*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 50127 ***

Die Schwägerinnen.

Roman
von
Henriette Hanke
geborne Arndt.

Erster Theil.

Ein hohes Wort! wenn uns die Schickung werth
hält, nicht für uns, für Andere zu seyn.
... Es wendet sich der Zeiten Blatt. Laßt uns
fröhlich sä'n, im Nebel auch: die Ernte kommt gewiß.
Herder.

Hannover, 1835.
Im Verlage der Hahn'schen Hofbuchhandlung.

 

Wir versetzen unsere Leser bei dem Anbeginn dieser Geschichte in ein weites Gemach des aufgehobenen Stiftes der Cisterzienserinnen zu Sanct Capella, nahe dem Städtchen Leidthal. Dieses Zimmer, viel zu colossal in seinen Verhältnissen um wohnlich zu seyn, bietet eine himmlische Aussicht dar, und zeigt noch die Spuren klösterlicher Pracht. Seltsam vereint werden hier die religiösen Begriffe aller Zeiten anschaulich; doch mit gemischtem Gefühl siehet man: die Gegenwart herrscht vor. An dem Plafond rollet der feurige Wagen des Elias. Wie zu vielen tausendmalen mogten seit dieser Himmelfahrt die Sonnenrosse ihren Lauf vollendet haben! aber jene Flammen sind erloschen, und der Prophet erscheint nur noch als ein grauer Schattenriß seiner Zeit. Scenen des römischen Cultus geben den leeren Wänden ein sinnvolles Interesse, und über erblaßten Martern der eifrigsten Bekenner ihres Glaubens hängt Doctor Martin Luthers Bildniß gloriös in einem Rahmen von echter Bronze. Die erhabene Arbeit über dem Kamin von schwarzem Marmor versinnlicht ein Autodafé, und die darunter lodernde Glut, welche die Jahreszeit und der Raum des Zimmers erfordert, dient dazu, dies Relief zu beleuchten, mit einem Schauer für die Phantasie, der fast die Wohlthat der empfundenen Wärme vernichtet. Die Möbeln sind theils veraltet und doch pomphaft, theils von neuer Brauchbarkeit und Simplicität. Das hochlehnige Canapee, welches gradauf strebend und in der Mitte altarförmig zugespitzt, sich gegen die Wellenlinien einer modernen Bergère etwa verhält, wie die feierliche Anständigkeit der Etiquette zu der nachlässigen Ruhe der Schönheit – nimmt sich in dem überladenen Zierrath geflügelter Kinderköpfe sogar kirchlich aus. Ueber den Häuptern der Cherubim prangt der Erzengel Michael in goldnen Waffen, und der gerissene Sammet auf dem Sitze dieser kleinen Engelsburg erinnert mit leiser Beziehung in der Farbe verblühter Violen an den Purpur der Eminenz. – Der venetianische Spiegel erreicht seine ungemeine Breite und Höhe durch eine Einfassung von Tritonen und Delphinen, welche in kunstreichen Verschlingungen um die glänzende Fläche spielen, worin mancher geistliche Vollmond aufgegangen war. – Oben thronen die Meergötter ersten Ranges, und im Frontispice – so zu sagen – steigt Anadyomene aus der klaren Masse an den silbernen Bord. Das Auge des Reformators grade auf diesen Punkt gerichtet, scheint finster an dem heidnischen Unwesen zu haften, indeß ein kaum merklicher Zug frommer Ironie den Ernst des Mundes mildert, der wohl stärkere Pfeiler erschütterte als den, der die reizende Gestalt der Liebe in den Mauern der Entsagung trägt. Die Morgensonne des eilften Novembers ging eben auf, und bestrahlte mit blendendem Licht die Abtei, welche ihren majestätischen Schatten über die öden Felder ausbreitete. Der Reif der kalten Nacht schimmerte wie Candis an den falben Resten der Weide, und die herbe Miene des heiligen Bernhard von Clairvaux, dessen Statue am Rande einer dunkeln Cisterne stand und tiefsinnig hinab schauete, war wie mit Zucker bestreut. – An einem Fenster des beschriebenen Zimmers saß eine Frau, von der wir sagen müssen, daß sie über die Jugend hinaus und weit entfernt von jener gefälligen Anmuth sey, die unter keinem Gesetz der Zeit steht, ohne sie deshalb dem achtsamen Interesse unserer Leser entrücken zu wollen. Der häusliche Anzug, beinahe matronenhaft bescheiden, paßte den Formen einer Figur nett an, die in ihrer Haltung Charakter verrieth. Das Häubchen, ohne die mindeste Genialität dieses Putzartikels, der einen guten weiblichen Kopf seltner beschattet, als in das vortheilhafteste Licht setzt, und sich oft in dem kleinsten Kniff sichtbar macht – schloß sich dicht an ein Oval von regelmäßigem Schnitt. Die Beschäftigung dieser Frau schien mit der bewußten Strenge, welche sich in ihrem Aeußern offenbarte, in keiner Verbindung zu stehen. Sie wand eine Guirlande von Immortellen, die aufgehäuft in einem flachen Körbchen, in bunter Menge und Mannigfaltigkeit zur Auswahl vor ihr lagen. Sie schien so ganz in sich und in diese feiernde Früharbeit versenkt zu seyn, daß selbst der Sinn des Gehörs ihre Seele nicht auf das lenkte, was ein junges Mädchen an ihrer Seite aus der Bibel vorlas. »Wirst Du dafür die Schmerzen eines Betrübten haben –«: diese verkündenden Worte des Jesaia sprach die klare süße Stimme mit einem schüchternen Beben der Ahnung, und hielt inne. Die Sonne blitzte herein und warf lange herbstliche Strahlen durch die Scheiben. Der blonde Scheitel des Mädchens erglänzte, die metallne Brüstung am Fenster funkelte wie gediegenes Gold, und die trocknen Blümchen der Dauer badeten sich in diesem ewigen Glanze.

Das Mädchen erhob das Auge blau und tief wie der Himmel, um einen Blick in die Perspective zu richten, welche in der schönsten Morgenbeleuchtung im melancholischen Reiz der sterbenden Natur sich in das Unabsehliche verlor; und der Mund, auf dem noch die traurige Voraussagung des israelitischen Sehers schwebte, lächelte so entzückt, als sähe dieser Blick in eine verklärte Welt.

Da öffnete sich die Thüre, und ein feines jugendliches Gesicht, dem ein schlanker Körper folgte, schauete mit hellen braunen Augen herein. Ein leichtes Abschrecken bei dem Hinblick auf die schweigsame Gruppe am Fenster, und die spöttische Unlust, an dieser stillen Betrachtung und an dem Winden todter Kränze Theil zu nehmen, sprach sich in diesen beweglichen Zügen aus.

Wie leise dies Geräusch nun auch gewesen war: die ältere Frau hatte es dennoch vernommen. Sie wendete das Auge, und ein flüchtiges Roth überlief ihre Wange; zweifelhaft, ob als Wiederschein der Lohe des Kamins, oder durch die Erscheinung in der Thüre erregt. Diese huschte mit zarten Füßen über das Getäfel der Diele, blinzelte hinter dem Rücken des Mädchens in das heilige Buch und sprach zwischen Schalkheit und Pathos: »hebet Eure Häupter auf – thut Euer böses Wesen von Euch – o! ich weiß auch, was hierin steht.« Dabei legte sie eine seidenweiche Hand, der man keine Distellese im Garten der Ehe ansah, obwohl ein Trauring an ihrem Goldfinger blinkte – unter das gesenkte Kinn der Aelteren und sprach: »bist Du mir noch böse, Fabia? Sey gut! ich kann Dich nicht schmollend wissen, und so lasse ich meine Idee fallen.« Bei diesen nähernden Worten beugte die hübsche junge Frau sich mit versöhnender Anmuth herab, so daß ihr warmer Athem wie ein schmeichelndes Lüftchen Diejenige anwehete, welche sie frostig aufnahm.

Fabia hob den Kopf ein wenig und erwiederte: »ich dachte es wohl, daß Du zur Vernunft kommen würdest –« und indem ihr Auge die weiblich-optische Kunst übte, die da scheel sieht, ohne einen offnen Blick zu gönnen – setzte sie hinzu: »daß Du Dich nicht erkältest, Therese! Du gehest so bloß. –« Sie reichte ihr eine Nadel, zugleich stach der Blick, doch nicht in das kleine Schalytuch, welches den wunderschönen Hals und Busen lose umflatterte, sondern in diese Blöße selbst. –

Therese steckte die Nadel verloren ein, aber nicht diese Antwort, welche sie sichtlich zu verdrießen schien, und nun auch die Stimmung ihrer gutmüthigen Abbitte um einen tiefen Grad fallen machte. Erglühend sprach sie: »es ist schon geschehen. Du irrest, Fabia, Du irrest, sage ich Dir, wenn Du Deine hartnäckige Weigerung, in einen harmlosen Scherz einzugehen, für vernünftig hältst. Und wenn ich es zu vergessen suche, daß Du mir und dem Bruder eine Freude verdirbst: so geschiehet es nur, weil ich Dich dieses abtödtenden Eigensinnes wegen am meisten bedauere.« Fabia erröthete sehr. Sie lös'te schnell ein kleines Schlüsselbund von ihrem Gürtel, und gab dem Mädchen einen entfernenden Auftrag. Dann sprach sie, und ein krampfhaftes Zucken unterdrückten Zornes flog um ihre Lippen: »diese Aeußerung ist ganz in Deinem Geiste. Spare Dein Mitleid für Dich selbst, Therese, Du wirst es einst brauchen. Herr der Güte! muß ich mich so behandeln lassen in Gegenwart des Kindes? hast Du keine Achtung für mich und meine Sinnesart, so solltest Du doch Josephinens Jugend schonen. Willst Du das Mädchen auch verderben?«

Theresens Stirn flammte. In größter Aufregung entgegnete sie: »verderben? auch? Wer ist verdorben? ich muß bitten, daß Du Dich in Deinen Ausdrücken mäßigest. Ein verderbtes Herz trachtet nach Schaden, ist feindselig und mißgünstig; ich aber gönne der ganzen Welt ihr Vergnügen, wenn sie mir nur das meine läßt.«

Fabia stand auf. Mit einem gewissen Hervortreten ihrer Meinung, doch das innerste Gefühl noch immer bezwingend, sagte sie: »ich hasse nun einmal jede Falschheit, und halte Verstellung, von welcher Art sie auch sey, für Sünde. Und Comödie spielen ist eine solche.«

»O! die schlimmste ist es nicht –« entgegnete Therese: »es ist nur eine kleine ergötzliche Lust.« Und indem dieser verwehrte Genuß in allem Schimmer der Einbildungskraft vor ihrer Seele stand, so daß es ihr vor den Augen flimmerte, in welche Thränen des Verdrusses drangen, rief sie verblendet von Schmerz und dem Reiz jener zerrinnenden Illusion aus: »der arme Cölestin! es würde ihm ein köstlicher Spaß gewesen seyn! Du aber wirst ihm mit tiefsinnigem Ernste einen Kuchen backen, und ein Capitel aus der Bibel lesen.«

Fabia erbleichte. Sie sagte schneidend: »dies dürfte ihm heilsam seyn, wie Dir. So höre nun dies: Die Du in Wollust lebest und so sicher sitzest, und sprichst in Deinem Herzen: ich bin's, und Keine mehr. Ich werde keine Wittwe werden –« die Hand, welche Fabia auf diese Stelle legte, zitterte stark, und ihre Stimme wankte, als sie das Wort: »Wittwe« aussprach, als läge in diesem Verhältniß jene erschütternde Beseitigung, die dem Unglimpf freies Spiel erlaubt.

Aber mit einem Lächeln unsterblichen Leichtsinns wies Therese den Vorwurf der biblischen Prophezeihung von sich ab. Sie kannte die Selbständigkeit der frommen Fabia und ließ sich nicht irren. Statt des unnützen Gezänks um eine bereits aufgegebene Sache, warf sie die Last dieser Scene über die Seite, und sprach: »genug des Aergers. Nochmals, ich verzeihe Dir, was Du auch gegen mich denken mögest. Du thust mir leid: denn Du kannst nicht anders.«

Dieser Ton der Ueberlegenheit eines Gemüths, welches die schroffe Fabia so tief unter sich glaubte, steigerte ihre Erbitterung aufs Aeußerste. Sie wollte sprechen – aber Therese wendete den Fuß, und prallte an einen jungen Mann, der unbemerkt von den streitenden Parteien eingetreten war, und nun als Schiedsrichter vor ihnen stand. – Es war Herr Prälat, der Administrator des Stiftes, dessen Schwägerinnen wir in den beiden Damen vorläufig kennen gelernt haben. Der Zufall hatte es seltsam gefügt, daß ein Mann, der so hieß, Vorsteher dieses weiland geistlichen Hauses würde; allein ein Blick auf seine Persönlichkeit reichte hin, ihn selbst von dem Begriff seines Namens zu unterscheiden. Diese Gestalt, der eines Großwürdenträgers der Kirche durchaus nicht ähnlich, ragte über das gewöhnliche Maß hinaus, und schien von innerer Thätigkeit zu sehr angeregt, um völlig zu seyn; das schmale etwas blasse Gesicht hatte mehr den Anschein einer kränklichen und deshalb enthaltsamen Constitution, als den eines klosterherrlichen Lebens in bona pace, und dieses gebietende Auge, obgleich getrübt – war voll Feuergeist einer andern Tiefe, als des kühlen dunkeln Lagers, wo die Sonnenkräfte alter Jahre verschlossen glühen.

Er schlang seinen Arm mit brüderlicher Traulichkeit um Theresens schlanken Leib, sie aufzuhalten, und sprach: »wohin so eilig? Was ist's? Du schweigst, Fabia? und Dein Auge verbirgt Thränen? ich will nicht fürchten, daß ein Zwist – stehe Du mir doch Rede, Therese!« Mit diesen dringenden Fragen flog der betroffene Blick des Administrators von einer Schwägerinn zur andern.

Therese aber strebte fort. Als wünschte sie der weitern Verantwortung nun los und ledig zu seyn, entwand sie sich ihm und sprach flüchtig: »es war so wichtig nicht – lasse es Dir nur von Fabia erzählen.« Vielleicht war es eine kleine Rache, daß Therese im sichern Gefühl, für Wessen Sache der Schwager sich entscheiden würde, den Vortheil des Vortrags Jener überließ.

»Nein, bleib!« forderte der Administrator: »so sprich doch, Fabia! ich will es wissen! werde ich es nicht erfahren?«

Mit niedergeschlagenen Augen und gekränkter Stimme sprach Frau Fabia: »ich muß Dich ersuchen, mein Bruder, daß Du mich in Zukunft vor Beleidigungen schützest, die ich länger weder ertragen kann noch darf. Meine stille Weise will ich immerhin verspotten lassen; aber das Heiligste soll man mir nicht antasten. Das greift mich an die Seele.« Sie brach in heißes Weinen aus, und Fabia weinte selten oder nie. Des Schwagers Auge traf Theresen. Diese aber hielt den zürnenden Blitz aus, der nicht zündete, zuckte vornehm mit den runden Achseln als beklage sie die Erbärmlichkeit der Anklage, hob den Blick zu den Wolken der Decke und sprach: »welch ein Aufheben um Nichts! ich will es Dir in Kürze sagen. Wir waren am Sonntag Abend bei Gottschalks drüben fröhlich, führten Sprichwörter, Charaden auf –« »Erlaube!« fiel hier Fabia ein, mit einem Tone, der nicht im Klange einer abhängigen Bitte an die Wortführerinn erging, »das ganze Gebiet üblicher Gemeinplätze reichte nicht aus für dieses muthwillige Treiben – denn Narrenspiel will Raum haben – man suchte ihn auf kirchlichem Boden. Die reiche Sprache mußte, schnöde genug, eine Benennung hergeben, um die geistig Armen lächerlich zu machen. Sie spielten: Wiedertäufer, und das heilige Sacrament ward an dem Töchterchen der Gerichtshalterinn verhöhnt.«

»Ich sehe nichts Uebles dabei,« sagte der Administrator begütigend nach einer kleinen Pause, »jene rasende Rotte hat die Taufe auf eine frevle Art gemißbraucht.«

»Ach!« sagte Therese lachend, »von irgend einem Frevel konnte ja überhaupt die Rede gar nicht seyn. Wir waren nur lustig, ich versichere Dich, lieber Cölestin, und der alte Halderich brachte jenes Wort in Vorschlag. Bei den Sylben: Täufer, sah Gottschalk als Vierfürst so fürchterlich possirlich aus, daß wir Alle vor Lachen sterben zu müssen glaubten. Ich, die Tochter der Herodias, tanzte kosackisch vor ihm – der starke Punsch war mir ein wenig in den Kopf gestiegen. Dann costümirten wir uns schweizerisch, die Gerichtshalterinn brachte eine zinnerne Barbierflasche, ein Urerbstück – zur Taufkruke herbei, und an Helene trieb ihr Vater den Teufel der Widerspenstigkeit und des Muckerns aus, der die Kleine bisweilen plagen soll. – Wem, ich frage Dich, geschah nun hierbei ein Leides?«

»Fabia!« sprach ihr Schwager sanften, tiefen Tones; er hätte die höchste Vernunft, den Gott des Friedens selbst mit keiner andern Stimme anrufen können. Doch Fabia antwortete mit erzwungener Ruhe: »höre nur weiter! es kommt noch besser.«

»Ja,« rief Therese leidenschaftlich, »höre nur weiter! es kommt noch schlimmer. Es ward immer hübscher, bei Gottschalks nämlich. Wir kamen mehr und mehr in den Zug, und endlich auf den Einfall, Dir zu Deinem Geburtstage künftigen Monat, ein kleines Schauspiel zu veranstalten. Dieser Plan, einstimmig aufgenommen, machte uns unsägliches Vergnügen in der Idee. Doch Fabia, als Schlüsseldame des Hauses, verweigerte uns zur Ausführung das Local und ihre Theilnahme. Wir wünschten das grüne Bogenzimmer für diesen Zweck, und baten, daß sie eine kleine alte anspruchslose Rolle übernähme.«

Ein Schatten jugendlicher Prätension veränderte hier die Züge der ernsten Fabia, welche kalt und schweigend wie eine Büste zuvor gewesen. Sie warf einen Blick unaussprechlicher Verachtung auf ihre Schwägerinn und sprach: »freilich, mit einer Inamorata warst Du so gütig, mich zu verschonen – die spielst Du selbst.«

Therese hielt es vermuthlich nicht für nöthig, darauf zu antworten. Sie wendete sich zu dem Schwager, und sagte wie zum Schluß: »Du weißt nun, worüber wir in Streit geriethen – mir war er abgemacht.«

»Und warum warst Du dagegen?« fragte der Administrator beklommen die Unversöhnte, und abermals nach einer kleinen peinlichen Pause.

»Es läuft wider meine Grundsätze,« erwiederte Fabia finster, und trocknete die Thränen, welche in einzelnen Tropfen, wie nachfallend einem schweren Wetter, über ihr Gesicht flossen.

»O, gute Fabia! Deine Grundsätze sind sehr streng!« sagte Herr Prälat mit bitterm Lächeln, »wenn wir solch einen Maßstab an die kleinen Freuden des Lebens legen wollen, so wird der arme Mensch zu kurz kommen. Ich sehe nichts Verwerfliches in der ganzen Sache, wohl aber ein gestörtes Vergnügen, für dessen Absicht ich dankbar seyn muß. Der Geschmack am Schauspiel ist ziemlich so alt wie die Welt, und der Trieb, sich anders zu zeigen, wie er ist, dem Menschen angeboren.«

»Leider!« sprach Fabia, »deshalb ist es nothwendig, daß man ihn bekämpfe. Wir sollen wahrhaft seyn in Wort und That.«

»Dies dürfte doch tiefer gemeint seyn, liebe Schwägerinn –« versetzte der Administrator etwas leise, wie wenn er die Wirkung dieses Widerspruchs mildern wolle, »als was man unter der Mummerei einer kleinen Posse, ja selbst unter dem Versuch begreift, die Geheimnisse der Schmerzen, die Blöße der Leidenschaften und der Wunden, die das Schicksal schlägt, in dem Gewande dramatischer Poesie darzustellen. Der wahre Gott hüllt sich in die Natur, und wir erkennen ihn im Innersten unseres Gemüths.«

»Ja,« fügte Therese mit einem leichten Uebermuthe hinzu, der wie Champagnerkork auf dem Oberwasser schwamm, welches sie durch den Beistand ihres Schwagers gewonnen, »Jesus Christus selbst, ich wette! würde nichts Arges an unserm Scherz gefunden haben; die Scheinheiligkeit nur war ihm verhaßt.« »Und ich erkenne nun,« sagte Fabia, während sie mit bebenden Fingern eine Immortelle zerpflückte, »daß es an der Zeit für mich sey, ein Haus zu verlassen, dessen Freuden ich verkürzte, und dem ich nur in seinen Vergnügungen störend bin. Ich tauge zu weiter nichts, als einen einfältigen Kuchen mit Bedacht zu backen, wie Therese mir vorwarf, und ein Capitel aus der Bibel zu lesen, deren Sinn ich nicht einmal verstehe, wie mir so eben bewiesen worden. Ein armseliges Talent, das meine, gegen die Vorzüge Anderer! – So will ich denn gehen. Es wird doch irgendwo ein stilles Plätzchen für mich geben, wo man mit Arbeit und Gebet Ruhe finden kann für seine Seele.«

»Gott des Lebens!« rief der Administrator außer Fassung, »muß es dahin kommen? Wer ist's, der unter diesem Zwiespalt leidet, als ich? Fabia! hättest Du Dich jemals über mich beklagen können? – ich achte jede Individualität, und ehre die Deinige nach Verdienst. Therese! biete die Hand zuerst, Dir kommt es zu, Du bist die Jüngere.« »Ich habe es gethan,« sagte Therese etwas eingeschüchtert von diesem Ausgange, »ich kam mit gutem Herzen hierher; der Himmel und Josephine ist mein Zeuge!«

Der Administrator schien dieser identischen Berufung Glauben zu schenken. Er sprach: »Du hast Fabia gewiß nicht kränken wollen. Auf die Comödie verzichte ich gern; aber liebe Schwestern, laßt das Band der Eintracht mein Angebinde seyn, so werde ich mich heute schon wie neugeboren fühlen.« »Es würde doch nur ein kleines Schauspiel werden,« antwortete Fabia mit entschlossnem Lächeln, »und Du weißt, mein Bruder, ich bin ungefügig dazu.«

»Gehe, Therese!« sagte Herr Prälat, und es schien, als ob nur größere Zutraulichkeit zu dieser Schwägerinn sie verweise, »lasse mich mit Fabia allein.« Therese ging. Alsbald faßte der junge Mann die runden Arme Fabiens so fest, daß sie an diesem Drucke die innere Bewegung empfand, in der er sprach. »Fabia! das konntest Du mir thun? muß ich Dich an Deine zärtliche Sorge für mich erinnern?– Sieh! wolltest Du mich verlassen, ich könnte Dich nicht halten; genug, daß ich mich an das Bewußtseyn hielte, ich hätte es nicht um Dich verdient.« Fabia war ergriffen, dennoch sagte sie: »Du behältst ja Theresen –«

»Ja,« antwortete ihr Schwager, »und ich werde, was auch geschehe, mein Wort nicht brechen, welches ich dem Bruder gegeben.«

Die Entschiedenheit eines Mannes verfehlt nie ihrer Wirkung auf die Frau, selbst wenn sie verschroben, oder in minderem Grade weiblich wäre. Die Erklärung des Schwagers hatte das Eis von Fabiens starrem Sinne gebrochen. Sie zerschmolz in Thränen, und sprach: »muß es mich nicht schmerzen, daß Du ihr alles gut heißest, selbst das, was mich empört? vergeht wohl ein Tag, ohne daß ich über sie seufzen müßte? kommt je ein gottesfürchtiger Gedanke in ihre Seele? kannst Du mir den geringsten reellen Nutzen nennen, den ihr Daseyn hier hat?«

»Sie giebt Dir Gelegenheit,« antwortete Herr Prälat wie mit düsterm Spotte auf die vorwurfsvollen Fragen seiner Schwägerinn, »Dich in einer der schönsten christlichen Tugenden zu üben: der Duldung. Gönne ihr die Luft dieses abgeschiedenen Aufenthaltes; betrachte sie wie eine Blume, die für kurze Zeit zwischen diese Mauern verpflanzt ist, und von der man nichts verlangt, als daß sie ihre Stelle einnimmt.«

»Man wird keine Trauben lesen von den Dornen –« entgegnete Fabia tiefathmend. »O! diese Blume ist giftig –«

»Nein, gute Fabia! höchstens nur ein wenig betäubend –« sprach der Administrator und lächelte zerstreut. »Sey doch nur billig!« fuhr er in ernsterem Tone fort, »und überlege, wie verschieden von Dir, Therese ihrem Naturell, ihrer früheren Lebensweise nach, denken muß, und ungerecht wäre es von Dir, wenn Du deshalb mit ihr rechten wolltest. Im Geräusch der Welt erzogen, entbehrt sie hier alle Freuden, an welche ihre Jugend gewöhnt war. Sie ist nicht geeignet, sich an irgend eine Pflicht zu binden, und unter so precairen Umständen erst gar nicht. Dies hat der Himmel wohl gewußt, und so ist ihre Ehe seltsam genug ohne Zusammenhang dieses Verhältnisses. – Ihren kleinen Speculationen stehet landwirthschaftliche Industrie entgegen; vor den Maschinen, die den öden Raum von Sanct Capella füllen, kommen die Neigungen einer jungen lebendigen Frau nicht an das Brett – und wollte Therese auf Eroberungen ausgehen: so sähe sie sich von einem invaliden Kreise umschlossen, der in der schläfrigen Ruhe des Klosters von seinen Siegen träumt.«

Fabia antwortete: »o! Therese besiegt auch wachsame Leute – und übt ihre coquetten Künste vor sehenden Augen.«

Ein wundes Lächeln zuckte über das Angesicht Dessen, welcher der Gegenstand jener feindseligen Bemerkung war. Er seufzte, legte wie unbewußt die Hand auf seine linke Seite, als fühle er dort Schmerz, und sprach: »Fabia! laß uns dies Gespräch enden; doch vernimm zuvor meine Bitte: mache Theresen Deine Frömmigkeit liebenswürdig! versuche es einmal mit freundlicher Güte. Ist nicht Friede mit sich und Andern die weiche Blüthe der Religiosität? – Denkst Du nicht, daß es mich betrübe, wenn Jemand gezwungen wäre, Deinen Werth zu verkennen und Deinen Glauben dazu, dessen Früchte für ihn zeugen sollen? flöße Theresen, diesem Kinde an Vernunft – sanftmüthigen Geistes, die Milch einer besseren Liebe ein, als welche vielleicht die Nahrung ihrer eitlen Wünsche gewesen, und stärke sie für das Leben der Seele. Dann stärkst Du auch mich – und wahrlich, Fabia! ich bedarf es. Als ich krank war – diese Zeit, deren ich mich nicht gern erinnern mag, weil mich mein Befinden noch täglich daran mahnt – hat mich Dir auf ewig verpflichtet. Du lauschtest, mir alles an den Augen abzusehen, was mich laben könnte – willst Du, da ich kaum – kaum genesen bin, härter gegen mich seyn? erquicke mich durch Eure Verträglichkeit! ich wollte sonst, ich läge im Grabe.«

Diese Worte, in überwallendem Unmuth gesprochen, waren von zureichendem Einfluß. Fabia reichte dem brüderlichen Schutzherrn die Hand, und sah ihn mit bangen Mienen an. Sie sagte besänftiget: »mißkenne auch Du mich nicht, mein lieber Bruder. Es ist wohl schwer, in nächster Gemeinschaft auszukommen mit Dem, der das grade Gegentheil von uns ist, wie Therese von mir. Was hilft ihr sogenanntes gutes Herz? es ist nur Temperament. Sie denkt an nichts Ernstes und Edles; ihre Zeit, dies Capital, was uns der Herr der Ewigkeit geliehen, wird in Tand verschwendet. Sie wuchert nur mit ihren Reizen. Am häuslichen Heerde brennen ihr die Sohlen. Sie fängt – was ich nun vor den Tod nicht leiden kann – hundert Arbeiten an, ohne eine zu vollenden. Der Fleiß erscheint ihr wie eine Frohne, gegen die sie einen Freibrief zu haben meint. Alle Ordnung ist ihr lächerliche Pedanterie – jüngst hat in einer kostbaren Wollestickerei, die sie in den Winkel geworfen, die Katze Junge gehabt.« Den Administrator wandelte das Lachen an, aber sein Blick grollte in Wehmuth, die den Komus dieser Anschuldigung entkräftete. Er hatte, während ihm Fabia Theresens Fehler aufzählte, ein paarmal schwer geseufzt, über die Unart der Frauen, nachdem ein vernünftiger Mann sie überzeugt zu haben glaubt, ihre Beschwerde immer wieder zu erneuen. Diese Verdammniß manch häuslicher Hölle ist gleich der Strafe des Sisyphus. –

»Und was mir am meisten Kummer verursacht,« fuhr Fabia fort: »ist, daß ihr Beispiel endlich dem Kinde, der Josephine, nachtheilig werde, um so mehr, da es ihr nicht an verführerischen Gaben fehlt. Josephine spricht ihr, wie wenig sie redet, beständig das Wort; das ist schon ein übles Zeichen.«

»O Fabia!« sagte ihr Schwager mit innigem Tone: »es ist das Zeichen eines heiligen Gemüths, in dessen Reinheit alle Flecken des Nächsten verschwinden, einer himmlischen Demuth, die nur an die eigene Fehle denkt. Die Unschuld beschützt sich selbst. Und sollte ja durch den nahen Umgang Theresens eine schädliche Einwirkung auf Josephine zu befürchten seyn: so wird Deine Strenge« – Herr Prälat betonte, was er sagte, und es lag ein leiser Vorwurf in seiner Accentuation –: »dieser möglichen Gefahr schon zu begegnen wissen.«

Fabia erwiederte hierauf: »man kann nicht strenge genug seyn in Sachen des Gewissens, und das Bewahren dieses Mädchens ist eine Gewissenssache für mich.«

Der Administrator wollte sprechen, da kam ein Bote, der ihn abrief. Er zögerte zu gehen. Noch einmal faßte er ihre Hand, sah ihr freundlich ins Gesicht und sprach: »Du bist also wieder gut? wir scheiden als Freunde, oder vielmehr wir scheiden nun nicht? Und Therese?«

Fabia lächelte. »Ich werde sie versöhnen –« sagte sie versichernd. Da zog er ihre Hand an seine Brust, drückte mit heißen Lippen einen Kuß darauf, und enteilte auf den Ruf seiner Pflicht.

»Wie stark sein Herz klopfte!« sagte Fabia leise und ängstlich zu sich selbst, und diese Besorgniß galt mehr der fieberhaften Wallung des erhitzten Blutes, als der nervösen Störung, welche diesen Umlauf beschleunigte. Fabia hatte den zartesten Sinn für den krankhaften Zustand ihres Schwagers, und zugleich eine stumpfe Härte in Betreff alles dessen, was seiner Seele wohl thun könnte. Das kleinste körperliche Uebel regte ihre wohlwollenden Kräfte ihm abzuhelfen auf, während sie in kalter Gleichgültigkeit verharrte, wo sein Inneres litt, wenn es auch in ihrer Macht gestanden hätte, dieses tiefere Weh zu lindern. Sie erschöpfte sich in dienstlicher Beflissenheit, indeß es ihr ein Leichtes gewesen wäre, die bittere Quelle zu verstopfen. – In diesem Widerspruch lag all der Egoismus, durch welchen Frauen solcher Art die Wirkung einer pietistischen Moral verkümmern, wogegen die Liebe in ihren Fehlern sogar – heilbringend wird.

Es klopfte sacht an die Thüre, und als Frau Fabia: »herein!« gesagt, erschien eine ehrwürdige Gestalt, die einzige noch übrig gebliebene Nonne von der Gesammtschaft des aufgelös'ten Ordens, welche die Vergünstigung nachgesucht und empfangen hatte, in Sanct Capella den Rest ihrer Tage beschließen zu dürfen. Das fromme Stillleben der Nonne hatte sich wenig geändert, seit jener Catastrophe, welches die Verfassung des reich fundirten Klosters stürzte, und in dem Muth, womit sie als eine einsame Ruine unter den geweihten Trümmern ihrer Welt begraben zu werden wünschte, bewährte sich eine wahrhaft hohe Seele. Schwester Veronica verzehrte hier ihre Pension, in wunderlicher Zusammenstellung mit einer Anzahl Offiziere, die eben so die Mittel zu ihrer Subsistenz in einem Gnadengehalt aus der Staatscasse erhielten. Der Administrator, ein guter Cameralist, hatte die glückliche Idee gehabt, einen Theil dieser Zuflüsse in die Einkünfte des Stiftes zu leiten, worin die kleineren Wohnzimmer und größeren Säle des weitläuftigen Gebäudes für solch einen Zweck zu benutzen wären, und seit Herr Prälat mit Genehmigung der Behörde dies in öffentlichen Vorschlag gebracht, hatten sich zwölf ausgediente Krieger gefunden, welche alle unter einander bekannt, dies Anerbieten mit Freuden ergriffen, und den politischen Streit weltlicher Interessen gegen die friedliche Geselligkeit eines Invalidenhauses aufgaben, das ihnen kaum reizender gelegen seyn konnte. So mischte sich denn das Geräusch manch welken Lorbeers mit den stillen Schatten der klösterlichen Palme von Sanct Capella. – Dieser militairische Club bestand nun neben dem Familienleben des Administrators, neben der Clausur der geistlichen Jungfrau, ohne daß diese verschiedenartigen Verhältnisse durchaus umgänglich geworden wären. Zwar hatte der junge Prälat unter den alten Offizieren Einige, die seine Achtung von den Uebrigen sonderte, auch einen Freund –; aber diese Auszeichnung that weder dem guten Vernehmen mit Allen, noch der Zurückhaltung Eintrag, die er im Ganzen beobachtete. Auch war sein Wirkungskreis sehr groß und forderte all seine Zeit, und für die wenigen Stunden der Muße, welche ihm vergönnt waren, sprach das Bedürfniß mächtig in ihm an, sich wissenschaftlich zu beschäftigen. Und mitten unter diesem invaliden Ruhestande, der doch zuweilen, alter Gewohnheit nach, ein lärmender Aufstand wurde, wenn auch der renommirende Säbel in friedsamer Scheide stack – mitten unter der rastlosen Geschäftslosigkeit des Administrators und seiner Leute – war die Wohnung der Schwester Veronica, gleich einer Einsiedelei zu betrachten, worin sie, wie die Schutzheilige des Hauses, Segen durch ihre fromme, lautlose Gegenwart verbreitete. Sie hatte sich den Schwägerinnen des Herrn Prälaten herzlich befreundet, wie dem Stiftsverweser selbst, Josephine war ihr Liebling – dennoch geschah es nur selten, daß ihr Besuch in dem Flügel gesehen wurde, den der Administrator mit den Seinen bewohnte. Doch so oft Jemand in dieser Familie krank war, ob am Leibe, oder an der Seele – und es war, als ob die Nonne es durch Inspiration erführe, wo ihr Rath, ihr Trost nöthig sey – kam sie ungerufen, und man war daran gewöhnt, das milde Gefühl der Theilnahme an ihr Erscheinen zu knüpfen. Dazu trug selbst ihr Aeußeres bei. Schwester Veronica hatte mit Ergebung die ihr liebgewordene Tracht der Ordensregel aufgegeben; aber ihr einfacher Anzug näherte sich derselben so sehr als möglich. Ein Schleier der Weltentsagung wallte unsichtbar nieder an dieser Gestalt, welche, trotz der Bürde von siebenzig Jahren und mancher beugenden Erfahrung, sich vollkommen aufrecht erhalten hatte. Ihre Stimme tönte rein und sanft, wie in leisen Nachklängen der Hora – und in dem Tiefblick ihrer Augen glomm noch ein schwacher schwärmerischer Funken jener ewigen Lampe, womit sie einst in nächtlicher Stunde dem himmlischen Bräutigam entgegen gegangen war. Lichtvolle Klarheit war über die Züge der Nonne ausgegossen, wie wenn blasser Mondschein einen stillen Abend erhellt. Und wie die Zeit dieses langen Lebens in gleichförmiger Ruhe vergangen war: so hatte sie auch nur unmerkliche Spuren nachgelassen. Zwei Reihen wohlerhaltener Zähne stützten wie eine elfenbeinerne Doppelmauer den Mund, dem nie ein liebloses Wort entschlüpfte, und der noch eines heitern Lächelns fähig war, gegen den Einfall des Alters. Wenn Schwester Veronica mit sachtgewöhntem Fuß durch die wüsten Gänge schlich, und ein bestiefelter Schritt ihr dröhnend begegnete: dann salutirte der Offizier in kirchlicher Ehrerbietung, und wechselte gewiß ein paar Worte, welche die Nonne immer freundselig, ja oftmals scherzend erwiederte.

Wir wenden uns nun wieder zu dem Eintritt der Nonne. »Guten Morgen, Frau Fabia!« sagte die Conventualinn, und es bleibt zu errathen, ob sie die trauliche Benennung des Vornamens in klösterlicher Sitte beibehalten, oder als Vorrecht der Freundschaft für die beiden jüngeren Frauen angenommen hatte. – Ueber Fabiens verdüsterte Züge flog ein bewillkommendes Lächeln. Sie nahm den guten Geist mit Freuden auf; nur der Blick, der noch naß glänzte, ward dem Gruße vorenthalten, daß Schwester Veronica die thränengeschwollenen Augen nicht sähe.

»Ein goldener Tag!« sagte die Nonne, und ihre feine Wange brannte wie glimmende Kohlen, »die Sonne scheint so schön und blaß wie eine Braut. Man fühlt sein Herz ordentlich erwärmt. Doch – sehe ich recht? warum denn so betrübt, Frau Fabia? ich will nicht fürchten, daß ein Unglück – –.«

Bei diesen antheilvollen Worten schüttelte Fabia leise mit dem Kopfe. Sie antwortete mit wehmuthzitternden Lippen: »es giebt zuweilen etwas; kein Himmel ist so hell, daß er nicht einmal weinte – und den Himmel auf Erden – glauben Sie es mir, Schwester Veronica! den habe ich grade nicht.«

»Wer hätte den!« erwiederte die Nonne mit aufwärts gehobenem Blicke, der in die Tiefe menschlicher Erfahrungen schauen ließ. »Wir können nur darnach ringen. Und diese Kraft kommt auch von Gott. Thränen fallen wie Thau in der Nacht: sie erfrischen. Der Kummer, auch der längste, gehet endlich vorüber – Ich kenne nur ein Elend, welches bis in Ewigkeit dauert, und das ist der Unfriede.«

Fabia nickte; erschauernd wie im Frösteln eines verweinten Gefühls und dieser Vorstellung sprach sie: »warum sollte ich es Ihnen nicht sagen? ich hatte mich mit Theresen verzürnt, der Bruder ward in den Streit gezogen, er war wie gewöhnlich auf ihrer Seite. Das kränkte mich. Wer ist's, der für ihn sorgt? ihn pflegt und sein Bestes wahrnimmt? – Therese nimmt keine Notiz von diesen Pflichten einer rechtschaffenen Schwägerinn und ihn nur durch flatterhaften Leichtsinn für sich ein. Ich wollte fort – man säet ja doch nur auf den Wind.«

»Der Dank, Frau Fabia,« entgegnete die Nonne, »ist eine Ernte, die man unbewußt ausstreut, ein Lohn, auf den man nie rechnen darf, eine überraschende Freude, wie eine Blume auf dem Felsen: denn sie wurzelt nur in starken Herzen. Der wackere Administrator scheint mir jedoch sehr wohl zu erkennen, was er an Ihnen hat, wenn er sich auch der jungen Frau seines Bruders gleichfalls zuneigt. Bin ich doch selbst der lieben Therese herzlich gut. Ach! ich betrachte sie nie ohne Mitleid.«

»Mitleid?« fragte Frau Fabia mehr mit einem Anfluge von Kälte, als der Verwunderung: »und worin wäre Therese zu bedauern?«

»Solch glücklichem Leichtsinn,« versetzte die Nonne mit weicher Stimme, »ist häufig ein schweres Schicksal zu tragen beschieden. Sie thut mir leid, die holde, hübsche Frau! es ist keine böse Ader in ihr, wenn auch die Pulse hüpfen.«

Fabia schwieg, und Schwester Veronica, als ob sie mit sich selbst redete, fuhr fort: »es ist seltsam, Jeder wünscht sich etwas Anderes, als was er besitzt, tadelt nebenher fremde Eigenthümlichkeit: und wir Alle haben, was wir brauchen. Ausgerüstet für unsere Bestimmung, treten wir in den Kampf der Welt, und an dem Keime unserer Neigungen und wie sich diese entwickeln: daran wäre die Frucht unseres Lebens, ach, die bittere oft! zu erkennen, wenn wir fleißiger nach Innen blickten. Die beschauliche Stille des Klosters führt auf solche Betrachtungen.«

»Der Klosterzwang hatte auch sein Gutes,« sagte Fabia mit einem Seufzer über die Willkür, unter der sie zu leiden wähnte, »und was man immer davon sagen mag, bis auf einen gewissen Punkt hält er doch zusammen. Wo aber die Meinungen so durchaus verschieden sind in Sachen der Seele und Seligkeit, auf der Höhe der wahre Gott angebetet wird, unten aber dem Baal geopfert –« Fabia stockte und sprach nicht vollends aus.

Wie lächelte die Nonne bei dieser Rede! Sie antwortete mit verhaltenem Tone: »unser Kloster ist nicht mehr – sein Altar steht nur noch in meinem Herzen; dennoch Frau Fabia, wenn ich der Wahrheit die Ehre geben will: so muß ich bekennen, der Friede ward hier nicht gefunden, sondern nur gesucht, und höchstens gelernt. Wir Alle müssen Geduld mit einander haben. Und wie von den tausendmal tausend Ehen, die auf Erden geschlossen werden, jedes Mägdlein sich den Verlobten aus eigener Liebe oder besondern Gründen nimmt: so ist auch der Herr jedweder Seele, die sich ihm weihet, ein Anderer. Der Schleier hüllt nicht immer das Heil derselben ein – viel öfterer ein Herz voll Wunden – und die einsame Zelle verbirgt zuweilen einen Stachel, der sich selbst zu Tode trifft. Wenn die Menschen große Prüfungen herbei ziehen wollen: so dürfen sie nur Zank und Zwistigkeit über ein Geringes erheben. Manchmal dachte ich: es muß ein Unglück kommen, und es kam. Da fühlten wir das Band unserer Verbindung, und der Riß ging durch das Leben.«

Während Schwester Veronica also sprach, hatte Frau Fabia sich mit der nun fertigen Guirlande, die sie wie ein Feston schwebend trug, dem Bilde Martin Luthers genähert, um diesen Schmuck daran zu befestigen. Das Blumengewinde, von seiner eigenen Wucht niedergezogen, glitt abwärts, ehe Fabia es dem Rahmen anpassen konnte, und die Nonne daneben leistete ihr mit freundlicher Toleranz Beistand, den Mönch von Wittenberg zu bekränzen. Diese Huldigung ward von Seiten Fabiens emsig, doch schweigend dargebracht. Auch Schwester Veronica verstummte, und richtete den Blick starr auf das Portrait, welches einer andern Erinnerung aufhalf, als der, die sie großmüthig zu vergessen schien.

»Warum ich eigentlich gekommen bin –« sagte sie mit einem gastlichen Geheimniß in der Miene: »man geräth ins Plaudern und ein altes Gedächtniß wird schwach. Sie haben mir versprochen, mich zu besuchen, Frau Fabia, mit Josephine – und Theresen! So lade ich Sie hiermit ein, auf eine Schale Thee, um fünf Uhr, wenn Sie so gütig seyn wollen. Ich bin am Feuer gewesen, Sie sehen es mir noch an. Meine lieben Gäste, auf die ich hoffe, zu bewirthen, habe ich Olyppen gerollt und mürbe Schneetörtchen ausgesetzt, mit Kirschmuß gefüllt, weil ich weiß, Sie mögen dies Gebäck gern.«

»Kirschmuß?« fragte Fabia zerstreut doch dankbar, und der schwarze Groll in ihrem Herzen war unterdessen in Süßigkeit zergangen. Der Gedanke rührte sie, die Nonne wolle ihr, ob auch verschwiegenermaßen, doch nach echtcatholischer Weise, den Namenstag des Reformators feiern – eine Selbstverleugnung, der die lutherische Fabia schwerlich fähig gewesen wäre. Sie antwortete demnach: »Ihre Güte beschämt mich, Schwester Veronica; ich nehme, was mich betrifft, die Einladung mit Vergnügen an, doch würde ich auch zu jeder andern Zeit – – –.«

»Nein,« erwiederte die Nonne sanft beharrend: »warum also nicht heute? Sanct Martin will auch sein Recht haben. Es hat große Männer dieses Namens gegeben. Papst Martin der Fünfte ritt ein weißes Roß – daher vielleicht das volksthümliche Sprüchwort: Sanct Martin kommt auf dem Schimmel; was so viel sagen will, als: daß oftmals zu Martin der erste Schnee fällt. Von meiner Kindheit her war dieser Tag mir immer eine kleine winterliche Vorfeier des heiligen Abends; ich jauchzte, wenn die ersten Flocken die stille Luft einschleierten; dann ward es mir so traut und heimlich düster im Zimmer, ich schmiegte mich in meinen Winkel, spielte Kloster und betete das Christkind an, vor dem ein Paar kleine Lichter brannten. Die Mutter schenkte mir deshalb stets den angemalten Wachsstock voraus.«

Bei dieser Rückerinnerung lächelte die alte Nonne fast kindlich. Sie glich in diesem Augenblicke einem Wachsbilde.

