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[S. 1]

Der Dreispitz



Aus dem Spanischen

des

D. Pedro de Alarcon

übersetzt von

Hulda Meister


Leipzig

Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.


[S. 2a]

Inhaltsverzeichnis

Seite
  Vorrede 3
1. Wann es geschah. 7
2. Wie die Leute damals lebten. 9
3. Do ut des. 10
4. Eine Frau von außen besehen. 13
5. Ein Mann von innen und von außen besehen. 16
6. Fertigkeiten der beiden Ehegatten. 17
7. Der Grund der Glückseligkeit. 19
8. Der Mann mit dem Dreispitz. 21
9. Hü, Esel! 24
10. Vom Rebengeländer aus. 25
11. Das Bombardement von Pamplona. 28
12. Zehnten und Erstlinge. 35
13. Da sagte die Krähe zum Raben. 38
14. Garduñas Ratschläge. 41
15. Abschied in Prosa. 46
16. Ein Unglücksvogel. 50
17. Ein Dorfschulze. 52
18. Wie Tio Lucas nicht ans Schlafen dachte. 54
19. Stimmen in der Wüste. 55
20. Zweifel und Wirklichkeit. 57
21. Achtung, Herr! 64
22. Garduña vervielfältigt sich. 69
23. Noch einmal die Wüste und die bewußten Stimmen. 72
24. Ein König von damals. 73
25. Garduña's Stern. 76
26. Reaktion. 77
27. Im Namen des Königs. 78
28. Ave Maria purisima! Las doce y media, y sereno! 81
29. Nach dem Gewölk ... Reveille. 83
30. Eine Dame von Stande. 84
31. Die Strafe der Wiedervergeltung. 85
32. Der Glaube versetzt Berge. 90
33. Nun, und du? 92
34. Auch die Corregidora ist reizend. 96
35. Kaiserliches Dekret. 99
36. Schluß, Moral und Epilog. 102

]


Vorrede.

Es giebt wohl wenige Spanier, selbst wenn wir solche mitrechnen, die wenig wissen und lesen, welche die dem vorliegenden Werkchen zu Grunde liegende Erzählung nicht kennen.

Zuerst hörten wir sie von einem unwissenden Ziegenhirten, der nie aus dem versteckten Dörfchen, in welchem er das Licht der Welt erblickt, herausgekommen war. Er war einer jener ungelehrten, aber natürlich schlauen, lustigen Bauern, die in unserer Nationallitteratur unter dem Namen picaros (Schelme, Spitzbuben) eine so große Rolle spielen. Gab es eine Hochzeit, eine Taufe, oder kam die Herrschaft einmal zum Besuch, so wurden diese Ereignisse im Flecken natürlich gefeiert, und seine Aufgabe war es dann, die Possen und Pantomimen zu leiten, den Hanswurst zu spielen und Romanzen und Erzählungen vorzutragen; und bei einer solchen Gelegenheit war es (schon fast ein ganzes Menschenalter — das heißt, wohl mehr als fünfunddreißig Jahre — ist darüber vergangen), bei der er eines Abends unsere (relative) Unschuld mit der Erzählung in Versen: »Der Corregidor und die Müllerin«, oder auch »Der Müller und die Corregidora« blendete und entzückte. Wir übergeben sie heute unter dem anspruchsvolleren und philosophischeren Namen (denn so verlangt es der Ernst unserer Zeit) »Der Dreispitz« dem Publikum.

Zwar erinnern wir uns, daß an jenem Abende, an welchem der Ziegenhirt uns eine so angenehme Kurzweil [S. 4] verschaffte, die dort versammelten heiratsfähigen Mädchen sehr rot wurden, woraus die Mütter dann schlossen, daß die Geschichte etwas saftig sein müßte, und den Hirten gehörig zurechtsetzten; aber der arme Repela (so hieß der Hirt) war nicht auf den Mund gefallen und antwortete auf der Stelle, daß sie gar nicht nötig hätten, so aufgebracht zu sein, denn in seiner Erzählung wäre nichts, was nicht jedermann hören könnte, ja, was nicht sogar die Nonnen und die vierjährigen Mädchen wüßten...

»Und wenn nicht, so wollen wir doch einmal sehen,« fragte der Ziegenhirt, »was lernt man aus der Geschichte vom Corregidor und der Müllerin? Daß verheiratete Leute zusammenschlafen, und daß es keinem Gatten paßt, wenn ein anderer Mann bei seiner Frau schläft.... Mich dünkt, daß ist doch die reine Wahrheit!...«

»Freilich ist das wahr,« antworteten die Mütter, als sie das Gelächter ihrer Töchter hörten.

»Beweis dafür, daß der Onkel Repela recht hat,« bemerkte hierauf der Vater des Bräutigams, »ist, daß Groß und Klein, alle hier Gegenwärtigen sich schon überzeugt haben, daß, sobald heute der Tanz zu Ende ist, Juanete und Manolilla das schöne Ehebett einweihen werden, das die Tante Gabriela eben unseren Töchtern gezeigt hat, um die Stickereien an den Kopfkissen zu bewundern...«

»Mehr noch,« sagte der Großvater der Braut, »sogar in der Doctrin und in den Predigten wird den Kindern von diesen so ganz natürlichen Sachen erzählt, wie unsere liebe Frau Anna so lange unfruchtbar war, vom keuschen Joseph, von Judiths Kriegslist und vielen anderen Wundern, die mir jetzt nicht gerade einfallen... darum...«

»Ach was, Tio (Onkel) Repela,« riefen die Mädchen mutig aus, »erzählt Eure Geschichte noch einmal, sie ist doch sehr lustig!«

»Und sogar sehr anständig,« fuhr der Großvater fort, »denn sie lehrt euch nichts Schlechtes; — keinem wird darin [S. 5] angeraten, schlecht zu sein, und der schlecht gewesen ist, geht nicht ungestraft aus...«

»Nun, meinetwegen! wiederholt sie also!« sagte schließlich jede Familienmutter.

Tio Repela wiederholte die Romanze, und da alle sie nun im Lichte jener einfachen Kritik sahen, so gab es auch kein »aber« dabei, was ebenso gut war, wie wenn sie gesagt hätten: Wir geben die notwendige Erlaubnis!


Im Laufe des Jahres haben wir noch viele und sehr verschiedene Versionen desselben Abenteuers von dem Müller und der Corregidora gehört und immer von den Lippen eines Dorfgracioso nach der Art des schon verstorbenen Tio Repela; dann haben wir sie auch in den »Romanzen eines Blinden« gedruckt gesehen und sogar in den berühmten Romanzen des unvergeßlichen Don Agustin Duran.

Die Grundlage der Erzählung ist überall dieselbe: tragikomisch, spöttisch und entsetzlich epigrammatisch, wie alle dramatischen Morallehren, für die sich unser Volk begeistert; aber die Form, der zufällige Mechanismus, die eigentümlichen Vorgänge sind sehr, sind außerordentlich verschieden von der Erzählung unseres Hirten; so sehr, daß dieser keine der erwähnten Versionen in der Cortijada (Bauernhof) hätte vortragen können, ohne daß sich die anständigen Mädchen die Ohren zugehalten oder die Mütter ihm die Augen ausgekratzt hätten.

Bis zu solchem Grade haben die groben Tölpel anderer Provinzen die traditionelle Erzählung, die in des klassischen Repela Version so köstlich, anständig und rein erschien, aufgebauscht und entstellt.

So hatten wir denn schon seit langer Zeit den Plan gefaßt, die Wahrheit der Dinge ans Licht zu bringen, indem wir der stark entstellten Erzählung ihren ursprünglichen Charakter zurückgeben, denn ohne Zweifel war derjenige, [S. 6] in dem der Anstand am meisten gewahrt worden, der ursprüngliche. — Wie könnte man auch daran zweifeln? Diese Art von Erzählungen verlieren, wenn sie durch die Hände des Volkes gehen, ihre Eigentümlichkeiten nicht dadurch, daß sie schöner, zarter und anständiger gemacht werden, sondern indem sie durch die Berührung mit der Gemeinheit und Roheit verstümmelt und verdorben werden.

Das ist die Geschichte des vorliegenden Buches... So wollen wir denn loslegen, das heißt, wir wollen mit der Erzählung von dem Corregidor und der Müllerin beginnen, in der Hoffnung, daß du, ehrenwertes Publikum, in deinem gesunden Urteil, »nachdem du sie gelesen und mehr Kreuze geschlagen hast, als wenn du den leibhaftigen Gottseibeiuns gesehen hättest« (wie Estebanillo Gonzalez im Anfange der seinigen sagte), sie für würdig und wert erachten wirst, veröffentlicht worden zu sein.


[S. 7]

Der Dreispitz.


1.

Wann es geschah.

Es war zu Anfang dieses langen Jahrhunderts, das sich schon seinem Ende zuneigt. — Ganz genau weiß man das Jahr nicht, nur, daß es nach dem Jahre 4 und vor dem Jahre 8 war.

Damals regierte Don Carlos der Vierte von Bourbon in Spanien; von Gottes Gnaden, wie die Münzen besagten, aus Vergeßlichkeit nur von Bonapartes besonderer Gnade, wie die französischen Bulletins es erklärten. Die übrigen europäischen Herrscher, Abkömmlinge Ludwigs XIV., hatten schon ihre Krone (und ihr Haupt seinen Kopf) verloren in dem rasenden Sturme, der über diesen alten Teil der Welt seit 1789 dahinfegte.

Doch darin bestand die Eigentümlichkeit unseres Vaterlandes in jener Zeit nicht allein. Der Soldat der Revolution, der Sohn eines unbekannten korsischen Advokaten, der Sieger von Rivoli, von den Pyramiden, Marengo und hundert anderen Schlachten, hatte sich soeben die Krone Karls des Großen aufs Haupt gesetzt und ganz Europa umgewandelt, hatte Nationen geschaffen, Nationen ausgelöscht, Grenzen aufgehoben, Dynastien geschaffen, und den Städten, durch welche er auf seinem Streitroß gleich einem Erdbeben, oder gleich dem Antichristen, wie ihn die Mächte des Nordens nennen, kam, andere Formen, andere Namen, Lage, Sitte, ja sogar ein anderes Ansehen gegeben. — Und doch waren unsere Väter (Gott habe sie selig!) weit davon entfernt, ihn zu hassen oder zu fürchten; im Gegentheil [S. 8] gefielen sie sich darin, seine außergewöhnlichen Thaten zu bewundern, wie wenn es sich um den Helden eines Ritterromanes oder um Dinge gehandelt hätte, die sich auf einem anderen Planeten zugetragen, und nicht im entferntesten fiel es ihnen ein, daß er auch hierher kommen könne, um dieselben Grausamkeiten, die er in Frankreich, Deutschland, Italien und anderen Ländern verübt, auch hier zu versuchen. Einmal wöchentlich, höchstens zweimal kam die Post aus Madrid nach dem größten Teile der bedeutenderen Städte der Halbinsel und brachte eine Nummer der Zeitung (die auch keine tägliche war) mit, und durch sie erfuhren die hauptsächlichsten Personen (wir wollen einmal annehmen, daß die Zeitung über diese Geringfügigkeiten berichtete), ob jenseits der Pyrenäen ein Staat mehr oder weniger existierte, ob wieder eine Schlacht geschlagen worden war, in der sechs oder acht Könige und Kaiser gekämpft, und ob Napoleon sich in Mailand, Brüssel oder Warschau befand. Im übrigen aber lebten unsere Vorväter ganz nach der alten spanischen Weise, äußerst langsam, an veralteten Gebräuchen klebend, im Frieden und der Gnade Gottes, mit ihrer Inquisition und ihren Mönchen, ihrer malerischen Ungleichheit vor dem Gesetz, mit ihren Privilegien, Gerechtsamen und persönlichen Vorrechten, mit ihrem Mangel an jeder politischen oder munizipalen Freiheit, wurden gleichzeitig von ihren berühmten Bischöfen und mächtigen Corregidoren, deren respektive Machtvollkommenheiten nicht leicht zu umgrenzen waren, da sich die einen wie die anderen mit dem Zeitlichen und Ewigen befaßten, regiert, und bezahlten Zehnten, Erstlinge, Handelsabgaben, Unterstützungsgelder, Almosen und gezwungene Vermächtnisse, Renten, Rentchen, Kopfsteuern, königliche tercias,[1] Abgaben, Steuern und wohl fünfzig Tribute mehr, deren Aufzählung hier nicht notwendig ist.

[S. 9]

Und hiermit ist alles gesagt, was die vorliegende Erzählung mit dem militärischen und politischen jener Epoche zu thun hatte; denn unser alleiniger Zweck, wenn wir vorführten, was damals in der Welt geschah, war: zu konstatieren, daß in dem bewußten Jahre (sagen wir so um 1805) in Spanien noch das alte System in allen Kreisen des öffentlichen und privaten Lebens vorherrschte, wie wenn die Pyrenäen sich inmitten all dieser Neuerungen und Umwälzungen in eine andere chinesische Mauer verwandelt hätten.


2.

Wie die Leute damals lebten.

In Andalusien zum Beispiel (denn das, was ich erzählen will, trug sich gerade in einer andalusischen Stadt zu) erhoben sich die Leute von Stand sehr früh, gingen zur Frühmesse in die Kathedrale, wenn es auch kein verordneter Festtag war, frühstückten um neun Uhr einen Eierkuchen und eine Tasse Chokolade mit picatostes (in Öl geröstetes Brot), aßen um ein oder zwei Uhr nachmittags puchero[2] und principio, [3] wenn es Wild gab, wenn nicht, dann nur puchero allein, hielten nach dem Essen ihre Siesta, machten darauf einen Spaziergang durchs Feld, gingen in der Dämmerung in ihrem respektiven Kirchspiel zum Rosenkranz; zum Avemaria tranken sie noch eine Tasse Chokolade, diesmal jedoch mit Zwieback, und die vornehmsten unter ihnen gingen dann zur Abendgesellschaft beim Corregidor, dem Dekan, oder welcher Titel gerade der vorherrschende in der Stadt war. Beim Abendläuten zog man sich zurück, schloß die Hausthür beim Zapfenstreich, aß Salat und guisado (Geschmortes) aus Autonomasie, wenn nicht etwa frische Fische angekommen waren, zum Abendbrot und legte sich sogleich mit seiner Frau zu Bett, doch nicht, ohne daß während neun Monaten im Jahre das Bett vorher gewärmt worden wäre...

[S. 10]

Das waren glückliche Zeiten, in denen unser Land im ruhigen, friedlichen Besitz aller Spinnengewebe, allen Staubes, aller Motten, allen Respektes, aller Glaubensmeinungen, aller Traditionen, Gebräuche und durch die Jahrhunderte geheiligten Mißbräuche dahinlebte! Glückliche Zeiten waren es, in denen es in der menschlichen Gesellschaft verschiedene Klassen, verschiedene Meinungen, verschiedene Gebräuche gab! Glückliche Zeiten! sage ich... und besonders für die Dichter, die hinter jeder Ecke eine Legende, eine Erzählung, eine Komödie, ein Drama, eine Novelle, ein Lustspiel, ein Zwischenspiel, ein Mysterium oder ein Epos fanden an Stelle dieser prosaischen Gleichförmigkeit und des geschmacklosen Realismus, den uns die französische Revolution als Erbteil hinterließ. — Glückliche Zeiten, wenn...

Aber da falle ich ja wieder in die alte Gewohnheit zurück. Genug also mit Allgemeinheiten und Umschweifen und laßt uns mutig beginnen mit der Geschichte vom Dreispitz.


3.

Do ut des.

Zu jener Zeit gab es in der Nähe der Stadt *** eine prächtige Mühle, die jetzt nicht mehr existiert, ungefähr eine Viertel Legua vom Orte entfernt, zwischen zwei mit Weichsel- und anderen Kirschbäumen bewachsenen Hügeln und einem sehr fruchtbaren Obstgarten, der einem verräterischen, intermittierenden Flusse als Rand — zuweilen auch als Bett — diente.

Seit einiger Zeit schon war die Mühle aus verschiedenen und unterschiedlichen Gründen der bevorzugte Ziel- [S. 11] und Ruhepunkt der angeseheneren Spaziergänger aus der vorerwähnten Stadt. Erstens führte eine Landstraße dorthin, die weniger unbefahrbar war als alle übrigen der Gegend. Zweitens befand sich vor der Mühle ein kleiner, gepflasterter Platz, von einer riesigen, mit Wein überzogenen Laube überschattet, in der man in sehr angenehmer Weise, dank dem immerwährenden Wechsel der Weinblätter, die Kühle des Sommers und die Sonne im Winter genießen konnte.... Drittens war der Müller ein sehr achtbarer Mann, sehr zurückhaltend, sehr schlau, der, was man so sagt, Menschenkenntnis besaß und die Leute zu nehmen wußte, und die großen Herren, die ihn zur Vesperstunde mit ihrem Besuche zu beehren pflegten, bewirtete, indem er ihnen anbot, was gerade die Jahreszeit so mit sich brachte, jetzt grüne Bohnen, dann Kirschen und Weichselkirschen, rohen Salat ohne Zuthaten (der ganz ausgezeichnet ist, wenn man ihn mit Röllchen von in Öl geröstetem Brote ißt, welche die Herrschaften gewöhnlich vorauszuschicken pflegten), Melonen, darauf Weintrauben von demselben Weinstock, der ihnen als Baldachin diente, dann Maiskolben und, wenn es Winter war, gebratene Kastanien, Mandeln und Nüsse und zuweilen an sehr kalten Tagen ein Schlückchen guten Weines (dann aber schon im Hause und beim wärmenden Feuer), dem man zu Weihnachten ein wenig Gebäck, eine Butterschnitte, eine Brezel oder eine Schnitte Schinken aus den Alpujarras hinzufügte.

War der Müller denn so reich, oder seine Gäste so anspruchsvoll? werdet ihr, mich unterbrechend, ausrufen. Weder eins noch das andere. Der Müller hatte nur gerade sein Auskommen, und jene Herren waren das personifizierte Zartgefühl und Stolz. Aber in einer Zeit, in der man der Kirche und dem Staat einige fünfzig verschiedene Abgaben bezahlte, da setzte ein so verständiger und hellsehender Mann wie jener nicht viel aufs Spiel, [S. 12] wenn er sich die Gunst der Regidoren, Canonici, Mönche, Schreiber und anderer einflußreichen Personen zu erwerben suchte. Darum fehlte es auch nicht an Leuten, die da behaupteten, daß der Tio Lucas, denn so hieß der Müller, jedes Jahr ein hübsches Sümmchen zurücklegte, weil er alle Welt bewirtete.

»Euer Gnaden könnten mir wohl ein altes Thürchen von dem heruntergerissenen Hause geben,« sagte er zu dem einen. »Euer Herrlichkeit,« sagte er zu dem andern, »könnten doch wohl Befehl geben, daß man mir die Unterstützungsgelder oder die Kopfsteuer oder den Steueraufschlag etwas erniedrigt.« — »Ehrwürden erlauben mir wohl, daß ich im Klostergarten ein bißchen Laub für meine Seidenwürmer abpflücke.« — »Durchlaucht geben mir wohl Erlaubnis, ein bißchen Brennholz im Walde X. zusammenzulesen.« — »Euer Väterlichkeit wird mir wohl ein paar Worte schreiben, damit man mir erlaubt, im Walde H. ein wenig Nutzholz abzuhauen.« — »Euer Wohlgeboren muß mir da so ein kleines Schriftchen aufsetzen, das nichts kostet.« — »In diesem Jahre kann ich den Zins nicht bezahlen.« — »Ich hoffe, daß der Prozeß zu meinen Gunsten entschieden werden wird.« — »Heute habe ich einem ein paar Ohrfeigen gegeben, und mich dünkt, der muß ins Gefängnis gesteckt werden, weil er mich dazu herausgefordert hat.« — »Hätten Euer Gnaden das wohl übrig?« — »Brauchen Sie das noch zu irgend etwas?« — »Könnten Sie mir Ihr Maultier leihen?« — »Brauchen Sie morgen Ihren Wagen?« — »Was meinen Sie, darf ich wohl den Esel ein wenig holen lassen?« — Und dies Liedchen wiederholte sich stets und in allen Tonarten und erhielt immer die großmütige Antwort: »Wie Sie wünschen.«

Daraus seht ihr wohl schon, daß Tio Lucas nicht auf dem Wege war, sich zu Grunde zu richten.

[S. 13]


4.

Eine Frau von außen besehen.

Der letzte und vielleicht der stärkste Grund, den die Herrschaften aus der Stadt hatten, alle Nachmittage die Mühle des Tio Lucas zu besuchen, war wohl der, daß sowohl die Geistlichen wie die Laien, vom Herrn Bischof und dem Herrn Corregidor (denn auch diese verachteten es nicht, sie zu besuchen) an, ganz nach ihrer Bequemlichkeit eines der schönsten, anmutigsten, bewundernswürdigsten Werke betrachten konnten, die je aus der Hand Gottes oder, wie man damals mit Jovellanos und der ganzen französischen Schule unseres Vaterlandes sagte, des höchsten Wesens hervorgegangen.

Dies Werk war die Seña Frasquita.[4]

Vor allen Dingen will ich erst sagen, daß die Seña Frasquita, die rechtmäßige Frau des Tio Lucas, eine vortreffliche Frau war, und das wußten alle illustren Besucher der Mühle. Ich sage noch mehr: keiner von ihnen wagte es, sie auch nur mit begehrlichen Blicken oder in sündhafter Absicht zu betrachten. Sie bewunderten sie, und Mönche und Herren, Canonici und obrigkeitliche Personen beliebten, sie zuweilen, natürlich in Gegenwart ihres Mannes, als ein Wunder von Schönheit, das seinen Schöpfer ehrte, und als eine kleine Teufelin voll Übermut und Koketterie, die unbewußt die schwermütigsten Geister aufheiterte, zu preisen. »Sie ist ein schönes Tierchen,« pflegte der sehr tugendsame Prälat zu sagen. — »Sie ist wie eine Statue des hellenischen Altertums,« bemerkte ein sehr gelehrter Advokat, ein korrespondierendes Mitglied der Akademie der Geschichte. — »Sie ist wahrhaftig [S. 14] eine zweite Eva.« brach der Prior der Franziskaner los. — »'s ist ein königliches Weib,« rief der Oberst der Miliz. — »Es ist eine Schlange, eine Sirene, ein Dämon,« fügte der Corregidor hinzu. — »Aber sie ist eine gute Frau, ein Engel, ein liebliches Geschöpfchen, wie ein vierjähriges Kindchen,« schlossen endlich alle, wenn sie von der Mühle, vollgestopft mit Weintrauben oder Nüssen, heimkehrten, um ihren düsteren, methodischen Herd aufzusuchen.

Die vierjährige Kleine, das heißt die Seña Frasquita, war so nahe an die dreißig. Sie war über fünf Fuß groß und verhältnismäßig stark, oder fast noch stärker als es für ihre stolze Figur paßte. Sie sah aus wie eine kolossale Niobe, und doch hatte sie keine Kinder gehabt, ein weiblicher Herkules, eine römische Matrone, wie man noch einige Exemplare im Trastevere sieht. Aber das Bemerkenswerteste an ihr war die Beweglichkeit, die Lebhaftigkeit und Anmut dieser respektablen Form. Um eine Statue zu sein, wie der Akademiker behauptete, fehlte ihr die monumentale Ruhe. Wie ein Rohr bog sie sich, drehte sich wie eine Wetterfahne, tanzte wie ein Brummkreisel. Ihr Gesicht war noch beweglicher und am wenigsten plastisch. In der reizendsten Weise wurde es von fünf Grübchen belebt, zwei in einer Wange, eins in der andern, ein ganz kleines am linken Winkel ihrer lachenden Lippen, und das letzte, sehr große mitten in ihrem runden Kinn. Fügt zu all diesem schelmische Grimassen, anmutiges Blinzeln und verschiedene Kopfstellungen, welche ihre Unterhaltung noch angenehmer machten, und ihr könnt euch eine Vorstellung von jenem Gesicht voll Geist und Schönheit machen, das immer von Gesundheit und Heiterkeit widerstrahlte.

Weder die Seña Frasquita noch der Tio Lucas waren Andalusier; sie war aus Navarra und er aus Murcia. Fünfzehn Jahre alt war er halb als Page, halb als Diener des früheren Bischofs, nicht dessen, der augenblicklich [S. 15] die Kirche regierte, nach *** gegangen. Sein Beschützer erzog ihn zum Geistlichen, und damit es ihm nicht an der cóngrua (dem Einkommen des Priesters zu seiner Unterhaltung) fehle, hatte er ihm in seinem Testamente jene Mühle vermacht; aber Tio Lucas, der beim Tode Sr. Hochwürden noch nicht ordiniert war, hing zur selben Stunde seine Kleider an den Nagel und ließ sich als Soldat anwerben, da er größere Lust hatte, die Welt zu sehen und Abenteuer zu bestehen, als Messe zu lesen oder Mehl zu mahlen. 1793 machte er den Feldzug in den westlichen Pyrenäen als Ordonnanz des tapferen Generals Don Ventura Caro mit, war bei der Einnahme von Castillo-Piñon und blieb dann lange Zeit in den nördlichen Provinzen. In Estella lernte er die Seña Frasquita kennen, die sich damals nur Frasquita nannte, verliebte sich in sie, heiratete sie und nahm sie mit sich nach Andalusien in jene Mühle, welche sie so friedlich und glücklich während des übrigen Teiles ihrer Pilgerschaft durch dies Thal der Thränen und des Lachens sehen sollte.

