komische bricht.

Gottfried Benn, der ein ausgezeichneter Dichter ist, hat sich manchmal in einer Abhandlung über die Zeit dem trockenen Ton der Sachlichkeit genähert, allein sein „Modernes Ich“ erfordert Voraussetzungen an Gescheitheit, die ein auf Wirkung lüsterner Autor nicht stellen sollte.

Trefflicher verwendet die chronologische Exaktheit in der Zeichnung Hermann Essig, dessen „Taifun“ das beste satirische Romanbuch in Deutschland seit langer Zeit ist. Allein seine Welt ist die einer künstlerischen Clique und weder Herr Herwarth Walden noch sein Kreis, die sich mit der Lanzierung einer abstrakten Malerei beschäftigen und hier beschrieben sind, rücken so in die Lupe, daß sie einem deutschen Nationalcharakter sich nähern, vielmehr eher jener siebenten Sippe der ersten Familie der vierten Ordnung Raubtiere, nämlich den Katzen (Felidae), deren Gehabe gleichfalls von Essig liebevoll und distanciert betrachtet wird.

Noch skurriler verkümmert in literarischem Gehabe die satirische Bemühung von Karl Kraus. Seine Stimme erlischt zwar nicht wie die der meisten kritischen Schreiber, wenn ihr Verleger ihnen das Engagement kündigt und die aufgeblasenen Armseligen einflußlos auf der Straße liegen, denn erstens ist sie so bissig, daß sie nur unabhängig ertönen kann und zweitens geht sie ohnehin nicht über die Wiener Vorstädte hinaus. Er gibt seinem Organ daher gern die Färbung des Teufels, der einhergeht wie ein brüllender Leu, aber es ist aus der Nähe nicht ein Raubtier sondern ein Verbissener, und aus der Entfernung kein Bespiegler sondern nur ein lokaler Craqueur. Die Satiriker, die nahe bei Epikur stehen müßten, haben sich Mars zugewandt und tragen keine überlegenen Falten im Gesicht, sondern scharf nach oben gewichste Schnurrbärte. Die Dinge werden aber nicht mit Geschrei überwunden, sondern mit der Tat oder mit Achselzucken.

Die literarischen Führer, die in der Regel weder Athleten noch an Wade und Nerven kriegerische Erscheinungen sind, begehen eine Täuschung, wenn sie sich wie Feldwebel verpuppen. Um ein Volk in den Fehlern zu karikieren, bedarf es Liebe und Verständnis für die Schwächen und etwas Gift. Aber man langweilt sich auf die Dauer bei den Trommelwirbeln, die gegen den Bürger schallen, der überhaupt nicht mehr lebt. An seiner statt hat ein vielfarbenes Zersetzungs- und Umbildungsvolk sich geschaffen, und das liest Herrn Kraus deshalb nicht, weil es sich um Literaturgeschrei gar nicht kümmert, und er sich wiederum nicht um ein Volk zu kümmern vermag, das seine Art nicht nötig hat. Aber man wird zu jeder Zeit den Swift lesen, weil er ein großartiges, auch giftiges, aber auf den Händen hergetragenes rundes Kugelbild seiner Zeit geben konnte, daß man zum Lachen und zum Weinen kam, wenn man es besah. Die guten Satiriker sind natürlich keine Verneiner, sondern mokante Bejaher. Sie stellen sich nur so, als ob alles nichts sei in ihrer Pupille, sie stellen die Welt in Frage, damit man sie um so liebevoller bejahe.

Die deutschen und die deutschjüdischen Satiriker haben aber nur den ersten Teil begriffen und sich in das Nein wie ein Hund in den Knochen verbissen. Albert Ehrenstein hat diese Beschäftigung am weitesten ausgedehnt und sich ein Leidvermögen an der Unvollkommenheit der Welt antrainiert, daß er an jedem Portier das erlebt, was Musset und Byron nur in besonderen Melancholien erreichten. Mit einer ewig wunden Seelennot schreibt er sich aber in ein heroisches Maß der Verneinung hinein und steilt seine Klage um die Erde zu fast grandioser Monumentalität. Hier aber, wo er umkippen und endlich das Ja erleben müßte, hütet er sein Leid wie eine Champignonzucht, und statt nun in angenehmere Partien des Diesseits zu verziehen, wirft er den Trauermarsch seines Hohen Liedes in das larmoyante Geschrei der jüdischen Klageweiber, die gegen Bezahlung tagelang den Schmerz zu artikulieren verstehen. Die Balance ist falsch, das Talent ist nicht als Schleuder, sondern als Kugel verwandt, die Mauern stehen gar nicht mehr, gegen die sie geschleudert ist. Was will die deutsche Satire der Zeit? Zerstören! Aber es fehlt ihr der Partner, und der unnötige Lärm und die Besessenheit machen nur die Unbeteiligten unlustig.

Eher vermöchten einige, weil sie von Hans Sachsens trockener Knitzigkeit herkommen und bei Kortums „Jobsiade“ sich beim Knittelvers aufgehalten haben, eine Karikatur der geistigen Zeit zu machen. Natürlich gelingt es auch nicht, weil dieses Zeitbild ja fehlt, aber es wäre immerhin zu konstruieren oder amüsant anzudeuten. Der Versuch eines Unbekannten, Herrn Freeman, ist beträchtlich, obwohl der Autor barbarisch sich nach jedem Satz auf den Magen klopft. Er macht den Trick, einen Naivling, einen unzivilisierten Bauer auf der Suche nach einem Weib, Deutschland durchreisen zu lassen. Der agrarische Parzival, der weder eine Eisenbahn noch ein Parlament ahnt, hat in der Reflexion eine ähnliche Einstellung wie Montesquieus Orientalen, welche Frankreich bereisen, aber er hat nicht ihre Vergleichspunkte und damit erlischt die höhere Gesetzmäßigkeit der Satire.

Bei den Franzosen spiegelte eine Welt die andere, bei Freeman in seinem „Michel“ grinst nur ein Bauernlachen über ihm vorkommende Unverständlichkeiten. Die Welt, die Freeman sieht, ist ihm und uns nicht rund, die Landleute sind aber nicht einfach, sondern schlau. Sein Lächeln ist nicht überlegen, sondern nur pfiffig. Auch Herr Uzarski, der aus gleicher Richtung kommt, sendet einen Naivling aus, aber er ist schon fiter und läßt ihn in Spanien reisen, wo immerhin ein Weltbild ihm entgegentritt. Auch in seiner Hundegeschichte mischt er den derben Ton der knorzigen Fastenredner hinein und bringt das deutsche Wesen manchmal schon zu Fastnachts-Komik. Allein bei aller herzbrechenden Drastik ist dies nur ein vereinzelter deutscher Zug, der dazu noch von den Meistersingern kommt. Hans Sachs aber ist nicht deutsch, sondern nur ein vergröberter Auswuchs und keineswegs Gesellschaft, es sei denn die der Rüpel.

Dazu kommt Herr Scheerbart, ein Humorist, der neben allem anderen nicht ohne das Phantastische auskommt. Eine Gesellschaft, die nicht besteht, auch noch auf der Milchstraße karikieren zu wollen, ist vielleicht ein Zeichen von Talent (er besitzt es), aber eine unmögliche Satire. Das hätte Cervantes nicht gewagt. Albert H. Rausch sodann, der nicht den Bürger, sondern den Spießer wie Hoffmann und Paul ärgerlich zeigen wollte, im Zustand wie er sich über Urningtum entrüstet, ist ein Zärtling, der, sonst ein gepflegter Dichter, hier seiner Provinzstadt dauernd, statt sie stinken zu lassen, Parfüme über das Dach schüttet. Er kann es ohne Ästhetisieren nicht lassen und zeigt sich immer wieder selbst, elegant und heiter, zwischen den Bürgern seinem Publikum auf seinen eigenen Händen serviert.

Exerziert man Deutschlands Satiriker alle nebeneinander nach Größe und beschaut ihre Einstellungen, haben fast alle gegen Zustände gefochten und nicht Menschen geschildert. Die stofflichen Anlässe der Herren sind Späteren so gleichgültig, wie uns die preziösen Salons der Molièrezeit, die Arrangementgründe der Shakespear’schen Lustspiele, der Kitzel zu „Leonce und Lena“. Wer hat, Sternheim in manchem ausgenommen, mit lachender Üppigkeit die Zeit durch die Sanduhr laufen lassen, daß man sagen kann: hier ist Zeit zusammengelächelt und sonst nirgends? Die Antwort ist: nirgends. Bei einem Schüler von Anatole France, einem gewissen Übelhör, war alles da, wenn auch geschwächt. Allein er hatte, wie Wieland, eine Satire auf die französische Demokratie geschrieben. Es hätte eine Übersetzung aus dem Französischen sein können. Es ist die Visitenkarte eines begabten Neffen von Herrn France.

Ein Börsenauftrag, Mijnheer, mit Ausführungsbestätigung dauert von London nach New-York vier Minuten und kann tatsächlich effektuiert werden, da die Börse in New-York um zehn beginnt und die Londoner bis vier Uhr handelt und in der Zeitrechnung zehn Uhr morgens etwa drei Uhr zehn britischen Nachmittags entspricht. Die Zeit ist kurzlebig und schwer zu fassen. Wie faßt man sie rasch?

In Frankreich begleiten, ob ein Präsident aus dem Wagen gestürzt ist oder eine Apothekersfrau entdeckt ward, die nackt mit dem Keuschheitsgürtel vom verreisten Gatten an die Wand geschmiedet ward, in Paris begleiten auf den Boulevards mit Postkarten handelnde Sänger und siebentausend in Café-Konzerts auftretende Bretzel-Chanteusen diesen Vorfall mit einer Flut von Spott. Die politischen Ereignisse werden in allen Revuen und Kabaretts glossiert. Die Erklärungen der Conferenciers in den großen Schaupantomimen, in den Guignols, in den Kaschemmen, wo Schattenbilder gezeigt werden, stellen den Kontakt zwischen Tagesereignis und Illustrierung her. So wird das einzelne aufgesogen und bereitet die ungemeine Empfänglichkeit für die daraus addierten Summen des künstlerisch satirischen Werkes vor. In England verarbeiten es die viel heftiger als bei uns gelesenen Wochenschriften und Witzblätter und Variétés.

In Deutschland sind erst nach der Revolution einige Kabaretts eingezogen, die das Tagesereignis glossieren, die Literatur dazu wurde von Herrn Mehring, Tucholsky, Reimann und Ringelnatz geliefert. Sie nähert sich stark dem politischen Thema und damit jener Schärfe, mit der der deutsche Karikaturist sich bemüht, seine Sachen seinem Publikum ins Gesicht zu speien, statt sie ihm gefällig zu servieren. Der Kabarettstil der durchgängigen Nachkriegszeit beschäftigt sich sonst mehr, soweit er diskutierbar ist, mit den „Faits divers“ der Skandale der Hauptstadt. Lediglich den Schauspieler Paul Grätz mit einer fiebrigen, aber gehämmerten Diktion vermochte dieser Stil herauszubringen, von dem nicht gesagt werden kann, ob er überhaupt Satire ist oder eingeseifte Politik. Von der aber fliehen die Bäuche, die unten Sekt schlemmen, lebhaft lieber zu Apachenszenen und „Zeig mir mal dein Muttermal.“ Man ist dann unter sich. Diese Sprache, nicht nur die der Kreuzzüge, ist, nicht ohne Recht, international verständlich. Es ist eine Sache, es sind Leiber und Frauen, um die es geht, und nicht Experiment um Geschwätz.

Das ist die Geschichte vom Lachen des Ski, Mijnheer. Ich habe an ihm gelernt, daß es keine Helden gibt, daß aber nur erhaben ist, was sich belachen läßt. Ich bin durch die Karikatur von der Dichtigkeit des Menschen überzeugt worden, und nicht davon, daß nur, wo kein Spott hinlange, Größe sei. Der antikisierende Maler Mengs war überzeugt, daß er nach seinen beiden Vornamen die Eigenschaften des Correggio und des Rafael von Urbino in sich vereinige. Er war ein Idiot, der, statt seinen preziösen Bürzel ins Wasser zu stecken, ihn wie eine Trompete in die Luft hob. Er machte sich lächerlich, indem er sich spreizte mit überlieferter Würde, statt daß er sich durch Witze seine Unbefangenheit von soviel anspruchsvoller Tradition erkauft hätte.

Die Menschen, Mijnheer, haben nie den Instinkt für die Wirkung ihrer Figur und ihres Esprits. Dieser Berg da oben nördlich heißt Schauinsland, ich finde ihn köstlich benamst, weil er voll Schneesturm steht wie ein Vulkan. Dieser Aussichtspunkt westlich heißt Notschrey, ich finde bei diesem Windspektakel das fast verzweifelt komisch. Dieses Getränk hier, Rotwein und Sekt und Cognac und Himbeer heißt Horbener, weil das der Landstrich Badens ist, wo am wenigsten wächst. Liegt nicht viel Anmut in diesem Sichverspotten? Man hätte uns nicht nach den heroischen Idealen erziehen sollen, sondern lehren müssen, aus dem Frivolen die Menschen sehen, man sähe gemeinhin sicherer und klarer.

Eine Serie Leben müßte man hinter sich haben, als Kammerdiener des Rubens, als Knabe des Alcibiades, als General des Dschingiskhan, als Matrose des Kolumbus, als Geliebte Homers, um an ihren Schwächen und ihrem Versagen fast kämpferisch sich den Glauben an ihre Größe zu erwerben. Aus den Geschichtsbüchern klingt das hohe Pathos des Ruhms allein für den, der Menschen kennt, leicht nur wie Gedudel aus einer Papiertrompete. Das wirkliche Ja hat stets sein Lächeln mit sich wie Wotan seine Raben. Einmal hat übrigens das Lachen des Ski sich umgedreht.

Man hat nämlich, wenn man nicht zünftig die Langriemen beim Skiern trägt, die man selber knotet, den Fuß in der Huitfeldbindung, das ist eine Klammer vorn, die mit einem Riemenschluß an den Absatz verbunden wird, oder man trägt Bilgery, wo dafür eine Rolle mit Stahlfedern tritt. Die Preußen haben diese beiden im Kriege kombiniert, damit wohl der Fuß vorn fest säße, die Stahlfeder aber erlaube, in Reih und Glied, nach Kommando und auf dem Ski knieend zu schießen, laut Reglement. Hier ist das Lachen nicht bei dem Menschen gewesen, sondern wahrlich bei dem Ski.

Hätte der es vermocht, er hätte seiner Heiterkeit Ausfluß gegeben, aber er hätte nicht seine Vollendung damit bespiegelt, sondern sich über seinen Schützen gefreut. Der nämlich war, wenn er nicht zwischen dem Schießen und der Beobachtung des Skis selbst erschossen wurde, das Symbol jener Gattung von Leuten, die unfreiwillig zum Lachen helfen, fatalerweise für sie.

Uns hier hilft nicht einmal das Schießen. Es schneit. Ob wir belachbar sind mit unseren Dialogen? Niemand ist seiner Wirkung sicher, Mijnheer, auch im Schlaf nicht. Man kann auf jede Satire eine andere verfassen, die noch mörderischer ist. Als Racine eine Sache von Port Royal aus drehte, die sich über den König mokierte, traf ihn ein Blick Ludwig des Vierzehnten, und er starb. Der König war ein Gettatore. Er hatte ihn tot gelächelt.

Die fünfte Nacht

Ich will Ihnen davon erzählen, wie ich das Steuer meines Lebens in die Hand bekam, Mijnheer, von einem Flugzeug, von Pernambuco und meiner Kindheit.

In unserer Bibliothek hing jeder Erstgeborene der Familie die Bilder dreier Männer auf, die sein Leben schirmen sollten. Ich hing mit Siebzehn bereits unter meines Vaters Führer, unter Montaigne, Homer und Bismarck die Bilder des Luftschiffers Blanchard, des Herrn von Lesseps, der den Suezkanal durchstieß, des Meisters Blériot auf. Ich kam zur Strafe am folgenden Tag zu Tante Evelyn aufs Land und begann sofort hinter ihrem Rücken einen Gleitapparat zu bauen, um das hügelige Gelände auszunutzen. Tante Evelyn bemühte sich aber, mir eine höhere Ansicht beizubringen und nahm mich mit in die Stadt, wo vor einer glänzenden Gesellschaft ein bärtiger Herr über Ceylon und China Einiges vorlas.

Es waren für deutsche Verhältnisse sehr elegant gemachte Schilderungen dabei von Pullmans und Chinatowns, aber obwohl er, wenn es spannend ward, jeweils unverständliche Nutzanwendungen fürs praktische Leben dazu gab, zog ich das Portefeuille, denn ich dachte, es sei ein Clerk vom Reisebureau, aber Tante verbot es mir. Ich war gewohnt, die Börse zu ziehen, wenn bei uns Hinrek Maasen von Sumatra erzählte und am Schluß seinem Affen den Schwanz hochzog, daß die Weiber quietschten, aber ich ahnte nicht, daß meine Tante mich mit in die Weisheitsschule des Grafen Hermann Keyserling geführt hatte. Ich sagte ihr, ich hätte Romane von ihm gelesen, aber sie zog auf der Heimfahrt ihren Tibetpelz vor den schönen Mund, fröstelte in der Mondnacht und meinte, das sei eine Verwechselung, fast jeder Balte sei ein Keyserling, und der, den ich meine, sei nur ein Dichter und heiße Eduard.

Ich begriff nicht, warum man nur ein Dichter sei, wenn man glänzende Romane schriebe, aber hingegen gefeiert werde, wenn man unter dem Namen Hermann den Baedeker in graziöse Philosophie übersetze und dadurch unverständlich mache, und beschloß, mich mit den Schriften des Grafen auseinanderzusetzen, nachdem ich meinen Gleitflugapparat mit Leinen aus Tantes Vorrat bespannt und imprägniert hatte. Ich ersah daraus, daß der Balte über Reisen gut schreibe, jedoch seine Landschaften mit Philosophie, seine Gelahrtheit aber mit Wasserfarben verdünne. Ich fand, daß er gegen den Krieg sei, aber heroische Kriegerischkeit lobe, daß er mit dem Sozialismus kokettiere und ein aristokratisches Standesbewußtsein lehre, daß er schrieb, Deutschlands Bevölkerung sei erbärmlicher im Kriege gewesen wie die Frankreichs, und dennoch mit allen abgesetzten Fürsten verhüllte Blicke wechsele, daß er die Einfachheit des Lebens pries und sich allen Sprossen der Wirtschaftskapitäne als kluger Mentor im Sinne ihrer Weltauffassung empfahl.

„Findest du nicht, Tante Evelyn,“ sagte ich, „daß der Graf nichts anderes ist wie ein God-Dag-Mann in Kopenhagen, der nach allen Tischen seine Verbeugung macht?“ „Mein Junge,“ sagte Tante Evelyn, und winkte ihrem schwarzen Diener, „mein Junge, du bist noch nicht alt genug, um zu wissen, daß man alles kennen muß, um alles zu vereinen.“ Ich grübelte lange darüber nach und beschäftigte mich darauf mit der konstruktiven Basis einer Welt-Auffassung, wie der Graf sie besaß. Mich interessierte die Mechanik, auf der so verschiedenes Zeug beruhen konnte, aber ich fand keinen Punkt und kein System innerhalb dieser Gedankenmaschine. Da kam mir eine phantastische Idee.

Diese Geschichte, Mijnheer, ist eine sehr abenteuerliche Sache, ich kürze sie ab, so gut es geht, aber es geht darin herauf und herunter. Am anderen Tag kam im Flugzeug aus Prag ein berühmter weißbärtiger indischer Dichter in die Weisheitsschule, und hatte der Graf vorher schon den größten Zulauf, so wanderte nun halb Deutschland hin. Ich halte Tagore heute für einen gut europäisierten Denker, meine aber, in Indien, mit dem er gar nichts zu tun hat und wo Literatur seit Jahrtausenden gepflegt wird, dichten die Sackträger so. Kurz, zumal der Graf aufforderte, nur die besten Deutschen sollten diese exotische Schau vornehmen, begleitete ich Tante Evelyn lediglich, um den Äroplan des Inders anzusehn.

Ich ging nach dem Hangar und sah nach der Marke: „It is a Farman of course,“ konstatierte ich zu dem Piloten. „In whose interest do you come here?“ Er antwortete in seinem tschechischen Slang: „C’est une affaire de propagande pour la maison de Cook.“ Er hielt mich für einen Piloten und grinste mich verständnisinnig an. Am Abend nahm ich den Schwarzen, den der Graf bei Tante Evelyn untergebracht hatte, mit hinter die Scheune, hielt ihm eine Pistole unter die Nase und er gestand das gleiche. Ich lachte die halbe Nacht. Am Morgen hatte ich den Punkt gefunden, von dem aus die Konstruktion so vieler Ansichten gehalten wurde: Es war einfach Cook.

Cook transportierte die „Blüte der Nation“ zu jener Weisheit, die wiederum Cook im Interesse seiner Reiserouten selbst kreiert hatte. Zwischen Niederwald und Bayreuth kam ein neues Denkmal deutschen Geistes zu stehen. Es war eine glänzende Spekulation. Kein Deutscher würde sich die Besichtigung entgehen lassen. Gemacht! Das Ausland würde sich die Sehenswürdigkeit eines Aristokraten, von dessen Rasse man annahm, sie speisten belgische Kinderhände, und der in Philosophie machte, nie verkneifen. Sensationeller als ein Schlachtfeld! Ich sah mich für meine erste Bewegung nachträglich gerechtfertigt, ich hatte mit Recht die Börse gezogen, und Hinrek Maasen mit seinem Affen und Sumatra hatte auch recht gehabt.

Ich stürzte den Mittag über den Treibhäusern Tante Evelyns ab und hatte das Unrecht, mitten in ihnen zu landen. Ich mußte nämlich lachen, als Tante Evelyn im gleichen Moment den Garten betrat, denn ich dachte an das Amulett an ihrem Hals. Ich hatte aus den Geständnissen des Niggers entnehmen müssen, daß sein Zweck war, seine Locken zu opfern für die Andenken, die täglich von dem denkerischen Vorkämpfer Deutschlands gefordert wurden. Ich dachte daran, fiel, und meine Rolle war ausgespielt.

„Ich wüßte keinen Balten,“ sagte mein Vater, als ich ihm die Sache mit allen Umschweifen erzählte und mit meinem Sturz endete, „ich wüßte keinen Balten, der mich aus dem Gleichgewicht brächte“ und lächelte ein wenig. Dies Lächeln ging mit mir, als ich am nächsten Tag mit seiner Erlaubnis zu Onkel Gilbert fuhr, der bei Citroën in Paris an einer Verbesserung des Dieselmotors bastelte. Seine Motore sollten Schiffe anspringen lassen mit Hochgeschwindigkeit, drehen lassen wie Kreisel, unabhängig machen von Kohle. Es interessierte mich mit allen Fibern und war mir mehr Glück als die Schule der Weisheit von Cook. Es interessierte mich sehr, aber es mißlang.

Wir boten die Sache nunmehr auf mein Anraten auch Cook an, und siehe, der Mißerfolg störte ihn keineswegs. „Kaufen wir,“ sagte er „es ist Sensation.“ Er bot meinem Onkel dann die Schlußleitung des Baues der elektrischen Schnellbahn an durch Mittelamerika. Wir bauten die Sache fertig, ich beaufsichtigte sechstausend Chinesen, schoß nachts mit Maschinengewehren nach Pumas, die wie russische Kavallerie anrückten, ich fuhr mit Gilbert und dem Präsidenten Huerta im fahnengeschmückten Lokomotivwagen die Eröffnungsfahrt durch Mexiko.

An der Empfangsstation stand Cook und drückte dem Onkel und mir Scheks in die Hand. „Wie heißen Sie, Sennor?“, rief er hinter dem Onkel her. „Ich habe Ihnen den besten Motor der Welt verkauft“, sagte Gilbert und steckte die Hände in die Taschen. Cook lachte über das ganze Gesicht: „Sind Sie Ihr Motor, Sennor? Name ist kein Geschäft.“ Mijnheer, ich wurde rot vor Wut und wußte nicht warum. Ich bin von Geschäft zu Geschäft gefahren in der Folge, ich sah, daß alles käuflich war, daß alles nur Geldwert hatte, Börsentaxe und Preis. Ich flog zwar mit Ernst von Csala von Berlin bis Neapel, tauchte zweitausend Meter mit dem neuen Motor auf den Meeresgrund, ich liebte mein Dasein zwischen Eisenkonstrukteuren, Hochstaplern, Erfindern. Geschäft, Geschäft! Ich bekam Geld und war nicht glücklich. Ich war ein smarter Junge, Mijnheer, und auf meinen Vorteil aus wie ein Balte, allein mir fehlte etwas und ich wußte nicht was.

Auf einem Segler hinter Martinique wurde ich krank, der Arzt diagnostizierte gelbes Fieber. Auf der Höhe von Paramaribo hißten wir die gelbe Flagge, kein Hafen gab das Anlegesignal. In Maranhao zog man die Flagge ein, schmuggelte mich ans Land, ein deutscher Arzt konstatierte die Pest, ich riß aus vor der Baracke, ein andrer heilte mich, aber ich hatte auch da nicht das, was dieser bestimmte. Aber ich hatte das Vergnügen, Herrn Kamnitzer zu empfangen, der von Pernambuco heraufkam, in Firma Reiß Irmãos & Compagnia, ich hatte gute Beziehungen von Mexiko zur Compagnia, ich hatte ihr manchen Gefallen getan und sie umwarb mich, ich trat ein.

Ich trat in die erste Firma ein, die Brasilien besitzt. Trat ich in die Loge des Theaters, sandte der Gouverneur Pernambucos seinen Adjutanten, mich zu begrüßen, fuhr ich im Segelboot der Firma durch den Hafen, salutierte ein Kriegsschiff. Doch das Kriegsschiff salutierte nicht mich und nicht Marion, die Tochter von Reiß Irmãos & Compagnia, obwohl sie schöne Zähne und entzückende Beine und die Hüften eines Jungen hatte, sondern es salutierte das Geld der Firma. Das ärgerte mich, aber ich verliebte mich in Marion, und nun stand mir ein Reichtum bevor, wie keinem andern in Brazil, ich würde Land haben, größer als „The German Empire“.

Ich konnte mich aber nicht gut mit Marion unterhalten, trotz ihrer breiten Schultern, ihrem schmalen Becken und tiefgrauen Augen, denn sie verstand nichts von Dingen, die uns angehen, und in ihrem Hirn war nichts als Luft! Ich schenkte ihr also, um sie anzuregen, das einzige Buch, das ich hatte, das Tante Evelyn mir in diesen Tagen sandte, sie las es aber nicht, sondern schenkte es einem deutsch redenden Koch, das kränkte mich, denn es war immerhin, wenn es auch vom Grafen Keyserling war wie alles, was Tante Evelyn sandte, ein gescheites, und für Marion, die nur auf Pferde dressiert war, ein gut geschriebenes Buch. Sie war jedoch zu gut gewachsen, um ihr für Fehler ihrer Bildung zürnen zu können, ich überging es. Aber ich ging in die Küche, als ich dort laut deutsch singen hörte.

Da fand ich den schwarzen Diener meiner Tante, er hatte das Buch des Grafen auf eine Pfanne über den Herd gelegt, die in der Luft schaukelte, las laut und mit Tränen die Seiten, und wenn er eine beendet, riß er sie gerührt aus der Bindung und drehte sie als Pappillote in seine Haare. Er sah mich traurig an, als ich ihn frug, warum er hier sei, griff an den Kopf und lüftete über einem nackt schillernden Schädel seine wollige Perücke. Seine Natur hatte einen furchtbaren Streik geführt gegen die übergroße Beanspruchung seines Schädels, trotzdem er zu einem besonderen Zweck, zur Wiederherstellung der Weisheit in Deutschland, ihn zur Verfügung gestellt hatte.

Ich gab ihm fünf Dollars und dachte, es sei nicht gut, mit „clever“ geschriebenen Büchern eine faule geistige Bewegung in Deutschland starten zu wollen, denn das Papier und die Schädel gerieten nur tragisch aneinander. Aber ich dachte auch, es sei nicht gut, mit seinem Geist ein Geschäft zu machen, denn Geschäft sei alles, und darin zu ersticken sei erbärmlicher und langweiliger als ein Steward oder Chasseur zu sein. Ich dachte aber auch, es sei von Marion nicht schön, das Buch gar nicht zu lesen, und daß der Nigger sie beschäme, der nur ein wenig an Europa und nicht an seinem besten, sondern seinem anstößigen Teil geleckt habe. Während ich das bedachte, in diesen Tagen, wurde der Gesang in der Küche leiser und schwieg dann, der Schwarze mußte die Lektüre beendet und wohl alle Seiten in die Perücke gerollt haben.

Mijnheer, wie raten Sie, daß diese Geschichte endet? . . . Wie ging dies Stück Jugend zu Ende? Sehr rasch. Ich ging eines Morgens in diesen Tagen in den Garten nach Wochen einer säuigen Hitze, in deren Feuchte nachts die Schuhe vor den Türen schimmelten, ich ging in den Garten. . . da lag das Himmelblau so geschliffen, so unendlich zwischen den Bäumen ausgespannt, daß mir armem Burschen die Tränen in die Augen schossen. Ich hatte vorher zum ersten Male ein Gedicht von Nietzsche gelesen und ich hatte plötzlich die Sehnsucht eines besseren Lebens im Blut.

Ich riß die Nacht noch aus, ich fuhr instinktiv nach Europa zurück. Ich hatte mein Herz und mein Temperament an die tackenden Rhythmen der Motore gehängt und nichts erlebt als Geschäft. Ich hatte die öffentlichen Wunder abgegrast und nichts erlebt als Geschäft. Ich hatte mich meiner Zeit in die Arme geschmissen und sie hatte mir nichts gegeben als Geschäft. Ich pfiff darauf.

Ich ahnte die Anerkennungen, die erst dahinter liegen mußten, ich spürte den Glanz und den Ruhm einer höheren Bedeutung. Ich bekam Sehnsucht nach Europa, wo gemalt und geschrieben wird, wo die Frauen die Bücher nicht den Schwarzen schenken, wo die Vierzehnjährigen nicht die Dreizehnjährigen heiraten, wo die Nigger nicht das Wahlrecht haben und wo man die Mädchen nicht in Hängematten halb wie Göttinnen und halb wie Schweine züchtet. Ich wollte eine höhere Anerkennung meiner Leistung als Geld, ich wollte, daß man meinen Namen behält, ohne Absicht auf Geschäft. Ich hatte die Entdeckung eines Ruhms der inneren Leistung gemacht, ich fuhr nach der Alten Welt mit einer Glückseligkeit ohne Maßen.

Ich desertierte wohl, damit Sie mich nicht falsch verstehen, von Reiß Irmãos & Compagnia, um den Ruhm zu finden, aber ich machte deshalb keine geschäftlichen Dummheiten, sondern blieb smart. Ich machte mich auf, nun endlich die geheimen Wunder zu suchen, etwas über Blériot hinaus und etwas glänzender wie die Karikatur des Balten. Ich trennte mich an jenem Tag von Chamforts Armee der Dummen, die alles Geistige verlacht, aber ich gesellte mich keineswegs zu den hochmütigen Fratzen, die auf den Motor wie auf eine Ratte herabsehen. Ich war ein Meister der Impertinenz, aber ich habe das Erröten dazugelernt.

Das beste Gesicht der Gegenwart ist der Ausdruck des Mannes, der etwas nach unten Lauschendes besitzt, weil sein Ohr den Gang des Motors zu kontrollieren gewohnt ist, dessen Stirn aber mit einem gewissen Respekt vor der Größe der geistigen Welt über der scharfen Nase nach oben getrieben emporstrebt.

Man sagt Ja zu der Gegenwart so, ohne sie zu überschätzen. Man nimmt ihre Sensationen, Gottseidank und erheitert, und weiß sich eines ewigen Besitzes dennoch nicht unteilhaftig.

Dies, glauben Sie, sei natürlich, und ein Narr, wer diese Verbindung nicht fände? Es hieße, Mijnheer, die Diane de Gabies mit Aphrodite Kallipygos in eine Figur bringen, das schmächtig Knabenhafte und die wollüstige Fülle verbinden, es hieße Leben und Arbeit versöhnen, Kampf und Muse in dasselbe Bett zur Zeugung legen und schließlich Kunst und Dasein in eine seltsame Harmonie wiegen.

Das, Mijnheer, ist fast Übermenschliches schon, und wer es völlig zu lösen verstände, wäre ein Alchimist oder der Genius. Wer dem Ziel aber nur nahekommt, hat verfluchtes Glück oder eine gesegnete Masse Blut gelassen.

In der Tat, Mijnheer, ich bin von Reiß Irmãos & Compagnia desertiert, weil ich andere Liquidationen vom Schicksal erwartete als den platten Erfolg oder das angenehme Leben. Wie aber fand ich das Ideal gehütet jenseits der Scherze, denen ich in meiner ersten Jugend beiwohnte? Wie fand ich später, als ich nachdenklich und kritisch wurde, Nation und Leistung und Kultur zusammengewachsen mit jener geheimnisvollen respektuösen geistigen Erregung, die jeden bedeutenden Ruhm in ihren Tiefen lange über die Menschheit erzittern läßt?

Ach, Mijnheer, ich fand die Stellen nicht mehr, wo die Traditionen und die Gegenwart sich zusammenfügten, und ich fand den Hebel noch weniger, mit dessen Kraft die Gegenwart einen Einzelnen als ihren repäsentativen Träger heben konnte. Ich fand nur Zauberkünstler und Akrobaten.

Aber ihre Trikots waren so durchsichtig und ihre Kunststücke so erbärmlich, daß auch das Publikum ihnen bald nur Gelächter schenkte. Ich fand die Aristokraten, die das geistige Leben lange trugen, schmollend beiseite, weil es ihnen politisch scheinbar kontrekarrierte, ich fand die Bürger das geistige Leben subventionieren und innerlich verachten und die Arbeiter noch beschäftigt mit der Befreiung aus der Sklaverei und weit entfernt, aus sich schon jetzt eine Unterlage von Gesellschaft unter die Gegenwart zu schieben. Ich fand wohl die irgendwo schwebende Ehrfurcht vor den Taten der Weisheit, aber ich fand nicht die Nation, die ihr schönes Geäste über sich hochtreiben könnte.

Ich muß daran denken, daß ich Anatole France und Herrn von Ghérardine an einem und demselben Tage einmal traf. Ich sah, wie der greise Romancier die Grenzen seiner Wirkungsmöglichkeit und die Geringfügigkeit eines wirklichen Einflusses mit seiner melancholischen Heiterkeit klagte. Und ich hörte, wie mir Ghérardine, der mit den violetten Farben des Quartier Latin geschmückte König der Bohème, ein Verse machender verkommener Bürger, Bruder eines Admirals der französischen Flotte, dem man Absynths bezahlte, mir abends vor einem Café des Boulmich gascognierend rühmte: wie sein Beispiel und seine Angriffslust seine Bevölkerung beeinflußt habe.

Beide waren im Unrecht, ebenso wie Rousseau, der meinte, die Künstler verdürben das Volk, und der ihnen damit eine Tätigkeit zubilligte. Kein Dichter hat einen wahrhaften Einfluß von sich auf die Welt gehabt und keiner hat sie verändert. Sie vermögen dem Volk und der Zeit und den Sitten nichts anzutun, denn sie sind nur deren Produkt. Rousseau war ein Naturbesessener, weil seine Zeit auch ohne ihn begonnen hatte, aus den Zwängen und Vergipsungen zu stürzen und die Freiheit wieder zu suchen. Anatole France hat das Pech, nicht die Spitze einer erlesenen Epoche zu sein. Aber er ist darum gerade der Repräsentant seiner Gesellschaft, die er nicht beeinflussen kann, weil sie fertig ist, und die nicht auf ihn hört, weil sie genau so skeptisch ist wie er. Und er irrt, wenn er annimmt, daß sein Volk eine Anatole Francesche Ironie trage, vielmehr besitzt sein Werk nichts anderes wie das müde und sich verspottende Lächeln seines Volkes, in dessen Widerschein allerdings seine bürgerliche und abgekämpfte Zeit wie in einem eleganten Todesurteil schläft.

Auch Herr von Ghérardine ist nicht ohne Sinn, obwohl er ein platter Narr war, denn er hatte die Einfalt eines Glaubens, der so widernatürlich dumm war, daß ihn bloß die Idioten besitzen können. In Wahrheit hat nie ein Künstler eingegriffen mit seinem Werk auf das Gefühl seiner Nation, sondern er ist als Erfüller ihrer Höhe oder als revolutionärer Bekämpfer stets nur Seismograph ihrer sichtbaren oder geheimen Veränderung gewesen.

Sprach er die Sprache seiner Zeit, so war er Zeuge ihrer Erlesenheit, rief er aber zum Kampf auf gegen die Nation, so handelte er auch als ihr Beauftragter, denn sie hatte dann jeweils Lust, statt der verbrauchten eine andere Form sich zu nehmen.

Für oder gegen die Gesellschaft sein heißt nur ihre momentane Kraft oder ihren nahenden Zerfall spiegeln. Mehr hat kein Künstler vermocht, aber mancher wohl gewünscht. Wer daraus schließt, daß erst die Dichter die Revolten ausriefen und dann die Umstürze erst kämen, der verwechselt ganz an der Oberfläche des Denkens die Ursachen mit den Wirkungen, indem er nicht einmal bedenkt, daß Gedanken sich rascher formen als die schweren politischen Tatsachen.

Darum sind die krampfhaften Messiasse mit den moralischen Wegweisern am Hut und den Kommandos zur Läuterung auf der Zungenspitze bedingungslos verdächtig, weil eine Epoche, wenn sie aus dem Verruchten heraus will, sich des moralischen Zeichens ihrer Absicht bei den Dichtern mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit und einer organischen Innigkeit der künstlerischen Maße bedient. Ethik als Dompteurnummer ist eine Erfindung schwacher Dichter und verwirrter Perioden der Geschichte.

Die eindeutigen Perioden haben sich klarer zu entfalten gewußt:

Karl der Große benutzte Kunst, um eine christliche Politik zu üben, und im „Rolandslied“ war es immerhin schon so, daß er der beste und seine Feinde die schlechtesten sind. Aus diesem Säuglingsniveau der Geschichte trat im Mittelalter die Dichtung als Spiegel neben die Zeit, die Gesellschaft der Höfe ist ihre Tugend und die Gefühle ihrer Form sind die der Sitten ihrer Nation. Hermann von Thüringen gab Walther von der Vogelweide Aufträge und Wünsche, und die ganze Veldecke-Epigonenschaft dichtete ihre Literatur um seinen Hof so, als ob es seine Wünsche wären.

Um die Jahrtausendwende schrieb die Murasaki die vierundfünfzig Kapitel des lasterhaften Erziehungsromans auf Befehl der Kaiserin am Biwasee, indem sie das Mondspiel auf den Wellen ansah, und sie gab damit nichts wie die Gewohnheiten ihrer klassisch-japanischen Epoche.

Als die Teppichwirker von Arras und Tournai die Höhepunkte der Gobelinkunst erreichten, spiegelten sie nur die Kurve ihrer Zeit ebenso wie die Sorgfalt des burgundischen Philipps, der die Bedeutung dieses Kunstzweigs so begriff, daß er ihm ein steinernes Magazin bauen ließ und sechs Offiziere hineinsetzte. Ja er hat die Teppichfolge, die Karl der Siebente zum Andenken an seinen Sieg über die Engländer bei ihm bestellte, nicht nur selbst in den Kartons kontrolliert, sondern auch selbst die Ideen dazu angegeben. Aber die Tatsache, daß man überhaupt einen Triumph in dieser Form gestaltete, beweist noch weiter, wie sehr das eine und das andere sich ergänzten.

Heinrich der Achte von England hat Holbein nach England berufen und seine Regierung mit dem Beginn der größten Portraitistentradition Europas geschmückt.

In den Armen Franz des Ersten starb Lionardo, der zärtlichste und besinnlichste Meister, der sechs Jahre brauchte, wie Herr von Chanteloup erzählt, um die Haare eines Bildes zu malen, und der König hätte kein edleres Symbol als diesen finden können für seine Epoche, die sich zu veredeln begann.

Den Goya, der ein Messerheld, ein Bauer war, in Nonnenklöster einstieg und nach Recht an den Strick gehörte, der sein Leben zeitweise mit der Ausübung des Stierkämpfergewerbes fristete, überhäufte der spanische Hof und seine Aristokratie mit Aufträgen, obwohl der glatte und klassizistische Mengs dort herrschte, weil man in seiner Wildheit und revolutionären Kühnheit der Farben, über die von ihm verübten Totschlägereien hinweg, das Barocke und Eigentliche des spanischen Gesellschaftscharakters und in ihm genauer wie in Mengs’ Amouretten den Bruder des Velasquez erkannte.

In der ägyptischen Kunst hat sich jahrtausendlang die stets gleichbleibende sakrale Haltung der Führerclique erhalten, und die fast ans Göttliche grenzende Stellung dieser Gesellschaft blieb, nur in Nüancen verändert, der gleichstrebende Ausdruck ihrer Macht derart, daß, so allgemeingültig wie damals, nach viereinhalbtausend Jahren auch heute noch die sitzende Figur der Nofrit die schönste Frau ist, die je diese Erde berührte.

Bei den Indern ist, wenn auch nicht in der hohen Allgemeingültigkeit wie bei den Nilvölkern, die Trennung der Kasten so scharf durchgeführt und steht derart im Mittelpunkt jeden gesellschaftlichen Bewußtseins, daß alle Kunst irgendwie den belehrenden Zug bekommen mußte, der die Tugenden und Fehler jeder Schicht abgrenzt nach oben und unten. Es konnte so das Witzige geschehen, daß sowohl Karnisuta (in der Sprache, die am üppigsten das Poetische in der Welt verwaltet), ein wissenschaftliches Lehrbuch für das Diebhandwerk schrieb, und hingegen die Fürstenerzieher in der Form vollendeter großer Dichter den jungen Königen klar machten, daß sie die Pflicht, den Staat zu lenken, unbedenklich über die sonst streng für andere von ihnen geforderte Moral stellen dürften.

Und wenn August der Starke dem Grafen Flemming, der ihm seine Orangerie zum Kauf anbot, schrieb, mit diesem Spielzeug gehe es wie mit Porzellanen, man wolle alle, wenn man einmal Appetit bekommen, so illustriert das die Sorgfalt, die er seiner Meißener Manufaktur schenkte, die wiederum nichts anderes war als der graziöse Niederschlag der Sitten seines Hofes und der Wünsche und Sehnsüchte seiner Umgebung. Und ebenso weiß man, daß Friedrich der Große die Höhe der Porzellankunst in seiner eigenen königlichen Manufaktur mit der Liebe bekleidet hat, die ihrer Bedeutung entsprach, daß er den großen Dessertaufsatz für Katharina von Rußland selbst redigierte und entwarf und daß dies nicht nur eine Spielerei von ihm war, sondern daß er nur eine repräsentative Geste machte für jene Parallelität zwischen Gesellschaft und Kunst, die damals bestand.

Den europäischen Zenith hat dieser Ausgleich unter dem vierzehnten Ludwig erreicht, wo mit einer genialen Methodik Colbert versuchte, auch die Künste in sein Merkantilsystem einzufügen, das in der Figur des absoluten Königs eine wunderbare kristallfeste Verdichtung sich erfand. Colbert zentralisierte alles in den Ruhm seines Königs hinein. Er legte unter dem Polygenie Lebrun, (der die Architektur, die Akademie, die Malerei, das Kunstgewerbe unter sich hatte), auch noch als Konkurrenz zu den Niederlanden eine Fabrik von Wirkteppichen an und suchte damit wie in Bank-, Forst- und Kriegsgeschäften nicht das französische Genie, sondern seinen König farbiger zu zeigen. Ludwigs Haushofmeister sagte Bernini bei dessen Besuch in Paris, Frankreichs Kunstbudget sei so enorm, daß es jeden originellen Plan auszuführen bereit sei, um ihn keinem anderen Volk zu gönnen. Die absolute Hofform war entschlossen, alles Individuelle aufzusaugen, und die Kunst spiegelte diese Gesellschaft wieder in einer so konsequent gegliederten und auf eine imposante Herrlichkeit bezogenen Form, daß sie das Gepräge der Geschlossenheit mit dem der Anmut zeigte, welches die Epoche in einem einzigartigen Maße hier besaß.

Die Gegenbewegung kam mit Rousseau, und die Kunst gab sich mit ihrer wundervollen Dirnenhaftigkeit einer revolutionären Klasse, die allerdings später auch wieder bürgerlich sich zu beruhigen bestimmt war, bis ihr die neusten revolutionären Spreußen der Bolschewiken in das Antlitz sprangen.

Delacroix in Frankreich und Hogarth in England sind die Beweise, wie die bürgerlich revolutionären Epochen sich in der Kunst deuten ließen. Holland wiederum, das bürgerlich früh begonnen hatte, vermochte dem Zauber der höfisch gerichteten Gesellschaft so wenig zu entgehen, daß nach einigen Ausschlägen und Angleichungen an die spaßigen Figuren der neuen Schichten und deren Bedürfnis die Kunst am Ende ebenfalls wieder höfisch wurde.

England jedoch hat seine umstürzende Revolution so früh gehabt, daß seine Kunst sehr bald das bürgerliche Leben in aller Breite umfaßte. Reynolds und Gainsborough sind die Schilderer einer sehr bewußten bürgerlichen Schicht, deren Gesundheit und Pompmangel nicht ihre Kraft, da zu sein und zu herrschen, desavouierte, und die Demokratie Englands ist nicht etwa Zerfall der Einheit zwischen den Musen und den Menschen, sondern erst recht ein ausgezeichnetes Vereinen. Die ganze große Literatur der Briten von Goldsmith bis Shaw, von Smollet bis Scott, von Dickens bis Fielding ist ein Bild der Gesellschaft, die sich bürgerlich und nicht aristokratisch bewegte, und das machte sie bedeutend und gab ihr die große europäische Resonanz.

Das verlieh ihr mit den Geißlern Hogarth und Swift und den Ironikern Dickens und Sheridan und den Predigten Thackerays jene Kontrolle, die auch die Gesellschaft an sich selbst dauernd übte, die sich nach oben und nach unten abgrenzte und durch die strenge Moralinsucht dieser Menschen ihrer Literatur das ethisch-weltmännische Cachet einer bürgerlich-stolzen Kunst gab. Während der Franzosen vom Hof her oder von der Aufklärung her im Grunde skeptisch-frivole Kunst wie alles Französische letzten Endes nicht in der Nabelschau der Sitten hängen blieb, sondern, künstlerischer gezüchtet, stets ebenso sinnlich wie logisch sich durchdrang.

So prägten in sich gerundete Zeiten ihren Ausdruck und hatten von den Königen bis zu den Zöllnern und den Abdeckern bis zu den Cromwells sich in der Kunst ein Karussell geschaffen, das sich um sie drehte, und es wäre die abscheulichste Gaucherie zu sagen: nicht die Figuren der Rutschbahn drehten sich um die Epoche, sondern die Zeitläufte liefen hinter ihren Kirmis-Schatten her. Man käme nicht nur zu falschen, sondern zu idiotischen Schlüssen, etwa wie jener Engländer, der in Grénoble einem rothaarigen Kellner begegnete und in sein Journal schrieb, die Franzosen stotterten und besäßen ein rotes Fell; oder wie Petron noch bissiger behauptet, man habe bei der Einnahme Numantias durch Scipio Mütter mit angefressenen Kindern an der Brust gefunden, und daraus schloß, es sei die Eigentümlichkeit mancher Völker, ihre Toten zu verzehren. Er war ein Spaßmacher und wußte wohl, daß die Frauen nur hungrig waren. Man darf ohne Zweifel auch den tragischsten Appetit mit der Religion nicht verwechseln.

