*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 49159 ***

N. S. LĚSKOV:

NOVELLEN

AUS DEM RUSSISCHEN
von
Dr. S. MIERZINSKI.

PRAG
——— VERLAG VON J. OTTO ———
1906

Alle Rechte vorbehalten.

Buchdruckerei „Unie“ Prag

NIKOLAJ SEMENOVIČ LĚSKOV.

Ein Zufall führte N. S. Lěskov der Literatur zu. Da seine Familie infolge wiederholter großer Feuersbrünste, die nahezu ihren gesamten Besitz zerstörten, verarmt war, konnte er die bereits begonnenen Universitätsstudien nicht vollenden und sah sich gezwungen, sich einen praktischen Beruf zu erwählen. Im Auftrage seines Verwandten, des Engländers Scott, in dessen Dienste er getreten war, bereiste er in geschäftlichen Angelegenheiten Rußland und machte auch einige Auslandsreisen. Die Reiseberichte, die er an seinen Auftraggeber richtete, gefielen dem Schriftsteller Selivanov, der zufällig von ihnen Kenntnis erhielt, derart, daß er die literarischen Kreise auf den begabten jungen Mann aufmerksam machte.

Lěskov war nahe an die Dreißig,[1] als in einer Petersburger Zeitschrift seine erste Arbeit erschienen, ein Schreiben, in dem er über die unmäßig hohen Preise Klage führt, zu welchen die Buchhändler in Kiev das damals soeben zum erstenmale in russischer Sprache erschienene Evangelium verkaufen. Der warme Ton, in dem das Schreiben gehalten war, erregte allgemeine Aufmerksamkeit und machte den angehenden Literaten rasch bekannt. Bereits in den ersten Sechzigerjahren erschienen zumeist in Petersburger Monatsschriften und Sammelwerken die ersten novellistischen Arbeiten und Romane dieses Autors, der neben Gogol, Gončarov, Tolstoj, Dostojevskij, Pisemskij, Saltykov und Ostrovskij zu den hervorragendsten Repräsentanten des russischen Schrifttums des neunzehnten Jahrhunderts zählt, wie wohl er selbst in seiner Heimat auch heute noch nicht nach Gebühr geschätzt wird.

Daß diesem originellen, reichbegabten und seinen Beruf ernst auffassenden Schriftsteller solange die ihm gebührende Anerkennung versagt wurde, daran ist in erster Reihe die politische Gesinnung Lěskovs schuld, der, ursprünglich liberal, sich später (ebenso wie Pisemskij und Turgeněv) gegen die Auswüchse und Übertreibungen der radikalen Richtung erklärte und durch Romane, in denen er die neuen Strömungen karrikierte („Nekuda“, „Na nožach“ und „Obojdennie“), sich den glühenden Haß der Jugend zuzog. Er wurde auch beschuldigt, in den Diensten der Polizei zu stehen und ein Verräter und Spion zu sein. Es braucht wohl nicht erst bemerkt zu werden, daß alle diese Beschuldigungen im höchsten Grade ungerecht waren und auch nicht ein Fünkchen Wahrheit enthielten, aber sie genügten, um Lěskov beim Publikum verhaßt zu machen. Nur nach und nach ist es dem Autor, der sich in seinen tendenziösen ersten Romanen unstreitig zu Übertreibungen hatte hinreißen lassen, gelungen, die Gunst eines weiten Leserkreises zu gewinnen.

Diesen Erfolg, der umso mehr bedeutet, als, wie gesagt, die gesamte öffentliche Meinung lange Zeit hindurch gegen ihn voreingenommen war, erreichte er durch die Wahrheitsliebe, die aus allen seinen Werken sprach, durch die Originalität und Bodenständigkeit derselben, sowie durch den Gerechtigkeitssinn und den tiefen sittlichen Ernst, der sich in seinen Arbeiten äußert. Er ist ein Altruist im besten Sinne des Wortes und er bringt allen, die da leiden, ein warmes Mitgefühl und ungeheuchelte Sympathien entgegen. Besonders gelungen sind seine Schilderungen aus dem Leben der russischen Geistlichkeit, deren Verhältnisse er eingehend kannte und mit trefflicher Plastik schilderte. In dieser Beziehung kann es von den russischen Schriftstellern nur noch A. Pečerskij-Melnikov mit ihm aufnehmen. Mit seltener Meisterschaft hat er eine ganze Anzahl köstlicher Gestalten aus dieser gesellschaftlichen Sphäre geschildert. Sein Hauptwerk, der Roman „Soborjane“, ist gleichfalls dem Leben der Geistlichkeit entnommen.

Aber auch andere Schichten der russischen Gesellschaft liefern ihm dankbare Vorwürfe für sein Schaffen, so jene der Kaufleute, der Ökonomen, der Beamtenwelt. Lěskov kannte seine Menschen genau und war mit allen Einzelheiten ihres Lebens vertraut und daher mag es kommen, daß wir bei der Lectüre seiner Arbeiten den Eindruck gewinnen, als ob sich uns eine ganz neue, uns bisher durchaus unbekannte Welt erschließen würde. Sein psychologischer Scharfblick, sein kerniger origineller Stil und die flammende Menschenliebe, die aus seinen Werken spricht, machen ihn zu einem der bedeutendsten und eigenartigsten russischen Schriftsteller, dem die Zukunft zweifelsohne die gerechte Würdigung, die ihm die Mitwelt versagte, gewähren wird. Seine Stellung im neueren russischen Schrifttum präzisiert der treffliche Kenner der Literatur seiner Heimat, der Kritiker Vengerov, wie folgt: „Durch einige Seiten seiner Begabung Ostrovskij, Pisemskij und Dostojevskij nah verwandt, steht er keinem dieser großen Meister des russischen Wortes in Bezug auf rein künstlerische Qualitäten nach. Kein einziger russischer Schriftsteller verfügt über einen solchen Reichtum der Fabulierungkunst. Mit diesem Reichtum ist die Koncentrirung der belletristischen Manier Lěskovs eng verknüpft. Endlich findet man in der russischen Literatur wenig Autoren, die es mit Lěskov in Bezug auf den Farbenreichtum und die Originalität der Sprache aufnehmen könnten.“

Außer einigen größeren Romanen hat Lěskov eine große Anzahl Novellen hinterlassen, die in künstlerischer Beziehung den besten Hervorbringungen des neueren russischen Schrifttums beizuzählen sind und wertvolle Beiträge zu einer näheren und tieferen Erkenntnis der Verhältnisse Rußlands und der Sitten seiner Bewohner in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts bilden.


[1] Nik. Semenovič Lěskov wurde am 4. Feber 1831 im Dorfe Gorochov (Gouvernement Orlov) als der Sprosse einer adeligen Familie geboren, von deren Mitgliedern mehrere Geistliche waren. Nach dem jähen Abbruch seiner Universitätsstudien trat er zunächst in den Justizdienst ein, um später einen Posten bei der Finanzdirektion in Kiev anzunehmen. Dann war er eine Zeitlang als Verwalter der Scottschen Güter tätig, widmete sich jedoch frühzeitig einzig und allein der Literatur. Er übersiedelte im Jahre 1861 nach Skt. Petersburg, wo er am 21. Feber 1895 verschied.

DER UNGETAUFTE POPE.

Erstes Kapitel.

Über die Vorfälle des Tages uns unterhaltend, saßen wir, eine größere Zahl guter Freunde und Genossen, beisammen, als einer nachstehende Zeitungsnotiz zu lesen begann:

„In einem Dorfe fand die Hochzeit der Tochter des Popen statt, wobei es sehr hoch herging und, wie üblich, recht viel getrunken wurde, so daß sich alle, ländlich, sittlich, nach dortiger Bauernart sehr gut unterhielten.

Unter den Gästen befand sich auch der Diakon, der sich als Freund und Liebhaber choreographischer Künste zeigte, weshalb er es unternahm, den Festtag mit „festlichen Reimen“ zu feiern und schließlich, um auch seinen Teil zur Unterhaltung der Gäste beizutragen, anfing, den „Trepak“[2] zu treten, wodurch alle Anwesenden in das höchste Entzücken gerieten.

Nur der Vikariatsvorstand (Kircheninspektor), welcher als Gast anwesend war, fand das Vorgehen des Diakons als mit der geistlichen Würde unvereinbar, höchst unzeitgemäß, und erstattete diensteifrig eine Anzeige an den Erzbischof.

Erzbischof Ignatius schrieb, nachdem er die Klage des Vikarius gelesen, unter dieselbe folgende Resolution:

Diakon N. den Trepak trat.

Trepak hat aber nicht geklagt.

Warum der Inspektor klagt?

Sei er zu rufen und deswegen gefragt.

Die Sache endete damit, daß der Inspektor im Winter, etwa anderthalb hundert Werst zu fahren und nicht wenig Geld zu verausgaben hatte, um mit der Bemerkung nach Hause geschickt zu werden, „es wäre jedenfalls angezeigter gewesen, den Diakonus an Ort und Stelle sofort auf das unpassende und unanständige seiner Handlungsweise aufmerksam zu machen, statt Klage zu führen, wegen eines und dabei noch ausnahmsweise vorgekommenen Falles.“

Nach Beendigung der Vorlesung waren alle darüber einig, daß die Resolution des Erzbischofes nicht nur originell, sondern auch zeitgemäß war, doch einer unter uns, welcher besonders viel in Verbindung mit Geistlichen stand, und dem das Leben derselben, sowie viele auf dasselbe bezughabenden Anekdoten bekannt waren, meinte:

Wahr ist wahr, der Inspektor hatte keinen Grund gehabt zu klagen und Angeberei zu treiben wegen eines ausnahmsweise vorgekommenen Falles; aber ein Fall ist nicht gleich dem anderen, und das, was ich eben hörte, erinnert mich an einen anderen Fall, in welchem der Vikarius seinem Erzbischof eine viel schwierigere Aufgabe zu lösen gab, die jedoch der letztere zur Zufriedenheit aller Beteiligten, den Vikarius ausgenommen, löste.

Wir baten unseren Freund uns diesen Vorfall zu erzählen, wozu er sich bereit erklärte; er begann:

Die Geschichte, welche ich euerem Wunsche entsprechend erzählen werde, ereignete sich in den ersten Jahren der Regierung des Kaisers Nikolaus Pawlovič und endete knapp vor dem Tode desselben, also gerade zu einer Zeit, wo wir die größten Mißerfolge in der Krim zu überstehen hatten.

Die zu jener Zeit herrschenden politischen und militärischen Vorfälle hatten alles andere zurückgedrängt und so ging mancher Fall unbeachtet verloren, welcher unter anderen Verhältnissen allgemeines Interesse erregt hätte, aber einer von diesen bewahrt sich doch im Gedächtnisse einiger weniger Personen, vor deren Augen derselbe vor sich ging oder die an demselben direkt oder indirekt beteiligt waren.

Mancher dieser Vorfälle gehört bereits der Sage an.

Der Fall jedoch, den ich Euch erzählen werde, ist noch nicht aus dem Gedächtnisse einzelner Personen verschwunden, denn die meisten in dieser wahren Geschichte handelnden Personen leben noch heutigen Tages, und ihr werdet es deshalb für ganz richtig und angezeigt halten, wenn ich den Orten und Personen, außer der Hauptperson, erdachte Namen gebe.

Im allgemeinen will ich nur soviel sagen, daß diese Geschichte in Süd-Rußland, unter Klein-Russen, vor sich ging und der „ungetaufte Pope“ Sava, ein seelenherzensguter, allgemein beliebter, ja von seiner Gemeinde geradezu vergötterter Mann, noch heute frisch und heiter, wenn auch bereits hochbetagt, lebt und seinen Pfarrbezirk nicht nur zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten, sondern auch seiner Pfarrkinder verwaltet.


[2] Trepak, eine Art Fußblatteltanz.

Zweites Kapitel.

Also: — in einem der Dörfer im südlichen Rußland, welchem wir, meinetwegen, den Namen Paripsami beilegen wollen, lebte der reiche Kasak Zacharovič, mit dem Rufnamen Dukač.

Er war zur Zeit, als meine Erzählung beginnt, bereits nicht mehr jung, aber sehr reich, kinderlos, rauh und hartherzig.

Wucherer, im eigentlichen Sinne des Wortes, war er nicht, auch kein Schinder, wie man sie unter Altrussen oft findet, denn derartiges kam zu jener Zeit in Südrussland nicht vor, aber er war, was man so nennt, ein zänkischer, hochmütiger, grober, rücksichtsloser Mensch, den alle fürchteten, sich, sowie sie ihn sahen, bekreuzten, und ihm, wenn es tunlich war, aus dem Wege gingen, denn kamen sie demselben ungelegen, dann gab es böse Worte, ja nicht selten sogar Prügel.

Sein eigentlicher Name war den wenigsten im Dorfe bekannt, was ja überhaupt in Dörfern gar nicht so selten vorkommt, aber alle nannten ihn Dukač, wodurch alle seine unangenehmen Eigenschaften zum Ausdruck gelangten.

Dieser mehr oder weniger beleidigende Spitzname konnte auf eine Verweichlichung seines Charakters wenig Einfluß ausüben; im Gegenteil, er wurde dadurch noch mehr aufgeregt und ärgerlich und nicht selten in einen solchen Zustand von Aufregung gebracht, daß der sonst von der Natur aus ganz gescheite Mann, der sich auch sonst zu beherrschen verstand, alle Überlegung verlor und sich auf die Menschen wie ein wütender Wolf warf.

Kinder brauchten ihn wohl nur von weitem zu erblicken, als sie unter dem Rufe: „Der Dukač kommt, der Dukač kommt!“ auseinander liefen, wie die Sperlinge bei einem Schusse: gelang es dem Dukač aber eines der Kinder unverhofft zu erjagen, dann schlug er dasselbe mit seinem langen Stocke, ohne welchen kein richtiger Kasak sein Haus verläßt, recht derb und empfindlich; hatte er aber den Stock nicht gerade zur Hand, dann brach er einen Ast vom ersten besten Baume, der ihm zu vorerwähntem Zwecke diente.

Den Dukač fürchteten alle, nicht allein Kinder, sondern auch die Erwachsenen, weshalb ihm jedermann auswich und trachtete dem Dukač nicht begegnen zu müssen.

Das war ein Mensch, den niemand liebte, dem niemand gutes wünschte, weder ins Gesicht noch hinter seinem Rücken, denn alle waren darüber einig und davon überzeugt, der Himmel zögere nur den streitsüchtigen Kasaken zu strafen bis zur gelegenen Zeit, sie selbst aber wären alle bereit diese Strafe mit dem größten Vergnügen zu besorgen, aber gerade den Leuten wie zum Trotze, verfolgte geradezu das Glück den Dukač.

Es glückte alles, was er unternahm — es lief ihm so zu sagen alles in die Hände; die schon überhaupt zahlreichen Heerden seiner Schafe vermehrten sich wie die Heerden Labans unter Jakob, so daß die in der Nähe liegende Steppe bereits zu klein für sie sich erwies.

Die langgehörnten schweren Zugochsen Dukač’s vermehrten sich, wuchsen und zogen hundert neue, mit Getreide, Wolle und anderen Produkten und Waren beladene Wagen nach Moskau, Nešin, Odessa oder geradezu noch weiter in die Krim; die Bienenstöcke im Lindenwald, vor Wind und Wetter geschützt, zählten nach hunderten.

Mit einem Wort: der Reichtum des Dukač war nach den Begriffen und der Ansicht der dortigen Kasaken ein — — — unermeßlicher.

Aus welchem Grunde gab ihm das alles Gott?

Die Leute konnten sich dieses nicht erklären, sie wunderten sich, schüttelten mit den Köpfen und trösteten sich damit, daß all’ dieser Reichtum, all’ dieses Glück, dieser Überfluß dem Dukač nicht zum Vorteile gereiche, daß Gott den Dukač nur in Versuchung führe, damit dieser noch stolzer werde als er es bereits ist, um ihn dann ungeahnt, plötzlich von seiner Höhe herabzustürzen mit einem solchen Krach, daß derselbe weit und breit hörbar sein werde.

Ungeduldig bereits geworden, erwarteten diese guten Leute das schreckliche Gericht; aber die Jahre folgten eines nach dem anderen, ohne daß die Strafe Gottes zur Äußerung gekommen wäre.

Der Kasak wurde von Jahr zu Jahr reicher und reicher, hochmütiger, anmaßender, ja bösartiger, und es gab keine Anzeichen noch Hoffnung, daß seinem Übermut, seiner Rohheit ein Damm gesetzt werden würde.

Das beunruhigte nicht nur die nächsten Nachbaren Dukač’s, sondern auch die Gemeinde und die ganze Umgebung, und regte dieselbe auf, um so mehr, als man nicht sagen konnte, daß die Sünden des Vaters sich an den Kindern desselben rächen würden, denn Dukač war — — kinderlos.

Aber unerwartet zog sich die Dukačin von den Leuten zurück — sie zeigte sich wenig, wurde schüchtern und zurückhaltend — hörte auf sogar vor’s Haus zu gehen oder Besuche zu machen; — in nicht gar zu langer Zeit verbreitete sich das Gerücht und wurde weitergetragen, die Dukačin befände sich in jenem Zustande, den man bei den Frauen den interessanten zu nennen pflege.

Die guten Leute und Nachbaren erschraken geradezu über diese fast unglaublich scheinende Neuigkeit; die Zungen lösten sich jedoch bald, die durch fruchtlose Erwartung bereits ermüdete öffentliche Meinung fing an sich auf ein großes Ereignis vorzubereiten.

„Was wird das für ein Kind werden? — was wird das für ein Teufelskind sein? ... Es wäre besser, es ginge im Mutterleibe zu Grunde, ehe es das Licht der Welt erblickt!“

Solche und ähnliche Wünsche hegte die Gemeinde und Umgebung. Alle erwarteten mit Ungeduld die Zeit der Geburt, bis auch diese eintrat. In einer bitterböskalten Dezembernacht gebar unter dem Dache des großen Bauerhauses unter großen Schmerzen die Dukačin ein kleines Kindlein!

Das neugeborene Weltenkind war ein Knabe, keine tierähnliche Mißgeburt, wie es die guten Leute erwarteten und wünschten, sondern ein ganz reinliches Kindlein mit weißer weicher Haut, schwarzen Haaren und schönen, großen, blauen Augen.

Als die Hebamme Kerasivna diese Neuigkeit den vor dem Hause angesammelten Leuten mitteilte und eidlich bestätigte, der Neugeborene besäße weder Hörner am Kopfe noch einen Pferdefuß oder gar ein Schwänzchen, da fehlte es nicht viel und sie wäre durchgeprügelt worden; angespuckt hat man sie doch.

Und trotz alledem blieb der Knabe was er war, ein schönes Kind, und dabei außergewöhnlich ruhig: er atmete ganz leise, so daß es kaum bemerkbar war, als schämte er sich zu schreien.

Drittes Kapitel.

Als Gott dieses Knäblein dem Dukač schenkte, stand derselbe bereits nahe den Fünfzigen.

Bejahrten Leuten, namentlich solchen, welche über einen gewissen Wohlstand oder Reichtum verfügen, bereitet die Geburt eines Nachfolgers eine ganz besondere Freude.

Selbst Dukač freute sich sehr der Geburt seines Sohnes, aber seine Freude äußerte sich, wie es ja bei seinem rauhen Charakter nicht anders sein konnte, in eigener Art.

Vor allen anderen ließ er den bei ihm lebenden vermögenslosen Verwandten Agap zu sich rufen und teilte ihm mit, daß er von nun an sich keine Hoffnung machen dürfe, ihn — den Dukač — beerben zu können, um so mehr, als ihm Gott einen wirklichen Erben geschenkt habe; dann befahl er ihm so rasch wie möglich seinen Sonntagsstaat anzuziehen, die neue Mütze aufzusetzen und so, wie es Tag wird, den hier zu Besuch weilenden jungen Gerichtsbeamten und die Frau des Popen aufzusuchen und sie als Taufpaten für das neugeborene Kind einzuladen.

Agap war nicht mehr jung, nahezu an vierzig, furchtsam, er sah mehr einem Huhn mit beschädigtem Kopfe ähnlich, was davon herrührte, daß ihm ein großer Flecken Haare am Kopfe fehlte, wodurch eine lächerliche Kahlheit entstand; ein Zeichen von Dukačs starker Hand.

Agap verlor die Eltern noch im Kindesalter und wurde von Dukač angenommen; zu der Zeit war Agap ein aufgeweckter lebhafter, fast übermütig ausgelassener Knabe, der seinem Onkel nur Nutzen brachte, denn er konnte lesen und schreiben, was Dukač nicht konnte.

In den ersten Jahren pflegte Dukač den Agap mit Fuhren nach Odessa zu schicken.

Als Agap einmal von einer solchen Odessaer Reise zurückkehrte, die Abrechnung pflegte und in der Rechnung den Ankauf einer neuen Mütze auswies, da wurde Dukač darüber, daß Agap, ohne seine Einwilligung eingeholt zu haben, eine Ausgabe machte, so wild, daß er den Agap über Kopf und Nacken so heftig schlug, daß dieser sehr lange nicht nur Schmerzen litt, sondern auch seit dieser Zeit den Kopf nach einer Seite geneigt trug; die Mütze nahm Dukač dem Agap ab, hängte sie auf einen Nagel in der Stube auf, bis sie die Motten zerfraßen.

Der schiefhalsig gewordene Agap ging ein ganzes Jahr lang ohne Mütze herum; alle Leute lachten ihn deswegen aus.

Während des Verlaufes dieses Jahres weinte Agap sehr oft und sehr lange; er hatte Zeit genug darüber nachzudenken, wie er sich in der Folge in einem solchen Falle zu benehmen hätte.

Durch die rohe Behandlung seines Onkels ist Agap selbst stumpf geworden; die Leute rieten ihm seinen Verwandten zu betrügen, aber dieser Betrug müsse so politisch sein, daß er, Agap, eine Mütze hätte, ohne daß Dukač dahinter kommen könnte, in welcher Art und Weise er, Agap, sich das Geld zum Ankauf verschafft habe, dieses sei jedoch nur dann möglich, wenn er, Agap, das für die Mütze verausgabte Geld in kleinen Beträgen auf die anderen Ausgaben verteile.

Sodann müsse er, Agap, behufs Sicherung, für alle Fälle, sich Hals und Nacken recht dick mit Tuch umwickeln, sobald er mit seinem Onkel Dukač die Abrechnung pflegen wird, denn wenn ihn dann Dukač schlagen sollte, so wird er, Agap, wenigstens keine Schmerzen empfinden.

Agap hat sich diese und ähnliche Ratschläge recht wohl gemerkt und als ihn Onkel Dukač das nächste Jahr wiederum nach Nižnij[3] schickte, da kam Agap, der ohne Mütze vom Hause wegging, mit neuer Mütze zurück, die jedoch in der Rechnung nicht angeschrieben stand.

Dukač bemerkte gar nicht, daß Agap eine Mütze besitze, ja er belobte sogar seinen Neffen Agap und bemerkte, daß er diesesmal keine Ursache habe, ihn durchzuprügeln; die Angelegenheit wäre ganz friedlich verlaufen, wenn dem Agap der Teufel nicht geraten hätte dem Onkel zu zeigen, wie er „politisch“ sein und der Redlichkeit ein Schnippchen schlagen könne.

Vorerst jedoch betastete er vorsichtig Hals und Nacken, ob auch die Handtücher, die er vorsichtshalber umgewickelt hatte, fest säßen, und erst dann meinte Agap:

„Ah! Onkel! ... gut ... gut ... für nichts zu schlagen nötig! ... Redlichkeit gibt es doch auf der Welt.“

„Was für Redlichkeit?“

„Was für Redlichkeit? ... Schaut her, Onkel,“ und er tippte mit dem Finger auf das Papier, auf welchem die Rechnung geschrieben war, „gibt es hier eine Mütze?“

„Nein, ist nicht,“ gab Dukač zur Antwort.

„Und ist die Mütze drin,“ belobte sich Agap selbst und setze diese schief aufs Ohr.

Dukač sah auf und sagte:

„Wirklich eine schöne Mütze — geb’ sie doch ’mal her, ich will sie anprobieren.“

Er setzte die Mütze auf und ging zu dem Spiegelscherben, welcher in einen Holzspan eingeklemmt war, schüttelte seinen grauen Kopf und meinte:

„Gewiß, eine sehr schöne Mütze, die ich selbst tragen werde.“

„Sie steht Euch sehr gut zu Gesichte, Onkel.“

„Ja, wo hast Du, Lump, die Mütze gestohlen?“

„Was Euch nicht einfällt, Onkel, ich stehle nie,“ gab Agap zur Antwort, „Gott soll mich bewahren, ich, und stehlen!“

„Also, woher hast Du die Mütze?“

Agap meinte, gestohlen habe er sie nicht, aber durch Politik sei er in den Besitz derselben gekommen.

Dem Dukač erschien dies alles so außerordentlich lächerlich und unglaublich, daß er tatsächlich zu lachen anfing und meinte:

„Ist es Dir nicht schwer vorgekommen Politik zu treiben?“

Weshalb?“

„Also red’, wie hast Du das angestellt?“

„Politisch.“

Dukač drohte dem Agap mit dem Finger; doch dieser blieb bei seiner Behauptung die Mütze politisch erworben zu haben.

„Welcher Teufel hat Dir eingeredet, politisch zu sein?“ frug Dukač weiter, „wie kann es möglich sein, daß ein so dummer Junge, wie Du es bist, in Nižnij Politik treiben kann?“

Doch Agap blieb fest bei seiner Behauptung stehen.

Dukač befahl schließlich dem Agap sich zu setzen und ihm haarklein zu erzählen, in welcher Art und Weise er Politik getrieben habe. Dukač selbst goß sich einen kleinen Topf Pflaumenbranntwein ein, brannte seine Pfeife an und richtete sich gemächlich zu längerem Zuhören ein.

Doch die Erzählung war kurz.

Agap las nochmals die sämtlichen Posten der Rechnung vor, und meinte dann:

„Gibt es hier eine Mütze?“

„Nein, nicht,“ gab Dukač zur Antwort.

„Und sie ist doch drin!“

Und nun beichtete er, wo und in welchen Posten und wie viel bei jedem zugerechnet worden ist, und dieses alles erzählte er mit einer solchen Offenheit und Freude, als er sicher war, daß ein Überfall seines Onkels ihm keine großen Schmerzen bereiten könne, denn sein Hals und Nacken waren ja mit vielen Lagen von Handtüchern dicht umwickelt; aber es ereignete sich etwas anderes, ganz unerwartetes, unerwünschtes, worauf Agap ganz unvorbereitet war.

Anstatt seinen Verwandten zu prügeln, meinte Dukač:

„Sieh’! sieh’! wirklich, Du bist sehr politisch vorgegangen und hast die Ausgabe für die Mütze so gut verheimlicht, daß es mir nicht wehe tuet, ich aber werde Dich eine andere Politik lehren,“ und aufspringend riß er dem Agap nicht nur eine Handvoll Haare vom Kopfe, sondern auch gleichzeitig das Stück Haut mit, so daß an dieser Stelle seit dieser Zeit auch keine Haare mehr gewachsen sind.

In dieser Weise endete das politische Spiel des Neffen mit dem Onkel, und als dieser Vorfall im Dorfe bekannt wurde, da wuchs das Ansehen des Dukač noch mehr, als man zu der Überzeugung kam, daß man dem Dukač weder durch List noch Gradheit beikommen oder ihn betrügen könne.


[3] Nižnij Novgorod.

Viertes Kapitel.

Dukač blieb stets allen seinen Nachbaren fremd, er besuchte Niemanden und Niemand hatte den Wunsch mit ihm bekannt zu werden oder nähere Freundschaft zu schließen.

Dieses Verhältnis ließ Dukač kalt und völlig gleichgültig, es berührte ihn viel zu wenig, um sich darüber zu grämen.

Man muß sogar annehmen, daß ihm diese Absonderung sehr angenehm war, wenigstens hatte er, bei passender Gelegenheit, sich dahin geäußert, daß er, so lange er lebe, vor Niemandem sich gebeugt oder um etwas gebeten hätte und er hoffe, daß dies auch weiters der Fall sein werde.

Und weshalb sollte er Jemandes Wohlwollen suchen und wünschen?

Ochsen und anderen Gutes besaß er im Überflusse, und wenn ihn Gott dadurch strafen sollte, daß alle seine Ochsen verseuchen oder sein Haus abbrennen würde — so besaß er noch Land, Feld, Wiesen und Steppe — mehr als ihm nötig, die stets, wie es sich für einen tüchtigen Landwirt gebührt, in Ordnung gehalten und bearbeitet wurden, so daß sie, wenn nicht dieses, so doch die nächsten Jahre einen guten Ertrag geben würden, er war deshalb gegen alle Verluste gesichert.

Aber nicht genug daran, denn selbst dann, wenn sein Haus abbrennen, sein Vieh fallen, seine Felder nichts tragen sollten, so gab es im Walde eine Eiche, die dem Dukač nur allein bekannt war, unter deren Wurzeln, in der Erde vergraben ein nicht zu kleines Töpfchen sich befand, daß bis oben voll mit schönen gelben, großen runden Goldfüchsen gefüllt war, hinreichend genug, lange ein völlig sorgenloses Leben führen zu können.

Was waren ihm deshalb alle anderen Leute?

Um daß er deren Kinder aus der Taufe hebe?

Er selbst war kinderlos — oder sollte er seiner Frau zu Liebe Bekanntschaften und Freundschaften schließen, deshalb, weil sie ihm, nach Frauen Art, täglich die Frage stellte:

„Warum meiden uns die Leute? — warum ziehen sie sich von uns zurück und weichen uns aus? Warum tuen sie uns alles mißgönnen? — Glaubst Du nicht, daß es notwendig wäre, etwas zu tun, damit uns die Leute ein klein wenig entgegen und näher kommen?“

Doch ein richtiger Kasak nimmt auf derartige Äußerungen und Wünsche einer Frau gar keine Rücksicht und schenkt ihnen keine Beachtung.

Und so verlief ein Jahr nach dem anderen; Dukač lebte sorgenlos, ohne jede Unannehmlichkeit, ohne jedes Unglück oder einen jener unangenehmen Vorfälle, welche selbst die reichsten, unabhängigsten und stolzesten Menschen nicht selten zwingen, unwillkürlich die Hilfe oder Gefälligkeiten anderer Menschen in Anspruch nehmen zu müssen, sie sogar zu bitten, sich vor ihnen zu beugen, ja sogar zu demütigen.

Jetzt trat ein derartiger Zeitpunkt ein, denn Leute waren dem Dukač nötig, welche sein Kind aus der Taufe heben sollten.

Jedem anderen Menschen hätte ein derartiger Fall keine Schwierigkeiten bereitet. Dukač war aber stolz und es war ihm unbequem und unangenehm, selbst zu gehen und jemanden um die Gefälligkeit zu bitten, Pate bei seinem Sohne sein zu wollen.

Die Personen, welche Dukač nötig waren, zählten nicht zu den ersten besten im Dorfe, im Gegenteil es war dies die junge, putzsüchtige Frau des Dorfgeistlichen, welche sich Hüte stets aus Poltava verschrieb, und ein junger Gerichtsbeamte aus der Stadt, welcher gerade beim Diakon zu Gaste war.

Das waren unbestritten die ersten Personen, die Intelligenz im Dorfe, aber was zu befürchten war: daß diese Personen ablehnen, was dann?

Erst jetzt leuchtete dem Dukač ein, daß er übel daran getan habe, sich nicht nur mit dem Volke, sondern auch mit der Intelligenz zu verfeinden, und daß es noch nicht lange her ist, wo er mit Vater Jakob und dem Diakon auf dem Damm nicht gerade ein freundschaftliches Gespräch in gewählten Worten führte, als ihm diese, und er ihnen, nicht ausweichen wollten.

Und weder der Pop noch der Diakon vergaßen die Rücksichtslosigkeit und Grobheit des Dukač, namentlich jetzt, zu einer Zeit, wo sie dem stolzen Kasaken sehr nötig waren.

Dukač blieb nichts andres übrig, als in den saueren Apfel zu beißen.

Aber er stellte dies schlau an; um einer persönlichen Absage zu entgehen, ließ er die Frau des Popen und den Gerichtsbeamten durch seinen Verwandten einladen.

Und damit diese Einladung einen Erfolg hätte, versorgte er den Agap mit Geschenken, wie es im Dorfe bei solchen Gelegenheiten üblich zu sein pflegt.

Aus der alten Erbkiste holte er für die junge Frau des Popen einen breiten Kamm aus Elfenbein; für den Beamten ein Trinkglas mit eingeschliffenem Hahn und einer deutschen Inschrift.

Aber dieses alles hatte keinen Erfolg gehabt.

Sowohl die Frau des Popen als der Beamte lehnten die Ehre Paten zu stehen bei Dukačs Kind ab, und nahmen die Geschenke nicht an, ja sie lachten sogar Agap aus, indem sie meinten, warum sich Dukač gar so viel Mühe nehme sie gerade zu Paten haben zu wollen, jedenfalls deshalb, weil sich wohl niemand anderer gefunden habe das Kind eines Betrügers und Wucherers aus der Taufe heben zu wollen.

Und als Agap sich erkühnte die Frage zu stellen, ob es wohl angeht, daß ein Kind eine Woche lang ungetauft bleiben könnte, da prophezeite Vater Jakob, daß das Kind nicht bloß eine Woche, sondern sein Leben lang ungetauft bleiben wird.

Als der alte Dukač diesen Bericht zur Kenntnis nahm, da ballte er seine Rechte zu einer Faust, hielt sie dem Agap unter die Nase und beauftragte ihn dem Popen ein gleiches für seine Prophezeihung zu zeigen; und um den Agap rasch aus der Stube zu entfernen, packte er ihn beim Kragen und warf ihn einfach zur Tür hinaus.

Fünftes Kapitel.

Dieses Hinauswerfen betrachtete Agap als einen ziemlich guten Ausgang seiner schwierigen Mission, und um seinem Onkel nicht unter die Augen oder einfacher gesagt, unter die Hände zu geraten, ging er ins Wirtshaus, wo er alles ausführlich erzählte, was vorgefallen ist, so daß im Verlaufe einer halben Stunde alle Bewohner des Dorfes wußten und sich auch darüber freuten, Vater Jakob hätte aus den Büchern herausgelesen, der Sohn des Dukač bleibe sein Leben lang — ungetauft.

Und wenn nun Dukač seinen Stolz überwunden hätte, und wenn er demütigst bittend von einem Nachbaren zum anderen gegangen wäre, alle würden ihm abgesagt haben.

Davon war Dukač vollständig überzeugt, es war ihm klar, daß er sich im Zustande des Wolfes befinde, welcher es mit allen verdarb, so daß er sich vor niemanden sehen lassen dürfte, und er auf keine Hilfe rechnen konnte, wo sie ihm am nötigsten gewesen wäre.

Doch er beschloß auch ohne Vater Jakob und ohne seine Nachbaren fertig zu werden.

Zum Ärger des ganzen Dorfes und möglicherweise zum allergrößten der Dorfgeistlichkeit beschloß Dukač das Kind in der Nachbargemeinde Peregudi, welche acht Werst von Paripsami entfernt lag, taufen zu lassen, und um die Sache bald zu beenden, sollte die Taufe sofort vor sich gehen, denn morgen schon sollte allen bekannt sein, der alte Dukač lasse als echter Kasak nicht über sich lachen, verstehe keinen Spaß und werde auch ohne Hilfe der Dorfbewohner fertig.

Taufpaten hatte er bereits gefunden und zwar den Agap und die Hebamme Kerasivna, Personen, auf die niemand auch in Gedanken verfiel.

Über diese Wahl konnten sich manche wundern oder auch nicht, wie man es eben nahm, denn Dukač lud „arme Leute als Paten“, begegnende, zufällige, wie sie Gott schickt — und der Aberglaube behauptet.

Agap war tatsächlich der erste, den der alte Kasak nach der Geburt seines Sohnes sprach, und Kerasivna die erste, die das Kind ansah, als es zur Welt kam, denn sie versah die Dienste einer Hebamme.

Es schien zwar etwas gewagt, die Kerasivna als Patin zu besitzen, sie besaß nicht den besten Ruf, denn sie galt für eine bekannte, ausgesprochene — Hexe — und daß sie ja eine echte wahre Hexe sei, davon waren nicht nur die Bewohner des Dorfes, sondern auch deren eigener Mann fest überzeugt, denn er widersprach dem Gerüchte nicht, noch verteidigte er seine Frau gegenüber solchen Anklagen.

Der Mann der Kerasivna, der Kasak Kerasenko, war ein energischer, sogar kühner Mann, der keine Furcht kannte, aber im höchsten Grade eifersüchtig war, und doch verschwand Energie, Kühnheit, Eifersucht unter dem Einflusse, welchen Kerasivna auf ihren Mann ausübte — er selbst wurde der ruhigste, stillste — Dummkopf, seiner Frau völlig untertan und nach ihrem Willen und Wunsche lebend, — wogegen sie sich der größten Freiheiten erfreute.

Kerasivna handelte mit Branntwein, Leinwand, mit verschiedenen Nahrungsmitteln, ja verkaufte sogar Heilmittel und Kräuter, aber das größte Einkommen zog sie aus ihrer Eigenschaft als Hebamme.

Sechstes Kapitel.

Wie ich schon sagte, im ganzen Dorfe und den Nachbargemeinden war Groß und Klein davon überzeugt, daß die Kerasivna eine Hexe sei, denn das wurde deutlich sichtbar aus einem eigentümlichen, ein wenig skandalösen Falle.

Solange Kerasivna noch nicht verheiratet war, da kannte sie jedermann als ein eigenwilliges, starrköpfiges Mädchen; sie wohnte in der Stadt und in ihrem Besitze befand sich ein Glas, in welchem ein kleines Teufelchen mit roten Hörnern und Zunge eingeschmolzen war.

Dieses Teufelchen erhielt die Kerasivna von einem adeligen Herrn aus Pokota, Rohačover Bezirkes, welcher solche in einer benachbarten Glashütte herstellte, zum Geschenke.

Kerasivna benützte das Glas zum Trinken und befand sich dabei sehr wohl.

Aber nicht genug daran, sie besaß den außergewöhnlich großen Mut den Kerasenko zu heiraten.

Das zu tun, vermochte nur ein Frauenzimmer, das selbst den Teufel nicht fürchtet, da es ja allgemein bekannt war, daß Kerasenko nicht nur durch seine Eifersucht, sondern auch durch seine Rohheit bereits zwei Frauen ins Grab brachte.

Als Kerasenko zum drittenmale heiraten wollte, da konnte er keine Frau finden, bis sich ihm diese verteufelte Kerasivna sogar selbst antrug, und ihn schließlich heiratete, jedoch nur unter der ausdrücklichen Bedingung, daß er ihr stets alles glauben müsse, was sie ihm sage.

Darauf ging Kerasenko ein, aber in Gedanken meinte er, die Christa wäre ein viel zu dummes Frauenzimmer, wenn sie meint, daß er ihr alles glauben solle!

„Warte nur, bis du nur meine Frau werdest, ich werde dir auch den Mann zeigen, nach dessen Pfeife du tanzen solltest!

Keinen Schritt lasse ich dich allein machen.“

Jede andere als Christa hätte schon im voraus gewußt, was nach der Hochzeit folgen werde, doch dieses flinke und auch sonst ganz gescheite Frauenzimmer verdummte gerade zu: sie äußerte gar keine Furcht vor diesem rohesten und eifersüchtigsten der Männer, sie heiratete ihn, aber sie wandelte in kurzer Zeit ihren Mann so, daß er aufhörte roh und eifersüchtig zu sein und die Christa nach ihrem Willen und Wollen leben ließ.

Daß eine solche Charakterumwandlung nur mittels Hexerei vor sich gehen konnte, daß dabei sogar der leibhaftige Teufel selbst mithelfen mußte, davon war jedermann überzeugt, namentlich sah die Pidnebesnaja, eine Nachbarin der Kerasivna, den Teufel in menschlicher Gestalt selbst, wahr und wahrhaftig.

Und dies war nicht lange nach der Hochzeit des Kerasenko mit der tapferen Christy.

Seit dieser Zeit sind zehn Jahre verflossen, aber Kerasenko sind noch alle Einzelheiten des Vorfalles bis ins Kleinste bekannt und unvergessen, so genau, als wenn diese Teufelei sich erst gestern zugetragen hätte.

Es war im Winter, vor Weihnachten, an einem Feiertage, an welchem selbst der eifersüchtigste aller Kasaken zu Hause nicht sitzen geblieben wäre.

Kerasenko pflegte sonst nicht auszugehen, erlaubte auch nicht, daß seine junge Frau weibliche oder männliche Besuche empfange oder sonstige Bekanntschaften schließe, aus welchem Anlasse bereits ein heftiger Streit unter den Jungvermählten entstand, im Verlaufe dessen Christy ihrem Manne zurief:

„Nachdem Du Dein gegebenes Wort im Frieden und Guten nicht halten willst, werde ich es Dir schon im Bösen heimzahlen.“

„Und was wohl könntest Du mir übles antun?“ meinte lachend Kerasenko.

„Dich tot machen und in Stücke hauen.“

„Und wenn ich Dich stets bewachen werde?“

„Dann werde ich Dich krank machen.“

„Ei! ei! Du willst mich krank machen? — Du kannst wohl hexen?“

„Das wirst Du schon erfahren, ob ich hexen kann oder nicht: — ich sage Dir einfach — ja, ich bin eine Hexe.“

„Schön!“

„Ich werde es Dir schon beweisen; den ganzen Tag kannst Du um mich sein, mich bewachen, nicht einen Augenblick allein lassen, ich werde Dich doch klein bekommen.“

Ja, sie bestimmte sogar die Zeit, zu welcher dieses alles geschehen solle.

„Keine drei Tage werden vorübergehen und alles, was ich Dir gesagt, wird sich ereignen.“

Der Kasak sitzt einen Tag zu Hause ohne sich zu rühren, auch den zweiten, der dritte Tag geht zu Ende; es wird Abends, und der Kasak ist der festen Ansicht und Meinung, daß die Frist nun abgelaufen ist; — es ist — denkt er — doch gar zu langweilig zu Hause zu sitzen ... die Schenke der Pidnebesnaja steht gerade vor meiner Nase und meine Augen können von dort aus ganz genau sehen, ob jemand in meine Hütte geht ... Ich setze mich dort zum Fenster und kann in aller Ruhe zwei, auch drei Viertel Wodky trinken ... und hören, was die anderen erzählen und was es neues in der Stadt gibt ... ja sogar tanzen kann ich ... lustig sein ...

Und er ging ... ging, setzte sich am Fenster so zurecht, daß er ganz genau sehen konnte, was vor, ja sogar in seinem Hause geschieht; er sah das Feuer am Kamin hell brennen, sah, wie seine Frau hin und her gehe und sich in der Wirtschaft beschäftige.

Wunderbar! — Kerasenko sitzt im Wirtshaus, trinkt und schaut unverwandt auf seine Hütte; Witwe Pidnebesnaja bemerkt seine Aufregung, ja sie fängt an ihn zu hänseln:

„Eh! Du ... so und so ... dummer Kasak ... was Du sehen willst, werdest Du in Deinem ganzen Leben nicht sehen!“

„Schon gut ... ich aber will weiter schauen!“

„Hier gibts nichts zu schauen ... denn je mehr man nach uns, Frauen, schaut, je mehr man uns hüten will, um so ärger wird es, und um so früher hilft uns der Teufel.“

„Red’ Du nur für Dich selbst ...“ gab der Kasak zur Antwort, „meine Frau will ich selbst so behüten, daß ihr auch kein Teufel wird helfen können.“

Da fingen nun die anderen Kasaken an mit den Köpfen zu schütteln.

„Kerasenko, Kerasenko! das ist nicht schön von Dir, daß Du so sprichst, nicht schön! ... entweder bist Du nicht getauft oder selbst ein Teufel, weil Du nicht mehr an den Teufel glaubst.“

Und die Anwesenden regten sich über Kerasenko und seine Reden so sehr auf, daß eine Stimme aus der Menge sich vernehmen ließ.

„Was sollen wir mit ihm tun? ... am besten wäre es ihm eine solche Lehre zu geben, daß er wieder rechtgläubig wird.“

Und es war nahe daran, daß sie ihm die Rechtgläubigkeit handgreiflich beigebracht hätten, woran sich sehr gerne ein ganz fremder Mann beteiligt hätte, in welchem Kerasenko jenen Adeligen aus Rogačev zu erkennen meinte, welcher seiner Frau das Teufelsglas schenkte, und wegen dessen, noch vor der Hochzeit, ein zweiter Vertrag geschlossen worden war, dahin lautend, daß von dem Fremden nie irgend eine Erwähnung gemacht werde.

Diesen Vertrag beschwor Kerasenko mit einem schrecklichen Eide dahin lautend, daß, wenn Kerasenko sich auch nur des Adeligen aus Rogačev erinnern sollte, er sofort dem Teufel verfallen wird, der ihn dann nicht mehr aus seinen Klauen frei läßt.

Kerasenko fiel dieser Schwur beim Anblick des Fremden ein.

Kerasenko ist aber bereits betrunken und er kann seinen Unmut darüber nicht unterdrücken, warum und weshalb gerade jetzt der Adelige aus Rogačev hier erscheine und was er überhaupt im Dorfe zu tun habe.

Kerasenko beeilte sich nach Hause zu gehen; aber dort angekommen, fand er sein Weib nicht in der Stube, was ihm höchst unerklärlich und unfaßbar erschien.

„Ich soll ihn vergessen, mich seiner nicht erinnern,“ dachte er, „das kommt mir gerade so vor, als wenn wir einen Vertrag geschlossen hätten zu vergessen, daß wir uns geheiratet haben ... warum und weswegen ist der Mann gerade jetzt hier ... was hat er hier im Dorfe zu tun ... warum und weswegen ist meine Frau nicht zu Hause?“

Und während dem Kerasenko solche und ähnliche Gedanken durch den Kopf flogen, schien es ihm, als wenn sich hinter der Tür zwei küssen würden.

Es wurde geradezu vom Schüttelfrost gepackt; er fing an aufmerksamer und schärfer zu horchen ... richtig ... er hört es ganz deutlich ... ein Kuß ... noch einer ... leises Wispern ... wieder ein Kuß ... und das alles gerade hinter der Tür, vor der er steht.