Dadurch, daß die Seña Frasquita von Navarra aus unmittelbar in diese Einsamkeit verpflanzt worden war, hatte sie keine andalusischen Sitten angenommen und unterschied sich darum auch sehr von den übrigen Landbewohnerinnen der Umgegend. Sie kleidete sich einfacher, anmutiger und eleganter als sie, wusch sich öfter und gestattete der Sonne und der Luft, ihre entblößten Arme und ihren unbedeckten Hals zu liebkosen. Bis zu einem gewissen Grade trug sie die Tracht der Damen jener Epoche, die Tracht der Frauen von Goya, die Tracht der Königin Marie Louise; wenn es auch nicht ein Rock von einem halben Schritt war, so war er doch nicht mehr als einen Schritt weit, sehr kurz, so daß er ihre kleinen Füße und den Ansatz ihres prachtvollen Beines sehen ließ, der Ausschnitt rund und niedrig, nach Madrider Art und Weise, wo sie sich zwei Monate lang mit ihrem Lucas aufgehalten [S. 16] hatte, als sie von Navarra nach Andalusien übersiedelten. Das Haar war oben auf dem Wirbel zusammengenommen, was die ganze Schönheit ihres Kopfes und Halses freiließ; prächtige Ohrgehänge in ihren kleinen Ohren und viele Ringe auf den zugespitzten Fingern ihrer harten, aber reinen Hände. Und zum Schluß: Seña Frasquitas Stimme umschloß alle Töne eines sehr ausgedehnten, melodiösen Instrumentes, und ihr Lachen war so heiter und silberhell, wie das Geläute am heiligen Ostermorgen.

Nun wollen wir auch das Bild des Tio Lucas zeichnen.


5.

Ein Mann, von innen und von außen besehen.

Der Tio Lucas war häßlicher als Picio. Er war es schon immer gewesen, und jetzt war er vierzig Jahre alt. Und doch hat wohl Gott wenige so sympathische und angenehme Männer in die Welt gesetzt. Von seiner Lebhaftigkeit, seinem Witz und seinem Verstande eingenommen, hatte ihn der verstorbene Bischof von seinen Eltern, die Hirten, aber nicht Seelen-, sondern leibhaftige Schafhirten waren, verlangt. Als Se. Hochwürden gestorben war und der junge Bursche das Seminar mit der Kaserne vertauscht hatte, zeichnete der General Caro ihn vor dem ganzen Heere aus, indem er ihn zu seiner vertrauten Ordonnanz machte. Als Tio Lucas endlich seine militärische Laufbahn aufgegeben, wurde es ihm ebenso leicht, das Herz der Seña Frasquita zu erobern, wie es ihm leicht geworden, die Achtung des Generals und des Prälaten zu erwerben. Die Navarresin, die zu jener Zeit zwanzig Frühlinge zählte und der Augapfel aller jungen Bursche von Estella, und darunter recht reiche, war, konnte den fortgesetzten Artigkeiten, den witzigen Einfallen, den Blicken des verliebten Affen und dem spöttischen, beständigen Lächeln voller Bosheit, aber auch voller Sanftmut jenes kecken, beredten, [S. 17] klugen, bereitwilligen, tapfern und witzigen Murcianers nicht widerstehen, und so verdrehte er ihr endlich den Kopf, und nicht allein der vielbegehrten Schönheit, sondern auch ihren Eltern.

Lucas war dazumal und bis zu dem Zeitpunkte, von dem wir jetzt sprechen, von kleiner Statur (wenigstens im Verhältnis zu seiner Frau), mit etwas hohen Schultern, sehr brünett, mit dünnem Bart, großer Nase, großen Ohren und blatternarbig. Dagegen war sein Mund regelmäßig und sein Gebiß unvergleichlich schön. Eigentlich konnte man sagen, daß nur die Schale rauh und häßlich an jenem Manne war; sobald man aber anfing, in das Innere einzudringen, so erschienen alle seine Vorzüge, und diese Vorzüge begannen mit den Zähnen, dann kam die Stimme, vibrierend, biegsam, anziehend, zuweilen männlich und ernst, süß und weich wenn er um etwas bat, und fast stets unwiderstehlich. Darauf kam das, was er mit jener Stimme sagte: Alles zur rechten Zeit, verständig, klug, überzeugend... Und zuletzt waren in der Seele des Tio Lucas Mut, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, gesunder Menschenverstand, Wunsch nach Wissen, sowie instinktive oder durch die Erfahrung gewonnene Kenntnisse vieler Dinge, eine tiefe Verachtung aller Narren, welcher gesellschaftlichen Kategorie sie auch angehören mochten, und ein Geist der Ironie, des Spottes, des Sarkasmus, welcher ihm in den Augen des Akademikers das Ansehen eines ungeschliffenen Don Francisko de Quevedo gab.

So war also der Tio Lucas von innen und von außen beschaffen.


6.

Fertigkeiten der beiden Ehegatten.

Die Seña Frasquita liebte also den Tio Lucas ganz wahnsinnig und hielt sich für die glücklichste Frau der Welt, weil sie von ihm angebetet wurde. Wie wir schon [S. 18] gesagt haben, hatten sie keine Kinder, und so hatten sie es sich gegenseitig zur Aufgabe gemacht, sich mit unsäglicher Sorgfalt zu pflegen und zu verhätscheln, ohne daß jedoch dies zärtliche Besorgtsein in Sentimentalität und Süßigkeit ausartete, wie bei allen übrigen kinderlosen Ehen. Im Gegenteil, sie behandelten sich mit einer solchen Freiheit, Heiterkeit, einem Scherz und Vertrauen, wie man es bei Kindern, bei Spielkameraden findet, die sich von ganzer Seele liebhaben, ohne es sich zu sagen, ja vielleicht sich nicht einmal klar werden über das, was sie fühlen.

Auf der ganzen Erde gab es gewiß nie einen besser gekämmten, besser gekleideten, im Essen mehr verwöhnten Müller, der in seinem Hause so von allen Bequemlichkeiten umgeben gewesen wäre, wie der Tio Lucas. Und gewiß ist keine Müllerin, nein, auch keine Königin, der Gegenstand so vieler Aufmerksamkeiten, so vieler Artigkeiten und Höflichkeiten gewesen, wie die Seña Frasquita. Es ist ganz undenkbar, daß je eine Mühle so viele notwendige, nützliche, angenehme, zur Erholung dienende und sogar überflüssige Dinge enthalten hätte, wie die, welche der Schauplatz fast der ganzen Erzählung sein wird.

Viel trug auch dazu bei, daß die Seña Frasquita, die saubere, thätige, starke, gesunde Navarresin, zu kochen, nähen, stricken, fegen, Zuckerwerk bereiten, waschen, plätten, ihr Haus tünchen, das Kupfergeschirr putzen, Brot backen, weben, singen, tanzen, Guitarre spielen, Trommel schlagen, Brisca und Tute spielen und noch viele andere Dinge, deren Aufzählung endlos wäre, verstand, wollte und konnte. Und nicht weniger trug zu diesem günstigen Resultate bei, daß Tio Lucas die Mühle zu verwalten, das Feld zu bebauen, jagen, fischen, als Zimmermann, Schmied und Maurer zu arbeiten, seiner Frau in allen häuslichen Geschäften zur Hand zu gehen, lesen, schreiben, rechnen u. s. w. u. s. w. verstand, wollte und konnte. Und dabei erwähnen wir noch gar nicht einmal die Luxusbranchen, [S. 19] oder deutlicher gesprochen, seine außerordentlichen Fertigkeiten ... zum Beispiel der Tio Lucas liebte die Blumen (gerade wie seine Frau) und war ein so ausgezeichneter Blumenzüchter, daß es ihm gelungen war, infolge mühevoller Kombinationen neue Exemplare hervorzubringen. Er hatte auch etwas von einem natürlichen Ingenieur, und das hatte er bewiesen, indem er ein Wehr, einen Heber und eine Wasserleitung erbaut hatte. Er hatte einen Hund tanzen gelehrt, eine Schlange gezähmt und einen Papagei dahin gebracht, daß er die Stunden, welche eine von dem Müller an die Wand gezeichnete Sonnenuhr angab, durch einen Ruf andeutete, und zwar so genau, daß er es selbst an bewölkten Tagen und während der Nacht nicht verabsäumte.

Endlich besaß der Müller noch einen Obstgarten, der alle Arten Früchte und Gemüse hervorbrachte; einen Teich, von einer Art von Jasminkiosk umgeben, wo sich der Tio Lucas und die Seña Frasquita im Sommer badeten, einen Blumengarten, ein Treibhaus für exotische Pflanzen, einen Brunnen mit trinkbarem Wasser, zwei Esel, auf denen das Ehepaar in die Stadt oder die umliegenden Ortschaften ritt, Hühnerhof, Taubenschlag, Vogelhaus, Fischzuchtteich, Zucht von Seidenwürmern, Bienenstöcke, deren Bienen aus dem Jasmin süße Nahrung sogen, Kelter mit dazugehörigem Keller, beides freilich in Miniatur, Backofen, Webstuhl, Schmiede, Zimmerhof u. s. w. u. s. w., all dies bei einem Hause mit acht Zimmern, zwei Fanegas Acker und auf zehntausend Realen abgeschätzt.


7.

Der Grund der Glückseligkeit.

Also der Müller und die Müllerin liebten sich rasend, und fast konnte man glauben, daß sie ihn noch mehr liebte, als er sie, obgleich er so häßlich und sie so schön war. [S. 20] Das meine ich, weil die Seña Frasquita eifersüchtig zu sein pflegte und vom Tio Lucas, wenn er sehr spät aus der Stadt oder den umliegenden Dörfern, wo er Korn holte, zurückkehrte, Rechenschaft verlangte, während Tio Lucas die Aufmerksamkeiten, welche die seine Mühle besuchenden Herren der Seña Frasquita erzeigten, mit Vergnügen bemerkte. Er erfreute und ergötzte sich daran, daß sie allen so wie ihm gefiel, und obgleich er im Grunde seines Herzens fühlte, daß manche ihn darum beneideten, sie wie einfache Sterbliche begehrten und wer weiß was gegeben hätten, wenn sie eine weniger brave Frau gewesen wäre, so ließ er sie doch ganze Tage allein, ohne die geringste Sorge, und fragte nie gleich, was sie gethan hätte oder wo sie während seiner Abwesenheit gewesen wäre.

Das lag aber nicht etwa darin, daß die Liebe des Tio Lucas weniger leidenschaftlich gewesen wäre, als die der Seña Frasquita, sondern weil er mehr Vertrauen zu ihr hatte, als sie zu ihm, weil er sie an Scharfsinn übertraf und wußte, in welchem Grade er von ihr geliebt wurde, und wie sehr seine Frau sich selbst achtete, es bestand hauptsächlich darin, daß der Tio Lucas ein ganzer Mann war, ein Mann wie die Shakespeareschen, mit wenigen, aber unteilbaren Gefühlen, des Zweifels unfähig, der entweder glaubte oder starb, der liebte oder tötete, der keine Abstufung oder allmählichen Uebergang zwischen der höchsten Glückseligkeit oder dem Untergange seines Glückes zuließ. Er war ein Othello von Murcia mit alpargatas (Schuhe, mit Spartostricken befestigt) und Jagdmütze im ersten Akt einer möglichen Tragödie.

Aber warum diese düsteren Noten in einem so lustigen Sang? Warum diese erschrecklichen Blitze in einer so heitern Atmosphäre? Warum diese melodramatischen Stellungen in einem Genrebilde?

Das werdet ihr alsogleich erfahren.

[S. 21]


8.

Der Mann mit dem Dreispitz.

Es war zwei Uhr an einem Oktobernachmittag. Die kleine Turmuhr an der Kathedrale läutete zur Vesper, das bedeutete, daß schon alle die vornehmsten Personen der Stadt zu Mittag gegessen hatten.

Die Canonici wendeten sich nach dem Chor und die Laien nach ihren Alkoven, um Siesta zu halten, und zwar besonders diejenigen, welche infolge ihrer Obliegenheiten, wie zum Beispiel die Behörden, den ganzen Morgen hindurch gearbeitet hatten.

Um so erstaunlicher war es also, daß zu jener Stunde, die schon, weil es noch zu heiß war, zum Spaziergange ganz ungeeignet schien, der illustre Herr Corregidor der Stadt zu Fuß, nur von einem einzigen alguacil begleitet, dieselbe verließ, und darüber konnte kein Zweifel herrschen, denn weder bei Tag, noch bei Nacht hätte man ihn mit irgend jemand verwechseln können, erstens wegen seines ungeheuren Dreispitzes und dem anfallenden Mantel von rotem Tuch, zweitens wegen seines eigentümlichen grotesken Aussehens.

Von dem roten Tuchmantel und dem Dreispitz können noch viele Personen aus eigener Anschauung erzählen. Wir unter ihnen, ebenso alle diejenigen, welche in den letzten Jahren der Regierung Sr. Majestät Don Fernando VII. in jener Stadt geboren wurden, erinnern uns sehr wohl jener beiden veralteten Kleinodien, des Mantels und des Hutes, der schwarze Hut darüber und den roten Mantel darunter an einem Nagel hängen gesehen zu haben, als einzigen Schmuck einer bröckligen Wand in dem Turme des Hauses, das Seine Herrlichkeit bewohnte und welches jetzt den kindlichen Spielen seiner Enkel zum Schauplatz dient. Wie eine Art von Gespenst des Absolutismns, eine Art von Schweißtuch des Corregidors, eine Art von rückwärts [S. 22] gewandter Karikatur seiner Macht, mit Kreide und Rotstift gezeichnet, wie so viele andere, hingen sie dort für uns kleine Konstitutionelle vom Jahre 1837, die wir uns dort versammelten, eine Art von Vogelscheuche, die zu anderen Zeiten eine Menschenscheuche gewesen war, die mir heute fast Furcht einflößt, weil ich dazu beigetragen habe, sie ihres Ansehens zu berauben, indem ich sie auf der Spitze eines Schornsteinwischers zur Karnevalszeit durch die historische Stadt getragen habe, oder indem sie einem Narren, der das Volk zu stetem Lachen reizte, als Vermummung diente. Armes Prinzip der Autorität! So haben dir diejenigen mitgespielt, die dich heute vergebens anrufen.

Was nun das groteske Aussehen des Herrn Corregidors betrifft, so bestand es darin, daß er, wie man sagt, hohe Schultern hatte, noch viel höhere als der Tio Lucas ... fast bucklig, um es gerade herauszusagen; seine Statur war unter Mittelgröße und schwächlich, seine Gesundheit schwankend; er hatte gewölbte Beine und eine Art und Weise zu gehen, ganz sui generis, indem er sich von der einen Seite nach der anderen wiegte, und von hinten nach vorne, die man nur mit der absurden Phrase bezeichnen kann, daß es schien, wie wenn er auf beiden Füßen lahm wäre. Zum Ersatz dafür aber fügt die Tradition hinzu, war sein Gesicht regelmäßig, wenn auch durch den Mangel an Zähnen ziemlich runzlig, grünlich brünett, wie fast alle Söhne Castiliens, mit großen, dunklen Augen, in denen Zorn, Despotismus und Sinnlichkeit Blitze warfen, mit feinen, verschmitzten Gesichtszügen, die zwar nicht den Ausdruck persönlichen Mutes, aber einer versteckten, zu allem fähigen Bosheit trugen; dabei eine gewisse Miene der Befriedigung, halb Aristokrat, halb Libertin, die ganz deutlich zeigte, daß jener Mann, trotz seiner Beine und seines Buckels, in seiner frühen Jugend den Frauen angenehm gewesen und von ihnen angenommen worden war.

[S. 23]

Don Eugenio de Zuñiga y Ponce de Leon (das war der Name Sr. Herrlichkeit) war in Madrid geboren, aus berühmtem Geschlechte und war zu jener Zeit ungefähr fünfundfünfzig Jahre alt. Vier Jahre war er als Corregidor in der erwähnten Stadt gewesen, wo er sich, kurz nach seiner Ankunft, mit der hervorragendsten Dame, von der wir noch weiter unten sprechen werden, verheiratet hatte.

Don Eugenios Strümpfe, außer den Schuhen der einzige Teil seiner Bekleidung, welchen der sehr umfangreiche rote Mantel freiließ, waren weiß, und die Schuhe schwarz mit goldener Schnalle. Als aber die Wärme auf dem freien Felde ihn veranlaßte, seine Umhüllung zu lüften, sah man, daß er eine große Krawatte von Batist trug, eine taubenfarbige Sergeweste, über und über mit grünen Zweigen gemustert, kurze, schwarzseidene Beinkleider, einen ungeheueren Rock von demselben Stoffe wie die Weste, einen Galanteriedegen mit Stahlgefäß, Stock mit Quasten und ein respektables Paar Handschuhe von gelblichem Wildleder, die er nie anzog und nur in der Mitte wie eine Art von Szepter umfaßte.

Der Alguacil, der dem Herrn Corregidor auf zwanzig Schritte Entfernung folgte, hieß Garduña und war das leibhaftige Conterfei seines Namens (Marder). Mager, sehr behend, sah er im Gehen vorwärts und rückwärts, nach rechts und nach links zu gleicher Zeit, mit langem Halse, ganz kleinem, widerwärtigem Gesichte, und mit zwei Händen, die wie zwei Bündel Ruten aussahen, glich er sowohl einem Späher auf der Suche nach Verbrechern, als dem Strick, der sie binden, und dem Instrumente, das sie bestrafen sollte.

Als der Blick des ersten Corregidors auf ihn fiel, sagte dieser, ohne weitere Erkundigungen einzuziehen, »du wirst mein wahrer Alguacil sein.« Und vier Corregidoren hatte er gedient.

Er war achtundvierzig Jahre alt und trug einen Dreispitz, [S. 24] der viel kleiner, als der seines Herrn, der, wir wiederholen es, einen ganz ungewöhnlichen Umfang hatte, einen Mantel, schwarz wie die Strümpfe und der übrige Anzug, einen Stock ohne Quasten und eine Art von Bratspieß an Stelle des Degens.

Jenes schwarze Gespenst schien der Schatten seines auffallend gekleideten Gebieters zu sein.


9.

Hü, Esel!

Wo auch immer diese Persönlichkeit und sein Untergebener vorüberkamen, verließen die Arbeiter ihre Thätigkeit und entblößten ihre Häupter so tief, daß der Hut die Erde fast berührte, doch eigentlich mehr aus Furcht als aus Achtung; war er vorüber, so sagten sie mit leiser Stimme:

»Heute geht aber der Herr Corregidor sehr früh zur Seña Frasquita.«

»Sehr früh... und allein!« fügten andere hinzu, die gewohnt waren, ihn diesen Spaziergang immer in Gesellschaft verschiedener anderer Personen machen zu sehen.

»Höre du, Manuel, warum geht wohl der Herr Corregidor heute allein, um die Seña Frasquita zu besuchen?« fragte eine Bäuerin ihren Mann, der sie hinter sich auf dem Esel hatte.

Und während sie ihn fragte, kitzelte sie ihn, um ihn zu reizen. »Denk' doch nicht gleich Schlechtes, Josepha!« rief der gute Mann aus, »die Seña Frasquita ist nicht imstande...«

»Sage ich denn das Gegenteil? Aber darum ist doch der Herr Corregidor nicht etwa nicht imstande, sich in sie zu verlieben... Ich habe sagen hören, daß von allen, die zu den Schmausereien nach der Mühle gehen, dieser Madrider, der den Unterröcken so nachläuft, der einzige ist, der mit bösen Absichten dorthin geht.«

[S. 25]

»Und was weißt du davon, ob er den Unterröcken nachläuft oder nicht?« fragte seinerseits der Mann.

»Das sage ich nicht von mir selbst... Und wenn er auch tausendmal Corregidor wäre, er würde sich wohl gehütet haben, mir auch nur zu sagen, du hast schwarze Augen.«

Die so sprach, war häßlich im Superlativ.

»Na, sieh mal, Kind, da mögen sie zusehen!« erwiderte der Manuel Genannte. »Ich glaube nicht, daß der Tio Lucas der Mann dazu ist, um darauf einzugehen... Der hat ein hübsches Temperament, der Tio Lucas, wenn er böse wird!«

»Na, aber man sieht ja, daß es ihm paßt,« fügte Tia Josepha hinzu und rümpfte die Nase.

»Tio Lucas ist ein Biedermann,« entgegnete der Bauer, »und einem Biedermanne können solche Dinge nicht passen.«

»Na ja, darin hast du recht... Mögen sie zusehen... Wenn ich die Seña Frasquita wäre...«

»Hü, Esel!« schrie der Mann, um das Gespräch zu wechseln.

Der Esel setzte sich in Trab, und so konnte man den Rest der Unterhaltung nicht mehr hören.


10.

Vom Rebengeländer aus.

Während so die den Corregidor grüßenden Ackerleute unter sich sprachen, sprengte und fegte die Seña Frasquita sorgfältig den gepflasterten Platz, welcher der Mühle als Atrium diente, und stellte ein halbes Dutzend Stühle dahin, wo das Weinlaub der Laube noch am dichtesten war, auf welche Tio Lucas gestiegen war und die besten Trauben abschnitt, um sie künstlerisch in einem Korbe zu arrangieren.

»Nun ja, Frasquita,« sagte der Tio Lucas oben von der Laube herunter, »der Herr Corregidor ist in sehr schlechter Weise in dich verliebt.«

[S. 26]

»Das habe ich dir schon vor langer Zeit gesagt,« antwortete die Frau aus dem Norden; »aber laß ihn doch seufzen... Nimm dich in acht, Lucas, daß du nicht fällst!«

»Sei ohne Sorge, ich halte mich schon fest.... Auch gefällst du dem Herrn...«

»Hör 'mal, jetzt höre auf mit deinen Nachrichten,« unterbrach sie ihn. »Ich weiß nur zu gut, wem ich gefalle und wem nicht. Wenn ich doch nur ebenso gut wüßte, warum ich dir nicht gefalle.«

»Na, das ist stark. Weil du so häßlich bist!« antwortete Tio Lucas.

»Hör 'mal... häßlich und alles, ich bin imstande, auf die Weinlaube zu steigen und dich kopfüber auf den Boden zu werfen.«

»Viel wahrscheinlicher wäre es, daß ich dich nicht von der Laube herabsteigen ließe, ohne dich vorher lebendig aufzuessen.«

»Da haben wir's... und wenn dann meine Anbeter kommen und uns da sähen, dann möchten sie gar am Ende sagen, daß wir zwei Affen seien.«

»Und da würden sie den Nagel auf den Kopf treffen, denn du bist so ein rechter Affe, und so hübsch, und ich sehe wie ein Affe aus mit meinem Buckel...«

»Der mir gerade sehr gefällt.«

»Dann wird dir der des Corregidors noch besser gefallen, der ist ja noch größer als meiner.«

»Ei, ei, sehen Sie einmal, mein Herr Don Lucas, seien Sie nicht so eifersüchtig!«

»Ich eifersüchtig, auf den alten Waschlappen? Im Gegenteil, ich freue mich sehr, daß er dich liebt.«

»Warum?«

»Weil in der Sünde selbst die Strafe liegt. Du wirst ihn nie lieben, und ich bin während der Zeit der eigentliche Corregidor der Stadt.«

»Seht einmal den eitlen Menschen an! Stelle dir aber [S. 27] nun einmal vor, daß ich ihn lieben lernte... Es sind schon seltsamere Dinge in der Welt vorgekommen.«

»Das wäre mir auch ziemlich gleichgiltig.«

»Warum?«

»Weil du dann nicht mehr du sein würdest, und da du nicht bist, die du bist, oder für die ich dich wenigstens halte, da mach' ich mir den Teufel was daraus, ob dich alle Dämonen holen.«

»Aber was würdest du in einem solchen Falle thun?«

»Ich? Hm, hör 'mal, das weiß ich nicht... denn, da ich dann ein anderer sein würde, als ich jetzt bin, so kann ich mir nicht vorstellen, was ich dann wohl denken würde.«

»Und warum würdest du ein anderer sein?«

»Weil ich jetzt ein Mann bin, der an dich glaubt wie an sich selbst, und dessen ganzes Leben nur dieser Glaube ist. Folglich, wenn ich nicht mehr an dich glauben würde, so würde ich sterben oder mich in einen neuen Menschen verwandeln, auf eine andere Art und Weise leben. Mir würde es vorkommen, wie wenn ich eben erst geboren wäre, und ich würde andere Gefühle hegen. Ich weiß nicht, was ich dann mit dir thun würde... Vielleicht würde ich lachen und dir den Rücken wenden... Vielleicht würde ich dich nicht kennen... Vielleicht... Aber geh doch, was für einen Gefallen können wir daran finden, uns unnötig in üble Laune zu versetzen. Was geht das uns an, wenn dich alle Corregidoren der Welt lieben? Bist du nicht meine Frasquita?«

»Ja, du alter Barbar!« antwortete die Seña Frasquita, aus vollem Halse lachend. »Ich bin deine Frasquita, und du bist mein Herzens-Lucas, der häßlicher ist als ein Pavian, der mehr Talent hat als alle übrigen Männer, der besser ist als das Brot, und den ich mehr liebe... Na, steige nur erst von dem Spalier herunter, dann wirst du schon sehen, was das »lieben« heißt!... [S. 28] Bereite dich nur vor, so viel Ohrfeigen zu bekommen und so viel gekniffen zu werden, wie du Haare auf dem Kopfe hast... Aber still, was sehe ich! Der Herr Corregidor kommt ganz allein hierher... Und so früh... Der hat einen Plan.«

»Dann nimm dich ein wenig zusammen und sage ihm nicht, daß ich hier oben bin. Er kommt gewiß, um mit dir allein eine Erklärung zu haben, denn er nimmt an, daß ich meine Siesta halte. Ich will mich amüsieren, indem ich seine Erklärung mit anhöre.«

So sprach Tio Lucas und reichte seiner Frau den Korb hinunter.

