*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 48488 ***

Reise
durch den
Stillen Ozean

von
Max Buchner.

BRESLAU.
J. U. KERN's VERLAG (MAX MÜLLER).
1878.

Das Recht der Uebersetzung wird vorbehalten.

INHALT.

Seite
I. Ausfahrt 1
  Einschiffung und Abschied. Die Elbe hinab. Zänkereien und trübe Auspizien. Gefahr einer Kollision. Sturm und Orkan. Todesangst im Zwischendeck. Alles kaput geschlagen. Hannes, der seekranke Kajütsjunge. Gefahr zu scheitern. Der Nordsee glücklich entronnen.
II. Im Nördlichen Atlantischen Ozean 20
  Ungünstige Winde und Windstille. An Madera und an den Kapverden vorbei. Schiffsleben und Zänkereien. Nationale Gegensätze. Kindstaufen, Geburtshilfe auf See und ein zärtlicher Gatte. Die Polakei in Aufruhr. Das gestohlene Salzfleisch. Zoologische Belustigungen. Schleppnetzbeute. Fliegende Fische. Vergebliches Harpuniren. Haifischfang. Korrespondenz mit anderen Schiffen. Besuch auf einem Portugiesen. Unsicherheit in der Nautik.
III. Im Südlichen Atlantischen Ozean 46
  Andere Sterne. Das Passiren der Linie und Neptunsfest. Aequatoriale Schwitzkur. Pantomimik. Weihnachten und Neujahr. Fernando Noronha. Endlich Südostpassat. Typhus, Leichenbestattungen, traurige Aussichten.
IV. Im Indischen Ozean 57
  Um das Kap herum. Segeln vor dem Sturm. Die Crozet Islands. Unsere Typhusepidemie steigt. Gedrückte Stimmung. Zur Naturgeschichte der Seeleute. Albatrosse und sonstige Vögel. Ventilationseigenthümlichkeiten.
V. Ankunft in Neuseeland und Quarantäne 68
  Zum ersten mal Grund. Neuseeland erscheint. Die ersten Zeitungen. Ankunft des Lootsen. Der Anker fällt. Pulverunglück. Die Hafenbehörde. Sturm und Landungsschwierigkeiten. Bewegtes Dasein. Aufruhr der Elemente und der Menschen. Mitternächtige Todtenbestattung. Ruhigere Zeit. Die idyllische Insel. Ueberall »Billig und schlecht«. Zoologisches. Endlich frei.
VI. Wellington 87
  Erste Eindrücke. Lage der Stadt. Sehenswürdigkeiten. Das Museum, der botanische Garten, das Athenäum, der Gerichtshof. Allgemeines über Neuseeland. Der Königin Geburtstag. Die Maoris. Mortalität auf Auswanderersegelschiffen.
VII. Von Wellington nach Ohinemutu 96
  Ein Neuseeländischer Urwald. Die Post und ihre Gefahren. Pahantanui, Otaki und Foxton. Neuseeländische Eisenbahngemüthlichkeit und ein eisenbahnfiebriger Maori. Die Manuwatu Gorge und der Seventy Miles Busch. Palmerston, Waipakarao und Waipawa. Die Repudiation Office von Te Aute. Ein Tag in Napier. Farnhügellandschaft. Tarawera und seine Soldateska. Kaliban in der Wildniss. Opipi. Ein Tag in Tapuacharuru. Mister Jack the Guide of Taupo. Nächtlicher Skandal.
VIII. Ohinemutu und Rotomahana 126
  Die heissen Quellen und ihre Verwendung. Ein Badeort in des Wortes verwegenster Bedeutung. Legende von der schönen Hinemoa. Maorialterthümer. Ausflug nach Wakarewarewa. Das Labyrinth der Schmutzvulkane. Die Geyser. Der missglückte Haka. Ein interessantes liederliches Kleeblatt. Ausflug nach Rotomahana. Wairoa und seine internationalen Wegelagerer. Stürmische Kanuufahrt über den Tarawera. Streitigkeiten mit den Maoris. Ueberall kocht das Verderben. Ungemüthliche Nacht. Tetarata und Otukapuarangi. Mister Davis und seine Singschule.
IX. Von Ohinemutu nach Auckland 159
  Abschied. Pokohorungi und der Oropibusch. Maoriskulpturen. Eine misstrauische Waldfamilie. Der Sergeant Apro Pioaro und seine Gattin Mangorewa. Tauranga. Reges Leben und Nasendrücken. Abermals ein Stück Neuseeländischer Bummelei. Der Dampfer Rowena. Mercury. Ankunft in Auckland.
X. Auckland und Thames Goldfields 171
  Sehenswürdigkeiten. Das Northshore. Die Regenzeit hält ihren Einzug. Fahrt nach den Thames Goldfields. Goldgewinnungsprozess. Die Minen und der Schacht der United Pumping Association. Stürmische Rückkehr. Zwei vornehme Maoridamen vom Lande. Auf den Mount Eden. Die King Country und die Abolitionists. Reiseprojekte.
XI. Von Auckland nach Kandavu 187
  Die Pacific Mail. Auf der City of San Francisco eingeschifft. Beschreibung des Dampfers und seiner Attribute. Aeusserer Glanz und innere Dürftigkeit. Die chinesischen Mahlzeiten. Gang der Reise und Wetter. Der vierte Juli. Reiseplanzweifel.
XII. Wailevu 195
  Allgemeines über Viti. Ankunft in Kandavu. Herrn Kleinschmidt kennen gelernt. Gepäckschwierigkeiten. Meine ersten echten Wilden. Das Hotel von Wailevu und seine Eigenthümlichkeiten. Drei junge Flibustier mit trüben Aussichten. Eine interessante Tischgesellschaft. Besuch beim Doktor. Kawa-Gelage. Zauberhafte Tropennacht.
XIII. Gavatina und Sanima 214
  Der Isthmus Yarambali. Das Sonntagspublikum von Namalatta. Bootfahrt an der Nordseite Kandavus entlang. Gavatina, unser idyllisches Thal. Niketi und Ruma. Besuche der Wilden. Der Tui und die Marama. Ethnologisches. Der Busch, seine Mühen und seine Thierwelt. Kanuubau hoch oben auf dem Berge. Riffleben und Fischfang. Spaziergang nach Sanima. Tapa-Bereitung. Doktor Hink und seine Kopra-Projekte. Gottesdienst in Sanima. Das Missionswesen auf den Inseln. Kehrseiten der Tropenpracht. Klimatisches und Kulinarisches. Die Kokospalme und ihre Anwendungen. Enge Verhältnisse.
XIV. Besuch in Waidule 261
  Begegnung mit dem Tui. Ein Mangrovesumpf und seine Freuden. Tauben und Mimosen. Nachtlager in Wunokene. Fliegende Hunde. Rabuelu. Entzückende Rundsichten. Taropflanzungen. Kawa-Gelage in Soso. Nachtlager in Go Kandavu. Ein Meke Meke. Ankunft bei Charly. Rasch ab nach Wailevu. Ungemüthliche Bootfahrt. Heimkehr.
XV. Besteigung des Bukelevu 281
  Landung in Dangai. Mandrai und Arrowroot. Improvisirte Naturalienhändler. Ausflug nach Dalingele. Tonganer. Festessen und Kawa-Gelage. Ein schwindsüchtiger Häuptling. Die heissen Quellen. Unfall und Nothzucht. Mühseligkeiten des Bukelevu. Hungersnoth und Kälte. Abstieg. Schneckenfrühstück in Lomadsche. Sonntagstoilette der Insulanerinnen.
XVI. Letzte Tage auf Kandavu 305
  Mit dem Kutter nach Namalatta. Ein kleiner Albino. Festgäste von Tavuki. Wieder im Hotel zu Wailevu. Packerei und Einkäufe. Der Regierungshäuptling. Ankunft der Zealandia und Gerichtsverhandlung. Das Inselchen Angaloa.
XVII. Von Kandavu nach Honolulu 312
  Gang der Reise. Abermals die schmähliche Knauserei der Pacific Mail Steam Shipping Company. Der Obersteward und sein Servirreglement. Die Aequatorkalmen. Die Passagiergesellschaft. Ausflüsse der Langweile. Zwei Bonzen englischer Rasse.
XVIII. Honolulu 322
  Ankunft. Wieder der Reverend Mister Shark. Erste Eindrücke von Honolulu. Geschichtliches, Ethnologisches und Erotisches. Sehenswürdigkeiten. Die Regierung, das Parlament, das Militär. Amerikanerthum und Deutschthum. Die Chinesen. Klima und Sanität. Die Leprosen. Der Fischmarkt. Die Umgebung. Ritt nach dem Pali.
XIX. Von Honolulu nach Hilo 344
  Ihre Königliche Hoheit Ruth Keelikolani. Morgentoilette der Reisegesellschaft. Lahaina und Kawaihae. Das Hotel zu Hilo. Unser Vergnügungskommissär Hapai. Brandungschwimmen. Die höhere weibliche Schuljugend im Bade. Hula Hula und Konzert. Der Rainbow Fall.
XX. Besteigung des Kilauea 357
  Wilder Ausritt. Das Halfway House zu Olaa. Der Krater thut sich auf. Das Volcano Hotel und seine Vorzüge. Besuch des kochenden Lavakessels. Mondschein und Hölle. Beschwerlicher Abstieg nach Puna. Erstarrte Lavaströme und eingestürzte Lavadome. Kapitän Eldart und sein Gehöft Kapoho. Die warmen Quellen. Awa und Brotfrucht. Glücklich wieder in Hilo.
XXI. Von Hilo nach Honolulu 376
  Eine seltsame Todtenfeier. Kapitän Spencer und seine Zuckersiederei. Der Kilanea kommt nicht. Ein Hawaiisches Souper und Abschied von Hilo. Nächtliche Bootfahrt nach Kohala. Konflikt mit dem Sabath und abermals fort. Landung auf Maui. Ein interessanter Mann der Presse. Der Bäcker von Lahaina. Stürmisches Wetter. Endlich in Honolulu.
XXII. Letzte Tage in Honolulu 393
  Das Walboot und der Stadtklatsch der Honoluluianer. Audienz beim König. Festliche Zurüstungen. Bad im Kapena. Tanzvergnügen. Der Deutsch-englische Klub. Besuch verschiedener Kirchen. Die Missionäre.
XXIII. Von Honolulu nach San Francisco 400
  Abschied von den glücklichen Inseln. Die Zealandia und ihre Gesellschaft. Unsere schöne Helena, der alte Schiffsdoktor und eine interessante Geschäftsreisende. Langweile und Kriegsgerüchte. Ankunft des Lootsen. Das Goldene Thor.
XXIV. San Francisco 408
  Allgemeiner Charakter der Stadt. Die Chinesen und ihr Viertel. Chinesische Hurenhäuser, Opiumbuden und Spielhöllen. Das Yu Henn Choy Theater und das Dschosshaus. Chinesische Dramaturgie. Sabathschänderisches Getriebe der San Franciscaner. Sonstige Sehenswürdigkeiten. Woodwards Garden. Ein gefährlicher Sonntagsspaziergang. Das Cliff House und seine zoologischen Genüsse. Ground Squirrels.
XXV. Von San Francisco nach Salt Lake City 429
  Auf der Pacific Bahn. Die Sierra Nevada. Ein phänomenales landschaftliches Scheusal und ein überschwengliches Guidebook. Indianer. Die Mormonenstadt, das Tabernakel und das Mormonenthum. Eine Versammlung der Heiligen des jüngsten Tages. Ausflug nach Lake Point und Bad in dem grossen Salzsee. Camp Douglas.
XXVI. Von Salt Lake City nach New York 448
  Frömmigkeit und Prellerei. Emigrantenzüge. Die Prairien. Omaha. Eine unangenehme Nacht. Präsidentenwahl zum Zeitvertreib. Niagara Fall und Stadt. Das Amerikanische und das Kanadische Ufer. Praktischer Sinn der Niagarenser. Herbstliche Färbung.
XXVII. Heimkehr 460
  Die Centennial Exhibition in Philadelphia. Abschied von New York. Ankunft in England und Landung In Liverpool. Sonntagsöde. Auffahrt des Mayors. Ueber London nach Hamburg.

I.
AUSFAHRT.

Einschiffung und Abschied. Die Elbe hinab. Zänkereien und trübe Auspizien. Gefahr einer Kollision. Sturm und Orkan. Todesangst im Zwischendeck. Alles kaput geschlagen. Hannes, der seekranke Kajütsjunge. Gefahr zu scheitern. Der Nordsee glücklich entronnen.

Aus Reiselust war ich Schiffsarzt geworden. Der Drang in die Ferne hatte mich veranlasst, auf Postdampfern siebenmal zwischen Europa und Amerika hin und her zu fahren. Derselbe Drang hatte mich in die emporkeimende deutsche Marine getrieben, von dieser jedoch mir nur die ganze Misere eines anderthalbjährigen Aufenthalts in jenem traurigsten Erdenwinkel, so Jadegebiet heisst, und die Freuden und Leiden eines dreimonatlichen Uebungsgeschwaders zu Theil werden lassen.

Ich konnte allerdings gewiss sein, mit meinen Seereisen manchem Binnenländer, der Zeit seines Lebens von einer Spritztour nach Helgoland bramarbasirt, imponiren zu können, ich war aber noch nicht befriedigt und verlangte nach mehr.

Es gereichte mir somit zur grössten Freude, als sich Gelegenheit bot, auf einem Segelschiff mit Auswanderern nach Neuseeland zu gehen. Viele meiner Freunde erschraken zwar vor dem Wort Segelschiff, in welchem sich ihnen nicht ganz unrichtig der Inbegriff von Widerwärtigkeiten und Lebensgefahren, von Seemannsrohheit und Passagiergesindel, von Zwieback und Salzfleisch konzentrirte. Mir war es jedoch gerade darum zu thun, einmal eine richtige Reise übers Meer zu unternehmen, nur den Winden als fortbewegenden Kräften mich anvertrauend, und ohne das lästige Gepolter der Dampfmaschinen von schwellenden Segeln gezogen dahin zu schweben.

Am Morgen eines 15. Novembers bestieg ich zu Hamburg die Euphrosyne, ein grosses und schweres Vollschiff von über 1000 Registertonnen. Nachmittags kamen die 397 Passagiere an Bord, und in der Nacht sollten wir mit Eintritt des Hochwassers die Elbe hinabgehen.

Das ganze bunte Tohuwabohu des Einschiffungsprozesses von Auswanderern zog wieder an mir vorüber. Mächtige Kisten und Bündel von Bettzeug, Proviantmassen und klapperndes Blechgeschirr, schreiende Männer und kreischende Weiber, ungezogene Jungen und winselnde Säuglinge füllten das mit herbstlichem Strassenschmutz überzogene Deck. Unter dem unerlässlichen heulenden Gesang der Matrosen, auf den diese ungraziöse Menschensorte um so stolzer ist, je abscheulicher er klingt, flog das Gepäck hinab in den Lastraum, Befehle brüllende Offiziere und die Plätze vertheilende Agenten rannten hin und her. Takler arbeiteten noch eifrig in den Wanten und auf den Raaen an der Vollendung des Tauwerks, ein Brahm lag längsseits und pumpte geschäftig Wasser in die im Bauch des Schiffes ruhenden Wasserfässer.

Nachdem ich mich vorschriftsmässig überzeugt, dass keine Krankheiten eingeschmuggelt worden waren, eilte ich, diesem unerquicklichen Durcheinander zu entrinnen und flüchtete an Land, zum letzten mal für lange Zeit feste Erde zu treten, meine Freunde nochmal zu sehen und von ihnen Abschied zu nehmen. Erst spät kehrte ich an Bord zurück, wo mittlerweile eine wohlthätige Stille eingetreten war. Friedliche Schnarchtöne drangen durch die offenen Lucken des Zwischendecks herauf, und nur der schwere Tritt des wachehabenden Matrosen unterbrach störend die nächtliche Ruhe. Gott Morpheus umfing mich, und als ich erwachte, glitten wir, von einem kleinen vorgespannten Dampfer gezogen, die Elbe hinab.

Düstere graue Nebelmassen verhüllten die alte Hansestadt hinter uns und liessen kaum die Umrisse der Thürme erkennen, ein feiner Regen bedeckte die Landschaft und erleichterte nicht unwesentlich die Trennung von den auch bei schönerem Wetter nur bescheidenen Ansprüchen genügenden Ufern des Vaterlandes. Uebernächtige Gestalten trieben sich missmuthig und sehnsüchtig den Morgenkaffe erwartend auf dem nassen und schmutzigen Deck umher. Hinten auf der Kajüte stand der Lootse, griesgrämig den steuernden Matrosen scheltend, vorne spie der kleine Dampfer übellaunig schwarzen Kohlenqualm aus dem Schornstein und über das Schiff, welches er schleppen musste. So gings langsam dahin an ankernden Schiffen und Fischerkähnen vorbei. Möven zankten sich auf dem Wasser um den von der Ebbe weggeführten Schmutz des Hamburger Hafens, und vom flachen Gestade her blökte ärgerlich hie und da ein gelangweiltes Schaf.

Wir hatten, wie schon erwähnt, 397 Passagiere an Bord, welche in drei gesonderten Abtheilungen, nämlich die der einzelnen Männer, die der Familien und die der einzelnen Mädchen untergebracht waren. Unsere ganze Expedition ging auf Kosten des jungen Kolonialstaates Neuseeland, der seinen Einwanderern freie Ueberfahrt gewährt, wenn sie ausser Leumunds- und Gesundheitsattesten den Nachweis zu führen im Stande sind, dass sie Acker- oder Bergbau getrieben haben. Deutsche und Polen, Dänen, Norweger und Schweden bildeten die Mehrzahl. Die Mannigfaltigkeit der Idiome zu erhöhen, waren auch einige Böhmen und Italiener vorhanden. Ich war nicht nur Arzt – »Surgeon« dieser anmuthigen europamüden Schaar, sondern noch viel mehr – »Surgeon Superintendent.« Nicht nur die Krankenpflege war meine Aufgabe, sondern auch die Last der Regierung unserer Miniaturrepublik ruhte zum grössten Theil auf meinen verantwortlichen Schultern. Die Rechtspflege theilte ich mit dem Kapitän, die Sanitätspolizei, die Ueberwachung der Proviantvertheilung und die Ernennung von Subalternorganen gehörten zu meinen Obliegenheiten. Ein Schulmeister für die schulpflichtige Jugend, eine Matrone zur Beaufsichtigung der einzelnen Mädchen, vier Konstabler, welche bei den einzelnen Männern und bei den Familien für Ordnung und Reinlichkeit zu sorgen hatten, sämmtlich aus den Reihen der Passagiere gewählt und mit Bezahlung angestellt, waren die Werkzeuge meines Amtes. Die Passagiere auf den Auswandererschiffen nicht nur Neuseelands, sondern sämmtlicher sieben australischen Kolonien stehen hauptsächlich unter der Aufsicht der Aerzte, welche, von den Regierungen angestellt, die Interessen dieser und ihrer neuen Bürger gegen jene der Rheder und der Kapitäne, die manchmal nicht übereinstimmen, zu vertreten haben.

Das erste Ereigniss, welches mich in Anspruch nahm, war, dass die unverheiratheten Frauenzimmer sich in die Haare geriethen. Nationale Gegensätze, hie Dänemark, hie Deutschland nebst Annexen, bildeten die prädisponirenden Ursachen und die Vertheilung, respektive Aneignung der Lebensmittel das auslösende Moment des Kampfes. Dänemark, zwar in der Minderzahl aber desto resoluter vertreten, glaubte das empfangene Mittagsmahl, welches für alle zwanzig jungen Damen berechnet war, für sich allein behaupten zu dürfen, Deutschland, Böhmen und die Polakei remonstrirten dagegen, das kleine starrköpfige Dänemark blieb Sieger, Deutschland weinte, Böhmen und die Polakei kreischten.

So standen die Dinge, als ich um Intervention angegangen wurde. Mein Vermittlungsversuch hatte keinen Erfolg und fand nirgends Anklang. Die Däninnen verstanden mich nicht, und ich verstand jene nicht, die Deutschen aber ärgerten sich, dass ich nur mit Worten und nicht mit der Peitsche einschreiten wollte. Ich musste den Proviantmeister requiriren, welcher ein kurzes Ende machte, indem er Fleisch und Brot wegnahm, auseinander schnitt und beiden Parteien einzeln verabreichte. Dieser Modus blieb für die Folge beibehalten, und es kam im Jungfernzwinger – so heisst in der rauhen Seemannssprache für gewöhnlich das betreffende Kompartment – selten mehr zu ernsteren Konflikten wegen des Essens, wenn auch die Däninnen fortfuhren, über die anderen Völkerschaften die Nase zu rümpfen, die Deutschen noch oft weinten und die Polakinnen noch öfter kreischten.

Von allen Seiten kamen unaufhörlich Klagen an jenem ersten Tage der Reise. Es herrschte noch lange nicht die wünschenswerthe Ordnung, überall fehlte noch etwas, und Missverständnisse in Folge des Sprachen- und Dialektgewirres führten zu endlosen Streitigkeiten.

Ich konnte es dem Kapitän wahrlich nicht verdenken, dass er sehr schlecht aufgelegt war und schliesslich die Geduld verlierend jeden Passagier, der sich an ihn wandte, im Besonderen und die ganze Gesellschaft im Allgemeinen zu tausend Teufeln fluchte. Er hatte wichtigere Dinge im Kopf als die Unzufriedenheit des Familienvaters Krapülinski, welcher zu wenig Sauerkraut erhalten zu haben glaubte, oder die Wuth der schönen Amanda Christensen, die in Kopenhagen Modistin und eine sehr feine Dame gewesen war und jetzt mit einer ehemaligen Tändstickorfabrikarbeiterin in derselben Koje zusammenschlafen sollte. Er wusste nur zu gut, in welch unfertigem Zustand das Schiff in See ging. Man hatte zu spät mit der Ausrüstung desselben begonnen, und die Arbeiten waren in Folge dessen übereilt worden und unsolide ausgefallen.

Das Chronometer war zwar zur richtigen Zeit an Bord gekommen, aber der Uhrmacher hatte vergessen, die Gangkorrektion desselben mitzuschicken, eine Nachlässigkeit, die erst in Kuxhaven durch Telegramme gutgemacht werden konnte. Das Schiff musste zur bestimmten Zeit Hamburg verlassen. Denn jeder Tag des Aufschubs kostete dem Expedienten den Unterhalt der Passagiere. Die durch die Sparsamkeit des Rheders äusserst knapp bemessene, nur zwanzig Köpfe zählende Mannschaft war erst seit wenigen Tagen angemustert, aber schon jetzt zeigte sich, dass genug faule Subjekte sich in ihr befanden. Der Steuermann debutirte mit einem kolossalen Rausch, unter dessen Einfluss er so viel dummes Zeug beging, dass der Kapitän genöthigt war, ihn bis zur Wiederkehr der Nüchternheit einzusperren. Zwei Matrosen versuchten Krankheit zu schwindeln, einer war in Folge von Verletzung beim Ankerhieven wirklich arbeitsunfähig, und die meisten anderen arbeiteten so träge, dass man sich ärgern musste, wenn man ihnen zusah.

Solcher Art waren die Auspizien, welche den Beginn einer langen, gefährlichen und verantwortungsschweren Reise bezeichneten, der ersten, die der Kapitän selbständig unternahm, nachdem er bis vor Kurzem Steuermann der Euphrosyne gewesen war. Alles hing für ihn von einer glücklichen und schnellen Fahrt ab. Passirte ein Unglück, dauerte die Reise zu lang, oder kostete er seinem Rheder mehr Geld, als dieser wünschte, so war ihm nach der Rückkunft in Hamburg die Entlassung gewiss, und er selbst mit Weib und Kindern dem Elend preisgegeben, ein Schicksal, dem in der gegenwärtigen traurigen Zeit des Stillstandes von Handel und Verkehr und bei dem herrschenden grossen Missverhältniss zwischen Angebot und Nachfrage so viele unserer tüchtigsten Seeleute anheimgefallen sind.

Als wir die Nacht über bei Kuxhaven vor Anker gelegen und die telegraphisch requirirte Chronometerkorrektion erhalten hatten, gingen wir am Morgen des 17. Novembers endlich in See. Der kleine Dampfer schleppte uns noch bis zum inneren Feuerschiff. Dann aber riss er sich los, um nach Hamburg zurückzukehren. Die Segel wurden entfaltet, und von einem sanften Südwind leicht gebläht, begannen sie, uns leise nordwestwärts zu führen. Bald erschien das äussere Feuerschiff, und hier verliess, mit den letzten Abschiedsgrüssen an die Zuhausegebliebenen reichlich beladen, der Lootse die Euphrosyne, die nun gänzlich auf sich selbst angewiesen war.

Nordsee – Mordsee, unwirsches, tückisches Gewässer, von dessen Launen ich schon gar manche Probe erfahren, wieder lag sie vor mir und that so sanft und unschuldig, als ob sie keinem Menschen böse sein könnte. Kaum dass sich die grüne Fläche des Wassers kräuselte und mit kleinen plätschernden Wellen den Bug des Schiffes umspielte. Die Luft des Horizonts war trübe, aber nur dünnes Gewölk verschleierte die Sonne und gestattete ihr, mit einem hellen, kalten, unheimlichen Schimmer den weitgedehnten Rücken der Salzfluth zu übergiessen. Die Jahreszeit war ungünstig, und das Barometer fiel langsam und stetig. Man musste sich auf einen Sturm gefasst machen. Es galt jetzt, so viel als möglich See zu gewinnen und so weit als möglich vom Lande sich fern zu halten.

Die grauen Umrisse der beiden Thürme auf Neuwerk, das letzte Stückchen Deutschland, verschwanden hinter uns unter den Horizont, und vor uns tauchte der einsame Thonfelsen von Helgoland empor. Als es Abend wurde, blinkte sein Feuer zu unserer Rechten, wich zurück und war nach einigen Stunden ausser Sicht. Die See begann höher zu gehen, dünende Wogen hoben und senkten das Schiff. Die Jammertöne der Seekrankheit regten sich im Zwischendeck, das Volk der Passagiere, bisher ausgelassen lustig und lärmend, wurde still und in sich gekehrt.

Der folgende Tag brachte uns flauen Wind und die Gefahr einer Kollision. Eine Bark, welche kurz vor uns von Kuxhaven abgegangen war, lag in Lee unfern auf dem Wasser, ebenso wie wir mit schlaff an den Raaen herabhängenden, klappernden Segeln. Nur hie und da versuchte ein sanfter Zephyr die Leinwand zu blähen, jedesmal frohe Hoffnung erweckend, aber nur um nach einigen Minuten höhnisch wieder abzulassen und sich schadenfroh an unserer Hilflosigkeit zu weiden.

So lange wir guten Wind von hinten hatten, waren wir mit jener Bark um die Wette gesegelt. Sie war tief geladen, die Euphrosyne jedoch, nur Ballast und wenig Ladung sowie Passagiere, die leichteste Waare, tragend, ragte mit ihrem Körper weit aus dem Wasser und segelte deshalb vor dem Winde um so besser und um so schlechter beim Winde. Gerade als unser Gegner eingeholt und wir in gleicher Höhe mit ihm waren, sprang der Wind nach der Seite um, wurde flauer und hörte endlich ganz auf. Immer näher rückten einander die beiden Schiffe. Wir konnten bereits deutlich mit blossem Auge den Namen und Heimathshafen der Bark »Alartus Hamburg« an ihrem Heck lesen, und noch immer kein Wind, der uns aus der drohenden Lage befreite. Die kleinen Lüftchen, die sich zuweilen regten, genügten vielleicht, den Alartus, wenn er von seinem Kurse abfiel, wegzutreiben, während wir keinen Raum zu vergeben hatten. Auf dem Alartus aber schien man sich wenig um unsere Nachbarschaft zu kümmern. Umsonst flehte unser Kapitän wiederholt durch das Sprachrohr hinüber, auf die Gefahr zu achten, es erfolgte keine Antwort.

Dieser Zustand währte den ganzen Nachmittag und bis in die Nacht hinein. Ich war vollauf beschäftigt, in meiner Kammer und in den Hospitälern Alles seeklar zu richten, zu ordnen und für den erwarteten Sturm festzustauen. Die schwebende Angelegenheit draussen machte mir nicht den Eindruck der grossen Wichtigkeit, die sie in der That hatte, und das beständige Hin- und Herrennen und Schreien der Offiziere beunruhigte mich nicht mehr, nachdem es bereits mehrere Stunden ohne greifbaren Grund gedauert.

Plötzlich jedoch stieg der Lärm auf eine ängstigende Höhe, und ich eilte nach dem Achterdeck. Die Nacht war so dunkel, dass ich nichts sogleich unterscheiden konnte. Die Matrosen heulten mit doppelter Kraft, indem sie an den ächzenden Tauen rissen. Ich bemerkte allmälig, dass die Raaen back gebrasst wurden, und dass leichte Windstösse in die Vorderflächen der Segel fielen, die Euphrosyne rückwärts treibend, und endlich draussen auf dem Wasser dicht zu unserer Rechten ein schwarzes Ungeheuer, der Alartus. Wir hatten jetzt raumen Wind, die Gefahr war vorüber.

Nur mühsam brachte ich aus dem wuthschnaubenden Kapitän heraus, was eigentlich vorgefallen. Erst musste der Alartus mit allem was darauf war nach allen Dimensionen verflucht werden, und ich bin fest überzeugt, dass in jenem kritischen Augenblick der Führer desselben sofort erwürgt worden wäre, falls er die Unvorsichtigkeit begangen hätte, in unserer Kajüte zu erscheinen. Die beiden Schiffe waren so nahe an einander vorbeigeglitten, dass man von unserem Klüverbaum auf des anderen Achterdeck hätte hinabklettern können, und nur durch den glücklichen Zufall einer aufspringenden Brise und das geschickte Manöver, schnell rückwärts zu gehen, war der Zusammenstoss vermieden worden, welcher beiden Schiffen wenn nicht den Untergang so doch sicher schwere Beschädigung gebracht haben würde. Abermals mein kostbares Leben gerettet, dachte ich, und ging befriedigt zu Bett.

Das Toben des Sturmes weckte mich, als der Morgen eben trübe heraufdämmerte. Es war mir keine angenehme Erfahrung, die ich bei dieser Gelegenheit zum ersten mal machte, dass die Euphrosyne, durchaus abweichend von der Ruhe und Gelassenheit, die sich für ein so starkes und breites Vollschiff eigentlich geziemte, die Neigung besass, sich von jeder Welle hoch emporwerfen zu lassen und in jedes Wellenthal ebenso tief ihre Nase hineinzustecken, und dass sie fast schlimmer rollte, als ein scharfgebauter Postdampfer. »Arbeiten« nennt der Seemann euphemistisch dieses Hin- und Herfackeln, welches bei der Euphrosyne noch mit einem so widerlichen Stöhnen und Aechzen, Knarren und Winseln sämmtlicher Balken und Bälkchen, Bretter und Brettchen komplizirt war, wie ich es nie zuvor auf einem Fahrzeuge weder Seiner Majestät noch zivilen Besitzthums kennen gelernt hatte. In dieses haarsträubende Konzert mischte sich noch zu allem Ueberfluss das beständige Auf- und Zuschlagen von mehr als einem Dutzend Thüren im Bereich meiner Ohren, welche entweder kein Schloss oder ein unbrauchbares besassen und bei welchen man in der Eile der Ausrüstung vergessen hatte, Haken zum Befestigen im geöffneten Zustande anzubringen.

Solchem Unfug ein Ende zu machen war meine erste Thätigkeit, und ich schickte mich an, einen dieser rebellischen Gegenstände nach dem anderen festzunageln oder festzubinden oder auszuhängen. Nur Derjenige, der selbst erfahren hat, welche Schwierigkeiten das beständige Hin- und Hergeworfenwerden, das ewige Auf- und Niederklettern im Innern eines heftig arbeitenden Schiffes bereitet, und das Gefühl der Betäubung kennt, welches das Tosen der Winde und der Wogen und der unaufhörliche Lärm der sich aneinander reibenden Holztheile hervorbringt, und in welchem man schliesslich nicht mehr weiss, was oben und unten, was horizontal und was vertikal ist, nur Derjenige wird die Grösse meines Unternehmens zu würdigen verstehen. Ich war allein und ohne Beihilfe. Denn Jan Maat, dessen Gehörorgane übrigens auch hocherhaben sind über Kleinigkeiten wie Lärm auf- und zuschlagender Thüren, hatte draussen zu thun, und fast alle Anderen waren seekrank oder mit seekranken Weibern und Kindern beschäftigt.

Der Tag ging langsam vorüber wie alle Sturmtage. Man versucht sich zu beschäftigen, steht aber bald wieder davon ab, man nimmt etwas Nahrung zu sich und ist froh, wenn dies ohne sonderlichen Unfall gelungen. Man klettert auf Deck und klettert nach wenigen Minuten, von See- und Regenwasser durchnässt, wieder in die Kajüte hinab, man sieht sehr oft nach dem Barometer und sehnt sich nach besserem Wetter. Die Passagiere waren heute äusserst artig. Keine Klagen über das Essen kamen, keiner hatte Appetit. Friedlich und einträchtig lagen sie neben einander in ihren Kojen und leisteten Neptun wetteifernd die üblichen Opfer.

Wind und See kamen von Norden, wir lagen mit kleinen Segeln bei und steuerten Westnordwest, so dass wir rechnen konnten, nach West oder Südwest in der Richtung von Dover abzutreiben und somit nichts zu verlieren. Gegen Abend klarte der Himmel auf, und der Sturm legte sich etwas, es wurden mehr Segel gesetzt und Kurs gesteuert.

Eben hatte uns der seekranke, bleiche und knieschlotternde Kajütsjunge, den der Proviantmeister durch die bei Seeleuten so beliebte Prügelkur zu heilen beflissen war, den Thee kredenzt, als der wachehabende Bootsmann eintrat und den Kapitän frug, ob er nicht die Untersegel festmachen dürfe, da der Wind wieder stärker zu blasen anfing, und noch war der Bescheid darauf nicht gegeben, als ein Pfeifen und Heulen, ein Brüllen und Tosen durch das Takelwerk schwirrte, wie wenn ein Heer Dämonen plötzlich losgelassen wäre auf unser armes Schiff, welches in seinen Grundfesten erbebte und sich jäh auf die Seite legte. Bootsmann und Kapitän eilten zur Thüre hinaus, und ich folgte ihnen.

Der Athem versagte mir, als ich, mich anklammernd, draussen stand. Noch nie hatte ich die Gewalt eines ähnlichen Orkanes empfunden. Es war, als ob Haare, Nase und Ohren weggeweht werden sollten. Gegen die Windrichtung zu blicken war unmöglich, fliegender Wasserstaub verletzte stechend Gesicht und Augen. Nur mit Hilfe der Hände konnte man sich gegen die heranstürzenden Luftmassen vorwärtsziehen.

Vergebens schrie der Kapitän mit der vollen Kraft seiner höchst respektablen Lungen, dass alle Segel festgemacht werden sollten. Fünf Schritte von ihm entfernt war seine Stimme nicht mehr zu hören, und die Segel zerrissen in Fetzen, donnernd gegen die Masten und Riggen schlagend, oder flogen mit einem Krach hinaus in die See, platt wie eine Wand, ohne im Flug ihre gespannte Form zu verlieren. Alle Matrosen, der Steuermann, der Bootsmann, der Proviantmeister und der Koch gingen nach oben, aber jeder hatte genug zu thun, sich zu halten und nicht wegschleudern zu lassen. Ich selbst stellte mich unter das Kommando eines Passagiers, der früher Seemann gewesen, und zog mit ihm und einigen anderen jungen Männern, welche die Angst zur Arbeit antrieb, an den Brassen, um die Raaen der Richtung des Windes parallel zu drehen. Trotz aller Anstrengungen blieben die Fetzen der Segel lose und peitschten donnernd weiter.

Erschüttert stand ich hinten, betrachtete schaudernd den wüthenden Kampf der Elemente und überlegte die Möglichkeit des Ertrinkens. Ich hatte schon oft versucht, meine Phantasie mit diesem Gedanken zu üben. Bei schönem Wetter und während des Tages war es mir nie gelungen, ihn schreckhaft zu finden. Jetzt aber, im Geheule des nächtlichen Sturmes, bei dem ringsum herrschenden Dunkel, in welchem die hoch sich thürmenden schäumenden Wogen gespenstig leuchtend auf und nieder gaukelten, erfüllte mich die Vorstellung, über Bord zu fallen und von dem kochenden Gischt verschlungen zu werden, mit Entsetzen. Wenn jetzt ein anderes Schiff uns entgegenkam, unter der Gewalt des Orkanes ebenso wenig freier Herr seiner Bewegungen wie wir, keine Möglichkeit auszuweichen, es wäre unser Aller Ende gewesen. Ein dröhnender Krach, ein vielhundertstimmiger Todesschrei, und die tosenden Wogen schlugen über uns zusammen, wie über so viele andere vor uns.

Der so plötzlich und unvorhergesehen hereingebrochene Orkan schien womöglich noch heftiger werden zu wollen und nicht eben so rasch wie er gekommen vorüberzugehen. Die See stieg immer höher, und die Euphrosyne bäumte sich in einer Besorgniss erregenden Weise. Die neu eingesetzten Masten fielen, durch die schlechtgespannten Wanten und Pardunen nur locker gehalten, von einer Seite zur anderen, und man konnte deutlich sehen, wie jene Riggen abwechselnd rechts und links sich strammten und erschlafften. Dass wir die Masten behielten, dass sie nicht brachen, war nicht das Verdienst der liederlichen Arbeit der Takler, sondern ein reines Glück.

Zwei Mann standen am Steuerrad und konnten es kaum bändigen. Mehr als einmal wurde der eine von ihnen in die Höhe gehoben und war in Gefahr kopfüber wegzufliegen, vielleicht über das niedrige Geländer in die See hinab, was schon oft genug geschehen ist.

Sowohl Neugierde als auch die Absicht Trost zu spenden führten mich ins Familienkompartment des Zwischendecks hinab. Vorsichtig durch die Finsterniss den heftigen Bewegungen des nassen, schlüpfrigen Bodens entgegen von einem Stützpunkt zum anderen springend gewann ich die nächste Lücke, um hinabzusteigen. Aber die Treppe fehlte, sie lag in Trümmern unten und kollerte im Verein mit sämmtlichen theils noch ganzen theils zerschlagenen Koffern und Kisten dem Rollen des Schiffes entsprechend hin und her. Mit Hilfe eines Taues, welches mich pendelförmig von einer Seite zur anderen schleuderte, gelang es mir, mein Ziel zu erreichen.

Was ich hier unten sah und hörte, liess Alles hinter sich, was ich bisher in zahlreichen Sturmnächten auf Postdampfern gesehen und gehört. Nur wenige Laternen brannten noch, weil die meisten zerschellt waren. Das Knarren der Balken und der Lärm der hin- und hergeworfenen Gepäckstücke, das Rauschen der hin- und herfliessenden und zerspritzenden Wasserbäche, die durch die Lucken heruntergossen, die Gebete und Flüche, das Gejammer und Gewimmer der Menschen, jedesmal so oft eine grössere Sturzsee brüllend gegen das Schiff anprallte und auf das Deck schlug, zu einem grässlichen gemeinsamen Aufschrei sich steigernd, übertäubten den draussen wüthenden Kampf der Elemente. Sie glaubten hier alle, dass die Euphrosyne untergehen müsse, und dass das letzte Stündlein geschlagen habe. Die Schrecken des Todes hatten den Stumpfsinn der Seekrankheit durchbrochen, und statt der allgemeinen Gedrücktheit des vorhergegangenen Nachmittags herrschte wahnsinnige Aufregung. »Vater unser, der du bist« – »Oschdschje nasch ktury jeschtem w Niebie« – »Heilige Maria, bitt für uns« – »Fader vor, du, som er i Himmelen« – »denn Dein ist das Reich und die Herrlichkeit« tönte es in sinnverrückendem Chaos aus den höhlenartigen Familienkojen, in welchen Männer, Weiber und Kinder jeglichen Alters kreuz und quer durcheinander lagen und sich krampfhaft an einander festkrallten, ohne ein beständiges Auf- und Niederrutschen vermeiden zu können. Einige waren herausgepurzelt, krümmten sich weinend auf dem Boden, mit Beinen und Armen die sie attakirenden Kisten abwehrend, und wagten nicht, wieder aufzustehen.

Da verfluchte laut ein Vater sich und die Auswanderungsagenten, das Schiff und Neuseeland, und was sonst noch mit der Seereise zusammenhing und betheuerte wiederholt, dass er gerne sterben würde, weil er es verdient, wenn nur seine Frau und seine drei Mädchen nicht wären, und sicher würde er auch die Haare sich ausgerauft haben, wenn er die Hände freigehabt hätte, mit denen er die Hüften der Gattin umklammert hielt. Dort schalt und schlug ein Anderer seinen zitternden Jungen, weil er die unaufhörlichen Vaterunser nicht schnell genug losliess und voller Verwirrung in das weniger wirksame »Ich glaube an Gott den Vater« gerieth. Erdfahl und entstellt tauchte ein langes Gesicht aus seiner Höhle bei meiner Annäherung und schien mich fragen zu wollen. Die Lippen bewegten sich, aber ich vernahm keine Stimme. Ein krampfhaftes Würgen und Schluchzen, ein Brecherguss, und die nächste anprallende Woge schleuderte das Gespenst in die Dunkelheit zurück.

Eines der Familienhäupter machte mir den Eindruck, ganz besonders tröstenden Zuspruchs zu bedürfen, aber meine theilnehmenden Worte wurden keiner Antwort gewürdigt. Er hatte nicht Zeit, sich mit irdischen Reden zu befassen und unterbrach nicht eine Sekunde den Fluss der Thränen und der Ave Marias, welche er rastlos immer wieder von vorne begann und mit einer Zungenfertigkeit von sich stiess, dass seine sechs Kinder ihm nur nothdürftig folgen konnten und über ein Wort nach dem anderen stolperten.

Die Anzahl der ruhigen und besonnenen Passagiere war eine sehr geringe. Am ernstesten und vernünftigsten betrugen sich die Dänen, am wahnsinnigsten und verzweifeltsten geberdeten sich die Polen. Erst nach längerem Suchen fand ich einige Männer, welche mir zu helfen fähig waren, die aus den Kojen Gefallenen aufzurichten und in Sicherheit zu bringen. Die Kisten festzumachen war unmöglich und musste bis zum Tageslicht verschoben werden.

Bei den unverheiratheten Frauenzimmern sah es etwas besser aus als im Familienkompartment. Die Treppe nach dieser Abtheilung war noch erhalten, das nicht so zahlreiche Gepäck an seiner Stelle geblieben. Nur die Lampen waren in Stücke gegangen, und bis auf die trübe schimmernden Spalten der Bretterwand, jenseits welcher die Familien hausten, herrschte Dunkelheit in dem Raum. Gleich beim ersten Schritt vorwärts stiess mein Fuss auf ein weiches Hinderniss. Die Blendlaterne zeigte mir ein weibliches Gewand, dann ein Paar Beine und in entgegengesetzter Richtung ein bleiches Antlitz, und zwar das der schönen Amanda aus Kopenhagen. Der ganzen Länge nach lag sie hingestreckt auf dem Boden und umklammerte einen Stützbalken. Ich versuchte sie aufzuheben, aber eine schwere Last an ihren Füssen zog sie immer wieder zurück. Ich beleuchtete nun auch diese Gegend und fand die verhasste Bettgenossin der eleganten Modistin, welche sich beharrlich weigerte, die jener gehörenden Knöchel loszulassen. Auch einige andere Mädchen waren aus ihren Doppelbetten gefallen und schrieen laut als ich sie beleuchtete, vielleicht aus wahnsinniger Angst, vielleicht um mein Mitleid zu erregen.

Die aufsichtführende Matrone streikte, sie lag seekrank in ihrer Koje und stöhnte. Ich konnte deshalb trotz der sittenstrengen englischen Bestimmungen, die keinem Mann der Besatzung den Zutritt in den Jungfernzwinger gestatten, nicht anders als einen gerade disponiblen Matrosen zum Aufräumen hier unten zu requiriren.

Ich kletterte wieder nach der Kajüte zurück, in welcher mittlerweile unter dem Einfluss des immer fürchterlicher werdenden Stampfens und Rollens fast alle Gegenstände sich losgerissen hatten. Tische, Stühle und Ofenschirm, Gläser, Teller und Seekarten, sowie die grosse Medizinkiste flogen von einer Wand zur anderen. Der kleine Köter des Kapitäns kroch mir ängstlich winselnd zwischen die Beine und machte mich straucheln. Ich trat ihm so unglücklich auf eine Pfote, dass er heulend nach der anderen Ecke entfloh, wo ihm sofort der Ofenschirm auf den Rücken purzelte, während mir meine Thür auf- und zuschlagend den Finger zerquetschte.

Nirgends war Ruhe zu finden, und ermüdet und schläfrig wanderte ich beständig hin und her. Zuweilen dachte ich wohl selbst in jener Nacht, dass wir den Morgen nicht mehr erleben würden.

Kapitän und Mannschaft blieben auf Deck. Es war jetzt nichts zu thun. Wir trieben ohne Steuerung auf den Wogen, einem gnädigen Schicksal vertrauend. Von den Segeln peitschten nur mehr etliche kleinere Lappen an den Raaen. Der Orkan hatte das Uebrige weggeweht und dadurch viel Mühe und Arbeit erspart.

Doch verging auch diese schreckliche Nacht, zwar langsam und qualvoll, aber sie verging doch. Endlich, endlich dämmerte der Himmel, und der Morgen stieg herauf. Je heller es wurde, um so deutlicher zeigten sich die angerichteten Verwüstungen. Das Deck des Schiffes bot einen tragikomischen Anblick. Es sah aus wie ein Krautacker, in dem eine Heerde Wildschweine und ein unwirscher Herbstwind gehaust haben. Der ganze Vorrath an frischen Kohlköpfen war aus seinem Behälter unter den umgestürzt auf der Kajüte festgezurrten Rettungsböten entwichen und kollerte oder klebte, von dem heftigen Rollen und Stampfen hin- und hergeschleudert und an allen Ecken und Kanten zersplitternd, in kaum mehr verwendbaren Fetzen herum. Die beiden grossen Wasserfässer auf Deck waren zertrümmert. Sie hatten sich losgerissen und waren erst, als sie bereits genug Zerstörung angerichtet, selber in Stücke gegangen. Die Kappen der Zwischendeckslucken, ein Stützpfosten der Böte, die Thür zum Hospital, das Salzfleischfass, ein paar Bänke und ein Häuschen zu unaussprechlichen Zwecken waren ihnen zum Opfer geworden.

Es war kein Raum im ganzen Schiff, in dem sich nicht Gegenstände losgerissen und im Hin- und Herfallen Unfug verübt hätten. In der Kajüte purzelten noch immer ohne Unterlass der grosse und der kleine Tisch, einige Klappstühle, der eiserne Ofenschirm und der Ofen, die zerschellte Medizinkiste, Salben und Mixturen, überall Theilchen klebrigen Stoffes zurücklassend, zerbrochene Weinflaschen, einige Löffel und Gabeln sowie das Thermometer klappernd und klirrend hin und her, und kläglich winselnd suchte der kleine Ami vergeblich nach einem Winkel, in welchen er sich vor der Verfolgung durch jene oft sehr unsanften Gegenstände flüchten konnte. Ganz besonders der Ofenschirm schien es auf ihn abgesehen zu haben, und Ami zuckt seit jener Schreckensnacht jedesmal nervös zusammen, so oft man mit dem Fuss an Eisenblech stösst. Auch in der Küche war Alles kaput geschlagen. Der aus Backsteinen gebaute Heerd für die Passagiere hatte einige Löcher bekommen und wackelte morsch hin und her. Nur für die Kinder und Kranken konnte heute gekocht werden. Die Uebrigen mussten kalt essen, sofern sie überhaupt Appetit hatten.

Es gab jetzt vollauf zu thun, aufzuräumen und zusammenzunageln. Eine Menge Wunden und Quetschungen kamen, geflickt und verbunden zu werden. Wunderbarer Weise war keine schwere Verletzung darunter. Einer der Polen hatte sich den Arm luxirt, und ein kleiner dänischer Junge einen Schädelbruch erlitten, an dem man das Gehirn deutlich pulsiren sah, der aber ganz überraschend günstig verlief und heilte. Ich musste allein und ohne Assistenz arbeiten. Besass ich auch einen förmlichen Stab dienstbarer Geister, die ich im Namen der Neuseeländischen Regierung aus den Reihen der Emigranten ernannt hatte, sie waren alle seekrank und unbrauchbar. Nicht um Millionen wären sie zu bewegen gewesen, mir beizustehen.

Anders war es mit den Neulingen unter der Mannschaft. Für diese gab es weder Rast noch Ruhe, ob sie gleich zu sterben vermeinten. Unser Kajütsjunge Hannes zum Beispiel war das reinste Bild des Jammers. Er machte seine erste Reise. Bis vor wenigen Tagen noch bei der Mutter zu Hause, hatte er keine Ahnung gehabt, wie es zuginge auf dem Salzwasser. Und jetzt, kaum dass wir draussen waren, gleich dieser scheussliche Sturm voller Schrecken und Todesangst, das ganze Weh der Seekrankheit im Inneren wühlend, und trotzdem keine Schonung, die rohe Faust eines Seemanns beständig auf dem Nacken, jeden Augenblick Püffe, Fusstritte und Ohrenkniffe. Der arme Junge dauerte mich. Bleich, verstört und ungekämmt, die Augen stier geöffnet, mit bebenden Lippen, wankte er halbtodt, hin- und hergestossen von den Bewegungen des Schiffes, zwischen Kajüte und Pantry und zwischen Pantry und Kajüte auf und ab, ohne zu wissen, was er that, und häufig rann ihm eine Thräne über die fahlen Wangen.

Hinter der Thür der Pantry stand der Proviantmeister, ein griesgrämiger Tyrann, wie die meisten alten Seeleute, die es zu nichts gebracht haben, und zählte die zerbrochenen Teller, Gläser und Schüsseln, und für jeden Scherben, den er fand, gab er dem Jungen einen neuen Fusstritt. Was nützte es, wenn ich intervenirte und um Mässigung bat. Solches war alte angestammte rechtmässige Seemannsart. Auch der Proviantmeister hatte einst seine Fusstritte und Püffe erhalten. Jetzt war für ihn die Zeit der Vergeltung gekommen, er rächte sich an der jüngeren Generation. Und konnte ich den Jungen immer beschützen, musste er nicht, sobald ich den Rücken drehte, doppelt leiden? In der Kajüte herrschte ihn der Kapitän an und zerrte ihn an den Ohren. Hier sollte er aufwischen, dort sollte er Glasscherben zusammensuchen. An seiner Hose hingen Butter und Salbenreste, der Aermel war mit Rhabarbertinktur getränkt, seine Hände bluteten aus Glasschnitten, und Blut war im Gesicht herumgeschmiert. In seinen Schuhen quatschte das Wasser. Er war die ganze Nacht nicht zur Ruhe gewesen, so krank und elend er sich auch fühlte.

Ein anderer, ein Decksjunge hatte es schlauer gemacht. Er war gleich beim ersten Beginn des Sturmes verschwunden, um nicht zur Arbeit gezwungen oder gar nach oben auf die Raaen geschickt zu werden. Wir glaubten zuerst, er sei über Bord gespült worden. Am nächsten Abend jedoch, als wir bereits Dover uns näherten, tauchte er plötzlich aus seinem Versteck, dem Proviantraum, in den er sich zurückgezogen hatte, um mit seiner Seekrankheit allein zu sein. Er fiel sofort den Erziehungskünsten des Bootsmanns anheim. Die Hiebe klatschten, der Junge heulte. Aber noch oft versteckte er sich, wenn die Wellen höher zu gehen begannen.

Das Barometer stieg ein wenig, und wir athmeten erleichtert auf. Der Sturm legte sich und erlaubte wieder, ein paar neue Segel zu setzen und Kurs zu steuern. Die schlecht befestigten Masten hatten jetzt unter dem Druck der Leinwand mehr Halt, wodurch unsere Hauptgefahr, sie zu verlieren, wenn nicht vorüber, so doch gemildert war. Was jedoch den grössten Trost gewährte, die unheimliche schwarze Nacht, die alle Schrecken verdoppelte, war hinter uns, man durfte wieder frei um sich schauen.

Winzig kleine Fischerböte erschienen und gaukelten so waghalsig und so malerisch mit ihren rothbraunen Segeln auf und nieder über die hellgrünen Wogen der Nordsee, hinter denen sie jeden Augenblick verschwanden, als ob sie von ihnen verschlungen wären. Schiffstrümmer, gebrochene Masten mit Segeln und Takelage daran trieben vorüber. Gar mancher mochte innerhalb der letzten zwölf Stunden sein nasses Grab gefunden haben. Die Luft war so durchsichtig, und die Farben blinkten alle so lebhaft und frisch, dass man meilenweit jeden schwimmenden Balken erkannte. Nur der Himmel über uns war noch düster und dunkel.

Das Barometer stieg langsam und stetig. Auch die See nahm ab, und die Wolkendecke wurde dünner und gleichmässiger. Am Nachmittag fühlten wir uns ausser Gefahr, und gegen Abend konnten wir Dover in Sicht bekommen. Wir hatten allerdings keine Observation und wussten nicht genau, wo wir waren.

Aber so ganz glatt sollten wir dennoch nicht der tückischen Nordsee entrinnen. Es dunkelte bereits, als vorne ein Licht gemeldet wurde. Es rückte näher und nahm einen grünlichen Schimmer an. Ein grünes, stehendes, sich nicht veränderndes Licht, das ist Goodwins Sand, eine Sandbank, welche schon viele Schiffe auf dem Gewissen hat. Wir waren also noch nicht so nahe dem Kanal, als wir dachten, und der Kapitän liess nach Süden steuern. Eine Stunde lang steuerten wir Süd, und eine Reihe von vier gewöhnlichen gelben Lichtern tauchte vor uns auf. »Das sind Fischerböte« sagte mir der Kapitän, als ich ihn darüber frug, ich merkte aber wohl, dass er dieser Behauptung nicht sicher war. Für Fischerböte standen die Lichter zu ruhig und waren auffallend gross und hell. Fischerböte mussten bei solcher See auf und nieder schwanken.

Der Kapitän wurde unruhig und nervös. Unten in der Kajüte lag die Karte ausgebreitet auf dem Tisch, hastig mass und visirte er mit Zirkel und Lineal herum, stürzte auf Deck hinaus und sah mit dem Fernglas nach den immer näher kommenden Lichtern, stürzte wieder hinab und mass und visirte. Er murmelte Flüche, und der Schweiss tropfte ihm von der Stirn auf die Karte. Wir waren abermals in einer schlimmen Lage. Auf der einen Seite ein Licht wie von Goodwins Sand, auf der anderen mehrere Lichter, die der Küste des Kontinents angehören mussten, ringsum Riffe und Bänke auf der Karte verzeichnet. Jeden Augenblick konnten wir auffahren und scheitern.

Wir kehrten wieder um und steuerten dahin, woher wir gekommen. Ein grosses Glück, dass wir raumen Wind hatten. Das Räthsel löste sich endlich. Das grüne Licht spaltete sich in zwei, es waren die beiden Lichter von Dover, die wir in einer Linie, eines vom anderen verdeckt, gesehen hatten. Jetzt wussten wir wieder, wo wir waren.

Welcher schwere Stein fiel dem Kapitän vom Herzen. Er hatte seine Pflicht gethan und keinen Fehler begangen, der ihm zur Last gelegt werden durfte. Nur der Mangel einer Observation und die entschuldbare Verwechselung der beiden grünen Feuer hatte uns irregeführt. Wir brauchten uns nicht mehr vor Goodwins Sand zu fürchten und steuerten geradewegs auf Dover zu. Die vier Lichter waren die französische Küste bei Calais gewesen.

Niemals betrachtete ich Dover mit seinen zwei elektrischen grünen Feuern oben auf dem Felsen und der Gasbeleuchtung unten am Hafen und in den amphitheatralisch ansteigenden Strassen mit grösserem Wohlgefallen, als in jener Nacht, da wir langsam vorübersegelten, in den Kanal und in den freundlicheren Atlantischen Ozean hinaus, hinter uns die verhasste, unwirsche Nordsee.

Das Wasser war so nahe dem Land glatt geworden, und das Schiff rollte kaum merklich. Die seekranken Passagiere krochen genesen aus ihren Kojen und auf Deck. Sie sahen wieder festes Land vor Augen und begrüssten es freudig und hoffnungsvoll. Die Aermsten waren in einem gewaltigen Irrthum befangen. Sie glaubten nämlich alle, dass wir anlegen würden, und dann wären sie alle schleunigst davon gelaufen, bereits vollkommen satt der Reise nach Neuseeland. So lange wir an der englischen Küste hinfuhren und hie und da ein vorspringender Hügel zum Vorschein kam, lebten sie in diesem glücklichen Wahn. Und als wir immer und immer nicht anlegten und das letzte Stückchen Land verschwunden war, und sie endlich doch meiner Versicherung Glauben schenken mussten, dass wir gar nicht daran dächten, anzulegen, welches Wehklagen und welche Verwünschungen. Mit aufgehobenen Händen baten sie mich, ich möchte den Kapitän veranlassen, sie auszusetzen. In allen Sprachen schworen sie, sie würden die Seereise niemals überstehen, sie wären jetzt schon halb todt von dem einzigen Sturm, das Schiff könnte unmöglich mehr zusammenhalten, es sei schon ganz lose gerüttelt. Und wenn sie auf den Knieen nach Hause rutschen müssten mit allen ihren Kindern und zeitlebens betteln gehn, sie wollten nie und nimmermehr an Neuseeland denken. Alles umsonst.

Unserer Fahrt stellte sich kein Hinderniss mehr in den Weg. Wir schlängelten uns langsam und sicher durch die Menge der kreuzenden Dampfer, Segelschiffe und Böte, und nach drei Tagen waren wir im Atlantischen Ozean. Ein schöner Nordostwind blähte die vierkant gestellten Segel, die Zahl der in Sicht befindlichen Fahrzeuge verringerte sich, die Sonne schien mild und warm auf uns herab. Am 26. November zeigten sich die ersten Quallen im Wasser, wir waren auf der Höhe von Biscaya.

Von jetzt ab hatten wir bis Neuseeland kein nennenswerthes Unwetter mehr zu bestehen. Wir waren sehr glücklich gewesen, so rasch wenn auch etwas stürmisch und rauh aus der Nordsee zu kommen. Wir konnten eben so gut vier Wochen darin herumkreuzen.

II.
IM NÖRDLICHEN ATLANTISCHEN OZEAN.

Ungünstige Winde und Windstille. An Madera und an den Kapverden vorbei. Schiffsleben und Zänkereien. Nationale Gegensätze. Kindstaufen, Geburtshilfe auf See und ein zärtlicher Gatte. Die Polakei in Aufruhr. Das gestohlene Salzfleisch. Zoologische Belustigungen. Schleppnetzbeute. Fliegende Fische. Vergebliches Harpuniren. Haifischfang. Korrespondenz mit anderen Schiffen. Besuch auf einem Portugiesen. Unsicherheit in der Nautik.

Am 27. November warfen wir den Ofen aus der Kajüte. Es war bereits warm genug, um während des Tages ohne Ueberzieher auf Deck zu sitzen.

Das Wasser begann wieder unruhig zu werden, und die bekannten langen, hohen Wogen des Ozeans, höher als in der Nordsee, aber auch viel angenehmer weil länger, hoben und senkten das Schiff. Das Barometer fiel, der Wind wurde flau. Die Segel klapperten an den Raaen, wir machten keinen Fortgang, doch rollten wir unter dem Einfluss der zunehmenden hohlen See und des Haltes der Segel entbehrend wie noch nie. Schwerfällig beugte sich die Euphrosyne nach rechts und nach links, und bei jeder Neigung stöhnten und krachten die Balken und Bretter, eigenthümlich die sonstige feierliche Ruhe unterbrechend. Der Kapitän hatte die guten Tage benutzt, um die Riggen der Masten fester anzuziehen. Auch im Innern war Alles festgenagelt und festgestaut worden. Wir waren jetzt vollkommen seetüchtig und konnten es mit jeglichem Wetter aufnehmen.

Ein kleiner Sturm aus Südwest trieb uns zwei Tage rückwärts. Dann kam abermals flauer Wind, der in einen kleinen Nordsturm umsprang, mit dessen Hilfe wir rasch nach Madera hinuntergelangten, welches wir ausser Sichtweite am 2. Dezember passirten.

Wir hofften jetzt alle Tage auf den Nordostpassat, aber leider vergeblich. Ganz unvorschriftsmässige West- und Südwestwinde wechselten statt dessen mit einander, und die Folge davon war, dass wir immer näher gegen Afrika zu trieben und, beständig mit halbem oder viertels Wind segelnd, knapp zwischen den Kapverdischen Inseln und Senegambien hindurch fahren mussten. Kaum hatten wir diese passirt, so sprang der Wind nach Süden um, und wir steuerten Südsüdwest gegen Brasilien zu. Nur hie und da wehte es auf kurze Zeit in einer uns günstigeren Richtung, aus Norden oder aus Nordost, und der Kapitän verfehlte dann nie, mich auf die geballten Passatwolken rings am Horizont aufmerksam zu machen und sanguinisch eine anhaltende Besserung unserer Reise in Aussicht zu stellen. Doch immer von Neuem wurde sein Vertrauen getäuscht, und hatten wir vierundzwanzig Stunden eine gute Brise von hinten mit sechs Knoten per Stunde gehabt, so schlief sie regelmässig wieder ein, die Segel begannen wieder zu klappern, und ein Gegenwind erhob sich.

Oder, was noch schlimmer war, die Stille wollte nicht mehr weichen, drei, vier Tage lagen wir regungslos auf dem Wasser, der Abfall des Schiffes trennte sich nicht mehr von unserer Nähe, und was wir des Morgens über Bord geworfen hatten, konnten wir am Abend noch immer draussen herumschwimmen sehen. Die Sonne brannte glühend herab, und eine träumerische Stimmung lag über dem Deck, auf dem die Passagiere in hellen Gruppen faul herumlungerten. Selbstverständlich war unter solchen Umständen die Laune des Kapitäns nicht die rosenfarbigste. Tag und Nacht wurde geschimpft und geflucht, am Barometer geklopft, ob es nicht ein bischen fallen möchte, der Kajütsjunge in die Ohren gekniffen, zwecklos und nur vielleicht zur Aufmunterung für den Wind Leesegel gesetzt und wieder weggenommen.

Für mich waren solche Zeiten der Windstille im Anfang nicht ohne Reiz. Es herrschte, namentlich Nachts, eine wohlthätige Ruhe. Allerdings hörte das Schiff fast niemals auf, langweilig hin und her zu schaukeln, und das Holzwerk, ebenso langweilig zu knarren. Dies war aber auch meistens das einzige vernehmbare Geräusch, und ich konnte relativ ungestört mich meinen Lieblingsbeschäftigungen hingeben.

Unsere Tagesordnung ging ihren stetigen Gang. Wir lebten zu dritt in der Kajüte zusammen, nämlich ein Kajütspassagier, der Kapitän und ich – grösstentheils einträchtig, wir beide letzteren hie und da in gespanntem Verhältniss.

Der Kajütspassagier, ein harmloser, junger Mann des Handelsstandes, Mister Ross genannt, besass glücklich genug nicht die geringste Anlage zur Grimmigkeit, und schimpfte der Kapitän auch Tage lang unausstehlich, oder versuchte er gar in guter Laune Witze zu machen, was noch viel unausstehlicher war, Mister Ross blieb ungerührt. Er spielte gehorsam Tag für Tag seine Partie Sechsundsechzig mit ihm, wenn er dazu kommandirt wurde, liess ihn pflichtschuldigst gewinnen, kam pünktlich zu Tisch, legte sich pünktlich zweimal täglich zu Bett, und lungerte die übrige Zeit, wenn es schön Wetter war, auf Deck herum, friedlich seine Thonpfeife rauchend. Ich selbst huldigte dem Prinzip vollkommenster Neutralität und Isolirtheit, und meine Bücher und die Thiere des Meeres waren mir viel interessanter als Alles, was der Kapitän und Mister Ross zu sagen wussten.

Die Verpflegung, welche wir genossen, unterschied sich vortheilhaft von jener auf Postdampfern nach Amerika üblichen dadurch, dass man nie in Versuchung kam, aus Mangel besserer Beschäftigung den Magen zu überladen. Von der Ablösung der ersten Wache des Morgens um 4 Uhr an war schwarzer Kaffe zu haben. Um 8 Uhr wurde das Frühstück, Kaffe mit kondensirter Milch nebst Zwieback und Butter sowie die kalten Fleischüberreste des vorigen Tages servirt. Um 1 Uhr folgte, nachdem die Mittagsobservation genommen und der Ort des Schiffes berechnet war, das Dinner. Salzfleisch und Büchsenfleisch, Reis und Kartoffel, Erbsen und Bohnen, Pflaumen und Sauerkraut waren die wechselnden Hauptfaktoren desselben. Um 3 Uhr gabs abermals Kaffe, manchmal mit einem frischgebackenen Kuchen von sehr zweifelhafter Qualität, und um 7 Uhr den Abendthee, einschliesslich Butter und Salz- oder Büchsenfleisch. Dazu wurde jedesmal harter Zwieback geknabbert, nachdem der Vorrath an heimischem Schwarzbrot in den ersten vierzehn Tagen aufgezehrt war. Ein schmieriger Wachstuchüberzug bedeckte den Tisch, schmierig waren Gabel und Messer und schmierig der vielgeprüfte Kajütsjunge Hannes, der uns bediente.

Besonders heilige Festtage auszuzeichnen, hatte man uns einige Käslaibe, Schinken und Würste mitgegeben. Wir, die Honoratioren der Kajüte, erfreuten uns jedoch nur zwei- oder dreimal dieser Kostbarkeiten. Eines schönen Tages waren sie verschwunden, es hiess, die Matrosen hätten sie gestohlen und aufgefressen.

In Bezug auf Spirituosen lebten wir äusserst mässig. Eine Flasche Bier zu dritt war die tägliche Ration. Ich hatte zwar kontraktlich Anspruch auf eine halbe Flasche Rothwein pro Tag, es war aber nichts davon an Bord aufzufinden. Der in Seegeschichten eine so wichtige Rolle spielende steife Grog existirte auf der Euphrosyne nicht, existirt überhaupt wohl nur auf den Schiffen der Seegeschichten. In der Wirklichkeit sind die Seeleute zu arm und die Rheder nicht splendid genug, um einen solchen Luxus zu gestatten. Wenn ein Kapitän auf zwei Jahre hinaussegelt, so kriegt er vielleicht ein paar Dutzend Flaschen Kognac und Wein für sich und ein kleines Fässchen Rum für die Mannschaft mit. Erstere sind bestimmt zur Repräsentation, wenn das Schiff im fremden Hafen liegt und Besuche an Bord kommen, letzteres reicht gerade, um zwei- oder dreimal ein Fest zu feiern.

Die Euphrosyne besass eine sehr hübsche, helle und luftige Kajüte frei auf Deck stehend, zu beiden Seiten schmale Gänge zwischen ihr und den Borden. Ein roh getünchter Tisch, ein Sopha, etliche Klappstühle, zwei grosse Medizinkisten, ein Spiegel, ein Barometer, ein Thermometer und ein Kompass bildeten das Mobiliar des kleinen Salons derselben. Rechts hatte der Kapitän seine Kammer, links ich die meinige. Gleich vor dem Salon wohnte Mister Ross. Dann kamen die Badezimmer und das Frauenhospital, und in dem vordersten Theil der Kajüte hausten die Offiziere des Schiffs, der Steuermann, der Proviantmeister und der Bootsmann. In einem anderen Häuschen über Deck zwischen Gross- und Fockmast waren die Küche, das Männerhospital und das »Logis« für die Mannschaft.[1] Meine Kammer liess an Gemüthlichkeit nichts zu wünschen. Sie war zwar eng und klein, und wenn ich eine Schublade aufmachen wollte, musste ich erst meinen Koffer und den Stuhl in den Salon hinaussetzen, aber sie hatte ein grosses Fenster und eine Menge Licht. Leider ging es gerade vor dem Fenster über eine Treppe hinauf nach dem Achterdeck, auf welches die einzelnen Mädchen gebannt waren, und mit Vorliebe setzten sich diese, meine Kammer verdunkelnd, auf jene Treppe, bis ich mit dem Stock hinauslangte und sie von dannen stupfte.

[1]: Seeleute sagen »Logies«, nicht »Loschie«.

Unser Zwischendeck war das schönste, welches ich jemals gesehen habe. Es hatte die ungewöhnliche Höhe von 2,7 Meter und war sehr gut ventilirt. Es war jedoch keine Stätte des Friedens, sondern der Schauplatz beständiger Kämpfe. In den Verschlägen der einzelnen Männer vorne und der einzelnen Mädchen hinten ging es noch leidlich. In der Mitte aber bei den Familien mit ihrem Kindersegen hörten die Reibereien nie auf. Fast immer waren es natürlich die Weiber, welche anfingen und ihre respektiven Ehegatten auf einander hetzten.

Zwei feindliche Parteien standen sich voll Hass gegenüber, die Skandinavier und die Polen. Erstere waren musterhaft reinlich und hatten viel Sinn für Ordnung. Bei den letzteren galt mit wenigen Ausnahmen ungefähr das Gegentheil. Man konnte sich kein schmutzigeres und armseligeres Volk denken als jene unglücklichen Abkömmlinge der Weichselgegend. Alle Tage kamen Klagen über ihre Unsauberkeit, die selten grundlos waren, alle Tage musste ich über acquirirte Pediculi vestium jammern hören. Die Dänen erklärten mit Ueberzeugung, dass jene Thierchen nichts Geringeres beabsichtigten als sie alle aufzufressen. Ich bestimmte eine Frist, bis zu welcher die Polen dieselben abgeschafft haben mussten, vertheilte Sabadillaessig, Petroleum und Perubalsam, und bei wem ich nach zwei Wochen noch Spuren davon fand, bekam nichts zu essen. Dies half einigermassen. Die Betten wurden, so oft es das Wetter erlaubte, gesonnt, die Kleider gebrüht und die Kinder mit der bisher unbekannten Gewohnheit einer täglichen Reinigung vertraut gemacht.

Die nationalen Gegensätze übertrugen sich auch auf das religiöse Gebiet. Wir hatten vier deutsche protestantische Missionäre an Bord, die theils für Neuseeland, theils für Australien bestimmt waren, und denen ich den vorgeschriebenen Gottesdienst und die Schule übertrug. Sie bildeten unsere offizielle Staatskirche, und im Anfang kam Alles einträchtig bei ihnen zum Sonntagsgebet zusammen. Auf einmal fiel es den skandinavischen Völkerschaften ein, dass sie ihren eigenen Gottesdienst in dänischer Sprache haben wollten. Sie wählten einen alten Mann aus ihrer Mitte zum Vorbeter und blieben weg. Dieses Beispiel wirkte ansteckend, und sofort wurden auch die katholischen Polen schismatisch und bildeten eine dritte Religionsgemeinde, so dass die Missionäre mit ihren salbungsvollen Worten nur mehr auf ein sehr kleines Häuflein beschränkt waren.

Diese Dreiheit führte zu wahrhaft österreichischen Zuständen, und fast jeden Sonntag gab es Reibereien. Fingen die Einen hier ein deutsches Kirchenlied an, so erhob sich dort ein polnischer Gesang, und daneben begann wieder eine andere Gruppe, dänisch zu singen. Gerade so gings mit der Schule. Mit dieser wollten sich die Polen niemals befreunden. Sie schickten ihre Kinder nicht regelmässig, oder ihre Kinder waren widerspänstig und wollten nichts lernen. Recht gerne würde ich ihnen ebenso wie den Dänen eine eigene Schule eingeräumt haben, wenn unter den Polen ein einziger Mann fähig gewesen wäre, Unterricht zu ertheilen. Die ausgezeichneten englischen Vorschriften, nach denen ich regieren musste, waren eben für Auswanderer englischer Nation, nicht für das Sprachen- und Nationalitätengewirr, welches auf deutschen Schiffen zu sein pflegt, gemacht.

Nur bei den Kindstaufen herrschte merkwürdiger Weise eine vollkommene Parität der Konfessionen. Fünfmal war es uns vergönnt, dieses Fest zu feiern. Und zwar geschah es jedesmal, da wir nöthigenfalls damit warteten, bis gutes Wetter eintrat, unter dem grössten uns möglichen Pomp, um keine Gelegenheit zu einer die Stimmung auffrischenden Volksbelustigung vorübergehen zu lassen. Unsere feinste Suppenschüssel wurde als Taufbecken mit rothen Bändern auf das Gangspill vor der Kajüte befestigt. Sämmtliche vierundzwanzig Signal- und etliche alte Nationalflaggen mussten herhalten, eine Art Presbyterium zu formiren. Die Missionäre zogen ihren besten Ornat an, predigten und beteten fast eine Stunde lang, und die Schuljugend sang fromme Lieder dazwischen.

Gleich bei dem ersten kleinen Weltbürger, der protestantischer Abkunft war, machten die Missionäre ihre Sache so schön und so erhebend, dass selbst die religiösen Vorurtheile der Polen nicht mehr Stand hielten und alle vier im Mutterwerden folgenden Polinnen sich steif und fest in den Kopf setzten, dass auch ihre Sprösslinge von den Missionären getauft werden sollten. Die Stammesgenossen remonstrirten zwar dagegen und machten Vorwürfe, während die gestrengen Diener des Herrn betheuerten nur unter der Bedingung taufen zu können, dass dann die Kinder auch protestantisch werden müssten. Die Eitelkeit der Weiber überwand alle Bedenken und bekannte sich auf einmal zu den freiesten Grundsätzen, wohl unter dem geistlichen Vorbehalt, dass später der Katholizismus wieder in seine Rechte treten sollte.

Die erste Geburt an Bord werde ich nie vergessen. Dieser Fall war komplizirt mit Schwierigkeiten, die in keinem Lehrbuch der Geburtshilfe vorhergesehen sein dürften, und auch später knüpften sich an ihn einige Thatsachen, die in Bezug auf Psychologie und Kulturgeschichte nicht ohne Interesse sind. Es war eine vorzeitige Greisin von vierzig Jahren, Erstgebärende und Gattin eines Wittwers mit acht Kindern, die den Reigen unserer Volksvermehrung eröffnete, und die ich in einer unwirschen Sturmnacht kurz vor Madera ins Hospital schaffen musste.

Nicht nur die süsse Frucht unterm Herzen der pommerschen Hekuba äusserte ein intensives Widerstreben die schnöde Welt zu erblicken, auch die Elemente schienen sich verschworen zu haben, ihren Austritt aus dem holden mütterlichen Organismus zu hintertreiben. Das Rollen und Stampfen des Schiffs war so heftig, dass ich die chloroformirte Wöchnerin im Bett anbinden und mich selbst durch den Kapitän festhalten lassen musste, während der erste Offizier mit einer trüben Laterne leuchtete und zugleich das Chloroform handhabte. Mehr als drei Mann hatten nicht Platz vor der Koje. Ungefähr eine Viertelstunde lang wurden wir vier oder vielmehr fünf betheiligten Personen von dem Sturm hin- und hergeschleudert, wie ein Rattenkönig hartnäckig aneinanderhängend – da siegte endlich die Zange. Abgesehen von einer auch auf dem festen Lande ziemlich häufigen Beschädigung, die durch die Nähnadel wieder gut gemacht werden konnte, war die Operation ganz ausgezeichnet gelungen. Nicht blos der Vater wurde gerettet, womit so oft in schwierigen Fällen das Bewusstsein des Arztes sich trösten muss, auch die Mutter und der kleine Junge erfreuten sich des besten bis zum Schluss der Reise andauernden Wohlbefindens.

Dieser Triumph meiner Kunst zog mir indess den Hass des zärtlichen Gatten und Vaters zu. Er war nämlich in der angenehmen Hoffnung befangen gewesen, dass jene beiden zu Grunde gehen möchten, und sah sich nun getäuscht. Die Zeit stimmte nicht mit seiner Berechnung. Er hatte sich schon zu Hause scheiden lassen wollen, aber die Agenten hatten ihm gesagt, dass dies in Neuseeland viel leichter sei und viel weniger Umstände mache. Nachdem er vergebens mich zu bewegen versucht, ihm hierin bei seiner zukünftigen Regierung behilflich zu sein, wurde er mein erbitterter Feind, und später, als wir auf einer einsamen Insel in Quarantäne lagen, war er der Rädelsführer einer kleinen gegen mich gerichteten Rebellion. In solcher Art waren die Gemüther besaitet, mit denen ich zu wirthschaften hatte.

Aber auch von dem Lenker und Befehlshaber des Schiffes blühten mir Schwierigkeiten.

Die Anschauungen der Passagiere über Quantität und Qualität des ihnen verabreichten Proviants gaben zuweilen zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kapitän und mir Veranlassung. Jene glaubten fast alle Tage, dass sie zu wenig zu essen bekämen, der Kapitän war stets der entgegengesetzten Ansicht. Wenngleich jene fast nie zufrieden zu stellen und ganz unglaubliche Massen zu vertilgen im Stande waren, auch zweifellos die Mehrzahl hier an Bord besser genährt wurde, als jemals früher in ihrem Dorf zu Hause, so konnte ich doch nicht jedesmal ihnen Unrecht geben. Meine antagonistische Pflicht, dem Schiff und seinem Führer gegenüber die Interessen der Neuseeländischen Regierung und ihrer Immigranten zu vertreten, gebot mir, vom Kapitän die genaue Befolgung der Instruktionen zu verlangen. Dies war ihm unangenehm, er schimpfte und schlug mit der Faust auf den Tisch, ich drohte, die Angelegenheit in meinem Journal niederzulegen, er schimpfte noch ärger und schlug zweimal auf den Tisch – aber die Passagiere erhielten was ich verlangt hatte. So trieben wirs beinahe die ganze viermonatliche Reise hindurch, nur dass später in der zweiten Hälfte derselben die Umstände etwas unangenehmer und die Wuthausbrüche heftiger wurden. Ein- bis dreimal wöchentlich dieselbe Komödie. In mein Journal ist niemals eine Klage gekommen, die blosse Drohung damit genügte.

Andrerseits war es jedoch nicht minder geboten, den Beschwerden gegenüber möglichst vorsichtig zu sein. Kaum war ich dem einen gerecht geworden, und kaum hatten andere gesehen, dass man sich nur an mich zu wenden brauchte, um ein Stück Fleisch oder Speck mehr zu erlangen, als auch gleich Alle kamen und klagten. Da kamen nicht nur Krapülinski und Waschlapski, Schubiakski und Schmieriumski mit Weib und Kind an Backbordseite im Gänsemarsch zu mir aufs Achterdeck anmarschirt, auch die Skandinavier wollten nicht zurückbleiben, und an Steuerbordseite erschien eine Prozession von lauter Nielsen, Christensen, Andresen und Johannsen, und jeder brachte seine Schüssel Salzfleisch, Sauerkraut und Bohnen mit, um sie mir zu zeigen.

Wenn es nun nicht blosse Unverschämtheit und Gefrässigkeit war, der die reichlich zugemessenen Rationen nicht genügten, und die ich energisch zurückweisen oder selbst strafen musste, so stellte sich bei näherer Untersuchung nicht selten heraus, dass man bereits einen Theil verzehrt oder bei Seite gelegt hatte, um mich zu täuschen. Die Skandinavier trollten sich in solchen Fällen beschämt von dannen und nahmen ihre Strafe als etwas Selbstverständliches hin. Die Polen aber, wenn ertappt, geriethen in Verzweiflung. Lautes Zetergeschrei und Schwüre der Unschuld erfüllten die Luft. Die Männer rauften sich in den Haaren, die Weiber rutschten mit ihren blärrenden Kindern auf den Knieen herbei, suchten mir Hände und Rockschoss zu küssen, Erbarmen flehend, obwohl es sich nur um die Entziehung der Bohnen oder des Sauerkrautes für einen Tag handelte.

Wir besassen leider kein Arrestlokal und überhaupt keinen hierzu verwendbaren Raum im ganzen Schiff, und so willigte ich denn einmal mit Widerstreben ein, dass der Kapitän einem Polen, der sich eine grobe Widerspänstigkeit gegen ihn hatte zu Schulden kommen lassen, Handschellen anlegte, um ihn so zum warnenden Beispiel auf zwei Stunden vor dem Grossmast an den Pranger zu stellen. Der Mann geberdete sich wie ein Wahnsinniger in seiner Wuth darüber, versuchte erst mit einem Messer sich in den Hals zu schneiden, und rannte dann voller Verzweiflung nach der Verschanzung, um über Bord zu springen, heftig mit den zwei Matrosen kämpfend, die ihn zu bewachen hatten. Die ganze Polakei bis zu den Säuglingen herab wurde rebellisch, kreischte und heulte, und das Deck bot einen Anblick, als ob ein ernstlicher Aufruhr ausgebrochen sei.

Täglich um 10 Uhr war Proviantausgabe. Die Passagiere waren in Tischgesellschaften von ungefähr je einem Dutzend Köpfen eingetheilt, jede solche Tischgesellschaft, »Back« genannt, hatte ihre Nummer, und der Proviantmeister wog vor Aller Augen die Rationen ab. Das konservirte Fleisch wurde in den Büchsen von bestimmtem Gehalt verabreicht, die Salzfleischportionen wurden mit Blechnummern versehen und über Nacht in einen grossen Bottich zum Auswässern gelegt.

Dieser Bottich machte uns viel Kummer. Bald fanden sich regelmässig Diebe ein und bestahlen seinen Inhalt. Ich entwarf nun eine Wachliste und stellte Posten davor hin. Aber die Posten schliefen ein, und am Morgen fehlten wieder etliche Fleischstücke, wie zuvor. Ich liess nun ein entbehrliches Schloss von einer Thür wegnehmen und an den Bottich befestigen. Nach zwei Tagen hatte der Proviantmeister den Schlüssel verloren, und als ein anderes Schloss angebracht war, wurde der Deckel aufgebrochen.

Diebstähle jeglicher Art gehörten überhaupt zur Tagesordnung. Es war, als ob bei der Beschäftigungslosigkeit unseres Gesindels das Bedürfniss nach Thätigkeit und Unterhaltung sich nur in dieser einen Richtung geltend machen wollte. Sie stahlen aus reinem Sport.

Trotz all dieser fast unaufhörlichen Widerwärtigkeiten meines Amtes boten mir die ersten zwei Monate der Reise doch viel Genuss, und ich habe mich während dieser Zeit nicht ein einziges mal gelangweilt. Eine der Hauptabsichten, die ich ins Auge gefasst, war, die Thiere des Meeres zu studiren, insbesondere jene Unzahl kleinerer Lebensformen, an denen die Salzfluth so reich ist, die zwar dem oberflächlichen Beobachter, weil unscheinbar, meistens entgehen, die aber gerade deshalb nur um so interessanter sind. Auf Dampfern, die rasch hindurch fahren, lernt man die See und ihren Reichthum nicht kennen. Nur auf Segelschiffen bietet sich hiezu Gelegenheit. Hauptsächlich aus diesem Grunde war ich auf die Euphrosyne gegangen.

Schon bei Biscaya hatte ich meine Schleppnetze ausgepackt. Aber lange wollte kein passendes Wetter zum Fischen kommen. Ich verlor die Geduld, und als wir eines Tages kaum eine Meile per Stunde machten, während die See noch ziemlich hoch ging, wagte ich den ersten Versuch.

Nach fünf Minuten war mein Netz abgerissen und verloren. Ich hatte den Fehler begangen, dem fachmännischen Urtheil des Kapitäns mehr zu glauben als es verdiente. Der Kapitän, gerade in guter Laune und beseelt von dem Wunsch, mit mir in gutem Einvernehmen zu leben, unterstützte mich in meinen zoologischen Bemühungen, so sehr sie ihm innerlich auch zuwider sein mussten. Ich legte ihm mein Netz, einen einfachen Sack aus sehr starkem Strammin an einem verzinkten eisernen Ring von ein halb Meter Durchmesser, und die Leine, welche den Ring an drei Strippen hielt, zur Prüfung vor und frug ihn, ob diese wohl den herrschenden Seegang aushalten würde. Er lachte über meine Besorgniss, und ich warf das Netz über Bord. Wie sehr staunte ich, als ich den gewaltigen Zug fühlte, den dieser kleine Körper dem Wasser entgegensetzte. Das Schiffshintertheil stampfte in Schwingungen von etwa drei Meter Bogenlänge auf und nieder, und jedesmal wenn es sich erhob, spannte sich die Leine bis zum Platzen, so dass ich sie kaum mehr halten konnte und ein gutes Stück auslassen und festschlingen musste, um rasch wieder einzuziehen sowie wir wieder hinabtauchten. Ein Dutzend mal hatte ich dieses beschwerliche und ermüdende Manöver vollzogen, da kam eine etwas gröbere Aufwärtsbewegung, ein leichter Knall, und ich hatte die leere Leine in der Hand, das Netz, noch etliche Sekunden hell durch das Dunkelblau der hinten hinwegrollenden Wogen schimmernd, verschwand in die Tiefe.

Von nun an war ich vorsichtiger, folgte mehr meinem eigenen Urtheil, nahm eine stärkere, gut fingerdicke Leine, und versuchte nur bei ganz ruhiger See zu fischen, wenn wir keine schnellere Fahrt als höchstens vier Knoten machten. Schon bei drei Knoten war Ein Mann allein kaum im Stande, das Netz wieder einzuziehen, und man musste immer dabei bleiben und loslassen wenn ein stärkerer Windstoss kam. Es musste dann überhaupt ziemlich viel Leine ausgesteckt werden, sonst fing das Netz, wenn es zu kurz gehalten war, an, über die Oberfläche des Wassers hinwegzutanzen, ohne etwas zu fangen. Ein grosser Missstand war, dass die Baumwollefäden des Strammins aufquollen, wodurch die Maschen verengt wurden und zu viel Widerstand boten. Ich würde deshalb in künftigen Fällen ein Geflecht aus anderem Material vorziehen.

Eines der ersten Thiere, welches mir aufstiess und mich im höchsten Grad überraschte, war ein Insekt, Halobates, ein Wassertreter, ganz ähnlich dem sehr gemeinen Hydrometra, der in unseren Teichen und Sümpfen mit gespreizten Beinen ruckweise auf dem Wasser spazieren geht. Ein Wassertreter, ein so kleines und zartes Wesen, mitten auf dem Ozean über die Wellen schreitend! Von den Kapverden bis einige Grade südlich vom Aequator an der brasilianischen Küste fand ich allenthalben dieses interessante, muthige Thierchen, und es fehlte fast nie im Netz. Noch weiter südlich wurde das Wetter auf lange Zeit zu unruhig, um das Fischen zu gestatten, und im Indischen Ozean erschien es nicht wieder.

Ich hatte sogar das Glück, Halobateseier in jedem Stadium, die ganze Entwickelungsgeschichte des Thierchens, zu erwischen. Im Netz fing sich häufig aller mögliche Unrath vom Schiffe mit, und einmal fand ich auch eine Vogelfeder darin, die sehr gebraucht aussah, so dass ich im Anfang dachte, einer unserer Passagiere habe damit seine Pfeife gereinigt und sie dann über Bord geworfen. Bei näherer Betrachtung aber entdeckte ich, dass sie mit einem hellen Schleim überzogen war, in dem röthliche bis schwärzliche Körperchen steckten. Ich legte einen Theil davon unter das Mikroskop, und siehe da, die Körperchen waren fötale Halobatesindividuen, vom nahezu unentwickelten Ei bis zum vollständig ausgebildeten, sich bereits lebhaft bewegenden Thier von Stecknadelkopfgrösse, das ebenso wie sein Süsswasserbruder bei uns keine Metamorphose durchmacht. Leider ist mir gerade jenes Spiritusglas, in welchem ich die kostbare Feder verwahrte, später in Neuseeland, während ich einige Wochen abwesend war, zerbrochen worden. Ich habe sie zwar abermals in Spiritus gesetzt und nach Hause gebracht, aber als einmal vertrocknet wird das Präparat kaum mehr zu brauchen sein.

Nicht minder merkwürdig, wenn auch minder überraschend, da sie nicht unerwartet kamen, waren mir die Pteropoden, jene eigenthümlich gestalteten Schnecken, welche in den frühen Morgenstunden schaarenweise an die Meeresoberfläche emporzusteigen pflegen, um mit dem Erscheinen des Tages wieder in die Tiefe zu tauchen. Doch fing ich deren auch an trüben Nachmittagen und nie mehr als ein Dutzend auf einmal.

Man darf sich unter diesen »Flügelfüssern« keine Schnecken im gewöhnlichen Sinn des Wortes vorstellen. Ihre Gehäuse, sofern sie überhaupt eines besitzen und nicht ganz nackt sind, haben die verschiedensten Formen, nur keine Schneckenform, sie sind bald glashelle, bald wie Emaille glänzende, braun bis bläulich gefärbte Düten, einfach oder mit 3 bis 4 Stacheln besetzt, glattgewölbt oder kantig, drehrund oder plattgedrückt, mit einer freien oder lippenartig zusammengepressten Oeffnung, aus welcher die Thiere blos ihren zu förmlichen Flügeln oder Flossen umgebildeten Fuss strecken, um damit im Wasser herumzuflattern ähnlich eben flügge gewordenen Vögeln. Wenn ich sie aus dem Netz in einen Glastopf oder in meine weisse Waschschüssel setzte, lagen sie erst wie betäubt einige Minuten regungslos auf dem Grunde. Viele wurden, wahrscheinlich durch die im Netz erlittene Quetschung getödtet, nicht wieder lebendig, andere aber fingen bald an, langsam und allmälig aus dem Gehäuse ihre Flügel herauszustrecken und leise sie auf und nieder zu heben. Bei den meisten blieb es bei diesen schwachen Versuchen, in die Höhe zu fliegen. Einige jedoch, weniger bedeutend verletzt, bewegten sich immer rascher, stiessen sich ab vom Boden, stiegen, emsig flatternd, ruckweise immer höher, bis sie zuletzt an der Oberfläche des Gefässes herumhüpften, nach einigen Sekunden, wie um auszuruhen, wieder hinabsinkend und dann das Aufwärtsstreben von Neuem beginnend.

Es gewährte mir ein unschätzbares Vergnügen, diese kleinen kaum zentimeterlangen Geschöpfe zu beobachten, und ganze Nächte fischte ich oft, durchsuchte mit der Blendlaterne mühselig das Netz und besah meine Beute drunten auf dem Tisch der Kajüte beim Lampenlicht. Wie paradox klingt es, von Schnecken zu hören, die im Wasser herumflattern gleich jungen Vögeln, die ihre ersten Fliegversuche machen. Später auf der Viti-Insel Kandavu sollte ich noch eine Muschel von 3 Zentimeter Länge kennen lernen, die ebenfalls im Glase stossweise herumfuhr, so dass ich sie anfänglich für einen zweischaligen Krebs hielt. Es war eine Lima.

Auch Janthinen fing ich zuweilen, aber immer nur junge, nicht ausgewachsene Individuen. Es sind dies jene bekannten pelagischen Schnecken mit zartem blauem Gehäuse, welche sich aus Luftblasen, die sie durch eine schleimartige Absonderung zusammenkleben, einen Schwimmapparat bereiten. Dieser Schwimmapparat, der auf den ersten Blick aussieht, wie ein Häufchen Schaum und an der stets nach oben gerichteten Bauchseite des Thieres sitzt, ist merkwürdig widerstandsunfähig. Geht er verloren, so sinkt die Schnecke unter und kann die Meeresoberfläche nicht wieder erreichen. Bei allen Janthinen, die ich fing, war derselbe durch den Zug des Netzes mehr oder minder verletzt. Einige fielen in der Schüssel zu Boden und lagen regungslos und in die Schale zurückgezogen unten, ohne einen Versuch zu machen, in die Höhe zu kommen. Andere aber, deren Schwimmapparat sie noch trug, gingen sogleich daran, ihn auszubessern. Mit dem vorderen lappenartig verlängerten Theil ihres Bauchfusses griffen sie aus dem Wasser heraus in die Luft, umfassten wie mit einem Schöpflöffel einen Lufttropfen und drückten ihn an den noch vorhandenen Schaum. Zogen sie den Fuss dann wieder zurück, um dieselbe Bewegung zu wiederholen, so war eine neue Blase angefügt. So schöpften sie Blase um Blase aus der Luft, alle 5 oder 10 Sekunden eine.

Ich würde bedenklich scheitern, wollte ich alle die Lebensformen zu beschreiben versuchen, die oft ein einziger Zug des Netzes mir vor Augen brachte. Wie wimmelte es oft in der Waschschüssel oder im Glastopf von Krustern, Salpen und Quallen, kein Thier länger als höchstens drei Zentimeter. Namentlich erstere lieferten die grösste Anzahl an Individuen und manchmal auch an Arten. Blaue Zyklops- und Gammarusartige Krebse schossen kreuz und quer stürmisch herum, kleine röthliche Garneelen mit grünlich leuchtenden Augen zogen, an einander geklammert, rastlos ihre Kreise, winzige Krabben von Erbsengrösse mit komisch glotzenden unverhältnissmässigen Augen krabbelten bedächtig am Boden, und vollkommen durchsichtig und glashell, nur durch den leichten Schatten, den sie warfen, erkennbar, schlichen gespensterhaft groteske Phyllosomen, die Jugend des Palinurus, oder die seltenere Kaprella durch das Gesindel der gemeinen Verwandten. Man musste rasch nach dem Werthvolleren sich umsehen und es retten. Denn die Garneelen und Zyklopoiden verschonten nichts, und kaum lag ein Fischchen oder eine Salpe todt auf dem Grunde, so hingen sie auch schon dutzendweise daran und frassen. Und hat so ein nichtsnutziger kleiner Krebs einmal etwas erfasst, so lässt er nicht mehr los, und alles Herumstossen und Zerren ist vergeblich.

Fast alle diese Thierchen leuchteten. Schon im Netz, oben auf Deck in der Dunkelheit, verriethen sie sich durch geheimnissvoll phosphoreszirende grünliche Punkte. Es leuchteten die Augen der kleinen Garneelen, die Salpen und Quallen, besonders aber die sehr häufigen formlosen Schleimklümpchen, welche vielleicht Noktiluken waren. Selbst unten in der Kajüte beim Lampenlicht verloren sie ihre Phosphoreszenz nicht vollständig, sondern leuchteten etwas schwächer fort.

Sehr unangenehm war die Gegenwart von Physalien. Wir waren zuweilen Tage lang umgeben von Tausenden junger, kaum wallnussgrosser Individuen dieser nesselnden Quallen, und auch sie wurden dann regelmässig als unwillkommene Beigabe gefangen. Das kleinste abgerissene Partikelchen ihrer blauen Anhängsel, das man kaum sah, genügte, die Hand empfindlich zu stechen, wenn ich die Falten des Netzes durchsuchte. Unter den Seeleuten plaudert einer dem anderen nach, dass solche Berührungen äusserst gefährlich, zuweilen sogar tödtlich seien. Wenn dies auch nicht der Fall ist, so hinterliessen sie doch auf einige Stunden ein höchst lästiges intensives Jucken nebst Röthung und quaddelförmiger Schwellung der Haut.

Nur im Anfang fischte ich häufiger während des Tages, später fast nur mehr bei Nacht. Ich fand bald, dass während des Tages, wenn die Sonne glühend herabbrannte, ausser Wassertretern und Janthinen, kleinen Fischchen und Salpen nicht viel zu erwischen war. Bei Tage wurde auch immer zu viel über Bord geworfen, und Proben von den Abfällen des Schiffes geriethen ins Netz, wenn man nicht fortwährend Acht gab.

Allerdings waren die Schwierigkeiten bei Nacht um so grösser. Es war zuweilen nicht leicht, auf dem fast stets langweilig hin und her schwankenden Achterdeck das Netz zu durchsuchen, in der einen Hand eine schlechtbrennende Diebslaterne, die man nicht hinstellen durfte, weil sie sonst umfiel, mit der anderen Hand zugleich den nicht minder gefährlichen Glastopf beschirmend, in kauernder Stellung und in beständigem Kampf mit dem Rollen unserer Euphrosyne, welches auch bei der ruhigsten See niemals ganz aufhörte.

Erst wenn es dunkel und kühl wurde, kamen mehr Thiere an die Oberfläche, und besonders in der allerersten Frühe vor Sonnenaufgang erhielt ich die reichste Beute. Gar oft sah mich der roth hinter den Wolkenbänken des Horizonts heraufdämmernde Morgen noch bei der Arbeit.

In der Stimmung solcher Stunden lag so viel Erfrischendes und Poesievolles. Träge wälzte die See ihre bleigrauen Wogen und schaukelte leise das Schiff, über dem noch tiefe Ruhe lag. Allmälig regte sichs in den unteren Räumen. Der Zimmermann fing an zu arbeiten und feilte an seiner Säge, und das schrille Geräusch rief Erinnerungen an so manche Ferientage, die ich zu Hause auf dem Lande verlebt, in mir wach. Die Sonne blitzte über das Meer. Ich zog meine Netze ein und ging zu Bett.

Die Seeleute hatten von ihrem Standpunkt ganz recht, wenn sie mich auslachten. Fing ich ja nie etwas was man essen konnte. Gleichwohl wunderten sie sich, dass es im Meere, auf dem sie schon zwanzig Jahre herumfuhren, so viel »Ungeziefer« gebe. Thiere, die kleiner sind als einen Fuss, existiren dem durchschnittlichen Jan Maat, dem schlechtesten Beobachter in naturhistorischen Dingen, den ich kenne, nicht. Als ich auf einer meiner ersten Seereisen einmal zwei ganz gewöhnliche Quallen, von denen im Sommer jeder Hafen wimmelt, in ein Glas geschöpft hatte, fragte mich mein alter Kapitän, was denn das für komische Dinger wären, die er niemals gesehen.

Viel weniger glücklich als mit dem Netz war ich mit der Angel. Ich hatte mich mit Angelhaken jeder Sorte ausgerüstet, und meine ganze Kammer hing voll von Angelzeug verschiedener Grössen. Aber bis auf drei Haie und später im Indischen Ozean zwei Dutzend Albatrosse habe ich nie etwas damit gefangen. Auch hierbei lernte ich den negativen Werth der Rathschläge unserer Seeleute schätzen. Jeder von ihnen wollte bereits unzählige Makrelen, Bonitos und Delphine geangelt haben, jeder wollte mir zeigen, wie man es mache, jeder auf eine andere Methode, und nur der Proviantmeister schien den richtigen Bescheid zu wissen, indem er schwor, alle Fische, die ich erwischte, lebendig mit Haut und Haaren zu fressen.

Einmal als wir ganz ruhig lagen, kam ein Rudel fliegender Fische so nahe ans Schiffshintertheil geschwommen, dass ich sie deutlich von oben beobachten konnte. Das Meer war spiegelglatt, die Sonne glitzerte blendend darauf, kein Laut als das Klappern der Segel regte sich weit und breit. Die Passagiere lagen herum und träumten.

Etwa zehn oder zwölf fliegende Fische schwänzelten zierlich neben dem Steuer unten heran, dicht neben einander sich haltend, hie und da einer die langen Flossen spreizend wie ein Kanarienvogel, der im Käfig den Flügel dehnt, um sich daran zu kratzen. Plötzlich schwirrt der vorderste in die Luft, und die anderen folgen ihm. Ich höre deutlich das Plätschern des abtropfenden Wassers und das Geräusch ihres Fluges, welches an fliegende Heuschrecken erinnert. Nach einiger Zeit kamen sie zurück. Ich warf ihnen kleine Stückchen Speck zu, die sie, sich zankend und beissend, verschlangen, endlich versuchte ich es auch mit einer feinen Angel. Der Köder war ihnen entschieden verführerisch. Wiederholt schnupperten sie an ihm herum, wandten sich ab, schnupperten wieder, spreizten gereizt die langen Flossen und streckten sich lüstern vor. Ich befestigte glitzernde Stanniolblättchen über dem Speck, ich nahm Fleisch, ich nahm Käse – alles umsonst. Sie schnupperten vorsichtig und lange daran herum, aber keiner biss. Ich holte nun meine Pilke, einen schweren Nagel an einer Leine, um den rings Angelhaken gebunden sind, jenes Instrument, mit welchen die Kabeljaufischer auf den Neufundlandbänken durch Anreissen einzelne Kabeljaus aus den Schwärmen herauszuhaken pflegen. Kaum liess ich vorsichtig die Pilke hinab, als die ganze Gesellschaft aus dem Wasser raschelt und hinwegschwirrt wie ein Heuschreckenschwarm. Fort waren sie und kamen nicht wieder.

Oft sollen fliegende Fische auf das Deck oder in die Rüsten von Schiffen fliegen. Unsere Euphrosyne war aber hierzu, weil leicht geladen, zu hoch, und nie gerieth ein fliegender Fisch auf diese Weise an Bord.

Ebenso vergeblich wie das Angelzeug hatte ich eine Harpune mitgenommen. Es glückte mir nie, einen Tümmler damit zu erbeuten. Die Euphrosyne ragte auch hierzu zu weit aus dem Wasser. Selbst einer unserer Matrosen, der im Harpuniren ziemlich erfahren und geschickt zu sein schien, hatte nicht mehr Erfolg.

Das Harpuniren dürfte überhaupt zu den schwierigeren Arten des Sports gehören. Man stellt oder setzt sich auf die beiden untersten Ketten, welche vorne vom Stampfstock unter dem Bugspriet nach den Krahnbalken auseinanderlaufen, mit der Brust an den Stampfstock gelehnt, in der Linken einige schwerwiegende Buchten Tau, in der Rechten den nicht minder gewichtigen drei Meter langen Schaft der Harpune. Will man nicht riskiren, ins Wasser zu fallen, so bindet man sich noch eine Tauschlinge um den Leib, büsst aber dafür diese relative Sicherheit mit einer sehr fühlbaren Erschwerung der ohnehin schon ziemlich unbequemen und belasteten Situation. Oben auf Deck stehen einige Mann bereit, das Tau der Harpune einzuziehen, sobald man geworfen hat. Gewöhnlich erscheinen Tümmler nur bei unruhiger See. Das Schiff stampft auf und nieder, der Schaum, den der in rascher Fahrt durchschneidende Kiel aufwühlt, spritzt hoch empor, man balanzirt mühselig mit seiner Last hin und her.

Nun kommen die Fische. Schon von Weitem haben wir eine lange Schaar von Hunderten auf uns zusteuern sehen, in mehreren Reihen einer hinter dem anderen lustig sich über die Wellen vorwärtswälzend. Kaum dass wir unter das Bugspriet geklettert und mit Harpune und Tau klar zum Gefecht sind, spielen sie auch schon zu unseren Füssen vor dem Kiel herum. Links und rechts eilen sie voran, springen im Bogen empor, schiessen deutlich sichtbar im Wasser fort, kehren zurück, tauchen unter dem Schiff von einer Seite zur anderen und kreuzen sich vor dessen Steven, nach allen Richtungen aufschnellend, übereinander purzelnd und plumpsend gerade senkrecht unter dem Stampfstock, auf dessen Kette ich stehe.

So oft ich auch warf, ich habe nie einen Tümmler getroffen. Meine Harpune fiel langsamer hinab, als sie vorüber schossen, und jeder vergebliche Wurf schien ihre Fröhlichkeit zu vermehren. Zu zweit und zu dritt springen sie manchmal nahe zu mir herauf, dass ich sie fast in der Luft hätte spiessen können, und deutlich hörte ich oft das tönende Geräusch, mit dem sie die feuchte Athemluft aus den Nasenlöchern schnaubten. Es klang mir wie ein höhnisches Johlen.

Bei den Kapverden fing ich meinen ersten Haifisch. Der Mann am Steuer war instruirt, mir zu melden, sobald sich ein solcher zeigen würde. Die Haifischangel, ein fusslanger und schwerer Haken von zehn Zentimeter Bogendurchmesser, mit Kette und einem Wirbel am Ende derselben, an dem sie sich frei drehen konnte, war bereits seit mehreren Tagen mit einem kindskopfgrossen festgebundenen Stück Speck versehen und hing fertig hinten am Bollwerk.

Wir sassen gerade bei unserem kärglichen Mittagsmahl, als der Ruf »Hai achterut« ertönte. Das langweilige Salzfleisch konnte jetzt warten, ich eilte hinaus. »Der Hai ist nach vorne gegangen«, sagte der Mann am Steuer, »er wird aber jedenfalls zurückkommen.« Ich nehme das nächste Tau, das zu Buchten gerollt in der Nähe liegt, stecke es durch die Oese des Wirbels der Angelkette, schlinge einen kunstgerechten Knoten, und die Angel fliegt plumpsend ins Wasser.

Dieser lauten Einladung konnte unser Hai nicht widerstehen. Wir warten keine Minute und er erscheint. Da rechts taucht seine lange spitze Rückenflosse aus der blauen Fläche. Er kommt langsam näher. Jetzt ist auch sein Körper zu erkennen, es ist ein Prachtexemplar, wohl drei Meter lang. Gemessen und würdevoll, als ob ihn der Köder eigentlich gar nicht recht interessire, schwimmt er heran, majestätisch sich wendend, kaum merkbar die gewaltigen Brustflossen bewegend. Er taucht tiefer hinab und je tiefer er geht, desto herrlicher braun färbt ihn der grünliche Glanz des Wassers. Er taucht wieder in die Höhe, und siehe, dicht vor seiner spitzen Schnautze, dicht vor dem unersättlichen Rachen schwimmen geschäftig und zierlich schwänzelnd vier kleine quergeringelte Lootsenmännchen, je nachdem der Hai sich wendet, bald ober ihm, bald vor ihm.

Der Köder scheint übrigens doch nicht so ganz verächtlich zu sein. Der Hai fasst den Speck ins Auge, beschnuppert ihn und wendet sich ab. Er kehrt in einem langsamen Bogen, ohne seiner Würde durch Eile etwas zu vergeben, zurück und beschnuppert wieder den Köder, diesmal aufmerksamer. Ich halte oben das Tau, dessen Ende festgemacht ist, und mir pocht das Herz vor Freude. Welch aufregendes Vergnügen, ein so riesiges Thier an der Angel zu fühlen.

Hinter mir stehen ein halb Dutzend Matrosen, um das Tau einzuholen, sobald der Hai angebissen hat. Plötzlich dreht das Ungeheuer sich auf den Rücken, die helle Bauchseite zeigend, ein mächtiger Ruck, und mit einem wilden Halloh ziehen wir ihn in die Höhe, er zappelt an der Angel. Aber gemach! Leicht kann er abreissen. Nur mit dem Kopf aus dem Wasser gezogen, krümmt er sich wüthend und schlägt und stampft, und schäumender Gischt, wie von den Schlägen einer Dampferschraube, wühlt empor. Ein zweites Tau, in einer Schlinge um das erste gelegt, wird hinabgelassen, stülpt sich ihm um den Kopf, wir hissen ihn ein wenig höher und suchen die Schlinge über die gewaltigen Brustflossen hinabzubringen. Sie gleitet drüber weg und bis zum Schwanze hinab, sie wird angezogen. Jetzt haben wir ihn doppelt gefasst, er kann uns nicht mehr entgehen, so sehr er sich auch krümmt und zappelt und sich bäumend um seine Axe dreht. Wir wollen ihn nicht auf das enge Achterdeck bringen, sondern längsseits schleppen und auf das Hauptdeck niedersetzen.

Im ganzen Schiff hat sich bereits die Kunde des Ereignisses verbreitet, und das ganze Zwischendecksgesindel, barfüssige Kinder, säugende Weiber, pfeifenrauchende Männer, läuft aufgeregt und stürmisch sich vordrängend durcheinander oder klettert in die Wanten und auf die Deckhäuschen. Noch ist der grosse Fisch nicht über dem Horizont des Bollwerks erschienen, und alle strecken erwartungsvoll die Hälse und recken sich auf den Zehen.

Ein paar Offiziere brüllen, Platz zu machen, die Matrosen ziehen heulend an den Tauen, der grosse Fisch kommt herauf und in Sicht, hoch in der Luft noch immer sich krümmend und um sich schlagend. Ein allgemeines Ah des Erstaunens, die Vordersten drängen furchtsam zurück, die Hintersten neugierig vorwärts. Ein paar halberdrückte Weiber fangen an zu schreien, und ein paar Männer zu schimpfen. Die Offiziere hören nicht auf zu brüllen, und das Getümmel vermehrt sich. Nur der Haifisch ist im Stande Platz zu schaffen. Er wird niedergelassen, und man weicht entsetzt vor seinen Schlägen zurück.

Der Matrose ist bekanntlich ein erbitterter Feind des Haies. Die Behandlung, die sich unser Opfer nun gefallen lassen musste, war dementsprechend grausam genug. Es galt zunächst den gefährlichen Schwanz abzuhacken. Man schiebt ein Brett unter, um nicht mit dem Beil das Deck zu verletzen, aber immer wieder schnellt sich das Ungethüm hinweg, sowie der Bootsmann zum wuchtigen Hieb ausholt. Mit einem Pfahl machte man ihn endlich gefügig. Er wurde ihm in den gähnenden Rachen gestossen und mit vereinten Kräften der Länge nach durch den Leib getrieben, um ihn so an dieser festen Axe zu bändigen. Der Schwanz fällt, lange noch auf eigene Faust zuckend und hüpfend, und das Volk der Matrosen wirft sich blutgierig mit Messern über den Wehrlosen, ihn förmlich zu zerfleischen. So scheint es die richtige Seemannsart vorzuschreiben, und auch unsere Jungen beeilten sich, ihre messerbewaffneten Hände zum ersten mal in das Blut des Erbfeindes zu tauchen.

Etwa fünfzig lebende Junge mit frei endigenden Nabelschnüren kamen ans Tageslicht. Der Magen, den ich mir zur Untersuchung ausbat, enthielt nichts als mehr oder weniger verdaute Reste von Sepien und deren papageischnabelartige Gebisse. Der Hai war also durchaus nicht üppig genährt, wie ich aus seinem Vornehmthun dem Speck gegenüber erwartet hatte. Ein paar Schmarotzerkrebse, die ich ihm aus der Haut schnitt, waren die einzige aufhebenswerthe Beute, die er gewährte. Ich versuchte zwar sein Gebiss zu präpariren, gab es aber auf, nachdem ich zwei Messer daran verdorben, meine Hände vielfach an den halbversteckten Zähnen verletzt und mit dem spezifischen widerlichen Geruch des Haifischfleisches verunreinigt hatte.

Die vier Lootsenmännchen blieben noch den ganzen Tag beim Schiff. Sie schienen ihren Hai lebhaft zu vermissen und schwammen ängstlich und aufgeregt um uns herum, eine nach ihnen strebende feine Angel gänzlich ignorirend. Den nächsten Morgen waren sie verschwunden. Welch bizarres Räthsel der Natur, diese Anhänglichkeit und Freundschaft zwischen zwei so verschiedenartigen Wesen.

Der erste Hai von drei Meter Länge war auch der letzte grösseren Kalibers auf der ganzen Reise, den wir an Bord bekamen. Er hatte die schwere, eiserne Angel gerade gebogen, es gelang mir nicht, die richtige Krümmung wieder herzustellen, und der nächste Hai, der bald darauf anbiss, machte sich los ehe wir ihm eine Schlinge um den Schwanz legen konnten.

Später fing ich noch ein sehr jugendliches Individuum mit einer gewöhnlichen Lachsangel. An diesem sass ein ebenfalls sehr jugendlicher Saugefisch. Merkwürdiger Weise kamen uns überhaupt auf der ganzen langen Reise mit ihren vielen windstillen und heissen Tagen nur etwa sechsmal Haie in Sicht.

Wir waren in jenen Tagen der Windstille fast immer in Gesellschaft einiger anderer Segelschiffe, die theils nur eben über dem Horizont sichtbar wurden, theils aber auch zuweilen so nahe kamen, dass wir mit ihnen Flaggensignale wechseln konnten. Wir hissten zum Zeichen, dass wir sprechen wollten, unsere deutsche Flagge, drüben stieg dann die englische, französische, spanische oder portugiesische Flagge in die Höhe. Hierauf tauschten wir die Schiffsnamen, Heimathshäfen, Bestimmungsorte aus und die Länge und Breite, die jeder berechnet hatte. Alles durch die 24 Buchstaben des internationalen Signalkonversationsbuches.

Wir fuhren auf einer Strasse, die sich in allen möglichen Richtungen spaltete, und auf der alle möglichen Schiffe passirten. Sie kamen sämmtlich von Europa oder Nordamerika. Der Rückweg dorthin lag weiter östlich. Da waren Schiffe von London nach Kapstadt, Kalkutta und Melbourne, von Lissabon nach Rio-de-Janeiro, von New-York nach Bahia, nach Montevideo und San Franzisko.

Zum Schluss solcher Unterredungen wünschten wir glückliche Fahrt und dippten höflich dreimal die Trikolore zum Grusse. Manchmal liessen wir uns auch auf längere Gespräche ein. Wir suchten alle möglichen Fragen aus dem Signalbuch zusammen, die für die Gelegenheit passten, so zum Beispiel des Morgens, wenn wir uns noch immer neben einander sahen, »Haben Sie gut geschlafen?« »Wie geht es Ihnen?« oder »Haben Sie Kranke an Bord?« »Ist Ihr Proviant von guter Beschaffenheit?« und ähnliche Dinge, die zwar an sich nicht besonders interessant, uns doch die angenehme Unterhaltung gewährten, uns im Signalisiren zu üben und ihre Antworten oder Gegenfragen im Buch nachzuschlagen und zu erwidern. Einige hatten nicht immer die Geduld, uns Rede zu stehen. Andere aber waren sehr artig und gaben uns schmeichelhafte Aeusserungen zurück. So namentlich eine französische Bark aus Bordeaux, die nach Mauritius wollte. Zwei oder drei Tage lagen wir mit ihr zusammen und trieben. Da kam am Abend etwas Wind, und am Morgen darauf war sie verschwunden. Aber den nächsten Tag hatten wir wieder Stille und ganz nahe lag wieder eine Bark, ganz ähnlich unserm Franzosen. Wir zweifelten keinen Augenblick, dass er es sei und begrüssten ihn sofort mit unserer Flagge. Auch er hisste die seine. Wir konnten sie zwar nicht deutlich erkennen, weil sie bei der regungslosen Luft nicht auswehte und auch das Konversiren wollte heute nicht recht gehen, da die Signale schlaff herabhingen.

Ich bat den Kapitän um ein Boot und vier Mann, um hinüberzufahren und einen Besuch zu machen. Die Jolle wurde hinabgelassen, der Sitz am Steuer hinten zierlich mit buntem Flaggentuch belegt. Vier Matrosen zogen frischgewaschene Hemden an, ich selbst schmückte mich wieder zum erstenmal nach längerer Zeit mit einem gesteiften Hemdkragen, um repräsentabel zu erscheinen, und wir stiessen ab.

Der Franzose lag etwa drei Seemeilen von der Euphrosyne entfernt. Die vier Burschen hatten fast eine Stunde zu rudern, die Sonne stach grell herab, und der Schweiss rieselte ihnen von der Stirne. Das blaue Wasser war spiegelglatt, und fast trübe von Millionen kleiner Thiere, Krebse, Salpen, Quallen und Schleimklümpchen. Eine sanfte lange Dünung hob und senkte das Boot, und unsere Euphrosyne lag, nur leise den Klüverbaum auf und nieder bewegend, so seltsam starr wie ein Kastell und so einsam und verlassen aus der Fläche emporragend auf dem Meere, die Zinnen des Bollwerks und die Wanten gedrängt voll von den neugierigen Köpfen der Passagiere, die uns mit Taschentüchern nachwinkten. Kleine Sturmvögel flogen lautlos hin und her, und eine zauberhafte Ruhe schwebte über dem glitzernden Spiegel.

Die Bark wurde grösser und deutlicher, die Flagge wurde erkennbar – es war kein Franzose, sondern ein Portugiese. Einige Gestalten mit Ferngläsern beobachteten unsere Annäherung. Wir legen längsseits an, ich grüsse mit dem Hute hinauf, mein Gruss wird erwidert, man reicht mir eine Jakobsleiter herab, und ich klimme an Bord.

Der Kapitän, ein noch junger Mann, südlich gebräunt und schwarz bebartet, in weissen Hosen und weisser Jacke, auf dem Kopf einen Strohhut, empfängt mich etwas verlegen und überrascht, und wir schütteln Hände. Ich stelle mich auf Englisch, ich stelle mich auf Französisch vor. Meine höflichen Geberden werden ebenso höflich zurückgegeben, aber meine Worte finden kein Verständniss. Die Verlegenheit steigt. Ich habe die Kühnheit, auf Spanisch zu fragen, ob er Spanisch spreche, ohne zu bedenken, dass mit dieser Frage, welche er freudig bejaht, mein Spanisch eigentlich bereits erschöpft ist, und ohne zu merken, dass alle weiteren meinerseits darangeknüpften Redensarten eigentlich Italienisch sind. Keine Möglichkeit, mich verständlich zu machen. Ich werde nun selbst verlegen. Zwei zivilisirte Menschen aus Europa stehen wir einander gegenüber, fern der Heimath auf dem Atlantischen Ozean, nach den Mienen zu schliessen, einander äusserst wohlwollend gesinnt, aber wir können uns nichts sagen, am meisten unangenehm mir, der ich ganz unmotivirt auf das fremde Schiff gekommen war.

Das Wort »Mediko« schien endlich das Räthsel zu klären, es zuckte wie ein Lichtstrahl in seinen Augen, er lud mich ein, in die Kajüte zu treten. Das Innere war vollgestaut von Ladung, von Fässern und Säcken. Mein Portugiese kramt hastig unter einem alten Segel, auf welchem zwei Katzen schliefen, die ärgerlich über die Störung davontrollen, eine staubbedeckte Kiste hervor, schickt nach dem Schlüssel, der Schlüssel erscheint, er öffnet und zeigt mir den Inhalt, eine Menge durcheinander geworfener Töpfe, Gläser und Schachteln, Pillen, Salben und Tinkturen, mit einer Handbewegung, ich möge nehmen, was ich wolle. Es war die nicht sehr ordentlich gehaltene Medizinkiste des Schiffes. Er glaubte, ich sei um Medikamente zu ihm gekommen.

Grosses Erstaunen auf meine Geberde dankender Ablehnung. Wir zucken abermals verlegen die Achseln und lächeln mitleidig über uns selbst ob unserer Hilflosigkeit. Wir blicken gleichzeitig zu Boden auf unsere gegenseitigen Füsse – er hat Hausschuhe aus Glanzleder an – wir schweifen mit unseren Blicken über die vollgestaute Kajüte, und treffen gleichzeitig auf einer Flasche Portwein, die auf dem Tisch steht, zusammen. Hier kömmt ihm der erste vernünftige Gedanke. Eine Handbewegung seiner-, ein anerkennendes Neigen des Kopfes meinerseits. Zwei Gläser werden gebracht, er schenkt ein, wir stossen an und trinken.

Aeusserst froh, noch einen so günstigen Abschluss meines räthselhaften Besuches gefunden zu haben, hielt ich es jetzt gerathen, mich zurückzuziehen. Ich dankte ihm, erhob mich, deutete auf meine Uhr, dass es höchste Zeit sei, und wir traten auf Deck. Als ob der Wein ihm die Zunge gelöst, fing mein freundlicher Portugiese auf einmal an, mir unter verbindlichen Geberden eine längere portugiesische Rede zu halten, von der ich kein Wort verstand, wenn ich auch nicht anders konnte, als ihm geduldig zuzuhören.

Dies gab mir eine erfreuliche Gelegenheit, sein höchst interessantes Schiff flüchtig zu mustern. Das Deck trug eine malerische Unreinlichkeit zur Schau. Ein halbes Dutzend Schweine trieb sich unter einem ganzen Dutzend halbnackter bräunlicher Matrosen mit phrygischen Mützen auf den Köpfen herum. Vorne hingen zwei grosse Kochtöpfe über einem offenen Feuer und in der Takelage sassen vollkommen frei einige hübsche weisse Tauben, gurrten miteinander und flogen von einem Tau zum anderen, eine reizende Idylle mitten auf hoher See.

Auf dem Rückweg benutzte ich eine der vielen Pausen, die meine Leute machten, um vom Rudern auszurasten, entkleidete mich und stürzte ins Meer. Aber die Furcht vor Haifischen verdarb den Genuss dieses einzigen Bades, es gruselte mir, und ich schwang mich bald wieder ins schützende Boot.

Als wir einige Tage später Wind bekamen, allerdings keinen günstigen, sondern Gegenwind, der uns zu kreuzen zwang, erlebte ich ein recht charakteristisches Symptom der Unsicherheit, die in der Nautik zu herrschen pflegt. Wir waren noch sehr weit von der brasilianischen Küste entfernt, das wussten wir, und die mit uns segelnden Schiffe wussten es hoffentlich ebenfalls. Aber keiner von diesen schien viel Selbstvertrauen auf das eigene Besteck zu haben. Denn so oft wir wendeten, wendeten auch sie und segelten gleichen Kurs. Keiner hatte den Muth auf eigene Faust zu steuern. Mein Kapitän sagte mir, es sei immer so, wenn mehrere Schiffe zusammenkämen. Wie die Schafe gingen alle einem Leithammel nach, und zwar gewöhnlich dem grössten Schiff, weil dieses aller Wahrscheinlichkeit nach am besten ausgerüstet und in den besten Händen sei, und demzufolge den Weg am besten verstehen müsse.

III.
IM SÜDLICHEN ATLANTISCHEN OZEAN.

Andere Sterne. Das Passiren der Linie und Neptunsfest. Aequatoriale Schwitzkur. Pantomimik. Weihnachten und Neujahr. Fernando Noronha. Endlich Südostpassat. Typhus, Leichenbestattungen, traurige Aussichten.

Einige gute Tage brachten uns schnell vorwärts. Dann kamen wieder einige schlechte Tage. Der grosse Bär und der Polarstern tauchten immer tiefer hinab, und vor uns stieg das südliche Kreuz in die Höhe.

Der südliche Sternenhimmel ist öde im Vergleich mit dem unsrigen, und um sich für die Schönheit des südlichen Kreuzes begeistern zu können, muss man entweder ein kritikloser Mucker oder ein noch kritikloserer Reiseenthusiast sein, den schon der Gedanke an die grosse Entfernung von zu Hause in Ekstase zu setzen vermag. Viel interessanter und merkwürdiger als jene vier unbedeutenden im Trapezoid gestellten Sterne war mir das schwarze Loch neben ihnen, welches die Seeleute den Kohlensack nennen.

Am 20. Dezember feierten wir das Fest des Passirens der Linie in der altherkömmlichen Weise mit Neptun, Barbiererei und Taufe. Wir hatten zwar seit drei Tagen wieder keine Observation gehabt und wussten nicht bestimmt, ob wir schon so weit waren. Den Himmel bedeckten dunkle Wolken, echt tropische Regengüsse stürzten zuweilen herab, bleiern und todesstill lag der Ozean rings umher, kaum ein Lüftchen regte sich, und wir trieben, hilflos, ohne Steuer, die Spitze des Schiffes rückwärts nach Norden gewendet. Als wir zwei Tage später endlich die Sonne und damit Observation bekamen, stellte sich heraus, dass wir zu früh gefeiert und dass wir noch nicht den Aequator überschritten hatten. Erst nach weiteren vier Tagen gelangten wir am 27. Dezember wirklich und zweifellos auf die südliche Hemisphäre, und zwar ziemlich genau unter dem 29. Grad westlicher Länge von Greenwich. Aber kein Mensch ausser dem Kapitän, dem Steuermann und mir erfuhr unseren Irrthum, vielleicht auch das offizielle Journal nicht.

Schon seit einer Woche waren die Matrosen eifrig daran, die Maskerade für den Neptunszug, einen Dreizack aus Blech und Bärte aus Flachs für ihn und sein Gefolge, einen Fischschwanz aus Pappe und Locken aus Hobelspänen für seine Gemahlin, ein grosses meterlanges Rasirmesser aus Holz für den Barbier und andere derlei Geräthe vorzubereiten.

Einige englische Kolonien haben den äquatorialen Mummenschanz, bei dem es erfahrungsgemäss fast nie ohne Rohheiten und Zänkereien zwischen Mannschaft und Passagieren abgeht, auf ihren Emigrantenschiffen verboten. Neuseeland war damals noch nicht so rigoros, und obwohl ich keinen sonderlichen Werth auf jenes Ueberbleibsel der sogenannten guten alten Zeit legte, so liess ich dasselbe doch seinen Lauf nehmen, aus keinem vernünftigern Grunde, als um einen rothen Strich mehr in den Bädecker meiner Erlebnisse machen zu dürfen.

Da wir eben trieben, und nichts zu thun war, konnte die ganze Mannschaft an dem Scherz sich betheiligen. Der Aufzug verlief, wie er schon oft beschrieben worden ist. Die phantastisch geschmückte Schaar verfügte sich nach dem Vorderdeck und kletterte vorne am Bugspriet über Bord, um scheinbar aus dem Wasser heraufzukommen. Hinten über der Kajüte stunden der Kapitän und die Offiziere. »Schip ahoi!« rief vorne Neptun durch das Sprachrohr, und der Bootsmann wurde abgesandt, ihn zum Besuch einzuladen. Neptun und sein Gefolge bewegten sich langsam und gravitätisch heran, zu beiden Seiten das dichte Gewühl der neugierig sich drängenden Zwischendecker. Eine zackige Krone aus Goldpapier schmückte das Haupt des dreizackbewaffneten Fluthenbeherrschers, von dem eine mächtige flächserne Mähne herab wallte. An seiner Seite trippelte züchtiglich die holde Amphitrite, unser ältester Schiffsjunge, der nicht ohne Geschmack zu einem zinnobergeschminkten, hochbusigen und hobelspähnelockigen Frauenzimmer mit langer Schleppe von Sackleinwand herausstaffirt war. Voran schritt als Herold der Barbier, ein seemännischer Anachronismus, mit riesiger Brille und Vatermördern, das gewaltige bretterne Rasirmesser auf der Schulter. Hinterdrein marschirten die Schergen der maritimen Polizei, mehr oder minder gelungen phantastisch geputzt, hölzerne Säbel in den Händen schwingend.

Neptun hielt nun seine Anrede an den Kapitän, und das übliche Frage- und Antwortspiel, wie das Schiff heisse, woher es käme und wohin es gehe, entwickelte sich. Nach diesen Präliminarien, die sehr ledern waren und sowohl dem Neptun nebst Gefolge als auch dem Kapitän so vorkommen mochten, da sie ziemlich verlegene Gesichter schnitten, nahm ersterer auf einem improvisirten Throne hinter dem Grossmast Platz und schickte seine Schergen aus, um die Opfer, diejenigen an Bord, die zum ersten mal die Linie passirten, vorführen zu lassen. Von den Passagieren durften nur solche ergriffen werden, die sich freiwillig dazu erboten, und um mit gutem Beispiel voranzugehen, unterzog ich mich selbst der peinlichen Prozedur der Aequatortaufe.

Ein grosser Bottich mit Wasser stund vor Neptun, ein darüber gelegtes Brett war der Sitz für den Täufling. Ein Gehilfe des Barbiers frug nach Namen und Alter, registrirte solches in ein dickes Buch, profaner Weise eine alte Bibel, dann kam der Barbier, schmierte aus einem Kübel mit vollen Händen Seifenschaum über das ganze Gesicht und kratzte ihn wieder ab mit seiner Rasirkeule. Der ätzende Seifenschaum verbot die Augen zu öffnen, ein plötzlicher Ruck, das Brett wurde weggezogen, man plumpste rücklings in das Wasser des Bottichs, die Taufe war vollzogen.

Ich hatte mir ausgebeten, nur mit der besten und reinlichsten Seife bedient zu werden und als erster zu leiden. Nicht so glimpflich wie ich wurden diejenigen behandelt, die nach mir kamen. Zunächst Mister Ross und etwa zwanzig andere junge Männer von den Zwischendeckspassagieren, zuletzt die Neulinge unter der Mannschaft, unser Ganymed Hannes, der in der Nordsee so Schreckliches erduldet, mittlerweile jedoch mit dem Meere vertrauter geworden war, jener Decksjunge, der sich damals versteckt hatte, und ein Matrose. Diese drei letzteren wurden auf die alte qualvolle Weise barbiert und getauft. Für sie gab es eine eigens präparirte Seife zweiter Qualität, die stark mit Theer versetzt war und noch etliche Tage Mund und Augen verklebte. Beim Rasiren kam es auf einige Stückchen Haut nicht an, und das Taufen wurde ihnen so gründlich zu Theil, dass sie halberstickt, heftig spuckend und hustend, dem Bottich entstiegen. Auch auf die frommen Missionäre hatten es die Matrosen abgesehen und wollten sie vor Neptuns Thron schleppen, aber sie schrieen so kläglich um Hilfe, dass der Kapitän sie zu retten eilte. Raketen und Bluelights und eine Ration Schnaps für die Matrosen verherrlichten den Abend dieses denkwürdigen Tages.

Wir waren in den äquatorialen Kalmen. Unsere höchste Temperatur im Schiff war damals und überhaupt während der ganzen Reise nicht mehr als 27 Zentigrade, aber die Feuchtigkeit der Luft im Verein mit den lauwarmen Regengüssen, die ab und zu auf uns niederstürzten, liess sie doppelt fühlen.

Thau träufelte von den Wänden, alles Lederzeug, die Stiefel und die Einbände der Bücher überzogen sich mit Schimmel. Die Thüren und Schubladen schwollen an und waren nur mit grösserer Kraftentfaltung zu öffnen. Meinen Nachbar Mister Ross hörte man den ganzen Tag drüben in seiner Kammer an den Schubladen rütteln. Er hatte deren nur zwei, aber sie machten ihm mehr zu schaffen, als zwanzig zu Hause. Selbst der harte Zwieback weichte auf – die einzige Annehmlichkeit dieses dunstigen Zustands. »Alles ist feucht, es ist als ob die Natur Alles in den primordialen Urschleim zurückführen wollte. Die Individualität schwindet, das Denken hört auf, man wird eine willenlose, feuchte, schwammige, indolent schwitzende Moles«, schrieb ich damals ins Tagebuch. Nachts sah es manchmal im Dämmerlichte des Zwischendecks aus wie in mythologischen Sphären. Bunt durcheinander lagen die Passagiere nackt oder halbnackt vor ihren Kojen auf dem Boden und stöhnten vor Hitze. So oft ich auch als Sittenpolizei eine sorgfältigere Bedeckung empfahl, der Genius epidemikus des Schwitzens lähmte jegliche Rücksicht.

Auch bei Tage herrschte jetzt eine wohlthätige Ruhe im Schiff, und Stumpfsinn lagerte über der ganzen Gesellschaft. Mit halbgeöffneten Augen und Mäulern und schlotterigen Knieen, Zwiebackreste im Bart und in den Haaren, lungerten unsere Passagiere halb schlummernd umher, blos zur Essenszeit machte sich etwas Leben geltend. Eine Periode der Versöhnung und des Friedens war eingetreten. Alle Regungen der Gehässigkeit verschwanden. Keine gegenseitigen Verdächtigungen, keine Unzufriedenheit über das Essen, kein Schimpfen mehr. Selbst das Salzfleischstehlen hatte seinen Reiz verloren. Nur die zahlreiche Kinderschaar fuhr fort sich herumzubalgen und amüsirte sich jetzt hauptsächlich damit, aus den Regenlachen auf Deck Wasser in den Mund zu schlürfen und einander ins Gesicht zu spritzen.

Meist war das Wetter trübe und der Himmel bedeckt. Zuweilen aber hatten wir Sonnenschein, und dann boten die vielen isolirten dunklen Wolkenmassen, welche in allen Richtungen inselförmig und scharfbegrenzt als geschlossene graue Schleier auf das blaue Meer herabfielen, ein eigenthümliches anziehendes Schauspiel.

Oft geriethen auch wir in einen solchen Wolkenbruch, dessen Beginn jedesmal von einer heftigen Böe eingeleitet wurde. Wir sahen lange vorher wie sie langsam auf uns zukam. Wir hatten alle Segel bei, aber schlaff hingen sie an den Raaen und klapperten. Plötzlich einige Windstösse, die Segel blähen sich und neigen das Schiff auf die Seite. Im Wasser rauscht es von der Fahrt, die wir machen. Nun schlagen die ersten dicken Tropfen aufs Deck und es rasselt in Strömen herab als ob wir ersäuft werden sollten. Nach wenigen Minuten wird es wieder still, die Fahrt hört auf, und nur mehr das Gurgeln der durch die Speigatten abfliessenden Bäche ist vernehmbar.

Wir benutzten diese Fülle meteorischer Niederschläge um unseren Wasservorrath zu ergänzen. Segel wurden als Trichter an das Dach der Kajüte befestigt und durch Schläuche mit den Wasserfässern unten im Lastraum verbunden. Im Nu hatten wir jedesmal wieder einige Fässer gefüllt.

Zwar besassen wir entsprechend den englischen Vorschriften einen Kondenser zum Destilliren von Meerwasser, jedoch war dieser so schlecht ausgerüstet, dass wir mit ihm nur beim allergünstigsten Wetter zu arbeiten vermochten. Er ersetzte dafür seine geringe Leistungsfähigkeit durch um so grösseren Lärm. Er stampfte gleich einer mächtigen Dampfmaschine, spie die herrlichsten Feuergarben aus seinem Schornstein, was in der Nacht allerdings ziemlich effektvoll aussah, aber zugleich auch der Takelage Gefahr drohte, und entwickelte so viel russigen Qualm, dass man uns von ferne für eine stolze Fregatte halten konnte.

Ganz besonders erspriesslich waren die Regengüsse für die Pflege der Reinlichkeit. Alles musste jetzt waschen, und das ganze Deck schwamm ein paar Tage lang in Seifenschaum. Die Matrosen bedienten sich hiebei eines sehr praktischen abgekürzten Verfahrens, indem sie ihre Wäsche einfach in eine der vielen Lachen warfen und mit blossen Füssen darauf herumtrampelten.

Ausser der Aequatortaufe fielen in jene Periode der Regengüsse und des Schwitzens noch zwei andere Feste, nämlich Weihnachten und Neujahr.

Für den Christbaum hatten wir Lichter sowie billiges und schlechtes Zuckergebäck von Hamburg aus mitbekommen. Den Baum selbst mussten wir uns künstlich aus einer Stange und Besenreisig herstellen. Es war eine wunderbare, laue, sternenklare Tropennacht, als er angezündet wurde. Aber die Lichter wollten nicht brennen in der freien Luft auf Deck, obwohl fast kein Lüftchen sich regte. Unser materieller angelegtes Publikum zeigte auch nicht viel Sinn für die Poesie der heimathlichen Sitte, und der Schwerpunkt der ganzen Feierlichkeit lag für dasselbe mehr in dem grossen, rosinengespickten und schrecklich unverdaulichen Kuchen, den der Koch angefertigt hatte.

Am Sylvesterabend gaben die Matrosen auf einer hinter dem Grossmast improvisirten Bühne eine von ihnen selbst erfundene Pantomime zum besten. Die Fabel des Stückes war sehr einfach und stylvoll. Mehrere Handwerksburschen kommen in ein Wirthshaus, betrinken sich, schlafen ein, müssen aber fortwährend kratzen, sie machen Skandal, der Wirth erscheint und will Geld, sie haben keines, der Wirth schmeisst sie hinaus, eine Prügelei, und der Vorhang fällt. Dieses zeitgemässe dramatische Opus wurde mit viel mimischer Begabung und grossem Erfolg vom Stapel gelassen. Ein wahrer Sturm von Beifall belohnte die Akteurs nach jeder Szene, und namentlich das mit höchster Naturwahrheit und Empfindung dargestellte Kratzen erregte den ausgelassensten Jubel der germanischen Völker, während die Polen sich etwas betroffen fühlten und theils verlegene, theils zornige Gesichter machten, als Alles auf sie deutete.

Auf dieses folgte eine Tanzunterhaltung. Während des Theaters war der Mond aufgegangen. Sein silbernes Licht schimmerte auf den ewig bewegten, hüpfenden Wellen des Meeres und übergoss mit magischem Glanz die Segel und das Deck des Schiffes, so dass die wenigen farbigen Lampen kaum zur Geltung gelangten. Unbekümmert um den draussen gähnenden Wasserschlund, dessen Oberfläche der Kiel langsam durchfurchte, drehten sich auf engem Raum die fröhlichen Paare im Kreise. Eine Ziehharmonika spielte ihre langweilige, misstönende Musik dazu, und eine dichte Zuschauermenge drängte sich nach dem Tanzplatz oder hing in den Wanten.

Noch oft hatten wir an schönen Abenden solche Tanzunterhaltungen. Auch die unverheiratheten Frauenzimmer durften daran Theil nehmen. Es war mir unmöglich, eben so puritanisch zu sein, wie die strengen englischen Vorschriften, und ich konnte unseren Passagieren dieses harmlose Vergnügen nicht versagen, wenn sie mich darum baten. Hoffentlich erfährt die Neuseeländische Regierung nichts davon.

Auf der südlichen Hemisphäre hatten wir im Anfang mit dem Wind nicht mehr Glück als auf der nördlichen. Immerfort mühselig zu kreuzen gezwungen, wendeten wir täglich zwei- oder dreimal und steuerten abwechselnd Westsüdwest und Ostsüdost, ohne wesentlich vorwärts zu kommen, da die leichtgeladene Euphrosyne zu viel Abtrift machte.

Am 29. Dezember bekamen wir das einsame Eiland Fernando Noronha in Sicht. Fernando Noronha ist eine brasilianische Verbrecherkolonie. Wir fuhren Nachts zehn Uhr so nahe daran vorüber, dass wir deutlich die dunklen Umrisse des Piks und der nächsten Hügel und lebhaft am Strande sich hin und her bewegende Lichter erkannten. Vielleicht hielt man uns dort für das von der Regierung gesandte Schiff, welches den auf die Insel Verbannten von Zeit zu Zeit Lebensmittel und Nachrichten bringt.

Der ewige Gegenwind aus Süd hielt an, und am 31. Dezember sahen wir von der Mastspitze aus den Pik von Fernando Noronha abermals, jetzt ungefähr 30 Seemeilen entfernt und von der anderen südlichen Seite.

Endlich am 6. Januar kam der langersehnte Südostpassat. Aber wir hatten die Ostecke Südamerikas noch nicht passirt und waren der Küste so nahe, dass wir noch mehrere Tage kreuzen mussten. Immer wieder führte unser Kurs, wenn wir ihn mit dem Lineal auf der Karte absetzten, gegen Land, und wir mussten wieder wenden und halb rückwärts fahren.

Die dunstige Hitze der Aequatorstillen schwand vor der frischen Brise aus dem Schiff, und eine angenehme Kühle erquickte die erschlafften Nerven. Keine hundert Seemeilen zur Rechten lag Parahyba. Wie mochte es dort drüben im üppigen Dickicht tropischer Vegetation wimmeln von stechenden Moskitos und schillernden Käfern, von schreienden Papageien und giftigen Schlangen, von kletternden Affen und schleichenden Raubthieren, wie mochte die Sonne dort drüben herabglühen auf all das bunte Leben. Und hier auf dem Wasser hatten wir ungefähr die Temperatur eines deutschen Sommers.

Erst jetzt wurde uns der volle Genuss des Segelns im Passat zu Theil, der auf der nördlichen Hemisphäre durch abnorme Witterungsverhältnisse uns so sehr geschmälert worden war. Die See schien ihre ganze Natur verändert zu haben. Ein ewig blauer Himmel wölbte sich über der blauen Fläche und die freundlich strahlende Sonne und der gleichmässige köstliche Wind vereinigten sich zu einer angenehmen, milden Wärme. Nur rings um den Horizont lag die Kette der geballten Passatwolken.

Grosse rosenrothe Schwimmblasen von Physalien, die »Portuguese Men of War« der Seeleute, schaukelten sich auf den munter hüpfenden Wellen. Bläulich schillerten und schossen durch die Fluth vor dem Schaum aufwühlenden Steven flinke Bonitos und Delphine und spotteten unserer Angel. Putzköpfe, jene kleinste Art der Walfische, umspielten zuweilen das Schiff, bliesen ihren Wasserstaub aus den Nasenlöchern, peitschten mit ihren mächtigen Schwanzflossen das Meer und schnellten ihre ganzen ungeschlachten Körper gleichsam jauchzend hoch in die Luft.

Nachts aber glimmte es geheimnissvoll in den dunklen Tiefen der Salzfluth. Unzählige Funken erhellten den schaumigen Streif des Kielwassers, den wir zurückliessen, und wie Wetterleuchten fuhr es zuweilen glitzernd über den ganzen Spiegel der See hin. Ein paar mal fuhren wir Stunden lang durch Schwärme von Pyrosomen. Sie waren nur bei Nacht als feurige Zylinder zu sehen, namentlich deutlich und zahlreich im sprudelnden Kielwasser, da sie, erregt, stärker zu phosphoresziren pflegen. Erst kurz vor Neuseeland gelang es mir, mehrere zu erbeuten.

Alle waren jetzt guter Laune, bis auch das schöne Passatwetter langweilig wurde. Selbst der Kapitän thaute auf, aber erst, als wir die Höhe von Pernambuco hinter uns und wieder freies Wasser vor uns hatten, welches erlaubte, den Kurs beizubehalten. Er mochte sich wohl Gewissensbisse darüber machen, dass er soweit nach Westen herüber gegangen war. Es galt nun mit dem Passat so weit als möglich nach Süden hinab zu gelangen, um erst im Bereich der aus Westen kommenden Strömungen und Winde gegen Ost abzuschwenken.

Bis Mitte Januar war unser Gesundheitszustand ein sehr günstiger gewesen, und ich wiegte mich bereits in der Hoffnung, dass wir ohne Todesfall nach Neuseeland kommen würden. Meine frohe Zuversicht erlitt plötzlich rasch nacheinander heftige Stösse.

Die beiden Hospitäler füllten sich in wenigen Tagen mit fiebernden Kranken, und jeden Tag kamen neue. Die Fieber stiegen stetig höher, und Erscheinungen gesellten sich hinzu, die mir keine andere Diagnose als Abdominaltyphus, die gefürchtete Schiffspest, gestatteten. Anfänglich sträubte ich mich gegen die traurige Wahrheit. Ich suchte mich selbst zu täuschen und anzunehmen, es sei vielleicht doch nur eines jener räthselhaften, noch wenig bekannten Tropenfieber, die uns von der afrikanischen oder brasilianischen Küste zugeweht worden. Die grosse Unregelmässigkeit der meisten Anfangsstadien unterstützte mich in dieser Annahme. Aber bald mussten auch die letzten Zweifel schwinden, und als am 1. Februar fast gleichzeitig zwei Todesfälle eintraten, verschafften mir die Sektionsresultate volle handgreifliche Gewissheit.