„Eh! tausend Teufel,“ sagt sich Kerasenko selbst, „entweder habe ich bei der Pidnebesinaja zu viel Branntwein getrunken und träume nun alles mögliche ... oder hat es mein Weib richtig herausbekommen, daß der Rogačever Adelige hier ist, und daß es ihm gelang mich zu verhexen ... Die Leute haben mich darauf aufmerksam gemacht, daß meine Frau eine Hexe sei ... doch ich glaubte dies nicht ... jetzt aber ... jetzt küssen sie sich wieder ... oh! ... oh! ... und wieder ... wieder ... Wartet doch nur, ich will euch schon ...“

Der Kasak glitt leise von der Bank, kroch zur Tür und sein Ohr dicht an die Türspalte legend, strengte er sich an zu hören, was hinter der Tür vorgeht: ... sie küssen sich ... daran läßt sich nicht zweifeln ... sie küssen sich ... wie sie mit den Lippen schnalzen ... ja sie reden ... so, jetzt spricht mein Weib ... und er hörte, wie sie laut sagte:

„Was? mein Mann, dieser Heide: den werde ich einfach aus dem Hause jagen und Dich zu mir nehmen.“

„Oho!“ dachte Kerasenko, „was bildet sich das Frauenzimmer ein, mich wegjagen und einen zweiten, fremden, ins Haus nehmen, an meine Stelle setzen ... Nu! das wollen wir ’mal abwarten, so leicht wird es doch nicht gehen können ...“

Er richtete sich plötzlich auf, stemmte sich mit aller Gewalt gegen die Tür, um solche aufzubrechen, obwohl es sich erwies, daß dieselbe gar nicht versperrt war; an der Türschwelle stand Kerasivna, sein Weib, so schön ... so ruhig wie stets vordem, nur mit ein klein wenig mehr geröteten Wangen — aber mit einemmale fing sie an zu schimpfen, wie es nur eine Kleinrussin zu Wege bringen kann.

Sie nannte ihren Mann einen Heiden, Säufer, Schwein, Hund und fügte noch andere derartige schöne Titulaturen bei; schließlich erinnerte sie ihn auf die von ihm geschworenen Eide und Verträge, nach denen er es sich gar nicht einfallen lassen darf, eifersüchtig zu sein, und um ihr den Beweis zu liefern, daß er seine Eide einzuhalten Willens sei, soll er ihr erlauben heute Abends die Spinnstube besuchen zu können, sollte er dies nicht tun, so wird sie etwas ausführen, woran er sein Leben lang denken wird.

Doch Kerasenko war ein gewiegter Junge.

Seine Frau in die Spinnstube zu schicken, jetzt, wo der Adelige aus Rogačev im Dorfe sich befindet — er hatte ihn doch mit eigenen Augen bei der Pidnebesinaja gesehen und vor wenigen Augenblicken mit eigenen Ohren gehört, wie seine Frau jemanden küßte und ihm versprach ihn in die Hütte zu nehmen ... — das schien ihm gar zu dumm.

„Nein, nein!“ sagte er, „da suche Dir nur einen anderen Dummkopf aus, nur nicht mich; es wird jedenfalls besser sein, ich sperre Dich ein und Du legst Dich schlafen ... das wird Dir zuträglicher sein und ich werde unterdessen über Deine Hexerei ruhig nachdenken können.“

Als Kerasivna diese Antwort vernahm, da wurde sie vor Zorn blaß, denn zum erstenmale nach ihrer Verheiratung sprach ihr Mann mit ihr in einem eigenartigen Tone und sofort wurde es ihr klar, daß in ihrem ehelichen Leben ein Wendepunkt eingetreten ist, welcher zu ihren Gunsten entscheiden müsse, wenn sie nicht alles, was sie bis jetzt mit viel Scharfsinn, Geschicklichkeit, Stetigkeit, Festigkeit und Erfindungsgabe gewonnen, für immer verlieren solle.

Sie richtete sich in ihrer vollen Größe auf, gab dem Kasaken einen Schlag ins Gesicht und wollte auf die Gasse herausspringen, aber der Kasak erriet ihre Absicht, machte einen Sprung, schlug ihr die Tür vor der Nase zu, legte die Kette und das Vorhängeschloß an und sperrte dieses zu, den Schlüssel ließ er in seine unendlich tiefe Tasche verschwinden.

Er meinte nun ruhig:

„So, jetzt ist Dein Weg angewiesen, vom Ofen zur Tür und zurück ...“

Durch diesen unerwarteten und unerwünschten Vorfall überrascht, wurde die Kerasivna so wütend, daß selbst Kerasenko darüber erschrak.

Christa stand ziemlich lange an einer und derselben Stelle, mitten in der Stube, sie zitterte wie im Fieber, wandte sich hin und her wie eine Schlange, ihre Hände schlossen sich krampfhaft, sie drohte mit ihnen dem Kasaken, in ihrem Gesichte zuckte es heftig, weiße und rote Flecken wurden abwechselnd sichtbar, ihre Augen erweiterten sich, glühten auf, wurden blutrot!

Da fing der Kasak sich doch zu fürchten an und rief:

„Daß Dich, Du verfluchte Hexe! ...“

Unerwartet blies sie die Kerze aus, stampfte heftig mit dem Fuß und zischte:

„So! ... jetzt sollst Du aber die Hexe kennen lernen!“

Mit einem Sprung, wie eine Katze, war sie oben auf dem Ofen, öffnete die Kamintür und schrie in den Schornstein hinein mit einer ganz eigenartigen Stimme:

„Uhu! — huhuhu! — Komm! erdrossele das Schwein!“

Siebentes Kapitel.

Durch diesen Vorfall, sowie durch die Kühnheit, Unerschrockenheit, Mut, ja Hartnäckigkeit und Eigensinn seiner Frau wurde der Kasak so überrascht, daß er sein Weib, von der er jetzt überzeugt war, daß sie eine Hexe sei, ergriff, in die Höhe hob, ins Bett trug, sie dort niederlegte, selbst sich neben ihr niederlassend.

Zum allergrößten Erstaunen des Mannes leistete Christy keinen Widerstand — im Gegenteil, sie blieb vollständig ruhig wie ein kleines Kind, ja, was noch merkwürdiger war, sie schimpfte gar nicht.

Dieser Zustand seines Weibes war dem Kasaken sogar sehr genehm und erwünscht; mit der einen Hand, den Schlüssel in der Hosentasche festhaltend, hielt er mit der zweiten den Hemdärmel seiner Frau fest und — schlief ein.

Lange dauerte jedoch dieser glückselige Zustand nicht, denn kaum daß er in den Schlaf verfiel und überhaupt ganz und gar vergaß, was vorgefallen ist, ja sogar, daß er lebe, da spürte er plötzlich einen schmerzhaften Rippenstoß.

„Was soll das?“ fing der Kasak an zu denken, aber schon folgte ein zweiter, noch stärkerer Stoß, worauf er brummend meinte:

„Warum tust Du mich stoßen?“

„Warum? Hörst Du denn nicht, was auf dem Hofe vorgeht?“

„Und was geht dort vor?“

„So höre doch!“

Kerasenko hob den Kopf ein wenig in die Höhe und hörte ein fürchterliches Grunzen.

„Ehe! es scheint, als wenn ein Fremder auf dem Hofe wäre.“

„Das kann schon möglich sein! Lass’ mich schnell heraus, damit ich nachsehen kann, was dort geschieht, und ob das Tor geschlossen ist.“

„Dich soll ich gehen lassen? Hm ... hm ...“

„Nu, so gib doch rasch den Schlüssel her, sonst stehlen sie uns noch das Schwein und wir bleiben auf die Feiertage ohne Fleisch und Fett ... Alle guten Leute werden Wurst und Speck essen und wir werden bloß zusehen ... Oh! oh! oh! ... so höre doch, es kommt mir gerade so vor, als wenn sie das Schwein schon aus dem Stalle ziehen würden ... wie mir das arme Tier leid tut ... das arme Schwein ... wie es grunzt ... Nu, so laß mich doch rasch heraus, damit ich den Dieben das Schwein abjagen kann ...“

„Nu, ja! Dich werde ich wohl nicht schicken ... Wer hat es je gesehen, daß sich ein Weib mit solchen Dingen befaßt hätte ... ein Schwein den Dieben abjagen?“ antwortete der Kasak, „es wird wohl besser sein, ich stehe auf und schaue selbst nach, was vorgeht.“

Und obzwar er nicht gerade viel Lust verspürte, die warme Stube mit dem kalten Hofe zu vertauschen, so ermunterte er sich doch, um so mehr, als es ihm schwer fiel, ein Schwein zu verlieren.

Er stand also auf, zog den langen Rock an und verließ die Stube.

Jetzt aber geschah etwas, was er nicht vorbedacht hatte und was unzweifelhaft bewies, daß sein Weib, die Christy, eine wirkliche, wahre und wahrhaftige Hexe sei; von dieser Zeit an fürchteten sie alle, das Dorf und die Umgebung; es hütete sich jeder sie im eigenen Hause zu empfangen, um so weniger sie zur Taufpatin zu nehmen, wie dies Dukač sich vornahm zu tun.

Achtes Kapitel.

Leise und vorsichtig schlich sich Kerasenko zum Stall, in welchem das beunruhigte Schwein fürchterlich grunzte und schrie, rasch riß er die Tür auf, aber plötzlich fiel, in der undurchdringlichen Finsternis der Nacht, etwas, ein einer Wagenplache ähnliches, aber dabei weiches Stück Leinwand über seinen Kopf, wobei er gleichzeitig einen so derben Stoß in den Rücken erhielt, daß er zu Boden fiel und sich nur äußerst schwierig von dem ihn bedeckenden Zeug befreien konnte.

Nachdem er sich von seinem Schrecken und der Überraschung etwas beruhigt und sich davon überzeugt hatte, daß das Schwein auf seiner gewohnten Stelle liege, schloß er den Stall fester als gewöhnlich und kehrte zur Hütte zurück.

Nun ereignete sich etwas ganz ungewöhnliches und unerwartetes: die Stubentür war fest zugesperrt.

Kerasenko drehte an der Klinke hin und her ... wirklich zugesperrt.

Was ist das für eine Teufelei?

Er klopft ... er trommelt mit der Faust auf die Tür ... alles umsonst ... er schreit ...

„Weib! ... Christy! ... mach’ doch auf ... mach’ schnell auf ...“

Doch die Kerasivna gibt keinen Laut von sich.

„Daß Dich, Du Hexe ... was ist Dir denn eingefallen, die Tür zuzusperren und einzuschlafen! ... Christy ... so höre doch ... ei! ... Weib! ... mach’ auf ...“

Aber Christy tat nichts dergleichen; es schien, als wenn das ganze Haus eingefroren wäre; sogar das Schwein ist still geworden und schlief.

„Das ist eine schöne Geschichte,“ meinte Kerasenko, „merkwürdig, wie sie so fest einschlafen konnte! — Es bleibt mir nichts anderes übrig, als unter dem Hoftor unterzukriechen und von der Straße aus auf das Fenster zu klopfen, das wird sie wohl hören.“

Gesagt, getan! — Kerasenko kroch unter das Hoftor, gelangte an die Straße, ging zum Fenster, mit der Absicht an dasselbe zu klopfen; aber was mußte er hören? Sein Weib spricht:

„Schlaf, Mann, schlaf! — hör’ doch nicht darauf, was da draußen vor sich geht, lasse sie doch klopfen — es scheint mir aber, als wenn jemand am Boden herum gehen würde.“

Kerasenko fing an zu klopfen, mit den Fäusten auf dem Fensterrahmen herum zu trommeln und zu schreien:

„Mach’ auf, sage ich, mach’ sofort auf, oder ich schlage das Fenster ein ...“

Aber jetzt wurde auch Christy wild und schrie:

„Wer untersteht sich denn zu so später Stunde ehrliche Leute zu beunruhigen.“

„Ich, Dein Mann.“

„Wer, mein Mann?“

„Ja, ich, Dein Mann, der Kerasenko.“

„Geh’ nur, geh’, mein Mann ist zu Hause und liegt bereits lange im Bette.“

„Was?“ dachte Kerasenko, „wie ist es möglich, daß ich im Bette schlafe und auch auf der Gasse bin, träume ich dies alles oder ist es Wirklichkeit?“

Er fing von neuem an zu klopfen und zu schreien:

„Christy ... ach! ... Christy ... so mach’ doch auf ... um Gottes willen, mach’ auf ...“

Er klopft und schreit längere Zeit bereits, ohne etwas erreicht zu haben, er mag klopfen und schreien so viel er will, drinnen, in der Stube, bleibt alles ruhig, endlich läßt sich Christy wiederum vernehmen:

„Willst Du endlich mit dem Klopfen aufhören — ich habe schon einmal gesagt, mein Mann ist zu Hause und schläft ...“

„Das träumt Dir wohl, Christy.“

„Eh! ... danke für einen solchen Traum ... na, so ’was! — Ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen, und auch nicht so dumm, um nicht das zu wissen, was ich sehe ... Nein! ... das muß ich schon besser wissen als Du, den ich weder sehe noch kenne, während ich meinen Mann im Bette liegen sehe ... ich bekreuzige ihn ... so Herr Jesus ... so, und nun küsse ich ihn ... so, hast es gehört ... jetzt nochmals ... dabei ist bei uns recht warm und gemütlich ... Du aber, Lüderjahn, schau, daß Du weiter kommst nach Hause, zu Deinem Weibe ... uns aber lasse in Ruhe und störe uns nicht ... Geh’ mit Gott ... Gute Nacht ... so und nun belästige uns nicht mehr ...“

„Tfu! ... Du ... tausend Teufel ... was ist denn das? ... na, das ist eine schöne Geschichte ...“ dachte Kerasenko ..., „bin ich vielleicht an eine andere Hütte in der Finsternis geraten? ... aber ich irre mich doch nicht ... das ist ja doch meine Hütte.“

Er ging auf die andere Seite der Straße, und fing vom Brunnen ab die Hütten zu zählen an.

„Erste ... zweite ... dritte ... fünfte ... siebente ... neunte ... und die zehnte ist doch die meine.“

Er geht wieder zum Fenster, klopft wieder an und schreit ... und es wiederholt sich dieselbe Geschichte wie vordem; die Frauenstimme wiederholt dasselbe wie vorher, jetzt aber bereits im ärgerlichen Tone und meint:

„Schau, daß Du weiterkommst! ich sagte schon einmal, mein Mann liegt im Bett.“

Die Stimme ist unzweifelhaft jene der Christy.

„Und wenn Dein Mann im Bette liegt, warum spricht er nicht?“

„Warum soll er auch noch reden, nachdem ich genug geredet habe?“

„Aber ich will mit eigenen Ohren hören, ob das seine Stimme ist und ob überhaupt jemand bei Dir ist.“

„Gewiß ist er hier ... denn wir küssen uns ... hörst Du? ...“

„Tfu! ... Der Teufel soll sie holen ... es ist wahr ... sie küssen sich ... mir wollen sie einreden, ich sei nicht ich! ... wollen mich bloß wegschicken ... Aber, wartet nur, so dumm bin ich nicht ... jetzt werde ich gehen, Nachbaren holen, damit sie Zeugnis abgeben, ob das meine Hütte ist oder nicht, und ob ich der Kerasenko, der Mann der Christy sei oder jemand anderer ...“

„Ich sage Dir nochmals“ — ließ sich die Stimme aus dem Inneren der Hütte vernehmen — „geh’ nach Hause und beunruhige uns nicht ... Lass’ uns in Ruh’ ... wir haben uns genug geküßt, liegen im warmen Bett und fühlen uns behaglich und wohl ... andere Leute gehen uns überhaupt gar nichts an ...“

Und eine männliche Stimme ergänzt die Rede der Christy.

„Wir haben uns genug geküßt und liegen friedlich im Bette ... Du draußen kannst zum Teufel gehen ...“

Nun war Kerasenko davon überzeugt, daß jemand anderer bei der Christy sei, und er entschloß sich die Nachbaren zu wecken und herbei zu holen.

Neuntes Kapitel.

Ob es kurz oder lange dauerte, ehe er die Nachbaren geweckt und vor seine Hütte geführt hatte, darüber spricht die Überlieferung nichts, wohl aber, daß es endlich Kerasenko gelang, etwa zwanzig Kasaken, gefolgt von ihren neugierigen Frauen, vor seine Hütte zu bringen.

Auf alles Klopfen, Reden, Schreien hatte die Kerasivna nur eine einzige Antwort, dahin lautend, daß sie wohl alle träumen, denn ihr Mann sei zu Hause, liege im Bette, und damit sie ihnen dieses beweise, küsse sie nochmals ihren Mann so laut, daß es alle hören könnten.

Alle Kasaken und ihre Weiber waren davon überzeugt, daß alles das, was im Inneren der Hütte vor sich gehe, wirklich wahr sei, denn die Küsse waren natürlich, und es ließ sich ja auch eine männliche Stimme vernehmen, wenn auch nicht sehr deutlich, doch so, daß dieselbe von der Kerasivna für die ihres Mannes ausgegeben wurde.

Und die Stimme kam immer näher und näher zum Fenster, und am Fenster stehen bleibend rief sie so, daß alle erschrocken zurückfuhren.

„Was wollt Ihr, Dummköpfe? ... Geister sehen? ... Ich bin zu Hause, liege ruhig im Bett, aber der, der Euch hierher geführt, das ist ein böser Geist! — Gebt ihm doch lieber jeder von Euch einen Puff, damit er zusammenstürze ...“

Die Kasaken bekreuzten sich und der dem Kerasenko am nächsten stehende, gab ihm einen recht tüchtigen Schlag ins Genick, sprang aber sofort weit ab vom Kerasenko.

Diesem Beispiele folgten nun auch die anderen, so daß in sehr kurzer Zeit Kerasenko so schmerzlich geschlagen wurde, daß er auf der Schwelle seiner eigenen Hütte zusammenstürzte und liegen blieb im Schnee und Frost, während darinnen, in seinem Bett, ein zweiter sich es recht behaglich machte.

Und um seinen Schmerz und Kummer zu mildern, setzte sich Kerasenko in der Nähe seiner Hütte auf einen Schneehaufen und — weinte bitterlich, was eigentlich einem Kasaken nicht ansteht; sein geistiger und körperlicher Zustand, verschlimmerte sich, als er hören mußte, wie da drinnen geküßt wird.

Zum Glück für jeden Menschen nehmen alle geistigen und physischen Schmerzen und Qualen ein Ende und so auch die des Kerasenko ... er schlief ein und es träumte ihm: sein Weib sei gekommen, habe ihn aufgehoben und in sein, ihm wohlbekanntes, behaglich durchgewärmtes Bett gelegt ... und in der Tat, als er erwachte, fand er sich dort, wo ihm träumte, in seinem Bette, in seiner Hütte, nicht weit vom Ofen ... er sah, wie Christy sich am Kamin beschäftige, hin und her gehe, und einen großen Käseklotz bereite.

Mit einem Wort — es ging alles vor sich, genau so, wie es täglich sich wiederholt, nichts auffallendes, außergewöhnliches; vom Schwein und dem Gespenst auch keine Silbe Erwähnung.

Der Kasak frug nicht und machte auch von dem, was in der verhängnisvollen Nacht vorgefallen war, keine Erwähnung.

Von der Zeit an lebte der Kasak mit seinem Weibe friedlich, ließ sie schalten und walten wie sie wollte, wobei sein häusliches Glück und Wohlstand keinen Schaden litten, im Gegenteil, ihre Vermögensverhältnisse besserten sich augenscheinlich von Tag zu Tag.

Dagegen verlor seit jener Nacht die Kerasivna vollständig in der öffentlichen Meinung; es stand für alle fest, klar und deutlich, daß sie eine — Hexe sei.

Die gescheite Kerasivna widersprach diesem nicht, denn sie gewann dadurch Übergewicht über die anderen; alle fürchteten sie und ehrten sie doch, alle kamen zu ihr um sich mit ihr zu beraten, und brachten ihr dafür zum Danke die eine ein Schock Eier, die andere Speck, die dritte, vierte ... sonst etwas taugliches oder nützliches für die Wirtschaft.

Zehntes Kapitel.

Selbstverständlich war die Kerasivna dem Dukač sehr wohl bekannt, er war aber ein zu gescheiter Mann, um daran zu glauben, daß Christy eine Hexe sei, im Gegenteil er fand, daß sie eine gescheite, erfahrene Frau sei, mit der man sich beraten kann.

Und da Dukač ein ebenfalls unbeliebter Mann war, so schlossen sich diese beiden in Freundschaft aneinander.

Man erzählte sich zwar im Dorfe, man hätte den Dukač mit der Christy unter der alten Weide stehen gesehen, die in den Zaun eingeflochten war, welcher die Gärten des Dukač von jenem der Kerasivna trennte.

Andere behaupteten sogar, es bestehe ein sehr intimes Verhältnis zwischen beiden — doch das alles war bloßes Gerede und Klatscherei, wie solches, hauptsächlich in den Dörfern, so oft vorzukommen pflegt.

Die Sache verhielt sich einfach so, daß Dukač und Kerasivna, deren Reputation eine und dieselbe war, sich näher an einander schlossen als an die anderen Nachbaren, daß so oft sie sich begegneten, sie stets Gelegenheit fanden, ihre Ansichten über dieses und jenes auszutauschen.

Jetzt erinnerte sich Dukač der Kerasivna, namentlich als die Einladung an die Intelligenz im Dorfe zu seinem Mißvergnügen ausfiel und ließ dieselbe holen, um sich mit ihr zu beraten.

Dukač erzählte ihr genau den Fall und die ihm dadurch angetane Beleidigung.

Kerasivna hörte dies ruhig an, dachte ein wenig nach, warf plötzlich den Kopf in die Höhe und sagte gerade zu:

„Wie denn, Herr Dukač, wenn Sie mich zur Patin nehmen möchten?“

„Dich? ... zur Gevatterin haben?“ ... wiederholte Dukač.

„Ja, mich ... oder glauben Sie auch daran, wie die anderen, ich sei eine Hexe?“

„Hm ... ja wohl, so sagen es alle, Du wärest eine Hexe, aber ich sehe keine Hörner auf Deinem Kopf, noch einen Pferdefuß.“

„Und das werden Sie auch niemals sehen.“

„Hm ... Gevatterin ... ja, was werden die Leute dazu sagen?“

„Was für Leute? ... sie wollen ja auf euer Haus gar nicht spucken, wie so erst in dasselbe gehen.“

„Das ist wahr ... aber, was wird meine Frau dazu sagen? ... Siehst Du, die ist ebenso wie die übrigen fest davon überzeugt, Du wärest eine Hexe.“

„Und Sie fürchten sich wohl vor Ihrer Frau?“

„Ich? ... fürchten ... so dumm bin ich nicht wie Dein Mann ... ich fürchte mich vor Weibern nie ... überhaupt vor Niemanden ... aber sag’ aufrichtig ... bist Du wirklich keine Hexe?“

„Eh! Herr Dukač ... schaue ich denn gar so darnach aus? ... übrigens, laden Sie zum Paten, wen Sie wollen.“

„Hm! ... so warte ein wenig, ärgere Dich nicht gleich ... gut, also sei Du die Patin ... aber glaubst Du, daß Dich der Pope in Peregudi als Patin zuläßt?“

„Und weshalb sollte er nicht?“

„Weiß Gott ... er ist so sehr gelehrt ... fängt stets mit der Bibel an ... er kann sagen: gehört nicht in meinen Pfarrbezirk.“

„Seien Sie ohne Sorgen ... das wird er nicht sagen ... obzwar er ein sehr studierter Herr ist, muß er doch das tun, was seine Frau will ... Er beruft sich stets auf die Bibel, muß aber schließlich doch alles tun, was alle Männer tuen ... der Frau folgen ... Ich kenne ihn sehr wohl, und war schon einigemal in seiner Gesellschaft ... Einmal nahm er sich vor keinen Branntwein zu trinken und berief sich auf die Bibel, wo es stehen soll: trinkt euch mit Wein nicht voll, denn das ist Sünde ... ich aber antwortete ihm: wenn es auch Sünde sei Branntwein zu trinken, so trinken sie doch ein Gläschen, und er ... trank.“

„Hat er wirklich getrunken?“

„Gewiß ... getrunken.“

„Nun gut ... schau jedoch, daß er sich nicht früher betrinkt und unser kleines Kind nicht beschädigt und ihn nicht etwa auf die Namen Ivan oder Nikolaus tauft.“

„Das soll er wohl bleiben lassen, ein christliches Kind Nikolai zu taufen ... Weiß ich denn nicht, daß dies ein Moskauer Name ist.“

„So ist’s ... Nikolai ist ein Moskauer.“

Es stellte sich jedoch ein Hindernis ein, nämlich: Kerasivna besaß keinen so großen und warmen Pelz, um das Kind nach Peregudi fahren zu können und der Tag war frostig, bitterkalt ... es herrschte geradezu eine „barbarische Kälte“; dafür besaß die Dukačin einen prächtigen Pelz mit blauem Tuche benäht.

Dukač holte denselben aus dem Hause und gab ihn der Kerasivna, ohne ein Wort zu sprechen.

„Jetzt,“ meinte er, „zieh rasch den Pelz an, oder besser, behalte ihn für immer, doch mach’, daß das Kind bald nach Peregudi kommt, damit die Leute nicht sagen, des Dukač Kind sei schon drei Tage ungetauft.“

Kerasivna sträubte sich zwar im Anfang gegen das Geschenk, doch gab sie bald nach.

Sie wendete die mit Hasenfellen ausgefütterten Ärmel recht weit heraus, zog den großen Kragen hoch über den Kopf hinaus, und das ganze Dorf sah ihr neidisch nach, als sie in dem mit einem paar starker Pferde bespannten Schlitten neben Agap sitzend, durch das Dorf auf der Straße nach Peregudi, zum Popen Jeremij, fuhr.

Alle waren davon überzeugt, daß Agap und Kerasivna bei der Abfahrt nüchtern waren.

Es ist richtig, zwischen den Knieen des Agap, welcher die Pferde lenkte, lag ein nicht geradezu kleines rundes Fäßchen mit Pflaumenbranntwein; doch dasselbe war gewiß für den Popen bestimmt.

Das Kind lag unter dem großen und breiten Pelz, gut eingewickelt, warm, obwohl alle, ohne Ausnahme, davon überzeugt waren, es wird sich bei der Taufe des Kindes etwas Schreckliches ereignen.

Alle waren der Überzeugung, Gott lasse es nicht zu, daß der Sohn eines so großen Sünders und schlechten Menschen, wie es Dukač ist, getauft werde, schon deshalb nicht, weil als Patin eine — Hexe fungiere.

Was wäre das für ein Glaube, wo so etwas vorkommen könnte; Gott ist gerecht, er kann etwas derartiges nicht dulden, nicht zulassen.

Dieser Ansicht und dieses Glaubens war die Mutter des Kindes; sie weinte bittere Tränen über den Eigensinn ihres eigenen Mannes, welcher seinem einzigen, lange erwünschten und ersehnten Kinde und Erben eine anerkannte Hexe als Patin auswählte.

Unter solchen Verhältnissen fand die Abfahrt der Kerasivna, des Agap und des kleinen Sohnes des Dukač statt.

Dieses alles, was ich eben erzählte, ereignete sich zwei Tage vor Nikolai, im Wintermonat Dezember, um zehn Uhr Vormittag; das Wetter war rauh, frostig, der Wind wehte von der Moskauer Seite und verstärkte sich gerade zu jener Zeit, als Agap, Kerasivna und das Kind wegfuhren, und es hatte den Anschein, als wenn aus demselben ein richtiger Sturm herauswachsen würde.

Tatsächlich fing der Himmel an sich mit bleigrauen schweren Wolken zu überziehen; der Wind wirbelte den gefrorenen Schnee auf und gleichzeitig fing es an stark zu schneien.

Alle Leute, welche dem Kinde des Dukač alles böse wünschten, bekreuzten sich beim Anblick des sich bildenden Wetters andächtig und waren ganz zufrieden, denn es zeigte sich deutlich und sichtbar, daß Gott an ihrer Seite stehe.

Elftes Kapitel.

Wie ruhig und gelassen sonst Dukač zu sein pflegte, heute empfand er eine gewisse Unruhe, Vorahnung oder ähnliches, denn er war doch nicht vollends befreit von dem herrschenden Aberglauben, und er fing an sich zu fürchten.

Bei dem Sturm, der sich immer mehr und mehr steigerte, konnte es vorkommen, daß etwas Ungeahntes, Unangenehmes, Unerwartetes sich ereignen könne; es konnten ja doch der Pate mit der Patin und dem Kinde in dem eingetretenen Schneesturme, der sich plötzlich erhob, sich verirren, was böse Folgen nach sich ziehen konnte; und der Schneesturm fing an zu wüten gerade zu jener Zeit, als der Schlitten in die Talschlucht einbog, die gegen Peregudi führte.

Dazu war es ihm noch unangenehmer die Vorwürfe seiner Frau hören zu müssen; aus dem Munde eines Weibes, die stets alle Launen ihres Mannes still, ohne Murren hinnahm, ihm geradezu sklavisch diente, und deren Lippen stets geschlossen waren, es war ihm unangenehm hören zu müssen, als ihm seine Frau sagte:

„Auf unsere alten Tage und zu unserer Freude hat uns Gott ein Kind geschenkt und Du hast Dir vorgenommen, es zu töten.“

„Was sagst Du,“ antwortete Dukač, „ich hätte das Kind getötet?“

„Ja wohl, deshalb, weil Du es der Hexe anvertraut hast. — Wo hat man je gehört, daß ein Kasak sein Kind einer Hexe anvertraut, damit es diese taufen lasse?“

„Sicher und gewiß wird sie es taufen lassen.“

„Noch niemals ist etwas derartiges vorgefallen und wird auch nicht vorfallen, Gott wird es nicht zulassen, daß eine so ausgesprochene Hexe ein Kind aus der Taufe hebe.“

„Ja, wer sagte es Dir, daß die Kerasivna überhaupt eine Hexe sei?“

„Alle sagen es.“

„Blech, was die Leute reden; es hat doch Niemand von ihnen Hörner am Kopfe der Kerasivna noch den Pferdefuß bei ihr gesehen.“

„Hörner auf ihrem Kopfe hat wohl Niemand gesehen, aber gesehen haben sie es alle, wie sie ihren Mann verhexte.“

„Warum sollte sie nicht einen solchen Dummkopf verhexen?“

„Der Pidnebesinaja hat sie alle ihre Kunden, welche bei ihr früher Brot kauften, verhext, so daß sie kein Brot mehr bei ihr kaufen.“

„Das ist leicht erklärlich; die Pidnebesinaja schläft den Schlaf der Gerechten, versäumt die Zeit, arbeitet den Teig dann nicht ordentlich durch, wie es sich gebührt, deshalb ist ihr Brot schlechter, als das der Kerasivna.“

„Mit Euch, Männern, wird man nie fertig ... Du kannst fragen, wen Du willst, alle werden Dir sagen, daß die Kerasivna eine Hexe sei.“

„Warum brauche ich andere zu fragen, ich selbst bin ebenso gut ein Mensch und Mann wie die anderen.“

„So Du bist auch ein Mensch, vielleicht ein guter Mensch?“

„So ... ich bin also kein guter Mensch?“

„Natürlich nicht.“

„Und wer redete Dir das ein?“

„Und wer sagte euch je, ihr wäret ein guter Mensch?“

„Und wer sagte mir, ich wäre ein schlechter Mensch?“

„Habt ihr, so lange ihr lebet, Jemanden je etwas gutes erwiesen?“

„Und wem hätte ich gutes erweisen sollen?“

„Wem immer ...“

„Das ist schon wahr,“ meinte Dukač in Gedanken, „gutes habe ich Niemanden je getan, aber weshalb?“ ... und um mit seinem Weibe das unangenehme Gespräch nicht fortsetzen zu müssen, sagte er:

„Das würde mir noch fehlen mich mit Dir, Du dummes Weib, in weitere Gespräche und in einen Streit einzulassen.“

Sprach’s, drehte sich um, ging zur Wand, nahm die seiner Zeit dem Agap abgenommene Mütze vom Hacken, setzte sie auf und verließ das Haus.

Zwölftes Kapitel.

Jedenfalls mußte den Dukač etwas sehr bedrücken, ihn sehr unruhig machen, wenn er es in einem solchen Sturm, einem so wilden Schneetreiben zwei Stunden lang außer dem Hause aushalten konnte.

Der schon früher heftige Sturm wuchs zu einem Orkan an, der Schnee fiel in großen Flocken so dicht, daß man kaum atmen noch weniger sehen konnte.

Wenn das Wetter schon so böse war zwischen Gebäuden, wie mußte es erst in der Steppe wüten, wo dasselbe kein Hindernis fand!

War in der Steppe ein erwachsener, kaltblütiger, erfahrener Mann in einem solchen Wetter völlig dem Verderben und Untergange geweiht, was sollte dann aus dem Kinde, der Patin und Agap werden?

Dukač begriff das alles klar und deutlich; seine Gedanken flogen im Kopfe herum und verwirrten sich, denn ihm waren aus eigener Erfahrung alle Schrecknisse eines Schneewehens in der Steppe bekannt; er mühte sich deshalb nicht aus Vergnügen den Schnee, welchen der Sturm an die Zäune der Gärten in hohen Halden anwehte, durchzutreten, im Gegenteil, ihn jagte die Ungeduld, die Ungewißheit, Sorge und Angst dem Schlitten mit dessen Insassen entgegenzugehen, oder wenigstens zu sehen, daß sie zurückkehren.

Schließlich blieb Dukač am Damme stehen, der sich hinter dem Dorfe erhob; ihn bemerkte hier Niemand, konnte ihn deshalb auch Niemand belästigen; er sah nichts vor sich als nur fabelhafte Gestalten, die ihm seine aufgeregte Fantasie vorgaukelte.

Auch dieses Stehen, dieses Harren ist ihm schließlich langweilig geworden, er schrie vor Zorn, Angst, Wut, Ungeduld hell auf, befreite seine Füße aus dem Schnee, in den er versunken, und kehrte nach Hause zurück.

Dämmerung ist während dieser Zeit eingetreten, und man konnte fast gar nichts in ganz kleiner Entfernung vor sich sehen und erkennen; er konnte deshalb gar nicht rasch ausschreiten, mußte oft stehen bleiben, verlor nicht selten den Weg, verirrte sich, und mußte erst den richtigen Weg suchen; schließlich stieß er auf etwas hartes, das sich bei näherer Untersuchung als ein Kreuz erwies — ein sehr hohes Kreuz aus Holz, wie man solche in Süd-Rußland, namentlich an Kreuzwegen, sehr oft findet.

„Eh!“ dachte er, „ich glaube, ich bin viel zu weit vom Dorfe weggekommen und muß wohl umkehren“ — er richtete deshalb seine Schritte nach einer anderen Richtung, aber nach drei bis vier Schritten, die er gemacht, stieß er wieder auf etwas hartes, wieder auf ein Kreuz.

Der Kasak blieb einen Augenblick stehen, atmete tief auf, und nachdem er sich wiederum etwas erholt, schlug er eine entgegengesetzte Richtung ein, aber auch hier stieß er auf Kreuze, und nur auf Kreuze.

„Geht hier etwas vor oder bewege ich mich um das Kreuz herum?“ — und er fing an mit den Händen herumzutasten, welche immer und immer wieder nichts als Kreuze und wieder Kreuze betasteten.

„Aha! jetzt ist mir klar, wo ich mich befinde ... das ist der Kirchhof, wohin ich mich verirrte ... richtig ... dort sehe ich das Licht aus des Popen Hause ... Der Teufelskerl, wollte nicht zugeben, daß sein Weib die Patin meines Kindes werde ... auch gut ... nicht nötig ... doch das Haus des Totengräbers müßte ja auch nicht weit sein.“

Und der Dukač unternahm es das Haus zu suchen, wobei er unverhofft in ein Loch fiel, in dem sich etwas hartes befand, auf das er mit dem Kopfe anstieß so heftig, daß er ziemlich lange ohne Besinnung liegen blieb.

Als er wieder zu sich kam, da sah er über sich einen wolkenlosen, mit hellflimmernden Sternen besäten Himmel und es herrschte völlige Windstille.

Dukač wußte nicht im ersten Augenblicke, wohin er gefallen; er mühte sich fast eine Stunde lang mit Händen und Füßen arbeitend ab, um aus der Grube herauszukommen, welche sich später als ein Grab erwies.

Endlich gelang es dem Dukač das Dorf und seine Hütte zu erreichen; was ihn aber am meisten wunderte, war, daß weder bei seinen Nachbaren noch in seinem Hause Licht brannte, daß alles finster war; es mußte deshalb schon spät sein, wenn schon alle schlafen gegangen sind.

Wenn aber Agap und die Kerasivna mit dem Kinde noch nicht zurückgekehrt wären?

Es gab ihm einen ordentlichen Stich unterm Herzen, als dieser Gedanke sein Gehirn durchzuckte, ein eigenes Gefühl, Angst, überfiel ihn, so daß er mit unsicherer Hand, nur zagend, die Stubentüre öffnete.

In der Stube selbst war es ziemlich dunkel, nur aus der einen Ecke derselben ließ sich ein leises Weinen und Schluchzen vernehmen.

Die Dukačin weinte.

Der Kasak begriff es, warum sein Weib weint; doch er konnte es nur schwer übers Herz bringen zu fragen:

„Ist es denn möglich, daß sie noch nicht ...“

„Ja, die Hexe ißt jetzt mein Kind auf ...“ unterbrach die Dukačin ihren Mann.

„Für so dumm hätte ich Dich doch nie gehalten“ — schnitt mit diesen Worten Dukač die weitere Rede seiner Frau ab.

„Ihr hab’t mich so dumm gemacht ... und wenn ich auch dumm wäre, ich hätte mein Kind doch nie einer Hexe anvertraut.“

„So versinke Du selbst mit Deiner Hexe ... ich hätte das Genick brechen können, als ich in das Grab fiel.“

„Ah! ... in ein Grab seid ihr gefallen ... daran ist sie auch schuld ... Ihr könnet gehen und lieber gleich jemanden totschlagen ...“

„Wen soll ich totschlagen ... was plapperst Du? ...“

„Wenigstens einen Hammel ... denn nicht umsonst seid ihr in ein Grab gefallen ... ihr werdet bald sterben und selbst im Grabe liegen ... Ja, Gott gebe es ... was sollen wir noch weiter unter Menschen leben, die über uns nichts anderes reden können, als daß wir unser einziges Kind einer Hexe geschenkt haben.“

In diesem Tone redete die Dukačin weiter; er selbst dachte an nichts anderes als daran, wo sich Agap zur Zeit befinden möge? wohin derselbe geraten?

Gelang es ihm früher nach Peregudi zu kommen, ehe das Schneewehen und der Sturm losging, dann warteten sie wohl das Ende desselben dort ab, in diesem Falle konnten sie von dort erst abfahren, sobald sich der Sturm gelegt und der Himmel aufgeheitert hatte; aber deswegen konnten sie doch zu dieser Zeit zu Hause sein; vorausgesetzt, Agap hätte nicht zuviel des Guten dort genossen.

Dieser Gedanke schien dem Dukač annehmbar zu sein, er beeilte sich denselben seinem Weibe mitzuteilen, welche jedoch noch stärker zu seufzen und zu weinen anfing.

„Was ist da anzunehmen: wir werden unser Kind nie mehr sehen; gefressen hat sie es, diese Hexe, die Kerasivna; sie selber hat das Unwetter heraufgehext, um mit ihm besser über Berg und Tal fliegen und dort sein Blut aussaugen zu können.“

Durch solche Reden brachte sie ihren Mann so auf, daß er sie vorerst auszankte, später sogar beschimpfte, dann mit der einen Hand die Mütze vom Nagel reißend, mit der zweiten das Gewehr nehmend, eilte er aus dem Hause mit dem Vorsatze einen Hasen zu schießen, ihn dann in das Grab zu werfen, aus welchem er vor wenigen Stunden mit schwerer Mühe herauskroch.

Die Dukačin saß zu Hause auf der Ofenbank und weinte bitterlich!

Vierzehntes Kapitel.

Der verbitterte, gekränkte und durch den ungewöhnlichen Vorfall im höchsten Grade aufgereizte Mann wußte tatsächlich nicht, was er tun, wohin er sich wenden solle; er schritt maschinenmäßig durchs Dorf, auf die Scheunen zu, wohin die Hasen zu kommen pflegten, um sich das Futter zu suchen; er erreichte die Heuschober, setzte sich auf einen derselben und verfiel in Gedanken.

Böse Ahnungen quälten ihn, Kummer und Schmerz erfüllten sein Herz und unangenehme Erinnerungen wurden in seinen Gedanken wach.

Unangenehm waren die Worte seines Weibes; aber er mußte zugestehen, daß sie zum größten Teile im Rechte sei und wahr gesprochen habe.

Es ist wahr, so lange er sich zu erinnern weiß, hat er nie Jemandem etwas gutes erwiesen, wohl aber vielen Leides zugefügt; und dieser seiner vielen Sünden wegen leidet nun sein einziges, lang ersehntes und erwartetes Kind; er selbst fällt in ein Grab, was nach dem Aberglauben des Volkes ein großes Unglück bedeutet.

Morgen werden alle davon wissen und das ganze Dorf, in welchem er auch nicht einen einzigen Freund besitzt, wird davon reden.

Es kann möglich sein, das Kind wird gefunden und gesund heimgebracht; aber die Nacht ist lang, und damit er sich nicht langweile und ängstige, will er einem Hasen auflauern, ihn schießen, dann in das Grab werfen, wodurch die bösen Vorhersagungen abgewendet werden.

Dukač seufzte tief auf; er schaute, ob sich nicht von einer Seite ein Hase blicken lasse.

Das war auch der Fall; der Hase wartete geradezu auf ihn, wie Abraham auf den Bock; beim letzten Schober, dort an dem mit Schnee verwehten Zaun saß der Langohr.

Er äugte augenscheinlich in die Gegend hinaus und stand in einer für den Schuß äußerst günstigen Position.

Dukač war ein erfahrener alter Jäger; in seiner Jägerlaufbahn stießen ihm verschiedene Jagdabenteuer und verschiedenes außergewöhnliche zu, aber eine solche außerordentlich günstige Schußstellung ist ihm doch noch nie vorgekommen, und um die Gelegenheit nicht fahren zu lassen, zögerte er nicht lange, legte das Gewehr an die Backe, zielte, feuerte ...

Der Schuß fiel, aber gleich darauf wurde ein eigentümlicher Klagelaut hörbar.

Dukač nahm darauf keine Rücksicht, auch blieb ihm nicht die Zeit darüber nachzudenken, da er sich beeilen mußte den brennenden Papierpfropfen mit Füßen niederzutreten.

Während er dieses tat, bemerkte er zu seinem größten Erstaunen, daß der Hase, dem er schon einige Schritte näher gekommen, seine Stellung gar nicht ändere.

Dem Dukač wurde unheimlich und ängstlich zu Mute; er mußte annehmen, der Teufel treibe sein Spiel mit ihm; oder wäre es vielleicht der Teufel selbst in Hasengestalt?

Dukač machte einen Schneeballen und warf ihn auf den Hasen.

Der Ballen traf das Ziel, zerstob, aber der Hase rührt sich nicht ... in der Luft hört man nur leises Ächzen.

„Was ist das für eine Teufelei? was geht hier vor?“ dachte Dukač, bekreuzte sich und näherte sich vorsichtig jenem Gegenstande, den er für einen Hasen gehalten hatte; aber wie wurde er enttäuscht, als er an Stelle des Hasens nur eine alte Pelzmütze auf dem Schnee liegend fand.

Dukač beugte sich nieder, um die Mütze aufzuheben, blickte jedoch in das vom Sternenlicht schwach beleuchtete blasse Gesicht seines Verwandten Agap, das mit einer dunklen klebrigen, eigentümlich riechenden Flüssigkeit bedeckt war.

Es war Blut! — — —

Dukač erschrak, warf das Gewehr weit von sich fort, lief ins Dorf, weckte Leute auf — und erzählte allen, was er gesehen und getan, er beichtete vor der ganzen Gemeinde und schloß seine Rede mit den Worten: „Gott ist gerecht, er straft mich — geht — schaufelt sie aus dem Schnee heraus, mich aber bindet und überliefert dem Gerichte.“

Die Bitte des Dukač wurde erfüllt; ihn banden sie und bewachten in einer fremden Stube; draußen aber, hinter den Scheunen, da schaufelten sie den Agap, die Kerasivna und das Kind aus dem Schnee heraus.

Fünfzehntes Kapitel.

Unter einer Schneewehe, welche den Schlitten vollständig zudeckte, fand man den schwer verwundeten Agap, die fast erfrorene Kerasivna, an deren Brust, unter dem Pelze völlig unbeschädigt, das Kind ruhig schlief.

Die Pferde standen bis über den Bauch im Schnee, die Köpfe über den Zaun hängend.

Sowie man sie vom Schnee befreite, zogen sie freiwillig an und fuhren den Schlitten mit der erstarrten Patin, dem schwerverwundeten Agap und dem schlafenden Kinde auf ihren Bauernhof.

Die Dukačin wußte nicht, was sie machen solle, weinen vor Freude über die Rettung ihres Kindes, oder vor Schmerz über das Unglück ihres Mannes.

Das Kind in die Hand nehmend, bemerkte sie um dessen Hals ein Kreuzchen an einer Kette, worüber sie aus Freude wiederum zu weinen begann, da sie davon überzeugt war, daß dasselbe tatsächlich getauft sei; sie hob dasselbe vor dem heiligen Bilde hoch auf und rief mit freudiger Stimme und heißem, innigen Entzücken:

„Herr! dafür, daß Du mein Kind von dem Tode errettet, ihn in Deine Gemeinde und unter Dein Kreuz aufgenommen, werde ich Deine Güte und Gnade solange ich lebe nie vergessen, ihn aber werde ich erziehen zu Deinem Diener, damit er verkündige Dein Wort und mehre Dein Reich, Deinen Glauben!“

So wurde ein Gelöbnis geleistet, welches den Grundstein meiner wahren Geschichte bildet, denn in dem, was ich Euch bis jetzt erzählte, fandet ihr nichts, was auf den „ungetauften Popen“ Bezug hätte, und dennoch ist derselbe bereits in der Geschichte vorhanden, jedoch so versteckt, wie Agaps Mütze in der Rechnung, sie war hier, aber darinnen stand sie nicht.

Doch ich fahre fort Euch mit der Geschichte bekannt zu machen.

Das Kind blieb gesund, mit den nicht gerade sehr gescheiten Mitteln, welche die Weiber an der Kerasivna probierten, wurde dieselbe zum Bewußtsein gebracht; sie war jedoch so leidend, daß sie das, was um sie vorging, nicht zu bemerken schien, sondern nur stets ein und dasselbe wiederholte:

„Das Kind ist auf den Namen Sava getauft.“

Das genügte vollkommen und alle waren damit zufrieden und einverstanden, selbst der alte Dukač, den man davon unterrichtete, nickte zustimmend und sagte:

„Den Popen in Peregudi saget von mir besten Dank, daß er den Knaben nicht unglücklich machte und ihn nicht Nikolai taufte.“

Als sich die Kerasivna erholte, erzählte sie: „Der Pope von Peregudi hätte das Kind auf den Namen Nikolaus taufen wollen, was, wie er sagte, in der heiligen Schrift vorgeschrieben stehe, sie hätte jedoch dagegen protestiert und mit ihm lange gestritten, wobei sie ihm schließlich sagte: Gott mit Dir und Deiner Bibel, Väterchen! später hätte er klein wenig beigegeben, und schließlich auf den Namen Sava das Kind getauft, nachdem sie ihm deutlich und klar bewies, das Kind eines Kasaken könne nie auf den Namen Nikolaus getauft werden.“

„Du bist in der Tat eine echte rechte Kasakin,“ sagte der Dukač und befahl ihr eine Kuh zum Geschenk zu geben, er versprach ihr noch, sobald er wiederum nach Hause zurückkehre, sich ihr noch anderweitig dankbar zu bezeugen; vergessen werde er die Dienste, die sie ihm erwiesen, nie.

