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Liebhaber-Ausgaben
Künstler-Monographien
In Verbindung mit Andern herausgegeben
von
H. Knackfuß
V
Dürer
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1897
Von
H. Knackfuß
Mit 134 Abbildungen von Gemälden, Holzschnitten, Kupferstichen und Zeichnungen
Fünfte Auflage
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1897
Von diesem Werke ist für Liebhaber und Freunde besonders luxuriös ausgestatteter Bücher außer der vorliegenden Ausgabe
eine numerierte Ausgabe
veranstaltet, von der nur 100 Exemplare auf Extra-Kunstdruckpapier hergestellt sind. Jedes Exemplar ist in der Presse sorgfältig numeriert (von 1–100) und in einen reichen Ganzlederband gebunden. Der Preis eines solchen Exemplars beträgt 20 M. Ein Nachdruck dieser Ausgabe, auf welche jede Buchhandlung Bestellungen annimmt, wird nicht veranstaltet.
Die Verlagshandlung.
Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.
us der schönen Knospe, die im XV. Jahrhundert heranwuchs, entfaltete sich jene prächtige Blüte, welche der deutschen Kunst des XVI. Jahrhunderts einen der ehrenvollsten Plätze in der gesamten Kunstgeschichte sichert. Vor den anderen Künsten fand die Malerei ihre großen Meister in Deutschland. Die Kraft des größten deutschen Künstlers erwuchs auf dem Boden der gewerbfleißigen Reichsstadt Nürnberg, in deren Malerwerkstätten alte Handwerksüberlieferungen mit Gewissenhaftigkeit und Emsigkeit gepflegt wurden. Albrecht Dürer ward zu Nürnberg am 21. Mai 1471 geboren. Sein Vater war ein aus Ungarn eingewanderter Goldschmied; derselbe war in seiner Jugend lange in den Niederlanden „bei den großen Künstlern“ gewesen, war dann im Jahre 1455 nach Nürnberg gekommen und hatte in der Werkstatt des Goldschmieds Hieronymus Holper Stellung gefunden; 1467 hatte er dessen erst fünfzehnjährige Tochter Barbara geheiratet und war im folgenden Jahre Meister und Bürger von Nürnberg geworden. Der junge Albrecht, bei dessen Taufe der berühmte Drucker und Buchhändler Anton Koburger Gevatter stand, wurde für das väterliche Gewerbe bestimmt. Nachdem er die Schule besucht hatte, lernte er beim Vater das Goldschmiedehandwerk. Aber seine Lust trug ihn mehr zu der Malerei denn zu dem Goldschmiedehandwerk; und als er dies dem Vater vorstellte, gab dieser nach, obschon es ihm leid that um die mit der Goldschmiedelehre vergeblich verbrachte Zeit. — Es sind Dürers eigene Aufzeichnungen, denen wir diese Nachrichten verdanken.
Von Albrecht Dürers früh entwickelter außergewöhnlicher Begabung sind uns zwei Proben bewahrt geblieben. Die unter dem Namen Albertina bekannte Sammlung von Kupferstichen und Handzeichnungen im Palast des Erzherzogs Albrecht zu Wien besitzt ein mit dem Silberstift gezeichnetes Selbstbildnis des Goldschmiedelehrlings mit der später eigenhändig hinzugefügten Beischrift: „Das hab ich aus einem Spiegel nach mir selbst konterfeit im 1484. Jahr, da ich noch ein Kind war. Albrecht Dürer“ (Abb. 3). Das andere Blatt, welches mit Hinsicht auf die Jugend seines Urhebers eine nicht minder erstaunliche Leistung ist als jenes, und das zugleich bekundet, daß auch in[S. 2] der Goldschmiedewerkstatt ein gediegener Zeichenunterricht erteilt wurde, befindet sich im Kupferstichkabinett des Berliner Museums; es ist eine Federzeichnung vom Jahre 1485 und stellt eine thronende Mutter Gottes zwischen zwei Engeln dar. Da sehen wir Figuren, die, wie es nicht anders zu erwarten, eine nur unvollkommene Kenntnis des menschlichen Körpers verraten, und Gewänder, die in angelernter Formengebung die eckige Scharfbrüchigkeit des Faltenwurfs zeigen, welche der spätgotischen Kunst Oberdeutschlands eigen war und die nicht nur mit der Vorliebe der Zeit für leichte Sammetgewebe zusammenhing, sondern auch mit der tonangebenden Stellung der Holzschnitzerei in der bildenden Kunst. Zugleich aber zeigt sich in dem Aufbau der Komposition neben einer liebenswürdigen kindlichen Schlichtheit ein feiner Sinn für Raumausfüllung und abgewogene Verteilung der Massen, und vor allem erfreut den Beschauer eine Herzlichkeit und Innigkeit der Empfindung, die vollkommen künstlerisch ist. Und die zarten und doch schon so sicheren Striche, mit denen der Knabe gezeichnet hat, lassen die markige Festigkeit der Hand des Mannes vorausahnen (Abb. 4).
Am 30. November 1486 kam Albrecht Dürer zu Michael Wolgemut in die Lehre; auf drei Jahre ward die Zeit bemessen, die er hier „dienen“ sollte. — Aus dieser Lehrzeit Dürers stammt ein Bildnis seines Vaters, das in der Uffiziengalerie zu Florenz bewahrt wird (Abb. 5). Schon in diesem frühen Werk gibt sich der junge Künstler als ein Meister der Bildnismalerei zu erkennen. Die ernsten, klugen Züge des Mannes auf dessen frommen Sinn der Rosenkranz in seinen Händen hinweist, sind mit großer Lebendigkeit und Feinheit aufgefaßt; man sieht, das Bild muß sprechend ähnlich gewesen sein. Den liebevollen Fleiß, den der junge Maler auf die Ausführung dieses ersten Bildnisses verwendet hat, kann man in dem jetzigen Zustande des Gemäldes nur noch ahnen. Denn dasselbe war sehr schlecht erhalten und ist deswegen einer Überarbeitung unterworfen worden; dabei hat alles ein derberes Aussehen bekommen, als es noch vor wenigen Jahren — vor der Überarbeitung — der Fall war; namentlich erscheint das Gesicht durch die Vergröberung der Züge jetzt älter, als in dem früheren Zustand. Auf diesem Bilde erscheint zum erstenmal das bekannte Monogramm Albrecht Dürers, welches er zeitlebens beibehalten hat. Auf die Rückseite der Holztafel hat[S. 3] Dürer ein Wappen gemalt. Noch stärker durch die Unbilden der Zeit geschädigt, als die Vorderseite, zeigt diese erste Probe von Dürers heraldischem Geschmack in ihrem jetzigen übermalten Zustand kaum noch einen Strich von seiner Hand. Doch bleibt dieselbe sachlich interessant. Es ist ein Ehewappen. Von den beiden unter einem Helm vereinigten Schilden muß demnach der linke — mit einem springenden Widder — derjenige der mütterlichen Vorfahren Dürers sein; der rechte Schild, derjenige der Familie Dürer, zeigt als sogenanntes redendes, das heißt aus dem Namen hergeleitetes Wappen eine geöffnete Thüre (Abb. 6).
Als Albrecht ausgedient hatte, schickte ihn sein Vater auf die Wanderschaft. Nach Ostern 1490 zog er aus und sah sich vier Jahre lang in der Welt um. In Kolmar und in Basel ward er von den Brüdern des kürzlich verstorbenen Martin Schongauer freundlich aufgenommen. Von dort aus scheint er die Alpen durchwandert zu haben und bis nach Venedig gekommen zu sein. Unterwegs hielt er manches Landschaftsbild fest, und zwar bisweilen in sorgfältigster Ausführung mit Wasserfarben. Dürer war vielleicht der erste Maler, welcher die selbständige Bedeutung der Landschaft und die Poesie der landschaftlichen Stimmung er[S. 5]faßte. Dabei wußte er die Formen und die Farben der Natur mit unbedingter Treue wiederzugeben. Manche seiner früheren und späteren Studienblätter aus der Fremde und aus der Heimat sind Landschaftsbilder im allermodernsten und allerrealistischsten Sinne (Abb. 7).
Neben vielerlei Studien und Entwürfen hat sich aus Dürers Wanderzeit auch ein sorgfältig in Öl gemaltes Selbstbildnis vom Jahre 1493 erhalten (in der Sammlung Felix zu Leipzig). Goethe hat dasselbe beschrieben mit den Worten: „Unschätzbar hielt ich Albrecht Dürers Porträt, von ihm selbst gemalt mit der Jahrzahl 1493, also in seinem zweiundzwanzigsten Jahre, halbe Lebensgröße, Bruststück, zwei Hände, die Ellenbogen abgestutzt, purpurrotes Mützchen mit kurzen schmalen Nesteln, Hals bis unter die Schlüsselbeine bloß, am Hemde gestickter Obersaum, die Falten der Ärmel mit pfirsichroten Bändern unterbunden, blaugrauer mit gelben Schnüren verbrämter Überwurf, wie sich ein feiner Jüngling gar zierlich herausgeputzt hätte, in der Hand bedeutsam ein blaublühendes Eryngium, im Deutschen Mannestreue genannt, ein ernstes Jünglingsgesicht, keimende Barthaare um Mund und Kinn, das Ganze herrlich gezeichnet, reich und unschuldig, harmonisch in seinen Teilen, von der höchsten Ausführung, vollkommen Dürers würdig, obgleich mit sehr dünner Farbe gemalt.“ „Mein Sach die geht, wie es oben steht“, ist mit zierlichen Lettern in den Hintergrund geschrieben (Abb. 8).
Als Dürer nach Pfingsten des Jahres 1494 heimkam, hatte ihm sein Vater bereits die Braut geworben. Es war Agnes Frey, die Tochter eines kunstreichen Mannes, der „in allen Dingen erfahren“ war, aus angesehenem Geschlecht. Schon am 14. Juli desselben Jahres fand die Hochzeit statt.
Man möchte denken, daß Dürer sich beeilt hätte, die Züge seiner jungen Gattin, die als schön galt, in einem Bilde festzulegen. Erhalten hat sich aber aus der ersten Zeit[S. 6] der Ehe nur eine ganz flüchtige Federzeichnung (in der Albertina), die nicht als Bildnis, sondern mehr als Scherz aufgefaßt, die junge Frau in halber Figur zeigt, wie sie, mit auf den Tisch gestütztem Arm, das Kinn auf die Hand gelehnt, eben im Begriff ist einzunicken. „Mein Agnes“ hat Dürer dabei geschrieben. Wie Frau Agnes, die hier in der Hausschürze und mit unbedecktem, nicht ganz in Ordnung gehaltenem Haar erscheint, in ihren guten Kleidern aussah, mag man wohl berechtigt sein, aus drei ebenfalls in der Albertina befindlichen Trachtenbildchen zu entnehmen, aquarellierten Federzeichnungen, die Dürer im Jahre 1500 ausführte und mit den Beischriften versah: „Also geht man in Häusern (zu) Nürnberg“, „Also geht man in Nürnberg in die Kirchen“ und „Also gehen die Nürnberger Frauen zum Tanz.“ Ein wirkliches Bildnis der „Albrecht Dürerin“ hat Dürer im Jahre 1504 mit dem Silberstift gezeichnet. Dasselbe befindet sich, leider sehr verwischt, in einer Privatsammlung zu Braunschweig. Da sehen wir unter der großen Haube ein nicht mit ungewöhnlichen Reizen ausgestattetes, aber offenes und verständiges Gesicht.
Dürers Ehe blieb kinderlos. Dennoch hatte er bald für den Unterhalt einer größeren Familie zu sorgen. Im Jahre 1502 beschloß Dürers Vater sein Leben; er hatte dasselbe „mit großer Mühe und schwerer, harter Arbeit zugebracht“. Mit schlichten, herzlichen Worten hat Dürer in seinen Aufzeichnungen das Andenken des Mannes geehrt, der ihn von frühester Kindheit an zu Frömmigkeit und Rechtschaffenheit erzogen hatte. Nach des Vaters Tode nun lag dem jungen Meister nicht nur für die zärtlich geliebte Mutter, die er zu sich nahm, sondern auch für eine Schar von jüngeren Geschwistern die Sorge ob. Dem Anschein nach waren seine Vermögensverhältnisse eine Zeitlang keineswegs glänzend; durch seine unermüdliche Arbeitskraft aber und durch seine rastlose Thätigkeit brachte er es nach und nach zu einer ganz ansehnlichen Wohlhabenheit.
Bald nach der Verheiratung eröffnete Dürer eine selbständige Werkstatt. Dazu bedurfte es weder eines Meisterstückes noch sonstiger Förmlichkeiten. Denn in Nürnberg galt, im Gegensatz zu den übrigen Städten Deutschlands, die Malerei als eine[S. 7] freie Kunst, die keinen zünftigen Ordnungen unterworfen war. Das kam auch der Stellung eines Malers, der in Wahrheit ein Künstler war, zu gute: Albrecht Dürer ist niemals als Handwerksmeister betrachtet worden. Die ersten größeren Aufträge freilich, die dem jungen Künstler zu teil wurden, Altarwerke und Gedächtnistafeln, mußten in der üblichen Weise mit Hilfe von Gesellen hergestellt werden. Doch auch in diesen Arbeiten offenbarte sich deutlich die schöpferische Kraft des Meisters und seine sichere Beherrschung der Form, und unverkennbar prägte er manchem der Bilder die Züge der eigenen Künstlerhand auf.
