*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 55163 ***

Kreuz und Quer.

Neue gesammelte Erzählungen
von
Friedrich Gerstäcker.

Dritter Band.

Leipzig,
Arnoldische Buchhandlung.
1869.

Inhaltsverzeichniß.

Seite
1. Jay-hawkers 1
2. König Zambiri 198
3. Der Mexikaner 284
4. Ein prize-fight oder Boxerkampf in Cincinnati  358

Jay-hawkers.

Erstes Kapitel.
In Perryville.

Das kleine Städtchen Perryville in Arkansas, das, während der Krieg in den östlichen Staaten der Union wüthete, nun über zwei Jahre fast wie todt und verlassen gelegen hatte, schien heute, am ersten October des Jahres 1862, seinen friedlichen Charakter abgelegt und sich in einen militärischen Tummelplatz verwandelt zu haben.

Daß von allen Seiten Reiter, die lange Büchse auf der Schulter, die schweren Messer an der Seite, heransprengten, würde weniger aufgefallen sein, denn ohne diese Waffen ging überhaupt kein Backwoodsman nur von Farm zu Farm, aber dazwischen sah man auch eine Anzahl von Männern in grauen uniformartigen Röcken und doch auch wieder nicht uniform, denn Mancher von ihnen trug einen alten Filzhut, Mancher einen Strohhut auf dem Kopfe, aber alle auch einen Gurt um den Leib und neben dem Messer einen, manchmal sogar zwei Revolver.

Perryville ist keine regelmäßige Stadt, wenn auch schon seit langen Jahren regelmäßig ausgelegt. Arkansas selber hatte aber die in den schönen Staat gesetzte Hoffnung, daß er sich rasch und entschieden bevölkern würde, nicht bewährt. Viele seiner Bewohner, unstätes Volk alle zusammen, waren nach Californien gezogen, als der erste Ruf des Goldes von dort herübertönte, Andere nach Texas, weil sich vielleicht ein Fremder in ein oder zwei Miles Entfernung von ihnen angesiedelt hatte und die »zu nahe« Nachbarschaft ihnen unbequem wurde, und wenn sich dann auch mancher neue Einwanderer von den östlichen Staaten her in das Land zog, hielt sich die Bevölkerung trotzdem so ziemlich auf dem alten Stand.

Nur an den kleinen Fluß hinauf, den Fourche-la-Fave, wie er genannt wird, hatten sich die Farmen, aber auch nur mit weiten Unterbrechungen gezogen; das innere Land lag noch in jungfräulicher Wildniß, von keiner Axt, höchstens einmal von dem Beil des Jägers berührt, der sich dort junge Stämme zu Lagerstangen abhieb, und das Städtchen, was so nach und nach am Fourche-la-Fave entstanden, war eigentlich gar nicht nöthig. Die Farmer und Jäger brauchten es nicht, hätten wenigstens recht gut ohne dasselbe bestehen können, und benutzten es nur zu gelegentlichen Zusammenkünften.

Bis hierher war auch der eigentliche Krieg noch nicht gedrungen und drang überhaupt nicht hin. Truppenkörper der verschiedenen Armeen schickten wohl später dann und wann einmal einen Streifzug durch den Wald, aber der mußte die Straße halten und verweilte auch nicht gern lange in den dichten Wäldern, wo er sich nie sicher davor fühlte, von einem anderen, vielleicht stärkeren Corps überfallen zu werden.

Little Rock, die Hauptstadt des Staates, hatte sich allerdings zu Gunsten der Secession erklärt, denn Arkansas war ein echter Sclavenstaat, wenn es auch im Verhältniß nur wenig Negersclaven aufweisen konnte. Die eigentlichen Farmer und Jäger hatten sich aber bis jetzt, wie nach stillschweigendem Uebereinkommen, noch nicht am Kriege betheiligt. Sie waren weder angegriffen, noch belästigt worden und mit der geringen Bevölkerung ihres Staates, warfen sie ja doch kein Gewicht in die Wagschaale des Krieges. Ueberdies verkündeten die seltenen Nachrichten, die wirklich zu ihnen drangen, nur immer neue Siege der Secessionisten, die sogar das Capitol in Washington bedrohen sollten; sie wurden also dort gar nicht gebraucht, während sie hier unumgänglich nöthig blieben, um ihre Familien zu erhalten. Was hätten die einzelnen Frauen und Kinder hier mitten im Walde anfangen wollen, wenn die Männer und jungen Leute weit hinweg in andere Staaten gezogen wären, um sich mit den Yankees herumzuschlagen.

Außerdem standen fast alle alten Leute in dem ganzen District, im Herzen auf Seite der Union. Am ganzen Fourche-la-Fave war auch nicht ein einziger Sclavenhalter, kein einziger Neger zu finden. Am Petite-Jeanne drüben gab es allerdings ein paar, aber ihretwegen wäre es wahrlich nicht der Mühe werth gewesen, einen blutigen Krieg anzufangen und die große und mächtige Union in zwei Hälften zu reißen.

Einzelnen jungen Leuten zuckte es allerdings in den Gliedern, Theil an dem Kampf zu nehmen und einen Tanz mit den »verdammten Abolitionisten« zu haben, wie die Yankees damals genannt wurden und welchen Namen sie auch in der That noch zum großen Theil jetzt führen; die große Mehrzahl war indeß entschieden gegen eine Betheiligung am Krieg, denn die Südstaaten, zu denen sie allerdings ihrer Lage nach gehörten, hatten die Flagge der Union beschimpft, die Constitution gebrochen und den Bürgerkrieg entzündet. Sie wollten keine Hand in solchen Dingen haben.

Nur die Frauen neigten sich sonderbarer Weise der Secession zu, und aus welchem Grunde?

Im Herzen trugen sie alle den Wunsch, es einmal dahin zu bringen, daß sie sich ein Hausmädchen – natürlich eine Sclavin – anschaffen konnten, denn Dienstboten, wie wir solche bei uns gewohnt sind, gab es ja nicht in der Union, und was man a help nannte, eine »Hülfe,« und worunter sich eine Nachbarstochter verstand, die einmal auf kurze Zeit oder weil bei ihnen selber das Brot knapp wurde, herüberkam und eine Weile aushalf – konnte natürlich nicht genügen, da diese jungen »ladies« wie die rohen Eier behandelt sein wollten und bei dem ersten rauhen Wort das Haus augenblicklich und indignirt verließen. Eine junge Negersclavin blieb also ihr heimlicher, aber dafür desto innigerer Wunsch, und daß sie sich – unter solchen Umständen – nicht für Abschaffung der Sclaverei begeistern konnten, versteht sich wohl von selbst.

Vor kaum acht Tagen nun war die Nachricht hier in den stillen Wald gedrungen, daß die »Südlichen« wieder einen neuen und großen Sieg über den Norden davongetragen hätten und dieser jetzt die verzweifeltsten Anstrengungen mache, um den immer mächtiger werdenden Feind zu verhindern, sich selbst in Besitz des Capitols zu setzen. Eine Aushebung von Hunderttausenden sollte unter den Yankees ausgeschrieben sein, und es war deshalb nöthig geworden, auch die Kräfte des Südens zusammenzurufen, um die »Abolitionisten« nicht wieder zu Athem kommen zu lassen, sondern womöglich gleich mit einem Schlage zu vernichten. Derartige Phrasen durchliefen ja fortwährend die weit abgelegnen Territorien sowohl, als auch die einzelnen Rebellenstaaten selber, und fanden in den letzteren vielleicht Wiederklang – in Arkansas aber nicht. Als deshalb auf den heutigen Tag Emissaire vom anderen Ufer des Mississippi eine Versammlung in Perryville ausgeschrieben hatten, um den Stand der Verhältnisse zu besprechen, fanden sich wohl die jungen und auch die älteren Leute dazu ein, weil sie etwas Bestimmtes über den Stand des Krieges zu erfahren hofften, aber begeistert für die Sache selber waren sie nicht, ja die alten Backwoodsmen sogar fest entschlossen, einer möglichen Anwerbung entschieden entgegenzutreten.

Den jungen Burschen aber kam ein solcher »Frolic,« wie sie es nannten, gerade recht. Der Krieg dauerte nun schon Jahre, und eine todte, erdrückende Schwüle hatte indessen auf dem ganzen Land gelegen. Wer sollte auch Lust gehabt haben sich zu vergnügen, während nur immer eine Nachricht nach der anderen kam, wie bald da bald dort Tausende im gegenseitigen Bruderkampf erschlagen waren und ihr Herzblut die zerstörten Felder röthete.

Die Meisten sammelten sich auch bei dem alten Bockenheim, denn obgleich in den letzten fünf Jahren noch zwei andere kleinere groceries oder Kaufläden geöffnet worden, hatte man sich doch an den Deutschen, einen der ältesten Ansiedler der Fourche la Fave, gewöhnt, und außerdem sollte auch die eigentliche Versammlung in der unmittelbaren Nähe seines Hauses stattfinden, zu der sogar ein Major der Secessionisten herüber gekommen.

Man lebte einmal wieder in dem bisher so todten Städtchen und der Whisky floß. Allerdings war es nicht mehr möglich, diesen von Norden herunter zu beziehen, woher sonst der beste Mohongahela kam, denn der Strom war sowohl von den Nord- als Südstaaten blokirt worden und selbst auf jedes kleine Boot wurde geschossen, das den Versuch machen wollte, sich hindurch zu schleichen. Aber in Arkansas wußten sie sich, was wenigstens diesen Gegenstand betraf, zu helfen, denn überall entstanden kleine Brennereien, wobei noch die Heintzesche den besten Stoff lieferte. Von diesem war ein frisches Faß angezapft worden, und die jungen Leute vom Fourche-la-Fave hatten sich schon darum gesammelt, als die County-Straße herunter, von zwei »Sesesch«-Officieren (Secessionisten) begleitet, der Major auf einem prächtigen Rappen angesprengt kam, und vor Bockenheim's Thür sein muthiges Roß einzügelte.

»Hallo Major!« rief ihm Einer der jungen Burschen zu, indem er ihm zugleich den vollen Becher entgegenhielt – »how do you swop horses (wie wollt Ihr Euer Pferd vertauschen) gegen den Grauen dort, der an den Hickory angebunden steht?«

»Mein junger Freund,« sagte der Major, nicht im Geringsten durch die Frage beleidigt, denn sie war etwas zu Allgewöhnliches – »wir brauchen jetzt alle unsere guten Pferde selber, denn die verdammten Abolitionisten laufen so rasch, daß man sie mit alten Kracken gar nicht einholen kann.«

»Oho Major,« lachte Jim Jenkins, ein Farmerssohn, dessen Vaters kleine Ansiedelung unmittelbar am Arkansas lag – »so sehr schnell können sie doch nicht laufen, wenigstens nicht so weit, denn Washington liegt doch dicht bei Virginien, und bis dahin haben sie Euch noch nicht gelassen.«

»Weil wir dort Nichts zu holen hatten, Jim,« rief Hendricks, ein junger Mann vom Petite Jeanne, der aber auch schon die Uniform der Secessionisten trug und – wie er Anderen erzählte – nicht blos ein paar der blutigsten Schlachten mitgemacht, sondern auch ein paar Dutzend Abolitionisten mit eigener Hand erschlagen hatte. »Was sollten wir in Washington? Das leere Weiße Haus besetzen? Das Lumpenvolk hat es ja schon vollständig ausgeräumt, und selbst die Bevölkerung der Stadt ihre beste Habe in Sicherheit gebracht. Wohin wir kommen wollen, dahin kommen wir auch – und wenn wir jetzt Alle richtig zusammenhalten, rücken wir ihnen im nächsten Monat nach New-York hinein, und da giebts nachher Beute, denn Lee hat uns fest versprochen, daß wir dort plündern sollen.«

»Bah, wir sind keine Räuber,« sagte Jim finster, »daß man suchen sollte, uns damit anzulocken. Wer hier her kommt zu uns, um uns zu belästigen, gegen den stehen wir zusammen – was kümmern uns die Kaufläden in New-York?«

»Muß eine verwünscht gemeine Seele sein,« rief da ein anderer, John Wells, der Sohn eines der besten Jäger am Fourche, der sich aber an politischen Dingen nie betheiligte und still und zurückgezogen auf seiner Farm lebte – »der in einem solchen Krieg von Plündern spricht – verdient daß man ihm die Uniform vom Leib risse.«

»Dazu gehört ein Mann!« rief Hendricks, zornig auffahrend.

»Gott verdamm Dich, hier steht er!« schrie John, in dem Augenblick auch sein eigenes Jagdhemd abwerfend, um die Arme frei zu bekommen, indem er Hendricks gegenüber sprang – »stell' Dich bereit, mein Junge, und wahr' Deine Nase –«

»Ich bin nicht hergekommen um mich hier zu prügeln,« rief Hendricks abwehrend –

»Feigling!« höhnte ihn John, und schien nicht übel Lust zu haben, trotz alledem auf ihn einzuspringen; der Major aber, der sich indessen mit einigen der alten Backwoodsmen unterhalten hatte, trat rasch dazwischen und sagte abwehrend:

»Boys, um Gottes Willen, fangt untereinander keinen Streit an. Wir haben da draußen alle Hände voll zu thun, um mit den verwünschten Abolitionisten fertig zu werden, und wenn Ihr denen die Fäuste zeigen wollt, ist's ja recht, aber nicht hier Freund gegen Freund. Das wäre den Yankees gerade recht, wenn sie uns hier im Süden selber gegeneinander hetzen könnten.« –

»Dann muß uns so ein hergelaufener Lump aber auch nicht mit Plündern anlocken wollen!« trotzte John, der noch immer gar nicht übel Lust zu haben schien, den Kampf aufzunehmen.

»Ich habe nur gesagt, daß von Plündern gesprochen ist,« rief Hendricks, »ich denke nicht daran, selber so 'was zu thun.«

»Frieden! haltet Frieden!« riefen jetzt auch Einige der älteren Leute. »Es fließt Blut genug im Lande, Jungens, laßt uns das Elend nicht auch an den Fourche-la-Fave verpflanzen und erst einmal hören, was der Major zu sagen hat. Sprecht Major, Ihr habt uns ja hierhergerufen, was soll's eigentlich.«

»Ja, Gentlemen,« begann der Major, indem er seine Militärmütze abnahm und sich mit der Hand durch die Haare fuhr, »die Sache ist höllisch einfach und nicht viel darüber zu sagen. Ihr habt bis jetzt hier gelebt, als ob Euch der Krieg, der da draußen geführt wird, gar nichts anginge, aber das muß eben ein Ende nehmen. In Missouri sammeln die verdammten Yankees mehr und mehr Truppen an, weil es ihnen unbequem ist, daß wir den Mississippi hier haben und besetzt halten. Die also können jeden Augenblick bei Euch einbrechen und dann sitzt Ihr da, Nichts ist organisirt, kein Commando, keine Ordnung und Alles zerstreut im Busch, wo man Euch nachher einzeln aufsuchen und gefangen in die Yankeestaaten hinaufschleppen kann.«

»Aber, Major,« sagte der alte Klingelhöffer, ein Deutscher, der seit 30 Jahren in diesen Wäldern lebte, »red't keinen Unsinn. Wenn die Unionstruppen wirklich einmal hier durchmarschirten, und Streifcorps sind schon ein paar Mal in der Nähe gewesen, so haben sie genug für sich selber mitzuschleppen, als daß sie sich auch noch Gefangene aufladen sollten. Daß sie uns Rinder schlachten werden, um was zu leben zu haben, ja, das ist möglich, aber weiter geschieht auch Nichts, und wenn wir unsere jungen Leute in den Krieg schicken, können sie nachher erst recht machen, was sie wollen.«

»Daraus wird Nichts,« sagte der alte Jenkins, ebenfalls ein treuer Unionsmann, der finster daneben auf einer Wagendeichsel gesessen und an einem Spahn herumgeschnitzt hatte. »Unsere jungen Leute dürfen nicht fort von hier; nachher ist der Wald leer und unsere Kinder können hungern und verderben. Laßt es die ausfechten, die das Blutvergießen verschuldet haben.«

»Ist auch meine Meinung,« nickte der alte Hogau, der oben vom Fourche-la-Fave heruntergekommen war, »wir oder die Unseren haben Nichts draußen zu thun, wir gehören hier in die Range, und wenn uns dann Jemand belästigen will, ei zum Wetter, dann haben wir auch noch unsere Büchsen und hier zwischen den Bäumen drinn, soll ihnen der Platz bald zu warm werden.«

»Aber Gentlemen!« rief der Major, »es spricht ja kein Mensch davon, daß die jungen Leute hier den Staat verlassen sollen. General Lee selber ist dagegen und stimmt ganz mit Ihrer Ansicht überein, daß es eben gefährlich wäre, die Wälder hier von ihren Vertheidigern zu entblößen. Nur organisiren sollen Sie sich und eine sogenannte Landwehr bilden, um im Fall eines Angriffs im Stand zu sein, sich augenblicklich unter ihren Führern zu sammeln, und ich glaube, das ist doch nur in Ihrem eigenen Interesse und zu Ihrem eigenen Besten gehandelt.«

»Ich sehe den Grund nicht ein,« rief Klingelhöffer; »zum Henker auch, wir haben die Mittel und Wege, unsere jungen Leute auf den Fleck zu bekommen, wenn sie nothwendig gebraucht werden sollten, und in Reih' und Glied können wir hier im Walde doch nicht kämpfen. Uebrigens« – setzte er langsamer hinzu – »weiß ich auch gar noch nicht einmal gegen wen wir fechten und wer von den beiden Partheien unser schlimmster Feind ist.«

»Aber Mister – entschuldigen Sie, ich kann Ihren Namen nicht behalten,« rief der Major, »Sie reden gerade, als ob Sie noch nicht einmal wissen, ob Sie auf Seite der Südstaaten oder der Abolitionisten treten sollten.«

»Weiß ich auch nicht,« brummte der alte Mann störrisch, indem er seinen Hosengürtel in die Höhe zog, »denn einverstanden bin ich mit der ganzen Geschichte nicht, weil sie eben Lügen braucht, um sich fortzuhelfen.«

»Lügen, Mister?«

»Jawohl, Lügen,« brummte der Alte, »denn, wenn die Berichte alle wahr wären, die wir hier hergeschickt kriegen, so könnten die Yankees schon gar keine Soldaten oder überhaupt noch Menschen haben, so viele sind in jeder Schlacht gefallen und so geschwind sind die Anderen gelaufen. Dabei wird aber der ganze Krieg eben nur in den Südstaaten geführt; nicht einmal über dem Ohio drüben haben sich die Südlichen halten können, und uns wollen sie jetzt auch noch mit hineinziehen.«

»Aber das verlangt ja Niemand.«

»Gut, dann überlaßt das Andere auch uns selber, wir wollen die Sache schon hier in Ordnung halten. Hat sich überhaupt Niemand sonst darum zu kümmern.« »Wär' auch etwa meine Meinung,« nickte Jenkins. – »Wir alten Colonisten hier haben jetzt herangewachsene Jungen, die selber schon Männer geworden sind und können es denen ruhig überlassen.«

»Und dann wohnen wir hier auch in keiner Stadt,« fiel Hogan ein, »wo in der Zeit der Noth ein Nachbar dem anderen beispringen kann, und wenn Einen was bedroht, der Andere ebenfalls davon wissen muß, weil er dicht daneben sitzt. Wenn hier in unsere einzelnen Farmen eine Bande einbricht, so können sie thun und lassen, was sie wollen, nicht einmal das Knallen der Gewehre hört man beim Nachbar. Wenn die Südstaaten deshalb etwas für uns thun wollen und überhaupt die Yankees, wo sie sich blicken lassen, vor sich hertreiben, weshalb räumen sie denn da nicht unseren Nachbarstaat Missouri von den Abolitionisten? nachher hätten wir hier gewiß Frieden.«

»Das kann aber nur geschehen, wenn wir selber mit dazu helfen,« rief jetzt Hendricks – »was sagt Ihr Boys – wär' das nicht gerade das Rechte für uns hier, aus dem Wald gen Norden aufzubrechen und die Wälder vor uns, wenn wir mehr hinaufzögen, rein zu fegen von dem Gesindel, das sich darin versteckt hält.«

»Das Gesindel,« lachte der junge Wells, »gehört aber so viel ich weiß, nur zu Eurer Parthei, denn die Unionstruppen klagen genug über die südlichen »Bushhawker«, die einzeln oder in kleinen Banden im Wald liegen und ihren Feind nur feige aus dem Hinterhalt niederschießen.«

»Und wißt Ihr einen Guerilla-Krieg, der anders zu führen wäre?« fragte Hendricks, mit einem finsteren Blick auf den Sprecher. »Hätten sich die wackern Burschen dort nicht in den Wald geworfen und setzten sie nicht jeden Tag noch ihr Leben ein, so wären die verdammten Blauröcke lange schon zu Euch hier herunter marschirt. Freilich ist es bequemer und sicherer, hier auf der Farm zu sitzen und dann und wann einmal nach einem armen Hirsch zu feuern. Der kann nicht wieder schießen.«

»Lump Du – verbrannter!« fuhr der junge Wells empor – aber Klingelhöffer sprang jetzt selber dazwischen und rief:

»Frieden hier! wir wollen keinen Streit, wir wollen aber auch keine südländischen Werber unter uns, die uns die Jungen vom Hause fortlocken. Laßt uns abstimmen darüber. Wir haben hier fast den ganzen Fourche-la-Fave versammelt. Laßt die Leute selber entscheiden, ob sie Soldaten spielen wollen oder nicht. Ich meinestheils bin dagegen; wir sind außerdem schlimm genug daran, denn mit Little Rock haben wir fast gar keinen Verkehr mehr; zu kaufen ist Nichts im Land und was wir nothwendig zur Unterhaltung unserer Familien brauchen, müssen wir uns selber ziehen. Was sagt Ihr, Jenkins?«

»Beim Alten soll's bleiben,« erwiderte der alte Mann mürrisch. »Wir brauchen keine Zwischenträger, die uns hier sagen wollen, was wir zu thun oder zu lassen haben. Ich stimme dagegen.«

»Ich auch – ich ebenfalls,« tönte es von den meisten Seiten, und nur einige der jüngeren Leute versuchten eine kleine Opposition, wurden aber so vollkommen überstimmt, daß sie gar nicht in Betracht kommen konnten. Major Rollok hatte mit finster zusammengezogenen Brauen daneben gestanden und das Resultat beobachtet, aber er war auch klug genug einzusehen, daß hier und in dieser Versammlung, in der überhaupt ein dem Süden nichts weniger als freundlicher Geist zu herrschen schien, kaum etwas würde auszurichten sein. Er mußte deshalb seine Zeit abpassen, und – war auch gerade der richtige Mann dazu.

»Gentlemen,« sagte er, als er flüchtig den Blick umhergeworfen und sich die von den jungen Leuten, die auf seiner Seite standen, rasch gemerkt hatte, »die Frage hier kommt mir nicht mehr zweifelhaft vor. Wie ich sehe, sind Sie fest entschlossen, ihre eigene Heimath zu vertheidigen, und das Land in Betracht gezogen, in dem Sie nun einmal leben, kann ich Sie kaum deshalb tadeln. Lassen wir das also. – Mr. Bockenheim, Ihr Whisky ist ausgezeichnet, ich bitte um eine andere Flasche, denn wir haben vom vielen Reden Durst bekommen.«

»Meiner ist gelöscht,« erwiederte Klingelhöffer, indem er seine Büchse über die Schulter warf und hinüber zu seinem Poney ging – »ich denke Boys, wir sind hier fertig und um eine »Spree«[1] zu halten, ist die Zeit zu ernst. Ich gehe heim.«

[1]: Spree (sprie gespr.) ein lustiges Trinkgelag – ein vergnügter Abend.

»Ich auch – wir Alle,« rief es von verschiedenen Seiten und wenn auch manche der jungen Leute noch gern den Nachmittag dort geblieben wären, folgten doch die Meisten den älteren. Nur zehn oder zwölf etwa, von denen die Meisten in Perryville selber wohnten, blieben noch zurück, um, wie sie sagten, von dem Major Näheres über den Krieg zu hören, und da diese jetzt eine verhältnißmäßig kleine Gruppe bildeten, war die kleine Stadt bald wieder so still und öde als vorher.

Zweites Kapitel.
Der Korb.

Für den Augenblick war die Gefahr, die dem stillen Frieden dieser Gegend drohte, abgewehrt; denn wenn auch der Major noch sein Bestes versuchte, die Zurückgebliebenen wenigstens, von denen noch dazu die Meisten auf seiner Seite standen, zu einem directen Vorgehen in diesem Sinne zu bewegen, so hatte sich doch die Meinung des Fourche-la-Fave kurz vorher zu entschieden ausgesprochen, um auf einen Erfolg hoffen zu können. Der Samen war aber einmal ausgestreut und von diesem Tag an begann eine Art von Unruhe in der ganzen Range, die man bis jetzt und so lange der Krieg währte, noch nicht gekannt hatte.

Allerdings verließ Major Rollock mit den übrigen Sesesch-Soldaten die Ansiedlung, um drüben am Petite Jeanne sein Glück und wie sich später zeigte mit besserem Erfolg zu probiren; Hendricks aber, der eine Menge Bekannte am Fourche-la-Fave hatte, blieb zurück und schien dabei auch nicht besonders durch den Wortstreit eingeschüchtert zu sein, den er mit einigen der jungen Leute gehabt. Er war ihm ungelegen gekommen, ja – noch dazu mit einem der jungen Backwoodsmen, aber er wußte auch recht gut, daß deren Blut rasch aufbrauste, jedoch auch eben so rasch wieder durch ein freundliches Wort beruhigt werden konnte.

Acht Tage waren nach der, im vorigen Kapitel beschriebenen Versammlung etwa verflossen. Der alte Jenkins stand vor seinem Haus und hieb mit seinem kleinen Beil einen Axtstiel zurecht, sein Sohn James oder Jim, wie er kurzweg genannt wurde, war nicht weit davon beschäftigt, eine neue Corncrib oder einen Verschlag, in dem der Mais eingelegt werden sollte, aufzurichten, und Betsy, seine Schwester, ein blühendes junges Mädchen von etwa achtzehn Jahren, mit frischer Gesichtsfarbe – etwas nicht sehr gewöhnliches am Fourche, und gar so lieben, kastanienbraunen Augen, quälte sich eben in einer benachbarten Umzäunung mit einer etwas störrischen Kuh ab, die sich nicht wollte melken lassen, aber doch zuletzt der ruhigen Entschlossenheit des Mädchens nachgeben mußte. Bill, ihr jüngster Bruder, kam eben mit einem Eimer Wasser vom Fluß herauf.

»Hallo the house!« rief da eine Stimme von außerhalb der Fenz die Männer an und ein Reiter hielt dort, den Niemand der mit ihrer Arbeit Beschäftigten hatte herankommen sehen.

Die Hunde schlugen jetzt an und rannten heulend und bellend gegen die Fenz, an der sie hinaufsprangen, die Gänse schnatterten, die Hühner durch die zwischen ihnen hinfahrenden Hunde erschreckt, gakerten und es war für den Augenblick ein Skandal, in dem man nicht einmal sein eigenes Wort hören konnte.

»Ruhe, Ihr Bestien,« schrie der alte Jenkins, indem er ein Stück Holz aufgriff und zwischen die Köter hin schleuderte; »wollt Ihr Frieden geben! Hallo Hendricks, Ihr seid's? Ich glaube, Ihr wäret schon lange wieder bei der Armee, rücktet mit ihr gegen New-York vor. Kommt herein, Mann, und bleibt nicht da draußen auf Euerem Pferd halten.«

»Dank Euch, Mr. Jenkins,« sagte der junge Mann, indem er von der Einladung ohne Weiteres Gebrauch machte. Die Hunde hatten ja auch gesehen, daß ihr Herr mit dem Fremden sprach, sie also Nichts mehr drein zu reden hatten, und als dieser jetzt sein Thier draußen angebunden hatte und die kleine Pforte öffnete, zogen sie sich, wohl immer noch knurrend, aber doch keine offene Feindseligkeit mehr zeigend, unter das Haus zurück.

Jim Jenkins hatte Hendricks eigentlich erstaunt und mit nicht besonders freundlichen Blicken betrachtet. Nach dem, was neulich zwischen ihnen vorgefallen, mochte er seinen Besuch nicht erwartet haben. Aber was ging er ihn an. Sein Vater hatte ihn aufgefordert, in's Haus zu kommen, er nicht, und ohne sich deshalb weiter um ihn zu kümmern, fuhr er auch ruhig in seiner Arbeit fort. Hendricks schien aber anders zu denken, denn nachdem er dem alten Jenkins die Hand geschüttelt, ging er ohne Weiteres auf Jim zu, so daß sich der junge Mann verlegen aufrichtete, und sagte mit freundlicher, ja fast herzlicher Stimme:

»Komm Jim. Die Politik hat schon manche Freunde entzweit, sie soll es aber hier nicht im Walde thun. Wir waren Beide damals aufgeregt und heftig. Jetzt haben wir kaltes Blut und ich wenigstens habe die Sache vergessen.« Er streckte ihm dabei die Hand entgegen und wenn Jim auch wohl selber schwerlich ein erstes freundliches Wort zu ihm gesagt hätte, war er doch auch wieder viel zu offener, ehrlicher Natur, eine gebotene Hand zurückzuweisen. Er schlug ein und nickte.

»Gut Bob, so soll's sein. Du hast Recht, die Zeit ist danach angethan, daß wir hier Alle zusammenhalten, und ich werd' es wahrhaftig nicht sein, der den ersten Streit in die »Range« würfe. Sei willkommen.«

»So recht Jungens,« nickte der Alte, der schweigend der kleinen Versöhnungsscene zugeschaut. »Wir können hier in der That keine Uneinigkeit gebrauchen, denn wer weiß wie bald wir Einer den Andern nöthig haben, wenn das Unglück auch über uns hereinbrechen sollte. Und nun kommt herein Hendricks; das Frühstück wird gleich fertig sein, die Betsy bettelt sich nur noch da drüben die Milch von der Kuh, die ebenfalls halsstarrig zu sein scheint. Kommt Mann und drin könnt Ihr uns sagen, was Euch zu diesem Winkel von Arkansas hergeführt, denn Besuch bekomme ich verwünscht selten, wenn nicht einmal ab oder zu ein einzelnes Canoe bei mir anlegt.«

Hendricks dankte freundlich, schien aber doch noch keine rechte Lust zu haben der Einladung ohne Weiteres zu folgen, denn Betsy trat eben mit ihrem kleinen Melkkübel aus der Umzäunung und kam auf sie zu.

»Wie geht's Miß Betsy,« sagte Hendricks, ihr ein Paar Schritt entgegengehend und ihr die Hand reichend – »Sie sehen wohl und munter aus, und die Arkansas-Niederung scheint Ihnen vortrefflich zu bekommen.«

»Danke Sir,« sagte das junge Mädchen, leicht erröthend, »ich habe ja auch, Gott sei Dank, noch kein Fieber hier gehabt; Pa und Ma aber desto mehr.«

»Bah, das richtet sich Alles ein,« brummte der Alte, »wenn man sich nur erst einmal ein Bischen an die warme feuchte Luft gewöhnt hat. Das Land hier ist aber desto besser. Seht einmal die Maiskolben an, Hendricks, ob Ihr je in Euerem Leben größere getroffen habt. So lange ich und mein Junge leben bleiben, hält auch der Boden aus; in dem ist kein Vergang.«

Das Gespräch kam jetzt auf die Fruchtbarkeit der verschiedenen Distrikte, in dem die Farmer unerschöpflich sind, und Betsy war indessen in das Haus gegangen, um den Frühstückstisch zu bestellen, denn die Mutter hatte wieder einen »Anfall« des ewigen kalten Fiebers und saß, sich schüttelnd, am Camin in der Ecke, die offenen zitternden Hände gegen die Flamme ausgebreitet.

Bei dem Frühstück, das übrigens frugal genug aus etwas gebratenem Speck, warmem Weisbrod und einem Becher Kaffee oder Milch bestand, erzählte nun auch der Gast seinen Wirthen, daß er gesonnen sei, den Petite Jeanne zu verlassen, denn man wohne dorten gewissermaßen aus der Welt. Er wollte deshalb herüber an den Fourche ziehen, wo er sich schon, ein Stück weiter oben einen Platz ausgesucht habe, um eine Dampfsägemühle aufzustellen. Er hatte, wie er bemerkte, eine Masse Vieh im Walde herumlaufen, das jetzt einen nie dagewesenen hohen Preis in Little Rock brachte. Dorthin wollte er es nun, ehe er wieder zur Armee ging, treiben und verkaufen und dafür eine auf Speculation nach der Stadt gebrachte Sägemühle erstehen, die in der jetzigen Zeit natürlich kein Mensch haben wollte noch auch gebrauchen konnte, und die er unter solchen Umständen – wie er sich auch schon erkundigt – zu einem Spottpreis bekam.

Der alte Jenkins nickte dazu beistimmend vor sich hin, denn was der junge Mann da vorrechnete, hatte Hand und Fuß, während sie Nichts nothwendiger in der range brauchten, wie gerade eine schon lang ersehnte Sägemühle, die auch wahrscheinlich vortreffliche Geschäfte machen würde. Das nur war ihm dabei etwas Neues, daß Hendricks so viel Vieh haben sollte, denn der alte Hendricks, der eine kleine Farm am Petite Jeanne angelegt hatte und fast gar Nichts selber arbeitete, denn er saß den ganzen geschlagenen Tag im Hause und las in der Bibel, war blutarm – so wenigstens erzählte man sich am Fourche-la-fave. Uebrigens bestand nicht viel Verbindung zwischen den beiden kleinen Flüssen. Nicht einmal ein Weg führte vom unteren Theil der Fourche-la-fave hinüber, und irrige Nachrichten konnten deshalb wohl recht gut verbreitet sein.

Der alte Jenkins dachte auch gar nicht daran, über die Verhältnisse eines Nachbars nachzugrübeln. Das war dessen Sache, und wenn sich der Sohn Geld erworben oder Vieh gezogen hatte, desto besser. Jenkins war wahrlich nicht neidischer Natur, um es ihm zu mißgönnen. Seine eigene Arbeit durfte er aber dabei nicht versäumen, und wie sie nun das Frühstück beendet, ging er wieder hinaus, um seinen Axtstiel fertig zu schnitzen und dann dem eigenen Sohn mit der corncrib zu helfen.

Jim Jenkins und sein Bruder Bill standen ebenfalls auf, aber es war in den Backwoods auch Gebrauch, daß ihnen der Gast nicht zu folgen brauchte, sondern noch eine Zeitlang zurück und bei den Frauen blieb, um sich mit diesen ein wenig zu unterhalten. Besuch kam ja so selten, und hatte dann jedesmal einen so weiten Weg zurückzulegen, daß man ihn doch nicht gut auf eine halbe Stunde beschränken konnte.

Die Mutter war aber kränker geworden und hatte sich auf das Bett in die entfernteste Ecke des Hauses gelegt, wo sie sich im Fieberfrost die Steppdecke über den Kopf zog. Betsy stand am Kamin und wusch das Geschirr auf. Hendricks, den Ellnbogen gegen den Simms gestützt, stand daneben. Die Unterhaltung war aber in's Stocken gerathen und selbst ein paar Fragen, die das junge Mädchen an ihn richtete, wurden so kurz und zerstreut beantwortet, daß sie endlich von ihrer Arbeit auf und ihn ansah.

Hendricks mochte in diesem Augenblick fühlen, daß er sich ungeschickt benommen, denn das Blut schoß ihm in die Schläfe – aber es war auch wirklich nur ein Augenblick, denn schon im nächsten sagte er, wenn auch mit nur halblauter und fast unterdrückter Stimme:

»Miß Betsy, entschuldigen Sie mich – meine Gedanken waren mit mir durchgegangen, und ich glaube ich habe mich etwas albern benommen.«

»Sie haben gewiß nicht verstanden, was ich Sie frug,« lächelte das Mädchen.

»Nein – in der That nicht, aber erlauben auch Sie mir eine Frage –«

»Gern, wenn ich sie beantworten kann.«

»Nun gut,« sagte Hendricks, und wie sich vorher sein Antlitz rasch und wie mit einem Schlag röthete, eben so schnell erbleichte es auch jetzt, so daß ihn Betsy, die sich sein wunderliches Betragen nicht erklären konnte, erstaunt und fast erschreckt ansah. Hendricks ließ ihr aber nicht lange Zeit, und nach einem halb scheuen Blick auf das Bett hinüber, wo er aber keinen Horcher zu fürchten brauchte, fuhr er leidenschaftlich, aber nicht laut fort: »Sie haben vorhin gehört, Betsy, daß ich mir in allernächster Zeit eine Heimath zu gründen gedenke – der Krieg kann kaum sechs Monat mehr dauern, dann kehre ich zurück und baue mir meine Cabin – wollen Sie mein Weib sein? Wollen Sie Ihr künftiges Loos in meine Hände legen? Ich gebe Ihnen die feste Versicherung, daß ich –«

»Halten Sie ein, Mr. Hendricks,« unterbrach ihn aber Betsy, und es war jetzt an ihr, zu erbleichen. Das Mädchen war in den wenigen Secunden so weiß geworden wie Schnee. »Ihr Antrag hat mich allerdings überrascht – ich war nach unserer flüchtigen Bekanntschaft nicht darauf vorbereitet – konnte es nicht sein, aber ich – muß Ihnen auch erklären, daß jedes weitere Wort unnöthig sein würde, denn – ich bin schon Braut.«

»Betsy?« rief Hendricks, und krampfhaft faßte er das Simms, an dem er bis jetzt gestanden, »das ist nicht möglich. – Vor kaum vierzehn Tagen war ich hier und ich weiß, daß Sie da noch frei waren. Sie wollen nur Zeit gewinnen, aber ich dränge Sie ja nicht – nur die Möglichkeit will ich von Ihren Lippen –«

»Und selbst die Möglichkeit kann ich Ihnen nicht geben,« sagte Betsy leise, aber auch fest und entschlossen. »Ob ich glaube mit Ihnen glücklich leben zu können oder nicht, kommt hier nicht mehr in Betracht. Ich habe dem jungen Wells mein Wort gegeben, und sobald John sein neues Haus fertig hat, wird die Hochzeit sein. Die Zeiten sind so unruhig, daß ich meine Zustimmung zu einer so raschen Verbindung gab.«

Hendricks hatte seine Unterlippe fest mit den oberen Zähnen gefaßt, und sein Blick bohrte sich dabei so scharf in Betsy's Augen, daß diese ihn nicht ertragen konnte. Aber in diesem Blick lag keine Liebe, kein Schmerz, sondern nur Haß, und während sich ein höhnisches Lächeln über seine Züge legte, sagte er ruhig:

»Wenn die Sachen so stehen, Miß, dann möchte ich einer so glänzenden Verbindung allerdings nicht im Wege sein – der Sohn eines Halb-Indianers –«

»Mister Hendricks,« blitzte ihn aber jetzt das wieder voll auf ihn gerichtete Auge des Mädchens an – »Sie würden nicht den Muth haben, das meinem Bräutigam in's Gesicht zu sagen. Entfernen Sie sich jetzt augenblicklich oder ich rufe meinen Vater.«

»Ich werde Sie nicht länger belästigen, Miß,« sagte Hendricks kalt; »vielleicht habe ich einmal später die Freude, dem jungen glücklichen Paar meine Glückwünsche zu bringen. Mr. Wells zieht ja wohl nicht mit aus, um sein Vaterland zu vertheidigen – was ich ihm auch unter solchen Umständen nicht verdenken kann.«

Betsy's Blut kochte – ihre Lippen öffneten sich halb, ihre kleine Faust ballte sich. Hendricks aber dachte nicht daran, sie noch mehr zu reizen, die Nähe der Männer vor dem Haus war ihm auch vielleicht unbequem, und sich nur mit spöttischer Ehrfurcht vor ihr tief verneigend, drehte er sich ab, ging zu seinem Pferd, band es los, schwang sich in den Sattel, und den bei ihrer Arbeit beschäftigten Männern einen kurzen Gruß zurufend, sprengte er gleich darauf den schmalen Pfad entlang, der nach dem Fourche-la-fave hinüberführte.

»Na?« sagte Jim, der ihm erstaunt nachgesehen hatte, »der hat's ja auf einmal verdammt eilig. Was ist denn dem in die Krone gefahren, daß er davonschießt, als ob die Regulatoren hinter ihm her wären.«

Der Alte hatte sich ebenfalls aufgerichtet, und wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, fuhr sein Blick nach der eigenen Hausthür hinüber, ob er dort vielleicht eine Erklärung fände. Die Thür blieb aber leer; Betsy ließ sich nicht blicken und Jenkins, sich den einen Balken zurecht rückend, den er eben behauen wollte, sagte kopfschüttelnd:

»Laß ihn laufen. Es ist mir recht, daß Ihr Euch nicht in den Haaren liegt, denn Nachbarn sollen in Frieden beieinander wohnen. Sonst liegt mir aber an dem Umgang auch nicht gerade besonders viel; denn der alte Hendricks ist ein alter Heuchler, so viel ist sicher, und von dem jungen weiß ich eben Nichts. Komm Jim, faß einmal hier mit an, daß wir den Block da ein wenig mehr bei Seite schieben; komm Du auch her, Bill. Ich weiß nicht, mir ist es in's Kreuz hinein gefahren und die alten Knochen wollen nicht mehr so recht mit! Betsy mag auch eine Hand reichen; das Stück Holz ist mordmäßig schwer und wir wollen uns gerade keinen Schaden damit thun. He Betsy – oh Betsy – komm einmal einen Augenblick her, Schatz, und nimm die Stange hier. – Wenn sie die nur immer unterstemmt, daß er nicht wieder zurückfällt, können wir es schon machen.«

Betsy kam aus dem Haus, dem Ruf Folge leistend, aber das Mädchen sah so merkwürdig blaß aus, daß Jim erschreckt rief:

»Hallo Betsy, was fehlt Dir? Du bist krank, Schatz – siehst ja käseweiß im Gesicht aus. Geh nur wieder hinein, Dich können wir hier nicht gebrauchen.«

»Sagt mir nur, wo ich anfassen soll,« erwiederte das Mädchen ruhig, »mir fehlt Nichts, wenn ich auch vielleicht ein Bischen blaß aussehe.«

»Dir fehlt Nichts?« rief aber auch jetzt der Alte, der sie aufmerksam betrachtete, und dann unwillkürlich nach dem Weg hinübersah, auf dem Hendricks vor wenig Minuten davon geritten. – »Hat Dir der – gentleman etwa was gesagt?«

»Welcher gentleman, Pa?«

»Nun, der Mister Hendricks.«

»Das ist kein Gentleman,« sagte das junge Mädchen finster und fuhr nach einer kurzen Zögerung fort: »Ja – er hat mir seine Hand angeboten.«

»Hm,« brummte der Alte, »merkwürdig geschwind muß es gegangen sein, das ist wahr, aber als eine Beleidigung kann man das doch nicht eigentlich nehmen.«

»Ich hab's aber so genommen Vater, doch – laßt den – Burschen. Sagt mir wo ich mit anfassen kann, denn ich muß wieder zur Mutter hinein. Das Schütteln ist vorüber und sie bekommt jetzt ihr Fieber.«

Die beiden Männer wußten recht gut, daß aus der Betsy – wenn sie nicht reden wollte, Nichts herauszubringen sei. Der Alte betrachtete sie allerdings wohl noch eine Minute lang scharf und forschend, aber sie erwiederte den Blick nicht, und da war es denn das Beste, daß man sie eben ruhig zufrieden ließ. Er zeigte ihr deshalb jetzt, wie sie die Stange einsetzen und halten solle, und Betsy, nicht zum ersten Mal bei der Arbeit verwandt, brauchte auch keine lange Erklärung. In kurzer Zeit war der Stamm auf seinem Platz, und sie schritt dann wieder, ohne weiter ein Wort zu sagen, nach dem Haus zurück.

Jim wollte die Sache freilich nicht aus dem Kopf und als er gegen Mittag noch einmal wieder zu ihr in's Haus kam, frug er sie:

»Höre, Betsy, was hat Dir der Bursche denn eigentlich gesagt? es wäre mir lieb, wenn ich's erfahren könnte.«

»Laß ihn nur, Jim,« meinte aber die Schwester, »er wird uns hier nicht wieder in's Haus kommen,« setzte dann ihr Bonnet auf, nahm ihren kleinen Korb und ging hinaus in's Maisfeld, um dort Bohnen für das Mittagsessen zu pflücken.

Drittes Kapitel.
Der erste Schlag.

Am Fourche-la-fave änderte sich in der nächsten Zeit wenig und die Bewohner desselben wußten eigentlich gar nicht, wie glücklich und unbelästigt sie bis jetzt von den Schrecken des Krieges verschont lebten, während im Osten die Brandfackel in friedliche Hütten geschleudert wurde und in Virginien besonders der Boden das darauf vergossene Blut kaum mehr einsaugen konnte. Insofern befanden sie sich aber auch am Fourche in einer peinlichen Lage, als sie die Ungewißheit quälte: denn was nur an abenteuerlichen, oft unmöglichen Dingen von der einen oder anderen Partei erfunden werden mochte, fand doch sicher seinen Weg hier her in den Wald, und hielt die Bewohner, besonders die Frauen, in einem steten Grad peinlicher Aufregung.

Uebrigens rückte ihnen der Kampfplatz auch näher, denn der Norden fing an einzusehen, daß er den Süden nie würde bezwingen können, wenn er nicht den Mississippi, die Hauptstraße des Westens und Südens, vollständig in die Hand bekam. Aber der Süden wußte das ebenfalls, und wenn auch New-Orleans genommen und in den Händen der Yankees war, den oberen Mississippi, Vicksburg und Memphis hielten die Südländer fest besetzt, und waren von hier aus im Stande ihre Heere im Osten leicht mit dem im Westen aufgekauften Vieh zu verproviantiren. Fuhr ihnen dann auch einmal ein Kanonenboot des Northerners an der Nase vorüber und bedrohte die Communication, so konnte es sich doch nie lange dort halten, und die Nord-Armee fing deshalb auch schon an ihre Macht besonders gegen Vicksburg zu entwickeln, um den Feind dadurch von allen Seiten einzuschließen.

Indessen waren die Secessionisten aber auch in diesem Theil von Arkansas gerade besonders thätig gewesen, um die Backwoodsmen zu einer compacten Masse zu organisiren und mit ihnen, wie sie recht gut wußten, eine Hauptmacht in's Feld zu stellen. Das aber scheiterte anfangs, wie wir gesehen haben, aber nicht allein daran, daß hier im südlichen Wald die meisten alten Farmer und Jäger wirklich gute Unionisten waren und von einem Krieg gegen ihre alte Verfassung gar nichts wissen wollten, sondern auch an ihrem Widerwillen, den Wald und ihre Heimath zu verlassen. Daß ein Mann westlich ziehen konnte, weiter in die Wildniß hinein, ja, das schien ihnen faßlich und kam auch oft genug vor, daß er aber zurück in die Ost-Staaten geführt werden sollte, wäre keinem auch nur im Traum eingefallen.

Der Süden mußte demzufolge anders manöveriren, und ein paar junge Officiere wurden abgesandt, die in den verschiedenen Counties den alten Plan wieder aufnehmen und eine Art Landwehr organisiren sollten – nur vor der Hand zum Schutz des Staates selber, und das gelang ihnen denn auch endlich, obgleich sich die alten Backwoodsmen noch immer aus Leibeskräften dagegen sträubten. Sie sahen weiter, als das junge Volk, und trauten den Versicherungen nicht besonders, die jetzt fortwährend ausgestreut wurden: daß nämlich der Norden in den letzten Zügen läge und jetzt nur auf eine Gelegenheit warte, um den Süden anzuerkennen und einen halbweg ehrenvollen Frieden mit ihm abzuschließen.

Der Süden hatte allerdings in vielen Schlachten, von tüchtigen Feldherrn angeführt, gesiegt, aber man schien doch die Spannkraft des Nordens unterschätzt zu haben, und im Frühjahr 63 gewann die Lage der Staaten schon ein anderes Aussehen. Memphis fiel, die nördlichen Truppen waren gegen »das Gibraltar des Südens«, gegen Vicksburg vorgerückt und hatten eine regelmäßige Belagerung begonnen, und Lee wurde im Norden so von neuen anwachsenden Heeren bedrängt, daß er der bedrohten Stadt am Mississippi nicht einmal zu Hülfe und zum Entsatz kommen konnte.

Die jungen Leute vom Fourche-la-Fave, obgleich sich Viele von ihnen noch immer zurückhielten, kamen nun schon ziemlich regelmäßig, wenigstens einen Tag in der Woche, in Perryville zusammen, um ordentlich einexercirt zu werden; denn wenn man dort im Walde auch keine »Feldschlacht« liefern konnte, mußten sie doch nothwendigerweise die verschiedenen Signale und Commandorufe kennen lernen, um eben auf alle Fälle gerüstet zu sein. Diese Uebungen wurden auch den ganzen Sommer hindurch fortgesetzt, als plötzlich ein dumpfes, freilich noch unbegründetes Gerücht durch den Wald lief: Vicksburg sei gefallen, wie sich Memphis selber schon lange in den Händen der Unionstruppen befand.

Allerdings widersprachen die südlichen Agenten dem auf das Entschiedenste und brachten selbst Zeitungen aus Vicksburg – freilich von etwas früherem Datum, in welchen aber die Belagerten noch eine vollkommen übermüthige, ja fast höhnende Sprache gegen den Norden führten. Aber die Zeitungen selber – das Papier nämlich, auf dem sie gedruckt waren, stimmte nicht recht zu der darin enthaltenen Behauptung, daß die Yankees noch nicht einmal im Stand gewesen wären, selbst ihre Communication mit dem Inland zu unterbrechen, denn man war schon in Vicksburg gezwungen gewesen, die Lettern nicht mehr auf Papier, sondern auf Tapeten zu drucken, da es an dem ersteren in der eng eingeschlossenen Stadt vollkommen fehlen mußte. Die Zeitungen hatten deshalb auch, blos auf einer Seite gedruckt und auf dem Rücken mit irgend einem Tapetenmuster, ein höchst wunderliches Ansehen und stimmten nicht zu dem Uebermuth, der sich noch immer in ihnen aussprach.

Die Musterungen im Wald wurden aber desto eifriger betrieben, und plötzlich kam sogar der Befehl, daß in Randolf, einer kleinen Stadt in Tennessee aber an der andern Seite des Mississippi und also außerhalb Arkansas, eine Hauptmusterung abgehalten werden solle, um der Zahl der waffenfähigen Männer sicher zu sein.

Das war allerdings gegen die erste Abrede, nach der eine Verwendung der »Landwehr« nach Außen, gar nicht beabsichtigt worden. Die Verwendung selber wurde auch jetzt noch geleugnet; es sollte, den Versicherungen der Officiere nach, nur eben eine Musterung und nichts weiter sein, aber man wünsche sehr, daß sich alle jungen Leute dabei betheiligen möchten, um einen bestimmten Ueberblick zu gewinnen.

Das gab große Aufregung am Fourche-la-Fave, und wenn auch bei Vielen die Lust, sich an dem Krieg da draußen zu betheiligen, nicht besonders groß sein mochte, weil es eben gegen den eigenen Stamm ging, und die meisten der hiesigen Ansiedler gerade von den nördlichen Staaten, von Indiana und Illinois, hierher gezogen waren, so arbeitete doch auch wieder der Ehrgeiz, nicht zurückzustehen, zu Gunsten der Südstaaten, und brachte dadurch viel Leid in einzelne Familien, ohne den Gang der Ereignisse wenden, ja nur aufhalten zu können.

In Klingelhöffer's Familie herrschte ebenfalls tiefe Trauer. Der alte Mann, eine lange eherne Gestalt mit großem rothen Bart und hellblauen Augen, ging mit untergeschlagenen Armen und fest zusammengezogenen Brauen in seiner Stube auf und ab. In der Ecke saß die Mutter, ein Bild tiefer Betrübniß, die Hände im Schooß gefaltet, die guten Augen voller Thränen, die ihr unbewußt an den Wangen niedertroffen, neben ihr die Töchter, ebenfalls bedrückt, während am Fenster, den Blick auf den breiten Strom gerichtet, der einzige Sohn, ein hochaufgeschossener, kräftiger Bursch stand und wohl bleich und erregt, aber auch festentschlossen aussah.

»Ich kann nicht anders, Vater,« sagte er endlich, nach einer langen Pause, in der Niemand gewagt hatte, die Stille zu unterbrechen – »ich bin mit ihnen zusammen aufgewachsen, ich kann mich jetzt nicht von ihnen ausschließen oder ich dürfte mich ja nicht einmal mehr in den Ansiedlungen blicken lassen, ohne von den Frauen selbst verhöhnt zu werden.«

Der Alte zerbiß einen Fluch. »Und was das Weibervolk über Dich sagt, liegt Dir mehr am Herzen, als der eigene Vater, die eigene Mutter.«

»Sie werden mich Memme schelten und das willst Du doch auch nicht.«

»Nein, bei Gott nicht!« rief der alte Mann, »und wenn Du mir heute sagtest, ich halt's nicht mehr länger daheim aus – ich will hinauf in den Norden ziehn und gegen Sklaverei und für die Verfassung kämpfen, ich gäbe Dir, wenn auch mit blutendem Herzen, meinen Segen: aber daß Du mit den Sesesch die Hand an das Palladium unserer Freiheiten legen willst, daß das mein eigener, mein einziger Sohn thun will – das thut weh.«

»Und könnt' ich in den Reihen des Nordens fechten,« sagte der junge Mann wehmüthig, »wo alle meine Freunde und Schul- und Spielkameraden in den Reihen der Feinde stünden? Es wäre zu furchtbar.«

»Darum bleib. Die Musterung ist nur eine faule Lüge, um Euch erst einmal von hier fortzulocken. Sie lassen Euch nie wieder in den Wald zurück.«

»Ich kann nicht Vater. – Sie gehen Alle.«

»Sie gehen nicht Alle,« rief der Alte heftig. »Jim Jenkins denkt nicht daran, für den Süden zu fechten, ebensowenig Jim Cook und die beiden Wells, und daß Hogan geht, glaub' ich ebensowenig, und denen wirst Du doch gewiß nicht vorwerfen, daß sie feige sind.«

»Nein Vater, aber sie mögen das mit ihrem eigenen Gewissen abmachen. Die drei Houstons gehn jedoch, Curtil, Rawlins, Rankins, die Mac Kinneys, Smeiers, Hodges und wie sie Alle heißen und vom Petite Jeanne drüben gehen sie Alle, ebenso vom Mamelle und der anderen Seite drüben und die jungen Leute vom Van Buren herunter, von Washington, Fulton, ja selbst vom Fort Smith haben sich schon bei Little Rock gesammelt und warten nur darauf, daß sich unsere Compagnie ihnen anschließen soll.«

»So geh'!« sagte der alte Mann, mit einem tief aus der Brust geholten Seufzer, während seine Lippen zitterten und seine ganze Gestalt bebte. »Geh – an dem Segen des Vaters ist Dir doch nichts gelegen.«

»Vater!« rief der junge Mann mit hervorquellenden Thränen und tiefem Schmerz – »ich kann ja nicht anders; frage die Mutter, ob sie mich in den anderen Reihen sehen möchte.«

Der alte Mann hatte seine, aber schon lang ausgegangene Pfeife in der Hand, und faßte sie so krampfhaft, daß das Rohr von einander brach – aber er sagte kein Wort; stützte sich nur mit dem rechten Arm auf den Kaminsimms, und lehnte seine Stirn darauf, daß der rebellische Sohn die Thränen nicht sehen sollte, die ihm selber in den Bart liefen und jetzt langsam und schwer in die Asche niedertropften.

»Geh nur,« sagte er endlich, ohne seine Stellung aber zu verändern, »geh – Dein Pferd und Deine Waffen hast Du – was Du an Geld etwa brauchen solltest, kannst Du in Little Rock bekommen. Ich werde Dir einen Brief dahin mitgeben.«

»Aber doch nicht so, Vater. Willst Du nicht Abschied von mir nehmen?«

»Willst Du jetzt schon fort?« rief der alte Mann, erschreckt emporfahrend.

»Um drei Uhr haben wir unsern Sammelplatz an der Mamelle; es ist jetzt schon acht Uhr und ich muß scharf zureiten, wenn ich ihn noch erreichen will.«

Klingelhöffer erwiderte nichts weiter. Er wischte sich die verrätherischen Tropfen aus den Augen, ging dann an seinen Tisch, suchte sich sein wenig gebrauchtes Schreibzeug zusammen, schrieb und faltete denn das Blatt.

Die Mutter war in ihrer Stellung geblieben; sie wußte ja, wie Alles kommen würde, denn mit ihr hatte der Sohn schon am Abend vorher gesprochen und ihr seinen festen Entschluß verkündet. Was er mitzunehmen hatte, war auch schon Alles eingepackt und in Ordnung – und jetzt kam der Abschied – der furchtbare Abschied bei solcher Trennung.

Die Frauen erleichterten sich auch dabei das Herz durch Thränen. Klingelhöffer selber hatte seinen ersten Schmerz bezwungen und reichte dem Sohne nur die Hand.

»So zieh' mit Gott,« sagte er dabei, aber die Worte rangen sich ihm nur mühsam aus der Kehle, – »zieh mit Gott! Du hast es nicht anders haben wollen. Dieser freien und herrlichen Constitution wegen habe ich mein Vaterland verlassen und bin mit Deiner Mutter hier herüber in den Wald gezogen. Du, mein einziger Sohn, willst die Hand dagegen erheben und sie mit stürzen helfen.«

»Vater,« bat der Sohn, »ich kann ja nicht anders. Oh, wie gern blieb ich bei Dir –«

»Ja wohl,« nickte der alte Mann, dessen Geist dadurch in eine andere Bahn gelenkt wurde – »bei mir – Niemand bleibt jetzt bei mir. Wenn sie Dich todtschießen, dann kann ich von vorn anfangen meinen Acker zu bauen – so lang' es die alten Knochen eben noch können und nachher –«

»Ich kehre zurück Vater – bald – Du sollst nicht mehr arbeiten dürfen, Du hast in Deinem Leben genug, über genug gethan. Leb' wohl. Gott schütze Dich.«

»Leb wohl,« sagte der alte Mann und drückte zum ersten Mal die Hand des Sohnes, die er noch in der seinen hielt. Da hielt sich Gustav aber auch nicht länger. Sich an des Vaters Brust werfend, faßte er ihn mit beiden Armen und eine halbe Minute wohl hielten sich die beiden Männer fest und schweigend umschlungen. Da schob der Vater den Sohn zuerst von sich ab und sagte leise:

»Du mußt fort – Deine Zeit ist um – mach's kurz.«

Noch einmal umschlang der junge Mann Mutter und Schwestern, dann sprang er hinaus – reden konnte er nicht mehr, denn Thränen erstickten seine Stimme. Draußen an der Fenz lehnte seine Büchse, die griff er auf, schwang sich in den Sattel, und war im nächsten Augenblick um den Hügel verschwunden, der den Pfad nach dem nahen Fourche la Fave zu deckte. Das Haus selber lag auf der Spitze, welche der in den Arkansas einmündende Fourche bildete, und über diesen mußte er sein Pferd bringen, um dann durch den Wald hin die nach der Mamelle führende Straße zu erreichen.

Das war überhaupt eine schwere Zeit für die Bewohner dieses bis jetzt so stillen und eigentlich von dem Verkehr mit der Welt abgeschlossenen Districts. Manche Hütte hatte damit den einzigen Sohn verloren und wenn sich auch einzelne dadurch zu trösten suchten, daß es eben nichts weiter als eine Musterung sei und die jungen Leute bald in ihre Heimath zurückkehren würden, im Herzen glaubten sie es doch kaum selber und ihre Befürchtungen sollten sich auch nur als zu begründet erweisen.

Woche um Woche verging, aber die Compagnie kehrte nicht wieder und die Nachricht kam ebensowenig, wohin man sie geführt, in welche Armee, ob nach dem Norden oder Süden.

Der alte Klingelhöffer hatte aber mit seiner Behauptung Recht gehabt, daß sich nicht Alle diesem Zuge anschlossen. Jenkins, Cook und die beiden Wells waren in der That zurück geblieben und zwar nicht etwa aus Feigheit, aber im Herzen der Union ergeben, wollten und konnten sie nicht gegen diese kämpfen.

Uebrigens ließ man sie nicht lange in Frieden, denn kaum waren drei Wochen nach der vorbeschriebenen Zeit verflossen, als ein Placat von dem in Little Rock befehlenden General der Südstaaten in Perryville sowohl, wie in den verschiedenen Ansiedlungen verbreitet wurde, in dem von einer Landwehr für Arkansas nicht mehr die Rede war, sondern alle waffenfähige Mannschaft, bei Drohung sofortigen Arrests, nach Little Rock selber einbeordert wurde, um sich dort zu stellen und einem besonders equipirten Arkansas-Regiment einrangirt zu werden.

Früher wäre das nun allerdings nicht angegangen, denn mit Gewalt konnte man den ganzen Fourche la Fave, wenn er einig geblieben wäre, nicht beitreiben. Züge der Nördlichen waren schon von Missouri her im Anzug und in Little Rock selber wurde jeder Mann nothwendig zur möglichen Vertheidigung der offenen Stadt gebraucht. Jetzt aber ging das leichter. Man kannte recht gut die Einzelnen, die sich bis jetzt der Einberufungs-Ordre entzogen, und kleine Patrouillen langten oben an, um sie auf ihren Farmen aufzuheben.

Der junge Cook, dessen Vater kurz vorher gestorben war, entging eines Morgens nur mit Mühe einer ihm bestimmten Ueberraschung und flüchtete in den Wald, wohin ihm natürlich die Soldaten nicht folgen konnten. Die beiden Wells mußten ebenfalls ihren Platz verlassen, Jim Jenkins durfte sich gar nicht mehr auf der, dicht am Arkansas liegenden Farm blicken lassen, weil sogar mehrmals in der Nacht Boote gekommen waren, das Haus dann in der Stille besetzt und nach ihm gesucht hatten.

Eigentlich war es wunderlich genug, daß man sich solche Mühe um ein Paar einzelne junge Leute gab, und um sie einzufangen, viel mehr andere Mannschaft verwendete. Woher hatte überhaupt der General in Little Rock so genaue Kunde von dem, was hier mitten im Wald passirte, wenn nicht irgend ein geheimer, aber mit den hiesigen Verhältnissen sehr vertrauter Feind die Säumigen denuncirt und ihre Verhaftung hartnäckig betrieben hätte? Aber wer konnte das sein? – Betsy Jenkins rieth augenblicklich auf Hendricks, doch Niemand hatte ihn seit langer Zeit in der range gesehen. Eben so wenig war er bei irgend einer Patrouille betheiligt gewesen, die man sogar, als der Verdacht erst einmal geweckt war, nach ihm gefragt hatte. Sie kannten den Namen gar nicht und meinten nur, wenn er schon damals hier in Uniform gewesen sei, befinde er sich jetzt jedenfalls drüben über dem Mississippi bei dem Heere, das eben abgeschickt wurde, um Vicksburg zu entsetzen und die Abolitionisten zurück über ihre Grenzen zu jagen.

