LUDWIG BERGER
EINE PHANTASIE
KURT WOLFF VERLAG / MÜNCHEN
BÜCHEREI „DER JÜNGSTE TAG“ BAND 81
GEDRUCKT BEI DIETSCH & BRÜCKNER IN WEIMAR
Copyright 1920 by Kurt Wolff Verlag, München
(Schwillt der Name: Imma. Laut — gesteigert — Schrei!)
Klagend Stimmen: Imma!
(Die Königin entsetzt)
Königin: Ruf! — Wer ruft?
Wie Taubenflügel schwirren?
Zum Himmel auf und fort!
(Die Mägde stürzen ihr zu Füßen)
Die Magd Gersa: Oh —!
Die Magd Buh: — — Oh — —!
Die Magd Linde: O Herrin!
Königin: Ich weiß!
Das — Unglück heißt!
Wo ist sie?
Die Mägde (knieend, den Boden schlagend): Imma!
(Der König im Mantel)
Königin: Ich sinke!
Frage du!
Ja — es geschah!
Mein Kind! Mir Tochter! Imma!
Tausendfach Echo: Imma!
König (schreiend): Still! (Brinhildis wankt herbei)
Gersa: Sie sank!
Buh: Im Bad!
Linde: Die Fluten!
König: Ach — ertrank!
Brinhildis: Nein!
Schwand in Schönheit!
Stengelschlank hinab,
die Winde um die nackte Brust gebogen!
Und ohne Schrei im Schauer stumm verzückt!
So uferlos durch Tiefe — —
Die Mägde am Boden: Uferlos —!
König: Führt mich.
Königin: Mich führt!
König: Bleib! Warte!
(Der König folgt den drei Mägden)
Königin: Brinhildis, du!
Brinhildis: Es war wie Sturm:
Im Spalt der Felsen: Dampf, dicht, kraftgeballt —
Die Elemente wach
Trieb ohne Halt
Aufwärts und abwärts
Strom und Fall und Dunst!
Das Moos von Schaum bespritzt.
Die Blumen schwimmend
und tosend in der Gicht gereckter Leib!
Hochwirbelndes Gesicht,
das Nebel hüllte
in Schalen blau gestumpft!
O nein — kein Tod!
Raub war es,
Raub der Erde!
Dann wieder glatt
und Ruhebild — wie Hohn!
Der Fließ gespreizt,
Der Fluß so klar
und jede Spur
versäumt — gespült — verloren — — ach!
— — — —
Königin: Ihr saht sie nicht?
Brinhildis: Wir sahen sie nicht mehr!
Königin: O Hoffnung, zwiefach Antlitz!
Brinhildis: Hoffnung nicht! O Ohnmacht!
Königin: Mädchen!
Ruf’ mir Ratibor!
Ihr Freund! Mein Sohn!
Brinhildis: Was soll er?
Königin: Frage nicht!
Brinhildis: Ihr lacht?
Königin: In Schmerzen!
Stärker er, als du!
Als ich auch,
Als die andern alle!
Rufen
Geh!
Brinhildis: Herrin!
Königin: Trost: allein sein! — Ratibor! —
(Brinhildis geht, die Königin langsam)
Geist: Alles dir!
Nur eines von dir: Menschen!
Imma: Alles behalte!
Eines gib!
Gib Menschen!
Geist: Pracht der Tiefe!
Imma: Sonnenweh!
Gib das Licht,
das Tiere atmen!
Gib die Regung, zart wie Reh
schattend unter Bäumen!
Gib,
was die Seele nie im Laut geweckt:
Gib die Liebe!
Geist: Meine Liebe!
Imma: Hart!
Gold und Stein, dein zähes Element!
Worte, die du denkst im Fels begriffen!
Wert, wie Fäuste aus Gestalt gestaut
ohne Kreislauf, sündenlos, die Wut!
Geist: Soll ich menschlich sein?
Imma: Du kannst es nicht!
Sehnsucht heißt der Pol! Du hast die Macht!
Unerfüllt wir sind! Du bist Vollendung!
Warum raubtest du?
Geist: Aus Not der Kraft!
Imma: Spalte deine Kräfte in das Meer!
Fest sei Ziel im Mittelpunkt der Erde!
Jage Wunsch auf Flügeln um die Welt!
Geist: Das ist Menschenblick, der reißt entzwei!