Die eigenthümliche Thatsache, dass unsere Epidemie so plötzlich ausbrach, nachdem wir bereits zwei Monate auf See und ohne Berührung von Land gewesen, liess sich vielleicht dadurch erklären, dass das Krankheitsgift, welches zweifellos schon bei der Abreise von Hamburg im Schiff gesteckt haben musste, anfangs zu schwach war, um deutliche Erscheinungen hervorzurufen, und erst unter dem Einfluss der langen tropischen Feuchtigkeit und Hitze zu grösserer Wirksamkeit sich entwickelte.

Es waren zwei junge, kräftige, vor Kurzem noch blühende Weiber, eine Polin und eine Dänin, die als die ersten der tückischen Seuche zum Opfer fielen. So hatten wir denn am folgenden Morgen das trübselige Schauspiel einer doppelten Leichenbestattung. Die Flagge wurde zum Zeichen der Trauer halbstocks gehisst. Eine fremdartige Stille herrschte auf dem Schiff, Passagiere und Mannschaft waren erschüttert und in gedrückter Stimmung. Alles fürchtete sich vor dem unheimlichen Gast, der unsichtbar und unheilschwanger unter uns hauste. Vier Matrosen trugen die in Segeltuch eingenähten und mit Flaggen bedeckten Leichen aus dem Hospital um den Grossmast herum nach Steuerbord, welcher eben Leeseite war, voran die Missionäre, hinterdrein die Angehörigen, der Kapitän und ich und die ganze Bevölkerung. Die Missionäre sprachen ein Gebet, dann glitten von dem Bollwerk unter der Flagge hinweg, an kurzen Tauen gehalten, die Leichen ins Meer und verschwanden, durch Steinkohlen beschwert, gurgelnd in die Tiefe. Einige Luftblasen stiegen an die Oberfläche zurück, und von den theuren Körpern war nichts mehr zu sehen. Zerknirscht stund die Menge herum, und ausser dem Schluchzen und Weinen und ausser dem Rauschen der Fahrt regte sich kein Laut.

Nach der Reihenfolge des Sterbens wurde zuerst die Polin, dann die Dänin zur Ruhe gesenkt. Niemals schnitt eine Melodie mir schriller und schärfer ins Ohr, als der polnische und dann der dänische Grabgesang, welche die Feier beschlossen. Ruhte ja doch auf mir die Hauptlast unseres Unglücks, und wusste doch Niemand an Bord besser als ich, wie unzureichend und ohnmächtig die ganze Medizin einer solchen Epidemie gegenüber ist. Wir hatten noch ungefähr die Hälfte der Reise vor uns, und es war mir gewiss, dass die eben ad Akta gelegten zwei Fälle nur den Anfang einer Reihe anderer bildeten, wenn ich auch gegen Niemand den Namen Typhus aussprach und stets die tröstlichste Zuversicht heuchelte, dass die Krankheit in den nun bevorstehenden kälteren Breiten rasch aufhören würde.

Die Erkrankungen nahmen immer mehr zu. Es wurde unmöglich, sämmtliche Kranke zu isoliren, blos die schwersten konnten im Hospital Unterkunft finden. Häufig brachen ganz plötzlich furibunde Delirien aus bei solchen, die bisher nur leicht ergriffen waren. Heute wurde mir vielleicht ein Frauenzimmer vorgeführt, das auf einmal im Bette herumzuschlagen begonnen hatte, morgen vielleicht ein junger Bursche, der den Versuch gemacht, ins Wasser zu springen. Wenn ich sie mit dem Thermometer mass, hatten sie die höchsten Temperaturen.

Tag und Nacht in Anspruch genommen, ohne geschulte und gewissenhafte Wärter, hatte ich fast Alles selbst zu thun. War es mir gelungen, gegen ansehnliche Geldversprechungen ein wenigstens der Zahl nach genügendes Personal für die Krankenpflege zu engagiren, so liefen sie nach wenigen Tagen eigenmächtig wieder hinweg oder holten mich Nachts aus dem Bett, um mir zu erklären, dass sie sich vor den Delirien fürchteten und es nicht mehr aushalten könnten.

Unter solchen Umständen wurde die Seereise ungemüthlich. Eine mächtige Sehnsucht nach Land, namentlich nach Ruhe und Alleinsein, nach Waldesdunkel und Wiesengrün, ergriff mich. Sie sollte erst in sechs Wochen einigermassen gestillt werden.

IV.
IM INDISCHEN OZEAN.

Um das Kap herum. Segeln vor dem Sturm. Die Krozet Islands. Unsere Typhusepidemie steigt. Gedrückte Stimmung. Zur Naturgeschichte der Seeleute. Albatrosse und sonstige Vögel. Ventilationseigenthümlichkeiten.

Am 31. Januar passirten wir bei gutem Winde das Kap der guten Hoffnung in 44 Grad südlicher Breite, nachdem wir kurz vorher an Tristan da Kunha vorübergesegelt waren, ohne den Inselvulkan in Sicht zu bekommen.

Wir gingen bis hart an die Grenze des antarktischen Treibeises, beinahe bis zum 50. Grad hinab, um erst in der Höhe von Neuamsterdam uns wieder etwas nördlich zu wenden. Es wurde nun ziemlich kalt, was wir um so bitterer empfanden, verweichlicht durch das äquatoriale Dampfbad der letzten Wochen. Das Thermometer sank Nachts bis auf zehn Zentigrade trotz des Hochsommers der südlichen Hemisphäre.

Mächtige Tangmassen trieben in gleicher Richtung mit uns ostwärts, von Ferne schwimmenden Inseln oder Schiffstrümmern ähnlich. Selten gelang es mir, mit dem nachschleppenden Haifischhaken einzelne Aeste derselben, oft gegen zehn Meter lang, aus dem Meere zu angeln. Eine Menge von Lepadinen und Balaniden, von höheren Krustern und von Mollusken, von Bryozoen und von Polypen, die Passagiere dieser natürlichen Fahrzeuge, wurden dann meine Beute.

In Bezug auf die Windverhältnisse war die Fahrt durch den tiefen Süden des Indischen Ozeans der günstigste Theil unserer ganzen Reise. Häufig hatten wir Sturm von hinten, und dann flogen wir förmlich in grandiosen und langsamen Galoppsprüngen vor den in Kolonnen nachrückenden Wogen her. Die Masten krachten und bogen sich unter dem Druck der gerefften Marssegel. Die vollgespannte Fock schien das Schiff aus dem Wasser lüften zu wollen. Hoch empor spritzte unter dem Steven der Gischt, zu zischenden Schaumhügeln nach beiden Seiten auseinandergepflügt, und über Berg und Thal schlängelte sich hinter uns die schäumende Spur des Weges, den wir im Fluge gemacht. Unwillig rauschte das Meer. Ganze Gebirgsketten wälzten sich mit uns vorwärts. Aber wir liefen allen voran, eine nach der anderen wurde geschlagen, und sie hatten das Nachsehen.

Nur die Krozet Islands verdarben uns auf kurze Zeit die Freude. Wir wollten dicht an ihnen vorüber fahren, aber sie wollten nichts von uns wissen und umhüllten sich mit einer Nebelkappe. Man konnte keine Schiffsbreite sehen, und wir mussten umkehren, beim schönsten Wind umkehren und beidrehen. Wir hatten entschieden Pech. Kaum dass einmal der Wind uns günstig war, stellte sich so ein unnützes Pack kahler Inseln entgegen. Zum Glück klarte nach zwei Tagen die Luft wieder auf und erlaubte Kurs zu steuern. Abgerechnet einige windstille Tage gab es jetzt keine Unterbrechung mehr.

Das Rollen des Schiffes wurde zuweilen wieder so stark, dass ich mich in meiner Koje feststauen musste, um schlafen zu können. An der einen Seite den Sack mit Kamillenthee, an der andern den Sack mit Scharpie, gegen die barbarische Kälte mit allen disponiblen Decken und Mänteln belastet, so bot ich den Schrecken der nächtlichen Stürme Trotz, fest entschlossen nothwendigen Falles lieber im Bett als draussen in der ungemüthlichen freien Natur zu ersaufen, unbekümmert um die Bücher, den Stuhl und etliche Kistchen, welche von einer Wand der Kammer zur anderen purzelten. Nur wenn die Gläser oben in ihren Stellen stärker zu rütteln begannen, machte ich mich los aus meiner Verpackung und klemmte die Papierkeile fester, welche sie hielten.

Seekrankheit gab es aber jetzt nicht mehr an Bord. Auch der Verzagteste war seefest geworden. Man freute sich der wilden Fahrt. Ein Liederkranz hatte sich gebildet und suchte mit dem Toben des Sturmes zu wetteifern, und mitten durch das Rauschen der See, das Brausen des Windes und das Stöhnen des Schiffes schallte trotzig und herausfordernd das alte schöne Kriegslied »Ich bin ein Preusse, kennt ihr meine Farben« in die aufgeregte Natur hinaus, gesungen von dem ganzen Mischmasch unserer Nationalitäten.

Wenn nur nicht aus den Hospitälern das Wimmern des Fieberwahnsinns als schriller Misston dazwischen gedrungen wäre. Unsere Typhusepidemie griff immer mehr um sich. Mein Journal zeigte am Ende der Reise 94 Nummern, alle, auch die leichtesten und deshalb zweifelhaften Fälle mitgezählt. Kaum war die erste Doppelbestattung vorüber, so folgten andere nach, und wir mussten noch fünf Leichen mehr über Bord werfen. Diese gräuliche Epidemie, für den Kapitän die Gewissheit, dass wir auch unter den fortan günstigsten Umständen eine aussergewöhnlich schlechte Reise machten, für mich die unerfreuliche Aussicht, mit der ganzen Zwischendecksgesellschaft, die ich schon so satt hatte, in Quarantäne zu kommen, die immer schlechter werdende Beschaffenheit des Proviants und des Wassers – all dies war geeignet, gar oft die schwärzeste Stimmung heraufzubeschwören. Solange der Wind uns günstig war, und wir rasch vorwärts segelten, ging es noch leidlich. Als jedoch einmal wieder Windstille eintrat und zwei, drei Tage nicht weichen wollte, wirkte die Verzögerung deprimirend wie noch nie. Die Nähe des Frauenhospitals, in welches ich, weil es am besten eingerichtet war, die schwersten Kranken ohne Unterschied des Geschlechts zusammenlegte, wurde dann bei der herrschenden Ruhe doppelt unangenehm, und oft konnte ich nicht schlafen in der Nacht von dem ewigen Geschrei und Gewimmer, das in meine Kammer herüberdrang. Es machte mich nervös immer und immer wieder dieselben quälenden Laute zu hören.

In keiner Lage habe ich die Misere der ärztlichen Unzulänglichkeit schmerzlicher empfunden als damals. Nicht darin liegt ja die Härte des ärztlichen Standes, worin der Laie sie meist zu vermuthen pflegt, in der Aufopferung an Zeit und Mühe, an Schlaf und Erholung, in all den abscheulichen und ekelhaften Dingen, mit denen man in Berührung kommt, sondern in der Unvollkommenheit und Ohnmacht der sogenannten Heilkunde. »Ihr durchstudirt die gross und kleine Welt, um es am Ende gehn zu lassen wies Gott gefällt.« Das Durchstudiren ist sehr schön, dass Gehen lassen müssen aber ist unerträglich.

Am unglücklichsten fühlte sich der Kapitän über unser Missgeschick. Es war nun Alles ganz anders gekommen als er gewünscht hatte. Von Ersparnissen, mit welchen er bei seinem Rheder sich einzuschmeicheln gehofft, keine Rede. Wir mussten froh sein, wenn wir mit unserem Wasser knapp bis Neuseeland reichten, da der Kondenser bei stürmischer Witterung nicht arbeiten konnte. Ich war fast täglich gezwungen, eine Menge Brot, welches sich als verdorben erwies, über Bord werfen zu lassen, und hatte bereits seit längerer Zeit alle Spirituosen und feineren Esswaaren der Euphrosyne für meine Kranken in Beschlag genommen. In der Kajüte herrschte jetzt absolutes Teatotalerthum. Dass mir Solches ohne sonderliche Kämpfe gelang, war dem zerknirschten Zustand des Kapitäns, welcher seine tobsüchtigen Neigungen gänzlich lähmte, zu verdanken.

Der Kapitän war im Grunde ein guter Kerl, aber eben ein Kauffahrteischiffer und von dem ganzen Elend dieses bemitleidenswerthen Standes verbittert und verbost. Er hatte erst kurz vorher geheirathet, und die Sehnsucht nach seiner jungen Frau zu Hause zehrte fortwährend an ihm. Wie oft verfluchte er seinen jugendlichen Leichtsinn, der ihn vor zwanzig Jahren auf das Meer getrieben. Wie oft schwor er, den ersten besten Erwerb auf dem Lande zu ergreifen, wenn er nur kein Wasser mehr zu sehen brauchte. Er besass nichts von jener Schwärmerei für die Poesie des Meeres, die den Seeleuten von Laien manchmal angedichtet wird. Ich habe überhaupt noch keinen älteren, reiferen Seemann kennen gelernt, der an einer derartigen Schwärmerei gelitten hätte, und nichts kann lächerlicher klingen, als was gelegentlich der traurigen Schillerkatastrophe an den Scilly-Inseln dem unglücklichen, mit den 337 Opfern seines Leichtsinns rühmlich untergegangenen Kapitän Thomas in irgend einer Zeitung von irgend einem überspannten Frauenzimmer in den Mund geblaustrumpft worden ist – »Ich kenne nur eine einzige Liebe, und das ist mein Schiff, mein Schiff ist mir meine Braut« oder wie das dumme Zeug gelautet haben mag.[2]

[2]: Das Gehalt des Kapitäns der Euphrosyne, eines Segelschiffes grössten Kalibers, betrug nicht mehr als hundert Mark pro Monat. Aber nur so lange das Schiff auf der Reise war. Lag es ohne Mannschaft im Hafen, so bekam der Kapitän nichts. Ausserdem hatte er 2½ Prozent vom Reingewinn, in den jetzigen Zeiten, wo Schiffe oft Jahre lang nichts verdienen, eine sehr problematische Grösse.

Man muss einen Seemann, insbesondere der Kauffahrtei, viel milder beurtheilen als andere Menschen. Der bösen Einflüsse, die ungünstig auf seinen Charakter wirken, sind zu viele. Jenes erfahrungsgemäss auf jeder längeren Seereise eintretende Stadium der üblen Laune, in dem sich Alles gegenseitig anärgert, bleibt sogar auf Kriegsschiffen mit ihrer strammen Disziplin nicht aus, und die Marineärzte haben dafür einen eigenen Namen »Mania navalis« erfunden.

Während der Atlantik wie ausgestorben gewesen war, belebte sich östlich vom Kap die See wieder mit Möven und Seeschwalben, mit Kaptauben, Sturmvögeln und Albatrossen.

Den Albatrossen wird bekanntlich von den Schiffern aufs Emsigste nachgestellt. Leider ist ihre Zahl dadurch schon merklich verringert, und in hundert Jahren werden sie zu den ausgestorbenen Geschöpfen gehören. Trotz dieser zur Schonung auffordernden Erwägung konnte auch ich mich nicht enthalten, ihren Fang zu versuchen.

Schon bei Tristan da Kunha hatten einzelne sich sehen lassen. Der Ruf »O was für ein grosser Vogel« zog mich hinaus auf Deck, und mein erster Albatross schwebte majestätisch über die Wogen.

Rastlos über Wellenberg und Wellenthal, kaum merklich hie und da die in gerader Linie steif ausgespannten Flügel bewegend, senkrecht bald nach links bald nach rechts geneigt mit den Flügelspitzen die Wellenkämme ritzend, verfolgte in weit gebogenen und gewundenen Linien das gewaltige Thier mühelos unsere Fahrt. Andere gesellten sich ihm bei, schon von ferne erkennbar als geradlinige in der Mitte zu einem Knoten anschwellende kreuz und quer in der Luft hin und her balanzirende Stäbe. Es lag etwas Räthselhaftes in ihrer Stetigkeit und Ruhe, mit der sie gegen den scharfen Wind – nicht kämpften, sondern gelassen und ohne Anstrengung dahinglitten.

Von nun an schleppte stets eine Albatrossangel hinten nach, aber fünf Wochen ohne etwas zu fangen. Die Seeleute hatten zwar jedesmal Gründe zur Hand, warum sie nicht bissen. Einmal weil die Fahrt zu rasch, das andere mal weil zu langsam, heute war das Wasser zu durchsichtig, morgen wieder zu trübe. Ich wusste bereits, was von dieser Weisheit zu halten sei, und es war mir kein geringer Triumph, mit der Flinte einen Albatross zu erbeuten, lange ehe jene mit der Angel einen erwischten.

Als wir eines Tages hart beim Winde segelten, flogen sie zuweilen hoch oben quer über das Schiff, etliche Sekunden schweben bleibend um das Deck zu rekognosziren. Trotz der spöttischen Zweifel des Kapitäns und trotz der äusserst störenden Schaukelbewegung des Bodens lud ich eine gewöhnliche sehr starke Schrotflinte mit doppeltem Pulvermass und der gröbsten Schrotsorte, und schoss, und ein riesiger Albatross plumpste mit gebrochenem Flügel neben mich herab. Dies war übrigens nur ein reiner Zufall. Denn so oft ich auch später das Kunststück zu wiederholen versuchte, und wenn ich auch öfter noch traf, was an dem wegfliegenden Flaum zu erkennen war, die Schrote drangen nie wieder durch, sondern prallten an dem dichten Gefieder ab, und das Ziel meiner erfolglosen Bestrebung entfernte sich schwänzelnd, als ob es ein Kitzeln und Prickeln fühlte.

Mehr als zwanzig Albatrosse zu gleicher Zeit waren wohl nie in Sicht, und an manchen Tagen waren sie ganz verschwunden. Zuweilen flogen sie so nahe hinter dem Achterdeck vorbei, dass man glaubte sie greifen zu können, für einen Moment in der Verkürzungslinie der Flügel ein höchst komisches plumpes Profil zeigend und immer gierig spähenden Blicks. Zuweilen blieben sie weit zurück und verfolgten uns Tage lang nur von Ferne. Warf man ihnen ein Stück Fleisch oder Speck über Bord, so setzte sich gleich der Nächste aufs Wasser nieder und paddelte eifrig darauf zu.

Wenn sie sich setzen wollten, stemmten sie, um die Schnelligkeit ihres Fluges zu hemmen, ihre beiden Schwimmfüsse ausgebreitet dem Wasser entgegen, und oft liessen sie schon lange vorher die sonst knapp an den Schwanz gelegten Füsse herabbaumeln und verriethen so ihre Absicht. Sassen sie endlich, so wurden die langen Flügel langsam und bedächtig zusammengefaltet, wobei sie dieselben seltsam ungeschlacht krümmten. Nicht so ganz leicht schien es ihnen, wieder aufzufliegen. Sie paddelten erst mit Flügeln und Beinen spritzend eine halbe Schiffslänge über die Wasserfläche, ehe sie sich in die Luft erhoben. Und auch sonst paddelten sie zuweilen darüber hin ohne sich zu setzen, wenn sie vielleicht etwas sahen, von dem sie noch nicht recht wussten ob es sich der Mühe verlohnte.

Setzte sich einer, so kamen auch die anderen und setzten sich neugierig zu ihm nieder und leisteten ihm Gesellschaft, wahrscheinlich weniger aus gegenseitiger Zuneigung als vielmehr aus dem höchst egoistischen Instinkt, dass es beim Kameraden etwas zu fressen gebe. Dann stritten sie sich erst eine Zeit lang herum, klapperten ärgerlich und neidisch mit den langen Schnäbeln wie Störche und packten sich auch wohl damit an den Hals, um nach zehn Minuten die von den Wellen geschaukelte Versammlung aufzuheben und auseinander zu fliegen.

Unsere ewig nachschleppende Angel mit einem wallnussgrossen Stück Speck und entsprechendem Haken erregte häufig entschieden ihr lebhaftes Interesse. Aber nur bei einer Fahrt nicht schneller als vier Seemeilen die Stunde war für sie die Möglichkeit anzubeissen gegeben. Wir liessen dann die über zwei Schiffslängen messende Leine in dem Grade ablaufen als das Schiff sich von dem Köder entfernte.

Wie oft jagten uns ein paar Albatrosse in die grösste Aufregung indem sie herangeschwommen kamen und nach ihm schnappten. Aber entweder schnappten sie zu vorsichtig, oder sie pickten uns den Speck von der Angel, so dass wir den leeren Haken einzogen, oder sie waren gefasst, rissen sich aber gleich wieder los. Oder es kam vielleicht gerade im kritischen Augenblick der höchsten Erwartung ein stärkerer Windstoss, wir rauschten schneller durchs Wasser, und der Albatross konnte mit der besten Absicht der Angel nicht mehr nachrudern. Einmal postirte sich einer dummdreist schon ziemlich weit vor ihr hin und wartete auf sie, bis sie herangeschleppt kam, mehrmals wüthend nach der gespannten Leine beissend, aber er war nicht flink genug und die Angel entging ihm.

Endlich, endlich bissen sie aber doch, und zwar auf einmal wie verrückt. Wir hatten das schönste Haifischwetter, das man sich denken kann, kaum so viel Wind, um noch zu steuern, einen blauen wolkenlosen Himmel, glatte langsam dünende See und einen aussergewöhnlich hohen Barometerstand, der den Kapitän in Verzweiflung brachte.

Die Albatrosse strichen träge über die Dünung und setzten sich heute häufiger aufs Wasser. Eine ganze Flottille von Albatrossen schwamm schliesslich hinter uns her. Die Angel wurde wieder ausgeworfen und war sofort der allgemeine Zankapfel. Einer der grössten schnappte zu, und die Angel sass. Frohlockend, aber behutsam zogen wir ihn ein, während seine Gefährten verwundert ihm nachguckten. Vergebens stemmte sich der unglückliche Vogel mit Flügeln und Beinen gegen das Wasser. Es half ihm nichts, er musste heran, und wir hoben ihn an der Leine zu uns herauf.

Kaum hatten wir den Haken abermals ausgeworfen als auch der zweite eingezogen wurde. Die dummen Thiere geberdeten sich heute ganz wahnsinnig, sie stritten sich förmlich um den Vorrang des Geangeltwerdens, klapperten mit den Schnäbeln und kreischten ärgerlich, so oft wieder einer von ihnen entführt wurde. In der kürzesten Zeit hockte ein Dutzend friedlich nebeneinander auf dem Kajütsdach. Zweien gelang es, sich von dem Haken los zu machen, da wir nicht stetig genug einholten. Der Widerstand, den sie trotz allen Schlegelns und Stemmens mit Flügeln und Füssen leisteten, war erstaunlich gering. Das Merkwürdigste aber war mir, dass kein einziger, auch später nicht, gefangen wurde, indem er die Angel verschluckte, wie die Fische, und wie ich nach den gehörten Erzählungen erwartet hatte. Sie hingen alle einfach nur mit der hakenförmig gekrümmten Schnabelspitze an dem Angelhaken.

Anfänglich sassen sie verdutzt in einer Reihe auf dem Dach der Kajüte, machten nicht den geringsten Versuch zu entfliehen und staunten die Volksmenge an, die sich um die Wunderthiere versammelt hatte. Hie und da kam dann einem plötzlich ein dunkler Bewegungsimpuls, er erhob sich auf die Beine, ein paar andere folgten seinem Beispiel, aber gleich darauf klappten sie wieder zusammen, als ob sie zum Stehen zu schwach wären. Die meisten, nicht alle, spieen sich und entleerten ihren flüssigen Mageninhalt auf den Boden.

Ich wählte den grössten und schönsten zum Abbalgen aus und vergiftete ihn mit Zyankalium. Er liess sich ruhig den Schnabel öffnen und die tödtliche Gabe mit einer Pinzette in den Rachen schieben. Nach einer Minute neigte er sanft sein Haupt und starb. Zwei andere, die jüngsten, erschlugen wir, um von ihrem Fleisch uns herrliche Beefsteaks zu bereiten. Nicht die Spur eines thranigen Beigeschmacks. Nach den drei Monaten Salzfleisch und Büchsenfleisch gehörten jene Albatrossbeefsteaks zu den höchsten kulinarischen Genüssen meines Lebens. Sämmtliche drei Albatrossmagen, die ich untersuchte, enthielten die nämliche Nahrung, Pyrosomen und Sepien. Diese Sepien scheinen also auf der Meeresoberfläche ziemlich häufig zu sein. Auch in den zwei Haifischmagen die ich erhielt, fand ich nur Reste von solchen.

Die übrigen Albatrosse liessen wir laufen, das heisst, wir warfen sie über Bord, worauf sie fröhlich von dannen flogen. Seeleute behaupten, Albatrosse könnten von festem Boden nicht auffliegen. Dies ist nur in so fern wahr, als das Deck eines Schiffs niemals Raum genug bietet um den nöthigen Anlauf zu gestatten. Ich fing später einen Albatross, der ganz abweichend von den Gewohnheiten seiner Art nicht blöde sitzen blieb, sondern mehrmals aufzufliegen versuchte. Er stiess sich aber immer wieder am Geländer oder am Kompasshäuschen oder an einem Bündel Tau oder an einem Poller. Ohne solche Hindernisse auf einem freien Platz würde er leicht in die Höhe gekommen sein. Alle die Albatrosse, die wir fingen, waren voll von Läusen. Also auch auf den azurenen Wogen des Ozeans diese Plage, nicht blos im Zwischendeck bei den Polaken.

Es giebt eine Menge von Albatross-Arten und Varietäten, die vielleicht noch gar nicht vollständig gesichtet sind. Die grosse und auffälligste Art, die wir angelten, zeigte allein schon zahllose Abstufungen in der Farbe des Gefieders vom jungen fast vollständig dunkelbraunen bis zum alten fast vollständig weissen Individuum. Die Bleichung schien bei allen am Rücken zwischen den Flügeln in Form eines nach hinten verlängerten Trapezoids zu beginnen und von dort sich zuerst nach dem Bauch und dem Kopf zu verbreiten.

Ausser dieser grossen verfolgten uns oft noch zwei andere kleinere Arten, eine weisse mit schwarzen Flügeln und schön orangefarbenem Schnabel und eine ganz schwarze mit weissgerändertem Schnabel. Von den letzteren schoss ich einmal zwei Exemplare aufs Deck herab. An Kaptauben sahen wir niemals eine beträchtlichere Anzahl. Häufiger waren die niedlichen Sturmvögel, die uns namentlich bei unruhiger See schaarenweise begleiteten.

Um dieselbe Zeit ungefähr fing ich zum ersten mal Pyrosomen oder Feuerwalzen mit dem Schleppnetz. Es sind dies sackförmige Thierkolonien aus der Klasse der Tunikaten, von etwa 20 Zentimeter Länge und 5 Zentimeter Durchmesser. Bei Tage sieht man sie kaum, bei Nacht aber leuchten sie, so dass man das Netz auf sie dirigiren kann. Brachte ich die wurstartigen Gebilde in einen Eimer und liess sie ruhig stehen, so erloschen sie bald und waren unsichtbar, stiess man aber an den Eimer, so erglühten sie und leuchteten mit grünlichem Schein, hell genug, um bei dem Licht von drei oder vier Stück ohne sonderliche Anstrengung lesen zu können. Deshalb sind sie auch fast nur im strudelnden und schäumenden Kielwasser zu bemerken.

Jetzt da unsere Reise sich ihrem Ende näherte, beschäftigte mich noch ein anderer Gegenstand, der sich auf die Ventilation von Schiffen bezog. Schon oft hatte ich von Seeleuten gehört, dass im Innern eines segelnden Schiffes stets ein Luftstrom in der dem Winde entgegengesetzten Richtung wehe. Um diese sehr paradox klingende Behauptung, welche sich auf Erfahrungen über den Weg, den Gerüche aus dem Laderaum nehmen, stützte, zu untersuchen, benutzte ich, da ich leider kein Anemometer besass, und ein solches bei den vielen sich kreuzenden lokaleren Luftströmchen auch vielleicht kein deutliches Bild der Bewegung im Allgemeinen gegeben hätte, die Temperatur der Luft an verschiedenen Stellen des Zwischendecks, von der wohl nicht zu bestreitenden Annahme ausgehend, dass sie da wo sie kälter sei, ein-, und da wo sie wärmer sei, ausströmen müsse.

Einen der Missionäre hatte ich schon bei Madera beauftragt, täglich dreimal die Stände der vier Thermometer, von welchen einer oben in der Kajüte und drei im Zwischendeck vertheilt waren, sowie die jeweilige Richtung des Windes zum Schiff zu notiren. Wenn ich auch hiebei die Entdeckung machen musste, dass dieser protestantisch orthodoxe Apostel des Glaubens gleich seinen drei Kollegen weniger ein Mann von Intelligenz und Bildung als ein zum Predigen und Vorbeten und zum Fanatismus abgerichteter Bauernkerl war, so gelang es mir doch nach einigen mühseligen Anleitungen, ihm das Geheimniss des Thermometerablesens beizubringen.

Ich stellte nun die Aufzeichnungen zusammen und fand zu meiner Genugthuung jene interessante Eigenthümlichkeit theilweise bestätigt. So oft wir mit vierkant gestellten Raaen vor vollem Winde segelten, war hinten im Schiff die Luft wärmer als vorne, das heisst, hier kam sie an, nachdem sie bereits das ganze Zwischendeck durchzogen hatte. Namentlich in den Weststürmen des südlichen Indischen Ozeans zeigten sich die konstantesten Unterschiede bis zu zwei Zentigraden. Erklären liess sich dies vielleicht dadurch, dass beim Segeln vor dem Winde von den Untersegeln meist nur das vorderste, die Fock, ausgespannt ist, während die beiden anderen aufgegeit oder festgemacht sind, und dass in Folge dessen der Luftstrom, der über das Schiff fegt, von der schräge nach vorne geneigten Ebene der Fock nach unten und in die vorderste Zwischendeckslucke zurückgeworfen wird. Nicht ganz so deutlich waren die Resultate, wenn wir beim Winde segelten, und ich werde mir diesen Theil der Angelegenheit künftighin nochmal vornehmen müssen.

Am 5. März erreichten wir die Länge von Tasmanien unter 49 Grad südlicher Breite. Gegen Abend bekamen wir wieder flauen Wind, und ich warf mein Netz über Bord, zum ersten mal ohne etwas Makroskopisches zu fangen. Als ich Wasser in einem Eimer heraufholte und mit der Hand bewegte, glitzerte es darin von hundert leuchtenden Punkten wie gewöhnlich.

Es galt die Frage zu entscheiden, sollen wir den näheren aber weniger sicheren Weg durch die Cooksstrasse nach Wellington einschlagen, oder auf dem weiteren aber glatteren um die Südspitze der Südinsel Neuseelands herumgehen. Der Kapitän wählte das Letztere, und wir behielten unseren Kurs Ost zu Nord bei.

V.
ANKUNFT IN NEUSEELAND UND QUARANTÄNE.

Zum ersten mal Grund. Neuseeland erscheint. Die ersten Zeitungen. Ankunft des Lootsen. Der Anker fällt. Pulverunglück. Die Hafenbehörde. Sturm und Landungsschwierigkeiten. Bewegtes Dasein. Aufruhr der Elemente und der Menschen. Mitternächtige Todtenbestattung. Ruhigere Zeit. Die idyllische Insel. Ueberall »Billig und schlecht«. Zoologisches. Endlich frei.

Das Geklirr der Ankerketten verkündete uns die freudige Botschaft, dass das Ziel nahe sei. Sie waren seit Europa vorne im Zwischendeck begraben gewesen. Nun wurden sie wieder auf Deck geholt und klar gemacht.

Nach dem Besteck waren wir auf der Höhe von Neuseeland. Ob wir es auch in Wirklichkeit waren, musste sich jetzt herausstellen. Meine Zweifel in dieser Hinsicht entbehrten nicht der Begründung. Denn das Chronometer konnte seinen Gang verändert haben, und eine Kontrole durch Monddistanzen hatte es niemals erfahren.[3]

[3]: In den nautischen Almanachen sind für das ganze Jahr von je drei zu drei Stunden Greenwichzeit die Distanzen des Mondes von der Sonne und anderen gerade brauchbaren grösseren Sternen angegeben. Indem man nun mit dem Sextanten solche Distanzen misst, lässt sich das Schiffschronometer, welches Greenwichzeit zeigen soll, darauf prüfen.

Der Horizont war bewölkt, von Land keine Spur zu sehen. Es wurde gelothet, und mit grosser Spannung erwartete ich das Resultat. Wir bekamen wirklich und wahrhaftig Grund. Die Leine zeigte 50 Faden Tiefe, an dem Talg in der unteren Aushöhlung des Lothes klebten Fragmente von kleinen Muscheln und Korallen. Mit grosser Andacht beguckten wir alle dieses vorläufige Stückchen Neuseeland. Niemand aber war froher als der Kapitän, dem sein Chronometer eine seltene Treue bewährt hatte.

Erst vier Tage später, am 17. März, erblickten wir das Land der Antipoden selbst. Noch vier Tage mussten wir bei kaltem unfreundlichem Wetter unter der Küste desselben aufkreuzen ohne es in Sicht zu bekommen, als an jenem Morgen endlich das Gewölk zerriss und, rings gegen den Horizont hinabsinkend, dicht vor uns schöne hohe Berge mit glitzernden Schneegipfeln, wunderbar duftig im warmen Sonnenschein enthüllte. Das Ziel einer viermonatlichen ermüdenden Seereise hätte uns nicht reizender und überraschender vor Augen treten können. Aber wäre der erste Anblick des lang und heiss ersehnten Landes auch weit weniger vortheilhaft gewesen, als das Wahrzeichen der Erlösung von den Widerwärtigkeiten des Schiffslebens, wäre er gewiss mit ebenso grossem Entzücken begrüsst worden.

Es waren die kahlen Felsenmassen der Banks Peninsula, jenes mächtigen Gebirgspfeilers an der Ostseite der Südinsel, welche aller Augen gefesselt hielten, bis sie hinter uns verschwanden. Ein frischer Süd sprang auf und führte uns rasch nordwärts, Wellington, dem Bestimmungshafen, entgegen.

Doch die ungewohnte Schnelligkeit der Fahrt dauerte nur kurze Zeit. Mittags schlief der Wind wieder ein, die Segel fingen wieder an, an den Masten herumzuklappern, und bald lag die See wieder ebenso spiegelglatt und todesstille unter einer stechenden Sonne da, wie wir sie so oft zu sehen Gelegenheit gehabt hatten. Albatrosse setzten sich faul aufs Wasser, paddelten neugierig an das ruhigliegende Schiff heran und stritten sich schnatternd um die über Bord geworfenen Abfälle oder auch um die Angel, mit der wir einen dieser dummen Vögel nach dem anderen einzogen.

Etwa fünf Seemeilen entfernt trieb ein kleiner Schuner, wahrscheinlich ein Küstenfahrer, und unser Kapitän fuhr in der Jolle hinüber, um Erkundigungen einzuziehen. Nach drei Stunden kam er zurück und brachte mir ausser einem Albatross, den er mit der Hand gefangen, und einer vollen Ladung aufgefischten Seetanges, welcher von Mollusken und Krustern wimmelte, als werthvollste Gabe Zeitungen mit, die, wenn auch bereits vierzehn Tage alt, für uns nach vier Monaten die ersten Nachrichten aus der Mitwelt enthielten. »Greymouth Argus« nannte sich das Blatt, welches sich übrigens zur allgemeinen Enttäuschung wenig um das alte Europa kümmerte. Nichts von dem theuren Vaterlande, nichts von dem schönen Frankreich war zu finden, woraus wir schlossen, dass wenigstens kein ernstlicherer Krieg mittlerweile ausgebrochen sei. Nur die Erklärung des Don Carlos, im Fall eines Konfliktes zwischen Spanien und Amerika neutral bleiben zu wollen, gab die einzige Kunde aus der Politik Europas. Dagegen schienen Kricket und Football in Greymouth eine grosse Rolle zu spielen. Denn die meisten Kabeltelegramme von Neuseeland und Australien beschäftigten sich mit Resultaten solcher nationalen Wettkämpfe.

Die Jolle war gerade zur rechten Zeit heimgekehrt. Der Himmel überzog sich mit dicken Wolken, und einzelne Windstösse aus Osten deuteten auf das Herannahen eines Sturmes. Als es dunkel geworden, wehte es so heftig, dass die meisten Segel festgemacht werden mussten, aber die stürmische Brise war günstig und schob das Schiff ungestüm durch die aufgeregten Wogen, welche hellleuchtend in der Schwärze der Nacht, zu beiden Seiten des Kieles hoch emporschäumten.

Der nächste Morgen fand uns an der südöstlichen Ausweitung der Cooksstrasse. Vor uns lag die Palliser-Bay mit der Lootsenstation und links davon auf einem hohen Felsen stand der einsame Leuchtthurm von Penkarrow-Head. Mittags kam der Lootse an Bord, immer näher rückten die schroffen Ufer, an denen allenthalben die Brandung donnerte, und eine Lücke öffnete sich, der Eingang zu Port Nicholson, dem geräumigen Hafen von Wellington.

Von der Stadt war noch nichts zu sehen. Sie lag zur Linken versteckt hinter einer etwa 200 Meter hohen Felsenkulisse, und nicht früher als wir diese passirt hatten, kamen die äussersten Häuser ihres linken Flügels zum Vorschein.

Mitten im Hafen von Wellington liegt Somes Island, die kleine brandungumtoste Quarantäne-Insel aus einigen 60 bis 80 Meter hohen Hügeln bestehend, deren einer auf seiner Spitze vier stattliche kasernartige Gebäude trägt. Dorthin führte uns der Lootse, um auf den Besuch der Hafenbeamten zu warten. Mit unserer Typhusepidemie durften wir nicht an die Stadt gehen.

Leider trübte ein schwerer Unglücksfall den frohen Moment der Ankunft. Jan Maat begnügte sich nicht mit dem kräftigen Hurrah der Passagiere, welches das Niederrasseln des Ankers begleitete, es musste auch geschossen werden. Ohne Schiessen kein Vergnügen.

Ein alter verrosteter Böller erfreute sich schon seit mehreren Stunden der eifrigsten Reinigungsbestrebungen unseres Bootsmanns. Ich war beschäftigt, meine nicht sehr salonfähigen Reisekleider gegen eine etwas gewähltere Toilette zu vertauschen, als der erste Salutschuss ertönte und gleich darauf ein zweiter folgte. Meine Verwunderung wie es möglich sei, aus einem einzigen Geschütz innerhalb so kurzer Zeit zweimal zu feuern, war noch nicht zu Ende, als die Passagiere hereinstürzten und mich zu Hilfe riefen. Auf Deck herrschte grosse Aufregung, und Alles drängte nach einem Punkte, von welchem ich lautes Jammergeschrei vernahm. Ein pulvergeschwärztes gräulich entstelltes Gesicht, über welches Blut aus Augen, Mund und Nase rieselte, und welches ich nur dadurch als das eines hübschgewesenen jungen Mannes erkannte, dass seine Mutter verzweiflungsvoll ihn umarmt hielt, erklärte mir was geschehen war.

Ich hatte mich eben überzeugt, dass die Verletzung lange nicht so schlimm sei, und dass namentlich die Augen nur oberflächlich gelitten hatten, als ich von dem Steuermann stürmisch nach der Kajüte zurückgerufen wurde, wohin man mittlerweile den eigentlichen Verunglückten, den Bootsmann getragen hatte. Brüllend lag er auf dem Boden und krümmte sich in seinen Schmerzen, ringsum die verstörten Gesichter des Kapitäns und einiger Passagiere. Dieser Fall war bedeutender als der andere.

Ich musste einen Theil der zerschmetterten Hand amputiren, und noch im letzten Augenblick der Reise meine Instrumente hervorholen, nachdem ich sie glücklich fast unbenutzt bis ans Ziel gebracht hatte. Beide Verletzungen waren dadurch entstanden, dass der Bootsmann die zweite Kartusche, ohne auszuwischen, in das Geschütz schob, während dieses noch glimmende Reste der ersten Kartusche enthielt.

Eine kleine Dampfbarkasse bog alsbald um die nächsten Felsen und legte sich an unsere Seite. Sie enthielt den Immigration-Officer, den Regierungsarzt und den Hafenmeister sowie einen Maschinisten und einen Steurer, welcher letztere mir als der erste Maori, den ich sah, am interessantesten erschien. Doch zu ethnologischen Studien war jetzt keine Zeit. Ich stieg an der Jakobsleiter in die Barkasse hinab und stellte mich und unsere Gesundheitsverhältnisse vor. Trotz Allem, was der Lootse mir von der Strenge der bezüglichen Hafengesetze mitgetheilt hatte, hoffte ich noch, dass die Beamten uns gnädig sein und von einer längeren Quarantäne absehen möchten, da ja der Abdominaltyphus eine Krankheit ist, die in keiner grösseren Stadt fehlt, und die nicht erst durch uns in Neuseeland importirt zu werden brauchte.

Unser Schicksal wurde kurz entschieden. Die Kommission verhängte Quarantäne über uns, befahl dem Kapitän, sofort die Böte auszusetzen, um alle Passagiere, gesunde und kranke, an der Insel zu landen, und fuhr gleich wieder nach der Stadt zurück, ohne an Bord gewesen zu sein. Ich selbst wurde beauftragt, die Leitung der Quarantäne zu übernehmen.

Dies war nun ein sehr kühler Empfang, wie wir ihn nicht erwartet hatten. Und unsere Immigranten paradirten doch alle in ihrem schönsten Sonntagsstaat, und der Kapitän, der gänzlich ignorirt wurde, hatte doch alle Räume aufs Sorgfältigste rein machen lassen, viel reiner als sie jemals während der ganzen Reise gewesen. Alles vergebene Mühe. Und jetzt sollten auch noch die frischgestrichenen Böte ausgesetzt werden, an denen die Farbe noch kaum fest haftete, und an denen der Kapitän selbst mit Liebe herumgekleckst hatte. Dies war keine geringe Aufgabe bei dem eben herrschenden Unwetter. Wir hatten deren fünf an Bord, aber nur die kleine Jolle hing an Davids, die vier grossen lagen innen auf den beiden Deckhäusern.

Unter solchen Umständen konnte es nicht überraschen, dass sehr bittere Gefühle den Lenker der Euphrosyne durchzuckten, und schliesslich in einem Wuthausbruch ihre Aeusserung fanden, der hauptsächlich gegen mich als supponirten Veranlasser der Quarantäne sich richtete, der aber als etwas schon öfter Dagewesenes keinen besonderen Eindruck mehr zu machen vermochte und mich nicht abhielt, wiederholt den grimmigen Tiger an seine Pflicht zu erinnern und um Beschleunigung der lässig betriebenen Arbeit zu bitten.

Mehr als zwei Stunden verstrichen, bis die Böte zu Wasser waren, und ich hatte nun Musse, vom Achterdeck aus die neue Umgebung zu betrachten. Dunkle graue Wolken flogen eilig über den Himmel. Eine Schaar fremdartiger Möven mit fremdartigem Geschrei kämpfte gegen den Sturm und spähte gierig nach den vom Ebbestrom weggetriebenen Abfällen des Schiffes. In der nächsten Nähe vor mir lag die kleine baumlose Insel, welche auf unbestimmte Zeit meine Domäne werden sollte, mit der Immigrantenkaserne oben und steilen Felsen unten am Ufer, über die eine hölzerne Treppe vom Landungspier hinaufführte. Sie schien unbewohnt zu sein, kein Mensch war auf ihr zu erblicken. Ein immer heftiger werdender Wind peitschte die hüpfenden Wellen, pfiff durch die Takelage und warf sich zuweilen in orkanartigen Stössen auf das an den Ankerketten rüttelnde Schiff, über welchem nun die verdächtige gelbe Flagge wehte. In düsteren Umrissen begrenzten hohe Bergketten, welche bewaldet zu sein schienen, die Gegend, nach Süden ein schmales Stück Ozean offen lassend.

Die Böte leckten in allen Fugen und füllten sich, kaum zu Wasser gebracht, bis zum Rande. Die halbe Mannschaft war krank und die gesunde Hälfte missmuthig, dass sich die Ankunft in Wellington verzögerte und dass nun auch noch die Mühe des Hin- und Herruderns winkte. Der Kapitän tobte und fluchte.

Als ich endlich an die Insel fahren konnte und zum ersten mal nach vier Monaten wieder festen Boden unter den Füssen fühlte, war mir zu Muthe wie einem von schwerer Krankheit Genesenen, der seinen ersten Ausgang feiert. Es that mir leid, dass ich nochmals aufs Schiff zurück musste. Ich lernte Mister Koral, den Verwalter der Quarantänestation kennen. Der alte Herr war höchst bestürzt, so viel fremde Völker einquartiert zu bekommen, mit denen er sich nicht verständigen konnte.

Alle Passagiere an demselben Nachmittage zu landen, erwies sich bei dem herrschenden Sturm als unmöglich und wir durften froh sein, wenigstens die ledigen Männer mit Sack und Pack auf die Insel zu bringen. Die Familien und die einzelnen Frauenzimmer sowie sämmtliche Kranke hatten noch eine Nacht an Bord zu schlafen. So war unser kleiner Staat in zwei Theile getrennt. Wir hatten nur einen Koch, der natürlich auch an Bord bleiben und an Bord kochen musste. Die Passagiere auf der Insel erhielten ihr Essen deshalb nicht zur gewohnten Zeit und rächten sich dafür an dem frischen Proviant, der aus der Stadt kam und von den Lieferanten in der irrigen Meinung, dass wir bereits alle gelandet seien, statt aufs Schiff auf die Insel dirigirt worden war, so dass nun die Passagiere an Bord sich um ihr frisches Fleisch, ihr frisches Gemüse und ihr frisches Brot betrogen sahen, auf das sie sich so sehr gefreut hatten. Eine endlose Reihe von Missverständnissen entwickelte sich aus diesem Zustand der Zersplitterung bei der durch das Unwetter erschwerten Kommunikation mit der Insel. Wir waren ganz allein auf uns selbst und auf unsere lecken Böte angewiesen. Kein Mensch kam uns zu Hilfe, und wären nicht oben auf Somes Island die Baracken gewesen, wir hätten uns in einem ganz neuentdeckten, wilden Lande glauben können. Von da, wo wir lagen, sah man nicht einmal Schiffe.

Die Kommissioners paddelten zwar gegen Abend nochmal aus Wellington herbei, aber nur, um ihre unzufriedene Verwunderung auszudrücken, dass noch nicht alle Immigranten gelandet seien, und den Kapitän aufzufordern, eines der Böte einem Haufen Bettstroh nachzuschicken, welches über Bord gefallen war und vom Winde in der Richtung nach dem Hauptlande entführt, Infektionsstoff dorthin verschleppen konnte.

Das Wetter des folgenden Tages war wenn möglich noch schlimmer. Es stürmte ohne Unterlass. Zum Ueberfluss hatten sich während der Nacht neue Schwierigkeiten hinzugesellt. Das Schiff war mitsammt seinen beiden Ankern von den Böen und der See um mehr als eine Meile zurückgetrieben und dadurch die Distanz vom Landungspier um fast ebenso viel vermehrt worden. Eines der am Hintertheil befestigten Böte hatte sich losgerissen und war spurlos verschwunden, und in einem anderen hatten die zwei Matrosen der Morgenwache, des langweiligen Bordlebens müde, das Weite gesucht.

Doppelt intensives Fluchen und Toben des Kapitäns war die unausbleibliche Folge. Er unterlag dem Uebermass der auf ihn einstürmenden Zorngefühle und betrank sich. Er lallte schliesslich nur mehr spanisch zu mir, wenn ich ihn um etwas bat. In der Vorkajüte brüllte ohne Unterlass der Bootsmann mit seinem zerschossenen Vorderarm, im Hospital winselten die delirirenden Typhuskranken und draussen auf Deck schimpften sich die Passagiere um ihre Bündel.

Wäre nicht die Dampfbarkasse der Kommissioners wieder erschienen, und hätten nicht diese auf meine dringenden Vorstellungen hin sich unser erbarmt und uns ins Tau genommen, wir hätten Somes Island niemals erreicht. Die wenigen Matrosen, welche dienstfähig waren, konnten die schweren Böte kaum gegen Wind und Wellen halten, viel weniger vorwärtsrudern.

Wir kamen merkwürdiger Weise alle glücklich und ohne erheblichen Unfall auf die Insel, trotz des Wirrwarrs und des Geschreis der Frauen und Kinder, die sich fürchteten, in die auf und nieder fliegenden Fahrzeuge zu steigen, und trotz der Brandung an den Felsen des Ufers, in die gerade das Boot mit den Kranken gerieth, so dass wir Gesunde hinausspringen mussten, um es mit den Händen zu dirigiren und das Umschlagen zu verhindern. Wenn ich jetzt zurückdenke an jene Szenen der Landung auf Somes Island, an die lecken Böte, in denen zwei Mann fortwährend mit Eimern auszuschöpfen hatten, nur damit das Wasser auf einem gewissen Niveau blieb, an das Angstgeschrei der dicht zusammengedrängt zwischen Bettzeug und Kisten verpackten Kinder, Weiber und Männer, die alle mit dem Heulen des Sturmes wetteiferten, die Worte der Kommandirenden unverständlich zu machen, an die unruhig hüpfende See, welche zu beiden Seiten hineinschlug und die Menschenknäuel rastlos auf und nieder warf, hier die Böte an der Falltreppe, dort am Pier oder an den Felsen zu zerschellen drohte, so kommt es mir ganz wunderbar und kaum glaublich vor, dass wir alle mit heiler Haut der Todesgefahr entrannen.

Der Sturm hielt noch über eine Woche an und störte wesentlich den wiedererlangten Genuss des Lebens auf fester Erde und in geräumigeren Wohnungen. Wir sollten alle Tage Proviant aus Wellington erhalten, aber einigemale kam keiner, wahrscheinlich weil es dem Lieferanten zu stark wehte, und wir mussten zu Salz- und Büchsenfleisch zurückgreifen, mit der unerfreulichen Aussicht auf eine Hungersnoth, falls die vorhandenen Vorräthe zu Ende gingen, ehe ruhigeres Wetter eintrat.

Die Euphrosyne wurde nach etlichen Tagen durch die Kommissioners von der Quarantäne freigesprochen und ging an die Stadt, nachdem die Bettverschläge und sonstigen Einrichtungen für die Immigranten herausgerissen und auf Somes Island gebracht und das Zwischendeck und die Hospitäler mit Chlor und Schwefel geräuchert und frisch gekalkt worden waren. Wir sahen uns dann ganz allein auf der kleinen Insel, die man bequem in einer halben Stunde hätte umgehen können, wenn die Ufer nicht aus steilen Felsen bestunden. Ringsum die tosende See, die uns von der übrigen Welt trennte, uns die Verbannten, Gemiedenen, mit der gelben Flagge Gebrandmarkten. Die Ankunft des Proviantbootes, welches zuweilen auch Briefe brachte, bildete das einzige Ereigniss des täglichen Lebens, und man fühlte sich beunruhigt, wenn es nicht zur gewohnten Stunde kam.

Ich hatte in den ersten zwei Wochen wahrlich keine Zeit, mich zu langweilen. Sie gehören zu den bewegtesten Perioden meines Lebens. Ueberall gab es zu organisiren, Unfällen, Missverständnissen, Streitigkeiten und Klagen abzuhelfen. Mister Koral der Verwalter gerieth oft in Verzweiflung beim Proviantaustheilen und rannte dann regelmässig zu mir um mich zu Hilfe zu rufen.

Und während der ganzen Zeit wehte der widerwärtigste Sturm. Gleich am zweiten Tag deckte er uns das Küchengebäude ab und zertrümmerte den Schornstein des Heerdes und diesen selbst. Wir mussten nun im Freien kochen, und zwar unten auf den Geröllblöcken des Ufers, da oben das dürre Gras hätte Feuer fangen können. Ein anderes mal rüttelten in der Nacht die Windstösse so eindringlich an den Baracken, dass eine förmliche Panik die Bewohner der oberen Stockwerke ergriff. Sie flüchteten in die Erdgeschosse. Die Bewohner dieser, dadurch in ihrer Ruhe gestört, remonstrirten dagegen. Eine Keilerei entwickelte sich, und die ganze unwillkommene und unangekleidete Gesellschaft verfügte sich in meine Wohnung und holte mich aus dem Bett, den Streit zu schlichten. Seit jener Nacht gab es in jedem der vier grossen Gebäude zwei feindliche Etagen – eine neue Gruppirung von Gegensätzen, deren wir bereits genug besassen. Denn nicht nur die Nationalitäten und die Familien hassten einander, man hasste sich ausserdem noch häuserweise, parteienweise, individuenweise, kurz nach allen Dimensionen des Raumes, nach dem Alter, nach dem Geschlecht, die Kranken hassten die Gesunden, die Gesunden die Kranken.

Nur in der Opposition gegen mich und meine Organe waren sie Ein Herz und Eine Seele. Ein Hauptstein des Anstosses war ein Paragraph in den Vorschriften der Quarantäne, dass die männlichen Immigranten täglich vier Stunden arbeiten sollten. Nach einem Plane, den ich von der Regierung erhielt, sollten Wege und Baumalleen auf der Insel angelegt werden, und dass die Regierung die vielen Arbeitskräfte, die sie ernährte, in höchst bescheidenem Umfang hiezu in Anspruch nahm, war gewiss eine billige und weise Massregel, abgesehen von der psychischen Nothwendigkeit einer Beschäftigung. Aber meine Leute waren durch die lange Seereise so sehr ans Faullenzen gewöhnt und demoralisirt, dass sie sich hartnäckig dagegen auflehnten. Sie behaupteten, ungerechter Weise auf der Insel zurückgehalten zu sein, man schrie Verrath. Die ganze Wuth richtete sich gegen mich, und eine Rebellion entstund, die mir für einen Tag keine geringe Verlegenheit bereitete. Ich hielt Reden an das versammelte Volk, ich versuchte es mit Güte, ich drohte. Zum Glück war man thöricht genug, meinen Versicherungen, dass ich telegraphisch Militär von Wellington requiriren würde, dessen Unterhalt den Immigranten zur Last fiele, Glauben zu schenken. Das Militär allein ohne den Geldpunkt würde sicher keinen Eindruck gemacht haben. Vor den Unkosten aber fürchteten sich alle. Die Widerspenstigen gehorchten und fingen an wenigstens zum Schein zu arbeiten. Diese Leichtgläubigkeit war meine Rettung. Denn die Drohung mit dem Telegraphen war eitel Wind gewesen. Ich besass zwar Flaggen zum Signalisiren, aber bei dem herrschenden trüben Wetter würden meine Signale von keinem Punkt des Festlandes aus bemerkt worden sein.

Ueberall war der Tabak ausgegangen, und unsere Leute verfielen nun auf ein gräuliches Surrogat. Sie rauchten Theeblätter, indem sie dieselben trockneten, nachdem bereits Thee daraus gewonnen worden war. So sehr ich auch vom wirthschaftlichen Standpunkt aus dieser intensiveren Verwerthung eines Stoffes meinen Beifall zollen musste, so konnte ich doch nicht gestatten, dass die Wohnräume in solcher Weise verpestet wurden. Ich verbot das Rauchen im Innern der Häuser und hatte damit leider eine neue Quelle von Uebertretungen und Unannehmlichkeiten eröffnet. Auf der Euphrosyne war es viel leichter gewesen die Leute vom Rauchen im Zwischendeck abzuhalten durch das Schreckgespenst eines Schiffsbrandes. Jetzt fürchteten sie sich nicht mehr so sehr vor einer Feuersbrunst.

Der Typhus forderte noch zwei Opfer, und diese mussten den Quarantäne-Vorschriften gemäss so bald als möglich beerdigt werden. Es war schwer, unter meinen Passagieren die nöthigen Arbeiter zur Herstellung der Gräber zu gewinnen, und wurde es dunkel, so war keiner beherzt genug, auf dem Friedhofe zu bleiben, wenn ich nicht selbst blieb und beständig zur Arbeit anhielt. Beide male traf es sich so, dass die Bestattung erst spät in der Nacht vorgenommen werden konnte.

Die Unglücklichen, welche jene heimtückische Seuche in der Blüthe der Jahre hinwegraffte, ein junger Mann und ein junges Mädchen, hatten wohl nicht geahnt, ein wie frühes Grab und unter welch eigenthümlichen Umständen sie im Land ihrer Hoffnungen finden sollten, als sie die ferne Heimath verliessen. Nur wenige Gefährten vermochten die Schauerlichkeit der mitternächtigen Stunde zu überwinden und folgten als Leidtragende nach dem Friedhof, auf welchem bereits eine lange Reihe von Immigrantenschiffen ihre Spuren in Form schmuckloser Grabhügel hinterlassen hatte. Ringsum die schwärzeste Finsterniss, deren Wirkung das schwächliche Licht unserer Laternen nur erhöhte. Der Wind fegte über die Insel und peitschte den Regen uns ins Gesicht und an die klappernden Laternen. Tief unten brauste und dröhnte die See. So verrichteten wir schweigend das traurige Geschäft. Ein kurzes Gebet, vom Schulmeister gesprochen, dann griff Alles zu den Schaufeln und bedeckte schnell den rohen Brettersarg mit Erde.

Auch auf dem Hauptland richtete der Sturm Verwüstungen an. Waldbrände verbreiteten sich ringsum an den umgebenden Hügelketten trotz der häufigen und heftigen Regengüsse, und in einer Nacht schienen an zwei von einander unabhängigen Stellen ganze Berge in Gluth zu stehen, ein schönes ergreifend grossartiges Schauspiel.

Fünfundfünfzig Tage dauerte für mich die Verbannung auf Somes Island. Glücklicher Weise waren jedoch nur die zwei ersten Wochen so reich an Mühen und Aufregungen, und allmälig trat nicht nur ruhigeres Wetter, sondern auch Ordnung und Regelmässigkeit in meinem kleinen Staate ein. Die Gesunden lebten streng von den Kranken gesondert, hatten zu baden, ihre Kleider zu waschen und zu räuchern und wurden in einzelnen Abtheilungen nach Wellington abgeholt, sobald ich sie für rein und frei von Krankheit erklärt hatte. So schmolz die Einwohnerzahl von Somes Island zu meiner grössten Freude immer mehr zusammen und schliesslich hatte ich nur mehr ein paar Dutzend Kranker und Rekonvaleszenten mit ihren Angehörigen in den Baracken. Ich konnte jetzt meine Blicke freier um mich wenden und wieder Neigungen ausserhalb der Berufssphäre nachgehen.

Meine bisherigen Erfahrungen über Neuseeland hatten sich nur auf die überraschenden meteorologischen Eigenthümlichkeiten und auf die Liberalität, mit welcher die Kolonialregierung für ihre Einwanderer sorgt, bezogen.

Diese letztere verdient in der That die höchste Bewunderung. Es ist kaum glaublich, welche verhältnissmässig enormen Geldmittel die noch lange nicht eine halbe Million Köpfe zählende Kolonie aufwendet, um einen stetigen Zufluss von Einwanderern zu erhalten. Nicht genug, dass Neuseeland den meisten derselben die Passage bezahlt hatte, wurden diese auch nach ihrer Landung in Wellington noch so lange verpflegt bis sie Arbeit erhielten. Es liegt nahe zu glauben, dass die Regierung später hiefür vielleicht eine Art Abzahlung oder wenigstens das Verbleiben im Lande als Gegenleistung verlangte. Solches ist aber durchaus nicht der Fall. Jeder in Wellington angekommene Immigrant ist sofort frei, zu gehen wohin ihm beliebt – eine Freiheit, die nicht gar selten dazu benutzt wird, mit der ersten Gelegenheit nach Australien überzusiedeln. Um derartige vereinzelte Fälle kümmert sich die Regierung nicht. Sie rechnet nach echt englischer Weise nur mit grossen Zahlen, ohne kleinlich zu kontroliren. Kostet ja die Kontrole oft mehr als die Nichtkontrole. Dass trotz dieser vorzüglichen Einrichtungen viel Gejammer von Auswanderern in den Zeitungen zu hören ist, kann nicht befremden, wenn man bedenkt, dass erstens auch in Neuseeland die schlechten Zeiten nicht ausgeblieben sind, und dass Auswanderer in der Regel einer Bevölkerungsklasse angehören, unter welcher viel arbeitsscheues Gesindel sich findet. Auswanderung ist überhaupt eine Sache, bei der es selbst unter den besten menschenmöglichen Bedingungen nie ohne Härten abgeht.

Das Bewusstsein, die grosse wenig erfreuliche Gesellschaft los zu sein und nicht mehr Tag für Tag alle die dummen und unzufriedenen Gesichter sehen zu müssen, an deren jedes sich irgend eine unerquickliche Erinnerung knüpfte, gehörte entschieden zu den grössten Annehmlichkeiten, die ich jemals empfunden habe. Ruhe war mein erstes Bedürfniss. Sie wurde mir jetzt zu Theil, und nur wenn der Wind wieder um unsere exponirten Gebäude zu heulen und an ihnen zu rütteln begann, wurde sie einigermassen gestört.

Ich hatte eine reizende Dienstwohnung ganz nach meinem Geschmack. Zwei sehr geräumige Zimmer, spartanisch einfach und englisch solide möblirt, jedes mit grossen Fenstern auf zwei Seiten, erlaubten mir, mich mit allen meinen Sachen gehörig auszubreiten, ein unschätzbares Vergnügen nach den mühseligen Einschränkungen des Schiffslebens. Alles in der Einrichtung war zweckmässig und nichts überflüssig. Die weissgetünchten Bretterwände waren zwar ziemlich undicht, so dass ich an einigen Stellen kaum mit einem brennenden Lichte vorübergehen konnte, ohne dass es ausgeblasen wurde, und jeder etwas stärkere Wind drang durch den dünnen frei auf einigen Balken über der Erde ruhenden Boden und hob den Teppich stossweise in die Höhe, dass er wogte wie ein stürmisches Theatermeer, und regnete es, so bildete sich bald vor jedem Fenster ein kleiner See mit einem Stromsystem bis zum Fusse der gegenüberliegenden Wände.

Die Aussicht aber war ganz unvergleichlich schön. Kurz vor den Fenstern stürzte der Berg zu der grünen Wasserfläche hinab, auf welcher winzig kleine Fischerböte mit rothen Segeln schaukelnd ihre Kreise abritten. Möven flogen in gleicher Höhe auf Schussweite vorüber, erschrocken abbiegend, sowie sie mich hinter den Glasscheiben erblickten. Die dunklen Bergketten, welche die Bucht umgrenzten, gewährten noch einige male in der Nacht das Schauspiel ausgedehnter Waldbrände, und an hellen, sonnigen Tagen konnte ich zuweilen mich damit unterhalten, mit dem Fernrohr die Strassen von Wellington zu durchwandern.

Manchmal kreuzten grössere Segelschiffe unten vorbei, entweder vom Ozean draussen herein in den Hafen oder wieder hinaus. Port Nicholson ist bequem und geräumig genug, dass man der Schleppdampfer hiezu entbehren kann. Auch die Euphrosyne sah ich eines Tages wieder in See stechen. Sie ging nach Peru, um Guano zu nehmen. Ich bemitleidete meine alten Gefährten, die auf ihr hinwegfuhren, alle, am meisten aber unseren Hannes, an dem sich jetzt der ganze Grimm des Kapitäns und der Offiziere ungestört entladen mochte.

Grössere Bäume gab es nicht auf der Insel. Man hatte zwar angefangen, australische Eukalypten und englische Fichten anzupflanzen, aber die Pflänzchen waren noch klein und schwach. Ein hohes schilfartiges Gras, die Arundo conspicua beherrschte den Charakter der Vegetation, und überall auf den Hügeln stunden in mächtigen Büscheln ihre schlanken Halme und wiegten graziös seidenglänzende fiederige Rispen im Winde. Somes Island ist berühmt wegen dieses schönen Grases. Häufig kommen, wenn die Quarantäne leer steht, Lustpartieen hieher und holen sich davon zum Schmuck der Wohnungen. Ich habe auch nie mehr später auf Neuseeland die Arundo conspicua so reich und herrlich entwickelt gefunden. Auf den Felsenkanten der schattigen Südseite wuchs Phormium tenax, der Neuseeländische Flachs, und in einer Schlucht entdeckte ich einmal zwei kümmerliche Kohlpalmen, die so charakteristische Cordyline australis, den Cabbage Tree der Engländer, den ich später noch so oft und so viel grösser zu sehen bekommen sollte. Damals war er mir neu und merkwürdig.

Es war Spätherbst, und die Sommersonne hatte Alles gelb und welk gebrannt. Nur in den Felsenklüften der Südseite, wohin die Sonne nicht dringen konnte, grünte es noch lebhaft von Farnen, welche einige Höhlen zu feenhaften Gemächern austapezierten. Eine scharfe Ecke springt zwischen Süd- und Westseite vor, und eben so scharf wie diese Ecke, war damals die Grenze zwischen Kahlheit und Dürre und üppigstem Grün.

An ungezähmten Säugethieren gab es nur einige verwilderte Katzen und eine Menge Ratten, welche jenen zur Nahrung dienten. Beide stammten von europäischen Schiffen her. Mister Koral hielt sich ein paar Ziegen. Schafe durften nicht gehalten werden, weil ihre losgerissene Wolle Krankheitsstoffe nach Wellington führen konnte.

Weite Ausflüge waren auf der kleinen Insel allerdings nicht möglich. Doch boten Spaziergänge den steinigen Strand entlang oder Kletterpartieen über die Felsblöcke des Ufers stets grossen Genuss und zur Zeit der Ebbe reiche zoologische Beute.

Das am meisten zerklüftete Südufer wimmelte dann von natürlichen Aquarien jeder Grösse, welche die weichende Fluth in den Löchern und Tümpeln zurückgelassen hatte. Aktinien blühten da in allen Farben zwischen Meerlattich und Tang. Fische aller Art und steifbeinige Garneelen schossen in ihnen herum und suchten sich vergebens hinter Steine zu retten. Alles sass voll von Aszidien, Schnecken und Muscheln, in jeder Rille klebte ein schöner Chiton. Manch werthvolles Mollusk habe ich dort gesammelt. In den Höhlen und Klüften, die oft senkrecht zum dunklen Grunde hinabstürzten, überzogen hellviolette Kalkalgen das ganze Gestein, soweit es im Bereich der Fluth lag, und von oben hingen Farnornamente herunter und spiegelten sich in den Wellen. Unzählige Seesterne und Seeigel, seltener auch Holothurien, klammerten sich an die Wände des Grundes, und hie und da glitt ein mächtiger schwarzer Fisch durch die Tiefe.

Da wo an den äussersten vorgeschobenen Klippen die Wogen sich brachen, lebten dickschalige Bewohner der Brandung, derbe, faustgrosse Trochen und Turbonen und eine riesige Haliotis. Letztere saugten sich gewöhnlich so fest, dass sie nur mit dem Messer loszumachen waren, ebenso wie die Chitonen. Hie und da gelang es mir, schnell ehe sie sich duckten, die Fingerspitzen zwischen den Rand ihrer Schale und die sammtenen Fortsätze des Mantels zu schieben, und dann riss ich stets die blosse Schale vom Thier ab, während dieses selbst hartnäckig sitzen blieb.

Doch auch zu kulturgeschichtlichen Studien bot ein Spaziergang unten am Strande Gelegenheit. Von verschiedenen Schiffen, die vor uns auf der Insel in Quarantäne gewesen waren, lagen hier die Ueberreste ihrer Einrichtungen, ganze Berge von Kojenbrettern, um allmälig als Feuerungsmaterial aufgebraucht zu werden, und dazwischen zerstreut Deckhäuschen und Luckenkappen, Ventilationsröhren und Klosettbestandtheile. Es berührte mich unangenehm, einen auffallenden Unterschied zwischen den englischen und deutschen Artikeln dieser Art konstatiren zu müssen. Von den englischen Schiffen war Alles so solid und selbst elegant gearbeitet, dass ich mich schämte, unseren lotterigen deutschen Trödel daneben liegen zu sehen. Wie oft hatte ich von Engländern Anspielungen und Klagen über die schlechte Ausrüstung unserer Schiffe zu hören und ruhig hinzunehmen, ohne im Stand zu sein, sie als unbegründet zurückzuweisen.

Auf der Südkante, dem Eingang von Port Nicholson und dem Ozean zugewendet, stand oben der Leuchtthurm. Zwei Wächter bewohnten ihn, von denen der jüngere eine Frau besass. Mit ihnen sowie mit Mister Koral und dessen Tochter, die von Wellington herübergekommen war, die Verbannung ihres alten Vaters zu erleichtern, habe ich manchen angenehmen Abend zugebracht. Waren auch die beiden Leuchtthurmwärter der Einsamkeit ihres Lebens entsprechend einsilbig genug, und kann ich mich auch nicht erinnern, von dem älteren derselben mehr als ein stereotypes tägliches »Good Morning Sir, nice Morning Sir« mit einer Betonung als ob ich das Gegentheil behauptet, gehört zu haben, so waren sie doch die liebenswürdigsten Menschen, die mir jeden Gefallen thaten. Wir fuhren zusammen zum Fischen oder machten Segelpartieen um unser Eiland.

An Gelegenheit zur Wasserjagd fehlte es niemals. Auf den Klippen ringsherum wimmelte es von Möven verschiedener Arten. Kormorane trieben sich dazwischen herum, waren aber nur schwer zum Schuss zu bekommen. Um auszuruhen, wählten sie immer die entferntesten Felsenspitzen, die eine weite Umschau gestatteten, und seltsam zeichnete sich oft ihre Silhouette vom Himmel ab, wenn sie regungslos auf einer Kante sassen, ihre nassen Flügel zum Trocknen ausgebreitet und schlaff herabhängend, nicht unähnlich einem zerzausten Preussischen Adler. Versuchte man sich ihnen zu nähern, flugs waren sie weg und verschwunden.

Das interessanteste Wild auf der Insel aber waren die zahlreichen Pinguine der kleinen blauen Art, die hier eine Hauptstation zu haben schienen.

Einmal in einer schönen Mondnacht schrieen sie so laut vom Strande herauf, dass ich sie durch die geschlossenen Fenster bis in mein Zimmer hörte. Es mussten mehrere Dutzend sein. Ich nahm meine Büchse, kletterte die mir wohlbekannten beschwerlichen Pfade hinab und setzte mich in den Schatten eines Felsblocks um zu lauern. Aber nichts liess sich blicken, obwohl ich fast zwei Stunden blieb.

Die Poesie der Umgebung entschädigte mich reichlich für jegliche Beute. Nur das Anschlagen der glitzernden Wellen gegen die Felsenthore und Klüfte des Ufers, deren groteske Formen im ungewissen bleichen Lichte des Mondes schwammen, unterbrach die feierliche Stille der Nacht. Oben strahlte das südliche Kreuz und weiter nördlich der Skorpion, der zwölf Stunden später auch auf die ferne Heimath herabsah. Geheimnissvolle Stimmen regten sich zuweilen draussen über dem Wasser. Schaaren von Möven schliefen dort auf einsamen Klippen, und häufig stritten sich ein paar von ihnen um die Plätze. Und plötzlich liessen sich dann auch die Pinguine hören, so nahe, dass ich sie sehen zu müssen glaubte. Zuerst begann einer allein sein hässliches Jauchzen und Gurren, andere antworteten ihm, und dann fiel der ganze Chor ein und gurrte und jauchzte so schauerlich und unnatürlich, als ob eine Schaar dämonischer Geschöpfe aus der Apokalypse hinter den nächsten Felsen versteckt war. Dann trat auf einmal wieder Stille ein und nur die Wellen plätscherten leise.

Erst nach langem Suchen gelang es mir, in einer der vielen Höhlen am Strande, in welchen sie sich während des Tages aufzuhalten schienen, drei Pinguine zu fangen. Sie verriethen ihre Anwesenheit durch dieselben gurrenden Töne, die ich schon öfter in der Nacht gehört, und die sie wahrscheinlich erschreckt durch das Geräusch, welches ich beim Herumklettern machte, ausstiessen.

Ich zündete eine Kerze an und kroch auf dem Bauch in die immer enger und niedriger werdende Höhle bis ich nicht mehr weiter konnte. Da sassen denn meine Vögel in einem nur fussbreiten Loch, kein Meter von mir entfernt aber unerreichbar für die Hand, und gurrten und fauchten so giftig, dass ich fürchtete, sie möchten mir ins Gesicht springen, was in meiner eingeklemmten Lage sehr unangenehm werden konnte. Ich blieb ruhig liegen und bohrte mein Licht in den Boden. Das Licht schien die Neugierde der Pinguine lebhaft zu reizen. Sie beruhigten sich und hörten auf zu gurren, da sie nur mehr das Licht beguckten.

Langsam kam jetzt einer heraus aus dem Loch, das seltsame Phänomen genauer zu untersuchen. Auf mich schienen sie ganz vergessen zu haben, da ich mich nicht regte und kaum zu athmen wagte. Immer näher und näher kam er der tückisch auf ihn lauernden Hand. Ein rascher Griff und ich hatte ihn beim Kragen. Er sträubte sich wüthend und biss heftig um sich, seine Kameraden fauchten und gurrten, ich rutschte zurück und steckte ihn draussen in einen mitgenommenen Sack. Ganz auf dieselbe Weise fing ich auch die zwei anderen. Nach zehn Minuten ruhigen Liegens hatten sie mich vergessen und schlichen hervor, das Licht zu begucken.

Den letzten liess ich frei und ins Wasser laufen, um seine Schwimmkunst zu beobachten. Eilig hüpfte er gleichbeinig über die Blöcke des Ufers, bis er das rettende Element erreichte. Dann tauchte er unter und blitzschnell, seine Vogelgestalt in die eines Fisches verwandelnd, war er verschwunden. Nach einer Minute tauchte er einen Büchsenschuss weit entfernt wieder auf, um zu athmen. Ich machte eine Bewegung und abermals war er weg.

Meine zwei Gefangenen brachte ich nach meiner Wohnung, wo ich ihnen eine helle, luftige Kammer einräumte. Trotz aller Bemühungen, ihnen ihren Aufenthalt so komfortabel als möglich zu machen, gelang es mir nicht sie zum Fressen zu bewegen. Ich liess für sie ein grosses Salzwasserbassin und einen kleinen Garten mit Ufergewächsen anlegen, ich gab ihnen lebende Fische und Würmer, ich versuchte sie gewaltsam zu füttern – sie bestanden hartnäckig auf dem Fasten.

In der Nacht fingen sie einmal, als der Mond zu ihnen hereinschien, zu fauchen und zu gurren an und versetzten meine Krankenwärterin, welche neben ihnen schlief, in die grösste Angst und Bestürzung. Das abergläubische Weib glaubte, es seien böse Geister, die ihren Spuk trieben. Da ich mittlerweile einsehen musste, dass alle meine Mühe mit ihnen vergeblich war, so tödtete ich die armen Thiere, um sie nicht länger leiden zu lassen, nachdem sie zwölf Tage gefastet hatten.

An den schönen warmen und windstillen Tagen, die auf die erste Periode der Stürme folgten, ruhte über unserer Insel eine idyllische Sabathruhe, welche, so wohlthuend sie im Anfang war, auf die Dauer langweilig wurde, und ich begann schliesslich mit dem Köter des Leuchtthurmwächters zu sympathisiren, dem unser Mangel an Ereignissen gleichfalls nicht zu behagen schien. Er war ein gutmüthiger struppiger Kerl, der keinem Menschen was zu Leide that. Aber er litt beständig an der schrecklichsten Beschäftigungslosigkeit und rannte oft Tage lang vom Leuchtthurm nach den Baracken und von diesen zum Leuchtthurm hin und her, um zu sehen, ob es nichts für ihn zu thun gäbe. Selbst mitten in der Nacht liess es ihm manchmal keine Rast, er konnte nicht schlafen und trabte dann regelmässig zu mir herauf, um vor meinem Fenster so lange zu heulen, bis ich aus dem Bett sprang und ihn mit einem Prügel den Berg hinabjagte, was indess unserer Freundschaft während des Tages keinen Abbruch that.

Bald trat eine zweite Periode der Stürme ein, und es herrschte wieder ein Wetter, wie es für den neuseeländischen Herbst charakteristisch sein soll. Dunkle Wolken flohen heftig über den Himmel, durch deren Lücken die Sonne feine Lichtblicke herabsandte. Ueber Wasser und Land, über Berg und Thal glitten diese als hellstrahlende Inseln dahin, verfolgt von düsteren schwarzen Regenschauern, ein nie aufhörender Wechsel in der Beleuchtung. Dann rüttelte wieder der Wind heulend an unseren leichtgebauten zitternden Häusern, und man war ins Zimmer gebannt.

Ich sah bereits mit Schmerzen meiner Erlösung entgegen, als mir eines Morgens gemeldet wurde, es sei ein Schiff mit der gelben Flagge im Grosstop hereingekommen und liege unten an der Insel vor Anker. Dies war mir keine sehr angenehme Ueberraschung. Denn ein Zuwachs von Kranken wäre gleichbedeutend mit einer Verlängerung meines Amtes gewesen. Uebrigens ging das Schiff am Nachmittag an die Stadt und mir fiel ein Stein vom Herzen.

Am 12. Mai schlug für mich endlich die ersehnte Stunde. Meine bis auf fünf Köpfe zusammengeschmolzenen Kranken waren so weit genesen, dass sie keiner täglichen ärztlichen Beaufsichtigung mehr bedurften. Ich wurde von der Barkasse der Kommissioners abgeholt und siedelte nach Wellington über. Ich war frei.

VI.
WELLINGTON.

Erste Eindrücke. Lage der Stadt. Sehenswürdigkeiten. Das Museum, der botanische Garten, das Athenäum, der Gerichtshof. Allgemeines über Neuseeland. Der Königin Geburtstag. Die Maoris. Mortalität auf Auswanderersegelschiffen.

Was mir an Wellington, der Metropole Neuseelands, zuerst auffiel, war, dass es durchaus nicht amerikanisch aussah, wie ich von einer so jungen Stadt erwartet hatte. Es fehlte vor Allem jenes Charakteristikum amerikanischer Städte, welches in der Lotterigkeit und Unreinlichkeit der Strassen, in einem gewissen Bombast der Architektur und in der bunten Farbenmenge der Aufschriften besteht. Die Häuser von Wellington sind klein, bescheiden und anmuthig, die Strassen sauber und zu beiden Seiten mit wohleingefassten Trottoiren versehen. Das Ganze trägt den Charakter Old Englands.

Eine Hügelkette tritt nahe ans Ufer vor und zwingt einen Theil der Stadt, sich sowohl terrassenförmig an ihr aufzubauen als auch den seichteren Partieen des Hafens Land abzugewinnen, womit Geröll herbeischleppende Eisenbahnzüge auf der nur wenige Kilometer am westlichen Rande der Bai hin nach einem Dorf namens Hutt River führenden Strecke fortwährend beschäftigt sind. Mag dieses auch viel Geld kosten, und wird auch deshalb viel wegen verfehlter Anlage geschimpft – und wo in der Welt wird nicht geschimpft – die Ansicht von Wellington ist durch solche Terrainschwierigkeiten nur um so hübscher. Der Tourist kümmert sich bekanntlich egoistischer Weise nicht um die Kosten, die eine schwierige Landschaft macht, wenn sie nur das Auge befriedigt.

Ein langes und mächtig breites Pier führt hinaus zum tieferen Wasser, wo die grossen Schiffe liegen. Ihm gegenüber steht das Zollgebäude und die Post. In Folge eines Erdbebens, welches vor etwa zwölf Jahren die Bevölkerung in einen noch jetzt nicht ganz verklungenen Schrecken gesetzt hat, sind alle Häuser von Holz bis auf zwei von Backstein, die deshalb als Merkwürdigkeiten gezeigt werden. Das Holz als Baumaterial thut übrigens dem Styl der Bauwerke keinen Eintrag. Das neue Regierungsgebäude ist ein stattlicher Palast in der gediegensten Renaissance, und die Hauptkirche täuscht dem Fremdling von ferne eine stolze gothische Kathedrale aus weissem Marmor vor, bis er näher tritt, und der Marmor in eitel Tünche sich auflöst. Ueberall sind Gärten zerstreut, in denen der zwar höchst dankbare und nützliche aber unschöne aus Australien importirte Eukalyptusbaum vorherrscht.

Die ersten Tage in Wellington vergingen mir wie die meisten ersten Tage in überseeischen Städten. Man wird von dem deutschen Bruder und Landsmann in Beschlag genommen und als neueste Merkwürdigkeit überall herumgezeigt, man lässt sich treaten und treatet zur Abwechselung selbst, und legt sich am Abend mit schwerem Kopf und mit dem Gedanken, dass es eigentlich sehr viel langweilige Menschen giebt, zu Bett. Das in allen jungen Ländern aufrechterhaltene schöne Prinzip der Ständegleichheit und der in Abstrakto gewiss unanfechtbaren Hochhaltung der Arbeit scheint im grossen Ganzen auf den deutschen Gevatter Schneider und Handschuhmacher nicht sehr vortheilhaft einzuwirken. Er wird leicht unverhältnissmässig selbstbewusst.

Man trägt in Wellington fast niemals Handschuhe und befleissigt sich einer löblichen Enthaltung von Luxus und Kleiderpracht. Rothbackige Kinder tummeln sich auf den freien Plätzen. Reiter mit Marktkörben sprengen vom Lande herein um Vorräthe zu kaufen. Zeitungsjungen schreien mit denselben gellenden Stimmen wie in England oder Amerika ihre Blätter aus.

Ganz besonders unangenehm sind hier die meteorologischen Eigenthümlichkeiten des stürmereichen neuseeländischen Herbstes wegen der Fülle von Staub, die der sandige Boden liefert. Die Windstösse kommen so plötzlich und heftig, dass man oft mehrere Schritte zurückgedrängt wird, und einmal sah ich den grossen Jagdhund meines Hotelwirths von einem solchen dermassen überrascht, dass er schleunig sich umwandte und entsetzt mit eingekniffenem Schwanze davon lief. Es werden schauerliche Geschichten von der Gewalt des Windes erzählt. Manchmal soll es nicht möglich sein das Landungspier zu betreten ohne Gefahr ins Wasser geweht zu werden.

Unter den Sehenswürdigkeiten der Metropole nimmt das Museum die erste Stelle ein. Wie alle derartigen Institute ausserhalb Europas ist dasselbe ziemlich universeller Art. Naturalien und Kunstgegenstände, lebende Thiere und ein Münzkabinett, Waffen und getrocknete Pflanzen, alles Mögliche findet sich neben einander aufgestellt. Von hervorragender Schönheit ist das Innere eines Maoriversammlungsgebäudes, aus stylvollen Holzschnitzereien zusammengesetzt. Unter den Münzen sah ich einen bairischen Sechser neben chinesischen und brasilianischen Geldstücken paradiren. Ein grosser botanischer Garten war erst im Entstehen begriffen. Vorläufig erinnerte in der Wildniss hinter der Stadt, welche diesen Namen trug, nichts als das Verbot Pflanzen abzureissen und Hunde mitzubringen an ihre Bestimmung.

Ich besuchte das Hospital, das Irrenhaus und die Kaserne für die Immigranten, in welcher diese von der Regierung verpflegt werden, bis sie Arbeit gefunden haben, und fand Alles sehr gut und zweckmässig eingerichtet. Meinem Hotel gegenüber lag der Gerichtshof, ein griechischer Säulentempel. Die Richter schwitzen hier unter denselben altmodischen Perrücken wie zu Hause in England. Es wurde eben ein Ehescheidungsprozess verhandelt. Ein Chinese, der erste und letzte, den ich in Neuseeland sah, liess sich von seiner abwesenden weissen Gemahlin, die mit einem Anderen durchgegangen war, trennen. Das zahlreiche Publikum benahm sich ernst und würdig, obwohl das sonderbare Pidschin English des Mongolen die Lachlust erregte, so oft er den Mund aufthat. Neben dem Gerichtshof ist das Athenäum, ein Lesesaal, in welchem alle möglichen Zeitschriften aufliegen. Jede noch so kleine Stadt Neuseelands hat ihr Athenäum, in welchem der gebildete Fremde als Gast stets willkommen ist. Auch einen feinen Klub besitzt Wellington, unser Konsul hatte die Güte mich dort einzuführen. Im grossen hölzernen Theater wurde nicht gespielt, weil keine Schauspieler vorhanden waren. Man erwartete eben aus Melbourne eine für den Winter engagirte amerikanische Mimengesellschaft mit etlichen »Stars«.

Neuseeland macht unter allen Ländern, die ich kenne, den solidesten Eindruck. Man sieht keine Bettler. Es scheint ein mehr allgemeiner Wohlstand zu herrschen ohne die Extreme von Reichthum und Armuth. Die servilen noch immer mit dem Stempel ihrer einstigen Leibeigenschaft gebrandmarkten Bauerngestalten fehlen gleichwie in Amerika. Jedermann ist sich bewusst, im grossen Ganzen eben so viel werth zu sein wie ein Anderer.

Die Hotels sind gut und billig, billiger als bei uns und unvergleichlich besser. Ich habe selten mehr als acht Mark pro Tag bezahlt. »Two Shillings for the Bed and for every Meal« ist der beinahe allgemein übliche in ganz Australien geltende mittlere Satz, wofür bis auf die Spirituosen Alles gewährt wird, was die täglichen Bedürfnisse eines anständigen Menschen verlangen. Dass zu diesen auch ein Badezimmer, bei uns leider noch als Luxusartikel betrachtet, gehört, versteht sich in jedem Lande englischer Zunge von selbst. Keinem Menschen fällt es ein, Trinkgelder zu geben, die einer höheren Kulturstufe überhaupt unwürdig sind. Das Aufwartepersonal wird vom Wirth so gehalten, dass es nicht zu betteln braucht. Die Rubriken für »Bougies« und »Service« und ähnliche schmähliche Prellereien sind unbekannte Dinge. Eine Prostitution weisser Rasse giebt es kaum, oder sie ist auf das menschenmöglichste Minimum reduzirt. Bei der stark überwiegenden Zahl der männlichen Bevölkerung hat jedes neuankommende Mädchen die beste Aussicht, zu heirathen. Weibliche Dienstboten sind deshalb ein äusserst gesuchter Artikel, und die Löhne und Anforderungen derselben dürften nach den Begriffen deutscher Hausfrauen haarsträubend zu nennen sein.

Der Königin Geburtstag (24. Mai), der in die Zeit meiner Anwesenheit fiel, gab mir Gelegenheit, einem militärischen Schauspiel beizuwohnen. Die gesammte Miliz Wellingtons, Infanterie und Artillerie, rückte zur Parade aus. Sie ist ganz eben so gekleidet und equipirt wie die englische. Dass sie im letzten Maorikrieg wenig Erfolge gewann, konnte nicht wundern, wenn man sie sah. Eine grössere Strammheit zeigte die sehr geschmackvoll uniformirte, dunkelgrüne Konstabulary Force, die stehende Söldlingsschaar der Kolonie. Sie rekrutirt sich hauptsächlich aus Mauvais Sujets – jene Menschensorte, die in Bezug auf ritterliche Erscheinung dem Spiessbürger allenthalben überlegen ist.

Meine grösste Aufmerksamkeit zogen natürlich die Maoris auf sich. Man begegnet ihnen in Wellington ziemlich häufig auf der Strasse, und in einem Wirthshaus Namens »Crown und Anchor Hotel«, das sie mit Vorliebe besuchen, um dem Schnapstrinken zu fröhnen, kann man jederzeit sicher sein, eingeborene Zecher zu finden, meist alte Häuptlinge, die hier ohne Beschäftigung von dem Ertrag ihrer Landverkäufe leben. Das Frappanteste bei ihrem ersten Anblick sind die kunstvollen Tätowirungen, in die Haut einziselirte Arabesken von hohem Kunstwerth, welche über und über ihr Gesicht bedecken, so dass es von ferne ganz blau zu sein scheint, und welche ihren harten und grossen Zügen einen starken Ausdruck von Wildheit verleihen. Einige hatten etwas Stolzes und Gebieterisches in ihrer Haltung und trugen den Stempel einer ursprünglich edlen und hochbegabten, jetzt aber immer mehr verkommenden Rasse. Ihre Kleidung ist im Ganzen die der weissen Kolonisten und variirt in allen Graden der Verluderung. Es soll auch Gentlemen unter ihnen geben, und drei davon sitzen im Parlament und sehen nach Photographien zu urtheilen ganz respektabel aus, trotz ihrer Tätowirung, die überhaupt keinem Maoriaristokraten älteren Datums fehlt.

Bei ihren Weibern sieht man zuweilen schöne wohlgebildete Gestalten, aber naturgemäss giebt sich bei diesen die Verkommenheit noch viel deutlicher kund als bei den Männern. Struppig hängen ihnen die ungekämmten Haare in die Stirn herein, ihr meist grellfarbiger Anzug ist unordentlich, und die europäischen Röcke stehen ihnen eben so abscheulich wie allen Wildinen. Häufig hocken sie betrunken auf der Strasse herum. Die Weiber höherer Abkunft sind kenntlich an eintätowirten blauen Ornamenten, die sich auf das Kinn und die Lippen beschränken. Die Sprache der Maoris klang mir äusserst wohllautend. Wenn sie sich unterhalten, so begleiten sie ihre Reden gewöhnlich mit einem sehr lebhaften Mienen- und Geberdenspiel, wie alle leicht erregbaren Menschen. Ihr Jähzorn ist bei den Kolonisten sprichwörtlich geworden, sie sagen von einem jähzornigen Menschen, er habe ein »Maori Temper«.

Man erzählte mir, dass sie noch immer die alte Begrüssungsform des Nasenreibens übten. Ich lauerte aber in Wellington vergebens darauf. Erst später in Tauranga war ich so glücklich, diese eigenthümliche Sitte zu beobachten.

Die Maoris von Wellington wohnen zerstreut in den äusseren ländlichen Theilen der Stadt ungefähr ebenso wie ihre europäischen Nachbarn. Nur im »Te Aro« Viertel sind noch die Ueberreste einer ehemals grösseren Maori-Ortschaft gleichen Namens sichtbar, etwa sechs oder acht erbärmliche schmutzige Holzhütten. Dorthin begleitete ich einst einen mir befreundeten Arzt um einen alten Häuptling, der an Lähmung litt, zu elektrisiren. Ein Dutzend brauner Kerls mit blauen Gesichtern liefen zusammen, Zeugen unserer Zauberei zu sein. Schliesslich formirten wir eine Kette und elektrisirten die ganze Gesellschaft. Es war höchst komisch wie furchtsam sie gegen die geheimnissvoll brummende Maschine sich benahmen, und wie sie überrascht und entsetzt zusammenfuhren, als sie ihre Wirkung fühlten. Obwohl der Strom so schwach war, dass wir beide ihn durchpassiren liessen, ohne einen nennenswerthen Schmerz zu empfinden, schnitten die braunen Kerls Grimassen und stöhnten als ob sie gefoltert würden.

Der anständigste und zivilisirteste Maori meiner Bekanntschaft blieb immer mein erster, jener Steuermann der Barkasse, welche bei unserer Ankunft die Hafenkommission an die Euphrosyne gebracht hatte und während meiner Quarantäne fast täglich nach Somes Island gekommen war. Als Staatsangestellter lebt er nüchtern und in geordneten Verhältnissen und pflegt an schönen Sonntagen nebst seiner braunen Gattin und zwei hübschen Kindern festlich geputzt spazieren zu gehen.

Da es mich interessirte, für die Mortalitätsziffer unserer Typhusepidemie an Bord der Euphrosyne einen Massstab zu haben, opferte ich etliche Tage, um in den Akten des Immigrationsamtes nach den entsprechenden Ziffern anderer vor uns angekommener Schiffe zu suchen. Leider war das durch diese gelieferte zweifellos sehr werthvolle statistische Material nicht des Aufhebens werth erachtet worden. Kein Mensch hatte sich darum gekümmert, es war verloren. Nicht einmal die Journale der Schiffsärzte waren vorhanden. Nur durch die Geldabrechnungen der Kassabeamten, die man mit der grössten Liebenswürdigkeit und Liberalität und ohne Bedenken mir durchzumustern gestattete, und nur durch den Umstand, dass kontraktmässig für die auf der Reise Gestorbenen kein Passagegeld gezahlt wird, weshalb jeder Todesfall auch in den Quittungen eine Rolle spielt, erfuhr ich einigermassen was ich wünschte.

Seit dem Beginn des gegenwärtigen Immigrationssystems im Juli 1871 waren im Ganzen 262 Segelschiffe (248 englische, 12 deutsche, 2 norwegische) mit 71 693 Einwanderern von Europa nach Neuseeland abgegangen und bereits verrechnet. Die mittlere Passagierzahl für das einzelne Schiff war 300, die geringste 6, die höchste 651 gewesen. Von diesen 262 Schiffen war eines, der Kospatrick, im November 1874 beim Kap der Guten Hoffnung mit sämmtlichen 429 Passagieren und der ganzen Mannschaft durch Feuer zu Grunde gegangen. Von den übrigen 261 Schiffen hatten einige in Folge von Havarie in Zwischenhäfen einlaufen müssen, wobei fast jedesmal etliche Passagiere desertirten, was dann immer eine Menge Schwierigkeiten, Requisitionen und Auseinandersetzungen für das Immigrationsamt herbeiführte. Nur 38 Schiffe hatten auf der ganzen Reise von 90 Tagen mittlerer Dauer keinen Todesfall zu verzeichnen gehabt. So glücklich waren aber fast nur solche mit weniger als 200 Passagieren und ein einziges mit mehr als 300 gewesen. Im Ganzen zählten die 261 Schiffe (ohne den Kospatrick) 1404 Todesfälle, worunter 588 Säuglinge, 648 Kinder von 1 bis 12 Jahren, 168 Personen über 12 Jahre, »Statute Adults« genannt. Ueber 10 Todte hatten 37, und über 20 Todte 9 Schiffe gehabt. Diese letzteren 9 Schiffe repräsentirten ein Sterblichkeitsverhältniss von 4 bis 10 Prozent. Doch mochten auch unter den übrigen noch genug ebenso schlimme relative Zahlen zu finden sein. Die zugleich relativ und absolut höchste Todtenziffer war 34 von 340 Passagieren, = 10 Prozent. Da unter den 588 gestorbenen Säuglingen viele gewesen sein mögen, die während der Reise geboren waren und deshalb nur als Abgänge nicht aber als Zugänge auf den Listen standen, so fehlt für diese jeder Anhaltspunkt, ihre Mortalität für sich zu beurtheilen. Und auch für die beiden anderen Alterskategorien lässt sich kein spezielles Verhältniss angeben, weil nirgends die gesammte Passagierzahl, sondern blos die Todesfälle nach solchen unterschieden waren.

Da wo eine auffallende Sterblichkeit unter den Kindern herrschte, mögen wohl Scharlach und Masernepidemieen, und wo die Erwachsenen sich überwiegend an der Sterblichkeit betheiligten, vielleicht Typhusepidemieen die Ursache derselben gewesen sein. Im Allgemeinen schien mir hervorzugehen, dass die Sterblichkeit unter gewöhnlichen Verhältnissen ziemlich wenig, durchschnittlich etwa 0,5 Prozent betrug, und dass da wo diese Ziffer erheblich übertroffen wurde, Epidemieen zu Grunde gelegen haben müssen. Immerhin konnte ich mit meiner Euphrosyne-Typhusmortalität von 1,7 Prozent (6 Erwachsene, 1 dreijähriges Kind, aus 397 Personen) den mindestens 9 Schiffen von 4 bis zu 10 Prozent gegenüber ganz beruhigt und zufrieden sein.

Mit dem Hospital sollte ich noch eine intimere Bekanntschaft machen als mir lieb war. Schon während ich die Akten des Immigrationsamtes für meine Mortalitätsstatistik durchmusterte, litt ich so sehr an Kopfweh, dass ich krank zu werden fürchtete, und als ich einige Tage darauf den 200 Meter hohen Mount Viktoria bestiegen hatte, auf welchem die Signalstation für die von draussen hereinkommenden Schiffe eine wundervolle Aussicht auf die Südinsel und den Ozean beherrscht, überfiel mich ein starker Schüttelfrost und eine Mattigkeit, dass ich kaum mehr nach Hause kam. Ich mass meine Temperatur und fand 40 Zentigrade. Dies bewog mich am nächsten Morgen aus dem Hotel ins Hospital überzusiedeln. Ich glaubte nun selbst den Typhus zu haben. Eine Woche später aber war ich wieder gesund und voll frischer Reiselust.

Es litt mich nicht länger mehr in Wellington. Meine anfängliche Absicht, einige der blühenden Städte auf der Südinsel zu besuchen, gab ich auf, da ich diese durch tagelange Dampferfahrten hätte erkaufen müssen. Von der See hatte ich vorläufig genug, und ich beschloss deshalb, durch das Innere der Nordinsel mit seinen berühmten Geysern und seiner zahlreichen Maoribevölkerung nach Auckland zu gehen.

Das Reisen in diesen Gegenden hat heutzutage keine Schwierigkeiten mehr. Poststrassen durchziehen die Wildniss, und fast überall findet man an den Nachtstationen gute Hotels. Eine Menge Touristen aus sämmtlichen Theilen Australiens treibt sich zu Fuss, zu Ross und zu Wagen dort herum.

VII.
VON WELLINGTON NACH OHINEMUTU.

Ein Neuseeländischer Urwald. Die Post und ihre Gefahren. Pahantanui, Otaki und Foxton. Neuseeländische Eisenbahngemüthlichkeit und ein eisenbahnfiebriger Maori. Die Manuwatu Gorge und der Seventy Miles Busch. Palmerston, Waipakarao und Waipawa. Die Repudiation Office von Te Aute. Ein Tag in Napier. Farnhügellandschaft. Tarawera und seine Soldateska. Kaliban in der Wildniss. Opipi. Ein Tag in Tapuaeharuru. Mister Jack the Guide of Taupo. Nächtlicher Skandal.

Ich kaufte mir zunächst ein Ticket nach Napier an der Hawkes-Bai, welches ungefähr nördlich von Wellington liegt, theils per Postkutsche, theils per Eisenbahn in drei Tagen zu erreichen. Von Napier aus ging es dann ausschliesslich per Postkutsche in nordwestlicher Richtung über Tarawera und Tapuaeharuru am Taupo-See, und von hier in nördlicher Richtung über Ohinemutu nach Tauranga an der Bai of Plenty, was im Ganzen vier weitere Tagereisen ausmachte.

Am Morgen des 29. Mai, als es noch dunkel war, holte mich die vierspännige Postkutsche vor dem Hotel ab, ich bestieg den ausbedungenen Bocksitz und verliess freudigen Sinnes die Stadt Wellington, die mich schon zu lange beherbergt hatte. Die Strasse führte uns neben der Hutt River Eisenbahn dicht am westlichen Ufer des Hafens entlang. Das Leuchtfeuer auf Somes Island, meiner ehemaligen Domäne, brannte noch. Trüb stieg der Morgen hinter schwarzen Bergen und dunklen Wolken herauf, und eine zu früh erwachte Möve strich einsam über die kaltschimmernde Wasserfläche.

Steilansteigender Busch, stellenweise durch Feuer gelichtet, wo dann die schwarzverkohlten kahlen Baumstämme emporstarren, erhebt sich zur Linken. Durch einen Thaleinschnitt kommt ein Bächlein herab. Wir biegen hinein mitten ins Innere des Gebirges, und wie mit einem Schlag verändert sich die Szenerie.

Jede Spur von Ansiedelungen ist verschwunden, die üppige Pracht eines jungfräulichen Neuseeländischen Forstes umfängt uns. Die Strasse wird enger, so eng, dass kaum ein Fussgänger dem Wagen ausweichen kann, und bald auf dieser bald auf jener Seite des murmelnden Bächleins leitet der Rosselenker das Viergespann nach links und nach rechts um scharfe Felsenkanten. Die Biegungen sind so zahlreich und kurz, dass man keine hundert Schritt weit den Weg vor sich sieht und jede Minute glaubt, an der nächsten senkrechten Wand müsse er aufhören. Hohe majestätische Bäume, im Morgenthau glänzendes Strauchwerk und elegante hellgrüne Farne neigen sich über die Strasse, und blaue Eisvögel schwirren vor uns eiligen Fluges ins Dickicht. Einmal tauchen etliche Holzhütten, von kleinen Gärten umgeben, überraschend aus der romantischen Abgeschiedenheit des Busches. Hunde springen bellend an den Zaun und ärgern sich nur noch mehr, wenn unser Kutscher Zeitungen oder Briefe hinüberwirft.

In dem Dorf Johnsonville war die Wasserscheide erreicht, und ein anderes Bächlein schloss sich alsbald an uns an, um in gleicher Richtung mit uns weiterzureisen. Schulkinder, welche nach der Schule wanderten, baten den Kutscher eine Strecke fahren zu dürfen, und wir hielten um sie mitzunehmen. Die Umgebung wurde nun weiter, der Busch wich zurück, und auf einem sumpfigen See schwammen scheue Kormorane und fischten. Eisvögel sassen auf dem die Strasse begleitenden Telegraphendraht wie zu Hause im Herbst die Schwalben.

Eine halbe Stunde später kam Pahantanui[4], eine grössere Farm mit Wirthshaus, wo wir frühstückten. Ein grosses Orchestrion stand im Zimmer, und der Wirth gab uns damit, während wir assen, ein Konzert zum Besten. Selbst die fernsten Erdenwinkel macht bereits diese abscheuliche Maschine unsicher. Zum Glück war das Instrument nicht bei Stimme, und seine Melodien drangen nur leise und gedämpft wie ferne Jahrmarktsmusik durch den plumpen Glaskasten.

[4]: Diese Maori-Namen werden alle deutsch so ausgesprochen, wie sie geschrieben sind, meist mit dem Ton auf der vorletzten Silbe. Die Engländer haben selbst eingesehen, dass ihre Orthographie für die Transskription der polynesischen Sprachen nichts taugt, und schreiben sie mit der deutschen oder italienischen Vokalisation.

Die Strasse, auf der wir kaum merklich ansteigend jene durch Port Nicholson aus der Südwestecke der Provinz Wellington geschnittene Halbinsel durchkreuzten, steht plötzlich vor einem jähen Absturz von 200 Meter, unter welchem gegen einen schmalen Dünensaum der Indische Ozean in langen langsam anrückenden Wogen donnert. Zwei duftig von der Morgensonne verschleierte Inseln sind in die blaue Fläche gebettet, die von unserem erhöhten Standpunkt aus trichterförmig zum Horizont emporgespannt zu sein scheint, Mana Island im Süden und Kapiti Island im Norden. Schnurgerade zieht sich die weisse Schaumlinie der Brandung und der glänzend gelbe Streifen des Ufersandes bis in die allmälig verschwimmende Ferne. Zwei kleine schwarze Pünktchen bewegen sich auf ihr näher. Es sind Maorireiter, die auf dem Strand, der einzigen Verkehrsstrasse dieser Gegend, ihre struppigen Pferde entlang hetzen.

Auch wir mussten dort hinunter. Unheimlich steil klettert die schmale und schlechte Strasse, ängstlich sich an alle Krümmungen der schroffen Bergwand drückend, in die Tiefe. Kein Geländer schützt vor dem drohenden Abgrund, und an den Ecken ist der Rand so schadhaft und nahe, dass die von den Pferdehufen losgeschlagenen Steine unmittelbar in die grüne Schlucht hinabkollern, in der unser Bächlein halbversteckt von Felsblock zu Felsblock hüpft.

Im Innern des Wagens sassen zwei Frauenzimmer, und kaum hatten sie bemerkt, um was es sich handelte, als sie zu jammern begannen und flehten, man möge sie aussteigen lassen. Aber es war zu spät, und maliziös lächelnd trieb der Kutscher das Viergespann bald im Trab bald im Schritt über den gefährlichen Weg. Der Mann flösste mir Respekt ein, und ich begriff jetzt, warum man in Wellington immer, wenn von Postkutschen die Rede war, sich wunderte, dass noch nie eine in den Abgrund gestürzt sei, und wann dies wohl zuerst geschehen würde. Sehr angenehm war es mir, dass uns dieses interessante, mit so grosser Spannung erwartete Ereigniss nicht traf, obwohl die beiden Weiber durch ihr Gekreisch beinahe die Pferde scheu machten, so oft die Kutsche sich nach aussen statt nach der Felswand neigte.

Unten wurden die Pferde gewechselt, und zwar auf einer Station Namens Paikekariki. Dann gings auf die muschelbesäte Beach hinaus, deren nasser Sand 40 Meilen lang eine so vortreffliche feste und glatte Strasse abgiebt, wie man sie nicht besser wünschen kann. Wir bogen rechts und nach Norden. Die Berge wichen zurück, das flache Vorland wurde breiter und überzog sich mit einer fremdartigen Vegetation von wogendem Schilf, von Phormiumgebüsch und von einzeln stehenden Kohlpalmen. Hinter uns tauchten die Konturen der Südinsel aus dem Wasser. Donnernd brach sich zur Linken in endloser Linie die Brandung und goss zuweilen über die sanfte Böschung unseres Pfades breite schaumige Zungen, welche ohnmächtig unter den Hufen und Rädern zerspritzten. Wild und malerisch zerlumpte braune Maoris zu Pferd begegneten uns und frugen nach Briefen. Möven watschelten auf ihren dünnen Beinen im seichten Wasser herum, sahen uns misstrauisch an, unentschieden ob sie auffliegen sollten oder nicht, und thaten es schliesslich doch, als wir sie eigentlich schon überholt hatten.

Brücken giebt es auf dieser Naturstrasse nicht, wenn auch mehrere Flussmündungen sie quer unterbrechen. Wir fuhren einfach durch ihr kiesiges Bett, und unsere Damen im Wagen wurden ersucht, die Beine und das Gepäck auf die Sitze zu nehmen.

An einer der vielen Fuhrten, die sich durch die Regengüsse der letzten Tage verändert haben mochte, bogen wir nach einem weiter innen liegenden Gehöft, um einen Lootsen zu holen. Das Gehöft, mehrere altersschwache Gebäude im Verandastyl, stand in einem ehemaligen Maori-Pa, dessen niedriger Wall und Graben noch deutlich zu erkennen war. Die eine Ecke der Befestigung bildete ein ansehnlicher wenigstens 8 Meter hoher Hügel von weissgewitterten Muschelschalen, den Mahlzeitresten mehrerer Generationen, ein neuseeländischer Kjökkenmödding. Schweine und Hunde bummelten auf dem freien Platze. Drei Maoriweiber sassen vor der Thüre, in grellrothe Decken gewickelt, schwarzgeräucherte Thonpfeifen im Munde, und sonnten sich, zwischen ihnen ein nackter fünfjähriger Junge, der ungestüm mit der Faust auf seine Mutter schlug, bis sie ihm die Brust zum Saugen reichte.

In Otaki, der bedeutendsten Maori-Ortschaft der Strecke, wartete unser im Wirthshaus, dem einzigen von einem Weissen gehaltenen Anwesen, das Dinner. Schon ehe wir Otaki erreichten, wurde die Umgebung kultivirter. Wiesen von kurzem aus England hieher verpflanzten Gras, mit zahlreichen Kohlpalmen, die sich noch nicht hatten verdrängen lassen, besetzt und dazwischen Kartoffelfelder traten auf, als wir die Beach landeinwärts verliessen und nach etlichen Terrainschwierigkeiten mit einmal wieder eine richtige Strasse befuhren, die sich durchs Dorf zog.

Nach einem ziemlich kalten Morgen sandte die Mittagssonne wohlthätig warme Strahlen herab, und die ganze Bevölkerung war aus den Hütten gekrochen. Hübsche braune Mädchen, die tiefschwarzen Haare ungekämmt ins Gesicht hereinhängend, roth und gelbkarrirte Schaltücher nachlässig umgeworfen, lungerten schäkernd herum. Dem Wirthshaus gegenüber hockte eine Gruppe Männer auf dem Boden und war so eifrig in ein Kartenspiel vertieft, dass sie selbst von der Ankunft der Postkutsche keine Notiz nahmen, die doch sonst nicht uninteressant zu sein schien.

Otaki besitzt eine Kirche im modernen Maoristyl, und ich beschleunigte mein Mahl, um für sie noch einige Minuten zu erübrigen. Wie bei allen christianisirten Polynesiern haben sich die Formelemente der alten Architektur im Wesentlichen erhalten, und nur die Dimensionen der Höhe sind bedeutend vergrössert worden, so dass man die jetzigen Bauten aufrecht betreten kann, während man früher nicht anders als auf allen Vieren hinein und drinnen herumkriechen konnte.

Bei der Kirche von Otaki ist das Giebeldach, welches bei Maorihütten flach zu sein pflegt, so spitzig in die Höhe gezogen, dass es den Eindruck eines gothischen macht. Drei roh zugehauene vierseitige Pfeiler stützen in der Mittellinie des Inneren den Giebelbaum. Senkrechte Streifen von massiven Brettern und Schilfgeflecht bilden abwechselnd sowohl die niedrigen Seitenwände als auch das steile Dach. Das Geflecht ist weissgetüncht, und die Holztheile tragen auf rothem Grund ebenfalls weissgemalte groteske und eigenartige Ornamente. Ausser einem Tisch und mehreren Bänken findet sich keinerlei Geräth für den Gottesdienst. Das vorspringende Dach beschirmt den Eingang wie eine Veranda, in der fünfeckigen Frontwand sind zwischen den Bretterstreifen nebst der Thüre lange und schmale Fenster eingesetzt, welche nur wenig Licht durchlassen.

Der Kutscher knallte draussen, ich musste wieder fort. Wir hatten noch eine lange Reise vor uns, und es wurde Nacht, ehe wir unser Ziel erreichten, Foxton, eine junge Stadt von vielleicht 500 Einwohnern.

Als der Abend hereinbrach, fuhren wir noch immer auf der Beach entlang. Der Himmel war wolkenlos, die Luft wurde kühl, glühend sank die Sonne unter den dunklen Meeresrücken, und links vor uns, weit weit draussen über der See schwamm eine auffallend blaue Bergespyramide in der Luft, der altehrwürdige Vulkan von Taranaki Mount Egmont, zu dem sich die Küste in einem weiten, mehr als 100 Kilometer langen Bogen hinüberzieht.

So lange wir auf dem glatten Ufersand fuhren, ging es trotz der Dunkelheit rasch dahin. Fünf grosse blitzende Laternen warfen ihr helles Licht voraus auf den Weg. Die vier Pferde fühlten, dass es galt, das Nachtquartier zu erreichen.

Kurz vor Foxton mündet der Fluss Manuwatu. Ihn zu überschreiten hatten wir eine Fähre etwa zwei Kilometer binnenlands aufzusuchen. Aber es war nicht leicht, den undeutlichen Weg durchs Gestrüpp zu finden, und erst als der Kutscher abstieg und mit einer Laterne rekognoszirte, entdeckte er, dass er zu weit auf der Beach gekommen war und zurückfahren musste. Ein wildes Wirrsal von Phormium und Schilf suchte unsere Fahrt zu hemmen, aber die eifrigen Pferde rissen ungestüm den heftig stampfenden und rollenden Wagen vorwärts, um so ungestümer je hartnäckiger die zähen Pflanzen sie zurückzuhalten strebten, dass die Fetzen davonstoben.

Endlich hielten wir an der Fähre. Lichter glimmten auf der anderen Seite der weiten Wasserfläche. Langsam trug die plumpe schwimmende Brücke, an ein quergespanntes Tau gefesselt, mittels des schräg gehaltenen Steuers durch die Strömung getrieben, Wagen, Pferde und Passagiere hinüber. Im Gallop gings dann durch einen lehmigen Hohlweg hinauf und vors Hotel.

Während wir in dem geräumigen Speisesaal des köstlichen, äusserst reinlich servirten Abendmahles genossen, bei welchem der Kutscher präsidirte gleichwie der Kapitän eines Schiffes, lungerten draussen in der schmutzigen und räucherigen Schnapsstube ein paar Maorifrauenzimmer herum, mit Hut und Schleier Europäerinnen imitirend, und betranken sich.

Seit wenigen Wochen war die Eisenbahn von Foxton nach Palmerston, eine Strecke von ungefähr 37 Kilometern, dem Verkehr übergeben. Mit Tagesanbruch sollten wir auf ihr weiterreisen und legten uns deshalb zeitig zu Bett.

Das Hotel war voll, und ich wurde mit drei anderen Reisenden zusammen in ein Zimmer gesteckt. Unter diesen befand sich ein europäisch und verhältnissmässig fein gekleideter Maori, der morgen früh mit demselben Zuge wegzufahren beabsichtigte. Er war beständig in Furcht nicht zur richtigen Zeit aufzuwachen, machte alle Stunden Licht und sah nach der Uhr, und als Mitternacht vorüber war, zündete er sich seine Pfeife an und rauchte, um ja nicht mehr einzuschlafen. Diese Unruhe störte auch unseren Schlaf, und die zwei anderen Weissen begannen zu schimpfen. Mich selbst liess die Neuheit des braunen Kerls tolerant gegen sein Benehmen, und ich blieb unparteiischer Zuhörer des Streites, in welchem der Maori sehr viel Gutmüthigkeit und Naivetät, die zwei Weissen sehr viel Gehässigkeit zu entwickeln schienen.

Die kurze Strecke Eisenbahn zwischen Foxton und Palmerston war, wie bereits erwähnt, erst seit ein paar Wochen eröffnet, und der Betrieb noch überaus primitiv und bummelhaft gemüthlich. Eine aussergewöhnlich kleine Maschine mit Tender und zwei Personenwagen amerikanischen Styls bildeten den ganzen Zug. Ziemlich lange schon war die fahrplanmässige Abfahrtszeit vorüber, die Passagiere trippelten laut vor Kälte und Ungeduld mit den Füssen, die Lokomotive summte, aber Maschinist und Schaffner fehlten noch. »Charly, Charly« rief der Billeteur durch die Hinterthüre des Miniaturstationsgebäudes nach einer Kneipe hinüber, und auch wir riefen aus Leibeskräften »Charly, Charly«. Jedoch Charly kam nicht. Wir stiegen wieder aus, und erst eine Viertelstunde später erschien mit einem Rudel Freunde der Schaffner, frug nach dem Maschinisten und ging ihn suchen, worauf sogleich dieser erschien und nun den Schaffner suchen ging. Und als endlich beide sich gefunden hatten, und der Zug in Bewegung war, musste nochmals gehalten werden, weil man den Briefsack vergessen hatte.

Norddeutsche Freunde sagen meinem edlen baiuvarischen Vaterlande nach, dass dort Eisenbahnzüge an allen Stationen länger hielten, wo die Kondukteure gutes Bier wüssten. In Neuseeland würde ich dies unbedingt für möglich halten, wenn es in Neuseeland überhaupt einen Stoff gäbe, dem der Baiuvare den Namen Bier zuerkennen möchte.

Es ging durch flaches dünenartig welliges Land, vorne im Osten erhoben sich blaue Berge. Farn bedeckte weithin den Boden und machte von ferne den Eindruck unseres heimischen Haidekrauts. Dunkle Büschel von Phormium tenax und die graziösen Rispen von Arundo conspicua, bald vereinzelt, bald dichter zusammengedrängt, ragten darüber hervor, Schilfhütten und Zelte lagen zerstreut und kaum erkennbar in die übermannshohe Vegetation eingebettet. Männer, Weiber, Kinder und Hunde standen zuweilen oben am Rande der Bahneinschnitte, sahen herab auf unseren gemächlich dahin wackelnden Zug, und kalt glänzte hinter ihren dunklen Gestalten der wolkenlose Morgenhimmel. Die Passagiere froren und klopften mit den Füssen, und in der frostigen Stimmung, die ringsum herrschte, bedauerte ich herzlich jene armen Wilden, die hier in einer so unwirthlichen Landschaft ohne genügende Wohnstätten und ohne genügende Kleidung leben mussten. Hie und da kamen dann auch Maorihütten, die einer höheren Kulturstufe angehörten, bis zu europäischen Holzhäusern mit Veranden hinauf. Aber nur wenige Fenster waren ganz an diesen, und alle Theile, Dach und Wände, hatten Defekte und trugen den Stempel der Verlotterung.

Ein hoher Busch nahm uns auf. Der Durchhau für die Bahn war so schmal, dass über ihm die Bäume zusammenschlugen und eine grandiose Laube bildeten. Weisse Zelte, über deren Eingang häufig ein Stück rohen Fleisches hing, guckten hie und da aus dem Dickicht, die Nachtquartiere von Bahnarbeitern. An einer Stelle mussten wir halten, weil die Schienen momentan nicht in Ordnung waren. So quälten wir uns langsam durch diesen herrlichen Busch, dessen Genuss die Kälte schwer beeinträchtigte.

Die Gesellschaft, meist männlichen Geschlechts, war einsilbig und verfroren und roch nach Schnaps. Nur mein Schlafgefährte der letzten Nacht, der eisenbahnfiebrige Maori, war munter und redselig.

Er hatte in mir einen ausnahmsweise wohlwollenden »Pakeha« (Europäer) erkannt und suchte mich unausgesetzt zu unterhalten, und wenn ihm gerade nichts zu schwatzen einfiel, so blinzelte er mir wenigstens freundlich mit den Augen zu. Er machte mich auf seine schöne Bekleidung aufmerksam, auf seine Stiefel, die bis zum Knie reichten, und dass er Unterhosen trug. Alles musste ich bewundern und befühlen, Hose und Weste, Stiefel, Rock und Hut. Ganz besonders stolz aber war er auf seine goldene Uhr, die er überlegen lächelnd meiner silbernen gegenüberhielt. Und von jedem dieser Artikel sagte er mir den Preis und war erstaunt, vielleicht auch misstrauisch, als er mich umsonst um den Preis der meinigen frug, den ich nicht mehr wusste. Er war schwer zu verstehen, obwohl er besser englisch sprach, als je ein anderer Maori vor oder nach ihm, mit dem ich in Berührung gekommen bin. Aber die Aussprache des »S«, welcher Buchstabe im Maori, wie in den meisten polynesischen Sprachen fehlt, machte ihm grosse Schwierigkeit und gelang auch ihm nicht immer. Statt »Sixpence« sagte er »Hickipenni« und »Chilling« statt »Shilling«.

Das Wetter verdüsterte sich, ehe wir in Palmerston ankamen, wo jenseits eines freien Platzes, auf welchem noch die frischen Stümpfe gefällter Bäume aus der Erde hervorstanden, das Hotel mit dem Frühstück und davor die bereits angespannte Postkutsche unser harrten.

Palmerston bot mir das richtige Bild einer hinterwäldlerischen Ansiedelung. Ringsum ist Busch. Ausser ein paar grösseren Holzhäusern sieht man nichts als ganz kleine, niedliche Hütten, eine genau wie die andere, ebenfalls aus Holz und nur die ziemlich geräumigen Schornsteine gemauert, durch das weithin gelichtete Terrain zerstreut. Vereinzelt stehen noch etliche Bäume in ihrer ganzen gigantischen Höhe und vermehren dadurch die Winzigkeit der Hütten. Sägemühlen dampfen geschäftig, und schwere Blockwagen tragen ihnen die Riesen des Waldes zu.

Eine halbe Stunde von Palmerston entfernt erreichten wir wieder den schmutzigen Manuwatufluss und eine Fähre, um abermals, zurück nach dem linken Ufer, überzusetzen. Die Pferde wurden ausgespannt, und der Wagen mit vereinten Kräften der Fährleute und des Kutschers an der Deichsel und an Stricken, das Hintertheil voran, den steilen, lehmigen Uferrand hinabgelassen auf eine Platform aus Brettern, welche auf zwei schwächlich aussehenden Kähnen ruhte, denen ich ohne diese Probe eine solche Tragfähigkeit niemals zugetraut hätte. Dann kamen paarweise die Pferde, und zuletzt die Passagiere, ausser mir eine Dame mit einem kleinen Mädchen, an die Reihe, so dass die Prozedur des Uebersetzens ungefähr eine halbe Stunde in Anspruch nahm.

Bald nach diesem nautischen Intermezzo erreichten wir die Berge und die wegen ihrer halsbrecherischen Gefährlichkeit berühmte Strasse durch die Manuwatu Gorge, von der man sich in Neuseeland in höherem Masse, als von irgend einem anderen Punkt der Postlinien wundert, dass sie noch nie eine Kutsche zu Fall, das heisst zum Sturz in den Abgrund gebracht hat. Etwa dreissig Meter unter uns zur Linken toste der Manuwatu über Felsblöcke und Baumstämme, zur Rechten war eine steile, zuweilen drohend überhängende Felswand, und wäre eines der vier Pferde scheu geworden, nichts hätte uns gehindert, hinabzustürzen.

Ein überaus herrlicher Busch baut sich jenseits in die Höhe, unzweifelhaft das Schönste, was ich je an Waldszenerie gesehen. Das helle Grün elegant geformter Farnbäume strahlt prangend aus den dunkleren Farben üppigen Unterholzes und majestätischer Baumriesen, an denen Schmarotzerpflanzen in buntester Mannigfaltigkeit sich hinanschlingen. Wunderbar leicht und graziös wachsen alle diese Laubmassen auseinander hervor, von den überhängenden Zweigen unten, die ins Wasser des schäumenden Gebirgsstromes tauchen, bis hinauf zu den luftigen Höhen, in denen sich die Wipfel der Totaras wiegen. Tiefe Ruhe und Einsamkeit lagert über dem Ganzen, nur selten unterbrochen durch das dann um so befremdender klingende seltsame Geschrei eines aufgeschreckten Papageis oder Tuis, die wenige Augenblicke sichtbar, über den Busch hinwegfliegen, um sogleich wieder in den geheimnissvollen Schatten einer dunklen Laubhöhle zu tauchen. Nur Tauben sind weniger vorsichtig und bleiben oft sitzen, bis wir so nahe sind, dass wir sie schiessen könnten. Schade, dass die gefährliche Situation den Genuss all dieser Schönheit störte. Immer wieder wurde das Auge nach dem Boden abgelenkt, der kaum einen Fuss von den Rädern fast senkrecht abgeschnitten war.

Noch eine Biegung, eine hochbeinige hölzerne Brücke erscheint, wir poltern donnernd im Gallop über sie hinweg. Die gefährliche Gorge ist hinter uns, aber auch die schöne romantische Szenerie ist vorüber, und die Ansiedelung Woodville zieht sich an der Strasse entlang, auf welcher Schaaren gesund und fröhlich blickender Kinder uns entgegen lärmen. Die Brücke ist zugleich die Grenze zwischen den Provinzen Wellington und Napier, und wir befinden uns nun in der letzteren. Bis nach Takapau, unserem Nachtquartier, ging es durch den Seventy Miles Busch und hauptsächlich durch skandinavische Ansiedelungen, deren eine den Namen Danewirk führt.

Mittag machten wir in einem einsamen Gehöft, in dessen Nähe ich die ersten Maorihütten im alten Style sah, niedrig und mit vorspringendem Dach tief in der Erde steckenden Schweizerhäuschen nicht unähnlich, melancholisch öde, ohne Menschen, nur von einigen weidenden Pferden umgeben. Ein altes Maoriweib begegnete uns in Lumpen gehüllt, blieb oft stehen und saugte gierig an einer Medizinflasche, welche einen röthlichen Stoff, wahrscheinlich Rum enthielt.

Unser Nachtquartier Takapau bestand aus einem Gebäude, welches den stolzen Namen »Railroad Hotel« unter dem Giebel trug. Hinter ihm jungfräulicher Urwald, vorne eine wellenförmige Stoppel und Moorebene, von einer Eisenbahn weit und breit nichts zu entdecken. Der Schienenstrang von Napier her war vorerst noch nicht über das Stadium des Projektirtseins hinausgekommen, aber doch gab es hier in der Wildniss bereits ein Railroad Hotel.

Am nächsten Tag, der uns nach Napier bringen sollte, kamen wir zum Dinner an eine höhere Stufe der durch die künftige Bahn bedingten Entwicklung. Waipakarao hiess der Ort, ein Dorf der Zahl, ein Städtchen dem Aussehen seiner Häuser nach, die alle neublinkend in einer Reihe stehen, ringsum weitgestreckte Wiesenflächen. Es berührte komisch, mitten in solcher Ländlichkeit die Aufschrift »Bank of New Zealand« zu lesen. Grossartige Geldgeschäfte waren in dieser Filiale wohl noch nicht abgemacht worden. Indess war hier die Eisenbahn schon im Bau begriffen, die Gegend ist fruchtbar, und aus der einen halben Strasse kann sich in kürzester Zeit eine blühende Stadt entwickeln.

Dass es in Waipakarao viel Vieh geben musste, darauf deuteten die allenthalben auf den Wiesen errichteten Schlachtgalgen hin. Ich hatte diese eigenthümlichen Gerüste, welche dazu dienen, die unglücklichen Rinder mittels eines Rades in die Höhe zu winden, um sie bequemer zu tödten und abzuhäuten, aus der Ferne für Ziehbrunnen gehalten, bis ich sie näher betrachtete und die blutigen Spuren ihres Zweckes einsah.

Unweit davon kreuzten wir den Tukituki Fluss in der landesüblichen Weise, indem wir einfach hindurchfuhren, neben der Eisenbahnbrücke, die in den nächsten Tagen vollendet sein sollte. Bald darauf gings durch das Städtchen Waipawa und über den Eisenbahndamm, vor welchem bereits eine funkelnagelneue Tafel »Look out for the Locomotive« warnte.

Wieder kam eine Stunde menschenleerer Einsamkeit, und unter einem immer düsterer werdenden Himmel dehnte sich eine wüste gelbgebrannte Steppe, durch welche ein ausgetrocknetes kiesiges Flussbett mit einem dünnen Wasserfaden sich schlängelt. Phormiumdickichte und die seltsamen starren Büschelköpfe der für Neuseeland so charakteristischen Cordyline australis, einzeln oder zu kleinen Wäldchen gruppirt über jene hervorragend, sahen fast aus, als ob sie einer früheren geologischen Epoche angehörten und nicht mehr in unser Zeitalter passten. Ringsum Todesstille. Selbst Pferde und Wagen sind kaum hörbar auf dem weichen Rasen, der ab und zu den schwarzen Moorboden bedeckt.

Eine einsame Seemöve flog unstät ihre Richtung ändernd über die düstere Landschaft. Hatte sie sich verirrt, oder fliegen hier die Möven über ein hundert Kilometer breites Land von einer Küste zur anderen, oder war es eine darwinistisch gesinnte Möve, die des wilden Seelebens satt sich in den Kopf gesetzt hatte, ein ehr- und tugendsamer Landvogel zu werden? Der Weg wurde wieder herzlich schlecht und nahm stellenweise den Charakter eines richtigen Moorsumpfes an, in den die Räder tief einschnitten, bis wir endlich eine Hügelkette erreichten. Jenseits derselben begann ein Wald, der stellenweise gelichtet und mit den Hütten von Holzschlägern durchsetzt war. Diese Hütten hatten alle nicht nur hölzerne Wände und Dächer, sondern auch hölzerne Schornsteine, aus schweren grob gearbeiteten Bohlen flüchtig zusammengezimmert und grossentheils halbverkohlt.

Kurz vor Te Aute sahen wir in der Ferne einige Maorigehöfte, und bald darauf passirten wir eine noch interessantere Stätte. »Dies ist die Repudiation Office« sagte mit spöttischem Ausdruck der Kutscher, indem er auf eine durch Neuheit glänzende Hütte wies, und machte mich dadurch auf eine berechtigte Eigenthümlichkeit Neuseelands aufmerksam, von der ich noch nichts wusste.

Bekanntlich hatten die Engländer in Folge schreiender offiziell sanktionirter Ungerechtigkeiten von 1860 bis 1870 einen zehnjährigen Krieg mit den Maoris zu bestehen, welcher ihnen oft Gelegenheit gab, soviel Respekt vor der Tapferkeit und Kriegsfähigkeit dieser sogenannten Wilden zu bekommen, dass sie sich nunmehr ängstlich hüten, abermals mit ihnen anzubinden. Die weissen Ansiedler müssen heutzutage das Land, was sie von den Maoris haben wollen, auf ehrliche Weise erwerben, und die gute alte Zeit, in welcher man sich grosse Besitzthümer erschwindeln konnte, ist vorüber. Nun aber entstand eine Partei, welche vorgiebt, dass ihr dieser einfache goldene Mittelweg der Gerechtigkeit noch nicht genüge, und behauptet, sich in ihrem Gewissen so lange bedrückt zu fühlen, bis alle seit undenklichen Zeiten geschehenen Landkäufe geprüft und wenn nicht in Ordnung befunden, rückgängig gemacht worden sind. Solch hoher Edelsinn konnte natürlich nicht verfehlen, sofort die Herzen der Maoris zu gewinnen. Die Gegner freilich waren der Ansicht, dass es nur ein Blendwerk sei, unternommen um die treuherzigen Wilden desto sicherer auszubeuten. Das ungefähr verstand man damals unter Repudiation Party, und die neue Holzhütte an der wir vorüberfuhren, war eines der Hauptquartiere, die Repudiation Office von Te Aute, bestehend aus einem Direktor, zwei Advokaten und zwei Dolmetschern.

Bis nach Te Aute kam uns die fertige Eisenbahn entgegen, und in einem auffallend komfortablen und eleganten Wagen fuhren wir nach Napier. Ein geschwätziger, alter Herr, ein reichgewordener »Schafbaron« sass neben mir und erklärte mir die Gegend. Das Land zwischen Te Aute und Napier ist flach und ganz im Gegensatz zu den bisher gesehenen, weniger kultivirten Gegenden Neuseelands saftig grün von erst kürzlich gesäetem englischem Gras. Ueberall weiden Schafe. Auf einem Farnhügel stand ein alter Maori-Pa, der jetzt nur mehr wenige Hütten enthielt. Noch ragten zwei schlanke Pfeiler, nach oben etwas anschwellend und mit ornamental geschnitzten Kapitälen ähnlich den Gondelpfosten zu Venedig empor, deren früher hier hunderte gewesen sein sollen. Sie waren einst ein charakteristischer Schmuck der befestigten Dörfer.

Als wir Napier erreichten, war es bereits Nacht. Ich fuhr in einer Droschke ins Kriterion Hotel, berühmt in ganz Neuseeland durch seine grossartige und kostspielige Anlage, sowie auch durch die Marotte des reichen Besitzers, der diesem unrentirlichen Institut zu Liebe jährlich einen Theil seines Einkommens zusetzt.

Napier, ein Städtchen von 3000 Einwohnern, ist auf und um einen Sandsteinfelsen gebaut, der isolirt mitten aus niedrigen marschigen Ufern in die weite Hawkes Bay hineinragt und nur durch einen schmalen, theilweise von Menschenhand gebildeten Deich mit dem Hauptland zusammenhängt. Nach innen eine Lagune, nach aussen der weite Ozean, ohne Unterlass seine Wogen gegen flache Dünen heranrollend, sind die Begrenzungen. Falls die Brandung hier jahraus jahrein mit derselben Heftigkeit fortdonnert, wie ich sie während der zwei Tage meines Aufenthalts gehört, beneide ich die Bewohner Napiers nicht um ihre so malerische Lage. In den Häusern am Strande konnte man damals nur schreiend und mit dreifachem Kraftaufwand konversiren.

Ein Theater in »Oddfellows Hall«, ein Lesekabinett »Athenäum« genannt, wie es in jedem Städtchen Neuseelands zu finden ist, eine Irrenanstalt und ein Gefängniss, die Post und die Provinzialregierung sind die öffentlichen Gebäude, alle natürlich von Holz, aber stylvoll konstruirt, um welche sich, theils zu geschlossenen sauberen Strassen gereiht, theils mit Gärten umgeben, Häuser jeglichen Grades von Kultur gruppiren bis hinab zu den aus Brettern und Leinwand, aus Blechfetzen und Pappendeckel lumpig zusammengeflickten Hütten der ärmeren Maoris.

Es giebt viele Maoris hier und in der Umgebung, und manche von ihnen erfreuen sich grosser Wohlhabenheit und leben vollkommen europäisch. Braune Kavaliere und Damen zu Pferd scheinen zu den häufigen Erscheinungen zu gehören. Die Männer sitzen stets tadellos im Sattel und sind oft prächtige, martialische Gestalten. Den Weibern aber fehlt trotz des wallenden, langen Kleides, trotz des Zylinderhutes mit fliegendem Schleier und trotz der zierlich in behandschuhter Hand gehaltenen Reitgerte jene leichte Grazie, die uns englische Amazonen in Hyde Park so anziehend macht. Ihre Züge sind unweiblich grob, ihr schwarzer Haarwust meist nicht genug gepflegt, und in allen Bewegungen ist soviel Urwüchsiges, Eckiges, dass ihr Vornehmthun höchstens komisch, wenn nicht gar abgeschmackt wirkt.

Da wo die Lagune sich in die See öffnet, ist der Hafen. Nur wenige und nur kleinere Fahrzeuge lagen in ihm, als ich ihn besuchte. Einsamkeit liebende Kormorane trieben sich daneben herum und fischten, so tief im Wasser schwimmend, dass blos die schlangenförmig langen Hälse herausguckten und an Ringelnattern erinnerten, die in einem Sumpf auf Frösche Jagd machen. Mehr menschliches Treiben herrschte in einigen Werkstätten am Kai, in denen eifrig an Dampfkesseln gehämmert wurde, und um die herum eine kleine Vorstadt im Aufblühen begriffen war.

Von Napier ging es in zwei Tagereisen nach Tapuaeharuru am Taupo-See. Da man mir sagte, dass die Postkutsche schon des Morgens um 5 Uhr von einem isolirten Wirthshaus an der anderen Seite der Lagune abfahren sollte, verliess ich den Abend vorher das schöne, vortreffliche Kriterion Hotel und quartierte mich drüben ein. Ich lernte in diesem Wirthshaus eine Spelunke kennen, welche von einem Schotten gehalten, nicht nur mit dem Kriterion Hotel, sondern auch mit Allem, was ich jemals von englischem Komfort und englischer Reinlichkeit gesehen, den diametralsten Gegensatz repräsentirte.

Nach einer sehr schlechten Nacht wurde ich nebst vier Reisegefährten, die sich noch nach mir eingefunden hatten, endlich um vier Uhr, als es noch dunkel war, geweckt und genöthigt, ein Frühstück zu nehmen oder vielmehr blos zu bezahlen, da keiner in so zeitiger Stunde und bei dem überall im Hause herrschenden Gestank essen konnte. Es war dies eine unverschämte Tyrannei des mit den Wirthsleuten im Bunde stehenden Kutschers, der uns zwei Stunden später, als wir alle Hunger hatten, an einem freundlich aussehenden Gehöft vorbeitrieb und gleichsam höhnisch bemerkte, dass dies ehemals die Frühstücksstation gewesen sei, dass er aber den Eigenthümer für irgend einen Zwist durch Entziehung der betreffenden Einnahme gestraft habe.

Unsere Fahrt begann unter keineswegs heiteren Auspizien. Der Wagen war den zu überwindenden Terrainschwierigkeiten angemessen beiderseits einen Fuss schmäler als die Radaxen und gewährte kaum vier Passagieren hinreichend Raum im Innern. Es regnete, keiner wollte auf dem Bock aussen sitzen, und alle fünf drängten sich innen zusammen, alle fünf nervös durch Hunger und dementsprechend unliebenswürdig.

Von Gegend war wenig zu sehen, und eine Hecke von mächtigen Agaven, womit man ein Stück angepflanztes Land zum Schutz gegen weidende Rinder und Pferde umzäunt hatte, war lange Zeit das einzige Interessante. Es überraschte mich, dass diese Abkömmlinge der Wüste in einem so feuchten Lande ganz gut zu gedeihen schienen.

Der Weg hörte bald auf, einer im europäischen Sinn zu sein. Wir fuhren durch eine Schlucht aufwärts, durch welche ein Fluss in einem kiesigen Bett sich herabschlängelte, welchen wir fast jede Minute, das Wasser hoch emporspritzend, passirten, jetzt nach dieser, dann nach jener Seite, da das uns als Strasse dienende flache Ufer bald links bald rechts von den Windungen angeschwemmt war. Meine Gefährten behaupteten, wir müssten fünfzig mal durch den Fluss, es wird aber wohl nicht viel öfter als zwanzigmal gewesen sein. Nur zweimal kam das Wasser in die Kutsche, und hatten wir die Beine aufzuheben um trocken zu bleiben.

Da der Wagen sehr eng und unbequem, und die Mitpassagiere sehr breit und rücksichtslos waren, kam mir ein steiler Berg äusserst erwünscht, um auszusteigen und zu Fuss vorauszugehen. Je höher ich kam, desto seltener wurde Phormium, Kohlbaum und Gebüsch und desto ausgedehnter dichtes Farnkraut bis schliesslich ringsum nichts anderes mehr zu sehen war, als jene eigenthümliche, einförmige Farnhügellandschaft, wie sie wohl nur in Neuseeland vorkommt.

Sie wirkt durchaus unmalerisch, diese Farnhügellandschaft. Ueberall weiche, wellenförmige Konturen und ebenso weiche, unbestimmte Schatten, nirgends eine kräftige Linie, nirgends eine markirte, dunklere Tiefe, alles ist düster olivengrün. Man sieht weit über niedrige Hügel und seichte Thäler. Hier und dort sind vielleicht aus Zufall, vielleicht zu Kulturzwecken grössere Partien abgebrannt und heben sich als schwarze landkartenartige Flächen, mit unregelmässig gebuchteten Konturen halbversengten röthlichen Farnkrautes umsäumt, von der monotonen Umgebung ab. Dies und vorüberjagende Nebelmassen brachten allein einiges Leben in das melancholische Bild. Der Regen hatte zwar aufgehört, aber der Himmel war grau, und immer kälter und feuchter wurde die Luft, und der Dampf, der den mühsam die Kutsche heraufschleppenden Pferden entstieg, war mehrere Minuten sichtbar, ehe diese selbst zwischen den Farnböschungen der lehmigen Strasse auftauchten. Nicht ganz parallel mit dieser und mehr in gerader Linie läuft der Telegraph auf und nieder durch die Wildniss, schon von ferne die Richtung zeigend, die wir einschlagen, und die Höhen, die wir noch erklimmen müssen. So einsam und todesstille war die Gegend, dass es ordentlich überraschend und befremdend war, einem Menschen zu begegnen.

Erst als es wieder abwärts ging, einen sehr gefährlichen Absturz hinab, erschienen mehr Spuren von Zivilisation, und endlich auch das heissersehnte Mittagessen in einem Hotel am Saume der Buschregion. Mit Staunen sahen wir zurück auf die Bergkanten und die sie verschleiernden Wolken, aus denen wir gekommen waren.

Blockhäuser und Pallisadenbefestigungen traten auf, sowie Soldaten der Konstabulary Force, die hier in kleineren Abtheilungen theils zum Strassenbau, theils vielleicht auch zum Schutz gegen die Eingeborenen, denen man noch nicht recht traut, an der ganzen Poststrasse entlang stationirt sind.

Diese Soldaten tragen viel zur Rassenkreuzung bei. Ein Maoriweib mit einem halbweissen Kind bat den Kutscher, ob sie nicht eine Strecke mitfahren dürfe, und wir nahmen sie zu uns in den Wagen, wo sie sehr verlegen in der Mitte auf den Boden sich niederkauern wollte und nur ungern die Kniee eines der Gefährten als Sitz akzeptirte. Ihre Schüchternheit schien mir indess mehr Furcht vor Verachtung und schlechter Behandlung als keusche weibliche Zurückhaltung zu sein.

Unser Nachtquartier, welches wir äusserst ermüdet von dem unbequemen Fahren erst spät in der Nacht erreichten, war Tarawera, worunter ein Wirthshaus mit vielen Nebengebäuden und eine mit Pallisaden befestigte Kaserne der Konstabulary Force in der wilden Gebirgsforstromantik einer Thalschlucht, durch welche ein Giessbach tost, zu verstehen ist.

Wir hatten die Gaststube mit der zwar kaum ein Dutzend Köpfe zählenden, aber dafür desto lebhafteren Soldateska des Platzes zu theilen. Schnaps war auch hier der Genius loci. Unter all den Söldlingen aber ragte an Durstigkeit ein deutscher Landsmann weit hervor. Leider war es mein Loos, seinen Patriotismus herauszufordern. Entzückt, mit mir wieder seine Muttersprache zu reden, wich er nicht mehr von meiner Seite und hörte nicht mehr auf, mir ebenso unermüdlich als unzusammenhängend von seinen Abenteuern zu erzählen, bis er selig unter den Tisch versank.

Am nächsten Morgen fuhren wir im Gebiet der Provinz Auckland dahin. Tarawera war die Grenze von Napier gewesen. Den ganzen Vormittag ging es bergauf und bergab, was mir sehr angenehm war, da ich so nur wenig im Wagen zu sitzen brauchte und vorangehen konnte. Nicht nur die Unbequemlichkeit unseres Beförderungsmittels, sondern auch die zweifelhafte, wenig amüsante Gesellschaft meiner Gefährten, die sich grösstentheils damit unterhielten, einander auf die Füsse zu treten, trieben mich an, jedesmal so viel Vorsprung als möglich zu gewinnen. Ein sehr primitives Postamt stand neben dem Wege, ein Holzkasten, an einen Baum genagelt. Unser Kutscher öffnete das Schloss, ob keine Briefe drin seien und legte einen Pack Zeitungen hinein.

Die Berge und der Busch hörten auf, und ein weites Hochmoor öffnete sich. Hier machten wir Mittag in einer ziemlich rauhen Wohnstätte.

Es war eine Station, mehr des Pferdewechsels halber als zur Bequemlichkeit der Passagiere angelegt. Ein paar niedrige Hütten aus Pfählen, Erde und Stroh, mit einigen abgezäunten Vierecken umgeben, dienen den Postpferden und einem vereinsamten alten grämlichen Stallmeister zur Wohnung. Grämlich wie sein Beherrscher ist der ganze Platz. Pfützen bilden die nächste Umgebung, das schwarze mit gelben Stoppeln besetzte Moor die weitere. Pferde und Schweine trieben sich zwischen den Zäunen umher, und in der Wohnhütte, welche zugleich uns als Speisesaal diente, ein Dutzend Katzen, die einer Sage zufolge zu kulinarischen Zwecken gezüchtet wurden.

Aus zähem gekochten Rindfleisch, Schiffszwieback und Thee bestand die höchst unkomfortable Mahlzeit. Tisch war keiner vorhanden und an Stühlen nur einer mit drei Beinen. Eine Kiste, ein Eimer, ein Hackstock und das Laubbett waren unsere Sitze und die eigenen Kniee die Tische für die blechernen Teller, auf denen wir mit stumpfen, unsauberen Messern das widerspänstige Fleisch zu zerreissen suchten. Auf der einen Seite drohte das grosse Feuer von mannslangen Baumstämmen uns zu versengen, auf der anderen flog durch die offene, nicht zu schliessende Thüre vom Wind herumgewirbeltes Laub auf unsere Speise. Die zwölf Katzen miauten aufgeregt vom süssen Duft durcheinander und suchten uns die Bissen vom Munde wegzukrallen, und zuweilen kam ein dickes, schwarzes Schwein und schnüffelte neugierig zur Thüre herein.