In Dürers künstlerischem Wesen treten zwei Grundzüge hervor, der wissenschaftliche und der phantastische. Dürer erklärte den Wissenstrieb für die einzige unter den begehrenden und wirkenden Kräften des Gemüts, welche niemals befriedigt und übersättigt werden könnte. So trat er auch seiner Kunst als Forscher entgegen. Er wollte erkennen, um sich immer mehr vervollkommnen zu können. Das Suchen nach dem Wesen der Schönheit führte ihn zwar zu dem echt künstlerischen Bekenntnis: „Die Schönheit, was das ist, das weiß ich nicht.“ Aber von seiner Jugend an bis ins Alter ließ er nicht ab, mit Zirkel und Maßstab die Gestalt des Menschen und des nächstschönen Geschöpfes, des Pferdes, zu untersuchen, um, wenn sich auch die Schönheit mit Maß und Zahl nicht fassen ließ, so doch die Gesetzmäßigkeit, auf[S. 10] der die Harmonie der Erscheinung beruhen mußte, zu ergründen. Zum Ausgleich war ihm neben dem grübelnden Verstand eine kühn umherschweifende Phantasie gegeben. Während jener das Gesetzmäßige suchte, liebte diese das Ungewöhnliche und Seltsame; sie reizte ihn, Erscheinungen, welche die Träume ihm vortäuschten, in Form zu kleiden. Forschungstrieb und Einbildungskraft, beide ließen ihn als beste Lehrmeisterin der Kunst die Natur entdecken. Das war der große Schritt, der Dürers Kunst von derjenigen seiner Vorgänger scheidet. Dürer umfing die Natur mit Liebe. Er wußte das Wirkliche mit der denkbar größten Unmittelbarkeit aufzufassen. Aber bei der äußersten Naturtreue opferte er auch nicht das geringste von seinen künstlerischen Absichten auf. Seine eigenen Worte kennzeichnen am besten die ganze Hoheit seiner Kunstanschauung: „Wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur; wer sie heraus kann reißen, der hat sie.“ Niemand solle glauben, führt Dürer den Gedanken weiter aus, daß er etwas besser machen könne, als wie es Gott geschaffen habe. Nimmermehr könne ein Mensch aus eigenen Sinnen ein schönes Bild machen; wenn aber einer durch vieles Nachbilden der Natur sein Gemüt voll gefaßt habe, so besame sich die Kunst und erwachse und bringe ihres Geschlechtes Früchte hervor: „daraus wird der ver[S. 12]sammelte heimliche Schatz des Herzens offenbar durch das Werk und die neue Kreatur, die einer in seinem Herzen schafft, in der Gestalt eines Dinges.“ — Schon in seinen Jugendarbeiten hat Dürer gezeigt, einen wie reichen Schatz er in seinem Herzen versammelt hatte. — Das älteste erhaltene Altarwerk aus Dürers Werkstatt befindet sich in der Dresdener Gemäldegalerie. Dasselbe besteht aus drei mit Temperafarben auf Leinwand gemalten Bildern und zeigt uns in der Mitte die Mutter Gottes, auf den Flügeln die Heiligen Antonius und Sebastian. Dürers eigenhändige Arbeit blickt hier überall durch, und sein erfindender Geist waltet sichtbar in der kleinsten Einzelheit. Die drei Bilder bringen schon in der Auffassung ganz Neues, sind unabhängig von jeder früheren Art und Weise, die hier gegebenen Gegenstände zu behandeln. Auf dem Mittelbild sehen wir die Jungfrau Maria, in weniger als halber Figur, hinter einer Brüstung, auf welcher das Jesuskind schlafend auf einem Kissen ruht. Sie hat in einem Gebetbuch gelesen, welches aufgeschlagen auf einem kleinen Pult an dem einen Ende der Brüstung liegt, und wendet sich jetzt nach dem Kinde hin, an das sie mit gefalteten Händen die Fortsetzung ihres Gebetes richtet. Über ihr schweben kleine[S. 13] Englein und schwingen Weihrauchfässer, deren aufsteigender Dampf nach alter kirchlicher Symbolik das Gott wohlgefällige Gebet bedeutet. Zwei andere Englein halten über dem Kopf der Jungfrau eine prächtige Krone. Wieder andere der kleinen Engelkinder sind herabgestiegen auf den Boden des Gemaches, dessen Raum den Hintergrund bildet, und machen sich hier und in der in einem Durchblick sichtbaren Werkstatt Josephs durch häusliche Verrichtungen nützlich. Eines der kleinen Wesen weht mit einem Wedel die Fliegen vom Antlitz des schlummernden Jesus. Das ist alles überaus liebenswürdig empfunden, und ein unendlicher Fleiß der Ausführung erstreckt sich von dem erkennbaren Bilderschmuck des Gebetbuchs im Vordergrund bis zu den winzigen Figuren, die man ganz fern auf der durch das Fenster des Gemaches sichtbaren Straße gewahrt. Künstlerisch aber noch bedeutender als das Mittelbild sind die schmalen Flügelgemälde, welche die beiden Heiligen ebenfalls als Halbfiguren hinter Brüstungen zeigen mit kleinen Engeln, die ihre Häupter umschweben (Abb. 12). Der heilige Einsiedler Antonius ist ein ruhiger Greis; er hält die trockenen, knochigen Hände auf das Betrachtungsbuch gelegt und läßt sich nicht mehr ängstigen durch die unholden Teufelsfratzen, die seinen Kopf umschwirren und um deren Verscheuchung die kleinen Engel sich bemühen. Bei dem heiligen Sebastian ist die Jugendlichkeit ebenso vollkommen durchgeführt, wie bei dem Einsiedler die Altehrwürdigkeit; sie spricht aus den weichen Formen des Kopfes, dem lockigen Geringel der Haare und den kraftgefüllten Muskeln des entblößten Körpers, wie aus dem lebhaften Ausdruck des Betenden und selbst seiner Art und Weise, die Hände zu falten. Von den munter flatternden Englein sind einige damit beschäftigt, ein Purpurgewand um die nackten Schultern des Glaubenszeugen zu legen, zwei andere, von denen eines ein Bündel Pfeile als Zeugnis von dessen Martertod unter dem Arm trägt, halten einen goldenen Reif, die Krone der Heiligkeit, für ihn in Bereitschaft. Auch bei dem heiligen Antonius trägt einer der Engel ein solches schmales Diadem herbei. Durch diese Reifen und die entsprechende Königskrone im Mittelbilde hat Dürer die sonst gebräuchlichen Heiligenscheine ersetzt, deren Anbringung ihm wohl nicht recht vereinbar erschien mit der aufrichtigen Naturwahrheit, mit der er seine Gestalten durchbildete. Das Streben nach möglichst vollkommener Naturwahrheit — nach innerer im Charakter und Ausdruck der Personen, und nach äußerer in der Form, spricht sich in diesen Bildern schon sehr deutlich aus. Unverhüllte Körperformen von so durchgearbeiteter schöner Naturtreue wie der Oberkörper dieses Sebastian waren bis dahin in Deutschland noch nicht gemalt worden. — Das Dresdener Altarwerk stammt aus der Schloßkirche zu Wittenberg. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß dasselbe zufolge einer Bestellung[S. 14] des Kurfürsten Friedrich von Sachsen ausgeführt worden ist, der sich zwischen 1494 und 1501 wiederholt in Nürnberg aufhielt und für den Dürer mehrfach thätig war. — Mehrere um diese Zeit oder wenig später unter Dürers Leitung und nach seinen Entwürfen angefertigte Altargemälde und Einzeltafeln lassen die Hand von Gehilfen recht deutlich erkennen. Aus anderen hinwiederum spricht mit voller Kraft des Meisters begnadete Eigenart und seine packende, über jeden Wechsel des Zeitgeschmacks triumphierende Wahrhaftigkeit der Darstellungsweise. Vor allem gilt dies von einem in der Alten Pinakothek zu München befindlichen, wiederum aus einem Mittelbild mit zwei Flügeln bestehenden Altarwerk, welches, weil es im Auftrage von Mitgliedern der Nürnberger Familie Paumgärtner gemalt worden ist, als der Paumgärtnersche Altar bezeichnet zu werden pflegt (Abb. 25–27). Die Mitteltafel dieses Werkes zeigt die Geburt Christi. Wir blicken in das Innere einer malerischen Ruine, deren Säulen und Bogen dem romanischen Stil angehören; das ist sehr bezeichnend für die Renaissance, die das Alte aufsuchte und nachbildete, während sich die mittelalterliche Kunst bei der Darstellung von Architekturen stets aufs genaueste nach dem jedesmaligen Baustil der Zeit richtete; Werke des Altertums hatte Dürer ja noch nicht kennen gelernt, und so äußerte der Zug der Zeit sich bei ihm darin, daß er anstatt des Antiken das Altertümlichste, was ihm zugänglich war, also Romanisches, zur Darstellung brachte. Die Ruine dient als Stall. Dem Seitenraum, welcher Ochs und Esel beherbergt, ist ein Bretterdach vorgebaut, und unter diesem liegt das neugeborene Knäblein, von kindlich sich freuenden Engeln umgeben. Maria betrachtet knieend ihr Kind in freudiger Erregung. Joseph kniet ergriffen und bewegt an der anderen Seite des Kindes, außerhalb des Schutzdaches nieder. Von draußen herein kommen schon einige Hirten, denen der Engel, den man noch in den Lüften schweben sieht, die Botschaft verkündet hat (Abb. 25). Das Schönste aber an dem Paumgärtnerschen Altar sind die beiden Flügelbilder; auf jedem derselben erblicken wir die lebensvolle Prachtgestalt eines geharnischten Kriegers, der in wilder Landschaft neben seinem Rosse steht (Abb. 26 u. 27). Vermutlich führen uns diese Männer mit ihren scharf ausgeprägten bildnismäßigen Gesichtern die Stifter des Altarwerks vor. Man pflegt den vom Mittelbild rechts stehenden als Lukas Paumgärtner, den anderen als dessen Bruder Stephan zu bezeichnen. Es war ja nicht ungebräuchlich, daß die Stifter eines Altars ihre Bildnisse auf demselben anbringen ließen. Und sich in Kriegskleidung darstellen zu lassen, dazu könnten die Paumgärtner ja irgend eine besondere Veranlassung gehabt haben. Aber es widerspricht der kirchlichen Gepflogenheit und dem natürlichen Gefühl, daß in Stifterbildnissen als solchen die irdischen Persönlichkeiten anders als in der durch die Zusammenstellung mit dem Göttlichen gebotenen Haltung der Verehrung und Anbetung abgebildet worden wären. Deswegen muß man annehmen, daß die beiden Geharnischten, auch wenn sie die Züge der Paumgärtner tragen, zugleich zwei ritterliche Heilige — etwa Georgius und Eustachius — vorstellen. Das Fehlen des Heiligenscheins ist kein Gegengrund gegen diese Annahme. Denn Dürer hat dieses herkömmliche Zeichen der Heiligkeit in seinen ausgeführten Gemälden immer weggelassen. Mit der vollkräftigen Wirklichkeitstreue, in der er seine Gestalten und deren Umgebung malte, vertrug sich selbst der leichte goldene Strahlenschein nicht, den die van Eycksche Schule an Stelle des mittelalterlichen Nimbus eingeführt hatte.
Zwei einzelne Altartafeln, die zwar überwiegend von Schülerhand ausgeführt, aber als Kompositionen bedeutsame Werke des Meisters sind, die eine mit der Jahreszahl 1500 bezeichnet, die andere augenscheinlich zu derselben Zeit entstanden, stellen die Beweinung des Leichnams Christi dar. Das eine dieser beiden Bilder, in der Münchener Pinakothek befindlich, führt uns an den Fuß des Kreuzes. Der in ein Leintuch gebettete heilige Leichnam ist eben auf den Boden gelegt worden; Joseph von Arimathia hält den Kopf und Oberkörper desselben emporgerichtet, während Nikodemus, mit einem großen Gefäß Spezereien im Arm, das Leintuch am Fußende gefaßt hat. Neben Nikodemus steht eine der Marien, tief eingehüllt in einen dunklen Mantel, mit einem zweiten Salbengefäß. Die übrigen Frauen haben sich neben dem[S. 20] Toten auf den Boden niedergelassen; zwischen zwei wehklagenden Matronen ringt die Mutter Maria in lautlosem Schmerz die Hände; Maria Magdalena hält liebkosend die schlaffe Rechte des Leichnams gefaßt. Der Jünger Johannes ist ehrerbietig hinter die Frauen zurückgetreten; er blickt mit gefalteten Händen zur Seite, ins Leere. In der Ferne sieht man in hellem Abendlicht unter einer dunklen Wolke die Stadt und Burg von Jerusalem mit darüber emporsteigendem felsigen Gebirge. Das Bild als Ganzes fesselt gleich beim ersten Anblick den Beschauer durch die wunderbare Freiheit und Natürlichkeit der doch so sorgfältig abgewogenen Komposition, und je länger man dasselbe eingehend betrachtet, um so ergreifender spricht aus demselben die tiefempfundene Klage (Abb. 24). Das andere Gemälde ist diesem in der Stimmung sehr ähnlich. Es wurde im Auftrage der Familie Holzschuher gemalt und befindet sich jetzt im Germanischen Museum zu Nürnberg. Der Schauplatz des Vorgangs ist hier vor die Öffnung der Grabeshöhle verlegt; es ist der Augenblick einer kurzen letzten Rast auf dem Wege von Golgatha, das man in der Ferne sieht, zur Gruft. Die Stifterfamilie ist nach einem der älteren Kunst sehr geläufigen, bei Dürer sonst nicht mehr vorkommenden Gebrauch am unteren Rande des Bildes in ganz kleinen Figuren, welche im Gebete knieen, abgebildet.
Die Aufgabe der Malerei begrenzt Dürer im Sinne seiner Zeit folgendermaßen: „Die Kunst des Malens wird gebraucht im Dienst der Kirche... behält auch die Gestalt der Menschen nach ihrem Absterben.“ Die Gemälde sollen also entweder Andachtsbilder oder Bildnisse sein. Doch hat er sich im Jahre 1500 auch einmal auf dem der Kunst des Nordens bisher fast völlig fremden Gebiete der Mythologie versucht, mit einer Darstellung des Herkules, der die stymphalischen Vögel tötet (im Germanischen Museum zu Nürnberg). Dieses mit dünnen Farben auf Leinwand gemalte Bild ist sehr beachtenswert als ein Zeugnis von der eingehenden Gewissenhaftigkeit, mit der Dürer den menschlichen Körper kennen zu lernen sich bemühte. In Bezug auf diese Kenntnis steht Dürer unendlich hoch über all seinen Vorgängern in Deutschland. Das beweisen schon die Christuskörper auf den beiden vorerwähnten Gemälden. Hier aber hat er sich die Aufgabe gestellt, das Spiel der Muskeln in einer lebhaften Bewegung zu erfassen und wiederzugeben. Bemerkenswert ist auch die schöne Landschaft mit den großen Linien von Berg und See; ähnliche Formen mag Dürer wohl auf seiner Wanderschaft am Südfuß der Alpen gesehen haben (Abb. 23). Viel bedeutender aber als dieses Bild, das übrigens durch schlechte Behandlung sehr gelitten hat, sind die Bildnisse, welche Dürer neben seinen Altarwerken in jener Zeit malte. Ein in das Berliner Museum gelangtes Bild eines Mannes in reicher Kleidung, mit Temperafarben gemalt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit als das Porträt des Kurfürsten Friedrich (des Weisen) von Sachsen angesehen. Wenn diese Annahme zutrifft, so würde es wohl gleichzeitig mit dem Dresdener Altarwerk entstanden sein, und dieser fürstliche Gönner wäre vielleicht der erste gewesen, der bei Dürer ein Bildnis bestellte (Abb. 11). Das Bild eines betenden Mädchens mit prächtigem aufgelösten Goldhaar, über dem auf Stirn und Scheitel ein ganz dünner, durchsichtiger Schleier liegt, in der Gemäldegalerie zu Augsburg, gilt für das Porträt einer Tochter der Nürnberger Familie Fürleger. Dieses holdselige Mädchenbild, das wie eine Naturstudie zu einer Madonna aussieht, zeigt uns, daß Dürers scharfer Blick für das Charakteristische auch den Zauber weiblicher Anmut und zarter Jungfräulichkeit im innersten Wesen zu erfassen wußte (Abb. 13). Ein aus dem nämlichen Jahre 1497, dem die „Fürlegerin“ angehört, stammendes Bildnis von Dürers Vater befindet sich im Besitze des Herzogs von Northumberland; vielleicht ist die schöne Kohlenzeichnung, welche das Britische Museum bewahrt, als die Vorzeichnung zu demselben anzusehen (Abb. 14). In Ermangelung von Bildnisaufträgen saß sich Dürer, nachdem er den Vater gemalt hatte, wieder selbst Modell. Die dunkelblonden Locken wallten ihm jetzt in reicher Fülle auf die Schultern herab, in seinen Zügen lag ein über seine Jahre hinausgehender Ernst. So zeigte er sich in dem im Pradomuseum zu Madrid befindlichen Gemälde, in schwarz und weißer Kleidung von ausgesuchtem modischen Schnitt, mit einem fast schwermütig zu nennenden Ausdruck um Mund und[S. 24] Augen. Das Bild ist mit der Jahreszahl 1498 und den Worten:
und darunter noch mit dem Monogramm bezeichnet. Eine Wiederholung desselben, in welcher der Ausdruck des Kopfes etwas abgeschwächt und die Züge ruhiger und heiterer gehalten sind, befindet sich in der Sammlung von Malerbildnissen in der Uffiziengalerie zu Florenz (Abb. 15). Das folgende Jahr brachte Bestellungen aus den Kreisen der Nürnberger Bürgerschaft. Drei Bildnisse aus der Familie Tucher tragen die Jahreszahl 1499. Es sind Brustbilder in halber Lebensgröße. Zwei derselben, Hans Tucher und seine Ehefrau Felicitas (Abb. 20 und 21) befinden sich im Museum zu Weimar, das dritte, Frau Elsbeth Tucherin, Gattin von Niklas Tucher — dessen Bild zweifellos auch vorhanden gewesen ist —, in der Gemäldegalerie zu Kassel. Alle drei Bilder sind in ganz gleicher Weise ausgeführt. Die Gesichter sind mit einer harten Bestimmtheit gezeichnet, zweifellos in schärfster Ähnlichkeit. Die Hintergründe bestehen aus Damastteppichen und Ausblicken in das Freie, wo Bäumchen und Wolken in einer eigentümlich kindlichen Weise angegeben sind. Fast möchte man glauben, Dürer wäre bei der Aufgabe, Personen aus einem so vornehmen Geschlecht zu malen, einigermaßen befangen gewesen: die Malerei ist glatt und sauber, aber ohne lebendigen Farbenreiz. Ungleich malerischer ist das in der Münchener Pinakothek befindliche prächtig lebenswahre Bildnis des Oswald Krell aus dem nämlichen Jahre. Schwarzer Sammt, brauner Pelz, eine rote Stoffwand und das Blau und Grün eines reizvollen landschaftlichen Ausblickes umgeben den von hellbraunen Locken umwallten Kopf des jungen Mannes mit einem kräftigen Farbenklang (Abb. 19). Im Jahre 1500 malte Dürer dann das bekannteste und schönste seiner Selbstbildnisse, das sich (in leider nicht ganz unversehrtem Zustande) in der Pinakothek zu München befindet: in gerader Vorderansicht, das edle Antlitz von einer noch stärker gewordenen Fülle wohlgepflegter Locken umrahmt, mit ruhigem Ausdruck und mit klar beobachtendem Blick aus den glänzenden, offenen Augen (Abb. 22).