Die Bindung war so innig, daß Wechselbeziehungen zwischen Nation und Künstlern entstanden, die auf eine durchschnittliche Ehe schließen ließen. Der Künstler war in seine Gesellschaftsstruktur verwoben wie irgend ein General und irgend ein Erzieher, und nahm, je klarer die Zeit war, einen um so höheren Platz ein. Voltaire war der Freund des großen Friedrich und Goya ehrte man mit einem Gehalt von hundertsiebenzehntausend Realen für eine Arbeit und öffnete ihm alle Salons. Voltaires eigener König aber, um ihn zu ärgern, trug die Kosten eines Stückes, das er bei dem älteren Crébillon bestellte. Die Maintenon ließ den zärtlichen Racine biblische Stücke schreiben, von denen Friedrich wieder sagte, er habe lieber die „Athalie“ geschrieben als seine Kriege gewonnen (aber er dachte das nicht).

Das künstlerisch-politische Treiben war so verschmolzen, daß die Korrespondenz von Grimm als Hauptabonnenten nicht nur Friedrich, sondern auch die russischen, schwedischen und polnischen Höfe als begeisterte Neugierige umfaßte. Petrarca konnte sich anmaßen, Schiedsrichter im Seekrieg zwischen Genua und Venedig zu sein und selbst in kirchliche Dinge sich einzumischen, indem er die Päpste beschwor, Avignon zugunsten von „Roma urbs“ aufzugeben und tat das gewiß nicht als Vorrecht seines dichterischen Talentes, sondern weil sein Jahrhundert in einem so vollkommenen Literaten einen vorzüglichen Bürger erblickte.

Die gesamte französische Literatur hatte Gelegenheit, sich an Preisen und Ehrendotierungen zu letzen, und wenn die Beträge manchmal nicht gewaltig waren, so war der Ruhm und das Aufsehen, das sie verschafften, nicht gering. Viktor Maria Hugo, Sohn eines bonapartischen Grafen und zum Offizier bestimmt, erhielt mit fünfzehn Jahren von der Akademie eine ehrenvolle Erwähnung, mit siebzehn drei Preise der Blumenspiele von Toulouse und mit zwanzig für seine Oden eine Jahrespension von tausend Francs durch den achtzehnten Ludwig. Der vierzehnte Ludwig hatte den göttlichen Bernini wie einen König an der Reichsgrenze abholen lassen, ihn mit erdenklichem Pomp monatelang gefeiert und für sein Portrait ihm seine königliche Freundschaft neben einer großen Summe und einer erträglichen Pension verehrt.

Dagegen besagt die Legende, daß Cumae dem Homer die Rente verweigert habe, weil sonst alle Blinden sie verlangen würden, nichts anderes, als daß man einen Bürger nicht von einem anderen des Talentes willen zu unterscheiden gewillt sei und nicht, daß man ihn nicht gerne auch mit dichterischem Ruhm bekleidet an die Spitze des Staates stellen würde. Dasselbe haben, aus der demokratischen Tugend ihres Staatswesens heraus, die Venetianer ohne Zweifel gedacht, als sie Goldoni, der arm war, die Pension nicht gewährten, weil sie annahmen, er würde, reich, nichts mehr arbeiten.

Sie kannten das menschliche Herz wohl und haben in ebensolcher Klugheit den Tizian, der nicht nur die fabelhafte Glanzfigur dieses Daseins, sondern auch der prominenteste. Bürger ihrer Stadt war, unter der Teilnahme des Volkes in ihrer schönsten Kirche beigesetzt. Die Briten haben das Gleiche veranschaulicht, als sie Sir Joshua Reynolds, ihren weltmännischsten Maler, unter dem Beifall der Nation in der Paulskirche zu London begruben, und sie taten dies nicht, um die Kunst zu ehren, sondern um dem Bürger ihren Beifall auszudrücken, der durch Kunst dem Vaterlande Glanz und Ruhm hinzugefügt hatte.

Sie ehrten alle in diesem Diorama sich selbst und eher den Mann als den Künstler. Darum wehrten sie den Dichtern auch nicht, die Staatsgeschäfte zu führen, wenn ihr Geist sie dahin zog, und der Earl Lytton-Bulwer, der mit zweiundzwanzig Jahren den Preis von Cambridge für ein Gedicht erhielt, der mit Achtundzwanzig Mitglied das Unterhauses wurde, der das glühend-weinerliche Buch von Pompejis Untergang schrieb, wurde britischer Minister und beigesetzt in der Westminsterabtei. Die Franzosen zogen ihre hervorragenden Dichter in die Nähe der Höfe weit über ihren damaligen Stand hinauf, die demokratischen Briten überließen ihnen, wenn sie nicht Zigeuner waren, im Tauglichkeitsfalle die Leitung der Geschäfte ihrer Nation. Sie gehörten als Zeitgenossen in die Volksgemeinschaft, lebten, starben mit den andern, wurden wie die übrigen geehrt und fühlten sich selbstbewußt nicht weniger wie die Offiziere und nicht weniger borniert wie ihre Bekrittler und sicher ebenso hungrig nach Geld, das sie speiste, wie jedermann ihrer Zeit.

Ihr höherer Ruhm umglänzte sie über die Zeit hinaus, aber sie gedachten nicht der Kunst als etwas Absonderlichem allein zu leben, sondern sie trieben ihr Handwerk im Maß ihrer Talente. Die Veronese und Rubens wiederholten sich bis zur Verkitschung nur deshalb sooft, weil sie die Menge der Bestellungen ihrer Zeitgenossen sonst nicht bewältigt hätten und sie bedurften dieser Aufträge, um den Aufwand ihres Lebens zu bezahlen. Die Balzac, Thackeray, Scott schrieben nur deshalb wie die Tollen, damit sie mit den Einkünften ihre wirtschaftlichen Bankerotte balancieren konnten.

Schottlands bester Lyriker, Robert Burns, ließ seine Gedichte drucken, da er durch Ausschweifungen pleite war und sich das Geld zur Reise nach Jamaika zu verschaffen suchte. Fielding zeigt ein ähnliches Gesicht und Gainsborough sprach nicht ohne Lächeln, er wünsche Geige zu spielen und male lediglich, um sich den Lebensunterhalt für dieses Vergnügen zu verschaffen. Noch Oscar Wilde floh manchmal aus der Gesellschaft und verschwand, um rasch ein Kunstwerk mit aller Konzentration zu machen, ebenso wie Tobias George Smollet, der sich hin und wieder aus den Ausschweifungen des Landlebens und von seinen Gästen zurückzog, um seiner Monatsschrift die Fortsetzung eines Romanes zu liefern, die ihm die Fortsetzung seines Lebens ermöglichte.

Die kalten Briten haben in ihrer unverfrorenen Form die meiste Freiheit gehabt anzuzeigen, daß ihnen gute Kunst ein gutes Leben wert sei und daß ihre Gesellschaft die verdammte Natürlichkeit haben müsse, es ihnen zu liefern. Sie empfanden sich so sehr und so glatt als Partien einer Gesellschaft, wo jedes Verdienst sich in Geld umsetzte, daß ihnen der üble Ästhetenton gar nicht in den Sinn kam, mit dem die schwächlichen Künstler jeweils mit häßlichem Pathos von der Heiligkeit der Kunst predigen gingen, wenn ihnen, falschen Heuchlern, die Zunge nach Roastbeefs heraushing.

Jede Leistung hat in der menschlichen Struktur ihr Anrecht auf die entsprechende Vergütung. Walther von der Vogelweide verlangte unzweideutig sein Lehen als Lohn dafür, daß er sich für die Staufer die Kehle ausschrie, und die Gesellschaft jeder besseren Epoche hat das anerkannt.

Mißfälle beweisen ebensowenig wie das Faillit großer Kaufleute, die nicht einmal den Ruhm aus dem Zusammenbruch ihrer wirtschaftlichen Existenz retten konnten. Die Künstler haben zu jeder Zeit aus den Truhen ihrer Zeitgesponse gesäckelt, was sie scheffeln konnten, und haben versucht, sich das Leben so prächtig zu machen wie es ging. Und die Bastonade gehört dem, der ihnen einen Vorwurf daraus machen möchte.

Denn daß jemand nur der Kunst leben wolle, wie manchmal heute unsinnig geschwatzt wird, oder ähnliche Konfusionen auch nur zu denken, ist genau so verwirrt als wünsche einer nur seinem Bein zu leben oder nur seinem Phallos, wo er doch in seinem Körper einen Gesamt-Organismus mit guter Speisung so zu versorgen hat, daß alle Glieder marschieren oder alle verloren sind.

Diese artistischen Kleine-Leute-Einstellungen beweisen höchstens, daß die Ausübenden sehr geringfügige Herrschaften sind, oder daß die Zeiten und ihre Gesellschaft höllisch sein müssen. Denn daß jemand von ihnen in die Kunst flüchtet, das heißt im Grunde nichts anderes, als wie sein eigener Schatten von sich selbst davonlaufen. Die festen Leute haben im Gegenteil jederzeit erreicht, daß Kunst keinen Heiligenschein aus Papiermaché bekam, vor dem sich nur die Sonntagsjäger der Nation verneigen würden, sondern daß Kunst ihren Zeitgenossen soviel wert war an Gold wie die beste Ware, die sie sonst zu verfertigen in der Lage waren, und daß es ihnen auch Glanz gab und jenen heimlichen Ruhm noch hinzufügte, der keiner geistigen Heldentat zu nehmen ist. Sie verstanden sich unter ihren Zeitgenossen als Männer der Erde auszuwirken und dennoch dabei die geheimnisvolle Flagge der Kunst unsichtbar zu entfalten.

Mijnheer, als Heinrich Heine in seinem Gedicht „Deutschland ein Wintermärchen“ allen Spott der Heimat antat, gelang es ihm nicht, die Tränen einer unerbittlichen Liebe zu ihr zu bemeistern. Mijnheer, derselbe Mond, der seine heimatliche Landschaft überfunkelte, ist eben aus der gleichen Inbrunst auch draußen über Ihrem Kopf aufgegangen und die Wolken haben sich so sanft um ihn entschleiert, als wollten sie seine Seltenheit mit der Behutsamkeit ihrer Eile begrüßen und die Pause feiern, die die neu formierten Sturmtruppen bald wieder mit Geknatter zudecken werden. Indem er die Schneewüste sanftblau bis an die Gesichtsgrenze färbt und alle Gegenstände in eine geheimnisvolle Entferntheit hineinrückt, hat das Gestirn einen Zauber, als trage es in seiner stillen Heiterkeit über die Unfruchtbarkeit der Jahreszeit das Sinnbild einer ewigen lichten Bestimmung.

Mijnheer, ich glaube, es war auch derselbe Vollmond der Verheißung, dem ich von Pernambuco als junger Bursche nach Europa nachgelaufen bin, und die Kurve dieses Glanzes hat mich stets am innigsten an die Heimat gebunden. Ich habe in Deutschland gesucht, jenes Gefühl Europas zu finden, das mich am tiefsten anzog, aber der deutsche Mond hat sich mir nur selten entzaubert und ich mußte in den langen Mondnächten fremder Nationen mir erst die Bestätigung für meine Sehnsucht holen, die mir die Heimat nicht mit gleicher Deutlichkeit zu geben vermochte, und die Mondnächte der Fremde waren oft von jener glühenden Schönheit und Klarheit, die die Leidenschaft begeistert, wenn sie auch nicht die verschleierte Zartheit und die seltene Innigkeit der unvollkommenen Deutschen besaßen . . . . . . . . . . . . . . .

Ganz unten spiegelten sich zuerst nur religiöse Agenten in der deutschen Dichtung, dann gab sie den Vorgang einer Belehnung, nachdem die wilden Dämonen des Heidentums aus ihr ausgetrieben waren, in „Ruodlieb“ kam Phantastisches der ritterlichen Zeit schon schüchtern auf und „Rother“ schildert Vasallentreue. In „Blanche und Blancheflor“ aber liegt schon wie der Sternhimmel in einem Teich die Gesellschaft des Hofs. Das blieb in immer heftigerer Pracht über die guten Jahrhunderte des Mittelalters. Österreich wehrte sich lange ein wenig gegen den neuen Stil, der die Zeit irr ihren Gebräuchen und in ihrer Seele wiederzugeben bestimmt schien, aber der Vogelweider brachte die höfische Schärfe zusammen mit den Lilien, Rosmarin und Rosen des Volkslieds, das damit ausstarb, in eine gelockerte Pracht. Um Hermann von Thüringens Hof scharte sich der Olymp der Poesie, Walther, die Schüler des Veldecke und Wolfram, der wie Walther nicht zu lesen und schreiben vermochte. Um einen anderen ritterlichen Mäzen sammelt sich die Nachfolgeschaft Gottfrieds von Straßburg. Ein Würzburger schreibt nach einer Epoche des Ausgleichs zwischen den Idealen und den Liebhabereien der Zeit das letzte höfische alemannische Epos.

Die Kunst geht in die Städte und magert ab über den ganzen Körper. Die Bürgerschaft des Meistersangs hat keine Welt, sondern nur ein Gemäuer um sich, sie läßt die Sprache nicht blühen, sondern benutzt sie als Turngerät für ihre spießigen Launen. Es gibt nichts mehr, was gespiegelt werden soll, und es gibt nichts mehr, was spiegelt. Statt in einen Park, hat man die Kunst in eine Abdeckerei gefahren und statt als nackte Göttin haben sie als ihr Sinnbild einen Paragraphen auf den Sockel gesetzt.

Es gibt keine Demokratie in den deutschen Städten wie in England, es hilft kein breites bürgerliches Selbstbewußtsein sich mit ihr wie Venus mit dem Spiegel an die Spitze des Ansehens der Erdnationen. Sie ist bestimmt, zwar große Zeiten zu erfüllen und mit ihrer Schönheit den Glanz einer göttlichen Epoche darzustellen, aber man hat sie als Magd an die bärtigen Krämer verkauft. Es gab kein Deutschland, das sie repräsentiert hätte, sondern es gab Kriege und Balgereien, Reformationen und Friedensschlüsse, die alle für andere Rechnung gingen als für das Nationalgefühl eines gesunden Volkes. Maximilian versuchte noch einmal ritterliches Denken in ihr zu entfachen, aber er schrie in einen leeren Wald. Wo keine Ritter standen, konnten keine Schatten ritterlicher Gefühle fallen. Das war vorbei.

Die Gelehrten bemächtigten sich ihrer und haben bis Lessing furchtbar mit ihr gehaust. Man kann wie durch das heimliche Glas eines Bienenstockes durch die Literaturen auf die Völker Frankreichs und Englands und ihren Bau und ihre Geschichte und ihr Schicksal sehen. Durch die dürren Treillagen der deutschen Poesie sieht man in eine Morgue.

Man sah lediglich auf einige Koterien, die sich seit längerem mit der Literatur zu beschäftigen gewöhnt hatten zu ihrer eigenen Belustigung und ihrer eigenen Not, aus einem falschen Ehrgeiz oder einem schmerzlichen Verhängnis heraus, denn im Herzen hätte mancher lieber die Stelle eines Profossen oder eines Hanswursts, die sich besser dotierten, ausgeübt. Man sieht auf eine Pantomime von Herren, die ihre Glieder und Gedanken im Rhythmus der Sprache bewegen, aber man sieht kein Volk. Denn weder in den Taten der Bejaher noch in den Gesten der Verneiner lag etwas von dem Elend oder der Höhe des Volkstums, sondern, was sie produzierten, waren der Mummenschanz von Carbonaris, und ihr Geheimbund interessierte sie, aber nicht das Volk.

Waren sie für oder gegen die Gesellschaft, hatten sie das gleiche Unglück, daß keine bestand und daß sie daher eher Kuriositäten als Sinnbildern glichen. In dieser Verwirrung schienen sie seit langem entschlossen zu sein, Revolutionäre zum mindesten zu bleiben, soweit sie nicht die nächste Umgebung ihres Hauses zu besingen sich mühten, und vor lauter Aufruhr kamen sie nie zu einer gesunden konservativen Art.

In dem Zirkus der Eitelkeiten, in dessen Logen die Nation gar nicht einmal saß, liefen wie junge Engländer des Mittelalters die Männer des Sturms und Drangs herum, die Schlegels als Prachtstücke der katholischen Propaganda, die Gottschede frisiert à l’oiseau royal, und selbst die Tiere schienen eine andere Zone des Klimas als ausgerechnet das deutsche darzustellen. Um was es bei diesem Getöse ging, war keinesfalls die deutsche Nation, es war die Beschäftigung einiger Schicksalbestimmter mit einer wichtigen Angelegenheit, um die sich die Nächst-Beteiligten aber gar nicht kümmerten.

Sie hatten keine Gelegenheit dazu, weil es kein nationales Deutschland gab, sondern einige Dutzend Fürstentümer und daß deren Interesse ihre Landesgrenze war und nicht die Welt. Das bürgerliche Volk las englische Romane, die Aufgeklärten wandten sich der französischen Literatur zu, die Masse fand die Verehrung der Klassiker als Rettung. Die Literatur blieb großenteils Beschäftigung der Künstler und bekämpfte sich durch sie, wie üblich in Deutschland, bis aufs Blut.

Deshalb waren die deutschen Dichter gezwungen, in kleinen Stellen und auf armselige Weise ihr Leben zu verbringen, während die Engländer in Lordkutschen Europa durchreisten und die Franzosen in Paris geschliffen wurden für eine einzige Geste weltlicher Urbanität. Die Deutschen waren so zersplittert, daß sie in ihren Poeten nicht die besten Formen ihres Charakters und in ihren Werken nicht die erlesensten Tafeln ihres Ruhmes zu erkennen vermochten. Es bestand keine Bindung, keine Ehe, ja nicht einmal eine flüchtige „menage parisien“ zwischen der Gesellschaft und der Kunst, und die Rebellen wurden beseitigt und nicht geehrt und gefürchtet, und die Starrköpfe wurden wie das „Junge Deutschland“ gleich einer Savoyardenbande über die Grenzen gekehrt.

Nur ein Volk, das hoffnungslos einer eigenen würdigen selbstbewußten Sicherheit und Grazie entbehrt, kann mit dieser Grausamkeit gegen die verfahren, die seine Lieblingskinder sein müßten. Wohl haben einige Fürsten die Liebhaberei gehabt, sich nicht nur mit Jagd, sondern auch mit den Musen zu umgeben, und nach dem großen Friedrich, der allerdings europäisch eingestellt war, haben einige seiner Nachfolger sich auch für die Bühne interessiert. Allein, es war nicht das Spiegelbild preußischer Tugend und deutschen Wesens, was sie da suchten, sondern sie haschten nach der Atmosphäre des Theaters und dem Betrieb seiner unterhaltsamen Luft. Auch in Bayern ward Kunst ein Trumpf, doch hatte der beste Wittelsbacher die falschen Karten in der Hand und den Wahnsinn im Hirn, und ihm so wenig wie dem hessischen Brabanter, der zwischen zwei Generationen sich setzte, gelang es, die Sünde der Jahrhunderte und das Fehlen des Geistes und eines mächtigen nationalen Ausdrucks durch Schwanengrotten und Jugendstilkolonien zu ersetzen.

Die Deutschen haben ihre Dichter nicht nur nicht geachtet und zur Höhe ihrer besten Zeiten hingezogen, sie haben sie nicht nur nicht kulminieren lassen wie die besten Kaufleute ihrer Zeit und haben ihnen nicht nur nicht das Recht gegeben, sie als Volk zu vertreten, sondern sie haben einen Makel auf diesen Beruf geworfen, haben ihn von dem Adel her gefürchtet, vom Bürger her verachtet, haben ihm das Brot und die Karriere und die Bewegungsfreiheit genommen und schließlich ihn behandelt wie jenen Eumolpus, von dem Petron, der die Dichter lästerte, erzählt, man habe ihn vom Schlemmermahl aus, als er rezitierte, mit Steinen beworfen, daß er ans Meeresufer flüchten mußte.

Das Bild der letzten Epochen ist nicht das der Gemeinschaft, sondern das eines Schachspiels. Die Epoche vor dem Krieg hat mit Regimentsmusiken Treibjagden veranstaltet auf die Künste, die Verwaltungen haben sie ausgestoßen, der Betreiber eines literarischen Handwerks vermochte die Bestätigung des Reserveoffiziers nur mit Mühe und bei guten Wirtschaftsverhältnissen zu erreichen, die Staatsanwälte witterten Staatsfeindliches und das ins Verdienen gekommene Volk hielt die Musen nicht für Spielerei mehr, sondern sogar bereits für einen Luxus, den es sich kaufen könne.

Man hatte sie auch früher gekauft, aber man hatte auch alle Vorbedingungen für die Musen selber geschaffen und gezeugt und bewies sich durch ihre Förderung nur seinen eigenen geläuterten Geschmack und vielleicht seine Größe damit.

Diese neuen Leute von gestern und heute aber waren Barbaren, die nichts geschaffen und nichts gebaut hatten, sondern nur Geld verdient hatten und glaubten, damit alles zu können. Gold wiegt wohl den Geist auf, aber nur, wenn beide von der gleichen Substanz sind und für die Bilder Paläste und für die Prediger die Dome und für die Dichter die Weltgefühle der Gesellschaft da sind, die einander wert sind.

Dann ist alles käuflich und dann ist Kauf der einzige Maßstab, denn der Ruhm hißt sich von selber an die Spitze der Zeit, und im irdischen Dasein hat die Gesellschaft sich dann klar gezeigt, was sie untereinander schätzt. Auch ich bin käuflich, sagte Maria Theresia, aber es kostet ein Land.

Diese Crapule aber, die nach einer irr flimmernden und sich des Zusammenhangs nicht mehr bewußten Kunst die Hände ausstreckte, griff nicht nach oben und lobte sich mit dieser Bewegung, sondern sie faßte nach unten und kaufte den Geist wie ein Badezimmer. Sie bewiesen damit, daß sie die Kunst nicht ablehnten, was ehrlich, und nicht liebten, was zuviel verlangt wäre, sondern daß sie sie nicht nötig hätten.

In dieser Haltung, ergrimmt, feindlich auf den seitherigen Zustand, nicht auf das Volk, sondern auf die Verhältnisse, trat die Literatur in die Republik.

Man kann, auch in der Literatur, nicht dauernd seinen neunten November machen, und es wäre an der Zeit, sich nun endlich zu konsolidieren. In der Republik wächst nun eine neue Gesellschaft, die Übergänge sind zwar abscheulich, aber sie sind interessant wie die Zeiten des Balzac. Und Sprache und Literatur sind bereit, nach soviel Revolten, einige Jahrhunderte nach der britischen und ein Jahrhundert nach der französischen Umwälzung, ein breiter Spiegel der Kämpfe zu werden, in denen eine republikanische Volksschicht sich formt. Die Literatur hat der Republik Zuneigung bewiesen und die Republik wäre in der Lage, sich zu revanchieren. Konsolidiert sich Deutschland jetzt, ist es an zwölfter Stunde.

Frankreich hat sich im letzten Jahrhundert fit und glatt gemacht, hat in denselben oder in neuen Salons noch den alten Königen gehuldigt, Mirabeau und George Sand zusammen gesehen, hat in den zwanziger Jahren für Theater darin geschwärmt, unter dem Bürgerkönig für die Romanze, unter dem zweiten Kaiserreich für die Chansonette, unter der Republik für den Monolog. Gambetta erhielt durch die Herzogin von Beaumont rasch die Formen eines alten Viveurs und in den Salons dieser Form fand sich die Gesellschaft mit ihren neuen Führern und ihren neuen Ideen rasch zusammen. Die Akademie und das Panthéon säumten von jeher als nationale Monumente die Verdienste und den Weg der Kunst, und jedes Gouvernement hat mit Eifer die Pflege des Geistes von dem vorherigen übernommen und die Waffe, die es für die Nation hier führte, zu schätzen gewußt, wenn auch die Simplen manchmal und nicht die Heroen den Kranz zuweilen erhielten.

Die Siegesallee der deutschen Kunst ist aber nicht wie die der Hohenzollern mit Denkmalen und Ehrenzeichen gepflastert und die Republik hätte gut getan, ein deutsches Panthéon zu gründen, in dessen Raum sich der Staat und die Künste unter der Decke einer neuen Gesellschaft und einer breiten Demokratie gefunden hätten.

Mijnheer, die Deutschen waren immer klug, wenn sie sich priesen, und nicht ohne Geist, wenn sie sinnierend ihren Nabel besahen, und große Exploiteure, wenn sie ins Reich der Sterne sich begaben, aber sie haben für ihre nächsten Aufgaben nie den Sinn eines Rayonchefs gehabt. Sie haben diese Gelegenheit vorbeigehen lassen, haben sich in Parteien zerfleischt, in Doktrinen wie in Wilderernetzen gefangen und haben die Gesellschaft sich selbst überlassen und damit von dem Staat gestoßen und haben die Kunst wieder den Literaten übergeben, die sich weiter damit befehden wie seither. Die Republik hat in der Gestalt des Professor Brunner sogar noch die heilige Inquisition auf die Musen losgelassen, und die Jagd nach den Nuditäten und die Verfolgung der Freiheit und die Haarspaltereien über Sinn und Wesen der Kunst vor den Schöffen der Gerichte, die nichts davon verstehen, hat von neuem begonnen.

Die Dichter haben sich ihrerseits in keiner Weise über der Verantwortung der Situation bewegt. Sie haben sich selbst zerrissen, ihre Aufgabe nicht erkannt und sind einem Ton und einer Injurie der gegenseitigen Behandlung verfallen, der dem einzelnen den Kredit, der Masse aber die Ehre nimmt. Man hat verlernt, im wichtigen Augenblick eine Aufgabe zu sehen, sondern man sieht sich nur noch unter dem Gesichtspunkt der politischen Parteien, und Kunst ist nicht mehr eine Devise, sondern ein Austragsfeld von Krakehlen, die nie in ihren Bereich gehörten.

Es heißt, daß früher die Marquise von Châlet so sehr von der Schönheit und Würde der Poesie überzeugt war, daß sie sich nur von Dichtern und Gelehrten küssen ließ. Man müßte heute in Deutschland Dichter, um sie vor der seltsamen Zuneigung ihrer Zeitgenossen zu schützen, mit dem Schilde: „Défense d’uriner“ versehen, mit dem die Franzosen die Standbilder ihrer Generäle und ihre Parlamente vor der Gunstbezeigung der erbärmlichsten Meuten bewahren.

Es hat ihnen jederzeit an Führern gefehlt, die die Gegenwart gliederten und die Furchen zwischen Kunst und Volk richtig zogen. Über Literatur schrieb seit Lessing und außer Herder nur noch Heine und den Instinkt besaß lediglich für sie noch Blei. Lessing schrieb kühl, vornehm, deutlich und tödlich, Heine voll bunter Spielerei. Man hat auch damals Kämpfe geführt, Schiller nannte die Schlegel Laffen, Tieck nannte Schiller einen spanischen Seneca und haßte Kleist, weil der seiner Katze eingemachte Ananas zu fressen gab, Goethe schrieb gegen die Schlegel, die ihn durch ihr Zelebrieren „gemacht“ hatten, einen undankbaren protestantischen Aufsatz. Brentano suchte die Tieckschen Weiber mit Sentiments zu girren, Racine hat Molière begaunert und Verlaine auf Rimbaud geschossen, Börne hat Heine angegegriffen und Heine hat dem Platen, dessen geschwollenem Hochmut alle Dichter auf der Parnaßreise im Weg waren, unvergeßlich bittere Streiche versetzt. Aber man stritt und verwüstete sich nicht, die Literatur bekam nicht täglich wie ein Weib „fureurs hysteriques“, sondern sie erkannte mit einer gewissen Grandezza die Könner an.

Es fehlte uns ein Brunetière, es fehlte ein Sainte-Beuve, die wohl manche Dummheiten besaßen, aber Pupille und Augenmaß hatten und ihre Literatur wie Chirurgen zerschnitten und nicht vergaßen, sie zusammenzunähen und klarer nach Hause zu senden. Die Gelehrten, die sie bei uns behandelten, haben ein seltsames Spiel mit ihr getrieben. Sie hatten keine Maßstäbe, durch die sie die Ideen an den Literaturen und die Jahrhunderte an ihren Künsten heraufbegleiten konnten in die Gegenwart, aber sie verstanden auch ihre Zeit nicht und dazu fehlte ihnen noch der dichterische Atem und der Sinn für Sprache. Sie saßen wie die arm- und beinlosen Bettler unter Diderots Denkmal in der Rue de Rennes und spielten auf einem Leierkasten dem Volk verständliche, aber zwecklose Tiraden über die Werke und den Dichter, den in Figur zu sehen dem Volk viel leichter fiel.

Es blieb den Deutschen sogar vorbehalten, von Herrn Bartels eine Literaturgeschichte zu erhalten, die Kunst nach Juden und Gojims schied. Der Standpunkt ist dumm, aber ist sauber. Der Verfasser zeigt seine Visitenkarte und lügt nicht. Man muß bei den erbärmlichsten Troubadouren heute schon die Tatsache des Charakters als eine der liebenswürdigsten Überraschungen buchen. Auch ist der Tanz nicht unamüsant, den er mit seinem Judensprung vornimmt, zumal schon Atta Troll den Kindern des Alten Testamentes verbot, auf den Märkten öffentlich zu tanzen, da ihnen der Sinn für die Plastik völlig fehle. Man hätte nicht gedacht, bei aller Liebe zu den Judäern und aller Hochachtung vor der großen vermittelnden Rolle, die sie in unserer Zeit spielen, daß fast die ganze Dichtung eines Tags aus ihnen bestehen würde.

Aber nicht genug damit hat der übereifrige Kompilator und Barde sich noch einige Germanen zu Mosaischen hinzugedichtet, wobei seinem Furor, der Juden schon in jedem Schreiber sieht, das scherzhafte Unglück zustieß, daß er das Pseudonym eines gewissen ironischen Philosophen Friedländer „Mynona“ für eine schwarze Jüdin ansah und unter Gebrüll verstieß. Die Haltung dieses Beurteilers der Künste ist eindeutig und wie die eines Stiers, der ein Herrenessen nach seinem Geschmack durchwühlt und nichts anderes anrichtet wie ein seltsam tierisches boeuf à la mode.

Zweideutiger ist der Gang, mit dem Herr Professor von der Leyen, Dozent der Kölner Universität, sich der Gegenwart nähert, denn er galt einige Zeit als Liebhaber und Kenner der neuen Literaturen und versteckt auch jetzt noch die kriegerische und militärpolitische Absicht, mit der er nach alten Schlagwörtern und den Gewohnheiten der ideenlosesten Pfaffen sein Thema aufteilte, geschickt hinter einem männlichen und neugierigen Gegacker, wodurch er das Publikum anlockt. Jedoch, wenn er genug Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat, mit den langen Beinen und dem kleinen Kopf des Vogels Strauß und starkem Flügelschlagen auf sein Thema zugeeilt ist, vertauscht er die Fronten, steckt, statt zu reden, den Kopf in den Sand und den Rumpf in die Luft. Am Rumpf dieses Vogels befinden sich die schönsten Federn, und es mag seine Absicht sein, die Tiere zu täuschen und zu hoffen, daß sie diesen Teil statt dem mageren Schopf für seinen Kopf halten.

Die Menschen sind jedoch bereits zu scharf gebildet, als daß sie auf die liebenswürdigen Blaguen der Tierwelt sich verirrten und wissen auch bei auffallenden Ähnlichkeiten zu unterscheiden, wo die Ansichten sitzen und wo die Federn, wo die Schädel und wo die Steiße, und die guten Kritiker haben nie verfehlt die Köpfe abzuschlagen, um zu beweisen, daß sie hohl sind. Mijnheer, ich habe in dem Buche dieses Professors eine Fälschung gefunden, die vor Jahren von einem gewissen kleinen Claqueur ausging, indem er eine Stelle aus einem Buch und dem Zusammenhang nahm und sie einem anderen, nämlich mir selbst, zwischen die Lippen legte. Es handelt sich darum, daß, um in einer Erzählung des Buches „Frauen“ ein rasches und rühmliches Ende des Krieges zu erreichen, aus dem Umkreis eines Spionagezentrums aller Nationen einige Menschen sich entfernen müssen, um ohne Kontrolle ihre Nachrichten auszutauschen, und daß ein anderer, um die Aufmerksamkeit der internationalen Bande, abzulenken und um ihren Geisteszustand zu charakterisieren, in frivoler Weise über Frauen redet. Ich finde diesen letzten Teil ohne Zusammenhang mit der Erzählung, ich finde ihn ohne Hinweis auf das Buch, ohne Bemerkung, daß das die Worte eines anderen und nicht die meinen sind, ich finde diese grauenhafte Fälschung als meine Ansicht, meinen Ausspruch als Zeichen meiner vaterländischen und moralischen Überzeugung abgedruckt in dem Buch des Dozenten. Sie sagen das Rechte: Es hat keinen Sinn, sich mit der Meute zu beschäftigen und für Unbegabung ist niemand verantwortlich zu machen außer vor der Vorsehung.

Schon Heine hat Lessing vorgeworfen, daß er aus Lust an der Aufgabe, die deutsche Literatur zu säubern, die armseligsten Rosinanten erschlagen und den Namen manches Pasquillanten der Unsterblichkeit überliefert habe. Es ist ein Fehler, die kleinen Feinde zu züchtigen, weil man nicht sich, sondern sie allein ehrt. Es gibt auch andrerseits wieder schwerlich Ergötzlicheres, als die Vernichtungen zu lesen, die Bürschchen an einem vornehmen, die ihren wankenden Hosenboden mit jener Kühnheit zu tragen suchen, die sie einem im Gesicht abgelauscht haben und die das Schreiben, mit dem sie uns verpfeffern, bei einem von A bis Z gelernt haben. Die Nützlichkeit der Nachahmer hat bereits Constable erkannt, da, wie er meinte, sie zeigten, was man vermeiden wolle. Er ahnte nicht, daß die Nachahmer in dieser von Wolfshaß zerfleischten Zeit bereits zu den Gegnern übergingen, um scheinbar als Entschuldigung für ihren Diebstahl sich die Überzeugung beizubringen, es sei gar keiner, und was sie gegen einen unternähmen, sei eigene Erfindung.

Ein neues Settlement der Literatur hat sich hier aufgetan, und die geraubten Formen des Ausdrucks werden als allerdings blecherne Streitäxte geschwungen: „Ce ne sont pas les pots, ce n’est pas la fayence. /// C’est ce qu’on met dedans qui fait la différence,“ schrieb ein Plauderer der „Gazette du bon ton“, nachdem er eine Stunde lang über die Plissées der neusten Damenhosen gesprochen. Es hat keinen Sinn, sich zu entsetzen und es bleibt unsere schönste Freiheit, über das Miserabelste auch noch zu lachen. Aber ich muß, wenn selbst die Professoren der Genauigkeit in das Lager der politischen Parteiungen hinuntersteigen und nicht nach der Größe der Dichter, sondern nach der Zweckmäßigkeit, sie politisch zu kompromittieren, urteilen, ich muß Mijnheer, an Pernambuco denken.

Ich muß an die Revolten von Pernambuco denken und an den Streik der Chauffeure, deren Fahrtverweigerung die Stadt in einer halben Stunde in ein Feldlager verwandelte, und mir fällt ein die Geschichte des Redakteurs Petronio, der einen unwahren Artikel gegen die Regierung geschrieben hatte. Ich muß erzählen, mit welcher Grazie und welcher Promptheit man für die Wahrheit eintritt unter den nicht so kultivierten Nationen, und wie der Gouverneur den Redakteur zu sich in die Wohnung bat und wie er ihn empfing, den Revolver in der Hand und ein Glas Wasser auf dem Tisch.

Man sprach nicht viel, der Gouverneur hielt lediglich die Pistole nach der anderen Seite und sagte, ob jener zugebe, daß die Tatsachen, die er geschildert, unwahr seien, und der Angeklagte nickte. Mit einem Zeichen übergab der Gouverneur ihm die Zeitung und ließ sie ihn verspeisen, indem er ihm nicht verweigerte, sich des Wassers zu bedienen. Sie schieden mit einem Handdruck, man war in kurzer Weise über eine schmerzliche Angelegenheit hinweggekommen und hatte vor Wiederholungen ein deutliches Schloß gelegt.

Ich bin zu wenig Illusionist, aber noch weniger genügend skeptisch, um dieses Beispiel für Deutschland empfehlen zu wollen, und ich gestehe auch, daß ich, wenn die „Chevaliers du lustre“ mit ihren bezahlten Händen von der Galerie ihren Beifall toben, denselben fatalen Klang im Ohr habe, als wenn die Liliputaner giftig flüstern und die Marodeure gegen die Dichter anbrüllen. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht verloren, daß Deutschland dennoch einmal einem Beurteiler, der sein Volk aus Liebe tadelte, der nicht in die Hörner der Vorurteile blies, der von nichts bewegt als der Leidenschaft zur Gerechtigkeit lebte, der mit einem Stil, unerbittlich wie Granit und schwungvoll wie eine Geige, sein Zeitalter geschildert hat, daß irgendeinem Mann dieser Art die deutsche Heimat einmal auf den Grabstein schreiben kann: „simplicis veritatis amantissimus“.

Der Mann, der seit Heine am meisten von Literatur verstand, ist Franz Blei, von dem man mehr Anekdotisches erzählte als von ihm las. Er hatte unter anderem die Ehre einen der drei Preise zu verteilen, mit denen Deutschland seine Dichter ehrt und die, außer dem Schillerpreis, von privaten Stiftungen herrühren. Diese Summen sind bedeutungslos, aber schlimmer ist: die Preise sind sinnlos, weil nicht, wie in anderen Ländern und wie es sein müßte, die ganze Nation atemlos darauf den Blick richtete, sondern daß die Nation sich den Teufel um die Preise kehrte, kaum einer der Literaten wußte, wer sie bekam, und das Volk den Sieg Breidensträters in einem Boxkampf, oder Froitzheims in einem Tennismatch oder der Firma Wanderer oder des Hengstes Ordensjäger in Rüsselsheim oder Iffezheim mit tausendfach größerem Interesse verfolgt.

Die Republik hat den Dichtern in der Verfassung gute Worte gegeben, aber sie hat ihr Ansehen nicht erhöht, und wenn einige von ihnen, wie die Herren Rauscher und Köster, in die Stellungen von Gesandten und Ministern gelangt sind, so war das nicht, weil das Volk sich in ihnen ehrte, sondern weil die Maschinerie der Partei sie an die Posten trieb. Die Verteilung der Preise hätte lediglich unter diesen Umständen Sinn, wenn man, wie die Tschechen, Bulgaren, Rumänen sogar tun, Millionen für sie auswürfe und sich das Gold als solches rentiere.

Die Ehrung wird aber eine Farce, wenn nicht ein materieller Gewinn, sondern nichts als die Afferei eines Kartenspiels unter Literaten dahinter steckt und die Öffentlichkeit währenddem aus dem Fenster nach einer anderen Sache schaut. Die Inthronisierung der Gekrönten ist jeweils ohne weitere Aufmerksamkeit vor sich gegangen und es hieße sich selbst langweilen, wolle man die falschen und die rechten Ernennungen untersuchen. Ich glaube, daß Blei sich jeweils mit mehr Sinn für die Kuriositäten als für die zeitwichtigen Erscheinungen entschieden hat.

Er ist ein geschmackvoller, aber der Stetigkeit seines Geschmackes nicht sicherer Mann. Die Lessing und Heine wußten mit gewaltigem Instinkt, sei der Gegenstand nüchtern, sei er barock, nicht nur die Werte zu erwittern, sondern sie auch da anzuordnen, wo sie nötig waren und wo sie unsere zerfahrene Situation verbessern konnten. Sie wußten um den Mangel der Gesellschaft und um die Unfähigkeit der Dichter, nach einer nationalen Haltung hin sich durchzuarbeiten und waren immer im Vordergrund bestrebt, die Möglichkeiten der beiden einander zu nähern.

Sie waren sich des Sinns und der Mission des Deutschen bewußt, ahnten, wo das Rechte stäke, irrten manchmal gewaltig, aber behielten den Sinn des Ausgleichs zwischen Kultur und Nation unentwegt bei jedem Satz im Hirn.

Blei hat das wie alles ebenfalls gewittert, aber er hat keine Folgerung daraus gezogen, sondern hat lediglich spielerische Anmerkungen darum gemacht. Ihm genügte, die Marginalien zu einem Thema zu ziehen, das die gesamte rücksichtslose Wucht eines Mannes vorausgesetzt hätte, um es klar zu machen. Blei ist ein großer Kenner der Literatur der letzten Jahrhunderte gewesen und ein ausgezeichneter „Riecher“ der zeitgenössischen, aber kein Beurteiler. Er ist einer der größten Talententdecker, einer der gebildetsten Literaten, die Deutschland sah, eine Wünschelrute der Verleger, ein Cagliostro der Begabungen, ein wahrer großer „homme de lettres“, verliebt in Literatur bis zum Exzeß, und es gibt keinen lebenden Schriftsteller von Bedeutung, der ihm nicht Dank schuldet und eine gewisse Verehrung entgegenbringt, und den er nicht da oder dort schon einmal verraten hätte. Blei ist von fast erotischer Empfindsamkeit für Literatur und hat jede Mode, innerlich sicher ehrlich, vorausempfunden und propagiert und jede wieder verlassen.

Er hat die Neigung und den Instinkt und die geniale Empfindung für die Valeurs, nicht für die Werte. Er ist weit mehr, wie unwissende Jünglinge meinen und seine Feinde mit Handbewegungen abtun wollen, eine ungewöhnliche und hoch überlegene Potenz unseres Schrifttums, aber aus Verliebtheit und nicht aus Verantwortung. Der „homme de lettres“ ist wie der „homme à femmes“ letzten Endes nur auf die Details eingestellt, auf die Linie, auf die Grazie, auf die Nüance, auf den Charme, aber nie auf die Totalität einer Erscheinung. Blei zieht seine Assoziationen von allen Seiten. Katholisches und Rokoko, Satanismus und linksradikal, Sinnliches und Besinnliches machen ihn zum geschmeidigsten Verwerter einer Elastizität, die alles betastet und alles vertieft, aber nichts ergründet.

Er ist ein aristokratisches Stil-Chamäleon. Die Sünde der Epoche hat in ihm einen Sylvester Schäffer gefunden: er schießt und dichtet, spielt auf dem Pferd Violine, läuft Seil, spricht und drischt gleichzeitig guten Stil aus dem Hals, aber alles ist kein Inhalt und kein Ziel und kein Fleisch, sondern nur Gewandtheit und Akrobatik und zirzensischer Geist. Man springt geschickt und mit Esprit. Über was man springt, ist Nebensache. Er ist der sinnfälligste Beweis dafür, wie eine Begabung seines Ausmaßes wirken müßte und wie sie aber verführt wird von einer vielfarbigen Zeit, statt alles auf sein Ziel hinzulenken, allem wie ein Jüngling mit dem Schmetterlingsnetz nachzurennen.

Delacroix hat gemeint, jene kritischen Leute, welche die Manie des Urteilens hätten, verwirrten erstens das Publikum, das ihre Dunkelheiten nicht begreife, und verwirrten zweitens für die Künstler die einfachsten Ideen, weshalb diese sie auch verabscheuten. Er irrte, denn eine große und mit den Hintergründen der Zeit malende Kritik kann einer Epoche auf den Weg helfen durch die Säuberung und durch den Hinweis. Blei aber hat, als man ihm das Talent gab und die Verantwortung, nicht nach beiden, sondern nur nach der Begabung gegriffen, zwar immer das Rechte gefühlt und oft auch gesagt, aber es mit einer Stimme getan und in einem Zusammenhang geäußert, daß es nicht die Wucht bekam und nicht den Ernst erhielt, der ihm Masse und Sinn gegeben hätte. Es ist geistreich geblieben und Gespiel und damit ohne höhere Fruchtbarkeit. Was ihn entschuldigt, ist die Zeit, was ihn aber nicht freispricht, ist, daß er die Stilisten wie die Käfer sammelte, statt die Begabungen auf ihre Ziele zu hetzen.

Ich bin kein Angestellter der Weisheit und nicht im Schalterdienst der Prophezeiung, Mijnheer, und ich bin weit entfernt, Ehren zu fordern für einen Beruf, der seine beste Ehrung in sich selber findet. Aber ich sehe im Anspruch auf die Beachtung durch die Nation, die sich in diesen Formen kundgibt, ein nicht geringes Mittel zur Stärkung jener Partei der Freiheitsliebenden, die der Republik die Formung einer neuen deutschen Gesellschaft wünschen.

Ich weiß, man kann frei leben und frei sterben und nach keiner Würde gierig sein und doch im Angedenken der Nation und ihrer Besten ein großer Mann und eine schöne Erinnerung sein. Ich kenne das Testament Heines, der, obwohl ihm Gutzkow vorwarf, daß er nach den höchsten Ehren des französischen Ruhmes lüstern sei, nachdem ihn seine Heimat vertrieben, schrieb:

„Obwohl ich von der Natur und vom Glück mehr als andere Menschen begünstigt ward, obgleich es mir zur Ausbeutung meiner Geistesgaben weder an Verstand noch an Gelegenheit gebrach, obgleich ich, aufs engste befreundet mit den Reichsten und Mächtigsten dieser Erde, nur zuzugreifen brauchte, um Gold und Ämter zu erlangen, so sterbe ich dennoch ohne Vermögen und Würden. Mein Herz hat es so wollt, denn ich liebte immer die Wahrheit und verabscheute die Lüge.“ Auch dies ist Stolz und klingt mit aller Bitterkeit seiner ruhigen Größe hart ins Ohr der Heimat, die ihn verbannte.

Aber man lebt nicht, um Gesten der Kühnheit zu machen, sondern um die Möglichkeiten des Lebens und der Zeit in der besten Form zu erwischen, und die Lebenden stehen jede Sekunde im Kampf. Aber Kämpfen heißt nicht jene Dummheit der Menschen, von denen ein litauisches Sprichwort sagt: „Je stärker du ihm auf die Schnauze gibst, um so mehr Angst mußt du haben, daß er zurückgibt.“ Sondern es bedeutet das Wesenswichtige zu nähern, Weg zu machen und selbst das Ausrufen nicht scheuen. Alles andere marschiert, wie Deutschland marschiert.

Es ist nur allmälig an der Zeit geworden, zu sehen, um was es geht. Werden wir eine runde Literatur haben, müssen wir vorher zu einer Gesellschaft kommen. Man muß die Gegensätze der Parteien in der Republik versöhnen oder man muß sie austragen. Andere Möglichkeiten gibt es nicht und nur auf ihrer Befolgung oder Verwerfung wächst eine Gesellschaft und eine Kunst. Es muß eine Zeit kommen, wo man in die Weisheitsschule der jeweiligen Grafen Keyserling seine Automobile schicken wird, weil man so europäisch eingestellt ist, daß man sich selbst nicht mehr an schöngewässerten Reflexionen über die Welt begeistern braucht und wo man die „Indienfahrt“ des Herrn Bonsels in den Regalen der Gartenlauben unserer vergilbten Zeit finden und wie ein altes bürgerliches Kochbuch belächeln wird. Die Literatur wird so sehr Ergebnis einer an den Quellen des deutschen mittelalterlichen Wesens gelegenen Kraft sein und so sehr erhabene Spiegelung ihrer Zeit werden, daß beide endlich mit Genugtuung einander betrachten werden.

Sie wird nicht mehr sich verkriechen müssen und wird nicht verfolgt werden, sondern sie wird mit dem Lächeln antworten, das die Hetäre Tschandrasêna herrlich von sich schüttelte, als man ihr eine Augensalbe anbot, die sie von den Nachstellungen eines Königs retten, aber in eine Äffin verwandeln sollte. Sie zog es vor, in ihrer keuschen Nacktheit dem Herrscher entgegenzugehen, der mächtig und schön war, und sich so mit ihm an Stolz zu vergleichen. Das alles ist, wenn es wird, besser als Prophezeihen. Die Farben des Fleisches sind stets beweiskräftiger als Paragraphen. Man wird Kunst auf dem Rücken einer Gesellschaft vereint wissen mit einer Heiterkeit und mit etwas von der legendären Größe, mit der der Doge jedes Jahr zum Strand ging, das Adriatische Meer mit Venedig zu vermählen.

Man wird nicht mehr über Pernambuco fahren müssen, um die Entdeckung der sichtbaren und der geheimnisvollen Wunder der Welt getrennt zu machen, sondern man wird sie beisammen haben. Man wird das Leben bei der Kunst haben und manches andere ähnlich zusammen und es wird ein gewaltiger Spaß sein, zu leben.