Der Alte war im höchsten Grad unglücklich über die aussergewöhnlich starke Zahl seiner Gäste und die Ueberfüllung der Hütte. Und als nun gar einer von uns die Suppe, die er für sich selbst bei Seite gesetzt hatte, umstiess, und sich herausstellte, dass gerade dieser nicht bezahlen konnte, und zugleich ein paar Gäule durch den Zaun gebrochen waren und ein Loch in die Rasenwand seiner Hütte zu fressen begannen, und als bald darauf eine Gesellschaft von Maoris zu Pferde angesprengt kam und gleichfalls zu essen haben wollte, da kannte seine Aufregung keine Grenze mehr. Zu allem Ueberfluss reizte es den Muthwillen meiner Gefährten, ihn noch schlimmer zu ärgern und in alle Töpfe und Schubladen junge Katzen zu stecken, wobei ich nur verhindern konnte, dass sie die Töpfe ans Feuer schoben. Und als der Alte nach einigen Minuten draussen sich ausgeflucht hatte und wieder hereinkam, und aus jeder Ecke und aus jedem Winkel die dünnen Stimmchen der kleinen Katzen quieksten, da war es höchste Zeit, dass wir aufbrachen und den alten einsiedlerischen Kaliban in seiner Wildniss und mit seinem Zorn allein liessen.

In Opipi, dem pallisadirten Hauptquartier und Sitz des Majors der Konstabulary Force, wo wir durch die in solcher Oede auffallende Erscheinung europäischer Damen überrascht wurden, war der höchste Punkt unseres heutigen Weges und überhaupt meiner ganzen Reise durch Neuseeland, 600 Meter über dem Meere erreicht. Ueber eine sanft abfallende Fläche ging es rasch dem grossen See Taupo Moana zu, dessen Spiegel alsbald uns entgegen glitzerte.

Noch eine Biegung des Weges, und aus der vor uns liegenden Hügelreihe stieg eine weisse Dampfsäule empor wie von der Lokomotive eines fernen Eisenbahnzuges. Wir waren im Gebiet der hochberühmten heissen Quellen und Geyser von Neuseeland.

Ich weiss nicht, welchem geheimen psychologischen Faktor ich es zu verdanken hatte, dass ich jenen interessanten Punkt der Erde mit einer Art Enthusiasmus und einer gewissen Andacht betrat, deren ich mich nicht mehr fähig hielt, und die ich in jüngeren Jahren empfunden hatte, als ich zum ersten mal das Meer erblickte. Jedenfalls trug diese gehobene, ungewohnt affirmative Stimmung wesentlich dazu bei, mir den Genuss des Lake-Distrikts zu erhöhen und mich die Unbilden der Witterung und der Gesellschaft, der schlechten Strassen und der schlechten Transportmittel ignoriren zu lassen.

Kaum war uns jene erste Dampfsäule zu Gesicht gekommen, als auch meine geistreichen Gefährten sofort in der Luft herumzuriechen und mit ihren Nasen auf den Schwefelgeruch der heissen Quellen zu fahnden begannen, über den sie zarter fühlend sich lange beklagten, ehe ich etwas davon wahrnehmen konnte. Dies schien für sie zum guten Ton zu gehören. Sie waren schon oft hier gewesen, die Quellen selbst aber hatte noch keiner besucht.

Noch etwa zwei Meilen führte die Strasse am bimssteinbesäeten Rand des Sees dahin, und wir waren in Tapuaeharuru als es eben dunkel zu werden anfing.

Die Umgebung dieses vorgeschobenen Postens europäischer Kultur ist ein vollendetes Bild unfruchtbarer Wildniss und menschenleerer Einöde. Kein Fahrzeug belebt die weite grüne Fläche des Sees, dessen Wellen monoton an die Lehmwände des Ufers schlagen, kein Baum ist zu sehen, ringsum nichts als Farngestrüpp und Manukagebüsch. Vereinzelte kuppenförmige Berge ragen zwischen wellenförmigen Hügeln hervor. Die schneebedeckten Gipfel des Ruapehu und des feuerspeienden Tongariro, welche bei klarem Wetter den südlichen Hintergrund des Sees bilden, waren von den Wolken dicht verschleiert. Ausser fünf oder sechs Holzhütten zwei grössere Gebäude mit Stallungen und etwas weiter entfernt die mit Pallisadenzaun befestigten Baracken der Konstabulary Force geben allein Andeutungen einer weissen Bevölkerung.

Und mitten in diesem unwirthlichen Erdenwinkel ein vortreffliches Hotel, welches allen Anforderungen englischen Komforts entspricht, mit guten, reinlichen Betten und tadelloser Nahrung, geleitet von einem deutschen Landsmann aus der Rheinprovinz, der hier, nur durch einen jungen, erst kürzlich eingewanderten Italiener unterstützt, ohne weiteres Dienstpersonal alle Obliegenheiten seines Geschäftes erfüllt, und in seiner Person zugleich Koch und Kellner, Stallmeister und Stubenmagd repräsentirt! Wie würde der Gastwirth des ordinärsten Dorfes bei uns verächtlich und entrüstet thun, wenn man ihm zumuthete, Stiefel zu wichsen, Betten zu machen und Zimmer auszufegen. Ich habe aber in einem deutschen Dorf oder Städtchen nie so reinlich und gut geschlafen und gegessen als dort in dem fernen isolirten Tapuaeharuru mit seinem Dutzend Holzhütten.

Unsere Ankunft versammelte die spärliche Einwohnerschaft des Ortes, für welche die beiden Postwagen von Napier südlich und von Tauranga nördlich her zweimal jede Woche die wichtigsten Ereignisse sind. Der Wagen von Tauranga war ohne Passagiere gekommen, der unserige aber brachte deren fünf, eine in dieser Jahreszeit ungewöhnlich hohe Zahl.

Sechs oder sieben Soldaten, aus welchen ungefähr die ganze bewaffnete Macht bestehen mochte, schlenderten von ihrer Pallisadenkaserne drüben herbei, etwa eben so viele junge Maoriweiber, mit welchen erstere in wilder Ehe zu leben pflegen, tauchten hinter den Hütten auf, setzten ihre Pfeifenstummel in Brand und konversirten lebhaft in ihrer wohlklingenden Sprache.

Aus dem nächsten Manukagebüsch aber trat eine Gestalt, die einer eingehenderen Betrachtung würdig ist. Ich hatte bisher noch keinen Maori anders als in europäischer Kleidung vor Augen gehabt. Jetzt sollte ich zum ersten mal das alte einfachere Maorikostüm, wenn auch mit einigen der Phantasie und europäischer Verweichlichung entsprungenen Abänderungen, an den blassen Gliedern eines Pakeha zu studiren Gelegenheit erhalten. »Mister Jack the Guide of Taupo«, wie er sich genannt wissen will, war es, der mit nackten Beinen und Armen uns entgegeneilte und bei der herrschenden Kälte einen ziemlich frostigen Eindruck machte.

Ein kurzer, dicker Kerl von vielleicht vierzig Jahren mit struppigem Gesicht, dessen Züge den Ausdruck ehrlicher Bonhommie tragen, und struppigem Haarwuchs, dessen Farbe an einzelnen Stellen bereits einen grauen Schimmer zeigt, steckt in einem weissen Hemd ohne Aermel. Um seine Hüften und Schenkel ist eine wollene Decke gewickelt, aus welcher der Griff eines langen Messers guckt, von den Schultern fällt ein Plaid in malerischem Faltenwurf herab. An den Füssen trägt er kurze graue Socken und Stiefeletten mit Gummizügen und weit abstehenden Anziehstrippen vorn und hinten, den rechten mit einem Schnallsporn bewaffnet. Das Haupt schmückt ein hoher schwarzer Kalabreser, wie ihn unsere jüngeren Künstler lieben, und eine hochemporstrebende spitze Fasanenfeder – Solches ist das flüchtige Porträt von »Mister Jack the Guide of Taupo«, so gut es meine schwache Feder einem wissbegierigen Publikum zu überliefern im Stande ist, und zugleich auch eine Charaktermaske, welche sich wegen ihrer Einfachheit, Bequemlichkeit und Billigkeit der Berücksichtigung eines karnevalliebenden Publikums empfehlen möchte.

Was dieser sonderbare Europäer eigentlich in Taupo zu thun hatte, und womit er sein Leben fristete, war mir ein Räthsel und sollte mir erst morgen einigermassen klar werden. Mister Jack erwies sich übrigens im weiteren Verlaufe des Abends als ein sehr liebenswürdiger Gesellschafter, voll von Schnurren und Abenteuern, mit denen er uns lange ausgezeichnet unterhielt und vollständig vergessen machte, dass er im blossen Hemd mit zu Tische sass.

Ungefähr zweihundert Schritt vom Hotel entfernt fliesst der Waikato aus dem See. Ein baufälliges Fahrzeug mit einer auffallend kleinen Dampfmaschine liegt hier vor Anker, um einmal wöchentlich auf Regierungskosten den See zu kreuzen und die Verbindung mit Tokano, einem Maoridorf an der gegenüberliegenden Seite, zu unterhalten. In Mäanderlinien schlängelt sich der Fluss durch bald steil abfallende, bald terrassenförmige felsige Ufer, an denen sowie an den Abhängen zahlreicher ebenfalls mäandrisch gestalteter Querthäler die kochenden Quellen entspringen.

Diesen galt mein erster Ausflug am folgenden Tag, der von besserem Wetter als die vorhergehenden begünstigt war. Beinahe hätte ich den undeutlichen Weg durch das Gebüsch verloren, welches an manchen Stellen so hoch wurde, dass es mir einen als Richtpunkt dienenden Berg zur Rechten verbarg, während die Sonne nur minutenweise sich sehen liess, wenn nicht einige weisse und halbweisse Kinder mit Handtüchern mich eingeholt hätten, welche demselben Ziele wie ich, den warmen Bädern, zustrebten.

Einem der Mädchen war es offenbar sehr unangenehm, dass ich auch baden ging, und sie schickte ihren jüngeren Bruder als meinen Führer ab, dem sie Instruktionen zuflüsterte, und dem ich bald anmerkte, dass er mich nur von der rechten Fährte abbringen sollte, während die übrige kleine Schaar zurückblieb. Erst als ich dem jugendlichen Schlaukopf erklärte, dass es mir zunächst nur darum zu thun sei, die Gegend in Augenschein zu nehmen, und dass ich nicht vor zwei Stunden baden würde, schien er bereit, mir den Badeplatz zu zeigen.

Eine halbe Stunde waren wir plaudernd weitergewandert, und mehrmals hatten wir Fasanen, an denen die Gegend reich sein soll, aufgescheucht als endlich die erste Dampfwolke ziemlich nahe vor uns emporqualmte. Gleich darauf dampfte es auch dicht neben uns aus einem metertiefen Loch, in dessen Grund nichts als feuchte zerrissene Erde und verdorrtes Farnkraut zu erblicken war. Ein starker Schwefelgeruch erfüllte die Luft. Es galt jetzt, vorsichtig den schmalen Pfad zu verfolgen, und ich fühlte mich gehoben durch das Bewusstsein, mitten in jenem merkwürdigen Gebiete zu stehen, von dem ich in der Heimath Hochstetters vortreffliche Schilderung mit so grossem Interesse gelesen hatte.

Rechts und links begann es aus vielen Stellen zu dampfen. Vom Rande eines Abgrunds schauten wir hinab auf das herrlich klare dunkelgrüne Wasser des langsam dahin fliessenden Waikato. An seinen steilen Ufern qualmte es hier und dort zum immer freundlicher werdenden Himmel empor, und seltsam grell stach das von der Sonne beschienene Weiss des Dampfes von den gesättigten Tönen der Umgebung ab.

Eine niedrige Thalschlucht öffnete sich, durch welche ein warmes Bächlein dem Flusse zueilt, und in welcher zwei Schilfhütten liegen, halbverborgen von Farn und Phormium. Dort unten sind die Bäder.

Ich dankte meinem jungen Begleiter und schlug die gerade Richtung ein nach jener ersten und bedeutendsten Dampfwolke, trotz aller Warnungen, die ich gelesen und gehört. Auch hier machte ich wieder die Erfahrung, dass im Allgemeinen die Gefährlichkeiten nicht so gefährlich sind, als sie beschrieben werden. Es war zwar manchmal gewiss überraschend, plötzlich vor einem tiefen Loche zu stehen, in dessen Grund es leise und unheimlich dampfte, und der wie geröstete und mit einzelnen Büscheln vertrockneten Grases und spärlichem dürrem Buschwerk besetzte Boden war so weich und morsch, dass man bei jedem Tritte einen Zoll tief einsinkend die Empfindung der Unsicherheit bekommen konnte. Wenn man aber mit der nöthigen Vorsicht zu Werke ging, das dichtere Gestrüpp, welches den Boden gänzlich verdeckte, mied und nicht gerade drauf los rannte, war kein ernstlicher Unfall zu befürchten.

Ich durchstreifte kreuz und quer das Ideal eines koupirten Terrains. Auf den ersten Blick flach und nur von kümmerlicher Vegetation bewachsen, sind die beiden hohen Ufer des Waikato allenthalben von Laufgräben ähnlichen Schluchten durchzogen, die alle fünfzig bis hundert Schritt fast rechtwinklig bald rechts bald links umbiegen, so dass man nie wissen kann, woher sie kommen und wohin sie führen, und oft dieselbe Schlucht zweimal hinab und hinaufklettert, die man leicht hätte umgehen können, wie man zu spät erfährt.

Die mehr oder minder stark dampfenden Löcher sind ziemlich zahlreich. Da eines aussieht wie das andere, wurden sie mir bald gleichgültig, und ausser dem Urheber meiner ersten verheissenden Dampfwolke, einem kochenden Sprudel von grösseren Dimensionen, war nichts Besonderes zu entdecken. Schon aus einer gewissen Entfernung hörte ich den dumpfen unterirdischen Lärm desselben, und als ich an dem brunnenartigen Schachte stand, in dessen Tiefe es brodelte und brummte und hämmerte wie in einer Fabrik, in der viele Maschinen zu gleicher Zeit arbeiten, fühlte ich etwas wie Grauen bei dem Gedanken auszugleiten und hinabzufallen. Nur auf kurze Augenblicke, wenn eben ein Windstoss den aufsteigenden Qualm zerriss, war ein Stückchen des kochenden und sprudelnden Wassers zu sehen. Rothes verwittertes Gestein bildet die Wände des Schachtes, über dessen unregelmässig zerrissene Ränder bleiches, wassersüchtiges Farnkraut hängt, kränkelnd unter der fortwährenden warmen Bethauung.

Ich war mittlerweile müde geworden, und die Frist, die ich den Kindern von Tapuaeharuru zum Baden versprochen, war abgelaufen, so dass ich beschloss mich nun selbst durch ein warmes Bad für meine Forschungsreise zu belohnen.

In jenem Miniaturthal mit den Schilfhütten sah es anmuthiger aus als oben auf dem kahlen dürren struppigen durchfurchten Plateau, über welches ein frostiger Wind strich. Je weiter ich kam, desto idyllischer wurde die niedliche engbegrenzte Landschaft. Auf einem Pfahl ein Taubenschlag aus Flechtwerk, zwei oder drei niedrige Hütten aus demselben Material, weidende Schafe und ein bellender Hund, ringsum dichte üppig grünende Vegetation und steile Felswände, gerade hoch genug um gegen die kalten Winde Schutz zu gewähren, bilden die Bestandtheile dieses reizenden stillen Winkels. Ich näherte mich den Wohnstätten, und eine junge Maoridame, auffallend hübsch und reinlich, erschien in phantastischer und zugleich so dürftiger Gewandung, dass ich beinahe Entschuldigungen stammelnd zurücktrat. Das war kein Maoriweib gewöhnlicher Art. Ein gewisses Parfüm entduftete ihrem Körper, ich roch Europa. Warum musste mir sofort Mister Jack the Guide of Taupo einfallen? Ich weiss es nicht. Meine Ahnung aber war richtig wie ich später erfuhr. Dieses war des alten Gauners (wilde) Ehegattin, eine Häuptlingstochter, welcher das Land ringsum mit dem lieblichen Thal und dem warmen Bächlein gehörte. Er und sie repräsentiren allegorisch Gott und Göttin der wunderbaren Heilquelle, deren gedruckte Analyse ich gestern hatte würdigen müssen, und für welche er sich wie jeder Quellenbesitzer nicht nur des Lake-Distrikts von Neuseeland, sondern der ganzen Erde eine grosse Zukunft verspricht. Mit einem solchen mythologischen Beruf ist selbstverständlich europäische Zugeknöpftheit unvereinbar, daher die Einfachheit seiner und ihrer Bekleidung.

Das Bad ist stylvoll wie die Eigenthümer desselben. Mehrere heisse Quellen entspringen in dem Thal und vereinigen sich zu einem ungefähr metertiefen und einen guten Sprung breiten Bach, der geschäftig zwischen Farn und Phormium dem Waikato zueilt. Da wo sein Wasser sich zu der Temperatur eines angenehmen Wannenbades abgekühlt hat, ist es aufgestaut, und mit einem Dach aus Lattenwerk überbaut, an welchem Geisblatt zwanglos hinanklettert und graziöse Zweige im Winde schaukelt. Eine Schilfhütte dient zum Auskleiden, ein Spiegel ohne Rahmen, dessen nackte zerkratzte Quecksilberfläche das Konterfei voller Löcher zurückstrahlt, und ein geschriebenes Plakat, welches besagt, dass der einmalige Genuss all dieser Schönheiten einen Shilling kostet, sind das Mobiliar des Innern. Den schmalen Zugang und die Hütte selbst überwuchert hohes Phormiumschilf und säuselt seine Melodien, vom Zephyr bewegt. Schmeichelnd fallen die Sonnenstrahlen durch die Blätter der Laube, und schmeichelnd umspült das laue Wasser die erfreuten Glieder des Badenden.

Die Temperatur kann um einige Grade erhöht und erniedrigt werden durch eine Schleuse, die aus einer Nebenquelle kälteres Wasser einlässt. Schliesst man die Schleuse ganz, so steigt die Wärme bald auf eine unangenehme Höhe, das Bad beginnt zu dampfen, und man beeilt sich wieder aufzumachen. Sehr merklich ist auch der Unterschied zwischen den oberen und unteren Schichten des Bades, und deutlich fühlt man beim Unter- und Auftauchen die heissere Zone der Oberfläche.

Es blieb mir nur noch übrig, unten am Ufer des Waikato einige andere heisse Quellen aufzufinden, und ich hatte Alles gesehen, was in Tapuaeharuru zu sehen ist, zum Aerger von Mister Jack, der nicht begriff, wie man ohne seine Führung und Erklärung herumzustreifen wagte.

An einem Punkte strömt dem dunkelgrünen Waikato so viel heisses Wasser zu, dass man im Sommer in ihm selbst warme Bäder geniessen kann. Weiter oben in der Mitte eines grösseren, ziemlich seichten Beckens, dessen Umfang sich nicht übersehen lässt, da es halb von einer dunklen Felsenhöhle überwölbt ist, wallt es in beständigem Kochen. Der ganze Grund ist bedeckt mit zierlichen Sinterinkrustationen von Farnblättern, die sich von den bekannten Erzeugnissen des Karlsbader Sprudels dadurch unterscheiden, dass sie aus Kiesel und nicht aus Kalk bestehen. Greift die Hand achtlos hinein, um sich ein Andenken herauszuholen, so fährt sie sogleich erschrocken vor der Hitze wieder zurück. Ein alter erloschener Geyser dicht nebenan arbeitete zuweilen noch vor wenigen Jahren. Jetzt ist von ihm nur mehr die Umwallung, die er sich aus Inkrustationen aufgebaut hat, vorhanden.

Um ein Gebüsch biegend, stand ich plötzlich vor zwei Maorihütten. Kein Mensch war in ihnen, die hölzernen Fensterladen waren zu und die Thüren mit europäischen Vorhängeschlössern versperrt. Hinter einem zweiten Gebüsch grub ein altes hässliches Maoriweib Kartoffel aus der Erde, obwohl heute Sonntag, Sonntag unter englischer Flagge war, und nahm mürrisch vor sich hinstierend nicht die geringste Notiz von meiner Anwesenheit.

Unweit davon musste ich etwas entdecken, was Mister Jack keineswegs zur Ehre gereichte. Durch Stauung und Erweiterung hatte die Natur in dem Netzwerk der vielen heissen, warmen und kühlen Bäche das herrlichste natürliche Wannenbad geschaffen. Zarte weissschimmernde Sinterkrusten überzogen die Innenfläche und die vom Grün des Farngestrüpps eingefassten Ränder und auch hier konnte durch seitliche Löcher, die man mit Grasbüscheln verstopfte, die Temperatur regulirt werden. Gewiss war dieses Gebilde im Stande Mister Jack Konkurrenz zu machen, und er hatte es deshalb mit Schmutz vollgeschüttet.

Als ich wieder nach dem Hotel des Herrn Becker zurückkam, war das Dinner schon längst vorüber, und die beiden Kutscher, meine Gefährten, Mister Jack und die ganze Soldateska des Platzes waren alle betrunken. Mister Jack ärgerte sich erst ein wenig und schimpfte, dass ich ohne ihn, den »Guide of Taupo«, Umschau gehalten und sämmtliche Sehenswürdigkeiten selber gefunden. Ich zahlte ihm seinen Shilling für das Bad und lobte seine Besitzung. Das versöhnte ihn wieder. Der Spekulationsgeist erwachte in ihm. Ich war ja ein Medikal Man und konnte vielleicht seiner Quelle von Nutzen sein. Er redete mir zu, dass ich bis zur nächsten Post bei ihm bliebe, und führte die ganze Eloquenz seines alkoholischen Zustands ins Feld, mich noch mehr für sein idyllisches Thal zu interessiren. Er log, was er konnte. Er schwur ich hätte das Beste doch nicht gesehen, er suchte in jeder Weise auf mein Gemüth zu wirken und erzählte von gräulichen Gespensterstimmen, die dort allnächtlich ihr Unwesen trieben. Er fluchte und tobte, er zog sein Messer aus dem Gürtel und stiess es in den Tisch, um mich zu überzeugen. Alles umsonst.

Trotz des besoffenen Lärms der wilden Gesellschaft schlief ich den sanften Schlaf des Gerechten, als ich plötzlich unsanft erwachte. Die Fensterscheiben meiner Erdgeschosskammer klirrten zerbrochen zu Boden, ein wüstes Geheul, ein Stampfen und Kämpfen draussen im Freien, und ich eilte hinaus. Man hatte sich geprügelt, und einer der Söldlinge war in seiner Tobsucht so weit gegangen, nicht nur meinem biederen Landsmann dem Wirth das Gesicht voll blauer Flecken zu schlagen, sondern auch rings ums Haus zu laufen und der Reihe nach die Fenster zu zertrümmern. Der Bösewicht lag nun gefangen, mit Stricken gefesselt und nackt auf der Strasse. Die Kutscher und meine Reisegefährten hatten ihn nach längerem Ringen bezwungen und ihm dabei die Kleider vom Leibe gerissen. Nun standen sie gleich Schergen um ihn herum, schnaubend von der gehabten Anstrengung. Die übrigen Söldlinge waren entwichen.

Kalt lächelnd blickte der Mond auf die merkwürdige Gruppe, neben welcher die Gestalt Mister Jacks sass und sich den Rücken rieb. Sein Hüftenplaid war ihm abhanden gekommen, und ohne schützende Hülle ruhte seine Basis auf dem feuchten Rasen. Er schien sich über die Veranlassung dieses unerquicklichen Zustands unklar zu sein. Ueberrascht schaute er um sich, rieb sich den Rücken, kratzte sich hinter den Ohren und blinzelte gegen den Mond, als ob er ihn fragen wollte.

Dem Tobsüchtigen verordnete ich einige Eimer kalten Wassers über den erhitzten Kopf bis er mit den Zähnen klapperte dann brachten wir ihn und Mister Jack, der ebenfalls fror, ins Bett und legten uns selber schlafen.

Zwei Stunden später graute der Morgen, und der Kutscher trommelte uns aus den Betten. Wir kamen nun in einen noch schmäleren Wagen, weil von jetzt ab die Poststrasse noch schlechter wurde, als sie bisher gewesen. Der Mangel an Raum sollte durch Wegfall der Polster ausgeglichen werden.

Leider blieb von den Reisegefährten nur einer zurück und wurde durch einen andern ersetzt, einen Offizier der Konstabulary Force, der wegen Krankheit nach Tauranga zum Arzte fuhr und eine neue Art unangenehmer Gesellschaft repräsentirte, indem er beständig durchs Fenster hinaus seiner läufigen Hündin zubrüllte und sie zur Keuschheit ermahnte den Anfechtungen eines männlichen Köters gegenüber, welcher sie mit heisser Liebe verfolgte, bis wir anhielten und ihn mit einem Strick vor Anker legten. Die alten Gefährten waren womöglich noch rücksichtsloser als je, und mürrisch und grämlich wie alle Menschen, denen es nicht vergönnt ist, ihren Rausch auszuschlafen. Abermals stand ein schwerer Tag bevor.

Für kurze Zeit liessen sich am anderen Ende des öden Tauposees die schneebedeckten Kämme des Ruapehu bestrahlt von der aufgehenden Sonne blicken. Wir bogen nach Norden und kreuzten auf hölzernen Brücken zweimal während des Tages den gleichfalls nach Norden gerichteten Lauf des Waikato.

Das Manukagebüsch wurde spärlicher, und die Gegend nahm wieder mehr den Farncharakter an. Die Dampfsäulen kochender Quellen verschwanden. Durch romantische Wildnisse stieg die Strasse bergauf und bergab, und schäumende Bäche stürzten sich daneben durch rauhe Schluchten dem Waikato zu. Stumpfe Kegelberge wechselten mit kulissenartigen Bergrücken. Herrliche Fernsichten, wie von einem Maler der klassischen Schule komponirt, thaten sich auf. Dann ging es wieder über eine dürre Grasstoppelebene, in deren Hintergrund sanft ansteigende Hügel mit Gruppen weisslicher Felsblöcke besäet waren, so dass sie Dörfer zu tragen täuschten. Der Leichenstein eines Postpferdes stand hier an der Strasse mit einer Inschrift, welche das treu in seinem Berufe vom Tod ereilte Thier verewigte. Ausser diesem Dokument der höheren Philozoie und der Strasse ist weit und breit nichts Menschliches zu entdecken. Selbst der Telegraphendraht hat uns verlassen und andere Wege eingeschlagen. Keine Vogelstimme lässt sich vernehmen. Ueberall Grabesruhe.

In einem echten Maoridorf, mitten zwischen zackigen Felsen, durch welche in der Tiefe der Waikato tost, machten wir Mittag und wechselten die Pferde. Selbst der Stationswirth, ein Weisser, und seine weisse Gattin, eine junge sanfte Blondine, wohnen hier nur in Hütten aus Flechtwerk. Die Eingeborenen werden jetzt zahlreicher, lumpiger und malerischer, je mehr es nach dem wärmeren Norden geht, ebenso wie bei uns, wenn man über die Alpen gegen Italien zieht. Bis jetzt hatte ich ausser dem blassbeinigen Mister Jack noch keinen echten Maori gesehen. An allen Einschnitten der Strasse sind Maorinamen in englischen Lettern und Maorizeichnungen von nicht geringem Verständniss in den weichen Sandstein gekratzt.

Auf einer Höhe biegt der Weg um die Ecke, der See Rotorua erscheint und vor ihm eine dampfende Tiefebene. Der ganze schwammige Boden ist hier unterwühlt von kochenden Quellen. Schnurgerade durchschneidet die erhöhte Strasse den mit Manukagebüsch besetzten Sumpf, aus dem es links und rechts überall unheimlich brodelt und qualmt und dampft. Was ich in Taupo gesehen, war nichts gegen diesen Anblick, der meine kühnsten Erwartungen weit übertraf.

Die Dunkelheit senkte sich hernieder, als wir in Ohinemutu ankamen, umringt von einem lärmenden Gesindel fröhlicher Maoris, von denen kein einziger eine Hose anhatte, was mir überaus imponirte.

VIII.
OHINEMUTU UND ROTOMAHANA.

Die heissen Quellen und ihre Verwendung. Ein Badeort in des Wortes verwegenster Bedeutung. Legende von der schönen Hinemoa. Maorialterthümer. Ausflug nach Wakarewarewa. Das Labyrinth der Schmutzvulkane. Die Geyser. Der missglückte Haka. Ein interessantes liederliches Kleeblatt. Ausflug nach Rotomahana. Wairoa und seine internationalen Wegelagerer. Stürmische Kanuufahrt über den Tarawera. Streitigkeiten mit den Maoris. Ueberall kocht das Verderben. Ungemüthliche Nacht. Tetarata und Otukapuarangi. Mister Davis und seine Singschule.

Dieses Ohinemutu ist nicht nur der interessanteste Punkt von ganz Neuseeland, sondern auch einer der interessantesten Punkte der ganzen Erde.

Ohinemutu liegt etwas nördlich vom Zentrum der Nordinsel am südlichen Ufer des Sees Rotorua. Die Berge treten hier in einen weiten Kreis zurück. Sumpfige Ebenen, von welchen wir gestern den breitesten Theil durchfahren haben, umgeben den See und lassen auf eine ehemals grössere Ausdehnung desselben schliessen. Soweit das Auge blicken kann, qualmt zwischen Farnkraut und Manukagebüsch weissglänzender Dampf empor, und an kühleren Morgen ist die ganze Ebene mit Dampf überlagert. Allenthalben entspringen kochende Quellen, kochende Schlammpfützen und Schlammvulkane.

Doch nicht blos wegen seines kochenden Untergrunds ist Ohinemutu so hoch interessant, sondern auch wegen seiner Maoribevölkerung, die dort, etwa 300 Köpfe stark, noch viel von den alten Sitten beibehalten hat.

Nahe dem Ufer steigt ein isolirter, kaum 25 Meter hoher Hügel, mit europäischen Weidenbäumen bepflanzt, aus dem heissen Sumpf, und an diesem, dem See zugewendet, baut sich die Ortschaft auf. Am Anfang und am Ende einer sehr primitiven Strasse, die sich oben entlang zieht, sind zwei gute Hotels für Touristen und in der Mitte ein Kaufhaus mit einigen Nebengebäuden. Dies ist das weisse Viertel. Alles übrige ist Maori und besteht aus unregelmässig zerstreuten umzäunten Hütten, zwischen denen sich schmale Pfade hindurchschlängeln. Etwas erhöht thront auf einem Ausläufer des Hügels das Versammlungsgebäude der Gemeinde, ein langgestreckter Holzbau, dessen Dach beiderseits fast den Boden berührt. An der Frontseite sind unter dem vorspringenden Giebel der Eingang und zwei hohe Glasfenster. Alles innen und aussen ist mit schönen stylvollen Holzschnitzereien verziert, und an einem Ornament der Dachränder baumelt eine Glocke.

Die Hütten sind niedrig, mit Wänden aus Flechtwerk und Dächern aus Stroh und sehen sehr formlos und ruppig aus, die zum Wohnen bestimmten wenigstens. Die Vorrathshäuschen jedoch, welche in keiner Umzäunung fehlen, sind zierlicher und von Holz, ruhen auf drei Pfosten ein Meter hoch über der Erde und erinnern durch ihre flachen Dächer an grosse Taubenschläge im Schweizerstyl. Eine geschnitzte Figur schmückt den Giebel, und Schnitzereien verkleiden die Dachränder. An den Thüren hängen anachronistischer Weise europäische Vorhängeschlösser.

Die innere Einrichtung der Wohnhütten ist von der grössten Einfachheit und ebenso rauh und unansehnlich wie das Aeussere derselben. In den Strohwänden stecken ein paar Zahnbürsten, ein Kamm, ein Spiegel, eine Axt, eine Flinte und sonstige Gegenstände mannigfaltigster Art, selten in ordentlichem, meistens in halbzerbrochenem, lotterigem Zustand. Unter dem Dach hängen etliche Pageien (kurze löffelartige Ruder) und einige Bretter, auf welche russige Töpfe gestülpt sind. Den Boden bildet die nackte Erde, und unmittelbar auf dieser liegen ohne Erhöhung in den Ecken die Betten, umschlossen von einem Holzrahmen und aus dicken Polstern elastischen Farnkrautes und wollenen Decken bestehend. Bei Reicheren findet man wohl auch Weisszeug, Bettlaken und Federkissen. Bei diesen herrscht ein höherer Grad von Reinlichkeit, und die wollenen Decken zeichnen sich durch grellere Farben und buntere Muster aus. In der Mitte brennt ein Feuer, welches jedoch weniger zum Kochen als zur Erwärmung dient, da zum Kochen die kochenden Quellen viel bequemer zur Hand sind.

Die unterirdische Hitze wird von den Bewohnern in dreifacher Weise ausgebeutet. Grosse Steinfliesen bedecken hie und da vor und in den Hütten den Boden, durch unter ihnen emportauchende heisse Quellen erwärmt, und auf diesen natürlichen Oefen hocken den ganzen Tag alte Weiber und Männer. Andere Quellen sind sauber mit Blöcken eingefasst und zum Kochen bestimmt. Wieder andere, weniger heisse dienen zum Baden.

Im Sommer ist auch der See bis weit hinaus genügend erwärmt um Stunden lang darin verweilen zu können. Da wir eben Juni, also Winter hatten, war dieses Vergnügen, abgesehen von den vielen zerstreuten Badetümpeln, auf eine 20 Schritt breite und 100 Schritt lange Bucht beschränkt, welche durch zwei vorspringende Landzungen gebildet ins Dorf hineinragt.

Von allen drei Seiten fliessen heisse Quellen herab, aus dem Grunde tauchen heisse Quellen auf, und über dem inneren Ende gähnt, von steilen zerbröckelten Felswänden eingefasst, ein brodelnder Kessel, ein alter Geyser, in dem es beständig kocht und stampft und wallt und hämmert, zwischen wucherndem Farnkraut Verderben drohend empor, gerade gross genug, um etwa fünfzig Menschen auf einmal darin zu kochen. Hier hinein sollen nämlich in der guten alten Zeit die Gefangenen genöthigt worden sein, um zum festlichen Schmause zu dienen sobald sie gar waren – eine Sage, die jedoch nur im Munde der Europäer kursirt, und von der die Maoris selbst nichts wissen wollen.

Jene kleine Bucht ist das famoseste warme Schwimmbad, welches menschliche Ueppigkeit sich wünschen kann, und war damals der allgemeine Zusammenkunfts- und Vergnügungsplatz der Europäer männlichen und der Maoris beiderlei Geschlechts. Namentlich an heiteren Abenden ehe es dunkel wurde, versammelte sich hier Alles was zur Gesellschaft von Ohinemutu gehörte, und gleichwie man in Italien nach Sonnenuntergang promeniren geht, so ging man in Ohinemutu ins warme Wasser, schwamm einigemal hin und her, und setzte sich dann in den schönen warmen und weichen Schlamm der seichteren Stellen, so dass nur der Kopf aus dem Wasser guckte, und plauderte ein paar Stunden im Kreise brauner Herren und Damen. Von einer Art Bekleidung war dort natürlich nicht die geringste Rede, und über einen alten Herrn, der einst in einer Badehose auftrat, wird berichtet, dass er dadurch nur die grösste Heiterkeit und Neugierde der Eingeborenen auf sich gezogen habe, welche nicht eher ruhten als bis sie sich durch Augenschein überzeugten, was denn eigentlich hinter der Badehose Geheimnissvolles verborgen sei. Diese Ursprünglichkeit der Sitten und diese klassische Nudität wirkt doppelt überraschend mitten in einem Lande, in welchem der bibelfromme und bis zum Unerträglichen anständige Brite neun Zehntel der Bevölkerung bildet.

Die Weiber und Mädchen beobachten in der Regel die grösste Sorgfalt, beim Hinein- und Herausgehen so wenig als möglich von ihren Reizen zu exponiren, und jenes Titelbild, welches Lieutenant Meade seinem Buch über Neuseeland voranschickt, auf welchem er badende Nymphen von antiker Formenschönheit und mehr als europäischer Lilienweisse unter dem kochenden Sprühregen eines gewaltigen Geysers sich amüsiren und produziren lässt, fand ich niemals verwirklicht. Nur alte Vetteln geniren sich weniger und zeigen sich oft in der ganzen Länge ihrer nicht sehr aphroditischen Leiber. Maorigreisinnen sind gewöhnlich über alle Massen hässlich. Sie scheeren sich das Kopfhaar ganz kurz wie abrasirt, und die kahlen Schädel mit den hohlwangigen und hohläugigen braunen Gesichtern und die mageren ausgemergelten Körper machen den Eindruck von Todtengerippen.

Es war mir auffallend, dass ich im Bade niemals einen gröberen Verstoss gegen die Dezenz zwischen beiden Geschlechtern, niemals eine Aeusserung erotischer Triebe wahrnahm, obwohl doch die Anschauungen der Maoris in diesem Punkt sehr liberal sind und obwohl die Anwesenheit so vieler einzelner Mädchen in Ohinemutu nur aus einer gewissen mit dem Fremdenverkehr zusammenhängenden kosmopolitischen Erwerbsquelle erklärt werden kann.

Ich lade übrigens hiermit den Leser ein, mit mir ein derartiges Bad zu geniessen.

Wer nichts zu thun hat, was bei den Bewohnern von Ohinemutu so ziemlich ausnahmslos der Fall zu sein scheint, badet nicht selten dreimal des Tages, nämlich gleich nach dem Aufstehen, Abends gegen Sonnenuntergang und Nachts um 11 oder 12 Uhr ehe man ins Bett geht, und oft auch noch später wenn man vielleicht nicht schlafen kann. Die beliebteste Zeit ist der späte Nachmittag. Es ist dann am vollsten und lebhaftesten im Wasser und das schöne Geschlecht am zahlreichsten vertreten.

Schon ehe wir vom Hotel weggehen, wird es gut sein, uns der überflüssigsten Kleidungsstücke zu entledigen, da unten beim Bade nicht viel Raum und Bequemlichkeit zum Aus- und Ankleiden ist, und den Rock, die Weste und den gestärkten Halskragen zu Hause zu lassen. Man kümmert sich hier wenig um alle diese ängstlichen Kleinigkeiten, und würden wir einen längeren Aufenthalt nehmen, wer weiss ob wir es nicht vielleicht ebenso machten, wie die ansässigen Weissen, welche auch die Beinkleider zu Hause lassen, wenn sie baden gehen, und nur in Hemd und Schuhen, nach Maoriart einen bis zu den Knieen reichenden Schal um die Hüften geschlungen und einen faltigen Schlapphut mit Fasanenfeder auf dem Kopf, erscheinen. Dieses leichte Kostüm, das ich zuerst an Mister Jack the Guide of Taupo bewundern musste, hat auch in dem milderen Ohinemutu viel mehr Berechtigung als in dem kalten hochgelegenen Tapuaeharuru.

Die Sonne wird bald hinter die westlichen Berge tauchen und giesst ihr strahlendes Licht mild über den glatten Spiegel des Sees, in dessen Mitte die kuppenförmige Insel Mokoia liegt, so dass wir nicht umhin können öfters bewundernd stehen zu bleiben, während wir den Hügel hinabsteigen. An Mokoia knüpft sich eine poesievolle Maorilegende, welche ich in den verschiedenen Neuseeländischen Reisehandbüchern in so vielen abgeschmackten Versionen gelesen habe, dass es mir beinahe unmöglich ist, sie kurz wiederzugeben.

Hinemoa, das ist »ein Mädchen (Hine) dem grossen Vogel Moa vergleichbar«, war die schönste Maoriprinzessin weit und breit im Lande, und Tutanekai war der schönste Prinz. Tutanekai wohnte auf Mokoia und Hinemoa in Ohinemutu. Sie liebten sich, aber die Väter, mächtige Häuptlinge, hassten sich und wollten nichts davon wissen. Alle Kanuus hüben und drüben wurden strenge bewacht, damit die beiden Liebenden nicht zu einander kommen konnten. Doch ihre Liebe wurde dadurch nur um so heftiger. Eines Abends als es bereits dunkel war, sass die schmachtende Hinemoa vor ihrer Hütte auf einem warmen Stein und seufzte nach der Insel hinüber. Da trug ein sanfter Zephyr die Töne von Tutanekais Flöte an ihr Ohr. Eine mächtige Sehnsucht ergriff sie. Lautlos eilte sie an den See hinab und schwamm nach Mokoia, wo sie zu Tode erschöpft ankam. Selbstverständlich legte sie sich sofort in einen warmen Tümpel am Ufer um sich zu erholen und zu überlegen, wie sie dem Geliebten ihre Nähe kündigen möchte ohne von einem Anderen entdeckt zu werden. Der Zufall und weibliche Tücke halfen ihr aus der Verlegenheit. Ein Sklave Tutanekais kam herab, um Wasser zu holen. Gleich einem bösen Kobold warf sie sich heulend auf den Ahnungslosen, entriss ihm das Gefäss und erschreckte ihn dermassen, dass er bebend von dannen floh, seinem Herrn von dem nächtlichen Spuk zu berichten. Dieser, ein echter Held, kommt sofort Rache schnaubend gelaufen und – findet seine Hinemoa. Nun hatten sie sich und ehelichten sich. Die Väter verziehen nach einiger Zeit, und Hinemoa und Tutanekai lebten lange und glücklich miteinander.

Es ist bereits kühl, und der Dampf der heissen Quellen, welcher bisher, von der höher stehenden Sonne aufgelöst, kaum sichtbar war, ist nun so dicht, dass er wie ein deutscher Herbstnebel über den Vertiefungen des Dorfes lagert. Ueberall, rechts und links, vor uns und hinter uns brodelt es in hundert grösseren und kleineren Löchern. Ueberall steigen Dampfsäulen empor, heisse dampfende Wasserfäden, geschäftig dem See zueilend, kreuzen unseren Pfad, eine Dampfwolke verhüllt ihn auch wohl auf Augenblicke, und wir müssen dann stehen bleiben und warten, bis wir wieder sehen können. Denn ein Fehltritt ist gefährlich und würde vielleicht eine schlimme Verbrühung des Fusses im Gefolge haben.

Das geheimnissvolle Brodeln ringsum, meist unsichtbar, da eine ewig von schwefelig riechendem Dampf bethaute kränkliche Gras- und Farnkrautvegetation die Löcher verbirgt, macht einen befremdenden, unheimlichen Eindruck. Wir stehen über einem kochenden Sumpf, den nur eine dünne Kruste fester Erde bedeckt. Und über diesem kochenden Sumpf lebt ein ganzes Dorf und freut sich des heissen Bodens!

Hier kauern einige Gestalten vor ihrer Strohhütte auf warmen Steinfliesen, in steife wollene Decken gehüllt, schwarzgeräucherte Thonpfeifenstummel im Munde. Manchmal ziehen sie die Decken ganz über den Kopf, so dass man nur eine Gesellschaft formloser Bündel sieht, aus welchen oben Pfeifenstummel herausgucken. Dort in einer heftig dampfenden sprudelnden Quelle, deren saubere Einfassung andeutet, dass sie zum Kochen dient, hängen Körbchen mit Kartoffeln, Krebsen und Süsswassermuscheln an quer darüber gelegten Stangen, und geschwätzige Gruppen von Weibern sitzen herum und beobachten den Prozess der Zubereitung mit sichtlichem Behagen, während sie sich die Zeit mit Rauchen, Schreien und Lachen vertreiben. Wir selbst werden sofort die Zielscheibe ihrer Witze, indem wir vorüberwandeln, und »Pakeha« (Europäer) ist das dritte Wort, was wir hören. Speisereste liegen zu Haufen geschüttet, und wohlgenährte schwarzborstige Schweine schnüffeln und grunzen wohlgefällig von einem zum anderen.

Hinter jenem Gebüsch sind mehrere Badetümpel. In jedem sitzen etliche Dutzend brauner Kinder eng zusammengedrängt, so dass man kaum begreift, wie sie sich noch regen können, prügeln und spritzen und balgen sich, purzeln über einander und verüben ein Geschrei, welches weithin das Dorf durchgellt. »Mat mat« betteln sie um unsere Zigarren, die sie sofort in den Mund stecken, wenn nicht die Mutter kommt, sie für sich zu beanspruchen. »Mat« ist das maorisirte englische »Match«, in übertragener Bedeutung auch auf den verwandten Begriff brennender Zigarren angewendet.

So ein kleiner Junge von Ohinemutu führt ein sehr ungebundenes Leben. Den ganzen Tag läuft er nackt umher, stiehlt sich hier eine Kartoffel, dort eine Muschel oder einen Krebs und setzt sich von Zeit zu Zeit, um sich zu wärmen, ins warme Wasser.

Aber auch die Erwachsenen lieben diese Wohlthat. Man mag zu irgend einer Zeit durch Ohinemutu gehen, es sitzt fast immer die halbe Einwohnerschaft links und rechts vom Wege im Bad. Ohinemutu ist ein Badeort in des Wortes verwegenster Bedeutung, und den ausgedehnten Badegelegenheiten verdankt es nicht blos seine Maoribevölkerung, welche gegenwärtig nicht mehr autochthon, sondern von allen Seiten herbeigewandert ist, weil man hier einen beträchtlichen Theil des Daseins im warmen Wasser zubringen und Kartoffel kochen kann, ohne Feuer zu machen, sondern auch zahlreiche Touristen und einige Kurgäste.

Unser Schwimmbad ist noch ziemlich leer. Einige Jungen vergnügen sich damit, einander zu tauchen und von einem niedrigen Felsen herab ins heisse Wasser zu springen, und ein altes runzeliges Weib mit kahlgeschorenem Kopf hockt nackt am Ufer und gafft uns affenartig entgegen.

Wir suchen eine passende Stelle zum Auskleiden auf dem fortwährend bethauten und feuchten Rasen, wobei wir wieder Acht haben müssen, die vielen heissen Löcher zu meiden, welche allenthalben unter Farngestrüpp verborgen sind und ihre Anwesenheit nur durch das brodelnde Geräusch verrathen. Es kostet etwas Ueberwindung in der kühlen Winterluft sich zu entblössen. Zähneklappernd kriechen wir über das nasskalte Gras hinab, da die vielen spitzen Steine ein freies Auftreten verbieten, und erschrecken über die Hitze des Wassers sobald wir es mit dem Fusse berühren. Aber wir gewöhnen uns an diesen Gegensatz, wagen uns immer tiefer hinein, trotzdem uns oft die Hitze den Athem stockt, und fühlen uns nach längerem Aufenthalt ganz behaglich in dem warmen Medium.

Die Temperatur wechselt jedoch beständig. Kältere und heissere Strömungen von Quellen, die aus dem Grunde kommen, kreuzen sich nach allen Richtungen, und oft fühlen wir uns attakirt von einer so brennenden Hitze, dass wir schleunig die Flucht ergreifen. Als ich einmal mit dem Thermometer ins Bad ging, schwankte an ein und demselben Punkte die Quecksilbersäule ohne zur Ruhe zu gelangen fortwährend zwischen 37 und 44 Zentigraden auf und nieder bei einer Lufttemperatur von 10 Zentigraden. Weiter gegen den See zu wird das Wasser kälter, und näher dem inneren Ende der Bucht und dem Geyserkessel, da wo die Maoris noch mit dem grössten Vergnügen kopfüber hineinspringen, ist es so heiss, dass ein normaler Europäer sich dieser Stelle nur allmälig nähern kann.

Der Boden ist Schlamm, durch welchen weiche Felsenspitzen emporstehen. Ein etwa drei Meter tiefes Loch, 20 Schritt lang und 10 Schritt breit, gewährt die Möglichkeit sich im Schwimmen und Tauchen zu üben, was jedoch manchmal unangenehm ist, da heftigere Bewegungen das Gefühl der Hitze vermehren.

Haben wir das Bad genügend nach allen Dimensionen explorirt, so suchen wir eine seichtere Stelle, setzen uns und erwarten die Ankunft der Damen und der übrigen Gesellschaft. Ganz Ohinemutu ist voll von Lärm und Lustbarkeit, und aus allen Hütten und hinter jedem Gebüsch erschallen laut lachende und schreiende Stimmen. Dampfwolken ziehen langsam dahin die Szenerie verschleiernd und wieder enthüllend. Die Dämmerung senkt sich hernieder, die ersten Sterne beginnen zu funkeln, und eine zauberhafte Stimmung bemächtigt sich unser, die wir im schönen weichen Grundschlamm sitzen und bis zum Kinn von warmem Wasser umspült sind. Man darf sich übrigens nicht zu tief in den Schlamm eingraben, sonst kann es passiren, dass plötzlich ein heisser Wasserfaden sehr unangenehm überraschend von unten hervorbricht. Für gewöhnlich sind dem Gesetz der Schwere entsprechend die unteren Schichten nicht so warm wie die oberen, und man mildert die brennende Hitze der oberen dadurch, dass man mit den Händen kühleres Wasser von unten emporfächelt.

Um die nächste Ecke biegt ein braunes Mädchen mit einem Handtuch über der Schulter, bleibt stehen, lächelt uns grüssend zu und besinnt sich und kokettirt ein wenig, als ob sie sich schämte, vor uns ins Bad zu steigen. Gleich darauf kommen drei oder vier andere Mädchen mit Handtüchern und machen es ebenso. Auch sie besinnen sich und kokettiren ein wenig. Aber nicht lange, und ehe sichs unsere Blicke versehen, sind sie im Wasser und schwimmen zu uns heran. Ein Schal und ein Hemd ist ihre ganze Bekleidung. Mit einer rühmenswerthen Geschicklichkeit wissen sie das letztere gerade nur so weit zu lüften als nothwendig ist, je tiefer sie sich ins Wasser begeben, und zuletzt rasch über den Kopf zu streifen und aufs Ufer zurück zu werfen ohne es nass gemacht zu haben.

Manchmal behalten sie ihr Hemd am Leibe um es auf diese Weise, das Nützliche mit dem Angenehmen vereinigend, zu waschen und stürzen sich mit einem kühnen Salto vom Felsen herab. Sie schwimmen und tauchen vorzüglich, und ich kenne eine braune Schöne von vielleicht 16 Jahren, deren Name Rahia heisst und auf ihrem Oberarm in römischen Lettern eintätowirt ist, welche damals täglich mit weissen und braunen Männern um die Wette schwamm und jedesmal den Sieg davontrug.

Rahia ist auch anthropologisch nicht uninteressant. Denn sie besitzt statt schwarzer dunkelbraune Haare mit einem Stich ins Röthliche, während ihre Haut denselben angenehm satten Ton, wie die der Genossinnen zur Schau trägt. Solche Abweichungen in der Farbe des Hauptschmuckes sind übrigens nicht gar selten, und bei zwei anderen Mädchen bemerkte ich einmal sogar hellere und dunklere Partieen neben einander auf demselben Kopfe.

Rahia ist nicht hübsch, wenn man ihr auf dem Trockenen begegnet, wo sie immer ein sehr ernsthaftes Gesicht macht. Im Wasser aber wird sie reizend durch ihre Geschmeidigkeit und die lebhafte Freude, die ihr die Ueberlegenheit im Schwimmen und Tauchen sichtlich bereitet. Sie weiss auch alle möglichen Kunststücke zu machen. Erst stürzt sie sich einigemal im durchnässten Hemd, welches sich verrätherisch an ihre jugendlich runden Formen schmiegt, von oben herab ins heisse Wasser. Dann formt sie grosse Luftblasen mit ihrer Gewandung und lässt sich ruhig auf dem Rücken liegend wegtreiben, taucht unter und nach wenigen Sekunden wieder auf gerade da wo man sie am wenigsten vermuthet. Wir werden von hinten mit Schlamm beworfen und wenn wir uns umdrehen ist niemand zu entdecken. Ein zweites Schlammgeschoss besudelt unseren Nacken aus entgegengesetzter Richtung. Unter den überhängenden Farnen des Ufers aber taucht Rahia empor und sieht uns so gleichgültig an als ob nichts vorgefallen wäre. Denn sie ist die Thäterin, wofür sie auch tüchtig angespritzt und getaucht wird.

Das Bad füllt sich mit Gästen. Männer jeglichen Alters, Weiber mit Säuglingen auf dem Arme oder in einem Sack um die Schultern gehängt, Mädchen und Jünglinge setzen sich nebeneinander und klatschen.

Ihre Konversation scheint sich häufig mit uns und unseren bleichen Gliedmassen zu beschäftigen, wie aus ihren Mienen und dem immer wiederkehrenden Wort »Pakeha« hervorgeht. Sie fühlen sich offenbar sehr geschmeichelt, wenn wir uns zu ihnen setzen, und will man einer Dame seine ganz besondere Aufmerksamkeit erweisen, so nimmt man ihr ohne viel Worte zu verlieren die nie fehlende Pfeife aus dem Mund, raucht selbst einige Züge daraus und steckt sie dann wieder an ihren Platz zurück.

Kinder und Jungen machen einen betäubenden Lärm, und auch sie möchten gern mit uns anbinden. Forschend welchen Geistes wir seien, nähern sie sich, und haben sie erst bemerkt, dass man ihnen freundlich gesinnt ist, so hat man auch gleich die ganze Schaar auf dem Halse, und jeder der kleinen braunen Frösche bemüht sich an uns emporzuklettern und auf uns zu reiten. »Kopai, kopai« (gut) suchen sie uns zu schmeicheln und um Geduld zu bitten. Unsere Armmuskulatur erregt grosses Interesse bei Alt und Jung, und sind wir im Besitze eines nur halbwegs anständigen Biceps, so können wir ihn nicht oft genug kontrahiren und unter Ausrufen der Bewunderung befühlen lassen. Nur hiedurch wurde ich darauf aufmerksam, wie weich und unausgebildet die Arme auch der robustesten Maoris sind, ganz im Gegensatz zu ihren ausserordentlich starken Unterextremitäten.

Nachdem wir auf solche Weise etwa eine Stunde im Bade zugebracht, verabschieden wir uns, indem wir den Nächstsitzenden die Hände reichen, und begeben uns wieder aufs Trockene. Der Gedanke in die frostige Luft hinauszusteigen hat etwas Abschreckendes. Aber wir sind so mit Wärme gesättigt, dass wir die Kühlung sehr angenehm empfinden, und die naheliegende Befürchtung eines Schnupfens oder eines Rheumatismus soll sich niemals erfüllen.

Die östliche von den beiden Landzungen, welche die eben beschriebene Badebucht bilden, ist eine höchst interessante Fundstätte von Maorialterthümern. Dort wären noch viele werthvolle Dinge für unsere Museen zu retten. Ehemals war sie bewohnt und ein Theil der Ortschaft. Jetzt ist sie »tabu« erklärt, geheiligt, verpönt oder wie man dieses allgemein polynesische Wort übersetzen will. Wahrscheinlich deshalb, weil die Wellenbewegung des Sees, unterstützt von der Wirkung der heissen Quellen, welche den ganzen Boden durchsetzen, sie allmälich hinwegspült. Erst ganz kürzlich sollen in einer stürmischen Nacht mehrere Hütten untergraben und verschlungen worden sein. Hie und da ragen noch vier Pfähle aus dem Wasser.

Es ist von den Maoris verboten, den Platz zu betreten. Ich habe dies gleichwohl mehrmals unbehelligt gethan. Zwei oder drei Hütten stehen noch unversehrt so da wie der letzte Bewohner sie verlassen hat, als er starb. Schwere Bohlen sind vor die verandaartige Frontseite gelegt und verrammeln den Eingang. Lüftet man sie um ins Innere zu blicken, so sieht man alle möglichen Geräthe herumliegen. Wurflanzen und Beile, Kochkessel und Trinkgeschirre alten und modernen Ursprungs sind auf den Boden gestreut oder hängen an der Wand. In einer Hütte sah ich sogar noch zwei Zahnbürsten und einen Kamm in dem Schilfgeflecht stecken. Alles ist tabu, und kein Mensch wagt diese Gegenstände zu berühren.

Aussen herum liegt ein ganzer Trödelmarkt von Ueberresten früherer Zeiten. Zerschlagene eiserne Töpfe, verrostete Flintenläufe, die Trümmer von Holzschnitzereien, Giebelverzierungen, Fratzenbilder, ornamentale Fensterläden und hundert andere Dinge. Auch glaubte ich unter dem Schutt ein Stück von einer grossen Holzschüssel mit einem Fratzengesicht als Handhabe von jener Art, wie sie einst für Menschenfleisch gebraucht wurden, gesehen zu haben. Alle die Schnitzereien zeigten das gröbere Gepräge jener früheren Zeit, als noch mit Muscheln statt mit importirten Messern gearbeitet wurde.

Nahe der Spitze stehen am Rande des Sees, von einem Phormiumgebüsch umgeben, fünf mannshohe Bildsäulen nebeneinander, und auch oben mitten im Dorf findet man deren vereinzelte. Es sind die Konterfeis besonders erlauchter Häuptlinge und Häuptlingsfrauen, Gesichter und Genitalien unförmlich gross und sehr komisch stylisirt.

An den meisten Speicherhäuschen ist vorne die Giebelspitze mit einer festgebundenen, etwa halbmeterlangen geschnitzten Menschenfigur geziert. Einige sind schon locker geworden und drohen zu fallen, andere liegen bereits auf der Erde und vermodern. Kein Mensch, auch die Regierung nicht, scheint sich um diese Schätze zu kümmern, und so stehen sie denn so lange bis sie eines schönen Tages der Wind umwirft und der vollständigen Verrottung preisgiebt. Ganz nahe dem Schwimmbad führt ein Steg über eine tiefere Schlucht, die mit dem stampfenden Kessel zusammenhängt. Diesen Steg bilden Bruchstücke eines alten Kriegskanuus, deren obere konvexe Seiten mit Basreliefs von rudernden Gestalten geschmückt sind.

Wie viel wäre hier noch zu retten, nicht blos auf dem Lande, sondern auch auf dem Grunde des seichten Sees. Wie gerne würde ich hier einen ganzen Wagen voll mitgenommen haben, wenn ich die Mittel dazu gehabt hätte. Aber es fehlte mir an Geld, und dann wäre auch die Auffindung und Feststellung der betreffenden Eigenthümer und ihre Befriedigung allzu zeitraubend und mühevoll gewesen.

Zwei Ausflüge sind in den Neuseeländischen Reisehandbüchern von Ohinemutu aus vorgeschrieben, nach Rotomahana (32 Kilometer) und nach Wakarewarewa (5 Kilometer). Ich besuchte letzteres zuerst und traf dadurch die richtige Reihenfolge aufsteigender Ordnung in den vier Hauptpunkten Tapuaeharuru, Ohinemutu, Wakarewarewa, Rotomahana.

Man sieht die Dampfsäulen der Wakarewarewa-Geyser weithin in der ganzen Niederung von Ohinemutu, was mich verleitete, meinen Weg ohne Führer anzutreten und jenen Pfad einzuschlagen, der in der entsprechenden Richtung lief. Ich sollte dafür durch einen grossen Umweg und noch grössere Verlegenheiten bestraft werden. Ich wusste damals noch nicht wie trügerisch es in diesem Lande ist, aus der Richtung eines Pfades schliessen zu wollen, wohin er gehe, und zu glauben, dass ein Pfad überhaupt irgendwohin führen müsse.

Nichts störte in der ersten halben Stunde meine Zuversicht. Das nie endende Geschrei der badenden Jungen und das Hundegebell von Ohinemutu verstummte hinter mir, und die Oede und Stille der Farn- und Manukalandschaft wurde nur hie und da unterbrochen durch das zimperliche »Tiriririti – Türürürütü« eines einsamen neuseeländischen Ammers. Ein Falke sass stumm und regungslos auf einem Strunk und flog stumm und ohne Geräusch hinweg als ich näher kam.

Enger wurde der Weg, sumpfige Stellen hemmten die Schritte, links und rechts drängte sich das Gestrüpp immer dichter zusammen und riss immer unverschämter an den Kleidern. Auf einmal war es kein Weg mehr, was ich vor mir hatte, sondern eine fast undurchdringliche Farnwildniss, in der ich bis zum Kinn stak und nun nichts mehr von den leitenden Dampfsäulen sah.

Ich ging zurück zu einem Punkt, von dem aus ich wieder die Umgebung überblicken konnte, und entdeckte zu meiner angenehmen Ueberraschung nur vielleicht 300 Schritt jenseits einer Mulde einen Fahrweg, auf den ich sofort zuschritt. Aber die Mulde war tiefer als sie schien. Das Farngestrüpp hörte auf, und vereinzelte dürre Grasbüschel traten an seine Stelle, feine Dampfwölkchen entstiegen plötzlich der Böschung unmittelbar unter mir, und ein kleiner heisser Schlammsee mit eifrig spuckenden Schlammvulkanen bildete den Grund. Ich befand mich unerwartet auf gefährlichem Boden, der wieder eben so geröstet und unheimlich brüchig wurde wie bei den heissen Quellen von Tapuaeharuru. Da ich häufig von einem Grasbüschel zum anderen gesprungen war, hatten meine Schritte keine Fährte hinterlassen, und ich wusste nicht mehr, woher ich gekommen. Es galt also vorsichtig und mühsam aufs Gerathewohl sich weiterzuarbeiten.

Manukagebüsch, geröstete Erde und dampfende Löcher ohne Wasser wechselten mehrmals mit Farngestrüpp, so üppig und dicht, dass ich es erst mit Armen und Beinen niederpressen musste, ehe ich den Fuss vorwärtssetzen durfte, und zu hundert Schritten eine halbe Stunde brauchte. Dann ging es durch Gräben ab und auf, warme Bächlein waren zu überschreiten, wozu ich mir erst Faschinen schneiden musste, da ich sonst wahrscheinlich versunken wäre, dann kam auf einmal wieder eine kochende Schmutzpfütze mit höchst verdächtigen weichen Uferrändern, und schliesslich waren Schmutzpfützen und Schmutzseen rings um mich her und wurden so unübersehbar komplizirt, dass ich alle Orientirung verlor und fast verzweifelte jemals aus diesem brodelnden Labyrinth herauszufinden. Aber Alles ging gut, und ich erreichte dennoch mein vorläufiges Ziel, den Fahrweg und hatte nun ein interessantes Gebiet durchstreift, welches ich nicht oder gewiss nicht so genau kennen gelernt hätte, wenn ich auf dem gewöhnlichen Weg gegangen wäre.

Diese kochenden Schlammseen sind höchst eigenthümliche Phänomene. Die grössten von dem Durchmesser eines guten Steinwurfes, die kleinsten so breit, dass man zur Noth das Hinüberspringen wagen könnte, etwa drei Meter tief in die Farnebene hineingebettet, rundlich gebuchtet und theilweise mit einander zusammenhängend, bestehen sie grösstentheils aus einem weisslichen Brei ähnlich dem Chausseekoth kalkiger Gegenden. In jedem See und in jeder Pfütze wallt in der Mitte oder gleichzeitig an mehreren Punkten diese dicke Masse rastlos kochend und spuckend empor und pflanzt die dadurch erzeugte Bewegung in genau konzentrischen trägen und dicken Wellen um sich fort. Einige wenige solcher Tümpel fand ich gerade unthätig, und in ihnen hatte der Brei sich in die festeren auf dem Grunde abgesetzten Theile und in klares, warmes, dampfendes Wasser darüber gesondert, welches entweder im weichen Ufer voll dampfender Löcher versickerte oder in tiefer gelegene Tümpel abfloss. Alle Blätter und Aestchen, die am Ufer lagen, waren mit Inkrustationen überzogen.

Ich war nun wenigstens wieder auf sicherem Boden. Aber der Fahrweg führte weder nach der einen noch nach der anderen Seite dahin wohin ich wollte und schien sich um Wakarewarewa überhaupt gar nicht zu kümmern. Abermals irrte ich umher, bis ich einen Maoritrack fand, der die gewünschte Richtung hatte und mich nicht betrog. Nur der reissende und gleichfalls warme Wakarewarewafluss setzte ein Hinderniss weniger beunruhigender Art, welches ich überwand, indem ich die untere Hälfte meiner Bekleidung ablegte und ohne Unfall trocken hinüberbrachte, trotzdem die rasche Strömung sich alle Mühe gab, meine Beine von den schlüpfrigen Steinen wegzuziehen.

Es war nicht ganz leicht, auf der anderen Seite emporzuklettern. Ich warf mein Gepäck hinauf ins Gebüsch, und als ich selbst oben war, dankte ich inbrünstig meinem gnädigen Geschick. Denn beinahe hätte ich Hose, Regenschirm und Stiefel in einen tiefen kochenden Kessel geschleudert, der unmittelbar hinter dem hohen Ufer verborgen war und heimtückisch brodelte.

Endlich stand ich vor den Geysern und wurde für alle Mühe reichlich belohnt. Meine Erwartungen waren in Folge der Lektüre eines überschwenglichen Guidebooks sehr niedrig gespannt, aber die Grossartigkeit dessen was ich nun sah, hätte auch viel höhere übertroffen und kam beinahe den Schilderungen des Guidebooks gleich.

Mitten aus dunkelrothem zerrissenem Gestein und dunkelgrünem von den Dämpfen kochender Quellen bethautem Gebüsch erheben sich etwa 10 Meter hoch strahlend zwei weisse Kegel aus Kieselsinter, an der Basis mit dem zarten Gelb von blumigen Schwefelkrystallen geschmückt – ein herrliches Bild voll Farbenpracht und malerischer Wirkung. Man konnte sich für dieses glänzende feenhafte Gebilde keinen besseren Hintergrund denken als jene düsteren rothen und grünen Töne.

Niedrige Stufen, aus Kieselkrystallen[5] gewebt und mit einer dünnen spiegelnden Schicht abfliessenden Wassers bedeckt, führen nach oben zur Mündung der Geyser. Diese sind nicht immer thätig und kündigen eine bevorstehende Explosion vorher durch stärkeres Wallen und Donnern an, so dass man ohne Gefahr ganz nahe an ihren Rand vortreten kann. Der grössere hat einen unregelmässig geformten Schlund von 2 bis 6 Meter in den verschiedenen Durchmessern und das Niveau seines unergründlich dunkelblauen Wassers ist etwa ein Meter unter der Oberfläche.

[5]: Mineralogisch betrachtet ist der Kieselsinter nicht krystallinisch, sondern amorph; dem oberflächlichen Beschauer aber macht dieser in den Formen von Eisblumen und Reifbäumchen erstarrte Stoff den Eindruck von Krystallen.

Als ich zum ersten mal hier hinabsah, war gerade vollständige Ruhe eingetreten. Nach wenigen Sekunden begann es unten leise zu wogen, grosse Luftblasen gurgelten aus der Tiefe herauf und platzten, die ganze blaue Flüssigkeit kam in Wallung und stieg immer höher, der Boden zitterte und donnerte dumpf unter meinen Füssen. Ich trat zurück.

Vielleicht eine Minute mochte dieses unterirdische Rumoren dauern, einzelne Tropfen spritzten zuweilen über den Rand, und plötzlich hob sich eine donnernde und brausende Wassersäule 5 Meter hoch in die Luft, und mehrere dampfende Bäche plätscherten über den Kegel hinab. Dann wurde es ruhiger, es gurgelte schwächer und schwächer in dem Geyserschlund, und die Explosion war vorüber.

In dem zweiten Geyser schien gar keine Bewegung zu sein. Während ich so herumwanderte, kamen drei Weisse aus dem Gebüsch herbei und knüpften ein Gespräch mit mir an. Sie waren Badegäste und von Melbourne, die aus Sparsamkeitsrücksichten nicht in Ohinemutu, sondern in einem einsamen Maorigehöft hinter dem nächsten Hügel Logis genommen hatten. Sie schienen die Gewohnheiten der beiden Geyser eingehend studirt zu haben und sagten mir, dass der kleine zuweilen noch spiele, aber nur dann, wenn er von niemand beobachtet sei, wesshalb er den Namen »der schüchterne Geyser« (the bashful Geyser) erhalten. Der andere grössere würde heute, so hofften sie aus dem Wetter schliessen zu dürfen, mindestens noch 50 Fuss hoch springen. Ich war jedoch skeptisch genug, ihren Prophezeiungen nicht viel zu trauen, und machte mich auf den Heimweg statt mit ihnen hinzusitzen und auf die verheissenen 50 Fuss zu warten.

Eines Abends machte ich im Bade die Bekanntschaft dreier Photographen aus Auckland, welche die berühmten Sinterterrassen von Rotomahana aufzunehmen beabsichtigten. Da ich ebenfalls die Absicht hatte, nächstens dorthin zu fahren, schloss ich mich an sie an.

Am Tage vor unserer Abreise wurde uns durch Vermittlung mehrerer ansässiger Weissen vorgeschlagen, die gesammte tanzfähige Einwohnerschaft von Ohinemutu wolle uns zum Abschied einen »Haka« vortanzen, wenn wir jeder ein Pfund Sterling bezahlten, und wir gingen darauf ein. Im Versammlungsgebäude der Gemeinde sollte die Produktion vor sich gehen.

Es war eben dunkel geworden, als man uns einlud zu kommen. Einige Petroleumlampen erleuchteten spärlich den schwärzlichen Raum, welcher sehr düster aussah. Wir nahmen auf Bänken Platz. Hinter uns drängte sich ein zahlreiches Maoripublikum hin und her.

Das Balletkorps harrte bereits in Schlachtordnung aufgestellt unseres Erscheinens. Es bestand aus etwa 60 Mädchen, 20 Männern und 2 kleinen Jungen von 5 bis 6 Jahren. Die Männer nahmen den rechten, die Weiber den linken Flügel ein, ein alter Häuptling mit einem ganz blau tätowirten Gesicht, der schon manchen Akt des Kannibalismus auf dem Gewissen haben mochte, kommandirte. Er war derselbe, an dem ich jüngst beim Baden Gelegenheit gehabt hatte zu konstatiren, dass auch seine Basis mit einem stylvollen Maorischmuck versehen war. Zwei grosse blaue ammonitenartige Spiralen zierten ihm die Hinterbacken. Heute trug er ausser dem um die Lenden mit einem Ledergurt befestigten Schal am Oberkörper nichts als eine alte zerrissene europäische Weste. Vom Schlitz des Ohrläppchens hing eine Pfauenfeder herab. Die Tänzerinnen trugen Hühnerfedern in den struppigen Haaren, je zwei auf beiden Schläfen wie Fühlhörner emporgerichtet.

Bei allen Polynesiern, ja so ziemlich bei allen Naturvölkern wird beim Tanz auch gesungen, und die Namen für Tanz werden deshalb auch meist im Sinn von Gesang gebraucht. So war es auch mit diesem Haka. Eine Reihe von Strophen oder Figuren folgte einander. In den Pausen kauerte die in drei Gliedern aufgestellte Gesellschaft nieder, um auf Kommando zum Wiederbeginn einer Strophe mit einem gellenden ohrenzerreissenden Schrei aufzuspringen. Sie veränderten beim Tanzen kaum ihre Plätze, traten höchstens einen Schritt vor und zurück, machten einmal rechtsum, dann linksum und trippelten nun im Profil vorwärts und rückwärts. Taktmässiges und gleichzeitiges Hin- und Herwerfen der Arme, Händeklatschen und Hüftenschlagen wechselten erstaunlich präzis und exakt, und was das Hervorstechendste war – die Weiber, namentlich die älteren, bewegten ihre Bäuche im Takt auf und nieder mit einer Biegsamkeit, als ob sie hiefür ein eigenes Gelenk besässen. Wahrscheinlich geschah diese Bewegung in den besonders elastischen Kreuzwirbelbändern, sonst konnte ich sie mir anatomisch nicht erklären. Um ihre Virtuosität recht deutlich zu zeigen, trugen sie die Bäuche über den Röcken oben und unten durch farbige Bänder abgeschnürt, so dass sie wie runde Kugeln sich hervorwölbten.

Jedenfalls hatte ursprünglich auch der Haka wie alle polynesischen Tänze einen geschlechtlich lasziven Sinn. Bei dieser durch halb europäische Kleider modifizirten Darstellung war nichts derartiges mit jener vollen widerlichen Klarheit wahrzunehmen, welche ich später auf Hawaii beim Hulahula beobachten sollte.

Während der ganzen Zeit wurden die Augen in einer wahrhaft fürchterlichen Weise gerollt. Der Gesang liess keine Melodie in unserem Sinn erkennen und bestand nur aus zwei oder drei Noten, er verstieg sich zuweilen in heulende und bellende Töne und endete gewöhnlich in einem gellenden kurz und scharf ausgestossenen Ton, so dass man die plötzliche Stille danach eigenthümlich befremdend empfand. Bei einer Strophe kam eine Blechbüchse als Trommel in Anwendung.

Am besten waren die beiden kleinen Jungen. Sie waren mit einem Lendentuch bekleidet und ihre Köpfe mit einem rothen Stirnband, in welchem Federn staken, geschmückt. Mit gespreizten Beinen und gespreizten Armen, die Finger in krallenförmiger Haltung, gaukelten sie, die unmöglichsten Grimassen schneidend, die Zungen herausschlagend und die Augen verdrehend, so dass man nur mehr das Weisse sah, vor der Front nach links und nach rechts hin und her, geberdeten sich sehr gelungen wie kleine Teufel und erinnerten lebhaft an den so charakteristischen Typus jener Fratzengesichter, welche ein Hauptornament der Maoriskulptur bilden.

Im Anfang gingen die Tanzfiguren ziemlich gut von Statten. Der alte Häuptling hatte sichtlich seine Freude daran und jauchzte vor Vergnügen. Er mochte sich seiner schönen kannibalischen Jugend erinnern. Bald jedoch schien sich Ermüdung und Langweile in dem Balletkorps einzustellen und die Taktmässigkeit der Evolutionen erlahmte. Die Einen machten linksum wenn rechtsum kommandirt war, es gab dann Verwirrung, die Tanzenden fingen an, sich zu schimpfen. Auch der alte Häuptling gerieth ins Schimpfen, die Verwirrung stieg. Er schimpfte immer ärger, er riss seine Weste ab und raste nun nackt hin und her. Aber es half alles nichts mehr. Wüthend legte er das Kommando nieder und mischte sich unter die Zuschauer, um die Tänzer mit höhnischen Zurufen zu schmähen, als sie ohne ihn weiter zu arbeiten versuchten, und ein jüngerer Mann kommandirte. Sowie der alte Häuptling nicht mehr mitspielte, war es um die Vorstellung geschehen. Nichts gelang mehr, und der Tanz löste sich in einen allgemeinen Streit auf.

Der alte Geist des Haka war eben unter dem jüngeren Volk nicht mehr vorhanden, und wenn er jetzt noch hie und da produzirt wird, so geschieht es blos des Geldes wegen und vor Touristen, die nichts davon verstehen.

Nur bei den grossen Staatsversammlungen der Maoris oder auf den jährlichen Rundreisen des Ministers für Maoriangelegenheiten bei den verschiedenen Stämmen, wenn viele Männer vom alten Schlag zusammenkommen, mögen die alten Maoritänze noch ziemlich echt aufgeführt werden, und dann soll es auch nicht an den dazugehörigen Bestialitäten fehlen. Man hat mir hierüber die haarsträubendsten Dinge erzählt. Es wird aber so viel gelogen, dass ich nicht weiss, was ich für wahr halten darf. Positiv ist nur, dass in den Zeitungen damals viel Entrüstung über einige vornehme Damen zu lesen war, die bei einer derartigen Gelegenheit sich vorgedrängt hatten und sich schliesslich gezwungen sahen, in Ohnmacht zu fallen.

Die jüngere Generation von Ohinemutu zieht es vor, Walzer und andere europäische Tänze zu tanzen. Fast alle Abende fanden entweder in einer alten leerstehenden Hütte oder im Freien sehr lustige Bälle statt. Auch jetzt nach dem missglückten Haka wurde ein solches zeitgemässeres Vergnügen arrangirt, und zwar, da wir gerade den schönsten Mondschein hatten, gleich vor dem Versammlungsgebäude. Die Mädchen tanzten ausgezeichnet. Allerdings wirkten die Furcht, ihnen auf die blossen Füsse zu treten, und die Unebenheiten des Bodens etwas störend. Ein Soldat der Konstabulary Force machte mit einer Ziehharmonika die Musik dazu.

Als der Musikant müde war und den Ball durch Aufhören seines Spiels beendete, bat mich eine unserer Tänzerinnen, mit in ihre Hütte zu kommen. Sie hatte gehört, dass ich ein Arzt sei, und bewarb sich eifrig um meine Gunst, damit ich ihr einen bösen Husten, an dem sie litt, wegzaubern möchte.

Sie wohnte mit zwei Freundinnen zusammen in einer Weise, die allen Rücksichten der Hygiene spottete und wieder ein glänzendes Zeugniss ablegte von der bekannten eisernen Gesundheit der Prostituirten überhaupt und dieser braunen insbesondere. An eine bestimmte Essens- und Schlafzeit schien sich das interessante liederliche Kleeblatt nicht zu binden. Eine Stearinkerze, die in einer schmierigen Flasche steckte, wurde angezündet. Der Fussboden war die nackte feuchte Erde. Im Hintergrund der Hütte bildete eine Schicht Farnkraut mit einigen groben wollenen Decken und weiss überzogenen Kopfkissen das gemeinschaflliche Bett für die drei, auf welches wir uns niedersetzten da sonst kein Sitzplatz vorhanden war.

Meine Patientin holte aus einem Winkel etliche kalte gesottene Kartoffeln hervor und schälte mir eine davon. Kartoffeln sind fast die ausschliessliche Speise der Maoris. Aber diese niederträchtige Nahrung hat es noch nicht vermocht, die Schönheit der Rasse merklich zu schädigen. Die eine der Freundinnen ging wieder fort und sagte, sie wolle heute wo anders schlafen, die andere packte ein Stück leichten Stoffes aus einem grossen Papier und fing an, bei dem spärlichen Licht der Kerze zu nähen. Es war ungemüthlich kühl und feucht, man sah den Hauch vor dem Munde. Dabei hatten die Mädchen weiter nichts als ein Hemd und einen möglichst grell und bunt gefärbten Schal auf dem Leibe.

Mehr als diese zwei Kleidungsartikel trägt für gewöhnlich kein Maorifrauenzimmer in Ohinemutu. Bei besonders festlichen Gelegenheiten werden die Füsse vielleicht in ein Paar Stiefeletten und der Oberkörper in ein Mieder gezwängt. Stiefeletten und Mieder sind aber Luxusgegenstände, welche nicht jede besitzt. So frieren sie sich durch den Winter durch, bis der warme Sommer kommt. Wird ihnen die Kälte zu stark, so gehen sie hinaus und legen sich auf ein paar Stunden ins warme Wasser, was wir gemeinschaftlich thaten, nachdem meine Konsultation zu Ende war. Von einer ernsthaften Behandlung des ohnehin geringfügigen Uebels konnte hier natürlich keine Rede sein. Die Patientin erhielt mein letztes Wellingtoner Morphiumpulver.

Ich glaubte unter den Mädchen und Weibern von Ohinemutu zwei Typen unterscheiden zu können, einen mit ernsten ruhigen Zügen von zuweilen sehr edler Bildung, und einen mit unregelmässigen niggerhaften Gesichtern, denen nur eine gewisse hetärenhafte Heiterkeit einen Reiz untergeordneter Art verleihen konnte. Bei den Männern fand ich diese Unterschiede weniger ausgesprochen.

Obgleich auch bei den Maoris der so ziemlich allen Naturvölkern eigene Grundsatz gilt, dass die unverheiratheten Frauenzimmer bis zur Ehe berechtigt sind, frei über sich zu verfügen, ohne deshalb in Schande zu verfallen, eine Freiheit, aus der sich in Berührung mit dem Europäerthum gewöhnlich eine intensive Prostitution zum Zweck des Gelderwerbes gebildet hat, so fehlte es in Ohinemutu doch nicht an einer Art Sittenpolizei, welche die Häupter der Gemeinde ausübten, und mehr als einmal sah ich herumstreunende Mädchen ergriffen und nach Hause geschleppt werden.

Am nächsten Vormittag fuhr ich verabredeter Massen mit den drei Photographen nach Rotomahana, dem Gipfelpunkt der Sehenswürdigkeiten des Lake-Distriktes ab. Es ist herkömmlich, diese Partie über Wairoa, einem Dorf am Tarawerasee, zu machen, bis dorthin auf einer nicht aussergewöhnlich schlechten Strasse zu Wagen und dann über den See in einem Maorikanuu zu fahren.

Hätte ich vorher geahnt, welche Unannehmlichkeiten ich mittels meiner zehn Shillinge für einen Sitz auf dem Fuhrwerk nach Wairoa erkaufte, ich wäre ohne Zweifel zu Fuss gegangen, was mir höchstens eine halbe Stunde mehr gekostet, aber gewiss auch mehr Vergnügen und weniger Qual bereitet hätte. Meine Begleiter schleppten so viel Gepäck mit sich, dass wir in den unnatürlichsten Stellungen auf dem alten Karren, der fusshoch über Steine und Löcher hopste, herumbalanciren mussten, und die Pferde waren so jämmerlich schlecht und altersschwach, dass man es nicht ungerührt mit ansehen konnte, wie schwer ihnen eine raschere Gangart fiel, trotzdem der Kutscher alles Mögliche that, sie aufzumuntern, und schliesslich zu diesem Zweck sogar einen jungen Baum aus der Erde riss. Eine alte graue Stute lief einzeln in der Gabel, vor welche zwei andere Mähren gespannt waren. Diese zeigten noch etwas Empfindung und machten jedesmal drei oder vier Gallopsprünge, so oft das keulenförmige Wurzelende des jungen Baumes durch die Luft brauste. Die alte Stute in der Gabel aber blieb resignirt unter der Wucht der Keulenschläge, veränderte nicht eine Sekunde den sanften Rhythmus ihres unverwüstlichen Zotteltrabs und wischte höchstens einmal gleichgültig mit dem dünnen Schwänzchen über die Lenden, wenn gerade einer besonders heftig auf sie niedergerasselt war.

Das Wetter war kalt und fröstelnd, es begann zu regnen. Wir brauchten beide Hände um uns festzuhalten und konnten nicht daran denken, die Reisedecken um uns zu wickeln, sondern mussten das Unangenehme geduldig ertragen.

Zum Glück nimmt Alles ein Ende, also auch eine Reise nach Wairoa, welches wir freudig begrüssten, nachdem wir zuerst die Niederung von Ohinemutu, dann einige langweilige Farnhügel, dann einen prachtvollen Busch mit riesigen Totaras voller Schmarotzergewächse und eleganten Farnpalmen passirt hatten und zuletzt an zwei kleinen Seen entlang gefahren waren, von denen der erste Tikitapu heisst und 20 Meter höher als der zweite Namens Rotokakahi liegt. Der Spiegel des einen soll bei gutem Wetter herrlich blau sein, ich sah jedoch damals nur Grau.

Einige Partien wandernder Maoris, Männer, Weiber und Kinder zu Pferd und zu Fuss, begegneten uns und grüssten freundlich »Tenakoe« (da bist du). Ein junges Pärchen Hand in Hand eilte laufend vorbei, er einen Stock über der Schulter und sie ein farbiges Bündel herumschlenkernd. Nicht einen Augenblick unterbrachen sie ihr Rennen über den lehmigen Boden, durch Behendigkeit und Mangel an Grazie sehr an das Affenartige streifend, so lange man sie auf der schnurgerade durch den Busch geschnittenen Strasse verfolgen konnte.

Als wir in Wairoa ankamen und in unserem schmälichen Fuhrwerk am Hotel vorfuhren, gab es natürlich wieder den üblichen Zusammenlauf. Die Eingeborenen haben ausser der Bearbeitung einiger Kartoffelfelder nichts zu thun und leben hauptsächlich von den Fremden, welche die nahe Sehenswürdigkeit fast das ganze Jahr hindurch herbeizieht. Dieser Artikel mochte in der letzten Zeit wegen des schlechten Wetters etwas spärlich gewesen sein, wie aus der Aufregung, mit der man wetteiferte, uns Dienste zu offeriren, hervorzugehen schien.

Von verschiedenen Seiten kamen aus den zerstreuten Schilfhütten Männer mit kurzen Pageien auf den Schultern herbei. Ein Rudel Weiber und Kinder pflanzte sich dem Hotel gegenüber längs der Strasse auf, um dem Schauspiel unserer Verhandlungen mit den Kanuubesitzern als passive Theilnehmer beizuwohnen, und den Genuss zu erhöhen, kauerten einige nieder, zündeten ihre Stummel an und schickten kleine Jungen an uns ab, Pakehatabak zu erbetteln.

Die Hotelwirthschaft, drei bejahrte Frauenzimmer und ein stupid aussehender Kerl irischer Nation, welch letzterem übrigens nur selten zu sprechen erlaubt wurde, beschwor uns, doch heute nicht mehr in so vorgerückter Stunde und bei dem heftigen Winde die Fahrt über den Tarawera zu wagen, und ein Mann mit einem blauen Schäfermantel, einer Schirmmütze auf dem Haupt und dicken Holzsandalen an den Füssen eilte schleunigen Schrittes herbei, um sich als anerkannten Guide der Gegend und als Monsieur Procope vorzustellen, dem die Holzhütte gehörte, an welcher uns bereits beim Hereinfahren die Aufschrift »Maison de Paris« aufgefallen war. Kaum hatte er gehört, um was es sich handelte, als er auch gleich, in der Hoffnung engagirt zu werden, den Anschauungen der irischen Partei Opposition machte und, sehr erfreut, statt in dem ihm feindlichen Englisch in seiner Muttersprache konversiren zu können, uns wiederholt versicherte »Elles sont des Anes«. Seine Bemühungen trugen ihm nur etliche Zigarren ein, und wir fuhren ohne ihn nach Rotomahana.

Für die Wasserpartie Wairoa-Rotomahana ist ein Tarif in Geltung, nach welchem jeder Fahrgast zwei Kanuuleute für je fünf Shilling pro Tag zu nehmen verpflichtet ist. Wir hatten bald unsere acht Burschen beisammen und waren mit ihnen bezüglich unserer Personen handelseinig. Da jedoch die Photographen aussergewöhnlich viel Gepäck mitschleppten, weshalb noch eigens Bezahlung verlangt wurde, so führte dieser Punkt zu einer längeren unerquicklichen Zänkerei. Die Maoris versuchten Englisch und die Photographen Maori zu radebrechen, was zur Folge hatte, dass beide sich nicht verstanden. Auch der Franzose krähte zuweilen dazwischen, und die Irländerinnen schimpften dann kreischend auf den Franzosen, so dass die ganze Szene einschliesslich des neugierigen braunen Publikums amüsant sein konnte, hätte nicht die Kälte das Hinstehen und Zeitverlieren zu unangenehm gemacht.

Von Wairoa aus kann man den Tarawerasee noch nicht sehen. Er liegt etwa 30 Meter tiefer, und erst mehrere hundert Schritt weiter gegen Nord fällt das Land plötzlich zu ihm hinab. Bis dorthin folgte uns die ganze Bevölkerung nach sowie auch der Wagen mit dem Gepäck, um dann, voll von schreienden Kindern, zurückzukehren.

In einem Rinnsal kletterten wir den steilen Absturz hinunter. Dann gings durch ein sumpfiges Schilfdickicht und über einen Creek, auf dem zwei kleine Kanuus schwammen und die sehr unsichere schwankende Brücke zusammensetzten.

Diesen Creek werde ich niemals vergessen. Mit meinem Bündel in der einen Hand, dem Höllensteinkasten der Photographen in der anderen, zwischen den Zähnen meinen Regenschirm, betrat ich das diesseitige Kanuu, balancirte glücklich hindurch und war eben im Begriff in das jenseitige zu steigen, als hinter mir ein voreiliger Maori das labile Gleichgewicht störte, und ich lag sammt meiner Ladung rücklings auf dem kalten Grunde des Bächleins, und nur die Beine guckten noch aus dem Wasser, wie man mir später erzählte. Ich war nun vollständig durchnässt und sollte auf der ganzen Partie nicht mehr trocken werden.

Wir machten vergeblich ein Feuer an, um uns zu wärmen, bis die langweiligen Maoris ihre Zurüstungen beendet hatten. Ein hübsches braunes Mädchen, welches um Tabak bettelte und Mitleid mit meinem verunglückten Zustand zu haben schien, war mein einziger Trost.

Endlich, endlich stiessen wir ab, nachdem die Photographen sich noch eine Weile wegen ihres Gepäckes herumgezankt. Etliche schmale und lange, aus Baumstämmen gehöhlte Kanuus lagen im Sumpf des Ufers, und in das längste derselben packten wir uns und unsere Sachen. Es ist unbegreiflich, wie auf einem von englischen Touristen so stark befahrenen Gewässer noch solche schlechte und primitive Fahrzeuge benutzt werden dürfen.

Obgleich unsere Maoris bereits eine halbe Stunde lang ausgeschöpft hatten, war der Grund des Kanuus noch immer voll Wasser, als sie uns einzusteigen nöthigten. Wir setzten uns einer hinter den anderen, mit gespreizten Beinen in einander gefügt wie zu einer Bergwerksfahrt, auf den engen Boden, dessen Härte eine Streu Farnkraut mildern sollte, und dessen Wasserstand sehr fühlbar unsere Basis umspülte. Um mich, auch oberhalb dieses gemeinschaftlichen Pegels Feuchten, zu wärmen, bat ich mir einige Gepäckstücke zur Verschanzung aus. Einen Kartoffelsack auf dem Bauch, den Höllensteinkasten als Brustschild, die Camera obscura und das Dunkelzelt gegen den Rücken gestaut, so verwandelte ich langsam durch thierische Wärme die Nässe der Kleidung in einen verhältnissmässig behaglichen Dunst, resignirt und mir wohlbewusst unfehlbar zu ertrinken, falls das schwanke Kanuu umkippen sollte, wozu es einigemal Miene machte.

Je vier Maoris sassen vor und hinter uns und tauchten nach dem raschen Takte eines melodiösen Gesanges die kurzen Pageien ins Wasser. Ganz hinten ruderte der Kapitän und kommandirte mit heftigen und erregten Worten.

Wir schossen aus der Bucht in den See hinaus, die schön bewaldeten felsigen Ufer flogen zurück, ein scharfer Wind wehte uns entgegen, und höhere Wellen leckten links und rechts ins Kanuu. Die Gefährten übernahmen abwechselnd die Arbeit, mit einer alten Konservenbüchse auszuschöpfen. Ich selber, der ich am tiefsten sass, peilte mit meiner Haut den Stand der Flüssigkeit. Sobald sie die Schenkelbeuge zu überfluthen begann, befahl ich zwei Mann an das Pumpwerk.

Unsere Maoris benahmen sich keineswegs vertrauenerweckend. Bei jedem schärferen Windstoss, bei jedem höheren Wellengang fingen sie laut zu schreien an, debattirten unter einander und hörten nicht mehr auf den Kapitän. Dann schien es ihnen auf einmal zu gefährlich, durch die Mitte des Sees zu steuern, sie bogen gegen Land zu und setzten dadurch die ganze Breitseite den Wellen aus, welche auch nicht versäumten, sofort hereinzuschlagen und sie zur Beibehaltung des alten Kurses zu nöthigen. An einer vorspringenden Felsenzunge kamen wir dem Gestein so nahe, dass wir beinahe scheiterten. Kurz eine Gefahr nach der anderen drohte aus der Unentschlossenheit und Aufgeregtheit des braunen Piratengesindels, dem wir in die Hände gefallen waren. Ihre ganzen Navigationskünste, von denen die Neuseeländischen Reisehandbücher viel Rühmliches zu berichten wissen, äusserten sich mehr in einem ewigen wüsten Geschrei, einem ewigen rathlosen Hin- und Herfackeln, als in einer zweckmässigen ernsten Thätigkeit. Und zu alle dem waren die Kerls noch schmälich faul, ruhten gemächlich aus oder frugen uns durch Geberden, ob wir nicht auch einmal rudern wollten.

Die Landschaft ringsum war trotz des ungünstigen Wetters äusserst malerisch, und das dunkle Grün des Wassers wetteiferte mit dem noch dunkleren Grün des über Felsen hereinhängenden üppigen Busches an Kraft und Tiefe. Hie und da erhob sich ein einsamer scheuer Kormoran aus dem Wasser.

Nach etwa zwei Stunden näherten wir uns dem östlichen Ende des Sees, wo eine Bucht in südlicher Richtung sich zu einem Bache verjüngt, der aus dem Rotomahana herabkommt. An einer Stelle ist ein schönes Echo, welches der Maorisage zufolge den in den schroffen Wänden des Ufers hausenden Dämonen seinen Ursprung verdankt. Früher musste man hier ein kleines Opfer leisten, indem man Geld, Zigarren oder Tabak auf einen niedrigen Felsblock legte. Jetzt hatte sich diese alte Sitte so weit abgeschwächt, dass es genügte, ein Stückchen Farnkraut von unserer Streu im Vorüberfahren darauf zu werfen.

Am Eingang zu dem Bach von Rotomahana, ganz nahe dem Ziele, gabs abermals Streit. Es war spät geworden. Unsere Maoris wollten nicht mehr weiter gehen und in ein paar Hütten neben einer heissen Quelle bei guten Freunden übernachten.

Es war ihnen sichtlich darum zu thun, uns möglichst viel Zeit und damit auch möglichst viel Geld für sich abzugewinnen. Im Hintergrunde der buschigen Berge dampfte es gewaltig und vielversprechend empor, und das Wasser war bereits lauwarm, weshalb wir schon eine halbe Stunde früher unsere Trinkgefässe gefüllt hatten.

Wir bestanden darauf, noch heute an Ort und Stelle zu gelangen, und wenn wir auch das schwerere Gepäck bis morgen zurücklassen mussten. Die Maoris gehorchten wider Erwarten, wir stiegen aus und setzten die Reise zu Fusse weiter, während das Kanuu mit nur vier Mann den Bach hinauffahren sollte.

Aber ganz ohne Prellerei konnte es doch nicht abgehen. Der schmale Pfad im Manukagestrüpp setzt plötzlich über den tiefen Bach. Unsere halbnackten Führer wateten einfach durch, indem sie die Hüftenplaids etwas lüpften. Wir armen Europäer waren nicht so praktisch gekleidet und standen verlegen am Rande, während jene sich höhnisch erboten, für einen Shilling uns hinüberzutragen. Wir waren entrüstet ob dieser Frechheit. Sie waren unsere gemietheten Diener, jeder von den Kerls kostete uns per Tag fünf Shilling und die Verpflegung, und nun wagten sie noch uns extra zu brandschatzen. Gerne hätten wir uns der Stiefel und sonstiger Anhängsel entledigt, allein wir hätten sie sicher wegen ihrer Feuchtigkeit nicht wieder anlegen können. Wir wollten um keinen Preis nachgeben und beschlossen, auf das Kanuu zu warten. Drüben zündeten sich die streikenden Maoris ein Feuer an. Wir versuchten dasselbe herüben, aber nicht ein einziges Zündhölzchen war trocken.

Die Kälte wurde ungemüthlich und wir wurden weich und gewährten den Shilling. Die Maoris kamen und luden uns auf den Rücken. Indess, für mich war heute ein Unglückstag. Mein Bursche glitt aus, und ich lag abermals im Wasser. Dass er dennoch seinen einmal versprochenen Shilling erhielt, schien ihn sehr zu rühren, und von nun an war er die Aufmerksamkeit selbst.

Jetzt galt es eine der schwierigsten und gefährlichsten und schauerlichsten Partieen, die ich jemals gemacht, und wir bedurften jetzt doppelt einer ortskundigen Führung. Es war dunkel in dem Manukadickicht geworden. Die Maoris nahmen uns bei den Händen und zogen uns durch Dick und Dünn. Allenthalben begann es wieder zu brodeln und zu qualmen. Aus schwarzen Abgründen unten stampfte und hämmerte es drohend herauf, heisses Wasser spritzte uns ins Gesicht, und Dampfwolken benahmen jeglichen Blick, während wir, festgehalten und geleitet von den starken Armen der Wilden und willenlos ganz in ihre Gewalt gegeben, über morsche Mauerkanten und schlüpfrige Lehmabhänge vorwärtsstrebten, links und rechts, vor uns und hinter uns das Verderben. Ein einziger Fehltritt und wir kochten in einem der siedenden Kessel.

Durch das Manukagebüsch schimmerte eine weisse Fläche, es lichtete sich, und wir waren am Fusse der berühmten, herrlichen Sinterterrasse Tetarata. Wir schritten über ihren glatten Spiegel den jenseits errichteten Hütten zu, in denen wir übernachten wollten. Rechts dampfte der kleine See Rotomahana. Stimmen von Wasservögeln, deren nächtliche Ruhe wir störten, liessen sich in seinem Schilf vernehmen.

Auch rings um die Hütten sind kochende Quellen und Tümpel zum Baden. Ich beeilte mich, aus den nassen Kleidern und aus der kalten Luft ins warme Wasser zu steigen. Während ich dort das sauer verdiente Abendbrot verzehrte, Schokolade, Eier und Kartoffeln, in irgend einer der vielen natürlichen Kochgelegenheiten zubereitet, trockneten unterdessen meine Kleider auf geheizten Steinfliesen. Wahrscheinlich würde ich auch auf unserem Farnlager ausgezeichnet geschlafen haben, wenn nicht eine kleine Art Stechfliegen uns belästigt, wenn nicht eine Kompagnie Ratten rücksichtslos und ungestüm um den Kartoffelsack der Photographen, auf dem mein müdes Haupt ruhte, hin und her geraschelt, und wenn nicht die Maoris nebenan fortwährend geplaudert hätten.

Früh am Morgen erhoben wir uns, zuerst die gestern in der Dunkelheit passirte weisse Terrasse zu besichtigen. Sie lag von den Hütten nur durch einen niedrigen mit Farn und Manuka bewachsenen Vorsprung getrennt. Wenige Schritte, und das grösste Wunder Neuseelands öffnete sich unseren Augen.

Der kleine vielgebuchtete See Rotomahana, dessen trübe Fläche und struppige dampfende Ufer jeglichen Reizes entbehren, ist in ein enges Thal gebettet, dessen Böschungen allenthalben von kochenden Quellen, kochenden Pfützen und Schlammvulkanen durchwühlt sind. Mitten in diesem Wirrsal von siedendem Schmutz hat die Natur bizarrer Weise zwei so ätherische, mährchenhafte Gebilde aufgebaut, wie vielleicht kein drittes mehr auf der Erde zu finden ist. Einander schräg gegenüberliegend, ungefähr nordöstlich und südwestlich vom See fliessen zwei breite, erstarrte Ströme einer unendlich zart und weichgefärbten Substanz von oben herab, die zwei Kieselsinterterrassen Tetarata und Otukapuarangi. Der Form nach gleichen sie beide gefrorenen Kaskaden, die in einer Höhe von etwa 25 Meter aus dem Berge hervorquellen und in sanften Staffeln sich in den See ergiessen, unten ausgebreitet zu einem flachen etwa 100 Meter betragenden Bogen.

Man steigt, theilweise in einer dünnen spiegelnden Schicht lauen Wassers watend, über die Staffeln empor. Die zarten Krystallblumen, welche den Boden bedecken, knirschen unter den Füssen wie Reif oder hartgefrorener Schnee.

Oben gähnt ein dampfender Kessel, der ab und zu aufwallen soll, von einer Platform umgeben. In jede der vielen regellos gehäuften Staffeln sind Schalen gehöhlt, welche Wasser von allen Temperaturen enthalten, je höher und näher dem Kessel oben, desto wärmer, je niedriger, desto kühler. Wülste von ornamentalen Stalaktiten umfassen diese unübertrefflichen Badebecken, deren Innenflächen gepolstert sind mit zarten Sinterkrystallen, nachgiebig dem geringsten Druck der Haut, ein Stoff würdig des raffinirtesten Sybariten.

Das Wunderbarste jedoch an den beiden Terrassen sind die Farben. Tetarata ist glänzend alabasterweiss und mit schwärzlichen Dendritenzeichnungen geschmückt, Otukapuarangi aber ist von einem wohllüstigen Rosaroth angehaucht. Die mit Wasser gefüllten Schalen beider schillern in mattem Blau, das bei Otukapuarangi oft in die anderen Farben des Regenbogens hinüberspielt. Dunkelrothe Felswände und dunkles Manukagestrüpp bilden den Hintergrund.

Trotzdem wir schlechtes Wetter hatten, und ein feiner Regen uns frösteln machte, badeten wir auf beiden Terrassen in verschiedenen Schalen, mehr aus Pedanterie als aus Gelüste.

Die zweite südöstliche Terrasse konnte man nur mit dem Kanuu erreichen. Leider ist dieselbe mit unzähligen eingekritzelten Namen von Besuchern verunziert. Neben einem durch amerikanische Reklamenhaftigkeit berüchtigten Schneider in Auckland fand ich auch den Herzog von Edinburgh in dieser geschmacklosen Weise verewigt. »Te Plines, te Plines« (the Prince) machte mich mein Führer aufmerksam darauf.

Der Prinz hat hiedurch ein sehr schlechtes Beispiel gegeben. Jeder richtige Engländer thut jetzt dasselbe. Hätte Seine Königliche Hoheit statt dessen lieber sich für die alten nunmehr vermodernden Skulpturen von Ohinemutu interessirt und einige durch Kauf erworben, so würde er dadurch der loyalen Nachahmungssucht des englischen Touristengesindels eine viel vernünftigere und heilsamere Richtung angewiesen haben. Die Maoris hätten dann vielleicht bei gesteigerter Nachfrage sich wieder einer Kunstindustrie zugewendet, für welche ihre Altvordern so viel Neigung und Geschick besassen und für welche auch die jetzige Generation unverkennbar grosse Begabung zeigt, und es wäre vielleicht ein Erwerbszweig wiedererstanden, geeignet, eine edle und liebenswürdige Rasse zu den Segnungen der Arbeit zurückzurufen.

An unserem Lagerplatz erhielt ich noch ein paar heisse Kartoffel, welche mein Bursche mit einer Muschel schälte, und nahm dann Abschied von den Gefährten, ohne sie um den projektirten dreiwöchentlichen Aufenthalt bei diesem Wetter und in dieser Jahreszeit sehr zu beneiden. Ich habe später wieder von ihnen gehört. Sie mussten noch viel von der Geldgier der Wairoabevölkerung ausstehen, welche der Ansicht war, dass Fremde eigentlich nur mit je zwei Mann im Solde (5 Shilling pro Mann und Tag) an den Ufern des Rotomahana verweilen dürften.

Der Bach, durch den wir nach dem Tarawerasee zurückfuhren, hatte so viele Krümmungen, dass das lange Kanuu kaum durchkommen konnte. Wir blieben auch mehrmals stecken und wurden von der starken Strömung halb in die Quere getrieben, was immer viel Geschrei und wenig zweckmässige Anstrengungen der acht braunen Kerls zur Folge hatte, die sich ihrer Kleider entledigten, um gleich hinausspringen und schieben zu können. Unterwegs wurde noch eine Ladung Schilf, die ein plötzlich aus dem Uferdickicht auftauchender Maori von herkulischen Gliedmassen geschnitten hatte, mitgenommen und da wo der Tarawerasee beginnt, angehalten, um in einer nahen Hütte zu plaudern und Kartoffeln zu essen. Ich hatte zwar das Kanuu für den Tag gemiethet und war somit rechtlich Besitzer und Befehlshaber desselben, musste mir aber gefallen lassen, was meinen Maoris gut dünkte und unterliess auf Grund gemachter Erfahrungen jegliche Aeusserung eines Willens.

Auch hier sind warme Quellen. Ein junges Mädchen zum Skelett abgemagert, lag in einer Badepfütze und verzehrte mit dem gierigen Appetit einer Rekonvaleszentin gekochte Teichmuscheln, während ein altes Weib gleich daneben in einem siedenden Sprudel die Kartoffeln für uns bereitete.

Ich war schliesslich doch dankbar für die von meinen Leuten eigenmächtig verfügte Unterbrechung der Heimreise. Denn einer von ihnen hatte die Pause dazu benützt, aus seiner Wollendecke, zwei Stangen und zähen Schilfhalmen ein zwar nicht marinemässiges aber doch sehr wirksames Sprietsegel herzustellen, welches bei der günstigen steifen Brise, die gerade wehte, das lange schmale Kanuu mit einer Schnelligkeit durch die aufspritzenden unwillig zischenden Wellen jagte, die einem ordentlichen breitgebauten Segelboot nie gelungen wäre. Es war trotz Kälte und Nässe ein Hochgenuss, so dahin zu stürmen, ganz nahe an den Felsblöcken und den weit über sie hereinhängenden riesigen Bäumen mit ihren herrlich dunklen Schatten vorbei, so rasch, dass sie oft nicht mehr zu unterscheiden waren, und das ganze Ufer wie verwischt am Auge vorbeihuschte.

Meine Maoris jauchzten vor Vergnügen, schrieen und sangen und klatschten in die Hände, höhnten grinsend die hinten nachrollenden Wellen, die uns nicht einzuholen vermochten und drohten mit der Faust auf jene, welche jeden Augenblick vorwitzig über den niedrigen Rand leckten, so dass sie dann doppelt emsig ausschöpfen mussten. Oder sie stellten sich im flatternden Hemd mit gespreizten Beinen auf die Borde und breiteten ihre Lendenbekleidung, die wollene Decke, als Hilfssegel aus, deren Zipfel sie mit Füssen und Händen festhielten, so dass ihr geschickt balancirender Körper zugleich Mast, Raa und Schoten ersetzte.

Als wir um die Felsenecke, an der wir gestern den Göttern so wohlfeil geopfert hatten, bogen, änderte sich leider der Wind und wurde so unbestimmt, dass es mit dem Segeln nicht mehr gehen wollte. Von allen Seiten schossen Böen aus den Schluchten herab und kräuselten weithin erkennbar kreuz und quer den hüpfenden See. Wir mussten noch über zwei Stunden rudern, was den Maoris viel weniger zu behagen schien als das Segeln, und sichtlich gewährte es ihnen grosse Befriedigung, dass auch ich theils aus Langweile theils aus Frost zuweilen Wasser schöpfte oder mit der Pageie vorwärtslöffelte.

Spät am Nachmittag kam ich nach Wairoa, von wo aus ich sofort zum abermaligen Erstaunen der irischen Hotelfamilie nach Ohinemutu abmarschirte, welches ich erst nach mehreren Stunden todmüde erreichte, nachdem ich mich in der stockfinsteren Nacht zu allem Ueberfluss noch um eine beträchtliche Strecke verirrt hatte.

Nach meiner Rückkehr von Rotomahana lernte ich den Native-Kommissioner Mister Davis kennen, einen würdigen alten Herrn, berühmt in ganz Neuseeland wegen seiner Gelehrsamkeit in Maoriangelegenheiten. Er war von Auckland nach Ohinemutu gekommen, um Streitigkeiten mit den Eingeborenen zu schlichten.

Da Mister Davis hier öfters und dann meistens längere Zeit zu thun hatte, so war unter seiner Leitung eine Art Schule für die zahlreiche Jugend des Dorfes entstanden, die er jedesmal wieder auffrischte. Missionsanstalten wie früher scheinen seit dem letzten Krieg in Neuseeland kaum mehr zu existiren. Ich habe wenigstens niemals von einer solchen gehört. Trotzdem soll es unter der jetzigen Generation der Eingeborenen nur wenige geben, die nicht schreiben und lesen können. Ohne eigentliche Lehrer zu haben lernen sie es einer vom anderen, und an allen Mauern und Zäunen, an allen Felswänden im Walde sieht man Namen und Zeichnungen eingekratzt, welche die bedeutende Vorliebe der Maoris für graphische Künste dokumentiren.

Mister Davis lud mich eines Abends ein, seine Singschule zu besuchen. Ich hörte da ausser echten Maorigesängen auch einige ins Maori übersetzte englische Lieder. Mitten darunter kam ein Hymnus, von drei Mädchen vorgetragen, der mir durch die Fremdartigkeit seiner Melodie und seines Textes sehr vortheilhaft vor den übrigen auffiel. Es war ein tonganischer Gesang, den die Mädchen in Auckland von tonganischen Matrosen erlernt hatten. Als Mister Davis seinen Schülern und Schülerinnen mittheilte, dass ich ein Deutscher sei und ein vom Englischen verschiedenes Idiom spräche, liessen sie mich bitten, ihnen eine deutsche Rede zu halten, was ich gerne that, ohne mich sonderlich kümmern zu müssen, was ich sagte. Mit grosser Befriedigung wurde konstatirt, dass es wirklich ganz anders klinge als Englisch. Eine der jungen Damen, die eine sehr schöne Handschrift besass, schrieb mir noch eine Sentenz auf einen Zettel, dann ging ich nach Hause. Jene Sentenz lautete folgendermassen: »Ki a Tiamana tena koe. Me whakaako koe ki te reo Maori. Heoi ano na Maraea i tuhi. Ki a ora tonu koe« (Deutscher, sei gegrüsst. Lerne doch die Maorisprache. Dieses hat die Maraea geschrieben. Möge deine Gesundheit beständig sein).

Ohinemutu besitzt keinen Arzt, und so wurde ich während meiner Anwesenheit häufig als solcher in Anspruch genommen, was mir sehr lieb war, da ich so tiefer in die Geheimnisse der Maoribevölkerung einzudringen hoffte. Ich wurde indess stets nur von Weissen zu Eingeborenen gerufen. Diese selbst schienen mich nicht zu wünschen und zu mir viel weniger Vertrauen zu haben als zu einem in der Nähe wohnenden Zauberer. Selten erntete ich etwas wie Dankbarkeit. Vielleicht auch fürchteten die Maoris, dass ich Bezahlung verlangen würde.

Zwei mit Knochensyphilis behaftete Weiber waren die einzigen Fälle von Interesse. Sie leugneten hartnäckig, jemals an primären Erscheinungen gelitten zu haben. Es wäre von höchster Wichtigkeit zu beobachten, wie der Verlauf dieser Krankheit unter dem Einfluss der täglichen und langdauernden heissen Bäder, denen die Bevölkerung von Ohinemutu obliegt, sich gestaltet.

IX.
VON OHINEMUTU NACH AUCKLAND.

Abschied. Pokohorungi und der Oropibusch. Maoriskulpturen. Eine misstrauische Waldfamilie. Der Sergeant Apro Pioaro und seine Gattin Mangorewa. Tauranga. Reges Leben und Nasendrücken. Abermals ein Stück Neuseeländischer Bummelei. Der Dampfer Rowena. Merkury-Bay. Ankunft in Auckland.

Es gefiel mir in Ohinemutu so gut, dass ich meinen ursprünglichen Reiseplan unberücksichtigt liess und länger blieb als vorausbestimmt war, bis ich eines schönen Morgens Abrechnung mit meinem Mammon hielt und die schreckliche Entdeckung machte, dass ich nicht mehr Geld genug besass um den nächsten Postwagen abzuwarten. Mit Wechseln war hier nichts zu machen. Ich musste fort, fort nach zivilisirteren Gebieten, wo es Banken gab, und zwar schleunig und zu Fuss. Denn selbst ein Pferd oder sonstiges Vehikel hätte ich nicht mehr bezahlen können.

Umsonst schlug die Wirthin, umsonst schlug der Rossarzt, Pferdeverleiher und Lohnkutscher, umsonst schlugen die rheumatismusgelähmten Badegäste die Hände über dem Kopf zusammen, als ich ihnen mittheilte, dass ich »aus wissenschaftlichen Gründen« zu Fuss durch den schauervollen Oropibusch nach Tauranga gehen wolle. Meine wissenschaftlichen Gründe waren unerschütterlich. Ich schnürte mein Bündel, übergab das schwerere Gepäck zum Nachsenden, drückte Allen zum Abschied die Hände und schritt hinweg – wenn die Wirthin und der Rossarzt und die Badegäste nur halbwegs aufrichtig waren, in mein sicheres Verderben.

Ich trennte mich ungern von Ohinemutu, und jedesmal so oft das freundliche dampfende Dörfchen zwischen den Farnhügeln wieder auftauchte, sandte ich ihm zärtliche Blicke zurück.

Im Halbkreis zieht sich die Strasse um das westliche Ufer des Sees und kriecht dann ins Dickicht des Busches hinein. Die Insel der schönen Hinemoa ruhte duftig unter den Strahlen einer wolkenlosen Sonne, und ein kühles Lüftchen milderte angenehm die Wärme des Tages. Da wo die Farnlandschaft aufhört und der Busch beginnt, liegt die Maoriansiedelung Pokohorungi, und ich bog von der Strasse ab um sie in Augenschein zu nehmen. Wenige Zelte und Strohhütten standen zwischen frischgefällten Baumstämmen, über Feuerstellen mit glimmender Asche hingen grosse eiserne Kessel. Hunde bellten, und ein paar braune nackte Kinder liefen eilig hinweg, indem sie besorgt »Pakeha, Pakeha« riefen. Unter einem Baum sassen mehrere Frauenzimmer und assen Kartoffel. Sie machten Witze über mich, lachten laut auf, und ein aussergewöhnlich hübsches Mädchen reichte mir zum Willkomm eine geschälte Kartoffel, die ich mit Dank annahm.

Der Oropibusch, den ich nun betrat, unterschied sich in nichts von den anderen prachtvollen Wäldern Neuseelands, die ich bisher gesehen. Streckenweise war der lehmige Weg so aufgeweicht, dass die Stiefel in Versuchung kamen den Beinen abtrünnig zu werden und im knietiefen Brei stecken zu bleiben. Beständig ging es bergauf und bergab, und war ich ein paar hundert Meter aufwärts gestiegen, so musste ich sicher eines kleinen Flüsschens halber eben so tief wieder hinabsteigen. Ich freute mich, nicht zu Wagen hier durchzupassiren. Denn abgesehen von der bei diesem schlechten Zustand der schmalen Strasse naheliegenden Gefahr in den Abgrund zu stürzen bot die Wagenfahrt hier kaum ein nennenswerthes Vergnügen.

Wenn die Strasse um Ecken bog und glatt abgeschnittene Wände ihre eine Seite bildeten, fehlte es niemals an eingekratzten Zeichnungen und Maorinamen, wozu sich das Gestein, ein weicher Mergel, vortrefflich eignet, und einmal stiess ich sogar auf Basreliefs. Eine Rieseneidechse, ein menschliches Antlitz sowie gleich daneben der entgegengesetzte Pol eines menschlichen Torso mit etwas anstössigem Detail und ein verschlungenes knollenförmiges Etwas, das ich nicht zu enträthseln vermochte, waren die Gegenstände, deren Darstellung kein geringes Formenverständniss bekundeten. Diese Skulpturen befanden sich so hoch oben, dass sie nur während des Strassenbaus gefertigt worden sein konnten.

So reich und üppig die Vegetation entfaltet war, so arm schien die Thierwelt vertreten zu sein. Meine zoologische Ausbeute war dementsprechend gering. Ich schälte beträchtliche Partieen von faulen Baumstämmen ab, ohne eine einzige Schnecke zu finden. Ziemlich häufig fand ich dagegen eine unserem Süsswassergammarus ähnliche Krusterart, die hier im feuchten Mulm lebt.

Nichts unterbrach die tiefe einsame Stille des Neuseeländischen Forstes als hie und da die schüchterne Stimme eines Glockenvogels, welche klang wie die Vorbereitungen eines Punschgläservirtuosen, der den Ton seiner Instrumente prüft.

Es wurde kalt, als der Abend hereinbrach und der Sonnenschein immer höher an den vergoldeten Gipfeln der Bäume und Berge emporrückte. Ich traute meinen Augen kaum, als ich Eiskrusten an den Kanten des Strassenkoths entdeckte, und ich fühlte einige Beunruhigung, als der Himmel immer dunkler und der Weg immer undeutlicher wurde, und jener Militärposten, in dem ich übernachten wollte und der nach meiner Schätzung schon lang hätte kommen müssen, noch immer nicht erscheinen wollte. Auch hier arbeiteten Soldaten und zwar eingeborene an der Herstellung und Verbesserung der Strassen, und in einer gewissen Entfernung, war mir gesagt worden, würde ich wahrscheinlich ein Zeltlager finden, welches aber jetzt auch irgendwo anders aufgeschlagen sein konnte. Endlich stieg unten im Thale eine Rauchsäule empor zu den Sternen, die bereits hell durch die Bäume herabblinzelten.

Was ich suchte, sollte mir noch nicht zu Theil werden. Nur ein einziges Zelt stand zwischen Felsblöcken am Ufer eines rauschenden Baches, und um das Feuer davor sass eine zahlreiche Maorifamilie. Drinnen im Zelt quiekste ein Säugling, und zwei grosse zottige Hunde knurrten sehr unangenehm, als ich zu ihnen hinabstieg. Keine Möglichkeit Auskunft zu erhalten. Niemand, auch der uniformirte Vater nicht, verstand was ich wollte. Alle sahen mich scheu und misstrauisch an, die Hunde schnupperten knurrend an mir herum, und der Säugling hörte nicht auf zu quieksen. In solcher Gesellschaft wäre ich um keinen Preis geblieben so müde ich auch war, und lieber wollte ich im Busch irgendwo zu schlafen versuchen.

Um nicht umsonst in die Schlucht mich bemüht zu haben, machte ich die kosmopolitische Geberde des Trinkens und bat um »Wai« (Wasser). Der Mann stiess die Frau an, die Frau aber murrte und zeigte sich nicht geneigt meinethalben aufzustehen, so dass ich selber ein Gefäss ergriff und zum Bache kletterte, um Wasser zu schöpfen. Dies war das einzige mal, dass ich von Maoris unfreundlich behandelt wurde, wobei allerdings als Entschuldigung in Betracht kommt, dass mein plötzliches Erscheinen in so später Stunde verdächtig sein mochte.

Ich war noch keine tausend Schritt weiter gegangen und machte mich eben mit dem Gedanken vertraut, die Nacht durchzumarschiren, als etwas Helles aus der Dunkelheit zwischen den Bäumen auftauchte und ein Hund zu bellen begann.

Eine Holzhütte, einige Zelte – es war mein langersehntes und schon als verloren betrachtetes Nachtquartier. Auf mein Pochen öffnete sich die Thüre der Hütte, und ich stand vor dem Kommandanten des Platzes Apro Pioaro, einem schönen braunen Sergeanten.

Seine hohe kräftige Gestalt, die edle Gesichtsbildung und die geschmackvolle Uniform der Neuseeländischen Konstabulary Force machten ihn zu einer musterhaften militärischen Erscheinung. Weniger günstig nahm sich neben ihm seine Gattin aus, die sich alsbald beeilte, mir eine Taube des Waldes und etliche Bataten zum Abendmahl zu bereiten. Sie hiess Mangorewa. Ich liess mir beider Namen von ihm in mein Tagebuch schreiben.

Als ich mit dem Essen fertig war, hatte mittlerweile mein liebenswürdiger und chevaleresker Wirth in einem leerstehenden Zelt draussen ein vortreffliches Lager zurechtgemacht. Wir plauderten noch ein Weilchen und rauchten aus schrecklich schmutzigen Thonpfeifen ätzenden Maoritabak, und wir wären sicher noch viel länger zusammen geblieben, wenn nicht Mangorewa, um uns ein Zeichen zu geben, sich demonstrativ entkleidet und ins Bett gelegt hätte. Ich wollte meinem Gastfreund etwas Tabak anbieten, doch er protestirte dagegen und litt nicht einmal, dass ich anderes als sein eigenes Kraut rauchte.

Die Nacht war kalt, aber es lagen so viele Decken und alte Soldatenmäntel auf der Farnstreu in meinem Zelt, dass ich nicht zu frieren brauchte. Nur der Hund des Kommandanten, der durch eines der vielen Löcher hereinkroch und sich mir beigesellte, da er wahrscheinlich ältere Rechte auf das Bett hatte, störte mich zuweilen. Draussen grunzten und schnüffelten alte und junge Schweine schlaflos hin und her, und jedesmal so oft diese unwirsch sich zankten oder eines an der Leinwand vorüberstreifte, fühlte mein Genosse sich verpflichtet hinauszufahren und aufzubegehren. Oben schimmerte der Mond und unten strich die erfrischende Waldluft durch das Gewebe. Ich wickelte mich wohlig in die wärmenden Decken und dachte an die ferne Heimath.

Am frühen Morgen lauerte bereits die ganze Bewohnerschaft des Militärpostens neugierig auf den Moment, da ich die Zeltwand auseinanderschlagen und erscheinen würde. Aus jeder Spalte und aus jedem Fensterchen der Hütten und Zelte guckte ein ungekämmter Weiber- oder Kinderkopf und starrte verwundert mich an.

Ich wollte nach dem Frühstücksthee meinem Sergeanten ein paar Shilling in die Hand drücken, er nahm aber durchaus kein Geld. Da ich jedoch auf Zahlung bestand, so wurde er weich und sagte verschämt und verlegen lächelnd: »Ask Woman«. Ich gab nun Mangorewa meine Münze, welche sie rasch einsackte, während Pioaro mir noch ein paar Schiffszwiebacke aufnöthigte und seinen russigen Pfeifenstummel zum Andenken schenkte.

Ungefähr zwei Gehstunden vor Tauranga liegt das nur aus einem Hotel und einigen Hütten und Zelten mit gemischter Bewohnerschaft bestehende Dorf Oropi, welchem der hier endende Busch seinen Namen verdankt. »Oropi« ist die Maoritransskription für das englische »Europe«. Diese Ortschaft war einst der äusserste von der Küste her vorgeschobene Punkt europäischer Kultur, und mit ihr begann damals für die Maoris des Inneren Europa.

Der Wald lichtet sich, und das nur mehr mit Farn bewachsene Land fällt allmälig zur Bay of Plenty hinab. Von kleinen lauter vulkanischen Inselbergen durchbrochen steigt die blaue Fläche des Meeres zum Horizont empor, und allenthalben erscheinen Farmengehöfte, mit Hainen importirter Pappeln und mit den Rechtecken von Getreidefeldern umgeben, in die braungrünen Wellen der Farnlandschaft hineingestreut. An klaren Tagen ist von hier aus auch die Insel Whakari oder White Island zu sehen, der eine von den beiden Vulkanen Neuseelands, die allein unter den vielen noch thätig sind. Der andere ist der Tongariro südlich vom Tauposee.

Als ich Tauranga erreichte, war es bereits wieder Nacht geworden. In der Dunkelheit hatte ich kurz vorher den Gate-Pa passirt, einen Punkt, der in der Geschichte des erst 1870 beendeten grossen Maorikrieges eine bedeutende Rolle spielt. Der Gate-Pa war ein verschanztes Lager, welches die Eingeborenen so tapfer und erfolgreich vertheidigten, dass trotz ihrer Ueberlegenheit an Zahl und Bewaffnung die stürmenden Engländer mehrmals mit starken Verlusten zurückgeschlagen wurden. Eine Menge Gräber aus jener Zeit bedeckt den Kampfplatz.

Tauranga lernte ich ebensowohl als einen interessanten Zentralpunkt für die umwohnende Maoribevölkerung wie als ein hübsches aufstrebendes Städtchen europäischen Styles schätzen. Gleich der erste Morgen brachte mir wieder schönes warmes Wetter. Lachender Sonnenschein lag über der weiten blauen Bucht mit den vielen kegelförmigen Inseln, als ich aus dem Bett ans Fenster trat.

Mein guter Stern hatte mich zur günstigsten Zeit hieher geführt. Alles war belebt von braunen Gestalten auf der Strasse unten, deren eine Seite das Ufer und deren andere eine Reihe anmuthiger Häuser bildet.

Die Eingeborenen der Bay of Plenty treiben etwas Ackerbau und scheinen noch nicht so vollständig in Faulheit und Liederlichkeit versunken zu sein wie jene des Lake-Distriktes, obgleich auch bei ihnen ein grosser Theil des Verdienstes sofort in Schnaps umgesetzt wird. Am nächsten Tage sollte der wöchentliche Dampfer nach Auckland abgehen, und von links und rechts kamen Maoris über die Bucht herangesegelt und herangerudert um ihren Mais zu verschiffen. Man sah da alte Kanuus und moderne scharfgekielte Böte und gedeckte Kutter von englischer Bauart in ihrem Besitz. Die Kanuus waren im besten Zustand und viel reinlicher und tüchtiger gehalten als jene morschen und lecken Tröge, die auf dem Tarawerasee dem Touristenverkehr dienen. Holzschnitzereien und Federschmuck zierten die Schnäbel. Hochaufgestapelt lagen in ihnen die Säcke, und um das Geschäft zu einer Lustpartie zu benützen kamen gleich die ganzen Familien mit.

Ein buntes charakteristisches Treiben entfaltete sich dem Kai entlang. Draussen lag der Dampfer »Rowena« vor Anker umringt von löschenden Kanuus und Kuttern. Auf der Strasse und auf dem von der Ebbe entblössten Strande hockten gruppenweise Männer, Weiber und Kinder, alle in grellfarbige steife Decken gewickelt. Neue Ankömmlinge erschienen und vergrösserten die Gesellschaft. Wilde Reiter mit flatternden rothen Tüchern sprengten rücksichtslos durch die Menge, barfüssig im Steigbügel, die äussere Stange desselben zwischen der kleinen und der vorletzten Zehe haltend.

Noch nie hatte ich so viele Maoris und zwar so viele echte, von der Zivilisation noch nicht allzustark beleckte Maoris auf einem Fleck versammelt getroffen. Bestand auch ihre Gewandung überwiegend aus europäischen Fabrikaten, so waren doch noch genug einheimische Gewebe aus Phormium und eine Menge einheimischer Schmucksachen vorhanden, natürlich etwas modifizirt durch den Einfluss europäischer Stoffe.

So zum Beispiel trugen einige Weiber weissglänzende Haifischzähne mit scharlachrothen Siegellacktropfen in den Ohren. Diese Art Schmuck ist so gesucht, dass es sich verlohnt hat, ihn aus Fayence nachzubilden, wovon ich später in Auckland mich überzeugte. Fast allen Männern hingen von den rechten und dadurch langgedehnten Ohrläppchen schwere tropfenförmige Grünsteinstäbe an einem schwarzen Seidenband mit lose flatternden Enden herab. Auf der Brust zweier älteren Frauen bemerkte ich jenes kostbare Grünsteinamulett, eine stylvoll gearbeitete Fratzenfigur mit Perlmutteraugen, welches man Tiki heisst. Ein grobes Hemd, ein paar schlumpige Röcke und der nie fehlende möglichst bunte Schal bildete die Kleidung fast aller Weiber. Auf dem Kopf, dessen dichtes blauschwarzes Haar oft struppig und ungekämmt in das braune Gesicht mit den grossen Augen hereinfiel, sassen bei einigen Männerhüte, bei anderen elegante Damenbaretts mit Schleier, während sie alle barfuss waren. Eine einzige nicht mehr ganz junge Dame bewegte sich schmerzhaft und ungeschlacht in engen Stiefeletten. Die meisten trugen keine Bedeckung oder hatten den Schal über sich gezogen, so dass nur die Pfeife aus dem unförmlichen Klumpen oben herausguckte, wenn sie auf dem Boden sassen. Säuglinge wurden huckepack in einer kapuzenartigen Ausbuchtung mitgeschleppt. Die Männer waren oberhalb der Unterextremitäten ebenso gekleidet wie die weissen Arbeiter und Farmer Neuseelands, mit dem Gebrauch einer Hose jedoch hatten sie sich noch nicht befreundet. Eine um die Hüften geschlungene Wollendecke, die bis zu den Knieen reichte, vertrat dieselbe. In den malerischen Schlapphüten waren meist schlanke und spitze Fasanenfedern befestigt.

Hier beobachtete ich zum ersten mal und zu meiner grossen Freude die eigenthümliche Begrüssung mittelst der Nasen, für welche ich bereits zu spät gekommen zu sein befürchtet hatte, und für welche man die ganz unpassende Bezeichnung »Nasenreiben« erfunden hat. Es werden hiebei die befreundeten Nasen aneinandergedrückt und verharren in dieser intimen Berührung regungslos etliche Augenblicke.

Ein junges hübsches Weib mit einem Kinde auf dem Rücken und einer Thonpfeife im Mund sass umgeben von einem Dutzend Genossinnen am Strande. Auch diese hatten Thonpfeifen im Mund und klatschten und lachten, riefen den vorübergehenden Männern zu, wickelten sich bald so bald anders in die bunten Tücher, liessen sie fortwährend herabrutschen, um sie dann mit einer groben ungraziösen Bewegung wieder hinaufzuziehen, hockten entweder aufrecht mit untergeschlagenen Beinen oder stemmten halb liegend den Kopf auf den Ellbogen. Das hübsche Weib schien die Vornehmste unter ihnen zu sein. Da näherte sich ihr ein alter Mann, nacktbeinig und mit ganz blau tätowirtem Gesicht, entblösste ehrerbietig sein Haupt, bot ihr die Hand, beugte sich zu ihr nieder und drückte seine ziselirte Nase an die ihrige glatte, indem er ein sehr andächtiges Gesicht dazu machte. Wenn man nicht genau zusah, konnte man glauben, dass er sie küsse. Allerdings dauerte es viel länger, als bei uns für eine blosse Begrüssung erlaubt wäre.

Kaum war ich zum ersten mal Zeuge dieses seltsamen Aktes gewesen, als Andere hinzutraten, dasselbe zu thun, und das Nasendrücken auf allen Seiten losging. Das Merkwürdigste war mir die ernsthafte, traurige Miene, die sie allgemein dabei machten, statt dem Vergnügen des Wiedersehens Ausdruck zu verleihen. Sie schienen weinen zu wollen, und ein paar alte Weiber sah ich wirklich Thränen vergiessen. Diese unterschieden sich auch dadurch, dass sie ihre Nasen nicht ruhig aneinander hielten, sondern einigemal zusammenstiessen. War die Zeremonie, wobei man sich umarmte oder doch wenigstens die Hand gab, vorüber, so verschwand sofort die Traurigkeit, und das Lachen und Schwatzen begann.

Die Sitte des Nasendrückens wird heutzutage fast nur mehr von alten Männern und Weibern geübt. Die jüngere Generation hat sich das europäische Küssen angewöhnt, moderne Männer schütteln sich einfach die Hände nach englischem Vorbild. Wie aus dem Wort »Hongi«, welches sowohl »Riechen« als auch das Nasendrücken, als auch das von den Weissen importirte Küssen bedeutet, hervorgehen möchte, lag der Sinn des Nasendrückens darin, dass man den Geruch des geliebten Wesens einathmen wollte.

Ganz Tauranga schien heute blos von Maoris bewohnt zu sein, und auch im Hotel beherrschten sie heute den grossen Barroom, obwohl für sie eine eigene ziemlich unreinliche Stube reservirt und mit der Aufschrift »He Ruma mo nga Maori« (wörtlich »ein Zimmer für Maoris« – Ruma das englische Room maorisirt und nga der Plural des unbestimmten Artikels, der in den arischen Sprachen fehlt) versehen war. Es wurde viel Schnaps konsumirt, und am Nachmittag taumelten genug Betrunkene herum. Sie hatten aber alle gemüthliche Räusche und thaten niemand etwas zu Leid, ganz im Gegensatz zu den tobsuchtartigen Ausbrüchen englischer Säufer.

Von der in Neuseeland herrschenden geschäftlichen Bummelei und Gemüthlichkeit hatte ich schon manches gehört und in Foxton auf der Eisenbahn eine kleine Probe erlebt. Ich sollte nun abermals um eine Erfahrung hierüber bereichert werden.

Meinen ursprünglichen Plan, über Land nach Grahamstown zu gehen, musste ich wegen der winterlichen Witterungsverhältnisse aufgeben. Der Weg von Katikati am Nordende des Taurangahafens nach Ohinemuri an der Themse, die sich in den Haurakigolf ergiesst, war durch Ueberschwemmungen unpassirbar geworden und durch mehrere angeschwollene Bäche ohne Brücken unterbrochen, wie die »Bay of Plenty Times« berichtete. Ich verlor dadurch die Möglichkeit eines Besuches der dortigen Kauriwälder und der südlichsten Mangrovesümpfe der Erde, die sowohl in der Themse wie in der Lagune von Katikati als äusserste Vorboten der Tropen auftreten sollen. So sehr mir die Unannehmlichkeiten einer längeren Dampferfahrt widerstrebten, blieb mir nichts anderes übrig als auf der Rowena nach Auckland zu reisen.

Am 14. Juni Mittags um zwölf sollte sie abgehen. Aber der Manager hatte eine Jagdpartie unternommen, kein Mensch wusste, wann er zurückkehren würde, und ohne ihn konnte der Kapitän nicht die Anker lichten. Etwa zwölf Passagiere fanden sich zur festgesetzten Stunde an Bord ein. Wir warteten den ganzen Nachmittag auf den Manager. Der Manager kam nicht. Wir gingen wieder an Land, ermahnt vom Kapitän in der Nähe zu bleiben, wir gingen wieder an Bord, wir fluchten und drohten. Es half nichts, ohne den Manager konnte die Rowena nicht in See stechen.

Die Nacht brach an, und in unserem unerquicklichen Zustand des Wartens auf unbestimmte Zeit änderte sich nichts zum Besseren. Im Gegentheil. Zwei der Schicksalsgefährten suchten Trost im Brandy, und der eine wurde darüber vorzeitig so seekrank, dass er an die Luft gesetzt werden musste, nachdem er die enge dumpfige Kajüte zu einem noch unerträglicheren Aufenthalt gemacht hatte. Der andere schnarchte, dass die Gläser in den Hängesimsen erzitterten, und ober uns auf Deck grunzte eine für den Markt zu Auckland bestimmte Kompagnie Schweine. Wenn auch die meisten Passagiere mit Kennermiene und Wohlgefallen höchlich den tiefen Bass ihrer Stimmen rühmten und aus ihm allein ein ansehnliches Gewicht zu berechnen verstanden, so konnte mich dieses noch lange nicht mit der Situation versöhnen.

Die beiden Stewards vertrieben sich die Zeit mit Boxübungen. Sie boxten sich nach allen Richtungen durch den Salon so dass man seines Lebens nicht sicher war, und als der Kapitän, ein alter verrunzelter und schäbig aussehender Kerl, herunterkam, suchten sie auch diesen armen Greis mit in ihr Vergnügen zu ziehen. Die Herren Stewards schienen hier überhaupt die erste Rolle zu spielen. Ich verlangte nach einer Kabine, aber man sagte mir, dass keine mehr vorhanden, und dass die Herren auf den Sophas und auf den Tischen zu übernachten pflegten, wo es viel kühler und komfortabler sei. »In Nummer eins und zwei schlafen wir beide, in Nummer drei schläft der Kapitän, Nummer vier ist für Ladies reservirt, fünf und sechs, sieben und acht sind bereits seit heute Morgen mit Beschlag belegt« lautete der Bescheid, als ich genauer inquirirte.

Ich schlief auf einem Sopha ein, und als ich erwachte, rattelte unter mir die Schraube. Die Balken stöhnten, und die Rowena stampfte und rollte auf die unverschämteste Weise. Ich kletterte auf Deck und fand schlechtes Wetter, Kälte und Regen und Gegenwind, ringsum die schwärzeste Nacht, dass man die Hand vor den Augen nicht sehen konnte.

Der Morgen kam. Wir steuerten den grotesken Felsenkuppen des Landes zu, die uns alsbald umringten, und ankerten in Merkury Bay. Unter einem brausenden Wasserfall lag eine Sägemühle in einer Schlucht, deren röthliche Wände zwischen dunklem Grün an Rotomahana erinnerten. Riesige Kauristämme schwammen davor im Wasser, die ersten und letzten die mir aufstiessen.

Wir hatten hier einen Passagier und dessen Gepäck zu landen, womit wir nicht weniger als eine Stunde verloren. Der Kapitän war zu faul selbst ein Boot flott zu machen, und vom Lande aus schien man seine Dampfpfeife nicht hören zu wollen. Endlich zeigten sich zwei Männer mit Riemen vor der Mühle, die sich dem Ufer näherten, machten sich erst daran ein altes leckes Fahrzeug auszuschöpfen und liessen sich dann langsam von der Strömung herabtreiben, ohne eine Hand zu rühren. Mit Stolz antwortete mir mein Nachbar bei Tisch, dem ich mein Staunen über diese Zeitverbummelung mittheilte, ich müsse bedenken, dass ich nicht in Amerika sei.

Wieder rattelten wir weiter. Die Rowena machte kaum sieben Meilen in der Stunde, aber sie wurde von ihrer Maschine ärger gestossen als der schnellste transatlantische Postdampfer. Das elende Fahrzeug erreichte erst in der Nacht den Eingang zu Auckland.

Es war stockfinster und nichts von all den schönen Inselvulkanen zu sehen, die den berühmten Hafen zieren, nicht einmal die Konturen. Nur Lichter, grössere von Leuchtthürmen und kleinere von Wohnstätten, blitzten allerwärts an unsichtbaren Ufern, und wir drehten uns zwischen ihnen durch.

Das Lichtergewimmel vor uns, welches die Stadt Auckland vorstellte, wurde etwas konzentrirter und rückte näher. Die Maschine stoppt, geht wieder an, stoppt nochmals, arbeitet rückwärts, stoppt und geht wieder vorwärts. Die Seeleute werden nervös, schreien und toben, rennen die auf Deck stehenden Passagiere um. Ein Licht rutscht ganz nahe aussenbords vorüber, wir sind am Pier. Noch ein bischen seemännisches Schreien und Toben, und der Dampfer ist mit Tauen festgemacht, ein Brett nach dem Bollwerk hinübergelegt, wir können aussteigen.

Auckland und die Schiffe des Hafens lagen bereits im tiefsten Schlummer, als ich durch den Schmutz des unangenehm langen Piers im Regen dahinpatschte nach dem nächsten Hotel, das mir aufstossen würde. Ein verdriesslicher Policeman, über dessen Gummirock das Wasser herabtriefte, stand im trüben Schein einer Gaslaterne und belehrte mich, dass das »Waitemata Hotel« gleich am Ende des Piers und an der ersten Strassenecke vor mir sei.

Ein braungelber Kerl von unbestimmbarer Rasse, in dessen Stammbaum die verschiedensten Völker des australasiatischen Völkerlabyrinthes zusammengewirkt haben mochten, öffnete mir auf mein lautes Klopfen, schimpfte ein wenig, worauf auch ich ein wenig schimpfte, um gleich danach in einem gemüthlichen Zimmer und in einem vortrefflichen Bett mich glücklich zu fühlen. Ich befand mich zum ersten mal wieder seit längerer Zeit in einem Haus mit steinernen Mauern. Die hohen kahlen Wände, die hohen Fenster mit den chinesischen Rouleaux aus Schilfgeflecht imponirten mir durch ihre Dimensionen. Mir war zu Muthe als ob ich in Europa, etwa in Italien wäre, und die Illusion zu vermehren schlug eine nahe Thurmuhr die zwölfte Stunde in einem Ton, den ich sonst nur im Lande der Zitronen gehört zu haben glaubte.

X.
AUCKLAND UND THAMES GOLDFIELDS.

Sehenswürdigkeiten. Das Northshore. Die Regenzeit hält ihren Einzug. Fahrt nach den Thames Goldfields. Goldgewinnungsprozess. Die Minen und der Schacht der United Pumping Association. Stürmische Rückkehr. Zwei vornehme Maoridamen vom Lande. Auf den Mount Eden. Die King Country und die Abolitionists. Reiseprojekte.

Auckland machte mir auch beim Tageslicht einen sehr günstigen Eindruck und erschien mir fast grossstädtisch, obwohl es nur 21 000 Einwohner hat, welche Zahl allerdings noch von keiner anderen neuseeländischen Stadt erreicht ist.

Hier gab es nun wieder eine Strasse, Queenstreet, in der es sich lohnte Abends zu flaniren lediglich des Beguckens der Auslagen und der vielen Menschen halber. Queenstreet sieht halb amerikanisch halb englisch aus und ist zuweilen sehr belebt. Die Nebenstrassen sind dafür um so ruhiger. Was mir an Auckland namentlich imponirte lag wohl in der Steinkonstruktion der Häuser, deren ich entwöhnt war. Das Vorherrschen der dunklen Lava als Baustein giebt der gleich wie Rom über sieben Hügel sich breitenden Stadt einen ernsten, stellenweise düsteren Charakter.

Auf einem der Hügel, dessen nach Osten gerichteter Abhang mit dem Sammetteppich altenglischen Grases geschmückt ist und an seinem ebenen Fusse der Jugend von Auckland als Cricketgrund dient, steht das palastähnliche Hospital der Provinz, und hinter diesem erhebt sich, bedeckt mit einem prächtigen Park, ein anderer Hügel, dessen Spitze den botanischen und zoologischen Garten sowie den Garten der New Zealand Acclimatisation Society trägt.

Europäische Staare, Finken und Spatzen, Rehe, Fasanen und Rebhühner werden dort nach überstandener Seereise eine Zeit lang gepflegt und dann schubweise in Freiheit versetzt, auf dass sie sich selbständig vermehren und das ursprünglich thierarme Land mit ihrer Nachkommenschaft bevölkern mögen. Die Fasanen gedeihen im Norden Neuseelands bereits so gut, dass man in den Hotels täglich und bis zum Ueberdruss damit gefüttert wird.

Die Spatzen in ihren grossen Flugkäfigen waren eben eifrig beschäftigt, Material zum Nestbauen zusammenzutragen, wobei sie dieselbe wichtigkluge Miene machten, wie bei uns zu Hause. Sie hatten offenbar keine Ahnung, dass sie sich auf der südlichen Hemisphäre befanden, und dass jetzt im Juni der Winter begann. Die Thierchen müssen hier ganz aus ihrer Zeitrechnung kommen. In einem kleinen Gehölz von hohen Manukabäumen, einer Pflanze, die ich bisher nur in Strauchform gesehen hatte, zirpten und jauchzten Staare ihre Frühlingsgefühle in den lauwarmen Sonnenschein hinaus.

Die New Zealand Acclimatisation Society leistet alles Mögliche in der Einfuhr nützlicher Thiere. Die Bienenzucht soll an vielen Orten in bester Blüthe stehen. Sogar Hummeln werden von England aus zu Tausenden importirt, da der Klee zur Uebertragung des befruchtenden Pollen dieser Insekten bedarf. In vielen Flüssen tummeln sich bereits junge Lachse, welche aus Kalifornien stammen, von wo sie als Eier bezogen worden sind und noch immer bezogen werden. In den Verhandlungen dieser verdienstvollen Gesellschaft las ich einst eine sonderbare Debatte, bei welcher von einem Mitglied die Einfuhr schottischer statt kalifornischer Salmonen befürwortet wurde trotz der beträchtlicheren Kosten, »weil diese lebhafter seien und beim Angeln mehr Sport gewährten als jene«.