Dasjenige aber, wodurch Albrecht Dürer schon in jungen Jahren zu einem weltbekannten Manne wurde, waren weder seine Kirchengemälde noch seine Bildnisse, sondern ein Holzschnittwerk. Gemälde hafteten an ihren Plätzen auf den Altären der Kirchen oder in den Wohnungen der Besteller. Es war immer nur ein mehr oder weniger eng begrenzter Kreis von Menschen, der dieselben zu Gesicht bekam. Holzschnitte aber, die dank der Billigkeit ihrer Druckherstellung zu einem äußerst niedrigen Preise vertrieben werden konnten, gingen als „fliegende Blätter“ in alle Welt hinaus. Durch diese wurde in jener Zeit mehr noch als durch das gedruckte Wort Tausenden und aber Tausenden eine begierig aufgenommene geistige Nahrung zugeführt. Im Jahre 1498 gab Dürer die Geheime Offenbarung des Evangelisten Johannes mit lateinischem und deutschem Text und fünfzehn Holzschnitten von sehr großem Format (28 zu 39 Centimeter) heraus. Er kam mit der Wahl dieses Stoffes der Stimmung der Zeit entgegen. Die erregten Gemüter des noch unklar nach Neuem ringenden, mit sich selbst im Zwiespalt liegenden Zeitalters vertieften sich mit besonderer Vorliebe in die geheimnisvollen und so verschiedenartig ausgelegten Weissagungen der Apokalypse. Ihm aber, dem von Schaffensdrang erfüllten Künstler, bot sich hier das reichste Feld für seine unerschöpfliche Einbildungskraft. Der Zeichner wußte den phantastischen Geschichten des Verfassers mit gleich kühnem Fluge der Phantasie zu folgen. So schuf er eine Verbildlichung der dunklen Seherworte des Evangelisten, wie sie so künstlerisch und gehaltreich die Welt noch nicht gesehen und nicht geahnt hatte. Sein Werk war etwas ganz Neues, eine Offenbarung der Kunst. Auch heute noch können diese urwüchsigen, kraft- und geistvollen Bilder ihre Wirkung niemals verfehlen. Derjenige müßte wahrlich ein ganzer Barbar sein, der bei diesen Meisterwerken großartiger Erfindung Ungenauigkeiten und Härten der Zeichnung kleinlich bemängeln wollte, anstatt sich hinreißen zu lassen von der Wucht der urgewaltigen Kompositionen. Gewiß fehlt es nicht an Härten und an Verstößen gegen die äußerliche sogenannte Richtigkeit, und oberflächliche Schönheit der Gestalten war niemals ein Endziel von Dürers künstlerischen Bestrebungen. Dürer[S. 27] bediente sich, um auszusprechen, was er zu sagen hatte, der Formensprache, die er erlernt hatte, der Formensprache seiner Zeit. Diese Formensprache berührt den heutigen Menschen, der an eine andere künstlerische Ausdrucksweise gewöhnt ist, anfangs befremdlich, ebenso wie die Schriftsprache jener Zeit. Sie befremdet in den Holzschnittzeichnungen in stärkerem Maße, da Dürer hier für die große Menge deutlich verständlich sein wollte, und da er, damit das Charakteristische nicht unter dem Messer des Holzschneiders verwischt werde, die kräftigste, härteste Kennzeichnung anstreben mußte, während in seinen Gemälden das Studium des Naturwirklichen seiner künstlerischen Sprache Wendungen verleiht, die sie der heutigen, wieder auf die Natur zurückkehrenden Ausdrucksweise näher bringt. Aber jedermann, der sich die Mühe gibt, kann Dürers Formensprache erlernen. Namentlich für uns Deutsche ist es nicht so schwer, wie es vielleicht anfangs manchem scheint; denn jeder Strich, den Dürer gezeichnet hat, ist deutsch. Wer sich in die Blätter der Apokalypse, die, wenn auch in Originaldrucken nicht mehr allzu häufig, so doch in verschiedenen, durch die technischen Mittel der Gegenwart mit vollkommener Treue wiedergegebenen Nachbildungen überall zugänglich sind, ernstlich vertieft, der wird bei jeder Betrachtung neue künstlerische Schönheiten entdecken und neuen Genuß aus denselben ziehen. Überall sehen wir hier die tiefsten Gedanken mit packender Kraft zum Ausdruck gebracht, mag nun die Darstellung nur aus wenigen Figuren bestehen oder mögen zahllose Figuren die Bildfläche füllen; mag der Jubel der Seligen geschildert sein oder grauser Schrecken. — Das erste Blatt der Folge dient als Einleitung und beschäftigt sich mit der Person des Verfassers der geheimen Offenbarung: es[S. 30] zeigt den Evangelisten Johannes, wie er, nach der Erzählung einer Legende, unter dem Kaiser Domitian mit siedendem Öl gepeinigt wird, ohne Schaden zu nehmen. Dann beginnt die Reihe der apokalyptischen Bilder mit der Erscheinung Gottes vor dem Evangelisten (Abb. 16). Wie großartig ist hier allein schon die Entrückung aus aller Erdennähe angedeutet durch einen Wolkenraum, der die Vorstellung des Unbegrenzten erweckt! In dem Wolkenmeere thront der Herr, von sieben goldenen Leuchtern umgeben, und Johannes ist bei seinem Anblick ihm zu Füßen niedergefallen und vernimmt mit gefalteten Händen seine Worte. Die Erscheinung Gottes ist im engsten Anschluß an die Worte des Textes dargestellt: Sonnenstrahlen umgeben sein Haupt, Feuerflammen lohen aus den Augen, ein Schwert geht von seinem Munde aus. Das alles wirkt so gewaltig, daß das Befremdliche hinter dem Großartigen des Eindrucks verschwindet. Dürers künstlerische Kraft hat auch das für die bildliche Wiedergabe scheinbar ganz Unmögliche bewältigt: wie machtvoll blicken die Augen zwischen den nach außen lodernden Flammen heraus, und welche erhabene Größe liegt in der ausgestreckten Rechten, an der sieben flimmernde Sterne haften. — Im folgenden Bilde sehen wir über der Erde, die durch eine formenreiche Landschaft angedeutet wird, das geöffnete Himmelsthor. Im Wolkenringe, aus dem Blitzesflammen hervorbrechen, zwischen denen blasende Köpfe die Stimmen des Donners verbildlichen, sitzen die vierundzwanzig Ältesten mit Kronen und Harfen. Innerhalb des von ihnen gebildeten Kreises erscheint in der Höhe der Herr auf dem vom Regenbogen umzogenen Thron, umgeben von den sieben Lampen und den vier lebenden Wesen. Ein Engel fliegt vor seinen Füßen herab, um zu fragen, wer das Buch mit sieben Siegeln, das auf dem Schoße Gottes liegt, zu öffnen würdig sei; und Johannes, der an der tiefsten Stelle des Wolkenringes kniet, erhält von dem ihm zunächst befindlichen Ältesten die Antwort auf diese Frage: schon hebt das Lamm Gottes sich auf der Stufe des Thrones empor, um das Buch zu öffnen. — Das nächste Blatt, das zu allen Zeiten am meisten bewunderte der ganzen Folge, verbildlicht, was bei der Eröffnung der vier ersten Siegel sich dem Seher zeigt (Abb. 17). In sturmbewegten, von Feuerstrahlen durchzuckten[S. 31] Wolkenmassen stürmen die verderbenbringenden Reiter einher. Der gekrönte Reiter mit dem Bogen, der mit dem Schwerte und der mit der Wage erscheinen wie sieggewohnte Krieger auf wilden, mächtigen Rossen, unter deren Hufen die Menschen zu Haufen stürzen. Als eine unheimliche gespenstische Erscheinung galoppiert der vierte auf magerem Klepper in ihrer Reihe, der Tod. „Und das Totenreich folgte ihm nach“; das ist angedeutet durch den geöffneten Höllenrachen, der eben einen Gewaltigen der Erde verschlingt. Das Grauen des Unabwendbaren ist in dieser Komposition mit einer Wucht zum Ausdruck gebracht, der sich kaum etwas Ähnliches in der bildenden Kunst aller Zeiten zur Seite stellen läßt. — Es folgt die Öffnung des fünften und sechsten Siegels. Oben in der Wolkenhöhe werden an einem Altar die Blutzeugen durch Engel mit weißen Gewändern bekleidet. Darunter sieht man Sonne und Mond, nach mittelalterlicher Weise mit Gesichtern; diese Darstellungsweise entspricht sonst dem Wesen Dürers nicht, aber hier hat sie ihre Bedeutung: die Himmelslichter blicken mit Grauen und Entsetzen auf die Erde hinab. Der die Erde berührende Himmelssaum rollt sich zusammen, daß die Wolkenränder wie ein Vorhang nach beiden Seiten auseinander gehen. In dem Zwischenräume fallen die Sterne flammend herab auf die Menschen. Verzweifelt schreien Männer und Weiber; gekrönte Häupter und Geistliche jeden Ranges, vom Papst bis zum Mönch, drängen sich in hilflosem Klumpen zusammen. Alle irdische Macht und Kraft hört auf. Die Schluchten der Erde bieten keinen Schutz: man sieht, wie die Felsen schwanken. — Wieder eine Komposition von außerordentlicher Größe ist das folgende Bild. In der Höhe fliegt ein Engel, der ein Kreuz, „das Zeichen des lebendigen Gottes“ trägt, und gibt den vier Engeln Befehl, die über die Winde Gewalt haben. Diese vier Engel, starkknochige Männergestalten mit mächtigen Schwertern, vernehmen das Gebot; sie wehren den Winden, die als blasende Köpfe von wildem Aussehen in den Wolken umherbrausen. Eine Gruppe schlanker, fruchtbeladener Bäume ragt unbewegt in die sturmdurchtobte Luft. Wie Frieden und Sonnenschein liegt es seitwärts über der Landschaft, wo ein lieblicher Engel einherschreitet, der mit einem Schreibrohr das Zeichen des Kreuzes an die Stirnen der in[S. 32] dichter Schar am Boden knieenden Auserwählten malt. — Darauf kommt die Eröffnung des siebenten Siegels. Die sieben Engel haben von Gott ihre sieben Posaunen empfangen, und über die Erde brechen die Schrecken herein, die das Blasen der vier ersten Posaunen begleitet. Hier ist es wieder staunenswürdig, wie der Zeichner es verstanden hat, die verheerenden Ereignisse, welche der Text schildert, in einer ganz unbefangenen, aber sprechend deutlichen Ausdrucksweise zur Anschauung zu bringen. — Es folgt die Darstellung des sechsten Posaunenstoßes und seiner Wirkung. Von den vier Ecken des goldenen Altars, der vor dem Angesicht Gottes steht, ertönt die Stimme, und die vier Engel vom Euphrat, harte, grimmige Gestalten, walten schonungslos ihres Amtes, den dritten Teil der Menschheit zu töten; ihren wuchtigen Schwerthieben erliegen die Mächtigsten wie die Geringen, der gewappnete Krieger wie das junge Weib. Über ihnen saust in den Wolken das Reiterheer heran — wiederum in wortgetreuer Verbildlichung des Textes —, das mit Feuer, Rauch und Schwefel die Menschen tötet (Abb. 18). — Dann kommt ein Bild, das an unbefangener Kühnheit der Darstellung das Äußerste bietet. Der Engel, der mit Wolken bekleidet ist, dessen Gesicht, vom Regenbogen umkrönt, der Sonne gleicht, und dessen Füße feurige Säulen sind, steht mit dem einen Fuß auf dem Meer, mit dem anderen auf der Erde und reicht, während er die Rechte zum Schwur über die Wolken emporhebt, mit der Linken dem Johannes das offene Buch, das dieser auf Geheiß eines Himmelsboten verschlingt. So befremdlich diese Darstellung erscheint, die seltsame Riesengestalt des Engels ist mit solchem Ernst aufgefaßt, daß auch hier Großartigkeit des Eindrucks erzielt wird. — Das folgende Blatt zeigt den Himmel in freudiger Stimmung. Denn der Sohn des Weibes, das, mit der Sonne bekleidet und mit Sternen bekrönt, auf dem Monde steht, wird von kleinen Engeln zu Gott emporgetragen. Die Sterne, wie ein Blumenschmuck über den Himmel ausgebreitet, strahlen und funkeln in festlicher Pracht. Dem Weibe gegenüber, dem Adlerflügel gegeben sind zum Entfliehen, kriecht aus der Tiefe der Erde hervor der siebenköpfige Drache, der mit dem Schweif in die Sterne schlägt und einen Wasserstrom ausspeit gegen das Weib. Auch in der Gestalt dieses Drachens offenbart sich Dürers merkwürdige schöpferische Kraft: das greuliche Ungeheuer erscheint in einer, man möchte sagen glaubhaften, lebensvollen Bildung. — Hieran schließt sich die Darstellung, wie Michael und seine Engel mit unwiderstehlicher Kraft den Satan und seine Genossen — grauenvoll phantastisch gestaltete Wesen — hinabwerfen auf die Erde, deren Gefilde ahnungslos in sonnigem Frieden daliegen. Dann erscheint das siebenköpfige Tier auf der Erde, das die Menschen anbeten, und sein Gehilfe, das Tier mit den Lammeshörnern, das Feuer vom Himmel fallen macht. Aber darüber erscheint im Lichtglanz zwischen den Wolken, von Engeln umgeben, der Herr mit der Sichel. — Im Gegensatz zu der dem[S. 33] Bösen dargebrachten Huldigung zeigt das folgende Bild die endlose Menge der Auserwählten, die dem im Strahlenglanz zwischen den vier lebenden Wesen erscheinenden Lamm lobsingen. — Darauf sehen wir die große Babel, die als geschmücktes Weib auf dem siebenköpfigen Tier sitzt und Fürsten und Völkern den Becher der Verführung entgegenhält, und zugleich das Hereinbrechen des Strafgerichts: neben dem mächtigen Engel, der den Mühlstein ins Meer zu werfen sich anschickt, stürmen himmlische Kriegerscharen aus den Wolken, und in der Ferne geht die Stadt Babel in Rauch und Flammen auf. — Das Schlußbild zeigt den Engel, der den gefesselten Teufel in den Abgrund hinabzusteigen zwingt, zu dessen Thür er den Schlüssel hält. Diese beiden großen Figuren nehmen den Vordergrund des prächtigen Blattes ein. Weiter zurück steht auf waldbekröntem Bergesgipfel Johannes, und ein Engel zeigt ihm das neue Jerusalem, das sich reich und prächtig an einem baumreichen Bergeshang ausdehnt.
Es ist nicht allein die vorher nie dagewesene und nachher nie übertroffene Größe und Kühnheit der Erfindung, was Dürers Zeichnungen zur Apokalypse ihre große Bedeutung gibt. Zu dem künstlerischen Wert dieser Blätter kommt die besondere kunstgeschichtliche Stellung, die sie einnehmen. Sie bezeichnen den wichtigsten Wendepunkt in der Geschichte des Holzschnittes. Bisher mußten die Holzschnitte bemalt werden, um für fertige Bilder gelten zu können. Dürer machte seine für den Schnitt bestimmten Zeichnungen so, daß es keiner derartigen Ergänzung bedurfte; er war der erste, der durch Anbringen geschlossener Strichlagen Gegensätze von Hell und Dunkel, Licht und Schatten in die Holzzeichnungen brachte und durch dieses bis zu einem gewissen Grade „farbige“ Zeichnen eine malerische Wirkung erreichte, welche die Zuhilfenahme von Farben überflüssig machte. Die Anforderungen an die ausführenden Formschneider, welche mit dem Messer seinen Strichen folgen mußten, so daß die Striche erhaben über dem vertieften Grund der Platte stehen blieben, wurden dadurch allerdings gewaltig gesteigert. Aber durch das gewählte sehr große Format und durch die ausdrucksvolle Bestimmtheit seines Striches half Dürer den Formschneidern die Schwierigkeiten der Aufgabe, die er ihnen stellte, überwinden. Zweifellos hat er die Schnittausführung persönlich sehr aufmerksam überwacht. Im allgemeinen muß man sagen, daß die Bilder zur Apokalypse dafür, daß die Formschneider niemals zuvor Gelegenheit gehabt hatten, so hohen künstlerischen Ansprüchen gegenüber ihre Geschicklichkeit zu erproben, recht gut geschnitten sind; in den feineren Teilen, besonders Gesichtern und Händen, hat das Schneidemesser freilich[S. 35] noch oft genug den Strich des Meisters verunstaltet.