»Das ist kein übler Gedanke,« rief sie und brach von neuem in ein Gelächter aus. »Dieser Teufel von einem Madrileñer! Was glaubt der denn, was mir ein Corregidor gilt? Aber, da kommt er. Garduña, der ihm in einiger Entfernung folgte, hat sich im Graben in den Schatten gesetzt... Wie albern! Verstecke dich gut hinter dem Weinlaub, denn wir werden mehr lachen, als du dir vielleicht einbildest.«

Und nachdem sie dies gesagt, fing die schöne Navarresin an den Fandango zu singen, mit dem sie schon ebenso vertraut war wie mit den Liedern ihrer Heimat.


11.

Das Bombardement von Pamplona.

»Gott behüte dich, Frasquita,« sagte der Corregidor halblaut, als er unter der Laube erschien und sich auf den Fußspitzen näherte.

»Wie gut von Ihnen, Herr Corregidor!« antwortete sie mit natürlicher Stimme, indem sie ihm tausend Bücklinge machte. »Euer Gnaden schon zu dieser Stunde! Und bei der Hitze! Setzen sich Eure Herrlichkeit! Hier ist es hübsch kühl! — Und Euer Gnaden haben die anderen [S. 29] Herren nicht abgewartet?... Da stehen schon alle Sitze für die Herren... Heute Nachmittag erwarten wir auch den Herrn Bischof in Person, er hat meinem Lucas versprochen, die ersten Trauben vom Weinstock zu kosten. Und wie befinden sich Euer Gnaden? Wie geht es der Frau Gemahlin?«

Der Corregidor war verwirrt; das so ersehnte Alleinsein, in dem er sich mit der Seña Frasquita befand, kam ihm wie ein Traum vor oder wie eine Schlinge, welche ihm das feindliche Geschick legte, um ihn in den Abgrund der Täuschung fallen zu lassen.

So beschränkte er sich nur darauf, zu sagen:

»Es ist nicht so früh, wie du sagst... es wird ungefähr halb vier Uhr sein.«

In dem Augenblicke pfiff der Papagei.

»Es ist einviertel auf drei,« sagte die Navarresin, und sah den Madrileñer steif und unverwandt an.

Dieser schwieg, wie ein überführter Verbrecher, der auf die Verteidigung verzichtet.

»Und Lucas? Schläft er?« fragte er nach einem Augenblicke.

Wir müssen hier noch bemerken, daß der Corregidor, wie alle Zahnlosen, eine unbestimmte, zischende Aussprache hatte, wie wenn er seine eigenen Lippen äße.

»Ja, freilich,« antwortete die Seña Frasquita. »Um diese Zeit, da schläft er, wo es ihn gerade überfällt und wäre es am Rande eines Abgrundes.«

»Nun höre, so laß ihn schlafen,« rief der alte Corregidor aus und wurde noch bleicher, als er schon von Natur war. »Und du, meine liebe Frasquita, höre einmal ... sieh... komm her... Setze dich hierher, so, an meine Seite. Ich habe dir viele Dinge mitzuteilen.«

»Da sitze ich,« antwortete die Müllerin, ergriff einen niedrigen Stuhl und setzte ihn in ganz geringer Entfernung von dem des Corregidors nieder.

[S. 30]

Sobald Frasquita sich gesetzt hatte, legte sie ein Bein über das andere, bog den Körper ein wenig vor, stützte einen Ellbogen auf das übergeschlagene Knie und das frische, schöne Gesicht auf eine ihrer Hände, und so, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, mit lächelnden Lippen, wobei alle fünf Grübchen in Thätigkeit kamen, und die heiteren, reinen Pupillen auf den Corregidor geheftet, erwartete sie die Erläuterung Seiner Gnaden. Wahrhaftig, man konnte sie mit Pamplona vergleichen, welches das Bombardement erwartet.

Der arme Mann wollte sprechen, aber vor dieser grandiosen Schönheit, vor dieser strahlenden Anmut, vor jener schrecklichen Frau mit der Alabasterhaut, den üppigen Formen, dem reinen, lachenden Munde, den blauen, unergründlichen Augen, die der Pinsel eines Rubens erschaffen zu haben schien, blieb er mit offenem Munde wie behext sitzen. »Frasquita!« murmelte endlich der Abgesandte des Königs mit schwacher Stimme, während sein vertrocknetes Gesicht, das sich in Schweiß gebadet von seinem Buckel abhob, eine unsägliche Qual ausdrückte, »Frasquita!«

»So heiße ich,« antwortete die Tochter der Pyrenäen. »Sie wünschen?«

»Was du willst,« erwiderte der Alte mit unendlicher Zärtlichkeit.

»Nun, was ich will, das weiß ja Ew. Gnaden,« sagte die Müllerin. »Was ich will? Ew. Gnaden sollen einen Neffen von mir in Estella zum Sekretär beim Stadtgericht ernennen, damit er jene Berge verlassen kann, wo es ihm herzlich schlecht geht.«

»Ich habe dir schon gesagt, Frasquita, daß das unmöglich ist; der gegenwärtige Sekretär...«

»Ist ein Dieb, ein Trunkenbold, ein Esel.«

»Das weiß ich. Er hat aber sehr gute Beschützer unter den lebenslänglichen Regidoren, und ich kann ohne Einwilligung [S. 31] des Stadtrates keinen anderen ernennen. Sonst setze ich mich aus — —«

»Ich setze mich aus, ich setze mich aus.... Und welchen Gefahren würden wir uns nicht um Ew. Gnaden willen aussetzen, wir alle, bis hinunter zu den Katzen im Hause?«

»Würdest du mich um diesen Preis lieben?« stammelte der Corregidor.

»Nein, Herr Corregidor, denn ich liebe Ew. Gnaden umsonst.«

»Weib, gieb mir nicht so viele Titel! Nenne mich Sie oder wie du Lust hast... Hä, so wirst du mich also lieben? ... Sag —«

»Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich Sie schon liebe?«

»Aber...«

»Dabei ist kein ›aber‹. Sie sollen nur sehen, wie hübsch und was für ein braver Mensch mein Neffe ist!«

»Ja, du bist hübsch, Frasquita!«

»Gefalle ich Ihnen?«

»Gewiß gefällst du mir! Es giebt keine zweite Frau wie dich.«

»Nun sehen Sie, hier ist nichts Falsches,« antwortete die Seña Frasquita, schob den Ärmel ihres Kleides ganz in die Höhe und zeigte dem Corregidor den bisher verhüllten Teil ihres Armes, der einer Karyatide würdig gewesen wäre und weißer als eine Lilie war.

»Und ob du mir gefällst!« fuhr der Corregidor fort, »Tag und Nacht, zu jeder Stunde, überall, denke ich nur an dich.«

»Aber wie? Gefällt Ihnen denn die Frau Corregidor nicht?« fragte Seña Frasquita mit einem so gut geheuchelten Mitleid, daß es einen Hypochonder zum Lachen gebracht hätte. »Wie schade! Als mein Lucas Ihre Alkovenuhr zurecht gemacht hat, da hat er das Vergnügen gehabt, sie zu sehen und mit ihr zu sprechen, und er hat [S. 32] mir gesagt, daß sie sehr hübsch und sehr gut und so liebenswürdig im Umgange sei.«

»Nicht so sehr, nicht so sehr!« murmelte der Corregidor mit einer gewissen Bitterkeit.

»Dagegen haben andere mir gesagt,« sprach die Müllerin weiter, »daß sie ein sehr böses Temperament habe, sehr eifersüchtig sei, und daß Sie vor ihr wie vor einer grünen Rute zitterten.«

»Nicht so sehr, Frau,« wiederholte Don Eugenio de Zuñiga y Ponce de Leon, indem er ganz rot wurde. »Nicht so viel und nicht so wenig, die Frau Corregidora hat so ihre Launen, gewiß... aber zwischen dem und vor ihr zittern ist doch noch ein großer Unterschied. Ich bin der Corregidor.«

»Aber schließlich haben Sie sie lieb oder nicht?«

»Ich will dir sagen... ich liebe sie sehr... oder besser gesagt, ich liebte sie sehr, bevor ich dich kennen lernte. Aber seit ich dich sah, weiß ich nicht, was mir geschah, und sie selbst merkt, daß etwas in mir vorgeht. Genug, heute zum Beispiel, wenn ich das Gesicht meiner Frau berühre, so macht es mir den Eindruck, wie wenn ich mein eigenes berührte. Siehst du wohl, mehr kann man sie doch nicht lieben und auch nicht weniger fühlen. — Dagegen, könnte ich diese Hand, diesen Arm, dieses Gesicht, diese Taille berühren, würde ich dafür geben, was ich nicht habe.«

Und während der Corregidor so sprach, versuchte er, sich des entblößten Armes, den die Seña Frasquita ihm buchstäblich unter die Nase rieb, zu bemächtigen; aber diese, ohne ihre Fassung zu verlieren, streckte die Hand aus, berührte die Brust Seiner Gnaden mit der friedlichen Gewalt und unwiderstehlichen Festigkeit eines Elephantenrüssels und warf ihn mit Stuhl und allem auf den Rücken.

»Ave Maria purisima!« (Heilige Jungfrau Maria!) [S. 33] rief inzwischen die Navarresin und lachte wie toll. »Der Stuhl war wohl gar zerbrochen?«

»Was geht hier vor?« rief in diesem Augenblicke Tio Lucas, indem er sein häßliches Gesicht durch die Weinblätter steckte.

Noch lag der Corregidor auf dem Rücken am Boden und blickte mit unaussprechlichem Entsetzen zu dem Manne empor, der in der Luft auf dem Bauche liegend erschien.

Wie ein Teufel sah er aus, aber nicht wie einer von St. Michael, sondern wie ein von einem anderen höllischen Dämon besiegter.

»Was soll hier vorgehen?« beeilte sich die Seña Frasquita zu sagen, »der Herr Corregidor hatte seinen Stuhl nicht fest aufgestellt, er fing an sich zu wiegen, und da ist er gefallen.«

»Jesus, Maria und Joseph!« rief seinerseits der Müller aus, »Ew. Gnaden haben sich doch nicht etwa Schaden gethan? Wollen Ew. Gnaden ein wenig Wasser und Essig?«

»Ich habe mir nichts gethan!« sagte der Corregidor, indem er, so gut er konnte, aufstand.

Und dann fügte er leise, doch so, daß ihn die Seña Frasquita verstehen konnte, hinzu:

»Das sollt Ihr mir bezahlen.«

»Dagegen haben aber Ew. Gnaden mir das Leben gerettet,« fuhr Tio Lucas fort, ohne jedoch von seinem luftigen Sitze herabzusteigen. »Stelle dir nur vor, Frau, ich sitze hier oben und betrachte die Weintrauben; da schlafe ich auf einem Netz von Weinreben und Stangen, dessen Zwischenöffnungen groß genug waren, um einen Körper hindurchgleiten zu lassen, ein. Hätte mich also Sr. Gnaden Fall nicht zur rechten Zeit aufgeweckt, so hätte ich mir späterhin den Kopf auf diesen Steinen zerbrochen.«

»Also du... he?« rief der Corregidor aus. »Nun, Müller, das freut mich... Ich sage, es freut mich sehr, daß ich gefallen bin.«

[S. 34]

»Das sollst du mir bezahlen,« fügte er dann hinzu, indem er sich zur Müllerin wendete.

Und das sprach er mit einem solchen Ausdruck von unterdrückter Wut, daß die Seña Frasquita ganz traurig wurde.

Sie sah nur zu deutlich, daß der Corregidor zuerst erschrocken war, weil er glaubte, daß der Müller alles gehört hätte.

Als er sich aber überzeugt hatte, daß der Müller nichts gehört, denn Tio Lucas' Ruhe und Verstellung hätten selbst den schärfsten Luchs getäuscht, da fing er an, seinem Zorn nachzugeben und Rachepläne zu brüten.

»Na, na, komm nur herunter und hilf mir Sr. Gnaden reinigen, er ist ja ganz mit Staub bedeckt,« rief die Müllerin aus.

Und während der Tio Lucas herunterkletterte, sagte sie zu dem Corregidor, indem sie ihm mit der Schürze den Rock abstäubte, wobei mancher Schlag die Ohren traf:

»Der Arme hat gar nichts gehört... der hat wie ein Klotz geschlafen.« Diese Worte und mehr noch der Umstand, daß sie mit leiser Stimme zu ihm gesprochen wurden, dadurch Mitwissenschaft und Geheimnis andeutend, brachten eine wunderbare Wirkung hervor. »Du Schelm! Du Trotzkopf!« stammelte Don Eugenio de Zuñiga mit wässerndem Munde, aber doch noch scheltend.

»Ew. Gnaden hegen doch keinen Groll gegen mich?« entgegnete die Navarresin arglistig schmeichelnd.

Als der Corregidor wahrnahm, daß die Strenge einen so guten Erfolg hatte, versuchte er die Seña Frasquita recht wütend anzusehen; aber da traten ihm ihr verführerisches Lächeln und ihre himmlischen Augen, in denen eine liebkosende Bitte glänzte, entgegen — all sein Zorn schmolz sofort dahin, und mit süßlichem Ton, bei dem man erst recht den vollständigen Mangel an Zähnen entdeckte, sagte er: »Das hängt von dir ab, mein Schatz!«

[S. 35]

In diesem Augenblicke sprang Tio Lucas von der Laube auf den Boden.


12.

Zehnten und Erstlinge.

Als der Corregidor seinen Stuhl wieder eingenommen hatte, warf die Müllerin einen flüchtigen Blick auf ihren Gatten und sah ihn nicht nur so ruhig wie immer, sondern daß er auch große Lust hatte, über diesen Einfall vor Lachen zu bersten; im ersten Augenblicke, in dem sie sich vom Corregidor unbeachtet glaubte, warf sie ihm eine Kußhand zu und sagte dann mit einer Sirenenstimme, um die Kleopatra sie beneidet hätte, zu diesem:

»Jetzt sollen Ew. Gnaden auch meine Weintrauben kosten.«

Und jetzt hätte man die schöne Navarresin sehen müssen, und so würde ich sie malen, wenn ich Titians Pinsel hätte, wie sie so vor dem entzückten Corregidor stand, frisch, prächtig, reizend, mit ihren edlen Formen, ihrem engen Kleide, der hohen Gestalt, wie sie die entblößten Arme über ihr Haupt erhob, in jeder Hand eine durchsichtige Traube, und mit einem unwiderstehlichen Lächeln und einem bittenden Blick, in dem die Furcht zitterte, zu ihm sagte:

»Noch hat der Herr Bischof sie nicht versucht... Es sind die ersten, die wir in diesem Jahre pflücken...«

Sie glich einer riesigen Pomona, die einem ländlichen Gott, sagen wir z. B. einem Satir Früchte anbietet. In diesem Augenblicke erschien am äußersten Ende des gepflasterten Platzes der ehrwürdige Bischof der Diöcese, von dem Advokaten-Akademiker und zwei Domherren in vorgeschrittenem Alter begleitet, und von seinem Sekretär, zwei Hausgenossen und zwei Pagen gefolgt.

Einen Augenblick hielt Se. Hochwürden an, um das zugleich komische und schöne Bild zu betrachten, und dann sagte er mit dem würdevollen Ton der Prälaten von damals:

[S. 36]

»Das Fünfte: Zehnten und Erstlinge an die Kirche Gottes zu bezahlen, lehrt uns die christliche Satzung; aber Sie, Herr Corregidor, begnügen sich nicht damit, den Zehnten zu verwalten, sondern wollen auch die Erstlinge essen.«

»Der Herr Bischof!« riefen die Müllersleute aus und verließen den Corregidor, um den Ring des Prälaten zu küssen.

»Gott lohne es Ew. Hochwürden, daß Sie unserer armen Hütte solche Ehre erweisen,« sagte Tio Lucas im Tone aufrichtiger Verehrung und küßte ihn. »Wie freue ich mich, den Herrn Bischof so wohl und schön zu sehen!« rief die Seña Frasquita aus, indem auch sie den Ring küßte. »Gott segne ihn und erhalte ihn so viele Jahre, wie meines Lucas' Bischof!«

»Wie kann ich dir wohl eines Tages fehlen, wenn du mich mit Segnungen überhäufst, statt sie von mir zu verlangen,« antwortete lachend der gütige Hirt. Und zwei Finger ausstreckend, segnete er die Seña Frasquita und darauf die übrigen Anwesenden.

»Hier sind auch Ew. Hochwürden Erstlinge!« sagte der Corregidor, indem er eine Traube aus den Händen der Müllerin nahm und sie dem Bischof höflich anbot. »Noch habe ich die Trauben nicht gekostet.«

Der Corregidor sprach diese Worte aus, indem er einen schnellen, lüsternen Blick auf die strahlende Schönheit der Müllerin warf.

»Hoffentlich doch nicht, weil sie zu sauer sind, wie die in der Fabel,« bemerkte der Akademiker.

»Die in der Fabel,« versetzte der Bischof, »waren nicht sauer, Herr Licenziat, sondern außer dem Bereich des Fuchses.«

Keiner von beiden hatte eine Anspielung auf den Corregidor damit bezweckt; aber die Aussprüche paßten so genau auf das, was soeben vorgefallen war, daß der Corregidor Don Eugenio de Zuñiga blaß vor Zorn wurde und, den Ring des Prälaten küssend, sagte:

[S. 37]

»Dann wäre ich also der Fuchs, Hochwürden.«

»Tu dixisti« (Du sagst es), erwiderte dieser mit der leutseligen Strenge eines Heiligen, der er auch gewesen sein soll. »Excusatio non petita, accusatio manifesta — Qualis vir, talis oratio. — Aber satis jam dictum, nullus ultra sit sermo. Oder, was dasselbe ist: Lassen wir jetzt das Latein und bekümmern wir uns um diese famosen Trauben.« Und er pflückte eine einzige Beere von der Traube, welche ihm der Corregidor anbot. »Sie sind sehr gut,« rief er aus und hielt sie gegen das Licht; dann reichte er sie seinem Sekretär. »Nur schade, daß sie mir nicht gut bekommen.«

Der Sekretär betrachtete die Traube auch, nahm eine Miene höflicher Bewunderung an und übergab sie einem der Hausgenossen.

Der Famulus wiederholte die Handlung des Bischofs und die Miene des Sekretärs, ja, ging sogar so weit, an der Weintraube zu riechen, und dann legte er sie mit der skrupulösesten Sorgfalt in den Korb zurück und sagte mit leiser Stimme zu den Umstehenden:

»Sr. Hochwürden fasten...«

Tio Lucas aber, der die Traube mit dem Blick verfolgt hatte, nahm sie dann ganz heimlich und aß sie verstohlen auf, ohne daß jemand es gesehen hatte.

Darauf setzten sich alle; man sprach vom Herbste, der sehr trocken war, obgleich die Prozession mit dem Strick des heiligen Franziskus umgegangen, sprach von der Möglichkeit eines neuen Krieges zwischen Napoleon und Österreich, bestand auf dem Glauben, daß die kaiserlichen Truppen das spanische Gebiet nie betreten würden; der Advokat beklagte sich über das Aufrührerische und alles Umstürzende jener Epoche und beneidete die ruhigen Zeiten seiner Väter, nota bene wie die Väter die Zeiten der Großväter beneidet hatten — da rief der Papagei fünf Uhr... und auf ein Zeichen des ehrwürdigen Bischofs ging der jüngere [S. 38] der beiden Pagen nach dem Wagen Sr. Hochwürden, der an demselben Graben angehalten hatte, wie der Alguacil und kam mit einem prächtigen aus Brot und Öl gebackenen, mit Salz bestreuten Kuchen zurück, der kaum vor einer Stunde aus dem Ofen gekommen war. Ein kleiner Tisch wurde inmitten der Anwesenden aufgestellt, die Torte wurde zerschnitten, auch Tio Lucas und die Seña Frasquita erhielten, trotz ihrer heftigen Weigerung, ihr Teil, und eine Stunde lang herrschte eine wirklich demokratische Gleichheit unter dem rötlich schimmernden Weinlaube, durch das die letzten Strahlen der untergehenden Sonne ihren Abschiedsgruß sandten.


13.

Da sagte die Krähe zum Raben.

Anderthalb Stunden später waren alle die erlauchten Vespergenossen in die Stadt zurückgekehrt.

Der Bischof und seine »Familie« waren, dank dem Wagen, bedeutend früher angekommen und waren schon im Palaste, wo wir sie bei ihrer Andacht nicht weiter stören wollen.

Der ausgezeichnete Advokat, der sehr trocken war, und die beiden Canonici, einer immer dicker und respektabler als der andere, begleiteten den Corregidor bis zur Thür des Rathauses, wo, wie Sr. Gnaden sagte, er noch zu arbeiten hatte, und schlugen dann den Weg zu ihren respektiven Wohnungen ein, wie Schiffer von den Sternen geleitet, oder wie Blinde die Ecken durch Tasten vermeidend, denn schon war die Nacht hereingebrochen, der Mond war noch nicht aufgegangen, und die Straßenbeleuchtung war, wie alle übrigen Lichter dieses Jahrhunderts, noch im göttlichen Gehirn.

Dafür sah man nicht selten eine Laterne durch die Straßen irren, mit der ein ehrerbietiger Diener seinem [S. 39] erhabenen Gebieter voranleuchtete, der sich zu der gewohnten Tertulia[5] oder zum Besuch in das Haus seiner Verwandten begab.

Fast neben allen niedrigen Gittern sah man, oder besser gesagt, spürte man, ahnte man eine schwarze, schweigende Masse. Das waren Verlobte, welche ihr Gespräch bei den herannahenden Schritten abgebrochen hatten.

»Wir sind aber wirkliche Leichtfüße,« sagten der Advokat und die beiden Canonici im Gehen. »Was wird man nur in unseren Häusern von uns denken, wenn man uns zu dieser Stunde ankommen sieht?«

»Aber was werden die uns auf der Straße Begegnenden sagen, wenn sie uns auf diese Weise nach sieben Uhr nachts wie von der Finsternis beschützte Reitersleute sehen?«

»Wir müssen wirklich unsern Lebenswandel ändern.«

»Ach ja! aber diese verflixte Mühle!«

»Meine Frau hat sie schon gewaltig im Magen,« sagte der Akademiker in einem Tone, aus dem man die Furcht vor einer nahe bevorstehenden Gardinenpredigt deutlich heraushörte.

»Nun, und meine Nichten!« rief einer der Canonici aus, der, nach seinen äußeren Abzeichen zu schließen, Pönitentiarius war, »meine Nichten sagen, daß die Priester keine Gevatterinnen besuchen sollten.«

»Und doch,« unterbrach sein Gefährte, der Magistral war, »kann es nichts Unschuldigeres geben, als...«

»Ei gewiß, geht doch sogar der Herr Bischof...«

»Und dann, meine Herren, in unserem Alter!« versetzte der Pönitentiar.

»Gestern bin ich fünfundsiebzig Jahre alt geworden.«

»Das ist ja ganz klar,« erwiderte der Magistral. »Aber lassen Sie uns von etwas anderem sprechen; wie reizend war heute die Seña Frasquita.«

[S. 40]

»O ja, was das betrifft, reizend ist sie, sehr reizend,« sagte der Advokat und heuchelte Unparteilichkeit.

»Sehr reizend!« wiederholte der Pönitentiarius hinter seiner Umhüllung.

»Und wenn nicht,« sagte der Prediger de officio, »so fragt nur den Corregidor, der arme Mann ist verliebt in sie.«

»Na, das glaube ich schon,« rief der Beichtiger in der Kathedrale aus.

»Gewiß!« fügte der korrespondierende Akademiker hinzu. »Hier aber, meine Herren, trennen sich unsere Wege, ich gehe hier herum, um eher nach Hause zu gelangen. Gute Nacht, meine Herren.«

»Gute Nacht,« antworteten ihm die Kapitelherren.

Und schweigend gingen sie einige Schritte vorwärts.

»Auch dem gefällt die Müllerin!« murmelte darauf der Domherr und stieß den Pönitentiarius sanft mit dem Ellbogen in die Seite.

»Das sieht man doch ganz deutlich,« antwortete dieser und blieb an seiner Hausthür stehen. »Und so häßlich wie er ist! Also auf morgen, Kollege. Mögen Ihnen die Trauben gut bekommen.«

»Auf morgen, so Gott will. Ich wünsche Ihnen eine recht gute Nacht.«

»Gott gebe uns eine gute Nacht!« betete der Pönitentiarius schon vom Portal, das sich durch eine Laterne und eine Jungfrau auszeichnete. Und er schlug mit dem Klopfer an die Thür.