Kraft bin ich und will die Ohnmacht lieben!
Beides schmilzt im Mantel meiner Brust!
Imma: Deute nicht Gewalt! Sei mutig roh!
Zeichne stark: Tod gib mir! Gib mir Leben!
Geist: Gestorben bist du! Lebe!
Imma: Fremd die Welt!
Geist: Starb der Mensch! Dein Atem füllt die Luft!
Imma: Lebt sein Bild! Mein Atem trägt die Liebe!
Imma: Laß mich empor!
(Sie wirft sich auf die Erde, Kopf vergraben. Der Geist sinnt gekrümmt. Dann streckt er die Hände, weckt Musik, kniet wie träumend, wühlt die Erde auf, zieht drei Rüben, wirft sie hoch im Bogen, spricht dazu)
Geist: Bildkraft: Liebe!
Sehnsucht: Ziel!
Wurzeltriebe,
Mondenspiel!
Flut und Ebbe! Quillt die Wut?
Blut und Erde, Seelenbrut!
(Die Rübe „Königin“, die Rübe „König“, die Rübe „Brinhildis“, in Gestalt den Menschen völlig gleich, kommen blind und lächeln. Der Geist kichert, gräbt weiter, schafft die Mägde Gersa, Buh und Linde durch Wurf und Spruch. Dann geht er. Die Rüben stehen sechs im Kreise hinter Imma)
Rübenkönig und Rübenkönigin: Löse!
Rübenbrinhildis: Löse!
Die drei Rübenmägde: Löse!
Imma: (schreit auf, betrachtet lang entsetzt, läuft im
Wahnsinn stumm davon)
Die Rüben: (kichern)
(dann halb lachend, halb klagend — Ernst und Spiel.)
Rübenkönigin: Wo ist sie?
Rübenmägde: Imma!
Rübenkönig: Ach — ertrank!
Rübenbrinhildis: Uferlos!
(Sie gehen langsam — blind)
Ratibor: Schwebe Pendel über das Gestein
bleischwer über ird’nen Wasserkrügen
und im Stromkreis durch das Blut der Hand!
Zwang zu treiben, Zwang zu Irrfahrt — Weg,
Zwang durch Moos, durch Rinde, Blatt und Strauch.
Heiligkeit der Tiere! Kraft und Beben,
Seele ausgelöst im Rückenrund
aufgeleuchtet Leid aus stumpfen Augen,
Taukristall im Erdenlehm — o Keim!
Ahnung zieht durch Schlummer, reift im Traum
und vermißt sich an des Tages Schwelle!
Blumen tragen ihren Durst hinauf,
wo aus Wolken Wasser niedersteigen,
und die Sehnsucht schmilzt im nackten Raum!
Ich bin Mensch! Wie lange noch! Auch du?
Bist schon in der Tiefe? Sauge ein,
Sauge Seufzer aus dem Saft der Lippen
bis ich schmachtend spüre fremden Zug
und — entleert Gefäß — dich fern begreife!
(Brinhildis kommt)
Brinhildis: Herr!
Ratibor: Nicht du!
Brinhildis: Ich bin ein Bote!
Ratibor: Nein!
Bist du selbst im Nebel deiner Glieder,
schlank wie Birkenstämme, winkst im Forst,
weisest Tränen — Schnee durch kahl Geäst!
Brinhildis: Herr!
Ratibor: Sei stumm, dann stehst du auf der Scheide!
Beuge dich zu mir! Mein Arm heißt Mann!
(Brinhildis kniet neben ihm)
Nein! Sprich nicht! Denn Worte tragen Last!
Arme Tiere wir, entzweigebrochen
am Verstand, der sagen will! O greife
mit der Hand ins Leere — greife Luft,
das ist Atem zwischen dir und mir!
Wollen ihn in Kränze winden! Küsse!
Brinhildis: Nein!
Ratibor: Was wehrst du?
Brinhildis: Wartet meine Frau!
Ratibor: Wer? die Königin? — Oh — — sie ist alt!
Wir sind jung!
Wann kommst du auf die Wiese?
Brinhildis: Imma!
Ratibor: Still!
Brinhildis: Die Treue!
Ratibor: Wer sie lebt,
kennt die Fülle!
Sinke zu mir nieder!
Du bist schön, wie sie!
Begreifst du nicht?