Die gleiche Aufmerksamkeit wie dem Holzschnitt wandte Dürer dem Kupferstich zu. Wann er angefangen hat, sich mit diesem Kunstverfahren zu beschäftigen, wissen wir nicht. Vielleicht hatte er dazu schon bei seinem Vater die Anregung empfangen; in Goldschmiedewerkstätten war ja die Kupferstecherkunst geboren worden. Die Überlieferung, daß er auch hierin von Wolgemut unterrichtet worden sei, leidet an Unwahrscheinlichkeit, da eine kupferstecherische Thätigkeit Wolgemuts nicht erwiesen ist. Es gibt unter Dürers frühesten, noch mit schüchterner Hand ausgeführten Kupferstichen einige, welche mehr oder weniger genau mit Stichen einer geübteren Hand, die mit einem W gezeichnet sind, übereinstimmen. Das W ist auf Wolgemut gedeutet worden, und man hat geglaubt, Dürer habe, als er seine ersten Versuche in der Grabstichelarbeit machte, zu seiner Übung Werke des älteren Meisters nachgestochen. Aber die Annahme, daß das W Wolgemut bedeute, ist mit den gewichtigsten Gründen zurückgewiesen worden; und für den unbefangenen Beschauer spricht aus den fraglichen Blättern so deutlich Dürers Geist, daß man ihn für den Erfinder und jenen Meister W, wer es auch sein mag, für den Nachstecher halten muß. Zu diesen Stichen gehört das in Abbildung 9 wiedergegebene Marienbild, das wegen des darauf befindlichen[S. 36] Affen — einer müßigen Beigabe, wie sie die Künstler jener Zeit gern anbrachten, um die Vielseitigkeit ihrer Geschicklichkeit zu zeigen, — die Bezeichnung „Madonna mit der Meerkatze“ führt. Die Ungeübtheit im technischen Verfahren verrät sich hier an manchen Stellen. Aber über dem Ganzen liegt eine Stimmung von echt Dürerscher Poesie. Wir empfinden in dieser Landschaft die Luft eines kühlen deutschen Sommerabends; Wolken steigen geballt empor, aber der Wind, der die Köpfe der alten Weiden beugt, vertreibt sie wieder. Es geht ein fröstelnder Schauer durch die Natur, und in leiser Schwermut schweifen die Gedanken. Mit stillem, ahnungsvollen Leid betrachtet die junge Mutter ihr Kind, das sorglos mit einem Vogel spielt. Zu der Landschaft, die diesem Blatte die Stimmung, in der sein künstlerischer Wert liegt, gibt, hat Dürer eine noch vorhandene Naturaufnahme aus der Umgegend von Nürnberg benutzt. Dieselbe befindet sich im Britischen Museum zu London und trägt von Dürers Hand die Aufschrift „Weier-Haus“. Es ist einer jener mit Wasserfarben gemalten Ausschnitte aus der landschaftlichen Wirklichkeit. — In der realistischen Umgebung liegt auch der besondere, uns heute wieder so unmittelbar ansprechende Reiz des gleichfalls zu Dürers frühen Kupferstichen gehörigen Blattes: „Der verlorene Sohn“. Unregelmäßige, teilweise verwahrloste Bauernhäuser und Stallungen, feuchter Erdboden, ein Misthaufen, in dem ein Hahn herumpickt: das ist der Schauplatz, in dessen Poesielosigkeit gerade die ergreifende Poesie der Darstellung liegt. In dem Schmutze dieses Hofes ist bei den Schweinen und Ferkeln, die sich um den Futtertrog drängen, ein verkommener Mensch niedergekniet und preßt in heißem Gebet[S. 38] die Finger ineinander, zu reuiger Umkehr entschlossen. Gewiß bleibt der Blick manchen Beschauers zuerst an der ungeschickten Zeichnung des schurzartig umgebundenen Kittels hängen, unter dessen Falten der Zusammenhang zwischen Rumpf und Beinen der Figur verloren geht; aber man sehe sich statt dessen den Kopf und die Hände an, mit welcher Zerknirschung und welcher Inbrunst dieser Mensch betet! (Abb. 10).
„Ein guter Maler,“ schrieb Dürer einmal, „ist inwendig voller Figuren, und wenn’s möglich wäre, daß er ewiglich lebte, so hätte er aus den inneren Ideen allzeit etwas Neues durch die Werke auszugießen.“ Holzschnitt und Kupferstich gaben ihm Gelegenheit, aus der Fülle der Ideen mehr auszugießen, als in durchgeführten Gemälden möglich gewesen wäre. Mehr noch als der Holzschnitt, bei dem immerhin in der Rücksichtnahme auf die Volkstümlichkeit der Darstellung eine Beschränkung lag, gestattete ihm der Kupferstich, seinen künstlerischen Einfällen zu folgen und Gegenstände zu bearbeiten, die ihm nicht gewichtig genug erschienen als Vorwürfe für Bilder, oder die ihrer Natur nach die immer mit einer gewissen Stofflichkeit behaftete Ausführung in Malerei nicht zuließen, oder die sich nach den allgemeinen Anschauungen der Zeit nicht zu Gemälden eigneten. Denselben Meister, der in den apokalyptischen Bildern das Erhabenste und Übernatürlichste so eindringlich zu schildern wußte, sehen wir gelegentlich in das volle Menschenleben hineingreifen und die alltäglichsten Dinge künstlerisch[S. 39] wiedergeben. Dürer hat eine Anzahl echter Genrebilder und genrehafter Gruppen oder Einzelfiguren veröffentlicht, voll von schlagender Lebenswahrheit, bisweilen von köstlichem Humor (Abb. 28 und 29). Auch Stiche mythologischen, sinnbildlichen und phantastischen Inhalts gab er neben seinen zahlreichen religiösen Blättern heraus.
Wie den Holzschnitt, so brachte Dürer auch den Kupferstich zu malerischer Wirkung, und zwar, da hier die Ausführung eine eigenhändige war, in viel weiter gehendem Maße. In seinen frühen Stichen ging die Helldunkelwirkung nicht wesentlich über dasjenige hinaus, was die zur Heraushebung der Formen erforderliche Schattierung von selbst mit sich brachte. Das war die Art und Weise, wie damals allgemein in Kupfer gestochen wurde. Dürer aber stellte in dem Maße, wie seine Geschicklichkeit mit der Übung zunahm, immer größere Anforderungen an sich selbst in der Handhabung des Grabstichels, und bald beherrschte er dieses Werkzeug so, daß er damit die kräftigsten wie die zartesten Töne hervorrufen konnte. Während er durch seine kräftigen Holzschnittzeichnungen seinen Namen den breitesten Volksmassen bekannt machte, wurde er durch seine feinen Kupferstiche zum Liebhaber der Kunstfreunde und Sammler. — Das Meisterwerk von Dürers Grabstichelarbeit aus dieser Zeit seines Heranreifens — eine der vollendetsten technischen Leistungen der Kupferstecherkunst überhaupt — ist „das Wappen des Todes“ von 1503, zugleich ein Muster heraldischer Formengebung und in seiner düsteren Stimmung ein Erzeugnis echtester künstlerischer Empfindung (Abb. 31). — Der erste in hellen und dunklen Massen zu voller malerischen Bildwirkung durchgeführte Kupferstich erschien im Jahre 1504, eine Darstellung von Adam und Eva. Eine schöne Vorzeichnung zu diesem Stich, die sich in der Albertina zu Wien befindet, zeigt die beiden Figuren auf ganz schwarzem Hintergrunde (Abb. 32). In dem ausgeführten Stich aber hat Dürer eine reichere und natürlichere Wirkung erzielt durch die dunkelen Massen der schattigen Paradieseslandschaft (Abb. 33). Noch in anderer Beziehung ist dieses Blatt ein Markstein in der Geschichte der deutschen Kunst. Dürer hat sich ehrlich bemüht, die natürliche Schönheit der Menschengestalt zur Geltung zu bringen, und man darf nicht verkennen, wie viel er hier als erster, der sich auf keinen Vorgänger stützen konnte, da man vor ihm den nackten Menschen als etwas Unschönes darzustellen pflegte, in dieser Hinsicht erreicht hat. In wohlberechtigtem Selbstgefühl brachte er auf dem Stich statt des bloßen Monogramms ein Inschrifttäfelchen an, durch das er in der damaligen Weltsprache der Gelehrten, auf lateinisch, mitteilte, daß Albrecht Dürer aus Nürnberg[S. 40] diese Arbeit gemacht habe. Man muß freilich annehmen, daß bei der Bildung der Gestalten von Adam und Eva dem Meister die Anschauung italienischer Werke anregend und behilflich gewesen ist. Eben die Kupferstecherkunst war es, welche durch ihre leichtbeweglichen Erzeugnisse die Kenntnis von der italienischen Kunst auch diesseits der Alpen verbreitete. Besonders waren es die Stiche des Mantuaners Mantegna, die auf Dürer großen Eindruck machten, so daß sie ihn gelegentlich sogar zur Nachbildung reizten.
Die Thätigkeit Dürers als Maler wurde inzwischen wieder durch den Kurfürsten von Sachsen in Anspruch genommen. Die Jahreszahl 1502 auf einer im Museum zu Basel befindlichen Zeichnung, welche die Kreuzigung Christi in einer an Figuren überreichen Komposition darstellt (Abb. 30), bestimmt die Entstehungszeit eines für diesen Fürsten angefertigten Altarwerkes, welches sich jetzt im Schloß des Fürst-Erzbischofs von Wien zu St. Veit bei Wien befindet. Die Mitteltafel dieses Werkes zeigt die Kreuzigung in fast ganz genauer Übereinstimmung mit der Baseler Zeichnung. Die Flügel, welche infolge des Hochformates des durch sie zu verschließenden Mittelbildes sehr schmal sind, enthalten die Kreuztragung und die Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena; dabei ist hier durch die schöne baumreiche Landschaft, dort durch das Stadtthor[S. 45] und die verkürzt gesehene Stadtmauer das unbequeme Format sehr glücklich ausgenutzt. Außen enthalten die Flügel die großen Gestalten des heiligen Sebastian und des heiligen Rochus. Die Ausführung dieses Altargemäldes hat Dürer den Händen von Gehilfen überlassen. Dagegen malte er im Jahre 1504 eine vom Kurfürsten von Sachsen für die Schloßkirche zu Wittenberg bestellte Altartafel, die Anbetung der heiligen drei Könige darstellend, ganz mit eigener Hand. Dieses wunderbare Gemälde, das jetzt in dem Kranze auserlesener Meisterwerke prangt, den die sogenannte Tribuna der Uffiziengalerie zu Florenz umschließt, läßt bei dem vorzüglichen Zustand seiner Erhaltung den ganzen ursprünglichen Reiz der Farbengebung und die bis auf die kleinsten Einzelheiten sich erstreckende liebevolle Sorgfalt der Meisterhand erkennen und bewundern. Wer deutsch empfindet, den wird es von all den herrlichen Schöpfungen der Antike und der italienischen Renaissance, die hier in einem Raume vereinigt sind, immer wieder hinziehen zu dem wunderlieblichen Bilde dieser deutschen Madonna, die in unbefangener Würde und voll stillen Mutterglückes zusieht, wie dem nackten Knäblein aus ihrem Schoß von fremden Fürsten ehrerbietige Huldigungen dargebracht werden (Abb. 34).
Aus dem nämlichen Jahre 1504 stammen zwei nicht ganz fertig gewordene Altarflügel in der Kunsthalle zu Bremen, welche den Einsiedler Onuphrius und Johannes den Täufer (Abb. 35) in trefflich mit den Figuren zusammenkomponierten Landschaften zeigen.
Zugleich arbeitete Dürer in dieser Zeit wieder an zwei großen Holzschnittwerken, von denen das eine die Leidensgeschichte Christi, das andere das Leben der Jungfrau Maria behandelte. Mit gleich hoher Meisterschaft schilderte Dürer in diesen Werken, die unter den Namen „Große Passion“ und „Marienleben“ bekannt sind, die ergreifendsten tragischen Vorgänge und die reizvoll behaglichsten Familienbilder. Beide Werke kamen indessen erst später zum Abschluß und zur Veröffentlichung. Das Bilderwerk über die Leidensgeschichte, dem er ein ähnlich großes Format gab, wie der Apokalypse, hat er wahrscheinlich schon bald nach der Vollendung jenes ersten Holzschnittwerkes in Angriff genommen. Sieben von den Blättern stimmen in der Art und Weise der Zeichnung ganz mit den Bildern der Apokalypse überein. In tief ergreifender Auffassung ist da geschildert, wie der Heiland im Gebet am Ölberg kniet und die Hände wie in einer unwillkürlichen Bewegung der Abwehr gegen den Leidenskelch vorstreckt, während im Vordergrunde die Jünger schlafen und in der Ferne schon der Verräter die Gartenpforte durchschreitet; wie er zur Geißelung an eine Säule gebunden, der Grausamkeit der wilden Peiniger und dem Hohn der nicht minder rohen Zuschauer preisgegeben ist; dann wie er, eine bejammernswerte, gebeugte Gestalt, in Mantel und Dornenkrone von Pilatus dem erbarmungslosen Volke gezeigt wird. Das großartig erdachte nächste Blatt zeigt den Erlöser, unter der Last des Kreuzes auf die Kniee niedergesunken, den Kopf der Veronika zugewendet, die sich anschickt, das blutüberströmte, schmerzdurchzuckte Antlitz abzutrocknen; der rauhe Kriegsknecht, der den Dulder an einem um den Gürtel gebundenen Strick führt, hält in diesem Augenblick mit Zerren inne, aber einer der den Zug begleitenden Beamten stößt den Zusammengebrochenen unbarmherzig mit seinem Stab in den Nacken. Dann folgt die Kreuzigung in gedrängter Komposition: auf der einen Seite des Kreuzes die Mutter Maria ohnmächtig in den Armen einer der anderen Marien und des Johannes, auf der anderen Seite der Hauptmann mit einem Begleiter zu Pferde; Engel fangen das Blut aus den Wunden des Erlösers auf, und Sonne und Mond erscheinen hier wieder mit schmerzlich teilnehmenden Gesichtern — wie denn überhaupt dieses Blatt sich am wenigsten von der überlieferten Darstellungsweise entfernt. Das nächste Bild schildert die Klage um den vor dem Eingang des Grabes unter einem dürren Baum niedergelegten heiligen Leichnam; und daran schließt sich die Darstellung, wie der Körper des Heilandes, von einem inzwischen größer gewordenen Gefolge begleitet, in die Gruft getragen wird, während Maria kraftlos in der Unterstützung des Johannes liegen bleibt. Bewunderungswürdig ist in diesen beiden Bildern, wie auch in anderen, die Landschaft, deren Linien und Massen wesentlich mit zur Komposition gehören. — Leider ist die Schnittausführung der Passionsbilder weniger gut gelungen als diejenige der Zeichnungen zur Apokalypse; bei einzelnen[S. 49] hat das Schneidemesser den Strich des Meisters sichtlich in gar grober Weise entstellt.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Dürer durch die Einbuße, welche seine Schöpfungen unter der Hand der Holzschneider erlitten, bewogen wurde, die Leidensgeschichte Christi gleich noch einmal in freien Zeichnungen, bei denen keine Rücksicht auf das, was dem Formschneider möglich und was ihm nicht möglich wäre, ihn beengte, zu behandeln. Im Jahre 1504 zeichnete er die herrliche Folge von zwölf Blättern, die nach der Farbe des Papiers „die Grüne Passion“ genannt wird (in der Albertina zu Wien). Die Gegenstände der Folge sind der Judaskuß, Christus vor Herodes, Christus vor Kaiphas, die Geißelung, die Dornenkrönung, die Vorstellung vor dem Volk, die Kreuzschleppung, die Anheftung an das Kreuz, der Kreuzestod, die Kreuzabnahme, die Grablegung und die Auferstehung. Dürer machte diese Zeichnungen nicht zum Zwecke der Veröffentlichung, sondern für sich; doch als etwas in seiner Art Fertiges, dessen Ausführung durch Entwürfe vorbereitet wurde (Abb. 36). Man möchte glauben, daß er sich selbst eine Entschädigung geben wollte[S. 50] für die Nichtbefriedigung, die ihm die Holzschnittkompositionen verursachten. Seine künstlerische Freiheit ist hier sehr viel größer als dort. Er hat sich mit voller Künstlerlust in die Aufgabe versenkt, sich die geschichtlichen Begebenheiten so natürlich wie möglich vorzustellen. Darum bleibt auch alles Unnatürliche, von der älteren Kunst in sinnbildlicher Bedeutung Angewendete, wie die Strahlenscheine und die Verkörperung von Sonne und Mond, weg. Die Naturwahrheit in der Schilderung der Vorgänge, die mit einer staunenswürdigen Schlichtheit und Einfachheit anschaulich gemacht werden, hat den Künstler sozusagen von selbst auch zu einer reineren Natürlichkeit der Form geführt. Unverkennbar ist Dürer bei der Anfertigung dieser Blätter auch von dem Verlangen nach einer weitergehenden und feineren malerischen Wirkung, als sie ihm durch die derben offenen Striche der Holzzeichnung erreichbar war, geleitet worden. Es ist überraschend, wieviel Farbigkeit des Eindruckes er mit ganz geringem Aufwand von Mitteln, in Schwarz und Weiß mit dem Pinsel auf dem getönten Papier zeichnend, erreicht hat. Der sehr glücklich gewählte grünliche Ton des Papiers spricht selbst mit, indem er wesentlich beiträgt zu der eigenen, wehmütigen Stimmung der Bilder (Abb. 37 und 38).