Frau Fabia aber fragte nachdenklich: »war jener Papst, dessen sie erwähnen, mit dem heiligen Martin, den Ihre Kirche verehrt, Eine Person?«

Schwester Veronica verneinte es und sprach: »der sogenannte heilige Martin war ein Muster aller Tugend, ob zwar ein geborner Heide. Er schenkte einst einem Armen, der ihm in erbarmungswürdiger Blöße unter den Thoren von Amiens begegnete, die Hälfte seines eigenen dürftigen Kleides. In der folgenden Nacht erschien ihm der Heiland, und der göttliche Leib war bedeckt mit diesem halben Gewande. Doch dieses dünne düstere Grau hing in den schönsten Farben zusammen geflossen über der Schulter des Gekreuzigten, wie ein Regenbogen am Himmel; Glanz erfüllte das Gemach –« die Augen der Nonne schimmerten.

»Der mildthätige Mann,« entgegnete Frau Fabia, »wird an die Worte der Verheißung gedacht haben: was dem Geringsten meiner Brüder geschieht, soll mir gethan seyn.«

»Noch war er nicht getauft; aber es geschah alsbald,« antwortete die Conventualinn, welche ihren frommen Wunderglauben durch diese biblische Erklärung angegriffen sah. Der Gedanke an den Unterschied ihrer religiösen Meinungen drängte sich in die Lücke des Gesprächs, dann fügte Schwester Veronica hinzu: »auch Martin von Amboise war ein berühmter Mann –.«

Frau Fabia erstaunte nicht wenig, diesen Namen, der in den tiefsten Saiten ihres Herzens Anklang fand, aus diesem Munde zu hören.

Die Nonne war im Begriff zu gehen, vielleicht fürchtete sie auch nur abzuhalten. Personen, welche die meiste Zeit haben, machen in der Regel die kürzesten Besuche und sind überall eilfertig. »Um fünf Uhr, Frau Fabia, ich bitte!« sagte sie, bereits an der Schwelle, »und Therese?«

Mit dieser Frage schien sich heute jede Unterredung für Fabia zu schließen. Sie sprach: »ich werde ihr die Einladung mittheilen und meinen Wunsch, daß wir als gute Freunde zu Ihnen kommen.«

Schwester Veronica lächelte friedselig zu diesem Versprechen. Sie nickte noch einmal und verschwand.

Während dieser Unterhaltung war der Administrator, sobald das Geschäft welches seine Gegenwart erfordert fordert hatte, beseitiget worden, mit starken Schritten allein in seinem Zimmer auf und nieder gegangen. Da trat Major Feldmeister bei ihm ein, Einer der pensionirten Offiziere, ein Hausgenosse des Stiftsverwesers, und diesem der liebste. Nicht der Krieg hatte den wackern Ingenieur zum Invaliden gemacht, oder die höhern Jahre, in denen er stand; er war bei einer Uebung der Artillerie gelähmt worden.

»Bon jour, Freundchen! störe ich?« rief der alte Feldmeister, indem er sich langsam durch die Thür schob; dicht neben ihm drängte sich sein großer Pudel von infernalischer Schwärze, heran: gleichsam der Dritte in diesem Bunde.

Der Administrator begrüßte den Besuch wie einen gern gesehenen, und streichelte den Faust, so hieß der Hund – der Täufling eines Kraftgenies, das weder an Göthe noch Klingemann, oder irgend einer Klinge Anstand genommen hätte, den Schwarzkünstler in seiner Art, also zu benennen. »Schön, aber verteufelt kalt heute!« bemerkte der Major, und glitt ein wenig wankend und mit einem Zuge von Schmerz um den eingekniffenen Mund in einen nahen Sessel.

»Ich wollte nur –« sagte er tiefathmend, »ich hatte mit Ihnen zu sprechen, ehe ich am Ende sitzen bleibe im Winterquartier: denn seit gestern, wo ich, wie Sie wissen, noch in Leidthal war, verspüre ich Gichter im Knöchel.« Der Pudel entzog sich der Liebkosung des Administrators, und lagerte sich zu den Füßen seines Herrn, den zottigen Umhang des Ohres an die kranke Stelle geschmiegt, als wolle er das leiseste Necken heraus hören, und mit einem drohenden Blicke höllischer Melancholie in den röthlichumzogenen Augen knurrte er vor sich hin, als wolle er dem Weh, welches der Major männlich verbiß, rathen, nicht allzu nahe zu kommen: denn ein Funken himmlischer Treue belebte diese hündische Seele.

»Es wird hoffentlich nur ein wenig Rheuma seyn,« erwiederte der Administrator tröstend auf jene Klage, »ein gelinder Schweiß hilft es heben,« dabei trocknete er sich die Stirne, und verbarg eine verstörte Miene in dem feinen Tuche.

»Wie es scheint, Freundchen,« sagte der Major und lächelte: »sind Sie selbst in Transpiration – oder in Angst? das verhüte Gott!«

»Die Weiber haben mir den Kopf warm gemacht« – sprach Jener heftig: »es kostet Kampf, mit ihnen fertig zu werden.« Bei diesen Worten rückte er ein Kästchen mit Cigarren dem Gast zur Hand, und drehete den Hahn an der Maschine von Wasserstoffgas wie mit zürnender Vollkraft, daß der Strahl erschrocken heraus sprang. Es geschah dies mit unbewußtem Nachdruck des Gedankens, er sehe sich genöthiget, ihnen den Daumen aufs Auge zu drücken.

»Glaub's gern,« antwortete der Major gleichmüthig, und schickte sich ohne Umstände zum Rauchen an. »Man hat mit Einer zu thun. Sie stecken mir da wahrhaftig in jedem Sinne ein Licht auf. Oft schon habe ich gedacht, wie Sie nur Friede erhalten mögen unter den Frauen? Feuer und Wasser sind nicht so verschieden wie diese Beiden, und Josephine« – der Blick des Majors streifte den gläsernen Globen – »ist ein Kind des Lichts, eine Tochter der Lust, so zu sagen: denn man weiß nicht, woher? von wannen? genug, die Kleine ist Gott Vaters Ebenbild – und die Frau Schwägerinn eine wackere Stiefmutter.«

Herr Prälat schien das Letztgesagte nicht vernommen zu haben. Er starrte vor sich hin, als dächte er diesem zweideutigen Lobe nach. Der Major fuhr fort: »wenn es denn irrdischen Eigenschaften nachgeht: so muß Frau Fabia einst Schaffnerinn im Himmel werden. Sie ist eine treffliche Wirthinn, das muß wahr seyn. Und diese Ordnung, diese Stille – aber Freundchen, der Mensch lebt nicht von Brod allein. Wenn Sie nun heirathen? wird eine Frau sich dies Regime gefallen lassen? und eine so hübsche Mitregentinn wie Therese dazu? schwerlich. Sie dächte wohl, Jene führte den Scepter im Hause, Diese trüge die Reichs-Insignien im Herzen des Mannes, und so wäre sie nur gleichsam eine Schattenköniginn.«

»Es wird nicht geschehen,« versetzte der Administrator halblaut, ohne sich deutlicher zu erklären, ob er das Heirathen, oder diese Vertragsamkeit meine.

»Es taugt nicht,« fuhr, nun im Zuge, der alte Feldmeister fort: »sich vor der Zeit mit Familien-Verhältnissen zu befassen. Frei muß der Mann seyn, ehe er freit! eine ganze Sippschaft Vettern und Basen rückt ihm mit dem Hochzeittage auf den Hals. Meine selige Frau hatte keine Geschwister, und kaum war ich ein Jahr mit ihr verheirathet: so däuchte es mir, ich hätte das leibliche Kind der Mutter Eva zum Weibe genommen: denn das Menschengeschlecht kam, und wollte mit mir verwandt seyn.«

»Mein Schicksal ist ein Schlangenknoten, schon um meine Wiege geschürzt,« entgegnete der Administrator düster: »und wenn ich den Lauf meines Lebens überdenke: so scheint es mir, ich sey bestimmt, unter falschen Maximen zu leiden. Urtheilen Sie selbst!«

Herr Prälat war in einer jener Stimmungen, welche dem nächsten Zufall den Schlüssel giebt, auch ein verschlossenes Herz zu öffnen. Zumal war dies Herz gepresst wie noch nie; er kannte den Major als einen wackern Mann, und so genügte er dem Bedürfniß des Vertrauens. Indem er eine Tabackpfeife ergriff und lächelnd den Kopf des Mustapha, genannt der Fahnenträger, betrachtete, sagte er: »kein Unterschied des Glaubens, kein religiöses Vorurtheil, und was aus dieser oder jener Gattung für das Leben hervorgeht, ist mir fremd geblieben, den Islam ausgenommen –« hier knurrte Faust, und schnappte wie nach dem Schall dieses Wortes.

Der Administrator setzte sich dicht an die Seite des Majors und sprach: »Mein Vater soll ein Freigeist gewesen seyn – ich will es nicht bezweifeln: denn der Gott in meiner Brust war kein kindliches Erbe, sondern der Segen der Natur. Ziemlich jung noch hatte er eine Wittwe geheirathet, die bedeutend älter war.«

»Taugt nicht, Freundchen,« schaltete der Major ein, und Jener fuhr fort: »diesmal taugte es wirklich nicht, obwohl ich sonst schon gesehen habe, daß dessenungeachtet das Glück einer Verbindung bestehen kann. Ein wesentliches Mißverhältniß entgegengesetzter Art machte diese Ehe unglücklich. Die Frau war coquett und lebenslustig für ihre Jahre, mein Vater weltsatt und ungesellig für die seinigen. So gab es keinen Einklang zwischen ihren Meinungen, und endlich nur den einer Scheidestunde. Sie trennten ein Band gesetzlich, was bereits unauflöslich war: denn meines Vaters Frau sollte nach längerer Zeit ihrer Verheirathung jetzt Mutter werden. Der Verdacht der Untreue, der meinen Vater bestimmte, sich unter diesen Umständen von seiner Gattinn loszusagen, muß durch dringende Beweismittel unterstützt worden seyn: denn er ward von Seiten der Behörden nicht verpflichtet, sich ihrer weiter anzunehmen, oder für das Kind zu sorgen. In öder Vereinzelung ging ihm nun ein langer Zeitraum hin. Er war ein ältlicher Mann geworden, da kam ihm der Gedanke, sich wieder zu verehlichen, und er wählte ein blutjunges Mädchen, meine liebe Mutter.«

Der Administrator hielt inne und seufzte tief.

»Taugt wieder nichts,« brummte der Major sich in den Bart: »hätte ihn nicht nehmen sollen, die arme Kleine.«

»Mein Vater war wohlhabend – und meine Mutter eine abhängige Waise,« versetzte ihr Sohn mit gebundenem Athem: »Gott trat in's Mittel – meine Geburt gab ihr den Tod.«

»Armer Freund!« sagte der Major weich: »so haben Sie das Treueste auf Erden nicht gekannt.«

Der Administrator schwieg einen langen Moment und fuhr dann fort: »mit einer wahren Todesverachtung wiederholter Trennungen heirathete mein Vater alsbald zum drittenmal. Ich war als ein schwächliches Kind, was mühsam behandelt werden mußte, zu der Schwester meines Vaters gekommen, der Frau eines Predigers auf dem Lande. Einst ward ich aus einem harmlosen Spiel empor gerissen, es hieß: der alte Schreiber meines Vaters wäre da, mich zu holen; mein Vater läge im Sterben, und wolle mich noch einmal sehen. Lieber Gott! er hatte mich noch niemals gesehen, seit ich denken konnte. Man kleidete mich an, ein ärmlicher Flechtenwagen hielt vor der Pfarre; ich ward hinein geworfen. Die verschrumpfte Gestalt des Schreibers saß neben mir, oder lag vielmehr wie eine faule Birne auf dem Stroh. Er schlief den ganzen Weg, ich wachte mit regen Sinnen, Bäume und Berge flogen an mir vorüber – die Reise war mir wie ein wüster Traum. – Die Scene meines Empfangs schwebt auf jede Weise dunkel vor meinem Gedächtniß. Das Krankenzimmer öffnete sich mir. Eine spanische Wand verbarg das Bett, worin der Vater lag, und dem Sterbenden einen bittern Anblick. Eine hochbusige Frau probirte eine schwarze Florhaube vor dem Spiegel, der dieses eitle Bild der Trauer verdoppelte. Ein schöner etwa dreijähriger Knabe saß auf dem Boden und stieß, als ich eintrat, in eine kleine Trompete von Blech, als wolle er der Herold meiner Ankunft werden, und als fände nicht die geringste Berücksichtigung Statt, welche die Achtung der Stille erheischte. Welche Macht über die Erinnerung üben Kleinigkeiten aus! glauben Sie es wohl, Major? vor jenem gellenden, schrillenden Hall sinken, wie einst zu Jericho – noch heut die Mauern meiner Seele ein, und ein Gedanke dieses Augenblicks voll Grauen, voll Schmerz, durchdringt mich.«

Der Major nickte zweimal, als kenne er das und Aehnliches.

»Ich trat verdutzt« erzählte Herr Prälat weiter: »an das Lager meines Vaters, mit einer dumpfen Empfindung von Mitleid, Angst und Ehrfurcht, nicht unähnlich der, womit man sich zum erstenmal dem sogenannten heiligen Grabe nähert. Er lag wie ein Ecce homo darin. Seine Augen waren umflort, und ruhten schon in der tiefen Höhle des Todes, seine Glieder ohne Leben wie von bleichem Holz. Er reichte mir mit letzter Anstrengung die feuchte schwere Hand. Am andern Morgen sagte man, mein Vater wäre gestorben. Es war ein großes Begräbniß, ich ging unbetrübt hinter seinem Sarge, kindlich stolz, das erstemal öffentlich aufzuziehen. Meine Verwandten waren auch gekommen; des andern Tages war ein großer Zank; ich erinnre mich, daß meine Tante ein niederschlagendes Pulver nahm. Sie war eine robuste Frau und stets gesund, nie kam ein Arzt über die Schwelle des Pfarrhauses: so gab dies unschuldige Präservativ mir den Begriff einer ungeheuern Alteration. Mein Oheim besaß mit seiner Pfarrstelle eine Widmut, auf der ich mir die ersten Kenntnisse der Oekonomie spielend erworben habe. Meine Tante war mit Leib und Seele Landwirthinn; das liebe Vieh gehörte gleichsam zu unserer Familie. Sie hatte ein eigenes Idiom, sich jedem Geschlecht ihrer Hofhaltung verständlich zu machen. Es heißt gewiß ihrer Sorgfalt für mich den größten Ruhm beilegen, wenn ich sage: sie habe mich mit diesen Pfleglingen in eine Cathegorie gestellt. Das ist deine Amme gewesen, Cölestin! sagte sie und deutete auf eine schwarz und weiß gefleckte Kuh, die vergessend ihrer Segnung, an mir vorüber schwenkte. Ein ägyptischer Schauer rieselte dann durch meine junge Seele; die Tante, obgleich sie eine wackere Christinn war, hätte es, glaube ich, gutgeheißen, wenn man den Sultan Wampum der Heerde auf Knieen verehrt hätte. Standen wir an lauen Sommerabenden am Wasser, und eine Henne lief mit dem Glucken der Angst vor Gefahr am Ufer hin und her, weil die zarten Entlein, die sie ausgebrütet, ihre ersten Schwimmversuche machten – so sagte die Tante: das ist eine bessere Stiefmutter als Deine, armer Junge! – Dann ward mir so sonderbar weh zu Muthe, und ich wünschte mich hinab in den dunkeln Teich, wo er am tiefsten ist. Mit welcher Empfindung belauschte ich, ein Knabe noch! die geheimnißvolle Zärtlichkeit in einem Schwalbenneste! das Zwitschern des mütterlichen Vogels war mir wie der magische Laut einer Welt, aus der ich verstoßen wäre; das geringste Geschöpf schien mir neidenswerth, welches mir Kunde geben könnte von jener Heimath, nach der ich mich sehnte, ohne sie zu kennen. Das Gefühl schützender Liebe, wie die Natur sie lehrt, wurde zu einer Grundidee in mir, zu einem Princip, welches später meine Handlungen leitete.«

»Armer Freund!« sagte der Major abermals mit Blicken voll rauhen Mitleids, und ein leiser Ingrimm zuckte in seinen Mundwinkeln, als er eine neue Cigarre abknirschte, »so hatte die Tante kein Herz für Sie?«

»Ein Herz wohl,« antwortete Jener, »aber nur für meinen Leib, nicht für meine Seele. Der äußere Bedarf galt ihr alles, wie das häufig bei Frauen dieser Art der Fall ist. Sie hatte eigene Kinder gehabt; vielleicht war die Stelle dieses Verlustes zu lange schon vernarbt – und Narben werden Härten.«

»Nun, und der Oheim?« fragte der Major theilnehmend weiter.

»Mein Oheim,« erwiederte der Administrator mit sinnendem Auge, »war ein liebenswürdiger Greis von einer wahrhaft patriarchalischen Einfalt der Sitten. Seltsam! wie ein so schlichter charakterfester Mann sich in die künstlichen Folgerungen eines Systems verwickeln können, so daß er mit sich selbst im Kampfe lag. Er war ein geheimer Anhänger Mesmers, und ging im Forschen der wunderreichen Kräfte, welche dieser Producent zum Wohl der Menschheit darthat, weit genug, um bis an die Quellen der christlichen Offenbarung zu dringen. So hielt er den Messias für einen außerordentlichen Magnetiseur, den Tod am Kreuze für Somnambulismus, die Jünger für Hülfsärzte pro Secundo – und jede That des Heils für eine Wirkung dieser mysteriösen Kraft. – Wohin verirrt sich oftmals ein reger, nicht genugsam beschäftigter Geist! Das Consistorium mogte schwerlich eine Ahnung davon haben: denn mein Oheim galt für ein Muster lutherischer Seelsorge und des unverfälschten Glaubens. Doch um die Göttlichkeit seiner Lehre war es gethan. Der Schmerz des Wissens, der Durst nach Wahrheit gab seinen Vorträgen eine Inbrunst, die sich seinen Zuhörern mittheilte. Das Zutrauen, dessen er genoß, grenzte an Wundergläubigkeit und erstreckte sich weit über die Feldmarken seiner Diöcese hinaus. Er ward verfolgt vom Neide seiner Amtsbrüder. Nach seinem Tode fanden wir ganze Bündel Schmähschriften der benachbarten Geistlichen an ihn, die er mit ordnender Ruhe unter Rubriken der Gehässigkeit gebracht hatte. Ein kleiner Auftritt ist mir eingedenk geblieben. Eines Sonntags nach dem Gottesdienst kam eine Fischersfrau, die zwei Meilen von unserm Dorfe am Ufer des Flusses wohnte, weinend zu meiner Tante. Der Mann wartete draußen. Diese Leute scheueten den langen Weg nicht, um eine Predigt in der hiesigen Kirche zu hören, wo sie ermüdet oftmals nur mit knapper Noth ein Plätzchen zum Sitzen fanden. So wären sie auch, erzählte die Frau, seit geraumer Zeit hierher zur Communion gegangen, und mein Oheim hätte die fremden Gäste am Tische des Herrn geduldet. Nun aber habe der Pastor des Ortes, wohin das Ufer eingepfarrt sey, sie kommen lassen, mit Vorwürfen empfangen, und hart bedroht, daß sie ihm den Beichtgroschen entzögen. Er wolle eine grobe Epistel an meinen Oheim schreiben und sich dies in Zukunft verbitten. Was sagen Sie zu diesem Hirtenbriefe? jener Geistliche war ein communer Neidhammel. Die Fischerinn schluchzte und sagte: nun habe der Herr Pastor, (mein Oheim nämlich) sie heute freundlich ermahnt, ihm fürder keinen Verdruß zu machen; dann setzte sie entschlossen hinzu: ehe ich aber das heilige Abendmahl wo anders halte, so lasse ich es ganz und gar, es muß ja nicht seyn.«

»Blitz! da schlage doch das Wetter drein!« rief der Major mit Indignation: »über die Pfaffen! die lutherischen auch – es ist all Eins. Einer armen Seele den Trost Gottes vorzuenthalten, weil sie ihn, wie billig, nicht aus einer schnöden habsüchtigen Hand empfangen will! – Da wird ja der protestantische Altar zu einer Tetzelsbude, einer Kleinkrämerei von Nichtswürdigkeiten. Unter uns gesagt, Freundchen! ich kann die Schwarzröcke nicht leiden. Der Teufel hole den geistlichen Hochmuth!«

Der Administrator lächelte still. Er sah ein stummes Weilchen mit seitwärts gesenktem Kopfe auf den Turban des Muselmannes nieder, der umwunden von dem Dampfe seiner Pfeife nur bläulich schillerte, wie eine gestorbene Perle. Dann fuhr er in seiner Erzählung fort: »solchergestalt ward mir die Theologie verleidet, die ich nach dem Wunsche meiner Verwandten studiren sollte. Es mischte sich mir ein fixer Gedanke von Haß, Hader und ekler Widersacherei in diesen Stand des Friedens. Die Widmut theilte anderer Seits mein Interesse für den geistlichen Beruf, und schadete demselben in gleichem Grade, worin sie nützte. Wo blühet auf solchem Mistbeet die Lilie des ungefärbten Glaubens? die Rose zu Saron stehet nur im tiefen Thale des Gemüths, einsam und heilig. Den Haushalter über die Geheimnisse Gottes dachte sich meine scheue Hochachtung abgesondert in Gedankenstille von der gemeinen Menschenclasse und ihrem niedrigen Bedarf. – Meine Meinung entschied sich für den Landbau. Die Gleichnisse und Parabeln der Schrift, in deren Worten ich von frühester Kindheit an geathmet, waren wie ein Element religiöser Poesie für jene natürliche Beschäftigung geworden. Die Bilder vom Sämann, vom Waizenkorn, das in die Erde gelegt wird – von der Ernte, den Garben und Schnittern, vom guten Hirten, der das verlorene Schäflein unablässig sucht: faßte ich im Geiste der Natur. Diese fromme Weihe, wenn ich so sagen dürfte – mein christliches Gedächtniß bewahrte mich vor jener Rohheit, die man oft bei dem Betrieb der Oekonomie findet, und welche ein wilder Sproß unveredelter Kraft ist. – Ein blöder Schüler der Welt, kannte ich nichts Süßeres, als frei wie der Vogel in blauer Luft nach meiner Weise zu leben. – Mein Oheim starb – und mit diesen zwei Augen schloß sich der erste Act meiner Jugend.«

»Es ist mir lieb, daß sich das Blatt nun wenden wird, wie?« sagte der Major mit voraussetzender Frage und rauchte stärker: »die Erziehung in den Pfarrhäusern taugt nichts.«

Der Administrator hatte keinen Widerspruch für das Sprüchwort seines alten Freundes; vielleicht gab er ihm schweigend die Ehre der richtigen Anwendung. Nach einer kleinen Erholungspause fuhr er fort: »ich kam nun zu einem Verwandten mütterlicher Seite, der mein Vormund war: dem Stiftscanzler von Sanct Capella, der als practicirender Jurist in M–. wohnte. Im Actenstaube grau geworden, war jeder Lebenstrieb in ihm vertrocknet – er war ein Hagestolz. Die Gesetze standen leserlich auf dem brüchigen Pergament seiner Stirne geschrieben, der Blick seines kleinen Auges, dessen Pupille wie in einem galligten Gelbei ruhete, hatte eine Profundität, die ihm oftmals den Vortrag seiner Clienten ersparte – seine Miene drückte stets auch in ihren wohlwollendsten Modificationen eine Sentenz zu gemäßigtem Zuchthaus aus, und auf den geklemmten Lippen wechselte das Urtheil zu Einbuße oder Leibesstrafe; sie öffneten sich fast nie ohne einen Verlust anzukünden, selbst der Glückwunsch zu einem gewonnenen Prozesse ward durch den Grimm seines juridischen Dämons zu einer Drohung. Und dennoch war dieser wunderliche Mann nicht böse. Er hatte einen ausgebreiteten Ruf, seine Rechtlichkeit war gefürchtet. Die Beamten auf den Klostergütern zitterten vor ihm, die guten Nonnen liebten ihn mit Furcht und schmiegten sich in seinen weltlichen Arm – er war der Donnergott der Abtei. – Ein Geschwisterkind von meinem Vormund und somit auch mir verwandt – führte ihm daheim die Wirthschaft; ein liebes altes blasses Mädchen, an das ich nur mit dankbarer Rührung denken kann. Die gute Beatrix hatte eine kleine heimliche Hauscanzlei, wo stille Gesetze ausgeschrieben wurden, und mein Vormund stand unter diesem Kammergericht, ohne daß er ein stummes Wörtchen davon wußte. – Beatrix, trotz ihrer subalternen Anspruchslosigkeit, war die Justitia des Canzlers. Sie that so simpel, daß man ihr die Gerechtigkeitspflege eines so rabiaten Juristen nimmermehr zugetraut hätte. Sie konnte nicht anders mit Federn umgehen, als daß sie beständig welche rupfte oder schließ – als gälte es das ewige Brautbett des alten Junggesellen. –

Mein Vormund empfing mich mit logischer Kürze, und wies, weil er eben dringend beschäftiget war, mich an die Muhme. Sey mir nicht bange, lieber Cölestin! sagte Beatrix so lind und leidsam, daß ich die künftige Angst wie im Voraus vergütet fühlte: wenn es Dir auch Anfangs nicht bei uns gefällt. Der Herr Vetter ist nicht gar so schlimm. Man muß ihn nur kennen. Einiges will ich Dir aber doch zur Warnung sagen: widersprich ihm nicht! Du kannst Dir ja Einwand und Rechtsmittel vorbehalten. Ich mußte lächeln, so jung ich war, über diese Brocken von der Brodwissenschaft des Vetters, welche die haushälterische Muhme gesammelt. Dann, sprach sie weiter: hüte Dich, mit dem Stuhle zu wackeln, wenn Du bei ihm sitzest! ein Erdbeben würde wohl weniger beachtet, als dies. Endlich lasse nie die Putzscheere unvorsichtig vom Leuchter gleiten. Ich sage Dir: der liebe Gott läßt eher die Sonne aus seiner allmächtigen Hand fallen, und schaut großmüthig drein, ehe der Herr Vetter diesen Fehler vergiebt. – Ich bebte; welch ein Wütherich mußte mein Vormund seyn! – Wir aßen ein kleines vortreffliches Abendbrod zu Dreien, der Canzler schenkte mir liberal Wein ein, um mir Muth einzuflößen. Ich saß unbeweglich auf meinem Stuhle und sah ängstlich hin, so oft Beatrix das Licht putzte. Sie that es jedoch mit fester Hand und winkte mir zuweilen mit den Augen, wenn ich ein Wort sagte, was ihr unpassend schien. Nun, Du willst ein Bauer werden, wie ich höre? fragte der Herr Vetter zwischen dem Essen, und die Frage klang wie Spott. Beatrix zwinkerte schon wieder verneinend. Du hast dreschen sehen, da ist Dir die Lust dazu angekommen, mein Junge. Diese Analogie mit dem Flegel versetzte meiner ökonomischen Liebhaberei einen tüchtigen Schlag. Studiere nur fleißig! sprach er dictatorisch: es wird sich alsdann schon finden, was aus Dir werden soll. Nur kein Jurist! dagegen protestire ich. Bei der Rechtspflege bliebe auch ein Eisenfresser nicht gesund. Man ärgert sich tagtäglich und lebenslang ex officio. Ich warf einen mitleidigen Blick auf die hagere gekrümmte Gestalt des Vetters, und glaubte ihm. – Zu meinem Erstaunen sah ich, daß dieser unwirsche Mann auch jovial seyn konnte, und dies besonders im Umgange mit seinen Collegen. Es fand das beste Vernehmen zwischen ihnen Statt, und nie ward ihm eine Streitsache zu persönlichem Groll. Ich konnte nicht umhin, dies sehr achtungswerth zu finden und dabei an die unaufhörlichen Zänkereien der theologischen Herrn Brüder zu denken.«

»Ja, die Juristen sind cordial!« fiel der Major ein, »aber die beste Cammeradschaft bestehet doch unter dem Militair. Da, wo der Tod Hauptmann ist, schließen sich die Glieder eng zusammen – und Gewalt geht vor Recht.«

»Ich fragte mein Mühmchen einst,« setzte Herr Prälat fort, »warum der Vetter denn nicht geheirathet hätte? – Das sey Gott zu danken – meinte Beatrix und lächelte mit Gleichmuth. Sie ertrug schon ein halbes Säculum seine hypochondrischen Launen. Er habe so viele Ehescheidungen amtlich behandeln müssen, daß ihm ein Abschmack – Abscheu wollte sie vermuthlich sagen – vor dem Ehestand angekommen sey.«

»Taugt nichts,« unterbrach hier der Major seinen Freund, »mit einer Sache zu genau bekannt seyn, die Illusion fordert. Köche haben in der Regel den wenigsten Appetit. Jeder prüfe sein Selbstwerk! – die Unerfahrenheit ist auch manchmal gut.«

Ohne sich durch diese eingestreueten Bemerkungen aufhalten zu lassen, fuhr der Erzähler fort: »wirklich überzeugte ich mich, welche üble Meinung der Canzler von dem weiblichen Geschlecht hätte. Er nahm mich zuweilen mit nach Sanct Capella – die Aebtissinn vergünstigte es. Als wir einst ein wenig illuminirt das Kloster verließen, der ganze versammelte Convent Kopf an Kopf gedrängt uns nachsah, mein Vetter noch einmal zurück grüßte, wendete er sich von dieser Verbeugung zu mir, und sprach listig: gut für manchen wackern Mann, daß Ihr hier aufgehoben seyd im christlichen Harem, Ihr verschleierten Engel! das Stift, glaube es mir, Cölestin! ist eine wahre Büchse der Pandora. Sollten sich diese goldnen Thüren einmal öffnen: Hu! welch ein Heer von Plagen würde da in die weite Welt herausstürzen! – Ich habe dieser Worte später gedacht. Es war ein Seherblick gewesen, den der Canzler damals auf die verschlossenen Pforten warf. Auch war jene kleine frivole Tücke gegen die gutherzigen Cisterzienserinn nicht etwa der Ausdruck eines Spötters in Glaubenssachen. Die Religiosität meines Vetters – er war Catholik – war der geheimnißvolle Respect vor einer himmlischen Gerichtsbarkeit, an die er in terriblen Augenblicken appellirte und: gerechter Gott! sein höchster Ausruf.

Ich lebte eine Reihe Jahre in der That glücklich im Hause meines Vormunds, und danke ihm viel. Dieser strenge Geschäftsmann gab mir privatim ein Beispiel der Toleranz, was mir damals eben nöthig war. Er haßte alles Absprechen nicht nur an Andern, er vermied es auch an sich selbst. Ich äußerte ihm einmal ehrerbietiges Bewundern und ein Wörtchen mit Bezug auf meine früheren Erfahrungen entschlüpfte mir. Er lächelte und sprach: Du mußt wissen, mein Söhnchen, daß diese Eigenschaft einen wesentlichen Unterschied zwischen den Facultäten bemerklich macht, und unsern Beruf gewissermaßen austauscht. Die Theologen sind in der Regel Richter, was sie nicht sollten; – wir dagegen vertreten nach Christenpflicht und von Amtswegen die Fehler und Fährlichkeiten des Nächsten. Sie lassen ihr Licht leuchten vor den Leuten – wir gebrauchen es nur, um auch dem finstersten Falle eine Seite der Entschuldigung abzusehen.«

»Wahrhaftig in Gott! da hat er Recht!« rief der Major aus überzeugtem Drang des Herzens.

Der Administrator schwieg, als wäre diese Mittheilung nun abgebrochen, und sah lange weitschauenden Blickes vor sich hin. Dann hob er mit verändertem Tone an: »ich studirte Cameralia – ging auf Reisen – welch eine Welt liegt zwischen diesen schmalen Grenzen auf der Charte meines Lebens! – Ich hatte einen Freund – –« ein tiefer, schwerer Odemzug, wie wenn dies Wort sich nur mit Ketten aus dem Born der Seele wände.

Der Major besaß bei einer rauhen Außenseite den zartesten Sinn der Freundschaft. Er sagte: »falscher Conjunctiv, Freundchen! Sie haben einen, der nicht alles zu wissen braucht. Lassen Sie ruhen, was sich nur mit Seufzern heben läßt. Taugt nichts, erschöpftes Vertrauen. Ich wünsche nur noch zu erfahren, wie Sie eigentlich zu der weiblichen Drei-Uneinigkeit gekommen sind? Josephine, das friedsame Täubchen! ist nicht in diesem Zwiespalt begriffen. Sie ist auch hier als der heilige Geist die schwächste Person dieser Trinität und eine wahre Vergebung der Sünden. Wie?« fuhr der Major abstrahirend fort: »ists nicht so? werden nicht dem heiligen Geist selbst im Glauben nur flüchtige Honneurs gemacht?«

Der Administrator lächelte wie ein Leidtragender, dem ein zerstreuender Tröster von den Verhältnissen des Himmelreichs vorspricht. Er antwortete: »ich habe meine Geschichte so weit angelegt, daß ich schwerlich damit an das Ziel gelange. – Meine hiesige Umstellung knüpfte sich an Fäden, welche noch mit der vormaligen Einwirkung meines Vetters, des Exkanzlers, zusammenhingen. Er starb bald darauf. Die gute Beatrix war längst todt. Man fand sie eines Morgens entseelt, mit dem Angesicht in eine Wolke von Flaum gesunken. An den starren Wimpern hingen die zarten Federn; aber sie bewegten sich nicht mehr vor dem verschlossenen Munde: es schien, als ob sie ohne einen Hauch der Todesangst verschieden sey. Dieses sanfte plötzliche Sterben in weicher Pflicht, wie wenn der Schlaf einen Müden überrascht, war die schönste Gabe ihres armen harten Lebens. So oft mein Vetter mir das erzählte, und des Anblicks jener befiederten gestorbenen Augen gedachte, die so treu auf seinen Vortheil gesehen, gingen ihm die seinigen über. – Meine Lage als Administrator gefiel mir wohl; sie war gewissermaßen das Resultat der Ergebnisse meiner früheren Jugend. Hier konnte ich ein Landwirth seyn im weiten Felde der Industrie, nicht beschränkt auf die Hufe eines engen Besitzthums, und zugleich ein Diener des Staats, dem ich mit all meinen Kräften zu nützen wünschte. Meine Vorliebe für diesen Ort war sich gleich geblieben. Wie oft hatte der catholische Gesang von Sanct Capella, die heilige Nonnenstille, der Weiheduft andächtiger Mysterien, den lutherischen Jüngling in mittelalterliche Träume gewiegt! ich war nun erwacht, und Alles war anders und wirklich. Doch noch jetzt schlägt die große Glocke mit jenem romantischen Klange tiefe Saiten in mir an, und wenn Fabia mit dem großen Schlüsselbunde durch den Kreuzgang geht, muß ich der Pförtnerinn gedenken und jenes kleinen klingelnden Geläuts in ihrer Hand, welches, meinem Gefühl nach, den Chor seliger Geister in einem Himmel öffnete, den die Welt fälschlich für ein Grab der Lebendigen hielte. – Wie öde reformirt war nun das schöne Stift, wie profan geworden! – ich schützte mit Pietät, was noch aus dem Umsturz jener Verhältnisse zu erhalten war. Die Hand, welche leise und achtsam an das heilige, das genommene Recht rührte, war desto eifriger, wo es den Ertrag der Grundstücke galt. Man sprach davon: es sey im Werke, das pompöse Gebäude zu einer Strafanstalt, einem Spinnhause, herabzuwürdigen; diese Möglichkeit empörte mich. Dann sollte es zu einer Seidenfabrik benutzt werden, endlich wolle man, hieß es, eine chirurgische Pepiniére daraus machen. Ich kam den Behörden mit einer Proposition von meiner eigenen Idee zuvor. Solle es denn nun einmal hier gesponnen oder geschnitten seyn: wohl! so gebe man den Parzen Wohnung, und lasse verdiente Offiziere hier leben und sterben. Dann zieht die Ehre ein und nicht die Schmach, und statt Mühe, Plage und Schmerz webt in diesen Mauern das Seidenleben der Ruhe. – Es wurde provisorisch zugestanden.«

Major Feldmeister reichte dem Administrator mit einem gerührten Blicke die Hand und sagte kein Wort. Er dampfte nur einen unendlichen Qualm aus, als wollte er sagen: »bis an meinen letzten Athem werde ich Dir dies danken.«

Und der bürgerliche Prälat der einst gefürsteten Abtei sprach: »ich orientirte mich nunmehr. Das Drängen der ersten Einrichtung ließ mich wenig zu mir selbst kommen. Es waren Rückstände zu bearbeiten, mein Vorgänger hatte lange darnieder gelegen – auf den versäumten Gütern lag mehr als ein Feld der Nutzung brach. An geselliges Bekanntwerden in der Nachbarschaft zu denken, hatte mir noch keine Zeit geübrigt. Es war in einer Geldangelegenheit von Belang, wo ich gesprächsweise den Oberförster zu Rathe zog. Das wird Ihnen ihr Vetter, der Rentmeister in Bühle, am besten sagen können – meinte er. Mein Vetter? fragte ich befremdet; ich wußte von keinem. Nun ich dachte nur, antwortete Jener, weil er eben so heißt, Sie wären mit einander verwandt. – Dies gab mir ein Interesse mehr, dieser Weisung zu folgen, und den Mann meines Namens kennen zu lernen. Ich ritt desselben Tages noch hinüber. Es war im Mai. Ein Gewitter schauerte über die quellenden Saaten; doch sah ich wohl, es würde vor der Nacht nicht kommen. Ein eigenes Gefühl von Schwermuth oder Ahnung preßte mir die Brust, als laste ein nie getragenes Gewicht mir auf der Seele. So kam ich an den englischen Garten von Bühle. Die Sonne schoß eben einen goldrothen Pfeil auf das steinerne Windspiel, welches am untern Ende des Parks auf einem Postamente ruht. Es blickte mit todten Augen in den flammenden Köcher – ich weilte einen Moment an dieser Stelle und dachte: da liegt der Hund begraben! Gott weiß, durch welche Association der Ideen mich der Gedanke geisterhaft ergriff: es läge unter den dunkeln Schatten dieses Ortes irgend ein Geheimniß verborgen, was meiner Theilnahme angehöre! – Das große gothische Schloß, die Colonnade vor den Wohnungen der Beamten, schien mir schön aber düster, und ich gab dies Clair-obscure meiner innersten Auffassung der frühlingstrüben Atmosphäre Schuld. Innerhalb der Gehöfte war es auf die bängste Weise still, nur der Brunnen machte ein kühles Geräusch und die Wasserkufe schäumte über. Ich sah Niemand, den ich nach dem Rentmeister fragen konnte. Da öffnet sich leise eine Thüre hinter der Colonnade, ein Mädchen, kaum jungfräulich erwachsen, tritt hervor, ein feines Glas in der zarten weißen Hand, und wirft einen schüchternen Blick auf mich, den Mann zu Pferde. Es liegt etwas Poetisches, Major, in dem Anblick eines schönen Kindes am Brunnen; der Durst des Herzens, worin er auch bestehe, wird dadurch gelöscht. – Ich fragte höflich, ob ich den Rentmeister zu Hause anträfe? die Kleine nickte – es war Josephine.« Jetzt nickte auch der Major.

»Ich band mein Pferd an eine Säule und folgte ihr. Sie bat, daß ich einen Augenblick verziehen mögte, denn der Vater wäre krank, und sie müsse es ihm erst sagen, daß ihn Jemand zu sprechen wünsche. Ich wartete vor der Thüre zu ebener Erde; drinnen entstand ein ungastfreundliches Gemurmel, dazwischen hörte ich Josephinens Stimme wie vorbittend. Endlich winkte sie mir. Ich trat in ein tristes Zimmer. Grüne wollene Vorhänge verdunkelten es, und warfen noch bleichere Schatten auf einen kranken Mann, der bei diesen schwülen Wärmegraden in Betten eingehüllt auf dem Sopha saß. Eine Frau rückte ihm die Kissen zurecht, und schien, mit Sorgfalt um ihn beschäftigt, sich nicht um den Eintritt eines Fremden zu kümmern. Der Anblick dieses Kranken erschütterte mich. Ich stellte mich ihm vor, und fragte beklommen: ob unser Gleichname vielleicht Grund in einer entfernten Verwandschaft hätte! – Der Rentmeister lächelte – o! furchtbar lächelte er. Seine Antwort lautete: verwandt? nein, Herr Administrator, wir sind nur Brüder. – Mein Blick sah ihn mit – Entsetzen, mögte ich es nennen, auf die Wahrheit dieser Aussage an; dunkel hatte es mir vorgeschwebt, dieser Mann könnte der Sohn meines Vaters seyn. Er war gegen mich ein Greis, eine ganze Lebenslänge schien sich zwischen uns hinzuziehen; doch der verknüpfende Faden blieb und zerriß in jener Minute mein Herz. Jetzt wußte ich, warum mir so ahnungsvoll zu Muthe gewesen, was dieser Weg mir aufgebürdet hatte. Meines Vaters Freiheit hemmte mich wie eine Kette, deren tausendstes Glied noch getragen werden muß. Mein Bruder! und mir so todesfremd! – Getrennte Ehen sind es, welche eine Weltverbrüderung unmöglich machen, und das Band der Menschheit auflösen. Mit diesem stillen Bekenntniß legte ich mir selbst das Gelübde ab: scheiden lasse ich mich nimmer! – Ich wagte ein brüderliches Wort an den Rentmeister. Er nahm es nicht auf, und nannte mich Sie. Ihr Vater, Herr Prälat, sagte er, als ginge ihn dieser Name gar nichts an, verstieß mich im Mutterleibe, und wer einmal unter der Bank geboren ist, kommt nie auf. – Diese Worte deuteten mir langes Unglück an und einen zerbrochenen Geist. Eine Thräne schlich über die Wange seiner Gattin, welche sie verstohlen abwischte; Josephine schlich leise hinaus. Ich hatte nicht den Muth, nach seinen früheren Verhältnissen zu fragen. Spät ritt ich nach Hause. Der Donner rollte krachend, die Wolken waren Feuerschlünde, es regnete wie mit Giesbächen. Ich empfand wenig von der empörten Natur. Meine Seele bebte noch unter stärkeren Schlägen, und die einzige Thräne meiner Schwägerinn hatte mich mehr erweicht, als dieses Sturzbad. Sie werden leicht denken, daß ich nicht säumte wieder nach Bühle zu kommen; doch nur langsam gelang es mir, mich meinem Bruder zu nähern und Eingang in sein Vertrauen zu finden. Seine Frau, ob zwar auch zurückhaltend, war dennoch freundlicher mit mir. Ich merkte bald, daß sie zu den Stillen im Lande gehöre, und eben so, wie oft der Unmuth ihres Mannes über eine Frömmigkeit laut werde, die ihm doch in der Geduld, womit sie seine Leiden ertrug, zum Seegen gereichte. Aber mein Bruder war menschlichen Ansehens nach ein Mann des Todes, und sein Gemüth schien mir noch kränker. Wie viel die Frau für seine Pflege that: eine größere Kraftanstrengung entwickelte sie, seine Seele zu retten. Sie ließ seinen Eigensinn und die Natur gewähren, wenn er den Arzt nicht wollte; aber sie quälte ihn partout mit dem lieben Heiland.«

Der Major schüttelte den Kopf und sprach: »taugt nichts, daß solch heilige Liebschaft aufdringlich werde; der Mann muß dem besten Freunde die Thür des Hauses und Herzens selbst aufmachen.«

»Einst kam ich dazu,« fuhr der Administrator fort, »als Beide in streitendem Gespräch über die verstörende Ursache seiner jetzigen Leiden waren. Mein Bruder schwieg sogleich; aber Fabia, gestützt auf die Autorität ihrer Gottseligkeit, konnte nicht abbrechen, ohne weiblich das letzte Wort zu behaupten. Sie sprach: Sey nur getrost! es wird uns im Himmel wohl belohnet werden, so man uns um Gerechtigkeit willen verfolgen sollte. Da fuhr mein Bruder heftig auf. Um Gerechtigkeit willen? Frau, Du faselst! eine Schändlichkeit ist es, die ich werde verantworten müssen; ich sage Dir: es ist kein größerer Betrug erfunden worden. Der Glaube an eines Menschen Wort ist mein Unglück gewesen und mein Elend geworden – ich will Gott nun nicht mehr versuchen. Es lag eine Resignation darin, die mich mit kalter Hand durchgriff. Fabia entfernte sich; ihr Mann fiel erschöpft in einen fieberhaften Schlummer, ich ging seiner Frau nach. Sie stand im Gärtchen, begoß ein Blumenbeet mit ihren Thränen und rang in christlicher Verzweiflung die Hände über den weißen Lilien. Ich redete ihr zu. Fabia verklagte den unbeugsamen Sinn ihres Mannes, der jedem Gnadenmittel widerstände und nicht arbeiten möge an seinem Heil. Ein Luftzug führte die leise ängstliche Frage von ihren Lippen: ob er nur selig werden wird? Die Lilien nickten. Ich sagte, was ich dachte: daß diese Kinder ihres Schöpfers auch nicht arbeiteten im reinen Glanz ihrer Heiligkeit, und dennoch erständen zur Frühlingsfreude der verjüngten Erde. –

Fabia schien nicht einzugehen in diesen natürlichen Trost. Sie sagte: seine Mutter ist lediglich Schuld daran. Diese war ungewiß über den Vater – seinen Vater – darum zweifelt nun der Sohn an Gott! – So schob meine Schwägerinn ihren Scrupel, ob ihr Mann das ewige Leben haben werde, Denen zur Last, die ihm das irdische gegeben. Bald darauf ward es schlechter mit dem Bruder. Kurz vor seinem Tode übergab er mir die Sorge für seine Witwe, für sein Pflegekind, legte den Schlüssel zu einem wichtigen Geheimniß in meine Hände – dann drückte ich ihm die Augen zu. Das Recht eines Gestorbenen zu vertreten, darf ich keinen eigenmächtigen Schritt thun noch gestatten, eine schwere Verpflichtung hält mich an Fabia fest. Sie sehen also, wie viel mir daran gelegen seyn muß, Einigkeit unter den beiden Frauen zu erhalten: denn auch Therese – –« hier summte die elfte Stunde vom Klosterthurme. Der Major fuhr elektrisch zusammen, wie von diesem Schlage gerührt. »Elf! ich muß nun fort, und es wird mir den ganzen Tag seyn, als stäcke ich mit einem Arme nur im Aermel des Rockes. Ich habe dem Hauptmann Moorhausen eine Parthie Piquet vor dem Essen versprochen, und halte Wort, wenn auch ihm kein wahres Wort aus dem Munde geht. Das Genie dieser Art muß in den Endsylben dieses Namens wohnen: Moorhausen! Münchhausen! – Wie hat er uns vorgestern wieder belogen! er sprach von seinem Gute in P. – Wir lachten unvernünftig. Er nahm es nicht übel – das war honett. Aber – Ihre Geschichte, Freundchen ist mir in Wahrheit interessant; der Schutz, den Sie der Frau Fabia angedeihen lassen, hat seinen gediegenen Grund, ich bin nur curios, welcher Wind Ihnen die flatterhafte Therese zugewehet haben mag? – allzugroßmüthig seyn, taugt nichts.«

Das Reitpferd, worauf der Administrator täglich um diese Zeit die Ronde zu machen pflegte, ward vorgeführt. Der Major erhob sich mit steifem Gelenk, Faust schüttelte den schwarzen Mantel. Im Begriff zu gehen, sagte der Major: »da fällt mir ein, ich habe ganz vergessen, weshalb ich eigentlich gekommen bin. Ich wollte ihnen auch ein Geschichtchen erzählen, was fabelhaft klingt: das Mährchen vom gläsernen Pantoffel. Mein Neffe – doch jetzt ist's zu spät; wo werden wir nur all' die Zeit zu den vielen Reden hernehmen?«

»Wir sprechen uns bald wieder –« vertröstete Herr Prälat, und griff nach seinem Hute. Er hatte sich die Brust doch etwas freier gesprochen. Es ist gut, wenn sich die Menschen zuweilen des Warums ihrer Bürden bewußt werden; die Nothwendigkeit, sie zu ertragen, wird ihnen alsdann klar und leichter.