Damit zogen sich wieder einige Wochen hin und das Gerücht wiederholte sich, daß Vicksburg gefallen sei. Aber es war so oft schon aufgetaucht, daß man es nicht weiter beachtete, noch dazu da die unmittelbare Nähe einen immer bedrohlicheren Charakter annahm. Allerdings hieß es einmal, daß von Memphis herüber ein Unionsheer rücke, um Little Rock zu besetzen und dadurch die Gewalt im Staat zu bekommen, und vom Missouri herunter sollten ebenfalls die Unionstruppen vordringen. Gegen diese hatten sich aber im Süden von Missouri wie im Norden von Arkansas Guerillas gebildet – ebenfalls Backwoodsmen, aber dem Süden ergeben, die den Feind auf jede Weise zu belästigen suchten und von den nördlichen in verächtlicher Art Bushwhackers genannt wurden – eine Bezeichnung die unserem »Buschklepper« wohl am nächsten käme.

Die Bushwhacker waren Anfangs auch wohl die reinen Guerillatrupps, wie sie sich in andern wilden Ländern ebenfalls bilden und nothgedrungen da entstehen müssen, wo man sich dem Eindringen eines Feindes widersetzen will, und doch nicht Mannschaft genug auftreiben kann, um ihm im offenen Feld die Stirn zu bieten. Daß sich aber auch Gesindel zwischen diesen ordnungslosen Schaaren fand, ist nicht zu verwundern, und besonders wurden mehrmals scheußliche Grausamkeiten nicht allein an gefangenen oder verwundeten Soldaten, sondern auch sogar an einzelnen Familien im Wald verübt, welchen Ueberschreitungen die eigentlichen Bushwhacker aber vollkommen fern standen und mit Entrüstung solche Anschuldigungen zurückwiesen.

Nichts destoweniger waren sie aber vollständig begründet, und es zeigte sich bald, daß es in der That einzelne ordnungslose oder geordnete Banden im Walde gab, die, wie uns Cooper in seinem »Spion« die »Cowboys« oder Kuhjungen des ersten amerikanischen Freiheitskrieges beschreibt, rücksichtslos bei Freund und Feind einfielen und dann wie richtige Räuber stahlen und plünderten, was sie eben bekommen konnten.

Dieses Gesindel, das aber ebensogut den eigentlichen Bushwhackern wie den Unionstruppen aus dem Wege ging, und nur da vorbrach und seine Schrecken verbreitete, wo es sich vor Entdeckung ziemlich sicher wußte, bekam denn auch bald einen neuen Namen. Man nannte jene, keiner bestimmten Partei angehörigen Plünderer Jayhawker[2], das Geschäft selber, das sie betrieben, Jay-hawking, und der Name war bald im ganzen Wald, besonders von Missouri gefürchtet. Durch sie bekamen aber auch die Bushwhacker einen schlechten Namen, denn man wußte sie oft nicht von einander zu unterscheiden und die regulairen Truppen des Nordens ließen diese – wenn sie einmal einen in ihre Gewalt bekamen, oft entgelten, was die anderen verübt hatten.

[2]: Das Wort ist jedenfalls von jay-bird – ein kleiner harmloser Waldvogel und hawk Falke abgeleitet, bezeichnet also einen Mann, der heimtückisch über einen Wehrlosen herfällt.

Die jungen Leute am Fourche-la-Fave nun, Jenkins, Cook und die beiden Wells, denen der Platz dort zu warm wurde, da man es wirklich ganz ernstlich auf sie abgesehen zu haben schien, beschlossen den Staat zu verlassen und bei der Nord-Armee Dienst zu nehmen. Möglich, daß sie dann mit dieser nach Little Rock vordringen, und dazu beitragen konnten, den Ihrigen am Fourche Luft und dem nichtswürdigen Spionirsystem ein Ende zu machen. Nach Norden konnten sie freilich nicht fort, denn dort wären sie jedenfalls den Bushwhackern in die Hände gelaufen und dann auch sicher für die Sesesch gepreßt worden. Nach Süden zu durften sie ebensowenig, denn dort schwärmte es ebenfalls von »Rebellen«, und Little Rock, die Hauptstadt, war ja auch noch in deren Händen.

Da blieb ihnen denn keine andere Wahl, als gerade gen Osten gegen den Mississippi hin durch den Sumpf zu brechen. Die Jahreszeit war ja auch günstig dazu, und im wilden Walde großgezogen, fürchteten sie nicht, ihren Weg zu verlieren. Ihre Familien drängten sie selber dazu, denn soviel hatte sich jetzt herausgestellt, daß es zur Unmöglichkeit geworden, länger neutral zu bleiben. Auf eine oder die andere Seite mußte man sich schlagen und ohne Weiteres beschlossen sie deshalb, ihren langen beschwerlichen Weg anzutreten.

Bei Klingelhöffer hatten sie ihren Sammelplatz verabredet, dort übernachteten sie noch einmal und dem alten Mann war es ein wehes, entsetzliches Gefühl wenn er sich dachte, daß gerade diese jungen Burschen, die er als Kinder auf dem Arm herumgetragen, jetzt in das, seinem eigenen Sohn feindlich entgegenstehende Heer treten und möglicherweise eine Kugel gerade aus ihrem Rohr seine Brust treffen könne. Aber wie auch sein Herz dabei denken mochte, sein Verstand, seine ganze Sympathie war trotzdem auf Seite des Nordens.

Er behielt sie über Nacht bei sich, füllte am nächsten Morgen ihre Proviantbeutel mit Lebensmitteln und ruderte sie dann selber in seinem Boot über den Arkansas. – Wie es das Schicksal bestimmt hatte, mußte es sich ja doch erfüllen – es war ein Bürgerkrieg, der Bruder gegen Bruder, Vater gegen Sohn anhetzte, – welche Rücksicht konnte da der Freund auf den Freund nehmen. Die Würfel rollten – wie sie fielen? – Nur Gott wußte es.

Viertes Kapitel.
Jay-hawking.

Wie still das am Fourche-la-Fave geworden war, als das sämmtliche junge Volk den kleinen Fluß verlassen hatte, wie merkwürdig still. Nur die alten Leute saßen noch auf ihren vereinzelten Farmen – nur die Frauen und Kinder, und die getrauten sich jetzt nur in seltenen Fällen hinaus in den Wald und vielleicht nur einmal nach der allernächsten Ansiedlung hinüber, denn der alte Browns, der oben in Missouri gewesen war, um zu sehen, wie es seinen dort wohnenden Kindern ging, hatte die eben nicht erfreuliche Nachricht mit an den Fourche gebracht, daß die Raubbanden dort und schon gar nicht mehr so weit vom Arkansas entfernt, mehr und mehr überhand nähmen, je mehr die nördlichen Truppen nach Süden herunterrückten, und dadurch auch das Gesindel vor sich her trieben.

Uebrigens waren auch hier schon fremde Gesellen gesehen worden, die sich allerdings nicht aufgehalten hatten, aber überall, und nur unter verschiedenen Vorwänden, die genauesten Erkundigungen über den hiesigen Stand der Bevölkerung einzogen. Bald gaben sie vor, sich hier niederlassen zu wollen, weil man hier so wenig von dem Bürgerkrieg spüre, bald forschten sie nach einem verloren gegangenen Verwandten, und wenn es nun auch im Character der Backwoodsmen selber lag, auf irgend einem Ritt die genauesten Fragen über Alles zu stellen, so waren die Leute doch durch den unsichern Zustand ihres ganzen Landes so beunruhigt, daß selbst vielleicht vollkommen unschuldige Nachfragen ihren Verdacht erwecken konnten.

Aber waren die Nachfragen auch wirklich so unschuldig gewesen? Eines Morgens kam der alte Smeiers auf seinem todtmüden abgehetzten Thier nach Perryville hineingeritten und brachte die Meldung, daß sich oben an seiner Farm verdächtiges Gesindel zeige. Drei von seinen besten Pferden fehlten zu gleicher Zeit und nur zwei von seinen sieben Milchkühen seien vorgestern Abend nach Hause gekommen. Es wäre möglich, daß ihnen ein Trupp dieser verdammten Jay-hawker einen Besuch zugedacht und deshalb besser gleich den ganzen Fourche-la-Fave aufzubieten, um den Wald abzusuchen und Feuer hinter die Schufte zu machen.

Er fand aber wenig Aussicht auf Hülfe in dem kleinen Städtchen, wohin eben die Nachricht gelangt war, daß jetzt Vicksburg, das Gibraltar des Südens, wirklich von den Yankees nach vielen furchtbaren Stürmen zwar und mit dem Verlust vieler Menschenleben, aber trotzdem genommen sei und man wußte noch gar nicht welchen Erfolg dieser, jedenfalls entscheidende Sieg des Nordens, auf die Kriegführung des Südens haben würde.

Außerdem fehlte es vollkommen an waffenfähiger Mannschaft um einen wirksamen Zug auszuführen. Wo hätten sie Leute hernehmen wollen, da man ja das ganze junge Volk hinweg und über den Mississippi hinüber gelockt hatte. Zeigten sich aber wirklich Jay-hawkers in der Nachbarschaft, wie konnte man dann das eigene Haus verlassen, um einem ungekannten Feind entgegen zu ziehen, der vielleicht in derselben Zeit den Fourche gekreuzt hatte und, solche Gelegenheit benutzend, die ganz unbeschützten Farmen überfiel?

Smeiers fand bald, daß er hier nicht auf Hülfe rechnen konnte, warf sich wieder auf sein kaum ausgeruhtes Pferd und suchte jetzt seine übrigen Bekannten auf, die ihm aber auch nur wenig Trost geben konnten.

Cooks Haus fand er ganz verödet, die junge Frau war mit dem kleinen Kind fortgezogen und kein Mensch auf dem ganzen Platz zurückgeblieben, der ihm hätte Nachricht geben können. Wells, einer seiner ältesten Freunde, hatte sich mit der Axt in den Fuß geschlagen und konnte nicht von der Stelle. Die Söhne waren fort. Wilson fand er wohl zu Haus aber ohne Munition. Er war gerade von Little Rock zurückgekehrt, wo die Regierung sämmtliche Munition mit Beschlag belegt hatte, so daß er nicht einmal Zündhütchen für seine Büchse bekommen konnte – und weiter hinab sah es genau so aus. Die wenigen alten Backwoodsmen, die noch auf den Farmen lebten, konnten gar nicht daran denken ihren Platz zu verlassen, und Klingelhöffer, auf den er fest gerechnet hatte, lag krank in seinem Bette und konnte nicht einmal gehen, viel weniger reiten.

Der ganze Fourche-la-Fave befand sich in der That in einem vollkommen schutzlosen Zustand, und die Nachricht schon, daß sich die allgemein gefürchteten Gesellen in der Nachbarschaft gezeigt, brachte die Frauen besonders in die furchtbarste Aufregung.

Das waren die Vorläufer der Yankees – so hieß es fast überall unter ihnen – mit Rauben und Brennen fingen die an, und wie sollte es nun erst werden, wenn das wirkliche Heer nachrückte und ihren stillen Wald mit seinen marodirenden Schwärmen überschwemmte.

Die Männer schüttelten freilich dazu mit dem Kopf, denn daß ein paar Pferde gestohlen wurden – nun ja, es wäre nicht das erste Mal in der Range gewesen, und in früherer Zeit hatten sie sich ja auch einmal zu einem Regulatorenbund zusammenthun müssen, um eine Bande übermüthig gewordener Schufte zu züchtigen und unschädlich zu machen. Aber seit sie selber jung gewesen, war das nicht wieder vorgekommen, und dann – was in Gottes Namen gab es denn in ihren ärmlichen Hütten zu stehlen, daß es die Habgier von Dieben hätte reizen können? Das Vieh, nun ja, aber das mußte auch bald seine Grenze haben, denn nach Little Rock durften sie sich nicht wagen es zu treiben, und um die Rinder etwa zu verzehren? lächerlich! mit eben so leichter Mühe konnten sie Hirsche und Truthühner genug im Walde schießen.

So ganz recht war es ihnen aber doch nicht, und wenn sie es sich auch nicht wollten gegen die Frauen merken lassen, untereinander sprachen sie darüber und wünschten sich ziemlich offen, daß ihre Jungen nur erst wieder zurück aus dem verbrannten Krieg wären – nachher wollten sie mit derartigem Gesindel schon rasch genug aufräumen, daß ihm der Wald und besonders der Dogwood[3] darin, bald zu warm werden sollte.

[3]: Dogwood ist eine Art wilder Corneliuskirsche mit sehr bröcklicher Rinde; an diese kleinen Bäume wurden gewöhnlich Strolche angebunden, die man bei einem Pferdediebstahl erwischt hatte. Während man sie dann peitschte und sie sich um den Baum herumwanden, scheuerten sie die Rinde ab und man nannte sogar die Strafe danach »Dogwood schälen.«

Aber die »Jungen« kehrten nicht so bald aus dem Krieg zurück, denn der Süden hatte, wie sich jetzt herausstellte, mit seinen immerwährenden Siegesnachrichten, die er im Westen ausgestreut, nur gelogen, und den Beweis sollten sie bald thatsächlich bekommen. Nicht allein, daß sie die Gewißheit erhielten, Vicksburg sei wirklich nach einem furchtbar blutigen Kampfe genommen, nein, eines Morgens kamen sogar Flüchtlinge von Little Rock herauf, die nach dem Ozark-Gebirge wollten und die Kunde brachten, die Hauptstadt des Staates sei von den Unionstruppen besetzt und General Steene befehlige jetzt dort, während sich die Sesesch nach den »Heißen Quellen« mit Texas im Rücken hinübergezogen hätten und nicht etwa dort Stand hielten, sondern ihre Flucht ohne Säumen bis über den Redriver selber fortsetzten.

Aber ein Weheschrei ging zugleich durch die ganze Ansiedelung, denn das Schlimmste, was sie bis jetzt gefürchtet, war eingetroffen. Droben an dem Petite-Jeanne war Einer der jungen, damals mit fortgegangenen Leute als Krüppel heimgekehrt, und wie ein Lauffeuer zog sich die Unglücksbotschaft durch die Hütten, daß jener ganze, so hinterlistig fortgelockte Trupp nach Vicksburg hinabgeschleppt sei. Dort hatten sie es möglich gemacht, die belagerte Stadt in der Nacht zu gewinnen, aber sie kamen gerade im letzten Augenblick, wo die Stadt selber schon an ihrer Rettung verzweifelte. Sturm folgte auf Sturm. Drei Tage und drei Nächte lang kam kein Schlaf in die Augen der Vertheidiger, und da man die junge, ausgeruhte Mannschaft am Unerbittlichsten dabei verwandte, hatte sie auch natürlich die furchtbarsten Verluste aufzuweisen.

Vom Fourche-la-Fave allein waren sieben todt geblieben. Unter ihnen Gustav – Klingelhöffers einziger Sohn, und die Todesbotschaft traf den alten Mann ins Herz. Selbst die Nachricht hörte er von da an mit Gleichgültigkeit, daß mit dem Fall Vicksburgs die Rebellion der Sesesch den Todesstoß erhalten habe, denn die Unionisten befanden sich jetzt im Besitz der großen Wasserstraße des Mississippi und hatten damit die Einschließung des ganzen südlichen Gebiets vollendet. Allen jenen rebellischen Staaten war jetzt die Verbindung mit dem Ausland vollständig abgeschnitten und nicht einmal den so nothwendigen Proviant, wie z. B. Schlachtvieh, das sie sonst unbehindert aus Arkansas bezogen, konnten sie mehr bekommen. Ihre Unterwerfung war von nun an keine Frage mehr, sondern nur eine Sache der Zeit geworden, während der Norden auch mit raschem Entschluß seine Truppen in den Westen sandte, Arkansas selber oder doch die wenigen Hauptplätze besetzte, und ein Heer Neger nach Texas hineinwarf, um auch dort die Rebellion zu vernichten und den Rebellen damit die letzte Stütze, den letzten Zufluchtsort zu nehmen.

Zu spät! – Der furchtbare Schlag war gefallen – gefallen auf viele viele Häupter – der Sieg mit zu theuerem Blut erkauft worden und stumm, ja fast gleichgültig sah man den kommenden Ereignissen entgegen.

Aber die Bewohner der Fourche sollten trotzdem selbst aus ihrem Schmerz aufgerüttelt werden, denn ihre schlimmste Zeit war noch nicht überstanden, und eine Gefahr drohte ihnen, an die sie bis jetzt kaum gedacht.

Vor wenigen Tagen war die Countystraße entlang ein Bataillon Unions-Truppen gegen Little Rock marschirt, um sich dort mit General Steene zu vereinigen. Ein paar Pferde aus der Range schienen dabei abhanden gekommen zu sein und einige Kühe. Die Soldaten betrachteten sich ja in Feindes Land und daß die Beraubten gerade zufällig lauter gute Unionisten waren, konnten sie nicht wissen.

Da durchlief plötzlich die Schreckenskunde die Range, daß die so lang gefürchteten Jay-hawkers bei Wells oben am Fourche-la-Fave eingebrochen seien und den alten kranken Wells, auf seinem Bett selbst, todtgeschossen hätten.

Wells war einer der ältesten Ansiedler, ein schlichter einfacher Mann, der selten nur mit einem der Nachbarn verkehrte, aber deshalb doch aushalf, wo er nur irgend konnte. Dabei gab es keinen besseren Jäger und Schützen in der ganzen Range als ihn, und seine etwas gebräunte Hautfarbe, sein langes straffes schwarzes Haar ließ ihn sogar, in der Meinung der Hinterwäldler, vom indianischen Blut abstammen. Er hatte dabei ein bewegtes Leben geführt und vor langen Jahren sogar einmal, als Texas noch von wilden Indianerhorden schwärmte, einen Jagdzug dorthin allein unternommen und sich mehre Jahre dort, selbst einmal von Indianern gefangen genommen, aufgehalten. Zu seinem Unglück mußten die Verbrecher erfahren haben, daß er krank darnieder liege, sie würden sich sonst wohl kaum an ihn gewagt haben, denn daß er seinen Schuß nie fehlte, war bekannt.

Niemand war bei ihm im Haus gewesen als seine Frau und diese erzählte jetzt, daß der Ueberfall durch sechs fremde Männer geschehen sei, die sie wenigstens früher nie am Fourche-la-Fave gesehen. Nur der Eine von ihnen, und wie es schien, der Anführer der Schaar, habe ein geschwärztes Gesicht gehabt und sei ihr bekannt vorgekommen, sie wäre aber nicht im Stande, irgend einen bestimmten Namen zu bezeichnen.

Daß die Räuber mitgenommen hatten, was sie irgend gebrauchen konnten, versteht sich von selbst, besonders Well's zwei Büchsen und alle Munition, aber auch sonst noch an Fellen und Pelzwerk, was gerade da war, und außerdem eine Menge anderer Dinge, die für sie selber keinen Werth haben konnten. Die Vermuthung lag deshalb nahe, daß sie das Geraubte nach irgend einem Versteck gebracht, oder auch vielleicht durch irgend einen Zwischenhändler nach Little Rock zum Verkauf geschickt hatten.

Die alten Backwoodsmen rüsteten sich jetzt so gut sie konnten, aber was waren sie im Stand zu thun, wo sie sich einzeln nur auf ihrem von jeder Hülfe entfernten Platz im Wald befanden. Möglich war auch, daß es nur ein vereinzelter Raubzug gewesen, denn volle acht Tage lang hörte man Nichts mehr von Räubern, bis sie auf's Neue, und dies mal mit wahrhaft teuflischer Bosheit auftraten.

Oben am Fourche wohnte ebenfalls ein alter Ansiedler Hogan, der, wie es dort hieß, vor kurzer Zeit auf einem Jagdzug in den Ozarkgebirgen, eine jener Silberminen entdeckt haben sollte, von denen man sich erzählte, daß schon vor vierzig und funfzig Jahren Venetianer aus dem Osten gekommen wären, um sie heimlich zu bearbeiten. Ob etwas an der Sache war oder nicht, konnte natürlich Niemand sagen, aber wie derartige Gerüchte rasch überhand nehmen, so wollte man schon hie und da wissen, daß Hogan zu Fuß zurückgekehrt sei, weil sein Thier kaum im Stande gewesen sei, die schweren Silberstücke fortzuschaffen, die er dort zwischen den Steinen gefunden – und das gerade mußte die Räuber angezogen haben.

Hogan selber begegneten sie draußen im Wald oder lauerten ihm auch vielleicht auf und schossen ihn gleich nieder, dann hatten sie leichte Mühe mit seinem Haus, in dem sie nur die alte Frau, ein paar junge Mädchen und zwei kleine Knaben fanden. Der Platz wurde umstellt, und nun sollte die Frau bekennen, wo sie das Silber versteckt halte, das ihr Mann aus den Bergen mitgebracht habe. Die Frau beschwor zwar die Männer nicht zu glauben, was sich das Volk am Fourche-la-fave erzähle. Ihr Mann sei allerdings oben am Whiteriver in den Ozarkgebirgen gewesen, aber nur um sich einen Platz zur Ansiedlung auszusuchen. Silber habe er gar nicht gefunden und nur ein paar bunte Steine mitgebracht, mit denen die Kinder eine Weile gespielt und sie dann weggeworfen hätten. Die Steine würden auch wohl die erste Ursache zu dem Gerüchte gegeben haben, an dem aber nicht eine Sylbe Wahres sei.

Der Führer der Schaar, der wieder ein geschwärztes Gesicht trug, hielt sich, wie die Kinder später aussagten, die Zeit über an der Thür des Hauses und gab von dort aus seine Befehle. Er betrug sich gerade so, als ob er fürchte, erkannt zu werden. Der Bericht der Frau aber wurde von den Jay-hawkern mit wilden Flüchen beantwortet. Ihr Leugnen helfe ihr Nichts – man wisse genau, daß sie das Silber im Haus versteckt halte und wenn sie es nicht gutwillig herausgebe, wolle man sie schon zu einem Geständniß zwingen.

Die Frau weinte und flehte, die Kinder schrieen. Der Eine der rohen Buben nahm den ersten Knaben und schleuderte ihn mit solcher Gewalt in die Ecke, daß er dort winselnd am Boden liegen blieb, dann sprang ein Anderer zum Kamin und stieß die Kohlen mit dem Fuß auseinander und nun setzten sie die alte Frau, die in Todesangst um Erbarmen bat, auf einen Stuhl, banden sie dort fest, umschnürten ihr die nackten Füße mit einem Seil und hielten sie gewaltsam über die glühenden Kohlen.

Die Frau kreischte laut auf, die Töchter warfen sich den Räubern zu Füßen – umsonst. Die Frau sollte gestehen, wo Silber, das sie in ihrem Leben nicht gesehen, versteckt sei, und als sie endlich ohnmächtig wurde, ließ man sie los und vom Stuhle herunter fallen, und durchwühlte nun die Hütte von oben bis unten, riß die Dielen auf, grub den Heerd auf und verwandelte die ruhige stille Heimath guter friedlicher Menschen in wenigen Minuten in eine Wüste. Silber fanden sie natürlich nicht, nur den ärmlichen, schon halb zerstörten Hausrath eines Backwoodsman, und aus Wuth, mit allen Rohheiten gegen die Töchter selber, streuten sie zuletzt die glühenden Kohlen und Feuerbrände im Haus umher, schichteten das Stroh aus den Betten darauf und verließen erst den Platz, als sie sich überzeugt hatten, daß er in hellen Flammen stand.

Die Frau starb, unter den furchtbarsten Schmerzen noch in der nämlichen Nacht – die Mädchen flüchteten mit den kleineren Kindern in den Wald, weil sie die Rückkehr der Räuber fürchteten und wagten sich erst, halb verhungert, nach einigen Tagen wieder vor, um eines Nachbars Wohnung und dort Schutz zu suchen.

Jetzt folgten die Ueberfälle rasch einer dem anderen, und Rankins, ein alter Ansiedler in der Nachbarschaft, ließ sich endlich durch die dringenden Bitten der Seinen bewegen, in den Wald und den Buben aus dem Weg zu gehen, denn sie hatten schon nach ihm gefragt, und daß sie kein Erbarmen kannten, wußte man. Er ging auch und hielt sich 14 Tage lang versteckt, bekam aber draußen das Fieber und mußte, da er nicht jagen konnte, eines Abends wieder zurück, um sich Lebensmittel zu holen.

Von den Jay-hawkern hatte man die letzten Tage Nichts gehört, denn wieder waren Unions-Truppen durch gekommen, von denen eine Abtheilung sogar nach ihnen suchte, weil man vermuthete, daß sie mit den Bushwhackern in Verbindung ständen. Aber vergebens; die Verbrecher mußten über alle gegen sie beabsichtigten Bewegungen gut unterrichtet sein, denn sie ließen sich nicht eher wieder blicken, als bis sich die Truppe entfernt hatte.

Rankins war in der Zeit gerade zurückgekommen, und die Frauen drängten ihn, sein Versteck wieder aufzusuchen, aber er weigerte sich. Nur eine Nacht müsse er, wie er meinte, wieder einmal in seinem Bett schlafen, er hielte es da draußen im kalten Wald, durch den jetzt schon die Winterstürme tobten, nicht mehr aus. Lieber von den Jay-hawkern todt geschossen werden, als da draußen elend in den nassen Büschen und Zoll bei Zoll verkommen. Morgen wolle er sie wieder verlassen, aber auch in der Nähe bleiben, und so viel Kraft werde er ja doch wohl noch haben, wenigstens den Rädelsführer der Schurken von seinem Pferd zu schießen.

Die Nacht verging ruhig, und als der Morgen graute, stand die Frau auf, um Caffee zu kochen und dem Mann seine mitzunehmenden Lebensmittel zurecht zu legen.

Rankins Haus stand etwa eine englische Meile vom Fourche-la-Fave ab, an der Countystraße nach Little Rock, da dröhnte plötzlich in dem stillen Morgen der Hufschlag rasch herangaloppirender Pferde durch den Wald.

Das sind gewiß Soldaten, rief Frau Rankins, der aber doch das Herz in der Brust zu hämmern anfing. Rankins selber, eben wach geworden, sprang, wie er war aus dem Bett und griff seine neben ihm lehnende Büchse auf. Aber die Reiter brachen schon hervor – wie ein wildes Wetter sprengten sie gegen die niedere Umzäunung an und setzten mit ihren Thieren in voller Flucht darüber hin. Das Pferd des Einen stürzte und warf seinen Reiter gegen das Haus. Der eine der Männer trug wieder das geschwärzte Gesicht.

Teufel! schrie der alte Rankins und seine Büchse fuhr empor, aber zu gleicher Zeit zerschmetterte eine Kugel seinen Arm, eine andere traf ihn in den Hals und zurücktaumelnd fing ihn seine Frau auf und bog sich jammernd über ihn.

Im Nu waren die Räuber jetzt aus den Sätteln und das Rauben und Plündern begann, wie in alter Weise, nur daß sie hier noch wilde Flüche ausstießen und den Sterbenden einen verdammten Abolitionisten nannten, dem sie schon lange aufgelauert hätten. Sie schwuren auch, daß sie nicht eher Frieden geben würden, bis sie die ganze »Range« von allen Vaterlandsverräthern gesäubert und reine Bahn für die Südstaaten gemacht hätten und schlossen dann ihre Blutarbeit wie gewöhnlich, indem sie einen Feuerbrand unter das Dach warfen, und dann direct in den Wald hineinritten.

Rankins Knaben, einem Burschen von etwa 10 Jahren, der bei Annäherung der Räuber entwischt war, und der dicht dabei im Busch auf der Lauer gelegen, gelang es zwar das Feuer wieder zu löschen, aber das angerichtete Elend konnte er nicht mehr ungeschehen machen. Der alte Rankins war todt und die Frauen erfüllten mit ihrem Wehgeschrei die Luft.

Noch an dem nämlichen Abend überfielen die Jay-hawker eine andere Ansiedlung, erschlugen den alten Hewes, dem sie gehörte, und waren im Begriff eine seiner Töchter mit in den Wald zu schleppen, als glücklicher Weise ein kleiner Trupp Cavallerie angesprengt kam und sie, zum großen Theil selbst die gemachte Beute im Stich lassend, in den Wald flüchten mußten. Allerdings setzten ihnen die Soldaten nach und es gelang ihnen auch, Einen von ihnen vom Pferd zu schießen. Die Andern entkamen aber, und die Patrouille war nicht stark genug, um sich zu weit mit ihren überdies schon ermüdeten Thieren in die Berge hinein zu wagen.

Den erschossenen Räuber kannte übrigens Niemand; er mußte mit seinen Genossen von irgend einem andern Staat oder County herübergekommen sein. Uebrigens fanden sie eine Menge Werthsachen, zwei Uhren, sechs oder acht Goldstücke und eine goldene Kette bei ihm, Dinge, die natürlich gleich als gute Beute erklärt wurden, denn die Burschen konnten Alles gebrauchen. Dann ließ man den Körper an der Straße, wohin man ihn geschleppt, liegen, damit die Nachbarn ihn betrachten und, wenn sie wollten, auch begraben konnten. Das war aber kaum nöthig, denn Wölfe gab es dort genug im Walde, die den Cadaver schon beseitigen würden.

Es schien fast, als ob die Räuber durch diese Ueberraschung eingeschüchtert wären; man hörte wenigstens lange Nichts von ihnen, bis sie plötzlich in der Nähe des Arkansas und an der Mündung des Fourche-la-fave wieder auftauchten.

Klingelhöffers alten Platz, wo er früher gewohnt, plünderten sie total aus, fanden aber glücklicher Weise den Eigenthümer nicht. Klingelhöffer selber erhielt gleich danach Botschaft von Perryville, und die Warnung, auf seiner Hut zu sein und lieber mit seiner Familie in die »Stadt« zu kommen, denn man vermuthete natürlich, daß ihm jetzt der nächste Besuch zugedacht sein würde. Der alte Mann war aber nicht dazu zu bringen, seinen Platz zu verlassen. Nach dem Tod des einzigen Sohnes lag ihm selber Nichts am Leben, und nur seine noch von Deutschland herübergebrachten Gewehre, eine Doppelflinte, eine Büchsflinte und eine Pirschbüchse brachte er in Ordnung und lud sie frisch, verbarrikadirte dann seine Fenz und schwur, daß er wenigstens fünf von ihnen unschädlich machen wollte, wenn sie es wagen sollten, die Hand an seine Umzäunung zu legen.

Sie kamen aber nicht dorthin – der Platz lag ihnen unbequem, gerade auf der Spitze zwischen dem Fourche und Arkansas. Sie konnten keine sichere Nachricht erhalten, ob nicht dort vielleicht gerade die jetzt fortwährend vorbeipassirenden Dampfer der Yankees, die häufig bei Klingelhöffer anlegten, um Hühner, Eier, oder andere Provisionen zu kaufen, Bewaffnete an Land gesetzt hätten, und durch den einen Ueberfall schüchtern, oder wenigstens vorsichtig gemacht, schienen sie keine rechte Lust zu haben, sich in diese Art von Falle, wo es nur nach einer Richtung hin einen Rückweg gab, zu begeben.

Jenkins, ebenfalls gewarnt, hatte aber sein Haus und seine Familie nicht verlassen wollen und nur ein paar Büchsen bereit, um ebenfalls bei einem Einbruch die Zähne zu zeigen. Außerdem hielten zwei handfeste Hunde den Platz in der Nacht vor einem Ueberfall gesichert und kamen die Räuber in zu großer Menge, dann hatte er immer noch Zeit, sich, von den Hunden gedeckt, nach seinem großen, bereit liegenden Canoe zurückzuziehen. Betsy verstand übrigens ebenfalls eine Waffe zu führen, und ihrer zwei waren sie der Bande auch schon eher gewachsen.

Jenkins selber, den Kopf in die Hand gestützt, saß eines Morgens an seinem Frühstückstisch. Er dachte an den eigenen Sohn, von dem er so lange keine Nachricht gehabt, und an das Schicksal des armen Klingelhöffer, und das Herz war ihm übervoll.

Betsy war draußen an der Landung gewesen, und hatte eben noch den Strom hinabgesehen, wo sich wieder eins der kleinen Dampfboote gegen die Fluth abmühte und dabei nur langsamen Fortgang machte.

»Das Boot kommt, Vater,« sagte sie, als sie die Schwelle des Hauses betrat; »es hat jetzt wohl eine Stunde da unten festgesessen, ist aber wieder flott geworden. Vielleicht bringt es Briefe von Jim mit.«

Der alte Mann seufzte und reichte ihr eine Zeitung hin.

»Da lies,« sagte er – »das ganze Blatt enthält fast weiter nichts als Todtenlisten und Angaben von den 2000 – oder gar 3000 Vermißten – armen Teufel, die nach der Schlacht elend im Walde umgekommen und von den Wölfen gefressen wurden. Armer Jim! wer weiß, wo ihn sein Schicksal erreicht hat, und ob wir uns je wiedersehen werden.«

»Hallo the house!« rief da plötzlich eine Stimme und als die Hunde wie immer, wüthend anschlugen und Betsy in die Thür trat, um zu sehen wer da das Haus anrief, bemerkte sie einen einzelnen Reiter draußen an der Fenz, einen Fremden, den sie nicht kannte und der jetzt den Hut gegen sie lüftete und anfrug, ob Mr. Jenkins zu Hause wäre.

Der Mann war in der gewöhnlichen Tracht der Backwoodsmen gekleidet, trug aber keine Waffe und sah aus wie ein Ansiedler aus irgend einer anderen Range, der vielleicht seinen Weg verfehlt hatte, oder auch von dem eigentlichen Pfad abgeritten war, um ein Frühstück zu erbitten. Es kam das ja gar nicht so selten vor, denn das nächste Haus an der Straße von dort ab war noch wenigstens sieben Miles entfernt.

»Steigen Sie ab Sir,« sagte das junge Mädchen, der Gastfreundschaft des Landes folgend, indem sie die Hunde zurücktrieb, »Vater ist im Haus, wenn Sie ihn sprechen wollten.«

»Danke,« sagte der Fremde, indem er etwas schwerfällig aus dem Sattel stieg und der Einladung Folge leistete. – »Dann bin ich den weiten Weg doch nicht umsonst gekommen. Kann ich ihn vielleicht einmal sehen?«

»Wollt Ihr nicht in das Haus treten?« sagte das Mädchen.

»Gleich,« erwiederte der Mann, der wie es schien, den rechten Fuß nicht gut gebrauchen konnte; indem er sich überall im Hofe umsah. »Muß mir nur erst einmal einen Platz aussuchen, wo ich mich ein wenig ausruhen kann.« Er humpelte dabei auf einen, etwa funfzehn Schritt vom Haus entfernten Klotz zu, auf den er sich setzte und dabei seinen rechten Fuß in die Höhe nahm, als ob er Schmerzen darin habe.

»Fehlt Euch etwas?« frug Betsy theilnehmend.

»Hm, nichts Besonderes, bin nur damals, als wir auf der Flucht waren, mit dem Pferd gestürzt und habe mir ein Bischen weh gethan.«

»Auf der Flucht?«

»Ja,« sagte der Mann – »die verdammten Sesesch kamen hinter uns her, und ich und der Sohn hier vom Hause –«

»Bringt Ihr Nachricht von meinem Bruder?« rief Betsy rasch – »oh Pa, hier ist ein Mann, der Jim kennt – oh habt Ihr Nachricht von ihm.«

»Weiter Nichts als einen Brief,« sagte der Fremde, indem er ein zusammengefaltetes Papier aus der Tasche nahm – »aber nein Miß,« rief er, als Betsy hastig danach greifen wollte – »habe ihm fest versprechen müssen, es nur in die Hände des alten Herrn selber abzugeben.«

»Ein Brief? ein Brief von Jim?« rief jetzt auch der alte Mann, der vor Aufregung zitternd in die Thür trat, die zwei Stufen daran hinabstieg und auf den Fremden zueilte. »Oh gebt ihn her – wie lange habe ich von dem Jungen Nichts gehört.«

Der Fremde reichte ihm jetzt ohne Weiteres das Papier, das er mit bebenden Händen öffnete. Da knallte von der Fenz herüber, und kaum zwanzig Schritt von ihnen entfernt, ein Schuß und Betsy wandte sich rasch und erschreckt dorthin. In demselben Moment aber brach auch ihr Vater, das Papier noch in der Hand haltend, wo er stand zusammen, und mit einem Angstschrei warf sich die Tochter über ihn. Aber nicht lange sollte sie sich ihrem Schmerz hingeben dürfen. Wilder Lärm störte sie auf und als sie den Blick zurückwarf, sah sie fünf, sechs Männer über die Fenz springen. Die Hunde fuhren allerdings wie rasend auf sie ein, aber ebenso viele Revolverschüsse knallten ihnen entgegen und trieben sie heulend zurück, während Einer der Burschen – der Jay-hawker mit dem geschwärzten Gesicht direct auf Betsy zusprang.

»Hendricks!« schrie sie, wie sie nur den Blick auf ihn warf – entsetzt und zurückbebend. »Feiger, nichtswürdiger Mörder!«

»Miß Betsy,« sagte der Mann aber, und die geschwärzten Züge legten sich in drohende Falten, »Sie sind meine Gefangene. Sträuben Sie sich nicht; es würde Sie nur nutzlos einer rohen Behandlung aussetzen. Der ganze Platz ist umstellt, und unten am Strom liegt mein Canoe.«

Betsy sah ihn starr an. Es war, als ob sie noch immer nicht einmal das ganze Fürchterliche der eben ausgesprochenen Drohung begriff. Aber der Bube sprach im Ernst; das Blut, das langsam aus dem Schlaf ihres armen gemordeten Vaters quoll, war ein entsetzlicher Zeuge des beabsichtigten Bubenstücks, und krampfhaft faßte sie mit beiden Händen ihre eigene Stirn und warf den Blick scheu und verstört umher. – Aber auch nur für einen Augenblick, denn wie ein zündender Strahl durchzuckte sie der Gedanke: lieber den Tod als Schande.

Das Grundstück ihres Vaters, wenigstens der Hofraum, innerhalb dessen die doppelte Blockhütte stand, lag unmittelbar am Ufer des Arkansas, der jetzt wohl im Steigen war, seine volle Höhe aber noch nicht erreicht hatte. Unmittelbar unterhalb der Farm stieg das Ufer allerdings mehr allmählich und mit kleinen Weiden- und Baumwollenholzschößlingen bewachsen, empor, dicht unter dem Haus aber fiel es steil ab in die wirbelnde Fluth und der alte Jenkins hatte diesen Platz nicht allein deshalb für den Bau seines Hauses gewählt, weil hier in dieser Gegend der höchste Uferpunkt war, sondern auch weil er hier nur an drei Seiten eine hohe Fenz zu errichten brauchte. In der konnte er dann einmal hineingetriebenes Vieh auch bequem halten, denn an der offenen Seite nach dem Strom zu war kein Stück im Stande auszubrechen.

Der Verbrecher hielt natürlich eine Flucht des Mädchens für unmöglich, denn fünf, sechs wilde Gestalten schwärmten schon über den Hof und wenn sich auch die meisten mit dem Haus selber beschäftigten, sah Betsy doch zwei der Buben schon auf sich zu kommen und daß sie – erst einmal in deren Händen, kein Erbarmen zu erwarten hatte, wußte sie. Noch einmal hob sie scheu und wild den Blick zu Hendricks auf, aber der Blick genügte auch. Schon streckte der Bube selbst den Arm nach ihr aus, um sie zu umfassen, aber selbst unter seinen Händen stürzte sie fort. – An eine Waffe dachte sie wohl dabei, und hätte sie eine erreichen können, so wäre es um Hendricks geschehen gewesen. Aber wie konnte sie – ein einzelnes schwaches Wesen, der Bande Widerstand leisten.

Ehe der rasch ausgreifende Arm des Buben sie erreichte, war sie ihm schon entschlüpft und mit Sätzen, so flüchtig wie ein gejagter Hirsch, flog sie gegen das schroffe, abschüssige Ufer des Arkansas zu.

Hendricks folgte ihr im Nu und es gab keinen rascheren Läufer in der Range, aber gleich beim Ansprung stolperte er über die Leiche des alten Mannes, die Entfernung bis zum Uferrand betrug überdieß kaum mehr als zwanzig Schritt. Als er sich rasch wieder aufgerafft und schon die Hand ausstreckte, um Betsy's wehendes Kleid zu erfassen, hatte sie den Rand erreicht und warf sich mit einem Angstschrei in die gelbe gurgelnde Fluth hinab.

Hendricks schrak zurück, denn fast wäre er ihr selber in der Wucht des Laufes, nachgestürzt. Aber konnte sie ihm selbst jetzt entgehen? sein Canoe lag gleich unterhalb – zwei seiner Leute warteten darin.

»Teufel,« zischte er aber zwischen die Zähne durch, als er erst jetzt – bis dahin völlig mit seinem Bubenstück beschäftigt – das gerade aufkommende kleine Dampfboot entdeckte, das indessen fast unter der Landung angelangt und so geräuschlos aufgerückt war, da die steile Uferbank den Schall dämpfte. Von diesem aber war schon ein Boot abgestoßen, das jedenfalls Passagiere etwas weiter unten absetzen wollte und das hinabspringende Mädchen mußte von ihnen gesehen, ihr Schrei jedenfalls gehört sein, denn im Nu wandte sich der Bug des kleinen Bootes stromauf.

In wilder Wuth, sich so getäuscht zu sehen, riß der Räuber die Büchse an die Backe – er wollte Rache – aber die Waffe war ja, nach dem Schuß, der den alten Jenkins so feige niedergeworfen, noch nicht wieder geladen worden.

Ein zweiter Blick überzeugte ihn aber auch, daß die Leute im Boot bewaffnet, daß es Soldaten waren, und schon pfiff eine Kugel dicht an seinem Ohr vorüber, die, aus dem Boot abgefeuert, wohl nur durch das Schwanken desselben ihr Ziel verfehlt hatte.

»Wo kommen die Canaillen jetzt auf einmal her,« rief einer seiner Kameraden, der zu ihm gesprungen war, aber auch bei dem Schuß zurückfuhr. »Ich werde ihnen einmal ein Stück Blei hinüber schicken.«

»Fort! fort!« rief aber Hendricks, der todtenbleich geworden war, »das ist der Sohn dessen da« – und scheu zeigte er nach der Leiche – »fort.«

»Aber so viel Zeit haben wir doch wahrhaftig,« rief sein Gefährte, »daß wir das Nest erst noch plündern und in Brand stecken können. Die brauchen wenigstens noch eine Viertelstunde, ehe sie zu uns hier heraufkommen können.«

»Fort,« wiederholte aber Hendricks und warf scheu den Blick umher, als ob er schon jetzt das Nahen der Rächer fürchte – »der Platz wird hier zu warm. Säumen wir nur noch Minuten hier, so sind wir verloren.« Und ohne nur einen weiteren Einwurf abzuwarten, ja ohne sich selbst Zeit zu nehmen, seine Büchse wieder zu laden, sprang er über den freien Hofplatz an der Leiche vorbei, hinaus aus der Fenz, warf sich auf sein Thier und floh damit in den Wald hinein.

Die Uebrigen hätten den einmal gewonnenen Platz allerdings nicht gern sogleich wieder verlassen. Die Furcht des Kameraden schien aber auch sie anzustecken.

Jenkins Frau, die wieder krank auf ihrem Bett gelegen, war aufgesprungen und erfüllte jetzt, als sie die Leiche des Gatten am Boden liegen sah, die Luft mit ihrem Wehegeschrei, die verwundeten Hunde heulten, und der scharf ausgestoßene Dampf des kleinen Bootes, dicht unter der Farm, machte das Ganze ebenfalls unruhig genug. Es war den Schurken selber nicht mehr recht geheuer da oben, und was sie nur im Moment fassen konnten, die Büchsen im Haus und die Kugeltaschen, griffen sie auf und folgten dann, nicht viel langsamer als Hendricks ihnen vorangegangen war, dem Führer in das Dickicht.

Fünftes Kapitel.
Die Rückkehr.

Zu spät – zu spät nur um wenige Minuten kam die Hülfe, weil das Boot auf der Sandbank festgesessen! Hatte denn Gott selber gewollt, daß so Furchtbares geschehen sollte, wo es so leicht gewesen war, es abzuwenden, oder herrscht nur ein blinder Zufall auf dieser Welt, der eben geschehen ließ, was geschah, ohne sich weiter darum zu kümmern?

Jim Jenkins kniete neben der Leiche seines gemordeten Vaters. Nur die Schwester hatte er mühsam mit dem Boot gerettet, und mit wenigen Worten, ja nur mit den zwei Silben – Hendricks – das Furchtbare erfahren.

John Wells, der mit ihm zurückgekehrt, war den Verbrechern mit Cook und noch einigen andern zur Begleitung nachgeeilt, um sich nur wenigstens der Richtung zu vergewissern, in der sie geflohen wären. Daß ein Canoe unten an der Landung lag, hatten sie gar nicht beachtet, und die beiden dabei gestörten Räuber sich wohl gehütet, aus den Büschen herauszukommen, in welche sie sich bei der Ankunft des Dampfers zurückgezogen. Jetzt erst, als dieser vorüber war, drückten diese sich wieder in ihr schwankes Fahrzeug, und Jenkins eigenes Canoe ebenfalls abschneidend, nahmen sie es mit stromab zu dem schon früher mit den Genossen besprochenen Versteck. Dadurch machten sie eine Verfolgung auf dem Strom vor der Hand unmöglich, und daß sie im Wald niemand finden sollte, dafür wollten sie schon Sorge tragen.

Nach einer Stunde etwa kehrte der junge Wells zurück. Da sie ohne Pferde waren, hätte es ihnen ja gar nichts geholfen, eine Verfolgung aufzunehmen, noch dazu, da sich die Jay-hawker in der bedeutenden Mehrzahl befanden und doch außer Zweifel alle gut bewaffnet waren. Jim war indessen um seine ohnmächtig gewordene Mutter bemüht, die er anfangs ebenfalls für todt hielt, aber unter seinen Liebkosungen erholte sich die alte Frau wieder, und Betsy, die in der Nähe und unter dem Schutz des Bruders und Bräutigams rasch jede Furcht verlor, war, nachdem sie sich umgekleidet, an seiner Seite.

Und jetzt mußte sie erzählen, was hier in den letzten Monden vorgefallen – eine ununterbrochene Schreckensgeschichte von Mord und Blut, und John Wells stand dabei, die Zähne fest aufeinander gebissen, das Antlitz vollkommen blutleer, die Augen stier und fast geisterhaft auf den Mund der Sprechenden geheftet.

Und woher sie selber kamen? Mit wenigen Worten war das berichtet. Sie hatten sich dem Heer zutheilen lassen, das bestimmt war, Little Rock zu nehmen. Nur so konnten sie hoffen, dem nichtswürdigen Treiben der Sesesch-Partei in Arkansas rasch ein Ende machen zu helfen. Die Eroberung war aber leicht gewesen und als sie – in Little Rock angekommen – die Kunde von zahlreichen hier verübten Verbrechen hörten, hatten sie Urlaub genommen, um die Ihrigen selber zu besuchen und zu hören, wie es hier stehe. Das Furchtbare freilich konnten sie nicht erwarten.

Aber es waren keine Naturen, die sich lange einem nutzlosen Schmerz hingegeben hätten. Vor allen Dingen mußten sie Pferde haben, um an irgend eine Verfolgung denken zu können und auf der eigenen Farm fanden sie auch kein einziges Stück Vieh mehr. Die Jayhawker mit ihrer, wie es schien, weitverzweigten Verbindung, hatten schon Alles, was sie erreichen konnten, fortgetrieben und nicht einmal vermuthen ließ es sich, nach welcher Richtung sie die verschiedenen gestohlenen Thiere geschafft hatten. Klingelhöffer allein, als ziemlich nächster Nachbar konnte da vielleicht aushelfen und John Wells übernahm es, ihm die Trauerkunde von dem Tod seines alten Freundes Jenkins zu bringen, um seine Hülfe in der Verfolgung der Räuber zu erbitten.

Jim indessen, von den Freunden dabei unterstützt, schaufelte ein Grab für den Vater in seinem kleinen Garten aus, dann legten sie den alten wackeren Mann hinein, breiteten Bretter und Stützen über ihn, daß die eingeworfene Erde nicht auf die Leiche pressen konnte und wölbten den Hügel über der einfachen Gruft.

Kein Wort wurde dabei gesprochen, kaum noch eine Thräne von den Männern vergossen, denen jetzt nur das nagende Gefühl der Rache das Herz zusammenzog, und der Gedanke verscheuchte unerbittlich alle anderen. Allerdings waren sie sich noch nicht klar, wie sie den gemeinsamen Feind erreichen konnten, aber was that das? Ihr ganzes Leben hatte jetzt kein anderes Ziel und wie der Bluthund auf der Fährte waren sie fest entschlossen, nicht nachzulassen bis an's Ende.

Abends kehrte John Wells zurück. Klingelhöffer stellte ihnen alle seine Pferde zur Verfügung und würde sie selber begleitet haben, aber ein heftiger Rheumatismus hatte ihn wieder auf sein Lager geworfen, um das herum aber nichts destoweniger seine geladenen Gewehre standen. Er schwur, daß er so lange schießen werde, als er noch einen Finger krumm biegen könne, und dann möchten sie ihm selber den Hals abschneiden und verdammt sein.

Die einzige Hülfe, die sie noch erwarten konnten, lag in Perryville selber, an das sich die Räuber natürlich nicht getrauten, wenn sie auch in der Nähe herum Alles an Pferden gestohlen hatten, was sie nur bekommen konnten. Die jungen Backwoodsmen aber durften keinen von ihrer kleinen Schaar dorthin senden, um sich nicht zu schwächen und Jenkins jüngster Bruder, ein Knabe von zehn Jahren, der bei dem Ueberfall gerade im Walde gewesen, wurde deshalb abgeschickt. Allerdings war es eine starke Tagereise für den kleinen Burschen, aber er ging ja oft schon allein Tage lang auf die Jagd und kannte auch genau den Weg.

Die jungen Leute brachen jetzt zur Verfolgung der Mörder auf, während sie Betsy indessen mit der Mutter zu Klingelhöffers nicht sehr fernem Hause schickten. An der Fähre wohnten ja Leute, die sie über die Fourche setzen konnten. In dieser Richtung hin hatten sie auch nichts zu fürchten, und selbst die von Perryville erbetene Hülfe war dorthin bestellt, wo sie sich mit ihnen vereinigen wollten.

Aber all' ihr Suchen war vergebens. Bis zum Mamelle hinüber, alle die Bergrücken südlich am Fourche la Fave liefen sie ab, und scharfe Augen waren es, die den Fährten folgten; nirgends ließ sich jedoch eine frische Spur der Räuber in den Bergen erkennen. Weiter oben, mehr nach Westen zu, fanden sie allerdings ein paar alte Lagerplätze, die es unzweifelhaft ließen, daß sich die Jay-hawker dort eine ganze Zeitlang, vielleicht sogar eine Woche aufgehalten, aber diese Stellen hatten sie auch ebenso sicher wieder, und zwar nicht erst seit Kurzem verlassen, denn die ausgebrannten Kohlen waren vom Regen überwaschen worden. Die ganze Richtung, der sie bis dahin gefolgt, ging von dem oberen Fourche nach dem unteren, und die einzigen bisher verschonten Wohnplätze waren die, durch ihre Lage begünstigte Klingelhöffersche, und die benachbarte Farm gewesen. Man durfte also fast annehmen, daß sie ihre Wirksamkeit am Fourche als beendet betrachten mußten, und wohin konnten sie sich nun von hier gewendet haben? Außerdem lief der erhaltene Urlaub der jungen Leute auch bald wieder ab und was dann? Durften sie daran denken, die Ihrigen in einer solchen bedrohten und auf's Aeußerste gefährdeten Gegend schutzlos zurückzulassen?

Sie waren zu Klingelhöffer hinübergeritten, um mit diesem das Weitere zu berathen. Der alte Mann fühlte sich heute etwas wohler und saß mit ihnen und fünf von Perryville heruntergekommenen Farmern vorn auf der schmalen Veranda seines Hauses, von der man den Arkansas überschauen konnte, und den hier ziemlich breiten Strom dicht zu Füßen hatte. Aber er wußte selber keinen Rath, denn das Land bot jetzt zu viele Schlupfwinkel, wo sich ein ganzes Heer hätte verbergen können, vielmehr denn ein kleiner Trupp von Leuten, denen nur daran gelegen war, eine kurze Zeit verborgen zu bleiben.

In ruhigen Jahren, ja, da hatte den Fourche la Fave der offenste, herrlichste Wald umgeben, mit großen stattlichen Bäumen wohl, aber lichtem Unterholz, denn die Jäger hielten schon darauf, daß im Winter das trockene Gras und Gestrüpp ordentlich und regelmäßig abgebrannt wurde. Dadurch bekam nicht allein das Vieh, sondern auch das Wild gleich im Frühjahr junge saftige Aesung und der Jäger konnte, wenn er durch den Wald pirschte, diesen nach allen Richtungen hin überschauen. Jetzt dagegen war Alles total verwildert, und die Niederung nicht allein von Dornen und Sassafras-Büschen dicht durchwachsen, nein selbst an den Hängen war ein so üppiger junger Kiefer- und Hickoryschlag emporgewachsen, daß man sich nicht selten selbst mit dem Messer Bahn hauen mußte, um nur durchzukommen. Wer sich dort verstecken wollte, konnte es gewiß, und war auch vor Entdeckung sicher, wenn ihn der Zufall nicht einmal verrieth.

Vertheilten sich aber sämmtliche noch waffenfähige Männer über die Berge, so blieben sie nicht allein der Gefahr ausgesetzt, von dem geschlossenen Trupp einzeln aufgerieben zu werden, sondern wer bürgte ihnen dann dafür, daß sich die jetzt schon keck und übermüthig gewordene Bande indessen nicht auf die übrigen Häuser, ja in diesem Fall selber nach Perryville hineinwarf und den letzten Zufluchtsort zerstörte.

Noch während sie sprachen, hatte Klingelhöffers Blick an dem gegenüber liegenden Ufer gehangen, an dem sich den Sommer hindurch eine breite helle Sandbank bis über die Hälfte des Stromes ausdehnte. Jetzt aber reichte der Strom bis ziemlich an die jungen Baumwollenholz-Schößlinge hinan, die den Wald der Niederung ränderten, und nur ein schmaler hellerer Streifen war noch übrig geblieben, auf dem man jetzt, aber genau und scharf abgezeichnet, die dunkle Gestalt eines Mannes erkennen konnte, der sich den Fluß hinaufwandte. Klingelhöffer deutete mit seinem Arm hinüber und sagte:

»Dort drüben geht Jemand.«

»Wo?« – rief Jim – »ah dort! oh das wird ein Jäger sein.«

»Nein, er geht zu rasch. Da hinauf zu kann er aber auch kein anderes Haus erreichen, denn die slews sind jetzt voll Wasser.«

»Vielleicht sieht er nach seinem Vieh. Es wird der alte Boyles sein, der nach seinen Pferden sieht – ein Sesesch wie er im Buche steht.«

»Jetzt ist er in den Wald hinein,« sagte Wells.

Die Männer hielten noch einen Augenblick die Augen auf die Stelle geheftet, denn in dieser Zeit erweckte auch das Kleinste und Unbedeutendste Verdacht.

»Da kommen mehrere aus dem Wald,« rief da plötzlich Jim Jenkins, in der Erregung des Augenblicks von seinem Stuhl emporfahrend. »Ob sie uns hier, von dort aus sehen können?«

Mehrere Minuten beobachteten die Männer schweigend das, was sich da drüben augenscheinlich am Waldrand regte, endlich sagte Klingelhöffer, dessen Augen noch scharf wie die eines Luchses waren:

»Dort ist noch immer nur ein Mann zu sehen, aber er schleppt ein Canoe aus den Büschen heraus. Wenn es Mehrere wären, würden sie ihm helfen.«

»Klingelhöffer hat Recht,« sagte Wecks. »Jetzt kommt er damit in's Freie; er will in den Strom hinaus.«

»Es ist besser, wir ziehen uns in's Haus zurück,« meinte Jenkins. »Es braucht Niemand zu wissen, daß wir hier so zahlreich versammelt sind.«

»Vielleicht kommt er herüber.«

»Wir werden's bald sehen. Er ist schon damit am Wasserrand. Ob das Boyles selber sein kann?«

Die Männer hatten sich langsam von der offenen Veranda in das Haus gezogen. Nur Klingelhöffer blieb draußen sitzen und es war bald keinem Zweifel mehr unterworfen, daß das Canoe von drüben herüber halte und den Landungsplatz an der diesseitigen Farm zu erreichen suchte, denn der Rudernde hielt den Bug immer seitwärts stromauf, damit er von der starken Strömung nicht zu weit hinab geführt würde. Wer es sei, ließ sich allerdings noch nicht erkennen, da der Mann gebückt im Canoe saß und einen alten Strohhut noch außerdem über die Augen gezogen hatte, aber das mußte sich bald auch entscheiden, denn jetzt erreichte er schon fast die über der Farm liegende felsige Spitze und indem er sein etwas schwankes Fahrzeug treiben ließ, lenkte er es gleich darauf in den Sand-Einschnitt von Klingelhöffer's Ufer, in welchem schon dessen Skiff befestigt lag.

»Boyles! wahrhaftig,« rief Jim Jenkins, der jetzt auf die Veranda hinausgetreten war, denn vor dem einzelnen Nachbar brauchten sie sich nicht mehr zu verstecken – »Hallo, Boyles, woher kommt Ihr und wo wollt Ihr hin?«

Boyles sah auf und erkannte den noch immer in der Uniform steckenden jungen Mann nicht gleich. Die Uniform selber gefiel ihm ebenfalls nicht, denn er war mit Leib und Seele Sesesch – ja, einen Moment schien es fast, als ob er nicht übel Lust habe, wieder mit seinem Canoe zurückzukehren. Klingelhöffer selber machte aber seinen Zweifeln ein Ende:

»Kommt herauf Mann, Ihr seid hier unter Freunden und habt Nichts zu fürchten. Kennt Ihr Jim Jenkins nicht mehr?«

»Jim, bei Gott!« sagte Boyles – »das ist recht – den wollte ich gerade sprechen – das trifft sich glücklich;« er sprang jetzt die steile Sandbank mehr hinauf, als er sie stieg und stand auch wenige Minuten später inmitten der jungen Leute, die ihn wohl freundlich aber trotzdem nicht herzlich grüßten. Boyles war ihnen nie ein angenehmer Nachbar gewesen und daß er sich so ganz zur Partei der Sclavenhalter schlug, auch selber der Einzige fast in der ganzen Nachbarschaft war, der Neger hielt, konnte sie ihm nicht geneigter machen.

Von den Negern waren übrigens nur noch zwei auf der ganzen Plantage geblieben, die Uebrigen aber, sobald die Unionisten dort einrückten, nach Little Rock gelaufen. Was sollten sie jetzt noch arbeiten, wo sie freie Leute geworden waren. Boyles selber mochte auch früher wohl zwischen den einfachen Backwoodsmen ein wenig den Pflanzer gespielt, und sich etwas vornehmer als die Nachbarn gedäucht haben. Er war in der That reicher und sein Haus wohnlicher und bequemer eingerichtet gewesen als die der Uebrigen, bis die Emancipation der Neger auch ihn ruinirte, oder doch wenigstens seine großen Plantagen, deren er zwei besaß, werthlos machte.

Die eine in Missouri liegende, hatte er aber glücklicher Weise vor kurzer Zeit noch zu einem ziemlich guten Preis verkaufen können, denn gerade jetzt glaubten manche Farmer im Norden einen guten Handel zu machen, wenn sie sich ohne Sclavenarbeit im Süden niederließen. Allerdings war das erste immer ein Experiment, aber es fand trotzdem Nachahmer, und die südlichen Pflanzer, die nach dem Fall von Vicksburg die Unterwerfung des Südens mit Recht für unausbleiblich hielten, verkauften unter solchen Umständen nur zu gern.

Klingelhöffer wunderte sich allerdings, daß gerade Boyles ihm einen Besuch abstattete; denn wenn sie auch miteinander in Frieden lebten, hatten sie sich – schon ihrer verschiedenen politischen Ansichten wegen – bisher viel eher gemieden als gesucht. Er sollte aber darüber bald eine Erklärung erhalten, denn kaum betrat Boyles das Haus, als er auch schon ausrief:

»Gott sei ewig gedankt, daß ich hier brave und wackere Männer finde, die einen Freund gegen Räuber und Mörder schützen können.«

»Hallo,« rief John Wells, von seinem Stuhl aufspringend, denn er selber haßte den alten Boyles, mit dessen Sohn er auch früher einmal Streit gehabt, und nahm deshalb wenig Notiz von ihm. Seine Worte aber machten ihn aufmerksam, denn sie deuteten auf das Einzige, was in diesem Augenblick seine ganze Seele füllte – die Spur der Jay-hawker – »wißt Ihr was von den Schuften? – Haben sie Euch ebenfalls einen Besuch abgestattet?«

»Ach was,« rief Jenkins; »wir haben ja ihre Spuren in den Wald hinein verfolgt. Nach dem Mamelle werden sie hinüber sein – nicht über den Arkansas.«

»Nein,« rief Boyles rasch, – »drüben sind sie – vorgestern haben sie den Strom etwa drei Miles unterhalb in zwei großen Canoes gekreuzt – Warner, der gerade von Little Rock kam, hat sie gesehen.«

»Da ist dann unser Canoe dabei,« sagte Jim, »das die Schurken neulich bei dem Mord gestohlen haben. Aber wo sind sie jetzt?«

»Weit können sie nicht sein,« erwiderte Boyles, »denn gestern waren sie bei Auburn drüben – der alte Auburn behielt kaum noch Zeit, in den Sumpf zu flüchten, wo er sechzehn Stunden in Schlamm und Wasser stecken blieb, ehe er sich wieder hinausgetraute. Dort aber hat ihnen der eine Neger erzählt, daß ich meine eine Farm verkauft und viel Geld im Hause hätte, und Auburn's kleiner Junge war eben bei mir, um sich ein Stück Fleisch zu borgen, weil die Räuber Alles, was sie an Lebensmitteln fanden, fortgeführt, und der sagte mir, ich solle mich vorsehen, denn sie hätten gelacht und gemeint, ich würde wohl so gut sein und mit ihnen theilen.«

»Und habt Ihr das Geld wirklich im Haus?«

»Gott bewahre, das liegt sicher genug in Little Rock, aber das wissen ja die Schufte nicht und werden es jetzt bei mir wie bei dem armen alten Hogan machen. Frau und Kinder hab' ich auch deshalb mit den beiden Negern gleich nach Auburn's hinübergeschickt, denn zweimal kommen sie nie auf einen Platz, und ich selber hatte die Absicht, hier bei Euch Schutz zu suchen, Klingelhöffer, bis die Gefahr vorüber ist. Mögen sie mir da drüben Alles verwüsten und das Haus in Brand stecken. Ich kann es nicht hindern – aber ich will doch nicht von ihnen todtgeschossen werden oder meine Familie ihren Mißhandlungen aussetzen.«

»Und Ihr glaubt wirklich, daß sie die Absicht haben, Euer Haus zu überfallen?« frug der junge Cook.