Von den Holzschnittbildern, in denen Dürer das Leben der Jungfrau Maria nach der Legende und den Evangelien schilderte, scheint der größte Teil in den Jahren 1503 bis 1505 fertig geworden zu sein. Diese liebenswürdigen Blätter sind auf einen ganz anderen Ton gestimmt als die Apokalypse und die Passion. Mit richtigem Gefühl hat Dürer hier, wo die Darstellungen nicht sowohl durch Großartigkeit, als vielmehr durch innige Poesie wirken wollen, einen kleineren Maßstab gewählt, und dem entspricht die zartere Zeichnung. Trotz dieser besonderen[S. 51] Schwierigkeiten für den Formschneider ist die Mehrzahl der Blätter wieder ganz gut geschnitten. Dürer muß entweder geschicktere und besser geübte Hände für diese Arbeit gefunden oder aber sich mehr Zeit genommen haben, die Schnittausführung persönlich zu beaufsichtigen. Die Bilderdichtung beginnt im Anschluß an die alte Legende von den Eltern Marias, mit der Darstellung, wie das Opfer, welches Joachim im Tempel darbringen will, vom Hohenpriester zurückgewiesen wird, weil die Unfruchtbarkeit seiner zwanzigjährigen Ehe mit Anna als ein Zeichen gilt, daß Gottes Fluch auf dem Ehepaar laste. Dann erscheint dem Joachim, der sich im Kummer über diese Schande von[S. 52] seiner Frau getrennt und in die Einöde zu den Hirten zurückgezogen hat, ein Engel, der ihm die Geburt einer Tochter vorherverkündet. Ganz prächtig ist in diesem Bilde die Landschaft: die langgestreckte Halde, auf der die Schafe weiden, am Saum eines wilden Waldes, mit Ausblick auf das fern in der Tiefe liegende Meer mit gebirgiger Küste. Der empfangenen Verheißung zufolge in die Stadt zurückgekehrt, trifft Joachim unter der Goldenen Pforte des Tempels, die als reicher spätgotischer Rahmen das Bild einschließt, mit Anna wieder zusammen; während die beiden sich in herzlicher Umarmung begrüßen, machen die in einiger Entfernung stehenden Nachbarn — eine prächtige Gruppe — ihre Bemerkungen über die Begegnung, und ein Bettler eilt mit Hast herbei, um die freudig bewegte Stimmung des Ehepaares für sich auszunützen. Dann blicken wir in einem köstlichen Bild in die Wochenstube, wo das neugeborene Kindlein gebadet wird, während eine Dienerin der Mutter Anna die Suppe an das Bett bringt, an dessen Seite die alte Wärterin eingeschlafen ist, und Gevatterinnen und Basen mit Bier und Kuchen das Ereignis feiern. Das ist recht und schlecht ein Nürnberger Sittenbild aus Dürers Zeit. Nur die schöne Gestalt eines Engels, der in einer Wolke oben im Gemach schwebt und knieend dem Kindlein aus der Höhe herab huldigt, belehrt uns, daß dieses Kind, Maria, ein außergewöhnliches Wesen ist. Das folgende Blatt führt uns in die Vorhalle des Tempels, wo die Wechsler nicht fehlen, die das Bethaus entweihen. Das heranwachsende Kind schreitet aus der Schar der anteilnehmenden Verwandten heraus und betritt die zum Heiligtum führenden Stufen, um sich oben, wo es von den Priestern erwartet wird, dem Dienste Gottes zu weihen. In der Architektur des Tempels und seines Vorhofes hat Dürer sich bemüht, etwas „Antikisches“ — so nannte man damals dasjenige, was wir heute als Renaissance bezeichnen — zu schaffen. Mehr gotisch als antikisch ist die Kirchenarchitektur auf dem so einfachen und so schönen Bilde, welches die Trauung der zur Jungfrau herangewachsenen Maria mit Joseph vor dem Hohenpriester darstellt (Abb. 39). Das nächste Blatt zeigt Maria, wie sie, in einem weiträumigen Gemach, dessen Decke auf stattlichen Bogenstellungen ruht, am Betpult sitzend, die Botschaft des Engels demütig entgegennimmt. Dann folgt wieder ein ganzes Meisterwerk: die Begrüßung von Maria und Elisabeth vor der Thüre von Elisabeths Wohnung, auf deren Schwelle Zacharias, den Besuch höflich grüßend, erscheint. Maria ist über das Gebirge herabgekommen, und man sieht in der Ferne, hinter dem schattigen Tannen- und Laubwald des Mittelgrundes, die Bergmasse, die sich in mannigfaltigen Formen immer höher emportürmt, hell beleuchtet in durchsichtiger Luft; vom entlegensten und höchsten Gipfel hat ein weißer Wolkenballen sich losgelöst, der in dem tiefen Ton des sommerlichen Himmels langsam zerfließt. Man weiß nicht, was man hier mehr bewundern soll, die prachtvolle landschaftliche Stimmung oder die feinfühlige Beobachtung der Frauenseele, die in den Figuren sich äußert. Dann sehen[S. 53] wir Maria in einem zerfallenen Stallgebäude vor dem Knäblein knieen, dem sie das Dasein gegeben hat; kleine Engel betrachten mit kindlicher Freude und Neugier den Neugeborenen, und andere Englein lobsingen ihm in der Luft; von der einen Seite kommt Joseph mit eiligen Schritten mit einer herbeigeholten Laterne herein — man sieht, daß er während des Geheimnisses der Geburt nicht zugegen war —, und durch die andere Thüre nahen schon die Hirten mit Schalmei und Dudelsack, um das Kind zu grüßen. Auf dem folgenden Bild wohnen Maria und Joseph der durch die Priester in einer Art von Kapelle vorgenommenen Beschneidung des Jesuskindleins bei. Darauf nehmen sie in einem als Stall dienenden zerfallenen Burggemäuer die Huldigungen entgegen, welche die mit reisigem Gefolge herbeigekommenen drei königlichen Weisen dem Kinde darbringen. Weiterhin bringt Maria das Reinigungsopfer in der fremdartig, aber groß erdachten, in der Tiefe von dämmerigem Dunkel erfüllten Säulenhalle des Tempels. Dann führt Joseph die mit dem Kinde auf dem geschirrten Esel sitzende Maria über einen Steg in endlos ausgedehntem Wald, dem eine naturgetreu gezeichnete Dattelpalme ein morgenländisches Gepräge gibt; eine lichte Wolke, mit kleinen Cherubim angefüllt, gleitet über den Flüchtlingen durch die Wipfel der Bäume. Darauf folgt ein köstlich erfundenes Blatt, welches den ungestörten friedlichen Aufenthalt der heiligen Familie in Ägypten verbildlicht. In einer Ortschaft, der man die Weltentlegenheit ansieht, wo erhaltene und verfallene Gebäulichkeiten aneinander lehnen,[S. 54] haben die Flüchtlinge Unterkunft gefunden. Da liegen sie im Freien ihren täglichen Arbeiten ob, unweit der Treppe eines halbzerstörten verlassenen Hauses, neben der ein Laufbrunnen plätschert. Joseph haut mit der Axt ein Balkengestell zurecht; Maria sitzt in seliger, stiller Mutterfreude neben der Wiege und spinnt. Drei große und ein kleiner Engel umgeben das Kopfende der Wiege; eine Schar von kleinen Engeln tummelt sich mit kindlicher Geschäftigkeit, um die von Josephs Arbeit abfallenden Späne aufzuheben und fortzuschaffen; andere bringen, selber spielend, Spielzeug herbei, um das jetzt schlafende Jesuskind nach seinem Erwachen zu unterhalten. Hoch vom Himmel blicken Gott Vater und der heilige Geist herab auf das Idyll, das eines jeden Beschauers Herz erfreut (Abb. 40). Darauf folgt gleich die Darstellung der Begebenheit, die zuerst bekundet, daß der Sohn Marias den Kreis des engen Familienlebens verlassen muß, um seinen Beruf zu erfüllen: Maria und Joseph finden den zwölfjährigen Jesus im Tempel zwischen den Schriftgelehrten. Was alles die Mutter an namenlosen Schmerzen erdulden muß während des Leidens ihres Sohnes, das hat Dürer nur angedeutet in einem einzigen Blatt von erschütternder Macht des Ausdrucks: Jesus schickt sich an, den Weg zu betreten, der ihn zu Leiden und Tod führt. Er hat Abschied genommen und wendet sich noch einmal um und segnet seine Mutter, die, auf die Kniee niedergesunken und nur durch die besorgte Unterstützung einer Freundin am Umfallen verhindert, in ahnungsvoller Seelenqual die Hände ringt, während ihre Blicke sich festzusaugen scheinen an die Augen des Sohnes (Abb. 41).
Nach der Fertigstellung dieser sechzehn Blätter fehlte nur noch weniges an der Vollendung der Bilderfolge des Marienlebens. Die Ereignisse aber brachten es mit sich, daß dieses Wenige erst nach einer Reihe von Jahren zur Ausführung kam.
Der Umstand, daß Dürers Holzschnitte in Venedig unbefugterweise nachgestochen wurden und daß der deutsche Meister deshalb den Schutz seines Urheberrechtes bei der venezianischen Regierung hätte nachsuchen wollen, soll die erste Veranlassung zu einer längeren Reise nach Venedig gewesen sein, die Dürer im Jahre 1505 antrat.
Hauptsächlich beschäftigte ihn aber in Venedig die Ausführung einer Altartafel, die er im Auftrage der dort ansässigen deutschen Kaufleute für deren Kirche San Bartolomeo malte. Es ist das jetzt im Prämonstratenserstift Strahow zu Prag befindliche „Rosenkranzfest.“ Darauf sind in einer Komposition von reicher, festlicher Pracht die Jungfrau Maria und das Jesuskind als Spender des Rosenkranzes dargestellt: sie schmücken die Häupter des Kaisers Maximilian I und des Papstes Julius II mit Kränzen von natürlichen Rosen; zu beiden Seiten werden eine Anzahl anderer Personen durch den heiligen Dominikus und eine Schar von Engeln in gleicher Weise gekrönt. Im Hintergrunde erblickt man den Maler selbst nebst seinem liebsten und treuesten Freunde, dem berühmten Humanisten Wilibald Pirkheimer; er hält ein Blatt in der Hand, worauf zu lesen ist, daß in einem Zeitraum von fünf Monaten der Deutsche Albrecht Dürer das Werk im Jahre 1506 ausgeführt habe (Abb. 42). Leider hat das vielbewunderte Gemälde, das noch vor seiner Vollendung den Dogen und den Patriarchen von Venedig veranlaßte, den deutschen Maler in seiner Werkstatt aufzusuchen, das nachmals durch Kaiser Rudolf II für eine sehr hohe Summe angekauft und mit unglaublichen Vorsichtsmaßregeln nach Prag gebracht wurde, in späteren, rücksichtsloseren Zeiten durch starke Beschädigungen und mehr noch durch schauderhaft gefühllose, modernisierende Übermalung der Köpfe von Maria und dem Jesuskind, sowie der Luft und anderer Teile schwer gelitten. Die Schönheit der Gestalten und der Komposition, bei der Mehrzahl der Figuren auch den Charakter und den Ausdruck[S. 56] der Köpfe und Hände können wir noch bewundern; aber der einst aufs höchste gepriesene Reiz der Farbe und der meisterlichen Ausführung kommt nur noch stellenweise zur Geltung und läßt uns die Zerstörung doppelt beklagen. Eine bessere Vorstellung von der ursprünglichen Klarheit des Gemäldes und besonders von dem Kopf der Maria erhalten wir durch eine alte Kopie desselben im Hofmuseum zu Wien, obgleich diese Kopie der Feinheit Dürers, besonders in den Köpfen, bei weitem nicht gerecht wird (Abb. 43).
Nebenher malte Dürer in Venedig eine Anzahl von Bildnissen und mehrere kleinere Gemälde. Das schönste von diesen besitzt die Dresdener Galerie in der ergreifenden und malerisch wirkungsvollen Darstellung des Gekreuzigten, die ungeachtet des miniaturartigen Maßstabes ein wahrhaft großartiges Werk ist. Finsternis senkt sich über die Erde herab; nur am Horizont glüht ein gelblicher Lichtstreifen über dem Meere. Der Wind macht die Haare und das Lendentuch des Gekreuzigten flattern, dessen hellbeleuchtete Gestalt als das Licht in der Finsternis erscheint. Kein Zucken in dieser Gestalt weist auf die Qual der Schmerzen hin: Ruhe ist über den Dulder gekommen, er hebt das edle Anlitz mit dem Ausdruck ungebeugten Vertrauens empor, und wir vernehmen die Worte: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist“ (Abb. 44). — In der Barberinischen Sammlung zu Rom befindet sich ein laut Inschrift in fünf Tagen gemaltes Bild, welches den zwölfjährigen Jesus im Gespräche mit den Schriftgelehrten darstellt. Es ist die schnelle, wenn auch durch Studien (Abb. 45) vorbereitete Niederschrift eines Gedankens, zu dem Dürer durch den Anblick von Leonardo da Vincis Charakterköpfen angeregt worden[S. 57] sein mochte. Das Ganze besteht eigentlich nur aus Köpfen und Händen; aber diese sind alle gleich ausdrucksvoll (Abb. 46). — Zu den in Venedig entstandenen Porträts gehört vielleicht das mit der Jahreszahl 1507 bezeichnete Bildnis eines blondhaarigen jungen Mannes im kunsthistorischen Hofmuseum zu Wien, welches bekundet, daß Dürer im Anblick der italienischen Kunstwerke gelernt hatte, alle ihm eigene scharfe Bestimmtheit der Kennzeichnung in ein Gesicht zu legen, ohne dabei die Züge so hart zu malen, wie er es in seinen früheren Bildnissen gethan hatte (Abb. 47). Dieses Bild hat eine besondere Merkwürdigkeit. Auf die Rückseite der Holztafel, die vorn den so angenehm aussehenden jungen Mann zeigt, hat Dürer die Avaritia, den Geiz, gemalt in der Gestalt eines häßlichen, abgemagerten alten Weibes, das einen Sack mit Goldstücken hält und den Beschauer höhnisch anlacht. Gewiß hat der junge Mann sein Porträt bei Dürer bestellt gehabt, dann aber nicht bezahlen wollen, und der Künstler hat seinem Ärger hierüber Luft gemacht durch die Allegorie, die er breit und mit kräftigen Farben auf die Rückseite des nun in seinem Besitz verbleibenden Bildes hinstrich. — In dieselbe Zeit mag wohl auch der im Schloß Hamptoncourt befindliche treffliche Bildniskopf eines anderen jungen Mannes mit wollig herabhängendem blonden Haar fallen, auf das als ein bisher unbeachtet gebliebenes und durch tadellose Erhaltung ausgezeichnetes Werk Dürers erst kürzlich die Aufmerksamkeit gelenkt worden ist (Abb. 48).