Sanct Martin war und blieb gegen seine Gewohnheit hell und schön. Sonst hat an diesem Tage der Himmel Baumwolle feil, und die Luftgeister sind geschäftig, der Natur eine weiße warme Schlafmütze daraus zu weben. Doch heute schritt der Herbstheilige, der sonst winterrüstig erscheint, in heiterer Luftigkeit einher, und grüßte mit dem gelben Sommerhute so herablassend freundlich, daß die schläfrige Welt munter aufwachte und träumerisch hoffte, der Sommer wolle noch einmal wieder kommen. Hier und da zwitscherte ein schlaftrunkener Vogel, robuste Bäuerinnen verbauten die kleinen Fenster mit Moos, um im Grünen zu arbeiten – der klösterliche Invalidenstamm rückte lustig ins Feld.

Schwerlich dürfte der glänzendste Thé dansant im schönsten Salon der Residenz eine wichtigere, wenn auch andere, Beklommenheit der Erwartung erregen, als bei den Damen des Stiftes der simple Nonnenthee in Veronicas kleiner Zelle, wohin sie geladen waren. So sind die Vergnügungen der Geselligkeit, wie verschieden auch gestaltet und bedingt, sich doch in ihrer Wirkung überall gleich. Zudem machte der seltene Schritt aus dem engen Kreise heiliger Regel diese Einladung zu etwas Außerordentlichem, und die stille Geschäftigkeit der priesterlichen Jungfrau, der Opferrauch ihrer Küche oder Küchel, wie Veronica sie nannte – legten einen unbewußten und geheimnißvollen Altarwerth auf den kleinen Theetisch der Nonne.

Als es nun in den gewölbten Räumen des Klosterhauses zu düstern begann, die Schatten des Abends längs den kalten Wänden hinschlichen, flimmerte es schon lichterhell in Veronicas Stübchen. Mit dem Glockenschlage Fünf standen die Schwägerinnen und Josephine an dieser geweihten Thür, hier wußte man nichts davon, oder wollte nichts davon wissen – daß ein verspätetes Erscheinen für bedeutend gelte. Schwester Veronica empfing ihren Besuch erhitzten Angesichts und mit einer gewissen gastlichen Feierlichkeit. Die Zelle, noch immer ein geistliches Betstübchen, hatte nur einen Anstrich von Häuslichkeit bekommen, die jedoch in ihrer einfachen Beschränkung dem religiösen Charakter der Einrichtung nicht zu nahe trat. In einer Nische sah seit manchem Jahr die Mutter Gottes mit dem Kinde auf das jungfräuliche Bett herab; das Waschbecken und die Wasserflasche von englischem Zinn blinkten in Formen wie Geräthe der Sacristei, in die blendende Serviette über dem aufgeklappten Tisch war das Lämmlein mit der Kreuzesfahne gewebt, die Lichter von gelblichem Wachs warfen kirchlichen Schein, und bei jeder der drei Tassen lag ein kleiner Blumenstrauß, bei Josephinens aber der schönste. –

Therese, durch den gehabten Zwist und die spät erfolgte Versöhnung empfänglich gestimmt für den Eindruck solch einer Umgebung, sagte: »wie heimlich ists hier! wie hübsch! ich könnte gern hier wohnen, einzig und allein.« Josephine wußte hier Bescheid. Wie mit dem Vorrecht eines Kindes zog sie die grünen Bettvorhänge auseinander, schmiegte die warme Mädchenwange an die gesteppte Decke, schlug das blaue Auge gegen die dunkle Madonna auf – in diesem Wechselblicke lag eine Welt der Ahnung – und flüsterte: »wie traut! wie lieb! ich mögte ewig hier schlafen! –«

Frau Fabia sagte nichts der Art. Sie bewunderte das Compendiöse dieses Locals, lobte die Nützlichkeit des kleinen Sparofens, und sah dieser frommen Clause die häusliche Seite ab. Die Bouquets gaben dieser Winterstunde einen schwachen Hauch von Sommerduft, und die Damen freuten sich daran. Man wunderte sich, wie Veronica diese Blümchen so spät noch erhalten könne.

»Ich war von Kindheit an eine glückliche Gärtnerinn,« erwiederte die Nonne hierauf, »und schleppte mich mit Pflanzen hin und her, woraus mein Vater die Folgerung zog, ich würde eine treufleißige Mutter werden, die da Segen mit der Erziehung ihrer Kinder hätte.« Sie lächelte wundersam, wie über einen zerronnenen Traum.

»Schade!« sagte Fabia leise. Veronica hatte dies Wörtchen nicht gehört. Sie machte mit sichtlich gutem Willen, wenn auch nicht mit der Uebung einer Weltdame, die Wirthinn, schenkte Thee ein, warf Zucker in die Tassen, und besann sich alsbald, daß sich das nicht schicke, und das Maß der Süßigkeit dem Geschmack eines Jeden selbst überlassen bleiben müsse. – Dann präsentirte sie das lockende Backwerk, von den Schwägerinnen als trefflich gerühmt. Man bat um die Recepte, inzwischen las Josephine schon Eines. Sie hatte dies Papier an dem für sie bestimmten Platze unter dem Sträuschen liegend gefunden; es lautete: »nimm fünf Loth Ernst, zehn Loth Geduld, zwanzig Loth Sanftmuth, und hundert fünf Loth Demuth, dieses alles stoße wohl unter einander im Mörser des Glaubens, mit dem Stempel der Stärke, rühre ein Viertelpfund Hoffnung dazu, schütte es in die Pfanne der Gerechtigkeit, und lasse es bei dem Feuer der christlichen Liebe gar kochen. Alsdann bewahre es wohl, damit der Schimmel der Eitelkeit nicht ansetze. Mit dieser Salbe streiche Dich des Morgens und des Abends: es ist ein Mittel gegen die Hölle.«

Therese seufzte, als wäre der Athem ihres Busens mit all diesen Gewichten beladen. Die Nonne aber sprach: »ein Arcanum, der künftigen Hausfrau zu Nutz und Frommen! meine Mutter hielt es für probat.«

»Sagen Sie, Schwester Veronica,« fiel hier Therese ein: »sind Sie wirklich aus wahrem Klosterberuf Cisterzienserinn geworden? ich wüßte kaum, wie ich mir dies als möglich denken sollte.« Ihre Miene zweifelte. Die Nonne sah die lebenslustige junge Frau mit einem Blicke an, worin sich die schweigende Entgegnung aussprach: »Christum lieb haben, ist besser, denn alles Wissen –« und nach einem kleinen Besinnen antwortete sie: »die innersten Triebfedern kennt nur Gott allein, und das Herz mag sich zu tausendmalen eine sich der Welt entschwingende Seele bewegt haben; doch – wenn ich einen Rückblick auf mein langes Leben werfe, und auf den Gang meines Schicksals, der sich in diesen stillen Mauern endet, so mögte ich doch glauben, es sey des Himmels Wille gewesen, daß ich mich ihm weihe, und die frühesten Eindrücke des Gemüths, alle Umstände meiner Jugendzeit hätten dazu dienen müssen, daß meine Bestimmung erfüllt werde. – Im Keim der Zukunft ist die verhängnißvolle Blume eingeschlossen, und der Mensch entwickelt sich mit ihr. Unserer heiligen Märtyrer Einige, die in den Flammen gestorben, fingen damit an, den Finger in das brennende Licht zu halten, um zu versuchen, wie lange sie Feuerschmerz aushalten könnten. – Warum sollte ich es ihnen nicht erzählen? ist doch nun Alles überwunden.« Die beiden Frauen bezeigten ein neugieriges Interesse an dem, was ihnen Schwester Veronica mitzutheilen hätte, und setzten sich zum Hören zurecht; nur über Josephinens Gesicht glitt ein Schatten zarter Furchtsamkeit, als scheue sie es, daß ihre ehrwürdige Freundinn zur bloßen Unterhaltung Narben enthülle, die einst vielleicht schmerzlich geblutet hätten. Sie zog die schneebleiche Hand, welche keinem Mann angehört, sacht und seitwärts an ihre Lippen und küßte sie mit Ehrfurcht.

»Mein Vater,« begann die Nonne, »war ein gelehrter Mediziner und Arzt am Jesuiter-Collegio in B–. Sein einnehmendes Betragen, äußerst verbindliche Manieren, so weit ich mich deren erinnern kann – seine stattliche Gestalt und großen Kenntnisse, gewannen ihm aller Menschen Gunst und Zutrauen, weshalb er denn eine verbreitete Praxis besaß. So dächte man nun, meine Mutter müßte eine glückliche Frau gewesen seyn. Doch nicht also. Sie weinte oft still und bitterlich. Ich schmiegte mich dann als ein kleines Kind in die nassen Falten ihres Kleides, ohne zu verstehen, was sie so betrübe – späterhin ist mir die Quelle ihrer Thränen wohl klar geworden. Manche Zähre aus dem Auge der Gattin, was nicht blind war für die Abwege des Mannes, ist damals auf mein Haupt gefallen –: dies war die erste Salbung zur Klosterfrau. – Meine Mutter,« fuhr Schwester Veronica fort, »soll in ihrer Blüthe ausnehmend hübsch gewesen seyn.«

Die drei Zuhörerinnen sahen die Nonne auf den kindlichen Ruhm jener Schönheit an, die längst schon Staub war, im Einverständniß der Meinung, daß dies glaubhaft sey, und noch aus den dunkeln Umrissen des Alters ihrer Tochter erhelle.

»Mein Vater,« so war der weitere Verlauf der Erzählung, »hatte sie aus heftiger Zuneigung geheirathet, er scherzte zuweilen im Beiseyn der Freunde meiner Eltern oder Fremder über seine Bräutigams-Thorheiten – wie er sie nannte – die Mutter aber ging nie in diesen Ton ein. Sie blickte ernst und bekümmert dazu. Ich entsinne mich genau, daß dies eine Empfindung in meine Seele legte, als wäre die Liebe eines Mannes kein Glück, mindestens kein dauerndes Glück. Das Einkommen meines Vaters setzte sein Haus in Wohlstand. Wir sahen oft Gäste bei uns. Die elterliche Güte für mich, das einzige Kind, überschüttete mich mit kleinen Schätzen, ein unerfüllter Wunsch fand nicht Raum unter den angehäuften Spielsachen; dankbare Kunden meines Vaters beschenkten mich kostbar, und dieser Ueberfluß machte mich gleichgültig gegen den Besitz. – Meine Mutter hatte einen ältern Bruder, der war ihr Beichtvater und Erzpriester an der Stadtkirche. Niemand sah ich so gern kommen, als ihn, den freundseligen lieben Mann, dem der Trost unsichtbar zur Seite ging. Stets brachte er mir Etwas mit, woran ich besondern Gefallen fand, und immer war die Mutter ruhiger, wenn er einmal da gewesen. Diese Freude, dieser Frieden mischte sich in meine dämmernden Begriffe vom geistlichen Stande. Der Vater mogte ihn nicht leiden, und dies kränkte meine Mutter sehr. Einst zog mein Ohm, nachdem er mich lange hatte rathen lassen, was er in der weiten Tasche seines Rockes trüge, eine Puppe hervor, eine allerliebste Nonne von unserm Orden, und mein Entzücken darüber war unbeschreiblich. Ich küßte die Farben von dem kleinen Gesicht, daß es todtenweiß ward, und drückte die wächserne Brust mit solcher Innbrunst an die meine, daß sie zerspringen mußte. Am liebsten spielte ich Kloster, sang tiefe Weisen wie Choräle, was der Vater manchmal mit einem Fluche untersagte, indem er glaubte, ich spiele Begraben. – Er war, beiläufig gesagt, nicht von allem Aberglauben frei, hinsichtlich auf seinen Beruf.«

Therese unterbrach die Geschichte der Nonne mit den Worten: »man sagt, es soll von wesentlichem Einflusse auf das Geschick der Kinder seyn, an welchen Gegenständen sich ihr Liebessinn übe. Sie selbst, Schwester Veronica, liefern einen Belag zu dieser Erfahrung. Hätte ich einst ein Püppchen, ich ließe es nur mit Engeln spielen.«

Frau Fabia konnte nicht umhin zu erwiedern: »dann würde es nicht lernen, Menschen zu ertragen.«

Wir lassen es, der Wahrheit dieser Bemerkung unbeschadet, dahin gestellt, ob weiblicher Neid gegen das ihr versagte Mutterglück, oder verletzte Verehrung für die höhern Kinder Gottes, sie in Anregung gebracht habe.

»Die gute Mutter,« nahm die Erzählerinn den abgerissenen Faden wieder auf, »ließ mir ein kleines Sprachgitter machen, und lehrte mich in ahnungsloser Zärtlichkeit, wie ich mich dabei benehmen sollte. Gewiß ist es, daß diese kindische Spielerei mein Sinnen und Trachten richtete. – Doch hören Sie nur weiter. Zuvor aber noch eine Tasse Thee, ich bitte! er ist nicht stark.« Zeitweiliges Nöthigen. Das Geklirr der Tassen, der leise Guß des goldgelben Wassers, das Geprassel der mürben Brezeln und Mandelplätzchen, ein dankendes oder ablehnendes Wort, füllte die Pause der Geschichte, bis Veronica sie fortsetzte. »Das Haus meiner Eltern, worin meine Mutter geboren wurde, stand am Marktplatze, dicht neben dem sogenannten Rathskeller, den die Gebrüder Posca, ein paar Italiener, in Pacht hatten. Dort fanden sich die Patrizier der Stadt ein, und mein Vater ging jeden Abend – kaum machte der heilige Abend eine Ausnahme von dieser leidenschaftlichen Gewohnheit – in diese Tabagie, ein Gläschen Montefiascone zu trinken. Nur Geschäfte hielten ihn ab, doch nie Liebe für die Seinigen. Meine Mutter saß wie eine verwittwete früh und spät mit mir allein; es war dann so traurig und waisenhaft still um uns her, und die Uhr schlug manchmal schauerlich die zwölfte Stunde, ehe der Vater heimkehrte. –

Die Mutter ertrug zwar duldsam, was sie nicht ändern konnte, ich habe nie gehört, daß sie dem Vater deshalb Vorwürfe machte; dagegen nährte sie einen seltsamen Groll gegen die Menschen, die ihrer Meinung nach daran Schuld wären, daß sie so hintangesetzt würde, und ihr Haß erstreckte sich über ganz Welschland. Von einem italienischen Salat hätte sie nimmer einen Bissen angerührt; ich würde nur Gift und Galle essen – sagte sie einmal zu mir, als ich sie in Gesellschaft bat, von solch einer Schüssel ein wenig zu nehmen. – Mir war diese Nachbarschaft unbeschreiblich anziehend. So oft ich mit meiner Mutter im Dunkeln von einem Gange nach Hause kam, bat ich sie, vor den geöffneten Thüren dieser Unterwelt einen Augenblick stehen zu bleiben. Die Lampe, welche die feuchten Stufen erleuchtete, hatte einen zauberischen Schein, es zog mein Herz hinab – ich wußte nicht, wie? das fremdartige Rufen der dienstbaren Geister, die Glocke, welche geläutet wurde, wenn Einer der Weingäste etwas begehrte, brachte meine junge Seele in eine ganz eigene Schwingung. Die Mutter mußte mich mit Gewalt fortziehen, und ich erinnre mich, daß sie einst seufzend sagte: der Rathskeller hat Dir's angethan, wie Deinem Vater. – Einer der Brüder Posca hatte seine Familie noch in Verona, und nie ist dies sonderbare Verhältniß mir deutlich geworden. So war ich herangewachsen. Einst kam mein Vater in nächtlicher Zeit etwas benebelt heim – dies war sonst sein Fehler nicht. Ich lag zwischen Schlafen und Wachen mit dem Kopfe auf meiner Mutter Schoße und hörte das Gespräch der Eltern. Mein Vater erzählte, wie er diesen Abend dem Peter Posca die Hand darauf gegeben habe, daß, wenn sein Sohn, der das Geschäft fortführen sollte, nun käme, was zu erwarten, und hätte seinen Beifall: so solle er auch die einzige Tochter haben und sein Eidam werden. – Ich fühlte, wie meine Mutter erschrak, und elektrisch zuckte der Schlag dieser Worte durch meine Glieder. Du wirst doch unsere Clara – so hieß ich in der Welt – nicht einem Weinwirth geben? fragte sie mit bebender Stimme; solch ein Italiener, wenn er noch nicht gebleicht ist und kaum ein Wort Deutsch versteht, kommt mir vor wie ein Bandit. – Es gab eine feine Linie für meinen Vater, wo seine angetrunkene gute Laune in Jähzorn überging; auf dieser Linie schwankte sein Ton, womit er erwiederte: verlaß Dich darauf, mein Schatz! Clara wird den jungen Posca heirathen, und weder an seinem Kauderwelsch, noch an der schwarzbraunen Farbe seines Angesichts sterben. Wir haben mancher Flasche den Hals gebrochen, um dies Verlöbniß zu besiegeln. – Meiner armen Mutter mogte wohl das Herz dabei brechen. Es war mir, als hätte ich dies zu hören nur geträumt. Als ein Mägdlein von funfzehn Jahren, wußte ich mich die Braut eines Unbekannten, und dachte ich an die Vorstellung meiner Mutter, so durchbohrte ein ahnungsvoller Schmerz mir die Brust. Ich verlautete aber in jungfräulicher Schüchternheit nie eine Sylbe, daß ich davon Wissen hätte. Das Geheimniß, welches ich bewahrte, war jedoch nicht darnach, meine Aufmerksamkeit für die Nachbarschaft zu schwächen. Ein Geräusch am Rathskeller bewegte mich wie das Blatt der Espe, jede brünette Mannsperson brachte mich in Schrecken. Doch ging eine Zeit still hin. Ich hatte es von jeher geliebt, wenn die Frachtwagen mit den welschen Waaren kamen, dem Auspacken der Früchte und Delikatessen zuzusehen. Es geschah dies gewöhnlich in einem Hofraume, den das Fenster einer Hinterstube unsers Hauses bestrich. Die Atmosphäre vom Dunst feuriger Weine, die sich hier niemals verzog, betäubte mich angenehm, während sie meiner Mutter Kopfweh verursachte. Wenn ich die Citronen, sinesischen Aepfel, Datteln und Limonien aus Blätterschichten hervor nehmen sah und der südliche Duft herüber wehete: so war mir so sehnsüchtig zu Muthe, als wären diese Früchte vom Baum des Paradieses gepflückt; aber immer stand etwas Trauriges wie eine dunkle Gestalt mir vor der Seele. Beinahe war meiner Mutter so wie mir eine vergessene Sache, was ihr der Vater gesagt, als er eines Tages in das Zimmer trat, einen jungen Mann an seiner Hand, den er uns als den Sohn des Herrn Peter Posca vorstellte. Meine Mutter ward bleich wie der Tod, ich aber erröthete, daß mir die Stirn flammte. Der sah nicht aus, als könnte er Menschen berauben oder ermorden! ein wenig bräunlich nur war seine Gesichtsfarbe, wie ein schönes Oelgemälde, dem man es bewundernd verzeiht, daß der Künstler sich in etwas starken Schatten gefiel. Seine glänzend schwarzen Augen ruhten wie der höchste Gewinn eines Würfels auf mir – und der Wurf meines Schicksals schien mir ein erstaunenswerthes Glück.«

Bei dieser begeisterten Schilderung einer männlichen Persönlichkeit, im Munde einer alten Nonne, hustete die kühle Fabia, und sah bedenklich nach Josephinen hin, die gesenkten Blickes an ihrem Strickzeug eine Masche aufhob, welche ihr tief entfallen war. Therese aber rief erregt: »o das ist prächtig! der Gedanke des Vaters war so übel nicht. Mir däucht, die Frau eines Mannes, der offne Tafel hält, ohne daß sie sich mit Kochen und Backen plagen darf, und ein Lager für Gäste: müßte es gut mit haben und eine immer fröhliche Ehewirthinn seyn. Ich brenne vor Begierde zu erfahren, ob Sie den hübschen Jüngling noch genommen haben.«

Der schwache Schein einer längst gedämpften Flamme, wie wenn Asche ausglimmt, röthete Veronicas Wangen, als sie sprach: »was Sie äußern, schmeichelt dem Interesse meiner einfachen Erzählung. Sie vergessen jedoch, Frau Therese, daß ich eine Braut Christi geworden bin. – Ueberdies theilte meine Mutter Ihre Meinung nicht. Als der Besuch fort war und ich schweigend blieb, redete sie mich mit händeringender Geberde an: so ist es doch wahr! ich dachte schon, jener mir verhaßte Gedanke wäre mit deines Vaters Rausch verflogen, und hütete mich wohl, ihn daran zu erinnern. Mein armes Kind! jammerte sie, eine Kellerspinne sollst du werden, die hurtig hin und her läuft und darauf lauert, eine lose Fliege in das Netz zu bringen. Maria und Joseph! soll ich meine Tochter in den Keller betten? – Obgleich das mütterliche Herzeleid mich rührte und jenes Bild mir widrig war: so mußte ich doch lächeln, wie meine Mutter ein Sprüchwort anwendete, worin ihre tiefste Abneigung sich ausdrückte. – Von dieser Zeit an, besuchte uns der junge Nachbar zuweilen. Nie blieb er einen Tag länger aus, oder verweilte eine Minute über die gewöhnliche Frist. Diese Regelmäßigkeit ängstete mich heimlich; ich wußte selbst nicht warum? überhaupt war etwas in diesem Verhältniß, was mich wie ein leiser Zwang drückte. Von einer Heirath zwischen uns war die Rede nicht, und daß wir Brautleute wären, hätte uns Niemand angesehen. Ich leugne nicht, daß ich meinem Zukünftigen sehr gut war, und mir mit Vergnügen bewußt, wie ich zu ihm stände, wenn ich auch das Vorurtheil meiner Mutter schonte. Ludovico sollte sich erst in seine Lage eingewöhnen – hatte sein Vater gesagt. So saßen wir einander blöde gegenüber; ich fühlte ein ängstliches Bedürfniß, ihn zu unterhalten, als ob ich seine Langeweile empfände. Hatte ich auf sein Kommen gehofft: so sah ich nicht minder gern dem Augenblick entgegen, wo er aufbrechen würde – wußte ich ihn doch voraus. Manchmal preßte mir der Druck einer innerlichen Beklommenheit Thränen aus, die dann flossen, wenn er fort war. Dabei tröstete ich mich, daß er nicht recht fort könnte mit der Sprache – ich hoffte ohne Hoffnung –« die Nonne lächelte trübe: »die Liebe hilft auch einem Stummen aus.«

Eine Solche ward jetzt redend. »Aber liebe Veronica,« sprach Josephine, die ihren Mund noch nicht aufgethan, »was man am tiefsten fühlt, läßt sich oft am wenigsten sagen – der junge Herr kann auch aus Liebe geschwiegen haben.«

»Schweige Du, voreiliges Kind!« herrschte Fabia mit leiser Strenge ihrer Pflegetochter zu: »Du kannst hierüber noch gar nicht urtheilen.«

»Ich dächte doch!« meinte Therese, und ihr Lächeln nahm Partei für diese.

Veronica blickte das verschüchterte Mädchen zärtlich dankbar an. Sie wußte wohl, welchen Glauben Josephinens Worte ansprächen.

»Oft ist es so, mein bestes Kind,« sagte die Nonne zu dem Liebling ihres Herzens: »allein hier war es nicht der Fall. So oft Ludovico kam, beschenkte er mich mit einer artigen Kleinigkeit. Ich durfte nur etwas lobend erwähnen, so dauerte es nicht lange, es war mein Eigenthum. Dieser aufmerksame Sinn, mir eine Freude zu machen, täuschte mich in dem Gedanken, er wolle mein Glück. Ludovico trug einen Ring an seinem Finger, der mir in die Augen stach; er war vom feinsten Golde, mit dem Bildniß einer Mater dolorosa in Mosaik ungemein künstlich gearbeitet. Dieser Ring war das Einzige, was er meinem sichtlichen Wunsche vorenthielt, und zufällig sagte er einst, daß es ein Andenken von seiner verstorbenen Mutter wäre. – So war länger als ein Jahr vergangen, und jetzt äußerte mein Vater, daß unsere Verlobung in einiger Zeit vollzogen werden würde. Doch ehe ich mich meinem Ziel nähere, muß ich zuvor noch etlicher bedeutsamen Umstände erwähnen. Vielleicht war es in Folge der Unruhe meines Gemüths, daß ich mich damals etwas kränklich befand. Mein Vater glaubte nicht recht daran, wie denn Aerzte in der Regel Uebel, woran die Ihrigen leiden, für unerheblich halten. Die hochselige Gräfinn Frankenstern beehrte meinen Vater mit ihrem Zutrauen. Wenn sie mit ihrem Gemahl auf den hiesigen Gütern war, bediente sie sich seines Rathes, eines Schadens wegen, der, wie mein Vater meinte, leicht in ein Krebsgeschwür hätte ausarten können. Auch in jenem Herbste kam sie nach B–. Sie fand mein Aussehen verändert, und erkenntlich für geleistete Hülfe, forderte sie meinen Vater auf, mich ihr auf ein paar Wochen mit nach Bühle zu geben, zur Zerstreuung, wie die Gräfinn sagte. Mein Vater war zu höflich, um der vornehmen Dame diese gnädige Bitte abzuschlagen, meiner Mutter flehender Widerstand, mein eigenes Wollen oder Weigern kam dabei nicht in Betracht. Indessen gefiel es mir doch ganz wohl in Bühle. Die Gräfinn war die Leutseligkeit und Liebe selbst, eine wahre Seele von einer Frau! – Morgen, mein Clärchen, sagte sie am zweiten Abend, wird eine Novize in Sanct Capella eingekleidet; hast Du das schon gesehen? Wir werden hinüber fahren. Ich verneinte; es war mir unbeschreiblich lieb, daß es sich so träfe, und ich konnte den folgenden Tag kaum erwarten. Die geistliche Hochzeit wurde mit größter Pracht vollzogen. Die Nonne, welche Profeß that, war eine reiche Erbinn von Hardt. Die Sage ging, sie hätte sich die Untreue eines Geliebten zu Gemüth gezogen. Das wunderschöne Frauenbild von edlem Wuchs, im vollen Brautschmuck, flimmernd von Geschmeide, darin die Kerzen der Altäre widerstrahlten, die Gestalt des hochwürdigen Bischofs –: alles, was ich sah und hörte, machte einen mächtigen Eindruck auf mich. Wie nun die Orgel erbraus'te und bebte, lös'te sich mein Wesen in erschütternden Gefühlen auf. Ich wurde hingerissen von dem heiligen Strom. Alles Irdische versank, ich sah in den offnen Himmel der Kirche und in meiner Brust rief es: De profundis!«

»Schwester Veronica,« sagte Fabia, indem sie die Hand der Nonne faßte, als wolle sie ihr mit dieser Bewegung Einhalt thun, »werden diese Erinnerungen Sie auch nicht allzusehr angreifen? ich dächte –« sie redete nicht aus. Vielleicht war dem Protestantismus Fabiens jene Schilderung noch ungleich aufregender, als dem stillbegeisterten Gemüth der klösterlichen Jungfrau. Diese schüttelte den Kopf und sprach: »nein, nein! lassen Sie mich nur ruhig auserzählen. Ich sah das Kleid von Goldbrocat fallen wie eine verachtete Zier – die blonden Haare – der Bischof schnitt mir in das Herz – und das Fräulein aller Eitelkeit baar, der Welt absterben. – Während dieser ergreifenden Ceremonie wurde eine Glocke geläutet. Mir summte es schwer vor den Ohren, ich war einige Secunden ohnmächtig. Wenn ich an den Blick dachte, den die junge Nonne, ehe sie, von dem Convent in die Mitte genommen, auf das gefüllte Schiff der Kirche warf, und dann durch die Thüre verschwand, welche nach dem Innern des Klosters führt; so schwamm ihr Bild vor meinen Augen. Als ich am Abend jenes denkwürdigen Tages mich allein befand, und meine Haare auflösete, bemerkte ich, daß sie genau von derselben Farbe wären, wie die des Fräuleins von Hardt, welches knieend vor dem Bischof das stolze Haupt in seinen Schoß beugte, daß es seines Schmuckes beraubt würde. Während sich diese Scene meinem Gedächtniß wiederholte, entflocht ich die langen Zöpfe, und ließ sie wellenartig durch meine Finger gleiten. Da fällt etwas mit leisem Geklingel zu meinen Füßen – es war eine silberne Scheere, die ich unversehends vom Tisch gestreift hatte. Eine innere Stimme raunte mir zu, daß dieser kleine Zufall vorbedeutend wäre, und unter einem Nervenfrösteln legte ich mich zur Ruhe. – Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin einzuschalten, wie es mir vorkommt, als ob in jedem öffentlichen Opfer eine geheimnißvoll anziehende Kraft zur Nachahmung läge, welche verschwistert ist mit dem Reiz der Traurigkeit und der Gefahr. Und wie verschieden es auch sey – mein Heiland bewahre mich vor dem Vergleich! ein reines Herz am Hochaltar den Lockungen der Welt zu entziehen – oder ein verbrecherisches Leben auf dem Hochgericht in die Hände seines Schöpfers zurückzugeben: eine ähnliche Tiefe der menschlichen Seele ist es gleichwohl, darin es liegt, daß Todesstrafen weniger abschrecken als sie sollten. – Bei meiner Nachhausekunft fand meine Mutter, daß eine Veränderung mit mir vorgegangen wäre. Sie suchte mich durch allerhand erheiternde Mittel zu zerstreuen. Am Andreas-Abend gossen wir üblicher Weise geschmolzenes Blei. Der Geist Gottes, den wir solchergestalt versuchten – schwebte über dieser kleinen Wasserfläche. Ich zeigte der Mutter die Form, welche sich meinem Guß gebildet hatte. Nun das ist ja ganz natürlich wie eine Abtei mit Thürmen und Kreuzen – sagte sie: Du wirst uns doch nicht ins Kloster gehen wollen, Kind? und da die gute Mutter hinsichtlich meiner Zukunft keines Scherzes fähig war, der nicht ein wenig bitteres Salz gehabt hätte, so setzte sie lächelnd hinzu: viel eher hätte ich gedacht, Du würdest kleine Tönnchen, worin man Sardellen und Kapern voraussetzte, oder ein kugelrundes Weinfaß fischen. – Ich betrachtete schweigend mein bleiernes Schicksal. Doch genug hiervon; meine Erzählung mögte sonst ihre Geduld ermüden. Das Jesuiter-Collegium besaß ein uraltes Gebäude vor dem Thore, welches, seiner schönen Lage wegen, theilweise in wohnlichen Stand gesetzt worden war. Der schöne Garten daran, mit tropischen Gewächsen bepflanzt, war zu einem wissenschaftlichen Zweck eingerichtet worden, und mein Vater, der die Botanik leidenschaftlich liebte, durfte ihn gewissermaßen als den seinigen betrachten. Hier verlebten einige Familien der Professoren die wärmere Jahreszeit, zumeist solche, die ein kränkliches Mitglied hatten. Auch uns waren des Anrechts wegen, welches sich mein Vater an dem Garten erworben, ein Paar der besten Zimmer eingeräumt, und ich freuete mich stets auf den Tag, wo wir unser Sommerlogis beziehen würden. Unter dem Dache dieses Hauses wohnte ein Sprachmeister, Namens Tamdio, hoch genug, daß die hectische Brust des ungesunden Mannes, hier Luft des Himmels trinken konnte. Mein Vater hatte dem armen Tamdio dies bescheidene Plätzchen ausgewirkt, wo er gleichsam einen Thurmwart vorstellte, der, ob auch mit kurzem Athem, gegen Jedermann das Lob seines Arztes und Wohlthäters ausposaunte. Dieser hatte ihm den Unterricht verbieten müssen, weil das viele Sprechen seine kranke Brust angriff; nur einige wenige Stunden setzte seine Tochter fort, die allgemein für ein wackeres Mädchen, und für eine nette Stickerinn galt. Er hätte sonst ohne diese Sprachfertigkeit seiner Tochter und den Fleiß ihrer kunstreichen Nadel, verhungern müssen. – Wie groß nun auch der Abscheu meiner Mutter gegen meine heranrückende Verbindung war: so vergaß sie doch nichtsdestoweniger alle die kleinen und größeren Besorgungen, welche ein Brautstand in optima forma erheischt. Zwar hatte Ludovico bis jetzt noch kein Wörtchen gegen mich fallen lassen; aber eine Heirath war damals nicht das Recht gegenseitiger Zuneigung, sondern lediglich die Angelegenheit elterlicher Autorität und eine Pflicht des kindlichen Gehorsams. Sie lachen, Frau Therese? ja, und doch gab es zu jener Zeit weniger unglückliche Ehen als jetzt. Eines Tages sprach meine Mutter mit mir über die Geschenke, welche dem künftigen Bräutigam zu machen wären, und führte unter ihnen auch eine Verlobungsweste auf. Ich dächte, wir nehmen paille Atlaß, sagte sie, und ließen die Klappen und Taschen mit einer Borde sticken, und zerstreute Blümchen in die Mitte. Was meinst Du? – Wir wollen des Sprachmeisters Tochter herunter bitten lassen. – Die junge Tamdio kam. Ihr Aeußeres war mir sonst nie aufgefallen; da sie nun jetzt vor uns stand, erschien sie mir sehr interressant – wie man heut zu Tage zu sagen pflegt. Man hätte sie nicht schön nennen können, vielleicht kaum hübsch; aber es lag ein Ausdruck in ihrem Gesichte, der unbeschreiblich rührte. Was sie sprach, klang wie traurige Musik, und wendete mir das Herz im Busen. Meine Mutter redete im Tone ruhigen Bestellens über diese Arbeit, welche sie der äußersten Mühsamkeit der Stickerinn dringend empfahl, weil es ein Brautgeschenk werden solle. Bei diesen Worten ward das Mädchen todtenblaß, und ihr Auge erlosch, wie ein Licht ausgeht. Sie sind wohl unpaß, armes Kind, vielleicht vom vielen Sitzen? fragte meine Mutter, unbekümmert, daß sie diese Anstrengungen vermehre. Wie geht es denn mit ihrem Vater? Er hustet stark, antwortete das Mädchen mit schwankender Stimme, und meine Hoffnung wird täglich schwächer. Diese Nacht hat er wieder ein wenig Blut ausgeworfen – meine Mutter versprach, den Vater hinauf zu schicken, sobald er käme. Sie verlangte nun, ich solle die Blumen und das Dessein bestimmen. Mir that das Mädchen sehr leid, und so äußerte ich: wir könnten es ja noch lassen. Nein, sagte meine Mutter, es stehet geschrieben: was du thun willst, das thue bald. Ich wählte also ein Muster von Vergißmeinnicht. In dem niedergeschlagenen Blicke des Mädchens ging ein Schein von Beifall auf, die Mutter aber tadelte mich und sprach: Vergißmeinnicht! das hätte wohl keine Art, und sähe aus wie ein Andenken. Du vergissest jedoch, daß Dich der Bewußte so gut wie in der Tasche hat – womit sie darauf anspielte, daß ich mich nach dem Willen des Vaters heimlich für ihn malen ließe, und mein Bild ihm in die Westentasche gesteckt werden sollte. Das Mädchen griff rasch in die ihrige, und zog ein Tüchelchen hervor, mit welchem sie sich die Stirn trocknete. Ich achtete dessen nicht, es war sehr warm an jenem Tage. Eine Woche mogte seitdem vergangen seyn,« fuhr Schwester Veronica tiefathmend fort, »als eines Abends ein schweres Wetter aufzog. Auch der Odem meiner Seele war schwül; Ludovico war mir seit einiger Zeit sehr trübe vorgekommen. Ich legte mich ans Fenster, um in den Kampf der Wolken zu schauen; meiner Mutter schwache Augen vertrugen den Blitz nicht. Sie setzte sich in ihr Schlafgemach hinter verschlossene Läden und betete. Grade unter meinem Fenster war eine Mauerblende mit einem eisernen Gitter und steinernen Sitzen nach Außen. Ein breiter Ahorn wölbte sich schirmend um diesen kühlen Versteck. Ich starrte in die Finsterniß hinaus, mit Gedanken an meine Zukunft, die nicht viel heller waren. Da war es mir, als sähe ich bei dem schwachen Leuchten der Blitze den Schatten eines Mannes um die Blende wanken, und alsbald vernehme ich ein klagendes Geflüster, wie von Innen. Es dauerte nicht lange, daß ich in der antwortenden Stimme die meines mir zugedachten Bräutigams erkannte. Er nannte Diejenige, mit der er zu dieser unheimlichen Stunde Zwiesprach hielt, seine Clara, und an dem Tone, womit er diesen meinen Namen aussprach, der zu jener Zeit so allgemein war, daß ihn die meisten Töchter unserer Stadt führten, an diesem Tone hörte ich, daß ich seine Clara nie gewesen, noch werden würde. Schrecken und Eifersucht bewaffneten mein Gehör, so daß mir keine Sylbe entging, obgleich jede mein Herz durchdrang. Ludovicos Gegenstand mogte ihn bitten, sich bei dem näher kommenden Sturm nicht zu verweilen, denn er sagte, die Gewitterwache stände am Thor, und dieses bliebe offen, bis sie abziehen könnte. Dann schien er sich gegen zärtliche Vorwürfe zu vertheidigen. Er nannte mich ein liebes gutes Mädchen, welches er aber nicht lieben könne, weil es ihm aufgedrungen werde, und nur nehmen müsse, gezwungen durch den Willen seines Vaters, der den meinigen für einen Crösus halte. Er sprach sein Sträuben gegen diese Heirath aus, und wie er den Tag der Verlobung so lange als möglich zu hintertreiben suchen werde. Er betheuerte: die Mutter Gottes solle ihn in Angst und Noth verlassen, so er jemals Der vergäße, die einzig und allein seine Liebe besitze. Ich bin unglücklich, so lange ich lebe, sagte er, doch ewig werde ich Dein gedenken. – Reiche mir Deine Hand aus dem Gitter, bat Ludovico, daß ich Dir diesen Ring an den Finger stecke, das Liebste, was ich habe. So sind wir verlobt für den Himmel, jenes Gelöbniß hat nur irdische Dauer. – Ach! der Mensch sollte nie weder so bestimmt, noch so vermessen reden! Gott ists allein, der da bindet und lös't. Ein fürchterlicher Donnerschlag schlug ein, ich wünschte, dieser Blitz mögte mich zum Tode getroffen haben. Meine Seele war zermalmt, und betäubt taumelte ich hinweg. Diese Nacht war die schrecklichste meines Lebens. Ich rang zu Gott, daß er mich stärken möge zu einem Entschluß; denn Ludovicos Frau konnte ich nun nicht werden.«

»Arme Veronica!« rief Therese mitleidig, »es ist entsetzlich, aus einer hoffnungsvollen Täuschung so zu erwachen! –«

»Und doch war es gut, daß es nicht später geschah,« sprach Frau Fabia mit prädominirender Vernunft und Erfahrung. Nur Josephine wagte leise zu sagen: »ach! und auch der Ludovico dauert mich. Er ist doch wohl am unglücklichsten daran.«

»Das dachte ich auch!« äußerte die Nonne, und fuhr mit bewegter Stimme fort: »wie nun der Morgen tagte, der schönste Frühlingsmorgen! da fühlte ich, daß meine Blüthen gefallen wären, für immer. Die Natur war erfrischt, die Vögel sangen lustig in den Zweigen – wie mir zu Muthe gewesen, ich mögte es nicht schildern können. Es war sehr zeitig, die Eltern schliefen noch – da ging ich nach der Stadt auf den Pfarrhof, um mit meinem Ohm zu sprechen. Die wenigen Leute, welche mir begegneten, strichen gespensterisch an mir vorüber, meine Schritte wankten, wie über einem Abgrunde; ich hatte kaum Kraft die Klingel zu ziehen, die in der nüchternen Stille so nächtlich laut hallte, daß mir ein Grauen ankam. Mein Fuß zögerte, über die Schwelle zu schreiten, als gäbe es kein Entrinnen mehr für mich. Der gute Erzpriester war schon auf und im Garten beschäftiget, Ranken und Reben anzubinden, die der Sturm der verwichenen Nacht wild auseinander gerissen hatte. Sein Gesicht war voll Sonnenglanz. – Dieser traute Anblick überwältigte mich – ich sank an seine Brust, und weinte laut. Er hielt mich bestürzt in seinen Armen; kein Unglück war so groß, daß er es nicht in meiner Verstörung, in der schmerzbewegten Fluth von Thränen gesucht hätte, die an den Blumen seines Schlafrocks niederfloß. – Ich sagte ihm nun, wie, nachdem ich lange mit mir gekämpft, ich nun gewiß wäre, daß ich den jungen Posca nicht heirathen könnte, indem ich eine unbezwingliche Neigung in mir fühlte, den Schleier zu nehmen, und nur fürchtete, die Eltern würden mir ihre Einwilligung versagen. So bäte ich ihn denn inständigst, meines Wunsches Wort bei der Mutter zu führen. Was den Vater anbeträfe, so wollte ich erst Vertrauen und Muth fassen, da ich von seiner Seite auf starken Widerstand gefaßt seyn müßte; weshalb ich denn auch so zaghaft wäre.« –