Brinhildis: Jauchze Leid!
Ratibor: O dunkle Brunnentiefe!
(Er küßt sie. Sie legt ihren Kopf in seinen Schoß, er wiegt sie)
Wundes Wild im Tann gestreckt
Jäger kommt — Jäger!
Liebe, die sich ausgeneckt,
träger wird — träger!
Ach — das Ziel, das Sehnsucht deckt,
ruft Gericht, ruft Zeugen — weckt
Kläger!
Tilge lose Kraft in Wut!
Kreise Liebe — es ist gut,
was der Mensch dem Menschen tut!
(Brinhildis richtet sich langsam auf)
Brinhildis (wie im Traum):
Wollte dir etwas sagen!
Weiß nicht mehr!
Ratibor: Von der Königin?
Brinhildis (schmerzlich): Ach —!
Ratibor: Nun?
— — — —
Brinhildis (lächelnd): Später!
(küßt ihn — springt davon)
Ratibor (dämmernd): „Spiel!“ (folgt ihr)
Der Geist: Berge mich Rund!
Rätsel schweige!
Lächeln entsteige
fieberndem Grund!
(Birgt sich. Imma in fliegendem Tanz)
Imma: Mondenkönig, fange mich!
Vater!
(Der Rübenkönig, keuchend und welk)
Rübenkönig: Du!
Imma: Ich bin traurig, ich bin wild!
Ach, ich weiß, du kannst nicht schnellen,
Kreise sind für deinen Fuß nicht Wellen — —
Ich vergesse dich im Bild!
Bilder lügen, Vater, du bist wahr!
Sagst ein Wörtchen nur — das „Du“ —!
Blinden Sterne ohne Ruh’
und die Nacht schwingt mondenklar!
Träume sind wie Bergesrücken,
wölben sich aus feuchtem Sand,
schaffen Harmonie ins Land!
Menschen sterben — Menschen pflücken,
Blumen — Vater — leuchtend blau,
Goldengrün die Käferlein — —
Ach, das Leben wirkt im Schein!
Du bist König — ich bin Frau!
Rübenkönig: Ich bin — — Scheibe — —!
Imma: Sprich nicht viel!
Was wir denken, stört das Spiel!
(die Rübenkönigin kommt)
Rübenkönigin: Meine Krone —!
Imma (jauchzend): Du bist wahr!
Wart’ — ich flecht’ sie dir ins Haar!
So steigt beide — Hand in Hand —
Blasen auf am Inselrand!
(Rübenbrinhildis kommt mit einer Blumenkette)
Rübenbrinhildis: Sollen — — wir — —?
Imma: Binden —! Oh —!
(Sie kauern alle vier auf Knien und binden Blumen hinein)
Imma: Mohn dazwischen!
Rübenkönig (kichernd): „Mond“!
Rübenkönigin (ernst): Kränze —!
Rübenbrinhildis (lächelnd): Ketten —!
(Sie binden stumm. Eine silberne Streichmusik in höchsten Tönen. Die Rübenmägde Gersa, Buh und Linde im Reigen)
Buh: Lächeln!
Linde (verstellt): Böse sein!
(Sie lachen, irren weiter)
Imma: Ich auch!
(springt davon.)
Rübenkönig (steht auf): Welken müssen!
Rübenkönigin und Rübenbrinhildis (wehrend): Pst!
(Sie stützen sich gegenseitig, folgen schwer Imma)
Geist: Rasende Geduld, brich auf zum Zorn!
Stirb, Tal — Dämmerung! Es ruft das Horn!
Mensch, wo bist du! Spiegel meiner Brust?
Lachst in Tränen! Lügst du, weil du mußt?
Gibt’s kein Tor, das streng durch Weite führt?
Treibst du Spiel mit allem, was berührt?
Starb im Ohr der Schöpfung letztes Maß?
Fühlst du nicht — Mich? — — Ich — vergaß?
(kniet hastig, wühlt wütend die Erde auf, holt eine Wurzel)
Wurzel stumm!
Denken macht dumm!
Liebe biegt die Lüge krumm!
(wirft sie hoch im Bogen, bleibt gebückt in Starre, bis lächelnd Rübenratibor kommt)
Rübenratibor: Löse!