Reiß Irmãos & Compagnia (Brazil) wird dann ein Witz scheinen und Europa ein runder Kelch um die Blüte von Deutschland, und der ganze Himmel wird gefärbt sein von ihrer Anmut und überzittert von ihrer Bewegung. Einer der weltmännischen Deutschen, Friedrich der Große, hatte bereits etwas von jener erlesenen Mischung: „Hören Sie,“ sagte er zu seinem Schweizer: „Ich habe den traurigsten Eingriff über mich ergehen lassen, den die Heilkunst kennt: zwei Klistiere. Das hat mich erleichtert, und mein Geist fühlt sich freier. Kommen Sie her, ich habe ein Gedicht für meine Schwester von Bayreuth gemacht, über die Freundschaft.“ Er hatte Natürlichkeit und Grazie und damit Überlegenheit über Leben und Tod, da er Geist dazu besaß. Das Gesicht wird kommen, von dem ich sprach, das auf den Takt des Motors horcht und dadurch gespannt in die Gegenwart versunken ist, und über dem die Stirn sich voll ewiger Begeisterung hebt und wird Deutschland regieren. Das träume ich manchmal, Mijnheer. Gehen wir schlafen, wir Phantasten, der Mond ist aus.

Die sechste Nacht

Mijnheer, ich habe gestern vergessen, Ihnen von einer Ehrung zu erzählen, welche die Stadt Lübz in Mecklenburg an der deutschen Dichtung vornahm. Es fällt mir ein, weil ich in dem seenreichen Land einen anmutigen Sommer verbrachte und im Schilf das Boot von Sidney Smith entdeckte, der auf der Entenjagd lag, ein Nomade von borstigen Rothaaren, Fischaugen, die stier und grün unter der langen Nase herausquollen, die Haare „tête carrée“ in die sommersprossige Stirn gekämmt und über den Augenbrauen abgeschnitten. „Hallo, Sir,“ sagte er, „wir werden einen Cocktail machen,“ schob den Priem in die andere Mundseite und unterbrach die Jagd.

Dieser Smith war das amüsanteste Greenhorn, das ich traf. Eines Nachts frug er: „Hallo Sir,“ er zischte, auf dem Bauch liegend, um die Ruhe nicht zu stören, „glauben Sie, daß Afrika einmal in zwei Teile geteilt war durch ein Meer?“ „Warum,“ frug ich und betrachtete einen Punkt, der wie ein Paar Stockenten gegen den Kahn zutrieb, „warum denken Sie das?“ Er zog den Kopf in den Nacken: „Ich dachte Sir.“

Nach einer Stunde ging der Mond auf und wir mußten unter eine abhängende Weide rudern. Smith putzte an seiner Sechsschußflinte und sagte: „Hallo Sir, glauben Sie, daß man mit Ochsenhäuten, wenn man sie wie Segel aufspannt, Kanonenkugeln auffangen kann?“ Ich sagte ihm: „Was Afrika betrifft, Mr. Smith, so kann ich Ihnen noch sagen, daß lange Zeit eine Straße durch den Kölner Dom ging. Warum soll nicht ein Wasserweg durch Afrika gezogen sein! Was aber die Felle angeht, so müssen Sie einen Kanonier oder einen Gerber fragen.“ „Very well,“ sagte er, steckte den Kopf zwischen die Schultern und schwieg.

Nun kamen die Enten und er schoß sie mit Kugeln, trotzdem der Mondschein beim Visieren täuscht, ohne Fehler. Während wir sie auffischten, starrte er plötzlich in die Luft und sagte: „Hallo Sir, glauben Sie, daß, wenn man mit den Zeigefingern das Hörnerzeichen macht, das den bösen Blick zurückschmeißt?“ Ich war am Rudern und sagte: „Mr. Smith, vergessen Sie die Ente nicht aufzunehmen, an die ich Sie gerudert habe. Ich verstehe nicht, warum Sie Fragen stellen, die keine Beziehung auf das haben, was Sie tun.“ Er sah beleidigt vor sich hin. Ich habe nie einen solchen Wilden gesehn.

Er hatte nur im Blick, wo er Lachsnetze werfen, Wachtelschlingen legen, Tiefseeangeln für den Hecht durch das Meer schleifen konnte und dachte in der Zwischenzeit sich die Welt zu einem Trumpel zusammen. Bei Beginn des Sommers war er mit einem Klippfischsegler von Norwegen gekommen und in dem fetten Seeland mit seiner Büchse liegen geblieben wie der Sommer selbst, der keine Anstalten machte, selbst im Oktober noch nicht, aus den silbernen Grasstrichen aufzustehen.

Wie alle Schotten hatte er Leidenschaft für Cocktails aber auch die seltsame Fähigkeit, seine Gefühle damit auszudrücken. Mit der Mischung von dreiviertel Gin und ein Viertel Orangensaft bestach er den Beamten der Seekontrolle, welche das Angeln zu verbieten hatte. Dieser Mann trug einen breiten blonden Bart und horchte auf den Namen Feuerstake. Mit der Zeit richtete er ihn zum Treiber für das Vogelzeug ab, und wenn Smith ein paar Tage verschwand, saß er in Lübz neben dem Kirchturm bei Feuerstake und mischte seine Drinks. „Wollen Sie Cocktails versuchen, Sir?“ sagte er, wenn er von dort zurückkam und mischte als Zeichen seiner Zufriedenheit Zitrone mit amerikanischem Whisky. „Wissen Sie, warum ich keinen schottischen dazu nehme?“, frug er und schnallte die Büchse über die Schulter, und in der Tür stand Feuerstakes Gesicht winkend. „Nein,“ sage ich. „Weil Scotch für einen Jäger kein Whisky ist, Sir.“

Die Enten lockten sich auf dem milchblauen See „rätsch . . . wack“ und feierten überall nach seltsamen Schwimmkünsten und Verfolgungen unter unerhörtem Geschrei eine wüste Liebesnacht. Man konnte nicht schießen. „Kommen Sie, Sir,“ sagte Sidney und er mischte den seltsamsten Cocktail seines Lebens, der uns sehr heiter machte und der in Smiths Sprache das Erlebnis ausdrückte, das er über der Enten erotische Scherze empfand. Es war ein guter Junge nach meinem Sinn und hatte auf seine Weise Humor.

Eines Tages gab es einen abscheulichen Drink. Er hatte bei Feuerstake gesessen, und da der Mann kein Wort sprach, in den zehn Jahrgängen des Lübzer Tagblatts geblättert und dabei ein Gedicht von Gerhart Hauptmann gefunden, das begann: „Komm, wir wollen sterben gehn / in das Feld, wo Rosse stampfen / und die Donnerbüchsen stehn / und sich tote Fäuste krampfen.“ / Smith verstand nicht viel Deutsch, aber das verstand er. Unglückseligerweise hatte er in dem nächsten Band aber einen sechs Jahre späteren ergriffen und fand unter dem Namen des gleichen Autors ein Telegramm an den russischen Sowjetgesandten in Berlin betreffs eines politischen Prozesses in Rußland: „Der Blutwahnsinn des Krieges und seine Nachwehen sollten nun endlich überwunden sein. Ein sieghafter Friede muß der Achtung vor dem geheiligten Leben des Menschen, muß dem Gebot — Du sollst nicht töten — wieder die alte Geltung verschaffen. Ich lasse diese Friedenstaube zu den gemarterten Opfern fliegen. Möge sie mit einem Ölzweig, von dem kein Blut tropft, zurückkehren.“

Das verstand er nicht, es war von Schießen nicht mehr die Rede und er hatte nichts anderes im Kopf. Ich las ihm die andere Strophe aus dem ersten Gedicht vor, das er mit den ganzen Jahrgängen mitgebracht hatte. „Diesen Leib, den halt’ ich hin / Flintenkugeln und Granaten / eh’ ich nicht durchlöchert bin / kann der Feldzug nicht geraten.“ Smith schickte sich vergnügt an, einen guten Cocktail zu mischen, das begriff er wieder.

Nach einiger Zeit aber wurde er nachdenklich, wie könne, damned, der Mann nun solche Telegramme senden, wenn er geschrieben habe, daß, eh’ er ein Sieb sei, der Krieg nicht ende. Ich sagte ihm, Herr Hauptmann sei ein alter Mann gewesen und habe wohl das eine wie das andere nur in einem dichterischen also unirdischen Sinne gemeint undwahrscheinlich sei eine gespenstische Ausgabe von seiner Körperlichkeit ebenso auf den Schlachtfeldern, die er nicht besucht habe, durchlöchert worden, wie wahrscheinlich eine andere als Vogel durch die Luft zu fliegen vermöge. Etwas ähnliches meine wohl auch der sozialdemokratische Minister Hänisch, wenn er über ihn in einer bürgerlichen Zeitung nach einigen Fußtritten auf sozialistische Dichter schreibt: „So geht von Hauptmann ein Licht aus, das leuchtend und wärmend durch die Zeiten strahlen wird. Er ist der große repräsentative Dichter unserer deutschen Gegenwart, der die ganze Zerrissenheit unserer Zeit in seinen wissenden und milden Zügen widerspiegelt. Werden wir uns des Glückes bewußt, daß Gerhart Hauptmann in unserer Mitte lebt, freuen wir uns, ihn unser eigen nennen zu dürfen.“ Solchergestalt, meinte ich, sehen sogar ein Proletarier dies Hin und dies Her. „By Jove,“ meinte Sidney Smith und schaute lange verglast vor sich hin, das verstände er nicht.

Ich sagte ihm, Herr Hauptmann habe, wie viele Dichter, und fast alle Leute, die Karriere gemacht hätten, wie die Herren Lloyd George und Clemenceau von links angefangen und habe sich langsam nach rechts entwickelt. Man müsse das alles nicht so ernst nehmen, denn die Bourgeoisie brauche einen gewissen unaktuellen Radikalismus, bei dem sich ohne Gefahr für Haut und Geldbeutel am Feuer der großen Revolutionssuppe gruseln lasse. Und die Herrschaften, die im Zirkus in Berlin jubelten, wenn in seinen „Webern“ Kapitalistenhäuser demoliert wurden, seien dieselben, die fanatisch die Erschießung zeitgenössischer Revolutionäre forderten. Es handle sich darum, daß die Weber-Revolte eine schon vierzigjährige sei, die man beruhigt lieben könne, aber eine heutige eine verdammt ernste Sache sei, die man keineswegs lieben dürfe. Und ebenso menschlich begreiflich sei es ja sicher auch, daß ein Dichter seinen Nachruhm halte mit Arbeiten, von denen er sich völlig entfernt habe. Es sei dasselbe, wie wenn ich Smith wegen seiner Schulaufgaben lobe aber seine Schießsicherheit dabei übergehe. Wir gingen darauf nach dem See und Smith kam auf die Sache nicht mehr zu reden.

Beim Anschlag sagte er: „Beg your pardon, Sir, glauben Sie, daß man Kentauren noch jagen kann?“ „Nein, Mr.,“ sagte ich, „man kann es nicht.“ Er sah lange sinnend in den Himmel. Zwei Tage verschwand er zu Feuerstake. Am dritten kam er zurück: „Wollen Sie Cocktail versuchen, Sir?“

Seltsamerweise erschien plötzlich Feuerstake mit einem Paket, legte es auf den Tisch und verschwand. Ich machte es auf, es war in rotem Einband ein Buch Gedichte, die Feuerstake über seinen Heimatsort geschrieben hatte. Der bescheidene Mann hatte kein Wort darüber verloren, obwohl er tagelang mit Smith zusammengesessen und brachte mit einer steifen Verschämtheit es plötzlich hinter ihm her. „All right,“ sagte Smith und legte es bei Seite. Feuerstake interessierte ihn als Ententreiber, alles andere war ihm einerlei. Feuerstake hörte nie ein Wort über sein Geschenk und, da er nichts sprach, frug er nicht.

Sidney Smith hatte in dieser Zeit viel zu tun, mit seinen Gedanken fertig zu werden. Ob ich denke, meinte er, daß es ein Land gebe, wo man die Schweine mit ihren eigenen Eingeweiden füttere. „Ja,“ sagte ich, „nichts ist verderblich genug, daß es das nicht geben sollte.“ Die Antwort gefiel ihm nicht, er zog den Kopf tief in die Achseln ein, stieß ihn dann geradeaus und schoß. Der Sommer stand in diesen Wochen mit einem fleckenlosen Goldton über Holstein und manchmal schien es fast, er spiegele das Meer. Je klarer die Luft aber wurde, um so eigensinniger verwandelte sich Sidney Smith. Er hatte sich bei Feuerstake alle eingebundenen Jahrgänge des Lübzer Tageblattes geholt und ich sah ihn oft, so sehr die flachsblonden Töchter des Hauses zum „Weißen Karpfen“ um ihn herumstrichen, in die Schwarten vertieft. „Wollen Sie Cocktails versuchen, Sir?“, frug er regelmäßig, wenn ich ihn ertappte, aber ich kannte seine Stimmungen nach dieser Lektüre und lehnte ab.

Die Enten fingen an zu mausern, die Männchen rückten den Weibchen aus, buhlten um andere, es war ein Riesenspektakel auf dem Wasser und das lenkte ihn ab. „Hallo, Sir,“ unterbrach er die Nachtwache, „denken Sie, daß man mit der Vergiftung der Meere alle Tiere darin töten und durch ihr Faulen den Kontinent verpesten könnte?“ „Nein,“ sagte ich, „Mr. Smith, denn etwas ähnliches ist durch den Landkrieg nicht einmal erreicht worden,“ und hielt ihn für gerettet, da erschien er am Morgen mit einem Bericht, den der Züricher Vertreter des Lübzer Tageblatt gedrahtet hatte über die Vorlesung eines Dramas, das Fritz von Unruh gedichtet hatte, und wo deutsche Soldaten den gefangenen britischen zugerufen haben sollten „Gott strafe England!“, und er verlangte von mir zu wissen, weshalb man die Vorsehung anrief, statt sich bei den Stellen zu beschweren, die für das Arrangement von Kriegen usw. verantwortlich zeichneten, als er fast erbleichend aufstöhnte. Er hatte in einem anderen Band einige Jahre später einen Abdruck aus dem gleichen Stück gesehen, nur daß hier die deutschen den britischen Soldaten armgebreitet mit den Worten „Freunde! . . . Brüder!“ entgegenliefen. „Dear Sir,“ sagte er fassungslos, „ich war ebenfalls gefangen, aber man hat das eine nicht gerufen und nicht das andere. Aber hat man das hier gleichzeitig gerufen?“ Er sah sich um, als halte er es schier für möglich, daß, seit er sich mit deutscher Lektüre beschäftige, der Mond und die Sonne gleichzeitig nebeneinander über den Himmel spazieren könnten.

„Nein, Mr. Sidney Smith,“ beruhigte ich ihn, „erstens ist das wahrscheinlich eine Verleumdung und dann darf man solches nicht so genau nehmen wie das Schießen, wo man sehr scharf und grad sich halten muß, und beim Wackeln die Sache vorbeigelingt. Im Leben ist das anders und man sagt oft das eine und gleichzeitig das andere. Das Leben verändert sich selbst täglich, und was heute schwarz ist, kann morgen weiß sein. Manche haben die Farben gleichzeitig, was manche wiederum boshaft preußisch nennen, aber das ist es gar nicht. Wir haben das bei einer großen Anzahl Menschen erlebt, da ist z. B. Herr Meidner, der einer der größten Helden gegen den Krieg war und gleichzeitig eine Zeichnung zur Animierung der Kriegsanleihe an die Zeitungen schickte. Wer kennt der Menschen Herz? Selbst der größte deutsche Dichter Goethe hat sich eines Tages dem Vater eines jungen Schriftstellers v. Körner gegenüber mokiert, daß der gegen den großen Bonaparte mit dem knitternden Papierzeug seiner Verse anreite und hat, mit der französischen Ehrenlegion geschmückt, als Lützower in Meißen ihn ausrückend um den Waffensegen baten, die Hand auf ihre Hirschfänger gelegt und gesagt: „Zieht mit Gott, und alles Gute sei Eurem frischen deutschen Mut gegönnt!“ Ich suchte Smith mit der letzten Möglichkeit, nämlich mit einem klassischen Zitat zu beruhigen, aber er war so beneidenswert ungebildet, daß er auf Klassisches genau so sauer wie auf die Flachsblonden reagierte.

Jedoch er hatte als Jäger ein gutes Ohr, er behielt den Namen und kam nach einer Stunde mit dem Gedicht eines gewissen Julius Bab, dessen Ende lautete: „Zeug uns, Stern, und zieh uns hoch hinan! / Dieses Werk der mörderischen Nöte / werde doch in deinem Dienst getan! / Weile, werde, wachse in uns — Goethe!“ / Das machte den Burschen völlig konfus. Es gelang mir nicht, ihm klar zu machen, wieso ein Stern uns erzeugen könne und warum im Dienst eines verstorbenen Dichters, der sich über den Krieg mokiert habe, man sich Jahre lang totschieße.

„Bei uns, Sir,“ meinte Smith, „sagt man, indeed, daß man im Dienst der Kanonenfabriken und zum Ruhm der Generale schieße. Verrückte Idee, für einen toten Mann sich zu töten.“ Rasch drehte ich, indem ich ihm versicherte, daß ich den Herrn nicht kenne und daß das offensichtlich die Privatmeinung eines durch Schrapnellschüsse am Kopf Schwerverletzten sei, das Blatt um, da las er in Fettschrift folgendes Gedicht: „Wenn der Kaiser einst kommen wird / schießen wir zum Krüppel den Wirth / knallen die Gewehre tack tack tack / aufs schwarze und aufs rote Pack.“ / Er wurde sehr aufgeregt und überstürzte mich mit Bitten. „Nein, Mr. Smith —,“ sagte ich zu ihm, „Pack ist kein Wildbret, das Sie noch nicht kennen, es sind Kameraden, die eine andere Ansicht haben.“

Wieder sank seine Lippe tief auf das Buch, ich blätterte weiter. Da rief ein Sportverein auf zu einem Gartenfest und man hatte das Bundeslied abgedruckt: „Der Turner in den Wäldern haust / und Eichen raufet seine Faust / der nackte Arm mit Felsen spielt / der deutschen Lunge Kraft empfiehlt: / schießt ab den Walther Rathenau / die gottverfluchte Judensau.“ / Ich hatte Angst, er könne auch das für Wildbret halten und sagte ihm, diese Gedichte seien nicht wichtig, weil sie schon wieder aus dem Frieden stammten.

Er schwieg eine Weile, sah mich stumm an, schüttelte den Kopf, erbleichte plötzlich und sprach darüber nicht mehr. Am nächsten Tag waren die Bücher verschwunden. Nun kamen schon Frühnebel, es wurde Oktober, aber der Sommer stand nicht aus dem fetten seenreichen Grünland auf, also blieb auch Sidney Smith.

Man hatte Nachtreiher entdeckt und er war in großer Aufregung. Man belauerte einen Baum, auf dem sie saßen, mit einer abscheulichen Gestankwolke eingehüllt und einen gewaltigen Lärm untereinander machend, aber man wollte sie nicht vom Baum schießen, von dem sie dauernd Fische in verdautem und unverdautem Zustand herunterschossen. Wir hatten Nachtpelze um und lagen in der Sternkälte im Gras. Plötzlich flüsterte Smith: „Weile, werde, wachse . . . Sir, ich habe mit Feuerstake gesprochen, er ist, by Jove, mit einem Male gesprächig geworden seit gestern, ein toller Cowboy dieser Feuerstake plötzlich, was ihm geschehen ist wohl, meinetwegen . . . . wollte sagen, Sir, Feuerstake erzählte mir, man habe Mr. Hauptmann von der Regierung geohrfeigt vor dem Krieg und seine Stücke verboten und bei dem Krieg, weil er dafür schrieb, ihm Orden gegeben, ihn herangepfiffen und ihn übers Fell gestrichen und er habe geweint vor Freude. Er habe dann während dem ganzen Krieg eine Propaganda gemacht für das Schießen und den Kaiser, und nun sei er aber verheiratet mit der Republik und werde mit dem Präsidenten alle vierzehn Tage photographiert. Ich verstehe das nicht. Wir haben gelesen, wie Mr. Bernard Shaw in England im Krieg, beim allmächtigen Gott, dem König und Mr. Lloyd George gesagt hat, es sei ein Verbrechen und daß er es vorher und nachher gesagt hat. Es hat mir nicht gefallen, Sir, weil ich für den Krieg bin und für das Schießen. Aber, damned, es hat mir doch noch besser gefallen, wie das, was ich bei Ihnen jetzt hier gelesen habe. Ich wollte Ihnen das sagen, Sir.“

Ich war eine Weile stumm, denn auf dem Baum tanzten die Schatten der Vögel derart herum, daß es wie ein nächtlicher Spuk vor der Himmelsilhouette stand, und jede Bewegung führte einen derartigen Regen von Niederschlägen der Vögel mit sich, daß wir uns rückwärts bewegen mußten. „Weile werde wachse . . . Sir, ich wollte das beim allmächtigen Gott auch noch gesagt haben, Ihre Kriegsgedichte sind mehr gentlemanlike als die im Frieden.“ Ich versuchte ihn wieder auf Hauptmann zu bringen und ihm klar zu machen, daß der Genius des Dichters leichter alle Veränderungen aufnehmen und sich schneller wie festgemauerte Charaktere von Jägern an die verschiedenen Institutionen des Staates wie des Lebens gewöhnen könne.

Es käme auf den Zweck an, meinte ich und erzählte ihm die Geschichte des Mönchs, der auf der katholischen Propaganda tausend Herbeigeströmten als Reliquie eine Papageienfeder als die des heiligen Gabriel zeigen wollte, aber, da man sie ihm gestohlen und zum Bluff schwarze Erde hineingelegt hatte, diese sofort als die heiligen Kohlen ausschrie, an denen der St. Lorenz geröstet worden sei. Allein er hörte scheinbar nicht auf mich, legte an und schoß aus der Luft einen Reiher, riß ihm die Bismarckfedern aus, ließ den Braten für seine Vogelkameraden liegen und sagte: „All right. Ist für mich erledigt. Kommen Sie Cocktails versuchen, Sir?“

Zu seinem Geburtstag kam eine Kiste, er nagelte sie auf und man sah etwa eine Batterie von vierzig Flaschenköpfen verschiedener Etikettierung. „Splendid,“ sagte Smith, und die Flachsblonden mischten Bacardi Cocktail wie Engel, indem sie ein drittel Zitrone und zwei drittel Rum mit etwas Grenadine und Zucker zusammentaten. Gegen Abend war, das gesamte Hotel erledigt. „Let us go, Sir,“ sagte Smith, als Feuerstake nicht erschien, „der Mann gefällt mir nicht mehr,“ wir legten die Büchsen über und sahen auf dem Wasser in der Purpurröte der Dämmerung eine Reiherschlacht durch das Schilf.

Sie kamen in zwei Gruppen angeflogen und standen im Morast einander gegenüber und in der Mitte lag eine tote Mordsschleie. Die beiden Parteien zogen sich zurück, formierten sich, krächzten mit aufgerissenen Schnäbeln in höchster Aufregung „koau . . . kräü“, die blutigroten Augen glühten, die Flügel schlugen auf und nieder und mit gesträubten Nackenfedern schossen sie aufeinander zu. In dem Augenblick aber, wo man dachte, daß sie sich mit den dolchspitzen Schnäbeln durchbohren würden, gingen sie jammervoll aneinander vorbei und berührten sich kaum mit den Flügeln. Eine gewisse Entfernung voneinander genügte aber, ihre Wut wieder aufs äußerste zu steigern. Klappernd, mit wund geschrienen Rachen, erbost schossen sie aufeinander und spielten sich eine Stunde lang das Theater ihrer Leidenschaft vor. „Hallo!,“ sagte Smith, der etwas unruhig war, „wachse, werde, weile“ und schoß ab.

„Warum,“ sagte ich, „zitieren Sie immer das Kriegsgedicht des Mr., dessen Name mir entfallen ist.“ „Beg your pardon,“ meinte Sidney Smith, „ist die einzige Möglichkeit meinen Priem aus dem Gaumen heraus zu bekommen.“

Wir hatten große Last, die Nachtreiher zu erreichen und ihnen die Federn zu nehmen, denn es war an der Stelle sehr sumpfig. Als wir an dem tags zuvor geschossenen vorbeikamen, stob ein Schwarm seiner Brüder auf, die sich die Kröpfe voll von seinem Fleisch gestopft hatten und nach dem Baum hinüberflogen. Smith machte ein bedenkliches Gesicht, sagte aber nichts, denn er war etwas betrunken.

„Versuchen Sie Cocktails, Sir,“ sagte er zu Hause und machte einen Martini mit Gin und französischem Vermouth, da wurde er sauer und „dry“. Dann machte er ihn mit italienischem Vermouth, da wurde er süß, und die Flachsblonden nippten solang daran, bis sie wie verrückt im Garten herumtanzten. „Hallo, was sagen Sie dazu, Sir?“ frug er mit einem halb lachenden Blick auf sein Kunstwerk, aber ich äußerte nichts, weil ich nicht bestimmt wußte, ob er mit dem „einmal süß und einmal sauer“ gewisse Dichter oder gewisse Reiher meinte, aber etwas Hinterhältiges war in seinem Blick, das mich stutzen machte.

Im selben Augenblick bekam er aber Eulenaugen, stand ruckweise auf und starrte auf ein Papier, das man vor ihn gelegt hatte, als er einen Priem zahlte. Seine roten Haare sträubten sich aus der Stirn und standen borstig nach oben, der Schweiß rann ihm über die Stirn und er fuchtelte mit der rechten Hand in die Luft. Dann fiel er mit rot verquollenem sommersprossigen Gesicht auf den Stuhl zurück und stierte auf das Papier. Ich entsinne mich genau, daß ich nur langsam es ihm wegzuziehen wagte, denn er saß darüber wie ein Hund über einem Schinken, plötzlich riß ich daran und lachte, daß der Tisch schräg ging: Ich sah in das Gesicht von Joachim Feuerstake. Das Rätsel seiner Redseligkeit war gelöst mit seiner Unsterblichkeit.

Die Stadt Lübz hatte ihm zu Ehren, der ihre siebenundzwanzig Hähne, ihren Kirchturm, ihren großen Misthaufen, ihren Bürgermeister und die Kornfelder und ein unbestimmbares Denkmal in dem roten von uns nie geöffneten Büchlein besungen, die Stadt Lübz hatte ihm zu Ehren ihren Notgeldschein von fünfundzwanzig Pfennigen unter dem Motto: „Treu der Heimat“ mit seinem Bild geschmückt. Es schien, als werde Smith tiefsinnig. Er blieb blaß und schweißig, machte wieder Bacardi-Mischungen, behielt die runden Uhuaugen und steckte den Rotkopf tief in die Schultern. Ich beruhigte ihn, indem ich auf seine Manier ihn fragte: „Hallo Mr. Smith, denken Sie, daß es ein Land gibt, wo man in der Luft fliegt, Landpartien auf den Boden herunter macht, wo die Könige den Schädel unterm Arm tragen und die Fürsten auf dem Kopf gehn, wo die Bauern sich Kokotten halten und die Arbeiter Fideikommisse gründen?“

„Yes Sir,“ sagte er, „ich habe das oft gedacht.“

Ich verstand, daß ich ihn so nicht kriegen könnte, denn, da er das Bestehende nicht achtete, außer der Jagd, hatte er sich die Welt wie ein Kinderspielzeug schon unzählige Male herrlich unlogisch neu zusammengesetzt. Ich bemerkte jetzt, daß er zitterte, er hatte einfach Angst. Für ihn war Fischen und Dichten einerlei, er sah keinen Unterschied und hatte einen hysterischen Anfall vor Furcht, wie alle Wilden, er könne eines Tages für seine Jägerei ebenfalls auf einen Schein gedruckt werden und wollte sofort zum Bürgermeister. Diese Ehrung Feuerstakes, dieses Simpels von Ententreiber, überstieg seinen Horizont, es war ihm wie ein Steckbrief oder eine Anzeige beim Schicksal. Er war entsetzlich abergläubisch wie alle einfachen Menschen.

Der Aufenthalt auf den Mecklenburger Seen hatte ihn etwas heftig mit Dingen zusammenstoßen lassen, deren Konträrheit sein grades Hirn nicht faßte und er bekam Angst vor dem Lande, in dem man im Frieden schoß und im Krieg nicht bei der Stange blieb, wo man vorgab, für Tote die Lebendigen gern ermorden zu lassen und wo man die Angestellten auf Papierscheine druckte, die man als Geld ausgab. Ich rüttelte ihn heftig am Arm. „My boy,“ schrie ich mitleidig, „hören Sie, gute Haut“ und ich erreichte, daß sein Blick mich wenigstens fixierte, wenn er auch mit verstockter Besessenheit schwieg.

Ich suchte ihm an Hand des Lübzer Stadtwesens, an Hand des Bürgermeisters, der Parteien und ihres Sängers die Situation eines modernen Staates und der Gefühle seiner Bewohner klar zu machen und versenkte mich in das Beispiel des Poeten, brachte seine Konflikte, ob er die Misthaufen beschimpfen oder die Kirche loben, ob er dem Bürgermeister opponieren oder alle Parteien belecken, ob er sollte sich fassen links oder ob er sollte fallen rechts im Gedicht, ob er wählen sollte zwischen dem Ehrenschein oder einer eventuellen Schändung seines Grabes . . . . ich brachte dies sehr lebhaft vor, aber in dem Augenblick, wo ich zur Unterstreichung meiner Rede den Fünfundzwanzigpfennigschein auf den Tisch hieb, stiegen meinem Gegenüber wieder die Haare, die Grenze seines mitteleuropäischen Fassungsvermögens war erreicht.

Im gleichen Augenblick erscholl vom Garten her ein wilder Schrei, Sidney Smith zog einen langen spitzen Ton durch seine Nase, sah mich schräg mit dem Ausdruck abergläubischen Entsetzens an, stieß die Augen nach oben, rollte sie über die Decke und stürzte in den Garten, wo, wie ich vom Fenster sah, die Flachsblonden wie Katzen in den Bäumen jagten.

Er rannte wie besessen in die Landschaft hinaus und ich habe ihn nie wieder gesehen.

Ich habe Sidney Smith nie wieder gesehen, Mijnheer, denn ich reiste am nächsten Morgen an das Meer, über das der Herbst mit einer Donnerwolke von gelben Nebeln und dem roten Mond darin herein brach und ich vergaß die sanglante Posse. Ich vergaß jedoch nicht die Folgerungen, die Sidney Smith mir zu ziehen durch seine schnöde Flucht nicht ermöglicht hatte, und sie steigen nunmehr aus dem Suite-case meiner Erinnerungen, wo ihn aufzumachen und auszupacken heute dieselbe Muße ist wie damals, sie zu erleben und einzumotten. Diese Folgerungen, Mijnheer, sind sehr kurz und ebenso banal wie grob: Die Menschen lieben stets die Feuerstakes, die auch ihren Mist zu besingen bereit sind und hassen die Mirabeaus.

Es macht ihnen nichts, daß beide im Grunde dieselben Monarchisten sind und beide, der eine imbezill und der andere glühend ihr Vaterland lieben und seinen Ruhm wünschen. Die Tragik des menschlichen Herzens hat es verwehrt, daß die Menschen auf die Ziel-Richtung der Gefühle zu schauen vermögen, sondern hat ihnen auferlegt nur die Bequemlichkeit zu sehen, die ihnen momentan damit gewährleistet oder gestört wird. Sie verwechseln das Wohlbefinden ihres Zustandes mit dem Heil der Nation, halten Geplärr für Vaterlandsliebe und erblicken im Schmeichler den Helfer, im glühenden Tadler den Gegner.

Sie sind für die Gedankenlosigkeit und gegen die wahre Liebe. Und die Sitten ihrer Mahlzeiten und Beerdigungen stellen sie in grausiger Verblendung über die wahre Sittlichkeit der Nation. Ein Heinepark wäre ihrem Empfinden eine öffentliche Dreistigkeit, ein Weg, nach dem Schönling Roquette benannt, erfrischt den Mut. Eine Hochschule nach dem Spötter Lichtenberg genannt, wäre in Eile eine delabrierte Sache, während selbst in Skihütten der Name des Peter Hebel gefeiert wird, der alemannisch und mit mikrozephaler Poesie biedermeierliche Ideale besang.

„Fremder,“ sagte der Adjutant des Artaxerxes zu Themistokles, „die Sitten der Menschen sind verschieden. Den einen gilt dies, den anderen jenes für schön, allen aber: die heimischen Sitten in Ehren zu halten.“ Dreiundzwanzighundert Jahre später empfahl in der Sprache seines Säkulums der Verfasser der Pasquille „Präservative wider Revolutionen“, zum Schutz der geltenden Gewohnheiten auf in königlichen Gärten rauchende und sich zusammenpferchende Leute, unter Anrufung des Nazareners, mit der Feuerspritze loszuschießen. Jede Epoche hängt an ihren Sitten und nur Friedrich der Große konnte, da er zur Macht noch Überlegenheit des Geistes besaß, eine Opposition lachend ertragen und mit einem gewissen Zynismus sagen, als er den verbannten Professor Wolff nach Halle zurückrief: wenn jener lehre, seine Soldaten dürften desertieren, so stehe ihm darüber hinaus die Belehrung zu, sie müßten daraufhin hängen.

Waren die Dichter nun so idiotisch oder temperamentvoll oder human, sich aus menschlichen Gründen oder im Interesse einer neuen Form, die sie starteten, mit einer gewissen revolutionären Geste zu präsentieren, so waren ihre Beurteiler ebenso einfältig, sie nach den Gesichtspunkten der Parteien, in deren Dienst sie standen, einzuverleiben. Der Mensch wurde mit der Sache verbandelt, die Dichtung mit der Politik als Wechselbalg ausgetauscht, und erbärmliche Zwecke wurden dahinein getragen, wo ein helles Haus der Kunst allein stehen müßte. Da die Dichter gewöhnlich unkritische Feuerköpfe, ihre Kritiker aber gestrandete und unterdrückte Poeten waren, ergab sich, daß im Durchschnitt verärgerte Alte oder verkümmerte Junge die Dichtung beurteilten und mit der schönen Gehässigkeit des Triumphes das Gesicht der Kunst mit den Plakaten überklebten, die die Dichter in ihrem Privatleben anzuerkennen beliebten. Man hat Büchner und Grabbe und Hölderlin lange unter den Strich gesetzt und das „Junge Deutschland“ in Anmerkungen besudelt, aber die Feuerstakes waren jederzeit gewohnt auf Papierwagen in den Himmel des Ruhmes der deutschen Literaturgeschichten zu fahren.

Ach, von welch grauenhaften Kleppern und welch seltsamen Fuhrknechten werden die Papierwagen der zeitgenössischen Literaturgeschichten immer noch gefahren. Hat aber einer wie Gundolf ein glänzendes Gespann, so führt er es nicht in die Arena, sondern jagt es als Reklamekasten, wenn auch mit glänzenden Bögen nach der Kongregation des Heiligen George, und hat einer die beste Absicht zu popularisieren, so wird es ein Bilderbuchwagen wie jener von Martens. Ach, aber ein Lastwagen mit Maschinengewehren bespickt ist jenes Buch des Kölner Professor von der Leyen, der von der Gemeingefährlichkeit der Kunst wohlanständig so überzeugt ist, daß er zwar mit den Handschuhen des Weltmanns, aber dem Blick des Feldwebels ihr entgegenfährt. Wahrlich, mit femininer Plauscherei und heroischer Haltung ist es hinter den Gewehren des Nationalismus nicht schwer, Heinrich Mann als Schädling und Wedekind als Papiermesser zu höhnen und durch Kartenkniffe von entstellten Zitaten die Dichter den Revolvern seiner nationalistischen Studenten zu empfehlen. Wahrlich, in solchen Machwerken zittert nichts wie der Haß gegen die Republik, aber nicht die geringste Liebe zur Kunst, und die von ihm Gepriesenen werden nachdenken müssen, ob sie nicht damit Kompromittierte sind.

Ich bin nicht gegen solche Bücher, Mijnheer, weil ich anderer Ansicht wäre wie ihr Verfasser, sondern weil dieses Verfahren ein subalternes und ein solcher Charakter ein ungehöriger ist. Ich wäre mit derselben Leidenschaft gegen Entstellungen von sowjetischem Kurse, denn ich liebe das Gewissen und verehre die Wahrheit und habe die große Schönheit der Kunst zu tief in meinem Leben erfahren, als daß ich sie von irgendeiner Seite schänden ließe. Ich habe die Freiheit des Gesichtspunkts und das Genie, die weiten Linien für die Kunst zu ziehen und die gestaffelten Urteile zu fällen, zu sehr verehren gelernt, als daß ich nicht protestierte, wenn ein ästhetischer Süßling mit einem politischen Morgenstern sich auf das Postament stellt und vorgibt die Gerechtigkeit zu sein, und nichts anderes ist als ihr Mixer. „Grattez le savant vous trouverez le chauvin.“

„Ich bewundere die Fülle dieser Blumen,“ sagte auf einer Spazierfahrt eine Dame zu ihrem Begleiter, aber der vermochte vor Wut kaum nach ihnen hin zu schielen. „Die Veilchen, Gnädigste“ meint er, „sind zu sehr französische Liebhaberei, die Magnolien entsprechen der britischen Kühle, die Rosen ziehe ich vor zu verachten, weil ihr Besitzer republikanischer Anschauung ist.“ Der Gute war überzeugt von Blumen zu reden, aber er unterhielt sich nur mit seiner Dummheit, auch verschwieg er nicht, daß er Erdäpfel und Eichen wegen ihrer erhöhten Symbolkraft den zu geistreichen Blumen vorzog, wobei er, durch seine Politik verblendet, übersah, daß die Eichen ein persischer Import sind und selbst die Besitzer der kolossalsten Kartoffeln ihren ausländischen Duft nicht zu leugnen berechtigt sind.

Selbst Casanova, der mit seinen Weibergeschichten alles durcheinanderwarf, wußte die Politik wie eine Seuche von der geliebten Kunst fernzuhalten und er, der Frauen betrog und Männern zu jeder Zeit diplomatisch zu kommen wußte, überwarf sich ihrethalben mit den Mächtigen, beleidigte Voltaire, indem er dessen „Pucelle“ und „Henriade“ stolz den Ariost vorzog und kränkte den großen Friedrich, indem er sich gegen La Mettrie stellte, und war glücklich, Ansehen und Stellung verloren, aber die Kunst durch diese Ehrlichkeit geehrt zu haben.

Doch er war nur ein tapferer Mann und ein wohlilluminierter, aber kein ordnender Verstand. Wie aber, wo Dichter im Tageskampf toben und Kritiker verleumden, findet man, denken Sie, die höhere Einsicht, von wo aus die Werte sich enthüllen und die Bedingtheiten fallen? Wie, glauben Sie, erreicht man die Stelle, wo die Zeit sich löst und die Muse bleibt, wo die Larven nicht mehr gelten und die Herzen gewogen werden, und wo die Urteile wie die Blitze und nicht wie politische Raketen die Landschaft der Dichtung erhellen?

Man sucht diese Plattform nicht.

Man nimmt sie ein.

Literaturgeschichte seiner Zeit zu schreiben, ist immer die Kunst gewesen, die Politik und die Werte zu trennen, statt sie zu verknäueln und sie später aber im Bild jenes Theaters auszugleichen, wo die Zeit mit allen ihren Strömungen und Stilen und Moden auf die Kulissen mit heftigen Farben gemalt ist und wo die Werte in der Gestalt der Schauspieler erscheinen.

Es ist nun amüsant zu sehen, für welche Farben sich die einzelnen Akteure entscheiden und welchen die anderen wiederum gleichen, und welcher Effekt aus dem Widerspiel von Hintergrund und Schauspiel sich ergibt. Es ist erlaubt, mit Wünschen und Verwünschungen sich an diesem unterirdischen Spiel zu beteiligen, aber man wird sich dem Urteil nicht entziehen können, daß hier, wo die Gegenüberstellungen so scharf sind, nicht unsere Wünsche, sondern die Leistungen entscheiden und daß man sich beugen muß vor der grausamen Tatsache, daß unter vielen Helden der Feige vielleicht der Begabte und unter zahlreichen Gläubigen der Verbrecher der Könner und der Rebell das Genie sein kann.

Denn in der Leidenschaft des fortgeschrittenen Spiels und der Helligkeit der Beleuchtung werden sehr bald die Kulissen verschwinden und nur die besten Spieler bleiben und es bleibt uns nur übrig, mit Sympathie unsere Lieblinge ausscheiden und mit nackter Logik unsere Gegner siegen zu sehen und wir dürfen höchstens aus den Kulissen uns die Fehler der eigenen und die Triumphe der anderen erklären oder verzeihen.

Keinem Verständigen würde es einfallen, die Schauspieler aber mit den Kulissen zu verwechseln und statt über das Stück über die Beleuchtung sich zu ereifern. Von hundert deutschen Kritikern, denen die höhere Geschicklichkeit fehlte, dies Theaterspiel in seiner richtigen Form aufzustellen, haben neunundneunzig jeweils ihre Sympathie mit den Leistungen verwechselt und haben ebenso viele, indem sie glaubten über die Akteure zu schreiben, über die Wandbehänge geurteilt. Literaturgeschichte seiner Zeit zu schreiben, Mijnheer, heißt nicht ein „Chevalier de la bouche“ zu sein und Meinungen zu haben, sondern: die glänzendste Optik neben dem Talent und die beste Fingerfertigkeit neben der Loyalität. Überzeugungen sind ein Unfug, wo es sich darum handelt, zugleich der Niedermetzler und der Heiland zu sein.

Man kommt so zu ähnlich rund geschliffenen Tatsachen, wie sie nach Jahrhunderten der Zeitstrom von selbst auswirft und hat dennoch das Vergnügen, nach Lust und Überzeugung die Kulissen so bunt und die Draperien so suggestiv für das Publikum aufzustellen, wie man will. Man macht so mit den Kulissen die Politik und faßt die Leistungen sauber am Kragen und beide, die sich gegenüberstehen wie ein Mann seinem Spiegel, bleiben dennoch reinlich getrennt.

Denn es wäre wohl absurd, Shakespeares dichterische Kraft auf die Entfernung einiger Jahrhunderte aus Friedensschlüssen und aus Kriegen erklären oder daraus, wie man ihn schon oder unter welcher Regie man ihn spielte, oder daraus, ob man praßte oder hungerte, Könige liebte oder enthauptete, bestimmen zu wollen. Aber man kann aus diesen Kulissen zeigen, daß er das Resultat seiner Zeit war und daß die Friedensschlüsse und die Könige ihn so geformt haben und daß sie gut oder schlecht waren. Absurd aber wäre es, damit ihn klein oder groß machen zu wollen.

Man kann aber ebenso, schreibt man die Geschichte seiner eigenen verworrenen Zeit, auf den Kulissen seine Sympathien und seine Wünsche malen, kann den einen hell, den anderen dunkel beleuchten, je nachdem einer sozial richtig oder für den Augenblick verbrecherisch schreibt. Aber nach der Vorstellung werden nur die Werte beurteilt, da gibt es keinen Eingriff, und wer hier nicht reinen Herzens ist, der ist verworfen.

Literaturgeschichte seiner Zeit schreiben, heißt heftig Politik machen — nicht für die Freunde und nicht gegen die Feinde, sondern für die Gesinnungen, die die rechten sind — heißt mit dem einzigen Einfluß, nämlich den geschickt gestellten Draperien sein Publikum erziehen . . . aber so sehr diese Campagne donnert und so bengalisch die Kulissen flammen, weiß man: es ist für die Kunst nicht wichtig, man teilt schließlich dennoch die Zensuren nach der Größe und nicht nach der Verliebtheit und man läßt nicht bekränzte Affen, sondern die großen Wertraubtiere an die Rampe und präsentiert sie richtig.

Wer anderes tut, ist ein armseliger Liebhaber oder ein verbrecherischer Marodeur.

Wie das im Einzelnen aber vereint und getrennt, beleuchtet und abgedämpft, gemischt oder verdeckt und am Ende dennoch gerecht verteilt wird, dieser Schwertertanz zwischen Sein und Schein, dieser Pendelschwung zwischen Kunst und Politik, dieses Nüanzieren und doch Ballen ist die höchste Kunst des kritischen Menschen.

Denn die rasche Entscheidung klingt immer tapfer und ist in der Regel dumm und falsch. Ja und Nein sagen kann jeder Komiker, und die Gladiatoren, die, mit Weltanschauungen eingeschient, mit Ansichten um den Bauch gebunden und mit den Turnierzeichen ihres schließlichen Urteils schon im voraus dekoriert, in die Arena kommen, ahnen nicht eine Spur von den besseren Sitten und den höheren Regeln des Handwerks. Aus dem Nein aber das Ja folgern oder aus dem Schein-Positiven das Nichts herausziehen, Zeit im Zeitlosen schaubar machen und festes Land schon im schwankenden Nebel der eigenen Epoche betreten, ist nicht nur des Kolumbus sondern auch eines Cäsar wert.

Doch, retournons à nos moutons, das soll heißen: man kann verachten, wie Herr Hauptmann Deutschland repräsentiert und dennoch eine Anzahl seiner Stücke ausgezeichnet finden. Es ist erlaubt, den Festungsgefangenen Toller für einen Gentleman zu halten und einen mittelmäßigen Dichter in ihm zu finden. Es ist erlaubt, Herrn Paul Claudel, Gesandten der französischen Republik und Vollstrecker des Versailler Friedensvertrages zu hassen und ihn für einen europäischen Dichter zu halten. Auch darf man Herrn Joachim v. d. Goltz den Respekt vor der Konsequenz seiner vaterländischen Dichterei vor, während und nach dem Krieg nicht verweigern, auch wenn man diese Schillerei ablehnt. Dagegen wird niemand zweifeln, daß Deutschland in Herrn von Unruh ein bedeutendes Talent besitzt, wenn auch bei der Begeisterung, mit der er die Revolution begrüßte, es schwer verständlich ist, wieso er ein Stück wie „Louis Ferdinand“, das in der Gesinnung unklar gebaut ist und zu nationalistischen Demonstrationen reizen mußte, und also durch eine politische Auslegung und nicht durch seine Qualität Erfolg hatte, trotz dieser Demonstrationen und ohne Protest gegen sie wochenlang im „Deutschen Theater“ laufen ließ.

Man kann auch sagen, Barbusse sei einer der leidenschaftlichsten und verehrungswürdigsten Menschen, aber ein mittelmäßiger Autor, d’Annunzio aber ein bedeutender Dichter und eine unheilvolle Erscheinung. Man hat auf diese Weise stets den Kerl am Genick, aber seine Bedeutung sicher deponiert und kommt nicht in jene schelmenhafte Situation, wie jener von der Leyen, der, während er eben noch mit ritterlicher Grandezza einen demokratischen Stier absticht, plötzlich wie ein Gassenjunge neben einer Kapelle herzulaufen und darum begeistert zu schreien beginnt, weil sie militärisch ist, wenn tausendmal auch an der Spitze ein miserabler Dirigent diesen Hohenfriedberger spielen läßt.

Heiliger Mars. Wer nur jenen unterbeamtenhaften Begriff des Vaterländischen hat, daß lediglich Generäle und Kaiser ihm Ideale darstellen, kommt leicht in die schändliche Lage, nicht nur, wie jener Professor, im Namen der deutschen Wissenschaft alle schlechten Wildenbruchs loben zu müssen, sondern groteskerweise dem A das B folgen zu lassen und die übelsten Hetzer anderer Nationen wegen ihrer ähnlichen Überzeugung, auch wenn sie gegen die Heimat und gegen das menschliche Gefühl gerichtet sind, preisen zu müssen. Wahrlich, das ist nicht mehr die Pose eines Unerschütterlichen, sondern es ist die Rolle George Dandins, der sich in einen Kirmisirrgarten verlaufen hat. Er findet keinen Eingang und keinen Ausgang mehr, und wenn die Besitzer eines Abends die Belustigung schließen, wird man auch seinem verzweifelten Gebrüll nur glauben, daß man es mit einem Tollwütigen oder einem bemitleidenswerten Irren zu tun hat.