Mein Ohm schüttelte den Kopf und sprach: »wäre mir dies doch nicht im Traume eingefallen! ist es auch nicht etwa nur eine flüchtige Einbildung von Dir? besinne Dich, liebe Clara! Nonne werden, und allen Freuden des Lebens absterben, ist kein Kinderspiel, und ich mache mir einen Vorwurf daraus, daß ich Dir vielleicht mit jener Puppe die erste Idee dazu an die Hand gegeben habe. Ist es mir doch nie so vorgekommen, als ob Du Deinem Liebsten abgeneigt wärest! ich fürchte, Du verschweigst das Wichtigste hierbei! – Doch um keinen Preis hätte ich meinem Ohm die Wahrheit entdecken können. – Wenn Gottes Absichten vollführt werden sollen: so muß es sich wunderlich schicken. Wer meinen Vater gekannt hätte, seinen Haß, o, daß ich es sagen muß! gegen die Geistlichkeit im Allgemeinen und gegen die klösterliche insbesondere – seine Ueberschätzung alles Eitlen, sein Trotz, wie er den Glücklichen dieser Welt eigen ist, womit er einen einmal gefaßten Vorsatz fest hielt: Der würde es für ein Unmögliches gehalten haben, daß er meinem Wunsch sich nicht nur füge, sondern ein williges und willkommenes Sühnopfer für sich selbst darin sähe. Und dennoch mußte ein gewaltsamer Umstand mir dazu behülflich seyn.« Hier hielt Schwester Veronica lange inne, und ein tiefer Seufzer ihrer Brust säuselte durch die hochgespannte Stille. Dann fuhr sie mit unterdrückter Stimme fort: »die Heiligen segnen die Seele meines Vaters! ich weiß nicht, ob es mir als Tochter wie als Nonne ziemt, daß ich einer Geschichte erwähne, die einen Schatten auf sein Grab wirft, obgleich die Zeit von funfzig Jahren Gras darüber wachsen lassen! Wenn ich es thue, so geschieht es in dem Vertrauen, daß die Ruhe seiner Asche nicht dadurch gestört werde. Sie mögen sich selbst überzeugen, wie es möglich war, daß ein Mann von so sanguinischen Meinungen, wie mein Vater, plötzlich so erschüttert werden können, daß sein ganzes Wesen eine totale Umwandlung erlitt. – Mein Vater hatte sich der Wittwe eines Chirurgen thätig angenommen. Die Frau stand nicht im besten Rufe und mogte auch leichtsinnig genug seyn; ihr seliger Mann, dessen Geschäft sie fortsetzte, in seinen niedrigsten Functionen wenigstens – hatte sie barbieren gelehrt, auch über den Löffel – zur Ungebühr, wie mir däucht; denn sie verstand es sehr von selbst, den Männern um den Bart zu gehen. Die arge Welt legte der Betriebsamkeit meines Vaters für das Beste dieser Frau, der Pünctlichkeit, womit er sie besuchte, und dem weichen Polster ihres Wittwenstuhls, eben keine bewegende Feder unter, die von gediegenem Golde gewesen wäre. – Dies Verhältniß war der stille Schmerz meiner guten Mutter. Als mein Vater eines Abends wie gewöhnlich zu dieser Wittwe geht und in die unverschlossene Stube tritt, ist es dunkel darin, nur der Mond scheint auf die Gestalt der Frau, welche schweigend mit verhülltem Kopf hinter der Thüre lehnt. Mein Vater, der da glaubt, sie habe Versteckens mit ihm spielen wollen, eilt scherzend auf sie zu – doch welcher furchtbarer Ernst schreckt ihn zurück! seine Freundinn hängt an ihrem Schürzenbande, und mein Vater – er selbst! muß sie mit einem Rasirmesser losschneiden.«

Die Zuhörerinnen schauderten – Josephine legte beide Hände vor ihr unschuldiges Gesicht. Und Schwester Veronica sprach! »ja, mein Kind, wir müssen wohl den Blick schonend bedecken, der auf solch einen tiefen Fall trifft! nie ist der Grund aufgefunden worden, warum die Frau sich ein Leides gethan. Mein Vater mußte, da der Kreisphisikus erkrankt war, der gesetzlichen Section ihres Leichnams beiwohnen, und diese Amtspflicht, der er sich nicht entziehen wollen, um sich vor den Augen der Menschen keine Blöße zu geben, hatte seine innersten Lebenskräfte angegriffen. Dieses unglückselige Ereigniß hatte sich an jenem Abend begeben, wo ich auf andere Weise Todesweh empfand. – Auch mir war es aus reinerer Schaam Bedürfniß, mich in der Achtung des Einen herzustellen, der mich höchstens bemitleiden können. Die Geschichte machte ein ärgerliches Aufsehen, es war, als ob der böse Würgengel vor meinem Vater herginge, und, um sein Unglück zu vollenden, starben ihm damals mehrere seiner bedeutendsten Patienten. Meine Mutter hatte in eben der Stunde, wo ich vom Pfarrhof zurückkam, die erste Kunde von dem Geschehenen erhalten. Sie würde es daher kaum gemerkt haben, wenn ich als eine Gestorbene aus dem Grabe wiedergekehrt wäre, und so bleich ausgesehen hätte, wie ich nun wirklich vor ihr stand. Wir finden es daher gewiß ihrer Stimmung angemessen, und auch folgerichtig, wenn wir ihr eingewurzeltes Vorurtheil gegen die Heirath mit dem Italiener bedenken, daß sie, als ich nach einigen Tagen ihr im Beiseyn des Erzpriesters meinen Wunsch eröffnete, mir zur Antwort gab: ich segne Deinen Entschluß, meine Tochter. Viel lieber will ich Dich im Schoß der Kirche, oder auch in den Mauern der Gruft aufgehoben wissen, als in den Armen eines Mannes. Willig reiße ich die Blume meiner Freuden aus dem mütterlichen Herzen, wenn ich weiß, daß Dir die Dornen der Ehe erspart bleiben. – In dieser Aufregung meiner Eltern unterdrückte ich möglichst den Tumult meiner eigenen Gefühle, nur das Verlangen sprach laut in mir an, zu wissen: Wer das Mädchen sey, dem Ludovico seine Liebe geschenkt, ich meinte ruhiger zu seyn, wenn ich es wüßte. Wie aber sollte ich es erfahren?«

»Ja,« rief Therese, und rückte unruhig auf ihrem Stuhle hin und her, »diese Neugier hätte mich auch gemartert, und ich würde jedem Mädchen im Hause auf die Finger gesehen haben.«

»Das that ich auch,« erwiederte die Nonne lächelnd, »aber leider fand ich wenig Gelegenheit dazu. Zu jener Zeit herrschte auch unter Hausgenossen eine gewisse Zurückhaltung des Umgangs; die Töchter der Professoren hielten zusammen und mich für stolz, womit so oft der Sinn für Einsamkeit verwechselt wird, und die Fähigkeit, sein eigener Freund zu seyn. Indem ich nun Tag und Nacht darüber nachsann, Wen ich mir zum Fürsprecher bei meinem Vater erwählen könnte, und – da die Zeit drängte, ich mit unschlüssiger Angst bald an die Gräfinn Frankenstern dachte, bald in Ueberlegung nahm, ob ich mich an den alten Posca selbst wenden sollte, der als ein bigotter Mann Scheu getragen haben würde, die Rechte seines Sohnes gegen den Herrn Jesum Christum geltend zu machen, war mir der Ring, und wer ihn trüge, wirklich ein wenig ins Vergessen gekommen. Den Ludovico hatte ich seitdem nicht wieder gesehen. Nach einigen Tagen kommt des Sprachmeisters Tochter und bringt die fertige Weste. Das Muster blühete nur so, und war mit dem reizendsten Gusto ausgeführt. Meine Mutter breitete den Atlas vor mir aus, und als ich die Vergißmeinnicht sah, die ich ahnungsvoll gewählt: da schwellten meine Augen und ein großer Tropfen fiel auf die abgezeichnete Tasche, die mein Bildniß hatte bergen sollen. O weh! sagte meine Mutter betroffen, was hast Du da gemacht? – O das schadet nicht, versicherte das Mädchen, die Farbe ist ächt, Sie werden es sehen. Darauf nahm die junge Stickerinn den äußersten Zipfel des Seidenzeugs, und rieb damit fadengleich die feuchte Stelle. Auf dem reibenden Finger aber – erblickte ich Ludovicos Mater dolorosa, und fühlte ihre sieben kleinen Schwerter in meiner Brust. – Ich besann mich, daß Ludovico bei dem Sprachmeister Unterricht genommen, ich wußte auch, daß seine Clara italienisch spräche. Dies arme, geringgeachtete Mädchen mit der kummervollen Leidensmiene stand vor mir, so glückbegünstiget, als ob ein Königreich an ihrem Finger funkelte. – Ich weiß nicht, in welche Verbindung ich es setzen soll, daß mir bei dem Lichte, was mir nunmehr über den ganzen Zusammenhang der Dinge aufging, jeder Schatten von Furcht vor meinem Vater verschwand. Noch an demselben Tage redete ich mit ihm. Ich unterstützte die getroste Bitte durch Alles, was meiner Meinung nach wirksam auf ihn seyn könnte, als zum Beispiel: daß ich aus guten Gründen glauben müsse, Herr Peter Posca halte ihn für unermeßlich reich, und solch ein Rechnungsfehler bei einem Kaufmann, ergäbe kein verläßliches Facit. Dann würde er wohl als Arzt bemerkt haben, wie dessen Sohn zum Heimweh hinneige, und wenn der Alte einmal das Zeitliche gesegnet, könnte es kommen, daß ich mit Ludovico über Berg und Thal in ein fremdes Land werde ziehen müssen. – Daß mein Vater mit den Italienern seit einiger Zeit nicht mehr auf dem alten Fuße stand, daß ihm die Idee unserer Verbindung selbst leid geworden, davon wußte ich nichts, als ich mit dringender Beredsamkeit an dem verknüpften Bande lockerte, als ob ich es Wunder! wie unauflöslich hielte. Sieh da! der Faden war schon gelös't. – Mein Vater ließ mich ausreden, tödtlich stumm. Dann sagte er: thue, was Du nicht lassen kannst! ich will Dich weder hindern noch zwingen. Dieser leichte Sieg war über mein Erwarten. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und rief: lieber Herr Vater! ist dies auch wahrhaftig wahr? – So will ich Gott mein Herz weihen, daß er Ihnen seinen Segen dafür gebe, lebenslang für Sie beten, und als Ihr treues Kind ersterben. – Diese Freude schien ihn zu erschüttern; thue es – sagte er mit erstickter Stimme; und zum erstenmale sah ich seine Augen benetzt. Mir aber hatte sich eine Compresse vom Herzen gelös't, und es blutete aus tiefen Wunden. Ich bat meinen Vater, daß er mir noch eine Bitte gewähre. Wenn der alte Tamdio ausgelitten haben würde, was nicht mehr lange dauern könne, dann mögte er die Clara an Kindesstatt aufnehmen, daß dies verlassene Mädchen elterlichen Schutz, und meine Mutter eine Tochter hätte, die ihres Alters Trost und Pflege würde. – Er versprach es mir. Nun übrigte mir noch das Schwerste. Kaum eine Stunde nachher kam mein zukünftiger oder gewesener Bräutigam, und warb in einer entschlossenen Rede um meine Hand. Ich bebte an allen Gliedern, da ich sprach: Herr Ludovico! ein langer Irrthum hat zwischen uns gewaltet: ich bin Willens, des Himmels Braut zu werden und keines Mannes. Hätte ich Einen gewählt, Sie würden es gewesen seyn, denn ich schätze Sie sehr hoch! – Hier ergriff er meine Hand – ich fühlte einen heftigen Druck, und mit gepreßtem Athem fuhr ich fort: ich habe meinen Eltern eine Nachfolgerinn gegeben, die an meine Stelle träte, Clara Tamdio – ein braves Mädchen, welches das beste Glück verdient. Wenn Sie künftig das freundschaftliche Verhältniß zu unserm Hause fortsetzen: so gedenken Sie auch meiner. – Ich wagte es, in sein Angesicht zu schauen; es sah aus wie von Marmor, sein Blick war gebrochen – und Freude war es nicht, was seine Züge versteinte. Clara, rief er, ist dies möglich? mein Name in seinem Munde, hatte bei dieser Frage einen andern Klang als sonst – dieser Augenblick war mein glücklichster.«

Die Nonne verstummte in bewegter Erinnerung. Alle schwiegen. Nach einer Pause fuhr Schwester Veronica fort: »an dem Tage, wo ich mein Noviziat antrat, begrub man den Sprachmeister. Seine Tochter zog in meiner Eltern Haus und in mein Zimmer. Sie trug meine Kleider mit Liebe, und die Schwächen meiner Mutter mit kindlicher Geduld. Die paille Atlaßweste mit Vergißmeinnicht aber hat der Ludovico an seinem Hochzeittage getragen. – Im Begriff, eine geistliche Jungfrau zu werden, war es mir gelungen, meine Eltern gleichsam noch einmal zu trauen. Ich genoß die unaussprechliche Beruhigung, daß sie die letzten Jahre ihrer Ehe einmüthig lebten. Mir aber war wohl – das mögen Sie mir aufrichtig glauben. Ich erkannte meine Bestimmung, und daß die Welt meiner Wünsche Ziel nicht gewesen wäre; in ihr würde meine Liebe mir verloren gegangen seyn, die ich mir nun wie ein werthes Kleinod gerettet hatte. Wenn ich den Ludovico heirathen müssen – und dem würde ich nicht haben entgehen können – ach! und eine ungeliebte Frau ist die unglücklichste von allen – dann würde ich in seinem Besitz zu beklagen gewesen seyn, und außer Stande, meine Pflichten mit Vertrauen zu erfüllen, nachdem ich wußte, Wem sein Herz gehöre, und daß ein armes verwaisetes Mädchen durch mein Glück leide. So dachte er gewiß mit Wohlwollen an die Clausur, welche ich gewählt, auf daß er frei wäre in seiner Wahl. Die Nothwendigkeit meiner Entschließung leuchtete mir also ein, wenn es doch dann und wann einen Augenblick für mich gab, wo ich meinte, es hätte vielleicht ein anderer Ausweg für mich ermöglicht werden können. Allmählig schloß ich die Augen meiner Seele für solche Rückblicke. Mir war wie Einem, Den mitten am hellen lichten Tage eine Sehnsucht nach Ruhe ergreift, der er nicht zu widerstehen vermag; der Sonnenschein da draußen blendet ihn nicht, und das Getümmel der Welt regt ihn nicht auf an der stillen Stelle, wo er Frieden träumt. – Gebet und Arbeit füllten meine Zeit, ich zog viel Blumen, welcher Neigung ich durch mein ganzes Leben treu geblieben bin. Mehrere botanische Werke aus der Bibliothek meines Vaters, waren mein fortgesetztes Studium. Auch lernte ich den Generalbaß und Latein – was – wie ein classischer Schriftsteller sagt: ein gutes Mittel gegen die Wollust seyn soll –« ein klares Lächeln, worin die Reinheit einer gottgeheiligten Seele schimmerte, ergoß sich über Veronicas Züge, da sie erläuternd hinzusetzte: »als worunter jener Autor vielleicht die Lust zum Wohlleben und schlaffe Unthätigkeit verstanden wissen will. Auch muß ich ihm gewissermaßen Recht geben, und es ist wirklich wahr, daß jene anstrengende Schule ein empfindsames Frauenzimmer sehr erkräftiget, und keinem weichlichen Versinken in sich selbst Raum giebt. Beide Kenntnisse, nachdem ich sie mit unsäglicher Mühe erworben, waren mir über die Maßen lieb. Ich konnte die Väter unserer römischen Kirche lesen, die heiligen Legenden – und der Generalbaß – der ist der Schlüssel zu aller Harmonie, und gleichsam das Thor zu der Welt der Töne. Man geht erst ein in das Geheimniß der Musik, wenn man ihn kennt. – So waren mir fünf Jahre still verrauscht. Als ich einst nach der Vesper vom Chore kam, die Violine im Arm, die ich zu einer Uebung mit auf meine Zelle nehmen wollte – ward mir gesagt, ein fremder Herr, der einen Auftrag an mich hätte, wünsche mich zu sprechen. Ein Herr! ein Fremder! dies sind Worte, welche ein Frauenkloster in Aufruhr bringen. Der ganze Convent sah mich mit Neid und Neugier an, und die Aebtissin bewilligte es, daß ich das verlangte Gehör gäbe. Es war im Herbst, zur Zeit des Zwielichts; der Mond schien schon blaß durch die hohen Fenster, die Reben daran wankten in der Abendluft, so daß sich Licht und Schatten zitternd in dem düstern Sprachzimmer mengten. Mein Blick fiel auf die Gestalt eines Mannes, der am Pfeiler lehnte, und dessen bleiches, verhärmtes Gesicht ich nicht sogleich erkannte. Um Gott! Ludovico! rief ich so erfreut als bestürzt, da ich ihn tieftrauernd sah; ich fühlte die Scheidewand zwischen uns – den Bogen ließ ich tönend auf die Saiten fallen und konnte mich des Instruments nicht geschwind genug entledigen. Sein Auge strich an meinem Ordensgewand und dann an der Violine herab, da er sprach: liebe Clara – nie werde ich Sie bei einem andern Namen nennen – und ich mißverstand ihn wohl, denn ich dachte, um seiner Gattinn willen – also setzte er hinzu: ich mußte Sie doch einmal wieder sehen. – Ich drückte ihm meine Freude darüber aus, und durfte ihm nun die Fülle der Liebe zeigen, die keinen Abbruch gelitten, als ich mir mit dem Grundstein seines Glückes eine Stufe in den Himmel bauete, denn er war ja einer Andern, und ich war Gottes. Das Herz war mir so voll – ich wußte nicht, wonach ich zuerst fragen sollte. Was mußte ich vernehmen! – Seine Frau war todt, in einem schweren Kindbett gestorben, und Ludovico Willens, mit seinen Kindern nach Italien zu gehen. So wollte ich denn Abschied nehmen, auch komme ich nicht mit leerer Hand – sagte er mit zermalmender Wehmuth, und bat, daß ich ihm die meinige reichen mögte. – Und durch das Gitter, wie es damals geschah – steckte er mir den Ring an meinen Finger, den er der Geliebten gegeben, den seine Ehefrau getragen, den Ring der Schmerzensmutter! – Empfangen Sie dies zum Andenken von mir und ihr! sagte er, dieses gottselige Bild darf eine Braut des Himmels tragen, ohne ihrem Gelübde treulos zu seyn. Und erinnern Sie Sich in frommer Fürbitte Eines, der mit einem Herzen, darin der Harm wühlt, und ein Wurm, der nicht stirbt, vergangener Tage gedenkt. – Ich weiß nicht, ob das meinige mehr leidvoll als entzückt war; ich hatte ein Gefühl von Verlöbniß, und doch nicht von irrdischer Art. Wir trennten uns auf immer – und doch nicht für ewig. Ich besaß ein Pfand, was den armen Leidenden an mich bände, und der Freund meiner Seele, mein Herr und Heiland! hatte nichts dagegen. Auch die Aebtissinn erlaubte, daß ich den Ring trüge. – Nach Jahresfrist erhielt ich eine Cremoneser Geige wohl verpackt, von Ludovico zugeschickt, die mir unbeschreibliches Vergnügen machte. Es war, als ob seine frühere Gewohnheit, mich zu beschenken, seit dem Tode der Frau wieder ihren alten Platz eingenommen hätte. Vor einigen Jahren,« so endigte Schwester Veronica ihre Geschichte, »zerbrach mir der Ring – ich konnte mich jedoch nicht entschließen, ihn einem Goldschmied zu geben. Wie bald – dachte ich, bricht nicht auch der Tod das Auge, das zu viel tausendmalen darauf geruhet! so möge er denn ruhen. Hier liegt er nun.« Bei diesen Worten zog die Nonne ein kleines Schubfach auf, nahm ein Döschen von Perlenmutter, in Form einer Muschel heraus, öffnete es, und drinnen schlief das Bild der allerseligsten Jungfrau auf ein wenig Watte. Die blanke Glätte des Goldes, und ein kleiner Bug am Ringe, zeigten, wie lange er getragen worden sey. Die Damen betrachteten ihn mit einem, obgleich verschiedenartigen, doch gemeinschaftlichem Interesse.

Frau Fabia hielt ihn lange vor ihr ernstes Auge, und seine Farben spielten unter mystischen Gedankenblitzen. Sie dachte an die geheimnißvolle Verkettung der menschlichen Schicksale, wovon dieser Ring als ein Glied anzusehen wäre – und daß selbst so winzige Steine reden müßten, als die, welche den kleinen Altar reinster Mütterlichkeit zusammenbauten, wenn es darauf ankäme, daß der Unerforschliche seinen Willen offenbare. Theresens Blick spiegelte sich leuchtend im hellen Golde dieser Fassung – unter Regungen des Flattersinns wie des Vergnügens, dachte sie: wie solch eine traurige Treue wohl möglich wäre? und nur ein leiser catholischer Schauer versenkte ihr Anschauen etwas tiefer in die durchbohrte Brust der kleinen Madonna. Josephine, als die jüngste, bekam den Ring zuletzt, und durfte ihn am längsten behalten; ihr war er eine Reliquie. Der todte Schmerz darin – das Leben und Leiden der Nonne – bewegte ihre junge Seele. Die Mutter Gottes, fest gefügt, schwankte, und ihr starrer Jammer lösete sich in der Thräne auf, die dem frömmsten Kinde der Christenheit in den klaren Augen funkelte. Josephine empfand, daß solch ein Ring den Schmuck der ganzen Erde aufwöge. Sie fühlte die Heiligkeit der Liebe, und den unvergänglichen Werth eines Herzens, das sich zu opfern vermag, auf daß die Welt selig würde, die es umfaßt.

Während dieser Theestunden war der Administrator bei dem Major Feldmeister gewesen, der ihm sagen lassen, es ginge schlimmer mit dem Bein, und er mögte ihm doch ein wenig Gesellschaft leisten auf seinem Zimmer.

Jener, der in der Abwesenheit der Frauen eine schwache Anwandlung von dem Unbehagen eines Ehemanns spürte, welcher den Zusammenkünften der Damen und ihrer gesetzgebenden Tyrannei nachstehen muß – hatte der Einladung augenblicklich Folge geleistet. Das Gespräch vom Morgen ward fortgesetzt, und der Major brachte die Frage wiederum in Anregung, wie der Erstere zu seiner zweiten Schwägerinn gekommen sey. Da es sich nun der Allgegenwärtige allein vorbehalten hat, aller Orten zugleich zu seyn, und, wie Einer sagt, der nach dem ersten Erschaffenen heißt: Adam im Dorfbarbier –, ein einzelner Mensch nicht an Alles denken kann, so müssen wir uns das Vergnügen versagen, unsere Leser als Zeugen dieser Unterhaltung einzuführen, weil und so lange wir in Veronicas Zelle verweilen. Indem wir nun den Inhalt derselben nachträglich mittheilen, ist uns der Vortheil gegönnt, auch das, was dem Erzähler selbst verschlossen geblieben, kraft des magischen Schlüssels, den wir dazu besitzen, unsern Lesern zu eröffnen. – Die Stiefmutter des Administrators hatte sich nach seines Vaters Tode mit ihrem Söhnlein in die Hauptstadt des Landes begeben, welches der Schauplatz dieser einfachen Geschichte ist. Die Dame mogte ihre guten Ursachen haben, so fern als möglich von ihrem ehemaligen Wohnorte zu leben, um persönlichen Vorwürfen zu entgehen, und die Früchte eines erlisteten Testaments unter dem Schutze der Unbemerktheit genießen zu können. Und wie es denn nun häufig geschieht, daß ein ungemeines Glück auf den Schmutz ungerechten Besitzes, und in befleckte Hände fällt, so waren ihrem Kinde seltene Gaben geworden. Der kleine Constanz war ein Ausbund in jedem Sinne, und unter keine Regel zu bringen. Er wuchs in genialer Wildheit auf, und seiner Mutter, wie Jedem, der an ihm erzog, über den Kopf. Seine Fähigkeiten überflügelten frühzeitig die Erwartungen der Lehrer, die nicht wußten, in welche Classe sie ihn setzen sollten. Seinen Mitschülern war er ein Abstractum – und mit einer wohlwollenden Seele sah Constanz sich nirgend verstanden, denn es fehlte selbst der Mutter an dem Maßstab der Liebe, den Geist ihres Kindes zu messen. Die Mutter befand sich nicht wohl, und zog, eine Frühlingscur zu gebrauchen, vor das Thor. Dicht neben dem Hause, darin sie wohnte, war das Hotel des ***schen Gesandten, mit einem prächtigen Garten. Der Knabe blickte zuweilen sehnsüchtig aus dem engen grünen Bezirk, den seine Eigenthümer ein Gärtchen nannten, und dessen Beete in seine strebsamen Wünsche hemmend einschnitten, in die freien Räume hinüber, wo die Söhne des Gesandten, etwas älter als er, unter hohen Schatten sich nach Willkür belustigten, und unter dem gesenkten Auge des Hofmeisters, der nicht weit davon in einem Buche las und mit vornehmer Ruhe seine Eleven gewähren ließ – ein wenig turnten. Es prickelte den Constanz oft in allen Gliedern, das Glück dieser Ungebundenheit zu theilen, denn die Mutter schrie schon ängstlich auf, wenn er einen Purzelbaum schoß, oder, die langsame Treppe zu umgehen, sich über das Geländer hinaufschwang. Jede solche Kraftübung ihres Söhnleins setzte ihren schwachen Kräften zu. Das Verlangen nach diesem Spielraum ward ihm denn nun auch erfüllt. Die Lebendigkeit des Kindes, was sich den stolzen Söhnen des Gesandten auf ihren Wunsch und Wink zugesellt, etwas Hinreißendes in seinem Wesen, die Art und Weise, wie der freundliche Knabe seinen Willen stets gegen den hochmüthigen Trotz der Andern durchsetzte, schienen dem Hofmeister bemerkenswerth. Er sagte dem Gesandten davon, und als dieser einst Gelegenheit hatte, den kleinen Constanz selbst zu beobachten, fand sein feiner diplomatischer Blick ein Talent an dem Knaben aus, was wohl der Mühe verlohnte, für seine Zwecke entwickelt zu werden. Der Gesandte ließ sofort die Wittwe artig ersuchen, ihren Sohn, der ihm lieb geworden sey, an dem Unterricht seiner Kinder Theil nehmen zu lassen. Es geschah, und mehr noch. Als der Sommer zu Ende ging, war auch die Mutter des kleinen Constanz an ihrem Ziele – und der Gesandte nahm den verwaiseten Knaben nun ganz zu sich. Die Söhne folgten ihrer Bestimmung, Constanz blieb das Kind des Hauses. Er ward Privat-Secretair des Gesandten. Diese Stellung machte ihn mit den geheimsten Staatsverhältnissen vertraut, er arrondirte die Rechte der Familie gegen einander, und ihr Oberhaupt setzte ein ungemessenes Vertrauen in die Klugheit seines Günstlings. Nur dessen Geschlechtsname war ihm zuwider, aus einem angestammten Vorurtheil gegen klösterliche Machthaber, und da nun Constanz von früher Kindheit an so und nicht anders genannt worden war, behielt er diese Benennung später und für immer bei, so daß man kaum mehr wußte, wie er eigentlich heiße. So ward es dem Constanz nicht schwer, die Prälation seines Namens gegen jenen aufzugeben, der im Hause mit französischem Accent ausgesprochen ward. Seine Persönlichkeit ging in der Bedeutung des Gönners unter, dem er Kopf und Feder lieh. Es war bekannt, daß der Secretair die rechte Hand des Gesandten wäre; doch die Frau desselben tadelte diesen Vorzug, wenn auch nicht laut. Sie liebte den Jüngling nicht gleicherweise, theils aus ein wenig Mutterneid, theils aus einem dunkeln Gefühl von Eifersucht auf die Gunst ihres Gemahls, endlich, weil er sehr verschwiegen war. Diese erforderliche Eigenschaft stand im Conflict zu einem Fehler der Dame: dem Mißtrauen. Sie argwöhnete, das Cabinet, dessen Geheimnissen der Secretair verpflichtet wäre, enthielte auch solche, welche nicht in anderer Herren Länder, sondern über die Grenzen des ehelichen Bereichs, in das Gebiet fremder Frauen, verhandelt würden. Und in wie weit dieser Verdacht begründet gewesen, wird die Folge lehren. So war das Verhältniß des begünstigten Constanz gegen die Dame des Hauses etwa das eines natürlichen Sohnes.

Wenn der Gesandte, was er oft zu thun pflegte – rühmte, wie expedit Constanz sey, wie er darin das Unmögliche leiste, dann bestrafte seine Gemahlinn ihn für den Aerger dieses Lobes, indem sie weniger mit einer Miene des Tadels, als übler Weissagung, entgegnete: »ich fürchte sehr, Constanz übertreibt Alles, und Sich zumeist. Solche Leute leben nicht lange. –« Dies Prognosticon, mit pflegmatischer Ruhe gesprochen, jagte den Gesandten in Furcht. Einst hörte er seine Frau zu dem Secretair sagen: »wenn Sie nur nicht immer so en carrière wären, Constanz! ich mag es nicht gern, wenn der Mensch weder Rast noch Ruhe hat. Denken Sie an mich, Sie werden einmal wie ein Wirbelwind heirathen, der den Leuten Staub in die Augen streut – und mit Extrapost gen Himmel fahren. –« Der Jüngling lächelte der Drohung, die ihn zügeln sollte, und sprach: nichts könnte ihm lieber seyn, denn alles Langsame wäre sein Tod. –

Der Gesandte dachte darauf, wie er den Constanz, ohne ihn zu verlieren, entfernen könnte, und alsbald traf dieser Wunsch mit den Interessen seiner Charge, wie mit denen seiner eigenen Angelegenheiten auf das Genaueste zusammen.

Es war um die Zeit der Aufstände in Polen, wo er den Secretair mit einem Auftrage von größter Wichtigkeit an einen entlegenen Hof sendete. Es war eine Courierreise. Doch zu Einem Auffenthalt erhielt der junge Mann geheime Instruction, und Constanz muthmaßte schlau, diese mache nicht den unbeträchtlichsten Theil seiner Sendung aus. An der polnischen Grenze lebte eine Freundinn des Gesandten, um die er in Sorgen war. Constanz sollte sich von der Lage dieser Dame und ihrer Tochter in Kenntniß setzen, und wie es Beiden in den kriegerischen Unruhen ergangen sey; dann ihnen Depeschen überreichen, welche der Gesandte ihm, unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit, übergab. Er versprach dagegen, wenn die Ausführung jenes Geschäfts – vielleicht meinte er auch dieses – den Beauftragten bewähre, so solle Constanz einer seinem Verdienst entsprechenden Versorgung im diplomatischen Corps gewiß seyn. – Es war, als ob der Landsturm jener Revolution eine alte Erinnerung in dem Herzen des Gesandten aufgestört, und seinen gleichmüthigen Bestand aufgelöset hätte. Dieser Protector, getäuscht von der innern Bewegung, wähnte, seinen äußern Zustand verändern zu müssen, und indem er die Anstrengung im Auge hatte, sich auf den Gipfelpunct seiner Wünsche zu schwingen, ging er von der Idee aus, den Protegé für diese Absicht zu nützen, bevor er ihn poussire.

Freudig, wie ein Vogel den goldenen Käfig hinter sich läßt, darin er eingeengt gewesen, flog Constanz durch die blauen Lüfte. Er war ganz in seinem Elemente; eine weite Aussicht that sich vor seinen Blicken auf. Er schwelgte gleichsam im Genuß einer pflichtmäßigen Eile. – Doch indem er der Ferne zustrebte, war er unversehends an die Marken seines Schicksals gekommen; und hier war es, wo der Horizont seiner Hoffnung Erde und Himmel für ihn abgrenzte.

Als Constanz sich den Wäldern Polens näherte, drängte sich ein düsterer Ernst ihm auf. Ueberall traf er auf Spuren wilden Kampfes und verzweiflungsvoller Schritte. Die Zerrissenheit dieses Volkes dauerte ihn, er sah betrübt zu Boden, den so viel edles Blut besprengt, und jeder Ton dieser sarmatischen Mundart schlug dumpf und traurig eine tiefe Saite seines Herzens an.

Constanz sprach sehr geläufig polnisch, was ihn jenen heimathlosen Flüchtlingen naturalisirte, in deren rauhen Mienen ein Strahl vaterländischen Sonnenscheins bei seiner Anrede aufging. Man wies ihn überall freundlich zurecht; doch nicht in einen erfreulichen Port. Der kleine Edelsitz, auf dem die Freundinn des Gesandten residiren sollte, war eine wüste Brandstätte, ein trauriges Bild gänzlicher Verödung. Es war um die Mittagsstunde, als Constanz auf dem weichen Estrich dieser polnischen Wirthschaft anhielt. Diese verkohlten Gebälke schienen noch zu dampfen; doch kein Rauch stieg aus der Esse des Gemäuers, des einzigen auf dem Höfchen, was den Anstrich hatte, bewohnt zu seyn. Ein alternder Mann, in der Livree der Armuth, welche ein lustiges Bunt giebt und freie Schnitte – doch besseren Ansehens als Die, welche sie gewöhnlich tragen – stand in der niedern Thür, und sah tiefsinnig auf das leere Häuschen einer Hundehütte nieder, deren Kette gelös't daneben lag, und den Wächter frei gegeben hatte. Der Mann schrak zusammen, als das leichte Fuhrwerk schnell wie ein Pfeil von der Senne, durch den offnen Thorweg prallte, und gleichsam sein Herz zu treffen schien. Der junge Reisende trat wohlwollend auf ihn zu, und fragte nach der Herrin des Ortes. »Meine Dame schläft –« sagte der vermuthliche Diener, indem ein Seufzer seiner Rede voranging, welcher sie der Theilnahme des Zuspruchs anempfahl, »und ungern mögte ich sie wecken. Auch würde es« – meinte der Getreue, »wenig nützen. Seit den erschrecklichen Vorfällen allhier,« fuhr der Alte fort, »hat meine Dame das Gedächtniß verlohren, und kann sich auf nichts mehr besinnen.«

»Nun, vielleicht doch! wir wollen sehen –« erwiederte Constanz lächelnd auf diesen Bescheid, der beinahe abweisend lautete.

»Sogleich!« sprach der Alte in der reizbaren Empfindlichkeit seiner Nation und eigenen Unglücks, von diesem Lächeln, diesem Zweifel beleidigt, und stieß leise ein zersprungenes Fenster nach Innen zu auf, was nur angelehnt war. Der junge Fremde sollte Einsicht in die Wahrheit seiner Aussage bekommen. Constanz trat vor die Oeffnung, und als Schatten vor die Sonne, welche wie zum Spott Verhältnisse beleuchtete, deren Glücksstern untergegangen war. Welch ein Anblick! das nackte Sparrwerk der Wände war mit Teppichen behangen, die augenscheinlich einer besseren Bestimmung angehörten. Auf einem verstümmelten Pfeilertisch von Marmor stand eine massive Eßschale, trübe verblindet, darin ein Rest ärmlicher Speise war. Tausend Kleinigkeiten, darunter die meisten vom Ueberfluß, lagen – ein Quodlibet – wirr durcheinander, und eine Anzahl kleiner abgetragener Schuhe, wie vertretne Kinderschuhe – nahm den Fußboden ein. Alles schien nur für den Nothbehelf zu seyn. In einem Großstuhle, der schräg gegen das Fenster gerückt, voraussetzen ließ, er stände nur derweilen da – lag eine ältliche Frau mit geschlossenen Augen. Ein echter Schawl, an den der matte Kopf sich schmiegte, hing nachlässig über die Lehne geschlagen, und der Chinese des Gewirks, hielt seinen Schirm über diese eingesunkene Wange. Vielleicht war dieser phantastische Schutz der einzige, dessen die schlummernde Dame genoß. – Um ihren feinen Mund schwebte ein Lächeln – das Todeslächeln unbewußter Beruhigung; ihre rechte Hand lag auf dem Arme des Sessels. Eine zartere Hand, gewebt aus der feinsten Seide des Müßiggangs, hatte Constanz nie gesehen; aber er gewahrte jenes Nervenhüpfen daran, welches auf krampfhafte Zustände, und nicht selten auf eine nahe Auflösung schließen läßt. Im lebendigsten Contrast dieses abgespannten und verblichnen Bildes, saß ein junges schlafendes Mädchen zu den Füßen der Dame. Diese Sieste war eine andere; dieser volle Athemzug war ein trunkenes träumerisches Schöpfen aus der Ruhe süßestem Quell. Constanz ward berauscht vom Zusehen. Für einen jungen Mann giebt es keine größere Gefahr, als die Schönheit, wenn sie schläft, und die gesenkten Waffen blinkender Augen. – Doch nach einigen Secunden, die sein Leben wendeten – es giebt Momente, welche alle Verhältnisse der Zeit aufheben – trat Constanz zurück, denn der Anzug des Mädchens däuchte ihm nicht für die Nähe eines Mannes berechnet. Er wollte warten; doch jetzt regte sich die Dame, und der alte Diener führte ihn an die Thüre. Constanz mußte sich bücken, und sein Herz beugte sich, als die Dame ihre Augen aufschlug, und erschrocken fragte: ob wieder Feinde da wären? – Constanz versicherte ehrerbietig: er käme als ein Bote der Freundschaft. Die Dame legte die schneeweiße Hand an ihre Stirne, wie Jemand, der sich besinnt, und sprach: »Freundschaft – –?« Es war, als wäre der Begriff dieses vielsagenden Wortes ihr tief entfallen.

Während dessen war das Mädchen auch erwacht. Angesichts des jungen Fremden trat es vor den alten Mann, und ließ sich ungenirt das Kleid von ihm zuhäkeln. Diese polnische Unschuld verwirrte den entzückten Constanz, dem der kleinste Dienst weiblicher Toilette bisher wie das Werk geheimnißvoller Verwandlungen gewesen – so daß er mit Mühe nur seinen Auftrag auszurichten vermogte.

Es war eine helle Stunde für die Mutter, in der sie die Depeschen des Gesandten las. Und während sie wie aus den Wolken fiel – sehr dunkle hatten den Lebenstag dieser unglücklichen Frau verfinstert – daß jener Freund sich ihrer jetzt, und auf diese Weise erinnere, fiel das Rosenlicht einer schöneren Vergangenheit auf jede Zeile. –

Das Lesen geschah indeß so langsam, daß Constanz unterdessen völlig Muße hatte, sich der Tochter zu befreunden. Er bat um die Vergünstigung, bis zum andern Morgen hier verweilen zu dürfen. Die Mutter war über jede Verlegenheit ihrer Lage hinaus – das Fräulein bewies sich nur in so fern gastfreundlich, indem es bei der Sorge für die Bewirthung dieses angenehmen Botschafters doch nicht das Vergnügen über seine längere Anwesenheit verleugnete.

»Bonaventura –« so hieß der alte Kämmerer – »wird schon Rath schaffen,« sagte Therese – unsere Leser wissen ihren Namen doch. »Wir wollen die Mutter nur ganz außer Acht lassen –« flüsterte Therese ihm traulich zu. »Sie lies't zwei Stunden an dem Briefe – ich kenne das. Wäre es Ihnen vielleicht gefällig, eine Parthie Schach mit mir zu spielen? Sie mögen Rußland seyn – ich bin Polen.«

Constanz erstaunte über die Vortheile, welche Therese sieggewiß ihm vorausgab; doch nicht minder, daß er fände, wie dieser harmlose Leichtsinn vermengt wäre, mit patriotischer Tücke. – Nach wenigen Zügen war seine Niederlage entschieden, und nebenbei verlor er sein Herz.

Nachdem Theresens Mutter gelesen, versank sie in eine Apathie, welche ihre Gegenwart den ganzen Abend hindurch unwirksam machte. Und dieser Abend, er reichte hin, die flatterhafte Neigung der beiden jungen Leute unauflöslich zu knüpfen. Auf Constanz Seite stand unsichtbar sein treibender Genius, der ihn immer und überall drängte. »Spute Dich!« raunte dieser beflügelte Geist ihm zu, »wir haben Eile, und die Zeit entflieht.« Wie verwirrend die zarten Seile nun auch waren, die sich leise um dieses flüchtige Naturell legten, wie verworren das Verhängniß dieses Hauses vielleicht: Constanz blieb zum Aufmerken frei, wie zu einer und der andern Frage, die ihm sein Gönner an das Herz gelegt, bevor er die an das Fräulein richtete, welche ihn selbst betraf. Es geschah dies gesprächsweise. Therese stand auf, rüttelte sacht an der schwachen Mutter, und weckte ihre schlafende Seele mit den Worten: »sage einmal, habe ich Verwandte?«

»So viel ich weiß: nicht;« antwortete die Dame mit Resignation, und bat, daß ihre Tochter sie in dieser traumhaften Stille lassen mögte. Ein kühner Wurf des Gesprächs brachte es auf Religion, und Constanz begehrte zu wissen: zu welcher das Fräulein sich bekenne? »Eigentlich zu keiner,« antwortete Therese mit liebenswürdiger Freigeisterei, »ich habe meinen Glauben gern für mich, und meine Liebe auch. Doch bin ich mit Salz getauft –« Constanz lächelte gelinde.

Therese, die es zweifelnd ansah, stand abermals auf, ging zu dem Großstuhl, neigte sich über die blasse Gestalt, und sprach: »Mütterchen, bin ich catholisch?«

»Etwas –« antwortete die Dame kaum hörbar, »Du frägst mich viel. –« Therese stand beschämt. »Die Mutter hat eigentlich Recht –« sagte sie und nickte dazu. »Fasttage halte ich gar nicht, und auf die Beichte nicht viel; sie müßte denn freiwillig seyn, wie zum Beispiel jetzt. Wenn ich es Ihnen ehrlich gestehen soll –« fuhr Therese fort: »die Religion ist mir ein bischen zuwider. Erstens: des vielen Krieges und Streites wegen, den sie verursacht hat, und ich liebe es sehr, daß man sich freundlich begegne; dann habe ich einige Fromme kennen gelernt, die mir außerordentlich gehässig waren. – So kann ich auch nicht anders, als mir unsern Herrgott unter dem Bilde eines wohlwollenden alten Mannes denken, der eine großmächtige Schlafmütze trägt – als Symbol der ewigen Ruhe. Und in dem Himmel stelle ich mir eine ehrsame, aber höchst langweilige Gesellschaft vor.«

Für Constanz waren diese Aeußerungen, um der Anmuth und anspruchslosen Offenheit ihres Vortrags willen, Bekenntnisse einer schönen Seele. Ein aufrichtiges Herz schätzte er über Alles, und er wünschte, sich dieses arglose zuzueignen.