Natürlich fehlt es auch Auckland nicht an einem eleganten englischen Klub und an einem Athenäum oder Mechanics Institute. Eines Museums war die Stadt erst vor Kurzem theilhaftig geworden, und vor wenigen Tagen hatte die feierliche Eröffnung desselben stattgefunden. Die ganze Bevölkerung strömte hinein es zu besichtigen. Die ausgestellten Sammlungen waren eben so universeller Natur wie die des Wellingtoner Museums und grossentheils geschmackvoll arrangirt. Nur auf dem Gebiete der Kunst war das denkbar Schrecklichste geleistet worden. Ich habe nirgends, selbst in Amerika nicht, empörendere Versündigungen an der heiligen Antike und Klassizität gesehen, als dort in jener Ausstellung. Möchten doch die jungen Damen, die da die Sixtinische Madonna und die Venus von Milo gezeichnet hatten, niemals wieder einen Stift in die Hand nehmen.

Die Maoribevölkerung der Stadt Auckland ist vielleicht etwas stärker als jene von Wellington. Die Maoris unterscheiden sich hier von ihren südlichen Stammesgenossen nur dadurch, dass sie nicht so allgemein Hosen anhaben, sondern es vorziehen, die oberen Theile ihrer nackten Beine mit dem beliebten Schal zu umgürten, was der milderen Temperatur zuzuschreiben sein dürfte.

Auf der anderen Seite des Hafens, dem Waitemata Hotel gegenüber, zieht sich das »Northshore« entlang, eine Art Vorstadt, grösstentheils aus anmuthigen Villen bestehend. Dorthin fuhr ich in Gesellschaft zweier junger Franzosen, die ich bei Tisch kennen gelernt hatte. Der eine von ihnen war in Sedan Artillerieoffizier und Gefangener, und somit schon einmal mir ziemlich nahe gewesen. Jetzt führte uns der Zufall im Lande der Antipoden noch enger zusammen. Der Zweck des Ausfluges nach dem Northshore war hauptsächlich, frische Austern direkt vom Felsen weg zu speisen. Jeder bewaffnet mit einem tüchtigen Messer, einer Zitrone und einer Flasche kalifornischen Weines, richteten wir eine wahre Verheerung unter den schlüpfrigen Thieren an. Nur die zarteste Kindheit wurde geschont. Die Mahlzeit hätte komfortabler, gewiss aber nicht heiterer sein können. Ehe wir nach Hause zurückkehrten, bestiegen wir noch einen der vielen kleinen Vulkane, an denen hier nirgends Mangel ist, genossen die Aussicht und konstatirten, dass oben zwei alte Schiffskanonen lagen, der Verrottung preisgegeben.

Dieser Tag war der letzte mit schöner Witterung. Gleich am nächsten Morgen fing es wieder an zu regnen, und regnete fort, so lange ich noch in Neuseeland blieb. Es war die Regenzeit, der Winter von Auckland, die ihren Einzug gehalten hatte. Auckland hat in Bezug auf Temperatur ungefähr dasselbe Klima wie Sizilien oder Griechenland, ist aber viel reicher an Regen. In Invercargill, der südlichsten Stadt Neuseelands, soll man zuweilen Schlittschuhlaufen können.

So blieb mir denn nichts übrig als meine Ausflüge auf die nächste Umgebung und auf den unerlässlichen Besuch der Goldminen an der Themse einzuschränken. Die Themse fliesst von Südost her in die südöstliche sackartige Ausbuchtung des Hauraki-Golfs. An ihrer Mündung liegen rechts die beiden Goldstädtchen Grahamstown und Shortland mit zusammen 8000 Einwohnern.

Am 20. Juni reiste ich auf dem kleinen Dampfer »Durham« dorthin ab, durch die Güte unseres Konsuls mit Empfehlungsbriefen ausgestattet. Kalte strömende Regengüsse wurden nur selten von kurzen launischen Sonnenblicken unterbrochen. Die Fahrt, welche sechs lange Stunden dauerte, bot unter solchen Verhältnissen wenig Interessantes und noch weniger Genuss. Alles aussenbords war grau, als der Waitemata-Hafen hinter uns lag, an dessen Eingang mitten im Wasser auf hohem Balkengerüst ein rundes Haus steht mit einer Veranda ringsherum und einem Leuchtthurm über dem Dache, den Wächter mit seiner Familie beherbergend. Gewiss eine so gut ventilirte Wohnstätte, wie man sie nicht besser wünschen kann, und zugleich eine meer- und sturmumbrauste Idylle fern vom Gewühle des Landes. Kinder spielten auf der Veranda, ein Hund bellte unseren vorüberfahrenden Dampfer an, und die Gattin des Wächters klopfte Kleider aus. Unten am Gerüst hingen ein Boot und ein kürzlich erst gefangener Haifisch.

Die meisten Passagiere waren der Seekrankheit zum Opfer gefallen, als wir endlich Grahamstown, unser Ziel, in Sicht bekamen, und zugleich der Regen aufhörte und die Sonne durchbrach.

Am Fusse hoher Berge und dann auch weiter oben begannen einzelne Häuser aufzutreten und umzäunte Gärten, so steil ansteigend, dass ihre Begrenzungen wie die Vierecke eines an der Wand hängenden Planes erschienen. Fabrikartige schwarze Gebäude und hohe Schornsteine mischten sich unten am Ufer dazwischen. Immer kahler wurden die Bergwände hinter ihnen, zerkratzt und zerwühlt von gieriger Menschenhand und mit zahlreichen Löchern von unten bis oben, die ins dunkle Innere führen – die »Thames Goldfields« lagen vor mir, und der Dampfer stiess an die Landungsbrücke.

Von der in Goldplätzen herrschenden Verwilderung und Lasterhaftigkeit haben unsere Romanschreiber so haarsträubende Bilder entworfen, dass man sich gefasst machen möchte, in ihnen nur schrecklich verthierte Mördergestalten, die beständig nach Blut und nach Gold lechzen, durch düstere Gassen von Lasterhöhlen schleichen zu sehen. So schlimm sah es nun in Grahamstown nicht aus. Die Strassen machten ganz denselben soliden Eindruck wie die der anderen Städte Neuseelands, die ich passirt hatte, und trugen ein viel älteres und fertigeres Gepräge als der kurzen Zeit ihrer Existenz entsprach. Wenn man bedenkt, dass im Jahre 1867 als hier zuerst Gold entdeckt wurde, die See noch an jungfräuliche schroffe Felsenufer schlug oder unwegsame Sümpfe überfluthete, wo jetzt eine ganz ansehnliche Niederlassung mit ausgedehnten Maschinerien steht, muss man alle Achtung vor der schöpferischen Kraft des Goldes bekommen.

Es war gerade eine Periode der äussersten Geschäftsstockung. Die Minen gaben seit längerer Zeit kaum mehr Gold genug um ihre Bearbeitung zu lohnen, und die vielen müssigen Bummler vom Typus des pfiffigen Börsenjuden bis zu jenem des borstigen und struppigen Hinterwäldlers, welche gruppenweise an den Ecken der sonst öden und menschenleeren Strassen herumlungerten, aus kurzen Pfeifen rauchten, häufig spuckten und die Hände in den Hosentaschen verbargen, waren wahrscheinlich vazirende Goldspekulanten und Digger.

Ich logirte mich in demjenigen von den vielen Hotels ein, welches dem Pier zunächst lag. Dann ging ich aus, meine Empfehlungen an die Managers verschiedener Minengesellschaften abzugeben. Aber nur zwei konnte ich anbringen, die an die Caledonia- und die an die Kuranui-Mine. Die anderen hatten wegen Mangel an Geld ihre Buden zugeschlossen und die Arbeit für einige Zeit eingestellt.

Der Name »Thames Goldfields« ist geeignet ganz falsche Vorstellungen hervorzurufen. Es handelt sich durchaus nicht um eine in der Fläche ausgebreitete Oertlichkeit. Die »Thames Goldfields« sind sehr steile, durch schmale Querschluchten abgetheilte Bergmassen, in deren Inneres von allen Seiten und von unten bis oben Löcher getrieben sind, welche im Verein mit dem zerkratzten und zerwühlten Zustand der Bergwände, mit den vielen sich kreuzenden hochbeinigen Holzbrücken und mit den vielen Fabrikschornsteinen der ganzen Gegend einen sehr unruhigen Charakter geben.

Das Gold ist hier in dünnen Quarzadern enthalten, welche die aus einem weichen Mergelsandstein bestehenden Berge kreuz und quer durchziehen. Hat man eine derartige goldführende Quarzader gefunden, so verfolgt man sie bis sie aufhört. Als ich zum ersten mal das Material sah, welches aus den Bergen zu Tage gefördert und in grossen Haufen aufgeschüttet wird um in die Stampfwerke zu wandern, war ich sehr überrascht über seine Beschaffenheit. Die Quarzadern sind so dünn, dass sie als lauter kleine Bröckel in die anklebende schmierige Masse des Muttergesteins gebettet und von dieser eingehüllt, zu einem dicken thonartigen Brei zusammengebacken erscheinen. Die fachmännische Bezeichnung »Dirt« entspricht seinem Aussehen vollkommen.

Dieser Dirt wird nun durch eigene Oeffnungen in das Innere der Batterien geschaufelt und in die Stampftröge vertheilt, wo er unter beständigem Zufluss von Wasser so lange zerstossen wird, bis er als feiner Schlamm durch die nadelstichgrossen Löcher des Siebes, welches die eine Seite der Tröge bildet, entweichen kann. Dann fliesst er in kleinen schmutzigen Bächen über geneigte mit wollenen Decken bekleidete Ebenen von 15 bis 20 Schritt Länge in ein System geräumiger Bottiche. Schmale mit Quecksilber gefüllte Rinnen unterbrechen quer diese Ebenen, denn alles Gold wird in der Form von Amalgam gewonnen. Die schwereren Goldtheilchen sinken in die Rinnen und werden vom Quecksilber chemisch gefesselt, während die Quarztheilchen abfliessen. Sollte es einem Goldtheilchen gelingen sich durch die Rinnen zu schmuggeln, so ist es noch lange nicht vor der Affinität des Quecksilbers gerettet. Es verfällt nur etwas später den Umarmungen dieses nach der Paarung mit ihm lüsternen Elementes. Der ganze Schlamm wird nochmal und zwar viel gewaltsamer mit dem Quecksilber zusammengebracht. Man lässt ihn zuerst in den grossen Bottichen sich absetzen, in welche von Zeit zu Zeit auch die Wollendecken der geneigten Ebenen ausgewaschen werden. Das geklärte Wasser fliesst oben über, unten sammeln sich alle die suspendirten Stoffe, um schliesslich in die nach ihrem Erfinder so genannten Berdans gebracht zu werden. Unter diesen versteht man riesige eiserne Reibschalen, die mit Wasser gefüllt sind und auf deren Grunde abermals Quecksilber lauert. Drei grosse und schwere Kanonenkugeln werden darin herumgerührt und pressen auf diese Weise jegliches Theilchen in intimen Kontakt mit dem Quecksilber.

Fängt nun das Quecksilber, sowohl der Querrinnen oben als der Berdans, an krümelig zu werden, so ist dies ein Zeichen, dass es grösstentheils zu Amalgam geworden und nahezu mit Gold gesättigt ist. Das Quecksilber hat seine Pflicht gethan und kann gehen, oder vielmehr es wird schnöde zum Gehen gezwungen, indem man das Amalgam in eisernen Retorten erhitzt, bis das Quecksilber als Dampf in die untergestellten Wassergefässe entweicht und wieder in seinen alten goldlosen Zustand zurückkehrt, um von Neuem dem Gold nachzustellen und in die Dienste des Menschen zu pressen.

Das in der Retorte zurückbleibende rohe Gold kommt dann auf die Bank um durch einen feineren chemischen Prozess geläutert und von dem Silber, das sich fast stets in seiner Begleitung findet, geschieden zu werden.

Ich kletterte, von einem Bediensteten der Caledonia-Gesellschaft, der gerade die Runde zu machen hatte, geführt, einen halben Tag lang in den Stollen und Schächten der Minen herum, jeder eine Stearinkerze in der Hand. Diese sind nämlich hier das allgemein übliche, sonst nicht für bergmännisch geltende Beleuchtungsmittel. Jeder Arbeiter, den wir auf unseren dunklen Wanderungen einsam oder in kleinen Gesellschaften trafen, hatte eine Stearinkerze mittels eines Lehmknollens neben sich an den Felsen geklebt. Man pflegt hier zwei Stearinkerzen lang, das heisst sechs Stunden täglich zu arbeiten. Die Arbeiter wurden entweder im Taglohn mit 6 Shilling bezahlt oder hatten eine Ader gepachtet und arbeiteten auf eigenes Risiko. Es wurde gerade sehr wenig Gold gefunden, nur eben so viel als sich verlohnte überhaupt zu graben. Deshalb waren die Stollen auch alle offen, und die schweren Thüren mit grossen Schlössern an den Eingängen erinnerten nur mehr an die vergangene Blüthezeit der Goldgräberei, in welcher eine strenge Kontrole nöthig und nützlich war.

Aufwärts und abwärts, horizontal und in allen Graden der Neigung sind Schächte und Stollen durcheinander gewühlt. Nur an den allergefährlichsten Punkten sind Stützen angebracht, von all den Vorsichtsmassregeln unserer europäischen Bergwerke keine Rede. Beinahe wäre ich in einen Verbindungsschacht gefallen, der plötzlich mitten im Wege ohne Bedeckung sich aufthat. Mein Führer schien mir Respekt vor seinem Geschäft beibringen zu wollen und hetzte mich durch alle möglichen Schwierigkeiten – endlose morsche Leitern hinab, auf denen oft meterlang die Sprossen fehlten, und der Fuss vergeblich nach einer Stütze im ungewissen Abgrund unten herumtastete, während oben die zerbröckelnde Erde nachstürzte, durch enge Löcher, durch die man nur auf dem Bauche rutschend sich durchzwängen konnte, auf Schienenwegen entlang, auf denen jeden Augenblick schwerbeladene Wagen aus dem schwarzen Inneren allein und ohne Aufsicht gepoltert kamen und den Leib aufzuschlitzen drohten, falls man sich nicht platt genug an die Wand drückte.

Fast alles Holzwerk in den Gängen war halbverfault. Wasser triefte von der Decke herab, und ungemein zarte flockige Schimmelbildungen, zarter als die zarteste Baumwolle, schmückten die Ecken. An einigen Stellen überraschte mich ein anmuthiges Phänomen zoologischer Natur. Die Decke erschien übersät mit Hunderten kleiner grünlich phosphoreszirender Sterne – Glühwürmchen, die auf der Rückenseite der drei vorletzten Ringe einen verhältnissmässig grossen länglichen Leuchtapparat trugen. Sie sassen in kleinen schlauchförmigen Gespinnsten etwa viermal so lang wie sie selbst, welche horizontal an den Rauhigkeiten des Gesteins befestigt waren, und von welchen feine Fäden, mit zierlichen Thauperlen besetzt, herabhingen. Näherte man ihnen das Licht, so fingen sie in ihren Schläuchen zu marschiren an und retirirten nach geschützteren Winkeln. Hie und da fand ich in alten Gespinnsten kleine todte Käfer hängen, vielleicht die Imago jener Würmchen.

Den anderen Tag besuchte ich den 200 Meter tiefen Schacht der »United Pumping Association« – für den richtigen deutschen Studenten gewiss ein Name von ausgezeichnetem Wohlklang. Das grossartige Werk dient dazu, die im Umkreis liegenden Minen zu drainiren. Im Grunde des Schachtes als dem tiefsten Punkt sammelt sich das Wasser des Bodens und wird durch Pumpwerke zu Tage gefördert.

Vergebens suchten mich die Beamten von meinem Vorhaben abzubringen, indem sie mir die schlechte Qualität der Luft, die Hitze und den Ueberfluss an Wasser dort unten in den lebhaftesten Farben schilderten. Ihre Vorstellungen waren auch, wie ich erfahren sollte, nicht übertrieben.

Ich steckte mich in die von Lehm starrenden Kleider eines Arbeiters, betrat in Gesellschaft eines Aufsehers den Fahrkorb und liess mich in den dunklen Schlund hinabsenken. Wir fuhren so rasch, dass man das unangenehme Gefühl des Fallens empfand. Immer kleiner wurde das viereckige Licht über uns, immer wärmer die Luft und immer stärker der dichte und gewaltsame Regen, welcher von den mit Kalkinkrustationen überzogenen Wänden herabstürzte. Neben uns liefen die Röhren und die aus halbmeterdicken Kauribalken zusammengesetzten Pumpenstangen, und das Brausen von Wasserfällen ertönte, so oft wir eines der vielen Reservoirs passirten, durch welche das Wasser von einem zum anderen gegeben wird. Mein Führer zog mehrmals an der Leine und stoppte die Fahrt, um mir das Werk zu erklären. Noch ehe wir unten ankamen, waren wir innen und aussen in Schweiss und Regen gebadet. Die drückend schwüle Luft war mit Feuchtigkeit vollständig gesättigt, das Athmen wurde beschwerlich.

Wir hielten an unserem Ziele, der Schwebekorb stiess auf den Grund des Schachtes. Wir stiegen aus in den schmutzigen Sumpf, welcher knietief den Boden bedeckte. Die Beamten hatten Recht gehabt, hier unten war es fürchterlich. Ich hatte das Gefühl zu ersticken in der unerträglichen Hitze, nur die halbe Atmosphäre war Luft, die andere Hälfte Wasser, welches widerlich lauwarm von allen Seiten herabschoss.

Und hier unten in diesem qualvollen Aufenthalt mühten sich sechs Menschen um ihr tägliches Brot. Der Raum, den sie erweitern sollten, war so eng, dass wir beide kaum mehr Platz hatten. Bis zu den Knieen im Schlamme stehend und strömend von Wasser, heftig athmend und mit dunkelgerötheten Gesichtern verrichteten sie schweigend ihre Arbeit. Ein aus Holz gezimmerter Kanal führte kühlere Luft von den Ventilationsvorrichtungen herbei. Dort das Antlitz hineinzuhalten und einige Züge zu schöpfen war ihre einzige Erholung.

Die Ventilation wurde mittels eines Sturzbaches, der durch einen eigenen etwa 100 Meter tiefen Schacht zerstiebend herabfiel, bewerkstelligt. Die in einzelne Tropfen aufgelöste Wassermasse riss Lufttheilchen mit sich, welche als ein frischer Wind in die horizontal verzweigten Kanäle hineingestossen wurden.

Mit Freude begrüsste ich wieder das himmlische Licht, als wir dem finsteren Schachte entstiegen, nass vom Scheitel zur Zehe. Der Kuranui Manager hatte noch die Freundlichkeit, mir einige Goldspecimens und statistische Notizen von seiner Mine zu schenken. Dann kehrte ich befriedigt ins Hotel zurück.

Nachdem ich so das Wesentlichste gesehen, konnte mich bei dem ewigen Regen und Stürmen und bei dem unwegsamen Zustand der Umgebung nichts mehr an Grahamstown fesseln.

Als ich jedoch am nächsten Morgen wieder auf dem Durham mich einschiffen wollte, hatte eine Sturmfluth das Pier und die unteren Theile der Stadt überschwemmt, so dass man bis zu den Hüften im Wasser waten musste, um die nächste trockene Strasse zu erreichen. Oben in einem Wirthshaus fand ich den Kapitän, der durch die Ueberschwemmung von seinem Schiff abgeschnitten war und bedenklich zweifelte, ob er bei solchem Wetter heute noch die Rückfahrt nach Auckland wagen sollte. Zum Glück klarte der Himmel sich auf, der Sturm legte sich etwas, die Fluth lief ab, und wir lichteten Anker, um eine sehr ungemüthliche Reise anzutreten.

Alle die wenigen Passagiere bis auf zwei Maoridamen und mich waren nach der ersten Viertelstunde intensiv seekrank. Der kleine Durham sprang und schlenkerte ganz verrückt, und seine Schraube arbeitete mehr in der Luft als im Wasser.

Die zwei Maoridamen waren aus Ohinemuri, wie mir der Steward sagte, und von hoher Abkunft, wie ihre stark tätowirten Lippen und Kinne bewiesen. Sie mochten etwa 40 Jahre zählen und waren dementsprechend runzelig. Haifischzähne mit rothen Siegellacktropfen in den Ohren, Grünsteinfratzen mit Perlmutteraugen als Amulette am Halse, falsche europäische Brasselets und Ringe um das Handgelenk und die Finger, alte Mäntel aus Phormium, mit rothen Troddeln und schwarzen Fransen bespickt, um die Schultern, darunter grellrothe wollene Unterröcke und schmutzige Hemden, ungekämmtes wallendes kohlschwarzes Haar, ohne Kopfbedeckung und baarfuss, die Waden mit einem Muster aus kleinen Längsstricheln tätowirt – so repräsentirten sie den Typus vornehmer Häuptlingsfrauen vom Lande. Auch sie husteten beständig, kein Wunder bei der herrschenden Kälte und bei ihrer leichten Bekleidung.

Im Anfang versuchten sie, nach Pakeha-Art auf dem Sopha zu sitzen, aber sie quälten sich nicht lange damit, sondern rutschten herab auf den Boden, wo sie sich entschieden viel wohler fühlten, zumal als der Durham immer heftiger zu springen begann, was ihnen keine geringe Furcht einzuflössen schien. Als wir nach einiger Zeit unter dem Schutz einer Bergwand in ruhigere See kamen und an das Dinner denken konnten, waren sie nicht zu bewegen, am Tisch Platz zu nehmen. Sie blieben auf dem Boden und liessen sich dort serviren. Sie bedienten sich übrigens der Gabeln und Messer in geziemender Weise, und als sie fertig waren, zogen sie schmutzige Thonpfeifen aus dem Busen und rauchten.

Nur ein einziger Ausflug wurde mir noch vom Wetter vergönnt. Der Isthmus von Auckland ist bekanntlich eines der grossartigsten vulkanischen Gebiete der Erde. Gleich hinter der Stadt erhebt sich ein noch ganz deutlicher alter Vulkan, der Mount Eden. An einem trüben Sonntag, an dem es ausnahmsweise nicht regnete, machte ich diesem meinen Besuch.

Sobald man die geschlossenen Reihen der Häuser hinter sich hat, beginnt der Weg stetig anzusteigen, und je weiter man geht, desto ausgedehnter wird die Fernsicht. Die Lavaschlacke bildet ein vortreffliches Material zur Strassenbeschotterung und nur ihr verdankte ich die Möglichkeit vorwärts zu kommen. Denn wo sie auf kurze Strecken des Weges fehlte, war der Lehmboden zu einem beinahe unüberwindlichen Brei erweicht.

Ich war schneller oben am Rande des Kraters als ich erwartete. Das Innere des Trichters ist jetzt ebenso wie die äussere Böschung mit europäischem Gras bewachsen, den Grund desselben bedecken Lavablöcke. Der Berg war ehemals ein grosser Maori-Pa und ist von seinen einstigen Bewohnern her ringsum terrassirt. Allenthalben ist der Rasen mit Muschelbruchstücken, den Ueberbleibseln ihrer Mahlzeiten, besät. Pferde und Kühe weiden jetzt, wo einst stolze Häuptlinge hinter kunstvollen Befestigungen ihrer Feinde spotteten und ihnen Wolfsgruben bereiteten, von denen einige noch erhalten sind, falls die betreffenden Vertiefungen nicht als Kochstellen oder zu anderweitigen physiologisch-hygienischen Zwecken gedient haben.

Das Panorama, welches sich zu Füssen des Berges entrollt, muss bei schönem klaren Wetter zu den schönsten der Erde gehören. Nordwärts der Haurakigolf mit den vielen Inseln und Halbinseln, über die der Rangitoto gebieterisch hervorragt, dessen merkwürdige scharfgeschnittene Gestalt mit den beiden symmetrisch links und rechts angefügten kleinen Vulkanen gerade aussieht wie ein idealer Durchschnitt der verschiedenen Kegel eines Vulkans in Hochstetters Buch über Neuseeland. Südwärts die Felsenkulissen des Manukauhafens. In der Mitte der Isthmus mit seinen zahlreichen grossen und kleinen isolirten und gruppirten vulkanischen Kegeln und düsteren Lavafeldern, zwischen denen zerstreute Saatäcker sich emporzudrängen begonnen haben. Die einzelnen Grundstücke sind mit Zyklopenmauern von Lavablöcken eingefasst, was der Landschaft etwas Festungsartiges verleiht. Unten an der Ostseite haben sich zahlreiche elegante Cottages mit wohlgepflegten Gärten angesiedelt, und da wo die Strasse nach Manukau sich hinzieht, sind mehrere Steinbrüche aufgeschlossen, aus denen dichter, schwerer Basalt gewonnen wird.

Reiseprojekte und die Bibliothek des Mechanics Institute waren fortan meine Hauptbeschäftigung. Ich studirte die zahlreichen Neuseeländischen Zeitungen und fand darin manches Neue und Interessante. Auch hier in diesem schönen Lande wird viel geschimpft. Schimpfen scheint ein natürliches Bedürfniss des Menschen zu sein.

Vorzugsweise waren es zwei Punkte, über die es fast nie an heftigen Artikeln fehlte, die Maoris und die Verfassung.

Wie sehr erstaunte ich zu vernehmen, dass es auf der Nordinsel Neuseelands noch immer einen Distrikt giebt, King Country genannt, in welchem etwa 10 000 Eingeborene unter einem eigenen selbstgewählten König leben und den Weissen jeglichen Zutritt verwehren. Nach dem neuesten Zensus vom Dezember 1875 besitzt die Kolonie, welche einen Flächenraum von 271 677 Quadratkilometer (= 104 900 englischen Quadratmeilen) also circa 41 000 Quadratkilometer mehr als Grossbritannien ohne Irland umfasst, eine Bevölkerung von 375 800 Weissen und 45 400 Maoris. Und mitten in dieser fast vierzigfachen Majorität von Weissen darf es ein Häuflein von 10 000 Eingeborenen wagen, dem britischen Banner zu trotzen! Ich fand die King Country auf keiner Karte angegeben. Ein Beamter der Behörde für Maoriangelegenheiten hatte die Güte, mir dieselbe in die meinige einzuzeichnen. Sie soll etwa 1 000 000 Acres (= 4050 Quadratkilometer) bedecken und liegt nordwestlich vom Tauposee. Gegen Westen ist ihre Grenze das Meer zwischen dem Aotea-Hafen und dem Mokau-Fluss. Von diesem letzteren geht sie beinahe parallel dem Breitengrad nach dem Tauposee, an dessen nordwestlicher Ausbuchtung entlang bis fast zum Waikato, hierauf parallel dem linken Ufer des Waikato bis zu seinem Mittellauf, von wo sie eine Strecke weit von ihm selbst gebildet wird, um etwa in gleicher Breite von Aotea wieder nach West abzubiegen. Auf der Poststrasse von Tapuaeharuru nach Ohinemutu war ich also nur wenige Kilometer von ihr entfernt gewesen.

Tawhiao heisst der König, der dort herrscht, Te Kuite ist sein Hauptdorf. Es sollen sich einige Europäer als Rathgeber bei ihm befinden, welche sich förmlich zu Maoris naturalisirt haben, sich wie Maoris kleiden und wie Maoris leben und deshalb Pakeha-Maoris genannt werden. Die während des zehnjährigen Krieges entstandene, aus Christenthum, Judenthum und Heidenthum zusammengemischte Maori-Staatsreligion oder »Hau Hau-Religion« (der Ausruf »Hau hau« spielte in den Gebeten und als Kriegsgeschrei eine hervorragende Rolle) ist von Tawhiao zur »Taraeo-Religion« modifizirt worden.

Diese King Country nun schien den oppositionellen Blättern ein arger Dorn im Auge zu sein, und nicht mit Unrecht, wenn folgender Passus, den ich aus einer Neuseeländischen Korrespondenz in der Sydney Mail vom 4. März 1876 wörtlich wiedergebe, und der die ganze Litanei von Klagen am bündigsten zusammenfasst, sich auf Wahrheit gründet, woran nicht zu zweifeln ist: »Die Eingeborenen kennen sehr wohl die Schwäche der Regierung ihnen gegenüber und geben sich keine Mühe, ihre Verachtung derselben zu verbergen. Jeder eingeborene Spitzbube und Verbrecher findet stets Zuflucht und Schutz in der King Country, und nichts desto weniger halten die Behörden es vereinbar mit der Ehre des britischen Namens, dem Tawhiao, unter dessen Zustimmung solches geschieht, eine halboffizielle Anerkennung zu gewähren.« Fast jede Nummer, die ich damals in die Hand nahm, enthielt lange Geschichten von Mördern und Räubern, welche sich den Gesetzen durch Uebersiedlung nach der King Country entzogen hatten.

Die Duldsamkeit der Kolonialregierung ist gewiss nicht glorreich, aber praktisch und ein Stück jener schlauen Politik, der England seine grossen Erfolge im Kolonisiren verdankt. Mit starrem Festhalten an hohlen Prinzipien und Schablonen würde man viel weniger weit gekommen sein. Wegen einer geringfügigen Sache eine Menge Geld und Soldaten zu opfern, die sie nicht werth ist, dazu sind die Engländer zu klug. Sie überlassen die Maoris der Zeit und dem Schnapse, welche beiden Faktoren sicherer und gründlicher mit ihnen aufräumen werden, als die Kriegskunst irgend einer Nation in den dichten Urwäldern Neuseelands jemals vermöchte.

Was nun die Verfassung der Kolonie anbelangt, so war damals eine starke Bewegung im Gange, die acht Provinzen mit den acht Provinzialregierungen abzuschaffen. Der Premierminister Sir Julius Vogel, ein deutscher Jude, stand an der Spitze derselben. Die Provinzen hatten eine ähnliche Selbstständigkeit wie die einzelnen Staaten der nordamerikanischen Republik, jede besass ihren Provincial Council von 20 bis 40 Mitgliedern, welche auf je vier Jahre gewählt wurden, und eine eigene Regierung mit dem entsprechenden Stab von Beamten. Sie alle zusammen waren dann vereinigt unter dem Gouverneur Marquis of Normanby, dem sieben Minister und ein zweikammeriges Parlament, dessen Oberhaus 45 vom Gouverneur auf Lebenszeit ernannte Mitglieder und dessen Unterhaus 78 Abgeordnete zählte, nebst einem neunten noch grösseren Stab von Beamten zur Seite standen. Entschieden liess sich nicht leugnen, dass Neuseeland, ein Land von noch nicht einer halben Million, auf diese Weise überregiert war. Für die Abolition waren namentlich die durch den Maorikrieg am meisten geschädigten und ärmeren Provinzen der Nordinsel Auckland, Taranaki, Wellington und Hawkes Bay, weil sie bei einer Verschmelzung der Lasten nur gewinnen konnten, gegen die Abolition agitirten jene der Südinsel Otago, Canterbury, Marlborough und Nelson, die ihre blühende Prosperität nicht mit den heruntergekommenen nördlichen Nachbaren theilen wollten. Es war ein Kampf des Kommunismus im Grossen, und es tauchten bereits Stimmen auf, dass man die ganze Kolonie lieber gleich in zwei theilen möchte.

Die Südinsel und besonders die Provinz Otago scheint eine grosse Zukunft zu haben. Dorthin zieht sich die überwiegende Menge der Einwanderer, dort sind Ackerbaudistrikte, in denen bereits soviel Getreide produzirt wird, dass exportirt werden kann. Wie viele bei uns wissen etwas von Dunedin, der Hauptstadt Otagos. Und doch ist Dunedin eine Stadt von bereits nahezu 19 000 Einwohnern, die in Bälde Auckland mit seinen 21 000 überflügelt haben wird. –

Meine Südseereiseprojekte schwanden immer mehr zusammen, je mehr ich von der Spärlichkeit und der Unsicherheit der Verbindungen kennen lernen musste. Wer nicht über eine eigene Yacht oder über eine unbeschränkte Anzahl von Monaten zu gebieten hat, möge darauf verzichten, in der Südsee abseits von den Dampferlinien zu reisen.

Etwa sechsmal im Jahre ohne bestimmte Ordnung befahren von Auckland aus Segelschiffe die Tonga- und die Samoa-Gruppe. Sie laufen je nach Wind und Wetter und je nach den Geschäften die Inseln Tongatabu, Nemuka, Hapai, Wawau, Haiwawa und Upolu an, um Tauschhandel mit den Eingeborenen zu treiben, und für ihre Aexte, Messer, Baumwollenzeuge und Schmucksachen Kokosnüsse einzunehmen. Zweimal schien mir eine derartige Gelegenheit zu winken, aber immer wieder wurde die Abfahrt auf ungewisse Zeit verschoben. Der Kapitän einer kleinen Brigantine aus Sydney, welche nach Tonga gehen sollte, suchte mich zu überreden, mit ihm zu kommen und mich auf Tonga als Arzt zu etabliren, es sei dort noch keiner vorhanden, und er habe von den dort gebietenden Wesleyanischen Missionären den Auftrag, einen solchen zu beschaffen. Die schwarze Gesellschaft passte mir aber nicht, wenn ich mich auch zu einem längeren tonganischen Aufenthalt hätte entschliessen können. Der Titel »Wesleyan« hat in der Südsee denselben Beigeschmack wie bei uns »Jesuit«. Gerade Tongatabu soll ein Hauptnest dieser englischen Hierokraten sein, wenn auch dem Namen nach der eingeborene King Georges über die Tonga-Inseln regiert.

Als warnendes Beispiel, wie wenig hier zu Lande auf Versprechungen von Schiffsgelegenheiten zu geben sei, dienten mir übrigens auch meine beiden Franzosen im Waitemata-Hotel, welche bereits seit drei Monaten auf ein Schiff nach Tahiti warteten, das man ihnen eben so lange in Aussicht gestellt hatte. Erst nach zwei weiteren Monaten kamen sie wirklich fort, wie ich zu Honolulu aus einer Auckland-Zeitung erfuhr.

Unter solchen Umständen wandte ich meine Gedanken wieder mehr den Postdampfern zu, um ohne weitere Abenteuer nach Hause zu fahren. Neuseeland hatte damals monatlich zwei europäische Posten, welche unbequemer Weise fast zur selben Zeit, nur mit einigen Tagen Unterschied eintrafen und abgingen, die eine westlich über Australien und Indien, die andere östlich über Kalifornien. Der letztere Weg ist etwas kürzer als der erstere, aber zugleich auch kostspieliger.

XI.
VON AUCKLAND NACH KANDAVU.

Die Pacific Mail. Auf der City of San Francisco eingeschifft. Beschreibung des Dampfers und seiner Attribute. Aeusserer Glanz und innere Dürftigkeit. Die chinesischen Mahlzeiten. Gang der Reise und Wetter. Der vierte Juli. Reiseplanzweifel.

Die Postdampfer von San Francisco, welche monatlich einmal zwischen Kalifornien einerseits und Neusüdwales und Neuseeland andererseits verkehren, berühren als Zwischenstationen Honolulu und Kandavu.[6]

[6]: Dies hat sich seitdem geändert. Die Postdampfer gehen jetzt direkt von Sydney nach Auckland und von da, ohne Kandavu zu berühren, direkt nach Honolulu.

In Kandavu ist ein Knotenpunkt der Linie, indem hier die beiden Zweiglinien Neusüdwales und Neuseeland sich vereinigen. Der Dampfer von Neuseeland trifft in Kandavu mit dem Dampfer aus Neusüdwales zusammen und übernimmt dessen Passagiere und Post, um sofort nach San Francisco weiterzugehen, während jener auf den zwei Tage später fälligen Dampfer von San Francisco wartet, um dann Post und Passagiere dieses, der direkt nach Sydney geht, für Neuseeland zu übernehmen, so dass also jeder Dampfer auf seiner dreimonatlichen Reise den Weg San Francisco, Honolulu, Kandavu, Sydney, Kandavu, Auckland und andere Häfen an der Ostseite Neuseelands, Kandavu, Honolulu, San Francisco beschreibt.

Früher gab es vorübergehend eine Dampferlinie zwischen San Francisco und Neuseeland, welche in Levuka, der Hauptstadt von Viti, anlegte. Dieser Platz ist von der gegenwärtig auf dem Stillen Ozean herrschenden Pacific Mail Steam Shipping Company mit der Angaloa Bay Kandavus vertauscht worden, theils weil der letztere Hafen günstiger liegt als Levuka, theils weil die Gesellschaft an der Angaloa Bay Landbesitz hat, den sie durch ihre Dampfer zu heben hoffte.

Die Pacific Mail Steam Shipping Company, die ihren Schwerpunkt in der japanesisch-chinesischen Linie hat, arbeitete damals mit fünf Schiffen auf der weniger bedeutenden und weniger rentablen australischen Linie. Die zwei älteren dieser Schiffe, die Zealandia und die Australia, welche in England gebaut waren, fuhren unter englischer, die drei neuesten in Philadelphia gebauten, die City of New York, die City of San Francisco und die City of Sydney, unter amerikanischer Flagge. Bekanntlich dürfen ja nur solche Fahrzeuge die Flagge der Vereinigten Staaten tragen, welche von einer Werft der Vereinigten Staaten stammen.

Nach dem letzten Vertrag zahlten Neusüdwales und Neuseeland für die Post eine Subvention von je 45 000 Pfund Sterling. Eine gewisse Fahrzeit, die ja nirgends besser als in den ruhigen Gewässern des Stillen Ozeans durch Kohlenverbrauch regulirt und eingehalten werden kann, war ausbedungen. Jede Stunde früheren Eintreffens wurde mit einer Prämie von 5 Pfund belohnt, jede Stunde Verspätung kostete 4 Pfund Strafe.

Da ich endlich die Geduld verlor, noch länger auf Gelegenheiten nach Tonga und Samoa zu warten, und in Neuseeland die Regenzeit immer unangenehmer wurde, so fasste ich einen raschen Entschluss und kaufte eine Passage nach San Francisco. Am 3. Juli ging die nächste Post dorthin, und zwar die »City of San Francisco«. Um denn doch noch etwas von der Pazifischen Inselwelt zu sehen, stellte ich die Bedingung, sowohl auf Kandavu als auf Hawaii einen Monat überschlagen zu dürfen. Dies wurde mir vom Agenten erst dann genehmigt, als ich ihm drohte, im Fall der Verweigerung mit der anderen Linie, mit der »P. and O.« – in solcher Weise kürzt der praktische Engländer den etwas langstyligen Titel »Penninsular and Oriental Mail Steamship Navigation Company« – über Indien nach Hause zu gehen. Hätte ich meine Passage blos von Station zu Station genommen, so hätte mich die Reise vielleicht das Doppelte gekostet. Dank dem Fehlen jeglicher Konkurrenz betrug der Fahrpreis blos bis Kandavu (vier Tage) 10 Pfund Sterling, und von Kandavu nach San Francisco nicht etwa 10 Pfund weniger sondern eben so viel wie von Auckland aus, nämlich 40 Pfund Sterling. Ausserdem hatte man nur bei der ganzen Fahrt Anspruch auf 250 Pfund Freigepäck.

Ausgerüstet mit dem theuren Ticket, dessen Rückseite die tröstliche Versicherung gab, im Fall eines Unglücks keinerlei Entschädigung zu gewähren und überhaupt für nichts zu stehen, schiffte ich mich also am 3. Juli ein.

Die City of San Francisco machte im Anfang einen imponirenden Eindruck. Ich hatte eben schon lang keinen grösseren Dampfer mehr gesehen. Allerdings reichte die kurze Zeit der vier Tage nach Kandavu hin, um mir deutlich zu machen, dass dem äusseren Glanz und den ansehnlichen Dimensionen kein würdiger Inhalt entsprach.

Die eine Seite des Schiffes und zwar die bessere, dem Passatwind zugekehrte war für die Passagiere aus Sydney, welche erst in Kandavu an Bord kamen, reservirt, und da ich nur bis Kandavu ging, hatte ich das Glück, der einzige Bewohner dieser ganzen Seite zu werden. Mit meinem Gepäck verfuhr man indess weniger liebenswürdig als gegen mich. Obwohl mir der Agent erklärt hatte, ich hätte nichts mehr für dasselbe zu bezahlen, wog man mir doch jede einzelne Kiste und oktroyirte mir, der ich vertrauensselig genug war, diese Manipulation nicht zu überwachen, 200 Pfund Uebergewicht und 4 Pfund Sterling Fracht dafür auf. Als ich später in Honolulu mein Gepäck nachwog, fand ich, dass ich um mehr als die Hälfte betrogen worden war.

Die City of San Francisco ist nicht länger und nicht breiter als manche atlantischen Postdampfer, deren erster Anblick mich sehr enttäuschte, nachdem ich die in unseren Blättern üblichen Schilderungen von der Pracht und Mächtigkeit jener »schwimmenden Paläste« gelesen hatte. Es ist schwer, ein so grosses Fahrzeug nach dem Augenmass zu beurtheilen. Die Anordnung und die Einrichtung der verschiedenen Räume tragen viel dazu bei, ein Schiff mehr oder minder grandios erscheinen zu lassen. Bei der City of San Francisco nun waren diese beiden Faktoren in der günstigsten Weise wirksam, und so kam es, dass sie der erste Dampfer war, der mir durch seine Grössenverhältnisse imponirte. Auch an Eleganz übertraf sie meine Erwartungen. Die einzelnen Decks zeichnen sich durch ungewöhnliche Höhe aus, so dass in den Kabinen drei Betten oder Kojen übereinander Platz haben. Dadurch ragt das ganze Schiff sehr hoch aus dem Wasser und erhält so viel Obergewicht, dass es bei Windstille, des Haltes der Segel entbehrend, fast niemals langweilig hin und her zu rollen aufhört.

Der Salon, welcher quer durch die ganze Mitte geht, und ein Theil der Kabinen liegen im Zwischendeck, dessen Ventilation viel zu wünschen lässt. Das Kajütsdeck ist der ganzen Länge nach zu beiden Seiten offen und hier mit einer sehr angenehmen Gallerie versehen, welche bei schlechtem Wetter Schutz vor Regen gewährt. Das Oberdeck trägt vorne das Häuschen der Dampfsteuerung, dann die Kammern für den Kapitän und die vier Offiziere, einen »Presidents Room« für besonders distinguirte Personen, da der Präsident der Vereinigten Staaten selbst wohl nur selten in die Lage kommen wird sich seiner zu bedienen, und hinten eine »Social Hall« mit Piano, Divans und einer ornamentalen Treppe nach unten. Da wir nur wenig Passagiere hatten, sah das freie und leere Oberdeck doppelt geräumig aus. Das Rauchzimmer, dieser wichtige Raum, in dem auf deutschen und englischen Dampfern Abends sich Alles zusammendrängt, bis niemand mehr Platz hat, und bis man vor Rauch einander nicht mehr sehen kann, war hier in einer sehr despektirlichen Weise behandelt. Der Raucher gilt in Amerika als lasterhafter Mensch, und in Anbetracht dieses war es natürlich, dass das Rauchzimmer sich gleich neben den Klosetts befand und eigentlich nur der Vorsaal dieser nützlichen Institute war, weshalb keiner sich in ihm aufhalten mochte.

Unser Kapitän wurde mir als eine Zelebrität aus dem letzten amerikanischen Bürgerkriege bezeichnet, er sei damals Führer eines südstaatlichen Kaperschiffes gewesen und habe dem Handel der Yankees viel Schaden gethan. Der erste Offizier war ein ausgezeichneter Violinspieler, der gern seine Künste zum Besten gab, und hatte ein etwas bierduseliges Gesicht, so dass ich in ihm einen biederen Landsmann vermuthete, obgleich er sonst nichts davon merken liess. Unter der übrigen Mannschaft waren Chinesen, Neger und Polynesier vertreten. Der Barbier war ein feingeschniegelter brauner Kanaka aus Honolulu, und im Salon bedienten langzopfige Chinesen. Zur ordnungsmässigen Besatzung rechneten sich ferner sieben Ochsen, etwa zwanzig Schafe und eine Menge Geflügel.

Als ich nach dem Doktor frug um mich ihm vorzustellen, fand ich in diesem denselben Herrn wieder, der mir vor einer Stunde als Freight Clerk gezeigt worden war, und mit dem ich mich bereits wegen des Gepäckes herumgezankt hatte. Er vertrat aber nur die interne Medizin. Die Chirurgie oblag seinem Vorgesetzten, dem Zahlmeister. Dieser rühmte sich Doktor von Philadelphia zu sein und pries mir die Einträglichkeit seiner doppelten Stellung an Bord. Solches war der »Experienced Surgeon«, dessen beruhigende Gegenwart im Programm fettgedruckt angezeigt steht.

Eine zweite Annehmlichkeit ähnlicher Art lernte ich in der Bibliothek kennen, und es war mein Vergnügen des ersten Abends, zu konstatiren, dass dieselbe aus 96 Bibeln, 54 Gebetbüchern, 16 Abhandlungen über praktische und theoretische Frömmigkeit, 22 Selbstbiographien von Pastoren und anderen Blaustrümpfen, aus einer italienischen Reise und aus Dickens' Martin Chuzzlewit bestand. Bis auf diese beiden entstammten die Bücher einer Traktatgesellschaft und hatten somit für die Pacific Mail Steam Shipping Company den unschätzbaren Vorzug, dass die »Accomplished Library« ihr nichts kostete. Ewig dankbar dem unbekannten Spender, warf ich mich Martin Chuzzlewit in die Arme.

Da das Essen auf Seereisen eine ansehnliche Rolle spielt, so fällt die Qualität desselben bei der Beurtheilung eines Schiffes schwer ins Gewicht. Leider ist auch in Betreff dieses Faktors von der City of San Francisco nichts Rühmliches zu berichten. Die Tafel war zwar stets voll von lauter neusilbernen Schüsseln und Schüsselchen, aber es war eigentlich selten etwas Nennenswerthes darin zu entdecken. Ein Gericht fehlte niemals und repräsentirte zugleich am besten den Charakter der Gesammtheit. Es bestand aus lauter feinen Knochensplittern, die mit einer dicken schwärzlichen Tunke überzogen waren. Ich weiss nicht, ob dieses kalifornische oder chinesische Küche oder eine Spezialerfindung der Pacific Mail Steam Shipping Company war. Gewiss aber ist, dass wir alle fortwährend gierig den Tisch auf und ab blickten, und dass wir am Ende einer Mahlzeit derselben nur sehr schwach bewusst waren. Sah man unsere rastlos und zwecklos hin und her rennende schlitzäugige und bezopfte Dienerschaft an, so konnte man sich nach China versetzt träumen, wo es ebenfalls allerhand seltsamen Mischmasch von Mäusepfötchen und Regenwürmchen, von Rattenschwänzchen und Eidechsenrippchen zu essen geben soll.

Waren auch unsere Chinesen vom Scheitel zur Zehe vollkommen echt, und unterliessen sie es auch nie, ihre sonst spiralig zusammengerollten Zöpfe bei Tisch galamässig in ganzer Länge herabbaumeln zu lassen, so wären uns doch Stewards unserer eigenen Rasse viel lieber gewesen. Die Mongolen verstanden nur wenig Englisch und besassen durchaus nicht die geringste Neigung zur Artigkeit. Mechanisch, stumm und mürrisch thaten sie, was ihnen vom Obersteward durch ein eigenes System von Fusstritten angedeutet wurde. Der Kompanie war es mit den Chinesen offenbar nicht um eine fremdartige Zierde ihres Salons, sondern nur um die grössere Billigkeit derselben zu thun. Mit jedem Tage wurden sie unsauberer, und schon am dritten erschien auch der Obersteward in einer schmierigen und schäbigen gestrickten Jacke und reichte damit die Wangen der Nächstsitzenden streifend in den Tisch herein – ein Mangel an Anstand, der auf englischen oder deutschen Dampfern unmöglich gewesen wäre. Dabei reduzirte sich der Inhalt der vielen Schüsseln und Schüsselchen immer mehr.

Die Ankunft in Viti unterbrach für mich diese absteigende Progression und entzog mir das Ende und Resultat derselben, welches wahrscheinlich auf ein Indignation Meeting der Passagiere und einige Schmähartikel in Australischen Zeitungen ohne besondere Wirkung, wie ich deren schon viele gelesen, hinauslief.

Wir hatten, so lange wir im Bereich von Neuseeland waren, trübes und regnerisches Wetter, und eine Menge Kaptauben, viel mehr als ich je in der Nähe des Kaps gesehen, begleitete unsere Spur. Auch einzelne Albatrosse der kleineren Art liessen sich hie und da blicken. Am zweiten Tag waren beide verschwunden. Der Himmel hatte sich aufgeheitert, schnurgerad stieg der schwarze Qualm des Schornsteins empor, es wurde warm und ich musste die winterliche Kleidung gegen eine leichtere sich der tropischen nähernde vertauschen.

Es war der 4. Juli, der Hauptfesttag und zugleich hundertjährige Geburtstag der Vereinigten Staaten. Heute wurde zu Philadelphia die grosse Weltausstellung eröffnet, genau genommen eigentlich 16 Stunden später als unserer Zeit entsprach. Vier grosse Sternenbanner wehten von den drei Masten und von der Gaffel. Die zwei ansehnlichen Geschütze des Schiffes begrüssten das Aufsteigen derselben am Morgen und das Niedersteigen am Abend mit einem donnernden Salut, und der Kapitän trank bei Tisch eine Flasche Wein mit seinen Offizieren. Die Passagiere verhielten sich ziemlich passiv, da kein einziger Amerikaner sich unter ihnen befand, und es wurde nicht eine einzige Rede gehalten.

Wir fuhren direkt nach Norden. Die am Wege liegenden Kermandec Inseln passirten wir westlich davon ohne sie in Sicht zu bekommen.

Ich sollte nun einen Monat auf Viti zubringen, und war noch sehr im Unklaren über meinen Reiseplan. Länger als die Zeit bis zur nächsten Post durfte ich nicht bleiben, und ich kannte bereits die Unsicherheit und Langwierigkeit der Verbindungen in der Südsee von den in Neuseeland gemachten Erfahrungen her. Wollte ich die Hauptstadt von Viti, Levuka, besuchen, so musste ich von den dreissig Tagen mindestens zwei für die Fahrt von Kandavu hin und zurück auf einem erbärmlichen Zwischendampfer verwenden, es konnten aber auch vier und mehr werden. Und war ich in Levuka, so war ich auf der ganz kleinen Insel Ovalau, von wo aus nur sehr zweifelhafte Gelegenheiten nach Vitilevu durch Segelfahrzeuge bestanden. Sollte es dem Wetter einfallen mir ungünstig zu sein, so konnte ich meine ganze Zeit auf See statt auf Land zubringen.

Mit uns war der Lootse für Kandavu an Bord, der damals zugleich auch für die Neuseeländischen Häfen lootste und deshalb beständig auf den Dampfern hin- und herfuhr. Er behauptete Viti vollständig zu kennen, und an ihn wendete ich mich zunächst mit meinen Zweifeln. Er rieth mir dringend ab, nach Levuka oder gar nach Vitilevu zu gehen, ich würde sonst höchst wahrscheinlich meine Passage verlieren, da es kaum möglich sei, innerhalb eines Monats wieder in Kandavu einzutreffen. Vielleicht hatte er Recht und sagte die Wahrheit, vielleicht war er an dem Hotel in Kandavu betheiligt. Im Widerspruch mit ihm riethen mir einige Mitpassagiere aus Levuka, die dorthin zurückkehrten ebenso dringend, ich sollte mit ihnen kommen und nicht auf Kandavu bleiben »O auf Kandavu ist nichts los, da werden Sie sich höchstens langweilen und nichts zu essen und nichts zu trinken bekommen«. Jetzt glaube ich annehmen zu dürfen, dass sie hierbei nur an ihre Schnapskneipen in Levuka dachten.

XII.
WAILEVU.

Allgemeines über Viti. Ankunft in Kandavu. Herrn Kleinschmidt kennen gelernt. Gepäckschwierigkeiten. Meine ersten echten Wilden. Das Hotel von Wailevu und seine Eigenthümlichkeiten. Drei junge Flibustier mit trüben Aussichten. Eine interessante Tischgesellschaft. Besuch beim Doktor. Kawa-Gelage. Zauberhafte Tropennacht.

Nach nicht ganz vier Tagen hatten wir die neunzehn Breitengrade oder 1140 Seemeilen zwischen Auckland und Kandavu zurückgelegt, und wir waren in Viti.

Die Viti- oder, wie man gebräuchlicher, aber weniger richtig sagt, Fidschi-Gruppe, die ausgedehnteste der Südsee, besteht aus über 200 Inseln.[7] Diese Inseln, deren Gesammtflächeninhalt von 20 807 Quadratkilometer ungefähr dem des Königreichs Würtemberg (19 504 Quadratkilometer) gleichkommt, lassen sich in mnemotechnischer Rücksicht eintheilen in zwei von erster Grösse, Vitilevu und Vanualevu, zwei von zweiter Grösse, Tawiuni und Kandavu, und eine Menge kleinerer dritter Grösse bis zu wasserlosen und deshalb unbewohnten Felsen herab. Die Bevölkerung wird nach der letzten Schätzung zu 118 000 Eingeborenen und 1500 Weissen angegeben. Davon sollen auf Kandavu etwa 5000 Eingeborene und 50 Weisse treffen.

[7]: Der offizielle englische Name der Kolonie ist »Fiji«, mit dem Akzent auf der letzten Silbe. Unsere deutschen Geographen schreiben überwiegend »Viti«. Die Eingeborenen selbst nennen sich »Kai Viti« (Kai = Mann), mit dem Akzent auf der vorletzten wie überhaupt bei fast allen polynesischen Wörtern. Auch für die Vitisprache gilt die italienische Vokalisation.

Die Regierungshauptstadt Levuka liegt auf einer Insel dritter Grösse, auf Ovalau. Viti ist die jüngste englische Kolonie. Erst vor vier Jahren, am 21. März 1874, haben die Engländer auf Antrag des eingeborenen Königs Thakombau, dem die begonnene moderne konstitutionelle Regierung mit seinen weissen Unterthanen nicht mehr recht gelingen wollte, sie in Besitz genommen. Die Viti-Inseln sind auch noch dadurch interessant, dass unter allen bisher bekannten Menschen der Erde gerade die Viti-Insulaner ehemals am meisten dem Kannibalismus fröhnten.

Als ich am 7. Juli Morgens aufwachte, ging die Maschine bereits langsamer. Ich sprang ans Fenster. Die dunklen Umrisse hoher Berge lagen vor uns im Dämmerlicht, und hie und da brandete die See in weissen Schaumlinien über Korallenriffen.

Trotz der frühen Stunde und trotz des Regens waren bald die meisten Passagiere auf Deck, und auch draussen auf dem Wasser wurde es lebhaft, als wir in die Angaloa Bai einfuhren. Der Dampfer von Sydney, die »City of New York« hatte sich bereits auf dem Ankerplatz eingefunden, und hinter uns drein kam mit einer in diesen Breiten geradezu erstaunlichen Pünktlichkeit der kleine »Star of the South«, welcher die Post von Levuka brachte, und entwickelte eine so mächtige Rauchsäule, dass wir ihn anfangs für den grossen erst in zwei Tagen fälligen Dampfer von Amerika hielten. Aus allen Ecken erschienen beflaggte Segel- und Ruderböte europäischer Konstruktion und Segel- und Ruderkanuus von Vitibauart, und nackte braune Menschen sassen in ihnen. Eine Dampfbarkasse mit den fliegenden Farben der Pacific Mail Steam Shipping Company fuhr kreuz und quer durch die kleine Flottille, scheinbar ohne anderen Zweck als das Durcheinander zu vermehren und die Wirkung des belebten Bildes zu erhöhen. Von den Hügeln, welche mit einer eigenthümlichen, unschön grellgrünen Vegetation bedeckt waren, wie auf schlechten Aquarellen, begannen Palmen zu winken, und auch unten am Ufer tauchten Palmenhaine auf und zwischen ihnen die niedrigen Strohhütten eines Vitidorfes.

Kaum war der Anker hinabgerasselt und die Falltreppe niedergelassen als Dutzende von Fahrzeugen sich an unsere Seite legten. Der Regierungsdoktor kam in seinem Boot, an dessen Stern die blaue Flagge des englischen Zivildienstes flatterte, mit sechs Insulanern, deren frischgewaschene weisse Turbans geschmackvoll von dem satten, glänzenden Braun ihrer muskulösen Körper sich abhob, herangerudert und frug, ob Alles an Bord gesund sei. Agenten und Kaufleute stiegen herauf, und Eingeborene boten von ihren Kanuus aus Früchte, Muscheln und alte Kannibalenwaffen feil.

Rings ums Schiff wimmelte es von den seltsamen Gestalten der Südseekanuus mit ihren Auslegern, die sich so gebrechlich ansehen und so gut segeln. Die See ging ziemlich hoch, schlug sie voll Wasser, warf eines gegen das andere, und verwickelte die dünnen, zusammengebundenen Holzgerüste der Ausleger. Heftiges Geschrei flog hin und her, Körbe mit Früchten wurden über Bord geschwemmt und trieben hinweg, und zwei der Kanuus kenterten, so dass ihre braunen Insassen ins Wasser fielen, woraus sie sich aber viel weniger machten, als aus dem Verluste einiger hundert Apfelsinen, welche ihren ganzen Handelsvorrath bildeten und nun von der Ebbe entführt über die hüpfenden Wellen sich ausbreiteten.

In einem Kanuu befanden sich zwei Frauenzimmer, ebenso wie die Männer kurz geschoren, mit weiter nichts als einem Stück Tuch um die Lenden bekleidet und blos durch ihre vollen Brüste als solche erkennbar. Sie zogen die Aufmerksamkeit unserer Passagiere in nicht geringem Grade auf sich, nicht allein der männlichen, sondern auch der weiblichen, deren Mienen ausser der allgemein weiblichen Neugierde etwas wie Eifersucht und Neid über diese privilegirte Zurschaustellung verriethen trotz des affektirten verächtlichen Naserümpfens.

Ich war noch immer unentschlossen, wohin ich mich wenden, ob ich nach Levuka fahren oder dem Rathe des Lootsen folgen und auf Kandavu bleiben sollte, als ich allen Zweifeln hierüber durch meinen guten Stern sehr angenehm entrissen wurde, indem er mir, eben im Begriff, den Dampfer zu verlassen, einen deutschen Landsmann und Naturforscher zuführte. Herr Kleinschmidt, der als wissenschaftlicher Reisender des Museum Godeffroy in Hamburg sich eben zum Zweck zoologischen Sammelns auf Kandavu aufhielt, kam an Bord des Dampfers, wurde mir vorgestellt und hatte die Güte, mir seine Führung auf gemeinschaftlich zu unternehmenden Streifzügen anzubieten, was ich natürlich mit dem grössten Dank annahm. Ich weiss wahrhaftig nicht, wie ich ohne Herrn Kleinschmidt, der, seit mehreren Jahren in Viti, Land und Leute kannte und der Vitisprache vollständig mächtig war, mit den Insulanern zurecht gekommen wäre, die fast kein Wort Englisch verstehen und sehr geneigt zu sein scheinen, den ihrer Sprache unkundigen Fremdling an der Nase herumzuführen. Ich beschloss also, auf Kandavu zu bleiben und habe es nicht bereut.

Es galt zunächst, mein Gepäck an Land zu schaffen. Ein Boot war bald zur Hand. Aber das Gepäck zu erhalten war nicht so leicht. Es stand unten im Zwischendeck, und um es herauszubekommen, musste eine Pforte in der Schiffswand geöffnet werden. Von Pontius zu Pilatus geschickt, hier mit einem Grobian einige scharfe Worte wechselnd, dort von einem Lümmel auf meine bescheidene Anfrage ohne Antwort gelassen, fand ich endlich jenen dritten oder vierten Offizier, der hiezu allein berechtigt war, und bei dem ich auf weniger Widerstand stiess, als ich erwartet hatte. Die schweren eisernen Barrieren der Pforte wurden losgeschraubt, aber als sie offen war, war das Boot nicht da. Nochmals drängte ich mich durch Gänge und über Treppen, über Treppen und durch Gänge nach dem Deck, das Boot zu suchen und herüberzubeordern, und als es an Ort und Stelle war, war die Pforte wieder zugeschraubt und der betreffende Offizier weg, weiss Gott wo.

Das Wetter hatte sich vorübergehend aufgeklärt, die Sonne brannte glühend heiss herab, von der Stirne rieselte der Schweiss. In der Maschine rasselten die Ketten, an denen die Asche aus dem Feuerraum gehisst wurde, Matrosen und Heizer, lauter Chinesen, Eingeborene und Passagiere rannten durcheinander. Geschrei von allen Seiten, chinesisch und viti, englisch, deutsch und französisch. An allen Eingängen verrammelten Ladies die Passage, waren nur nach mehrmaligen, unterthänigsten Bitten zu bewegen, sie freizugeben und setzten die Kourtoisie auf eine harte Probe. Unter solchen Annehmlichkeiten verging über eine Stunde, ehe ich mit meiner Habe im Boot und bald darauf trotz der bewegten See glücklich und ohne nennenswerthe Havarie gelandet war.

Wailevu, das »grosse Wasser« heisst das Dorf, welches dem Ankerplatz gegenüberliegt und so zum Verkehrsmittelpunkt und zur Hauptstadt der ganzen Insel geworden ist. Ein erst kürzlich entstandenes Hotel, einstöckig, vier Fenster breit und mit Veranda oben und unten nach der Seeseite zu, ist das hervorragendste und zugleich einzige, aus Holz und europäisch gebaute Haus. Sonst sieht man nur Hütten aus Palmblättern, Schilf oder Laub, von denen drei oder vier aussen mit Kalk beworfen sind, und selbst der oberste Beamte und der Regierungsarzt wohnen nur in solchen. Etwa zwölf Hütten sind von Weissen bewohnt, alles Uebrige ist eingeborene Bevölkerung.

Wailevu war voll von den Passagieren der Dampfer, nicht wenig geputzte, kokettirende und die muskulösen Insulaner belorgnettirende Damen waren darunter. Was aber kümmerten mich jetzt diese Blassgesichter, mich, der ich jetzt zum ersten mal unter wirklichen Wilden wandeln durfte, und dem es wie ein Traum vorkam, die Figuren aus den Bilderbüchern der Kindheit verkörpert und leibhaftig vor sich zu sehen. Wie interessant war mir Alles, was sie thaten und an sich trugen.

Hier kauerte ein Dutzend Männer, die Mannschaft eines Bootes, welches gerade beschäftigungslos war, in einer Reihe am Strande, blos mit den Fusssohlen den Boden berührend, während das Gesäss freischwebte, eine Stellung, die ihnen eben so bequem zu sein schien, als sie dem Europäer schwierig und ermüdend wäre. Dort stand ein Anderer, frierend in seiner Kostümlosigkeit – denn wir hatten nur 20 Zentigrade – und klapperte mit den Zähnen und sah so blau aus, dass ich dachte, der arme Mensch hätte einen Fieberanfall, bis mich Herr Kleinschmidt eines Besseren belehrte. Zwei bunte Muscheln hielt er in einer Hand und bot sie den Vorübergehenden zum Kaufe an. Als ich ihn Abends wieder sah, hatte er seine zwei Muscheln noch immer nicht angebracht und klapperte noch immer mit den Zähnen. Er war jedenfalls ein aussergewöhnlicher Pechvogel. Denn im Allgemeinen war die Nachfrage nach Muscheln seitens der Fremden, die ein Andenken mitnehmen wollten, sehr gross, und für die gemeinsten Schneckengehäuse, die man nur vom Strande aufzulesen brauchte, wurden die unverschämtesten Preise verlangt und bezahlt. Selbst auf die Herstellung richtiger »Exportartikel« waren die schlauen Insulaner schon gekommen. Man sah da Bogen, Pfeile und Lanzen, ganz deutlich eben erst flüchtig zurechtgeschnitzt und ohne jeglichen ethnographischen Werth, aber sie wurden gekauft. Nur an Keulen der verschiedensten Formen waren viele echte und alte zu haben.

Es waren lauter schöne, starke, malerische Gestalten, die ich hier sah. Und blieb auch bei den Meisten der Gesichtsausdruck in der Ruhe, wenn sie gerade gedankenlos vor sich hinstarrten und dabei häufig das Maul offen stehen liessen, weit hinter den Anforderungen europäischer Schönheitsbegriffe zurück, so wirkte die Lebhaftigkeit ihrer Züge, das Blitzen der dunklen Augen und der Glanz ihrer weissen Zähne, das Wilde und Natürliche in ihrem ganzen Wesen, wenn sie sprachen und lachten, nur um so angenehmer und anziehender. Namentlich bei den Weibern, von denen in der Bewegung keine absolut hässlich zu nennen war. Doch liessen sich von dem zarteren Geschlecht nur wenige Vertreterinnen blicken. Es trieben sich fast nur Männer auf dem Strande herum.

Alle möglichen Schmucksachen hingen an den braunen Burschen. Ringe, aus grossen Schnecken geschliffen, umspannten die Handgelenke, kreisförmig in sich zurückgebogene Hirscheberzähne, weither von westlicheren Inselgruppen als Handelsartikel gebracht, hingen ihnen an Bändern um den Hals, wie unsere höheren Orden, ebenso mehrfache Schnüre von kleinsten farbigen Glasperlen, zu geschmackvollen mannigfaltigen Mustern gereiht und vorne wie eine Kravatte in zierlichen Knoten mit herabfallenden Enden geschürzt. Viele trugen ein Tuch turbanartig um die Stirne gebunden, welches ihnen bei dem Mangel an Kleidungsstücken als Tasche zur Aufbewahrung der erlösten Geldstücke diente. Ihren Tabak aber trugen sie, gleichwie die Maoris auf Neuseeland, in den durchbohrten Ohrläppchen.

Es war erstaunlich zu sehen, welcher Ausdehnung dieses Anhängsel des menschlichen Hauptes fähig ist. Bei einzelnen war es durch allmälige Erweiterung des Loches zu förmlichen Schlingen umgebildet, welche bis zu den Schultern herabhingen, gross genug, um die fünf Fingerspitzen mehr als drei Zentimeter weit durchzustecken. Zur Herstellung dieser nützlichen Monstrositäten werden wahrscheinlich die Säume der Ohren der halben Länge nach aufgeschlitzt und durch Holzklötzchen an der Wiederverheilung gehindert. Die in den so entstandenen Schlingen getragenen Gegenstände, also vornehmlich ein paar Strünke Tabaksblätter oder auch vielleicht eine Thonpfeife weiten durch ihre Schwere sie immer mehr aus.

Pfeifen sind zwar im Allgemeinen bei den Vitis nicht üblich. Sie rauchen meistens die »Suluka«, eine Zigarette, die sie sich aus einem mittels der Nägel zugeknipsten viereckigen Stück trockenen Bananenblattes und aus zerzupftem Tabak wickeln. »Sulu« heisst der klafterlange Kalikofetzen, den sie um die Hüften wickeln, und diese ihre Bekleidung und die Zigarette scheinen somit in einem ethymologischen Zusammenhang zu stehen.

Doch entbehrten auch die grossen Ohrläppchen nicht des Schmuckes. Blechstückchen, Metallknöpfe, Draht, kurz was sie nur immer aufgabeln konnten, hingen an denselben, einer hatte einen ganz gemeinen Uhrschlüssel mit einem schwarzen Faden daran baumelnd befestigt. Einige, die keinen Tabak besassen, hatten die Leere ihrer Ohrläppchen durch zierlich geringelte Hobelspäne aus der Werkstatt des weissen Zimmermanns zu verbergen gewusst. Hobelspäne staken auch in den Turbans des einen oder anderen und starrten korkzieherlockenartig von den Schläfen herab. Andere hatten Blätterguirlanden vorgezogen, welche zugleich kühlend die Stirne beschatteten.

Ein junger Mann fiel mir auf durch gemessenes ernstes Benehmen. An seinem linken Oberarm glänzte eine schmale weisse Binde, seine Uniform, wie mir Herr Kleinschmidt sagte. Er war Polizeidiener, die Binde das Zeichen seiner Amtswürde.

Was mich jedoch gleich zuerst und am meisten überraschte, das war die Farbe der Haare. Für solche dunkle Menschenkinder passten eigentlich nur schwarze Haare. Fast alle aber hatten braune, mehrere braunrothe, einige wenige sogar in ein goldenes Blond hinüberspielende fuchsfeuerrothe Perrücken, was als Krönung der schokoladefarbenen, bronzeglänzenden Körper seltsam und nicht unmalerisch aussieht, die Folge eines kosmetischen Verfahrens, dem sie sich theils aus Mode, theils zur Vertilgung des Ungeziefers unterziehen, und welchem ich später beizuwohnen Gelegenheit erhalten sollte. Sie beschmieren sich den Kopf von Zeit zu Zeit mit Kalkbrei, und an manchen gerade nicht sehr reinlich gehaltenen Koiffüren konnte ich noch deutlich die Spuren der letzten derartigen Prozedur an puderigen und bröckeligen Ueberresten erkennen.

Eine andere in die Augen springende Eigenthümlichkeit war die Häufigkeit der Narben. Ich sah kaum einen der nackten Körper ohne solche, bei Alt und Jung und bei beiden Geschlechtern. Sie waren alle von der Grösse einer Bohne, etwas oblong und rundlich erhaben und konnten wohl nur durch fortgesetzte Misshandlung kleiner Wunden entstanden sein. Wie ich noch öfter beobachtete, pflegen die Vitis zufällig erhaltene Verletzungen auf ziemlich grausame Weise zu schneiden und zu brennen, theils aus Bravour, theils um sie in dieser Art chirurgisch zu behandeln. Auf manchem Rücken bemerkte ich ferner beiderseits einfache oder doppelte Reihen regelmässig in Abständen von Fingersbreite angeordnete Narben, welche wie die Rückennähte unserer Ulanen, doch mehr gerade, nicht eben so geschwungen, vom Kreuz nach den Schultern verliefen. Sollte dies blos eine Zierde sein, oder war es die Folge therapeutischer, nebenbei auch das ästhetische Moment berücksichtigender Eingriffe, ähnlich unserem Schröpfen oder Moxensetzen?

An den wenigen Ausnahmen von der allgemeinen Nacktheit waren verschiedene Grade europäischer Bekleidung zu würdigen bis zu dem höchsten hinauf, der im Vorhandensein eines Hutes und einer Hose gipfelte. Nur Stiefel waren an keinem der Insulaner zu entdecken und schienen auch bei den Weissen Seltenheiten zu sein, da der nächste Schuster in Levuka, eine zweitägige Seereise entfernt, wohnte.

Hinter einem mit Brotfruchtbäumen, Bananen und Farngestrüpp besetzten Hügel fliesst ein klares Bächlein von den Bergen herab, das von Süsswasserschnecken wimmelt, und dessen Lockungen ich nicht widerstehen konnte, nach mehrtägiger Entbehrung wieder ein Süsswasserbad zu nehmen. Etwas unterhalb, hinter dem nächsten Gebüsch waren einige Weiber mit Waschen beschäftigt. Sie bearbeiteten europäische Hemden mit europäischer Seife, wahrscheinlich für die Offiziere der Schiffe, schlugen sie mit Steinen auf den glatten Felsblöcken, hingen sie an einer quer über den Bach gespannten Liane zum Trocknen auf, klatschten, kreischten und lachten. Ganz wie bei uns.

In Wailevu selbst wars ungemüthlich. Immer mehr Passagiere strömten nach dem Lunch an Land und liessen sich huckepack von den Vitis aus den Böten aufs Trockene tragen. Haufenweise drängten sich die Insulaner zu diesem Dienst heran, um ein paar Pence zu verdienen und rissen sich um die manchmal nicht ganz leichten Bürden. Manche etwas zu üppig geformte Lady sträubte sich zwar ein wenig gegen diesen würdelosen Ritt vor aller Augen auf den braunen Burschen, die keine Idee von europäischer Zartheit besassen. Aber was halfs. Verlegen erröthend schlugen sie sich seitwärts, so wie sie abgesetzt waren.

Weiter innen im Dorfe unter den Palmen kicherte ein Rudel nackter Mädchen über zwei junge unternehmende Engländer, deren Galanterien ihnen sehr komisch vorkommen mussten. Kreischend stoben sie auseinander, so wie der eine etwas zudringlicher wurde und mit der Hand nach ihnen haschte, hinter den Palmstämmen stehen bleibend und zu neuen fruchtlosen Verfolgungen reizend. Die blonden Jünglinge hatten kein Glück. Eine andere Gesellschaft, die mit Revolvern durch Patronenvergeudung zu imponiren suchte, erfreute sich grösserer Erfolge. Der ganze Janhagel von Mädchen, Jungen und Kindern des Dorfes wandte sich dem Schiessvergnügen zu, ängstlich die Ohren zuhaltend, wenn es knallen sollte, bis ein hinkender alter Kerl erschien und unwirsch die ganze junge Weiblichkeit fort und in ihre Hütten zurückjagte.

Es war mir eine grosse Genugthuung, als endlich die »City of San Francisco« den Blue Peter hisste und mit der Dampfpfeife brüllte zum Zeichen, dass die Passagiere an Bord kommen sollten, um die Reise nach Osten fortzusetzen. Auf Grund des projektirten Aufenthaltes erblickte ich in dem Gesindel der Blassgesichter nur unberechtigte Eindringlinge in meine Domäne. Blos die wenigen Passagiere aus Levuka, die mit dem »Star of the South« gekommen waren, der erst nach Eintreffen des Dampfers aus Amerika zurückkehren sollte, blieben in Kandavu. Auch die »City of New-York« blieb, um auf jene zu warten, hatte aber keine Passagiere.

An dem Hotel, welches innen lange nicht so zivilisirt aussah als aussen, und dessen Abtheilungen rohe Bretter bildeten, schien mir die hervorragendste Eigenthümlichkeit zu sein, dass die Gäste fast fortwährend betrunken waren. Doch glaube ich nach Allem, was ich gehört, schliessen zu dürfen, dass der Alkoholismus nicht nur hier, sondern ebenso in Levuka und auf Viti überhaupt in allen Plätzen wo Alkohol zu haben ist, den Genius loci repräsentirt, dem auch ich mich nicht völlig entziehen konnte.

Um meinen Aufenthalt gehörig auszunutzen und möglichst viel zu sehen, musste ich Bekanntschaften machen, und um Bekanntschaften zu machen, musste ich trinken. Jeder Neuvorgestellte treatete mich und ich treatete ihn, und somit kostete mir jeder die Vertilgung mindestens zweier Schnäpse. Unter anderen lernte ich in dem englischen Polizeisergeanten des Ortes einen ehemaligen Bonner Studenten mit etlichen Schmissen und zwei Landsleute kennen, die ihre Muttersprache vergessen hatten und als abgehauste Pflanzer in irgend einem abgelegenen Winkel der Insel seit mehr als dreissig Jahren mit eingeborenen Weibern zusammen lebten. Sie sprachen ein nothdürftiges Seemannsenglisch, dagegen ausgezeichnet Viti.

Als lehrreiche Gegenstücke zu diesen zwei interessanten Halbwilden waren mit dem Dampfer von Sydney drei junge Deutsche gekommen, welche die Absicht hatten, ebenfalls Pflanzer zu werden. Anfangs- und Endstadium eines und desselben Lebenslaufes standen hier nebeneinander.

Die Drei waren die echtesten Grünhörner, die man sich denken kann und ausstaffirt wie zu einem romantischen Flibustierzug. Kein Englisch, keine Idee von der Welt, die ausserhalb des Horizonts ihres preussischen Städtchens lag, aber zwei grosse Neufundländer Hunde hinter sich, Hirschfänger an der Seite, im Gürtel Messer und Revolver, Kanonenstiefel und Flinten, und was das Schlimmste war, sehr wenig Geld in der Tasche, so hofften sie in dem tropischen Lande Reichthümer zu erobern. Sie sahen trotz aller Bewaffnung ziemlich harmlos und ungefährlich aus, und ihre bebrillten Nasen und friedfertigen Gesichter passten mehr in den Typus von deutschen Schullehrern als von kühnen Abenteurern. Sie konnten keine unglücklichere Zeit für ihre Absicht gewählt haben, und Alles gab ihnen den Rath mit der ersten Gelegenheit sofort wieder wegzugehen. Die Regierung hatte auf unbestimmte Zeit alle Landkäufe sistirt, weil eine Menge Unregelmässigkeiten früheren Datums noch zu schlichten waren, es fehlte an Arbeitern, kein Mensch hatte Geld. Aber sie liessen sich nicht abbringen. Möge es ihnen besser gehen als sie verdienen. Die beiden verwilderten Landsleute nahmen sich ihrer gastfreundlich an.

Soweit nach den in Wailevu und auch später allenthalben auf Kandavu gehörten Aeusserungen zu urtheilen war, schien die ganze Kolonie bankerott zu sein und grosse Unzufriedenheit mit dem neuen Gouverneur, Sir A. H. Gordon, und dessen Regierungssystem zu herrschen. Schon in Neuseeland hatte ich vielfach Klagen über ihn gelesen. Man erzählte mir, dass er als hoher Aristokrat die eingeborenen Häuptlinge zu sehr bevorzuge, und dass ihm bei dem höchst schwierigen Streben, die alten angestammten Verhältnisse der Insulaner mit den importirten europäischen Staatsformen in Einklang zu bringen, der komische Fehler passirt sei, in den Parlamentsakten, welche englisch und viti gedruckt werden, den Begriff »Kommoners«, worunter alle nichtadeligen, also auch weissen Bürger zu verstehen sind, mit »Kai si«, dem verächtlichen Ausdruck für »Sklaven«, zu übersetzen.

Ich begann meine Akklimatisation damit, dass ich vor Allem den gesteiften Hemdkragen ablegte. Dem Hemdkragen folgten bald in schleuniger Stufenfolge die anderen Artikel europäischer Uebertünchtheit bis auf Hut, Wollenhemd und Leinenhose.

Sonst hätte ich auch zu sehr von den Tischgenossen, die fast alle barfuss und mit entblössten Armen und entblösster Brust da sassen, abgestochen. Der Kellner war ein nackter Insulaner, welchen eine eingeborene Magd in seinem Dienste unterstützte. An dieser ungeschlachten stämmigen Hebe lernte ich zuerst den sogenannten »Pinafore«, ein loses Busenhemdchen, weches die Brüste verhüllt, die Erfindung der frommen Missionäre, schätzen. Mit dem Pinafore und dem enganliegenden bis zu den Knieen reichenden Sulu konnte ein Kurzsichtiger sie von ferne für eine Altenburger Bauerndirne halten.

Die Tischgesellschaft im Hotel war aus sämmtlichen Himmelsstrichen zusammengewürfelt. Der Stamm hatte sich zu gleichen Theilen aus England und aus Deutschland rekrutirt. Die Uebrigen waren ein amerikanischer Neger, ein Chinese, ein Mexikaner, in dessen Adern mehr indianisches, als weisses Blut fliessen mochte, ein Norweger und ein Italiener. Letztere drei nannten sich »verunglückte Seeleute«, ohne dass die Art ihres Verunglückens genauer festgestellt werden konnte. Ziemlich sicher waren sie zu jener im Pazifischen Ozean so zahlreichen Klasse zu rechnen, welche man Auswurf der Menschheit zu nennen pflegt.

Für den Augenblick war das Wichtigste an ihnen, dass sie kein Geld hatten, um ihren Rausch zu bezahlen, weshalb der Wirth sie noch in der Nacht aus dem Hause schmiss. Der Rausch des Norwegers gehörte, der sinnigen Intuitivität germanischer Rasse entsprechend, zur Art des stillen, nur unverständlich murmelnden Insichversunkenseins, der Italiener und der Mexikaner litten an der schwatzhaften Spezies. Der Italiener behauptete, ich müsse ein Franzose sein, der Mexikaner betheuerte, ich hätte eine fabelhafte Aehnlichkeit mit Bismarck. Durch solche unheimliche Schmeicheleien suchten sie meine Gunst zu gewinnen. Aber ich blieb kalt, und erst als sie meiner Spirituskiste, die im Gastzimmer stand, ein mehr als wissenschaftliches Interesse zu widmen und wiederholt ahnungsvoll dem Plätschern ihres Inhaltes zu lauschen begannen, liess ich mich in ein längeres Gespräch ein, um auf den aussen angemalten gräulichen Todtenkopf hinzuweisen und auf die grässlich qualvolle Todesart, die der Genuss auch nur eines einzigen Tropfens meines vergifteten Alkohols unabwendbar zur Folge haben würde.

Der Mexikaner war sehr musikalisch. Er spielte jedoch auf etwas aussergewöhnlichen Instrumenten, nämlich auf Zimmerthüren, Bretterwänden und Tischplatten, indem er mittels der benetzten Mittelfinger auf- und niederfahrend ein mächtiges Brummen erzeugte, dass manchmal das ganze leichtgebaute Haus zitterte. Dazu trampelte er einen Hornpipe, schnalzte mit der Zunge, jauchzte und sang alle möglichen Lieder in allen möglichen Sprachen. Sein deutsches Lied bestand aus einigen Strophen von Naturlauten mit dem Refrain »Ja, ja«, und zauberte Klänge der Heimath vor mein baiuvarisches Gemüth. Sollte jenes geistvolle Produkt der isaratheniensischen Muse, mit welchem jährlich beim Salvatorbier die Wiederkehr des holden Lenzes begrüsst wird, sollte der »Herr Fischer« jemals Eingang in die Ohren und in das Herz dieser mexikanischen Rothhaut gefunden haben? Welcher engere, ja engste Vaterlandsgenosse hatte ihm diese unvergleichliche Dichtung oder wenigstens die Melodie dazu überliefert? Es unterlag keinem Zweifel, es war die Melodie des »Guten Morgen, Herr Fischer«.

Ausser dem Chinesen waren übrigens die anderen nicht minder betrunken. Der amerikanische Neger fluchte, schlug auf den Tisch und schwor hoch und theuer, er sei der erste »Weisse« gewesen, der auf der Insel Kandavu sich niedergelassen, der Polizeisergeant und ehemalige Bonner Student bestrebte sich, mit mir zu paucksimpeln, der eine verwilderte Landsmann bewies mir zum sechsten mal, dass man in Viti nie reich werden könne, weil das Klima zu viel des kostspieligen Brandygenusses verlange, der andere hörte nicht auf, mich zu versichern, dass er sich schäme, sein Deutsch ganz vergessen zu haben, und weinte.

Da Herr Kleinschmidt auf dem Levuka-Dampfer zu thun hatte, flüchtete ich, um nicht ewig dem wahnwitzigen Wortschwall der Betrunkenen ausgesetzt zu sein, vom Hotel weg und machte dem Regierungsarzt meine Aufwartung. Ausser der nächstliegenden Freude, endlich wieder einmal einen nüchternen Europäer zu sehen, war es mir besonders angenehm, in dem Doktor einen hochgebildeten Engländer kennen zu lernen, der den letzten französischen Krieg in deutschen Diensten mitgemacht hat. Eine stattliche Reihe deutscher Orden, die sich wohl nicht geträumt hatten, dereinst in einem Vitidorfe zu paradiren, befindet sich in seinem Besitz.

Ich blieb den Abend bei ihm und leerte eine kostbare Flasche echten Rheinweines mit dem liebenswürdigen Kollegen, der nur vorübergehend auf Kandavu kommandirt war, um die Eingeborenen zu impfen. Dementsprechend trug auch seine Wohnung vollständig den Charakter des Improvisirten. Es war eine blos etwas höher gebaute Vitihütte aus Palmstroh, die als vorzüglichste Eigenschaft zwei Fenster von Glas besass. Schon seit länger war eine Scheibe zerbrochen ohne Aussicht auf Reparatur dieses Defektes, da es auf Kandavu keinen Glaser giebt. Es wehte ein starker Wind draussen und durch das nur nothdürftig verstopfte Loch im Fenster herein, so dass ein offenes Licht nicht möglich und der Doktor gezwungen war, sich einer Laterne in seiner Studir- und Empfangsstube zu bedienen.

Als ich nach dem Hotel zurückkam, dessen betrunkener Lärm mir weit entgegenschallte, während ich unter dem sternklaren Himmel der lauen Tropennacht und unter rauschenden Palmen dahinwandelte, hatten sich noch mehr Gäste eingefunden. Einem von diesen, einem Perlenfischer, verdankte ich noch an jenem ersten Abend einen ungeahnten Genuss. Er lud mich ein, mit ihm zu kommen, er wolle sehen, ob er nicht irgendwo Kawa auftreiben könne.

Die Kawa ist das allen Polynesiern bis auf die Maoris und unter den Melanesiern auch den Vitis eigenthümliche Getränk, welches durch Kauen und Auslaugen der Wurzel einer Pfefferart, Piper methysticum, bereitet wird. Man liest oft, dass dabei ein Gährungsprozess eine wesentliche Rolle spiele. Dies ist unrichtig. Gährungsvorgänge bedürfen immer einer gewissen Zeit, die Kawa aber wird sofort getrunken sowie sie zubereitet ist. Die Piper methysticum-Wurzel wächst wild im Walde, und wird als Handelsartikel verkauft. Auch viele Europäer auf Viti haben sich das Kawatrinken angewöhnt, wie zum Beispiel mein Führer, der Perlfischer.

Wir gingen hinüber ins Dorf und krochen durch die niedrige Thüre in die Hütte des Häuptlings. Es war fast ganz dunkel innen. Zwei Feuer erhellten nur spärlich den kleinen Raum, entwickelten so viel Rauch, dass uns die Augen thränten, und beleuchteten flackernd etwa zwölf nackte braune Kerls, welche bereits schliefen und aufwachten, als wir über sie hinweg nach dem Hintergrund kletterten, wo etwas isolirt der Häuptling lag. Dieser mochte anfänglich ein wenig ungehalten sein über die Störung seiner Nachtruhe in so später Stunde, doch beschwichtigte ihn mein Führer, und die Vertheilung von Zigarren machte schnell die ganze Gesellschaft munter. Wir nahmen auf dem Boden Platz und kreuzten die Beine. Eine Menge Hände streckten sich mir aus der Dunkelheit entgegen, und ich schüttelte sie alle der Reihe nach, ohne jedesmal den Eigenthümer zu rekognosziren, und sagte dabei »Sa yandre«, was so viel bedeutet, als »Du wachst«, und die landesübliche Begrüssungsformel ist.

Eine grosse, flache Schüssel aus schwarzbraunem Holz wurde in die Mitte gewälzt, und mir gegenüber schienen einige jüngere Männer sich an die Zubereitung unseres Getränkes zu machen. Wurzelstücke wurden mit Messern zerschnitten und vertheilt. Nur auf Augenblicke, wenn gerade die beiden Feuer frisch geschürt höher flackerten, konnte ich davon etwas wahrnehmen. Hatten die Jünglinge ein Stück Wurzel zurechtgekaut, so förderten sie das Resultat ihrer Arbeit mit den Fingern zu Tage und legten es in die Bowle. Schliesslich goss einer der Männer, dem das wichtige Amt des Brauens oblag, Wasser aus hohlen Kokosnüssen darauf, rührte um mit den Fingern und machte sich an die schwierige Operation des Filtrirens. Hierzu dient gewöhnlich der Bast des »Wau«, der einheimischen Baumwollenpflanze, indem man damit wiederholt in die Flüssigkeit taucht, die holzigen Reste der ausgelaugten Wurzel fängt und zwischen den Fasern des Filters auspresst. Dies muss unter gewissen gesetzmässigen Bewegungen der Arme geschehen, worauf noch immer grosses Gewicht gelegt wird.

Einer der Alten, die um uns herumsassen, legte ein Stück Bambus quer über seine Kniee und klopfte mit zwei dünnen Stäbchen einige Takte darauf, zum Zeichen, dass ein Gesang angestimmt werden sollte. Dieser bestand aus mehreren Strophen, zwischen welchen einige Sekunden Pause gemacht wurde und die grösste Stille herrschte. Man hörte dann nur das Krachen der Wurzeln zwischen den Zähnen der Kauenden und das Herumpantschen der Flüssigkeit in der grossen Schüssel. Die einförmige, ewig wiederkehrende Melodie war entschieden wohlklingender, als die in Neuseeland gehörten Lieder der Maoris, endete stets am Schluss einer Strophe mit einem kurz, fast bellend ausgestossenen Vokal und wurde mit symmetrischen Armbewegungen, Hin- und Herbeugen des Oberkörpers und Händeklatschen begleitet, während die Gesichter einen ernsten andächtigen Ausdruck bewahrten. Der Bambusmusikant schlug den Takt dazu, welcher im Daktylustempo sich bewegte.

Auch mein naturalisirter Freund, der Perlfischer, ein geborener Schotte, sang mit und schwang seine Arme und wiegte sich in den Hüften und klatschte in die Hände, ganz ebenso wie die braunen Wilden. Mein laienhaftes Verständniss konnte keinen Unterschied in seinen Leistungen bemerken.

Der Hymnus war zu Ende, und die Kawa war fertig. Ein Junge brachte in gebeugter, geduckter Haltung – denn aufrecht zu gehen in der Hütte eines Höheren wäre eine grosse Frechheit – den Becher, die Hälfte einer Kokosnussschale, und kredenzte ihn dem Häuptling, welcher galant diese Bevorzugung des Erstlingstrunkes an mich abtrat. Der Junge hockte vor mir nieder und klatschte dreimal in die Hände, als ich ihm die Schale abgenommen hatte. Ich war bereits instruirt, dass man jedesmal ganz austrinken müsse. Es nicht zu thun wird von den Wilden der Südsee ebenso übel genommen, wie von den Wilden einer deutschen Studentenkneipe. Ich that meine Pflicht und würgte die ganze Schale hinunter. Es schmeckte abscheulich, ungefähr so, wie Seifenwasser mit etwas Tannin schmecken möchte.

Die Zechgenossen hatten mehr Freude an meiner That als ich selbst. Alle klatschten sichtlich befriedigt dreimal in die Hände und blärrten unisono und läppisch grinsend: »Amala«, worauf mein Führer und Mentor mir zuflüsterte, ich müsse jetzt »Mole, mole« danken, was ich gewissenhaft und gehorsam that, indem ich die geleerte Schale nach der Schüssel zurückwarf.

Nach mir trank der Häuptling, dann der Perlfischer, und dann kam abermals ich an die Reihe. Was von dem zweimaligen Rundgang unter uns dreien übrig blieb, erhielten die Anderen. Jeder Trunk geschah unter dem bereits geschilderten Zeremoniell.

Die Musik des Gelages lockte mehr Bewohner des Dorfes herbei. Noch ein paar Dutzend krochen durch die Thüre herein, dann wars so voll, dass kein Platz mehr übrig war. Einer stellte sich aufrecht vor uns hin und machte militärisch Honneur, indem er die Hand an seinen Turban legte. Es war der nackte Policeman des Ortes, an der weissen Uniformsbinde erkannte ich ihn wieder.

Ich habe später noch oft Kawa oder vielmehr Yankona, wie man auf Viti sagt, getrunken. Sie sieht bei Tageslicht aus wie Thee mit sehr wenig Milch. Ihr Seifenwassergeschmack weicht bald einem Gefühl der Kühle im Gaumen, so dass ich sie manchmal nicht ungern trank, namentlich wenn ich längere Zeit keine Spirituosen zu sehen bekommen hatte. Man sagt der Yankona alle möglichen üblen Wirkungen nach. Lähmungen, Hautausschläge und Augenentzündungen sollen aus ihrem zu häufigen Genuss entstehen. Vorläufig sind hierüber noch keine exakten Beobachtungen vorhanden. Nur ihre schweisstreibende Wirkung scheint mir unzweifelhaft zu sein. Ich habe allerdings nie mehr als vier Kokosnussschalen von je vielleicht ein halb Liter auf einmal getrunken. Nicht ein einziges mal erfuhr ich eine Veränderung in meinem Gemeingefühl. Ich konnte danach lange nicht einschlafen und transspirirte sehr beträchtlich, das war Alles. Die Kawa ist ebensowenig ein berauschendes als ein gegohrenes Getränk, sondern ein reiner Aufguss, wie unser Thee, höchstens vielleicht mit dem Unterschiede, dass der wahrscheinlich geringe Stärkemehlgehalt der Wurzel durch den Speichel in Zucker umgesetzt ist.

Die Yankona erfreut sich nicht nur bei den Eingeborenen, sondern auch bei den weissen Ansiedlern allgemein einer grossen Beliebtheit. Selbst der Gouverneur soll ein Verehrer dieses Getränkes sein. Dabei besteht überall jenes primitive Verfahren der Zubereitung, und es wird keine Maschine gebraucht, die die Zähne der Jungen ersetzte, wie wohl denkbar wäre. In früheren Zeiten allerdings sollen die Wurzeln künstlich geraspelt worden sein, wie alte Männer dem Missionär Williams erzählten. Jetzt zieht man die einfacheren und billigeren Instrumente von unübertrefflicher Qualität vor, die jeder Vitijunge im Munde mit sich herumträgt.

Ich habe es oft erlebt, dass Europäer ihren dienenden Geistern befahlen, schnell eine Bowle zurechtzukauen. Die Weissen sagen für Kawa oder Yankona gewöhnlich »Grog«, und zwar »Fiji Grog« zum Unterschied von »White mans Grog«, was den Schnaps im europäischen Sinn bedeutet. »Was wollen Sie trinken?« ist eine stehende Frage, wenn man irgendwo zu Besuch kommt, »Fiji Grog or White mans Grog?« Und zwar hat diese ursprünglich jedenfalls spasshafte Bezeichnung sich so eingebürgert, dass sie allen humoristischen Klang verloren hat und ganz ernsthaft gebraucht wird, ohne dass es dem Betreffenden einfiele, einen Witz machen zu wollen. Die Bezeichnung »Grog« hat sogar angefangen, auch von den Eingeborenen gebraucht zu werden, und nicht blos für das Getränk, sondern sogar für die Pflanze. Ich wurde oft von Vitis angesprochen »Grog?« indem sie mir die Wurzel zum Verkauf anboten, und »Grog, Grog« machte mich oft unser Junge aufmerksam, wenn wir im Walde an einer Piper methysticum-Staude vorüberkamen. Vielleicht wird dereinst das Wort Grog das alte Vitiwort Yankona ganz verdrängt haben, ein merkwürdiges Beispiel der Uebertragung von Wortbegriffen.

Aeusserst befriedigt von den reichen Erlebnissen dieses ersten Tages legte ich mich zu Bett. Ich war entzückt, noch soviel Ursprünglichkeit der Sitten vorgefunden zu haben. Meine kühnsten Erwartungen waren übertroffen. Die letzte Nacht hatte ich noch auf dem Dampfer zugebracht, und jetzt – es war mir, als ob ich schon Monate unter den Insulanern gelebt hätte. Ich konnte lange nicht einschlafen. War es meine Aufregung, oder war es die genossene Kawa, oder waren es die Moskitos, welche durch die Löcher meines Moskitozeltes zu mir hereinwimmerten, oder das halbe Dutzend Besoffener, welches links und rechts von meinem Zimmer ein schauerliches Konzert zusammenschnarchte, was mich wachhielt, ich wälzte mich schweisstriefend mehrere Stunden auf dem Lager.

Die rohen Bretterwände des Hotels reichten blos bis zu einer gewissen Höhe, oben waren alle Stuben offen, und über uns nichts als das gemeinschaftliche, steil ansteigende Schindeldach. Der Mond sah durch die Glasthüre, welche auf die Veranda führte, herein und verrieth mir das geschäftige Hin- und Herrennen einer Menge schwarzer zweizölliger Schaben über die dünne Gase meines Moskitonetzes. Unter sämmtlichen Thieren ist gerade diese Sorte mit den ewig ruhelosen, ewig nervös gestikulirenden geiselförmigen Fühlern mir die verhassteste, trotz aller Zoologie. Hie und da raschelte eine Eidechse über den Boden.

Einige längere Promenaden auf der Veranda draussen in dem herrlichen Mondschein waren unter solchen Umständen viel genussreicher. Ringsum zirpten Tausende von Zikaden, die See glänzte und wogte und ebenso glänzten und wogten die Palmen. Weit draussen brauste die Brandung über den Korallenriffen, und unten rollten die Wellen gegen das Ufer, so dass ich das Schnarchen der Besoffenen nicht zu hören brauchte, und kein menschlicher Ton die zauberhafte Poesie der Tropennacht störte.

Früh am nächsten Morgen brachen wir auf, um nach Gavatina, Herrn Kleinschmidts Wohnsitz, zu fahren. Auch die zwei biederen ihrer Muttersprache entfremdeten Landsleute waren schon aufgestanden, um uns zum Abschied die Hände zu reichen und mich einzuladen, sie in Waidule, wo sie zu Hause waren, zu besuchen. Ich rieth ihnen dringend, sich wieder ins Bett zu legen. Die peinlichen Folgen ihrer gestrigen Ausschweifung waren nur zu deutlich in ihren verstörten Gesichtern zu lesen. Trotz des unermüdlichen Grimassenschneidens gelang es ihnen nicht, die Augen aufzumachen. Mit einem Auge ging es noch leidlich, aber alle beide auf einmal, das ging nicht, so grosse Mühe sie sich auch gaben.

Aus dem Ziegen- und Hühnerstall hinten, in dem die drei verunglückten Seeleute der Nachtruhe genossen, fing die Thüre rhythmisch zu brummen an, und eine rauhe Bassstimme brüllte die Melodie des »Herrn Fischer« dazu mit dem ewigen »Ja, ja«. Es war der Mexikaner, der sein Morgenlied anstimmte.

Ich erhielt noch Gelegenheit, meine Anthropologie mit zwei Neuhebriden-Insulanern zu bereichern, welche in Diensten eines in Wailevu ansässigen weissen Kaufmanns arbeiteten, und flüchtig zu konstatiren, wie sehr verschieden ihre bläulich schimmernde schwarze Haut von der Farbe der vergleichsweise röthlichen Eingeborenen Kandavus sich abhob. Dann luden wir mein Gepäck und ein für ein Pfund Sterling erhandeltes und entsetzlich schreiendes Schweinchen in zwei Böte und segelten ab.

XIII.
GAVATINA UND SANIMA.

Der Isthmus Yarambali. Das Sonntagspublikum von Namalatta. Bootfahrt an der Nordseite Kandavus entlang. Gavatina, unser idyllisches Thal. Niketi und Ruma. Besuche der Wilden. Der Tui und die Marama. Ethnologisches. Der Busch, seine Mühen und seine Thierwelt. Kanuubau hoch oben auf dem Berge. Riffleben und Fischfang. Spaziergang nach Sanima. Tapa-Bereitung. Doktor Hink und seine Kopra-Projekte. Gottesdienst in Sanima. Das Missionswesen auf den Inseln. Kehrseiten der Tropenpracht. Klimatisches und Kulinarisches. Die Kokospalme und ihre Anwendungen. Enge Verhältnisse.

Der nach Süden geöffneten Angaloa Bai, an welcher Wailevu liegt, tritt im Norden oder genauer Nordwesten die Namalatta Bai entgegen. Beide Buchten nähern sich einander auf etwa 500 Schritt, wodurch die ganze Insel Kandavu in eine kleinere südwestliche und eine grössere nordöstliche Hälfte zerfällt. Ein flacher niedriger Isthmus mit einem schönen Kokospalmenhain stellt die Verbindung her, südlich von einem Mangrovesumpf, nördlich vom ebenen reinlichen Strand aus Korallen und Muschelsand begrenzt. Der Isthmus heisst Yarambali, was so viel bedeutet als »Etwas hinüber heben«, da die Eingeborenen hier ihre Kanuus von einer Seite der Insel nach der anderen zu schaffen pflegen.

Auch wir mussten auf diesem Wege mit den Böten nach der anderen Seite hinüber. Wir hatten uns verspätet, die Ebbe lief bereits stark ab, es war höchste Zeit, den Isthmus zu erreichen. Wir ruderten geradewegs in die Bucht hinein, dem saftigen Grün der Mangroven entgegen. Es dauerte nicht lange so stiess das grössere Boot auf Grund. Die vier rudernden Vitis sprangen ins seichte Wasser, und dadurch wurde es wieder flott. Ein schmutziger Kanal, über dem die Mangroven sich wölbten, nahm uns auf. Links und rechts nichts als stinkender Sumpf mit sperrigen Luftwurzelpyramiden, in dem eine Menge Krebse sich herumtrieben. Soldatenkrabben sassen in runden Löchern, die unverhältnissmässig lange gelbe Scheere zum Zugreifen bereit herausstreckend, und zogen sich schnell ganz zurück, als wir uns näherten, Eremitenkrebse, merkwürdig dicke und schwere Schneckengehäuse schleppend, bummelten an den Zweigen und Wurzeln herum, liessen sich erschreckt vor uns fallen und machten dabei ein Geräusch, als ob es regnete. Kleine Schnecken (Auricularia) bedeckten allenthalben den Boden.

Bald stiessen die Böte alle beide auf Grund, und jetzt mussten auch wir ins Wasser steigen und schieben helfen. Glücklich gelangten wir so bis zum Ende des Kanals, wo der feste Sandboden des Isthmus sich erhob. Wir luden die Kisten und Fässer und das schreiende Schweinchen aus und schafften zunächst die Böte über Land. Der geradlinige Weg durch die Kokospalmen ist für diesen Zweck mit Palmblättern belegt, auf deren glatten Schäften unsere zwei Fahrzeuge, mit vereinten Kräften an Stricken gezogen und von allen Seiten geschoben, rasch dahinglitten. Ein Handelsmann aus Wailevu, ein deutscher Jude mit einem indischen Sonnenhelm auf dem Haupt, begegnete uns, und hinter ihm drein trugen vier Vitis seine kleine Nussschale auf ihren Schultern. Wohl ein Dutzend mal mussten unsere Burschen hin und her laufen, bis das ganze Gepäck auf der anderen Seite war. Ich setzte mich unterdessen auf den schönen Korallensand des nördlichen Ufers und betrachtete die anmuthige Landschaft der Namalatta Bai, die geschützt vor den südlichen Winden und unbewegt in den herrlichsten smaragdgrünen und violetten Tinten prangte.

Es war Sonntag, von der Kirche des nahen Dorfes Namalatta ertönte ein frommer Gesang, und nach dem Gottesdienst strömte die braune Kinderschaar zu uns heraus. Männer und Weiber folgten ihnen, und als wir die Böte wieder zu Wasser gebracht und beladen hatten, war wohl so ziemlich das gesammte Dorf um uns versammelt, erstaunt unsere sabathschänderische Arbeit betrachtend. Von dem ganzen Christenthum vermag nämlich den Wilden kein Gebot intensiver einzuleuchten als das Nichtsthun am Sabath. Ein paar kleine Mädchen von höchstens zwölf Jahren fielen mir auf durch enorm entwickelte, ja eigentlich unanständig grosse und pralle Brüste. Sie waren zur Feier des gottgeweihten Tages mit dem von den Missionären erfundenen Busenhemdchen angethan. Aber die Bedeutung des züchtigen Gewandes schien ihnen unklar zu sein. Denn sie trugen es, aus den lästigen Aermeln herausgeschlüpft, über die Schultern zurückgeworfen.

Wir stiessen ab. Der sandige Boden unter dem klaren Wasser senkte sich, hörte auf und machte Korallenklüften und Klippen Platz. Zum ersten mal schwebte ich dahin über diese merkwürdigen Gebilde, diese geheimnissvollen Gründe, aus denen zarte Baumkronen und Geweihe in den mannigfaltigsten Farbentönen emporstarrten. Himmelblaue und scharlachrothe Fischchen schossen in den phantastisch durcheinander wachsenden Formen herum, und indigoblaue Seesterne klammerten sich mit gespreizten Strahlen an den Abhängen fest, die zu unergründlich dunkelgrünen Schluchten hinunterfielen. Das Wasser, glatt wie ein Spiegel und so durchsichtig, dass es dem Auge kein Hinderniss bot, schien nur die eine Eigenschaft zu besitzen, höheren Farbenreiz zu verleihen.

Eine geraume Weile lag ich so an der Spitze des Fahrzeuges und blickte hinab auf die unten vorübergleitende Märchenwelt, und als ich wieder in die Höhe und um mich sah, waren wir schon weit weg vom Lande. Zu beiden Seiten streckte sich die lange Insel. Zwischen kulissenartig vortretenden Bergrücken, über und über mit dichtem Buschwerk bedeckt, breiteten sich liebliche Thäler mit Palmenhainen, unter denen hie und da eine weissgetünchte Hütte hervorguckte. Wir fuhren nach Osten, und hinter uns trat der Bukelevu heraus, das Haupt in Wolken gehüllt, der westliche Pfeiler Kandavus.

Eine hellglänzende Sanddüne umsäumte die üppige Vegetation der herrlichen Südseeinsel. Smaragdgrüne und violette Tinten schillerten allerwärts über den Untiefen der Korallenbänke, und weit draussen brandete die hohe sattblaue See in leuchtenden Schaumstreifen an dem Wall der Aussenriffe. Ueber dem Ganzen ein strahlender Himmel und strahlender Sonnenschein.

Etwa vier Stunden dauerte diese Bootfahrt an der Nordseite der Insel entlang. Wir hatten keinen stetigen Wind, und nur wenn wir gerade in das Bereich einer Thalschlucht kamen, durch die eine frische Brise herüberblies, konnten unsere Burschen vom Rudern ausruhen und dem schnell aus einer Decke improvisirten Segel die Arbeit überlassen. Noch eine Ecke des Ufers, und das Thal von Gavatina lag vor uns, die Stätte wo Herr Kleinschmidt seinen Wigwam aufgeschlagen hatte, kenntlich schon von Weitem an der schwarzweissrothen Flagge, die vom Maste des vor Anker liegenden Kutters wehte.

Eine weibliche Gestalt mit winkendem Taschentuch, die Gattin meines Freundes, ein eingeborener Junge und einige kleine Hunde tauchten aus dem Unterholz des Palmenhaines und erschienen auf dem Strande uns zu bewillkommnen. Wir waren am Ziele, und es begann nun für mich eine wundersame Idylle in tropischer Naturpracht und wohlthätiger Abgeschiedenheit von europäischer Zivilisation, die leider nur zu kurz währte.

Ganz Kandavu besteht aus Bergzügen von etwa 200 Meter durchschnittlicher Höhe ohne bestimmte allgemeine Richtung und ist 50 bis 60 Kilometer lang und durchschnittlich etwa 5 Kilometer breit. Da wo zwischen den gegen die See vorspringenden bewaldeten Bergrücken Bäche herabkommen und alluviale Dreiecke sich gebildet haben, stehen Palmenhaine und in diesen gewöhnlich auch Dörfer. Gavatina ist ein solcher zur menschlichen Wohnstätte geschaffener Platz. Ein Dorf hat einst hier gestanden, in welchem der jetzt in Wailevu residirende Häuptling der Insel gar manches Kind gebraten haben soll, und von dem gegenwärtig nichts mehr als der Name übrig geblieben ist.

Zwei Hütten aus Palmblättern, von denen die grössere Herrn Kleinschmidt und Gattin als Wohnung, Schlafgemach, Speisesaal, Waarenlager, Arbeitsraum und Museum diente, während in der kleineren die beiden eingeborenen Jungen Niketi und Ruma schliefen und für uns kochten, und ein Zelt, in welchem ich mein hartes Lager aufschlug, bildeten unsere bescheidene Kolonie, rings umwachsen und halb überdeckt von üppig wucherndem Farnkraut, Buschwerk und Schlingpflanzen und beschattet von steifblätterigen Dilobäumen und Kokospalmen, deren Kronen majestätisch im Winde sich schaukelten. Zwanzig Schritte führten auf einem schmalen Pfad nach dem hellglänzenden Seestrand, und draussen auf dem blauen Wasser lag der Kutter, in dessen Miniaturkajüte Mister Daymac, Herrn Kleinschmidts Gehilfe, wohnte.

Nebst den genannten sechs Gliedern der menschlichen Gesellschaft rechneten sich noch zwei Affen, die an einem Pfosten im Gebüsch angekettet waren und sich Nachts in ein altes Segel wickeln durften, zwei Papageien in Käfigen, eine glatthaarige Hündin mit zwei halberwachsenen Sprösslingen, die einem immerfort an den Beinen herumzappelten und vor Freundlichkeit gar nicht wussten, wie sie sich drehen und wenden sollten, ferner etliche Schweine und Hühner zu den berechtigten Einwohnern von Gavatina, zwischen welchen sich noch ein unzählbares illegitimes Gesindel von Ratten, Eidechsen und Eremitenkrebsen, von Moskitos und Fliegen herumtrieb. Eine eigenthümliche Zierde unseres niedlichen Gehöftes bereiteten hundert mächtige langbeinige braunrothe Spinnen, indem sie äusserst regelmässige Netze, so gross wie mittlere Wagenräder, zwischen den Bäumen und Sträuchern um uns spannten.

Herr Kleinschmidt, schon seit mehreren Jahren in Viti ansässig, war erst seit Kurzem von C. Godeffroy in Hamburg als Naturforscher angestellt worden. Er hatte bisher die übrigen grösseren Inseln der Gruppe sammelnd bereist. Kandavu war ihm noch neu, sein Aufenthalt hier auf drei Monate projektirt, und waren diese um, so packte er wieder seine ganze Habe in den Kutter und segelte von dannen, um irgend wo anders seine Hütte aufzuschlagen, ein nomadisirender Pionier der Wissenschaft. Da ich ähnliche Zwecke wie er verfolgte, so konnte mir nichts Glücklicheres passirt sein, als dass mich der Zufall mit ihm zusammenbrachte. Wir gingen miteinander in den Busch um Vögel zu schiessen und Pflanzen und Käfer und andere Thiere einzuheimsen, zur Ebbezeit machten wir Ausflüge auf die Riffe voll tropischen Lebens, und ausserdem setzten wir noch zwei längere Partien, eine nach dem Ostende und eine nach dem Westende der Insel auf unser Programm.

Obwohl mir, der ich zum ersten mal in der reichen Natur der heissen Zone weilte, fast jede Stunde eine Fülle überraschender Eindrücke bot, so fesselten doch auch hier mein Hauptinteresse die eingeborenen Menschen.

Den kleinen sanften Niketi, der etwa 12 Jahre alt sein mochte, hatte ich schon in Wailevu, wohin ihn Herr Kleinschmidt mitgenommen, kennen gelernt. Sein Kollege Ruma, vielleicht zwei Jahre älter als Niketi, war gänzlich von ihm verschieden. Ruma war ein richtiger junger Kannibale, starkknochig und ungeschlacht, mit einem mächtigen vorstehenden Gebiss, finsterem Gesichtsausdruck und schielenden Augen, grausam gegen sich und andere. Sein Körper trug zahlreiche Narben, und so lange ich in Gavatina war und ihn beobachten konnte, beschäftigten ihn oft zwei Haufen von erbsengrossen, eiternden Wunden, die er sich an beiden Oberarmen beigebracht hatte, und mit denen er sich, wenn Besuche aus dem benachbarten Dorfe da waren, produzirte, indem er die Krusten abriss, die so entstandenen frischen Flächen mit Sand einrieb, mit Glasscherben kratzte oder mit einer glühenden Kohle brannte, ohne eine Miene zu verziehen. Wenn er unbeobachtet zu sein glaubte, schnitt er dafür nur um so schlimmere Grimassen, und seine gezwungene Heiterkeit und Lebhaftigkeit dem Publikum gegenüber, jedesmal wenn er eine derartige Operation an sich vollzogen hatte, verriethen nur zu sehr seine schmerzhaften Empfindungen.

Ausser bei Ruma bemerkte ich noch bei einigen anderen braunen Jünglingen solche Verletzungen. Dass sie sich gerade an den beiden Oberarmen quälten, beruhte auf einem ähnlichen psychologischen Vorgang wie die Einführung der Krinoline in Europa. Der Regierungsarzt in Wailevu war eben damit beschäftigt, die Bevölkerung von Kandavu dörferweise zu impfen, und Impfpusteln an beiden Oberarmen waren die neueste Mode. Manche mochten es nun nicht erwarten können, bis sie auf offiziellem Wege des eiterigen Schmuckes theilhaftig werden sollten. Oder wollten sie etwa die gesetzlich angeordnete Impfung umgehen, indem sie simulirten, bereits geimpft zu sein? Welch interessanter Fall für einen simulantengierigen Militärarzt.

Wenn Ruma einen Käfer gebracht hatte, den wir nicht brauchen konnten, so ging er damit hinter den nächsten Busch, riss ihm erst langsam die sechs Beine und die Flügel aus und frass ihn. Hatte er ein Huhn zu schlachten, so wurde es erst gemartert, falls man ihn unbeaufsichtigt liess, und unsere Braten trugen nicht selten die Spuren der an ihnen verübten Grausamkeiten in der Form von Hautabschürfungen und Knochenbrüchen.

Uebrigens attrapirte ich auch einmal den anderen Schlingel, den sanften Niketi mit dem scheinheiligen Gesicht, wie er ein Schweinchen, das er abstechen sollte, zuvor mittels eines scharfen Glasscherben kastrirte, so geschickt, dass kein deutscher Professor der Chirurgie ihn übertroffen hätte.

Grausamkeit und Achtlosigkeit gegen Thiere bildeten überhaupt einen hervorstechenden Charakterzug der Eingeborenen, der sich fast an jedem Huhn oder Schwein dokumentirte, das wir kauften. Aber nicht blos Hühner und Schweine trugen gewöhnlich Verletzungen, sondern auch andere Thiere, die wir wegen ihres naturhistorischen Werthes von ihnen erhandelten, um sie aufzubewahren. Deshalb werden diese Eingeborenen auch stets nur von sehr untergeordnetem Werthe als Beihilfe zum Sammeln für den Naturforscher sein. Ich habe kaum eine Schnecke oder ein Insekt von einem Eingeborenen erhalten, welches unversehrt gewesen wäre. Gewöhnlich fehlten ein paar Beine oder ein Fühler, oder die Schalen waren eingedrückt und an der Mündung schartig.

Ruma und Niketi, deren Hütte an mein Zelt anstiess, wussten sich Nachts immer viel zu erzählen. Sie hatten ein merkwürdig geringes Schlafbedürfniss und plauderten oft Stunden lang miteinander, und wenn sie schliefen, litten sie oft an schweren Träumen und seufzten und stöhnten. Oft auch in kühlen Nächten husteten sie fast beständig. Mich dauerte ihr nackter Zustand, und ich schenkte ihnen zwei alte Unterhemden. Diese benützten sie aber nur, um während des Tages in der Sonnenhitze damit zu paradiren, Nachts lagen sie eben so nackt wie vorher auf ihren Matten.

Obwohl unsere kleine Kolonie wie gesagt sehr versteckt und abgelegen war, so fehlte es doch während des ganzen Tages nicht an Besuchern aus den benachbarten Dörfern. Schon am frühen Morgen, wenn die Sonne noch hinter den Bergen war und ringsum noch tiefes Schweigen herrschte, höchstens von einem vorwitzigen Papagei unterbrochen, der von einer Palme zur anderen fliegend sein unmelodisches Giek gak, Giek gak ertönen liess, und ich mich eben unter meinem Zelte auf der harten Matte dichter in die Decke wickeln wollte, kamen sie in hellen Schaaren heranzogen, lustig wie immer, schon von Weitem durch einen munteren Gesang sich ankündigend.

Dass wir beide, Herr Kleinschmidt und ich, ausgemachte Narren waren, unterlag für sie nicht dem geringsten Zweifel, wir, die wir den ganzen Tag nichts thaten, als Käfer und anderes Gewürm in Gläser zu stecken, Gras und Kräuter zu trocknen und Vögel abzubalgen. Aber wir waren ihnen entschieden höchst interessante Narren. Namentlich ich. Denn Herrn Kleinschmidt kannten sie schon länger und er kannte sie und alle ihre Schliche und sprach auch ihre Sprache. Ich aber war ein ganz echter Papalang, eben erst herzugereist und jedenfalls »sehr weit her«, wenn sie auch ungläubig lachten, so oft Herr Kleinschmidt ihnen sagte, dass ich fünfzig Tage und fünfzig Nächte mit dem grossen Feuerkanuu fahren müsste, um nach Hause zu kommen.

Ich hatte ausserdem noch eine ganz neue verrückte Liebhaberei, nämlich zuweilen mit der Scheere unter sie zu treten und Haarproben aus ihren dicken Perrücken herauszuschneiden und sammt den daranhaftenden Nüsschen in Papierkapseln zu wickeln, was jedesmal ein grosses Halloh erregte. Auch war ich toleranter gegen ihre Neugierde als Herr Kleinschmidt, der sie immer gleich wegjagte, wenn sie ihm zu sehr im Wege standen. Ich liess sie bei Allem zusehen, und höchstens wenn ein paar Mädchen sich mit ihren Brüsten zu dreist über meine Schultern lehnten, machte ich eine rasche Bewegung, als ob ich hineinbeissen wollte, so dass sie zeterschreiend auf einen Augenblick davonliefen.

Für unseren Sammeleifer hatten die Wilden nicht das geringste Verständniss. Als ich einst im Walde einem neugierigen Kerl begegnete, der gerne wissen wollte, was ich in meiner Pflanzenmappe hätte, so dass ich ihm den Inhalt zeigte, kam er bald darauf wieder zu mir mit einem ganzen Korb voll Gras und Blätter und wollte einen Shilling dafür haben.

Nächst uns übten die zwei Affen eine grosse Anziehungskraft auf unsere Besucher. Ganze Nachmittage konnten sie um dieselben herumhocken und sich an ihren zornigen Grimassen und possirlichen Sprüngen ergötzen. Aber sie durften ihnen nicht zu nahe kommen. Denn die Affen hassten wüthend die braune Rasse. Wenn wir alle zusammen ausgingen, konnte die Hütte nicht besser von Neugierde und Unfug geschützt werden, als indem man die Affen unmittelbar vor der Thüre ankettete. Kein Viti wagte sich in ihr Bereich.

Schon am ersten Tage nach meiner Ankunft lernte ich den alten Häuptling der Insel, den »Tui Kandavu«, kennen. Er wollte mit der englischen Regierung nichts zu thun haben und hatte deshalb beim Beginn einer neuen Ordnung der Dinge nach der Annexion seine Würde an einen jüngeren Häuptling, der jetzt in Wailevu residirt, abgetreten, um in stiller Zurückgezogenheit in dem uns benachbarten Dorf Sanima das Ende seiner Tage abzuwarten.

Der Tui ist eine achtunggebietende malerische Erscheinung. Ein würdiger Greis von hoher Statur, den Oberkörper mit einem feinen europäischen Hemd, die Hüften mit einem langhinabreichenden braungemusterten Stück Tapa, welches eine gefranzte Schärpe schneeweisser Tapa festhält, bekleidet, barfuss und unbedeckten kahlen Hauptes erinnert er an etwas dunkel gehaltene Apostelfiguren der Heiligenbilder. Ein weisser Vollbart umrahmt das ernste strenge Gesicht, und ein asthmatischer Husten an dem er litt gaben diesem einen schmerzlichen Ausdruck. Er kam in einem Kanuu herangerudert, um mich zu konsultiren, da die Kunde meiner ärztlichen Eigenschaft bereits nach Sanima gedrungen war.

Unsere Jungen und seine Begleiter, von denen einer eine alte zerrissene amerikanische Uniform aber keine Hose trug, erwiesen ihm die grösste Ehrfurcht und schienen vor ihm viel mehr Respekt zu haben als vor uns Weissen. Er trank eine Tasse Schokolade mit uns, über die er sich wohlgefällig äusserte, und rauchte dann eine Suluka. Zwei Schiffszwiebacke, die ihm vorgesetzt wurden, steckte er wie Pistolen in die Gürtelschärpe um sie seiner Frau zu bringen. Keiner der Jungen wagte es, sich ihm anders als in geduckter Haltung zu nähern, und wenn sie ihm etwas reichten, kauerten sie nieder und klatschten dreimal in die Hände.

Das dreimalige Händeklatschen bei Ueberreichung irgend eines Gegenstandes, einer Schale Wasser, einer Suluka, eines Feuerbrandes oder was es auch sei, beobachtete ich überall auf Kandavu als noch in Geltung. Später einmal sah ich in Sanima eine sehr komische Degeneration jener alten Sitte. Ein Kerl hatte dem Tui eine Zigarette gewickelt, in seinem eigenen Munde angezündet und übergab sie, wobei selbstverständlich geklatscht werden musste. Statt nun aber erst lange niederzuhocken, hob er einfach den rechten Oberschenkel in die Höhe und klatschte dreimal auf dessen Rückseite, nicht etwa zum Spass, sondern nur aus Schlendrian und Faulheit. Denn er machte dabei ein ganz ernsthaftes Gesicht, und keiner der Beistehenden schien Anstoss daran zu nehmen.

So schwindet das alte sehr ausgebildete Zeremoniell der Südseeinsulaner immer mehr dahin, welches ehemals so weit ging, dass alle Untergebenen stolpern und niederfallen mussten, wenn ihrem Höheren Solches passirte. Deshalb waren, wie die ersten Missionäre erzählen, ihre Diener und Begleiter auch immer so ängstlich, wenn es sich um das Passiren einer Brücke handelte, die hierzulande nur aus einem oder zwei dünnen Palmstämmen bestehen. Stürzte der Missionär in den Abgrund, so mussten auch sie ihm folgen.

Meine Anwesenheit in Gavatina war ein wichtiges Ereigniss für die neugierige Einwohnerschaft der Umgebung. Am folgenden Tag kam auch die Gemahlin des Tui, eine noch sehr rüstige alte Dame, die »Marama«, wie sie anzureden ist, von Sanima herüber. Auch ihr bezeugten unsere Jungen und ihre Begleiter die geziemende Ehrfurcht.

Die sogenannten Wilden überraschten mich durch eine viel grössere geistige und gemüthliche Begabung als ich erwartet hatte. In Bezug auf Intelligenz schienen sie mir entschieden nicht tiefer zu stehen als unsere Bauern, in Bezug auf die Anmuth ihrer Erscheinung und ihres Benehmens meist höher. Ihr gutmüthiges, freundliches, heiteres Wesen musste Jeden gewinnen, der über das Vorurtheil der Hautfarbe erhaben war. Allerdings blieb ich nicht lange genug auf Kandavu, um den Reiz der Neuheit, der mir nur die liebenswürdigen Seiten an ihnen wahrnehmen liess, zu verlieren, und gewiss musste ich Herrn Kleinschmidt Recht geben, wenn er mir versicherte, dass meine Vorliebe für die braunen Naturkinder nach wenigen Monaten weichen würde. Wie oft schon haben anderwärts in weniger zahmen Gegenden Reisende durch den ersten Eindruck sich täuschen lassen und ausgerufen »das also sollen die gefürchteten, schrecklichen Menschenfresser sein, es sind harmlose, liebenswürdige Kinder«, und am nächsten Tag wurden sie von den liebenswürdigen Kindern aufgefressen. Diese Gefahr nun ist auf Kandavu und wahrscheinlich auf ganz Viti nicht mehr zu fürchten. Die Vitis gehören dem europäischen Einfluss an, und die einzelnen vagen Behauptungen, dass es im Innern von Vitilevu noch Kannibalen gebe, sind nicht erwiesen.

Man warnte mich oft vor Dieben. Aber obgleich die primitiven Wohnverhältnisse keinen Verschluss gestatteten, ist mir in Gavatina niemals etwas gestohlen worden, ganz im Gegensatz zu den von den Europäern gehörten Behauptungen über die Stehlsucht der Vitiinsulaner, von welchen die mildeste dahin lautete, dass sie nur an Sonntagen eine Ausnahme machten und die Tugend der Ehrlichkeit übten. In Bezug auf Munition mag allerdings Vorsicht nöthig sein. Es ist verboten, den Eingeborenen Gewehre und Schiessbedarf irgend welcher Art abzugeben, und mit solchen Dingen dürfte es sich eben verhalten, wie mit allen verbotenen Früchten.

Im Ganzen schienen mir diese nackten schlanken und muskulösen Insulaner die glücklichsten Menschen zu sein, die man sich denken kann. Die Missionäre haben es noch nicht vermocht, ihnen ihre natürliche kindliche Heiterkeit zu rauben, und es ist erfreulich, dass auch in Bezug auf ihre ursprüngliche einfache Tracht die Christianisirung nicht viel geändert hat – erfreulich, weil europäische Kleider sie nur verweichlichen dürften, da sie dieselben nicht zu gebrauchen verstehen. Sie würden sie wahrscheinlich nur während des Tages anziehen, um in der Sonnenhitze damit Staat zu machen, bei Nacht aber würden sie die kostbaren Gegenstände zur Schonung sorgfältig einpacken und sich nackt auf ihre alten Matten legen, wie mir das Beispiel von Niketi und Ruma und später noch andere bewiesen.

In der vorchristlichen Zeit trugen die Männer ihr starkes und langes krauses Haar in die Höhe und Breite ausgezupft, so dass mächtige Perrücken entstanden, welche sogar geeignet waren die Wucht von Keulenschlägen abzuschwächen. Diese Perrücken wurden in der mannigfaltigsten Weise geformt und verziert, manche glichen dem bayerischen Raupenhelm. Um die Lenden schlangen sie sich aus einem schmalen Stück Basttuch ein Suspensorium, den »Malo«, zurecht. Die Weiber schoren sich auch damals schon die Haare kurz und banden um die Hüften den »Liku«, einen 50 bis 80 Zentimeter langen Rock aus schmalen Schilfblättern, die an einem Strick aus Kokosnussfasern angereiht sind. Dieser vorchristliche heidnische Zustand in der Tracht soll noch im Innern der grossen Insel Vitilevu bei den wenigen noch nicht unterworfenen Stämmen herrschen.

Ueberall wo die Missionäre gebieten, scheeren sich jetzt beide Geschlechter die Haare kurz, und beide tragen den Sulu, ein klafterlanges Stück Baumwollenzeug um die Hüften geschlungen. Zum Fischen indess ziehen die Weiber noch immer den altmodischen Liku an, weil dieser in der Nässe bequemer ist als der anklebende Sulu, und hier sind sie also noch immer so echt wie vor zwanzig oder dreissig Jahren.

Das Tätowiren war bei den Vitis niemals im Schwung. Blos erlauchte Häuptlingsfrauen liessen sich früher an beide Mundwinkel je einen markstückgrossen runden blauen Tupfen eintätowiren, was hie und da noch an alten Individuen zu sehen ist. Dagegen liebten es die vornehmen Krieger, sich das Gesicht mit rother, weisser und schwarzer Farbe in regelmässigen, meist geradlinigen Ornamenten, aber stets möglichst fürchterlich zu bemalen.

Die Wohnungen der Vitis sind niedrige länglich viereckige Hütten aus Laubwerk, Palmblättern oder Schilfrohr, welche Materialien in verschiedenen Mustern über ein festes Pfahlwerk aus Holz gebunden werden. Charakteristisch für die alte echte Bauart sind die beiden Enden des Giebelbaumes, indem sie, aus schwarz gekohlten nach aussen konisch verdickten Baumfarren-Stämmen bestehend, von den Kanten des Daches ein Meter weit hervorragen. Die Thüren sind so niedrig, dass man nur hineinkriechen kann, und gegen die Schweine, die frei in den Dörfern herumlaufen, mit einem Vorbau kurzer Pallisaden geschützt. Der Boden im Innern ist mit Matten belegt, die mit Farnkraut unterpolstert sind, so dass man sehr weich darauf liegt. Er wird äusserst reinlich gehalten. Darauf zu spucken wäre ein grober Verstoss. Wer ausspucken will, muss den nächsten Zipfel einer Matte aufheben und darunter auf das Farnkraut spucken. Dies gilt natürlich nur bei den Vornehmen, arme Leute sind weniger skrupulös.

Ein Bett hat der Viti-Insulaner nicht. Er schläft auf seinem weichen Mattenboden, neben ihm brennt ein kleines Feuer an der Wand, welches er von Zeit zu Zeit mit einem Fächer anwedelt, als Kopfkissen dient ihm ein Stück Bambusrohr, das an beiden Enden auf je zwei Füsschen ruht. So liegt er nackt und meist ohne Decke da, höchstens dass er vielleicht die unter ihm befindliche steife Matte aufbiegt und halb um sich rollt, häufig seinen Schlaf unterbrechend, um das Feuer neben sich anzufachen. Die Nächte sind manchmal sehr kühl, und man hört dann die nackten Menschen beständig husten.

Bei den Aermeren ist in derselben Hütte, in welcher die ganze Familie schläft, gewöhnlich noch ein grösserer Feuerplatz in einer Ecke, zum Kochen bestimmt. Hier liegen horizontal zwei grosse und schwere Töpfe, deren Form ganz genau dem Nest der Töpferbiene nachgeahmt, aber zu dem Durchmesser von einem halben Meter vergrössert ist. In diese Töpfe wird nun alles zusammen hineingeschoben und gegossen was gekocht werden soll, und die enge Oeffnung mit einem Stöpsel aus zusammengebundenen Cordyline-Blättern verstopft. Bei den Reicheren sind zum Kochen eigene Hütten vorhanden, in denen die Frauen schlafen. Der wohlhabende und vornehme Mann schläft nur mit den Männern seines Gefolges zusammen. Ehegatten leben zu Hause getrennt und geben sich draussen im Walde Rendezvous. So will es die alte Viti-Sitte, die noch vielfach in Kraft steht, wenn sie auch jetzt nach Einführung des Christenthums, das jedem gestattet ein Weib zu besitzen, nur noch beim alten Adel zu beobachten ist.

In jeder Hütte findet man hohle Kokosnüsse als Wassergefässe an der Wand hängen. In einem der Löcher am stumpfen Ende der Nuss ist eine Schnur durch einen Pflock festgeklemmt, an jeder Schnur baumeln auf diese Weise zwei Nüsse, so dass sie bequem paarweise um den Nacken gehängt werden können, wenn die Weiber ausgehen um im nächsten Bach Wasser zu holen. Die beiden andern Löcher sind durch kleine Keile von zusammengerollten Blättern verschlossen. Aus diesen Gefässen zu trinken ist nicht ganz leicht. Man muss sich das Wasser aus einer gewissen Entfernung in den Mund giessen. Die Lippen an die Oeffnungen zu legen gilt für sehr unanständig.

Das Mobiliar einer Viti-Hütte ist somit von klassischer Einfachheit. Die unterpolsterten Matten, einige Bambus-Kopfkissen, eine oder zwei Feuerstellen, einige Fächer, die zwei Kochtöpfe und etwa sechs paar Kokosnuss-Wassergefässe, mehr braucht eine Viti-Familie nicht in ihrem Daheim und zu ihrem Glück.

Ueber die Stellung der Viti-Insulaner in der Klassifikation des Menschengeschlechts herrscht grosse Zerfahrenheit unter den Systematikern. Gerland (1872) rechnet sie zu den Melanesiern, zu denen er auch die Papuas zählt, Müller (1873) ebenfalls zu den Melanesiern, die bei ihm eine Unterabtheilung der Malayen sind, welche er in Polynesier, Melanesier und eigentliche Malayen scheidet, Peschel (1874) zu der mittlerweile selbständig gewordenen Rasse der Papuas, Meinicke (1875) zu den Polynesiern. Die Vitis liegen eben gerade noch an der Grenze jenes Erdenwinkels, dessen buntes Gewimmel kleiner Inselvölkchen noch nicht genug aufgeklärt ist. Vielleicht dass man die Begriffe Polynesier, Melanesier und Mikronesier – auch etymologisch und allgemein logisch unglücklich gewählt – aufzugeben und nur noch Malayen und Papuas mit verschiedenen Zwischen- und Mischformen beizubehalten haben wird. Die sehr wohlklingende Sprache der Vitis ist malayo-polynesisch. In der Haarbildung nähern sie sich dem Papua-Typus.

Obgleich ich nur auf Kandavu war, so glaubte ich doch die Bewohner dieser Insel als echte Repräsentanten der ganzen Gruppe betrachten zu dürfen, da ich dort auch viele zugereiste Eingeborene von anderen Vitiinseln sah, ohne einen Unterschied derselben entdecken zu können. Es sind allerdings auf Kandavu auch eingewanderte Tonganer vorhanden, namentlich in dem grossen und wohlhabenden Dorfe Dalingele an der Südseite des Bukelevu. Diese sind aber sofort auf den ersten Blick als solche zu erkennen an ihrer auffallend hellen, fast pomeranzengelben Farbe. Ebenso sind auf Kandavu als Kulis eingeführte Neu-Hebriden-Insulaner zu sehen, deren grauschwarze Haut im Gegensatz zu dem warmen Braun der Vitis, dem man beim Malen entschieden Gelb beimischen muss, einen bläulichen Duft zeigt.

Die Vitis sind wie gesagt schöne, schlanke, muskulöse Menschen. Sie sind wohl im Durchschnitt länger und kräftiger als die Europäer, mehr gleichlang und mehr gleichentwickelt, ohne die Extreme der bei uns vorkommenden Riesen und Zwerge, Dickwänste und Klapperskelette. Ihre Gesichtszüge sind meistens angenehm, oft edel, selten so roh und brutal wie man bei den Söhnen der schlimmsten Kannibalen, welche die Geschichte der Menschheit kennt, erwarten möchte. Die Nase ist breit, die Nüstern sind ebenso wie bei den Polynesiern etwas weit geöffnet, die Jochbogen nur mässig oder wenig vorspringend. Der Mund ist sinnlich voll, ohne unschön zu sein. Die horizontal geschlitzten Augen sind dunkelbraun, die Haare schwarz, in der Regel aber künstlich ins Röthliche gefärbt, die Haut braun, schokolade- bis rothbraun, bald heller, bald dunkler. Von dem bläulichen Schimmer der Haut, der ihnen beigelegt wird (Gerland, Peschel) habe ich nichts wahrnehmen können. Das Haar ist kraus und wird gegenwärtig allgemein sehr kurz gehalten. Ich habe das für die Papuas von A. R. Wallace als charakteristisch angegebene Pudelhaar nur einmal bei einem Mädchen von etwa fünf Jahren gesehen. Das ganze Kopfhaar war hier in einzelne Löckchen von sieben Zentimeter Länge verfilzt, es wuchs aber gleichmässig über den ganzen Kopf aus der Haut, nicht in Büscheln wie bei den Schuhbürsten. Barrow hat nämlich den Hottentotten dieses Schuhbürstenhaar nachgerühmt. Und Hottentotten und Papuas stehen bei Häckel neben einander als Büschelhaarige. Der Bartwuchs ist bei vielen Vitis, namentlich adeligen, reichlich. Greise haben weisse Haare und weissen Bart.

Unter den jüngeren Weibern giebt es hübsche, anmuthige Gestalten mit freundlichen Zügen. Ihre Formen sind zuweilen sehr üppig. Im allgemeinen aber fehlt den nicht mehr in der ersten kurzen Blüthe befindlichen Frauen die Grazie der europäischen Weiblichkeit, sie nähern sich zu sehr dem männlichen Typus, wozu auch noch der Umstand beiträgt, dass sie die Haare kurz geschoren tragen, und sie werden sehr rasch welk und alt. Die Brüste, auch der eben erst reif gewordenen Mädchen, zeichnen sich aus durch eine auffallende Hervorragung des Warzentheils, der leicht abgeschnürt erscheint und so dem ganzen Organ etwas Birnförmiges verleiht.

Es ist ein grosser Unterschied ob man diese sogenannten Wilden in der Ruhe oder in der Bewegung betrachtet. In der Ruhe, wenn sie so gerade vor sich hinstieren und vielleicht auch wohl den Mund offen stehen lassen, sehen sie gewiss nicht vortheilhaft aus. In der Bewegung aber, wenn sie lebhaft gestikulirend mit einander sprechen und lachen – und sie lachen fast immer – wenn ihre herrlich weissen Zähne und ihre dunklen Augen blitzen und funkeln, gewähren sie ein höchst anziehendes Bild von Kraft und Frische, Urwüchsigkeit und Wildheit. Desshalb wird auch die beste Photographie immer weit zurückbleiben hinter dem unmittelbaren lebendigen Eindruck, den diese Naturmenschen auf den Beschauer ausüben, und nie eine richtige Vorstellung geben. In den Hütten sitzen sie gewöhnlich mit gekreuzten Beinen auf ihren Matten, im Freien aber kauern sie am liebsten nieder, ohne mit dem Hintertheil den Boden zu berühren, die Sohlen ruhen voll auf der Erde, und sie sitzen dabei förmlich auf ihren Waden.

Die Nahrung der Vitis ist eine vorzugsweise vegetabilische. Taro und Yams, Kumala, Bananen und Brodfrüchte liefern die Hauptgerichte. An Kokosnüssen ist kein Mangel, aber sie sind von den Missionären »tambu« erklärt, und fast vor jedem Kokospalmenhain stecken drei oder vier lange Stangen in der Erde, an deren Spitzen Strohbüschel hängen, das Zeichen des »Tambu«. Denn in Kokosnüssen haben die Eingeborenen ihren Zehnt an die Missionäre und ihre Steuer an die englische Regierung zu zahlen. Der Botaniker Seemann, der 1860 und 1861 die Vitiinseln in offiziellem Auftrage bereiste, sagt dass die Yamswurzel die Hauptnahrung der Vitis sei. Auf der Insel Kandavu scheint mir indess Taro überwiegend gebaut zu werden, vielleicht wegen der hier zahlreicheren kleinen Gebirgsbäche, die zu Sümpfen aufgestaut, sich besonders gut zur Anlegung von Taro-Pflanzungen eignen. Die Taropflanze ist eine Colocasia und die Yamspflanze eine Dioscorea. Letztere wird auf Aeckern in einzelnen Erdhäufchen, welche wie Maulwurfshügel aussehen, gezogen. Die Kumala oder süsse Kartoffel oder Batate ist ein Convolvulus und hat mit unserem Solanum nichts gemein als ihren deutschen und ihren englischen Namen. Taro, Yams und Kumala, Bananen und Brodfrucht werden gekocht gegessen.

Schweine und Hühner sind in jedem Dorfe vorhanden, sie werden aber nur bei hervorragenden festlichen Gelegenheiten, und dann in um so grösseren Quantitäten, verzehrt. Fische alle Tage und Schildkröten ziemlich selten liefert die See. An regelmässige Mahlzeiten scheinen sich die Eingeborenen nicht zu binden. Die auf den Riffen erbeuteten Fische werden entweder in Körbchen nach Hause getragen oder sogleich an Ort und Stelle verzehrt. Die Jungen, die mit hinausbummeln, tragen glimmende Holzscheite mit und schwingen sie von Zeit zu Zeit im Kreise, um sie in Brand zu erhalten. Haben sie einen kleinen Fisch, so wird er kurzweg lebendig auf die Gluth gehalten, um erst die eine Seite, dann die andere ein bischen anzuschmoren, in den Mund geschoben und abgebissen. Vor jedem Dorfe das am Strande liegt sind draussen an einer tieferen Stelle im Wasser Stangen kreisförmig dicht neben einander in den Grund gesteckt und oben durch Stricke verbunden, Käfige in die man die Schildkröten einsperrt bis man sie schlachten will. Die zahlreichen Papageien und Tauben des Waldes tragen nichts zur Küche des Viti-Insulaners bei. Es ist ein grosses Glück für die ornithologische Fauna der Inseln, dass jene mit den Gewehren die sie besitzen nicht umzugehen verstehen. Teller, Gabeln und Messer hat man für gewöhnlich nicht. Man isst mit den Fingern beider Hände, die Speisen werden sehr reinlich auf Blättern servirt. Früher bediente man sich für Menschenfleisch besonderer geheiligter Gabeln aus Holz.

Ihre Sprache, welche eine Abart des Polynesischen ist, während sie selbst dem Körperbau nach zu den Papuas gehören, klang mir womöglich noch wohllautender, als das Maori der Neuseeländer. Dabei lässt ihre Artikulation an Deutlichkeit nichts zu wünschen, ganz im Gegensatz zu jener des Englischen. Welche Mühe kostet es dem Anfänger, das gesprochene Englisch zu verstehen, jeder Engländer scheint ihm anders zu reden. Im Viti aber braucht man ein Wort blos einmal gehört zu haben, um es später sofort wieder zu erkennen.

Die Vitis sprechen alle das reine linguale R, während bei den Hawaiiern, deren Konversation ich später belauschen sollte, das gutturale R vorherrscht. Mit den Samoa-Insulanern haben sie die Ausnahme gemein, ein S zu besitzen, welches den übrigen Polynesiern fehlt. Das aspirirte S dagegen, unser Sch, besitzen sie nicht und scheinen es meist durch das ihnen eben so wie den Arabern, Griechen, Spaniern und Engländern eigenthümliche Theta (scharfes englisches Th) zu ersetzen. Ich hörte statt »Shilling« immer nur »Thilling«. Eine andere Eigenthümlichkeit, welche an die Sprachen der westafrikanischen Neger erinnert, besteht darin, dass sie den Buchstaben D, G, K und M fast immer ein N, und dem B ein M als Vorschlag voransetzen. Die Missionäre als erste Vitigrammatiker haben deshalb die Schreibweise Kadavu, Bega, Bau (drei Inseln), Thakobau (der ehemalige König), Buke (Berg), Dalo (Taro), Malatta, Galoa (die beiden Buchten) eingeführt, während man Kandavu, Mbenga, Mbau, Thakombau, Mbuke, Ndalo, Nmalatta oder Namalatta, Ngaloa oder Angaloa sagt, indem sie, wunderlich komplizirend, die richtige Aussprache von der Kenntniss dieser Regel und der dazugehörigen Ausnahmen abhängig machten. Zur Transskription des Vitilautes Th (= dem englischen weichen Th) haben manche das C verwendet. Deshalb liest man auch Cakobau.

Es giebt eine Menge Dialekte im Viti, wenn man fein unterscheiden will, vielleicht eben so viele als einzelne Inseln. Daher kam es, dass ich für meine gesammelten Pflanzen, wenn ich sie wiederholt verschiedenen Eingeborenen vorlegte, um ihre Namen zu erfahren und festzustellen, oft von jedem einen anderen erhielt, weil die Gefragten von verschiedenen Inseln stammten.

Die Adeligen und Vornehmen der Vitis waren früher die schlimmsten Kannibalen der Erde. Ursprünglich war das Menschenfressen ein religiöser oder patriotischer Gebrauch. Man triumphirte über die erschlagenen Feinde indem man sie auffrass. Später scheinen sich Prahlerei, Leckerei und andere niedrigere Motive geltend gemacht zu haben. Man wollte sich gegenseitig in der Anzahl der gefressenen Menschen überbieten, und es kam so weit, dass die Untergebenen niemals sicher waren, eines schönen Tages den Appetit ihrer Herren zu reizen. Ich glaube nicht, dass man alles für wahr zu halten braucht, was von den Missionären hierüber berichtet wird, von den Missionären, denen daran gelegen sein musste, die Heiden möglichst schwarz und damit den Glorienschein ihrer Bekehrung möglichst strahlend zu machen. Ich vermag auch durchaus nicht vor dem Kannibalismus eben so entsetzt die Augen zu verdrehen, wie diess für manche zum guten Ton zu gehören scheint, wenn ich an die Rechtsgebräuche unserer biederen Vorfahren denke. Mir liegt das Abscheuliche an dem Kannibalismus nur in der willkürlichen Tödtung einzelner Individuen durch die Mächtigen – ein Frevel, an dem es in unserer Geschichte doch wahrlich auch nicht fehlt – nicht in dem Auffressen der Leichen, dem vielleicht bei dem Mangel grösserer Thiere ein physiologisches Bedürfniss zu Grunde lag. Dennoch kann niemand läugnen, dass die Zustände der Vitis in der vorchristlichen Zeit grässlich genug waren. Es wird mit allem Anschein der Glaubwürdigkeit erzählt, dass ein Mann einmal seine Frau, mit der er in Eintracht lebte, lebendig in den Ofen schob, kochte und frass, blos um den Ruf eines fürchterlichen Menschen, eines »verfluchten Kerls«, zu erlangen.