Geist: Du! (fährt ihm über die Augen, betrachtet ihn lange,
geht. — Die Rübenmägde Gersa, Buh und Linde
tanzend im Reigenschritt. Sie sehen den Rübenratibor,
flüstern, gehen ängstlich im Bogen um
ihn herum weiter. Der Rübenkönig kommt)
Rübenkönig (sieht ihn lange an): Ach — — damals!
(humpelt weiter)
(Die Rübenkönigin kommt, bleibt erschrocken stehn, knickst, geht schnell an ihm vorbei, bleibt wieder stehn, dann in plötzlichem Einfall zu ihm zurück)
Rübenkönigin: „Ihr Freund! — Mein Sohn!“
(Rübenratibor lächelt. Sie knickst verlegen — eilt weiter. Imma kommt, erstarrt vor ihm, sinkt schluchzend nieder, Gesicht in die Hände vergraben. Rübenbrinhildis, lächelnd in Seligkeit, geht zweimal in engem Kreis um ihn herum, schmiegt sich an ihn — küßt ihn. Dann lacht sie hell. Imma fährt auf. Rübenbrinhildis huscht weg)
Imma: War das — — Brinhildis?
Rübenratibor (lächelnd): Du! — Du!
Imma (bleich und ernst, steht auf):
Komm —! der Mond friert! — in die Kapelle
gehn, wo Kerzen brennen!
(schnell ohne nach ihm umzusehen. Rübenratibor folgt)
Brinhildis (müde): Liebst du?
Ratibor: Die ich muß!
Brinhildis: Von Kummer schwer
lieg ich brach im Turm der Reue! Weile!
Augen dunkel auferstehn und klagen!
Bist du treu? O Worte! Dürre Rast!
Ratibor: Wenn du wert bist
und du wahr bist,
dann du treu bist!
Brinhildis: Imma!
Ratibor: Rufe nicht!
Ist kein böses Spiel
gedankenlos:
Alltag-Liebe,
das uns schafft und bindet!
Brinhildis: Ich ertrag’ es nicht!
Ratibor: Wie ferner Mond
treibt ein Abglanz durch die Brust und zündet
Hauch und Blässe — — rundet sich und schwillt.
Wellen über Wipfel rauschen,
Strom der Unsichtbaren —!
Knarrt die Rinde,
Gräser schweben auf, die ich zertrat.
Kreuzen sich die Wege!
Willst du gehn?
Sieh — es färben sich die Himmel wieder
und im Wind saust unsre Nacht dahin!
Morgendämmerung —; kalt — kalt wir beide,
Du und ich — geteiltes Wesen! Gib —
Gib Genesung deiner Sehnsucht hin!
Brich die Träume auf — dann reifen Lieder!
Brinhildis: Wunderbar — du bist, seit es geschah!
Ratibor: Treu ist frei sein!
Brinhildis: Starb mein Leib an dir?
Küsse mich!
Ratibor: Was willst du?
Brinhildis: Auf die Berge!
Ratibor: Lüge nicht! Sei wahr!
Was willst du?
Brinhildis: Mich! (bricht zusammen)
Ratibor: Ewig Rad, das Wagen treibt und Pferde,
Ziel und Fahrt und Kreis im Kern der Welt!
Schwingen meiner Seele, schattet rings
trübe Gipfel, Spalten tief und Erde!
Wer mich glaubt, erkennt mich!
Du bist feig!
Imma lebt in mir! Ihr Wunsch, mein Blut!
Weil ich treibe, weil ich Wandrer bin,
weil ich kettenfrei in Meere greife,
leuchtet Güte sie durch meinen Sinn!
Böse sein heißt lügen!
Brinhildis (fährt auf): Lügen — wie?
Weil ich traurig bin!
Ratibor (stark): Glück lügt!
Brinhildis (schreiend): Lügt Kraft!
Ratibor: O verklage mich, zum Schwur bereit!
Richter rufe, die sich selbst nicht richten,
Larvenmißgeburt aus Eitelkeit!
Rüttle nicht am Pfeiler, der sich streckt!
Willst du nackt und ohne Dächer stehn,
reiß die Riegel auf und ströme — ströme
unter Sternenhimmel reiner Lust!
Bist du’s?
Brinhildis: Nein!
Weil ich Verbrecher bin!
Und das Wissen selbst zu Tode schleifte,
bis es Staub, an meinem Körper hing!