Mit diesem Unglücksfalle endete die Taufe des Kindes; darauf folgte das Begräbnis des Agap und eine lange, lange Trauerzeit.

Denn Agap ist nicht mehr zum Bewußtsein gekommen, trotz aller Eis- und Schneeumschläge konnte die durch eine starke Ladung mit grobem Schrott erzeugte Wunde am Kopfe nicht geheilt werden, und gegen Abend des anderen Tages hauchte der Unglückliche seine Seele aus. Denselben Abend brachten drei mit großen dicken Stöcken bewaffnete Dorfinsassen den Dukač in die Stadt und übergaben ihn dem Gerichtsprokuror, welcher ihn gleich einem Verbrecher in das Gefängnis überführen ließ.

Den Agap beerdigte man; der Dukač befand sich in der Untersuchungshaft, das Kind wuchs zur Freude seiner Mutter, doch die Kerasivna, obzwar sie nicht zu Bette lag, kränkelte und was noch auffallender war, sie änderte vollständig ihren Charakter — es war nicht mehr jene Christy, jene energische, eigenwillige Kerasivna; im Gegenteil, sie wurde still, nachgiebig, schwermütig, fast einsilbig; sie zankte nie mehr mit ihrem Manne, noch mit den Nachbaren, so daß Kerasenko es sich gar nicht zu enträtseln vermochte, was denn eigentlich mit seiner Frau vorgefallen sei.

Sein Leben, sonst so stark beeinflußt von dem Starrsinn und Eigenwillen und der Herrschsucht seines Weibes, verlief jetzt auffallend still und ruhig: er hörte kein böses Wort mehr von seiner Frau, keinen Widerspruch, keine Vorwürfe, es gab keine Szenen mehr weder bei Tag noch bei Nacht, auch der Rogačever Adelige verschwand unbekannt wohin, so daß Kerasenko gar nicht wußte, wie er sich über sein häusliches Glück freuen und gegen wen und wodurch er diese Freude äußern könnte.

Diese merkwürdige Charakteränderung der Kerasivna bildete lange Zeit das Tagesgespräch im Orte und wurde von allen Frauen nach allen Seiten besprochen, ja selbst ihre größten Feindinnen, die Marktweiber, denen sie früher empfindliche und starke Konkurrenz bereitete, sind darüber einig geworden, daß die Kerasivna eine brave Frau sei.

Und wenn sie ihr jetzt nicht einen, sondern sogar zwei Käufer von ihrem Stand, auf welchem sie Kuchen und Brot verkaufte, weglockten, so ließ sie es ruhig geschehen, ohne jede Äußerung, während sie früher alle Teufel auf ihren Hals gehetzt hätte.

Was den Rogačever Adeligen anbelangt, so erzählte man sich, er wäre zweimal in Paripsami gewesen, doch die Kerasivna weigerte sich mit ihm zu sprechen.

Selbst ihre größte Feindin und Konkurrentin, die Pidnebesnaja, erzählte und wollte es sogar beeiden, sie hätte mit eigenen Ohren gehört, daß als einmal der Rogačever Adelige an den Stand der Kerasivna trat, um Kuchen zu kaufen, die Christy zu ihm sagte:

„Geh’ weg von mir, damit Dich meine Augen nie mehr sehen, für Dich ist bei mir nichts zu haben, weder zum Kaufen noch zum Schenken.“

Und als er sie frug, was vorgefallen sei? da gab sie ihm zur Antwort:

„Ein großes Geheimnis liegt schwer auf meiner Seele und drückt mich und macht mich unglücklich.“

Nicht allein an der Kerasivna, auch am alten Dukač machte sich eine Änderung des Charakters auffallend bemerkbar.

Nach der Gewohnheit der so sehr von allen Seiten gelobten „alten Zeit“ zog sich die Untersuchungshaft des Dukač drei Jahre lang, während welcher Zeit man ihn unter dem Verdachte des vorbedachten Mordes an seinem Verwandten Agap in Haft behielt; aber nicht genug daran, er konnte sogar von seiner Gemeinde nach Sibirien geschickt werden.

Die unglückselige Angelegenheit endete im allgemeinen noch ganz günstig für Dukač; die Gemeinde erklärte, sie sei einverstanden, daß er wieder im Orte lebe, sobald er die ihm von Gerichtswegen zugesprochene Kirchenstrafe in einem Kloster abgebüßt habe.

Die fürchterlichste und erniedrigendste Strafe für Dukač war die Erlaubnis der Dorfinsassen, daß er wieder im Orte leben könne, denn diese Erlaubnis war geradezu eine Gefälligkeit, eine Gnade, erteilt von Leuten, welche Dukač in früherer Zeit völlig übersah und — verachtete.

Fünf Jahre waren verflossen seit der Zeit, als das Kind getauft und Agap begraben wurde; Dukač büßte die Kirchenstrafe ab und kam aus dem Kloster heim, völlig verändert, äußerlich und innerlich, gealtert über die Jahre hinaus.

Er blieb jedoch nicht lange im eigenen Heim, sondern kehrte in jenes Kloster zurück, in welchem er Buße getan, nahm jedoch den nicht zu kleinen Topf mit Goldfüchsen gefüllt, die lange, lange Jahre vergraben waren, mit zu dem Zwecke, daß für dessen Inhalt Gebete abgehalten werden für drei lebende und tote Seelen.

Wer diese drei lebenden und toten Seelen sein sollten, war selbst dem alten Dukač nicht ganz klar, aber Kerasivna meinte, er — Dukač — habe durch seinen fürchterlichen Charakter, seinen Hochmut und Eigensinn nicht allein den Agap getötet, sondern noch zwei andere Seelen zu Grunde gerichtet, und zwar Seelen, die nur Gott und ihr — Kerasivna — bekannt seien, die sie aber, so lange sie lebe, Niemandem verraten werde.

So blieb auch dieses ein Rätsel, das selbst die Goldfüchse des Topfes nicht zu lösen vermochten.

Das Kind, mit dessen Erscheinen auf die Welt so großartige Umwälzungen und Vorfälle verknüpft waren, wuchs indessen gesund heran.

Von der Mutter, einer einfachen, frommen, herzensguten, zartfühlenden Frau erzogen, freute es sich dieser Güte und Liebe, welche sie ihm täglich, ja stündlich entgegenbrachte.

Ich erinnere daran, daß als die Dukačin das Kind wieder in ihren Händen haben und an ihre Brust drücken konnte, sie ein Gelübde tat, den Knaben dem Dienste Gottes zu widmen, ihn also zum Geistlichen erziehen zu lassen.

Derartige Gelübde und Opferungen waren und sind auch heutigen Tages nichts seltenes unter den Kleinrussen und werden strengstens eingehalten, besonders wenn die Kinder selbst keinen Widerstand leisten, was in den seltensten Fällen vorzukommen pflegt, denn schon von ihrer Jugend an erhalten sie nach der Richtung hin entsprechende Erziehung.

Hat das Kind ein gewisses Alter erreicht und wurde es in dem Geiste und dem Charakter des gemachten Gelübdes erzogen, so bildet das Gelöbnis für das Kind kein Opfer, sondern es hat sich selbst in die Überzeugung eingelebt, daß dieses Gelöbnis der Eltern ausgeführt werden müsse, wozu auch das anerzogene Gefühl des Gehorsams gegen seine Eltern viel beiträgt, und das nur dort zu finden ist, wo wahrer Glaube und Liebe zu Gott noch vorhanden ist und herrscht.

Sava Dukač wurde von seiner Mutter in dem wahren Glauben und Liebe zu Gott erzogen, und schon als Kind stand in ihm fest, und war er sich darüber klar und bewußt, daß das Gelöbnis seiner Mutter erfüllt werden müsse.

Zart und schwach an Körper, besaß Sava große Geistesgaben und namentlich was Gottesfurcht und Religiosität anbelangt, da unterschied er sich vorteilhaft von allen seinen Altersgenossen.

Er nahm nie Vogelnester aus, erdrosselte nie junge Katzen oder warf junge Hunde ins Wasser, damit sie ersaufen, er warf nie nach Kröten Steine oder suchte sie mit Stöcken totzuschlagen, im Gegenteil, er war und blieb stets der Beschützer und Behüter lebender Wesen, ob sie der Tier- oder Vogelwelt angehörten.

Jedes Wort seiner Mutter war ein Befehl für ihn — schon deshalb, weil diese stets auch seinem zartfühlenden, liebevollen Herzen entsprachen.

Gott zu lieben war für ihn nicht nur Vergnügen, sondern ein Bedürfnis; er liebte Gott in allem, was ihn umgab; er liebte Ihn aus sich selbst, denn alles, was er um sich sah, machte ihm deutlich und begreiflich, daß Gott bei Jedermann einkehrt, der Ihn liebt und sich in dessen Herzen seine Hütte baut.

Die Erziehung des Kindes war eine religiöse: seine Mutter war eine fromme, gottesfürchtige und Gott liebende Frau; sein Vater lebte sogar im Kloster; warum und weswegen, darüber war er sich nicht im Klaren.

Aus hie und da fallenden Andeutungen bildete er sich eine Art Schlußfolgerung, daß bei seiner Geburt etwas außergewöhnliches vorgefallen sein mußte, wodurch das ganze Leben im Hause eine Änderung erfuhr — — doch dieses alles war für ihn etwas unerklärliches, sagenhaftes, mystisches.

So wuchs denn Sava unter dem Schutze Gottes und seiner frommen Mutter und war davon überzeugt, daß ihn niemand abwendig machen könne von der Erfüllung des von seiner Mutter gemachten Gelöbnisses.

Acht Jahre alt geworden, wurde er dem Bruder der Pidnebesnaja zur weiteren Erziehung anvertraut.

Ochrim Pidnebesnij lebte in Paripsami in einem Hinterstübchen im Hause seiner Schwester, welche eine Schenke hielt; doch er hatte nichts gemeinschaftliches mit diesem Unternehmen.

Er selbst führte ein eigenartiges Leben.

Siebzehntes Kapitel.

Ochrim Pidnebesnij gehörte zu jenem neuen, sehr interessanten Typus jener Kleinrussen, welcher in dem ersten Viertel des neunzehnten Jahrhundertes in hinter dem Dneper gelegenen Ortschaften aufzutreten begann, doch gegenwärtig einen starken Einfluß auf die religiöse Richtung der dort lebenden Bevölkerung besitzt.

Es ist merkwürdig, daß alle jene, welche sich mit dem Studium der Eigentümlichkeiten und der Sitten der Völker beschäftigen und sonst die unbedeutendsten Kleinlichkeiten für wichtig halten, es vollends unterließen sich mit den Kleinrussen zu beschäftigen und es überhaupt vollständig übersahen, daß unter denselben eine nicht zu unterschätzende religiöse Strömung sich rege.

Die dort lebenden Russen fanden ein Bedürfnis in sich ihre Religiosität in anderer Art ausdrücken und offenbaren zu müssen.

Es ist hier weder der Ort noch bin ich unterrichtet genug, um es zu erklären, warum die Kleinrussen veranlaßt worden sind, ihre religiösen Ansichten durch andere zu ersetzen, ich kann nur soviel sagen, daß die Führer dieser Strömung sogenannte Einsiedler waren, Leute, welche in ihren Hütten eine kleine Stube oder gar nur eine Ecke in der großen allgemeinen Stube für sich reservierten, diese peinlich rein hielten und in dieser ebenso äußerlich wie innerlich und geistig rein lebten.

Sie zogen sich von ihren Angehörigen oder Nachbaren nicht zurück, ebenso entfremdeten sie sich oder wichen sie anderen nicht aus, nein — sie arbeiteten nach wie vor mit den anderen zusammen, verkehrten mit ihnen, dienten als Muster von Arbeitsamkeit, Häuslichkeit, guter Sitte für alle anderen, sie sprachen sehr gerne über Religion, aber immer und überall hatte ihr Tun und Lassen etwas Puritanisches in sich.

Sie schätzten die Intelligenz und Bildung sehr hoch; jeder von ihnen konnte lesen und schreiben, und diese Kenntnis wurde hauptsächlich dazu benützt, sich mit den Evangelien und dem neuen Testamente bekannt zu machen.

Sie lasen die heiligen Bücher mit religiösem Eifer und zogen daraus den Schluß, daß der wahre Glaube in aller seiner Reinheit und Vollkommenheit nur im neuen Testamente zum Ausdruck komme, und daß alles andere, Überlieferungen und ähnliches sei, dem die Geistlichkeit ebensoviel Kraft beimißt wie dem neuen Testamente, und daß diese Überlieferungen nichts anderes als Unglauben bedeuten.

Man erzählt sich, diese Ansichten wären ihnen durch deutsche Kolonisten beigebracht worden; doch wer immer daran Schuld tragen mag, eines bleibt sicher und gewiß, daß daraus die Sekte „der Stundisten“ hervorging und herauswuchs.

Kasak Ochrim, ein unverheirateter Bruder der Pidnebesnaja, gehörte ebenfalls zu den Stundisten; ohne Lehrer und ohne Anleitung lernte er lesen und schreiben und hielt es für seine Pflicht andere lesen und schreiben zu lehren.

Er unterrichtete jedermann, der ihn darum ansprach, stets umsonst, denn er war davon fest überzeugt, daß er belohnt sein wird von Jenem, der befahl zu lernen und zu lehren.

Dieses Unterrichten ging im Winter regelmäßiger vor sich wie im Sommer, ganz schwach während der Erntezeit, im Herbst fanden sich schon mehr Schüler ein, deren Zahl sich in den Wintermonaten mehr und mehr steigerte, um gegen das Frühjahr und den Sommer schwächer und schwächer zu werden.

Den Kindern gab Ochrim Unterricht am Tage, die anderen, Erwachsenen, unterrichtete er Abends in seiner Stube, wobei die Weiber ihre Spinnräder schnurren ließen.

Doch bei Oheim Ochrim wurden keine weltlichen Lieder gesungen und leeres Geschwätze und Klatsch geführt; die Mädchen spannen ihren Lein, Hanf oder Wolle, Ochrim selbst — nachdem er auf den Tisch einen Teller mit Honig und eine Schüssel mit Nüssen gestellt, um seine Gäste zu bewirten — bat ihm zu gestatten, ihnen etwas von unserem Erlöser, Jesus Christus, erzählen zu dürfen.

Gewöhnlich war man mit seinem Antrage einverstanden und Ochrim erquickte durch seine Erzählungen die Seelen der Anwesenden geistig und durch Honig und Nüsse leiblich, so daß alle mit diesen Zusammenkünften völlig zufrieden waren und in keine andere Hütte zum Spinnabend gehen wollten als zu Ochrim.

Diese halb weltlichen, halb geistlichen Zusammenkünfte fanden später auch ohne Honig und Nüsse statt.

An den Spinnabenden bei Ochrim fanden auch andere Annäherungen statt, die gewöhnlich mit einer Heirat endeten, was nicht wenig zu Gunsten von Ochrims Abenden sprach.

Alle jungen Paare, welche sich bei Ochrim fanden, führten nach ihrer Heirat stets ein ruhiges, glückliches Leben.

Wahrscheinlich lag die Ursache darin, daß sich die jungen Leute in einer friedlichen und friedfertigen Atmosphäre und unter dem Einflusse einer religiösen Strömung und nicht im Sturme von Leidenschaften, wo das heiße Blut und nicht das Herz und der Verstand leitend auftreten, kennen lernten und sich näher traten.

So wuchs Pidnebesnijs Ruf als gottesfürchtiger und frommer Mann von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde.

Zu Ochrim kam niemand, um gerichtet zu werden, weil er niemanden richtete, aber alle kamen um zu lernen, und Ochrim lehrte die Liebe zu Christus, dem Erlöser!

Siebzehntes Kapitel.

Solcher Leute, wie Ochrim, gab es zu jener Zeit in Kleinrussland mehrere, alle lebten ohne viel von sich reden zu machen, sie blieben unbekannt der sogenannten Intelligenz, aber waren sehr geachtet und verehrt von den Bauern und Kasaken.

Es mußte aber ein viertel Jahrhundert verstreichen, ehe man zu der Überzeugung gelangte, daß unter den Augen der Lebenden, unbeachtet, eine große nach Tausenden zählende Sekte erstanden ist, die wir unter dem Namen Stundisten kennen.

Ich selbst habe einen der Gründer dieser Sekte persönlich gekannt; es war ein herzensguter, gegen jeden freundlicher, zuvorkommender Junggeselle — Kasak.

Wie die Mehrzahl seiner Glaubensgenossen lernte er mit Überwindung vieler Schwierigkeiten das Lesen und Schreiben, und lehrte sodann die Knaben und Mädchen der Gemeinde und Umgebung.

Wie Ochrim, so auch mein Bekannter lehrte bereits erwachsene Mädchen Lesen und Schreiben, erzählte ihnen an den Spinnabenden die Lebensgeschichte Jesu, seine Lehren und seine Leiden, wobei die Weiber spannen oder nähten.

Seine Redeweise war die denkbar einfachste, gänzlich ohne jede Dogmatik und theologische Findigkeiten; seine Reden hatten hauptsächlich den Zweck, die Menschen im Sinne der Lehren des Christentums zu erziehen.

Mein Bekannter — Prediger Kasak — lebte jedoch auf dem linken Ufer des Dneper, in einem Orte, wo es, außer ihm, keine weiteren Stundisten gab.

Übrigens bestand zur Zeit meiner Erzählung weder hüben noch drüben des Dnester eine regelrechte Organisation des Stundismus.

Achtzehntes Kapitel.

Wie ich schon früher erwähnte, wurde der kleine Sava Dukač dem Ochrim Pidnebesnij übergeben, damit ihn dieser lesen und schreiben lehre; dieser erkannte die rasche Auffassungsgabe und die tiefe Religiosität des Knaben und übertrug auf ihn seine volle warme Seele.

Sava zahlte seinem Lehrer mit gleicher Münze und so entwickelte sich zwischen ihnen ein Verhältnis und ein Bund, so zart und doch so stark, daß, als der alte Dukač den Knaben nach dem Kloster, in dem er selbst lebte, bringen ließ, um ihn, dem gemachten Gelöbnisse der Mutter gemäß, dem Dienste der Kirche zu weihen, dieser dort schwermütig wurde, Heimweh nach der Mutter und Ochrim bekam und zu kränkeln anfing.

Dieses Heimweh, dieses Unwohlsein steigerte sich so, daß Sava, der überhaupt zart gebaut war, diesem erlag, bettlägerig wurde und gewiß gestorben wäre, wenn nicht Ochrim sich beeilt hätte, ihn zu besuchen.

Er begriff und erriet die Krankheit des Knaben und nach Paripsami zurückgekehrt, wußte er es der Dukačin klar zu machen, daß das Gott gemachte Gelöbnis nicht darin bestehe, Kindermord zu treiben; er riet ihr, den Knaben aus dem Kloster zu nehmen, ihn dort nicht quälen zu lassen und aus ihm kein „lebendiges“ Opfer zu machen.

Ochrim wies ihr einen, den Kleinrussen nicht gänzlich unbekannten Weg behufs Ausführung und Ableistung des Gelöbnisses; er riet ihr den Knaben in einer geistlichen Lehranstalt, einem Seminar, studieren zu lassen, damit derselbe ein Dorfgeistlicher, ein Pope werde, welcher den Armen und Elenden seiner Gemeinde viel gutes erweisen könne.

Die Dukačin ließ sich von den Ausführungen des Ochrim überzeugen und der kleine Sava wurde aus dem Kloster abgeholt und dem Seminar übergeben.

Dieses Vorgehen der Dukačin haben alle gebilligt, nur die Kerasivna nicht, in welcher sich überhaupt ein Geist des Widerspruches breit machte, sobald es sich um irgend eine Angelegenheit ihres Patenkindes handelte.

Man war sich darüber nicht völlig klar, ob sie denselben liebe oder hasse.

Ihr eigentümliches Verhalten gegenüber ihrem Täufling äußerte sich vom Tage seiner Geburt, namentlich dann, wenn das Kind in die Kirche gebracht wurde, um das heilige Abendmahl zu empfangen.

Bei einer solchen Gelegenheit schrie die Kerasivna in der Kirche mit lauter Stimme:

„Was tut ihr denn! ... nicht nötig ... trägt ihn nicht ... es ist ein solches Kind, daß man zum heiligen Abendmahl nicht zulassen kann ...“

Die Leute beachteten jedoch ihr Geschrei nicht ... deshalb wurde sie grün und gelb vor Wut und Galle, lachte hell auf und bat:

„Laßt mich rasch heraus, daß meine Augen nicht sehen, wie Christi Blut einem unwürdigen Geschöpfe gegeben wird.“

Gefragt, weswegen sie sich so aufrege, gab sie zur Antwort:

„Mir ist gar so schwer ums Herz!“

Daraus zogen die Leute den Schluß, daß von dem Augenblicke an, als sie ihr Leben zum besseren änderte und zu hexen aufhörte, der Teufel dennoch ein kleines Kämmerchen in ihrem Herzen bewohne, in welchem er sich in Gesellschaft mit noch kleineren Teufelchen recht behaglich einnistete, die die Kerasivna stets beunruhigen und namentlich sie gegen den kleinen Sava aufregen, damit sie ihren Täufling nicht liebe.

Und tatsächlich haben die Teufel die Kerasivna so aufgeregt, daß sie, als der Sava ins Kloster gebracht werden sollte, drei Werst dem Schlitten nachlief, ohne Unterlaß schreiend:

„Fahrt ihn nicht ins Kloster ... dort gehört er nicht hin ... er ist nicht dazu bestimmt ... ihr fahrt euere Seele in die Hölle ... ihr nehmet eine große Sünde auf Euch ...“

Selbstverständlich nahm Niemand Rücksicht auf ihr Schreien, Schelten, Schimpfen, ja man achtete gar nicht darauf und vergaß bald diesen eigentümlichen, unerklärlichen Vorfall; als aber der kleine Sava aus dem Kloster zurückgeholt worden ist, und in jene Schule, welche ihn zum Geistlichen, Popen oder Mönch hätte ausbilden sollen, gebracht wurde, da fing erst das Elend mit der Kerasivna an; sie wurde dadurch so aufgeregt, daß sie sogar einen leichten Schlaganfall erlitt und lange Zeit nicht sprechen konnte, die Sprache gewann sie erst dann, als Sava bereits längere Zeit im geistlichen Seminar sich befand, wieder.

Bei der Aufnahme des Sava ereignete sich auch etwas eigentümliches ... es fehlte nämlich der Matrikelauszug, der Taufschein, welcher nicht beigebracht werden konnte, denn trotz allem Suchen und Nachforschen konnte die Eintragung, wann das Kind in Peregudi getauft worden sei, im Kirchenbuche nicht gefunden werden.

Doch dieses Fehlen von Taufscheinen, welches bei Aufnahme in die Stadt- und Dorfschulen ein großes Hindernis bietet, besitzt für die Kirchenschulen und Seminarien keine oder nur geringe Bedeutung, denn den Leitern dieser Schulen ist sehr wohl bekannt, daß die Popen nicht selten sogar ihre eigenen Kinder in die Matrikelbücher einzuschreiben vergessen.

Denn nach der Taufe pflegt man während des Schmauses recht brav zu trinken, so daß schließlich die Hände zittern und nicht im Stande sind ein Glas, geschweige denn eine Feder zu halten, man verschiebt deshalb die Eintragung auf den anderen Tag, an dem sich jedoch das wiederholt, was sich gestern ereignete, denn es muß der Rest aller trinkbaren Flüssigkeiten vertilgt werden, daraus resultiert am dritten Tage ein so schwerer Kopf, daß es dem Besitzer desselben absolut unmöglich ist, sich an etwas zu erinnern, was an den vorhergehenden zwei Tagen vor sich gegangen ist — und so vergehen einige Tage, ehe der Kopf sich aufhellt; während dieser Zeit ist auch die Eintragung — vergessen.

Da solche Fälle nicht zu den Seltenheiten gehören, betrachtete man auch diesen Fall als solchen und ließ selben gerade sein.

Der Vikarius schimpfte zwar und nannte den Popen von Peregudi einen Säufer, nahm aber den kleinen Sava, auf Grundlage der ihm vom dortigen Geistlichen mitgegebenen Ausweise über Kirchenbesuch und namentlich besonders schönen Bemerkungen über dessen Religiosität und Aufführung auf.

So nahm die ganze Angelegenheit ein Ende zu allseitiger Zufriedenheit.

Sava lernte gut, beendete die Schule und das Seminar und wurde dazu bestimmt auf die Akademie geschickt zu werden, als er für alle unerwartet die Bitte aussprach, ihn als einfachen Dorfgeistlichen wirken zu lassen.

Während der Zeit, als Sava die Schule besuchte starb der alte Dukač im Kloster; seine Mutter jedoch lebte nach wie vor in Paripsami und es traf sich ganz eigenartig, daß gerade zur Zeit, als Sava seine Ausbildung beendete, der alte Pope in seinem Geburtsorte starb.

Sava bewarb sich um diese Stelle und erhielt sie auch.

Über diese unerwartete Nachricht war das ganze Dorf höchlichst erfreut, nur die Kerasivna allein, die stark gealtert erschien, hätte über diese Neuigkeit fast den Verstand verloren.

Sowie man ihr mitteilte, ihr Täufling, der Sava, werde Seelsorger von Paripsami, seinem Geburtsorte, da zerriß sie ihr Kleid, schlug sich heftig auf die Brust, fiel auf einen Haufen von Streu und Reisig und rief:

„Oh! Erde! Erde! tue dich auf und verschlinge uns beide!“

Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, stand sie auf, bekreuzte sich mehrmals und begab sich nach Hause.

Eine Stunde später sah man die Kerasivna, in schwarzem Kleide mit einem großen Stock in der Hand mit langen Schritten auf der Straße in der Richtung nach der Gouvernementsstadt eilen, wo der Sava in seiner Stellung als Dorfgeistlicher eingeweiht werden mußte.

Leute, welche der Kerasivna auf der Straße begegneten, waren nicht wenig darüber erstaunt, die Kerasivna so raschen Schrittes der Stadt zueilen zu sehen; sie ruhte nirgends aus, setzte sich am Wege nicht nieder, brummte ohne Unterlaß etwas leise vor sich hin und sah im allgemeinen so aus, als wenn sie zum Tode geführt werden würde: sie betrachtete nur den Himmel und bewegte ihre Lippen, was die Begegnenden dahin auslegten, daß sie bete.

Auch diesmal blieb ihr Flehen und Bitten unerhört; alle ihre Gebete halfen nichts!

Obzwar sie genau zu jenem Akte in die Kirche kam, als der Diakonus, welcher den Neophyten einkleidete, das in der Kirche angesammelte Volk frug, ob Jemand gegen die Einweihung irgend eine Einsprache zu erheben habe, und sie zu schreien anfing — „ich will nicht! ich will nicht!“ — so hatte ihr Protest nicht nur keine Beachtung gefunden und Sava wurde zum Geistlichen eingeweiht, sondern sie selbst wurde aus der Kirche vom Volke selbst hinausgedrängt und der außerhalb der Kirche stehenden Polizei übergeben.

Das Ende ihrer schnellen Reise bestand in zehn Tagen Arrest, während welchen sie nicht nur die sämtliche schmutzige Wäsche des Polizeikommissärs rein waschen, sondern noch außerdem zwei Faß Kraut einstampfen mußte.

Die Kerasivna glaubte aber immer noch nicht daran, daß Sava tatsächlich zum Geistlichen, Popen, eingeweiht worden wäre, als sie aber die volle Wahrheit erfuhr, da fiel sie auf die Knie und rutschte auf diesen den ganzen Weg aus der Gouvernementsstadt bis zu ihrer Hütte, eine Strecke von achtzig Werst, um den Sava, ihren Täufling, bereits in voller Tätigkeit als Popen in seinem Geburtsorte zu finden.

Neunzehntes Kapitel.

Wie ich bereits erwähnte, waren die Einwohner von Paripsami ganz glücklich darüber einen Popen zu besitzen, der im Orte geboren worden war, den Sohn eines Kasaken, weshalb Sava bei seinem Einzug mit großem Enthusiasmus empfangen worden ist.

Dazu hatte nicht wenig beigetragen, daß Savas Mutter noch lebte, und der Pope selbst seine Mutter liebte, hochachtete, ehrte und schätzte und daß er sofort nach seiner Ankunft nach seiner Patin, der Kerasivna, frug und sie zu sehen und zu begrüßen wünschte.

Dadurch, daß sie eine Hexe sei, ließ sich Sava nicht stören.

Alle waren sofort davon überzeugt, es werde keinen besseren und ausgezeichneteren Seelsorger geben als den Sava.

Und tatsächlich ist dies auch der Fall geworden, wie es in der Folge sich erwies.

Alle ohne Ausnahme hatten ihn liebgewonnen, sogar die Kerasivna hatte nichts an ihm aussetzen oder gegen ihn einwenden können; aber dennoch zog sie von Zeit zu Zeit ihre Augenbrauen zusammen, seufzte und meinte:

„Das wäre ja alles recht schön, wenn nur der Fisch in der Suppe wäre.“

Nach ihrer Ansicht gab es keine Fischsuppe ohne Fisch.

Es hatte den Anschein, daß nach Ansicht der Kerasivna der Pope doch nichts wert ist, und sich dieses in kurzer Zeit offenbaren werde, obzwar Sava sonst ein sehr guter und braver Mensch sei.

Und so war es auch; man fing an zu bemerken, daß er, Sava, nicht so vorgehe wie die übrigen Popen; er war nicht reich, und dennoch hatte das Geld für ihn keinen Wert; dann, als seine Frau starb, da heulte er nicht und nahm auch keine junge Wirtschafterin auf; — als dann einmal einige Frauen zu ihm kamen um sich mit ihm zu beraten, ob sie nicht nach Kiev wallfahren gehen sollten, da riet er ihnen davon ab und meinte, daß es Gott gefälliger sei, wenn sie sich der Armen und Elenden annehmen und vor allem anderen in ihren eigenen Hütten ein stilles, ruhiges, arbeitsames, Gott ergebenes Leben führen; was gegebene Gelöbnisse anbelangt, so zeigte nach dieser Richtung hin Sava eine besonders große Kühnheit, in dem er Frauen von denselben absolvierte und die Sünde auf sich selbst nahm.

Jemanden von einem Gott gegebenen Gelöbnisse oder Opfer zu absolvieren und loszusprechen ... das erschien vielen fast eine Gotteslästerung zu sein, die man von einem getauften Menschen kaum, von einem Priester schon gar nicht erwarten konnte.

Doch dabei blieb es nicht; das Wundern und Kopfschütteln nahm kein Ende, ja man regte sich geradezu auf, als während der großen Fasten Sava Niemanden verbat Fleisch zu essen und darauf hinwies, alles das zu essen, was ihm Gott bescheret hat, auch Niemanden öffentliche Kirchenbuße auferlegte; fand er Ursache, eine Strafe aufzuerlegen, dann war diese Strafe so eigener Art, daß alle darüber ihr Staunen nicht unterdrücken konnten.

So belehrte er, um ein Beispiel anzuführen, den Müller Gawrila, welcher, wie bekannt, mit einem falschen Maße denjenigen Anteil des Getreides abmaß, der ihm als Mahllohn gebührte, dahin, ja befahl ihm sogar, sofort von diesem Maße soviel abzuschneiden, als es nötig ist, und seinen Kunden fürderhin nicht mehr am Getreide abzumessen, als es das Gesetz erlaubt.

Unter keinen anderen Umständen erteilte er ihm den Ablaß der Sünden und bewies ihm aus der heiligen Schrift klar und deutlich, daß unrecht Gut nicht wohl tut, und daß Gott ihn nicht nur auf der Erde schon, sondern auch im Himmel strafen werde dafür, daß er sich fremdes Gut widerrechtlich angeeignet habe.

Der Müller folgte dem Befehle; in der Folge hatte Niemand mehr Grund und Ursache sich über ihn zu beklagen, im Gegenteil, sein Kundenkreis erweiterte sich sichtlich und seine Vermögensverhältnisse besserten sich.

Er erklärte sehr oft öffentlich, daß er für alles dieses nur dem Vater Sava zu danken habe, der ihn auf den guten Weg wies.

Ein junges, heftig aufbrausendes, fast jähzorniges Weib, das einen Witwer heiratete, war eine wahre Stiefmutter der Kinder der verstorbenen Frau.

Vater Sava hatte sich auch hier eingemischt.

Nachdem das Weib zum erstenmale bei Sava gebeichtet, änderte sie zum allgemeinen Erstaunen ihren Charakter; sie ist nicht mehr Stiefmutter, sondern eine rechte, wahre Mutter den Kindern geworden.

Wenn schon Jemand ein Opfer bringen wollte, dann nahm es zwar Sava an, er kaufte aber für dieses Geld keine Kerzen oder Weihrauch, sondern verwendete dasselbe zu Gunsten und für die Bedürfnisse der vater- und mutterlosen Waisen, Michalek und Potapka, welche im Halbgeschoß des Kirchturmes ihre Wohnung angewiesen erhielten.

Sagte ’mal Vater Sava einem Weibe oder Mädchen:

„Ich vergebe Dir im Namen Gottes Deine Sünden, gehe hin und sündige nicht mehr, sondern bete und arbeite und diene dem Herrn.“

„Ratet mir, Väterchen, wie soll ich dem Herrn dienen ... soll ich etwa nach Kiev wallfahren gehen?“

„Nein, das ist nicht nötig. — Bleibe zu Hause und arbeite, tue aber nicht mehr das, was Du getan. — Jetzt aber gehe, nehme den Kindern Gottes, dem Michalek und Potapka, Maß, nähe jedem ein paar Höschen, sie brauchen nicht sehr lang zu sein, und ein Hemd. Die Kinder sind schon groß und schämen sich in Fetzen und halbnackt unter die Leute zu gehen.“

Die Sünderinnen nahmen sehr gerne derartige Strafen an und Michalko lebte mit Potapka unter der Vormundschaft und Aufsicht des Popen Sava so glücklich, wie im Schoße Abrahams; sie gingen nicht nur nicht in Fetzen und halbnackt herum, sondern hatten in allem Überfluß, so daß sie ihren Waisenstand gar nicht fühlten.

Derartige Kirchenstrafen waren nach dem Herzen der Leute, ja sie fühlten sich dadurch erhoben, getröstet, beruhigt.

Aber sein Vorgehen brachte ihm dennoch Unannehmlichkeiten ein.

Der Ruf Savas als Seelsorger verbreitete sich weit und breit, so daß eine große Zahl von Leuten aus den nachbarlichen Kirchensprengeln seine Kirche aufzusuchen begannen, namentlich viele Einwohner von Peregudi, dem Orte, wo Sava getauft sein sollte, gingen nach Paripsami zur Kirche.

In Peregudi starb der Pope und ein neuer zog dort ein.

Dadurch, daß viele Einwohner von Peregudi nach Paripsami zur Kirche gingen, zog sich Sava die Feindschaft des Popen in Peregudi zu, die sich noch aus einem andern Grunde steigerte.

Der nach Peregudi eingepfarrte Kasak Oseledec starb.

Auf seinem Krankenbette entschloß er sich ein Schock Rubeln auf eine neue große Kirchenglocke für die Peregudier Kirche zu widmen, änderte aber seinen Entschluß, nachdem er sich mit Vater Sava darüber beraten hatte; er ließ die Nachbaren zu sich rufen und teilte ihnen mit, er vermache dieses Schock Rubeln zu einem guten Zwecke, nach dem Willen des Popen Sava; auf eine neue Glocke jedoch schenke er nichts.

Kasak Oseledec starb und Vater Sava erhielt das vermachte Geld ausgezahlt.

Für dieses Geld ließ Sava ein Haus aufbauen mit großen, breiten Doppelfenstern und fing in diesem zu unterrichten an.

Die Kasaken meinten, eine Schule sei ein gutes Ding, aber der Peregudiner Pope redete ihnen ein, daß aus dem allen nichts gutes herauskommen könne und werde.

Er versprach ihnen sogar eine Klage gegen Sava aufzuschreiben und brachte sein Versprechen tatsächlich in Ausführung. In Folge dessen wurde Vater Sava zur Verantwortung vor den Bischof geladen, welcher ihn, nachdem er Sava gesprochen, belobte und aufmunterte, in seinem gottgefälligen Werke fortzufahren, Schule zu halten und die Kinder zu lehren, und ihn schließlich in Frieden entließ.

Und Sava lehrte jeden und alle, die kamen, in der Schule, in seinem Hause, im Wald und Flur, auf Stegen und Wegen und in seiner kleinen Dorfkirche.

Jahre vergingen; der Pope in Peregudi, eifersüchtig und unserem gutmütigen Sava feindlich gesinnt, baute in dieser Zeit eine neue große Kirche in seinem Amtsorte auf, größer und schöner als die in Peripsami, bekam außerdem für dieselbe ein großes Heiligenbild geschenkt, von dessen Wundertätigkeit er nicht genug zu erzählen und zu verkündigen hatte.

Aber dieses alles ließ unseren Vater Sava völlig kalt, machte ihn gar nicht neidisch, denn er wirkte und lebte still und ruhig in seiner Gemeinde, ohne sich durch äußere Eindrücke stören zu lassen.

Nach wie vor hielt er den Gottesdienst in der kleinen hölzernen Dorfkirche seines Geburtsortes, predigte das Gotteswort in derselben in einfacher, seinen Zuhörern verständlichen Sprache und lehrte sie nach den Gottesgeboten leben und arbeiten.

Während aber die Zahl seiner Zuhörer von Jahr zu Jahr wuchs, so daß sich die Kirche als zu klein erwies und er nicht selten genötigt war auf dem freien Platze vor der Kirche seine Rede zu halten, gab es in der Kirche zu Peregudi reichlich Platz für die wenigen Beter in derselben, ja, es war keine Seltenheit, daß sich in derselben Niemand anderer befand als der Pope mit seinem Küster, welche in derselben promenieren und zusehen konnten, wie die Mäuse keck und frei auf dem Ambon sich herumtummeln und versteckens spielen.

Der Pereguder Pope unterließ es wohlweislich bei seiner vorgesetzten Behörde über Vater Sava Klage zu führen; aber er unterließ es nicht über denselben bei jeder nur einigermaßen günstig sich darbietenden Gelegenheit zu schimpfen, wodurch jedoch dem Vater Sava kein Schaden zugefügt werden konnte, und dieser gab keine Gelegenheit gegen ihn beim Bischof Beschwerde führen zu können, der selbst dem Sava wohlwollte und ihn, wie ich bereits erwähnte, wegen der Erbschaft jenes Schockes Rubeln, welche der Kasak ursprünglich zur Anschaffung einer Glocke bestimmte, Sava jedoch für diese eine Schule baute, nicht nur freisprach, sondern sogar belobte.

Jahrelang wartete der Peregudiner Pope, bis sich ihm Gelegenheit bieten wird, gegen den Vater Sava auftreten zu können, den er selbst für einen Zauberer erklärte, weil er mit einer Hexe, die sogar seine Patin ist, im freundschaftlichen Verhältnisse stehe, einem Frauenzimmer, das eine ausgesprochene Landläuferin sei und zu keinem Popen beichten gehe.

Dieses letztere war auch tatsächlich der Fall; seit der Zeit, als sie mit dem erst zur Welt gekommenen Sava nach Peregudi fuhr, seit der Zeit hat sie in der Tat bei keinem Popen gebeichtet, was um so auffallender war, als sie sonst alle von der Kirche vorgeschriebenen Fasten und sonstige Gebote strengstens einhielt und befolgte.

Aber plötzlich wurde es wiederum allgemein laut, die Kerasivna sei doch eine richtige wahre Hexe und werde in ihrem teuflischen Tun durch Vater Sava unterstützt.

Denn unvorgesehen fingen die Kühe im Dorfe an weniger Milch zu geben als sonst.

Wer war Schuld daran?

Gewiß Niemand anderer als eine Hexe, und da im Dorfe Niemand anderer hexen konnte als die Kerasivna, so blieb es klar und unzweifelhaft, daß an diesem ganzen Unglücke Niemand anderer Schuld trage, als die Kerasivna allein.

Beweisend für diese Annahme war die seinerzeitige Verhexung ihres Mannes und auch der anderen Dorfbewohner, welche sie alle überlebte. Bereits mit einem Fuße im Grabe stehend, könne sie sich dennoch nicht entschließen, zur Beichte zu gehen; auch sterben könne sie nicht.

In einer Beratung, an welcher fast die sämtlichen Einwohner des Dorfes sich beteiligten, wurde der Beschluß gefaßt, derjenige, welcher der Kerasivna an irgend einem einsamen entlegenen Orte begegne, sei verpflichtet, diese kräftig durchzuprügeln, wie es von einem rechtgläubigen Christen erwartet werden kann, wobei er ohne Unterlaß zu rufen habe:

„Krepiere auf der Stelle, verende, oder ich werde Dich noch weiter prügeln.“

Und einem von diesen sonst so gottesfürchtigen Kasaken, die zu dieser Niederträchtigkeit ihre Zustimmung gaben und dazu bereitwillig ihre Dienste anboten, glückte es, die Kerasivna außerhalb des Dorfes an einer abseitsgelegenen einsamen Stelle zu treffen, wo er sie so lange mit dem Stocke schlug, bis diese anfing zu bitten:

„Ruft den Popen ... ich will beichten ... ich sterbe.“

Die Kerasivna wußte es, warum sie geschlagen wird.

Mit schwerer Mühe und unter großen Schmerzen schleppte sie sich in ihre Hütte; und schon war auch Vater Sava da, welcher, als ihm mitgeteilt worden, was der Kerasivna geschehen, sofort zu ihr eilte, sich um sie bemühte und alles tat, um ihre Schmerzen zu lindern.

Nach einiger Überlegung sagte die Kerasivna zu ihm:

„Nein, Sava. Dir kann ich nicht beichten ... Deine Beichte gilt nicht ... rufe zu mir einen anderen Popen ...“

Vater Sava schickte in seiner Gutmütigkeit sofort seinen Wagen nach Peregudi, zu seinem Feinde und Verleumder und ließ ihn bitten, zur Kerasivna zu kommen, ist aber während der ganzen Zeit höchst unruhig darüber gewesen, ob der Pereguder Pope seinem Rufe folgen werde oder nicht.

Diese Besorgnis erwies sich als unnötig.

Der Pope von Peregudi kam angefahren, ging zu der Sterbenden und blieb lange, lange mit ihr allein in der Stube; dann aus derselben tretend, verbarg er unter seinem Kirchengewande das für die Kranke bestimmte geweihte Brot und fing hell laut an zu lachen, so zu lachen, daß alle vor der Hütte stehenden Leute ihn verwundert ansahen und nicht begreifen konnten, was ihm denn so lächerlich vorkomme.

„Worüber lacht Ihr denn, Väterchen, so unbändig, daß uns Angst und Bange wird?“ frugen die Leute, worauf er ihnen antwortete:

„Ja, Angst und Bange muß euch auch werden, das habt ihr reichlich verdient, denn so etwas, was bei Euch vorgeht, eine solche Heidenwirtschaft hat die Welt seit dem Tage der Taufe des heiligen Vladimir nicht gesehen und nicht erlebt.“

„Gott mit Euch, Väterchen, ängstigt uns doch nicht so sehr ... geht doch, seid so gut, zu unserem guten Vater Sava und besprecht Euch mit ihm ... er wird gewiß etwas finden, wie man der christlichen Seele helfen kann ...“

Doch der Peregudiner Pope lachte noch heller auf und wurde vor Lachkrampf fast grün und blau, riß die Augen weit auf und rief mit mächtiger Stimme in das Volk hinein:

„Dummköpfe, die ihr alle seid und nichts weiter ... ihr alle ... seid dunkle, dumme, unerleuchtete Köpfe trotz euerer Schule ... blind seid ihr, denn ihr sehet und merket nichts ...“

„Deswegen baten wir ja Dich, Väterchen, zu unserem Sava zu gehen ... er erwartet Dich ja ohnehin in seinem Hause ... geh’ doch zu ihm ... sage ihm alles ... er weiß und sieht alles ...“

„Sieht!“ rief der Pope aus Peregudi. „Nichts, gar nichts sieht er: er weiß nicht einmal, was er ist und nicht sein soll.“

„Wir wissen es aber, daß er unser Pope, unser Vater Sava ist.“

„Nein, er ist es nicht.“

„Ja, er ist unser Pope.“

„Nein, sage ich, er ist es nicht, und ich will es euch beweisen, daß er kein Pope ist.“

„Was ist er denn dann, wenn kein Pope?“

„Er ist weder Christ noch Pope.“

„Wie so, weder Christ noch Pope ... was redet Ihr denn für einen Unsinn ... oder seid Ihr ...?“

„Ich spreche keinen Unsinn ... ich sage euch nochmals, er ist kein Christ ...“

„Ja, was ist er denn dann?“

„Was er ist?“

„Nun ja?“

„Der Teufel allein weiß, was er ist!“

Auf dieses hin sind die Leute zurückgefahren und bekreuzten sich, der Pope aus Peregudi setzte sich in Savas Schlitten und sprach:

„Von hier aus fahre ich geradenweges zum Vikarius; ich bringe ihm eine solche Neuigkeit, worüber nicht nur ihm, sondern auch der gesamten christlichen Welt die Haare zu Berge steigen und sie die Hände über den Köpfen zusammenschlagen und sich auch noch dazu schämen werden; die Schmach aber fällt auf euch allein, denn euer Pope ist kein Pope und kein Christ, euere Kinder sind keine Christen, alle, die Sava getraut, sind nicht getraut, die Toten, die er eingesegnet, sind krepiert wie die Hunde, ohne Vergebung der Sünden, ohne kirchlichen Segen, sie alle braten in der Hölle, werden dort gemartert und gequält in Ewigkeit, denn Niemand, auch das innigste Gebet kann sie mehr retten. — Das, was ich euch eben sagte, ist Wahrheit, lautere Wahrheit ... und damit fahre ich nun zum Vikarius — aber ihr alle, die ihr hier seid und nicht glauben wollet, gehet hin zu der Kerasivna, fraget sie, solange sie noch lebt, und leben wird sie nicht lange mehr, und saget ihr, ich hätte befohlen, daß sie euch sage, was er ist, dieser Mensch, den ihr eueren Popen, eueren Vater Sava nennet ... Ja, ja, jahrelang konnte er Leute ins Verderben führen, jetzt aber sitzt die Elster auf dem Dache seines Hauses und ruft ihm zu: „Sava, Sava, zieh’ den Priesterrock aus ...“ Ja, ja, wir werden uns bald wiedersehen ... Nun aber, Junge, fahre rasch zum Vikarius, Du aber, Elster auf dem Dache, fahre recht kräftig fort zu schreien: „Sava, ziehe rasch den Priesterrock aus ...“ So, jetzt fahre ich, komme aber bald mit dem Vikarius zurück ...“

Mit diesen Worten ist der Peregudiner Pope weggefahren.