Von Venedig aus machte Dürer eine Reise nach Bologna und Ferrara. Eine begonnene Reise nach Mantua gab er wieder auf, weil der Zweck derselben, die persönliche Bekanntschaft des von ihm[S. 58] so hochverehrten Mantegna zu machen, durch dessen Tod vereitelt wurde.
Von Dürers Leben in Venedig gibt eine Reihe von noch vorhandenen Briefen Kunde, die der Meister an seinen Freund Pirkheimer geschrieben hat. Da erfahren wir, daß der deutsche Maler für die einheimischen Künstler ein Gegenstand der Neugierde und des Neides war; daß zwar viele Edelleute, aber wenig Maler ihm wohl wollten; daß unter diesen wenigen aber der achtzigjährige Altmeister Giovan Bellini war. Wir sehen das allmähliche Entstehen der Altartafel; wir hören Dürers Klage, daß diese allzu zeitraubende Arbeit ihn zwinge, eine Menge lohnenderer Aufträge auszuschlagen, und nehmen teil an seiner Freude über das endliche Gelingen des Werkes und über den Beifall, den dasselbe findet. Wir sehen ihn die Gassen der Lagunenstadt durchstreifen, um für den Freund allerlei Besorgungen zu machen. Wir ver[S. 59]nehmen, wie er sich’s wohl sein läßt in der Fremde, aber dabei für die Seinen in der Heimat zärtlich besorgt ist und als ein vorsichtiger Hausvater seine Erwerbsverhältnisse überschlägt. Mit lustigem Übermut beantwortet er des Freundes derbe Späße, und bei dem Gedanken an die Heimkehr kann er die Worte nicht unterdrücken: „Wie wird mich nach der Sonnen frieren.“
Erst zu Anfang des Jahres 1507 kehrte Dürer nach Nürnberg zurück. Der Aufenthalt in Venedig war für seine künstlerische Bildung von großer Bedeutung gewesen. Die Berührung mit der italienischen Kunst hatte ihn in seiner eigenen Kunst weitergebracht, ohne daß er den Gewinn mit dem geringsten Opfer von seinem Selbst bezahlt hätte. Seine Anschauungsweise war größer geworden, sein Formgefühl hatte sich verfeinert; aber wie sein Empfinden, so blieb seine künstlerische Ausdrucksweise durch und durch deutsch. Es gehört mit zu den höchsten Ruhmestiteln Albrecht Dürers, daß das männliche Bewußtsein seiner Künstlerschaft und das freudig stolze Gefühl seines Deutschtums ihm jeden Versuch verwehrte, den eigenen festen Halt aufzugeben und sich an die fremdländische Kunst anzulehnen. Die Nachahmung der Italiener hat nach ihm die deutsche Kunst zu Grunde gerichtet.
Nach der Rückkehr schuf Dürer in rascher Folge mehrere größere Gemälde. Das erste war eine Darstellung von Adam und Eva auf zwei Tafeln in lebensgroßen Figuren. In Italien hatte Dürer gesehen, mit welch hoher künstlerischen Schönheit die nackte Menschengestalt bekleidet werden kann. In diesen beiden Gestalten des Mannes und des Weibes, die eine Vollkommenheit der Formen zeigen, wie sie der Kunst des Nordens bis dahin unerreichbar gewesen war, legte er gleichsam öffentlich Zeugnis ab von dem, was sich ihm für seine Kunstanschauung Neues in dem Lande der alten Kunst offenbart hatte. Aber man würde Dürer großes Unrecht thun, wenn man die beiden Figuren bloß auf die Form hin, der denn doch noch nordische Mängel anhaften, betrachten wollte. Das Beste daran ist vielmehr die Feinheit des Gefühls, mit der die Empfindung der beiden erdacht und ausgesprochen ist. Der Ausdruck liegt nicht bloß in den Köpfen. Hier das mit weiblicher Zurückhaltung gemischte schmeichelnde Verlocken, dort scheues Zagen im Verein mit der Unfähigkeit, zu widerstehen: das ist in den ganzen Gestalten, bis in die Füße und die Fingerspitzen hinein mit einer Meisterschaft, die in dieser Beziehung kaum ihresgleichen hat, zur Anschauung gebracht (Abb. 49 und 50). Man kann sich vorstellen, welches ungeheure Aufsehen diese beiden Tafeln bei ihrem ersten Erscheinen erregten. Dieselben sind schon früh kopiert worden. Um den Besitz der Originale streiten sich die Sammlung des Pittipalastes[S. 60] zu Florenz und das Pradomuseum zu Madrid. Der Streit ist wohl überflüssig. Man muß unbedingt annehmen, daß der Meister selbst sich zu einer Wiederholung dieses Werkes, in dem er etwas nie Dagewesenes erreicht hatte, entschlossen hat. Die Ausführung durch seine eigene Hand ist bei dem Madrider Exemplar unanfechtbar; aber auch bei dem Florentiner Exemplar, das leider weniger gut erhalten ist, kann wohl nicht an der Eigenhändigkeit der Arbeit gezweifelt werden. Die Figuren stimmen hier und dort ganz genau miteinander überein. Im übrigen unterscheiden sich die beiden Ausführungen in ähnlicher Weise, wie die Zeichnung und der Kupferstich von 1504. In Florenz treten die Figuren, wie es dem Inhalt der Darstellung entspricht, aus einem landschaftlichen Hintergrund, den Tiere beleben, hervor. In Madrid heben sie sich, um ganz unbeeinträchtigt für sich selbst zu wirken, von schlichtem schwarzen Grunde ab; auch der Baumstamm mit der Schlange an der Seite Evas ist hier nicht in malerischer Ausführung, sondern mehr als bloße Andeutung gemalt. An dem unteren Zweig des Baumes hängt bei der Eva in Madrid ein Täfelchen, worauf zu lesen ist, daß der Deutsche Albrecht Dürer das Bild gemacht habe. („Albertus Durer alemanus faciebat post virginis partum 1507“.)
Mehr Arbeit als die beiden lebensgroßen Einzelgestalten machte dem Meister ein Gemälde mit zahllosen kleinen Figuren, welches Kurfürst Friedrich der Weise bei ihm bestellte: „Die Marter der Zehntausend“ (Hinrichtung der persischen Christen unter König Sapor). Dürer verwendete den ganzen großen Fleiß, den er besaß, auf dieses Bild, an dem er über ein Jahr arbeitete und das er im Sommer 1508 vollendete (Abb. 51). Dasselbe befindet sich jetzt in der Gemäldesammlung des kunsthistorischen Hofmuseums zu Wien. Vor allem müssen wir hier Dürers Meisterschaft in der malerischen Bewältigung der großen Figurenmassen, wobei er der in kühnen Linien aufgebauten Landschaft eine wesentliche[S. 63] Rolle zugewiesen hat, und in der Erfindung mannigfaltiger Einzelheiten, durch die er den grausigen Gegenstand anziehend zu machen gewußt hat, bewundern. Die ursprüngliche Farbenharmonie des unglaublich fein ausgeführten Bildes ist leider dadurch gestört, daß das reichlich angewendete Lasursteinblau im Laufe der Zeit durch die Farben, mit denen es gemischt war, durchgewachsen und an die Oberfläche getreten ist, so daß es jetzt sehr viel stärker spricht, als es nach der Absicht des Meisters sollte.
Mit der gleichen Sorgfalt malte Dürer dann die Mitteltafel eines umfangreichen Altarwerks, mit dessen Ausführung ihn der reiche Frankfurter Kaufherr Jakob Heller gleichfalls schon im Jahre 1507 beauftragt hatte. Er selbst schrieb an den Besteller, daß er all seine Tage keine Arbeit angefangen habe, die ihm besser gefiele, und noch nach der Ablieferung im August 1509 war er um die vorsichtige Behandlung des Bildes besorgt. Von seiner fleißigen und gewissenhaften Vorbereitung auf dieses Werk legt eine Anzahl von Naturstudien Zeugnis ab, die in feiner Pinselzeichnung ausgeführt sind (Abb. 52, 53, 54). Gegenstand des Gemäldes war die Himmelfahrt Marias. Unten umstehen die Apostel das leere Grab, und oben in den Wolken, in denen sich Scharen kleiner Engel umhertummeln, wird die Jungfrau von Gott Vater und Christus mit der Krone der Himmelskönigin geschmückt. Die wunderbare Schönheit dieser von dem Meister selbst für sein bestes Werk gehaltenen Schöpfung, in der sich mit der liebevollsten Ausarbeitung der Einzelheiten eine großartige Einheitlichkeit der malerischen Wirkung verband, können wir nur noch ahnen im Anblick einer alten Kopie, welche mit sechs der von Gehilfen ausgeführten Flügelbilder im Historischen Museum zu Frankfurt aufbewahrt wird. Das Original, für welches Kaiser Rudolf II den Frankfurter Dominikanern, in deren Kirche das Altarwerk aufgestellt war, vergeblich 10000 Gulden bot, und das dann später von Herzog Maximilian von Bayern erworben wurde, ist im Jahre 1674 bei dem Brande der Münchener Residenz ein Raub der Flammen geworden.
Ein günstigeres Geschick hat über dem nächsten großen Gemälde gewaltet, welches Dürer schuf. Es ist das Allerheiligenbild, auch Dreifaltigkeitsbild genannt, das er für die Kapelle des sogenannten Landauerklosters oder Zwölfbrüderhauses in Nürnberg, einer wohlthätigen Stiftung zweier dortigen Bürger, malte und im Jahre 1511 vollendete. Als die Kapelle geweiht wurde, erhielt sie ihren Namen zu Ehren aller Heiligen; dadurch war die Wahl des Gegenstandes für das Altargemälde bestimmt: die in der Anbetung des dreifaltigen Gottes ver[S. 64]einte Gesamtheit der Heiligen (Abb. 66). Wohlerhalten und unversehrt schmückt diese Tafel die kaiserliche Gemäldegalerie zu Wien. Nur die Farbenwirkung hat auch hier durch das Durchwachsen des Blau, sowie ferner durch das Verblassen der Schattentöne in den grünen Gewändern ihren Einklang einigermaßen eingebüßt. Aber die hohe Vollkommenheit der Zeichnung und der Ausführung können wir bei diesem unvergleichlichen Meisterwerk in ihrer ganzen ursprünglichen Herrlichkeit bewundern. Wohl in keinem anderen Erzeugnis der deutschen Malerei ist so viel Großartigkeit mit so viel Poesie vereinigt. Man darf unbedenklich behaupten, daß diese Meisterschöpfung Dürers das erhabenste Werk der kirchlichen Kunst diesseits der Alpen ist. Es entrückt den Geist des gläubigen Beschauers in die Sphären der Seligen. Von Engelchören umschwebt, deren Reigen sich in ungemessener Ferne verliert, erscheint in lichtdurchstrahltem Gewölk die heilige Dreifaltigkeit: Gott Vater in Krone und Königsmantel auf dem doppelten Regenbogen thronend, hält mit den Händen das Kreuz, an dem Gott Sohn sich der Menschheit opfert, und über seinem Haupte schwebt der heilige Geist in Gestalt der Taube. Zu beiden Seiten knieen die Auserwählten des alten Bundes und die Heiligen der Christenheit, mit der Jungfrau Maria und Johannes dem Täufer an der Spitze. Ihnen reiht sich auf einem niedrigeren Wolkenkranze die ungezählte Schar der namenlosen Seligen aller Stände an, von Kaiser und Papst bis zu Bauer und Bettelfrau. Tief unten liegt die Erde in weiter, vom Himmelslicht rosig überstrahlter Landschaft. — Zwischen den Seligen ist in einer demütigen Gestalt — links am Bildrande, neben dem mit einer Gebärde der Ermutigung sich umwendenden Kardinal — der Stifter des Gemäldes, Matthäus Landauer, abgebildet. Unten auf der Erde aber steht Albrecht Dürer, bescheiden in die Ferne gerückt den Himmlischen gegenüber, doch mit gerechtem Selbstbewußtsein hinausblickend zu dem sterblichen Beschauer, dem er sich als den Urheber des Gemäldes nennt. Auch auf dem Bilde der zehntausend Märtyrer und auf der Hellerschen Altartafel hatte er, wie er es beim Rosenkranzfest zuerst gethan, sich selbst in den Hintergrund gemalt und dabei voll Vaterlandsgefühl seinem Namen den Zusatz „ein Deutscher“ beigefügt. Auf der Inschrifttafel des Allerheiligenbildes nennt er sich mit Heimatsstolz als einen Sohn der Stadt, welche das Bild bewahren soll. — Das Allerheiligenbild, dessen Maßstab im Verhältnis zu seinem großen Inhalt sehr klein ist, wurde in einem prächtig geschnitzten Holzrahmen, für den Dürer selbst den Entwurf gezeichnet hatte, an seinem Bestimmungsort aufgestellt.[S. 66] In einer Zeit, wo die Nürnberger ihren Dürer nicht mehr gebührend zu schätzen wußten, gelang es dem eifrigen Dürersammler Kaiser Rudolf II, das Gemälde zu erwerben. Der leere Rahmen blieb in Nürnberg zurück und befindet sich, leider durch grauen Anstrich entstellt, jetzt im Germanischen Museum. Es ist ein Aufbau, der sich aus einem schmuckreichen Sockel, verzierten Säulen an den Seitenwänden, einem von diesen getragenen Gebälk und darüber einem halbkreisförmigen Aufsatz zusammenfügt. In dem Bogenfeld des Aufsatzes und in dem Fries des Gebälkes ist das Jüngste Gericht in geschnitzten Figuren dargestellt; an den Seiten des Aufsatzes befinden sich als freistehende Figuren Engel mit Posaunen und auf dem Scheitel desselben ein Engel mit dem Kreuz.
In der Erfindung dieser reichen architektonischen Einfassung seines Gemäldes hat Dürer sich als einen echten Renaissancekünstler zu erkennen gegeben in dem Sinne, daß er an die Stelle spätgotischer Gebilde die wiederbeseelten Formen des klassischen Altertums setzte. In Venedig hatte er Kunstwerke gesehen, in denen die Formenwelt der antiken Bau- und Zierkunst sich wiederspiegelte, und er huldigte dem tonangebenden Geschmack seiner Zeit, indem er versuchte, in seinen eigenen Schöpfungen derartige Formen anzubringen. Schon vor der venezianischen Reise hatte er ja bisweilen — besonders im Marienleben — sich bemüht, aus unklaren Vorstellungen heraus Gebäude, die der Antike gleichen sollten, zu ersinnen. Jetzt besaß er, wenn auch kein wirkliches Verständnis, so doch immerhin einige, durch die Anschauung von Erzeugnissen der oberitalienischen Renaissance gewonnene Kenntnis von der Baukunst des Altertums. Wohl das hübscheste Beispiel von seinen Versuchen, dasjenige, was er sich in dieser Beziehung angeeignet hatte, selbständig zu verwerten, finden wir in einer Zeichnung vom Jahre 1509, die im Baseler Museum aufbewahrt wird. Es ist eine mit Wasserfarben leicht bemalte Federzeichnung, die in einer Komposition voll Reiz und Anmut die heilige Jungfrau mit dem Jesuskinde zeigt, die dem Spiel kleiner Engelskinder lauschen, während hinter ihnen der Nährvater Joseph arbeitsmüde am Tisch eingeschlafen ist; über der wunderlieblichen Gruppe wölbt sich eine offene Halle, deren reiche Formen den größten Teil des Bildes einnehmen. Hier hat Dürer mit sichtlicher Lust und mit feinem Schönheitsgefühl eine Architektur nach antiker Art, mit korinthischen Säulen und kassettiertem Tonnengewölbe, entworfen (Abb. 57).
Im Jahre der Vollendung des Dreifaltigkeitsbildes gab Dürer seine „drei großen Bücher“ als ein zusammenhängendes Werk heraus: nämlich die inzwischen fertig gewordenen Folgen des Marienlebens und der Passion und eine neue, um ein Titelbild vermehrte Auflage der Apokalypse.