Nun strahlt auf der Quell zum Taggewölbe,
peitscht die Blicke hoch und drückt sie blind,
bis der Qual Gelächter leer zerspringt!
Morgen ist! Hinab ins Tal der Macht,
wo die Sünde nicht in Wolken spiegelt
und der Traum in Ebene zerfließt!
Was ist Wert? Was Wahrheit? Was ist Lüge?
Ich war du im Mantelschloß der Nacht!
(stürzt ab)
Ratibor: Sturm!
Wer siegt?
Die Zwischen steht — die Dritte!
Unberührt von Fingern schlaffer Kraft!
Imma —!
Dreifach klagendes Echo: Imma —! Imma —! Imma —!
(Die Mägde Gersa, Buh und Linde in Trauer)
Gersa: Sagte dir — —?
Buh: Brinhildis —?
Linde: Was geschah?
Ratibor (aufschreiend in Ahnung): Imma?
Alle drei: Sagte sie nicht — —?
Ratibor (lügt): Alles!
(stürzt ab. Die Mägde folgen)
(Der Geist taucht im Dunkel. Rübenbrinhildis lächelnd mit geschlossenen Augen eine Winde in der Hand)
Rübenbrinhildis: Warte!
— — tiefer zurück!
(kniet. Dann bohrend — im Krampf)
„Die Elemente wach
Trieb ohne Halt
aufwärts und abwärts — —!
Raub war es
Raub der Erde!
Dann wie Hohn:
der Fluß so klar
versäumt — verloren — ach!“
Rübenbrinhildis (erschrickt, fährt auf, verneigt sich,
will gehen)
Geist (donnernd): Bleibe!
Tiefer zurück — —!
(wühlt die Erde auf — zieht eine Wurzel)
Geist (tierisch): Was ist das?
Rübenbrinhildis (kichernd): Das — —? (lacht hell auf)
(Der Geist sieht sie mit aufgerissnen Augen. Dann schmettert er sein bitteres Gelächter, wirft sich auf die Erde, liegt gekrümmt. Rübenbrinhildis flieht)
Geist (am Boden):
Geformte Kraft hat ihren eignen Sinn!
Erzeugen kann ich sie, kann sie vernichten!
Doch schwemmt ihr Strom den Damm der Ufer hin!
(entschwebt)
(Imma und der Rübenratibor)
Imma (ruft): Brinhildis!
Ging sie nicht?
Rübenratibor (lächelt, sieht sich suchend um)
Imma: Pocht das Feld,
Abend hämmert die Erde.
Ist’s versinkender Tag?
Herzschlag durstender Nebel
wartet die Nacht herbei!
Schweigen, das in Strömen fließt
und von Mund zu Mund
die Last wälzt!
Oh, verschütte nicht den Strahl der Bilder,
der im Auge lebt, aus Glut geschürt!
Bette nicht den Laut der Bangigkeit,
der wie Tropfen schwingt im Meer der Leere!
Träge Flügel über schwarzem See
schlagt die Mattigkeit auf Spiegel nieder,
wo sich Luft und Grund im Kuß berührt!
Rübenratibor (tieftraurig): Du —!
Imma (verhängt): Ja — — ich!
(plötzlich auf in fliegender Angst)
Brinhildis!
(falsches Lächeln zwingend)
Ich rede viel,
wenn wir allein sind!
Rübenratibor (in Dämmerung, halb singend):
„Es ist gut — —
was der Mensch dem Menschen tut —!“
(Imma vergräbt ihr Gesicht in Hände. Rübenbrinhildis kommt. Imma tastend auf sie zu)
Imma: Es gibt ein Zittern, das von außen kommt!
Bitte!
(Sie setzen sich alle drei auf die Erde)
Imma (zum Rübenratibor):
Sind wir erst in Gärten droben,
wo du Mann bist — —!
(zu Rübenbrinhildis)
daß er meine Knechtschaft teilt im Schacht,
drum nicht Kuß, nicht Wort, das Liebe rührt!
Ist Versagung, die in Freiheit mündet!
(steht auf) Nach der Königin sehn —! (geht)
Rübenbrinhildis (hebt die Wurzel vom Boden):
Weißt du, was das ist?
Rübenratibor (stöhnt): Oh —!
Rübenbrinhildis (überreicht sie ihm tänzelnd): da —
Rübenratibor (hält sie fest): „Jäger kommt — Jäger!“
Rübenbrinhildis (mechanisch): Nicht Kuß!