Was Therese dem Gast im Laufe des Abends erzählte, dürfte ohngefähr folgendes Ergebniß seyn. Therese war, seit ihrer frühesten Kindheit von ihrer Mutter getrennt, in einem großen Hause erzogen worden, ziemlich sich selbst und ihrer natürlichen Gutartigkeit überlassen. Jene Familie aber lebte, verwandtschaftlicher Verhältnisse wegen, wenig daheim, und so konnte sich auch kein weibliches Gefühl der Stille und Stetigkeit in Therese entwickeln. Dieser auswärtige Aufenthalt entfremdete sie der Mutter wie der Muttersprache, und eine fanatisch protestantische Bonne vermischte den catholischen Geist des Fräuleins so lange mit dem Wasser der reinen Lehre, bis Theresen das religiöse Element der Seele vom Ueberfluß schien. – Als die Gährungen in Polen ausbrachen, lös'te jene Familie sich theilweise auf; eine heimathliche Sehnsucht erwachte zum erstenmale in Theresen. Sie verlangte nach ihrer Mutter, und man hielt das Mädchen in der waldigen Steppe des mütterlichen Witthums besser aufgehoben, als im Mittelpunct einer wildbewegten Stadt. –

»Aber es war nur um so schlimmer –« sagte der alte Bonaventura, als er am Abend spät Constanz in dem dürftigen Verschlage bediente, wo sein Nachtlager bereitet war, und auf die warmen Erkundigungen des Gastes mit traurigem Bericht Theresens Aussage vervollständigte: »die Ankunft des Fräuleins war entsetzlich. Die Mutter sah ihr schönes Kind bei dem Feuerscheine seiner Habe wieder, und die Kraft meiner Dame ward davon verzehrt, wie unser weniges Heu von der Flamme. Nur der Entschlossenheit eines jungen feindlichen Offiziers verdanken wir persönliche Berücksichtigung und das, was wir aus diesem Wirrsal retten konnten. Ein lieber Mensch! die Andern waren nur wie reißende Wölfe gegen ihn; aber Gott haucht Milde ein, da, wo sie Noth thut, und mäßiget den Wind für das Lamm einer geschorenen Heerde.«

Constanz hatte jenes Offiziers auch von Theresen erwähnen gehört, und mit einem so bedeutsamen Interesse, daß dieser Antheil eine eifersüchtige Regung in ihm erweckte. –

»Seit jenem Tage nun,« fuhr Bonaventura fort, »vergißt meine Dame Alles! wohl ihr! das Gedächtniß verlieren ist für den kein Unglück, der nichts als Kummer zu vergessen hat. Jeder Augenblick, wo sie nun schläft, erquickt mein eigenes Herz, was ihr die Ruhe gönnt, und mit Freude werde ich ihr die Augen zudrücken, welche nicht viel gute Tage gesehen haben.« Die des alten Mannes standen voller Thränen, als er dies sagte. Diese treuherzige Gesinnung rührte Constanz und flößte ihm Achtung für den Diener wie für die Herrin ein. Er fragte, er wollte vornehmlich wissen, warum Therese ihrer Mutter entrissen worden sey? –

Bonaventura zuckte die Achseln. Er erzählte eine Geschichte jugendlicher Verirrungen, welche seine arme Herrschaft unter die Despotie ehelicher Tyrannei gebracht hätten. Dabei gerieth er in ein Labyrinth der Darstellung, verlor den leitenden Faden – und wußte am Ende nicht, wo aus noch wo ein? da es ihm zur Unzeit einfiel, ob es nicht verrätherische Geschwätzigkeit sey, die zarten Leiden seiner Dame einem fremden Ohr Preis zu geben? – Jene Geschichte gehört nicht in unsern Plan. Wir lassen ihren Stoff daher unter der großen Masse menschlicher Schwachheit und menschlichen Unglücks auf sich beruhen. –

Constanz wußte die gewissenhafte Aengstlichkeit des redlichen Mannes zum Schweigen zu bringen. Er entdeckte sich ihm ganz, und Bonaventura nannte ihn einen Gesendeten Gottes, und nicht des Gesandten.

Am Morgen mußte Constanz fort. Die Werbung um die Braut war bald geschehen und mit Erfolg: die Mutter befand sich fähig, ihn anzuhören. Constanz legte ihr einfach seine Verhältnisse wie seine Wünsche dar. Er wollte Theresen bei seiner Retour mit sich nehmen, unterdessen den Consenz des väterlichen Gönners dazu nachsuchen, und daß dieser seine Anstellung beschleunige. Doch war er eines weigernden Grundes der Dame von Seiten ihrer Kränklichkeit gewärtig. Aber nichtsdestoweniger war die Mutter bereit, sich ihrer kindlichen Stütze zu begeben. Sie sagte mit einem gewissen Heroismus, der für eine rettende Idee froh, wenn auch einsam, sterben lehrt: »grüßen Sie den Gesandten tausendmal von mir – wenn Sie ihm Theresen bringen, wird Ihr Glück ihm bestens empfohlen seyn. – Ich verlasse das Leben gern, da ich meine Tochter unter dem Schutze ihres natürlichsten Freundes weiß. Der da –« (sie wies auf Bonaventura) »begräbt mich schon.« Therese weinte wohl, allein nicht allzusehr. »Dann bleibt Dir Alles, guter Bonaventura!« sagte sie, reich in Hoffnung.

»Alles!« wiederholte Bonaventura, und lächelte traurigbitter wie der Verlust zu der Erbschaft: dieses Alles war so viel als Nichts. – Der gute Alte wußte nicht, daß die Liebe jeden Strohhalm zu den Mitteln des Glückes zählt, wenn auch nur als Medium die bunten Seifenblasen der Täuschung in die leere Luft zu hauchen. –

Als Constanz, der Verlobte Theresens, nun mit aufgeregten Gefühlen den öden Ort verließ, wo unter Schutt und Trümmern seines Lebens schönste Blume blühete: da dachte er an die verheißenden Worte der Gesandtinn, er würde einmal im Fluge die Braut heimführen. –

Im höchsten Schwunge seiner geistigen Kräfte legte Constanz die weite Reise zurück, und erreichte mit dem Ziel auch die Absicht. Er erstaunte selbst, wie leicht ihm alle Schwierigkeiten zu beheben gewesen; ein Gott hatte ihm Flügel geliehen, und den Schlangenstab der Klugheit. Er glaubte die Zufriedenheit des Gesandten bestens verdient zu haben, und in diesem kühnen Vertrauen fügte er daher seiner Meldung dessen, was er ausgerichtet, die Bitte bei, daß der Gesandte seine Verbindung mit Theresen genehmigen und die schriftliche Zusicherung ihm ohne Säumen entgegen senden möge. In der gewissen Voraussetzung, daß dies unverweigerlich geschehen werde, kam Constanz nach Polen zurück. Er fand eine so leidenschaftliche Aufnahme bei seiner Braut, als wäre seine Wiederkehr ihr dennoch zweifelhaft gewesen. Mit Thränen sagte sie ihm, er komme zur rechten Zeit, denn seit dem vorigen Tage lag die Mutter im Sterben und konnte nicht enden.

Bonaventura hatte indessen mit treuer Umsichtigkeit alles vorbereitet. Ein Weltgeistlicher in der Nähe war durch seine einfache Ueberredung gewonnen, die jungen Leute zu copuliren. Er war eben anwesend, und vertrat die Stelle eines Arztes für Leib und Seele zugleich. »Mein werther Herr,« sagte der Priester höflich zu Constanz, »ich verstoße gegen ein Staatsgesetz, wenn ich Sie ohne vorhergegangene Proclamation traue; aber – inter arma silent leges – sagen wir Lateiner, und ich verhoffe, Sie werden mich in so fern gegen alle Verantwortung sichern, daß Sie mir einen Schein ausstellen, worin Sie Sich verpflichten, jeden Einwand vertreten zu wollen, welcher möglicher Weise dieser Heirath mit Fug und Recht gemacht werden könnte. – Unter dieser Bedingung will ich mein heiliges Amt zu Gunsten Ihres Wunsches üben.« –

Constanz, im Gefühl, von Seiten des Gewissens völlig frei zu seyn zu diesem Schritt, verstand sich gern dazu, und der Geistliche beschied sie für den nächsten Morgen in eine kleine Capelle auf der Hälfte des Weges. Bis dahin, meinte der todeskundige Mann, – würde die Mutter des Fräuleins ausgelitten haben.

Aber als der Morgen erwachte, lag die Hochzeitmutter noch in Agonie. Es war eine schauerliche Stunde, die der Einsegnung. Der Sturm sausete unheimlich durch den Wald, das morsche Kirchlein wankte, die Lichter wollten verwehen, der Regen rauschte herab, die Braut schwamm in Thränen –, kein Zeuge war zugegen, als der Meßner und Gott! –

Sie kamen nach Hause; kein fröhliches Mahl war ihnen bereitet. Constanz sah ängstlich nach der Uhr, deren Zeiger, gleichgültig gegen die bange und dringende Erwartung umher, unaufhaltsam weiter rückte, und fand, daß seine Zeit abgelaufen sey. Nur jene Körner wollten nicht ausrinnen. Da bat Bonaventura, daß man ihm eine Vorstellung erlauben möge. »Meine Dame,« sagte er, »kann nicht sterben, so lange Sie hier gleichsam auf dem Sprunge stehn. Ist es doch mit einer Frau in Kindesnöthen gerade so. Die kann auch nicht genesen, wenn darauf gewartet wird, und der Tod soll ja eine neue Geburt seyn. – Ueberlassen Sie die Verscheidende mir; ich bleibe bei ihr, ich! es ist mein letztes Geschäft auf Erden.« Der gute Alte legte das ganze Gewicht seiner treuen Gegenwart in einem zitternd aushaltenden Accent auf dieses Wörtchen.

Constanz fand, daß er Recht hätte. Er gab ihm eine volle Börse und unbedingte Vollmacht. Dann beugte er sich weich über das stille Lager der Mutter, die langsam zwischen schweren Pausen athmete, und keinen Blick des Segens für ihren Eidam hatte. Therese küßte schluchzend ihre schlaffe Hand, fühlte aber auch nicht den leisesten Druck der Liebe mehr – und nun rollte der Wagen vor und fort. Kaum waren sie an ein steinern Kreuz gekommen, eine Viertelstunde von dem Oertchen und so gelegen, daß es einen Rückblick darauf gewährte, so sahen sie ein weißes Tuch vom Giebel wehen. Constanz bemerkte es zuerst. Er sagte ernst: »Bonaventura giebt uns ein Zeichen, die Mutter wird verschieden seyn. – Denke nur, sie schläft etwas tiefer wie bisher, und hat alles Leid auf ewig vergessen.« Und Therese dachte wirklich so. Die junge Frau nahm also über die Grenze ihres zerrissenen Vaterlands, wenn auch grade kein zerrissenes Herz – dazu war der natürliche Verband mit ihrer Mutter nicht innig genug gewesen – doch ein völlig aufgelös'tes Familien-Verhältniß, und keine andere Mitgift, als frühe Gewöhnungen, wie sie den Damen dieser Abkunft eigen sind. Es war, als hätte ein günstiges Geschick dies harmlose Wesen in die Arme der Liebe vor den Schauern des Grabes und der Pflicht zu trauern, retten wollen.

Seltsam genug bemächtigte sich des jungen Ehemanns jetzt, in der gesicherten Erfüllung seiner leidenschaftlichen Wünsche, der Zweifel, was der Gesandte zu dieser Heirath sagen werde? Vorher war Constanz der Zustimmung, ja des Beifalls seines Gönners gewiß gewesen. So verändern sich unsere Ansichten Anderer mit jedem unserer eigenen Schritte. Es gereichte ihm wie zum Trost, daß die Macht der Umstände ihn zu diesem, den er rasch gethan, gedrängt hätte. Er fühlte sich in einer geheimnißvollen, aber um so bindenderen Verwandtschaft zu seinem väterlichen Freunde, und bedurfte nur – so däuchte es ihm – das Siegel der Bestätigung zu erblicken, um Theresen mit jedem Recht als Gattin an seine Brust zu drücken. Doch kein Brief gab Antwort auf diese Frage, und mit wachsender Unruhe eilte Constanz einer endlichen Entscheidung entgegen. Eine leichte Unpäßlichkeit Theresens hielt die Reise um ein paar Tage auf, und ihr Gemahl fühlte, daß eine Frau Rücksichten erfordere, welche den Mann nicht fördern.

So waren sie in das Städtchen Leidthal gekommen und hielten an der kleinen Posthalterei daselbst. Constanz hatte auf dem letzten großen Postamte abermals kein Schreiben angetroffen. Er war jetzt resignirt – es mußte etwas von besonderer Wichtigkeit vorgefallen seyn; nichts war ihm dringender, als nur so bald als möglich an Ort und Stelle zu gelangen. Therese theilte diese Ungeduld indeß nicht. Die reizende Lage der kleinen Expedition, eine vollblühende Jelängerjelieber-Laube, welche den ländlichen Vorplatz schmückte – eine Pilgerruhe der Passagiere – entlockte ihr den Wunsch, hier einige Stunden ausruhen zu können, und Constanz zeigte sich gefällig dafür. Er trat zu dem Postmeister, als dieser im Begriff stand, das Felleisen auszupacken. Da sprang die ersehnte Handschrift ihm in die Augen, ein Brief an ihn vom Gesandten. Constanz beglaubigte sich, als den Empfänger. Er riß hastig in das Papier – aber der Inhalt zerriß das Blatt seiner Hoffnung noch heftiger. Sein Gönner schrieb ihm: ein Ereigniß von größter Bedeutung habe ihn genöthiget, seinen Standpunkt zu verlassen und nach dem Süden zu gehen. Er werde die Tour über B. – nehmen, woselbst er seinen Secretair erwarte, der ihn auf dieser Reise begleiten müsse; die Dauer dieser Reise wäre vorläufig nicht zu bestimmen, und hinge von Umständen ab, welche schwebten. Constanz sollte daher sein Eintreffen dort, so viel als möglich beschleunigen, der Gesandte harre sein. Was die fragliche Parthie anbeträfe, so werde dieser Punct zu gelegener Zeit zwischen ihnen zur Sprache kommen. –

Dieser Brief war in dem Tone jener Superiorität abgefaßt, die stets ein Vorbehalt Derer bleibt, welche in ihrer Persönlichkeit die Freundschaft mit der Protection für uns verbinden. Constanz war durch die frühesten Eindrücke für diesen vornehmen Ausdruck empfänglich geworden. Er war dem Gesandten in den zartesten Beziehungen verpflichtet: denen der Dankbarkeit. Auch war gewissermaßen das Wohl des Staates diesem Zusammenhange verknüpft, so konnte er sich seiner Pflicht nicht entziehen. Theresen mitzunehmen, daran durfte ihr Gatte nicht denken, denn so wie er den Gesandten kannte, war der Anhang, die Heirath betreffend, als abweisend anzusehen. So mußte dieser erst durch die Ueberredungsgabe seines Lieblings für Etwas gewonnen werden, was bereits geschehen war.

Constanz stand äußerst betroffen. Er theilte Theresen mit, was sie so nahe anging, und erklärte ihr diesen Ruf des Schicksals als unabweislich. »Nur diese Reise noch,« tröstete er die bestürzte Frau, indem das Gefühl der Selbständigkeit in ihm ansprach, »dann trennt uns nichts mehr, Du Liebste! – Erfüllt der Gesandte sein Versprechen nicht, mich zu versorgen, so reicht mein Vermögen hin, ihn entbehren zu können. Doch jetzt darf ich ihn nicht im Stiche lassen; ich muß die Resultate meiner Sendung in seine Hände niederlegen. Wer konnte dies voraussehen? wüßte ich nur, wo ich Dich einstweilen aufhöbe!« Er starrte nachsinnend in die blaue Weite, als wolle er einen Ausweg erspähen. Da trug ein Hauch der Luft einen Glockenton von ferne über die Mittagsstille der Felder; und dieser leise silberne Laut schlug an sein Gehör und klopfte an sein Herz. – Seine Augen folgten der Richtung dieses Schalles, und sahen die Thürme von Sanct Capella im senkrechten Strahl der Sonne verblendend blinken. Constanz fragte nach jenem Ort. Der Postmeister nannte das Kloster, und erwähnte gesprächig der gegenwärtigen Verhältnisse des Stiftes. Aber Der, zu dem er redete, hatte nichts Weiteres davon vernommen, und war einer eigenen Gedankenreihe gefolgt.

»Schade!« sagte Constanz, »daß die Klöster aufgehoben sind. Was man auch dagegen sagen konnte, sie waren doch immer ein schicklicher Aufenthalt für unbeschützte Frauen. Und Du bist ja ein wenig catholisch.« Er blickte seine Frau mit einem schmerzlichen Lächeln an, welches sie ermuthigen sollte. Therese aber hatte jetzt keinen Sinn für tragikomische Reminiscenzen, und keinen Glauben als den, daß sie sehr unglücklich wäre. –

Wie aus einem Traume erwachend, und in großer Zerstreuung, fragte Constanz den Postmeister, der sich abseits gewendet hatte: ob er recht vernommen, daß der Prälat dieses Ordens noch dort wohne? Jener berichtigte das Mißverständniß, und was er von dem Administrator zu sagen wußte, ließ dem Secretair des Gesandten kaum einen Zweifel übrig, daß er sich in der Nähe seines Bruders befinde. Von einem raschen Entschluß durchblitzt, forderte er Feder und Dinte, und schrieb in Hast ein französisches Billet an ihn, des Inhalts: ein Fremder wünsche den Stiftsverweser von Sanct Capella so dringend als unverweilt im Posthause zu Leidthal zu sprechen. Die Chiffre des Namens Constanz war so charakteristisch verschlungen, daß sie schwerlich von Jemand, der sie nicht kannte, zu enträthseln gewesen wäre.

Nach anderthalb Stunden, in deren Verlaufe Constanz sein Weibchen zu beruhigen gesucht hatte, kam ein stattlicher junger Mann neben dem reitenden Boten daher gesprengt, und der Postmeister rief: »da ist er schon, der Herr Prälat!« Constanz sah unter einem Freudenschauer auf, und Therese zog sich in einer kindischen Furcht der Erwartung, in die Laube zurück, und einen Behang von Blüthen über ihr reizendes Gesicht.

Constanz gab sich seinem Bruder herzlich zu erkennen, und in dem Anmuthen, Theresen so lange unter seinen Schutz zu nehmen, bis er sie abholen würde, einen brüderlichen Beweis. Diese Minute drängte stark an das Herz des Administrators. In dem Wesen seines jüngern Bruders lag bei freundlicher Offenheit etwas ersichtlich Vornehmes, ein gewisser Succeß des Zutrauens, was Jenem imponirte, der mitunter zurückhaltend, ja sogar blöde war. Unwillkürlich stellte er die finstere verschlossene Strenge des älteren Bruders daneben; er dachte leise an Fabia – und mit dem beengten Gefühl eines Ehemanns, der da Scheu trägt, die häusliche Kette der Gewohnheit um ein Glied zu erweitern. Um seinen schweigenden Mund spielte ein Lächeln gutmüthiger Ironie, daß er bestimmt seyn sollte, die Frauen seiner Brüder zu beschützen. »Wenn es der jungen Dame nur bei uns gefällt –« sagte der Administrator bedingungsweise, »es geht still zu, im Stift. – Die Wittwe unseres ältesten Bruders, die ich sammt ihrer Pflegetochter bei mir habe – ist – unseres ältesten Bruders,« unterbrach er sich selbst –: »Der, Du weißt ja –« aber Constanz sah den Administrator an, als hätte dieser fremd und romantisch vom Bruder Graurock gesprochen.

»Ich weiß von nichts –« antwortete Constanz, entschlossen, sich mit keinem weitläuftigen Verhältniß zu befassen, und seine cosmopolitische Seele streifte das Band der Natur sogar im Begriffe ab: »als – wir Menschen sind hier alle Brüder –« ein rüstiges Mägdlein, das kleinste Kind der Postmeisterinn an die Brust gedrückt, welche ein knappes Mieder von Leinewand umschloß, strich bei diesen Worten hurtig an ihnen vorüber, und eine schnelle Association der Ideen, in richtiger Folge jener Strophe und dieses Blickes, ließ ihn an den Bruder mit dem Ordensband denken, der er einst so dankbar als einflußreich diesem schlichten Schutzfreund seyn werde, wenn die Zeit dazu gekommen. »Sieh meine Frau nur selbst!« sagte Constanz, indem er auf die Laube zuschritt. Er bog ihre Zweige auseinander, und die schönere Blüthe von Theresens Angesicht lächelte durch das weiche Grün, und ihre Augen funkelten in Thränen, wie die Sonne im Thau. – Die Schönheit hat das Eigenthümliche, daß sie jedem Manne Muth einflößt. Das Herz des Administrators öffnete sich den gastfreundlichsten Gefühlen. Zudem behandelte Constanz die Sache so ganz in seinem Geiste, das heißt, so flüchtig, daß Herr Prälat glauben mußte, mit dem Asyl zu Sanct Capella sey es nur durchaus precair gemeint, und auf ein längeres Bleiben nicht abgesehen. So bewilligte er daher die Bitte seines Bruders, wenn auch nur mit einer gewissen widerstandlosen Passivität. Er sah dies Ereigniß für ein Fatum an, dem auf keine Weise zu entgehen gewesen wäre. Das leichte Gepäck war bald getheilt, ein Postwagen, worin Therese nach dem Kloster fahren sollte, geschirrt. Der biegsame Leib der schönen Gestalt, schwankte von ihrem Manne umschlungen, im Sturm des Abschieds. Zwei Ströme flossen von ihren Wangen – zwei Wochen waren erst und wie auf Rosen verflossen, seit Constanz der Ihrige war. – Mit gemischten Empfindungen ritt der Administrator neben der Chaise her, darin die noch weinende junge Frau saß. Er warf zuweilen einen mitleidigen Blick auf Theresen; die Jugend dieser Ehe rührte ihn, ihre gegenwärtige Trennung und der Zukunft ungewisses Loos. Nebenbei gedachte er und eben nicht leichten Herzens an die nächste Stunde – und hätte gern ein wenig älter seyn mögen.

Frau Fabia hatte heute nicht den guten oder schönen Tag ihres Geschlechts. Eine Nachtigall, welche sie sehr liebte, und die in einem dunkeln Thurmhäuschen wohnte, das, nicht unähnlich einer kleinen Kirche, an ihrem Fenster empor hing, war an diesem Morgen ihrer Haft entschlüpft. Das arme kleine Nönnchen sang die Hora der Nacht und Natur im vergitterten Chor ihres Kerkers so himmlisch klagend, als seufze der Engel der Melodie aus dieser befiederten Brust. Josephine hörte es mit süßem Erbarmen. Frau Fabia aber, die sich selbst zu den Gefangenen Zion zählte, hatte nicht Lust, die klösterliche Philomele zu Gunsten irrdischer Liebe in Freiheit zu setzen. Nun war sie entflohen, und auf dem Mädchen ruhte ein scharfer Verdacht, daß es mit lindem Urtheil, wie diesem kleinen Gottesgeschöpf himmelschreiendes Unrecht geschähe, seine Erlöserinn geworden wäre. – Es gab einen Lärmen der Entdeckung, und Josephine, die sich nie gegen einen Vorwurf vertheidigte, schwieg auch diesmal, und die Schuld blieb auf ihr haften, so wie auf Fabien der Mißmuth über diesen Verlust, geschärft durch ein zweifelhaftes Gefühl der Versündigung an dem lieben Kinde. Dieser Stimmung sich erinnernd, hätte der Administrator gewünscht, seine Schwägerinn vorbereiten zu können – aber da stand Fabia ganz gegen ihre Gewohnheit schon an der Thür, und ihr Gesicht – eine totale Sonnenfinsterniß – warf keinen Schein festlicher Empfängniß nach dem anrollenden Wagen. Dem Reiter ward es schwarz vor den Augen. Er sprang vom Pferde, der jungen Dame beizustehen, welche den schönsten Fuß, der jemals über diese Erde gegangen, hell und seiden beschuht, auf den schmutzigen Tritt der Postchaise setzte. Theresen an seiner Hand, trat der Administrator vor die Domina seiner Häuslichkeit und sprach: »liebe Fabia! ich bringe Dir hier eine werthe Verwandte, die Frau meines Bruders Constanz, und also Deine Schwägerinn, so wie Du mir. Lasse die gute Therese Dir herzlich empfohlen seyn, da sie einige Zeit bei uns verweilen wird.«

Frau Fabia brachte mühsam ein fremdes Lächeln der Bewillkommung auf; der Administrator war desto freundlicher. Die eisige Kälte dieses Empfangs versetzte ihn durch die natürlichste Gegenwirkung in einen Wärmegrad, der unter allen Launen dieser christlichen Juno dem Quecksilber der zweiten Schwägerinn Stand und Stange hielt. – Am Abend spät versuchte der Stiftsverweser jenes üblen Eindrucks Herr zu werden. Er sagte daher in einem Tone, der scherzhaft seyn sollte, aber doch anzüglich war: »nun Fabia! Du warst heute absonderlich schweigsam – Du bist es noch. Ist es Verdruß, daß Dir das Vögelchen entgangen? o gönne ihm die Freiheit, das edelste Gut! oder zürnst Du, daß ich Dir ein anderes eingebracht? –«

»Wenn Dich nur nicht selbst ein loser Vogel etwa angeführt hätte –« antwortete Fabia mit furchtbarem Ernste, »woher weißt Du denn, daß jener Constanz Dein Bruder war? und diese Therese wirklich seine Frau?«

»Großer Gott!« rief ihr Schwager, »welch ein Gedanke! woher ich es weiß? dieselbe Stimme hat es mir versichert, die mir sagte, daß Dein seliger Mann mein Bruder sey, und mir Bürgschaft leistete für die Wahrheit seiner Aussage. Es giebt eine innerste Gewähr dafür, Fabia!«

»Nicht jeder Stimme muß man glauben –« erwiederte Fabia, indem sie sich entfärbte, und unwissend, daß sie eine classische Stelle recitire, »der Lügengeist kann alle nachahmen. – Und wäre denn solch ein Betrug etwa unerhört? könnte jener junge Mann nicht ein Abenteurer gewesen seyn, der seine sogenannte Frau gern los seyn wollen? – Wie manches Kind –« Fabia stockte, immer mehr verblassend – »wie manches Kind, wollte ich sagen – ist durch höllische Spiegelfechterei arglosen Menschen als eine lebenslängliche Last aufgebürdet worden? Denke nur an mich! wir werden die Dame sobald nicht wieder los werden, und jedes fremde Einschreiten sollte wohl bedacht seyn. –«

Herr Prälat sah seine Schwägerinn mit leiser Beängstigung an; es war, als ob ein dunkler Schatten von Furcht an ihm vorüberschwände. »Fabia!« entgegnete er um so heftiger, als er sich von ihrem Tone ergriffen fühlte, »welch ein Geist des Mißtrauens und übler Weissagung ist heute in Dich gefahren? Du wärest im Stande, mich zweifelhaft zu machen, Wer ich selber sey. – Dein Betragen war nicht schwesterlich, auch nicht gegen mich. Du bewirthetest die arme Therese, an deren Stelle mir der Appetit zu diesem Auffenthalt vergangen wäre, mit kurzen Redensarten, einer sauersüßen Sauce, wie man sie zu einem Kalbskopf giebt, für den Du mich hältst. – Was meinst Du denn, das ich hätte thun sollen? dem Bruder etwa meine Hand weigern, da er mir die seinige zum erstenmale entgegen reichte? seine Bitte abweisen, oder warten, bis er mir den Taufschein zeigen könne? – Fabia! Fabia! Gastfreundschaft ist eine Blume der Humanität, welche auch von Horden und Heiden gepflegt wird. Jüngst las ich – und es hat mich innigst gerührt – in den ungeheuern Flächen Nubiens sind kleine Zelte gesteckt, darunter die Einwohner des nächsten Ortes ein Gefäß mit Wasser füllen, daß die Reisenden nicht verschmachten dürfen im heißen Sande – und dieser Gebrauch wird heilig gehalten von jenen Negern. Sollte denn die goldne Kuppel des Klosters, was man ein Gotteshaus nannte, einem matten Blick der das Nächste nicht absieht, nur ein Blendwerk seyn, und weniger probehaltig, als das Dach von geflochtenem Bast, womit der Wind der Wüste spielt? – Du sprichst den Ruhm einer guten Christinn an – besinne Dich, wie oft die Apostel die geheiligte Pflicht einer gastfreien Aufnahme den Bekennern ihrer Lehre empfehlen. Herberget gerne! Seid gastfrei ohne Murren – doch Du kennst die Vorschriften der Bibel besser, als ich. So gleiche denn der Wittwe von Sarepta, deren gesegneter Oelkrug nie erschöpft wird. Sey gelinde, Fabia! doch gieße nicht Oel ins Feuer. Du schlägst mir die Hoffnung nieder, daß Therese eine Schwester an Dir finden würde – doch schlägst Du mich damit nur zu ihrem Ritter, und zwingst mich, sie gegen Dich zu vertheidigen.«

Diese letzteren Worte ihres Schwagers wirkten am schlagendsten auf die Zweiflerinn. Sie hoffte, der Bruder ihres Mannes, auf den Frau Fabia ein mütterlich-eifersüchtiges Auge hatte, werde sich in der Anfechtung behaupten – und der Friede ward zwischen ihnen geschlossen.– Dieser erste Abend gab den Ton an, der sich während der Anwesenheit Theresens im Stifte nie in Harmonie auflös'te. Unsere Leser finden ihn in der Dissonanz, womit die Geschichte dieses Buches anhebt. Seltsam war es jedoch, daß die Vorhersagung der Frau Fabia sich als richtig bewährte, es ist traurig – aber es ist in Wahrheit, daß der Erfolg das Mißtrauen öfterer rechtfertiget, als die Zuversicht. Constanz schrieb nach langer Zeit – es mußten Briefe verloren gegangen seyn – aus weiter Ferne. Er war dem Interesse des Gesandten verkettet, und konnte die Fessel nicht sprengen; doch vertröstete er sich und sie wie ein Liebender. So hatte zweimal schon die Laube der Posthalterei zu Leidthal geblüht, und Therese, die sich behaglich in Sanct Capella eingerichtet hatte, und deren Sinn in harmloser Lebensphilosophie der Gegenwart angehörte, dachte je länger, je leiser an jenen Tag des Abschieds. Nur in bösen Stunden wünschte ein banges Gedenken ihres Mannes ihn zurück, und ein Gefühl, daß sie hier nur gelitten sey, und deshalb leide – kam über sie. Therese hatte mehr ein Gemüth für die heitere Lust des Lebens, die jeden Augenblick genießt, als für der Liebe tiefe Sehnsucht. Das letztere Schreiben hatte eine nahe Rückkehr hoffen lassen, die nur noch von einigen Ausgleichungen abhänge. Seitdem aber bestätigte kein Weiteres diesen Abschluß und daß auf seine baldige Ankunft zu rechnen wäre. Dies Alles hatte, in eine präcise Mittheilung gedrängt, der Administrator, dem wir vielleicht die schweigende Kürze der Erzählung ablernen mögten – dem Major Feldmeister vertraut. Und dieser erwiederte jetzt: »ich sehe wohl, Freund! Sie konnten füglich nicht anders – Sie können weder dafür, noch etwas ändern, obzwar, ich behaupte es redlich, solch ein Zusammenleben nichts taugt. Verlangen soll es mich aber doch, ob der Herr Bruder kommen wird? ad vocem! kommen! es kommt noch Jemand, Freundchen! mit Ihrer Genehmigung, versteht sich. Diesen Morgen schon wollte ich es Ihnen sagen; aber die lieben Schwägerinnen hatten mich in Mitleidenschaft ganz confus gemacht, und das Bein hier hat mir das Gedächtniß abwärts gezogen.« –

Der Major fuhr mit der Hand sacht an dem gichtischem Knöchel nieder, streichelte den Faust und hob an: »es giebt eine Sympathie der Erfahrung. Gestern früh erhalte ich ein Billet vom Obrist Milch; ein Name für ein Wochenkind, und nicht für einen Soldaten, nicht wahr? dieser mein alter Freund sollte Feuer heißen, denn er hat den Teufel der Bravour im Leibe. Also: er thut mir schriftlich seinen Wunsch kund und zu wissen, mich in der Posthalterei in Leidthal zu sprechen, da die Zeit ihm nicht erlaube, den Umweg über Sanct Capella zu nehmen. Er kam mit seiner Frau von D–. und hatte den Reitknecht von der letzten Station aus zum Behuf der Eile voraus gesandt. Ich machte mich alsbald auf. Die Obristinn saß, weil es draußen so hübsch und drinnen dunstig heiß war, in derselben Laube, und, ich wollte wetten, nicht einen Zollbreit weiter auf der Bank, als Therese. Ihr Gesicht war hochroth von der Herbstluft, der Obrist aber fror ein wenig, und trank ein Glas Wein; die offne Flasche stand auf dem Tische. Wir waren die Alten. Der Obrist scherzte über die Glut seiner Frau, und sagte, sie hätte meinetwegen wie auf Kohlen gesessen. Du könntest von uns sagen, setzte er hinzu, wir sähen aus wie Milch und Blut – das giebt ein zartes Bouquet, Du darfst es nur binden. Und dabei umarmte er mich derb und herzlich. Er ist so dick geworden, daß man ihn wie ein Faß binden mögte – taugt nichts, solche Corpulenz. Unterdessen verduftet dies Bouquet hier – antwortete ich, und steckte den Stöpsel in die Flasche. Du bist recht hübsch geworden in der Carthause, spöttelte der Dicke, das wird deinem Neffen drollig vorkommen. Er empfiehlt sich, und will Winterquartier bei Dir machen. Ist der Junge toll? platzte ich heraus; doch es wird wohl nur Dein Spaß seyn. Die Obristin lachte wie Dame Kobold. Nein, nein! versicherte ihr Mann, es ist dem Lieutenant voller Ernst damit, und daß Du es nur weißt, er will einer hoffnungslosen Leidenschaft entfliehen. Der Obrist machte eine seriöse Miene. Ich gerieth in Harnisch und sprach: das wäre mir gemüthlich, daß ich ihm Zuflucht gäbe vor einer dummen Liebschaft, die nichts taugt. – Er hat sich um einer Dame willen geschossen – entgegnete mir Jener kleinlaut: gönne ihm daher die Hospitalität Deines Klosters, daß er in dieser Abgeschiedenheit Ruhe habe, und an Seel und Leib genese. – Mögte Einem nicht gleich der Schlag vor Aerger rühren! rief ich entrüstet, und der Schrecken war mir wirklich in alle Glieder geschlagen; ich hielt den Rudolph für vernünftig. Erzürne mir den Major nicht – sagte die Obristinn begütigend, und erzählte mir nun eine närrische Historie, die den Lieutnant forttreibt und Ursach seyn wird, daß er um Versetzung anhält. In seiner Garnison lebt eine alte adelige Dame von wunderlicher Art. Ihre Wohnung ist ein Antiquitäten-Cabinet, sie selbst geht schlumpig einher, und stets wie ein Kinderspott der Redoute. Man hält sie für reich, doch auch für geizig, denn außer der Fliege, der sie das Leben schenkt, kann sich kein lebendes Wesen einer Gabe von ihr rühmen. Ihr Anblick muß etwas Unheimliches haben. Wer sie sieht, weicht ihr aus –, die Fee Fanferlüsche, diesen Namen führt sie. Und doch ist dies verrufene Mütterchen ein alter Ueberall. Vor Kurzem ist zu Ehren einer städtischen Feier großer Ball, und alle Honoratioren sind geladen. Alles ist im höchsten Glanz, die Damen im allerschönsten Putz sitzen wie am Faden gereiht. Da tritt jene Alte in den erleuchteten Saal, wie eine gespenstische Mode des vorigen Jahrhunderts – sagte die Obristin. Es entsteht ein Aufsehen, die kleine Gnädige kommt ins Gedränge, wird abseits geschoben und verliert einen Schuh. Doch was für einen? Frau von Milch hatte die Güte mir das corpus delicti zu beschreiben. Ein Pantöffelchen von geblümten Silbermoor, mit einer Schleife vorn von gesponnenem Glase. Ist es nicht, sagen Sie Freund, als ob man in der blauen Bibliothek aller Nationen läse?« Der Administrator nickte lächelnd. »Ein allgemeines Gelächter!« fuhr Major Feldmeister fort, »die Offiziere zerren den Schuh hin und her – da schwankt die Alte, wird bleich wie Asche, als würde sie auf der Stelle zusammensinken. Mein Neffe – ein braver Junge ist der Rudolph doch! stürzt wie ein Satan herbei, spricht davon, wie wenig Ehre dabei sey, eine kindische Matrone bloßzustellen – reißt den Pantoffel von der Säbelspitze, womit ein Jäger-Offizier ihn aufgespießt hat, hebt die Alte in einen Sessel, und zieht ihr vor vielen hundert Augen ihren Schuh wieder an.« Der Major athmete tief.

»Dies ist ein hübscher Zug vom Lieutenant Feldmeister,« fiel hier der Freund seines Oheims ein, »der mir sehr gefällt. Es gehört meines Bedünkens ein größerer Muth dazu, diesen kleinen Pantoffel zu fangen, als einen feindlichen General; und es mag dem braven Artilleristen leichter geworden seyn, sich einer tüchtigen Salve auszusetzen, als dem Arsenal des Spottes. Das Gefühl, was einen jungen Mann seines Gepräges gegen die Schmach einer schutzlosen alten Frau bewehrt, ist wahrhaft gloriös.«

»Das meine ich auch –« sagte der Major, und seine Augen funkelten. »Mein Neffe,« fuhr er fort, »war der Held des Abends, tanzte aber keinen Schritt. Jener Offizier hatte sich für beleidigt gehalten, und den Rudolph auf Pistolen gefordert. Er ward in die Achsel verwundet, aber nicht schwer. Sein Gegner kam auch nicht ungehuscht davon. Man witzelte leise: des Lieutnants Dame hätte einen Schuß, und er nun auch einen; doch Niemand wagte mehr ein lautes Wort an ihn; denn wie verträglich der Junge auch ist, er hätte sich mit dem ganzen Offiziercorps gerauft. Die gnädige Alte rauft sich die eisgrauen Haare aus, als sie erfährt, der junge Mann hätte ihretwegen mit blauen Bohnen gespielt. Die Geschichte machte Furore. Wie nun der arme Rudolph des Abends allein liegt, meint er, das Wundfieber stelle sich ein, und glaubt ein Phantom zu sehen. Vor seinem Bette bewegt sich ein Quantli, die Kammerfrau der Dame Fanferlüsche, klein und krüppelhaft wie ein verdorrter Zwergbaum. Sie sagt: wie es der Gnädigen doch so jämmerlich leid thue, daß der Herr Lieutnant sich Unannehmlichkeiten zugezogen hätten. Sie bitte ihn durch den Mund ihrer Dienerinn, seines jungen Lebens zu schonen, und beifolgende Kleinigkeiten zur Linderung seiner Schmerzen von ihr anzunehmen. Dabei packt sie aus. Binden, fein wie Battist, Charpie, Eingemachtes in Tassen, vom Superlativ einer Porzellain-Fabrik, wie sie der Kaiser von China von seinem Ahnherrn geerbt haben mag, Tamarinden zum Beispiel, deren eingesottner Zucker versteinert war, und die, wie mir die Obristin sagte, eine wirksame Kraft haben sollen, das Fieber zu vertreiben. Zugleich schickt sich die uralte Zofe an, meinen Neffen zu pflegen und die Nacht über bei ihm zu bleiben, und thut wie zu Hause. Darüber wird nun der Rudolph beinahe grob. Er sagt, sein Bursche halte Wacht bei ihm und auf Ordnung: so bedürfe er Niemandes. Nichtsdestoweniger bleibt die Servante freundlich und höflich, und kommt von nun an alle Morgen, die Gott der Herr giebt, um sich nach dem Befinden meines Neffen zu erkundigen, und immer bringt sie etwas zugeschleppt, eine Nachtlampe sogar, einen kleinen Fußteppich vor das Bett, damit er nicht hart auftrete, und hundert Kleinigkeiten, auf die ein Garçon nichts giebt. Der Regiments-Chirurgus sieht es, lächelt und schweigt – und dieses Lächeln schneidet dem Patienten tiefer ein, als sein wundärztliches Messer. Einmal nur sagt Jener: Sie scheinen die Wunderlampe überkommen zu haben, die dem Aladin verloren ging – nehmen Sie nur Ihr Glück besser in Acht – lieber Feldmeister. Aber dem Rudolph ist der Gedanke unerträglich, daß auf der Kugel, auf die er sein Leben gesetzt, solch eine gräuliche Fortuna stände. – Und als nun die Geschäftsträgerinn kommt, und ihm, Namens ihrer Dame, ein schönes Logis im Hause derselben anbietet, auf daß die Gnädige ihm ihre Dankbarkeit nahe und anders noch beweisen könne – da schüttelt er sich, und dies überhäufte Vergelten eines kleinen Dienstes, den er am liebsten vergessen mögte, wird ihm über allen Ausdruck widrig. So trägt der arme Junge, dem es in seinen Verhältnissen so wohl gefiel, darauf an, daß er versetzt werde, und einstweilen will er hierher kommen. Was meinen Sie nun dazu?«

»Ich kann es dem Lieutnant Feldmeister nicht verdenken –« antwortete der Administrator, »und würde in seinem Falle vielleicht eben so denken und handeln. Diese Erfahrung liefert wieder einen Beweis, daß man Jemand durch die stärkste Nothhülfe nicht halb so sehr verpflichtet, als wenn man ihn einer kleinen Verlegenheit überhebt. Und dann auch, daß die Ritterlichkeit im Benehmen eines Mannes das Geheimniß jedes Sieges über eine Dame enthält, sie möge nun eine Methusala an Jahren, und so geizig und hartnäckig seyn, wie sie nur wolle. Solcher Courtoisie widersteht Keine. –«

»Der Rudolph würde,« sprach der Major, »dem Verdacht der Erbschleicherei, dem niedrigsten, der auf einem ehrenwerthen Menschen haften kann – auf keine Weise entgangen seyn. So ist es gut, daß er Reißaus nimmt. Diese Retirade lasse ich mir gefallen. Sie haben als Vorstand unseres Invaliden-Hauses also nichts dawider, daß der wackere Junge für einige Monate meine Wohnung theile? –«

»Es wird für ein apartes Zimmer gesorgt werden,« sagte Herr Prälat, »und daß ihr Neffe sich hier so gemächlich als möglich fühle. Ist doch Raum bei uns da – wie im Himmel; und sollten wir alle Diejenigen aufnehmen, welche ihrem Vortheile entfliehen, so würden wir noch Gelaß übrig behalten.«

Des Majors Gesicht verklärte sich. Er blickte in helle Abende und sprach: »Wir spielen das l'Hombre alsdann mit dem Moor – der Moorhausen scheint mir in Eine Ihrer Schwägerinnen verliebt, denn er quält mich beständig, ihm Entree bei den Damen zu verschaffen. Nun – mit Dem hat es keine Gefahr. Aber – Hm! wird auch der Rudolph Unheil anrichten im Stifte? Frau Therese ist ein entzündbarer Stoff, und die Kleine wahrhaftig hübsch genug.«

»Die bewacht Fabia –« versetzte der Administrator mit trüber Ruhe.

»Was das betrifft –« entgegnete der Major, »meine Frau sang ein altes Lied, was ich immer gern hörte; es hatte einen Refrain: denn wenn ich nicht selbst mein Herz bewache, o so hilft kein Argus und kein Drache. Mit allem Estime gegen die Frau Schwägerinn gesprochen. Josephine ist ein stilles Wässerchen –«

»Und tief!« fiel Herr Prälat ein, »aber im reinsten und höchsten Sinne. Sie gleicht einem jener lichtentfloßenen Ströme, die Swedenborg entzückten Geistes fließen sah.«

Der Major sah seinen Freund nachdenklich an und sprach: »auch wünsche ich von Herzen, daß dies Bächlein in das Bette eines Flußgottes geleitet werden möge, der es nie in Thränen fließen läßt, sie müßten denn vor Freude geweint seyn. –« Jener schwieg.