Als der andere Canonicus sich allein auf der Straße befand — er war breiter als er lang war und schien sich rollend fortzubewegen — ging er langsam seinem Hause zu; aber ehe er jedoch dasselbe erreichte, stieß er gegen eine Wand, die in späteren Zeiten den Verordnungen der städtischen Polizei dienen sollte, und sagte, während er wahrscheinlich dabei an seinen Chorbruder dachte:

»Und dir gefällt die Seña Frasquita auch... Es ist [S. 41] aber auch wahr,« fügte er nach einem Augenblick hinzu, »reizend ist sie, sehr reizend!«


14.

Garduñas Ratschläge.

Inzwischen war der Corregidor, von Garduña gefolgt, in das Rathaus eingetreten, und hielt mit diesem im Sitzungssaale eine so vertrauliche Unterhaltung, wie sie sich für einen Mann von seinem Range und seinem Amte gar nicht schickte.

»Trauen Ew. Gnaden doch nur einem Spürhunde, der die Jagd kennt,« sagte der unedle Alguacil. »Die Seña Frasquita ist wahnsinnig in Ew. Gnaden verliebt, und was Ew. Gnaden mir soeben erzählt haben, läßt es so hell wie dieses Licht sehen...«

Und dabei deutete er auf eine Kerze, die kaum den achten Teil des Saales erhellte.

»So ganz sicher wie du, bin ich doch nicht, Garduña,« antwortete Don Eugenio seufzend.

»Dann weiß ich nicht, warum. Und wenn nicht, lassen Sie uns offen darüber sprechen. Ew. Gnaden, mit Ihrer Erlaubnis sei es gesagt, haben einen kleinen, ganz kleinen Fehler an Ihrem Körper, nicht wahr?«

»Gut, ja,« antwortete der Corregidor. »Aber der Tio Lucas hat denselben Fehler. Er ist noch weit buckliger als ich.«

»Viel buckliger! Sehr viel buckliger! Er ist gar nicht mit Ihnen zu vergleichen! Aber dafür, und das wollte ich eben sagen, haben Ew. Gnaden ein sehr ansehnliches Gesicht, so, was man sagt ein schönes Gesicht, während der Tio Lucas aussieht wie der Sergeant Utrera, der vor reiner Häßlichkeit krepiert ist.«

Der Corregidor lachte mit einer gewissen Leutseligkeit.

»Übrigens,« fuhr der Alguacil fort, »ist die Seña [S. 42] Frasquita imstande, sich aus dem Fenster zu stürzen, wenn sie dadurch die Ernennung ihres Neffen erreichen kann.«

»Bis hierher stimmen wir überein; diese Ernennung ist meine einzige Hoffnung.«

»Nun denn, Hand ans Werk, gnädiger Herr. Ich habe Ew. Gnaden ja schon meinen Plan mitgeteilt... Er braucht nur heute Nacht ausgeführt zu werden.«

»Ich habe dir schon vielmals gesagt, daß ich keine Ratschläge brauche!« schrie Don Eugenio, indem er sich plötzlich erinnerte, daß er mit einem Untergebenen sprach.

»Ich glaubte, daß Ew. Gnaden sie von mir verlangten,« stotterte Garduña.

»Antworte mir nicht!«

Garduña verbeugte sich.

»Also du sagst,« fuhr der Corregidor fort, indem er sich allgemach besänftigte, »daß schon heute Nacht alles geordnet werden kann? Nun, weißt du, das scheint mir sehr gut. Teufel noch einmal! So werde ich doch endlich von dieser grausamen Ungewißheit befreit werden.«

Garduña schwieg.

Der Corregidor wandte sich an den Schreibtisch, schrieb einige Zeilen auf Stempelpapier, das er seinerseits noch stempelte, und verwahrte es dann in seiner Westentasche. »So, die Ernennung des Neffen wäre gemacht,« sagte er dann und nahm eine Prise Tabak. »Morgen werde ich mich mit den Regidoren (Stadträten) darüber verständigen, und entweder sie genehmigen sie einstimmig, oder der Teufel soll sie holen. Meinst du nicht auch, daß ich recht thue?«

»Das ist es, das ist es,« rief der begeisterte Garduña aus, indem er die Pfote in die Tabaksdose des Corregidors versenkte und dieser eine Prise entführte. »Das ist es, Ew. Gnaden Vorgänger ist auch niemals vor einem Hindernisse zurückgeschreckt. Einmal...«

»Laß das Geschwätz!« versetzte der Corregidor, indem er der räuberischen Hand einen Schlag mit dem Handschuh [S. 43] versetzte. »Mein Vorgänger war ein Esel, weil er dich zum Alguacil hatte. Aber kommen wir wieder auf unsere Angelegenheit zurück. Du sagtest mir, daß die Mühle des Tio Lucas zum Gerichtsbezirk des nächsten Fleckens und nicht zu dem dieser Stadt gehört... Bist du ganz sicher?«

»Ganz sicher. Der Gerichtsbezirk der Stadt hört mit dem Graben auf, wo ich heute Nachmittag saß, um Ew. Gnaden zu erwarten. Heiliger Lucifer! Wenn ich an Ihrer Stelle gewesen wäre.«

»Genug!« schrie Don Eugenio, »du bist ein Unverschämter!« Er ergriff einen halben Bogen Papier, schrieb ein Billet, schloß es, indem er eine Ecke umschlug und übergab es Garduña. »Da hast du den Brief, den du von mir für den Alkalden des Ortes verlangt hast,« sagte er gleichzeitig zu ihm. »Du wirst ihm noch mündlich alles erklären, was er zu thun hat. Du siehst wohl, ich führe deinen Plan buchstäblich aus. Aber wehe dir, wenn du mich in eine Sackgasse bringst!«

»Seien Ew. Gnaden unbesorgt,« antwortete Garduña. »Señor Juan Lopez hat viel zu fürchten, und sobald er nur Ew. Gnaden Unterschrift sieht, wird er alles thun, was man ihm befiehlt. Dem königlichen Rentamt schuldet er mindestens tausend Fanegas Getreide und dem Kirchenamt ebensoviel. Und dies letztere gegen alles und jedes Gesetz, denn er ist weder eine Witwe, noch ein armer Arbeiter, um das Korn zu erhalten, ohne Zinsen darauf zu zahlen, sondern ein Spieler, ein Trunkenbold und ein Ehrloser, ein Freund von Weibern, über den der ganze Flecken entrüstet ist... Und jener Mensch übt die Autorität aus. Aber so geht es in der Welt!«

»Ich habe dir gesagt, daß du schweigen sollst! Du störst mich,« brüllte der Corregidor. »Aber um auf unser früheres Gespräch zurückzukommen,« fügte er, den Ton ändernd, nach einiger Zeit hinzu, »es ist jetzt einviertel [S. 44] auf Acht... Zuerst mußt du nach Hause gehen und die Señora benachrichtigen, daß sie mich zum Abendbrot und zum Schlafen nicht erwarten soll. Sage ihr, daß ich bis zum Zapfenstreich zu arbeiten habe und nachher eine geheime Runde mit dir machen wolle, um zu sehen, ob wir nicht ein paar Übelthäter fangen können u. s. w. u. s. w. Mit einem Worte, täusche sie nur gut, damit sie sich ohne irgend welchen Verdacht hinlegt. Unterwegs sage dem andern Alguacil, daß er mir das Abendbrot herbringe. Ich wage es nicht, mich heute vor meiner Frau sehen zu lassen; sie kennt mich zu gut, sie ist fähig, in meinen Gedanken zu lesen. Trage der Köchin auf, daß sie nur einige von den Klößen schickt, die es heute gegeben hat, und sage dem Alguacil, daß er mir aus dem Wirtshause ein halbes Viertel Weißwein herüberbringt, so aber, daß es niemand sieht. — Dann gehst du nach dem Orte ab, wo du ganz gut um halb neun Uhr sein kannst.«

»Schlag acht Uhr bin ich dort,« rief Garduña aus.

»Widersprich mir nicht!« heulte der Corregidor, der sich wieder erinnerte, wer er war.

Garduña salutierte.

»Wir haben gesagt,« nahm jener, menschlicher werdend, wieder das Wort, »daß du um acht Uhr im Orte sein kannst. Vom Dorfe bis zur Mühle wird es ungefähr... ich glaube, es wird eine halbe Meile sein...«

»Eine kleine...«

»Unterbrich mich nicht.«

Der Alguacil salutierte von neuem.

»Eine kleine halbe Meile,« fuhr der Corregidor fort. »Folglich um Zehn. Glaubst du, daß um zehn...«

»Vor Zehn, um halb Zehn kann Ew. Gnaden an die Thür der Mühle klopfen.«

»Kerl, sage mir nicht, was ich thun soll... Natürlich wirst du dort sein...«

»Ich werde überall sein... Aber mein Hauptquartier [S. 45] wird im Graben sein. Ach, bald hätte ich vergessen! Gehen Ew. Gnaden doch zu Fuß und ohne Laterne.«

»Die Ratschläge haben mir auch gerade gefehlt! Glaubst du denn, daß ich zum erstenmale einen solchen Feldzug unternehme?«

»Verzeihen Ew. Gnaden. Ach, noch etwas! Klopfen Ew. Gnaden nicht an die große Thür, die auf den Platz unter der Weinlaube führt, sondern an die kleine über dem Mühlgerinne.«

»Über dem Mühlgerinne ist noch eine Thür? Höre mal, das war' mir nicht eingefallen.«

»Ja, Ew. Gnaden. Die kleine Thür über dem Gerinne führt direkt in das Schlafzimmer der Müllersleute, und der Tio Lucas benutzt dieselbe nie. So daß, sollte er unerwartet zurückkommen...«

»Ich verstehe... ich verstehe... Jetzt betäube mir die Ohren nicht länger mit deinem Geschwätz.«

»Zum Schluß noch eins. Sehen Ew. Gnaden zu, daß Sie vor dem Morgengrauen unsichtbar werden. Jetzt wird es um sechs Uhr Tag.«

»Das ist ein anderer überflüssiger Rat. Um fünf Uhr bin ich wieder in meinem Hause... Aber wir haben genug gesprochen. Hebe dich weg von meinem Angesicht!«

»Nun denn, Herr... viel Glück!« rief der Alguacil, indem er zugleich dem Corregidor die Hand entgegenstreckte und andächtig die Augen zur Decke erhob.

Der Corregidor gab Garduña eine Peseta, die wie weggezaubert verschwand.

»Alle Teufel!« murmelte der Alte nach einer Weile. »Hab ich doch vergessen zu sagen, daß sie mir ein Spiel Karten mitbringen sollten! Damit hätte ich mich bis halb Zehn unterhalten und sehen können, ob die Patience aufging.«

[S. 46]


15.

Abschied in Prosa.

Es mochte ungefähr neun Uhr an demselben Abende sein, als Tio Lucas und die Seña Frasquita, nachdem sie alle Mühlen- und Hausgeschäfte besorgt hatten, ihr Abendbrot verzehrten, das aus einer Schüssel Endiviensalat, einem mit Tomaten gedämpften Stück Fleisch und einigen von den in dem bewußten Korbe zurückgebliebenen Weintrauben bestand und mit ein wenig Wein und vielem Gelächter auf Kosten des Corregidors begossen wurde; darauf sahen sich die beiden Ehegatten, wie zufrieden mit Gott und sich selbst, an und sagten unter wiederholtem Gähnen, das die ganze Ruhe und den Frieden ihrer Herzen enthüllte:

»Na, dann wollen wir nur zu Bett gehen, morgen ist ein anderer Tag.«

In dem Augenblick hörten sie zwei starke Schläge gegen die große Mühlenthür.

Der Mann und die Frau sahen sich erschrocken an.

Zum erstenmal hörten sie zu solcher Stunde an die Thür klopfen.

»Ich will nachsehen,« sagte die unerschrockene Navarresin und wendete sich nach der Thür.

»Geh weg! Das ist meine Sache!« rief Tio Lucas mit einer solchen Würde aus, daß Seña Frasquita ihm den Weg freiließ. »Ich habe dir doch gesagt, daß du nicht hinausgehen sollst,« fügte er mit einiger Härte hinzu, als er sah, daß die Navarresin Miene machte, ihm zu folgen. Diese gehorchte und blieb im Hause.

»Wer ist da?« fragte Tio Lucas von der Mitte der Hausflur aus.

»Die Obrigkeit,« antwortete eine Stimme von der andern Seite des Portals.

»Was für eine Obrigkeit?«

[S. 47]

»Die des Ortes. Öffnet im Namen des Herrn Bürgermeisters.«

Inzwischen hatte sich Tio Lucas einem kleinen, versteckten Guckloch in der Thür genähert und erkannte beim klaren Schein des Mondes den ländlichen Alguacil des benachbarten Ortes.

»Du willst sagen, daß ich dem Trunkenbold Alguacil öffnen soll,« antwortete der Müller, den Riegel zurückschiebend.

»Das ist dasselbe,« antwortete der draußen Stehende; »da ich aber einen geschriebenen Befehl von Seiner Wohlgeboren bringe... Ich wünsche Euch einen guten Abend, Tio Lucas,« fügte er mit einer etwas weniger offiziellen Stimme hinzu und trat ein.

»Gott behüte dich, Toñuelo,« antwortete der Murcianer. »Laß einmal sehen, was für ein Befehl das ist. Señor Juan Lopez hätte auch eine andere passendere Stunde wählen können, um sich an Biedermänner zu wenden. Natürlich wird es deine Schuld sein. Ich sehe schon, du hast dich in den Obstgärten am Wege berauscht. Willst du noch einen Schluck?«

»Nein, Herr, es ist keine Zeit dazu. Sie müssen mir sofort folgen. Lesen Sie den Befehl.«

»Wie, dir folgen?« rief Tio Lucas und trat, nachdem er das Papier an sich genommen, in die Mühle zurück.

»Du, Frasquita, leuchte mir.«

Seña Frasquita warf etwas, was sie in der Hand hielt, fort und brachte die Lampe.

Tio Lucas warf einen schnellen Blick auf den von seiner Frau losgelassenen Gegenstand und erkannte seine alte Donnerbüchse, die mit halbpfündigen Kugeln geladen wurde.

Da blickte der Müller die Navarresin voll Dankbarkeit und Zärtlichkeit an und, sie beim Kinn nehmend, sagte er:

»Du bist Gold wert.«

[S. 48]

Bleich und heiter wie eine Marmorstatue hob Seña Frasquita die Lampe in die Höhe, ohne daß die Finger, welche sie hielten, auch nur vom leisesten Zittern bewegt wurden, und antwortete trocken:

»Laß nur, lies!«

Der Befehl lautete folgendermaßen:

»Um Sr. Majestät, unserm König und Herrn (Q. D. G.[6]) besser zu dienen, benachrichtige ich Lucas Fernandez, Müller und hiesigen Bürger, daß er sofort nach Empfang dieses Schreibens vor mir erscheine, ohne irgend welchen Vorwand oder Entschuldigung, indem ich ihn zugleich warne, es irgend jemanden mitzuteilen, da es eine vollständig reservierte Angelegenheit ist, widrigenfalls er, im Falle des Ungehorsams, den betreffenden Strafen verfallen wird.« Der Alkalde (Bürgermeister) Juan Lopez.

Und statt des Federzuges war ein Kreuz.

»Höre, du, was heißt dies?« fragte Tio Lucas den Alguacil. »Wozu ist dieser Befehl?«

»Das weiß ich nicht,« antwortete der Bauer, ein Mann von einigen dreißig Jahren, dessen spitzes, boshaftes Gesicht, das Gesicht eines Räubers und Mörders, gerade kein Vertrauen zu seiner Glaubwürdigkeit einflößte. »Ich glaube, es handelt sich um Hexerei oder Falschmünzerei; Euch betrifft die Sache nicht. Ihr sollt nur als Zeuge oder Sachverständiger vernommen werden. Na, ich weiß nicht recht, ich hab's nicht recht verstanden. Der Señor Juan Lopez wird es Euch schon erklären, mit allem, was drum und dran hängt.«

»Gewiß!« rief der Müller aus. »Sag ihm, ich werde morgen kommen.«

»O nein, Herr, Ihr müßt auf der Stelle kommen, ohne auch nur eine Minute zu verlieren. So lautet der Befehl, den mir der Herr Alkalde gegeben hat.«

[S. 49]

Einen Augenblick lang herrschte Stille.

Die Augen der Seña Frasquita sprühten Flammen. Tio Lucas erhob die seinigen nicht vom Fußboden, wie wenn er dort etwas suchte.

»Du wirst nur doch wenigstens die nötige Zeit gestatten,« sprach er endlich, den Kopf erhebend, »um nach dem Stall zu gehen und einen Esel zu satteln.«

»Was Esel, was Teufel!« entgegnete der Alguacil. »Eine halbe Meile kann doch wohl jeder zu Fuß gehen. Außerdem ist die Nacht sehr schön und der Mond scheint. Ich habe schon gesehen, daß er aufgegangen ist.«

»Aber meine Füße sind sehr geschwollen.«

»Nun, dann wollen wir aber keine Zeit verlieren. Ich werde das Tier satteln helfen.«

»Holla, Holla! Fürchtest du, daß ich davonlaufe?«

»Ich fürchte nichts, Tio Lucas,« antwortete Toñuelo mit der Kälte eines seelenlosen Geschöpfes. »Ich bin die Obrigkeit.«

Und indem er so sprach, legte er die Waffen nieder und ließ die unter seinem Mantel verborgene Büchse sehen.

»Hör 'mal, Toñuelo,« sagte die Müllerin, »da du doch in den Stall gehst, um dein Amt auszuüben, so sei so gut und sattle auch den anderen Esel.«

»Wozu?« fragte der Müller.

»Für mich, ich gehe mit euch.«

»Das kann nicht sein, Seña Frasquita,« entgegnete der Alguacil. »Ich habe Ordre, Euren Mann mitzubringen, aber nichts weiter, und zu verhindern, daß Ihr ihm folgt. Dabei gilt es ja meine Stelle und meinen Kopf. So teilte mir der Señor Juan Lopez mit. Also vorwärts, Tio Lucas.« Und er wendete sich der Thür zu.

»Das ist sehr sonderbar,« stotterte der Müller, ohne sich zu regen.

»Sehr sonderbar,« antwortete die Seña Frasquita.

»Da steckt etwas dahinter... nur weiß ich nicht...« [S. 50] fuhr Tio Lucas fort, doch so, daß er von Toñuelo nicht gehört werden konnte.

»Soll ich nach der Stadt gehen,« fragte die Navarresin, »und dem Herrn Corregidor Nachricht geben von dem, was hier geschieht?«

»Nein,« antwortete Tio Lucas mit lauter Stimme, »das nicht.«

»Was soll ich denn aber thun?« fragte die Müllerin ungestüm.

»Sieh mich an,« antwortete der frühere Soldat.

Schweigend sahen sich die beiden Gatten an und waren von der Ruhe der Entschlossenheit und Energie, welche sich ihre Seelen gegenseitig mitteilten, so befriedigt, daß sie die Achseln zuckten und lachten.

Darnach zündete Tio Lucas eine andere Lampe an und wendete sich nach dem Stalle, indem er unterwegs spöttisch zu Toñuelo sagte:

»Nun, Mann, komm und hilf mir, da du doch so liebenswürdig sein willst.«

Toñuelo folgte ihm, indem er leise ein Liedchen trällerte.

Wenige Minuten später verließ Tio Lucas die Mühle auf einer schönen Eselin, vom Alguacil gefolgt.

»Schließ gut zu,« sagte Tio Lucas.

»Wickele dich gut ein, es ist frisch,« sagte Seña Frasquita, schloß mit dem Schlüssel zu und schob den Riegel und die eiserne Stange vor. Und da war kein Lebewohl weiter, kein Kuß, keine Umarmung, kein Blick. Wozu auch?


16.

Ein Unglücksvogel.

Wir wollen dem Tio Lucas folgen.

Ohne ein Wort zu sprechen, waren sie schon eine Viertelmeile gegangen, der Müller auf seinem Esel, den der Alguacil mit seinem Stock der Autorität antrieb, als sie [S. 51] plötzlich auf einer Erhöhung des Weges den Schatten eines ungeheueren, häßlichen Vogels wahrnahmen, der auf sie zukam.

Scharf hob sich jener Schatten von dem vom Monde beleuchteten Himmel ab und war so klar zu erkennen, daß der Müller sofort ausrief:

»Toñuelo, das ist Garduña mit seinem Dreispitz und seinen Drahtbeinen.«

Aber bevor noch der Angeredete antworten konnte, hatte der Schatten, der jedes Zusammentreffen zu vermeiden schien, den Weg schon verlassen und war mit der Geschwindigkeit eines wirklichen Marders quer über das Feld gelaufen.

»Ich sehe niemand,« antwortete Toñuelo mit der größten Natürlichkeit.

»Ich auch nicht,« erwiderte Tio Lucas, seinen Ärger hinunterschluckend.

Und der Argwohn, der bereits im Müller aufgestiegen war, fing an, in dem eifersüchtigen Geiste des Buckligen Gestalt und Form anzunehmen.

»Diese Reise,« sagte er sich innerlich, »ist eine Kriegslist des Corregidors. Die heute oben von der Laube gehörte Erklärung beweist mir, daß der erbärmliche alte, Madrileñer nicht länger warten kann. Ohne Zweifel will er heute Abend seinen Besuch in der Mühle wiederholen, und darum hat er damit angefangen, mich aus der Mühle zu entfernen... Aber, was thut das? Frasquita ist Frasquita... und wird die Thür nicht aufmachen, und wenn sie Feuer an das Haus legten. Ich gehe noch weiter. Selbst wenn sie öffnete, selbst wenn es dem Corregidor gelänge, durch irgend welche Hinterlist meine Navarresin zu überraschen, so würde der arme Mann nicht mit heilem Kopfe wieder hinauskommen. Frasquita ist Frasquita. Und doch,« fügte er nach einer Weile hinzu, »besser [S. 52] wäre es doch, heute so bald wie möglich nach Hause zurückzukehren.«

Darüber waren der Tio Lucas und der Alguacil im Dorfe angekommen und wendeten sich dem Hause des Alkalden zu.


17.

Ein Dorfschulze.

Der Herr Juan Lopez, der sowohl als Privatmann wie auch als Schulze die personifizierte Grausamkeit und der eitle Stolz war, wenn es sich nämlich um seine Untergebenen handelte, geruhte jedoch zu jener Stunde, nachdem er die öffentlichen Angelegenheiten und sein eigenes Anwesen besorgt und seiner Frau die gewohnte, tägliche Tracht Prügel verabreicht hatte, in Gesellschaft des Schreibers und des Küsters einen Krug Wein zu trinken, eine Operation, die bereits über die Hälfte jenes Abends in Anspruch genommen hatte, als der Müller vor ihm erschien.

»Holla, Tio Lucas,« sagte er zu ihm, und kratzte sich den Kopf, um die Ader der Täuschungen anzuregen. »Wie geht's mit Eurer Gesundheit? Sekretär, schenkt dem Tio Lucas ein Glas Wein ein. Und die Seña Frasquita? Ist sie noch immer so reizend? Ich habe sie schon seit so langer Zeit nicht gesehen. Aber, Gevatter, ist Euer Mehl jetzt gut!... Das Roggenbrot sieht aus wie vom feinsten Weizen. Also... na... Setzt Euch und ruht aus; denn, Gott sei Dank, wir haben keine Eile.«

»Was mich betrifft, verflucht, wenn ich sie hätte,« antwortete Tio Lucas, der bis dahin noch nicht den Mund aufgemacht hatte, dessen Argwohn aber immer größer wurde, als er den ihm zu Teil gewordenen freundschaftlichen Empfang nach einer so drohenden und dringenden Ordre sah.

»Nun also, Tio Lucas,« fuhr der Alkalde fort, »wenn Ihr auch keine große Eile habt, dann könnt Ihr ja heute [S. 53] Nacht hier schlafen, und morgen früh machen wir dann unser Geschäft ab.«

»Das scheint mir sehr gut,« antwortete Tio Lucas mit einer Ironie und einer Verstellung, die der Diplomatie des Herrn Juan Lopez um nichts nachgaben. »Da die Sache nicht eilt, so werde ich die Nacht außerhalb des Hauses zubringen.«

»Weder eilt sie, noch ist irgend welche Gefahr für Euch dabei,« fügte der Alkalde hinzu, getäuscht von dem, den er zu täuschen glaubte. »Seid ganz ruhig. Höre du, Toñuelo, nimm die halbe Fanega herunter, damit sich der Tio Lucas setzen kann.«

»Nun denn... gebt mir noch einen Schluck,« rief der Müller aus, indem er sich setzte.

»Kommt her!« antwortete der Alkalde und reichte ihm das volle Glas.

»Es ist in guter Hand. Trinkt nur zuerst.«

»Nun denn, auf Eure Gesundheit,« sagte der Herr Juan Lopez und trank die Hälfte des Weines aus.

»Auf die Eure, Señor Alkalde!« entgegnete Tio Lucas und trank die andere Hälfte.