Das Volk, welches sich vor der Hütte der Kerasivna angesammelt hatte, wollte im ganzen Haufen in diese eindringen um sie auszufragen, was sie dem Peregudiner Popen über ihr eigenes Patenkind mitgeteilt habe, schließlich einigte man sich dahin, zwei Kasaken zu wählen, welche in Begleitung des Vater Sava diese ausfragen sollten.

Zwanzigstes Kapitel.

Vater Sava und die zwei Kasaken traten in die Krankenstube der Kerasivna, fanden sie im Bette liegen, über welchem Heiligenbilder an der Wand hingen, bitterlich weinend:

„Verzeihe mir, mein Herzenskind, mein liebes, unseliges, unglückliches Kind,“ wendete sie sich an Sava, „in meinem Herzen verschloß ich länger als dreißig Jahre meine eigene Schuld, welche auch auf Dir lastet ... ich lebte in dieser ganzen Zeit in beständiger Furcht, daß diese schwere Schuld im Traume offenbart werden könnte, diese Furcht ist Schuld daran, daß ich nicht zur Beichte ging, damit ich sie einer zweiten Person nicht mitteilen müßte, jetzt aber, nachdem es Gottes Wille ist mich von der Welt abzurufen und ich vor ihm zu erscheinen habe, jetzt muß ich alles bekennen.“

Möglicherweise riefen derartige Reden eine gewisse Unruhe bei Vater Sava hervor, weil er durch das so jäh herausgestoßene Geheimnis einer ihm unbewußten Schuld unangenehm berührt wurde, aber sich überwindend, frug er äußerlich ruhig:

„Und worin besteht die große Schuld?“

„In der großen Sünde, die ich verübte an Dir.“

„An mir?“ frug Sava erstaunt.

„Ja, an Dir! — Dein ganzes Leben habe ich Dir verdorben deshalb, weil, obzwar Dir die ganze heilige Schrift bekannt ist und Du zum Geistlichen geweiht wurdest, Du dennoch unwürdig bist das Priesterkleid zu tragen, denn Du bist — — nicht getauft!“

Es ist schwierig sich vorzustellen, welchen Eindruck der Schluß der Rede auf die Anwesenden und besonders den friedfertigsten und gütigsten aller Priester, den Popen Sava machte.

Anfänglich war er bereit, derartige Reden als die eines fieberkranken Menschen, eines Sterbenden, anzusehen, ja er lächelte sanft, indem er sagte:

„Rede doch nicht so, Patin: wie wäre es denn möglich, ich, ungetauft, da Du doch meine Patin bist?“

Kerasivna bewies aber, daß sie noch bei vollem Verstande sei, indem sie zur Antwort gab:

„Ich, Deine Patin? — — Lasse das! — Dich hat Niemand getauft ... Auf wen alle Schuld fällt, weiß ich nicht ... und konnte mir auch darüber mein Lebenlang nicht klar werden ... Ob alles das, was geschah, die Folge war unserer Sünden oder bloßer Zufall, oder ob der heilige Nikolaus allein der Schuldtragende ist ... ich weiß nicht ... Doch, schau, jetzt kommt der Vikarius mit dem Popen aus Peregudi ... Setze Dich neben mir hierher ... und ich werde euch, wie es geschah, daß Sava ungetauft geblieben, erzählen.“

Der Vikarius wollte zwar nicht anfangs zulassen, daß Sava und die Kasaken bei dieser Beichte zugegen seien, mußte aber nachgeben, nachdem Kerasivna darauf bestand und erklärte nur in Gegenwart dieser Anwesenden alles zu sagen, im anderen Falle aber nichts.

Und nun hört zu, was Kerasivna erzählte.

Einundzwanzigstes Kapitel.

„Sava,“ fing sie an, „Du bist überhaupt weder Sava noch Pope, sondern — ungetauft, was nur mir allein und Niemandem anderen bekannt ist. — An dem allen ist allein Dein verstorbener Vater, der Dukač, schuld, der einen heftigen, reizbaren Charakter besaß, den Niemand liebte, aber alle mieden und fürchteten, und bei dem Niemand, als ihm ein Sohn geboren wurde, Gevatter sein wollte. — Der alte Dukač ließ die junge Frau des Popen und einen Beamten einladen, seinen Sohn aus der Taufe heben zu wollen, beide sagten ab. — Darüber ist der alte Dukač so wild geworden und so böse auf alle, sogar den Popen selbst, daß er Niemanden mehr im Dorfe bitten wollte, seinen Sohn aus der Taufe heben zu wollen. — Auch ohne euch alle werde ich fertig — meinte er — auch ohne eueren Kram. — Er rief seinen Verwandten Agap, welcher bei ihm seit seiner Kindheit, nachdem seine Eltern gestorben, lebte und durch dessen Behandlung derselbe verblödete, befahl ihm ein paar starke Pferde vor den Schlitten zu spannen. Mich wählte er zur Patin für sein Kind und sagte: fahr’ mit Agap in das Nachbardorf und lass’ das Kind dort taufen ... Er schenkte mir sogar einen Pelz — Gott mit ihm — seit jener Zeit habe ich ihn nicht mehr angezogen; so hängt er nun mehr als dreißig Jahre lang an demselben Nagel, auf welchen ich ihn damals aufhängte. — Mir befahl der alte Dukač darauf zu achten, daß bei der Taufe nichts ungehöriges vorfalle, namentlich aber, sagte er, bemühe Dich mit dem dortigen Popen gut auszukommen und darauf zu sehen, daß er nicht, vielleicht aus Bosheit, dem Kind einen schweren oder gar einen Moskauer Namen gebe. — Es war um Barbara herum, im Dezember; das Wetter war höchst unbeständig, ja geradezu gefährlich, denn nach Barbara kommt Nikolai, das ist der Moskauer Hauptheilige, welcher uns Kasaken feindlich gesinnt ist, und nur den Moskovitern alles zuschanzt. Wenn etwas bei uns Kasaken geschieht, mag es sein, was es wolle und selbst dann, wenn wir im vollsten Rechte wären, wird er zu unserem lieben Herr Gott gehen, ihm dieses und jenes vorreden, ihm alles das so vorstellen und ihm einreden, daß alles zum Vorteile der Moskoviter ausfällt, denn seine Moskauer hebt er stets heraus, selbst wenn sie etwas getan hätten, was nicht recht ist, er wird sie jedesmal rechtfertigen und jedesmale alle Schuld auf die Kasaken schieben. — Doch neben dem heiligen Nikolaus da wohnt gleich in der Nachbarschaft der heilige Sava. Er ist einer von unseren Kasaken und uns deshalb sehr gewogen. Welche Stellung er im Himmel einnehmen mag, ist nicht bekannt, aber immerhin dürfte sie eine hohe und ziemlich einflußreiche sein, denn er nimmt sich stets seiner Kasaken an und ist stets ihr Verteidiger und Gönner.“

Ich antwortete dem Dukač:

„Das kann schon möglich sein; aber mir scheint, der heilige Sava besitzt wenig Einfluß im Himmel.“

Der alte Dukač aber meinte:

„Wenn auch der heilige Sava wenig Einfluß im Himmel besitzt, so ist er dafür schlau und was er nicht durch sein Ansehen und seine Macht durchsetzen kann, das erzielt er auf Umwegen, aber jedesmal zieht er seine Kasaken aus der Patsche. Wir werden ihn von hier aus unterstützen dadurch, daß wir in die Kirche Kerzen stellen, diese anzünden und Gebete lesen lassen; Gott wird aufmerksam darauf und wird sehen, daß es noch Leute gibt, welche den heiligen Sava ehren, er wird sich auf ihn erinnern und ihm wieder freundlich zugetan sein.“

Ich versprach dem Dukač alles, was er haben wollte!

Ich wickelte das Kind warm, barg dasselbe unter meinem Pelz, legte ihm jedoch noch beim Einwickeln ein Kreuzchen um den Hals, das es eigentlich erst bei der Taufe erhalten sollte.

Agap aber stellte ein Fäßchen Pflaumenbranntwein zu seinen Füßen, und so fuhren wir in Gottes Namen ab.

Wir waren noch keine Werst weit vom Dorfe gekommen, als mit einemmale ein solcher heftiger Sturm mit starkem Schneetreiben sich erhob, daß man kaum die Köpfe der Pferde noch weniger einen Weg sehen konnte. Ich sagte zu Agap:

Es ist unmöglich weiter zu fahren in diesem Wetter, kehre lieber um!

Doch Agap fürchtete seinen Onkel mehr wie das Feuer und wollte unter keinen Umständen umkehren.

Gott wird uns helfen in das nächste Dorf zu kommen — sagte er — mir ist es übrigens ganz gleichgültig, ob ich hier erfriere oder ob mich der Onkel totprügelt.

Und er hieb in die Pferde und trieb sie immer und immer an, denn was sich Agap ’mal in den Kopf setzte, dabei blieb er trotz allem Zureden.

Es wurde immer dunkler und dunkler, so daß überhaupt gar nichts mehr zu sehen war.

Und so fuhren wir und fuhren, wohin? das wußte weder Agap noch ich. Die Pferde, sich selbst überlassen, gingen bald nach rechts, bald nach links, hierher, dorthin — aber wir kamen immer nicht dorthin, wohin wir wollten.

Uns beiden ist kalt geworden, trotz der Pelze, die wir anhalten, ja wir fühlten uns halb erstarrt; und um nicht ganz zu erfrieren, tranken wir aus dem Fäßchen jenen Branntwein, der eigentlich für den Popen in Peregudi bestimmt war.

Ich sah nach dem Kinde und dachte, Gott behüte, daß es ersticke; doch dasselbe lag so warm unter dem Pelze, atmete so gleichmäßig und ruhig, so daß jeder Atemzug sichtbar wurde.

Ich wickelte das Kind noch fester und wärmer ein, ließ ihm jedoch soviel Öffnung, daß es frische Luft atmen konnte und war völlig glücklich darüber, daß das Kind so gesund und so ruhig schläft. Wir fuhren weiter, fuhren, fuhren, schließlich aber merkten wir doch, daß wir nur im Kreise gefahren sind; kein Licht, kein Baum, keine Hütte ist in der Finsternis sichtbar; die Pferde gehen wohin sie wollen.

An eine Rückkehr nach Hause, um dort das Wetter abzuwarten, war gar nicht mehr zu denken, denn es war nicht möglich sich darüber klar zu werden, wo wir eigentlich uns befinden, ob wir gegen Peregudi oder Paripsami fahren.

Ich riet dem Agap abzusteigen und die Pferde am Zaume führen, er aber gab mir zur Antwort, ob ich nicht toll geworden sei, ihm wäre sehr kalt und er steige unter keiner Bedingung aus.

Ich versprach ihm einen Rubel zu geben, wenn er aussteige, sowie wir nach Hause kommen, er aber gab zur Antwort:

„Was soll ich mit dem Rubel, wir krepieren sowie so alle hier auf dem Wege, mitten im Feld. — Wenn ihr mir aber noch etwas gutes erweisen wollet, so läßt mich noch einen ordentlichen Schluck aus dem Fäßchen machen.“

Ich sagte ihm: trink, so viel Du willst — und er trank.

Er trank sich voll, stieg dann aus und trachtete an die Köpfe der Pferde zu kommen, aber kaum hatte er zwei Schritte gemacht, als er eiligst zurücklief und vor Furcht zitterte.

Was ist denn geschehen? — frug ich — was ist vorgefallen?

„Schau, schau, hin“ — gab er zitternd vor Angst zur Antwort — „siehst Du nicht, und ist Dir nicht klar, daß Du, wenn auch eine gescheite Frau, doch nichts gegen Nikolaus machen kannst?“

Was redest Du denn für einen Unsinn, Du Dummkopf, wer will denn etwas gegen den heiligen Nikolaus beginnen?

„Warum steht er dann dort?“

Wo steht er?

„Dort! — siehst Du ihn nicht, ganz nahe an den Pferdeköpfen.“

Daß Dich, Du dummer Kerl! Du bist betrunken!

„Eh! ich und betrunken?“ — antwortete er — „Dein Mann war auch nicht betrunken und hat Geister gesehen und ich sehe sie auch.“

Schau — sage ich — Du hast Dich meines Mannes erinnert; was er gesehen, das weiß ich besser als Du, aber sage ’mal, was siehst Du?

„Ich sehe dort etwas sehr Großes stehen, eine große goldene moskauer Mütze hat es auf dem Kopf, es sprühen sogar Funken aus derselben.“

Die Funken sprühen aus Deinen besoffenen Augen.

Ich war der Meinung, daß das, was er zu sehen meint, gar nicht möglich sei, andererseits ist aber doch der Gedanke bei mir aufgekommen, daß dies wahr sein und der heilige Nikolaus böse sein könnte darüber, daß wir das Kind nicht auf seinen Namen, sondern Sava taufen lassen wollen; ich sagte dem Agap:

Was und wer es auch sein mag, beachte es nicht, jetzt wollen wir tun, als wenn wir nachgeben und seinen Willen tun möchten, und morgen tuen wir dann, was wir wollen. — Lass’ die Pferde, sie sollen gehen, wohin sie wollen — die werden uns gewiß nach Hause bringen; meinetwegen kannst Du alles austrinken, was noch in dem Fäßchen ist.

Agap war darüber ganz erstaunt.

Ja, trinke nur, Agap — sagte ich — trinke nur, aber zu Hause sage bei Leibe nichts, was vorgefallen ist, ich werde schon eine Geschichte zusammenstellen, die ich ihnen erzählen, und die sie für wahr halten werden. — Ich werde sagen, das Kind ist getauft auf den echten kasakischen Namen Sava, wie es der alte Dukač gewollt hat, auch das Kreuzchen werde ich ihm zeigen, das ich ihm um den Hals gehängt habe, dann werde ich sagen, der Pereguder Pope hätte befohlen das Kind am nächsten Sonntag nochmals in die Kirche zu bringen, damit er es nochmals segnen könne, deshalb müssen wir nochmals nach Peregudi fahren, wo dann das Kind getauft wird, wie es sich für einen wahren Christen gebührt. — Ich schaute wieder nach dem Kinde und fand, daß es lebt und ruhig schläft, und so warm ist, daß sogar eine auf seine Stirne gefallene Schneeflocke sofort zerschmolz; mit diesem Wasser bekreuzte ich seine Stirne und sprach dabei: im Namen Gott des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes taufe ich Dich auf den Namen des heiligen Sava.

Wir ließen den Pferden freien Lauf; sie sollen gehen wohin sie wollen. Die Pferde gingen und gingen — bald blieben sie stehen, bald zogen sie an; das Wetter gestaltete sich immer ärger und ärger; der Sturm heulte; die Kälte wuchs.

Agap wurde schließlich voll trunken; anfangs brummte er etwas unverständliches, schließlich verstummte er, wälzte sich in den Schlitten und fing an zu schnarchen.

Mir aber wurde immer kälter und kälter, ich fühlte, wie meine Glieder starr zu werden anfangen, schließlich wurde ich bewußtlos und erwachte erst in der Hütte des Dukač, wo man mich mit Schnee rieb.

Als ich zum Bewußtsein gekommen, erinnerte ich mich daran, was ich mir vorgenommen hatte zu sagen und deshalb sagte ich, daß das Kind auf den Namen Sava getauft sei. —

Alle glaubten es; ich redete darüber nicht weiter, weil ich immer den Gedanken und Willen in mir trug, die Schuld gut zu machen und das Kind am nächsten Sonntag taufen zu lassen.

Aber ich wußte nicht, daß Agap angeschossen und in Folge der Verwundung gestorben sei, auch nicht, daß man den alten Dukač ins Gefängnis abgeführt, denn ich war krank und als ich später alles dieses erfuhr, da konnte ich mich nicht mehr dazu entschließen, dieses alles der alten Dukačin zu beichten, weil ich deren Gram, Schmerz und Unglück, das ja so groß genug war, nicht vermehren wollte.

Ich nahm mir vor, später alles aufzudecken; je weiter aber die Zeit verlief, um so schwerer gestaltete es sich für mich, Aufklärung zu bringen und so verschob ich die Sache von Tag zu Tag.

Die Zeit lief, Jahre sind vergangen; das Kind wuchs zum Knaben heran, alle riefen ihn Sava, Sava, ja sie schickten ihn studieren.

Und immer nahm ich mir vor, das Geheimnis aufzudecken, immer marterte mich der Gedanke, ich sei Schuld daran, daß der Knabe ungetauft ist.

Und als ich erfuhr, Sava solle sogar Pope werden, da lief ich in die Stadt, um dieses zu verhüten und um laut zu rufen, er sei ungetauft, doch mich hat man nicht beachtet, nicht gehört, ihn aber zum Priester geweiht.

Weiter über die Sache zu reden hatte dann keinen Zweck mehr. Seit der Zeit hatte ich keine Ruhe mehr; es war fürchterlich für mich zu wissen, daß durch meine Schuld die ganze hiesige christliche Gemeinde zum Spott und Gelächter der Welt sein werde, weil sie einen ungetauften Popen zum Seelsorger habe.

Dann aber, als ich älter wurde, als ich sah, daß alle den Sava lieben und achten, da steigerte sich noch meine Qual und mein Schmerz, ja ich fürchtete mich vor dem Tode.

Erst jetzt, auf meinem Sterbebette, bekenne ich dieses alles, es bitter bereuend.

Möge mir die Christenheit verzeihen, was ich an ihr Böses getan, mögen mir jene verzeihen, deren Seelen durch den ungetauften Popen in Verderbnis gerieten; mich aber könnet ihr, wenn ihr wollet, lebendig begraben, ich werde auch diese Strafe freudig annehmen.“

Der Vikarius und der Pfarrer von Peregudi haben alles dieses zu Papier gebracht und unterschrieben, dann dem Vater Sava vorgelesen, sind dann zur Kirche gegangen und haben das Kirchentor versiegelt; hierauf fuhren sie zum Bischof nach der Gouvernementsstadt und nahmen Sava mit.

Darüber fing nun das Volk an unruhig zu werden und zu besprechen, was es wohl mit ihrem Väterchen sei, weshalb der Vikarius die Kirche versiegelt und ihren Sava nach der Stadt mitgenommen habe?

Kann denn so etwas je vorgekommen sein, was die Kerasivna erzählte?

Wäre es denn möglich, daß die Herren in der Stadt etwas derartiges hätten zulassen können?

Schließlich sind sie darüber einig geworden, daß dies alles der heilige Nikolaus angezettelt habe, um den heiligen Sava bloß zu stellen, und das erste, was geschehen müsse, sei, den heiligen Sava beim Gott kräftigst zu unterstützen und deshalb sei es notwendig, sofort zum Bischof zu gehen.

Die Kasaken rissen eigenmächtig die Siegel von der Kirche ab, öffneten sie, zündeten vor dem Altare und den heiligen Bildern so viele Kerzen an, als sie in der Kirche fanden, wählten sechs Kasaken aus, welche sofort zum Bischof gehen müssen, um ihm zu sagen, er solle es sich gar nicht einfallen lassen, den Sava aus ihrer Gemeinde zu entfernen oder ihm etwas anzutun, denn sie wollen nur den Sava haben und keinen anderen, wenn er, der Bischof, das, was sie wollen, nicht tut, so treten sie zu einer anderen Religion über, wenn nicht zur katholischen, so doch zur türkischen; denn ohne unseren Sava wollen wir nicht leben — sagten alle.

Dies gab eine schwierigere Aufgabe zu lösen, als jene es war als

der Diakonus N. den Trepak trat,

Dieser aber nicht geklagt,

Während dies der Inspektor tat!

Die Kerasivna starb, nachdem sie allgemeine Buße getan und der versammelten Gemeinde alles das erzählte, was sie dem Vikarius mitgeteilt.

Die Kasakendeputation machte sich auf den Weg in die Stadt zum Bischof, nachdem vorher in allgemeiner Versammlung nochmals beraten und beschlossen worden ist, was zu geschehen habe, wenn der Bischof ihrem Wunsche nicht entsprechen und ihnen den Sava nicht zurückgeben sollte.

Es wurde einstimmig beschlossen, daß sie, wenn sie dann nach Hause gekommen, allen Branntwein, welcher noch in den Schenken gefunden wird, austrinken werden, damit Niemand nach ihnen denselben trinken könne, dann werden sie Türken und jeder nimmt sich drei, die reicheren vier Weiber — denn so lange unser guter lieber Sava lebt, wollen wir keinen anderen Popen.

Es ist gar nicht denkbar, daß er ungetauft wäre, nachdem er so viele Leute getauft, getraut, begraben hat und so viele zu ihm zur Beichte gingen.

Wäre es denn möglich, daß alle diese Leute Ungläubige, Heiden wären?

Die Kasaken sind darin einig geworden, daß, wenn Sava wirklich nicht getauft sei, ihn der Bischof in der Stille taufen solle, damit er schließlich doch Pope bleiben könne ... denn sonst werden sie alle ... Türken.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Und wieder war es Winter, wieder gegen Abend, wieder um den Nikolai- und Sava-Tag, etwa zu jener Zeit als fünf und dreißig Jahre zurück die Kerasivna aus Paripsami nach Peregudi fuhr, um des alten Dukač einzigen Sohn taufen zu lassen.

Von Peripsami nach der Gouvernementsstadt, dem Sitze des Bischofs, war es beiläufig vierzig Werst.

Die zum Bischof behufs Befreiung ihres Sava abgesandte Kasakendeputation berechnete, daß sie fünfzehn Werst, bis zur Schenke des Jossel, gehen, dort sich stärken, wärmen, ausruhen werde, um so anderen Tages zeitlich früh beim Bischof vorsprechen zu können.

Die Sache aber nahm einen anderen Verlauf.

Für die Kasakendeputation gestaltete sich das Wetter ebenso unfreundlich, wie es gewesen war vor fünf und dreißig Jahren, als die Kerasivna mit Agap zur Taufe mit dem Kinde fuhren; es entwickelte sich ein heftiges Schneetreiben, so daß die Kasaken sich in der Steppe zu verirren begannen; sie verloren alle ihnen sonst wohl bekannten Merkzeichen, gerieten auf einen Abweg und wußten schließlich nicht, wo sie sich befinden, bis auf einmal, es konnte wohl eine Stunde vor Sonnenaufgang sein, sie von jemandem, nicht auf der Straße, sondern auf dem Eise, angeredet wurden:

„Nu, Jungens, wohin so zeitlich? wo?“

Die Kasaken grüßten.

„Was führt euch bei einem solchen Hundewetter her; seht, es hätte nicht viel gefehlt und ihr wäret ins Wasser gefallen.“

„So!“ gaben sie zur Antwort. „Wir befinden uns in schlimmer Lage, und gehen zum Bischof; wir möchten dort gerne eher vorsprechen, als unsere Feinde und ihn fußfällig bitten zu unseren Gunsten zu entscheiden.“

„Und was soll er für euch tun?“

„Uns unseren ungetauften Popen lassen, denn, wenn dies nicht geschieht, so werden wir aus lauter Gram und Schmerz Türken.“

„Warum wollt ihr gerade Türken werden? Die dürfen doch keinen Schnaps trinken.“

„Den trinken wir früher allen aus.“

„Ach! ihr Teufelskerle!“

„Ja, was bleibt uns denn anderes übrig zu tun, wenn sie uns so schwer kränken, daß sie uns unseren Popen nehmen.“

Der Unbekannte meinte:

„Erzählt mir doch die Geschichte von dem ungetauften Popen im Zusammenhange.“

Und die Kasaken erzählten.

Und so, an der Wuhne stehend, haben sie alles der Ordnung nach recht ausführlich dem Fremden mitgeteilt und immer und immer dabei hervorgehoben, daß, wenn der Bischof ihrem Wunsche nicht entspricht und ihnen den Sava nicht wieder zum Popen gibt, sie Türken werden.

Da meinte der Fremde:

„Seid ruhig, Jungens, seid ruhig und fürchtet nichts, ich glaube, der Bischof wird schon das richtige treffen.“

„Ja, wir glauben es selbst,“ sagten sie, „denn wer eine solche hohe Würde bekleidet, sollte stets ein rechtes und gerechtes Urteil fällen, aber wer kennt den Bischof, Gott allein!“

„Seid sicher, daß der Bischof das rechte Urteil geben wird, ich selbst werde schon dazu beitragen, was möglich ist.“

„Du? ... wer bist Du denn eigentlich? ... Sag ’mal, wie heißest Du?“

„Ich? ... ich heiße Sava.“

Und dieser Sava sagte ihnen weiters, sie wären gerade zur rechten Zeit gekommen und gerade an die rechte Stelle, wohin sie gehörten und auf den Berg zeigend, sagte er weiter: Seht, dort ist das Kloster, wo der Bischof wohnt.

Sie schauten auf und bemerkten auf der anderen Seite, gerade vor sich, das Kloster.

Die Kasaken waren darüber erstaunt, daß sie bei einem solchen fürchterlichen Schneetreiben und so heftigem Sturm ohne jede Störung und ohne jeden Aufenthalt vierzig Werst gegangen wären.

Nachdem sie den Berg erstiegen, setzten sie sich auf die Bank vor dem Kloster, öffneten ihre Rucksäcke und zogen alles Eßbare heraus, was sich darin befand und warteten, essend, bis die Glocken zum Frühgottesdienste anschlagen und das Klostertor sich öffnen würde.

Sie gingen in die Kirche, hörten den Gottesdienst stehend an, worauf sie zum Hause des Bischofs gingen, um Audienz zu erbitten.

Man kann nicht gerade behaupten, daß unsere hohen geistlichen Würdenträger große Neigung zum niederen Volke hätten, denn es ist außerordentlich schwierig vorgelassen zu werden, wenn man dem sogenannten Volke angehört; diesesmal war das gerade Gegenteil der Fall: unseren Kasaken wurden keine Schwierigkeiten in den Weg gelegt, ja es hatte sogar den Anschein, als wenn sie erwartet worden wären, denn man führte sie, sowie sie ankamen, sofort in den Wartesaal, wo sie zwar sehr lange stehen mußten, und wohin sich der Vikarius, der Peregudiner Pope und Sava, sowie noch viele andere Personen einfanden.

Der Bischof trat später aus seinen Zimmern in den Wartesaal, sprach mit den Anwesenden, schien jedoch den Vikarius und die Kasaken nicht zu bemerken, erst nachdem alle anderen sich entfernt hatten, trat er an die Kasaken heran und meinte:

„Na, Jungens, gekränkt hat man euch und beunruhigt? ... den ungetauften Popen wollt ihr haben?“

Und die Kasaken baten:

„Ja ... Euer Gnaden ... seien Sie so gut ... so gütig ... Hochwürdigster Herr ... wie sollen wir nicht gekränkt sein ... einen solchen Popen, wie unseren Popen, gibt es in der ganzen Welt nicht ...“

Der Bischof lächelte:

„Recht habt’ ihr ... einen solchen zweiten gibt es nicht ...“ und sich zu dem Vikarius wendend, meinte er:

„Geh’ mal in die Sakristei; dort hat Sava ein Buch vorbereitet und bringe es herein, dann lese uns vor, was auf der aufgeschlagenen Seite steht.“

Der Bischof setzte sich.

Der Vikarius brachte das Buch und fing an zu lesen:

„Ich will Euch, Brüder, nicht sehen, wie unsere Väter, die immer unter der Wolke stehend, durch das Meer gegangen und in Moses getauft worden sind, in der Wolke und dem Meere. Alle haben dieselbe geistige Nahrung genossen und dasselbe geistige Wasser getrunken aus einer Quelle, und diese Quelle war Christus.“

An dieser Stelle unterbrach der Bischof den Lesenden:

„Hast Du verstanden, was Du gelesen?“

„Verstanden.“

„Und erst jetzt begriffen?“

Der Vikarius wurde verlegen und wußte nicht, was er zur Antwort geben solle, deshalb sprach er so oben hin:

„Diese Stelle habe ich auch früher schon gelesen.“

„Wenn dieses der Fall gewesen, wie konntest Du es zulassen, daß diese Leute in große Aufregung gebracht wurden? warum wurden diese guten einfachen Leute beunruhigt, denen er ein guter und lieber und genehmer Seelenhirt gewesen?“

Der Vikarius antwortete:

„Nach den Regeln der heiligen Väter ...“

„Halt,“ unterbrach ihn der Bischof, „halt! geh’ nochmals zum Sava und lasse Dir ein zweites Buch geben.“

Der Vikarius ging und kam mit einem neuen Buche in der Hand zurück.

„Lese!“ befahl der Bischof.

„Wir lesen,“ fing der Vikarius an, „beim heiligen Grigorij dem Gottesgelehrten über den heiligen Vasilij, daß er für die Christen solange ein Heide gewesen, bis er zum Seelenhirten geweiht wurde.“

„Bis was er wurde?“ unterbrach ihn der Bischof.

Der Vikarius entgegnete:

„Ich tat dies alles aus Amtseifer, als es sich gezeigt hat, daß dieser in einem solchen Amte ungetauft sei.“

Nun aber stieß der Bischof ungeduldig mit dem Fuße auf:

„Du wiederholst immer eines und dasselbe! Es scheint, daß Deiner Ansicht nach man zum Moses durch die Wolke gelangen kann, um getauft zu werden, nicht aber zum Christus? — Es ist schon gesagt worden, daß diese, die Taufe suchten, durch die feuchte Wolke unter Todesfurcht drangen, daß sie mit dem vom Himmel auf die Stirne des Kindes gefallenem und aufgetautem Wasser dasselbe mit dem Zeichen des Kreuzes im Namen der heiligen Dreieinigkeit in den Schoß der Kirche brachten. — Was willst Du noch mehr? — Du bist ein streitsüchtiger, unduldsamer, zänkischer Mann und taugst nicht für die Arbeit in Christo: an Deine Stelle setze ich den Popen Sava; und ihr, Jungens, gehet ruhig nach Hause und fürchtet euch nicht, der Pope Sava, der euch gut ist, ist auch mir gut und Gott genehm. Geht mit Gott nach Hause.“

Die Kasaken fielen dem Bischof zu Füßen und dankten für seine Güte.

„Nun, seid ihr zufrieden?“

„Sehr, sehr zufrieden,“ gaben sie einstimmig zur Antwort.

„Und werdet ihr auch jetzt noch Türken?“

„Tfu! werden nicht, Väterchen, werden nicht!“

„Und den Schnaps werdet ihr auch nicht allen auf einmal austrinken?“

„Nein, nein, nicht auf einmal, nach und nach; der Teufel soll ihn ...“

„Nun, so geht mit Gott und lebt nach christlicher Art und Weise weiter.“

Und als sie schon im Begriffe waren den Wartesaal zu verlassen, da winkte der eine von ihnen dem Bischof mit dem Finger, um ihn auf sich aufmerksam zu machen und sagte ihm halblaut:

„Wären Euere Gnaden so gütig mit mir in ein Eckchen zu gehen?“

Der Bischof lächelte und sagte:

„Gut, gehen wir in ein Eckchen.“

Dort fängt nun der Kasake an:

„Erlaubt, Euer Gnaden, Euch zu fragen, wer erzählte Euch das alles, ehe wir es Euch mitteilen konnten?“

„Geht es Dich ’was an?“ meinte der Bischof.

„Gewiß, geht es uns an; vielleicht hat es Euch der Sava erzählt?“

Dem Bischof, welchem tatsächlich der ihm nahe stehende Sava alles dieses erzählte, sah den Chochol an und entgegnete:

„Ja, Du hast es erraten — mir hat es der Sava mitgeteilt.“

Damit ging er aus dem Saale.

Jetzt begriffen die Kasaken alles.

Und seit dieser Zeit geht unter ihnen die Überlieferung, daß der schwache Sava still und ruhig, dafür aber warm für sie eintrat und den Moskauer Nikolaus, trotz seiner Macht, so hinterging, daß letzterer das Spiel verlor.

„Was ist doch unser Sava für ein listiger Heiliger,“ sagten sie, „was er nicht alles ausdachte und alles bei Seite schieben mußte, um über den Stärkeren und Mächtigeren zu siegen: selbst in die heiligen Bücher weiß er Sachen zu bringen, die Niemand begreifen kann. — Gott allein weiß es, ob er unseren Popen unter dem Pelze der Kerasivna taufte, oder ob er alles dieses nur so knotete, damit es selbst der Bischof nicht auflösen kann? — Daß aber diese Angelegenheit zu unseren Gunsten ausfiel, dafür sei er bedankt.“

— — —

Vater Sava, sagt man, soll noch heute leben; um sein Dorf herum ist alles zum Stundismus übergetreten; seine Kirche ist jedoch stets übervoll von andächtigen Menschen ...

Man weiß zwar nicht, ob der heilige Sava in Paripsami noch tätig mithilft, soviel ist aber sicher, daß es in unseres Sava Bezirke keine nackten Michalki und Potapki gibt.

DAS URTEIL SEINER EMINENZ.

Erstes Kapitel.

Sehr jung, fast noch ein Kind, trat ich in den Staatsdienst und wurde in Kiev der Finanzdirektion zugeteilt, welcher Alexander Kirylovič Klučarev als leitender Direktor vorstand.

Klučarev war im wahren Sinne des Wortes ein „eifriger Beamter, ein Streber“ vom Scheitel bis zur Zehe, welcher von allen ihm Untergebenen nicht nur gefürchtet, sondern auch gehaßt wurde, sowohl in Kiev, wie auch in seinem früheren Dienstorte Žitomir; in Petersburg aber, wohin derselbe als Departements-Vorstand versetzt worden ist, empfand vor ihm Niemand Furcht, im Gegenteile, man gab diesem außergewöhnlich strengen, rücksichtslosen, trockenen Formalisten bald deutlich zu verstehen, daß man seiner Dienste nicht bedürfe, da ja auch andere, jüngere, eben dasselbe leisten können, wie er, Klučarev.

Er wurde in den Ruhestand versetzt, starb jedoch bald darauf, und es gab Niemanden, der ihm eine Träne nachgeweint hätte.

Klučarev stammte aus einer Popenfamilie und wurde in einem geistlichen Seminar erzogen und ausgebildet.

Er war außergewöhnlich kräftig gebaut, unermüdlich tätig, trocken und kurz im Verkehr, liebte in allem Genauigkeit und Pünktlichkeit und war — harten Herzens.

Es ist wahr, er liebte seinen Schoßhund mit den braunen hängenden Ohren, küßte denselben aufs Maul, konnte sehr besorgt und unruhig sein, wenn er meinte, daß sich derselbe unwohl fühle und vielleicht traurig aussehe; dann machte er eigenhändig diejenigen nötigen Operationen und Waschungen, die man dem Tierarzt oder sonst irgend einem Diener überläßt; aber ich habe selbst gesehen, wie in seinem Gesichte auch nicht eine Muskel zuckte, in seinen Augen auch nicht ein einziger Strahl des Mitgefühls sichtbar wurde, wenn er einen altgedienten Beamten mit zahlreicher Familie — oft ohne jeden Grund und Ursache — aus dem Dienste jagte oder ein jüdisches Kind unter die Soldaten aufnehmen und ihm das Haar schneiden ließ.

Das Einstellen jüdischer Kinder in den Militärdienst war eine höchst grausame gesetzliche Bestimmung.

Das Gesetz bestimmte, daß Kinder unter zwölf Jahren keine Aufnahme finden sollten; meistenteils wurden doch Kinder unter diesem Alter „dem äußeren Ansehen nach“ aufgenommen, und zwar mit Vorliebe, einmal litt ja der Dienst nicht darunter, dann zeigte es sich, daß je jünger die Kinder waren, sie sich desto leichter einlebten, ihre Eltern vergaßen und keine Schwierigkeiten beim darauffolgenden Taufen machten.

Diesen Umstand benutzten die Juden, welche die Kinder wie jede andere Ware lieferten; die kleinen Kinder wurden den Müttern aus den Armen gerissen oder geradezu in der Nacht aus dem Bett gestohlen, geraubt, in die kleinen Krakauer Britschken gesetzt und zur Stellung geschleppt.

Wie herzzerreißend, wie widerwärtig alles dieses war, ist schwer, ja geradezu gesagt, unmöglich zu beschreiben.

In allen jüdischen Städten, Städtchen und Dörfern erneuerte sich tatsächlich das Weinen in Rama: „Rachel weinte bitter um ihre Kinder und war trostlos.“

War das Gesetz, welches, Gott sei Dank! bereits aufgehoben ist, an und für sich selbst grausam, es wurde dasselbe für die jüdische Bevölkerung noch unerträglicher und drückender durch die Niederträchtigkeit und Gewissenlosigkeit eigener Stammesgenossen.

Dem Gesetze zufolge mußte eine gewisse bestimmte Zahl jüdischer Rekruten zur Stellung kommen, man war jedoch nie im Stande diese Zahl aufzustellen unter den gewöhnlichen Verhältnissen; die Rekrutierungen folgten sich viel zu rasch eine nach der anderen, weshalb jedesmal bei der Stellung mit außerordentlicher Strenge verfahren werden mußte, um keinen Ausfall eintreten zu lassen.

Es wurden deshalb stets mehr junge Leute eingestellt, als eigentlich bestimmt war, wobei stets die Bemerkung gemacht wurde, daß dieses Mehr bei der nächsten Stellung in Abrechnung komme; doch fand diese Zusicherung keine weitere Beachtung, wurde einfach — vergessen.

Angenommen, eingeschrieben und von der Hand weg!

Das eingestellte Kind wurde sofort einem Regimente zugeteilt, das sich weit, weit ab von dem Geburtsorte des Knaben in Garnison befand; die armen beklagenswerten Judeneltern wußten und erfuhren nie mehr, wo sich ihre Kinder befinden, oder wo man sie suchen könnte, die Kinder blieben für die Eltern verloren, waren für sie tot; außerdem wurden fast alle, ehe sie ihren Bestimmungsort erreichten, getauft.

Nicht wenige taufte man bereits in Kiev, wofür sich besonders die Gemahlin des damaligen General-Gouverneurs Fürstin Katharina Aleksejevna Vasilčikov geborene Fürstin Ščerbakov interessierte.

Die schreiendste Ungerechtigkeit bei diesem Rekrutierungsvorgange bestand darin, daß bei fast allen Geburtsscheine aus den Matriken der Rabbiner fehlten und daß das Alter, wie ich schon früher erwähnte, nur nach dem äußeren Ansehen, nach Abschätzung, bestimmt wurde, wobei Täuschungen und Irrtümer nicht ausgeschlossen waren.

Zumeist wurden „beschworene Aussagen“ vorgelegt von sechs oder zwölf Juden, welche unter Eid bestätigten, ihnen sei sehr genau bekannt, daß dieser oder jener Schmule, Mordechai oder Wolf bereits zwanzig Jahre alt sei; auf Grund solcher Dokumente wurden sieben- bis achtjährige Kinder für zwölf- bis vierzehnjährige ausgegeben.

Solcher Fälle gab es unendlich viele!

Ja, es kam nicht selten vor, daß das eine Dutzend Söhne Israels, angeworben von dem Lieferanten der lebenden Ware, schworen, Jakob sei zwölf Jahre alt; ein zweites, von den Eltern des Kindes gemietetes Dutzend ebenfalls unter Eid aussagten, Jakob zähle nicht mehr wie höchstens sieben Jahre.

Ja, ein und dasselbe Dutzend Juden schworen sogar sowohl zu Gunsten des Lieferanten wie gleichzeitig zu Gunsten der Eltern desselben Kindes.

Es bildete sich, geradezu gesagt, eine Zunft, ein Klüngel von „Schwörern“, bestehend aus dem Abschaum des jüdischen Proletariates und Pöbels, wie solche sehr eingehend und wahrheitsgetreu der zur katholischen Kirche übergetretene ehemalige Rabbiner Bravmann schilderte.

Es waren das Banden ehrloser, gewissensloser, demoralisierter Juden, die stets einen Haufen von mehreren Mann bildend, die Straßen unsicher machten, herumvagierten unter dem Vorwande nach „Arbeit“ zu suchen, d. h. Leute zu finden, welche einen falschen Eid, falsche Zeugenschaft oder ähnliches benötigten.

Und dort, wo es was zu beschwören gab, sei es beim Pristav oder dem Rabbiner, welche sehr leicht bestochen werden konnten, wurde ohne Furcht und ohne Zagen der Name Jehovas ungestraft angerufen, mit seinem Namen manche Untat, manche Lüge und Unrecht zugedeckt.

Dieser Mißbrauch mit dem Namen Gottes war allgemein bekannt, aber ... die einmal von formaler Seite nicht anfechtbare Angelegenheit konnte den Lauf der Sache nicht aufhalten.

Es hatte Niemand Zeit, Lust noch Mittel sich des Schwachen vor dem Stärkeren anzunehmen, ihm zu raten, ihn zu verteidigen oder das Urteil darüber zu fällen, ob das, was vorlag, auch tatsächlich wahr, recht oder falsch sei.

Ja, ich sage offen: ich spürte in mir keine Lust etwas zu tun, weil ich in diesem Meere von Tränen und Seufzern, in welchem ich meine jungen Jahre zu verleben gezwungen war, alles bessere Gefühl verlor.

Wenn sich dann und wann ein schwaches Zeichen von Mitgefühl in meinem Herzen regte, so wurde dieses Gefühl sofort unterdrückt durch die Erkenntnis, diesem gräßlichen, herzzerreißenden Jammer der weinenden Mütter und Väter nicht abhelfen zu können.

Die sich täglich, ja stündlich wiederholenden unbeschreiblichen Szenen des menschlichen Jammers machten keinen Eindruck mehr auch auf das feinstfühlige Herz.

Die Gewohnheit ist ein großes Ungeheuer!

Und wie es keine Regel ohne Ausnahme gibt, so erscheint vor meinem geistigen Auge eine solche Ausnahme, weshalb ich den Fall erzählen will, welcher meiner Ansicht nach einen weichen und warmen Strahl von Licht auf eine Persönlichkeit wirft, die sich besonders durch ihre Weichherzigkeit, Mildtätigkeit Religiosität von allen anderen hohen Kirchenfürsten der russischen Kirche abhob und zwar den Mitropoliten in Kiev Filaret Amfiteatrov.

Möglicherweise werdet ihr Euch darüber wundern, was gemeinschaftliches der Mitropolit mit der Rekrutierung jüdischer Kinder hätte? — Für gewöhnlich wäre dieses auch leicht der Fall, aber hier liegt ein Ausnahmsfall vor, und dann ist das, was ich Euch erzählen werde, so wunderbar, so merkwürdig und bietet soviel Interesse, daß ich annehmen kann, ihr werdet mir bis zum Ende dieser nicht langen, aber wahren Geschichte aufmerksame Hörer bleiben.

Zweites Kapitel.

Ohne Rücksicht darauf, daß ich noch sehr jung war, hat mich Klučarev der Stellungskommission zugeteilt, wobei keine große Gesetzkenntnis noch allgemeine Bildung, aber eine große Arbeitskraft nötig waren.

Von Früh bis Abends, solange es das Tageslicht erlaubte (bei Licht wurden die Stellungspflichtigen nicht untersucht) zog sich die Rekrutierung hin und es war absolut unmöglich während dieser Zeit das Gebäude auch nur für ganz kurze Zeit zu verlassen oder die Klagen und Proteste gegen die Vorführung entgegen zu nehmen, die vorgeführten Leute zu klassifizieren, Erläuterungen oder Aufklärungen zu geben und Urteile zu fällen.

War die Tagesarbeit beendet, dann mußte an die noch weit wichtigere, dringendere und viel Zeit in Anspruch nehmende Arbeit geschritten werden, welche darin bestand, die Schriften und Dokumente für den folgenden Tag vorzubereiten.

Nicht genug daran, es mußten eingelangte Klagen und Beschwerden durchgesehen, Rechnungen mit den Aufträgen kontrolliert, Anweisungen auf Montierungen, auf Geld für Provisionen gegeben werden, abgesehen von unzähligen Quittungen und Bestätigungen auf oft ganz minimale Beträge.

Im höchsten Grade widerwärtig war das Lesen der ganze Berge bildenden Denuntiationen, Zuträgereien und der nicht selten höchst verwickelten Beschwerdeschriften.

Das Kanzleipersonal bestand aus Beamten, welche aus den verschiedenen Abteilungen hierher abkommandiert, nichts weiter, als die mechanische Arbeit des Abschreibens zu besorgen hatten.

Der Hauptanteil an der ganzen Arbeit, welche eine gewisse Fassungs- und Beurteilungsgabe verlangte, fiel mir zu als dem bestellten — Kanzleivorstande.

Für gewöhnlich wurde auf diesen verantwortlichen, schweren und nervenerschütternden Posten stets eine Person bestimmt, welche bereits jahrelang im Dienste stand, aber Klučarev wählte, ich weiß nicht aus welchem Grunde und welcher Berechnung, gerade mich aus, der ich doch erst einige Monate diente und — 21 Jahre alt war.

Es ist leicht einzusetzen und zu begreifen, welche Mühe es mir machte ein derartiges Amt in Ordnung zu halten, besonders unter einem viel verlangenden, strengen, ja sogar harten, rücksichtslosen Vorgesetzten, wie es eben Klučarev war.

Sein Nachfolger, der seelen- und herzensgute N. M. Kobilin, welcher den Klučarev ablöste, bestätigte mich in meinem Amte.

Schon anderthalb Monate vor Anfang der Rekrutierung fing das hastige und eilige Arbeiten an, da die Rekrutierungsbezirke und deren Reihenfolge bestimmt werden mußten; die eigentliche Stellung nahm mehr Zeit weg als die Vorarbeiten zu derselben, und erst nach Beendigung derselben, der Abgabe des Schlußberichtes und der Rechnungslegung konnte ich ein wenig freier aufatmen.

Während dieser Zeit lebte ich eigentlich kein menschliches Dasein; hatte keinen Augenblick freie Zeit mit alleiniger Ausnahme von anderthalb Stunden zum Mittagessen und es blieben mir kaum vier Stunden zum Schlafen, die übrige Zeit verschlang der Dienst.

Es ist daher einleuchtend, daß bei einem solchen Leben wenig Zeit übrig geblieben ist, um sich für fremdes Leid interessieren zu können und mit fremden Leuten fremdes Leid zu beweinen. —

Zu jener Zeit an einem Tage, welcher mir nichts Angenehmes brachte, saß ich Abends hinter dem Schreibtisch in meiner Kanzlei und las die eingegangenen Aktenstücke, Beschwerden und Klagen.

Es waren ihrer keine geringe Zahl; fast alle enthielten eines und dasselbe: Klagen und Bitten, ja sie waren fast alle nach einer und derselben Schablone, fast mit denselben gleichen Worten verfaßt.