Jetzt giebt es in Viti wohl keine Menschenfresserei mehr. Man behauptet zwar, dass im Innern der grossen Insel derlei noch vorkomme, ohne jedoch Beweise zu haben. Erzählungen hierüber, wie über alles Sensationelle, sind stets mit der grössten Vorsicht aufzunehmen.

Man nimmt auch von den Vitis an, dass sie aussterben. Sollte dies wirklich der Fall sein, was nicht entschieden werden kann, solange noch keine Zählungen sondern blos Schätzungen vorliegen, so geschieht es wahrscheinlich nur durch akut auftretende Epidemieen, nicht aber chronisch und stetig durch immerwährende schädliche Einflüsse, wie bei den Maoris und bei den Hawaiiern. Während die Maoris und die Hawaiier, beide in Folge der Liederlichkeit und Minderzahl ihrer Weiber, erstere ausserdem noch in Folge von Trunksucht, ihrem Untergang entgegensehen, erfreuen sich die Vitis des Rufes grosser Keuschheit und enthalten sich, von der Regierung sorgfältig überwacht, der streng verbotenen Spirituosen. Während auf Neuseeland und namentlich auf Hawaii kleine Kinder unter den Eingeborenen ziemlich selten sind, wimmelt auf Viti jedes Dorf von Nachkommenschaft und lässt sich fast aus jeder Hütte das Quieksen eines Säuglings vernehmen.

Während also unter den Viti-Insulanern die Bedingungen für ein chronisches stetiges Aussterben zu fehlen scheinen, hat bereits einmal ein akutes aber vorübergehendes Moment die Bevölkerung dezimirt, eine Masernepidemie nämlich, welche in der ersten Hälfte des Jahres 1875, mit einer Heftigkeit die bei der weissen Rasse unerhört ist auftretend, in manchen Dörfern die Hälfte der Einwohnerschaft ohne Unterschied des Alters hinwegraffte, kurz nachdem Viti englisch geworden war. Ich fürchte, dass Tuberkulose als die Nachwirkung jener Katastrophe seitdem unter den Viti-Insulanern ziemlich häufig ist, wie ja auch bei uns in den Generationen, welche von grossen Masernepidemieen betroffen wurden, die Prozentsätze der Tuberkulose zu steigen pflegen.

Vor der Ankunft der Europäer gab es auf Viti keine Infektionskrankheiten. Selbst die giftigen Thiere sind hier auf ein Minimum beschränkt, nur zwei Arten, ein Skorpion und ein Skolopender, vertreten dieselben in ziemlich harmloser Weise. Dysenterie soll hie und da vorkommen, aber auch erst durch die Europäer eingeschleppt.

Es war durchaus nicht der beste Schlag von Eingeborenen, der in unserer Nähe wohnte und uns häufiger besuchte. Auf den beiden Ausflügen nach dem Ostende und nach dem Westende der Insel habe ich später viel schönere Vitis kennen gelernt. Einigemal sah ich in Gavatina hässliche Drüsennarben am Halse und schlechte Zähne bei Mädchen und Jungen, was darauf hindeutet, dass auch diese glücklichen Wilden nicht frei sind vom Fluch der Skrophulose.

Was wir von den Eingeborenen kauften, wurde in der Regel mit Waaren bezahlt. Messer und Scheeren, Aexte und Angelhaken, Baumwollenzeug, zwei Ellen mit den ausgespannten Armen gemessen gleich einem Sulu, Glasperlen, Nähfaden und rothe Wolle, womit die Matten aus Pandanusblättern an den Rändern verziert werden, waren die hauptsächlichsten Tauschartikel. Die Insulaner prüften Alles sorgfältig, ob es auch gut sei, ehe sie nahmen. Das »Billig und schlecht« soll auch ihnen bereits bekannt sein. In denselben Artikeln bestanden unsere Gastgeschenke, wenn wir auf Exkursionen bei einem Häuptling übernachteten.

Ueberall wo der schöne hellblinkende Korallensand das Ufer bedeckt, schiebt sich von innen heraus als erste Vegetationszone ein flach auf dem Boden fortkriechender dickblätteriger Convolvulus mit rosenfarbenen Blüthen vor, die schönste und stylvollste Besäumung der Palmenhaine, die man sich denken kann. Dies scheint die einzige kleinere Pflanze zu sein, die selbst des geringsten Schattens entbehren kann, aber auch nur, indem sie in geschlossenen Massen der Sonnenhitze entgegentritt. Die Grenzen ihres Bereiches sind scharf abgeschnitten, und einzelne eigenmächtig vordringende Ranken verfallen dem Tode.

Etliche Schritte einwärts beginnen die Palmen. Der Convolvulusteppich wird spärlicher, und ein verworrenes Strauchwerk von Ricinus, Croton, Farnen und hohem Gras breitet sich unter ihnen aus. Hie und da ragen mächtige durch ihre knorrigen Zweige an unsere Eichen erinnernde Dilobäume mit steifen lorbeerähnlichen Blättern weit über alles Andere hervor. Häufig sieht man die Reste verlassener Baumwollenpflanzungen mitten zwischen Gestrüpp und im ungleichen, hoffnungslosen Kampf mit diesem. Solcher Art ist auch der Charakter unseres stillen Thales von Gavatina.

Einen Büchsenschuss vom Strande entfernt rücken die Berge zu einer schmalen Schlucht zusammen, durch welche ein murmelndes Bächlein herabsteigt. Am Fusse der Berge beginnt der Busch. Schmale und steile Pfade winden sich in ihm aufwärts, von den Eingeborenen ausgetreten, welche dort oben Holz, Lichtnüsse und Zitronen holen oder in ausgebrannten Rodungen Bergtaro bauen. Oft hören diese Pfade plötzlich auf, und will man dann noch weiter im Dickicht dringen, so stemmen sich Hindernisse entgegen, deren Grossartigkeit aller Beschreibung spottet.

Gleich der erste Ausflug, den ich mit meinem Gastfreund und dessen Burschen Niketi unternahm, gab mir einen Begriff von den Schwierigkeiten des Naturforschens in tropischer Vegetation.

Mit Flinten und Schiessbedarf, Schachteln und Gläsern, Pflanzenpapier und Baumwolle ausgerüstet, alle Taschen dick bepackt, kletterten wir durch einen halbvertrockneten Wasserlauf voller Felsblöcke die jungfräulichen Urwaldgründe hinauf, der kleine nackte Niketi gewandt voran, obgleich er der Schwerstbeladene von uns dreien war und bei dem Mangel an Taschen in der einen Hand eine Blechbüchse mit Gypspulver zum Bestreuen der blutenden Wunden geschossener Vögel, in der anderen eine Spiritusflasche zu tragen, überdies einen für ihn viel zu grossen Ranzen umgehängt und später auch noch den ebenfalls viel zu grossen Filzhut seines Herrn, der diesem lästig wurde, auf den Kopf gestülpt hatte.

Je höher wir kamen, desto enger drängte sich das Gewirr der Bäume, Sträucher und Lianen über uns zusammen. Dunkelrothe Papageien flogen, ein langweiliges Giek gak ausstossend und ihren Schwanz breit entfaltend, über uns hin. Aber um diese gemeinen Vögel war es uns heute nicht zu thun. Herr Kleinschmidt wollte eine kleine niedliche hellgrüne Taubenart mit gelben Köpfen schiessen, die nur ganz oben zu finden ist. Noch eine gute Strecke aufwärts war zu überwinden, und wir sahen uns plötzlich mitten im pfadlosen Dickicht. Mein Freund war schon öfter diesen Weg gekommen, aber keine Spur seiner früheren Bahnen liess sich entdecken.

Durch das Laub war gerade noch die Richtung der Sonne zu errathen. Baumstämme jeden Kalibers, Felsblöcke und mannstiefe Löcher, Alles überwuchert von hundert verschiedenen Pflanzen, bildeten den Boden. In allen Richtungen kreuzten sich die Lianen, legten sich bei jedem Schritt vorwärts um Arme und Beine, um die Brust und den Hals und quer über die Nase. Jede einzelne fordert einen eigenen Messerschnitt. Hat man auf diese Weise den Oberkörper sich frei gemacht, kostet es immer noch Anstrengung, den Fuss sammt dem Stiefel aus zahlreichen Schlingen herauszuziehen und vorwärtszusetzen. Harte Felsen sind unter dem ungleichen Boden verborgen und schmerzen heftig den Fuss, wenn man allzu dreist auftritt. Jetzt kommt ein gefallener mächtiger Baumstamm zu überwinden. Man krallt sich hinauf, die morsche Rinde bricht, und man plumpst in den Mulm des hohlen Innern hinab, in dem es von fingerlangen Engerlingen wimmelt. Man hält sich an die Schmarotzerbekleidung eines noch stehenden Baumes, um sich emporzuziehen, die ganze Säule fällt um. Denn der Baum selbst existirt schon lange nicht mehr, nur die Lianen, die ihn umstrickten, haben seine dicht mit parasitären Pflanzen überzogene Rinde bisher gehalten. Gar viele andere todte Stämme sind noch vorhanden und stehen noch, bis sie eines schönen Tages der geringste Anstoss umwirft. Nicht selten hörte ich des Nachts, wenn ich unten in meinem Zelte schlaflos lag, das prasselnde Fallen einer derartigen Leiche oben im Busch durch das Rauschen des Windes.

Unter solchen Mühseligkeiten waren wir endlich dem Gipfel näher gekommen, von wo geheimnissvoll verheissende Flötentöne uns entgegenlockten. Herr Kleinschmidt kennt jedes Vogels Stimme und Gesang im Busch von Viti, er pfeift sie zu Hause sich wieder vor und setzt sie auf Noten, um sie sammt den Bälgen und Eiern der Sänger an sein Museum zu schicken. Es gelang uns mehrere Vögel zu schiessen, doch nicht alle kamen in unseren Besitz. Man sieht die Beute fallen, aber sie bleibt nur zu oft unerreichbar hängen oder fällt in ein Dickicht wo sie selbst der gewandte Niketi nicht findet. Viele Schoten und andere Früchte habe ich aufgelesen, von denen es mir nicht möglich war, die sie liefernden Pflanzen zu eruiren, da sie hundert verschiedenen angehören konnten.

Von aussen, unten am Ufer betrachtet, sah der Busch entschieden viel schöner aus, als im Inneren, dessen Gewirre zwar imponiren musste, aber auch so dicht war, dass man vor lauter Vegetation nichts zu sehen und zu bewundern vermochte. So kam zum Beispiel ein riesiger Banyanenbaum mit all seinen sekundären Stämmen und Säulenhallen, der freistehend einen kolossalen Eindruck gemacht haben würde, durchaus nicht zur Geltung, da man ihn nicht überschauen, sondern immer nur jenen kleinsten Theil, der gerade nicht von dem anderen Pflanzengesindel verdeckt wurde, sehen konnte. Die meisten Bäume hatten steife glänzende Blätter ähnlich unserem Ficus. Von Blüthen war wenig zu sehen. Es war gerade nicht die günstigste Zeit dazu.

Ausser dem fast niemals schweigenden unmelodischen »Giek gak, Giek gak« der gemeinen dunkelrothen Papageien ist noch eine andere Vogelstimme charakteristisch für den Busch von Viti. Es giebt eine grosse Taubenart hier, welche bellt wie ein Hund, und ihr rauhes »Hu hu, Hu hu hu« hat sogar einen bedeutenden Gelehrten verführt, von wilden Hunden zu sprechen, die sich in den Bergen herumtreiben. Eigentliche Sänger des Waldes besitzt Viti nicht. Man hört wohl hie und da ein langgedehntes flötendes Pfeifen, welches die niedliche gelbköpfige Taube ausstösst, oder es piepst ein Fächerschwänzchen im Gebüsch, ärgerlich über unser Nahen mit gespreizten Flügeln hin- und herflatternd, als ob es uns verjagen wollte. Aber Melodien zu singen haben alle diese Vögel nie gelernt.

Viel sympathischer waren mir die zahllosen kleinen Eremitenkrebse, denen ich nicht selten hoch oben im Busch begegnete. Dass diese Kiementhiere in der schattigen, feuchten Atmosphäre der tropischen Vegetation sich gerne ergehen, ist weniger überraschend, als dass sie auch in der Sonnenhitze des Strandes herumzubummeln vermögen. Sie müssen eine starke Fähigkeit, sich den heterogensten Umgebungen anzupassen, besitzen. Sie wählten vorzugsweise die schweren Gehäuse der Neritinen zur Bekleidung ihres weichen Hinterleibs, und bedächtig und sicher steigen sie mit dieser erheblichen Last über alle Hemmnisse. Vorsichtig ducken sie sich oder lassen sich von Erhöhungen herabfallen, wenn sie uns bemerken, und legt man sich nieder um zu lauschen, so knistert es von ihnen überall unter dem Laube. Ihre Bewegungen und ihr Thun macht den Eindruck grosser Intelligenz. Wo sie nur etwas Essbares finden, prüfen sie es erst genau von jeder Seite, dann packen sie zu mit der einen verlängerten Scheere und führen Bissen um Bissen zum Munde. Ganz besonders beliebt sind ihnen wie allen Thieren die Kokosnüsse.

Ausser diesen Eremitenkrebsen, welche dem Meeresufer angehören, findet man etwas seltener im Busch einen echten Landeremitenkrebs, der sich das leichtere Gehäuse des Bulimus Seemanni als Wohnung erkoren hat. Er ist viel behender als jene, und schnell humpelt er unter einen Felsen oder einen Baumstamm, wenn man ihn überrascht.

Einmal führte mich Herr Kleinschmidt an einen Platz im Busch, wo eben ein grosses Kanuu zugehauen wurde. Kandavu ist seit urdenklichen Zeiten berühmt wegen seines vortrefflich hierzu geeigneten Holzes. Viele Häuptlinge besitzen zwar europäische Böte, der gemeine und ärmere Mann nimmt indess immer noch mit dem Kanuu alten Styles vorlieb.

Die Bäume werden zu diesem Zweck hoch oben auf dem Berge gefällt, an Ort und Stelle ausgehöhlt und erst im fertigen Zustande nach dem Ufer hinabgeschleift, was bei den grossen Schwierigkeiten allein oft eine Arbeit mehrerer Wochen ist. Zum Bearbeiten des Holzes dienen jetzt europäische eiserne Beile, die jedoch noch immer in der alten Weise, wie ehemals die Steinäxte, an den Stiel befestigt werden, die Schneide nicht wie bei uns parallel, sondern quer zum Griffe. Als Stiel wird ein junger Baumstamm verwendet, aus welchem spitzwinkelig ein starker Ast hervorwächst. Dieser letztere bildet den Griff, an den hakenförmig zugeschnitzten Stammtheil wird das Beil platt mit der Fläche daraufgelegt, durch Stricke aufs solideste festgebunden.

Bei jenem Kanuubau, den ich beobachtete, war der Baum so gefallen, dass er nur an zwei Punkten den unebenen Boden voll dichter Vegetation und Wurzeln berührte. Nachdem eine Reihe Querbalken untergeschoben war, hatte man diese zwei Stellen abgegraben, so dass der Baum vollständig frei über der Erde schwebte. Die obere Seite wurde zum Kiel zugeschärft, die untere ausgehöhlt, wozu die Zimmerleute sich unter dem Baum auf den Rücken legten.

Ein solch schmaler Kahn aus einem einzigen Baum wäre nun ein sehr schwankes Fahrzeug und kaum tauglich zum Segeln, wenn das labile Gleichgewicht nicht durch eine sinnreiche Vorrichtung unterstützt würde. Es wird nämlich – und diess ist charakteristisch für alle polynesichen Fahrzeuge – ein sogenannter Ausleger »Kama«, ein zweites Kanuu, nur viel kleiner und meist sogar nur aus einem vorn und hinten zugespitzten und mit Kiel versehenen Baumstamm bestehend, zwei bis drei Meter entfernt durch Querstangen neben und parallel dem ersten Kanuu befestigt. Das Fahrzeug wird auf diese Weise breiter und sicherer, ohne durch allzu grossen Körper an Leichtigkeit einzubüssen. Die verbindenden Holzgerüste aus dünnem Lattenwerk, die bei den Vitis nicht gerade zwischen beiden Kanuus von Bord zu Bord gehen, sondern beiderseits erhöht auf gekreuzten Pfosten ruhen, erscheinen sehr gebrechlich und geben dem Ganzen ein spinnenartiges Aussehen.

Diese polynesischen Kanuus segeln sehr schnell. Manche Reisende sprechen von zwanzig und mehr Seemeilen per Stunde, was jedoch zweifellos Uebertreibung ist. Wenn sie gegen den Wind aufkreuzen, muss der Ausleger immer auf der Windseite bleiben. Aus diesem Grund können sie nicht auf unsere Weise wenden, also entweder »über Stag gehen« oder »halsen«, wobei einmal die rechte, das anderemal die linke Seite des Bootes zur Windseite wird. Sie müssen einfach umkehren, rückwärtsgehen, das Vordertheil muss Hintertheil, das Hintertheil Vordertheil werden. Hiebei wird der Mast, der unten wie in einem Scharnier beweglich ist, schräg nach dem jeweiligen Vordertheil geneigt, und das dreieckige lateinische Mattensegel fliegt herum, indem man den Hals desselben nach der entgegengesetzten Seite bringt.

Ein nicht minder reiches Leben wie im Busch, wenn auch gänzlich verschiedenartig, tummelte sich an der anderen Seite unseres Thales, draussen über den Riffen herum.

Keine hundert Schritt vom Ufer, in gleicher Flucht mit der sanften kaum merklichen Böschung des angeschwemmten Sandes und ohne scharfe Grenze, begannen die nackten Korallenbänke, durch das süsse Wasser unseres Bächleins, welches eine tiefe Schlucht einschnitt, in zwei Hauptmassen geschieden, da ja die Korallenthiere nur in der unverdünnten Salzfluth zu gedeihen und zu bauen vermögen.

Vielfach zerklüftet an der Oberfläche, in einzelnen Blöcken über das Niveau der Ebbe hervorragend, durchzogen von geräumigen Höhlen und Löchern, tritt diese interessante Zone, welche eigentlich nur eine Fortsetzung des festen Landes bildet, in die See vor. Nach einer durchschnittlichen Breite von zweihundert Schritt fällt sie steil zur dunklen Tiefe hinab, aus welcher dann noch weiter draussen einige isolirte, gewöhnlich kreisrunde Riffe mit höherer Umwallung und niedrigerem Zentrum, Miniaturatolle, emporsteigen. In der Nähe des Ufers, wo beständig Sand und Geröll und Schlick hin und her gespült wird, ist das animalische Gestein längst todt und verräth nur an einzelnen Stellen durch die Korallenstruktur seinen Ursprung. Erst in grösserer Entfernung vom Schmutz des Landes hausen und bauen die lebenden Generationen. Zur Zeit der Ebbe, welche hier im Stillen Ozean nicht mehr als etwa ein Meter vom Hochwasserstand differirt, konnte ich oft bis fast zum äussersten Absturz des Riffes hinauswaten, und mit einer eisernen Stange die schönsten Korallenbäumchen losbrechen. Die mannigfaltigsten Formen waren vertreten. Leider gelang es mir nie, die Blüthenthiere selbst entfaltet zu sehen. Dass in den einzelnen Kelchen noch lebende Thiere sassen, war unverkennbar, aber sie hatten sich zu gestaltlosen Klumpen von den prachtvollsten hellgrünen, purpurnen und azurblauen Farben zusammen- und zurückgezogen. Wenn ich sie auch sofort ins Aquarium verpflanzte und dessen Wasser fast stündlich erneuerte, sie blieben eigensinnig unsichtbar, zu meiner schmerzlichen Enttäuschung, während doch ihre Verwandten in unserer Nordsee, die Sertularien, mir ihren vollen Anblick niemals missgönnt hatten.

Für diese Sprödigkeit entschädigte übrigens reichlich die ungeahnte Fülle von allen möglichen Meeresbewohnern, denen die von den stillen Baumeistern der Tiefe geschaffenen Schlupfwinkel als geschützter Aufenthalt dienten. Eine Menge kleiner Fische, in den verschiedensten Farben des Spektrums schillernd, merkwürdig intensiv blaue Seesterne, eine Unzahl von Seeigeln und Holothurien, von Würmern und Schnecken, die meisten prachtvoll und glänzend, trieb sich dort in den Löchern und Tümpeln herum. Gelb und schwarz geringelte Wasserschlangen schlängelten sich über den Boden, hinter Steinen verborgen sassen schlüpfrige Aale, nur mit dem Kopf scheu hervorguckend, fuhren blitzschnell zurück, wenn man sich nahte, und bissen wüthend die Hand, wenn man sie griff. Es war überhaupt nicht ungefährlich, mit der Hand unter die Steine zu langen. Da lauerten oft Seeigel mit so feinen und zarten Stacheln, dass sie an der Spitze abbrachen und in der Haut stecken blieben, kaum sichtbar, aber genügend um Geschwüre zu erzeugen, oder es spreizten Skorpänen ihre scharfen Flossenstrahlen und konnten sehr schmerzhafte Verletzungen beibringen.

Am interessantesten waren mir zwei Mollusken durch ihre ausgezeichnete Lebhaftigkeit, eine handgrosse Nacktschnecke, Doris, und eine wallnussgrosse Muschel, Lima. War die Doris, wenn sie mit ihrem rosenfarbenen Körper in eleganter vertikal gerichteter Wellenbewegung das Aquarium durchmass, schon auffallend genug, so wirkte die Behendigkeit der Lima, einer Vertreterin jener Thierklasse, an die wir gewöhnlich den Begriff des Langsamen und Unbehülflichen knüpfen, noch überraschender. Auf den ersten Blick hatte die Lima wenig Aehnlichkeit mit einer gewöhnlichen Muschel. Ueber die beiden Schalen, welche vorn und hinten bedeutend klaffen, ragt der Mantelsaum hervor und trägt mehrere Reihen purpurroth quergeringelter Fransen, deren längste länger sind als das Thier selbst und dieses vollständig einhüllen können, so dass man nichts sieht als einen Knäuel flotirender und sich krümmender wurmartiger Gebilde. Leicht reissen einzelne ab und bewegen sich dann auf eigene Faust noch lange weiter.

Plötzlich geräth Leben in das unerklärliche Wesen. Es erhebt sich vom Grunde und schwimmt ruckweise rings an den Wänden des Glasgefässes hin. Jetzt werden die beiden Schalen sichtbar, und deutlich beobachten wir, wie das Thier durch abwechselndes Oeffnen und Schliessen derselben sich vorwärts stösst, während der Fransenknäuel wie eine feurige Garbe nachschleppt. Nun setzt es sich wieder, und gerade so günstig, dass wir in das klaffende Innere sehen können. Wir sehen die braunen Kiemen, und zwischen ihnen streckt sich der schmale Fuss vor und tastet auf dem Boden herum, einem Blutegel vergleichbar. Der Fuss saugt sich fest mit seinem vorderen Ende, und durch eine rasche Kontraktion zieht er das ganze Thier hinter sich nach. Mehrmals wiederholt sich dieses Manöver. Die Muschel marschirt vorwärts wie eine Raupe.

Von unserer europäischen Lima weiss man, dass sie ein Nest für sich baut und darin den grössten Theil ihres Daseins in beschaulicher Ruhe zubringt. Auf dem Riff von Gavatina habe ich niemals Nester, wohl aber ziemlich häufig das freie Thier im Wasser sich tummelnd gefunden.

Zur Zeit der Ebbe blieben wir selten allein auf den Korallenbänken. Eingeborene schlossen sich uns an, um Fische zu fangen, und so weit wir die Küste überschauen konnten, war sie belebt von Menschen, die unter fröhlichem Geschrei sich dieser Beschäftigung hingaben, die wenigen Reiher, welche gleichfalls zu fischen kamen, nach den äussersten Aussenriffen verscheuchend.

Auch bei Nacht herrschte dann ein reges Treiben dort. Allenthalben bewegten sich brennende Fackeln hin und her, und Bambusgeklapper und laute Stimmen weckten das Echo der finsteren Waldberge. Es schien mir als ob diese lärmende Lustbarkeit grossentheils dazu dienen sollte, Muth einzuflössen, da sich die Insulaner in der Dunkelheit vor allerhand bösen Geistern fürchten.

Die von der Ebbe in den Tümpeln zwischen den Riffen zurückgelassenen Fische wurden mittels kleiner viereckiger Netze gefangen, indem man dieselben auf den Boden der Tümpel legte, die Fische darüberjagte und mit einem schnellen Ruck aufs Trockene warf. Auch bedient man sich zur Betäubung der Fische einer Eugenia-Art, und man sah alte Strünke davon überall auf den Riffen herumgestreut. Wenn eine Gesellschaft junger Männer am Strand entlang zog, waren sie gewöhnlich mit zugespitzten hölzernen Wurflanzen bewaffnet, mit denen sie auf Fische im seichten Wasser zu werfen pflegten. Ich habe aber nie gesehen dass einer einen Fisch getroffen hätte.

Es gab massenhaft Holothurien rings um die Insel, mindestens zehn Arten waren überall gemein. Indess schienen diese Thiere, die anderwärts in der Südsee als Trepang für den chinesischen Markt getrocknet eine so grosse Rolle spielen, hier von den Eingeborenen kaum beachtet zu werden. Am häufigsten war eine grosse armsdicke und vorderarmslange schwarze Seegurke, die zu einer prallen und harten Wurst zusammengezogen überall herumlag. Ihr Gegentheil in Bezug auf Konsistenz bildete eine Synapta, die den Eindruck einer leeren nur mit wässerigem Schleim gefüllten Wursthaut machte.

Auf unseren Riffexpeditionen trafen wir gewöhnlich mit einem hübschen schlankgewachsenen Mädchen zusammen, welches ganz ausgezeichnet schöne Beine besass. Diese Beine wirkten ästhetisch befriedigend namentlich dadurch, dass sie aus einem kurzen Blättergürtel hervorwuchsen, welcher die einzige Bekleidung des hübschen Mädchens war. In der einen Hand ein schmales Netz aus Kokosnussfasern, an der anderen ihren kleinen Bruder, der einherlief so wie ihn Gott erschaffen hatte, bot sie das malenswertheste Modell einer reizenden Wildin.

Einigemal als ich Nachts in Folge von Kawa-Genuss nicht schlafen konnte, nahm ich die Jolle und fuhr hinaus, um das Meerleuchten zu beobachten. Ich konnte aber nie etwas nennenswerth Prächtiges entdecken. Das Wasser war stets zu unruhig um deutlich in die Tiefen zu sehen und der Sternenhimmel zu hell um die bescheidenen phosphoreszirenden Blitze, die wahrscheinlich von Fischen erregt unten hin und her zuckten, nicht zu beeinträchtigen. Ich sah nicht mehr als in jedem Salzwasser und viel weniger als in der Nordsee gewöhnlich am Strande zu sehen ist. Von Korallen sah ich niemals ein Leuchten ausgehen.

Wie bereits erwähnt, springen links und rechts von Gavatina steile Bergrücken in die See vor, und hinter diesen folgen zwei andere Thäler mit Palmenhainen. In dem Thale rechts liegt das Dorf des alten Oberhäuptlings, Sanima, in dem Thale links wohnte ein Engländer, Doktor Hink mit seiner Familie.

Um dem alten Tui meinen Gegenbesuch abzustatten, ging ich an einem der ersten Tage nach Sanima. Der Weg dorthin führt um eine scharfe Ecke der vielgebuchteten Insel dem Ufer des Meeres entlang, das hier zu Lande überhaupt die vorzüglichste Verkehrsstrasse bildet. Bald ist es weicher, hässlich nachgiebiger Sand, bald das Wurzelwerk stinkender Mangrovesümpfe, bald sind es lose gehäufte Felsblöcke, über die sie dahinführt, und es ist schwer zu sagen, welche der drei Arten die beschwerlichste und ermüdendste ist. Pferde oder Wagen giebt es nicht auf Kandavu, sie wären auch zu nichts zu gebrauchen. Zwischen Gavatina und Sanima herrscht grösstentheils die Felsblockkonstruktion. Rechts baut sich der herrliche Wald in die Höhe, hellgrüne Farne und dunkelglänzendes Buschwerk hängt an den Felsenkanten herab, links brandet draussen die blaue See in blitzenden Linien. Aber von all diesen Schönheiten ist im Gehen nichts zu geniessen. Denn die Blöcke sind glatt und schlüpfrig, und eine Menge Fliegen umschwirren zudringlich den Wanderer.

Nach einer halben Stunde tritt der Berg zurück, statt der mühseligen Blöcke knirscht weicher Korallensand unter den Füssen. Palmen wogen durch ein freundliches Thal, wir sind in Sanima.

Einige kleine Nacktfrösche laufen erschrocken davon und schreien »Papalang, Papalang«. Ihnen schliesst sich eine Schaar lustiger Ferkel an und rennt wo möglich noch flinker ins Dorf hinein, aufgeregt die Ringelschwänzchen im Kreise drehend. Ein Köter fängt an zu knurren, zieht aber sogleich feige den Schweif ein und retirirt, sowie wir uns nähern. Der Weisse scheint für sie alle eine gleich unheimliche Erscheinung zu sein.

Diese Vitihunde, die wahrscheinlich zugleich mit den Insulanern eingewandert sind, weichen in ihrem Typus auffallend von ihren europäischen Brüdern ab. Sie gleichen in der Grösse unserem Spitz, haben aber glatte Haare. Ihr Gesicht trägt den Ausdruck der Niederträchtigkeit und Falschheit, und die aufgestülpte Spürnase verleiht ihnen etwas Hyänenartiges.

Die struppigen Hütten des Dorfes sind weit auseinander gebaut und ziehen sich eine gute Strecke dem Ufer parallel im Schatten des Palmenhaines hin. Hie und da stehen kleine Papaya-Gärten angepflanzt. Ein Bach durchschneidet das Thal, grosse Pandaneen ragen aus seiner Schlucht hervor. Der Boden ist festgestampft und ohne Bewachsung. Kleine Eremitenkrebse schleppen auch hier ihre schweren Gehäuse herum.

Sanima ist, obgleich die Residenz des obersten Häuptlings der Insel, keine vornehme Ortschaft. Dies sagt schon der Lärm der Tapaklöppel, welcher überall aus den Hütten dringt. Früher duldeten hohe Aristokraten solche plebeische geräuschvolle Arbeit nirgends in ihrer Umgebung. Sowie ich mich nähere und der Ruf »Papalang« mir vorauseilt, verstummt das Klopfen, und zu allen Thüren strecken neugierige Weiber ihre Köpfe heraus und winkten mir freundlich grinsend, einzutreten. Die Vitis winken nicht, wie wir, mit dem Rücken der Hand, sondern mit dem Handteller nach unten, wie überhaupt die meisten Völker. Schon bei den Süditalienern beginnt diese für uns fremdartige Geberde, die mich im Anfang glauben machte, man wolle mich hinwegweisen. Der Sinn und der Ursprung beider Arten ist schliesslich der gleiche, nämlich die Absicht, einen begehrten Gegenstand zu fassen und heranzuziehen.

Ich ging erst durchs ganze Dorf um mich zu orientiren und fand dann einen so schönen schattigen Pfad, durch den ein kühlender Zephyr von der See hereinwehte, dass ich meinen Spaziergang noch weiter ausdehnte. Unter hohen Dilobäumen standen regelmässig geordnet Bananas und Papayas angepflanzt, und in der Mitte dieses anmuthigen Haines entdeckte ich den kleinen Friedhof von Sanima. Einfache längliche Grabhügel ohne Kreuz oder Denkstein, eingefasst von Korallenbruchstücken und Muscheln, liegen in drei oder vier Reihen neben einander. Hecken von rothblätterigen Cordyline-Bäumchen, die hier zu Lande die Stelle unserer Trauerweide vertreten, was übrigens die Eingeborenen nicht hindert, sich der Blätter auch zum freudigen Schmuck zu bedienen und sie um die Schläfen, Lenden und Waden zu binden, umgeben die Stätte. Durch eine Lücke im dichten Gebüsch blickt die blaue See herein, und schüchtern sendet von oben die Sonne einige zitternde Strahlen herab.

In der Ferne hörte ich abermals Tapa klopfen, und bald darauf kam ich an zwei einzelne Hütten, in denen ein Dutzend Weiber emsig der Tuchbereitung sich hingaben. Ich setzte mich zu ihnen und bat sie, sich nicht stören zu lassen, da ich mich für ihre Arbeit interessirte. Aber sie verstanden aus meiner Mimik nicht was ich wollte, und lachten laut bei jedem Versuche mich ihnen begreiflich zu machen.

Die Bereitung der Tapa, des einheimischen Tuches, wird auf Kandavu von den Weibern noch immer mit grossem Fleisse betrieben, trotz der Einfuhr und der Beliebtheit der europäischen Baumwollenzeuge. Ich weiss nicht, wie es sich hiermit auf den anderen Inseln verhält, und ob nicht vielleicht dieser alte Industriezweig seine Aufrechterhaltung auf Kandavu nur den amerikanischen Dampfern verdankt, die alle Monate zweimal hier anlegen und eine Masse Passagiere aus Australien, Neuseeland und San Francisco bringen, welche gern ein Stück Tapa als Andenken kaufen und theuer bezahlen. Um Tapa zu machen, wird der Bast des Papiermaulbeerbaums, einer Broussonetia, in Streifen von den Stämmen geschält, mit viereckigen Klöppeln aus hartem und schwerem Holz in die Breite und Länge geklopft und mehrere Streifen zu beliebigen Grössen zusammengefilzt durch immerwährendes Klopfen, wobei der eigene Saft des Fasergewebes bindend zu wirken scheint. Dieser schöne Stoff wird theils weiss, theils gefärbt verwendet. Schon seit urdenklichen Zeiten kennen die Insulanerinnen das Verfahren des Zeugdrucks. Sie bedienen sich theils geschnitzter theils geflochtener Matritzen, um die Tapa mit stylvollen Mustern meist von rothbrauner Farbe zu zieren. Der taktmässige Lärm der Tapaklöppel ist für ein Vitidorf eben so charakteristisch und stimmungsvoll wie bei uns auf den Dörfern im Herbste das Dreschen. Schon von weitem hört man daran im Busch, dass man sich einem Dorfe nähert.

An einem mit hohem Gras bewachsenen Hügel fand ich die leere Wohnstätte eines Weissen. Unten standen zwei grosse europäische Fahrzeuge auf Helgen, eines davon noch im Bau. Der Platz gehörte jenem Schiffszimmermann, der eben mit seinem ganzen Kindersegen in Wailevu wohnte und arbeitete. Hier sah ich zum ersten mal die auf Kandavu überall in den brackigen Tümpeln des Ufersaumes vorkommenden Springfische. Diese fingerlangen Geschöpfe vermögen sich mittels ihrer starken Brustflossen hüpfend über die Sandbänke fortzubewegen und so von einem Tümpel in den anderen zu entweichen.

Den Schluss meines Weges bildete ein stinkender Mangrovesumpf, an dem ich umkehrte. Weit draussen segelte ein Vitikanuu vorbei, und Gesang und Getrommel tönte fröhlich wie immer zu mir herüber.

Als ich, verfolgt in respektvoller Entfernung von einer halb scheuen, halb muthwilligen Kinderschaar, den alten Tui aufsuchte, sass er gerade vor seiner ärmlichen Hütte und schnitzelte mit einem funkelnagelneuen Messer, das er erst kürzlich von meinem Gastfreund erhalten, an einem Stück Holz herum, welches sich zu einem Wasserschöpfer für sein Boot gestaltete. Er besass nämlich ein europäisches Boot und war sehr stolz darauf. Er schüttelte mir kräftig die Hand und lud mich ein, neben ihm niederzusitzen. Auch seine Frau kam heraus und begrüsste mich. Eine Konversation wollte jedoch nicht recht gelingen, und so nahm ich denn wieder Abschied, nachdem ich seinen Kutter, der sorgfältig mit einem Theertuch gegen die Sonne geschützt in einem eigenen Hafen lag, bewundert hatte.

Auf den Geröllblöcken kurz vor Gavatina begegneten mir sechs Mädchen aus Wailevu, welche mit schneeweissen Sulus und theils scharlach- theils purpurrothen Pinafores angethan und mit frischen Blätterguirlanden um den Kopf und den Hals und den Gürtel geschmückt, nach Sanima marschirten, um bei Freundinnen vorzusprechen. Sie hatten offenbar die Absicht, in dem weitabgelegenen bescheidenen Sanima, wohin solch gleissende Kleiderpracht und so viel Bekleidung überhaupt noch nicht gedrungen war, als Grossstädterinnen zu imponiren.

Am folgenden Tag ging ich zu Doktor Hink, unserm weissen und nächsten Nachbarn zur Linken.

Doktor Hink war ehemals Arzt in Melbourne und ein reicher Mann gewesen. Durch Spekulation hatte er sein Vermögen verloren und war nach Viti übergesiedelt, um hier Baumwollenpflanzer zu werden. Nach einer kurzen Blüthezeit der Baumwolle auf Viti während des Amerikanischen Bürgerkrieges folgte der Umschlag, machte die ganze Kolonie bankerott, und Doktor Hink war wieder so arm wie zuvor. Jetzt lebte er auf seinem Grundstück, von dem man nicht genau wusste, ob es ihm auch noch gehöre – Besitztitel in so primitiven Ländern sind ja selten unanfechtbar – ohne einen Pfennig in der Tasche zu haben wie so viele Andere. Um ihn herum wuchs eine Menge von Kokosnüssen, Taro und Yams, so dass er eigentlich nie zu hungern brauchte. Auch hatte er etliche Schweine, die sich ohne sein Zuthun vermehrten. Wollte er Geflügel haben, so ging er mit seinem alten Militärgewehr in den Busch, um Papageien zu schiessen, und gelüstete ihn nach Brandy, so kam er zu uns herüber und klagte jämmerlich über Magenschmerzen, worauf in der Regel Herr Kleinschmidt gutherzig genug war, ihm einen Schluck der Universalmedizin zu gewähren.

Man erzählte von dem Doktor, dass seine Vergangenheit keine ganz ungetrübte sei, dass er zu Melbourne den Schnaps nicht blos heimlich geliebt, sondern auch heimlich in grösseren Quantitäten fabrizirt habe, weshalb er sich eines Tages genöthigt sah, nach dem damals noch nicht unter britischer Flagge stehenden Viti zu entweichen. Beweise hierfür waren natürlich nicht beizubringen. Nur Eines musste ich dem Kollegen verübeln, nämlich dass er im Anfang, als er noch nicht recht wusste, zu welchem Zweck ich auf Kandavu weilte, mich zu beschwindeln versuchte, mit ihm ein Kompagniegeschäft zur massenhaften Erzeugung von Kopra zu entriren, wobei ich das Geld, er aber sein zweifelhaftes Besitzthum hergeben sollte. Unter Kopra versteht man das in Streifen geschnittene und an der Sonne gedörrte Fleisch der Kokosnüsse, welches direkt nach Europa verschifft wird, um zur Kokosöl- und Kokosseifenbereitung zu dienen.

Naikorokoro ist der Vitinamen des Thales, in dem der Doktor lebte. Er nannte es indess Tokalau, vielleicht zu Ehren der Eingeborenen der nördlich von Viti gelegenen Gruppe dieses Namens, welche einst als Kulis für ihn hier gearbeitet hatten. Seine Wohnstätte war ein geräumiges luftiges Haus aus Palmblättern im Vitistyl und stand sehr malerisch, umgeben und beschattet von Palmen, Bananas und Papayas, auf einem kleinen Hügel, der eine hübsche Rundschau beherrschte. Gerade im Norden lag Benga, die nächste Insel, und dahinter die blauen Kontouren von Vitilevu und Vanualevu und vielen anderen, aber blos bei hellem Wetter deutlich erkennbar. Rechts trat das unbewohnte Ono hervor, welches, nur getrennt durch eine schmale Untiefe, das östliche Ende Kandavus bildet.

Das Innere sah im Vergleich zu unseren beschränkten Verhältnissen von Gavatina sehr komfortabel aus. Europäische Möbel und elegante messingene Kleiderhaken bildeten einen anmuthigen Kontrast zu den rohen Baumstämmen und Palmstrohwänden, zu dem nackten Erdboden und den Thüröffnungen ohne Thüren. Es musste sich hier sehr idyllisch leben. Doktor Hink dachte darüber freilich anders und wünschte Viti und die ganze Romantik seines Daseins zu allen Teufeln und sich selbst nach Old England zurück. Doch behauptete er noch nicht alle Hoffnung aufgegeben zu haben und schwärmte warm für die Kopra.

So oft ich zu ihm kam, liess er für sich und für mich Kawa von seinen Jungen kauen. Sonst hatte er ja nichts, was er mir vorsetzen konnte. Sein Thal war nicht uninteressant. Ueberall wuchsen noch Baumwollestauden und trugen Blüthen und Früchte zugleich, aber kein Mensch kümmerte sich mehr um sie, und die zahlreichen grossen grünblau schillernden Wanzen die sich auf ihnen herumtrieben, blieben ungestört. Zwei alte Baumwollehandmühlen lagen in Trümmern und moderten, traurige Reste einer besseren Zeit.

Halbumgeben von einem rauschenden Bambusgeröhricht lag hinter dem Hügel das Grab der Familie Hink. Zwei Kinder des Doktors und seine Mutter ruhten darin. Es war ebenso wie die Gräber der Viti-Insulaner aus Korallen aufgebaut und mit der rothen Cordyline bepflanzt.

Ich machte noch öfter Besuch in Sanima, und eines Sonntags liess ich mich nach dem Frühstück von Niketi in der Jolle dorthin rudern, um dem Gottesdienst beizuwohnen.

Heftige Regengüsse wechselten mit Sonnenschein, und ich wurde durch und durch nass. Parallel mit uns strebten Männer, Weiber und Kinder auf den Geröllblöcken des Ufers ebenfalls der Kirche von Sanima zu und hielten sich zum Schutz gegen den Regen grosse Taroblätter über die Köpfe. Ich sah jetzt zum ersten mal vom Wasser aus den schönen steilansteigenden Busch mit seinen Baumfarnen und Palmen und herausragenden Felszacken, in dem ich so oft herumgeklettert war.

»Sa yandre, sa yandre« tönte es mir freundlich entgegen, als ich landete, die Jolle aufs Trockene zog und durch das Dorf ging. In der Kirche war noch Niemand versammelt. Auf dem Tisch für den Prediger lagen ein paar leere Tassen und Teller und eine alte schmierige Sardinenbüchse mit einem angeschmolzenen Stearinkerzenstummel, vielleicht die Geräthe der gestrigen Abendmahlzeit des frommen Mannes. Ausser dem Tisch in der Mitte der einen Hälfte des länglichen Raumes stand in der Ecke rechts davon ein Schaukelstuhl, thronartig etwas erhöht, wahrscheinlich für den greisen Tui, und neben diesem ein aschebedeckter Feuerplatz. Angelschnüre und ein leinenes Segel hingen in einer anderen Ecke. Sonst war nichts innerhalb der kahlen Strohwände. Kein Schmuck verzierte die rohen Balken des Gerüstes. Der Boden war mit Matten und einer weichen Farnkrautpolsterung darunter belegt.

Diese Kirche sah im Vergleich mit anderen, die ich später noch traf, ziemlich armselig aus. Sie unterschied sich wenig von den gewöhnlichen Hütten der Dorfbewohner, nur vielleicht dadurch, dass sie sechs Thüren, je eine vorne und hinten, und zwei an jeder Seite besass.

In der Regel sind auf Kandavu die Kirchen höher und sorgfältiger gebaut und mit weissem Kalk beworfen, wodurch sie schon von Ferne dominirend entgegenglänzen, und die beiden für die Vitibauart charakteristischen konischen Enden der Giebelbäume, welche nach vorne und nach hinten aus der Firste ein Meter hervorragen, sind mit festgebundenen Muscheln, dem weissen Ovulum ovum verziert, oder es hängen Guirlanden dieser Muscheln an Stricken aufgereiht von den Enden herab. Guirlanden von Ovulum ovum waren früher das Wahrzeichen der Häuptlinge. Jetzt dienen sie dazu, die Hoheitsrechte der Kirche auszudrücken. Da es noch keine Glocken giebt, so dienen noch immer zwei kurze backtrogähnlich ausgehöhlte Baumstämme, »Lali« genannt, einer davon grösser und mit tieferem Ton, durch Klöppel an den Kanten angeschlagen, dazu die Gemeinde zum Gottesdienst zu versammeln. Solche Lalis fehlten auch in Sanima nicht.

Ich frug nach dem »Missonari«, und eine Schaar diensteifriger Jungen führte mich zu dem braunen Missionär des Ortes. Ich kannte diesen bereits von früher her, und er empfing mich sehr freundlich. Seine äussere Erscheinung hat nichts Besonderes und ist die aller alten Viti-Insulaner. Er zeigte mir mit Stolz seine dicke in der Vitisprache zu Levuka gedruckte Bibel, die er bereits zur Kirche gerüstet unter dem Arm trug, und eine Kalendertafel, gleichfalls viti, die an der Wand hing. Er bemühte sich, mit mir englisch zu sprechen. Es wurde mir aber nicht recht klar, was er mir sagen wollte. Gleichwohl liess ichs nicht merken. Denn er schien viel auf seine linguistische Begabung zu halten, und die anwesende Jugend blickte bewundernd zu ihm hinauf.

Draussen ertönten die Lalis, und wir gingen zum Gottesdienst. Der Tui sass bereits in seinem Schaukelstuhl. Er wollte ihn grossmüthig und weniger ehrgeizig, als ich erwartet hatte, an mich abtreten, was ich jedoch nicht annahm.

Ich setzte mich auf den Boden zu den alten Männern in der bevorzugten Abtheilung hinter dem Tisch des Missionärs, dem Chor so zu sagen. Uns gegenüber sass die Gemeinde auf dem Boden, rechts von uns die weiblichen, links die männlichen Individuen, alle in frischgewaschenen weissen oder bunten Sulus. Die Weiber trugen sämmtlich den obligaten Pinafore. Nur ein Mädchen, das wahrscheinlich keinen besass, erschien mit unbedeckten Brüsten und suchte sich verlegen hinter die anderen zu verstecken. Ebenso wie der Tui hatten der Missionär und die Alten wohlgeglättete europäische Hemden und darüber den langen Sulu an. Sie sahen viel reinlicher aus als ich, dessen Kleider die Spuren des Regens und des schmutzigen Bootes zeigten. Die »Marama«, die Frau des Tui, kam etwas zu spät und sank in der vordersten Reihe mit derselben ostentativen Frömmigkeit, die bei noblen Damen in Europa Mode ist, zur Erde, das Antlitz tief gebeugt, um sich zu sammeln. Wo sie das wohl gelernt haben mochte. Heute hatte sie ein Hemd und einen gestickten Unterrock an und nahm sich darin affenartig läppisch aus. An Werktagen trägt sie gewöhnlich nur den Sulu.

Der Missionär voran, warfen sich Alle nieder, nicht blos auf die Kniee, sondern auch auf die Ellbogen, und jener sprach sehr ausdrucksvoll und laut ein Gebet.

Die dunkle Gemeinde, die seltsame, demüthige Stellung, in der sie insgesammt auf dem Boden lag, die leidenschaftliche Stimme des Priesters und sein eindringliches, heftiges Flehen, die fremdartigen, sonoren und kraftvollen Laute, von denen ich nur wenige Worte verstehen konnte, bezauberten mich höchst eigenthümlich, wie ich so über die Menschen vor mir hinsah, und ich zuckte nervös zusammen, als ein Hund zur Thüre neben mir hereinschnupperte und mich anbellte.

Die Erwachsenen schienen äusserst andächtig mitzubeten. Nur die liebe Jugend trieb Allotria. Gedankenlos lagen die kleinen braunen Bengel auf dem Bauch, schlegelten mit den Füssen in der Luft herum, musterten sorgfältig die Beine ihrer Vorderleute und zupften sich gegenseitig die Krusten von den zahlreichen Hautabschürfungen. Ein Kirchendiener der zornig hinter ihnen herumschlich und sie mit einem dünnen Drahtstab unsanft in die Weichen stupfte, um sie zur Sittsamkeit zu ermuntern, hatte nur wenig Erfolg. Man kicherte über ihn, sein Drahtstöckchen kam nie zur Ruhe, und draussen vor der Thüre fing ein winziger Nacktfrosch an, auf die Lalis zu trommeln, schleunigst die Flucht ergreifend, als jener mit wüthender Geberde hinaustauchte.

Das Gebet war zu Ende. Der Missionär stand auf, und auch die Gemeinde erhob sich in sitzende Stellung und begann einen wohlklingenden Gesang. Dann folgte eine Predigt. Während des Gebetes kniete der altersschwache Tui vor seinem Schaukelthron, mit ausgestreckten Armen sich an beiden Lehnen festhaltend, wie ein richtiger Asthmatiker, um das mühsame Athmen zu erleichtern. Jetzt setzte er sich in den Sessel, leise schaukelnd, indem er zuhörte.

Von dem Inhalt der Predigt blieb mir das Meiste unverständlich. Aber der leidenschaftliche und doch würdevolle Vortrag des Missionärs, der sonore, tiefe Wohlklang seiner Stimme, die Kraft der vokalreichen, melodiösen Sprache, die mir immer lautete wie italienisch, erbaute mich mehr, als alle in der Muttersprache genossenen Kanzelreden meiner Schulzeit. »Singai« und immer wieder »Singai« (nein) war der öfter wiederkehrende Schluss der Absätze einer längeren Periode, und »Duranga ni Papalang, Duranga ni Tonga, Duranga ni Viti« (der Herr Europa's, der Herr Tonga's, der Herr Viti's – diese drei Länder umfassen die ganze Geographie der Eingeborenen) waren ein paar andere der wenigen Worte, die ich verstand.

Als die Kirche aus war, musste ich noch mit dem Tui, seiner Frau und seiner hübschen Tochter in ihre Hütte treten, die zwar für einen so hohen Fürsten ziemlich eng und düster schien, aber einen grossartigen Moskitovorhang aus buntem europäischem Stoff besass. Da bei dem Mangel eines Interpreten auch diesmal die Konversation nicht recht gedeihen wollte, blieb ich nicht lange. Draussen lauerte bereits ein anderer meiner Freunde auf mich, bei dem ich ebenfalls eintreten musste. Dieser Freund war früher einige Jahre in Levuka gewesen und besass von dort her sein photographisches Konterfei in europäischer Kleidung, und nicht eher durfte ichs aus der Hand legen, als bis ich ihm und seiner Familie meine Bewunderung, was für ein nobler Herr er einstmals gewesen, durch die Geberdensprache verdeutlicht hatte. Er kredenzte mir, in ein Bananenblatt gewickelt, ein Stück langfaserigen gekochten Schildkrötenfleisches, dann gab ich ihm eine Zigarre und liess mir selbst eine von dem Burschen, der nächst dem Feuer hockte, anzünden. Bis sie wieder zu mir kam, ging sie durch drei oder vier Munde, indem jeder, der sie weiterreichte, erst einige Züge daraus für sich in Anspruch nahm.

Der Gottesdienst hatte einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, und beschäftigte lebhaft meine Gedanken, als ich wieder nach Hause fuhr.

Ich bin weit entfernt, ein Freund der Mucker zu sein. Mir ist keine Sorte von Europäern unsympathischer, als jene scheinheiligen Reverends mit ihren weissen Halsbinden, ihren glattgescheitelten Haaren und ihren himmlisch verklärten Gesichtern, denen man in der Südsee so oft begegnet. Es wäre sehr naiv, sich unter diesen Missionären der Südsee aszetische Gestalten, hagere, von Entbehrungen und von der heiligen Leidenschaft für ihren Glauben abgezehrte Märtyrer vorzustellen. Gerade das entgegengesetzte Bild ist in der Regel das richtige. Es lebt sich unter den Palmenhainen der sonnigen Inselwelt sehr angenehm, wenn man Geld genug hat, und daran scheint es den Wesleyanern, dank dem grossen Humanitätssinn und Reichthum Englands und dank den Steuern, die sie den Eingeborenen abzunehmen verstehen, niemals zu fehlen. Ich werde mich wohl hüten, all das zu wiederholen, was ich von Ansiedlern auf Viti und anderwärts über Missionäre habe erzählen hören. Aber wenn auch nur der zehnte Theil davon wahr ist – dies ist ungefähr der Quotient, den ich von den Erzählungen überseeischer Weisser zu glauben pflege – so genügt mir das vollständig, nicht für Missionäre zu schwärmen, so gerne ich das Gute derselben anerkenne. Wie unwürdig die verschiedenen Sekten sich um ihre Proselyten stritten, ist zu bekannt, als dass es einer Erwähnung bedürfte.

Dennoch bin ich überzeugt, dass die Missionäre grosse Verdienste um die Wohlfahrt der Eingeborenen sich erworben haben. Despotie und Kannibalismus des Adels, gegenseitige Furcht, Unsicherheit des Lebens und des Eigenthums, ein Kriegszustand Aller gegen Alle lag schwer ehemals auf der Bevölkerung. Jetzt, in der christlichen Zeit, ist Friede und Ordnung bei ihr eingekehrt. Wenn man auch nicht Alles buchstäblich zu glauben braucht, was in den Berichten der Missionäre steht, so ist doch nicht zu leugnen, dass die Zustände der Vitis in der vorchristlichen Zeit schlimm genug waren, und dass ihre Christianisirung einen höchst erfreulichen Fortschritt herbeigeführt hat. Und wenn die Muckerei sie glücklicher macht, warum sollte die Muckerei schlecht und zu tadeln sein?

Nur möchte ich rufen: Bis hieher und nicht weiter. Gegenwärtig scheinen mir die Vitis gerade auf jener glücklichen Mitte zu stehen, die ihnen noch viele von den Vorzügen ihres heiteren Naturzustandes und zugleich schon das Wesentlichste von den Wohlthaten europäischer Zivilisation zu Theil werden lässt. Trotzdem will man noch immer nicht aufhören, sie zu beglücken.

Man will sie den Lebensbedingungen der Europäer näher und näher bringen. Sie sollen arbeiten, sollen produziren und Steuern zahlen. Was man ihnen damit nützen will, ist mir unklar. Es scheint mir hinter der Maske der Philanthropie, welche diese sogenannten Zivilisationsbestrebungen zur Schau tragen, nur das pfiffige Gesicht des geldgierigen Kaufmanns, der seine schlechten europäischen Exportartikel absetzen will, oder des feisten Pfaffen, dem es um einträgliche Pfründen zu thun ist – bei den Wesleyanern beide in einer Person vereinigt – zu grinsen. Man will diesen glücklichen Menschen Bedürfnisse einflössen, um sie dann gegen Geld oder Geldeswerth zu befriedigen.

Oder sollte man etwa in Anbetracht der Möglichkeit, dass immer mehr Weisse nach den Inseln strömen werden, die Eingeborenen vorbereiten wollen, den Kampf der Konkurrenz aufzunehmen und nicht zu unterliegen? Wenn wirklich eine solche humane Vorsehung beabsichtigt sein sollte, so ist sie sehr verfrüht und sehr illusorisch. Dass ein starker Strom weisser Einwanderung stattfinden wird, ist bei der Abgelegenheit der Südsee-Inseln sehr unwahrscheinlich, und wenn auch, die verhältnissmässig arm bevölkerten Inseln haben Raum für eine zehnfache Menge. Und sollte wirklich innerhalb kurzer Zeit, noch innerhalb der nächsten hundert Jahre, eine thatsächliche Konkurrenz zwischen der weissen und braunen Rasse entstehen, so werden die Eingeborenen hinschwinden, und keine Macht der Erde wird sie daran hindern.

Zwei Elemente stehen sich auf Viti und anderwärts in der Südsee feindlich gegenüber, die Kaufleute und die Missionäre. Beide haben das gleiche Ziel, das herrliche Land und die arglosen Eingeborenen auszubeuten. Dass in diesem edlen Wettstreit auch unlautere Mittel in Anwendung kommen, und zwar auf beiden Seiten, versteht sich von selbst. Es däucht mir, eben, wie der Donna Blanca zu Toledo, dass der Jude und der Christ, dass sie alle beide – nicht viel werth sind.

Diese wesleyanischen Methodisten, die erste Macht der Südsee, haben ihre Hierarchie mit bewundernswerther Umsicht organisirt. Keine Gemeinde auf Kandavu, dessen Bewohner ja alle wesleyanische Christen sind, ist ohne seine Kirche »Hale ni Lotu« (Haus des Glaubens) geheissen. Nur in Richmond Settlement auf der Westseite der Namalatta Bucht ist ein weisser Oberpriester aus England. In den Dörfern versehen Eingeborene den Gottesdienst als Prediger und Vorbeter. Meist wird von diesen nicht blos an Sonntagen mehrmals, sondern täglich ein- bis zweimal Betstunde und Predigt abgehalten.

Jedes Dorf hat seinen Häuptling, und alle Häuptlinge zusammen stehen unter einem Oberhäuptling, dem Tui Kandavu zu Wailevu, welcher von dem Gouverneur zu Levuka offiziell anerkannt ist und ein jährliches Gehalt als Staatsbeamter bezieht. Aber neben dem Häuptling herrscht in jedem Dorf auch noch ein brauner Missionär.

Es fehlt also keineswegs an Gelegenheiten zur Frömmigkeit, und es soll Prachtexemplare von Betschwestern unter den Wilden geben. Herr Kleinschmidt erzählte mir, dass er einst einen Diener gehabt, der nie anders als die Bibel unterm Arm mit ihm in den Busch ging, um während der Ruhepausen darin zu lesen. Religiöse Lauheit scheint indess häufiger zu sein. Jeden Sonntag kamen zu uns nach Gavatina eine Menge braune Bummler, welche die Kirche schwänzten und sich lieber mit unseren Affen unterhielten oder verdunkelnd ins Fenster hereingafften, bis Herr Kleinschmidt mit einem kräftigen Fluch sie von dannen scheuchte. Für die Insulaner gilt nur Eine grösste und schwerste Hauptsünde, nämlich am Sabath irgend etwas zu thun, was einer Arbeit ähnlich sieht. Dieses »Tabu« ist so stark, dass selbst Herr Kleinschmidt an Sonntagen sich der Jagd enthielt, um es nicht mit den Eingeborenen zu verderben.

An solchen Tagen der Ruhe machte ich mir manchmal ein Vergnügen eigener Art. Ich legte mich auf den Convolvulusteppich in den Schatten, schloss die Augen und zwang meine Phantasie in die Schrecken eines deutschen Novembers. Ich hörte das Rasseln des Regens und das Klappern des Windes in den flackernden Gaslaternen. Ein schlüpfriges Gemenge von Schmutz, Regen und Schnee bedeckte die Strassen. Mit nassen Füssen, den Regenschirm kurz gefasst und gegen den Wind ankämpfend drängte ich mich durch das Gewühl der anderen Menschen und Regenschirme. Alles war grau und düster, mürrisch und grob, die Häuser mit ihrem russigen Ueberzug, die Wagen, die mich mit Koth bespritzten, die Menschen, der Himmel, die kahlen Bäume. Nun öffnete ich wieder die Augen und erblickte die herrliche Wirklichkeit. Oben lachte der blaue Himmel, vor mir lachte das blaue Meer. Palmen wiegten sich im kühlenden Zephyr. Tausende von Zikaden zirpten, und hie und da flog ein Papagei mit heiserem Schrei über die Szene.

Oefters kreuzte draussen der englische Kriegsschooner vorüber, der sich eben mit Lothungen und Vermessungen zwischen Kandavu und Benga zu beschäftigen hatte, und eines Tages erhielten wir den Besuch eines Bootes mit einem Lieutenant und acht Matrosen. Sie trugen gewichste Stiefel an den Füssen und erschienen mir, der ich schon etwas verwildert war, dadurch als distinguirte Leute. Ihr Kommandant hatte allerdings ebenso wie ich schon längst den Gebrauch einer Taschenuhr sich abgewöhnt und schätzte die Stunden, wenn er vom Schiff weg war, nur mehr nach der Sonne.

Es war eine herrliche Zeit, die ich in Gavatina verlebte, und ich werde stets mit Freude und Sehnsucht an jenes ferne, stille winzige Thal der grossen Erde zurückdenken.

Allerdings fehlte es auch dort nicht an unangenehmen Beigaben des Naturgenusses. Moskitos und Fliegen suchten mir namentlich im Anfang das Dasein zu verbittern, bis ich täglich Gesicht und Hände mit Petroleum einrieb. Am lästigsten waren die Legionen von Fliegen, welche die Nähe der faulenden Abfälle unserer Sammlungen herbeizog, indem sie eine besondere Vorliebe und Geschicklichkeit bekundeten, schnell in die Nasenlöcher zu schwirren, wahrscheinlich in der an sich nicht tadelnswerthen Absicht, ihre Eier hineinzulegen. Mit grosser Bewunderung entdeckte ich an Herrn Kleinschmidt, dass er ruhig auf seinem Tisch fortarbeiten konnte, während ihm dichte Fliegenhaufen in beiden Augenwinkeln sassen, ungerechnet die einzelnen Plänkler, welche über das ganze Gesicht hin- und herstreiften. Nach einigen Tagen konnte ich es auch. Das ewige Schütteln wurde ermüdend und machte Kopfweh. Ich zog es schliesslich vor, die Fliegen gewähren zu lassen, und beschränkte mich, sie durch fortwährendes Blinzeln von dem Innern des Auges fern zu halten. Nur in den Nasenlöchern lernte ich sie nie ertragen.

Noch zwei andere Qualen, die zu den berechtigten Eigenthümlichkeiten aller heissen Gegenden zu gehören scheinen, nämlich Geschwüre und der bekannte Hitzausschlag, von den Seeleuten »rother Hund« geheissen, blieben mir nicht erspart. Gleich in den ersten Tagen hatte ich mir an den Knöcheln kleine Wunden gestossen, und die Fliegen nahmen sofort jede Gelegenheit wahr, sich mit ihnen zu beschäftigen. So lange ich auf Kandavu blieb, heilten diese Wunden nicht und wurden immer grösser und entzündeter, da ich mich nicht schonen konnte und wollte. Auch bei den Eingeborenen beobachtete ich häufig solche kleine eiternde Verletzungen. Gar viele Fälle von »Aussatz« in Reisebeschreibungen mögen zu dieser Kategorie zu rechnen sein. Merkwürdig war mir, dass ich nie einen Wilden sich kratzen sah, obwohl die Moskitos sie eben so wenig wie uns verschonten.

Die höchste Lufttemperatur, die ich während meines kurzen Aufenthaltes in Gavatina am Thermometer ablas, war 32 Zentigrade. Auf ziemlich heisse Tage folgten in der Regel kühle Nächte, so dass ich mich zum Schlafen wärmer ankleiden musste, da ich als Bett nur eine mit Farnkraut unterpolsterte Matte mit einer Decke und einem Moskitonetz darüber besass. Die hervorragendste Eigenthümlichkeit im Klima unseres allenthalben von Busch umgebenen Thales war ein exzessiver Reichthum atmosphärischer Feuchtigkeit. Es wollte mir kaum gelingen, Pflanzen zu trocknen, ohne Feuer oder den Bügelstahl zu Hülfe zu nehmen, und liess ich einmal meine Wäsche über Nacht vor dem Zelte draussen hängen, so war sie am Morgen nässer als vorher.

Frau Kleinschmidt sorgte mütterlich für uns, und wir nannten sie deshalb auch immer Mutter. Wenn wir auszogen aufs Riff oder in den Busch, blieb sie mit Ruma allein zu Hause und kochte für uns, und wenn wir am Abend ermüdet und hungrig zurückkehrten, wartete unser bereits ein würziges Mahl. Die Mutter verstand einen famosen Curry zu machen, und Curry mit Reis war eines der häufigsten Gerichte. Schweine und Hühner, Papageien und Tauben, Zwieback, Schokolade und Kaffe lieferten eine Mannichfaltigkeit des Speisezettels, die man in unserer Wüstenei kaum erwarten konnte.

Hatten wir auch keine Milchkuh, so hatten wir Kokosnüsse. Jeden Morgen mussten uns die Jungen etliche herunterholen und schlachten. Spannerraupen vergleichbar zogen und schoben sie ihre geschmeidigen mageren Körper ruckweise mit Armen und Beinen an den glatten Stämmen empor, kletterten in die Kronen und stiessen mit den Füssen die mächtigen Früchte los, dass sie schwer und dröhnend auf den Boden herabplumpsten. Um sie zu öffnen, wurde ein doppelt zugespitzter Pfahl in die Erde getrieben. Dann nahm man die Nuss in beide Hände und hieb sie kräftig gegen die freie Spitze des Pfahls, so dass er tief in die dicke noch grüne und saftige Faserhülse eindrang, stemmte das durchbohrte Segment derselben durch Hebelbewegungen weg, und wiederholte das Hauen und Stemmen bis die Hülse ringsherum abgerissen war. War so die innere harte Schale befreit, so nahm man einen Stein und schlug an dem unteren Ende kreisförmig eine Kappe los, klappte diese zurück und trank das süsse Wasser der Frucht, die sogenannte Kokosnussmilch, die indess durchaus nicht milchig sondern fast klar, nur wenig getrübt, wie frischer Traubensaft aussieht.

Um die eigentliche Milch zum Kaffe zu bereiten, wurde die Schale in Stücke zerschlagen, das an der Innenseite klebende dicke Fleisch mit gezähnelten Muscheln herausgeraspelt und durch ein Tuch gepresst, was eine köstliche Emulsion gab, schmackhafter als Kuhmilch. Dieses Schlachten der Kokosnüsse war täglich unsere erste Arbeit, bei der mich die hierin viel flinkeren Jungen, die gelegentlich auch ihre kräftigen Zähne zu Hülfe nahmen, regelmässig auslachten. Was von dem Fleisch der Nüsse übrig blieb, erhielten die Schweine und Hühner, die Hunde, die Affen und die Papageien, welche alle sehr gierig darauf waren. Die Affen rissen wüthend an ihren Ketten, die Hunde hörten nicht auf in die Höhe zu springen, die Hühner liefen gackernd zusammen, und freudig fingen die Schweine zu grunzen an, wenn man sich ihnen mit Kokosnuss näherte.

Auch die niedrigeren Thiere scheinen diese Nahrung über Alles zu lieben. Lässt man irgendwo ein Stückchen liegen, gleich ist ein Heer von Ameisen und eine grössere Gesellschaft bedächtiger Eremitenkrebse darum versammelt.

Die Kokospalme ist eine der grössten Wohlthaten der Südsee. Ist auch jetzt die schöne Zeit vorüber, wo der Insulaner Kokosnüsse zu seiner Nahrung verwenden durfte, indem jetzt die Missionäre und die Regierung sie als Steuer beanspruchen und deshalb »tambu« erklärt haben, so liefert sie ihm doch noch in ihren Zweigen das Hauptmaterial seiner Hütten, aus den faserigen Hülsen der Nüsse vortreffliche Stricke, die nicht gedreht, sondern wie Zöpfe dreitheilig geflochten werden, aus den Stämmen Brücken und Bauholz, aus den Nüssen Trinkgeschirre und Wasserbehälter, aus den Blättern Körbe, die überall improvisirt werden können. Braucht der Viti einen Korb, um Taro oder Apfelsinen heimzutragen, schnell hat er ihn zurecht gemacht aus einem einzigen Palmblatt. Die langen Fiedern der beiden Seiten werden gekreuzt fest ineinander geflochten, und ist dies geschehen, so schlitzt er den Blattstiel der Länge nach entzwei, und der Korb ist fertig, die beiden Hälften des Stieles bilden die Ränder.

Sehr viel Komfort gab es allerdings bei unseren Mahlzeiten nicht. Ueberall standen Kisten aufeinandergethürmt, und jedes horizontale Plätzchen war mit Spiritusgläsern und Vogelbälgen, mit Schachteln und Blechbüchsen, Büchern und Instrumenten bedeckt. Musste ja selbst das Bett im Hintergrunde der Hütte zugleich als Waarenlager dienen. Schrotbeutel und Säcke mit Glasperlen bildeten die Kopfkissen, Baumwollenzeug für Sulus die Matratze, und jeder Winkel war mit Pulverflaschen und Angelhaken gespickt. Die scharfe Kante einer Kiste oder ein umgestürzter Topf musste als Sitz genügen, auf den Knieen ruhte der Teller, und dass uns überall mit Arsenik vergiftete Bälge umgaben, störte uns wenig.

Die Hütte war viel zu eng, und schon die Thüre so niedrig, dass man sich bücken musste, um durchzukommen. Häufig auch stiess man mit dem Kopf an die Leichen von Hühnern oder Schweinen, welche zum Braten bestimmt, baumelnd dort hingen.

Wir lebten in der grössten Eintracht zusammen. Nur die Spärlichkeit des Raumes und gelegentliche Gebietsüberschreitungen veranlassten manchmal Grenzstreitigkeiten und Kompetenzzänkereien. Es war durchaus nicht gleichgiltig, wer von uns diese oder jene Büchse aus diesem oder jenem Winkel hervorreichen durfte. Der Nächstsitzende allein war hierzu berechtigt, und jeder hatte ein bestimmtes Sektorgebiet als sein Bereich unter sich. Sonst wurde nur zu leicht eine Kostbarkeit umgestossen.

Wenn wir des Abends so beisammen sassen, drehten sich unsere Gespräche gewöhnlich um die ferne Heimath, und da der Mensch sich immer am meisten nach jenen Dingen sehnt, die er nicht haben kann, so gedachten wir auch nicht selten seufzend des herrlichen Bieres, das es dort giebt. Doch ruhte selbst dann nicht der Sammeleifer. Angezogen durch den Schein unserer Lampe kamen immer eine Menge Insekten herein und fielen der grausamen Wissenschaft zum Opfer. Ueber und unter uns raschelten Ratten durch das Palmstroh der Hütte, und jeden Augenblick sprangen deshalb entrüstet die Hunde auf und suchten kläffend herum. Erwischt aber haben sie nie eine Ratte.

Ich theilte Herrn Kleinschmidts und seiner Gattin primitive Lebensweise nur kurze Zeit, und es gefiel mir. Ganz anders aber wäre es wahrscheinlich gewesen, hätte ich eben so wie sie Jahr aus Jahr ein mit den Beschwerden der tropischen Wildniss zu kämpfen gehabt.

Wenn wir zu Hause in unseren Naturalienkabinetten alle die schönen Thiere betrachten, wie wenig denken wir daran, welche Menge von Schweiss und saurer Arbeit, von Entbehrung und Mühseligkeiten sie gekostet haben, ehe wir uns an ihnen erfreuen können. Wie sehr sind die zahllosen Schwierigkeiten der Tropennatur geeignet, den Pionier der Forschung zu lähmen und verzweifeln zu lassen. Ich muss gestehen, dass Herr Kleinschmidt und seine treue Gattin mir die höchste Bewunderung abnöthigten und wie mit dem Glorienschein des Märtyrerthums umgeben erschienen.

XIV.
BESUCH IN WAIDULE.

Begegnung mit dem Tui. Ein Mangrovesumpf und seine Freuden. Tauben und Mimosen. Nachtlager in Wunokene. Fliegende Hunde. Rabuelu. Entzückende Rundsichten. Taropflanzungen. Kawa-Gelage in Soso. Nachtlager in Go Kandavu. Ein Meke Meke. Ankunft bei Charly. Rasch ab nach Wailevu. Ungemüthliche Bootfahrt. Heimkehr.

Wir hatten jenem versoffenen, aber biederen Landsmann, dem Charly, in Wailevu zugesagt, nach Waidule zu kommen und ihn zu besuchen. Da wir für das mitzunehmende Gepäck ausser Niketi noch zwei Träger brauchten, so liess Herr Kleinschmidt den Tui bitten, uns solche zu schicken, und gleich am nächsten Morgen erschienen ihrer drei aus Sanima und meldeten sich zum Dienste.

Die Mutter bereitete noch schnell einen Kuchen, und dann gings fort. Zunächst musste wieder das Felsblockufer bis Sanima überwunden werden. Die Fluth hatte eben angefangen zu weichen, und die noch nassen Blöcke waren so schlüpfrig von einer Algenvegetation, dass ich es vorzog, oberhalb der Fluthgrenze durch das herabwuchernde Gestrüpp zu klettern.

Rege Emsigkeit wie immer herrschte im Dorf des Tui Kandavu. Ein Greis sass am Strande im Schatten eines in die Erde gesteckten Palmzweigs und schnitzelte kindisch an einem Stück Holz herum. Vor den Hütten klopften Männer die Fasern der Kokosnusshülsen rein, um Stricke daraus zu machen, und im Innern der Hütten klopften die Weiber Tapa zurecht, dass es weithin erschallte. Kopra und Lichtnüsse lagen zum Dörren in der Sonne ausgebreitet. Aus letzteren, den öl- und harzreichen Früchten des Aleurites triloba werden sehr originelle Kerzen bereitet. Man reiht sie durchbohrt an Stäbe, der Stab dient als Docht, und die Nüsse brennen mit heller, stark russender Flamme ab. Unsere Erscheinung machte den Lärm verstummen. Man lächelte uns freundlich zu, die Frauenzimmer steckten die Köpfe durch die niedrigen Thüren heraus und bettelten um Tabak, kleine nackte Kinder blickten scheu um die Ecken und liefen entsetzt davon, als ob sie den leibhaftigen Teufel gesehen hätten.

Da der alte Tui nicht zu Hause war, setzten wir unseren Weg ohne Unterbrechung fort. Wir sahen ihn eine halbe Stunde später in seinem Kanuu heimkehren, als wir eben jenen schönen Pfad durch Papayagärten und Palmen hinter uns hatten und in ein Mangrovedickicht bogen. Er stieg aus und watete an Land, um mit uns Hände zu schütteln, und gab unseren Burschen noch einige strenge Aufträge an verschiedene Dorfhäuptlinge zu unserem Komfort, von denen ich nichts als das Selbstbewusstsein verstehen konnte, womit er sich die Faust mehrmals auf die Brust schlug, als ob er sagen wollte »Und das muss geschehen, und das befehle ich«.

Der Pfad schlängelte sich eine Zeit lang am steilen Ufer auf und ab und führte dann in das Mangrovedickicht hinein, dessen Schwierigkeiten so gross wurden, dass wir zu einem Kilometer etwa eine Stunde brauchten. Schlickflächen wechselten mit Felsblöcken, von denen die meisten nicht fest lagen und zu wackeln anfingen, sobald man darauf trat, und Alles war durchzogen von einem nicht nur in der Fläche sondern in allen drei Dimensionen des Raumes gewebten Netzwerk von Mangrovewurzeln, so verknorzt und verschnörkelt, dass die phantasiereichsten Maler der altdeutschen Schule hier noch viel für ihren Faltenwurf hätten lernen können. Sah man auf den Boden, so schlugen einem die von oben herabwachsenden Sprossen ins Gesicht, sah man nach diesen, so blieb man in den Wurzeln hängen oder stolperte über einen Knorz oder glitt von den zu Fallthüren geschaffenen Felsblöcken in den Schmutz. Moskitos wimmerten um die Ohren, und Fliegen umsummten das Gesicht und schwirrten in die Nasenlöcher. Wir kamen übrigens ohne Unfall durch, und nur unsere nackte Dienerschaft blutete aus einigen abgeschürften Hautstellen.

Es ging wieder nach oben und landeinwärts durch einen Busch, der spärlicher wurde, je höher wir kamen, und schliesslich einem dürren Farngestrüpp Platz machte, welches eine neuseeländische Landschaft vortäuschen konnte, wenn nicht gerade schöne Orchideen oder empfindsame Mimosen am Wege wuchsen, oder das Hundegebell der grossen Tauben die Illusion störte.

Einem dieser unmusikalischen Vögel kamen wir so nahe, dass ich deutlich beobachten konnte, wie er hoch oben auf einem kahlen Baum sein rauhes kurzes »Hu hu, Hu hu hu« mit dem Wippen des Schwanzes begleitete. Aber das Knacken des Hahnes störte ihn, er gönnte uns seinen Braten nicht, und er war fort, ehe ich die Flinte angelegt hatte.

Jene merkwürdige Pflanze Mimosa, deren zartgefiederte Blätter sich zusammenfalten, sowie man sie berührt, und der man deshalb den Namen der Schamhaften gegeben hat, sah ich hier zum ersten mal. Sie wuchs in niedrigen dichten und flach ausgebreiteten Stauden, und es gewährte ein merkwürdiges Farbenspiel, wenn ich mit dem Fuss darüber hinstrich und sogleich das helle Grün der oberen Seiten der Fiederblättchen dem matten Grau der unteren Seiten wich, als ob die ganze Staude von einer unsichtbaren Flamme versengt würde.

Der Kamm des Hügels, auf dem wir eine Zeit lang weiter schritten, hatte ausnahmsweise den Vorzug, eine Rundsicht zu gewähren, da er nicht, wie dies meistens zu sein pflegt, bewaldet war, sondern nur stellenweise Gruppen von Kasuarinen trug, deren dünnbenadelte Kronen dem Baum das Aussehen verkümmerter Pinien verleihen. Wir sahen hinab auf beide Meere nördlich und südlich der langgestreckten Insel, in welche zwei Buchten tief einschneiden.

Die freie Bergkante dauerte nicht lange. Der Pfad schlängelte sich nach der südlichen Seite des Kammes hinab, und ein Busch nahm uns auf, der durch wohlthuende Kühle überraschte und so dick mit Lianen und Strauchwerk unterwachsen war, dass wir zwei geschossene Tauben, die wir deutlich fallen gesehen hatten, nicht finden konnten, obwohl wir zu fünft eine Viertelstunde lang suchten. So waren wir abermals um unser Abendmahl gebracht. Wir stiegen auf eine sattelförmige Einsenkung nieder. Der Busch wurde lichter, Rauch flog langsam zwischen den Bäumen empor, Kindergeschrei erhob sich, und ein Dorf lag vor uns, höchst malerisch zwischen Bananenpflanzungen halb versteckt und die prächtigste Aussicht auf die Meere beider Seiten beherrschend.

Wunokene heisst dieser reizende Platz, bei dessen Häuptling wir uns ohne weitere Zeremonien einquartierten. Wir zündeten eine Stearinkerze an, welche so viel Sensation hervorrief, dass nach wenigen Minuten die ganze Hütte voll von Neugierigen war. Dicht gedrängt sassen sie, Männer und Weiber, nebeneinander und bewunderten uns und unsere europäischen Habseligkeiten. Selbst draussen vor der niedrigen Thüre drängte sich eine staunende Menge von Kindern und Mädchen, jedesmal Reissaus nehmend, so oft einer von uns Weissen eine Bewegung in ihrer Richtung machte. Mit dem grössten Interesse wurde Alles beobachtet, was wir thaten, wie wir unseren mageren Zwieback abbissen und Schokolade dazu tranken, und öffneten wir eines der Gepäckstücke, so entstand jedesmal eine nicht geringe Aufregung und man streckte die Hälse so weit als möglich, um hineinzugucken.

Einer von unseren Trägern aus Sanima, ein frecher Bursche, wollte durch seine Familiarität mit unseren Effekten, die er hatte tragen dürfen, imponiren und gab das Feuerwerk einiger schwedischer Zündhölzchen zum besten. Hätte man den Kerl gehen lassen, er würde unseren ganzen Vorrath aufgebraucht haben. Eine Ohrfeige unterbrach indess sein Vergnügen und stellte das Bewusstsein der Inferiorität wieder her, zum grossen Ergötzen des Publikums, welches in ein lautes Gelächter ausbrach.

Da wir müde waren, konnte unsere Zurschaustellung nur so lange gewährt werden, als wir brauchten, um den gröbsten Hunger zu stillen. Das Licht wurde ausgelöscht, und das Publikum verzog sich, zweifellos mit dem Bewusstsein, einen höchst genussreichen Abend zugebracht zu haben. Wir streckten uns auf dem weichen Mattenboden aus, nachdem wir Stiefel und Hose zu einem Kopfkissen zusammengerollt und uns selbst in unsere Decken gewickelt, und schliefen, da es hier oben keine Moskitos gab, so gut, wie man eben nur nach einer längeren Wanderung schläft. Neben uns lag der Häuptling und zu unseren Füssen die Dienerschaft. Bald wars ruhig im ganzen Dorf. Blos im Gebüsch draussen zirpten Tausende von Zikaden, über den Korallenriffen unten donnerte rastlos die Brandung durch die Stille der Nacht, als ob ein Eisenbahnzug ohne Ende über eine ferne Brücke rollte, und Herr Kleinschmidt schnarchte.

Als wir am anderen Morgen unseren Marsch fortsetzten, kam hinter uns drein die ganze Kinderschaar des Dorfes und begleitete uns in respektvoller Entfernung, bis wir einen steilen Abhang hinabstiegen, und es war höchst amüsant, wie die kleinen braunen Bengel uns von oben aus nachspotteten, um schleunigst die Flucht zu ergreifen, so oft ich Miene machte, zurückzukehren, woran ich gewiss nicht im entferntesten dachte. Denn der Weg war so schlecht, dass man froh sein durfte, ihn einmal hinter sich zu haben, und zu beiden Seiten wuchs hohes Gras, scharf wie Rasirmesser, und zerschnitt die Hände wenn man vergass, sie in die Höhe zu halten.

Unten winkten wieder die Freuden eines Mangrovesumpfes mit seinen Moskitos und Fliegen. Auch in diesem lagen Felsblöcke eingestreut, die zwar festgebettet, dafür aber mit Algen überzogen und so schlüpfrig waren, als ob man sie mit Seife beschmiert hätte. Beneidenswerth sicher schritten unsere drei Wilden über sie hinweg. Ihre Füsse dienten ihnen als Greiforgane, mit denen sie sich an den geringsten Rauhigkeiten festklammern konnten, während wir die Talente der unserigen in den steifen Stiefeln der Zivilisation hatten verkommen lassen. Zogen wir die Stiefel aus, so stiessen wir uns an allen Ecken und schnitten vor Schmerz eine Grimasse nach der anderen, und zogen wir sie wieder an, so rutschten und fielen wir jeden Augenblick. Moskitos und Fliegen thaten das Uebrige uns zu erheitern.

Es war gerade Ebbe, und wir beschlossen deshalb, auch die Beinkleider abzulegen und um den Hals zu binden und weiter draussen durch das niedrige Wasser zu waten, wo es keine Fliegen und Moskitos gab, und höchstens scharfrandige Muscheln die Sohlen zerschnitten. Auf diesem nassen Marsche sah ich zum ersten mal eine Schaar fliegender Hunde hoch oben über die Bucht hinweg ihrem Tagquartier zueilen und war sehr erstaunt über die gemessene Sicherheit und Kraft ihres Fluges, der in nichts an das Geflatter unserer Fledermäuse erinnert, wie man wohl erwarten möchte. Man konnte sie in einiger Entfernung für Raben halten, ganz dieselbe Bewegung und derselbe Rhythmus wie bei diesen. Erst als sie senkrecht über uns waren, sah ich, dass sie nicht mit Flügeln wie Vögel, sondern mit Flughäuten arbeiteten, von jener bekannten Kontur, wie sie die Phantasie der christlichen Maler dem Satan zuerkannt hat. Von diesen fliegenden Hunden giebt es fünf Arten auf Viti. Sie sind neben der einheimischen Ratte die einzigen autochthonen Säugethiere der Insel.

Einige hundert Schritte in einem herrlich grünen Tunnel des dichtverschlungenen Mangrovegebüsches, der einem hier mündenden Süsswasserfaden sein Dasein verdankte, brachten uns auf die feste Erde zurück. Palmen erschienen, und abermals ein Dorf, Rabuelu geheissen. Ausser zwei lebensmüden Greisen waren nur Weiber und Kinder zu bemerken. Die Männer mochten auf einen Fischfang ausgezogen sein.

Herr Kleinschmidt schoss einen interessanten Reiher und schickte ihn nach Hause an die Mutter, damit sie ihn abbalge. Dieses Ereigniss lockte die ganze vorhandene Einwohnerschaft herbei, deren Aufmerksamkeit sich alsbald auf mich und meinen schlohweissen Leib ablenkte, der ich den Lockungen eines selten klaren und tiefen Süsswasserbeckens nicht widerstehen konnte, das oben in dem wasserlosen Wunokene versäumte Morgenbad nachzuholen.

Unser nächstes Nachtquartier war Go Kandavu, und bis wir dieses erreichten, passirten wir noch fünf Dörfer, Rota, Eabulu, Soso, Dele Kandavu und Dschome mit Namen. Es ging immerfort bergauf und bergab, meistens sehr steil und auf äusserst beschwerlichen, schlüpfrigen Pfaden voller Löcher, Wurzelschlingen und lose liegender Steine. Regengüsse hatten sie stellenweise zu tiefen Rinnen ausgewaschen, so schmal, dass man nur seitwärts schreitend sich durchdrängen konnte, unbekümmert um den Lehm, der an den Kleidern hängen blieb. Links und rechts dichter, unbezwingbarer Busch.

Nur selten und auf kurze Strecken waren die Höhen kahl und gewährten Aussichten, die dann um so entzückender waren. Die Landschaft glühte in Farben, die einen Maler in Verzweiflung bringen konnten. Tief blau war der Himmel, aber noch viel tiefer blau war die See, hellglänzend besäumt von der weissen Schaumlinie der Brandung, die sich an den Kanten der Korallenriffe brach, und innerhalb dieser, über den seichteren Stellen der Riffe violette, purpurne und smaragdene Tinten. Dann kam tief unter uns ein grellgelber Streif sandigen Ufers oder das wunderbar satte Hellgrün von Mangrovedickichten, die viel schöner von oben zu beschauen als zu durchklettern sind. Palmenhaine füllten den Raum zwischen dem Ufer und den dunkelbewaldeten Bergen und die Thäler, die zwischen diesen ins Innere sich einbuchteten. Rauch entstieg an verschiedenen Punkten der üppigen Vegetation, die Anwesenheit menschlicher Wohnstätten verkündigend, und hie und da guckten ein paar mit Kalk beworfene weisse Hütten durch die Palmen.

Manche Strecken trugen den Stempel höherer Kultur. Der Weg, dessen Schwierigkeiten eben noch aller Beschreibung spotteten, verwandelte sich oft plötzlich in eine breite glatte Strasse, zu beiden Seiten von sauber gehaltenen Bananenhainen begrenzt. Man war dann gewöhnlich in der Nähe eines Dorfes, dessen Kindergeschrei lange hörbar war, ehe man die Hütten selbst gewahr wurde. Oder Baumwollenstauden, vergebens gegen das sie überwuchernde Unkraut ringend, zeigten an, dass ehemals hier eine Plantage bestanden hatte, nun verlassen und dem hoffnungslosen Kampf ums Dasein preisgegeben, seitdem dieser Artikel auf Viti dem amerikanischen Konkurrenten im Preis, nicht in der Güte hat erliegen müssen.

Wo Bäche herabkamen, fanden wir diese gewöhnlich zu terrassenförmig unter einander folgenden Sümpfen aufgestaut, in denen Taro (viti »Ndalo«) gepflanzt war. Der Taro ist eine Colocasia, ganz ähnlich jener Art, die bei uns so häufig in Töpfen mit Wasseruntersatz gezogen wird. In sauber mit Lehmwällen und Steinen eingefassten Beeten von verschiedener Grösse, welche der Bach in mäandrischen Linien zu durchrieseln genöthigt war, standen zu regelmässigen Reihen geordnet die Pflanzen, und Wasserlinsen bedeckten zwischen ihnen die Lachen. Diese Vorrichtungen flössten mir alle Achtung ein vor der Intelligenz und dem Geschick der sogenannten Wilden.

Es giebt übrigens auch eine weniger häufige Sorte Taro, welche keines sumpfigen Bodens bedarf, und oben auf den Bergen in gewöhnlichem ausgerodetem Waldboden angebaut wird. Der Busch wird zu diesem Zweck niedergebrannt, was aber wegen der grossen Feuchtigkeit nicht ganz leicht ist. Man haut das Gebüsch ab, damit es verdorrt, und zündet mehrere grosse Feuer an, wobei immer von Neuem nachgeholfen werden muss.

In Soso machten wir einen grösseren Halt. Auch hier, wie in allen Dörfern, entsetzt davonrennende braune Nacktfrösche, kreischende Weiber, ernste Greise und Männer, welche mit einem freundlichen »Sa yandre« uns begrüssten. Wir gingen auch hier stracks in des Häuptlings Haus, wo zwei sehr hübsche zartgegliederte Mädchen, die Tochter und die Kindsmagd, letztere einen quieksenden Säugling in den Armen, etwas scheu und verlegen uns empfingen.

Sogleich erschien der Häuptling, mit uns Hände zu schütteln, und bald darauf auch seine Frau, die »Marama«, mit einem Korb voll Taroknollen auf dem Rücken. Sie warf ihre Last zu Boden, kroch herein und bemächtigte sich, ohne von uns Notiz zu nehmen, des Säuglings, um ihm seine Nahrung zu reichen, aber erst, nachdem sie an einem von der Kindsmagd hingehaltenen Feuerbrand die Hände gewärmt und ihre Brüste gerieben hatte.

Der Häuptling holte etwas Yankonawurzel aus einer Ecke hervor und lud uns ein, mit ihm Kawa zu trinken. Ich sah dieses Getränk jetzt zum ersten mal bei Tageslicht bereiten und konnte genau den ganzen Prozess verfolgen. Es fügte sich glücklich, dass es ausnahmsweise diesmal zwei reizende Mädchen, die Tochter und die Kindsmagd nämlich, waren, welche für uns kauten. Sonst sah ich auf Kandavu die Kawa stets nur von Knaben und jungen Männern bereiten, während auf anderen Inselgruppen des Stillen Ozeans dieses Geschäft dem schönen Geschlecht obliegt, was mir mehr zusagend erscheint. Einer unserer Träger schleppte die grosse Bowle herbei, jenes altehrwürdige Gefäss, das in keiner vornehmen Vitihaushaltung fehlt, und setzte sie vor sich, um das Brauen und Filtriren der Flüssigkeit zu übernehmen. Einen meterlangen Strick, der an der Bowle in einer Oese befestigt war, warf er demüthig dem Häuptling zu, der solche Ehre mit grosser Höflichkeit an mich abtrat, indem er ihn nach meiner Seite legte. Dieser ehrenvolle Strick dient nämlich dazu, die höchste Person der Gesellschaft zu bezeichnen.

Die doppelt daumendicke, knotige und verästelte grüne Wurzel wurde in mundgerechte Stücke zerschnitten, und die beiden jungen Damen nahmen uns gegenüber Platz und machten sich schweigend daran, sie mit ihren herrlich weissen Zähnen zu zermalmen. War ein Bissen fertig, so holten sie ihn mit Daumen und Zeigefinger aus dem Munde und legten ihn als wohlgeformtes rundliches Häufchen behutsam in die Bowle. Sechs solche Häufchen kauten sie zurecht für uns drei Zecher, den Häuptling, Herrn Kleinschmidt und mich. Dann wurde Wasser aus hohlen Kokosnüssen zugegossen, und das Pantschen und Filtriren begann.

Während wir so Kawa brauten und kneipten, waren ein paar andere Frauenzimmer beschäftigt, unsere Mahlzeit zu bereiten. In einer Ecke der Hütte lagen die zwei grossen Töpfe horizontal über der glimmenden Asche des Feuers. Wasser brodelte bereits darin. Die geschossenen Tauben und Papageien, schon auf dem Marsche ausgeweidet und gerupft, wurden mit Taroknollen durch die weiten Oeffnungen ins Innere derselben geschoben, und diese mit einem Stöpsel aus zusammen gebundenen Cordylineblättern verschlossen.

Die ganze Familie des Häuptlings hatte sich eingefunden und durfte neben und um uns Platz auf dem Boden nehmen. Das übrige Gesindel der Neugierigen musste in respektvoller Entfernung, in der Nähe des Eingangs, sitzen bleiben. Ausser dem hübschen Mädchen und dem Säugling, der einen merkwürdig eckigen Kopf hatte, waren noch zwei Jungen vom Hause vorhanden, von denen der eine, ein ungezogener Bengel von fünf Jahren, seiner Mutter, welche mit ihrem Jüngsten dalag wie eine säugende Löwin, fortwährend zum Zanken Veranlassung gab. Schliesslich kam noch eine andere vornehme Dame, eine Freundin der Marama, ebenfalls mit einem kleinen schreienden Balg, hereingekrochen, warf sich nieder und spielte ebenfalls die säugende Löwin, während sie uns aufmerksam beguckte. Draussen vor der Thüre unterhielten sich einige Kinder mit dem auch bei unserer Schuljugend so beliebten Spiel, aus einem Faden alle möglichen Figuren an den Fingern zu bilden und einander abzunehmen. Sie hatten es von den Missionären gelernt.

Im Hintergrund der Hütte war ein ganzes Arsenal von alten Schiessgewehren an der Wand aufgestapelt, was mir um so mehr auffiel, als es von der Kolonialregierung streng verboten ist, den Eingeborenen Munition irgend welcher Art zu geben. Diese Waffen schienen mir übrigens durchaus ungefährlich zu sein. Es waren Flinten jeder Konstruktion, nur keine Hinterlader, und etwa zwanzig darunter mit Feuersteinzündung weiss Gott aus welcher Zeit und woher, und alle Schlösser waren verrostet. Sollte auch hie und da eines noch losgehen, die Vitis sind so feige Schützen, dass sie in der Regel die Augen zudrücken, wenn sie schiessen wollen, was bei unseren Rekruten allerdings auch zuweilen vorkommt.

Der Tag neigte sich bereits, als wir Dele Kandavu passirten, ein Dorf rechts ab vom Wege, tief versteckt hinter dem üppigsten Grün von Palmen, Bananas und Busch auf einem Hügelvorsprung, der zu einem dichtbewachsenen Thal hinabfiel, aus welchem die zarten fiedrigen Kronen von Farnbäumen ragten. Fröhliche Gesänge schallten zu uns herüber und harmonirten so wunderbar mit der ganzen Stimmung der paradiesischen Landschaft und des herrlichen Abends. Wie glücklich diese Menschen hier leben. Welche unbeschreiblichen Genüsse bietet die Natur hier dem Wanderer, wenn ihm auch dabei der Schweiss von der Stirne tropft und die Kniee vor Ermüdung zu zittern beginnen. Wie bemitleidet man da den Philister zu Hause, der Jahr aus Jahr ein nichts Höheres kennt, als täglich des Abends zur bestimmten Stunde im Tabaksqualm seiner Kneipe zu sitzen und seinen Magen mit den Gährungspilzen des Bieres vollzupumpen.

Wir kamen an einen Bach, und jenseits desselben lag Dschome. Ein Mann aus dem Dorfe erbot sich, mich hinüberzutragen. Ich zog es vor, durchzuwaten, da mich erst kürzlich bei einer ähnlichen Gelegenheit ein Kerl durch einen Fehltritt ins Wasser geworfen hatte.

Beinahe hätten wir schon hier unser Nachtquartier aufgeschlagen. Unsere Burschen wenigstens waren entschieden der Ansicht, dass es für heute genug des Marschirens sei. Sie waren vorausgeeilt und sassen bereits, ihrer Bürden entledigt, neben der Hütte des Häuptlings, als wir sie erreichten. Ein hübsches braunes Mädchen mit einer feuerrothen Hibiscusrose über jedem Ohr stand freundlich lächelnd vor der Thüre und guckte mir, sehr verführerisch aber unschuldsvoll den glänzenden Bronzekörper, der nach Kokosöl duftete, an mich schmiegend über die Schulter, während ich sie in mein Taschenbuch notirte. Die ärmliche etwas unreinliche Behausung des Häuptlings gefiel uns nicht, und wir gingen weiter.

Hätten wir gewusst, welch langer und beschwerlicher Weg uns noch bevorstand, wir wären trotz Allem geblieben. Wohl über zweihundert Meter mussten wir wieder hinauf und an der anderen Seite eben so tief hinunter. Oben beschien die Sonne im Untertauchen golden die Wipfel der Bäume, unten war es bereits dunkel, als wir endlich, triefend von Schweiss und bis zur Erschöpfung müde, in Go Kandavu unseren Einzug hielten, zur grossen Aufregung der neugierig Spalier bildenden Einwohner.

Auch der Häuptling von Go Kandavu liess uns zu Ehren Kawa bereiten. Diesmal waren wieder nur Knaben und Jünglinge zum Kauen kommandirt, die Dunkelheit verhinderte, die Details des Vorganges genauer zu sehen. Es wurde wenig gesprochen. Nur das Krachen der Wurzeln zwischen den Zähnen und später das Herumpantschen in der Flüssigkeit unterbrach die andächtige Stille, welche herrschte, trotzdem die ganze Hütte voll von Menschen war. Ein kleiner, brauner Frosch kletterte in die Bowle, setzte sich mit seinem nackten Hintern auf die für uns zurechtgekauten Häufchen und fing verlegen und erschrocken zu weinen an, als Alles darüber lachte. Dies störte aber das Gelage nicht, und die breit gesessenen Häufchen dienten ebenso gut ihrem Zwecke wie die neu hinzukommenden. Unser Gastfreund, der Häuptling, war aussergewöhnlich wohlhabend. Denn er besass Teller, Gabeln und Messer. Nur Schade, dass wir die seltenen Geräthe an nichts Würdigerem als an süssen Bataten zur Anwendung bringen konnten. Aus diesen sowie aus Schokolade und Zwieback bestand unser frugales Abendbrot.

Ein unerwartetes Schauspiel stand mir noch bevor. Ich sollte ein »Meke Meke«, eine Vititanzunterhaltung zu sehen bekommen.

Ich hörte Gesang weit über das Dorf in unsere Hütte herübertönen, und ich ging hinaus nach der Richtung, von welcher er kam. Tarosümpfe umgaben das Dorf, und erst nach einigen Irrwegen fand ich durch sie hindurch und das was ich suchte.

Auf einem freien Platz brannte flackernd ein grosses Feuer, und etwa ein Dutzend Kinder tanzten um dasselbe herum und sangen dazu nach dem Takt zweier Stäbchen, mit welchen ein Jüngling ein Stück Bambus bearbeitete, das ein kleiner Knabe wagrecht vor ihn hinhielt. Mein Hinzukommen störte sie nicht, sondern schien im Gegentheil mehr Theilnehmer herbeizulocken. Eine Menge Mädchen und junger Männer fand sich allmälig ein. Sie trugen als festlichen Schmuck rothe Cordylineblätter um die Stirne gebunden, und an den Knieen Strumpfbänder von gelb und roth gefärbten Gräsern. Die Mädchen drückten sich scheu an mir vorbei und nahmen schreiend und kichernd Reissaus, sowie ich nur eine Bewegung machte. Auch sie traten in die Reihen der Tanzenden, und immer grösser wurde ihre Zahl, und Zuschauer kamen und gruppirten sich auf dem Boden. Fackeln aus dürren Schilfbündeln wurden gebracht, und bald nahm die Unterhaltung bedeutendere Dimensionen an als ich hier in dem so abgelegenen Dorf erwartet hatte.

Es war eine träumerische laue Tropennacht. Der Mond war aufgegangen, die Sterne funkelten, die Zikaden zirpten, und ein leiser Zephyr milderte höchst angenehm die Wärme. Das Feuer und die Fackeln warfen ihr röthlich flackerndes Licht auf die nackten Gestalten und übergossen das ganze Bild mit einem grotesken Zauber. Mehrmals schloss ich die Augen, als ich so dasass auf einem alten faulen Kanuu, um jedesmal beim Oeffnen mich wieder von dem fremdartigen mährchenhaften Anblick überraschen zu lassen.

Die Wendungen des Tanzes waren höchst anmuthig und konnten manchem altersschwachen Ballet bei uns zum Muster dienen. In doppelten Reihen tanzten Mädchen und Jünglinge, bis auf das Tuch um die Hüften nackt und mit Blumen- und Blattguirlanden geschmückt, die geschmeidigen Bronzekörper mit Oel gesalbt, um ein Feuer, erst nach rechts und nach links, dann beide in entgegengesetzten Richtungen, traten zwischen einander hindurch und wieder zurück, hoben und senkten die Arme, bogen und wogen die Hüften und klatschten in die Hände. Daneben sass der Musikant und trommelte den Takt auf sein Bambusrohr, begleitet von dem Gesang aller Anwesenden, Tänzer sowohl als Zuschauer.

Der Gesang, allerdings auch nur in wenigen Noten auf- und niedersteigend, war viel melodischer, als jener, den ich bei den Maoris auf Neuseeland gehört. Der Rhythmus bewegte sich in einem fast endlos wiederkehrenden Daktylus, bis plötzlich mit einem kurz ausgestossenen, rauhen Ton eine Strophe und zugleich eine Tanzfigur schloss. Einer der Tänzer schien Kommandos zu geben, indem er zuweilen laut in der Fistel krähte, was ungefähr wie »Tirürü« lautete, und worauf sofort eine neue Wendung eintrat. Ich habe niemals etwas Graziöseres gesehen, als die natürliche Anmuth in den freien ungezwungenen Bewegungen jener Mädchen. Diese braunen Naturkinder sind von einer bezaubernden Frische. Und dabei wissen sie eben so gut zu kokettiren wie irgend eine Tochter Evas auf Erden, und besitzen hiezu ganz verflucht grosse, schwarze, langbewimperte Augen, um die sie nicht wenige Europäerinnen beneiden dürften.

Im Anfang der Festivität waren einige mit dem obligaten Busenhemdchen erschienen. Im weiteren Verlauf jedoch entledigten sie sich derselben. Sollte es blosser Zufall gewesen sein, oder war es ihr weiblicher Instinkt, dass sie mir ohne dieses geschmacklose und unnöthige Kleidungsstück besser gefielen, nachdem sie gesehen, dass ich kein verkappter Mucker aus England war? Ich habe derartige Demaskirungen fast in jedem Dorfe erlebt.

Die halbpapuanischen Vitis stehen im Rufe grosser Keuschheit, ganz im Gegensatz zu ihren lasziven Verwandten, den Polynesiern. Dementsprechend unterschied sich dieses Meke Meke auch dadurch von den polynesischen Tänzen, dass es keine obszöne Bedeutung, sondern die reine Freude an rhythmischer Bewegung und an Gesang als Motiv hatte. Nicht die leiseste Spur von zweideutigen, anstössigen Geberden war zu bemerken. Nur etwas sah ich, was mich frappirte und der zu herrschen scheinenden Dezenz widersprach. Mehrere kleine Jungen stellten sich ausserhalb des Reigens paarweise einander gegenüber, umfassten einander auch wohl und machten Bewegungen zusammen nach dem Takt der Musik, die im höchsten Grade obszön waren und an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig liessen. Die Aeltern aber, namentlich die Weiber, lachten und schrieen ausgelassen vor Freude über die gelungenen Scherze ihrer sechsjährigen Sprösslinge.

Lange sass ich isolirt. Die Scheu vor dem Fremdling hatte eine breite Zone um mich leer gelassen. Nach und nach aber wurde man zutraulicher. Ein Mädchen oder ein Junge kroch herbei und bettelte um Tabak, und Alles lachte und freute sich über die gut abgelaufene Dreistigkeit, wenn ich ihnen Tabak gab, und der Zuschauerkreis rückte dichter an mich heran. Diese Furcht vor dem Weissen ist keine ursprüngliche, sondern die Folge übler Erfahrungen. Die Südsee-Insulaner kommen in der Regel nicht mit der besten Klasse von Europäern in Berührung. Ich habe manchmal Gelegenheit gehabt zu beobachten, wie selbst der dümmste und erbärmlichste Matrose es für seine Pflicht hält, die sogenannten Wilden verächtlich und gleich Thieren zu behandeln.

Ich blieb über eine Stunde und weidete mich an dem effektvollen Schauspiel. Dann riss ich mich los aus der immer enger um mich sich gruppirenden nackten Gesellschaft. Waren sie ziemlich zutraulich geworden im Bereiche des Feuers, so hatte draussen im Dunkeln meine Erscheinung noch nichts von ihrer Unheimlichkeit eingebüsst, und alle Kinder und Frauenzimmer die mir begegneten ergriffen schleunigst jedesmal wieder die Flucht. Der Tanz wurde unermüdlich fortgesetzt, und noch lange, als ich zu Hause auf der Matte lag, hörte ich den dreitaktigen Lärm der lustigen Schaar herüber.

Ich schätzte mich glücklich, diesem Meke Meke beigewohnt zu haben, da er nicht wie an anderen Orten blos zur Schaustellung und für Geld, sondern zur sichtlichen eigenen Freude der Theilnehmer gehalten worden war.

Als ich am anderen Morgen erwachte, sah ich dass ausnahmsweise auch die Frauenzimmer in derselben Hütte wie wir schliefen. Der alte Häuptling hatte sich aber vorsorglich zwischen sie und uns gelegt. Ein köstliches Bad unter einem Wasserfall, der über senkrechte Felswände herabdonnerte, und das vergebliche Waten durch den Bach und die Tarosümpfe einigen fliegenden Hunden zu liebe, die ich in den Gipfel eines hohen Baumes hatte einfallen sehen, aber im dunklen Laub der Krone nicht wieder entdecken konnte, schufen den prachtvollsten Appetit nach einem substanzielleren Frühstück, als die vegetarianische Lebensweise der Vitis gewähren konnte, und ich fühlte schmerzlich die Entbehrung der Fleischkost. Taroknollen, Zwieback und Schokolade waren nur ein kümmerlicher Ersatz.

Herr Kleinschmidt schacherte noch mit unserem Gastfreund um den Preis eines kunstvoll aus Schildpatt, Knochen und Perlmutter gefertigten Angelhakens, der von dessen Grossvater stammen sollte und den er nur ungern und zaudernd hergab. Aber der Glanz des schnöden Mammons war ihm unwiderstehlich, und er bat nur, nichts von dem Handel seinen Stammesgenossen verlauten zu lassen. Ein paar scharlachrothe Sulus wurden als Gastgeschenk verabreicht, unsere Burschen beluden sich mit dem Gepäck und wir nahmen Abschied. Manch hübsches Mädchen von gestern sah aus den niedrigen Hütten und winkte uns Grüsse nach »Sa yandre, sa yandre«.

Go Kandavu ist umgeben mit Tarosümpfen wie eine Festung und hat nur einen einzigen Zugang. Wir mussten es also auf demselben Wege verlassen, auf dem wir gekommen waren. Abermals über einen dickbewaldeten, hindernissreichen Berg, auf dessen Gipfel wir rasteten. Zwei ärmliche Hütten mit sehr schmutziger Einwohnerschaft standen in einer Lichtung, in welcher Bergtaro wuchs. So elend und verkommen wie diese Vitifamilie die hier hauste habe ich keine mehr sonst auf Kandavu jemals getroffen. Sie erinnerte an die schlechteste Sorte der Maoris von Neuseeland.

Endlich endlich kamen Zeichen, dass wir uns unserem Freund Charly näherten. Zuerst ein festgetretener Weg und etliche verwahrloste Baumwollenstauden. Der Wald hörte auf und eine sonnige Wiese breitete sich über den Abhang aus. In einem reinlich gejäteten Viereck waren zwischen grossen vulkanischen Felsen Ananasse in Reihen gepflanzt. Daneben Kaffegebüsch, aus welchem bereits die rothen Beeren blinkten.

Ein Haus und ein paar Hütten, wir waren am Ziele. Charly kam uns freundlich entgegen, und hinter ihm die drei grünen Landsleute und die zwei grossen Neufundländerhunde. Charly hatte mittlerweile wieder etwas Deutsch gelernt und war sehr stolz darauf. Er zeigte uns seine braune Gemahlin und seine vier hübschen halbbraunen Kinder. Was uns aber im Augenblick viel interessanter war, er gab uns zu essen, und zwar ein wunderbar duftiges Schweinchen. So gut wie bei Charly hatte ich schon lange nicht mehr gelebt. Und fehlte ihm auch jede Spur alkoholischer Flüssigkeit, so gab es bei ihm einen so ausgezeichneten Kaffe eigenen Gewächses wie ich niemals gekostet zu haben glaubte. Jetzt da ich den guten Kerl zum ersten mal nüchtern sah, machte er einen viel besseren Eindruck als damals in Wailevu.

Charly erzählte mir seine Lebensgeschichte. Er war vor zwanzig Jahren Matrose auf einem Walfischfänger gewesen und seinem Kapitän eines schönen Tages davongelaufen, um sich unter den Viti-Insulanern, die damals noch Menschen frassen, herumzutreiben. Nach vielen Abenteuern hatte er sich hier in Waidule niedergelassen, die Tochter eines benachbarten Dorfhäuptlings geheirathet und dadurch seine Besitzung erhalten. Verbrieft und nach den neuen englischen Gesetzen unzweifelhaft gültig war sein Titel darauf allerdings nicht. Aber er lebte davon. Er hatte Schweine und Hühner, und was er sonst brauchte, wuchs ihm ohne viel Mühe zu machen im Ueberfluss. Monatlich einmal, wenn die Postdampfer kamen, fuhr er mit seinem Boot nach Wailevu, verdiente durch Fährdienste etwas Geld und kaufte sich dafür einen tüchtigen Rausch, um dann in der frohen Erinnerung dieses und in der frohen Erwartung des nächsten die Zwischenzeit nüchtern und idyllisch zu verträumen.

Dieser Platz hier oben heisst Waidule. Unten am Ufer ist eine andere Ansiedelung von Weissen, Nawai mit Namen. Dort wohnte der andere seiner Muttersprache entfremdete Landsmann und ein Engländer, Mister Smith, ebenfalls mit farbigen Weibern zusammen. Es wurde nach ihnen geschickt, und sie kamen herauf, so dass wir bald zahlreiche Gesellschaft hatten.

Die drei grünen Deutschen machten lange Gesichter. Es schien ihnen zu dämmern, dass hier zu Lande doch nicht so leicht Geld zu verdienen sei. Mit der nächsten Post wollten sie nach Levuka gehen um Land zu kaufen, so sehr man ihnen auch allgemein abrieth und die Versicherung gab, dass sie doch wahrscheinlich keines bekämen. Die Regierung hatte in der letzten Zeit alle derartigen Geschäfte suspendirt. Da die Eingeborenen kein Eigenthum in unserem Sinne kannten, so gaben die bereits geschehenen Verkäufe und Verpachtungen von Land zwischen Häuptlingen und Weissen zu allen möglichen Zweifeln und Streitigkeiten Veranlassung. Diese sollten jetzt untersucht und geschlichtet werden, und bis dies geschehen, war kein neuer Vertrag gültig. Am übelsten fühlten sich wohl die beiden Neufundländerhunde auf Viti. Die Zungen hingen ihnen zum Halse heraus, sie sehnten sich offenbar nach dem kühleren Deutschland zurück.

Leider hatte sich Herr Kleinschmidt auf dem letzten Theil des Marsches verletzt und wollte nun mit Charlys Boot über Wailevu nach Hause zurück. Unsere schöne Partie fand somit rasch einen gewaltsamen Abschluss. Es traf sich merkwürdig dass auch Charly und seine Nachbarn die Absicht hatten, heute oder morgen Geschäfte halber dorthin zu fahren. Die ganze Flotte von Nawai, die aus zwei Böten bestand, wurde deshalb schleunig in Dienst gestellt und ausgerüstet.

Wir theilten uns in zwei Partieen. Herr Kleinschmidt und ich, unsere drei Burschen und zwei Leute zum Rudern besetzten das kleinere Boot, die Uebrigen folgten in dem grösseren.

Wir mussten bald einsehen, dass wir eine sehr schlechte Wahl getroffen hatten. Kaum waren wir aus der windgeschützten Bucht hinausgerudert, und kaum kamen die ersten Stösse des Passates um die linke Felsenecke in das Segel geflogen, als sich unser Fahrzeug jäh auf die Seite legte und sich dadurch so rank erwies, dass wir das Segel reffen mussten. Hierbei stellte sich heraus, dass die ganze Takelage in dem lotterigsten Zustand, und dass unsere braune Besatzung eben so ungeschickt als faul war. Mein Freund wurde nervös und hörte nicht mehr zu schelten auf. Zu unserem grössten Verdrusse segelte während dessen das andere Boot glatt an uns vorüber, wir blieben weit zurück und holten es nicht wieder ein.

Es giebt ein kostbares Wort auf Viti, welches den dort von Weissen und Braunen geübten süssen Schlendrian treffend bezeichnet, »Malloa« nämlich. Malloa heisst ursprünglich »Später« oder »Morgen«, jetzt wird es allgemein unter einem leisen Beiklang von Selbstironie angewendet, um mit der obligaten Saumseligkeit auszusöhnen. Drückt man seine Verwunderung aus über den herrschenden Mangel an Pünktlichkeit, frägt man nach dem Zeitpunkt einer zu leistenden Arbeit, dringt man ärgerlich auf rascheres Handeln, man hört stets denselben gemüthlichen Refrain »Malloa«. Auch jetzt mussten wir uns wieder mit »Malloa« vertrösten.

Die Fahrt nach Wailevu wurde ziemlich ungemüthlich, so schön auch der Anblick war, den die in der Abendbeleuchtung ruhenden prächtigen Berge zur Rechten und die an den Korallenriffen sich brechende See zur Linken gewährten. Wir segelten im ruhigen Wasser innerhalb der Riffbarren hin. Gleich einem hohen glänzenden Wall zieht sich draussen die Linie der Brandung parallel den Konturen der vielgebuchteten Insel entlang, rastlos toste und donnerte sie zu uns herüber. Manchmal kamen wir ihr so nahe, dass wir uns kaum noch verstanden. Wir sahen dann, wie jenseits die langen Wogen stetig hinter einander heranrückten, drohend uns zu verschlingen. Aber das Bollwerk stand unerschütterlich, und ohnmächtig zerstoben jene sich nach vorne überstürzend im schäumenden und brüllenden Getümmel.

Ein friedlicheres Bild boten die Palmenhaine und dicht bewaldeten Gründe zur Rechten. Rauchsäulen stiegen überall von den Thälern zum Himmel empor, groteske Felsen sprangen dazwischen zu uns heraus.

Die Nacht senkte sich hernieder, und wir waren noch ziemlich weit von Wailevu. Ueberall konnten Klippen verborgen sein, keiner von uns kannte die Gegend. Die fünf braunen Kerls waren zu nichts zu gebrauchen, und das Boot und die Takelage flössten wenig Vertrauen ein. Haifische sollten hier in Menge lauern, eine unerfreuliche Aussicht im Fall des jede Minute drohenden Kenterns. Ich lag vorne und guckte ins Wasser nach Riffen. Wie war es da anders möglich, als dass mir jede schwarze Stelle des höhlenreichen Grundes ein gefrässiger Haifisch dünkte, der unser Boot zu verfolgen schien.

Zum Glück war der Himmel klar, und die Sterne leuchteten freundlich auf uns herab. Vorne im Westen glühte der Schein eines Waldbrandes. Ich hielt ihn anfänglich für ein besonders schönes Zodiakallicht.

Bis wir in die Angaloa Bai einbogen und die Lichter des Hotels von Wailevu wieder erblickten und mühselig landeten, war es spät geworden. Die Anderen waren schon eine gute Stunde da und hatten bereits Zeit gehabt, sich zu betrinken. Mister Smith hatte sein Frauenzimmer, eine furienartige Erscheinung gemischter Rasse mit triefenden Augen, mitgebracht. Man sagte, er wolle sich ihrer entledigen, indem er sie auf den Kutter nach Levuka zu locken beabsichtige. Ich konnte ihm seinen hinterlistigen Plan bei Gott nicht verdenken. Auch in ihr wütheten die Dämonen des Schnapses. Sie war eben erst in Folge unpassenden Benehmens an die Luft gesetzt worden und durfte für den Augenblick das Wirthshaus nicht betreten. Deshalb lauerte sie draussen vor den Fenstern herum und heulte. Mister Smith, ihr süsser Gemahl, war einmal im Verlauf des Abends so unvorsichtig, hinauszugehen und nach ihr zu schauen. Ein heftiges Gekeife, laut schallende Ohrfeigen draussen im Dunkel der Nacht, und Mister Smith kam mit zerkratztem Gesicht wieder herein, goss sich schnell ein Weinglas voll Schnaps in den Magen und wischte sich langsam vor dem Spiegel das Blut von den Wangen ohne weiter ein Wort zu verlieren.

Am anderen Morgen hatte ich die Genugthuung, zu finden, dass die Brücke über den Bach mittlerweile fertig geworden war, im Gegensatz zu den sonst hier zu Lande allgemein üblichen Vorrichtungen dieser Art, die nur aus zwei drehrunden glatten und dünnen Palmstämmen gebildet sind, ein stolzes Bauwerk. Die beiden Aufgänge waren noch im Entstehen begriffen. Ein Dutzend brauner Bummler trug Steine und Erde herbei, ohne sich allzu sehr anzustrengen. Nach jedem Gang, der zwei faustgrosse Brocken als Resultat hatte, setzten sie sich nieder und bewunderten ihre Leistung. »Malloa«. Unweit davon hockten die Kinder des Dorfes in einer Reihe am Strande und kratzten mit ihren Fingerchen kleine essbare Muscheln aus dem feuchten Boden.

Während Herr Kleinschmidt ein Boot zu leihen nahm, um über den Yarambaly-Isthmus zu setzen und nach Hause zu fahren, denselben Weg, den wir zuerst gemacht, zog ich es vor, zu Fuss der vielfach gewundenen Küste entlang zu gehen. Ich passirte zuerst die Dörfer Nuku und Namalatta. Es war Ebbezeit, und die gesammte weibliche Bevölkerung von Namalatta trieb sich auf den blossgelegten Riffen herum und fischte. Einige alte Weiber sassen am Ufer und schuppten mit scharfen Muscheln unbarmherzig die zappelnden Fische, die ihnen kleine Jungen in Körben herbeitrugen.

Nach einem ermüdenden Marsch, abwechselnd durch weichen hässlich nachgiebigen Sand und über grosse schlüpfrige Blöcke, war ich am Nachmittag wieder in Gavatina. Vor allen Palmenhainen, an denen ich vorüberkam, staken drei oder vier lange Stangen in der Erde, an deren Spitze Strohbüschel hingen, das Zeichen des »Tambu«. Denn in Kokosnüssen haben die Eingeborenen ihren Zehnt an die Missionäre und ihre Steuer an die Regierung zu zahlen. Nicht leicht würde ein Viti sich erkühnen dieses Tambu zu brechen und von den verbotenen Früchten zu stehlen. In den meisten Dörfern kann man selbst gegen gute Bezahlung keine Kokosnüsse bekommen, obwohl sie überall in Fülle vorhanden sind. Ein unerschütterliches »Tambu, tambu« antwortet auf alle Bestechungsversuche, und dabei machen die schwarzen Kerls ein Gesicht, als ob ihnen schon die ganze Hölle im Nacken sässe.

XV.
BESTEIGUNG DES BUKELEVU.

Landung in Dangai. Mandrai und Arrowroot. Improvisirte Naturalienhändler. Ausflug nach Dalingele. Tonganer. Festessen und Kawagelage. Ein schwindsüchtiger Häuptling. Die heissen Quellen. Unfall und Nothzucht. Mühseligkeiten des Bukelevu. Hungersnoth und Kälte. Abstieg. Schneckenfrühstück in Lomadsche. Sonntagstoilette der Insulanerinnen.

Während wir die Partie nach Waidule machten, war Mister Daymac in dem Kutter nach Levuka gefahren, um eine mit der letzten Post von Hamburg über Sydney eingetroffene Sendung von Spiritus und anderen Ausrüstungsgegenständen zu holen. Als wir zurückkehrten war er schon wieder da. Er hatte sehr gutes Wetter gehabt, aber es war ihm das Unglück passirt, in der Nacht auf ein Riff zu stossen. Der Kutter hatte dadurch ein Leck bekommen und musste geflickt werden.

Herr Kleinschmidt requirirte vom Tui etliche zwanzig Burschen, um ihn aufs Trockene zu ziehen, und früh am folgenden Morgen, während ich noch in meinem Zelt auf der Matte lag, kamen dieselben in zwei Kanuus aus Sanima angerudert. Schon von ferne tönte ihr fröhlicher und melodischer Gesang in den herrlichen Morgen unseres stillen noch halb beschatteten Thales herein.

Es galt nun, rasch an die Arbeit zu gehen, ein Brett auf das Leck zu nageln, und schliesslich den ganzen Kutter zu kalfatern und mit Theer anzustreichen. Ein reisender Naturforscher in der Südsee hat sich auf all diese Dinge zu verstehen. Das Reisen ist dort mit Umständlichkeiten und Mühsalen verbunden, von denen man ohne eigene Anschauung nur schwer sich einen Begriff macht. Als der Kutter wieder flott war, zog sein Holz, ausgedörrt von der Sonne, so viel Wasser, dass Herr Kleinschmidt und sein Gehilfe mehrmals in der Nacht aufstehen und in der Jolle hinausfahren mussten, um auszupumpen.

Am 25. Juli endlich war es möglich die zweite Partie unseres Programms, die nach dem Bukelevu, anzutreten. Wir schifften uns auf dem Kutter ein und lichteten Anker. Auch Mister Daymac ging diesmal mit und ausser Niketi noch zwei Kerls von Sanima zum Rudern. Ein günstiger Wind brachte uns rasch über die Korallenriffe und in offene See. Die Ufer wichen zurück, der Bukelevu, der hohe westliche Pfeiler Kandavus, trat uns entgegen.

Allenthalben segelten Kanuus der Eingeborenen, und eines, vollbeladen mit Männern, Weibern und Kindern, fuhr so nahe in gleicher Richtung vorüber, dass ich es flüchtig skizziren konnte, aber auch so rasch, dass ich kaum damit fertig wurde. Der Kutter war ziemlich schwer und durfte es an Schnelligkeit nicht mit den leichten, fast körperlosen Vitifahrzeugen aufnehmen. In allen möglichen Stellungen lag und sass die ob unseres Zurückbleibens laut lachende Gesellschaft auf der Platform zwischen Kanuu und Ausleger vor und hinter dem nach vorne geneigten Mast, häufig von den hüpfenden Wellen bespült. Auf dem Hintertheil standen aufrecht zwei Männer und steuerten mit langen Riemen, die sie im Kielwasser nachschleppen liessen, und die Umrisse ihrer Gestalten zeichneten sich scharf wie Silhouetten gegen den klaren Horizont ab.

Weit im Norden schwammen die duftigen Berge der nächsten Inseln über der blauen Fläche. Links thürmten sich die dunklen Massen des Busches von Kandavu über dem glänzenden Muschelstrand, hie und da kreischten ein paar zänkische oder geschwätzige Papageien aus dem fernen Dickicht bis zu uns herüber. Die glühende Sonne und die frische Brise mischten sich zu einer angenehmen wohlthuenden Wärme. Es war ein Hochgenuss, so dahin zu segeln.

Aber nach kaum vier Seemeilen schlief der schöne vielversprechende Wind ein und machte einer tödtlichen Stille und einer versengenden Hitze Platz. Das Segel fiel von einer Seite zur anderen, und beständig mussten wir uns bücken, um nicht von dem haltlosen Besanbaum bald links bald rechts an den Kopf geschlagen zu werden.

Nun folgten einige recht langweilige Stunden, die wir mit vergeblichem Hoffen auf Wind und kurzen Ruderanstrengungen zubrachten, was aber bei der Schwerfälligkeit des Kutters und bei der Faulheit unserer Burschen nicht viel half. Auch die Eingeborenen in ihren Kanuus mussten jetzt das Segeln aufgeben und sich auf die Riemen werfen. Eines begegnete uns, mit acht grossen Kochtöpfen befrachtet. Hinten standen zwei Männer, jeder mit seinem langen Steuerriemen hin und her arbeitend, sie »frickten«, wie der Seemann sagt, und es sah sehr komisch aus, wie die beiden frei in der Luft stehenden Gestalten dabei gleichmässig hinum und herum wackelten.

Erst gegen Abend erhob sich ein leichtes Lüftchen und brachte uns langsam dem Ziele näher. Jenseits der Namalatta Bai passirten wir den Sitz des weissen Obermissionärs, Richmond Settlement, ein hübsches Gebäude europäischen Styles unter Palmen auf einem Hügel, hinter dem grosse kahle röthliche Flecken in die Berge gebrannt waren, vielleicht um dort Taro zu bauen. Der Bukelevu wurde immer höher und hüllte seinen Gipfel mit dem Sinken der Sonne immer dichter in Wolken. Ein kreisrundes Aussenriff, über welchem die See gleichsam athmend ihre Wogen in tosender Brandung hob und senkte, während wir selbst in unserem Fahrzeug ganz dicht daneben keine Bewegung fühlten, zwang uns zu einem grossen Umweg. Dann machten wir linksum und steuerten geradewegs in die Bucht von Taulalia hinein. Drei Dörfer, rechts Taulalia, links Tanawa und in der Mitte Dangai, lagen vor uns.

Freudig ob des nahen Endes der Fahrt hissten wir unsere deutsche Flagge. Doch wir freuten uns zu voreilig. Kaum waren wir in den Schatten des Bukelevu getreten, als heftige Windstösse vom Lande her in das Segel peitschten und den Kutter rückwärts trieben. Und nicht eher gelang es uns, wieder vorwärts zu kommen, als bis wir die kleine Jolle aussetzten und vorspannten, und alle, auch Herr Kleinschmidt und ich, aus Leibeskräften zu rudern begannen, trotz der unfehlbaren Einbusse die unsere Würde durch solch knechtische Arbeit in den Augen des am Strande versammelten Publikums erleiden musste.

Hinter einer vorspringenden Klippe konnten wir endlich Anker werfen und landen, zum grossen Gaudium des in aufgeregtester Erwartung und lebhaftester Heiterkeit unser harrenden Janhagels. Neugieriges Anstarren, Witze reissen, Kichern und Auslachen seitens der erwachsenen Insulaner, entsetztes Ausreissen der kleinen Nacktfrösche wie immer, einige Grobheiten seitens des Europäerthums. Ein paar Männer kamen, uns die Hände zu reichen und gleich darauf Taro zu unverschämten Preisen anzubieten.

Das Dorf Dangai, vor dem wir gelandet waren, darf sich rühmen, das schmutzigste und ärmlichste zu sein, das ich auf Kandavu gesehen habe. Nachdem wir uns überzeugt, dass in der Unreinlichkeit der Hütten kein Unterschied herrschte, quartierten wir uns in jener ein, die dem Strande am nächsten lag. Das Innere dieser Behausung war braunschwarz geräuchert wie lackirt. Dank dem Rauch, welcher uns die Augen thränen machte, gab es hier keine Moskitos. Dafür wimmelte es von Ameisen, welche sonach weniger empfindlich zu sein schienen und sogleich eifrig die Höhenzüge und Thäler unserer Personen explorirten. Dazu roch es, jedoch nicht nur hier, sondern überhaupt in dem ganzen Dorfe, wie nach einem Gemenge von faulem Käse und faulem Gemüse. Der Stoff, dem dieses scheussliche Odeur entquoll, war Mandrai, das landesübliche Brot, welches hergestellt wird, indem man die Nüsse des Iribaumes zu einem Brei zusammenbäckt und in Bananenblätter gewickelt auf einige Wochen in die Erde vergräbt, um ihn faulen zu lassen. Nur meiner Begeisterung für anthropologische Untersuchungen hatte diese höllische Nahrung es zu verdanken, dass ich meinen Ekel überwand und davon kostete. Der Geschmack war dem Geruch entsprechend.

Es wurde rasch dunkel, und ein langer Abend stand uns bevor. Wir hatten zwar eine Petroleumlampe mitgebracht, bei deren Licht wir lesen konnten, aber der Mandraigeruch trieb mich hinaus. Fröhliches Geschrei und das Fallen von Kokosnüssen lockte mich nach einer Stelle, von wo durch das Ricinusgebüsch unter den Palmen ein lodernder Feuerschein herüberdrang. Nach oftmaligem Stolpern fand ich den Weg dorthin.

Mehrere Männer waren beschäftigt, Arrowroot zu bereiten. In einem Korb lagen die kartoffelähnlichen Wurzelknollen der Amarantha, welche sie auf dem hierzu vortrefflich geeigneten Korallengerüst einer Fungia wie auf einem Reibeisen pulverisirten und in einem halb mit Wasser gefüllten ausgehöhlten Trog sammelten, um es zu schlemmen. Einer der Männer, welcher meine Wissbegierde begriff, zeigte mir die Bedeutung des Trogs, indem er mit der Hand hineinlangte und von dem Pulver heraufholte. Dazu assen sie Kokosnüsse und boten auch mir davon an.

Als ich in die Hütte zurückkam, war man mittlerweile zu dem unvermeidlichen Kawagelage geschritten. Trotz des Mangels an Sauberkeit, der überall auffällig war, that auch ich Bescheid. Hatte ich vorhin Mandrai gegessen, so konnte ich jetzt auch die zweifelhafteste Yankona trinken. Zum Glück wars zu dunkel, als dass ich von dem Vorgang des Brauens etwas zu sehen brauchte.

Lange noch, nachdem die neugierige Menge, die uns bisher Gesellschaft geleistet, sich verzogen, und wir selbst uns zum Schlafen niedergelegt hatten, sangen einige kräftige Stimmen drüben in der Nachbarhütte geistliche Lieder und hielten mich wach. Ich lauschte ihnen und fand abermals, dass die Kirchengesänge dieser Wilden entschieden mindestens ebenso melodisch klingen wie die unserer Bauern. Neugierig, wer denn die Urheber dieses Nachtkonzertes sein möchten, ging ich hinüber, kroch durch die Thüre und fand, als ich bei der spärlichen Beleuchtung die Gestalten allmälig erkannte, dass es unsere Burschen waren, die in sehr unandächtigen Stellungen, auf dem Rücken liegend, die Arme unter dem Nacken gekreuzt und mit den Beinen in der Luft herumgaukelnd ihre frommen Lieder zu Ehren meiner Erscheinung mit doppelter Kraft zu brüllen begannen, während zwei Mädchen daneben sassen und stillvergnügt und stumpfen Gesichtsausdruckes mit Maultrommeln musizirten.

Als ich am nächsten Morgen mich erhob und ausging einen Bach zum Baden zu suchen, antichambrirte bereits draussen vor der Thüre eine ganze Reihe von Männern und Weibern mit Töpfen, Flaschen und Bündeln, lauter improvisirte Naturalienhändler, die mit uns ein Geschäft machen wollten. Der eine hatte ein paar zerzauste, halbgerupfte Papageien, der andere Schmetterlinge, deren Flügel nur mehr aus einigen Fetzen bestanden, ein dritter in einem alten Senftopf, der nicht gereinigt war, eine lebende kleine Schlange, die heftig darin herumfuhr und sich über und über mit den Senfresten beschmierte. Vogeleier halb oder ganz zerdrückt, Nester mit Eiern die nicht dazu gehörten, und womit man Herrn Kleinschmidt naiver Weise zu täuschen beabsichtigte, Käfer und Schnecken, jedoch kein einziges Exemplar ohne Beschädigung, viele Dinge, die unverletzt werthvoll, aber in den Händen dieser achtlosen Sammler vollkommen unbrauchbar geworden waren, alles Mögliche boten sie uns feil. Ein paar Mädchen kamen schlau lächelnd herbei und trugen grosse Töpfe, sorgfältig die Deckel zuhaltend, und als sie öffneten, wimmelten und krabbelten hunderte von grossen, schwarzen Schaben darin. Und da sie nun an uns keine Käufer fanden, entledigten sie sich sogleich, indem sie ihre Töpfe ausleerten, der ekelhaften Thiere, die nun nichts eiligeres zu thun hatten, als schaarenweise in unsere Hütte zu flüchten.

Es gab einige seltene Vögel hier. Mister Daymac ging auf die Jagd und schickte durch Jungen die erlegten, sowie er einen geschossen, an Herrn Kleinschmidt, der sie sofort abbalgte. Wir hatten zu dieser Arbeit einen Tisch mitgebracht, aber das Wetter sah trübe aus, hie und da fing es an zu regnen, und häufig mussten wir uns ins Innere der Hütte flüchten, wo man nur auf dem Boden arbeiten konnte, da die Fenster so niedrig waren, dass sie höchstens die untere Fläche des Tisches beleuchteten.

Ich selbst lief einigen Schmetterlingen nach, und ein Eingeborener, der schon den ganzen Vormittag mir gefolgt war, von Zeit zu Zeit, wenn ich mich umdrehte, mich freundlich angrinsend, ohne ein Wort zu sprechen, unterstützte mich leider in meinen Bemühungen. Vergebens suchte ich ihm begreiflich zu machen, dass er mir das Schmetterlingfangen überlassen solle. Sein Eifer mir zu helfen war unabweisbar. Fast jedesmal kam er, gewandter und flinker als ich, mir zuvor und schnappte mit seinen Händen meine Beute weg, um sie dann äusserst befriedigt mir zu überreichen, aber nie ohne sie in seinen täppischen Fingern gründlich ruinirt zu haben.

An der anderen Seite des Dorfes stand ein Ndrallabaum in Blüthe, ein Baum, der im alten Kalender der Vitis eine grosse Rolle spielt. Er gehört zu den wenigen, die alle Jahre ihre Blätter abwerfen, und ehe diese wieder sprossen, treibt er zuerst seine traubenförmigen Blüthen. Sie sind von einer merkwürdig blutrothen Farbe, an die mich später auf Hawaii im Krater des Vulkans Kilauea die kochende Lava des Feuersees lebhaft zurückerinnerte, und prangend in kahlem Astwerk, geben sie mitten in der vollen grünen Vegetation und zwischen den wogenden Palmen einen eigenthümlich fesselnden Anblick. Die Blüthe des Ndrallabaumes bezeichnete ehemals für die Insulaner den Anfang eines neuen Jahres und noch jetzt die Zeit, zu welcher Yams gepflanzt werden muss.

Am Nachmittag unternahmen wir einen Ausflug nach der anderen südlichen Seite der Insel, wo heisse Quellen entspringen sollten. Eine kurze, aber mühselige Wanderung über das Felsengeröll des Ufers, welches den Fuss eines vorspringenden steilen Hügels bildet, brachte uns nach dem Nachbardorf Taulalia, dessen Kirche ebenso wie früher gesehene mit weissen Muschelguirlanden behangen ist. Dann ging es nach links und in südlicher Richtung eine Bergschlucht hinauf, in deren vor den Winden geschützten Tiefen Brotfrucht- und Farnbäume wuchsen, zu beiden Seiten des Weges kunstvoll angelegte Tarosümpfe, die ein geschwätzig murmelndes Wässerchen berieselte.

Hoch oben auf dem Bergsattel, dem Hauptstrebepfeiler des Bukelevu zu unserer Rechten, von wo aus wir wieder vor uns und hinter uns die blaue See mit den herrlich violetten und grünen Korallenriffen und den weissen Schaumlinien erblickten, winkte uns zwischen Bananen eine kleine Ansiedelung, Nambali (vielleicht verwandt mit »Yarambali«), zur wohlverdienten Rast. Zum ersten mal fand ich hier das Innere der Hütten durch nicht ganz bis oben reichende Wände aus Flechtwerk in mehrere Gemächer getheilt, eine höhere Stufe des Baustyls. Dann kam der Abstieg, und rasch gelangten wir auf steilen und engen Pfaden hinunter, theilweise durch einen Forst mit eingestreuten Baumfarnen, wie er schöner selbst in Neuseeland nicht gedacht werden konnte. Eine einsame Hütte, ein paar scheue Mädchen, die eilig ins Gebüsch entfliehen, noch ein Stückchen Wald, ein Palmenhain und wir sind in dem grossen Dorf Dalingele.

Dalingele ist das ansehnlichste und sauberste Vitidorf, welches ich je gesehen habe. Der Häuptling, ein stattlicher Mann von höchstens vierzig Jahren, nur mit dem braungemusterten Sulu aus Tapa bekleidet, kam uns zum Willkomm entgegen.

Von allen bisher kennengelernten Häuptlingen schien dieser am meisten auf seine Würde zu halten. Im Hintergrund seiner Hütte, die durch einen Querbalken und etwas höhere Polsterung unter den Matten von dem übrigen Theile abgesondert war, durften nur er und wir niedersitzen. Vorne sass ein Dutzend Männer jeglichen Alters, seiner Befehle gewärtig, mit denen er nicht sparsam umging, vielleicht nur um uns zu zeigen, wie flink seine Untergebenen gehorchten. Blos ein Junge von etwa zehn Jahren schien das Privilegium strafloser Ungezogenheit zu geniessen und molestirte alle Uebrigen, selbst das Oberhaupt mit seiner frechen, ruhelosen Zudringlichkeit, indem er hier einem den Tabak aus dem Ohrläppchen oder aus dem Turban stahl, dort mit einem Feuerbrand herumfuchtelte und das Gebäude anzuzünden drohte, Alles was er sah für sich in Anspruch nahm und schliesslich auch auf unser Gepäck sein Augenmerk richtete, was er indess nach einer entschiedenen Zurückweisung aufgab. Vielleicht war der ungezogene Junge ein Vasu, jener Neffe des Häuptlings, dem in früheren Zeiten nach einer äusserst merkwürdigen, alten Rechtsüberlieferung der Vitis Alles gehörte, was dem Häuptling untergeben ist. Nur Männer sassen mit uns zusammen, die Weiber des Häuptlings hatten ihre Hütte nebenan für sich, wo sie kochten.

Wir waren gerade zu guter Stunde nach Dalingele gekommen. Denn für denselben Abend war ein grosses Festessen in Vorbereitung. In allen Hütten wurde eifrig gekocht und gepantscht und dabei nicht minder eifrig gelacht und geklatscht. Kokosnüsse, Taroknollen und Tiriwurzeln, Schweine und Hühner sah man in grossen Massen an Stangen von je zwei Männern durch das Dorf tragen und hie und da ganze Kolonnen solcher Träger einherziehen. Weiber mit Haufen frischgewaschener weisser Sulus kamen vom Bache zurück.

Der Priester der Gemeinde war ein Tonganer, und an ihm und seiner Frau sowie an dem achtjährigen Mädchen des frommen Paares, welches allein unter allen Kindern vollständig nackt herumlief, fiel mir zuerst die helle Hautfarbe dieser fremden Einwanderer auf. Es gab überhaupt viele Tonganer hier, und einmal, als ich arglos um eine Ecke biegend plötzlich einer Gesellschaft tonganischer Weiber gegenüberstand, war ich sehr betroffen, da ihre vergleichsweise blassen, fast pomeranzengelben Körper mir momentan den Eindruck machten, als ob ich entkleidete Europäerinnen überrascht hätte. Auch in Bezug auf ihre Gesichtsbildung waren sie wesentlich verschieden von dem Typus der relativ niggerhaften papuanischen Vitis und näherten sich stark den Zügen arischer oder semitischer Rasse. Besonders lebhaft steht mir noch heute ein Mädchen in Erinnerung, das mich durch seine Aehnlichkeit mit jener jüdischen Ladenmamsell frappirte, bei der ich in Hamburg meine Handschuhe zu kaufen pflegte. Ich sah sie zuerst am nächsten Morgen in der Kirche, wo sie züchtiglich das vorgeschriebene Busenschürzchen trug. Als der Gottesdienst aus war, paradirte sie mit einem Bananenblatt ihr orientalisches Lockenköpfchen beschattend so lange vor mir herum, bis ich sie zeichnete, und warf kokett das Busenschürzchen über die Schultern zurück, um mir den Anblick ihrer jungfräulichen pomeranzengelben Formen ungeschmälert zu gönnen.

Ehe die Dunkelheit hereinbrach, ging ich nach dem Badeplatz am Meeresstrand, wo ich grosse Gesellschaft fand. Durch einen wirklichen, echten Wald von Brotfruchtbäumen, in dem ich zum ersten mal einige unreife Brotfrüchte sah, nicht grösser als Pomeranzen, während noch überall Blüthen hingen, schlängelte sich wenige Schritte entfernt ein Süsswasserfaden, sehr bequem gelegen, um nach dem Bad im Meere das Salz von den Gliedern zu spülen. Der ganze Strand war voll von Männern, welche sich nach des Tages Arbeit zum festlichen Mahle wuschen und mit frischen weissblinkenden Sulus schmückten. Sie thaten sehr schamhaft. Denn keinem fehlte ein wenn auch noch so geringfügiges Suspensorium aus schmalen Tapastreifen um die Lenden geschlungen, der »Malo«. Viele gingen mit dem alten schmutzigen Sulu ins Wasser, um ihn danach, sorgfältig wie Weiber sich umblickend, mit dem neuen zu vertauschen.

Wo ich nur ging, folgten mir Kinder in respektvoller Entfernung, und blieb ich stehen und wendete ich mich um, liefen sie furchtsam davon. Als wir am nächsten Morgen die heissen Quellen, die kaum eine Viertelstunde entfernt an dem Wege nach Kamburiki im Mangrovesumpf des Ufers aus der Erde emportauchen, besuchten, waren sie indess schon zutraulicher geworden und trugen mir triumphirend meine Stiefel die ich ausgezogen hatte, Gegenstände ihres höchsten Ehrgeizes, auf Stangen voran.

Am Abend verkündete der weithin schallende Ton der hölzernen backtrogähnlichen Kirchentrommeln, der Lalis, welche zwei Jungen mit Klöppeln bearbeiteten, den Beginn des Festschmauses, und die Männer des Dorfes leere Palmblattkörbe tragend versammelten sich vor der Weiber- und Kochhütte des Häuptlings, um ihre ansehnlichen Rationen an gestobtem Schweine- und Hühnerfleisch, Taro und Pudding in Empfang zu nehmen. Auch wir erhielten unseren Antheil, alles zierlich auf Bananenblättern kredenzt. Messer und Gabel gab es nicht, man bediente sich nur der Finger. Der Pudding, ein einheimisches Nationalgericht, bestand aus einer klebrigen, sehr süssen Masse, die in Massawablätter eingewickelt und aus Taromehl und der zuckerhaltigen Tiriwurzel bereitet war. Dann folgte wieder das obligate Kawagelage.