»Du, Manuela!« rief darauf der Dorfschulze, »sage deiner Herrin, daß der Tio Lucas hier schlafen wird. Sie soll ihm ein Kopfkissen auf den Kornboden legen.«

»Ach was!... Doch nicht so viele Umstände! Ich schlafe im Strohstall wie ein König.«

»Na hört einmal, wir haben noch Kissen.«

»Das glaube ich schon. Aber warum wollt Ihr denn die Familie erst noch belästigen. Ich habe meinen Mantel.«

»Nun, wie es Euch beliebt. Manuela, sag deiner Herrin, daß sie es nicht hinlege.«

»Nur müßt Ihr mir erlauben,« fuhr Tio Lucas fort, indem er auf fürchterliche Weise gähnte, »daß ich mich gleich nachher niederlege. Gestern Abend habe ich sehr viel [S. 54] zu mahlen gehabt, und ich habe noch kein Auge seitdem geschlossen.«

»Zugestanden!« antwortete majestätisch der Alkalde. »Ihr könnt Euch niederlegen, wann Ihr wollt.«

»Ich glaube, daß es auch für uns Zeit ist, uns niederzulegen,« sagte der Küster und zog den Weinkrug an sich, um den Rest zu trinken. »Es muß wohl schon zehn Uhr sein, oder wenig wird daran fehlen.«

»Dreiviertel auf Zehn,« bemerkte der Schreiber, nachdem er den Rest des noch für jene Nacht bestimmten Weins in die Gläser verteilt hatte.

»Nun zu Bett, meine Herren!« rief der Amphitrion aus, indem er seinen Teil trank.

»Auf morgen, meine Herren,« fügte der Müller hinzu und trank den seinen.

»Wartet doch, daß man Euch voranleuchte; Toñuelo, führe Tio Lucas nach dem Strohstall.«

»Hierher, Tio Lucas,« sagte Toñuelo und nahm den Krug mit für den Fall, daß noch einige Tropfen darin geblieben wären.

»Auf morgen, so Gott will,« fügte der Küster hinzu, nachdem er noch alle Gläser untersucht.

Und taumelnd entfernte er sich und sang vergnügt das De profundis...............

»So,« sagte der Alkalde zum Schreiber, als sie allein geblieben waren, »der Tio Lucas hat nichts gemerkt. Wir können uns also ruhig hinlegen, und wohl bekomm's dem Herrn Corregidor!«


18.

Wie Tio Lucas nicht ans Schlafen dachte.

Fünf Minuten nachher ließ sich ein Mann von dem Strohstallfenster des Alkalden herab; das Fenster ging auf den Hof und war kaum vier Ellen vom Erdboden entfernt.

[S. 55]

Im Hofe stand ein Dach über einer großen Krippe, an der sechs oder acht Reittiere verschiedener Rasse, aber alle dem schwachen Geschlecht angehörig, angebunden waren; die Pferde, Maultiere und Esel vom starken Geschlecht hatten ihren eigenen Schuppen in einem benachbarten Lokal.

Der Mann band eine noch ganz gesattelte Eselin los und ging, diese am Zügel nach sich ziehend, nach der Thür des Hofes, schob die Vorlegestange zurück, schloß das sie haltende Schloß auf, öffnete vorsichtig die Thür und war mitten auf dem Felde.

Dort angekommen, bestieg er die Eselin, drückte ihr die Fersen in die Flanken, und wie ein Pfeil flog er in der Richtung der Stadt dahin, aber nicht auf der offenen Fahrstraße, sondern über Saaten und Gräben, wie wenn er sich vor einem unangenehmen Zusammentreffen hüten wollte. Es war der Tio Lucas, der sich nach seiner Mühle begab.


19.

Stimmen in der Wüste.

»Mir sollt ihr nur mit Alkalden kommen,« sagte der Murcianer, »ich bin aus Archena. Morgen früh gehe ich zum Herrn Bischof, um allem zuvorzukommen, und werde ihm alles erzählen, was heute Nacht hier vorgekommen ist. Mich mit solcher Eile und so geheimnisvoll rufen zu lassen, und zu einer so Angehörigen Stunde, mir zu sagen, daß ich allein gehen soll, mir vom Dienst des Königs und von Falschmünzerei, von Hexen und Kobolden zu sprechen, um nachher zwei Gläser Wein zu trinken und mich zu Bett zu legen. Es kann gar nicht klarer sein! Garduña hat diese Instruktionen von seiten des Corregidors nach dem Dorfe bringen müssen, und zu dieser Stunde hat der Corregidor schon den Feldzug gegen meine Frau eröffnet. Wer weiß, vielleicht treffe ich ihn, wie er an die Thür der Mühle klopft! Wer weiß, vielleicht treffe ich [S. 56] ihn schon darin... Wer weiß... Aber, was sage ich denn da! Ich an meiner Navarresin zweifeln? O, das hieße sich an Gott versündigen. Unmöglich, daß sie... Unmöglich könnte meine Frasquita... Unmöglich! — Aber was rede ich denn so dumm. Ist denn irgend etwas unmöglich auf der Welt? Hat sie sich doch mit mir verheiratet, obgleich sie so schön ist, und ich so häßlich bin!«

Und als er diese letzte Bemerkung machte, fing der arme Bucklige an, bitterlich zu weinen...

Um sich wieder ein wenig aufzuheitern, hielt er sein Tier an, trocknete seine Thränen, seufzte tief auf, zog seine Gerätschaften zum Rauchen hervor und machte sich eine Cigarette von schwarzem Tabak zurecht. Dann nahm er Feuerstein, Zunder und Stahl, und nach einigen Schlägen gelang es ihm, Feuer zu erhalten.

In diesem Augenblicke hörte er das Geräusch von Schritten in der Gegend der Landstraße, die ungefähr einige dreihundert Ellen davon entfernt war.

»Wie unvorsichtig bin ich doch!« sagte er. »Wenn man mich suchte, so würden mich diese Funken verraten haben.«

Schnell verbarg er das Feuerzeug, stieg ab und versteckte sich hinter der Eselin. Aber die Eselin verstand die Sache nach ihrer Art und Weise und stieß ein lautes Geschrei der Befriedigung aus.

»Verfluchtes Tier!« rief Tio Lucas aus und versuchte ihr das Maul mit beiden Händen zuzuhalten.

Da ertönte als galante Antwort gleiches Geschrei von der Landstraße her.

»Na, jetzt wird's gut,« fuhr der Müller in Gedanken fort. »Das Sprichwort hat ganz recht, wenn es sagt: El mayor mal de los males es tratar con animales.« (Das größte der Übel ist, wenn man mit Tieren zu thun hat.[7])

[S. 57]

Und so sprechend bestieg er von neuem seinen Esel, trieb ihn an und ritt, wie aus der Pistole geschossen, in der Richtung fort, welche dem Orte, an dem das zweite Eselgeschrei laut geworden war, gerade entgegengesetzt war.

Das merkwürdigste aber war, daß die Person auf dem antwortenden Tiere sich ebenso sehr vor Tio Lucas zu fürchten schien, wie Tio Lucas vor ihr, denn auch sie bog vom Wege ab und ritt in vollem Galopp durch die Saatfelder auf der anderen Seite desselben.

Der Murcianer bemerkte es, und schon darüber beruhigt, grübelte er folgendermaßen weiter:

»Was für eine Nacht! Was für eine Welt! Was für ein Leben führe ich seit einer Stunde! Alguacils werden zu Kupplern gemacht, Alkalden verschwören sich gegen meine Ehre, Esel schreien, wenn es nicht nötig ist, und hier in meiner Brust trage ich ein elendes Herz, das gewagt hat, an der edelsten Frau, die Gott geschaffen, zu zweifeln. Gott im Himmel, Gott im Himmel! gieb nur, daß ich bald nach Hause komme und dort meine Frasquita antreffe!«

So ritt Tio Lucas fort durch Felder und Büsche, bis er endlich etwa gegen elf Uhr nachts ohne besondere Zufälligkeiten an der großen Thür der Mühle anlangte. Verdammt! die Thür der Mühle stand offen.


20.

Zweifel und Wirklichkeit.

Sie stand offen, und er hatte beim Fortgehen seine Frau dieselbe mit Schlüssel, Vorlegstange und Schloß schließen hören!

Folglich hatte auch nur seine Frau dieselbe öffnen können!

Aber wie? wann? warum? Infolge einer Täuschung? infolge einer Ordre? Oder wohlüberlegt und freiwillig, kraft einer vorhergegangenen Übereinstimmung mit dem Corregidor?

[S. 58]

Was würde er sehen? Was würde er erfahren? Was erwartete ihn im Innern seines Hauses? War er mit der Seña Frasquita geflohen? Hatten sie ihm dieselbe geraubt? Wäre sie am Ende gar tot? Oder würde er sie in den Armen seines Rivalen finden?

»Der Corregidor hat darauf gerechnet, daß ich heute die ganze Nacht hindurch nicht nach Hause kommen würde,« sagte Tio Lucas düster. »Der Alkalde des Ortes wird wohl Befehl erhalten haben, mich eher in Fesseln zu schlagen, als mir die Rückkehr zu gestatten. Wußte Frasquita all das? War sie an dem Komplott beteiligt? Oder war sie das Opfer eines Betruges, einer Vergewaltigung, einer Nichtswürdigkeit?«

Der Unglückliche brauchte nicht mehr Zeit, um alle diese grausamen Bemerkungen zu machen, als die, welche nötig war, um den Platz unter der Weinlaube zu durcheilen.

Auch die Hausthür stand offen, und der erste Wohnraum, wie in allen ländlichen Gebäuden, war die Küche. In der Küche war niemand. Und doch brannte ein riesiges Feuer im Kamin... im Kamin, der vollständig erloschen war, als er hinausging und der nie vor Ende Dezember geheizt wurde.

Schließlich hing noch an einem der Haken der Küchenbretter eine brennende Lampe.

Was bedeutet all dies? Und wie stimmten die scheinbaren Anstalten der Wachsamkeit und Geselligkeit zu dem Todesschweigen, das im Hause herrschte?

Was war aus seiner Frau geworden?

Da, und erst in dem Augenblick wurde Tio Lucas einige Kleidungsstücke gewahr, die auf den Lehnen einiger um den Kamin gestellten Stühle ausgebreitet lagen.

Er untersuchte die Kleider näher und stieß ein so fürchterliches Gebrüll aus, daß es ihm, in einen unhörbaren, erstickten Seufzer verwandelt, in der Kehle stecken blieb.

Der Unglückliche glaubte zu ersticken und fuhr sich mit [S. 59] den Händen nach dem Halse, während er bleich, mit verzerrten Zügen, mit hervorgequollenen Augen und mit einem Entsetzen jene Kleider betrachtete, wie es der zum Tode verurteilte Verbrecher beim Anblicke des Armensünderhemdes empfinden muß.

Denn was er dort sah, war der rote Mantel, der Dreispitz, der turteltaubenfarbige Rock und die Weste, das schwarzseidene Beinkleid, die weißen Strümpfe, die schwarzen Schnallenschuhe, und sogar der Stock, der Degen und die Handschuhe des verabscheuungswürdigen Corregidors. Das, was er dort sah, war das Armensünderhemd seiner Schande, das Leichentuch seiner Ehre, das Schweißtuch seines Glückes. Die schreckliche Donnerbüchse lehnte in demselben Winkel, in welchem sie die Navarresin vor Stunden gelassen hatte.

Mit dem Sprunge eines Tigers stürzte Tio Lucas auf sie zu und bemächtigte sich derselben. Er untersuchte das Rohr mit dem Ladestock und fand, daß sie geladen war. Dann sah er nach dem Stein, und siehe da! er war an seinem Platze.

Darauf wendete er sich nach der Treppe, die zu dem Zimmer führte, wo er so viele Jahre mit der Seña Frasquita geschlafen, und murmelte dumpf:

»Da sind sie.«

Er that einen Schritt nach jener Richtung, dann hielt er inne und blickte um sich, ob ihn auch jemand beobachte.

»Niemand!« sagte er innerlich. »Nur Gott... und der hat dies gewollt!«

Nachdem er so das Urteil bestätigt, that er einen anderen Schritt. Da bemerkte sein irrender Blick ein gefaltetes Blatt auf dem Tische.

Es sehen, darauf zustürzen, es zwischen seinen Fingern halten, war das Werk eines Augenblicks!

Jenes Papier enthielt die Ernennung des Neffen der [S. 60] Seña Frasquita, von Don Eugenio de Zuñiga y Ponce de Leon unterzeichnet.

»Das war also der Preis ihres Verkaufs!« dachte Tio Lucas, und steckte das Papier in den Mund, um sein Schluchzen zu ersticken und seiner Wut Nahrung zu geben. »Immer habe ich geargwöhnt, daß sie ihre Familie lieber hätte als mich... Ach, warum haben wir keine Kinder gehabt!... Das ist an allem schuld!«

Und der Unglückliche war wieder nahe daran, zu weinen. Aber bald wurde er wieder wütend und mit einer schrecklichen Gebärde, wenn auch nicht mit der Stimme, schien er zu sagen:

»Hinauf, hinauf!«

Und so fing er an, die Treppe hinaufzukriechen; mit der einen Hand suchte er den Weg, mit der andern hielt er die Büchse, und zwischen den Zähnen hielt er das nichtswürdige Papier.

Zur Bekräftigung seines logischen Argwohns drangen, als er sich der geschlossenen Thür des Schlafzimmers näherte, durch einige Ritzen in deren Brettern und durch das Schlüsselloch etliche Lichtstrahlen.

»Da sind sie!« sagte er von neuem.

Und er hielt einen Augenblick inne, um den neuen Trank der Bitterkeit hinunterzuschlucken.

Dann stieg er weiter hinauf, bis er vor der Thür des Schlafzimmers selbst stand.

Hinter derselben hörte er nicht das geringste Geräusch.

»Wenn niemand dort wäre!« sagte schüchtern die Hoffnung.

Aber in demselben Augenblick hörte der Unglückliche im Zimmer husten.

Es war der halb asthmatische Husten des Corregidors.

Es war kein Zweifel mehr! In diesem Schiffbruche fand er keine rettende Planke.

In der Finsternis lächelte der Müller auf eine schreckliche Weise.

[S. 61]

Warum leuchten solche Blitze nicht in der Dunkelheit? Was ist alles Feuer der höllischen Qualen gegen die heiße Lohe, die zuweilen im Herzen des Menschen brennt?

Und doch, sobald Tio Lucas den Husten seines Feindes hörte, fing er an sich zu beruhigen, denn so war seine Seele, wie wir schon an anderer Stelle bemerkten.

Die Wirklichkeit war ihm weniger gefährlich, als der Zweifel. Genau so, wie er es an jenem Nachmittage der Seña Frasquita gesagt hatte, von dem Augenblick an, wo er den einzigen Glauben, der sein Leben und seine Seele war, verlor, fing er an ein neuer Mensch zu werden.

Gleich dem Mohren von Venedig (mit dem wir ihn schon bei der Beschreibung seines Charakters verglichen haben) tötete die Enttäuschung in ihm mit einem Schlage alle Liebe, verwandelte sofort das ganze Wesen seines Geistes und ließ ihn die Welt wie eine ganze neue Region sehen, zu der er eben erst gekommen war. Der einzige Unterschied bestand darin, daß der Tio Lucas aus Idiosynkrasie weniger tragisch, weniger streng und weniger selbstsüchtig war, als der unvernünftige Opferer Desdemona's.

Sonderbar! aber doch wieder ganz richtig in solcher Lage! Zweifel oder auch Hoffnung, was in dem Falle wohl dasselbe ist, quälte ihn noch einen Augenblick...

»Wenn ich mich geirrt hätte,« dachte er, »wenn Frasquita gehustet hätte...«

In seinem überwältigenden Unglück vergaß er ganz, daß er die Kleider des Corregidors vor dem Kamin gesehen hatte, daß er die Thür der Mühle offen gefunden, daß er die Bescheinigung seiner Schande gelesen...

Er bückte sich und blickte durch das Schlüsselloch, vor Ungewißheit und Bangen zitternd.

Der Gesichtskreis umfaßte nur ein kleines Dreieck am Kopfende des Bettes; aber gerade in jenem kleinen Dreieck sah er das äußerste Ende der Kopfkissen und auf den Kopfkissen den Kopf des Corregidors.

[S. 62]

Ein erneutes diabolisches Lächeln verzerrte das Gesicht des Müllers.

Fast konnte man meinen, er fühle sich wieder glücklich.

»Jetzt bin ich im Besitz der Wahrheit,« murmelte er und richtete sich ruhig auf. Dann stieg er ebenso leise und tastend, wie er die Treppe hinaufgestiegen war, dieselbe hinunter.

»Die Angelegenheit ist sehr delikat... Ich muß noch überlegen. Ich habe noch zu allem Zeit,« überlegte er, während er hinunterschlich.

Als er wieder in der Küche angekommen war, setzte er sich inmitten derselben nieder und verbarg das Gesicht in den Händen. So blieb er lange Zeit sitzen, bis ein leichter Schlag, den er auf einem Fuße fühlte, ihn aus seinem Nachdenken aufschreckte.

Es war die Donnerbüchse, die an seinen Knien heruntergeglitten war und ihm dieses Zeichen machte.

»Nein, ich sage dir, nein,« murmelte Tio Lucas und blickte auf die Waffe. »Du bist nicht das, was ich gebrauche. Alle Welt würde Mitleid mit ihnen haben, und mich würden sie aufhängen. Es handelt sich ja um einen Corregidor, und einen Corregidor zu töten ist in Spanien noch eine unverzeihliche Sache; sie würden sagen, ich hätte ihn aus unbegründeter Eifersucht getötet und dann ausgezogen und ins Bett gelegt. Sie würden weiter sagen, daß ich meine Frau auf den einfachen Verdacht hin getötet hätte. Und mich würden sie aufhängen. Und ob sie mich nicht aufhängen würden. Übrigens hätte ich wenig Beweise von Herz und Verstand gegeben, wenn ich an meinem Lebensende bemitleidet werden müßte. Alle würden über mich lachen! Sie würden sagen, daß mein Unglück ganz natürlich wäre, weil ich buckelig und Frasquita so schön war. — Nichts, nein, Rache brauche ich, und nachdem ich mich gerächt habe, will ich triumphieren, verachten, lachen, viel lachen, über alle lachen, und so vermeide [S. 63] ich, daß man über diesen Buckel spotten kann, den man jetzt fast beneidet und der am Galgen so grotesk sein würde.«

So sprach und überlegte Tio Lucas, ohne sich vielleicht genau Rechenschaft darüber abzulegen, und kraft dieser Rede stellte er die Büchse an ihren Ort und fing an, mit auf dem Rücken verschränkten Armen und gesenktem Haupte auf und ab zu gehen, wie wenn er seine Rache auf dem Fußboden, in der Erde, unter den Trümmern seines Lebensglückes in einer lächerlichen, vulgären Kriegslust suchte, die seine Frau und den Corregidor dem Gelächter preisgeben sollte. Er suchte die Rache nicht in der Gerechtigkeit, in der Verzeihung, im Himmel, wie ein anderer Mann es an seiner Stelle gethan hätte, dessen Temperament sich weniger als das seine gegen alle Forderungen der Natur, der Gesellschaft und seiner eigenen Gefühle aufgelehnt hätte.

Plötzlich blieben seine Augen auf den Kleidern des Corregidors haften. Da richtete er sich auf...

Nach und nach wurde sein Gesicht von einer unerklärlichen Heiterkeit, Freude und Triumph verklärt, bis er selbst auf eine entsetzliche Art anfing zu lachen, das heißt, es waren tolle Ausbrüche, ohne daß man auch nur den geringsten Laut hörte, damit die oben nicht auf ihn aufmerksam wurden; er drückte die Fäuste auf die Kinnladen, um nicht vor Lachen zu bersten, schüttelte sich wie ein von Krämpfen Befallener und ließ sich endlich in einen Stuhl fallen, bis der Anfall sarkastischer Freude vorüber war; es war wirklich ein mephistophelisches Gelächter.

Sobald er sich beruhigt hatte, fing er an, sich mit fieberhafter Hast umzukleiden; seine Kleider legte er genau auf dieselben Stühle, auf denen die des Corregidors gelegen hatten, zog alle Kleinodien an, die jenem gehörten, bis zu den Schnallenschuhen und dem Dreispitz, umgürtete sich mit dessen Degen, hüllte sich in den roten Mantel, ergriff den Stock und die Handschuhe, verließ die Mühle [S. 64] und ging auf die Stadt zu, indem er sich genau in derselben Weise wiegte, wie Don Eugenio de Zuñiga zu thun pflegte, und von Zeit zu Zeit wiederholte er eine Phrase, die er in Gedanken weiter auslegte.

»Auch die Corregidora ist reizend.«


21.

Achtung, Herr!

Lassen wir jetzt den Tio Lucas und beschäftigen wir uns mit dem, was in der Mühle vorgefallen ist, seit dem Augenblicke, in dem wir die Seña Frasquita allein ließen bis zur Rückkehr ihres Mannes, der so wunderbare Dinge wahrnehmen sollte.

Ungefähr eine Stunde, nachdem der Tio Lucas mit Toñuelo die Mühle verlassen hatte, hörte die Seña Frasquita, welche sich vorgenommen hatte, sich bis zur Rückkehr ihres Mannes nicht niederzulegen, und in dem im obern Stockwerk gelegenen Schlafzimmer ruhig strickend saß, außerhalb des Hauses, ganz in der Nähe des Mühlgerinnes, ein jämmerliches Geschrei.

»Zu Hilfe. Ich ersticke! Frasquita! Frasquita!« rief eine Männerstimme in düsterm Tone der Verzweiflung.

»Sollte das Lucas sein?« dachte die Navarresin mit einem Entsetzen, das wir nicht zu beschreiben brauchen.

Im Schlafzimmer selbst war eine Thür, von welcher uns Garduña schon erzählt hat, und die wirklich auf den obern Teil des Mühlgerinnes ging. Ohne zu zögern, öffnete Frasquita dieselbe, obgleich sie die Hilfe heischende Stimme nicht erkannt hatte, und fand sich dem Corregidor gegenüber, der in demselben Augenblicke triefend aus dem ungestüm dahinströmenden Graben auftauchte.

»Gott verzeih es mir! Gott verzeihe mir!« stotterte der nichtswürdige Alte. »Ich glaubte, ich würde untergehen.«

[S. 65]

»Was? Sie sind es? Was bedeutet das? Wie können Sie es wagen? Was wollen Sie hier zu dieser Stunde?« rief sie, mehr entrüstet als erschreckt, aber doch unwillkürlich zurückweichend.

»Schweig! Schweig doch, Frau!« stotterte der Corregidor, indem er hinter ihr in das Gemach glitt. »Du sollst alles wissen. Beinahe wäre ich ertrunken. Schon trug mich das Wasser wie eine Feder fort. Sieh nur, sieh, wie ich zugerichtet bin.«

»Hinaus! Hinaus von hier!« erwiderte Seña Frasquita mit der äußersten Heftigkeit. »Sie brauchen mir nichts zu erklären. Nur zu gut verstehe ich alles! Was geht es mich an, ob Sie ertrinken? Habe ich Sie gerufen? Ah! Was für eine Nichtswürdigkeit! Darum also haben Sie meinen Mann festnehmen lassen?«

»Höre, Frau!«

»Ich höre nichts! Verlassen Sie sofort das Haus, Herr Corregidor! Gehen Sie sofort, oder ich stehe nicht für Ihr Leben!«

»Was sagst du?«

»Das, was Sie hören! Mein Mann ist nicht im Hause; doch ich genüge, um ihm die Achtung zu verschaffen. Gehen Sie, woher Sie gekommen sind, wenn Sie nicht wollen, daß ich Sie mit meinen eigenen Händen wieder in das Wasser zurückwerfe.«

»Kleine, Kleine! schreie doch nicht so, ich bin ja nicht taub,« rief der Libertin aus. »Wenn ich hier bin, so wird es auch wohl einen Zweck haben. Ich will den Tio Lucas, den ein Dorfschulze irrtümlich eingezogen hat, in Freiheit setzen. Aber vor allen Dingen muß ich erst meine Kleider trocknen. Ich bin bis auf die Haut durchnäßt!«

»Ich sage Ihnen, daß Sie gehen sollen!«

»Schweig doch, Thörin! Was weißt du? Sieh, hier bringe ich dir die Ernennung deines Neffen. Zünde Feuer an, und dann wollen wir weiter sprechen. Übrigens, [S. 66] während meine Kleider trocknen, werde ich mich in dies Bett legen...«

»Aha, schon! Also, nun erklären Sie schon, daß Sie um meinetwillen gekommen sind? Also nun gestehen Sie schon, daß Sie darum meinen Lucas gefangen nehmen ließen? Also haben Sie schon Ihre Ernennung und alles gebracht? Heilige des Himmels! Was hat dieses Ungeheuer nur von mir gedacht!«

»Frasquita! Ich bin der Corregidor!«

»Und wären Sie der König! Mir das? Ich bin die Frau meines Mannes und die Herrin meines Hauses. Glauben Sie, daß ich mich vor den Corregidoren fürchte? Ich weiß meinen Weg nach Madrid zu finden und bis ans Ende der Welt, um gegen einen unverschämten Alten, der seine Autorität durch den Schmutz schleift, Gerechtigkeit zu verlangen. Und ganz besonders weiß ich mir morgen meine Mantille umzulegen und zur Frau Corregidora zu gehen.«

»Du wirst nichts von alledem thun!« antwortete der Corregidor, der anfing, die Geduld zu verlieren und seine Taktik änderte. »Du wirst nichts von alledem thun, denn ich werde dir eine Kugel durch den Kopf jagen, wenn ich sehe, daß du nicht vernünftig sein willst.«

»Eine Kugel!« rief die Seña Frasquita mit dumpfer Stimme aus.