An der Spitze dieses großen Holzschnittwerkes steht das neugezeichnete Titelbild zum Marienleben. In diesem reizvollen Bild, das, um Platz für den Titel zu lassen, nur einen Teil der Blattseite ausfüllt, sehen wir die Jungfrau Maria mit dem Kinde an der Brust zugleich als das Weib der Apokalypse dargestellt: mit dem Mond unter den Füßen, von der Sonne umgeben und mit einer Krone von zwölf Sternen über dem Haupt. Es ist wunderbar, wie Dürer es verstanden hat, mit schwarzen Strichen den Eindruck von strahlendem Licht hervorzubringen (Abb. 59). Dem Titel folgen die vorher genannten sechzehn Bilder. An diese reihen sich zwei herrliche, im Jahre 1510 hinzugefügte Blätter, aus denen man, wenn man sie mit den früheren vergleicht, deutlich sieht, wie Dürer sich in der Zwischenzeit vervollkommnet hatte. Das erste der beiden führt uns in das Sterbegemach Marias. Man fühlt die feierliche Stille, das Dämpfen der Schritte und der Stimmen im Kreise der Apostel, die das Bett umgeben, auf dem die Mutter Christi mit dem Ausdruck seligen Friedens auf dem vom Tod verschönten Antlitz eben den letzten Atemzug gethan hat (Abb. 60). Dann kommt die Aufnahme[S. 70] Marias in den Himmel in einer Darstellung, welche im allgemeinen der Anordnung dem Hellerschen Altarbild ähnlich, in allen Einzelheiten aber wieder in neuer Weise erdacht ist. Unten sind um den Steinsarg, der den Körper Marias bergen sollte, die Apostel versammelt und blicken voll Staunen über das Unbegreifliche zum Himmel empor. Dort oben kniet im strahlendurchfluteten Lichtraum über Wolken und Regenbogen die dem Grab Entrückte in verklärter und verjüngter Gestalt und empfängt von dem dreifaltigen Gott die Himmelskrone (Abb. 61). Darauf folgt noch ein überaus liebenswürdiges Schlußblatt, das der Art seiner Zeichnung nach bereits vor der venezianischen Reise entstanden sein muß und gleichsam ein Nachwort zu der Erzählung von „Unserer Lieben Frauen Leben“ bildet. Da sitzt Maria als Himmelskönigin, mit dem Jesuskind auf dem Schoß, von Engeln und Heiligen verehrt; aber sie sitzt nicht auf einem Himmelsthron, sondern in einem traulichen irdischen Gemach, den Sterblichen zugänglich als holde Fürbitterin.
Auf dem Titelblatt, welches Dürer zur Passion zeichnete, nachdem er sich zur Veröffentlichung dieses so lange zur Seite geschobenen Werkes entschlossen hatte, erscheint Christus als „Schmerzensmann,“ das heißt in einer in der Spätzeit des Mittelalters aufgekommenen Darstellung, welche das ganze Leiden des Heilandes zusammenfassend zeigt: entblößt, gegeißelt, mit Dornen[S. 71] gekrönt, verspottet, an Händen und Füßen mit Nägeln durchbohrt, dem Grabe verfallen, so heftet der Heiland einen Blick voll tiefen Schmerzes auf den Beschauer (Abb. 63). In der Passion ist der Unterschied zwischen den älteren Kompositionen und den mit der Jahreszahl 1510 bezeichneten vier neuen, bei denen auch die Schnittausführung gut gelungen ist, sehr groß. Eines dieser Blätter bildet den Anfang der Bilderfolge: das letzte Abendmahl. Das Wort: „Einer unter euch wird mich verraten“ versetzt die Apostel in Aufregung; Judas kriecht in sich zusammen, versteckt seinen Geldbeutel und thut, als ob ihn dieses Wort am wenigsten berühre. Das nächste der Blätter von 1510 führt in einem Bilde voll leidenschaftlich bewegten Lebens die Gefangennahme Jesu vor. Noch haften Hand und Lippen des Verräters am Haupte des Verratenen, und schon ist dieser mit Stricken gefesselt, und die wilde, lärmende Rotte schickt sich an, das Opfer fortzuzerren, das in diesem schrecklichen Augenblick, wo die Erfüllung des Leidensgeschickes zur Thatsache wird, einen hilfeflehenden Blick menschlichen Entsetzens zum Himmel sendet. So begreiflich wie nutzlos erscheint der grimme Zorn des Petrus, der das Schwert über dem mit Ungestüm zu Boden geschleuderten Knecht Malchus schwingt (Abb. 64). Die beiden anderen neuen Kompositionen bilden den Schluß der Passion: Christi Hinabfahrt zur Hölle und Auferstehung. Mit gewaltiger Dichterkraft führt uns der Zeichner in die Vorhölle, wo Christus unter dem ohnmächtigen Toben greulicher Teufelsgestalten die Seelen der Väter aus einem tiefen Verließ hervorholt; hinter den Befreiten sieht man das offene Thor der Hölle, das dem Blick nichts weiter enthüllt als ein grenzenloses schwelendes Flammenmeer, dessen ausstrahlende Glut die Siegesfahne des Erlösers emporwehen macht. Nicht minder großartig ist das Auferstehungsbild. Eine starke Wache von Bewaffneten umgibt das Grab. Einige von ihnen schlafen, ein alter Kriegsmann schüttelt unsanft einen der Pflichtvergessenen; einer erwacht eben und öffnet gähnend die Augen, er sieht, ohne noch zu begreifen; andere aber erkennen das Wunder, das sich vollzieht. Über dem geschlossenen Steindeckel der Gruft, an der man das von der Obrigkeit angelegte Siegel unverletzt sieht, schwebt der Heiland empor, von einer Wolke aufgenommen und von Cherubimscharen begrüßt. Er hebt das von dem dreiteiligen Lichtschein der Gottheit umstrahlte Antlitz zum Himmel empor, in der Linken hält er die Siegesfahne, mit der Rechten segnet er die durch das vollbrachte Leidenswerk erlöste Welt (Abb. 65).
Die Zeichnung, welche Dürer der Apokalypse als Titelbild hinzufügte, stellt den Evangelisten Johannes dar, dem die Mutter Gottes als das mit der Sonne bekleidete Weib der Offenbarung erscheint.
Es ist bemerkenswert, daß Dürer für den Druck des Textes zum Marienleben und zur Passion — es waren lateinische Verse, welche der ihm befreundete Benediktiner Chelidonius verfaßt hatte — die neu aufgekommenen[S. 74] Schriftzeichen der Renaissance, die von den italienischen Druckern der alten römischen Schrift nachgebildeten sogenannten lateinischen Buchstaben, verwendete. Für den Text zur Apokalypse behielt er die spätgotischen Lettern der ersten Ausgabe bei.
In dem nämlichen Jahre 1511 gab Dürer ein kleines Buch heraus, welches eine bildliche Schilderung des Leidens Christi in wieder anderer Auffassung, von Gedichten des Chelidonius begleitet, enthält. Auch dieses Buch trägt den Titel Passion („Passio Christi“), und es ist von jeher gebräuchlich, seine Bilderfolge und diejenige des großen Buches durch die Bezeichnungen „die Kleine Passion“ und „die Große Passion“ zu unterscheiden. Die Kleine Passion besteht aus siebenunddreißig Holzschnitten: einer Titelzeichnung, welche Christus als Schmerzensmann auf einem Stein sitzend darstellt, und sechsunddreißig Blättern in dem kleinen Format von ungefähr 9½ zu 12½ Centimetern, welche in Kompositionen von meistens nur wenigen Figuren das Erlösungswerk mit Ausführlichkeit und in einer mehr volkstümlichen Weise erzählen. Die sämtlichen Bildchen, von denen einige mit der Jahreszahl 1509, andere mit 1510 bezeichnet sind, scheinen schnell hintereinander gezeichnet zu sein. Die Erzählung beginnt mit dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies, als der Vorbedingung der Erlösung. Nachdem die Menschwerdung des Erlösers durch die Verkündigung und die Geburt verbildlicht worden ist, bildet der Abschied Jesu von seiner Mutter die Einleitung zu den Ereignissen der mit dem Einzug in Jerusalem beginnenden Leidenswoche. Vor und nach dem letzten Abendmahl sind die Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel und die Fußwaschung eingefügt. Das Gebet am Ölberg, wo Christus im Seelenkampf die vor die Stirn gehobenen Hände zusammenpreßt, überbietet an Größe und ergreifender Tiefe der Auffassung das entsprechende Bild der Großen Passion. Die Begebenheiten zwischen der Gefangennahme und der Verurteilung werden in allen Einzelheiten geschildert, von der Vorführung vor Annas bis zur Händewaschung des Pilatus. Auf die Kreuztragung folgt Veronika, die mit dem Abdruck von Christi Antlitz auf dem Schweißtuch zwischen Petrus und Paulus dasteht, als besonderes Bild. Wir sehen, wie Christus an das Kreuz angenagelt wird, und wie er am Kreuze die letzten Worte spricht; dann wie er in die Unterwelt hinabsteigt; wie sein Leichnam vom Kreuze abgenommen, dann am Fuße des Kreuzes beweint und darauf in das Grab gelegt wird. Auf die Auferstehung folgt die Erscheinung des Auferstandenen vor seiner Mutter, vor Maria Magdalena — ein Bild von hochpoetischer Stimmung (Abb. 62) —, vor den Jüngern zu Emmaus und vor Thomas. Darauf folgt die Himmelfahrt, bei der das Entschwinden Christi in befremdlicher, aber wirksamer Weise dadurch veranschaulicht ist, daß man nur noch seine Füße sieht. Die Herabkunft des heiligen Geistes und die Wiederkehr Christi am Jüngsten Tage bilden den Schluß.
Nichts spricht mehr für die Unerschöpflichkeit von Dürers Gestaltungsvermögen, als die Thatsache, daß er sich zu derselben Zeit mit der Ausarbeitung einer Folge von Kupferstichen beschäftigte, welche gleichfalls das Leiden des Heilandes, in abermals anders ersonnenen Darstellungen, behandelte.
Neben den vier Büchern brachte Dürer eine ganze Anzahl von einzelnen Holzschnittblättern auf den Markt. Im Jahre 1510 veröffentlichte er auch einige Holzschnitte mit längerem Text in Reimen, den er selbst verfaßt hatte und durch Hinzufügung des Monogramms als sein geistiges Eigentum kennzeichnete; er gab darin Lebensregeln, Ermahnungen zur Vorbereitung auf den Tod und Betrachtungen über das Leiden Christi.
Die Jahreszahl 1511 findet sich auf mehreren Einzelholzschnitten von besonderer Schönheit. Da ist vor allem das große Blatt „die heilige Dreifaltigkeit“ — eine Nebenfrucht des Landauerschen Altargemäldes —, ein erhabenes Bild von wunderbar überirdischer Stimmung. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn dahingab“, ist der Inhalt der Darstellung. Über den Wolken, in denen die Winde nach den vier Richtungen blasen, thront Gott Vater im endlosen Raum, den die von der Gottheit ausgehenden Lichtstrahlen erfüllen. Er hält den Sohn in der Gestalt des gemarterten und getöteten Dulders auf dem Schoße, und ein Beben des Schmerzes geht durch die Engelscharen, in denen die Zeichen von Christi Marter und Tod getragen werden (Abb. 67). — Das Blatt[S. 75] ist ein Meisterwerk der Formschneidekunst, es bringt jeden Strich des Zeichners klar zur Geltung. Dürer hatte die Kräfte, deren er sich zum Schnitt seiner Holzzeichnungen bediente, jetzt so geschult, daß er ihnen Aufgaben anvertrauen konnte, die, wie dieses Blatt, die volle Wirkung und die Linienfeinheit eines Kupferstiches erreichten.
Ein anderer großer Holzschnitt aus demselben Jahre, „die Messe des heiligen Gregor“, gehört ebenfalls zu den großartigsten Erzeugnissen von Dürers dichterischer Gestaltungskraft. Da sehen wir, wie vor den Augen des messelesenden Papstes Gregor der Altaraufsatz zum Sarge wird, aus dem der Schmerzensmann emporsteigt, umgeben von den Marterwerkzeugen und den übrigen bekannten Wahrzeichen seines Leidens; wehklagende Engel verneigen sich vor der rührenden Gestalt, die mit einem Blick unsäglicher Bekümmernis den Zweifler anschaut. Dahinter verschwimmt alles in dunklem Nebel, der sich wie ein Schleier vor die ministrierenden Bischöfe legt, sich zu dichten Wolkenmassen ballt und mit dem Weihrauchdampf zusammenfließt. Es ist wunder[S. 78]bar, mit welcher Vollkommenheit hier das Traumhafte einer Erscheinung zur Anschauung gebracht ist: mit greifbarer Körperlichkeit steht das Gesicht vor dem Schauenden da, aber im nächsten Augenblick wird es verschwinden, der Nebel wird zerrinnen, und der Begnadete und Bekehrte wird nichts anderes erblicken, als seine unbeteiligte reale Umgebung (Abb. 68).
Eine innige Poesie heiligen Erdendaseins erfüllt das Blatt, welches die heilige Familie umgeben von ihren Verwandten, die sogenannte „heilige Sippe“ darstellt. Jede dieser Persönlichkeiten ist ein Charakter, und ein paar Baumstämme und der Rücken eines Hügels zaubern den Eindruck einer reizvoll behaglichen Landschaftsstimmung hervor (Abb. 69).
Die Gemälde, welche Dürer zunächst nach der Landauerschen Altartafel ausführte, erforderten kein so ungeheures Maß von Arbeitskraft, wie der Meister sie bei seiner feinen und gewissenhaften Art der Ausführung auf die Altarbilder der letzten Jahre verwendet hatte. Es sind Werke von großem Maßstab bei erheblich geringerem Umfang. Die Gemäldesammlung im Wiener Hofmuseum besitzt ein liebenswürdiges kleines Marienbild vom Jahre 1512, das nach einer angeschnittenen Birne, welche das auf den Händen Marias liegende nackte Jesuskind im Händchen hält, benannt zu werden[S. 79] pflegt (Abb. 70). Dürers italienische Zeitgenossen haben in ihren Madonnen ein Maß von sinnlicher Schönheit, in deren Vollkommenheit sie, gleich wie die Künstler des klassischen Altertums, das Ausdrucksmittel für geistige Vollkommenheit sahen, zur Anschauung gebracht, das über dasjenige, was der deutsche Meister in dieser Hinsicht zu schaffen vermochte, sehr weit hinausgeht. Aber keiner von ihnen reicht an diesen heran in Bezug auf die Verbildlichung heiligster Jungfräulichkeit. Keine Formenschönheit vermöchte so nachhaltig auf den Beschauer zu wirken, wie der unfaßbare Zauber vollkommener Herzensreinheit, der über dem süßen Mädchengesicht dieser Dürerschen Madonna schwebt.
Ferner malte Dürer im Jahre 1512 im Auftrage seiner Vaterstadt, die ihn 1509 durch Ernennung zum Ratsmitgliede geehrt hatte, zwei lebensgroße Kaiserbilder zum Schmucke der „Heiltumskammer“, eines zur Aufbewahrung der Reichskleinodien bestimmten Gemaches. Die darzustellenden Kaiser waren Karl der Große als der Gründer des Kaisertums und Sigismund als derjenige, welcher der getreuen Stadt Nürnberg das „Heiltum“ anvertraut hatte. Für diesen benutzte Dürer ein älteres Bildnis; in seinem Karl dem Großen schuf er das Idealbild des gewaltigen Herrschers, das seitdem in der Vorstellung des deutschen Volkes lebt (Abb. 71). Ziemlich stark übermalt, befinden sich diese Gemälde, von denen sich die Stadt niemals getrennt hat, jetzt im Germanischen Museum.
Danach ließ Dürer mehrere Jahre hindurch das Ölmalen fast vollständig ruhen. In wie verhältnismäßig kurzer Zeit er auch die aufs sorgfältigste vorbereiteten und bis ins kleinste durchgearbeiteten Gemälde entstehen ließ, ihm selbst ging „das fleißige Kläubeln“, wie er schon 1509 in einem Briefe an Heller klagte, nicht rasch genug von statten; er wollte lieber „seines Stechens warten“.