Mit einemmale fällt in meine Hand ein Blatt außergewöhnlich schlechten Papiers, zerknüllt, weshalb ich auf dasselbe aufmerksam wurde.

Von diesem Blatte Papier und dem, was auf demselben geschrieben stand, wehte eine so große Angst, Qual und Herzensleid, soviel Kummer und Sorge, daß man dasselbe nicht achtlos aus den Händen legen konnte.

Der Blick auf dieses Papier erinnerte an jene Bettler, bei welchen die Not und das Elend aus jedem Flicken, jedem Riß an den Kleidern, ja sogar aus den Augen blickt.

Obzwar ich — aufrichtig gesagt — den Klagen keine große Aufmerksamkeit für gewöhnlich zu schenken pflegte, fühlte ich hier eine nicht zu überwindende Notwendigkeit auf den Inhalt des Geschriebenen näher einzugehen und denselben aufmerksam durchzulesen; ich fand jedoch, daß dies fast unmöglich sei.

Vorerst war es schwierig zu bestimmen, in welcher Sprache das Bittgesuch eigentlich geschrieben sei; ja sogar die Buchstaben gehörten nicht einem und demselben Alphabet an.

Es standen hier russische und polnische Wörter in den betreffenden Schriftzeichen geschrieben nebeneinander, hie und da stand ein Wort, nicht selten sogar ganze Sätze in hebräischen Buchstaben unter den anderen.

Die Bittschrift war etwa in der Art und Weise verfaßt, wie jene der Gogol’schen Kaufleute an den „Herrn Finanzew Chlestakov“; es fanden sich hier einzelne Wörter aus dem allerhöchsten Titel, der Name des Präsidenten, der Bart des General-Gouverneurs, Ober-Hochehrwürden und „Flügertorčakov“[4] und „wenn Gott errette“ — mit einem Worte, aus dem ganzen war zu ersehen, der Bittsteller klage bei allen weltlichen und geistlichen Gerichten der ganzen Welt, doch war die Bittschrift derartig verfaßt, daß man dieselbe, unter anderen Verhältnissen, als eine Scherz- oder Spotteingabe angesehen und einfach in den Papierkorb geworfen hätte.

Und dennoch blickte aus allem diesen soviel Elend, Kummer, Sorge, Herzensleid, Angst heraus, daß der Bittsteller einem leid tat.

Statt dieses Bittgesuch, wie es sich gebührt hätte, wegen Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Form einfach in den Papierkorb zu werfen, unternahm ich nochmals den Versuch dasselbe aufmerksam zu lesen.

Der Unsinn in der Aufschrift war nichts im Vergleiche zum Unsinn im Texte, dafür wehte aus diesem Unsinn erkennbar ein Weheruf, ein Schrei der Verzweiflung.

In schwer begreiflichen Ausdrücken, aus welchen sich der Sinn äußerst schwierig herauslesen ließ, brachte Bittsteller folgendes zur Anzeige: Er sei Introligator, d. h. Buchbinder; sein Handwerk bringe es mit sich, sich mit verschiedenartigen Büchern beschäftigen zu müssen, in folge dessen habe er verschiedene Lehren und Weisheiten über Gott und Religion sich angeeignet.

Diese Aneignung, dieses Wissen habe ihn nicht nur bei seinen Glaubensgenossen, sondern auch bei den „Kahal“ selbst in Ungnade und Mißkredit gebracht, weshalb letztere in einer Nacht in seine Hütte eindrangen, seinen zehnjährigen Sohn aus dem Bette rissen, ihn raubten, um ihn auf den Stellungsplatz nach Kiev zu bringen.

Der Introligator war tatsächlich von der Stellungspflicht befreit, sein Sohn besaß noch nicht das vorgeschriebene Alter; außerdem lag dem Bittgesuche eine eidlich abgegebene Aussage bei, in welcher bestätigt wurde, daß der vom „Kahal“ geraubte Knabe erst sieben Jahre alt sei.

Andererseits legte der „Kahal“ ebenfalls eine unter Eid abgegebene Aussage vor, in welcher der Knabe des Buchbinders als bereits zwölfjährig angegeben wurde.

Der Introligator fühlte augenscheinlich, daß die Wahrheit durch die Lüge erdrückt wird, daß er sich auf Erfolg in diesem ungleichen Kampfe keine Hoffnung machen könne, weshalb er in zu Herzen gehenden, ergreifenden Worten bat, wenigstens einen Tag noch zu warten, ehe man seinen Sohn zur Stellung vorführe, da er einen Ersatzmann, einen zwanzig Jahre alten Juden, an Stelle seines Knaben stellen werde; er schicke seine Bittschrift mittels Post voraus, fahre aber mit dem Ersatzmann nach.


[4] Flügertorčakov sollte andeuten „Flügeladjutant Čertkov“.

Drittes Kapitel.

Nach der bei uns bestehenden Gepflogenheit bedeutete diese Eingabe gar nichts, um so mehr, als der Introligator mit seinem Ersatzmann noch gar nicht in Kiev war, während der Knabe sich bereits an Ort und Stelle befand und für morgen schon zur Stellung bestimmt war.

War derselbe gesund und kräftig gebaut, zeigte er sich dem äußeren Ansehen nach zwölfjährig, so war sein Schicksal besiegelt und klar: er wurde assentiert, geschoren und in ein Regiment, welches weit, weit im Norden vielleicht gar in Sibirien garnisoniert, gesteckt.

Deshalb legte ich die Bittschrift des Introligators, nachdem ich an derselben die nötige Bemerkung machte, bei Seite.

Mehr konnte ich nicht tun.

So verging in voller Tätigkeit eine Stunde, eine zweite, dritte; — mir ging der arme, belesene Introligator nicht aus dem Sinn.

Ich stellte mir vor: wie er morgen Früh hier anstürmt, sein Kind jedoch bereits als assentiert in der Kaserne findet, wohin man sehr leicht hinein-, schwer aber herausgelassen wird.

Mir tat der arme Jude mehr und mehr leid, denn seine Bittschrift zeigte trotz ihrer Eigentümlichkeit, daß der Buchbinder für die damalige Zeit eine ziemlich große allgemeine Bildung besitzen müsse, hinter welcher sich zwar die alte — doch stets neu bleibende — Geschichte von der Judenverfolgung offenbarte.

Man konnte daraus sehen, daß ein, von der Natur mit klarem Verstande begabter Mensch, der sich bemühte ein wenig sich zu bilden und seinen Gesichtskreis zu erweitern, ohne sich seinem Glauben zu entfremden oder ihn zu verleugnen, sobald er sich seine eigene Ansichten über den Geist der Gesetze mache und nicht nach dem Buchstaben desselben lebe, von den Stammesgenossen sofort zu den „gefährlichen Freigeistern“, den „Abtrünnigen, Neuerern“ gezählt und von den phariseischen Talmudisten zu Grunde gerichtet wird, die sich vornehmen ihn von der Erde verschwinden zu lassen.

Wäre der Introligator reich, würde er Schweinebraten und Würste essen, würde er vollständig vergessen, daß es überhaupt einen Jehova und dessen Gesetze gäbe, aber würde er die Kreise der Talmudisten und deren Lügenmoral nicht stören — so hätte dieses gar nichts zu bedeuten — man würde ihn in der Gemeinde nach wie vor dulden, möglicherweise ehren und verteidigen; aber da zeigt sich auf einmal etwas kleines, unbedeutendes, eine Art Geistesfreiheit, ein Freisinn, welchen die orthodoxe Judenschaft nicht dulden will, noch vertragen kann.

Achtzehn Jahrhunderte konnten an dieser Geschichte nichts ändern.

Einem oder dem andern kann es möglicherweise eigentümlich vorkommen, warum ich den Worten des Introligators eine solche Bedeutung beilege, der durch das ihn betroffene Unglück leicht den Glauben erwecken konnte, er werde seiner religiösen Ansichten wegen von den anderen Juden verfolgt.

Ich sehe dies ein; wenn dieser Fall zu jetziger Zeit sich ereignen würde, so möchte ich selbst einen derartigen Vorfall für sehr verdächtig halten und ansehen; aber zu jener Zeit, in welcher meine Geschichte ihren Anfang und ihr Ende nahm, war an so etwas, als „Freiheit des Geistes, oder der Meinungen“ gar nicht zu denken; darüber hatten sich damals selbst solche Leute keine Ansichten gemacht, welche in weit günstigeren und besseren Verhältnissen standen als der Jude, dessen Knaben man aus dem Bette raubte.

Dem Juden konnte es gar nicht in den Kopf kommen, mit Liberalismus und Freigeisterei glänzen zu wollen, da ihm diese mehr Schaden wie Nutzen bringen konnten, was doch seinen Berechnungen nicht entsprechen konnte.

Ich mußte deshalb aus den über Religion im Bittgesuche gebrauchten Worten und Sätzen den Schluß ziehen, daß dieselben tatsächlich wahrer und tiefer, überzeugungsvoller Religiosität entstammen und aus reinem Herzen kommen.

Ich wiederhole: mir tat der arme Jude leid!

Ich fasste den Gedanken, demselben, so weit es in meiner Macht stand und es meine Kräfte erlaubten, behilflich zu sein.

Ich nahm mir vor, noch spät Abends, nach beendigten täglichen Geschäften, im „Englischen Hof“, wo der zur Rekrutierung kommandierte Flügeladjutant wohnte, vorzufahren und ihn zu bitten, dem Juden seine Hilfe angedeihen zu lassen und die für morgen bestimmte Stellung auf übermorgen zu verschieben, wodurch ein Tag zu Gunsten des Juden gewonnen worden wäre.

Obzwar sich die zur Stellungskommission kommandierten Flügeladjutanten in die Anordnungen der Kommission nicht einzumischen pflegten, so wurden doch ihre Wünsche stets mehr oder weniger beachtet.

Meine Absicht kam jedoch nicht zur Ausführung, denn früher, ehe es dazu kam, hatte die unglückselige Angelegenheit eine solche Wendung genommen und wurde mit einemmale so schwierig, daß der Knabe nur durch ein Wunder gerettet und seinem Vater zurückgegeben werden konnte.

Und dieses Wunder ereignete sich, es fand statt!

Die scheinbar aufsteigenden Schwierigkeiten wurden auf eine einfache und leichte Art überwunden, Dank einem „Engel im Menschenkleide“, für welchen die Mehrzahl der Einwohnerschaft in Kiev den damaligen Mitropoliten Filaret hielt.

Er wurde in diese Judenangelegenheit ohne seinen Willen einbezogen und stürzte die ganze jüdische List und Falschheit sowie die ungerechte buchstäbliche Anwendung des Gesetzes um, einzig und allein durch das ebenso geistvolle wie menschenfreundliche „Urteil Seiner Eminenz“!

Viertes Kapitel.

Es war bereits nahe an Mitternacht, als mich ein ziemlich großes Geräusch und lautes Gerede in meiner Arbeit zu stören begann; es schien mir, als wenn in dem neben meinem Arbeitszimmer gelegenen Saale irgend ein heftiger Streit zwischen den dort befindlichen Beamten entstanden wäre.

Derartige Ungehörigkeiten waren nichts seltenes; ich als junger Anfänger in der Beamtenlaufbahn, obzwar Kanzleivorstand, genoß nicht jene Achtung und besaß nicht das Ansehen wie bereits älter gediente Leute; meine Untergebenen fürchteten mich nicht und schenkten mir auch wenig Beachtung und nahmen auf mich keine Rücksichten.

Was die Subordination anbelangt, so konnte man nach dieser Richtung hin mit den altgedienten, mit Medaillen, Schnallen oder dem Stanislaus-Orden dekorierten Titularräten besser auskommen, wie mit den jungen Beamten.

Obzwar mich, beziehungsweise meine Kenntnisse, die Altgedienten nicht gerade sehr hoch schätzten und mir keine große Achtung als einem noch nicht „flügge gewordenen Jungen“, welchen, ihrer Ansicht nach, der Präsident ihnen zum Ärger, ohne Rücksicht auf ihr Alter, Dienstzeit, Solidität auf den Hals hetzte, entgegenbrachten, so machten sie dennoch die ihnen zugewiesene Arbeit ohne Lärm und Geschrei, Zank und Hader fertig, während die Jungen ebenfalls ihre Aufgabe fertig brachten, wobei es jedoch nicht ohne Lärm abging.

Es kam fast täglich vor, daß sie einen oder den anderen der Titularräte hänselten und sich über ihn lustig machten.

Als fast tägliche Zielscheibe ihres Spottes und fauler Witze diente ein Titularrat Namens Gregor Ivanovič Salko, ein großer Sonderling, der seine erste Ausbildung von einem Diakon erhielt und seine Beamtenlaufbahn unter einem ehemaligen Diakon begann, worauf er außerordentlich stolz war.

Er war für das frühere Kanzleiregiment eingenommen und konnte sich mit Neuerungen nicht befreunden.

Er gab gewöhnlich ganz seltsame, originelle Ratschläge, welche sehr stark an des Diakons Weisheit erinnerten.

So z. B. erinnere ich mich, daß als ich einmal vor Müdigkeit und schlaflosen Nächten meine Augen kaum mehr offen halten konnte, er mir sagte:

„Machen Sie es so, wie es mich mein alter Diakon lehrte; nehmen Sie aus meiner Dose eine Prise Tabak, der wird ihre Augen öffnen und den Schlaf verjagen. — Zu jener Zeit, als noch wirklich Dienst gemacht wurde ... Sie waren noch lange nicht auf der Welt ... haben wir dieses Mittel stets alle benützt.“

Dieser und auch die anderen älteren Herren wurden von der übermütigen Jugend sehr oft geneckt und nicht selten aus ihrer Ruhe und Geduld gebracht, wobei mitunter aus dem Spaß großer Ernst wurde, der sehr oft bis zum Handgemenge überging.

Die Zeit, wo derartiges vorkommen konnte, ist noch nicht so ferne, aber scheint der jetzigen Nachfolge fast unglaublich.

Das Geräusch vernehmend, glaubte ich annehmen zu können, daß die Jugend wieder einmal einen der Titularräte hänsele und daß es schließlich zu einem kleinen Handgemenge gekommen, welches gewöhnlich zu allgemeiner Zufriedenheit unter heftigem, weit schallenden Lachausbruche endete.

Doch diesesmal schien etwas Außergewöhnliches vorgefallen zu sein, denn ich hörte, daß meine ganze „Bande“ auf einmal aus der Kanzlei verschwand; es wurde darin ganz stille.

Ich stand auf, um nachzusehen, was vorgehe.

Der große Saal war leer; Kerzen brannten auf den Tischen; nur in einer Ecke saß unbeweglich hinter seinem Tische, wie eine Mumie, der Senior meiner Titularräte, der Nestor der Kiever Kanzleien — Platon Ivanovič Dolinskij, welcher den Vladimirorden für fünfunddreißigjährige tadellose Dienstzeit besaß.

Dieser unser Senior war außergewöhnlich groß, mager, weißhaarig, ein Kleinrusse (Chochol), sehr unnahbar, sich für eine wichtige Persönlichkeit haltend.

Er stand nie ohne besondere Notwendigkeit oder Veranlassung von seinem Sitze auf, sprach mit Niemanden und wenn ja — dann nur um diesen auszuschimpfen, wobei er sich ausschließlich des Chochol-Dialektes bediente.

Sowie er mich erblickte, sah er über seine in Kupferdraht gefaßten Augengläser hinweg auf mich, zog seine Stirne kraus und fing an zu schelten:

„Wie kommt es, daß Sie nicht bemerken, was hier vorgeht? — Sie sehen, alle sind fortgelaufen, um einen ruppigen Juden in Augenschein zu nehmen. — Sie wollen Kanzleivorstand sein? Schämen Sie sich! — Gehen Sie doch hinaus auf den Korridor und jagen Sie alle hierher zu ihrer Arbeit.“

„Was für ein Jude hat sich hierher verirrt?“ frug ich.

„Der Teufel weiß, von wo er gekommen! Er ist noch immer hier und wälzt sich auf dem Korridor herum.“

Ich nahm den Leuchter von einem Tisch und ging in den Gang.

Hier in dem breiten, nur schwach beleuchteten Gange standen alle meine Beamten, einen dichten Kreis bildend, und betrachteten, einer dem anderen über die Achsel schauend, einen in der Mitte des Kreises stehenden Menschen, der mit verzweiflungsvoller, klagender Stimme im gemeinsten jüdischen Jargon sich hören ließ:

„Ai! wai! — Lassen sie mich, lassen sie ... Ui! ai, ai, ai, wai, lassen sie! ... Ai, lassen sie mich, ich habe keine Zeit, denn, dort — dort bei der Kirche ... lief er weg ... Ai! Herr Metropolit, Herr Metropolit ... ai, ai, wai, Herr Metropolit ... wann werdet ihr alter Mann ... ai, wai! ... wann werdet ihr an Gott glauben ... ai! ... was wird das werden! ... ai! lassen sie mich ... ai! ai!“

„Wohin sollen wir Dich, krätziger Jude, lassen?“ unterbrach der diensttuende Soldat Aleksejev den Jammernden.

„Dorthin ... Gewalt ... ich weiß nicht, wohin ... wer an Gott glaubt ... Lassen sie mich ... Oh! ich armer unglücklicher Jude ... Was macht es ihnen für ein Vergnügen mich zu quälen ... mich zu ängstigen ... ich bin so genug bereits abgeplagt und abgehetzt ... um Gotteswillen, lassen sie mich ...“

„Wohin führt Dich der Teufel, zu wem willst Du denn hin? ... wohin willst Du?“

„Ai! ... lassen sie mich bloß ... ich gehe ... bei Gott! ich gehe ... doch weiß ich nicht, wohin ich gehe ... mir ist nötig zum Herrn Metropoliten selbst ...“

„Ach! Du dummer Jude, Du! sitzt denn ein solcher Herr hier!“ räsonierte der Soldat.

„Ach! ... wo ... wo ... ich weiß nicht, wo der Herr Metropolit sitzt, wo bei ihm anzuklopfen ... Mir ist er sehr nötig, mir ist er gewaltig nötig!“ schrie verzweiflungsvoll und dabei sich krümmend der Jude.

„Wenig ist dir ’was nötig; glaubst Du, Du krätziger Jude, daß sie Dich beim Mitropoliten vorlassen?“

Der Jude heulte noch mehr auf.

„Ach! ... mir ist der Metropolit nötig ... mich ... mich lassen sie nicht zum Metropoliten ... Verfallen, verloren ist mein Kind, mein armes, unglückliches Kind!“

Er ließ plötzlich einen so herzbrechend traurig-wehmütigen Klagelaut ertönen, daß alle plötzlich stumm zurückwichen. Der Soldat drückte ihm mit der Hand den Mund zu, aber der Jude befreite sein Gesicht von derselben und fing von neuem in der üblichen jüdischen Synagogenvibration zu flehen an:

„Oi Jeschu! Jeschu Hanozri! Sie wollen dich betrügen ... nehme nicht den Laidak, den Mischiginer, den Lumpen ... Oi, Jeschu, zu was ist Dir ein solcher Heide ...“

Sowie ich hörte, daß der Jude den Namen unseres Heilandes anrufe, zerteilte ich mit der Hand den vor mir stehenden Haufen.

Vor mir sah ich eine Gruppe, welche mich lebhaft an jene mit dem Teufel des Rafael’schen Gemäldes „Verklärung Christi“, allgemein bekannt durch den Jordan’schen Stich, erinnerte.

Ein nicht mehr junger Jude, jedoch unbestimmbaren Alters, ganz naß, in angefrorenen Lumpen, aber mit vom Schweiße feuchtem Gesicht, mit an die Stirne angeklebten schwarzen Haaren, unstet rollenden Augen, in welchen Schreck, hoffnungslose Verzweiflung, Schmerz, neben unbegrenzter leidenschaftlicher Liebe und Selbstentsagung, die keine Grenzen kennt, zu lesen waren.

Am Kragen seines zerlumpten Rockes und an den Armen wurde er von zwei kräftigen Soldaten gehalten, unter deren Händen er sich krampfhaft wand, sich bald wie ein Igel zusammenziehend oder gleich einer Schlange sich windend, doch immer sich bemühend, sich frei zu machen von den ihn festhaltenden Eisenfäusten der Soldaten.

Dieser Ausbruch der fürchterlichen Verzweiflung, das stätig sich wiederholende „wer an Gott glaubt“, das ich einige Minuten vorher in der Bittschrift las, schienen mir in einigem Zusammenhange zu stehen.

Mir kam in den Sinn, ob ich nicht den Introligator vor mir zu stehen habe?

Aber wie konnte derselbe so rasch hinter seiner Bittschrift nachkommen und nicht erfroren sein in diesem schauderhaft zerlumpten leichten Röckchen; und schließlich, was wünschte er? was ist ihm nötig, daß er in seiner verzweiflungsvollen Art ohne Unterlaß den Mitropoliten und Jehoschua Hanozri anruft?

Vielleicht hat er den Verstand verloren?

Um dem häßlichen Auftritte ein Ende zu machen, gab ich den Soldaten mit der Hand ein Zeichen und bemerkte: „Laßt ihn los!“

Kaum hatten diese ihre Hände von ihm zurückgezogen, als der „närrische Jude“ einen Sprung nach vorwärts machte, wie eine Katze, welche in einem dunklen Schranke eingesperrt, plötzlich, durch Aufmachen der Türe, freigelassen wird.

Die Beamten, einige lachend, andere erschrocken, stoben auseinander, gleich Erbsen, welche man aus einem Sacke auf die Erde schüttet; während der Jude wie ein junges Zicklein herumsprang.

Er lief von einer Tür zur anderen, wollte in ein verschlossenes Zimmer eindringen, das zu einer anderen Abteilung gehörte, und alles dieses tat er unter Wehklagen, Heulen, Seufzen, Schreien ai! ai! und alles mit einer solchen Geschwindigkeit, daß man ihm gar nicht folgen konnte.

Wie er in unsere Abteilung gelangen und sich in einem Winkel verstecken konnte, war fast unbegreiflich.

Man sah ihn nicht, doch hörte man sein unregelmäßiges heftiges schweres Atmen, das Klappern seiner Zähne; ihn selbst sah man nicht; es schien, als wenn ihn die Erde verschlungen hätte; er zittert, klappert, atmet unter dem Boden, wie der Schatten Hamlets.

Fünftes Kapitel.

Einige Minuten später entdeckte ich ihn; er saß zusammengekauert auf dem Boden unter meinem Tisch; klammerte sich fest mit den Händen an den Fuß desselben und zwischen den Zähnen hielt er den Rand des roten Tuches, mit welchem derselbe bedeckt war, fest.

Er fühlte sich jedenfalls so sicher hier, wie im Schoße Abrahams.

Er war entschlossen unter allen Umständen hier zu bleiben, und er hätte sich gewiß lieber seine halberfrorenen Finger abhauen lassen, ehe er den Tischfuß, den dieselben umklammerten, freigegeben hätte.

Der Soldat mühte sich ab ihn unter dem Tische wegzuziehen, umsonst: der große schwere Tisch zitterte und wurde gehoben, aber der Jude ließ nicht nach und war nicht wegzubringen, wobei er ohne Unterlaß schrie und klagte.

Mir war dieses alles höchst widerwärtig und ich befahl schließlich den Juden in Ruhe zu lassen, schickte jedoch nach einem Arzte, dessen Hilfe sich indes als unnötig erwies.

Sowie Ruhe eingetreten und ich mich mit ihm allein im Zimmer befand, wurde der Jude still, fing an sich zu rühren und seine Taschen durchzusuchen; eine Minute später schlich er sich langsam, wie ein Wolf im Käfig, zu meinem Tische und legte auf denselben einen Stoß von Papieren, eingewickelt in starkes weiches Umschlagpapier, das von einer, abscheulich nach Nelken riechenden eiterartigen Flüssigkeit durchtränkt war.

Ich muß zu meinem Leidwesen eingestehen, daß ich mich ekelte, diese Papiere in die Hand zu nehmen und sie aufzumachen.

Dieselben enthielten, wie es sich später ergab, nichts anderes als Verträge, welche der Introligator für Rechnung seines Sohnes gemacht hat.

Sohin blieb kein Zweifel übrig, daß dieser Mann Niemand anderer sei, als jener Jude, dessen Bittschrift noch einige Stunden vorher ein so großes Interesse bei mir erregte, daß ich sogar entschlossen war, für denselben einzutreten.

Wir waren uns also bereits näher bekannt.

Ich schickte den Juden nicht weg, sondern ließ ihn ruhig in der Stube sitzen in einer Lage, die ihm die bequemste schien und die er sich selbst gewählt hatte; mit gewohntem Blick überlas ich schnell die übelriechenden Papiere und fand, daß sie alle formgemäß in Ordnung seien, so daß der gemietete Ersatzmann, ein zweiundzwanzig Jahre alter Jude, an Stelle seines Sohnes ohne Anstand zur Stellung zugelassen werden kann, um so eher, als der bedungene Betrag von ein hundert Rubel demselben bereits voll und ganz zugezählt worden war.

Alle Dokumente waren in Ordnung; worin bestand dann das Unglück dieses Menschen? weswegen diese fürchterliche, qualvolle Aufregung, Angst und Verzweiflung, welche ihn fast zum Wahnsinn brachte?

Doch die Not war da, sie war fürchterlich, nicht abwehrbar; der Introligator begriff sie in ihrer ganzen verhängnisvollen Bedeutung.

Der vom Introligator angeworbene Ersatzmann war ein junger, noch nicht großjähriger Jude — gesetzmäßig konnten nur großjährige angeworben werden — aber ein sehr großer Spitzbube.

Er führte mit dem armen Stammesgenossen eine ganz niederträchtig listige, jedoch den Introligator zu Grunde richtende Geschichte auf, so genau berechnet und auf den Buchstaben des Gesetzes aufgebaut, daß gegen dieselbe in formeller Hinsicht nichts gemacht werden konnte.

Weder mir noch dem Introligator kam es in den Sinn eine Persönlichkeit für diese Angelegenheit zu interessieren, welche in der Lage gewesen wäre, durch einen Machtspruch den gordischen Knoten dieser Geschichte durchzuhauen.

Auch ist es mir nicht eingefallen, mich an jene wahrhaft fromme, herzensgute Persönlichkeit zu wenden, welche einen Rechtsspruch fällen konnte, „nicht von dieser Welt“ — eine Entscheidung, nach welcher den weltlichen Richtern nichts anderes übrig blieb, als nur das Urteil des barmherzigen Richters in Ausführung zu bringen, welches derselbe fällte behufs Beseitigung jener jüdischen ränkevollen Ungerechtigkeit, die sanktioniert werden sollte durch den Übertritt zum katholischen Glauben.

Sechstes Kapitel.

Nach dem Gesetze konnte ein stellungspflichtiger Jude nur wieder durch einen Juden ersetzt werden; Christen waren in diesen Fällen völlig ausgeschlossen.

Dadurch erklärt es sich, daß es außerordentlich schwierig war einen Juden als Ersatzmann zu finden, ja es war fast ausgeschlossen, daß sich überhaupt ein Jude zu diesem Zwecke selbst angeboten hätte.

Liebten die Rechtgläubigen den Soldatenstand nicht und trachteten sie, den Dienst nicht ableisten zu müssen, so lief überhaupt der Jude demselben aus dem Wege und durch gute Worte oder einfaches Mieten lockte man ihn schon überhaupt gar nicht.

Im übrigen waren die Vorteile, welche der angeworbene Jude für die ihm angebotene Summe von drei bis vier hundert Rubel gewann, gar zu unbedeutend, da jedes Jüdchen, wenn es von Natur aus nicht gar zu stiefmütterlich behandelt ist, einen solchen Betrag leicht und ohne jede Gefahr und große Mühe auf leichtere Art erwerben kann.

Und die von der Natur stiefmütterlich behandelten eigneten sich überhaupt zum Militärdienst nicht.

Derjenige, welcher einen Ersatzmann suchte, konnte denselben nur in jenen Sphären finden, und unter Leuten, welche heimatlos waren, einen liederlichen Lebenswandel führten und durch ihre Aufnahme beim Militär einer schweren Strafe entgehen wollten.

Derartige Leute fanden sich unter den Juden äußerst selten, sie waren geradezu — weiße Raben.

Dem Introligator gelang es jedoch — zu seinem Glück, oder besser sei es gesagt, Unglück — einen solchen „weißen Raben“, eine Seltenheit zu finden.

Was war das für ein Mensch?

Es war dies in seiner Art ein großer traditioneller jüdischer Geschäftsmacher, welcher im Mietsvertrage die Angelegenheit so zu drehen verstand, daß er nicht nur seinen Nächsten — die ihn mietenden Juden — vollständig zu Grunde richtete, sondern auch den Glauben profanierte und dem Gesetze selbst eine Nase drehte.

Und was die Angelegenheit noch interessanter machte war, daß er dieses alles unter den Augen und Mithilfe einer hochstehenden Persönlichkeit durchführen und eine neue, bis dahin nicht bekannte, aber außerordentlich günstige Art, sich über den katholischen Glauben und das Gesetz lustig zu machen, einführen wollte.

Dieser Lump war ein Damenschneider-Gehilfe des Meisters Davidek, welcher zu jener Zeit für Kiev das war, was Worth für Paris, ein Schneider für die „elegante Welt“.

Wegen Ungehörigkeiten jagte Davidek den Gesellen davon und die Polizei wies ihn aus.

Ohne Beschäftigung strolchte und bettelte der Geselle aus einer Stadt der „goldenen Ukraina“ in die andere, fiel schließlich in die Hände des Introligators zu jener Zeit, als dieser den heftigsten Kampf um sein geraubtes Kind kämpfte; der Vertrag wurde beschlossen, nicht aber einfach geschlossen, wie dies bei getauften Leuten der Fall zu sein pflegt, sondern mit in voraus berechneter böser Absicht, mit Hintergedanken, welche jedoch der Schneider solange für sich geheim hielt, bis sich ihm Gelegenheit bot offen zu handeln.

Das Nichteinhalten derartiger Verträge, war nichts seltenes, da diese gewöhnlich ohne Mitwirkung der Gerichte errichtet, deshalb meistenteils Formfehler besaßen, die im vorkommenden Falle das Dokument ungültig machten — derartige Umgehung der Gesetze lag im Blute der Juden, welche ohne sie nicht leben konnten.

Der Introligator, welcher sich in höchster Aufregung befand, um so mehr als die Angelegenheit keinen Aufschub erlaubte, sondern ein rasches Handeln forderte, mußte in alle Forderungen seines Mietlings einwilligen.

Er verkaufte sofort um zwei hundert Rubel sein Häuschen mit allem Zubehör und für drei hundert Rubel verpflichtete er sich bei einem reichen Juden jahrelang zu arbeiten.

Mit einem Wort, er war gebunden an Händen und Füßen, nach allen Seiten hin, während der angeworbene Schneider drei hundert Rubel in die Hand ausgezahlt erhielt, ohne einen Gegendienst geleistet zu haben.

In aller Eile wurden die nötigen Dokumente aufgeschrieben und der Introligator schickte mittels Post jenes Bittgesuch ab, dessen ich bereits früher erwähnte; er selbst folgte mit dem angeworbenen Manne und den übrigen Dokumenten nach.

Nun aber brach erst das Unglück über den Mieter herein.

Nur bis zur Unterschrift und Annahme des Geldes konnte es der Angeworbene kommen lassen, weiter gehen konnte und durfte er nicht, wenn er seine Freiheit bewahren wollte; er durfte deshalb seine Karten nicht aufdecken.

In der unmittelbarsten Nähe von Kiev verschwand er plötzlich aus der jüdischen Herberge.

Als der Jude bis zu dieser Stelle in seiner Erzählung kam, da heulte er auf und verlor fast völlig die Sprache, so daß er nur mit schwerer Anstrengung das Ende der Geschichte erzählen konnte.

Während der Zeit, als der Introligator über den Ankauf von Lebensmitteln handelte, was überhaupt nur wenige Minuten in Anspruch nahm, verlor er den angeworbenen Ersatzmann aus dem Gesichte, während dem lief der Schneider zu dem gegenüber der Herberge wohnenden Balagul,[5] mietete, ohne zu handeln, einen Viererzug junger, leichter Pferde und und fuhr mit aller Geschwindigkeit nach Kiev um — sich taufen zu lassen.

Ein fürchterlicherer Schlag konnte den Introligator nicht treffen, als das Verschwinden des angeworbenen Schneiders, denn durch dessen Flucht wurden nicht allein seine Hoffnung, sondern auch seine Pläne zerstört; er war bestohlen, betrogen, und wie man zu sagen pflegt, ihm wurde die Gurgel ohne Messer durchgeschnitten.

Sein Kind ging ihm verloren, ebenso wie ihm sein geringes Hab und Gut verloren gegangen, denn schon die Äußerung des Wunsches sich taufen zu lassen, hob alle mit dem Introligator abgeschlossenen Verträge auf; der Schneider wurde seiner übernommenen Verpflichtung, sich an Stelle des Knaben anwerben zu lassen los und ledig; der Wunsch sich taufen zu lassen, setzte jeden Juden, so auch den Schneider, unter den besonderen Schutz orthodoxer Gesetze.

Es war mir klar, daß in dieser Angelegenheit jeder Versuch einer Einmischung vollständig aussichtslos ist; ich konnte sehr leicht den grenzlosen Schmerz und die Qualen des Erzählers dieser traurigen Geschichte begreifen, aber ich sah auch weiter ein, daß hier, wer es auch sein mag, keine Hilfe bringen und keine Änderung zu Gunsten des Juden hervorzurufen vermag.

In dieser Angelegenheit gab es noch andere Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden und zu entfernen, welche nur jener begreifen konnte, der den höheren gesellschaftlichen Kreisen nicht ganz ferne stand.

Der Introligator teilte mir weinend mit — wobei er seinen Lapserdack[6] zerriß — daß er den Schneider lange in „Weißkirchen“ gesucht habe.

In Begleitung von verschiedenen Mischurisamen eine jüdische Herberge nach der anderen nach seinem Flüchtling absuchend, wobei ihm absichtlich falsche Angaben gemacht wurden, verlor er unnütz in dieser Weise einen ganzen Tag.

Erst als der Introligator Kiev erreichte, verfiel er auf die mit dem Fuchsschwanze weggefegte Wolfspur des Chabar, welcher gemütlich hinter den Klostermauern saß und sich zur Taufe vorbereitete.

Es lag klar zu Tage, der Spitzbube hatte die Absicht seinen Kontrahenten ungestraft zu betrügen und zu Grunde zu richten, das Mittel zur Erreichung des Zweckes sollte die Taufe sein.

Um dem Schneider gegenüber den Beweis zu führen, daß durch den Übertritt zum Katholizismus der Taufakt der Kirche nur mißbraucht und profaniert werde, dafür hatte man keine Beweise an der Hand.

Außerdem war Recht und Gesetz an der Seite dieses „Katechumen“, der noch weiter unterstützt wurde durch mächtige Personen, welche zu jener Zeit mehr galten als das Gesetz selbst.

Der schlaue Jude, welcher ein Jahr lang bei dem Kiever Wirt arbeitete, eignete sich einige Kenntnisse über den Einfluß und die Schwächen einiger hochgestellten Personen in Kiev an, welche in Folge ihrer amtlichen oder gesellschaftlichen Stellung große Macht besaßen.

Eine solche mächtige und einflußreiche Persönlichkeit war die Gemahlin des damaligen General-Gouverneurs Fürsten Hilarion Hilarionovič Vasilčikov, Fürstin Katharina Aleksejevna (geborene Fürstin Ščerbakov), derer ich bereits früher erwähnte.

Sie war zu jener Zeit für die Ausbreitung des Christentums so sehr eingenommen daß sie sich viele Mühe gab, dasselbe durch den Übertritt Andersgläubiger zu mehren.

Wie es aber in der Mehrzahl derartiger Fälle, Vorsätze und Einrichtungen vorzukommen pflegt, namentlich wenn sie von Damen der hohen Aristokratie und sonstigen Damen der eleganten Welt begonnen und poussiert werden, ist das Resultat ein außerordentlich klägliches; es fehlt an dem nötigen Ernst, praktischer Erfahrung, andauernder Tätigkeit, ohne welche alle derartigen Unternehmungen stets mehr Schaden als Nutzen bringen.

Es ist dies etwas Verhängnisvolles, eine Art Ironie des Schicksals!

Die Religiosität der Fürstin äußerte sich in anderer Weise als bei den jetzt lebenden Damen der höheren Gesellschaftskreise, welche den inneren Glauben nach außen sichtbar machen wollen ohne viel Opfer, Einschränkung und sonstige Änderungen ihrer Gewohnheiten bringen zu müssen; die Religiosität der Fürstin Katharina Aleksejevna war anderer Art, sie war kennbar an ihren Taten, so daß eigentlich der Verfasser des sehr lehrreichen und interessanten Buches „Versuch über Einkommen und Eigentum unserer Klöster“ jedenfalls verpflichtet gewesen wäre, der Fürstin, als Förderin des Wohlstandes der Klöster und ihrer Vermehrung, die erste Stelle anzuweisen.

Es ist Tatsache, daß die Fürstin Vasilčikov mehr Klöster errichtet und gegründet hat als die Fürstin Anna Aleksejevna Orlov und andere adelige Damen.

So gründete sie unter anderen ein sehr bekanntes Kloster in der Nähe von Kiev, welches, Dank der Freigebigkeit und Sorge der Fürstin, über sechsunddreißig Werst Land außer sonstigen Renten verfügt, worüber jedoch in dem Buche von Rostislav, dessen ich vorerwähnte, nichts zu finden ist.

Aber schon früher, vor der Zeit, ehe sich die Fürstin mit der Errichtung neuer Klöster zu beschäftigen anfing, namentlich noch vor der Rekonstruierung des Klosters des „alten Jonii“, machte sie sich in Kiev als große Philanthropin bekannt.

Unter ihrem Protektorate wurden Wohltätigkeits-Bälle, Soiréen, Theater, Maskeraden, Concerte u. dgl. mehr oder minder angenehme Unternehmungen veranstaltet; nach dieser Richtung hin entwickelte sie einen außergewöhnlichen Eifer, dem man jetziger Zeit nicht solche Bedeutung mehr zuschreibt als dies ehemals der Fall war.

Gleichzeitig mit dem Streben, Sorge, Not und Elend aus den Einkünften der verschiedenen Lustbarkeiten und Unterhaltungen zu lindern, bemühte sich auch die Frau Fürstin um Sittenverbesserung und Verbreitung des Christentums.

Im letzteren Falle war die Fürstin, wie ich anzunehmen guten Grund habe, origineller und kühner, unternehmender, als der übrige gesamte hohe Adel in Petersburg, weil sie in Folge der Stellung ihres Gemahls, als General-Gouverneur, schon an und für sich ein gewisses Ansehen und Macht besaß, vor welchem sich sehr viele beugten, ja sogar sich fürchteten, die meisten aber verfolgten das Gebaren „ihrer Fürstin“ sehr aufmerksam, hatten aber oft Ursache über das Treiben derselben und ihres Anhanges den Kopf zu schütteln.

Nach dem Coelibat, welches zur Zeit des Bibikov’schen Regimentes im General-Gouvernements Hause herrschte, war der Einfluß einer Frau, welche sich nach keiner Richtung hin etwas zu versagen brauchte, ein ganz bedeutender, namentlich unterwarfen sich demselben fast alle Damen der höheren Stände.

In der ersten Zeit besaß alles einen Anschein und Anstrich von Frische und Lebhaftigkeit, es schien, daß dadurch wirklich etwas nutzbringendes erzielt wird, doch diese Ansicht dauerte nicht lange, und man fing alles dieses von anderer Seite zu betrachten an und darüber sich zu äußern.

Die Fürstin selbst aber war so sehr von der Nützlichkeit und Wohltätigkeit ihrer Mission überzeugt, daß sie sogar, um die Leute sittlich zu bessern, die Bewohnerinnen der „Zufluchtstätte der heiligen Maria Magdalena zur Bekehrung gefallener Mädchen“ an Soldaten — verheiratete.

Dadurch sollte diesen Frauenzimmern die Rückkehr zum unmoralischen Lebenswandel abgeschnitten werden.

Die Fürstin nahm tätigen Anteil an dem Zustandekommen derartiger Ehen und interessierte sich sehr für dieselben; die Bräute wurden von ihr so reichlich ausgestattet, daß eine solche Heirat auf Soldaten eine besonders große Anziehungskraft besaß, und sie sich beeilten eine „Magdalenerin“ zu ehelichen.

Ein solches Mädchen erhielt nicht nur für ihre Verhältnisse reichlich Kleider und Wäsche, sondern auch ein hundert Rubeln, welches letztere für den Soldaten mehr Wert hatte, als die Rückkehr auf die Bahnen der Tugend seiner Braut und nachmaligen Frau.

Hatten die Neuvermählten die Fürstin durch ihre Hochzeit erfreut, teilten sie sich gewöhnlich um das erhaltene Heiratsgut, dann schieden sie in Frieden und Einigkeit von einander und jeder ging danach seines eigenen Weges.

Darüber kursierten in Kiev verschiedene höchst pikante Anekdoten.

Die „Hunde“ suchten ihre früheren Hütten auf, die Sittenlosigkeit und Liederlichkeit wurde jedoch nicht mehr aus eigenem freien Willen ausgeübt, sondern im Einverständnis und mit Bewilligung des ehelichen Gemahles.

Es sind Fälle vorgekommen, daß der Soldat sofort nach der Trauung, noch vor dem Hochzeitsmahle, seine junge Frau dem Brautführer verkaufte.

Als Brautführer figurierten nicht selten „hochgeborene Herren“ und zwar aus dem Grunde, um von der Fürstin „gesehen“ zu werden.

Man konnte eigentlich dem in dieser Art und Weise verheirateten Soldaten es nicht übel nehmen, daß er seiner angetrauten Gattin los und ledig zu werden trachtete.

Was sollte dem Soldaten eine Frau, welche zu arbeiten nicht verstand und zu hungern nicht gewohnt war?

Gewöhnlich heiratete der Soldat eine „Magdalenerin“ geradezu auf Befehl seiner Vorgesetzten, namentlich dann, wenn es der Frau Fürstin beliebte, wieder einmal eine „Magdalenen-Hochzeit“ in Szene zu setzen; der dazu bestimmte Soldat unterwarf sich ohne Murren, stillschweigend und in sein Schicksal ergeben diesem Wunsche.

Man konnte es deshalb nicht dem Soldaten verargen, wenn er sich sofort von einem Weibe lossagte, welches gewohnt war auf den Knien eines reichen Offiziers sitzend, „Butterbrot zu essen und süßen Wein zu trinken“, diese aber wählte wiederum einen Weg, welcher ihr am besten gefiel, ein Leben, welches sie früher schon führte und wo sie am leichtesten und raschesten jene Summe Geldes verdienen konnte, welche sie vertragsmäßig ihrem Manne zu entrichten hatte dafür, daß er ihr die Bewilligung gab, so und dort zu leben, wo sie wollte.

Das waren die Resultate der Sittenverbesserungs-Spielerei; schließlich fand man auch dieses langweilig und abgeschmackt und bekümmerte sich nicht weiter um dieselbe.

Etwas länger dauerte die Proselytenmacherei behufs Bekehrung der Juden zum Christentum, obzwar auch hier verschiedene Seltsamkeiten unterliefen.

Den Eifer der Fürstin nutzte am meisten der Auswurf der jüdischen Gesellschaft aus, charakterlose, böse und bösartige, nach jeder Richtung hin verdorbene, verderbte Leute, Diebe und ähnliches Gesindel, welches sich taufen ließ, um manche Missetat, von ihnen angestellt, dadurch zu decken und in Vergessenheit zu bringen.

Leute, welche unter ihren eigenen Stammesgenossen keinen Schutz mehr fanden, waren so demoralisiert, daß sie eine Religion wechselten, wie man einen Rock zu wechseln pflegt.

Zu diesen Leuten gehörte auch der von dem Introligator angeworbene Ersatzmann, der sich ebenfalls die von anderen angewendete Praxis zu eigen machte, die Fürstin dadurch auszubeuten, daß er sich zur Taufe meldete; einmal getauft, konnte ihm Niemand mehr etwas anhaben, selbst dann nicht, wenn er früher schon — als Jude — in irgendeiner Weise das Gesetz überschritten und verletzt hätte.

Diese Ansicht hatte ihre volle Berechtigung.

Man war zu jener Zeit allgemein (und nicht allein unter den Juden, sondern unter den Rechtgläubigen und der „hohen“ Gesellschaft in Kiev) davon überzeugt, daß nicht das geschieht, was der Fürst befiehlt, sondern das, was die Fürstin wünscht.


[5] Besitzer von Mietswagen.

[6] Lapserdack ist ein kurzer Rock mit einer genau bestimmten Anzahl von Bändchen und Fransen benäht. Die Talmudisten tragen diese „jüdische Montur“ unter dem oberen langen Rock.

Siebentes Kapitel.

Der jüdische Schneidergeselle, welcher sich anwerben ließ, um Soldat zu werden, war ziemlich gut über die in Kiev herrschenden Verhältnisse unterrichtet.

Diese Kenntnis wollte er nicht nur für seine eigenen Zwecke ausnützen, sondern auch dabei gleichzeitig den Introligator ungestraft zu Grunde richten.

Sein Plan war vorzüglich ausgedacht.

Während der Introligator die bekannte Bittschrift verfasste, in welcher er bat, mit der Einstellung seines Sohnes solange warten zu wollen, bis er mit dem Ersatzmanne ankomme, schrieb der Schneider einen herzbrechenden Klagebrief an die in Kiev allgemein bekannte Baronesse B., welche — nach außen hin — eine außergewöhnliche Frömmigkeit zur Schau trug.

Der listige Jude schilderte in lebhaften Farben, wie er von seinen Stammesgenossen verfolgt werde, was er leiden müsse, daß seine Geduld bereits erschöpft sei und er sich entschloß unter die Soldaten zu gehen; wie er aber plötzlich erleuchtet wurde, wie ihm jene Wohltaten, welche nur hochgeborene Christen auszuüben pflegen, namentlich jenen, die sich entschlossen haben, den wahren Weg des Christentums zu wandeln in Erinnerung gekommen seien; er habe deshalb beschlossen, sich — taufen zu lassen.

Er rechnete weiter, daß, wenn es ihm gelingt dem Introligator noch vor seiner Ankunft in Kiev zu entlaufen, er bei seiner Ankunft dort Gönner finden wird, die ihn vor dem Verfolger schützen werden dadurch, daß sie ihm einen Aufenthalt in irgend einem Kloster vermitteln, so lange, bis er die heilige Taufe empfangen habe.

Sollte ihm sein Fluchtplan nicht gelingen, so hatte er schon auch nach dieser Richtung hin Vorkehrungen getroffen, indem er in dem Briefe die Baronesse bat, ihn schützen zu wollen, und dahin ihm behilflich zu sein, daß er so rasch wie tunlich getauft werde und so Aufnahme finde in der christlichen Gemeinschaft, nach welcher er sich so sehr sehne.