Nicht Wort, das Liebe rührt!
(traurig) Wir sind alt, wie Erde!
Rübenratibor (bohrend): „Weckt Kläger!“
Rübenbrinhildis (hohl): Kläger!
(Sie stehen Schulter an Schulter gelehnt, weinen still in sich hinein)
Rübenbrinhildis: Weinen über Leid,
das nicht verschuldet ist!
Schiebt sich in die Brust —
schiebt sich weiter —!
Rübenratibor: Kühl —!
Rübenbrinhildis (plötzlich zuckt zusammen):
Jetzt —
versteh’ ich!
Rübenratibor: Du?
Rübenbrinhildis (entsetzt sich über die Wurzel):
In — deiner Hand!
(wankt davon.)
Rübenratibor (streichelt die Wurzel wie ein Kind):
Schlüssel, mein Schlüssel!
Schließ auf!
Rote Erde,
gelber Mond,
spitze Gedanken!
(Die Rübenmägde Gersa, Buh und Linde im Reigen)
Rübengersa: Not im Schleier —!
Rübenbuh: Weht auf Bergen —!
Rübenlinde: Nackt wir setzen den Fuß —!
Rübenbuh: Stein — ab!
Rübenlinde: Immer in Regung!
Alle drei: Welle ist unser Gruß —!
Rübenratibor: Tanzende Trächtigkeit,
tanzende Prächtigkeit,
tanzende Nächtlichkeit,
tanzende Verächtlichkeit!
Seht welken
Wurzelseele!
(zeigt ihnen die Wurzel — jeder einzeln, eindringlich nahe ins Gesicht sprechend)
Weißt du —?
Weißt du —?
Weißt du noch —?
(Die Rübenmägde schrumpfen sichtlich ein — tasten davon, ohne sich anzufassen — jede allein. Der Rübenkönig, uralt mit verwittertem Bart fast einer Wurzel ähnlich)
Rübenkönig: Tanzen sie nicht?
Rübenratibor (zeigt ihm die Wurzel): Darum!
Rübenkönig (bricht zusammen. Auf dem Boden ächzend):
Das — hättest du — — mir
nicht sagen sollen! (löst sich auf)
Rübenratibor: König!
— — — —
Der König ist vorbei!
Es muß durchgebissen werden!
(trägt ihn weg)
(Imma und die Rübenkönigin, welk, auf Stöcke gestützt)
Imma: Kommst du —?
Rübenkönigin (gebrochen): Vorher — ist das Schlimmste!
Imma (versteht nicht): Willst du —?
Rübenkönigin (gütig): Laß mich, Liebe —!
(humpelt an ihr vorbei)
Imma: Soll ich — —?
Rübenkönigin (dreht sich zu ihr um, wehrt lächelnd):
Gute Nacht! (humpelt weiter)
Imma (stammelnd):
Wo die Schatten stehn —?
Willst du Sterne trinken?
Über Flächen wehn
und in Rätsel sinken!
(Rübenbrinhildis — zerzaust, verzweifelt sich mit Mühe aufrecht haltend)
Imma (im Schrei): Brinhildis!
Rübenbrinhildis (hält sich die Ohren zu): Nicht!
Imma (bebend): Was geschah?
Rübenbrinhildis (irr): hi — kärts — phani meh — wente!
(wankt weiter)
(Die Rübenmägde Gersa, Buh und Linde — gebeugt schwer in einem Klumpen zusammenklebend)
Imma: Gersa! — Buh! — Linde!
(Die Rübenmägde ohne aufzusehen, torkeln weiter)
Imma (schreiend):
Er nicht!
Er nicht!
Ratibor!
Ratibor!
(bricht schluchzend zusammen. Wie sie aufblickt, steht der Geist da)
Geist: Sieh um dich!
Rübenfelder!
(rast davon. Der Geist verhüllt sich, schwindet.)
Brinhildis (windet einen Kranz aus Blättern):
Etwas, das in mir gestorben ist,
weiß von fremden Welten,
weiß von List,
wo die Sterne sich erkälten,
wo die Frist,
weit gespannt von Turm zu Turm
reißt im Sturm,
wo die Schlucht
stummer Sehnsucht welkte Bucht
sich ein Grab verschließt,
wo der Wunsch ins Blau der Ströme fließt!