»Ich bin fest davon überzeugt. Dort in der Nachbarschaft liegt weiter keine einzelne Farm und lange werden sie sich hier nicht mehr halten können, denn wie ich gehört habe, will General Steene die beiden Counties besetzen lassen, um diesem Räuberwesen ein Ende zu machen.«

»Ja wohl, jetzt kommen sie,« brummte Klingelhöffer, »wo die Canaillen schon alles nur erdenkliche Unheil angerichtet, und Botschaft nach Botschaft haben wir seit Wochen hinein in die Stadt gesandt. Gott bewahre, nicht einmal Munition durften wir hinausbringen, um uns selber zu schützen.«

»Und wißt Ihr ganz bestimmt, daß die Jay-hawkers, die auf dieser Seite ihr Wesen trieben, jetzt über den Fluß gegangen sind?« frug Wells.

»Es giebt keine zweite solche Bande in der Nachbarschaft,« versicherte Boyles, »und daß diese mit ihren Pferden über den Strom gesetzt ist, hat Warner mit eigenen Augen gesehen.«

»Dann können sie aber auch eben so gut mit ihren Booten zu mir herüberkommen,« meinte Klingelhöffer, »denn was sie bis jetzt von mir abgehalten hat, war weiter nichts als die Furcht, hier auf der Landspitze einmal von irgend einem Trupp Bewaffneter abgeschnitten zu werden.«

»Aber sie haben keine Canoes mehr,« rief Boyles. »Warner war nicht von ihnen gesehen worden und hielt sich in seinem Versteck, bis sie die beiden Fahrzeuge, gleich über der zweiten Sandbank unten, wo die kleine Slew einmündet, in die Büsche hineingezogen und versteckt hatten, und als er sich ganz sicher wußte, schlich er sich dort hinein und wollte die Canoes in den Strom schieben und forttreiben lassen, aber er war dazu allein nicht im Stande und hat deshalb ganz in der Stille und gerade zwischen ihnen ein tüchtiges Feuer angezündet, bei dem er blieb, bis er sie völlig zerstört wußte. In den Canoes setzen sie gewiß nicht wieder über den Arkansas.«

»Dann ist auch Hoffnung, daß wir sie drüben erwischen,« rief Cook rasch. »Wie wär's, wenn wir das Haus besetzten? nachher laufen sie uns gerade in die Hände.«

»Hm,« sagte Wells, »ich habe auch schon darüber nachgedacht, aber – wie viel waren in den Canoes, die Warner gesehen hat?«

»Er behauptet, es müßten etwa zehn oder elf gewesen sein. Natürlich wagte er sich nicht zu weit hinan, denn wenn sie ihn entdeckten, wäre er jedenfalls verloren gewesen.«

»Und sie denken Geld bei Euch zu finden?« frug Jenkins.

»Sie wissen, daß ich meine Farm in Missouri verkauft und das Geld dafür erhalten habe. Soviel hat ihnen der schurkische Neger erzählt. – Sie werden jetzt vermuthen, daß ich es versteckt halte.«

»Die Canaille verdient gehangen zu werden.«

»Verdient hat er's,« sagte Boyles, »denn wie ich höre soll er sich den Schuften angeschlossen haben, was also jetzt etwa elf oder zwölf Mann für die Bande machen würde, wenn sie sich nicht außerdem verstärkt hat. Verdächtiges Gesindel trieb sich wenigstens die letzte Zeit gerade genug am Arkansas herum.«

»Laßt uns die Nacht hinüberfahren,« rief da Wells, – »verdammt, wenn wir uns ordentlich eintheilen, laufen sie uns gerade in die Büchsenläufe hinein.«

»Ihr glaubt, daß sie bei Euch nach vergrabenem Gelde suchen werden?« fragte Jenkins.

»Dasselbe war wenigstens bei Hogan der Fall, bei dem sie Silber vermutheten und der arme Teufel hatte wohl kaum einen Viertel Dollar Silber im Hause.«

»Sie kommen sicher,« rief Wells, mit der Hand auf den Rand der Veranda schlagend, »wenn wir uns in dem Hause eintheilen, haben wir sie.«

Jenkins schüttelte mit dem Kopf und sagte:

»So weit ich das Haus kenne, glaub' ich es nicht. Es ist kein Logcabin, wo man nach allen Seiten Schießscharten öffnen kann, sondern von behauenen Balken aufgesetzt und mit Brettern beschlagen und die Fenster liegen alle nach dem Fluß hin, während sich die Thür hinten befindet. Dicht darum her stehen aber die kleinen Negerhäuser, jetzt wahrscheinlich alle leer und ich kann mich nicht so genau auf den ganzen Platz besinnen, ob man durch diese hin muß und durch sie verdeckt wird, wenn man zum Hause kommt oder ob sie mehr Seit' ab liegen.«

»Mr. Jenkins,« bemerkte Boyles, »Sie haben Recht. Die Negerhütten liegen der Art, daß man von ihnen verdeckt bis dicht an das Haus hinan kann. Ich weiß, wie mich das die paar Stunden, die ich heute noch drüben war, beunruhigt hat, weil ich jeden Augenblick fürchtete, sie möchten sich an denen hin heranschleichen.«

»Und wenn wir nun die Negerhütten besetzten?« fragte Cook.

»Ja, das wäre ganz gut, wenn man genau wüßte, ob sie den Weg oder vom Wald herein kämen. In der Nacht ist es aber ebenfalls schlimm. Wir haben freilich jetzt Vollmond, aber gerade um das Haus herum stehen die Hickory- und Pfirsichbäume, und der wilde Wein, den ich an die letzteren angepflanzt habe, hat sie dicht und undurchsichtig gemacht.«

»Ich will Euch etwas sagen,« meinte Jenkins, der den Platz da drüben genau kannte, weil er selber früher dort viel jagte – »Ihr kennt doch die künstliche Salzlecke gleich im Rohr drin, Boyles, die ich selber einmal angelegt?«

»Gewiß – sie liegt ja keine zweihundert Schritt von meiner Fenz, und es führt sogar ein kleiner Pfad hin, den sich die Kühe gemacht.«

»Dieselbe,« sagte der junge Mann, »gleich daran, wenn man von Eurem Hause hinüber geht, ist doch die kleine runde Waldblöße, die genau so aussieht, als ob Menschen selber dort Bäume und Büsche sorgfältig ausgerodet hätten, denn nicht einmal ein Strauch wächst darauf, nur hohes Gras und ein paar Grün-Dornen.«

»Ganz recht, aber was damit?«

»Habt Ihr Niemanden mehr im Haus drüben?«

»Keine Seele – der Platz ist jetzt vollkommen verlassen, denn ich konnte ihn allein nicht schützen, und wenn sie mir ihn abbrennen, so muß ich's eben ertragen.«

»Habt Ihr Courage, Boyles?«

»Gegen einen offenen Feind, ja,« sagte der Mann, »aber nicht gegen diese Halunken. Denkt nur daran, wie heimtückisch sie Euren eigenen Vater erschossen haben.«

»Ihr würdet nicht wieder hinübergehen und in dem Hause bleiben?«

»Nicht für hunderttausend Dollar,« erwiederte Jener bestimmt, »denn ich weiß, daß sie mir nie etwas nützen könnten. O dieser unselige Krieg. Was für Elend hat der schon über das Land gebracht.«

»Wenn Ihr nur anfangt es einzusehen,« sagte Jenkins düster – »aber was geschehen, läßt sich eben nicht mehr ändern – es muß ertragen werden und nur das bleibt übrig, diese Schurken, die weder Freund noch Feind angehören, wo wir sie fassen können zu züchtigen, und darin können wir uns getrost die Hand bieten. Wo ist mein Bruder Bill, Klingelhöffer? war er nicht vorhin hier?«

»Er wird drüben in der Corncrib mit den Mädchen sein,« antwortete der Deutsche – »ich hörte, daß sie vorhin davon sprachen. Was soll er?«

»Wir müssen Jemanden im Hause drüben haben,« sagte der junge Mann finster und entschlossen – »Laßt mich nur machen – ich glaube, ich habe den richtigen Plan – jedenfalls ist es ein Versuch; Bill aber, so klein er sein mag, ist ein ganz gescheuter und durchtriebener Bursche, der seine Sache schon geschickt machen wird.«

»Ihr wollt doch, um Gottes Willen, den Knaben nicht drüben allein lassen, wenn die Jayhawker das Haus überfallen?« rief Boyles erschreckt.

»Allerdings will ich das, aber sorgt Euch nicht deshalb. Bill und ich werden das schon in Ordnung bringen. Ueberlaßt das mir. Ich habe mein Leben eingesetzt, des Vaters niederträchtigen Mord zu rächen, der Knabe setzt das seine mit Freuden dafür ein, deß seid versichert – laßt mich nur mit ihm sprechen. – Noch eins, Boyles – habt Ihr Kienholz drüben an Eurem Haus?«

»Nein – was wollt Ihr damit? Kienholz wächst ja nicht drüben im Bottom.«

»Hier liegt genug,« sagte Klingelhöffer – »was wollt Ihr damit?«

»Ich erkläre Euch Alles nachher, vorher aber muß ich mit Bill sprechen,« und ohne den Männern weiter zu antworten, ging Jenkins hinaus, um den Bruder aufzusuchen und die nöthige Abrede mit ihm zu nehmen.

Sechstes Kapitel.
Der Hinterhalt.

Bill Jenkins war noch fast ein Kind, aber Kinder in jenen wilden Wäldern aufgezogen, wo sie schon täglich nicht selten sechs oder acht Miles allein durch den Wald reiten müssen, um nur zum Schulhaus zu gelangen, sind nicht mehr das, was sie, in unseren Verhältnissen aufgewachsen, sein würden. Der kleine Bill, der kaum eine Büchse tragen konnte, war schon ein ganz vortrefflicher Schütze, und wenn er auch eine Holzgabel mit in den Wald nehmen mußte, um die Waffe beim Schießen aufzulegen, so hatte er doch in seinem neunten Jahr schon ganz allein einen großen Panther im Wald erlegt und sogar einmal einen Bären so verwundet, daß ihn sein Vater nachher mit den Hunden einholen und erlegen konnte. Es mag sein, daß er sich der Gefahr, die er dabei lief, nicht recht bewußt gewesen, aber er würde sie auch trotzdem nicht geachtet haben, und auch jetzt ging er mit Freuden und vollem Eifer auf des Bruders Plan ein, ja jubelte laut auf, als er erfuhr, daß er selber etwas mit dazu beitragen solle und könne, den verruchten Mördern ihre That heimzuzahlen. Es bedurfte auch keiner langen Erklärung, denn er begriff im Augenblick, was man von ihm verlange und brannte jetzt selber vor Begier, den an seinem Vater verübten Mord gerächt zu sehen.

So lange es Tag war, durften sich aber die Männer – denn die von Perryville herübergekommenen erboten sich augenblicklich Theil an dem Unternehmen zu haben, da sie selber ja ebenso durch die immer mehr wachsende Bande bedroht blieben – nicht über den Strom einschiffen, da man nicht wissen konnte, ob die Jayhawker nicht etwa das Ufer überwachen ließen. Mit einbrechender Dunkelheit waren sie aber fertig gerüstet, und da der Mond etwa um sieben Uhr aufging, behielten sie auch reichlich genug Zeit, um ihren Versteck zu erreichen. Klingelhöffer, der sie nicht selber begleiten konnte, da ihn sein Kreuz immer noch plagte, und der auch sein Haus, bei solcher Nachbarschaft, nicht ganz ohne Schutz lassen wollte, drang ihnen aber noch, ehe sie gingen, Lebensmittel auf, die sie allerdings anfangs nicht mitnehmen wollten; er hatte aber ganz Recht, wenn er sagte, sie wüßten gar nicht, wann die Schurken kämen, und ob sie nicht vielleicht vierundzwanzig Stunden in ihrem Versteck liegen müßten, und wenn sie dann genöthigt wurden, nach Eßwaaren auszuschicken, konnten sie Alles verderben.

Das Skiff mußte zwei Mal gehen, um Alle hinüberzubringen, und das zweite Mal fuhr die jüngste Tochter vom Haus mit, um es zurückzunehmen, damit es die Jayhawker nicht vielleicht zufällig fänden. Sie betraten auch die Lichtung gar nicht, auf welcher die Häuser standen, sondern schritten, von Jenkins geführt, quer und so geräuschlos als möglich durch den Wald, bis sie den besprochenen Platz, am Rand eines dichten Schilfbruchs erreichten, und nun hier im Stockfinsteren allerdings nichts thun konnten, als den Aufgang des Mondes abzuwarten.

Der kam aber bald, und Jenkins, der indessen schon den Uebrigen seinen ganzen Plan mitgetheilt hatte, ging jetzt mit ihnen scharf an die Arbeit, um die wenigen, aber doch nöthigen Vorbereitungen zu treffen.

Eine Schaufel hatten sie mitgebracht, mit dieser wurde ein wenig Erde an einer von ihm bestimmten Stelle ausgeworfen, daß es beim ersten Anblick so aussah, als ob hier vor kurzer Zeit der Boden umgegraben und nicht wieder ordentlich zusammengescharrt wäre. Dann wurden einige, dort im Ueberfluß herumliegende Aeste darüber geworfen, daß sie den Platz scheinbar verdeckten, und jetzt suchten sich die Männer auf der gegenüber liegenden Seite ihre Stellen, von denen aus sie den Plan, ohne selber gesehen zu werden, überschießen konnten.

Die Ortslage selber war wie für einen solchen Hinterhalt gemacht, denn gerade dort vorüber zog sich eine, selbst jetzt noch trockene, oder wenigstens nur mit etwas Regenwasser seicht gefüllte Slew, die erst dann gefüllt wurde, wenn der Arkansas seinen höchsten Stand erreichte und seine Wasser durch diese Einläufe in den Sumpf hineinsandte. Jetzt konnte man sie leicht durchwaten, dahinter aber hatte der mit eingewaschene Sand eine wohl sechs bis acht Fuß hohe und ziemlich steile, wenigstens völlig kahle Wand angespült, von der gedeckt sich wohl funfzig Menschen hätten sicher verbergen können. Wer wenigstens von der Richtung des Hauses herüber kam, konnte sie unmöglich bemerken. Nur im Rücken konnten sie angegriffen werden, und um sich auch dagegen vollständig zu decken, wurde Einer der jungen Leute aus Perryville in den Wald hineinpostirt, damit sie selber jedenfalls sicher vor einem Ueberfall blieben.

Uebrigens lagen sie immer zwei und zwei beisammen, so daß Einer wenigstens, wenn sie die ganze Nacht dort wachen mußten, schlafen konnte, um dann seinen Nachbar abzulösen.

Bill indessen, der kleine Bursch, hatte die Männer bis zu ihrem beabsichtigten Versteck begleitet, damit er selber das Terrain selber genau kennen lernte, und erst als sie die Arbeit beendet hatten und er nun genau wußte, wie Alles stand, schulterte er seinen Sack mit Kienholz, das er brauchte, wenn sie in der Nacht ankamen, nahm einige Lebensmittel und schritt neben dem Pfad – um keine Spuren zurückzulassen, dem gar nicht fernen Hause zu. Er fürchtete sich auch nicht im Mindesten; was wissen amerikanische Kinder überhaupt von Furcht, denn Gespenstergeschichten, mit denen Kinder bei uns von ihren Ammen oder Wartefrauen groß gezogen werden, kannte er gar nicht, und böse Menschen? ei auf die wartete er gerade, und je eher sie kamen, desto besser. Er lief auch in der That keine andere Gefahr, als daß die Räuber vielleicht, gleich bei dem ersten Anprall in das Haus hineingeschossen hätten. Aber das geschah schwerlich, denn wer schießt gern seine Büchse, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben, ab, und den kleinen Burschen, der noch jünger aussah, als er wirklich war, würden sie schwerlich geschädigt haben.

Als Bill den Platz erreichte, zündete er vor allen Dingen ein tüchtiges Feuer im Kamin an. Es war ziemlich frisch die Nacht, und er mußte auch Licht haben. Nachdem das geschehen und er ein Stück Kienholz auf das Feuer geworfen, schüttete er die übrigen Kienreste hinter dem Haus auf den Holzplatz und ließ nur noch etwas neben dem Kamin liegen. Hiernach legte er sein mitgebrachtes Essen in den Fliegenschrank, in dem er aber noch ein Stück Maisbrod und etwas kalten Speck fand. Hierauf untersuchte er die in der Ecke stehende große Kaffeekanne, und richtig, sie war noch fast halb gefüllt – der kleine Bursch lachte still vor sich hin, denn er konnte nun bald einen Becher heißen Kaffee's bekommen, und damit ließ sich dann schon eine Nachtwache halten.

Aber sollte er überhaupt wachen? nein. Blieb er am Feuer sitzen, so konnte doch am Ende Einer von den schlechten Menschen, und wenn auch nur aus nutzloser Bosheit, auf ihn schießen. Legte er sich aber in eine Ecke und drangen sie dann in das Haus ein und fanden nur den Knaben vor, so hatte er kaum etwas für sich zu fürchten, und das Weitere? Des Knaben Augen blitzten, als er sich sein Begegnen mit den Jay-hawkern ausmalte, aber er biß die Zähne auf einander, denn die Thränen traten ihm in die Augen, wenn er an den Vater dachte, und er wollte jetzt nicht weinen. – Er mußte eine Beschäftigung haben, den Kaffeetopf setzte er deshalb auf's Feuer und holte sich dann sein Abendbrod herzu, das er verzehrte und sich einen Becher Kaffee dazu ausschenkte.

In der Ecke stand ein großes, bequemes, mit einem Mosquitonetz überzogenes Bett, aber in das wagte er nicht sich hineinzulegen. Es sah so vornehm und sauber aus und er war nicht daran gewöhnt. Er nahm sich deshalb nur eine der wollenen Decken herunter, schob sich ein paar am Kamin liegende Säcke für ein Kopfkissen zurecht, wickelte sich dann in die Decke und legte sich ruhig und unbesorgt in die eine Ecke, wo ihm der Feuerschein nicht auf die Augen fallen konnte, und sich seine ganze Gestalt in der That in Schatten befand, nieder.

Er wollte aber gewiß nicht schlafen, sondern wachbleiben und aushorchen, wenn er die Leute könne kommen hören; aber der Knabe hatte sich da wohl zu viel zugetraut. Eine Weile ja, blieb er munter und beobachtete an der Wand die wunderlichen Schatten, die der unstete Schein des Feuers durch einen Stuhl und sein darüber gelegtes Röckchen warf. Wie aber das Feuer mehr und mehr niederbrannte und das Licht matter und ungewisser wurde, schienen auch ihm die Augenlider schwerer und schwerer zu werden. Ein paar Mal raffte er sich wohl noch gewaltsam auf; er wollte nicht schlafen, ja das half aber Nichts – der Sandmann kam doch und streute seine Mohnkörner über ihn. Er träumte schon, als er noch glaubte, daß er vollkommen wach wäre, und nur wenige Minuten später, so schlief er sanft und süß – und schlief fort bis zum anderen Morgen und bis die Sonne ihm durch ein kleines über der Thür angebrachtes Fenster gerade in die Augen schien.

Erschreckt fuhr er von seinem Lager empor. – Wo war er denn eigentlich? Er konnte sich im ersten Moment gar nicht gleich darauf besinnen. Wie ihm aber der Gedanke kam, weshalb er hier übernachtete, schoß es ihm auch wie ein eisiges Gefühl durch's Herz – das Gefühl der Gefahr, in der er sich noch immer hier befand, während die Abends stets viel stärkere Aufregung geschwunden war, und sich das kleine Kinderherz doch jetzt mit Sorge und wohl auch mit etwas Furcht erfüllte.

Wer von uns Allen hat nicht schon ein ähnliches Gefühl erlebt, wenn ihm der Morgen mit seiner nüchternen Wirklichkeit irgend eine Sorge oder Angst und sei sie noch so gering gewesen, vor die Seele brachte, und ein ganz eigenes erkältendes Gefühl durch die Nerven zuckte. War es ein Wunder, daß es auch das Kind beschlich, das sich hier allein auf der Farm, ja in der Absicht da befand, einer Bande von Räubern die Stirn zu zeigen, die ihm den eigenen Vater gemordet hatten und Blut und Verzweiflung in manche stille Hütte getragen? Aber diese Schwäche dauerte trotzdem nicht lange. – »Wenn sie nur kämen,« zischte er, seiner eigenen Angst trotzend, zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, und verrichtete dann ruhig seine gewohnte Arbeit. Zuerst wusch er sich, dann setzte er sich seinen Kaffee wieder auf das indessen zusammengeschürte Feuer und war damit so eifrig beschäftigt, daß er gar nicht weiter auf das achtete, was um ihn her vorging. Er hielt gerade das Schüreisen in der Hand, um die noch von gestern Abend her übrig gebliebenen Kohlen ein wenig zusammenzuschüren, als er plötzlich so zusammenschrak, daß ihm das Eisen aus der Hand und klirrend auf die Heerdsteine fiel, denn eine rauhe Stimme in der Thür selbst sagte:

»Hallo mein junger Bursch! so allein hier im Haus? Ist denn das ganze Nest ausgeflogen, und hältst Du Haus allein?«

Bill war todtenblaß geworden – er zitterte an allen Gliedern, aber es war keine Furcht mehr, die des Knaben Herz im entscheidenden Augenblick beschlich, wenn sich auch zuerst wohl ein scheuer Schreck mit dem Gefühl mischte. Es war das Bewußtsein, daß die Entscheidung gekommen; die Fremden aber nahmen es selbstverständlich für die natürliche Furcht des Kindes und achteten nicht weiter darauf, ja suchten den Knaben eher zu beruhigen, damit er ihnen Rede und Antwort stände.

»Na fürchte Dich nicht,« fuhr der Mann fort, der ihn zuerst angeredet hatte und in dem Bill jetzt augenblicklich den Schurken Hendricks erkannte. »Wir wollen Dir ja Nichts thun, sondern uns nur nach Mr. Boyles erkundigen. Hat er sich versteckt? – Ist es Dein Vater, mein Junge?«

»Nein,« sagte Bill, der nicht gleich wußte, wie er auf die Frage antworten sollte – aber es war gut gewesen, daß er sie verneint hatte, denn ein Anderer antwortete für ihn.

»Ist denn der nicht ein Junge von Jenkins über dem Fluß drüben?« rief der, und als Bill zu ihm aufsah, erkannte er Auburn's Neger, der manchmal drüben bei ihnen gewesen war, um nach Vieh zu sehen, das Auburn auch auf jener Seite laufen hatte.

»Gewiß bin ich's,« sagte Bill, der in dem Augenblick blutroth wurde.

»Und was machst Du hier drüben, mein Bursch?« frug Hendricks, der ihn jetzt ebenfalls erkannte.

Bill war durch seinen Bruder auf diese mögliche Frage vorbereitet worden, und antwortete wohl scheu, aber doch bestimmt: »Den Vater haben böse Menschen todtgeschossen, Schwester und Mutter sind fortgegangen nach Perryville und da hat mich Mr. Boyles seit etwa acht Tagen zu sich genommen, bis die Jayhawker aus der range vertrieben sind.«

»So?« lachte Hendricks – »also in Perryville ist Deine Schwester?«

»Ja, aber mit dem ersten Soldatenzug, der wieder die Straße herabkommt, geht sie nach Little Rock.«

»Aha! sehr vorsichtig,« nickte der Bursche – »nun vielleicht können wir ihr in diesen Tagen sicheres Geleit geben, damit sie von den Jay-hawkern nichts zu fürchten hat. Bei wem ist sie im Haus?«

»Bei Thomsons,« sagte Bill, auf gut Glück einen der dortigen Namen nennend.

»Ach, laßt die Dummheiten,« unterbrach ihn aber einer der Uebrigen, und es waren indessen etwa fünf Mann ins Haus getreten. »Da haben wir doch jetzt Wichtigeres zu thun, als solche Faxen. Wo steckt Boyles?«

»Er ist auch gestern Abend über den Fluß gefahren und nach Perryville gegangen.«

»So? und was will er da, mein Herz?«

»Er will Hülfe haben, daß ihn böse Menschen nicht auch umbringen und ausplündern können.«

»Ei, sieh mal an,« lachte Hendricks, »ja, den Weg hätten wir ihm ersparen können. Wir sind selber hierher gekommen, um bei ihm zu bleiben, denn die Jay-hawker treiben sich wirklich in der Nachbarschaft herum. Aber bist Du hier ganz allein auf der Farm oder wer ist sonst noch bei Dir?«

»Ich bin ganz allein hier,« sagte der Knabe, »denn die Frauen sind auch den Fluß hinab in die Ansiedlung gegangen, weil sie sich fürchten hier zu bleiben.«

»Hm – fürchten, wovor, wenn wir da sind,« lachte Hendricks – »Aber Boyles hat auch wohl Ursache, die bösen Menschen zu scheuen, denn, wie ich gehört, soll er viel baares Geld mit von Missouri herunter gebracht haben. Ist das wahr?«

»Ich weiß es nicht,« sagte der Knabe scheu.

»Wie lange bist Du bei ihm?«

»Etwa acht Tage.«

»Aber seit der Zeit ist er doch erst zurückgekommen und hat denn doch sicher zu Haus davon gesprochen. – Wie?«

»Ja – das wohl,« flüsterte Bill.

»Nun siehst Du wohl, mein kleiner Bursch,« meinte Hendricks, indem er einen Blick mit den Gefährten wechselte, »er hat es doch sicher und gut aufgehoben, damit es die Räuber nicht gleich finden können.«

Bill nickte nur, denn er wagte gar nicht, den Mörder seines Vaters anzusehen.

»Nun das dacht' ich mir,« lächelte Hendricks, »gewiß hier unter der Diele.«

Bill schüttelte mit dem Kopf.

»Oder oben unter dem Dach?«

Bill schüttelte wieder.

»Was? auch nicht? ja dann werden es die Jay-hawker gewiß finden, denn die sind in so etwas schlau.«

»Nein, die finden es nicht,« sagte aber Bill bestimmt, »denn er hat es draußen im Wald vergraben und sie wissen den Platz nicht.«

»In der That? – aber Du weißt ihn, wie?«

Bill schwieg und sah vor sich nieder.

»Nun mein Junge, kannst Du nicht antworten?« rief der andere Bursche rauh, denn das Verhör dauerte ihm zu lang.

»Laß doch nur,« rief aber Hendricks, indem er dem Gefährten hinter des Knaben Rücken zuwinkte – »wir haben ja Zeit, denn wir bleiben ja doch hier, bis Mr. Boyles mit seinen Leuten von Perryville zurückkommt. Nicht wahr Du weißt, wo er das Geld vergraben hat?«

Bill nickte jetzt leise mit dem Kopfe, antwortete aber noch immer nicht weiter.

»So?« sagte Hendricks – »nun das ist gut, dann wollen wir auch schon dafür sorgen, daß ihm die Jay-hawker nicht zu nahe kommen. Wo ist denn der Platz?«

»Ich darf's nicht sagen,« erwiederte aber Bill jetzt. »Mr. Boyles hat es mir streng verboten.«

»Ja, keinen fremden Leuten,« lachte Hendricks, »aber uns schon, wir wollen ihm ja gegen die Andern helfen – also wo ist der Platz, weit von hier, oder im Garten drüben?«

»Ich darf's nicht sagen, oder Mr. Boyles schlägt mich,« erwiderte der Knabe, und warf einen scheuen Blick nach dem Frager hinauf.

»Ach was! wir vertrödeln hier die Zeit in höchst alberner Weise,« rief aber jetzt der Andere, der ebenfalls ein Führer zu sein schien und einen großen schwarzen Bart trug. Er faßte dabei den Knaben fest am Arm. »Komm her mein Bursch und sei vernünftig – Mr. Boyles giebt Dir vielleicht eine Tracht Schläge, wenn er zurückkommt, das ist möglich, aber mit uns bist Du noch viel schlimmer d'ran, denn wenn Du uns jetzt die Stelle nicht zeigst, wo das Geld eingesscharrt ist, so binde ich Dich da draußen an den nächsten Pfirsichbaum und prügele Dich so lange, bis Dir das Fleisch in Fetzen vom Rücken herunter hängt – hast Du mich verstanden?«

Hendricks schüttelte unwillig den Kopf, denn dadurch machten sie jedenfalls mehr als nöthigen Lärm auf der Farm. Bill aber klagte:

»Aber ich darf's ja nicht sagen, Mr. Boyles hat es mir so streng verboten.«

»Sip!« rief der mit dem Bart da dem Neger zu. »Spring einmal hinaus und schneid' mir ein paar tüchtige Stöcke ab, aber derbe, verstehst Du? Der kleine Bursch scheint hier hartnäckiger Art zu sein und da wollen wir doch einmal sehen, ob wir ihm den Trotzkopf brechen können!«

Sip blieb nicht lange aus und Bill suchte sich indessen von der Hand des Mannes loszumachen, was aber freilich einem Stärkeren schwer geworden wäre. Der Mann lachte auch nur zu dem Versuch und suchte dabei in seiner Tasche nach einem Stück Seil, um die Hände des Knaben zusammenzuschnüren, so daß dieser endlich wie in Todesangst ausrief:

»Ach schlagt mich nur nicht, schlagt mich nur nicht; ich will Euch ja auch gern zu dem Platz führen, aber Ihr dürft Mr. Boyles nicht sagen, daß ich es gethan habe, oder er jagte mich sonst gleich wieder aus dem Hause«.

»Aha,« lachte der Jayhawker – »nun denn heraus mit der Sprache, wo ist es? weit von hier? im Garten vielleicht?«

»Nein – ein Stück im Wald drin,« antwortete der Knabe, während der wilde Bursch den ihm von dem Neger gebrachten Stock in die Luft probirte.

»Wo hinaus?«

»Gleich dort drüben. Es führt ein schmaler Pfad nicht weit davon vorbei.«

»Kannst Du ihn auffinden?«

»Ich – weiß es nicht – ich glaube ja.«

»Wie lange haben wir zu gehen?«

»Oh, gar nicht lange – noch an dieser Seite vom Schilfbruch ist's.«

»Nun also denn vorwärts,« rief der Bärtige, der jetzt den Oberbefehl über die Bande zu haben schien – »und glaub' nicht etwa, mein Junge, daß Du uns im Wald davon huschen kannst. Wie Du nur Miene machst fortzulaufen, drehe ich dir den Hals um, darauf kannst Du Dich verlassen.«

»Ich kann ja nicht fortlaufen,« klagte Bill, »ich habe ja ein lahmes Bein.«

»Desto besser für dich,« nickte der Schwarze »denn das hält Dir den Hals gerade – aber nun vorwärts. – Nein, mein Junge, nicht losmachen, ich behalte Dich an der Hand, denn sicher ist sicher. Komm nur mit; es hilft Dir jetzt nichts weiter. Und die Stöcke bring ebenfalls Sip, wenn ihn unterwegs vielleicht sein Gedächtniß verlassen sollte.«

Bill leistete keinen Widerstand weiter, denn Alles, was er wollte, hatte er ja erreicht: Sie glaubten ihm und waren im Begriff, ihm zu folgen, aber trotzdem beschlich den Knaben jetzt eine und zwar nicht unbegründete Furcht.

Daß ihn die Freunde nicht mit ihren Kugeln treffen würden, wenn sie auf die Räuber schossen, wußte er gut genug und scheute sich wahrlich nicht davor, aber der baumstarke Mann mit dem großen schwarzen Bart, hielt seinen Arm wie in einem Schraubstock und merkte er Verrath – von dem er jetzt aber noch keine Ahnung haben konnte, so war es sicherlich um ihn geschehen. Aber trotzdem schritt der Knabe, der jedoch wirklich so that, als ob er nicht rasch von der Stelle könne, neben dem Jayhawker her. Weigern hätte ihm auch jetzt nichts mehr geholfen, das wußte er gut genug und nur die Kugeln der Freunde konnten ihn wieder frei machen und in Sicherheit bringen.

Der Pfad war ziemlich schmal und das kleine Gestrüpp an beiden Seiten desselben, wie auch überall in diesen Wäldern, in den letzten Jahren wild und üppig emporgeschossen, aber verfehlen konnte Bill seinen Weg schon deshalb nicht, weil ihn die hin- und herwechselnden Kühe offen und betreten gehalten. Trotzdem wurde seinen Begleitern die Zeit lang und der Schwarze brummte.

»Höre mein Bursch, wenn Du glaubst, daß Du uns hier zum Narren haben kannst, so bist Du im Irrthum. Soweit vom Haus hat der alte Boyles sein Geld wahrhaftig nicht begraben. Sind wir bald da?«

»Seht Ihr den lichten Fleck da vorn?« fragte der Knabe.

»Gleich da vor uns die Oeffnung?«

»Ja – dort ist's – aber Mr. Boyles wird so böse werden.«

»Sorg Dich nicht um den, mein Bursche,« lachte der Schwarze, »denn wenn Du unter unserem Schutz stehst, wird er wohl die Hände von Dir lassen. Liegt denn das Geld so dicht am Pfad?«

»Nur ein klein Stückchen rechts davon, – er hat abgebrochenes Holz darüber gezogen, damit es Niemand finden kann.«

»Gescheut gemacht, alter Gesell,« lachte der mit dem Bart – »Boyles ist von jeher ein grundpfiffiger Kerl gewesen – und nun mein kleiner Bursch, da sind wir an der Stelle. Wo ist jetzt der Platz?«

»Gleich da drüben, seht Ihr unter dem Baumwollenholzstumpf, den der Blitz abgeschlagen hat.«

Der Jay-hawker blieb stehen und zwang dadurch auch die Anderen, zu halten. Wie das Wild, ehe es eine größere Waldblöße erreicht, stehen bleibt und umhersichert, ob ihm auch von keiner Seite Gefahr droht, so blieb der den Gesetzen verfallene Mörder ebenfalls halten und überflog rasch mit seinem Blick die angrenzenden Büsche. – Aber selbst sein scharfes Auge konnte nichts Verdächtiges bemerkt haben, doch Bills kleines Herz klopfte ihm wie ein Hammer in der Brust. Der Moment war gekommen, und obgleich er selber den Versteck der Freunde kannte, war er nicht im Stande, auch nur das Geringste von ihnen zu bemerken. Hatte ihnen die Zeit zu lange gewährt und die Schaar den Platz verlassen? – was dann?

Der Führer schien sich aber überzeugt zu haben, daß ihnen hier keine Gefahr drohe. Nur um ganz sicher zu sein, wandte er sich zu dem Neger und sagte zu diesem:

»Du, Sip – steig einmal da drüben die Bank hinauf – wenn Du Dir auch die bloßen Beine ein wenig naß machst, und spür' einmal den Platz ab. Sowie Du etwas Verdächtiges merkst, kommst Du zurück – und nun vorwärts, Ihr Burschen. Habt Ihr die Hacken mitgenommen? Das ist Recht. Das sieht mir selber so aus, als ob dort die Erde frisch umgewühlt wäre. Vorwärts, in einer Viertelstunde müssen wir mit der Sache zu Ende sein.«

Siebentes Kapitel.
Der Hinterhalt.

Die jungen Backwoodsmen vom Fourche la Fave hatten indessen den Abend hinter ihrer Sandbank ziemlich ruhig verbracht, denn sie glaubten selber nicht, daß die Jay-hawker zu dieser Zeit einen Ueberfall unternehmen würden. Es war das wenigstens bis jetzt noch nicht ein einziges Mal geschehen. Am liebsten kamen sie in früher Morgenstunde, ja meistens mit anbrechendem Tag, bis zu welcher Zeit auch sämmtliche Indianerstämme ihre Angriffe aufschieben, weil sie den Feind dann selten oder nie gerüstet finden.

Allerdings hielten die Freunde abwechselnd ihre Wacht und beobachteten dabei ein vorsichtiges aber auch nothwendiges Stillschweigen. Schon der Klang einer Menschenstimme hier im Wald, würde einem herumschleichenden Feind den ganzen Plan verrathen haben, aber an wen es gerade war, sich zum Schlafen nieder zu legen, der that das in voller Ruhe und in einem Gefühl von Sicherheit, das jedoch rasch schwand, als der Whip-poor-Will Morgens seinen ersten Laut hören ließ, und damit den nahenden Tag verkündete.

Jetzt wurden Alle geweckt und lautlos, ihre Büchsen im Arm, horchten sie der Richtung zu, in welcher das Haus lag, ob sie nicht den wilden Schrei von dort herüber hören konnten, mit dem sich die Jay-hawker schon verschiedene Male bei ihren Opfern eingeführt – aber es blieb Alles still. Der Tag dämmerte, die Sonne ging auf und stieg höher und höher, ja stand schon über den Baumwipfeln, und noch immer regte sich Nichts nach jener Richtung zu im Wald, und nur ein paar Spechte hämmerten ununterbrochen an einem alten Stamm herum und stießen manchmal dazu ihr heiseres Gekreisch aus.

Hatten die Jay-hawker ihren Angriff auf Boyles' Haus aufgegeben und waren am Ende doch mit einem vielleicht irgendwo sonst aufgefundenen Canoe nach der anderen Seite zurückgekehrt? Sie hätten jetzt selbst Perryville vollkommen schutzlos gefunden und dort nach Belieben wirthschaften können.

Halt! das klang wie eine menschliche Stimme – wenn sie jetzt kamen. Den jungen Leuten schlug das Herz, als ob sie sich hätten an einen Bären anpirschen wollen. Sie Alle waren aber auch Jäger genug, um zu wissen, daß sie sich vollständig decken mußten, wenn sie den schlauen Feind überlisten wollten. Das Blitzen der Sonne auf einem Büchsenlauf, die runden dunkeln Umrisse eines Kopfes nur auf dem hellen Sand konnten sie schon verrathen, und nicht allein, daß ihre ganze Arbeit dann umsonst gewesen wäre, nein, sie gefährdeten in dem Fall auch auf das Ernstlichste das Leben des Knaben, denn welche Gewissensbisse hätten sich jene Burschen gemacht im ersten Moment und in Wuth und Rache selbst das Leben eines Kindes zu nehmen.

Jim Jenkins hatte dafür auch schon vorher seine Ordre gegeben. Alle mußten sich vollkommen hinter dem Sandrücken verborgen halten, und er selber häufte, eben mit den Augen über dem Rand, für seinen Kopf eine Parthie Reiser und Ranken so auf, daß sie ihm einen Blick hinausließen, aber ihn auch sonst vollständig verdeckten. Erst wenn die Freunde sahen, daß er sich selber schußfertig machte, sollten sie das Nämliche thun, die Büchsen dann hinausschieben und rasch, aber sicher zielen und abdrücken – um Gottes Willen keinen Schuß nutzlos vergeuden.

Jetzt konnte Jim die dunklen Gestalten der Jay-hawker schon deutlich im Wald erkennen. Sie kamen näher und näher und das Blut stockte ihm fast, als er sah, daß der Erste den Arm seines Bruders fest in der Faust hielt, und der Kleine dadurch nicht einmal frei war, sich, der Verabredung nach, gleich bei dem ersten Schuß in das Dickicht zu werfen – aber jetzt blieb keine Zeit mehr zum Besinnen – wo war Hendricks? Jim's Blick suchte ihn, aber er fand ihn nicht unter den Vorderen. War er am Ende gar nicht unter der Schaar? – Jim schrak unwillkürlich zusammen. Die Jay-hawker hielten noch im Waldrand, so daß er bis jetzt nur auf den Einen hätte mit Sicherheit zielen können. Hatten sie etwa Verdacht geschöpft – aber durch was? Jim durfte allerdings nicht einmal den Kopf zur Seite drehen, um sich nicht durch die, selbst unbedeutende Bewegung selber zu verrathen, und nur den Mund öffnete er weit, so schwer kam ihm der Athem aus der Brust.

Wie still das gerade jetzt im Walde war – deutlich konnte man das Klopfen des Spechtes, den Schrei eines kleinen Falken hören, der mit zitterndem Flügelschlag fast wie eine Lerche hoch in der Luft stand, und über die Richtung, die er nehmen sollte, unschlüssig zu sein schien. Kein Blatt regte sich dabei, so still und fast schwül war die Luft. – Jetzt aber schienen sich die Jay-hawker endlich überzeugt zu haben, daß ihnen hier keine Gefahr drohe. Der Platz in dem sie das vergrabene Geld vermutheten, lag überhaupt zu nahe und die Ungeduld trieb sie die Stelle zu untersuchen.

Als ihr Führer aus dem, von Dornen eingeengten Pfad trat, breiteten sich seine Begleiter ebenfalls auf der Lichtung aus – Jim zählte, wenn er in dem Augenblick überhaupt zählen konnte, etwa elf oder zwölf Mann, aber sein Auge suchte Hendricks unter ihnen und fand ihn, aber noch immer von den Uebrigen gedeckt. Sollte er warten bis er vollständig vortrat – aber der geringste Zufall konnte ihn den Räubern verrathen – ein günstigerer Zeitpunkt kam für ihn kaum wieder, denn der Trupp erreichte jetzt den Platz und der Mann mit dem schwarzen Bart, der bis dahin Bill an der Hand gehalten, ließ ihn los, um selber einen der schweren Aeste aufzuheben.

Jim winkte zurück mit der Hand, und die Büchse, deren Hahn er schon gespannt hatte, mit beiden Händen fassend, hob er sich etwas auf den Knieen aus seiner gebückten Stellung empor.

Es waren acht Männer die dort im Hinterhalt lagen – der neunte hielt noch am Holzrand Wacht, sollte aber ebenfalls nach dem ersten Schuß herbeieilen. – Dort drüben stand ein Trupp von wenigstens zwölf so verzweifelten Burschen als sie vielleicht das weite Land aufzuzeigen hatte – hätten sie alle ihre Gewehre abgeschossen, so hatten die Feinde, mit ihren geladenen Büchsen und Revolvern, jedenfalls die Uebermacht. Aber wer von ihnen Allen hätte deshalb auch nur für einen Moment den Angriff verzögern mögen. Sie durften es auch gar nicht; der Neger schritt gerade auf sie zu – dort waren diese, von der Welt für vogelfrei erklärten Jay-hawker, von Mord triefend und eben wieder im Begriff, einen neuen Raub zu begehen. Ein günstigerer Zeitpunkt kam nicht wieder, und ohne jetzt auch nur noch mit einer Wimper zu zucken, hoben sie sich gemeinschaftlich empor – die Büchsenläufe suchten ihr Ziel – und der Wald wurde lebendig.

Der Neger hatte, wenn auch nicht die größte, doch die erste Ueberraschung. Ohne eine Gefahr zu ahnen, watete er durch das seichte Wasser, dem Sandrücken zu, hinter dem die Männer lagen. Da sah er vor sich, wie mit einem Schlag, die dunklen Gestalten der Rächer auftauchen, und ehe er selbst nur einen Warnungsschrei ausstoßen konnte, traf ihn die erste Kugel in die Brust.

Aber fast in demselben Moment auch fielen die anderen Schüsse – wenigstens unmittelbar nacheinander, und jetzt waren die Schützen selber auch nicht mehr zu halten. Die Ueberraschung, der erste Schreck der Räuber mußte benutzt werden, und wie sie nur ihre Kugel abgesandt, sprangen sie auch auf die Sandbank und dann wie ein Wetter gegen die Räuber an, die in wilder Furcht gar nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten. – Fünf brachen wild dem nächsten Dickicht zu, aber schon nach wenigen Schritten taumelten Einige und hätten den Kolbenschlag nicht mehr gebraucht, der sie – eine Leiche, zu Boden schmetterte. Da und dort brach es noch durch die Büsche hinein und die Verfolger griffen die erbeuteten Büchsen auf, feuerten hinterher, und stürzten dann wieder nach, die Kolben schwingend.

Bill war der Einzige gewesen, der die Bewegung hinter der Sandbank bemerkte, und nach ihm der Neger – für ihn selber aber zu spät. Wie der kleine Bursch aber die Büchsenläufe in die Höhe gehen sah, warf er sich auch platt auf den Boden nieder und die Uebrigen mochten glauben, daß er gestolpert wäre – achteten wenigstens in der Erwartung des vergrabenen Geldes nicht auf ihn, bis sie die zwischen sie einschlagenden und sicher genug gezielten Kugeln inmitten ihrer verbrecherischen Laufbahn ereilten.

Nur Einer war todt auf dem Platz geblieben; der schwarzbärtige Gesell, der Bill an der Hand geführt, denn er hatte die Kugel in den linken Schlaf bekommen und wohl kaum seinen Tod gefühlt. Fünf Leichen lagen in zehn bis zwanzig Schritt von der Stelle, und andere Verwundete hörten sie noch nach verschiedenen Richtungen hin durch die Büsche brechen.

Jim selber hatte keinen freien Schuß auf Hendricks bekommen können, denn Einer der anderen Jay-hawker stand vor ihm. Es blieb ihm Nichts übrig als auf diesen zu schießen, in der Hoffnung, daß die Kugel durchschlagen und Beide treffen möge – aber unter den Todten fand er ihn nicht, und sein Ruf sammelte die Freunde, daß sie sich nicht tollkühn einer unnöthigen Gefahr aussetzten.

Zuerst mußten sie ihre Büchsen wieder laden, dann wollten sie den Wald absuchen und wer von Allen auch nur einen Streifschuß erhalten hatte und nicht mehr so rasch von der Stelle konnte, mußte dann sicher in ihre Hände fallen.

Kein Wort wurde dabei gesprochen – wachsam nur flogen die Blicke umher, denn jeder Augenblick konnte noch von einem der Flüchtigen eine Kugel herübersenden, während die Hände fast mechanisch die abgeschossenen Büchsen wieder luden. Bill selber aber hatte sich schon eine der Büchsen vom Boden aufgesucht – seines Vaters Waffe, die Einer der Räuber damals mitgenommen. Den wenigstens hatte die Vergeltung erreicht, und der kleine Bursch sah so kaltblütig nach dem Zündhütchen, ob auch Alles in Richtigkeit sei, als ob er schon in Gefahren grau geworden wäre – aber die Kugeltasche fehlte noch. Der Todte trug sie noch an seinem Leibe. Bill legte die Büchse auf die Leiche, hob den Körper mit aller Kraft an der rechten Seite in die Höhe, und hing sich dann die Tasche selber um.

Und jetzt begann die Verfolgung der Verbrecher, die auch insofern ein günstiges Resultat lieferte, als die Verfolger noch bald darauf einen Todten und zwei schwer Verwundete antrafen, mit denen aber wenig Umstände gemacht wurden.

John Wells rief zwar, man solle sie aufhängen, denn Erschießen sei zu gut für sie. Wenn aber auch die Männer mit der vorgeschlagenen Todesart einverstanden gewesen wären, hätte ihnen das doch zu viel Zeit weggenommen. Ein paar erbarmungslose Hiebe mit derselben Kaltblütigkeit geführt, als ob sie einen angeschossenen Wolf abgefertigt hätten, beendeten die Leiden der Verbrecher, und weiter stürmte dann die Schaar, denn noch immer fehlte Hendricks unter den Opfern, und Jenkins wie Wells suchten ja doch nur den Einen vor allen Andern.

Weiter – das Terrain war insofern der Verfolgung günstig, als der Arkansas hier einen großen Bogen machte, und während sechs von den Leuten abgeschickt wurden quer durch, nach dem Rand des oberen Ufers zu zu suchen, vertheilten sich die Uebrigen, Bill seine Büchse schulternd mitten zwischen ihnen, durch den Wald.

Da wo noch Einer der Räuber durch die Gründornen gebrochen war, fanden sie Blutspuren und folgten nun, wie gierige Schweißhunde, der aufgefundenen warmen Fährte. Aber der Verwundete mußte Lebenskraft genug haben, um rascher vorwärts zu rücken, als sie ihm folgen konnten, da sie gezwungen waren, die oft kaum sichtbare Fährte zu halten. Sie erreichten sogar endlich das Ufer des Arkansas, wo sie deutlich sahen, daß der Verwundete, dessen Blut die Uferbank färbte, den Strom betreten haben mußte. Hatte er noch Kraft behalten, um hinüber an's andere Ufer zu schwimmen? Die Fläche war breit und es gehörten kräftige Arme dazu – oder war er nur eine kurze Strecke stromab getrieben, um die Verfolger von seiner Fährte zu bringen und sich dort bis einbrechende Nacht versteckt zu halten.

Beide Fälle waren möglich und zwei der jungen Leute erboten sich augenblicklich, nach zu schwimmen und drüben die Ufer abzusuchen, während die Andern an dieser Seite den ganzen Flußrand abspüren sollten. Das Letztere zeigte sich aber nicht so leicht, denn eine Masse von unterwaschenen Bäumen waren mit ihren Wipfeln in den Strom gestürzt; an anderen Stellen hing das Rohr über die steile unterwaschene Bank, so daß man sich nur mit Gefahr an den äußersten Rand wagen und dann noch nicht einmal selbst die kleine Stelle vollkommen genau überschauen konnte.

Die Verfolger gaben sich gewiß Mühe ihr Opfer aufzuspüren, aber vergebens. Hatte der Verwundete im Arkansas seinen Tod gefunden? Es war möglich, ja sogar wahrscheinlich, falls er wirklich, zur Verzweiflung getrieben, gewagt haben sollte ihn zu kreuzen. An diesem Ufer schien er sich aber nicht gehalten zu haben und man mußte nun abwarten, welche Nachricht die beiden Schwimmer brachten.

Gegen Abend sammelten sich die Backwoodsmen wieder auf dem Platze ihres Hinterhalts und Cook machte den Vorschlag, die Leichen zu begraben, was aber von dem Rest der Schaar fast zornig zurückgewiesen wurde.

Begraben? hatten diese Buben ein ehrliches Begräbniß verdient? wahrlich nicht. Es gab Wölfe und Aasgeier genug im Walde, um sie im Lauf der nächsten Tage zu beseitigen und das Einzige, wozu sich die Rächer verstanden, war, es den Thieren des Waldes bequem zu machen, indem man den Leichen die Kleider auszog, diese dann auf einen Haufen Reisig warf und das Ganze anzündete. Dann, nachdem sie alle Waffen und Kugeltaschen gesammelt hatten, kehrten sie nach Boyles' Farm zurück, wo die beiden jungen Leute, die über den Fluß geschwommen, zu ihnen trafen.

Diese aber schienen sich in größter Aufregung zu befinden und wie sie nur ans Ufer sprangen, schrieen sie den Gefährten schon zu:

»Er ist drüben, er ist entkommen, Hendricks lebt noch!«

»Und Ihr habt ihn gesehen?« rief Jenkins fast außer sich.

»So dicht wie Euch!« erwiderte der Eine, »aber was sollten wir machen? Er hielt uns einen Revolver vor, wir hatten nichts als unsere Messer, und ich begreife eigentlich jetzt noch nicht, weshalb er uns nicht Beide über den Haufen schoß.«

»Weil er sich fürchtete, daß sein Revolver versagte,« knirschte John Wells zwischen den Zähnen durch. »Teufel noch einmal, weshalb seid Ihr nicht auf ihn gesprungen.«

»Weil ich kein Stück Blei im Leibe haben wollte,« knurrte der Andere. »Die Revolverpatronen kann man ein paar Stunden in's Wasser legen und sie gehen doch los, und der Bursche war so zur Verzweiflung getrieben, daß er wahrhaftig wenig Umstände mit uns gemacht haben würde.«

»Und wo traft Ihr ihn?«

»Keine hundert Schritt vom Ufer,« sagte der Erste wieder. »Er schien von der Schwimmpartie erschöpft und wir hatten ebenfalls keinen Athem mehr. Wir fanden den Platz, wo er an's Land gestiegen war, gleich an der Slew, die etwa eine halbe Meile über Klingelhöffer's Platz in den Arkansas mündet. So weit hatte ihn der Strom mit hinab genommen.«

»Und weiß Klingelhöffer darum?«

»Gewiß, der Alte riß augenblicklich, trotz seiner Kreuzschmerzen, seine Büchse von der Wand und eilte hinüber.«

»Und Ihr seid ihm nicht gefolgt?«

»Weil wir Euch hier erst Nachricht geben wollten. Wenn wir jetzt Alle zur Verfolgung ausgehen, kann er gar nicht entkommen.«

»Gut denn – hinüber!« rief Jenkins rasch. »Es ist vielleicht auch gut so, denn der Schuft hat jetzt wenigstens noch eine Weile Todesangst auszustehen, bis wir ihm wieder auf den Fährten sitzen. Hat Einer von Euch ein Seil?«

»Hier im Hause sind genug,« sagte Bill. »Dort in der Ecke liegen drei oder vier Stricke.«

»Gut, nehmt ein paar mit und nun vorwärts. Unser Werk ist nur halb gethan, wenn uns Hendricks entkommt.«

Die Männer hielten sich in der That nicht auf, und wie nur die erste Hälfte übergesetzt war, flogen sie auch mehr als sie gingen, am Ufer hinauf, um die Stelle zu erreichen, wo der Verbrecher zuerst gesehen worden – umsonst. Nach etwa einer Stunde trafen sie Klingelhöffer, der die Fährte verloren hatte, und sie nun an dem höheren Land, das mit einzeln stehendem Rohr und kleinem Baumwuchs bestanden war, wieder aufzufinden suchte. Der Boden dort war aber trocken, da das Regenwasser rasch in die Niederung ablaufen konnte, die beiden Hunde, die er mitgenommen, verstanden nicht auf einen Menschen zu jagen und setzten hinter einem vor ihnen aufstehendem Hirsch her, und als die Nacht einbrach, in der jede Verfolgung nutzlos wurde, mußten sie es aufgeben und nach Klingelhöffer's Haus zurückkehren.

Achtes Capitel.
Die Suche.

In den nächsten Tagen war Alles, was sich noch von waffenfähigen Männern am Fourche-la-Fave, wie an der anderen Seite des Stromes befand, auf den Füßen und im Sattel, denn wie ein Lauffeuer hatte sich das Gerücht über die Zersprengung und fast vollständige Vernichtung der Jay-hawker-Bande verbreitet, und Alles wollte jetzt Theil nehmen, um die Letzten dieser gefürchteten Schaar mit einfangen und bestrafen zu können.

Der Haupttrupp nahm auch dabei Hendrick's Fährte auf – umsonst. Die Männer auf der anderen Seite des Arkansas trafen noch auf einen Verwundeten, der in einen Schilfbruch gekrochen war und sich kaum noch regen konnte. Das aber schützte ihn nicht; er wurde hervorgezogen und an dem nächsten Dogwood aufgehängt, während die Rächer am Fourche-la-Fave auch keine Fußspur mehr von dem Flüchtigen fanden.

Wo er sich versteckt hatte, ließ sich kaum denken, denn weiter geflohen konnte er unmöglich sein, oder sie hätten ihn finden müssen; aber nach drei Tagen vergeblicher Suche gaben sie die Sache endlich auf – die Meisten wenigstens, die in ihre Heimath zurückkehrten, während aber John Wells wie Jenkins einen heiligen Schwur leisteten, nicht zu ruhen noch zu rasten, bis sie den Mörder ihrer beiden Väter erreicht und deren Tod an ihm gerächt hätten.

Vor der Hand mußten sie allerdings nach Little Rock zurück, aber General Steene, als er die Einzelheiten jener Verbrecherschaar gehört, gab ihnen gern Urlaub, mit der Bedingung freilich, die Mörder, falls es ihnen irgend möglich sein sollte, lebendig nach Little Rock einzuliefern. Er wolle selber sein Urtheil fällen, und daß Hendricks bei ihm auf keine Gnade zu hoffen hätte, darauf könnten sie sich fest verlassen.

John Wells versprach das augenblicklich, als ihm aber Jim nachher Vorwürfe darüber machte, lachte der junge Bursche kalt und höhnisch auf und murmelte zwischen den zusammengebissenen Zähnen:

»Wenn er das aushält, was ich mit ihm anfange, sobald er mir in die Hände läuft, und nachher wirklich noch lebendig ist, dann werde ich ihn so an den alten Herrn abliefern. Wahrscheinlich ist's freilich nicht.«

»Aber Du hast es versprochen.«

»Zum Teufel auch,« rief Wells, »ich hätt' ihm versprochen, ein Stück Mond herunter zu holen, wenn er's verlangte, nur um loszukommen. Jetzt komm Jim. Wenn der Schuft noch lebt, so ist ihm hier der Boden unter den Füßen zu warm geworden; dann aber hat er sich auch nirgends anders hingewandt, als nach dem gesegneten Texas – und dorthin liegt jetzt unser Ziel.«

»Und die Unseren daheim?«

»Mein Bruder wird so lange für sie sorgen – er hat's fest versprochen. Deine Schwester zieht zu meiner Mutter und Bill ebenfalls; der Junge ist ein Prachtkerl, und lebt Hendricks noch, dann finden wir auch seine Fährte – oh nur die Seligkeit, ihm die Schnur um den Hals zu knüpfen – weiter verlange ich ja nichts auf der Gotteswelt.«

»Und wann brechen wir auf?«

»In drei Tagen. Ich muß noch erst einmal nach Hause, um Alles dort in Ordnung zu bringen. Hast Du Geld, Jim?«

»Keinen Dollar im Vermögen.«

»Ich auch nicht, aber das schadet nichts – wohin wir gehen, brauchen wir nichts, als was wir uns leicht mit der Jagd verdienen können. Hast Du noch einen anderen Anzug, denn in der Uniform dürfen wir nicht reisen – Texas ist noch im Aufstand.«

»Ja, mein neues Zeug, das mir Betsy erst in dieser Woche fertig gemacht hat.«

»Gut – ich will ebenfalls sehen, daß ich einen anständigen Rock auftreibe, denn die letzte Suche hat dem meinigen bös mitgespielt. Wollene Decken haben wir den Jayhawkern genügend abgenommen. Was ist denn das für eine Büchse, die Du da trägst?«

»Meines Vaters Waffe, die Bill dem einen Todten abgenommen. Ich habe dem Knaben die meinige dafür gegeben.«

»Alles in Ordnung denn. Am dritten Tag von heute hol' ich Dich ab,« und sein Pferd wendend ritt er in scharfem Trab den Strom hinauf.


John Wells hielt sein Wort. Zu thun gab es jetzt auch Nichts mehr für sie am Fourche-la-Fave, denn den Jay-hawkern war das Handwerk gelegt, und wieder Land urbar zu machen oder zu pflanzen, dazu hatte keiner der Leute Lust. Wußten sie denn, für wen sie es thaten, und waren ihnen nicht jetzt drei Jahre hinter einander die Ernten von durchstreifenden Soldatentrupps der einen oder anderen Partei geplündert oder zerstört worden? Erst mußte wieder Frieden sein, ehe sie in diesen dem Wechsel des Krieges ausgesetzten Districten an die ruhige Beschäftigung des Ackerbaues gehen konnten. Das Wenige, was sie selber zum Leben brauchten, konnte jeder schon ziehen oder durch die Jagd beibringen; jetzt hatte John Wells kein anderes Ziel als den zehnfachen Mörder zu erreichen und dann – ja, was er dann mit ihm thun würde, wußte er selber noch nicht, und nur in Wuth und Ingrimm knirschte er die Zähne zusammen, wenn er an den Buben dachte.

Texas! und war er auch wirklich nach Texas geflohen? Konnte er sich nicht westlich zu den Indianern gewandt haben? Wie mancher Verbrecher schon hatte die weiten Prairien aufgesucht, um sich dem Arm der ihn verfolgenden Gesetze zu entziehen.

John hielt sein Pferd an und schien unschlüssig, aber wie wir bei allen Menschenklassen, die den größten Theil ihres Lebens draußen in der freien Natur verbringen, bald mehr bald weniger immer einen gewissen Grad von Aberglauben finden, so sagte er sich jetzt selber: Dein erster Gedanke fiel auf Texas – Gott selber muß es Dir eingegeben haben, denn er kann nicht wollen, daß ein solcher Bube frei und ungestraft auf seiner Erde wandelt – also nach Texas! und als er zur verabredeten Zeit mit Jim zusammentraf, konnte er den Moment nicht erwarten, wo er seinem Thier erst die Sporen geben durfte.

Aber Texas ist ein großes – ein ungeheuer großes Land, und wenn sie es erreichten, nach welcher Richtung sollten sie dann suchen? Doch die Frage fand vielleicht schon ihre Erledigung auf dem Weg, denn wenn sich der Flüchtige überhaupt dorthin gewandt, so konnte er fast nur durch Arkansas die Straßen über Washington und Fulton eingeschlagen haben. Der folgten sie jetzt ebenfalls, um vielleicht in irgend einer Hütte wieder auf die Spur des Verbrechers zu kommen. Er war jedenfalls durch eine der Kugeln getroffen worden, das bewies das Blut, das sie in seinen Fährten gefunden, und möglich war's, daß sie gerade dadurch leichter auf seine Spur kommen oder ihn wohl gar erschöpft in irgend einer Cabin fanden.

Die Hoffnung sollte sich indessen nicht bewähren, denn Kunde bekamen sie allerdings genug von verdächtigen Individuen, die sich dort in der letzten Zeit auf der Straße herumgetrieben, und meist alle den Weg nach Texas eingeschlagen hatten, aber ob der Gesuchte zwischen ihnen gewesen, wer konnte es sagen. Verwundet waren ebenfalls Einige gewesen, das aber konnte in jetziger Zeit, wo der blutige Krieg Tausende von Opfern kostete, kaum auffallen. Es schien vielmehr sonderbar, wenn noch ein junger Mann mit unverletzten Gliedern in der Welt herumlief.

So setzten sie ihren Weg fort, bis sie endlich den Red-River erreichten, diesen kreuzten und dann in die ungeheueren Wälder des weiten Landes eintauchten.

Dort hörte jede Spur auf, denn dort gab es nur einzelne, jetzt ebenfalls wüstliegende Plantagen und das Land war so wildreich, daß sich ein einzelner Wanderer, wenn er besonders Menschen ausweichen wollte, recht gut verbergen und von jedem Pfad abseits erhalten konnte – und Hendricks wußte gut genug in der Wildniß Bescheid, um gerade einen solchen Cours, seiner größeren Sicherheit wegen, zu verfolgen.

Die Kreuz und die Quer zogen so unsere beiden jungen Backwoodsmen durch die am wenigsten besiedelten Theile des großen Staates, und wenn sie auch mit Manchem zusammentrafen, der recht gut in den Staaten einer solchen Raubbande angehört haben könnte, den allein Gesuchten fanden sie nicht, und konnten ihn auch von Keinem erfragen.

Lange Monate hatten sie dabei dies Leben fortgeführt, und sogar schon in der einen kleinen Ansiedelung, die sie erreichten, die Nachricht erhalten, daß der Feldherr der Secessionisten: General Lee, capitulirt habe und der Krieg somit beendet sei, wenn sich auch in Texas selber eine Truppenmacht der Rebellen hielt.

Sollte sich Hendricks am Ende diesen angeschlossen haben? Es schien nicht wahrscheinlich, denn ein Meuchelmörder sucht nicht den offenen Kampf, so lange er aus sicherem Hinterhalt sein Opfer treffen kann. Aber wo in aller Welt stak er dann, und vergeudeten sie nicht hier ihre Zeit in völlig nutzlosem Umhersuchen, während der Verbrecher vielleicht vollkommen sicher und unbehelligt in irgend einem anderen Theil des weiten Landes, und dann jedenfalls unter einem angenommenen Namen saß?