Der Jude bat weiter die Frau Fürstin Katharina Aleksejevna mit seinem Wunsche bekannt zu machen, auf deren religiösen Eifer er alle seine Hoffnungen baue.

Dieser Brief gab der Baronin Vorwand bei vielen gewichtigen und einflußreichen Persönlichkeiten vorzusprechen, wobei sie Gelegenheit fand ihre Religiosität und ihren Eifer für die Ausbreitung des Christentums ins hellste Licht bringen zu können und leuchten zu lassen; namentlich fand sie bei der Fürstin sofort die tatkräftigste Unterstützung und die Erlaubnis in diesem Falle im Namen der Fürstin bei allen jenen Personen dasjenige zu erwirken, was sich als nötig erweist.

Dieser Auftrag bezog sich hauptsächlich auf jene, denen die Fürstin keine Befehle erteilen konnte; diejenigen, welchen sie befehlen konnte, kamen gar nicht in Betracht.

Mit einem Wort, ehe der Tag zu Ende ging, hatte die Baronin alles, was ihr zum Schutze des Juden nötig erschien, vorbereitet, so daß derselbe nach seiner Ankunft in Kiev es nur nötig fand, bei dieser oder jener Person, welche von dessen Ankunft und Plänen unterrichtet war, vorzusprechen, um — geschützt und gerettet zu sein.

Besseres konnte sich der Jude auch gar nicht wünschen; außerdem haben auch andere Umstände zu seinen Gunsten gewirkt, daß er nicht nur den ersten, sondern auch den zweiten Teil seines Programmes in Ausführung bringen konnte, d. h. es gelang ihm, seinem Kontrahenten entlaufen zu können, während dieser einen Tag durch nutzloses Suchen und Nachfragen in den berüchtigten jüdischen Herbergen Weißkirchens verlor, in diesem nach Berdičev größten, von Juden bevölkerten Orte mit seinen zahlreichen berüchtigten und gefürchteten Jüdenschenken.

Ehe der durch furchtbare Schicksalsschläge zerschmetterte und fast sinnlos gewordene Introligator in Kiev ankommen konnte, in einer Stadt, wo er zu seinem Unglück überhaupt niemanden kannte und auch nicht wußte, an wen er sich wenden sollte und könnte, saß sein Flüchtling, geschützt von hochgestellten Persönlichkeiten, hinter Klostermauern, ließ sich schmackhaft zubereiteten Fisch schmecken und ruhte in der warmen Zelle eines Mönches von der während seiner Flucht erlebten Aufregung aus.

Dieser Mönch war beauftragt, den Juden in so kurzer Zeit als möglich zur Taufe vorzubereiten.

Der Introligator, welcher mir unter Weinen und Wehklagen diese ganz eigentümliche Geschichte erzählte, teilte mir auch mit, wie er es erfuhr, wo sich der Lump gegenwärtig aufhalte.

Er erzählte, wie viele Groschen und wo er sowohl an geistliche wie weltliche Personen gezahlt habe, wie er in einer aufgelassenen Lehmgrube bald ertrunken und in einer Ziegelei fast verbrannt wäre, wie er auf eine unerklärbare Art und Weise in eine Klosterbäckerei geriet; er erzählte dies alles lebhaft, plastisch und doch bei allem dem gleichzeitig außerordentlich rührend und gleichzeitig lächerlich; man war sich überhaupt darüber nicht klar, sollte man über seine Erzählung lachen oder weinen.

Während dieser Zeit, als der Introligator, vor meinem Tische stehend, seine Geschichte erzählte, dabei weinte, ächzte, seinen zerlumpten Rock zerriß, fühlte weder ich noch irgend einer von meinen Beamten Lust über den Juden zu lachen oder sich über denselben lustig zu machen.

Wir alle — bei unserer unglückseligen Angewohnheit und Abhärtung gegen ähnliche Ausbrüche von Gram, Klage und Marter — waren, wie es schien, völlig niedergeschmettert durch den Ausbruch des grenzenlosen Leidens und Schmerzes des Juden, welcher tatsächlich blutigen Schweiß bei diesem Armen hervorrief.

Ja, diese schlechtriechende Flüssigkeit, mit welcher die vor mir liegenden Papiere durchfeuchtet waren, war nichts anderes als der „blutige Schweiß“, welchen ich in meinem Leben nur ein einzigesmal, und zwar nur in diesem Falle mit eigenen Augen zu sehen Gelegenheit hatte.

In dem Maße, als dieser lebend nicht erfrorene und lebend nicht verbrannte Jude in der Stubenwärme auftaute, schien seine Stirne mit den an diese angefrorenen Haaren, seine krampfhaft zusammengeballten Hände, seine unter dem Lapserdack offen liegende Brust — wie mit feinen Wunden bedeckt, aus welchen eine rote Feuchtigkeit austrat, wie jene ersten Tropfen der Flüssigkeit von roten Beeren, welche man beim Auspressen aus den Poren eines Leinwandstückchens heraustreten sieht.

Doch die feinen rosigen Tropfen auf der Menschenhaut zu sehen, war fürchterlich!

Wer niemals Gelegenheit gehabt „blutigen Schweiß“ zu sehen und derer dürfte es gewiß außergewöhnlich viel geben, um so mehr, als die Möglichkeit des Vorkommens eines solchen Schweißes geleugnet und in Abrede gestellt wird — diesen allen kann ich sagen, daß ich selbst, mit eigenen Augen solchen blutigen Schweiß tatsächlich gesehen, und daß dieser Anblick unbeschreiblich fürchterlich ist.

Diese rötlichen, moosbeerensaftfarbigen Tröpfchen und Flecke an der Brust dieses Juden stehen noch heutigen Tages unverwischbar, deutlich und klar vor meinen Augen, und mir kommt es vor, als wenn ich durch dieselben das offene Herz dieses zermarterten Mannes gesehen hätte — das Herz eines Vaters, welches für sein eigenes Blut, seinen Sohn, die größten Qualen und Marter aushält, nur um diesen, seinen Sohn, retten zu können.

Ich behaupte nochmals, das, was ich gesehen, war fürchterlich!

Die üppigen blonden Haare der letzten Königin Schottlands, gebleicht in der kurzen Spanne Zeit, in welcher die „Gentlemen“ die letzte Toilette derselben machten und sie an den Richtblock banden, diese Minuten der Angst der unglücklichen Königin konnten für diese nicht schrecklicher sein, als jene Stunden eines Vaters, der seinen Sohn retten kann und dabei blutigen Schweiß schwitzte.

Unwillkürlich erinnerte ich mich des blutigen Schweißes jenes großen Lehrers, welcher für die Sünden unserer Väter und für unsere eigenen sein Blut auf dem Kreuze vergoß und mein eigenes Blut flutete in vollem aufgeregtem Strome vom Herzen durch die sämtlichen Gefäße meines Körpers, es rief in meinen Ohren ein so heftiges Sausen und Brausen hervor, wie ich solches weder vor noch nach je empfunden habe.

Alle meine Gedanken, all’ mein Fühlen erlitt geradezu etwas ungewöhnliches, eigenartiges, noch nie dagewesenes, neben dem traurigen, schmerzlichen, drückenden gab es zu gleicher Zeit etwas angenehmes, liebliches.

Es schien mir, als wenn ich keinen gewöhnlichen Menschen, sondern ein blutiges historisches Symbol vor mir sehen würde.

Aufrichtig gestanden, ich war zu jener Zeit nicht ganz fremd einem gewissen Mystizismus, den ich auch jetzt nicht in Abrede stelle, da ich mir (die Herren Theologen um Verzeihung bittend) den Glauben ohne Mystizismus nicht vorstellen kann.

Unter dem Eindrucke des eben Erlebten und auch geradezu unter Einwirkung des sich stärker fühlbar machenden Mystizismus fing sich etwas eigenartiges, etwas geheimnisvolles, unbegreifliches in meinem Kopf und Herzen zu regen, etwas, was mit meiner gegenwärtigen Beschäftigung sich gar nicht in Einklang bringen ließ.

Die Geschichte, in welcher sich das Böse mit dem Guten, das Tragische der väterlichen Liebe und Sorge um seinen Sohn, sein liebes Kind und religiöse Fragen durch- und zwischeneinander mischten; die rohe Einrichtung in dem großen, halb dunklen, schlecht beleuchteten Saale, dessen Wände Meere von Tränen über für immer verloren gegangene Kinder gesehen haben; diese zwei Kerzen, welche das durch seelische Qualen, Angst und Sorge schmerzlich und krampfhaft verzerrte Gesicht des altbiblischen semitischen Individuums beleuchteten; dieser Ruf nach: „Jeschu! Jeschu Hanozri!“ — nach seinem Sohne — „oh! gibt ihn mir, meinen Sohn, zurück“ — „gebet ihn mir!“ — ...: alles dieses erschütterte tief meine Seele und entriß mich geradezu der Gegenwart und der Wirklichkeit!

Ich empfand ein ganz unbestimmtes, eigentümliches Gefühl, eigenartige Gedanken durchschwirrten meinen Kopf, in gleicher Weise, wie solche Bischof Theofan mit großer Meisterschaft in seinen Briefen über „das geistige Leben“ beschrieben hat.

Von jetzt ab hat das Herz Übergewicht gefunden über den Verstand.

Er tat es mir an, dieser verzweifelnde Vater, mit dem blutigen Schweiße und dem offenen Herzen — ein Mensch aus jenem Stamme, der auf sich nahm das Blut jenes großen Erlösers, dessen Namen „Jeschu!“ er in seiner Angst anrief und den er um Rettung aus dieser schweren Lage bat! ... wer kann es erklären, welche geheimnisvolle Kraft ihn dazu trieb den „Hanozri“ um Hilfe in der Not zu bitten?

Meine überspannten Nerven arbeiteten so, daß es mir schien, in diesen dem Staate gehörenden Räumen gehe etwas vor, was gegen den Staat gerichtet ist.

Hörte vielleicht Er die Klagerufe eines Vaters nach seinem Sohne und des Sohnes nach dem Vater? — Sah’ Er bereits das zerrissene Herz des aufgeregten Juden? — geht Er ihm bereits schon mit ausgebreiteten Händen entgegen, um ihn in diese zu schließen und ihm Hoffnung, Trost und Erlösung zu bringen? —

Darüber vergaß ich dem armen Juden den einzigen zum gewünschten Ziele führenden Rat zu geben, sich und seinen Sohn — taufen zu lassen!

Und in der Tat! wer und was hinderte ihn dieses zu tun, um so mehr, als er, der Vater „Jeschu Hanozri“ zur Hilfe rief, in diesem Augenblicke auch dem Erlöser näher stand, als jener Aussätzige, jener Lump, welcher sich vornahm über die Religion durch die Taufe sich lustig zu machen, sie zu profanieren und solche in den Augen seiner Stammesgenossen lächerlich zu machen.

Was würde daraus entstanden sein, wenn der Jude meine Gedanken erkannt und in Ausführung gebracht hätte?

Ein ungewöhnlicher, noch nie dagewesener Fall in der administrativen Gerichtspraxis, welcher aller Wahrscheinlichkeit nach den Anstoß zur gründlichen Revision des bestehenden Gesetzes Anlaß gegeben hätte.

Einen anderen Ausweg zu seiner und seines Sohnes Rettung sah ich nicht ...

Aber ich vergaß Den, ohne dessen Willen kein Haar fällt vom Kopfe eines Menschen, ich vergaß Jenen, dessen Macht größer ist und herrlicher als jene sämtlicher Herrscher der Welt, die sich vor Ihm beugen müssen.

Mir ist gar nicht eingefallen, daran zu denken, daß dieser Jude, welcher den Namen „Hanozri“ so angstvoll und aus voller Seele anrief, diesen Namen beschimpfen und das Geheimnisvolle des heiligen Taufaktes lächerlich finden könnte, wie sich sein Ersatzmann zu tun vornahm.

Alles dieses und vieles andere durchschwirrte mein Kopf, um aufzutreten und auch sofort zu verschwinden.

Es wurde mir im Kopfe so schwer, es drückte wie Blei auf mein Gehirn; meine Gedanken wollten nicht in Weite fliegen, sondern sie trachteten, ähnlich einem naßgewordenen Vogel, sich unter dichtes Gebüsch und tiefen Schatten zu verbergen — ich sprach kein Wort — und tat wohl daran!

Möglicherweise wäre mein Rat nicht an die richtige Stelle zur richtigen Zeit gerichtet gewesen und ich wäre dadurch der Möglichkeit beraubt worden, einen Vorfall sehen und miterleben zu können, welcher die Machtlosigkeit der Menschen und die Erscheinung der göttlichen Vorsehung zu deutlicher, sichtbaren Äußerung brachte.

Achtes Kapitel.

Nicht mein Herz, aber mein Verstand riet mir zu schweigen und nicht selbst tätig einzugreifen in eine Sache, welche nur der Herr des Lebens regeln und zum glücklichen Ausgang führen konnte.

Ebenso war es nicht meine Sache zum Leben rufen zu wollen einen Stamm, den das Schicksal niedergeschmettert hatte.

Wie das Glied dieses Stammes zum neuen Leben erweckt wurde ... das geschah später ... viel später, und unter Verhältnissen, die niemand vorhersehen konnte zu jener Zeit, von welcher ich jetzt erzählen werde.

Instinktiv fühlte ich, daß das, worüber wir uns so sehr aufregten, ein gutes Ende nehmen werde.

Mein Verstand lispelte mir zu nur ruhig zu sein, sich nicht aufzuregen über etwas, dessen Ausgang im voraus bestimmt ist; denn was geschehen soll und werde, sei voraus bereits bestimmt, weshalb ich nichts unternehmen soll, damit das Bestimmte nicht gestört werde und erfolge.

Vor allem sei Ruhe! — Ruhe! — nötig!

Um diese Ruhe zu erzielen, welche durch fortgesetztes Weinen, Seufzen, Wehklagen, Heulen des Juden gestört wurde, zu finden, stand ich, ohne ein Wort zu sprechen, auf, ging in den Vorsaal, zog meinen Pelz an und fuhr nach Hause, ohne mich um den Juden weiter zu kümmern.

Dieser mein Entschluß dürfte manchem ganz unbegreiflich vorkommen — möglicherweise wollte ich dem Schauspiele entgehen, das sich meine Beamten früher oder später mit dem Juden erlauben werden — doch dem war nicht so.

Warum ich in dieser Art vorging, ist mir selbst unbegreiflich und kann ich es mir auch heutigen Tages nicht erklären, aber mein Herz und auch mein Verstand sagten, daß dieses das beste sei, was ich tun könne.

Wie heute sehe ich noch in meinem Gedächtnisse jene klare frostige Mitternacht mit dem hoch am Himmel das schöne Kiev beleuchtenden Vollmond.

Zu jener Zeit war Kiev eine patriarchalische Stadt, denn „Chateau des Fleurs“ und andere Lokale ähnlichen Genres tauchten erst zu jener Zeit auf, als Anenkov das Palais des General-Gouvernements bewohnte.

Zu der Zeit, als ich vom Amte nach Hause fuhr, war bereits Ruhe und Stille eingetreten in Kiev; sie schliefen bereits, die Einwohner dieser großen historisch merkwürdigen Stadt; von hohem Turme des Klosters vernahm man die in langen Zwischenräumen zum Frühgottesdienste einladenden Glockenlaute.

Mein kleines, durch langes Stehen in dieser frostigen Nacht hart mitgenommenes Pferdchen, lief so rasch, daß der kleine Kutscher Mathias, Leibeigener von meinem Gute im Orlover Gouvernement, dasselbe kaum zu zügeln vermochte.

An der Straßenbiegung beim „Kaisergarten“ huschte auf einmal etwas an uns vorüber — ein Mensch und doch kein Mensch, Hund und doch kein Hund oder ein ähnliches Tier — worüber mein etwas scheues Pferdchen erschrak und auf die Seite sprang, daß sowohl ich wie mein Kutscher nahe daran waren, aus dem Schlitten herausgeschleudert zu werden.

Dieses etwas verfolgte uns den ganzen Weg, bald huschte es vor, bald hinter dem Schlitten, bald verschwand es im Schatten oder sprang und lief vollbeleuchtet vom Monde neben uns; plötzlich läuft es bei einer Biegung über die im vollen Mondeslichte hell erleuchtete Straße, so nahe an dem Pferde vorüber, daß dieses wiederum scheute und uns bald aus dem Schlitten geworfen hätte.

Ich konnte mir nicht erklären wer? oder was? dieses etwas sei, nur sah ich, daß dasselbe auch hier sei, als das Pferdchen vor meiner Wohnung stehen blieb ...

Was war dieses etwas?

Das war wieder er, mein Introligator, mit denselben krampfhaft verzerrten Gesichtszügen, demselben deutlich sichtbaren blutigen Schweiß auf der offenen Brust ... ihn fror es nicht, das Herz brannte und wärmte ihn!

Er weinte und jammerte nicht; aber er verließ mich auch keinen Augenblick, gleich meinem Schatten hing er sich an meine Fersen; er lief nicht weniger rasch als mein Pferdchen.

Wohin mit ihm? ...

Wegjagen? ... das wäre zu grausam; ihn in die Wohnung lassen? ... wohin soll das führen? ... was soll daraus werden? ...

Ich sagte schon früher, daß ich für ihn nichts tun konnte; er wurde mir bloß lästig ... und dabei — zu meiner Schande sei es gesagt — ich ekelte mich vor ihm ... er roch so höchst widerlich nach diesem blutigen Schweiße!

Ich konnte mich weder zu dem einen noch zu dem anderen entschließen ... und er — mir immer nach, gleich dem eigenen Schatten ... immer nach ... ging ich ins andere Zimmer, er hinter mir ...

Jedenfalls war ihm von der Vorsehung der Weg vorgeschrieben, und ich beschloß, um diese Kreise nicht zu stören, ihn mit Tee warm zu machen und dann in der Küche schlafen zu lassen.

Ehe ich jedoch meinem Diener die nötigen Befehle geben konnte, meldete mir derselbe, daß Andrej Ivanovič Drukart da gewesen sei und einen Brief zurückgelassen habe.

Drukart war Beamter für besondere Aufträge, dem Fürsten Vasilčikov zugeteilt; eine allgemein beliebte und hochgeschätzte, sehr tätige und beim General-Gouverneur sehr einflußreiche Persönlichkeit.

Außerhalb seiner Tätigkeit als Beamter, war Drukart ein vorzüglicher Vorleser und ein großer dramatischer Künstler.

Ich habe nie Jemanden gesehen und gehört, der so meisterhaft Hamlet oder den Polizeimeister in Gogols Revisor gelesen oder gespielt hätte wie Drukart, nicht einmal der zu jener Zeit in diesen Rollen so sehr berühmte Sosnickij konnte sich mit Drukart messen.

Dank seinem Talente führte der nun verstorbene Drukart nicht nur die Aufträge des Fürsten, sondern nicht selten auch jene der Fürstin aus.

Gerade zu jener Zeit brauchte die Fürstin Geld zu irgend einem wohltätigen Zwecke und beauftragte deshalb den Drukart eine Wohltätigkeits-Vorstellung im Stadttheater zu arrangieren.

Auch ich war, wie es alle sagten, kein schlechter Vorleser und Schauspieler, weshalb ich bei allen derartigen Fällen mit in Rechnung gezogen wurde.

Drukart schrieb, daß, da ich sowie der zu jener Zeit in Kiev lebende Rechtsanwalt Jurov ziemlich gleich groß und uns auch sonst äußerlich ähnlich seien, wir beide in dem zur Aufführung kommenden „Revisor“ die Rollen des Dobčinskij und Bobčinskij übernehmen müßten.

Bei meiner damaligen geistigen und körperlichen Abgespanntheit und Müdigkeit, sowie sonstiger Nervosität, bedeutete diese Mitteilung geradezu einen Überfall.

Ich warf mißmutig das Schreiben meines Freundes auf den Tisch und beschloß anderen Tages so zeitlich wie möglich Drukart aufzusuchen und ihm klar zu machen, daß ich durchaus nicht entschlossen sei, seinem Wunsche zu entsprechen.

Während ich nun über diese Angelegenheit nachdachte und Tee trank, erinnerte ich mich plötzlich an den unglücklichen Juden, und war sehr erstaunt, ihn nicht zu sehen.

Und er, der Arme, schlief zusammengekauert wie ein Igel auf einem zwischen der Türe und einem Kasten liegenden Ziegenfelle, welches als Schlafstelle meinem Jagdhunde diente.

Sie lagen friedlich nebeneinander, der Mensch und der Hund, etwas bösartiger Natur, der überhaupt Juden nicht leiden konnte, so friedlich, als ob der Hund instinktmäßig begriffen hätte, daß er in diesem Augenblicke eine Ausnahme machen müsse, denn der, welcher neben ihm liegt, sucht Zuflucht und trage das größte Herzleid, welches nur ein Menschenherz zu ertragen im Stande ist, weshalb es nicht angeht, ihn zu verjagen oder zu stören in lange nicht gehabter und ihm doch so sehr nötiger Ruhe.

Ich war zufrieden mit dem Juden und dem Hund und ließ beide ungestört das Lager teilen; ich selbst suchte mein Bett auf, abgespannt von den Eindrücken der letzten Stunden, deren es unbarmherzig viele gab: Ich sah im Traume den gemieteten Ersatzmann, die Judenschenke in Weißkirchen, das Kloster, den Metropoliten, ich hörte das Jammern und Klagen des Juden, den Namen „Jeschu“, sah den ruhigen, bedächtigen Fürsten und die eigenwillige Fürstin mit ihrer allzu gewaltigen Bedeutung; meinen Zwillingsbruder Jurov, Bobčinskij, Dobčinskij Drukart; die Unmöglichkeit diesem allem zu entlaufen; dann auf einmal ... stilles traumhaftes Erinnern an meine alte Kindsfrau, die Bulgarin Marina, welche von allen — ich weiß nicht warum — nur die Türkin genannt wurde — alles dieses jagte sich in mehr oder minder deutlichen Szenen in meinem Kopfe und Schlafe herum.

Ich sah — im Traume — meine alte liebe Marina über mein Bett geneigt, sie richtete ihr altes rotes Kopftuch und leise höre ich sie mein Lieblingslied: „Schlaf, Kindchen, schlaf ... Christus tritt heran und stellt die Hüter bei“ ... singen.

Und stellt euch vor, alles dieses kam zur gelegenen Zeit!

Dieser bunte verworrene Haufe, im Traume anscheinend unzusammenhängend und doch im Zusammenhange stehend — in allem diesen Chaos fanden sich alle unumgänglich nötigen Elemente um einen feierlichen Zufall gruppiert, aus welchem unerwartet und ungeahnt, kaum glaubwürdig etwas erwuchs, was mit dem Namen „Wunder“ bezeichnet zu werden verdient.

Ich und der Introligator schliefen uns aus wie Soldaten vor einer ungleichen und gefährlichen Schlacht, vor welcher sich jeder berechnende und abwägende Mensch zurückgezogen hätte, da der Sieg mehr wie aussichtslos erschien.

Neuntes Kapitel.

Der andere Morgen, welcher weiser sein sollte als der gestrige Abend, ist zur gewohnten Zeit, wie von der Natur vorgeschrieben, eingetroffen, licht und hell, würdig eines großen, merkwürdigen Vorfalles.

Es war dies einer jener prachtvollen Morgen, wie man sie nur in der Ukraina findet; an solchen Tagen äußert die Sonne mit wunderbarer, im Norden völlig unbekannter Kraft ihre Macht über den Frost, mag derselbe noch so heftig sein.

In der Nacht friert es; gegen Früh nimmt die Kälte noch zu; der Tag droht rauh zu werden; mit einemmale nimmt die aufsteigende Sonne ihre Rechte in Anspruch: der Himmel glüht in rosigen Tönen; die Luft wird weich; der Schnee auf den Dächern und den von der Sonne beleuchteten Stellen der Plätze und Gassen schmilzt unter der Gewalt der wärmenden Sonnenstrahlen.

Das Ganze erinnert an einen im Anblick wechselnden Stoff, gewebt aus einem hellen und einem dunklen Faden.

Zu derselben Zeit, als die Schattenseite der Gassen und Gäßchen mit Eis und Schnee bedeckt ist, taut die von der Sonne beschienene Seite auf, die Dächer glänzen und dampfen von der entweichenden Feuchtigkeit; hell klingen die von den Dächern fallenden Tropfen auf die Erde, wo sie wiederum sofort fest werden und gefrieren.

Und die Spatzen, diese Vagabunden der Vogelwelt, hurtig, lebhaft, gewandt, leidenschaftlich, stets bereit und aufgelegt zum Streit und Hader, wie zum ausgelassensten Spiele und zur Ausführung allerlei Unsinnes und Schabernacks, erscheinen plötzlich in solcher Menge auf den von der Sonne beschienenen Stellen, daß man darüber staunt und nicht zu enträtseln vermag, von wo dieselben gekommen sein mögen.

Noch gestern waren sie nicht da, waren nicht bemerkbar und heute beleben sie die warme Luft wie ein Mückenschwarm.

Sie erfüllen die Luft mit ihrem lustigen, durchdringenden Gezwitscher, sie fliegen hin und her, jagen einander von den Ästen der bereiften Bäume und überschütten die unterhalb gehenden Menschen mit silberglänzendem, schimmernden winterlichen Putz.

Wo nur ein schneefreies, von der Sonne beschienenes Plätzchen sichtbar wird, ist auch er da, der Haufe der kleinen, schreienden, lärmenden Vagabunden, aber die größte Menge derselben ist stets dort, wo es eine besonders von der Sonne beleuchtete und deshalb warme Stelle gibt, hoch oben auf den Kirchentürmen oder den Dächern der höchsten Häuser, denn dort glänzt und glitzert alles vom Sonnenstrahl.

An solchen Stellen findet man eine ganze internationale Gesellschaft aller Art von Vögeln; auf den Karnisen machen sich die Tauben im süßen far niente breit und putzen ihr Federkleid; hin und her gehen die schwatzhaften Staare und zwischen ihnen die hin und her springenden und fliegenden Spatzen.

Mit einem Wort, überall, in der ganzen Natur lebt jetzt alles auf; Mensch und Tier werden lebendiger, lebenslustiger, freudiger, beweglicher unter dem Einflusse der wärmenden Sonnenstrahlen; alles atmet leichter auf und freut sich des Augenblickes und des Lebens.

Josef Hall sagt ganz richtig: die Welt ist ein wunderbares Ding, eine Sache, der menschlichen Seele nahestehend; in ihr nimmt alles neues Leben an und wir selbst verändern uns in ihr selbst zum Besseren.

Die warmen Sonnenstrahlen beleuchten und erwärmen die Körper, als wenn sie die Rauhheiten der Seele wegschmelzen wollten, sie geben dem Geiste eine größere Klarheit und jene Wärme dem Herzen, welche die Menschen zur Ausübung des Guten tauglicher und bereitwilliger macht.

Der Geist des Menschen wird erleuchtet, er fürchtet sich nicht mehr vor der Dunkelheit, der Finsternis, der Kälte des Herzens, er selbst ist bereitwillig zu erwärmen, zu erleuchten, den noch im kühlen, dämmerigen Schatten wandelnden Bruder ...

Solche bezaubernd schöne, warme Tage, welche ungeahnt die winterliche Kälte verjagen, habe ich außer in der Ukraina und namentlich in Kiev, nirgends gefunden.

Nördlicher, an der Oka, und in dem schwarzerdigen Keile des russischen Reiches pflegt das Frühjahr erst um jene Zeit einzutreten, zu welcher die russische Kirche das Fest Mariä Verkündigung feiert, — aber dieses Frühjahr ist doch etwas anderes, als das Frühjahr der Ukraina.

Es ist diese Erscheinung geradezu gesagt eine Kaprice der Natur, ein mutwilliges Spiel, ein atmosphärischer Scherz mit der Erde, etwas Phänomenales — und die Erde freut sich, lächelt zu alle dem, denn unter deren Bewohnern herrscht dann bloß Frieden und Freundschaft! — —

Aufgestanden an einem solchen prachtvollen Morgen, hatte ich mich vor allem bei meinem Diener nach dem Juden erkundigt und erfuhr zu meinem größten Erstaunen, daß derselbe bereits meine Wohnung verlassen habe.

Er sei, als es noch ziemlich dunkel war, aufgestanden, habe sich leise nach der Küche, wo mein Diener den Samovar herrichtete, getappt, dort ein Glas heißes Wasser getrunken und dazu ein Stückchen Zucker, den er in seiner Tasche fand, gegessen; dann sei er weggelaufen ... Wohin? ... darüber konnte mir der Diener keine Auskunft geben, und auf meine weitere Frage, in welcher Stimmung sich der Jude befand, erhielt ich zur Antwort:

„Ruhiger, doch hatte er immer etwas leise vor sich gebrummt und gesummt wie eine Drohne.“

Nach dem Frühstück fuhr ich, um keine Zeit zu verlieren, zu Drukart, welcher zu jener Zeit in dem niedrigen Entresol wohnte, das über dem Tore der Kanzlei des General-Gouverneurs liegt.

Ich nahm mir vor, dem Drukart von der Angelegenheit des Introligators nichts mitzuteilen, da ich der Ansicht war, daß alles, was in dieser Sache vorgenommen wird, zu nichts führen werde, um so mehr, als ich überzeugt war, daß Andreas Ivanovič, trotz seiner großen Herzensgüte, aber außerordentlicher Vorsichtigkeit in allem seinen Tun und Lassen, sich kaum entschließen dürfte, in dieser ihm völlig fremden Angelegenheit etwas zu unternehmen.

Zu meiner Schande sei es gesagt, ich habe überhaupt gänzlich des Juden vergessen, als ich vom Hause wegfuhr und dachte nur an mich selbst.

Doch das Geschick hat es übernommen, diese meine egoistische Zerstreutheit und Vergeßlichkeit richtig zu stellen und dasjenige in Ausführung zu bringen, woran ich vor allem anderen hätte denken und dessen ich mich vorzugsweise hätte annehmen sollen.

Zehntes Kapitel.

Ich mußte durch jene Gasse Kievs fahren, welche von dem Stadt- oder sogenannten Kaisergarten zum Hause des General-Gouverneurs führt.

An einer Stelle stand ein altes, stark verfallenes Haus, welches einem Grafen Branicki gehörte.

Das Haus war niedrig, sehr lang, glich mehr einem großen Fabriksgebäude als einem Palais, und so an den Straßenabhang gebaut, daß die eine Seite des Hauses fast die Erde berührte, während die andere, weil in der Horizontalen gelegen, sehr hoch war und das Ansehen eines Walles hatte mit einem, etwa einem Karnis ähnlichen Aufputze.

Diese genaue Beschreibung ist unbedingt nötig, um das folgende verstehen zu können.

Graf Branicki wohnte in dem Hause nicht, auch Niemand von seinen Angehörigen oder Verwandten.

Es kann möglich sein, daß ein Teil des Hauses eingerichtet war um bei Bedarf benützt werden zu können, aber bekannt war, daß in einem Flügel der Bevollmächtige des Grafen Branicki wohne, ein Pole, selbstverständlich ein „Herr“, welchem ein außergewöhnlich großer Hund gehörte.

Dieser Hund besaß ein eigenartig getigertes Fell und liebte es an warmen Tagen sich an jenem Teile des Hauses zu sonnen, welcher an dem steilen Abhange lag; möglicherweise, war es die tatsächlich prachtvolle Aussicht auf die Umgebung, welche man von hier genoß, die ihn zu diesem veranlasste.

Die meisten Stadtbewohner kannten diesen Beobachter und hüteten sich ihn in seinen Betrachtungen zu stören; sie wichen ihm vorsichtig aus und zogen es vor, die gegenüber liegende Seite der Gasse aufzusuchen; ein Fremder jedoch, der mit der Lage und Bauart des Hauses nicht bekannt war, der ging gewöhnlich nichts böses ahnend ruhig seinen Weg an dem Hause vorüber, bis er zu seinem großen Schrecken und Überraschung erkannte, daß gerade über seinem Kopf ein groß mächtiger Hund liege; mehr oder weniger freundliche Worte an die Adresse des Eigentümers des Hundes waren das Endresultat dieser nichts weniger als erwünschten Begegnung. — —

An jenem von mir bereits beschriebenen Tage sonnte sich der Hund wieder an seiner Lieblingsstelle und freute sich wahrscheinlich nicht nur der schönen Aussicht, die sich ihm bot, sondern auch und möglicherweise hauptsächlich der Sonnenstrahlen, welche sein Fell wärmten.

Ich kannte den Hund, nahm deshalb keine Rücksicht auf dessen Gegenwart; auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse sah ich Drukart gehen, verließ deshalb rasch den Schlitten, um mit ihm zu sprechen und ihm jene Schwierigkeiten klar zu machen, die sich meiner Teilnahme an der projektierten Theatervorstellung entgegenstellen.

Andreas Ivanovič war an diesem Tage außergewöhnlich gut gelaunt, ja fast ausgelassen lustig, und meinte, daß sein gegenwärtiger, wohliger Zustand die Folge des prachtvollen Wetters sei, das ihn im Herzen erhelle.

„Ich,“ sprach er, „eile eine Untersuchung zu Ende zu führen. Ich habe mir einen Mörder zum Verhöre vorführen lassen, frug ihn über die verschiedenen Gründe, Ursachen, Vorfälle aus, dabei rasierte ich mich ruhig; ich frug ihn scherzweise, weshalb er soviele Menschen umgebracht und mich nicht, da wir ja allein in der Stube seien; da gab er mir zur Antwort, daß er es selbst nicht wisse, aber er hätte auch sonst an einem so herrlichen Tage wie heute seine Hände mit Blut nicht besudelt.“

Während wir in unserem Gespräch, fortfuhren, entstand plötzlich ein fürchterliches Geschrei: „Ai! wai! ... Karkadil! ...“ und in demselben Augenblick sprang zwischen uns wieder er ... mein Introligator, der sich um uns herumdrehte.

Von wo er gekommen, wohin er wollte, wie er am Wege unter das „Karkadil“ geriet, wußte ich damals nicht, aber sein Ansehen, seine Furcht, machte ihn noch bemitleidenswerter, noch lächerlicher, wie Tags vorher.

Trotz der großen Ehrfurcht, welche die Juden vor den Beamten zu haben pflegen, kroch er vor Schrecken und Angst unter den alten abgetragenen Pelz des Drukart, welcher diesen Pelz — als aus Schuppenbären — Flicken zusammengeflickt zu nennen pflegte und wand sich in diesem so hin und her, als wenn er „Katze und Maus“ spielen würde.

Wir fingen beide hell laut zu lachen an, während der Jude, sich hin und her drehend, ohne Unterlaß schrie: „Das Karkadil, das Karkadil!“ und erschrockene wie furchtsame Blicke auf den Hund warf, der sich jedoch nicht stören ließ, ruhig auf seinem Platze liegen blieb und auf uns herunter blickte.

Den Juden zu beruhigen gelang uns nicht, aber dieser Vorfall gab mir Gelegenheit dem Drukart die Geschichte dieses unglücklichen Menschen mitzuteilen.

Ich wiederhole nochmals: Drukart war ein herzensguter, weich- und feinfühlender Mensch, was vielen jedoch nicht einleuchten wollte und unmöglich erschien, weil er „rote Haare“ besaß, von deren Besitzer man zu sagen pflegt „Gott bewahre“, was ebenso beweisend ist als der Glaube, daß Rasiermesser in weißer Einfassung schärfer seien als solche in schwarzer; aber in den meisten solchen Fällen hilft alles Reden und Überzeugen gegen derartigen Unsinn — nichts!

Drukart war heute besonders gut aufgelegt und froher Laune und so kam es, daß meine Erzählung auf ihn einen günstigen Eindruck machte, und er sich für den Juden zu interessieren begann.

Über seine sonstige Art sich in fremde Angelegenheiten nicht einzumischen, blieb diesesmal das Herz Sieger, er bemitleidete den Juden und sagte leise:

„Wie nichtswürdig und gemein wurde dieses ‚Karkadil‘ betrogen.“

„Gewiß,“ gab ich zur Antwort, „eine solche Lumperei und Nichtswürdigkeit ist noch nicht dagewesen; doch läßt sich in der Sache nichts machen und dem Mann kann nicht geholfen werden.“

Drukart zog seine mächtige Stirne in Falten und meinte:

„Versuchen wir es!“

„Ja, was ließe sich tun?“

„Versuchen wir es! ... Komm mit, Du ‚Karkadil‘.“

Den Introligator zum Mitgehen zu bewegen, war nicht nötig, denn er verließ uns auch nicht einen Augenblick; er lief immer vor uns, sich stets nach uns scheu umsehend in der Angst, ob das „Karkadil“ nicht nachlaufe und ihn zu verschlingen drohe, wovor er große Angst zu haben schien; ich weiß nicht, ob er sich um sein Leben oder um das Leben seines Sohnes, welches in diesem Falle unzweifelhaft verloren war, fürchtete.

Man sagt: „Wie die Leute sich zeigen während eines Schreckens, das sind oder waren sie auch tatsächlich im Leben“ — sei dem nun wie es wolle, in dem Augenblicke, als die Gewohnheiten eines Menschen eine plötzliche Änderung durch Schrecken erfahren, zeigen sie ihre wahre Natur!

Nach diesem zu urteilen, müßte man annehmen, daß der Jude mehr um sein eigenes Leben besorgt war, als um das seines Sohnes; aber so lange wir nicht die Eigenschaft besitzen, mit eigenen geistigen Augen das Innere unserer Mitmenschen durchdringen und beobachten zu können, müssen wir derartige Annahmen als irrig, nichts beweisend und nichts Positives bringend ansehen. —

Andreas Ivanovič beschloß den Fürsten Hilarion Hilarionovič für den Juden zu interessieren — ein Plan, welcher meiner Ansicht nach weder Nutzen noch Schaden dem Juden bringen konnte, so daß ich mich für diesen nicht erwärmen konnte.

Elftes Kapitel.

Der Fürst war von Natur aus ein guter und edler Mensch, sehr phlegmatischen und schläfrigen Charakters, mit nur wenig Energie, die er auch dort selten zu zeigen pflegte, wo sie am notwendigsten gewesen wäre.

Doch Drukart kannte den Charakter des Fürsten besser wie wir alle anderen.

„Glauben Sie ja nicht,“ meinte er, „der Fürst besäße wenig Charakter- und Willensstärke; er ist ein sehr lieber, herzensguter Mensch, nur muß man ihm stets die Sache, um die es sich handelt, klar und deutlich vorstellen. — Er ist zwar weder Falke noch Adler, das ist gewiß, mit seinen Augen bringt er auch nicht gleich alles in Brand und schlägt auch niemanden mit seinen Flügeln tot; aber was er einmal sich in den Kopf genommen, was sich in seinem Hirn und Herzen festgesetzt, das spinnt er von hier aus weiter und sein ‚guter Junge‘ äußert sich dann bald.“

Hier muß ich die Bemerkung machen, aus welchem Grunde man diesem Fürsten, dem gütigsten unter den guten und dem mildesten unter den milden, den Beinamen „guter Junge“ gab.

Der Fürst war hochgewachsen und besaß ein imponierendes Auftreten.

Die hervorragendste Eigenschaft seines Charakters war seine Herzensgüte, die sich jedoch mehr passiv als aktiv äußerte.

Es schien, als wünsche und wolle er, daß es allen gut gehe, nur war er sich darüber nicht klar, in welcher Art und Weise er dieses erreichen könnte und deshalb überließ er alles dem — Zufall.

Sein Gesicht zeigte die ruhige Zufriedenheit eines guten Gewissens, es war unbeweglich und diese Unbeweglichkeit der Gesichtszüge blieb auch dann unverändert, wenn er böse wurde oder ihn etwas bewegte, oder wenn er sich über etwas aufregte, in letzteren Fällen bemerkte man an ihm eine eigentümliche Erscheinung, seine Oberlippe und sein Schnurrbart gerieten in eine zitternde krampfhafte Bewegung.

Diesen Zustand nannte seine Umgebung und seine Bekannten — „den guten Jungen“ — da er sich dann zeige, wenn der Fürst am meisten erregt ist; dieser „gute Junge“ enthob den Fürsten vom vielen Reden und unnötigen Gesten.

Der Fürst sprach wenig, langsam, in abgerissenen kurzen Sätzen, mitunter lakonisch, sarkastisch.

In seinen Reden fehlte zumeist der Schluß; der Aufbau seiner Sätze war ganz eigenartig.

Sie erinnerten in ihrer Anlage und Bildung an die Gespräche des Unbekannten in Dickens’ „Der Pickwickier-Klub“, den originellen Begleiter des jungen, zartfühlenden Tormein, der, wie bekannt, etwa in dieser Weise sich ausdrückte:

„Es geschah ... fünf Kinder ... Mutter ... hohe Person ... stets aß die Häringe ... Vergaß ... drei ... Kinder ... schauen ... sie ohne Kopf ... verwaist ... sehr leid.“

Um die eigentümliche Ausdrucksweise des Fürsten zu verstehen, dazu gehörte ein großes Anpassungsvermögen und langjähriges Zusammenleben mit dem Fürsten und auch mußte man seine Gewohnheiten kennen; es war außerordentlich schwierig den mündlichen Auseinandersetzungen und Weisungen zu folgen, da er, wie schon erwähnt, den Schluß gewöhnlich nicht sagte.

Doch aus dem Charakter des Heroen in Dickens’ Romane konnte man schließen, daß, obzwar er in kurzen abgebrochenen Sätzen und Wörtern seine Ansicht zum Ausdruck brachte, er jedenfalls rasch redete, aber unser herzensguter Fürst hatte es nie eilig, er redete sehr langsam, mit großen Zwischenpausen, so daß der „gute Junge“ stets Zeit hatte, wenn es sich notwendig zeigte, unter seiner Nase in seinem flotten Schnurrbarte sich festsetzen zu können.

Sprach der Fürst russisch, so pflegte er, wie es sich einem hohen Herrn des neunzehnten Jahrhundertes gebührte, ein nichts sagendes, gewöhnliches Wort einzufügen — ob am rechten oder unrechten Orte, blieb sich gleich; man findet diese Eigentümlichkeit dann nur noch unter dem Volke.

Dieses Wort, welches der Fürst einzuschalten pflegte, war: „scheint es“.

Auf diesem „scheint es“ blieb oft die ganze Resolution stecken und jedermann zog aus diesem „scheint es“ den Schluß, daß seine Angelegenheit nicht schlecht stehe.

Dieses „scheint es“ gleicht jenem abgerissenen Akkord in der Oper: „Die Makabäer“ — welcher mehr andeutet, als eine große Schlußkadenz nach allen Regeln der Kunst komponiert.

„Machen Sie ... scheint es ...“ sprach der Fürst, mit der Hand leicht winkend; seine Umgebung begriff ihn und alle wußten, was getan werden sollte; es kam alles schön heraus, deshalb, weil alle wußten und kannten, was der Fürst dachte und wollte.

In der Mehrzahl der Fälle endete alles sehr günstig und zu aller Zufriedenheit; ich aber konnte es mir trotz alledem nicht vorstellen, wie diese Angelegenheit einen günstigen Abschluß finden könnte.

Gegen den Introligator und für seinen Schädiger sprach das Gesetz, für den letzteren auch noch die Fürstin — deren Einfluß, Ansehen, Bedeutung zum Leidwesen größer waren als die des Fürsten; das war unbestreitbar.

Was konnte man dem fürstlichen „scheint es“ gegenüberstellen und wie es begreifen?

Bekanntlich muß man, wenn man etwas erreichen will, sich erst darüber klar sein, was man zu erreichen wünscht und auf welchem Wege man dies erreichen könnte, und erst dann schreitet man zur Ausführung des gefaßten Planes.

Aber weder Drukart noch ich haben uns irgend einen Plan gemacht, wie wir vorzugehen willens wären, um etwas günstiges für unseren Juden zu erreichen.

In uns beiden war nur der Wunsch — zu helfen, rasch zu helfen; und einer von uns meinte, daß es nur notwendig sei, den Fürsten milde zu stimmen, ihn für die Angelegenheit des Introligators zu interessieren, das übrige werde sich dann von selbst ergeben.

Drukart war von dem guten Ausgange gleich von Anfang an überzeugt, ich aber zweifelte sehr daran; dafür hatte ich später Gelegenheit gehabt ausrufen zu dürfen: Selig sind die Gläubigen, denn deren wird das Himmelreich.

Zwölftes Kapitel.

Indem ich meinen armen bedauernswerten Juden dem Schutze und der Vormundschaft meines Freundes befahl, begab ich mich auf meinen Dienstposten, um meine tägliche Aufgabe fertig zu bringen.

Es dürfte wohl nicht überflüssig sein zu bemerken, daß unter den in dieser wahren Geschichte erwähnten handelnden Personen es keine gab, welche sich indifferent gegen den Glauben und Religion (den Juden vielleicht ausgenommen) verhalten hätte.

Was den Fürsten Hilarion Hilarionovič anbelangt, so kannte ich zwar dessen religiöse Anschauungen nicht, mußte aber annehmen, daß er ebenso rechtgläubig war, wie alle übrigen russischen Beamten es zu sein pflegen — möglicherweise sogar mehr als die anderen.

Die große, einfache, warme Seele suchte Halt und Stütze an der Nationalkirche, welche für den Russen die allein seligmachende ist, und die er in aller ihrer ursprünglichen Reinheit zu erhalten sucht.

Drukart war ein geborener Russe, ein Litauer und außerordentlich religiös; für ihn bedeutete die rechtgläubige Kirche nicht nur den Glauben, sondern auch das geistige Zeichen der russischen Nationalität.

Ich selbst wuchs in einer Familie auf, in welcher der Vater ausgebreitete theologische Kenntnisse besaß und die Mutter gottesfürchtig war.

Ich erhielt den Religionsunterricht von einem weit und breit bekannten Priester und Lehrer, dem Jefim Andrejevič Ostromislenskij, dem ich auch jetzt noch, als alter Mann, das beste Angedenken bewahre und für dessen Lehren dankbar bin.

In den Kreisen, in denen ich mich in Kiev bewegte, gab es keine Freigeister; ich blieb deshalb derselbe, der ich früher war und wie man mich lehrte; ich dachte über den Glauben wie mein Vater, meine gute Mutter und mein bester Lehrer.

Kurz sei es gesagt, niemandem konnte ein Vorwurf gemacht werden, daß wir unseren Glauben, zu dem wir unserer Geburt, unserer Erziehung, ja der vollen Überzeugung nach gehörten, nicht verleugnen oder mißachten, jedenfalls hätte keiner von uns es unternommen, jemandem von einem Übertritt zu unserem Glauben abzuraten, wenn dieser den Wunsch demselben anzugehören geäußert hätte und dennoch verbanden wir uns alle dazu, es zu verhindern, daß jemand unserer Kirche beitrete, der den Wunsch geäußert hat, dies tun zu wollen; wir alle taten es in vollem Bewußtsein und aller Ruhe, weil wir uns dessen bewußt waren, daß wir dafür belobt werden von einer Person, deren Autorität in dieser Angelegenheit unfehlbar war.