Herr Kleinschmidt erfuhr, dass ein hochbejahrter und angesehener Häuptling von der Rewa, dem Flussdelta an der Südostecke der grossen Insel Vitilevu, sein alter Freund, seit einem Jahre in Dalingele wohne und kränklich sei. Wir gingen noch vor dem Schlafengehen ihn zu besuchen. Schon bei unserem Einzug in das Dorf waren mir zwei Gebäude durch hervorragende Grösse und geschmackvolle Bauart aufgefallen. Das eine war die Kirche, das andere das Haus jenes alten Häuptlings von der Rewa.

Die innere Einrichtung entsprach ganz dem Gepräge der Wohlhabenheit, das schon die Aussenseite trug. Ich trat zum ersten mal durch die Thüre einer Vitiwohnstätte, ohne mich bücken zu müssen, in einen hohen, weiten Saal, der das ganze Gebäude ausfüllte. Drei Feuer, um welche einige Weiber sassen, flackerten darin, und auf einer erhöhten Platform, welcher ein quergespannter Moskitovorhang aus kunstvoll gefilzter Tapa etwas Bühnenartiges verlieh, lag einsam und allein der ehrwürdige Greis, dem unser Besuch galt. Geflochtene Matten von ausgezeichneter Feinheit bedeckten den weichgepolsterten elastisch federnden Boden. Eine gewisse Feierlichkeit herrschte in dem düsteren, unbestimmt erhellten Raum. Wir schüttelten Hände, und ich wurde als grosser »Kauka Papalang«, europäischer Arzt, vorgestellt. Der Aermste hatte vor zwei Jahren die Masern gehabt und litt jetzt an Phthisis wie so viele Eingeborene seit der grossen Masernepidemie. Um den Kranken besser zu beleuchten, holte seine Frau eine Petroleumlampe herbei und gab sich alle Mühe, sie anzuzünden. Aber der Docht war hinabgerutscht, und sie konnte nicht damit zurechtkommen, so dass ich selbst die über und über schmutzige und verluderte Lampe in Reparatur nahm. Und aus dem Gelingen dieser meiner Bestrebungen erwuchs mir sofort ein neuer Ruf, und die Bewohner des Dorfes brachten mir am folgenden Morgen nicht blos ihre Kranken, sondern auch ein paar in Unordnung gerathene Petroleumlampen, um sie von mir kuriren zu lassen.

Nach Hause zurückgekehrt wurde nochmals Kawa gekneipt. Dann zogen wir Hose und Stiefel aus, wickelten davon ein Kopfkissen zusammen und uns selbst in Decken und streckten uns neben dem Häuptling zum Schlafe, über uns ein ganzes Arsenal verrosteter Flinten und zu unseren Füssen die wie Kraut und Rüben durcheinander liegenden nackten Untergebenen, welche fast die ganze Nacht husteten.

Trotzdem erwachte ich äusserst erquickt, als bereits die Trommeln zum Morgengottesdienst riefen, und Herr Kleinschmidt, mein liebenswürdiger Mentor, war schon aufgestanden und in der Küche nebenan beschäftigt Kaffe zu machen. Nach dem Bad ging ich in die Kirche, blieb aber nicht lange, weil meine Anwesenheit zu sehr die Andacht störte, versuchte eine Partie des schönen Dorfes zu zeichnen, porträtirte etliche Mädchen, kurirte kranke Menschen und Petroleumlampen und besuchte hierauf mit Herrn Kleinschmidt die nahen heissen Quellen.

Wenn nicht gerade Ebbe gewesen wäre, hätten wir diese gar nicht gesehen. Denn sie entspringen, drei an der Zahl, aus dem Boden des Mangrovesumpfes, welcher hier das Ufer bedeckt, noch unterhalb der Fluthmarke und bestehen aus je ein bis zwei Meter im Durchmesser betragenden Wassertümpeln von der Temperatur eines etwas heissen Fussbades, was ich feststellte, indem ich hineinwatete, da kein Thermometer zur Hand war. Die Umgebung wimmelt von Soldatenkrabben, welche hier rothe, nicht gelbe Scheeren wie sonst überall zu ihren Löchern herausstrecken. Dicht neben diesen drei Tümpeln führt der Weg nach Kamburiki durch den Mangrovesumpf, und hinter diesem steigen schroffe und kahle Felsen aus Lava empor. Wir hatten indessen nicht alle heissen Quellen zu sehen bekommen. Weiter gegen Kamburiki sind noch mehr vorhanden. Dies sagte man uns erst einige Stunden später, als wir bereits wieder auf der anderen Seite der Insel in unserem Standquartier angekommen waren.

Ehe wir Dalingele verliessen, sollten wir noch Zeugen eines Unfalles sein, der einem Weissen aus Wailevu beinahe das Leben kostete. Eben im Begriff aufzubrechen lockte uns der Ruf »Sail oh«, womit der Engländer und auch der ihn nachahmende Viti das Erscheinen eines Fahrzeuges zu begrüssen pflegt, auf den Strand. Ein europäisches Boot kam mit vollen Segeln vor dem Winde herangefahren. Es gehörte einem in Wailevu ansässigen Kaufmann.

Zwischen ihm und dem Ufer donnerte die Brandung über dem Barriereriff, nur die kleine, schmale Eingangsöffnung freilassend. Merkwürdiger Weise steuerte das Boot nicht in der Richtung dieser, sondern geradewegs auf uns zu, und ich war gespannt, wie das Manöver ablaufen würde. Da plötzlich bäumt sich das Boot, eine schäumende Welle, und es verschwindet mit Mann und Maus. Die Welle weicht zurück, den Kiel nach oben fällt das gekenterte Boot auf das Riff, ringsherum ein halbes Dutzend zappelnder Menschen, von der nächsten Welle ebenso rasch wieder verschlungen. Herr Kleinschmidt und ich, wir waren starr vor Entsetzen. Die Eingeborenen jedoch, Männer, Weiber und Kinder, an der Spitze der fromme Missionär, lachten und freuten sich des aufregenden Schauspiels, wie sechs Menschen draussen auf dem Riff mit den Wellen kämpften. Keiner dachte an Rettungsversuche. Und erst als Herr Kleinschmidt zornig auf sie losdonnerte, und den faulen Bonzen einen heidnischen Teufel schalt, halfen sie mir, ein altes Kanuu, welches am Ufer lag, ins Wasser zu schieben, und schwammen damit den Schiffbrüchigen zu Hülfe, welche glücklich alle mitsammt dem umgekehrten Boot an Land bugsirt wurden.

Der Kaufmann aus Wailevu, welchen der Unfall getroffen hatte, erfreute sich keines sehr guten Rufes, und als ich ihn eine Viertelstunde später seine schlechten Messer und fadenscheinigen Kalikos zum Trocknen ausbreiten sah, konnte ich mir wohl denken, warum man sich nicht allzu sehr zu seiner Rettung beeilen wollte.

Als wir bald darauf unseren Rückweg nach Dangai antraten und durch den Busch den Bergsattel hinan marschirten, hörten wir unfern von uns im Dickicht eine weibliche Stimme um Hülfe rufen. »O, da wird eben ein Frauenzimmer genothzüchtigt« sagte kaltblütig mein Freund, und wir mischten uns nicht weiter in die Angelegenheit. Wahrscheinlich handelte es sich um die Ausübung ehelicher Pflichten nach alter Vitiart, welche den Ehegatten vorschreibt, zu Hause getrennt zu leben und sich zum Zweck des Coitus im Walde draussen Rendezvous zu geben. Unter solchen Umständen würde eine ritterliche Intervention wenig Dank geerntet haben.

Am Nachmittag waren wir wieder auf der anderen Seite in dem schmutzigen, ärmlichen Dangai, dem Gegensatz des reichen und stattlichen Dalingele, und in unserer alten verräucherten Hütte.

Beim Nachbar gab es gegen Abend grossen Skandal. Er schlug seine Frau, warf sie unter Fusstritten sammt ihrem Säugling hinaus, lief ihr gleich darauf nach und entriss ihr nach heftigem Kampf, wobei sie ihn stark in den Arm biss, das Kind.

Eine Menge Gesindel, darunter auch der Missionär des nächsten Dorfes, der uns gleich im Anfang mit seinem Taro hatte anschwindeln wollen, trieb sich in gewinnsüchtiger Absicht um uns herum. Ein aussergewöhnlich magerer und schlanker, geschniegelter Kerl vom Typus des europäischen Friseurgesellen oder feinen Kellners, ins Viti übersetzt, schlich sich immer hinter mir her, um mich ungestört und allein zu sprechen, und machte mir in gebrochenem Englisch schändliche Anträge bezüglich seiner Schwestern oder Kousinen – das einzige mal, das mir derartiges auf Kandavu passirte.

Früh des folgenden Morgens, den 28. Juli, brachen wir auf nach dem Bukelevu, der heute im herrlichsten Wetter und frei von Wolken emporragte. Sechs Träger gingen gegen eine entsprechende Gegenleistung an Sulus, Angelhaken und Glasperlen mit uns.

Der Bukelevu oder Mount Washington ist kaum höher als 3000 Feet oder 915 Meter. Eine genaue Messung seiner Höhe existirte noch nicht, und man liest für ihn 2600, 2800, ja selbst 3600 und 4000 Fuss auf den Karten angegeben. Trotz der geringen Erhebung war diese Partie doch die beschwerlichste Bergbesteigung die ich jemals unternommen. Wir waren die zweiten Europäer, die den Bukelevu bestiegen. Im Jahre 1869 waren der Botaniker Seemann, ein Deutscher, und der englische Konsul Pritchard zuerst oben gewesen.

Abermals ging es über die beschwerlichen Felsblöcke des Ufers nach Taulalia. Von hier aus begann der Berg. Auf wohlgepflegten Pfaden zwischen niedrigem Buschwerk erreichten wir das etwa 300 Meter hoch gelegene Lomadsche, in welchem der schändliche Stutzer von gestern ein wenig verlegen mir wieder begegnete. Bananen- und Batatenpflanzungen, auch etwas einheimisches Zuckerrohr und der schöne grossblätterige Gebirgstaro begleiteten uns noch etwa 100 Meter aufwärts. Gleich hinter Lomadsche kamen wir an einem Yamsfeld vorüber, das eben angepflanzt wurde. Es war kaum ein Tagwerk gross, aber mehr als ein dutzend Männer waren damit beschäftigt, in der landesüblichen bummeligen Art die kleinen Hügelchen für jede Pflanze herzustellen. Sie hatten dabei europäische eiserne und einheimische hölzerne Hacken.

Die richtige, üppige Tropenwildniss stemmte sich uns entgegen. Hohes, schilfartiges, scharf in die Hände schneidendes Gras wechselte mit Busch, durch den kreuz und quer Schlingpflanzen sich woben und den Füssen Fallstricke legten. Doch schon vorher, noch im Bereich der Pflanzungen, hatte eine Stelle des Weges uns einen Vorgeschmack der zu überwindenden Schwierigkeiten gegeben. An einem mehr als senkrechten, das heisst nach innen sich einbiegenden Absturz, kaum zu erkennen vor Vegetation, hörte der Boden plötzlich auf. Unsere Führer luden sich ihr Gepäck auf den Rücken und kletterten, blos mit den Händen und hie und da auch den Füssen an den überhängenden Zweigen und Halmen sich festklammernd und fast frei in der Luft schwebend, horizontal an der ausgehöhlten Wand entlang, während von oben beständig Erdklumpen sich lösten und herabkollerten. Wir folgten ihrem Beispiel, nicht ohne Selbstbewunderung erfreut, als wir das Kunststück geleistet hatten. Und jenseits dieses halsbrecherischen Uebergangs wuchs noch Taro, und als wir am nächsten Tage zurückkamen, sah ich, wie ein altes Weib, mit einer Menge zusammengebundener Taroknollen beladen, sich an ihm entlang arbeitete. Dann ging es wieder bergauf und bergab, so steil wie nie zuvor. Es war ein heisser Tag, und auch unsere Schwarzen schwitzten, dass sie glänzten wie frisch lackirt.

Wir hatten Kawawurzel mitgenommen, und als wieder ein besonders glühender steiler Grashügel mit eingestreuten schwarzen Lavablöcken überwunden war, setzten wir uns in den Schatten einer Schlucht, in der ein schmutziger, gelbbrauner Wassertümpel, von unzähligen Moskitolarven bewohnt, versteckt lag, und liessen die Burschen kauen und Kawa in einer Schüssel, welche aus grossen Taroblättern improvisirt wurde, zubereiten. Noch mindestens zwei Stunden empfand ich die wohlthuende Kühle im Gaumen, die dieses vom Standpunkt europäischer Zimperlichkeit so ekelhafte, aber entschieden sehr erfrischende Getränk zurückliess.

Die Schlucht, in der eine angenehme Kühle herrschte, setzte sich in hohen Staffeln nach oben fort und erwies sich als ein vertrockneter Wasserlauf, durch den in der Regenzeit imposante Kaskaden herabstürzen mögen. Jetzt waren nur hie und da unter überhängenden Felsen einige schmutzige Tümpel übrig geblieben. In ihr stiegen wir etwa 200 Meter weit empor. Wir hatten vorsorglich ein starkes Tau mitgebracht, welches nun vortreffliche Dienste leistete. Unsere nackten Burschen machten sichs bequem, legten ihre Hüftenbekleidung ab und banden sie als Turban um die Stirne, so dass sie um die Hüften nur mehr mit dem schmalen Suspensorium bekleidet waren, welches jeder erwachsene Viti unter dem Sulu trägt. So kletterten sie die schlüpfrigen Felsenstaffeln hinauf und zogen uns und das Gepäck mit dem Tau nach. Wir kamen nur langsam Absatz um Absatz vorwärts. Aber das Fehlen von dichterem Pflanzenwuchs und die erquickende Kühle zwischen den feuchten, bemoosten Wänden, über die ein majestätischer Busch sich wölbte, erleichterten wesentlich diesen Theil der Besteigung. Unsere Wilden, denen wir Alles, selbst die Gewehre und Stiefel, übergeben hatten, um sämmtliche vier Extremitäten frei zu haben, jodelten laut vor Freude.

Wir bedauerten sehr, als die Schlucht oben aufhörte und wieder der Kampf mit dem Buschwerk bevorstand. Zwei Mann mit grossen Faschinenmessern wurden voran beordert, uns durch die Schlingpflanzen einen Weg zu bahnen. In einem langgezogenen Gänsemarsch wanden wir uns steil und mühsam in Schlangenlinien hinauf, wir beide Herr Kleinschmidt und ich zuletzt, in der egoistischen Absicht, die Gesammtwirkung der gemietheten sechs Paar Beine uns zu Nutzen kommen zu lassen. Beständig krachten die Zweige, oft stockte die Karawane, die Schwarzen jodelten jetzt nicht mehr, wir keuchten schweisstriefend, ohne ein Wort zu verlieren, einer hinter dem andern. Meine Geschwüre an den Füssen von den Korallenriffen her schmerzten in den steifen, nassgewordenen Stiefeln zu heftig, als dass ich sie anziehen konnte, und barfuss stiess ich mich jeden Augenblick an Wurzeln und Steinen, was aber immer noch erträglicher war.

Das Dickicht wurde verworrener und schlimmer, so schlimm, wie ich es selbst im Busch von Gavatina noch nicht gesehen, statt unserer Hoffnung, es würde mit der Höhe abnehmen, zu entsprechen. Wir verloren den festen Boden und marschirten nur mehr in krachenden Zweigen, Wurzeln und Lianen, lebenden und abgestorbenen, die wie das Gerüst eines Schwammes in allen Richtungen ineinandergewoben und an einzelnen Stellen so dicht und fest waren, dass bereits Erde sich in den Maschen angesammelt und einen Ausgangspunkt für neues junges Wachsthum gebildet hatte, tiefe Hohlräume unter sich lassend. Bald fielen wir, durchbrechend durch eine morsche Schlinge, etliche Fuss tief hinab, jedes Bein in ein eigenes Loch wirrer Vegetation, und hatten uns wieder herauszuarbeiten, bald kletterten wir nur mit den Händen, während die Beine baumelnd vergebens eine Stütze suchten, um einen überhängenden Wulst, der unter unserem Gewicht sich abwärts bog.

Wir wussten kaum noch die Richtung. Aufwärts, nur immer aufwärts. Wie sehr war ich überrascht, als ich einmal unter mich hinabblickte, und das Wirrsal von Aesten und Wurzeln auf dem ich stand, sich lichtete, und beinahe senkrecht unten in der Tiefe die blaugrüne See heraufschimmerte. Wir waren in einen Knäuel von Maschen gerathen, welcher an einer Felswand herabhing, und schwebten über dem Abgrund. Die schwindelnde Situation war jedoch lange nicht so gefährlich. Denn wären wir auch durchgebrochen, tausend Arme und Schlingen waren bereit, uns aufzufangen.

Endlich gewannen wir wieder Grund, und eine Stunde später waren wir oben auf dem Bukelevu. Wohl niemals war eine mühseligere Bergbesteigung mit weniger Genuss belohnt worden. Nirgends eine Aussicht, überall Bäume und Gebüsch, durch dessen Lücken kaum einzelne blaue Fleckchen des Himmels guckten. Blos das uneigennützige abstrakte Bewusstsein, dass wir auf einem Punkte standen, den vor uns nur wenige Menschen betreten hatten, war unser Preis. Vielleicht sogar waren wir die ersten Menschen hier oben. Denn unsere Diener behaupteten, die Seemannische Gesellschaft sei nicht weiter als bis zum letzten Absatz, eine Stunde tiefer, gekommen. Und von den Eingeborenen wird sich wohl keiner aus reinem Vergnügen hier herauf gequält haben. Dazu sind sie zu praktisch.

Die Sonne war schon hinabgesunken, der Abend brach herein, rauhe Winde fuhren durch die Wipfel, und die Luft war so kalt und so feucht hier oben, dass wir den Hauch vor dem Munde sahen und nach den eben gehabten Anstrengungen einen eisigen Frost in den Gliedern fühlten.

Eigenthümliche grossblätterige, mannshohe Pflanzen wuchsen allenthalben, deren Stengel so weich und wässerig waren, dass man sie wie Butter mit dem Messer durchschneiden und wegmähen konnte. Der Boden war überall nass, schwarz und moorig. Auf ihm mussten wir unser Nachtlager aufschlagen, eine trübselige Perspektive. Die sechs Wilden beeilten sich, ein Feuer anzuzünden, nicht etwa durch Reiben, sondern mittels moderner Zündhölzchen, und wir alle griffen zu Messern und Aexten, um Holz zu schlagen und Aushaue in verschiedenen Richtungen herzustellen, damit wir doch wenigstens, ehe es dunkel wurde, noch etwas von der Aussicht zu sehen bekamen.

Mit vereinten Kräften warfen wir uns auf die jungen Bäume und zerfetzten erbarmungslos ihre Zweige, und war ein Dutzend Laubkronen gefallen, so erhoben sich immer wieder noch ein paar Dutzend hinter ihnen, die uns den Blick begrenzten. Schliesslich waren wir zufrieden, als wir blos einen jämmerlich zersäbelten Baumstumpf etwa sechs Meter hinaufzuklimmen brauchten, um die Höhenzüge der Insel zu überschauen. Von hier aus entdeckte ich, dass wir uns mit der grössten Wahrscheinlichkeit auf der Umwallung eines alten, jetzt allenthalben mit dichtem und hohem Wald bedeckten Kraters befanden, dessen eine Hälfte gegen Osten, also gegen die Insel zu, durchbrochen und hinabgesunken war, während die andere im Westen, wo die Insel aufhörte, sich deutlich im Halbkreis zu uns, die wir an der nördlichen Kante standen, herumzog. Zugleich aber entdeckte ich, dass weiter südlich die Baumwipfel sich höher erhoben, und glaubte daraus den unliebsamen Schluss ziehen zu dürfen, dass wir uns noch nicht auf der höchsten Stelle des Bukelevu befanden.

Hierüber wollte ich mir klar werden. Ich nahm einen Schwarzen mit mir und versuchte, mit seiner Hülfe auf jenen Punkt zu gelangen. Als wir uns ungefähr eine Stunde geplagt hatten, häufig in überwucherte hohle Baumstämme versinkend, häufig in einem Dickicht uns festbeissend, das wir dann doch nicht bewältigen konnten und umgehen mussten, waren wir etwa hundert Schritt weit vorwärts gedrungen, ohne etwas zu sehen. Ich versuchte einen der riesigen Bäume zu erklettern. Alle Stämme waren dick mit Schlinggewächsen überzogen, so dass nirgends eine Spur der Rinde zum Vorschein kam. An den Ranken sich emporzuziehen war indess unmöglich. Sie gaben nach und brachen, und um an ihnen dennoch aufwärts zu kommen, dazu hätte ich vielleicht eine Stunde gebraucht. Meine Kräfte waren zu sehr erschöpft, als dass ich die Sisyphusarbeit hätte fortsetzen mögen.

Es wurde dunkel. Ein gewaltiger Hunger nagte in unserem Innern. Wir befahlen den Proviant auszupacken. Die sechs Burschen suchten in allen Bündeln und Säcken herum, einer stupfte besorgt den anderen, sie schalten sich und wurden verlegen und ängstlich. Aber auch uns wurde ängstlich zu Muth. Die verfluchten Kerls hatten wirklich den Proviant vergessen. Nur die Kaffebüchse hatten sie mitgenommen.

Da sassen wir nun mit knurrendem Magen, ärgerlich über unseren Leichtsinn, die Träger nicht Stück für Stück selbst beladen zu haben. Wonach wir uns schon seit mehreren Stunden so heiss gesehnt, lag unten in Dangai.

Zum Glück fand ich in meiner Hosentasche einige zähe Fasern Salzfleisch und mein Freund in der seinigen einen zerbröckelten Zwieback. Wir theilten redlich diese kostbaren Gaben des Zufalls und kochten Kaffe mit der bräunlichen Flüssigkeit des Moskitolarven-Aquariums in der Kaskadenschlucht, von dem wir unsere Wassergefässe gefüllt hatten, ohne die nahrhaften Bestandtheile derselben zu unterschätzen. In diesem bestand die einzige Erquickung von acht todtmüden und gierig hungrigen Menschen, ohne Aussicht vor sechszehn Stunden wieder zu etwas Essbarem zu gelangen.

Der Boden war so uneben, so voller knorziger Wurzeln und abgehauener spitz emporstehender Stämmchen und Zweige, dass sich kaum etwas herstellen liess, was wie ein molliges Lager zum Schlafen aussah. Farnkraut zur Polsterung gab es hier oben nicht. Wir mussten es also mit jenen eigenthümlich wässerigen Pflanzen versuchen, die ringsherum wuchsen. Aber der Saftreichthum dieser weichlichen Geschöpfe drang sofort aus allen Blättern und Stielen und verwandelte das Lager in ein klebriges Gemüse, sowie man sich darauf niederstreckte.

Unser Feuer war kaum in Brand zu erhalten. Das Holz war alles so grün und feucht, dass es nicht brennen mochte. Ich konnte nicht schlafen vor Kälte und zog es vor beinahe die ganze Nacht mit der Axt zu arbeiten, um mich zu erwärmen.

Die sechs nackten Burschen dagegen zeigten eine wahrhaft heroische Faulheit. Zähneklappernd, Grimassen schneidend und stöhnend kauerten sie sich zusammen, sahen mit grosser Befriedigung zu, wie ich Holz herbeischleppte und das Feuer schürte, und froren lieber bis zu förmlichen Konvulsionen als dass sie eine Hand gerührt hätten. Ich hatte ihnen meine Decke abgetreten, in die sich abwechselnd zwei zusammen wickeln durften. Die anderen mühten sich unterdess mit sehr komischen Experimenten ab, wie man durch gewaltsames Einschrumpfen und Verschränken der Glieder die Körperoberfläche am wirksamsten verkleinern und in den dünnen Sulu einhüllen könne. Eine dunkle Reminiszenz war es vielleicht, die ihnen schliesslich die Haltung des Kindes im Mutterleibe eingab.

Bald setzte ich mich auf einen Baumstumpf und stierte ins Feuer und horchte dem Sieden des Holzes zu und fluchte des vergessenen Proviants, bald ergriff ich wieder die Axt und zerfetzte eines der nächsten Bäumchen. Dann legte ich mich wieder, schläfrig geworden, in das Gemüse, stand aber gleich wieder auf und kletterte auf den Aussicht gewährenden Stamm um zu sehen ob im Osten noch kein blasser Schimmer heraufkäme, dann griff ich wieder zur Axt. So verging langsam diese ungemüthliche Nacht. Heisere Schreie ertönten aus der todesstillen Luft, als es eben anfing zu dämmern. Es mochten Möven sein, die bereits auf dem Wege waren und über unser Feuer erschraken.

Die milden Strahlen der Sonne hauchten neues Leben in unsere erstarrten Glieder. Herr Kleinschmidt und ich kletterten auf den Aussichtsbaum, um die Höhenzüge der Insel Kandavu zu zeichnen, was uns nicht wenig Ueberwindung kostete. Die Dienerschaft war darüber im höchsten Grad unzufrieden. Sie drangen heftig zum schleunigen Aufbruch, und einer ging in seiner naiven Unverschämtheit so weit zu behaupten, dass die Sonne gleich wieder untergehen würde.

Unsere Spuren von gestern brachten uns ziemlich rasch hinab. Jetzt da ich wieder in Schweiss kam, erwachten Hunger und Durst mit zehnfacher Energie und machten mich für die ganze herrliche Morgennatur unempfindlich. Ich litt an der fixen Idee eines Beefsteaks und etlicher Gläser Bier. Es war mir unmöglich an etwas Anderes zu denken, und die prachtvollsten Szenerien gingen eindruckslos an mir vorüber. Ich lechzte nach den braunen Pfützen der Kaskadenschlucht, und nervös und gierig und ohne ein Wort zu sprechen stürzte und stolperte ich die steilen Abhänge hinab durch die krachenden Zweige und Wurzeln.

Ich hatte schon vielfach Gelegenheit gehabt mich im Hungern zu erproben und glaubte mich ganz gut darauf zu verstehen, mehr als die meisten anderen Menschen, mit denen ich um die Wette gehungert. Herr Kleinschmidt aber übertraf mich weit. Wenn wir Tage lang im Busch herumgeklettert waren und Abends erschöpft nach Hause kamen, konnte er sich hinsetzen und ein halbes Dutzend Vogelbälge abziehen ohne ans Essen zu denken. Und auch jetzt musste ich ihn bewundern. Er schien viel weniger zu leiden als ich.

Wir waren glücklich wieder in der Kaskadenschlucht. Aber die braunen Pfützen von gestern, nach denen wir lechzten, schienen über Nacht vertrocknet zu sein. Wir guckten in alle Löcher und Spalten der Felsen. Nichts von trinkbarer Flüssigkeit liess sich entdecken.

Herr Kleinschmidt war etwas zurückgeblieben, und wir anderen warteten auf ihn, indem wir eifrig nach Wasser forschten. Es schien mir, einer der Träger in meiner Nähe hätte Wasser gefunden. Froh darüber rief ich ihm zu, mir davon zu bringen, und es entspann sich zwischen uns beiden folgendes Gespräch. Ich frage, einer längeren Satzbildung im Viti nicht fähig »Wai?« (Wasser?). »Singai« (Nein, nicht, kein, überhaupt allgemeine Negation). Ich glaubte nicht recht verstanden zu haben und frug nochmal »Wai singai?« (Kein Wasser?) Er »Jo« (Ja). Ich »Hele mai Wai« (Bring her Wasser). Er mit ärgerlicher Betonung »Singai, Wai singai«. Ich verwundert »Wai singai?«. »Jo«. Das war mir nun zu arg. Der Kerl wollte mich entweder mit meinem peinlichen Durst verhöhnen oder mir das gefundene Wasser vorenthalten. Ich kletterte zu ihm hinüber und brüllte ihn an so grob ich konnte »Hele mai Wai, Mbativuti« (Faulpelz). Er aber klebt unter mir an seinem Felsen mit der unschuldigsten Miene und antwortet abermals sein fatales »Wai singai«. Jetzt erst fiel mir ein, dass er ganz richtig meine in der Negation gestellte Frage mit »Jo« beantwortet, logischer als wir Europäer, die wir in diesem Falle »Nein« gesagt hätten. Meine Unkenntniss hatte ihm Unrecht gethan.

Endlich ganz unten fanden wir etwas fauliges Wasser. Es schmeckte ekelhaft, aber wir waren darüber doch so sehr erfreut, dass der Finder zur Belohnung eine Flinte abschiessen durfte, sein heissester Wunsch, um dessen Erfüllung er schon die ganze Zeit gebettelt hatte. Zwei Fächerschwänzchen flatterten in der Nähe neckend herum, und diese nahm er aufs Korn. Er traf natürlich nicht ein einziges der hübschen Thierchen, und mit leeren Händen, aber dennoch freudig grinsend und stolz kehrte er aus dem Gebüsch zurück, nachdem er beide Läufe losgeknallt hatte. Er wurde dafür zum »Tamata ndakai«, Meister des Schiessens, ernannt, ein Spitzname, der ihm wohl Zeit seines Lebens bleiben wird, und durch den er sich äusserst geschmeichelt fühlte.

In dem hochgelegenen Dorf Lomadsche angelangt konnten wir endlich auch unseren Hunger einigermassen stillen. Wir kehrten in einer Hütte ein und liessen uns Kokosnüsse und gekochte Schnecken geben.

Es war der in unseren Naturalienkabinetten noch so seltene und nur auf die Insel Kandavu beschränkte, hier aber massenhaft vorkommende Bulimus Seemanni, mit dem wir regalirt wurden. Abgesehen von der langgestreckten Form des Gehäuses erinnert er vielfach an unsere Helix Pomatias. Das Thier sieht ganz ebenso aus, und auch die Epidermis der Schale hat die Eigenschaft sich abzubröckeln, so dass der weissliche Kalk blossgelegt wird. Namentlich an den Hängen des Bukelevu scheint er besonders gut zu gedeihen und als Bewohner höherer Regionen eine stärkere und schlankere Entwickelung des Gehäuses zu zeigen wie in den übrigen weniger hohen Bergwäldern Kandavus.

Ein paar Weiber kamen vom Fischen zurück. Sie waren mit dem Blättergürtel, dem Liku, angethan. Zu Ehren unserer Anwesenheit beeilten sie sich, in einer Ecke dieses altmodische Kleidungsstück schnell mit einem moderneren Baumwollensulu zu vertauschen.

Als wir aufgetriebenen Leibes von den Kokosnüssen und Schnecken und mit qualvollen Bauchschmerzen unser Standquartier Dangai erreichten, verkündeten uns schon von ferne die fröhlichen Farben rother, gelber und grüner Federn, die rings um unsere räucherige Hütte gestreut den Boden bedeckten, dass Mister Daymac eine Menge Papageien zu unserer Nahrung erlegt hatte. Sie kochten bereits den ganzen Tag in einem der grossen Töpfe und bildeten nun, zu einem zarten mit Knochen durchspickten Fleischbrei aufgelöst, ein köstliches Mahl.

Der nächste Tag war ein Sonntag. In aller Frühe krochen die Mädchen des Dorfes aus ihren Hütten, sich festlich zu schmücken. Zuerst wurde draussen in der See ein Bad genommen, wobei sie züchtig den Sulu am Leib behielten. Dann setzten sie sich im Kreise zusammen und zerkratzten sich ihre kurzgeschorenen Häupter mit gestielten hölzernen Kämmen. Da auch ich ganz in der Nähe mit meiner Toilette beschäftigt war, kam eine derselben heran, mich um meinen europäischen Kamm zu bitten, und war sehr glücklich, als ich ihn gewährte. Ich hielt es für gut, ihn danach aufs Sorgfältigste durchzumustern. Eine andere lief nach unserer Hütte und holte sich unseren Wassereimer, den sie dann alle als Spiegel benutzten. Dangai ist eben ein so abgelegener und armseliger Ort, dass man von europäischen Artikeln ausser Sulus und Messern dort noch nicht viel kennt.

Jungen hatten unterdessen eine grosse Schüssel Kalkbrei gebracht, und alle lagerten sich um sie herum, ihre Häupter damit zu beschmieren, und mit den gespreizten Fingern beider Hände den Brei recht gleichmässig in die Haare zu kämmen, immer nach oben streichend, bis Haare und Brei zu einer festen Masse erstarrten und aussahen wie die Frisur einer Gypsbüste. Schliesslich steckten sie Diademe von Papageifedern in den noch weichen Stoff und beguckten sich im Wassereimer, indem sie übergeflossene Theilchen an der Stirn und am Nacken mit Stäbchen abschabten und dadurch scharfe Konturen herstellten. Die dunkelbraunen Gesichter kontrastirten gar merkwürdig mit der glänzend weissen Koiffüre.

Nach Beendigung dieser Prozedur banden sie frischgewaschene Sulus um, schlangen Blätterguirlanden um die Hüften und rothgefärbte Gräser gleich Strumpfbändern um die Waden und salbten sich den Körper mit Kokosöl auf eine ziemlich einfache Weise. Jede nahm ein Stück Kokosfleisch in den Mund und kaute es aus. Dann spuckten sie den milchigen Saft auf die Hände, rieben damit flüchtig Gesicht und Busen, Arme und Beine ein, und der Sonntagsstaat war fertig. Als es zwei Stunden später zur Kirche ging, entfernten sie die bunten Papageifedern aus der Kalkfrisur. Ihr Missionär würde solch frivolen Schmuck beim Gottesdienst übel vermerkt haben.

Man sagt, dass das Einkalken der Haare als Mittel gegen Läuse diene. Wenn dies wirklich der Zweck desselben sein soll, so kann ich mit aller Bestimmtheit behaupten, dass es nicht viel hilft. Denn ich fand gekalktes rothes Haar niemals weniger infizirt von Ungeziefer als ungekalktes schwarzes. Auch theoretisch ist nicht einzusehen, warum der Kalk, welcher den Korallenbänken entstammt und wohl nur sehr oberflächlich gebrannt zur Anwendung kommt, jenen ziemlich robusten Thierchen verderblicher sei als den Haaren. Ein stark gebrannter ätzender Kalk würde nicht nur die Läuse, sondern auch die Haare ruiniren. Vielmehr glaube ich, dass das Verfahren nur einen kosmetischen Zweck hat. Man will damit den schwarzen Haaren eine röthliche Farbe verleihen, die ja auch die Schönen der Tizianischen Zeit so sehr liebten.

Bei einer näheren Untersuchung unserer räucherigen Hütte entdeckte ich auf einem Brett unter dem Dache zwei alte aus Holz geschnitzte Lanzen. Ich bot dem Eigenthümer mein letztes Taschenmesser dafür und erhielt sie. Kaum hatte ich hierdurch meine Liebhaberei für Waffen kundgegeben, so erschien ein Anderer und brachte zwei Lanzen derselben Art, die noch viel schöner waren, als die ersten. Leider besassen wir nichts mehr an Tauschartikeln oder Geld, so dass ich auf die Acquisition verzichten musste. Auch ein prachtvolles grosses Stück bedruckter Tapa, welches mich sehr reizte, musste ich zu meinem lebhaften Bedauern wegen Entblössung von allen Mitteln zurücklassen.

Nach dem Frühstück begab ich mich an den Strand um noch schnell den Bukelevu zu zeichnen, ehe wir abreisten. Da versammelte sich natürlich wieder das ganze Gesindel der Jungen und Mädchen um mich und hörte nicht mehr auf, meine Kunst bewundernd »Ossibi, Ossibi« (schön) zu schreien. Sie wurden mir bald lästig und immer zudringlicher und dreister. Eines der Mädchen, unsere Nachbarin, eine hetärenhafte Person mit aussergewöhnlich groben und hastigen Manieren und ungezogenem Lachen, trieb die Frechheit so weit, sich ganz unverfroren auf meinen Rücken zu lümmeln. Ich zog ruhig mein grosses blankgeschliffenes Messer aus dem Gürtel, und im Nu stob die ganze Gesellschaft kreischend auseinander, um mir nicht wieder in die Nähe zu kommen.

Wir brachten unser Gepäck auf den Kutter und lichteten Anker. Während eine frische Brise uns vom Lande entfernte, strömten am Ufer die Eingeborenen der Umgebung schaarenweise in die Kirche nach Taulalia, von wo das Getrommel der Lalis zum Gottesdienst rief. Es war ein charakteristisches farbenreiches Bild, die hohen braunen Gestalten der graubebarteten Männer und die gypsköpfigen Weiber und Kinder alle in hellen, bunten Gewändern den glänzenden Strand dahinwandeln zu sehen, hinter ihnen das dunkle Gebüsch und die Palmen, vorne die grünblaue schäumende See und über dem Ganzen der strahlende blaue Himmel.

XVI.
LETZTE TAGE AUF KANDAVU.

Mit dem Kutter nach Namalatta. Ein kleiner Albino. Festgäste von Tavuki. Wieder im Hotel zu Wailevu. Packerei und Einkäufe. Der Regierungshäuptling. Ankunft der Zealandia und Gerichtsverhandlung. Das Inselchen Angaloa.

Meine Tage in Gavatina waren gezählt. Ich musste an den Abschied denken und einpacken. Am 4. August sollte der Dampfer von Neuseeland, er konnte aber auch früher kommen, und um ihn nicht zu versäumen, war es gerathen schon vom zweiten an in Wailevu auf ihn zu warten.

Herr Kleinschmidt gab mir das Geleite dorthin. Der Kutter brachte uns zunächst wieder in die Namalatta-Bucht. Auf dieser langweiligen Fahrt, die durch widrigen Wind und durch die von den Korallenriffen auferlegten Umwege beinahe einen ganzen Tag in Anspruch nahm, sah ich zum ersten mal eine Schildkröte im Wasser schwimmen und schlafen. Nur die Schnabelspitze und der oberste Theil ihres Rückenschildes ragten daraus hervor. Sie wachte gerade noch rechtzeitig auf um den gierigen Nachstellungen unserer Burschen zu entgehen. Ein Ruck, und sie war verschwunden. Bald darauf sah ich auch meinen ersten kleinen Walfisch in diesen Gewässern. Es war ein sehr lustiger Walfisch, der sich damit amüsirte, aus dem Wasser in die Höhe zu schnalzen, so nahe unserem Kutter, dass wir die von dem ungeschlachten Thier erregten Wellen fühlten.

Während Niketi über Land nach Wailevu geschickt wurde um ein grösseres Boot entgegenzubringen, sah ich mir die Ortschaft Namalatta an. Sie bot nichts aussergewöhnlich Merkwürdiges. Ein grosses Doppelkanuu mit einem Häuschen darauf lag am Strande. Vor einigen Hütten waren noch ganz frische Töpferwaaren zum Trocknen ausgebreitet. Ich konnte indess keine Lehmgrube entdecken, aus welcher das Material dazu stammte. Unter den Kindern, die mir auf Schritt und Tritt folgten wohin ich ging, befanden sich mehrere, welche Leinwandbinden an beiden Oberarmen trugen. Der Doktor war erst kürzlich hier gewesen und hatte sie geimpft. Unter ihnen sah ich einen kleinen Albino, dessen rosenfarbige Haut, blonde Haare, bläuliche Augen mit entzündeten Lidern und skrophulös gedunsene Lippen eben so gut einem deutschen Bauernjungen angehören konnten. Es war aber ein echter Viti, wie ich in Wailevu auf meine Nachfrage erfuhr. Er schien ganz besonders furchtsam zu sein, und es gelang mir nicht seiner zu näherer Betrachtung habhaft zu werden. Die anderen Jungen versuchten zwar, ihn mir zu Liebe festzuhalten, wobei sie beständig »Papalang lailai« (kleiner Europäer) schrieen. Aber er riss immer wieder aus. Später auf Hawaii habe ich ganz denselben germanischen Typus bei einem albinen Kanaka beobachtet.

Das Boot liess lange auf sich warten, und der Abend brach herein ehe es kam. Als wir noch immer am Strande ungeduldig die Rückkehr unseres Abgesandten erwarteten, erschienen um die linke Ecke der Bucht mehrere Kanuus mit festlich geschmückten Eingeborenen. Heute war zu Tavuki die Ueberreichung des Zehnten an die Missionäre vor sich gegangen und durch ein grosses Meke Meke gefeiert worden. Es sollten hundert Tänzer daran Theil genommen haben. Dieses Meke Meke war aber gewiss lange nicht so schön und echt gewesen, wie jenes, dem ich vor vierzehn Tagen zu Go Kandavu beigewohnt hatte. Denn vor den frommen Missionären durfte nur in züchtiger Gewandung getanzt werden, ein geschmackloser Anachronismus. Bald sah ich auch einige äffisch geputzte Frauenzimmer den Kanuus entsteigen. Männliche Wilde in europäischer Tracht sehen nicht übel aus. Weiber aber in gestärkten Unterröcken, wie ich deren hier sehen musste, haben etwas so widerlich Affenartiges an sich, dass selbst die schönste Gestalt unerträglich wird. Zur Frömmigkeit scheint eben immer ein gewisser Grad von Hässlichkeit zu gehören. Glücklicherweise können nur wenige Insulanerinnen sich den Luxus von gestärkten Unterröcken erlauben, und es war hier das einzige mal, dass ich deren gleich mehrere sah. Die Frauenzimmer gehörten zur Familie des Oberhäuptlings in Wailevu. Die Männer hatten sich, um möglichst schlau und verwegen auszusehen, die Gesichter geschwärzt. Sie machten damit keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck, waren aber sehr zahm und fürchteten sich vor mir, da es dunkel wurde. Die meisten Vitis fürchten sich in der Dunkelheit.

Es war bereits Nacht, als endlich das Boot von der anderen Seite gemeldet wurde, und wir trugen unser Gepäck hinüber. Der Vollmond war aufgegangen, und unendlich schön wogten in seinem Licht die Palmen des Isthmus Yarambali. Unten aber in den schwarzen Dickichten des Buschwerks zogen einsame Leuchtkäfer ihre funkelnden Kreise, schnell erlöschend, sobald sie das helle Gebiet des Mondes betraten.

Als wir das schwerbeladene Boot über die Sandbänke der Angaloa Bai schoben, leistete einer unserer Burschen ein Kunststück, welches alle Achtung verdient. Er blieb plötzlich stehen, tastete mit dem Fusse auf dem Grunde herum, hob ihn auf und brachte einen Sohlfisch zum Vorschein, den er mit den Zehen gefangen hatte. Da er hungrig sein mochte, verzehrte er ihn sofort sammt den Gedärmen. Eine Stunde später erreichten wir unser Ziel.

So war ich denn wieder im Hotel zu Wailevu, diesmal um definitiv Abschied zu nehmen von dem fröhlichen, glücklichen, nackten Insulanergesindel. Wieder besuchte ich den Doktor und sass bei Laternenschein in seinem windigen Studirzimmer. Leider war ihm mittlerweile sein köstlicher Rheinwein ausgegangen. Wieder sah ich Charly und den anderen Landsmann und die ganze übrige versoffene Bande, sah auch die drei verunglückten Seeleute wieder, welche auf Rechnung des amerikanischen Konsuls von Levuka nach San Francisco gebracht werden sollten, und der Mexikaner hatte sich mit dem Wirth versöhnt und spielte wieder seine internationale Musik auf allen Thüren und Holzwänden. Nur den alten Bonner Studenten und jetzigen Polizeisergeanten sah ich nicht wieder. Denn er hatte sich gestern mit einem Freunde geprügelt und lag mit verschwollenem blauem Gesicht zu Hause im Bett.

Der lästigen Pflicht des Einpackens genügend hätte ich es beinahe ernstlich mit der braunen Stubenmagd verdorben. Die vielen nicht sehr reinlichen und geruchlosen Naturalien, die ich in meinem Zimmer ausbreitete um sie zu ordnen und in Kisten zu vertheilen, erregten ihr grosses Missfallen, und jedesmal so oft sie mit der Suluka im breiten Maul eintrat und den Platz immer noch nicht für ihre Arbeit frei fand, blitzte sie mir tadelnde Blicke aus ihrem stupiden Antlitz zu, zog sich zurück und schimpfte.

Bald war das Hotel wieder eben so voll von Betrunkenen wie bei meinen früheren Besuchen und bot zuweilen Szenen dar, als ob es ein Narrenhaus wäre. Unter den Betrunkenen befanden sich zwei Mischlinge, deren einer in der englischen Midshipman-Uniform steckte. Den Vollbluteingeborenen geistige Getränke zu verabreichen ist von der Regierung wohlweislich strenge verboten, und die Ganzwilden sind in der Regel nüchtern. Eine Beimischung weissen Blutes scheint hiervon zu dispensiren. Der Midshipman gehörte zur Besatzung des Vermessungsschooners und war mit einem älteren Matrosen herübergekommen, um auf Briefe zu warten. Der Andere, ein schöner und stattlicher Mann, gerieth mit dem verunglückten Norweger in Streit und forderte ihn zu einem Fight heraus. Dieser aber zog sich feige zurück, indem er behauptete, es sei unter seiner Würde, mit einem Nigger loszugehen. Sich von ihm treaten zu lassen hatte er nicht unter seiner Würde gehalten. Es war nun komisch aber keineswegs vortheilhaft für den Weissen zu beobachten, wie der ritterliche Halbwilde todesmuthig und unermüdlich vor dem Hotel seine Herausforderung wiederholte, und wie sein Gegner, der Norweger, der es nicht mehr wagte ins Freie zu treten, ihn durchs Fenster hartnäckig für einen Nigger und satisfaktionsunfähig erklärte.

Der Levukadampfer erschien und warf Wailevu gegenüber Anker. Auch auf ihm gab es eine grosse Zecherei, wobei es so lustig herging, dass am anderen Morgen im Salon eine kleine Ueberschwemmung angerichtet und Spiegel und Fenster zerschlagen waren. Offiziere und Passagiere hatten sich erst damit amüsirt, durch das Decklicht Wasser auf die Untensitzenden zu giessen und schliesslich sich ein wenig geprügelt.

Bei jenem Kaufmann, der damals in Dalingele beinahe ertrunken wäre, machte ich noch einige Einkäufe. Er hatte seinen Laubhüttenladen mit allen möglichen Vitimerkwürdigkeiten für die von den Dampfern zu erwartenden Fremden kompletirt. Namentlich fiel mir eine Menge verschiedenst gestalteter Keulen auf. Die Eingeborenen müssen diesen Artikel ehemals in ungeheurer Anzahl produzirt haben, da es davon noch so viel giebt. Er hatte auch Photographien von Insulanern, die in Levuka gefertigt waren. Leider fand ich darunter nur wenige gute und typische.

Ich lernte den Regierungshäuptling der Insel kennen, einen Mann in den Vierzigen mit grauem Schnurrbart, Wangen und Kinn rasirt. Ein blaugestreiftes feines Hemd und ein dunkel gemusterter Sulu aus Tapa waren seine Bekleidung. Als weitere Konzession an die Kultur trug er einen Papierkragen um den Hals. Die Beine und Füsse waren nackt wie bei allen Anderen. Man sagte ihm, dass ich derselbe sei, der seinen Freund in Dalingele, den alten Häuptling von der Rewa, behandelt habe, und zum Zeichen seiner Anerkennung hierfür schenkte er mir ein Stück zartester weisser Tapa, welches lose geschürzt um seine Schultern hing. Er hatte ein Frauenzimmer bei sich, eine Tonganerin, deren Kostüm eine wunderbar effektvolle Farbenzusammenstellung zeigte. Die eigenthümlich gelbbraune Haut der Büste und der blossen Arme und Beine, das Haar hellglänzend gelb von hineinfrisirtem Kalk, das hellblaue Busenhemdchen und der frischgewaschene weisse Sulu mit schwarzem Franzengürtel um die Hüften machten sie zu einer äusserst malerischen Erscheinung. Wenn doch einer unserer modernen Farbenvirtuosen zugegen gewesen wäre diese weichen harmonisch gestimmten Töne festzuhalten.

Auch einen weissen Herrn aus Levuka lernte ich kennen, der viel in Inselpolitik zu machen schien. Man sollte kaum glauben, welche Menge von politischer Leidenschaft auf dem kleinsten Fleckchen Erde ihr Spiel treibt. Jener weisse Herr war ein wüthender Gegner des Gouverneurs und der Missionäre. Ich weiss nicht mehr Alles, was er mir erzählte. Einiges aber war so interessant, dass ich es behielt. Er behauptete, was ich indess schon öfters gehört hatte, England habe die Kolonie nur widerwillig und gezwungen durch die ewigen Streitigkeiten zwischen den Europäern und dem König Thakombau an sich genommen und wäre froh, sie wieder los zu sein, Viti habe bisher blos schweres Geld gekostet, ohne einen erheblichen Nutzen zu bringen.

Das Kolonisiren scheint jetzt überhaupt schwieriger zu sein als früher. Früher kümmerte man sich nicht viel um die Rücksichten der Humanität, und die Geschichte wohl jeder Kolonie beginnt mit Gewaltakten und Unterdrückung der Rechte der Eingeborenen. Seitdem die mächtig gewordene öffentliche Meinung laut ihre Stimme zu Gunsten der Menschlichkeit erhebt, seitdem man gezwungen ist, die Landkäufe und die Beschaffung von Arbeit auf ehrliche Weise abzumachen, rentirt sich das Anlegen neuer Plantagen nicht mehr wie früher, und nur auf jenen Inseln der Südsee steht der Handel in höherer Blüthe, auf denen der Kuli-Import noch in der Stille und unkontrolirt fortgetrieben werden kann.

Es ist eine interessante Erscheinung dort, dass die Eingeborenen auf ihren eigenen Inseln sich weigern, mehr als das Nöthigste zu arbeiten, dass sie aber als Kulis auf fremde Inseln versetzt, ganz gute fleissige Arbeiter werden.

Verwandt mit dieser Thatsache dürfte jene andere sein, dass auch der deutsche Handwerker, aus seinem heimathlichen Schlendrian in das frischere amerikanische Medium versetzt, nicht mehr billig und schlecht, sondern ausgezeichnet und jeglicher Konkurrenz gewachsen produzirt. Er bringt die besten Anlagen mit sich auf die Welt, aber im Sumpfe der Alltäglichkeit und des Herkömmlichen bleiben sie unentwickelt, die Zünftigkeit äussert ihren nivellirenden Einfluss und hält jede freiere Regung zum Besseren nieder. Gleichwie in der Entstehung der Arten, so spielt auch in der Kulturgeschichte der Menschheit Isolirung eine wichtige Rolle. Und erst wenn das Experiment der Isolirung zur Genüge angestellt ist, wird man im Stande sein, zu entscheiden, wie viel Berechtigung in dem oft gebrauchten Schlagwort von der Kulturunfähigkeit der sogenannten niedern Rassen steckt.

Die Zealandia kam pünktlich zur bestimmten Zeit von Sydney her eingelaufen. Schaarenweise ergossen sich die Passagiere ans Land. Jetzt wars aus mit der schönen Idylle. Glatt geschniegelte Gentlemen und geschminkte Ladies wohin man blickte. Auch der Kapitän, ein dicker kurzer aber sehr gravitätischer Herr, erschien in voller Uniform, einen Regenschirm unterm Arm, so dass er aussah wie der Amiral Suisse. Leider erfuhr ich die Veranlassung seines pompösen Auftretens zu spät, als sie bereits vorüber war. Es fand nämlich eine Gerichtsverhandlung gegen ihn und den Agenten statt. Er war beschuldigt auf einer früheren Fahrt mehrere Insulaner von Kandavu zur Ergänzung seiner theilweise desertirten Mannschaft nach San Francisco mitgenommen und sie zwar richtig wieder zurückgebracht aber nicht bezahlt zu haben. Jetzt wurde er genöthigt dieses Versäumniss nachzuholen. Als Gerichtssaal fungirte die grösste Laubhütte Wailevus, und um das Gericht abzuhalten, war eigens ein weisser Justice mit zwei Schreibern aus Levuka herübergekommen.

Wailevu gerade gegenüber liegt die kleine, palmengekrönte Insel Angaloa, grösstentheils das Besitzthum der Pacific Mail Steam Shipping Company, welche auch dort am Ufer ihre Office hat, was sehr unbequem ist, da man so nur mittels eines Bootes zum Agenten Mister Woods, dem ehemaligen Premierminister Thakombaus, gelangen kann. Ich fuhr hinüber um ihm, dem grossen Staatsmann einer interessanten Vergangenheit, mein Ticket zu zeigen und mich für die City of New York einschreiben zu lassen. Dann sah ich mich ein wenig auf dem Inselchen um. Hinter der Office ist ein lobenswerther Anfang von Spazierwegen den Hügel hinauf gemacht, und auf der entgegengesetzten Seite fand ich unten ein hübsches Dorf, in dem die Weiber eifrigst beschäftigt waren, Tapa zu klopfen, wahrscheinlich um sie noch zu Markt auf die Dampfer zu bringen. In einer tiefeinschneidenden seichten Bucht, deren Zusammenhang mit der See das prangende Grün eines Mangrovesumpfes versteckte, lagen mehrere Kanuus, und eine Menge von Hühnern und Schweinen gaben Wohlhabenheit kund. Das ganze Dorf ist gegen das Land mit einem Zaun umgeben. In einem schmutzigen Süsswassertümpel lag badend ein alter gebrechlicher Mann.

In Wailevu gab es von nun ab jeden Abend Kawagelage und Meke Meke für die Passagiere der Zealandia, welche auf die von Neuseeland her fällige City of New York warteten, um die Reise nach Osten fortzusetzen. Es scheint sich auf diese Art den Eingeborenen ein neuer Erwerbszweig zu entwickeln.

XVII.
VON KANDAVU NACH HONOLULU.

Gang der Reise. Abermals die schmähliche Knauserei der Pacific Mail Steam Shipping Company. Der Obersteward und sein Servirreglement. Die Aequatorkalmen. Die Passagiergesellschaft. Ausflüsse der Langweile. Zwei Bonzen englischer Rasse.

Erst am frühen Morgen des 6. August erschien endlich die City of New York die mich nach Honolulu bringen sollte. Sie hatte in Neuseeland an der Barre von Port Chalmers wieder Schwierigkeiten und Aufenthalt gehabt. Daher die Verspätung.

Ich verabschiedete mich von Herrn Kleinschmidt, dem ich so grossen Dank schuldig war, nahm ein Boot und schiffte mich ein, was leichter und schneller ging als ich in Anbetracht der vielen Passagiere, die mit Sack und Pack von der Zealandia herüberwimmelten, erwartete. Meine sieben Kisten wurden diesmal merkwürdiger Weise ohne jegliche Schikane untergebracht. Bald darauf dampften wir aus der Angaloa Bai, die schönen Palmenhaine und Wilden hinter uns lassend.

Wir gingen in einem weiten Bogen um die südöstliche Ecke der Vitigruppe herum und nahmen dann einen nördlichen Kurs. Hie und da sah man links die fernen Bergkonturen einer der Inseln. Zwischen Viti und Samoa zieht sich die Datumgrenze des Stillen Ozeans hin. Da wir nach Osten also gegen die Sonne fuhren, musste gleich hinter Viti ein Tag eingeschoben werden. Wir zählten zweimal den 6. August, welcher ein Sonntag war.

Es hiess, der Kapitän beabsichtige durch die Samoagruppe zu steuern. Wind und See wurden jedoch heftiger, so dass wir sie rechts liegen liessen. Am Morgen des dritten Tages, als ich noch schlief, sollte ein Stück davon in Sicht gewesen sein.

In der Nacht darauf passirten wir eine isolirte kleine Insel, welche die Offiziere Swains Island nannten, und auf welcher man ein Feuer bemerkt haben wollte. Dieses Feuer erwärmte die Phantasie der müssigen Passagiere zu den fabelhaftesten Geschichten. Selbstverständlich war das Inselchen von gräulichen Kannibalen bewohnt. Durch das Feuer dachten sie uns vielleicht zum Scheitern zu verlocken. Andere glaubten, dass dort ein Kriegstanz aufgeführt worden sei, und wieder Andere hatten vielleicht einen Menschen braten sehen. Von nun an bis Honolulu erblickten wir nicht die Spur eines Landes mehr, obwohl wir die Inselschaar Polynesiens mitten durchkreuzten.

Am 11. August hatten wir Mittags 48 Minuten nördlicher Breite. Wir hatten somit den Aequator kurz zuvor überschritten. Am 14. August stand die Mittagssonne ungefähr senkrecht über uns, und am Abend vor unserer Ankunft in Honolulu sah ich meinen alten nordischen Freund, den grossen Bären, wieder.

Die City of New York machte im Anfang einen besseren Eindruck als ihre vollständig gleichgebaute Schwester die City of San Francisco, mit der ich von Auckland gekommen war, vielleicht blos deshalb, weil keine Mongolen sondern Weisse und Neger sowie Mischlinge beider in der Kajüte bedienten. Es dauerte indessen nicht lange, bis auch hier aus allen Dingen die kleinliche Sparsamkeit der Pacific Mail Steam Shipping Company guckte, welche auf der australischen Linie schlechte Geschäfte macht.

Das Matrosenvolk zählte kaum zwanzig Köpfe und bestand nur aus Chinesen, die mit einem eigenthümlich schrillen Geheul und mit nervöser Hast an den Tauen rissen. Es scheint etwas Unruhiges und Zappeliges in der Mongolennatur zu liegen. Die Heizer waren natürlich auch nur Chinesen, lauter echte, niederträchtig hässliche Sklavengestalten. Diese Mongolen mögen ganz brauchbare Lastthiere sein, als Matrosen aber erwecken sie kein Vertrauen. Im Fall eines Unglücks werden sie sich stets als feiges, jeder Ehre und jeden Pflichtgefühls baares Gesindel zeigen, was erst unlängst die Strandung eines Dampfers der Pacific Mail an der peruanischen Küste glänzend bewiesen hat.

Die Mahlzeiten waren eben so schlecht und ungenügend wie auf der City of San Francisco. Auch hier beherrschten die kleinen amerikanischen Schüsselchen mit lauter Nichtschen darauf das Menü. Man erreichte sein Verlangen den gesunden Seeappetit zu stillen nur selten. Die ganze Gesellschaft blickte auch hier oft gierig Tafel auf Tafel ab, wo noch etwas zu erhaschen sein möchte, und feindliche Gesinnungen entwickelten sich in diesem Kampf ums Dasein.

Es wurde kein Eis zum Getränk verabreicht. Wir mussten mit warmem, nicht selten unfiltrirtem, trübem und rostigem Wasser dem mit steigender Hitze anwachsenden Durst gerecht zu werden suchen. Um diese schmähliche Knauserei in der Verpflegung, die sich »erster Klasse« nannte und auf den Programmen der Agenten bombastisch gepriesen wurde, gebührend zu würdigen, ist zu betonen, dass wir unter amerikanischer Flagge fuhren, und dass nach amerikanischen Begriffen Eis zu den gewöhnlichsten Bedürfnissen selbst des Aermsten gehört. Ich glaube nicht, dass durch solch peinliches Sparsystem die Verluste der Kompagnie merklich erleichtert wurden. Ich wünsche ihr im Interesse des Verkehrs alles mögliche Gute. Aber eine volle Passagierzahl möchte ich ihr niemals wünschen. Dies wäre inhuman. Obgleich noch etwa ein Viertel der Kabinen unbesetzt war, hatten wir schon genug an Raumbeschränkung zu leiden.

Wie ganz anders ist es dagegen auf den Atlantischen Postdampfern, mit denen sich diese Pacifischen überhaupt in keiner Weise vergleichen lassen. Wir legten niemals 300 Seemeilen in einem Tage zurück trotz des günstigsten Wetters, und was wir durch den Passat an Segelkraft gewannen, wurde gleich wieder an den Kohlen gespart. In den Kalmen machte sich das bedeutende Obergewicht des hoch aus dem Wasser ragenden Schiffes empfindlich geltend, indem es scheinbar ganz unmotivirt niemals aus einem langweiligen trägen Hin- und Herrollen kam, so dass es viel Seekrankheit gab bei einer so ruhigen glatten See, wie man sie auf dem Nordatlantik selbst im Sommer selten sieht. Eine Winterfahrt in jenen rauhen Gewässern würde unser Steamer wohl kaum mit heiler Haut überstanden haben.

Wenn auch die weissen, halbweissen und schwarzen Aufwärter im Salon nichts an Diensteifer zu wünschen liessen, so war doch niemals Ordnung und System bei Tisch. Der ganze Salon war voll, und Streitigkeiten um die Plätze hörten mehrere Tage nicht auf. Der Obersteward, ein brutaler tyrannischer Quarderone, that was er wollte. Er kujonirte seine Untergebenen in der schauderhaftesten Weise, ohne den Passagieren damit zu nützen, und hatte ein raffinirt militärisches Reglement des Servirens eingeführt, welches jedoch nur durch seine komische Seite uns zu Gute kam.

Alle Bewegungen des Personals wurden durch Glockenschläge dirigirt. In der Mitte des Buffets stand wüthend die Augen rollend der Feldherr und lenkte die Schlacht. Erster Glockenschlag – die Aufwärter ergreifen jene ominöse Menge von Schüsselchen und stellen sich in zwei Reihen auf. Zweiter Glockenschlag – sie setzen sich in Bewegung und marschiren jeder an seinen Tisch. Dritter Glockenschlag – sie beugen sich vor und erwarten ängstlich schwitzend den vierten Glockenschlag – der ihnen gestattet, sich ihrer Last zu entledigen. Die Theilung der letzten zwei Momente durch eine längere Pause war ein sehr beliebter Scherz jenes Viertelsnegers, und gewöhnlich schüttelten uns dabei die durch die unbequeme Stellung, das Rollen des Schiffes und die Hitze gequälten Opfer seiner Laune einen förmlichen Schweissregen in unsere Teller. Was für elende Subjekte mussten diese Stewards sein, dass sie sich Solches gefallen liessen.

Wir hatten Viti unter Regen und drückender Treibhausschwüle verlassen, dann waren einige schöne, lachende Passattage gekommen, und jetzt unter der Linie litten wir abermals an unerträglicher Hitze und Dunstigkeit. Bleifarbene Wolken bedeckten den Himmel, und bleifarben wogte schwerfällig die See. Das Schiff hörte niemals zu rollen auf, und öffnete man im Salon ein Fenster, flugs leckte gurgelnd eine Welle herein, begoss die Nächstsitzenden und nöthigte die Ladies zu einem Schrei des Entsetzens. Nie ist mir das Reisen saurer geworden als damals.

Nicht einmal die Wohlthat eines erquickenden Bades konnte man auf dieser City of New York geniessen. Die Badezimmer empfingen von dem hinter ihnen durchgehenden Maschinenraum so viel Hitze, dass sie unübertreffliche Schwitzkästen waren. Die einzige Möglichkeit sich abzukühlen bestand darin, dass man vorn an der äussersten Spitze des Deckes den Wind, welchen die Fahrt des Schiffes selbst erregte, an sich heraufströmen liess.

Dort fehlte es auch sonst nicht an allerlei Unterhaltung. Jede Minute scheuchten wir fliegende Fische auf, die rechts und links aus dem Wasser emporschwirrten und über die nächsten Wellen undulirend dahinflogen, stets in der Haltung eines Vogels, der sich niedersetzen will und um den Flug zu hemmen die Flügel nach vorne stemmt. Oder es kamen lange Züge von Tümmlern herangewälzt, begleiteten ein paar Stunden das Schiff und setzten dann wieder ihre ursprüngliche Richtung weiter.

Ich that einen glücklichen Griff, indem ich mir statt einer der überfüllten aber nobleren Kabinen unten im Salon die vorderste oben gleich neben der Küche und den Vieh- und Hühnerställen geben liess, und zwar rechts auf der Windseite. Es waren sechs Kojen darin, ich bekam aber nur einen einzigen Genossen, einen jungen Kaufmann aus Levuka, der die unschätzbaren Vorzüge hatte, des Morgens die Kabine sofort für den ganzen Tag zu verlassen, nicht seekrank zu sein und nicht einmal zu schnarchen. An Ventilation war hier kein Mangel. Der frische Passat strömte direkt zur Thüre und zu den Fenstern herein, so heftig, dass Handtücher und Vorhänge wild zu flattern begannen, wenn man sie öffnete. Und während die Passagiere der Leeseite und der unteren Kabinen rathlos schwitzten oder auch die Nächte auf Deck zubrachten, hatten wir stets den schönsten kühlenden Luftzug, wenn wir im Bett lagen. Ich hatte diesen Raum gewählt, um ungestört arbeiten zu können. Aber die besten Vorsätze mussten an den Schwierigkeiten der Umstände scheitern. Der Waschtisch mit den zwei hohlen Waschbecken war ein sehr unbequemes Schreibpult, und das mühselig angefertigte Manuskript fiel häufig ins Waschwasser oder flog nach allen Richtungen auseinander, sowie die Thüre aufging.

Als die äquatorialen Stillen kamen, machte sich allerdings die Nähe des lebenden Proviants und anderer Dinge empfindlich bemerkbar. Von links stanken die Ochsen und Schafe, von der Front das Geflügel, von rechts die Küche und von allen Seiten die Chinesen, die Zwischendecker und die Maschine. Die Chinesen hatten hier nicht ihr eigenes Logis, sondern schliefen vorne neben den Ankerketten in Hängematten oder auf dem Boden. Den ganzen Tag lagen dort ihre nackten, ausgemergelten, leichenartigen Körper herum. Ein mitleiderregendes Schauspiel boten die nicht oft genug gereinigten Käfige der Hühner, Enten, Gänse und Puter, die am stärksten von der Hitze litten, und es war kläglich anzusehen, wie sie eng zusammen gesperrt nach den Gittern drängten um Luft zu schnappen.

Deutsche Landsleute fehlen bekanntlich nirgends auf der Erde. Ich fand mich bald mit einem solchen, welcher zugleich Kollege war, zusammen. Er hatte auf den Philippinen als Augenarzt praktizirt und ging nun nach Peru, wo er in Goldminen interessirt war. Wir beide und zwei Franzosen, die von Neukaledonien kamen, bildeten eine intimere Tischgesellschaft zum Kampf ums Dasein gegen die Nachbarn. Auch im Waitemata Hotel zu Auckland hatte ich vorzugsweise mit zwei Franzosen verkehrt. Trotz der politischen, künstlich gemachten Gegensätze werden eben Deutsche und Franzosen sich von einander stets in höherem Grade angezogen fühlen als von den wenig liebenswürdigen Engländern, der steifsten exklusivsten Rasse der Erde. Dreht einem nicht schon jeder kleine englische Balg, den man ob seiner Wohlgestalt freundlich betrachtet, kaum dass er krabbeln kann, hochmüthig und naserümpfend den winzigen Hintern zu, als ob er sagen wollte: »Du bist mir nicht vorgestellt«. Die beiden Franzosen waren recht liebenswürdige Leute, aber entsetzlich ungelehrt und voller naiver Fragen. Wenn sie wissbegierig wurden, wurden sie unangenehm. Denn sie wussten von Gottes grosser Welt schauderhaft wenig. Warum das Englische anders ausgesprochen werde, als das Französische, warum es hier wärmer sei als in Paris, warum man das Seewasser nicht trinken könne, solche und andere Dinge mehr gaben sie uns zu beantworten. Sie verstanden fast kein Wort Englisch, hatten auch wohl nicht übermässig viel Geld auszugeben und wollten allein durch Amerika reisen. Wie es ihnen dort wohl ergangen sein mag.

Fünf junge Engländer, die ich später noch näher kennen lernen sollte, da sie gleichfalls einen Monat auf Hawaii zuzubringen und den Krater Kilauea zu besuchen gedachten, liessen sich aus Langweile von dem Bootsmann britische Flaggen auf die Vorderarme tätowiren und bekamen in Folge dessen eine starke Entzündung der betreffenden Hautpartien. Noch lange eiterten und schmerzten die wehenden Banner, und ich selbst hatte in der Folge, als ich ihr Reisegefährte nach dem Kilauea wurde, darunter zu leiden, indem sie gepeinigt auf den Bootsmann der City of New York schimpften und übler Laune waren. Man ergreift eben auf See jede noch so geringfügige Gelegenheit sich zu beschäftigen. Ich verlegte mich darauf, meinen Körper mehrmals täglich Gewichtsbestimmungen auf der Brückenwage im Gepäckraum zu unterziehen, und hatte die Freude zu konstatiren, dass mein Gewicht trotz des fürchterlichen Schwitzens und trotz der mageren Salonkost auf der zwölftägigen Reise um zwei Pfund zunahm. Mein Aufenthalt in Kandavu mochte mich allerdings um viel mehr leichter gemacht haben.

Auch eine wandernde Konzertgesellschaft aus Kalifornien hatten wir an Bord, welche öfter als mir lieb war oben in der Social Hall eine Produktion zum besten gab. Es wurde Piano gespielt und gesungen, trompetirt und gegeigt. Wir anderen aber sassen herum und schwitzten.

Zuweilen war es interessant und unterhaltend, das Benehmen von Personen zu beobachten, die an jenem leichtesten Grad von Seekrankheit, der sich in einem gewissen Stumpfsinn äussert, litten. Da liegt zum Beispiel Einer den ganzen Tag regungslos in seinem Streckstuhl. Nur von Zeit zu Zeit erwacht auf einmal der Thätigkeitstrieb in ihm, er springt auf, aber gleich wirft er sich wieder in seinen früheren Zustand, sobald er merkt, dass das Schiff noch immer schaukelt. Ein Anderer wandert beständig mit einem Buch unterm Arm herum, von seiner Kabine auf Deck, von Deck nach dem Salon hinunter, nach der Social Hall, nach dem Rauchzimmer, nach der Seitengallerie, nach vorne und nach hinten, setzt sich hierhin und setzt sich dorthin, ohne zur Ruhe und zum Lesen zu gelangen. Man fragt sich dutzendmal, ob Vormittag oder Nachmittag sei und was jetzt nächstens für eine Mahlzeit käme, und hat es nach einer Viertelstunde wieder vergessen.

Die Langweile wäre unerträglich geworden, wenn wir nicht zwei Reverends mit unter den Passagieren gehabt hätten, die sich beständig zankten.

Gleich der erste Tag der Reise, jener durch die profane Institution des Datumwechsels in zwei gespaltene, Vielen unbegreifliche Sonntag, gab Veranlassung zu einem sehr amüsanten frommen Disput zwischen den beiden Gesalbten des Herrn. Der eine behauptete, der erste Sonntag sei der richtige und durch Gottesdienst zu feiern, der andere behauptete dies von dem zweiten, und schliesslich einigten sie sich dahin, dass jeder an dem von ihm verfochtenen Sabath predigte und vorbetete.

Reverend Mister Shark, wie der Verfechter des zweiten Sabaths hiess, ein schlauer, magerer Yankee, entpuppte sich übrigens im weiteren Verlauf der Reise als räudiges Schaf der episkopalen Kirche, dem es nur darum zu thun gewesen war, seinen alten englischen Kollegen, welcher die Würde eines Deacon besass, zu ärgern. Reverend Mister Shark hatte sich schon lange von der Frömmigkeit ab und einem lukrativeren Berufe zugewendet. Er war Wanderprofessor geworden und zog von Land zu Land, um Vorlesungen über drei oder vier historische Gegenstände zu halten, zu welchen er grosse farbige Illustrationen besass. Damit machte der smarte Yankee eine Menge Geld und stand sich sehr wohl dabei ohne viel Mühe zu haben, nachdem die vier Vorlesungen einmal gründlich eingepauckt waren. Um sonstige Wissenschaften schien er sich nicht sonderlich zu kümmern. Er frug mich einmal sehr verwundert, wie es möglich sei, dass wir den senkrechten Stand der Sonne später passirten als den Aequator.

Der Andere aber war ein Bonze vom reinsten Wasser und zugleich ein höchst komischer Kauz, eine Figur, wie sie nur das raffinirte Muckerthum englischer Rasse hervorzubringen vermag. Ewig schwebte ein gottbeseligtes, wehmüthiges Lächeln auf den dicksinnlichen Lippen des kurzen und fetten, glattrasirten und glattgescheitelten Männchens. Wenn ihn ein gesundes Lachen anwandelte, wozu er viel natürliche Neigung hatte, kämpfte sein angenommener Ernst, der solch weltliche Heiterkeit verbot, gewaltsam dagegen, und eine unübertrefflich süsssaure Grimasse kam zum Vorschein. Aus lauter christlicher Demuth hielt er den Kopf stets auf die eine Seite geneigt, und unermüdlich war er darauf bedacht, durch Miene und Benehmen die natürliche Einfalt seiner Gesichtszüge noch zu vermehren.

Er hatte eine lange und kräftige und robuste, eckige und majestätische Ehehälfte bei sich, die ihn kommandirte. Sie war der Typus einer bösen Sieben und übertraf ihn weit an Schulterbreite und Höhe. Ohne sie war er ein hilfloser Greis, nicht etwa an Jahren, sondern aus lauter christlicher Demuth. Sie schleppte ihn täglich mit langen Schritten, so dass er kaum folgen konnte, über Deck auf und ab, sie drückte ihn in seinen amerikanischen Streckstuhl, wenn sie dessen müde war, riss ihn wieder empor und führte ihn zu Tisch, wenn das Gong erschallte. Er gehorchte mechanisch und lautlos. Wo sie ihn hinwarf, da blieb er sitzen. Um sich die Reisemütze aufs Haupt zu stülpen brauchte er immer beide Hände, während die junonische Gattin ihn festhielt und vielleicht noch mit einem derben Schlag auf den Deckel nachhalf.

Nur beim Essen entwickelte er eine grössere Selbständigkeit und Gewandtheit. Juno durchbohrte die Stewards mit giftigen widerstandslosen Augen und herrschte sie an, falls sie ihren Gemahl vernachlässigten. Er aber ass und ass und lächelte wehmüthig dabei über seine menschliche Schwäche und faltete wie zum Gebet die Hände, wenn er wieder mit einer Schüssel fertig war. Ein Lieblingsthema seiner Predigten – er predigte beinahe jeden Abend nach dem Konzert – handelte von der wahren Philosophie des Christenthums, welche über den Tod triumphire. Ich möchte den gefrässigen Bonzen in einem gegebenen Fall gesehen haben, wie schnell er sich alle erreichbaren Rettungsgürtel umgeschnallt hätte, statt erst lange über den Tod zu triumphiren.

Er würde gewiss sich unschätzbare Verdienste um unser aller Seelenheil erworben haben, wenn nicht sein Widersacher, der böse Reverend Mister Shark, unablässig darauf bedacht gewesen wäre, ihm zu widersprechen und ihn zu ärgern, wobei er immer, weniger redegewandt als dieser, den Kürzeren zog. Zuweilen legte sich dann zornglühend die herrschsüchtige Juno ins Mittel, aber auch sie hatte gegen den aalglatten gewandten Yankee, der ihr stets mit der grössten Artigkeit begegnete, keinen Erfolg. Die Partei des dicken Deakon nahm immer mehr ab, die des smarten Yankee immer mehr zu, und an den letzten Abenden vor unserer Ankunft in Honolulu besuchten nur mehr ein paar alte Damen männlichen und weiblichen Geschlechts die Andachtsübungen des hochehrwürdigen Deakon.

Wie gesagt, ohne die zwei Pfaffen wäre es recht langweilig gewesen an Bord, und wohl alle die Reisegefährten von damals werden sie nie vergessen, sondern in dankbarem Andenken bewahren.

XVIII.
HONOLULU.

Ankunft. Wieder der Reverend Mister Shark. Erste Eindrücke von Honolulu. Geschichtliches, Ethnologisches und Erotisches. Sehenswürdigkeiten. Die Regierung, das Parlament, das Militär. Amerikanerthum und Deutschthum. Die Chinesen. Klima und Sanität. Die Leprosen. Der Fischmarkt. Die Umgebung. Ritt nach dem Pali.

Am Morgen des 16. August hatten wir die Insel Oahu, auf welcher Honolulu, die Hauptstadt des Hawaiischen Königreiches liegt, in Sicht. Die Ueberfahrt von Kandavu hatte somit nicht ganz zwölf Tage gedauert.

Die zwölf Hawaiischen oder Sandwich-Inseln erheben sich, der Richtung des vulkanischen Spaltes in der Erdrinde entsprechend, aus welchem sie hervorgequollen sind, in einer gestreckten Reihe von Nordwest nach Südost. Wir kamen aus Südwest, also senkrecht auf sie zu, und konnten in Folge dessen nur jene Insel sehen, die gerade vor uns war, Oahu.

Hohe Berge mit sanft ansteigenden Böschungen, kahl oder mit einer eigenthümlich hellen Vegetation bedeckt, stiegen aus dem indigoblauen Wasser des Ozeans empor. Blendend von der Sonne beleuchtete Schaumstreifen, die Brandung über den Riffen, umsäumten die Ufer. In einer zierlichen Yacht amerikanischer Bauart, von deren Gaffel die Flagge des Königreiches der Hawaiischen Inseln wehte, legte sich der Lootse, ein Amerikaner, an unsere Seite. Sechs wohlgestaltete braune Kanakas, alle in weissen Hemden, weissen Hosen und weissen Marinekäpis, bildeten die Besatzung seines Fahrzeuges, welche echt amerikanisch sofort gedruckte Reklamen von Geschäften in Honolulu vertheilte.

Langsam und mit halber Kraft steuerten wir vorsichtig zwischen Klippen dem Lande zu. Man hatte mir immer so viel von der Vortrefflichkeit des Hafens von Honolulu gesprochen. Ich war erstaunt zu bemerken, wie wir an einer Stelle stoppten, dass die Schraube den Grund aufwühlte und das Wasser trübte.

Erst als wir dem dünnen Mastenwalde des Hafens ziemlich nahe waren, kam Honolulu aus seinem dichten Grün tropischer Gärten, in die es so malerisch gebettet liegt, einigermassen zum Vorschein. Nur die höheren Gebäude, Thürme und Flaggenstangen überragten zwischen schlank emporstrebenden Palmen den üppigen, die kleineren Häuser verbergenden Pflanzenwuchs und liessen die Stadt mehr ahnen als direkt wahrnehmen. Links zogen sich die Gärten und hie und da durchblinkenden Häuser in eine Thalschlucht hinan, rechts trug ein kahler Hügel, röthlich gesengt von den Strahlen der Sonne, ein altes Fort und Kanonen zum Salutiren auf seinem Rücken. Hinter dem Ganzen eine hohe Kette mit Wolken verschleierter Berge. Drei Kriegsschiffe, zwei amerikanische Fregatten und ein englisches Kanonenboot, lagen im Hafen vor Anker. In kleinen Kanuus, einfacher und solider konstruirt als jene der Viti-Insulaner, ruderten nackte Gestalten, blos mit dem suspensoriumartigen Maro bekleidet, uns entgegen. Es war Ebbe, und Weiber fischten über den Riffen, sammt den landesüblichen schwarzen Talaren bis über die Hüften im Wasser umherwandelnd.

In hellen Schaaren standen Europäer und Eingeborene am Landungsplatz, uns in Empfang zu nehmen. Hundert diensteifrige Hände bemächtigten sich der durch die Böte des Dampfers gelandeten schlingenförmigen Enden der Taue, mit welchen unser Koloss langsam an den Kai gewunden werden sollte, und stülpten sie über die Pfosten. Das seemännische Brüllen und Toben des Kapitäns und der Offiziere, welches nie bei dieser endlos langweiligen Prozedur des Anlegens fehlen zu dürfen scheint, vertrieb die mobileren Passagiere vom Schiff. Böte kamen längsseits, und wir flüchteten an der Strickleiter hinunter und an Land, welches wir ungefähr eine halbe Stunde früher betraten als jene, die an Bord geblieben warten mussten, bis der Dampfer am Kai festgemacht war.

Der ganze prangende Reichthum tropischer Früchte begrüsste uns, in grossen Pyramiden von Apfelsinen, Ananassen, Mangos, Bananen, Papayas und Paradiesäpfeln am Ufer aufgestapelt. Eine Menge barfüssiger, aber sonst wohlbekleideter Kanakas, mit rothen Tüchern, Blattguirlanden und Blumenkränzen geschmückt, stürzte auf uns zu und bot uns Wagen und Reitpferde an. Hübsche schwarzäugige Mädchen, mit zierlichen Sonnenschirmchen den dunklen Teint beschattend, über und über mit Blumen behangen, kokettirten sehr verführerisch den frisch angekommenen Fremdlingen zu. Was mir zu allererst an diesen Eingeborenen auffiel, war ihre frappante Aehnlichkeit mit den Maoris von Neuseeland. Es waren ganz und gar die Maoris, nur vielleicht durch das paradiesische Klima ihrer Inseln zu etwas höherer Grazie verfeinert. Lauter herrlich schöne Gestalten. Und mitten in diesem malerischen, das Auge erfreuenden Gewühl die widerwärtigsten, hässlichsten Menschen die ich kenne, bezopfte Chinesen, an den Enden langer Stangen Blechgefässe mit Goldfischen herbeischleppend.

Die Zollformalität wurde von den Beamten auf das Liebenswürdigste abgekürzt. Ich hatte blos eine Deklaration zu schreiben, nichts schmuggeln zu wollen, und durfte sofort mit meinen Kisten passiren. Ein leichtes Buggi führte mich und die theure Habe im Galopp durch die staubigen Strassen nach dem Hotel. Die Ankunft des Dampfers schien für die Bewohner von Honolulu ein Fest zu sein. Männer und Weiber, Knaben und Mädchen und kleine Kinder strömten geputzt und blumenbekränzt zu Fuss, zu Pferd und zu Wagen dem Hafen zu.

Das »Hawaian Hotel«, ein grosses schönes Gebäude in einem Garten von Akazien, Papayas und Bananas, belebte sich bald mit den Passagieren des Dampfers. Der Dampfer hatte hier Ladung zu nehmen und sollte erst morgen die Reise nach San Francisco fortsetzen. Es sprach nicht sehr für seine Küche, dass fast alle Kajütspassagiere die Pause benutzten, sich ihr zu entziehen und dafür auf dem Lande sich schadlos zu halten. Ein zahlreicher Tross von Verkäufern, die Blumenkränze und Korallen, Blattguirlanden und Muscheln und sonstige Artikel feilboten, von Kutschern und Pferdevermiethern belagerte unten im Garten und draussen auf der Strasse das Hotel während des ganzen Tages.

Unsere kalifornische Konzertgesellschaft hatte bereits seit mehreren Tagen Proben abgehalten, um während des kurzen Aufenthalts in Honolulu, wenn es sich günstig mit der Zeit fügte, schnell ein Konzert zu geben und so im Vorübergehen einige hundert Dollars zu machen, was gewiss recht vernünftig und amerikanisch war. Nun traf es sich auch wirklich mit der Zeit so gut, als man nur wünschen konnte, und Alles freute sich auf den genussreichen Abend. Aber ein anderer praktisch denkender Mann an Bord, der Reverend Mister Shark nämlich, war noch viel schlauer und amerikanischer gewesen und hatte bereits einen Monat vorher das königliche Theater, den einzigen hiezu in Honolulu vorhandenen Raum, für eine Vorlesung über den Tower von London in Beschlag genommen. Und als die Konzertgesellschaft nach Honolulu hineinfuhr, hing bereits allenthalben vor den Läden das grosse, schlecht in Holz geschnittene Bildniss des Reverend Mister Shark, seine ganze Lebensbeschreibung voll unendlichen Ruhmes und die Anzeige, dass dieser glänzende Mann, nur um den flehentlichsten Bitten der Bewohner von Honolulu zu entsprechen, sich heute Abend herablassen werde, gegen einen Dollar Eintritt über den Tower von London ungeahnte Enthüllungen zu geben. Die Konzertgesellschaft machte lange Gesichter. Es wurde viel geklatscht und geschimpft, aber ohne wesentlichen Erfolg, und statt musikalischer Gefühlsreize erschütterten am Abend die Gräuel der britischen Königsgeschichte ein kunstsinniges aus braunen und weissen Menschen bunt zusammengewürfeltes Publikum.

Hawaii ist ein konstitutionelles Königreich unter einem eingeborenen König, der über etwa 49 000 eingeborene Vollblutunterthanen herrscht. Ausser diesen leben noch ungefähr 900 Amerikaner, 2000 Chinesen und 2500 Europäer (600 Engländer, 400 Portugiesen, 200 Deutsche, 90 Franzosen) nebst mehr als 2400 Kanakamischlingen theils mit weissem, theils mit chinesischem Blut unter seinem Szepter, so dass sich die Gesammtbevölkerung des Hawaiischen Königreiches auf nahezu 56 900 beläuft. Dasselbe bedeckt einen Flächenraum von 19 757 Quadratkilometer, ist also gleich wie Viti nur um weniges grösser als Württemberg.

Als die Hawaiier zuerst in der Historie auftraten, was vor 100 Jahren geschah, waren sie in lauter kleine Stämme unter eigenen Häuptlingen zersplittert. Ihre berühmteste That seit Anfang bis Jetzt ist die Tödtung des grossen Seefahrers Cook, in der Kealakeakua-Bai 1779, geblieben. Cook ist der Entdecker der Hawaiischen Inseln, und von ihm wurden sie auf den Namen seines Vorgesetzten, des damaligen Chefs der Admiralität in London, Lord Sandwich, getauft. Die Einheit Hawaiis stammt von Kamehameha I., welcher dieselbe im Anfang unseres Jahrhunderts durch Unterwerfung aller anderen Häuptlinge herstellte. Er wird deshalb nach seinem bedeutenderen Zeitgenossen in Europa der Napoleon der Sandwichinseln genannt. Unter ihm kamen die ersten Missionäre, amerikanische Kongregationalisten, ins Land und errangen bald immer mehr Einfluss, so dass schliesslich sie die faktischen Herrscher waren. Gegenwärtig ist ihre Macht im Abnehmen begriffen. Da auch andere Sekten kamen und Konkurrenz machten, so fehlte es auch hier nicht an dem Altweibergezänk der Pfaffen. Eine auffallende Menge von verlassenen Kirchen und Kapellen allenthalben auf den Inseln, welche lebhaft an Tirol erinnert, giebt Zeugniss von jener nunmehr glücklich überwundenen Blüthezeit der Hierarchie.

Auf Kamehameha I. folgten noch vier andere Kamehamehas. Der Fünfte gab 1864 die bestehende Verfassung, nach welcher vier Minister einem aus Ober- und Unterhaus zusammengesetzten Parlament verantwortlich sind. Das Oberhaus zählt 30, das Unterhaus 42 Mitglieder. Da Kamehameha V. ohne Thronerben starb, wählte das Parlament einen gewissen Lunalilo, und als auch Lunalilo ohne Thronerben starb, einen gewissen Kalakaua zum König, und dieser letztere regiert noch jetzt.

Von der grössten Bedeutung für das Emporblühen Hawaiis war früher die Walfischfängerei des Stillen Ozeans. Hawaii bildete eine Hauptstation der Waler, die dort anlegten um sich zu verproviantiren. Gegenwärtig sind die Walfische so selten geworden, dass es sich nicht mehr verlohnt, auf sie Jagd zu machen. Ausser den vielen ehemaligen Kapitäns, welche grösstentheils mit Kanakinnen verheirathet die Insel bevölkern, ist kaum eine Spur jener einst so bedeutenden Industrie mehr vorzufinden.

Die Hawaiier oder Kanakas, wie sie sich selbst nennen, sind reine Polynesier. In ihrer äusseren Erscheinung dürften sie sich kaum von den Eingeborenen Neuseelands unterscheiden, höchstens dass sie vielleicht im Durchschnitt nicht ganz so gross und grobknochig sind wie jene und mehr zur Fettbildung neigen. Die Farbe beider ist ein gesättigtes Braun von verschiedenen Graden der Dunkelheit, sie schien mir niemals so dunkel wie bei den Vitis, niemals so hell und gelblich wie bei den wenigen Tonganern, die ich auf Kandavu gesehen hatte. Ihre Haare sind im Allgemeinen schlicht, zuweilen etwas gekräuselt, aber nicht mehr als dies auch bei uns vorzukommen pflegt. Das Tätowiren, von dem man auf den Gesichtern alter Maoris wahre Kunstwerke bewundern kann, ist bei den Kanakas wohl niemals stark in der Mode gewesen. Man findet nur an alten Weibern hie und da blaue Ringe um die Finger.

Die Sprachen beider haben trotz der 4000 Seemeilen Entfernung so viel Gemeinsames, dass ein Maori und ein Kanaka sich noch verständigen können. Auch dem Hawaiischen fehlen alle mit »S« zusammengesetzten Laute sowie das »F«. Während jedoch das Viti und das Maori höchst wohllautend sind und an das Italienische erinnern, klingt das Hawaiische rauh und barbarisch. Die sehr oft nur aus einem einzigen Vokal gebildeten Silben werden abgesetzt von einander ausgestossen, so dass ein gewisses Gacksen entsteht. Es giebt z. B. eine Ortschaft, welche Maalaea (fünf Silben) heisst. Die vielen Cha, Ka und harten L mit dem R-ähnlichen Vorschlag wie das Schweizer Doppel-L und die Eigenthümlichkeit fast aller Laute, im Gaumen und mit Betheiligung der Nasenhöhle zu klingen, geben der Sprache etwas Unbehülfliches. Ihr Gruss ist hochpoetisch und heisst »Aloha oë« – ich liebe dich.

Ebenso wie bei den Maoris haben auch bei den Kanakas die allzu konsonantenreichen europäischen Namen sich viele Umänderungen gefallen lassen müssen. So ist z. B. aus Britain »Beretania« geworden. Unser Emperor William heisst in Hawaii »Emepela Uilama« und Bismarck »Bihimaka«. Ehe ihre Sprache von den Missionären in die starren Formen der Schriftzeichen eingezwängt wurde, musste natürlich die Möglichkeit der fortwährenden Umbildung eine sehr beträchtliche sein. Dass trotzdem zwischen dem Maori und dem Hawaii so grosse Uebereinstimmung herrscht, ist äusserst merkwürdig und lässt auf eine nur kurze Zeit der Trennung schliessen. Wie wenig auf manche ihrer Laute jene passten, die den Europäern geläufig sind, geht daraus hervor, dass verschiedene Berichterstatter ganz verschieden niederschrieben. Cook schrieb z. B. »Owyhee« statt Hawaii, »Honoruru« statt Honolulu, statt Kauai »Atooi«, statt Molokai »Morotoi«. Das bei so vielen Völkern vorkommende Verwechseln der beiden Buchstaben »L« und »R« gilt auch im Hawaii, und ebenso werden T und K miteinander verwechselt, weshalb man zuweilen auch »Tamehameha« liest. Ich selbst notirte einmal »Rumi rumi« in mein Taschenbuch und fand später dass es »Lome lome« gedruckt wird.

Ehemals ist auch bei ihnen das Nasendrücken (»Hony« jetzt gleichwie im Maori sowohl das erst von den Weissen importirte Küssen als auch Riechen bedeutend) in Geltung gewesen und soll hie und da noch von alten Personen geübt werden. Ebenso wenig fehlt ihnen der Begriff »Tabu« und der bei allen Polynesiern mit Ausnahme der Maoris eine gleich grosse Rolle spielende Gebrauch des Kawatrinkens, nur dass man hier statt »Kawa« »Awa« sagt.

Auch die Hawaiier sind Kannibalen gewesen, aber niemals in demselben Grade wie die Maoris oder gar die Viti-Insulaner. Sie brachten den Göttern Menschenopfer, und diese wurden dann von den Priestern und Vornehmen gefressen.

Auf ihrer gegenwärtigen Kulturstufe sind sie noch immer ein sonderbares Gemisch von alter Barbarei und neuer Zivilisation. Die Kleidung ist im Allgemeinen europäisch, nur dass die Weiber lange lose Talare ohne Taille tragen. In den Städten wie Honolulu auf Oahu, Hilo auf Hawaii, Lahaina und Wailuku auf Maui sind auch die Wohnungen grösstentheils europäisch, in den Dörfern und den einsamen Gehöften jedoch noch nach altem Stil, einfache, ruppige Strohhütten. In der Nahrung hat sich seit Cooks Besuchen nichts Wesentliches geändert. Poi, ein säuerlicher Brei aus Taromehl, ist der Hauptartikel, rohe Fische und Hundefleisch sind noch immer Lieblingsgerichte. Die Mahlzeiten werden auf dem Boden eingenommen, und haben die reicheren, vornehmen Kanakas auch die schönsten Tische und Stühle, sie ziehen es vor, sich daneben auf eine Matte niederzulassen.

Die Hawaiier sind jene Polynesier, welche am raschesten aussterben. In den letzten zwanzig Jahren ist die einheimische Bevölkerung von 80 000 auf 50 000 Köpfe herabgesunken. Der Hauptgrund liegt wohl in der Unsittlichkeit der Weiber und in ihrer Leidenschaft für das Reiten, der sie sich ohne Schonung und Rücksicht, rittlings wie die Männer im Sattel sitzend, hingeben. Die meisten Frauenzimmer reiten sehr geschickt und muthig. Ich sah aber zuweilen auch Reiterinnen mit angsterfüllten Mienen und krampfhaft den Sattelknopf umklammernd dahingaloppiren.

Die Erotik spielt eine grosse Rolle bei den schönen Kanakinnen, und in Honolulu hat sich dieselbe zu einer ziemlich schamlosen Prostitution entfaltet. Dort sind die Missionäre in dieser Beziehung machtlos. Anderwärts aber halten sie ein scharfes Auge auf ihre der Sünde nur zu sehr geneigten weiblichen Lämmer. Während unserer Anwesenheit in Hilo gingen sie in ihrem Misstrauen und in ihrer Vorsicht so weit, uns während der Nacht einen Polizeimann vors Hotel zu postiren.

Man hat im Hawaiischen Königreich reichlich Gelegenheit, Mischlinge aller Grade und Kombinationen aus den drei hauptsächlich vertretenen Rassen, Kanakas, Chinesen und Weissen, zu studiren. Wir Menschen sind bisher in so viele einzelne Stämme isolirt gewesen, dass man bereits an der Einheit unseres Geschlechtes zu zweifeln begann. Jetzt leben wir in einer Uebergangsperiode aus dem Prozess der Differenzirung in jenen des Wiederzusammenfliessens. Die Kommunikationen dehnen sich immer weiter aus. Ueberall wo der Europäer hinkommt, schüttelt er die Stämme durcheinander, kreuzt sich mit dunklem Blut oder unterdrückt es, und vielleicht in einigen tausend Jahren wird es nur mehr Eine Rasse geben.

Honolulu ist eine gartenreiche und deshalb sehr ausgedehnte Stadt mit einer Bevölkerung von 14 000, worunter etwa 1000 Weisse. Die Strassen sind breit und durchschneiden sich nach amerikanischem Muster schachbrettartig, links und rechts begrenzt von Mauern und Zäunen, hinter welchen schlanke Palmen sich wiegen und dichtbelaubte Mangobäume die leicht gebauten luftigen Häuser der weissen und braunen Bewohner verbergen. Die Flora, die sich in den Gärten entfaltet, ist kosmopolitisch. Von allen möglichen Tropenländern haben sich hier Vertreter zusammengefunden. Wohin der Europäer kommt, übt er seinen die Pflanzengeographie nivellirenden Einfluss. Neben der einheimischen Kokospalme steht die königliche Palme aus Westindien, die Dattelpalme aus Afrika. Ostindische Papayas und Mangobäume, chinesische Bambusdickichte und brasilianische Araukarien, Bananas jeglicher Abkunft und hundert andere Pflanzen, von denen man nicht mehr weiss, woher sie stammen, haben sich eingebürgert.

Die Strassen sind staubig, aber die Gärten glänzen stets im frischesten Grün, Dank der reichlichen Wasserversorgung. Ein munterer Gebirgsbach kommt hinter der Stadt in Kaskaden von den wolkenverschleierten, schroffen Höhen herab und vertheilt sich in tausend Aeste und Aestchen, deren Enden aus Kautschuckröhren und transportablen, beständig im Kreise sich drehenden Spritzfontänen überall den Rasen und die Gebüsche bethauen. Hinter den Zäunen sind zuweilen kleine oben offene Verschläge, und häufig stehen in diesen an schwülen Nachmittagen braune Hawaiier und Hawaiierinnen im Kostüm unserer Stammeltern, einen Wasser spendenden Schlauch in der Hand und den Körper berieselnd. Der Zaun deckt ihre Blössen, während sie vergnügt auf die Strasse sehen und mit den Vorübergehenden plaudern.

Unter den öffentlichen Gebäuden ragt das freistehende Regierungsgebäude dominirend hervor. Es ist in Renaissance aus Stein gebaut und trägt in der Mitte einen massiven Thurm, der eine lohnende Aussicht gewährt.

Ein weiter luftiger Saal im Erdgeschoss dient dem Parlament zu seinen Sitzungen. An den einfach weiss getünchten Wänden hängen die Bildnisse der fünf Kamehamehas, des Lunalilo und des Kalakaua, theils in Oel gemalt, theils in lebensgrossen Photographien. Der erste Kamehameha, Hawaiis Napoleon, ist noch mit seinem altheidnischen rothen Federmantel geschmückt, die anderen vier tragen ebensoviele Entwickelungsstufen europäischer Generalsuniformen zur Schau, die zwei letzteren sind im modernen Zivilfrack mit breitem Ordensband und strahlendem Ordensstern erschienen.

Hier spielen sich zuweilen gar schnurrige Debatten ab. Unter den vier Ministern des Kabinets sind drei Weisse, die Präsidentschaft ist weiss, und das Haus selbst besteht zu einem Drittel aus Weissen. Es wird sowohl englisch als hawaiisch debattirt. Eine hawaiische Interpellation findet oft eine englische Antwort, oft sprechen zwei Redner zu gleicher Zeit, der eine englisch, der andere hawaiisch, der Hawaiier wüthend, der Engländer kühl und spöttisch. Und ehe des Morgens die Komödie beginnt, wird gebetet. Es machte mir bei wiederholten Besuchen den Eindruck, als ob die Weissen nicht viel Notiz von den Reden der Kanakas nähmen. Sie sind eben Kinder. Man lässt sie schreien und thut schliesslich doch was man will. Erst kürzlich war ein Gesetz durchgegangen, welches den im Hawaiischen Königreich ansässigen Heilkünstlern sehr verderblich werden konnte, nämlich dass jedem Arzt die Lizenz entzogen werden sollte, der einem Ruf zu einem Kranken nicht sofort Folge leistete. Die Zeitungen brachten viel Schmähartikel über dieses Gesetz und drückten dabei ganz unverblümt ihre vollste Verachtung der braunen Gesetzgeber aus.

In den übrigen Räumen des Regierungsgebäudes befinden sich die Kanzleien der verschiedenen höheren Staatsbeamten, eine Staatsbibliothek und ein Staatsmuseum. An den Thüren liest man bis auf einen nur englische Namen, die dazu gehörigen Titel sind zugleich englisch und hawaiisch daruntergeschrieben, so z. B. »His Excellency W. L. Green, Minister of Foreign Affairs, Kuhina no ko na aina e«.

Die für einen so abgelegenen Punkt der Erde überraschend reiche Bibliothek enthält ausser juridischen und theologischen eine ansehnliche Zahl naturwissenschaftlicher und geographischer Werke und wurde mir auf meinen nur leise angedeuteten Wunsch mit der grössten Liberalität zur Verfügung gestellt, was nächst der überhaupt hier herrschenden Zuvorkommenheit gegen Fremde wohl auch dem Umstande zu verdanken war, dass dieselbe sehr wenig benützt wird. Ich war stets der einzige gänzlich ungestörte Leser und unbeschränkte Alleinherrscher. Kein griesgrämiger Bibliothekar trübte den Genuss der Bücher. Das Museum enthält hauptsächlich ethnographisch sehr werthvolle hawaiische Alterthümer. Die Hälfte davon war eben zur Ausstellung nach Philadelphia gesandt worden und nicht zu sehen. In der Sammlung befindet sich auch ein Palmstumpf, vor welchem in der Kealakeakua-Bai der grosse Cook getödtet worden sein soll, was mir erst später in San Francisco besonders interessant wurde, da dort in einem Museum ein anderer Palmstumpf ausgestellt ist, von dem man dasselbe behauptet.

Dem Regierungsgebäude gegenüber liegt die Residenz des Königs, ein ganzer Block, rings von einer steinernen Mauer mit vier Thoren, an jeder der begrenzenden Strassen eins, umgeben. Nur ein hoher Flaggenmast ist über der Mauer und den Bäumen dahinter sichtbar. Ist die Flagge aufgezogen, so gilt dies als Zeichen, dass der König zu Hause und umgekehrt, gerade wie bei uns. Ein eigentlicher Königspalast existirt gegenwärtig nicht. Man trägt sich schon lange mit dem Gedanken einen zu bauen, aber die Hauptsache, das Geld hierzu, fehlt noch. Einstweilen muss sich das Werk der Zukunft damit begnügen, seinen Schatten in dem Strassennamen »Palace Walk« vorauszuwerfen.

Die Militärmacht Honolulus ist eine sehr bescheidene und besteht nur aus einer Bande Musikanten und zwei Dutzend Palastgardisten. Erstere tragen dunkelblaue Waffenröcke, letztere hellblaue Husarenjacken mit weissen Schnüren, beide weisse Hosen und weisse Käpis. Diese zwei Sorten von Soldaten bummeln den ganzen Tag auf den Strassen herum, so dass man sie überall sieht und auf eine viel grössere Zahl schliessen möchte. Der Kapellmeister ist natürlich ein Deutscher. Seine Bande, lauter junge Kanakas, macht ihm alle Ehre und spielt jeden Samstag auf Queen Emmas Square, einem freien Platz mit Gartenanlagen, auf welchem dann die ganze schöne und vornehme Welt der Residenzstadt promeniren geht. Kurz ehe ich abreiste, streikten die Musikanten, aus welcher Veranlassung und auf wie lange, blieb mir unbekannt.

Der vorige König soll kriegerischer gewesen sein als der jetzige und die allgemeine Wehrpflicht nicht blos eingeführt, sondern sogar bis zur Abhaltung von Manövers getrieben haben, welche einem ansehnlichen Theil des Heeres von Honolulu das Leben kosteten. Die Kavallerie attakirte bei einer derartigen Gelegenheit die Infanterie so naturgetreu wüthend, dass diese genöthigt war, ihr Heil in der Flucht zu suchen. Aber kaum hatte sich die wackere Infanterie von dem ersten Schrecken erholt, als sie beschloss die erlittene Schmach zu rächen. Die siegreiche Kavallerie zog sich stolz von dem Wahlplatz zurück um nach Honolulu hinein zu triumphiren. Da griff von hinten plötzlich die Infanterie mit dem Bajonnette an und vernichtete sie völlig. Vierzig Pferde und zwanzig Reiter wurden todtgestochen, die übrigen entkamen mit Wunden bedeckt. Seitdem werden keine Manövers mehr abgehalten.

Was nun die Artillerie betrifft, so ist sie durch einen Ritt auf die Punschbowle leicht in Augenschein genommen. So heisst nämlich der kahlgebrannte Berg hinter der Stadt, und ist man oben und blickt hinab in die nun mit Gras ausgepolsterte halbkugelige Höhlung des Kraters, so muss man den Namen gerechtfertigt finden. Ganz Honolulu liegt zu Füssen ausgebreitet. Man überschaut den Hafen und erkennt an der hellen Färbung des Wassers die Lage der Riffe, die nur einen schmalen Kanal frei lassen. Sechs alte Schiffskanonen stehen hier oben zum Salutiren vor einem Flaggenmast. Sie sehen so rostig und morsch aus, dass ich keine abfeuern möchte. An grosse Lavablöcke hingebaut steht daneben das Häuschen des Wächters. Seine Frau war beschäftigt Strohhüte zu flechten, als ich hinaufkam, und ich wartete, bis sie für mich einen fertig hatte.

Die zweite Stelle unter den öffentlichen Gebäuden nimmt das Hawaiian Hotel ein, welches dem König gehört und an Mister Herbert, einen Amerikaner deutscher Abkunft, verpachtet ist. Es liegt umgeben von den Strassen Hotel-, Beretania-, Kahomanu- und Alakea Street und genügt für den billigen Preis von drei Dollars täglich allen Forderungen, die der Amerikaner, in Bezug auf Hotels viel anspruchsvoller als der Europäer, zu stellen pflegt. Alles ist musterhaft amerikanisch bis auf die Bedienung, die aus mürrischen Chinesen besteht.

Man würde in den ausgezeichneten Betten unter den lang herabwallenden Moskitonetzen, über welche manchmal eine grosse haarige Spinne wandelt, vortrefflich schlafen, wenn nicht die eigenthümliche Gewohnheit der Hähne von Honolulu, die ganze Nacht hindurch zu krähen, sehr störend wirkte. Von nah und fern dringt das ewige Kikeriki in helleren und tieferen Stimmen durch die Stille der Nacht und lässt auf Legionen dieser Ruhestörer schliessen.

In Honolulu giebt es sieben Kirchen, alle von amerikanischer Stillosigkeit, und zehn Freimaurerlogen. Die meisten Hawaier sind kongregationalistisch christianisirt. Nach diesen kommen an Zahl die Katholiken, dann die Episkopalen. Neben der Kavaiahaokirche ist das Mausoleum des letztverstorbenen Königs. »Lunalilo ka Moi † 1874« (L. der König) ist die einfache Aufschrift des kapellenartigen gothischen Baues, um welchen innerhalb eines eisernen Gitters sechs vergilbte Kahilis, grosse Sträusse aus Federn und Blumen auf Stangen, in der Erde stecken.

Nur in den drei oder vier Geschäftsstrassen drängen sich die Häuser, grösstentheils aus Holz und einstöckig, ohne Gärten eng aneinander. In Fort Street sind die Läden der Weissen, in Nuuanu Avenue jene der Chinesen.

Denn auch hierher haben die Söhne des Reiches der Mitte ihren Weg gefunden, und keine der grösseren Ortschaften auf den Hawaiischen Inseln ist ohne Mongolen. Sie sind hier hauptsächlich Schuhmacher, Kleinkrämer und Gastwirthe schmutziger Speiselokale. Die Wäscherei, die in Kalifornien ihr Monopol ist, haben sie den Eingeborenen noch nicht zu entreissen vermocht. Ihre offenen Buden sehen sich alle so ähnlich, dass man nur schwierig und selten die richtige wieder findet, wenn man vielleicht von einem der schlitzäugigen Spitzbuben betrogen worden ist. Den ganzen Tag wird emsig gearbeitet. Hier sitzt ein alter verrunzelter Schuster mit einer unförmlichen rundglasigen Brille auf der Nase, und näht im Verein mit einigen jüngeren Gesellen leichte, dünnsohlige, weisse Zeugstiefel zusammen, dort schwirren amerikanische Nähmaschinen, an denen bezopfte Schneider chinesische Gewänder verfertigen. Hier sind Zigarren, Tabak und alle möglichen Gegenstände des häuslichen Bedarfs zu haben, dort eine Menge fremdartiger Büchschen und Schächtelchen mit chinesischen Konserven aufgestapelt. Früchteverkäufer preisen Melonen und Mangos an, und in den kleinen Wirthschaftsspelunken stehen Reihen winziger Schüsselchen mit eigenthümlichen Gerichten, die an geschmorte Regenwürmer erinnern, lockend hinter dem Fenster. Man sieht die Chinesen fast niemals müssig. Selten begegnet man wohl auch einem bezopften Reiter hoch zu Ross oder deren mehreren in Gesellschaft zu Wagen, aber auch dann wohl nur in Geschäften reisend. Es giebt nur wenige Chinesinnen in Honolulu. Die meisten Chinesen sind mit Hawaierinnen verheirathet. Die Regierung sträubt sich zwar gegen die Einwanderung der asiatischen Pest. Aber die durch einen erst jüngst abgeschlossenen Vertrag für freie Einfuhr des Zuckers nach den Vereinigten Staaten wieder aufblühenden Zuckerplantagen brauchen Arbeiter, und die Chinesen sind die billigsten. Ueber kurz oder lang werden die Fluthen dieser hässlichen Rasse mit ihren scheusslichen Lastern, die dem Europäer gegenüber keine Ehrenhaftigkeit kennt und Alles erlaubt hält, zusammenschlagen über der einheimischen schönen und edlen Rasse, welche rapide ausstirbt.

Unter den Weissen herrscht der amerikanische Typus vor. Auch die meisten Waaren tragen das amerikanische Gepräge, sie sind grösstentheils von Kalifornien her eingeführt. In einigen Auslagen glaubte ich auch manchen Schund meines theuren Vaterlandes zu erblicken und als alten Bekannten begrüssen zu dürfen. Keine soliden englischen Fabrikate mehr wie überall in Australien, andere Kleidungsstoffe, anderes Sattel- und Zaumzeug, andere Zündhölzchen, andere Messer. Man ist in Bezug auf Kultur bereits in den Vereinigten Staaten. Man trägt hier ebenso feine, weissglänzende Wäsche und denselben Schnitt des Rockes wie bei den Yankees. Cocktail und Sherry Cobbler und wie sie alle heissen, die amerikanischen »Fancy Drinks«, spielen hier eine ebenso bedeutende Rolle, wie in San Francisco oder in New York.

Ueberall giebt sich der amerikanische Einfluss kund, und das Annektirtwerden durch die Vereinigten Staaten ist für Hawaii wohl nur eine Frage der Zeit. Das offizielle Münzsystem ist das amerikanische. Ein Versuch, hawaiisches Geld mit den Köpfen hawaiischer Könige darauf prägen zu lassen, wurde bald wieder aufgegeben. Merkwürdiger Weise kursiren hauptsächlich französische Fünffrancsstücke als Dollars.

Ganz besonders erfreulich tritt das Deutschthum in den Vordergrund. Es war mir eine äusserst angenehme Ueberraschung, ebenso viel Deutsch als Englisch sprechen zu hören. Wenn ich so durch die Strassen ging, drangen fast aus jedem der offenstehenden Läden, Barbierstuben und Kneipen die Laute der Muttersprache an mein Ohr. Wir sind dort so gut repräsentirt, als wir nur wünschen können, was nicht allenthalben in überseeischen Hafenplätzen der Fall ist. Unter unseren Landsleuten in Honolulu sind die angesehensten und reichsten Kaufleute, und ein reges geistiges Streben, das man in solcher Ferne und Abgelegenheit kaum erwarten möchte, blüht bei ihnen. Ich fand zum ersten mal seit längerer Zeit nicht nur die meisten unserer besseren Zeitschriften, sondern auch eine Menge deutscher Bücher wieder. Ein unschätzbares Vergnügen gewährten mir dort im fernen Pacific Heinrich Noés Alpenbilder.

Es giebt eine mikroskopische Gesellschaft in Honolulu, und bei Herrn Riemschneider, einem jungen Hannoveraner, habe ich manchen genussreichen Abend mit dem Betrachten seiner mikroskopischen Präparate zugebracht. Die Aufnahme, die mir von unserem Konsul und allen Deutschen zu Theil wurde, war die liebenswürdigste, an die ich stets dankbarst zurückdenken werde.

Das Klima von Honolulu ist paradiesisch wie überall auf den glücklichen Inseln des Stillen Ozeans. Die Hitze ist nicht allzu gross und wird häufig gemildert durch erfrischende Regenschauer. Ich habe niemals, obgleich ich im höchsten Sommer dort war, mehr als 35 Zentigrade erlebt, eine Temperatur, die nicht selten auch bei uns vorkommt. Fast ununterbrochen weht der Passat kühlend über den Felsgrat Oahus herüber und durch das Nuuanuthal herab, und als er einmal zwei Tage aussetzte, und die Eisfabrik wegen einer Reparatur ihre täglichen Lieferungen einstellte, klagte Alles über den unerträglichen Zustand. Denn auch hier in dieser herrlichen Natur sind die Menschen unzufrieden und sehnen sich anderswohin. Der ganze Reiz des Lebens liegt eben im Wechsel.

Trotz der beschränkten Geldmittel des Staates scheint es mit dem Sanitätswesen nicht schlimmer zu stehen als anderwärts. Akute Infektionskrankheiten kommen kaum eben so häufig vor wie bei uns in Europa. Die Quarantäne wird strenge gehandhabt. Eine auffallende Menge von Aerzten, lauter Weisse, ist allenthalben zerstreut. Freilich befinden sich auch genug amerikanische »Dakters« darunter.

Das königliche Hospital von Honolulu ist zwar klein, aber musterhaft reinlich gehalten. Es liegt am Fusse des Punschbowlenhügels mitten in einem schönen weiten Garten, in dem Palmen aus allen Gegenden der Erde nebeneinander stehen, und enthält in zwei Stockwerken etwa hundert saubere Betten, jedes mit einem sauberen Moskitonetz überspannt. Die Syphilis stellt ein bedeutendes Kontingent an Kranken, wie in allen Hafenstädten.

Eine weit schrecklichere Plage Hawaiis ist der asiatische Aussatz, die Lepra, welche absolut unheilbar ist. Man behauptet, sie sei von den Chinesen eingeschleppt worden. Sie war im Anfang nur in einzelnen Fällen aufgetreten, bis sie gelegentlich der ersten Blatternepidemie, die ein Walfischfänger brachte, plötzlich die grösste Verbreitung erfuhr. Nicht blos die Aerzte, sondern auch Missionäre und Beamte stürzten sich sofort auf die Eingeborenen, um Alles Hals über Kopf zu impfen ohne die nöthigste Vorsicht zu wahren, und so kam es, dass die Lanzette das Gift der Leprosen auf eine Menge Anderer übertrug. Die Leprosen werden polizeilich gesammelt und in ein abgeschlossenes und unzugängliches Thal der Insel Molokai verbannt, was zwar grausam aber sehr weise ist.

Eben war wieder ein Transport von vierzehn solcher Unglücklichen beisammen und sollte nächstens mit einem eigenen Schuner nach Molokai geschickt werden. Der Regierungsarzt Dr. Mac Kibbin, ein Engländer, hatte die Güte mich zu ihrer Besichtigung mitzunehmen. Sie waren in einem Garten neben dem Polizeigebäude auf einer offenen nur durch Matten abzuschliessenden Veranda untergebracht und schienen die Härte ihres Looses mit stoischer Ruhe zu ertragen. Nur ein einziger Fall der Leontiasisform sah abschreckend aus.

Auf Molokai sollen sich gegenwärtig etwa 800 Leprosen, darunter auch vier Weisse, ein Deutscher und drei Engländer, befinden. Aerztliche Behandlung geniessen sie dort nicht, und auch über ihre Verpflegung wird viel geklagt. Aus obiger Zahl lässt sich schliessen, dass vielleicht zwei Prozent der Gesammtbevölkerung von Hawaii mit Lepra behaftet sind.

Eine besonders hervorragende Merkwürdigkeit Honolulus ist der Fischmarkt. Namentlich an Samstagen herrscht dort ein charakteristisches reges Leben. Aus der ganzen Umgegend strömen dann die Eingeborenen zusammen um Käufe und Verkäufe zu machen, Freunde zu treffen, kurz eine Art Wochenbörse abzuhalten. Reiter und Reiterinnen gallopiren von allen Seiten herbei. Pferde und Wagen und Maulesel und Menschen füllen in bunter Unordnung die nächsten Strassen. Glühend sticht die Sonne herab, und eine grellgeputzte, blumengeschmückte, lärmende, heftig gestikulirende Menge brauner Gesichter drängt sich glänzend von Schweiss durcheinander.

Die Waaren, die unter einer gedeckten Halle und in mehreren Budenreihen feilgeboten werden, entstammen grösstentheils der salzigen Fluth des Meeres, und ihre Mannichfaltigkeit wird dadurch erhöht, dass der Kanaka nichts verschmäht, was überhaupt gegessen werden kann. Getrocknete Sepien, die acht Saugarme zu Zöpfen geflochten, hängen oben herab, unten auf blätterbedeckten Brettern liegen sie frisch in ihrer ganzen natürlichen Schlüpfrigkeit ausgebreitet. Fische gross und klein, mit Papageischnäbeln und in allen Farben schillernd, Krebse, Muscheln und Schnecken, Seesterne, Seeigel und Seegurken, roh und gekocht, in Körben hoch aufgehäuft, suchen die Gourmandise der Kanakas zu reizen. In Kürbisschalen ist der ganze Inhalt dieser Geschöpfe, Gedärme und Alles, zu einem vielfarbigen Brei zusammengepantscht, und mit geheimem Grausen sehen wir, wie diese unappetitlichen Sachen mit wohligem Schmatzen verschlungen werden. Man muss sich in Acht nehmen nirgends anzustreifen, da überall Eingeweide und andere schleimige Dinger kleben, nicht blos an den Buden, sondern auch an den vielen Männern und Weibern, die sich mit grossen Körben durch das Gedränge mühen. Hinter jedem Stand hängen grosse Bündel schmaler Cordylineblätter, welche zum Einwickeln dienen. Im Nu sind sie kreuzweis zusammengeschlungen und zu einem festen Packet geschlossen.

Hier häutet ein Mann wunderbar flink mit den Zähnen seine Fische ab, dort sitzen hübsche grossäugige schlanke Mädchen und winden Blumenkränze und duftende Pandanusguirlanden, während daneben eine fette schwammige Matrone uns ein freundliches »Aloha« zugrinst und einladend auf ihre Mangos und Melonen weist. Ein korpulenter Polizeimann, kenntlich an dem Blechschild auf seinem Rock, überwacht mit ernstem Blick die Ordnung des Marktes, etliche Gardesoldaten in blauweissen Jacken gehen von Bude zu Bude und kokettiren mit den schönen Verkäuferinnen. Mitten in diesem fröhlichen Gewühl und Gekreisch der Hawaiier steht eine Gruppe tückischer Chinesen, umherspähend wohin sie sich wenden sollen, die Hände in beiden Hosentaschen, um das Geld zu bewachen, obwohl es hier keine Pickpockets giebt, dort an der Ecke steht ein einzelner Halbchinese und hat Tabakspfeifen feil, an die Zweige eines Bäumchens gesteckt. Eine eigene Abtheilung dient zum Verkauf des zu Klumpen zusammengebackenen Poimehls. Auf Tischen davor steht fertiger Poi in grossen Kürbisschalen bereit, und unter und zwischen den Tischen sitzen kleine Gesellschaften und erlaben sich an dem säuerlichen Brei, indem sie ihn mit den Fingern heraustunken.

Gleich hinter der einen äussersten Reihe plätschert das Wasser der Rifflagune, getrübt von der Jauche des Marktes, ein beliebter und nie unbenützter Badeplatz der Jugend. Hie und da mischen sich auch wohl die nackten und nassen Jungen ins Gewühl, um mit klatschenden Schlägen verjagt zu werden.

Halbverwilderte Hunde liegen mürrisch in den geschütztesten Winkeln. Sie sind die stehende Bewohnerschaft des Budenplatzes, von dessen Abfällen sie leben, und fast alle sind, vielleicht in Folge der ausschliesslichen Fischnahrung, bedeckt mit Räude. An einem dieser ekelhaften Köter sah ich eine elephantiasis-artige Erkrankung der ganzen Haut, namentlich aber der hinteren Partien. Die Haut der Kreuzgegend war so sehr verdickt, dass der Schwanz aus Falten wie sie für das Rhinoceros normal sind heraushing.

Ausserhalb Honolulu ist die Gegend dürrgebrannt und wüstenartig. Links und rechts von der Stadt führen grellbeleuchtete, staubige Strassen am Ufer des blauen Meeres entlang. Sandebenen, hie und da besetzt mit Gruppen von importirten Opuntias und Agaven, ziehen sich zu den Bergen hinan, welche den Hintergrund bilden. Unten sind diese ebenso kahl wie die Ebenen, erst weiter oben, in der Nähe der an den höheren Spitzen hängenden Wolken, bedecken sie sich mit dem eigenthümlichen hellschimmernden Grün der Kukuibäume.

Zu dieser im Lichte einer glühenden Sonne strahlenden Landschaft liefern die Eingeborenen die schönste und stylvollste Staffage. Blumenbekränzt und in bunten Gewändern jagen sie, Männer und Weiber, auf zähen Pferden über Stock und Stein dahin. Und ihre warmen Farben im Verein mit der Sonnengluth der wüsten und gelben Flächen gaben mir oft ein Bild von wahrhaft orientalischer Lebhaftigkeit.

An der Ostseite gegen die Vorstadt Kapalama zu ergiesst sich der Nuuanu-Bach in die See. Manchmal kauern hier Weiber vollständig bekleidet, einen Strohhut auf dem Kopf, geradeso wie sie auf der Strasse gehen, im schmutzigen, brackischen Wasser des Aestuariums. Nur der Kopf ragt heraus, und im Munde halten sie ein Körbchen, während sie mit den Händen auf dem Grunde nach Krabben herumtasten. Nackte Kinder balgen sich neben ihnen und werden zuweilen durch zornig rollende Blicke verscheucht. Schelten dürfen die Fischerinnen nicht, sonst würde ihnen das Körbchen mit der Beute entfallen. Eine hölzerne Brücke führt hinüber nach dem Staatsgefängniss, einem blendend weiss getünchten zinnengekrönten Kastell, und draussen mitten in der Lagune steht einsam auf Pfählen das Quarantänehospital, ein trostloses Gebäude.

Rechts am Fusse der Berge unweit Lilihi Street liegt das Lunatic Asylum, das Irrenhaus. Ich fand dieses nur von wenigen Geisteskranken bewohnt, als ich einmal hinausritt es zu besichtigen. Eine tobsüchtige Chinesin war der schlimmste Fall. Die anderen waren alle bereits blödsinnig. Die gemüthliche naturgemässere Lebensweise der Eingeborenen, fern von der aufreibenden Hast des Gelderwerbs und des Ehrgeizes in Amerika und Europa, ist nicht geeignet, Erkrankung des Gehirns zu begünstigen. Die Einrichtungen der Anstalt genügen mässigen Ansprüchen.

Westlich gegen Diamond Head zu führt eine zwei Kilometer lange Landstrasse, oft der Schauplatz wilder Kavalkaden, an Salinen, in denen Meersalz durch Abdunsten gewonnen wird, vorüber nach Waikiki, einer kleinen Ortschaft aus einer Kapelle, einigen hölzernen Landhäuschen und einigen struppigen Strohhütten bestehend, alle weit aus einander gestreut, die früher der Lieblingsaufenthalt der Könige gewesen sein soll. Hierhin sollen sie sich, der Komödie europäischer konstitutioneller parlamentarischer Regierung müde, zurückgezogen haben, um der goldstrotzenden Uniform entledigt und nur mit dem Suspensorium angethan in alten Erinnerungen zu schwelgen. Ein kümmerlicher Kokospalmenhain beschattet spärlich den sandigen Boden. Die Bäume sind lebensmüde und tragen keine Früchte mehr. Ein hübscher reinlicher Badestrand zieht sich aussen entlang, und Waikiki ist deshalb als Ausflugspunkt bei der Bevölkerung Honolulus sehr beliebt. Jenseits tritt Diamond Head, das Wahrzeichen von Honolulu, in die See hinaus, auf einer Einsattlung, die den Berg und die Hauptkette der Insel verbindet, die Signalstation für die Ankunft von Schiffen tragend, welche mit dem Postamt der Hauptstadt durch die einzige drei Kilometer lange Telegraphenlinie des Hawaiischen Königreichs zusammenhängt. Diamond Head ist 230 Meter hoch und sieht von unten nicht aus wie ein Vulkan, es scheint vielmehr eine gradlinige steile Felswand zu sein, von zahlreichen tiefen senkrechten Schluchten durchfurcht, an welche sanfter geneigte Geröllböschungen sich anlehnen. Aber wir stehen auf einem so durchaus vulkanischen Boden, dass wir uns nachgerade gewöhnen, in dem Gipfel einer jeden isolirten Erhebung einen erloschenen Krater zu finden.

Als Hauptmerkwürdigkeit der Umgebung gilt der »Pali«, ein steiler Absturz an der Rückseite der Bergkette, welche den Hintergrund Honolulus bildet, 9 Kilometer von der Stadt entfernt. Eine 600 Meter mächtige Schicht der Erdrinde, durch vulkanische Kräfte emporgehoben, zerbarst an den Kanten. Die südliche Hälfte ist stehen geblieben, die nördliche wieder hinabgesunken, beinahe bis zum Niveau des Meeres. Die gewaltige Bruchfläche ist der Pali. Fast kein Passagier des Dampfers, dem ein Nachmittag in Honolulu zu Theil wird, versäumt dort hinauf zu reiten.

An einem der ersten Tage machte ich diese obligate Partie in Gesellschaft jener fünf Engländer, welche dieselben Reiseziele wie ich verfolgten, selbstverständlich zu Pferde. Denn auf Hawaii geht man fast niemals zu Fuss. Der echte Hawaiier, gleichviel ob braun oder weiss, lässt für die unbedeutendsten Wege die er zu machen hat aufsatteln. Die Pferde sind hier lächerlich billig, fünfzig Dollars ist ein anständiger Kaufpreis. Um fünf Dollars die Woche kann man das beste Reitpferd miethen, inklusive Fütterung, Sattel und Zaumzeug. Dabei sind die Thiere unübertrefflich zäh und im Allgemeinen hocherhaben über jene erbärmliche Sorte, die man bei uns gewöhnlich zu miethen bekommt. Mark Twain hat sie schwer verleumdet. Ein einziges mal passirte es mir, dass ich einen faulen und störrischen Häuter erhielt, dem ich beim Gallopiren beständig den Takt dazu auf sein Hintertheil peitschen musste, und der mich an jeder Strassenecke abwarf, indem er blitzschnell herumbog, wenn ich nicht Acht gab.

Eine guterhaltene belebte Strasse führt durch das Nuuanuthal in die Berge hinein. Links und rechts zuerst die nicht enden wollenden Landhäuser und Gärten des vornehmen weissen Viertels. Man passirt die Kirchhöfe, das Mausoleum der fünf Kamehamehas, die Eisfabrik. Mehrmals kreuzt der im Zickzack herabtosende Nuuanubach den Weg, Tarosümpfe, die er bewässern muss, zu beiden Seiten. Es geht immer höher und höher. Eingeborene, Männer und Weiber, auf Pferden und Maulthieren, in bunten Farben und blumenbekränzt begegnen uns und sprengen mit einem freundlichen »Aloha« vorüber. Die Gegend wird schroffer. Auf schmalen Grasterrassen über kahlen Felswänden weiden Rinder und rufen heimathliche Erinnerungen aus den Alpen wach. Nur die fremdartige Erscheinung der silberglänzenden Kukui-Büsche, die in grosser Ausdehnung hie und da die steilen Abhänge dicht überziehen, zerstört die Illusion. Der Kukui ist derselbe Aleurites triloba, aus dessen Nüssen auf Viti so gelungene Kerzen gefertigt werden. Auch hier auf Hawaii soll man sich ihrer in der nämlichen Weise bedient haben.

Es wird feuchter und kühler oben, und der Passat, den wir unten als angenehmen Zephyr empfanden, weht uns durch die Scharten der zackigen Bergesgipfel als ein rauher, frostiger Sturmwind entgegen, zerrissene Nebelmassen vor sich her treibend. Endlich sind wir am Ziel. Noch eine Ecke, und ein Panorama von ergreifender Grossartigkeit thut sich auf. Erschrocken reissen wir die dampfenden Pferde zurück. Der Boden verschwindet plötzlich und stürzt zu einem schauerlichen Abgrund hinab.

Tief unter uns entfaltet sich eine herrliche Ebene. Der dunkelblaue Ozean steigt zum Horizont in die Höhe, weissglänzende Schaumlinien der Brandung umsäumen mäandrisch smaragdene und violette Tinten. Und innerhalb dieser begrenzt ein schimmernder Streif sandigen Ufers das im schönsten Grün prangende Tiefland. Keine dürren wüstenartigen Flächen wie im Süden an der Leeseite der Insel. Alles strahlt im wärmsten Sonnenschein unten, während uns selbst vorüberziehende Wolken beschatten.

Wir stehen auf klassischem Boden. Hier focht der grosse Kamehameha I. die letzte von den sieben Schlachten, durch die er die geeinigte Herrschaft der Hawaiischen Inseln erzwang. Tausend Feinde, der letzte Rest von Widerstand, wurden hier hinabgedrängt. Was für ein gewaltiger Schauplatz für eine Schlacht. Wie mag es getobt haben auf diesen rauhen, felsigen, düster bewölkten Kanten vom wilden Verzweiflungskampf, vom trunkenen Freudengeheul der Sieger, vom ohnmächtigen Wuthgebrüll der Besiegten, die ein letztes mal sich aufrafften, im Angesichte des Todes mit grimmigem Hass noch schnell ihr Leben zu rächen, ehe sie schaarenweise hinabstürzten und in der grausigen Tiefe zerschmettert wurden.

Eine steile Strasse ist jetzt in die Felswand gehauen und führt zickzackförmig hinab. Winzig klein bewegen sich schwarze Pünktchen unten auf ihr entlang. Es sind Reiter, die einem Dorfe am Meeresstrand zueilen, welches halb unter Palmen versteckt mit scharfen Augen eben noch erkennbar ist.

Es war mein erster Ritt wieder nach langer Zeit und unmittelbar nach den erschlaffenden Einwirkungen einer zwölftägigen Seereise in tropischer Hitze. Und da ich überhaupt zu der ehrsamen Zunft der Sonntagsreiter gehöre, vermochte ich kaum mehr mich im Sattel zu halten, als wir durch das belebte Chinesenviertel zurückkehrten. Links und rechts stoben zähnefletschend die bezopften Mongolen auseinander. Schliesslich fiel noch ein armes unvorsichtiges Huhn den Hufen meiner Rosinante zum Opfer. Der Eigenthümer, ebenfalls ein Chinese, kam kreischend ins Hotel gelaufen, das Corpus delicti in der Hand und eine Schaar Freunde als Zeugen im Gefolge. Ich musste bezahlen.

XIX.
VON HONOLULU NACH HILO.

Ihre Königliche Hoheit Ruth Keelikolani. Morgentoilette der Reisegesellschaft. Lahaina und Kawaihae. Das Hotel zu Hilo. Unser Vergnügungskommissär Hapai. Brandungschwimmen. Die höhere weibliche Schuljugend im Bade. Hula Hula und Konzert. Der Rainbow Fall.

Die Verbindung zwischen den Inseln wurde damals hauptsächlich durch den königlichen Poststeamer Kilauea, der etwa so gross wie ein Helgoländer Dampfer und bereits so altersschwach und baufällig war, dass er unterdessen wahrscheinlich zu existiren aufgehört hat, vermittelt. Jeden Montag ging er von Honolulu ab, dreimal im Monat nach Maui und Hawaii und einmal nach Kauai.

Am 21. August schiffte ich mich nebst meinen fünf Engländern auf ihm ein, um nach Hilo, der Hauptstadt der grössten Insel Hawaii, zu fahren und von dort aus den berühmten Vulkan Kilauea zu besuchen. Fast gleichzeitig mit uns verliess der Schuner, der die vierzehn Leprosen nach Molokai bringen sollte, den Hafen von Honolulu. Wir kamen gerade noch recht, um Zeugen einer ergreifenden Abschiedsszene zu sein. Sechs Polizisten eskortirten die traurige Schaar, hinterdrein folgten jammernd und weinend die Angehörigen der armen Verbannten wie bei einem Leichenbegängniss. Sie schieden auf Nimmerwiedersehen.

Es war fünf Uhr Nachmittags, als wir uns an Bord des Kilauea begaben. Eine bunte Menge von Kanakas und Weissen, von Pferden und Wagen umstand die Abfahrtstelle. Ganz Honolulu schien wieder auf den Beinen zu sein, dem Dampfer das Geleit zu geben.

Man sagte, eine Prinzessin sollte mit uns nach Hilo gehen, und bald fand ich unter dem Gewimmel, welches das Schiff erfüllte, Ihre Königliche Hoheit heraus. Es war dieselbe kolossal fette alte Person, welche ich kurz vorher auf der Strasse in einem eleganten Buggi eigenhändig hatte vorbeikutschiren sehen, während ihre Begleiterin respektvoll einen Sonnenschirm über sie hielt. Jetzt sass sie unter dem Leinendach des Achterdecks, umgeben von ein paar vornehmen Hawaiierinnen, schwitzte und athmete mühsam unter der Last ihres Fettes und glich mit ihrer breiten gespaltenen Doppelnase und ihren strotzenden Fettwülsten am Halse einem abgehetzten Bullenbeisser. Stupid sah sie gerade vor sich hin und empfing apathisch die Huldigungen, die ihr zu Theil wurden, indem mehrere Männer, unter diesen auch der Kronprinz, ehrfurchtsvoll entblössten Hauptes sich zu ihr herandrängten, um ihr die Hand zu küssen. Auch drei oder vier Weisse die ich kannte sah ich auf solche demüthige Weise ihr huldigen, sah wie auch sie mit entblösstem Haupt auf die Hand des stupiden Fettscheusals sich niederbeugten. Ich musste mich abwenden, ich fühlte, dass sie sich vor mir schämten. Ruth Keelikolani wie die Prinzessin, eine Halbschwester der beiden letzten Kamehamehas, heisst ist nämlich sehr reich, und Mancher hofft aus ihrer Gunst Gewinn zu schlagen.

»Acht geben auf die Pferde« lautete das vorsorgliche Kommando des Kapitäns, und die Dampfpfeife brüllte zum Zeichen, dass alle Nichtpassagiere das Schiff zu verlassen hätten. Glücklicher Weise blieben nur Wenige von der grossen Menge an Bord und wir bekamen Luft. Der Dampfer trennte sich von dem Kai, heftiges Winken mit Taschentüchern von hüben und drüben, und wir bewegten uns vorwärts, ein schönes lebensvolles Bild von braunen Gesichtern, glänzenden Augen, grellen Gewändern und Blumenguirlanden am Ufer zurücklassend. Einem von unserer Gesellschaft entführte ein Windstoss seinen Strohhut ins Wasser, und sogleich war ein Kanuu darauf aus, packte den Deserteur und brachte ihn freundlich zurück, ohne dass eine Belohnung gereicht werden konnte. Welcher Jollenführer in Hamburg, New York oder London hätte dasselbe gethan?

Die Prinzessin hatte für sich eine breite Bettstelle mit einem Zeltdach darüber auf Deck stehen. Im weiteren Verlauf unserer Beobachtungen kam auch ein weisser Topf zum Vorschein, dessen mächtiges Kaliber uns anfänglich über seine Bestimmung in Zweifel liess, bis wir durch einen unzweideutigen Akt in Klarheit versetzt wurden. Es dauerte nicht lange, so fing sie an ihre Abendmahlzeit zu nehmen. In einer Kürbisschüssel wurde ihr Poi gereicht, den sie in der üblichen Weise mit Zeige- und Mittelfinger heraustunkte, und auf einem Porzellanteller etliche salzbestreute rohe Fische, die sie schnell mit den Händen packte und einen nach dem anderen gierig verschlang, indem sie wohlig schmatzte. Danach bekam die Dienerschaft, zwei ältliche Burschen und eine junge hübsche Kammerzofe, ein aus denselben Artikeln bestehendes Essen. In dieser Beziehung sind die Hawaiier noch immer die alten Barbaren und werden es bleiben, bis sie vom Erdboden verschwinden, trotz Konstitution und Parlament.

Auch der Gouverneur von Hawaii, Seine Excellenz Samuel Kipi, fuhr mit uns nach Hilo, und ich wurde ihm vorgestellt. Er ist ein äusserst würdig und anständig aussehender strammer alter Herr in untadelhafter europäischer Kleidung. Aber auch er ging nicht wie wir in die Kajüte zur Tafel, sondern blieb oben auf Deck bei der Prinzessin sitzen und schmatzte mit rohen Fischen und Poi herum. Ich habe überhaupt nie einen Hawaiier auf unsere Weise essen sehen. Sie sind hierin konservativer als die Maoris, ihre nahen Verwandten.

Die Nacht brach herein. Wir hatten unsere Betten auf Deck tragen lassen, um kühler zu schlafen. Die See wurde unruhig, ein heftiger Wind blies in das einzige Gaffelsegel und legte das Schiff stark auf die Seite, so dass wir beständig nach dem Geländer hinunterrutschten und nur wenig schlafen konnten. Ueberall regten sich die Qualen Neptuns unter den Passagieren. Rechts von mir stöhnte ein seekranker Chinese, links schnarchte die dicke Königliche Hoheit in ihrer Zeltbettstatt. Ich sah beinahe den ganzen Sternenhimmel sich umdrehen, ohne ein Auge zuzuthun.

Morgens um vier, als es eben dämmerte, ankerten wir vor Lahaina auf der Insel Maui, der ehemaligen Hauptstadt der ganzen Gruppe, einer schönen, gartenreichen Ortschaft mit einer weissgetünchten Kirche und mehreren grösseren Gebäuden, hellgrüne Zuckerfelder zu beiden Seiten und im Hintergrund, der zu den kahlen Bergen ansteigt. Einige Passagiere und Waaren wurden hier in Böten gelandet, dann gings wieder fort.

Vor uns trat die untere Hälfte des mächtigen 3000 Meter hohen Haleakala, des »Hauses der Sonne«, der den grössten erloschenen Krater der Erde von 27 englischen Meilen oder 43 Kilometer Umfang auf seinem Gipfel trägt, immer deutlicher in die Augen, die obere Hälfte mit dunklen Wolken verhüllt. Zur Rechten deckten die Inseln Kahoolawe und Molokini den Meereshorizont, wir waren ringsum von Land umgeben. Ueberall hohe kahle Berge, in deren Geröllböschungen winzig erscheinende Häuser eingestreut sind.

Wir fuhren jetzt unter dem Schutz der Inseln in ruhigem Wasser, und Alles an Bord wurde lebendig. Auch die dicke Königliche Hoheit war schon auf, hatte sich bereits eine Portion roher Fische und eine Schüssel Poi ins Bett reichen lassen, und guckte nun vergnügt mit dem Ausdruck eines gutgelaunten Bulldoggs durch den Spalt ihres Leinwandkäfigs ins Freie.

Als ich unten in der gemeinschaftlichen Kajüte Toilette machte, hatte ich Gelegenheit einer That zartester Galanterie beizuwohnen. Die hübsche Kammerzofe kam die Treppe herab um etwas zu holen. Es wurde an der Thür eben aufgewaschen und der Boden war voll Wasser. Sogleich sprang der Steward, ein Kanaka wie fast die ganze Mannschaft, herbei und setzte seinen Fuss in die Nässe, damit sie auf ihm trocken hinüberschreiten konnte. Allerdings geschah diese Aufmerksamkeit nicht ganz uneigennützig. Denn während sie sich Dank lächelnd des männlichen Fusses als Tritt bediente, umschlang sie der kühne Jüngling und drückte ihr einen lauten Kuss auf die Lippen, was sie sich sehr gerne gefallen liess.

Mit uns auf dem ersten Platz fuhr noch eine weisse Dame mit zwei kleinen Mädchen, die jedoch alle drei grösstentheils in ihren Kojen blieben, da sie seekrank waren, und etwa zwei Dutzend eingeborene Weiber, Männer und Kinder, die auf Deck herumlagen. Vorne auf dem zweiten Platz war es etwas voller. Der Hauptunterschied zwischen der Weiblichkeit erster und zweiter Klasse war, dass die einen des Morgens ihre Unterextremitäten ziemlich ungenirt mit weissen Strümpfen und zierlichen Stiefelchen schmückten, die anderen jedoch barfüssig blieben. Alle aber, selbst die ältesten reizlosesten Matronen, bekränzten sich beim Erwachen des Tages mit frischen Blumen- und Blätterguirlanden. Dann zogen sie enge Holzpfeifen aus dem Busen und liessen sie im Kreise herumgehen. Den Tabak hatten sie in alten blechenen Pulverflaschen bei sich und klopften ihn erst auf die Hand. Spangen von bunten Muscheln wurden um die Arme befestigt, Ringe mit falschen Edelsteinen glitzerten an den Fingern, einige indess hatten nur tätowirte Ringe. Golden stieg die Sonne hinter den Wolkenbänken des Haleakala empor und bestrahlte leuchtend unsere malerische Reisegesellschaft.

In der Makena-Bucht legte sich der Kilauea an eine Boje, um Bauholz zu landen. Da dies einige Zeit in Anspruch nahm, liessen wir uns ans felsige Ufer setzen. Mehrere grosse, breite und schwere Blockwagen mit je acht Paar langhörniger Ochsen bespannt warteten hier, um die Balken ins Innere abzuführen, eine Schaar Bummler lungerte herum, und ein Rudel schwarzäugiger Mädchen lachte mich kichernd aus, als ich zwischen der Brandung nach Schnecken und Krabben suchte.

Wir verliessen den Schutz der Insel Maui und kamen nun wieder, quer nach Hawaii hinübersteuernd, in offenes Wasser. Scharf blies der Nordostpassat durch die 30 Seemeilen breite Lücke über die weissen Kämme der Wellen hin, und wieder fing die Seekrankheit an zu wüthen. Bisher hatten die Kanakafamilien an langen Zuckerrohrstangen gekaut oder aus ihren kurzen dünnen Holzpfeifen Tabak geraucht. Jetzt griffen sie wieder der Reihe nach zu jenen fatalen Gefässen, die hier eine ebenso bedeutende Rolle spielen, wie zwischen Kuxhaven und Helgoland.

Immer deutlicher traten die kolossalen Massen des Haleakala hinter uns heraus. Seine graue Kappe löste sich vor den Strahlen der Sonne, und ein Kegelberg von den gewaltigsten Dimensionen erhob er sich aus dem Ozean. Riesige Schluchten zerklüfteten radienartig seine stetig und fast ohne Brechung ansteigenden Wände in ebensoviele gewaltige Pfeiler von 1000 Meter Höhe, die weit und mächtig in die brandende See vorsprangen. Nicht die Spur einer Vegetation war an ihnen zu entdecken. Die schroffen Flächen schienen vollkommen kahl zu sein. Unten durchbrachen hie und da kleinere sekundäre Vulkane den Boden. Wolkenschatten flogen gleich blauen Inselchen darüber hin.

Gegen Abend ankerten wir in der Kawaihae-Bucht an der Westseite der grossen Insel Hawaii. Von hier kehrten wir wieder zurück und fuhren um das Nordkap herum nach der östlichen Seite, auf deren Mitte ungefähr die Hauptstadt Hilo liegt. Kawaihae war früher ein sehr bevölkerter Platz und besteht jetzt nur mehr aus wenigen Häusern. Die Trümmer eines alten Heidentempels, welcher noch zu Anfang dieses Jahrhunderts zahlreiche Menschenopfer gesehen haben soll, erinnern an die einstige Grösse.

Es wurde rasch dunkel, und wie wir nach einer besseren Nacht als der vorhergehenden erwachten und um uns blickten, hatten wir die bald schroffe, bald anmuthige, stets aber grossartige Nordostküste Hawaiis ganz nahe zu unserer Rechten. Ueberall stieg das Land in steilen Wänden, deren Höhe zwischen 20 und 200 Meter auf und ab undulirte, empor. Wasserfälle stürzten von ihnen in wenigen Absätzen rauschend herab, so häufig, dass wir fast immer einen in Sicht hatten. Von den Kanten zogen sich, hier auf der stets befeuchteten Windseite besser gedeihend, Flächen von dunkeln Ohiawäldern wechselnd mit helleren Zuckerplantagen sanftansteigend zu den beiden Riesen Maunaloa und Maunakea, die noch verschleiert vom Morgendunst den Hintergrund als dunkle Mauer bildeten, hinauf. Ein paar kleine Ortschaften mit reinlich weissgetünchten Kirchen guckten verstohlen aus grünen Schluchten.