Jim und John lagen an einem, im Wald entzündeten Feuer ausgestreckt. An der Gluth briet ein von dem Ersteren erlegter Truthahn, und die beiden jungen Leute hatten das Für und Wider ihrer langen mühseligen Wanderung hin und her erwogen. Sie fingen an einzusehen, daß sie auf diese Weise ihr Ziel wohl kaum erreichen würden.

»Das geht nicht länger John,« sagte Jim nach einer langen Pause, in der er still sinnend in die Flamme gestarrt hatte. »Wer weiß ob der Schuft überhaupt noch lebt, und wir ziehen hier wie die Narren mitten im Wald herum, als ob wir weiter in der Gottes Welt Nichts zu thun hätten, als auf die Jagd zu gehen – und daheim liegen doch unsere Farmen brach.«

»Und hast Du etwa Lust unsere Jagd aufzugeben?«

»Wenn ich die Möglichkeit eines Erfolges sähe, bei Gott nicht, aber wir wissen nicht einmal, ob sich Hendricks nach Texas gewandt hat, und wo ihn dann suchen? Er kann eben so gut in Minnesota wie in Florida sitzen.«

»Vielleicht hast Du Recht,« nickte John, nach einer kleinen Weile – »wir könnten unsere Chancen verdoppeln, und das ist es, woran auch ich schon gedacht habe.«

»Und in welcher Art?«

»Indem wir uns trennen und jeder einen anderen District absucht.«

»Und was dann, wenn ihn Einer findet? Haben wir nicht Beide Antheil an der Rache?«

»Das ist eben der Teufel, und wenn das nicht wäre,« meinte John, »so hätte ich Dir den Vorschlag schon vor vier Wochen gemacht – sobald wir uns aber nach zwei Richtungen wenden, liegt doch viel eher die Möglichkeit vor, ihn anzutreffen und sind wir ihm nur erst einmal auf der Spur – wissen wir bestimmt, daß er in Texas ist, dann wäre es auch nachher ein Leichtes, ihn gemeinschaftlich wieder zu treffen.«

»Und dann müßten wir ihn das erste Mal laufen lassen,« sagte Jim mit dem Kopf schüttelnd – »Du wärst der Letzte, der das thäte, John. Denk nur an das Versprechen, das Du dem General in Little Rock gegeben.«

»Bah, soviel für den; der hatte kein Anrecht an unserer Rache, aber Du hast es, und ich möchte es Dir nicht verkümmern. Uebrigens braucht Hendricks, wenn ihn Einer von uns aufspürt, gar nicht zu erfahren, daß wir in der Nähe sind. Wir wollen nur herauszubekommen suchen, wo er sich aufhält, und uns dann an einem verabredeten Sammelplatz treffen.«

»Das ist weitläufig,« sagte Jim, mit dem Kopf schüttelnd, »und bekommt er nachher Wind, so sind wir auf dem alten Fleck. Nein, Du weißt, daß uns neulich einmal der Neger, den wir trafen, einen Mann beschrieb, der möglicher Weise Hendricks gewesen sein kann. Der soll sich aber in der Nähe einer deutschen Colonie aufhalten. Wie wär's, wenn wir zusammen dorthin aufbrächen und dann erst – sobald wir unseren Verdacht nur in etwas bestätigt finden, getrennt suchen.«

»Es ist ein verwünscht weiter Weg.«

»Aber will uns das Glück wohl, so finden wir ihn vielleicht eben so leicht in dieser Richtung, wie in irgend einer andern.«

»Aber die Beschreibung paßte nur in etwas auf die Person, sonst wären wir ja gleich auf der Spur nachgegangen,« rief John. »Jener Bursche war der Sohn eines Pflanzers aus Florida, dem die Unionisten die Plantage zerstört hatten.«

»Bah, Geschichten sind leicht erzählt und Hendricks ist erfinderisch. Was sollen wir hier? Hier steckt er nicht, oder wir hätten ihn längst gefunden, also weshalb ihn nicht in einer anderen Richtung suchen.«

»Gut! einverstanden,« nickte John endlich, »aber – in der deutschen Colonie werden wir Geld brauchen und das –«

»Nicht einen Cent,« rief Jim – »denk an Klingelhöffer – würde der Geld für ein Nachtquartier nehmen? Sie sind alle gastfrei, und außer dem bringen wir auch leicht ein Dutzend Hirschhäute zusammen, wenn wir ja einmal ein paar Dollar brauchen sollten. Vorwärts, der Wald bleibt uns immer und giebt uns Nahrung und Quartier.«

Es wurde Nichts weiter über die Sache gesprochen. Die Männer beendeten ihre Mahlzeit, holten dann ihre »ausgehobbelten« (to hobble a horse, ein Pferd an den Vorderbeinen fesseln) Pferde herbei, schnürten ihre Decken zusammen und schlugen mitten durch den Wald die etwaige Richtung ein, die sie ihrem nächsten Ziel entgegenführen mußte.

Neuntes Kapitel.
In der Colonie.

Man muß den Charakter dieser zähen amerikanischen Backwoodsmen kennen, um zu begreifen, wie zwei junge Leute, nur mit ihren Büchsen und Pferden, und eine wollene Decke am Sattel festgeschnallt, Monate lang und allein das eine Ziel verfolgend, in einem wilden Land herumziehen konnten. Es war ihnen aber eben Nichts weiter als eine Jagd, auf der sie früher ja auch halbe Jahre verbrachten; an Ausdauer fehlte es ihnen wahrlich nicht dazu – an Bequemlichkeiten waren sie nie gewöhnt gewesen – solche ausgenommen, die ihnen die Wildniß bot, und sie betrachteten die ganze Tour mehr als einen Streifzug, um zugleich auch ein ihnen bisher fremdes Land kennen zu lernen, in dem sie sich vielleicht später selber einmal eine Heimath gründen konnten. Arkansas war ihnen verleidet worden, und es giebt ja überhaupt kaum ein rastloseres Volk in der Welt, als eben diese westlichen Jäger, die selbst ihre Farmen verkaufen, sobald ihnen nur halbwegs ein Gebot gethan wird, und dann mit der größten Zufriedenheit weiter westlich in eine neue Wildniß ziehen.

So verfolgten auch unsere beiden Freunde ihren Weg, ohne aber auch nur für einen Augenblick ihr eigentliches und blutiges Ziel aus den Augen zu verlieren. Ueberall in den zerstreuten Ansiedlungen oder Städten, die sie erreichten, horchten sie umher – überall vergebens, denn der gesuchte Verbrecher war nirgends zu finden. Wohl aber hörten sie, als sie sich jener deutschen Ansiedelung »Blumenthal« näherten, Gerüchte von einer Räuberbande, die sich, wenn auch nicht in unmittelbarer Nähe derselben, doch in der Nachbarschaft in einem wilden Schilfbruch festgesetzt haben und die Gegend unsicher machen sollte. Mancher Reisende durch jene Strecken war verschollen, und der Verdacht lag ziemlich nahe, daß sie eben jenen Buben zum Opfer gefallen.

Die beiden jungen Leute kamen hier in eine freundliche und reiche Gegend – in eine Strecke, die durch den unseligen Krieg wenig oder gar nicht berührt war, und deutschen Fleiß und Arbeitssinn deßhalb so viel deutlicher zeigen konnte.

Hatten sie überhaupt schon je einmal in ihrem Leben einen solchen Platz gesehen, wo Farm neben Farm lag, eine Fenz in die andere griff, und die Acker von Wurzeln und Unkraut gereinigt, ebenen Prairien glichen, während wohnliche Häuser und große aus Stein erbaute Scheunen Reichthum sowohl als Behaglichkeit verriethen?

Das waren Farmen, wie sie eigentlich sein sollten, und wie sie ähnliche auch wohl von Leuten, die aus dem fernen Osten kamen, beschreiben hörten. Wo aber hätten sie selber sie schon in ihrem Leben betreten? – Am Fourche-la-Fave? – Wilder Wald lag zwischen den einzelnen Wohnungen und selbst diese boten wenig – keine von allen auch nur mehr als den nothdürftigsten Schutz gegen das Wetter und die Kälte, während sich hier sogar schon ein ihnen vollständig fremder Luxus Bahn gebrochen und die Stuben mit Teppichen, die Fenster mit Gardinen geschmückt hatte.

Allerdings waren sie auf ihrem letzten Zug in Tennessee und Mississippi durch reiche Districte gezogen, wo in Friedenszeiten die herrlichsten mit Allem ausgestatteten Plantagen gelegen, aber wie sahen diese Plätze aus, als ihr Fuß sie betrat? Die Häuser waren verbrannt, oder lagen mit eingeschlagenen Fenstern und Thüren verödet da. Die Fenzstangen schienen zu Feuerholz gedient zu haben, die Felder selber, seit Jahren nicht mehr bestellt, waren von Büschen und Unkraut überwachsen, und Elend und Zerstörung starrte ihnen überall entgegen.

So hatten sie sich die ganze Zeit von einem Schlachtfeld zum andern herumgetrieben, und als sie nach Hause in ihre Waldesheimath zurückkehrten, wohnte dort der Mord, und das Blut der ihnen theuersten Menschen färbte den Boden roth.

Auch seit der Zeit durchstrichen sie wilde und wüste Gegenden, die noch dazu meist alle durch den Krieg heimgesucht worden waren, bis ihr Fuß hier plötzlich ein kleines friedliches Paradies betrat, das so still und versteckt in den Bergen lag, um selbst den feindlichen Fouragirzügen zu entgehen.

Eigentlich war der Platz hier für eine Colonie so ungeschickt als möglich gewählt, denn Blumenthal hatte fast gar keine Communication mit der übrigen Welt. Auf dem von einem Amerikaner entworfenen Plan der jungen Stadt befanden sich allerdings Eisenbahnen genug, die es zu einem Centralpunkt des ganzen Staates machen sollten, aber das war nur auf dem Papier gewesen. In Wirklichkeit existirte noch kaum eine Fahrstraße nach dem nächsten kleinen Fluß, auf dem man einzelne Producte, aber nur in günstiger Jahreszeit stromab schaffen konnte. Sonst liefen nur ein paar Maulthierpfade einer nach Süden, einer nach Osten aus.

Trotzdem aber war die junge Colonie gewachsen, denn wo der Deutsche erst einmal seinen Pflug in den Boden getrieben hat, läßt er auch nicht locker und arbeitet nicht allein stetig weiter, sondern zieht auch Freunde und Familienglieder allmählich nach. Der Platz hatte sich auch in der That so gehoben, daß man eben daran gehen wollte, eine gute Fahrstraße in das niedere und mehr besiedelte Land zu bauen und dadurch die Bahn zu einem Schienenstrang zu öffnen, als der Krieg im Norden ausbrach und natürlich jede industrielle Arbeit entweder sistirte, oder wenn noch nicht begonnen, hinausschob auf bessere Zeiten.

Das aber was die Bewohner von Blumenthal früher als ein schweres Unglück betrachteten, war eben zu ihrem Glück gewesen, denn das hielt sie, in ihrer Abgeschiedenheit, von den Lasten des Krieges vollständig verschont und nur ein einziges Mal verirrte sich ein kleiner Trupp von zersprengten Sesesch-Soldaten hierher und zeigte Lust den Ort zu brandschatzen. Das aber war den Ansiedlern außer dem Spaß, und da doch Jeder von ihnen, fast ohne Ausnahme, seine Jagdflinte oder Büchse mit herüber nach Amerika gebracht hatte, so erschienen sie plötzlich in so wuchtiger Zahl zusammen und unter Waffen, daß die Sesesch außerordentlich freundlich wurden, nur um die nöthigen Lebensmittel ersuchten – mit dem Erbieten sogar, für dieselben zu bezahlen, und dann als sie freigebig erhalten hatten, was sie wirklich brauchten, die Ansiedlung wieder rasch verließen.

Seit der Zeit hatten sie in Frieden gelebt, bis sich nördlich oder vielmehr nordwestlich von ihnen, an den Quellen des Colorado Gesindel festzusetzen schien, das anfing die Gegend unsicher zu machen. Allerdings hielt man die Uebelthäter für einen Trupp versprengter Sesesch-Soldaten, die noch dort für kurze Zeit in den Bergen ihr Wesen trieben – vielleicht auch gar für eine Bande mexicanischer Diebe, die sich möglicher Weise über die Grenze hereingezogen. Merkwürdig nur, daß sie jedes Mal so genau wußten, wer Geld hatte, und nie Leute behelligten, die dort draußen waren, um ihr Vieh zu suchen oder nur zu jagen. Man war auch nach dieser Richtung hin noch nie verdächtigem Gesindel begegnet, und nur ein Mann einmal, ein Amerikaner, der sich zwischen ihnen niedergelassen, war von drei Strolchen angefallen worden, von denen er aber fest behauptete, daß es Mexicaner gewesen wären. Er hatte, wie er erzählte, einen erschossen und einen andern verwundet, und obgleich sie mehrfach auf ihn gefeuert, seine Flucht bewerkstelligt.

Hierauf wurden ein paar Streifzüge nach dieser Richtung hin unternommen, aber ohne den geringsten Erfolg. Man fand keine Spur der Räuber, nicht einmal den Todten, den sie jedenfalls fortgeschleppt und beerdigt hatten und eine Zeitlang ruhte die Sache, bis wieder ein sehr reicher deutscher Farmer, der da oben Vieh gekauft hatte und es bezahlen wollte, ebenfalls nicht zurückkehrte und durch seinen wahrscheinlichen Tod die kleine Ansiedlung in erneute Unruhe versetzte.

Der Fall war um so trauriger, als sich die Tochter desselben Mannes in den nächsten Tagen hatte mit einem jungen Amerikaner verheirathen wollen, und dieser, der Nämliche, der schon früher angefallen worden, war jetzt mit fünf oder sechs seiner Landsleute, und etwa zwanzig jungen deutschen Farmern ausgegangen, um die Gegend gründlich abzusuchen und diesem nichtswürdigen Räuberwesen ein Ende zu machen.

Gerade in dieser Zeit trafen unsere beiden Freunde in der Ansiedlung ein und wurden dort, wie das unter den Umständen wohl natürlich ist, mit einigem Mißtrauen betrachtet.

Ein Wunder war es nicht, denn Jim wie John, die sich jetzt unausgesetzt schon lange Monate im Wald oder doch auf den verschiedenen Straßen herumgetrieben, sahen eben wild genug aus, um ihnen selbst das Schlimmste zuzutrauen, und die Aengstlichsten in dem kleinen Städtchen, das zum großen Theil für den Augenblick von waffenfähigen Männern geräumt war, befürchteten schon den indeß verabredeten Ueberfall einer größeren Bande, von der dies möglicher Weise die Vorläufer sein konnten.

Beide Freunde übrigens, mit keiner Ahnung, daß man sie hier in einem solchen Verdacht haben konnte, erkundigten sich, sobald sie den Ort erreichten und sich plötzlich unter lauter Fremden befanden, ob kein Amerikaner im Ort wäre und wurden nach einem der nächsten Häuser zu einem alten Mann – und zwar einem der ersten Ansiedler hier, gewiesen.

Und hielt sich hier ein Mr. Rollridge auf? so sollte sich des Pflanzers Sohn genannt haben, von dem ihnen der Neger erzählte.

Die Leute, an welche die Frage gerichtet wurde, sahen sich unter einander an, gaben aber keine directe Antwort darauf, sondern erwiederten nur, daß die Fremden bei Mr. Warner, wie der alte Mann hieß, wohl Alles, was sie zu wissen wünschten, erfahren könnten. – Und woher sie selber kämen? – Aus dem Wald, – wohin sie wollten? – sie wüßten es noch nicht, – sie wären Leute, die sich nach einem Platz zur Niederlassung umsähen.

Das sagte ein Jeder, dem daran lag keine genaue Auskunft über sich zu geben, aber Warner war, ebenso wie Friedensrichter im Ort, auch ein alter gescheuter Bursch, der ihnen schon auf den Zahn fühlen würde und dem konnten sie das Weitere deßhalb ruhig überlassen.

Jenkins wie Wells jedoch, wie sie sich nur kurze Zeit mit ihrem älteren Landsmann unterhielten, fanden bald, daß sie es mit einem einfach schlichten Mann zu thun hatten, dem sie aus dem Zweck ihrer Reise kein Geheimniß zu machen brauchten. Warner schüttelte aber den Kopf, als sie ihren Verdacht gegen Rollridge äußerten. Er hatte selber dessen Vater gekannt, und die Befürchtung lag hier in Blumenthal außerdem nahe genug, daß sogar Rollridge, als er den Platz habe verlassen wollen, ermordet oder sonst zu Schaden gekommen sei. Er hatte wenigstens sein nächstes Ziel – eine bestimmte Farm am Colorado, nie erreicht und man wisse dabei, daß er ziemlich viel Geld mit sich führte.

Wieder also waren sie vergebens eine so endlos weite Strecke gewandert, wieder ihre Hoffnungen getäuscht worden und Jenkins selber fing an, der Verfolgung müde zu werden. Hier erfuhren sie außerdem, daß der Krieg vollständig beendet sei, und wie sollten sie jetzt, mit all den entlassenen Soldaten, die sich über die Staaten zerstreuten, noch irgend eine bestimmte Spur verfolgen können.

Warner selber sprach dabei die feste Ueberzeugung aus, daß die Räuber, die hier in der Nachbarschaft ihr Wesen trieben, jedenfalls dem mexicanischen Stamm angehörten. Mr. Rawlins, wie der Amerikaner hieß, dessen Schwiegervater gerade als letztes Opfer gefallen, war übrigens ein ganz tüchtiger Mann und, wie er erklärt hatte, fest entschlossen, diesmal alle seine Kräfte aufzubieten, um die Mörder auszuspüren und zu bestrafen, und sie durften also hoffen, daß der überdies starke Zug nicht so ganz unverrichteter Sache zurückkehren würde. Jedenfalls hatten sie die Unbill lange genug geduldet, und es müßte ihr einmal ein Ende gemacht werden.

Und was nun? – Jim machte seinem Freund den Vorschlag nach Haus zurückzukehren. Hatten sie dabei Glück, so konnten sie Hendricks ebensogut in der, wie in jeder anderen Richtung antreffen, hatten sie aber keins, nun dann half es ihnen auch Nichts, wenn sie den weiten Staat noch länger, bald nach der, bald nach jener Himmelsgegend durchkreuzten. Wenn Hendricks ihnen aber auch jetzt noch entging, später erfuhren sie doch vielleicht einmal seinen Aufenthalt und dann war ihr Rachewerk wohl aufgeschoben, aber wahrlich nicht aufgehoben gewesen.

John Wells schien anfangs keine rechte Lust dazu zu haben, aber er mußte dem Freund doch auch Recht geben, daß sie in dieser Art wenig Aussicht auf Erfolg hätten. Er war ebenfalls müde geworden und die beiden jungen Leute beschlossen deshalb, nicht einmal die Rückkehr der Ausgezogenen abzuwarten, sondern gleich wieder nach Arkansas aufzubrechen.

Das litt aber der alte Warner nicht, der, wie sich im Gespräch herausstellte, Wells Vater gekannt, und selber einmal hier in Texas eine Weile mit ihm gejagt hatte. Er wollte die beiden Freunde wenigstens nicht wieder fortlassen, bis sie sich erst ordentlich ausgeruht, und dazu fanden sie im ganzen weiten Staat keinen besseren Platz als gerade Blumenthal.

John Wells fand an einem solchen, wie er meinte, zwecklosen Aufenthalt, kein sonderliches Behagen, Jenkins selber aber redete ihm zuletzt zu, ein paar Tage auf die hiesige Umgegend zu verwenden, die ihm wenigstens außerordentlich gefiel. Das Land war reich, das Klima schien gesund, Wild gab es ebenfalls ziemlich viel in der Nachbarschaft, und an dieser Gegend hafteten doch nicht für sie so trübe Erinnerungen, als an ihrer bisherigen Heimath, in der sie Alles an die erlittenen Verluste mahnte.

Warner unterstützte ihn lebhaft darin und erbot sich auf das Bereitwilligste, sie in den nächsten Tagen selber in der ganzen Nachbarschaft herumzuführen. Es gab noch ein reizendes Thal in kaum zwei Miles Entfernung von der kleinen Stadt, in dem bis jetzt kein Baum gefällt, kein Acker Land aufgenommen war, und er sprach seine feste Ueberzeugung aus, daß sie in sämmtlichen Staaten kein freundlicheres Fleckchen Erde finden könnten. – Und eine Uebersiedelung hierher? – Lieber Gott, die hatte für einen Backwoodsman auch nicht die geringste Schwierigkeit, denn ihr ganzer Hausstand konnte leicht auf einem kleinen Karren, ja oft sogar auf ein paar Pferden fortgeführt werden. Jedenfalls wollten sie den Platz erst einmal sehen und ein Entschluß stand ihnen ja dann immer noch frei.

Die nächsten Tage verwandten sie auch in der That dazu, so viel als möglich von der Umgegend zu sehen und kennen zu lernen. Die Nachbarschaft der Deutschen gefiel dem jungen Jenkins ebenfalls, denn er hatte am Fourche-la-Fave schon viele von diesen kennen lernen und lieb gewonnen. Ihm selber behagte der ganze Distrikt ungemein und wenn auch John Wells noch keine besondere Neigung dafür zeigte, konnten sie sich das ja noch immer unterwegs überlegen, und nachher mit den Ihrigen besprechen. Zu übereilen war eben Nichts an der Sache.

Am vierten Tag standen endlich ihre bis dahin vollkommen ausgeruhten und ordentlich aufgefütterten Pferde bereit, und die alte Mrs. Warner packte ihnen gerade noch ein tüchtiges Stück Wildpret und Fleisch ein, weil sie unmittelbar in der Nähe der Ansiedlung doch wohl nicht viel zu jagen finden würden, als draußen auf der Straße plötzlich ein wunderlicher Lärm gehört wurde, der rasch ihre Aufmerksamkeit erregte und sie vor die Thür lockte.

Die ausgezogenen Männer waren zurückgekehrt. Warner's Sohn ritt gleich darauf am Hause vor und erzählte ihnen, daß sie von den Räubern selber allerdings keine Spur, wohl aber den Leichnam des alten Deutschen gefunden hätten, der, mit einer einzigen Kugel gerade durch den Kopf, nicht weit von dem Pferd ab unter einem Maulbeerbaum gelegen hatte und nur mit Laub und Reisig zugedeckt gewesen war. Nur durch die Aasgeier wurden sie auch auf den Platz aufmerksam, an dem sie sonst jedenfalls vorüber geritten wären.

Und war Rawlins mit ihnen zurückgekehrt?

Ja – aber nach Hause geritten, um sich umzuziehen und dann seine Braut und Schwiegermutter zu trösten.

»Du lieber Gott,« seufzte Mrs. Warner, die mit gefalteten Händen vor ihrer Hausthür gestanden und den traurigen Bericht gehört hatte – »da kommt das arme Mädchen – wie blaß und elend sie aussieht – das ist freilich ein schwerer Tag für sie. – Habt Ihr denn die Leiche mitgebracht?«

»Es war nicht mehr möglich,« sagte der junge Warner – »wir mußten sie gleich an Ort und Stelle begraben. Arme Catharina – sie wird wohl schon alles erfahren haben. Tröstet Ihr sie, Mutter, ich mag ihr jetzt lieber nicht begegnen,« fuhr er fort, und schritt in das Haus hinein.

Das junge Mädchen kam näher – sie sah bleich und angegriffen aus und schien auch die beiden fremden jungen Leute gar nicht zu beachten, oder nur zu sehen. Still und lautlos schritt sie auf Mrs. Warner zu und als diese ihr mitleidig die Hand entgegenstreckte, lehnte sie ihr müdes Haupt an die Schulter der alten Frau und ohne daß eine Klage über ihre Lippen gekommen wäre, liefen ihr die großen Thränen an den Wangen nieder.

Catharine Fischer war eines der schönsten Mädchen im ganzen Ort und manche der jungen deutschen Farmerssöhne hatten sich schon um sie beworben, aber alle ohne Erfolg, bis sich der junge fremde Amerikaner, wie im Sturm und in ganz kurzer Zeit ihr Herz gewann und von den Eltern – die freilich lieber einen deutschen Schwiegersohn gesehen hätten – angenommen wurde. Jetzt hatte sie dieser Schlag mitten in ihr junges Leben getroffen, und zwar ein Schlag wie aus heiterem Himmel, ungeahnt, unvorbereitet.

Jim Jenkins stand, die Zähne fest aufeinander gebissen, neben ihr. Hatte er denn nicht den nämlichen Schmerz zu tragen, denselben Verlust erlitten, wie das arme Kind da, und war denn Jammer und Sünde in solcher Art über das schöne Land hereingebrochen, daß solches Elend nur allein alle guten Menschen traf und die Verbrecher immer ungestraft entkommen sollten? – War das himmlische Gerechtigkeit, wie es ihnen die herumziehenden Prediger vorreden wollten? Blut überall, wohin ihr Fuß trat – heimtückisch und feige aus dem Hinterhalt vergossenes Blut, und die Mörder frei da draußen in der schönen sonnigen Welt.

Er trat zu seinem Pferd, um sich die Zügel zurecht zu legen – er wollte fort – Schmerz und Ingrimm genug trug er im eigenen Herzen, ohne das fremde Leid auch noch mit anzusehen, als er sich plötzlich angerufen hörte.

»Hollo Jim – Wetter noch einmal Mann, wo kommst Du her – und John auch – welcher Wind hat Euch nach Texas geblasen?«

Jim sah überrascht auf und erkannte einen alten Kriegsgefährten aus einem Indiana-Regiment, mit dem sie drüben über dem Mississippi gemeinsam gekämpft und zusammen nach Little Rock gezogen waren.

»Oh Peters – wie kommst Du nach Texas? Ich glaubte, Ihr stündet noch in Little Rock?«

»Nein – wir sind ausbezahlt und abgelöst worden,« antwortete der junge Mann, indem er auf die Freunde zutrat und ihnen die Hände schüttelte.

»Und wo kommst Du jetzt auf einmal her?«

»Waren nur zusammen, um die verdammten Mörder aufzusuchen, die sich hier schon seit einiger Zeit herumtreiben,« lautete die Antwort, »sind aber unverrichteter Sache wieder zurückgekehrt. Weiß der Henker wo die Schurken stecken mögen. Aber wo wollt Ihr hin?«

»Zurück nach Arkansas.«

»Jetzt gleich?«

»Wir wollen eben fort.«

»Fällt Euch gar nicht ein,« rief aber der Indiana-Mann – »doch wahrhaftig nicht eher, als bis Ihr mich auch einmal in meinem Hause besucht habt. Ich bin hier verheirathet – habe eins von den deutschen Mädchen und solch ein freundliches kleines Häuschen und Weibchen, wie es sich ein Mann nur wünschen kann. Vorwärts Jungen! daß Ihr aufgesattelt habt ist schon ganz recht – aber bei mir sattelt Ihr erst wieder ab.«

»Das geht nicht, Peters.«

»Ob es geht! oder meine Alte würde nicht schlecht böse werden, wenn ein paar alte Freunde ihres Mannes so mir nichts Dir nichts an dem Haus vorüber ritten. Ihr müßt wenigstens einmal sehen wie ich wohne, und wenn es Euch dann nicht bei mir gefällt, könnt Ihr nachher noch immer thun, was Ihr wollt.«

John Wells schien nicht recht damit einverstanden zu sein, Jenkins aber, indem er in den Sattel sprang, rief aus:

»Was thut's, John – auf ein paar Stunden kommt's nicht an – ob wir etwas später oder früher am Fourche la Fave eintreffen. Ich denke, wir gehen mit.«

Die Straße herab kam der Schall galoppirender Pferdehufe. Ein Reiter sprengte heran und es schien fast, als ob er auf dasselbe Haus zu wolle, vor dem die jungen Leute standen. Schon dicht daran aber warf er sein Pferd herum, grüßte flüchtig und verfolgte dann seinen Weg die Straße hinab, rascher noch fast, als er hergekommen.

John hatte sich gerade mit seinem eigenen Thier beschäftigt und nicht auf den Fremden geachtet; Jim aber griff seinem eigenen Pferd plötzlich so rasch und gewaltsam in den Zügel, daß es hoch aufbäumte, und sich beinahe mit ihm überschlagen hätte. Peters sprang zu, riß es noch herunter und rief dann:

»Was zum Wetter hat denn die Bestie – scheut sie?«

»Manchmal – ja,« sagte Jim, kaum auf die Frage achtend, und den Blick noch stier die Straße hinabgewandt – »wer war das?«

»Wer? – der eben vorbeisprengte? – Dein Pferd erschrak wohl und Du auch – so ein alter Reiter – Du siehst kreideweiß im Gesicht aus.«

»Wer war der Reiter, Peters?«

»Das war Rawlins,« sagte Peters, mit einem zur Seite geworfenen mitleidigen Blick nach dem jungen Mädchen, »der Bräutigam der armen Catharine da,« setzte er leiser hinzu.

»Und ist er schon lange hier in der Ansiedlung?«

»Etwa drei Monate – vielleicht nicht ganz so lange. Weshalb?«

»Und wißt Ihr, woher er stammt?« frug Jenkins mit vor Aufregung fast heiserer Stimme.

»Ich glaube aus dem alten Staat (Virginien), das wenigstens hat er hier erzählt. Kennst Du ihn?«

John war indessen ebenfalls aufgestiegen und ritt an Jim's Seite.

»Weißt Du, wer das war, John?« rief jetzt Jenkins, des Freundes Arm ergreifend und fast krampfhaft zwischen seinen Fingern pressend.

»Der Reiter, der eben vorüber sprengte? Ich habe ihn nicht gesehen.«

»Hendricks!« zischte ihm Jenkins in's Ohr – »bei meinem Leben und meiner Seligkeit – er selber –«

»Und Du hast Dich nicht geirrt?« rief John, fast unwillkürlich nach seiner Büchse greifend.

»Er trägt keinen Bart mehr!« sagte Jenkins – »er kam mir auch fast jünger vor, als ich ihn am Arkansas gesehen und geht besser gekleidet – aber das Gesicht wollte ich unter Tausenden heraus kennen. Er ist es und meinen Hals setz ich zum Pfande.«

»Hendricks?« fragte Peters – »Das war Rawlins, der Schwiegersohn des Ermordeten.«

»Und vielleicht der Mörder selber,« rief Jenkins, »komm Peters, zu Pferd und führ uns, so rasch uns die Thiere tragen können, jenem Herren nach, dessen nähere Bekanntschaft wir dringend wünschen.«

»Aber ich begreife Dich nicht.«

»Ich erzähle Dir Alles mit wenigen Worten unterwegs. Fort! wir versäumen hier die kostbarste Zeit, fort!«

Zehntes Kapitel.
Die Verfolgung.

Die jungen Leute trabten nebeneinander die Straße hinab. Jenkins aber gab dabei dem früheren Kampfgenossen in flüchtigen Umrissen ein Bild der am Fourche-la-Fave vorgefallenen Gräuelthaten, die ihn selber wie seinen Begleiter so nahe getroffen hatten, daß sie sich Beide aufgemacht, um Wald und Wildniß nach dem Uebelthäter abzusuchen.

»Und Ihr glaubt, daß Rawlins jener Mörder sei?« rief Peters entsetzt.

»Ich glaube es,« sagte Jenkins bestimmt. »Ist er es aber, dann kann er uns jetzt nicht mehr entgehen, und ist er es nicht, nun dann darf er sich auch nicht darüber beleidigt fühlen, daß ihn Jemand, im raschen Vorbeireiten, für einen Anderen gehalten.«

»Und wenn das jener Hendricks wirklich ist,« rief da Peters, fast wie erschreckt sein Pferd einzügelnd – »wäre es denn da nicht möglich, daß er selber mit jener Bande in Verbindung stünde, die hier bis jetzt ihr Unwesen in der Gegend getrieben?«

»Vorwärts, Kamerad, vorwärts!« drängte aber John – »wir dürfen keinen Augenblick verlieren, denn wenn der Bursche uns erkannt hat, läßt er sicher kein Gras unter seinen Hufen wachsen. Gewiß ist es möglich, und sollte mich nicht wundern, wenn er der Führer und Leiter der ganzen Bande wäre. Aber wohin reiten wir? Hier haben wir drei Straßen vor uns und der Boden ist ringsumher von Hufen zerstampft. So rasch kann er doch nicht geflohen sein.«

»Dort links ist die Wohnung seiner Braut, der er jedenfalls zuritt,« sagte Peters. »Er selber hat sein Haus am andern Ende der Stadt, aber hierher zu schlug er die Richtung ein.«

»Ich sehe nirgends ein Pferd angebunden. Wir hätten gleich sein eigenes Haus besetzen sollen.«

»Er wird es hineingeführt haben – er ist ja dort ebenfalls zu Haus.«

»Dann gnade Gott dem Elenden,« sagte Jim, seinem Pferd nun fester die Sporen gebend, und jetzt wurde zwischen den Männern kein Wort weiter gewechselt, bis sie die kleine freundliche Wohnung – jetzt freilich ein Haus der Trauer – erreichten, aber der Gesuchte war nicht dort.

Peters sprang augenblicklich vom Pferd, um sich nach ihm zu erkundigen, der zwölfjährige Bruder Catharinens versicherte ihn aber, Mr. Rawlins nicht gesehen zu haben, seit er vor einigen Tagen mit den anderen Männern in den Wald gegangen sei. Keinenfalls wäre er eben hier gewesen, denn er selber habe schon seit einer Stunde fast hier an der Thür gestanden und Mais auf der kleinen Mühle gemahlen.

»Habe ich es Dir nicht gesagt?« rief John fast außer sich, als Peters wieder heraus und auf sein Pferd sprang – »er ist fort! Laß uns den Weg hier verfolgen – dort führen Pferdespuren hinaus.«

»Hier kam er nicht vorbei!« sagte Peters, sein eigenes Thier herumwerfend, »denn dem Burschen da drinnen wäre ein vorbeigaloppirendes Pferd nicht entgangen.«

»Das glaube ich auch nicht,« erwiederte Jim, »wenn er fliehen will, wird er gewiß seine Beute nicht im Stich lassen und ist zu seiner eigenen Wohnung geritten. Hätten wir die nur gleich aufgesucht. Vorwärts Peters –«

»Und wenn Du Dich nun geirrt hast!«

»Vorwärts! Das Alles können wir später besprechen. Wo ist seine Wohnung? Reite voran, so rasch Dich Dein Thier trägt – jede Verantwortung auf mich!« – Und wie ein Wetter jagten die drei jungen Leute die ziemlich lange Straße hinab, bogen dann, fast am Ende der Stadt rechts in eine Nebengasse hinein und erreichten dort wieder die dichter stehenden Häuser. Hier war ein Gasthof, und ein Trupp dort angebundener Pferde, durch welche sie nicht so rasch hindurch konnten, hielt sie etwas auf. Es war auch möglich, daß sich Rawlins selbst hier befand, sie mußten jedenfalls nach ihm fragen. Hier aber hatte ihn, seit sie die Stadt erreicht, Niemand gesehen. Bei Warners würden sie ihn finden, rief ihnen einer zu, er hatte gesagt, daß er zu dessen Haus wollte.

Dort war er nicht; das wußten sie gut genug, und es blieb ihnen jetzt in der That nichts übrig, als seine Wohnung aufzusuchen.

Wenn es wirklich jener Hendricks war, so konnte er ja doch noch keine Ahnung haben, daß er erkannt sei und so rasch verfolgt würde.

Wieder klapperten ihre Hufe die harte Straße entlang, aber hier durften sie nicht so rasch jagen, denn überall spielten Kinder in der Straße, Karren mit Holz oder andere die in die Mühle wollten, begegneten ihnen und die beiden Verfolger vergingen fast vor Ungeduld.

»Haben wir denn noch weit? wir müssen ja durch den ganzen Ort geritten sein,« rief John.

»Das sind wir auch, denn sein Haus liegt gerade am äußersten Ende, aber dort drüben ist die Wohnung, die kleine weiß angestrichene Cabine mit dem einzelnen Baum davor.«

»Aber auch hier steht kein Pferd.«

Peters antwortete nicht mehr. Sie waren kaum noch funfzig Schritt von der Wohnung entfernt, und wenige Secunden später warfen sich die Männer aus den Sätteln.

»Dort unten die Straße entlang sehe ich einen Reiter,« rief Jim, dessen Blick rasch nach allen Seiten umherflog.

»Bei Gott, dort galoppirt Jemand,« rief auch John, indem er im Nu wieder im Sattel saß – »spring in das Haus und sieh nach. Ist er nicht dort, so kann er uns da draußen nicht mehr entgehen.«

Peters war schon an der Thür, die nur angelehnt schien. Er stieß sie auf und warf einen Blick in das Innere. Jim stand an seiner Seite.

In der Stube sah es wild und wunderlich aus, als ob Diebe darin umhergewühlt und was sie nicht gebraucht, über den Boden gestreut hatten. Eine kleine Kiste war mitten in die Stube gezogen und die Hälfte ihres Inhalts lag daneben am Boden. Jim sprang darauf zu – während sein Blick durch den Raum flog, hatte er ein kleines blau und roth gestreiftes Tuch entdeckt, das mitten in dem Wust lag. Er kannte es, es war früher Eigenthum seiner Schwester gewesen – aber er gab sich keinen Betrachtungen darüber hin.

»Das genügt als Zeichen,« rief er, das Tuch vom Boden reißend und damit gegen die Thür springend – »kennst Du das, John? – Fort!«

John warf nur einen einzigen Blick darauf und in demselben Augenblick sein Pferd herumreißend, bohrte er ihm die Hacken in die Seite und flog mit ihm in gestrecktem Carrière die Straße entlang. – Jim war fast ebenso rasch draußen bei seinem Thier.

»Aber so bleibt nur noch einen Moment,« rief Peters – »ich hole meine Büchse und begleite Euch.«

Jim hörte ihn schon gar nicht mehr. Nach! das war der einzige Gedanke, den er hatte – nach! und sein Thier strengte alle Kräfte an, den vorangeeilten Gefährten wieder einzuholen.

Erst in dem wilden Ritt wurde er auch ruhiger. John, der noch immer voraus auf seinem Rappen dahinflog, hatte vielleicht den flüchtigen Verbrecher im Auge – er folgte dem Rappen, und es blieb ihm Zeit, sich nach der Richtung umzusehen, die sie einhielten. Ihr Cours lag etwa, wie der Weg jetzt lief, südwestlich, also den Ansiedlungen wieder zu und zog sich, wenn auch hier oben sehr allmählich, von der Hochebene hinab, auf der das kleine Städtchen gelegen war und wo es, wie sich jetzt deutlich erkennen ließ, höhere Berggruppen einschlossen.

Und waren sie dem Buben denn wirklich endlich einmal auf der Fährte? – Er mußte es sein – ein Irrthum ließ sich nicht mehr denken. Er hatte die beiden Backwoodsmen, wie er sie da zum Weiterritt schon gerüstet fand, erkannt und wußte, was ihm drohte, wenn er in ihre Hände fiel. – Wären sie nur gleich zu seinem Haus geritten, so lief er ihnen dort selber in das Garn – nein, blind und toll mußten sie die falsche Fährte annehmen, die er ihnen gegeben, und jetzt hatten sie ihm sogar Zeit gelassen, seinen Raub zusammenzuraffen und in die Wildniß hineinzureiten. – Aber ein Trost blieb ihnen – ein grimmer Trost, denn nicht plötzlich und unerwartet war der Verbrecher in ihre Hände gefallen und bestraft, nein, er mußte jetzt erst die Qualen des Verfolgten leiden. Er wußte die Rächer auf seinen Fersen, wußte, welches Schicksal ihm bevorstand, wenn nur sein Pferd strauchelte oder das Geringste ihn aufhielt, und kannte die Männer, die nur das eine Ziel haben konnten, seinen Tod, oder sie wären ihm nicht mit solcher Hartnäckigkeit selbst bis in diesen entlegenen Theil der Union gefolgt.

Erbarmen? – er hatte es nie gezeigt, also auch nicht zu hoffen und nur sein flüchtiges Thier konnte sein Schicksal noch hinausschieben – wahrlich nicht mehr ändern, denn nun, auf der frischen Fährte, ja den Buben fast in Sicht, dachten seine Feinde nicht daran, die einmal begonnene Verfolgung je wieder aufzugeben.

Noch an den Grenzen der Stadt begegneten diese einigen Deutschen, die theils aus dem Walde, theils von anderen Ansiedlungen vielleicht herüber kamen und erschreckt zur Seite bogen, als sie auf die wie rasend an ihnen vorbei sprengenden Männer trafen. Waren das die Räuber, die man in den letzten Tagen gejagt? – Aber voran ritt ja der Amerikaner, dessen Schwiegervater man gerade ermordet, während man die andern beiden gar nicht kannte. Floh er vor diesen, oder verfolgten sie alle ein und dasselbe Ziel? – Ehe sie sich aber nur denken oder vermuthen konnten, was hier vorgehe, waren die drei Reiter, die sich in längeren Zwischenräumen von einander hielten, auch vorbeigebraust, und diese drehten nicht einmal den Kopf nach ihnen um.

John und Jim hatten allerdings vollkommen ausgeruhte und auch zähe und kräftige Thiere, aber es zeigte sich trotzdem bald, daß sie keinen Fuß breit an dem Fuchs gewinnen konnten, den Hendricks ritt und der, von seinem Reiter nur noch zu rasenderem Lauf gespornt, wie ein Pfeil mit ihm über den Boden flog.

John behielt ihn allerdings noch, so lange sich die Straße fortzog, im Auge, oder kam wenigstens dann und wann wieder in Sicht von ihm, und einmal, als Hendricks zuerst einen ziemlich abschüssigen Hang erreichte, an dem er nicht so rasch hinabreiten konnte, schien es seinem Verfolger auch, als ob er an ihn gewönne. Aber unten lag wieder ebener Boden und der Fuchs benutzte den nach besten Kräften – ja der Weg zog sich hier mehr links in den Wald hinein und in dessen Schatten verschwand bald darauf der Reiter; deshalb entging er aber freilich seinem Verfolger noch nicht, denn hier war der Boden nicht, wie in der Nähe der Stadt, von den Hufen anderer Pferde zerstampft. Die Spuren prägten sich deutlich oder doch wenigstens erkennbar, dem Boden ein, und einen besseren Nachsucher auf einer Fährte als John Wells, gab es nicht in dem weiten Wald.

John ritt dabei ein besseres Pferd als Jim Jenkins, der auch bald merkte, daß er mehr und mehr zurück blieb, aber trotzdem folgte er den voran eingedrückten Fährten und wußte, daß er bei der geringsten Zögerung seines Feindes rasch das Versäumte wieder nachholen konnte.

So hatte diese wilde Jagd wohl sechs volle Stunden gedauert und einen Waldweg gab es schon lange nicht mehr – nur noch einen Pfad, der sich durch die Wildniß zog, aber dafür auch in dem abgefallenen Laub nur soviel deutlicher die Spuren zeigte. Die Thiere konnten vor Erschöpfung kaum noch weiter, aber immer wieder trieb sie der scharfe Sporn zu neuen Anstrengungen, und Jim besonders, der jetzt eine gute Strecke zurückgeblieben, fühlte, wie sein Thier anfing, zu ermatten.

Da erreichte er eine Stelle, an welcher sich der Pfad theilte. John selbst hatte keinen Moment dort gezögert, denn sein scharfes Auge erkannte die rechts abführende Spur sogleich und folgte ihr ebenso rasch. Jenkins dagegen zügelte sein Thier ein und als er sich der rechten Spur vergewissert hatte und es weiter treiben wollte, konnte es nicht mehr von der Stelle. So lange es in Gang geblieben, wäre es wohl fortgerannt, bis seine Kräfte vollständig erschöpft waren und dann wahrscheinlich mit einem Schlag zusammengebrochen; jetzt aber, wo die angestrengte Kraft und Erregung der Muskeln, wenn auch nur für wenige Minuten, bei dem todtmüden Thiere nachließ, war es nicht möglich, sie wieder von Neuem zu beleben. Es strauchelte und knickte in die Knie, wollte sich noch einmal emporraffen und stürzte dann auf die Seite nieder, wo es liegen blieb und alle viere von sich streckte.

Jenkins fluchte still und erbittert vor sich hin, aber an der Sache war weiter nichts zu ändern, und das Pferd jedenfalls zu fernerem Gebrauch, wenigstens in der nächsten Zeit unnütz. Nur das Einzige blieb ihm zu thun, den Spuren so rasch als irgend möglich zu folgen.

Allerdings hatte er eine Strecke zurück, seitwärts vom Weg eine kleine Farm gesehen. Sollte er sich dorthin wenden und um ein frisches Pferd bitten? wer hätte es ihm aber geborgt, kaufen konnte er sich keines, und wie viel Zeit verlor er ohnedies damit. Dagegen lag die Möglichkeit vor, daß er noch später eine Hütte im Wald oder vielleicht selber Pferde traf – das erste beste und wenn er es hätte stehlen sollen, er fühlte sich nicht in der Stimmung, besonders wählerisch zu sein, und mit dem Gedanken war sein Entschluß gefaßt.

Ohne Zögern sattelte er sein marodes Thier ab trug den Sattel in den Busch und verdeckte ihn dort mit Laub und Reisig – die Stelle war, an dem getheilten Pfad, leicht wieder zu erkennen. Dann nahm er den Zaum, hing sich denselben um und folgte nun, die Büchse auf der Schulter, zu Fuß den, deutlich genug in den Boden eingedrückten Spuren. Kaum eine Stunde mochte er aber so gewandert sein als der mehr und mehr verschwimmende Pfad an einer breiten Waldwiese vollständig aufhörte, oder sich vielmehr hier nach allen Seiten auszweigte. Es war ein gewöhnlicher Kuh- oder Wildpfad, wie sie sich so häufig im Wald finden und das Ziel desselben schien dieser Weidengrund – ein etwas tief liegender feuchter Wiesenplan zu sein.

Ueber denselben hin waren die Hufe der galoppirenden Pferde auch noch deutlich – ja sogar deutlicher als bisher zu erkennen. Weiter aber schien sich der Verfolgte mehr links und einem kleinen Höhenzug zugewandt zu haben; er hatte wenigstens plötzlich und in einer scharfen Biegung seinen Cours geändert. John konnte ihm aber dabei nicht in Sicht gewesen sein, denn er würde sonst jedenfalls diese Biegung abgeschnitten haben. Das war nicht geschehen, sondern seine Spuren blieben, wie bisher oder doch überall, wo es der Weg erlaubte, links neben denen des Flüchtigen sichtbar. Er war ihm also bis dahin nicht näher gekommen, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach sogar noch eher weiter zurückgeblieben.

Jenkins hielt sich aber nicht lange bei Vermuthungen auf. Weiter ging die Jagd. Der Schweiß lief ihm in Strömen an der Stirn nieder, aber er zögerte auch nicht einen Moment in seinem Schritt.

Das Terrain wurde hier felsig und hatte die Reiter jedenfalls aufgehalten, denn wild zerstreut lagen große und kleine Granitblöcke über dem ganzen Abhang. Wie er aber wieder zu Thal lief, sah er einen, wenn auch nicht sehr breiten, doch ziemlich tiefen Bergstrom mit vollkommen klarem Wasser zu seiner Linken, den die beiden Reiter angenommen hatten. – Und sollte er selber da hindurch. Das Wasser war, wie er die Hand hinein hielt, eisig kalt; kam ihm wenigstens so vor, und er in Schweiß gebadet – er konnte den Tod von einer solchen Schwimmpartie haben. Doch nur ein Gedanke beseelte ihn: der der Rache, den Feind wollte er erreichen und was ihn selber betraf, vergaß er ganz. Nur Büchse und Kugeltasche nahm er in die linke Hand, um sie trocken zu halten, und warf sich ohne Zögern in den Strom.

Einen anderen Menschen hätte vielleicht unter solchen Umständen der Schlag gerührt; dem zähen Backwoodsman schadete das kalte Bad nicht allein Nichts, sondern es erfrischte ihn sogar nach dem heißen Lauf. Drüben angekommen war auch sein erster Blick nach den Spuren der Pferde – aber was war das? – nur die Hufe eines Pferdes und zwar Johns, dessen Spuren er genau kannte, sah er hier dem Boden eingedrückt – und herüber und hinüber gingen sie, als ob er selber nicht gewußt habe, welche Richtung er einschlagen sollte – oh wie viel kostbare Zeit mußte er damit verloren haben – weshalb hatte er sich nur nicht gleich stromab gewandt. Der Flüchtige konnte ja gar nicht gegen die Strömung angeschwommen sein.

Er selber suchte augenblicklich nach dieser Richtung zu, mußte aber eine lange Strecke am Ufer hinabwandern ehe er die Stelle fand, wo der gehetzte Räuber wieder an Land gegangen war, und erst als er hier den Spuren eine Weile gefolgt war, sah er, daß John die Fährte ebenfalls wieder aufgenommen hatte.

Jetzt kam ein weites rauhes Terrain von Stein und Kies, wo man die Spuren kaum erkennen konnte, und hier plötzlich theilten sie sich, ohne daß Jim im Stande gewesen wäre, die Ursache zu errathen, denn so deutlich war die Fährte immer geblieben, daß sie John nicht verlieren konnte. Und welches war jetzt Johns Pferd gewesen, denn auf den Steinen ließ sich kaum hier und da ein schwaches Zeichen erkennen. Er begriff das Ganze nicht und wählte endlich die links abführende Fährte, die ihn aber eine Weile in gerader Richtung abführte, dann rechts einbog, wieder links hinüber hielt und dann noch einmal einen andern Cours nahm.

Jetzt kam er auch auf weichen Boden und den Büchsenkolben stieß er verzweifelnd vor sich in die Erde – denn er hatte John's Fährte angenommen und der Verbrecher war jedenfalls entkommen.

Was nun thun? – Daß John den Wald hier nur auf gut Glück, bald herüber, bald hinüber abgesucht, war ihm klar genug, aber er begriff nicht, daß John hier die Fährte verloren haben konnte. Es gab ja keinen besseren Waldmann am ganzen Fourche-la-Fave. Sollte er jetzt zurück und an dem Bergstrom die andere Spur aufnehmen? Dadurch erhielt der Flüchtige einen Stunden weiten Vorsprung und dann – konnte er überhaupt noch fort? Die Sonne neigte sich schon dem Horizont und jetzt, da er endlich still stand, fühlte er erst, wie furchtbar müde er selber geworden war.

Die Knie fingen ihm an zu zittern, ein Frösteln lief über seinen ganzen Körper und er mußte sich unter einen Baum legen, um nur etwas auszuruhen. Menschliche Kräfte hielten es eben nicht länger aus.

So lag er etwa eine halbe Stunde, aber der Frost trieb ihn wieder in die Höhe, denn die nassen Kleider an seinem Körper kälteten ihn zu sehr. Er konnte auch wieder marschiren, denn die kurze Rast hatte wenigstens genügt, ihn in etwas aufzufrischen. Eine Zeitlang folgte er auch noch Johns Spuren, um doch vielleicht mit diesem wieder zusammen zu treffen, aber er mußte das bald als ein vergebliches Mühen aufgeben, denn nur zu deutlich sah er, daß dieser keine feste Richtung gehalten habe und trotzdem noch immer in wilder Eile fortgejagt sei. Brach aber die Nacht an, so verlor er die Fährten, die sich überhaupt nur sehr schwach auf dem Felsenboden zeigten, doch aus den Augen – ja er war jetzt schon unsicher geworden, ob er noch die richtige hielt. Hier herum hatten sich jedenfalls eine Anzahl Pferde auf der Weide herumgetrieben und als er der einen Spur noch eine Weile folgte, traf er mitten im Wald einen alten lahmen Schimmel, der sich ruhig an einem dünnen Baumstamm die Seite rieb.

Es war vorbei – nicht einmal die Hoffnung konnte er mehr hegen, daß John wenigstens allein sein Ziel erreicht habe, und durch das viele Hin- und Herziehen irre gemacht, wußte er kaum selber mehr, wo er sich befand, viel weniger denn, wo er einen Andern suchen sollte. An der untergehenden Sonne konnte er aber doch die Himmelsrichtung erkennen, und beschloß nun seine Bahn nach jenem letzten Hause zu nehmen, dessen Fenz er im Vorbeijagen gesehen – möglich, daß ihn John dort ebenfalls aufsuchen würde, und that er das nicht, so wollte er zurück nach Blumenthal kehren und ihn dort erwarten.

Elftes Kapitel.
Die Ueberraschung.

Jim war todtmüde geworden und hätte sich gern gleich da, wo er stand, zum Schlafen niedergeworfen, aber der Durst peinigte ihn außerdem; er mußte jedenfalls Wasser suchen, und hielt deshalb, da er sich von dem Fluß zu weit entfernt hatte, über den nächsten Hügelhang hinüber, an dessen anderer Seite er einen Bach anzutreffen hoffte. Dort konnte er auch ein Feuer anzünden, um sich zu trocknen, und etwas Brot und Fleisch trug er ja in seiner Kugeltasche bei sich.

Das Terrain war hier außerordentlich steinig. Es sah fast so aus, als ob sich irgend ein Riese den Spaß gemacht habe, Tausende von kleinen Felsblöcken über das weite Land auszustreuen, so dicht lagen sie beieinander, und zu Pferde wäre hier überhaupt schwer durchzukommen gewesen. Langsam schritt er dazwischen hin, traf endlich auf ein paar feuchte Stellen, an denen sich etwas Wasser gesammelt hatte, und kniete bei einer derselben nieder, um sich wenigstens erst einmal satt zu trinken. Es war auch die höchste Zeit gewesen, denn die rothen Abendwolken verriethen schon den Untergang der Sonne und das rasch eintretende Dämmerlicht legte sich über den Wald.

Er trank lange und um Athem zu holen, hob er endlich den Kopf, zuckte aber bis in jeden Nerv seines Körpers zusammen, denn kaum hundert Schritt von ihm entfernt – oh, nicht so viel, es konnten kaum mehr als achtzig sein, da die Dämmerung die Entfernung vergrößert, sprang ein Mann, eine Büchse in der Hand haltend, rasch über den hier ziemlich offenen Plan von einem Stein zum andern. Seine Richtung aber lag dem nicht weit davon wieder höher und dichter werdenden Holze zu, und Jim erkannte auf den ersten Blick seinen Feind. Es war Hendricks.

Fast krampfhaft griff er, in seiner gebückten Stellung verharrend, nach der neben ihm liegenden Büchse; aber wie hätte er jetzt, in schon halber Dunkelheit, sein Ziel treffen wollen; und die Glieder flogen ihm dabei, wie in Fieberfrost.

Hendricks konnte ihn da, wo er mit seinem dunklen Kopf kaum über die fast gleichfarbigen Felsstücke heraussah, nicht erkennen, schien auch kaum die Nähe eines Menschen hier zu fürchten, sondern nur allein darauf bedacht zu sein, keine Fährten mehr zu hinterlassen, was ihm auch auf den Steinen vollkommen gelingen mußte.

Wie in aller Welt hatte er John überlistet? – war sein Pferd ebenfalls gestürzt oder vielleicht absichtlich an einer Stelle aufgegeben, wo er seine eigenen Fährten gut verbergen konnte? Aber wild und verworren zuckten solche Fragen durch des jungen Backwoodsmans Hirn, und mit heftigen Schlägen klopfte ihm das Herz in der Brust, denn an ihm vorüber floh der Bube und wenn er jetzt im Wald verschwand – Langsam und vorsichtig, mit so wenig als möglich Bewegung, hob er seine Büchse und suchte sie auf einen der Felsblöcke zu bringen; aber der vor ihm liegende war zu niedrig – er konnte nicht darauf zielen; – er kroch etwas weiter nach rechts hinüber. Dort sah er einen passenden Platz, aber Hendricks, mit keiner Ahnung in welcher Gefahr er sich befand, sprang leichtfüßig von einem Stein zum andern und ehe Jenkins nur die Büchse an die Backen und den Feind auf's Korn bekommen konnte, war er in dem Gestrüpp, wenn auch nicht verschwunden, doch so in den immer stärker werdenden Schatten gekommen, daß ein richtiges Ziel zur Unmöglichkeit wurde. Einen gewissen Schuß mußte Jim aber haben oder der Verbrecher war nicht allein gewarnt und dann auf immer für ihn verloren, sondern er war auch viel stärker bewaffnet, als er selber. Jim hatte nur die eine Kugel im Rohr, Hendricks dagegen, außer seiner Büchse noch wenigstens einen sechsläufigen Revolver im Gürtel, und nur sein böses Gewissen oder seine natürliche Feigheit mußten ihn, bei seiner Uebermacht der Waffen, selbst beiden Verfolgern gegenüber, zur Flucht getrieben haben.

Jim sah sich jetzt, da wo er gerade lag, durch einen ziemlich hohen Felsblock gedeckt. Er wartete noch einen Moment und da Hendricks nicht auf der anderen Seite desselben wieder zum Vorschein kam, glitt er wie eine Schlange über den Boden und zu jenem Felsen hin, an dem er sich, die Büchse aber zum augenblicklichen Gebrauch im Anschlag, langsam emporrichtete, um darüber hin sehen zu können. Er schrak aber ordentlich zusammen, denn dort – kaum zwanzig Schritt mehr von ihm entfernt und an der nämlichen Quelle, an der er, etwas weiter unten getrunken, lag Hendricks – ebenso verdurstet wie er selber und ihm den Rücken zukehrend. Im Nu hob sich auch Jenkins Büchse und sein Auge suchte das Korn – aber es war nicht mehr möglich. Er selber stand hier vollständig gedeckt unter einem dichten Dogwood-Busch, und dort der Trinkende lag ebenso im tiefen Schatten, daß er wohl noch die Gestalt erkennen, aber nicht mehr darauf zielen konnte. Und selbst, wenn er es gekonnt hätte, sollte er den Buben mit einer Kugel tödten – ihn seiner selbst unbewußt von der Erde nehmen, der ihm so entsetzliches Weh angethan?

Jetzt hob sich die Gestalt vom Boden auf, und wieder suchte Jenkins' Auge das Korn seiner Büchse zu fangen; da sah er, wie Hendricks, der sich hier vollkommen sicher glauben mußte, seine Büchse nahm und an einen Baum lehnte, den Blick noch einmal vorsichtig umherwarf und dann alle Anstalten machte, als ob er dort, wo er sich gerade befinde, etwas ausruhen wolle. Die Nacht war eingebrochen, die Sterne traten heraus, und nur bei ihrem Schein konnte Jim erkennen, wie der wahrscheinlich ebenfalls zum Tod Ermüdete sich Laub unter dem nächsten Baum zusammenschob, um sich ein nur einigermaßen trockenes Lager herzurichten. Natürlich wollte er nicht im Dunkeln marschiren, wo er einer ihm drohenden Gefahr nicht hätte ausweichen können.

Jim Jenkins blieb unbeweglich hinter seinem Stein liegen, denn daß er selber dort keine Gefahr lief, entdeckt zu werden, wußte er gut genug. Er sah, wie sein Opfer noch einmal in langen Zügen trank und sich dann endlich, die Büchse und den Revolver neben sich, auf das Laub, das er rascheln hörte, niederwarf. Er war selber todtmüde gewesen, aber er dachte nicht mehr an Schlaf und überlegte sich nur jetzt, wann der Mond herauskommen müsse, um ihm zu seinem weiteren Handeln zu leuchten.

Gestern war der Mond ziemlich spät aufgegangen – wohl erst um neun Uhr – heute kam er noch später und ehe er nicht ziemlich hoch stand, konnte er Nichts beginnen – aber was that das. Und wenn er hätte zwölf Stunden da liegen sollen, er würde nicht gemurrt haben, glaubte er sich doch jetzt seiner Rache sicher. So regungslos wie der kalte Stein selber, an den er sich lehnte und ebenso erbarmungslos hielt er, als er selbst nicht mehr die Umrisse des Feindes in dem Dunkel erkennen konnte, die Augen noch immer fest auf den Platz gerichtet und horchte, mit Anspannung aller seiner Kräfte, dem geringsten Geräusch, was von dort zu ihm herüberdrang.

Hendricks mußte unruhig schlafen; er warf sich auf seinem Laubbett herüber und hinüber. War etwa der auf ihm haftende Blick seines Feindes daran Schuld? Jim dachte selber daran und wandte ihn ab, aber kein Rascheln eines Blattes entging seinem scharfen Ohr.

So stand er, oder lag halb an dem Felsen, viele Stunden lang – dort drüben war Alles ruhig geworden – endlich, endlich ging der Mond auf, stand aber noch viel zu tief hinter den Bäumen, um hell genug zu leuchten. Jenkins erwartete seine Zeit mit fast übermenschlicher Geduld und rührte sich nicht eher, als bis Mitternacht schon lange vorüber sein mußte, und jetzt rüstete er sich zum Handeln.

Geräuschlos streifte er Alles ab, was ihn an seiner freien Bewegung hindern konnte, selbst die Kugeltasche, Jagdhemd und Leggings – die Nacht war ziemlich kalt, aber ihn fror nicht, der Kopf brannte ihm sogar wie in Fieberhitze. Jetzt war er soweit fertig und nur nach seiner Büchse sah er noch, und setzte ein frisches Zündhütchen auf, daß sie ihm nicht im entscheidenden Moment versagte. Dann aber, wie ein Panther auf seine Beute, und ebenso mordgierig, ebenso geräuschlos verließ er den Stein, hinter dem er sich bisher verborgen und glitt auf sein Opfer zu.

Schlief Hendricks? – Er wußte es nicht. Lag er wach und hörte den Anschleichenden, so war es um ihn geschehen, aber was kümmerte ihn die Gefahr, in der er sich befand. Rache wollte er, Rache an dem Mörder seines Vaters und mit keinem Gedanken weiter, aber auch mit jeder nur möglichen Vorsicht, schlich er näher und näher an sein Opfer hinan, immer wieder horchend, ob er das Laub nicht könne rascheln hören. – Aber Alles blieb ruhig wie das Grab – ja, jetzt tönte schon deutlich das langsam schwere Athmen des Schlafenden zu ihm herüber.

Aber war das nicht etwa Täuschung? stellte sich der Bube nicht vielleicht nur schlafend und lag, mit gespanntem Revolver des Nahenden harrend? Vorwärts! Jetzt konnte er die ausgestreckte Gestalt deutlich im Licht des Mondes, der gerade einen Strahl durch die Baumwipfel warf, erkennen. Neben ihm blitzte etwas – es war der Revolver, auf dem seine Hand ruhte – die Büchse lag ebenfalls zum Griff bereit.

Jim zögerte einen Augenblick – aber auch nur einen – jetzt war er neben dem Schlafenden – geräuschlos legte er die eigene Büchse neben sich auf das Gras nieder, von dem Hendricks selber das Laub weggescharrt – ein Griff nach dem Revolver mit der linken Hand, und wie der Mörder wild und entsetzt durch die Berührung emporfuhr, traf ihn ein mit aller Wucht geführter Faustschlag Jims so kräftig gegen den rechten Schlaf, daß er bewußtlos und wie todt auf das Laub zurücksank. – Es wäre besser für ihn gewesen, er wäre todt geblieben.