Es ist im Grunde genau so feig, statt das Sachliche zu sagen, das Persönliche aufzublasen, wie es ja bekanntermaßen auch ein Durchgehen nach vorne und eines nach hinten gibt. Wer nach rückwärts durchbrennt, bekennt sich mit einem gewissen Mut zu seiner Feigheit, aber der nach vorn mit klappernden Rippen Galoppierende hat die Lüge selbst noch einmal belogen. Wer die Person angreift und damit dem Werk schaden will, begeht dieselbe amüsante Infamie wie jener seltsame Heilige namens Schütze in Weimar, von dem der Balte Sternberg erzählt, er habe Goethe brennenden Herzens gern angegriffen, es aber aus dem privaten Grunde unterlassen müssen, weil es ihm in seiner Eigenschaft als Herausgeber des jährlichen Taschenkalenders „Für Lieb’ und Freundschaft“ geschadet hätte, plötzlich mit Galle statt mit süßem Speichel zu erscheinen. Der Bund der Tartarins und der Sykophanten ist stets von denselben verächtlichen Göttern gesegnet worden. Aber auch das Panthéon der Komik hat sie beide lächelnd aufgenommen.

Denn die Halle des Ruhms hat sich manchem später geöffnet, den seine Zeitgenossen in die Katakomben sandten, und der Name des Galilei und des Sokrates ist in die Ewigkeit eingegangen, obwohl die römischen und griechischen von der Leyens sie für religiöse und homosexuelle Verbrecher ausschrien. Hat es dem Helvetius etwas gemacht, daß auf Parlamentsbeschluß seine Bücher öffentlich verbrannt wurden, dem Wieland, daß die keuschen Jünglinge des Hainbunds ihre armen Seelen an dem Feuer seiner graziösen Bücher wärmten, dem Luther, daß man ihn wie einen Bolschewisten jagte? Es hat ihnen das Leben verbittert, aber ihr Werk ging daraus hervor, wie aus einem Feuer der Läuterung. Beurteilt man Zola danach, daß er postulierte, die Republik müsse naturalistisch oder gar nicht sein, bedenkt einer bei Courbets Bildern, daß er wegen Umsturz der Vendômesäule im Gefängnis saß und auch als Exilierter vom Staat die Millionen der Wiederherstellung tragen mußte und daß seine Kollegen vom „Salon“ seine Bilder nicht mehr aufhingen, weil sein Name nicht mehr eine künstlerische Sache sei, sondern eine der Politik. Die heiligen Perücken! Sie haben genau so gegen Voltaire und gegen Hutten und gegen Flaubert getobt und haben nichts hervorgebracht als Exzesse der Langeweile.

Was hat es mit dem Ruhm Viktor Hugos zu tun, daß ein Kaiser ihn verbannte, beeinträchtigt es die Staël, daß Bonaparte sie jagte? Und ist es nicht hochherzig, aber an seinem Werk nichts ändernd, daß Dickens sich gegen die Sklaverei und Zola für den Dreyfuß aussprach. Verändert es die Bücher des Bulwer, daß er mit sozialistischer Gebärde kam und als Toryminister für die Kolonien kulminierte, hat Goethes Existenz in der Dichtung eine Verwandlung erhalten, daß zwischen seinem Leben und seinem Werk ein bedenklicher Hohlraum klafft. Hat man Mozarts Musik vorgeworfen, daß er ein unsozialer Mann war, die Briefe seiner Magd öffnete und Abscheuliches über das Los der Dienenden sagte? Hat das Gesicht der Manzoni, Hugo, Byron, Foscolo, Lamartine andere Züge dadurch bekommen, daß sie Oden zu Bonapartes Tode anstimmten, und hat es jene, die es vermieden, im Urteil der Nachwelt verändert? Chapeau bas! Jeder Leistung kann höchstens nur das Bedauern angehängt werden, daß ihr Vollbringer vielleicht ein Schurke war. Sie kann hingegen nicht verändert, wohl aber geehrt werden durch den besten Ruhm der humanen Gesinnung, und daß ihr Träger in seiner Haltung ein Edelmann und ein Freund der Menschen war.

Als Constant starb, begleitete ganz Frankreich seinen Sarg, nicht weil er nur ein großer Schriftsteller allein, sondern weil er auch der schönste Anwalt der Freiheit war. In der Wahl zwischen zwei gleichen Begabungen der Zeit, deren eine gegen, eine für das Humane ist, entscheidet nur ein Gewaltakt, da man den Zufall ablehnt. Es gibt in diesem Fall eine höhere Moral und sie ist nicht für die Feuerstakes eingerichtet. Schon Kant hat ähnlich „Über die Mißhelligkeit zwischen der Moral und der Politik in Absicht auf den ewigen Frieden“ geschrieben. Hat man die Wahl zwischen einem begabten Schurken und einem dünnen Edling, zieht man das Los für den Schurken. Man muß gerecht sein. Geht die Fragestellung jedoch aus der Kunst heraus in das, was für die Zeitgeschichte nützlich oder verbrecherisch, human oder unsozial ist, so verstößt man unbedenklich den Schurken, ohne sein Talent zu verkleinern und stellt den begabten Brauchbaren an das sichtbarste Licht. Anders kann man nicht. Fiat iustitia, pereat mundus. Und wenn man dabei in die Krümpe geht.

Mijnheer, jener Sidney Smith, der Enten jagte und darum keine Zeit fand, sich mit seiner Zeit zu beschäftigen, war ein ehrlicher Bursche, aber er verlor den Verstand, als er mit der politischen Dichtung der Deutschen durch einen grotesken Zufall zusammenstieß und nicht vermochte, über die Dichter hinweg sich die Zeit zu erklären.

Aber die deutschen Jahrhunderte haben nie eine bessere Deutung gefunden, als durch jenes Blut, mit dem deutsche Poeten die Bücher ihres Schmerzes oder ihrer Zweifel an den Himmel geschrieben haben. Sie haben diesen Platz für ihre Plakate gewählt, weil der Himmel selbst sich nicht herabließ, auf Deutschland selbsteigen herunterzusteigen, und in seiner fernen Vollkommenheit der unvollendeten Sehnsucht der Gequälten der sichtbarste und seltsamste Ort schien. Nur das Mittelalter hatte seine Bläue eine Weile auf der Erde erblickt, als die Poeten mit ihren Höfen vereinigt durch die Gärten ritten.

Doch schon der Hans Sachs war für und gegen seinen Kaiser, wie es gerade kam, und die Manuel und Rosenblüt waren bürgerliche Kondottieri, Luther war ein sozialer Reaktionär und ein religiöser Rebell in einer Figur. Die Brant und Fischart waren gegen alles, Murner war gegen, Hans Sachs war für Luther und Hutten stritt wie ein Engel, aber nicht für Deutschland, sondern gegen Rom. Klopstock suchte an Stelle der griechischen Nymphen einen teutonischen Wotanskult zu setzen und propagierte zur Ertüchtigung der Jugend den Eislauf, während die Stolbergs, die in ihrer Jugend Tyrannen fraßen, das Glück der Nation im Frieden mit der katholischen Kirche machen zu können meinten. Goethe und Schiller wußten geschickt ihr Brausen zu dämpfen, während vom „Sturm und Drang“, ohne ihren Frieden mit den herrschenden Sitten zu machen, Büchner ins Ausland floh, Schubart zehn Jahre in die Festung sauste, Klinger aber in der Fremde als General verstarb. Gegen was fochten sie alle? Gegen nichts.

Für ein Deutschland waren sie aufgestanden, ihre Glieder zu zerschmettern, das nicht bestand, dessen Traum aber ihre besten Köpfe immer so sehr beschäftigte, daß selbst die praktischsten Männer zu Schwärmern wurden. Sie schwärmten sich in eine Idee hinein, in deren paradiesisches Hafentor das Land selbst hineingelaufen wäre wie das glückhafte Schiff der Legende, wenn es Ruder und Maste und Steuerzeug dazu gehabt hätte. Aber es war keine Gesellschaft da, die es hätte leiten, keine Zentrale, die es hätte führen können, es war ein Staat von siebenundzwanzig Ameisenhaufen, ein Gewirr sich befehdender Zwerge, ein Mosaik wie das Italien des Quattrocento, nur daß es des Glanzes und der Höhe des Geistes entbehrte, die aus dem zerrissenen Italien eine so ungeheure Einheit machten, daß die vielen kleinen Kreise nur seine Eigenart nüanzierten statt sie zu sprengen. Die Deutschen aber waren in eine hilflose Diaspora hinausgetaumelt und hatten wohl Trennungen, aber keine Gemeinsamkeiten und wohl ein Mosaik, aber kein Weltgefühl, das sich darin spiegelte.

So furchtbar war das Wirrwarr der Leidenschaften und Empfindungen in Deutschland ausgewachsen, daß selbst die klügsten Männer sich zu den Utopien flüchteten und ein Mann wie Forster, der mit Cook die Welt umsegelt hatte, bei Beginn der französischen Revolution das Rheinland daran schmeißen wollte, da er wahrlich an einen großen Staat der Freiheit deshalb glaubte, weil er überhaupt etwas glauben wollte, um nicht zu sterben vor Übelkeit und sich lieber entschloß, das Unmögliche als gar nichts zu glauben.

Die Freiheitsfeuer des Körner und seiner Schar waren wirklich umsonst geschichtet, wenn ihre Folge war, daß der Bundestag von Achzehnhundertfünfunddreißig das „Junge Deutschland“ in Bann tat, das schon damals für die Republik und in der Tat ebenso glühend mit der Feder wie die Schwertsänger mit den Säbeln für die Freiheit kämpfte. In ihnen verdammte man wohl seine besten Söhne und machte damit keineswegs die Lyrik der Arndt und Schenkendorf und Rückert zu besserer Literatur. Armes Deutschland, dessen politische Dichter schließlich nicht einmal die großen Ankündiger der Umschwünge in seiner Gesellschaft waren, sondern nur seine flackernden Ungewißheiten, seinen mangelnden Charakter oder seine unbestimmbaren Sehnsüchte ausdrückten. Und die auf der Flucht vor der Leere um sich das, wofür sie kämpften, mit einer gewissen unklaren Dämonie statt in das Gesicht ihrer Nation in den Sternbogen schrieben.

Denn wenn sie auch gegen Papst und Tyrannen und Dummheit stritten mit dem Mut der Löwen, so war es doch nur das dumpfe Gefühl für ein unklar empfundenes und ihnen stets verhüllt gebliebenes Standbild der Freiheit, das sie, ohne Nation hinter sich, weder zu erblicken noch zu gestalten vermochten.

Ja sie waren so verblendet, daß sie, wenn Deutschland wieder einmal am tiefsten verloren war, statt die Freiheit in ihren eigenen Herzen zu suchen, sie in ihren Kostümen exhibierten und nach dem Wiener Kongreß genau wie nach dem Versailler Vertrag in Deutschtümeleien und antisemitischen Paraden jenes Heil suchten, das ihnen nur durch eine wahrhaft innerliche Kraft zu dem echten Deutschtum kommen könnte. Sie kämpften immer gegen, aber nie für etwas.

Selbst die Romantik, die so glühend und herrlich begonnen, war verurteilt, mit einer Posse zu enden. Das Puppenspiel der Freiheit, das seine Dichter spielten und in dem die Bettina und Rahel die Männer und den Geist der Epoche durcheinanderbrachten, war verloren, als zwischen livrierten, Silberleuchter tragenden, Lakaien Herr Schlegel als Attaché des Metternich erschien und jener Tieck, der gegen die Hofräte sich weidlich getummelt hatte mit dem schmerzhaften Roß seiner Phantasien, im Rock des Hofrats den Laden schloß und als Vorleser des vierten Friedrich Wilhelm auf das Schloß hinauf eilte, eifrig sein Buch ergriff und seine alten Scherze wiederholte, während der König, blödes Zeug zeichnend, den alten Dichter nach jedem Satze unterbrach, um seinen Hofdamen seine Witze zuzurufen.

Ja sie haben dieselbe Rolle gespielt wie die Adamiten des zweiten Jahrhunderts, die unter den Verhöhnungen der Menge nicht abließen, zur Prüfung der Enthaltsamkeit sich nackt in den Städten zu bewegen. Aber die Dichter haben, wenn sie sich um der Freiheit willen entblößten, nur den Spott ihrer Landsleute über diese Verhöhnung der bestehenden Sitten entgegengenommen und weder ihre Tugend gefördert noch die Nation gebessert, sondern nur den Stand bei der Menge verächtlich gemacht.

Mijnheer, dieser Sidney Smith, der durch die Entenjagd verhindert war, an der Gegenwart teilzunehmen, war ein grader Mensch und in seiner Einfachheit ein Charakter. Er erkannte die Leistungen nicht an, aber die Gesinnung. Er hatte etwas vor uns voraus in dieser unbedingten Fähigkeit, das eine nicht zu sehen und das andere zu empfinden und er vermochte die Gerechtigkeit der Beurteilung außer Acht zu lassen, aber die Geradheit und den Charakter nur zu loben. Er hatte Recht, daß er die Gesinnungen bevorzugte und die Visitenkarte sehen wollte. In stürmischen Zeiten ist es wichtiger, den Gegner zu wissen und zu achten, statt sich mit undefinierbaren Breien an die Tafel setzen zu müssen, und es gibt Zeiten, die mehr die menschliche Konfession als das Schmalz einer falschen Schönheit verlangen.

Der Zauber der französischen Revolution hat, mehr als Bekenntnis wie als politische Forderung, bis tief ins vorige Jahrhundert hinein gedonnert und es gibt eine Kunst, die weniger den Anspruch erhebt, eine Nation auszudrücken als ihr Gewissen zu sein.

Die ganze Generation Europas während des Krieges hat sich irgendwie für oder gegen ihn entschieden und damit irgendwie einen übernationalen und europäischen Standpunkt eingenommen, wie er kaum vorher erreicht worden ist. Die Lyriker und die Maler sind mit an der Spitze marschiert, und manche Gedichte der Russen hätten in Italien, manche der Franzosen aber in Deutschland geschrieben sein können. Lamartines „La grandeur d’âme est à l’ordre du jour“, schien für eine gewisse Zeit ganz Europa zu erfüllen.

Zwar flauten die Stimmen der Helden bald ab, die überall den Tyrtäus bliesen, und die Maschinenschlacht von vier Jahren bewies manchem, daß es schöner zu leben, als zu krepieren sei. Aber je gewaltiger die Kanonen Europa auseinanderrissen, um so heftiger wurde die Stimme, die auf allen Fronten sich der Zeiten erinnerte, wo die Menschen mit friedlichen Gewohnheiten und ohne mörderische Blicke sich begegneten, und die Dichtung Europas erlebte einen Hymnus der Kameradschaftlichkeit.

Zwar nahm unter dem Schwinden des Kriegsdrucks die Spannung ab und mancher, der geglaubt hatte, ein großer Dichter zu sein, fand, daß er nur ein Mensch mit Gesinnung war, aber ohne Zweifel hat die Lyrik Deutschlands in den Sängen Werfels einen der besten Hochschwünge erreicht. Der Schatten des großen amerikanischen Urnings Withman stand über der Epoche, die einen großen Weltakkord anstimmte. Die Lyrik unter Däublers weit verwuchertem Versspalier, unter Becher, der die Strophen in einer Verzweiflung ohne Maß zu futuristischen Quadern zerbrach, unter den Brüdern Schnack, Schickele, Wolfenstein, Rubiner, Ehrenstein, Stadler, dem sanften Trakl, der Lasker-Schüler, Georg Heym, Weiß, Zech und Hasenclever spiegelt die Epoche, in der sich der Mensch wie ein Gotiker gegen den Materialwahnsinn des Mordens auflehnt, am klarsten wieder.

Es gibt in Deutschland kein Kunstwerk, das den Krieg verherrlicht hätte, aber eine Masse, die sich gegen ihn stellten wie die trojanischen Fechter. Der Krieg, den die Kunst kämpfte, war nicht jener der Kruppschen und Creusotschen Kanonen, sondern war der Krieg der menschlichen Gesinnungen gegen die Barbarei, denn auch die Griechen waren seinerzeit nur ausgezogen, den Bruch der menschlichen Gesetze zu ahnden. Bleibt auch bei jeder Gesinnungskunst immer ein kleiner Verdacht der mangelnden Größe und entpuppte sich mancher humanitäre Bramarbas oft als kleiner Don Quichote, wenn man an die Leistung klopfte und das humanitäre Ideal ihm ein wenig von der damit gepanzerten Herzgrube wegschob, so ist in der Lyrik ohne Zweifel seit der Romantik Deutschlands beste Leistung im Krieg gesungen worden.

Auch die Maler hatten die Hinterlassenschaft der Hogarth und Gavarni aufgenommen. Das ganze neunzehnte Jahrhundert war gefüllt mit der Proklamierung menschlicher Thesen, die man mit dem dafür erfundenen Mittel der Lithographie an die Wände und an die Zeitungen schlug. Die Zeiten haben sich stets auch ihre Techniken geschaffen. Der Holzschnitt gab dem Mittelalter die Treue und die Gläubigkeit und die Überzeugung seiner religiösen Kämpfe. Kupfer und Stahlplatte führten in die artistischen Gärten. Die Lithos schrien nach den Pallisaden, wo sie die Erregung der Sekunde sofort zu spiegeln bereit waren. Die Daumiers und Delacroix und Steinles und Lautrecs haben ihr Jahrhundert attackiert, und selbst der unpolitische Gavarni hat in dem von Politik fast platzenden Zeitalter Louis Philippes durch seine Verspottung der politisierenden Spießer seine politische Mission getan.

Wie hat die Graphik schon den Bonaparte gefaßt und wie haben die Jakobiner die anrückenden Fürsten belächelt und mit welcher Schamlosigkeit, aber welchem Mut hat man die Erotik und die phallischsten Zeichnungen aufgerufen, um Viktor Emanuel und die spanische Isabella und Eugénie und Napoleon unmöglich zu machen! Félicien Rops hat, um die Größe des Königstums zu beweisen, den vierzehnten Ludwig mit einem Riesenphallos gezeichnet, den eine Krone schmückte.

Von diesen politisierenden Absichten und ohne jede Frivolität zog sich die Graphik in der Zeit des Krieges zum Teil sogar auf den Holzschnitt zurück, suchte entweder Symbole der Menschen zu schaffen oder gab ein leidenschaftlich zerrissenes Gesicht der Gesinnung zu erkennen. In den Blättern von Frans Masereel, der täglich in der Genfer „Feuille“ gegen den Krieg protestierte, in den Zeitschilderungen von Beckmann und Großmann, und in den fatal das Skelett der Zeit weisenden Anklagen des George Groß ist eine künstlerische Höhe mit der Tiefe eines gesinnungshaften Glaubens erreicht.

Man kann sehr skeptisch sein und seine Zeit dennoch sehr vollkommen in diesen Dingen sehen. Dem einen ist es bestimmt zwischen achtzehn und dreißig Jahren zweiundzwanzig Frauen zu besitzen, wie Stendhals Martial, und dem anderen ist es auferlegt, seiner Kunst und seinem Gewissen die fletschende Gebärde einer Zeit abzuringen, deren Formung so genau mit seinem Glauben übereinstimmt, daß man diese Epoche nur als die Vermischung von Fegefeuer und Seligkeit zu begreifen imstande ist.

Die edelsten Figuren in dieser humanitären Welle haben mit Romain Rolland und Henri Barbusse die Franzosen gestellt. Auch Rolland ist kein überragender Dichter, aber ein Mensch, dessen Horizont und Gewissen so weit sind, daß sie seine Werke tief durchdringen. Er wie Barbusse sind Epigonen des Tolstoi, nur daß Barbusse, der den einzigen großen Kriegsroman in seinem „Feuer“ geschrieben hat, der mit der imposanten Haltung seiner Figur jene wundervolle Plejade eines Völkerbundes der besten Geistigen der Welt gründen wollte, seine eigene „Clarté“ zerschlug, indem er unter die Satzungen der Sowjets sich bückte und in die Politik das hineinführte, was höchstens innerlichstes Bekenntnis sein durfte. Die Duhamels und Chennevières, den tapferen Paul Colin an der Spitze, die Vildracs und Balzagettes sind von ihm, der zu dem Schwert sich entschlossen hat, nachdem er es bekämpfte, zu der milderen Gestalt Rollands hinübergegangen, der die Reinheit der Kunst durch keinen Gewaltgriff besudeln möchte.

Die schönste Stimme aber unter diesen seltsamen Kämpfern gegen den Krieg hat neben René Schickele die mutige Frau, Annette Kolb, der an dichterischer Kraft nur noch die jüdische Dichterin Else Lasker- Schüler, an stilistischer Schönheit aber niemand zu vergleichen ist. Ihr Buch „Zarastro“ ist eine Kammermusik sehr erlesener europäischer Gefühle und tadelloser Bekenntnisse und damenhaft distanzierter Gepflegtheit der Worte. René Schickele hat das Blut und die Klugheit des Hirnes zu einer grandiosen Proklamation an die Überlegenheit der Vernunft und die Heiligkeit des Geistes gewendet, und Leonhard Frank das brutale Gespenst seiner Sätze zur Verteidigung der Menschlichkeit gegen die Dummheit aufgerufen. Die schärfste Sprache hat Sternheim gegen diese Epoche der ausschweifenden Irrsinnstaten gefunden, und weder in seiner Gespitztheit noch in Heinrich Manns Würde noch in Franks Verzweiflung oder des Schickele heller Wärme hat der deutschen Prosa der Genius gefehlt, der dieser Überzeugtheit und dem untadeligen Anstand nicht noch den Kranz einer gewissen Vollkommenheit hinzugefügt hätte.

Die Epoche im Umkreis des größten europäischen Krieges hat ein weites Leichenfeld von Dichtern, die ihn in schlechter Weise besungen oder in edler Form getadelt haben, und von dem möglichen und wahrscheinlichen Adel der Gesinnungen ist nichts geblieben als ein taubes Korn. Aber in dem Konzert von Mohrentrommeln, Dudelsäcken, Mitrailleusen, Schalmeien, Motoren, Feuerbrünsten, Sackpfeifen und Sirenen, das als Echo hinter der Epoche aufsteigt, hat sich in diesen Dichtern ein Orchester der Erlesenheit gehalten, das zur Kunst den Anstand und zur Höhe der Sprache die Kraft eines Gewissens zu legen verstand.

Es haben am Rand der Zeit aber weder die Harlekine noch die tragischen Spaßmacher gefehlt und die Leuchtfeuer des großen Weltdébacles haben sich manchmal sogar im phosphorischen Glanz der Maden gezeigt, die in den Kadavern ihre Orgien hielten. Die Jünglinge, die sich in Zürich zusammentaten und sich den Namen „Dadaisten“ gaben, haben, um ja nicht irgendwie das bürgerliche Zeitalter zu berühren, sowohl die Sentimentalitäten wie die moralischen Begriffe der seitherigen Welten abgelehnt und sich nur für den Tanzschritt einer absoluten Zerstörung entschlossen. Selbst zum Krieg, an dessen Begriff sich heute die Leidenschaften der Völker am heftigsten schlagen, haben sie keine Stellung genommen und sich begnügt, in seiner Saat an Kokotten und Schiebern ein ebenso zynisches wie originelles Festspiel zu entfalten.

Guter Aristophanes! Soviel Zynismus war noch in keinem literarischen Stall. Und soviele Menschen, die eine neue Fauna, das Kriegsaas, als Schilderungsboden entdeckten, hat noch keine Gesellschaft hervorgebracht. Sie haben ihr Programm der Zerstörung, ihre unverständlichen Gedichte, ihre graphischen Stottereien, ihre Abende, an denen Klaviere und Schreibmaschinen und Niggertänze um die Wette klapperten, wohl als Scherz gemeint am Anfang, aber der Bluff wandte sich gegen sie und verurteilte sie, als die Lärmmächer eines Zusammenbruchs der Welt eine Zeit lang ihren disharmonischen Cancan zu tanzen, der schon apokalyptisch vor den Wetterwolken der kommenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der Menschheit dunkel sich reckte.

Diese Welt ist innerlich zerplatzt, Mijnheer. Bis zu dem vierzehnten Ludwig lief jene feudale Kraft, die Volk, Kunst, Glauben, Politik mitriß, dann bröckelte alles ab und stößt sich von Revolte zu Revolte. Mijnheer, die Welt ist kein Football und geht nicht von Goal zu Goal, sondern von der Bewegtheit zum Kristall. Sie ist geplatzt und will wieder zueinander, und alle Sänger der Freiheit haben nur die eine Idee, sie wieder zu einigen. Das kommunistische Experiment in Rußland ist in denkwürdiger Größe verloren gegangen. Die britische Insel, die sich sehr früh durch ihre Glaubensrevolte konsolidierte, fühlt sich von inneren Gespenstern bedroht wie nie. Deutschland ist wie allezeit der Nabel der Welt, ihm ist der Bauch völlig aufgeplatzt und man beginnt ihn langsam wieder einzunähen.

Diese lallenden Jünglinge des „Dada“, die alles zu verachten und alles zu zerstören bereit waren und mit einem grausamen Hohn forderten, man solle die geistigen Menschen öffentlich auf dem Potsdamer Platz speisen und die Kirchen als Bordelle einrichten, diese dadaistischen Jünglinge, die noch kühner waren wie die Jakobiner, welche aus den Domen nur die Ställe ihrer Kriegspferde machten, sind nur die ersten Frissons jener Gespenster gewesen, die sich aus einem überpolitisierten Zeitalter als die Hyänen einer unvorstellbaren Anarchie am Weltuntergang auf uns stürzen werden.

Sie sind eine amüsante Posse in der Art des Malers Ensor, der mit einem hemmungslosen und narzissisch lüsternen Grauen auch die ganze Gegenwart vernichten möchte. Aber in ihrer Leistung hat, obwohl Herr Hülsenbeck und Serner begabte Männer sind, die Muse so wenig gewohnt wie in jenen sowjetischen Proklamationen, mit denen die Russen eine neue Kunst kommandieren zu können glaubten und vergaßen, daß sich die Ideen wohl glauben und die Herzen wohl erhöhen und die Gefühle wohl steigern, aber niemals die einen wie die anderen sich irgendwas befehlen lassen.

Über ihnen aber sind mit großem Freskostil die Bilder gemalt, die der Däne Pontoppidan vom untergehenden bürgerlichen Zeitalter gemalt hat, mit denen Gorki eine neue Klasse ankündigt, die der Bornholmer Nexö mit einer fabelhaften Gewalt vom Kommen der neuen Gesellschaft prophezeiht und die der Amerikaner Sinclair in seinen Werken anzeigt, die alle zur Eroberung der Macht durch eine neue Gesellschaft fest entschlossen sind. Delacroix hat die Freiheit mit der Jakobinermütze noch gezeichnet als schönes Weib mit einer Fahne. Pennel hat in seinen graphischen Blättern den Panamakanal und ein denkwürdiges Monument des arbeitenden Fleißes widergespiegelt. Bei Sinclair und bei Nexö findet sich mit paradiesischer Sicherheit bereits der von der Sklaverei befreite Mensch der niedersten Klasse, der sich mit den herrschenden und schwer beschädigten Klassen zu vermischen oder sie zu vernichten bereit ist. Wissen Sie, was das heißt, Mijnheer? Tod oder neue Gesellschaft.

Man soll nicht pathetisch werden, wenn die ernstesten Dinge kommen, die großen Szenen der Wirklichkeit spielen sich von selbst. Man sieht sich leidlich ebensogut nüchtern um. Um Siebzehnhundertsiebzig wurde von James Watt der Begriff der Pferdestärke geprägt, die Maschine war erfunden, expreß fast, wie es scheinen möchte, um die Zerstörung der seitherigen Welt zu beschleunigen und zu präzisieren. Die Eisenbahnen waren die teuflischste Erfindung der Demokratie, und die Burgen der Feudalzeit hingen als schlechte Witze über ihren Geleisen. Man fährt im Flugzeug nach Amerika und in einem Tag nach Moskau, photographiert auf tausende Kilometer, telegraphiert ohne Draht über den Erdball, hat die Pole entdeckt und kein Geheimnis mehr auf dieser Welt.

Zu der Staël sagte ihr Vater Necker, da sie so dekolletiert sich zeige und nichts dem Blick verweigere, möge sie wenigstens ihr Gesicht verhüllen. Europa hat sich ausgerast und könnte nun beginnen, sich verhüllt auf sich selbst und seine Aufgaben zu besinnen. Die Dichter, die sich gegen es gestellt haben, sind seine besten Berater gewesen und haben seine Idee am wahrsten behütet. Es hat sogar nicht einmal einen einzigen deutschen Poeten der Reaktion gegeben, der von Bedeutung gezeugt hätte und man kann wohl schließen, daß die Reaktion darum eine Gott ungefällige und schlechte ist.

Auch die Neuauflage der Gedichte zum Krieg von Lissauer, Körner auf Zeitungspapier und einige zwischen Weltfriedenssprüche rasch bestellte Kriegslieder von Gerhart Hauptmann würden die Reaktion nicht mit dem Fleisch versehen, das ihr ebenso fehlt wie der Geist. Die Republik müßte sehen, sich zu festigen zu einer neuen Gemeinschaft oder sie muß mit ihrer Getreuen sterben. Europa muß eine Weile sein Haupt verhüllen und sich beruhigen und auf sich besinnen. Daß seine Dichter sich gegen ihre Mutter gestellt haben, war diesmal keine Politik und war keine deutsche ziellose Verzweiflung, sondern war sowohl die Besorgnis des Geliebten wie die Vorbereitung der Zukunft. Mehr kann man nicht tun.

Der Entenjäger Sidney Smith war vielleicht ein Narr, aber er ahnte, daß in manchen Zeiten die Menschen wichtiger sind als ihre Bücher. Das ist eine Barbarei für den Künstler und eine Roheit für den Kultivierten. Aber auch im Mittelalter sind die Könner manchmal in die Kutte der Prediger gesprungen, Apollo hat wie in des Euripides „Alkestis“ auf einer so menschlichen Flöte geblasen, daß zu den Rinderherden sich die gefleckten Luchse und die feuerfarbene Schar der Löwen im Spiel gesellte.

Man tut das Seine und schafft seine Leistung wie man kann und keiner wird den Könner unwürdig ehren. Aber man lebt nicht für die Kunst, sondern für die Zukunft und man steht am Vorabend einer abscheulichen Mörderei oder einer neuen Gesellschaft. Man muß sich entsprechend einrichten. Denn man lebt schließlich nicht auf einer begnadeten Zeit, sondern in manchem Sinn in einer, wenn auch geliebten, Hölle.

Mijnheer, geschichtliche Tatsachen erklären heißt nicht Partei nehmen, sondern sich für den gesunden Gang der Dinge aussprechen. Eine alte Zeit, der nachzujammern so dumm wie unbescheiden wäre, hat sich vollendet. Die letzte Großherzogin von Baden war blind und fuhr viele Jahre hindurch durch ihre Hauptstadt im Glauben, daß jedermann sie begrüße. Es wagte niemand ihr zu sagen, daß sich die Zeit verändert habe und sie fuhr auf ihrem schon unwahrscheinlichen Wagen grüßend und nickend durch die Jahre und die Straßen, ohne daß die Bevölkerung sich um sie scherte und ohne daß sie es ahnte. Es hat eine gewisse Größe, wie diese Zeiten sich unbewußt neigten. Zur selben Zeit sandten die französischen Regierungen Deputierte nach Afrika, die Negerstämme zum fleißigen Verkehr der Geschlechter und zahlreichem Kindersegen aufzufordern, um ihre Cadres für kommende Kriege und Revolutionen aufzufüllen mit schwarzen Soldaten. Das ist Europa, Mijnheer, und zwischen beiden Bildern schwebt mit einer gewissen unbestimmbaren Schönheit das dritte Bild seiner neuen Konsolidierung.

Nicht jedermann, Mijnheer, ist overdressed, der besser angezogen ist wie man selbst, und nichts ist schlimmer wie ein Hochmut, hinter dem nichts steckt. Jedes Volk hält sich für das auserlesene und keines hat die Demut, an seine innere Kraft statt an seine sichtbaren und äußerlichen Symbole zu glauben und jedes steht sich damit selber und der Menschheit im Licht. Man liebt es nicht, die Gesinnungen zu ehren, auch wenn sie befremdend sind, sondern man läßt die Feuerstakes gewähren und hält die Sitten der Jahrzehnte über die Seele der Nation. Ach, wenn die Nationen sich in Riesen verwandeln würden und wie Antäus ihren Völkern zeigen könnten, daß nur seine wahre Kraft entfalten kann, der wahrhaftig auf seiner eigenen Erde richtig steht und nicht auf Lügen schaukelt, auf Einbildungsregenbogen dahergeht oder in Schlummerrollen der Bequemlichkeit schläft.

Die Riesen würden sich ein Geschlecht züchten, dessen Untergrund wohl etwas von der Naivität hätte, mit der jener Sidney Smith die Welt anschaute hinsichtlich ihres Charakters und ihrer Gradheit, denn ohne Menschlichkeit gerät vielleicht ein Kunstwerk, aber keine Nation. Wo aber keine Gesellschaft ist, wird auch die Kunst und die Könnerschaft verdorren und es werden vielleicht die Disteln aber nicht die Dichter wachsen.

Die Riesen werden die fauligen Menschen ins Meer schmeißen, wie Kronos mit einem Teil seines gestürzten Vaters Uranos tat, worauf aus dem Blutschaum sich ihm als das schönste Symbol die Aphrodite gebar. Man muß Europa auf sich selbst bringen, sonst rast es sich tot.

Europa hat nach dem Krieg statt einundvierzig nur noch siebzehn Monarchen, es betrübt das vielleicht den Monarchisten, aber es bedeutet im Grunde nichts. Europa ist etwas größer wie die Hälfte von Südamerika, von dem die Europäer fast nichts wissen und ist lange nicht die Hälfte so groß wie der Norden Amerikas, vor dem ihm graust. Europa ist in eine völlige wirtschaftliche Unterordnung zur neuen Welt getreten und hat sich in siebenunddreißig Staaten geteilt. Europa muß viel Hochmut haben, um seine Situation nicht zu verkennen und sehr viel Bescheidenheit, um klar zu erkennen, wo es steht und wohin es fährt.

Es fährt mit einem Schiff, in dem die Steuermänner und die Kapitäne und die Matrosen dreißig Sprachen sprechen, wo alle bewaffnet sind und wo neben den Gewittern die Hungersnot und das Elend und der Haß die einen gegen die anderen voll mörderischer Gedanken gemacht haben. Viel anders sah es auch nicht aus auf dem Schiff des Kolumbus, allein seine Leute vermochten dennoch die Neue Welt zu entdecken. Sie führten unter anderem den abgeschlagenen Kopf eines Heiligen als Reliquie bei sich.

Ich entsinne mich, Mijnheer, hierbei eines Marmors im „Luxembourg“, den ein Künstler jenem Dichter widmete, der zur Tröstung einer schönen Mitgefangenen im Kerker einunddreißigjährig eines der drei großen Gedichte der französischen Sprache schrieb, eh’ die Bergpartei der Schreiber ihn guillotinierte. Er nannte es „die Muse André Chéniers“. Eine junge Frau, mit unberührten Brüsten und der zärtlichsten Wollust der Schenkel drückt mit der Innigkeit unbrechbarer Zuneigung den abgeschlagenen Kopf des Dichters an ihre Brust und ihren Mund.

Ach, hätte das Schiff Europas das gleiche Wahrzeichen wie jener Kolumbus bei sich und vermöchte der Geist so stark zu werden in ihm, daß es die Liebe seiner verstoßenen Söhne so begriffe, daß es sie ebenso zärtlich grüßte wie die Muse den Kopf des Chénier. Denn im Augenblick der Berührung erhält der marmorne Kopf des Dichters neues Leben und seine Muse trinkt sein Blut.

Mijnheer, das Parabolische ist nicht der Genre eines holländischen Gentleman, ich verwirre mich in Bilder und Erinnerungen und ich habe einen Augenblick geträumt mit der Kühnheit eines Kindes. Kehren wir aus dichterischen Träumen in die Zahlen unseres mathematischen Zeitalters zurück. In diesem Kursbuch stehen die Tageszeiten aller Kontinente und ihre Tabellen zum Gebrauch der Börse. Noch, Mijnheer, kann man, fährt man von New-York nach Europa, täglich seine Uhr um dreiviertel Stunden vorrücken. Verstehen Sie mich, obwohl ich schon halb schlafe?

Möge nicht die Zeit kommen, wo man sie zurückstellt in seinem Herzen!

Die siebente Nacht

In der Tat, Mijnheer, Siebenzehnhundertsiebzig hat James Watt den Begriff der Pferdestärken geprägt. Achtzehnhunderteins stellte der Amerikaner Oliver Evans die erste richtige Hochdruckmaschine her. Achtzehnhundertachtundzwanzig lief durch den wackeren Mann George Stephenson auf der Stockton-Darlington-Bahn der erste Personenwagenzug. Achtzehnhundertdreiundvierzig baut Morse die erste große Telegraphenlinie von Washington nach Baltimore.

Dreizehn Jahre später zieht sich das erste submarine Kabel durch den Hafen Portsmouths und dreiundvierzig darauf ist die Erde mit siebenhunderteinunddreißig Kabeln verbunden. Neun Jahre nach der Startung des deutschen Kaiserreichs läßt Siemens & Halske die erste elektrische Bahn laufen und im Jahr darauf beginnen die amerikanischen Hauptstädte sich telephonisch zu verbinden und die Welt damit in einen Zaubergarten zu verändern.

Mittlerweile geschieht der Aufbruch der Menschheit aus der Innigkeit des Mittelalters, wo die Seelenfähigkeit sich nach innen stellte, in die leidenschaftliche Neugier des wissenschaftlichen Abenteuers. Achtzehnhundertsechsunddreißig ließ Green den ersten Ballon mit Leuchtgas steigen, fünfundsechzig Jahre später hat man Höhen von über zehntausend Metern mit Sauerstoffmasken erreicht, hat Apparate, um einige tausend Meter unter dem Meer arbeiten zu können.

Die englischen Alpenklubisten überschwemmen die Schweiz. Ein Dutzend Männer hat als Lebensaufgabe die Ersteigung von Bergen, auf die heute Zahnradbahnen führen. Mr. Wimpher gelang es Achtzehnhundertfünfundsechzig unter tödlichem Verlust seiner halben Expedition, das Matterhorn zu ersteigen. Vier Tage darauf folgten ihm Italiener von ihrer Seite. Livingstone, Emin Pascha, Stanley, Baker, Gessi, Hedin erforschen Afrika, Asien. Man entdeckt die Pole. Achtzehnhundertsechzig stellt Lenoir den ersten schüchternen Motor her. Fünfzig Jahre später laufen Autostraßen durch die Wüste, Motorboote durch die exotischsten Seen. Im selben Jahr photographierte man noch Latham, wenn er von Paris zehn Kilometer zur Jagd flog, als Fabel-Helden in allen europäischen Gazetten. Blériot überspannte sodann mit seinem Äroplan, Heros einer neuen Mythe, den Kanal. Zehn Jahre darauf fährt man im Flugzeug mit zwei Unterbrechungen von Portugal nach Chile. Die Erde ist organisiert, sie hat keine Wunder mehr, statt dem Geheimnisvollen ist das Exakte in das Dasein getreten und statt der Frömmigkeit das Tempo, statt dem Glauben die Wissenschaft.

O gute alte Zeit! Selbst in ihrer Tragödie stak doch noch Intimität!

In Tegnérs Frithjofssaga wird den Gefangenen noch der Blutaar geritzt, ein Adler in den Rücken geschnitten und das Rückgrat von den Rippen gelöst. Cicero wird in einer Sänfte von Männern nach Bajä getragen. Sechzehnhundert gab man Mäuse zu speisen gegen Zahnschmerzen. Bonapartes Adjutant ward von Wölfen gefressen. Béranger, Balzac und Pückler mußten Stecknadeln in ihre Kerzen stecken, um jedem bei ihrem Gespräch damit die Rededauer einzuteilen. Goethe sandte Wieland für den „Oberon“ nicht eine Depesche, sondern einen Lorbeerkranz und Gleim schickte einen Korb Kiebitzeier . . . . . .

Mijnheer, zwar besaßen die Ägypter und die Hellenen auch bereits Bahnen und Schienengeleise. Auch von Paris nach Lille telegraphierte man mit Zeichensignalen über eine Stafette von zweihundertfünfundzwanzig Kilometern in zwei Minuten, war aber bei Sturm, Nebel und Nacht noch verloren.

Man hatte aber die Elemente noch nicht gefangen und noch nicht das wilde Sausen über seinen eigenen Nacken gesetzt, mit dem sie ausbrachen und uns zu den Schelmen und Sklaven unserer eignen Kühnheit machten. Wir leben in einer wahrlich anderen Welt, und zwischen den stampfenden Maschinen Citroëns wäre eine neue schwäbische Dichterschule genau so scherzhaft wie ein vegetarianischer Wanderprediger auf der Sturmflutmole von Swinemünde.

Es bleiben zwar die Seelen und die Qualitäten der Menschen dieselben, aber in ihren Formen sind sie zwillingshaft jeweils an ihre Epoche geschmiedet. Graf Leopardi, der aus Angst vor der Cholera starb und vorher Italiens schwermutvollste Gedichte schrieb, im Flugzeug der Futuristen sitzend, wäre schon das Bild eines Fieberwahnes, und Freya hätte, als sie, vom Zeitbaum Ygdrasil aus, den Ödur suchend, goldene Tränen vergoß, in keinem anderen Raum als dem der Mythen es vermocht. Die Zeit rollt mit allen ihren Hebeln und Kräften ihre Repräsentanten an die Rampe und es ist nicht die Schuld und nicht das Verdienst ihrer Helden, wenn sie mit dem Weltdonner von Ragnarök in die Götterdämmerung fahren oder im Zuckblitz der Scheinwerfer und zweihundert PS die Ewigkeit suchen. Auch die Vehikel der Dichtung sind nur von dem Sturmschritt der Erde mitgerissene Schatten, und die behäbige Karosse Jean Pauls hat sich zu elektrisch zuckenden schlanken Rennwagen ausgewachsen.

Man hat nur die eine Freiheit, damit zu fahren oder aber das Roß am Schwanz aufzuzäumen und im Krebsschritt gegen diese Entwicklung zu reiten. Sich dem entziehen, hat man die Freiheit nicht.

Das hat, für die Schwerhörigen gesagt, nichts mit der Größe der Leistung und dem genialen Ritt einer Epoche oder ihrem Zusammenbruch zu tun, sondern bestimmt nur ihre Musik, erklärt nicht ihr Herz, aber ihr Gesicht, deutet nicht ihre Macht, aber ihre Muskulatur.

Mit Zola waren die Fabriken aufgeschossen, mit Eduard Keyserling war der letzte Rest des adeligen Feudalismus gestorben, mit Manets und Renoirs Fülle hatte der Raumbegriff der seitherigen Welt sich durchbrochen und mit den chauvinistischen Italienern um Boccioni und Carrà war er in die Luft gespritzt worden und kaputt. Zwischen den Giganten von Maschinen, über den Leichen der Götter und den Donnern der Funksprüche, der Autorennen, im Netz der Bahnen, durch das Sirenentuten der Dampfer, der Flieger, im feurigen Zickzack der Geräusche und Kriege und dämonischer Vehikel mußte ein Geschlecht groß werden, das seine Zeit zum mindesten schilderte, das sie vielleicht verwarf oder ihr unterlag, das aber ihr Tempo trug. In der Ballung, in der Dichte und in der Schnelligkeit der seelischen Entwicklung lag der Ausdruck der Literatur um die Zeit, wo die Maschinen zum ersten Male einen Krieg endgültig bestimmten. Das ist ein Leitsatz, der nicht aufzuheben ist.

Der militärfrohe Lahmfuß und Baronet Walther Scott sagt in der Einleitung zu seinem schönen Buch „Waverley“, seine Helden würden nicht Eisen auf dem Haupt wie früher und auch nicht an den Absätzen wie zu seiner bürgerlichen Zeit tragen und seine Weiber kämen wohl kaum in Purpur und Talaren wie Lady Alice in alten Balladen und auch nicht halbnackt wie die preziösen Bürgerinnen seines Jahrhunderts, sondern man werde mit Staunen bemerken, daß es sich nicht um Sitten sondern um Menschen handle. Scott war ein schlechter Geschäftsmann und ein genialer Dummkopf, denn er gab als Sohn seiner Epoche natürlich genau so die Sitten wie die Menschen.

Erst als die Kreuzundquerschnitte der elektrischen Gewitter, die feindlich gegen unsere Jahrhundertwende aufzogen, mit Säbelblitzen die Beschaulichkeit von den Nationen trennten und die Sitten von den Menschen schieden, als die Tempi der Schicksale niederfielen wie die Taktschläge der Motore und in dem unbeschreiblichen Pêle-mêle von stürzenden Gesellschaftsschichten bald kein Untergrund, sondern auch im Leben der Nationen nur noch Bewegungen zu sehen waren, erst dann geschah es, daß neben den Gerippen der Äroplane und Tauchboote auch die Skelette der Seele sichtbar wurden.

Ach, die Dichtung begann, nachdem sie wie der größte Vagabund unter ihren Verbreitern, nachdem sie wie der famose Villon von Bett zu Bett geworfen und heimatlos geworden war, nicht mehr mit den Kostümen der Zeit durch die Gärten der Poesie zu gehen, trug nicht mehr das Kostüm der byzantinischen Königinnen, nicht mehr die Spitzmütze bourbonischer Frauen, nicht mehr den Turban der troubadourgeliebten Falconiere, nicht mehr den Charme der Byronschen Geliebten, nicht mehr die Trauer der den gefallenen Puschkin beklagenden Freundin, nein, sie zog wie ein telegraphischer Aufruf durch die Dämmerung Europas.

Sie war besitzlos geworden in Europa, das nicht mehr auf der reichen Empore von Ständen und Königen stand, sondern sich in Schrecken wälzte, und sie zog sich von den Kostümen auf das Unverlierbare zurück, indem sie den Menschen allein, aber mit allen Mitteln der Zeit sich formte. Das Bild dieses Zeitgenossen bestimmten große klare Linien: Ballung, Dichte und Tempo.

Nur die Schwachköpfe staunten und wußten keine Erklärung, als die kulturloseste Zeit zu gleichen Symbolen kam wie die von Reichtum alles Ausdrucks übersättigten, und daß Archipenkos Menschen dieselbe Allgemeingültigkeit hatten wie die schöne Nofrit des Jahres Zweitausendachthundert der vierten ägyptischen Dynastie vor unserer Zeitrechnung. Die Zeiten, wo alles von der Anwesenheit der Götter bebte und diejenigen, wo sie völlig ausgezogen scheinen, haben die gleiche Unerbittlichkeit des Zustands ausgeübt.

Und während die einen aus der Überfülle des Reichtums sich die stärksten Sinnbilder schufen, indem sie alles außer dem Einfachsten ausschieden, haben die anderen durch die Kraft ihrer Verzweiflung sich aus dem Nichts dieselben einfachen Sinnbilder geschaffen. Die tiefe Ruhe und der Schrei begegnen sich, und die Seele, die aus der Üppigkeit sich zum Einfachen hin unter unendlicher Mühe kristallisiert hatte, fand ihre Schwester, die völlig nackt und ähnlich erlesen von der Seite der besten Armut kam.

Das ist eine Gleichung, deren Schönheit zu bezweifeln, deren Gültigkeit aber nicht anzugreifen ist.

Mijnheer, Sie wissen, daß diese Entwicklung in Taten umgesetzt zu haben das Werk einiger befähigter Künstler in Europa war und daß man die Schulen, die sich darum schlossen, und alle Mißverständnisse, die die Öffentlichkeit darum bildete, „Expressionismus“ nennt. Es ist so albern wie wahr, daß dieses Wort eine Unsumme von einzelnen Koterien wiederum umschließt und daß wie in allen revolutionären Epochen die ursprünglichen Armeen sich bald in Condottierihaufen teilten.