Einige Wochen waren seitdem den Bewohnern von Sanct Capella gleichförmig vergangen. Jetzt war der Christmonat da, und mit ihm jene winterheimliche Stille, selbst in der Natur, wie sie um das heilige Dunkel dieser Zeit webt, die häuslichen Verbindungen enger schlingt, und die kleinen Geheimnisse der Freude und Liebe an das große Geheimniß der Weltbeseligung knüpft. Die Frauen beschäftigten sich einsam, vergnügliche Ueberraschungen zu bereiten, sogar Schwester Veronica fertigte einige klosterkünstliche Gaben in verschlossener Zelle an, zu Weihnachtsgeschenken für ihre Freunde. Dessenungeachtet fehlte es an geselligem Verkehr nicht, und mancher lichterfreundliche Abend ward traulich plaudernd, hier oder da, hingebracht. Bei dem Gerichtshalter Gottschalk – einer liberalen Familie, welcher, wie unsere Leser sich erinnern wollen, zu Anfange dieser Erzählung erwähnt wird – und der nicht im Kloster, sondern in einem dazu gehörigen Gebäude wohnte, waren die Staabsoffiziere von Sanct Capella freundlich aufgenommen, und auch Fremde öfters da zu finden. Therese gefiel sich sehr dort. Ihr Schwager hingegen nahm selten Theil an diesen muntern Zusammenkünften, und Frau Fabia gar nicht. Der Administrator hatte es aus Neigung wie mit Absicht vermieden, um vornehmlich Fabiens strengen stillen Geist nicht zu beleidigen, sein Wohnzimmer zu einer militairischen Ressource zu machen. Major Feldmeister gehörte nicht in jene ausschließende Regel; doch dachte er zart genug, um nur bescheidenen Gebrauch von einem Gunstrecht zu machen, das ihm zu jeder Zeit und Stunde den Eintritt in den weiblichen Hauskreis seines Freundes gestattete. So geschah es auch nur ausnahmsweise, wenn Einer oder der Andere der Offiziere ihn dahin begleitete. Das l'Hombre, wovon der Major redete, ward zumeist auf seinem Zimmer gespielt, und Hauptmann Moorhausen, ein Mann von lebhafter Phantasie und kühner Darstellungsgabe, war der Dritte von dieser Parthie. Deshalb stand der Letztere zu dem Stiftsverweser in etwas näherer Beziehung als die Uebrigen. Auch fühlte Herr Prälat, oft abgespannt und ermüdet von Geschäften, es als eine gesunde Wohlthat, daß sein Zwergfell erschüttert werde. Man hatte jeden Gedanken an eine kleine gesellschaftliche Ueberraschung zu dem Geburtstage des Administrators fallen lassen. Von jenem Streit an, der die Schwägerinnen entzweite, schien die Stimmung der beiden Frauen ausgewechselt zu seyn. Fabia gab sich alles Ernstes Mühe, Theresen den kleinen Vorfall vergessen zu machen, und sich ihr freundlich zu erweisen; so wie Therese ihrerseits sich hütete, Fabien zu nahe zu treten. Wenn nun jedes Wohlwollen heiterer macht und auch liebenswürdiger, so gewann Frau Fabia am meisten bei diesem Bestreben, auch in den Augen ihres Schwagers, da hingegen Therese durch leisen Bedacht eines ihres natürlichsten Reizes beraubt ward, jener Hingebung an die Freude, an das Vertrauen, daß alle Menschen von ihrer guten Gesinnung überzeugt seyn müßten, weshalb sie sich denn auch ganz unbefangen gehen ließ. Jetzt war sie in sich gekehrt, eine sehnende Stille hatte dies regsame Wesen beschwichtiget. Sie sprach davon, wie ihr eine innere Stimme sage: Constanz werde nun nächstens kommen, und nur den Wunsch damit aus, daß es geschehe. So oft ein Wagen vor das Kloster rollte, fuhr Therese mit der Hand nach dem Herzen, weil es hochauf klopfte – und dem Munde des Majors entfuhr gleichzeitig ein gelinder Fluch, wo der Rudolph nur bleiben möge? denn Zögern und Zaudern, meinte sein Oheim –, dies tauge nichts. –

Schwester Veronica beschenkte den Administrator zu seinem Wiegenfeste mit einer Rose, die sie mit unsäglicher Sorgfalt für ihn gezogen hatte. Als er sich in das Anschauen der Blume versenkte, wehete ihn ein Hauch aller Frühlinge an, die er gelebt, ein Auferstehungs-Athem gestorbener Freuden – und er äußerte, wie es doch nur möglich gewesen, dem starren Winter dies weiche zarte Leben zu entlocken? –

Schwester Veronica lächelte und sprach: »der Liebe und Freundschaft ist alles möglich; und ein warmes Herz ist ein gutes Treibhaus für die Blumen jeder Zeit. Diese Rose ist gekommen, wie ich es wünschte, auch das Knöspchen daran war mir lieb. – Heute, gerade heute, hatte sie ihren Kelch erschlossen, es rührte mich, da ich es sah – wie man die Brust öffnet einem frohen Tage: trinken Sie den göttlichen Odem der Freude daraus!«

Der Administrator drückte gerührt die Hand der alten Nonne und dankte ihr; ein stilles Bedauern ging durch seine Seele, daß diese treue Hand nur Rosenkränze von schwarzen Perlen umschlungen hätten.

Schwester Veronica hatte auf dringendes Bitten versprechen müssen, den Abend bei ihren Freunden zuzubringen. Auch Major Feldmeister und Hauptmann Moorhausen waren eingeladen. Josephine deckte den großen runden Tisch; der Wirth desselben brauete eine Bowle. Therese kleidete sich an, die Männer zu berauschen, Fabia schaltete in der Küche. Er sah das Mädchen geräuschlos hin und her weben; alle Bewegungen Josephinens waren leise und harmonisch wie ihr Sprachton, so daß, als sie aus einem Körbchen Gläser und Teller nahm, und achtsam niedersetzte, nur ein sanftes Klingen, doch kein Klirren, das, was sie that, verrieth. Herr Prälat verlangte die Citronenpresse, Josephine reichte sie ihm. Er forderte darauf ein Messer, und nahm es aus ihrer Hand. Er sah mit heißem Blick in die schönen Augen des lieben Kindes, der Gedanke an den reinen Himmel, der darin schimmerte, war diesem Blicke nicht fern. Und er sprach: »weißt Du wohl, was Abraham a Sancta Clara sagt? Ein Mädchen soll seyn wie eine Citrone, und auch nicht wie eine Citrone, es soll einen Stern im Herzen tragen, und doch Niemandem das Leben sauer machen. Das thust Du nicht, mein süßes Kind! Du bist biegsam – voll Kern – ein Zuckerrohr –« der Administrator warf im Verhältniß zu diesem Lobe ein blitzendes Randstück feinster Raffinade in die starke Mischung. Josephine lächelte, als hätte sie den Geist derselben oben weg geschöpft getrunken. Sie antwortete: »ach Onkel! dieses Urtheil giebt nur die Güte ab. Die Mutter klagt doch manchmal über mich! und tadelt mein träumerisches Wesen; so sagt sie oft, ich ginge so zerstreut umher, als wisse ich vom hellen Tage nichts, und könne nicht bis auf Drei zählen.«

Herr Prälat hatte, während Josephine diese Worte sprach, einen Löffel vom Eßtisch gelangt, ein schwarzes Pünktchen, was in der goldenen Fläche schwamm, damit zu fischen. Sein Auge umzirkelte im Nu die gastliche Tafelrunde, und er antwortete im Tone schmeichelhafter Mißbilligung: »da thut sie Dir nicht Unrecht, meine Kleine. Du hast acht Couverts gelegt. Wie viel sind Unserer? auf Sieben wenigstens kannst Du nicht zählen. Doch das ist auch eine böse Zahl, – dieser Irrthum, diese Achte geht in der Achtung Deiner lieben Seele für das Gute auf.«

Josephine erröthete und nahm das Gedeck hinweg. Sie erwiederte: »es wird ein Gast kommen, auf den wir nicht gerechnet haben. So oft ich einen Stuhl zu viel setzte, geschah es.«

»Nun, so möge es denn Constanz seyn –« sagte sein Bruder, »denn es will mich bedünken, als sehne Therese sich nun fort.«

Eben trat sie ein. Auch die Andern kamen. Man aß, trank, und war vergnügt. Auf einmal stieß Therese einen hellen Schrei aus, und fuhr mit der Hand nach dem Munde. Alle schrieen erschrocken auf, so daß auch Faust mit Geheul empor sprang. Sie hatte sich an einem Rebhühnerbeinchen die Spitze eines Seitenzahns ausgebissen, und zeigte mit weinender Wehklage den kaum sichtbaren Makel und das abgesprengte Stückchen Emaille. Man tröstete und spöttelte wirr durch einander; aber Therese lamentirte dessenungeachtet, als wäre ihr eine unersetzliche Perle aus der Krone des Lebens gebrochen. »Man bemerkt es gar nicht, ich schwöre es Dir!« betheuerte ihr Schwager, als Therese gestand, ihr zitterten alle Glieder. »Es ist ein hübsches Zähnchen und mehr nicht,« sagte der Major, »lassen Sie es geknikst seyn. Wie wollten Sie thun, wenn Ihnen das Herz bricht? – Um das Bischen Glasur so zu verzweifeln! das Zerbrechliche allzusehr lieben –, taugt nichts.«

Und die Nonne versicherte in einer Theilnahme, welche allein in der Stimme des Trostes sprach, Therese wäre ja noch schön genug.

»Beruhigen Sie Sich, meine Gnädigste,« sagte Hauptmann Moorhausen, »ich wünsche, ich könnte Ihnen Ersatz geben, auf Ehre! und mithin ein wenig von meiner Constitution. Das Naturell meiner Landsleute ist so vegetativ, daß es gar nichts Seltenes ist, wenn gesunde Personen drei bis viermal Zähne bekommen. Wie Sie mich hier sehen, sind das meine fünften.«

Er fletschte das Gebiß, dies gab seiner Physiognomie einen so affenartigen Ausdruck, daß die Damen anstatt zu bewundern, sich davor entsetzten. Theresens Thränen standen still. Der Major rief: »Sechser, Moorhausen, Sechser!« Der Hauptmann stutzte einen Augenblick, ließ sich aber, einmal im Zuge, nicht stören und sprach: »ich bin überhaupt mit einer gewissen Unzerstörbarkeit geboren. Als die Schlacht bei *** vorüber war –« »nun sind wir geschlagen –« murmelte der Major seinem Nachbar zu, »er rückt ins Feld –« »wir hatten den ganzen Tag hindurch gemetzelt –« die Nonne faltete die frommen Hände, und über Josephinens Gesicht lief ein banger Schatten, das gute Kind vergaß, daß jene erschlagenen Feinde auch nur Schatten wären –, »fühlte ich mich der Ruhe bedürftig. Man wird vom Todtmachen zuletzt mit todt;« redete der Hauptmann weiter. »Ein Stündchen nur hätte ich schlafen mögen; ich streckte mich auf einen ländlichen Kirchhof hin, und dachte, ich hätte brav gethan, und könnte mir nunmehr auch eine Güte thun. Das Schießen dauerte fort – ich hörte es dumpf im Traume. Als ich am folgenden Morgen erwachte, meinte ich, der jüngste Tag wäre gekommen. Zerstreute Glieder lagen um mich her, hier war eine Granate zerplatzt, dorthin eine Bombe geflogen: in meiner offnen Hand hatte sich eine kleine Kugel gefangen, und nur einen rothen Fleck nachgelassen.«

»Das war doch Münze, Alterchen?« rief der Major.

»Wie meinst Du das, Herr Bruder?« fragte der Hauptmann verblüfft, »glaubst Du vielleicht, ich flunkere? auf meine Ehre! die Kugel war noch lau

»Jeder Achill hat seine Ferse –« fiel hier der Administrator ein, dem diese Versicherung zu warm war, und der da wußte, daß der Major auch hitzig werden konnte, »der Ihrigen, Herr Hauptmann, verdanken wir das Glück, Sie zu besitzen.«

Der martialische Moorhausen, seiner unempfindlichen Natur getreu, beachtete den empfangenen Stich nicht. Durch einen geschickten Wurf schleuderte der Major den tapfern Hauptmann vom Champ de Bataille auf den Boden seiner Heimath, dessen ungemeine Ergiebigkeit ein Lieblingsthema seiner Rede war. Er sprach: »die Seeluft Eurer Provinz stärkt die Natur dort so riesenhaft – ist's nicht so, Moorhausen? was Du mir davon erzählt, ist wirklich zum Erstaunen.«

Der Hauptmann lächelte wie ein schaffender Gott. »Ueberall hervorbringende und ergänzende Kraft –« sagte er, unendlich glücklich. »Nach einem fruchtbaren Gewitterregen war in einer Nacht auf meinem Gute das Getreide um ein und eine halbe Elle gewachsen – auf Ehre!«

»Das wissen sich die ältesten Leute keiner Zone zu erinnern –« sprach der Administrator mit duldsamer Ironie, und der Major konnte sich nicht enthalten, zu bemerken: »wenn das in der Progression so fortgegangen wäre, so hätten die Engel im Himmel die Früchte Deines Feldes einsammeln können, während die Bauern das Korn an der Wurzel schneiden dürfen.« Alle lachten.

Dieser beispiellos gesegnete Gutsherr fühlte, ungekränkt, auf welche Weise er zu einem erheiternden Mittel für die Gesellschaft würde. Angeregt durch ihren Beifall fuhr er fort: »ein andermal hätte der Schaden eben so groß seyn können. Bei einem ungeheuern Sturme entstand ein gläsernes Krachen in der Luft – als wenn die Giganten Zank bekommen hätten, und sich Gletscher an den Kopf würfen. Es hatte geschloßt – die Felder lagen voll Eisklumpen, wovon der kleinste im Unfang dieser crystallnen Butterglocke war. Ich ließ das Eis auf Wagen an das Seeufer schaffen. Alles, was Hände hatte, mußte dran; es war eine Lustparthie, wie in den Gefilden von Nova-Zembla. Ein armer Mensch erfror sich die rechte Hand dabei, sie mußte abgenommen werden, und er erhält noch jetzt eine kleine Pension von mir. Und grade in diesem Jahre war es, wo mein Weizen schöner blühete als je! – Ich stand mit Resignation an jener Eiswüste, und dachte es nicht. Die Sonne schien wie in einen zersprungenen Weltspiegel, ich trug eine Augenentzündung davon.«

Die Damen schlugen die Augen nieder, der Major blinzelte, als sähe er selbst in Sonne und Eis – es herrschte eine große Stille, als wäre ein Engel durch das Zimmer geflogen, der Engel der Wahrheit aber war es nicht. – Hauptmann Moorhausen empfand dies Schweigen. Er wollte einen mildernden Schatten auf jene glänzende Weizenbreite fallen lassen, und sagte nach einer kleinen Pause: »es däuchte mir selbst ein Wunder. Von Mißwachs wissen wir in meiner Provinz gar nichts; doch eben so unbekannt – und das wird Ihnen nicht weniger unglaublich vorkommen – ist dort die Christfeier und das Osterfest. An eine Bescheerung denkt Niemand; weder vom heiligen Abend, noch vom heiligen Grabe, nimmt eine Seele Notiz. So erinnere ich mich, am Charfreitage auf einem brillanten Ball en masque gewesen zu seyn.«

»Heiliger Gott!« seufzte Fabia; ein mitleidiges Lächeln umspielte die Lippen der Nonne. Sie hielt den Hauptmann für verrückt.

Major Feldmeister hob seinen Blick an die Decke, und hielt sich die Seite. Selbst Therese vergaß ihre Betrübniß und sprach: »da machten Sie wohl den armen Schächer, Herr von Moorhausen? oder den Kriegsknecht mit der Lanze etwa? der Major bekommt schon Seitenstechen von diesem Gedanken – oder den Pilatus mit einem Täfelchen auf der Brust, worauf die Frage stand: was ist Wahrheit

Der kühne Moorhausen war doch vor sich selbst erschrocken, und vor dem Tone tiefster Indignation in Fabiens Ausruf. Dieser Seufzer zu Gott galt nicht der Verleugnung Christi, sondern dem Glauben an den Frevel der Lüge, den der Hauptmann ihnen zumuthete. Er fuhr auf, als empöre ihn der Gedanke, etwas Unrichtiges gesagt zu haben, »nicht am Charfreitage – wie ist mir denn? ich bitte tausendmal um Verzeihung! nein – da hatten wir einen andern Spaß – am Tage Charitas, den achten October, zum Anbeginn der Wintervergnügungen, war jene glänzende Redoute.«

Schwester Veronica athmete bei diesen Worten so erleichtert auf, als hätte ihr Jemand das Kreuz des Herrn von Brust und Schulter genommen, auf der sie es getragen – und Jener fuhr fort: »doch um noch einmal auf das Vorige zu kommen, Sie könnten leicht durch meine Schilderung einen falschen Vorbegriff von den Bewohnern meiner Heimath fassen. Denken Sie Sich nicht etwa ein Völkchen von barbarischen Sitten, Gott bewahre! es sind so charmante, humane Leute, selbst unter der gemeinen Classe – die Oefen im Schlosse – es fehlt an Töpfern in der Gegend, und an feinem Thon – hat mir ein Freimaurer gesetzt.«

Hier gab Herr Prälat, um Fabiens und der Nonne willen, dem Gespräch eine Wendung. Man gerieth in das Gebiet der Geheimnisse, und kam auf Träume, Ahnungen und dergleichen. Allen war dieser Stoff anziehend, Jedes gab seinen Beitrag.

»Es ist ein schöner Glaube,« sagte die Nonne, »daß es Geister giebt, die auf eine gottmögliche Weise dem blöden Auge des Menschen sichtbar werden können. Schutzengel giebt es gewiß; ich weiß ein Beispiel. Schwester Hedwigis, eine geistliche Jungfrau unseres Stiftes – sie ruhet längst – besucht als ein lebenslustiges Fräulein eine verwandte Familie. Sie liegt im ersten Schlafe, und fest, wie die Jugend schläft, nach einem ermüdenden Tage. Da hört sie sich bei ihrem Namen rufen, ängstlich und dringend. Sie wacht auf, und Niemand ist zu sehen. Kaum wieder eingeschlummert, wird dieselbe Stimme laut, und flehentlicher als zuvor: sie solle das Lager sogleich verlassen. Dem Fräulein kommt ein Grauen an; es springt aus dem Bett, und sieht bei hellem Mondschein eine lichte Gestalt die Urne des Ofens umklammern. Oft hat mir Hedwigis versichert, und ihrem Munde entging gewiß kein unwahres Wort – die Flügel dieser Erscheinung hätten geschimmert. Das Haus erbebt in einem fürchterlichen Getöse. Ein Theil der Decke, und der altfränkische Ofen war eingestürzt, und Hedwigis wäre im Schlafe erschlagen worden, wenn jene Stimme ihres Schutzgeistes sie nicht gerettet hätte. Man fand das Fräulein ohnmächtig im Nachtgewande auf den Stufen; alle Bewohner verließen, erschüttert von diesem Vorfall, das Haus, welches überhaupt schon baufällig gewesen seyn mag. Durch Hedwigis Seele bebte diese Erinnerung fort und fort. Sie dachte, daß der Himmel ihr Leben sichtbar beschützt hätte, und weihete es ihm.«

Josephinens Blick schimmerte auch, und hing noch an den Lippen der Nonne, als diese sich schon wieder geschlossen hatten, um einem Andern das Wort zu vergönnen.

»Auch ich wüßte eine merkwürdige Vorbedeutung zu erzählen –« sagte Frau Fabia mit tiefgesenkten Augen, denn sie schauten in die Geheimnisse der Gräber –, »die mich überzeugt, daß wir mit seligen Geistern, mit den Todten in naher Verbindung stehen. –« Aller Blicke richteten sich auf Fabia, kein Athem ward laut, und diese horchende Stille schien um die Mittheilung zu bitten. Sie begann leisen und langsamen Tones: »ich war noch im Hause meines Vaters, der auch Beamter des Grafen Frankenstern war, als der Justitiarius desselben starb. Er hinterließ schönes Vermögen, und eine einzige Tochter, den Abgott der Mutter, die noch lebte. Wir waren ein Herz und eine Seele, und wenn Minna einige Jahre mehr als ich zählte, und mir an Geistesbildung wie an Talenten überlegen war, so hatte ich häusliche Kenntnisse und den Starkmuth voraus, den eine christliche Erziehung mir gegeben, und war sonach dem Leben, wie es nun einmal ist, voll Angst und Mühe – besser als meine Freundinn gewachsen. Minna konnte sich nicht fassen, da ihr Vater der Welt Valet gab. Sie bedeckte seinen Leichnam mit Küssen und Thränen, wie sehr wir sie auch baten, ihm die Ruhe zu gönnen; denn es ist nicht gut, wenn man über einen Todten weint. Er nimmt dann heißen Schmerz mit in die kühle Erde – und geht vom Himmel aus, ihn zu stillen. – Meine Minna hatte sich einige Zeit vorher einem jungen Edelmanne verlobt, zwar mit Genehmigung der Eltern, aber der Vater sah diese Verbindung doch nicht ganz gern. Nicht, daß er etwas Wesentliches gegen den künftigen Eidam gehabt hätte, sondern, weil er aus mehr als einem Grunde ein Mißverhältniß darin fand. So war der Geliebte Minnas fast in gleichem Alter mit ihr, und noch abhängig von seiner Mutter, die ein kleines Rittergut besaß: dann konnte kaum ein Brautpaar, seinem Aeußern nach, so ungleich wie dieses seyn. Er, ein baumlanger Mensch, eine wahre Athleten-Gestalt; sie, ein zartes Heimchen, eine kleine Psyche, die ihm kaum bis an die Rocktasche reichte. – Ein Spötter sagte: Minnas künftiger Gatte werde seine junge Frau, wenn sie einst guter Hoffnung sey – in einem Kästchen mit sich auf Reisen nehmen können – wie in einem hübschen Mährchen zu lesen. – Wie nun das Testament des Justitiars eröffnet wird, findet sich, daß er als unumstößliche Bedingung der väterlichen Erbnahme den Punct gestellt hat, die Heirath der Tochter solle erst nach dem Ablauf dreier voller Jahre – er bestimmt sogar den Tag, denn dieser Vater war ein sehr determinirter Mann – vollzogen werden. Hieran war nun kein Jota zu ändern, und Alles wohl verclausulirt. Der Braut war dies Gebot ihres Vaters heilig; die Wittwe aber, die es nicht erwarten konnte, ihre Tochter als gnädige Frau zu sehen, war damit sehr unzufrieden. Sie hatte Respect vor ihrem Manne bei seinen Lebzeiten gehabt; seinen letzten Willen scheute sie weniger. – Eine Pietät, bei der dies in umgekehrtem Verhältniß Statt gefunden hätte, legte dieser Frau zarte Pflichten auf. Sie dachte, wie sie den Verstorbenen und selbst den Gehorsam seines Kindes überlisten könnte – und zog die Mutter des Bräutigams in ihr Interesse, der damals auf Reisen war. Was aber ein rechter Mann ist, meine Herren –« hier lächelte die ernste Fabia, und das männliche Kleeblatt lächelte mit, »der drückt auch mit der todten Hand einer widerspenstigen Frau den Daumen auf's Auge, und der Wittwe des Rechtsgelehrten lief eine schmerzliche Zähre heraus. – Ein Jahr fehlte noch zum Ablauf der festgesetzten Frist, da wollte nach einem schriftlichen Uebereinkommen zwischen beiden Müttern die Edelfrau ihrem Sohne das Gut übergeben, die Acte war schon fertig – und den Bräutigam heimlich zurückrufen – Minna und ihre Mutter dahin einladen, und dort sollten die jungen Leute am Geburtstage der Braut mit der Trauung überrascht, und gleichsam zu ihrem Glücke gezwungen werden. Alles war dazu vorbereitet. Nun hören Sie, was geschah! – Der Justitiarius hatte ein eigenes Haus auf dem gräflichen Gute, was seiner Frau als Wittthum verblieben war. Eines Tages besucht mich Minna. Sie sah sehr blaß aus, und besorgt fragte ich um die Ursache. Du wirst mich ein Kind schelten, sagte sie, aber ich kann einen ergreifenden Traum nicht los werden. Ich brachte meinen Schreibtisch in Ordnung, verschloß alle Schübe – da trat mein Vater ein, mit raschem Schritt, wie er kam, wenn er sich eine Minute für mich abmüßigte, ganz in der Manier seiner lebendigen Eile. Ach Fabia! sagte sie, und Thränen flossen über ihre Wangen, ich habe ihn leibhaftig gesehen; aber seine Miene war bekümmert. Er sprach: daß er mich nun nächstens abholen werde. – All' meine Sehnsucht nach ihm ist mit mir erwacht. – Ich suchte es dem lieben Wesen auszureden. Einige Wochen waren seitdem vergangen, das Wetter fing an, frühlingsschön zu werden, und jener einladende Brief, der die ahnungslose Braut an den Altar lockte, war gekommen. Da kam Marie, und vertrauete mir, daß jener Traum sich seltsam wiederholt hätte. Sein Auge zürnte, so erzählte sie von der Erscheinung ihres Vaters, als er den Brief meiner Schwiegermutter liegen sah. Er verlangte, daß ich ihm sogleich folgen sollte. Ich entschuldigte mich, daß ich ja nicht angezogen wäre. Er erwiederte: frägt darnach ein Retter? und verschwand. Ich muß gestehen, daß mich diese Worte sehr ängsten; es ist mir, als werde ich von irgend einem Unglück bedroht, und als wolle mein treuer Vater mir von Jenseits herüber ein treuer Warner seyn. Wüßte ich nur, was ich zu thun, oder zu lassen hätte! – Mich selbst bestürzte diese Aussage, wenn ich es auch verbarg, da Minna ohnedies verstört war. Acht Tage waren wiederum verflossen, binnen deren Verlauf wir uns wenig gesehen hatten – da – ich weiß es wohl noch wie heute – räumte ich meine Bodenkammer auf, und die Sonne ging unter, als ich mit diesem ermüdenden Geschäfte im Reinen war. Ich komme eben aufgeschürzt die Treppe herab, da steht Minna, weiß wie eine Taube, und bittet mich mit kranker Stimme, ein wenig mit ihr spazieren zu gehen. Gern, meine Minna, wollte ich das, gab ich ihr zur Antwort; aber Du siehst selbst, wie eingestäubt ich bin. So muß ich zunächst an ein Waschfest gehen, und dann mögte wohl die Feierstunde ausgeläutet haben. Es dürfte auf lange das letztemal gewesen seyn – sagte sie: den Donnerstag geht es fort – lieber Gott! auf das Gut, meinte sie. Ich muß mich zerstreuen, Fabia, sagte Minna mit einem krampfhaften Lächeln; denke nur, diese Nacht hat mich mein Vater wirklich abgeholt. Er trat eilfertig, in einen Pelz gehüllt, in mein Stübchen, seine Taschenuhr in der aufgehobenen Hand. Nun ist es Zeit – sagte er, und hielt mir die Uhr vor die erschrockenen Augen: sie stand stille. Ich eilte im Schlafrock an seiner Seite von hinnen. Vor der Thüre stand ein Schlitten, der Schnee lag wie ein Leichentuch – als ich einsteigen wollte, verlor ich einen schwarzen Schuh – er sank tief ein. Den Führer sah ich nicht; aber der Schlitten sausete auf den Kirchhof zu. – Mich überlief es kalt,« fuhr Fabia fort, und auch ihre Zuhörer schien ein Frösteln zu durchrieseln. »Am folgenden Tage,« redete die Erzählerinn seufzend weiter, »kehrten wir erst spät von einer kleinen Ausflucht heim; ich schlief daher den nächsten Morgen etwas länger als gewöhnlich. Der Vater stand vor meinem Bette, im blendenden Schein der Frühsonne, und ich sah nicht bald, wie betrübt sein Auge war. Du hast sanft geschlafen, Fabia! sagte er, das hat Dich denn für eine traurige Nachricht gestärkt. – Minna ist recht krank – – ich blickte in sein Gesicht und rief: o Gott! sie ist schon todt! – Er nickte schmerzlich-still. – Sie war in der verwichenen Nacht an einem Scharlachfieber gestorben, was nicht zum Ausbruch kam, und unsere kleine Promenade war ihr letzter Gang gewesen; denselben Abend noch hatte Minna sich gelegt. – Den Donnerstag, der zu ihrer Abreise bestimmt gewesen, wurde meine Freundinn begraben. Als der Sarg, mit Kränzen behangen, die jungfräuliche Ehrenkrone von silbernen Zitterblumen zu seinen Häupten, aus dem Hause schwankt, kommt ein Reisewagen angefahren. Es war der unglückliche junge Edelmann, der seine Braut abholen wollen auf das Gut der Mutter. Er kam nur gerade zurecht, ihr das letzte Geleit zu geben. Mit welchem herzzerreißenden Schmerze – davon will ich schweigen. –«

Hier schwieg Fabia, und eine lange Pause feierte diese Erzählung, welche bei der einfachen Ruhe ihres Vortrags von um so größerer Wirkung gewesen war. Man wußte, und mit Achtung wußte man es – wie wahrhaft Frau Fabia sey, und mit gewissenhaftem Stolze sogar den Schmuck der kleinsten Zuthat verschmähe. Sie glaubte dessen nicht zu bedürfen, um das Interesse Anderer für jene wehmüthige Erinnerung in Anspruch zu nehmen.

Endlich unterbrach der Administrator die allgemeine Stille und sprach: »ich würde den Versuch bedauern, solch eine Thatsache natürlich erklären zu wollen; hier tritt das geistige Element hervor, und wir können nur verstummen. Was, in aller Welt, wäre denn nicht wunderbar, oder ahnungsvoll? – Nur unsere Sinne sind stumpf. Und ein Schutzfreund, wie er dort ein gefährdetes Leben aus dem Schlafe weckt, hier Eines in den längsten Schlaf lullt, wohnt gewiß in eines Jeden Brust, wenn dieser Engel nur nicht so oft irdisch verbaut wäre. In einer für das Höhere erweiterten Seele findet er gewiß Freiheit, zur rechten Zeit an das Herz zu pochen.«

Der Major, der vielleicht aus einem zu weichen Gefühl das Tragische nicht liebte, und als ein tüchtiger Mann auf ebenem Boden eine Scheu vor metaphysischen Dissertationen hatte, ging nicht auf die Aeußerung seines Freundes ein, und dachte vielmehr bei Minnas verlornem Schuh an den Pantoffel, der seinen Neffen aus dem Felde schlug. Er hatte die Gewohnheit laut zu denken, und so sagte er: »nun sollte eine Sandale an die Reihe kommen.«

»Meinst Du ein Fahrzeug, Herr Bruder?« fragte Hauptmann Moorhausen: »wohl ist dieser Stoff ein unerschöpfliches Meer.«

Und Josephine sagte: »die Sandalien der Jungfrau Maria in der Capelle sind wunderprächtig mit Gold und Perlen gestickt.« Die Kleine stockte beklommen; doch Frau Fabia gab heute Preßfreiheit für Lügen wie gedruckt, wie für die Legende des Hauses, und so entblätterte sich die Blume dieses Herzens, und Josephine sprach: »In dem blassen Mondschein, den die kleine Lampe wirft, schimmern die Sandalien so traurig und doch so heilig! daß man gläubig wird, dieser Fuß müsse den Thron des Himmels besteigen. Oft schon habe ich ihn geküßt – und dabei gedacht, wie manches bekümmerte Angesicht mag seine Thränen darauf geweint haben! die sind denn zu Perlen geworden. Sogar der Staub, der darauf ruht, hat mir etwas Rührendes, denn er erinnert mich, wie dieser beständige Fuß seine Stelle verlassen, und wandelbar geworden, das Liebste zu suchen.«

»Recht, mein Kind,« erwiederte die Nonne erregt, »unsere Jungfrau von der Capelle, von der das Kloster den Namen führt, gehört ganz eigentlich hierher, und es ließe sich Manches von dieser Wunderthäterinn erzählen, wenn auch keine Wallfahrt sie verehrt hat.«

»Das kenne ich ja nicht –« sagte Herr Prälat, erstaunt, sein Schutzkind so bewandert in der Geschichte der Patroninn dieses Hauses zu finden; und der Major fragte: »was ist's mit der Jungfrau?«

Die Nonne sprach: »nach den Urkunden des Stifts ist die kleine dunkle Capelle dahinten seine erste Gründung gewesen. Man sieht es auch an der Bauart, wie viel älter sie ist, als die des Klosters. Nun steht in der Nische des Altars eine Mutter Gottes mit dem Kindlein an ihrer Brust. – Das Bild ist nur von Wachs und nicht sonderlich schön, es hat aber einen zarten Ausdruck von Erbarmen in der Miene, daß man gleichsam Trost fühlt, wenn man es anblickt. Die rechte Hand hält es bedeutsam in die Höhe, mit aufgehobenem Zeigefinger, als ob warnend oder winkend. Die Sage erzählt: eines Schäfers Wittwe, der man aus Mitleid die Hut der Heerde gelassen, habe sich den Verlust ihres Mannes dermaßen zu Gemüth gezogen, daß alle Kraft ihr entschwunden sey, zumal das arme junge Weib einen Säugling stillen müssen, mit dem Grame ihrer Brust. – Da man die Schäferinn oftmals schlafend gefunden, am Berge unter einem Baum, so ist sie vom Orte aus bedroht worden, ihr, wenn sie nicht achtsamer seyn werde, den spärlichen Dienst zu entziehen. In dieser Bedrängniß hat die betrübte Wittwe ihre Zuflucht in die Capelle genommen und voll Einfalt und Inbrunst gefleht, die Heilige des Himmels mögte die ärmste Mutter der Erde vertreten in ihrer großen Schwachheit. Und als dennoch täglich um die Stunde der Vesper die stillende Mutter von einem Schlummer bezwungen wird, dem sie nicht widerstehen kann, wollen glaubhafte Leute jener Zeit die Jungfrau Maria gesehen haben, wie sie bleichen Angesichts die Lämmer gehütet, auf daß die Schäferinn der Ruhe pflegen möge. Sie ist erkannt worden an dem Kleide von perlfarbnem Moir, dessen schillerndes Gewässer nun wie mürber Zunder ist – an der aufgehobenen Hand, womit sie die Heerde stumm gelenkt – im andern Arme hat sie das göttliche Kind getragen, wie Jene das dürftige Kleine. In der Nähe des Baumes hat Maria ein leises Lied gesungen, ein Wiegenlied – so himmlisch! daß der Wind geschwiegen und die Vögel in den Zweigen gelauscht. Auf dem Heimwege hat das Geläut der Heerde geklungen, wie die Glöckchen beim Hochamt, und die Sandalien haben in der Abendsonne goldne Strahlen verbreitet über den grünen Klee. – Niemand wagte mehr, der Wittwe ein Wort zu Leide zu sagen. Kein Lamm geht verloren – aber eines Tages das Kind vom Schoße der Mutter, als sie auch einmal schläft. Ein Engel soll es ihr sacht und sanft entzogen haben, weil der Born der Nahrung nun versiegt gewesen, und das Würmchen am Verschmachten. Die Frau kommt wie von Sinnen. Sie rennt in der Irre umher, ihr Kind zu suchen, was sich nirgends findet. Man entbindet sie ihrer Pflicht, und fristet mit kärglichen Almosen ihr Leben, das der Jammer verzehrt. Sie ringt die Hände wund und fleht: die heilige Jungfrau mögte sie ihr Kind wiederfinden lassen, ohne das sie keines Bleibens habe auf der Welt. Aber Maria bleibt unbeweglich, und blickt traurig nieder, daß Der, welcher ihre himmlische Güte sich sichtbar angenommen – der Glaube fehlt. – Da nun die unglückliche Mutter nicht Zeichen noch Wunder sieht, wird sie eines Tages von verzweiflungsvollem Wahnsinn erfaßt. – Sie sagt: Du magst wohl schwerlich wissen, wie einer Mutter zu Muthe ist, die ihr Einziges eingebüßt; sonst würdest Du auf mein Herzeleid merken und Dich meiner erbarmen. Wer nicht hören will, muß fühlen! – Und damit hebt sie das Kind vom Arme der Madonna, und drückt es mütterlich an ihren Busen, als ob das kalte Wachs an dieser heißen Angst zerschmelzen müßte. Daheim legt sie es in eine kleine Lade, auf das weiche Vließ von einem ungeborenen Lämmlein. Sie selbst liegt im Fieber. Als nun der Morgen tagt, steht Maria vor dem Bette der Armen, rührt sie an, und fordert ihr Kind zurück. Da sagt die Kranke, wo sie es hingethan, und spricht: gieb mir nun auch das meine wieder und zeige mir, wo ich es finde. Maria hebt den Zeigefinger gen Himmel – – darauf ist die Mutter gestorben. – Seitdem nun,« schloß Schwester Veronica diese Tradition, »hat Mancher, der etwas vermißt – ach mein Heiland Du! Wessen Leben wäre ohne Verlust? Trost und Erstattung an dieser Stelle gesucht und – gefunden: denn die heilige Jungfrau giebt erhörend ein Zeichen mit dem Finger, was noch nie trüglich gewesen.«

»Es gehört ein starker Glaube dazu –« sagte Hauptmann Moorhausen, er, der den stärksten in Anspruch nahm –, »und eine deutsame Einbildungskraft, um die Weisung der Jungfrau Maria zu verstehen, denn sie kann doch nur Rechts, Links!« (diese Worte wurden im exercirenden Tone gesprochen) »nach Oben oder Unten zeigen, und das kommt mir ohngefähr so vor, wie jene Adresse: an meinen lieben Sohn in der Armee.«

»Dem Zweifler ist nichts beschieden –« antwortete Therese spottend, »wenn Sie einmal das Gedächtniß verlieren, mon Capitain, wird Sanct Maria es Ihnen nicht suchen helfen.«

»O! mein Gedächtniß ist gut!« erwiederte der Hauptmann prahlerisch sicher. »Das muß es auch –« versetzte die muthwillige Frau und lächelte ihn an, so daß ihm die kleine Bosheit ihrer Replik nur wie ein schalkhafter Liebesblick einleuchtete.

»Es ist doch viel,« fiel hier der Administrator ein, »daß bei der Aufhebung des Klosters die Capelle unangetastet geblieben.«

»Viel?« fragte die Nonne und ihre Wange röthete sich bei dieser aufregenden Erinnerung, »wenig war es, werthester Freund! sehr wenig. Was ist denn Kostbares darin? Ein paar arme Bilder – morsche Bänke – die Jungfrau selbst ist alles Schmuckes baar, die Fußbekleidung etwa ausgenommen, und für diese habe ich Alles hingegeben, was ich an Pretiosen noch besaß. Die goldne Taschenuhr meines Vaters – ein köstliches Werk! wog der Commissair in seiner Hand, die gerade keine Wagschale der Gerechtigkeit war – und dabei fiel der kleine Uhrschlüssel klingend auf die marmorne Schwelle, wo wir standen, und mir gleichsam auf das Herz, denn ich dachte, wie so tausendmal ich diesen Schlüssel in der Hand meines Vaters gesehen! ich sah die Miene, womit er ihn drehete – – ich mußte meine Augen abwenden. Da sagte der Commissair: wir wollten einen christlichen Tausch abschließen. Er zog den großen Schlüssel aus dem Schloß der Capelle, reichte mir ihn und sprach: diese solle fortan als mein Heiligthum zu betrachten seyn. Die Uhr mogte er dagegen als sein Eigenthum ansehen. Er steckte sie sich in die Tasche, nachdem er den kleinen Schlüssel fest gemacht. –«

Der Major murmelte ein vernichtendes Wort, und schluckte den Aerger in einer Neige Wein hinunter. Herr Prälat aber schlug in stillem Grimm das umgekehrte Ende des silbernen Messers auf den Tisch, als hätte er den Commissair damit auf die Finger schlagen mögen. – Aber friedlich sprach die Nonne: »dies Alles ist nun überwunden; ich wollte nur sagen: ich hätte mir gewissermaßen ein Anrecht an die Capelle erworben. Die schönsten Blumen fülle ich in die kleinen Krüge zu beiden Seiten des Altars; dort duften sie Weihrauch. Und das ewige Licht nähre ich aus meinen geringen Mitteln, und müßte der Winter meines Lebens finster für mich seyn, wie eine lange Sterbestunde.« Der Blick der Nonne leuchtete bei diesen Worten auf, wie ein Flämmchen vor dem Verlöschen. Alle waren gerührt.

»Und dieses liebe Geschäft,« sagte Josephine in holder Geschwätzigkeit, wie von einem Lieblings-Gegenstand hingerissen, »gönnt mir die gute Schwester Veronica bisweilen, wenn meine Zeit es erlaubt. Es ist für mich ein kleiner Tempeldienst, den ich nie ohne ein andächtiges Gefühl verrichte. Ich komme mir dann vor wie eine Vestalin, von denen Du neulich erzähltest, Onkelchen. Es ist wirklich etwas Heiliges um das Licht. Man denkt sich eines Sünders Seele dunkel. – Ich fürchte mich auch nicht ein Bischen allein, und sitze oft in der Dämmerung in dem verwitterten Beichtstuhl. Da flüstert es neben mir, die feuchten Wände wispern, ich höre den Holzwurm picken – und denke, es sey Veronicas Uhr, und wo dies Herz der Capelle wohl schlüge? – Und wenn ich sinnend in die wehende Lampe blicke, ist mir Manches schon hell geworden. Jüngst beschlich mich ein sehnsüchtiges Weh, ich mußte weinen und trüber Zeit gedenken. Da fragte ich laut, und erschrak vor meiner eigenen Stimme: wo ist – wo ist mein lieber Vater, den ich verloren? – – Ein Seufzer –« der Athem in Josephinens Brust stockte vor dem Blick, womit Frau Fabia sie ansah. Das Mädchen verstummte. Hauptmann Moorhausen haschte alsbald den letzten Laut von diesen Lippen und sprach cathegorisch: »Ahnungen giebts! ich selbst habe –« jetzt stieß der Major einen tiefen Seufzer aus, der die Gedankenreihe seines Cameraden auf einige Momente unterbrach. »Ja, das war ein Abenteuer,« setzte er seine Rede fort und festen Fuß in weichenden Boden –, »was Muth erforderte. Als wir im Jahr 18– an der Grenze standen, ward ich mit einem Commando nach dem Gebirge detachirt, wo eine aufrührerische Rotte zu bändigen und nach Umständen zu bestrafen war. Die Unruhen waren bald gehoben, die Empörer fest genommen, und wir beeilten uns, aus jenen unwirthbaren Hürden zu kommen. Es war tief im Herbst, der Paß verschneit – kein Wunder, daß wir uns verirrten. So gelangten wir bei Nacht und Nebel an ein adeliges Schloß, das Gott weiß! wie weit abseits von unserm Wege lag. Sie können wohl denken, meine Verehrtesten! daß wir als Gäste zu so später Zeit nicht gerade die willkommensten waren; aber man muß nur die Leute zu behandeln wissen. Nach einer Stunde saß ich mit dem Förster, der in Abwesenheit der Herrschaft den Wirth vorstellte, ganz cordial bei einer Flasche Wein. Ein Wort gab das andere, er erzählte von den Verhältnissen der Familie, die fast nie hier wohne, ohngeachtet die Gegend entzückend sey, und als ich nach der Ursache fragte, äußerte der Förster: es wäre nicht geheuer im Schlosse. Ich lachte und glaubte, der Schalk wolle mir das Nachtquartier verleiden – da versicherte er mich sehr ernsthaft, es wäre gar nicht zum Lachen. Der Erbe jenes Gutes, ein junger Graf – St – der Name ist mir entfallen – sey vor mehreren Jahren gestorben, an einer Erweiterung des Herzens, was nach seinem Tode ein Gewicht von zwanzig Pfund ergeben hat.«

Vor dieser Möglichkeit sanken alle Begriffe, die Damen faßten unwillkürlich an ihre linke Seite, und der Major sprach: »Potztausend! über den Zwanzigpfünder! – Dem ist das Herz schwer gewesen. –«

»Auch im moralischen Sinne –« antwortete Hauptmann Moorhausen: »ein Freund des Grafen, seine zweite Seele gleichsam – hatte einen wichtigen Auftrag, eine Geliebte betreffend, von ihm bekommen, und säumte zu erscheinen, und das ganze Haus sah diesem Zuspruch sehnlichst entgegen. – Der Kranke konnte nicht sterben und fristete sein Daseyn elendiglich. So genoß er nur täglich einen kleinen Apfel, und auch dieser machte ihm Wallungen. Er konnte kein geheiztes Zimmer vertragen, weshalb seine Pfleger zur kalten Jahreszeit in dem rauhen Klima jener Gegend häufig wechseln mußten. In der einen Nacht wacht der Jäger, der Graf liegt stille, da öffnet sich die Thüre und ein junger blasser Offizier tritt ohne Geräusch herein. Der Büchsenspanner erkennt den Freund des jungen Herrn und verhält sich ruhig. Der Offizier beugt sich über das Bette, flüstert tief in die Kissen hinein – da wird dem Jäger unheimlich, er ergreift die Kerze, wagt einige Schritte, obgleich sich sein Haar sträubt, und wie er hinzu leuchtet, ist der Offizier verschwunden, und der Graf verschieden. –«

Ein Schauer der Furchtsamkeit, der hörbar die kleine Gesellschaft durchfröstelte, befriedigte den Hauptmann. Dieser kühne Geisterseher lächelte kaltblütig, und schickte sich zum Verfolg der Geistergeschichte an. Herr Prälat aber war auffallend bleich, und Therese rückte sich ihrem Schwager noch näher und umschloß seinen Arm mit ihren beiden Händen. »Es taugt nichts,« sprach der Major, »daß wir uns jetzt zu nächtlicher Stunde mit solchen Geschichten den Kopf erhitzen; ich dächte, wir höben uns das Ergebniß für ein andermal auf.«

»Nein,« sagte Therese, »es fürchtet sich hübsch unter Mehreren und ich lasse es mir nicht nehmen, die Bravade des Hauptmanns zu bewundern; fahren Sie fort!«

Moorhausen gehorchte diesem Befehl und sprach: »den Freund des Grafen hatte ein plötzlicher Tod abgehalten zu kommen, aber ein treuer Freund hält sein Versprechen todt oder lebend, das ist Parthie egal. – So oft nun Jemand seit jener Zeit in dem Zimmer und Bette des seligen Grafen schläft, erscheint er und bringt die verspätete Kunde; aber einer Frage hielte dieser zuverlässige Schatten nicht Stich. – Er soll mir Stand halten auf meine Ehre! erwiederte ich dem Förster, und bat mir jenes gespenstische Zimmer aus. Er wollte mir nicht willfahren, ich setzte es aber durch. In besagtem Zimmer nun sah es ziemlich wüst und unheimlich aus. Der Förster versah mich mit dem Nöthigen, legte mir, wie ich gefordert, einen Hirschfänger, blank gezogen, und eine Pistole, scharf geladen, zur Seite und wünschte mir, grauenhaft lächelnd, eine geruhsame Nacht. Mit diesen Waffen und einer wahrhaft todesverachtenden Courage forderte ich den Geist nun heraus. – Als ich mich sterbensmüde in dem Himmelsbette des seligen Grafen ausstreckte – der Riese Goliath hätte Platz darin gefunden – dachte ich an das Riesenherz des armen Jünglings und sah in den gedrechselten Kugeln des Gestells die kleinen Aepfel seiner Mahlzeit. Mir war, als hätte ich die Weltkugel im Magen. Die compacte Kost des Försters hatte mir Congestionen erregt. Endlich überwältigte der Schlaf das empörte Blut – da klopft es dreimal deutlich – –«

Es klopfte jetzt wirklich an die Thüre des Klosters. Der Hauptmann verblich zum steinernen Gast, die Frauen sprangen auf, der Major in gleicher Hast, vielleicht glaubend, daß sein Neffe komme, wollte es ihnen gleichthun, bekam aber den Krampf in den Fuß und Herr Prälat leistete ihm Beistand. Man zog die Klingel, doch Niemand kam; und in dieser Verwirrung hatte Josephine ein übriges Licht ergriffen – den Tisch erhellte eine schöne Lampe – und war hinausgeeilt. Sie floh den Gang entlang, ihr Schatten wehete an den düstern Wänden hin – nun stand sie an der Pforte pochenden Herzens, und draußen schlug eine unbekannte Hand nahe ihrem Ohr den Klopfer noch einmal an, daß dieser Laut wie ein unendlicher Hall durch die Stille der klösterlichen Nacht tönte. – »Gleich! gleich!« sagte Josephine beklommen, schob die schweren Riegel zurück, und wich nun selbst einige Schritte, als ein Mann eintrat, von hoher Gestalt, umflossen von einem weißen weiten Mantel, dem eine schmale Reisetasche von rothem Saffian überhing, so daß sein Ansehen bei mäßiger Zuthat der Imagination das eines Kreuzritters hatte. Josephine, im flackernden Scheine die Kerze, die den lichten Umriß des Mädchens aus der finstern Umgebung hervortreten ließ, fühlte ein Beben bei dem Anblick dieser bedeutenden Erscheinung, und heftete einen furchtsamen Blick auf die bleichen Züge des Fremden, der mit einem Ausdruck von freudigem Staunen seine Pförtnerinn ins Auge faßte. »Wo ein Engel öffnet um diese Stunde –« sagte er, »da darf man über die Aufnahme nicht zweifelhaft seyn. – Mein holdes Kind! treffe ich den Administrator daheim? gleichviel, ob schlafend, ich muß ihn sprechen.«

»Er ist noch wach,« antwortete Josephine, »zur Feier seines Geburtstages, in Mitten seiner Freunde.« Und alsbald tadelte sich das Mädchen, daß es den fremden Mann in ein Familienfest einführe.