Jim, den Revolver neben sich legend, warf sich auf ihn, riß aus seiner Tasche ein Stück derbes Seil, wie es meist alle Jäger bei sich führen, und schnürte ihm damit die Hände auf den Rücken – jetzt erst hatte er ihn sicher und nur der eine Wunsch drängte sich über seine Lippen: Oh, wäre John jetzt hier! – Aber dem Gedanken gab er sich nicht weiter hin, denn wer wußte wo der Freund jetzt war. Die Schnur reichte noch gerade aus, um den Gefangenen an einen jungen Stamm anzubinden. Nicht weit davon stand ein niederer Dogwood, dorthin schleppte er ihn und hatte sich seiner vollkommen versichert, als der bis dahin vollständig Bewußtlose seine Besinnung wieder gewann.

Aber er kümmerte sich in dem Augenblick gar nicht um ihn – und zu dem Felsblock sprang er, um von dort seinen Zügel herüber zu holen und als er jubelnd wieder zurück zu dem Gefangenen eilte, hatte sich Hendricks halb auf seinem Ellbogen aufgerichtet und starrte ihn mit stieren entsetzten Blicken an.

»Jenkins« – war Alles was sich seiner Brust entrang – »oh mein Gott!«

»Ja ruf Deinen Gott an, Schuft,« lachte aber der junge Backwoodsman, ingrimmig zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch. »Der, zu dem Du betest, ist der Teufel, der Dich so lange beschützt hat – aber Deine Zeit ist um. Du siehst die Sonne nicht wieder.«

»Jenkins,« sagte Hendricks mit leiser, heiserer Stimme, »Ihr wollt mich doch nicht hier in der Nacht mit kaltem Blut morden.«

»Gerade recht mahnst Du mich an das kalte Blut, mit dem Du meinen armen alten Vater und den alten Wells, Rankins Hogan und viele Andere ermordet hast. Scheusal wie es kein zweites die Welt trägt – aber Deine Zeit ist um; Erbarmen hast Du von mir nicht zu hoffen.«

»Jenkins,« stöhnte Hendricks – »ich bin reich – ich habe bei Blumenthal viel Geld vergraben – es soll Alles Euer sein, wenn Ihr mich nur dorthin führt, und ich bleibe ja doch in Eurer Gewalt.«

»Dein Blutgeld, nicht wahr, um das Du auch wohl den armen Deutschen ermordet?« – knirschte Jim – »Deine Zeit ist um und Bitten oder Versprechungen helfen Dir nicht mehr.«

Noch während er sprach hatte er den starken Zügel von dem Gebiß gelöst und eine Schlinge daraus geformt. Jetzt sah er zu dem Dogwood auf – einer der Aeste zog sich gerade etwa hoch genug über dem Gefangenen hin und so, daß er ihn bequem erreichen konnte. Hendricks suchte mit der Kraft der Verzweiflung die Bande, die ihn hielten, zu zerreißen und Jim hielt dabei vorsichtig den Revolver in der Hand – doch das Seil hielt; er schob die Waffe wieder in den Gürtel zurück, und ging dann kaltblütig daran, den Riemen über den Ast zu werfen und zu befestigen.

»Jenkins,« flehte Hendricks, »seid ein Mensch! Um Gottes Barmherzigkeit willen mordet mich nicht hier im dunklen Wald – o, laßt mich nur leben, bis der Tag anbricht, nur noch eine Stunde, um meine Sünden zu bekennen. Ich habe viel verbrochen. – Ihr müßt mich hören.«

»Ich weiß genug von Dir mein Bursche,« sagte der junge Backwoodsman trocken, »um Dir zehnfachen Tod zu sichern – komm! Du weißt, daß Du verloren bist und selbst der Teufel, Dein Cumpan, könnte Dich nicht mehr retten. Gieb Deinen Hals gutwillig her, denn ich werde noch genug Mühe haben, Dich da hinauf zu ziehen.«

Er warf ihm dabei die Schlinge um den Hals – und »Hülfe! Mörder! Mörder!« schrie mit gellender Stimme der Unglückliche durch den Wald, indem er sich am Boden wand und krümmte – »Hülfe! Hülfe!«

Jim lachte – aber plötzlich horchte er hoch auf und hielt mit seiner Arbeit inne. »Hülfe!« rief der Gefesselte wieder, und der Schrei wurde beantwortet – in weiter Ferne zwar, aber der junge Backwoodsman konnte genau einen Ruf unterscheiden. – Sollte der Bube wirklich noch Helfershelfer haben, – aber nicht zehn von ihnen hätten sein Geschick mehr wenden können.

Da hörte er wieder einen Ruf und Jim ließ den Riemen fahren, legte die Hände trichterförmig an den Mund und beantwortete selber den Ton. – Das war John's Jagdruf. – Wieder gab er das Zeichen – näher und näher kam der Gerufene – jetzt konnte er ihn schon durch die Büsche brechen hören.

»Ach John! bist Du das?«

»Wo steckst Du Jim – wer schrie da?«

»Hierher – ich hab' ihn!«

Ein gellendes Jubelgeheul, wie es sonst nur ein Indianer ausstoßen kann, schmetterte durch den Wald, und rücksichtslos um Dorn oder Schlingpflanze brach im nächsten Augenblick John durch die Büsche und jauchzte laut auf, als er den Gebundenen am Boden erkannte.

Doch die jetzt folgende Scene ist zu furchtbar, um sie zu beschreiben. Hendricks war in erbarmungslose Hände gefallen und seine verbrecherische Laufbahn zu Ende. Mit der Kraft der Verzweiflung kämpfte er wohl noch eine Weile gegen seine Richter an – vergebens, und bald schien der Mond auf die lang gestreckte, regungslose Gestalt, die an dem Ast des Dogwood-Baumes hing und langsam in der leichten Morgenbrise hin und her schwankte. Und die beiden jungen Leute lagerten so lange bei dem Baume, bis sie sich von dem wirklichen Tod ihres Opfers vollständig überzeugt hatten – dann nahmen sie die Leiche ab, um, wie John Wells meinte, den Wölfen ihr Recht nicht zu entziehen.

John untersuchte auch Hendricks Taschen – er trug drei Uhren, um den Leib einen selbstgenähten Gürtel mit den verschiedenartigsten Schmucksachen und Goldstücken gefüllt, und in der Kugeltasche ebenfalls ein Päckchen Geld, das noch nicht einmal geöffnet schien, wie eine Anzahl loser mexicanischer Dollar.

Seine Waffen nahmen sie ebenfalls und verließen dann nach Sonnenaufgang den schauerlichen Richtplatz, um ihren Weg vor der Hand nach Blumenthal zurückzusuchen – möglich daß sie, in den bei ihm gefundenen Gegenständen, Beweise seines mörderischen Wirkens hatten.

Aber es bedurfte deren nicht mehr. Als sie nach zwei Tagen, die sie gebraucht, um ihre Pferde wieder aufzusuchen, den kleinen Ort erreichten, hatte man schon, auf Peters Veranlassung, Hendrick's verlassene Wohnung untersucht und die zweifellosesten Beweise gefunden, daß er an allen kürzlich dort verübten Morden wenigstens betheiligt gewesen, wenn er sie nicht am Ende gar allein ausgeführt hatte.

Das noch eingenähte Geld hatte übrigens dem alten Fischer gehört, und Catharina selber das Päckchen für ihn zurecht gemacht – ebenso war eine der Uhren die seinige gewesen, wie sich auch sein Trauring unter den Sachen fand.

Was nicht reclamirt wurde, nahmen Jim und John auf ihrem Rückweg nach dem Fourche-la-Fave mit – es war ihr wohlerworbenes Eigenthum, so lange sie nicht die früheren Besitzer auffanden, – aber Jim litt es nicht lange in der alten Heimath, die zur viel der schmerzlichen Erinnerungen für ihn trug. Auch John zog von dem alten Platz weg, aber nur in ein anderes County über den Arkansas hinüber und Jim, nachdem er noch Johns Heirath mit seiner Schwester beigewohnt, setzte sich auf ein, seinen Bruder Bill auf ein anderes Pferd, und ritt zurück nach Texas, nach der kleinen, abgeschiedenen Colonie Blumenthal, in welcher er gesonnen war, sich häuslich niederzulassen.

Am Fourche-la-Fave herrschte von da an Frieden – aber der Frieden des Grabes. Die Jay-hawkers waren allerdings theils ausgerottet, theils vertrieben und die Anwohner des kleinen Stromes brauchten keine Meuchelmörder mehr zu fürchten: aber wie viele, wie entsetzlich viele sonst so friedliche Hütten, die glückliche brave Menschen und Familien bargen, lagen verwüstet, zerstört, eingeäschert. Rings umher der Wald war wild aufgewachsen und dornige Schlingpflanzen überwucherten die früheren Spielplätze des jungen Volkes.

Krieg und Mord hatten dem armen Land ihr Brandmal aufgedrückt; die wenigen Hinterbliebenen, ihre Ernährer und ihren ganzen Reichthum, ihre paar Kühe und Pferde verloren und Armuth und Elend war eingekehrt, wo sonst glücklicher Frieden und verhältnißmäßiger Reichthum herrschte – der wenigstens dem Besitzer Alles das gewährte, was er zum Leben brauchte und verlangte, so wenig das auch sein mochte.

Drei Jahre später ritt John Wells wieder einmal nach Texas hinüber, um Jim Jenkins bei seinem zweiten Sohn zu Gevatter zu bitten, und ihn zu überreden, nach dem Fourche-la-Fave zurückzuziehen, weil sich die Schwester so nach den beiden Brüdern sehne.

Bill, der ein tüchtiger Bursch geworden war, konnte abkommen und zog, wenigstens auf Besuch, mit zurück; Jim aber nicht. Er hatte im vorigen Jahre Catharine Fischer, die frühere Braut des Jay-hawkers geheirathet und – konnte jetzt gerade die blühende Ansiedlung und sein junges Weib nicht verlassen.

König Zambiri.
Afrikanische Skizze.

Erstes Kapitel.
Der Schooner.

An der ostafrikanischen Küste, aber noch nördlich vom Aequator, kreuzte einer jener amerikanischen Schooner die, aus den Yankeestaaten kommend, Küstenhandel in allen Theilen der Erde treiben und, wenn sie irgend einen Nutzen dabei zu finden glauben, eben so keck den Stürmen vom Kap Horn, wie den Typhoons des chinesischen Meeres trotzen.

Die Sarah Miles, wie das kleine Fahrzeug hieß, war denn auch, mit Zwiebeln, Wanduhren und Blechwaaren beladen, von Connecticut nach Surinam gegangen, hatte dort Zucker, Kaffee wie andere tropische Produkte für Chili eingetauscht, von da aus Mehl, Wein und Kartoffeln nach der Südsee geführt und von den Inseln Kokosnußöl, Perlen und Perlenmuttermuscheln nach Australien gebracht. In Sydney verkaufte Kapitän Oacutt diese Ladung sehr vortheilhaft an ein deutsches Handlungshaus und tauschte dafür theils Waaren für den afrikanischen Markt ein, theils nahm er bessere Sachen für die Kapstadt mit, um von dort echten Kapwein, oder was er sonst erhalten konnte, zurück in sein Vaterland zu führen.

Natürlich konnte er aber unterwegs der Versuchung nicht widerstehen, zuerst einmal ein paar der kleinen Königreiche an der Ostküste anzulaufen. Dort war jedenfalls noch ein Geschäft mit den uncivilisirten Wilden zu machen, es mußte wenigstens versucht werden, und möglich ja, daß sich Elfenbein, Gold, Gummi und wie die werthvollen Produkte dieses Himmelsstrichs alle heißen, um einen Pappenstiel erstehen ließen.

Hier befand sich aber Kapitain Oacutt – in dem, was die geographischen Verhältnisse dieser Länder betraf – völlig aus seinem Fahrwasser, denn er hatte wohl eine ausgezeichnete Karte von Connecticut an Bord, auch ein paar andere, alt gekaufte von dem Hoogly, San Franzisco, Rio de Janeiro und anderen Küstenstrichen. Wie es aber mit den Hafenplätzen jenes Erdstrichs aussah, dem er gerade entgegen hielt und ob er sich hier einem schon theilweise civilisirten oder noch vollkommen wilden Volke gegenüber befinde, davon wußte er kein Wort und, aufrichtig gesagt, kümmerte sich auch nicht darum.

Wenn er nur Menschen dort fand, mit denen er Handel treiben konnte, und die etwas des Handels Werthes besaßen, alles Uebrige fand sich von selbst, und Gefahren? Bah! seine Amerikaner, die er an Bord hatte, fürchteten sich vor dem Teufel nicht, viel weniger vor einer Horde nackter, schwarzer Wilden.

Die Sarah Miles führte auch in der That eine für ein so kleines Fahrzeug sehr starke Besatzung, und zwar schon der großen Schoonersegel wegen, mit denen nicht so leicht hantiren ist, wie mit Raasegeln. Außerdem war dem Kapitain in Sydney angerathen worden, sich an der afrikanischen Küste vorzusehen, da jenen Völkerstämmen nie zu trauen sei, und er hatte dort noch vier, einem Wallfischfänger entsprungene Matrosen, junge, kräftige Bursche, dazu geworben. Mit Waffen war er überdies reichlich versehen, sogar mit einer vortrefflichen Drehbasse, die vorn auf seinem Bug stand, und sich deshalb bewußt, nichts versäumt zu haben, um einer möglichen Gefahr auch kräftig zu begegnen.

Uebrigens hatten sich diese Vorsichtsmaßregeln bis jetzt als sehr nutzlos erwiesen, denn er sichtete, von Australien bis hieher, nicht ein einziges Mal Land und bekam deßhalb auch keine Prouen, Dschunken, Kanoes, oder was sonst noch auf Raub ausgeht, zu sehen. Ein paar Mal bemerkte er allerdings Segelschiffe: friedliche Kauffahrer, die vielleicht zwischen Indien und dem Kap fuhren. Diesen gefiel aber wieder der Schooner mit seinen keck gestellten Masten nicht, und sie machten gewöhnlich, daß sie ihm aus dem Weg kamen, während Kapitain Oacutt nicht das geringste Interesse hatte, sie aufzusuchen. An denen war nichts zu verdienen; das wußte er aus Erfahrung gut genug, und er steuerte sich ihretwegen auch nicht einen halben Strich aus seinem Kurs.

Mit einer allerdings sehr schwachen, aber doch günstigen Brise glitten sie so durch das tiefblaue Wasser des Ozeans und der Kapitain schaute sehnsuchtsvoll nach Land aus. Seiner Berechnung nach hätten sie nämlich unter der Länge, die ihm sein Chronometer angab, schon ein paar Meilen in Land auf der afrikanischen Küste sitzen müssen – Gott nur wußte, welche Zeit der hielt, – und noch war nicht einmal ein Ufer zu erkennen. Die ganze Nacht mußte deßhalb auch doppelte Wache an Bord bleiben, um, wenn sie nichts sehen konnten, nach der Brandung auszuhorchen, aber sie konnten ungestört ihren Weg fortsetzen, und erst am andern Morgen mit Tagesanbruch kündete der frohe Ruf der Leute: »Land!«

Sie mußten auch in der Nacht ziemlich nahe hinangekommen sein, denn deutlich ließ sich schon ein erhöhtes und waldiges Ufer erkennen, das verschiedene Einschnitte zeigte; welchem Theil der Küste es aber angehöre, war schwer zu bestimmen, denn Kapitain Oacutt hatte, wie gesagt, keine Spezialkarte von Afrika an Bord und verließ sich, im Auffinden von günstigen Landungsplätzen, wie gewöhnlich auf sein gutes Glück.

Die Brise frischte jetzt etwas auf, und um zehn Uhr etwa waren sie so nahe gekommen, daß sie schon mit bloßen Augen Menschen auf dem weißen Uferstrand erkennen konnten. Rauch stieg an vielen Orten auf, und die Gegend schien jedenfalls bevölkert.

Der Kapitain stand vorn auf der Back seines Schooners, das Fernrohr in der Hand, um wo möglich einen Landungsplatz zu finden, aber er bemerkte, daß die Eingebornen den Strand entlang, mehr in einer nördlichen Richtung liefen und errieth leicht die Ursache. An jenem Punkt, auf welchen sie zuhielten, lag wahrscheinlich kein günstiger Ankergrund, aber wohl weiter oben. Ohne sich auch lange zu besinnen, gab er Ordre, den Kurs des Fahrzeugs dahin zu ändern, und rief einen Mann vorn in die Rüsteisen, um das Loth zu werfen, damit sie sich nicht in zu seichtes Wasser wagten, – hatte das Meer doch hier schon eine mehr gelbliche Färbung angenommen.

Der Schooner gehorchte rasch dem Steuer, und auch die Eingebornen schienen mit der neuen Richtung einverstanden, denn sie hatten grüne Zweige abgebrochen und schwenkten sie in der Luft, ein Zeichen, daß sie die Fremden freundlich empfangen und friedlich mit ihnen verkehren wollten. Man darf jedoch diesen wohlwollenden Manifestationen nicht immer unbedingten Glauben schenken, denn es giebt auch verrätherische Stämme, die dadurch Beute heranzulocken suchen, ähnlich wie irische Stranddiebe Nachts durch falsche Signale Fahrzeuge verführen, an die gefährliche Küste anzulaufen.

Kapitain Oacutt traute auch diesen signalisirenden Betheurungen nicht weiter als nöthig; d. h. er nahm sie nur für einen Beweis von Höflichkeit, und erwiederte dieselbe damit, daß er seine Flagge aufzog. Zugleich beschloß er aber, dem Land nicht näher als nöthig zu kommen, ehe er nicht die Aufrichtigkeit der Eingebornen erprobt habe, auch nicht etwa gleich fest vor Anker zu gehen, sondern, wenn nahe genug, ein Boot abzuschicken und dann langsam dort auf und ab zu kreuzen. Dadurch behielt er nicht allein sein kleines Fahrzeug vollständig in der Gewalt, sondern konnte auch seinem Boot, wenn es etwa nöthig werden sollte, rasche Hülfe bringen. Außerdem befand er sich hier noch immer in einigen zwanzig Faden Wasser, also in einer Tiefe, bei der er nicht die geringste Gefahr lief.

Für das Boot, das sein Steuermann führen sollte, wurden jetzt Freiwillige aufgerufen, und diese selber vorsichtigerweise bewaffnet, um sich im Fall der Noth vertheidigen zu können. So liefen sie, vollständig bereit, es jeden Augenblick nieder zu lassen, direkt gegen die Küste, und bis fast in fünf Faden Tiefe hinan und erwarteten eben den Befehl zum vom Bord gehen, als der Mann am Steuer ein Kanoe bemerkte, das eben vom Ufer aus in Sicht kam und augenscheinlich zu ihnen heraus wollte. – Das mußte jedenfalls abgewartet werden, denn man sah da gleich, mit wem man es zu thun hatte; auch lag in dem Besuch nichts Außerordentliches. Freuen sich doch diese wilden, nur auf ihre eigenen Erzeugnisse angewiesenen Stämme jedesmal, wenn sie auf eine solche Art mit irgend einem fremden Fahrzeug in Verbindung treten können, da ihnen dieses doch immer viel Neues und oft auch Nützliches bringt. Was sie selber dafür an Werth geben mußten, rechneten sie nicht, denn es waren stets Sachen, die sie leicht wieder ersetzen konnten, und doch wie schmählich wurden sie dabei betrogen. Was für glänzende Geschäfte hatte Oacutt auch schon in der Südsee gemacht, wo er für Tabak und Branntwein, für Kattun, Tant, werthlose Knöpfe, ja oft für abgebrochene Nägel Kokosnußöl und nicht selten kostbare Perlen eingetauscht. Dieser Stamm war keinenfalls klüger als die dortigen, und ein Sortiment derartiger Dinge auch deßhalb schon hervorgesucht und bereit gelegt.

Das herankommende Canoe sah indessen nicht so aus, als ob es einen Handel eröffnen sollte. Es führte nur vier Mann an Bord. Einer saß am Steuer, zwei ruderten und der vierte stand, mit einem grünen Busch in der Hand, vorn im Bug. Sie waren sämmtlich nackt, nur mit einem blauen Schurz um die Lenden bekleidet und gaben die schwarzen Wollköpfe trotzig der Sonne preis, schienen aber keine Waffen zu tragen und eher eine Art von Gesandtschaft, die heraus beordert wurde, um vielleicht einmal zu erfahren, welche Waaren die Fremden brächten und was sie dafür verlangten. Jedenfalls blieb es gerathen, sie freundlich zu empfangen, und der Kapitän befahl deßhalb, die Fallreepstreppe hinab zu lassen, damit sie bequemer an Bord steigen konnten.

Die Leute im Kanoe mußten auch diese Erleichterung schon kennen, denn der Steuernde hielt rasch darauf zu, aber man konnte nicht sagen, daß sie neugierig seien, denn nur Einer von ihnen, der mit dem grünen Busch, ergriff dieselbe und lief daran empor. Die Uebrigen blieben im Kanoe, ergriffen nur die Taue und hielten sich fest, um nicht von dem, jetzt allerdings nur wenig Fortgang machenden Fahrzeug zurückgelassen zu werden und ihren Mann zu verlieren.

Der Botschafter blieb indessen noch immer, mit seinem Busch in der Hand, oben an Deck stehen, und schien vorher eine Einladung abzuwarten, um näher zu treten, zeigte aber keine Furcht und schaute sich ruhig und gleichmüthig an Bord um. Kapitän Oacutt war übrigens in Verlegenheit, wie er sich dem schwarzen Burschen verständlich machen sollte, denn an Bord kannte natürlich Niemand die Sprache dieses Volkes. Um aber seinen guten Willen zu zeigen, nahm er ein großes Stück Kautabak in die eine, ein Glas mit Branntwein in die andere Hand und ging damit auf den Botschafter zu. Den Tabak mußte dieser auch kennen, denn sein schwarzbraunes Gesicht verklärte sich ordentlich, als er ihn sah, und er griff rasch danach. Nicht so nach dem Branntwein. Vorsichtig roch er vorher an das Glas, schob es dann zurück und sagte in gebrochenem, aber doch verständlichem Englisch: »Danke – ich nicht Feuer trinken – bös – sehr bös!«

»Alle Wetter!« rief Kapitän Oacutt erfreut aus, »Du sprichst amerikanisch, mein Bursche? Das ist famos. Und was bringst Du uns?«

»Bringen?« sagte der Eingeborne erstaunt, »ich soll was bringen? Dafür schickt mich der König her, daß Du was bringen sollst. Geschenke, wie es bei uns üblich ist; dann erlaubt er Dir auch, daß Du landen und zu ihm kommen darfst.«

»Unendlich gnädig,« lachte Oacutt, »und vorher dürfen wir nicht?«

»Nein,« sagte der Schwarzbraune ganz ernsthaft, indem er ein Stück von seinem Tabak abbiß.

Der Amerikaner schüttelte mit dem Kopf. Der Abgesandte selber sah allerdings nicht so aus, als ob es in seinem Lande viel Werthvolles zu verhandeln gäbe, oder die Eingebornen irgend welche Bedürfnisse hätten. Er ging, bis auf den blauen Schurz, völlig unbekleidet, und trug auch nicht die Spur von Schmuck oder sonstigem Zierrath, viel weniger denn von Gold an sich. Lohnte es überhaupt der Mühe, sich mit diesem Volk einzulassen? Aber der Versuch mußte jedenfalls gemacht werden, denn der Weg, den sie dazu hierher gekommen, war zu weit und lang gewesen. Er brauchte auch Früchte und frisches Fleisch, um seinen Leuten eine Veränderung der Kost zu gewähren, und dann erfuhren sie dort vielleicht etwas über die benachbarten Küstenstriche, und wo es am Vortheilhaftesten sein würde, anzulaufen, um die werthvollsten Produkte dieses Welttheils einzutauschen und überhaupt zu finden.

Der Eingeborne, eine schlanke, kräftige Gestalt, der eben so hier hergekommen schien, wie er heute Morgen von seinem Lager aufgesprungen sein mochte, und nur sein schwarzes Wollenhaar in unzählige kleine Zöpfe geflochten und an den Spitzen mit einem weißen Baumwollfaden umwickelt hatte, erwartete indessen in aller Ruhe die Antwort des Kapitäns. Während er selber fast regungslos blieb, rollte er das Weiße seiner Augen nach allen Seiten des Decks. Er war sich jedenfalls seiner Würde als Abgesandter bewußt und durfte sich nichts vergeben.

Kapitän Oacutt hatte aber sein Boot ja schon bereit liegen, und es galt nur jetzt noch, die verlangten Geschenke für den König, die er allerdings nicht für nöthig gehalten, beizufügen. Das konnte rasch geschehen sein, und der Bote bekam deßhalb die Antwort, sie würden nicht versäumen, den König zu begrüßen und hofften dann einen freundschaftlichen Verkehr mit dem Lande herzustellen. Der Schwarze nickte auch bloß mit dem Kopf, drehte sich dann um, stieg die Treppe wieder hinab, und wenige Sekunden später blieb das Kanoe zurück und hielt dem Lande zu.

Zweites Kapitel.
König Zambiri.

Kapitän Oacutt ging jetzt augenblicklich daran, das auszusuchen, was er dem Oberhaupt der Wilden als Einführungsgeschenk überschicken wollte. Er zeigte sich aber nicht besonders wählerisch darin, denn er wußte aus Erfahrung, daß man einen derartigen Häuptling nicht gleich von Anfang an verwöhnen durfte, sonst wurde er gierig auf mehr, und ein einträglicher Handel war unmöglich.

Am Liebsten wäre er freilich selber mit an Land gefahren, aber er durfte als Kapitän das Schiff nicht verlassen, und sein Steuermann war wohl auf See tüchtig, und dabei keck und unerschrocken und nicht so leicht eingeschüchtert, aber doch kaum gewandt genug, wo irgend eine Form erfordert wurde. Da erbot sich Doktor Spruce, ein junger Irländer, den er als Passagier von Sydney nach der Kapstadt mitgenommen, das Boot zu begleiten, war es doch auch eine Unterbrechung der monotonen Seefahrt, und kurze Zeit danach, nachdem das Kanoe wieder zwischen den Büschen verschwand, folgte ihm die Jölle.

Uebrigens ging die Mannschaft ganz ordentlich bewaffnet; der Steuermann wie der Doktor trugen ihre Revolver, und die Matrosen hatten Jeder einen kurzen Schiffscutlaß im Boot liegen und ein doppelläufiges Pistol im Gürtel stecken, konnten sich also schon die Feinde im Nothfalle vom Leib halten.

Der Schooner drehte, wie ihn das Boot verlassen, etwas vom Ufer ab, denn sie waren dem Lande schon fast zu nahe gekommen. Er konnte ja dort auf und ab kreuzen, bis die Leute zurückkehrten und ihm Bericht abstatteten. Lohnte es dann der Mühe und hielt man sich für sicher genug, so war es noch immer Zeit, vor Anker zu gehen und einen Tauschhandel zu eröffnen. Unter der Zeit segelte das Boot mit leichter Brise dem nicht mehr so fernen Land entgegen, und es ist für den Seefahrer stets ein eigenthümliches Gefühl, in solcher Weise eine fremde, von wilden oder doch wenigstens uncivilisirten Stämmen bewohnte Küste zu betreten. Gibt man sich doch immer dadurch mehr oder weniger in die Gewalt oft sehr zweifelhafter Horden. Aber es hat auch wieder einen ganz eigenthümlichen Reiz, den Reiz der unbekannten Gefahr mit der Sehnsucht, die der Matrose stets nach festem Lande trägt, wenn er sich gar zu lange Zeit auf Salzwasser herumgetrieben. Er will wieder einmal den blauen Himmel durch Gesträuch und Baumzweige, nicht mehr durch das Gewirr seiner Taue betrachten. Er will Vögel und Frauenstimmen hören, sich an einer frischen Quelle satt trinken und die reife saftige Frucht selbst vom Ast pflücken; daß ihn dabei der Speer oder Pfeil eines Wilden bedrohen könne, kümmert ihn wenig – wenigstens nie genug, um den Versuch nicht zu wagen.

So betrachteten auch jetzt die anfahrenden Seeleute das immer deutlicher heraustretende Land mit steigendem Interesse, und nichts entging ihren spähenden Blicken. Schon konnten sie einige niedere Hütten erkennen und hielten diese Anfangs für die Hafenstadt, aber je näher sie kamen, desto mehr schob sich das Land auseinander, und nach rechts hinein öffnete sich plötzlich eine geräumige Bucht, an deren Rand, unter Palmen und hochstämmigen Laubbäumen, eine dichte Gruppe von Häusern stand.

Allerdings boten diese auch ein reizendes Landschaftsbild; denn das frische, saftige Grün der Baumwipfel mischte sich freundlich mit dem Graubraun der wunderlich geformten Dächer und dazwischen wirbelte der blaue Rauch langsam in die Höhe. Aber das Auge der Seeleute verließ im Moment das ländliche Bild und haftete auf einem anderen Gegenstand, der fest am Ufer und halb noch vom Gesträuch verdeckt in diesem Moment erst sichtbar wurde – einem Wrack.

Die Ueberreste eines verloren gegangenen Fahrzeugs sind für den Seemann immer von Interesse, denn unwillkürlich erinnern und mahnen sie ihn daran, daß sein eigenes Seeboot ein ähnliches Schicksal treffen kann. Hier aber drang sich ihnen unwillkürlich die Frage auf: Wie nur das Wrack dort hingekommen, wo es lag? Denn gestrandet konnte es an jener Stelle ganz unmöglich sein. Würde ja doch kein Seemann der Welt mit seinem Fahrzeug in diese landumschlossene und ziemlich seichte Bucht eingedrungen sein, ohne vorher genau zu untersuchen, wie weit er sich vorwagen könne. Ebensowenig konnte es ein Sturm, die außerdem nie in der unmittelbaren Nähe der Linie wüthen, herein verschlagen haben, denn dafür trat die eine Landspitze viel zu weit vor. Hatten die Eingebornen das Fahrzeug etwa überfallen, geplündert und hiehergeschleppt? Dann stand ihnen selber auch kein freundlicher Empfang bevor und fast unwillkürlich warf der Steuermann den Blick zurück, die Möglichkeit eines Rückzugs zu überschauen.

Dafür zeigten sich freilich im Augenblick schlechte Aussichten, denn erstlich waren sie mit der Brise eingelaufen, dann führte sie die steigende Fluth rasch in die Bucht hinein und außerdem bemerkte er auch jetzt, daß sich vier oder fünf Kanoes mit Eingebornen hinter ihnen vom Lande abgelöst hatten und ihnen folgten. Und sollten sie jetzt plötzlich Furcht zeigen? Nein! der Steuermann besaß überdieß kecken Muth genug, sich nicht durch eine, nur erst drohende Gefahr einschüchtern zu lassen, und beschloß zu thun, was er eben nicht mehr vermeiden konnte – gerade voraus zu halten, in die Bucht hinein.

Sie passirten jetzt das Wrack! Was es gewesen, ließ sich nicht leicht erkennen, denn die Masten fehlten und nur an einigen Stellen hing noch das stärkere Takelwerk unordentlich über Bord. Dem Steuermann schien es eine Brigg gewesen zu sein; er gab sich aber umsonst Mühe, den Namen heraus zu bekommen, denn obgleich es mit dem Stern der Bucht zu lag, schienen die Eingebornen das dort gewöhnlich angebrachte Namensbret entweder herausgeschlagen oder unleserlich gemacht zu haben, mußten also wissen, daß man daran das Schiff erkannt hätte, und fühlten sich also auch nicht ganz rein bei der Sache.

»Steuermann,« brummte der Doktor, als sie vorüberglitten, »dort liegt ein Memento Mori, eine Art von Todtenkopf und die alten Planken würden vielleicht viel zu erzählen wissen. Ein Glück, daß wir nicht gleich mit dem Schooner vor Anker gegangen sind.«

»Bah,« sagte der Steuermann, der sich nicht wollte merken lassen, daß er eben erst ganz ähnliche Gedanken gehabt; »vom Schooner sollen sie die Fäuste schon lassen.«

»Hm, ja – vielleicht – aber von uns?«

»Und was wäre bei uns zu holen? Nichts als heißes Blei!« lautete die ziemlich mürrische Antwort. »Zum Teufel auch, Kamerad, wenn Ihr Euch fürchtet, hättet Ihr an Bord bleiben sollen.«

»Fürchten?« lachte der Doktor; »ich habe wohl schon davon gehört, weiß aber nicht, was es bedeutet, und der Erfolg wird es lehren. Ich wäre auch der Letzte, der zurückginge, also vorwärts, Mate, wir sitzen einmal drin und müssen die Geschichte jetzt auch zu Ende führen.«

»Und dort ist die Landung!« rief der Steuermann, als er jetzt am Ufer eine Anzahl dunkler Gestalten bemerkte, die ihnen grüne Büsche entgegenschwenkten und damit zu winken schienen.

Hier bildete das Ufer wieder einen kleinen Einschnitt, aber es war augenscheinlich, daß sie den eigentlichen Landungsplatz des Ortes erreicht hatten, denn acht oder zehn Kanoes lagen dort ebenfalls angebunden, und Trupps von Mädchen, Frauen und Kindern schienen auch schon an jener Stelle die Ankunft der Fremden zu erwarten. Der Steuermann hatte ebenfalls ihren Dolmetsch am Ufer erkannt, jenen Burschen, der bei ihnen zum Besuch gewesen, und mit Recht vermuthend, daß dort der Punkt sei, wo man ihn erwarte, lenkte er den Bug seiner Jölle direkt auf ihn zu. Im nächsten Moment scheuerte ihr Kiel den Sand, und Einer der Leute, unbekümmert um den Schwarm, der draußen stand, sprang an Land, um das Springtau zu befestigen.

Der Doktor hatte sich indeß die Eingebornen betrachtet und sich eben nicht besonders über ihr Aussehen gefreut. Sie gingen fast sämmtlich bis auf den Schurz nackt. Nur die jungen Mädchen trugen noch ein oft phantastisch herausgeputztes Tuch um die Schultern und Schmuck – Glasperlen und Goldtand – in den Ohren und den künstlich und mühsam zusammengeflochtenen Haaren, und Einige von ihnen konnten sogar für hübsch gelten, wären die Lippen nicht so aufgeworfen gewesen. Die Männer sahen aber entschieden häßlich aus: mager und grobknochig, mit einem scheuen, mürrischen, gedrückten Wesen. Viele von ihnen trugen auch Waffen: lange, spitze und dünne Wurfspeere oder Keulen, und Einige von ihnen große geflochtene Schilde, und auf den Schultern und Armen eine häßliche Art von Tättowirung, welche die betroffenen Stellen wie aufgeschwollen erscheinen läßt. Feindliche Absichten schienen sie aber nicht zu hegen, denn selbst die Bewaffneten verhielten sich vollkommen ruhig und sogar theilnahmlos und standen nur in ungeordneten Gruppen umher, möglich um die Landung der Fremden zu überwachen.

Der Steuermann hätte nun am Liebsten seine ganze Mannschaft mit an Land genommen, denn es war ihm nachdem er erst einmal das Wrack gesehen, kein angenehmes Gefühl, sein kleines Häufchen noch zu trennen. Aber er durfte das Boot auch nicht ohne Wache zurücklassen. Wer wußte denn, was das Gesindel indessen damit vorgenommen hätte. Drei Mann genügten indeß dazu vollkommen und er mit dem Doktor wollten dann ihren Besuch bei dem Könige machen, während der Jüngste von den Matrosen das braunlackirte Blechkästchen tragen konnte, in welches Kapitän Oacutt die Geschenke für Seine Majestät gethan.

Der Schwarze, der zugleich als ihr Führer ausersehen schien, hatte indeß ruhig neben ihnen gestanden und sie betrachtet, jetzt aber, als der Steuermann ihn anrief, voran zu gehen und ihnen den Weg zu zeigen, sagte er erstaunt: »Ja, Freund, wo hast Du denn die Geschenke für den König?«

»Nun, in dem Kasten da!« erwiederte der Seemann.

»Und das ist Alles?« rief kopfschüttelnd der Schwarze. »Unser König ist groß und mächtig; er wird über das Wenige hinwegsehen.«

»Er soll zu Gras gehen!« brummte der Steuermann leise vor sich hin, setzte aber laut hinzu: »Und weißt Du denn, was da drinnen ist, Wollkopf?«

»Nein,« antwortete dieser etwas verblüfft; »wie kann ich's wissen – ich habe ja nicht hineingesehen.«

»Also vorwärts marsch, daß wir weiter kommen und das Mittagessen nicht versäumen,« nickte ihm der Steuermann zu und ihr Führer schien jetzt ebenfalls damit einverstanden. Wer wußte in der That, was für kostbare Dinge der kleine Kasten enthielt – der Weiße hatte recht. Erst mußte man es sehen, ehe man urtheilen konnte. Er schritt langsam, von den Fremden gefolgt, gerade auf den Schwarm von Mädchen und Frauen zu, die aber scheu zur Seite wichen und Raum gaben, wodurch sie eine Art von lebendiger Gasse bildete, und die Amerikaner sahen jetzt ein niederes aber breites Gebäude vor sich, auf welches sie direkt zuhielten.

War das wirklich das Palais, so wohnte Seine Majestät allerdings sehr bescheiden, konnte aber deßhalb natürlich doch von jeder orientalischen Pracht umgeben sein. Wie oft bargen in solchen wilden Ländern schlichte Rindendächer die bedeutendsten Schätze, und wer es da verstand, machte leicht bessere Geschäfte, als in den größten Städten und Hafenplätzen. Vergebens suchten aber sowohl der Doktor wie Steuermann einen Ueberblick über die Stadt selber zu gewinnen, denn die Wohnungen lagen nicht in geraden Straßen, sondern unordentlich durcheinander und meist so in Gebüschen und Fruchtbäumen versteckt, daß man nur hie und da einzelne Häuser und Dachspitzen zwischen Bananenhainen und Palmenwipfeln durch erkennen konnte. Es blieb ihnen überdieß keine lange Zeit, sich umzuschauen, denn eben betrat ihr Führer die Schwelle des niederen Gebäudes und winkte ihnen dabei zu folgen. Eine vorherige Anmeldung wurde also nicht für nöthig befunden.

Sie fanden jedoch bald, daß die Hütte mit ihrem ärmlichen Aeußern dem Innern vollkommen entsprach. Sie war von Pfählen und Reisig gebaut, luftig allerdings genug und dem heißen Klima zusagend und nur mit einem guten dichten Dach bedeckt, schien aber sonst sehr dürftig ausgestattet und enthielt nur einige Stücke europäischer Ausstaffirung, auf welche die Seeleute Anfangs jedoch nicht achteten, weil eine merkwürdige Gruppe im Mittelpunkt der Hütte ihre Aufmerksamkeit völlig in Anspruch nahm.

Auf einem dort ausgebreiteten Löwenfell – sonst aber auf der blanken Erde – lag nämlich ein großer, schwarzer, unförmlicher, aber lebendiger Klumpen, dem selbst der Doktor nicht gleich eine bestimmte Form und Gestalt geben konnte, während oben darauf ein kleiner, schlanker, kaffeebrauner Bursche, die Arme in die Seite gestemmt, gymnastische Uebungen auszuführen schien, denn er stieg und tanzte darauf herum, obgleich es eine Geschicklichkeit zu erfordern schien, das Gleichgewicht dabei zu erhalten.

Links in der Ecke balgte sich eine Anzahl von Kindern unter der Aufsicht von zwei jungen Mädchen, ohne indessen von dieser Produktion weitere Notiz zu nehmen, und der Doktor besonders gab sich die größte Mühe, nur erst einmal herauszubekommen, was er da eigentlich vor sich habe und was es bedeute. Aber es dauerte nicht lange, so begann er, trotz dem in der Hütte herrschenden Dämmerlicht, doch einige Umrisse an dem Klumpen zu unterscheiden, der sich bald als ein wirklich menschliches Wesen, wenn auch in wunderlicher Verunstaltung, herausstellte. Da war in der That ein dicker, wolliger Kopf, da war etwas, das wie Beine und Füße aussah, wenn auch nur im kürzesten aber dicksten Maßstab – alles Uebrige mußte aber Körper oder Rücken sein, denn das merkwürdige Geschöpf lag, wie er jetzt bemerkte, auf dem Bauch, und der kleine gelenke Bursche tanzte eine Art von Menuet auf seinem Rückgrat.

Erstaunt sahen sich der Steuermann und Doktor, während der Matrose mit offenem Mund daneben stand, nach ihrem Führer um, dieser winkte ihnen aber mit der ernsthaftesten Miene von der Welt zu, ruhig zu bleiben, und deutete dabei ehrfurchtsvoll auf den schwarzen, nackten Fleischklumpen. – War das etwa der König?

Der Dicke schien sich indessen unter der Operation sehr behaglich zu fühlen; er stöhnte ein paar Mal vor Vergnügen und fing dann an, erst die Arme und dann die kurzen Beine auszustrecken, wälzte sich auch bald ein wenig nach der, bald nach jener Seite, so daß der kleine Bursche ungemein aufpassen mußte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und herabgeworfen zu werden.

Endlich schien aber der Koloß befriedigt; er grunzte fast vor Wonne, und nachdem er dem Kleinen etwas zugerufen, wornach ihn dieser noch ein paar Mal kräftig in's Genick trat und dann absprang, richtete er sich plötzlich in die Höhe, so daß er, den Fremden unmittelbar gegenüber, auf das Fell zu sitzen kam. In diesem Augenblick mußte er auch zum ersten Mal den Besuch bemerken, denn er sah sie einen Moment so verdutzt an, daß besonders der Doktor ein herauswollendes Lachen kaum verbeißen konnte. – Ob er sich vielleicht genirte, bei seinem »Tretbad« von den weißen Männern beobachtet worden zu sein? Das war wohl kaum der Fall, indeß gewann er seine Fassung sehr bald wieder. Er winkte dem Knaben und rief ihm ein paar Worte zu, wonach ihm dieser eine Art von Oberhemd aus rothem Kattun überwarf, was seine Toilette beendete. Dann redete er den Dolmetsch an.

Dieser machte eine ehrfurchtsvolle Verbeugung, nahm ohne Weiteres dem Matrosen das Blechkästchen ab und setzte es neben sein Oberhaupt nieder. Dem Steuermann entging auch der ungnädige Blick nicht, den dieser darauf warf, sich dann aber doch herabließ, es zu öffnen und hineinzuschauen. Der Doktor behielt indessen Muße, ihn etwas näher zu betrachten, und mußte sich gestehen, in seinem ganzen Leben noch kein ähnliches menschliches Wesen gesehen zu haben.

Der kleine dicke Bursche, wie er da vor ihm saß, konnte kaum mehr als vier Fuß hoch sein und war dabei in der That lauter Bauch. Ja es sah ordentlich aus, als ob der Kopf, ohne auch nur einen Zollbreit Hals zu gestatten, fest und tief in den unförmlichen Körper hineingeschraubt worden wäre. Beine und Arme zeigten sich dazu von ganz unmäßiger Dicke und an Gewicht mußte er wenigstens drei Centner wiegen – wenn nicht noch mehr. Frisirt schien er an dem Morgen nicht zu sein, die Haare standen ihm in struppigen, fest ineinander gerollten Wollbüscheln nach allen Seiten hinaus und aus dem dicken, fettglänzenden Gesicht stierten ein paar kleine, wie zusammengekniffene Augen eben nicht besonders freundlich bald die Fremden, bald seinen Dolmetsch, bald den eben geöffneten Blechkasten an. Sein Inhalt beschäftigte ihn aber doch vor der Hand am Meisten, und er schien das Gebrachte auch nicht etwa als ein Geschenk, sondern vollkommen als Tribut zu betrachten, für den er sich natürlich nicht zu bedanken brauchte.

Der dicke Bursche mußte übrigens schon öfters mit weißen Fremden verkehrt haben, denn der Steuermann, der sich jetzt etwas näher in dem Gemach umsah, bemerkte eine Menge von Dingen, die ihm nur Europäer oder Amerikaner gebracht haben konnten. Dort drüben war an der Reisigwand ein Spiegel in Goldrahmen aufgestellt, der genau so aussah, als ob er früher einmal in der Kajüte eines Fahrzeugs gehangen; in der einen Ecke lagen Sophapolster, mit dem Ueberzug aber schon lange heruntergefault; dann standen in der Ecke mehrere Musketen mit Bajonneten und daneben einige Schiffscutlasse, während ein sauber gearbeitetes Mahagonischränkchen mit Perlmutterschloß ebensogut früher in eine Kajüte gehört haben konnte, denn Messingbügel waren jetzt noch daran zu erkennen.

Der Dicke indessen, der das geöffnete Kästchen eine Weile halb neugierig, halb mißtrauisch betrachtet hatte, griff jetzt hinein und zuerst nach einer oben aufliegenden langen Tafel Kautabak, an der er roch und sie dann, augenscheinlich befriedigt, neben sich legte. Die Kinder, die gesehen hatten, daß es dort irgend etwas Neues gab, kamen jetzt herbeigelaufen. Sie waren sämmtlich in dem Alter von etwa fünf bis neun Jahren und gingen, wie das bei solchen Stämmen gewöhnlich der Fall ist, »bis an den Hals barfuß«. Auch ihre Wärterinnen, die ihnen schon folgen mußten, kamen näher; sie waren ebenfalls neugierig geworden.

Unter dem Tabak fand Seine Majestät jetzt eine große, dicke, aber unechte Uhrkette, auf welche sich der Kapitän, als er sie in den Kasten legte, nicht wenig zu Gute gethan. Der König griff auch rasch danach, hatte sie aber kaum in die Hand genommen, als er sie schon mißtrauisch betrachtete, dann – wie den Tabak vorher – an die Nase hob und scharf und lange daran roch. Die Untersuchung mochte aber nicht zu ihren Gunsten ausgefallen sein, denn er schüttelte mit dem Kopf und warf sie dann – ohne sie weiter eines Blickes zu würdigen – verächtlich unter die Kinder, die jubelnd darüber herfielen.

Das abgemacht, griff er zwischen die andern Dinge hinein, schien aber nicht viel Tröstliches herauszufischen: ein paar bunte, aber baumwollene Taschentücher – ein paar Schnüre Glaskorallen – einen kleinen Spiegel im Futteral – eine Scheere, und müde des nutzlosen Suchens drehte er endlich in etwas summarischer Weise den Kasten um, schüttete den ganzen Inhalt auf die Decke und wühlte in den Dingen, die Kapitän Oacutt als Kostbarkeit eingepackt, geringschätzig mit dem rechten Fuß herum. Es zeigte sich auch in der That nichts darunter, was er hätte gebrauchen können oder mögen; nur eine kurze Tabakspfeife nahm er noch für sich und schob dann den ganzen Plunder mit seinem dicken Bein den Kindern zu.

Von der Gelegenheit suchte auch eine der »Bonnen« Nutzen zu ziehen und griff nach einer Schnur hellblauer Glasperlen, aber ihr Herr und Gebieter war – unglücklicherweise für sie – nicht in der Laune, irgend eine Vertraulichkeit zu gestatten. Er schlug mit der rechten Hand aus und traf das arme Mädchen so derb gegen den Nacken, daß sie wie betäubt zur Seite taumelte und dann leise wimmernd aus dem Wege kroch. Der kleine Tyrann nahm aber keine Notiz von ihr – er war ärgerlich geworden. Sollten das etwa Geschenke für einen König sein, wie sie ein fremdes Schiff ihm als Tribut bringen mußte? Wollten die Weißen ihn verhöhnen? Und zornig wandte er sich an den Dolmetscher, der achselzuckend und gebückt, als ob er die Stellung schon einmal von einer deutschen Hofschranze abgesehen, ihm gegenüberstand und die Vorwürfe geduldig und demüthig mit anhörte. Kaum aber hatte der König geendet, als er sich auch, jetzt selber zornig und seinen Monarchen repräsentirend, an die Fremden wandte und all' die Vorwürfe mit fast schreiender Stimme wiederholte, die er eben mit angehört. Der Sinn der Rede war etwa folgender: »Aus welchem Lande kommt ihr, daß ihr glaubt, ihr dürftet dem Fürsten eines Volkes Kinderspielzeug zum Geschenk bringen? Geht fort und kehrt nicht eher zurück, bis ihr mit einer würdigen Gabe nahen könnt.«

»Alle Wetter!« rief der Steuermann überrascht aus, »wie mir scheint, müßt ihr selber hier sehr reich sein, wenn ihr das, was in unserem Lande als Kostbarkeit gilt, so verächtlich bei Seite werft. Wir geben, was wir haben, und es ist möglich, daß wir Sachen an Bord finden, die Deinem König noch besser gefallen, aber dann müssen wir auch vorher wissen, was ihr uns zum Handel bieten könnt und ob es der Mühe lohnt, mit euch zu verkehren.«

Der Dolmetsch übersetzte, was ihm der kecke Fremde gesagt, und die Antwort des Königs lautete, daß sie Sklaven zum Tausch hätten – Sklaven genug, um sein ganzes Schiff zu beladen. Brooks, der Steuermann, schüttelte aber mit dem Kopf und erwiederte: sie wären keine Sklavenhändler, die nur an die Küsten fremder Länder kämen, um Menschen zu stehlen. Sie wollten Waaren – Produkte des Landes haben – Elfenbein, Straußenfedern, Gummi, Goldsand oder was da wäre, und die Geschenke für den König sollten dann dem entsprechend ausfallen.

Dieser erhielt das Gesagte wieder übersetzt und bedachte sich einen Augenblick – er überlegte wahrscheinlich, ob er durch eine Antwort darauf seiner Würde nichts vergebe. Endlich nickte er leise vor sich hin und rief ein paar rauhe Worte, wonach dann der Dolmetsch den Fremden nur winkte, ihm zu folgen.

Der Doktor, der nicht gern eine Höflichkeitsform versäumen wollte, zupfte den Steuermann und flüsterte ihm zu, ob sie sich nicht vorher bei Seiner Majestät verabschieden müßten. Der Dicke schien aber gar keine weitere Notiz von ihnen zu nehmen, sondern drehte ihnen höchst ungenirt den breiten Rücken zu, wonach die Fremden es dann auch nicht weiter für nöthig hielten, irgend eine sonst vielleicht verlangte Ceremonie zu beachten.

Drittes Kapitel.
Die Schatzkammer.

Ihr Führer schritt mit ihnen direkt wieder zum Strand zurück und der Richtung zu, in welcher ihr Boot lag. Der Steuermann aber, immer noch die Gedanken an das Wrack im Kopf, wollte die Gelegenheit nicht versäumen, vielleicht etwas Näheres darüber zu erfahren, und als sie wieder den freien Raum betraten, von dem aus man die dunklen Umrisse des gestrandeten Fahrzeugs eben erkennen konnte, sagte er, anscheinend leichthin: »Was ich gleich sagen wollte, Freund! Was war das eigentlich für ein Fahrzeug, das da drüben in den Büschen so fest vor Anker liegt?«

»Welches?« sagte der Schwarze, als ob es zehn verschiedene gegeben hätte.

»Welches? Das da drüben – das große Fahrzeug der Weißen, das an Eurer Küste liegt.«

»O das,« meinte der Dolmetsch gleichgültig; »altes Schiff, liegt schon viel lang drüben – weiß es nicht.«

Der Steuermann hätte nun darauf schwören wollen, daß das verunglückte Fahrzeug noch gar nicht etwa so lange da drüben liegen konnte, denn die Malerei daran sah viel zu frisch dafür aus, und von Verwitterung war keine Spur zu erkennen. Aber er merkte auch wohl, daß der Bursche nichts gestehen wollte oder durfte, und mochte selber nicht gleich Neugierde verrathen, um keinen Verdacht zu erwecken. Traten sie erst mit dem Volk hier in einen näheren Verkehr, so fand sich auch wohl einmal eine Gelegenheit, um das Wrack zu besuchen, wenigstens dicht hinan zu laufen, und dann getraute sich der Seemann auch schon nähere Daten darüber selber herauszufinden. Bis dahin war es weit gerathener, vorsichtig zu Werk zu gehen.

Ihr Führer schritt indessen nicht direkt auf ihr Boot zu, das sie schon von Weitem erkennen konnten, sondern bog etwas mehr rechts ab, und zwar einem wunderlich gestalteten, hohen und spitzen Hause zu, das sich nur dadurch von den übrigen Wohnungen unterschied, daß es fest verschlossen schien und keine offene Thüre zeigte.

Der Doktor war einige Schritte dicht an der Umzäunung desselben hingegangen und näherte sich jetzt einem eigenthümlichen, fest überdeckten Vorbau, als er plötzlich erschreckt zur Seite fuhr, denn fast unmittelbar neben ihm stieß ein Löwe sein heiseres Gebrüll aus.

Die Eingebornen lachten und auch der Steuermann amüsirte sich über den Satz, den der Doktor machte; übrigens war er selbst zusammengefahren, denn hier, mitten im Dorf, hatte er keine solche Bestie erwartet, die da jedenfalls hinter dem Palissadenwerk gefangen gehalten wurde. Sie waren jetzt auch gerade über ihrem Boot angekommen, das etwa hundert Schritt von ihnen entfernt unten am Strand lag, als ihr Führer vor diesem Löwenzwinger stehen blieb und dort hineindeutend sagte: »Ihr glaubt nicht, Fremde, daß unser König Waaren hat, um mit euch zu handeln. Seht, was da drinnen aufgeschichtet liegt. Ihr wäret nicht im Stande, auch nur die Hälfte davon zu kaufen.«

»Hoho, mein Bursche!« sagte der Doktor, der sich eigentlich schämte, vorhin eine plötzliche Schwäche gezeigt zu haben, aber das Gebrüll war auch zu unerwartet und aus zu unmittelbarer Nähe gekommen: »und was hättet Ihr da?«

»Jedenfalls Sachen, die werthvoller sind als Eure Geschenke,« grinste der Schwarze. »Seht nur hindurch.«

Die Fremden trauten nicht recht; hinter dem Gitter schritt der Löwe umher, und der Doktor bemerkte jetzt auch dicht daneben eine wohl starke, aber doch nur hölzerne Thür, die allein von zwei breiten Holzriegeln verschlossen gehalten wurde und in den Zwinger führte. Aber was konnte ihnen geschehen? und wenn er auch nicht recht begriff, welche Kostbarkeiten der Löwenkäfig enthalten könne, trat er doch mit dem Steuermann dicht an die Palissaden und sah hindurch.

»Alle Teufel!« rief da der Seemann plötzlich; »Doktor, was meint Ihr – da drin läge Fracht für uns.«

»Elfenbein!« sagte dieser, aber wirklich überrascht von der Masse, die er da drinnen aufgeschichtet sah. »Bless my soul, die scheinen ja sämmtlichen Elephanten die Zähne ausgerissen zu haben. Junge, Junge, wo habt Ihr all' das Elfenbein her?«

»Nun?« sagte der Schwarze, augenscheinlich von dem Erstaunen der Fremden befriedigt; »hat der König zu viel gesagt?«

Da drinnen lag in der That ein unschätzbarer Reichthum von werthvollen und zum Theil außerordentlich großen Elephantenzähnen aufgeschichtet, und der Löwe schien dabei als trefflicher Wächter zu dienen. Entsetzt rief aber der Doktor aus, als er den Blick jetzt in dem inneren Raum umher schweifen ließ: »Heiliger Gott, was ist das? füttert Ihr denn hier die Bestie mit Menschenfleisch? Sehen Sie um des Himmels willen die Schädel und Knochen, Brooks, die da drin umhergestreut liegen.«

»Das ist nichts,« sagte der Eingeborne gleichgültig, »nur Sklaven oder Kriegsgefangene, wenn sie krank oder schwer verwundet sind. Ja Zambiri ist ein großer König und gerade jetzt jagen unsere Truppen einen feindlichen Stamm. Wenn Ihr ein paar Tage hier bleibt, könnt Ihr sie mit Beute beladen zurückkehren sehen.«

»Und das Elfenbein gehört Alles dem König?«

»Alles, und noch weit mehr, viele große Büffelhörner voll Perlen, Schildpatt, Gold. Zambiri ist sehr reich, es ist ein großer König.«

»Und verkauft er die Zähne?«

»Gewiß,« nickte der Dolmetsch, »aber es kommt darauf an, was Du ihm bieten kannst. Viel mußt Du ihm bringen, und vor allen Dingen Geschenke für ihn, sonst macht Ihr ihn nur böse, und dann ist er furchtbar, wie ein Löwe selber.«

»Die kleine schwarze Bestie,« brummte der Doktor leise vor sich hin, bemerkte aber auch in demselben Augenblick den nämlichen kleinen schwarzen Burschen, der vorher auf dem Rücken des Königs herumgestiegen war, und der nun in einiger Entfernung hinter dem Dolmetsch stand und ihm geheimnißvolle, aber scheue Zeichen machte. Sollte das eine Warnung sein, und drohte ihnen Verrath? Fast unwillkürlich griff er mit der Hand nach dem unter dem Rock versteckten Revolver, der Kleine aber, als ob er die Bewegung verstanden hätte, schüttelte mit dem Kopf und deutete auf seinen Mund. Wollte er ihm etwas sagen? Jedenfalls mußte er in seine Nähe zu kommen suchen, aber der Dolmetsch war ihm dabei im Weg.

»Schafft mir den schwarzen Kerl einen Moment bei Seite, Steuermann,« flüsterte er diesem rasch zu, »geht mit ihm zum Boote, ich folge.«

Der Steuermann sah ihn erstaunt an und begriff nicht, was er wolle, der Doktor mußte aber jedenfalls seinen Grund dafür haben, und sich an den Dolmetsch wendend, sagte er: »Unter den Umständen wird es am Besten sein, gleich an Bord zurückzufahren und das Werthvollste herauszusuchen, was wir haben, damit wir Deinen König zufrieden stellen. Wir sind als Freunde hierhergekommen, und ich hoffe, wir sollen als Freunde mit einander verkehren. Aber da unten sehe ich Früchte, könnten wir wohl einige davon mit an Bord nehmen? Wir haben eine lange Fahrt gehabt, und nichts Grünes unterwegs gefunden,« und dabei schritt er, von dem Matrosen dicht gefolgt, zum Boot hinunter.

»Gewiß,« nickte der Dolmetsch, der sich an seiner Seite hielt. Der Doktor blieb dabei ein paar Schritte zurück, als der Junge dicht an ihn hinanglitt und zugleich im reinsten Englisch flüsterte: »Rettet uns – gefangen – vom Schiff...« In demselben Moment aber auch und gerade als sich der Dolmetsch nach ihm umdrehte, sprang er nach vorn, auf diesen zu und sagte irgend etwas in seiner Sprache.

Der Schwarzbraune blickte ihn zornig an, und sah bald auf ihn, bald auf den Doktor, da dieser aber mit der gleichgültigsten Miene von der Welt ein paar hier auf dem Sand liegende Muscheln aufhob und aufmerksam betrachtete, schien sein plötzlich gefaßtes Mißtrauen zu schwinden.

»Ich muß zum König,« sagte er zum Steuermann, »wartet für einen Augenblick, ich werde Euch Früchte schicken; gebt den Leuten Taback dafür – aber keinen Branntwein – er ist streng verboten und nur der König darf ihn trinken,« und damit, die Weißen sich selber überlassend, rief er dem Knaben einige Worte zu und eilte, diesen am Arm fassend, mit ihm zu seines Oberhauptes Wohnung zurück.

Wie gerne hätte der Doktor noch Weiteres von dem jungen Burschen gehört, aber er sah auch ein, daß das nicht möglich sei, ohne augenblicklich Verdacht zu erregen und jede Aussicht auf Erfolg abzuschneiden. Dem Steuermann theilte er aber jetzt mit, was ihm der Junge zugeflüstert, und dieser rief, seine rechte Faust in die linke flache Hand schlagend: »Ob ich es mir denn nicht gedacht habe? Mit dem Wrack da ist faul Spiel gewesen, und uns wollen sie jetzt bloß kirre machen, um uns nachher ebenso zu bedienen.«

»Und die Elephantenzähne sind auch nicht alle aus dem Land gekommen, Sir,« sagte der junge Matrose, der daneben stand. »Zwei davon, das hab' ich deutlich durch das Gitter gesehen, waren mit Schiemanns-Garn zusammengebunden, und Schiemanns-Garn haben sie nur an Bord von Schiffen.«

»Gar nicht unmöglich,« nickte der Seemann, »das Fahrzeug kann schon recht gut an der Küste gekreuzt und Elephantenzähne eingehandelt haben, und das hat dieser schwarze Heide jetzt Alles in seinem Waarenlager aufgeschichtet.«

»Aber was nun?«

»Dort kommen die Früchte,« sagte der Steuermann, »die wollen wir erst einnehmen, und dann so rasch als möglich an Bord zurück, um dem Kapitän Bericht abzustatten. Hol's der Teufel, wir müssen doch wenigstens einen Versuch machen, vielleicht sogar unsere Landsleute zu retten, und geht das nicht, ei dann laufen wir nach dem Kap hinunter und schicken ein Kriegsschiff her, denn ungestraft sollen sie sich beim Himmel nicht an einem Fahrzeug der Weißen vergriffen haben.«

Das Gespräch war hier abgebrochen, denn allerdings kamen jetzt Eingeborne mit Früchten heran, erst einzeln und dann immer mehr. Der Steuermann hielt sich aber nicht lange auf, hatte auch nicht genug Waaren bei sich, um mit ihnen einen großen Tauschhandel zu eröffnen. Nur den Ersten nahm er, was sie brachten, ab, und gab ihnen Tabak dafür, dann sprangen die Männer wieder in ihr Boot und ruderten, so scharf sie konnten, in See hinaus, um den ihnen schon wieder entgegenkommenden Schooner zu erreichen.

Kapitän Oacutt war übrigens, als sie an Bord zurückkehrten, mit dem Resultat ihrer Fahrt nicht besonders zufrieden. Er hörte wohl den Bericht mit der gespanntesten Aufmerksamkeit an, schüttelte aber dabei bedenklich mit dem Kopf und meinte endlich: Das mit dem Elfenbeinvorrath klänge allerdings sehr gut und verlockend, aber trotzdem scheine es ihm fast, als ob er, wenn er unter diesen Verhältnissen auf einen Handel einginge, am Ende gar noch Schiff und Mannschaft verlieren und die Zeche mit seinem eigenen Leben bezahlen könne. Des Steuermanns Gegenvorstellungen, die von dem Doktor kräftig unterstützt wurden, hatten aber zu viel Gewicht. Er durfte die Küste rechtlicherweise gar nicht wieder verlassen, ohne nicht wenigstens einen Versuch gemacht zu haben, Näheres über das verunglückte Fahrzeug zu hören, und da sie jetzt durch den Knaben die Gewißheit hatten, daß wenigstens Einer an Land sei, der darüber zu erzählen wisse, so blieb ihnen nichts übrig, als dem weiter nachzuforschen.