Manche davon haben den sanften Anblick des Fleisches ganz verlassen und sind sektiererhaft auf Formeln und in die Gesellschaft abstrakter Gespenster abgewandert, indem sie sich wie dogmatische Gelehrte je nach der parabolischen Form, ob nämlich aus Punkten, Ellipsen, Quadraten oder Dreiecken sich das Gefüge ihres Weltbildes zusammensetzte, nach Art der Fakirorden: Kubisten, Pointellisten, Konstruktionisten nannten.

Diesen Jakobinern der Kunst erging es wie allen Sklavenaufständen, die sich weiter vorwagten, als es ihnen das Gesetz ihrer Armut zuschrieb. Sie kamen aus dem Bereich der Kunst in das qualvolle Gebiet der Ideen und wurden dort, weil sie zwischen beidem schwankten, zermalmt und zerhauen wie die Bauernhorden des Thomas Münzer. Sie waren wie alle Jakobiner der Gefahr erlegen, daß sie zu weit von dem Erreichbaren ausgerutscht waren und mit Ausnahme schöner Grenzfälle wie dem des anmutigen Malers Klee und des bedeutenden Picasso in eine Fata Morgana nach links hineingestürzt waren.

Diese Teiltruppen des Expressionismus hatten nicht begriffen, daß sie der Glücksfall, mit gar keiner Gesellschaft hinter sich ihre Werke bauen zu dürfen, verpflichtete, in Erinnerungen der besten Zeit der Nationen glänzende Neuigkeiten aufzubauen, statt zu zerstören. Sie hätten sich heftig an das Fleisch der Zeit drängen müssen, statt es zu Schemen zu zersetzen. Denn die glatte und vereinfachte Schönheit der ägyptischen Nofrit war der erlesenste Ausdruck einer untadligen Zeit, die aus ihrer beispiellosen Fülle sich ein Sinnbild der Dürftigkeit wählen konnte, das ihr jedoch nie ins Nichts entgleiten, sondern, von einem ungeheuren Gesellschaftsgefühl maschenhaft gehalten, nur immer glänzender an Reichtum steigen konnte.

Aber die Nacktheit unserer maschinellen Epoche, ohne Gesellschaft hinter sich, war nicht das kühne Symbol der Üppigkeit, sondern das schimmernde der Armut, und war jeden Moment in Gefahr, in die Tiefe zurückzustürzen, aus der es stieg. Man kann heute daher nur arbeiten mit Verantwortung und für die Zukunft, aber nicht für die Eitelkeit und nicht für Quatsch und Theorie.

Es ist wahr, daß diese Flucht ins Gegenstandlose eines Teils, und zwar des schwach begabten Teils der neuen Schulen, die Liebhaber der Muskulatur kränkte und jene ermutigte, die gern das Feldgeschrei anzuheben bereit waren, auch diese Richtung sei wie tausend andere nichts gewesen.

Ich habe in der „Doppelköpfigen Nymphe“ von Sternheim bis Heinrich Mann, von Döblin bis Schickele, Benn bis Kaiser, Frank bis Wedekind, Däubler bis Werfel die begabten und schöpferigen Dichter geschildert, die diese Epoche in Deutschland gestempelt haben. Ihre Wirkungen sind unverlierbar, hinter Wenzig, Karlweis, V. C. Habicht, Lichnowsky, Kesser, Heinrich Eduard Jakob, Kamnitzer sind die Nachfolger Legion, ihre Werte mag mein Nachfolger in hundert Jahren bei einer hoffentlich für ihn sympathischeren Gelegenheit als einer umstürmten und zugeschneiten Schneekuppe ziehen.

Vielleicht wird dieser Nachfolger zwischen einem angenehmen Frühling sitzen und ein Boccaccisches Zeitalter schon wieder um sich haben, wo die Dichter bukolisch auf den Pfeifen blasen und mit galanten Damen nicht nur unter gewagten Gesprächen die klügsten Sachen sagen, sondern auch mit der Heiterkeit einer gefestigten Zeit zwischendurch in klaren Bächen baden, schön speisen und das Ungemach des Schicksals mit der Harmonie ihres Säkulums und nicht ohne Genuß überwinden. Vielleicht werden sie die Anmut ihrer Flüsse und ihrer Weiber dazu benutzen, Witze über uns zu machen und wenig kühne Beiwörter unseren Namen hinzufügen, aber vielleicht wird die Schönheit und der Friede ihres Frühlings sie zu gerechtem Preisen über unsere Tapferkeit ermuntern. Es kann uns gleich sein, Mijnheer, aber wer sein Leben genießt, wünscht auch den Nachfahren die saftigsten Dinge. Mögen sie leben, es ist auf die Dauer noch nie ein Urteil nicht gefallen, wie es gefällt werden müßte.

Vielleicht werden zur Herrschaft gekommene Sklaven uns auf ihre neue Lebenstafel kreiden, wenn die anderen uns verwerfen. Aber die Sklaven der Dummheit und der Böswilligkeit wird man heute wie morgen an den Pilori binden müssen. Man hat nunmehr eine gewisse Größe unter der Hand mit den neuen Schulen in Europa wachsen sehen, aber auch die Stimme der Tadler (wie die der Lobenden) nur mit Mißtrauen vernommen. Denn die einen suchten gewöhnlich mit den neuen Helden, die anderen gegen sie ihre Karriere zu machen. Der Bau aber steht.

Man hört nun im fünften Jahr nach Wedekinds Tod und zehn Jahre, nachdem man sich an die Tempis und das Ballen machte, nur noch die Kläffer. Faute de mieux on couche avec sa femme: Ich muß mich nach den Feinden des in die Manneshöhe gewachsenen Expressionismus umsehn.

Man darf sich dem Anblick dieser artigen menschlichen Komödie nicht entziehen und man wird mit Vergnügen sehen, daß die Don Quichotes wieder aufgestanden sind mit der Klugheit Sancho Pansas, die ewigen Windmühlen zu erstechen. Man wird eine sachliche Diskussion erwarten, aber man wird das Schlachtfeld privater Angelegenheiten und menschlicher Eitelkeit erblicken. Daß der Expressionismus entstand, war eine elementare Notwendigkeit. Die tapfern Barden aber, die nun sein „Ende“ ausschreien, kommen aus einer verdächtigen Gesellschaft und sind nichts als die Nutznießer einer Nervenermüdung des Publikums. Wenn die Leute eine bunte Sache eine Zeitlang sahen, sehnten sie sich immer nach einer neuen, gleichgültig, ob dies ein Bild, ein Meer, eine Frau oder eine Heimat war. Dies Stück Verräterei ist eine der bezauberndsten Kontrollen im Auf und Ab der Zeit und ihrer Werte.

Der einfache Mensch denkt immer richtig. Er geht nach seinem Gefühl. Die Sache langweilt ihn. Man kann es ihm nicht übel nehmen. „Ende des Expressionismus“: er gähnt. Er ist bedeutend einfacher und anständiger als die Grübler, die neoklassisch schwärmen. Meine Angorakatze, mein russischer Riesenschnauzer wissen, um Gottes willen, ebenfalls Bescheid, daß, nachdem die Feldlager geflackert haben, auch in der Literatur die Nymphen zu schweben beginnen.

Die Zeitgenossen ertragen stets nur eine gewisse Durchdringung an Aufklärung, an Sensation, an Broschüren, an Ausstellungen eines neuen Stils. Selbst guter Mokka, der doch anderen Anspruch auf Qualität macht als durchgängiges Publikum, erlaubt nur einer bestimmten Dosis Zucker seine Vermischung. Nachdem man seit zehn Jahren von dem sehr klugen Kritiker Wilhelm Hausenstein bis in die Provinzmuseen nichts getan als aufgeklärt hat, ist es nicht erstaunlich, daß das Publikum genug davon hat. Als Hausenstein einer Mappe des Malers Seewald, in der Leute übers Seil liefen, das hymnische Vorwort schrieb und Däubler auf den Flügeln des „Neuen Standpunkts“ aufklärend Deutschland durchschnob und der Kritiker der„Frankfurter Zeitung“, Bernhard Diebold, in Kornfelds „Verführung“ noch die Melodie des neuen Jahrhunderts bebend verspürte, da war ein eckiger Seiltanz und ein Drama aus lyrischen Grammophonen auch am Kurfürstendamm noch neue Mode. Als aber Lunaparke in diesem Stil entstanden, Jungfrauen ihn zu tanzen feurig übernahmen, Filme ihn aufs Plakat, Revolutionäre auf die Fahne schrieben, Jünglinge sich in Poemen die Zähne daran brachen, Kaffeehäuser seine scheußlichen mißverstandenen Ornamente an die Wände klebten, und selbst ein Eiskünstler in einem Kristallpalast seine Kurven fuhr, hatte man genug; mit Recht.

Sehr amüsanterweise sah man als die ersten Deserteure die liebenswerten Ajaxe abschwenken, die sich wohl bei Beginn so sehr in Atem geredet hatten vor Begeisterung, daß es ihnen auf die Galle geschlagen war. Als keine Mauer ohne Plakat, keine Entdeckung mehr zum Anpreisen zu machen war, als selbst die literarischen Ahnen und die malerischen Vorläufer und alle in Betracht und Zusammenhang zu bringenden exotischen Kulturen abgegrast waren, gingen sie rasch von dem Enthusiasmus zur Skepsis über.

Herr Hausenstein vor allem, der ein vorzüglicher Kopf ist, flüchtete vorwärts zu noch nicht erstandenen Nazarenern und rückwärts in die Arme seines mit Impressionisten in allen Taschen bepackten kritischen Kollegen Meier-Gräfe, ohne allerdings verhindern zu können, daß sein fruchtsaftiger Stil immer abstrakter und dürrer wurde, je mehr er vom Expressionismus abwich, und daß, als er dem Drachen die Lanze ins Maul zu stechen begann, sein Stil und ihr Stiel zu einem fast unerforschlichen dünnen und wahrlich expressionistischen Spinngewebe geworden war. Führwahr, die Bauern haben recht, wenn sie meinen, man vermöge die Natur selbst in den gröbsten Dingen nicht mit Heugabeln auszutreiben, sie kehre vielmehr auch dann zurück. Aber in den raffinierlichsten Dingen scheint sie sich sogar gegen diejenigen, welche gegen sie arbeiten, mit einem unverkennbaren Hohn zu wenden.

Die anderen Anreißer aber konnten nicht genug Eile finden, ihm zu folgen und den Ruhm des Ritters Georg mit dem der Winkelriede rasch zu vertauschen. Sie hatten nicht, die Courage, auch während der Ermüdungsbaisse bei der Sache zu bleiben, was ja jederzeit möglich ist, auch wenn man die Träger der Sache verschieden beurteilt und wenn man die Gefahren klar übersieht, sondern sie machten sich nach neuen Entdeckungen aus und blamierten sich bis über die Ohren.

Sie ahnten allesamt nicht die tief gebundenen Zusammenhänge zwischen Nation und Kunst und dachten nicht daran, daß die Zeit Heroen oder Bastarde auswirft, je nachdem ihr zumute ist und je nachdem sie sich erfüllt oder vernichtet. Sie dachten vielmehr, sie seien der Mittelpunkt der Schöpfung und man gehe auf Kunstfang wie wenn man Trüffeln suche. Ach, die Suche nach diesen zarten Gewächsen ist jeweils eine besondere Begabung der gerüsselten Tiere gewesen und, wenn die Entdeckungsfahrten mißlangen, so waren die Funde nicht echt oder die Sucher hatten sich in die Kategorie der Riecher mit Fälsche eingereiht. Da der Teufel, wenn er Heilige fangen will, Heilige an den Angelhaken tut, war es ihren bestürzten Gesichtern gern zu verzeihen, daß, als sie Giganten zu fangen wähnten, die die Zukunft mit klassischem Nazarenismus erfüllen sollten, sie nur gerupfte Spatzen apportierten.

Sie trafen sich mit den Rutenträgern einer anderen menschlich würdigen Genossenschaft. Die jungen und älteren Leute, die bei der vergangenen zehnjährigen Revolte der Kunst keine Karriere gemacht hatten, die selbst die von allem anderen abziehende Möglichkeit des Krieges nicht auf sich zu lenken in der Lage waren, die von allen guten jüdischen Familien verlassenen Leute glaubten fälschlich den Tag ihrer Inthronisierung nun gekommen.

Die sogenannten „Stillen im Lande“, denen ihre Unfähigkeit so schonend etikettiert war, rissen die Binden ab und begaben sich in die Schlacht. Einäugige der Kunst, sogar Lepröse, aber auch talargeschmückte Mumien nahten aus ihren Särgen. Die Armen machten den gleichen Fehler wie die politischen Reaktionäre, die an ihre taprigen Methoden und nicht an ihre Weltanschauung glauben. Kommt eine ruhige Epoche, kommt sie nicht mit einem ausgestopften Eichendorff, aber auch sicher nicht mit Paul Ernst in Brille, Trikot und Löwenfell, den Zweihänder in der zittrigen Hand. Was nicht bewegt war, wird nicht ruhig werden. Die verblaßten Statuen von vor dem Sturm werden trotz ihrer klassischen Nasen in die Büsche geworfen, denn auch im Konservativen hat die Natur soviel feuriges Schöpfertum, um einem klaren und alten Inhalt neue Formen aufzuziehen.

Diese Elegiker ihres Verkanntseins trafen auf eine noch viel peinlichere Gesellschaft, als sie, auf Indianer angemalt, Herrn „Wachse, werde, weile“ balbulierend und vor seiner eigenen Langeweile schon asthmatisch an der Spitze (o glücklicher Entenjäger Smith!) in einen harmlosen Sonntag hineinliefen. Alle Unproduktiven, die zeitig zur Kritik übergelaufen waren und, um die Mode nicht zu verfehlen, als Zwinglis und Dietrichs der neuen Sache gestritten, entdeckten plötzlich den Neid auf ihre erfolgreichen Kameraden und begannen in dem Augenblick zu lachen, wo der Pendel der Zeit die zwölfte Stunde zu schlagen schien. Man kann, wie ein gewisser Sinzheimer in München, miserable Romane geschrieben und mit unfähigster Hand ein Theater zur Pleite dirigiert haben, aber man wird in Deutschland erst dann die schöne Masse Ressentiments gesammelt haben, um aus dem Neid auf die Erfolgreichen einen Kritiker von „Format“ vorstellen zu können.

Diese Armen fühlen sogar in ihrer Unangreifbarkeit gar nicht, daß sie sehr arm sind und daß sie in ihrer Heldenmaskerade sich in eine Hundehütte zurückzogen. Man kann die Menschen nicht ändern; es sei verstattet, daß sie einem leid tun. Man wird mit fünfzig Jahren ein Album der Zeitgenossen anlegen, die „verehrter Meister“ einem schrieben und, wenn man sie nicht genügend (oder zu sehr) beachtete, mit Gummiknütteln bei schicklicher Gelegenheit einem in den Rücken fielen — und nicht veröffentlichen. Es wird nichts mehr von ihnen da sein. Was die Gerüchte und das Geraun und den Betriebskurs macht, sind immer die Schmuser. In der Historie wird das weicher Leim.

Gestärkt wird eine solche Legion durch die beruflichen Totengräber, deren schandbarer Beruf sie verpflichtet, stets graubärtig zu sein. Durch sie kam die gesprenkelte Mischung in die neue Partei, die so groß ward, daß sie für jede Ansicht Raum hatte. Es waren dies die Alten, die „es schon immer gesagt hatten“, die ohne Prüfung, Befähigung und Vermögen, weil sie ihnen nicht paßte, die ganze Richtung abgelehnt, zehn Jahre lang gegen Noldes Negerköpfe gezetert hatten und nun recht behielten, als die Panegyriker der neuen Bewegung plötzlich mit Pharisäerblicken ihnen in die Arme sanken. Denn schließlich ist Kunst heute für die Tausende, die nicht schaffend um sie schmarotzen, ein Witz oder ein Geschäft, nicht mehr. Ein Schachspiel, mit dessen Figuren man sich mit elegant angespannten Nerven beschäftigt, bis es gongt, um sich zu Musik, Lunch oder Frauen zu begeben. Dann streicht man mit breitem Arm die vollendeten Figuren vom Tisch herab.

Man hat mich stets für einen Experten des Stils als solchen gehalten, aber ich habe, als die „erstklassischen Schreiber“, die nie den Blick über den Horizont behalten, sich in Kornfeld und Franz Marc und Hartung wälzten, mich gegen den Stil und für den persönlichen Ausdruck erklärt und mir, als ich ganz an den Anfängen (und wahrlich unbefangen an Kunst herankommend) die lächerliche und impotent machende Gefahr der Typisierung aufdeckte, die Meute von links zu der von rechts zugezogen.

Als aber Herr Stahl vom „Tageblatt“ vor einem Jahr las, daß ich dasselbe wie vor Jahren äußerte, glaubte er, meine Desertion feststellen zu müssen. Der bärtige Herr irrt. Ich hatte vor nichts zu desertieren, da ich auf nichts derartig Kindisches festgelegt war, und ich wahrte nur meinen Standpunkt energischer, indem ich ihn von dem der Kindsköpfe schied. Man klärt eine Sache besser, indem man sie gutwillig trennt, als indem man sie böswillig und fälschend und voll Unfehlbarkeit von außen her verwirrt.

Dies ist ein Zipfel gelüftet hinter dem, was „Ende des Expressionismus“ schreit. Dies ist (nebenbei) deutsche Literaturgeschichte.

Doch man vergaß die kleinhirnigen Würger, die, seit die Deutschen sich nach ihrer ersten Revolte zur Politik befähigt hielten, mit der Kriegsflagge unterm Arm und in festgeknöpftem Gehrock in die Kunst eindrangen. Die Politik ward selten mit solchem Eifer der Amateure und gleicher Unbegabtheit ihrer Hyänen über die Grenzen ihres Territoriums getragen. Man wird ihnen die Ehre antun, die diesen Geschöpfen gebührt, und an ihnen vorübergehen. Die Ehre, mit der sie prunken, wird ihnen sauer im Mund werden mit der Zeit und wird eines Tags wie ein fauler Zahn ihnen herausfallen. Es ist nicht unsere Ehre und nicht die eines Gentleman, die wir anerkennen und die schon Cicero in seinem Buch über die Pflichten in dem Manne schildert: der innere Manieren hat, zwischen weibisch und roh die rechte Haltung besitzt, schamhaft und kühn ist und in dessen Geschlecht es Sitte ist, daß Vater und Sohn zwar nicht miteinander baden, aber miteinander zu sterben wissen.

An dem taktischen Aufmarschplan der Parteien ist nicht viel mehr zu schildern. Es ist eine amüsante und durchaus menschliche Brüderschaft, die anrückt. Schon die Vorposten sind verdächtig laut, aber erst der Anblick der Generäle macht die Angelegenheit hübsch suspekt. So sind alle Kriege geführt worden: damit mag man sich trösten.

Im Grunde ist das ganze Spektakel ein Spiel auf der Vorderbühne, und es wird gehörig gemogelt. Die ganze „Krise der Kunst“ ist: die Sache ist langweilig geworden. Auch der Weltkrieg, der doch Bezwingenderes an Sensation zu bitten hatte, zog am Ende nicht mehr. Man kann es den Leuten nicht verübeln. Es gibt, auf die Dauer, heute nach einem unerhörten Krieg unterhaltsamere Sachen als die Kunst und Rebusse, was ihre verzwickten Formen bedeuten. Es gibt Reisen und Autos wieder und Dollarhaussen und mit dem Flugzeug über die sturmdonnernde Ostsee, man hat im März Meran, im Herbst ist Iffezheim wieder im Start, und es ist nicht weit vom Gardasee. Die Länder schnaufen vor Arbeitsamkeit, und Speisen in vollendeter Fülle werden angefahren. Die Erde wird wieder voll. Ach, wer mit Kunst heute auch nur eine Viertelstunde die Aufmerksamkeit der Welt anzuhalten wagte! Ein Narr oder ein Verbrecher!

Hat dies ganze Getriebe überhaupt mit Kunst zu tun? Es ist ein Fressen für Shaw und wäre ein Braten gewesen für Swift. Mit Kunst? Nicht die Spur.

Als die Überraschungserbsen nicht mehr knallten, war das „Junge Deutschland“, war die französische Romantik, war der Impressionismus rasch „tot“. Man hatte das Frühstück verdaut und wandte sich dem Diner zu. Die Zeitspatzen haben immer geurteilt, eine Sache sei nichts, weil sie genug davon hatten. Und die provinziellen Schreiber, die einen Stil zehn Jahre erbittert bekämpft hatten, waren alle einmal in der grotesken Situation, ihn nicht mehr bekämpfen zu müssen, „da er sich überlebt habe“. Sie gingen von der Wut zum Mitleid, ohne Übergang, wie alle Heuchler.

Die Stimmungen lösen sich ab, wir sind ein wenig in der Baisse: Das ist alles. Wer wagt, zu sagen, daß die Generationen vor uns besser waren als wir? Die Zeit ist die einzige grausame Richterin, sie geht rundherum und beklopft. Daß ein Stil, eine Gemeinsamkeit tot sei, das zu sagen, ist so dumm wie falsch, weil es die einzelnen Kräfte mit einem Typ erschlagen will. Daß ein ins Absurde getriebenes Ornament scheußlich, eine gewisse Manier der Regie erschlaffend, eine stets wiederkehrende Verzerrung der Statuen erbärmlich ist, beweist nicht, daß ein Romanwerk gewaltig, ein Torso erschütternd, ein Gemälde voll schönem Liebreiz in späteren Generationen empfunden wird.

Als die Damen der Bourgeoisie mit Sonnenschirmen auf Ingres’ Bilder rannten, taten sie das gleiche feige Unrecht wie da, als sie, von seiner Süße gelangweilt, die Achseln zuckten und zu des Van Gogh Briefen sich verzückten. Die Waffen der Zeit, des Schlagworts, der Mode (im Lob und im Verwerfen) gehen wie Laub. Letzten Endes ist nichts von dem Vielerörterten mehr da. Man kann das Album der Vielzuvielen, der Schmöcke, der Feiglinge, der auf Hecht kachierten Schleie im Literaturgewässer nach fünfzig Jahren nicht mehr veröffentlichen. Die gute Sache ist immer lautlos. Und die umstrittene Fassade fällt von selbst; sie war nie wichtig.

Hat es Bang, hat es dem unvergleichlichen Eduard Keyserling geschadet, daß der Impressionismus ihrer Zeit mit Klöppel und Stickrahmen und mit Schraffiertechnik im Gähnen versank? Hat nicht der spitzbäuchige Victor Hugo hinter Goethe als größter Dichter seines Jahrhunderts geglänzt, trotzdem ganz Frankreich über die romantizistischen Späße bald lachte und selbst Musset nach ein paar Jahren schon als ironischer Lächler ins andere Lager ging? Hat Manet, der wahrlich ein Programm formulierte, hat Zola, der wie kaum ein anderer ein System nach Knopf und Ring führte, darunter gelitten, daß eine Schule um sie war, die Bankerott machte vor der Sensationslust der Masse wie jede gute Sache? Hat Matisse Schaden gelitten, daß man seine Techniken verhöhnte? Flaubert sprach man die Lebenskraft samt der realistischen Schule ab, Büchner und Grabbe warfen sie, als sie genug Revolte hatten, ins Eisen.

Es gibt keinen leichtfertigeren Ausdruck als „überlebt“, keine gemeinere Verwechslung als die von Geschmack und Werk. Auch die Zeitgenossen des Velasquez fanden eines Tages diese Steife zum Kotzen, und von Botticellis Schule tropfte es gähnende Bitternis. Der menschlichen Natur entzieht sich gemeinhin der feurige Mittelpunkt einer Bewegung. Und da die Menschen blind sind, glauben sie den äußeren Anzeichen, daß die Haupttiere dieser Bewegung nach Art der Echinodermen wie die See-Igel durch Kalkabsonderung sich nach außen versteinten.

Wie leben aber, selbst den Einäugigen zum Trotz, noch die Hauptlebendigen jener anderen Schulen, die diese selben Schreier schon vor der expressionistischen Bewegung dreimal ans Kreuz geschlagen, siebenmal verlacht und zehnmal vergessen zu haben vorgaben!

Sie haben bei dem Namen Hofmannsthal heute schon vergessen, daß er seinerzeit ein sehr öliges Programm von misanthroper Schnauzbärtigkeit vorstellte und haben bei Liebermanns Namen heute nur Mühe, sich zu besinnen, daß auch das einmal eine wüste Schule war.

Die Persönlichkeiten tauchen aus dem Bad der Bewegungen heraus mit der Kraft der ewig steigenden Fontänen, aber die Bewegungen der Kunst sind deshalb nicht ohne Sinn. Denn die Schulen sammeln und organisieren die Kräfte und versuchen das Weltbild in der ganzen Breite zu spiegeln, sie greifen an und erzeugen den Gegenangriff und damit auch eine Tat.

Seit die Romantik den letzten wehmütigen Gruß nach dem Mittelalter sandte und hinter ihr statt der Saurier schon die Armeen der Maschinen anfuhren, haben zwei Schulen sich um diesen Übergang gruppiert: Den Ruhm, während die Elektrizitäten den Erdball einkreisten und umtobten, mit einem wundervollen Glanz die alten Überlieferungen restlos aufgelöst zu haben, hat Renoir und seine impressionistische Schule mit unsterblicher Leuchtkraft sich erobert. Dagegen hat die Kongregation um den heiligen Stefan George den Ehrgeiz offenbart, sich um die neu heraufkommende Zeit nicht gekümmert zu haben.

Das Spiegelbild ihr zu schaffen, haben die Expressionisten dann als dritte Schule erst vermocht. Die Zeitgenossen aber steigern nur nach modern, moderner und dem Superlativ dieses Affenwortes, und während sie den letzten Gipfel schon schmähen, haben sie die Zusammenhänge schon vergessen und grüßen die ersten wieder als gute Bekannte. Sie begrüßen immer wieder aus der durch George aus dem Frankreich Baudelaires, Mallarmés und Hérédias eingeführten symbolistischen Schule Herrn Hofmannsthals opalisierende Prosa, Herrn Stucken, der Mexikos Untergang in Gobelinmustern bannte, Herrn Gundolf, der als Geschichtsschreiber des Schreibtums unter Anrufung des heiligen Namens seines Meisters auf dem eitlen Periodenbau seiner Sätze seiltanzt, den Baron Taube mit dem wehmütigen Lächeln über den Untergang seiner aristokratischen Rassegefühle und Stefan Zweig, der Erstaunliches an Haltung in seinen Geschichten und Nachschilderungen gab.

Sie goutieren gerne heute noch ebenso aus der Gefolgschaft des Zerstücklers Renoir und Monet und Manet den Liebermann, Corinth und Slevogt, den Bang und Jakobsen und Keyserling und Pontoppidan. Ja, in Deutschland, das keine Gesellschaft und daher keine „public characters“ besitzt, ist der Ruhm des aus der greulichen deutschen Naturalistenzunft kommenden Hauptmann sogar größer als irgendeines anderen modernen Meisters, ist bei dem Mangel offizieller Berühmtheiten Liebermann bekannter als Kokoschka, ist Georg Kaiser minder einflußreich als irgendein Verneuil mit seinen Possen, ist Kellermann berühmter als Döblin, hat Hofmannsthal eine weitere Wirkung wie Schickele und ist Sudermann viel zelebrer als Sternheim.

Es scheint infolgedessen vielleicht fast so, als hätten die Schulen sich vermischt, aber das ist eine leidige Täuschung, man lebt nur nebeneinander und nicht sukzessiv. Selbst für die Kritiker in hundert Jahren wird es nicht ohne Mühe sein, anerkennen zu sollen, daß in dreißig Jahren drei große Schulen hintereinander tobten. Sie werden die personellen Preise wohl nach ihren Fähigkeiten zu urteilen und ihren Liebhabereien austeilen, aber sie werden in der Betrachtung der Schulen einiges nicht übersehen können.

Sie werden nicht vermeiden können, mit leichten Witzen zu konstatieren, wie die Älteren sich von den Neuen befruchteten, wie die Überlebenden der früheren Schulen an den Kelchen der neuen Jünger nicht vorübergingen, und wie der Schwung manches „Bardala“ nicht aus dem Mund geflogen wäre, hätte der Barde nicht aufmerksam auf die „Internationale“ gelauscht. Sie werden dickbäuchige Schelme erwischen, die mit Jakobinermützen ausgingen, ihr symbolistisches und etwas ranzig gewordenes Erkennungswort „erlaucht“ mit dem Worte „rasend“ umzutauschen. Sie werden über manchen Wicht sich die Kränke lachen, der sogar die fehlenden Artikel zu stehlen ins expressionistische Lager geschlichen war und nicht bemerkte, daß er keine Fahne, sondern nur eine Unartigkeit des Dichters Sternheim klaute.

Sie werden junge Helden und ergraute Männer beobachten, wie sie mit ihren schönen weichen Waden von Wassermann bis zu den Bauernromanschreibern in das Stahlbad der neuen Techniken hineinwateten und, neu beflügelt, mit strammen Muskeln das neue Tempo in ihre Bücher hineinschießen ließen. Sie machten es mit demselben ehrgeizigen Trick wie die Chinesen, die Europas Erfindungen in ihren Lehrbüchern für China einige Jahrhunderte vordatieren, und erscheinen nach der Verjüngungskur wie seit Ewigkeit überexpressionistisch gesettled: „Haben wir auch schon gekonnt.“ Diese Diebe!

Die Kritiker in hundert Jahren, die in ihrem Beruf nichts zu lachen haben, werden jedoch nicht vergessen zu sagen, daß die Impressionisten im wesentlichen teils schön wie Renoir, teils tollwütig wie van Gogh den achtzehnhundertfünfzig Jahren vorher das Grab schaufelten und daß die Georgianer, als die Autos mit Fabriken und elektrischen Hochspannungen in ihren „symbolistischen Armen“ erschienen, schmollend wie Kinder im Herzen, aber mit allen schlechten Parfüms einer greulichen Würde gesalbt, erklärten: diese Zeit sei ein Irrtum, zum mindesten sei sie nicht wichtig, unter allen Umständen aber verwerflich.

Die Kritiker, die es vielleicht gerne tun, werden dann abschließend bemerken, daß die expressionistische Schule weiß Gott zum ersten Male wieder ihr verfluchtes Zeitalter mit Ja und Nein, aber verdammt entschlossen, mit eiserner Konsequenz gespiegelt hat.

Es gibt drei Arten, seiner Heimat zu dienen. Erstens, indem man sie lobt, um andere zu verkleinern. Das ist armselig und Gott nicht wohlgefällig. Zweitens, indem man sie tadelt, um sie anzufeuern. Das ist mühselig und undankbar, aber eine prächtige Aufgabe. Drittens, indem man sie aus ihrem engen Gesichtskreis hinaushebt und, statt in ihrem nationalen Hader ersaufen, an der Brust der Welt zusammen mit den anderen Völkern trinken läßt. Das ist ein utopischer, aber der einzig praktische Gesichtspunkt. Man wird ihn erst einsehen, wenn Europa sich so die Rippen aufgerissen hat, daß erst der Sterbenden die Vision davon klar wird.

Die Nationalisten Europas benehmen sich wie die Kritiker, die Shakespeare vorwarfen, daß seine Römer mit Hüten gingen, seine Schiffe in Böhmen strandeten und seine Helden zu trojanischer Zeit den Aristoteles zitierten. Sie sahen auf die Lächerlichkeiten und bemerkten nicht den Bau des Leibes und die Schönheit ihrer Glieder und übersahen, daß sie, wie Jupiter das Kind der Semele in seinem Schenkel eingenäht barg, den Genius für die Welt in sich trage. In wessen Muskelsträhne aber glüht das noch verborgene Herz, um heimlich zu reifen, und mit der Führerschaft eines Gottes den Völkern einen Weg zu weisen, der sie aus ihren Trivialitäten in ein helleres Freiheitsleben führe?

Die Expressionisten haben immerhin dahinaus zu gedeutet und die Richtung einer ganzen Generation angegeben, während die Georgianer in ihren Höhlen mit anmutig gepuderten Fingern ihre Silben zählten. Sie haben sich mit ihrem Jahrhundert und seiner Sehnsucht gereckt, da ihnen nun einmal schon nicht beschieden war, ihre Nation in die Höhe zu führen. Sie haben daher ihre Epoche mit allen Furiosos geballt und sich ihr wieder entgegengestellt, indem sie die Sehnsucht nach der Größe und nach Europa mit hineinnahmen. Bliebe nichts, wäre das allein ein nicht entreißbarer Gewinn. Denn ohne Hingabe und ohne Ziel wird nichts. Zu Möllenbeck an der Elbe nur steht eine Holzfigur, die anzeigt, daß eine Frau ihrem gräflichen Gatten in seiner Abwesenheit neun Kinder geboren.

O deutsche Tartüfferie, an die Wunder zu glauben, die niemals kommen und die den blauäugigen Treuen noch nie erschienen sind. O deutsche Schwermut, die am falschen Orte jeweils traurig verneint und zu früh verurteilt und die ablehnt, was ihren Sinn voll Helligkeit und ihr Gesicht mit Größe gerne schmücken möchte. O deutsches Schicksal, das glaubt, auch geknebelt und geschunden noch die anderen Völker besiegen zu müssen, statt als Vorbild neuer Tugend ihnen hilfreich entgegenzukommen, auch wenn die anderen vor Mißtrauen heulen. Europa wird durch gegenseitige Zuneigung sein oder es wird nicht sein.

Der Rittmeister de Boussanelle erzählt in seinen „Observations militaires“ von seinem zahnlosen Gaul, dem im Siebenjährigen Krieg die anderen Pferde das Fressen vorkauten. Die Pferde Europas haben alle zur Hälfte die Gebisse verloren und sind eines ohne das andere kaputt. Sie sind eines ohne das andere verloren, wenn sie sich nicht helfen, statt sich die Schädel einzuschlagen, und sie sind taub wie alte Türken, wenn sie aus dem Furor ihrer neuesten Schule nicht die Marseillaise einer großen Sehnsucht hören, die ihnen den Weg weist.

Dieser Marsch ist kein blaßsüchtiges Friedensgewinsel und nicht auf der schlechten Assiette der verschrobenen Träumer geblasen, sondern ist der hellste Claironklang nach allgemeiner Übereinkunft, eine Kriegsmusik der Notwendigkeit, ein Orchester der funkelnden Vernunft. Und als Dirigent eine Freiheitsgöttin mit starker Anmut und herrlichem Verstand.

Was bleibt jenseits all dieses Geschreis?

Eine Generation. Und dann? Das Ende.

Sterben?

Das tun wir alle. Aber nicht im Sinn jener Heuchler, die jeden Tod vorzeitig ausschreien, um sich wenigstens einmal, wenn auch als Maden, günstig zu präsentieren, sondern im Zeichen jener Jünglinge Kleobis und Biton, denen ihre Mutter von Here das größte Glück erbat, und welche die Göttin darauf, weil sie demütig und kühn ihr menschliches Werk vollbracht hatten, als größte Ehrung neben dem Genius mit der gelöschten Fackel in die bessere Heimat rief.

In der Tat, Mijnheer, Siebenzehnhundertsiebenzig hat James Watt den Begriff der Pferdestärken aufgestellt. Das folgende Jahrhundert hat mit den Maschinen die Welt umgepflügt. Fünfundzwanzighundert Jahre vor dem größten Krieg Europas hat die Geschichte dieser beiden Jünglinge Solon dem lydischen Krösus erzählt. Aber die Menschen haben noch nicht gelernt, zur Zeit und mit der richtigen Haltung zu sterben, geschweige denn zu leben. Sie umtanzen Europa im Kriegskleid mit Skalps und Kampfgeschrei wie die Indianer ihre am Marterpfahl aufgehängten Opfer und lieben in ihr die Beute statt die Göttin.

Ach selbst die Aasgeier werden komisch, wenn sie verliebt sind und den Foxtrott der Eitelkeit vor ihren Weibchen tanzen, die Ibisse machen wilde Verbeugungen und die Pelikane kreischen lärmend und wackelnd auf einem Bein im Kreis herum. Der beste Cavaliere servente der Menschheit ist immer die Dummheit gewesen. Man kann sich vor dem Schlafengehen damit trösten, daß sie, wenn sie nicht verbrecherisch wird, von teuflischer Komik sein kann. Man kann sich damit trösten, wenn man genug Humor hat.

Die achte Nacht

Die achte Nacht, Mijnheer. Der Mond hat sich hochgebracht, es wird eine kurze Nacht sein. Das Zastler Loch leuchtet silbern mit seinen Lawinen. Das Herzogenhorn biegt sich wie ein Skalpell in die metallne Nachtluft. Der Mond hat den ganzen weiten Kessel nach der Grafenmatte voll Licht gefacht. Es riecht nach Frühling, Mijnheer, das Leuchten schwimmt gleich Wolken immer dichter über die Fichten des Zeicher-Bergs. Die Sturmböen sind zerbrochen. Man wird die Sonne bald steigen sehen über den Krähenscharen. Der Schnee kommt morgen zum Stehen. Das Tief fließt nach Süden und überschwemmt den Po, überflutet Sizilien. Das Hoch kommt zu uns von Norden voll Fahrt mit blau gebogenem Segel.

Die Wächte zittern schon violett gespenstisch unter dem Umsturz der Atmosphäre. Das Filigran der plötzlich entschleierten Buchen, die Palmwedel der Edeltannen, die zarten Kronen der Weiden deuten den Telegraphenstangen nach, die mit weißen Feuerkränzen umspielt nach der Ebene laufen. Schon wittern die Tiere, daß in der Luft etwas zerbrach, die Pferde stampfen unruhig mit glänzendem Fell, haferprall und nervös vor Kraft, die Kühe brüllen die ganze Nacht, obwohl die Ställe noch unter den Riesenflügeln der Schneewehen schlafen. Der Schneepflug wird durch den Wald in das Tal hinunterstampfen, die Schlitten werden folgen, bis der Frühling sich ihnen entgegenbäumt.

Am achten Tag, Mijnheer, schuf Gott die Wiederholung, er repetierte seine Lektion der Schöpfung, und die Erde lief zum zweiten Male durch seine Hand. Da sie seine Idee trug, war gesorgt, daß sie in jeder Spule neu blieb. Was tot hinfiel, blieb tot und diente dem Neuen. Was sich halten konnte, blieb am Leben, es war für Langeweile kein Platz. Die Tiere schufen sich neue Gewohnheiten in den wechselnden Klimen, starben mit der Eiszeit, wuchsen heroisch in das tropische Zeitalter, bequemten sich in die kleinliche Mittagszeit der Erde, und veränderten nicht ihre Natur und die Tradition ihrer zoologischen Klasse.

Träumte ein Tiger, war es von Antilopen, träumte ein Schwein, war es von Trebern. Ach, nur die Haustiere der deutschen Literatur haben es fertig gebracht, einen erhabenen Traum zu träumen, denn sie träumen von Gottfried Keller, obwohl der Betreffende schon lange im Schweizerischen verstorben ist. Sie träumen nicht wie die interessanteren Rassen ihrer Zeittiere von barocken Jagdrevieren und mörderisch schönen mittelalterlichen Bissen, sie träumen nicht den Traum, den alle guten deutschen Raubtiere immer träumten, die Haustiere der deutschen Literatur schlingen den „Grünen Heinrich“ immer wieder durch die Zähne und halten es für verdienstvoll, daß sie einen besonders deutschen Traum damit träumen.

Sie sind hochmütig wie alle ungefährdeten Geschöpfe, weil sie einen besonders deutschen Traum zwischen den Zähnen haben, und halten sich für überlegene Geschöpfe, weil an ihren großen Stall die Raubtiere nicht herankönnen. Sie wissen nichts von der Welt, sie ahnen nichts von der Geschichte, sie zittern nicht vorm Umbruch der Historie, sie sind von ihrer Tiefe und Mission so heftig überzeugt, daß sie nicht merken, wie sie den oftmals wiedergekäuten Klee fast schon wie Häcksel kauen. Sie ehren lediglich von früh bis spät ihren Meister, sie haben ihn überall bei sich, auf der Zunge, im Magen, im Bett und im Gemuh. Sie ehren ihn so grenzenlos wie die Japaner ihre Toten.

Aber sie wissen nicht, daß sie einen Gestorbenen anbeten, einen erledigten Traum träumen und einen verdorbenen Klee wiederkäuen. Ach, es gibt keinen abscheulicheren Geruch als den von verdorbenen Blumen und versauerten Idealen.

Ach, nun wurde gemuht und gebrüllt und getrampelt und mit dem friedlichen und sanften Samstag-Abendglockengeläute eine Diktatur nicht der Macht, wohl aber ein Terror der Gefühle erregt, der bald alle Hausbesitzer mit ergriff, die sich nicht bedroht fühlten durch diesen Aufstand der Haustiere, da er in temperiertem Sinn und mit bürgerlicher Empörung entstand. Die Hausbesitzer fürchteten nicht diese Tyrtäen des Gemuhes und zitterten mit vor Vergnügen, wenn die Tiere, die Gefühlstiefen ihres Meisters wiederkäuend, grollend gegen alle neuen Melodien knirschten. Es gibt ein Savoir vivre nämlich der Haustiere, das bestimmte, der deutsche Roman habe breit und klein ausgemalt zu sein, habe langsam und voll Gemüt sich zu entfalten, bedürfe der Schnelligkeit nicht als einer Erfindung des Teufels und kreise am besten um die guten Bürgerstuben und nahe dem Schicksal nur mit dem Grausen der Religion.

Ach, wie war man erbittert und wie schwoll das nächtliche Wiederkäuen vor Erregung, als bald jene, bald diese von anderen Dingen träumten draußen und der Schall davon hereinkam, wie konnte Heinrich Mann besser sein als Ricarda Huch, wie konnte ein gewisser — Schickele? — wagen, mit Berufung auf Gottfried von Straßburg zu zeigen, ein deutscher Roman sei kühn und schlank. Ein Bursche, frech wie Dreck, gewisser Sternheim, bemühte sich, die Ideale der Ställe durch seinen rassenfremden Kakao zu ziehen. Die würtembergischen Haustiere bekamen Kolik fast an ihrem Grünen Heinrich und die bayrischen, an ihren besonders robusten Diphthongen kenntlich, obwohl sie schwarz-weiß gefleckt waren, bekamen rote Adern in die großen Opalaugen, da sich eine festere Opposition für ihren erhabenen Traum nicht schickte. Sie wußten nicht, daß die gesellschaftlichen Revolutionäre, die sie in den Expressionisten witterten, gar nicht ein feudaler Klub zu ihrer Abwürgung waren, sondern daß diese neuen Tierrassen sich untereinander kaum kannten, sich nicht schätzten oder haßten, und daß die Natur nur eine Notwendigkeit vollzog, indem sie soviel verschiedenartige Kreaturen zwang, in einer Richtung ihre Fährte und in einer besonderen gleichen Elastizität ihre Schwungkraft zu nehmen.

Die Expressionisten träumten lediglich die Träume, die alle Tiger und alle Stiere geträumt hatten, nämlich das Kühne und das zweckmäßig ihrer Natur Entsprechendste zu erreichen. Sie träumten denselben Traum wie ihn von Caesar bis Stendhal alle jene Menschen auch träumten, deren Typus sich in der Entwicklung ihrer Freiheit so sehr den erlesenen Tierrassen angenähert hat, daß jedes dieser Menschengesichter einem Tiergesicht gleicht. Sie bewegten sich mit ihrem temperamentvollen Traum so heftig in den der Haustiere hinein, daß über ihren Spektakel eine der badischen Kühe sicher an ihrem Keller erstickt wäre, wenn er nicht ein Traum, sondern ein reales Futter gewesen wäre.

Aber sie hielten in ihren Ställen, obwohl die ganze Tierwelt lachte, daran fest, daß die schlanken und feurigen Vorstellungen des Teufels Exzesse, aber die Orgien der Langeweile des Himmels schöne Segnungen seien. Sie hielten wiederkäuend daran fest und es roch nicht gut nach verblichenen Idealen, wenn sie das bedachten.

Am achten Tag der deutschen Literatur erschienen tatsächlich immer wieder deutsche Dichter in den alten Kostümen mit dem Vermerk, sie gäben auf ihr Leben nichts, auf ihren Anzug alles. Die prächtigsten Leute standen da und hielten wie einen Konfirmationskranz ihren Traum fest in der Hand. Vor so viel Hartnäckigkeit erbleichten selbst die Theosophen und verwandten in Herrn Steffen dieses Zurückerinnern an eine Vergangenheit für ihre Zwecke und schlangen in der gleichen Aufmachung ihre Erinnerungen an siebenundachtzig vorhergelebte Leben durch den Jahrhundertschlauch geschlossenen Auges, tränenden Mundes in die Brust.

Am Rhein lediglich, neben den Dampfern und kleinen Segelbooten zwischen Emmerich und Koblenz, gab es einen frischen Schuß Rebensaft und niederdeutsche Herbe dazu und wurde überzeugend bei dem wundervollen Schmidtbonn, rührend manchmal bei Eulenbergs pokulierender Schwärmerei. Hesse gab dazu den Anstand künstlerischer Gesinnung und brachte es über die innige Klarheit von Kindererinnerungen schon an das Russische heran. In Wilhelm Schäfer bog sich’s vor männlicher Kraft und böser Unzufriedenheit über den mangelnden Applaus der Zeit. Der großbürgerliche Hans Sachs entstand in Thomas Mann, der in bieneneifriger Putzarbeit alle Ideale einer schon verblaßten Zeit noch einmal sammelte in einer Sprache von wahrhaft dekadenter Würde.

Paul Ernst und Wilhelm von Scholz schossen einige Spritzer Renaissance hinein, und es war anmutig zu erblicken, wie scheinbar blutüberströmt der Traum nun in Paul Ernsts Borghese-Kiefern hing, und als er ihn herausgab, war’s wieder nur gekauter Klee. Wilhelm von Scholz umgab seinen Kopf mit Weihrauch, die mystischen Epochen schienen auf den Bergen zu glühen, allein den Traum umwölkte nur ein Kohlenbecken, es war so sehr Winter in den Ställen geworden, daß man sogar den Traum zu heizen begann.

Im Augenblick, wo der Expressionistentod von allen Interessierten ausgetubat ward, wollte man auf diese Hüter des klassischen Troges zurückgreifen, aber das Malheur war auch dem Blinden deutlich und man fing eine Razzia an nach neuen Träumern. Ach, es hatte niemand gekalbt und man war in Verlegenheit, weil schon ein langweiliger Jüngling vorausgeschickt und in die Toga gesprungen war und für die lammfromm gewordenen Simplizissimusleute eine Literaturgeschichte „auf klassisch“ geschrieben hatte. Die Fallen waren aufgestellt, die Mäuse fehlten.

Zum Glück beendete Albrecht Schäffer seine Kriegsgedichte homerischer Form und gab ein paar Bücher Prosa, man hatte den Papst. Die Parfüms stimmten zur weichlichen Haltung. Das Buch „Montfort“ erlaubte sogar die romantische Abschweifung zu E. T. A. Hoffmann, die Linie von Keller über Baudelaire und die Romantik zum überklassischen Keller ward in die Stallwand eingeritzt.

Als der Jüngling zum Turnier erschien, hielt er Flacons in der Hand, hatte keine dramatische Lanze, sondern den lyrischen Tonfall der Kastraten, ein Mischling zwischen Dorian Grey und Pierrot erschien auf einem Pferd, dessen Mähne gemalt, dessen Schweif eingesetzt war, dessen Trab eine graue Demaskierung der Langeweile wurde und dessen Reiter, als ihm der Küraß abfiel, mit seidenem Pyjama bekleidet nach seinem Bademeister schrie. Ach, der Papst war verloren, die Schlacht vorbei, der Überwinder nur ein fesches Gerippe. Es wurde stiller in den Ställen, obwohl das Kauen nicht nachließ, man wartete auf bessere Zeiten, nur Paul Ernst, der plötzlich blau und weiß gefleckt war, zerriß die Kette, sprang brüllend hinaus und gab mit Getöse vor, ein Stier zu sein, während es offensichtlich war, daß davon nicht die Rede sein konnte.