»Eine Kugel, ja! Und daraus kann mir kein Nachteil erwachsen. Zufällig habe ich in der Stadt zurückgelassen, daß ich heute Nacht auf die Jagd nach Verbrechern ginge. Also, sei nicht thöricht... und liebe mich... wie ich dich anbete.«

»Herr Corregidor, eine Kugel?« wiederholte die Navarresin und warf die Arme zurück und den Körper vorwärts, wie wenn sie sich auf ihren Gegner stürzen wollte.

»Wenn du es so treibst, werde ich sie wirklich abfeuern, um mich von deinen Drohungen und deiner Schönheit [S. 67] befreit zu sehen,« antwortete der Corregidor voller Furcht und zog ein Paar Taschenpistolen hervor.

»Also auch Pistolen? Und in der anderen Tasche die Ernennung meines Neffen!« sagte die Seña Frasquita und nickte mit dem Kopfe. »Nun denn, Herr, da ist die Wahl nicht schwer. Warten Ew. Gnaden einen Augenblick, ich will nur das Feuer anzünden.«

Und so sprechend, wendete sie sich der Treppe zu und war in drei Sprüngen unten.

Der Corregidor ergriff das Licht und folgte der Müllerin, weil er fürchtete, daß sie ihm entschlüpfen könnte. Da er aber viel langsamer ging, so traf er, als er in die Küche gelangte, schon auf die Navarresin, die auf dem Wege war, zu ihm zurückzukehren.

»Also Sie sagten, Sie wollten mir eine Kugel durch den Kopf jagen?« rief die unerschrockene Frau aus und trat einen Schritt zurück. »Nun denn, Achtung, Herr, ich bin fertig.«

Sprach's und hielt ihm die schreckliche Donnerbüchse entgegen, welche in dieser Geschichte eine so bedeutende Rolle spielt.

»Halt ein, Unglückliche! Was willst du thun?« schrie der Corregidor, halb tot vor Schreck. »Das mit meiner Kugel war ja nur ein Scherz. Sieh, die Pistolen sind nicht geladen... Aber wahr ist das mit der Ernennung ... Hier ist sie... Nimm sie... Ich schenke sie dir ... Sie ist dein, umsonst, ganz umsonst...«

»Da liegt sie gut!« antwortete die Navarresin. »Morgen wird sie mir dazu dienen, das Feuer zum Frühstück meines Mannes damit anzuzünden. Von Euch will ich selbst nicht die ewige Seligkeit, und sollte mein Neffe einmal von Estella kommen, so sollte er Euch nur diese häßliche Hand zertreten, die seinen Namen auf dies ekle Papier geschrieben hat... So, ich habe es gesagt! Verlassen [S. 68] Sie mein Haus! Luft! Luft! schnell... denn schon steigt mir das Blut in den Kopf.«

Der Corregidor antwortete nicht auf diese Rede.

Er war blaß, fast blau geworden, die Augen waren verdreht, und ein Fieberschauer schüttelte seinen Körper. Schließlich fing er an, mit den Zähnen zu klappern, und von einem entsetzlichen Krampfe befallen stürzte er zu Boden.

Der Schreck, als er in den Graben fiel, die durchnäßten Kleider, die heftige Scene im Schlafzimmer und die Furcht vor der von der Navarresin auf ihn gerichteten Büchse hatten die Kräfte des schwächlichen Alten erschöpft.

»Ich sterbe,« stammelte er. »Rufe Garduña, rufe Garduña, der hier an der Grabenhecke sein muß... Ich darf nicht in diesem Hause sterben.«

Er konnte nicht weiter. Er schloß die Augen und blieb wie tot.

»Und er wird sterben, wie er sagt,« brach die Seña Frasquita los. »Herr im Himmel, das ist noch das Tollste von allem! Was fange ich jetzt mit diesem Menschen in meinem Hause an? Was werden sie von mir sagen, wenn er stirbt? Was wird Lucas sagen? Wie kann ich es rechtfertigen, daß ich ihm selbst die Thür geöffnet habe... O nein, ich darf nicht hier bei ihm bleiben. Ich muß meinen Mann aufsuchen, ich will lieber die Welt in Allarm bringen, als meine Ehre aufs Spiel setzen.«

Als sie diesen Entschluß gefaßt hatte, warf sie die Büchse fort, ging nach dem Hofe, löste den darin zurückgebliebenen Esel von der Halfter, sattelte ihn, so gut es ging, öffnete die große Thür am Zaune, sprang trotz ihrer. Korpulenz mit einem Satze auf das Tier und wendete sich nach dem Grabenrande.

»Garduña, Garduña!« schrie die Navarresin, als sie sich der Stelle näherte.

»Hier,« antwortete bald darauf der Alguacil, indem [S. 69] er hinter einem Busch hervorkam. »Sind Sie es, Seña Frasquita?«

»Ja, ich bin's. Geh nach der Mühle und hilf deinem Herrn, der liegt im Sterben.«

»Was sagen Sie? Das ist doch nur ein Scherz?«

»Es ist, wie du hörst, Garduña.«

»Und Sie, meiner Seelen, wohin gehen Sie denn zu dieser Stunde?«

»Ich? Weg da, Dummkopf! Ich gehe nach der Stadt zum Arzt,« antwortete die Seña Frasquita, indem sie die Eselin mit dem Druck ihrer Ferse und Garduña mit einem Fußtritt antrieb.

Sie schlug nicht den Weg nach der Stadt ein, wie sie eben gesagt hatte, sondern den, welcher zum nächsten Dorfe führte.

Auf diesen letzteren Umstand achtete Garduña jedoch nicht, sondern lief spornstreichs nach der Mühle, während er bei sich dachte:

»Sie geht nach dem Arzte! Die Ärmste kann nicht mehr thun! Aber er ist ein unseliger Mensch! Das ist auch gerade eine schöne Gelegenheit, um krank zu werden! — Ja, ja, der liebe Gott giebt dem Zuckerwerk, der es nicht mehr beißen kann.«


22.

Garduña vervielfältigt sich.

Als Garduña die Mühle betrat, fing der Corregidor gerade an, wieder zum Bewußtsein zu kommen, und versuchte, sich vom Boden zu erheben.

Auf dem Fußboden und neben ihm stand die angezündete Kerze, welche Sr. Gnaden aus dem Schlafzimmer mitgebracht hatte.

»Ist sie schon fort?« war Don Eugenios erste Frage.

»Wer?«

[S. 70]

»Der Teufel! Ich wollte sagen die Müllerin.«

»Ja, gnädiger Herr... sie ist schon fort, und ich glaube, in nicht sehr guter Laune!«

»Ach, Garduña, ich sterbe.«

»Aber was fehlt denn Ew. Gnaden? Ums Himmels willen!«

»Ich bin in den Mühlgraben gefallen und bin ganz durchweicht, die Kälte geht mir durch Mark und Bein.«

»Na ja, und nun kommen Sie damit!«

»Garduña, nimm dich in acht, paß auf, was du sagst.«

»Ich sage nichts, Herr.«

»Nun, dann hilf mir aus dieser Verlegenheit.«

»Ich fliege; Ew. Gnaden sollen nur sehen, wie schön ich alles besorgen werde.«

So sprach der Alguacil, und im Handumdrehen ergriff er mit der einen Hand das Licht, mit der anderen nahm er den Corregidor unter den Arm, trug ihn in das Schlafzimmer hinauf, entkleidete ihn, legte ihn ins Bett, lief nach dem Holzschuppen, nahm einen Arm voll Holz, eilte nach der Küche, zündete ein großes Feuer an, trug die Kleider seines Herrn hinunter, breitete sie auf den Lehnen einiger Stühle aus, zündete eine Lampe an, hing sie am Küchenbrett auf und kehrte dann nach dem Schlafzimmer zurück.

»Nun, wie steht's mit uns?« fragte er dann und hob das Licht in die Höhe, um Don Eugenio ins Gesicht zu leuchten.

»Vortrefflich! Ich fühle, daß ich schwitzen werde... Morgen hänge ich dich auf, Garduña!«

»Warum, Herr?«

»Und du wagst noch darnach zu fragen? Denkst du denn, daß, als ich deinen mir vorgezeichneten Plan ausführte, ich glaubte mich allein in das Bett zu legen, nachdem ich das Sakrament der heiligen Taufe zum zweitenmale empfangen? — Morgen hänge ich dich auf!«

[S. 71]

»Aber erzählen mir Ew. Gnaden doch... die Seña Frasquita...«

»Die Seña Frasquita hat mich morden wollen. Das ist alles, was ich mit deinen Ratschlägen erreicht habe. — Ich sage dir, morgen früh hänge ich dich auf!«

»So arg wird es doch nicht sein, Herr Corregidor!« antwortete der Alguacil.

»Warum sagst du das, unverschämter Kerl? Weil du mich hier darniederliegen siehst?«

»Nein, Herr. Ich sage nur, daß die Seña Frasquita unmöglich so unmenschlich an Ihnen handeln konnte, wie Ew. Gnaden erzählen, da sie doch in die Stadt gegangen ist, um einen Arzt zu holen.«

»Heiliger Gott! Bist du sicher, daß sie nach der Stadt gegangen ist?« rief Don Eugenio erschrockener als je aus.

»Wenigstens hat sie so zu mir gesagt...«

»Eile, lauf, Garduña! Ach, ich bin ohne Gnade verloren! Weißt du, zu welchem Zwecke die Seña Frasquita in die Stadt gegangen ist? Um alles meiner Frau zu erzählen!... Um ihr zu sagen, daß ich hier bin. O, mein Gott, mein Gott! Wie konnte ich mir das auch denken! Ich glaubte, sie wäre nach dem Dorfe zu ihrem Manne gegangen, und da er dort in gutem Verwahrsam ist, so war es mir ganz gleichgiltig. Aber nach der Stadt zu gehen!... Garduña, lauf, fliege, du bist ein so guter Fußgänger, und rette mich vom Verderben. Du mußt es vermeiden, daß die schreckliche Müllerin mein Haus betritt.«

»Und werden mich Ew. Gnaden nicht aufhängen lassen, wenn ich es erreiche?« fragte der Alguacil.

»Im Gegenteil! Ich will dir ein Paar noch ganz gute Schuhe schenken, die mir zu groß sind. Ich will dir alles schenken, was du willst.«

»Dann fliege ich! Ew. Gnaden können ruhig schlafen. In einer halben Stunde bin ich zurück, nachdem ich die [S. 72] Navarresin ins Gefängnis gesperrt habe. Nicht umsonst bin ich leichtfüßiger als eine Eselin!«

Sprach's und verschwand die Treppe hinunter.

Es versteht sich von selbst, daß der Müller gerade während der Abwesenheit des Alguacils in der Mühle war und durchs Schlüsselloch Gesichte sah.

Lassen wir jetzt den Corregidor im fremden Bette schwitzen und Garduña nach der Stadt laufen, wohin ihm Tio Lucas bald mit dem Dreispitz und dem Mantel folgen sollte, und verwandeln wir uns in rüstige Fußgänger, um der mutigen Seña Frasquita auf dem Wege nach dem Dorfe zu folgen.


23.

Noch einmal die Wüste und die bewußten Stimmen.

Das einzige Abenteuer, welches der Navarresin auf ihrer Reise von der Mühle nach dem Dorfe zustieß, war der Anblick einer Person, welche mitten in einem Saatfelde Feuer schlug, was ihr einen heillosen Schrecken verursachte.

»Sollte das etwa ein Häscher des Corregidors sein? Wenn er mich anhielte?« dachte die Müllerin.

In dem Augenblick hörte sie in jener Richtung Eselsgeschrei.

»Esel zu der Stunde im Saatfelde?« dachte die Müllerin weiter. »Hier herum ist doch kein Obstgarten, keine Koppel! Gott im Himmel! heute Nacht scheinen die Kobolde ihr Wesen zu treiben!«

Die Eselin, auf der die Seña Frasquita ritt, schien es in jenem Augenblicke für schicklich zu halten, das Geschrei zu erwidern.

»Schweig, du Racker!« sagte die Navarresin und stieß ihr eine lange Nadel ins Kreuz.

Und da sie eine vielleicht unangenehme Begegnung [S. 73] fürchtete, so führte sie das Tier vom Wege ab und ließ es durch die Saat laufen.

Aber bald beruhigte sie sich, denn sie sah ein, daß der Feuer schlagende Mann und der zuerst schreiende Esel etwas Zusammengehöriges bildeten, und daß diese Wesenheit in der ihr entgegengesetzten Richtung entflohen war.

»Einem Feiglinge begegnet ein noch größerer Feigling,« rief die Müllerin und lachte über ihre Furcht und die des andern.

Und ohne weiteren Unfall gelangte sie ungefähr um elf Uhr nachts an das Haus des Dorfschulzen.


24.

Ein König von damals.

Schon lag der Herr Alkalde in tiefem Schlafe, indem er seinen Rücken dem seiner Ehehälfte zuwendete und, wie unser unsterblicher Quevedo sagt, auf diese Weise die Figur des österreichischen, zweiköpfigen Adlers bildete, als Toñuelo an die Thür des ehemaligen Schlafgemaches klopfte und den Herrn Juan Lopez benachrichtigte, daß die Seña Frasquita, die von der Mühle, mit ihm zu sprechen verlange.

Wir sehen davon ab, alle Flüche und Schwüre, welche das Aufstehen und Ankleiden des Dorfschulzen begleiteten, wiederzugeben und versetzen uns in den Augenblick, in dem die Müllerin ihn herankommen sah, wie er die Schläfrigkeit von sich zu schütteln suchte, gleich einem Gymnastiker, der seine Muskulatur versucht, und unter unendlichem Gähnen ausrief:

»Guten Abend, Seña Frasquita! Was bringt Sie hierher? Hat Ihnen Toñuelo nicht gesagt, daß Sie in der Mühle bleiben sollten? Gehorchen Sie so der Obrigkeit?«

»Ich muß meinen Lucas sehen,« antwortete die Navarresin. »Ich muß ihn auf der Stelle sehen. Sie sollen ihm sagen, daß seine Frau hier ist.«

[S. 74]

»Ich muß! Ich muß! Frau, Ihr vergeßt, daß Ihr mit dem Könige sprecht.«

»Ach was, König hin, König her, Señor Juan, ich bin nicht zum Scherz aufgelegt! Ihr wißt wohl zur Genüge, was mir widerfährt. Und zur Genüge weiß ich, warum man meinen Mann arretiert hat.«

»Ich weiß nichts, Seña Frasquita... Und Euer Mann ist nicht arretiert, sondern schläft ruhig in diesem seinem Hause, und ist behandelt worden, wie ich achtbare Leute behandele. Du, Toñuelo! Toñuelo! geh nach dem Strohstall und sage dem Tio Lucas, daß er aufwache und hierhereile... Also, nun erzählen Sie mir, was Ihnen zugestoßen ist. Haben Sie sich gefürchtet, allein zu schlafen?«

»Schämt Euch, Señor Juan! Ihr wißt wohl, daß mir weder Euer Ernst, noch Euer Scherz gefällt. Das, was mir passiert ist, ist sehr einfach — Ihr und der Señor Corregidor habt mich ins Verderben stürzen wollen, und Ihr seid gründlich hineingefallen! Hier stehe ich, ohne daß ich zu erröten brauche, und der Herr Corregidor liegt in der Mühle im Sterben.«

»Im Sterben? der Herr Corregidor?« rief sein Untergebener aus. »Frau, wißt Ihr, was Ihr sagt?«

»Das, was Ihr sagt. Er ist in den Mühlgraben gefallen und wäre beinahe ertrunken und hat sich eine Lungenentzündung geholt, oder was weiß ich. Das ist Sache der Corregidora. Ich will meinen Mann holen und werde wahrscheinlich morgen gleich nach Madrid gehen, um es dem Könige zu erzählen...«

»Teufel, Teufel!« murmelte Señor Juan Lopez. »Du, Manuela, Mädchen, geh und sattle mir das Maultier. Seña Frasquita, ich gehe nach der Mühle. Wehe Euch, wenn Ihr dem Herrn Corregidor ein Leid zugefügt habt!«

»Señor Alkalde! Señor Alkalde!« rief in diesem Augenblicke Toñuelo aus, der mehr tot als lebendig eintrat. »Tio Lucas ist nicht im Strohstall. Sein Esel ist [S. 75] auch nicht an der Krippe, und die Hofthür ist offen... Der Vogel ist davongeflogen.«

»Was sagst du da?« schrie Señor Juan Lopez.

»Heilige Jungfrau von Carmen! Was wird in meinem Hause passieren?« rief die Seña Frasquita aus. »Laßt uns eilen, Señor Alkalde, laßt uns keine Zeit verlieren! Wenn mein Mann den Corregidor zu dieser Stunde trifft, dann schlägt er ihn tot.«

»Glaubt Ihr denn, daß der Tio Lucas in der Mühle ist?«

»Wie soll ich es nicht glauben? Ich sage noch mehr ... Als ich kam, habe ich mich mit ihm, ohne ihn zu kennen, gekreuzt. Ohne Zweifel war er es, der inmitten eines Saatfeldes Feuer angeschlagen hat. Mein Gott, wenn man bedenkt, daß die Tiere mehr Verstand haben als die Menschen. Denn Ihr müßt wissen, Señor Juan, unsere beiden Eselinnen haben sich erkannt und sich begrüßt, während mein Lucas und ich uns weder begrüßt, noch erkannt haben.«

»Das ist mir ein schöner Lucas, Ihr Lucas,« erwiderte der Alkalde. »Nun, wir werden ja gleich unterwegs sein und bald zu beschließen haben, was mit euch allen zu machen ist. Mit mir könnt Ihr aber nicht spielen! Ich bin der König! Aber nicht ein König, wie wir ihn in Madrid haben, oder im Prado, sondern wie der einst in Sevilla, den sie Pedro den Grausamen nannten. Du, Manuela! bring mir den Stock und sage deiner Frau, daß ich fortgehe.«

Die Magd, die eigentlich hübscher war, als es sich für die Alkaldin und die Moral schickte, gehorchte, und da das Maultier des Herrn Juan Lopez gesattelt war, so machten sich die Seña Frasquita und er, von dem unvermeidlichen Toñuelo gefolgt, auf den Weg nach der Mühle.

[S. 76]


25.

Garduña's Stern.

Wir wollen ihnen vorauseilen, da wir ja Vollmacht haben, schneller als irgend ein anderer zu gehen.

Garduña, der die Seña Frasquita in allen Straßen der Stadt gesucht hatte, befand sich bereits auf dem Rückwege nach der Mühle.

Der schlaue Alguacil war auf dem Wege im Hause des Corregidors gewesen, wo er alles sehr ruhig gefunden hatte. Die Thüren waren ebenso geschlossen, wie mitten am Tage, wie es Gebrauch zu sein pflegt, wenn die Obrigkeit ihre geheiligten Pflichten außerhalb vollzieht. Auf dem Treppenabsatz und im Vorsaal schliefen andere Alguacilen und Beamte, die ruhig ihren Herrn erwarteten; als sie aber Garduña hörten, wachten einige von ihnen auf und fragten ihn, der ihr Haupt und Vorgesetzter war:

»Kommt der Herr schon?«

»Nicht im Entferntesten! Bleibt nur ganz ruhig. Ich will nur wissen, ob irgend etwas vorgefallen ist.«

»Nichts.«

»Und die Señora?«

»Schläft in ihren Zimmern.«

»Ist nicht vor kurzem eine Frau durch diese Thüren gekommen?«

»In der ganzen Nacht ist niemand vorübergekommen.«

»Nun, so laßt auch niemand eindringen, wer es auch sei und was er auch sagen möge. Im Gegenteil! Legt sogar Hände an den Morgenstern, wenn er etwa kommen und sich nach dem Herrn oder der Frau erkundigen sollte, und führt ihn ins Gefängnis.«

»Es scheint, daß Ihr heute auf der Jagd nach besonderen Vögeln seid,« fragte einer von den Häschern.

»Auf Edelwild,« fügte ein anderer hinzu.

[S. 77]

»Auf das edelste,« fügte Garduña feierlich hinzu. »Denkt doch nur, wenn der Herr Corregidor und ich selbst die Treiber machen. Also, auf Wiedersehen, und paßt gut auf!«

»Gehen Sie mit Gott, Herr Bastian,« antworteten alle und grüßten Garduña.

»Mein Stern geht unter,« murmelte dieser beim Hinausgehen. »Sogar die Frauen täuschen mich. Die Müllerin geht nach dem Dorfe zu ihrem Manne, statt nach der Stadt zu kommen... Armer Garduña, was ist aus deiner Spürnase geworden?«

Und so sprechend, machte er sich wieder auf den Rückweg nach der Mühle.

Wohl hatte der Alguacil recht, wenn er seinen alten Spürsinn vermißte, denn auch einen Mann übersah er, der sich in jenem Augenblicke hinter einigen in der Nähe der Stadt befindlichen Weiden versteckte und in den Bart oder vielmehr in seinen roten Mantel murmelte:

»Aufgepaßt, Pablo! Da kommt Garduña! Er darf mich nicht sehen.«

Es war Tio Lucas, als Corregidor gekleidet, der sich der Stadt zuwendete und von Zeit zu Zeit seine diabolische Phrase wiederholte:

»Auch die Corregidora ist reizend!«

Ohne ihn zu sehen ging Garduña vorüber, und der falsche Corregidor verließ sein Versteck und verschwand im Orte.

Kurz darauf kam der Alguacil bei der Mühle an, wie wir schon angedeutet haben.


26.

Reaktion.

Genau so, wie Tio Lucas ihn durch das Schlüsselloch gesehen hatte, verharrte auch jetzt noch der Corregidor im Bett.

[S. 78]

»Wie gut ich schwitze, Garduña! Ich habe mich dadurch vor einer Krankheit geschützt!« rief er aus, als er den Alguacil ins Zimmer treten sah. »Und die Seña Frasquita? Hast du sie angetroffen? Begleitet sie dich? Hast du mit der Herrin gesprochen?«

»Die Müllerin, gnädiger Herr,« antwortete Garduña mit gedrückter Stimme, »hat mich armen Mann getäuscht und ist nicht nach der Stadt gegangen, sondern nach dem Dorf, um ihren Mann aufzusuchen. — Verzeihen mir Euer Gnaden die Dummheit...«

»Um so besser, um so besser!« sagte der Madrileñer mit vor Bosheit funkelnden Augen. »Dann sind wir gerettet. Noch bevor es tagt, sollen Tio Lucas und die Seña Frasquita, aneinander gekettet, in den Kerker der Inquisition wandern, und dort sollen sie verfaulen, ohne irgend jemand die Abenteuer dieser Nacht zu erzählen. — Bringe mir meine Kleider, Garduña, denn sie müssen schon trocken sein. Bringe sie mir und zieh mich an. Der Liebhaber wird sich jetzt in den Corregidor verwandeln.«

Garduña ging in die Küche hinunter, um die Kleider zu holen. —


27.

Im Namen des Königs.

Inzwischen hatten sich die Seña Frasquita, Señor Juan Lopez und Toñuelo der Mühle genähert und kamen wenige Minuten darauf in derselben an.

»Ich werde vorausgehen,« rief der Dorfschulze aus. »Zu was bin ich denn die Autorität? Folge mir, Toñuelo, und Ihr, Seña Frasquita, wartet an der Thüre, bis ich Euch rufe.«

Also ging der Señor Juan Lopez unter die Weinlaube, wo er beim Mondschein einen fast buckligen, wie den Müller gekleideten Mann bemerkte, mit Jacke und Beinkleid von braunem Tuch, schwarzer Binde, blauen [S. 79] Strümpfen, der murcianischen Felbelmütze und dem Mantel auf der Schulter.

»Das ist er!« schrie der Alkalde. »Im Namen des Königs! Ergebt Euch, Tio Lucas!«

Der Mann mit der Jagdmütze wollte sich nach der Mühle zurückwenden.

»Halt!« rief nun Toñuelo, indem er sich auf ihn stürzte, am Halse packte, ihm mit dem Knie einen Stoß ins Rückgrat versetzte und ihn so zur Erde riß.

Zugleich aber warf sich eine Art von wildem Tier auf Toñuelo, und indem es ihn um den Leib faßte, zog es ihn auf das Steinpflaster und fing an, ihn zu ohrfeigen.

Es war die Seña Frasquita, die nun ausrief: »Landstreicher! Laß meinen Lucas los!«

Aber in diesem Augenblicke warf sich eine Person, die soeben, einen Esel am Halfter führend, erschienen war, entschlossen zwischen die beiden und versuchte Toñuelo zu retten...

Garduña war es, der den Alguacil des Dorfes für Don Eugenio de Zuñiga hielt und zu der Müllerin sagte:

»Señora, haben Sie Achtung vor meinem Herrn!«

Und rücklings warf er sie auf den Alkalden.

Als die Seña Frasquita sich auf diese Weise zwischen zwei Feuern befand, versetzte sie Garduña einen solchen Stoß vor den Magen, daß er so lang wie er war auf den Boden fiel.