Der Kapitän mußte ihnen darin beistimmen, und sehr verlockend wirkte dabei auch die Schilderung des Haufens von Elephantenzähnen, die aber auf so entschiedene Weise von einem der wildesten Ureinwohner, dem Löwen, bewacht wurden. Jedenfalls hatte der Doktor recht, wenn er meinte, sie riskirten wenig durch eine zweite Fahrt an Land, auf welcher sie ja nur die Geschenke und Proben für den Handel mitzunehmen brauchten. Es käme vor allen Dingen darauf an, jenen dicken Fleischklumpen, den Tyrannen des Distrikts, etwas freundlich für sie zu stimmen und selber gierig auf eine Handelsverbindung zu machen, nachher wäre es ein Leichtes, mehr über die Verhältnisse dort zu erfahren. Günstigeren Zeitpunkt durften sie außerdem nicht hoffen, dafür zu finden, als gerade jetzt, da sich, wie sie ja am Ufer gehört, der größte Theil der bewaffneten Macht auf einem Streifzug und Sklavenfang im Inneren befand. Die Gefahr eines Ueberfalls begann erst, wenn die zurückkehrte, und je eher sie deßhalb hier an's Werk gingen, desto besser.

Einem Kapitän ist immer die Sicherheit seines eigenen Fahrzeugs das Höchste, und muß es sein, denn nicht allein das Eigenthum seiner Rheder, sondern auch das Leben seiner Mannschaft steht dabei auf dem Spiel, aber Aussicht auf Gewinn und die Pflicht, dem Schicksal eines verunglückten Fahrzeugs nachzuforschen, wirkte hier gleich stark, und er sträubte sich nicht länger, sein Boot zum zweiten Mal hinüber zu senden. Nur die Wahl der Geschenke hatte noch einige Schwierigkeit, da er gern so wenig als möglich opfern wollte, während der Doktor wie auch der Steuermann darauf bestanden, daß man sich dießmal, nach dem ersten verunglückten Versuch, ganz besonders splendid benehmen müsse. Sie setzten auch zuletzt ihren Willen durch, und ein chinesischer Koffer wurde mit wirklich werthvollen Dingen, seidenen Kleidern und Schärpen, wollenen bunten Stoffen, vergoldeten Uniformtroddeln, reich verzierten Messern, hübsch aussehenden Glaskorallen und anderen derartigen Dingen fast gefüllt. Außerdem sollte auch noch eine Probe der Waaren beigegeben werden, welche Oacutt gegen Elfenbein oder andere werthvolle Produkte einzutauschen gedachte, auch Brod und guten Branntwein mußten sie mitnehmen, den Letzteren nur für den König selber; und also vorbereitet, durften sie schon eher hoffen, das Herz jenes schwarzen Fleischklumpens für sich zu gewinnen.

Heute war es natürlich mit all' diesen Berathungen und dem Auswählen zu spät geworden, um noch einen zweiten Landungsversuch zu machen; von der Nacht mochten sie sich auch drüben nicht überraschen lassen, und der Kapitän hielt deßhalb mit seinem Schooner weiter von der Küste ab. Allerdings mochten die Eingebornen, wenn sie die Bewegung sahen, glauben, die Weißen hätten auf den Handel mit ihnen verzichtet, und wären wieder abgefahren, aber das schadete nichts; um so begieriger wurden sie nachher darauf, und das konnte das Geschäft für morgen nur erleichtern.

Indessen hatte sich aber auch unter der Mannschaft die Nachricht verbreitet, daß die »Niggers« am Ufer weiße Männer in der Gefangenschaft hielten, und die Wuth darüber war grenzenlos. Noch an demselben Abend kam eine Deputation zum Kapitän, die ihn bat, er möchte mit dem Schooner an Land fahren und das Nest in Grund und Boden zusammenschießen. Alle meldeten sich als Freiwillige zum »Entern« und schienen besonders, der Beschreibung ihres Kameraden nach, Rache an dem dicken Ungethüm zu verlangen, das Sklavenhandel treibe und seine eigenen Unterthanen dem Löwen vorwerfe. Oacutt aber, so sehr er sich über die gute Stimmung der Leute freute, stellte ihnen vor, daß sie erstlich noch nicht einmal genau wüßten, ob wirkliche Weiße dort gefangen gehalten würden, dann aber auch durch einen Angriff auf die Eingebornen diese vielleicht verjagen, aber nie im Leben wirklich Gefangene befreien könnten. Er versprach ihnen indeß, morgen früh sechs von ihnen, gut bewaffnet, mit an Land zu schicken, um zu sehen, was sich machen ließe, und daß er sich dann auf sie verlasse, sie würden im Nothfall ihre Schuldigkeit thun, verstand sich von selbst.

Viertes Kapitel.
Der zweite Besuch.

Am nächsten Morgen mit erstem Tagesgrauen war die Sarah Miles schon wieder fast auf der nämlichen Stelle angelangt, wo sie gestern Abend gelegen, und hielt jetzt direkt dem Lande zu, um ihr Boot abzusetzen. Das brauchte auch nur in See gelassen zu werden; die ganze Ladung lag schon bereit, die dafür bestimmte Mannschaft stand gerüstet an Deck und schien selber die Zeit kaum erwarten zu können, wo sie da drüben ihre Thätigkeit beginnen möchte. Rasch wurde auch dem Befehl: »a shore!« Folge geleistet; mit lautem Hurrah hißten sie das kleine Segel, und fort ging es, der Mündung der Bai entgegen. Kapitän Oacutt mochte aber heute seine Leute mit dem einmal gegen die Eingebornen gefaßten Verdacht nicht wieder, so wie gestern, aus Sicht lassen. Daß sie in der Bucht tief Wasser hatten, wußte er schon vom Steuermann, und langsam folgte er deßhalb seinem Boot, um dort entweder zu kreuzen, oder wenn es sicher befunden wurde, auch vor Anker zu gehen.

Brooks steuerte indessen sein Boot der Landung entgegen und wunderte sich nur, daß sie heute gar keine Kanoes zu sehen bekamen. Am Ufer schien dafür eine ungewöhnliche Bewegung zu herrschen; er unterschied mit dem Fernrohr eine Menge Frauen und Kinder. Ob sie die Fremden schon bemerkt hatten? Fahrzeuge zeigten sich aber nicht auf dem Wasser, und der Seemann hielt deßhalb die Gelegenheit für passend, um jetzt so dicht als möglich an das Wrack hinan zu laufen und es ein wenig näher zu untersuchen. Das ging auch leichter, als er selbst geglaubt, denn während sie sich am linken Ufer hielten, wurden sie durch die vorhängenden Büsche desselben verdeckt, ja das Wrack selber stand ein Stück in die Bai hinaus. Der Steuermann ließ auch sein Boot dort anlaufen und kletterte rasch an Deck; aber da war freilich nichts weiter zu sehen, als daß es eine nicht sehr große Brigg gewesen, die jedoch rein ausgeplündert worden, wie sich das in dieser Nachbarschaft auch von selbst verstand. Sogar das Skylight hatten sie abgehoben und weggeführt, und die Kajüte war natürlich blank und leer. Aber auch keine Spur eines Namens fand sich, denn ebenso wie das Namensbrett am Stern herausgebrochen worden, so fehlten auch die beiden Bretter an der Gallion, auf welchen früher wahrscheinlich ebenfalls der Name gestanden, und da am Bugspriet kein Bild, sondern nur eine sogenannte Krulle auslag, ließ sich auch nach der nichts bestimmen. Aber die ganze Eintheilung und Bauart des Fahrzeugs war jedenfalls amerikanisch, auch die Art der Malerei, und der Steuermann wurde durch diese Entdeckung gerade nicht freundlicher gegen die Schwarzen gestimmt.

Uebrigens durfte er sich hier nicht zu lange aufhalten, es half ihm auch nichts, denn an den Hölzern ließ sich nichts weiter erkennen, und sie hätten das schwarze Gesindel am Ufer nur vor der Zeit mißtrauisch gemacht. Rasch deßhalb wieder in das Boot hinabsteigend, stieß er ab, und während er den Leuten unterwegs erzählte, was er oben gefunden, und für welchen Landsmann er das Fahrzeug halte, glitten sie am Ufer hinauf, dem Landungsplatz entgegen.

Daß indessen dort etwas vorgegangen sein mußte, ließ sich nicht verkennen, und je näher sie kamen, desto deutlicher hörten sie das Weh- und Klagegeheul von Frauenstimmen. Vielleicht war es ein Begräbniß, bei welchem die Frauen ja gewöhnlich ihre Trauer laut und oft herzzerreißend kund geben, und sie kamen dann gerade zur rechten Zeit, um der Ceremonie beizuwohnen. Dem Doktor, der das Boot wieder begleitete, fiel es dabei auf, daß er so viele Bewaffnete bemerkte, schwarze Kerle, die mit ihren langen Lanzen überall am Ufer herumstanden und den Platz besonders einzuschließen schienen, in dem die Elephantenzähne lagen. Hatten sie etwa Besorgniß, daß die Weißen einen Angriff darauf machen könnten, oder bedeutete es Schlimmeres?

Der Steuermann schien etwas Aehnliches zu befürchten, denn er gab Befehl, das Segel einzunehmen und zu den Rudern zu greifen. Sie blieben dadurch weit besser Herr ihrer Bewegungen und konnten, wenn es sein mußte, gleich zurück, oder wenigstens in freies Wasser halten. Mit ihren Feuerwaffen wehrten sie dann schon leicht jeden etwaigen Angriff ab. Sonderbarerweise bekümmerten sich aber die Leute am Ufer fast gar nicht um sie, nur ein Platz wurde freigehalten, wo sie landen konnten, und zwar durch Bewaffnete, und die Seeleute sahen jetzt, daß sich Alles um das Gitter oder die Verpallisadirung drängte, um dort hineinzuschauen.

In diesem Augenblick erschien der Dolmetsch an der Landung, und es kam dem Steuermann fast so vor, als ob er über den so frühen Besuch der Weißen etwas verlegen sei – sie waren keinenfalls schon erwartet worden – und was bedeutete das Klagen und Jammern der Weiber? Der Doktor mußte jedenfalls wissen, was da vorgegangen wäre, und frug den Burschen direkt deßhalb. Dieser aber sagte ausweichend: »O nichts – schlechte Menschen giebt es immer – Diebe – bei den Schwarzen, wie bei den Weißen – aber Zambiri ist ein großer und strenger König.«

»Alle Teufel!« rief der Steuermann erschreckt aus, »sie haben doch nicht etwa wieder dem Löwen einen Menschen hineingeworfen?«

»Bloß einen Dieb,« versicherte der Dolmetsch, »hatte dem König Taback stehlen wollen, verdammter Sklave. – Aber da kommt Zambiri – er hat Euch gesehen – bringt nur an Land, was Ihr mitgebracht habt, damit er nicht ungeduldig wird.«

Zambiri schien in der That dem entsetzlichen Schauspiel als eine Art von Morgenvergnügen beigewohnt zu haben. In seinen rothbaumwollenen Königsmantel gekleidet, noch schmutziger und wilder als gestern aussehend, und den Knaben wieder an seiner Seite, der ihm einen großen schweren Speer tragen mußte, kam er eine Leiter heruntergestiegen, die, wie der Doktor jetzt erst bemerkte, oben zu einer Art von Balkon führte. Auf dem hohen Land aber blieb er stehen, er ging nicht bis an das Boot hinunter und verlangte, daß die Weißen zu ihm hinauf kommen sollten.

Der Steuermann hatte keine rechte Lust dazu, er traute dem schwarzen Fleischklumpen nicht über den Weg.

»Wozu habt Ihr alle die Leute mit den Lanzen da stehen?« frug er mürrisch den Dolmetsch, »wir sind friedliche Händler und wollen keinen Krieg mit Euch. Wir sind auch nur Wenige und Ihr Hunderte.«

»Wenn Du Dich fürchtest, weßhalb bist Du zu uns gekommen?« sagte der Schwarze finster, »wir sind auch Freunde der Weißen und wollen Euch keinen Schaden thun.«

»Und wo kommt das Schiff her, dessen Rumpf da draußen liegt?« sagte der Doktor.

»Was geht Dich das Schiff an?« brummte der Dolmetsch; »Zambiri wartet. Wenn ich Euch rathen soll, macht ihn nicht ärgerlich.«

»Hol's der Henker, Mate,« sagte der Doktor, »wir sind einmal dazu hergekommen, und müssen die Sache nun auch ausbaden. Furcht sollen uns die schwarzen – Gentlemen doch wenigstens nicht vorwerfen. Laßt den Koffer hinaufschaffen und Seiner Wohlbeleibtheit die Sachen vorlegen; ich denke, dann wird er schon freundlich werden. Hier unten können wir doch nicht liegen bleiben.«

»Meinetwegen,« sagte der Seemann, »aber,« setzte er leise hinzu, »seid auf der Hut, und bei dem geringsten Zeichen von Verrath nur so rasch als möglich zum Boot hinunter. Dort wollen wir uns schon freie Bahn halten.«

»Und wo habt Ihr die Sachen?«

»Laßt ein paar von Euren Leuten anfassen und sie hinauftragen.«

»Und können das nicht Eure Leute thun?« frug der Dolmetsch.

»Ich will Dir was sagen, mein Bursche,« rief aber nun der Steuermann, jetzt ebenfalls ärgerlich werdend, »die bleiben als Wache im Boot, und wenn Ihr Eure jungen Leute nur dazu braucht, um wilde Bestien damit zu füttern, so laßt sie meinethalben oben. Das ist das Kurze und Lange von der Sache.«

Der Dolmetsch stand einen Moment unschlüssig, aber Zambiri brüllte ihm etwas in seiner Sprache zu, und er gab jetzt rasch ein paar Burschen den Befehl die mitgebrachten Sachen aus dem Boot zu nehmen und zum König hinaufzubringen. Das geschah auch ungesäumt, denn mit dem regierenden Herrn schien heute nicht zu spaßen; er hatte seinen bösen Tag, und es war besser, ihm rasch zu Willen zu sein. Mit den Geschenken durften aber auch die Weißen darauf rechnen, eine freundliche Aufnahme zu finden, und Steuermann wie Doktor schritten jetzt langsam neben dem ziemlich schweren Koffer her, um den Inhalt desselben dem Oberhaupt des Stammes vorzulegen.

Merkwürdig sah der Mensch aus, als er dort aufrecht vor ihnen stand, und der Doktor gestand sich, etwas Scheußlicheres und Unförmlicheres nie im Leben gesehen zu haben. Er war selber nicht übermäßig groß, aber wenn er den Arm ausstreckte, konnte der Wilde recht gut darunter durchgehen, ohne anzustoßen, und Beine sah man dabei fast gar nicht an dem Fleischklumpen, während der eine ausgestreckte Arm, der die Lanze hielt und sich daran stützte, reichlich so dick und fleischig schien, wie ein starkes Bein.

Der Ausdruck seines dicken, geschwollenen Gesichts verrieth auch keinen freundlichen Gedanken und seine Augen flogen mürrisch und trotzig zugleich über die Weißen und schweiften dann von ihnen nach dem Schooner hinüber, der jetzt deutlich unten an der Mündung der Bucht erkennbar war. Da der Steuermann aber keine Zeit verlor und den Koffer rasch öffnete, heiterte sich seine Miene doch etwas auf, denn er mußte wohl sehen, daß ihm die Fremden heute würdigere Geschenke gebracht, als gestern.

Er ließ eine Decke auf die Erde breiten und die Gegenstände darauf legen, und fegte dabei eigenhändig den Platz mit seiner Lanze frei, daß ihm sein eigenes Volk nicht zu nahe rückte. Er traute ihnen wahrscheinlich nicht, und doch mochte sie wohl nur die Neugierde heranpressen, denn die Strafe folgte hier, wie sie eben gesehen, dem Vergehen auf dem Fuße. Zu gleicher Zeit unterhielt sich Zambiri fortwährend mit dem Dolmetsch in seiner eigenen Sprache, oft selbst mit unterdrückter Stimme, und dieser ging dann langsam zu dem Boot hinab, wobei er angelegentlich mit Einigen der Leute sprach.

Dem Doktor gefiel das nicht, und er behielt den Burschen, so viel das irgend anging, im Auge, konnte aber weiter nichts Auffälliges oder Verdächtiges erkennen; ja die Zahl der Bewaffneten in ihrer Nähe schien sich sogar zu verringern, und er bemerkte, wie kleine Trupps von ihnen langsam am Ufer hinabschritten und sich dann in den Büschen verloren. Nur ein Theil der Mädchen und Frauen waren noch bei ihnen geblieben, während das Wehgeheul der Anderen jetzt aus dem Dickicht von Fruchtbäumen heraustönte, das den Platz umschloß, und wo wahrscheinlich ihre Wohnungen lagen.

Im Ganzen mochten vielleicht vierzig »Krieger« zurückgeblieben sein, die hinter und um den König in einzelnen Gruppen standen, und jedenfalls seine Beiwache bildeten.

Der Dolmetsch kam jetzt zurück, und da der König auch wohl die mitgebrachten Gaben zur Genüge gemustert hatte und befriedigt schien – er grunzte wenigstens ein paar Mal still vergnügt vor sich hin – befahl er zweien von seinen Leuten, den Koffer in sein Haus zu tragen, und es begannen nun die Verhandlungen über ein etwaiges Geschäft, wobei der Steuermann erklärte, daß sie einzelne Stücke der Dinge, welche sie gesonnen wären, gegen Elfenbein oder andere Produkte auszutauschen, mitgebracht hätten und dem Häuptling vorlegen könnten.

»Aber wo sind sie?« frug dieser rasch.

»Unten im Boot.«

»Und weßhalb bringt Ihr sie nicht herauf?«

Der Steuermann hatte wohl mit Recht vermuthet, daß der Schwarze Alles, was ihm dort auf die Uferbank gebracht wurde, als Geschenk betrachten und mit Beschlag belegen könne. Er bat deßhalb den Dolmetsch, Seine Majestät zu veranlassen, mit ihm hinunter zum Boot zu gehen, aber der Dicke wollte nicht. Zwei Boten waren schon abgeschickt gewesen, und kamen jetzt mit dem Löwenfell herbei, das sie dort für ihn ausbreiteten, und worauf er sich niederließ, und nun verlangte er, daß ihm die Sachen heraufgebracht und vorgelegt würden, dann wolle er bestimmen, was er dafür geben könne.

Dem Steuermann schien das unbequem, denn alles weiter Mitgebrachte lag lose, oder nur in Stücken Segeltuch eingeschlagen in ihrem Boot, und schickte er Schwarze hinunter, um es herauf zu holen, so war er vor ihren diebischen Händen nicht sicher. Wo sie irgend etwas bei Seite schaffen konnten, thaten sie es gewiß und an wen sollte er sich nachher halten, wie die Thäter herausfinden? Das Beste war immer – denn daß der Dicke jetzt nicht von dieser Stelle zu bringen war, sah er ein – zwei von seinen eigenen Leuten damit zu betrauen. Es blieben immer noch vier im Boot und sie selber dann in zwei gleiche Trupps getheilt. Die Eingebornen zeigten sich dabei so friedlich, daß an eine Gefahr wohl kaum zu denken war, ja es schien fast, als ob der König die übrigen Soldaten nur weggeschickt habe, um ihnen auch jede Befürchtung eines Verraths zu nehmen. Außerdem brauchten sie nur wenige Schritte zum Boot hinab und die gerade ausgehende Ebbe erleichterte ihnen die rasche Verbindung mit dem Schooner ebenfalls.

Der Doktor übernahm es, die Leute herauf zu bringen, und der Dicke schien indeß geduldig die Ankunft derselben zu erwarten. Brooks bemerkte nur, daß die rechts von ihm stehenden Soldaten etwas bei Seite treten mußten, um ihm die Aussicht nach dem unteren Theil der Bucht zu gestatten, wo der Schooner, der bis dahin auf und abgekreuzt war, fest auf einem Punkt zu liegen schien. Er mußte vor Anker gegangen sein, da die stark ausgehende Ebbe und der beinahe eingeschlafene, hier wenigstens von dem höheren Land gebrochene Wind ihm das Segeln wohl unmöglich machte. Der Dolmetsch sprach indessen angelegentlich zu ihm, während Zambiri nach dem Boote sah. Wo hatte jener Bursche auch nur sein Englisch gelernt? Doch sicher auf irgend einem Schiff, dem er nachher davongelaufen, um hier wieder die Sitten und ungezwungene Tracht seines Landes anzunehmen. Dem Steuermann gefiel sein Gesicht auch nicht im Mindesten, und Bosheit wie Trotz lag zugleich darin, während sich der ganze Ausdruck desselben, sobald er mit dem Dicken sprach, in knechtische Unterwürfigkeit verwandelte. Aber es half nichts, sie brauchten ihn eben, und mußten deßhalb mit ihm verkehren, denn der kleine Bursche, jedenfalls ein Sklave des Königs, der den Doktor ebenfalls englisch angeredet hatte, schien sich heute gar nicht an sie heran zu getrauen und blieb nur immer scheu und furchtsam hinter seinem Herrn sitzen, kannte doch der arme kleine Bursche den grausamen Charakter des Mannes gut genug.

Jetzt kehrte der Doktor mit den beiden Matrosen, die einen Theil der Waaren trugen, zurück und der Steuermann breitete sie, während der Dolmetsch die Unterhandlung leitete, vor dem König aus und pries ihm den Werth der Dinge. Bei ihm war, mit der Voraussicht auf einen guten Handel, der Yankee wieder zum Durchbruch gekommen, und er vergaß in dem Geschäft alles Andere.

Allerdings zeigte es sich dabei als Hauptschwierigkeit, dem König begreiflich zu machen, er habe nur Proben vor sich; er wollte die ganzen Waaren vor sich aufgeschichtet sehen, um danach seinen Preis zu bestimmen, und der Dolmetsch hatte nicht geringe Mühe, ihm zu erklären, daß die Sachen an Land geschafft werden würden, ehe er sie zu bezahlen, oder den Werth dafür herauszugeben habe. Er veranlaßte auch, daß ein Elephantenzahn aus des Königs Wohnung herbeigeschafft wurde, um als Maßstab zu dienen und Brooks berechnete sich schon, nach dem was ihm der Dicke zugestand, daß sie ungefähr 500 Prozent Nutzen an ihren Waaren haben würden. Der König bewilligte, wie er nur erst einmal den Handel begriff, einen Zahn nach dem anderen, und besonders für Taback stellte sich der Nutzen ganz enorm heraus.

Aber es zögerte sich auch furchtbar in die Länge, denn wenn Brooks glaubte, sie wären fertig, so ließ Zambiri die ganze Sache noch einmal von vorn anfangen, und wollte dann immer wieder etwas abhandeln. Dabei hatte er sich jetzt so gesetzt, daß er das Fahrzeug draußen immer im Auge behielt, während der Steuermann, den er bald da, bald dort hin rief, die Waaren zu zeigen, der See den Rücken zu drehte.

Neben diesem standen noch die beiden Matrosen als Wächter der umhergestreuten Sachen. Der Doktor aber, dem der Handel langweilig wurde, da er persönlich gar kein Interesse daran hatte, schlenderte langsam nach der Umzäunung hinauf, von woher zu Zeiten das dumpfe Brüllen des Löwen herübertönte. Was war da heute Morgen vorgegangen? Er bekam vielleicht nie im Leben wieder so passende Gelegenheit, um sich den Platz etwas näher zu betrachten, denn von den Leuten achtete Niemand auf ihn, oder legte ihm das Geringste in den Weg. Ein Schauder erfaßte ihn aber, als er den Platz, um den herum schon eine Menge von Aasgeiern ihren Sitz genommen, erreichte, und durch die Spalten in den Palissaden die verstümmelten Ueberreste jenes Unglücklichen entdeckte, den die Grausamkeit des wilden Ungethüms eines erbärmlichen kleinen Diebstahls wegen zum Tod, zu einem solchen Tod verurtheilt hatte.

Dort drüben, dicht neben den Schätzen des Wütherichs, lag der zerstückelte Leichnam, von dessen Anblick sich selbst das Auge des Arztes in Ekel und Mitleiden abwandte, und der jetzt gesättigte Löwe ging mit langen, majestätischen Schritten in der Umzäunung auf und ab, peitschte sich die Flanken mit dem Schweif und leckte sich die Lefzen mit der rauhen Zunge. Die Aasgeier aber warteten nur auf den Moment, wo sich der rastlose König der Thiere zur Ruhe ausstrecken würde, um dann ebenfalls auf die willkommene Beute niederzufallen und ihre Schnäbel einzuhauen.

Und wie scheinbar schwach war eigentlich der ganze Umbau, der das Raubthier einschloß. Wenn es die riesigen Kräfte, die es besaß, genau gekannt hätte, mußte es ja im Stande sein, diesen luftigen Kerker zu durchbrechen. Auch sogar die Thür bestand nur aus roh gezimmerten Balken, die man durch Schnüre oder Streifen ungegerbter Büffelhaut allerdings fest verbunden hatte. Den ganzen Verschluß bildeten jedoch zwei von außen vorgeschobene hölzerne Riegel, während eine Abtheilung im Inneren dazu bestimmt schien, den Löwen in einem Theil des Platzes abzuschließen, um dann ungefährdet zu den Elephantenzähnen zu gelangen. Zwei hölzerne Riegel nur, und nicht einmal ein Pflock war davor geschlagen, um sie gegen einen doch möglichen Zufall zu schützen. Der Doktor versuchte den einen, er ging leicht und bequem; wie aber seine Hand nur die Thür berührte, stutzte der Löwe da drin, wandte sich halb und duckte sich wie zum Sprunge nieder. Er kannte jedenfalls den Ausgang, wenn er ihn auch nicht benutzen durfte.

Dem Doktor wurde es unheimlich der lauernden Gestalt des grimmen Thieres gegenüber; hatte er doch auch schon oft davon gehört, wie furchtbar eine solche Bestie den Menschen wird, wenn sie mit Menschenfleisch genährt, ja nur ein einziges Mal erst Menschenfleisch gekostet habe. Ordentlich erschreckt zog er die Hand zurück und wich von den Pallisaden ab, um ihn selbst nicht zu einem Sprung zu reizen. Wie leicht konnte das vielleicht schon mürbe Holz der Wucht eines solchen Anpralls nachgeben!

Welche Ewigkeit das aber auch da unten mit dem Handel dauerte; es war gar kein Ende abzusehen, und ein Wunder nur, daß der Kapitän nicht ungeduldig wurde. Zwei Stunden saßen sie dort jetzt wenigstens bei einander, und wenn sie schon zu den Proben solche Zeit brauchten, wie sollte es erst nachher werden, wenn die Waaren an Land kamen!

Er wandte sich langsam ab um wieder zurück zu der Gruppe zu gehen, als er den Steuermann plötzlich emporfahren und nach dem Schooner hinüber deuten sah. Fast in demselben Augenblick fiel von dort ein Schuß, und als er sich erschreckt der Richtung zu drehte, bemerkte er, wie die ganze Bai von dunklen Kanoes schwärmte, die alle auf den Schooner zuzuhalten schienen.

Fünftes Kapitel.
Der Löwe.

Doktor Spruce hatte in der Ueberraschung des ersten Augenblicks wirklich gar nicht auf seine unmittelbare Umgebung geachtet, denn im Moment war ihm klar, daß dort ein Ueberfall vorbereitet werde – also Verrath! Aber eben diese Umgebung drang sich ihm selber auf, denn er sollte nicht lange in Zweifel gehalten werden, wie weit die schurkischen Eingebornen am Ufer mit dem feindlichen Angriff da draußen in Verbindung standen.

Wer den Angriff begonnen, konnte er nicht erkennen, aber er sah nur, daß der König selber mit seiner Lanze nach einem der Weißen schlug, während sich der Dolmetsch mit einem Cutlaß, den er jedenfalls dem verdachtlos neben ihm stehenden Matrosen entrissen haben mußte, auf den Steuermann warf und einen Schlag nach ihm führte. Aber er war an den Unrechten gekommen, denn Brooks' Hand hatte fast unwillkürlich schon im ersten Moment den Griff seines Revolvers gesucht, und nicht rascher holte der Schwarze mit der scharfen Waffe zum Schlag aus, als es zweimal schnell hintereinander aus dem Rohr blitzte, und der Eingeborne, wo er stand, in die Kniee brach und zu Boden stürzte. Ehe sich der Seemann aber nur gegen einen neuen Feind wenden konnte, fielen ihm von hinten vier oder sechs riesige Schwarze in die Arme, Andere warfen sich auf die Matrosen; ein Theil unten stürmte gegen das Boot an, und er selber fand sich von etwa einem Dutzend Wilder angegriffen, die mit ihren gehobenen Wurfspeeren auf ihn einsprangen. Allerdings hatte er die eigene Waffe schon in der Faust, und drei Schüsse feuerte er mitten hinein in den Trupp. Einer fiel auch, aber ihre Wurfspeere flogen aus, und er fühlte einen stechenden Schmerz in Arm und Bein.

Fast blind vor Wuth schoß er seine letzten Kugeln gegen die Feinde ab und wandte sich dann zur Flucht. Aber wohin – voraus – nach rechts und links war ihm der Weg abgeschnitten, und nur auf die Umzäunung, die den Löwen barg, trieben sie ihn zu. Und wie brüllte die Bestie, als sie die in ihrer unmittelbaren Nähe abgefeuerten Schüsse und das wüthende Geheul der Eingebornen hörte!

Der Doktor wußte kaum, was er that, denn er sah den Tod von allen Seiten auf sich eindringen. Erbarmen hatte er von den Menschen nicht zu hoffen, und wie von einer unbewußten Gewalt getrieben, floh er der Thür des Käfigs zu, als ob er Schutz suchen wollte bei der Bestie.

Mit einem Jubelruf folgten ihm die Wilden, denn dort konnte er ihnen nicht mehr entgehen; wieder hoben sich die Speere zum Wurf, da riß er, von Verzweiflung getrieben die Riegel der Thür zurück – Rache wollte er haben – nicht allein von der mörderischen Bande hingeschlachtet werden, und wenn er dann untergehen sollte, wenigstens Verderben über seine Mörder bringen.

Kaum hatte er aber die Riegel der Thür erfaßt, als ein wilder, gellender Angstschrei aus der Menge brach – jetzt flog die Pforte auf, und mit einem Sprung stand der Löwe – freudiges Gebrüll ausstoßend, daß es wie dumpfer Donner durch das Thal rollte, auf der Schwelle. Furchtbar schön war auch der Anblick des so plötzlich seiner Freiheit sicheren Thieres, hoch schwang es den buschigen Schweif und hob sich die trotzig geschüttelte Mähne, und flammend kreiste das Auge rings umher, wie nach dem ersten Opfer suchend, während sich der Doktor scheu und selber erschreckt von der so plötzlichen Erscheinung des Raubthiers an die Pallisaden drückte.

Ordentlich zauberhaft wirkte aber die Erscheinung des freien Löwen auf die Bande der Schwarzen. Was kümmerten sie jetzt die Fremden, was ihr eigener so gefürchteter König. Wenn sie der Löwe fraß, war es mit ihnen jedenfalls vorbei, und im Nu stob der ganze Schwarm auseinander. Die dem Wasser Nächsten warfen sich in blinder Angst in die Fluth, Krokodile und Haifische verachtend – die Anderen schossen pfeilschnell über den Boden hin, den nächsten Büschen und Häusern zu – die Bootsmannschaft bekam Luft, und war wahrlich nicht faul, die Gelegenheit zu benutzen. Wen sie erreichen konnten, hieben sie mit ihren Cutlassen zusammen, und die im Boot unten sahen auch in der That den Löwen erst, als er jetzt in langen Sätzen, und sich weder um die flüchtigen Eingebornen, noch die Weißen kümmernd, dem nächsten Dickicht zufloh.

Der Einzige jedoch von Allen, der nicht von der Stelle konnte, und nur starr vor Schrecken und Entsetzen zu dem entfesselten Löwen hinaufstarrte, war Zambiri, der König jener Helden, während sein Knabe in flüchtigen Sprüngen bei den Weißen Schutz gesucht. Der Steuermann ließ ihm aber keine lange Zeit zum Ueberlegen. Denn kaum sah er, daß sie selber den Angriff des Raubthiers nicht mehr zu fürchten brauchten, als er eine der von den Eingebornen weggeworfenen Kriegskeulen aufgriff, und mit den Worten: »Und das für Dich, Du verrätherischer Schurke!« den Dicken dermaßen über den Schädel traf, daß er wie ein Sack zusammenknickte.

»Hurrah!« rief aber jetzt der von oben niederspringende Doktor, »mein Löwe hat uns Bahn gemacht, aber den Dicken in's Boot. An dem haben wir eine Geißel, und beim Himmel, die Schufte sollen bezahlen, wenn sie ihn wieder haben wollen!«

»Das war ein glücklicher Gedanke, Doktor,« rief der Steuermann, »angefaßt, Jungens, daß wir den Fleischklumpen bewältigen können – schlagt ein Tau um und schleift ihn auf dem Sand hinunter – so recht – nur rasch – und dann von Elephantenzähnen in's Boot, was wir laden können, denn die Bahn da oben ist frei.«

»Aber der Schooner!« rief der Doktor.

»Hahaha,« lachte der Steuermann, »seht Ihr nicht, wie unser alter Kapitän zwischen die Schufte hinein gepfeffert hat? Die Drehbasse war ihnen zu viel. Er muß seinen Anker haben sitzen lassen, denn wie ein Wetter war er los und mit dem Segel auch, mitten zwischen der Bande drin. Drei Kanoes sind gesunken.«

Noch während er sprach, hatte er sowohl als der Doktor frische Patronen in ihre Revolver geschoben, indessen die Matrosen mit lautem Hurrah den noch bewußtlosen Körper des Fleischkolosses mit ein paar Enden Tau umschlangen und zum Boot hinabschleiften. Dort kostete es freilich einige Mühe, ihn hinein zu bringen, aber die kräftigen Burschen hoben mit einem gutgewillten Ho! ahoi! und hinein flog der Klumpen in die Jölle und unter die Doften, wo er liegen blieb.

Von den Eingebornen war augenblicklich allerdings nichts mehr zu sehen, aber man wußte doch nicht, wie rasch sie, wenn sie die Gefahr beseitigt glaubten, zurückkehren könnten, und es galt deßhalb rasch zu handeln.

Während der Doktor jetzt den kleinen, zu ihm geflüchteten schwarzen Burschen examinirte, lief ein Theil der Matrosen in die Umzäunung oben, die kein Löwe mehr bewachte, hinein, um die stärksten dort liegenden Elephantenzähne zum Ufer zu schleppen. Sie sahen dabei, wie der Schooner jetzt mit einsetzender Fluth und ziemlich günstiger Brise keck mitten in die Bucht und auf sie zu hielt, und wußten nun, daß sie für ihre Sicherheit nichts mehr zu fürchten brauchten.

Der Kleine erzählte indessen rasch und gedrängt, daß die Eingebornen hier, wie sie es bei diesem versucht, jenes Fahrzeug, an dessen Bord er selber gewesen, geentert, die Mannschaft erschlagen und außer ihm nur zwei Leute, einen Passagier und den ersten Steuermann, gefangen in's Land geschleppt hätten. Die Brigg sei schon länger an der Küste gefahren und sollte viel Elfenbein an Bord gehabt haben; das Meiste, was dort in der Umzäunung lag, stammte daher, denn aus dem Land kam wenig Elfenbein, da Zambiri nur hauptsächlich Sklavenhandel mit portugiesischen Karawanen trieb.

»Und wo waren die Weißen jetzt?«

Der kleine Bursche wußte es nicht zu sagen, denn er hatte von dem Augenblick seiner Gefangenschaft an die unmittelbare Nähe des Häuptlings nicht verlassen dürfen. Es hieß allerdings, wie er meinte, daß weiße Händler, jedenfalls Portugiesen, die Weißen mitgenommen, aber er konnte es nicht verbürgen. Gesehen hatte er sie nie mehr seit der Zeit.

Den Steuermann drängte es wieder fort, um an Bord des Schooners zu kommen; sie durften auch nicht mehr einnehmen, denn das Gewicht Zambiri's allein drückte schon die Jölle. Was noch hinein ging, wurde allerdings geladen, dann aber sprangen die Leute nach, und ruderten, so rasch es die Schwere des kleinen Bootes erlaubte, gegen die Strömung an, auf den Schooner zu.

Sie waren auch nicht ohne Verlust weggekommen, der Doktor hatte zwei Wunden von Wurfspeeren, der Steuermann einen Stich in den Schenkel und der eine Matrose einen Hieb mit einer Keule und einen bösen Stich in der Seite. Schlimmer hatten die Feuerwaffen freilich unter den Eingebornen aufgeräumt, denn fünf von diesen lagen todt oder schwer verwundet auf dem Platz, und Manche der Entflohenen mochten wohl ebenfalls noch getroffen sein.

Doch jetzt war keine Zeit, nach Denen zu sehen; hatten sie sich doch auch die Folgen ihrer Verrätherei nur selber zuzuschreiben.

Und Zambiri, der mächtige König des Landes? Er mochte wohl noch in seinem ganzen Leben in keinen schlimmeren Händen gewesen sein, denn unten im Boot, in einer nichts weniger als bequemen Lage, schienen sich die Matrosen ein Vergnügen daraus gemacht zu haben, die erbeuteten Elephantenzähne quer über ihn wegzulegen, so daß ihm die Last beschwerlich genug fallen mußte. Anfangs fühlte er das freilich nicht, der Schlag hatte ihn betäubt; als ihm aber die Besinnung wiederkehrte, fing er an zu stöhnen und zu grunzen und schrie einzelne Befehle mit zorniger Stimme vor. Er schien noch keine Ahnung zu haben, wo und in wessen Händen er sich eigentlich befand.

Das Boot näherte sich indessen dem Schooner mehr und mehr, und mit einem Hurrah wurde die Mannschaft begrüßt, als sie nur in Rufsweite gekommen waren. Allerdings schien die Gefahr noch immer nicht ganz beseitigt, denn eine Menge von Kanoes schwamm noch in der Bucht und folgte langsam nach, und diese mußten sie allerdings wieder passiren, wenn sie den Rückweg antreten wollten; aber die Eingebornen hatten Respekt vor den Feuerwaffen der Fremden bekommen und getrauten sich nicht wieder nahe hinan. Jetzt wenigstens wurden sie nicht gestört.

Vor allen Dingen wurde nun der schwer verwundete Matrose in einem rasch hergerichteten Stuhl an Deck gehoben, dann folgte das erbeutete Elfenbein und zuletzt der Fleischklumpen Zambiri's, mit dem die Seeleute aber verwünscht wenig Umstände machten. Einer der Leute festigte oben an das Gaffel einen Block, ein Tau wurde hindurchgezogen und dem unglücklichen Fürsten dann unter den Schultern durchgeschlagen, dann zog die Mannschaft mit einem: Oh, jolly men ho! kräftig an, und wenige Sekunden später war Zambiri, schreiend und vor Wuth mit den kurzen Beinen austretend, an Deck gehoben, wo ihn lautes Gelächter der Schoonermannschaft begrüßte.

Steuermann und Kapitän tauschten jetzt ihre Berichte gegen einander aus; Beide aber waren einig darüber, daß es das Beste wäre, nicht über Nacht vor der Stadt liegen zu bleiben, da die Wilden möglicherweise einen neuen Angriff wagen konnten. Aber in kurzer Zeit begünstigte sie auch wieder die ausgehende Ebbe, und bis dahin konnten sie wenigstens einen Versuch machen, einen Theil der feindlichen Schätze als rechtmäßige Beute zu bergen, noch dazu da sie für den Augenblick auch nichts von der Tapferkeit der einzelnen Truppen zu fürchten brauchten. Es war wenigstens kein einziger von ihnen auch nur zu sehen, und da der Platz fast unmittelbar am Ufer lag, eine Landung leicht und fast sicher auszuführen.

Zu einer solchen Arbeit sind die Matrosen immer leicht zu bekommen. Gefahr? was kümmerte sie die, wenn es galt, irgend einen tollen Streich auszuführen, und wie ihnen nun die Kameraden von der Umzäunung erzählten, in welcher der Löwe die Wache gehalten und wo die prachtvollen Elephantenzähne aufgeschichtet lägen, waren sie kaum mehr zurückzuhalten.

Indessen verfolgte der Schooner ruhig seine Bahn stromauf, und vorn am Bug stand der Steuermann, das Fernrohr am Auge, um das Land nach jeder Richtung hin abzusuchen. Aber nirgends war auch nur ein lebendes Wesen zu erkennen; der an dem Morgen noch so rege Platz schien wie ausgestorben, und nur die aus den Büschen aufragenden Giebel und Dächer verriethen, daß jene Strecke bewohnt sei – sonst wirbelte von keiner einzigen Feuerstelle selbst nur Rauch empor. Der Löwe hatte Wunder gewirkt.

Allerdings war es unter der Zeit schon ziemlich spät geworden, aber noch stand die Sonne am Himmel, und ein Versuch zur Landung konnte jedenfalls gemacht werden. Der Kapitän beorderte auch das zweite Boot auf's Wasser, was rasch geschehen war, und während der Schooner hier in vollkommen ruhiger, unbewegter See vor einem Nothanker lag, stießen sie ab und ruderten dem Land entgegen. Es wurde auch keine Vorsicht dabei versäumt, einem etwaigen Hinterhalt zu begegnen; die Leute gingen bis an die Zähne bewaffnet, und der Kapitän war dabei im Stande, mit seiner Drehbasse das ganze Ufer zu bestreichen.

Mit einem lauten Hurrah stürmten die Burschen, sobald die kleinen Fahrzeuge nur das Land berührten, die Bank hinauf und von dem Steuermann geführt der Umzäunung zu, wo sie sich dann freilich nicht zu den hier aufgehäuften Schätzen nöthigen ließen. Genau genommen war es vielleicht Raub, aber die verrätherischen Schwarzen mußten auch gezüchtigt werden, und wären sie Sieger geblieben, so würde wohl kaum ein Mann der Besatzung mit dem Leben davongekommen sein. Die moralische Seite der Frage beschäftigte die Leute aber auch in der That nur sehr wenig. Allerdings schauderten sie, als sie den Platz zuerst betraten und die indeß herbeigestrichenen Aasgeier von ihrem eklen Mahl verjagten; der verstümmelte Körper jenes unglücklichen Sklaven sah auch entsetzlich aus – aber sie durften sich nicht dabei aufhalten. Schon sank die Sonne hinter den Wipfeln der Bäume, und die Dämmerung ist gar kurz in diesen Ländern. So faßten sie denn auf, was sie erreichen konnten, und hatten erst zum zweiten Mal den Weg gemacht, als ihnen der Kapitän schon wieder das Zeichen zur Abfahrt gab. Es dunkelte, und er wollte seine Leute nicht der Gefahr eines Ueberfalls aussetzen.

Sechstes Kapitel.
Der Gefangene.

Unter der Zeit hatte aber auch der gefangene Häuptling sein volles Bewußtsein wieder erlangt und schäumte ordentlich vor Wuth, als er sich, gebunden und zu Boden geworfen, in der Gewalt seiner weißen Feinde sah. Aber die Seile hielten und schnitten ihm nur tief in die Fettwulsten seiner Glieder ein, und zu seinen Füßen saß, mit Schadenfreude in den dunklen Zügen, der Knabe und beobachtete vergnügt die machtlosen Anstrengungen des einst so gefürchteten Mannes.

Kapitän Oacutt lag aber weit weniger daran, dieß schwarze unförmliche Menschenbild zu quälen, als durch ihn seinen Zweck zu erreichen, nämlich die gefangenen Weißen zu befreien, falls sich diese noch in der Gewalt der Eingebornen befinden sollten. Es dauerte freilich lange, bis er Zambiri so weit brachte, ihm Rede zu stehen, und auf's Neue gerieth dieser außer sich, als er den Knaben, den er gewohnt war als Sklaven zu mißhandeln, frei und trotzig neben sich stehen und ihn verhöhnen sah. Aber er fühlte doch auch, wie machtlos er jetzt sei, und gab sich endlich ruhig in sein Schicksal. Allerdings wollte er Anfangs auf die an ihn gerichteten Fragen – wobei jetzt der Knabe als Dolmetsch gebraucht wurde, nicht antworten; als ihm dieser aber sagte, daß er nur dadurch seine Freiheit wieder erlangen könne und die Weißen ihn sonst mit in ihr Land als Sklaven schleppten, wurde er geschmeidiger.

Zuerst leugnete er freilich, von dem Wrack, wie den darauf befindlich gewesenen Weißen das Geringste zu wissen; endlich aber gestand er ein, daß sie Krieg mit ihnen geführt, weil die Weißen seine Unterthanen als Sklaven hätten fortführen wollen. Auch das gab er zu, daß sie zwei von ihnen gefangen an Land gehabt hätten, aber sie wären vor Kurzem mit einer portugiesischen Karawane fortgegangen, und er wüßte nichts weiter von ihnen.

Der Kapitän sagte ihm jetzt, daß er nur dadurch seine Freiheit wieder erlangen könne, wenn er die beiden Weißen herbeischaffe, denn er würde seinen Lügen nie glauben. Zambiri blieb aber bei seiner Behauptung und forderte die Weißen auf, den Knaben hinüber zu schicken und dort selber nachzufragen. Alle Eingebornen würden seine Aussage bestätigen.

Das war übrigens leichter gesagt, als ausgeführt, denn beide Boote befanden sich gerade an Land und die Leute dort emsig genug beschäftigt. Ueberdieß durfte er sie nicht länger drüben lassen, denn schon setzte mit der Abenddämmerung ein leichter dünner Nebel ein, der den freien Blick auf einige Entfernung hemmte. Unter dem Schutz desselben hätten die Wilden recht gut plötzlich vorbrechen können, und er war sogar der Gefahr ausgesetzt, daß sich der Nebel dichte und er den Weg nicht mehr aus der Bucht hinaus fand. – Für heute hatten sie jedenfalls ihre Arbeit hier gethan; er gab das Zeichen zur Abfahrt, und als die Boote an Bord zurückkehrten, kam der leichte Anker in die Höhe und der Schooner trieb langsam mit der Ebbe stromab und wieder in See hinaus.

Zambiri heulte laut auf, als er die Bewegung sah und jetzt bemerkte, daß sie weiter und weiter ab von seinem Reiche trieben, aber Niemand achtete auf ihn. An der Mündung der Bai fischte die Sarah Miles ihren vorher an einer Buoye gelassenen Anker wieder auf und hielt dann auf's Neue in offenes Wasser hinaus, wo sie keinen Angriff zu fürchten brauchte.

Erst am nächsten Morgen kehrte sie zurück, aber nicht wieder in die Bucht, in die sich der Kapitän nicht mehr hineinwagen mochte, sondern gegen das untere Ufer hielt er an, wo sie jetzt Eingeborne entdecken konnten. Wie aber nur das Boot ausgesetzt wurde, flohen sie in den Wald hinein und es hatte nicht geringe Schwierigkeiten, sie zu überzeugen, daß man keine Feindseligkeit beabsichtige, sondern nur zu unterhandeln wünsche. Der Knabe, obgleich er sich Anfangs dagegen sträubte, weil er fürchtete, daß man ihn zurückhalten würde, mußte endlich allein an Land, und es gelang ihm auch, Einzelne der tapferen Krieger zum Stehen zu bringen.

Die Auskunft, die er von diesen erhielt, lautete aber wirklich ganz ähnlich so wie die, welche ihnen schon Zambiri gegeben. Die beiden gefangenen Weißen hatten, weil sie immer krank waren und keine Arbeit verrichten konnten, mit den portugiesischen Händlern vor etwa drei Monaten das Land verlassen, und Niemand wußte zu sagen, wo sie jetzt wären – jedenfalls aber weit von hier.

Damit kehrten die Botschafter an Bord zurück, denn was hätte ihnen ein längerer Aufenthalt am Lande genützt? Aus Zambiri selber war ebenfalls nichts weiter heraus zu bekommen. Jetzt, mit der Todesangst, daß er fortgeschleppt werden sollte, war er auch mürbe und zahm geworden und unter Thränen schwur er, daß er die Wahrheit gesprochen – würde er den Fremden doch gern hundert Gefangene für seine eigene Freiheit gegeben haben. Er bot ihnen auch wirklich so viele von seinen eigenen Leuten als Sklaven an, wenn sie ihn wieder an's Ufer setzen wollten, und erklärte dabei, auf jeden Handel einzugehen, den sie vorschlagen würden. Oacutt traute aber dem Burschen nicht und wollte auch keine Sklaven haben. Mitnehmen konnten sie ihn aber nicht, was sollten sie mit dem Koloß an Bord thun, und der Knabe wurde deßhalb noch einmal an Land geschickt, um wenigstens ein Lösegeld für den König zu erhalten.

Zuerst sollten die Eingebornen die noch in der Umzäunung lagernden Elephantenzähne, welche die Matrosen gestern nicht alle fortgeschafft, zum Ufer herunterbringen, und ebenso den Koffer mit Geschenken, den er gestern erhalten – außerdem aber sämmtliche Sachen, die sie von jenem Fahrzeug der Weißen geraubt und die sich in Zambiri's Wohnung befanden.

Unter der Zeit hatte sich auch wieder eine Zahl von Eingebornen am Ufer versammelt, denn sie sahen wohl, daß die Weißen keine feindseligen Absichten mehr zeigten, und kamen jetzt, wahrscheinlich um ihren gefangenen König loszubitten. Uebrigens schienen sie sämmtlich bewaffnet, als ob sie doch noch einen Angriff der Fremden fürchteten, und da Oacutt auch das letzte Mißtrauen zu zerstreuen wünschte, so wurde der Doktor, den Knaben als Dolmetsch bei sich, mit einer weißen Flagge hinübergesandt. Der Steuermann nämlich konnte nicht gehen, da ihn seine Wunde zu sehr schmerzte.

Die Bedingung, die Spruce zu stellen hatte, lautete, daß die Eingebornen das »Lösegeld« am Ufer niederlegen und sich dann entfernen sollten. Die Weißen würden es dort in Empfang nehmen und ihren König dann ungesäumt an Land setzen.

Das Boot näherte sich, dieser Masse von Eingebornen gegenüber, nur höchst vorsichtig dem Ufer, und der Doktor hielt es für gerathen, selbst vornhinein zu treten und die Fahne zu schwenken, damit sie sähen, daß sie in friedlicher Absicht kämen.

Die Eingebornen standen indessen still und regungslos etwa hundert Schritt vom Ufer ab und unmittelbar vor dem nächsten Dickicht, wahrscheinlich um dort, wenn es etwa nöthig werden sollte, gleich hinein zu tauchen, und nur erst als das Boot, das aber vorsichtigerweise nicht auflief, sondern flott blieb, den Strand berührte und der Doktor, die Fahne in der Hand und nur den Knaben als Dolmetscher an seiner Seite, an's Ufer sprang, kamen drei der Schwarzen, aber ohne Waffen, zum Wasserrand herab, um zu hören, was die Weißen von ihnen wollten.

Der kleine Bursche richtete dabei die Botschaft aus, indem es ihm der Doktor auf Englisch vorsagte und er die einzelnen Theile übersetzte, und sie hörten ihn ruhig und aufmerksam an. Als er aber geendet, erwiederten sie, daß sie sich darüber erst mit dem Stamm berathen müßten – sie sollten nur ein wenig warten, sie kämen gleich wieder zurück.

Damit gingen sie und der Doktor machte sich schon auf eine lange Wartezeit gefaßt, denn daß die Eingebornen einen schwierigen Stand mit dem dicken König selber bekamen, wenn sie all' sein Eigenthum – und sei es auch zu seiner eigenen Rettung – hergaben, ließ sich denken. Sie schienen aber weniger Zeit zu brauchen, als er selber geglaubt, denn obgleich die Unterhandlung da oben ziemlich stürmisch herging und viel und laut gesprochen wurde, dauerte sie doch kaum eine volle Viertelstunde. Dann kamen die schwarzen Botschafter wieder zurück und ihre Antwort lautete in der Uebersetzung etwa folgendermaßen:

»Unser König war Zambiri. Er war blutdürstig und grausam. Er hat viele unserer jungen Leute hingeschlachtet und an die Weißen verkauft; wir waren Alle seine Sklaven. Ihr habt ihn weggenommen und auf euer Schiff gebracht – das ist gut. Behaltet ihn. Wir haben einen andern König gewählt und Alles, was dem früheren gehörte, ist jetzt sein Eigenthum. Wir wollen auch keinen Krieg mit den Fremden oder mit einem andern Stamm – wir wollen Frieden – Llefugo hat gesprochen.«

Der Doktor lachte gerade hinaus, als ihm der Knabe die Antwort übersetzte. Das war ein liebender Volksstamm, der sich herzlich freute, den Landesvater los zu werden, und nicht einen Elephantenzahn geben wollte, um ihn wieder zu bekommen. – Und was nun? Würdevoll aber standen die Abgesandten vor ihm. Sie hatten ihren Auftrag ausgerichtet und kein ferneres Interesse an der Sache. Eine weitere Verhandlung zeigte sich auch als völlig zwecklos, denn die Eingebornen ließen sich auf nichts mehr ein. Die Weißen mochten Zambiri mit fortnehmen, wenn es ihnen Freude machte; sie hatten einen andern König und wollten keinen Krieg.

Dabei winkte der Sprecher mit der Hand, und als thatsächlicher Beweis des eben Gesagten kamen eine Anzahl Frauen und Kinder, Anfangs zwar noch schüchtern, aber dann doch zutraulicher werdend, an die Landung herunter und brachten Körbe mit Früchten, Mangas, Cocosnüsse, Eier, junge Hühner und Ferkel, die sie zum Tausch anboten. Eine solche Aushülfe war nun allerdings erwünscht, und der Doktor hatte auch schon zu dem Zweck eine Partie Schmuck, Kattun und Tabak im Boot, was er ungesäumt gegen frische Provisionen eintauschte. Von ihrem König wollten sie aber nichts weiter hören – Zambiri war ihr König nicht mehr, wie sie sagten, und nur ein böser, schwarzer Mann, den die Weißen verkaufen sollten, wenn sie Lust hätten – sie wollten ihn aber nicht.

Damit fuhr der Doktor an Bord zurück und überraschte seinen Kapitän mit der allerdings unerwarteten Nachricht. Vollkommen wie rasend geberdete sich dagegen Zambiri selber, als ihm der Kleine mit boshafter Schadenfreude das wieder erzählte, was sein treues Volk über ihn gesagt, und als er hörte, daß sie an Land einen neuen König gewählt, fing er so an zu wüthen, daß die Matrosen endlich ein Stück Segeltuch über ihn herwarfen und ihn festhalten mußten, er hätte sonst, trotz seiner Bande, ein Unglück angerichtet.

Kapitän Oacutt kratzte sich den Kopf und lief auf seinem Quarterdeck mit raschen Schritten auf und ab. – Daß die hier früher gefangen gehaltenen Weißen den Platz wieder verlassen hatten, schien vollkommen sicher zu sein, denn halb und halb bestätigte das ja auch die Aussage des Knaben; was aber sollten sie jetzt mit dem Fleischklumpen an Bord machen, den sein eigenes Volk nicht einmal wieder haben wollte? Ihn mitnehmen? – Er wäre ihnen eine nutzlose Last gewesen – und über Bord werfen? – Verdient hätte er es, denn sein Steuermann saß mit einer häßlichen Wunde an Deck, und der eine Matrose war so bös getroffen, daß der Doktor schon bei dem ersten Verband bedenklich mit dem Kopf schüttelte. – Aber es ging doch nicht. Gefangen durfte er ihn nehmen, aber über den Gefangenen stand ihm kein Recht auf Leben und Tod zu.

»Ei, zum Henker!« rief da der Kapitän plötzlich aus, indem er stehen blieb und sich gegen den Doktor wandte, »was geht uns denn hier die ganze Bande an, ob sie ihren König wieder haben wollen oder nicht; wir können ihn keinenfalls gebrauchen und seinethalben auch keine Stunde länger an der Küste bleiben. Zimmermann, nehmt Euch einmal zwei Leute in die kleine Jölle und setzt mir den Fettfleck an Land – mir wird übel, wenn ich das Ungethüm sich da noch länger wälzen sehe.«

»Und der Junge, Kapitän, soll der auch wieder mit fort?«

»Wenn er will, meinetwegen.«

Der Knabe hatte der für ihn verhängnißvollen Frage mit augenscheinlichem Erschrecken gelauscht, jetzt aber warf er sich vor dem Kapitän nieder und bat in so angstgepreßten Tönen, nicht wieder jenem grausamen Manne überliefert zu werden, daß der Seemann endlich sagte: »Gut, da bleib', ich hab' nichts dagegen, aber nun auch rasch, daß wir den dicken Burschen von Bord kriegen. Bindet ihn los, Zimmermann, und sag' ihm, mein Junge, daß er an's Ufer soll; nachher mag er sehen, wie er selber mit seinen Leuten fertig wird.«

Der Befehl wurde rasch ausgeführt; während die Leute den abgesetzten König losbanden, sagte ihm der Knabe, daß er frei sei und an Land gehen könne; dann schnürten sie ihm ein Tau um den Leib, ließen ihn wieder in's Boot hinunter und wenige Minuten später ruderten sie den Koloß zum Ufer hinüber.

Jetzt aber band sie auch nichts mehr an die Küste, und dem Kapitän lag selber daran, so rasch als möglich wieder fortzukommen. Noch während die Jölle unterwegs war, wurde das andere größere Boot an Bord genommen und der Anker gehoben, und indeß der Kapitän die dazu nöthigen Befehle gab, stand der Doktor an der einen Want, das Teleskop am Auge, und sah nach der Landung hinüber, um zu beobachten, wie König Zambiri von seinen treuen Unterthanen empfangen werden würde.

Die Eingebornen am Ufer hatten sich indeß zum großen Theil zerstreut, denn sie hielten nach ihrer gegebenen Erklärung die Sache wahrscheinlich für abgemacht. Ein Theil von ihnen war aber doch noch zurückgeblieben, um den Schooner und dessen Abfahrt zu überwachen, und diese wurden jetzt plötzlich aufmerksam, als sie das Boot noch einmal zur Küste zurückkehren sahen. Was es enthielt, vermochten sie freilich nicht gleich zu unterscheiden, da man den Schwarzen auf der ihnen entgegengesetzten Seite des Schooners niedergelassen; aber vorsichtig näherten sich die zuerst Gesandten wieder dem Strande. Da verrieth ihnen das rothe, jetzt freilich arg zerrissene Oberhemd ihres früheren Königs Zambiri vor der Zeit dessen Anwesenheit, und einen lauten Schrei ausstoßend liefen sie zu den Ihrigen zurück, um ihnen wahrscheinlich die Entdeckung mitzutheilen.

Jetzt kam Leben in den Schwarm. Der Doktor bemerkte, wie nach allen Seiten Leute abgeschickt wurden, die pfeilschnell über den Boden schossen, indeß die Schaar der Bewaffneten mit ihren Lanzen und Schilden näher zum Strand hinunterrückte. Dem Zimmermann wurde auch, wie er später erzählte, nicht ganz wohl im Boot, und es lag ihm gar nichts daran, den jetzt jedenfalls gereizten Eingebornen zu übermäßig nahe zu kommen. Darin begünstigte ihn aber die indessen stark eingetretene Ebbe; gleich unterhalb bemerkte er einen etwas weiter auslaufenden Sandstreifen, auf den er augenblicklich zuhielt, und hier bekam Zambiri die Ordre, wie nur der Kiel den Sand berührte, auszusteigen und seinen Weg allein fortzusetzen – was schadete es auch, wenn er mit seinen bloßen Beinen nasse Füße bekam.

Zambiri schien keine rechte Lust zu haben, denn das ganze Benehmen seiner Unterthanen am Ufer mochte ihm ebenfalls nicht gefallen – aber es blieb ihm keine Wahl, denn weit mehr fürchtete er an Bord zurückgeschafft zu werden. Er stieg aus, im Nu schoß das dadurch fast um die Hälfte seines Gewichts erleichterte Boot wieder zurück in tiefes Wasser, und Zambiri, den zerfetzten rothen Mantel um die Schultern, stand an der Spitze der Sandbank und starrte nach dem Ufer hinüber.

Das Boot hielt sich nicht auf; rasche kräftige Ruderschläge brachten es zum Schooner zurück, und während es dort eingehakt und an der Seite aufgezogen wurde, kam auch der Anker herauf und der Bug der Sarah Miles schwang langsam mit der Strömung herum der offenen See entgegen.

Noch stand Zambiri am Strand, und eben so fest behaupteten die Krieger oben ihren Platz. Jetzt aber mochte er doch wohl fühlen, daß er dort draußen nicht länger bleiben könne, ohne seiner Würde etwas zu vergeben. Einen Blick warf er nach dem Fahrzeug der Weißen zurück, dessen Segel sich voll ausblähten und an dessen Bug sich schon das Wasser zu kräuseln begann – dann drehte er sich um und schritt entschlossen die Uferbank hinauf.

Jetzt regte sich auch da oben die dunkle Masse – der Doktor konnte noch erkennen, obgleich sich die Entfernung mit jedem Augenblick vergrößerte, daß von allen Seiten mehr Bewaffnete herbeiliefen. Da dröhnte plötzlich, bis zu ihnen selbst hinaus, ein einziger gellender Aufschrei aus Aller Kehlen, und wie ein Schatten über einen von der Sonne beschienenen Plan wälzte sich der dunkle Schwarm dem König entgegen.

Dieser warf die Arme empor, dann verschwand Alles in einem wilden Gewirre von schwarzen Gestalten, und als sich diese endlich wieder zum Ufer hinaufgezogen, blieb nur ein einziger dunkler Punkt auf dem hellen Untergrund des Strands zurück.

Der Doktor schob sein Glas noch etwas mehr zusammen, um den Punkt in den Fokus zu bekommen.

»Nun, Doktor, wie ist's?« lachte der Kapitän; »können Sie noch was erkennen? – Wie haben sie unsern Dicken aufgenommen?«

»Dort liegt sein unbeholfener Leichnam am Strand,« sagte der Doktor, indem er das Glas zusammenschob, denn die Entfernung wurde jetzt zu groß, »und wenn die Fluth wieder steigt, wird sie ihn in die See schwemmen.«

»Ein fetter Bissen für die Krokodile!« lachte der Seemann. »Alle Wetter! das erste, das ihm begegnet, bekommt ein richtiges Maul voll – ein Glück nur, daß er uns zu seinen Erben eingesetzt. Aber was haben sie mit ihm gemacht?«

»Ihm wahrscheinlich ihre Lanzen in den Leib gerannt,« nickte der Doktor. »Sonderbar doch; vorher hatte er nicht mehr Macht und Gewalt über sie als jetzt, und doch duldeten sie Alles und ließen sich verkaufen und abschlachten, wie es dem grausamen Tyrannen gefiel. Jetzt, da der Nimbus gefallen ist, der ihn umgab, rennen sie ihm ihre Speere in den Leib und lassen den Kadaver draußen auf dem Sande liegen.«

»Menschennatur,« sagte der Yankee gleichgültig. »Na, wir sind ihn wenigstens los und haben keine Verantwortung. Die Brise frischt auf, Doktor – ich denke, jetzt halten wir gerade auf das Kap zu.«

Der Schooner neigte sich vor dem frisch einsetzenden Wind auf die Seite und flog schäumend durch die leichtbewegte Fluth. Vom Land aus hatten ihm die Eingebornen nachgesehen, aber er wurde kleiner und kleiner und verschwand endlich wie ein lichter Punkt am Horizont.

Der Mexikaner.
Peruanische Erzählung.

Erstes Kapitel.
Die verlassene Frau.