»Seiner Freunde –« wiederholte der Unbekannte mit zitterndem Accent, und ging raschen Schrittes voran. Herr Prälat kam ihnen schon entgegen, hinter ihm Frau Fabia, zu wissen, was es gäbe? Ein sprachloser Moment des Erkennens! dann rief Jener: »Sylvius!« wie ein Echo aus der Ferne der Erinnerung rief Fabia einen andern Namen nach – und nur unarticulirte erschütternde Töne entrangen sich der Brust des Fremden. Da breitete der Administrator die Arme so jählings aus, daß er in Josephinens Leuchte griff, sie erlöschte – und das Dunkel des Kreuzgangs umfloß ein Wiedersehen.


Unsere Leser wollen sich erinnern, daß, als Herr Prälat dem Major Feldmeister Einiges aus seinem Leben mitgetheilt, er eines Freundes erwähnt, ohne den Faden jenes Verhältnisses auszuspinnen –; wir aber knüpfen die neue Bekanntschaft, und was wir nachträglich davon zu sagen haben, an jenes Fragment.

Nachdem der Held unserer Erzählung seine cameralistischen Studien beendiget hatte, arbeitete er eine Zeitlang unter seiner Behörde in H–. Dann dachte Cölestin, wir wollen den Administrator der Kürze wegen so nennen – ehe er eine fixe Stellung annähme, eine große Reise anzutreten, welche der Zielpunct seiner jugendlichen Sehnsucht gewesen war. Es hatte Mühe gekostet, dem Vormund die Genehmigung dazu, wie die benöthigte Summe, abzugewinnen; und als es ihm endlich gelungen und alles festgesetzt war, fühlte er sich festgehalten durch die zartesten Bande, und der Wunsch, die Welt zu sehen, war ihm gleichgültig geworden.

Cölestin war in dem Falle, ein anderes Quartier zu bedürfen. Er fand die Anzeige in einem öffentlichen Blatte, daß eine Wohnung für einen ältlichen Herrn frei stehe, die ein Hausmiether von seinem Locale ablassen wolle. Er mußte des bedingenden Wortes lächeln, ließ sich aber dadurch nicht abhalten, das Quartier in Augenschein zu nehmen, und es war, wie er es suchte. Inhaber desselben waren ein Forstrath von Schütz, der ehemals Jagdjunker gewesen in jenen Gegenden, wo diese Charge üblich war, und gegenwärtig nur in seinen vier Pfählen herumförsterte, seine Schwester, Frau von Schütz, die Wittwe eines Vetters, und ein Fräulein von Schütz, ihre Nichte, die Waise des Bruders. Cölestin sagte: wenn sie unter einem ältlichen Herrn einen ruhigen verständen, so könnten sie ihn getrost einnehmen, und die fehlenden Jahre übersehen. Er dürfe von sich rühmen, ein stiller Miether zu seyn. So wurde der Contract abgeschlossen. Bei näherer Bekanntschaft mit dieser Familie bemerkte Cölestin, wie combinirt dies verwandtschaftliche Verhältniß sey, was ihm so einfach geschienen. Der Forstrath war der dringende Liebhaber seiner Nichte, die Tante dem Bruder wie seiner Neigung gram und der Jugend des Mädchens abhold, die schöne Tony ein verfolgter Gegenstand der Liebe wie des Hasses, und in meisterlicher Uebung beiden überlegen. Sie wollte die Tante beerben, den Onkel zwar nicht heirathen, aber bei Gutem erhalten, und einst goldne Früchte ernten, wenn dies lachende Auge doch zuweilen weinen mußte. Aber diese trübe Aussaat war selten, denn die Vorsehung hatte solch schweres Ertragen durch leichten Sinn aufgewogen. Cölestin sah mit Erstaunen in diesem Hause ein stehendes Theater für kleine Intriguen-Stücke, von schlauer Erfindung und wohlberechnetem Erfolg. – Es wollte ihm doch so vorkommen, als ob Tony der Leidenschaft des Onkels schmeichle, wie den gehässigen Fehlern der Tante, und Beide anzuführen wisse, wo es das Erreichen einer Absicht gelte. Dieser wahrhaften Bemerkung ungeachtet, hatte sich das reizende Geschöpf seines Interesses doch so sehr versichert, daß sie unwirksam auf seine beobachtende Ruhe blieb. Er war nicht lange aus dem Spiel gelassen – Tony theilte ihm die Rolle ihres Vertrauten zu, und bald hätte er ihr das ganze Glück seines Lebens anvertrauen mögen. Er hielt den Gebrauch listiger Waffen für Nothwehr, die fügsame Klugheit, welche ein wenig nach der Schlange schillerte, für Taubensinn, und den abgelegten Anzug der Tante, den die reizende Tony sich gefallen ließ, wie das Verheimlichen prächtiger Geschenke, die der Onkel ihr aufdrang, für gleich nachgebende bescheidene Gefälligkeit der Nichte. – Die Liebe war es, meine Leser, welche Engel schuf. Sie verschönt, vergiebt, vergöttlicht – und öffnet selbst den Geistern der Hölle ihren Himmel. – Tony gab bei schicklichem Anlaß dem Hausfreund zu verstehen, wie widrig der Onkel ihr sey, und welcher fortwährenden Anstrengungen sie bedürfe, sich ihn als eine Respectsperson drei Schritte entfernt zu halten. Sie führte ihm mit lachendem Munde kleine Züge der Bosheit und des Geizes ihrer Tante an, so daß Cölestin eben so viel Ekel als Mitleid empfand, und heftig wünschte, das schöne heimlich geliebte Mädchen aus dieser Höhle des Satans befreien zu können. Doch ein inneres Etwas, dem er keinen Namen zu geben wußte, hielt ihn zurück, so oft ein erklärendes Wort auf seine Lippe trat, und diese Gefahr trat ihm näher und näher. – Als jenes würdige Geschwisterpaar einmal in eine langweilige Gesellschaft geladen war, und Tony unter irgend einem Vorwande davon zu Hause bleiben dürfen, beschied sie den ihr begegnenden Cölestin rasch und flüsternd in den Garten, wo er ihrer harren möge. Cölestin wußte nicht, was er von diesem naiven Rendezvous denken solle – aber er folgte dem süßen Befehl. Sein Herz pochte, Tony blieb lange aus – endlich kam sie, im neuesten Geschmack und so reizend angezogen, daß er geblendet vor ihr stand. »Gefalle ich Ihnen so?« fragte sie lächelnd, »ich putze mich manchmal auf meine eigene Hand, um doch auch zu wissen, daß ich ein Mädchen bin. Da komme ich mir denn wie eine verwünschte Prinzessinn, und mein Schicksal mir wie ein Mährchen vor, darin sich ehestens mein alberner Plagegeist in einen schmucken Freier verwandeln würde, mit dem ich freudig zöge über Berg und Thal; die Linsen und Erbsen aber, die ich zählen müssen, in blankes Gold. Denn –« setzte Tony in liebenswürdigem Uebermuthe hinzu: »sollte ich die Tante nicht beerben, so wollte ich lieber heute sterben. – Sie hat mich eingesperrt und ihr Geld, und zu ihrer Verdammniß wollen wir künftig rollen in die weite Welt.«

Und trotz dieser leichtfertigen Sprache überredete Cölestin sich selbst, daß Tony, ihn als Gattinn zu beglücken, geeigneter als jede Andere sey. Kaum würde er einem übereilten Versprechen entgangen seyn, wenn nicht die Freundschaft seine Gefühle rettend getheilt hätte. –

Jenes geheimnißvolle Gesetz, nach welchem die Sterne der Menschen ihre Laufbahn durchkreuzen, und Seelen sich begegnen, bestimmt auf einander zu wirken, ließ Cölestin einen Freund an jenem Sylvius finden, sein Geschlechtsname möge einer späteren Mittheilung vorbehalten bleiben – den wir nach einer Reihe von Jahren an der Pforte von Sanct Capella treffen. Dieser junge Mann lebte ohne allen Umgang, in stiller schwermüthiger Weise, vertieft in mathematische Arbeiten, doch scheinbar ohne Zweck, als Cölestin ihn kennen lernte. Er fühlte sich wunderbar von jener Natur angezogen, und jede Anziehungskraft ist, oder wird zuletzt gegenseitig. Sie wurden herzliche Freunde, nur mit dem Unterschiede, daß Cölestin ihm seine ganze Seele offen gab, während Jener dieses Vertrauen nur leidend erwiederte, und die zarteste Theilnahme für die Geheimnisse des Freundes an den Tag legte, ohne irgend einen Antheil für die seinigen in Anspruch zu nehmen. Es lag ein Zug von Stolz in seinem Character, der Stolz des Grams, und eines edlen gedrückten Herzens. Er trug die Abzeichen eines gewissen Ranges an sich, ohne ihn geltend zu machen. Sein Anzug war die feine Interims-Kleidung eines Forstmanns, auch sein Bedienter hatte das Ansehen eines Jägers. Diese Außenfarbe der Hoffnung ließ jedoch wie Spott der düstern Resignation, womit Sylvius achtlos auf das Treiben der Menschen und das Interesse der Welt, kein anderes Glück zu wünschen schien, als was die Ruhe des Einsamen gewährt. Ueber seine angestammten Verhältnisse verbreitete er sich nie; dagegen gab er freundlich Allem Raum und Gehör, was Cölestin ihm von sich selbst sagen mogte. Dieser fand einst ein Portrait auf dem Schreibtische des Freundes liegen. Er fragte, ob es eine Copie wäre – und Sylvius sagte, indem ein flüchtiges Erröthen sein bleiches Gesicht überflog: es sey das Bild seiner Frau. »Seine Frau?« fragte Cölestin sich selbst, und hatte kaum Zeit, darüber zu staunen, oder die Schönheit der jungen Dame zu bewundern, so schnell verbarg Sylvius ihr Conterfei und sprach von etwas Anderm. Sylvius hatte oftmals das Töchterchen seines Wirthes bei sich und liebkosete ihm väterlichweich. Cölestin scherzte darüber. – »Die Kleine ist meinem Kinde auffallend ähnlich und in demselben Alter,« sprach Sylvius mit ungewöhnlicher Rührung. »Seinem Kinde?« fragte Cölestin abermals in sich hinein; Sylvius mußte als ein Jüngling geheirathet haben. – Aber wenn auch ein Ehemann und Vater, wie jung er immer sey, sein Urtheil über Angelegenheiten der Liebe von einem andern Standpuncte abzugeben pflegt, als Solche seines Alters und Geschlechts, die den Schritt zum Traualtare noch vor sich haben, so machte Cölestin seinen Freund doch nichtsdestoweniger mit der stillen Neigung vertraut, die er für Tony von Schütz gefaßt hatte, wie mit den quälenden Zweifeln über die eigentliche Gestalt dieses reizenden Chamäleons, und ob dieses Gemüth endlich Farbe halten werde? –

Sylvius schüttelte zu dem Allen den Kopf und sagte unumwunden: »das Mädchen, Lieber, gefällt mir nicht; mein Geschmack ist zu einfach für den Reiz der Schlauheit.«

Cölestin vertheidigte seine Liebe mit Hitze; aber er gab dabei in seiner eigentlichen innersten Meinung manche Blöße. Das üble Vorurtheil gegen Tony schmerzte ihn, da jedoch Sylvius vermöge seiner Zurückhaltung Superiorität über seinen Freund übte, so hatte dieser entschiedene Ausspruch doch trotz dem Drange seines Herzens – ein vorsichtiges Verfahren Cölestins zur Folge. Er war nun mit dem Abschluß seiner Geschäfte fertig, und an den Termin der Reise gekommen. Da kam er zu Sylvius und sprach: »eine Bitte, Freund! die letzte. Es fällt mir schwer zu scheiden, und am liebsten mögte ich dies Post- und Reisespiel, was meine Phantasie mit Lust gemalt, nun es in meine Willkür gegeben ist, verschenken, wie ich eines von Pappe abseits gethan, was ich besaß, als ich ein Knabe war. Und doch ist es vielleicht gut, daß ich fort muß. – Ich würde ruhiger reisen, wenn ich mit mir selber im Klaren wäre. Du Freund, Du allein könntest mir reinen Wein einschenken, und wäre es auch ein herber Kelch, ich glaubte Dir dennoch. Thue mir den Gefallen, und beziehe mein Quartier, da Du ohnehin wechseln willst; Du findest dann Gelegenheit, Tony kennen zu lernen. Thue es aber ohne Arg! und fändest Du ein wärmeres Herz als Du ihr zutraust, und ein Fünkchen Liebe für mich darin glimmen: o! so fache es an mit dem Athem eines freundlichen Mundes, wahre mir mein Glück, denn ich liebe das Mädchen sehr!« Cölestin legte dieses Bekenntniß mit wankender Stimme ab, und fiel seinem Freunde um den Hals.

Von der Zuversicht erschüttert, womit er das Wohl und Weh seiner Zukunft in diese Hand legte, versprach Sylvius, was Jener von ihm begehrte. Es war ein schönes Gefühl der Freundschaft, was ihn in dem Wunsche bewegte, er mögte Tony Unrecht gethan haben, und eine Stütze für die Ruhe, für die Hoffnung seines Freundes werden. Er sprach die Worte: »das größte Glück eines Mannes ist, seine Geliebte gut und würdig zu wissen.« Und Cölestin antwortete ihm: »das größte Glück ist ein treuer Freund!« Sie wollten einander nicht schreiben. Ein Jahr, meinte Cölestin, der mit dem Auge der Liebe sein Ziel schon absah, laufe schnell um, und nur in dem Falle, daß Sylvius seinen Aufenthalt verändern müsse, solle der Freund Nachricht von ihm erhalten, oder doch bei seiner Rückkehr vorfinden. – Da diese Nachricht durchweg ausgeblieben war, hoffte Cölestin um so sicherer, seinen Freund noch in H–. anzutreffen. Mit drängenden Empfindungen erreichte er die Stadt. Der Mond beschien den stillen Markt, sein Herz schwoll, da er den Brunnen rauschen hörte, dessen Wasser die Geliebte trank, und aus der tiefen Quelle, der die Gedanken entsteigen, tauchte ihm die Erinnerung an die Bitte auf: daß Sylvius ihm reinen Wein einschenken möge. Diese Stunde war nun gekommen. Er eilte nach seiner Wohnung. Bei Forstraths war es ungewöhnlich erleuchtet, die Fenster seines Zimmers standen offen, Blumen davor, und drinnen sang eine angenehme, weibliche Stimme ein Webersches Liedchen zum Flügel. Seine Pulse stockten – dieser fremde fröhliche Ton, der Anschein des Unbekannten ängstete ihn, er wendete sich seitwärts, wo auf einer Bank ein Mädchen dicht an ihren Liebsten geschmiegt saß, und fragte beklommen: ob der Forstrath Gäste bei sich habe? »Das kann wohl seyn –« antwortete die Dirne und lachte frech. »Ich meine Gesellschaft –« sprach Cölestin, von einer dunkeln Ahnung empört.

»Nein,« entgegnete das Mädchen, »Der ist zur Ruhe.«

»Zur Ruhe?« fragte Cölestin, »es ist kaum halb Neun.«

»Der ist ganz und gar gestorben –« war die fast höhnische Antwort.

»Und Frau von Schütz? –« »Die ist fortgezogen.«

»Und das Fräulein? –« Cölestins Athem stand stille, so auch der Schlag seines Herzens, nur die Uhr viertelte dazwischen, als das Mädchen gleichgültig erwiederte: »Fräulein Tony? hat den Herrn geheirathet, der hier wohnte. Er trug immer einen grünen Rock. –«

Der Mond trat hinter eine Wolke, und nahm seinen Schein von einem Gesichte, das bis zum Tode erblichen war. Cölestin stammelte mit leiser Lippe: »das ist nicht wahr!« dann dankte er für gegebenen Bericht, und seine Seele zerriß, da er die wüste Dirne hinter sich scherzen hörte. Sylvius ehemaliger Wirth, den Cölestin in seiner Betäubung aufsuchte, bestätigte, daß er die lautere Wahrheit vernommen.

»Nun, so ist die Wahrheit selbst eine Lüge!« sagte Cölestin verstärkt: »Er hatte ja eine Frau! –« Der Wirth lächelte. Sein Töchterchen sah mit unschuldigen Augen zu ihm auf. Er dachte an das Kind des Freundes, und die seinen füllten sich mit Thränen. Mit zerrüttetem Gemüth verließ er den Ort, alle Nachforschungen blieben fruchtlos, und Sylvius und Tony verschollen – bis wir den Schall seiner Ankunft hören, und das, was er zu seiner Vertheidigung zu sagen weiß.

Die beiden Freunde fanden sich auf einem Zimmer allein zusammen; die kleine Gesellschaft hatte sich bei der Dazwischenkunft des Fremden sogleich aufgelös't, Mitternacht war bereits vorüber und also der Geburtstag des Administrators, ein neues Leben schien für ihn anzubrechen, aber noch lagen tiefe Schatten auf der Gestalt, deren erster Anblick ihn überwältigt hatte. – »Jetzt –« sagte Cölestin, und sein Blick drang tief in die verfallnen Züge des Freundes ein, als suche er die ehemalige Wohnung seiner Zuversicht, »jetzt, wo ich den Ton Deiner Stimme höre, klingen Saiten in mir an, die lange unberührt geblieben, und was ich auch inzwischen von Dir vernommen, es ist mir, als wäre es eine Lüge gewesen. Du wirst mir die Wahrheit nicht vorenthalten. Man sagte, Du hättest Tony geheirathet – Tony von Schütz, die ich liebte, die ich Dir anvertraute.«

»Da hat man Dir ein Factum berichtet –« antwortete Jener, und lächelte kalt. »Sylvius!« rief Cölestin mit lodernden Augen, eine Flamme der Beleidigung schlug durch sein Herz.

Und Sylvius sprach: »ich war prädestinirt, Dein Retter zu werden – um jeden Preis! ich warf mich auf, Dich zu schützen; Wer ist der Mensch, der es wagen dürfte, sich der Täuschung für überlegen zu halten? so warf dieser Hochmuth mich nieder. Wer fallen soll, wird zuvor stolz.«

»Das Einzige bitte ich,« entgegnete der Administrator, »sage mir Alles unumwunden; es ist mir, als könnte ich dennoch nicht an Dir zweifeln.«

»Das darfst Du auch nicht,« erwiederte der Freund mit schmerzlicher Stimme. »Verrath war meiner Seele fern. Niemand haßt Falschheit, das Schnödeste was ich kenne – aufrichtiger als ich, und doch mußte ich diese Larve tragen. Eine eiserne Hand hat sie mir abgerissen; ich darf nun frei um mich blicken, und sehe, daß ich allein der Getäuschte war – daß ich allein bin.« Cölestin reichte ihm schweigend die Hand. »Ich will Dir meine ganze Seele enthüllen –« fuhr Sylvius fort, »wenn anders ein Mensch im Stande ist, das Gewebe seines Innern in all den feinen Fäden aufzufassen, aus denen sein Verhängniß besteht. – Du weißt, daß ich bald nach Deiner Abreise zu Forstraths zog, und mit ziemlich übler Vormeinung gegen das Fräulein; ich nahm mir vor, diese Tony, der ich Dich nicht gönnte, solle mich nicht bestechen noch verblenden, und wenn jeder Blick ihres schönen Auges ein Sonnenpfeil wäre. Diese feurigen Augen aber zogen Wasser – ich dachte Deinetwegen, und dieser Gedanke zog mich an, freundlicher als ich gewollt, hineinzublicken. Ich fand das Mädchen so einfach betrübt, so schweigsam und unabsichtlich, daß ich nicht begreifen konnte, wie Du Dich so gänzlich irren können. Das Betragen des Fräuleins sagte meiner Stimmung zu; daß mich Tony wenig oder gar nicht bemerkte, war mir lieb, der leiseste coquette Angriff würde selbst das kühle Interesse des Beobachters mit einer Art von Abscheu – der Ausdruck ist hart, aber wahr! – von sich abgewendet, und mein Urtheil vollends verhärtet haben. Ich trug einen Talismann in und auf meinem Herzen, gegen den Zauber der Schönheit, gegen buhlerische Künste. Du hast das Bild gesehen, was auf meiner Brust schläft – das Original, der Inbegriff meines Lebens schlief in fremder Erde, und all mein Glück war mit ihm eingesargt. Die früher empfangene Nachricht hatte sich mir damals bestätiget, daß die Seele meiner Seele, das Weib meines Herzens gestorben sey. Die Welt wußte nichts von diesem Verhältniß und daher auch nichts von meinem Schmerz; was weiß die Welt von den eigentlichen Beziehungen des Menschen? sie kennt nur den Schein der Dinge. So hatte mich der Gram in einen Zwinger eingeschlossen, worin ich unzugänglich für Alles war, nur nicht für das Unglück. Dich, Freund! hätte ich vor dem längsten wahren mögen – und Tony fand das kleine Pförtchen, und schlüpfte durch Mitleid in mein Herz. – Eines Morgens lese ich Briefe, in Wehmuth aufgelös't, daß dieser himmlische Geist, den ich im Ausdruck der Liebe in jeder Zeile finde, mir entrückt ist. Da klopft es an meine Thüre, so schnell! so heftigleise! wie der Vogel, gejagt vom Sturm, an ein Fenster pickt. Ich öffne, das Fräulein steht draußen. Dieser unweibliche Schritt macht mich stutzen. Doch Tony ist blaß, der scheue Blick niedergeschlagen – ich darf vermuthen, daß sie mir etwas Außerordentliches mitzutheilen hat. Ich leite sie herein, zum Sopha. Sie verneint zu sitzen und sagt: sie könne sich auf keine Ruhe einlassen, so lange sie in Furcht und Seelenängsten schwebe. Dies sagt sie mit gebrochner Stimme und bricht in heißes Weinen dabei aus. Ich bitte Tony, sich zu fassen, und fasse ihre Hand, indem ich mich zu Allem erbiete, was zur Erleichterung ihrer Lage dienen könne. Sie sah mich an mit thränendem Blick – dieser Blick rührte mich unbeschreiblich. Im Leiden ist Wahrheit – dachte ich, und wie Tony wirklich sehr schön wäre. Haben Sie doch Zutrauen zu mir, Fräulein! sagte ich, und meine Worte mogten vielleicht einen Anklang jener Regung haben. Dies führt mich zu Ihnen, antwortete Tony; drüben bin ich bewacht und darf mit keiner menschlichen Seele reden. Ich halte Sie für einen Ehrenmann – war es doch grade, als wollte ich sagen: Ehemann? – wenn das nicht, würde ich mich wohl über alle Sitte so weit hinwegsetzen, Sie in Ihrem Zimmer aufzusuchen? – Das Mädchen hielt mich also für verheirathet. Ich konnte kaum weniger thun, als mir selbst geloben, daß die Wahl ihres Schutzfreundes die arme Tony nicht gereuen solle. Sie entdeckte mir nun ihre Bedrängniß. Der Onkel war in einem Anfalle von Eifersucht plötzlich so dringend in seinem Werben geworden, daß die Nichte zagte, er mögte ihr im Umsehen den Brautkranz mit tölpischer Hand auf die weichen Locken stülpen. Dann hatte sich noch ein Freier gefunden, den die Tante begünstigte, und das war noch schlimmer. Frau von Schütz hatte gedroht, ihr Vermögen an Fremde zu vermachen, wenn Tony den Forstrath heirathe, und dieser einen Eidschwur darauf gesetzt, daß er seine Hand von ihr abziehen wolle, wenn sie die seinige nicht nähme, oder den ihm verhaßten Rival vorzöge, und die Tante hatte öfters Schlaganfälle. – So war Tony in der Lage eines Gegenstandes, den Zwei zankend hin und her zerren, er zerreißt. Abends vorher war eine Scene vorgefallen, der Forstrath hatte sich krank geärgert, und lag zu Bett. Tony, zum Aeußersten gebracht, war in einer schlaflosen Nacht zu dem Entschluß gekommen, zu entfliehen. Sie kam, mich um eine Männerkleidung, wie um meinen Rath für mögliche Fälle zu bitten. – Du kannst denken, Freund! daß ich über diesen kühnen Einfall erschrak, und ihn dem Mädchen auszureden suchte. Das schöne, blühende Geschöpf, landflüchtig! ich schilderte die Gefahr dieses Wagnisses so entsetzlich als möglich; doch Tony blieb hartnäckig dabei, sie könne es länger bei ihren Verwandten nicht aushalten. All meine Mittel sind erschöpft, sagte sie, auch bin ich wohl zu geängstet, zu längerem Widerstande; ich bin nichts, als ein armes, zitterndes Opfer, so oder so. Fräulein! sprach ich: Sie haben doch sonst die Fähigkeit entwickelt, Ihren Drängern die Spitze zu bieten. – Ach! versetzte Tony: Sie kennen die Gewaltsamkeit nicht, womit man seit einiger Zeit auf mich eindringt; hätte ich mich nur ein Jahr noch behaupten können – ich dachte, sie wolle damit sagen, dann würde ihr der Ersatz durch Dich gekommen seyn. Nimm einen Dritten, hatte die Tante gesagt, so mag es drum seyn und Keines von uns hat seinen Willen. Ach! seufzte Tony, ein anderer Name wäre mir ein anderes Schicksal; der kleine Schütz meines Wappens, der ohne Unterlaß auf mich anlegt, würde zum Schutz für mich, könnte ich ihn tauschen. – Selbst eine Scheinheirath würde ich als eine wahre Erlösung betrachten können. Das Frauenhäubchen wäre mir Fortunatus Wünschhütlein, und ich könnte mich versetzen, wohin ich wollte. Ein Mädchen ist gebannt in seinen Kreis, und wenn ihn die Hölle umschriebe. Freilich, auf jede Brücke mögte ich nicht treten. – Ein dunkler Gedanke schwebte mir vor, als Tony diese Worte sprach, es war mein Dämon, der mir die verfängliche Antwort eingab: Fräulein! wenn sich nun ein Mann fände, den Sie der Hoffnung würdigten, auf diese Weise Ihr Retter zu werden, was dann? – Dann, sagte Tony: verspräche ich, ihm das Leben so sauer zu machen, daß er froh und gewiß seyn sollte, mich nach sechs Wochen wieder los zu werden; wir würden uns einmüthig über die Scheidung bereden. Ich aber wäre selbständig, und dürfte mir keine Unbill mehr gefallen lassen. – Diese Idee faßte mich; lasse Dich aber den Teufel bei einem Haare fassen, und Du bist sein auf ewig! – Wisse, Freund! meine erste Heirath war eine heimliche, die Gattinn war nur vor Gottes Augen mein. Hier kam es darauf an, der Gemahl einer Fremden zu scheinen, und begierig haschte ich nach diesem waghaften Verhältniß, wie nach dem Schatten von meinem verschwundenen Glück. – Fräulein! sagte ich, Sie sprachen vorhin: auf jede Brücke mögten Sie nicht treten? die meinige ruht auf den festen Pfeilern der Ehre und der Freundschaft. Wollen Sie Sich mir anvertrauen? ich entdeckte ihr nun Deine Liebe, und wie Du an ihrem erwiedernden Gefühl gezweifelt, und weshalb Du geschwiegen. Tony schwieg auch. Sie lächelte, reichte mir die Hand, und sagte: ich überlasse mich Ihnen gänzlich. – Ich wußte nicht, wie mir geschehen, als ich, nachdem sie fort war, meine Briefe wieder aufnahm. Welche Reihenfolge von Gedanken schloß sich dem Fragezeichen an, bei dem ich aufgehört? O! warum beherzigte ich jenes warnende Zeichen nicht? – Ich weiß nicht, ob Du je zu der Erfahrung gelangt bist, daß Niemand größere Gewalt über uns übt, als Wer ein früheres Mißtrauen in uns überwunden? – Umsonst ward ich mir meines Verdachts gegen die listige Tücke dieses Mädchens bewußt, vergebens schreckte mich eine ahnungsvolle Scheu, ein unwürdiges Gaukelspiel zu treiben: hundert Sophismen bekämpften mein sträubendes Gefühl. Wie viele erbärmliche Motive schließen nicht täglich Ehen! dachte ich; mein rascher Entschluß entspränge mindestens dem redlichen Willen, Freiheit und Liebe, diese höchsten Güter Andern erwerben zu helfen. Ich wollte eine Sclavinn lösen und sie heilig halten, die Braut meines Freundes. Was nun folgt, kann ich nicht folgerichtig beschreiben. Es ist nur ein wüster Traum, den ich mir nicht deutlich machen darf, wenn ich nicht von Sinnen kommen will, daß ich es damals war. Ich warb um Tony; Frau von Schütz sagte mir ohne Weiteres ihre Nichte zu, ich fand nicht einmal die leise Zurückhaltung der Schicklichkeit. Man hielt mich für reich, um eine Bürgschaft für meinen Character, für alles Wesentliche kümmerte sich die Tante nicht, und mir blutete das Herz, daß die arme Tony so waisenhaft verlassen wäre von mütterlicher Fürsorge. Von einem Mitbewerber war die Rede auch nicht, es schien, als ob Frau von Schütz eine gegenseitige Neigung zwischen uns voraussetze. Der Forstrath lag ernstlich krank. Wenn er stürbe, Ihr Onkel, Fräulein, sagte ich, so wäre ein Grund gehoben – gereut es Sie schon? fragte mich Tony mit aufreizendem Spott, ich sage Ihnen, es ist nichtsdestoweniger nothwendig, daß Sie Sich meiner annehmen. Ich war bereits zu sehr von diesem in seiner Art einzigen Verhältniß befangen, um es noch durchaus beherrschen zu können. Noch benahm sich Tony mit jener Subtilität gegen mich, deren ich auch bedurfte. Sie hielt mich an der feinsten Kette. Wenn andere Brautleute von der Ewigkeit ihrer Liebe reden, so flüsterte Tony mir zu, in welcher Kürze unsere Trennung zu beschleunigen wäre. – Ich sollte sie unter dem Vorgeben einer Reise nach meiner Heimath in die Sch–. bringen, wo eine Gespielinn ihrer Kindheit glücklich verheirathet lebte; dort wären wir weit genug, meinte sie – um unser Scheiden in eine Nebelferne einschleiern zu können. Dies war wohl recht gut; aber ich athmete schwül, ich athmete Gift, der Keim einer Krankheit setzte in mir an. Ein ängstliches Schwanken, ein Schwindel von Unsicherheit hatte mich ergriffen, ein Zustand ängstlicher Betäubung ließ mich nicht mehr festen Fuß fassen auf irgend einem vernünftigen Grunde. Doch lasse mich kurz seyn – Lieber! mein Schmerz ist dennoch lang.«

»Ha! ich ahne –« sagte Cölestin, der bis dahin regungslos zugehört. »Nein, es kommt über Erwarten –« fuhr Sylvius fort, »höre nur weiter! Frau von Schütz machte mir die Proposition, mich je eher, je lieber trauen zu lassen, weil man nicht wissen könne, welchen Ausgang die Krankheit ihres Bruders nähme. Dann wolle sie, ginge er mit Tode ab, unverweilt diesen Ort verlassen, und Gott danken, den Leichtfuß, die Tony, wie schwer lasse ein Mädchen sich hüten – unter der Obhut eines Mannes zu wissen, eines Mannes, dem sie nun pöbelhaft die unverschämtesten Schmeicheleien sagte. – Tony hatte mir entdeckt, daß sie sich durch die Freigebigkeit des Onkels ein hübsches Capital gesammelt, wovon sie bequem ein paar Jährchen zu leben gedenke. Es war etwas in dieser Vorsichtigkeit, was mir mißfiel; doch auch dies Mißfallen an dem berechnenden Talent, einen verliebten Thoren zu bevortheilen, mußte Zeit haben, um nachzuwirken. – Auf Tonys Anstiften gab die Tante die Ausstattung der Nichte in Geld, weil wir ja reisen wollten, und zwar vom Hochzeittage aus; der Zustand des Forstraths, die Schonung für seine Schwachheit, diente zum Behuf dieser Wegeile. – Wir wurden im Armenhause copulirt, ich, der Bräutigam, der Aermste von Allen, die der Ceremonie zusahen. Ich leistete den falschen Schwur, innen verneinend, wie die Juden – ich gab Tony einen falschen Namen, denn auch Du, Lieber, kanntest meinen wahren nicht. Die warme Mondnacht wollten wir zum Fahren benutzen, und mit der Dämmerung abreisen. – Ich hatte mich schon seit einigen Tagen nicht ganz gut gefühlt; die Wiege des Wagens schaukelte den tobenden Kopfschmerz nicht zur Ruhe, ich lag zwischen Schlummer und Traum, und ein Cyclop arbeitete in meinem Gehirn. Ein Hauch von Feuer ging aus von meiner Stirne, mein Athem dampfte Gluth, zugleich schlich ein schauerndes Frösteln und Ziehen durch meine Glieder, und die Füße zitterten mir auf der weichen Decke. In welche phantastische Welt schien der schöne stille Mond! ich drückte die Augen zu, weil jeder Blick mich schreckte und schmerzte; die Braut schlief sanft an meiner Seite. – Als ich erwachte, fand ich mich mit dumpfem Bewußtseyn in fremden Umgebungen. Ich lag im Bett, unter dem Gebälke eines ländlichen Stübchens; ein starker, betäubender Geruch von Moschus wirkte auf mich ein. Tony saß auf einem roth und blaugemalten Schemel in meiner Nähe, ein dicker Mann stand vor ihr, und großäugig schauete sie zu ihm auf. Ich rief sie leise. Sie stieß einen Freudenschrei aus, und stürzte in froher Hast zu mir hin. Der Dicke, es war der Arzt – wünschte mir mit fetter Stimme Glück: ich hatte dreizehn Tage in einem Nervenfieber gelegen. – Der kleinen Frau nur, sagte der Licentiat bescheiden, als Tony sich auf einen Augenblick entfernte, verdanken Sie nächst Gott Ihr Leben. Sie ist nicht aus den Kleidern und von Ihnen weggekommen. Solch eine wackere Pflegerinn lobe ich mir. – Tony, sprach ich, als wir allein waren: der Arzt hat mir gesagt, wie viel Sie für mich gethan, es ist nun der Güte genug. Denken Sie an Sich, an das eigene Wohl – ich bin Ihr ewiger Schuldner. Lachend antwortete Tony: das wäre mir was! der Himmel selbst hat mich in mein Recht eingesetzt, daraus ich mich nun nicht mehr verdrängen lasse. Und wenn Du mich noch einmal Sie nennst, so sage ich dem Doctor, daß Du noch immer phantasirst, mich nicht erkennst für Deine Frau, und die Cur geht von Neuem an. So sprach sie mit reizender Gutherzigkeit; ich fühlte mich Tony nun wirklich verbunden. Lust des Lebens und der Liebe wallte wieder auf in meiner Brust, meine Seele strömte gegen die ihre. Sie setzte mich in tausend kleine Verlegenheiten vor dem Arzt, und zwang mir die Rolle eines Ehegatten auf. Sie überwältigte mich durch trautes zärtliches Zudringen an mein Herz, ich war ganz in ihren Fesseln.« – Der Administrator machte eine schmerzhafte Bewegung. Sylvius hielt einen Moment inne, dann fuhr er mit steigendem Tone fort: »Freund! spricht keine Entschuldigung für mich an? versetze Dich an meine Stelle. Ich dachte an Dich mit einer Wehmuth, die mir Dein Andenken trübte. Allmählig ging mir der Gedanke auf, daß eine geheime Leidenschaft meine Handlungsweise geleitet hätte, der ich willenlos nachgegeben, wo ich nur dem Drange der Umstände zu weichen glaubte. Jetzt mußte ich an meiner Liebe halten, sollte ich nicht in die tiefste Schaam versinken. Ich war mir selbst ein Räthsel geworden und wünschte aufrichtig, der Tod mögte es lösen. – Aber ich genas; nur ein krankes Gefühl innerster Schwäche vermogte ich nicht zu überwinden. Wie Alpen lastete es auf meiner Seele, Freiheit und Kraft lagen hinter mir – und ich meinte dieser Schwermuth zu erliegen. Ich dachte nunmehr ernstlich daran, wo meines Bleibens seyn würde? nirgend! sagte eine Stimme tief in der Brust. Mein Vater lebte noch; ich war sein Assistent gewesen, seine Stelle war mir bestimmt. Ein Sehnen wie Heimweh zog mich nach dem Orte, wo ich den väterlichen Greis einsam wußte. Ich wollte ihm Tony als Tochter zuführen und den Heerd meines Glückes häuslich bauen. Mein Arzt forderte, daß ich mich nicht übereilen sollte, auch meine Kräfte forderten das. – So verließen wir das Dorf, wo ich an einen denkwürdigen Abschnitt meines Lebens gekommen war, und zogen unsere Straße. Eines milden Abends im Frühherbst gelangten wir in ein paradiesisches Thal; durch eine Gebirgsschlucht sah man eine Stunde davon entfernt, einen berühmten Brunnenort liegen, und ein bläulicher Duft, wie von den Stahlkräften der Quelle aufsteigend, webte geheimnißvoll um die glänzenden Gebäude. Das nette neue Wirthshaus, woran wir hielten, war im Widerspruch zu seiner Bestimmung, in den Reiz der Ruhe eingehüllt. Eine junge Frau, blond wie ihr Flachs, saß und spann, eine Reihe steinerner Brunnenkrüge, in denen die Sonne funkelte, war aufgepflanzt. Gegenüber lag auf Felsen erhöht ein altes Schloß von gothischem Bau. Das Wasser, was ich trank, war köstlich, ich äußerte mich begeistert über diesen Aufenthalt, und Tony sprach: ei! so lasse uns hier rasten, und trinke Dich satt! – O! hätte ich Lethe getrunken! – – – Wir blieben da. Ich saß im Garten und starrte hinüber nach dem Schloß. Der linke Flügel nur schien bewohnt; ein Fenster stand offen, und der Wind blähte die weißen Gardienen. In diesem Spiel der Luft wehete mich der Odem eines befreundeten Geistes an, ich fühlte mich warm durchdrungen. Meine Gedanken schlüpften in die Falten des kleinen Segels, und schifften über das liebe stille Meer der Ahnung. Tony kam und sagte: ich säße gleich dem Ritter Toggenburg – und sähe so blaß aus wie eine Leiche. Sie war so zärtlich, wie noch nie. Ihr Eingehen in meinen Wunsch, ihr Anschmiegen an meine Stimmung that mir wohl. Die trauten Beziehungen eines innigen Zusammenlebens hatten zwischen mir und meiner ersten Frau nicht Statt gefunden. Diese war mir eine hohe Braut gewesen, zu der ich mich im Verhältniß der Leidenschaft befand, gedemüthiget, mein Recht verleugnen zu müssen vor den Menschen; in den Augenblicken, wo ich mein Eigenthum an mich riß, fühlte ich mich einen Gott. Wie anders mit Tony! hier verhindert mich der wunde Stolz des Gewissens, den Begriff der Ehe zu fassen; aber ich empfand mich geliebt. – Sie lehnte den Kopf an meine Schulter und flüsterte mir süße Worte der Besorgniß zu. Ich scherzte, sie würde sich zu trösten wissen, wenn ich auch stürbe. Ein weiblicher Character, wie der ihrige könne der Stütze entbehren, und ich sey doch nur ein wankender Stab. – Tony schmollte. Glaube nur, Geliebte, sagte ich mit verstärkter Stimme, indem ich sie an mich drückte: kein Mensch, wenn er hinweg ist, macht eine Lücke, die nicht irgend womit ausgefüllt würde; kein Gestorbener, käme er wieder, und wären tausend Thränen um ihn geflossen – fände mehr Raum in der Welt, die so drängend ist im Ersatz. Die Geschichte jener lebendigbegrabenen Frau, die da heimkehrt zu nächtlicher Stunde und vergebens an Haus und Herz der Ihrigen pocht, die sie nicht kennen wollen und für eine blasse gespenstische Lüge halten, so daß sie wieder zurück muß in die Wohnung der Todten, um dort Herberge zu suchen, ist von ergreifender Wahrheit. Das Grab ist zuverlässig, und nur der Lebende hat Recht. – Als ich dies sagte, überrieselte mich das leise Geräusch naher Schritte mit einem wundersamen Schauer. Eine weiße Gestalt geht, nein, schwebt hurtig an uns vorüber, so daß ihr langes Kleid die Grasspitzen hörbar tüpft. Sie wendet das Gesicht vom grünen Schirm des Hutes magisch entfärbt, nach unserer Gruppe – ich hielt Tony umfaßt. O! ich kannte dies bleiche, schöne, liebe Gesicht gar wohl. Mit einem Blick im Fliehen ward mir mein Urtheil zugeworfen; nur einen Moment sah ich in dies blaue Auge, in meinen verscherzten Himmel –: es war meine Frau.«

»Allgerechter Gott!« rief der Administrator, als gäbe ihm die Erscheinung einer Mitbetheiligten das Recht, laut zu werden, »und Du irrtest Dich nicht?«