Mit ihm waren es nun schon vier Personen, die sich auf der Erde herumwälzten.

Inzwischen verhinderte Juan Lopez den mutmaßlichen Tio Lucas am Aufstehen, indem er ihm einen Fuß auf die Nierengegend pflanzte.

»Garduña! Zu Hilfe! Im Namen des Königs! Ich bin der Corregidor!« schrie endlich dieser letztere, als er fühlte, daß die mit Stierhaut bekleidete Pfote des Alkalden ihn buchstäblich zermalte.

[S. 80]

»Der Corregidor? Das ist aber auch wahr!« sagte Señor Juan Lopez ganz erstaunt.

»Der Corregidor!« wiederholten alle.

Und schnell waren alle Niedergeworfenen auf den Füßen.

»Alle ins Gefängnis!« rief Don Eugenio de Zuñiga.

»Alle an den Galgen!«

»Aber, Herr,« warf Señor Juan Lopez ein und kniete vor ihm nieder. »Verzeihen mir Euer Gnaden, daß ich Sie gemißhandelt habe. Wie konnte ich nur Euer Gnaden unter dieser gewöhnlichen Kleidung vermuten?«

»Barbar!« erwiderte der Corregidor. »Etwas mußte ich doch anziehen! Weißt du nicht, daß man mir meine Sachen geraubt hat? Weißt du nicht, daß eine Räuberbande, die Tio Lucas befehligt...«

»Sie lügen!« rief die Navarresin.

»Hört einmal, Seña Frasquita,« sagte Garduña zu ihr und rief sie beiseite. »Mit der Erlaubnis des Herrn Corregidors und der ganzen Gesellschaft. Wenn Ihr die Geschichte nicht in Ordnung bringt, dann werden wir alle aufgehängt, und Tio Lucas zuerst.«

»Ja, was ist denn geschehen?« fragte Seña Frasquita.

»Tio Lucas geht zu dieser Stunde als Corregidor verkleidet in der Stadt umher... und weiß Gott, ob er nicht in dieser Verkleidung sogar bis in das Schlafzimmer der Corregidora gedrungen ist.«

Und in wenigen Worten erzählte ihr der Alguacil das uns bereits Bekannte.

»Jesus!« rief die Müllerin aus. »So hält mich mein Mann also für entehrt! So ist er also in die Stadt gegangen, um sich zu rächen! Vorwärts, vorwärts, laßt uns in die Stadt gehen und rechtfertigt mich in den Augen meines Lucas!«

»Wir wollen in die Stadt gehen und verhindern, daß dieser Mann meiner Frau all die eingebildeten Dummheiten wiedererzählt,« sagte der Corregidor und schritt [S. 81] auf eine der Eselinnen zu. »Helft mir ein wenig beim Aufsteigen, Señor Alkalde.«

»Ja, wir wollen nach der Stadt gehen,« fügte Garduña hinzu, »und gebe der Himmel, Herr Corregidor, daß Tio Lucas sich begnügt hat, mit der Herrin zu sprechen.«

»Was sagst du, Unglücklicher?« brach Don Eugenio de Zuñiga aus. »Glaubst du, daß er fähig wäre...«

»Zu allem!« antwortete Seña Frasquita.


28.

Ave Maria purísima! Las doce y media, y sereno![8]

So rief durch die Straßen der Stadt derjenige, welcher dazu berechtigt war, als die Müllerin und der Corregidor, jedes auf einem Mülleresel, der Señor Juan Lopez auf seinem Maultier, die beiden Alguacilen zu Fuß, an der Hausthür des Corregidors ankamen.

Die Thüre war geschlossen.

Man konnte sagen, daß für jenen Tag sowohl für die Regierung wie für die Regierten alles zu Ende war.

»Schlimm das!« dachte Garduña.

Er klopfte zwei- oder dreimal mit dem Klopfer an die Thüre.

Eine kleine Weile verging, die Thüre wurde nicht geöffnet, niemand antwortete.

Die Seña Frasquita war bleich wie Wachs.

Der Corregidor hatte schon alle Nägel von beiden Händen abgebissen.

Niemand sagte ein Wort.

Bum... Bum... Bum... Schläge und wieder Schläge an die Thüre der Wohnung, welche die beiden Alguacilen und Señor Juan Lopez nach einander verabfolgten. Und nichts, niemand antwortete, niemand öffnete die Thüre. Nicht eine Fliege rührte sich.

[S. 82]

Nur das leise Plätschern eines Röhrbrunnens auf dem Hofe des Hauses drang zu ihnen herüber.

So verflossen Minuten, wie Ewigkeiten so lang. Endlich, gegen ein Uhr, wurde im zweiten Stockwerk ein Fenster geöffnet und eine weibliche Stimme fragte:

»Wer ist da?«

»Das ist die Stimme der Amme,« murmelte Garduña.

»Ich!« antwortete Don Eugenio de Zuñiga. »Öffnet.«

Ein Augenblick des Stillschweigens trat ein.

»Und wer sind Sie?« entgegnete die Amme.

»Nun, hörst du es denn nicht? Ich bin es, der Herr ... der Corregidor!« —

Eine zweite Pause.

»Geht mit Gott!« antwortete die gute Frau. »Mein Herr ist vor etwa einer Stunde nach Hause gekommen und hat sich gleich niedergelegt. Legt Euch auch nur ins Bett und schlaft den Rausch aus, den Ihr im Kopfe habt.«

Und knallend schloß sich das Fenster.

Die Seña Frasquita bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

»Amme!« donnerte der Corregidor außer sich. »Hört Ihr nicht, daß ich Euch sage, Ihr sollt die Thüre öffnen? Hört Ihr nicht, daß ich es bin? Wollt Ihr, daß ich Euch auch aufhänge?«

Das Fenster öffnete sich von neuem.

»Aber was soll denn das heißen?« sprach die Amme. »Wer seid Ihr, daß Ihr so schreit?«

»Ich bin der Corregidor!«

»O, ich bin nicht so dumm! Habe ich Euch nicht gesagt, daß der Herr Corregidor schon vor zwölf Uhr nach Hause gekommen ist? Ich habe es doch mit meinen eigenen Augen gesehen, wie er in das Zimmer der Herrin gegangen ist... Ihr wollt Euch nur über mich lustig [S. 83] machen... Aber wartet, Ihr sollt schon sehen, was Euch beschert wird.«

Und plötzlich öffnete sich die Thüre, und eine Wolke von Dienern und Angestellten, mit großen Knüppeln bewaffnet, stürzte sich auf die Draußenstehenden, und wütende Rufe erschallten:

»Wo ist der, welcher sich Corregidor nennt? Wo ist der Tölpel? Wo ist der Trunkenbold?«

Und in der Dunkelheit entspann sich ein solcher Kampf, ein so lauter Lärm, daß keiner den Andern verstehen konnte, und daß sowohl der Corregidor, wie Garduña, Señor Juan Lopez und Toñuelo nicht ohne Schläge ausgingen.

Das war schon die zweite Tracht Prügel, welche das Abenteuer jener Nacht Don Eugenio eingetragen hatte, außer dem Bade im Mühlgraben.

In geringer Entfernung von jenem Labyrinth weinte die Seña Frasquita zum erstenmale in ihrem Leben.

»Lucas, Lucas!« sagte sie. »Und du hast an mir zweifeln können. Und hast eine andere in deine Arme schließen können... Ach! unser Unglück ist grenzenlos!«


29.

Nach dem Gewölk... Reveille.

»Was hat dieser Lärm zu bedeuten?« sagte endlich eine ruhige, majestätische Stimme von angenehmer Klangfarbe, den Höllenlärm übertönend.

Alle erhoben die Köpfe und sahen eine schwarzgekleidete Dame auf dem Hauptbalcon des Hauses.

»Die Señora!« sagten die Dienstleute und unterbrachen ihre Prügelretraite.

»Meine Frau!« stotterte Don Eugenio.

»Laßt diese Herren eintreten... Der Herr Corregidor sagt, daß er es erlaubt,« fügte die Corregidora hinzu.

Die Diener gaben den Weg frei, und der Señor de [S. 84] Zuñiga und seine Begleiter traten in das Portal und stiegen die Treppe hinauf.

Wohl nie ist ein Verbrecher mit so unsicherm Schritte und so entstellten Zügen zur Richtstätte gegangen, wie der Corregidor, als er die Treppe seines Hauses hinaufging. Und doch fing schon der Gedanke an seine Schande an mit edler Selbstsucht all das durch ihn veranlaßte und ihn drückende Unrecht zu überragen und die ganze Lächerlichkeit seiner Lage mit dem Schleier der Vergessenheit zu umhüllen.

»Vor allen Dingen,« dachte er, »bin ich ein Zuñiga und ein Ponce de Leon! Wehe denen, die es vergessen haben. Wehe meiner Frau, wenn sie meinen Namen befleckt hat!«...


30.

Eine Dame von Stande.

Die Corregidora empfing ihren Gatten und seine ländlichen Begleiter im großen Saale des Amtsgebäudes.

Sie war allein, stand aufrecht, und ihre Augen waren fest auf die Thür gerichtet.

Es war eine Dame aus vornehmem Hause, noch ziemlich jung, von einer ruhigen, strengen Schönheit, mehr geeignet für den christlichen Pinsel, als für den ungläubigen Meißel, die mit der ganzen Vornehmheit und Ernsthaftigkeit jener Epoche gekleidet war. Ihr Kleid mit kurzem, engem Rock und bauschigen, hochstehenden Ärmeln war von schwarzem Bombasin, ein Tuch von weißen, etwas gelblichen Blonden verhüllte ihre bewundernswerten Schultern, und lange Handschuhe von schwarzem Tüll bedeckten ihre alabasterweißen Arme. Majestätisch wehte sie sich mit einem ungeheuren Fächer von den Philippinen Kühlung zu, und in der anderen Hand hielt sie ein Spitzentuch, dessen vier Ecken symmetrisch mit einer Regelmäßigkeit herunterhingen, die sich nur mit ihrer ganzen Haltung und jeder ihrer geringsten Bewegungen vergleichen ließ.

[S. 85]

Die schöne Frau hatte etwas von einer Königin, mehr aber noch von einer Äbtissin in ihrer Erscheinung und flößte allen, die sie sahen, Verehrung und Furcht ein. Übrigens bewiesen der sorgfältige Anzug zu so ungewöhnlicher Stunde, der Ernst ihres Antlitzes und die vielen im Salon angezündeten Lichter, daß die Corregidora bemüht gewesen war, jener Scene eine theatralische Feierlichkeit und zeremonielle Färbung zu geben, welche mit dem rohen Abenteuer ihres Mannes um so schärfer kontrastierten.

Schließlich wollen wir noch hinzufügen, daß jene Dame Doña Mercedes Carrillo de Albornoz y Espinosa de los Monteros hieß und Tochter, Enkelin, Urenkelin, Ururenkelin, ja Enkelin im zwanzigsten Grade der Stadt war, als Sprößling von deren berühmten Conquistadoren. Ihre Familie hatte sie aus weltlicher Eitelkeit mit dem alten, begüterten Corregidor verheiratet, und sie, die sonst Nonne geworden wäre, weil eine innere Stimme sie dem Kloster zuführte, willigte in jenes schmerzbringende Opfer.

Zur Zeit hatte sie zwei Sprößlinge von dem verwegenen Madrileñer, und man munkelte, daß wieder »Mauren an der Küste zu sehen wären.«

Und damit wollen wir wieder zu unserer Geschichte zurückkehren.


31.

Die Strafe der Wiedervergeltung.

»Mercedes!« rief der Corregidor aus, als er vor seiner Frau erschien, »ich muß sofort wissen...«

»Oho, Tio Lucas, Ihr hier?« sagte die Corregidora, ihn unterbrechend. »Ist ein Unglück in der Mühle geschehen?«

»Señora, ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt,« sagte der Corregidor wütend. »Bevor ich von meiner Seite irgend welche Erklärung abgebe, muß ich erst wissen, was aus meiner Ehre geworden ist.«

[S. 86]

»Was geht das mich an? Habt Ihr sie mir vielleicht in Verwahrung gegeben?«

»Ja, Señora! Ihnen,« entgegnete Don Eugenio. »Die Frauen sind die Bewahrerinnen der Ehre ihrer Gatten.«

»Dann fragt doch Eure Frau danach... Da steht sie ja gerade und hört uns.«

Seña Frasquita, welche an der Saalthüre stehen geblieben war, stieß eine Art von Gebrüll aus.

»Kommen Sie näher, Señora, und setzen Sie sich,« fügte die Corregidora hinzu, indem sie sich mit erhabener Würde an die Seña Frasquita wendete.

Sie selbst schritt auf das Sofa zu.

Die hochherzige Navarresin begriff sofort die ganze Größe in der Haltung der beleidigten und vielleicht doppelt beleidigten Gattin. Darum erhob sie sich im Augenblick zu gleicher Höhe, beherrschte ihre natürlichen Triebe und bewahrte ein anständiges Stillschweigen. Und glaubt nur nicht etwa, daß die Seña Frasquita in all ihrer Unschuld und Kraft Eile gehabt hätte, sich zu verteidigen... Große Eile hatte sie anzuklagen, sehr große... aber gewiß nicht die Corregidora. Mit wem sie ein Hühnchen zu pflücken hatte, das war mit dem Tio Lucas, und Tio Lucas war nicht dort.

»Seña Frasquita,« wiederholte die edle Frau, als sie sah, daß die Müllerin sich nicht von der Stelle gerührt hatte, »ich habe Ihnen gesagt, daß Sie näher kommen und sich setzen sollen.«

Diese zweite Aufforderung wurde mit noch herzlicherer und gefühlvollerer Stimme ausgesprochen, als die erste. Fast konnte man sagen, daß die Corregidora beim Anblick des ruhigen Antlitzes und der männlichen Schönheit jener Frau instinktiv erraten hatte, daß sie es nicht mit einem gewöhnlichen, verächtlichen Wesen, vielmehr mit einer anderen Unglücklichen zu thun hatte... unglücklich, ja, um der einzigen Thatsache willen, daß sie den Corregidor kennen gelernt.

[S. 87]

Darum tauschten die beiden Frauen, welche sich für doppelte Nebenbuhlerinnen hielten, verschiedene Blicke des Friedens und der Nachsicht aus und bemerkten zu ihrem größten Erstaunen, daß ihre Seelen Gefallen aneinander fanden, wie zwei Schwestern, die sich erkennen.

Auf dieselbe Weise erkennen und grüßen sich von fern die weißen Schneefelder auf den umhüllten Bergen.

Als diese sanften Empfindungen sie durchdrangen, trat die Müllerin ein und setzte sich auf den äußersten Rand eines Stuhles.

Da sie in der Mühle vorausgesehen hatte, daß sie in der Stadt vielleicht wichtige Besuche zu machen haben würde, so hatte sie ihre Kleider ein wenig geordnet und eine schwarze Flanellmantille mit großen Fransen übergeschlagen, die ihr wundervoll stand. Sie sah ganz wie eine Dame aus.

Der Corregidor dagegen hatte während dieser Episode vollständiges Stillschweigen beobachtet. Das Gebrüll der Seña Frasquita und ihr Erscheinen auf dem Schauplatze hatten ihn natürlich erschreckt. Jene Frau verursachte ihm jetzt mehr Entsetzen, als seine eigene.

»Nun also, Tio Lucas,« fuhr Doña Mercedes fort und wandte sich an ihren Gatten. »Hier ist die Seña Frasquita. Ihr könnt jetzt Euer Verlangen wiederholen.«

»Mercedes! um der Nägel Christi willen!« rief der Corregidor, »du weißt nicht, wessen ich fähig bin. Von neuem beschwöre ich dich, laß den Scherz beiseite und erzähle mir alles, was während meiner Abwesenheit vorgefallen ist. Wo ist dieser Mann?«

»Wer? Mein Gatte? Mein Mann ist eben im Begriff aufzustehen und wird wohl nicht mehr lange zögern.«

»Aufzustehen?« heulte Don Eugenio.

»Ihr wundert Euch darüber? Nun, wo sollte ein anständiger Mann denn zu dieser Stunde sein, wenn nicht in seinem Hause, in seinem Bett und an der Seite seiner rechtmäßigen Gattin, wie Gott es befiehlt?«

[S. 88]

»Mercedes! Paß auf, was du sagst. Denke daran, daß man uns hört... Denke daran, daß ich der Corregidor bin!«

»Wenn Ihr auf diese Weise anfangt, Tio Lucas, so werde ich nach den Alguacilen schicken, damit sie Euch ins Gefängnis abführen,« entgegnete die Corregidora und stand auf.

»Ich ins Gefängnis? Ich? Der Corregidor der Stadt?«

»Der Corregidor der Stadt, der Vertreter der Gerechtigkeit, der Bevollmächtigte des Königs,« antwortete die hohe Dame mit einer Strenge und Energie, welche die Stimme des angeblichen Müllers vollständig erstickten, »kam zur schicklichen Stunde nach Hause, um von den edlen Aufgaben seines Amtes auszuruhen und morgen fortzufahren, die Ehre und das Leben der Bürger zu schützen, die Heiligkeit des Herdes und die Sittsamkeit der Frauen zu schirmen und zu verhindern, daß irgend jemand als Corregidor oder in anderer Weise verkleidet in das Schlafgemach einer fremden Frau eintrete, damit niemand die Tugend in ihrer sorglosen Ruhe überraschen könne, niemand ihren keuschen Schlaf mißbrauchen...«

»Merceditas! Was sagst du da?« zischte der Corregidor zwischen Lippen und Gaumen. »Wenn es wahr ist, daß dies in meinem Hause vorgekommen ist, so sage ich dir, daß du eine Treulose, eine sittenlose Person bist.«

»Mit wem spricht dieser Mensch?« unterbrach ihn die Corregidora verächtlich und ließ ihren Blick über die Umstehenden schweifen. »Wer ist der Wahnsinnige? Wer ist der Betrunkene? Kaum kann ich noch glauben, daß Ihr ein ehrlicher, anständiger Müller wie der Tio Lucas seid, trotzdem Ihr sein ländliches Kleid tragt. — Señor Juan Lopez, wißt,« fuhr sie fort, indem sie dem vernichteten Dorfschulzen ins Gesicht sah, »daß mein Mann, der Corregidor der Stadt, vor zwei Stunden nach Hause gekommen ist, mit seinem Dreispitz, seinem roten Mantel, seinem Kavaliersdegen [S. 89] und seinem Amtsstock... Die hier gegenwärtigen Dienstboten und Alguacilen sind aufgestanden und haben ihn gegrüßt, als sie ihn durchs Portal kommen, die Treppe hinauf und durchs Empfangszimmer schreiten sahen. Dann haben sie die Thüren geschlossen, und seit der Zeit ist niemand in meine Wohnung eingetreten, bis Sie ankamen. Ist das wahr? Antwortet ihr...«

»Es ist wahr, es ist sehr wahr,« antworteten die Amme, die Diener und die Polizeidiener, die alle, an der Salonthür gruppiert, jener eigentümlichen Scene beiwohnten.

»Hinaus mit euch allen!« rief Don Eugenio wutschnaubend. »Garduña! Garduña! Komm und nimm diese Elenden, die den Respekt vergessen, gefangen. Alle ins Gefängnis! Alle an den Galgen!«

Garduña war nirgends zu sehen.

»Übrigens, Señor,« fuhr Doña Mercedes fort, indem sie den Ton änderte und ihren Mann anzusehen und ihn als solchen zu behandeln geruhte, da sie fürchtete, der Scherz könnte vielleicht zu unheilbaren Resultaten führen, »nehmen wir einmal an, daß Sie Don Eugenio de Zuñiga y Ponce de Leon wären...«

»Ich bin es!«

»Nehmen wir einmal an, daß mich einige Schuld träfe, weil ich einen Mann, der als Corregidor gekleidet in mein Schlafzimmer drang, für Sie gehalten habe...«

»Infame Canaille!« schrie der Alte, griff mit der Hand nach dem Degen und fand nur den leeren Platz und die Binde des murcianischen Müllers.

Die Navarresin bedeckte mit einem Zipfel ihrer Mantille ihr Gesicht, um die Flammen der Eifersucht zu verbergen.

»Nehmen wir alles das an, was Sie wollen,« fuhr Doña Mercedes mit einem unerklärlichen Gleichmut fort. »So sagen Sie mir doch erst eins, mein Herr! Hätten Sie ein Recht, sich zu beklagen? Könnten Sie mich als [S. 90] Richter verurteilen? Kommen Sie vielleicht aus der Predigt? Kommen Sie vielleicht aus der Beichte? Kommen Sie aus der Messe? Oder woher kommen Sie mit diesem Anzuge? Woher kommen Sie mit dieser Frau? Wo haben Sie die Hälfte der Nacht zugebracht?«

»Mit Verlaub...« rief die Seña Frasquita aus und stand, wie von einer Feder emporgeschnellt, auf und trat keck zwischen die Corregidora und deren Gatten.

Dieser war im Begriff zu sprechen, blieb aber mit offenem Munde stehen, als er sah, daß die Navarresin ins Feuer trat.

Aber Doña Mercedes kam ihr zuvor und sagte:

»Señor, bemühen Sie sich nicht, mir Erklärungen zu geben. Ich verlange sie durchaus nicht von Ihnen. Hier kommt derjenige, der das Recht hat, sie von Ihnen zu fordern. Verständigen Sie sich mit ihm.«

Zugleich öffnete sie die Thür eines Kabinetts, und in ihr erschien Tio Lucas, vom Kopf bis zu den Füßen als Corregidor gekleidet, mit Stock, Handschuhen und Degen, wie er in den Ratssaal zu treten pflegte.


32.

Der Glaube versetzt Berge.

»Ich wünsche Ihnen allen einen guten Abend,« sprach der zuletzt Angekommene, nahm den Dreispitz ab und sprach mit zusammengefallenem Munde, wie Don Eugenio de Zuñiga.

Dann durchschritt er, sich nach allen Seiten wiegend, den Saal und küßte die Hand der Corregidora.

Alle standen starr vor Erstaunen. Die Ähnlichkeit des Tio Lucas mit dem wirklichen Corregidor grenzte ans Wunderbare.

Darum konnten auch die Dienerschaft und sogar Señor Juan Lopez ein Gelächter nicht zurückhalten.

[S. 91]

Don Eugenio fühlte diese neue Herabwürdigung und stürzte sich wie ein Basilisk auf Tio Lucas.

Aber Seña Frasquita war schneller als er und entfernte den Corregidor mit ihrem eisernen Arm; und Seine Gnaden, im Andenken an einen andern Purzelbaum und das darauffolgende Hautabschürfen, ließ sich zurückwerfen, ohne auch nur einen Laut auszustoßen. Augenscheinlich war jene Frau von Geburt an dazu bestimmt, den armen Alten in Schach zu halten.

Tio Lucas wurde bleicher als der Tod, als er sah, daß seine Frau sich ihm näherte; aber er beherrschte sich gleich, und mit einem schrecklichen Lachen, so daß er die Hand aufs Herz legen mußte, weil es ihm zu springen drohte, sagte er, immer noch den Corregidor nachahmend:

»Gott behüte dich, Frasquita! Hast du deinem Neffen schon die Ernennung geschickt?«

Da hättet Ihr die Navarresin sehen müssen! Sie warf ihre Mantille zurück, erhob das Haupt mit dem Stolz einer Löwin, und ihre Augen wie zwei Dolche in die des falschen Corregidors versenkend, sagte sie ihm gerade ins Gesicht:

»Ich verachte dich, Lucas!«

Alle glaubten, daß sie ihn angespien hätte, solch eine Geste, solch eine Bewegung, solch ein Ton der Stimme begleiteten jene Worte.

Das Gesicht des Müllers verklärte sich, als er die Stimme seiner Frau hörte. Eine Art von Inspiration, wie die des religiösen Glaubens, war in seine Seele gedrungen und überflutete sie mit Licht und Freude. Und einen Augenblick vergaß er, was er in der Mühle gesehen und zu sehen geglaubt hatte und rief mit Thränen in den Augen und vollster Aufrichtung in der Stimme aus:

»Also bist du noch meine Frasquita?«

»Nein,« antwortete die Navarresin außer sich. »Jetzt bin ich deine Frasquita nicht mehr! Ich bin... Befrage [S. 92] deine Heldenthaten dieser Nacht, und sie werden dir sagen, was du mit diesem Herzen gemacht hast, das dich so geliebt.«

Und wie ein sinkender Eisberg, der anfängt zu schmelzen, begann sie zu weinen.

Die Corregidora konnte sich nicht enthalten, auf sie zuzugehen und sie mit herzlichster Freundlichkeit in ihre Arme zu schließen.

Und ohne recht zu wissen, was sie that, fing die Seña Frasquita an, sie zu küssen und sagte, schluchzend wie ein Kind, das Schutz bei seiner Mutter sucht:

»Señora, Señora, wie unglücklich bin ich!«

»Nicht so sehr, wie Sie glauben,« antwortete die Corregidora, die auch großmütig weinte.

»Ja, ich bin sehr unglücklich,« seufzte Tio Lucas und kämpfte mit seinen Thränen, wie wenn er sich schämte, sie zu vergießen.