In Lima lebte im Jahr 1850 in einem kleinen Häuschen in der Vorstadt eine arme deutsche Schusterfrau, der es außerordentlich knapp zu gehen schien, denn sie war von ihrem Mann verlassen worden und hatte sich nun hier draußen bei einer armen peruanischen Familie einquartieren müssen. Sie ging auch, besonders in deutsche Häuser, plätten und nähen und suchte sich wirklich auf ehrliche Art ihr Brot zu verdienen, wobei sie denn von den wenigen deutschen Familien nach Kräften unterstützt wurde.

Der Mann war – so viel wußte man – im Jahr 48, als die erste Nachricht der in Kalifornien entdeckten Schätze nach Peru drang, plötzlich verschwunden, und sollte in Callao – dem Hafen von Lima, kurz vor der Abfahrt eines nach San Francisco bestimmten Schiffes gesehen worden sein. Der Verdacht lag also sehr nahe, daß er sich auf diesem entfernt habe, um, wie tausend Andere, sein Glück in den Minen zu versuchen. Daß er die Frau dabei in den dürftigsten Umständen und fast ohne einen Dollar Geld zurückließ, war natürlich schlecht, aber es wäre doch wohl noch zu entschuldigen gewesen, wenn er sich nur später um sie gekümmert, wenn er nur einmal etwas Geld geschickt oder wenigstens einen Brief geschrieben hätte.

Aber Nichts dem Aehnliches erfolgte, und die arme Frau mußte zuletzt die Hoffnung aufgeben, ihren Mann je wieder zu sehen und von ihm Hülfe zu erhalten. Allerdings erkundigte sie sich – als nun fast zwei Jahre vergangen waren, und viele Peruaner aus den kalifornischen Goldminen zurückkehrten, bei Jedem wohl nach dem Verlorenen und ob sie ihn nicht in Kalifornien getroffen hätten – aber, lieber Gott, Kalifornien war groß und die dorthin gegangenen Goldwäscher staken oben in den Gebirgsschluchten, wohin weder Weg noch Steg führte; wer sollte sie dort finden. Man konnte Monate lang in ihrer unmittelbaren Nähe sein und bekam sie trotzdem nicht zu sehen. Es wußte ihr auch Niemand auch nur den geringsten Trost oder Anhaltepunkt zu geben – sie mußte sich selber trösten, vielleicht kehrte er, wie die Meisten sagten, einmal ganz plötzlich mit einem großen Sack voll Gold zurück, und dann hatte alle ihre Noth ein Ende.

Aber er kam nicht – Woche nach Woche verging, wie Monat nach Monat vergangen war, und die verlassene Frau beschloß endlich, in ihre Heimath nach Deutschland zurückzukehren, wo ihr noch wohlhabende Verwandte lebten; die einzige Schwierigkeit schien nur die, ein Schiff zu bekommen, das sie für eine mäßige Passage hinüber brachte. Aber auch das fand sich endlich. Ein in Callao ankernder hamburger Kapitän hatte von dem Schicksal der Deutschen gehört, und als er sie zufällig einmal bei Bekannten traf und sie ihm ihre Noth klagte, erbot er sich freundlich, sie gegen einen sehr mäßigen Preis hinüber zu schaffen.

Viel trug dazu auch ihr Aeußeres bei – Frau Bockenheim mußte in ihrer Jugend wirklich einmal schön gewesen sein, und sie war selbst jetzt noch, in den dreißiger Jahren, eine hübsche, stattliche Frau zu nennen. Früher galt sie auch unter den übrigen Handwerkerfamilien für stolz und hochfährig; sie trug gern seidene Kleider und putzte sich manchmal so heraus, daß man in ihr nie eines Schusters Frau vermuthet haben würde. – Das hatte sich freilich jetzt durch ihren Nothstand gründlich gelegt; von dem Moment an, wo sie sich abhängig von fremden Leuten fühlte, wurde sie eine ganz Andere. Sie ging höchst einfach, nur in die billigsten Stoffe gekleidet, und schränkte sich wirklich nach Möglichkeit ein, um nur keine Schulden zu machen. Trotzdem verkehrte sie aber wenig oder gar nicht mit ihres Gleichen – mit anderen Handwerkerfrauen – von denen sie auch in der That keinen Verdienst erwarten konnte.

Jetzt hatte das überhaupt aufgehört und sie begann das Letzte zu thun, was ihr übrig blieb, um ihre Passage zu bezahlen, nämlich die Ueberreste ihres kleinen Hausstandes zu verkaufen. Da aber das zu langsam ging, denn das Schiff wollte segeln, so setzte sie endlich eine Auktion an, auf welcher auch das Handwerksgeräth ihres Mannes losgeschlagen wurde. Was sollte sie auch damit machen? Der Verlorene kehrte doch nicht wieder.

In Lima hatte sich indessen das Schicksal der Schusterfrau und ihre Absicht, Peru zu verlassen, ausgesprochen, und schon aus Mitleiden mit ihrem Schicksal besuchten Viele die Auktion, so daß die oft werthlosen Gegenstände noch zu einigermaßen gutem Preis verkauft wurden.

Die Auktion war vorüber; die letzten Sachen waren abgeholt; nur noch ein Koffer und ein Reisesack standen in dem öden Raum, und die Frau hatte eben einen kleinen Knaben aus dem Haus nach einem Peon oder Diener geschickt, um sie forttransportiren zu lassen, als draußen ein Schritt auf der Treppe laut wurde. Sie glaubte, es wäre der erwartete Packträger, und noch seufzend einen Blick in den Räumen umherwerfend, in denen sie so manche einsame und traurige Stunde verlebt, sagte sie:

»Da, Freund – nehmt die Sachen und tragt sie mir –«

»Bertha,« flüsterte da eine Stimme, die ihr das Blut zum Herzen zurückdrängte, und als sie sich erschreckt danach umwandte, stand ein mit einem Poncho behangener fremder Mann auf ihrer Schwelle. Sie kannte ihn nicht – er trug einen großen dunklen Bart und den Hut fest in die Augen gezogen, rührte sich auch nicht, und nur als sie ihn erstaunt anstarrte, wiederholte er, mit der nämlichen Stimme das eine Wort, das ihren Herzschlag stocken machte: »Bertha!«

»Um der Wunden Christi Willen!« stöhnte die Frau, »wer ist denn das der – der meinen Namen –«

»Und kennst Du mich nicht mehr?«

»Ja – wach' ich denn oder träum' ich – Casper?«

»Hab' ich mich denn so verändert?« lachte er und streckte ihr die Arme entgegen, aber mit einem lauten, gellenden Freudenschrei stürzte sie auf ihn zu und umschlang ihn krampfhaft mit ihren Armen.

»Casper! Du bist's – Du – und oh mein Gott, wie lange hast Du mich warten lassen – oh wie ewig lange. Wo, wo bist Du nur gewesen?«

»Und wenn ich ein klein wenig später gekommen wäre,« lächelte der Mann, ohne die Frage für jetzt zu beantworten, »so hätte ich Dich am Ende gar nicht mehr getroffen. Du wolltest verreisen –«

»Nach Deutschland zurückkehren!« rief die Frau, »was sollte ich länger allein hier in dem fremden Land? Ich hielt es nicht mehr aus und mußte Dich ja todt glauben, da Du mir nicht ein einziges Mal geschrieben. – Ach, das war nicht Recht, Casper.«

»Ja, schreiben,« nickte dieser, »liebes Kind! Wo ich mich die ganze Zeit herumgetrieben habe, gab es weder Feder noch Dinte noch Papier, viel weniger Posten, und ich hätte einen Brief selber nach San Francisco tragen müssen.«

»So warst Du die ganze Zeit in Kalifornien?«

»Gewiß war ich –«

»Und hast Du Glück gehabt?«

Der Mann schwieg und sah sie mit einem Blick an, der ihr ordentlich bis in's innerste Herz hinein stach – mit einem Blick, wie sie ihn noch nie von ihm gesehen. Ueberhaupt kam er ihr so merkwürdig verändert vor. Machte das vielleicht der große schwarze Bart, den sie allerdings nicht an ihm gewohnt war? – und er sah dabei so bleich aus – so düster. – Er hatte jedenfalls Unglück gehabt und kehrte als armer Mann zurück.

»Oh mein Gott,« stöhnte die Frau, als ihr der Gedanke kam, »und jetzt hab' ich all' das Unsere, selbst Dein Handwerkszeug, um einen Spottpreis verkauft – Nichts ist mir geblieben, als meine Kleider und Wäsche und die paar hundert Thaler, die ich für die Ueberfahrt zahlen wollte.«

Da zuckte es wie ein Lächeln über des Mannes Gesicht, und er sagte:

»Gott sei Dank, daß wir den alten Plunder los sind, wir hätten ihn doch nicht mehr gebrauchen können.«

»Nicht mehr gebrauchen können, Casper?« wiederholte die Frau erstaunt, »ich weiß nicht, Du – Du bist so sonderbar – ich begreife Dich nicht.«

»Weil ich mit einem ganzen Sack voll Gold zurück komme, Schatz,« lachte der Mann laut auf.

»Mit einem Sack voll Gold?«

»Was ich Dir sage – unsere Noth hat nun aufgehört – ich habe Glück, viel Glück in den Minen gehabt – unserer Zwei trafen eine enorm reiche Stelle – aber das Alles erzähle ich Dir später. – Was will der Bursche da?«

Während er noch sprach, war ein Peon auf der Schwelle der weit offen stehenden Thür erschienen und sah in's Zimmer herein.

»Die Sennorita hat einen Mann verlangt, um ihr Gepäck fort zu tragen.«

»Ach ja – bueno –« rief der Zurückgekehrte »du, guter Freund, schultert einmal die Sachen und tragt sie in das amerikanische Hôtel – oder wir gehen besser gleich mit, denn hier haben wir doch wohl Nichts weiter zu thun, Schatz, wie?«

»Es ist Alles fort, selbst der letzte Stuhl –«

»Also gänzlicher Ausverkauf,« lachte der Mann, »desto besser, dann werden wir auch durch Nichts mehr gehindert – vamos nos, companero, vamos nos« – und damit gab er seiner Frau den Arm und schritt mit ihr die Treppe hinab, die Vorstadt entlang und dann über die Brücke, immer die Hauptstraße nieder und hinter dem Peon mit ihren Sachen her, bis sie das Hôtel erreichten, wo er augenblicklich zwei Zimmer und ein gutes Diner für sie bestellte.

Die Frau ging wie in einem Traum an seiner Seite; sie fühlte kaum, wie ihre Füße den Boden berührten. War denn das Alles wirklich wahr, und der Mann, den sie schon lange todt geglaubt und in Verzweiflung aufgegeben, nicht allein zurückgekehrt, sondern auch reich, mit Schätzen beladen? Wie ein Märchen klang's ihr in den Ohren und sie bemerkte dabei gar nicht, daß die Leute, denen sie unterwegs begegneten, fast immer stehen blieben und dem etwas wunderlichen Paar nachschaueten.

Und es war in der That ein wunderliches Paar für einen heißen, sonnigen Tag in Lima. Der Mann trug einen alten breiträndrigen und chokoladenfarbigen Filzhut, einen dicken, blau und roth gestreiften Poncho, und dazu mexikanische, an den Seiten herunter offengeschlitzte Sammethosen mit kleinen silbernen Knöpfen daran. Die Frau an seiner Seite ging dabei in echt deutscher Handwerkertracht mit einem langen, braunen, etwas abgenutzt aussehenden Kattunkleid, ohne Steifröcke darunter, einem rothwollenen Tuch um, und einem Hut, von dem man eigentlich nicht sagen konnte, daß er hier aus der Mode gekommen, denn er war in Lima wohl noch niemals Mode gewesen. Auch die Blumen darauf sahen zerknickt und schmutzig aus, und so viel die Frau auch wohl früher auf ihre Toilette gegeben hatte, und so nett sie sich gehalten: jetzt, mit den Sorgen der letzten Zeit im Herzen, schien sie Alles vernachlässigt zu haben, und dachte auch in diesem Augenblick wahrlich an Nichts weniger, als an ihre abgetragenen Kleider.

In dem ziemlich großartigen Hôtel betrachteten sich die Kellner das sonderbare Paar ebenfalls ziemlich erstaunt und schienen nicht übel Lust zu haben, sie etwas über die Achseln zu behandeln; als aber der Mann, nicht etwa höflich, sondern mit barschem Ton »Zwei Zimmer vorn heraus und vor Allem eine Flasche Champagner und dann so rasch als möglich ein gutes Diner« bestellte, wurden sie aufmerksamer. Der Mann mußte Geld haben oder er wäre höflich gewesen, und er wurde jetzt, trotz seinem unscheinbaren Aeußeren, pünktlich bedient.

Oben aber, in dem elegant möblirten freundlichen Gemach, dem Champagner, der der Frau ebenfalls trefflich mundete, gar wacker zusprechend, saß der von Kalifornien zurückgekehrte glückliche Miner und erzählte, nur erst einmal in flüchtigen Umrissen, seine Abenteuer: Wie er Anfangs, und wohl anderthalb Jahr hindurch, mit eisernem Fleiß und unermüdlicher Ausdauer gearbeitet und ein Loch nach dem andern gegraben habe, immer und immer aber wieder getäuscht, immer wieder auf neue Hoffnung angewiesen worden. Ja, er verdiente sich, was er eben zum Leben brauchte, aber auch nicht mehr – Gold gab es ja überall. Da machte er endlich die Bekanntschaft eines Mexikaners, der großes Vertrauen zu den nördlichen Minen hatte. Mit dem war er an den Yubafluß gegangen, und dort in einer der Ravinen, die noch wahrscheinlich kein weißer Mann entdeckt, trafen sie plötzlich auf ein Goldlager, wie sie es bis dahin nicht für möglich gehalten. Stücke fanden sie dort, so groß wie die Wallnüße, und einzelne größer, die wie in einem geschmolzenen und dann erkalteten Zustand vor Jahrtausenden vielleicht in der kleinen, engen Schlucht herabgewaschen waren.

Dort arbeiteten sie, von Niemandem gestört, ja von Niemandem bemerkt, heimlich und versteckt sechs volle Monate, bis sie die ganze Goldader, so weit das wenigstens anging, ausgebeutet hatten. Dann kauften sie sich Maulthiere unten in Yubacity, einem kleinen Goldwäscherdorf, holten die indeß vergrabenen Schätze ab, luden sie auf und zogen damit nach Sacramento hinunter, von wo sie dann mit dem Dampfschiff nach San Francisco gingen. Von hier aus kehrte der Mexikaner in sein eigenes Vaterland zurück, und er selber ging an Bord des ersten nach Panama abfahrenden Dampfers, um von dort wieder mit dem südlichen vapor so rasch als irgend möglich Peru zu erreichen. Deshalb war es ja auch gar nicht möglich gewesen, vorher zu schreiben, denn die erste Gelegenheit, die sich dazu bot, um rasch einen Brief zu senden, benutzte er, und er hätte einen solchen nur selber mitnehmen, nie aber vorher hierher befördern können.

Der armen Frau kam es die ganze Zeit, während der Mann sprach, genau so vor, als ob sie irgend eine wunderbare Geschichte in einem Buche läse, aber keine Möglichkeit vorhanden wäre, daß das Alles sie mit betreffen könne und das Gold, das viele Gold, das ihr Mann mitgebracht, ja doch nun auch ebenso gut ihr gehöre und sie damit reiche und vornehme Leute geworden wären.

»Aber wo hast Du das viele Gold, Casper?« frug sie ihn endlich, »doch nicht bei Dir?«

»Bei mir?« lachte der Mann, indem er eine Handvoll großer goldener Doublonen aus der Tasche nahm und ihr vorhielt, »so ein paar Stück kann man schon bei sich führen, aber ich möchte das Ganze wahrhaftig nicht auf der Schulter tragen.«

»So viel ist es?«

»Nun natürlich – Gold wiegt schwer, mein Kind – und ich konnte mich damit doch nicht in der ganzen Stadt herumschleppen, bis ich Dich da draußen, im äußersten Winkel von Lima, aufgesucht? Es steht in zwei kleinen Koffern sicher in einem Handlungshaus, das ich von früher kannte. Jetzt will ich Dir aber wenigstens die Proben des Mitgebrachten zeigen.«

Damit stand er auf, schloß erst vorsichtig die Thür zu und schnallte sich dann einen ledernen langen Sack von den Hüften ab, dessen Inhalt er vor den erstaunten Augen der Frau ausschüttete.

Du lieber Gott! einen solchen Reichthum hatte sie bis dahin gar nicht für möglich gehalten – und was für große schwere Stücken dabei waren, und wie wunderlich geformt! – Und das sollte erst der kleinste Theil des Ganzen – nur eine Probe sein? Ihr Mann packte aber die Stücke wieder zusammen, denn draußen klopfte es, und der Kellner frug sehr artig durch die Thür, ob die lady und der gentleman jetzt zu speisen wünschten.

Das Essen wurde gebracht, aber nach Tisch ging der frühere Schuhmacher augenblicklich daran, den Koffer seiner Frau zu revidiren, um zu sehen, was sie an Kleidern und Wäsche habe, und was sie Neues brauchen würde. Da sah es freilich bös aus – sie brauchte fast Alles neu, denn das Wenige, was sie noch hatte, war so abgenutzt, daß ihr der Mann augenblicklich erklärte, damit könne sie nicht mehr auf der Straße erscheinen. Der heutige Abend sollte denn auch dazu benutzt werden, alle die nöthigen Einkäufe zu machen, und nachher konnten sie dann in aller Ruhe überlegen, ob sie vor der Hand noch hier in Lima bleiben oder ohne Weiteres nach Deutschland zurückkehren sollten. Gegen den letzteren Plan sprach sich aber Madame Bockenheim auf das Entschiedenste aus. War ihr Mann wirklich so reich, dann hielt sie es auch für nöthig, den Leuten hier in Lima, die sie selber so oft über die Achsel angesehen, zu zeigen, was sie könnten, und daß sie jetzt im Stande wären, sich den »Besten« an die Seite zu stellen. Was lag auch daran, ob sie sich hier einmal ein halbes Jahr einmietheten?

Das war nun freilich ein Festtag für die Frau, wie sie ihn nie in ihrem ganzen Leben für möglich gehalten, als sie an dem Abend mit ihrem Gatten durch all' die großen, herrlichen Läden gehen und dabei aussuchen durfte, was ihr Herz begehrte. Da war auch Nichts zu kostbar. Wo sie nur halbwegs Bedenken hatten, sowie ihr Mann nur merkte, daß es ihr gefiel, ließ er es augenblicklich bei Seite legen, zahlte dann die Rechnung in Doublonen und beorderte es in ihr Hôtel.

Früher hatte er die Packen selber getragen; jetzt dachte er gar nicht mehr daran und schien sich mit dem ausgewaschenen Gold auch gleich die Sitten und Gewohnheiten eines vornehmen Mannes angeeignet zu haben.

Zweites Kapitel.
Der Mexikaner.

Am nächsten Tag sprach man fast von Nichts weiter, als dem aus Kalifornien steinreich zurückgekehrten deutschen Schuster, und das Gerücht vergrößerte dabei natürlich die Schätze, die er wirklich mitgebracht, um das Zehnfache. Allerdings gab es noch Einzelne, die nicht so recht an einen solchen Erfolg in den Minen glauben wollten; aber selbst diese mußten zuletzt eingestehen, daß der Mann dort jedenfalls Glück gehabt, denn er verausgabte gerade in den ersten zwei oder drei Wochen eine sehr bedeutende Summe Geld, und bezahlte Alles gleich baar in blankem Gold. – Er machte nicht für einen Centabo Schulden. Ebenso bestätigten die Kaufleute, daß er sich immer die besten und kostbarsten Stoffe ausgesucht, und als er sich bald darauf noch das schönste Pferd in Lima um achtzehn Unzen kaufte und mit dem silberbedeckten Zaumwerk und Sattel in der Stadt herum galoppirte, fing man doch an, ihn weniger mißtrauisch zu betrachten, und Leute, die sonst gar nicht daran gedacht hätten, sich um ihn zu bekümmern, bewarben sich jetzt um seine Freundschaft und machten ihm Besuche.

Casper Bockenheim, wie der Deutsche hieß, besaß übrigens genug gesunden Menschenverstand, um derartige Burschen zu durchschauen, und hatte in seinen früheren Jahren zu häufig mit der vornehmen Welt durch seine Arbeit verkehrt, um nicht zu wissen, wie er sich gegen sie zu benehmen hatte. Er ließ die Schmarotzer eben ablaufen, und gab sich dabei Mühe, in die wirklich vornehmen Cirkel der Stadt zu kommen, mit denen er sich selber, so weit es bedeutende Geldmittel ermöglichen konnten, auf eine Stufe gestellt. Aber das gelang ihm ebenso wenig; denn wenn er sich auch die äußeren Manieren eines »caballero«, so weit es seine Bildung zuließ, aneignete, und seine Frau jetzt ebenso schöne Brillanten trug, wenn sie sich Abends auf der Plaza zeigte, als irgend eine Sennorita der Stadt, so hatte er doch sein ursprünglich rauhes Wesen nicht so abschleifen können, um seinen früheren Stand weniger als seine ganze frühere Lebensweise vollständig vergessen zu lassen, und die haute volée von Lima, welcher Nation sie auch angehörte, wich ihm, so weit das anständiger Weise geschehen konnte, aus.

Bockenheim wurde dadurch nicht liebenswürdiger; er fühlte, daß hier in Lima noch ein »Vorurtheil«, wie er es nannte, gegen ihn herrsche, und beschloß endlich, Peru vielleicht schon mit dem nächsten Dampfer zu verlassen, um nach Deutschland zurückzukehren; und das war ja auch jetzt der einzige und sehnlichste Wunsch seiner Frau, denn dort konnte sie nachher Staat mit sich machen – hier war es in der That nicht möglich.

Madame Bockenheim oder Sennora Bockenheim hatte sich auch wirklich in den letzten Monaten sehr verändert, und so einfach und zurückgezogen sie sonst gelebt, so ganz aus sich herausgesprungen schien sie jetzt. Ihr Mann, der Schuhmacher, suchte seinen Reichthum nur in äußerem Pomp zu zeigen. Er trug schwere goldene Uhrketten, große Brillant-Tuchnadel, eine Menge Ringe und sein, wie schon erwähnt silberbedecktes Sattelzeug, bummelte aber sonst noch ebenso nachlässig über die Straße, wie früher, fiel auch wohl einmal in ein gewöhnliches deutsches Bierhaus hinein und spielte dort seine Partie Skat, wie er es sonst gewohnt gewesen. Seine Frau dagegen, der der Hochmuthsteufel in den Kopf gestiegen, schwebte fast nur immer in höheren Regionen. Sie war gerade keine ungebildete Frau, und deshalb auch früher überall gern gesehen gewesen, aber sie wußte sich nur in der Sphäre zu bewegen, der sie angehörte, und fiel aus der Rolle, sobald sie darüber hinausstieg. Daß sich wirklich vornehme Personen fast immer durch ein ungenirtes, leutseliges und selbstverständlich artiges Benehmen kundgeben, hatte sie übersehen; sie suchte das Vornehme in alberner Aufgeblasenheit und machte sich dadurch nur lächerlich.

Bockenheim hatte sich in der Stadt ein sehr hübsches Haus gemiethet, das sogar einen kleinen freundlichen Garten umschloß. Die Einrichtung desselben war prachtvoll und schien auf einen jahrelangen Aufenthalt in Peru hinzudeuten. Jetzt dachte er schon wieder daran, sie zu veräußern, und ließ, erst einmal mit dem Entschluß im Reinen, seine Absicht in die Zeitung setzen.

Natürlich besuchte nun eine Menge von Leuten das Haus, die sich entweder in der Absicht, die Sachen zu kaufen, diese betrachteten oder auch nur neugierig waren zu sehen, wie sich der deutsche, so plötzlich reich gewordene Schuster eingerichtet habe. Von Morgens an aber gingen und kamen die Leute, Abkömmlinge aller Nationen, und besonders strömten die señoritas herbei, die dann von der Sennora Bockenheim in allem Pomp eines seidenen, spitzenbedeckten Kleides empfangen wurden und sich nachher halbtodt über die komische Deutsche lachen wollten.

Bockenheim selber ließ sich wenig dabei sehen. Ihm war die ganze Sache fatal, und er bereuete schon bitter, das Alles nicht früher und besser überlegt zu haben, ehe er sich eine solche Last aufbürdete. Aber seine Frau hatte ja so fest darauf bestanden; sie wollte den Bewohnern von Lima zeigen, »was sie konnten«, und wenn sie auch ein paar tausend Dollars Schaden dabei hatten, was lag daran? Schon damit zeigten sie, wie reich sie waren.

Lästig blieben diese ewigen Besuche gleichgültiger Menschen aber doch, und Bockenheim war wirklich kaum im Stand gewesen, sich eine freie Mittagsstunde auszuwirken, daß er sein Essen ungestört verzehren konnte. Ein Zettel an seiner Thür sagte, daß die Lokalitäten von zwei bis vier nicht geöffnet würden; darnach mochten sich die Leute richten; er war nicht gesonnen, ihnen seine ganze Bequemlichkeit zu opfern.

Es war eben vier Uhr vorbei, und Casper Bockenheim saß am offenen Fenster, die Füße gegen ein niederes eisernes Gitter gestemmt, seinen Kaffee neben sich und rauchte seine Cigarre, als der eine Peon herein kam und meldete, es sei ein fremder Herr draußen, der den Sennor zu sprechen wünsche.

»Mich? – Hol' ihn der Teufel,« brummte der Deutsche, »er soll zu meiner Frau gehen, die wird ihn herumführen. Ich habe mit der Geschichte Nichts zu thun und will ungestört meinen Kaffee trinken.«

»Aber er will Sie selber sprechen, Sennor.«

»Mich selber? Wer ist es denn?«

»Ich kenne ihn nicht,« sagte der Peon, »er spricht sehr gut kastilianisch, aber mit einem so sonderbaren Accent. Aus Peru kann er nicht sein.«

»Hm,« brummte Bockenheim leise vor sich hin, »und wie sieht er aus?«

»Ja, ich weiß nicht; er trägt einen großen Bart und hat einen sehr schönen Poncho umhängen, als ob er von der Reise käme.«

»Na, so laß ihn in des Bösen Namen herein. Frag' ihn aber erst, ob er die Möbel sehen will, und wenn er Ja sagt, schick' ihn zu meiner Frau; die wird am besten mit den Leuten fertig.«

Der Peon ging, kehrte aber gleich darauf mit dem Fremden zurück, der ihm auf dem Fuß folgte. Bockenheim war verdrießlich; er haßte Nichts mehr, als sich spanisch zu unterhalten, denn wenn auch schon längere Jahre im Land, konnte er mit der Sprache doch noch nicht gut fertig werden, und mißhandelte sie auch auf das Grausamste. Er war langsam aufgestanden, um den Fremden zu begrüßen und zu hören, was er wolle – aber er kam nicht weit. Wie nur sein Blick auf die Züge des vor ihm Stehenden fiel, war es ihm, als ob ihm Jemand einen Stich durch's Herz gäbe. Er fühlte, daß er leichenblaß wurde, seine Kniee zitterten, und er mußte sich an dem nächsten Stuhl festhalten, um nicht zusammen zu sinken.

Dem Fremden konnte auch die Erregung, die den Deutschen erfaßt hatte, nicht entgehen. Ein spöttisches, fast verächtliches Lächeln zuckte aber nur um seine Lippen und er sagte trocken:

»Buenos dias, Don Gaspár – ich sehe, Ihr kennt mich noch, obgleich ich ein paar Monate an der Wunde das Lager hüten mußte.«

Casper Bockenheim stierte ihn noch immer an, als ob er einen Geist gesehen hätte; er brauchte Minuten lang, um sich zu sammeln, behielt aber doch so viel Besinnung, daß er dem Peon zuwinkte, das Zimmer zu verlassen. Er mußte mit dem Mann allein sein. Dieser schien das auch ganz in der Ordnung zu finden und ließ indessen seinen Blick in dem höchst eleganten und reich ausgestatteten Raum umher fliegen, wobei er nur langsam und wie, als ob er eine Vermuthung bestätigt erhalten, mit dem Kopf nickte. Aber er sprach kein Wort weiter; es war, als ob er jetzt erst eine Anrede des Deutschen abwarten wollte, zu der er ihm völlig und ungestört Zeit ließ.

Das war insofern gefehlt, als er diesem dadurch auch völlig Raum gab, sich von seiner ersten Ueberraschung zu erholen, und Bockenheim schien Gebrauch von der Gelegenheit zu machen.

Sein finsterer Blick maß den Mexikaner, der ihm übrigens ganz unbefangen gegenüber stand, und jetzt sogar, als wenn er hier zu Hause wäre, zu einer dort stehenden Cigarrenkiste trat und sich eine Havana herausnahm.

»Ah Don Gaspard,« lachte er dabei, »Ihr raucht jetzt feine puros! Wißt Ihr wohl noch, wie wir auf dem Wege nach Macalome alle Taschen umdrehten, um ein wenig Taback für eine Cigaretta darin zu finden?«

»Mit wem habe ich das Vergnügen?« sagte da der Deutsche trocken, indem er den unwillkommenen Gast mit finster zusammengezogenen Brauen betrachtete. »Sie müssen jedenfalls in ein falsches Haus gerathen sein, Sennor.«

»Caramba,« lachte der Mann und drehte sich rasch nach ihm um. »Ihr kennt mich wohl nicht mehr? Wahrhaftig, wenn mein Gedächtniß zum Teufel wäre, sollt' es mich nicht Wunder nehmen; denn der Hieb, den Ihr mir damals über den Kopf gegeben, hätte einem anderen Menschen wahrscheinlich den Hirnkasten von einander gesprengt. Aber wie Ihr seht, habe ich mich vollständig wieder erholt und befinde mich, den Umständen nach, wohl, während Ihr Euch,« setzte er mit einem Blick umher hinzu, »besser zu befinden scheint.«

»Dürft' ich fragen, was Ihr von mir wollt, Sennor?« sagte der Deutsche trocken. »Ich habe nicht viel Zeit und noch weniger Lust, mich lange mit Euch abzugeben.«

»En verdad, Señor?« lachte der Mexikaner. »Nun gut, dann werde ich Euch mit einem Wort sagen, was ich will: Geld! – Das Geld will ich, das Ihr mir damals, als Ihr mich bei Macalome meuchlings überfielt und für todt im Walde liegen ließet, abgenommen. Habt Ihr mich verstanden?«

»Ich verstehe so viel,« sagte der Deutsche, »daß Ihr jedenfalls wahnsinnig sein müßt; denn ich habe Euch in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen, und die Beschuldigung ist deshalb eine niederträchtige Lüge!«

»So?« sagte der Mexikaner. »Und weshalb erschrakt Ihr da so, als ich ins Zimmer trat?«

»Wer sagt Euch, daß ich erschrocken bin?«

»Carajo!« rief der Mexikaner, ungeduldig werdend, »wir wollen den Tag nicht mit nutzlosen Redensarten vergeuden. Ich lebe noch, wie Ihr seht, und bin Eurer Spur wie ein Schweißhund gefolgt – jetzt aber bleibt Euch kein Ausweg mehr. Ich kam zu Euch, weil ich die peruanischen Gerichte nicht unnützer Weise bemühen wollte. – Mir liegt nichts daran, Euch gehangen zu sehen, und Strafe hatte ich verdient, weil ich dumm genug gewesen war, auch nur einem einzigen Menschen auf der Welt zu trauen, wo die Verführung auf der Hand lag, mit einem Schlag reich zu werden. Aber Ihr habt die Geschichte ungeschickt angefangen. Wolltet Ihr einmal einen Mord verüben, so mußtet Ihr auch sicher gehen und Eurem Opfer noch wenigstens den Hals abschneiden – das habt Ihr versäumt und kommt jetzt in die unangenehme Nothwendigkeit, das Geraubte wieder herausgeben zu müssen. Also macht keine Umstände, oder ich zeige Euch hier bei den Gerichten als Straßenräuber an, und was Euch dann erwartet, brauche ich Euch doch wohl nicht zu sagen!«

»Ihren werthen Namen, wenn ich bitten darf,« sagte der Deutsche außerordentlich höflich.

Der Mexikaner biß die Zähne zusammen, und der Blick, den er auf den früheren Gefährten schleuderte, war so voll Gift und Haß, daß Bockenheim unwillkürlich nach der Lehne des neben ihm stehenden Stuhles griff, um nur irgend eine Schutzwaffe bei der Hand zu haben, denn er erwartete wirklich nichts weniger, als daß sich der zum Aeußersten gereizte Südländer jetzt auf ihn stürzen würde. Der Fremde schien aber, wenn auch vielleicht der Gedanke für einen Moment in ihm aufgestiegen war, etwas Derartiges nicht zu beabsichtigen. Wohl war er unter dem Poncho mit der Hand nach der Seite, möglich nach seinem Messer, gefahren; aber es blieb bei der Bewegung. Der Mann bewahrte sein kaltes Blut; denn er wußte gut genug, wie viel Leute im Haus waren, und daß er nie hoffen durfte, seinen Zweck mit Gewalt zu erreichen. Er hätte sich nur selber der größten Gefahr ausgesetzt.

»Also Ihr leugnet bestimmt, daß Ihr mich kennt?« sagte er endlich, nach einer ziemlich langen Pause. »Ihr leugnet, daß Ihr mich, als wir zusammen von Richgulch nach Macalome ritten, da, wo wir lagerten, überfallen –«

»Geht zum Teufel mit Euren albernen Märchen!« rief aber jetzt Bockenheim unwillig, indem er die auf dem Tisch stehende Klingel ergriff und heftig schellte, »und das sag' ich Euch, laßt Ihr Euch noch einmal in meinem Hause blicken, so ruf' ich die Polizei zu Hülfe!«

In der Thür erschienen ein paar Peons, der Befehle ihres Herrn gewärtig. Der Mexikaner aber sah recht gut ein, daß er vor der Hand hier Nichts weiter ausrichten könne und jedenfalls den Kürzeren ziehen müsse. Er wußte aber jetzt auch, was er von dem Deutschen im Guten zu erwarten hatte. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als die Polizei zu Hülfe zu rufen.

»Bueno, Señor,« sagte er ruhig, »ich werde Ihnen nicht länger zur Last fallen. – Auf Wiedersehen!« Und mit den Worten drehte er sich um und schritt zur Thür hinaus, wobei Bockenheim den Peons befahl, hinter ihm zu bleiben und aufzupassen, daß er auch wirklich das Haus verließ. Es wäre, wie er sagte, ein ganz gemeiner Vagabond, der Geld hatte von ihm erpressen wollen, und welchem deshalb auch Alles zuzutrauen. Sie sollten nur das Haus gut zuschließen.

Kaum hatten sie übrigens den Raum verlassen, als Bockenheims Frau in furchtbarer Aufregung aus der nächsten Stube trat, wo sie jedenfalls das Ganze angehört haben mußte.

»Um Gottes Willen, Caspar!« rief sie, »was war das? Was ist vorgefallen? Was hattest Du mit dem Mann?«

»Was ich mit dem Mann hatte?« sagte Bockenheim, der mit untergeschlagenen Armen und zusammengezogenen Brauen finster brütend mitten in der Stube stand. »Nichts – gar Nichts! Ein Betrüger war es, der Geld von mir erpressen wollte – aber wenn er mir wieder kommt – beim ewigen Gott – –«

Die Frau hatte ängstlich zu ihm aufgeschaut.

»Und kanntest Du den Mann gar nicht? – Hast Du ihn nie früher gesehen oder mit ihm gesprochen?«

»Nie – der Henker soll all' das mexikanische Gesindel kennen, das sich in Kalifornien in den Minen herumtreibt!«

»Und was verlangte er von Dir?«

»Ach, Unsinn,« erwiderte mürrisch, aber doch ausweichend der Mann, »er – er wollte nur Geld geborgt haben.«

»Er sprach von einem Todtschlag,« flüsterte die Frau.

»Bah – Geschwätz – laß mich mit dem Blödsinn zufrieden!« rief Bockenheim. »Der Kerl ist verrückt, und, wahrscheinlich ohne Centabo aus den Minen zurückgekehrt, hat er vielleicht hier gehört, daß ich Glück dort oben gehabt, und will mir nun ein paar hundert Dollars abschwindeln. Aber verdamm mich! er ist an den Unrechten gekommen. Wo hat er Beweise? – Nichts – gar nichts – es ist Nichts, als niederträchtige gemeine Lüge – weiter Nichts,« und damit verschränkte er die Arme wieder und ging mit raschen, unruhigen Schritten in dem so behaglich eingerichteten Zimmer auf und ab.

Die Frau hatte, während ihr Mann sprach, keinen Blick von ihm verwandt, und eine unsagbare Angst ergriff ihr Herz. Aber es war nicht die Furcht, daß ihr Mann ein Verbrechen verübt haben, sondern die, daß es entdeckt werden könne, und mit leiser Stimme sagte sie endlich:

»Laß uns fort von hier, Caspar – ich habe Dich schon lange darum gebeten; wärst Du mir nur gefolgt.«

»Ja, und eben weil ich Dir gefolgt bin, können wir es jetzt nicht,« knurrte Bockenheim ärgerlich, »denn den ganzen Plunder, den ich mir Deinetwegen angeschafft, kann ich nicht auf den Buckel nehmen.«

»So laß die Sachen hier! – Was liegt daran? Gieb Jemand den Auftrag, sie unter der Hand oder auf Auktion zu verkaufen. – Uebermorgen geht der Dampfer nach Panama – übermorgen können wir weit draußen in See schwimmen und wieder nach Deutschland fahren, und dorthin kommt der freche Bursche gewiß nicht.«

»Hm,« sagte Bockenheim, der, während die Frau sprach, leise vor sich hin mit dem Kopf genickt hatte, »das ginge vielleicht – aber wenn er mich hier verklagt?«

»Bah, Du kennst doch die peruanischen Richter,« lachte die Frau, »und dann wäre es doch wahrhaftig schlimm, wenn jeder Lump da ohne Beweise, ohne Zeugen herkommen und einen ehrlichen Mann eines Verbrechens anklagen könnte, das er tausend Meilen von hier entfernt begangen haben soll. Es ist kein Sinn und Verstand darin.«

Bockenheim war wieder eine Weile in dem Zimmer auf und ab gelaufen und schien noch nicht mit sich im Reinen.

»Und wenn Du meinem Rath folgst,« sagte die Frau, die ihre Sinne wenigstens vollkommen beisammen hatte, »so gehst Du jetzt vor allen Dingen augenblicklich selber auf die Polizei und machst die Anzeige, daß ein mexikanischer Strolch, der wahrscheinlich davon gehört hätte, daß Du Lima mit dem nächsten Dampfer verlassen wolltest – verstehst Du mich? – zu Dir gekommen wäre und gesucht hätte, ein paar hundert Dollars von Dir zu erpressen.«

»Hm – und dann?«

»Nun, dann bittest Du den Direktor oder wie der Beamte heißt, ein wachsames Auge auf den Burschen zu haben; denn Du fürchtetest, daß er Dir nach dem Leben trachte, weil Du ihn so grob abgewiesen.«

»Er wird mir sagen, daß ihn das nichts anginge.«

»Kommt es Dir auf hundert Dollars an?«

»Nein.«

»Gut, dann gieb ihm die und bitte ihn, sie unter ein paar Polizeidiener zu vertheilen, daß sie sich hier in der Nähe des Hauses aufhalten.«

»Bah, dann steckt er sie einfach in die Tasche,« brummte Bockenheim, »ich müßte meine Peruaner nicht kennen.«

»Und soll er denn das nicht?« rief die Frau. »Du bist wie ein kleines Kind. Nachher weißt Du aber doch sicher, daß er Deine Partei nimmt. – Hab' ich nicht Recht?«

Bockenheim lachte – zum ersten Mal wieder an dem Morgen.

»Wahrhaftig, Schatz, ich glaube, ich werd's so machen,« rief er, indem er seinen Panamahut von dem nächsten Stuhl nahm, »und kannst Du bis morgen Abend mit Packen fertig werden?«

»Bis heut Abend, wenn es sein muß. Der Tischlermeister Müller kann nachher Alles übernehmen, was hier zurückbleibt. Hast Du noch Schulden in Lima?«

»Keinen Pfennig.«

»Desto besser – das Geld schickt er uns später an eine Adresse, die wir ihm aufgeben. Geh nur rasch, daß Du keine Zeit versäumst.«

»Und wenn der – Schuft jetzt zurück käme?«

»Wenn ich mich nicht fürchte, brauchst Du doch keine Angst zu haben. Ich gebe Dir mein Wort, daß ich den Burschen, falls er noch einmal Lust haben sollte einzudringen, in sicherer Entfernung halten werde. Laß ihn nur kommen; unsere Leute hier im Haus werden wahrhaftig kurzen Prozeß mit ihm machen.«

Der Mann blieb einen Augenblick zögernd an der Thür stehen, als ob er noch etwas sagen wollte; aber plötzlich drehte er sich scharf auf dem Hacken herum und schritt wenige Minuten später die Straße hinab, über die Plaza und dem Polizeigebäude zu.

Drittes Kapitel.
Die Flucht.

Der Mexikaner Felipe Corona, wie er mit Namen hieß, verließ indessen mit bitteren Rachegedanken das Haus des Deutschen. Aber während er die Straße hinab schritt, war er sich doch auch bewußt, auf wie unsicherer Basis die Klage ruhte, die er hier, selber ein Fremder, gegen einen in Lima ansässigen Mann vorbringen wollte. Und sollte er ihn deshalb im Besitz aller der Schätze lassen, die, wie er fest behauptete, ihm – allein nur ihm gehörten? Nein! bei dem Blute des Gekreuzigten, nein. Wahrlich nicht, so lange seine Faust noch ein Messer führen konnte, und wenn ihm die Peruaner sein Recht nicht verschafften – er biß die Zähne fest zusammen und schritt, finster vor sich hin brütend, die Straße hinab, wo er das Haus eines Advokaten wußte. Der sollte ihm helfen – oder doch wenigstens einen Rath geben, wie er sich zu verhalten habe, welche Schritte er hier in dem fremden Lande thun müsse, um den Schuldigen zu überführen und zu strafen.

Er fand den Herrn auch zu Hause, und zwar ziemlich behaglich in einer Hängematte liegend und eine Cigarre rauchend; was sollte er sich bei der Hitze anstrengen, wo er es so bequem haben konnte? Die Geschäfte mochten eben warten bis die Abendkühle eintrat – oder vielleicht auch bis morgen früh. Die Gerechtigkeit ist blind und kann sich deshalb nicht Hals über Kopf in einen Strudel von Arbeiten stürzen; sie muß eben langsam und vorsichtig zu Werke gehen.

Nach dem eintretenden Mexikaner drehte er auch kaum den Kopf, als dieser das kühle, luftige Gemach betrat. Der Mann trug einen Poncho, war also jedenfalls ein Peon oder Diener, denn ein Caballero ging nicht mehr mit diesem eigentlich alt-peruanischen Kleidungsstück über die Straße; es war völlig aus der Mode gekommen. Er brachte ihm wahrscheinlich eine Botschaft, und die konnte er ebenso gut liegend anhören – ja eigentlich noch viel besser.

»Und was wollt Ihr, amigo

»Eure Hülfe oder Euren Rath, Sennor, gegen einen Schurken,« sagte der Mexikaner ruhig.

»So? Hm – und wie heißt der Schurke?«

»Er ist ein Fremder, Don Gaspard, der aus Kalifornien mit vielem Geld hierher gekommen.«

»So? Der Deutsche? Und was habt Ihr gegen ihn?«

»Das Gold, das er mitgebracht, ist mein,« sagte der Mexikaner ruhig, »ich hielt ein Spielzelt am Richgulch in Kalifornien und verkaufte zugleich Waaren. Ich verdiente viel Gold. Da aber die Americanos dort kein Spiel mehr haben wollten, trieben sie uns fort, und ich lud mein Gold und meine Waaren auf Maulthiere und zog nach dem Macalome hinüber, wo ich noch einen Bruder hatte. Mit diesem wollte ich nach Mexiko zurückkehren – ich brauchte nicht mehr. Unterwegs traf ich den Aleman. Es sind sonst gute, rechtliche Leute, und wir Mexikaner verkehrten dort nur mit ihnen und den Franzosen. Ich freute mich, daß ich Begleitung bekam; denn ich hielt mich mit meinen schwer beladenen Thieren nicht für ganz sicher im Wald. Manchen von uns hatten die Amerikaner gemordet, und uns selber wurde es dann zur Last gelegt. Ich hatte mir aber den schlimmsten Feind zu meiner Begleitung ausgesucht. Als wir, kaum noch eine halbe Legua vom Macalome entfernt, eine kurze Zeit im Wald rasteten, nahm er die Gelegenheit wahr und schlug mich mit seinem schweren Messer über den Kopf – hier an der Seite, Sennor, seht Ihr noch die kaum verharrschte Narbe. Ich brach besinnungslos zusammen, und er hielt mich jedenfalls für todt; ich war es auch fast. Landsleute fanden mich später und trugen mich in die Minerstadt, und als ich nach Wochen wieder zu mir kam und meinen Bruder an meinem Bett sitzend fand, war meine erste Frage nach meinen Thieren, meinen Schätzen – umsonst – man hatte Nichts bei mir gefunden – gar Nichts – der Räuber mußte Alles mit fortgenommen haben, Thiere, Waaren und Gold, und ich war wieder arm, wie ein Bettler.«

»Hm – eine verwünschte Situation,« brummte der Advokat, sich eine neue Cigaretta anzündend, »und Ihr wißt gewiß, daß dieser Don Gaspard derselbe ist, der Euch damals begleitete?«

»Hört nur weiter,« fuhr der Mexikaner fort. »Vierzehn Tage brauchte ich wohl noch, bis ich mich vollständig erholt hatte und meine Wunde vernarbt war – dann folgte ich seinen Spuren. Mein Bruder hatte mir einige Unzen Gold geborgt, damit wanderte ich aus, und es dauerte nicht lange, so war ich auf der Fährte des Mörders. In Stockton hatte er meine Maulthiere und Waaren verkauft und war zu Schiff nach San Francisco gefahren, und bald erfuhr ich, daß er nach Panama gegangen. Ich nahm Zwischendeckspassage und folgte ihm. In Panama ließ ich mir die Passagierlisten geben und sah seinen Namen nach Peru eingeschrieben. – Ich mußte mein Geld sparen und bekam freie Passage als Kajütenaufwärter hierher. – Ich brauchte in Lima nicht lange nach ihm zu suchen. Das Gerücht, daß er so viel Gold in den kalifornischen Minen gefunden, hatte ihn rasch bekannt gemacht. Ich habe ihn heute gesehen.«

»In der That?« rief der Advokat, der sich doch jetzt für die Sache zu interessiren anfing, indem er sich in seiner Hängematte halb emporrichtete, »und was sagte er?«

»Er leugnet Alles.«

»Nun natürlich, versteht sich von selbst – aber wo haben Sie Ihre Zeugen?«

»Zeugen habe ich gar nicht – wir waren allein.«

»Den Teufel auch! gar keine Zeugen? Aber es hat Sie doch dort Jemand zusammen wegreiten sehen, oder Sie sind Anderen begegnet? –«

»Allerdings – Menschen genug; aber wer das war und wo die jetzt sind, wer könnte es sagen?«

»Bitte, lieber Freund,« sagte der Advokat, sich jetzt in seiner Hängematte aufsetzend, »wollen Sie mir vielleicht vorher erklären, ob Sie über bedeutende Mittel verfügen, um einen längeren Prozeß durchzuführen? Hundert Dollars müssen vor allen Dingen einmal bei mir deponirt werden, nur um die ersten Ausgaben zu decken.«

»Ich besitze nicht einmal mehr hundert Dollars in meinem ganzen Vermögen,« sagte der Mexikaner finster, »jener Schuft hat mir ja Alles geraubt; aber wenn mir mein Recht zugesprochen wird –«

»Entschuldigen Sie einen Augenblick, daß ich Sie unterbreche. Habe ich den Fall folgender Art klar verstanden, daß Sie von Kalifornien, ohne Geld in der Tasche, hierher gekommen sind, um einen hier ansässigen Fremden anzuklagen, daß er an Ihnen in den kalifornischen Wäldern einen Raubmord verübt und Ihnen Alles abgenommen hat, ohne dafür weitere Zeugen und Beweise beibringen zu können, als Ihr Wort?«

»Das ist genau so der Fall,« sagte der Mexikaner; der Advokat fiel aber in seine Hängematte zurück, als ob er geschossen wäre, pfiff nur leise vor sich hin und sah nach der Decke hinauf.

»Und wollen Sie mir dazu verhelfen?« fragte der Mexikaner.

»Mein sehr verehrter Herr,« sagte der Rechtsanwalt, ohne aber seine Stellung im Mindesten zu verändern, »vorher erlauben Sie mir denn wohl die Frage an Sie zu richten: Halten Sie mich für verrückt?«

»Aber wenn ich, was ich sage, auf die Hostie beschwören kann?« rief der arme Teufel. »Trag' ich denn nicht die Narbe jener Wunde, die mir sein schweres Messer geschlagen, auf dem Kopf?«

»Reden Sie keinen Unsinn,« bemerkte der Peruaner, »als vernünftiger Mann müssen Sie doch einsehen, daß Sie mit der Narbe weiter Nichts beweisen können, als früher einmal einen Hieb über den Kopf bekommen zu haben. Wo aber das geschehen ist und durch wen, mögen Sie selber wohl sehr genau wissen, werden aber keinen Richter davon überzeugen können.«

»Aber ist denn gar keine Gerechtigkeit in Peru?« rief der Mexikaner bestürzt aus. »Soll denn der Räuber das Gold behalten dürfen?«

»Gerechtigkeit genug,« erwiderte der Advokat. »Sie behaupten, das Geld gehöre Ihnen, er behauptet, es wäre das seine. Befände sich die Summe in den Händen des Gerichts, so bekämen Sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, Beide keinen kupfernen Centabo davon. So hat es aber der Deutsche, und daß der gutwillig etwas davon herausgeben sollte, bezweifle ich – versuchen Sie's aber immerhin noch einmal, denn ohne die geringste Beweisführung können die Gerichte gar nicht gegen ihn einschreiten.«

»Und wenn er sich weigert?«

Der Advokat zuckte mit den Achseln.

»Und Sie wollen sich meiner nicht annehmen?«

»Lieber Freund, ich habe mich Eurer angenommen,« rief der Advokat, »und wenn Ihr nicht ein armer Teufel wäret, so bäte ich mir jetzt eine halbe Unze für die Berathung aus – aber ich will Nichts, als daß Ihr mich nun ungeschoren laßt, denn ich mag mit der Sache nichts weiter zu thun haben.«

»Dann muß ich mir selber helfen,« knirschte der Mexikaner zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch.

»Das ist jedenfalls das Gescheuteste,« nickte der Advokat lächelnd vor sich hin, »aber auch zu gleicher Zeit ein etwas gefährliches Experiment. Seid Ihr kitzlich am Hals, amigo

Der Mexikaner antwortete nicht; er hatte ein paar Momente schweigend vor sich nieder gestarrt; jetzt drehte er sich plötzlich um und schritt der Thür wieder zu. »Buenos dias, Señor,« sagte er dabei. »Vielen Dank für den guten Rath – ich werde meinem Hals ganz besondere Vorsicht widmen. – Dios lo paga,« und damit verschwand er aus der Thür.

»Ja wohl,« brummte der Advokat vor sich hin, »Dios lo paga – wenn der liebe Gott alle die Wechsel acceptiren sollte, die auf ihn gezogen werden, wäre er nicht allein allmächtig, sondern auch allbeschäftigt. – Lumpengesindel! Daß der Präsident nur so viel Vergnügen daran findet, die Fremden ins Land zu ziehen – wenn ich wie er wäre, hielt ich unsere Race rein – dann bliebe doch auch noch etwas zu verdienen,« und sich wieder lang ausstreckend, gab er sich bald ganz seiner Siesta hin.


Der Mexikaner verließ das Haus, aber nicht etwa, um nach des Advokaten Rath einen gütlichen Vergleich mit seinem Feind zu schließen, sondern sein Glück noch einmal auf der Polizei zu suchen, traf es aber dort nicht glücklich, denn Bockenheim war schon vor ihm da gewesen, und der eine Beamte fuhr den armen Teufel so wild an, als ob er ihn auf der Straße gefunden hätte. Er sollte sich auch selber legitimiren, ehe er einen Anderen, einen bis dahin unbescholtenen Mann eines Verbrechens zeihen wollte, und da er das nicht vermochte, wurde er bedeutet, binnen acht Tagen einen Nachweis zu bringen, womit er sich hier ernähre, oder die Stadt zu verlassen.

Damit durfte er gehen. Eine ganze Hölle aber von Wuth und Ingrimm im Herzen, und düsteren Gedanken folgend, wühlte seine Hand, während er über die Straße schritt, wild und trotzig in dem schwarzen struppigen Vollbart, daß ihm die Begegnenden scheu auswichen und ihm nachsahen, so lange sie ihm mit den Augen folgen konnten.

Er befand sich auch in der That in einer verzweifelten Lage; denn was er hier in Peru für Schutz von den Gerichten zu erwarten hatte, davon war ihm eben der vollgültige Beweis geliefert worden. Und was sollte er jetzt thun? Den Räuber in seiner eigenen Höhle aufsuchen und niederstechen? Damit hätte er allerdings seiner Rache genügt, aber für sich auch gar Nichts erreicht; denn es war nicht denkbar, daß er das Gold in seiner Wohnung liegen hatte. Aber selbst wenn das der Fall gewesen wäre, wie blieb ihm nachher Zeit darnach zu suchen? Und wurde er ergriffen, so konnte die Warnung des Advokaten zur Wahrheit werden.

Und in Güte? – Er traute dem Deutschen nicht – wenn er ihm aber nun anbot, die Hälfte des Raubes ungestört und als rechtmäßiges Eigenthum zu behalten, mußte er da nicht mit beiden Händen zugreifen? – Er wollte wenigstens den Versuch machen, und gestand er ihm selbst das nicht zu – dann Auge um Auge, Zahn um Zahn! Und mit dem Entschluß schritt er auf das nicht mehr ferne Haus des Deutschen zu. – Hier erwartete ihn aber eine Ueberraschung.

Kaum näherte er sich der kleinen, grün lackirten Thür, die hinein führte, als von der gegenüber liegenden Seite der Straße ein Polizeidiener, der dort vor einem Bilderladen gestanden hatte, auf ihn zu kam und ziemlich barsch sagte:

»Compañero, wollt Ihr einen guten Rath annehmen?«

»Como no, compañero?« erwiderte der Mexikaner eben nicht in besonderer Laune, »aber ich weiß nicht, daß ich Euch schon darum gebeten hätte.«

»Thut auch nicht nöthig,« lautete die Antwort. »Ihr seid doch der Mexikaner, wie?«

»Ob ich der Mexikaner bin, weiß ich nicht – ein Mexikaner bin ich gewiß. Weshalb?«

»Oh, nur wegen einer Kleinigkeit – wegen dem Hause da. Ich bin hierher gestellt, um Euch abzuweisen, wenn Ihr das erste Mal kommt, und Euch auf die Polizei zu schaffen, wenn Ihr den Versuch zum zweiten Mal machen solltet.«

»Aber ich habe mit dem Sennor da drinnen zu reden.«

»Ja, das glaub' ich Euch wohl,« lachte der Polizeidiener, »aber er nicht mit Euch, und nun tragt Euren Schatten in ein anderes Stadtviertel hinüber, hier habt Ihr Nichts mehr zu suchen.«

»Und wenn ich ihm selbst nur einen Vorschlag zur Güte zu machen hätte – es wäre vielleicht in zehn Minuten erledigt.«

»Er hat mir besonderen Auftrag gegeben, Euch unter gar keinem Vorwand zu ihm zu lassen. Was Ihr von ihm wollt, das sollt Ihr vor den Gerichten anbringen – und so gehört sich's auch, also helfen Euch keine weiteren Redensarten, und nun vamos nos, denn ich möchte hier nicht länger bei Euch in der Sonne stehen bleiben.«

»Also er verweigert jeden weiteren Verkehr mit mir?«

»Na ja, nun fangt Ihr noch einmal von vorne an! Ich dächte doch wahrhaftig, ich hätte deutlich genug gesprochen. Laßt Ihr Euch noch einmal hier am Hause sehen, so werdet Ihr beigesteckt. Habt Ihr das verstanden?«

»Ja wohl, amigo – es war nicht mißzuverstehen; also adios und einen vergnügten Abend auf der Promenade,« und damit rückte der Mexikaner seinen Hut und schritt rasch und trotzig die Straße hinab. –

Von dem Augenblick an ließ er sich nicht wieder in der Gegend der Stadt blicken, ja, er mußte Lima ganz verlassen haben, da ihn keiner der Polizeileute selber nachher mehr zu Gesicht bekam. Bockenheim war übrigens gar nicht böse darüber, denn er behielt jetzt völlig freien Raum, um seine Vorbereitungen zu schleuniger Abreise zu treffen. Er übergab, wie ihm seine Frau gerathen hatte, seine ganze, ziemlich werthvolle Einrichtung einem bekannten Deutschen, der das dafür gelöste Geld dem ***schen Konsul überliefern sollte, und fuhr dann, ohne von irgend wem weiter Abschied zu nehmen, mit seiner Frau und seinem Gold nach Callao hinunter, von wo der englische Dampfer noch an demselben Tage nach Guayaquil, und von da weiter nach Panama abging.

Das war ein wonniges Gefühl, als die Räder des mächtigen Fahrzeuges erst zu arbeiten begannen, der scharfe Bug die Wasser theilte und das Boot das Land immer weiter und weiter zurückließ, bis sie endlich draußen, weit draußen in See auf der blauen Tiefe schwammen.

»Gott sei Dank!« murmelte er leise vor sich hin, als er vorn am Bug stand und mit leuchtenden Blicken die Schnelle beobachtete, mit welcher sich der Dampfer vom Hafen entfernte. »Gott sei Dank, und nun kann Don Felipe, wenn er wieder nach Lima zurückkommt, sich ein Vergnügen machen, mich dort aufzusuchen. Daß der Schuft auch –,« er murmelte das Uebrige nur leise durch die Zähne; denn selbst die neben ihm stehende Frau sollte nicht erfahren, nach welcher Richtung seine Gedanken abschweiften.

Die Fahrt nach Guayaquil war eigentlich eine Vergnügungstour, und die fünf Tage vergingen den Reisenden wie im Flug. Besonders genoß aber Madame Bockenheim dieselben; denn von Niemanden gekannt, war sie hier vollkommen im Stande, die vornehme Frau zu spielen, und that das wirklich nach besten Kräften. Auf der spiegelglatten See und dem geräumigen Fahrzeug wurde natürlich Niemand krank. Damen kleiden sich trotzdem gewöhnlich an Bord außerordentlich einfach, denn sämmtliche Passagiere bilden ja doch, für die Dauer der Reise, gewissermaßen eine Familie, und man ist da nicht gern genirt. Es befanden sich denn auch etwa acht oder neun Sennoritas in der Kajüte – einige davon aus den ersten Familien Lima's und Valparaiso's, auf einer Vergnügungstour nach Europa; aber wirkliche Toilette machten sie auf der ganzen Reise nicht, und gingen nur gewöhnlich in einem ganz einfachen Hauskleid, in dem sie sich frei und bequem bewegen konnten.

Madame Bockenheim strahlte zwischen ihnen; schon zum Frühstück rauschte sie in Seide und Spitzen unter ihnen herum, und zum Diner erschien sie sogar mit ihrem Brillantschmuck und lächelte vergnügt vor sich hin, wenn die anderen Damen leise mitsammen zischelten – war es ja doch nur der blasse Neid, der sie bewegte.

Am fünften Tag erreichten sie Guayaquil, die südliche Hafenstadt Ecuadors; aber die Passagiere bekamen keine Zeit, das Land zu betreten, da sich der Dampfer nur wenige Stunden hier aufhielt, die für Ecuador bestimmten Passagiere absetzte, Andere für Panama an Bord nahm und dann augenblicklich wieder den Strom hinabkeuchte. Der Steward erhielt kaum Gelegenheit, eine Partie der wundervollen Früchte an Bord zu nehmen, die in Canoes an der ganzen Landung aufgeschichtet lagen und die Luft mit ihrem Arom erfüllten.

Eine Menge neues Volk war dadurch an Bord gekommen, besonders aber viel Kajüten-Passagiere, da eine neue Revolution in Ecuador auszubrechen drohte, und manche Ecuadorianische Familien es doch vorzogen, dieselbe in einem anderen Theile Amerika's abzuwarten. Es fehlte dadurch fast an Bedienung an Bord, und besonders mußten alle Aufwärter aus der vorderen Kajüte oder vielmehr dem Zwischendeck herbeigezogen werden, um bei Tisch zu bedienen. Die Zwischendecks-Passagiere mochten sehen, wie sie allein fertig wurden; denn viel Umstände machte man mit denen nicht.

Am besten bedient waren aber, merkwürdiger Weise, die beiden Deutschen an Bord, Bockenheim und seine Frau; denn einer der Aufwärter, den sie bis Guayaquil noch gar nicht an Bord gesehen, nahm sich ihrer an und schien nur auf ihren Wink zu lauschen, um ihnen augenblicklich zu Diensten zu stehen. War es, daß ihm das vornehme Aussehen der Dame imponirte, oder hatte er sich vielleicht kluger Weise eine ihm reich scheinende Familie ausgesucht, um dann nachher von dieser ein desto ansehnlicheres Trinkgeld zu erhalten: genug, wenn er sich selbst am entferntesten Ende des Salons befand und Bockenheim drehte nur den Kopf, so schoß er schon herbei, um seine Befehle zu erwarten und dann mit fabelhafter Schnelle auszuführen.

Leider war der Bursche – Peruaner oder Ecuadorianer ließ sich nicht gut unterscheiden, da man alle möglichen Schattirungen der Haut bei beiden Völkern trifft – vollkommen stumm, eine Unterhaltung mit ihm also nicht möglich, auch trug er um das linke Auge eine schwarze Binde. Ueberhaupt konnte man ihn nicht hübsch nennen, denn eine auffallend dicke Oberlippe gab seinem Gesicht einen merkwürdigen, fast unangenehmen Ausdruck. Aber er blieb die Gefälligkeit und Aufmerksamkeit selber und gewann sich dadurch die Zuneigung der Frau auf das Vollständigste.

Sein Lohn blieb auch nicht aus. Als sie endlich Panama erreichten, wo die Passagiere in den Hôtels den Abgang der »Karavane« erwarten mußten, gab sie ihm selber »für gute Bedienung« ein Zwanzig-Frankenstück, und hatte dafür die Genugthuung, daß er ihr demüthig und dankbar die Hand küßte. Sprechen konnte der arme Teufel ja nicht. Nur seinen Namen hatte er ihnen schon früher einmal aufschreiben müssen. Er hieß Pablo.

In Panama wurden die Reisenden einige Tage aufgehalten; denn die Eisenbahn, die den Isthmus kreuzt, war damals erst im Bau begriffen, und sie mußten deshalb den weit beschwerlicheren und kostspieligeren Weg per Maulthier zu Land bis dahin zurücklegen, wo sie den Chagresfluß erreichten, und dann ihre Reise, diesen kleinen Strom hinab in Canoes, und von der Strömung getragen, bequemer fortsetzen konnten.