Sank ein Traum von mir im tiefen Schacht
bäumt sich — flacht,
regt sich wellenweis
fremd im Taggeleis —!
War ich nicht, wo Imma weilt,
mondgeteilt?
Zaubrisch irre Gartenpracht,
hab’ ich das „gedacht“?
Sag’ mir, was ist Wirklichkeit?
Sag’ mir: Was ist Zeit?
Sag’ mir: Was ist Leben?
Tausendfältig Weben:
an Kräften kleben
mit Kräften streben
in Kräften sich geben!
Gab ich mich?
Verloren Spiel!
Glas zerbrach das Ziel!
Suche ich?
Finde die Spur,
im Namen nur?
(in die Schlucht rufend) Imma!
Eine Männerstimme: Imma!
Brinhildis (voll seliger Entsagung): Er!
(Ratibor kommt. Er ist von Wanderschaft zermürbt; Gewandfetzen, blutige Füße. Sie sehen sich lange an)
Brinhildis: Ruhen!
Ratibor (setzt sich)
Brinhildis (breitet ihren Mantel um ihn):
Wenn die Musik — —
(Eine tiefe Musik tönt aus der Schlucht. Sie hält inne, lächelt, glättet sein Haar, streicht über seine Füße. Dann setzt sie ihm den Blätterkranz auf)
Nun mußt du auf die Wiese gehn!
Ratibor (müde): Und dort?
Brinhildis: Warten!
(Sie führt in an der Hand. Sie gehen wie Kinder. Die Musik verklingt)
Imma (auf dem Boden mit Steinen zeichnend):
Muß ich Gräber taufen:
Hier — Hier — Hier!
Vier —
Sieben —
in Zahlen zerrieben —
im Sand zerlaufen —!
Mutter Königin tot
Vater König — Ratibor
Brinhild!
Ach — das gleiche Schild
vor
Alle:
Not!
Zeichne, wo der Boden sie bezirkt
mondgewirkt,
wo die Gruft sie engt,
gramversengt,
wo der Stein sie ehrt,
blutverzehrt!
Linde — Gersa — Buh:
Du —! Du —!
Und der Kiesel Zahl
dazu:
Ruht in Qual!
Ich allein
pflanze euch in Erde ein!
(Der Geist):
Geist: Warum lügst du?
Imma: Ich?
Geist: Weißt du nicht?
Imma: Still!
Geist: Willst nicht wissen!
Imma (verzweifelt — Schrei): Nein!
(wirft sich auf die Erde)
Geist: Sah dich fremd am Abhang stehn,
ferne Sehnsucht blutend untergehn,
Brunnen, die in Gärten sprangen,
Goldne Fische zwischen Schicht und Schein,
Blätter breit,
darauf die Regen klangen,
aber arm dein Herz im Stein:
Einsam, Mensch, du Bett der Irdischkeit!
Finger rings, die Tod in Netze spannen,
Münder, die im Laut zerrannen,
Lust, die schrie, und Wände durch das Rund,
feucht von Giften, und die List im Grund!
Falsch dies Bild der Not! Verfälschte Sucht!
In dir selbst taucht Gift aus irrer Schlucht,
unergründlich lächelnd, mondenfahl
das zum Sturz dich treibt: Die List der Qual!
Keine Rast, wo Saat in Strömen gährt,
keine Hast, wo sich Kristall verklärt,
keine Lager, wo der Quell entspringt,
Kreise Staub bis Meer im Sand verklingt!
Haltlos, untief, wunschverzerrt, sei blind!
Schöpfung stirbt, wo Gitter sind!
Liebe, brich entzwei, die mich besaß!
Lüge rächt sich, wo sie fraß!
Schrei im Windflug auf! Zerfalle Gruft!
Menschenleib braucht Menschenluft!
(taucht im Dunkel)
(Imma liegt noch immer, Kopf vergraben. Die Musik tönt wieder. Brinhildis führt Ratibor langsam. Er sieht Imma — jauchzt leise auf — läßt ihre Hände los)
Brinhildis (tänzerisch):
Träumt der Grund,
streut Blumen auf die Wiese —!
Ratibor: Wußtest du —?
Brinhildis (leuchtend, nickt, bejaht)
Ratibor: Woher?
Brinhildis (glückselig — zuckt die Achseln):
„Wissen“ — —?