»Nun, und ich?« brach schließlich Don Eugenio los, der sich durch das ansteckende Weinen der Übrigen erweicht fühlte, oder sich auf dem feuchten Wege, ich meine auf dem Wege des Weinens, zu retten hoffte. »Ach, ich bin ein Schelm, ein Ungeheuer, ein leichtsinniger Mensch, der seinen Lohn empfangen hat!«

Und traurig fing er an zu blöken, indem er den Leib des Señor Juan Lopez liebend umschlang.

Dieser und die Dienstboten weinten gleichfalls, alles schien zu Ende zu sein, und doch hatte sich niemand erklärt.


33.

Nun, und du?

Tio Lucas war der erste, der endlich in diesem Thränenmeer wieder flott wurde, weil er anfing, sich dessen zu erinnern, was er durchs Schlüsselloch gesehen.

»Señores, lassen Sie uns jetzt abrechnen,« sagte er.

[S. 93]

»Hier giebt es nichts abzurechnen, Tio Lucas,« rief die Corregidora aus. »Eure Frau ist eine Heilige.«

»Gut... ja... aber...«

»Nichts von aber. Laßt sie sprechen, und Ihr werdet sehen, wie sie sich rechtfertigen wird. Sowie ich sie sah, sagte es mir das Herz, daß sie eine Heilige sei, trotz alledem, was Ihr mir erzählt hattet.«

»Gut, so mag sie sprechen!« sagte Tio Lucas.

»Ich spreche nicht,« antwortete die Müllerin. »Du mußt zuerst sprechen. Denn die Wahrheit ist, daß du...«

Und die Seña Frasquita sagte nichts mehr, aus unbesiegbarer Achtung vor der Corregidora.

»Nun, und du?« antwortete Tio Lucas, der von neuem allen Glauben verlor.

»Jetzt handelt es sich nicht um sie,« rief der Corregidor, der auch wieder eifersüchtig wurde. »Es handelt sich jetzt um diese Dame. Ach, Merceditas! Wer hätte mir jemals gesagt, daß du...«

»Nun, und du?« antwortete die Corregidora, ihn mit dem Blicke messend.

Und während der nächsten Augenblicke wiederholten die beiden Ehepaare wohl hundertmal dieselben Sätze.

»Und du?«

»Nun, und du?«

»Na, du!«

»Nein, du!«

»Aber, wie konntest du...«

Und so weiter, und so weiter, und so weiter.

Vielleicht wäre die Angelegenheit nie beendet worden, wenn nicht die Corregidora schließlich, ihre Würde wieder annehmend, zu Don Eugenio gesagt hätte:

»Höre einmal, jetzt schweige du! Unsere Privatangelegenheit werden wir später ordnen. Das Dringendste ist in diesem Augenblick jedenfalls, Tio Lucas' Herzen den Frieden zurückzugeben. Meiner Ansicht nach ist das ganz [S. 94] leicht; denn dort sehe ich Señor Juan Lopez und Toñuelo, die nichts sehnlicher wünschen, als die Seña Frasquita zu rechtfertigen.«

»Mich brauchen die Männer nicht zu rechtfertigen,« antwortete diese. »Ich habe zwei Zeugen von größerer Glaubwürdigkeit, von denen niemand sagen kann, daß sie bestochen worden sind...«

»Und wo sind diese?« fragte der Müller.

»Sie sind unten, an der Thür.«

»Dann sage ihnen, daß sie heraufkommen, mit der Erlaubnis der Señora.«

»Ach, die Armen können nicht heraufkommen...«

»Ah, sind es zwei Frauen? Schöne, glaubwürdige Zeugen das!«

»Es sind auch keine zwei Frauen, nur zwei weibliche Wesen.«

»Noch schlimmer! Dann sind es zwei kleine Mädchen? Sei so gut und nenne mir ihre Namen.«

»Die eine heißt Piñona, die andere Liviana.«

»Unsere beiden Esel! Frasquita, du willst mich verspotten!«

»Nein, ich spreche sehr vernünftig und förmlich. Durch das Zeugnis unserer beiden Esel will ich dir beweisen, daß ich nicht in der Mühle war, als du den Herrn Corregidor dort gesehen hast.«

»Ich bitte dich, um Gottes willen, erkläre dich...«

»Höre, Lucas, und stirb vor Scham, daß du je an mir zweifeln konntest. Als du heute Nacht vom Dorf nach der Mühle rittest, da eilte ich von unserm Hause nach dem Dorf, folglich kreuzten wir uns auf dem Wege. Aber du warst außerhalb desselben und schlugst mitten auf einem Saatfelde Feuer an.«

»Ich habe angehalten, das ist wahr. Fahre fort.«

»Da schrie dein Esel...«

»Wahrhaftig! O, wie glücklich bin ich! Sprich, sprich, [S. 95] denn jedes Wort giebt mir ein Jahr meines Lebens zurück.«

»Und auf jenes Geschrei antwortete ein anderes vom Wege her.«

»O, ja, ja! Gesegnet seist du! Ich glaube es noch zu hören.«

»Es waren Liviana und Piñona, die sich erkannt hatten und wie gute Freundinnen begrüßten, während wir beide uns weder grüßten noch erkannten...«

»Sage mir nichts mehr! Sage mir nichts mehr.«

»So wenig erkannten wir uns,« fuhr die Seña Frasquita fort, »daß wir beide erschraken und nach entgegengesetzten Richtungen entflohen. Nun siehst du doch wohl ein, daß ich nicht in der Mühle war. Wenn du jetzt wissen willst, warum du den Herrn Corregidor in unserm Bett angetroffen hast, so fühle die Kleider, die du trägst und die noch feucht sein müssen, an, und sie werden es dir besser sagen als ich. Se. Gnaden ist in das Mühlgerinne gefallen, Garduña hat ihn entkleidet und dort gebettet. Willst du wissen, warum ich die Thür geöffnet habe? Weil ich glaubte, daß du es wärest, daß du ertränkest und mich zu Hilfe riefest. Und schließlich, wenn du das mit der Ernennung wissen willst... Aber vorläufig brauche ich nichts weiter zu sagen. Wenn wir allein sind, dann werde ich dir noch verschiedene Einzelheiten erzählen, die ich dir vor dieser Dame nicht mitteilen kann.«

»Alles, was die Seña Frasquita gesagt hat, ist die reinste Wahrheit!« rief der Señor Juan Lopez, der sich Doña Mercedes' Gunst erwerben wollte, da er wohl sah, daß sie das Corregimiento beherrschte.

»Alles, alles!« fügte Toñuelo hinzu, der seinem Herrn nacheifern wollte.

»Bis jetzt alles!« sprach der Corregidor, sehr zufrieden, daß die Erklärungen der Seña Frasquita nicht weiter gegangen waren.

[S. 96]

»Also bist du unschuldig?« rief inzwischen der Müller aus und ergab sich dem Augenschein und der Überzeugung. »Meine Frasquita! Herzens-Frasquita! Verzeih' mir die Ungerechtigkeit und laß mich dich umarmen!«

»Oh, das ist Mehl aus einem andern Sack,« antwortete die Müllerin, den Körper wegbiegend. »Bevor ich dich umarme, muß ich erst deine Erklärung hören.«

»Ich werde sie für ihn und mich geben,« sagte Doña Mercedes.

»Seit einer Stunde warte ich schon darauf,« stieß der Corregidor hervor und versuchte sich aufzurichten.

»Aber ich werde sie nicht eher geben,« fuhr die Corregidora fort, indem sie ihren Mann verächtlich ansah, »als bis die Herren die Kleider gewechselt haben, und auch dann werde ich sie nur demjenigen geben, der sie zu hören verdient.«

»Schnell, schnell, wir wollen uns umkleiden,« sagte der Murcianer zu Don Eugenio, und freute sich, daß er ihn nicht getötet hatte, wenn er ihn auch mit einem wahrhaft maurischen Haß betrachtete. »In den Kleidern Ew. Gnaden ersticke ich, und wie unglücklich bin ich gewesen, während ich sie trug!«...

»Weil du es nicht verstehst,« antwortete der Corregidor. »Ich dagegen wünsche nichts sehnlicher, als sie wieder anzulegen, um, wenn mir die Erklärung meiner Frau nicht genügt, dich und die halbe Welt aufhängen zu lassen.«

Als die Corregidora diese Worte hörte, beruhigte sie die Versammlung mit einem sanften Lächeln, wie es den Engeln eigen, deren Aufgabe es ist, die Menschen zu bewachen.


34.

Auch die Corregidora ist reizend.

Als der Corregidor und Tio Lucas den Saal verlassen hatten, setzte sich die Corregidora von neuem auf das Sofa, zog die Seña Frasquita neben sich, und sich zu den die [S. 97] Thür füllenden Dienstboten und Polizeidienern wendend, sagte sie mit liebenswürdiger Einfachheit:

»Nun, Kinder, erzählt jetzt, was ihr Schlechtes von mir wißt.«

Rasch drängte der vierte Stand vorwärts, und zehn Stimmen wollten zugleich sprechen; aber die Amme, die doch im Hause die wichtigste Person war, gebot den Übrigen Schweigen und sprach folgendermaßen:

»Sie müssen wissen, Seña Frasquita, daß wir, ich und meine Herrin, heute Nacht mit der Pflege der Kinder beschäftigt waren. Wir warteten auf die Rückkunft des Herrn und beteten, um die Zeit hinzubringen, schon den dritten Rosenkranz, denn Garduña hatte gesagt, daß der Herr einige sehr schreckliche Missethäter verfolge, und da war natürlich nicht eher ans Zubettgehen zu denken, als bis wir ihn unbeschädigt wieder heimkehren sahen — als wir in dem daran stoßenden Alkoven, in dem meiner Herrschaft Ehebett steht, ein Geräusch wie von Leuten hörten. Wir nahmen, halbtot vor Angst, das Licht, um nachzusehen, wer in dem Alkoven herumginge, als wir, o heilige Jungfrau von Carmen! einen Mann sahen, wie mein Herr gekleidet, der er aber doch nicht war (da er ja Ihr Mann war), und der sich hinter dem Bett zu verstecken suchte. ›Räuber!‹ fingen wir an wie wahnsinnig zu schreien, und einen Augenblick nachher war das ganze Zimmer voller Leute, und die Alguacilen zogen den nachgemachten Corregidor aus seinem Versteck hervor. — Meine Herrin, die, wie wir alle, den Tio Lucas erkannt hatte, und, weil sie ihn in den Kleidern des Corregidors sah, fürchtete, er hätte jenen ermordet, erhob ein jämmerliches Wehklagen, das die Steine hätte erweichen können. ›Ins Gefängnis, ins Gefängnis!‹ sagten inzwischen die Übrigen. ›Räuber! Mörder!‹ waren noch die besten Worte, die der Tio Lucas zu hören bekam, und so stand er da wie eine Leiche, an die Wand gelehnt, und brachte kein Wort hervor. Aber als [S. 98] er sah, daß sie ihn ins Gefängnis bringen wollten, sagte er: ›Ich werde es ihnen wiederholen, wenn es auch besser wäre, es zu verschweigen. Señora, ich bin kein Räuber, ich bin kein Mörder; der Räuber und Mörder meiner Ehre ist in meinem Hause und liegt mit meiner Frau im Bette.‹«

»Armer Lucas!« seufzte die Seña Frasquita.

»Die Ärmste bin ich!« murmelte die Corregidora ruhig.

»Das sagten wir alle... Armer Tio Lucas und arme Señora! Weil... denn... nun, wir hatten schon aus kleinen Andeutungen erfahren, daß mein Herr ein Auge auf Sie geworfen hatte, und... na, obgleich niemand sich denken konnte, daß Sie«...

»Amme!« rief die Corregidora streng. »Auf diesem Wege gehts nicht fort.«

»Ich werde auf einem anderen fortfahren,« sagte ein Alguacil, der die Unterbrechung benutzte, um sich des Wortes zu bemächtigen. »Der Tio Lucas, der uns, als er ins Haus trat, mit seinem Anzuge und seiner Art und Weise zu gehen, so gut angeführt hatte, daß wir ihn alle für den Corregidor hielten, war gewiß nicht mit guten Absichten gekommen, und wenn die Señora nicht wach gewesen wäre... Stellen Sie sich nur vor, was da hätte passieren können«...

»Na ja, schweig' doch nur!« unterbrach ihn die Köchin. »Du sagst nichts als Dummheiten. Ja, Seña Frasquita, um seine Anwesenheit im Schlafzimmer der Herrin zu erklären, mußte er den Zweck bekennen, der ihn hierher geführt. Natürlich konnte die Herrin, als sie es hörte, sich nicht enthalten, ihm einen Schlag auf den Mund zu geben, so daß ihm die Hälfte der Worte im Halse stecken blieben. Ich selbst habe ihn mit Schmähungen und Schimpfworten überhäuft und wollte ihm die Augen auskratzen. Denn das wissen Sie ja, Seña Frasquita, wenn es auch Ihr Mann ist, aber wenn man mit solchen Absichten«...

»Du bist eine alte Schwätzerin!« rief der Portier und [S. 99] stellte sich vor die Rednerin. »Was hättest du denn thun wollen? Hört mich, Seña Frasquita, und kommen wir zur Sache. Die Señora sagte und that alles, was sich gehörte, aber als sich ihr Ärger etwas abgekühlt hatte, bemitleidete sie den Tio Lucas, dachte über das schlechte Betragen des Herrn Corregidors nach und sprach diese oder ähnliche Worte: ›Wenn auch Euer Gedanke sehr nichtswürdig gewesen ist, Tio Lucas, und ich Euch diese Unverschämtheit nie verzeihen kann, so müssen Eure Frau und mein Mann doch ein paar Stunden lang glauben, daß sie sich in ihren eigenen Netzen gefangen haben und daß Ihr, unterstützt durch Eure Verkleidung, Schmach mit Schmach vergolten habt. Wir können uns nicht besser an ihnen rächen, und die Täuschung ist so leicht, daß wir sie aufklären können, wenn es uns paßt.‹ Als die Señora diesen witzigen Entschluß gefaßt hatte, lehrte sie und Tio Lucas uns, was wir zu sagen und zu thun hätten, wenn Se. Gnaden zurückkehrte; und dem Sebastian Garduña habe ich einen solchen Schlag aufs Hinterteil versetzt, daß er die St. Simon- und St. Judas-Nacht nicht sobald wieder vergessen wird.«

Schon seit längerer Zeit, noch während der Portier sprach, flüsterten sich die Corregidora und die Müllerin gegenseitig in die Ohren, umarmten und küßten sich alle Augenblicke und konnten verschiedene Male das Lachen gar nicht verbeißen.

Schade! daß man nicht hörte, was sie sprachen. Aber der Leser wird es sich wohl ohne große Mühe denken können, und wenn nicht der Leser, so doch die Leserin.


35.

Kaiserliches Dekret.

In diesem Augenblicke kehrten der Corregidor und der Tio Lucas, jeder in seinen eigenen Kleidern, in den Saal zurück.

[S. 100]

»Jetzt ist die Reihe an mir,« sagte der erlauchte Don Eugenio de Zuñiga eintretend.

Und nachdem er einigemale heftig mit dem Stocke auf den Boden gestoßen hatte, wie um seine Energie wieder zu sammeln, gleich einem offiziellen Antäos, der sich nicht eher stark fühlt, als bis sein Bambusrohr die Erde berührt, sagte er mit unbeschreiblicher Emphase und Dreistigkeit zu der Corregidora:

»Merceditas! ich erwarte deine Erklärungen.«

Inzwischen stand die Müllerin auf, kniff den Tio Lucas zum Zeichen des Friedens so stark, daß ihm Funken vor den Augen tanzten, und blickte ihn zugleich mit gar nicht mehr ärgerlichen, sondern bezaubernden Augen an.

Der Corregidor, der jene Pantomime beobachtet hatte, erstarrte fast zur Salzsäule, weil er sich eine so unmotivierte Versöhnung nicht erklären konnte.

Dann wandte er sich von neuem an seine Frau und sagte in essigsaurem Tone:

»Señora, alle verständigen sich hier, nur wir nicht. Reißen Sie mich aus meinen Zweifeln. Ich befehle es als Mann und als Corregidor.«

Und wieder dröhnte der Stock gegen den Fußboden.

»Sie wollen also gehen?« rief Doña Mercedes aus und näherte sich der Seña Frasquita, ohne sich um Don Eugenio zu kümmern. »So gehen Sie also ohne Sorge, der Skandal wird keine Folgen haben. Rosa, leuchte den Herrschaften, sie wollen ja schon gehen. Geht mit Gott, Tio Lucas!«

»O nein!« schrie Don Eugenio, indem er sich hineinmischte. »Tio Lucas wird nicht fortgehen. Tio Lucas wird so lange im Arrest bleiben, bis ich die volle Wahrheit weiß. Halloh, Alguacilen! Im Namen des Königs!«

Nicht einer der Polizeidiener gehorchte Don Eugenio. Alle blickten die Corregidora an.

»Nun, Mann, mache Platz!« fügte diese hinzu, indem [S. 101] sie ihn fast umstieß und sich von allen mit der größten Feinheit verabschiedete, das heißt, den Kopf leicht zur Seite geneigt, ergriff sie ihr Kleid mit den Fingerspitzen und neigte sich anmutig, bis sie die Modereverenz jener Zeit ausführte, die man la pompa[9] nannte.

»Aber ich... aber du... aber wir... aber die da,« murmelte der arme Alte noch immer, zog seine Frau am Kleide und störte ihre bestangefangenen Verbeugungen.

Vergebliches Bemühen! Niemand kümmerte sich um Sr. Gnaden.

Als alle fortgegangen und die entzweiten Gatten im Salon allein waren, geruhte die Corregidora endlich im Tone einer Czarin aller Reussen, welche über einen gefallenen Minister den Blitzstrahl der ewigen Verbannung nach Sibirien schlendert, zu ihrem Gatten zu sagen:

»Und lebtest du tausend Jahre, so sollst du doch nie erfahren, was in dieser Nacht in meinem Schlafzimmer vorgefallen ist. Wenn du darin gewesen wärest, wie es natürlich war, so brauchtest du niemand danach zu fragen. Was mich anbetrifft, so habe und werde ich nie einen Grund haben, der mich nötigen könnte, es zu enthüllen, dazu verachte ich dich zu sehr, und wenn du nicht der Vater meiner Kinder wärest, so würde ich dich jetzt vom Balkon herunterstürzen ... Und hiermit gute Nacht, Caballero!«

Als die Corregidora diese Worte ausgesprochen hatte, die der Corregidor anhörte, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken (denn wenn er allein war, wagte er es nicht, gegen seine Frau aufzutreten), ging sie in das Schlafzimmer, schloß die Thüren hinter sich zu, und der arme Mann blieb mitten im Saal aufgepflanzt stehen und murmelte mit einem beispiellosen Cynismus zwischen den Gaumen — Zähne hatte er ja nicht:

[S. 102]

»Gott sei Dank! Ich glaubte nicht, daß es so gut enden würde... Garduña wird mir eine andere suchen.«


36.

Schluß, Moral und Epilog.

Fröhlich zwitschernd grüßten die Vögel den Morgen, als Tio Lucas und die Seña Frasquita die Stadt verließen, um sich nach der Mühle zu begeben.

Die Gatten gingen zu Fuß, vor ihnen her trabten die beiden zusammengekoppelten Esel.

»Am Sonntag mußt du zur Beichte gehen,« sagte die Müllerin zu ihrem Mann, »denn du mußt dich von all den schlechten Meinungen und verbrecherischen Absichten dieser Nacht reinigen.«

»Da hast du einen guten Gedanken,« antwortete der Müller. »Aber du mußt mir dafür auch einen Gefallen thun und die Matratzen und das Bettzeug unseres Bettes den Armen geben und alles neu anschaffen. Ich lege mich nicht wieder dahin, wo dies giftige Gewürm geschwitzt hat.«

»Nenne ihn nicht, Lucas!« versetzte die Seña Frasquita. »Aber um von etwas anderem zu sprechen. Ich möchte dich noch um einen anderen Gefallen bitten...«

»Bitte nur.«

»Im künftigen Sommer wirst du mich nach Solan de Cabras bringen, um eine Badekur zu gebrauchen.«

»Warum?«

»Um zu sehen, ob wir Kinder bekommen werden.«

»Das ist eine sehr glückliche Idee. Wenn Gott uns das Leben schenkt, sollst du dorthin gehen.«

Sie langten bei der Mühle an, gerade als die Sonne, ohne noch aufgegangen zu sein, die Gipfel des Gebirges vergoldete. — — —

Zur größten Überraschung der Gatten, die nach einer [S. 103] so ärgerlichen Szene, wie die der vergangenen Nacht, keine Besuche von hohen Herrschaften mehr erwarteten, versammelten sich am Nachmittage mehr Personen denn je. Der ehrwürdige Prälat, viele Domherren, der Lehrer der Rechtswissenschaft, zwei Priore von Mönchsklöstern und verschiedene andere Personen, die, wie man bald erfuhr, Se. Hochwürden zusammenberufen hatte, füllten den ganzen Platz vor dem Hause.

Nur der Corregidor fehlte.

Als alle versammelt waren, ergriff der Herr Bischof das Wort und sagte, daß, gerade weil gewisse Dinge in jenem Hause vorgefallen wären, seine Domherren und er wie früher kommen würden, damit weder die braven Müllersleute, noch die übrigen gegenwärtigen Personen vom öffentlichen Tadel betroffen würden, den nur jener verdiente, welcher durch sein rohes Betragen eine so gesittete, anständige Gesellschaft entweiht hatte. Er ermahnte die Seña Frasquita väterlich, fürderhin weniger herausfordernd und verführerisch in ihren Worten und Bewegungen zu sein, die Arme mehr bedeckt und den Ausschnitt des Kleides etwas höher zu tragen, riet dem Tio Lucas, seinen Vorgesetzten gegenüber mehr Uneigennützigkeit, größere Zurückhaltung und weniger Unbescheidenheit zu zeigen, gab dann schließlich seinen Segen, und da er an jenem Tage nicht fastete, würde er mit vielem Vergnügen ein paar Trauben essen. Dasselbe meinten alle, nämlich das letztere — und der Weinstock erzitterte den ganzen Nachmittag. — Der Müller schätzte den Konsum an Weintrauben auf zwei Arrobas.[10] — —

Ungefähr drei Jahre lang dauerten diese angenehmen Zusammenkünfte, als wider alles Erwarten die Heere Napoleons in Spanien eindrangen und der Freiheitskrieg begann.

[S. 104]

Der Herr Bischof, der Magistrat und der Pönitentiar starben im Jahre 1808, und der Advokat und die übrigen Teilnehmer in den Jahren 9, 10, 11 und 12, weil sie den Anblick der Franzosen, Polen und anderer Raubtiere nicht ertragen konnten, welche in das Land einfielen und sogar im Presbyterium der Kirchen, während der Militärmesse, ihre Pfeifen rauchten!

Der Corregidor, der nie wieder nach der Mühle kam, wurde durch einen französischen Marschall ersetzt und starb im Kerker in Madrid, weil er sich auch nicht einen Augenblick, zu seiner Ehre sei's gesagt, mit der Fremdherrschaft einverstanden erklären wollte.

Doña Mercedes hat sich nicht wieder verheiratet und erzog ihre Kinder ganz ausgezeichnet. Im Alter zog sie sich in ein Kloster zurück und starb dort im Geruche der Heiligkeit.

Garduña wurde französiert.

Señor Juan Lopez kämpfte im Guerillakriege als Anführer und starb, gleich seinem Alguacil, in der berühmten Schlacht bei Baza, nachdem er sehr viele Franzosen getötet hatte.

Zum Schluß: Tio Lucas und die Seña Frasquita, obgleich sie keine Kinder bekamen, trotzdem sie nach Solan de Cabras gegangen waren und viele Gelübde abgelegt hatten, liebten sich immer auf ihre Weise und erreichten ein hohes Alter. Sie sahen den Absolutismus in den Jahren 1812 und 1820 dahinsinken und ihn 1814 und 1823 wieder erscheinen, bis endlich nach dem Tode des Absoluten Königs die Konstitution eingeführt wurde; und sie schlummerten zu einem besseren Leben hinüber gerade beim Ausbruch des siebenjährigen Bürgerkrieges, ohne daß die damals schon allgemein getragenen Cylinderhüte jene Zeiten bei ihnen in Vergessenheit geraten ließen, welchen als Symbol diente — der Dreispitz.

Ende.

Fußnoten:

[1] Zwei Neuntel von allen Zehnten, die der König bekommt.

[2] Suppe mit Gemüse und Fleisch.

[3] Gleich nach der Suppe zu essen.

[4] Volkstümlich für Señora Frasquita, Frau Fränzchen = Franziska.

[5] Abendgesellschaft, Versammlung.

[6] Que Dios guarde, den Gott erhalte, übliche Formel.

[7] Es handelt sich hier um ein unübersetzbares Wortspiel zwischen males und animales.

[8] »Ave, reinste Maria! Halb Eins und schönes Wetter!« Dies der gewöhnliche Ruf der Nachtwächter, die, weil die Nächte meist heiter (sereno) sind, hiervon auch vielleicht den Namen serenos erhalten haben. Regnet es, so fügen sie der Angabe der Zeit y lloviendo (und es regnet) hinzu.

[9] pompa ist Pracht, Prunk, aber auch der Bausch, welchen die Frauenkleider beim Niederbeugen machen.

[10] Eine Arroba gleich 11½ Kilogramm.

Notizen des Bearbeiters

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*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 50216 ***