Um eine Ecke biegend gelangen wir in die Byron Bai und sehen Hilo vor uns. Ebenso gartenreich oder noch gartenreicher als Honolulu, erhält dieses reizende Städtchen von kaum 1000 Einwohnern durch zwei hohe Kirchen, von welchen die eine, die katholische, Doppelthürme im Jesuitenstyl besitzt, einen fast europäischen Anstrich.[8]

[8]: Durch die grosse Fluthwelle des Erdbebens von Peru im Sommer 1877 wurde Hilo in seinen unteren Partieen gänzlich zerstört, und über 100 Menschen kamen dabei um.

Die ersten Eindrücke, die wir empfingen, als wir in Hilo das Land betraten, liessen nichts zu wünschen. Ueberall freudig mit Blumenkränzen geschmückte hübsche Mädchen, überall freundliche, einladende Gesichter. Selbst die zahlreichen Chinesen, welche beinahe die ganze dem Kai zunächstgelegene Strasse okkupiren, schienen hier weniger abstossend zu sein.

Ein Chinese von sehr anständigem Aussehen war es auch, den uns der liebenswürdige Kapitän des Kilauea als Hotelwirth rekommandirte. Ein Dutzend Kanakas ergriff diensteifrig unser Gepäck und wir folgten ihnen nach dem Hotel, einem einfachen Gartenhaus mit Veranda, welches weiter oben in der dritten oder vierten Parallelstrasse lag und in dem wir aufs beste untergebracht und verpflegt wurden. Zwei Halbchinesen, Vettern des Wirthes, von denen namentlich der Aeltere, Hapai, rühmlichst genannt zu werden verdient, nahmen sich mit grösster Hingebung der Bedienung an.

Unsere erste Sorge war ein Süsswasserbad aufzusuchen, und Hapai führte uns nach dem Wailuku, der sich gleich neben Hilo in das Meer ergiesst. Ein wilder Gebirgsfluss braust der Wailuku durch romantisch zerklüftete Schluchten von Lavafelsen herab aus dem Maunakea, zwischen hohen schwarzen Blöcken in mehrere Arme zersplitternd, sich wieder vereinigend, hier in Wasserfällen hinunterstürzend, dort über breitere Betten von Rollsteinen dahinschäumend, grossartig und wild wie Alles auf diesen Inseln. Seitlich von der reissenden Strömung des Flusses haben sich stufenförmig übereinander mehrere geräumige Tümpel mit ruhigerem Wasser gebildet, welche zum Baden dienen. Bizarre Pandanusbäume, festgeklammert an den Wänden mit ihren sperrigen Wurzelpyramiden, hängen von oben herab und wiegen rauschende Büschelköpfe im lauen Passatwind. Auf dem anderen Ufer wuschen einige Weiber. Sie sassen dabei sammt ihren weissen Hemden bis zum Nabel im Wasser und riefen uns fröhlich »Aloha« herüber.

Nach dem Bade gingen wir an den Strand und liessen uns das berühmte Brandungschwimmen produziren. Leider kommt dieser interessante Wassersport der Kanakas immer mehr ausser Uebung. Namentlich die Bevölkerung von Hilo soll ehemals sehr geschickt darin gewesen sein. Kein Theil der Küste von Hawaii ist geeigneter, jene imposanten bis zu vier Meter hohen lang ausrollenden Wogenketten zu erzeugen, als der flache Strand der Byron Bai, gerade dem Ozean und dem Nordostpassat entgegen geöffnet. Nur drei Brüder verstehen sich noch aufs Brandungschwimmen und erboten sich, gegen je einen Dollar ihre Künste zu zeigen.

Sie holten ihre zu diesem Zweck dienenden Bretter, etwa anderthalb Mannslängen hoch, eine Armlänge breit, aus schwerem Holze, sehr dünn und mit scharfen Rändern, herbei und gingen mit ihnen, bis auf den Maro entkleidet, ins Meer hinaus. Untertauchend, so oft eine überschäumende Woge herankam, durch die Wogenthäler theils schwimmend, theils mit den Füssen vom seichten Grunde sich abstossend, entfernten sie sich schneller als ich es je für menschliche Lungen möglich gehalten hätte immer weiter und weiter vom Lande. Wir setzten uns auf die Spitze eines dem Ufer entsteigenden Lavafelsens und sahen ihnen durch Ferngläser nach, bis sie nur mehr als schwarze Pünktchen im Gischte der flachen Brandung zu erkennen waren. Dann schwangen sie sich plötzlich auf ihre Bretter und kamen langsam wieder näher. Auf welche Weise dies geschah, konnte ich anfänglich nicht unterscheiden. Sie bewegten sich nicht in der Richtung der See dem Lande zu, sondern schräg zu dieser im Zickzack kreuzend, so dass sie einmal auf der uns zugewendeten, dann wieder auf der entgegengesetzten Böschung abwärts und aufwärts glitten. So eilten sie den Wogen voran. Während sie in das Thal hinabschossen, legten sie sich flach mit dem Bauch aufs Brett und nahmen die Hände als Ruder benützend einen Anlauf, um über die vorne rollende Woge hinauf und durch den schäumenden Kamm zu gelangen. Waren sie glücklich oben, so sprangen sie auf die Knie oder auch wohl auf die Füsse und schwebten einen Augenblick aufrecht über dem Wasser. Nicht immer gelang ihnen dies, und zuweilen warfen sie um und verschwanden. Aber gleich waren sie wieder auf ihrem Brett und glitten wieder über die See dahin. Mehrmals gingen sie noch hinaus, um von Neuem ihr anmuthiges Spiel zu zeigen, bis wir genug hatten.

Die drei Dollars, welche die drei Brüder auf solche Weise verdienten, schienen den gesammten Jungen von Hilo einen Impuls zu geben, sich gleichfalls im Brandungschwimmen zu versuchen, und als wir gegen Abend wieder an den Strand kamen, arbeiteten ihrer mehrere Dutzend mit Brettern im Wasser herum, jedoch ohne etwas Nennenswerthes zu leisten. Die schöne Sitte, an der sich früher Alles, auch das zarte Geschlecht nicht ausgenommen, betheiligte, schwindet dahin wie die Hawaiier selbst.

Weiter gegen das östliche Ende der halbkreisförmigen Byron Bai, welches das kleine Coconut-Inselchen markirt, da wo die Brandung weniger stark war, wurde gefischt. Unter lautem Geschrei betheiligten sich Männer und Weiber an diesem Geschäft. Die Männer mit kurzen Hemden bekleidet oder nackt bis auf den niemals fehlenden Maro, die Weiber sammt ihren hellfarbigen, prangend grünen und rothen Gewändern, wateten sie in grösseren Gesellschaften den anrollenden Wellen, die ihnen jedesmal bis zu den Hüften stiegen, entgegen und hielten grosse Netze horizontal ausgespannt unter die Oberfläche des Wassers. Ich konnte jedoch nichts bemerken, was einem gefangenen Fisch glich. Ein dicker Polizist mit Käpi, Messingschild auf der Brust und einem Stock in der Rechten promenirte auf dem Strand und schien die Aufsicht zu führen.

Unser Hapai, der sich zu der Rolle eines Vergnügungskommissärs berufen fühlte, rieth uns, nach Tisch abermals an den Wailuku zu gehen, weil um diese Zeit die höhere weibliche Schuljugend sich dort einzufinden und zu baden pflege, und gerne folgten wir seinem angenehmen Vorschlag.

Der Badeplatz war noch leer. Drüben am anderen Ufer sassen dieselben Frauenzimmer, die wir schon Vormittags gesehen hatten, noch immer im Wasser und wuschen. Wir warteten nicht lange als wir über uns auf der Kante jugendliche Stimmen hörten. Eine Schaar Mädchen von 14 bis 18 Jahren, in hellen Gewändern und blumenbehangen, blickte herab, etwas enttäuscht und betroffen über unsere Anwesenheit. Sie debattirten hin und her, kicherten und zogen sich zurück, aber nur, um nach wenigen Minuten zwischen den schwarzen Blöcken des Ufers wieder zu erscheinen, einen Steinwurf unterhalb der Stelle, an der wir sassen.

Im Nu waren sie entkleidet und schwammen, ihr Bündel mit dem rechten Arm hoch in die Luft haltend und das Gesicht von uns abgewandt, durch die reissende Strömung nach der gegenüberliegenden Seite. Sie schienen in Bezug auf ihre Kleider uns nicht zu trauen und hatten dabei vielleicht nicht ganz Unrecht. Um die Exponirung ihrer Reize waren sie jedoch weniger besorgt. Vollständig nackt sprangen sie glatt und geschmeidig von einem Block zum andern, um oberhalb den Fluss nochmals zu kreuzen und zu unserem Badetümpel zu gelangen. Hier sprangen sie von einem Felsen herab und machten vorwärts und rückwärts Purzelbäume ins Wasser. Sie hatten augenscheinlich die Absicht, uns mit ihren Künsten zu unterhalten, was ihnen gewiss nicht übel gelang. Wir setzten uns nieder auf eine natürliche Felsentribüne, drehten uns Zigaretten und klatschten Beifall, während die liebenswürdigen Mädchen immer eifriger ihre Purzelbäume zum Besten gaben. Es waren fast lauter üppige, verlockende Gestalten im duftigen Reiz der eben vollendeten Formen, kleine bronzene Aphroditen, für die moderne Kunst ohne die leiseste Idealisirung zu sinnlich angekränkelten Statuetten verwendbar.

Auch eine von den Wäscherinnen drüben schwamm in ihrem Hemd herbei, um sich vor uns zu produziren und ebenfalls Purzelbäume ins Wasser zu machen. Bald merkte sie, dass sie im Hemd gegen ihre nackten Konkurrentinnen im Nachtheil war und durchaus nicht denselben Beifall erntete. Sie liess es fallen – eine echte Tochter Evas. Noch mehr Weiber schwammen herbei, auch manche ältere und unvermögend zu reizen, aber auch sie wollten sich produziren und Purzelbäume machen, theils im Hemd theils ohne.

Schliesslich kam ein Kunststück, welches uns fast die Haare zu Berg trieb. Unterhalb des Tümpels, vor dem wir sassen, theilt sich der Wailuku in drei Arme, welche in enge aus mächtigen Lavablöcken gebildete Kanäle eingezwängt, erst eine Strecke heftig dahinschiessen und dann als zehn Meter hohe Wasserfälle frei in ein tieferes von steilen Wänden umschlossenes Becken hinabstürzen. Mit Besorgniss sahen wir, wie die Mädchen den gefährlichen Kanälen sich immer mehr näherten. Wir trauten kaum unseren Augen, sie schienen gerade in die wildeste reissendste Strömung zu steuern. Die Strömung ergriff sie und führte sie fort, sie verschwanden. Entsetzt sprangen wir über die nächsten Blöcke, um, wie wir fest glaubten, die Unvorsichtigen unten zerschmettern zu sehen. Aber zu unserem Erstaunen tauchten sie wieder empor aus dem schäumenden Wasser, riefen lachend uns zu, ihnen zu folgen, und kletterten gewandt an den Wänden in die Höhe, um von Neuem das waghalsige Schauspiel zu unternehmen. Spöttisch freuten sie sich, dass uns ihre Leistungen so sehr imponirten.

»Ich wette, das wagen Sie doch nicht« neckte man mich, und unten winkte gerade eine besonders verführerische kleine Sirene. Ich wettete, warf meine Kleider ab und sprang in den Fluss, und eine Minute später hatte ich etwas gewagt, was ich kurz vorher für Wahnsinn erklärt hätte. Pfeilschnell riss es mich, auf dem Rücken, die Beine voraus, zwischen den Felsblöcken durch. Ich plumpste hinab, es wurde dunkel, es wirbelte mich ein paar mal im Kreise, aber leicht und rasch arbeitete ich mich aus ziemlich beträchtlicher Tiefe an die Oberfläche empor. Zweimal machte ich diese wilde Wasserfahrt, ohne jemals an eine der vielen Unebenheiten zu stossen. Ich fühlte deutlich, wie der heftige Zug der Strömung gleichsam federte über den scharfen Zacken, als ob sie gepolstert wären. Viel schwieriger war es, aus dem Abgrund wieder zurückzuklettern, und kaum würde ich den Weg gefunden haben, wenn nicht die braunen Genossinnen des Bades mich geleitet hätten. Hapai der uns nachgegangen war, warnte mich, dass schon mancher da drunten stecken geblieben und nicht wieder zum Vorschein gekommen sei. Deshalb stand ich von weiteren Experimenten ab, froh um eine interessante Erfahrung reicher zu sein.

Für den Abend hatte unser Hapai die nationale »Hula Hula« genannte Tanzproduktion arrangirt. Zwei Tänzerinnen und drei Musikanten, alle natürlich blumengeschmückt, erschienen im Salon des Hotels, und eine Menge neugieriger Zuschauer folgte ihnen.

Der Hula Hula geniesst den Ruf, unter den vielen lasziven polynesischen Tänzen der laszivste zu sein, und was ich davon, obgleich abgeschwächt durch die dem Fremden gegenüber stets beobachtete grössere Zurückhaltung, zu sehen bekam, schien mir dies wohl zu rechtfertigen.

Zuerst setzten sich die Tänzerinnen sowohl als auch die Musikanten mit gekreuzten Beinen in zwei Reihen auf den Boden und erhoben einen gellenden Wechselgesang, indem sie bald langsam und feierlich, bald rasch und leidenschaftlich den Oberkörper und die Arme hin und her warfen und kleine birnförmige Kalebassen die mit Steinchen gefüllt waren in den Händen schüttelten, was einen heillosen rasselnden Lärm hervorbrachte. Die Melodie, zwar ewig in zwei Sätzen wiederkehrend, war viel komplizirter als die beim Haka der Maoris und beim Meke Meke der Vitis gehörten. Die zwei Tänzerinnen trugen einen dem Hula Hula eigenthümlichen Schmuck um die nackten Knöchel, bauschige Wülste aus dunklen Vogelfedern, zwischen welchen Hundezähne befestigt waren. Sie hatten nicht den gewöhnlichen langen losen Talar an, sondern eine Art Mieder und aufgeschürzte, um die Taille gebundene Röcke. Ehemals beschränkte sich das Tanzkostüm auf Blumenkränze in den Haaren und um die Brüste, auf die Knöchelwülste und auf ein kurzes Röckchen, welches nur dazu diente, empor geschnellt zu werden. Jetzt herrscht beim Hula Hula in der Regel ein höherer Grad von Bekleidung bis zu jener höchsten Dezenz hinauf, welche Pluderhosen vorschreibt. In vertrauten Kreisen soll allerdings die ursprüngliche Einfachheit noch immer sehr beliebt sein.

Nach einiger Zeit sprangen die beiden Frauenzimmer auf und begannen nun stehend, ohne ihre Plätze zu verändern, unter den nämlichen wilden Geberden, unter dem nämlichen wilden Schreien und Rasseln höchst unzüchtige Bewegungen mit dem Becken zu verüben. Immer hastiger und erregter wurde ihr Toben, die Blumenkränze flogen zerrissen zu Boden, und die braunen Zuschauer hinter unseren Stühlen geriethen in Begeisterung, lachten laut und klatschten entzückt in die Hände und betheiligten sich an dem Vergnügen, indem auch sie dieselben Hüftenbewegungen machten, so weit es der dichtgedrängt volle Raum gestattete.

Nach mehrmaligen Pausen ging es immer in derselben Weise fort, die Variationen schienen nur im Texte zu liegen, den wir nicht verstanden. Einmal warfen sich die Musikanten, welche sitzen geblieben waren, auf alle Viere nieder und führten in dieser Stellung wahrhaft bestialische Zuckungen aus.

Wir hatten für die Tänzerinnen und Musikanten und für die zahlreichen uneingeladenen Gäste Thee machen lassen, während wir selbst zu unseren Spirituosen griffen, die wir von Honolulu mitgebracht, weil solche auf Hawaii verboten sind. So kneipten wir eine Zeit lang miteinander während immer mehr Neugierige kamen, zur grossen Entrüstung Hapais, der uns bereden wollte, das ganze braune Publikum aus dem Hause zu jagen. Aber die Kanakas waren so naiv liebenswürdig in ihrer Zudringlichkeit, dass wir ihnen nicht böse sein konnten.

Als der Hula Hula vorüber war, fing draussen im Garten ein Rudel junger Männer an, vierstimmige Lieder vorzutragen, die sie von den Missionären gelernt hatten, und die mir wieder ein glänzendes Zeugniss ablegten von der grossen musikalischen Begabung der Polynesier. Sie hörten schliesslich gar nicht mehr auf zu singen, bis wir ihnen bedeuteten, dass es Zeit sei schlafen zu gehen. Solange wir in Hilo waren, wiederholten sich jeden Abend diese Konzerte.

Am nächsten Tag gingen wir aus, Pferde für die Kilaueapartie zu miethen. Ein in Hilo ansässiger Engländer, an den wir Empfehlungen hatten, war uns dazu behülflich. Fünfzehn Dollars ist der herkömmliche Preis für den fünftägigen Ritt, wobei ausbedungen wird, dass im Fall des Verunglückens eines der Thiere keine Entschädigung verlangt werden dürfe. Man brachte uns etwa zwanzig Pferde und wir trafen unsere Wahl. Dann ritten wir, um sie zu probiren, nach dem eine halbe Stunde entfernten Rainbow Fall. Der Wailuku ergiesst sich dort 20 Meter tief in ein weites Becken. Der von ihm emporgewirbelte Staubregen entwickelt im Glanz der Sonne und von der entsprechenden Stelle aus gesehen jenes zarte Phänomen, dem die Sehenswürdigkeit ihren Namen verdankt.

Nahe dem Wege stehen drei kleine kuppenförmige Hügel nebeneinander, mit grüner Vegetation überzogen. Es sind zweifellos alte Vulkane, obwohl ich nicht oben gewesen bin.

XX.
BESTEIGUNG DES KILAUEA.

Wilder Ausritt. Das Halfway House zu Olaa. Der Krater thut sich auf. Das Volcano Hotel und seine Vorzüge. Besuch des kochenden Lavakessels. Mondschein und Hölle. Beschwerlicher Abstieg nach Puna. Erstarrte Lavaströme und eingestürzte Lavadome. Kapitän Eldart und sein Gehöft Kapoho. Die warmen Quellen. Awa und Brotfrucht. Glücklich wieder in Hilo.

Früh am folgenden Morgen rief uns ein lebhaftes Getümmel im Garten vor dem Hotel aus den Betten. Obgleich wir schon gestern unsere Wahl getroffen hatten, waren noch einige spekulative Kanakas mehr mit Pferden gekommen, in der Hoffnung, vielleicht doch noch ein Geschäft zu machen.

Ueber eine Stunde verging, ehe wir wegkamen, ehe wir die Ausrüstung der Pferde genau untersucht, ehe hier ein liederlich zusammengestoppeltes Zaumzeug geflickt, dort ein halb durchgerissener Steigbügelriemen durch einen neuen ersetzt, ehe alle die Satteltaschen gepackt und aufgeschnallt waren. Den Kanakas ist in Dingen der Propretät niemals zu trauen, und in Bezug auf ihre Thiere lügen sie wie alle Pferdeverleiher dieser schnöden Erde. Ein paar Mädchen schmückten uns noch schnell mit Blumen und Guirlanden. Dann schwangen wir uns in den Sattel, drückten den Hut fest in die Stirn und gallopirten südwärts zur Ortschaft hinaus. Links und rechts bellten wüthend die Hunde, und die halbe Einwohnerschaft lief auf die Strasse uns ein freundliches »Aloha« nachzurufen.

Würde es einem gesitteten Staatsbürger zu Hause einmal einfallen, in demselben Aufputz auszureiten, in dem wir damals mit Uebertreibung der grelle Farben und Blumenschmuck liebenden Landessitte den Ritt nach dem Kilauea antraten, er würde unfehlbar arretirt werden. Rock und Weste hatten wir zu Hause gelassen, um das Scharlachroth unserer Garibaldihemden zur Geltung zu bringen. Grosse dreizöllige Spornräder starrten uns von den Stiefeln, buntes Troddelwerk und klirrendes Schellengeklingel bedeckte das mexikanische Sattel- und Zaumzeug, und an den Hüten, um Hals und um Brust hingen uns flatternde Guirlanden von Farnkraut und weithin leuchtenden schwefelgelben Blüthen oder pomeranzengelben Pandanusfrüchten.

Eben so wild wie unser Aufputz war unser Ritt. Der Weg war der schlechteste, den man sich denken kann, und so schmal, dass wir eigentlich nur in einer Reihe hätten reiten sollen, zu beiden Seiten Farn und Busch. Ueberall nichts als glasharte Lava, in unzählige Schrunden und Blöcke zerklüftet. Die Pferde drängten alle vorwärts, eines strebte dem anderen zuvorzukommen, und mit einem Leichtsinn, der aller Vernunft Hohn sprach, sprengten wir, eng in einander gekeilt, Knie dicht an Knie und uns gegenseitig mit Armen und Beinen zurückreissend, rücksichtslos über den gefährlichen Boden, durch das zerfetzende Gestrüpp. Unsere hawaiischen Pferde, an solche rauhe Pfade gewöhnt und unübertrefflich zäh, stolperten kaum ein einziges mal und flogen dahin wie auf einer ebenen Chaussee.

Die Hetzjagd dauerte zum Glück nicht lange. Es ging mehrmals in steile Gräben hinab, in denen unten sumpfige Tümpel waren, und Lavablöcke von grösseren Dimensionen stemmten sich uns entgegen. Ueberall nichts als Lava, glasharte, widerlich kratzende und knirschende Lava, die meistens noch deutlich die Faltung ihres Gusses zeigte, als wäre die Masse eben erst jetzt erstarrt. Stellenweise dröhnte es hohl unter den Hufen von unterirdischen Räumen. Trotz der Frische des noch wenig verwitterten Bodens war doch schon eine reichliche Vegetation aus den Schrunden emporgesprosst. Ein nicht sehr dichter Wald von Ohiabäumen, an denen sich Schlingpflanzen mit schönen rothbraunen Blüthen hinaufrankten, mit eingestreuten Pandaneen folgten auf Farnkrautbestände, die an Neuseeland erinnerten. Die Sonne brannte glühend heiss herab, und da wo der Busch nicht dicht und nicht hoch genug war, um Schatten zu gewähren, rieselte uns und den Pferden der Schweiss von den Gliedern.

Die Entfernung von Hilo bis zum Krater beträgt 29 englische Meilen oder 44 Kilometer. Im Halfway House zu Olaa, einem Platz, der nur aus drei oder vier zwischen Felsen, Gebüsch und spärlichen Wiesenfleckchen zerstreuten Hütten besteht, machten wir Mittag. Wir nahmen unseren Pferden Sattel und Zaum ab und liessen sie grasen. Einige Hühner erlitten den Tod, und bis sie gebraten waren, legten wir uns in den kühlen Schatten des Wirthshauses und liessen unter den Händen brauner Mädchen das »Lome lome« über uns ergehen. Diese nach einem anstrengenden Ritt höchst erquickende Prozedur besteht in dem kunstgerechten Kneten der Muskeln des Rumpfes, der Beine und Arme und bildet einen Theil der landesüblichen Gastfreundschaft, der dem eben angekommenen Fremdling auf sein Verlangen und oft auch ohne sein Verlangen geleistet wird. Kaum ist man irgendwo in einem Dorfe vom Pferde gestiegen und hat sich müde auf der Erde ausgestreckt, als auch sogleich ein paar Frauenzimmer nebenan Platz nehmen und erst schüchtern, dann immer dreister und eindringlicher zu kneten beginnen.

Bis zum Ziele unserer Partie ging es immer durch dieselbe Landschaft von dünnem Busch und Farnkraut, immer über denselben knirschenden, glasharten Boden fort. Höchstens dass hier und da in einer Vertiefung so viel Humus angesammelt war, dass die Hufe auf einige Schritte zu kratzen aufhörten und dadurch dem gequälten Ohr eine angenehme Rast gewährten.

Ich war in Bezug auf die Wahl meines Pferdes der glücklichste von uns allen gewesen. Und auch mein Pferd durfte mit seinem Loose zufrieden sein, denn ich war der leichteste Reiter der Gesellschaft. Es war dafür auch allen anderen voran, und während hinter mir ein paar kurzathmige Häuter bereits erbärmlich keuchten, und klatschende Hiebe und Flüche auf die armen Thiere herabregneten, brauchte ich nur ein wenig mit der Zunge zu schnalzen, um meinen Grauschimmel aufzumuntern. Auch verstand er das Terrain viel besser als ich und wusste genau Bescheid, wann er gallopiren oder traben durfte, und wann er im Schritt gehen musste, und kletterte so geschickt über Lavablöcke und stieg so sicher und vorsichtig in die jeden Augenblick unseren Pfad kreuzenden Gräben hinab, dass ich ihn ganz sich selbst überlassen konnte.

So schlängelte sich unser Ritt ermüdend unter beständigem Wechseln der Gangart über Felsen und Schluchten, durch sumpfige Mulden und über glasharte vor wenigen Jahren noch feurigflüssige Lava dahin, links und rechts in den engen Saumpfad hereinreichendes Gebüsch, welches uns ins Gesicht schlug und an den Steigbügeln zerrte. Ein lechzender Durst peinigte uns, und wo wir eine vom Regen der letzten Nacht zurückgelassene Pfütze fanden, stiegen wir ab, legten uns auf den Bauch und schlürften mit dem Munde das schmutzige Wasser. Keine prangenden Blumenguirlanden schmückten mehr unsern Körper, wir hatten sie weggeworfen, und nichts erinnerte mehr an die Farbenpracht des Morgens, als die rothen Hemden, an denen die moorige Erde haftete.

Wir merkten nicht, dass wir höher stiegen. Der Krater Kilauea ist kein Berg im gewöhnlichen Sinne des Wortes, er liegt blos 4000 englische Fuss oder 1200 Meter über dem Meere, und der Weg von Hilo bis hinauf und somit die ganze Erhebung dehnt sich gleichmässig, nur unterbrochen von kleinen welligen Vertiefungen, auf 44 Kilometer aus. Mit gespannter Erwartung spähten wir umsonst nach einem Feuerschein oder nach Rauchsäulen vor uns. Wir näherten uns dem grössten thätigen Vulkan der Erde. Die schwüle Atmosphäre war trübe und düster, und eine dunkle Wolkenwand überlagerte den Horizont in der Richtung, in der er liegen musste, so dass wir berechtigt waren, von den höheren Punkten aus, die eine weitere Umschau gestatteten, doch endlich ein Anzeichen von ihm zu erhalten. Aber keine Spur war zu entdecken.

Eben war der Weg etwas besser geworden, und eben hatten wir voll Freude darüber wieder eine kleine Hetzjagd angeschlagen, mein unübertrefflicher Grauschimmel weit voran, während zwei oder drei Pferde übermüdet zurückblieben, ungerührt von den rasselnden Peitschenhieben, als plötzlich der nun dichtere Busch sich lichtete, eine Grasfläche uns entgegenschimmerte mit einem Haus und einigen Hütten darauf, und links vom Wege ein tausend Fuss tiefer Abgrund sich aufthat, der grosse, 9 Meilen im Umfang zählende Krater, die Behausung der gefürchteten alten hawaiischen Göttin Pele. Wie ein riesiger kreisförmiger Steinbruch lag er unter uns, rings umgeben von senkrechten Wänden. Und auf der erhöhten Mitte dieses gewaltigen Zirkus, etwa 2 englische Meilen von unserem Standpunkt, qualmten aus einem Kessel gelbliche Dämpfe empor, und hier und da erschienen über den schwarzen, zackigen Rändern desselben glühendrothe Massen, die sich deutlich bewegten – flüssige, kochende Lava. Im Hintergrunde streckte sich sanft ansteigend und mit ungebrochenen geraden Linien der Maunaloa in die Wolken, die noch etwa 2000 Meter seiner Höhe verhüllten. Die nächste Umgebung bestand aus Ohiabusch. Rechts neben den menschlichen Wohnstätten dampfte es in einer Vertiefung aus unzähligen Fumarolenlöchern.

Der Kilauea ist bereits ein sehr zivilisirter Krater. Denn sein nördlicher Rand, an dem wir standen, trägt ein gutes Hotel, welches die schönste Aussicht auf ihn hinab bietet. Nur an Touristen ist noch ein bedenklicher Mangel, und wenn es gut geht, kommen im Durchschnitt monatlich einmal Gäste. Wir waren noch im Beschauen des Kilauea begriffen, als die Wirthsleute, ein amerikanisirter Schotte und seine eingeborene Gattin, sowie einige braune Burschen sich daran machten, unsere Pferde abzuzäumen und uns selbst zum Absteigen einzuladen.

Es war kalt hier oben, und ein rauher Wind blies über die öden, todesstillen, buschigen Flächen der Umgebung, so dass wir das im Kamin lodernde Feuer dankbar begrüssten. Durch die Fenster und von der Veranda aus konnten wir den Vulkan überblicken, dessen Schauspiel mit vorrückender Dunkelheit immer glänzender und grossartiger wurde. Als es Nacht war, kamen noch einige feurige Spalten mehr zum Vorschein, die von dem zentralen Feuerbecken nach verschiedenen Richtungen ausstrahlten. Deutlich sahen wir mit dem Fernglas, wie die glühenden Wogen geschmolzener Lava sich schwerfällig über den Rand desselben hinüberwälzten. Das Ganze machte den Eindruck einer brennenden Stadt, und Paris, wie ich es in den letzten Mainächten der Kommune von den Wällen des Forts Nogent aus gesehen, ein prasselnder Höllenpfuhl, kam mir in die Erinnerung.

Als wir nach dem Essen wieder durchs Fenster nach dem Krater ausguckten, lag ein dicker Nebel über ihm, der ihn vollständig verhüllte, so dass keine Spur eines feurigen Scheins zu sehen war. Sollte mich das bisherige Glück mit dem Wetter verlassen wollen, und sollte es uns gehen, wie anderen vor uns, die im Fremdenbuch klagten, gar nichts vom Kilauea gesehen zu haben? Unter solchen Zweifeln gingen wir zu Bett und entschliefen, nachdem wir den Wirth und uns selbst verpflichtet hatten, alle aufzuwecken, falls einer den Vulkan in heftigerer Thätigkeit wahrnehmen würde. Wir wurden auch wirklich um Ein Uhr geweckt, da der Nebel verschwunden war und die Lava in ausnehmend starken Garben über den Rand des feurigen Kessels wallte.

Der Nebel kam nicht wieder, und den nächsten Morgen stiegen wir unter strahlendem Sonnenschein in den Krater hinab. Dies klingt viel gefährlicher, als es in Wirklichkeit war. Denn der Boden des Kilauea, so wie ich ihn damals am 25. Aug. 1876 gesehen habe, war bis auf jene verhältnissmässig kleine Stelle vollständig erstarrt, ein gefrorener See. Entweder durch Senkung der peripherischen oder durch Hebung der zentralen Theile desselben hatte sich nicht ganz in der Mitte, sondern etwas näher der westlichen Wand ein sekundärer Kraterkegel in dem primären Krater von 9 Meilen Umfang gebildet, dessen Spitze den noch nicht gefrorenen feurigflüssigen Lavakessel trug. Wir stiegen also in den primären Krater hinab, der Wirth und einer seiner Kanakas als Führer voran, alle mit tüchtigen Stöcken bewaffnet. Gerade vor dem Hotel ist die hier etwa 180 Meter tiefe Wand eingestürzt und hat so Staffeln von Trümmerhaufen aufgeschüttet, über die steile und geschlängelte Pfade uns rasch hinuntergeleiteten. Grosse rosenfarbige Heidelbeeren wuchsen zwischen dem Geröll und unterbrachen freundlich den rauhen Abhang.

Wir betraten die nackte, frisch wie Metall glänzende Lava und stiegen langsam aufwärts. Erstarrte Lavaströme, in konzentrischen Bogen gewulstet, überlagerten einander in verschiedenen Richtungen und von verschiedenen Farben, schwarz, grünlich und gelbbraun wie Erz. Breite und tiefe Spalten zerklüfteten diese Ströme. In den Ritzen zwischen den Falten des Gusses fanden wir überall jenes eigenthümliche Mineral, das Haar der Göttin Pele oder Pelenit genannt, zu Fäden ausgesponnene Schlacke, welches genau so aussieht, wie die Schlackenwolle unserer Eisenwerke. Die Oberfläche, auf der wir im Gänsemarsch hinter den Führern marschirten, war sehr spröde und voll von grossen Luftblasen, in die wir häufig einbrachen, manchmal über ein Meter tief. In diesen Blasen herrschte eine bedeutende Hitze und Feuchtigkeit. Wenn man sich mit der Hand auf den Boden stützte, um sich herauszuarbeiten, stachen feine splitterige Nadeln, die ihn allenthalben überzogen, die Haut. Es dröhnte beständig hohl unter unseren Schritten. Wir passirten einige alte Nebeneruptionspunkte von jeder Form, so zum Beispiel einen 2 Meter hohen Schornstein, durch aneinander gebackene Schlackentropfen aufgebaut, aus dessen Oeffnung es geheimnissvoll rauchte.

Schon lange ehe wir unser Ziel, den kochenden Kessel erreichten, bereitete uns die aus ihm emporspritzende Lava ein höchst eigenthümliches Phänomen. Die Sonne stach grell auf den metallisch wie Messing blitzenden Pfad herab. Und obwohl bekanntlich unter dem Sonnenlichte jegliches Feuer bedeutend an Wirkung verliert, so war doch die Farbe der flüssigen Lava von einer Gluth, wie ich sie bisher nur an feuerrothen Blumen gesehen hatte. Hinter grossen schwarzen zackigen Blöcken von Schlacke spritzte die flüssige Lava rastlos in grossen Fetzen und Tropfen empor und machte mir den Eindruck, als ob Blüthenbouquets von besonders brennendem Roth beständig in die Höhe geworfen würden.

Wir näherten uns dem Rande bis auf etwa vier Schritte. Der Kessel war bis zum Ueberlaufen mit flüssiger und kochender Lava gefüllt, und wir standen, da der Rand erhöht war, noch unter dem Niveau, welches von unserer Augenhöhe nicht viel überragt wurde. Das ganze Bassin hatte zwei Abtheilungen, von denen jede einen guten Steinwurf im Durchmesser breit war und mit der andern durch eine schmale Verbindung zusammenhing, so dass beide durch eine Achterfigur begrenzt waren.

In jeder der beiden Abtheilungen schwammen Platten halberstarrter, noch glühender Lava, die fast die ganze Oberfläche einnahmen und sich beständig im Kreise drehten. Intensiv glühende fussbreite Spalten zogen sich durch diese Platten, und aus ihnen brachen alternirend bald hier bald dort die feurig flüssigen Garben und spritzten etwa 20 bis 30 Fuss hoch empor. Drei oder vier solche Spritzfontänen waren immer zu gleicher Zeit thätig. Es wallte fortwährend, und die schwimmende Rinde bog sich wellenförmig, ebenso wie dünnes Eis, durch welches ein Dampfer seinen Weg bahnt. Ein dumpfes Rollen erschütterte den Boden unter unseren Füssen. Hier und da donnerte es plötzlich heftiger, die Rinde bekam einen neuen Riss, und nun wallte es aus diesem hervor, da wo eben nichts zu sehen war, als die glühende Rinde.

Wir warfen Schlackenstücke hinein, welche nicht schwer genug waren, um durchzubrechen, sondern liegen blieben, bis sie von einer neuen plötzlich hervorquellenden Lavafontäne verschlungen wurden. Schwere, dichte Steine hätten die Rinde vielleicht durchbrochen. Wir standen auf der Windseite, sonst wären wir nicht sicher gewesen. Wäre der Wind von der anderen Seite gekommen, so konnten die rothen Tropfen und Fetzen auf uns niederfliegen. Wo sie uns gegenüber auf die Schlackenblöcke des Randes fielen, flossen sie entweder flüssig bleibend in das Becken zurück, oder sie kollerten, allmälig verdunkelnd, nach aussen hinab, und es war mir, als könnte ich dann, trotz des unterirdischen Grollens und trotz des pfeifenden Windes, das klappernde Geräusch vernehmen, welches sie dabei machten. Es war ziemlich heiss hier, aber nicht so bedeutend, als die Strahlung so mächtiger feurig flüssiger Massen erwarten liess. Die Luft zitterte über dem Becken, halb undurchsichtig von gelblichen Dämpfen.

Wir blieben nicht lange. Denn über den Rand eines zum Ueberlaufen vollen kochenden Lavakessels zu blicken und dabei auf einem Boden zu stehen, unter dem es beständig donnert, rumort und stampft, ist eine unheimliche Situation. Die Fluth schien höher zu steigen, und wir ergriffen die Flucht.

Den Rückweg nahmen wir in einer anderen Richtung, als von der wir gekommen waren. Wir passirten noch mehrere erstorbene Eruptionspunkte im Krater. Mehrere hundert Schritt lange und gegen zwanzig Meter tiefe Klüfte mit rothen Wänden durchzogen kreuz und quer den westlichen Theil, der aus Terrassen höherer und tieferer Flächen bestand. Eingestürzte, kuppelförmige Gewölbe von dichter Lava lagen neben Schutthügeln von grossen gleichmässigen Steinwürfeln. Ueberall Spalten im älteren Gestein, aus denen jüngere noch ganz frischglänzende Lava herausgequollen war, in konzentrischen Kreisen erstarrt, mit nichts besser zu vergleichen als mit den Verdauungsprodukten weidender Rinder auf unseren Wiesen, nur dass diese Lavafladen 30 bis 50 Schritt im Durchmesser hatten. Mehrere dunkle Höhlen, wie die Bogen grosser Brücken gewölbt, führten in die Tiefe. In einer derselben stiegen wir etwa zwanzig Meter schräg über Schutthaufen hinab. Sie wurde nach unten zu enger, aber wir hätten noch viel weiter hinabsteigen können, wenn nicht eine erdrückende Hitze und ätzender Wasserdampf uns zurückgeschreckt hätten. Der Führer zündete eine Stearinkerze an, welche bald immer wieder zu knistern begann und erlosch. Tropfsteinbildungen aus grauschwarzen und hohlen drusigen Aesten hingen von der Decke herunter, und zarte weisse Krystalle von Alaun hatten sich in den Schrunden ansublimirt.

Wir waren sehr glücklich gewesen, den Kilauea so stark in Thätigkeit zu finden. Oft weicht die Lava in ihm ganz zurück, und andere Besucher sahen dann statt des bis zum Rande gefüllten Beckens nur in ein hundert Fuss tiefes Loch hinab, aus dem gelbe Dämpfe emporqualmten.

Das genossene Schauspiel war allerdings hinter den Erwartungen zurückgeblieben, zu welchen die überschwänglichen Schilderungen des grössten aktiven Vulkans der Erde von 9 Meilen Umfang und die Aufschneidereien über die haarsträubenden Gefahren seines Innern, die ich gelesen, berechtigten. Nichtsdestoweniger war das Wunderbare, Dämonische der Erscheinung, das fremdartige, rastlose Arbeiten todter Massen ohne sichtbare Ursache ergreifend und überwältigend genug, um auch ohne grössere Dimensionen den grossartigsten bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Ich begreife sehr wohl, wie noch heutzutage die Eingeborenen der hawaiischen Inseln als echte Naturkinder an ihrer alten Göttin Pele, der Beherrscherin und Urheberin des Kraters, festhalten und ihr zuweilen, sie zu beschwichtigen, Opfer darbringen, indem sie Münzen und andere Kostbarkeiten oder auch Schweine und Ziegen in den feurigen Schlund werfen, trotz des Christenthums. Sind ja doch bei unseren Bauern ähnliche abergläubische Ueberbleibsel der Heidenzeit nach mehr als tausend Jahren noch zahlreich vorhanden.

Den Nachmittag benutzten wir dazu, die Fumarolen und Solfataren in der unmittelbaren Nähe des Hotels zu besichtigen. In einem flachen und kleinen Thale erheben sich mehrere Hügel von lockerer, zerbröckelter, weisslicher Erde und verwittertem, geröstetem Gestein, feucht und förmlich gedünstet von Wasserdampf, der entweder überall aus den Spalten hervorraucht oder aus einigen Löchern unter Hochdruck herauszischt. Aeusserst zarte Krystalle von Schwefel und Alaun haben sich in den Spalten angesetzt und zerfallen, sobald man sie mit der Hand berührt. Der Boden ist stellenweise so weich, dass man leicht stecken bleibt und sehr unangenehm die Hitze des Bodens empfindet.

Eines der dampfenden Löcher wird als Dampfbad benützt. Ein Schwitzkasten mit einer runden Oeffnung oben für den Hals, so faul und baufällig, dass man in Gefahr schwebt, durchzubrechen und in die geheimnissvolle Tiefe zu sinken, ist darübergebaut, das Ganze umschliesst und deckt eine Hütte aus Flechtwerk. Mein Gefährte Bats und ich machten sofort von dieser Gelegenheit Gebrauch, was aber nichts weniger als genussreich war. Theils die überraschend hohe Temperatur, theils die ätzenden Beimischungen des Dampfes verursachten unserer wundgerittenen Haut grässliche Schmerzen. Die einzige Entschädigung dafür bestand darin, dass wir die übrigen Reisegefährten einen nach dem anderen verleiteten, ebenfalls in den Kasten zu steigen, und dass wir uns dann an ihren Qualen weideten und sie nicht eher aus der Halsumschliessung des Deckels befreiten, als bis sie in den flehentlichsten und demüthigsten Ausdrücken um ihre Erlösung baten.

Links und rechts von der Hütte liegen zwei kanuuartig ausgehöhlte Baumstämme unter den Längsseiten des überhängenden Strohdaches, in welche die kondensirte Feuchtigkeit des Dampfbades herabträufelt. Das auf diese Weise gesammelte Wasser muss hier oben zum Trinken dienen.

Ein bitter kalter Wind brachte abermals Nebel mit Regenschauer und verhüllte damit auf einige Stunden den Krater. Gegen Abend peitschte er ihn wieder weg, und über einem schönen klaren Himmel stieg der Mond in die Höhe, beeinträchtigte aber nur wenig die Wirkung der immer lebhafter werdenden Feuermasse des Lavakessels. Wir wollten diesem auch in der Nacht einen Besuch abstatten. Unsere Führer und der Wirth jedoch waren entschieden dagegen, sie behaupteten, ein grösseres Ueberfliessen der Lava stände bevor, und es sei zu gefährlich. Wir stimmten ab und beschlossen, statt in den Krater hinunter, oben auf dem Rande an seine Nordecke zu gehen nach jenem Punkt, der dem Feuerkessel am nächsten lag. Dort kauerten wir uns, in Decken gehüllt, auf einem Felsvorsprung zusammen und sahen wirklich, wie die glühende Lava in mächtigen kochenden Wellen überwallte, ungefähr da, wo wir heute Morgen gewesen waren, und zwei glühende Bäche flossen von jener Stelle strahlenförmig durch den grossen Krater etwa ein Kilometer hinab. Neue Eruptionspunkte hatten sich daneben gebildet, aus denen ebenfalls Lava emporspritzte. Es wäre jetzt nicht möglich gewesen, auf demselben Wege wie am Morgen den Kessel zu erreichen.

Lange sassen wir so da, blickten hinab auf das glänzende Schauspiel und froren, dass uns die Zähne klapperten. Hinter uns war die öde, buschige Fläche vom Silberlichte des Mondes übergossen, auf unseren Gesichtern und auf den Felswänden um uns flackerte der röthliche Schein der glühenden Lava. Gespenstige Nebelgestalten flogen, vom heulenden Winde gepeitscht, rasch durch die Luft und schufen einen doppelten Mondregenbogen, wie ich ihn niemals so vollkommen gesehen. Unten aber prasselte und donnerte, glühte und kochte es unaufhörlich in dem feurigen Kessel, als ob es hier direkt zur entsetzlichsten Stufe der Hölle ginge.

Nichts fehlte dem Volcano House, wie das Hotel sich nennt, an Komfort, uns den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen. Vortreffliche amerikanische Betten, ein für die Verhältnisse guter Tisch und ausgezeichnetes Bremer Flaschenbier, das um so freudiger überraschte, als wir auf der Insel Hawaii, auf der es keine Lizenz für den Verkauf von Spirituosen giebt, derlei nicht zu finden gehofft hatten, ein schönes wärmendes Feuer, liebenswürdige Bedienung, einige Jahrgänge von Frank Leslies Illustrirter Zeitung, Alles war vorhanden, was wir in einem Hotel in so ferner Abgeschiedenheit nur wünschen konnten.

Was aber noch besser war und ein unschätzbares Vergnügen gewährte, selbst ein Fremdenbuch lag hier auf, in welchem jeder Besucher seine Erfahrungen und Gefühle über den Kilauea verewigt hatte, jene sinnige Einrichtung, die leider bei uns zu Hause in den Touristenhotels der Alpen immer mehr ausser Brauch kommt. Zwei dicke Foliobände waren bereits mit poetischen und prosaischen, witzigen und langweiligen, guten und schlechten Ergüssen und Zeichnungen über die Kilauea-Partie gefüllt. Auch der bekannte amerikanische Humorist Mark Twain, der über die Sandwich-Inseln einen mehr amüsanten als wahren Bericht geschrieben, hatte ein paar Seiten geliefert. An deutschen Inschriften fehlte es natürlich nicht, ebenso wenig an schlechten deutschen Gedichten, deren Urheber verschwiegen sein mögen. Von illustren Namen fand ich den des ehemaligen preussischen Konsuls Lindau in Yokohama verzeichnet. Mit grosser Befriedigung entnahmen wir, dass wir ausnahmsweise glücklich gewesen waren. Wenige vor uns hatten den Vulkan bei so günstigem Wetter und in so lebhafter Thätigkeit gesehen. Manche hatten nur Nebel und Regen hier oben gefunden. Einer ging so weit, feierlich gegen die Existenz des Kilauea als einen grossen Schwindel zu protestiren.

Am anderen Morgen brachen wir in aller Frühe auf, um nach Kapoho zu reiten. Es war noch dunkel, und der Vulkan leuchtete ziemlich stark herauf, theilweise verschleiert von einem dünnen Nebel. Der eine Lavabach mochte vielleicht 200 Schritte vorgerückt sein.

Wir nahmen den Rückweg nach Hilo durch den Distrikt Puna, welcher den östlichen Vorsprung der dreieckigen Insel Hawaii umfasst. Während wir von dem nordöstlich gelegenen Hilo in ziemlich gerader Richtung gekommen waren, wandten wir uns jetzt nach Südost um zunächst an das Meer hinabzusteigen und dann, den Windungen der Küste folgend, die östliche Spitze Hawaiis, Kapoho, zu erreichen und dort in dem Gehöft eines Deutschen namens Eldart abermals Rasttag zu halten. Denn es galt heute einen schweren Ritt von 42 englischen Meilen oder 64 Kilometer immer über dieselbe glasharte kratzende Lava.

Bald wich die Kälte des Berges der Gluth der tropischen Sonne, und die morgentlich starren und ungelenken Glieder salbte rieselnder Schweiss. Durch Ohiagebüsch an einem alten Vulkan von kleineren Dimensionen vorbei gelangten wir zu dem Absturz des Hochlandes.

Auf unglaublich steilen Pfaden trugen uns die Pferde vorsichtig hinunter. Hätten wir uns nicht vor dem Führer geschämt, wir wären wahrscheinlich aus dem Sattel gestiegen und zu Fuss geklettert. Wohl rutschten zuweilen die Hufe knirschend von glatten Felsblöcken ab, wohl strauchelte zuweilen eines unserer wackeren Thiere und drohte zu stürzen, und einen Sturz auf diesem widerlich harten Boden voll scharfer Kanten und tiefer Löcher hätten die besten Knochen nicht ausgehalten. Aber glücklich kamen wir über alle Gefahren und Hindernisse hinab.

Von nun an ging es bis Hilo auf dem breiten Saum der Küste entlang, welcher, aus demselben Material gegossen wie die ganze gewaltige Masse der Insel, die erste niedrigere, nur vielleicht zwanzig Meter aus dem Meer sich erhebende Staffel bildet. Von ferne sieht dieser breite Saum aus, als ob er nahezu eben wäre, und nur einige schärfere Horizontallinien deuten, allmälig verschwimmend im Blau des Horizonts, Vertiefungen an, die sich in der unmittelbaren Nähe als nicht zu verachtende Schluchten erweisen. Ueberall knirscht der Huf auf harter Lava, und doch scheint bereits eine dichte Vegetation links und rechts sich zusammen zu drängen. Wo nur die kleinste Schrunde etwas Erde zurückhält, sprossen Pflanzen empor, die wahre Natur des noch intakten Lavabodens verhüllend.

Schrecklich zu reiten ist dieser Lavapfad, aber reich an interessanten Gebilden vulkanischen Ursprungs. Der Hauptsache nach ist der Boden aus Einem Guss. Aber hie und da fliessen jüngere Ströme darüber hin, deutlich erkennbar an den dunkleren frischeren Farben ihres Gesteins und an der geringer entwickelten Vegetation. So zum Beispiel tritt einmal ein 200 Schritt breiter schwarzer Strom bis nahe an den Weg heran. Er lässt sich mit dem Auge weit nach oben verfolgen, wie er gleich einer riesigen Schlange durch den Wald sich herabwälzte, bis er hier unten erstarrte und stehen blieb. Die ganze Oberfläche des Stromes ist so verschlackt und zerklüftet, dass sie den Eindruck eines hingeschütteten Koakshaufen macht, dessen einzelne Stücke mehrere Kubikmeter betragen. Versengte und halbverkohlte Bäume sind hineingebacken, wahrscheinlich oben von der glühenden Fluth ergriffen und mit heruntergeschwemmt.

Oft dröhnte es wieder hohl unter den Hufen wie am ersten Tage, und mehrmals sah ich in tiefe Blasenräume hinab, die durch Einsturz der domartigen Gewölbe freigelegt waren. Unten ruhten die Trümmer der fussdicken Kuppeln, Aussen- und Innenseiten an der Rundung leicht unterscheidbar, und einmal sah ich die wenigen Bruchstücke noch so geordnet, dass man sie ohne Mühe hätte zusammenfügen können, als wären sie nur deshalb hinabgesunken, weil die tragenden Wandungen plötzlich auseinander wichen. Kokospalmen haben sich in diesen Verliessen angesiedelt und gucken mit ihren Kronen in die schwarzgraue Wüste hinaus.

Auf lange Strecken scheint der Weg eine einzige gerade und ebene Linie zu sein. Man freut sich darüber und spornt sein Pferd zum Gallop – da gähnt unerwartet eine in der Perspektive verborgene Querschlucht, die uns steil hinab und auf der anderen Seite eben so steil wieder hinauf zu klimmen nöthigt. Manchmal geht es so nahe dem Ufer hin, dass man die donnernde Brandung emporspritzen sieht. Oder mächtige dünenartige Hügel aus grobem Lavageröll haben sich über die niedrigen Ränder gehäuft, in breiten schaumigen Zungen lecken die Wogen herauf, und scheue schnepfenartige Vögel trippeln darin herum und fischen. An einer solchen Stelle kam uns ein isolirter mehr als zehn Meter hoher Kegel aus Lavasand zu Gesicht, der nicht durch die See allein gebildet sein konnte.

Eine kleine Gruppe von Brotfruchtbäumen und Palmen, dazwischen eine einsame Hütte, winkte uns freundlich entgegen. Dort machten wir Halt, um Kokosnussmilch zu trinken und den Pferden Wasser zu geben. Die Kokosnüsse werden hier zu Lande anders geöffnet als auf Viti. Man reisst nicht erst die äussere Faserhülse ab, sondern durchschneidet sie mit dem Messer sammt der inneren Schale. Der Mann dem die Hütte gehörte hatte vor etlichen Tagen eine Rippe gebrochen und konsultirte mich, was er thun sollte. Er sass vor der Thüre und sonnte sich, nur mit dem Maro und einem grossen Pflasterfladen, welcher die verletzte Seite überdeckte, bekleidet. Ich empfahl ihm Ruhe und etwas mehr Gewandung. Der berühmteste Haruspex hätte ihm nichts Besseres verordnen können.

Unsere Mittagsstation war das Dorf Kalapama. Welch köstliche Wohlthat, als plötzlich die knirschende Lava aufhörte und ein weicher Grasboden die Hufe verstummen machte, als wir wieder vom Pferde springen durften, auf einer kühlen Veranda den erquickenden Knetkünsten der herbeigeeilten Mädchen uns preiszugeben und danach in einem brackischen Tümpel, welchen ein hoher natürlicher Deich aus Lavageröll von der draussen donnernden Brandung des Meeres abschloss, ein Bad zu nehmen, bis die unvermeidlichen Hühner gemordet, gerupft und gebraten waren.

Nach zwei Stunden gings abermals fort, abermals über Lava, glasharte, knirschende und kratzende Lava. Etliche Dörfer flogen vorüber. Denn in der Nähe menschlicher Wohnstätten kamen wir meistens auf eine wohlgeglättete Strasse, und unbekümmert um die holde Weiblichkeit, die uns zu sehen aus den Hütten trat, spornten wir die Pferde zur höchsten Eile, um die wenigen besseren Stückchen des Weges auszunützen.

Bergauf und bergab, bald dicht am Meere entlang, bald weiter innen durch Lavawüsten und Pandanusdickichte, führte uns der ermüdende Ritt. Ein seltsamer Begräbnissplatz stand unmittelbar am Rande des steilen Ufers, etwa sechs Leichenhügel aus Lavablöcken, deren glänzend weissgetünchte Umzäunungen eigenthümlich von der Schwärze der rauhen Umgebung abstachen. Es gab weit und breit nicht Humus genug zur Beerdigung. Donnernd prallten die Wogen gegen die Felswand unten, und die Brandung spritzte herauf bis zu der Stätte wo die Todten ruhten.

Ein mit Gras und Kukuigebüsch bewachsener Hügel erschien zur Linken, das Wahrzeichen unseres Zieles Kapoho, eine herzerfreuende Oase nach solcher 42 Meilen langen Lavawüstenei.

Mein Landsmann, Kapitän Eldart, kam uns entgegen und wies uns den Weg in sein gleich einer Burg mit Zyklopenmauern umgebenes Gehöft. Einige braune Burschen bemächtigten sich der Pferde. Wir selbst liessen uns sofort zum Baden führen.

Natürlich ist auch der nächste Hügel gleich hinter dem Gehöft ein alter Vulkan, in dessen Krater ein Teich sich angesammelt hat. Goldfische werden in ihm gezüchtet, und hie und da blitzte einer dieser glänzenden Bewohner des dunklen und stillen Grundes empor, als wir in sein kühles Wasser tauchten, den Schweiss des heissen Tages von den Gliedern zu spülen.

Die Umgebung Kapohos wird nach innen durch eine Reihe ganz mit Gras überzogener Hügel abgegrenzt, nach aussen gegen die See zu dehnt sich die einförmige Lavafläche mit ihrer dünnen Farnkrautdecke. Aussergewöhnlich schlanke Kokospalmen stehen gruppenweise zusammen, die Spitzen der Hügel sind mit dem eigenthümlichen Silberglanz der Kukuibüsche geziert.

Kapitän Eldarts Hauptbeschäftigung ist die Jagd auf die seit hundert Jahren verwilderten Rinder, die heerdenweise ringsherum leben und nur wegen ihres Talges und ihrer Häute geschossen werden. Ein gefährliches und verwegenes Handwerk, auf solchem Boden und zu Pferde diesen Thieren nachzustellen, oft genug auch von ihnen sich jagen zu lassen. Seit zwei Jahren lebt ein junger Verwandter aus Deutschland bei ihm als Gehilfe, ein ehemaliger Ulan, der mit in Frankreich gewesen und jetzt erst recht in seinem Elemente sich fühlt, da er so viele Gäule zu Schanden reiten kann als er mag. Ein nicht zu verachtender Nebensport scheint ihm die Verbesserung der Rasse im nächsten Dorf drüben zu sein.

Die Mischung germanischen und polynesischen Blutes giebt ganz prachtvolle Jungen. Kapitän Eldarts reizende Kinderschaar, die sich stetig dem Dutzend nähert, liefert ein nachahmungswürdiges Beispiel. Sein Aeltester ist ein ideal schöner Knabe im Style jenes jungen Italieners von Karl Becker. Gleichwohl fehlte es auch hier nicht an Symptomen der überall zu beobachtenden Thatsache, dass die Ehe eines Weissen ausserhalb seiner Rasse zu Missverhältnissen führt. Es schien mir, als ob mein Landsmann unser freundlicher Wirth sich seiner braunen Gattin schämte. Wir bekamen sie nicht zu Gesicht. Sie wohnte abseits in dem Haus für die Dienerschaft und blieb dort verborgen, solange wir in Kapoho weilten.

Am nächsten Morgen regnete es. Ab und zu kamen heftige Windstösse und bogen die schlanken Palmen und zausten an ihren Kronen, dass sie aussahen wie zerrissene und umgestülpte Regenschirme. Wir benützten deshalb unseren Rasttag nur zur Besichtigung der allernächsten Merkwürdigkeiten. Wir waren auch viel zu müde und steif um weit herumzulaufen.

Der junge Eldart führte uns zuerst auf einen Hügel zu den Ueberresten eines alten Heidentempels, von welchem gegenwärtig nur mehr einige sehr exakt gearbeitete Lava-Quaderblöcke vorhanden sind. Dann nahmen wir ein Bad in einem äusserst malerisch zwischen steilen Felsen gelegenen warmen Tümpel, »Wai wela wela« (Wasser warm warm) genannt. Farnkrautbüschel und Pandanen hängen von oben über die Wände der Schlucht herab. Das angenehm laue Wasser ist wunderbar blaugrün und so klar, dass man jedes Steinchen des Grundes sieht, obwohl er so tief ist, dass es keinem von uns gelang ihn tauchend zu erreichen. Eine Viertelstunde entfernt ist noch eine andere von den Mächten der Göttin Pele geheizte Badegelegenheit, welche wir am Nachmittag besuchten. Wir stiegen durch eine Kluft 20 Meter ins Innere der Erdkruste hinab, nachdem wir uns oben entkleidet und Stearinkerzen angezündet hatten. Dann nahm uns ein schmales Wasserbecken auf, etwas wärmer als jenes oberirdische Wai wela wela, in welches wir etwa 200 Schritt hineinschwammen, indem wir von Zeit zu Zeit Lichter an den Wänden befestigten. Man soll eine Meile weit hier unten fortschwimmen können.

Dies werden wohl die beiden »heissen Quellen« sein, welche auf Karten bei Kapoho angegeben sind. Ich habe sonst nichts dergleichen zu erfragen vermocht.

Auf dem Rückweg lernte ich eine sehr interessante Pflanze kennen, welche hier in Menge vorkommt und bei den Einwohnern englischer Sprache »Air Plant« heisst. Wenn man ein einziges Blatt davon mit einer Stecknadel am Fenster oder sonstwo anspiesst, so stirbt dasselbe ab, aus einer Stelle seines Randes aber wächst ein neues Pflänzchen hervor, dem das Gewebe des alten Blattes als nährender Boden dient.

Wir hatten Sonntag, und es war sehr öde und menschenleer in Kapitän Eldarts Ranch. Nur die Kinder und das Schiessen von Truthähnen und Hühnern für unseren Tisch, die sich sonst nicht so leicht hätten ergreifen lassen, gewährten einige Unterhaltung. Bier oder Schnaps gab es hier nicht, da diese Artikel im Hawaiischen Königreich überhaupt, ausgenommen in Honolulu, verboten sind. Hingegen besass der halbchinesische Diener unseres Wirthes eine Lizenz zur Bereitung und Verabreichung von Awa, welche monatlich 25 Cents kostet. Und da wir nichts Besseres wussten, liessen wir uns am Abend Awa vorsetzen. Wer dieselbe zurechtgekaut hatte, wurde uns diskreter Weise nicht verrathen. Die schmutzig graubräunliche Flüssigkeit, in Schoppengläsern kredenzt und ohne den romantischen Zauber der Yankonagelage auf Viti, machte mir keinen sehr verlockenden Eindruck. Aber getrunken wurde sie doch. Sie schmeckte ganz ähnlich der Yankona, nur etwas schärfer seifenartig und konzentrirter. Auch an der Pflanze, die man uns zeigte, konnte ich keinen Unterschied von dem Piper methysticum Kandavus wahrnehmen. Es stellten sich indessen bei vieren von uns sehr unangenehme Folgen in Form von Ergüssen aus beiden Enden des Tractus Alimentationis ein, welche uns einen erheblichen Theil der Nachtruhe raubten.

An demselben Abend ass ich zum ersten mal Brotfrucht. Auf Kandavu waren sie gerade nicht reif gewesen, und auch diese war nur ein kleines, faustgrosses Individuum. Sie wurde uns in gekochtem Zustand aufgetragen, ihr Geschmack ähnelte dem junger noch etwas seifiger Kartoffeln.

Die letzten 24 Meilen am folgenden Tag, die wir bis Hilo zurückzulegen hatten, waren nicht angenehmer als die vorhergegangenen. Während die anderen noch sattelten und packten ritt ich langsam voraus. Ich war eben an der Schule eines weiter abwärts gelegenen Dorfes angelangt, in welcher die Kinder gerade ihr Morgengebet beteten, da kam hinter mir Kapitän Eldart nachgejagt, um sich den Namen einer Arznei aufschreiben zu lassen, den ich ihm gestern gesagt, den er jedoch mittlerweile wieder vergessen hatte. Der Schulmeister, ein Kanaka, brachte Papier und Tinte heraus, mit ihm seine ganze kleine Heerde.

Je mehr wir uns Hilo näherten desto mehr hofften wir, der Weg möchte doch endlich einmal besser werden. Er blieb aber gleich niederträchtig bis zum Schluss. So wie die Wegmacherei im Hawaiischen Königreiche betrieben wird, ist es kein Wunder wenn die Wege schlecht sind. Es wird dem Einzelnen freigestellt, die Steuer dafür durch Arbeiten abzuverdienen, und dieser begnügt sich gewöhnlich damit, alle Monat ein Häufchen Erde zusammenzukratzen und auf den Weg zu schütten.

Die Pandanusdickichte wurden lichter und machten stellenweise einem dünnen Wald von Ohiabäumen Platz, an denen sich Kletterpflanzen mit schönen rothbraunen Blüthen emporrankten. Zuweilen liess sich die schnalzende Stimme eines Vogels vernehmen, das einzige mal dass ich derlei auf Hawaii hörte.

Durchnässt von Regen und Schweiss und übermüde des quälenden Knirschens der Lava sprangen wir frohlockend im Hotelgarten zu Hilo aus dem Sattel. Unsere Pferde hatten keine Eisen mehr, und wir selbst waren mehr oder weniger mit Blut gezeichnet.

XXI.
VON HILO NACH HONOLULU.

Eine seltsame Todtenfeier. Kapitän Spencer und seine Zuckersiederei. Der Kilauea kommt nicht. Ein hawaiisches Souper und Abschied von Hilo. Nächtliche Bootfahrt nach Kohala. Konflikt mit dem Sabath und abermals fort. Landung auf Maui. Ein interessanter Mann der Presse. Der Bäcker von Lahaina. Stürmisches Wetter. Endlich in Honolulu.

Von nun an fiel fast beständig Regen in Strömen herab, so dass wir grösstentheils zu Hause bleiben mussten.

Einige Weisse kamen uns zu besuchen, darunter auch ein Missionär und ein Arzt. Der Kollege litt an einer Krankheit, die in der heissen Zone häufig zu sein scheint. Er hatte sich das Schnapstrinken so sehr angewöhnt, dass er es nicht mehr lassen konnte und ohne Schnaps unglücklich war. Nun war ihm vor einigen Tagen sein Vorrath, den erst die Ankunft des Dampfers von Honolulu erneuern sollte, zu Ende gegangen, und er fühlte sich recht elend. Bei mir hoffte er eine Flasche des süssen Giftes zu erhalten. Leider waren jedoch auch unsere Spirituosen auf der Neige, und der halbe Schoppen Whisky, den ich ihm vorsetzte, erregte nur ein halb wehmüthiges halb verächtliches Lächeln.

Dieser langweilige Tag fand einen höchst interessanten Abschluss. Abends als es bereits dunkelte, kam unser Halbchinese in grosser Aufregung, wie gewöhnlich wenn er etwas Neues wusste, und lud uns ein schnell ihm zu folgen, er wolle uns zu einem Hula Hula führen, wie wir noch keinen gesehen hätten. Da nichts Besseres zu thun war, ging ich mit. Ich versprach mir nicht viel und dachte, es handle sich wieder um eine der gewöhnlichen erotischen Unternehmungen, zu welchen dem Fremdling in jenem Lande so reichlich Gelegenheit geboten wird.

Wir hatten bis ans andere Ende der ausgedehnten Ortschaft zu gehen. Schon von weitem tönte die einförmige wilde Melodie und das schrille Klappern der Kalebassen durch die Gärten herüber, als wir auf engen schlüpfrigen Seitenpfaden zwischen Zäunen und niedrigen Mangobäumen leise im Gänsemarsch dahinwanderten.

Neugierige standen in Gruppen vor dem Hause, welches unser Ziel war, und in dessen Veranda, von einer Petroleumlampe beleuchtet, zwei Frauenzimmer auf dem Boden sassen und unter dem rhythmischen Hin- und Herwerfen des Oberkörpers und der Arme die uns bereits wohlbekannte geräuschvolle Musik verübten. Unter der Thüre, hinter den geöffneten Fenstern und im Innern des Hauses, welches durch seine europäischen Möbel einen höheren Grad von Wohlhabenheit verrieth, sassen alte Weiber, ein paar Männer und einige junge Mädchen.

Wir schienen nicht unwillkommen zu sein. Man machte Platz in der Veranda und brachte Stühle heraus. Hapai stellte uns den jungen Damen vor. Sie waren entfernte Kousinen von ihm und hatten auf der Missionsschule Englisch gelernt. Nun freuten sie sich, ihre Konversationskünste zeigen zu können, und plapperten sehr angenehm los, trotzdem der unaufhörliche Lärm der Hula Hula-Rassel das Sprechen beinahe vereitelte.

Eine geraume Weile sassen wir so da, ohne zu ahnen, welcher eigenthümlichen Art von Feierlichkeit wir beiwohnten, bis eine der anziehenden Schönen frug, ob wir nicht ihre todte Schwester ansehen wollten. Erstaunt und ungewiss, ob wir auch richtig verstanden, traten wir ins Innere, und – da lag wirklich eine Leiche mitten im Zimmer auf dem Paradebett, die Leiche eines jungen Mädchens von 17 Jahren.

Blumenkränze und Blattguirlanden bedeckten das schwarze Tuch, welches über sie gebreitet war. Zwei Frauen, schwarzgekleidet wie die Uebrigen, kauerten traurig daneben, zerdrückten hie und da mit dem Taschentuch eine Thräne und wehrten mit Blumenwedeln die Fliegen ab.

Draussen aber lärmten unermüdlich und immer ungestümer die beiden Tänzerinnen. Sie hatten sich erhoben und führten nun jene äusserst unzüchtigen Bewegungen aus, welche zum Hula Hula gehören.

Wir waren Zeugen einer Todtenfeier im altem Styl. Und dieselben Frauen, die eben an der Leiche geweint hatten, traten dann und wann ans Fenster, sahen dem Hula Hula zu und klatschten laut und lachten ausgelassen, wenn gerade eine Passage besonders verfänglich war. Wie ganz anders als wir mussten diese Menschen fühlen.

Wir setzten uns wieder in die Veranda. Unseren jungen Damen war keine sonderliche Traurigkeit anzumerken, sie waren heiter wie immer. Nur an dem Hula Hula schienen sie nicht denselben Gefallen zu finden wie die älteren Weiber. Sie gehörten entschieden der besten Klasse von Hawaiierinnen an und hatten soviel Vornehmes und Ladylikes in ihrem Benehmen, dass sie den Vergleich mit Europäerinnen nicht zu scheuen brauchten. Dabei besassen sie den ganzen naturfrischen Duft ihrer Rasse. Ihre weissen Zähne glänzten so verführerisch und ihre Augen blitzten so herausfordernd, dass es nicht Wunder nahm, wenn meine Gefährten bald wärmer wurden und den Gesprächen eine Wendung gaben, die es mir lieb machte, dass die Mädchen nur mangelhaft Englisch verstanden. Und mit welcher Würde und mit wie viel Anmuth wussten sie ihre Abweisung zu erkennen zu geben, als sie endlich begriffen.

Unterdessen klapperten und schrieen die Tänzerinnen immer wüthender fort, und immer leidenschaftlicher wurden ihre Hüftenevolutionen, und immer entzückter lachten und klatschten die alten Weiber, die Mütter und Tanten unserer Freundinnen.

Und wie ich das sah, schien es mir selbst, dass wir nicht an einem Orte waren, für welchen schüchterne Zurückhaltung passte. Da kam aber gleich wieder die hoheitsvolle sittliche Entrüstung, sobald wir uns die kleinsten Freiheiten erlaubten. War dies Koketterie oder Wahrheit, mitten in solcher Umgebung, im Angesicht des scheusslichen Hula Hula? Man verzieh uns übrigens und vertraute uns an, dass der anwesenden jüngeren Generation der Hula Hula ebenso verhasst sei, als beliebt bei der älteren.

Wir hatten zwei Kulturstufen, die eine tiefe Kluft trennte, vor uns. Die Alten staken noch fest in ihrer alten Barbarei, die Jungen fühlten bereits europäisch. Dass beide Kulturstufen, anderwärts durch jahrhundertlange Zwischenstufen vermittelt, hier auf einem Fleck nebeneinander vorkamen, war ein Anachronismus, der eben nur bei einer so rapiden Zivilisirung möglich ist, wie die Hawaiier sie genossen.

In einem Missionarbericht aus den zwanziger Jahren erinnere ich mich ein Gegenstück zu unserem Erlebniss gelesen zu haben. Als Kamehameha II. gestorben war, trauerte ganz Honolulu um ihn und zwar in folgender Weise. Beide Geschlechter enthielten sich Wochen lang jeglicher Bekleidung. Einige hackten sich die Finger ab, andere schlugen sich die Vorderzähne aus. Tag und Nacht wurde Hula Hula getanzt, und die Weiber ergaben sich der uneingeschränktesten Prostitution.

Als wir am nächsten Morgen wieder nach jenem Hause gingen, um der Beerdigung beizuwohnen, war diese schon vorüber. Vor der Veranda aber sass ganz allein ein altes Weib, die Mutter des todten Mädchens, und sang die Todtenklage, ein so herzzerreissendes grässliches Wimmern und Heulen, wie ich vorher nie von einer menschlichen Stimme vernommen hatte.

Trotz des schlechten Wetters folgten wir einer schon früher erhaltenen Einladung Kapitän Spencers, des amerikanischen Konsuls von Hilo, ihn in seiner eine Viertelstunde entfernten Zuckerfabrik zu besuchen. Kapitän Spencer, ebenfalls ein ehemaliger Walfischfänger, wie alle die vielen »Captains« auf Hawaii, ist eine hervorragende Persönlichkeit. Jedermann weit und breit kennt ihn, er ist berühmt durch seine Körperstärke und durch die vielen halbbraunen Kinder, die er allenthalben gezeugt hat. Er fängt aber auch bereits an alt zu werden, und als wir zu ihm kamen, war er in sehr schlechter Laune, denn er litt wieder einmal an einem Gichtanfall. Dieses hinderte ihn jedoch nicht uns aufs Reichlichste zu bewirthen. Unangenehm war nur der Ton des Gespräches, den er anschlug, indem er mit dröhnender Stimme über Alles schimpfte, was nicht amerikanisch war, und erst aufhörte, als wir uns empfahlen. Er gab uns einen Burschen bei zur Führung durch seine ausgedehnten Zuckerfelder, die sich ein paar Meilen ins Land hinauf erstrecken, und durch die Siederei.

Künstlich angelegte Abzweigungen des reissenden Wailuku dienen dazu, das oben geschnittene Zuckerrohr herabzuschwemmen. Die Siederei ruhte eben, ein Theil derselben war vor wenigen Wochen abgebrannt, wahrscheinlich durch einen entlassenen Arbeiter angezündet. Auf diesem Rundgang begegneten wir einem blonden Hawaiier mit blaugrünen Augen. Er sah skrophulös aus und hatte Drüsennarben am Halse. »Kanaka maoli« (maoli-maori, echt) sagte mir der Führer. Ohne diese Bemerkung würde ich ihn für einen Engländer oder Deutschen der ärmsten Auswanderersorte gehalten haben.

Am 30. August sollte der Dampfer Kilauea wieder kommen, um uns nach Honolulu zurückzubringen. Wir warteten vergeblich den ganzen Tag, aber er kam nicht. Auch der folgende Tag verging, und kein Dampfer liess sich sehen. Es musste ihm etwas zugestossen sein. Der Postmann, welcher die Strecke von Hilo bis Kohala an der Nordspitze der Insel abgeritten hatte, traf mit der Nachricht ein, auch in Kohala und in Kawaihae sei nichts von einem Dampfer zu bemerken gewesen. Man fing an zu munkeln, der Kilauea sei untergegangen, er sei schon seit lange nicht mehr seetüchtig, kein Wunder dass ihn endlich sein Ende ereilt. Da sassen wir nun und wussten nicht was thun, ohne Telegraphen und ohne Gewissheit.

Es blieb vorläufig nichts übrig, als geduldig zu warten und die Zeit zu vertreiben so gut wir konnten. Wir machten Kanuufahrten ins Meer hinaus, wir gingen mit aufgespanntem Regenschirm am Strand spazieren, wir badeten Vormittags in der See und Nachmittags im Fluss, wir machten Besuche und empfingen solche, und Abends kam, falls es nicht zu stark regnete, der Gesangverein von Hilo und gab uns ein Konzert draussen im Garten um ein paar Zigarren zu verdienen.

Aber alles dieses war eigentlich doch sehr langweilig, jetzt da unser Programm durch das Nichterscheinen des Dampfers gestört war und wir alle von Hilo fortzukommen wünschten. Auch das famose Bad im Wailuku hatte allen Reiz eingebüsst, da die höhere weibliche Schuljugend sich nicht mehr einstellte. Ihre so anziehende Schwimm- und Purzelbaumproduktion des ersten Tages hatte das Missfallen der frommen Missionäre erregt. Es war ihnen eingeschärft worden, unsere Nähe zu meiden, und um die Tugendhaftigkeit im Kampf mit dem Bösen zu unterstützen, schlich nächtlicher Weile die hohe Polizei um unser Hotel.

Zwei Tage warteten wir noch, und als der Kilauea immer noch nicht kam, mussten wir das Hoffen auf ihn aufgeben und in irgend einer anderen Weise nach Honolulu zurückzugelangen suchen, wollten wir nicht den Verlust unserer Passage nach San Francisco riskiren. In Kohala, war uns gesagt worden, läge ein Schuner segelfertig für Honolulu, und wenn wir uns beeilten, könnten wir diesen noch erreichen. Zu Land und mit Pferden würden wir mindestens zwei Tage gebraucht haben, und ans Reiten konnten wir mit unseren zerschundenen Gliedmassen nicht denken. Wir beschlossen deshalb, irgend ein Fahrzeug zu miethen und dorthin aufzubrechen.

Das war aber leichter gesagt als gethan. Man suchte uns jetzt durch alle möglichen Vorstellungen der grossen Gefährlichkeit einer solchen Reise an der Küste voller Klippen und Brandung entlang abzuhalten. Erst nachdem wir nochmals einen Tag mit Herumlaufen nach jeder Richtung verloren hatten, gelang es uns durch die gütige Vermittelung Kapitän Spencers, ein grosses Walfischfängerboot aus der guten alten Zeit der Walfischfängerei, welches schon lange keinen Walfisch mehr gesehen hatte, sowie eine Mannschaft von sechs Kanakas aufzutreiben und für 50 Dollars bis Kohala zu miethen.

Wir verproviantirten uns mit Esswaaren und Trinkwasser und um Mitternacht sollten wir in See stechen. Wir hätten dies eigentlich schon mehrere Stunden früher thun können. Aber da wir für den Abend bei liebenswürdigen jungen Damen zu einem Souper eingeladen waren, so mussten wir die Abfahrt verschieben.

Die holden Wahines hatten uns Blumenkränze zum festlichen Schmucke geschickt, wir kauften noch einige mehr dazu, und blumenbehangen wie die Boeufs gras zu Paris verfügten wir uns in ihre Behausung. Es handelte sich um eine etwas verfeinerte Mahlzeit im landesüblichen Styl mit Poi, rohen Fischen, Fischgedärmen, roher Schweinsleber und Seemuscheln. Um auch dem europäischen Geschmack Rechnung zu tragen, gab es ausserdem noch kalte Hühner, Schinken und Brot, Kaffe und Thee.

Die ganze Bescherung war in der Mitte des Zimmers auf dem mattenbelegten Boden ausgebreitet. Wir setzten uns ringsherum und kreuzten die Beine, neben und zwischen uns die braunen Schönen, selbstverständlich gleichfalls über und über mit Blumen bekränzt. Die Versammlung war ein duftender Blumengarten. Wirkte nun allerdings das Fremdartige einiger Gerichte störend auf unseren Appetit, und konnte man sich auch vielleicht daran stossen, dass die nackten Füsse der Damen häufig mit den uns vorgesetzten Portionen in Berührung geriethen, und dass wir Alles mit den Händen zu zerreissen hatten, so waren unsere Wirthinnen doch von einer so gewinnenden Liebenswürdigkeit, und es machte ihnen sichtlich so viel Freude uns zu bewirthen, dass wir mit Beherrschung der widerstrebenden Gefühle wacker zugriffen und ihnen selbst gestatteten, uns eigenhändig den Poi-Brei in den Mund zu schieben. Man that uns damit eine Ehre an, deren Ablehnung eine Beleidigung gewesen wäre. Sie machten ihre Sache auch recht artig und gingen erst hinaus um sich die Hände zu waschen, ehe sie damit in die grossen Kalebassen tunkten, den sauren Kleister um die zwei ersten Finger wickelten und uns willenlose Opfer damit regalirten.

Die Bootsmannschaft, welche wir auf elf Uhr bestellt hatten, wurde ungeduldig und wir mussten uns losreissen. Noch ein zärtlicher Abschied, viel hundert Alohas, und wir wandten uns nach dem Gestade.

Mister Wilky liess sein Pferd satteln uns zu begleiten. Ein zahlreicher Tross von Chinesen und Kanakas holte das Gepäck aus dem Hotel herbei, und unter den kräftigen Tönen eines kriegerischen Gesanges marschirten wir durch die nächtlich stillen Strassen von Hilo. Ein dreimaliges Hurrah und wir stiessen ab. Den bereits im Schlummer liegenden friedlichen Bewohnern wäre es wahrscheinlich lieber gewesen, wenn wir uns minder geräuschvoll empfohlen hätten. Mancher Fluch mag uns nachgesandt worden sein. Als wir in die Bucht hinausgerudert waren und die ersten Windstösse um die Ecke kamen, schlug es auf den zwei Kirchthürmen zwölf Uhr.

Nur selten erschien der Mond in den Lücken des Gewölks und beleuchtete auf kurze Augenblicke die gigantischen Massen Hawaiis, unter denen wir, getrieben von dem frischen Hauch des Passates, vorüberglitten. Leider stellte sich die Seekrankheit ein, und die Fahrt in dem engen Boot wurde sehr ungemüthlich. Zwar hatten wir uns so komfortabel als möglich eingerichtet. Das Hintertheil unseres Fahrzeuges war durch Matratzen und Kissen und Decken in ein geräumiges Bett für drei Personen umgewandelt, und die Reihenfolge des Schlafens war ausgeloost worden. Aber drei von uns fünfen stöhnten so jämmerlich, dass mein Freund Bats, an den ich mich enger angeschlossen, und ich selbst gerne auf unser Recht verzichteten.

Der Morgen kam und enthüllte eine Naturschönheit nach der anderen. Schade dass wir in unserem unausgeschlafenen Zustand, müde, gähnend und blinzelnd, nicht viel davon geniessen konnten. Wieder ging es an den vielen Wasserfällen vorüber, die zur tosenden Brandung herabstürzten, an der grossartigen Thalschlucht des Waipiu Valley, an kahlen Wänden, ununterbrochen oder zu riesigen Blöcken zerklüftet senkrecht aus dem Meere emporschiessend, um erst in 300 Meter Höhe zu einem sanft ansteigenden Winkel sich abzubiegen, an Zuckerplantagen und Ohiawäldern oben auf unzugänglicher Kante, an einsam verlassenen Kirchen und an Ortschaften, winzig klein im Grunde der steil gethürmten Felsenkulissen. Häufig fuhren wir so nahe an Vorsprüngen der Insel hin, dass wir deutlich Menschen erkannten, welche unter den Blöcken und dem schäumenden Gischt des Ufers herumkrochen und fischten.

Gegen Mittag waren wir in Kohala, das heisst an der nördlichen Landspitze. Von dem Dorfe dieses Namens selbst, welches eine Viertelstunde binnenwärts liegt, war noch nichts zu sehen. Wir fanden erst nach längerem Suchen den Landungsplatz. Die See ging hoch, unser Kapitän kannte den Grund nicht, überall drohten Klippen. Zum Glück erschien als rettender Engel eine Kanakin zu Pferd auf dem nächsten Hügel und blickte verwundert zu uns herab. Einer unserer Leute zog sich aus und schwamm ans Ufer, um sich bei ihr zu erkundigen. So gelangten wir endlich in eine versteckt gelegene Bucht, in welcher ein Boothaus stand, die erste Andeutung menschlicher Wohnstätten. Von dem versprochenen Schuner weit und breit nichts zu entdecken.

Kohala ist ein öder und langweiliger Platz und liegt in der Mitte einer ganz reizlosen, welligen Stoppelgrasfläche, die sich langsam zu dem dritten und kleinsten Hauptvulkan der Insel, dem Hualalai, hinaufzieht. Eine grosse Zuckersiederei, eine Reihe von Wohngebäuden, an deren Ende eine Kapelle, und weitherumgestreut etliche Hütten von Eingeborenen setzen die ausgedehnte Ortschaft zusammen.

Es stellte sich nun heraus, dass die ganze Geschichte von dem Schuner, mit der man uns veranlasst hatte hierher zu reisen, Schwindel war, und auf alle Anfragen nach einer Fahrgelegenheit erhielten wir nur Achselzucken und unfreundliche Gesichter zur Antwort. Man lud uns ein, hier zu bleiben und auf unbestimmte Zeit zu warten. Für heute war allerdings nichts Besseres zu thun als auszuschlafen und das Weitere bis morgen zu verschieben. Wir nahmen deshalb bei dem Besitzer der Zuckersiederei Quartier.

Der nächste Tag war unglückseliger Weise ein Sonntag, und unser sonst sehr liebenswürdiger Wirth entpuppte sich als ein arger Mucker. Bats und ich hatten beschlossen, um jeden Preis nach Honolulu weiterzugehen, und sollte es auch in unserem offenen Walboot sein. Wir kollidirten damit aufs Heftigste mit den herrschenden Sabathgefühlen und nichts wurde unterlassen, gegen unser Vorhaben zu intriguiren. Auch die drei anderen Gefährten waren dagegen, wohl mehr aus Furcht vor der See als aus wahrer Religiosität. Schliesslich siegten wir aber doch, und gegen 65 Dollars und das Versprechen, Boot und Mannschaft von Honolulu nach Hilo mit dem nächsten Schuner oder auch mit dem Dampfer, falls er wieder ginge, zurückzuschicken, übernahm es der Kapitän, uns beide nach Honolulu zu bringen. Die anderen drei blieben zurück.

In Kohala war es unerträglich öde und feierlich. Den ganzen Morgen klimperte der blasse Backfisch des Hauses geistliche Melodien auf dem Klavier, während wir unten im Garten uns mit dem frommen Vater und unserer Bootsmannschaft herumdisputirten. Als wir bereits am Landungsplatz unten waren, um uns einzuschiffen, erhoben sich neue Schwierigkeiten. Wir wollten noch zwei Kalebassen Poi für die Mannschaft mitnehmen. Aber heute war Sonntag, und kein Mensch in Kohala getraute sich etwas zu verkaufen, und ohne den Poi erklärte die Mannschaft aufs Bestimmteste, nicht zu fahren. Zum Glück fanden wir doch noch einen Kanaka bereit, gegen das Fünffache des gewöhnlichen Preises den unumgänglichen Kleister heimlich zu liefern.

Endlich stiessen wir wirklich vom Lande und waren der peinlichen Ungewissheit ledig. Hinter uns die gottesfürchtige Sonntagslangeweile von Kohala zurücklassend ruderten wir in das offene Wasser hinaus, wo uns bald ein günstiger Wind ergriff. Das Wetter war Gutes versprechend. Passatwolken rings am Horizont, nur die Berge der Inseln dunkler verschleiert.

Unser Kapitän wollte rechts nach der Windseite von Maui steuern. Da wir jedoch seiner Navigation und der Takelage nicht viel zutrauen durften, bedeuteten wir ihm, dass wir in Lee um die Insel gehen wollten. Wir fürchteten die Wogen und die Brandung des freien Meeres, hatten aber entschieden Unrecht, da wir aussen herum viel schneller vorwärts gekommen wären.

Ein Fregattvogel zog seine Kreise hoch in den Lüften. Kleine fliegende Fische schwirrten neben uns aus dem Wasser und mehrere von ihnen fielen in unser Boot. Die See ging heftiger und eilig durchfurchte der Kiel die hüpfenden Wellen. Wir freuten uns die drei seekranken Reisegefährten los und im alleinigen ungeschmälerten Besitz des Matratzenverdecks zu sein.

Gegen Abend wurde die Luft verdächtig klar und die gewaltigen Formen des Haleakala traten uns immer näher entgegen. Scharfgeschnitten hoben sich seine ungeheuren Radienpfeiler aus dem Meere, strahlendes Sonnenlicht auf den Kanten und tiefe, warme Schatten in den riesigen Schluchten, so ergreifend schön und grossartig, wie ich niemals vorher Aehnliches gesehen.

Wie sehr verschieden sind doch diese Hawaiischen Inseln von den Viti-Inseln, obgleich beide ungefähr gleichweit vom Aequator entfernt sind, die einen südlich, die anderen nördlich. Während in der Landschaft von Viti das Anmuthige und die Ueppigkeit tropischer Vegetation vorherrscht, trägt hier Alles den Charakter des Wilden, Gigantischen. Noch viel mehr aber als sonst irgendwo auf der ausgedehntesten und jüngsten und südöstlichsten der Inseln, auf Hawaii, welche jetzt gleichfalls wie zum Abschied in ihrer ganzen Pracht sich entfaltete. Hoch über der Wolkenlinie schwammen duftig violett und bestreut mit glitzernden Schneefeldern die beiden Häupter Maunaloa und Maunakea, beide mehr als 4000 Meter hoch. Sie bestehen durchaus aus Lava. Und wenn man bedenkt, dass sie sich mit einer Basis von beinahe 60 Seemeilen oder 111 Kilometer im Durchmesser zu ihrer gewaltigen Höhe erheben, und dass ihre Konturen ohne Brechung in einer sanftabsteigenden geraden Linie aus den Wolken herabkommen, so kann man sich ungefähr einen Begriff machen, welche kolossale Massen hier durch Lavaeruptionen geschaffen wurden.

Wir segelten bereits ganz dicht an der Brandung von Maui entlang, als mit einem mal der bisher so günstige und frische Wind aufhörte und tödtliche Stille eintrat.

Es war wie eine Strafe für die unzüchtigen Gespräche und Geberden des Kapitäns, womit er uns zu unterhalten suchte. Erst hatte er uns die Bewegungen des Hula Hula mit all seinen scheusslichen Feinheiten vorgemacht, dann über die Frauenzimmer des frommen Kohala geschimpft, die nichts mehr davon verstehen wollten, und dagegen die Mädchen seines Dorfes gepriesen, die darin noch sehr bewandert seien. Dies war auch in so fern höchst interessant, als er dabei die teuflischesten Grimassen schnitt, deren das Teufelsgesicht eines solchen obszönen und lasziven Kanakas überhaupt fähig ist, wenn er von Weibern spricht. Die Mannschaft hatte ihm jubelnd Beifall geklatscht. Jetzt da sie wieder rudern mussten, legte sich ihre Heiterkeit. Sie arbeiteten faul und verdrossen an den Riemen und benutzten jeden Vorwand, um sich eine Pause zu gönnen. Bald zog einer zur Erleichterung sein Hemd aus, ein anderer zog es wieder an, bald bewunderten sie die Pracht des aufgehenden Mondes und hörten deshalb insgesammt zu rudern auf, oder sie kauten an langen Zuckerrohrstangen, und schliesslich fing einer an das Abendgebet vorzubeten, und alle entblössten ihr Haupt und falteten die Hände und sahen nun so fromm und andächtig aus, als ob sie niemals gezotet hätten.

Wir schliefen ein, und als ich erwachte schlief auch die ganze Mannschaft und schnarchte. Senkrecht über uns stand der Vollmond und goss sein mildes Licht über die leise wogende See, über unser langsam auf- und niederschwebendes Boot und über die nahen Felsgründe des Haleakala. Eine zauberhafte Stille lag ringsum auf der Umgebung, kein Lüftchen regte sich, schüchtern gluckste das Wasser unter dem Kiel. Es war eine äusserst poesievolle, aber auch etwas gefährliche Situation. Auf allen Seiten drohten Klippen mit heftiger Brandung, und wir trieben gerade im Fahrwasser des Dampfers, der ja doch mittlerweile ausgebessert sein und den Dienst wieder aufgenommen haben konnte.

Eine Weile genoss ich noch die Schönheit der Nacht und der Umgebung, dann weckte ich die Schläfer und trieb sie zur Arbeit an. Hie und da fächelte uns ein leiser Zephyr die Wangen, und gleich hörten wieder die Kanakas zu rudern auf und setzten das Segel, um es bald wieder wegnehmen zu müssen.

So kamen wir langsam vorwärts, bis die niedrige flache Lücke zwischen dem Haleakala und dem westlichen Gebirgsstock von Maui erreicht war, durch welche der Passat ungehemmt herüber weht. Nach Sonnenaufgang hatten wir diese und den schönen Wind hinter uns und abermals Stille. Die Hitze wurde drückend. Am Ufer kam gerade eine grüne Oase in Sicht, vor welcher eine zahlreiche Gesellschaft mit Fischen beschäftigt war. Wir beschlossen hier zu landen um unser Frühstück statt in dem schaukelnden Boot auf festem Boden zu verzehren.

Etliche Mädchen rannten nach ihren Hemden als wir uns näherten, und ein paar Männer wateten dienstfertig uns entgegen, packten das Boot und leiteten es durch die Klippen, welche aus dem sandigen Grunde hervorragten. Das Boot stiess fest, und wir sprangen ans Ufer. Die liebenswürdigen Insulaner hatten bereits eine Menge kleiner kaum fingerlanger Fische gefangen und in Töpfen über einem prasselnden Feuer gekocht. Wir setzten uns in den spärlichen Schatten der nächsten Palme und theilten unsere gepöckelten Austern, unseren Schinken und unseren Zwieback mit ihnen, wogegen sie uns von ihren sehr wohlschmeckenden Backfischchen gaben. Wir waren bei diesem famosen Picknick zweifellos im Vortheil, wenn auch unsere selteneren Artikel bei jenen die grössere Freude hervorriefen. Trotz des strengen königlichen Verbots liessen wir auch an unserem Whisky nippen, der den meisten noch neu zu sein schien und ein schauerlich wollüstiges Grinsen abzwang.

Wir baten die braunen Freunde, ihre Methode des Fischens zu zeigen, und sie gingen ins Wasser, die Männer bis auf den Maro nackt, die Weiber jetzt mit ihren Hemden bekleidet. Unter Kanakas pflegt das zarte Geschlecht sich weniger zu geniren und fischt sehr oft ohne alle Gewandung. Männer jedoch habe ich niemals ohne Maro gesehen. Ein grosses Netz wurde von zwei Jungen auf dem Grunde ausgebreitet und an den Zipfeln gehalten. Die übrige Schaar formirte einen weiten Kreis und trieb, mit Armen und Beinen plätschernd, die Fische über das Netz zusammen, welches schliesslich, rasch emporgezogen, jedesmal eine reiche zappelnde Beute gewährte.

Schon gleich im Anfang war mir ein schöner, stattlicher Mann aufgefallen, der das Haupt der Gesellschaft sein musste. Scharfe, intelligente Züge, ein wohlgepflegter Henriquatre und sorgsam gescheiteltes Haar gaben ihm den Typus eines eleganten französischen Gendarmeriebrigadiers. Er sprach fliessend Englisch und hatte viel natürliche Kourtoisie in seinem Benehmen. Auch er war nackt bis auf den Maro und entpuppte sich als Zeitungskorrespondent. Bei unserer Ankunft war ein Reiter zugegen gewesen und rasch ins Innere abgesprengt. Nun kam dieser zurück, einen Bogen Papier und einen Bleistift in der Hand, und jener feine wohlfrisirte Kavalier richtete höflich an uns das Ersuchen, ihm unsere Namen zu notiren, er schreibe Berichte an die in Honolulu erscheinende hawaiische Zeitung, und er könne ihr das wichtige Ereigniss unserer Landung bei ihm nicht vorenthalten. Mit Vergnügen willfahrten wir diesem interessanten Mann der Presse.

Drei Stunden später näherten wir uns, von einer plötzlich aufgesprungenen munteren Brise vorwärtsgetrieben, der Hauptstadt der Insel Maui, Lahaina, wo wir abermals ausstiegen.

Lahaina hat vielleicht 500 Einwohner und liegt auf einer grünen Zunge, die sich aus wüsten und kahlen Höhen in die See herausstreckt. Die Häuser sind klein und malerisch unter Palmen und Bananen verborgen. Vorne am Hafen steht in der Sonnenhitze ein alter Thurm und ein grösseres Regierungsgebäude. Wir wollten Wassermelonen kaufen und Kaffe trinken. Da es hier zwar mehrere chinesische Speisespelunken aber kein Hotel giebt, so wurden wir von einem sehr artigen städtisch gekleideten Kanaka, der nebst einer Menge Neugieriger uns bewillkommnend herbeieilte, zum Bäcker des Ortes geführt, welcher einer der wenigen ansässigen Weissen war. Diese Hawaiier sind alle von der grössten uneigennützigsten Zuvorkommenheit.

Das Erste was ich erblickte, als wir beim Bäcker eintraten, war das Porträt Ludwigs II. von Baiern, ein Holzschnitt aus irgend einer illustrirten Zeitung, welcher an der Wand klebte. Ich befand mich in dem Hause eines engeren Landsmanns, der alsbald dick und schwerfällig, eine echt baierische Bäckergestalt, aus dem Hintergrund sich hervorwälzte.

Wie sein Name hiess, weiss ich leider nicht mehr. Es war schwer aus dem alten, schweigsamen Kauz etwas herauszubringen. Deutsch oder vielmehr Baierisch hatte er theilweise vergessen, Englisch wohl nie recht gelernt, obgleich er früher in Kalifornien Gold gegraben. Mit dem Hawaiischen, dem Idiom seiner Gattin, gings vielleicht besser, Hawaiisch aber verstand ich nicht. Er begriff erst nach einiger Zeit, dass ich aus München sei, erinnerte sich langsam, dass auch er einmal dort gewesen und sogar noch Verwandte dort habe. Allmälig thaute er auf und zeigte mir einen Brief seiner Schwester, der schon mehrere Jahre alt war, und frug mich, ob ich sie nicht vielleicht kenne, sie habe früher beim Lotzbeck gedient, der den vielen Schnupftabak mache. Ich schrieb mir die Geschichte in mein Notizbuch, und als ich später einmal in München von den Sandwichinseln sprach, wurde mir von jener Köchin erzählt, die nun todt ist, und deren Kinder vor Kurzem über das Meer gegangen sind, um ihren Onkel den Bäcker von Lahaina aufzusuchen und sein Geschäft zu übernehmen. Denn seine Ehe ist ohne Frucht geblieben.

Nachdem wir Kaffe und eine heimliche unerlaubte Flasche Bremer Bier von derselben Sorte wie auf dem Vulkan Kilauea getrunken, schüttelten wir dem Landsmann die Hand und fuhren wieder ab.

Wir hatten eben etwa zehn Minuten gerudert und auf die Langsamkeit unserer Reise geschimpft, da kam unerwartet schnell viel mehr Wind als wir brauchten. Der Kanal zwischen den Inseln Maui und Molokai öffnete sich, der Passat fegte stürmisch darüber hin, die Wogen gingen höher und höher und warfen unser Boot auf und nieder, dass es verdächtig in unserer zweifelhaften Takelage krachte. Ueberall war die See weiss von dem Gischt der Wellenkämme. Hoch empor schäumte das Wasser vorne am Steven, grobe Sprühregen über uns giessend, und nach links und nach rechts gierte das Boot unter dem Druck des Steuers, welches nun der Kapitän ergriffen hatte. Der sonst so laszive Kerl musste mir jetzt imponiren. Er bot das schönste Bild eines entschlossenen, scharf nach allen Vortheilen spähenden Mannes, der mit den Elementen um sein und unser Leben kämpfte. Mit grosser Geschicklichkeit verstand er, den höheren Wellen auszuweichen, und oft furchte sich besorgnissvoll seine Stirne. Die Fahrt wurde bedenklich. Bats und ich, wir sprachen kein Wort, jeder von uns fühlte vielleicht etwas wie Reue über unser Wagniss. Ich wusste nicht, sollte ich wünschen dass das Segel aushielt und uns nach Honolulu brachte, oder dass es lieber reissen und uns dadurch vom Kentern bewahren möchte. Vorne auf den schräg ansteigenden Sandflächen des Ufers von Molokai zeigten sich zuweilen eigenthümliche Säulen wie von Rauch oder Sand, die sich fortbewegten, und ich erinnerte mich gelesen zu haben, dass hierzulande Windhosen ziemlich häufig seien. Waren es solche, und geriethen wir zufällig in ihr Bereich, so hätten sie uns wahrscheinlich nicht lange am Leben gelassen. Wir behielten sie sorgsam im Auge, aber sie verschwanden je mehr wir uns näherten. Der Himmel war seltsam düster. Eine blauschwarze Bank stieg über Molokai auf, rostrothe geballte Wolken flogen vor ihr her und bildeten einen grellen Gegensatz zu ihrem unheimlichen Dunkel.

Nach vier ziemlich unangenehmen Stunden endlich, während deren kaum ein Laut geäussert wurde, höchstens dass unsere Mannschaft zuweilen Rufe ausstiess, als ob sie die Wogen beschwören wollte, kamen wir unter Land, in ruhigeres Wasser und mässigeren Wind. Wir athmeten erleichtert auf, und sofort begann beim Kapitän auch wieder die Laszivität. Er übergab das Steuer und holte wieder die Hula Hula-Rassel hervor, um zu rasseln und zu singen und unzüchtige Geberden zu machen.

Noch hatten wir den breitesten Kanal offener See zwischen Molokai und Oahu zu bestehen, ehe wir in Sicherheit waren. Wir erreichten diesen, als eben die Sonne unterging, und jenseits des Abendrothes der Vollmond glühend emporstieg. Der Wind war hier nicht mehr so heftig. Die See ging zwar hoch, aber nur wenige Schaumkämme zeigten sich auf den Wellen. Trotz der herrlichen Mondnacht konnten wir unser Ziel, die fernen Massen der Insel Oahu, welche Gewölk überlagerte, nur eben noch erkennen. Endlich hellte es vorne ein wenig auf, und die kahlen Wände von Diamond Head traten deutlicher vorne als Richtpunkt heraus, immer höher und höher rückend. Eine Viertelstunde nach der anderen verging, wir glaubten Diamond Head greifen zu können, und immer noch war es fern und wollte nicht näher kommen, obwohl wir nicht weniger als sieben Meilen die Stunde segelten. Ich werde diesem Wahrzeichen von Honolulu, das wir müde der gewagten Fahrt so heiss herbeisehnten, nie vergessen, wie es uns damals neckte.

Nachts um Ein Uhr kamen wir glücklich nach Honolulu, nachdem wir bei Waikiki uns noch eine Weile zwischen den Riffen verirrt hatten. Wir lauschten und hörten einen einsamen Kanaka in seinem Kanuu dem Ufer entlang rudern, wir riefen ihn an, und er brachte uns wieder auf den richtigen Weg, ohne dass wir ihn erblickten. Kurz vorher war ein grösseres Fahrzeug mit einem rothen Licht weit draussen in Sicht gewesen, welches nur der Dampfer Kilauea sein konnte. Er war also doch nicht zu Grunde gegangen.

Tiefe nächtliche Ruhe lag über den Schiffen des Hafens, als wir dem Kai zuruderten. Ein Posten rief uns an, woher wir kämen und ein »Oh« des Erstaunens entschlüpfte ihm, als wir »von Hilo« antworteten. Der ganze Zauber einer tropischen Mondnacht erfüllte die stillen Strassen und Gärten Honolulus. Ferne schmachtende Gesänge liessen sich leise vernehmen, und ein Liebespaar, blumenbekränzt und eng umschlungen, sie den Arm um seine Hüften und er um ihren Hals, wandelte schwebenden Schrittes nach Hause, als wir dem Hotel zustrebten, um den Wirth aus dem Bett zu trommeln.

Der Kilauea war wirklich nicht zu Grunde gegangen, er hatte nur einen Sprung in seinen alten Kesseln erlitten und nach dessen Reparatur den Dienst wieder aufgenommen. Drei Tage später brachte er unsere Reisegenossen, die in Kohala geblieben waren. Wir beide, Bats und ich, hatten somit viel Geld und Wagniss umsonst geopfert. Die Verwaltung des Kilauea gab uns indessen die Hälfte des bereits vorausbezahlten Dampferfahrgeldes zurück, übernahm unentgeltlich die Rückbeförderung unseres Walbootes nebst Mannschaft, wozu sie durchaus nicht verpflichtet gewesen wäre, und lieferte damit ein Beispiel seltener Anständigkeit, die man von europäischen oder amerikanischen Dampfergesellschaften wohl niemals erwarten dürfte.

XXII.
LETZTE TAGE IN HONOLULU.

Das Walboot und der Stadtklatsch der Honoluluianer. Audienz beim König. Festliche Zurüstungen. Bad im Kapena. Tanzvergnügen. Der Deutsch-englische Klub. Besuch verschiedener Kirchen. Die Missionäre.

Den nächsten Tag wusste ganz Honolulu um unsere Bootfahrt. Alles wunderte sich und staunte uns an. Wir kamen in die Zeitung, und im Hotel und auf der Strasse frugen die Leute uns unaufhörlich, ob es nicht furchtbar gefährlich gewesen sei. Kamehameha der Grosse hat eine starke Armee auf gebrechlichen Kanuus von einer Insel zur anderen gebracht, die jetzige Generation ist durch Dampfer und Schuner schon so verweichlicht, dass sie vor solchem Wagniss zurückschreckt.

Wir und das Walboot wurden das stehende Thema und wir wurden nervös, von nichts als von dem Walboot zu hören. Wir besuchten einen Beamten im Governementsgebäude und sahen bei ihm zum ersten mal eine amerikanische Schreibmaschine. Bemüht uns gefällig zu sein setzte er sich sofort an das Instrument und fingerte in die Tasten: »These Gentlemen have come in an open Waleboat from« – wir hatten genug von seinen Künsten und dankten. Als wir bald darauf dem König Kalakaua vorgestellt wurden, war das Walboot wieder das Erste, wovon Seine Majestät sprach. Die Fama knüpfte indess an dieses Thema weitergehende abenteuerliche Geschichten. Ein Herr der mich nicht kannte erzählte mir bei Tisch allen Ernstes, es seien in der gestrigen Nacht zwei Europäer unter sehr verdächtigen Umständen gelandet und von der Polizei in Gewahrsam genommen worden, und bei den Eingeborenen galten wir für Parteigänger der Königin Emma, der halbweissen Wittwe Kamehamehas IV., welche viel Sympathien geniesst und deren Rehabilitirung von den Gegnern des jetzigen Königs noch immer gehofft zu werden scheint. Es war mehr als ermüdend, von nichts anderem als von dem Walboot und all den Versionen darüber reden zu hören. Honolulu ist eben eine richtige Kleinstadt, und da es keine telegraphische Verbindung mit der übrigen Welt hat, müssen sich die Leute dort von einem Schiff zum anderen mit dem Lokalklatsch unterhalten.

Dank der Zuverlässigkeit des Nordostpassats gibt es zwischen Honolulu und San Francisco noch eine vierwöchentliche Post per Segelschiff, welche meist in der Mitte zwischen zwei Dampferposten eintrifft. Zum Glück erschien am zweiten Tage eine solche und brachte nebst Briefen auch einige Blatternfälle, die uns als Unterhaltungsstoff ablösten.

Der König hat zwei Schwestern, welche beide an englische Kaufleute verheirathet sind. Die eine heisst Missis Dominis, die andere Missis Gleghorn. Nachdem mittlerweile der zwanzigjährige Kronprinz gestorben, ist Missis Dominis präsumptive Thronfolgerin geworden und ihr Mann, der einen Laden für Alles in Honolulu hat, präsumptiver Prince Consort. Der Hof mischt sich hier überhaupt sehr demokratisch mit den bürgerlichen Elementen. Ich lernte zum Beispiel einen jungen Amerikaner kennen, der bei feierlichen Gelegenheiten als Flügeladjutant in goldgestickter Uniform mit breiter Schärpe, Degen und Generalshut neben Majestät reitet, an gewöhnlichen Wochentagen aber als Komptorist bei einer grösseren Firma beschäftigt ist.

Mister Gleghorn hatte die Güte, uns bei seinem königlichen Schwager einzuführen. Wir warfen uns in schwarzen Anzug, obwohl dies eigentlich gar nicht nothwendig gewesen wäre, und betraten das Innere der grossen Residenzmauer durch eines der vier Thore, hinter welchem ein Gardesoldat auf Posten stand und vor Mister Gleghorn, der sein zwangloses Ladenzivil trug, das Gewehr präsentirte. Durch eine schattige Allee gelangten wir zu mehreren niederen anmuthigen Gebäuden im Verandastyl, wo abermals ein Gardist aber ohne Gewehr stand und die Hand salutirend an die Mütze legte.

Im Hintergrunde erschien eine auffallend hübsche Kammerzofe oder Prinzessin oder Favoritin, guckte uns neugierig an und verschwand sogleich wieder. Ein kokettes, schiefsitzendes Watteauhütchen beschattete das braune Gesichtsoval, die grossen glühenden Augen und das blauschwarz herabquellende Haar, ein leichtes Hemd flatterte um ihren klassischen Körper, und leicht und barfüssig tänzelte sie geschmeidig vorbei. Es war die hinreissendste Kanakin, die wir jemals gesehen. Leider währte die holde Erscheinung nur einen Augenblick. Mister Gleghorn hatte den Kämmerer geholt, und dieser, ein alter Mann vom Typus eines deutschen Schlosskastellans und ehemaligen Unteroffiziers, führte uns in das Empfangszimmer des Königs. Kaum hatten wir uns in dem elegant tapezierten und möblirten Gemach umgesehen, als Seine Majestät eintrat.

Folgendermassen lautet das Signalement Kalakauas. Haare schwarz, gekräuselt und links gescheitelt, Schnurrbart, Kotelettes und Mücke, ausrasirtes Kinn, Lippen voll, Nase voll und etwas gebläht, Augen dunkelbraun und mandelförmig geschlitzt, Gesicht breitknochig, Farbe ein sattes Hellbraun. Er ist ein grosser und starker Mann mit mehr gutmüthigen als geistvollen Zügen, und war von Kopf bis zu Fuss in blendendes Weiss gekleidet wie ein echter Amerikaner des Südens. Er reichte uns echt amerikanisch die Hand zum Grusse, während wir vorgestellt wurden, dann nahmen wir Stühle aus Strohgeflecht und setzten uns alle vier um einen runden Tisch. Kalakaua sprach langsam aber vollkommen fliessend und korrekt Englisch und benahm sich als tadelloser Gentleman.

Das erste Thema war auch hier unsere Fahrt von Hilo in dem Walboot, das zweite der altersschwache Kilauea und die Nothwendigkeit eines neuen Dampfers, welche Majestät betonte, vielleicht um zu zeigen, dass Sie das Regieren verstehe, die Bewunderung Ihres schönen Landes und unser Bedauern es bald verlassen zu müssen das dritte. An diese reihten sich die Schwimmkünste Ihrer Unterthanen, Haifische, die Unfreundlichkeit unserer Heimath und der kalte Winter des Nordens. Ich frug, ob Majestät jemals schon Schnee und Eis auf den Strassen gesehen habe, und Sie versicherte fast beleidigt über meinen Zweifel, einen ganzen Winter in New York und anderen Städten des amerikanischen Ostens zugebracht zu haben. Und als Bats frug, ob Majestät nicht auch einmal Europa besuchen wolle, zuckte Sie lächelnd die Achseln wie um zu sagen: »Ich möchte wohl, aber Ich habe kein Geld«.

Jedenfalls würde sich Kalakaua an europäischen Höfen anständiger und ebenbürtiger aufgeführt haben, als jener Schah von Persien, der überall Spuren seiner unsauberen Gewohnheiten zurückliess. Ich erinnerte mich jetzt, dass ich damals selbst in Amerika war und alle Witzblätter voll von Menschenfresserkarrikaturen des Hawaiischen Potentaten fand, desselben, den ich nun als vollendeten Gentleman kennen lernte. Ueber seine Regentenweisheit wird allerdings in Honolulu viel geschimpft. Aber wo auf der Erde geschieht dies nicht? Beachtenswerth war mir namentlich eine Aeusserung, welche er über die oft in Reisebeschreibungen aufgetischten Wasserkämpfe der Eingeborenen mit Haifischen machte. Er sagte, dass er solche Geschichten nicht glaube, und wahrscheinlich verhält es sich hiermit wie mit vielen anderen Mährchen, die wir den Seeleuten verdanken.

Nach diesem interessanten Besuch, den wir eigenmächtig beendeten, ohne des Königs gnädiges Zeichen hierzu, das er vielleicht nie gegeben hätte, abzuwarten, benützten wir die Gelegenheit, das Innere des grossen ummauerten Residenzblocks zu rekognosziren. Ausser ein paar schattigen Alleen und den Anfängen von Gartenanlagen war kein besonderer fürstlicher Schmuck zu bemerken. Am anderen Ende eines grossen viereckigen Platzes war man mit dem Aufschlagen von Gerüsten und Dekorationen für ein grosses Freudenfest beschäftigt, welches gegeben werden sollte, sobald die offizielle Bestätigung des Handelsvertrages mit den Vereinigten Staaten eingetroffen sei. Ein riesiges Wappen des Hawaiischen Königreiches wurde eben festgenagelt.

Ins Hotel zurückgekehrt kleideten wir uns um und fuhren dann das Nuuanu-Thal hinauf, um beim Kapena-Wasserfall zu baden. Der Kapena, ein Nebenbach des Nuuanu, hat hier hinter dem Mausoleum einen kleinen aber in der Mitte ziemlich tiefen Tümpel ausgehöhlt, aus dessen Rand ein etwa 15 Meter hoher senkrechter Felsen emporragt. Von dieser bedeutenden Höhe herab ins Wasser zu springen ist die Lieblingsunterhaltung der vielen Jungen und Mädchen, die sich fast beständig dort schreiend herumtreiben. Die kleinen Körper zittern und biegen sich deutlich, wie von der Gewalt des Sprunges erschüttert, während sie hinunter stürzen. Dabei ist die genügende Tiefe so eng begrenzt, dass sie sich oben kräftig abschnellen müssen, um in dem richtigen Bogen gerade das Zentrum zu treffen. Springen sie zu kurz oder zu weit, so zerschellen sie an den zahlreichen scharfkantigen Klippen der seichteren Stellen.

Nach dem Bade liessen wir uns an Bord des englischen Kanonenbootes »Myrmidon« übersetzen, dessen Offiziere wir im Honolulu-Klub kennen gelernt hatten. Ich wollte danach auch der gleich nebenan liegenden amerikanischen »Lackawanna« einen Besuch machen, aber mein Gefährte Bats hielt es für unvereinbar mit seinen britischen Gefühlen, einen Yankee zu betreten, und so fuhren wir wieder nach Honolulu zurück.

Am Abend folgten wir der Einladung einiger ansässigen Weissen und besuchten mit ihnen ein Tanzlokal für die eingeborene Jugend in Kapalama, in welchem aber nicht etwa Hula Hula sondern nur europäische Tänze geübt werden. Die braunen Mädchen waren alle so schüchtern gegen uns, dass wir bald wieder weggingen, um die armen Dinger nicht länger in ihrem Vergnügen zu stören.

Die kurze Zeit, die uns noch auf Hawaii zu verleben vergönnt war, schwand uns aufs Angenehmste in Gesellschaft deutscher und englischer Landsleute. Im Honolulu-Klub, in welchem diese beiden Nationen sehr kordial zusammenleben, gab es für mich eine Menge Zeitungslektüre nachzuholen. Aus der Kölnischen Zeitung entnahm ich mit grosser Genugthuung, dass im Deutschen Reich mittlerweile die Kulturepoche des Kri Kri und des geschundenen Raubritters angebrochen war.

Um auch den wichtigen Faktor der Religiosität, der in der Geschichte des Hawaiischen Inselvölkchens eine so grosse Rolle spielt, nicht zu vernachlässigen, besuchte ich eines Sonntags verschiedene Kirchen. Das Glockengebimmel hatte den ganzen Morgen nicht aufgehört und erinnerte sehr an erzkatholische Städtchen bei uns, nur dass es aus lauter Diskantstimmen zusammengesetzt und kein einziger tieferer Ton darunter zu hören war.

Von nah und fern strömten Fussgänger, Reiter und Wagen zum Gottesdienst heran, und um alle Bäume vor den Kirchthüren waren Pferde gebunden. Vornehme hawaiische Damen wandelten, stolz das Haupt erhoben und mit unübertrefflicher Grandezza, in ihren schwarzen taillelosen Talaren, schwarze Sonnenschirmchen in den elegant behandschuhten Händen, über die Strasse, und hinter ihnen trugen Dienerinnen die grossen Gebetbücher mit goldenem Kreuz. Man sieht zuweilen klassisch schöne Gestalten unter diesen Weibern, und ihr freier aufrechter ungezwungener Gang verleiht ihnen ein hohes Mass natürlicher Würde – so lange sie schweigen. Oeffnen sie die sinnlich üppigen Lippen um zu sprechen oder zu lachen, so sind sie wieder die alten rohen Barbarinnen. Der Schnitt ihrer Züge ist in der Ruhe oft stylvoll und grossartig, er entspricht dann weniger dem Geschmack unserer Modejournalkünstler als dem Genius eines Michel Angelo. Leider dauert bei ihnen die Schönheit nicht lange, und ist die erste Jugendfrische vorüber, so werden sie fett und schwammig.

In helleren Gewändern und blumenbekränzt gallopirte die Landbevölkerung herein, Mädchen und Frauen alle rittlings im Sattel, nicht immer sehr graziös und ohne sich viel zu kümmern, ob die langen Hemden die feinen Stiefeletten und weissen Strümpfe bedeckten. Das grosse rothe Tuch, welches sie ehemals um die Beine zu schlingen und malerisch hinten nachflattern zu lassen pflegten, scheint aus der Mode zu kommen. Ich habe es nur zwei oder dreimal gesehen. Sie springen ziemlich ungenirt vom Pferde und begeben sich schwatzend von dannen, um Freunde zu begrüssen.

In der Kawaiahao Kirche, in deren Hof das Mausoleum Lunalilos steht, hoffte ich nebst dem König auch die Königin zu sehen. Das versammelte Volk plauderte laut und fröhlich, da der Gottesdienst noch nicht begonnen hatte, und das anmuthige Spiel der Fächer, hinter denen wieder die bekannten grossen glühenden Augen funkelten, wogte unruhig über die Menge. Man bot mir freundlich einen Platz in der Nähe der königlichen Loge an. Die Majestäten kamen jedoch heute nicht. Ich ging nun in die katholische Kirche, in der ein Hochamt zelebrirt wurde. Das Publikum dieser schien vorwiegend den ärmeren Klassen anzugehören, und nicht nur auf den Altären, sondern auch in den Gewändern herrschten die freudigeren Farben des Katholizismus.

In der Kapelle des anglikanischen Bischofs sah ich fast nur Weisse. Eine Abtheilung Matrosen des englischen Kanonenbootes füllte die Hälfte des bescheidenen Raumes, der dafür eine um so grössere Zahl von Ober- und Unterpriestern entfaltete. Des ewig wechselnden Aufstehens und Niederknieens das dieser Ritus erfordert war ich bald müde und ich drückte mich wieder von dannen. Zum Schluss machte ich noch bei einer anderen frommen Gesellschaft Besuch, die ihr einfaches schmuckloses Haus in der Nähe des Chinesenviertels hat. Es waren dort nur Eingeborene zu sehen. Ein presbyterianischer Reverend aus Amerika in schwarzem Frack und weisser Kravatte hielt eine Hawaiische Predigt, dann sang die Gemeinde mit vollen und kräftigen Stimmen einen schönen Gesang, welcher mir wieder Zeugniss ablegte von der grossen musikalischen Begabung dieser Kanakas. Nur die Weiber haben zuweilen etwas zu wilde gellende Stimmen gleich unseren süddeutschen Bäuerinnen.

Wie allenthalben in der Südsee wird auch in Hawaii von den Kaufleuten den Missionären viel Schlimmes nachgesagt und behauptet, dass sie sehr geldgierig seien. In wie fern derartige Aeusserungen berechtigt waren, konnte ich bei der kurzen Dauer meines Aufenthaltes natürlich nicht beurtheilen. Auffallend war mir, dass dieselben sich stets nur auf Missionäre der verschiedenen angloamerikanischen Sekten bezogen, während über die katholischen, meist französischen Missionäre stets nur Lobeserhebungen ihrer Uneigennützigkeit zu hören waren. Diese Beobachtung drängte sich mir nicht blos in Hawaii, sondern auch in Viti und in Neuseeland auf. Die geringere Macht und in Folge dessen vielleicht eine geringere Geschäftsbeeinträchtigung von Seiten des Katholizismus dürften zur Erklärung nicht ausreichen.

XXIII.
VON HONOLULU NACH SAN FRANCISCO.

Abschied von den glücklichen Inseln. Die Zealandia und ihre Gesellschaft. Unsere schöne Hellena, der alte Schiffsdoktor und eine interessante Geschäftsreisende. Langweile und Kriegsgerüchte. Ankunft des Lootsen. Das Goldene Thor.

Die Zealandia, welche uns nach San Francisco bringen sollte, war erst am 12. September von Australien her fällig. Insgeheim hofften wir, dass sie sich wie gewöhnlich einen Tag verspäten möchte. Aber schon am Morgen des 11. September wurden wir sehr unangenehm durch die Nachricht überrascht, dass sie in Sicht sei.

Wir beeilten uns schleunig einzupacken, Photographien zu kaufen und Abschied zu nehmen. Zum Glück hatte der Kapitän ein Einsehen und verschob die anfänglich für denselben Nachmittag festgesetzte Abfahrt auf morgen. Die Passagiere strömten natürlich wieder schaarenweise an Land, doch nur wenige kamen ins Hotel zum Dinner, was wir als ein günstiges Symptom in Betreff der Zealandia Küche auffassen zu dürfen glaubten. Und wie die Folge lehrte hatte es damit seine Richtigkeit.

Es ist immer schmerzlich, sich von einem Ort losreissen zu müssen, in dem man sich eingelebt hat, namentlich wenn sich an ihn so viele angenehme Erinnerungen knüpfen. Wir waren in Honolulu trotz des kurzen Aufenthalts nicht nur mit den Weissen sondern auch mit den Eingeborenen schnell vertraut geworden, und fast jedes Obstweib, jedes Mädchen auf der Strasse, jeder Pferde verleihende Strolch, kurz das ganze fröhliche, blumenbekränzte Gesindel stand mit uns bereits auf dem freundschaftlichsten Fuss intimer Begrüssung, so oft wir uns begegneten. Zum letzten mal tauschten wir nun mit all diesen liebgewordenen Bekannten unser »Aloha«, während wir nach dem Hafen fuhren.

Ein reizend frischer Morgen lag über den Gärten Honolulus, als die Zealandia pünktlich zur festgesetzten Stunde vom Kai und seiner grellbunten Volksmenge, die Tücher schwingend uns glückliche Reise nachrief, sich löste.

Auch der König hatte sich eingefunden, Zeuge unserer Abfahrt zu sein. Er stand etwas abseits vom grössten Gewühl neben einer eleganten Kalesche, deren Pferde ein Kutscher in Jockeylivree hielt. Sonst hatte er keinen Begleiter. Er sah der Zealandia nach, bis sie langsam über die Riffbarriere gesteuert war. Ein paar Dutzend nackter und schreiender Jungen schwammen zu beiden Seiten des Dampfers mit hinaus und bettelten um Münzen, die sie im Sinken unter dem Wasser erhaschten, ohne die mögliche Anwesenheit von Haien zu fürchten.

Sobald wir die offene See erreicht hatten, wendeten wir uns nach links, gingen im Bogen um Oahu herum, zwischen Oahu und Molokai hindurch, und schlugen dann den Kurs nach San Francisco ein, schnurgerad dem Nordostpassat entgegen.

Wieder glitten die hell blinkenden, gefurchten Wände von Diamond Head, die uns auf jener denkwürdigen nächtlichen Bootfahrt so gespenstig entgegengegrinst, vorüber. Je mehr wir von der feuchten Passatseite Oahus zu sehen bekamen, desto grüner wurde die Insel, desto mehr wichen die dürrgebrannten Flächen aus der Landschaft. Immer undeutlicher wurden die Palmen und die struppigen Hütten am Ufer, der eigenthümliche Silberglanz der Kukuibüsche auf den Höhen. Bald waren nur mehr die blauen Umrisse der Berge sichtbar. Rechts hinter uns tauchte noch auf kurze Zeit die gewaltige Pyramide des Haleakala aus den Wolken, aber rasch legte sich ein feiner duftiger Schleier über ihn und verbarg ihn. Mit dem wehmüthigen Gefühl, dass ich wohl nie mehr diese glücklichen Inseln betreten sollte, blickte ich zurück, bis sie entschwunden waren. Es ging jetzt wieder nach Nord, einem rauheren Klima, dem Zwang europäischer Uebertünchtheit entgegen, und es war mir zu Muth wie ehemals als Schuljungen am Ende der Ferien.

Die Kajüte hatte sich in Honolulu aussergewöhnlich stark gefüllt. Mehrere kindergesegnete Strohwittwen von Offizieren der so lange dort stationirt gewesenen und nun abberufenen amerikanischen Fregatte Lackawanna und einige auf Hawaii ansässige Kaufleute und Plantagenbesitzer, die der jüngst abgeschlossene Zuckervertrag nach San Francisco führte, waren mit eingestiegen. Nicht minder machten sich auf Deck für tausend Dollars Bananen aus Honolulu bemerklich und schmälerten den ohnehin schon hinlänglich knappen Raum. Alle Geländer, Kommandobrücken, Gallerien und Rettungsböte hingen voll von meterlangen in Blättern verpackten Aehren derselben.

Die Verpflegung war jetzt unter englischer Flagge wieder erträglich und jedenfalls sehr viel besser als die niederträchtige Knauserei unter den amerikanischen der Cities of New York und of San Francisco, obgleich die Küche englischer Schiffe im allgemeinen sich keiner grossen Berühmtheit erfreut. Man bekam jetzt wenigstens wieder ein ordentliches Stück Fleisch, anständigen Thee und reines, gekühltes Wasser. Die Zealandia war überhaupt das beste Schiff unter den dreien, mit denen ich den Pacific kreuzte, wenn sie auch nicht so amerikanisch bombastisch aufgeputzt war wie die anderen. Sehr schnell lief sie freilich ebenfalls nicht, und wir erreichten auch mit ihr nie 300 Seemeilen im Tage. Die Mannschaft bestand zum grössten Theil aus Weissen. Nur die Heizer, diese unglückseligen Sklaven der Maschinenhölle, waren lauter Chinesen. Die Stewards liessen an Aufmerksamkeit nichts zu wünschen, die weissen wenigstens. Die zwei unwirschen Chinesen, die darunter waren, durften nicht bis an die Tische kommen. Beständig zankten sich ihre boshaften Mongolengesichter. Das ganze Schiff, welches in Greenock das Licht der Welt erblickt hatte, sprach für die Ueberlegenheit englischer Schiffsbaukunst über die amerikanische. Der Salon lag zwar auch hier im Zwischendeck, war aber ausgezeichnet ventilirt und hatte eine grossartig aussehende Kuppel, die durch die beiden oberen Decke emporragte.

Nur Schade, dass man im Salon eigentlich nie Ruhe hatte um zu lesen oder zu schreiben. Denn den ganzen Tag sassen musikbeflissene Ladies am Piano und klimperten und sangen, um sich für die täglichen Abendkonzerte vorzubereiten. Nirgends mehr auf dem Erdball ist man vor dieser Modemanie schlechter Musizirerei sicher.

Unsere Gesellschaft bestand zum grösseren Theil aus australischen Engländern, zum kleineren aus Amerikanern. Auch ein paar deutsche Landsleute waren vorhanden. Den Mittelpunkt des Salons bildete eine auffallend blondhaarige Operettensängerin aus San Francisco, die als schöne Hellena gepriesen wurde und eben von einer australischen Kunstreise befriedigt zurückkehrte. Sie hatte einige sehr verfängliche Augenblitze, ein noch verfänglicheres Lächeln bei halbgeschlossenen Lidern und eine vielsagende Bewegung des Beines, mit der sie die rauschende Schleppe herumwarf und die an das geschlitzte spartanische Gewand erinnerte, in ihrem Repertoir, wodurch sie auf einige ältere Herren eine bedeutende Anziehungskraft übte. Nur an dem einen echt englisch begangenen Sonntag ruhten alle ihre Künste, und während des Gottesdienstes, den der Kapitän dirigirte, war es interessant die blonde Schlange zu beobachten, wie sie zerflossen in heiliger Inbrunst magdalenenhaft sich hinwarf und, vollständig entrückt in höhere Sphären, aufzustehen vergass, als die Feier zu Ende war.

Die Abendandacht dieses Sonntags musste der Schiffsarzt leiten, ein alter weissbartiger Mann von sechzig Jahren. Man sagte, er sei früher in Victoria ein wohlhabender Squatter und mehrere tausend Schafe werth gewesen, aber unglückliche Spekulationen hätten ihn ruinirt und genöthigt, als nautischer Aeskulap sein kümmerliches Brod zu verdienen, da er in seiner Jugend Medizin getrieben. Am Morgen war vom Kapitän Musterung der ganzen Mannschaft wie auf einem Kriegsschiff abgehalten worden.

Als ziemlich isolirter Salonpassagier befand sich ein feiner Chinese aus San Francisco an Bord, der sich bald an uns anschloss, als er sah dass wir freundlich mit ihm waren. Dies geschah unsererseits weniger aus allgemeiner Menschenliebe, als hauptsächlich in der schnöden Absicht, durch ihn in die Geheimnisse des Chinesenviertels von San Francisco eingeführt zu werden. Er war anfangs ein wenig schüchtern, mit der Zeit aber wurde er dreister, und schliesslich legte er im Rauchzimmer seine Beine mit demselben Bewusstsein auf den Tisch als ob er ein Eingeborener der Vereinigten Staaten gewesen wäre.

Im Zwischendeck trieb sich eine schon ziemlich verwitterte Weibsperson herum, welche meine Aufmerksamkeit erregte, indem sie viel mit den chinesischen Heizern verkehrte und geläufig das englisch-chinesische Kauderwälsch zu sprechen schien. Sie war das Urbild von Gemeinheit und Smartness und gehörte zu einer besonderen Varietät des pazifischen Europäerabschaums. Es sollen nämlich hier nicht selten weisse Frauenzimmer von einer Insel zur anderen vagabundiren, um sich bei heterogenen Rassen einem gewissen kosmopolitischen Erwerbszweig hinzugeben, nachdem sich ihre nur mehr im Kontraste der Hautfarbe bestehenden Reize sonst nirgends mehr verwerthen lassen. Unsere Reisegefährtin nun hatte eben die hawaiische Inselgruppe in solcher Art bereist und rühmte sich, glänzende Geschäfte bei den Kanakas gemacht zu haben. Vorher hatte sie in Peru und in China geabenteuert. Welch interessante Geschichte stak in dieser Person.

Die meisten der männlichen Passagiere vertrieben sich die Zeit mit Kartenspielen um hohe Einsätze, und ein alter knurriger Kauz rannte beständig von einem zum anderen, um Lotteriezettel zu verkaufen und Gewinnste zu verloosen. Da ich an diesen Unterhaltungen keinen Geschmack fand, und weder Lektüre noch Ruhe zum Schreiben vorhanden war, fühlte ich die Langweile des Schiffslebens doppelt empfindlich, und das Reisen zur See wurde mir wieder recht sauer. Wie ganz anders war es auf der Euphrosyne gewesen, als ich meine eigene Kammer, meine Bücher und sonstigen Sport hatte, trotz dem ewigen Salzfleisch. Jetzt musste ich die kleine Passagierkabine mit einem Anderen theilen, und dieser Andere hatte die leidige Gewohnheit, Abends wenn wir zu Bett gingen immer betrunken und redselig zu sein und die ganze Nacht unausstehlich zu schnarchen.

Man sprach viel von einem möglicherweise bereits ausgebrochenen Krieg zwischen England und Russland, da die letzten Nachrichten aus Europa, die die Zealandia von Sydney, ihrem letzten Telegraphenpunkt, erhalten hatte, sehr kriegerisch lauteten. Alle erdenklichen Konjekturen wurden von der müssigen Phantasie so vieler Müssiggänger daran geknüpft, und manche sahen schon ganz Europa in Flammen. Wir Deutsche wussten allerdings nicht, ob es noch der Patriotismus erlaubte, in das stereotype »God save the Queen«, welches jeden Abend das Konzert beschloss, mit einzustimmen. Der Wunsch, sie »glorious« zu sehen, konnte bereits Vaterlandsverrath sein.

Unter dreissig Grad nördlicher Breite, als es bereits ziemlich kühl war, erschienen zu meinem grössten Erstaunen ganz unzweifelhafte Albatrosse draussen über dem Wasser. Ich war immer der Meinung gewesen, dass diese Vögel auf die südliche Hemisphäre beschränkt seien, und in fast allen zoologischen Büchern wird dies behauptet. Es waren deutlich und unverkennbar Albatrosse, die dicht hinterm Schiff nach Abfällen spähend hin und her kreuzten. Ganz derselbe zusammengesetzte Schnabel, dasselbe Profil, derselbe Flug, dieselben kurzen schwach geknickten Flügelspitzen, mit denen sie die Kämme der Wellen ritzten. Sie gehörten einer etwas kleineren Spezies an, braun mit schwarzen Flügeln, weissliche Ringe um die Augen und um den After. Als ich in San Francisco Woodwards Museum besuchte, fand ich ausgestopfte Exemplare die mich überzeugten, dass ich mich nicht getäuscht.

Ein grosser Ball, gegeben vom Kapitän und den Offizieren, sollte das Ende der Reise, dem wir uns näherten, am 18. September festlich begehen. Der Salon war aufs Prächtigste mit Flaggen ausgeschlagen, alle Tische und Bänke waren entfernt, und die Ladies hatten sich mit den heitersten Farben geschmückt. Aber das Wetter verdarb den Abend. Die See wurde unruhig, und das Schiff begann in einer Weise zu rollen, dass es den Klavierspieler von seinem Sitze warf, und die tanzenden Paare sich begnügen mussten in stehender Umarmung gegen die Bewegungen des Bodens anzukämpfen, was übrigens nicht ohne Reiz sein mochte.

Am Nachmittag des 19. September begrüsste uns ein echt kalifornischer Nebel und hielt uns auf, so dass wir erst einen Tag später als wir gehofft nach San Francisco kommen konnten.

Wir waren nahe den Farrallones Inseln, und Alles lag voll von Fischern. Am Morgen hatten wir einen solchen passirt, als er eben beschäftigt war, einen erbeuteten Walfisch zu zerlegen. Es war ein kleines Thier, wahrscheinlich ein Pottwal. Der seiner Haut entblösste blutige Körper schwamm neben dem Fahrzeug, mit Tauen und Ketten an dasselbe befestigt, und zwei Männer standen auf ihm und hieben mit langen Messern die Speckschwarten los. Das einzige mal, dass ich im Stillen Ozean von dem einst so blühenden Walfischfang etwas zu sehen bekam.

Die Dampfpfeife flötete in den Nebel hinaus, und wir steuerten langsam unseren Kurs. Hie und da antwortete uns eine ferne Trompete hinter dem grauen Schleier.

Gegen Mitternacht wurde es heller. Wir warfen Raketen, und bald darauf kam der Lootse in seinem Schuner durch die Finsterniss herangespenstert. Die Ankunft des Lootsen bei Nacht hat immer einen eigenthümlichen Zauber. Die Seereise ist zu Ende, man ist in gehobener Stimmung. Die Maschine stoppt, eine befremdende wohlthuende Stille tritt ein. Die Schritte der Offiziere, die über das Deck eilen, klingen so seltsam, unten plätschern die Wellen, ringsum herrscht tiefes Dunkel. Wir mühen uns vergebens, draussen auf dem Wasser einen Gegenstand zu erspähen. Da taucht ein Licht auf und taucht gleich wieder unter. Wir hören Ruderschläge, die näher kommen, und plötzlich fährt in undeutlichen Umrissen gespensterhaft und riesengross das Segel des Lootsenschuners ganz nahe am Hintertheil vorüber. Der Lootse steigt aus seiner Jolle die Jakobsleiter herauf, und wir bestürmen ihn um Neuigkeiten und Zeitungen.

Es war noch kein Krieg ausgebrochen. Das Wichtigste, was die San Francisco Blätter wussten, war eine grosse Pockenepidemie im Chinesenviertel.

Als ich am frühen Morgen des 20. September erwachte, fuhren wir eben in das Goldene Thor. Die Fahrt von Honolulu hierher hatte somit ziemlich genau acht Tage gedauert.

In Amerika darf man sich nicht von jedem hochtönenden Wortschwall täuschen lassen und ja nicht glauben, dass dahinter auch jedesmal etwas Entsprechendes stecke. Diese Lehre gab mir gleich dieses »Goldene Thor«, die Einfahrt zum Hafen der »Metropole des Westens«. Links und rechts öde, kahle, gelbliche Felsen von gewöhnlichen Formen, ohne den Schmuck der Vegetation oder der Architektur, die nächsten Kanten über und über mit den weissschimmernden Exkrementen Tausender von Wasservögeln bespritzt, an der einen Seite oben ein Leuchtthurm, in der Mitte die schmutzig gelbe Fluth, die sich nach innen wälzt – das ist das »Goldene Thor«. Trüb und kalt lag das Land im grauen Morgenlicht. Nirgends ein grüner Fleck. Ich kam aus dem Paradiese der Südsee, und der erste Anblick Kaliforniens berührte mich so unfreundlich wie noch nie eine mir neue Küste.

Ein rothes Fort glitt vorüber, Batterieeinschnitte auf dünenartigen Sandhügeln daneben und einzelne Häuser. Ein dunkler kompakter Mastenwald tritt hinter der rechten Ecke vorne heraus, die Häuser werden dichter. Noch eine Biegung nach rechts, und San Francisco liegt vor uns, auf und ab über Berge und Hügel gebaut, halb von einem dunstigen Nebel verschleiert.

Das Pier der Pacific Mail ist am innersten Ende des Hafens, und wir mussten ihn deshalb in seiner ganzen Länge passiren. Eine imposante Anzahl von Fahrzeugen aller Art lag vor Anker oder an den überall ihre Arme entgegenstreckenden Piers. Fast alle Flaggen der Erde waren vertreten, auffallend häufig die deutsche. Eine amerikanische Fregatte erwiderte unseren Gruss. Neben ihr lag ein riesiges Segelschiff mit vier vollen Masten. Eine Menge Jollen und kleine Dampfer legten sich an unsere Zealandia, und eine Menge neugierige Zeitungsreporter, Zollbeamte, Hotelagenten und sonstiges Hafengesindel ergossen sich aus ihnen auf unser Deck und rannten durch das Gewühl der zum Landen sich rüstenden Passagiere.

Endlich waren wir fest, und die Landungstreppe fiel. Auch diesmal hatte ich mit dem Customhouse mehr Glück als ich zu hoffen gewagt. In der kürzesten Zeit war ich fertig, und ein Hotelwagen entführte mich ins Innere der Stadt.

XXIV.
SAN FRANCISCO.

Allgemeiner Charakter der Stadt. Die Chinesen und ihr Viertel. Chinesische Hurenhäuser, Opiumbuden und Spielhöllen. Das Yu Henn Choy Theater und das Dschosshaus. Chinesische Dramaturgie. Sabathschänderisches Getriebe der San Franciscaner. Sonstige Sehenswürdigkeiten. Woodwards Garden. Ein gefährlicher Sonntagsspaziergang. Das Cliff House und seine zoologischen Genüsse. Ground Squirrels.

Wenn man Eine amerikanische Stadt gesehen hat, so hat man sie alle gesehen. San Francisco schien mir hierin keine sonderliche Ausnahme zu machen. Ueberall derselbe styllose Bombast der Architektur, dieselbe bunte Farbenmenge schreiender Aufschriften. Die Geschäftsstrassen lotterig und unreinlich gehalten, voll von Kisten und Ballen, Papierfetzen und Packstroh, Telegraphendrähte kreuz und quer, die Wohnstrassen verhältnissmässig still und einsam, anmuthig von Alleebäumen und Gärten beschattet, überall Streetcars mit ihrem monotonen Geklingel.

Das unterscheidende Merkmal San Franciscos liegt in der Beschaffenheit des Bodens, in den vielen Hügeln und in der wüstenartigen Dürre. Die Hügel sind manchmal so steil, dass der Streetcar ausgespannt und durch stabile Dampfmaschinen an Ketten emporgezogen wird. Oben warten bereits andere Pferde und führen ihn weiter. Dünen von Flugsand füllen die Lücken zwischen den Gebäuden, wo noch leere Baustellen stehen und dringen selbst in die Gärten. An ganzen Häuserreihen sah ich die Erdgeschosse der einen Seite bis über die Fenster mit Flugsand verweht. Man findet die schönsten Anpflanzungen und Promenaden, aber jegliches Grün ist mit grauem Staub überzogen. Alles ist trocken und durstig.

Dies ist der Charakter von San Francisco im Sommer und Herbst, in jener Zeit, in der niemals Regen fällt. Erst im Winter, der angenehmsten Saison, darf man sich einer Vegetation erfreuen.

Auch die Menschen schienen mir nicht verschieden von denen New Yorks und anderer Städte des fernen Ostens. Ganz dieselben markigen, gierigen, scharfen, intelligenten Gesichter, dieselbe Eleganz in Wäsche und Kleidung, ganz dasselbe hastige Rennen wie drüben. Nur die vielen Chinesen sind ein eigenartiger Zug. Ich hatte sie schon beim Hereinfahren vom Schiff rudelweise dahinwandeln sehen, die sonst auf dem Hinterhaupt spiralig zusammengerollten Zöpfe galamässig frei fast bis zum Boden herabbaumelnd. Der Zopf wenn er lose ist zwingt sie, um ihn frei schwingen zu lassen, den Kopf höher und steifer zu halten als andere Menschenkinder.

Die Chinesen nahmen denn auch mein Hauptinteresse in Anspruch. Kaum hatte ich mich auf einem Plan orientirt wo ihr Viertel lag, als ich diesem zueilte, ungeachtet der Warnungen vor den Pocken. Es war mir überraschend, das Chinesenviertel mitten in der Stadt zu finden, durchaus nicht abgesondert und in seiner blockförmigen Anordnung nicht unterschieden von anderen Theilen. Man biegt aus Montgomery Street rechtwinklig in Jackson Street ein und ist plötzlich in China.

Eine ganz andere fremdartige Kultur thut sich auf. Der merkwürdige Farbenreiz des Hildebrandt'schen Aquarells aus Tientsin steht verkörpert vor Augen. Die zwei- bis dreistöckigen geradlinigen Häuserfronten sind zwar echt amerikanisch und wohl viel höher als sie in China sein mögen, aber die Ausschmückung von unten bis oben ist chinesisch. Fast jeder Stock hat einen breiten Balkon oder eine Gallerie. Blumen und Strauchwerk in Töpfen stehen auf diesen, und dazwischen gaukeln bunte Papierlaternen im Winde. Rothe, grüne und gelbe Aushängeschilder, senkrecht gestellt und mit den arabeskenhaften Charakteren der chinesischen Schrift bemalt, prunken vor den Läden, in deren Schaufenstern alle möglichen sonderbaren Artikel den Blick auf sich ziehen.

Zu einer fast magischen Wirkung erhöht sich dieses eigenthümliche Bild am Abend. Die bunten papierenen Laternen werfen ihr farbiges Licht durch das Laub der Miniaturgärten auf den Balkonen. Inschriften und Vergoldungen glitzern im Schein der Gasbeleuchtung, alle Fenster sind hell und geöffnet. Besonders schön strahlen die vielen Restaurationen und Theebuden, aus denen die seltsamen quieksenden und klappernden Töne chinesischer Musik auf die Strasse dringen. Dichte Haufen hässlicher Mongolen, alle in dasselbe dunkle bequeme Gewand gekleidet, schwarze Filzhüte auf den kahlen Schädeln, hinten die langen Zöpfe, drängen sich durcheinander und reden in einer Sprache, die aus lauter heftig ausgestossenen Interjektionen wie »Tsching«, »Fu«, »Dschong« zu bestehen scheint, oder lauschen müssig, die Hände in den Hosentaschen und die Mäuler offen, den lieblichen heimischen Melodien. Und mitten durch das asiatische Geklitzer, Gewühl und Geklimper poltert lustig der amerikanische Streetcar den Berg hinauf.