Ich will nun erzählen von einer Person, welche vor uns übrigen die großen Vorzüge hatte, daß sie nicht nur durch ihr Alter, ihre Erfahrungen, Kenntnisse, Stellung, sondern auch durch ihre Religiosität, Mut und Überzeugung uns weit überragte.

Dreizehntes Kapitel.

Das, was weiter geschah, kann ich nicht aus eigener Anschauung mitteilen, sondern nach Worten und Angaben eines Augenzeugen.

Dank Drukarts Einfluß wurde der Jude im Empfangzimmer des General-Gouverneurs so aufgestellt, daß ihn der Fürst beim Eintritt sofort bemerken mußte.

„Was? ... wer? ... was ist das für ein Mensch ... warum weint er ... fragen ...“ wendete sich der Fürst an Drukart, welcher diesesmal beim Empfange dem Fürsten assistieren mußte.

Drukart nahm die Bittschrift aus der Hand des Juden und schaute pro forma in dieselbe, da er in der Angelegenheit bereits vordem eingehend unterrichtet war.

Aus derselben hätte Drukart nichts herauslesen können, da diese einfache Angelegenheit in der weitschweifigen Beschreibung aller seiner Gefühle, Leiden, Ängsten, Verfolgungen, Elemente, Karkadil und allem möglichen unnötigen Zeuge verloren ging.

Es blieb also Drukart nichts anderes übrig, als die Bittschrift einfach zusammenzufalten und dem Fürsten den Fall in wenigen Worten mitzuteilen.

Drukart tat es in wenigen warmen, schönen, zum Herzen gehenden Worten, so daß der Fürst gerührt wurde, seine Augenbrauen zogen sich in die Höhe, die Stirne wurde kraus, der „gute Junge“ machte sich auf seinem Platze im Barte bemerkbar und rührte sich.

„Was ist das ... scheint mir ... Lumperei ...“ äußerte sich der Fürst, „das ... so ... kann nicht zugelassen werden.“

Drukart wies auf das Gesetz hin.

Der Fürst wurde mürrisch, aufgeregt, der „gute Junge“ war im Begriffe zu verschwinden, verließ aber seinen Posten nicht.

„Ja ... Gesetz ... scheint es ... nicht sein ...“

Drukart gab keine Antwort — der Fürst setzte seinen Empfang fort, nahm Bittschriften entgegen — der Jude heulte und wimmerte und hörte nur für einen Augenblick auf, wenn derselbe durch allgemeines: Tss! zum Stillschweigen aufgefordert wurde, erhob jedoch nach einigen Augenblicken wiederum sein Geschrei, dabei auf- und abschnellend, wie eine auf einer Gummischnur aufgehängte Puppe.

Dieses schien dem Fürsten zu Herzen zu gehen.

„Befehlen ... scheint es ... still sein ... hinausführen ...“ sagte er im Tone, als wenn er sich stark ärgern würde; seine Umgebung jedoch, die ihn sehr wohl kannte, wußte, daß dies kein Ärger sei, sondern ein Deckmantel für das in ihm aufsteigende Mitgefühl.

Die Reaktion in seinem Inneren war eingetreten, obzwar er befahl ... still sein ... hinausführen ..., dieser Befehl war mehr als das Zeichen des Verdrusses, als des Ärgers, da er augenblicklich nicht wußte, wie er diese Angelegenheit behandeln soll.

Es war bekannt, daß in solchen Fällen der Fürst solange unruhig blieb, bis er das Richtige gefunden hat, was ihm die Möglichkeit bot, dieser Sache den gewünschten Ausgang und Erfolg zu geben; dies war auch hier anzunehmen und man war überzeugt, daß sich der Fürst eine Zeitlang mit der Angelegenheit des Juden in Gedanken beschäftigen wird und zwar solange, bis er das Richtige herausfindet.

Diese Annahme bestätigte sich wirklich.

Kaum daß den eingeschüchterten und still gewordenen Juden zwei Gendarmen unter den Arm nahmen und hinausführen wollten, rührte sich auch der „gute Junge“ im Barte und der Fürst meinte:

„Ruhig ... sagen sie ... das ... nicht nötig ...“

Auf was sich dieses „nicht nötig“ bezog, blieb unklar, aber begreiflich: den Juden haben die Gendarmen zwar aus dem Zimmer hinausgeführt, doch nicht aus dem Hause gejagt, sondern am Korridor stehen gelassen, wo sich derselbe auf den Fußboden setzte und fortfuhr krampfhaft nach allen Richtungen zu zucken, als wenn ihn jemand an einer inneren Gummischnur gezogen hätte.

Der Fürst beeilte sich den Empfang rasch zu beenden; während der ganzen Zeit war derselbe unruhig, unzufrieden, ärgerlich.

Nachdem alle Bittsteller den Saal verlassen hatten, ging der Fürst nicht in sein Arbeitszimmer, sondern in ein kleines Kabinet, welches rechts vom Eingange lag auf den Hof hinaus führende Fenster hatte und in welchem er jene zu empfangen pflegte, mit welchen derselbe längere private oder sekrete Besprechungen zu machen hatte und in welches er sich stets zurückzuziehen pflegte, sobald er allein sein wollte.

„Traurig ...“ sagte der Fürst, als Drukart in das Kabinet trat.

„Sehr traurig, Excellenz ...“ gab derselbe zur Antwort in seiner ruhigen Art und Weise, welche ihn nie verließ und wodurch er sich vor allen anderen auszeichnete.

„Tfu! ... was für ein Lump ... ein ganz gemeiner Spitzbube ...“

„Gewiß, ein Lump ...“ war die Antwort eines Mannes, welcher begriff, auf was sich alles dieses bezieht und daß darunter der gemietete Ersatzmann des Juden gemeint ist, der den Wunsch äußerte sich taufen zu lassen.

„Im Gesetze ... scheint es ... nichts?“

„Nein, dort gibt es keine Angabe ... wieviel Zeit vergehen muß, ehe der betreffende getauft werden kann ...“

„Nahm Geld ... Lump ... Es ist ... scheint es ... was für ... Glaube!“

„Glaube, nur Vorwand.“

„Einleuchtend ... nur ich ... nichts ... scheint es ... kann tun ... gehen Sie ...“

Der Fürst entließ den Drukart in augenscheinlich höchst unangenehmen quälenden Gedanken; doch hatte Drukart das Vorzimmer noch nicht erreicht, als der Fürst das gefunden hatte, was ihm als das richtige schien und die Türe aufreißend, rief er mit fast nach Freude klingender Stimme:

„Ah! Ah! Drukart!“

Dieser kehrte sich um.

„Jetzt ... diesen ... wie er ... also: den Juden nehmen ... in Schlitten ... fahren ... mit ihm ... sofort ... gerade ... zum Mitropoliten ... Er ... guter Alter ... soll schauen ... alles erzählen ... von mir Empfehlung ... sagen ... Leid ... nichts tun kann ... Gesetz ... ausführlich ... Sie verstehen ...“

„Vollkommen!“

„Ja ... kann nicht ... möchte ... scheint es ... sehr gerne ... kann nicht ... er, sehr gut ... verstehen Sie ...“

„Ja wohl, Excellenz!“

„Also ... überlasse ... mische mich nicht ... aber ... ich bitte ... weil ... wenn ihm ebenfalls leid ... sowie er meint ... kann sein ... bitten Sie ... berichten ...“

Der Fürst beendete seine Rede in weit lebhafterem Tempo, als dies sonst der Fall zu sein pflegte, machte eine entschiedene Bewegung mit der Hand, drehte sich um und ging dann mit hellerem, freudigerem Gesichtsausdruck in seine Privaträume, doch nicht, etwa um der Fürstin die Geschichte des Juden zu erzählen, sondern um auszuruhen.

Der vom Fürsten mit diesem Auftrage bestimmte Beamte fuhr mit dem Juden zur Residenz des Mitropoliten, welche im Kloster sich befindet; mir aber schickte er durch einen Kurier ein Stückchen zusammengefaltetes Papier, auf welchem in eiligen Schriftzügen geschrieben stand: „Die Stellung sofort unterbrechen — wir fahren zum Mitropoliten.“

Vierzehntes Kapitel.

Auf zwei bis drei Stunden die Rekrutierung zu unterbrechen, bot keine Schwierigkeit, auch war dies weder auffallend noch unmöglich; ich tat es; doch welchen Erfolg dieses haben soll, war mir unerklärlich.

Unsere geistliche Hierarchie, „unsere geistlichen Herren“ oder Leute „geistlichen Standes“, wie sie der verstorbene Kiever Mitropolit Eugen Volchovnikov in seinem vorzüglichen encyklopädischen Sammelwerke nennt, ist zum großen Unglück für sie der Gesellschaft und dem Volke von ihrer besseren Seite wenig bekannt, die Intelligenz steht ihr vollständig fremd gegenüber.

Nur während der Ausübung der kirchlichen Funktionen sichtbar, treten sie sofort nach Beendigung derselben in den Schatten und Hintergrund zurück; ihre außerdienstliche Tätigkeit, ihr privates Leben ist niemandem bekannt, sie bewegen sich fast ausschließlich in ihrem geschlossenen Kreise, stets unter ihres gleichen und entfernen sich dadurch dem wirklichen Leben.

Selbst wenn ein hervorragender geistlicher Fürst, ein Mitropolit, Erzbischof oder Bischof stirbt, pflegt sein Nekrolog nichts anderes zu enthalten als die Angaben seines Geburtsjahres und seiner dienstlichen Qualifikationsliste; eine recht traurige Zusammensetzung in oft noch traurigerem Stile geschrieben.

Kein Wort über seine Ausbildung, seine Kenntnisse, sein geistiges und weltliches Wirken, nichts über seinen Charakter, Geist, seine Ansichten, Gedanken, es wird nichts erwähnt über sein Wesen, sein Wirken, sondern nur gewöhnliche landläufige Phrasen, oft in unlogischer, ungrammatikalischer Zusammenstellung vorgebracht.

Um wie viel sind uns in dieser Beziehung hin die Katholiken und Protestanten voraus; schon während der Lebenszeit sind dieselben mit den Eigenschaften ihres Priesters, der ihnen ja nicht fremd, weil mit ihnen verkehrend, völlig vertraut, und alles, was dieser getan, gedacht, erzielt, alles findet man gesammelt in Werken, die jedermann zugänglich sind und für die sich nicht nur die Intelligenz, sondern auch das Volk interessiert.

Uns ist alles derartige unbekannt.

Es kann möglich sein, daß man absichtlich, aus Berechnung alles derartige unterläßt — darüber will ich weder streiten noch mich für oder gegen aussprechen.

Es scheint, man wünsche es, daß der Schäfer sich nicht unter die Schafe mische, weil man annimmt, daß dieses weder Vorteil noch Nutzen der Kirche bringen würde.

Der Priester soll das Volk nur mit dem Leben, Leiden, den Lehren unseres Heilandes Jesus Christus bekannt machen, alles übrige soll ihm ein Buch mit sieben Siegeln sein; das Volk soll mit der höheren Hierarchie in keine geistige noch weltliche Berührung kommen, sie soll demselben unnahbar, unerreichbar, fremd sein und bleiben, doch würden diese hohen Kirchenfürsten und ihre Untergebenen größere Wohltäter des Volkes werden, wenn sie demselben näher treten, Anteil nehmen würden an dessen Wohl und Wehe.

Ein geistlicher Schriftsteller äußerte sich über die Scheidung des geistlichen Standes von dem weltlichen, vom Volke und der Intelligenz dahin, daß die wenigsten Personen der niederen Geistlichkeit in der Lage sind, logisch und zusammenhängend zu sprechen und zu schreiben.

Ich stimme dem vollkommen zu und kann es nur beklagen; man findet außerordentlich wenige Personen geistlichen Standes, welche sich literarisch beschäftigen würden; das ist ein großes Hindernis für die gegenseitige Annäherung und bedeutet einen großen Verlust für beide Teile.

Diese Abschweifung, zur Sache eigentlich nicht gehörig, bedauere ich nicht gemacht zu haben, auch darf sie nicht in dem Sinne gedeutet werden, als würde ich durch dieselbe das ergänzen wollen, was später geschah und zwar zur richtigen Zeit und im richtigen Augenblicke.

Auch sonst fällt mir gar nicht in den Sinn, noch habe ich Lust Beweise für das von mir Gesagte zu erbringen.

Ich habe überhaupt in der Erzählung fortzufahren, kann jedoch nicht unterlassen, einiges Charakteristische aus dem Leben des an dem günstigen Ausfall der Geschichte beteiligten Mitropoliten Filaret Amfiteatrov mitzuteilen, wodurch seine Leutseligkeit und Herzensgüte mehr zum Ausdruck kommt.

Fünfzehntes Kapitel.

Der Mitropolit war mehr oder weniger mein Landsmann, denn er war ebenfalls im Orlover Gouvernement geboren.

Schon als Kind hörte ich vieles von dessen Gutherzigkeit und Menschenliebe erzählen.

Ebenso waren mir die verschiedenen Verfolgungen bekannt, denen er ausgesetzt war, ehe er den hohen Posten eines Mitropoliten erreichte.

Es ist schade, daß sich niemand findet, das Leben dieses seltenen Mannes einem speziellen Studium zu unterwerfen, dasselbe würde ein höchst interessantes Buch über den Charakter und Tätigkeit vieler hochstehender, zu jener Zeit lebenden Personen und über die Zeit selbst ergeben.

In den verschiedenen Geschichten, welche noch heutigen Tages unter dem Volke verstreut sind und nacherzählt werden, wird der Mitropolit Filaret als ein bescheidener, sanfter, geduldiger, friedfertiger, einfacher Mensch und Priester geschildert — von seiner sonstigen Tätigkeit wird jedoch keine Erwähnung getan.

Seine Menschenliebe kam täglich, ja stündlich zum Ausdruck.

Man erzählte sich Verschiedenes über den Moskauer Mitropoliten, welcher es soweit brachte, daß Mitropolit Filaret nicht mehr auf seinen früheren Posten nach Petersburg zurückkam — ich finde es nicht notwendig auf diese Angelegenheit näher einzugehen, da dieselbe auch sonst in keiner Beziehung zu meiner Geschichte steht.

In Kiev tadelte man und sprach sehr viel über seine persönlichen Beziehungen zu dem verstorbenen Gerasim Pavskij — ich selbst stand eine Zeit auf Seite der Tadler.

Zum erstenmale begegnete ich dem Mitropoliten im Hause des Präsidenten der Finanz-Landes-Direktion in Kiev und zwar unter Umständen, welche mich in Erstaunen brachten.

Als der Mitropolit in den Salon trat, segnete er zuerst den Hausherrn und seine Angehörigen, dann die übrigen Gäste, welche an ihn herantraten, um seinen Segen zu empfangen.

Mit einemmale bemerkte er ein junges Mädchen, die Erzieherin der Kinder des Hausherrn, welche an den Tisch sich anlehnend ruhig stand; der Mitropolit sah sie an und ohne seine Stelle zu verlassen, fragte er:

„Und Sie?“

Das Mädchen verbeugte sich tief vor ihm, ohne jedoch zu ihm näher zu treten.

„Nu, was ist ... treten Sie doch näher! ...“

Der Hausherr trat an den Mitropoliten heran und sagte ihm leise:

„Eminenz! — sie ist eine Protestantin.“

„Was liegt daran, daß sie eine Protestantin ist — sie ist doch keine Jüdin.“

„Nein, Eminenz, Protestantin.“

„Nu, Protestantin, komm zu mir, komm, komm ... so; segne Dich Gott! ... im Namen Gottes des Vaters, Sohnes und des heiligen Geistes ...“

Er segnete das sichtlich stark aufgeregte und verwirrte Mädchen, und als sie, unserem Beispiele folgend, seine Hand küssen wollte, ließ er es nicht zu, sondern strich ihr mit derselben liebevoll über ihren Kopf, und sagte:

„Ein kluger, verständiger Kopf!“

Das Mädchen war von diesem ungewöhnlichen Vorfalle, von der zum Ausdruck kommenden Menschenliebe so sehr ergriffen, daß sie zu weinen anfing und sich für eine Zeit in die anderen Zimmer der Wohnung zurückziehen mußte, um wieder die gewohnte Ruhe zu finden.

In der Folge ging sie jedesmal unaufgefordert zum Mitropoliten, um sich von ihm segnen zu lassen, er schenkte ihr Bücher, Bilder, sie trat dann zur rechtgläubigen Kirche über und soll, wie man mir erzählte, sehr religiös gelebt und den Mitropoliten Filaret äußerst hoch geschätzt und geliebt haben.

Während dieses seines Besuches zeigte sich uns der Mitropolit auch in anderem Lichte.

Er hatte kaum die Ehrenstelle am Divan eingenommen, als die Schwester der Hausfrau sich beeilte, neben ihn sich zu setzen und ihn zu unterhalten.

Die Dame dachte wohl vor ihm mit ihrer Eleganz einer Weltdame glänzen zu sollen, denn sie frug süß lächelnd:

„Euere Excellenz dürften sich wohl hier in Kiev nach Petersburg sehnen?“

Der Mitropolit sah sie an — und — Gott weiß es — hat er diese Frage mit seiner Entfernung aus Petersburg in Verbindung gebracht oder dieselbe nicht richtig verstanden, denn er antwortete:

„Was soll das? ... Was geht mich Petersburg an?“ und sich abwendend sprach er in einem ganz eigentümlichen Tonfall und Ausdrucksweise: „... dumm ... sehr dumm ...“

Die Stimme, mit welcher er dies sagte, klang so alt, so schwach, während später, als er sich beruhigte, dieselbe wieder weich, wenn auch tief, klangvoll wurde.

Der Eindruck, den der Mitropolit beim ersten Begegnen auf mich machte, war ein eigentümlicher, mir schien derselbe gutmütig, zu gleicher Zeit aber — sehr grob zu sein.

Ich erinnere mich noch eines Vorfalles mit einem Maurer, welcher vom Turme herabstürzte und sich schwer verletzte.

Der Mitropolit trat an ihn heran, betrachtete ihn längere Zeit, seufzte tief auf und sprach:

„Ei, ei! Du dummer Mensch! ...“ segnete ihn und ging weiter. —

In Kiev wohnte ein Priester, Namens Botvinovskij ein Mensch nicht ohne verschiedene Schwächen dabei aber von ungewöhnlicher Herzensgüte.

Er stellte, beispielsweise, eine solche Geschichte an: Dem Kassier T. fehlten etwa 3000 Rubel in der Kassa und ihm drohte nicht nur völliger Untergang, Entlassung, sondern auch Gefängnis, wenn nicht noch etwas Ärgeres.

Viele reiche Leute haben ihn zwar bemitleidet, aber niemand entschloß sich etwas zu tun, um ihm zu helfen und ihn zu retten.

Botvinovskij jedoch, ohne je den T. gesehen, oder gekannt zu haben, verkaufte alles Wertvolle, was er besaß, belastete sein Haus und lief ruhelos so lange bei allen seinen Bekannten und auch Unbekannten in der Stadt herum, bis er die noch fehlende Summe geradezu gesagt zusammengebettelt hat, die er dann dem T. einhändigte.

Sowie man dem Mitropoliten diesen Fall erzählte, meinte er:

„Siehe da! ein selten braver Mann!“

Statt des Dankes erntete Botvinovskij später den schwärzesten Undank, er wurde beim Mitropoliten verklagt, welcher ihn vor sich laden ließ und ihn fragte, ob es alles wahr sei, was die Leute über ihn reden.

„Verzeihen, Euere Excellenz, nur Unvorsichtigkeiten,“ gab Botvinovskij zur Antwort.

„Ah! ... Warum rauchst Du aus einer Pfeife mit langem Rohr? Ah!“

„Verzeihen, Euere Eminenz!“

„Was soll ich verzeihen? — Ah! — Ist das auch eine Unvorsichtigkeit? Ah? — Wie kannst Du, als Pop, eine Pfeife rauchen mit langem Rohr? — Ah!“ — schrie ihn der Mitropolit an, in einem Tone, als wenn er ihn ausschelten möchte.

„Ich verbiete Dir ein für allemal ...“ sprach der Mitropolit weiter, „aus einer Pfeife mit einem langen Rohre zu rauchen oder eine solche zu besitzen ... jetzt gehst Du geraden Weges nach Hause und brichst das lange Pfeifenrohr in zwei Stücke ...“

Vom kurzen Rohr wurde weiter nicht gesprochen und auch der anderen Klagen nicht erwähnt; von der Zeit an blieb Botvinovskij unbelästigt.

Ich erinnere mich ferner einer altadeligen Familie, Mutter und Töchter, welche mir persönlich bekannt waren.

Sie war eine brave, tüchtige Frau, die Mutter dieser sechs Töchter, die nach damaligen Begriffen wohlerzogen waren und nicht häßlich genannt werden konnten; auch reich waren sie, konnten aber trotz ihres Reichtumes keinen Mann finden, was der Mutter höchst unangenehm war. Nach Ansicht derselben war niemand schuld daran — als die Männer selbst, welche nichts weiter sind als Egoisten, Schmeichler, Speichellecker, welche reiche Häuser besuchen, nicht um die Töchter zu heiraten, sondern um sich gut anzuessen.

Eines schönen Tages erschien sie mit allen ihren sechs Töchtern ganz unerwartet in Kiev, um einen in der Nähe der Stadt einsam wohnenden Mönch aufzusuchen, welcher im Rufe großer Frömmigkeit stand; diesen wollte sie bitten, für ihre Töchter zu beten, damit sich Freier für diese einfinden möchten.

Die Frau nahm Wohnung im Klosterhof; ich selbst bekam von meinen Eltern den Auftrag, sie aufzusuchen und ihr nach jeder Richtung hin behilflich zu sein.

Sie bat mich, mit ihr nach Kitaev, dem Wohnorte des Mönches zu fahren und zwar sobald als möglich, da sie vor Ungeduld brenne, den Einsiedler zu sprechen und dessen „Schicksalsspruch“ zu hören.

Diesem Wunsche konnte ich mich nicht gut entziehen, obzwar ich für meine Person keine große Lust spürte mit dem Einsiedler bekannt zu werden oder ihn in seiner Ruhe zu stören und zu beunruhigen; mir war von seiner Sehergabe nur soviel bekannt, daß er dem Begegnenden auf sein: „Sei gegrüßt, Väterchen“, gewöhnlich zur Antwort gab „auch Du, Sünder“.

Auf meine Bemerkung, ob es denn unbedingt nötig sei, wegen einer solchen Angelegenheit den guten Alten zu beunruhigen, gab mir die Mutter zur Antwort:

„Wie können Sie eine derartige Angelegenheit beurteilen? ... Es wäre eine unverzeihliche große Sünde, eine solche Gelegenheit unbenutzt vorübergehen zu lassen ... Ihr alle in Kiev seid Freigeister ... nach neuer Art ... ihr glaubt an nichts, während wir immer noch gläubig sind ... Aufrichtig gestanden, ich bin ja mit meinen Töchtern nur deshalb hierher gekommen, um den frommen Mann aufzusuchen ... Beten können wir zu Hause auch, ebenso wallfahrten wohin wir wollen — nach Mcensk zum heiligen Nikolaus, nach Orel zur heiligen Mutter Gottes im Frauenkloster ... aber man sagte uns, der Einsiedler besitze die Gabe, alles vorauszusehen, und er soll mir deshalb das Schicksal meiner Töchter voraussagen.“

„Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß Sie von ihm nichts anderes hören werden, als etwa: ‚Guten Tag, ihr Sünderinnen‘“, erwiderte ich.

„Möglich ... aber es kann sein ... daß er mir zu Liebe sonst noch etwas sagen wird.“

„Jedenfalls wird er noch was anderes euch sagen,“ dachte ich mir.

Die Mutter hatte recht, gesagt hat er schon etwas.

So fuhren wir denn eines schönen Tages nach dem Wald von Kitaevsk und Golosjevsk, nahmen den unvermeidlichen Samovar, verschiedenes Gebäck, Delikatessen, Weine, Melonen und noch aller Art Proviant mit; dort angekommen erholten wir uns erst von der Fahrt, besuchten die Kirchen und machten uns schließlich auf den Weg den Einsiedler zu suchen.

In Kitaevsk haben wir ihn nicht gefunden, man wollte ihn auf dem Wege nach Golosjevsk gesehen haben, wo während des Sommers der Mitropolit zu wohnen pflegte.

Wir gingen und gingen, frugen jeden, der uns begegnete, und kamen schließlich in einen Garten, wo man uns sagte, daß sich der Mönch dort befinden dürfte.

Endlich fanden wir ihn.

„Guten Tag, Väterchen!“

„Guten Tag, ihr Sünderinnen!“

Die Damen stutzten über diese Antwort; die Mutter aber, welche bemerkte, der Alte wolle einen ganz entgegengesetzten Weg einschlagen, ermutigte sich und sagte:

„Sagen Sie uns noch etwas, Väterchen!“

„Gut,“ sagt er, „lebt wohl, ihr Sünderinnen!“

Damit ließ er uns stehen; aber mit einemmal erschien an seiner Stelle ein anderer Greis — nicht so groß vom Wuchse, wie der Mönch, aber mit hellem, klarem, freundlichem Gesichtsausdruck und frug:

„Was wollt Ihr, Närrchen? — Ach! ... Ihr dummen, dummen ... geht doch lieber nach Hause ...“

Dieser Greis entfernte sich ebenfalls.

„Wer war dieser zweite, der eben mit uns gesprochen?“ frugen die Damen.

„Das war der Mitropolit,“ gab ich zur Antwort.

„Das kann doch wohl nicht sein!“

„Ist aber schon, er selbst.“

„Ach! mein Gott! ... welches Glück ... jetzt werden wir zu Hause allen erzählen, daß der Metropolit mit uns gesprochen hat ... Die Leute werden es gar nicht glauben wollen! ... Und wie freundlich, zuvorkommend und herablassend er ist ...“

„Er ist unser Orlover Landsmann,“ sprach ich.

„Gewiß hat er nach dem Dialekt erkannt, daß wir Orlover sind und ist deshalb so freundlich mit uns gewesen.“

Über diese Begegnung waren sie so glücklich, daß sie zu weinen anfingen.

Ja, dieser Greis war tatsächlich der Mitropolit selbst, welcher sofort erkannte, wess’ Geistes Kinder er vor sich zu stehen habe; Sünderinnen konnte man meine Landmänninnen weniger nennen, wohl aber beschränkt ... dumm!

Alles dieses erzähle ich nur deshalb, um Gelegenheit zu geben, den Charakter des Mitropoliten richtiger beurteilen und um daraus den Schluß ziehen zu können, wie sich derselbe in der Angelegenheit des Juden benehmen wird, in einer Angelegenheit, in welcher wir alle, die Juden bemitleidend, nichts machen konnten, ja selbst die höchste, einflußreichste und machtbesitzende Persönlichkeit machtlos und ohne Einfluß blieb.

Wir gingen alle um das Feuer herum, in welchem die Kastanien lagen, aber niemand traute sich dieselben herauszuholen, da er fürchtete sich zu verbrennen; diese Mühe blieb dem Mitropoliten vorbehalten, einer Person, welche der ganzen Angelegenheit völlig fremd gegenüberstand.

Sechzehntes Kapitel.

Was wird er tun?

Ehe ich jedoch in meiner Erzählung fortfahre, in welcher Art er die Angelegenheit des Introligators zu Ende führte und ein gerechtes Urteil fällte in einem Falle, welcher gesetzmäßig dem weltlichen Richter und nicht dem geistlichen vorbehalten war, will ich noch eines Falles erwähnen, der in Kiev vorfiel und in welchem der Mitropolit einen besonderen Beweis seines Mitleidens und seiner Herzensgüte zur Äußerung brachte.

In der Familie des T. ereignete sich großes Unglück; die hochgebildete, hochherzige, sehr religiöse Dame K. F. endete durch Selbstmord, hinterließ aber derartige Anordnungen, daß man diesen Selbstmord nicht als die Folge einer Geistesverwirrung ansehen konnte; ebenso wenig lag irgend ein Grund vor, an eine Gehirnanomalie zu glauben.

Der Arzt gab sein Zeugnis dahin ab, daß eine krankhafte Änderung im Gehirn nicht vorgefunden worden ist, worauf die Polizei eine Beerdigung auf dem Kirchhofe nicht gestatten wollte.

Alles dieses hat die durch den unverhofften und unerklärlichen Selbstmord eines Familiengliedes in die tiefste Trauer versetzten Angehörigen der Toten tief niedergebeugt und trostlos gemacht, aber gegen die Anordnung der Polizei, weil im Gesetze begründet, konnte nichts gemacht werden.

Der Verwandte der Familie, Redakteur des „Kiever Telegraf“, Alfred Jung, eilte zum Mitropoliten und bat ihn zu gestatten, daß die Selbstmörderin in üblicher Weise durch die Geistlichkeit auf dem Kirchhofe in geweihter Erde beerdigt werde, ohne Rücksicht auf das ärztliche Zeugnis und Verbot der Polizei.

Der Mitropolit empfing den Bittsteller trotz vorgerückter Stunde sehr freundlich, dieser teilte ihm das Unglück und die Bitte der Familie mit, worauf sich der Mitropolit, mit dem Kopfe schüttelnd, seufzend dahin äußerte, daß er die Selbstmörderin persönlich sehr wohl kannte und sie bedauere.

„Die Arme; Arme ... ich kannte sie sehr wohl ... kannte sie, die Arme ...“

„Eminenz! man will nicht erlauben, sie nach kirchlichem Gebrauche in geweihter Erde beizusetzen ... für die Familie ist dieses schrecklich, fürchterlich!“

„Warum nicht begraben? ... Wer erlaubt sich dieses zu verbieten? ...“

„Die Polizei ...“

„Was geht das die Polizei an,“ unterbrach der Mitropolit den Redakteur Jung ... „Ei, ei! was die sich ausgedacht ...“

„Es ist deshalb, Eminenz, weil der Arzt gefunden, sie hätte den Selbstmord bei vollem Bewußtsein ausgeführt!“

„Was hat der Arzt für Schlüsse zu ziehen? ... was versteht der vom Verstande! ... Das kenne ich besser ... Frauenzimmer ... schwaches ... ohnmächtiges ... Gefäß ... — hinfällig ... ich befehle, daß sie nach kirchlichem Brauche in geweihter Erde beerdigt werde ... ja, ich befehle es ... befehle es ...“

Und wie er befahl, so geschah es!

Und etwas ähnliches konnte auch heute in Sache des Introligators vorfallen.

Nach einer Richtung hin war unser Fall dem eben erzählten ähnlich; der Mitropolit war heute noch derselbe wie damals, und heute konnte er eine Sache wiederum besser beurteilen, als wir übrigen; er konnte dort Gnade für Recht ergehen lassen, dort, wo man das Recht tatsächlich mit Füßen trat.

Gewiß wird er auch in unserem Falle sagen: ich kenne das besser ... und damit diesen Fall beendigen.

Obzwar ich vordem Zweifel hegte, ja eine Möglichkeit, daß dem Introligator sein Recht werde, völlig ausschloß, fing ich nun an zu hoffen und erwartete, daß sich etwas ungewöhnliches, unvorhergesehenes, unerwartetes ereignen werde, besonders jetzt, seitdem Fürst Vasilčikov die ganze Sache zur Urteilsschöpfung einem Richter überließ, der am besten und klarsten das Recht vom Unrecht zu unterscheiden verstand.

Damals hatte ich noch nicht die Schriften des heiligen Augustinus[7] gelesen, auch waren mir die geistreichen Ansichten Laurent Sterns[8] noch nicht bekannt, aber mein einfacher Sinn setzte voraus, der Mitropolit könne es gar nicht zulassen, daß ein Mensch in den Schoß der allein seligmachenden Kirche aufgenommen werde, welcher nach der Ansicht Sterns dieser Kirche einen Besuch im Schlafrocke abstatte.

Welche Vorteile für die Kirche aus solchen Proselyten erwachsen, ist mir unbegreiflich; diese Leute bringen dem wahren Christentum mehr Schaden als Nutzen, denn sie vermehren die Zahl jener Personen ohne Glauben, ohne Ehre, ohne Überzeugung, welche nur den Namen Gottes lästern.

„Nein,“ sagte ich zu mir selbst, „nein! der Mitropolit wird gewiß das richtige Urteil fällen.“

Und ich irrte mich nicht!

Ich kehre nun zu meiner eigentlichen Erzählung zurück, um sie zu beendigen.

Ich unterbrach dieselbe in jenem Augenblicke als Drukart mit dem Juden zum Mitropoliten fuhr.


[7] „De fide et operibus“ und „De catechisandis rudibus“.

[8] Bekannter englischer Humorist, Pastor der Kirche in Sutton, bekannt durch seinen satyrischen Scharfsinn und sanftes Gefühl. Derselbe sagt: „Umsonst glauben jene gute Christen zu sein, welche nicht dafür Sorge tragen auch gute Menschen zu sein! — Sich zu Christus bekennen, und gegen seinen Nächsten böse Absichten tragen, ist ungehöriger und unverzeihlicher, als einen Besuch im Schlafrock zu machen.“

Siebzehntes Kapitel.

Diesen erwähnten Tag war der Jude bedeutend ruhiger, seine Verzweiflung und Mutlosigkeit war eine schwächere, geringere, als am vorhergehenden Tage; er heulte, jammerte und ächzte auch heute noch, jedoch viel seltener, auch heute warf er sich hin und her und zuckte krampfhaft auf, aber alles dieses war, im Vergleiche zum vorhergehenden Tage, doch bedeutend mäßiger.

Diese Beruhigung konnte man dem Umstande zuschreiben, daß er seinen Sohn, wenn auch aus ziemlicher Entfernung, gesehen hat, da derselbe in demselben Wirtshause interniert war, wo die anderen Rekruten bewacht wurden.

Sowie Drukart den Introligator neben sich in den Schlitten setzte, fingen die früheren Erscheinungen der Verzweiflung und Mutlosigkeit, des Jammers und der Angst in stärkerem Maße aufzutreten.

Wie man mir später erzählte, soll sich der Jude wie ein Wahnsinniger, überhaupt wie einer, der den Verstand verloren hat, gebärdet haben, er griff mit beiden Händen an den Kopf, sprang auf, schrie, schwenkte mit den Händen in der Luft, ja soll während der Fahrt einigemal versucht haben, aus dem Schlitten herauszuspringen und wegzulaufen.

Wohin? — Warum und weswegen? — darüber dürfte er sich selbst nicht klar gewesen sein; aber als sie durch das Festungstor fuhren, da gelang es ihm doch aus dem Schlitten herauszuspringen, dabei fiel er jedoch auf einen Schneehaufen, sprang jedoch rasch auf, lief gegen die Mauer, und die Hände ringend schrie er helllaut:

„Oi! Jeschu! Jeschu! ... Was wird der Pop mit mir machen?“

Zwei diensteifrige Soldaten, welche in diesem Augenblicke vorübergingen, griffen den Juden auf, jagten ihm Furcht ein und setzten ihn wieder in den Schlitten.

In wenigen Minuten hielt dieser vor der sogenannten „goldenen Pforte“ an.

Das Gebaren des Juden in der Zeit, während seine Angelegenheit dem Mitropoliten zur Entscheidung vorgetragen worden ist, soll unbeschreiblich gewesen sein; er verbeugte sich und machte tiefe Bücklinge und Reverenzen nicht nur vor allen ihm begegnenden Mönchen und dienenden Brüdern, sondern auch vor den Bildern, welche einen außergewöhnlich großen Eindruck auf ihn geübt hatten.

Dabei hörte er aber nicht auf zu seufzen und zu jammern.

Ein halbblinder alter, dienender Bruder, der stets mit einer Büchse und geheiligtem Wasser unter dem Tore saß, besprengte den Juden mit demselben; der Jude jedoch beeilte sich die wenigen Tropfen Wasser, welche auf ihn fielen, so rasch wie tunlich abzuwischen.

Jetzt erst war der Schlitten so weit, um bald vor der Residenz des Mitropoliten anzuhalten; es handelte sich nun darum, ob der Mitropolit den Drukart mit dem Juden überhaupt empfangen wird, oder ob gewartet werden müsse.

Drukart hat alles während der Fahrt wohlweislich nochmals bedacht, namentlich in welcher Art und Weise er den Auftrag des Fürsten an den Mitropoliten ausführen soll.

Zuerst war er der Ansicht den Juden im Schlitten zurückzulassen, selbst um Audienz beim Mitropoliten zu bitten, diesem die Angelegenheit kurz, in wenigen Worten, mitzuteilen, dabei gleichzeitig seine Rede so zu halten, daß beim Mitropoliten Mitleid und Interesse für den Juden erregt werde; was dann sein wird — das wird sein!

Wenn alles so sich ereignet hätte, wie es gedacht worden, wer weiß, ob das Ende so ausgefallen wäre, wie dies später der Fall gewesen.

Ich habe schon erwähnt, was für ein herrlicher, schöner, warmer Tag gewesen.

Der Mitropolit stand zu jener Zeit bereits hoch in Jahren, fast an der Neige des Lebens, war fast fortwährend kränklich, mitunter litt er schwere Schmerzen und mußte längere Zeit das Bett hüten.

Sein Leibarzt war Professor Vl. Af. Karavaev, der eigentliche behandelnde Arzt jedoch dessen Gehilfe Zaslavskij, welchen der Metropolit „Vater Zaslavskij“ zu nennen pflegte.

In der Zwischenzeit, wo er den Zaslavskij nicht nötig hatte, unternahm er nicht selten sogar kleine Spaziergänge in freier Luft.

Drukart und der Jude kamen gerade zu einer Zeit, die nicht besser und erwünschter sein konnte.

Der Schlitten bog um den Glockenturm, um vor die Residenz vorzufahren, als Drukart eine kleine Gruppe von Mönchen entdeckte, welche vor dem Eingangstore des Klosters standen; unter ihnen befand sich der Mitropolit.

Derselbe entschloß sich an diesem wunderschönen Tage frische warme Luft zu atmen und ist ohne Kopfbedeckung, ohne alle Zeichen seiner hohen Würde — im einfachen Hauskleide, einem kurzen warmen Pelzrock vor das Haus gegangen.

Drukart erkannte den Mitropoliten schon von weitem, stieg aus, und an den Mitropoliten tretend, fing er an ihm die Ursache seines Kommens und seines Auftrages mitzuteilen.

Der Mitropolit hörte anscheinend ohne jede Aufmerksamkeit die Erzählung an, und mit den Augen blinzelnd, hörte er nicht auf, eine der Kuppeln auf dem Dome zu betrachten, auf welcher im Sonnenscheine Tauben, Dohlen, Krähen, Raben, Spatzen sich durcheinander tummelten oder ruhig saßen.

Es schien, als wenn der Mitropolit für gar nichts anderes Interesse hätte, als für die auf der Kuppel sitzende, huschende, springende, streitende Vogelschar; doch als Drukart im Laufe der Erzählung zu jener Tatsache kam, wo der Gemietete den Mieter betrog, da lächelte der Mitropolit stille vor sich hin und sprach:

„Sieh! der Dieb stahl dem Dieb den Stock!“ und mit dem Kopfe schüttelnd, setzte er seine Betrachtungen der Vogelwelt weiter fort.

„Euere Eminenz!“ fuhr Drukart fort, „die Angelegenheit befindet sich nun in folgendem Stadium ...“ er machte die Folgen des Ausganges dem Mitropoliten klar ...

Dieser schwieg nach wie vor, atmete mit großen Zügen tief die milde frische Luft ein und betrachtete die Vogelwelt.

Die Stellung des Abgesandten des Fürsten fing recht unbequem zu werden — er fügte noch einiges nebensächliche hinzu und unterbrach dann seine Rede.

Der Mitropolit schwieg und vertiefte sich in seine Betrachtungen.

„Was befehlen, Euere Eminenz, daß ich dem Fürsten mitteile,“ frug endlich Drukart, „Seine Excellenz bittet, da ihm das Gesetz die Möglichkeit benimmt ...“

„Gesetz ... Möglichkeit ... mich bittet? ...“ sprach der Mitropolit in einer Weise, als wenn er laut denken und etwas erwägen würde, dann schaute er plötzlich den Introligator, der in großer Angst in einiger Entfernung von den anderen stand, scharf an.

Die Augenlider des Mitropoliten hoben und senkten sich rasch und langsam sprechend meinte er:

„Ach! — was soll ich mit Dir, Jude, anfangen?“ jedoch später zufügend:

„Wie bist Du aber dumm!“

Der sich krampfhaft windende Jude hörte die an ihn gerichtete Rede an, fiel zur Erde, krümmte sich, weinte, jammerte:

„Jeschu! Jeschu! Hanozri!“

„Warum schreist Du, dummer Jude!“

„Oi! Euere ... oi! ... Euere Eminenz ... wenn ... wenn ... wenn sich niemand ... wie Sie ...“

„Nein, nicht ich, sondern Gott allein ... Du Dummkopf!“

„Oi Gott! ... oi Gott! ... oi Jeschu! Jeschu! ...“

„Warum rufst Du immer Jeschu an? — sage einfach Herr Jesus Christus!“

„Oi ... wenn ... Herr oi ... Sus Chrischt! ... oi ... oi ... gib mir ... gib mir ... Herr ... Herr ... gib mir mein Kind!“

„Nun also, Dummkopf!“

„Er ist bereits halb wahnsinnig,“ meinte Drukart — „aufrichtig gestanden, es ist sogar höchst merkwürdig, daß er es noch nicht geworden ist, und daß er sich überhaupt bei allem dem Unglück, das ihn betroffen, noch so weit erhalten kann.“

Der Mitropolit atmete tief auf, sprach leise und langsam:

„Die Liebe macht nie schwach!“ und die Augen wiederum der Vogelschar auf dem Dache zuwendend, sprach er plötzlich, wie zu sich selbst sprechend:

„Ist unwürdig die heilige Taufe zu empfangen ... wegschicken ... unter die Soldaten ...“ damit drehte er sich um und ging ohne weiteres zu sagen in seine Wohnung zurück.

Eine Berufung gegen dieses „Urteil Seiner Eminenz“ gab es nicht; alle waren mit demselben — den Schneider ausgenommen — zufrieden, alle gleichzeitig darin einig, daß der friedfertigste aller Priester, über den Parteien stehend, das Richtige gefunden und den stark verwickelten Knoten in einfacher Weise gelöst habe.

Den der Taufe unwürdig befundenen Schlaukopf führte man sofort zur Stellung, schnitt ihm das Haar ab, und dem überglücklichen Vater übergab man das Kind, seinen Sohn.

An ihrem gegenseitigen Glücke sich zu freuen gab es keine Zeit.

Der geschorene Mietling ließ sich aber, wie mir später mitgeteilt wurde, dennoch taufen, mehr jedoch wegen der 30 Rubeln, welche zu jener Zeit jeder Jude erhielt (wohl als Prämie), der sich taufen ließ.

Es scheint also, daß keine Seite einen Verlust zu verzeichnen hatte.

Mit diesem könnte ich zwar meine Erzählung beschließen, wenn ich nicht eine merkwürdige Begegnung gehabt hätte, welche teilweise in einer gewissen Verbindung mit dem Erzählten steht.

Achtzehntes Kapitel.
(An Stelle eines Epilogs.)

Der Krieg in der Krim war beendet, der Friede geschlossen worden.

In der Litteratur zeigte sich eine neue Strömung; eine nicht geringe Zahl junger Leute verließ den Staatsdienst und widmete sich ganz der Litteratur; oder sie suchten und fanden Beschäftigung in verschiedenen Privatunternehmungen, welche wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden schossen.

Ich selbst bin Teilhaber eines englischen Handlungshauses geworden, in dessen Interesse ich fast das ganze Jahr ununterbrochen reisen mußte.

Sobald es das Geschäft verlangte, mußte ich mich dann und wann in irgend einer Stadt längere Zeit aufhalten, und da ich in solchen Fällen viel freie Zeit hatte, las ich viel und schaffte mir ältere und neuere Werke über jene Gegenstände an, welche gerade mein Interesse in Anspruch nahmen.

Gelegentlich eines Aufenthaltes in dem berühmten und bekannten Wallfahrtsorte Sergiev-Troica kaufte ich zufällig auf dem dortigen Markte die Schriften Voltaires, in welchen mich besonders jene Stellen interessierten, welche Bezug auf die Bibel hatten.

Was die Bibel sei, wie und warum von Moses die fünf Bücher geschrieben, in welcher Art das goldne Kalb zu Pulver gestoßen werden konnte, da sich das Gold nicht pulverisieren lasse ... alles dieses und ähnliches ließen mich darauf bezügliche befriedigende Antwort suchen.

Ich wollte um jeden Preis die schon damals äußerst seltene russische Ausgabe der „Jüdischen Briefe an Herrn Voltaire“ kaufen und wendete mich an eine Buchhandlung in Moskau, die jedoch das Buch nicht besaß.

Mir wurde eine zweite Buchhandlung empfohlen, welche sich speziell mit dem Handel mit seltenen Büchern befaßt; hier versprach man mir das erwähnte Buch zu verschaffen, da man dort wußte, in wessen Besitz sich ein Exemplar der „Jüdischen Briefe“ befinde.

Ich wartete längere Zeit; auf meine Anfragen, wann ich in den Besitz des Buches kommen kann, bekam ich die stereotype Antwort, der Besitzer desselben, ein Buchbinder, sei abgereist, müsse aber bald zurückkommen.

In dieser Weise zog sich die Angelegenheit in die Länge und ich war nahe daran abzureisen, als ich, nochmals die Buchhandlung aufsuchend, die Auskunft erhielt, der Buchbinder sei zurückgekehrt, ich soll nur einige Augenblicke warten, er werde selbst kommen und das Gewünschte bringen.

Ich setzte mich, durchblätterte die aufliegenden alten und neuen Bücher, als man mit einemmale ausrief:

„Er kommt!“

Ich blicke auf und sehe in den Laden einen alten Mann eintreten, mit mildem, ruhigen Gesichtsausdruck, ausgesprochen jüdischen Typus, mit schneeweißem Haare, gekleidet nach üblicher kleinbürgerlich russischer Art, weiter langer Rock, eine Mütze mit breitem Boden und großem Schirm; in der Hand trug derselbe in ein blaugefärbtes Baumwolltuch eingebunden einige Bücher.

„Ei! Gregor Ivanič, wie lang ist es schon, daß sie sich bei uns nicht sehen ließen?“

„Hatte keine Zeit gehabt,“ gab er ruhig zur Antwort, das Bücherpaket auf den Ladentisch legend.

Ein weiteres Gespräch wurde nicht geführt; er erhielt Geld, während man mir zusagte die Bücher nebst Rechnung in meine Wohnung zu schicken.

Das war selbstverständlich ein kaufmännischer Vorfall — doch damit war die Sache nicht beendet.