Es zeigte sich immer mehr, daß der Traum härter war als Eisen, stärker als die Lächerlichkeit und mit jener Tarnkappe versehen, die nicht zu dekouvrieren ist. Er scheint wie der ewige Jude ein ewiges Alter erreichen zu wollen und nicht aussterben zu können wie der Gyrodactylus elegans, der an den Kiefern der Karpfen schmarotzt, ein Junges im Bauch hat, das bei der Geburt sofort ebenfalls gebiert usw. Gäbe es nicht eine geheimnisvolle Gegenwirkung, müßte die Welt bald lediglich aus Gyrodactylen und Kellerträumen bestehen. Sie würden sich in die Erde teilen, wahrscheinlich mit Erfolg und ohne Endkampf. In San Antonio in Texas ist ja bereits eine Ehe zwischen Katze und Klapperschlange beobachtet worden.

Südlicher an der Donau war man homöopathischer in der Ernährung und schob zwischen den Klee noch Psychologie, Rokoko und Geschnaas in den Rachen. Es wurde ein graziöser und wahrlich österreichischer Traum. Es ward ein Traum aus dem Wiener dritten Bezirk und aus dem Cottage, man trabte mit ihm durch den Prater, man lehrte ihn lachen, sogar das Gemuh ward ein zartes Gewieher, man stand nicht bös und wiederkäuend in den Ställen, da hingen in den Spiegelsälen Erzherzoginnen, die Bilder der Maria Theresia, des männertollen Prinzen Eugen, der langnasigen Habsburger.

Da spiegelte sich plötzlich bei Schnitzler, Hofmannsthal, Beer-Hofmann das Land, der Staat, die Gesellschaft, die gerade in ihrem besten Charme zwischen den Maschinen erwachte, als es schon aus war. Wassermann hat ihnen ein großes Fresko geschrieben, Stefan Zweig ihre Müdigkeit melancholisch belächelt, Salten, Auernheimer, Zifferer haben ihre eleganten Scherze aufgeschrieben, ja bis zur Operette hat mit Geist und Anmut Herr Lipschitz sie getrieben, auch die Unterhaltungsbücher bekamen manchmal dichterisches Arom. Selbst Soykas Kriminalromane deuteten mit Wehmut die Präzision der neuen Zeit in ein wehmütiges Finale.

Hofmannsthal dunkelte den Weltschmerz Mussets in die tiefträumerische Eleganz eines sterbenden Volkes. Schnitzler hat das Lachen auf dem Operationstisch seziert, Altenberg den Clown dazu gespielt. Den Shimmy pfeifend, Walzer taktierend ging der Traum in Wien zur Guillotine. Selbst im Sterbelächeln war Blut in seinem Gesicht, war Anmut, die verkörperte und repräsentierte in jeder Bewegung. Es war nicht das Kostüm mehr, nicht die schlechte Laune Unzufriedener, nicht der kindisch festgehaltene Kranz in der Hand. Es war das Ende eines Volkes, es war die trüb und erlesen und köstlich gewordene Erinnerung einer Nation aus den Jahrhundertfalten herauf. Hier stand Gesellschaft noch einmal mit aller Würde auf und verging.

Wer Bienen züchtet, weiß, daß die Kreuzung von Königinnen italienischer Abkunft mit Hummeln aus Zypern Bienen ohne Stachel ergibt. Schon in Wien hatte der Traum die Schleife an dem spitzigen hebräischen Intellekt vorbeigemacht, obwohl fast alle, die sein Gesicht füllten, Juden waren, in Prag kam er in die seltsamste Mischerei. Bebend vor Intellekt, schöpferisch wieder von slawischer Durchdringung, dunkel von deutscher Schwere, so ward er bei den Tschechen balkanisch aufgezäumt. Das Jüdische verlor seine Schärfe, das Slawische gab den Akzent, das Deutsche nahm das Resultat auf seine breiten Schultern.

Das war nicht mehr Gemuh, das war nicht mehr das Gesicht eines Volkes, das war der Gonfaloniere eines geistigen Kreuzwegs, ja fast der nationale Ausdruck einer internationalen Horde von Gehirnlern und Literaten, mit viel Anmut, mit bestechender Klugheit, teils am Jordan, teils in Zürich, vielleicht auch in Saloniki zu Hause. Mit der einen Hand bei Keller, mit der anderen bei Dostojewski. Von Meyrinck über Pick und Brod zu Kafka gab es eine Verschärfung, der Stachel fehlte zwar, aber die Verdichtung kam nach dem Expressionistischen hin. Der zärtlich und unirdisch denkende Melchior Vischer trat, deutsch schreibend, als Wortverdichter neben den blinden Oskar Baum. Bei Ernst Weiß, der zuerst die Wiener Weise weicher geträumt hatte, erreichte ihr Roman eine verzweifelt starke Aufbäumung, bei Werfel ihre Prosa schon legendären Gesang. Ach, man war hier weit von den großen Ställen, die Haustiere waren im Süden von anderer Facon, Freudsche Theorien, Analysen vorgelebter Nerven, Mythisches vom Euphrat und Medizinisches spukten durch den Traum. Er hatte sein Gesicht, auch seine Breite, auch manchmal sein Tempo behalten, aber man kaute ihn nicht wieder, man durchsprengte ihn mit Klugheit, mit asiatischer Grazie, mit ungewöhnlich neuen Turnieren reizte man ihn zu Gangarten, die er nicht kannte.

Es war eine abscheuliche Bastarderei, aber sie hatte Rasse. Mit dieser Kreuzung band der Traum sich endlich auch an Rußland. Schon der Alemanne Hesse hatte dahin gedeutet, als die Kriegsschatten über seine bewundernswerten Idyllen fielen. Sogar die Mondänen kamen unter das Kreuz dieser Richtung. In Bruno Franks schwächlichen Erzählungen schreien manchmal die Brüder Karamasoff, in Leonhard Franks gewaltigen Büchern gegen die Kriege flammt Dostojewskische Inbrunst sich zu zerstören. Der immer dichterische Kornfeld hat manchmal den Schatten Tschechows im Auge. Der beste Schilderer erotischer Atmosphäre, halbgeschlechtlicher Übergänge, des Genußdufts der Zeitoberschichten, Wilhelm Speyer, stößt auf Tolstoi und muß, während er verzweifelt raffinierte Wollust saugt, in die tiefste Tragödie hinein. Das Schicksal hat in ihm den gekreuzigten Bankert zwischen Weltlichkeit und tiefer Qual gemacht. Der Traum bekommt bei ihm einen süßen und makabren Reiz, den Glanz der Untergänge, das Gesicht des byzantinischen Hermaphrodits . . . . . .

Gesattelt, geritten, gezäumt war der Traum in die Welt hinaus gekommen. Er bog sich in Wien in der tödlichen Schönheit eines nationalen Untergangs wie venezianisches Glas oval und verwirrend zurück. Gab in Prag eine Oase fast zwischen den Völkern, durchdrungen, geknetet, durchsüßt und geschliffen von Händen, Hirnen, Wassern der an Asien schon tief anschlagenden Nationen. Wohl in Deutsch, aber übernational schon über Europa hinaus gebracht, von dem ungeheuren Grimassieren russischen Geistes nach dem Großen Ozean gezogen, südlich durch die vermischten Kulturen der frischen Balkanstämme vom Mittelländischen Meer gespeist, so blieb er draußen in der Welt als deutsche Befruchtung.

Ach, die Haustiere der deutschen Dichtung murrten über diese fremden Menagen, ihre nationalsten knirschten wie jener Platen, der aus Angst vor der Pest bereits in den Hades floh, ehe sie ihn überhaupt hatte, so gut es ging zwischen ihren Reibzähnen: „Laubhüttenpetrarke, Synagogenstolz“, aber es war der alte Klee nur, der sie hörte, es roch nach alten faulen Idealen, es störte niemand, daß ihre Glocken schwangen, sie waren langsam in das Pianissimo des Wiederkäuens gefallen.

Nur Paul Ernst versuchte wie ein Stier zu brüllen, weil einige mit dem Traum ausgerissen waren, exotische Gegenden zu entdecken. Der männliche Luxemburger Norbert Jacques, Willi Seidel hatten ihn mitgenommen, als sie auszogen nach der alten germanischen Weise und in den Spuren der Gerstäcker, Sealsfield, Heinse, Wieland. Herr Klabund hatte die Expression dabei in die eine, die fahrende Schülerweise in die andre Hand genommen, schrie ein pazifistisches Pamphlet und trabte einen Militärmarsch. Er trabte mit den Füßen einen Militärmarsch aber scheinbar ins feindliche Ausland, wie man in den Ställen behauptete, und Paul Ernst, der plötzlich schwarz-weiß-rot gefärbt war, vergaß sein Renaissancegemetzel, vergaß seinen blutigen Traum von Italien und überschrie ihn mit dem Trutzlied rechtsbolschewistischer Reaktionäre.

Ach, er versuchte, den Kobold des Traumes wie ein Stier zu überbrüllen, aber es war ja kein Stier, wie jedermann sich mühlos mit den Augen überzeugen konnte, und der Kobold, den er verfolgte, neckte ihn, bis er mit Tränen in der Brille an der Statue der Diana zusammenbrach. Schon Darwin beweist bei manchen Krustentieren, daß vollkommene und ausgebildete Lebewesen dieser klassischen Gattung dennoch niederer organisiert sein können als ihre Larven. Die klassischen Krieger am Fries des Dianabildes streckten sich vor Wonne in ihrem Muskelnetz über diesen vollkommeneren bebrillten Epigonen. Ach, aber selbst dieser Fall verhinderte nicht, daß die Haustiere der deutschen Literatur den erhabenen Traum weiterträumen und den Grünen Heinrich ohne Ablaß durch die Zähne ziehen, obwohl sein Verfasser schon lange im Schweizerischen verstorben ist . . . . . . .

Es möchte scheinen, Mijnheer, ich spotte über Gebühr und beschädige am achten Tage die Reserve, die ich mir auferlegte, sowie die Zuneigung, mit der ausgezeichnete Menschen an diesen Träumen hängen. Wahrlich, ich kenne ihren Wert und ihren Sinn und weiß manchen ihrer Dichter an einem ausgezeichneten Platz der Verehrung, aber es bricht mir ins Herz ein, wenn ich das Muhen der Haustiere höre, die die alten Melodien und die hilflosen Tonleitern einer Vergangenheit blasen, welche uns nichts helfen. Ich weiß mich doch wirklich glücklich, wenn ich irgendwo im Park der Dichtung Ansätze an gute Tradition und deutsches wahres Wesen entdecke, aber ich kann den Spott nicht zurückhalten, wenn ich die Zeremonien beobachte, mit der gesalbte Prediger immer wieder ein verdorbenes Gerippe in den Frühling tragen.

Ach, der deutsche Frühling hat nichts gemein mehr mit den Gefühlen jenes erheblichen Meister-Dichters aus Seldwyla, und dessen Knochen sind nicht seine Bausteine und seine Asche ist nicht sein Same. Ist es nicht schelmenhaft, wenn die Haustiere den Stil eines großbürgerlichen Mannes wiederkäuen, aber vorgeben, das Gesetzbuch der deutschen Erzählung damit auszuposaunen, wenn sie die Nation meinen und eine alte Leiche unter ihren Hufen herausstampfen? Einmal müßten, verdammt, auch die bequemsten und faulsten Tiere in den Aufbruch kommen, der sie aus den dumpfen Ställen in die Freiheit führte und aus der Blindheit in das Licht. Ja, ich fürchte nicht, daß die Einäugigen gefährlich werden, aber ich habe Angst vor den Nichtsehenden, weil sie nicht zu erlösen sind.

Ich entsinne mich zu gut, daß auch Balder, der Lichteste der Götter vom blinden Höder mit einer Mistel getötet wurde, die ihm der unheilvolle Loke reichte. Ich weiß zu gut, wie die Götter über ihren Liebling klagten und daß seine schöne Geliebte daran starb. Und ich kann mir nicht verschweigen, daß ich den Balder ohne Rückhalt liebe, aber den Loke hasse, daß aber der Dämon des Bösen sich immer der Ahnungslosen bedient hat, um ins Unheil hineinzuführen. Adler und Schwalben haben seit jeher mit einer Armee von Blumen in jeden deutschen Frühling hineingeführt, aber nicht das grämliche Muhen der Haustiere, die den Frühling zu beherrschen glauben und meinen, die Welt vermöge infolge ihres erhabenen Traums nicht aus ihren mahlenden Zähnen zu fallen.

Nein, ich spotte nicht aus Übermut oder aus zornigem Vergnügen, sondern ich schüttle den Bann wie jeden Alpdruck heftig in die Sonne, daß die Motten aus seinem alten Pelze fliegen. Denn ich liebe den alten Keller mit aller Herzlichkeit seines eigenen Gemütes, aber ich kann nicht sehen, wie seine Nachahmer ihre schlechten Schellen an seinem Wagen tragen. Ja, ich weiß auch, daß der Spott nicht schadet und mit jeder guten Sache sich zu messen in der Lage ist, und daß nur die steifbeinigen Kühe und die ergrimmten Ochsen ihn nicht ertragen können wie die helle Sonne, die sie wütend macht.

Ja, ich gestehe auch, Mijnheer, daß es Dinge gibt, die man liebt und die man zu gleicher Zeit verwerfen muß Haben Sie nie geschwelgt und zur gleichen Zeit verdammt? Ist es nie so gewesen, daß Sie das Herrliche bewußt vorüberziehen ließen und mit den Mäusen sich ergötzten? Ach, man ist nicht einerlei, man ist zweierlei gebaut. Ich bin verantwortlich für die großen Linien und für die Urteile und ich schneide die Staffeln in Stein oder ich schmeiße das Zeug hinaus. Was kann ich für meinen privaten Geschmack jenseits dieser Dinge? Ich lehne die Bücher des Thomas Mann ab aus guten und vielen Gründen, aber ich lese sie gern, ich liebe sogar den „Tod in Venedig“. Ich amüsiere mich schief über den Pierrot Schäffer, aber ich liege die Nacht schmökernd mit seinem gespenstischen „Montfort“. Ich durchschaue den Schwindel, aber ich bin verliebt in ihn.

Ist es Ihnen nie mit Frauen so gegangen, daß am stärksten Sie reizte, was unbedingt das Unmöglichste war? Gott hat die Natur und die Dinge oft im Spiel seltsam zueinandergestellt, er will, daß man die Süßigkeit und die Klarheit, aber auch den Widersinn seiner Schöpfung erkenne. Seine Methoden sind oft von erlesener Laune, ja sie sind verrückt. Ein Coenurus zum Beispiel, der haselnußgroß im Hirn des Schafes wandert, zwanzig Köpfe aus dieser Blase herein- und herauszieht, das Tier an Drehkrankheit zu Grunde dreht, ein Coenurus zerfällt, von einem Hund gefressen, in seinem Darm, nur die Köpfe bleiben übrig und erzeugen soviel Bandwürmer, als sie Köpfe waren, und deren Eier, vom Schaf mit dem Gras gefressen, durchwandern wieder bis zum Exzeß des Drehens des Schafes Hirn. Ja, sie sind verrückt und absonderlich die Umwege der Vorsehung und man kann nichts sagen über solchen Kreislauf, als er habe einen Sinn, den uns nichts erleuchtet.

Unsterblicher Brummell, unter allen Dandyparasiten der Literatur (die ihrer Lustigkeit halber nicht alle wie jenes bekannte Polystomum integerrimum in die Harnblase des Frosches verbannt gehören) erinnere ich mich gern eines der amüsantesten Typen der Literaturlebewelt, jener Primadonna aller Ausstellungen und Premieren, des Königlichen Regierungsrates von Wedderkopp, der nicht den Weg vom Hirn in den Darm, sondern den umgekehrten einschlug. Fest entschlossen, sich über alles bis an sein Lebensende zu mokieren, begann er kritisch immer von hinten nach vorne zu gehen, schrieb über die Kostüme der Leute, deren Gesinnungen er besprechen sollte, machte den Damen den Hof, die er zu verreißen beabsichtigte, griff die Reisekoffer seiner Freunde an, deren Stücke er zu loben hatte, schwärmte, da er im Krieg die Butterverteilung der Stadt Brüssel in seiner männlichen Hand hatte, für kriegerische Tüchtigkeit nach den Revolutionen und schrieb mit Vorliebe, da er konservativer Natur war, für bolschewisierende Käseblätter.

Ja, Mijnheer, man kann etwas lieben und kann es gleichzeitig vernichten, man kann in Deutschland seine Geliebte sehen, aber man kann die falschen Kränze auf ihrer Stirn und die schlechten Seiden ihres Kleides verspotten. Man muß nicht, wie jene halbgefranzte Goldschnittausgabe des seligen Dandy und Freundes Eduard des Siebenten, Brummell, immer auf die andere Seite fallen müssen, denn der Schein der Überlegenheit ist nur die Waffe des Snobs und die Maske des unsicheren Gentleman.

Aber man muß entschlossen dabei sein, auch über alle Kreuzwege hinaus, über sich selbst und das bißchen private Ergötzung, über unsere Leidenschaft und Glut hinaus, das Ziel im Auge behalten, und wenn die Perücken von heiligen Häuptern vielleicht sogar mit den Köpfen selbst herunterfliegen.

Am achten Tage der Schöpfung wurde auch Gott unerbittlich und schuf die Tragödie, um die Welt zu reinigen und zu bessern. Am achten Tage unseres Zusammenseins hat der kühle deutsche Mond sich auf die Schwarzwaldspitzen gesetzt, und es bleibt keine Falte, kein Hauch in diesen Lichtkavalkaden verhüllt. Am achten Tage nahm der Tod der Margarethe von Valois, Königin von Navarra, die, aller Sprachen kundig, des ersten französischen Franz ungewöhnliche Schwester, das Dekameron des Boccacce ins Französische transponieren wollte, am achten Tage der Erzählungen, in denen die ganze Welt schwimmt, nahm der Tod ihr den Stift.

Er nahm sie weg von der zweiundsiebenzigsten Erzählung, darin, launig aber auch teuflisch, doch nicht mißzuverstehen, erzählt wird, wie beim Einsargen eines Toten ein neuer Mensch gezeugt wird. Ja, das Leben marschiert, es marschiert mit klingendem Spiel auf der ganzen Linie. Ach, ich fürchte nur, den erhabenen Traum der Haustiere wird es nicht unterbrechen, selbst wenn die Schellen ihnen unter den ehrwürdigen Nasen wie die Tanzschritte des Lebens klingen.

Die neunte Nacht

Und Europa? Ihre genialste Laune war das Rokoko, wo sie die zänkischen Musen, unter welche sie (wie Venus an die Amouretten) ihre Gouvernements verteilt hatte, in einer festlichen Heiterkeit vereinte. Sie hatte hier ein Lächeln begonnen, dessen Anmut die Abgründe ihres Wesens ahnen ließ, aber nicht enthüllte. Und sie hatte eine Leidenschaftlichkeit in ihren göttlichen Wuchs gerufen, deren Kraft sich hinter ihren graziösen Spielen versteckte.

Es war ein reizender Spätsommer der Musen, als sie um ihre Göttin sich zum letzten Male harmonisch vereinten, graziler fast noch als der herbe Frühling ihres Beginnens.

Schon immer war ein großes Wandern ihrer Sendboten gewesen, und ihre Auserwählten hatten ihre guten Gedanken, die sie mit den Kaprizen der Frau ausgab, in die ganze Windrose geführt. Holbein sowie der van Dyck haben ihre Farben nach der britischen Insel getragen. Irische Mönche hatten seinerzeit den Urwald des mittleren Deutschland gesäubert und die Karolinger unterwiesen, Buchstaben mit Vollendung zu malen. Grünewalds Töne, Dürers Art hat erst Italien vollendet. Bambergs Plastiker zogen nach Reims und studierten den Dom, ehe sie den ihren begannen. Der schöne Lionardo gab den Franzosen eine andere Linie ihrer Architekturen. Rembrandts Chiarobscuro hat man im Süden erfunden, jüdischer Geist aber hat sich in seine Bilder hineingezogen. Arabisches wanderte durch Granada nach Italien und über Frankreich in die Musik der besten deutschen Dichtung. Was war Wieland ohne die Franzosen, Schlegel ohne die Briten, Klopstocks „Messias“ ohne Miltons „Verlorenes Paradies“? Das italienische Porträt der Renaissance, ihre schönste musikalische Erhebung in Palestrina kamen aus den Niederlanden. Die Deutschen gaben den Tschechen von ihrer Dichtung, den Italern den Holzschnitt. Wie die Bienen, aber auch wie die Wölfe waren die Sendboten geflogen. Selbst die Eau de Cologne, das Modeparfüm des Rokoko, war von einem Italiener erfunden.

Ja die Luft selbst hatte damals zwischen der Abendröte ihrer Springbrunnen und Bosketts etwas vom Arom eines Duftes, der wie das kölnische Wasser zugleich erheiterte und erregte. Hier stand Europa noch einmal nach all den vergangenen Besuchen und Kämpfen und Balgereien der Musen mitten in einem Konzert, das sie alle vereinte und das halb auf der Flöte geblasen, halb von einem unterirdischen Donner gespielt ward.

Die Deutschen bauten der Göttin Europa damals ein leidenschaftliches und ihr schönstes deutsches Denkmal. Sie bauten mit ergriffener Wucht und raffinierter Andacht die fürstbischöfliche Residenz in Würzburg, und mit dem Niederländer Auwers, dem Pariser de Cotte, dem Deutschen Neumann, dem Schweizer Bossi, dem Münchener Zick, mit dem Tschechen Mika, dem Tiroler Oegg, dem Venetianer Tiepolo waren alle Musen noch einmal beteiligt. Sie beeilten sich später allerdings, in alle Verstecke wieder zu fliehen und mit Pfeilen aufeinander zu schießen. Bonaparte, der letzte Genius, suchte sie zu sammeln, indem er sie mit Kanonen erschreckte, denn es gab für ihn kein anderes Mittel, Europa wieder zu finden, als die mörderischsten Kriege.

Als er Goethe Belehrungen gab über seinen „Werther“, den er siebenmal gelesen, und ihn bat, mit ihm nach Paris zu kommen und schöner wie Voltaire einen „Cäsar“ zu schreiben, dachte er nichts anderes, als den besten Trabanten der Göttin gefunden zu haben und von ihrer und seiner Hauptstadt aus dessen Stimme über die Welt schallen zu lassen. Der größte Europäer hatte den begabtesten Sendling Europas entdeckt, aber dieser folgte ihm nicht. Während des europäischen Maschinenkriegs aber war die Göttin völlig außer Landes gegangen.

Sie war völlig außer Landes gegangen, und acht Jahre nach der Erfindung des Kreuzgases, sechs nach dem Versailler Vertrag stehen die Musen noch um Deutschland an den Mitrailleusen. Frankreich weist ihm die Tür, England übersieht deutsche Kultur, Amerika ist sie kaum erwünscht. Von dort kommt kein Ruf nach der Göttin. Nie hat der Schwaden des Hasses so sehr ihre Gefolgschaft getroffen, daß die zänkischen Musen zu derartig tollen Unterleutnants der Rancune wurden und das Gebiet des Geistes in eine Serie von Gefängnissen aufteilten, durch die sie den Parlamentären der Kulturen nicht einmal den Durchmarsch erlaubten.

Die weiße Flagge der Kunst, welche die Hunnen und alle Söldnerkrieger der Jahrhunderte zu achten gelernt hatten, wurde von den toll gewordenen Nationalisten mit allen anderen Fahnen der Humanität in den Staub gerissen. Von unseren Büchern weiß man nichts, unsere Bühne mißachtet man, unser Entgegenkommen höhnt man. Eine ausgestopfte Puppe mit den Zügen der guten Viebig hat man im Reformkostüm an die Rampe des Gelächters gestellt und ihr zu Füßen mit einem Jodler und Tiroler Hut den kleinbürgerlichen Bonsels pathetisch gelegt und mit Übersetzungen aus ihren Werken als ersten nach dem Krieg statt mit Sauerkraut und Feldwebel uns in Paris vor aller Welt so zu einem geistigen Mummenschanz mißbraucht. Es ist kläglich, sich nach zehn Jahren Pause durch solche Gäste vertreten zu wissen.

Ach, es ist nicht gut, zwar als Besiegter eine große Göttin immer noch zu lieben, aber es ist schimpflich ohne Zweifel, als Sieger sich nicht vor ihr zu verneigen. Es ist das Unglück, daß mit den sinkenden Valuten auch die geistigen Kredite schwinden. Europa wird, wenn sie einmal wieder naht, ihre Gefolgschaft nach Art der Bewohner von Sklavenstaaten in dritt- und zweitklassische Kreaturen eingeteilt finden. Aber Deutschland, Mijnheer?

Niemals, zu keiner Zeit hat Europa eine bessere Gastfreundschaft als bei den Rheingermanen gefunden. Während der Kriegsjahre haben sie alle Freudenfeste der „feindlichen“ Musen nach alten Bräuchen mitgefeiert. Fünf Jahre nach der Münchener Räterepublik schwimmt das deutsche Theater unter den Schwänken der gallischen Possenfabrikanten, Moliere und Shaw reichen sich wie während des Kriegs vor den Bildern Calderons und Shakespeares die Hand, und alles Zeug, was Deutschland schmähte, ist pardonniert und geliebt, soweit es begabt ist.

Suarèz durfte schreiben, wir fräßen Hunde . . . Verziehen. Claudel uns gierig in das Bett des Prokrustes spannen, von Kopenhagen bis Berlin den Friedensvertrag längen und kontrollieren . . . Vergessen. Kipling durfte von Australien bis Indien die englisch redende Welt gegen uns schlimmer wie eine Fuchsjagd hetzen. Francis Jammes uns verleumden. Alle, die einen Kranz des Führers trugen und besser wissen mußten, daß wir nicht allesamt eine Horde von Hyänen und ausgehungerten Wölfen seien, durften die verächtliche Emeute jener Niedertracht anführen, die uns zu den Hottentotten Europas erniedrigen wollte . . . verziehen, vergessen. Die ganze Welt an unsere Brust! Zur gleichen Zeit, wo das siegreiche Frankreich den Direktor des Theaters „Vieux colombier“ hängen, den vom „Oeuvre“ schinden würde, wenn in ihren literarischen Versuchsbühnen ein deutsches Stück gespielt würde, wo die französische Zeitschriftenkritik vor Chauvinismus dampft, wo England uns die Pässe verweigert, Rußland kein Interesse als an dem Aufbau proletarisch eindeutiger Kultur hat. Und wo unsere Freunde in diesen Ländern ohne Macht gegen die Geschwader der Dummheit und in der Minderheit gegenüber den Steuermännern des Hasses sind.

Der Dreißigjährige Krieg war eine Volksbelustigung der Kulturen gegen diesen Wahnsinn. England, das den Kontinent zwei Jahrhunderte lang zur Gesittung aufrief, schaut über den Ozean weg nur nach seinen Dominions. Frankreich, das Europas Feldgeschrei führte, ist ein Land von irrsinnigen Schelmen der Freiheit geworden. Wohl tauschen im nördlichen Dreieck der Pariser France, der Londoner Shaw, der Moskauer Gorki shake hands der Internationale.

Aber Europa?

Ein Hohngelächter von Kiew bis Athen, von Prag bis Warschau ist die Antwort. Ein Kichern des Schreckens als Echo vom hochvalutagedrückten Haag, vom halbbankerotten Paris, ein Rattenpfeifen vom ängstlichen Zürich als Untermelodie. Die Sieger der Weltwirtschaft sind in das gleiche Zittern wie die Gestürzten gekommen. Mitteleuropa, pleite wie zur Zeit der Assignaten, ein Geier, gerupft, aber mit falschen Krausen kachiert, sitzt zwischen den Bajonetten der hochkapitalistischen Gallier und den Kanonen der östlichen Kommune. Denn nicht nur Poincaré, auch Barbusse (seit er auf Moskau schwur) ist der Krieg. Nicht nur die Kannibalen, auch die konsequenten Buddhisten bedeuten Tod. Es unterscheidet beide nur (sehr) das Motiv, aber das ist, wo es um Krieg geht, ohne Belang.

Denn Krieg heißt Vernichtung Europas, Friede aber bedeutet, daß die Göttin vielleicht ihre Verstecke verläßt und zurückkehrt.

Sie wird auf dem Scherbenhaufen, und unter den bitteren Lawinen dieser Epoche ihrer Regierung sich mit Wehmut der Zeit erinnern, wo die zänkischen Musen um sie hemmungslos zwischen den Bosketts und Springbrunnen spielten. Ach, es wird keine Flöte in das Konzert ihrer Wiederkehr spielen, aber der geheime Donner von damals wird ein abgebrannter Orkan sein, der ihr Land vereist hat.

Vielleicht aber wird sie nicht mehr zurückkehren wollen. Deutschland wird aber nicht aufhören, nach ihr zu rufen. Seine besten Leute werden nicht untergehen, ohne nach ihr verlangt zu haben. Bliebe es tausendmal Utopie, es wäre ein schönerer Wahnsinn als der der Vernichter.

Ich weiß, wir haben am wenigsten Anlaß, schuldfrei uns zeigen zu wollen, wir haben vor dem Krieg nichts gelernt, während des Mordens in schlechtem Stil Europa geschmäht, und müssen, wo wir mit gereckten Armen nach ihr verlangen, das Peinliche erleben, daß sie im Umkreis in gutem Stil verlacht wird. Ich weiß, wir säßen in anderen Wagen, wären unsere Rosse siegreich durch den Arc de triomphe geritten.

Der Staël antwortete einmal Byron, den eine verlassene Geliebte gerade in einem Roman verzerrt hatte, auf ihre Frage, wie das Porträt ihm gefallen, der neugierigen Staël antwortete der Lord ironisch: es wäre besser ausgefallen, hätte er jener Lady Caroline Lamb länger zu sitzen geruht. Ich weiß, es ist billiger, gefesselt, geknebelt Gerechtigkeit anzurufen, als sich „audessus de la mêlée“ mit schönen Ideen abgeben. Ich zweifle aber nicht, daß, „wenn wir länger Modell gesessen“ und die Champs Elysées mit preußischen Pferden hinaufgeritten wären, die Stimme nach Europa in Deutschland mit der größten Tapferkeit dennoch gerufen hätte.

Sie wäre mit den besten Munden und im besten Stil angestimmt worden. Ach, daß Gott zu unseren Feinden gerade die guten und zu unseren Freunden gerade die schlechten Trommler Europas machen mußte. Was kann man tun, wenn einem alles verläßt?

Nicht paktisieren, Mijnheer.

Es lebe Europa.

Die Franzosen, die mit dem Marschschritt Europas einst zu uns kamen, sind eigentlich immer eine Mischung zwischen dem Soldaten Gottes und dem „comédien ordinair edu bon dieu“ gewesen. Ihr Herz stritt zwischen dem Ideal der Sache und dem Ideal ihres Ruhms. Sie haben jeweils ihre edle Exaltation mit den Bestimmungen ihres Rausches verwechselt und zuletzt immer ihre eigenen Göttinnen erschossen, indem sie dabei das alte Preislied für sie sangen.

Sie sind ein kriegerisches Volk, aber nur in der Einbildung, denn sie haben nur Ruhm, aber keine Territorien je erobert. Sie sind hinter der Marseillaise hergelaufen und haben schon preußischen Drill im Blut gehabt, sie haben Europa befreien wollen und haben es geknechtet. Sie haben die Fiktion ihres martialischen Glanzes erobert, während die unkriegerischen Nationen der Römer und Briten, indem sie Baumwolle oder Christentum sagten, die Welt unterwarfen. Sie haben selbst bei Stendhal und Suarèz den Vorbehalt, daß Europa nur sei, wenn Frankreich sei, aber, schon indem sie es sagen, ist es nicht mehr eine Bedingung, sondern es ist schon Gleichung: Frankreich ist, darum ist Europa.

Darum haben die Franzosen auch jene seltsame Fremdheit zu sich selbst, die sie ihre Tugenden so preisen, sich an dem Wort „Franzose“ so berauschen läßt, während die Briten sich in ihren nationalen Gefühlen sehr nah, fast mit der Kritik des besten Verwandten gegenüberstehen, obgleich die Naturelle der beiden Völker umgekehrt sind wie ihre Fähigkeiten, sie einzuschätzen.

Ein tapfrer Kämpfer Frankreichs für Europa sein, bedeutet darum mehr, als in Deutschland brav zu sein, weil der Rheingermane nur seinem Gefühl folgt, der Gallier aber gegen seine Empfindung erst europäisch wird. Der Deutsche erfüllt seine Mission, der Franzose muß erst den Gallier in sich erschlagen.

Wenn Deutschland sich Frankreich schrankenlos wieder öffnet, bleibt es in seiner guten Tradition, und wenn es die „Feinde“ mithereinläßt, ist es lediglich nicht empfindlich. Wenn die Franzosen das mißachten und für die Fehler von Politikern und Kasten jetzt Europa büßen lassen, ist das ihre Sache und eine infantile Vendetta gegen völlig Unbeteiligte. Wir ziehen es vor, die Geliebte weiter zu lieben, auch wenn ihre Hunde und ihre Knechte wütend die Zähne zeigen. Denn wir verehren sie und nicht die Unvernunft ihrer Umgebung.

Von Villehardouin bis Joinville und Crestien von Troyes haben wir das romanische Mittelalter aufgenommen, und uns nie unerkenntlich gezeigt. Ihre großen Dramen gaben auch unsere Richtung. Rousseau signalisierte Europa. Montaigne zog die Kraft des Geistes schmerzlich um die Welt. Voltaire und Stendhal flaggten Europa schon sehr hoch. Balzac formte bereits Demokratie, Flaubert maß nach der Größe europäischen Gewissens. Anatole France, der letzte Lateiner, ist auch uns das schmerzlich süße Zeichen des Untergangs einer Gesellschaft, die mit Rousseau begann.

Wir haben Zola, diesen Mischling aus italienischem und hellenischem Blut, unter unsere Bürger genommen wie die Romantiker, wie die Sand, wie ihren unglücklichen Geliebten, Musset, den Prinzen der gallischen Sprache. Wir haben in Lamartine wie in Hugos Versen geschwelgt, alle Boulevardstücke genossen, Dumas Frauen zu unseren Hauptrollen gezählt, seine zweihundert Bücher Romanfabrik gelesen und sogar für seine Saucenrezepte uns interessiert.

Wir hatten den Blick stets halblinks von Berlin nach der Seine gerichtet. Sind mit den Malern Feuerbach um Couture, Trübner um Courbet geschwärmt, haben des Gauguin Tagebücher, des Van Gogh Aufzeichnungen, drei Bücher von Kunsthändlern über Besuche bei Cézanne wie das Credo und die heilige Schrift verschlungen, während Wedekind nicht gespielt ward.

Wir haben dem Verhaeren, dem Maeterlinck erst das Haus gemacht, haben die satanische Flucht des Huysmans aus seinem Zeitalter erst zu der monumentalen Bedeutung der Flucht eines grandiosen Zivilisations-Deklassierten gemacht, wir haben auf Baudelaire, Mallarmé, Verlaine, Rimbaud unsere Ästhetenschulen gebaut, haben Pierre Loti leider für einen größeren Dichter wie Alfons Paquet gehalten, haben hochstehende Aufsätze um Charles Louis Philippe, diesen zärtlichen Kindskopf der Tragödie, geschrieben. Wir haben den armseligen Louys und Pierre Mille und den unglückseligen Farrère mit seinem Opiumkitsch in unsere besten Stuben geführt.

Wir haben nicht nur Honneurs gemacht, sondern uns mit dem Herzen beschäftigt, und wenn die Fremden hereinkamen, waren sie schon intim. Der ganze Kreis der heute am besten schreibenden Franzosen um die Zeitschrift der „Nouvelle Revue française“ war vor dem Krieg bekannter in Deutschland fast als in Frankreich. Gides und Rivières Ruf gingen weit übers literarische Versnobtsein hinaus. Suarèz schrieb das beste Italienbuch für die Deutschen. Claudel widmete man Weihespiele in Hellerau. Für Francis Jammes, der die royalistisch fromme Linie des Joinville fortsetzt und die zärtlichen Töchter des alten Adels und die Sanftmut der Tiere und die Kriegswappen treu nebeneinander malt, entstand ein eigener Verlag und in Stadler der wackerste Deutsche als Übersetzer.

Auch der Chauvinismus dieser Autoren, die während des Kriegs den hellen Bullen ihrer Revue im Stall ließen, hat sie Deutschland nicht entfremdet, man erweist ihnen die Gastlichkeit, die ihrem Können gehört.

Man hat ebenso auf jene Generation sich eingerichtet, die gegen den Krieg Frankreichs protestiert und für Europa optiert haben, jenen tapferen Kreis junger Leute, unter denen leider nicht Frankreichs beste, aber seine mutigsten Begabungen sind. Sie hatten sich teils um Barbusse, teils um Rolland geschart, die beide das Gewissen Europas während des Mordens waren, wenn beide auch, zumal Barbusse, keine im letzten Sinne guten Schriftsteller, aber überzeitlich große Charaktere sind.

Der Streit, den Barbusse und Rolland nunmehr ausgefochten haben, ist der Kampf um die Gewissensfrage jedes einzelnen gewesen. Barbusse wollte aus dem Débacle des Kriegs den Bund der besten intellektuellen Europäer erstehen lassen, schuf in der Organisation der „Clarté“ ihm mit einigen humanitären Paragraphen den Rahmen, mit einem schon nicht mehr guten gleichnamigen Roman die Kulisse und mit seinem Anschluß an die dritte Internationale Moskaus das Grab. Er wollte die Herzen revolutionieren und ging nachher Bajonette einkaufen, gläubig und voll menschlichen Mutes zwar wie ein Thermopylenkämpfer der neuen Gesellschaft, aber dennoch als Aufrufer an die Gewalt. Er postulierte mit dem russischen Terror die Gewalt von links gegen die von rechts, die er wie ein Herkules bekämpft hatte. Er führte seine Kunst durch die Gesinnung in die Politik, während Rolland die jungen Leute zurückführte zu dem weisen Glauben, den er durch den Krieg gehalten: das Reich des Geistes müsse rein bleiben und Europa käme nur, wenn man glaubend für es arbeite, und nicht, wenn man danach schieße.

Barbusse aber, dessen „Feuer“ auch das einzige Frontkriegsbuch der Deutschen geworden ist, tritt mit seiner Anschauung nunmehr, ohne es zu ahnen, neben Goethe, den er in diesen Dingen bekämpft hat. Der, von Bonaparte begeistert, einmal meinte, es schade nichts, wenn dieser dem Prätendenten Enghien und dem läppischen Schreier Palm vor die Stirn geschossen, denn dem Genius stehe dieses Weggehn über alle Schranken frei. Sie bedachten beide nicht, daß man das aus dem Temperament heraus vielleicht denken, aber nie formulieren darf, weil das Blut sich mit mythischer Gewalt gegen die Idee richtet und den am sichersten ersäuft, der es für sie vergießt.

Diesen Streit zwischen den Führern der europäischen Idee haben die Deutschen wie ihren Kampf mitgemacht und die breiten Massen haben wie den Barbusse auch den Rolland und den ihnen zugesellten siebzigjährigen France wie ihre besten Dichter mit ungeheurem Ruhm gelesen. Der Einfluß Frankreichs ist gewaltig geblieben. Man hat auch den Schülern der großen Gallier das Ohr geliehen, Martinet, Jouve, Léon Werth gehört. Guilbeaux, der während des Krieges „demain“ in Genf herausgab, wurde in contumaciam (während er Rußlands Erde schon mit Ruhe und Ansehen betrat) auf Grund eines Materials als Schädling seiner Nation zum Tode verurteilt, das an der Spitze einen Bericht von meiner Hand über den Mut enthielt, den er während des Krieges für die Erhaltung Europas aufbrachte. Man hat René Arcos mit seinen stillen weitherzigen Dingen übertragen, den Bilderhändler Vildrac auf die Bühne gebracht, Colin, diesen Wanderprediger Europas gehört, gelesen, man nimmt Notiz von Duhamels Büchern, von Vaillant-Couturier, Jules Romain, von Chennevière. In dieser Generation ist wohl keiner, der die Sprachkraft der Ästheten um Gide besäße und unsicher ist, ob einer europäisches Ansehn wie seine Meister erlangen wird, aber sie sind, da sie für das wahre Europa stritten, die tapfersten Soldaten Frankreichs geworden.

Es scheint allerdings im Sinn dieser Übergangszeiten zu sein, daß in den Siegerländern keine Führer unter den Jungen sind. Erst der Zusammenbruch formt sie sich, weil er Höhenbedürfnis hat, während Triumph nur eine dicke Lüge ist, die eines Tags nach ihrem größten Brüller platzt. Ungleich dessen ist der Einfluß dieser Jugend ohne gleichen, Frankreich atmet mit allen seinen Poren nach Deutschland hinein, und Deutschland liebt diesen Geruch als den einer schönen Freundin. Es wird trotz allem dabei an die Göttin erinnert. Bleibt seine Liebe auch unerwidert, so wirbt es ja nicht um ein Weib, sondern um die Liebe selbst. Unglückliche Liebe gibt es nur im Sprachschatz der Tölpel. Vor der Ewigkeit gibt es das nicht.

Man kann nicht alles sagen, was ist, man muß sich begnügen mit dem, was Deutschland sieht und nimmt von Europa. Mehr kann einen holländischen Gentleman, der unabhängig ist, reist, den Horaz im Koffer mitführt, den seine Heimat langweilt, der Europa kennt (halb wie ein Dandy ein Lager von Strandkörben und halb wie ein Gartenliebhaber seine Blumen), mehr kann einen holländischen Gentleman nicht reizen. Er kann nur so, statt an ein Phantom zu glauben, die Wirklichkeit der Nähe eines befriedeten Europas berechnen — — — in gleicher Methode wie Galilei, der auch, um die ungleiche Entfernung der Fixsterne von der Sonne zu messen, auf die geniale Idee kam, die Sterne erst selbst in der Entfernung zu ihren einzelnen Nachbarsternen zu vergleichen. Was macht Holland, Jonckheer?

Es macht nicht mehr als Tulpen und Valuta. Es gab den Thomas a Kempis und Jan van Ruisbroek zu unserem mystischen Mittelalter. Es gab der Freiheit das tolle Geusenlied: „Wilhelmus von Nassauwen ben ick van duytschem bloet /// Den vaederlandt getrouwhe blijf ick tot in den doet“ . . . Der Name der Gerechtigkeit heißt Multatuli. Hinter ihm kennt man kaum die Roland Holst. Aber man kennt van Eeden als Anwalt der Menschheit, ich glaube auch von der katholischen Propaganda. Das ist zusammen nicht sehr viel des Guten. Man hat dafür die Seuche der sämtlichen Romane des Cooperus ebenfalls in das deutsche Walhall gestellt. Das ist nicht Tulpe und nicht Geist, aber Valutadumping mit verächtlicher Literatur. Auch den Unterbietern der Qualität, sehen Sie, gibt man das Gastrecht.

Es könnte scheinen, dies sei zu weit gegangen mit einer Tugend. Ich bin Ihrer Ansicht, aber Deutschland meint wohl, man habe eine Tugend oder man habe sie nicht. Man hat übrigens durch den Krieg die stammverwandte flamische Literatur nach Deutschland geführt. Der ausgezeichnete Essaiist F. M. Hübner hat von der Mystik ihres Mittelalters sie bis zu dem Eekhoud nach Deutschland transportiert und man hat, nicht nur aus politischem Interesse, diese germanische breite und saftige Kunst, für die de Coster das europäische Wahrzeichen ist, aufgenommen. Die über Frankreich eingeführten Lemonnier und Verhaeren waren schon lange vorher übertragen.

Deutschland hat außer den Russen überhaupt die besten Übersetzer der Welt. Heinrich Mann hat Anatole France, Schickele den Balzac, Rilke die Barret-Browning, George den Baudelaire und Dante, Dehmel den Verlaine, Werfel die Tschechen, Flake den Suarèz, Blei den Claudel, Vollmöller den d’Annunzio, Däubler den Vildrac, Annette Kolb den Chesterton, Stefan Zweig den Verhaeren, Krell den Kipling übertragen. Deutschland hat das Glück, daß seine besten Stilisten seine glücklichsten Pioniere sind, während die guten Autoren des Auslands es kaum der Mühe wert finden, Deutsch zu verstehen und schreien würden vor Heiterkeit, wenn man ihnen vorschlüge, deutsche Zeitgenossen in ihre Sprache zu bringen. Deutschland hat um seine besten Übersetzer herum noch eine vollkommene Industrie von Fabriken, die ihm in durchschnittlich gutem Niveau das Ausland vorführen. Die einmal an der Börse des deutschen Geisteslebens eingeführten Autoren werden wie die Hühner in schwarze Minorkas, rote Island, helle Faverolles sortiert und haben auch ihre geschäftlich festnotierten Kurse.

Eine Anzahl Revüen verbinden Deutschland dazu noch mit verschiedenen Ländern und die Übersichtstafeln seiner Zeitschriften berichten eifrig über jede Bewegung in der ausländischen Kunst. Während allerdings England und Italien die Länder der Zeitschriften sind von fast unvorstellbarem Einfluß, während in Frankreich die Revuen für die literarischen Kreise eine nicht genug zu schätzende Bedeutung haben, sind ja die deutschen literären Zeitschriften ebenso schlecht wie langweilig. Nach dem Eingehen von Schickeles bewunderungswürdigen „Weißen Blättern“ gibt es keine Revue mehr. Lediglich des Verlegers Fischer „Neue Rundschau“ hält eine gewisse Tradition, aber in der Tat nur die ihres Alters. Unter des geschickten Oskar Bie Leitung war sie wohl quallig aber nicht unamüsant, wenn auch mit Händen und Füßen zwischen die Hauptautoren Wassermann und Hauptmann aufgehängt. Seitdem sie ihren Standpunkt verlassen hat und„modernisiert und politisiert“ wurde, ist sie erbarmungslos öd geworden. Deutschland, das immer hundert nach einem halben Jahr schon wieder krepierende Revolutionszeitschriften hat, verliert damit seine einzige konservative Revue von Haltung.

Es fehlt den Deutschen, was im Augenblick wohl nur Stefan Großmann mit seiner leichten Tageszeitschrift hat, jene blitzschnelle Beweglichkeit des Geistes, die Schärfe neben dem Kristall und der Farbe. Eine Zeitschrift müßte in jedem Artikel, von dem man die letzten drei Sätze liest, so klar sein, daß man sofort weiß, ob es um die Monarchie oder rumänische Läuse geht. Neun Zehntel unserer Zeitschriftenaufsätze sind so dunkel, daß man, von Thomas Mann bis zu Alfred Wolfenstein nicht ahnt, wohin die hochstehende Geschwätzigkeit nach vielen gelesenen Seiten eigentlich marschiert.

Die Flamen und Niederländer sind, ich weiß, noch breiter. Und doch ging von der holländischen Zeitschrift „Stijl“ das erste Manifest für eine europäische Kunst aus. Es war eine konstruktive Albernheit. Man kann von der Bauart der Maschinen her nicht einen europäischen Konstruktions-Stil lehren, denn Gesellschaft und Kunst wachsen ohne Verantwortung, voll Phantasie und Laune, und lachen der Vaugelas und Grimms. Aber dieser Theo von Doesburg hatte eine Idee, und wenn ihr nur die Unbegabten gefolgt sind, beweist das nur tragisch, daß die Verantwortungsvollen die Nichterwählten und die Leichtfertigen aber die Begnadeten sind.

Auch die Natur hat ihre Einfälle barocken Humors und es macht ihr nichts, daß sie zerstört, wo man sie anfleht, zu bauen. Sie ist so gesund, sich tragische Ausschweifungen leisten zu können, und es beschwert sie wenig, daß das menschliche Gewissen unter dieser Frivolität sich krümmt. Sie hat wohl ihr eigenes Gewissen und es ist wohl einfacher und tiefer als das unsere.

Man muß sehr vollblütig sein, um nicht fürchten zu müssen, sie wolle überhaupt die Zerstörung. Der Kriegsruf der Futuristen, die Losung der Moskowitenzare Lenin und Trotzki an ihre roten Armeen haben seltsam in die Maschinenschlacht hineingedonnert, an den vier Ecken Europas begann die Zerstörung mit einer Wollust, die nicht ohne göttlichen Funken war.