Emsiges Treiben herrscht in den Kaufbuden und Werkstätten. Die Kugeln der Zählmaschinen fliegen hin und her unter den Fingern mongolischer Ladenschwengel, und dickwanstige Patrone, unförmige, rundglasige Brillen auf der Nase, sitzen daneben an ihrem Pult und malen mit senkrecht gehaltenem Pinsel bizarre Schriftzeichen auf eine Rechnung, welche sie danach in ein europäisches Kopirbuch pressen. Hier arbeiten etliche Dutzend Schneidergesellen an schwirrenden Nähmaschinen, zusammengepfercht in einen so engen niedrigen Raum, dass man kaum begreift, wie sie noch athmen können, dort klopfen etliche Dutzend Schustergesellen an Stiefeln und Stiefeletten herum, die für amerikanische Füsse bestimmt sind. Denn Chinesen tragen in der Regel nur chinesische Schuhe. Früchte und Esswaaren aller Art sind vor den Läden aufgestapelt, und an jeder Ecke zupft uns ein anderer Mongole am Rock und bietet unverständlich flüsternd geschmuggelte Zigarren feil, wobei sie ausnahmsweise sich Mühe geben, freundlich zu sein.

Selten begegnet man hie und da einigen chinesischen Weibern auf der Strasse. Es sind Prostituirte und dementsprechend folgt ihnen überall rohes Witzereissen von Seiten des männlichen Publikums. Sie wandeln gewöhnlich mit gekreuzten Armen, die sie in ihre weiten Aermel zurückstecken, so dass sie aussehen wie amputirt, dahin, die bekannte Schmetterlingsfrisur auf den blossen Köpfen.

Während die Blocks, in denen weisse Bevölkerung wohnt, Gärten und Höfe umschliessen, sind sie hier dicht und regellos vollgebaut. Ein wahres Labyrinth elender Holzschuppen, Keller, Dachverschläge, halbvollendeter und halbabgebrochener Häuser, durch Bretter wieder zugedeckt oder zusammengeflickt, kleben an- und übereinander. Gänge, Löcher zum Durchschliefen, Leitern und Wege über die Dächer kreuzen sich in allen Richtungen, und überall wimmelt es von Chinesen, deren die meisten nicht mehr Raum für sich beanspruchen als sie zum Schlafen brauchen, nicht mehr als ein Zwischendecker auf einem Auswandererschiff hat.

Schmale und krumme und schmutzige Gassen sind durch diese Ameisenhaufen gebrochen und gewähren manchmal Einblicke von malerischer Wirkung. Die Willkür der Linien, das auf- und absteigende Terrain, die schwärzliche Bräunung der Mauern und des Holzwerks, rothe, gelbe und grüne Anschlagzettel, bunte Papierlaternen, glimmende Räucherkerzchen vor den Thüren, das ruhelose Gewühl, das Quieksen und Klappern von Musikanten, welches auch hier nicht fehlt, setzen ein wunderbar fremdartiges und zugleich stimmungsvolles Bild zusammen. Vorne folgen auch hier abwechselnd Werkstätten, Spielhöllen, Opiumbuden, Kaufläden und Hurenhäuser auf einander. Hinten mag noch eine grössere Menge gräulichen Schmutzes verborgen sein.

Die Zeitungen wussten damals viel Schaudergeschichten von heimlichen Pockenhospitälern zu erzählen, in denen die Sanitätsbeamten mehrere Wochen alte Leichen aufgefunden haben sollten. Die herrschende Pockenepidemie wurde ergiebig ausgebeutet, um gegen die Chinesen zu hetzen, und man warf den Stadtbehörden unverblümt vor, dass sie von diesen zu einer verbrecherischen Duldsamkeit bestochen worden seien. Die Unreinlichkeit der Chinesen ist zweifellos arg genug. Trotzdem wird hier, vielleicht in Folge des trockenen Klimas, die Nase weniger oft beleidigt, als in den deutschen oder irischen Quartieren New Yorks. Der Qualm der Räucherkerzchen überdeckt alle anderen Düfte, er scheint der spezifische Geruch von ganz China zu sein.

Ein feiner Chinese, mit dem ich bekannt wurde, bat mich, aus dem was ich in San Francisco sah keinen allgemeinen Schluss über seine Landsleute zu ziehen, es gäbe hier zum Beispiel nicht eine einzige anständige Chinesin. Ich will ihm gerne glauben. Wäre es ja doch eben so unrecht, aus dem elenden deutschen Gesindel, welches in New York die Gegend des East River bewohnt, eine Vorstellung von den Deutschen zu Hause sich machen zu wollen.

Die chinesische Prostitution San Franciscos ist das Widerlichste, was man von dieser Kulturkrankheit sehen kann. Ein paar dunkle holperige Gassen bestehen streckenweise nur aus Hurenhäusern. Thüren und Fensterläden sind bis auf ein kleines viereckiges Guckloch verschlossen. In jedem Guckloch lauert das Fratzengesicht einer Mongolin, gierig greift eine dazu gehörige Hand heraus nach dem Vorübergehenden, und von allen Seiten überbieten sich schändliche Anträge in dem komischen Kauderwälsch des Pidschin English.[9] Unter dem verluderten hölzernen Seitenpfad sieht man durch Gitter in spärlich erleuchtete Kellerhöhlen hinab.

[9]: Pidschin English ist das von den Chinesen gesprochene englische Kauderwälsch, nach chinesischer Auffassung zurechtgemodelt und mit chinesischen und portugiesischen Ausdrücken gespickt. Die hervorragendsten Eigenthümlichkeiten desselben sind das häufige Anfügen der Endung Y, das Fehlen des Buchstaben R, für den immer L eintreten muss, und der Gebrauch des Begriffes Piecy = Piece, Stück bei Zahlen. So zum Beispiel sagt der Chinese nicht »Two Americans« sondern »Two Piecy Amelican Man« – »Zwei Stück Amerikanischer Mann«. »You no sabe (portugiesisch) me talky« heisst »Du verstehst mein Sprechen nicht« und »Me have got Man Numble one« – »Ich bin ein ausgezeichneter Kerl (Mann Nummer eins)«.

Scheuen wir uns nicht, das Menschenthier auch in seiner abstossendsten Gestalt kennen zu lernen, und treten wir in eines dieser Häuser, so werden wir sofort von einem halben Dutzend zierlich trippelnder und affenartig beweglicher Frauenzimmer in Beschlag genommen und mit einem winzigen Schälchen Thee regalirt, zu dem ein Kessel kochenden Wassers immer bereit steht. Jede sagt uns, wie viel die Erneuerung ihrer Schmetterlingsfrisur wöchentlich kostet und dass sie erst seit kurzer Zeit angekommen sei. Sie sind ein blosser Handelsartikel und schon als Kinder in China drüben von älteren Weibern angekauft und aufgefüttert worden, bis sie für den Markt reif waren. Ich glaube nicht, dass ihnen das Bewusstsein ihres niedrigen Zweckes jemals Scham oder Kummer erregt, wie dies bei unseren Prostituirten häufig der Fall ist. Die mongolische Rasse hat kein Gemüth.

Schon auf der Strasse sahen wir vor einigen Thüren glimmende Räucherstäbchen in den Boden gesteckt, welche die Gottheit zur Verleihung von Kundschaft ermuntern sollen. Auch im Innern der Häuser glimmen solche Stäbchen vor kleinen Altärchen. Nebenan steht vielleicht ein etwas europäisch modifizirtes Himmelbett, auf dem die Decke nicht nach unten, sondern quer in sorgsamen Falten zurückgeschlagen ist. Ein paar Tischchen und Stühlchen bilden das übrige Mobiliar. Hinter Gardinen folgt eine Reihe anderer Kammern.

Gleich nebenan ist eine Opiumbude. Zwei alte ausgediente Weiber kauern an der Thüre, sie sind die Inhaberinnen des Geschäftes. Ihr Lokal besteht aus zwei oder drei niedrigen, dumpfigen Stuben, welche in lauter kleine Verschläge mit hölzernen doppelt über einander gebauten Kojen wie das Zwischendeck eines Auswandererschiffes abgetheilt sind. Auf jedem dieser harten Betten ruht die ausgemergelte Gestalt eines Chinesen, dem Genuss des narkotischen Giftes fröhnend. Die einen haben bereits ihren Rausch und liegen regungslos da mit stier geöffneten Augen und schlaffen Gesichtszügen wie Leichen, die anderen sind noch eifrig beschäftigt, sich zu betäuben.

Das Opiumrauchen erfordert viel Arbeit und könnte wahrscheinlich zweckmässiger eingerichtet werden, als das Herkommen vorschreibt. Der übliche Stoff bildet eine schmierige Paste, ein dickes Extrakt, welches in kleinen Hornbüchschen aufbewahrt wird. Der Pfeifenkopf ist ein bauchiges Thongefäss, das senkrecht quer auf dem Rohre sitzt und nur eine ganz kleine Oeffnung von kaum zwei Millimeter Weite hat. Nebst dem Opiumbüchschen und der Pfeife gehört noch eine gläserne Oellampe und eine dünne Drahtnadel zum Opiumrauchen. Aus dem Extrakt wird eine Pille von Erbsengrösse geformt, mit der Nadel an dem Licht der Lampe erwärmt und in das kleine Loch der Pfeife gestrichen. Beständig verstopft sich dieses, und dann muss wieder mit der Nadel nachgestochert und an dem Licht erwärmt werden, um ein paar volle Züge Opiumqualm in die Lunge zu lassen. Stumm und eifrig obliegen die Raucher ihrem mühseligen Geschäfte, keiner spricht ein Wort.

Lebhafter geht es in den Spielhöllen zu, die oft mit Opiumbuden verbunden sind. Hier sitzen eng zusammengedrängt die Spieler an langen schmutzigen Tischen und locken sich gegenseitig mit Dominosteinen das Geld, amerikanische Silberdollars und Cents, aus der Tasche. Haufen von Zuschauern stehen um sie herum und verfolgen eben so erregt und unter denselben wilden Interjektionen wie die direkt Betheiligten den Wechsel des Glücks. Chinesische Münzen sind unter den Chinesen San Franciscos nicht im Gebrauch, man kann sie aber als Andenken in jedem der vielen Läden voll mongolischen Schnickschnacks kaufen.

Die obere bergan steigende Hälfte von Jackson Street ist der vornehmste Theil des Chinesenviertels. Hier setzten sich die Chinesen zuerst fest und schoben von hier aus ihr Gebiet allmälig weiter und weiter in die benachbarten Quer- und Parallelstrassen hinein, so dass es jetzt etwa neun Blocks, die dichtest bevölkerten San Franciscos, umfasst. Die Grenzen sind nicht scharf, sondern bilden eine Zone von sehr gemischter Gesellschaft der gelben und weissen, schwarzen und vielleicht auch rothen Rasse. Im Süden und Osten beginnt sofort das Reich der äusserst ungenirten, nichtchinesischen Prostitution. Im Norden schliesst sich das Deutschthum schlechterer Sorte mit grossen schmutzigen Bierhallen an. Westlich, gegen den Hafen zu, wohnen hauptsächlich Irländer, Franzosen und Italiener.

Die Hauptmerkwürdigkeiten von Jackson Street und Umgebung sind die beiden Theater und das Dschosshaus, die buddistische Kirche. Erstere liegen einander gegenüber ziemlich weit unten im belebtesten Theile von Jackson Street, letzteres ganz oben in Sacramento Street und bereits in der Grenzzone Chinas.

Aeusserlich zeichnen sich die beiden Theater nur durch je zwei Gaskandelaber mit Aufschriften, deren eine »Yu Henn Choy« und deren andere »Imperial Theater« lautet, aus. Innen gleichen sie sich vollständig, blos dass das ältere, das »Yu Henn Choy«, um etliche Grade schmutziger und russiger ist, und in diesem die Gallerie hinten so hoch hinaufgeht, dass man gebeugten Hauptes nach vorne hinabsteigen muss. Die Bühne in beiden ist ein einfaches Podium ohne Vorhang und ohne Koulissen, welches die ganze Breite des Saales einnimmt und durch fünf Oeffnungen, einem mittleren grossen Fenster, zwei Thüren und zwei Guckfensterchen mit dem Raum hinter der Szene in Verbindung steht. Der Bühne gegenüber bauen sich die Sitzreihen, hölzerne Bänke, in die Höhe. An den Seiten sind Logen abgesondert und gewöhnlich mit Frauenzimmern bevölkert. Die Beleuchtung ist Gas.

Es wird hier meist von vier Uhr Nachmittags an bis in die späte Nacht gespielt, manchmal sogar ganze Tage lang. Man braucht sich also um keinen Anfang zu kümmern und an keine Zeit zu binden. Ausserdem sind auch die Wirkungen der chinesischen Dramaturgie auf das Gehörorgan so intensiv, dass ein normaler Durchschnittseuropäer nach einer halben Stunde reichlich genug hat.

Als ich zuerst das Imperial Theater betrat und über die dunkle, schmale und schmutzige Treppe hinaufstolperte, gestossen und gedrängt von einer Schaar ebenfalls hinaufstolpernder Mongolen, machte mir der seltsame Lärm der Musik, der mir entgegentönte, den Eindruck, als ob ich in eine Menagerie voll schreiender Papageien kommen sollte. Ein amerikanischer Rowdy sass vor einem Tisch und nahm mir zwei »Bits« Eintritt ab. Dies ist der Preis für die vorwitzigen Weissen, Chinesen zahlen nur einen halben Bit.[10] Eine schmutzige braune Gardine wurde zurückgeschlagen, und ich war im Theater, auf der obersten Reihe der staffelförmig bis unmittelbar zur Bühne hinabreichenden Bänke. Auf dem Podium unten glitzerten sechs Personen in seidenen gestickten Gewändern und krähten und fistulirten. Hinter ihnen vier Musikanten, quieksend und klappernd, pauckend und rasselnd, schnalzend und pfeifend, dass einem Hören und Sehen verging. Schwieg dieser Höllenspektakel eine Minute, so begannen die sechs Akteurs in der Fistel zu näseln und zu miauen und faxenhafte Geberden zu machen, indem sie halb sangen, halb sprachen und den Schluss jeder Phrase zu einem gellenden Misston steigerten.

[10]: Ein Bit ist 12½ Cents, der alte spanische Real, der in dieser Umtaufung noch immer an die Herkunft Kaliforniens erinnert, aber in Wirklichkeit nicht mehr existirt.

Nur allmälig konnte ich mich von meiner Ueberraschung erholen und versuchen, mich in den räthselhaften Sinn der Vorgänge zu vertiefen. Ich glaubte anfangs, es sei ein lustiges Stück, es war aber ein trauriges, wie mir mein des Chinesischen kundiger Gefährte sagte. Theaterzettel gab es leider nicht. Dagegen wurden Erfrischungen, die aussahen wie geschmorte Nacktschnecken und Regenwürmer, herumgetragen. Ueberall sassen Mongolen, den Hut auf dem Kopf.

Die Hauptrolle schien ein Kerl mit weisslackirtem Gesicht zu spielen. Sein Gebahren drückte protzenhaften Hochmuth und unaufhörliche Zornigkeit aus. Mit gewaltsam gespreizten Beinen, die Arme in die Hüften gestemmt, ritt er auf seinem Thronstuhl und schimpfte fortwährend einen anderen Kerl, der als Frauenzimmer in demüthiger Haltung vor ihm stand und schliesslich von einigen Schergen abgeführt wurde. Jede Steigerung in den Ausbrüchen seines erregten Inneren begleitete die Musik mit einer Steigerung ihres Lärms, der plötzlich anschwoll, um danach langsam abzuklingen. Es war erstaunlich, welch ohrenzerreissendes Chaos von Tönen und Geräuschen die vier Musikanten mit Hackbrett, Viola, Paucken, Klappern und Dschinellen zu erzeugen im Stande waren.

So oft ich auch die chinesischen Theater besuchte, ich vermochte selten den Sinn der Aufführungen zu errathen. Die Stücke, deren manchmal zehn an einem Tag gespielt werden, folgen sich so rasch, dass es dem Fremdling entgehen kann, wann das eine aufhört und das andere beginnt. An den Kostümen ist zuweilen zu erkennen, ob es sich um ein einfaches bürgerliches oder um ein romantisches Schauspiel mit Königen, Feldherrn und Heerschaaren, welche letzteren aber meistens nur aus drei oder vier Mann bestehen, handelt.

Von hervorragender Schönheit, Pracht und Kostbarkeit sind oft die Gewänder, die in diesen Höhlen voll Schmutz, Dunst und Gestank entfaltet werden, und sie allein sind den Besuch mit all seinen Unannehmlichkeiten werth. Namentlich Feldherrn und Könige pflegen in den lebhaftesten Farben und strotzendsten Goldstickereien zu glänzen. Vier meterlange Fasanenfedern zieren fühlerähnlich das Haupt, am Rücken flattern gleich Schmetterlings- oder Libellenflügeln vier glitzernde Fähnchen. Eben so grotesk wie der Putz dieser Gestalten, ist die Art und Weise, wie sie sich einführen, und sind die Bewegungen, mit denen sie Stolz und Tapferkeit auszudrücken suchen. Einer nach dem anderen schwirrt durch die Thüre links herein, bläht seine Brust auf, schlenkert mit den Beinen, lässt die langen Fasanenfedern spielend durch die Finger gleiten, dreht sich mehrmals um seine Axe, schlägt sich auf den Bauch und fängt an zu krähen und zu miauen.

Im »Yu Henn Choy« sah ich einmal verschiedene Pantomimen und gymnastische Künste. Ein Policeman des Chinesenviertels hatte mir am Morgen mitgetheilt, dass dort heute Abend um neun Uhr »a great Tumbling« (eine grossartige Purzelei) aufgeführt werden sollte. Das Tumbling ist die Hauptforce und die spezifische Leistung chinesischer Akrobaten, die nur selten und als etwas Besonderes mitten zwischen dramatischen Stücken zum Besten gegeben wird.

Nach etlichen reizlosen equilibristischen Produktionen auf Stuhlpyramiden und Stangen folgte das bekannte Messerwerfen und nach diesem als Schluss- und Knalleffekt das Tumbling. Alle zwölf Akrobaten, theilweise phantastisch geputzt und mit Fähnchen auf dem Rücken, die sie im weiteren Verlauf abwarfen, traten vor das Orchester und begannen erst einzeln, dann zu zweit und zu dritt oder auch alle auf einmal Luftpurzelbäume zu machen. Immer heftiger und rascher wurden ihre Bewegungen und die Musik. Rücksichtslos sprangen sie mit den kahlen Schädeln auf den harten Boden, dass es laut dröhnte, oder warfen sich platt auf den Rücken nieder, als ob es für sie gar keine Gehirn- oder Rückenmarkerschütterung gäbe.

Immer wilder und ungestümer purzelten sie durch einander, über und unter sich, kreuz und quer, über Tische und Stühle, schmetterten mit den Schädeln gegen einander und gegen den Boden, bis von dem ganzen Dutzend tobender Menschen nur mehr einzelne Arme, Beine und Schädel herumzufliegen schienen, wie von Geisterhänden durcheinander gequirlt, während die Musik immer verrückter wurde und in den schrillsten, gellendsten Dissonanzen sich bemühte, auch die Zuschauer in die auf der Bühne herrschende Tobsucht hineinzuziehen. Mit mir wäre ihnen dies beinahe gelungen. Meine bezopften Genossen aber sahen stumpfsinnig und blöde vor sich hin, ohne ihr Gesicht zu verändern.

Unter den Pantomimen die ich vorher gesehen hatte war namentlich eine interessant und auch für europäische Empfindungsart durch ihren blossen Inhalt von komischer Wirkung.

Zwei Männer schleppen einen Scheintodten herein, werfen ihn auf den Tisch und stellen Belebungsversuche an. Sie blasen ihm in die Nase, sie kitzeln ihn mit einer Feder in der Nase, der Kerl rührt sich nicht. Sie legen ihn auf den Rücken, sie legen ihn auf den Bauch, Kopf und Extremitäten baumeln schlaff herab. Nun wird er bis auf eine Schwimmhose entkleidet. Sie binden ihm Hände und Füsse an den Leib und stossen ihn mit dem Kopf auf den Boden, so dass er fest steht wie das Ei des Columbus. Sie zünden Pulver vor seinem Gesicht an – Alles umsonst. Die Augen bleiben starr geöffnet, kein Muskel zuckt. Grosse gelehrte Berathung, bedenkliches Kopfschütteln. Endlich haben sie das Richtige gefunden und hüpfen frohlockend wieder herbei. Der zusammengeschnürte Körper wird losgebunden und ausgestreckt mit den Beinen an einen Nagel gehängt. Teuflische Grimassen schneidend kitzeln sie mit sämmtlichen zwanzig Fingern an ihm auf und ab, von unten nach oben, von oben nach unten, an den Sohlen, in den Achseln – ohne Erfolg. Sie verlieren die Geduld, werden ärgerlich, entzweien sich, prügeln sich. Jeder möchte allein kitzeln und beansprucht den Kadaver für sich. Sie reissen ihn von der Wand und zerren ihn hin und her, der eine an den Beinen, der andere an den Armen. Sie hauen gegen einander und im Wirrwarr des Gefechts erhält aus Versehen das Objekt des Zwistes eine schallende Ohrfeige. Da springt plötzlich der Scheintodte auf, giebt jedem der Streitenden einen Fusstritt ins Gesicht, dass sie hintüber purzeln, und läuft heulend zur Thüre hinaus.

Man konnte sich nichts Teuflischeres denken, als das Geberdenspiel der beiden mongolischen Fratzengesichter in jener Kitzelszene, und die quicksende Musik gab die entsprechende Tonmalerei dazu so eindringlich und wirksam, dass man sich zu kratzen versucht fühlte.

Die dritte Hauptmerkwürdigkeit, das Dschoss Haus, setzt sich zusammen aus drei verschiedenen Abtheilungen, aus einer offenen Holzbaracke, die in eine schmale Lücke der Häuserreihe etwas zurücktretend hineingebaut ist, und aus zwei Zimmern im ersten Stock des linken Nachbargebäudes, die mit jener durch eine Treppe verbunden sind. Alles glitzert innen von Gold und von Silber, von rothen und gelben, blauen und grünen Farben. Hellebarden, Götterfiguren allein und in Gruppen, Altärchen und Schüsselchen stehen neben- und übereinander, längs den Wänden und in der Mitte. Das eine der Zimmer ist halb dunkel und durch farbige Lämpchen sehr wirkungsvoll magisch düster beleuchtet. Der Totaleindruck erinnert lebhaft an den Geschmack des bunten Aufputzes katholischer Dorfkirchen in Baiern oder Tirol. Es fehlt nur der Weihrauchgeruch, der hier durch das zweifelhafte Aroma unzähliger Räucherkerzchen vertreten ist.

In der Regel herrschte ein starkes Gewühl von Chinesen in den engen Räumen, und man musste sich sehr in acht nehmen, in dem fortwährenden Drängen und Stossen nichts von all dem heiligen Flitterkram umzuwerfen, oder sich an den überall steckenden Räucherkerzchen zu brennen. Zwei weisse Policemen hielten am Eingang barsch und gewaltsam die Ordnung aufrecht. Ich konnte nie eine Spur von andächtiger Stimmung in den Physiognomien der Kirchgänger bemerken. Sie benahmen sich ganz wie auf der Strasse, rauchten Zigarren, hatten den Hut auf dem Kopf und die Hände in den Hosentaschen und gafften gleichgültig umher.

Neben einem der Altärchen in der magisch halbdunklen Ecke war ein thönerner Ofen, und vor ihm knieten einmal zwei Frauenzimmer nieder, küssten den Boden, standen wieder auf, zündeten einige papierene Gebetlein an und warfen sie in den Ofen. Dabei fuhren sie mit der auflodernden Flamme so unerwartet und nahe an meinem Gesicht vorbei, dass ich erschrocken zurücktrat, worüber die Nächststehenden ein lautes Gelächter aufschlugen. Die zwei Damen, Prostituirte wie alle weiblichen Glieder des Chinesenviertels, waren übrigens für die herumgaffenden Burschen die beständige Zielscheibe der Unterhaltung. Ihre Frömmigkeit mochte auch ziemlich unlautere Motive gehabt haben. Der Buddist verlangt von Gott nur Segen für sein Geschäft.

Ein anderes mal kam ich gerade noch recht zu den letzten Akten einer grösseren Feierlichkeit. In der Eingangsbaracke sass halbversteckt hinter allerlei Zierrath eine Musikbande und quiekste und miaute ganz ebenso, wie ich es schon im Theater gehört hatte. Oben im ersten Stock zelebrirte der alte, dünnbärtige Oberbonze, dessen Pilzhut ein Glasknopf zierte, im Verein mit zwei jungen Diakonen, welche rothseidene, gelbbeknöpfte Glatzkäppchen trugen, und mehreren Dienern, die Glatzkäppchen, aber ohne Knopf aufhatten, hinter einer Barriere eine Art Messe. Einige Frauen mit kleinen Kindern drängten sich vor, stiegen über die Barriere und setzten sich stumm auf den Boden. Sie hatten offenbar eine Rolle bei dem Fest zu spielen. Ein langes Brett in der Mitte war mit winzigen Opferschälchen, welche Reis, Weinträubchen, Rübchen und sonstige Gerichtchen enthielten, bedeckt, und über dieses trugen zwei Diener etliche Heiligenfigürchen auf einer Tafel, die sie von den beiden Seiten in die Höhe hielten, langsam herab und hinauf, als ob sich die Figürchen die ganze Bescherung recht genau anschauen sollten. Mein Verständniss dessen, was ich sah, war eben so undeutlich wie meine Schilderung sein dürfte.

Weniger unverständlich hingegen ist das Getriebe, welches gleich ausserhalb des Dschosshauses beginnt. »Mademoiselle Laurence«, »Sennorita Juanita«, »Miss Mary« und so weiter lauten die Aufschriften, die in Sacramento Street und in den nächsten Strassen gegen Süd und West beinahe an jeder Thüre oder an farbigen Gaslaternen in prangenden Lettern das Auge auf sich ziehen. Die Fenster der Erdgeschosse sind geöffnet und hell erleuchtet, und hinter ihnen sitzen im strahlenden Lichte die holden Trägerinnen jener Namen, sticken oder nähen und warten mit resignirter Gelassenheit auf Kundschaft. Unter dem Schatten einer Veranda ladet auch wohl eine Sirene in leichter Balletgewandung flüsternd zum Besuch ein, während verluderte Gaunergestalten rudelweise vorüberziehen und zynische Witze reissen.

San Francisco hat eben von der alten Zügellosigkeit doch noch einige Ueberbleibsel behalten. Zum Glück macht sich auch in Bezug auf den Sonntag diese grössere Freiheit geltend. Während drüben auf der atlantischen Seite Amerikas die englisch-puritanische Sonntagsöde ungemildert über den Städten lagert, und die armen Fremdlinge in den Hotels den ganzen Tag nichts thun können als schlafen oder unten im gemeinschaftlichen Parlour, den Zylinder auf dem Kopf und ein bereits mehrmals gelesenes Blatt in der Hand, mit drei oder vier Stühlen die verschiedensten amerikanischen Posituren durchprobiren – man muss eine solche Gesellschaft von Gentlemen gesehen haben, um zu wissen was Langeweile heisst – freut sich das Volk an der pazifischen Küste lustig des Lebens. Einem frommen Reverend aus England oder aus den östlichen Staaten, den »Staaten« schlechtweg, muss ordentlich die Haut schaudern, wenn er den sabathschänderischen Lärm San Franciscos kennen lernt. Ich selbst, durch längere Gewöhnung anglikanisch entartet, fühlte etwas wie Befremdung, als ich den Heidenspektakel von Drehorgeln, Biermusiken, Volksversammlungen, Aufzügen, Fackelprozessionen und militärischem Pomp sah, der hier an Sonntagen verübt wird.

Sehr beliebt scheint das Soldatenspielen zu sein. Die Milizen haben in Amerika das Recht, ihre Uniformirung selbst zu wählen; gewöhnlich thun sich die Landsmannschaften zusammen und kleiden sich nach heimischem Reglement, und so kann man bald einem Haufen rothblusiger Garibaldianer, bald einem Regiment dunkler Preussen mit Pickelhauben, in dieser Strasse einem Bataillon Franzosen, in jener Schweizern begegnen. Derartige Erscheinungen sind in jeder grösseren Stadt zu haben, am meisten entwickelt und wechselvoll fand ich sie in San Francisco vor. Die dortigen Gardegrenadiere sind nicht weniger stolz als die in Berlin. Was kann es auch für einen jungen Teutonen am Sonntag Schöneres geben, als sich in Uniform zu werfen, die Flinte zu ergreifen und unter den kriegerischen Klängen der Janitscharenmusik hinauszuziehen nach irgend einem Vergnügungslokal. Voran reiten der Oberst und der Regimentsadjutant, die Majore und die Bataillonsadjutanten, auch die Hauptleute sind beritten, und in New York sah ich einmal selbst einen Regimentsarzt mitreiten. Dieser hatte aber keine Pickelhaube sondern einen Federhut auf dem Kopf. Sonst war Alles echt von den Zündnadelgewehren bis zu den Schärpen der Adjutanten und den Säbelquasten, welche die verschiedenen Kompagnien auszeichnen. Draussen wird dann Bier getrunken und getanzt und Abends gehts wieder in derselben Weise nach Hause, nur etwas weniger stramm und oft auch schwankenden Schrittes.

Diese heterogenen Milizen sollen sich bei besonders feierlichen Gelegenheiten oft in die Haare gerathen. Es soll vorkommen, dass die Preussen es unterlassen zu präsentiren, wenn die Franzosen vorbeimarschiren, worauf diese vielleicht zu pfeifen und zu johlen beginnen, und dann ist der Teufel los, und die Konsuln haben ihre liebe Noth, die Empfindlichkeit der beleidigten Nationalitäten zu beschwichtigen und den respektiven Heerführern klar zu machen, dass das Deutsche Reich solche Vorkommnisse noch nicht für ausreichend zu einer offiziellen Kriegserklärung erachten dürfte.

In den zahlreichen und grossartigen Bierpfützen der deutschen Quartiere übrigens herrscht eine rühmenswerthe Neutralität. Dort verschmähen es auch die benachbarten Franzosen nicht, sich mit ihren Erbfeinden in demselben gemüthlichen Schlamm zusammenzufinden. Die in Amerika leider so beliebten Riesendrehorgeln, auf denen Orchestermusik mit Blasinstrumenten, Trommeln und Paucken abgehaspelt wird, spielen abwechselnd die Marseillaise und die Wacht am Rhein dazu.

Was San Francisco ausserhalb des Chinesenviertels an Sehenswürdigkeiten besitzt, ist bald gesehen. Das Palace Hotel repräsentirt das Höchste, was amerikanisches Hotelwesen, weit überlegen dem europäischen, an Eleganz und Solidität zu leisten vermag. Das neue Stadthaus, welches eben im Bau begriffen war, verspricht sich zu einem ganz verrückten, echt amerikanischen Architekturwerk zu gestalten, und in der Münze, deren Einrichtungen täglich zu einer bestimmten Stunde gratis gezeigt werden, kann man sich an der Erzeugung grosser Zwanzigdollarstücke ergötzen. Interessanter indess als der schnöde, gleissende Mammon war mir die Ehrerbietung, die den zwanzig oder dreissig Frauenzimmern, welche in einem geräumigen Saal die Goldstücke auf ihre Makellosigkeit prüften, gezollt wurde. »Bitte die Hüte abzunehmen« sagte unser Führer ehe wir eintraten, »wir kommen jetzt in das Departement der Ladies«, und die Damen, die da an langen Tischen sassen und feine Wagen hantierten, schienen die Artigkeit werth zu sein. Ihr Aeusseres und ihre Haltung litt nicht unter dem Druck der Arbeit um das tägliche Brot.

Nicht unerwähnt darf die kalifornische »Academy of Science« bleiben. Unter diesem Wohlklang ist keine Akademie in unserem Sinn, sondern nur ein Wust von verstaubten Büchern und verstaubten Vogelbälgen, von eingetrockneten Spirituspräparaten und einem durcheinandergeworfenen Herbarium in einer alten baufälligen Kirche zu verstehen. »Science does not pay in California« tröstete mich der hohläugig und halbverhungert blickende Kustos, der das genannte Museum der »Metropole des Westens« zu verwalten hatte. Er war ausnahmsweise ein Vollblutamerikaner. Sonst geben sich meist nur Deutsche zu solch brotlosen Künsten her.

Der bedeutendste Vergnügungsort und zugleich ein ganz eigenartig universelles Institut ist Woodwards Garden, welcher schon beinahe ausserhalb der Stadt liegt, wo die Wüste beginnt. Eine Menagerie mit Löwen, Tigern, Elephanten, Bären und Schlangen und hundert anderen Thieren bis zu den weissen Mäusen herab, ein grosser Robbenteich, ein Papageienhaus, ein See- und Süsswasser-Aquarium, ein Palmenhaus, eine Sammlung von Naturalien und Kuriositäten, eine Gemäldegallerie und was es sonst noch für die Schaulust geben mag, sind hier dem Publikum offen. Tanzsäle, Turngeräthe, Schiessbuden, ein Skating Rink, ein Karoussel von Gondeln und Segelböten auf einem kleinen runden Wasserbassin bieten mannigfaltigen Sport. Man kann hier auf Eseln reiten, mit einem Hirschgespann herumkutschiren, sich wägen lassen und Kraftproben aller Art anstellen.

An Sonntagen produziren sich Akrobaten, Messerverschlinger und Feueresser, und ein Programm von Woodwards Garden, das ich in einem Streetcar bekam, versichert in grossen Buchstaben, ihre Leistungen seien so schauderhaft anzusehen, dass regelmässig darüber die Frauenzimmer in Ohnmacht fallen und die Kinder heulen. »Women faint and Children cry!« »Rel Muab, der wahrhaftige menschliche Salamander spottet aller Naturgesetze! Er beisst glühende Eisenstangen entzwei! Er trinkt kochendes Oel! Er isst geschmolzenes Blei! Er steht mit blossen Füssen auf glühenden Eisenplatten!« »Rollo, der Zahn-Herkules, übertrifft alles bisher Gesehene mit der Kraft seiner Zähne und Kinnbacken!« Und der Eintritt zu all diesen Herrlichkeiten kostet nur einen Bit.

Das zoologische Museum von Woodwards Garden ist musterhaft sauber gehalten, besitzt eine Menge vortrefflicher Spiritusgegenstände und hat wirklichen wissenschaftlichen Werth. Der Konservator desselben ist natürlich ein deutscher Landsmann. Unter dem Kuriositätenappendix befindet sich auch ein Palmstumpf, vor welchem Cook von den Sandwichinsulanern erschlagen worden sein soll. Im Museum zu Honolulu wird die nämliche Reliquie aufbewahrt. Welches von beiden die ächte ist, möge unentschieden bleiben.

Unter den lebenden Thieren sind besonders die riesigen pazifischen Robben oder Seelöwen interessant, welche in einem stark umgitterten Teich gehalten werden. Zweimal täglich zu bestimmten Stunden ist Fütterung. Die scheinbar so plumpen Kolosse gerathen dann in grosse Erregtheit. Unglaublich gewandt klettern und schieben sie sich schnaubend mit ihren zu Flossen verkümmerten Extremitäten den aus der Mitte ragenden Felsen hinauf, wohin der Wärter ihnen ansehnliche Fleischportionen zuwirft, die sie oft noch im Fluge erschnappen, oder stürzen sich von oben kopfüber herab, um die ins Wasser gefallenen Stücke zu holen. Schwimmend nehmen sie den Charakter von Walfischen an, tauchen hie und da in die Höhe um Luft zu schöpfen, tauchen dann wieder in die Tiefe und verschwinden, und nur das Strudeln und Wallen des aufgewühlten schmutzigen Teichs zeigt an, wo ungefähr sie sich herumtreiben.

Die Anlagen von Woodwards Garden sind hübsch und verhältnissmässig geschmackvoll. Eine Menge Kioske und Flaggen zieren die vielen wirr aneinander gefügten Gebäude. Leider will unter dem Staub der benachbarten Wüste kein freundliches Grün gedeihen. Auf hohen Holzgerüsten stehen ringsum blauweissrothe, vielflügelige Windmühlen, die sich durch ihre Steuerung selbst gegen den Wind drehen, und pumpen langweilig knarrend Wasser empor.

Market Street ist die von Nordost nach Südwest gerichtete diagonale Axe San Franciscos. Am Hafen endet dieselbe in dem Hauptpier der Ferryboote. Das andere Ende verliert sich in der Wüstenei der San Pablo Berge, die den Hintergrund ihrer Perspektive bilden. Jenseits der San Pablo Berge liegt die Lagune de la Merced, ein seeartiges, langgestrecktes und seichtes Süsswasserbecken, nur durch einen schmalen Dünensaum von der Meeresküste getrennt.

Dorthin ging ich am letzten Sonntag vor meiner Abreise spazieren, um vom Stillen Ozean Abschied zu nehmen. Es war der erste Oktober, und die Regenzeit schien, etwas früher als gewöhnlich, eben beginnen zu wollen. Bereits in drei Nächten nach einander hatte es geregnet, das Wetter am Tage war noch immer ungetrübt sonnig und heiss.

Ein Sonntagsspaziergang in der nächsten Umgebung San Franciscos ist nicht ohne Gefahren. Da es in diesem freien Lande keine Jagdscheine giebt, strömt dann Alles mit Schiessgewehren bewaffnet ins Freie hinaus, allerwärts knallt es, und hie und da hört man eine Kugel sausen. So wars auch heute. Eine Menge Menschen zu Fuss und zu Wagen begegneten mir oder fuhren an mir vorüber, und jeder hatte ein Schiessgewehr bei sich.

Hier marschiren etliche Schuljungen die Strasse entlang. Der eine trägt eine alte verrostete Flinte, der andere eine Jagdtasche, ein dritter das Pulverhorn umgehängt, und ein vierter hat vielleicht einen Revolver im Gürtel stecken. Dort sitzen vier Sonntagslümmel in einem gemietheten Zweispänner, und ebenso viele Doppelläufe starren neben ihnen aus dem Fuhrwerk heraus. In einem eleganten leichten Buggi kutschirt ein behäbiger Spiessbürger dahin. Sein Pferd sieht aus, als ob es während der Woche Fleisch ziehen müsste. Zur Linken sitzt ihm die Gattin, zur Rechten starrt die Mündung einer Büchse gegen Himmel, und vorne sitzt arrogant ein fetter Mops und schneidet heute ein Gesicht, als ob er ein ganz verflucht gescheidter Hühnerhund wäre, obgleich er weiter nichts versteht als die Kälber seines Herrn anzubellen.

Wenn so ein richtiger amerikanischer Junge gerade in heiterer Laune ist, so macht er sich wohl einmal den Spass, auf einen harmlosen Spaziergänger zu schiessen. Am Ufer der Laguna de la Merced erlebte ich ein Beispiel davon. Halbversteckt im Schilf sammelte ich Süsswasserschnecken, Limnäen und Planorben, da knallte es drüben, und über mir schlug eine Kugel in die Böschung. Ich eilte nach oben, um mich zu zeigen und so den Schützen zu warnen, dass er seinem Vergnügen in einer anderen Richtung genügen möchte. Aber in der nächsten Minute fuhr ein zweites Geschoss neben mir in den Sand, und das fröhliche Lachen zweier Burschen, die jenseits standen, überzeugte mich, dass es nicht absichtslos geschehen war.

In den San Pablo Bergen, die ich zuerst ohne Pfad, nur der Himmelsrichtung folgend, überschritten hatte, war es öde und einsam. Nebelmassen zogen über die kahlen Gipfel und kalte Windstösse fuhren durch die Thäler, an deren Gehängen Kühe den spärlichen Pflanzenwuchs abweideten. Ein isolirtes Gehöft aus lotterig zusammengestoppelten Hütten war die einzige menschliche Wohnstätte, die ich passirte.

Am Meere angelangt, wo es wieder lebendig wurde, bog ich nach Norden dem Cliff House zu. Villen und Vergnügungsorte haben sich dem Strand entlang angesiedelt, unter ihnen ragt das Ocean House durch seine Dimensionen dominirend hervor.

Die Strecke vom Ocean- zum Cliff House ist ein beliebter Korso. In eleganten Buggies und Landaus fahren die Bürger der Metropole auf dem durchfeuchteten und dadurch festen Sande spazieren, links die rastlos rollenden und sich überstürzenden Wogen des Ozeans, die in flachen schaumigen Zungen bis unter die Räder lecken, rechts die eigenthümliche melancholische Landschaft der Dünenhügel, deren Kuppen dunkle Büschel von Fettpflanzen bedecken, Möven kreuzen draussen über dem Wasser, und eine Schaar weiss blinkender Segel unterbricht angenehm die Monotonie des Horizonts.

Ein ganz einziger Punkt ist das Cliff House, das mit Recht berühmte Hauptausflugsziel der San Franciskaner. Hingebaut an den äusseren Absturz der Felsenkette, die den südlichen Pfeiler des Goldenen Thores bildet, beherrscht es die Aussicht über das Meer und auf einige nahe Klippen, welche von einer Menge Seelöwen, Möven und Pelikane bevölkert sind. Dank einem weisen Gesetz dürfen diese Thiere hier nicht geschossen werden und scheinen sich auch ihrer Sicherheit wohl bewusst zu sein.

Schon ehe man von der Strasse aus die elegante Restauration betritt, geben etliche fünfzig schöne Gespanne, die unter einem Dache aufgestellt sind, die Anwesenheit wohlhabender und, was hier gleichbedeutend, vornehmer Gesellschaft kund. Wir gehen durch das Gebäude nach der Seeseite zu und gelangen auf eine Gallerie, auf welcher geputzte Ladies und Gentlemen an sauber gedeckten Tischen sitzen, duftigen Mokka schlürfen und mit Ferngläsern zoologischen Studien über die interessante Bewohnerschaft der Klippen sich hingeben.

Unten donnert die Brandung gegen das schroffe Ufer, hie und da übertönt von dem gellenden Brüllen und Bellen der Seelöwen, die sich durch dasselbe schlangenartige Winden und Drehen, das wir bereits bei den Gefangenen von Woodwards Garden kennen gelernt, an den Felsen hinaufschieben und sich um die besten sonnigsten Plätze zanken. Manchmal sperrt einer den geräumigen Rachen auf und faucht giftig den Nachbar an, als ob er ihn fressen wollte, klappt aber gleich wieder zusammen, während jener eingeschüchtert hinabrutscht. Manchmal beginnen sie alle auf einmal zu brüllen und zu bellen, mit hellen und tiefen Stimmen. Sind ihrer viele, etwa dreissig oder vierzig auf einem der Felsen versammelt, so sehen sie glänzend von Feuchtigkeit aus wie schlüpfrige Reptilien, die sich über- und durcheinander schlängeln. Die günstigste Zeit zum Besuch und zur Beobachtung der »Seal Rocks« ist der Morgen, wenn die Sonne im Osten steht und alle westlich vom Auge liegenden Gegenstände scharf beleuchtet.

Nicht minder interessant für denjenigen, der sie zum ersten mal sieht, sind die zahlreichen Pelikane, die ringsum kreuz und quer die Luft durchmessen. Langnasige Karrikaturen von Vögeln, umkreisen sie unermüdlich die Klippen, deren dunkle Massen sie mit ihren Exkrementen weisslich gestrichelt haben.

Neben und unter dem Cliff House sind terrassenförmige Gärtchen in Felsenstufen gebettet. Ein reicher Flor von Malven stand in voller Blüthe, und braun schillernde Kolibris schwirrten von Blume zu Blume, um Insekten daraus zu erbeuten, zum Verwechseln ähnlich unseren europäischen Sphinxen.

Von Cliff House bis zur Stadt paradirt auf den Plänen bereits ein ansehnliches grünes Rechteck als »Golden Gate Park«. In der Wirklichkeit ist das meiste davon noch Sand und Wüste. Zwei ausgezeichnete breite Strassen führen durch den Zukunftspark, auf denen die vorzüglichsten Traber der Erde die Bewunderung herausfordern. Ich glaube nicht, dass es in London eben so viele herrlich trabende und schöne Wagenpferde giebt wie in San Francisco. Eine Tafel giebt kund, dass zehn Meilen per Stunde (= 16 Kilometer) die höchste erlaubte Fahrgeschwindigkeit sei. Wer aber kontrolirt diese prachtvollen Thiere, die weit übergreifend so leicht und sicher mit den zierlichen Buggies dahinfliegen?

In der Nähe sind eine Rennbahn und die Begräbnissplätze. Ein hohes Kruzifix krönt den bedeutendsten Hügel als weithin sichtbare Landmarke. Auch der chinesische Leichenacker befindet sich hier, kenntlich an einer Windmühle, welche Wasser pumpt, und mehreren weissgetünchten hölzernen Kiosken. Es ist also übertrieben, wenn behauptet wird, dass die Chinesen ihre sämmtlichen Todten in die Heimath verschiffen.

Auf einem anderen Ausflug, den ich nach Berkley, einer kleinen grösstentheils aus Wirthshäusern bestehenden Ortschaft am gegenüberliegenden Ufer des Hafens machte, hatte ich Gelegenheit, einen in Kalifornien sehr gemeinen Nager, der dort die Stelle unseres Hamsters vertritt, kennen zu lernen. Sein Name »Ground Squirrel« – »Erdeichhörnchen« ist die beste Beschreibung desselben. Nur ist das Thier etwas grösser und weniger schlank und geschmeidig als sein Taufpathe, der flinke Bewohner unserer Forste. Alle die weitgedehnten dürr gebrannten Stoppelfelder waren unterminirt von Legionen desselben. Legte man sich auf die Lauer, so kamen sie vorsichtig aus ihren Löchern, machten Männchen und hielten Umschau und versammelten sich. Eine leise Bewegung, und sie verschwanden, indem sie sich durch Pfiffe warnten.

XXV.
VON SAN FRANCISCO NACH SALT LAKE CITY.

Auf der Pacific Bahn. Die Sierra Nevada. Ein phänomenales landschaftliches Scheusal und ein überschwengliches Guidebook. Indianer. Die Mormonenstadt, das Tabernakel und das Mormonenthum. Eine Versammlung der Heiligen des jüngsten Tages. Ausflug nach Lake Point und Bad in dem grossen Salzsee. Camp Douglas.

Die Pacific Bahn beginnt nicht in San Francisco selbst, sondern drüben auf der andern Seite der Bai in Oakland. Man kauft sich das aus mehreren Abschnitten bestehende Ticket nach New York in einer der zahlreichen Agenturen San Franciscos, wobei man sich in acht zu nehmen hat, dass man nicht betrogen werde, indem die Fahrpreise einem gewissen Kurs unterliegen, und schifft sich Morgens um sieben auf der Oakland Ferry ein. Die Expresszüge nach Osten gingen damals täglich um halb acht Uhr von Oakland ab.

Der westliche Anfang dieser riesigen Pacific Bahn ist sehr bescheiden, ganz anders als bei uns, wo prachtliebende Verwaltungsräthe zum Schaden der nun jammernden Aktionäre die Endpunkte verhältnissmässig geringfügiger Bahnstrecken mit Marmorpalästen bezeichnen zu müssen glaubten. Der Amerikaner will eben nur, dass das Ding seinen Zweck erfülle, und frägt nicht wie es aussieht.

Ein Viadukt, fast eine Meile lang, aus Balkenwerk und mit doppeltem Schienengeleise, kommt von Oakland her über den Schlick des Ufers der Dampffähre entgegen. Wir steigen aus, schleppen uns hastig mit dem Handgepäck durch das Gewühl ebenfalls hastiger Mitpassagiere und Sleepingcars offerirender Neger, steigen in irgend einen Wagen des hinter russigen Kohlenschuppen fertig dastehenden Zuges und befinden uns auf dem berühmten, in allen Zungen der Erde als achtes Wunder gepriesenen Eisengürtel. Nach wenigen Minuten setzt sich der Zug in Bewegung. Kein Trompetchen, kein Pfeifchen, kein Fähnchen oder sonst ein Firlefanzchen, womit auf dem europäischen Kontinent dieser Akt gefeiert zu werden pflegt. Nicht einmal die Dampfpfeife entsetzt unsere unwagnerischen Ohren. Ein Ruck und wir fahren, und nur die Glocke auf der amerikanisch kolossalen und farbenreichen Lokomotive warnt, so lange es durch belebtere Gebiete geht, in langsamen Schwingungen begegnende Fuhrwerke.

Ueber den Viadukt und durch die Strassen von Oakland bimmelten wir so dahin. Dann gings schnelleren Tempos ins Freie und erwartungsvoll spähte ich aus dem Fenster nach den landschaftlichen Schönheiten, mit denen mir Kalifornien, ich weiss nicht auf Grund welcher gelesenen Schilderungen, ausgestattet sein zu müssen däuchte. Aber sie kamen nicht. War die Schlickzone, in der sich ein schmutziges Gesindel von Taschenkrebsen mit derselben Behaglichkeit wie an den vaterländischen Ufern des Jadebusens herumtrieb, überwunden, so erschien zunächst eine weite Alluvialebene mit zerstreuten Melonen- und Tomatofeldern, und in schmalen Wasserzungen, welche die Bai tief ins Land hineinstreckt, waren Fischer beschäftigt, künstlich angepflanzte Austern mittels eiserner Rechen einzuheimsen. Bald hatten wir diese letzten Vorposten des mir theueren Pacific Ocean hinter uns, man sah kein Wasser mehr, sondern nur dürre, staubige Stoppelfelder und hie und da eine Gruppe dürftiger, graugepuderter, laubarmer Bäume.

Bis nach Sacramento gab es im Zuge mehr Gesellschaft als angenehm war. Den Rauchwagen, der in Amerika zugleich als Sammelplatz des Lumpengesindels dient, beherrschten die Chinesen, von denen einige stillvergnügt lächelnd in chinesischen Unterhaltungsbüchern lasen, während die Mehrzahl blos rauchte und spuckte und klatschte und stank, die weissen Gentlemen reckten die Beine kreuz und quer nach allen vier Himmelsrichtungen in die Höhe, so dass man von den meisten nur die Stiefelsohlen sah, und im Drawing Room Car, der sich Nachts in den Sleeping Car verwandeln sollte, hatten Ladies und Kinder jeden Sitz in Beschlag genommen.

Ein Tunnel, ein paar schmutzige Flüsse, kahle Hügel, neublinkende Städtchen, chinesische Bahnarbeiter mit pilzförmigen Strohhüten, eine ungeahnte Menge von Staub und Dürre glitten vorüber. Die Sonne ging unter, der Vollmond ging auf, Tausende von Zikaden zirpten, so oft wir an einer der vielen kleinen Stationen hielten. Die Berge wurden nun höher, und wir fuhren in die Sierra Nevada hinein. Am nächsten Morgen war sie überwunden, die »Plains« lagen vor uns.

Man kann sich nichts Trostloseres denken, als diese Gegenden des äussersten nordamerikanischen Westens. Hat man das Unglück wie ich, sie von San Francisco aus und ohne Aufenthalt zu durchkreuzen, so passirt man die einzige höchstens zwölf Fahrstunden lange Naturschönheit, die Sierra Nevada, bei Nacht. Und auch bei Tag ist von der Sierra Nevada wohl nur wenig zu sehen. Denn fast ununterbrochen laufen die Schienenstränge unter Schneedächern hin, die bis auf die horizontalen Spalten zwischen den Brettern der Seitenwände nichts von einer Aussicht wahrnehmen lassen. Die Welt ist hier buchstäblich rechts und links mit Brettern vernagelt. Kommt dann endlich einmal eine Lücke, und freut sich das Auge der kühnen, spärliche Fichtenbestände tragenden Felsgründe und zackigen Berge, die wie ein Zauberbild plötzlich sich aufthun – eine halbe Minute, und wieder schiessen die öden, dunklen Bretterwände dicht vor dem Fenster vorüber.

Hat man auf solche Weise die Sierra Nevada genossen, so gelangt man in die gemeinste, niederträchtigste Landschaft der Erde, von deren Erbärmlichkeit keiner sich einen Begriff bilden kann, der nur die anmuthigen Gefilde des schönen Europa kennt.

Eine schmutzig gewordene Kalkgrube, vertrocknet, in lauter kleine Inselchen zerklüftet, bürstenartig besetzt mit dürren, verstaubten Artemisiabüscheln, bis ins Unendliche ausgedehnt – dies ist ungefähr der Boden, über den man zweimal vierundzwanzig Stunden im Tempo eines deutschen Bummelzuges, obgleich man »Express« fährt, sich durchquälen muss. Die kleinste Maus ist auf hundert Schritte bemerkbar, indem sie ein Staubsäulchen emporwirbelt. Staub, fressender alkalinischer Staub, dringt wolkenweise durch alle Oeffnungen in den Wagen, äzt Augen, Lippen und Nase wund, macht die Haut des Gesichts und der Hände spröde und rissig und erzeugt ein Gefühl, als ob man ersticken sollte. Man hat nicht einmal die Erleichterung des Schwitzens. Die durstige Atmosphäre lässt keine tropfbare Flüssigkeit aufkommen. Alles ist heiss und trocken.

Immer und immer frägt man sich wieder: »Wie ist es möglich, dass über dieses phänomenale landschaftliche Scheusal so wenig bei uns bekannt ist, ja dass vielfach gerade die günstigsten Vorstellungen über die Szenerien herrschen, durch welche die Pacific Eisenbahn führt?« Die Antwort darauf und zugleich eine Quelle unerschöpflicher Heiterkeit erhält man, wenn man sich von dem fliegenden Zeitungshändler, der den Zug begleitet, um zwei Dollars »Williams Pacific Tourist« kauft.

Das Buch ist eine echt amerikanische Lektüre. Es nennt sich selbst »the handsomest Guidebook in the World«, »the most beautiful Book of Western Scenery ever issued«, »the most complete, accurate and reliable Transcontinental Guide ever known«, »officially endorsed by the Pacific Rail Road Companies«. Den ersteren Qualitäten liegen etwa dreihundert Seiten Text, mit der unübertroffenen Sauberkeit amerikanischer Typographie gedruckt, und sehr viele theils mittelmässige, theils schlechte Holzschnitte zu Grund. Letztere Eigenschaft ist die beachtenswertheste. Wir haben es mit einem offiziellen Rhapsoden zu thun, der seine Inspirationen auf richtige Yankeeart aus der Kasse der Pacific Rail Road Companies bezogen hat. Mister Williams hat, wie er selbst in der Vorrede sagt, zum Zweck seines Buches neun Monate hier herumgereist, er hat vier grosse »Editorial Parties representing over 150 Journals and a total Circulation of over 3 000 000« zu den »Wonders of the West« geführt und ist in Folge dessen in der Stimmung, die Gegend, die uns scheusslich vorkommt, als »wonderful« und »overwhelming« zu preisen. Wenn die Leistungen der Pacific Rail Road Companies nur halbwegs proportional waren den Leistungen des Mister Williams, so muss dieser Edle schweres Geld gekostet haben.

Es ist bezeichnend für die Gegend, dass fast jeder zerbröckelte, röthlich verwitterte, gemeine Felsblock, der aus der unendlichen Kalkgrube über Mannshöhe herausragt, einen hochtrabenden Namen besitzt. So ein Felsblock hat meist eine gewisse Aehnlichkeit mit alten Ziegelmauern bei uns, die eben abgebrochen werden, ist gewöhnlich sehr unschön geformt, mit Einem Worte gemein. Mister Williams aber vermag das alles bezaubernd, entzückend, überwältigend zu finden und vor jedem derartigen Gebilde wollüstig die Augen zu verdrehen und ein halbes Dutzend frohlockender Bocksprünge zu machen.

Was müssen die armen Emigranten hier ausgestanden haben, als es noch keine Pacific Eisenbahn gab, als sie noch Monate und Monate lang mit Pferden und Karren sich über die endlose Alkaliwüste zu schleppen hatten. Wie viel Jammer und Elend mag hier gelitten, wie viel sehnsüchtige Seufzer mögen hier dem fernen Kalifornien entgegengeschickt worden sein. Und waren sie endlich am Ziel ihrer Qualen, wie oft wurde bitterste Enttäuschung ihr Lohn. Denn auch Kalifornien ist durchaus nicht das Land, wo überall Milch und Honig fliesst. Ein Dritttheil des Staates ist Wüste, und alle die ekstatischen Schilderungen seiner Schönheit und Fruchtbarkeit sind Uebertreibung und von den Pacific Rail Road Companies bezahlter, berechneter und bewusster Schwindel. Aber der Schwindel hat sich rentirt und zwar auf doppelte Weise. Denn es fahren jährlich auf dieser theuren Bahn nicht blos Tausende hoffnungsvoll von Osten nach Westen hinüber, sondern auch Tausende um Vieles ärmer und fluchend wieder zurück.

Der ganze tägliche Verkehr beschränkt sich auf vier Züge, je einen Express- und je einen Emigrantenzug ostwärts und westwärts. Erstere brauchen zwischen New York und San Francisco genau sieben Tage und sieben Nächte, letztere zwei bis drei Wochen. Auch der Expresszug hält auf allen Stationen, oft länger als begreiflich, und seine Schnelligkeit bleibt hinter dem bei uns mit diesem Ausdruck verknüpften Begriff der Eile weit zurück.

Von den Stationen sieht eine so ziemlich aus wie die andere. Täglich drei sind dadurch hervorragend, dass man eine halbe Stunde Zeit hat, die üblichen drei Mahlzeiten zu nehmen. Noch während wir in eine solche Breakfast- oder Dinner- oder Supper-Station einfahren, tönt uns von der Restauration eine Glocke oder ein Gong die Aufforderung zum Besuch in die Ohren. Sind zwei oder drei Konkurrenten vorhanden, so sucht jeder den anderen durch Lärm zu überbieten. Oft erfreut das Auge an solchen Oasen ein plätschernder Springbrunnen, der jedoch nur so lange spielt als der Zug hält, und etliche dünn belaubte Bäumchen, die sich bemühen einen grünenden Garten zu heucheln. Ein grosses Wasserreservoir hoch auf Pfählen errichtet, daneben ein kolossales blauweissrothes Windmühlenrad, welches zuweilen knarrend sich in Bewegung setzt um zu pumpen, ein Dutzend hölzerner Schuppen und drei oder vier Erdhütten von chinesischen Arbeitern bewohnt, ein Pferch zum Verladen von Rindvieh, gleich hinter der nächsten Ecke und überall ringsum die öde Steppe – dies ungefähr ist das Bild von all den kleinen Ansiedelungen, die sich bald Humboldt, Bismarck oder Sherman, bald Winnemuka oder Paiute nennen. Weissgekleidete Chinesen sind die Wärter der Tafel, an der Thür steht der Wirth und lässt sich beim Hinausgehen von den Gästen je einen Dollarzettel in die Hand drücken. Denn seit wir den Staat Nevada betraten, sind wir der kalifornischen Silber- und Goldwährung entrückt und wieder im Gebiete der Greenbacks. Auffallend häufig findet man hier in den Restaurationen als Zeugen des Mineralreichthums der Gegend schöne Sammlungen von Kupfer-, Silber-, Zinn-, Antimon- und Bleierzen hinter Glaskästen ausgestellt.

Etwas ganz Unschätzbares sind die Waschzimmer auf allen Stationen und zwar geräumige, reinliche Waschzimmer mit grossen Waschschüsseln und einem Ueberfluss von Wasser, der nichts zu wünschen lässt. Neben jedem Becken liegt ein Stück vortrefflicher Seife, und ausgiebige, bettlakengrosse Handtücher auf Rollen hängen an den Wänden. Wer die Kosten dieses höheren Kulturzustandes trägt, ob die Bahn oder der Restaurateur, weiss ich nicht, aber keinem Menschen fällt es in Amerika ein, für solche selbstverständliche Bedürfnisse Zahlung zu verlangen. Wie viel wirklich vornehmer sind doch diese elenden Wüstenstationen als unsere glänzenden Eisenbahnhöfe, die in Bezug auf gewährte Reinlichkeit mehr den Anschauungen jenes polnischen Juden entsprechen, der einmal verwundert äusserte »Es ist doch sonderbar, dass man sich hie und da die Hände wäscht aber nie die Füsse«.

In Humboldt sah ich meine ersten sechs Indianer, sechs braune, schmutzige und zerlumpte Kerls mit finsterem Gesichtsausdruck und langen straff heruntergekämmten Haaren, graue Filzhüte auf dem Kopf und rothe Decken um die Schultern. Auch zwei alte runzelige Squaws mit einigen halbnackten Kindern eilten herbei und machten sich sofort daran, die Passagiere des Zuges abzubetteln, indess die Männer keine Notiz von uns nahmen.

Von nun an fehlten diese sogenannten Rothhäute fast auf keiner Station, aber nirgends kamen mir mehr als höchstens ein Dutzend zu Gesicht. In Winnemuka waren sie schon ächter. Dort hatten die meisten ihre dunklen Wangen mit Zinnober geschminkt, und selbst ein über und über schmieriger Säugling, welchen eine Squaw in dem bekannten Holzgestell mit Dach auf dem Rücken schleppte, trug seine kleine Stumpfnase mit einem Zinnobertupfen verziert, während die Spuren seiner Ausscheidungen eine aus mehreren Schichten gebildete breite Linie über den Rock der Mutter herab gezeichnet hatten.

Ein Mann von etwa vierzig Jahren ragte gebieterisch hervor, eine stattliche stylvolle Erscheinung voll Trotz und Grimmigkeit in den scharfgeschnittenen Zügen. Gegen ihn waren alle die Anderen nur skrophulöses Gesindel. Der Kinnriemen an seinem Hute war mit Silberplättchen beschlagen, in der Hand hielt er eine Flinte.

Später, zu Battle Mountain, trat in der Bemalung eine zur Ornamentik verfeinerte Mode auf. Quer über Wangen und Nase wechselten horizontale rothe und gelbe Streifen, letztere in einem Falle sogar noch regelmässig mit rothen Punkten besetzt. So unsauber und nachlässig der sonstige Anzug war, in diesen Gesichtsmalereien herrschte die grösste Akkuratesse und Symmetrie. Gerne hätte ich die braunen Söhne der Wildniss sprechen gehört, aber sie unterbrachen niemals ihr düsteres Schweigen, wenn ich sie zu belauschen wünschte, ganz anders als die lustigen Südsee-Insulaner. Ausser zwei hübschen Mädchen in reinlicher europäischer Tracht, die mir zu Ogden begegneten, sah ich kein einziges Indianerindividuum, welches Neigung verrieth, sich mit der Zivilisation auszusöhnen.

Der dritte Morgen der Reise dämmerte mir an den Ufern des grossen Salzsees. Schon gestern Abend waren allenthalben Bergzüge aufgetreten, isolirt aus der Ebene ragend. Endlich erscheinen auch wieder Bäume, und wir fahren in die Hauptstation Ogden ein, die zweite Stadt der Mormonen, von wo sich die Bahn nach Salt Lake City abzweigt.

Mit Ogden wird die Gegend wieder einigermassen menschlich geniessbar und bleibt es auch während der zwei Stunden langsamer Fahrt bis Salt Lake City.

Es giebt zwar keine Bäume ausser künstlich gepflanzten, aber doch sind die zahlreichen Gehöfte bereits mit einem nach zweitägiger Entbehrung doppelt anmuthigen Grün umgeben. Selbst die Berge sind mit eigenthümlichem Farbenreiz geziert. Grosse Flecken von duftig rosarothem Heidekraut überziehen die Gipfel, graugrün und gelb ist der übrige Boden, ein kaltes Weiss bezeichnet die schroffen Abstürze der Felsen. Rechts dehnt sich die dunkelblaue salzige Fläche des Sees innerhalb flacher und sumpfiger Ufer. Salzinkrustationen bedecken die ausgedörrten Tümpel an seinem Rande.

Das weite, sanft zu den Höhen ansteigende Thal bevölkert sich mit einer Menge zwischen Gärten zerstreuter freundlich blickender Häuser, und wo sie am dichtesten sich zusammendrängen, taucht aus ihnen das unförmige graue Schindeldach des Tabernakels empor wie ein Elephant aus dem Gewimmel der Jahrmarktsbuden oder wie ein Walfisch aus den hüpfenden Wellen – Salt Lake City.

Hier hoffte ich ein paar Tage auszurasten. Ein Streetcar mit zwei lebhaften Maulthieren entführte mich von den lotterigen Holzschuppen des Bahnhofs in die Stadt. Aussergewöhnlich breite, rechtwinklig sich kreuzende staubige Strassen sind von schattigen Alleen eingefasst. Neben den Seitenpfaden laufen muntere Bächlein. Die Häuser sind von Gärten umgeben und von Bäumen und Buschwerk anmuthig versteckt. Erst in den zwei oder drei Geschäftsstrassen stehen die Gebäude ohne Unterbrechung neben einander.

Salt Lake City hat etwa 25 000 Einwohner und ist bald durchwandert. Main oder East Temple Street ist die Hauptgeschäftsstrasse, die ganz allgemein amerikanisch aussieht. Ein paar Hotels, Kaufläden aller Art, eine Apotheke, mehrere Bierschenken und Schnapsbuden mit hochtrabenden und buntgemalten Namen setzen sie zusammen.

Am meisten fällt eine spezifische Mormoneneigenthümlichkeit in die Augen, der sogenannte Bee Hive Store, ein grosses dreistöckiges Gebäude aus Ziegelstein mit mächtigen Glasfenstern an der Frontseite. Ueber dem Eingang glänzt ein goldenes Auge Gottes und darum herum in goldenen Lettern die Aufschrift »Holiness to the Lord. Zions Cooperative Mercantile Institution«. Treten wir unter diesem geschmacklosen Emblem der Muckerhaftigkeit ins Innere, so kommen wir in einen riesigen Bazar, in dem alle Artikel des menschlichen Bedarfs von der Dreschmaschine bis zur Nähnadel, vom Bärenpelz indianischer Zubereitung bis zur Küchenschürze, vom Oelfarbendruck bis zum Briefpapier zu haben sind. Die Grundfläche und eine dreifache Reihe von Gallerien übereinander sind mit Waaren bedeckt. In einem umgitterten Raum werden Geldgeschäfte abgemacht. Ein lebhaftes Treiben von Käufern und Verkäufern rechtfertigt einigermassen den Namen »Bienenkorb-Lager«. Das Beste von dem Institut ist, dass es auf Kosten und zum Vortheile der ganzen Gemeinde gehalten wird, dass es also einen Konsumverein grössten Massstabes darstellt. Nur Mormonen dürfen an seinen Wohlthaten partizipiren.

Hinter einem Haufen Kleiderstoffe fand ich dort einen alten Bekannten wieder. Ich war mit ihm auf demselben Schiff von Viti nach Honolulu gefahren. Er gehörte damals jener Konzertgesellschaft an, die in Honolulu von jenem Reverend mit seinem Tower von London so schmählich angeführt wurde, und spielte Trompete. Jetzt schwang er die Elle und schien, als ich ihn ansprach, etwas verlegen sich seiner Künstlerrolle entkleidet zu sehen. Ich erinnerte mich nun, dass damals viel gemunkelt wurde, unter der Konzertgesellschaft befände sich auch ein Mormone.

Die Mehrzahl der Strassen trägt einen stillen, friedlichen, ländlichen Charakter. Man begegnet nicht vielen Menschen. Ueberall Alleebäume und Obstgärten, lange Mauern und Zäune, überall murmelnde Bächlein, die geschäftig dem tiefergelegenen Jordanfluss zueilen. Salt Lake City erfreut sich eines sehr glücklichen Wasserreichthums, ohne welchen bei dem trockenen Klima keine Kultur möglich wäre. Der stets wolkenlose Himmel, die glühende Sonne, die Menge von Staub, die roth betroddelten Maulthiere vor den Streetcars erinnern an den Süden und an Mexiko. Von der Quintessenz des Mormonenthums, der Vielweiberei, ist auf den Strassen kaum eine Spur wahrzunehmen. Nicht etwa, dass da Ehemänner mit zehn Frauen und fünfzig Kindern spazieren gingen. Höchstens draussen auf dem Land sieht man zuweilen einen Bauern fahren, der zwei oder drei jüngere Weiber hinter sich sitzen hat.

Eines der merkwürdigsten Gebäude der Erde ist unzweifelhaft das Tabernakel, welches in Mitte eines eigenen Blocks liegt, umgeben von einer hohen Mauer. Ursprünglich war dieser Block bestimmt, Zentrum der Stadt zu werden. Es erging ihm aber wie dem Kapitol zu Washington. Die Stadt wuchs nicht gleichmässig ringsherum, sondern fast ausschliesslich nach Süden und Osten, und so sieht sich jetzt das Tabernakel etwas auf die Seite geschoben, wenngleich die Strassen von ihm aus gezählt werden. Das Quadrat des Tabernakelblocks und somit die ganze Stadt ist genau nach den vier Himmelsgegenden gerichtet. Die dasselbe begrenzenden Strassen heissen Ost Temple Strasse, Süd Temple Strasse, West Temple Strasse, Nord Temple Strasse. Auf diese folgen parallel und rechtwinklig Erste, zweite Ost Strasse, Erste, zweite, dritte Süd Strasse und so weiter.

Das Tabernakel selbst bedeckt ein reguläres Oval von 76 Meter Länge und 46 Meter Breite. Auf die dieses Oval bildenden verhältnissmässig niedrigen Seitenwände, welche eigentlich nur aus Flügelthüren und massiven Pfeilern bestehen, ist das kolossale und plump vorspringende Schindeldach gestülpt wie eine riesige Eischalenhälfte. Das Innere, ein einziger 24 Meter hoher Raum ohne Abtheilungen, gemahnt an einen Kunstreiterzirkus, weshalb die Gentile-Presse, welche das Mormonenthum aufs Heftigste bekämpft, den Spitznamen »The old Ladies Hippodrome« erfunden hat. Unter »the old Lady« ist Brigham Young, der grosse Prophet und Papst, gemeint. »Gentiles« heissen alle Nichtmormonen.

An dem einen Ende, wo bei uns der Altar sein würde, befindet sich eine Orgel mit gelben Pfeifen, die grösste der Vereinigten Staaten und ganz und gar von einem Mormonen gebaut, wie der uns begleitende Küster stolz betont. Davor erhoben sich staffelförmig die Sitzplätze für die Hirten der heiligen Heerde, zu oberst das gepolsterte Sopha des Präsidenten nach unten durch eine Brüstung getrennt, diesem zunächst die lange Bank der zwölf Apostel, dann jene der Bischöfe und eine Art Kanzel für den das Sakrament spendenden Priester, neben welcher vier grosse hölzerne Fässer heiligen Wassers stehen. Zu welchem Zweck dieser Artikel hier vorräthig gehalten wird, konnte ich aus dem misstrauischen Küster nicht herausbringen. Tambu!

Ein kleiner Springbrunnen, der sich in dem imponirenden Raum erbärmlich ausnimmt, mit vier schmächtigen, schlecht modellirten steinernen Löwen bezeichnet die Mitte. Von der gewölbten Decke hängen gewaltige Lüster aus Fichtenzweigen und Papierblumen und verkehrte Christbäume als geschmackvolle Zierden herab, an den Wänden eben solche Guirlanden und geschmacklose Aufschriften im Style des hier ewig wiederkehrenden »Holiness to the Lord«.

Das Tabernakel soll 12 000 Menschen fassen und durch die vielen Thüren in wenigen Minuten gefüllt und geleert werden können. Nur im Sommer wird dasselbe benützt, im Winter ist es hierzu zu kalt, und dann wird der Gottesdienst in den einzelnen Wards abgehalten.

Es traf sich glücklich, dass während meiner Anwesenheit in Salt Lake City gerade eine grössere Versammlung der Heiligen stattfand. Das ganze kolossale Haus war voll von Männern, Weibern und Kindern. An einem der Eingänge kauerten zwei Indianerinnen mit rothgemalten Gesichtern, zerlumpt und starrend von Schmutz. Auch sie gehörten zu den Mormonen.

Unter der Menge herrschte wenig Aufmerksamkeit auf die Worte jenes Apostels, der eben sprach. Ich sah kein einziges, scharfes, entschlossenes Gesicht vom Schlag des typischen Amerikaners, und die meisten Anwesenden hielten das Maul offen. Die Frauenzimmer waren hässlich, und die orthodoxe, fromme Scheulederhaube, die viele aufhatten, trug nichts dazu bei, sie zu verschönern. Kindergeschrei und der Lärm beständigen Kommens und Gehens trieb mich nach vorn, damit ich von den Reden etwas hören konnte.

Auch unter den Aposteln schienen die dummen Gesichter, denen gegenüber drei oder vier Gaunerphysiognomieen eine Art Intelligenz vertraten, zu prädominiren. Mehrere sprachen nacheinander, wobei wenig Geist und viel Gefasel zum Vorschein kam.

Der ewige Refrain war, dass die Mormonen besser seien als alle anderen Menschen. »Wo beginnt das Reich Gottes? Bei den Vätern und Müttern. Lasst die Väter reinen Herzens sein und lasst die Mütter reinen Herzens sein, und auch die Kinder und die ganze Familie werden reinen Herzens sein. Auch Abraham, Isak und Jakob waren reinen Herzens. Denn sie sind die Gründer des Reiches Gottes, und wir sind die Heiligen des letzten Tages, und weil wir die Heiligen des letzten Tages sind, sind wir reinen Herzens. Hier stehen wir vor dem Volk, hier stehen wir vor der ganzen Welt. Aber wir sind reinen Herzens und gehören zum Reiche Gottes«. Solches redete wörtlich in der grössten Gemüthsruhe ein alter Kerl mit einem abgefeimten Galgengesicht. Er sah gescheidter aus als seine Predigt. Für das stupide Gesindel vor ihm mochte sie allerdings gut genug sein, er hielt es offenbar nicht der Mühe werth sich anzustrengen.

Nach ihm stand ein Apostel von der nicht verschmitzten Sorte auf und sprach ungefähr ganz dasselbe, als ob er zeigen wollte, dass er gut aufgepasst habe. Vielleicht auch ist es wahr, was mir ein Gentile anvertraute, dass die Apostel insgesammt nur etwa ein Dutzend Reden im Vorrath haben, mit dem sie Jahr aus Jahr ein ihre geduldige Heerde erbauten. Alle diese Figuren von Krämern und Schlächtern, jedes idealen Zuges baar, die sich da als Gesalbte des Herrn geberdeten und von der Kanzel herab mit auswendig gelernten Phrasen herumwarfen, widerten mich aufs Intensivste an. Welches Mass menschlicher Dummheit setzte die Möglichkeit einer solchen Machtentfaltung solcher Apostel voraus.

Brigham Young sass in seinem Sopha so tief hinabgerutscht, dass nur der oberste Theil seines greisen Hauptes über der Brüstung sichtbar war. Er las eine Zeitung und kümmerte sich nicht um den Unsinn, den unter ihm die Anderen schwatzten.

Endlich richtete er sich etwas auf, als sein Sohn zu ihm trat und neben ihm Platz nahm. Die angelegentliche Konversation, die sich nun zwischen beiden entspann, gab mir Gelegenheit, den alten berühmten Propheten eingehender zu betrachten. Er trug eine dunkle Brille und sah bereits sehr gebrochen und altersschwach aus.[11] Sein unförmig dicker Hals schien kaum mehr die Kraft zu haben, den grossen kahlen Kopf, welchen ein amerikanischer Kehlbart halb umrahmte, zu tragen. Ich konnte nichts Imponirendes oder Ehrwürdiges an ihm entdecken. In seinem Blick lag etwas Giftiges, Boshaftes, und sein Gesammteindruck war mir der eines ganz ordinären, von Gewissensbissen geplagten Wucherers am Rande des Grabes, der niemals in seinem Leben edlerer Gedanken fähig gewesen.

[11]: Brigham Young ist mittlerweile 76 Jahre alt am 29. August 1877 gestorben.

Eine Pause entstand unter den Predigten. Keiner der Heiligen schien sich inspirirt zu fühlen. Da stupfte Brigham Young seinen Sohn an, worauf dieser das Wort ergriff, indem er sich ungeschlacht mit dem Ellbogen auf die Brüstung lümmelte. Auch Young junior hat bereits eine Glatze und mag hoch in den Vierzigen stehen. Er trug einen gewöhnlichen grauen Rock, und auch seine Züge waren gewöhnlich. Die kurze Rede jedoch, die er hielt, hatte allein unter allen, die ich gehört, etwas Feuer und Geist.

Als er zu Ende war, intonirte die Orgel eine Melodie, und ein Chor von Sängern und Sängerinnen hinter dem Prophetensopha sang mit guten und kräftigen Stimmen einen Choral, der mir sehr wohlklingend vorkam, nachdem ich schon lange nichts derartiges mehr gehört hatte. Hierauf ging die ganze Versammlung durch die gleichzeitig geöffneten Thüren nach sämmtlichen Himmelsrichtungen auseinander.

Das Mormonenthum ist wohl jene Konfession, die an Abgeschmacktheit, Verschrobenheit und Lüge alle anderen derartigen Erzeugnisse der so Bedeutendes leistenden anglo-amerikanischen Sektirerei übertrifft. Die Abgeschmacktheit beginnt schon mit der Persönlichkeit des Gründers Joseph Smith, aus dessen Kopf das ganze abstruse Zeug entsprang. Sein Bild ist in jedem Laden von Salt Lake City zu sehen. Man denke sich eine moderne Kellnerfigur mit glattrasirtem Gesicht und ängstlich glattfrisirten Haaren, mit hoher Halsbinde und langem Biedermeierfrack, die sich als Religionsstifter neben Moses, Christus, Mohamed stellt, die plötzlich mit ehernen von Gott mitgetheilten Gesetzestafeln auftritt, nächtliche Besuche von Engeln zu empfangen behauptet und ein neues Evangelium, »the Book of Mormon«, schreibt, in welchem die Sprache des alten Testamentes plump und ungeschickt nachgeahmt wird. Wer sich von der äussersten Widerlichkeit überzeugen will, bis zu der menschlicher Wahnwitz sich verirren kann, der lese einige Seiten aus dieser »Mormon Bible«.

Und das Machwerk einer solchen Karrikatur konnte nicht blos begeisterte Anhänger gewinnen, sondern auch Dinge vollbringen, die in der Kulturgeschichte eine achtenswerthe Rolle spielen. Tausende schaarten sich um den neuen Propheten, trotzten allen Anfeindungen und zogen tausende von Meilen durch die Wüste, um als neues Israel ein neues Jerusalem »Das Reich der Heiligen des jüngsten Tages« zu gründen.

Jetzt freilich ist es vorüber mit der Macht des Mormonenthums, und der grosse sechsthürmige Tempel, den Brigham Young zu bauen geplant hat, wird bis auf die bereits fertigen Mauern und das öde und verlassen gegen Himmel starrende Gerüst unvollendet bleiben. Die Pacific Eisenbahn hat dem Reich der Heiligen den Todesstoss gegeben. Immer mehr Gentiles kommen nach Salt Lake City, und immer mehr muss sich die auserwählte Heerde vor ihnen zurückziehen. Innere Zwistigkeiten nagen an ihrer Lebenskraft, die Apostel werden von der schnöden weltlichen Gerechtigkeit als gemeine Verbrecher, Räuber und Mörder entlarvt, die Proselyten fliessen immer spärlicher, und nur eine grössere Anzahl liederlicher Weiber, die ihren Männern entlaufen sind, namentlich aus Dänemark, Norwegen und Schweden, liefern noch jährlich einen stehenden Zuwachs. Die Gentile Presse leistet an Grobheit, Verachtung und Spott gegen die Mormonen amerikanisch Unübertreffliches. Man braucht nur eine einzige Nummer des »Salt Lake Daily Tribune« in die Hand zu nehmen, um sofort zu erkennen, dass das Mormonenthum jeden Schatten von Macht verloren hat.

An sonstigen Merkwürdigkeiten besitzt Salt Lake City ein Theater, ein Museum für Alles, eine kleine, aber fürchterliche Gemäldesammlung, das Schloss des Propheten, eine gothische Methodistenkirche und warme Quellen mit Badegelegenheit. Brigham Youngs und seiner vielen Weiber Behausung ist eben so geschmacklos wie die meisten Erzeugnisse seines Geistes. Eine dicke Mauer aus Bruchsteinen und Mörtel mit sehr vielen konischen Thürmchen aus demselben Material umgibt dieselbe, über dem Thor sitzt ein schadhafter hölzerner Adler, und unter ihm stiert wieder das so beliebte Auge Jehovas aus seinem dreieckigen Strahlenkranz. Das beste Gebäude der ganzen Stadt ist noch das Theater, wenngleich ein Kunstpedant an den allzu schlanken dorischen Säulen der Eingangshalle sich vielleicht stossen könnte. Auffallend häufig begegnet man hier skandinavischen Namen. Es fehlt indess auch nicht an Deutschen, Franzosen und Italienern, und auch der schlitzäugige »Yun Lee« oder »Sun Wau« ist mit seinem stereotypen »Washing and Ironing« schon bis hierher gedrungen.

Die Mormonen rühmten sich stolz, ein Mikrokosmus für sich zu sein, alle ihre Bedürfnisse selbst zu decken und keine fremden Produkte zu benöthigen. Spuren dieses Strebens sind überall noch bemerkbar, aber vorwiegend die üblen Einflüsse desselben. Mit Abgeschlossenheit und ängstlichem Fernhalten des belebenden Anstosses von Aussen hat es noch kein Gemeinwesen weit gebracht. Nur ein Stagniren der Talente und Kräfte ist die Folge eines solchen Systems.

Ich würde den Abstecher nach Salt Lake City vielleicht gar nicht gemacht haben, wenn mich nicht der Salzsee selbst mit seinen zwanzig Prozent Salzgehalt gereizt hätte, in ihm ein Bad zu nehmen. Früher konnte man aus vier Tonnen seines Wassers eine Tonne Salz durch Abdampfen gewinnen, jetzt sind hierzu fünf Tonnen nöthig. Der See wird dünner, sein Niveau steigt, möglicherweise in Folge eines stetigen Emporrückens des ganzen Landes, dessen höher werdende Berggipfel den Wolken immer mehr Feuchtigkeit abzuzwingen vermögen.

Eine breite gelbe Marschzone, durch die sich der Jordan mit seiner grünen Einfassung von Weiden und Pappeln schlängelt, trennt die Stadt und den See, und um in ihm zu baden, muss man mit der Western Utah Eisenbahn zwei Stunden nach Lake Point fahren, wo die Berge unmittelbar an sein Ufer treten.

Die Western Utah Eisenbahn war erst seit kurzer Zeit im Gang und hatte noch keine starke Frequenz. Sie reichte bis zu einer etwa doppelt so weit als Lake Point entfernten Bleimine »Ophir City« und brachte täglich einen Zug hin und zurück. Wir fuhren so langsam, dass man nebenher hätte laufen können, die Lokomotive hatte nur drei offene Wagen zu schleppen, die mit Minergestalten besetzt waren.

Es war ein herrlich schöner Tag, wolkenlos wie fast alle hier zu Lande im Sommer und Herbst. Die Luft zitterte glühend über den malerischen kahlen Bergketten ringsum, deren warme Farben von einem wunderbar zarten Duft übergossen erschienen. Gegen Norden die prachtvoll tief blaue Fläche des anmuthig gebuchteten und mit Inselbergen besetzten Salzsees – einige im Vordergrund weidende Pferde und Rinder ausgenommen, der dunkelste Ton in der ganzen strahlenden baumlosen Landschaft, das satteste Blau, welches ich je gesehen. Eine mir neue Art weisslicher Moskitos gesellte sich sehr unwillkommen uns bei.

Da wo zwischen den Bergen und dem See nur mehr ein schmaler Saum für die Bahn bleibt, liegt Lake Point. Weiterhin dehnt sich das Ufer wieder zu einer dürrgebrannten sanft ansteigenden Ebene, in deren Hintergrund eine kleine Ortschaft liegt, während in dem Mittelgrund einzelne niedrige Gehöfte zerstreut sind. Staubwolken steigen allenthalben auf, von langsam sich vorwärts bewegenden Pünktchen, welche Reiter oder Wagen vorstellen, erzeugt.

Lake Point besteht nur aus einem zweistöckigen Hotel, einem in den See hinausragenden Pier für ein zu Vergnügungsfahrten bestimmtes Dampfboot, sowie mehreren Badehütten, und ist ein reizend stiller, einsamer Winkel. Nur selten unterbricht das Zwitschern eines Vogels die herrschende Ruhe. Heuschrecken schwirren über die gelben Grasstoppeln hin. Unter diesen sah ich häufig eine Art, welche ich anfangs für Trauermantelfalter hielt. Ganz dieselben schwarzen, gelbgeränderten Flügel, ganz derselbe flatternde aber ausdauernde Flug wie jene Schmetterlinge.

Ich verfügte mich sofort in die dicke Salzlake des Sees und überzeugte mich von der bereits gelesenen Thatsache, dass man in ihr nicht untertauchen kann. Es war ein höchst sonderbares, fremdartiges Gefühl, so getragen zu werden. Gleichwohl würde ein des Schwimmens Unkundiger in dieser zwanzigprozentigen Flüssigkeit eben so sicher ertrinken wie in destillirtem Wasser. Das nachgiebige Medium sucht den Körper beständig horizontal zu legen, und bei der geringsten Bewegung dreht man sich um die eigene Achse, so dass das Gesicht und damit die Oeffnungen für die unentbehrliche Athemluft bald nach oben bald nach unten sehen, wenn man nicht durch zweckmässiges Benehmen dagegen anzukämpfen weiss. Ich fand es nicht schwer, durch sorgfältiges Biegen und Strecken des Körpers auch in aufrechter Stellung mit gekreuzten Armen das labile Gleichgewicht längere Zeit zu erhalten. Man steht dann im tiefen Wasser, nur bis zu den Brustwarzen eintauchend, wie eine lebende Senkwage. Weniger leicht und äusserst ermüdend fand ich das Vorwärtskommen. Ein Leander oder ein Kapitän Webb wäre im Grossen Salzsee von Utah kaum denkbar.

Noch eine andere Erfahrung wurde mir zu Theil. Wenn schon die Salzfluth des gewöhnlichen vierprozentigen Meeres abscheulich schmeckt, so ist dies hier noch viel intensiver der Fall. Bei meinen verschiedenen Experimenten geriethen mir etliche Tropfen durch die Nase in den Schlund, und ein sofortiger Brecherguss war die interessante, aber unangenehme Folge davon. Es soll auch, wie ich mich später erkundigte, noch keinem Menschen vergönnt gewesen sein, einen derartigen Reiz ohne solche Reaktion auf sich wirken zu lassen.

Eine Menge kleiner Krebse aus dem Geschlecht der Artemien tummelte sich um das Pier herum. Ich fing ihrer ein paar Dutzend, und da sie alle ziemlich tief schwammen, und die einzig mögliche Fangmethode mittels der luftgefüllten Flasche, die ich plötzlich umdrehte, so dass das Wasser und zugleich einzelne Thierchen hineinstürzten, umständlich und langweilig und die Temperatur des Sees sehr kalt war, so fror ich beträchtlich, und zähneklappernd entstieg ich dem lehrreichen Bade.

Als der primitive Bummelzug aus Ophir City am Abend mich wieder abgeholt hatte und wir nach Salt Lake City zurückdampften, brauchten wir für die kurze Strecke noch länger wie am Morgen. Einmal fuhren wir auf einer Zweigbahn in einen abseits gelegenen Sandbruch ein, um einen Sandwagen anzuhängen, und zweimal mussten wir mitten in der Ebene halten, zuerst weil ein Bauer seinen leeren Karren auf den Schienen hatte stehen lassen, bis der Lokomotivführer ihn in den Graben hinabschob, und dann weil drei Ochsen eigensinnig darauf bestanden, lustig mit hoch erhobenen Schwänzen vor uns her zu traben. Und während wir gerade im vollen Lauf waren, hatte ich doch noch immer Zeit genug, schnell herab zu springen, eine unvorsichtige Natter, die an der Böschung hinkroch, einzuheimsen, nachzulaufen und wieder aufzusteigen.

Ehe ich Salt Lake City für immer verliess, machte ich noch einen Spaziergang nach Camp Douglas.

Vor ungefähr dreissig Jahren, als Brigham Young sich stark und entfernt genug fühlte, der Regierung in Washington Trotz zu bieten, sandte diese mit riesigen Kosten ein Heer unter General Douglas aus, um ihn zu unterdrücken. Camp Douglas, das ehemals befestigte Lager der Expedition, auf einer die Stadt beherrschenden Höhe im Hintergrunde gegen die Berge zu gelegen, erzählt noch heute von jener Geschichte und beherbergt noch heute eine kleine Besatzung, obwohl die Macht des Mormonenthums längst gebrochen ist.

Links und rechts von der ansteigenden staubigen Strasse eilen tief verborgen unter staubbedeckten Artemisiabüscheln kleine Bäche herab, überraschend mitten in der dürren Wüste. Camp Douglas selbst ist wieder eine grüne Oase, ein schöner quadratischer Exerzierplatz mit Akazienbäumen bepflanzt und umgeben von Barackenkasernen und Offizierswohnungen mit sauberen blumenreichen Gärtchen davor. Am Eingang stehen die Wache und einige alte Geschütze. Der Posten hatte vier scharfe Patronen im Gürtel stecken, zu welchem Zweck, blieb mir bei der Abwesenheit eines Feindes und bei der sonstigen Gemüthlichkeit, mit welcher der Dienst betrieben zu werden schien, räthselhaft.

Es war Abend, und die grosse Flagge, die von der Spitze eines hohen Mastes wehte, sollte niedergeholt werden. Die ganze Besatzung, etwa hundert Mann, lauter Artillerie, versammelte sich in Reih und Glied zum Appell. Vier Offiziere stülpten weisslederne Handschuhe über die Finger und rasselten mit ihren Säbeln, mehrere Soldaten trugen statt des Käpis einen Schlapphut. Die Sonne ging glühend unter. Die Wache trat ins Gewehr, ein Trompetensignal, ein Trommelwirbel, ein Kanonenschuss, und das Sternenbanner stieg langsam und gravitätisch herab.

Unten im weiten ebenen Thale lag friedlich die Stadt mit ihren rechtwinkligen Blöcken von Häusern und Gärten, die vom Schein des wolkenlosen Abendhimmels glitzernde Fläche des Salzsees und der Silberfaden des Jordanflusses. Ringsum die blauen Berge. Nach Osten zieht sich der Telegraphendraht in einen Sattel hinauf. Er geht noch den alten Weg, den einst die Auswandererzüge nach Kalifornien genommen haben, ehe die Pacific Railroad existirte.

XXVI.
VON SALT LAKE CITY NACH NEW YORK.

Frömmigkeit und Prellerei. Emigrantenzüge. Die Prairien. Omaha. Eine unangenehme Nacht. Präsidentenwahl zum Zeitvertreib. Niagara Fall und Stadt. Das Amerikanische und das Kanadische Ufer. Praktischer Sinn der Niagarenser. Herbstliche Färbung.

Ogden ist ungefähr halbwegs zwischen San Francisco und Omaha. Von hier an heisst die Bahn Union Pacific und die Passagiere haben hier die Wagen zu wechseln. Die Leiter dieser Linie scheinen mit grosser Frömmigkeit begnadet zu sein. Denn in jedem Wagen liegt eine Bibel auf. Ich habe aber nie jemand darin lesen sehen. Die Mucker befolgen die nämliche Politik wie die Schneider und Quacksalber. Es bleibt doch immer ein Weniges hängen, auf diesem psychologischen Moment beruhen ebensowohl die überall herumgestreuten Traktätlein und Bibeln, als die überall an die Felsen geklecksten Reklamen.

Als ich in Ogden einstieg, um weitere drei Tage Pacific Bahn abzubüssen, kam der Gepäckmann, nahm mir meine Flinte ab und sagte, ich müsse einen Dollar zahlen dafür dass er sie aufbewahre. Ich war empört über solche Zumuthung, die ich für einen plumpen Schwindel hielt. Und doch war der gute Gepäckmann in seinem Recht. Denn als ich mich bei dem nächsten Superintendent in Evanston beschwerte und frug, was denn dieser Dollar eigentlich zu bedeuten habe, ob Strafe oder Zoll oder Extrafracht, nachdem ich für mich und meine Koffer bereits Alles bezahlt, wurde mir die Antwort zu Theil, die Direktoren der Linie hätten ihren Bediensteten das Privilegium gegeben, jede Flinte der Passagiere aufzubewahren und dafür einen Dollar zu berechnen.

Es war gewiss eine ganz lobenswerthe Vorsicht den Passagieren ihre Waffen einzusperren, in einer Gegend, die vor noch nicht sehr langer Zeit dem Auswurf des Erdballs als Sammelplatz und Schlupfwinkel diente, wo vor Kurzem noch Mord und Todtschlag die Tagesordnung beherrschte und die Hälfte der Bevölkerung »in den Stiefeln«, das heisst auf dem Wege des Todtgeschossen-, Todtgestochen-, Todtgeschlagen- oder auch Lynchweise-gehenktwerdens starb. Dafür aber noch Bezahlung zu verlangen, war eine schmähliche Prellerei. Von Omaha bis Chicago auf der Rock Island Pacific kostete die Flinte abermals einen Dollar Privilegium.

Da die Gegend wieder zu abscheulich und trostlos wurde, um sie anzusehen, nahm ich wieder Mister Williams Pacific Tourist zur Hand, um mich wenigstens an den Schilderungen der mir unfassbaren Schönheiten schadlos zu halten.

Im Thal von Uintah zeigten sich einzelne Fichten auf den Bergen, und Schneestreifen schmückten die Furchen ihrer Gipfel. Im Vordergrunde eine Geröllebene, durch die sich schmutzige Bäche ziehen, gelbe Weiden und Pappeln an den Ufern. Ein Emigrantenkarren stand unten am Bahndamm. Die Pferde waren ausgespannt und weideten das spärliche dürre Gras ab. An einem Feuer sass die Frau mit zwei zerlumpten Kindern und kochte, unweit davon am Rande eines Wasserlaufs sass der Mann und hielt eine Angelruthe in die trübe Flüssigkeit. Ob diese weisse Zigeunerfamilie westwärts oder ostwärts wanderte, war nicht zu entscheiden.

Noch jetzt also giebt es abenteuerliche Existenzen, die trotz der Bahn in der alten beschwerlichen, langsamen Art durch die öden Wildnisse reisen. Später einmal in der Dunkelheit passirten wir ein grösseres Lager von Emigranten mit mehreren Wachtfeuern.

Bedauerlicher Weise kam auch hier wieder die Nacht, als wir den zweiten landschaftlich genussreichen Abschnitt der Bahn, die durch Ausläufer der Rocky Mountains hergestellte Unterbrechung der ewigen Gegend, passirten. In aller Frühe des nächsten Morgens dehnte sich die monotone Ebene der Laramie Prairien vor uns, und im Laufe des Vormittags hielten wir an der Station Sherman, 8242 Feet oder 2510 Meter über dem Spiegel des Meeres. Dies ist der höchste Punkt der Bahn, von dem aus das Land gegen Osten abzudünen beginnt. Sherman war auch damals für mich der höchste Punkt, den ich je erreicht hatte.

Fast alle die elenden primitiven Stationen, durch die wir nun fuhren und an denen wir leider auch hielten, hatten hochtrabende Namen. Nur eine einzige und nicht die schlechteste hiess, wie sie eigentlich insgesammt heissen sollten, nämlich Miser. Etwa zwanzig Blockhütten sind in einer Reihe neben den Schienen aufgepflanzt. Weissgemalte Bretterfronten mit bombastischen Aufschriften in grossen Lettern und allen Farben sollen ihre wahre Natur maskiren. »City Emporium« nennt sich zum Beispiel so ein Bauwerk. Ein Stiefel hängt vorne heraus, und ein krummbeiniger schäbiger Kerl mit einer Schnapsnase und einem Pfeifenstummel steht unter der Thüre. »Drinking Saloon, Drinks 12½ Cents«, worunter aber hier zu Lande 15 Cents zu verstehen sind, da es keine einzelnen Cents und noch viel weniger halbe giebt, lautet der Titel einer anderen, die bei uns zu schlecht für eine Almhütte wäre. Biegt man um die nächste Ecke der Ortschaft, so ist man bereits in der dürrgebrannten Wüste, die auf- und ab undulirend, bis zum Horizont sich ausdehnt, und über welcher sehr wirkungsvoll schöne blaue Berghäupter mit Schneeflecken emportauchen. Hie und da sind vielleicht noch ein paar umzäunte Vierecke für Rinder, umzäunt in jener amerikanischen Art, die ganze Balken zickzackförmig in einander legt, eben so viel Zaunmaterial als Boden verschwendend.

Immer weiter und weiter geht unsere Fahrt. Aber nicht etwa mit der erwarteten rasenden Schnelligkeit des Amerikanerthums, sondern so langsam und mühselig, dass ein deutscher Bummelzug uns einholen könnte. Links und rechts hat die Gluth der Lokomotive einige Grasstoppeln angezündet. Die prasselnden Flammen schreiten jedoch nicht weit, denn es weht kein Wind, und die Stoppeln ragen einzeln und inselweise aus dem trockenen staubigen Schlammboden. Zuweilen lassen sich in der Ferne weidende Antilopen sehen, in kleine Gesellschaften von vier oder sechs Stück vereinigt. Sie nehmen keine Notiz von uns, wenn sie nicht gerade sehr nahe sind, und dann gallopiren sie eilig über die nächste Terrainwelle.

In Medicine Bow kampirte ein kleines Kommando Soldaten unter Zelten und führte offenbar ein sehr armseliges Dasein. Zwei Wachen standen auf beiden Seiten unter Gewehr, als ob der Feind in der Nähe sei. Es war eben wieder einmal Indianerkrieg in den Black Hills, und in Laramie lagerte noch mehr Militär. Auch Bäume gab es hier, sie schienen sich aber nicht wohl zu fühlen.

Endlich kam ein kleines Excitement, die Dale Creek Schlucht nämlich, über die eine äusserst verdächtige Brücke, 40 Meter hoch, 200 Meter lang und aus Holzfachwerk, führt. Der Zug bremste seinen Lauf zu der Geschwindigkeit eines Fusswanderers, dann gings behutsam und sachte auf das morsche Gestell. Die Balken krachten und stöhnten, und das ganze Gebäude, die Brückenpfeiler, das Schienengeleise und unser Zug fingen an hin und her zu wackeln, dass man sich unwillkürlich an den Sitzpolstern festhielt. Nach Mister Williams ist die Brücke »one of the Wonders on the great Transcontinental Route«, und diesmal hatte er Recht.

Bald darauf kam ein einsames Haus in der baumlosen Ebene, welches unter den Passagieren ebenso viel Aufregung verursachte, wie auf hoher See ein Schiff in Sicht. Alle drängten sich an die Fenster um es zu sehen. Interessant wären mir die unglückseligen Geschöpfe gewesen, die es bewohnten und von denen keine Spur zu entdecken war.

Sehr oft unterbrechen Schneegallerien das Tageslicht. Man fährt dann eine Viertelstunde im Dunkeln und sieht weiter nichts als die dünnen Striche Sonnenschein, die durch die Spalten zwischen den Brettern vorbeiblitzen, was übrigens ungefähr eben so amüsant ist als der Anblick der unverhüllten Landschaft. Merkwürdig war mir, dass diese Schneegallerien fast mitten in der Ebene die Eisenbahn überdeckten, an Stellen, die nur ganz unbedeutende Einsenkungen zeigten. Wir hatten auch manchmal weite Umwege um solche flache Mulden zu machen. Allerdings mag der nivellirende Sturmwind, der im Winter über die Steppen braust, gerade in diesen scheinbar so geringen Vertiefungen genug Schnee zusammenfegen, und die Reste vertrockneter Bäche, die sich wie Muren durch sie hinziehen, deuten auf mächtige Wassermengen.

Auf der Station Sidney im Staate Nebraska, von welcher aus der nächste Weg zu den gerade nördlich gelegenen Black Hills abgeht, und zu der wir am zweiten Abend gelangten, trieben sich viele Indianer herum. Es waren regierungsfreundliche Rothhäute unter weissen Offizieren, lauter jugendlich kräftige Gestalten mit scharfgeschnittenen Zügen. Man hatte ihnen eine Art Uniform und Waffen gegeben, die ihnen viel Freude zu machen schienen, indem sie stolz und grimmig mit dem Säbel rasselten, den Revolver im Gürtel. Die meisten trugen grosse Ringe in den Ohren. Einer hatte schwarz und weisse Federn daran befestigt, einem anderen baumelte eine Schnur mit einem Hasenschwänzchen auf der Schulter herum. Ihre Gesichter waren nicht bemalt wie die der übrigen Indianer die ich gesehen. Wachtfeuer brannten neben dem Stationsgebäude, zu denen die wilde Soldateska eine überaus genussreiche malerische Staffage lieferte.

Am Mittag des 9. Oktober mussten wir nach Omaha kommen. Als ich mich Morgens von meinem Lager erhob, war noch nichts von der Annäherung an das Bereich der Kultur zu merken. Immer noch dieselbe trostlose Ebene. Kein Baum oder höchstens ein paar verkrüppelte. Ueberall kurzes, gelbgedörrtes, mit Staub überzogenes Büffelgras, welches indess auch unsere europäischen Rinder gern fressen sollen, wie mir mein Nachbar sagte.

Wenige Stationen vor Omaha begegneten wir einem westwärts fahrenden Zug, aus dessen Fenstern eine Menge Indianergesichter uns anstarrten.

Farmen und Getreidefelder treten auf. Etwas wie Waldesduft dringt in die Nase, die drei Tage lang nichts als Staub zu kosten bekommen hat. Laubbäume und Gebüsch in Menge, ein wirklicher kleiner Wald, und wir sind in Omaha.

Omaha ist jetzt eine Stadt von vielleicht 25 000 Einwohnern und für den europäischen Reisenden hauptsächlich dadurch interessant, dass es der Endpunkt der Union Pacific ist, dass man hier Züge wechselt, und dass hier das Gepäck mit einer beispiellosen Rohheit umgeladen und »recheckt« wird. Dies geschieht drüben am anderen Ufer des schmutziggelben Missouri, über den eine lange eiserne Brücke führt, in Council Bluffs, welches eine Vorstadt von Omaha darstellt, obwohl es bereits zu Iowa gehört. Der Missouri trennt diesen Staat von Nebraska.

Mit Stolz sah ich, wie mein deutscher Koffer, dem ich nicht mehr viel zutraute, die schwere Probe, ohne Umstände kurz aus dem Wagen auf die steinerne Platform herabgeworfen zu werden, ruhmvoll bestand, während einige amerikanische Kollegen erlagen und platzend ihren Inhalt dem Hohngelächter der fröhlichen Packknechte preisgaben.

In Council Bluffs spaltet sich die Pacific Bahn in drei Zweige. Drei Züge stehen neben einander bereit, um nach Uebernahme der Passagiere sofort gleichzeitig in verschiedenen Richtungen abzudampfen. Ich bestieg den mittleren, der über Rock Island nach Chicago ging. Die Gegend wurde nun hübscher als je, und ich war auch jetzt nach der dreitägigen ästhetischen Hungerkur für landschaftliche Anmuth viel empfänglicher denn je. Niedrige Wälder mit jungen Eichen die daraus hervorragen, wie man sie in Frankreich so oft sieht, wechselten mit Farmen, Obstgärten und abgeheimsten Getreidefeldern, auf denen rothe Kürbisse in der Sonnenhitze zeitigten. Alles sehr hausbacken und gewöhnlich, lange nicht so schön wie unsere deutschen Forste und unsere deutschen Fluren, aber die Wirkung des Kontrastes machte bescheiden und dankbar. Die Policemen auf den Stationen hatten jetzt wieder Uniformen, nicht mehr blos einen metallenen Stern auf der Brust wie westlich von Omaha.

Zwischen Davenport auf dem einen und Rock Island auf dem anderen Ufer wälzt sich der Mississippi dem Süden zu, ebenso schmutzig gelb wie sein Bruder Missouri und landschaftlich eben so reizlos wie dieser. Auf einer eisernen Brücke überschreiten wir ihn und betreten den Staat Illinois.

Bis Omaha waren nur wenige Passagiere im Zuge gewesen, und wir hatten uns dabei recht wohl befunden. Jetzt wurde es aber ungemüthlich. Wir fuhren »Express« und hielten trotzdem auf allen Stationen, die Wagen füllten sich immer mehr mit Menschen, die kamen und gingen. Ich hatte unglücklicherweise mein Bett und damit auch die Berechtigung zum Gebrauch des vollständig besetzten Saloon Cars einer Dame abtreten müssen und war somit gezwungen, die Nacht auf einem gewöhnlichen Sitz unter dem gewöhnlichen Eisenbahnpöbel zuzubringen, da es von nun an nur mehr Eine Klasse gab.

Ich bin niemals mit einer widerlicheren Menschensorte in Berührung gekommen als in jenen vierundzwanzig Stunden, in denen ich das nördliche Illinois durchkreuzte. Der ungebildete Durchschnittsamerikaner ist bekanntlich ein geborener Lümmel und rücksichtslos gegen Andere aus Grundsatz. Er hat eine gewisse Vorliebe, Anderen auf die Füsse zu treten, Andere zu rempeln und sich gerade dahin zu setzen, wohin ein Anderer eben seinen Hut gelegt hat. Lässt man irgend einen Gegenstand zu Boden fallen, gleich hat er seine Stiefel darauf und mit einer staunenswerthen Flinkheit hat er ihn vollgespuckt. Von all diesen Liebenswürdigkeiten erfuhr ich reichliche Proben, und ich müsste eben so ekelhaft werden wie jener Theil des souveränen Volkes von Illinois, in dessen Mitte ich jene vierundzwanzig Stunden zuzubringen hatte, wollte ich zu schildern versuchen, was man in solcher Gesellschaft von der nationalen Leidenschaft des Spuckens allein erleben kann.

Die demokratische Gleichberechtigung Aller ist gewiss ein sehr schöner Gedanke. Wenn nur nicht die Geruchswerkzeuge und andere Empfindungsorgane so oft gegen die Praxis desselben protestirten. Auch der amerikanische Frauenkultus ist zweifellos eine schöne Sache. Wenn nur nicht hier zu Lande jede feiertäglich geputzte Stallmagd, die auf zehn Schritt nach ihrem nützlichen Berufe duftet, eine Lady zu sein und ladyhafte Ansprüche machen zu müssen glaubte. Ich sehnte mich lebhaft nach unserem europäischen, sonst so verwerflichen Kupeesystem, bei dem man doch wenigstens nur mit sieben unangenehmen Subjekten zusammengesperrt werden kann.

An manchen Städten und Städtchen gings vorüber, von denen noch nichts in der Geographie steht, die aber doch schon viele tausend Einwohner haben, und in denen ein emsiges Leben von qualmenden Fabriken, von dampfenden Maschinen, von Kanälen, Strassen und Brücken voller Verkehr pulsirt. Bremen (sprich »Brümmin«) hiess eine Station und erinnerte durch die flache, monoton grüne Weidelandschaft und einige Windmühlen an ihre Pathe, das deutsche Bremen. Eine andere hiess Joliet. Der Schaffner rief »Eioleiet«, was jedoch für ein unkundiges Ohr auch »How do you like it« klingen konnte. Joliet ist, wie schon der Name sagt, eine Ansiedlung französischer Abkunft.

Mein ursprünglicher Plan war gewesen, einen oder zwei Tage in Chicago zu bleiben. Ich gab ihn auf, um die lästige Reise so bald als möglich hinter mir zu haben, und fuhr gleich wieder weg. Nur den Niagara durfte ich mir nicht schenken. Ich war wahrscheinlich zum ersten und letzten mal in seiner Nähe.

Ich sah somit von Chicago nur einige Aussenstrassen, durch welche die Lokomotive langsam mit der Glocke bimmelte, und einige Masten und Getreideelevatoren, welche das süsse Meer des Lake Michigan repräsentirten.

Zwischen Chicago und Buffalo in den Staaten Indiana und Ohio bevölkerte ein weit besseres, anständigeres Publikum unseren Zug als im Staate Illinois. Es war viel die Rede von der bevorstehenden Präsidentenwahl, und von allen Seiten ertönten die Schlagworte Tilden und Hayes. Eine mir neue Art von Unterhaltung wurde veranstaltet. Man wettete auf die Chancen der beiden Gegenkandidaten unter den Passagieren, vertheilte Stimmzettel und hielt eine Probewahl. Die Republikaner siegten mit einer sehr geringen Majorität. Grosse Begeisterung und nicht endenwollende Cheers auf Hayes brausten durch sämmtliche Wagen des Zuges, bis wir in Cleveland angekommen waren, wo die Meisten ausstiegen.

Schon gestern, als ich noch in Illinois war, hatte ich viel von Wahlen, von Tilden und Hayes gehört. Und da ich noch nicht wusste, um was es sich handelte, frug ich meinen Nachbarn, einen alten stupid aussehenden Farmer. »Ach, die wollen den Governor von Illinois wählen« war die Antwort. Auch er hatte noch keine Ahnung von der Präsidentenwahl.

Wir fuhren das ganze südliche Ufer des Erie-Sees entlang, manchmal so dicht an seinem Rande, dass wir die Brandung hörten und den aufspritzenden Schaum der sich brechenden Wellen sahen. Einige weissglänzende Segel glitten über die grüne Fläche im Strahle der Morgensonne dahin. Das Land war eben und brach am Ufer mit horizontalen Schichtungsflächen, die an den Solenhofener Schiefer erinnerten, senkrecht hinab. Eichenwälder und Obstgärten wechselten mit Feldern von türkischem Korn, dessen Fruchtähren bereits abgeschnitten waren, und zwischen dem rothe Kürbisse lagen, aus welchen man einen beliebten Kuchen, den Pumpkin Pie, fertigt. Farmen, zierliche Landhäuser und zierliche Dörfchen, alle aus Holz, waren hineingestreut.

Von Buffalo im Staate New York bog ich, wie gesagt, nach Niagara ab. In zwei Stunden war ich am Ziele dieser Seitenexkursion, stieg aus und begab mich sofort nach dem Wasserfall.

Kaum hat man den Bahnhof verlassen und befindet sich in der Stadt, so schlägt der brausende Donner der grossen Sehenswürdigkeit ans Ohr. Dieses Naturwunder beherrscht hier Alles. Ihm verdankt die Stadt Niagara ihre Entstehung und ihre Existenz. Es giebt hier keine Industrie, die sich nicht auf den Wasserfall und den Fremdenverkehr bezöge. Und Tag und Nacht bekundet er weithin tosend seine Nähe.

Am anderen Ende einer breiten fast nur aus Hotels und Kaufläden mit allerhand Souvenirschnickschnack zusammengesetzten und merkwürdig todten Strasse ist der Eingang zu ihm und kostet einen Vierteldollar. Auf einer Säule davor steht ein steinerner amerikanischer Soldat, aus Anlass irgend einer gloriosen Begebenheit verurtheilt, seine traurige Gestalt den Augen aller Vorüberwandelnden preiszugeben. »Prospect Park« heisst der umzäunte, von Restaurationen und Photographenbuden bevölkerte Hain, den man zunächst betritt, und von dessen felsigem Rande aus man den ersten Anblick des gewaltigen sich in eine fünfzig Meter tiefe Schlucht stürzenden Stromes geniesst.

Es ist überwältigend, berückend, in die kolossalen Massen zu schauen, die rastlos ohne Ende sich heranwälzen und in ihrer ganzen mächtigen Dicke von mindestens sechs Meter mit weiter Wölbung in den Abgrund sich hinunterbeugen. Auf halbe Höhe prallt diesem Wassergewölbe von unten herauf der glänzende Gischt entgegen, zu phantastischen, ewig wechselnden, ewig kämpfenden Formen geballt. Man fühlt sich unwillkürlich versucht, Kaulbachs Hunnenschlacht in sie hineinzumalen. Das Grossartige des Phänomens spottet jeglicher Beschreibung.

Ein thurmartiger Vorbau nähert sich so sehr dem Bug des Stromes, dass wir ihn mit der Hand zu greifen wähnen. Feiner Staubregen wirbelt ins Gesicht, brüllender Donner erfüllt die Luft und macht die eigene Stimme unhörbar. Wir können uns den Scherz erlauben, so laut als möglich zu schreien – der Nebenstehende merkt nichts davon.

Die Umgebung des durch eine Insel in zwei grössere Abtheilungen geschiedenen Falles ist flach, und ihr ruhiger hausbackener Charakter lässt eine so schroffe Unterbrechung im Lauf des Niagara gänzlich unmotivirt. Erst eine Viertelstunde oberhalb beginnt der bisher gesetzt und würdevoll durch die Ebene fliessende Strom zu schäumen und zu rumoren und über Felsblöcke zu hüpfen, und verräth dadurch seine wilden Absichten. Die plötzlich und unvermittelt sich aufthuende Schlucht ist sein Werk, seit Jahrtausenden nagt er langsam und stetig an dem harten Gestein, und der Fall schreitet nach rückwärts fort. Dieses Rückwärtsschreiten soll im Jahre etwa ein drittel Meter betragen, so dass er in 70 000 Jahren den Erie See erreichen und tiefer legen wird.

Die Wände der Schlucht sind nahezu senkrecht. Durch einen geneigten Schacht stellen zwei auf- und nieder steigende Wagen die Verbindung zwischen oben und unten her, und mit überraschender Schnelligkeit schweben in ihnen die ängstlich sich festhaltenden Passagiere hinab. Für diejenigen, die sich den Fall auch von hinten betrachten wollen, sind unten Führer und wasserdichte Anzüge bereit.

Wir vertauschen in einer Hütte die ganze Bekleidung gegen Wachstuchhose und Wachstuchjacke, ziehen ein paar plumpe Gummistiefel an und stülpen einen Südwester aufs Haupt. Dann klettern wir in dieser ungeschlachten Vermummung, angestaunt von Ladies und Kindern und belächelt von ähnlich uniformirten Gestalten, die zurückkommend uns begegnen, über schlüpfrige Felsen und über schlüpfrige Stege, um das Opfer eines niederträchtigen Humbugs zu werden.

Dichter und heftiger wird der Regen, Windstösse pfeifen von allen Seiten, die Wasser brüllen und donnern, unter den Füssen zittert die Erde. Wir vermögen nichts mehr zu sehen, hundert stechende Tropfen peitschen Gesicht und Hände wie bei einem Orkan auf See, nur dass das Wasser nicht salzig schmeckt. Wir tasten uns blindlings am schwanken Geländer und am Arme des Führers vorwärts auf einem schmalen Brett in unbekannte Regionen hinein, um uns die tobenden Elemente. Wir sehnen uns nach dem Moment, die Augen öffnen zu dürfen, aber vergebens. Das Duschbad wird immer wüthender, und der Führer kehrt um und zieht uns mit sich. Gehorsam und schweigend folgen wir ihm, denn zu sprechen hat keinen Sinn.

In die Hütte zurückgelangt, wo man sich endlich wieder hören kann, erklärt er, dass wir den Fall nun auch von hinten gesehen hätten, verlangt für den Anzug einen halben Dollar und für seine Bemühung ein Trinkgeld nach Belieben, und reicht uns Handtücher dar, das genossene Vergnügen von unserem Körper zu trocknen. Nun begreifen wir, warum die Begegnenden so eigenthümlich gelächelt, und lächeln nun selbst über neue Opfer.

Von hier aus kann man sich entweder in einem Boot ans jenseitige, Canadische Ufer setzen lassen, oder man fährt auf demselben Wege durch den Schacht wieder nach oben und geht über die einen Büchsenschuss unterhalb befindliche Hängebrücke.

Das einmalige Passiren der Brücke kostet abermals 25 Cents, gleichwie das Auf- und Abrutschen im Schacht, das Uebersetzen, der Eintritt in Prospect Park und zu anderen Aussichtspunkten. Die Niagarenser wissen aus ihrer Naturmerkwürdigkeit vortrefflich Kapital zu schlagen. Will der Fremde die Niagarafälle von allen Seiten beschauen, so kostet ihm der Zutritt allein schon etliche Dollars.

Drüben in Canada unter englischer Flagge herrscht dieses System nicht. Man kann dort frei und ohne Zoll von der am Rande der Schlucht hinführenden Strasse die volle Ausdehnung des Niagara übersehen. Grosse und elegante Hotels stehen an der anderen Seite der Strasse und geben dem Ganzen ein vornehmes, reiches Gepräge.

Kaufbuden und photographische Ateliers fehlen indess auch hier nicht. Photographen lauern mit ihren Apparaten am Wege und fragen, ob man sich nicht mit dem Falle im Hintergrund photographiren lassen wolle. Es scheint hier Mode zu sein, ein solches Dokument zu erwerben, um schlagend beweisen zu können, dass man wirklich in Niagara gewesen. Ich verzichtete darauf, mit dem grossen Naturwunder zusammen verewigt zu werden. Das Wetter war zu unfreundlich und kalt, bitter kalt für mich, der ich vor drei Tagen noch in den Wüsten Nebraskas geröstet worden war.

Niagara selbst machte mir den Eindruck der ödesten und todtesten amerikanischen Stadt, die ich jemals gesehen. Es fehlte selbst das Charakteristikum der Streetcars und der vielen Stroh- und Papierabfälle auf den Strassen, weil es hier eben keinen nennenswerthen Handel gibt. Trotz der Anwesenheit zahlreicher Centennial Vergnügungsreisender aus allen Gegenden der Vereinigten Staaten schienen die Kaufläden mit ihren Schwindelwaaren, mit ihren ausgestopften Vögeln und Hirschgeweihen, ihren Muschelkästchen und Photographien, ihren unechten Indianerwaffen und ihren von der Nähmaschine zusammengestoppelten Phantasie-Indianerkostümen schlechte Geschäfte zu machen. Weitgeöffnet und hellerleuchtet suchten sie am Abend vergeblich Käufer anzulocken. Unter den Thüren aber standen die Besitzer und Besitzerinnen und flöteten in den süssesten Tönen »Step in Sir if you please«, »Would not you come in Sir«, »Please come in Sir« – eine sehnsüchtige Fluth von Einladungen bei jedem Schritt, grade wie ehemals in gewissen dunklen Strassen zu Hamburg.

Am nächsten Morgen fuhr ich nach New York. Immer anmuthiger wurde das Land, bis mein alter Bekannter, der Hudson, erreicht war, dessen Reize nach amerikanischer Anschauung sogar mit denen des Rheins zu wetteifern im Stande sein sollen. Rechts guckten die blauen Catskill Mountains hinter den Hügeln des jenseitigen Ufers heraus, links erhoben sich steile Felswände, unter denen der Schienenstrang, den Krümmungen des Flusses sich anschmiegend, uns südwärts geleitete. Segelfahrzeuge und Dampfer belebten die Fläche des Wassers. Ueber den Wäldern lag jene eigenthümliche herbstliche Färbung, die für Amerika charakteristisch ist und sonst wohl nirgends auf der Erde vorkommt. Während bei uns der scheidende Sommer das Grün der Forste in die bekannten, von den Malern so sehr geschätzten, weich gestimmten und harmonischen braunen Töne abklingen lässt, verwandelt sich dort das Laub in grelles Zinnoberroth und schreiendes Pomeranzengelb. Man würde Amerikanern gegenüber eine arge Ketzerei begehen, wollte man Zweifel äussern, dass dieses bizarre Gewand der Natur schön sei. Trägt es ja doch dieselben Farben, die dem Bürger der grossen Republik an seinen Lokomotiven und Häusern, Reklamen und Krawatten so lieb sind.

XXVII.
HEIMKEHR.

Die Centennial Exhibition in Philadelphia. Abschied von New York. Ankunft in England und Landung in Liverpool. Sonntagsöde. Auffahrt des Mayors. Ueber London nach Hamburg.

New York war mir willkommener als je nach einer stürmischen Atlantikfahrt. Die sieben Tage und sieben Nächte Eisenbahn, die ich, abgerechnet Salt Lake City und Niagara, hinter mir hatte, summten noch weitere drei Tage und drei Nächte in meinem Gehirn herum.

Der anfänglich nur auf kurze Zeit projektirte, aber immer wieder und wieder verlängerte Aufenthalt in dem Hause eines theuren Freundes entschädigte mich für die erlittenen Strapatzen. Dank dem wonnigen Gefühle, ein Daheim zu haben, sah ich diesmal nicht viel von der Empire City, die ich bereits von früher her kannte. Und beinahe hätte ich im Genuss dieser körperlichen, gemüthlichen und geistigen Oase auch den grossen Jahrmarktsleviathan in Philadelphia, die Centennial Exhibition, »the Wonder of the Wonders« vergessen.

Offen gestanden, ich ging nur mit Widerstreben hin, weil ich musste. Ich war so übersatt von der ewigen Bombasterei, von all den Lobpreisungen und all dem Geschrei im Styl der Menageriebudenbesitzer. Ich hatte schon so viel schlechtes erbärmliches Zeug gesehen, was sich centennial nannte, Centennial Akrobates, Centennial Minstrels und Centennial Dancers, hatte in San Francisco eine Centennial Hose gekauft, die eine Woche später in Chicago aus dem Leim ging, und in Buffalo ein paar Centennial Schuhe, deren Sohlen an den Felsen des Niagarafalles zurückblieben, hatte verschiedene Centennial Dinners zu mir genommen, und auf der ganzen Reise so viel saueres Centennial Bier getrunken, und war überdies von so vielen lümmelhaften Centennial Vergnügungsreisenden gerempelt und auf die Füsse getreten worden, dass man es mir nicht verübeln kann, wenn ich ein kleines Vorurtheil gegen das Wort hatte.

Ich ging aber dennoch pflichtschuldigst hin nach Philadelphia und betrachtete Alles in drei Tagen und war sehr zufrieden, als ich wieder nach New York zurückkehren durfte. Ich hatte mir fest vorgenommen, mir nicht imponiren zu lassen, und in Folge davon imponirte mir auch nichts in der ganzen Ausstellung.

Das berühmte »Billig und schlecht« brauchte ich zum Glück nicht erst hier schätzen zu lernen. Wieder sah ich mit Entsetzen verschiedene Bilder, die ich schon in Berlin und in Hamburg vor Jahresfrist mit Entsetzen geschaut. Wieder sah ich auch den amerikanischen Soldaten trauriger Gestalt, den ich kurz zuvor in Niagara kennen gelernt. Hier aber war er ein Riese aus Granit gemeisselt und stand vor dem Haupteingang des gläsernen Industriegebäudes, und an seinem Sockel waren sämmtliche Elemente der Kunstkritik, wie hoch, wie breit, wie schwer und wie theuer das Monstrum sei, für Jedermann leicht verständlich zu lesen. Von dem in den Zeitungen ausposaunten Zusammenströmen sämmtlicher Völker der Erde vermochte ich blos einige Chinesen und etliche deutsche Juden, die mit rothen Fezen auf den Häuptern türkischen Tabak verkauften, der in Virginia gewachsen war, zu entdecken. Ich sah Krupps Killing Engine und die vielen Prinzen und Fürsten aus Erz und aus Thon und aus Pappe, die Riesenhand mit der flammenden Fackel aus Frankreich, die Maschinenhölle, den Palast der Frauen, die Horticultural Hall und den Tempel der Künste, ich fuhr auf der kleinen Eisenbahn mehrmals im Kreise herum, ich speiste jedesmal bei einer anderen Nation, aber lieber als alle diese Herrlichkeiten war mir die Rückkunft in New York.

Nur zu bald war auch hier meine Zeit bis zur äussersten Frist abgelaufen. Ich musste fort nach Europa. Abermals nahm ich Abschied, den schmerzlichsten auf der ganzen Rundreise, und der Cunard Dampfer »Scythia« entführte mich von dannen.

Lange noch blickte ich zurück nach jenem winkenden Taschentuch, welches aus dem Menschengewühl des Piers mir Grüsse nachsandte, während das Schiff vorsichtig die Mitte des Stromes zu gewinnen suchte und sich mühselig dem Ausgang zuwandte, ringsum das heftig pulsirende Leben des unruhigsten Hafens der Erde. Wahrscheinlich zum letzten mal zogen die imposanten Häusermassen der Manhattan Insel, wie ich sie früher so oft mit Wohlgefallen betrachtet, an mir vorüber. Wirr durcheinander strebende Fahrzeuge jeglicher Art, in allen Richtungen kreuzende Ferryboote, rastlos mit den grossen Balancirstangen in der freien Luft arbeitend, kleine kräftige Schleppdampfer, mit rauher Stimme brüllend, hinter sich flache Kähne und etliche Eisenbahnwagen darauf, segelnde Dreimastschuner und Vollschiffe, dunkle Mastenwälder und himmelhohe Lagerschuppen über und über bedeckt mit riesigen Aufschriften in bunten Farben – lichter wurden diese Attribute des handelsreichen Hudson, Staaten Island mit seinen Villen, Gärten und Strandbatterien, eine Biegung links, Sandy Hook – und der Atlantische Ozean dehnte sich vor mir.

Es war der 1. November als ich New York verliess, und am 9. November näherten wir uns der irischen Küste. Trotz der ungünstigen Jahreszeit hatten wir nicht einen einzigen Tag schlechtes Wetter gehabt.

Erst jetzt, unmittelbar vor dem Ziele, erhob sich ein Oststurm gerade gegen uns. Aber er konnte der Scythia weiter nichts schaden, als dass er sie ein bischen stampfen liess und sie verhinderte, in Queenstown anzulegen, so dass die dorthin bestimmten Passagiere mit nach Liverpool mussten. Am 10. November, während wir beim Dinner sassen, kam die bergige Südostecke Irlands in Sicht, und am nächsten Vormittag waren wir bei Holyhead. Grimmig pfiff der Wind durch das Takelwerk und weisser Schaum flog spritzend über die grüne See, als die ersten kahlen Felsen von Wales auftauchten und uns in ihren Schutz nahmen. Ich bemitleidete die Fahrzeuge, die nach aussen steuerten.

Gerade an der Ecke, da wo es westwärts ging, kam der Lootse an Bord. Es wurde natürlich auf Alles gewettet, was ihn betraf, auf die Nummer seines Fahrzeugs, auf Krieg und Frieden, auf die Präsidentenwahl, und dass er von letzterer gar nichts wusste, nahmen ihm die Amerikaner sehr übel.

Liverpool ist mit derselben Kalamität einer bei Niedrigwasser für grosse Schiffe unpassirbaren Barre behaftet wie so viele andere weniger berühmte Häfen, was uns leider durch eine praktische Erfahrung klar wurde, indem wir fern von Land in der breiten Mündung des Mersey ankern und auf die Fluth warten mussten. Erst nach zwei Stunden gingen wir wieder weiter, aber langsam und vorsichtig und immer das Loth in der Hand, so dass es dunkel war, ehe wir etwas von Liverpool zu sehen bekamen.

Unsere Landung wurde in einer so langweiligen, ungeschickten und ungemüthlichen Weise bewerkstelligt, dass die heftigsten Vorwürfe losbrachen, und dass man sich nicht zu verwundern brauchte, wenn die Amerikaner spöttisch und verächtlich über dieses erste Stück Europäerthum die Nase rümpften. Die Scythia legte sich nicht an einen der vielen Kais, sondern kettete sich mitten im Wasser an eine Boje, und ein Dampfboot kam, uns abzuholen. Man schickte uns auf das Dampfboot und liess uns eine halbe Stunde warten, bis auch das Gepäck herübergeschafft wäre. Ein widerlich kalter Sturmwind pfiff uns um die Ohren und peitschte uns den Regen ins Gesicht. Die Kajüte reichte nicht für die Hälfte der Passagiere, wir waren den Unbilden des Wetters preisgegeben, und das kleine Fahrzeug schaukelte, von den Wellen bewegt, so sehr, dass die hochaufgethürmten Kisten und Koffer sammt dem Menschenknäuel über Bord zu rutschen drohten. Das wüste Geschrei der Seeleute flog hin und her, keiner schien den anderen zu verstehen, und schliesslich stellte sich heraus, dass doch nicht alle Passagiere und alles Gepäck Platz, und dass das Dampfboot zweimal zu fahren hatte.

Auch in der Ankunftshalle, wo die Zöllner sich unserer Habe bemächtigten, herrschte Konfusion. Unglücklicher Weise war diese eben im Umbau begriffen und alles Holzwerk frisch gestrichen, die Gasbeleuchtung noch nicht vorhanden und kümmerlich durch schmutzige Petroleumlampen ersetzt. Kaum Raum genug um die Koffer zu öffnen. »Einen netten Geschäftsgang haben Sie hier in Europa« höhnte mich ein Yankee, dem ich gar oft widersprochen hatte, wenn er mir die Vorzüge seines Landes über Gebühr zu lobpreisen schien. Diesmal konnte ich nichts erwidern.

Am nächsten Morgen erwachte ich im North Western Eisenbahn Hotel in einem schönen englischen Bett, über mir an der kahlen Wand die zwei Gesetzestafeln des Hauses, von welchen die eine gegen jede Verantwortlichkeit für Diebstähle protestirte, die andere über die Preise Auskunft gab, Bedienung und Bougies, Bäder und Heizung extra gerechnet. Ja, ich war wieder einmal im alten Europa. Wie viel anständiger sind doch drüben in Amerika die Hotels, wo man einfach seine drei, vier oder fünf Dollars zahlt und dafür alle diese selbstverständlichen Dinge erhält.

Draussen regnete es, und mürrisch guckten vor der prachtvollen Säulenhalle der St. Georges Börse die vier ehernen Löwen zu mir herauf und schienen ewig die Nase zu rümpfen. Hinter ihnen ritten traurig auf gleichfalls ehernen Rossen Queen Victoria und ihr Prince Consort, letzterer genöthigt, mit abgezogenem Hut und entblösstem Haupte unaufhörlich seine Hochachtung vor der englischen Nation zu bezeugen.

Gleich der erste Tag, den ich wieder auf europäischer Erde zubrachte, war eine der grössten Unannehmlichkeiten, die dem Menschen in England passiren können, nämlich ein Sonntag. Liverpool bietet auch sonst wohl nicht viel Herzerfreuendes, wenn man nicht selbst zu den reichen Kaufleuten gehört, die vor der Stadt in üppigen Villen wohnen. Heute aber war es hier doppelt unerträglich öde, alle Strassen und selbst der Hafen wie ausgestorben, alle Museen und alle Läden geschlossen, die Wirthshäuser nur dem Eingeweihten auf Schleichwegen von hinten erreichbar. Kurz, es lagerte eben jene schreckliche Langweiligkeit über Allem, wie sie nur die englische Sabathheiligung hervorzuzaubern im Stande ist. War es die Wirkung dieses gottwohlgefälligen Zustands, oder war es eine Eigenthümlichkeit des alten Europa, die mir erst jetzt nach längerer Entwöhnung zum Bewusstsein kam, dass mir die meisten Gesichter ganz auffallend unintelligent zu sein schienen? Schon gestern war mir dieser Gedanke gekommen, als ich den ersten englischen Policeman wieder erblickte. Ein ähnlich stupides Gesicht hatte ich schon lange nicht mehr und, mit Ausnahme der Mormonenstadt, über dem grossen Wasser drüben niemals geschaut.

Zwei Excitements gabs aber dennoch an jenem Sonntag in Liverpool, nämlich Morgens eine Auffahrt des Bürgermeisters und Abends eine fulminante Feuersbrunst.

Mister Walker, der Mayor, war zum so und sovielten Male wiedergewählt worden und hielt heute seinen feierlichen Kirchengang zum Beginn einer neuen Amtsperiode. Alle Achtung vor Mister Walker. Er hat seine Vaterstadt aus eigenen Mitteln mit einer Bildergallerie beschenkt.

Eine Kompagnie äusserst knotig aussehender Policemen mit einem Trompeter an der Spitze, welcher eine Art Husarenuniform trug, aber ein sehr lederner, steifer und bürgerlicher Husar war, stellte sich vor dem Rathhaus auf. Dann hielten einige aufgeputzte Wagen, und der Festzug entwickelte sich. Sechs oder acht mittelalterlich gekleidete Kerls mit Szeptern schritten Mister Walker voran, welcher ein langes Schwert der Gerechtigkeit in der Hand hielt, mit einem Talar und schweren goldenen Ketten behangen. Hinter ihm etliche Zivilisten mit den gewöhnlichen Komtoirphysiognomien. Die ganze Maskerade erinnerte mich unwillkürlich an meine Doktorpromotion. Nur dass mein Wagen damals nicht so buntscheckig elegant war, dass bei mir statt so vieler unheimlich schwarzer Policemen nur ein paar Professoren in dem erquickenden Grün der medizinischen Fakultät zugegen waren, und dass mir statt des Schwertes der Gerechtigkeit in der Hand ein vom Universitätspedell gemietheter alter Degen an der Linken blinkte.

Der Expresszug der North Western Eisenbahn brachte mich mit Windeseile nach London. Die stinkende Finsterniss eines langen Tunnels, ein Meeresarm und Ebbeschlick, Kanäle und Seefahrzeuge darauf, Thäler voller Schornsteine, voll russigen Kohlenqualms und weissen Maschinendampfes, dann ein bischen Park und ein bischen Feld, italienische Pinien auf einem Hügel, ein vornehmes Schloss hinter Bäumen versteckt, Obstgärten und Wiesen, Alles so sauber und ordentlich eingefasst, Stratford, Shakespeares Geburtsort, flogen vorüber. Herrschaftliche Kutschen hielten unter dem Bahndamm, und am Fusse eines Abhangs lauerten zwei Jäger und ein Hund auf ein armseliges Kaninchen.

Häufiger wurden die rauchenden Fabriken, dichter drängten sich in schnurgeraden Reihen die Häuschen und Höfchen des »My House is my Castle« Systems zusammen, über die wir in der Höhe hinwegbrausten. Gelblicher Dunst erfüllte die Luft, und das Getöse der Riesenstadt verschlang mich.

Sechs Wochen später fuhr ich nach Hamburg und betrat nach mehr als einjähriger Abwesenheit den Boden des Vaterlandes wieder. Ueberall hörte ich nun wieder die Laute der Muttersprache. Die Hamburger Nachtwächter hatten Pickelhauben bekommen und der Petrikirchthurm wurde aufgebaut. Sonst hatte sich nichts verändert.

INDEX.

Druck von Grass, Barth & Comp. (W. Friedrich) in Breslau.


In J. U. Kern's Verlag (Max Müller) in Breslau sind erschienen:

Aus Mexico.

Reiseskizzen aus den Jahren 1874 und 1875.

Von
Dr. Friedrich Ratzel,
Professor der Erdkunde an der technischen Hochschule zu München.

Mit einer Karte in Farbendruck.

Preis 10 Mk., elegant gebunden 11 Mk. 50 Pf.

Das Buch enthält Skizzen, geschrieben auf verschiedenen Reisen durch Mexiko in den Jahren 1874 und 75. Der grösste Theil derselben ist bisher ungedruckt gewesen, der kleinere in der Kölnischen Zeitung erschienen, in deren Auftrag der Verfasser diese Reisen machte. Die feuilletonistische oder sagen wir besser die kurze und lesbare Form wurde soviel wie möglich dem Zwecke der Schilderung alles Wesentlichen in Natur und Leben jenes Landes und Volkes angepasst, ihr aber dabei nicht jener Einfluss auch auf die Auffassung eingeräumt, welcher Müssiges oder Oberflächliches hervorkehren lässt, weil das Gründliche und Nothwendige nicht kurzweilig genug erscheint. Der Verfasser setzte sich das Ziel, eine grosse Menge von eigenen Beobachtungen zu theils beschreibenden, theils reflektirenden Kapiteln zu vereinigen, die in ihrer Gesammtheit keine der wichtigeren oder interessanteren Seiten des mexikanischen Lebens und Treibens unbeleuchtet lassen sollten. Die idealen und praktischen Ziele wurden soviel wie möglich gleichmässig bedacht, der tropische Naturcharakter ist in derselben gedrängt eingehenden Weise besprochen wie die Colonisation, in die Natur der Cacteen mit nicht weniger Liebe eingegangen als in die jüngere Geschichte des Landes, der in Eis starrende Pic von Orizaba ebenso treu geschildert wie die sociale Stellung der mexikanischen Frauen. Das Buch will in erster Linie belehren, in zweiter strebt es darnach nicht langweilig zu sein; es hofft damit eine Lücke auszufüllen, welche in der deutschen Literatur lange besteht, der es bekanntlich nicht an älteren sehr gründlichen, systematisch beschreibenden Werken über Mexiko, den besten Quellenwerken, die es überhaupt giebt, wohl aber an neueren. Altes und vorzüglich aber Neues nach dem unmittelbaren Eindruck skizzirend schildernden fehlt.


DIE
Chinesische Auswanderung.

Ein Beitrag
zur
Cultur- und Handelsgeographie
von
Dr. Friedrich Ratzel.

Preis 5 Mk.

Der Verfasser giebt aus dem reichen Material eigener, besonders in Amerika gesammelter Erfahrungen, wie der umfangreichen Literatur, eine zusammengedrängte, allgemein verständliche, mit statistischem Material und Einzelschilderungen chinesischer Colonien hinreichend ausgestattete, aber durchaus nicht überfüllte Uebersicht über die chinesische Auswanderung und gewährt dadurch dem Leser die Möglichkeit, sich eine eigene vorurtheilsfreie Ansicht zu bilden. Er ist der Meinung, dass die chinesische Auswanderung eine grosse Zukunft vor sich hat, dass die Besorgniss, ja die Feindseligkeit, welche die kaukasischen Völker, namentlich in Nordamerika, jener Auswanderung entgegenbringen, eine ungerechtfertigte ist, dass die alten Culturländer Europas von einem Eindringen chinesischer Einwanderer nichts zu fürchten haben, dass aber für Afrika eine solche Einwanderung von ungeheurer Wichtigkeit sein wird. Das Buch sei allen denen empfohlen, die ein klares Urtheil über die wirthschaftlichen Verhältnisse Chinas und über das Wesen und die Bedeutung der chinesischen Auswanderung gewinnen wollen.


Landwirthschaftliche Kulturbilder.

Skizzen aus dem wirthschaftlichen Leben und Treiben des In- und Auslandes.

Von
A. Koerte,
Wirthschafts-Direktor a. D.

Preis 5 Mk.

Es sind anziehende und belehrende Schilderungen von Wirthschaftszweigen und Wirthschaftsbetrieben, meistens aus dem Auslande, anspruchslose, liebenswürdige Erzählungen zur Unterhaltung in müssigen Stunden. Dabei lässt das Buch durchweg das kritische Urtheil des selbst prüfenden Praktikers erkennen, dessen scharfem Blick nichts entgeht, der gewohnt ist, bei Beurtheilung der Dinge eine Fülle von Gesichtspunkten geltend zu machen, die ihrerseits den Leser wiederum zum Nachdenken anregen.


Hinweise zur Transkription

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "ächter" – "echter", "aus einander" – "auseinander", "Brodfrucht" – "Brotfrucht", "Fransenknäuel" – "Franzengürtel", "gibt" – "giebt", "Helena" – "Hellena", "hieher" – "hierher", "Mährchen" – "Märchen", "Schooner" – "Schuner", "Stil" – "Style", "Würtemberg" – "Württemberg",

mit folgenden Ausnahmen:

der Halbtitel wurde entfernt;

Seite VI:
"Ante" geändert in "Aute"
(Die Repudiation Office von Te Aute)

Seite 10:
"betrachete" geändert in "betrachtete"
(betrachtete schaudernd den wüthenden Kampf der Elemente)

Seite 30:
"den" geändert in "dem"
(gerade in guter Laune und beseelt von dem Wunsch)

Seite 30:
"schimmerd" geändert in "schimmernd"
(durch das Dunkelblau der hinten hinwegrollenden Wogen schimmernd)

Seite 44:
"Symtom" geändert in "Symptom"
(ein recht charakteristisches Symptom der Unsicherheit)

Seite 62:
"Fügel" geändert in "Flügel"
(plumpste mit gebrochenem Flügel neben mich herab)

Seite 87:
"Chararkteristikum" geändert in "Charakteristikum"
(Es fehlte vor Allem jenes Charakteristikum)

Seite 104:
"»" eingefügt
(statt »Shilling«)

Seite 147:
"totzdem" geändert in "trotzdem"
(trotzdem der Kutscher alles Mögliche that)

Seite 156:
"Seegelboot" geändert in "Segelboot"
(einem ordentlichen breitgebauten Segelboot nie gelungen wäre)

Seite 168:
"Vernügen" geändert in "Vergnügen"
(diesen armen Greis mit in ihr Vergnügen zu ziehen)

Seite 189:
"Augenmaass" geändert in "Augenmass"
(ein so grosses Fahrzeug nach dem Augenmass zu beurtheilen)

Seite 189:
"Fancisco" geändert in "Francisco"
(Bei der City of San Francisco nun waren diese beiden Faktoren)

Seite 201:
"einen" geändert in "einem"
(mit einem schwarzen Faden daran baumelnd befestigt)

Seite 220:
"säufzten" geändert in "seufzten"
(litten sie oft an schweren Träumen und seufzten und stöhnten)

Seite 224:
"Viti levu" geändert in "Vitilevu"
(dass es im Innern von Vitilevu noch Kannibalen gebe)

Seite 224:
"enstanden" geändert in "entstanden"
(mächtige Perrücken entstanden, welche sogar geeignet)

Seite 225:
"Palissaden" geändert in "Pallisaden"
(mit einem Vorbau kurzer Pallisaden geschützt)

Seite 237:
"Styl" geändert in "Stiel"
(Als Stiel wird ein junger Baumstamm verwendet)

Seite 252:
"Tocher" geändert in "Tochter"
(und seiner hübschen Tochter in ihre Hütte treten)

Seite 293:
"wollten" geändert in "wollen"
(der uns gleich im Anfang mit seinem Taro hatte anschwindeln wollen)

Seite 307:
"Rechung" geändert in "Rechnung"
(welche auf Rechnung des amerikanischen Konsuls)

Seite 331:
"gössten" geändert in "grössten"
(mit der grössten Liberalität zur Verfügung gestellt)

Seite 335:
"repäsentirt" geändert in "repräsentirt"
(so gut repräsentirt, als wir nur wünschen können)

Seite 369:
"Horzontallinien" geändert in "Horizontallinien"
(nur einige schärfere Horizontallinien deuten, allmälig verschwimmend)

Seite 373:
"Sterarinkerzen" geändert in "Stearinkerzen"
(wir uns oben entkleidet und Stearinkerzen angezündet hatten)

Seite 376:
"erregten" geändert in "erregte"
(der halbe Schoppen Whisky, den ich ihm vorsetzte, erregte nur)

Seite 377:
"woklbekannte" geändert in "wohlbekannte"
(die uns bereits wohlbekannte geräuschvolle Musik verübten)

Seite 378:
"," geändert in "."
(nur mangelhaft Englisch verstanden. Und mit welcher Würde)

Seite 390:
"Uberall" geändert in "Ueberall"
(Ueberall war die See weiss von dem Gischt)

Seite 393:
"Grossse" geändert in "Grosse"
(Kamehameha der Grosse hat eine starke Armee)

Seite 399:
"Ausserungen" geändert in "Aeusserungen"
(In wie fern derartige Aeusserungen berechtigt waren)

Seite 416:
"anf" geändert in "auf"
(Ueberall sassen Mongolen, den Hut auf dem Kopf)

Seite 432:
"«" eingefügt
(die Gegend, die uns scheusslich vorkommt, als »wonderful«)


*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 48488 ***