Aber selbst nicht ohne Gefahr war dieser erstere Weg; denn amerikanisches Gesindel hatte in der letzten Zeit angefangen, den von Kalifornien zurückkehrenden und meistentheils goldbeschwerten Reisenden aufzulauern und sie zu überfallen und zu berauben. Ja sogar verschiedene Mordthaten waren verübt worden, so daß sich Niemand mehr allein über den Isthmus getraute, sondern die Reisenden, wenn der Dampfer in Panama landete, jedesmal geschlossene und gut bewaffnete Züge bildeten, von denen die Strauchdiebe dann wohl die Hände lassen mußten.

So geschah es auch hier. Der Dampfer von San Francisco hätte eigentlich auch gerade in dieser Zeit eintreffen sollen, war aber ausgeblieben, und da die vom Süden kommenden Passagiere ebenfalls schon einen ganz ansehnlichen Zug stellen konnten, beschlossen sie, nicht auf das Unbestimmte in dem überdies entsetzlich theuren Panama zu warten, sondern ungesäumt ihre kleine Karavane zu ordnen und aufzubrechen.

Das geschah am dritten Tage nach ihrer Ankunft, und so arg mußten es die Isthmus-Räuber doch in der letzten Zeit getrieben haben, daß sich die Neu-Granadiensische Regierung sogar veranlaßt sah, den Reisenden als Schutz eine kleine Abtheilung Kavallerie mitzugeben, um ihre Truppe zu verstärken und sicher zu stellen. Es waren, besonders von Amerika, zu viel Reklamationen eingelaufen, und man wollte doch wenigstens zeigen, daß man den guten Willen hatte, Fremden Sicherheit im eigenen Lande zu gewähren. Viel war es immer nicht, denn bei dem Ueberfall einer größeren Horde hätten sich die Neu-Granadiensischen Soldaten auch wahrscheinlich nicht lange aufgehalten. Was sollten sie ihr kostbares Leben einer Anzahl Fremder wegen aufs Spiel stellen?

Der Trupp war aber doch so zahlreich geworden, daß sie allein durch den Lärm, den sie machten, Achtung einflößen konnten, und mit gutem Muth begannen sie die Tour, die freilich schon an und für sich durch den weichen, morastigen Boden und die ewigen Regen in Mittel-Amerika genug des Unangenehmen bot – ohne noch Räubern und Mördern auf der Straße zu begegnen.

Madame Bockenheim stand aber noch, ehe sie aufbrachen, eine Ueberraschung bevor; denn als an dem Morgen im Hof des Panama-Hôtels die Maulthiere vorgeführt wurden, um beladen zu werden, meldete sich plötzlich der gefällige Kellner vom Dampfboot, der stumme Pablo, bei ihnen und zeigte so viel Freude und machte ihr durch Zeichen so klar, daß er ebenfalls über den Isthmus, und sie unterwegs bedienen wolle, daß sie den Burschen augenblicklich engagirte. Ein treuer Diener war auf einer solchen Reise allerdings von unschätzbarem Werth, und Bockenheim, der mit Maulthieren nicht besonders umzugehen wußte, zeigte sich mit der neuen Acquisition vollkommen einverstanden.

Pablo verstand seine Sache aus dem Grunde. Er sah augenblicklich die Packsättel der Maulthiere nach und warf den einen, der nicht ordentlich aufgelegt schien, ohne Weiteres wieder hinab, um die darunter liegenden Decken frisch zu ordnen, damit die Thiere nicht wund gedrückt würden. Dann sprang er hinauf, um das Gepäck zu holen, und wenn Bockenheim das auch lieber selber besorgt hätte – denn die kleinen Colli enthielten viel Gold und waren schwer – so hatten sie ja doch in so starker Begleitung Nichts zu fürchten, und der arme stumme Mensch konnte auch Nichts ausplaudern, und schien überhaupt sehr stiller, friedlicher Natur.

Durch Pablo's Hülfe gelang es ihm auch weit rascher, mit all' seinen Vorbereitungen zu Stande zu kommen, als das sonst wahrscheinlich der Fall gewesen wäre, und kaum eine Stunde später setzte sich der Zug in Bewegung, um so bald als möglich die Ufer des Atlantischen Ozeans zu erreichen.

Viertes Kapitel.
Auf dem Chagresfluß.

Es war in der That eine mühsame Tour. Wer noch nie diese tropische, dicht bewaldete und von ewigem Regen feucht gehaltene Wildniß durchwandert hat, kann sich wirklich keinen Begriff von den Schwierigkeiten machen, die sich da dem Reisenden entgegenstellen und ihm überall Hindernisse in den Weg werfen.

Die Vegetation ist unglaublich, und während Palmen und Laubhölzer ein anscheinend festes Dach über den Wanderer wölben, daß kein Sonnenstrahl wenigstens auf den Boden fallen, keine frische Brise seine heiße Stirn kühlen kann, läßt es den niederfluthenden Regen in Strömen durch, denn jedes Palmenblatt bildet eine besondere Wasserrinne. Der Boden wird dadurch natürlich fortwährend naß und weich gehalten, sumpfige Strecken durchziehen nach allen Richtungen hin den Pfad, so daß die Maulthiere bald hier, bald da bis über die Knie im Morast versinken und manchmal durch die Treiber selber wieder herausgehoben und auf die Füße gebracht werden müssen. Und dabei dies oft undurchdringliche Unterholz mit dornigen Schlingpflanzen, breiten, nassen Blättern, Palmschößlingen und niederen Büschen, durch das man sich an vielen Stellen die Bahn mit dem Messer oder der macheta hauen muß, und in welchem die Thiere trotzdem überall hängen bleiben.

Kein Wunder, daß man auf solchem Boden nur kleine, sehr kleine Tagereisen machen kann. Den Abend verbringen die total durchnäßten Reisenden dann unter einem von Palmblättern rasch hergestellten und sogenannten Rancho, unter dem sie wenigstens trocken liegen. Außerdem ist auch das Klima so warm, daß ihnen die Nässe selber Nichts schadet, denn Erkältungen kommen dort nicht vor.

Hier aber, im ersten Nachtlager, zeigte sich erst, welchen vortrefflichen Begleiter die Familie Bockenheim auf ihrem Wege gewonnen hatte; denn Pablo schien im Urwald und bei einem niederströmenden Regen unbezahlbar. Ohne dazu beauftragt zu sein, lud er die Maulthiere ab, brachte das Gepäck zusammen auf einen engen Raum, legte die Decken darüber und über diese die Packsättel, und ging dann mit einem kleinen Beil, das er jedenfalls nur zu diesem Zweck bei sich führte, augenblicklich daran, eine Palme zu fällen, die Blätter derselben dann zu spalten und nach einer passenden Stelle zu schaffen, wo er das Lager für seine neue Herrschaft aufzuschlagen gedachte. Rasch hatte er jetzt Pfähle gehauen und in den Boden gerammt, Querhölzer darüber gelegt und deckte die temporäre Hütte dann mit den Palmzweigen so fest und dicht, daß auch kein Tropfen Regen hindurchdringen konnte.

Auch weiche breite Blätter suchte er aus, um ein bequemes Lager zu bereiten, und schichtete sie dick unter dem Palmendach auf, so daß Bockenheim und seine Frau, wie sie nur erst ihr Gepäck an sich genommen und ihre Decken ausgebreitet hatten, so bequem und weich wie in einem Bette lagen.

Dabei sorgte der stumme Diener für Alles, bereitete ihnen das Abendbrod, zog sich dann auf sein eigenes Lager am äußersten Rand des Blätterdachs zurück, und hatte am nächsten Morgen ihre Maulthiere zuerst von allen beigetrieben und gesattelt.

In gleicher Art verbrachten sie das zweite Nachtquartier; dieser Tagemarsch war aber fast noch beschwerlicher gewesen, als der erste, denn ein wahrer Wolkenbruch entlud sich über die Höhen und wandelte die weiche Moorerde zu einem flüssigen Morast, so daß einzelne Maulthiere abgeladen werden mußten, um sie nur wieder aus den Sumpflöchern zu befreien, in denen sie eingesunken waren. Natürlich hielt das die ganze Karavane auf. Die einzelnen Reisenden durften sie doch nicht im Stich lassen, und wenn auch nicht mehr weit vom Chagresfluß entfernt, konnten sie ihn doch nicht an diesem Abend erreichen, und mußten zum zweiten Mal im Walde lagern.

Endlich am dritten Morgen kamen sie in Sicht des Stromes, und Pablo winkte hier seinem neuen Herrn, daß er nur bei dem Zuge bleiben solle, indeß er selber voraus eilte und ein Canoe für sie schaffte. Es gab allerdings eine Menge von Indianern in jener Gegend, die es einträglich gefunden hatten, sich mit dem Transport von Fremden zu befassen; aber es war doch immer besser, sich gleich von vornherein ein Canoe zu sichern, um nicht einmal der Möglichkeit ausgesetzt zu sein, in dieser Wildniß von den Uebrigen zurückgelassen zu werden. Jetzt nämlich, mit dem Strom vor sich, der sie in kurzer Zeit an die Küste bringen konnte, hätte Keiner mehr auf den Anderen gewartet. Es dauerte auch nicht lange, so kehrte Pablo zurück und winkte der Sennora, ihm nur zu folgen. Er mußte jedenfalls ein passendes Boot gefunden haben, säumte auch nicht lange, sondern nahm die Thiere und führte sie eine kurze Strecke stromauf, wo sie schon durch die dort offenen Büsche eine Lichtung mit einer Hütte erkennen konnten.

Dicht darunter lag ein nicht sehr großes, aber bequemes Canoe, das er für sie gemiethet zu haben schien. Der Preis dafür war allerdings, wie er in den Sand schrieb, eine Unze, also sechszehn Dollars, aber auch wieder nicht zu viel, wenn man bedachte, wie gerade dieser Volksstamm durch den zahlreichen Verkehr verwöhnt worden war, hohe Preise zu fordern. Bockenheim zahlte es auch mit dem größten Vergnügen; denn hatten sie doch jetzt die beschwerliche und sogar gefährliche Landreise hinter sich, und durften also hoffen, bald, recht bald das Ziel ihrer Reise zu erreichen. Einmal erst an Bord des Dampfers, und sie waren so gut wie zu Hause.

Und wie glücklich war bis jetzt Alles gegangen. Von Räubern hatten sie auch nicht die Spur unterwegs gesehen, noch weniger irgend eine Unbequemlichkeit von ihnen erlitten. Die Neu-Granadiensische Eskorte nahm hier, mit einer reichlichen Belohnung für die einzelnen Leute, Abschied von ihnen, um eine gerade stromauf gekommene Gesellschaft zurück zu eskortiren. Sie hörten auch hier, daß zwei Dampfer, der eine für New-York, der andere für San Thomas bestimmt, vor Colon lagen. Der amerikanische wartete also auf die San Francisco Mail, der westindische dagegen segelte gleich ab, und je eher sie deshalb hinab kamen, desto besser.

Wenn die Reisenden nun aber auch kein räuberisches Gesindel unterwegs und auf dem festen Land getroffen hatten, so war damit die Möglichkeit noch gar nicht ausgeschlossen, daß sich einzelne solcher Strolche auf dem Chagresfluß selber herumtrieben, und es blieb deshalb gerathen, die Canoes der verschiedenen Parteien dort ebenso zusammen zu halten, wie auf dem Lande ihre Maulthiere. Bockenheim wäre allerdings, da er am ersten mit Pablo's Hülfe reisefertig geworden, auch am liebsten voraus gefahren, denn der Boden brannte ihm hier unter den Füßen; Pablo selber aber rieth ihm durch Zeichen, zu warten, bis die Uebrigen sich ihnen anschließen konnten, und Mittag war es etwa, als sich die kleine Canoeflotte endlich in Bewegung setzte und mit der ziemlich starken Strömung rasch den Fluß hinabglitt.

Der Indianer, dem das von Pablo gemiethete Canoe gehörte, saß am Steuer oder ruderte vielmehr im Stern seines kleinen Fahrzeuges; vor ihm, seine Schätze zu seinen Füßen, saß Bockenheim, dann kam Pablo, der ebenfalls ein Ruder führte, um sie rascher vorwärts zu bringen, und vorn im Bug hatte er der Sennora noch kurz vorher, ehe sie aufbrachen, von breiten Bananenblättern und übergebogenen Bambusstäben ein kleines Zeltdach gebaut, das sie gegen die Strahlen der Sonne oder etwa eintretende Regenschauer vollkommen schützen konnte. Allerdings hatten sich noch einige Reisegefährten als Mitpassagiere gemeldet, weil sie dadurch billiger wegzukommen hofften; Pablo zupfte aber dann jedesmal seinen neuen Herrn verstohlen, um ihm abzurathen, und Bockenheim selber hatte seine besonderen Gründe, keine fremden Menschen in sein Fahrzeug zu nehmen. So blieben sie denn allein und führten auch, von den beiden kräftigen Rudern vorwärts getrieben, bald den ganzen Zug an.

Wie heiß aber die Sonne brannte – Bockenheim briet ordentlich in ihren Strahlen, und der aufmerksame Diener winkte endlich dem Indianer zu und schrie ihn in unartikulirten Lauten so lange an, bis dieser etwas seitab in den Schatten der über den Strom hineinhängenden Bäume hielt. Dadurch kamen sie allerdings aus der eigentlichen Strömung, und andere Canoes gewannen ihnen den Rang ab; aber was schadete das? Sie erreichten doch noch immer zur rechten Zeit die Mündung und konnten indessen wenigstens bequem im Schatten fahren.

Das Canoe aber, das Anfangs das erste gewesen, blieb jetzt mehr und mehr zurück. Pablo schien doch mit Maulthieren besser und geschickter umgehen zu können, als mit einem Ruder. Der Indianer zankte wenigstens ein paar Mal auf ihn ein, wenn er durch irgend ein Versehen den Bug des Fahrzeuges aus seiner Richtung und in irgend ein paar Zweigen oder aushängendem Holz fest brachte, was immer einen geringen Zeitverlust erforderte, um es wieder los zu bekommen. Er nahm aber solche Scheltworte ruhig und demüthig hin, und that nachher sein Bestes, um es wieder gut zu machen.

Die Sonne neigte sich zu ihrem Untergang, aber die Entfernung sollte, nach des Indianers Angabe, gar nicht mehr so weit sein, um nicht wenigstens das kleine Städtchen Aspinwall noch zu erreichen. Der Himmel blieb dazu klar, Mondschein hatten sie ebenfalls, und bei fast windstiller Luft war nicht das Geringste zu befürchten. Sie brauchten ja eben nur mit der Strömung hinabzutreiben.

Es war eine wundervolle Fahrt, und Bockenheims Frau besonders, die nie etwas Aehnliches gesehen, ganz entzückt von der prachtvollen, unbeschreiblich schönen Scenerie. Allerdings sahen sie nicht viel von dem sich an beiden Seiten hinziehenden Wald, denn die ziemlich steilen und schroffen Ufer verhinderten sie daran; aber überall über diese hinaus hingen die herrlichsten Festons blumengeschmückter Ranken, neigten die Palmen ihre gefiederten Wipfel oder schüttelten breitblättrige Bananen ihre zitternden Wedel. Wo aber einmal ein kleiner Bach in den Chagres einmündete oder selbst nur ein Sumpfwasser das, aus dem niederen Land kommend, hier seinen Ausfluß suchte, da überbot die dort wuchernde Vegetation Alles, was die Deutschen bis dahin für möglich gehalten, und diese konnten manchmal einen Ausruf des Staunens und der Bewunderung nicht unterdrücken.

Wie ein kleiner, aus einem Feenmärchen herausgeschnittener Zauberhain lagen zuweilen solche Stellen, mit dem beengten Wasserspiegel in der Mitte und von Palmen und Laubholzgruppen, von Ranken und Lianen wie in einen Rahmen eingefaßt, und ein paar Mal hemmte Pablo selber den Lauf des Canoes, damit sie nicht zu rasch an solch' zauberschönem Bild vorübergeführt wurden.

Allein auch das Materielle verlangte zuletzt sein Recht. Die Natur schien allerdings all' ihre Reichthümer hier auf diese eine Strecke verschwendet zu haben, aber die Reisenden waren trotzdem hungrig und durstig geworden, und wenn sie auch Lebensmittel und Wein im Canoe mitführten, fehlte es ihnen doch an Früchten. Besonders Madame Bockenheim verlangte darnach, Pablo aber winkte ihr zu, sich nur noch einen Augenblick zu gedulden, denn sie würden, wie er mit der Hand zeigte, bald an eine Hütte am Ufer kommen, wo sie deren reichlich fänden.

Sie hatten sich schon so an ihren stummen Diener gewöhnt, daß sie dessen Zeichen so gut verstanden, als ob er mit Worten zu ihnen gesprochen hätte. Uebrigens wollte die Frau auch die Bestätigung, ob es an der nächsten Hütte Früchte gäbe, von dem Indianer hören; dieser lachte nur und nickte mit dem Kopf. Es mochte ihm komisch vorkommen, daß es da keine geben sollte, denn die Leute lebten ja fast einzig und allein davon.

Malerisch genug sahen die einzelnen Wohnungen der Eingeborenen aus, die sie hier und da am Ufer getroffen hatten, von Bambus errichtet, mit Palmfasern oder Blättern gedeckt, und nackte und halbnackte braune Gestalten bemerkten sie auch hie und da unten am Ufer, theils um Wasser zu holen, theils um zu fischen, theils um sich zu baden. Solchen Plätzen darf man aber, einen so romantischen Anstrich sie auch haben mögen, nicht zu nahe kommen; denn der Schmutz in diesen Wohnungen ist wirklich entsetzlich, und Bockenheim selber hatte schon genug von den kalifornischen Indianern in dieser Hinsicht gesehen, um kein großes Verlangen nach dem Besuch einer dieser Baraken zu fühlen. Außerdem durften sie sich auch nicht zu lange aufhalten, denn so eben verschwand das letzte Canoe ihrer kleinen Flotte hinter der nächsten Biegung des Stromes.

Der Indianer sagte ihnen übrigens, daß die kleine Hütte, die sie jetzt vor sich sahen, die letzte am Ufer des Stromes wäre, wo sie Früchte bekommen könnten, da der Chagres von hier ab durch lauter sumpfiges Land ströme. Pablo hatte mit seinem Ruder vorn den Bug auch schon herumgeworfen, daß sie jetzt gerade darauf zu hielten, und wenige Minuten später scheuerte derselbe den weichen Schlamm.

Pablo sollte nun, da er vorn im Canoe saß, hinauf gehen und Früchte holen; er lachte aber verlegen und deutete auf seinen Mund. Wie konnte der arme Teufel dort sagen, was er haben wollte? Bockenheim selber aber hatte keine Lust, das Canoe zu verlassen, und der Indianer wurde deshalb beordert, hinauf zu laufen und mitzubringen, was er rasch finden könne, auch wo möglich einen Trunk Milch für die Frau oder wenigstens ein paar Kokosnüsse. Bockenheim gab ihm dazu einen spanischen Dollar.

In dem schwankenden Canoe konnte er aber nicht gut über die vor ihm Sitzenden wegsteigen, noch dazu da die Laube, unter welcher die Frau ihren Platz hatte, sein Aussteigen hinderte. Pablo stieß deshalb das Canoe wieder zurück und suchte es seitwärts an das Land zu bringen, was ihm auch endlich gelang. Dann sprang er hinaus in das Schlammwasser, ob es ihm auch fast bis an die Hüfte ging, und hielt es fest, damit der Indianer rasch und leicht hinaus und nachher die Früchte auch bequem einladen konnte.

Das Ufer war hier bis an den Strom hinab bewaldet, und nur ein schmaler, ausgehauener Pfad führte an der Uferbank hinauf, in dem der Indianer gleich darauf verschwand, um seinen Auftrag auszuführen.

Pablo indessen, der noch immer im Wasser stand und den Rand des Canoes festhielt, drehte es jetzt so, daß es mit dem Stern oder Hintertheil mehr an's Ufer kam, damit der Steuernde, wenn er zurückkehrte, augenblicklich seinen Platz wieder einnehmen konnte. Bockenheim, der behaglich ausgestreckt in dem kleinen Fahrzeug lag, sah ihm zu und nickte beifällig mit dem Kopf. Die Sonne war schon hinter den Baumwipfeln verschwunden und die Luft dadurch kühl und labend geworden. Und wie still und ruhig die Welt hier schien, kein Lüftchen regte sich, kein Laut wurde gehört, auch keines der übrigen Canoes befand sich mehr in Sicht – sie mußten ihnen ein tüchtiges Stück vorausgekommen sein – aber was schadete das? Vor morgen früh fuhr der westindische Dampfer schwerlich von Colon ab, oder wenn doch, dann lag ja doch noch der nordamerikanische dort, der jedenfalls die Postsäcke von San Francisco erwarten mußte. Den erreichten sie gewiß, und konnten dann ihre Reise mit diesem fortsetzen. Gelegenheit nach Deutschland gab es von da ab genug, und er war unter jeder Bedingung in Sicherheit.

Still vor sich hin lachte er dabei, wenn er an seinen alten Freund aus den Minen, den Mexikaner, dachte, wie der ihn jetzt in Lima suchen und wie wüthend er sein würde, wenn er endlich erführe, daß er da draußen auf dem Meere schwimme. Nach Deutschland mochte er ihm dann folgen; wo sollte er ihn da finden? Und wenn er ihn wirklich fand, welches deutsche Gericht hätte sich auf eine so wahnsinnige Anklage hin seiner angenommen?

Ganz in seine Gedanken vertieft, hatte er gar nicht mehr auf den stummen Diener geachtet, der indessen an Bord gestiegen war, das Canoe etwas heranzog, dann das Ruder in die Hand nahm und nun langsam den Platz einnahm, den der steuernde Indianer vorher inne gehabt. Jetzt setzte er ruhig das Ruder gegen die Uferbank und schob das Canoe leise in den Strom hinaus und vom Lande ab.

»Halt, Pablo,« sagte Bockenheim, ohne aber seine Stellung noch zu verändern, »nimm Dich in Acht; wir werden flott, und ich glaube, Du weißt nicht besonders mit einem Canoe umzugehen.«

Pablo's Augen blitzten von unheimlicher Gluth.

»Doch, Don Gaspard,« lachte er plötzlich mit heiserer Stimme, indem er das Canoe mit einem einzigen kräftigen Ruderschlag bis weit hinaus in die Strömung schießen ließ – »vortrefflich!«

»Alle Teufel!« schrie Bockenheim, in dem ersten Moment mehr davon überrascht, daß der Stumme sprach, als noch mit einem anderen Gedanken beschäftigt, indem er halb herum fuhr und sich auf seinen rechten Ellbogen stützte, um den also entpuppten Diener anzusehen, der aber indeß mit reißender Schnelle das schlanke Fahrzeug von der Landung abführte. Einen raschen Blick hatte dieser dabei über das untere Ufer geworfen, und ein triumphirendes Lächeln zuckte um seine Lippen, als er nirgend mehr ein Canoe am Ufer bemerken konnte. Es bedurfte keiner weiteren Vorsicht, denn seine Bahn war frei.

»Aber Pablo!« rief Madame Bockenheim erschreckt, »der Indianer mit den Früchten ist ja noch auf dem Lande!«

»Kennt Ihr mich nicht, Don Gaspard?« rief da Pablo. »Hat mich die Augenbinde, der abrasirte Bart und das kurz geschnittene Haar so verändert, daß Ihr Euren alten Freund Felipe nicht unter der Maske des Kajütenwärters gespürt habt?«

»Felipe!« schrie der Deutsche, während Todtenblässe seine Züge deckte, »Teufel!« und fast krampfhaft suchte er sich emporzurichten, um den rechten Arm frei zu bekommen und nach seinem Revolver zu greifen; aber der Mexikaner war schneller, als er. Das Ruder in der linken Hand lassend, griff er mit der rechten neben sich und faßte das dort versteckte Beil.

»Räuber und Mörder!« zischte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, »da nimm Deinen Lohn!« Und wie das Beil blitzschnell in die Höhe zuckte, fuhr es zurück und grub sich tief in die Stirn des Unglücklichen, der lautlos, nur mit einem dumpfen Röcheln, vornüber und zu seinen Füßen zusammenbrach.

Einen einzigen gellenden, markdurchschneidenden Schrei stieß die Frau aus, die das Entsetzliche kaum begriff. Aber sie sah den Schlag, der nach ihrem Mann geführt wurde, hörte den dumpfen Laut, als die Waffe seine Stirn traf, und sank ohnmächtig auf ihren Sitz zurück.

Weiter verlangte der Mexikaner Nichts, und sich um die Leiche zu seinen Füßen nicht mehr kümmernd, legte er das Beil wieder neben sich und ruderte dann, langsamer als vorher, den Fluß hinab, um die vorangegangenen Canoes nicht einzuholen. Nur dicht am linken Ufer hielt er sich, damit er von der eben verlassenen Landung nicht mehr gesehen werden konnte, und fühlte sich dabei vollkommen sicher, daß ihm von dort ab, ehe nicht ein Canoe vorüber kam, Niemand im Stande war zu folgen. Am Ufer hin, in Sumpf und Schlingpflanzen, wäre es unmöglich gewesen, den Weg zurückzulegen.

Kaum hatte er aber die nächste Biegung hinter sich und sah die Bahn auch vor sich frei, als er sich nach einem Platz umschaute, an welchem er, von dem Gebüsch versteckt, landen konnte; denn mit der Frau durfte er natürlich nicht nach Colon fahren. Eine solche Stelle zeigte sich auch bald. Dicht unterhalb einer Schlammbank hatte sich eine natürliche kleine Bucht gebildet, die auch jetzt weit genug von der zuletzt verlassenen Hütte ablag, um dort ein Hülferufen nicht mehr zu hören. Wohl durchzuckte ihn der Gedanke, auch die Frau des Verbrechers unschädlich zu machen; denn war sie todt, so konnte sie nicht mehr als Klägerin gegen ihn auftreten – aber er sträubte sich auch gegen den Mord eines Weibes – den Verbrecher hatte seine Strafe ereilt – sie selber trug keine Schuld, und rasch und geschickt lenkte er jetzt den Bug des Canoes mitten in die überhängenden Zweige hinein, und hatte es wenige Minuten später so sicher hinter dem Gebüsch verborgen, daß selbst ein vorbeifahrendes Canoe seinen Versteck nicht hätte finden können.

Die Frau lag noch in ihrer Ohnmacht, und er benutzte die freie Zeit, um den schweren Leichnam des Deutschen ans Land zu heben und zu untersuchen. Den Revolver und die Brieftasche nahm er an sich, das Gold, welches er bei ihm fand, legte er zurück ins Canoe. Das beendet, zog er dem Ermordeten die oberen Kleider aus, band ihm ein Seil, das er bei sich führte, um den Körper, befestigte das Ende desselben im Canoe und ließ dann den Leichnam wieder ins Wasser gleiten, damit die Frau, wenn sie sich erholte, nicht seiner ansichtig würde.

Das geschah indessen rascher, als er selber geglaubt, und wie furchtbar ihr Erwachen war, läßt sich denken. Aber die Angst lähmte ihre Zunge, denn sie sah sich mit dem Furchtbaren allein, und wußte nicht, was nun auch ihr Schicksal sein würde. Felipe bemerkte aber kaum, daß sie zur Besinnung zurückgekehrt sei, als er ruhig sagte:

»Sennorita, Sie haben für sich Nichts zu fürchten, wenn Sie sich still verhalten und nicht wahnsinnig genug sind, Hülfe herbeirufen zu wollen, wo keine zu bekommen ist.«

»Aber mein Mann – mein Mann!« stöhnte die Arme.

»Er war ein Schurke!« rief der Mexikaner finster, »und alles Gold, das er mit nach Peru gebracht, nur der Raub, den er mir abgenommen, als er mich meuchlings im Kalifornischen Walde überfiel. Er hat seine Strafe erhalten – die Alligatoren des Chagres verzehren jetzt schon ihre Beute.«

»O mein Gott! O mein Gott!« winselte die arme Frau, »und was wird jetzt aus mir?«

»Wenn Sie mir das Versprechen geben,« sagte der Mexikaner, »daß Sie sich heute, an der Stelle auf welcher ich Sie hier aussetzen muß, vollkommen ruhig verhalten wollen, so werde ich Ihnen Geld genug geben, um Ihre Rückfahrt zu decken. Es ist mehr, als Ihr Mann damals für mich gethan. Morgen früh kehren dann die Canoes zurück, die jene Passagiere nach Colon gebracht haben – die mögen Sie anrufen und um Hülfe bitten. Auch Lebensmittel sollen Sie da behalten, um davon zu zehren; ich habe keine Vergeltung an Ihnen zu üben, nur an dem Verbrecher.«

»Und hier, in dem furchtbaren Sumpf soll ich allein zurückbleiben?« stöhnte die Frau entsetzt.

»Es geschieht Ihnen Nichts,« lachte der Mexikaner bitter; »halten Sie sich nur ein wenig vom Ufer ab, daß Sie nicht in der Nacht mit einem Alligator zusammentreffen, dann haben Sie nichts zu fürchten; aber,« setzte er drohend hinzu, »wagen Sie es, auch nur einen Hülferuf auszustoßen, dann sind Sie verloren. Gleich unterhalb dieser Stelle werde ich selber bis Mitternacht versteckt bleiben, um dann nach Colon herunter zu fahren. Höre ich einen einzigen Laut, dann haben Sie kein Erbarmen mehr zu hoffen; denn ich darf mich selber keiner Gefahr aussetzen.«

Noch während er sprach, hatte er die Frau ans Land geführt und ihre Sachen, die er recht gut kannte, aus dem Canoe geschafft, ebenso fast Alles, was sich an Lebensmitteln im Fahrzeug befand. Die Frau war auf den Boden gesunken und barg ihr Antlitz in den Händen. Leise schob indessen der Mexikaner das Canoe wieder vom Land ab und schleifte den daran hängenden Körper hinter sich her, bis in tiefes Wasser. Die Frau regte sich nicht. Wenige Minuten später befand er sich draußen in der Strömung, durchschnitt das Seil, das den Leichnam hielt, und glitt jetzt, so rasch ihn das Ruder fördern konnte, den Strom hinab.

Dort galt es allerdings, vor allen Dingen die Blutspuren im Canoe fortzuschaffen, damit diese nicht einen Verdacht gegen ihn wecken konnten. Das that er, während er, von der Strömung getragen, weiter trieb mit den dem Deutschen abgenommenen Kleidungsstücken, die er nachher ins Wasser warf. In kaum einer halben Stunde, und noch vor oder mit eben einbrechender Dunkelheit, war er fertig und hatte sein Canoe wieder so sauber und blank gewaschen, daß man auch nicht das mindeste Außergewöhnliche mehr daran erkennen konnte. Er dachte aber gar nicht daran, sich in der Nähe der am Ufer zurückgelassenen Frau versteckt zu halten; die Drohung sollte nur dazu dienen, sie einzuschüchtern, damit sie nicht vor der Zeit doch noch Hülfe herbeischrie und unbequeme Verfolger auf seine Fährte setzte. Jetzt hatte er deshalb Nichts weiter zu thun, als den Canoes der übrigen Passagiere auszuweichen, und in Nacht und Dunkelheit war schon keine Gefahr mehr, mit ihnen zusammenzutreffen.

Wer von diesen bekümmerte sich aber auch um andere Passagiere, noch dazu um die Deutschen, mit denen sie wenig oder gar nicht an Bord verkehrt? Ein Theil von ihnen beabsichtigte, direkt nach New-York, ein anderer nach San Thomas zu fahren; es fragte Keiner von Allen darnach, wohin sie sich gewandt.

Der Mexikaner erreichte Colon etwa um elf Uhr Abends, gedachte aber nicht, an der Stadt anzulegen, und fragte nur einen Fischer, den er noch an der Mündung des Stromes mit seinen Netzen beschäftigt fand, ob er wisse, welcher der beiden dort südlich von ihnen liegenden Dampfer zuerst abfahren werde.

»Caramba, Señor, seht Ihr denn das nicht?« lachte der Mann. »Der eine raucht ja schon aus Leibeskräften. Wenn Ihr da noch an Bord wollt, müßt Ihr machen.«

Felipe verlangte nicht, mehr zu hören; er legte sich scharf ins Ruder, und war bald langseit des Dampfers, wo sich die Matrosen, die sein Gepäck an Bord zu nehmen hatten, nicht wenig über das Gewicht der beiden kleinen Koffer wunderten. Aber Niemand fragte ihn, woher er käme, oder achtete darauf, daß er vorn ins Zwischendeck ging und dort seine Passage nahm. Nur bei dem Clerk des Dampfers mußte er sich melden und diesem die Fahrt nach San Thomas, wo das englische Boot zuerst anlegte, zahlen.

Andere Passagiere trafen noch ein, aber Alle für die Kajüte, Keiner von Allen kam nach vorn, und als um zwölf Uhr die Räder anfingen zu arbeiten, der schwere Anker aus der Tiefe kam, saß Felipe in Sicherheit vorn auf der Back des Fahrzeuges und schaute mit finster zusammengezogenen Brauen nach der Mündung des Chagresflusses, der sein Opfer barg, hinüber.

Am nächsten Morgen schien ganz Colon in Aufregung; denn ein Indianisches Canoe war mit der Frau des Ermordeten eingetroffen, und die Polizei augenblicklich auf den Füßen – aber zu spät. Der nordamerikanische Dampfer sollte San Thomas anlaufen, um den Verbrecher dort aufzuspüren, aber der Kapitän weigerte sich; es war ein Postschiff, das seine Zeit einhalten mußte und sich nicht tagelang aus dem Wege fahren konnte. Die Frau wollte er nach New-York mitnehmen, weiter konnte er nichts für sie thun.

Es hätte ihnen auch Nichts genützt; denn vor San Thomas kreuzen, sobald der englische Dampfer anlegt, augenblicklich eine Menge kleiner Segelfahrzeuge nach den verschiedenen Inseln, ja selbst nach Venezuela ab; und wer hätte nachher sagen können, welches von allen der Flüchtige benutzt hatte, um vor der Hand nur erst einmal die Verfolger von seiner Spur abzubringen? Er war fort und in Sicherheit mit seinem Raub, und die Frau des Schuhmachers kehrte später mit dem kleinen Kapital, das sie in ihrem eigenen Koffer geborgen, nach Deutschland zurück. Allerdings gewann sie noch eine Summe aus dem Erlös ihrer Brillanten, die ihr der Mexikaner gelassen, oder an die er wohl nicht einmal gedacht, und nahe an tausend Thaler lieferte auch noch die später in Lima verkaufte Einrichtung; aber wie anders hatte sie geglaubt, das Vaterland wieder zu betreten!

Sie gab auch, dort angekommen, die Hoffnung noch nicht auf, den Mörder zu erreichen. Augenblicklich machte sie die Anzeige, und der ***sche Gesandte in Mexiko, wie die verschiedenen Consuln, bekamen bestimmten Auftrag, nach demselben zu forschen, daß man nur erst einmal seinen Aufenthalt erfuhr. Es blieb vergeblich. Ob Felipe Corona gar nicht wieder nach Mexiko zurückgekehrt war? Seine Spur wurde nie wieder aufgefunden.

Ein prize-fight oder Boxerkampf
in Cincinnati.

Als ich nach Cincinnati kam, beschäftigte die dortige Presse in dem Augenblick fast einzig und allein ein in den nächsten Tagen abzuhaltendes Preisboxen, das zwischen zwei berühmten Boxern Jones und McCoole stattfinden sollte. Wahlen, indianische Ueberfälle im Westen, Alles war in dem einen, zu erwartenden Genuß vergessen, und dabei wurde diese von den Gesetzen doch so streng verbotene Sache mit einer so naiven Oeffentlichkeit betrieben, daß es besonders den Fremden in Erstaunen setzen mußte. Ueberall klebten die Zettel, die mit der Abbildung beider Kämpfer zur Theilnahme aufforderten, und Jones besonders, von dem man wußte oder wissen wollte, daß er die science of the art auf das Gründlichste verstehe, gab schon vorher eine Art von Vorstellung in der »Mozart-Halle,« die dann auch bei dichtgedrängtem Hause stattfand.

Der Tag kam, und anstatt Eintrittskarten wurden weiße und lila Bänder verkauft (der Preis für ein lila Band für den inneren Ring à 7 Dollars), die zugleich für freie Passage auf dem Extrazug galten. Aber Niemand wußte, wo der Kampf stattfinden sollte, als die wenigen Eingeweihten, und die Polizei mußte jetzt doch einschreiten und Jones verhaften, der aber augenblicklich wieder auf Bürgschaft entlassen wurde, als er sich verbindlich machte, den Frieden des Counties, in welchem Cincinnati lag (Hamilton county) nicht zu stören. Ueber die Grenzen desselben hinaus hatte die Polizei keine Macht. Allerdings wußte man, daß der Preiskampf nichtsdestoweniger an der Grenze stattfinden würde, aber Niemand natürlich, nach welcher Himmelsrichtung, und man ließ der Sache eben ihren Lauf, ja kehrte sich sogar nicht daran, als Zeit und Bahnhof genau angegeben und von jedem Theilnehmer gekannt waren.

Die Abfahrt sollte Morgens halb zwei Uhr stattfinden und fünfzehn jener riesigen amerikanischen Eisenbahnwagen standen bereit, die Zuschauer an den Ort ihrer Bestimmung zu schaffen. Es wurde aber fast drei Uhr, ehe der Zug abging, und die Wägen fanden sich dann auch gestopft voll Menschen. Nicht allein die Sitze waren überfüllt, nein in jedem Wagen standen auch überdieß noch 25-30 unglückliche Individuen, von denen Viele wohl die ganze vorherige Nacht durchgeschwärmt hatten und vor Müdigkeit nicht mehr die Augen aufhalten konnten.

Der Zug konnte nicht rasch vorrücken, denn der Verkehr auf der Bahn ist ein sehr starker, und nur zu oft mußten wir halten, um regelmäßige Züge, die sich eben so regelmäßig verspätet hatten, durchzulassen. Endlich nach sechs Uhr erreichten wir den Platz – ein kleines, parkartiges Gehölz, das zu der Farm eines Baptistenpredigers gehörte und zu dem Zweck von ihm gemiethet war. Einige der Passagiere wunderten sich darüber, daß der Geistliche sein Grundstück zu einem, noch dazu durch das Gesetz verbotenen Boxerkampf hergeben sollte, Andere aber vertheidigten ihn wieder und behaupteten, er würde keineswegs gewußt haben, wozu man es gebrauchen wolle. In Amerika ist aber, noch dazu bei der Aussicht, Geld zu verdienen, Alles möglich, und so gut wie jetzt die Methodisten in Omaha ihre kleine Kirche auf zehn Jahre an einen deutschen Wirth verpachtet haben, um für diese Zeit eine Bierhalle daraus zu machen, eben so gut konnte der Baptist auch das kleine Gehölz einmal auf ein paar Stunden für einen Schauplatz roher Brutalität vermiethen und sicherlich nicht mehr in der kurzen Zeit damit verdienen.

Doch dem sei, wie ihm wolle. Wir waren da, und kaum hielt nun der Zug, als das wilde blutdürstige Volk schon wie ein Schwarm von den Wägen hinabsprang und sich über die unter ihm zusammenbrechende Fenz warf, um einen »guten Platz« zu bekommen und den Kämpfenden so nahe als irgend möglich zu sein. Ja, damit waren Viele noch nicht einmal zufrieden, und wie sie nur das kleine Gehölz erreichten, suchten schon Hunderte an den nächsten Bäumen emporzuklettern, um von denen aus keinen Moment des »interessanten Kampfes« zu versäumen. Vielen gelang das auch, und einzelne kleine, leicht zu ersteigende Bäume waren im Nu mit Menschen gefüllt, die oft in lebensgefährlicher Weise bis in die äußersten Zweige hinauskletterten und dort hängen blieben. Andere, als sie dort keinen Platz mehr fanden, versuchten sich an dickeren Bäumen, und Manche entwickelten dabei eine erstaunliche Fertigkeit. Wehe aber dem armen Teufel, dessen Kräfte unterwegs nachließen – Aller Augen, da es noch weiter nichts zu sehen gab, hingen an ihnen, und wie sie nur hielten, ertönten schon spöttisch ermuthigende Zurufe, die sich aber zu einem indianischen Geheul steigerten, sobald der Unglückliche, mit hochhinaufgerutschten Hosen, seinen nicht mehr zu verheimlichenden Rückweg begann.

Indessen wurden Anstalten gemacht, um den sogenannten Ring aufzuschlagen, was aber durch die augenblicklich herbeidrängenden Menschen zur Unmöglichkeit wurde. Außerdem war der Boden hart und trocken und die Pfähle ließen sich nur sehr schwer eintreiben. Es dauerte auch in der That eine volle Stunde, bis man die wie wahnsinnigen Menschen nur so weit zurücktreiben konnte, um die Arbeit in Angriff zu nehmen, und weder Vernunftgründe noch Gewalt schienen bei ihnen etwas auszurichten. Sehen wollten sie – Alles sehen, wofür sie ihr Geld bezahlt, und nur erst, als sie doch wohl einsahen, daß in solcher Weise der Kampf nie stattfinden könne, gaben sie endlich nach.

Die Pfosten wurden etwa 12 Fuß von einander eingetrieben, so daß sie ein etwa 18 Fuß im Quadrat haltendes Viereck umschlossen, und dann mit festen Tauen so gut als möglich zusammengeschnürt. Die Taue mußten auch dazu dienen, die Kämpfer, wenn sie dagegen geworfen würden, aufrecht zu halten.

Dicht – so dicht als möglich um das Viereck lagerten aber die Zuschauer, und da sich etwa 3000 von diesen auf dem Plan befanden, so wäre es später für die hinten Stehenden nicht möglich gewesen, auch nur einen Blick in den Ring zu werfen. Dafür mußte Abhülfe geschafft werden, und es begann jetzt von Neuem die sehr undankbare Arbeit, die Menschenmasse, die sich sicher im Besitz eines guten Platzes fühlte, wieder eine ganze Strecke zurückzutreiben und nicht allein einen größeren Kreis, sondern auch einen freien Platz um den Ring zu bekommen.

Auch dieß geschah endlich, nachdem ein Zeitungsredakteur, von Chicago, glaub' ich, der besonders zu dem Zweck hierher gekommen, eine Rede an das »Volk« gehalten und ihm damit gedroht hatte, daß der Kampf (the fight) unter keinen Umständen stattfinden könne, wenn sie nicht den Anordnungen der Kommission Folge leisteten. Widerstrebend gaben sie endlich Raum, aber nur Zoll für Zoll, bis sie endlich etwa zehn Schritt freie Bahn zwischen sich und dem Kampfplatz hatten. Dann wurden die ersten fünf bis sechs Reihen beordert, die Ersten sich zu lagern, die Anderen zu knieen, und wenn dann die Hintersten aufrecht standen, konnte jeder an dem Genuß Theil nehmen.

Bis dahin war es etwa zehn Uhr geworden und das Publikum hatte, einzelne kleine Zwischenfälle abgerechnet, gar kein Vergnügen, denn die Kampfrichter konnten sich noch nicht über einige Formalitäten einigen. Für Zwischenfälle sorgten aber die auf den Bäumen sitzenden Zuschauer, denn mehr und mehr kletterten hinauf, und hie und da knackte ein Ast, was die dadurch Bedrohten zwang, ihr Heil in der Flucht zu suchen. Ein paarmal brach auch ein zu sehr beladener Ast und die darauf Sitzenden stürzten dann, zum Jubel der ganzen Versammlung, auf den Boden nieder – glücklicherweise ohne ernstlichen Unfall.

Auch einige Streitigkeiten kamen vor, denn die Herren in den Bäumen kauten sehr natürlich, nach amerikanischer Sitte, Tabak und mußten ausspucken, und das konnte eben so selbstverständlich nur nach unten geschehen. Von unten wurde dann hinaufgedroht und von oben heruntergelacht, und die Sache blieb beim Alten.

Endlich – es war fast elf Uhr geworden – gerieth die Menge in Bewegung. »Sie kommen!« so lief der Ruf durch die Versammlung, und nach kurzer Zeit erschien einer der Kämpfer auf dem Schauplatz. Schon ehe er denselben erreichte, warf er, nach alter Boxersitte, seinen runden Hut voran und hinein, und ein Jubelschrei begrüßte ihn. Es war der Engländer Jones, eine breitschultrige, derbknochige, aber gemein aussehende Gestalt, doch anständig gekleidet und nur mit einem breiten, ausdruckslosen und jetzt augenscheinlich bleichen Gesicht und kleinen Augen. Er schien grüne Handschuhe zu tragen.

Ohne Aufenthalt kroch er unter den Tauen durch in den »ring« und nahm, da er die Wahl der Ecken hatte, seinen Platz in der einen, oberen, wo schon ein Stuhl für ihn bereit gestellt war. – Auch seine beiden Sekundanten, allem Anschein nach der untersten Schicht der Gesellschaft angehörend, kamen jetzt herzu, und nachdem sie sich die bezeichnenden seidenen Binden um die Hüften gelegt, als Zeichen, welcher Partei sie zugehörten, hielt der Eine von ihnen einen ausgespannten Regenschirm über Jones, um ihn gegen die Strahlen der schon ziemlich heiß brennenden Sonne zu schützen. – Es war ein rührendes Bild.

Jetzt aber brach ein wilder Jubelsturm los, denn ein guter Theil der Anwesenden schien dem irischen Volksstamm anzugehören, und der Hut McCoole's, des Iren, flog wirbelnd in den Ring, während die riesige Gestalt desselben keck und wie siegesgewiß demselben folgte und seine Freunde lächelnd begrüßte.

Ich selber zweifelte in dem Augenblick keinen Moment mehr, wer von Beiden Sieger des heutigen Tages bleiben würde – Jones oder McCoole.

Der Ire nahm die andere Ecke ein. Es war eine hohe, mächtige Gestalt, über sechs Fuß, mit breiter Brust, aber einem rohen, wüsten Ausdruck in den Zügen. Er ging in einen dicken Rock fest eingeknöpft und hatte noch außerdem, und trotz der Hitze, einen wollenen Shawl um den Hals geschlagen.

Auch seine beiden Sekundanten gesellten sich, unter den nämlichen Vorbereitungen, zu ihm und Beide verharrten dann wohl volle zehn Minuten, vielleicht länger, in ihrer Stellung, nur dann und wann Einer nach dem Andern einen verstohlenen Blick hinüber werfend, um die Chancen des Kampfes vielleicht zu berechnen.

Endlich warf Jones seinen Rock ab und löste sich das Halstuch, welchem Beispiel gleich darauf sein Gegner folgte. Die Sekundanten waren dabei beschäftigt, ihnen die Schuhe aus- und ein Paar Halbstiefeln anzuziehen, an denen sich, wie bei Steigeisen, scharfe Spitzen befanden, um ihr Ausrutschen auf dem Rasen zu verhindern.

Wieder eine kurze Pause. McCoole hatte ein paar Worte mit seinen Sekundanten gewechselt und die Kampfrichter wurden auf die grünlichen Hände Jones' aufmerksam gemacht, die man Anfangs für mit Handschuhen bedeckt angesehen hatte. Es scheint, daß McCoole den Verdacht geäußert, sie könnten mit einer giftigen Substanz versehen sein. Jones wurde deßhalb von dem vorhandenen Arzte, nachdem dieser sie berochen – was genau so aussah, als ob er dem Preisboxer die Hand küßte – aufgefordert, daran zu lecken. Er that das auch lächelnd und mit so augenscheinlich gutem Willen, daß jeder Verdacht schwinden mußte. Es war nur eine bei Preisboxern nicht seltene Gerbestoffmasse, mit welcher er die Hände angestrichen hatte, um die Haut fester zu machen und sie bei einem schweren Schlag nicht so leicht zu gefährden.

Jetzt wurden den beiden Kämpfern die Beinkleider ausgezogen, unter denen sie kurze Hosen und lange Strümpfe trugen. Und nun erst erhob sich Jones und dann McCoole, warfen ihre Oberhemden ab und zeigten die breite nackte Brust, wie den muskulösen Bau der Schultern.

Jones' Oberkörper war weiß und glatt, auch mehr fleischig, McCoole dagegen mit dichten schwarzen Haaren bedeckt, und so standen sie sich einen Augenblick gegenüber. Dann plötzlich schritt McCoole auf den Gegner zu und reichte ihm die Hand, die dieser nahm und hielt, während die Sekundanten jetzt auch ihrerseits die Hände über denen der Gegner kreuzten, so daß die Sechs zusammen für wenige Sekunden in einem Ring standen. Der aber löste sich sehr bald wieder, und jetzt rückte der eigentliche Moment heran, dem heute ja Alles entgegenstrebte: der wirkliche Kampf.

Beide Gegner waren noch einen Moment zu ihrem alten Stand zurückgetreten, jetzt schritt McCoole langsam wie ein Bär aus seiner Höhle vor und rascher folgte Jones seinem Beispiel. Der Letztere hielt aber ein kleines Packet Banknoten, sogenannte Greenbacks, in der Hand und forderte jetzt McCoole keck heraus, hundert Dollars gegen die seinigen zu setzen, daß er ihn zuerst zu Boden schlagen würde.

McCoole erwiederte kopfschüttelnd, daß er kein Geld mehr habe, einer der Zuschauer aber nahm die Wette auf und das Geld wurde deponirt.

Mir gefiel Jones' ganzes Auftreten nicht. Selbst die anscheinende Zuversicht, mit welcher er die Wette anbot, kam mir so vor, als ob Jemand aus lauter Verlegenheit lacht. Aber es blieb keine Zeit, weitere Beobachtungen zu machen, denn die Sache wurde Ernst. Die Sekundanten hatten Beiden noch einmal Brust und Arme abgerieben, etwa genau so, wie man ein Pferd abreibt, um seinen Muskeln mehr Geschmeidigkeit zu geben, und jetzt wurden sie, wie bissige Köter, gegeneinander losgelassen.

McCoole schien sich dabei mehr auf die Vertheidigung zu halten; er hatte wahrscheinlich zu viel von Jones' Kunstfertigkeit und Gewandtheit gehört und wollte sich nicht leichtsinnig einer Gefahr aussetzen, während Jones dagegen augenscheinlich bemüht war, den ersten Schlag anzubringen. Den führte er auch, aber McCoole parirte ihn. Beide gaben dabei ihren Armen freies Spiel, jetzt zu einem Scheinangriff ausfallend, jetzt zurückweichend, bis Jones eine Blöße McCoole's zu benützen suchte. Aber er hatte sich darin geirrt; der Schlag glitt ab und wurde rasch erwiedert, Jones parirte auch diesen und holte wieder aus, als McCoole's rechte Eisenfaust ihn gegen das linke Auge traf und wie einen Sack zu Boden warf.

Ein wahres Jubelgeheul machte die Luft erbeben. Im Nu aber sprangen die Sekundanten hinzu und hoben nicht allein Jones auf, um ihn zu seinem Stuhl zu tragen, nein, thaten auch das Nämliche mit dem völlig ungeschädigten McCoole, der es sich ruhig gefallen ließ. Beider Gesicht wurde dann rasch mit kaltem Wasser abgewaschen, Jones schon mit Blut unterlaufenes Auge besonders aufmerksam, und während das der Eine that, schob der Andere seinem Kämpfer etwas in den Mund, das wie ein Schwamm aussah und vielleicht etwas Stärkendes oder Erfrischendes enthielt. Es wurde ihnen auch nicht viel Zeit dabei gelassen, denn die Pausen zwischen den einzelnen Gängen oder rounds dürfen den hierbei gültigen Gesetzen nach nur genau 30 Sekunden dauern, wozu ein Mann mit einer Sekundenuhr in der Hand fortwährend neben dem Kampfrichter steht. Wer von den Kämpfern nach 30 Sekunden nicht wieder in der Arena steht, wird als besiegt erklärt – und wie rasch vergehen 30 Sekunden!

Jones stand zur bestimmten Zeit wieder auf den Füßen und McCoole gegenüber, aber es sah so aus, als ob er scheu geworden wäre, und er zeigte sich jedenfalls lange nicht so geneigt mehr, als beim ersten Gang, mit dem gefährlichen Gegner anzubinden. Desto weniger Zeit aber verlor McCoole und nach kaum einer halben Minute, in welcher Jones ein paarmal auswich, konnte er sich zuletzt nur dadurch vor einem gefährlichen Schlag des Iren retten, daß er sich wieder rasch zu Boden warf.

Neues Geheul und stürmischer Jubelruf von allen Iren und Denen, die auf McCoole gewettet hatten, erfüllte die Luft, und wieder wurden beide Kämpfer zu ihren verschiedenen Sitzen zurückgetragen und genau so behandelt als vorher – wieder standen sie sich 30 Sekunden später kampffertig gegenüber. Aber es war jetzt kaum noch ein Zweifel, wer von ihnen Sieger bleiben müsse. McCoole ging scharf und keck vor, Jones hatte alle Zuversicht verloren und nur noch eine Hoffnung – nämlich die, durch ein paar kunstgerechte Schläge die Augen des Gegners zu treffen, wonach er diesen dann leicht so lange aufhalten konnte, bis das Anschwellen der weichen Theile um die Augen ihn zeitweilig erblinden machte. Aber darin hatte er den Nachtheil, daß er wenigstens fünf Zoll kleiner als sein Gegner war und deßhalb zu hoch mit seinen Armen hinauflangen mußte. Als er so in die Höhe reichte, erhielt er einen furchtbaren Schlag in die Seite, der ihm zwei Rippen knickte, und nun war es vorüber. Noch viele Gänge hatten sie, und einmal ermannte sich Jones, hielt Stand und versetzt McCoole einen entsetzlichen Schlag gegen die rechte Seite des Kopfes, der auch aus seinem Auge Blut brachte, aber McCoole schlug ihn gleich dafür wieder zu Boden und weigerte sich sogar, von dem Kampf erregt, getragen zu werden. Er schritt selber leicht zu seinem Stuhl zurück.

Noch erhielt Jones, der Muth und Kraft verloren hatte, einen Schlag gegen den Körper, der genau so klang, als ob man mit einem Hebebaum auf einen Wollsack schmetterte, aber es bedurfte dessen kaum noch, denn bei ein paar Gängen mußte er sich zu Boden werfen, ohne nur berührt zu sein, um einem furchtbaren, nach ihm gerichteten Schlag auszuweichen. Hatte er doch die Kraft verloren, ihn zu pariren. Es war dann ein scheußlicher Anblick, wenn der überdieß nicht hübsche Bursche, mit den blutunterlaufenen Augen und bleichen Zügen, aber lächelnd zu seinem Sieger aufblickte, als ob er sagen wollte: Siehst Du wohl, dießmal bin ich Dir doch noch ausgewichen. Aber McCoole blickte nur verächtlich auf ihn nieder und schritt zu seinem Stand zurück, denn kein Schlag darf geführt werden, wenn der Gegner am Boden liegt.

Noch zwei Gänge und der entscheidende Schlag fiel. Jones war augenscheinlich zur Verzweiflung getrieben. Er fühlte, daß er nicht lange mehr aushalten könne, und machte einen verzweifelten Angriff auf den Iren. Das aber bekam ihm schlecht. McCoole war auf seiner Hut und ein Schlag gegen den Hals oder untern Theil des Gesichts – es ließ sich das in der Schnelligkeit nicht so genau bestimmen – schmetterte Jones mit solcher Gewalt zu Boden, daß ihm der Kopf auf die Seite sank.

Er wurde augenblicklich wieder auf seinen Stand getragen, aber er war nicht im Stande, sich in der kurzen Frist von 30 Sekunden zu ermannen, hatte auch vielleicht, den Hieben gegenüber, keine besondere Lust dazu. Dreißig – fünfunddreißig Sekunden verflossen, und jetzt schmetterte das Siegesgebrüll der Irländer durch die Luft, und Alles sprang jauchzend in den Ring, um den Sieger zu begrüßen – oder auch vielleicht um zusehen, wie er seinen Gegner zugerichtet habe.

Viele stimmten freilich nicht mit in das Siegesgeschrei ein, und zwar aus dem sehr triftigen Grunde, weil sie bedeutende Summen – man sprach sogar von sehr bedeutenden, die gewettet worden – verloren hatten. So soll ein Mann allein über 50,000 Dollars auf ihn verloren haben. Nur die Gleichgültigen eilten, so rasch sie konnten, nach den schon ihrer harrenden Wagen des Extrazugs zurück, um Sitzplätze zu bekommen und die Stehplätze dießmal Denen zu überlassen, die hoch oben in den Bäumen saßen und nicht so rasch heruntergleiten konnten, und nach kaum einer halben Stunde setzte sich der Zug langsam wieder in Bewegung.

Vorher war aber schon der wieder zum Bewußtsein gekommene Jones in einen Wagen gesetzt worden und abgefahren, und als wir nach etwa zehn Minuten wieder hielten, überholten wir diesen. McCoole selber war mit im Zug, aber er stieg aus und ging zu Jones' Wagen, in welchem dieser mit verbundenem Kopf saß, und reichte ihm dort hinein die Hand.

Zugleich ging im Zug das Gerücht um, daß Jones selber eine ziemlich große Summe bei dem Kampf gewettet und verloren habe, und daß man unterwegs für ihn sammeln würde. Es dauerte auch nicht lange, so kam McCoole selber, das breite, gemeine Gesicht wohl etwas geschunden, aber sonst allem Anschein nach völlig unverletzt, durch unsern Waggon. Vor ihm ging einer seiner Sekundanten, ein Papier in der Hand, um zu Unterschriften aufzufordern, hinter ihm McCoole mit seinem schwarzen breitrandigen Hut in der Hand, um kleinere Gaben gleich einzukassiren. Aber der Erfolg scheint kein besonders glänzender gewesen zu sein, – wer auf Jones gewettet und verloren hatte, fand seinen Geldbeutel schon genug in Anspruch genommen. Wer gegen ihn gewonnen, gab wohl etwas, und eine kleine Summe kam dadurch zusammen. Es ist auch in der That eine starke Zumuthung, einem besiegten Preisboxer noch Almosen zu geben; die giebt man doch lieber einem braven, hülfsbedürftigen Arbeiter.

So endete dieser wirklich berühmte Zweikampf, der auch in der That einiges politische Interesse hatte, da er, in damaliger Zeit gerade, zwischen einem Irländer und Engländer stattfand und dadurch schon die Sympathieen der Amerikaner für den Iren erweckte. Welchen Antheil man aber daran nahm, geht schon daraus hervor, daß der Kampf etwa 16 Minuten nach elf Uhr zu Ende kam und um zwölf Uhr – ja noch einige Minuten früher – schon die Zeitungen ausgegeben und von Jungen durch die Straßen geschrieen wurden, in welchen ein zwar flüchtiger, aber doch wahrer Bericht über den Kampf gedruckt stand. Hatte man doch zu dem Zweck einen Telegraphenapparat mit dem Draht dort in Verbindung gebracht, um auch nicht einen Augenblick Zeit zu verlieren, die werthvolle Nachricht zu verbreiten und einem Jeden zugänglich zu machen.

Mir selber war das ganze Schauspiel, als überhaupt etwas Neues und in den Zweck meiner Reise einschlagend, interessant genug, aber es ist jedenfalls ein Beweis großer Brutalität, etwas Derartiges mit solchem Pomp und Spektakel und solchen Vorbereitungen zur Schau zu tragen. Uebrigens zeigten die Deutschen in Cincinnati deutlich genug, daß sie keine Freude an einer solchen Bestialität finden, denn nur sehr Wenige waren draußen, und ich bin auch ziemlich fest überzeugt, daß keiner von ihnen einen Cent auf solche Menschenschinderei gewettet hat.

Leipzig, Druck von Giesecke & Devrient.

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mit folgenden Ausnahmen,

Seite 6:
"Missisippi" geändert in "Mississippi"
(vom anderen Ufer des Mississippi eine Versammlung)

Seite 13:
"," eingefügt
(rief der Major, »Sie reden gerade)

Seite 22:
"." eingefügt
(seinen Besuch nicht erwartet haben. Aber was ging)

Seite 26:
"enfernteste" geändert in "entfernteste"
(auf das Bett in die entfernteste Ecke des Hauses gelegt)

Seite 34:
"Furche-la-fave" geändert in "Fourche-la-fave"
(Am Fourche-la-fave änderte sich in der nächsten Zeit)

Seite 40:
"zn" geändert in "zu"
(von den Frauen selbst verhöhnt zu werden)

Seite 40:
"," eingefügt
(rief der alte Mann,)

Seite 47:
"bisjetzt" geändert in "bis jetzt"
(die sich bis jetzt der Einberufungs-Ordre entzogen)

Seite 50:
"Bushwacker" geändert in "Bushwhacker"
(bekamen aber auch die Bushwhacker einen schlechten Namen)

Seite 57:
"peischte" geändert in "peitschte"
(Während man sie dann peitschte)

Seite 60:
"," eingefügt
(gegen Little Rock marschirt, um sich dort)

Seite 113:
"." geändert in "?"
(oder wer ist sonst noch bei Dir?)

Seite 122:
"könnne" geändert in "können"
(und dort nach Belieben wirthschaften können)

Seite 126:
"erkärten" geändert in "erklärten"
(von der Welt für vogelfrei erklärten Jay-hawker)

Seite 132:
"Boyle's" geändert in "Boyles'"
(kehrten sie nach Boyles' Farm zurück)

Seite 133:
"," eingefügt
(»Weil ich kein Stück Blei im Leibe haben wollte,«)

Seite 133:
"," hinter "man" entfernt
(Revolverpatronen kann man ein paar Stunden)

Seite 138:
"." geändert in "?"
(Was ist denn das für eine Büchse, die Du da trägst?)

Seite 168:
"ententgangen" geändert in "entgangen"
(ein vorbeigaloppirendes Pferd nicht entgangen)

Seite 186:
"," eingefügt
(Er sah, wie sein Opfer noch einmal)

Seite 192:
"." eingefügt
(und hielt mit seiner Arbeit inne.)

Seite 196:
"," eingefügt
(die wenigen Hinterbliebenen, ihre Ernährer und)

Seite 223:
"." eingefügt
(und sie dann, augenscheinlich befriedigt, neben sich legte.)

Seite 265:
"einen" geändert in "einem"
(dann zog die Mannschaft mit einem)

Seite 273:
"," eingefügt
(und kamen jetzt, wahrscheinlich um ihren gefangenen König)

Seite 280:
"Sie" geändert in "sie"
(lauten Schrei ausstoßend liefen sie zu den)

Seite 305:
"," hinter "gerathen" entfernt
(Sie müssen jedenfalls in ein falsches Haus gerathen sein)

Seite 314:
"." eingefügt
(Geh nur rasch, daß Du keine Zeit versäumst.)

Seite 329:
"mi" geändert in "mit"
(und die Luft mit ihrem Arom erfüllten)

Seite 344:
"Biättern" geändert in "Blättern"
(mit Palmfasern oder Blättern gedeckt)

Seite 353:
"," eingefügt
(»Es geschieht Ihnen Nichts,« lachte der Mexikaner)


*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 55163 ***