Kennt man den Niedergang der Kunst in Italien, weiß man um die Viehmärkte in den Höfen herzoglicher Paläste, erlebt einer dauernd die Monotonie der Landschaft, blauen Himmel mit Sonne an weißer Mauer, überblickt man die drohende Kraft der klassischen Traditionen . . . dann begreift man die Inbrunst, die den Futuristenpapst Marinetti mit der Petarde in der Hand herumlaufen ließ. Dieser sonst ganz begabte Autor beschloß alles zu vertilgen, um wieder atmen zu können, seine Maler Boccioni, Carrà, Russolo, Balla, Severini malten zum ersten Male in der Weltgeschichte Dinge und Ereignisse durcheinander und dazu noch gleichzeitig. Sie vermischten ihre Kunst mit einem blödsinnigen Nationalismus, der sich gegen Österreich richtete. Ihre Kunst bestand aus Dissonanzen, Patriotismus, Philosophie und einer Menge business und Hysterien. Die Bevölkerung Italiens bewarf sie mit Äpfeln, aber sie entzog sich nicht der Suggestion.

Im Krieg übertrugen die Dadaisten dieses Programm aufs Internationale, schrieben die Herren Hülsenbeck, Tristan Tzara, Serner in allen Sprachen durcheinander ihr Kabaret. Drumherum liefen die Schützengräben Europas. Die Totentänze des Zeitalters waren nicht ohne apokalyptisches Grausen. Und die Tänzer blieben nicht ohne Verdienst. Ihre Kasseneinnahmen rechtfertigten wie jeder momentane Erfolge ihre Existenz. Man wird sich gewöhnen müssen, ebenso wie die Agenten des Hasses die Commis voyageurs des Internationalismus zu fürchten. In dieser Pause Europas zeigt die Tugend wie das Laster die aktuelle Neigung, sich zu industrialisieren.

In dieser Pause Europas hat die offiziellste deutsche Instanz die jungen, schon wieder mehr klassizierenden Nachfolger der Futuristen in Berlin ausgestellt und ihnen europäischen Ruhm gemacht, worauf sie ein Jahr später nicht mehr Einladungen folgten, weil die deutsche Valuta zu gesunken war.

In dieser Pause Europas hat aber d’Annunzio, das feurigste Talent der Italiener, in Deutschland an Liebe nicht eingebüßt. Ihm war es leicht, da er Italien mit allen seinen Fehlern bejahte, seine Landsleute hinter sich zu scharen, obwohl sie auch mit Hilfe von Diktionären seine barocken Bücher nicht zur Hälfte verstehen. Er verstand es, die Tradition zu lieben, auch wenn er seine Zeitgenossen verachtete, und hatte, der Romantiker und Genüßling, die Generäle und die Futuristen und die Proletarier hinter sich.

Vor seiner Zeit hatte Leopardis Schwermut ganz Deutschland mitweinen, Manzoni, der große Schüler Walter Scotts, in seinen „Verlobten“ die massive Gläubigkeit eines Katholiken über Deutschland geschüttelt. Dann hat man wohl auch Pascoli, dem schönen Lyriker und dem bedeutenden Kritiker Croce, Aufmerksamkeit geschenkt, auch sich unter den jüngsten Dichtern um die vielseitigste Erscheinung Papinis, der bald zum Papst der Kirche, bald zu dem der Futuristen betete, bekümmert.

Einfluß aber hatte nur d’Annunzio, für Deutschland wie Italien, ja für Italien so sehr, daß, als er während des Tripoliskrieges ein wüstes Gedicht gegen Österreich verteilen ließ, niemand es verstand, aber jedermann in Taumel geriet, weil jedermann seine eigene italienische Stimme auch aus dem unerklärlichen Dunkel seiner aufreizenden Sprache trommeln hörte.

Von Einfluß waren die Futuristen dann dadurch, daß sie Bewegung brachten. Bewegung ist gut, wo Tradition ist. Wir haben auch die Bewegung der italienischen Futuristen aufgenommen, obwohl wir ohne Tradition sind, ohne Sinn für spekulative Kunst und obwohl es nicht gut für uns war, sie aufzunehmen. Man kann wohl sagen, daß wir Hunnen des Geschmacks vielleicht seien, die Hunnen Europas sind jedoch meistens die anderen gewesen. „Ich verachte alle Boches,“ sagte ein gebildeter Engländer mir in Innsbruck, „hier heißen sie aber Franzosen.“

Die Deutschen sind von einer rührenden Großartigkeit der Welt gegenüber. Wären sie es gegen sich selbst, sie wären das Herz Europas. Hätten wir am neunten November des Revolutionsjahres statt lediglich Rissen zwischen den Volksteilen nationale Bindungen großen Sinns gehabt, wäre eine Nationalversammlung eingetreten, die, jedem im gerechten Ausgleich gebend und nehmend, das Gesamtgefühl gestärkt hätte, dem Feind statt wie ein Epileptiker wie eine große, aber unglückliche Nation entgegengetreten wäre . . . . wir ernteten heute eher den Ruhm Europas für die Größe unseres Unglücks, als daß wir den Foot-ball der anderen Nationen darstellten. Aber es ist nicht das Schlimmste, wenn man seine Bestimmung erfüllt, maltraitiert zu werden. Auf die Dauer gibt es keine „Sieger“, denn sie würden ersticken an ihrem Triumph.

Auf die Dauer gibt es nur die Gesetze der Natur, die immer ausgleichen. Wer Sieger allein sei, sagte der Gründer der Alhambra, Mohamed, als er bei der Belagerung Sevillas dem König Ferdinand gegen seine maurischen Freunde helfen mußte und siegte, . . . . . . . wer Sieger sei letzten Endes, sagte er, indem er auf Gott deutete, traurig, aber voll Hoffnung: „Wa la ghalib ila Ala.“ Man hat mit einer hinreißenden Größe in Deutschland vielleicht in diesem Sinne nie an Gott gedacht, aber an Europa nicht gezweifelt und alles in die Scheunen gesammelt, was um die Grenzpfähle wuchs.

Es gibt keinen Niggerstamm, dessen Götzen, und keinen Japaner, dessen Perspektiven wir nicht untersucht hätten. Die Literatur der Ungarn, die aus dem Journalismus kam, die zuerst die Deutschen, dann Sue und Scott nachmachte, bis Petöfi sie ein wenig völkischer erlöste, haben wir zu unserer besten Unterhaltungsliteratur befördert. Wir haben jene stallburschenhafte Unbekümmertheit unter schiken Reithosen, jenes Paprika auf der Zunge und Pomade im Haar, das die an der Seine parfümierten Theaterstücke der Molnar und Konsorten ausmachte, neben der „Minna von Barnhelm“ gespielt, während Büchners „Leonce“ nicht gespielt ward. Wir haben das wenige, was nicht erbärmlich in ihrer Prosa ist, in den graziösen Geschichten Ernö Széps, in dem Seelenspaltungsroman von Babits, in der erotischen Bauerngroßmäulerei des Moricz aufgenommen.

Wir haben sodann den anderen Mongolenstamm, den Europa birgt, hell in die Weltliteratur hineingeschoben, haben uns als erste durch das Verdienst des Dozenten Schmidt in Helsingfors um die zeitgenössischen Finnen gekümmert. Das fabelhafte Schöpfungsgedicht „Kalewala“ war bekannt. Goethe hatte sich schon um ihre Volkslieder der damaligen Mode nach gerichtet. Nun folgt die ganze literarische Generation eines Landes, dessen gebildete Schicht im wesentlichen jahrhundertlang schwedisch sprach und schrieb. Juhani Aho, welcher das barbarische Land mit Stromschnellen und indianischen Gebräuchen in großartiger Wildheit malte, ist nun ein deutscher Autor. Aleksis Kivi hat die zerblasene, barock sinnierende Rabelaisiade des finnischen Volkslebens zu dem deutschen „Simplizissimus“ hingeführt und in die Nachbarschaft von de Costers „Uilenspiegel“. Bei Ilmari Kianto, in dessen Büchern sich zwischen Gletschern und Raubtieren die Zeitwellen schon bis zum Zerplatzen biegen, tritt das soziale Element der Mongolen in die Literatur der Deutschen, das auf der ganzen Welt, nicht zum Vorteil der Begabungen, die Dichtung zu beherrschen beginnt. Mit France, Gorki, Shaw stirbt eine Generation von breiten Dichtern mit ihren Gesellschaften aus. Europa ist noch nicht zurückgekehrt, um neue Führer für neue Gesellschaft mit ihrem Finger zu benennen.

Wie groß war die Wirkung der klassischen Russen und Engländer auf Deutschland. Gogol, Tschechow, Saltykow, Puschkin, Tolstoi, Dostojewski. Sie sind deutsche Autoren geworden. Die Dekadenz der russischen Literatur ins Westlerische, von Turgenjeff an, den fast gallischen Kusmin, den schönen, aber vom Geist der Städte zerpflückten Dymow, den rastlosen Panin, den verrückten Remisow hat es übertragen und geschätzt.

Die russische Kunst hat nun einen Messiasgang unter der Fahne „Kunst dem neuen Volk“ angetreten. Alexander Block mit seinen „Zwölf“, jenem wilden Sturmgesang der Bolschewiken, hat in einem verzweifelten Beispiel dennoch bewiesen, daß man auch als Politiker große Kunst schaffen könne. Die Kunst Europas ist zwar in vielen Experimenten befangen. Die Deutschen haben aber keinen Augenblick aufgehört, selbst den Experimenten nachzuspüren. Es fehlen nur die Massen, die früher eine Kunst wie die der Manzoni, Voltaire, Richardson verschlangen in jenem Augenblick der Geschichte, wo Kunst und Publikum sich im gleichen Gefühl trafen.

Wo sind auch die Signale, die England einst herüberfunkte? Hinter Percys „Reliques“ und Macphersons „Ossian“ lief ganz Europa her. Die Werke der Addison und Richardson wurden als Feuer benutzt, die Franzosen auszuräuchern, als der Geschmack zwischen Westen und Norden schwankte. Der „empfindsame“ Sterne, Fielding, dieser entzückende Spötter, Goldsmith, der mit Flötenspiel durch die Welt reiste und medizinierte, bestimmten einst den deutschen Gefühlsausdruck. Die Romantik Bulwers überschwemmte alle gefühlvollen Herzen, die Elliot malte ihre Sätze in jedes Album, um Currer Bell vergoß man männiglich Tränen. Man freute sich mit dem großen Redner Sheridan und seinen Witzeleien, man lag am Herzen der Smollet und Thackeray und Defoe und Swift.

Wie hat man den Dichter feurigsten Genres, den schönen Lord Byron geliebt und wie waren später der schöne Urning Wilde und Beardsley die sichersten Ponten im Spiel der Geschmäcker. Aber erst Scott ward ein Autor, um den Europa sich riß und mit Dickens wäre jeder Germane gern gestorben. Deutschland lebte von England, weil es ein breites bürgerliches Publikum besaß, aber keine bürgerlichen Romane.

Das Publikum ist heute in der Zersetzung, aber auch England hat keine Autoren mehr außer dem Savanarola der Militaristen, dem Kipling und dem Lächler und Sozialisten Shaw. Zwischen ihnen steht (außer dem famosen Wells) lediglich noch der gescheiteste Mann Englands, Chesterton, halb Prälat, halb Kunstreiter, den Blick nach Rom gerichtet. Chesterton, der sogar Detektivgeschichten benutzt, um katholische Seelen zu fangen, der den Curé-Kriminalisten erfand und als Spötter sich über seine eigne Propaganda für Rom artig ergötzt. Die katholische Kirche ist — weiß er — das elastischste Gebäude der Welt und gestattet als einzige Organisation der Welt die Ironie.

Kipling ist Engländer und hat mit dem im Irrsinn verstorbenen Lord Northcliff ein halb Dutzend Jahre den größten Preßkonzern der Welt gegen uns in Batterien der Unflätigkeit aufgestellt. Armes Deutschland, daß auch Kipling, ein Dichter und gewaltigerer Tierschilderer als unser Hagenbeck und der Däne Fleuron, daß gerade ein Raubtier-Dichter wieder das Wort von der Vorherrschaft der weißen englischen Rasse über die Welt und die Schurkerei seines deutschen Konkurrenten erfand. Es waren geschickte Jagdzüge, und das deutsche Fell blutete heftig darunter. Shaw und Chesterton sind dagegen Iren. Auch in England hat der Sieg neben dem Europäer Shaw nur einen überhitzten Nationalisten als Repräsentanten hochgebracht. Sonst hat Europa auch dort Pause. Hinter den beiden Iren ist nichts mehr da.

Nur von Amerika haben wir einen bedeutenden jungen englisch Schreibenden, den Upton Sinclair geholt, dessen Bücher dichterischer wie die des Barbusse sind. Er ist ein magister artium der Revolution, denn er versucht politische Propaganda, aber es wird gegen seinen Willen Kunst. Schon immer besaßen wir Amerika. Als vor hundert Jahren Washington Irving seine Skizzen schrieb, die England und Amerika aus der Schmollerei zur Freundschaft brachten, haben wir den Irving sofort übernommen, an Cooper ist eine Riesenliteratur der Indianerbücher groß geworden, an des Bostoner Emersons Klügeleien haben ebenso viele sich gewärmt wie andere an der Engländer Ruskin und Carlyles beschränkten Gedankengängen. Mit Bret Harte erstand Kalifornien so nah wie Bayern im deutschen Gesichtskreis, Longfellows reizende Epopöen las man in größeren Massen als die englischen tuberkel-süßen Prärafaeliten. Poes Grausen hat seine furchtbare Nüchternheit neben unseres Hoffmanns Romantik gesetzt. Mark Twains Witze las oft, wer Morgenstern oder Lautensack unter den deutschen Humoristen gar nicht kannte.

Wir haben freigiebig dem Rumänen Monolescu unsere Perlen gelassen und seine Diebsmemoiren dafür gedruckt, haben es willig hingenommen, daß polnische Emigranten während des Kriegs, ehe sie zu antideutscher Propaganda ins Reich Pilsudskis zurückkehrten und schwiegen, uns die halbe ziemlich greuliche polnische Literatur servierten, darunter allerdings den kessen Roman des slawischen Napoleon von Przerwa-Tetmajer und den Mondroman von Zulawski. Wir haben spanische Schelmenromane, haben des portugiesischen Zola, des Queiroz Bücher, haben die Poesien der Asiaten und Afrikaner, der Kabylen und Lappen zu uns eingeführt in einer Flut, die bald hemmungslos weiterströmt als man mitkann.

Das konservativste Herz Europas ist das der Schweizer. Selbst ihre „Nichteingesessenen, Eingekauften“ stammen noch aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Ihre drei möglichen Dichter sind auf das deutsche Pferd gestiegen und damit in den großen Tattersal geritten. Das liberalste Hirn Europas sind die Juden. Wir haben aus dem Jiddischen ihre Dichter übersetzt, haben Scholem Alejchem, Perez, ben Gorion gebracht und die Paies und Kaftans und Chuzpes und ihre tiefe Gläubigkeit, ihr unerhörtes Nationalbewußtsein neben das unsere gestellt, haben durch des bedeutenden Denkers Buber vermittelnde Hand die großen östlichen Rabbis aufgenommen, die Chassidensekten und ihre Verkünder, haben den Rabbi Nachmann, den Baalschem zu deutschen geliebten Denkern gemacht. Wir sind das Meer geworden schließlich, wohin die Skandinaven ihre Wikingerfahrten machten, statt Rom zu plündern oder Karthago zu erobern.

Wir sind das Meer geworden, wohin die unheilvoll produktiven Skandinaven ihre Regatten machen. Es ist leicht sie zu gliedern, wo man sie ja langsam alle bis zu den armseligsten Ratten kennt. Hinter den norwegischen Segeln liegt Christiania und das Eismeer. Über den Stockholmer Rufen weht schon die slawische Stimme. Um die dänischen Cats weht wie Versailles der weiche Kopenhagener Wind. Bald fehlt kein Renntier, das zu stottern anfängt, kein Eskimo, der ein paar Runen zeichnet, kein delirierender Lappe in der Übersetzungskompagnie.

Voran die buntesten Segel mit den Schauspielern der Literatur, die Dänen. Sie schreiben entweder wie Jakobsen, dessen Stimme stets auf den Fußspitzen steht, oder wie Jensen, der ein Tigermaul hat. Sie haben mit dem zarten Bang uns einen radierten Impressionismus geschenkt, der entzückende Tierempfinder Fleuron, der süße Südseemaler Laurids Bruun, der vornehme Gelehrtenkopf Gjellerups sind aus Jakobsens Schule. Dagegen sind der sibirische Vagant Madelung mit seinen gemeißelten Sachen, der tolle Jürgensen, der das Tiergebrüll der Kongonacht aufruft, von Jensens wundervollem Blut. Hinter ihnen her sind zweiundachtzig kleinwüchsigere Dänen in Deutschland ausgebootet. Darüber hat Pontoppidan dann mit der Freskenkraft eines müden Rubens sein sterbendes Zeitalter gemalt, und der große Dichter Nexö hat mit der Wildheit eines zwanzigjährigen Rodin das proletarische Zeitalter schon frohlockend an die Küste von Bornholm geschrieben.

Hinter dem gekreuzigten Quäler Strindberg haben alle lyrischen Melancholiker Schwedens immer auf deutscher Erde fester wie auf Götland und Dalarne gestanden. Die schollenduftende Lagerlöf, der klassizistische Halström, der sanfte Geijerstam, der Epiker Heidenstam sind deutsche Autoren geworden, ja der Kriminalschreiber Frank Heller versorgt das deutsche reisende Publikum fast völlig, zwanzig andere hinter ihnen her. Von den Norwegern hat man den Globetrotter Hamsun als Erben des Großbauern Björnson mit dem Einfluß übernommen, den englische Romanciers manchmal in letzter Zeit sandten. Der größte Bekenner der modernen Weltliteratur, Hans Jäger, aus der Frühzeit des Malers Munch und der norwegischen Naturalisten, hat nur in Deutschland seine unbeschreiblich qualvollen erotischen Beichten ablegen können. Siebzehn Holzfällerboote mit Renntiersegeln und ein Dampfmotor mit Ibsens drohendem Zeigefinger am Stern hinterher. Er deutet mit belehrender Eleganz nach Swinemünde: Es lebe Deutschland.

Alles wollten wir haben, alles haben wir eingeführt, allen haben wir geholfen, an die europäische Rampe zu kommen. Jeden Sinn, jede Farbe, jede Schwärmerei haben wir gesucht. Sind wir nicht ausgezogen, selbst die Windrose noch dazu einzufangen? Wir haben die Windrose selber geholt, Mijnheer, weil wir auch die Winde der ganzen Welt lieben.

Aber es genügt nicht zu raffen, zu holen, zu helfen, zu sammeln. Wir waren so lüstern nach allen Möglichkeiten, daß wir übersahen, daß niemand sich revanchierte. Als die Franzosen durch ihre internationalsten Künstler eine Ausstellung in Paris vorschlugen, machten selbst sie den Einwand, für jedes verkaufte deutsche Bild müsse Deutschland ein französisches kaufen, während kein Bild der Deutschen in Frankreich wandert, aber tausend französische bei uns verkauft werden. Wir haben von der Welt nie das Verhältnis von eins zu eins gefordert, wir haben nicht einmal die Quote eins zu hundert verlangt, wir haben, wenn wir plombiertes Eisen kauften, nicht einmal daran gedacht, daß man unsere Saphire dafür wenigstens nehmen könne.

Es hat uns genügt, wenn man unsere Lokomotiven, Schiffe, Chemikalien lobte, wir waren Verschwender im Einkauf und nachlässig in der Propaganda unseres Geistes nach auswärts. Wir haben die Welt kennen gelernt, ohne sie zu verstehen, die Welt hat von uns nicht einen Centime akzeptiert. Warum aber soll man jeden Mist nehmen, weil der dänische Verlag Gyldendal in seinen deutschen Verlagsfilialen die Mark mit einem halben Öre kauft? Man braucht, finde ich, nicht weniger weitherzig zu sein, wenn man nur das Beste nimmt und sich im übrigen abschließt.

Was haben wir von verwaschenem Internationalismus unserer Gewohnheiten, wenn der deutsche Nationalausdruck noch nicht geprägt ist? Was tut der deutsche Commis in schlotternden englischen Hosen, wenn er sein deutsches Herz noch gar nicht kennt. Hat man sich aber besonnen auf den deutschen Charakter, dann ist das Deutsche so sicher, daß es auch die Welt mit umfaßt. Dann aber werden auch die anderen gezwungen sein, uns zu besitzen.

Man erlangt nur Europa, wenn man sein Volkstum auf die schönste Spitze treibt, nicht indem man es wegwirft. Der Europäer ist der aus der Klarheit und aus der Vollkommenheit seines Stammes-Blutes heraus geformte und nur dadurch Überlegene. Er ist kein Gebräu aus internationalen Theorien, deren Geruch so schlecht ist wie jener der unreifen Schwertrufer des Vaterlandes. Man wird daher nicht deklamatorisch eines Tages sagen wie der Gallier: Weil Frankreich ist, ist Europa. Sondern: vielleicht wird Europa durch den Deutschen zurückgeführt.

Der Deutsche hat wahrlich viele Fehler vor Gott, aber schöne Tugenden. Er hat eine Treue zu seinen Ideen, die keiner sonst hat. Er hat die Duldung, die übermenschlich manchmal ihn selber und sein Gesicht verwirrt. Mit Swinburne im Flugzeug flog er nach London, lag mit Dostojewski im Tornister gegen die Russen, haßte den Krieg und ließ sich doch aus Anstand für eine tote Sache erschießen. Welche Qualitäten, welche Weite, risse endlich einmal der richtige Wirbel statt den falschen Engeln dies alles hoch! Er hat schon europäische Augen, nur einen kleinstädisch gespannten Verstand. Wüchse ihm das rechte Bewußtsein, er würde das schönste Volk der Erde.

Selbst heute, wo Europa stagniert, wo die ehrwürdigen Väter der Kunst mit ihren Zeitrassen verschwinden, selbst in die atemlose Luft hinein zwischen den alten und den neuen Schicksalen, hat Deutschland jedem über seine Zäune hinübergewunken, aber niemand hat zurückgerufen. Ist der Winker der Tor, der immer mit dem Degen die Luft durchbohrt, oder ist der Nichtantwortende der Kluge?

Ach, neutral sein in großen Dingen ist nie unverdächtig, und selbst die Westschweizer waren im Krieg ententistischer als die Entente. Die Franzosen wollen den Frieden, sagte man, mais les Lausannois ne la veulent pas. Europa ist kein Marmor und man kann ihn nicht im Kabinett vergewaltigen wie jener Spanier in der Peterskirche geheim mit Jakob della Portes Standbild tat. Sie ist eine Idee, die wird oder stirbt. Ach, Europa wird kommen, wenn wir es suchen auf allen Seiten, oder wir werden weiter winkend krepieren, aber im Sterben auch noch ihr Bild vorm Auge: Je t’aime plus qu’hier et beaucoup moins que demain.

Was hindert die Kinder Europas, zueinander zu kommen? Ein wenig Vorurteil. Was macht die Unterschiede der Menschen aus? Kaum fühlbar andere Sitte. Im feinen England wird man nie baskische Provinz wie in Berlin mit Fräcken spielen. Eine französische kleine Kokotte wird mit einem armen Studenten das Brot teilen statt ihn anzuzeigen wie in Holland. Ein englischer Sportsmann wird nie wie ein französischer oder deutscher wegen des Rekords von ein paar Minuten Kameraden im Stich lassen oder Damen im Bob anrennen. Eine französische Jury wird einen politischen Verbrecher erbarmungslos fassen, eine Frau immer freisprechen, eine russische wird im Angeklagten immer den Unglücklichen sehen, der Mitleid, und nicht Zorn verdient. Und beiden wird der dogmatische Gerechtigkeitssinn der Deutschen fehlen, die meinen: und wenn die Sonne erblinde, der Paragraph müsse durch die Wand. Man wird weiter in Amerika sich gegen Zwillinge versichern, in England Weekend machen, in Brüssel Deserteure bildlich von der Mauer mit Militärmusik schießen, in Spanien Blumensträuße in die Bordelle senden, in Polen Kartoffeln bauen, in Schweden im Freien sterben, in Italien das Meer fürchten und in Deutschland Europa lieben.

Das, Mijnheer, sind die inneren Unterschiede der Nationen. Man kann sie auf den Rand einer Zeitung schreiben.

Kein Wind geht irgendwo anders, kein Baum steigt höher in den Himmel, kein Stern hat anderes Licht. Es gibt in Europa kein Klima, das sich in Amerika nicht wieder fände. Es gibt keine Geschichte, die nicht gleichzeitig ein Abencerrage und ein Samurai den ihren je erzählt hätten. Skandinavien liegt fünfzehn Breitegrade (so weit wie Berlin und Tunis) gestreckt und hat das gleiche Klima, das warme Meere und Windströmungen ausgleichen, während der Süden Europas mit kalten Nächten sich temperiert. Man reist mit den gleichen Koffern, gleichen Tickets, gleichen Gesetzen. Was trennt die Kinder Europas, sich zu finden?

Selbst die Götter haben sich zueinander gesellt. Den Janusgott, der ihnen fehlte, fanden, mit dem doppelten großen Haupt, die Griechen in Rom. Sie überwiesen dafür den Italern den Apoll und ihren Hermaphrodit. Der mongolische Jumala und Odin, die gallische Venus und der englische Jupiter werden zusammen der Göttin Europa huldigen können.

Sie würde, wenn sie käme, eine reife Laune haben, jung wie der beste Sommer. Die gesungenste Sprache der Finnen wird mit der gezischten der Slawen, mit dem Sachlich-Warmen der Germanen und dem grazilen Marmorton der Franzosen im gleichen Takt nach ihr gehen. Die Musen hätten kein Rokokospiel, aber repräsentablen Ernst. Die Monate würden heißen wie in „Hiawatha“: Mond der schönen Nächte, Mond der Blätter, Mond der Erdbeeren, Mond des Laubfalls, Mond der Schneeschuhe. Das wäre eine angenehm kultivierte Rasse dann, die diese geliebte Lehmkugel bewohnte, mit Erinnerung an die Gletscherzeit und die Zuchtstiere, verliebt in den Boden und mit dem Gott in Ordnung und elektrische Öfen dazu.

Ach, Mijnheer, im Mondschein steigen sechs Pferde schweißend, den Schneepflug hinter sich, die Schneise herauf, Haselzweige in Blust am Zaumzeug. Es ist hell wie am Tag, sie steigen überwölkt von Dampf durch den Hohlweg, morgen wird der Weg hinunter beendet in den Frühling. Die Geographie der Jahreszeit ist vereinigt: Hummeln stürzten bereits heute in Scharen auf die Weiden, die aus dem Schnee in die Tagsonne sich mit Blüten strecken. Wie die Landkarte Europas sei?

Man kann sie mit ungeheuerlichen neuen Bildern täglich malen. Anders wie das Forte piano der Teiler von Versailles, die statt wie Dioskuren wie Gentlemen-Taylors geschnitten haben. Anders, voll nüchterner Romantik. Ein verständliches Paradies. Nicht das pathetische Theater des Kopernikus mit seiner „lucerna mundi“: der Weltleuchte, umgeben von Tierbildern, Pflanzenwäldern, Menschenscharen, flammenden Polarlichtern, farbigen Ozeanen und Meersäulen. Das ist für Fakire, nicht für Menschen. Der Mensch Voltaires, glücklicher Candide, sprach die richtige und menschlichste Losung für Europa: „Bebauen wir unseren Acker.“ Alles ist dann in Ordnung. Man kann ruhig leben, gut sterben. Himmel und Menschen sind meistens einer Meinung. All right. Sie lächeln, Mijnheer? Es ist die zweitletzte Nacht.

Die zehnte Nacht

Mijnheer . . . . . . . !!!

Letzter Vormittag

Mijnheer, wir sind frei.

Im Schlitten vor uns fahren die Filmleute. Hinter uns jagt mit Schellenklirren eine Karawane zu Thal. Die Tiere schütteln sich vor Wonne unter dem blauen Horizont, und der Wald ist, von Sonne getaut, in der Nacht wieder zusammengefroren wie singendes Glas. Wo waren Sie heute Nacht?

Ich war nicht bei Ihnen, aber Sie waren auch nicht in Ihrem Zimmer. Ich sah es, denn Sie hatten kein Licht, und als ich rief, lachte es in einem anderen Korridor. Wir glücklichen Toren! Wir haben ein doppeltes Dasein geführt, wir haben mit Grübeln in den Nächten das Leben bestimmt und den Tag uns gegenseitig verschwiegen. Wir haben die Nächte mit Reden erhellt und unsere Tage im Dunkeln gelassen und zweierlei Dasein gelebt. Nun ist das Leben plötzlich in unsere Gespräche eingedrungen wie ein Tier und hat uns die zehnte Nacht entrissen. Fahre sie wohl.

Es geht wie im Traum, der Schlitten schwingt im weichen Tempo des Hufschlages. Die Abhänge sind an den Felsen manchmal schon „aper“ und beugen sich voll Lawinen über den Schwarzwald hinab.

Sehen Sie zurück: auf Gisiböden, Notschrey, Blösling, Seebuck steigen Säulen von Dampf. Schauen Sie ins Tal: da strudeln in den langen Sonnenfächern rosa und blaue Nebelwolken. Welcher Zauber. Welche Weite. Die Welt ist wieder offen.

Auf dem Bruchharsch des Zweiseeblick fahren die Skiheroen ins Tal. Sie schwingen wie Kreisel in alpiner Technik über das Eis, flitzende schwarze Punkte, dann stäuben sie in die Latschen. Die Sonne greift aus der gläsernen Gegend eine vor Leidenschaft zitternde kühle Musik. Noch ist die Erde nicht aufgeplatzt, dem Frühling entgegen. Aber die Ebene kommt uns entgegen. Die Erde nimmt uns auf, als habe der Okeanos, der sie umschließt, sich mit reißender Wonne über sie ergossen. Was bleibt von der Kühle und Distanz, mit der wir sie aus unserer Verbannung heraus geteilt und beurteilt?

Was bleibt an Überlegenheit, wenn die See und die Alpen uns anglühn? Dahinter liegt Venedig und über dem See die Städte. Von Badenweiler bis Zürich, von Freiburg bis Köln geht der Atem der Landschaft. Und hinter der Heimat steht unentziffert, mit allen Wundern verschleiert, rätselhaft wieder die Welt.

Was bleibt nun von dem, Mijnheer, was wir zu entzaubern versuchten?

Was ist Kunst?

Zuerst ein Mißverständnis von oft entzückender Albernheit bei den Menschen. Welches Panorama von Witzen!:

Friedrich der Große schrieb dem Schweizer Myller, der ihm das Nibelungenlied sandte: „Hochgelahrter, lieber Getreuer. In meiner Büchersammlung werde ich dergleichen elendes Zeug nicht dulden. Sondern herausschmeißen.“ Voltaire krächzte über Shakespeare als ein lächerliches Scheusal. Der Dichter Flaubert ward zum Naturalisten, der Mensch zum Verfasser von Cochonnerien gestempelt. Heine hielt eine Zeitlang Goethe fürs Haupt der romantischen Jünglinge. Zola hielt sich für einen nackten Schilderer der Natur und war doch ein versteckter Romantiker. Man warf ihn aus der Zeitung, weil er für Courbet eintrat, und nannte eine häßliche Frau „femme impressioniste“.

Das Rokoko hielt die chinesische Kunst für eine Pläsanterie, benutzte ihre Schnörkel hochmütig und sprach über sie als „Indianische Malerei“. Balzac habe die Gesellschaft seiner Zeit am Schreibtisch ergrübelt und nicht geschildert und sei ein kindischer Schwachkopf, schrieb ein maßgeblicher Mann seiner Zeit. Und ein anderer fügte hinzu: wie die Mode Hugos restlos verschollen sei, werde auch Zolas schwaches Geschwätz dahingehn. Einer der besten Kunstwitterer Deutschlands, Paul Cassirer, hielt, als ich ihm kurz nach der russischen Veröffentlichung Alexander Blocks mir zufällig in die Hände geratende „Zwölf“, die Jahrtausend-Marseillaise aller Kommunisten, für seine „Weißen Blätter“ sandte, das Gedicht für eine kleine Ballade. Die Piraten der öffentlichen Meinung haben Achtzehnhundertachtzig gegen Manet wörtlich buchstabengetreu denselben entflammten Unsinn geschrieben wie gegen die Expressionisten. Was ist Kunst, Mijnheer, wenn Sie die Zeit fragen? Es wertet nicht das Lächeln eines holländischen Gentleman, der eine gute Zucht schwarzweißer Rinderherden hat.

Wenden Sie sich zu den Künstlern, wirds ein Bajazzospiel des Temperaments. Jeder liebt das ähnliche und kreuzigt das andere. Ingres hielt sich zu Holbein und Rafael. Beckmann schwört zu Mäleskirchner und Bosch. Böcklin, Feuerbach, Schwind wüteten gegen Macart und Piloty. Balzac amüsierte sich über Hugos Stücke und verehrte Stendhal. Corot hielt Delacroix für einen Adler und sich für eine Lerche, während Ingres von Delacroix als einem Epileptiker stöhnte. Heine hat Platen zwischen einer Diarrhoe vernichtet und die Schwaben verlacht, aber Lessing mit strenger Liebe bewundert. Fragen Sie einen Coiffeur, Mijnheer, was Kunst sei, aber meiden Sie die Träger der ewigen Fackel! . . . . . . .

Nun traben die Pferde ums Bärental, geflockt von Lämmerschnee schwebt die Ebene unten bis an den Rhein und der Wald über uns löst unter der Sonne seinen weißen Ballast und wirft ihn dampfend und spielerisch durch das Blau herunter.

Unser Schlitten ist rot lackiert, Mijnheer, und wie ein Minerva-Wagen gebaut, er hat die gleiche Federung auf dem Schnee und den ventillosen ruhigen Gang. Die Pferde knirschen schäumend an den Trensen und werfen die Köpfe in die Luft, und nur die Glocken des Sattelzeugs durchtanzen die Ruhe der landschaftlichen Majestät.

Nun traben die Pferde zwölfhundert Meter über dem Meer mit stolz gebäumten Hälsen und wagerechten Köpfen schon fast hohe Schule von einer Schleife der Straße in die andere nach dem Rhein.

Was bleibt von den Stilen, den Richtungen, den Gruppen der Jahrhunderte, wenn selbst die Gäule eine Schule des Ausdrucks haben, ihre unterdrückte Leidenschaft nach der Ebene in einem prachtvollen Stil zu bezeugen?

Alle Schulen scheinen vorne die Kampftruppe einer Epoche, dahinter aber erscheinen sie nur als Widerstreit zwischen Können und Welt. Was liegt dazwischen, Mijnheer?

Im einzelnen Fall gesehen ist die Antwort vielleicht schon zu einfach:

Die ägyptische Plastik war wohl der größte Versuch, das Persönliche in das Mächtige münden zu lassen. Berninis Büste des vierzehnten Ludwig erstrebte nicht den ähnlichen Mann, sondern allerdings darüber hinaus das Königliche. Flaubert spießte nicht mit seiner Pinzette die tausend Details, sondern sammelte das Kleine immer in bezug auf die Größe. Voltaire machte nicht Witze, sondern suchte die Ernüchterung seiner Epoche, Beaumarchais hatte zwar nicht nur Haß, sondern erstrebte nur Wahrheit. Das ist deutlich und einfach. Wo aber liegt der eigentliche und letzte Sinn?

Die Inhaber der Schulen haben allerdings nur wie die Wilden gegeneinander getobt und dem Mißverständnis der Stile auch noch die Irrtümer ihres Charakters hinzugefügt. Von ihnen ist keine Antwort zu erwarten. Sie wird höchstens Komödie:

Schiller schwamm durch den Sturm und Drang, beknabberte die Romantik, durchstelzte die Klassik. Goethe schrieb nicht nur den wüsten Götz, vor dem noch der große Friedrich schauderte, sondern auch Iphigenie, aber auch das italienische Tagebuch. Musset, der die Romantik an allen Seineufern zärtlich bekannt gemacht hatte, schwor ihr mit furchtbaren Witzen wieder ab. Das Rokoko erfand sich selbst zum Kontrast auf seine Eleganz die lockeren Schäferszenen. Die ritterliche Hochkultur des vierzehnten Jahrhunderts stürzte sich auf die Wilden-Männersachen und schuf in den „ballets de sauvages“ sich ein romantisch phallisches Ventil. Der kleinbürgerliche Gefühlsbulle unserer herrlichen Zeitwende sogar, der sentimentale Bonsels, begann mit abenteuerlich lasterhaften Eroticis, während er nun über Jesu gerne ausführlich spricht. Joachim Kändler, der den europäischen figürlichen Porzellanstil von Meißen aus schuf, ein bewundernswerter Meister, arbeitete zuerst im Augsburger Goldschmiedstil, fertigte das berühmte Schwanenservice in den vierziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts bereits in Rokaille und zehn Jahre später das große Geschenk seines Königs an den fünfzehnten Ludwig „im jetzigen goût der kunstliebenden Welt“, nämlich in Rokoko. Ist das nicht lustig?

Keine Pamphlete, keine der trojanischen Schlachten, welche die Vertreter des einen gegen die des anderen Stils schlugen, täuschen über das Komische jener Einstellung hinweg, die vermutet: daß der Stil das Wichtige und der Künstler das Unwichtige, die Kunst aber ein Feldlager sei.

Der Professor Bergeret bei Anatole France hatte eine geruhigere Ansicht, als er nach dem Ehebruch seiner Frau aus dem Hause stürzte und plötzlich an allen Ecken in Kreidegrafittos seine Karikatur als Cocu sah. In der einen Auffassung der Zeichnungen wuchsen ihm die Hörner aus dem Kopf, in der anderen aus dem Zylinder. „Zwei Schulen“, dachte Bergeret und ging gelassen durch die Promenaden.

Als der Baron Marcellino de Sautuola die Höhle von Altamira vor vierundvierzig Jahren mit ihren Eiszeit-Rötelbildern fand, lachte ganz Europa, und Cartailhac, der das später männlich zurücknahm, erfand den Spaß vom Ulk der spanischen Mönche. Bald aber war nicht zu bezweifeln, daß hier eine Kunst vorlag, die vor fünfzigtausend Jahren an die Wände gemalt ward. Der Wolf in Font de Gaume sowie der Bison von Altamira sind gewaltigere weitere Kunst als alle persischen Miniaturen und Teppiche und unvergleichbar großartiger als die ähnliche Malerei des Franz Marc.

Fünfzigtausend Jahre sind eine erhebliche Zeit, alles, was uns wert ist, liegt im wesentlichen höchstens dreitausend Jahre in der Welt. Wollte man in der zwanzigmal größeren Spanne bis zur Eiszeit nach Schulen suchen, würde selbst der Gott der Historie platzen vor Lachen.

Wir haben ohne Zweifel die Schulen von siebenundvierzigtausend Jahren vergessen, aber die von dreitausend Jahren eifrig auswendig gelernt.

Den ersten Napoleon hat seine Schildkröte hundert Jahre überlebt. Und von Fieldings „Tom Jones“ meinte ein Kritiker, es werde, da der Autor habsburgisches Blut in seinem englischen Körper hatte, den österreichischen Doppeladler überdauern, und es hat ihn überlebt. Was bleibt, Mijnheer, an alledem, wenn aus der Nähe, von Pupille zu Pupille gesehen, dem Sucher der Sinn der Stile nichts anderes scheint als der Anlaß zu Albernheiten für die Zeit und spöttischen Kartenspielen der Jahrhunderte?

Es bleibt, Mijnheer, im Wechsel der Gruppen und Erscheinungen derselbe unbestimmbare Reiz wie bei den Saisonen der Natur: Herbst, Fruchtbarkeit, Korn, Park und Flüsse . . . und der Widerstreit, den die Schönheit des einen gegen das Leben des anderen führt und es vernichtet.

Es bleibt die Kraft der Natur, durch den Wechsel sich zu fabelhafter Elastizität zu erziehen, die Knospen zu sprengen, wenn sie prall, und die Früchte zu nehmen, wenn sie reif sind. Darüber hinaus hat alles nur den Zweck des Kampfes zur Erreichung eines immer glühenden Umlaufs der Säfte. Gegen die französische Akademie, die um Poussin und das antike Ideal erstarrte, zog de Piles mit den Rubenisten und verlangte die Vermenschlichung der Poussin-Garde. Aus der Vereinigung entsprang Watteau, gegen den das Messer einer neuen Klassik sich schon schliff. Maxime du Camp hat über einen Genius gesungen: „Je suis né voyageur, je suis actif et maigre /// J’ai peur de m’arrêter, c’est l’instinct de ma vie.“ Es wird der Genius gewesen sein, der die Stürme der Richtungen gegeneinander führt und keinen Sinn hat als den, die Fruchtbarkeit des Lebens toll und süß und scharf zu halten.

Es gibt keine Stile mehr unter diesem Gesichtspunkt, sondern lediglich den Kampf von Sein und Schein, von Wollüstigen und Beschnittenen, von Verklärten und Abenteurern der Kunst. Das Barocke hat stets mit dem Klassischen sich gejagt, aber niemals war der Bürgerschreck Wahrheit, daß das eine größer, das andere kleiner sei. Die Natur hat keine subalterne Kritik zu sich selbst, und was das Ruhige und das Lodernde trennt, sind nur Unterschiede des Thermometers, nicht solche des Glanzes.

Das Barocke ist nicht das Verhüllte und das Klassische dagegen das Gesegnete, sondern beide sind vom gleichen letzten Adel der Helligkeit, wenn sie erlesen gesucht sind. Wedekind und Bosch sind Signale der Klarheit im Barocken. Shakespeare und Calderon sind Monumente des Lichten im Barocken. Goethe und Racine, Rafael und Petrarka sind helle Söhne der Klassik. Es gibt dagegen heute wie stets auch verworrene Klassik und mißverstandenes Barock. Das Publikum legt keinen Wert auf diesen einzig richtigen Unterschied, aber es würde bei einer Eselparade auch nicht auf die Gangart, sondern auf den zweiköpfigen Esel schauen.

Es bleibt, Mijnheer, wenn Sie fragen, was Kunst sei und was standhielte, gehalten gegen die aufbäumende Kraft des Daseins, es bleibt, über die ewigen Bewegungen der Jahreszeiten von Blüte zur Frucht, von den reifenden Äckern und den gewitterroten Herbsten, es bleibt über die weiche Wehmut des Sommers und die zitternde Kraft dieses Kreislaufs durch die Jahrhunderte hinaus . . . es bleibt letzten Endes außer dem unfaßbaren, aber erregenden Zustand dieser Bewegung die stille Heiterkeit einer menschlichen Erinnerung. Es bleibt, wenn alles Überflüssige schließlich fiele, wenn das Verhüllende fehlte, wenn das Zeitliche schwände, es bleibt in letzter Nacktheit jede Kunst als der Götterfries ihrer Menschen, über jeder vor uns verrauschten Epoche mit klarster Kraft an den Horizont der Ewigkeit als Erinnerung geschlagen.

Es werden durch diesen Fries die Götter der Sehnsucht und die Göttinnen der Qualen dieser Menschen vor uns wandeln und die Nymphen ihres Lächelns werden nicht fehlen und die Dämonen ihrer Leidenschaft werden darin zittern. Ja, ihre Ernten und ihre Städte, ihre Sklaven und ihr Reichtum wird darin enthalten sein wie in allen göttlichen Symbolen, die leicht zu entziffern sind, wenn das Göttliche wirklich seinen Atem in sie gehaucht hat.

Denn die seligen Götter waren nie ein anderes als die Erhöhung der Menschen irgend einer Zeit auf einen gewissen Stand ihrer Sehnsucht, sie waren nicht einmal unfehlbar, sie waren unsterblich, aber verwundbar, alles wissend, aber zu betrügen, voll Ethos, aber auch voll Haß und Neid. Sie waren aus beiden Stoffen der Erde gemacht wie die Menschen auch, denen nur die Kunst schließlich blieb, in ihr die Götter wohl mit größter Vollkommenheit, aber auch mit allen ihren eigenen Fehlern zu bilden.

Es ist einfach, von der Kenntnis der Menschen einer Zeit aus auf die Größe ihres Weltbilds zu schließen, es ist noch einfacher, sich aus den Figuren der Götter die Gesellschaft jener Nationen zurückzuenträtseln, die auf dem Rücken der Kunst diese Götter sich gebaut haben.

Denn Kunst ist immer der eifervollste Kämpfer mit der Unsterblichkeit gewesen. Als die größten Künstler ihrer Zeit, Bernini und Corneille, sich trafen, redeten sie sofort ohne Pathos, so als ob sie „how do you do“ sagten, davon, wie schmerzlich es sei, daß man so weit hinter seinen Idealen zurückbleibe. Flauberts Tagebücher weisen Kämpfe, die verzweifelter sind wie jene Cäsars, Alexanders, Napoleons, um die Erreichung einer möglichen Welt. Und als Gelimer nach Karthagos Fall mit den letzten Vandalen in einer numidischen Bergfeste am Krepieren war und die Herrlichkeit eines phantastischen Reichs damit hinsank, erbat er von seinem Gegner Pharas neben Brot und Schwamm eine Harfe, um selbst die Größe seines Unglücks mit der Kunst zu messen. . . . . .

Wir haben, Mijnheer, sechzehnhundert Meter hoch den Schlitten heute angespannt, haben die Landschaft des Schwarzwaldes in langen weichen Hängen unter uns ins Land fließen sehen. Hinter den Spießhörnern malten sich die Vogesen violett an die Dämmerung und hoben Straßburgs Kathedrale aus der fetten elsässischen Erde. Über dem Titisee funkelte die rote Lava der Schweizer Alpen. Von Kolmar bis Mainz lag die deutsche Erde unter uns und sie atmete über den Rhein, wo ihre Geschicke stets geplant, getragen und gemünzt wurden, immer nur das eine wundervolle Gefühl: Gelassenheit.

Die Pferde traben nun schon sechshundert Meter tiefer, sie sind von Hafer toll und gehen elektrisch in der Kandare, wir haben den gleichen Blickpunkt, um auf die Kunst zu schauen: Ach, wie fliegen, vom Feldberg der Seele aus gesehen, die Schleifen der Stile, die Banner der Richtungen, die großen Proklamationen feierlicher Wahrheiten in den Wirbel der Dampfsäule hinein, der sich von allen Berggipfeln der Sonne zu hebt, und wie atmet die Brust der Kunst denselben Rhythmus wie die ewige Landschaft: Gelassenheit.

Nur das Höchste wird spät einmal Sinnbild. Nur das Erlesenste ersteigt einmal den Sockel. Nur das Auserwählte kommt über die Bewegtheit der Jahreszeiten mit der fiebernden Brust an den göttlichen Mund, der es durchatmet.

Die Bewegung von Kunst und Volk ist wie der Wettlauf von Wolken und Flüssen, die in der farbigen Landschaft versuchen, mit gleicher Eile zu wandern und mit gleicher Innigkeit sich zu spiegeln. Einen anderen Himmel hat die Provence, einen anderen Sibirien wie Deutschland. Ebenso wandern die Wolken gehauchter oder gedunkelt, ebenso strömen die Flüsse silbrig oder voll Trübsinn.

Die deutschen Wolken haben einen dunklen Kern und geschliffene stahlhelle Ränder und die deutschen Flüsse haben die wehmütigen Melodien ihrer melancholischen Tiefe und den Glanz ihrer romantischen Fälle. Aber die Wolken wandern noch nicht wie die Flüsse und die Ströme blicken in andere Wolken und zwischen den oft italienisch geformten Wolken und den germanischen Flüssen ist noch kein klarer reiner Kontur der Landschaft gezogen.