Ratibor: Leise!
(kniet zu Imma hin. Plötzlich im Grauen)
Wenn ich rufe
und ein fremd Gesicht steht auf!
Brinhildis (kniet):
Wenn ihr Blick uns streift
ihn und mich — —!
Scham
überwinde
dennoch!
Ratibor (stark): Dennoch —!
Brinhildis (zart): Wir — scheiden —! (will gehen)
Ratibor: Bleib’!
Brinhildis (verhängt): Wie du willst!
(schließt die Augen)
Ratibor (ruft leise): Imma!
Imma (sieht auf — erschrickt, faßt sich und zwingt das
Lächeln. Dann — stoßweise mit unendlicher
Mühe zu Brinhildis):
Ich glaubte — — du — bist — — tot!
Baute dein Grab mit Steinen
hier — (sieht sich um, erschauert)
Nicht hier!
Die Wiese —! (weint)
Ratibor (zart): Du —!
Imma (schrill): Stammeln!
Lächeln?
Zerrbild!
Zerrbild!
Wund und Jammerweh!
Hielt euch endlich tief
in Urnen meines Grams geborgen!
Warum taucht ihr hoch?
Täuscht mich!
Taggespenst, Sonne, scheinst du?
Mond komm!
Ströme Nebel in die Gärten ein,
wo Gefühle schleiern!
Brücke den Bruch
von Augen und Herz!
Wehe Atem über Feld,
bis sich Halme traumlos biegen
und die Schwere erdwärts sinkt!
Dann Geschwister — wir,
Gestalten — alle —:
menschfern — seelenleer — gelöst im Bild!
Brinhildis (bebend): Imma!
Imma: Still!
Wir spielen!
Du bist Brinhildis —
Er — Ratibor —
Ich — Immas Spiegel!
Der hebt euch,
wie die See das Schiff!
Ratibor (verzweifelt): Imma!
Imma (erschreckt): Du bist stärker aufgestanden,
als du starbst!
Leise!
Ratibor (erschauernd):
Lebst du?
Sprich!
Wir leben!
Imma: Ihr lebt!
Ich lebe!
Jeder trägt das andere im Keim!
(zu Brinhildis) Rühre lieber nicht,
sonst bricht das Schweigen,
das sich sanft wie Häute dehnt!
(Brinhildis will sie küssen)
Imma (im Ekel): Nein —! Geh —!
(Brinhildis auf ein Zeichen Ratibors geht langsam)
Ratibor: Warum leiden Menschen so
durch fremde Schuld!
Imma (sieht ihn groß an)
Ratibor: Meine Schuld!
Imma (in Bangigkeit): Du —? Deine — — —?
Ratibor: Weil ich treulos war —!
Imma (in gesteigerter Hast):
Ich — — war — treu!
Züchtete dein Bild im Griff der Hand!
Tanzte wie ein Kreisel um dich, Wand!
Wob dich fest ins Netz verblichner Klänge!
Goß dich reißend aus in Brunnenenge!
Schwang dich, meine Flügel, blau im Rund!
Turm der Sehnsucht schuf ich dich zum Zeichen,
und so weit Gedanken reichen,
knüpfte Liebe ich zum Bund!
Ratibor (heiß): Imma!
Imma (entsetzt): Nein!
Zerbrochen Wunsch im Traum!
Ferner Wind am Mantelsaum!
Ach — Gefühle sind wie Raum,
unerfaßlich — unbegriffen,
Luft — gespalten zwischen Riffen,
Flug der Möwe ohne Grund!
Wasche Wunden erst gesund,
eh’ du dich an Rätsel kettest!
Weißt du, ob du rettest —?
Hör’ der Füße Schritt am Boden schlürfen!
Weißt du — weiß ich, was wir dürfen?
Bilder — Menschen — Wahrheit — Lüge — Spiel?
Überall Gefühl —
Wo ist das Ziel?
(Brinhildis kommt zurück. Ihr behutsam folgend: König, Königin — die Mägde Gersa — Buh — Linde)
Imma (sie erkennend): Sie leben! Atmen! Lachen! Schweigen!
(schreiend) Menschen!!
Hilf mir — Geist! (bricht zusammen)
Alle in einem Schrei: Imma!
— — — —
Brinhildis: Tot! — Schwester —!
(Ende)
Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):