Mich interessierte die Person des Buchbinders und ich leitete ein Gespräch mit ihm an, anknüpfend an den Inhalt der gelieferten Bücher „Jüdische Briefe an Herrn Voltaire.“

„Der Inhalt der Bücher ist wohl sehr interessant?“ frug ich.

„Nun ... ja ...“ gab er zur Antwort, „gewiß — interessant für den, der sie nicht gelesen ...“

„Meinen Sie nicht, daß diese Briefe von Rabbinern wirklich geschrieben seien?“

„Nn ... nn ... Gott allein weiß es,“ gab er sichtlich ungern zur Antwort, doch setzte er dann mit einigem Lächeln hinzu: „sie dürften wohl einiges über die Bibel gelesen haben (in seiner Rede gab es eine große Zahl spezifisch jüdischer Ausdrücke), sie ist still und stumm, wie die Wüste Sahara über Einzelnes, über Anderes aber weitschweifig, laut, ausführlich wie Moses ... Wer kann daraus klug werden? ... Fu! aus dem alten Testament kann man gar nichts herauslesen! ... das neue Testament dagegen! die Evangelien! ... das ist etwas ganz Anderes ... in diesem ist alles klar, einfach, deutlich ausgedrückt ... begreiflich ... die Bibel ...“ und er machte mit der Hand eine abweisende, abwehrende Bewegung und schloß mit den Worten:

„Gott weiß, wer und was damals und auf was geschrieben worden ist ... darüber könnte man ja den Verstand verlieren!“

Ich äußerte mein Erstaunen darüber, daß er die Evangelien und das neue Testament kenne.

„Und was ist merkwürdiges daran? bin ich ja doch ein Christ.“

„Und ist es schon lange her, daß Sie sich taufen ließen? ...“

„Nein, nicht sehr lange ...“

„Und wer hat Sie von der Wahrheit unseres Glaubens überzeugt?“

„Das kann man klar aus dem alten Testamente herauslesen, denn dort steht geschrieben, daß ein neuer Erlöser kommen und eine neue Kirche gründen werde, und diesen Messias habe ich selbst, mit eigenen Augen gesehen ... Warum soll man noch warten, wenn er schon unter uns sich befindet?“

„Übrigens haben andere Juden dasselbe gelesen wie Sie, glauben es aber doch nicht?“

„Nein, sie glauben es nicht, weil Verschiedenes im Talmud geschrieben steht, und sie die Stellen, weiß Gott, in welcher Art auslegen: was es für einen Messias geben wird, wo und wie er erscheinen und in der Welt wandern wird und vieles Andere ... doch das alles ist leeres Geschwätz ... der Messias ist gekommen, gekleidet in unser sklavisches Äußere und wir haben nichts anderes zu tun, als seine Lehren zu befolgen ... Leben Sie wohl ... Auf Wiedersehen ...“

Er verbeugte sich und ging.

Ich unterhielt mich mit dem Buchhändler über diesen Mann, welcher mir sagte, daß der Buchbinder sehr gebildet und geistreich sei.

„Ja,“ frug ich, „sagen Sie mir, welchem Glauben gehört er eigentlich an?“

„Er ist ein getaufter Jude, einzelne halten ihn für einen Missionär.“

„Er scheint viel gelesen zu haben?“

„Das ist sicher und wahr, nur spricht er sich nicht gerne aus und selten werden Sie ihn namentlich über alte und seltene Bücher ein Urteil fällen hören, höchstens einzelne Worte oder kurze Sätze, dann eine abwehrende Handbewegung, das ist alles; aber seinen Juden, denen erklärt er das neue Testament, die Evangelien, sucht sie zur neuen Kirche zu bekehren, wofür er von ihnen vieles zu leiden hat. Nicht selten haben sie ihn geschlagen, ja erdrosseln wollten sie ihn sogar, ohne daß er Zeichen irgend einer Gegenwehr, Ungeduld von sich gegeben hätte ... Christus ist gekommen ... predigt er ... und einen zweiten wartet nicht ab ... er kommt nicht mehr und wird nicht mehr sein.“

„Und sie? die Juden?“

„Gestikulieren, werfen mit den Händen hin und her, schreien wie wilde Tiere, als hu! hu! ... und schließlich ist nichts ... sie nehmen Verstand an.“

„Und seine Familie? ... sind sie auch getauft?“

Der Buchhändler lachte laut auf:

„Was ist für ihn Familie, da er ja großer Ungläubiger ist!“

„Wie so ungläubig?“

„Wie kann man ihn anders nennen, er hält sich an keine Regel und Geld?“

„Das Geld liebt er wohl?“

„Besitzt für ihn gar keinen Wert, was er in die eine Hand erhält, verteilt er mit der anderen.“

„An wen?“

„An wen immer.“

„An Juden bloß oder auch an Christen?“

„Ich sagte doch: an wen immer ... Man hält ihn für geistesschwach.“

„Was Sie sagen!“

„Man erzählt, es wäre mit ihm etwas eigenartiges vorgefallen?“

„Was denn?“

Da machte der Buchhändler eine eigenartige Geste mit der Hand.

„Es ist schon lange her, da haben sie seinen Sohn in der Nacht geraubt und wollten ihn unter die Soldaten stecken. — Da soll ihm etwas eigenartiges zugestoßen sein; ein Krokodil soll ihn gebissen haben, auch soll etwas mit dem Ersatzmann vorgefallen sein, so daß sie diesen nicht unter die Soldaten nehmen wollten, bis ihn der damalige Mitropolit Filaret in Kiev segnete und ihm dann das Haar schneiden ließ. Der Sohn des Buchbinders ist kurze Zeit darauf gestorben; gemartert haben sie ihn, sagt er, die Lieferanten; auch seine Frau ist gestorben und er selbst — dieser Mann — ist stark in seinen Vermögensverhältnissen heruntergekommen; er kam zu der Einsicht, daß es nötig sei, nicht nur auf das, was auf der Erde vorgeht, zu achten, sondern auch das zu glauben, was im Himmel geschieht und fand, daß es wohl das beste sei, sich taufen zu lassen.“ Und diese Mitteilung brachte mir plötzlich jenen Vorfall in Erinnerung, wo ich diesem Manne, unter ganz anderen Verhältnissen, zum erstenmale begegnete.

Und abermals bestätigte sich das Wahrwort: „Die Berge wohl nicht, aber die Menschen begegnen sich!“

Er war selig und zufrieden und reich im Glauben!

DIE FURCHT.

Nachdem Dimitrij Petrovič Silin die Universitätsstudien beendet hatte, diente er in St. Petersburg, verließ nach Vollendung seines dreißigsten Jahres den Dienst und widmete sich ganz der Landwirtschaft.

Seine Wirtschaft ging zwar nicht schlecht, aber mir schien es, daß er nicht an der richtigen Stelle sei, so daß er besser tun würde, wenn er wiederum in den Staatsdienst eintreten möchte.

Wenn er, von der Sonne gebräunt, bestaubt, ermüdet mich am Hauseingange erwartete und empfing, während des Nachtmahles mit dem Schlafe kämpfte und seine Frau ihn in das Schlafzimmer gleich einem Kinde bringen mußte; oder wenn er, seine Schläfrigkeit gewaltsam überwindend, mit seiner weichen melodischen, einschmeichelnden, fast bittenden Stimme schöne und geistreiche Gedanken entwickelte: dann sah ich in ihm nicht den Landwirt, nicht den Gutsbesitzer, sondern einen abgemüdeten, abgehetzten Menschen und mir war es klar, daß ihm die Landwirtschaft nicht nötig, sondern nur dazu gut sei, daß der Tag vergehe und dann — Gott sei Dank!

Mir gefiel es, ihn oft zu besuchen und es geschah nicht selten, daß ich zwei, ja auch mehrere Tage bei ihm zu Gaste blieb.

Ich liebte sein Haus, seinen Park, seinen großen Obstgarten, das kleine Flüßchen, seine ein wenig hausbackene, beredte und klare Philosophie.

Ob ich ihn selbst liebte, darüber bin ich nie mit mir selbst im Klaren gewesen.

Übrigens war Dimitrij Petrovič kein dummer Mensch, sondern herzensgut und gar nicht langweilig, und ich erinnere mich, daß, als er mir eines Tages seine geheimsten Geheimnisse mitteilte, mich dabei seinen einzigen, wahren, liebsten und teuersten Freund nannte, mich dieses recht unangenehm berührte und ich mich dabei höchst unbehaglich fühlte.

In seiner Freundschaft zu mir lag etwas unbequemes, beschwerliches, drückendes, und ich hätte unter allen Umständen dieser Freundschaft die üblichen gesellschaftlich-freundschaftlichen Verhältnisse vorgezogen.

Der Grund lag darin, daß mir seine Frau Maria Sergievna außerordentlich gefiel.

Verliebt in sie war ich nicht, aber mir gefiel ihr Gesicht, ihre Augen, ihr Haar, Stimme, Gang, mit einem Wort, ich sehnte mich nach ihrer Gesellschaft, wenn ich sie längere Zeit nicht sah und in dieser sah ich nur diese schöne, geschmeidige, junge Gestalt vor meinem geistigen Auge, in meiner Einbildung schweben.

In Bezug auf sie hatte ich keine bestimmten Absichten und machte mir auch keine Gedanken darüber, aber ich weiß nicht warum, so bald wir zu zweien uns gegenüber saßen, da erinnerte ich mich allemal dessen, daß mich der Mann seinen einzigen, wahren und treuesten Freund nannte und ich fühlte mich höchst unbehaglich.

Wenn sie meine Lieblingsstücke auf dem Flügel vortrug, so hörte ich mit dem größten Vergnügen zu; wenn sie mit ihrer melodischen Stimme vorlas, so durchzogen mein Gehirn verschiedene Gedanken, welche darin gipfelten, daß sie wohl ihren Mann nicht liebt, daß dieser mein größter Feind ist und sie selbst in mir einen solchen sieht; dann wurde meine Stimmung dadurch verdorben, ich wurde langweilig, träge, unfreundlich.

Sie pflegte diese Veränderungen zu bemerken und sagte dann gewöhnlich:

„Sie scheinen sich in meiner Gesellschaft recht zu langweilen; ich werde gleich nach ihrem Freunde schicken und ihn bitten lassen, hierher zu kommen.“

Und als dann Dimitrij Petrovič ankam, da meinte sie:

„Nun freuen Sie sich, Ihr Freund ist angekommen.“

So verliefen anderthalb Jahre. — —

An einem heißen Julisonntage fuhren wir, Dimitrij Petrovič und ich, aus Langweile, in das nahe gelegene Dorf Klušino, um dort einige Einkäufe zu machen, und namentlich etwas Eßbares zum Abendbrote mitzubringen.

Während wir in den verschiedenen Läden Einkäufe machten, wurde es bereits Abend, ein Abend, dessen ich, so lange ich lebe, nicht vergessen werde.

Nachdem wir einen seifenähnlichen Käse, eine versteinerte, nach Teer riechende Wurst gekauft hatten, gingen wir ins Wirtshaus, um nach Bier zu fragen.

Unterdessen fuhr unser Kutscher zum Schmied, um die Pferde beschlagen zu lassen; wir sagten ihm, daß wir ihn bei der Kirche erwarten werden.

Wir gingen erst hin und her, sprachen über Verschiedenes, lachten über die gemachten Einkäufe, während hinter uns, einem Detektiv ähnlich ein Mann folgte, welcher in der Umgebung unter dem eigentümlichen Namen „vierzig Märtyrer“ bekannt war.

Dieser Mann, mit dem ganz eigentümlichen Rufnamen, war niemand anderer als Gabriel Severov, oder einfach Gavruša, welcher bei mir einige Zeit als Diener angestellt war, aber wegen Trunksucht entlassen wurde.

Er diente dann bei Dimitrij Petrovič in gleicher Eigenschaft und wurde aus gleicher Ursache entlassen.

Gavruša war ein böser Säufer, wie ja sein ganzes Leben zwecklos war, wie er selbst.

Sein Vater war Geistlicher gewesen, seine Mutter eine Adelige; er gehörte deshalb zu der privilegierten Klasse, so wie ich, aber wenn man sein versoffenes, doch dabei ehrwürdiges, stets feuchtes Gesicht mit der großen roten Nase, seinen ungepflegten rötlich grauen Bart, seinen abgetragenen, fadenscheinigen, zerrissenen Anzug, das über diesem herabhängende rote Hemd ansah, da konnte man wahrlich in dieser Gestalt nichts von jenen Eigentümlichkeiten finden, welche die privilegierte Klasse von dem übrigen Volke äußerlich trennt.

Er selbst zählte sich zu den Studierten, den Gebildeten, der Intelligenz, und war stolz darauf, daß er in einem geistlichen Seminar erzogen wurde, von wo man ihn, seiner Angabe nach, wegen seiner Leidenschaft zum Tabakrauchen wegjagte, ehe er den Kursus vollendet hatte; darauf wurde er Sänger im Domchor; lebte hierauf zwei Jahre im Kloster, aus welchem man ihn nicht wegen Tabakrauchen, wohl aber wegen seiner „Schwäche“ für geistige Flüssigkeiten entfernte.

Er durchkreuzte, auf des Schusters Rappen zwei benachbarte Gouvernements nach allen Richtungen, richtete unzählige Mengen von Bittschriften an die Konsistorien und andere geistliche und weltliche Behörden, saß zweimal auf der Bank der Angeklagten, bis er sich schließlich in unserem Bezirke ansässig machte, die Stellungen eines Dieners, Jägers, Hegers, Schreibers, Kirchenwächters einnehmend und heiratete schließlich die vazirende Witwe nach einem Koch.

Mit den Jahren verfiel er immer tiefer und tiefer in den Schmutz und das Elend, lebte sich jedoch in dieses Ungemach so ein, daß er mit der Zeit sogar selbst an seinem privilegierten Stand zu zweifeln begann.

Zu der Zeit, als das, was ich erzähle, vor sich ging, strich er beschäftigungslos herum; gab sich bei den Bauern, welche ihn persönlich nicht kannten, bald für einen Tierarzt, bald für einen Jäger aus.

Seine Frau verschwand bald nach der Hochzeit ohne eine Spur zu hinterlassen.

Nachdem wir das Wirtshaus verlassen hatten, richteten wir unsere Schritte zur Kirche, wo wir uns auf die Stufen setzten, um den Kutscher mit dem Wagen abzuwarten.

Vierzig Heilige oder Gavruša blieb einige Schritte seitwärts vor uns stehen, hielt die eine Hand vor den Mund, um in dieselbe, wenn es ihm nötig erscheinen sollte, leise husten zu können.

Es wurde dunkel; der Mond begann aufzugehen; in der Luft machte sich der Geruch nach feuchter Erde bemerkbar.

Auf dem klaren, mit Sternen besäeten Himmel, gerade über uns, bemerkte man zwei Wolken, eine größere und eine kleinere, die einzigen am ganzen Horizont, einsam und langsam, eine hinter der anderen, gleich Mutter und Kind, gegen den Westen segelnd.

„Das war einmal wieder ein schöner Tag,“ meinte Dimitrij Petrovič.

„Ein prachtvoller Tag,“ stimmte Gavruša bei, nachdem er vorher in die vorgehaltene Hand gehustet hatte. „Wie kommt es, Dimitrij Petrovič, daß Sie sich entschlossen haben, selbst hierher zu fahren?“ frug er mit einschmeichelnder Stimme, jedenfalls mit der Absicht ein Gespräch anzufangen.

Dimitrij Petrovič gab darauf keine Antwort.

Gavruša seufzte tief auf und sprach, leise, ohne uns anzusehen:

„Ich leide aus einem Grunde, von welchem ich doch nur Gott allein Rechenschaft geben muß. — Ich weiß es selbst, daß ich zu nichts tauge, daß ich ein verlorener Mann bin, aber seien Sie doch nicht so herzlos, seien Sie barmherzig, erbarmen Sie sich meiner: ich bin brotlos, ohne Dach und Fach, ärger daran wie ein Hund ... Entschuldigen Sie, Dimitrij Petrovič.“ Silin ließ diese Rede unbeachtet, ja hörte sie vielleicht gar nicht, denn er saß, nach vorne gebeugt, seinen Kopf zwischen die beiden Hände drückend, über etwas nachdenkend.

Die Kirche stand an einer Biegung der Straße, auf einer hohen Uferböschung; durch die freien Stellen in der Einfriedung sahen wir den Fluß, die Wiesen und weit hinaus einen brennenden Scheiterhaufen, um welchen sich schwarze Gestalten, Menschen und Pferde, bewegten.

Noch weiter hinaus bemerkte man Lichter, die aus den Hütten eines Dorfes leuchteten.

Lauter Gesang unterbrach die Stille des Abends.

Über dem Flusse und an einzelnen Stellen der Wiesen fingen sich an Wolken von Nebel zu erheben, lange, enge Streifen, dicht, weiß wie Milch; sie schwebten über dem Fluß und hinderten die Sterne sich im Flusse zu spiegeln.

Der Nebel änderte alle Augenblicke seine Form; es schien, als ob sich die einen Streifen umarmen, die anderen verbeugen würden, die dritten hoben ihre langen Hände, mit breiten herabhängenden Ärmeln bekleidet, zum Himmel, als wenn sie beteten ...

Möglicherweise brachten diese wechselnden phantastischen Formen einen gewissen Eindruck auf Dimitrij Petrovič hervor, als wenn er Geister oder Erscheinungen vor sich sehen würde, denn sein Gesicht nahm einen eigentümlich traurigen Ausdruck an, als er, sich an mich wendend, frug:

„Erklären Sie es mir, teuerster Freund, warum, wenn wir etwas Geheimnisvolles, Phantastisches, Schreckliches sagen wollen, wir nie aus dem Leben schöpfen, sondern stets auf die Geisterwelt zurückgreifen?“

„Das ist zwar fürchterlich, aber rätselhaft, unbegreiflich.“

„Und begreifen Sie das Leben? — Sagen Sie: begreifen Sie das jetzige Leben besser, als jenes nach dem Tode?“

Dimitrij Petrovič rückte ganz nahe an mich heran, so nahe, daß ich seinen Atem auf meinen Wangen fühlte.

In dem Abenddunkel erschien mir sein sonst so bleiches mageres Gesicht noch bleicher und eingefallener; sein dunkler Bart schwarz wie Ruß.

Seine Augen schauten mich traurig, schwermütig, ängstlich, fieberhaft glänzend an, es schien, als wenn er mir etwas Fürchterliches, Schreckliches erzählen wollte.

Er sah mir voll ins Gesicht und fuhr in seiner Rede mit seiner gewöhnlichen, leisen, wie flehenden Stimme fort:

„Unser jetziges Leben wie jenes nach dem Tode sind beide unbegreiflich, unfaßbar, schrecklich. Wer die Geister fürchtet, muß auch sich fürchten; er muß fürchten diese Feuer, diesen Himmel, ja alles, was er sieht, weil alles das, wenn man darüber ruhig nachdenkt, ebenso unbegreiflich, phantastisch ist, wie jene es sind, die die Welt vor uns verlassen haben — Prinz Hamlet hat sich nicht deshalb getötet, weil er vor den Geistern Furcht empfand, welche ihm im Traume erschienen; dieser sein darauf bezüglicher Monolog gefällt mir, aber hat mich, aufrichtig gestanden, ganz kalt gelassen. — Als meinem einzigen, teueren Freunde bekenne ich, daß nicht selten in trüben Stunden meine Todesstunde vor meinem geistigen Auge sichtbar wird; meine Phantasie zaubert aus nichts tausende dunkler unklarer Erscheinungen hervor, ja es werden daraus marternde Exaltationen, welche an einen Hexensabbath erinnern, ohne daß alles dieses mir Furcht einjagen könnte. — Doch warum umsonst ins Leere reden. — Fürchterlich sind die Visionen, noch schrecklicher aber das Leben. — Ich, mein lieber Freund, begreife das Leben nicht und empfinde Furcht vor ihm. — Ich weiß es nicht, aber es kann möglich sein, daß ich ein kranker, moralisch verderbter, verlorener Mensch bin. — Dem normalen Menschen kommt es vor, daß er alles, was er sieht und hört, begreift, ich habe aber diese Eigenschaft, diese Gabe verloren, und jeder Tag wird mir durch die Furcht vergiftet. — Die Furcht ist eine Krankheit — viele fürchten sich vor einem großen Räume und sehen Sie, ich leide an dieser Krankheit — an der Furcht vor dem Leben. — Wenn ich manchmal im Grase liege und eine Blattlaus betrachte, welche, gestern geboren, keinen Begriff von dem, was sie umgibt zu haben scheint, dann stelle ich mir vor, daß das kurze Leben dieses Tierchens aus einer unendlich langen Kette von Angst, Furcht, Schrecken und Entsetzen bestehen müsse; und in diesem Tierchen sehe ich mich selbst ...“

„Vor was fürchten Sie sich?“ frug ich.

„Ich fürchte mich vor allem. — Ich bin doch von Natur kein Dummkopf und mich interessieren Fragen: wie das Leben nach dem Tode sein werde oder wie die Geschicke der Menschheit verlaufen werden, nicht, auch erhebe ich mich nicht in die Himmelshöhen. — Aber ich fürchte mich vor der Alltäglichkeit, der niemand entgehen kann. — Ich bin unfähig zu entscheiden, was gut und was schlecht, was in meinem Tun und Lassen Recht und was Lüge ist — und dieses beunruhigt mich. — Ich gebe zu, daß die Erziehung und die Verhältnisse und Umstände des Lebens mich geradezu in einen eisernen Ring von Lüge und Falschheit eingezwängt haben, aus welchem ich mich nicht befreien kann; ich gebe zu, daß mein bisheriges Leben nichts anderes war, als die Sorge darum, wie ich mich selbst und andere Leute betrügen solle, ohne daß ich es selbst noch die anderen bemerken sollen; ich habe Furcht vor dem Gedanken, daß ich mich bis zu meinem Tode von dieser Lüge nicht werde befreien können. — Heute tue ich etwas und morgen ist es mir unbegreiflich, warum ich es getan. — Ich trat in Petersburg in den Staatsdienst und erschrak darüber; ich übernahm mein Gut, um es selbst zu bewirtschaften und erschrak wiederum. — Ich sehe, fühle es und bin davon überzeugt, daß wir eigentlich wenig wissen und deshalb täglich Fehler begehen, daß wir ungerecht sind, verleumden, fremdes Leben untergraben, unsere besten Kräfte auf Ungereimtheiten, leeres Geschwätz vergeuden, auf Vorfälle, die wir nicht nötig finden sollen und die uns nur hindern ruhig zu leben und deshalb fürchte ich mich vor allem, weil ich nicht begreifen kann, warum? weshalb? weswegen? und wem? alles dieses nötig ist. — Ich, lieber Freund, begreife die Leute nicht, ich fürchte mich vor ihnen. — Ohne Furcht kann ich den Bauer nicht ansehen, weil ich nicht begreife, aus welcher Ursache und zu welchem Zwecke er lebt und leidet. — — Wenn das Leben Genuß bedeutet, so sind ja diese Leute überflüssig, unnötig; wenn das Ziel und der Zweck des Lebens in der Not und dem Elend, sowie in der undurchdringlichen, hoffnungslosen Unwissenheit und Dummheit liegt, so ist es mir unbegreiflich, warum der Mensch derartigen Martern unterworfen wird. — — Begreifen Sie vielleicht irgend ein uns nahestehendes Individuum? — — Denken Sie ein wenig darüber nach.“

Gavruša bemerkte, daß wir ihn beobachteten, hustete wiederum ehrerbietig in die Hand und sagte:

„Guten Herrschaften war ich stets ein treuer Diener, — doch der Branntwein! Wenn Sie sich meiner erbarmen und mich wieder in Dienst nehmen würden, möchte ich eine Kerze meinem Heiligen anzünden — auf Ehrenwort.“

Der Nachtwächter ging an uns vorüber und sah uns mißtrauisch an. Er fing an am Strick zu ziehen; langsam und dröhnend ertönten zehn Glockenschläge, welche die uns umgebende Stille unangenehm störten.

„Schon zehn Uhr,“ meinte Dimitrij Petrovič. „Es ist Zeit, daß wir nach Hause fahren. Ja, mein teuerer Freund,“ seufzte er, „ich fürchte mich vor meinen eigenen Gedanken, die doch nichts Fürchterliches für den Menschen haben sollten. — Um nicht denken zu müssen, arbeitete ich; durch vieles und anhaltendes Arbeiten sorge ich dafür, daß ich müde werde und traumlos schlafe. — Kinder, Frau — sind anderen Leuten etwas selbstverständliches, gewöhnliches, mir aber sind sie eine schwere Last.“

Er drückte sein Gesicht in die Hände, ächzte laut auf, um dann mit einem eigentümlich klingenden Lachen seine Rede fortzusetzen.

„Ich kann Ihnen nicht sagen, wie dumm ich mich in meinem Leben benahm. — Alle sagen: was für eine schöne Frau und liebe Kinder Sie haben, was sind Sie für ein glücklicher, beneidenswerter Mensch und prächtiger Familienvater! — Alle sind der Ansicht, daß ich sehr glücklich bin, und — beneiden mich. — Ich aber sage Ihnen offen: mein glückliches Familienleben ist ein trübes Mißverständnis — ich habe Furcht vor demselben.“

Sein bleiches Gesicht wurde von dem nervösen Lachen unschön. Er legte seinen Arm um mich und sprach halblaut weiter:

„Sie sind mein einziger, wahrer, treuester, aufrichtigster Freund, Ihnen vertraue ich und schätze Sie hoch. — Der Himmel schickt uns derartige Freunde, damit wir uns aussprechen und befreien können von Geheimnissen, welche uns schwer bedrücken und uns zur Last werden. — Von dieser Freundschaft erlauben Sie mir Gebrauch zu machen und gestatten Sie mir Ihnen die volle Wahrheit zu sagen: — Mein Familienleben, allen so beneidenswert, ist mein größtes Unglück, und ich fürchte mich vor demselben. Meine Heirat erfolgte unter Verhältnissen, in denen ich nicht gerade die vorteilhafteste Figur spielte. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich Maša bis zum Hochzeitstage wahnsinnig liebte und zwei volle Jahre um sie freite. — Fünfmal habe ich ihr den Heiratsantrag gemacht, fünfmal bekam ich einen Korb, denn ich war ihr ganz gleichgültig, sie fühlte keine Neigung zu mir. — Als ich zum sechstenmale, sinnlos vor Liebe, mich zu ihren Füßen warf, als ich sie um Erhörung bat, da gab sie schließlich ihre Einwilligung, ihre Zustimmung, ihr Ja-Wort ... Sie sagte: „Ich liebe Sie nicht, aber ich werde Ihnen eine treue Frau bleiben ...“ Diesen Vertrag nahm ich mit Freuden, mit Entzücken an ... Ich begriff damals nicht, was dies bedeuten sollte, aber auch jetzt noch — ich schwöre bei Gott! — begreife ich es nicht ... „ich liebe Sie nicht, aber ich werde Ihnen eine treue Frau bleiben ...“ was bedeutet das? ... Es ist das etwas Nebelhaftes, Dunkles, Rätselhaftes ... Ich liebe heute meine Frau noch so stark, noch so herzlich, innig, wie vor der Hochzeit, und sie, ... sie scheint mir immer noch so gleichgültig gegen mich zu sein, wie sie es früher war, ja, es kommt mir vor, als wenn sie froh ist, wenn ich nicht zu Hause bin und abreise ... Ich weiß nicht, liebt sie mich oder nicht, darüber bin ich mir nicht im Klaren ... das kenne ich nicht ... aber wir leben unter einem Dache, schlafen in einem und demselben Zimmer, haben Kinder, besitzen gemeinschaftliches Eigentum ... Was bedeutet das? ... Zu was ist das? ... Begreifen Sie in dieser Sache etwas? ... Alles das ist für mich eine schreckliche Folter ... Und deswegen, weil ich in unseren Verhältnissen nichts begreife, hasse ich bald sie, bald mich, bald uns beide; in meinem Kopfe hat sich alles verwirrt, ich martere mich, werde jeden Tag stumpfer — während sie zu meinem größten Ärger und Qual jeden Tag schöner, bewunderungswerter wird ... Mir dünkt, ihr Haar ist prachtvoll, ihr Lächeln ein so wunderbares, wie man es bei keinem zweiten Weibe sehen kann ... Ich liebe sie, trotzdem ich überzeugt bin, daß ich hoffnungslos liebe ... Eine hoffnungslose Liebe eines Mannes zu seiner Frau, aus deren Ehe bereits zwei Kinder entsprossen sind? ... Ist es begreiflich? ... Ist es nicht, um einem Furcht einzujagen? ... Ist es nicht schrecklicher als Geister zu sehen? ...“

Dimitrij Petrovič beherrschte eine derartige Stimmung, daß er noch weiter gesprochen hätte, wenn nicht der Wagen — glücklicherweise — vorgefahren wäre und sich die Stimme des Kutschers hörbar gemacht hätte.

Wir stiegen in den Wagen, wobei uns Gavruša mit abgenommener Mütze in der Hand behilflich war, mit einer Miene und Gesichtsausdruck, als wenn er schon lange auf die Gelegenheit und den Zufall gewartet hätte, unsere kostbaren Kleider berühren zu dürfen.

„Dimitrij Petrovič, erlauben Sie mir zu Ihnen kommen zu dürfen,“ sprach er, stark mit den Augen zwinkernd und den Kopf auf die eine Seite neigend, „seien Sie barmherzig! ... ich sterbe Hungers!“

„Schon gut,“ gab Silin zur Antwort, „kannst kommen und drei Tage im Hofe leben, dann wollen wir weiter sehen.“

„Zu Befehl!“ antwortete Gavruša mit freudestrahlendem Gesichte. „Ich komme noch heute.“

Das Dorf war vom Gute nur sechs Werst entfernt.

Dimitrij Petrovič, zufrieden, daß er sich gegen einen Freund aussprechen konnte, hielt mich den ganzen Weg mit seinem Arm umschlossen und plauderte während der Fahrt, ohne irgend einen Anschein von Aufregung, Furcht oder Angst, lustig weiter, bemerkend, daß, wenn seine Familienverhältnisse eine günstige Wendung nehmen sollten, er sofort nach Petersburg übersiedeln und sich ausschließlich den Wissenschaften widmen würde.

„Die Strömung,“ sprach er, „welche so viele hochbegabte junge Männer nach dem Dorfe trieb, war eine unglückselige, bedauernswerte. Korn und Weizen gibt es bei uns in Rußland genug, mehr als zu viel, nicht aber unterrichtete, gebildete Leute. — Es ist nötig, daß die begabte, gesunde und kräftige Jugend sich den Wissenschaften, der Kunst und der Politik widmet, anders vorzugehen bedeutet unberechenbaren Verlust und Schaden für das Reich.“

Und so philosophierte er mit vielem Behagen weiter und drückte sein Bedauern darüber aus, daß er morgen früh zur Holzauktion fahren müsse, und wir uns so früh trennen müßten.

Ich fühlte mich dagegen recht unbehaglich, da es mir schien, ich betrüge einen arglosen Menschen.

Gleichzeitig fühlte ich eine freudige Behaglichkeit, ein ganz eigentümliches angenehmes Gefühl.

Ich betrachtete den wie eine große rotglühende Scheibe aufgehenden Mond; in meiner Vorstellung sah ich eine hohe, schlanke und doch volle Blondine, bleichwangig, stets einfach und doch geschmackvoll gekleidet, einen eigentümlichen angenehmen Duft, weit entfernt an Rosen erinnernd, um sich verbreitend, wobei mir ganz besonders angenehm war zu wissen, daß sie ihren Mann nicht liebe.

Zu Hause angekommen, setzten wir uns zum Abendbrot.

Maria Sergievna beköstigte uns mit den von uns selbst gemachten Einkäufen, wobei ich die Bemerkung machte, daß sie tatsächlich ein prachtvolles Haar besitzt und ganz eigenartig lächelt, nicht so, wie andere Frauen.

Mit meinen Augen verfolgte ich ihr Tun und Lassen und mir schien es aus allen ihren Bewegungen, ihren Blicken, daß sie ihren Mann nicht liebt und daß er ihr mehr als gleichgültig ist.

Dimitrij Petrovič fing bald an mit der Schläfrigkeit zu kämpfen.

Nach dem Abendbrote saß er etwa zehn Minuten in unserer Gesellschaft, erhob sich dann und sprach:

„Wie Sie wollen, meine Herrschaften, ich kann nicht weiter hier bleiben; ich muß morgen schon um drei Uhr früh aufstehen und deshalb erlauben Sie mir Ihnen gute Nacht zu wünschen.“

Er küßte zärtlich seine Frau, drückte mir kräftig die Hand und nahm mir das Versprechen ab, ihn längstens in einer Woche wieder zu besuchen.

Damit er nicht verschlafe und auch nicht andere störe, ging er in das Nebenhaus schlafen.

Maria Sergievna pflegte nach Petersburger Art spät schlafen zu gehen, ich aber war darüber, ich weiß nicht warum, außerordentlich glücklich.

„Und so,“ fing ich an, nachdem wir zu zweien geblieben, „und so werden Sie die Güte haben, mir etwas vorzuspielen.“

Ich sehnte mich nach keiner Musik, aber ich war in Verlegenheit, wie ich ein Gespräch einleiten soll.

Sie setzte sich an den Flügel und spielte, was? — daran erinnere ich mich nicht mehr.

Ich saß neben ihr; ich betrachtete ihre weißen, zarten, langen Finger, ich bemühte mich in ihrem kalten, unbeweglichen, gleichgültigen Gesichte etwas zu lesen.

Plötzlich fing sie an zu lächeln und mich anzusehen.

„Sie langweilen sich wohl in meiner Gesellschaft?“ frug sie.

Ich lachte laut auf.

„Der Freundschaft wegen würde es genug sein einmal im Monate einen kurzen Besuch hier abzustatten; aber ich komme sehr oft, fast jede Woche hieher.“

Dies sagend stand ich auf und ging, aufgeregt, aus der einen Ecke des Zimmers in die andere.

Sie stand ebenfalls auf und stellte sich vor den Kamin.

„Was wollen Sie damit sagen?“ frug sie ihre hellen, klaren, großen Augen auf mich richtend.

Ich erwiderte nichts.

„Sie sagten eine Unwahrheit,“ setzte sie nach minutenlangem Schweigen fort, „denn Sie kommen doch nur dem Dimitrij Petrovič zu Liebe hierher. — Schließlich bin ich auch damit zufrieden. — Man findet selten in unserem Zeitalter eine solche Freundschaft, wie sie zwischen Ihnen und meinem Manne herrscht.“

„Ah!“ dachte ich; — doch wußte ich nicht, was ich darauf antworten soll; deshalb frug ich:

„Wollen Sie nicht in den Garten mitgehen?“

„Nein!“

Ich ging auf die Terrasse.

In meinem Kopfe hämmerte und schwirrte es; mir wurde kalt und heiß vor Aufregung.

Ich setzte voraus, daß sich unsere Unterhaltung in den üblichen gesellschaftlichen nichts sagenden und nichts bedeutenden Phrasen bewegen wird, aber es hatte den Anschein, daß in dieser Nacht etwas vor sich gehen dürfte und könnte, worüber zu denken ich gar nicht wagte.

Entweder diese Nacht oder nie!

„Was für eine herrliche Nacht,“ sprach ich laut, auf der Terrasse stehend.

„Mir ganz gleichgültig,“ war die Gegenantwort.

Ich kehrte wieder in das Zimmer zurück.

Maria Sergievna stand wie vorher am Kamin, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, nachdenkend, nach der Seite schauend.

„Weshalb ist diese herrliche Nacht für Sie gleichgültig?“ frug ich.

„Weil ich mich langweile. — Sie pflegen sich auch stets ohne Ihren Freund zu langweilen; ich aber langweile mich ohne Unterlaß ... ohne Ende ... übrigens, das hat für Sie kein Interesse ...“

Ich setzte mich an den Flügel und nahm einige Akkorde, erwartend, was Maria Sergievna noch weiters sagen wird.

„Meinetwegen tun Sie sich keinen Zwang an,“ sprach sie ärgerlich und aufgebracht, in einem Tone, der dem Weinen näher als dem Lachen lag. „Sind Sie schläfrig, so gehen Sie schlafen. — Glauben Sie ja nicht, daß, wenn Sie ein Freund des Dimitrij Petrovič sind, Sie auch die Verpflichtung haben, mit seiner Frau sich langweilen zu müssen. — Ich wünsche und verlange keine Opfer. Gehen Sie gefälligst.“

Ich aber ging nicht.

Sie trat hinaus auf die Terrasse; ich blieb im Zimmer zurück, wo ich mich etwa fünf Minuten lang mit dem Durchblättern von Notenheften beschäftigte.

Dann ging auch ich hinaus.

Wir standen nebeneinander, im Schatten der Vorhänge an den Terrassefenstern, während unter uns die breite, in den Garten führende Treppe vom Mondeslichte übergossen war.

Über die Blumenbeete und den gelben Sand der Gartenwege legten sich die tiefschwarzen Schatten der Bäume.

„Ich muß morgen früh auch wegfahren,“ sagte ich.

„Das ist ja selbstverständlich; denn wenn der Mann nicht zu Hause ist, dürfen Sie auch nicht hier bleiben,“ gab sie spöttisch zur Antwort. „Ich stelle mir lebhaft vor, wie Sie sich unglücklich fühlen würden, wenn Sie sich in mich verlieben sollten! — Doch warten Sie, ich werfe mich Ihnen gelegentlich selber auf den Hals ... ich werde dann sehen, mit welchem Schrecken und Entsetzen Sie weglaufen werden. — Das wird sehr ergötzlich sein.“

Ihre Stimme klang ärgerlich, ebenso zeigten ihre Mienen einen großen Verdruß; aber ihre Augen leuchteten voll begehrlicher, leidenschaftlicher Liebe.

Ich betrachtete dieses wunderbare Wesen bereits als mein Eigentum und zum erstenmale bemerkte ich, daß sie Augenbrauen von einer solchen eigenartigen Schönheit besitze, wie ich sie noch nie bei irgend einer anderen Frau gesehen habe.

Der Gedanke, daß ich dieses wunderschöne Weib an mich ziehen, es liebkosen, ihr prachtvolles Haar berühren und küssen könne, machte mich unendlich glücklich, mir schien, als wäre dies alles ein schöner Traum, ein Phantom, eine Erscheinung der Einbildungskraft, so daß ich die Augen schloß und lächelte.

„Übrigens, es ist schon spät! ... Angenehme Ruh’ ...“ sprach sie.

„Ich will aber keine angenehme Ruh’ haben ...“ sagte ich, lachend hinter ihr in das Zimmer tretend. — „Ich verfluche diese Nacht, wenn sie ruhig verlaufen sollte.“

Ihre Hand drückend und sie zur Tür begleitend, sah ich in ihrem Gesichte, daß sie mich begriff und froh ist, daß ich sie ebenfalls begriffen habe.

Ich ging in mein Zimmer; auf meinem Tische neben den Büchern und Zeitungen lag die Mütze des Dimitrij Petrovič, und diese erinnerte mich an seine Freundschaft.

Ich ergriff meinen Stock und ging in den Garten.

Die Nacht begann sich ihrem Ende zuzuneigen; um die Bäume und Sträuche herum bewegten sich und wogten dieselben großen und kleinen Phantome und Erscheinungen, welche ich über dem Flusse schweben sah.

Wie Schade! daß ich mit ihnen nicht reden konnte.

In der ungewöhnlich klaren, durchsichtigen Atmosphäre der Nacht hob sich deutlich jedes Blatt, jedes Ästchen, jeder Tautropfen ab — alles lachte mich an wie im Halbschlummer!

An den grün angestrichenen Bänken vorübergehend, erinnerte ich mich an eine Stelle aus einer Shakespear’schen Komödie: „wie süß schläft hier auf der Bank des Mondes Licht ...“

Im Garten war ein kleiner Hügel aufgeworfen.

Ich bestieg denselben und setzte mich dort auf die Bank.

Mich quälte ein eigenartiges wohliges Gefühl!

Ich war im voraus davon überzeugt, daß ich sie umarmen, ihren duftenden Leib an mich drücken, ihre goldigen Augenbrauen küssen werde, und dennoch schien es mir, als wenn dies alles bloß ein Traumgebilde sei, ein Schatten, eine Einbildung, die mich nur necken will und verfliegt; dann war es mir wieder leid, daß sie mich zu wenig quält und sich mir so bald gibt.

Plötzlich ließen sich schwere Schritte vernehmen.

In der Allee zeigte sich eine männliche Gestalt mittlerer Größe, in welcher ich sofort den Gavruša erkannte.

Er setzte sich auf eine Bank und seufzte hörbar tief auf, dann bekreuzte er sich dreimal und streckte sich auf derselben aus.

Nach wenigen Augenblicken stand er wieder auf und legte sich auf die andere Seite; Mücken und die Feuchtigkeit der Nacht hinderten ihn einzuschlafen.

„Ist das ein Leben,“ sprach er. „Unglückliches, bitteres, schweres Leben!“

Seine abgemagerte, gebeugte Gestalt, seine tiefen Seufzer erinnerten mich an ein anderes, nicht minder unglückseliges bitteres Leben, an einen Mann, der mir erst vor wenigen Stunden seinen Kummer beichtete, und ich wurde traurig über mein Glück.

Ich stieg vom Hügel herunter und ging dem Hause zu.

Das Leben ist nach Ansicht dieses Mannes fürchterlich — dachte ich — also, warum sich mit demselben quälen, besser ist es mit demselben zu brechen, ehe es dich selbst erdrosselt; nimm von ihm deshalb alles, was es dir bietet und was du ihm wegnehmen kannst.

Maria Sergievna stand auf der Terrasse.

Ich eilte auf sie zu, umschlang sie mit meinen Armen, ich küßte ihren Mund, ihre Augen, Haare, ihren Nacken glühend ... heftig ...

In meinem Zimmer gestand sie mir, daß sie mich schon lange, sehr lange, mehr als ein Jahr lang, liebe; sie beschwor mir ihre Liebe, sie weinte, sie bat sie von ihrem Manne zu befreien und zu mir zu nehmen.

Von Zeit zu Zeit trat ich mit ihr zum Fenster, um ihr Gesicht von Mondeslicht beschienen betrachten zu können; sie erschien mir wie ein schöner Traum, und um mich von der Wirklichkeit zu überzeugen, beeilte ich mich, sie an mich zu drücken, sie zu umarmen, zu küssen ...

Aber weit drinnen, tief im Herzen, stellte sich eine gewisse Unruhe, eine Verzagtheit, eine Unsicherheit ein; ihre Liebe zu mir ist mir denn doch unbequem geworden, sie drückte mich in gleicher Weise und belastete mich wie die Freundschaft Dimitrij Petrovičs.

Maria Sergievna liebte mich wahr, tief, ernst, sie beschwor es unter Lachen und Weinen, aber ich wünschte mir diese Liebe anders ... ich wünschte keine Tränen, keine Schwüre, keine Gespräche über die Zukunft; ich wünschte, daß diese Liebe ebenso vergehe und verfliege wie diese Mondnacht, wie ein lichtes Meteor und damit — basta!

Es war drei Uhr früh, als Maria Sergievna mein Zimmer verließ. Als ich, in der Türöffnung stehend, ihr nachschaute, da erschien auf einmal Dimitrij Petrovič im Gange.

Als sie ihm begegnete, zuckte sie vor Schrecken und wich ihm aus, um ihm den Weg frei zu geben; man bemerkte, daß alles dieses mit einer Art Abscheu geschah.

Er lächelte ganz eigenartig, hustete leise, trat in mein Zimmer und sprach, ohne mich anzusehen:

„Ich vergaß gestern meine Mütze hier.“

Er fand sie, setzte sie mit beiden Händen auf den Kopf auf, dann betrachtete er mein Gesicht, in welchem deutlich Verlegenheit zu lesen war, dann betrachtete er meine Nachtschuhe und sagte mit einer rauhen, fremdartig klingenden Stimme:

„Mir ist jedenfalls von Geburt aus beschieden worden nichts zu begreifen ... Wenn Sie etwas begreifen, dann ... beglückwünsche ich Sie ... In meinen Augen wird es Nacht ...“

Und er ging! —

Später sah ich, beim Fenster stehend, wie er selbst die Pferde vor den Wagen spannte, wie seine Hände dabei zitterten, wie er sich öfters zum Hause wendend dieses anstarrte ... sicherlich ... er hatte Furcht!

Dann bestieg er den Wagen und mit einem eigentümlichen Ausdrucke im Gesicht, welches Furcht andeutete, hieb er in die Pferde und fuhr aus dem Hof.

Nicht lange darauf verließ auch ich das Haus.

Die Sonne war bereits aufgegangen, einzelne Nebelwolken zogen wie furchtsam an den Bäumen, Sträuchern, dem Hügel vorbei. —

Gavruša saß auf dem Kutschersitz; er hat bereits, auf unerklärliche Weise Gelegenheit gehabt sich betrinken zu können, und deshalb unzusammenhängendes Zeug zu schwatzen.

„Ich bin ein freier, adeliger Mann,“ schrie er den Pferden zu. „Wißt ihr das, ihr Schecken! ah! — ich bin erblicher Ehrenbürger! ...“

Die Furcht des Dimitrij Petrovič hat auch mich angesteckt. Ich dachte über das nach, was geschah, und begriff es — nicht! Ich betrachtete die Krähen und Raben, und wunderte mich darüber, daß sie überhaupt leben und fliegen.

„Weshalb tat ich das?“ frug ich mich selbst, voll von Zweifel und Zagen. — „Warum geschah das alles so und nicht anders? ... Warum? und weshalb? verliebte sie sich in mich ernstlich? ... Warum vergaß er seine Mütze in meinem Zimmer und kam selbe zu holen? ... Was hatte die Kappe dabei zu tun gehabt? ...“

Am selben Tage noch fuhr ich nach Petersburg und seit dieser Zeit sah ich weder Dimitrij Petrovič noch dessen schöne Frau ...

Man sagt, sie leben nach wie vor mit und neben einander!

Anmerkungen zur Transkription

Im Original g e s p e r r t hervorgehobener Text wurde in einem anderen Schriftstil markiert.

Fußnoten wurden am Ende des jeweiligen Kapitels gesammelt.

In der ersten Novelle (Der ungetaufte Pope) ist die Kapitelnumerierung fehlerhaft: Kapitel 13 und 16 fehlen und Kapitel 17 erscheint zweimal. Da auch die Gesamtzahl der Kapitel (21) vom russischen Original (22) abweicht, wurde dies nicht korrigiert und wie in der Vorlage belassen.

In der Vorlage wurde ß als Kombination von langem und rundem s (ſs) gesetzt. Das hat offenbar zu häufigen Verwechslungen von ß und ss geführt. In allen unzweideutigen Fällen wurde dies stillschweigend entsprechend den damaligen Schreibregeln korrigiert.

Weitere Fehler wurden, bei Unklarheiten unter Verwendung des russischen Originaltextes, wie hier aufgeführt korrigiert (vorher/nachher):

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 49159 ***