Die Götterbilder der Kunst haben zwar an alle Horizonte die leicht entzifferbaren Fresken der Jahrhunderte gespiegelt, aber über ihrem Barock haben die Deutschen noch nicht die Sehnsucht nach der südlichen Erlösung vergessen und werfen in ihren Träumen den Himmel Neapels und Barcelonas an ihren kühlen germanischen und denken sich den dann gern als den ihren. Sie haben in ihrer wundervollen Einfalt ihre Sehnsucht mit ihrem Dasein verwechselt, sind bald in den Ruf gekommen, Barbaren, bald Schwärmer zu sein, haben von jedem ein Teil und können sich immer noch nicht entschließen, von Bamberg, von dem Vogelweider, von Wolfram, von Cranach und Bosch und Grünewald, Luther, Fischart, Grimmelshausen, Grabbe, Kleist, Wedekind den Glanz zu nehmen, mit dem sie andere mit den Scheinwerfern ihrer Verehrung bombardieren. Götter werden nicht nachträglich gemacht, sondern sie werden verliehen. Sie sind da, ob man sie sieht oder nicht.

Einmal wird der dunkle Lauf des stürmischen Flusses mit den schweren stahlglänzenden Wolken in gleicher Eintracht und im selben Schwung gehen und sie werden sich in einer Landschaft von Ruhe, Schwere und jungem Glanz spiegeln. Die deutsche Zukunfts-Landschaft ist ewig und voll großer Geduld. Ihr Bild schiebt sich schon manchmal aus den fliegenden Schatten und den durcheinanderwuchernden Hängen zu phantastischer Dichte zusammen. Nicht bei Niggern und nicht bei Hellenen ist die Zukunft. Sie liegt barock in der deutschen Vergangenheit, und wenn Kunst überhaupt mit Zweck zusammengenannt werden darf, so ist ihr gegenwärtiger Sinn, mit diesem Bewußtsein den Höhepunkt nationaler Blüte zu erreichen, denn das heißt: daß die deutschen Himmel und die deutsche Erde zusammenwachsen.

Barock ist die deutscheste Form. Und wie beim klassischen Bildwerk immer sich der Ausdruck in einem fast flächigen Punkt sammelt, erreicht bei gleicher Kraft der Schöpfung das barocke Bildnis noch die Stärke, von seinem Umriß aus zu strahlen. Es sammelt nicht nur wie das Antike, sondern es schillert und überträgt und wird europäisch. Das ist auch die letzte Richtung unserer Wolken und unserer Flüsse.

Aber Deutschland.

Die Erbschaft von fast zwei Dutzend Fürsten hat nach der Revolution nicht das souveräne Volk der Verfassung, sondern die Macht von zwei bis drei wirtschaftlichen Konzernen übernommen, die fast stärker sind wie der Staat. Als der Industriemagnat Stinnes nach den Eisenbahnen griff, führte er die Hand an die Gurgel des alten Staatswesens. Wenn Rathenau und Loucheur das Wiesbadener Abkommen berieten, hätten beide als Figuren eines Lustspiels von einem sardonischen Molière sich abwechselnd erheben können mit der Frage, ob im Gegenüber der Wiederaufbauminister oder der Präsident der AEG, oder der Präsident von „Terres rouges“ sprächen. Früher bestimmte die Augenbraue eines Königs, später der Zug der Gemüseweiber mit der Freiheitsgöttin nach Versailles die Geschichte.

Heute umfiebern die Börsen die Geschicke Europas, und Frankreich, das, den Mund voll Gesängen der Freiheit, seinerzeit zur Einigung des Kontinents aufgebrochen war, wird nunmehr regiert von dreihundert Leuten, die vielleicht nicht lesen und schreiben können, aber im Aufsichtsrat von Creusot, Standard Oil Compagnie, Arbed und Crédit Lyonnais sitzen. Früher ging la doulce France kämpfend für den Glauben nach Palästina zum Grab des Herrn, heute sitzen die Deutsch de la Meurthe, Henri Rotschild, Michelin hinter ihren Ministern und lassen Deutschland aussaugen.

Aus dem Haag wird gemeldet, in London einige sich eine Konferenz französischer, belgischer, holländischer, englischer, amerikanischer Petroleuminteressenten unter dem Vorsitz des früheren niederländischen Ministers Colyn, um einen Welttrust gegen Rußland zu bilden. Vor wenigen Jahrzehnten noch rafften ehrgeizige Männer eines einzigen Landes einige Quellen zusammen, unterboten den Konkurrenten um zwanzig Cents, machten ihn pleite und kauften ihn auf. Das war Wirtschaftskampf und erschien ungeheuer. Heute ist die Welt in ihren Stoffen schon völlig ineinander vertrustet. Die letzten Kriege fanden noch statt, weil das Kapital Rohstoffquellen brauchte, die Amerikaner fochten mit Spanien wegen der kubanischen Erze, England mit den Buren wegen der afrikanischen Gold- und Diamantenfelder, Amerika kollidiert mit Mexiko wegen der Petroleumquellen, der Kampf um die Ukraine ist der Streit um Kohle und Erz, die Karambolage zwischen den Holländern und Amerikanern ist wegen der javanischen Djambi-Petroleumfelder erwachsen. Jetzt aber wird die Wirtschaft ein europäischer Riese und hat sich so verfilzt, daß vielleicht die äußeren Kriege unmöglich werden.

Den kühnsten Sprung hat der Deutsche Stinnes getan, die größten Zechen mit allen industriellen Zwischenlagen bis zur elektrischen Industrie in seine Hand gebracht, hat mit dem amerikanischen Ölkonzern, mit der chinesischen Elektrolieferung Liierung eingegangen. Er hat Petroleumkonzessionen in Comodore Rivadavia in Argentinien, eine elektrische Fabrik im jugoslawischen Agram, er besitzt italienische Aktienpakete, hat teil an den Fiatwerken in Turin, kaufte rumänische Schuhfabriken, um im Augenblick der Konjunktur das nicht mehr bolschewistische Rußland beliefern zu können. Es gibt keine Grenze für sein hydrahaft wucherndes Kapital. Erzgruben in Brasilien? Gemacht. Die Alpine Montangruppe in Österreich? Gemacht. Eine Handelsgesellschaft in Niederländisch Indien? Gemacht. Eine Waggonfabrik in Choribon? Konzessionen in China? Der Stille Ozean der künftige Brennpunkt der Wirtschaft? Gemacht.

Gemacht aus dem pleiten, zuckenden Deutschland heraus, dessen Papierscheine flattern, dessen Adel erlischt, dessen Bürgertum zerrieben wird. Selbst die Wirtschaft Europas scheint sich nach Stützpunkten umzusehen, um mit ihr in andere Kontinente auszuwandern. Denn Stinnes ist gegen den Morgan-Trust, der das Tausendfache an Kapital kontrolliert, nur ein Zwerg. Amerika und Asien haben einen Schein von zukünftigen Wirtschafts-Kränzen um das Haupt.

Gegen die Riesenkraft dieser Kapitäne der Wirtschaft hat sich die arbeitende Masse in Armee erhoben, der internationale Metallarbeiterverband hat acht Millionen Mitglieder, soviel als Kämpfer an den Fronten des Maschinenkriegs. Ihre Bureaus kontrollieren die Konzerne, ihre Betriebsräte gruppieren sich in derselben Form wie die Konzerne, die sich nach Form der Seepolypen und Quallen vergrößern und verändern, und halten ihnen die Gegenwagschale fest.

Zwischen diesen beiden Mächten schwankt das alte Europa. Seine seitherige Kraft setzt sich um in die Energie, mit der die maschinelle Epoche in ikarischem Flug die Gegenwart durchbraust, oder verschwindet in der staatlichen Bureaukratie jener Beamten, die wahrscheinlich die Sieger des Wirtschaftskampfes eines Tages als ihre Sklaven übernehmen werden. Die Fahnen des Kampfes sind zwischen die Kapitäne der Wirtschaft und ihre Arbeiter zerteilt. Wenn sich Europa nicht zerstört und die Welt damit, werden die schaffenden Klassen sich mit den kommandierenden vermischen, sie werden die seitherigen Führer ersetzen und eine neue Form der Gesellschaft gründen. Einen anderen Weg gibt es nicht, wenn man nicht vorzieht, klüger wie die Natur zu sein und sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen.

Auch die Revolutionen sind nichts weiter wie Ventile und Geschmeidigkeitsmacher auf diesem Weg. Früher machte man sie wegen irgendeiner alten Waschfrau, die irgendwelche Truppen irgendwo erschossen, und trug die heilige Leiche über die Boulevards. Man kämpfte noch um Verfassungen und brauchte Märtyrer. In Pernambuco sogar sah ich Revolten, die wegen der Einführung der Straßenbahnbillette und der Durchführung des Impfzwangs geführt werden. Heutigentages entledigt sich die Luft durch sie der elektrischen Spannungen, die zwischen den einzelnen Lagern liegen und macht die Zeit damit präzis und funkelnd wie ein Walzwerk.

Die letzten beiden Jahrhunderte waren die der großen Romane von Fielding bis Dostojewski, von Scott bis Manzoni, von Defoe bis Zola und de Coster, von Dickens bis Flaubert. Vorher waren die großen Dramen von Shakespeare bis Molière, von Calderon bis Racine. Vor ihnen glänzten die schlanken Epen des Mittelalters, von der Karlsreis bis Crestien von Troyes und vom Hildebrandslied bis zu Hartmann von Aue. Unser Jahrhundert hat seine schöpferischsten Kräfte scheinbar in die Gestalt von Ingenieuren geworfen, Konstruktionen ungeahnter Formate, Wirtschaftssysteme zyklopischer Vermaschtheit erfunden und eine endlose Brut von Kinos über die Welt geschleudert. Burn Jones irrt, der meint, die Welt fiele am liebsten in den Zustand der Barbarei zurück und wolle nichts mehr wissen von der Schönheit. Die Barbaren hatten in Wahrheit stets homerischen Heißhunger nach dem Erlesenen, und erst die Zivilisierten begannen mit dem Glauben, das Unaussprechliche sei entbehrlich, soweit es vom Geist her komme, und man vermöge es durch Wunderwerke aus Stahl zu ersetzen.

Möglich, daß die Kunsthandwerker des Mittelalters, die die Dome und Altäre bauten, heute statt dessen die eisernen Schwebebrücken, die sechzig Stockwerke hohen Häuser, die irrsinnigen Maschinenwerke erfänden. Vielleicht, daß Lionardo, statt sechs Jahre an den Haaren einer Frau zu vermalen, das schönste Luftschiff auf elektrischen Wellen über den Ozean oder zum unserem Klima entsprechenden und daher am wahrscheinlichsten von Menschen bewohnten Mars schickte. Zweifel? Es gibt nur ein einziges Zauberwort der Zeit: Gemacht. Es gibt auch nur einen einzigen vollkommenen Enträtseler der Epoche. Es war der Clown eines wandernden Zirkus, der mit seiner Zwergenstimme durch die Manege schrie: „Wunderbar? Wunderbar /// Ist ne Kuh aus Pferdehaar.“

Aber Deutschland ist noch nicht aus den Maschen der Welt gefallen. Zwischen den zuckenden Gruppierungen der Wirtschaft, unter der Presse des Versailler Vertrages, geschleudert wie Honig im Rhythmus der fallenden und steigenden Mark, zerrissen von einer Demokratie, die das Beste will aber einen Zirkus von Parteien darstellt, von Stinnes herangepfiffen, von den Sozialisten ins Schlepptau genommen, läuft es wie ein getreuer Stern den großen Zug um die Achse seines Schicksals.

Seine Fürsten sind verschwunden, sein Adel hat resigniert, seine Bürgerschaft wird hinweggeweht. Louis Philippe war der letzte Fürst der Bürger. Unter Ebert, dem ersten deutschen Präsidenten, einem ausgezeichneten Taktiker der Republik, geht es den Weg eines Jahrhunderts, das die Bourgeoisie und ihre Kunst auslöscht. Der Krieg sollte die Macht dieses Standes, der sich achtundvierzig noch auf Barrikaden stellte, befestigen. Herr von Zobeltitz sang damals: „Ein Mayer fiel und ein Arnim starb / Unter den Kugeln der Feinde / Gab zwischen Adel und Bürgertum / Es wirklich noch scheidende Grüfte / Jetzt baut der einende Todesruhm / Brücken durch brandrote Lüfte.“ Der Herr dachte an Avalun und ahnte nicht den Pulsschlag Europas. Die Seufzerbrücke des Krieges baute sich auf über das Leichenfeld des bürgerlichen Deutschlands, machte den Plan glatt zwischen arbeitender Masse und den Steuermännern der Wirtschaft, die, beide auf dem gleichen Schiff, sich auseinanderzusetzen haben, ob sie den Erwerb teilen oder sich in die Luft sprengen wollen.

Das ist nicht Politik, Mijnheer, das ist die Gegenwart, die ich erkläre, das ist unsere Zeit, in der wir leben, das sind die Wolken, unter denen wir wandern.

Das ist das Schicksal Europas, an seinem fiebrigsten und interessantesten Opfer gemessen. Das ist Deutschland, das mit den Preisen seiner Lebensmittel wie mit Mongolfieren aufsteigt, dessen Valuta von Tag zu Tag die der anderen überfliegt, dessen Industrie zittert vor der Stunde, wo die Mark sich stabilisiert und sie die Weltkonkurrenz annehmen und nicht mehr mit Dumping unterbieten kann. Die aber auch graust vor dem Tag, wo die Mark hingegen steigt, die Konkurrenz unmöglich, Millionen Arbeiter auf der Straße liegen und die inneren Kämpfe mit einer Grausamkeit drohen, gegen welche die Eroberungskriege früherer Zeit nur schwache Feuerwerke sind.

Das ist Deutschland, das, aus sieben Wunden blutend, gefesselt, in erbärmlicher Hitze, sich immer noch in der Arena als Gladiator gegen die Wölfe des Elends wehrt, indem die anderen Länder Europas, die es ausgeliefert haben, mit blinden Augen, aber schon erbleicht, dem Schauspiel zusehen. Und während die Neue Welt sich nicht anschickt, aus dem Sentiment des Rettens zu helfen, sondern fortfährt, zu allen Speisen Käse zu essen, Oberammergau zu besuchen, seine Männer zu effeminieren und auch den ältesten Weibern die Haare abzuschneiden.

Das ist Deutschland, wo im Krieg die Mädchen für die Verdichtung der U-Boote ihre Locken opferten und wo ein Bankier, als ein anderer ihn besuchte, dem Sekretär sagte: „Schreiben Sie auf ‚Haben‘, daß er rote Haare hatte, damit, wenn er kommt mit grauen, man weiß, daß es rote waren, die er besaß.“ Zwischen der edlen Nutzlosigkeit der ersten und dem Zynismus der zweiten Geste atmen unsere Obstbäume.

Über den Obstbäumen geht der Himmel mit allen Erinnerungen unserer Größe, mit allen Malen unseres Unglücks und mit den Verheißungen unserer Unvollkommenheit. Zwischen den Flüssen und den Bergen Deutschlands bereitet sich seine Wiederkehr. Über den Hügeln liegt die Zartheit seiner besten Farben. In den Buchenwäldern hallt das Echo seiner Helden. Zwischen den reifen Wellen des blaugeäderten Kornes wehen die Vogelstimmen seiner Melodien. Die alten Brunnen unter den Linden in alten Dörfern haben nicht aufgehört zu rauschen, und der Dampf seines regengespeisten Bodens duftet die alte mythische Fruchtbarkeit.

O Deutschland.

Zwischen Aschaffenburg und Heiligendamm, zwischen Quedlinburg und Passau, zwischen Rothenburg und Hamburg, Dresden und Speyer tanzen deine Kinder wie die Bären der Savoyarden auf den heißen Eisen der Zeit. Zwischen deinen schönsten und geliebtesten Flächen haben die Einen begonnen, einen Riesenbau der Mechanik bis in die Wolken zu treiben, und auf dem schwankenden Boden darunter tanzen die Anderen, aus allen Gliedern blutend, den verzweifelten Tanz der Bettler, die durch Späße das Publikum von ihren Gebrechen abzubringen und durch ihren Heroismus zu rühren suchen. Sie schreien und sie lachen und sie weinen durcheinander wie am Anfang der Schöpfung, aber sie leben.

Sie haben in ihrer Verwirrtheit kein Auge für deine stille Bereitschaft. Sie ahnen nichts von deinen Rebengärten, deinen romantischen Ufern, den jungen Wäldern, mit denen du den Flaum deiner Wunden zudeckst, sie spüren nichts von dem Goldschlag der Reife, die dein Körper, den man beraubt hat, in seiner Enge erreichte. Sie spüren nicht, mit welchen Wonnen deine Meere unter dem Sommermond schlafen, deine Pappeln mit den Chausseen im Abend wandern, mit welcher Süßigkeit deine Lerchen in den Frühhimmel steigen. Sie haben den Blick nicht für den stillen Glanz deiner Matten, über die die großen Kuhherden weiden, den Zauber selbst deiner ärmsten Gerölle und die tiefdampfende Schöpferkraft deiner aufgeworfenen Erde.

Sie ahnen nicht, daß von deiner Brust und der stählernen Lockerkeit deiner weiblichen Gelenke die schöne Bewegung ausgeht, die sie eines Tags trösten wird. Und sie spüren nicht, daß, ob sie mit ihren glatten Schlachtordnungen siegen oder sterben, ob sie mit einer neuen Gesellschaft in phantastischer Ordnung oder, mit ihren Maschinen zurückgestürzt auf die Erde, zu dir zurückkehren, sie in dir die schöne Geliebte, die Mutter und die Heimat finden werden, an deren Leib es schön zu ruhen und herrlich zu leben ist. Sie haben deinen Leib nicht beachtet und sie ahnen nicht, daß er mit einem gewissen Lächeln der Überlegenheit über alle Wirrungen hinaus nur atmet: Gelassenheit.

Gelassenheit, Mijnheer, denn wer die Gegenwart liebt, hat auch die Kühle, sie nicht zu überschätzen, und wer die Kühnheit des Vorstoßes hat, besitzt auch die Ruhe einer wundervollen Reserve. Man stirbt nicht, Mijnheer, solange man einen Fetzen Atem hat, und solange man genießt, hat man Zutrauen in das Gelebte. Als Balzac in der kränkendsten, entsetzlichsten Form durchfiel, dachte er am nächsten Morgen nur an die Anlage eines Weinberges, einer Molkerei, eines Gartens seltener Gemüse.

Alles Unglück ist nur die Probe auf die letzte Lebendigkeit der Liebe, gleichwie in der letzten Erzählung des Boccacce, die schildert, wie ein Edler seine Frau verstößt, beleidigt, kränkt, um zu erproben, wie weit ihre Zuneigung geht. Dies Buch des Boccacce ist nicht nur eines der tiefsten in gefälliger Anmut und eines der galantesten auf tragischem Boden, sondern es ist hinter der Mauer der Pest auch das tollste Loblied auf das Dasein.

Sehen Sie zurück, Mijnheer: Die Säule auf dem Feldberg steht wie eine Pyramide schillernd in allen Farben in der mittaglich blau wogenden Luft.

Sehen Sie zur Seite: In der Breitenlage Europas ist Anatole France der ritterlichste Gipfel einer verwirrten Übergangswelt, Blériot der unerschütterlichste Bejaher einer anderen.

Zwischen beiden wird ein Weg sein, dem auch die Sonne gut, die Erde gnädig, die Menschen fruchtbar sind.

Sehen Sie vorwärts: Da flimmern bereits die ersten Gärten, der Frühling hat sie übermannt und tobt mit Gerüchen, es flammt uns entgegen das Gold der Weidentroddeln, das Gelb der Goldregen und das Rosa der Mandeln. Wir sind fast in der Ebene schon und damit wieder in der Welt.

Wir sind in der Welt, Mijnheer, die Alpen sind ausgelöscht, die Vogesen verschwunden, die Grenzen sind gefallen. Der Wirrwar der Jahreszeit erstickt jetzt mit seiner nahen Fülle. Hinter ihr kommt die Musik der ganzen Welt mit Donner und Wagen und mischt sich in den wilden Duft zur Melodie der Epoche, vor der der Frühling herstürmt wie Apollon Mousagetes, der, in fast weiblichem Chiton heranbrausend, die Nymphen um sich, die Götter anschwellend immer mehr hinter sich, in einen olympischen Rausch hineintanzt. Ich höre die Musik von Kämpfen und ich rieche den Duft der Opfer. Ich spüre meine Heimat. Es lebe Deutschland.

Man kann nur gegen seine Zeit sein oder mit ihr gehen. Im Schmollwinkel zu sitzen ist nicht die Art eines Gentleman. Ich ziehe vor, mit ihr zu marschieren und nicht zu versäumen, die Hand ans Ruder, den Blick auf die Kontrolle zu richten.

Mein Großvater hatte einundzwanzig Kinder mit einer Frau, von denen siebzehn über siebzig Jahre alt wurden. Er gab ihnen den Freimaurerspruch mit: „Wenn dir der Große Baumeister einen Sohn gibt, zittre vor der Verantwortung, die er dir auferlegt hat. Mach, daß er bis zum zehnten Jahre dich fürchte, bis zum zwanzigsten dich liebe und bis zu deinem Tode dich achte.“ Ich werde vielleicht ohne Söhne sterben, Mijnheer, aber ich werde Deutschland nicht aufhören zu lieben.

In meinem Wappen stehn unter dem springenden Löwen die sechs Punkte des Gleichgewichts und der Gelassenheit. Ich habe auch die drei Bilder noch nicht in das Haus meiner Väter in die Bibliothek gehängt. Ich habe mich nicht so rasch entschlossen wie mein Vater, der das Kind einer unbedenklicheren Zeit war, denn ich übersehe die Zerrissenheit meines Jahrhunderts besser und ich weiß, daß jeder Schritt heute der falsche sein kann, daß man kurz vor dem Tode vielleicht erst die Ahnung des rechten hat und diese halbe Gewißheit womöglich in der letzten Sekunde noch widerruft. Man weiß nur, wohin man marschieren muß, man weiß nicht, wohin es geht. Und man weiß nicht, ob die Führer die Helden oder die Verbrecher sind.

Sie werden in kein Kloster gehen wie Ihr Ahne, der den fünften Karl begleitete. Das Segel Ihres Wappens, das die Mauren jagte, einen König nach den Niederlanden begleitete, das die Mischung Ihres Blutes mit dem der Javaner und Spaniolen überbauschte, wird Sie guten Sinnes, voll Genuß und Verantwortung in die Welt hineinführen. Sie unterscheiden die Notwendigkeiten der Zeit und die Wünsche Ihres Blutes, und Ihr Monarchismus ist Ihnen das schöne Symbol einer Zeit, die um erlauchte Traditionen kreiste und nicht der Götze unfruchtbarer Launen.

Was werden Sie tun? Ziemt es dem holländischen Gentleman, nachdem wir in zehn Nächten die Welt verteilt, die Künste zensiert, die Leidenschaften geprobt haben, der den Horaz im Koffer mitführt in die intimsten Situationen, ziemt ihm die Heimkehr zum Haus in ’s Gravenhage, nach der Bibliothek in Delft, zu den Herden in Utrecht, so ist die Reise gesegnet. Drumherum steht die Welt voll Genuß. Mai in Baden-Baden, Juni in Verona, im Juli zieht die Wimbledonwoche um den Davis Pokal auf Rasenplätzen in England. Die Rumänen stehn gegen die Tennisspieler der Philippinen, die Italer gegen die Japse, Dänemark ficht gegen Indien, und der Australier Patterson ist Favorit mit seinen schmetternden Drives und seinem zertrümmernden Anschlag, wenn der König zwischen dem Prinzen von Wales und dem Herzog von York, seinen Söhnen, das Signal zum Beginn gibt. Sie können sodann im August am Pazifik „medicine ball“ spielen und im September in Hawai im Schlepptau eines Motorbootes das aufregende „surf-board-riding“ ausüben und Sie werden die schönsten Frauen der Welt dazu um sich sehen.

Sie werden den Atlantik hören und den Pazifik schäumen sehen und spüren, wie die Schiffe darauf schaukeln und Sie werden die Größe der Erde mit einer grenzenlosen Verwunderung einziehn. Denken Sie an den Tag, wo es Sie überfällt, daß Sie kaum zu atmen wagen: wie grenzenlos die Welt ist . . ., denken Sie, daß ich Ihnen sagte, zuerst seien die Menschen und dann erst die Götter, die sie sich erschufen.

Einmal komme eine neue Gesellschaft, aber vorher sei das Dasein, das sie erst erkämpfen kann. Einmal komme eine europäische Weisheit, aber vorher das Leben, und nichts sei männlicher als Gelassenheit. Sie sind ein holländischer Gentleman, der die Erde liebt wie ich, mit dem ich zehn Nächte durchwachte, und sind nicht der Teufel, mit dem Herr Grabbe über diese Dinge zu reden gezwungen war, und Sie verstehen auch, wie ich Sie begreife, wenn wir „Leben“ sagen, weil das alles ist.

Ach, auch Achilleus wußte um den sichersten Besitz dieser Kugel. Als Odysseus ihn in der Unterwelt besuchte, erkannte er ihn erst, nachdem er Blut vom Opfertier getrunken, und als jener ihm Komplimente machte, wie fabelhaft ihm auch der Tod tributär sei und wie erhaben auch im Hades er herrsche, winkte der beste Grieche mit der Hand. Er hob den Kopf in die Höhe, versuchte das Dunkel zu zerreißen und bewegte die Lippen: er möge lieber als bei den Toten zu herrschen ein Tölpel sein, der knechtisch hinter dem Pflug die Erde aufreißt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mijnheer. Leben Sie wohl,

Die Schlitten halten an und müssen zurück.

Die Schneegrenze ist erreicht, der Winter zu Ende. Hier wechselt das Klima. Drüben im Frühling stehen schon wartend unsere Wagen. Zweihundert Meter tiefer dehnt sich die Ebene bereits in betäubender Fülle. Dort ist schon Sommer in Deutschland.

REGISTER

Addison 285
Aeschylos 123
Aho Juhani 284
Allgeier 69
Alexis, Willibald 128
Altenberg 58, 257
Andersen 54, 134
D’Annunzio 9, 21, 42, 107, 205, 278, 282
Apulejus 21
Archipenko 231
Arcos, René 277
Ariost 201
Aristophanes 217
Aristoteles 74, 246
Arndt 210
Arnim, Achim v. 108
Auernheimer 257
Aurevilly, Barbey d’ 108
Auwers 268
Ayrer 24

Baalschem 288
Bab, Julius 191
Babits 284
Bahr 85
Baker 104, 227
Balder 261
Balla 281
Balzac 18, 24, 29, 71, 110, 162, 170, 228, 274, 278, 302, 303, 318
Balzagette 215
Bang 28, 242, 244, 288
Barbusse 205, 215, 271, 275, 276, 286
Barlach 106
Barret-Browning 278
Barrow 103
Bartels 173
Bassermann 70, 77
Baudelaire 28, 107, 244, 255, 274, 278
Baum, Oskar 258
Bazaine 12
Beardsley 285
Beaumarchais 131, 304
Beaumont, Herzogin v. 170
Becher, Joh. R. 106, 213
Beckmann 44, 214, 303
Beer-Hofmann 257
Benedetti 12
Benn 135, 233
Béranger 228
Berger, Ludwig 80
Bernard 102
Bernhardt, Sarah 77, 131
Bernini 26, 27, 158, 161, 304
Beyerlein 52
Bierbaum 58
Bie, Oskar 279
Bismarck 141
Björnson 289
Blanchard 141
Blei, Franz 172, 177, 178, 179, 180, 278
Bleibtreu 57
Blériot 42, 145, 152, 228, 319
Block, Alexander 285, 303
Bloem 46, 63
Blümner 106
Boccaccio 20, 21, 36, 113, 233, 264, 318
Boccioni 229, 281
Böcklin 303
Boehme, Jacob 106
Boileau 74, 130
Bonsels 47, 55, 99, 181, 269, 305
Borchardt 85, 86
Börne 172
Bosch 303, 307, 310
Bosse 77
Bossi 268
Bossuet 25, 101
Botticelli 242
Boucher 36, 96
Boussanelle, Rittmeister de 247
Brant 209
Brantôme 102
Breitensträter 177
Brentano 172, 211
Brod 258
Brummel 263
Brunetière 172
Brunner, Prof. 171
Bruun, Laurids 104, 288
Buber, Martin 287
Büchner 27, 46, 84, 107, 128
Bulwer, Earl Lytton 161, 207, 285
Burkhardt, Jacob 102
Burns, Robert 162
Byron 107, 137, 207, 231, 272, 285

Cagliostro 178
Calderon 97, 270, 307, 314
Camp du 307
Carlyle 287
Carrà 229, 281
Cartailhac 305
Casanova 18, 20, 102, 201
Cäsar 83, 204, 254, 309
Cassirer, Paul 303
Castiglione 113
Catt, Henri de 26
Cellini, Benvenuto 102
Cervantes 42, 104, 130, 138
Cézanne 102, 274
Chalet, Marquise v. 172
Chamfort 152
Chanteloup, v. 156
Châteaubriand 114
Chénier, André 222
Chennevières 215, 277
Chesterton 112, 286
Cicero 228, 240
Cinna 13, 15, 36
Claudel, Paul 204, 270, 275, 278
Clemenceau 16, 188
Colbert 157
Colin, Paul 215, 277
Colyn 312
Conan Doyle 109
Constable 175
Constant 43, 208
Cook 103, 147, 148, Reisebüro
Cook, James 210
Cooper 109, 287
Coquelin 77
Corinth 244
Corneille 26, 308
Correggio 141
Corot 303
Cortez 30
Coster de 111, 278, 284, 314
Courbet 207, 274, 302
Couture 274
Cranach 310
Creusot 213, 311
Crebillon 111, 160
Croce 282
Cromwell 159
Csala, Ernst von 140
Curjello 103

Dach, Simon 24
Dante 113, 123, 278
Däubler 86, 213, 233, 235, 278
Daudet 62
Daumier 214
Dauthendey 51, 53, 54, 55, 56, 63, 113
Davkins, Sir William Lloyd 13
Defoe 104, 109, 314
Dehmel 44, 278
Delacroix 158, 179, 214, 218, 303
Dempsey 121
Descartes 24
Devrient 74
Diderot 173
Didring 89
Diebold 235
Dickens 113, 132, 159, 207, 285, 314
Dinter 63
Döblin 29, 233, 244
Doesburg, Theo v. 280
Dornseiff 86
Dostojewski 97, 258, 259, 284, 290, 314
Dreyfuß 207
Duhamel 215, 277
Dumas 274
Dürer 267
Durieux 77
Dyck, van 267
Dymow 284

Ebert 315
Eckardt, Meister 24, 42
Eduard VII. 10, 263
Eeden, van 278
Eekhoud 287
Ehrenstein, Albert 134, 213
Eichendorff 50, 51, 107, 113, 238
Elliot 285
Elvestad 109
Emin Pascha 104, 227
Emerson 287
Enghien 276
Ensor 218
Epinasse, Mademoiselle de l’ 111
Ernst, Paul 44, 238, 255, 256, 259, 260
Erzberger 9
Essig, Hermann 136
Eugenie, Kaiserin 214
Eugen, Prinz 257
Eulenberg 254
Euripides 124, 220
Evans, Oliver 227
Ewers 55
Eje 109

Fenelon 130
Feuerbach 274, 303
Fichte 83
Fielding 159, 162, 285, 306, 314
Fischart 25, 42, 209, 310
Fischer, S. 279
Flake 278
Flaubert 20, 37, 102, 111, 207, 242, 274, 302, 304, 308, 314
Flechtheim 46
Flemming, Graf 157
Fleuron 105, 286, 288
Flint 106
Forster 210
Foscolo 207
Farrère 274
France, Anatole 107, 131, 134, 135, 139, 153, 154, 271, 274, 276, 278, 284, 305, 319
Frank, Leonhard 216, 233, 259
Frank, Bruno 258
Franz I. 25, 156, 264
Freeman 138
Freud 258
Freytag 45
Friedländer (Mynona) 173
Friedrich der Große 26, 71, 103, 157, 160, 168, 182, 199, 201, 302, 304
Friedrich Wilhelm IV. 211
Fröhlich, Friedrich 102
Froitzheim 177

Gabis, Diane de 152
Gagarin, Fürstin 10
Gainsborough 158, 162
Galilei 206, 277
Gallow 103
Gambetta 11, 176
Gauguin 52, 104, 274
Gavarni 213, 214
Geijerstam 289
George, Stefan 28, 52, 60, 85, 243, 244, 278
Gerstäcker 109, 260
Gessi 104, 227
Geßner 59
Ghéradine 153, 154
Gide 275, 277
Gilbert 148
Gjellerup 288
Gleichen-Rußwurm 106
Gleim 228
Goertz, Graf 18
Goethe 42, 43, 73, 110, 172, 191, 206, 207, 209, 228, 242, 268, 276, 284, 302, 304, 307
Gogh, van 102, 242, 245, 274
Gogol 108, 284
Goldsmith 159, 282
Goldoni 161
Goltz, von der 205
Goncourt 113
Gordon 104
Gorion ben 287
Gorki 218, 271, 284
Gottfried von Straßburg 56, 165, 253
Gottsched 74, 167
Goya 42, 156, 160
Grabbe 27, 44, 78, 112, 199, 242, 310, 321
Grätz, Paul 140
Greco 30
Green 227
Grillparzer 74
Grimm 53, 160, 280
Grimmelshausen 23, 127, 310
Groß, George 214
Großmann, Rudolf 214
Großmann, Stefan 280
Grünewald 34, 42, 267, 310
Gryphius 127
Guilbeaux 276
Guizot 11
Gumppenberg 58
Gundolf, F. 199, 244
Gutzkow 180
Günther 45
Gyldendal (Verlag) 290

Habicht, V. C. 233
Hagenbeck 286
Halbe 58
Halström, P. 289
Hamilton Prinz 10
Hamsun 104, 289
Hänisch 188
Harden 86, 102
Hart 57
Harte, Bret 287
Hartleben 58
Hartmann v. Aue 101, 314
Hartung 80, 239
Hasenclever 216
Hauptmann, Gerhart 44, 55, 70, 71, 80, 187, 188, 193, 204, 219, 244 279
Hausenstein 86, 235, 236
Hearn, Lafcadio 105
Hebel, Peter 198
Hedin, Sven 105, 227
Heidenstam 289
Heine, H. 18, 27, 46, 57, 87, 107, 128, 129, 134, 164, 172, 175, 177, 178, 180, 302, 303
Heinrich IV. 13
Heinrich VIII. 156
Heinse 46, 52, 84, 111, 260
Heller 109, 289
Helvetius 206
Henckell 57
Herder 172
Here 248
Hérédia 244
Herzog 46
Hesse 55, 60, 255, 258
Heym, Georg 213
Heyse, Paul 28, 45
Hiller, Kurt 86
Hille, Peter 56
Hirschfeld 58
Hoek, Henri 106
Hoffmann, E. T. A. 53, 108, 139, 255, 287
Hofmannsthal 85, 107, 243, 244, 257
Hogarth 158, 159, 213
Holbein 156, 267, 303
Hölderlin 199
Holst, Roland 278
Hölty 51
Holz, Arno 28
Hölz, Max 17
Hokusai 36
Horaz 20, 23, 66, 277, 320
Hübner 86, 278
Huch 72, 253
Huerta 148
Hugo, Viktor 76, 160, 207, 242, 274, 302, 303
Hülsenbeck 218, 281
Hutten, Ulrich v. 84, 127, 207, 209
Huysmans 113, 274

Jacobsen 54, 58, 244, 288
Jacques, Norbert 55, 260
Jäger, Hans 289
Jakob, Heinrich Eduard 233
Jammes, Francis 112, 270, 275
Ibsen 78, 289
Jensen, J. V. 105, 288
Jessner 80
Iffland 74
Ingres 37, 96, 242, 303
Joinville 273, 275
Jones, Burn 314
Jouve 276
Irving 286, 287
Isabella v. Spanien 214
Jumala 292
Jungnickel 45
Jupiter 246, 292
Jürgensen 105, 288

Kafka 258
Kaiser, Georg 29, 46, 80, 233, 244
Kändler, Joachim 305
Kamnitzer, Ernst 149
Kant 208
Karlweis 233
Karnisuta 157
Katharina v. Rußland 102, 157
Kaulbach 128
Keats 107
Keller 60, 252, 254, 255, 258, 262
Kellermann 244
Kempis, Thomas a 278
Kerr 29, 85, 86, 113
Kesser, Hermann 85, 233
Keyserling, Eduard 107, 145, 229, 242, 244
— Hermann 97, 145, 146, 150, 181
Kianto, Ilmari 284
Kipling 105, 270, 279, 286
Kivi, Aleksis 284
Klabund 260
Klee 232, 259
Kleist 27, 172, 310
Klinger 209
Klopstock 51, 74, 209, 267
Kokoschka 244
Kolb, Annette 29, 85, 112, 215, 278
Konrad 58, 101
Konradi 58
Kornfeld 235, 239, 259
Körner 191, 210, 219
Kortum 137
Köster 177
Kraus, Werner 77
— Karl 136, 137
Krell, Max 85, 279
Kretzer 58
Krupp 213
Kubin 108
Kusmin 284

Laclos 111
Lafontaine 130
Lagerlöf 112, 289
Lamartine 107, 207, 212, 274
Lamb, Lady Caroline 272
La Mettrie 201
Lasker-Schüler 213, 215
Latham 228
Lauff 46
Lautensack 287
Lautrec 214
Lauzun, Herzog v. 89, 114
Leboeuf 12
Lebrun 158
Lemonnier 278
Lenau 44
Lenclos, Ninon de 102
Lenin 280
Lenoir 227
Leopardi, Graf 229, 282
Le Sage 130
Lesseps, v. 145
Lessing 26, 48, 74, 127, 128, 166, 172, 175, 178, 303
Leyen, von der 174, 200, 205, 206
Lichnowsky 105, 233
Lichtenberg 87, 198
Liebermann 243, 244
Lienhard 106
Lionardo da Vinci 156, 267, 315
Lipschitz 257
Liscow 127
Lissauer 219
Liszt 127
Livingstone 104, 227
Lloyd George 188, 193
Loke 261
London, Jack 109
Longfellow 287
Loti, Pierre 274
Loucheur 311
Louys 274
Ludwig 55, 105
Lukian 19, 21
Luther 25, 84, 207, 209, 310

Mackay 58
Macpherson 285
Madelung, Ange 105, 288
Maintenon 160
Makart 303
Malermüller 51
Mäleskirchner 42, 303
Mallarmé 28, 244, 274
Manet 229, 242, 244, 303
Mann, Heinrich 85, 111, 134, 135, 200, 216, 233, 253, 278
— Thomas 112, 255, 262, 280
Manuel 74, 209
Manucci 90
Manzoni 207
Marc, Franz 239, 306
Marlowe 74
Maria Theresia 169, 257
Marryat 109
Martens, Kurt 102, 200
Martin, Karlheinz 80
Martinet 276
Marinetti 281
Masereel, Frans 214
Maeterlinck 107, 274
Matisse 242
May 109
Mehring 140
Meidner 191
Meier-Gräfe 86, 236
Meissonier 128
Menge 141, 156
Merk 87
Mesnevi 104
Metternich 211
Meunier 44
Meurthe, de la 312
Meyrink 108, 258
Michel, Wilhelm 85
Michelangelo 27, 42, 126
Michelin 312
Mika 268
Mille, Pierre 274
Milton 267
Mirabeau 170, 198
Mohammed 283
Molière 27, 72, 74, 126, 130, 172, 270, 311, 314
Molnar 283
Monet 244
Monolescu 287
Montaigne 145, 273
Montesquieu 101, 130, 138
Morgan 313
Morgenstern 200, 287
Mörike 108
Morier, James 112
Moricz 284
Morse 227
Moscherosch 127
Mozart 102, 126, 207
Müller 63
Multatuli 278
Munch 289
Münchhausen 44
Münzer, Thomas 14, 232
Murasaki 155
Murat 59
Murner 51, 209
Muskau, Fürst Pückler v. 13, 66, 102, 228
Musset, Alfred de 107, 137, 242, 257, 274, 304
Myller 302

Nachmann, Rabbi 288
Napoleon I. 34, 59, 83, 95, 124, 191, 207, 214, 228, 268, 276, 287, 306, 309
— III. 102
Necker 219
Neumann 268
Newton 131
Nexö 218, 288
Nietzsche 27, 45, 151
Nofrit 156, 231, 233
Nolde 239
Northcliff, Lord 286
Novalis 107

Odin 292
Oeder 229
Oegg 268
Ollivier 12
Opitz 24
Origines 126
Oswald 58

Palm 276
Panin 285
Panizza 58
Pontoppidan 218, 244, 288
Papini 282
Paquet, A. 274
Pascoli 282
Patterson 321
Paul, Jean 27, 46, 47, 52, 57, 58, 111, 128, 139, 229
Penell 218
Percy 103, 285
Perez 287
Pestalozzi 60
Peterich 59
Petöfi 283
Petrarka 107, 116, 160, 307
Petron 103, 159, 169
Picasso 232
Pick 258
Pierre, Bernhadin de St. 104
Piles de 306
Piloty 128, 303
Pilsudski 287
Pindar 27, 28
Philippe, Charles Louis 110, 214, 274, 315
Platen 172, 259, 303
Poe 108, 287
Poelzig 44
Poincaré 271
Pope 130, 131
Porte, Jacob della 291
Pouchi, Liane de 10
Poussin 306
Prevost, Abbé 111
Prokrustes 270
Przerwa-Tetmajer 287
Puschkin 108, 231, 284
Puttkammer 58

Quevedo 113
Queiroz 287

Rabelais 24, 112
Racine 46, 142, 160, 172, 307, 314
Rafael v. Urbino 141, 303, 307
Rasmussen 104
Rathenau 31, 33, 192, 311
Rausch, Albert H. 138
Rauscher 177
Reimann 140
Reinhardt, Max 79
Reinmar 52
Rembrandt 267
Remisow 108, 285
Renard 109
Renoir 229, 243, 244, 245
Retz, Kardinal 101
Rétif, de la Bretonne 111
Reuenthaler 101
Reuter 127
Reynolds 158, 161
Richardson 110, 285
Richelieu 25
Riemenschneider 54
Rilke 23, 85, 278
Rimbaud 76, 172, 274
Ringelnatz 140
Rivière 275
Rodenbach 112
Rodin 42, 112, 288
Rolland 215, 275, 276
Romain, Jules 277
Ronsard 24, 36, 107
Rops, Félicien 214
Roquette 198
Rosenblüt 74, 127, 209
Rossini 127
Rotschild, Henri 312
Rousseau 61, 110, 154, 158, 273, 274
Rubens 96, 101, 141, 162, 288
Rubiner 213
Rückert 210
Ruisbroek 278
Rupertus Rex 10
Ruskin 287
Russolo 281

Sachs, Hans 24, 74, 127, 137, 138, 209, 255
Sade, Marquise de 111
Saint Simon 102, 114
Sainte-Beuve 172
Salten 257
Saltikow 108, 284
Sand, George 102, 170, 274
Sautuola, Baron M. 305
Savonarola 133, 286
Schäfer, W. 60, 71, 255
Schäffer, Albrecht 255, 262
Scheffel 45
Schelling, Caroline 102
Schenkendorf 210
Scheerbart 109, 138
Schickele 29, 45, 56, 62, 85, 86, 113, 213, 215, 216, 233, 244, 253, 278, 279
Schiller 42, 172, 209, 304
Schlaf 28, 52
Schlegel, A. W. v. 86, 113, 167, 172, 211, 267
Schmidt, Privatdozent 284
Schmidt, Jockey 121
Schmidtbonn 112, 254
Schmied, Rudolf Joh. 62, 63
Schmitz 55
Schnack 213
Schneeberger 69, 121, 125
Schneider, Sankt Anton 69, 121
Schnitzler 107, 257
Scholem, Alejchem 287
Scholz, Wilh. v. 255
Schröder 74
Schubart 209
Schumann 66
Schwind, M. v. 303
Scott, Walter 109, 128, 159, 162, 230, 282, 283, 285, 314
Scudéry 25
Sealsfield 260
Seewald 235
Seidel, Willi 260
Serner 218, 281
Severini 281
Shakespeare 24, 27, 46, 74, 76, 86, 107, 139, 203, 246, 270, 302, 307, 314
Shaw, Bernhard 72, 107, 159, 193, 241, 270, 271, 284, 286
Shelley 107
Sheridan 159, 285
Siemens & Halske 227
Siemsen, H. 60
Sinclair 218, 286
Singenberg, Ulrich v. 52
Sinsheimer 238
Slevogt 244
Smollet 159, 162, 285
Sokrates 206
Soyka 109, 257
Spengler 106
Speyer, Wilhelm 259
Stadler 107, 213, 275
Staël 43, 103, 207, 219, 272
Stahl 239
Stanley 104, 227
Steffen 254
Stehr 60
Steinle 214
Steiner 99
Stendhal 131, 215, 254, 273, 274, 303
Stephenson, George 227
Sternberg 206
Sterne 285
Sternheim 29, 80, 107, 135, 139, 216, 233, 244, 245, 253
Stifter 112
Stinnes, Hugo 311, 312, 313, 315
Stolberg, Gebrüder 209
Storm 113
Stourdza, Fürst 10
Strindberg 80, 97, 288
Stucken 244
Sturz 26, 87
Suarèz 104, 270, 273, 275, 278
Sudermann 73, 244
Sue 283
Swift 107, 131, 132, 137, 159, 241, 285
Swinburne 290
Sylvester Schäffer 179
Szép, Ernö 284

Tacitus 22, 83
Tagore 106, 146
Tassoni 130
Taube, Baron 244
Tegnér 228
Thackeray 107, 132, 159, 162, 285
Thoma, Hans 45
Thukydides 66
Tieck 172, 211
Tiepolo 84, 268
Tizian 161
Toller 204
Tolstoi 215, 259, 284
Trakl 213
Trotzki 280
Troyes, Crestien v. 273, 314
Trübner 274
Tschechow 259, 284
Tschitscherin 9
Tuaillon 44
Tucholsky 140
Turgenjeff 284
Twain, Mark 287
Tyche 88, 89
Thylmann 60, 61
Tzara, Tristan 281

Übelhör 139
Uhde, W. 61, 62
Uhland 75
Unruh 75, 190, 205
Uranos 221
Utzarski 138

Vaillant-Couturier 277
Valois, Margarethe von 25, 264
Vaugelas 25, 27, 280
Velasquez 156, 246
Veldecke 155, 165
Verhaeren 113, 274, 278, 279
Verneuil 244
Veronese 162
Verlaine 107, 172, 274, 278
Viebig 269
Viertel 80
Viktor Emanuel 214
Villehardouin 101, 105, 273
Vildrac 215, 277, 278
Villiers, de l’Isle 108
Villon 24, 231
Vischer, Melchior 258
Vogelweide, Walther von der 23, 49, 51, 52, 64, 101, 155, 163, 165, 310
Vollmöller 278
Voltaire 43, 71, 107, 129, 131, 135, 160, 201, 207, 268, 274, 285, 293, 302, 304

Waal, Anders de 77
Wagner 46
Walden, Herwarth 97, 136
Wallot 57
Walser 59, 60
Wassermann 245, 257, 279
Watt, James 218, 227, 248
Watteau 307
Wedekind 29, 44, 45, 72, 73, 77, 78, 80, 200, 233, 234, 274, 307, 310
Weichert 80
Weiß, Ernst 213, 258
Wells 109, 286
Wenzig 233
Werfel 213, 233, 258, 278
Werth, Léon 276
Wiegler 86
Wieland 27, 111, 127, 139, 206, 228, 260, 267
Wilde, O. 54, 111, 162, 285
Wille 58
Wildenbruch 44, 52, 78, 205
Wilding 121
Wimpfen 12
Wimpher 297
Winder, L. 258
Winternitz, Frau v. 113
Wirth 192
Wisthler 112
Withman 111, 213
Wolfenstein 213, 280
Wolff, Theodor 86
— Prof. 199
Wedderkopp, v., kgl. Regierungsrat 263

Xenophon 83

Zachariä 127
Zech 213
Zick, J. 268
Zifferer 257
Zobeltitz, v. 315
Zola 28, 57, 112, 207, 229, 242, 274, 287, 302, 314
Zulawski 109, 287
Zweig, Stefan 85, 244, 257, 279

Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):






End of Project Gutenberg's Das Bücher-Dekameron, by Kasimir Edschmid

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS BÜCHER-DEKAMERON ***

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PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
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LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
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1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
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LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
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trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    gbnewby@pglaf.org

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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