Sylvius lächelte. Dies Lächeln, ein Schattenriß jener Vision, schnitt seinem Freunde in die Seele. Er sprach: »ich sage Dir, bei dem lebendigen Gott! Sie war es wirklich. Ein kleines blankes Schlüsselbund an ihrem Gürtel klirrte, da sie in achtloser Eile über eine Baumwurzel strauchelte. Sie trug einen Zweig Ebereschen in der weißen Hand, die lagen verstreut auf dieser Stelle, da ich sie suchte, wie Blutstropfen, die von meinem Herzen abgeträufelt wären. Frage nicht, wie mir gewesen; ich weiß nichts von jener Zeit. Tony glaubte, daß ich mir einen Paroxismus durch Erkältung zugezogen hätte. – Wer war die Dame? wo ist sie hin? fragte ich die Wirthinn, und meine Zähne schlugen an einander. Ich erhielt keine andere Auskunft, als den Bescheid: es wohnten ein paar Brunnengäste auf dem Schlosse, ein Herr und eine Dame, diese würde es wohl gewesen seyn; stille, vornehme, absonderliche Leute, sagte die Frau mit einem Fingerzeig gegen die Stirne, die das Geräusch nicht lieben, und Niemand etwas zu Leide thun. Sie mogte meine Geberde für Furcht halten. – Die Nacht kühlte mich nicht; ich lag in Angst gebadet. Noch war die Sonne nicht aus dem Morgenthor gegangen, da läutete ich schon an dem des Schlosses. Ein schlaftrunkener Wächter that mir auf und schnaubte Grimm; doch der wilde Mann auf dem Goldstücke, welches ich ihm vorhielt, machte ihn zahm. Er habe strengen Befehl, Niemand einzulassen, sagte er, seit gestern Abend. Auch sey die Gräfinn unpaß. Also krank! dachte ich. Wer krank ist, lebt doch! ich aber war gekränkt bis zum Tode. Und als die Thürflügel hinter mir zufielen, fühlte ich mich von jeder Hoffnung auf ewig ausgeschlossen. Willenlos ließ ich nun Tony über mich verfügen, die unsere Weiterreise beschleunigte. Sie weinte im Wagen – ich sprach kein Wort, ein Laut von meinem Schmerz hätte mir die Brust gesprengt. In der nächsten Stadt ging Tony aus und kam mit einem Doctor wieder, den sie selbst geholt hatte. Es war ein ehrwürdiger Mann, der mir Zutrauen einflößte. Er tadelte collegialischer Weise meinen vorigen Arzt, der mich so früh in der Reconvalescenz nicht hätte reisen lassen sollen, und meinte, nun müßte ich acht Tage Quarantaine halten: ich bedürfe Ruhe. O Gott! – Sein Auge schien mit Liebe auf Tony zu verweilen, die, wie er und seine Frau gefunden, ihrer einzigen Tochter sehr ähnlich sähe, welche ihnen vor zwei Jahren eine ansteckende Krankheit entrissen, wozu der Vater selbst den tödtlichen Stoff herzugetragen. Wie rührend schilderte der Mann mir diesen Schmerz! – Er bat mich, der armen Mutter den Trost dieses Anblicks zu gönnen, und während unseres Aufenthalts freundlich zu ihnen zu kommen. Diese herrlichen Menschen werde ich nicht vergessen. Mir kam der Gedanke, Tony, die ich besser nicht aufgehoben wüßte, bei ihnen zu lassen, allein in meine Heimath zu reisen, das Terrain zu recognosciren, und sie dann abzuholen. Tony schien dieses Vorschlags froh, der Doctor und seine Frau gingen mit Vergnügen darauf ein. Ich athmete freier und fühlte mich erlös't, da ich im Wagen saß. Der Unglückliche, allein neben Andern, findet Trost darin, einsam zu seyn, und der Gram ist ein unduldsamer Gefährte. Mein alter Vater empfing mich mit großer Rührung. Er kannte den Sohn kaum mehr, so hatte ich mich verändert. Ich wagte es, ihm mein Unglück zu bekennen. Es floß eine große Kraft von ihm aus – und sein sanftes Wort fiel wie Thau in meine brennende Seele. Sylvius, sagte er: Du hast ein gefährlich Spiel gespielt, und ich fürchte, Du hast es verloren – finde Dich nur darin; den Vater sollst Du stets in mir finden. Ein Zurückgehen in seine alten Verhältnisse ist dem Menschen immer unmöglich, jede Stunde reißt uns von der vorigen ab, und der zerrissene Faden einer Fügung läßt sich nicht haltbar wieder anknüpfen. Gott fügt zuletzt doch Alles wohl. Ermanne Dich, mein Sohn! der Muth hilft Berge tragen, und der Glaube versetzt sie. – Wie oft hatte ich dieses frommen Glaubens heimlich gespottet! jetzt neidete ich meinem Vater seine stille Gelassenheit. Er war es zufrieden, daß ich ihm Tony brächte. Wir wollen sehen – sagte er mit bekümmertem Blick. Ich will Tony also holen. Auf der Straße jener Stadt begegnet mir mein alter Doctor. Er erkennt mich bestürzt und ruft: nun, es ist doch kein Unglück vorgefallen? ich frage: wie so? – Tony war seit fünf Tagen fort, vorgebend, Nachricht von mir erhalten zu haben, daß ich mein Versprechen unmöglich erfüllen könne, und dringend nach ihr verlange. Die Frau des Doctors zitterte an allen Gliedern, ich sah, man verschwieg mir etwas. Auch liegt ein Brief an Sie da, sagte Jene, der den Tag nach der Abreise Ihrer Frau Gemahlinn ankam, mit dem Vermerk, daß wir ihn aufbewahren sollten, bis daß er abgeholt würde; dieser Umstand ist uns sehr aufgefallen. – Tony schrieb mir: von den letzteren Erfahrungen überzeugt, mit welcher Aufopferung ich mich ihrer angenommen, wolle sie mir nicht länger beschwerlich fallen, und ich dürfte sie um so ruhiger ihrem Schicksal überlassen, als sich ein Begleiter für sie gefunden, der die Pflicht, sie zu beschützen, für sein Glück halte, und mit Freuden jede Verantwortlichkeit auf sich nehme. Böslich habe sie mich nun zwar nicht verlassen, was uns sogleich scheiden werde – aber ich könne immerhin darauf klagen, und auf was ich immer wolle. Sie ertheile mir die unbedingteste Vollmacht für alle Fälle der Schuld, und wünsche mir, wohl zu leben. – Bei dem Tone leichtsinniger Indifferenz in diesem Schreiben, war es mir, als ob ein Fenster zerspränge; freie Luft strömte mich an, und ich sah Alles, Alles ein!«

»Sieh!« sagte Cölestin mit einem Klange der Rede, als hätte eine lange Dissonanz sich gelös't, »so hat auch Dich diese falsche Tony nicht geliebt. Sie ist eine Schauspielerinn, die heute im Fache der Intrigue siegt, und morgen als gedrückte Unschuld rührt. Du warst nur das Vehikel ihres Talents und ihrer Zwecke. Sie hat Dich zu der schwersten Rolle gezwungen. Armer Freund! ich muß Dich beklagen und mich dazu, daß ich Veranlassung dazu gegeben. Sprich mir nicht davon, daß sie Dich gepflegt, Dir Güte und Liebe bewiesen: auch eine Actrize fühlt, und vergießt natürliche Thränen; es liegt eine Fähigkeit in der Lüge, daß sie sich selbst für wahr hält. – Wer war denn aber das neue Opfer ihrer aimablen Kunst?«

»Ein junger Mediziner, ein Libertin, der Beschreibung nach,« antwortete Sylvius »der, zur Zeit Secondairarzt des alten Doctors, Gelegenheit gefunden, mit Tony schnell bekannt zu werden. Das Aehnliche findet sich bald aus. Er hatte einen Ruf nach Liefland erhalten – Tony war immer progressiv. Sie ging mit ihm, und die treue Aufsicht jenes würdigen Paares ward getäuscht.«

»Und Du?« fragte der Administrator. »Und ich?« fragte Sylvius mitleidig zurück und sprach: »es giebt Erfahrungen, welche durch ihre glühende Beize die ganze Ichheit in ein fremdes Gefühl verschmelzen. Ich hätte Gott danken mögen; aber ich konnte nur sein Wunder denken. Als jener reine Geist erschien, verschwand der Trug des Blendwerks: denn die Liebe ist Licht! ist Befreiung! – Unsere Ehe war null und nichtig. Ich eilte ohne Weilen zu meinem Vater, ihn der Sorge um mich zu entheben. Gern hätte ich ihn unterstützt mit meiner besten Kraft, diese war mir hin. Eine Zeitlang sah er meinen ohnmächtigen Versuchen zu, mich zurecht zu finden, dann sagte er: so geht es nicht, mein Sohn! gehe nur in die weite Welt, und wenn ich auch unterdessen in die Enge geriethe. Der gute Greis! ach! ich verstand ihn, obgleich ein väterliches Lächeln mich über den düstern Sinn dieses Ausdrucks täuschen sollte. Unsere Familie stammt ursprünglich aus Castilien. Dahin reise! sagte mein Vater, der es wußte, daß, dies Land zu sehen, ein früher Wunsch meines Lebens gewesen war. Die spanische Sprache, unser Muttertheil, hatte sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt; wenn auch das Wenige, was ich überkommen, nur ein Stammeln genannt werden konnte, deutlich machen, konnte ich mich doch. O mein Freund! diese Reise war mir wie eine Wallfahrt, und mit büßender Seele trat ich sie an; ich hoffte, mich müde zu träumen an der Wiege meiner Väter. Etwas Schöneres als die Einsiedeleien dieses Landes giebt es auf der ganzen Erde nicht. Wo die Natur eine stille Capelle gebaut, da finden sich auch Spuren öder Hausaltäre, und ein Hauch südlicher Glut webt unter diesen heiligen Schatten. Man sieht, der Mensch hat die Hand nur leise heben dürfen, um das Höchste in Besitz zu nehmen. Die reizende Ueppigkeit des Bodens ließ mein armes Herz freudeleer, der Glanz der Städte schimmerte mir kein Glück vor, die Verwickelungen der Politik zogen mich nicht an, nur die Poesie der Einsamkeit war es, was mich rührte. Ich zog hin, ich zog her – die Zeit zog auch vorüber; ich forschte nach der Quelle meiner Abkunft – der Ruhe Quell in meiner Brust war mir verschüttet. So hatte ich kaum gemerkt, daß meine Baarschaft zu Ende ging. Der Schmerz, welcher den Geist reift, ist in Betreff auf zeitlichen Vortheil ein Mündel unseres Herrgotts. An den Pyrenäen traf ich einen Deutschen. Ich fand Gelegenheit, ihm einen wichtigen Dienst zu leisten, dann fand ich etwas Seltenes: einen Dankbaren. Ich konnte seine großmüthige Erkenntlichkeit nicht ablehnen. Wir blieben eine Weile zusammen. Er entließ mich nicht, ohne mir das Versprechen abgedrungen zu haben, daß ich, wären meine Verhältnisse zu lösen, mich seinem Schicksal, seinem Glück auf immer anschließen wolle. Er war ein sehr bevorzugter Mann, unabhängig, und begünstiget zu der Freude, seinen Freunden nützen zu können. Mein Vater war todt, seinen Ehrenplatz nahm ein Anderer ein, Fremde schalteten und walteten an heimischer Stelle, überall vermißte ich das Geliebte. – Ich sehnte mich, ach Cölestin! ich sehnte mich unaussprechlich zu Dir! – Einmal nur wollte ich Dich wiedersehen und Dir sagen, wie Alles gekommen. Dann scheide ich für immer. Ich habe die Schuld bezahlt – wirst Du sie auslöschen in Deinem Herzen?«

Der Administrator heftete einen langen, feuchten Blick auf seinen Freund und sprach: »lasse es doch gut seyn. Dein Andenken war mir nie so verwischt, daß ich Dich nicht wieder erkennen sollte. Gott tilgt Alles! von den meisten Tugenden heißt es: sie werden einst nur vergeben. Du bist mein Freund und bleibst bei mir

Sie hielten sich schweigend umfaßt – ihre Herzen schlugen hoch aneinander, keine Liebe reicht an die verzeihende.


Am folgenden Morgen hatte Frau Fabia eine lange geheime Unterredung mit dem Freunde ihres Schwagers. Sie schien einen alten Bekannten in ihm wiedergefunden zu haben; ohne lebhaft laut über dies erneuerte Verhältniß zu werden. Und daß auch hierin die beiden Schwägerinnen zu gleichen Theilen gingen, geschah es, daß, ehe die Wintersonne desselben Tages sich neigte, Therese bei der unvermutheten Ankunft des Lieutnant Feldmeister in dem Neffen des Majors jenen Offizier erkannte, der mit entschlossenem Muthe ihr mütterliches Gut vor gänzlicher Einäscherung geschützt hatte.

Auch Rudolph stand betroffen, da er die schöne junge Frau erblickte. Eine Feuerröthe, der Widerschein jener Flammen, schlug in seinem Gesichte aus, und eine Wunde, die er im polnischen Kriege davon getragen, schmerzte ihn tiefer, als die erst geheilte. Er nannte die Gattinn des Constanz: »mein gnädiges Fräulein!« Therese hatte sich reizender noch entfaltet; ihre Augen leuchteten unstät und frühlingskräftig wie Sterne am Firmament einer warmen Mainacht, der Blick einer Frau ist ein sanftes, bestimmtes Licht am häuslichen Horizont. Sogar in dieser kalten Jahreszeit verschmähete Therese das Häubchen, und trug das braune Haar üppig frei, als könne ihr Flattersinn selbst einen Zwang von Flor und Band nicht dulden. Alle ihre Bewegungen hatten den tanzenden Rhythmus der Freude; der Gang einer Gattinn ist schwerfällige Prose und schreitet nur unter dem Klingklang eines Schlüsselbundes einher. Kein Gewicht dieser Art beschwerte den Gürtel dieser leichten schwebenden Gestalt. Zwar hing in ihrem rechten Ohr ein winziger Schlüssel von Gold und Demant, und in dem linken das dazu passende Schloß; doch ohne daß der erstere etwas Anderes eröffnet, als den Geschmack im Putz – das letztere ein volles Herz bewahrt hätte. –

Als Rudolph nun hörte, daß er eine Strohwittwe vor sich sähe, da meinte er, seine Hoffnung, daß der Zufall ihn wohl nicht umsonst mit diesem anziehenden Wesen zusammenführe, wäre auf eine taube Aehre gefallen.

Auch Therese fühlte sich durch den Anblick des Lieutnants in die Vergangenheit entrückt. Sie hörte im Geiste das Schießen der Feinde – Thränen schossen in ihre Augen und schleierten das Bild der blassen Mutter ein.

Als der Major seinem Neffen die Verhältnisse des Hauses auseinander setzte, konnte Rudolph vor Allem die seltsame Ehe Theresens nicht fassen. Er schüttelte den Kopf und sprach: »Sie kann nur an den Mann im Monde verheirathet seyn. Nur diese Entfernung, und die Kälte des Planets macht es denkbar, solch ein himmlisches Weib Jahrelang missen zu können. Und welche Gleichgültigkeit liegt darin, eine Frau, wie diese, dem Bruder zu überlassen, der doch ziemlich jung und ein sehr hübscher Mann ist! – Die vertraulichen Beziehungen ihres Zusammenlebens –« »sind eine Höllenplage für ihn, der gern friedlich wäre,« unterbrach der Major seinen Neffen, indem ein sarcastisches Lächeln des Oheims dem Lieutnant zu denken gab. »Es ist sehr möglich,« fuhr Jener fort, »daß dieser ärmste Prälat ein Cölibateur bleibt, wie seine geistlichen Namensbrüder, bloß weil er das Glück genießt, der Schutzherr zweier Frauen zu seyn. Wer mit der Schönsten familiair umzugehen ein Recht hat, verliebt sich selten in sie. Du, mein Junge, sprichst wie der Blinde von der Farbe.«

Die Schwägerschaft nahm plötzlich wandelnd eine hellere in den Augen des Neffen an.

Das Leben der Hausgenossen im Stifte gestaltete sich nun um vieles anders. Der Administrator war sichtlich erheitert, seit er den Freund zur Seite hatte, und seine Gesundheit kräftigte sich zusehends. Sie ritten täglich zusammen aus, Pläne zu Verbesserungen der Güter beschäftigten sie daheim. Ein gemeinnütziger Ernst, der sich gegenseitig mittheilte, ließ sie Bedacht auf Alles nehmen, was dem Wohl der äußern Angelegenheiten förderlich werden könnte. Sie tauschten ihre Ansichten aus – und ein solcher Freund hatte dem Verweser nur gefehlt, daß er seine Stellung sich mit Lust und Liebe aneigne. – Der Oberförster war ein bejahrter Mann; Cölestin dachte, seinem Freunde zu diesem Posten helfen zu können, so würde die Zukunft sie nicht mehr trennen. Auch gab es für einen so fähigen Kopf auf jeder Stelle Beschäftigung, und Sylvius nützte den Renten des Klosters, während er der Gast des Hauses war und blieb. Andererseits war dem Administrator nicht minder geholfen. Er schloß sich lediglich an den Gefährten an, und vergaß über ihrem männlichen Thun, was er längst lassen sollen, sich der Zufriedenheit seiner Damen anzunehmen. Ob die Frauen sich vertrügen oder nicht, es kümmerte ihn kaum noch, und Sylvius überzeugte ihn vollends, daß die Weisheit und Gerechtigkeit in höchster Person weibliche Ansprüche nicht auszugleichen vermöge. – Seit die Schwägerinnen keinen Schiedsrichter mehr hatten, brauchten sie auch keinen mehr. Frau Fabia war aus ihrem frommen Hinbrüten aufgescheucht worden. Sie ging gesellig in manche ihrem Wesen fremdartige Idee ein, und war nicht so finster als sonst. Die tiefe Fuge ihrer Tonart hatte sich in Harmonie gelös't, und ein besserer Einklang zwischen ihr und Theresen niemals Statt gefunden. Fabiens Sorge um den Schwager wendete sich, da er gesund geworden war, mehr seinem Freunde zu, der an einer unheilbaren Krankheit des Gemüths zu leiden schien. Sie achtete selbst weniger auf Josephine. Diese brachte jeden Augenblick, der zu erübrigen war, bei der Nonne hin, da Schwester Veronica sich der fremden Männer wegen zurückgezogen hatte.

Therese war liebenswürdiger als je. Sie machte tausend kleine liebreizende Gefälligkeiten geltend, die ihr zu Gebot standen, und selbst Fabia mußte sich gestehen, daß, wenn sie wolle, ihr nicht zu widerstehen sey. Sie entschuldigte heimlich den Administrator, daß er parteiisch gewesen. – Und seltsam! gerade jetzt zeigte sich Cölestin so kühl und selbständig, als hätte dieser Zauber seine Kraft an ihm verloren. –

»Der alte Feldmeister ist aus dem Felde geschlagen –« sagte der Major zu dem jungen, und leise sprach in seinem Tone eine krankhafte Empfindlichkeit an. »Dieser Freund, dieser Fremde, der mir nicht sonderlich behagt, füllt die Zeit und das Herz des Administrators aus. Ein Glück, daß ich Dich hier habe, Rudolph.« Faust knurrte eifersüchtig, als der Oheim bei diesen Worten dem Neffen die Hand reichte.

In der That würde die Freundschaft des Majors kaum einem Gefühl der Zurücksetzung entgangen seyn, wie wenig Cölestin sich auch derselben bewußt gewesen, wären häufige Anfälle der Gicht, die den Ersteren an sein Zimmer fesselten und die Anwesenheit des Lieutenants nicht zur Entschuldigung für den Administrator geworden. So oft das Befinden des Majors leidlich war, vereinigte sich die kleine Gesellschaft. Dann spielte Rudolph mit Theresen Schach, und immer ward sie eine Siegerinn. Es gelang ihm nie, den Ruhm seines Namens gegen ihre kleinen Finessen zu behaupten. »Einmal gewinne ich doch!« schwor er bei jeder Niederlage. Therese lächelte nur.

Wenn der Hauptmann erzählte, der ganz Europa durchreis't seyn wollte, dann sah Rudolph zu Boden auf die Spitze von Theresens Fuß, und mit so tiefsinnigem Blick, als gälte es, die Pointe seines Lebens ins Auge zu fassen. Der Oheim drohete ihm einst mit dem Finger. »Du denkst gewiß an die Geschichte vom Pantoffel –« sprach er neckend, »höre doch unserm Moorhausen zu, der eine lebendige blaue Bibliothek aller Nationen ist.« Er klopfte den Hauptmann auf die Uniform – dieser, unwissend über jene Sammlung Mährchen, machte eine geschmeichelte Miene. –

Frau Fabia sah es gern, daß Josephine so wenig Interesse an der Nähe des jungen Offiziers nähme; für Sylvius hingegen äußerte das Mädchen eine stille innige Theilnahme, welche ihre Pflegemutter vollkommen zu billigen schien. Er ertheilte auf den Wunsch derselben Josephinen wissenschaftlichen Unterricht, und ein zartes geistiges Band hielt den Lehrer und die Schülerinn zusammen, oft lange über die gegebene Stunde, und auch außer der Zeit, welche diesem Zwecke gewidmet war. Und Fabia zürnte nie, wenn Josephine lernend oder liebend nach ihrer Weise einen Auftrag versäumte. Genug, aller Kampf, sogar der Streit der Pflichten schien zu Ende, seit das Opferfest zum Geburtstag des Administrators unterbrochen worden war, und die Weihnachtsglocken hatten längst ausgeklungen, als unsichtbare Engel noch immer über der Klosterflur von Sanct Capella schwebten, welche sangen: »Friede auf Erden! und dem Menschen ein Wohlgefallen.«

Das neue Jahr war schon um einen guten Schritt vorgerückt, und der Tag verlängerte sich merklich, da kam die Nachricht, daß der Lieutnant Feldmeister versetzt sey in eine ferne Garnison, und schleunigst fort müsse. Das Invalidencorps fühlte sich durch diese Ordre wie auf Feldetat gesetzt, es gab Allarm, der junge Offizier war Allen lieb und werth geworden. Auch der Familienkreis des Administrators empfand die Lücke, die nun bald entstehen würde. Therese ging umher, als hätte sie ihr ganzes Glück, ihr Glück auf immer verloren – und der Major sagte zu sich selbst: »Therese ist schachmatt – es ist Zeit, daß das Spiel aufhört.«

Am Abend vor dem Tage, wo der Lieutnant Feldmeister das Stift verlassen sollte, saß Schwester Veronica allein in ihrem Stübchen und blätterte in dem Herbarium ihres Vaters. Tiefe Stille war um sie her, ein heiterer Winterfriede durchathmete die Zelle. Des Lichtes Flamme brannte wie gemalt, der warme Glanz des weißen Oefchens spiegelte sie in blendenden Funken zurück, und das Knistern der innen glimmenden Kohlen störten feuerheimlich diese lautlose Ruhe nicht. Das große Lebensbuch der Pflanzen lag vor der Nonne aufgeschlagen; ihr Auge leuchtete in sanftem Vergnügen. Sie suchte: die Liebe im Nebel – eine Gattung der Passionsblume. Und wie sie Blatt um Blatt wendete, gingen alle Frühlinge, die sie gelebt, an ihr vorüber, und der botanische Garten, darin sie gewohnt, blühete mit den Freuden ihrer Jugend auf. Sie sah den Vater heiß vor Lust, unter dem glühenden Strahl der Mittagssonne, weil keine andere Zeit ihm blieb, betrachtend stehen, die Mutter, wie sie in der Mondkühle einsam unter den Gängen des verlornen Paradieses auf und nieder wandelte, mit traurigen Gedanken, die auf der verbotenen Frucht verweilten, welche eine verführerische Schlange dem Gatten reichte. Sie hörte den Baum rauschen, unter dem der geliebte Bräutigam einer Andern Treue versprach, und mit dem Regen jener Stunde, dem so viele Thränen nachgeflossen, rieselten leise Schauer der Erinnerung über das Herz der guten Nonne. Da naheten eilende Schritte, die Thüre ging auf, ohne daß Jemand angeklopft hätte, und Josephine trat herein, scheu und hastig. Schwester Veronica hob den Blick auf, der ängstlich auf dem lieben Kinde haftete, und sprach: »was ist Dir, Mädchen? Dein Gesicht brennt, Du siehst aus, als hättest Du geweint, oder als würde es eben geschehen, und der große Schlüssel zittert in Deiner Hand?«

Josephine antwortete mit erstickter Stimme: »mir hat Niemand etwas zu Leide gethan, und doch fühle ich so. Ach liebe Veronica! ich habe etwas Entsetzliches erfahren – das lege ich nieder in Ihre tiefste Brust.«

»Es bleibt darin begraben –« versicherte die Nonne feierlich leise und mit der Kraft des Schweigens, »sprich ruhig, mein Kind.«

Mit gebundenem Athem begann Josephine: »ich ging, wie Sie wissen, in die Capelle, die Lampe mit Oel zu versehen. Immer freue ich mich auf dies kleine Geschäft bei dem ich länger verweile, als nöthig wäre. Dort stört mich nichts in meinen stillen Träumen. Das Herz ist mir jetzt zuweilen so gedrückt, so enge – als fände ich nirgend Raum für Wünsche, die ich nicht zu nennen weiß, den ausgenommen, daß ich einst in dieser Capelle ruhen mögte. So ist die Maria wie meine gute Freundinn, die es versteht, was ich keinem klagen kann. Als der Docht der Lampe aufglomm, nachdem ich sie getränkt, und dieser Schimmer an das Gewand schien, wie wenn der Mond über dem Wasser schillert, da war es mir, als würde ihr todtes Auge hell, und sie spräche: gieb Dich zufrieden! wir wollen sehen! –«

»Die Liebe, meine gute Josephine,« schaltete Schwester Veronica ein, »gewinnt Allem Leben ab, wie der Glaube eine Seele des Trostes. Das ist der wahre lebendige Hauch aus Gott, und ein ewiges: es werde Licht! – Die Welt wandelt in Schatten des Todes und ihre Werke sind finster. Die Heiligen sehen das Werk an und vergelten auch den kleinsten Dienst. Es wird Dir gewiß wohl gehen auf Erden. Du wirst lange leben, und so betrübt es mich, daß Du in so jungen schönen Jahren schon an Dein Begräbniß denkst.«

Josephine sah die Nonne mit bangem Lächeln an. »Und was geschah denn nun, mein liebes Kind?« fragte diese, »fasse Dich, mir es sagen zu können. Ich will Dich zu trösten suchen, mit Gottes Hülfe.«

Das Mädchen schüttelte leise den Kopf und sprach: »als ich noch sinnend stehe, vernehme ich ein schnelles Kommen und Flüstern. Nun ist es recht besonders, Schwester Veronica, mit den Geistern halte ich Zwiesprach, als wären sie meine Geschwister, und vor Menschen fürchte ich mich? – Ich schlüpfte in den Beichtstuhl und duckte unter – es war nur ein Augenblick, ich wußte selbst nicht, was ich that. Da erkannte ich Theresens Stimme im Gespräch mit einem Manne, und ich merkte sogleich, daß es der Lieutnant Feldmeister wäre. Sie redeten höchst vertraut. Hier sind wir allein – sagte er, als sie in die Capelle traten, hier sucht uns Niemand. Vergessen Sie nicht, antwortete ihm Therese, daß die wächserne Mutter Gottes das Verlorene sucht, und verloren wäre ich, wenn man uns hier zusammenfände. – Sie machte ihm hierauf zärtliche Vorwürfe über seine verfolgende Leidenschaft. Einige Minuten müssen Sie mich hören! betheuerte er, und – o Veronica! was läßt sich in ein paar Minuten sagen! ich meine, Therese hätte ihr Lebelang darüber zu denken. Sie lieben sich – sie lieben sich schon lange. Und Therese ist die Frau eines andern Mannes! – Wenn das der redliche Major wüßte! und – und – der Unglückliche schwor, wenn er sie zum drittenmale finden sollte, dann müsse sie sein werden, und wäre sie mit Ketten an dem Himmel geschlossen. Ich habe nicht gedacht, daß ein Mensch so reden könnte – jedes Wort war ein Funken, der zündete.«

Schwester Veronica sah mit bekümmertem Blick die brennenden Wangen des Mädchens, und seufzte tief, daß diese fromme Unschuld Zeuginn solch einer leidenschaftlichen Scene gewesen. »Den armen Constanz verurtheilte er –« fuhr Josephine mit einer ihrem Wesen fremden, feindlichen Regung fort: »und seine Gattin duldete es. Dem Onkel gönnte er das Glück ihrer Nähe nicht, ihm, der die Frau seines Bruders in freundlichen Schutz genommen, und gar manche Unbill wegen ihr ertragen hat! ich weiß das am besten. Dann sank er ihr zu Füßen – dann küßte er sie – o Gott!« »Er küßte sie!« wiederholte die Nonne leise, auf deren keuscher Lippe nie der Kuß eines Mannes geblüht. »Du armes Kind! ja, das mag eine Angst gewesen seyn. Angesichts der heiligen Jungfrau entblödeten sie sich dieser Sünde nicht! – Und der junge Mann scheint sonst ein liebenswürdiger Mensch.«

»Ach! ich bin dem Lieutnant böse –« sagte Josephine, »das ist nicht edel von ihm gehandelt; ich denke, ein Mann muß seine Leidenschaft bezwingen können. Es hatte mir so gut von ihm gefallen, wie er sich jener alten Dame angenommen – Sie kennen die Geschichte –! nun aber verfällt er selbst in ärgeren Wahnsinn, verliert den Kopf, und Der sich so tapfer schlug, daß die Schwäche des Alters in Ehren gehalten würde, kann sich einen Gedanken nicht aus dem Sinne schlagen, der die Würde einer jungen Frau beleidiget, die wohl noch schwächer ist. – O! das ist nicht löblich! das ist eine Verletzung des Gastrechts.«

»Du hast ganz Recht, mein Töchterchen,« antwortete die Nonne, »und Gott behüte mich, daß ich beschönigen wolle, was sich nicht billigen läßt; nur meine ich, der junge Feldmeister sey bethört, sich selbst entfremdet, und Therese mag ihm wohl reichlich Gelegenheit gegeben haben. Diese scheint mir in sofern zu entschuldigen, daß sie gleichsam nur ein kurzes Achtel verheirathet war, und eine lange Pause ist für dies lebendige Allegro nicht. Wie endete sich denn nun diese Zusammenkunft?«

»Ich seufzte zu Gott,« sprach Josephine, »daß ich erlöset werden mögte, und kaum war dieser flehende Gedanke aufgeflogen, da flatterte eine Motte aus dem Busen der Maria, und schwirrte mit singendem Geräusch um das Flämmchen. Dieser kleine Zufall scheuchte die Liebenden hinweg. Ich zitterte an allen Gliedern und mußte mich erst erholen. Wer aber hatte mir denn was gethan? Was geht es mich an, Wen Therese liebt? Und doch war es mir, als hätte man ein tiefes Gefühl in mir verletzt.«

»Wo die Tugend leidet,« versetzte Schwester Veronica, »da leidet eine reine Seele mit, und der Schmerz dieser Erfahrung ist groß. O mein Kind! Treue ist unser einzig Glück auf Erden! selbst den Nichtliebenden rührt sie mit einem zärtlichdauernden Gefühl, was sich erwerben läßt. – Treue ringt den Himmel nieder in Deinen Besitz – sie ist ein Strahl der ewigen Liebe. Ein wankendes Herz findet nirgend Ruhe. Wir wollen Theresen bedauern. Sie macht Keinen glücklich, und sich am wenigsten. Wenn ihr Gemahl nun heute oder morgen kommt, mit welchem Blicke soll seine Frau vor ihm stehen?«

Josephine sah mit einem flammenden der Nonne in das Gesicht, und diese mogte vielleicht an den Engel des Gerichts denken. Sanften, entwaffnenden Tones setzte sie hinzu: »Gott senke Kraft in Deine junge Seele, an der Liebe des Nächsten zu halten, denn nur, Wer beharret, merke Dir es, mein Mädchen – der wird selig! –«

Josephine schmiegte sich an die Brust der Nonne und fühlte das treueste Herz schlagen. Sie schämte sich, entrüstet gewesen zu seyn, vielleicht zum erstenmale in ihrem Leben – und aus der tiefsten Quelle des weiblichen Gemüths drangen Thränen, herbe und doch hoffnungsvoll, in ihre milden Augen.


Ein paar Monate waren seitdem vergangen. Sanct Capella, von der höher steigenden Sonne bestrahlt, glänzte wie eine weiße Glockenblume mit goldnem Kelche zwischen dem aufgrünenden Frühling. Im Stifte selbst sah man den schönen Tagen, die nun kommen würden, mit drängender Erwartung entgegen. Man nahm sie gleichsam voraus. Frau Fabia ordnete diesmal das große jährliche Waschfest zeitiger als sonst an, und als der April sein Wechselrecht geltend machte, und einen hurtigen Regen über das sonniggetrocknete Linnen ausgoß, behielt ihr Gesicht seine Heiterkeit, der beste Beweis von dem beständigen Wetter in der Laune der guten Hausfrau.

Schwester Veronica, bedrängt von jener heiligen und tiefen Wehmuth, die sich ihrer sanften Schmerzen schämt, schlich jetzt manchmal im Mondschein auf den Kirchhof des Klosters und mit schwellendem Herzen die Mauer entlang, woran der Flieder knospete. Wenn sie in ihrem weißen Gewande zwischen den Gräbern wandelte, im geistigen Verkehr mit den Schatten der schlafenden Schwestern, glaubte man Libitina, die stille Göttin der Todten zu sehen.

Die Offiziere suchten mit frischangeregter Lebenslust das Freie. Major Feldmeister warf den Pelzstiefel zusammt dem Podagra abseits, und rief: »da liege, daß du berstest! ich habe es nun satt, und will gesund sein!« Er schritt herzhaft einher. Die großen Fenster waren geöffnet, die Thüren standen weit offen, als solle der Winter ausziehen. Herr Prälat, empfindlich gegen den Zug, ging als der Zeus des Hauses mit einer Donnerstirn von einem Flügel zum andern, und blitzte hier und da heftig zu. Ein thatenlustiger, rühriger Geist war in den Administrator gefahren. Er sträubte sich beinahe ungebehrdig gegen die krankhafte Ruhe, die seine Kräfte bisher unterdrückt hatte, gegen die Pflege der Weiber. Fabia schalt ihn undankbar, wenn er eine Maßregel ihrer Vorsicht für unnütz erklärte. Sie meinte nach Art einer erzürnten Prophetinn: dieser Uebermuth werde ihm schlimm bekommen. Doch Josephine freuete sich und sagte leise: »Er ist jetzt um Vieles besser.«

Therese ließ ihren Schwager gewähren. Sie ging spazieren früh und spät auf geheimnißvollen Wegen, und nicht selten brachte ein Führer die Verirrte zurück. Frau Fabia sagte kein entscheidendes Wörtchen über diesen entschiedenen Müssiggang. Sie wärmte geduldig das Essen, wenn Therese die Stunde der Mahlzeit versäumte, doch keine begangenen Fehler mehr auf. Fabia wußte vielleicht, daß Theresens Seele unter einer größeren Last arbeitete, als früherhin ihr Leichtsinn und ihre Lässigkeit Andern aufgelegt hatte. –

Als einstmals Therese von einem weiten einsamen Ausflug spät nach Hause kam, die Hände voll selbstgepflückten Veilchen, sah sie einen ausgespannten Reisewagen vor dem Stifte stehen, dessen helles Gelb wie eine große Mondscheibe durch das Dämmern des Frühlingsabends leuchtete. Sie stieß einen kurzen Schrei aus, und ihr war in diesem Augenblicke, als stieße er ihr das Herz ab. Sie floh dem Kloster zu, und stürzte außer Athem in das Wohnzimmer. Constanz war vor einer Stunde angekommen. Seine Frau zu suchen, hatte man Boten nach allen Richtungen ausgesendet. Sie rang die Hände um seinen Nacken; diese Gebehrde sah aus wie Liebe, wie Jammer, und konnte beides seyn. Der Diplomat stand mit Veilchen beschüttet und zitterte sichtbar. Therese verbarg ihr Gesicht, ohne in das seine zu sehen, an der Brust ihres Mannes. Er hob es empor und drückte heiße, langentbehrte Küsse auf ihren krampfhaft lächelnden Mund. Die Familie war versammelt, auch – der Zufall hatte es gefügt – Major Feldmeister und Schwester Veronica, als sollte Niemand fehlen, der näheren Theil an diesem Ereigniß nähme.

Constanz hatte sich nach dem stillen Bemerken seines Bruders auffallend verändert. Die Sonne seiner Reisen hatte ihn gebräunt, seine scharfausgeprägten Züge hatten den Schmelz der Jugend, und den liebenswürdigen Ausdruck unbewußter Herzlichkeit verloren. Staatsmännisches Interesse war dem Ernst der sinnenden Miene tief eingedrückt, und über seine Stirne eilte ein Gewölk von Sorgen, wie getrieben von einem innern Sturm.

»Meine Therese! mein einziges Weib!« sagte Constanz mit einer Rührung, die ihm schön stand: »Du bist bleich und ein wenig abgekommen – Du hast Dich wohl um mich geängstet? Du bist mir nicht böse? Du machst mir keine Vorwürfe? diesen gütigen Empfang habe ich nicht verdient.«

»Ich mache Dir keine Vorwürfe –« antwortete Therese mit gepreßter Stimme, und lauter sagte ihr Gewissen, Wer von ihnen eigentlich so fragen müßte. Aber nun brach Therese in ein convulsivisches Weinen aus. Constanz schien über diese äußerste Wirkung der Freude betroffen. Er hielt seine Frau für krank.

Josephine stand mit der Nonne an einem Fenster. Sie wendete sich ab, und sprach leise zu Schwester Veronica: »wie ist dies möglich, so falsch zu seyn gegen die redlichste Liebe? – Wenn ich Theresen in den Armen ihres Mannes sehe und daran denke, daß vor kurzer Zeit –« Josephine schauderte in sich hinein.

»Das mußt Du zu vergessen suchen –« flüsterte die Nonne, »mir kommt diese wunderliche Freude wie Seelenangst vor. Ach! Therese könnte jetzt getreu und getrost in das Auge blicken, was sie so entzückt betrachtet! und sähe es tiefer auf den Grund ihrer Thränen, es würde sich wohl lieber schließen für immer.«

Constanz war nach seinem Wunsch versorgt; schon in der nächsten Frühe ging er nach dem Orte seiner Bestimmung ab, und Therese mußte bereit seyn, ihn zu begleiten. Sie erschrak doch über diese Kürze. Fabia erbot sich dienstfertig, ihr das Einpacken zu besorgen. Sie solle sich um nichts kümmern, und ihr Glück genießen. –

Der Administrator lächelte. Er wollte den Worten seiner Schwägerinn eine leise Ironie abgemerkt haben. Aber Therese ließ sich zum erstenmale nicht von der thätigen Fabia übertragen. Sie rüstete Alles selbst zur Abreise. So verging dieser Abend drangselig. Man kam zu keinem ruhigen Genuß des Beieinanderseyns. Constanz schien sehr ermüdet, und der ältere Bruder machte ihm freundliche Vorwürfe, sich und den Seinen mindestens nicht einen Tag der Rast gegönnt zu haben. Und Jener sprach: »ich bin an diese erschöpfende Eile gewöhnt, und daran, die Erfüllung meiner Wünsche, und Alles, was ich liebe, nur im Fluge zu berühren.« Endlich zog die Nacht mit einer kurzen beschwichtigenden Pause vorüber. Noch blickte der Morgenstern am Himmel, da kamen die vier Pferde Extrapost schon von Leidthal, welche dem Constanz bewilliget worden. Das ganze Stift war in Allarm. Die alten Offiziere standen in Parade, der jungen schönen Frau die Honneurs zum Abschied nicht zu versäumen.

Therese schien verweint, ehe sie noch Jemand Lebewohl gesagt hatte. Lange hing sie am Halse des Schwagers und konnte sich nicht losreißen. Dann küßte Schwester Veronica ihr einen leisen Segenswunsch auf die bethränten Lippen. Nun umarmten sich die Schwägerinnen und Therese sprach: »denke meiner nicht in Groll – ich habe Dich oft gekränkt, Fabia!« die Stimme erstarb in Schluchzen.

Und Fabia erwiederte: »still davon, Therese! auch ich habe gefehlt. Wir scheiden in Frieden, und der Herr geleite Dich!«

Nun kam die Reihe an Josephine, an Sylvius, an den alten Feldmeister und die Uebrigen. Dem Major reichte Therese die Hand, und drückte die seine inniglich und noch einmal, als wisse der Alte schon für Wen? – Ihrem Gemahl dauerte dies Valet zu lange. Er hatte das seine in summarischer Kürze abgegeben, den Bruder ausgenommen. Seine Meinung war: man müsse den Schmerz solcher Scenen verkürzen, ja vermeiden, wo möglich; aber die Weiber ließen sich keine einzige Thräne unterschlagen, die sie mit Fug und Recht vergießen durften. Sprach's, und schob seine Frau mit einem schmerzverachtenden Lächeln in den Wagen. Noch einmal strahlte Theresens Blick durch einen doppelten Schleier das ganze Commitat an; die Offiziere verbeugten sich unwillkürlich dienstmäßig, die Nonne schrieb ein Kreuz in die blaue Luft, Constanz winkte herzlich – und der Postillon stieß in das Horn, daß der schmetternde Hall von den Wölbungen des Klosters wiedertönte. Dieser Ton fand ein geheimnißvolles Echo in der tiefsten Seele des Administrators und ein Grauen strich über seine Nerven. Es erschütterte ihn dieser Klang, wie jener, als er am Sterbebette des Vaters den Bruder die kleine Trompete blasen hörte. – Und als der Wagen nun pfeilschnell entrollte, das gastfreundliche Stift weit und weiter zurückwich, die Gehöfte von Sanct Capella verschwanden, nun auch das letzte Häuschen vorbeigeflogen war, und jetzt der Horizont über der erwachenden Landschaft sich so klar vor ihnen aufthat, da gedachte Constanz an die Worte der Gesandtinn: er würde einst mit Extrapost in den Himmel fahren.

Ende des ersten Theils.


Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription werden gesperrt gesetzte Schrift sowie Textanteile in Antiqua-Schrift hervorgehoben.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "irdisch" – "irrdisch", "ist's" – "ists", "Lieutenant" – "Lieutnant", "Obristin" – "Obristinn",

mit folgenden Ausnahmen,

Seite 13:
"«" eingefügt
(sie eine kleine alte anspruchslose Rolle übernähme.«)

Seite 14:
"ihrers" geändert in "ihres"
(welches sie durch den Beistand ihres Schwagers gewonnen)

Seite 21:
"." eingefügt
(und enteilte auf den Ruf seiner Pflicht.)

Seite 41:
"," eingefügt
(ein Gedanke dieses Augenblicks voll Grauen, voll Schmerz)

Seite 45:
"Abendmal" geändert in "Abendmahl"
(ehe ich aber das heilige Abendmahl wo anders halte)

Seite 51:
"«," geändert in ",«"
(»Taugt nichts,« unterbrach hier der Major)

Seite 59:
"»" eingefügt
(»Ich band mein Pferd an eine Säule)

Seite 59:
"Augenblck" geändert in "Augenblick"
(daß ich einen Augenblick verziehen mögte)

Seite 68:
"»" eingefügt
(»nimm fünf Loth Ernst)

Seite 83:
"«," geändert in ",«"
(»Schwester Veronica,« sagte Fabia)

Seite 85:
"beflanzt" geändert in "bepflanzt"
(mit tropischen Gewächsen bepflanzt)

Seite 92:
"«" eingefügt
(weshalb ich denn auch so zaghaft wäre.« –)

Seite 95:
"»" eingefügt
(»ja, mein Kind, wir müssen wohl den Blick schonend bedecken)

Seite 107:
"Gesellschafft" geändert in "Gesellschaft"
(ihm doch ein wenig Gesellschaft leisten)

Seite 116:
"Schwal" geändert in "Schawl"
(Ein echter Schawl, an den der matte Kopf sich schmiegte)

Seite 120:
"»" eingefügt
(»Fasttage halte ich gar nicht)

Seite 127:
"«" eingefügt
(mein heiliges Amt zu Gunsten Ihres Wunsches üben.« –)

Seite 128:
"«" hinter "–" entfernt
(der Tod soll ja eine neue Geburt seyn. –)

Seite 137:
"eine" geändert in "einen"
(die sich nie gegen einen Vorwurf vertheidigte)

Seite 143:
"«" eingefügt
(hat mir das Gedächtniß abwärts gezogen.« –)

Seite 151:
"»" eingefügt
(»auch wünsche ich von Herzen)

Seite 155:
"»" eingefügt
(»weißt Du wohl, was Abraham a Sancta)

Seite 156:
"»" eingefügt
(»da thut sie Dir nicht Unrecht)

Seite 156:
"." eingefügt
(Josephine erröthete und nahm das Gedeck hinweg.)

Seite 157:
"»" eingefügt
(»denn es will mich bedünken)

Seite 158:
"»" eingefügt
(»ich bin überhaupt mit einer gewissen)

Seite 167:
"Interresse" geändert in "Interesse"
(zog die Mutter des Bräutigams in ihr Interesse)

Seite 172:
"»" eingefügt
(»wohl ist dieser Stoff)

Seite 179:
"»" eingefügt
(»Und dieses liebe Geschäft)

Seite 182:
"haufig" geändert in "häufig"
(in dem rauhen Klima jener Gegend häufig wechseln mußten)

Seite 190:
"«" eingefügt
(Denn –« setzte Tony in liebenswürdigem Uebermuthe hinzu)

Seite 195:
"»" eingefügt
(»Das kann wohl seyn)

Seite 215:
"Zürückgehen" geändert in "Zurückgehen"
(Ein Zurückgehen in seine alten Verhältnisse)

Seite 217:
"«" eingefügt
(die treue Aufsicht jenes würdigen Paares ward getäuscht.«)

Seite 229:
"ihre" geändert in "Ihre"
(das lege ich nieder in Ihre tiefste Brust)


*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 50127 ***