Die Kupferstiche, die ihm zumeist am Herzen lagen, als er jene Worte schrieb, waren die schon erwähnten Passionsbilder. Einen Teil dieses Werkes hatte er schon während der Arbeit an dem Hellerschen Altargemälde ausgeführt, wie die Jahreszahlen 1508 und 1509 auf mehreren Blättern beweisen. Die Mehrzahl der dazu gehörigen Stiche vollendete Dürer im Jahre 1512, und im folgenden Jahre gab er die aus siebzehn kleinen Blättern bestehende abgeschlossene Folge an die Öffentlichkeit. Die Kupferstichpassion beginnt mit einem Titelbild, welches den an der Martersäule stehenden Schmerzensmann zeigt, aus dessen[S. 81] Seitenwunde Strahlen des erlösenden Blutes sich auf die Häupter von Maria und Johannes — die als Vertreter der ganzen erlösten Menschheit hier stehen — sich ergießen (Abb. 58), und erzählt dann die Geschichte von Christi Leiden und Tod und Sieg über den Tod in fein ausgeführten Bildchen, deren besonderer Charakter, entsprechend der hingebenden, liebevollen Arbeit des Kupferstechers, ein inniges Versenken in das Dargestellte ist. Wenn man die Kleine Holzschnittpassion eine volkstümliche Erzählung nennen kann, so darf man die Kupferstichpassion mit einer Reihe stimmungsvoller Gedichte vergleichen (Abb. 55, 56, 73, 74 und 75). Wer diese Blättchen mit einer Hingabe betrachtet, die derjenigen ähnlich ist, mit der sie geschaffen sind, der wird eine Quelle nie versiegenden Genusses in ihnen finden.
Die im Jahre 1512, wo Dürer sich dieser Arbeit mit reichlicherer Muße hingeben konnte, entstandenen Blätter der Kupferstichpassion überbieten die früher gestochenen[S. 82] ganz erheblich an Feinheit. Überhaupt machte Dürer in dieser Zeit die schnellsten und bedeutendsten Fortschritte in der Handhabung des Grabstichels. Das Kupferstechen war jetzt in ausgesprochener Weise seine Lieblingsbeschäftigung, und die stete Übung und das rastlose Bemühen, immer mehr zu erreichen, führten ihn zu außerordentlichen Erfolgen. Blätter, wie die im Jahre 1513 gestochene herrliche Komposition der zwei klagenden Engel, die der Welt das Bild des dornengekrönten Erlösers vor Augen halten (Abb. 76), sind auch in technischer Beziehung so schön, daß man eine weitere Vervollkommnung dieser Art von Kupferstich kaum für möglich halten sollte. Und doch gelangte Dürer, der im Kupferstich das Mittel suchte, seinen innersten Empfindungen geläufigen Ausdruck in vollendeter Form zu geben, noch weiter. In den Jahren 1513 und 1514 schuf er die drei Blätter, die den Höhepunkt der deutschen Kupferstecherkunst bezeichnen und die zugleich in rein künstlerischer Beziehung, als Mitteilungen aus dem tiefsten Inneren der Künstlerseele, in denen Gedanken und Form eins sind, zu Dürers vollendetsten Werken gehören. Es sind die drei Blätter, die zu allen Zeiten nur ungeteilte Bewunderung gefunden haben: „Ritter, Tod und Teufel“, „Melancholie“ und „St. Hieronymus im Gehäuse (in der Stube)“.
Zur Erklärung des Blattes „Ritter, Tod und Teufel“ weiß eine alte Nachricht zu sagen, daß dasselbe sich auf eine Geschichte beziehe, die zu Dürers Zeit von einem Ritter Namens Philipp Rink erzählt wurde. Aber das Bild bedarf keiner Erklärung, die der unmittelbar packenden Wirkung seiner dichterischen Kraft und Schönheit nur Abbruch thun würde. In einem wilden Hohlweg reitet auf schlüpfrigem Boden ein Ritter, den Speer auf der Schulter. Es ist Abend; man fühlt den klaren Ton, der nach Sonnenuntergang die Luft erfüllt, in dem wolkenlosen Stückchen Himmel, das über dem Rand der Schlucht, von Gestrüpp in schroffen Linien durchschnitten, sichtbar ist; man fühlt das schwindende Licht, das die fern auf einer Bergeshöhe liegende Burg mit einem weichen Ton überzieht. In der schaurigen Schlucht aber ist es kühl und düster. Ein verglimmender Abendstrahl, der auf einer Kante des Abhanges ruht, weicht der heraufrückenden Dunkelheit. In unheimliche Finsternis führt der sich verengende Weg zwischen höher steigenden Wänden; — führt er ins Verderben? Neben dem Ritter reitet als bleiches Gespenst der Tod, und hinter ihm schleicht ein grauenhafter Teufel, der mit schauerlich gierigem Blick aus glühenden Augen die Krallenhand nach ihm hebt. Des Ritters Roß und Hund ahnen etwas Beängstigendes. Er aber kennt[S. 83] keine Furcht; ohne rechts noch links zu sehen, in unerschütterlicher Haltung, reitet er vorwärts. Jeder Deutsche wird diesen Rittersmann verstehen, der trotz Tod und Teufel auf dem eingeschlagenen Wege bleibt (Abb. 77). Solch einen Mann der entschlossenen That quälen die grübelnden Zweifel nicht, auf die das träumerische Bild der „Melancholie“ hinweist. Da sitzt eine Gestalt, welche die Macht des Menschengeistes verkörpert, mit dem Lorbeer des Ruhmes gekrönt, von allerlei Zeichen menschlichen Wissens und Könnens, wie Handwerksgerät und mathematischen Körpern, umgeben. Wohl mag dieses mächtige Wesen sich weithin tragen lassen von seinen starken Schwingen; dennoch sinkt es schließlich in sich zusammen im Gefühl seiner Unvollkommenheit. Es gleicht dem Kinde, das auf dem Mühlstein sitzt und auf einem Täfelchen Schreib- und Rechenübungen macht. Es möchte das Tier beneiden können, dem kein Forschensdrang den Schlaf raubt. Der Schmelztiegel des Alchimisten, durch den die letzten Grundbestandteile der Dinge sich doch nicht ermitteln lassen, die Kugel, deren Inhalt sich nicht in Zahlen ausdrücken läßt, sind Zeichen der Beschränkung des menschlichen Geistes, Gegenstücke zu der an den Turm gelehnten Leiter, dem Spottbild auf die winzige Kleinheit der dem Menschen erreichbaren Erhebung über die Erde. Raum und Zeit setzen dem Menschengeist Schranken. Die Sanduhr und das Glöcklein an der Turmwand, wo ein Zahlenquadrat von zweckloser Spielerei des menschlichen Scharfsinns erzählt, verkünden die Flüchtigkeit und das Gemessensein der Zeit. Und über dem verschwindenden Horizont des Oceans durchleuchtet die Rätselerscheinung eines Kometen den endlosen Himmelsraum, an dem das unfaßbare Gebilde des Regenbogens prangt. Seiner Nichtigkeit dem All gegenüber sich bewußt, starrt der Genius mit gesenkten Fittichen voll Niedergeschlagenheit vor sich hin, und müßig ruht seine Hand auf dem Buch, in dem das Unbegreifliche doch nicht gesagt, und an dem Zirkel, mit dem das Unerreichbare nicht gemessen werden kann (Abb. 79). Der Beschauer mag vielleicht finden, das Bild sei mit ausgeklügelten und schwer verständlichen Beziehungen überladen. Aber deren Ausdeutung im einzelnen ist auch gar keine unerläßliche Vorbedingung für den Genuß des Bildes: das Ganze spricht mit voller Verständlichkeit zu uns durch seine Stimmung. Das ist das Einsehen, „daß wir nichts wissen können“. Auch Dürer hat einmal das Bekenntnis niedergeschrieben: „Die Lüge ist in unserer Erkenntnis, und die Finsternis steckt so hart in uns, daß auch unser Nachtappen fehlt.“ Den geraden Gegensatz hierzu bildet jener[S. 84] in seiner Arbeit volles Genügen findende Forscher, der im heiligen Hieronymus verkörpert ist. Ganz in sein Werk versunken, sitzt der große Kirchenvater in seiner gemütlichen Gelehrtenstube; man fühlt die behagliche Wärme, die das Sonnenlicht, durch die Butzenscheiben gedämpft, in das Gemach hineinträgt; in friedlichem Schlummer ruht der Löwe des Heiligen neben einem Hündchen (Abb. 81). Auch in diesen beiden Blättern ist Dürer wieder so kerndeutsch. Man braucht kein sogenanntes Kunstverständnis zu besitzen, sondern nur ein deutsches Herz zu haben, um diese Stimmungen mitfühlen zu können.
Die Jahre, in denen Dürer aus der innersten Schatzkammer seines Herzens solch köstliche Juwelen der vollendetsten Stimmungsmalerei hervorholte, brachten ihm den größten Schmerz seines Lebens, die Krankheit und den Tod seiner Mutter. In einer besonderen Aufzeichnung hat er hierüber ergreifend und ausführlich berichtet. Die fromme, sanftmütige und wohlthätige Frau starb nach mehr als jahrlangem Siechtum am 17. Mai 1514. Wenige Wochen vor ihrem Tode, am Okulisonntag, hatte Dürer sie in einer lebensgroßen Kohlenzeichnung abgebildet. Das Berliner Kupferstichkabinett bewahrt dieses rührende Bildnis: ein abgemagertes, vieldurchfurchtes Antlitz mit gottergebener Duldermiene, die den Tod in der Nähe sieht (Abb. 78). Sicher ist Dürer an keiner Arbeit mehr mit dem ganzen Herzen dabei gewesen, als an dieser sichtlich in kurzer Zeit hingeschriebenen Zeichnung, in der er das Bild seiner Mutter, die in der rastlosen Thätigkeit der schaffenden, sorgenden Hausfrau früher vielleicht niemals eine Stunde erübrigt hatte, um dem Sohn zu sitzen, jetzt in der unfreiwilligen Muße der Krankheit, in letzter Stunde, als ein Jammerbild festhielt. Es mag ihm eine Pein gewesen sein, die Entstellungen, die die Todesnähe in das geliebte Antlitz gegraben, Zug um Zug zu verfolgen. Aber er schenkte sich nichts von dem Schrecklichen: nicht die Erschlaffung der Augenmuskeln, welche die beiden Augensterne auseinander weichen läßt, nicht das Zusammensinken der Nasenknorpel, noch die entsetzliche Abmagerung, welche die Knochen und die einzelnen Muskelstränge des Halses mit fürchterlicher Deutlichkeit unter der verwelkten Haut hervortreten läßt. Das ist die Liebe und Ehrfurcht, die Dürer vor der Natur hegte. Wenn er etwas in der Wirklichkeit Vorhandenes nachbildete als das, was es war, so bildete er es so nach, wie es war. Seine Treue und Ehrlichkeit war dann so bedingungslos vollkommen, daß dieser Realismus von keinem unserer modernen Maler[S. 86] auch nur um ein Härchen überboten werden könnte. Dürers Studienblätter bieten zahlreiche Belege. Ein besonders sprechendes Beispiel ist auch das in Abbildung 80 wiedergegebene, mit schnellen Federstrichen gezeichnete Bildnis einer weiblichen Persönlichkeit, deren gutmütiges, durch eine Anschwellung des rechten Augenlides verunziertes Gesicht auch sonst unter Dürers Zeichnungen vorkommt, — wahrscheinlich einer Verwandten des Hauses.
Von Gemälden weist das Jahr 1514 nur einen Christuskopf von zu bezweifelnder Echtheit auf, der sich in der Kunsthalle zu Bremen befindet. Dem Jahre 1515 gehört eine Maria als Schmerzensmutter, unter dem Kreuze stehend gedacht, in der Münchener Pinakothek, an. Beides sind Werke von untergeordneter Bedeutung. Das meiste von Dürers Zeit wurde jetzt durch Aufgaben in Anspruch genommen, die der Kaiser ihm stellte.
Kaiser Maximilian, der sich an der Hervorhebung seiner eigenen Persönlichkeit erfreute, ohne deswegen eitel zu sein — ein Zug, der im Geiste jener Zeit begründet war und der ja auch bei Dürer in den vielen Selbstbildnissen zu Tage tritt —, hatte die Idee zu einer großartigen bildlichen Verherrlichung seines Lebens selbst entworfen. Das Ganze sollte einen Triumph vorstellen und aus zwei Teilen, dem Triumphbogen oder der Ehrenpforte und dem Triumphzuge, bestehen. Des Kaisers Freund und treuer Begleiter, der Geschichtschreiber, Dichter und Mathematiker Johannes Stabius, übernahm die Anordnung und verfaßte die Inschriften. Ehrenpforte und Triumphzug sollten jedes in einem riesigen Holzschnittblatt erscheinen, und Dürer war beauftragt, zunächst die Zeichnung der Ehrenpforte anzufertigen. Im Jahre 1515 war er mit der gewaltigen Bildermasse, aus der sich dieses seltsame Gebilde zusammenfügte, fertig. Seit drei Jahren hatte er daran gearbeitet. 92 Holzstöcke, deren Schnitt der Nürnberger Formschneider Hieronymus Andreä ausführte, waren zur Herstellung des Blattes erforderlich, das in seiner vollständigen Zusammensetzung über drei Meter hoch und wenig unter drei Meter breit ist. Das Ganze stellt ein Gebäude von sehr entfernter Ähnlichkeit mit einem römischen Triumphbogen dar, über und über mit Bildern aus dem Leben des Kaisers (Abb. 82–85), mit geschichtlichen und sinnbildlichen Figuren, mit Wappen, mannigfaltigem Zierwerk und mit Inschriften bedeckt. An Stelle seines gewöhnlichen Monogramms hat Dürer hier sein Familienwappen, den Schild mit der offenen Thür, angebracht.
Anziehender als dieser Riesenholzschnitt, bei dem man nur anstaunen kann, wie lebendig sich Dürers Gestaltungskraft auch unter dem Drucke genauer bindenden Vorschriften noch zu bewegen vermochte und wie er in die zahlreichen Darstellungen von Schlachten und Belagerungen immer wieder Abwechselung zu bringen wußte, ist eine andere Arbeit, die er im Jahre 1515 für den Kaiser ausführte und in der er nach Herzenslust den Eingebungen seiner von einer Welt von Gestalten erfüllten Phantasie nachgehen konnte. Maximilian hatte für seinen persönlichen Gebrauch ein Gebetbuch drucken lassen. In einem Exemplare dieses Gebetbuches, das sich jetzt in der Königlichen Bibliothek zu München befindet, schmückte Dürer 45 Blätter mit Randverzierungen in Federzeichnung. Der Reichtum an künstlerischem Erfindungsvermögen, der hier entfaltet ist, entzieht sich jeder Beschreibung. Bald unmittelbar auf die Gebete Bezug nehmend, bald in der Verfolgung eines durch einen Satz oder ein Wort angeregten Gedankens abschweifend, bald auch scheinbar willkürlichen Einfällen folgend, hat der Meister auf die breiten Ränder der Pergamentblätter die erhabensten himmlischen Gestalten, sowie ernste und scherzhafte Figuren aus dem Leben gezeichnet; Fabelwesen und allerlei Tiere, natürliche wie erdichtete, mischen sich hinein; daneben sprießt und sproßt überall das köstlichste Zierwerk von wundervollen Pflanzengewinden hervor, kühne Federzüge fügen sich zu seltsamen Fratzen oder Tierfiguren zusammen, verflechten sich zu regelmäßigen Ornamenten oder laufen in weitgeschwungene Schnörkel aus. Bald eng, bald lose schmiegen sich die Randzeichnungen, wie inhaltlich an das Wort, so als Schmuckgebilde an das Viereck des gedruckten Textes an; hier umrahmen sie denselben vollständig, dort bilden sie einen Zierstreifen nur an einer Seite, da schließen sie ihn von beiden Seiten ein oder umranken eine Ecke; nur in einzelnen Fällen beschränken sie sich am Schluß eines Abschnittes auf eine Vignette am Fuß der[S. 88] Seite. Ihr Reiz ist unerschöpflich, und jedes Blatt hat seine eigene einheitliche Stimmung. Das erste der von Dürer geschmückten Blätter zeigt als Begleitung eines Gebetes, welches die vertrauensvolle Empfehlung in den göttlichen Schutz enthält, ein freudig heiteres Ornament von Rosenranken, in dem sich Tiere tummeln, während oben im Geranke ein Mann sitzt, der auf der Schalmei bläst und dessen Haltung und Ausdruck eine Stimmung vollkommenen Seelenfriedens aussprechen. Dann sind neben Gebeten, in denen der heiligen Barbara, des heiligen Sebastian und des heiligen Georg gedacht wird, die Gestalten dieser Heiligen angebracht: Barbara als eine liebliche fürstliche Jungfrau, auf einer Blume stehend; Sebastian, von Pfeilen durchbohrt, an einen Baum gebunden, unter dessen Wurzeln der böse Drache ohnmächtig faucht und mit dem Schweife Ringe schlägt; Georg, als ein prächtiger geharnischter Ritter, der mit dem aufgerichteten Speer in der Rechten in eiserner Ruhe dasteht und mit der linken Faust den besiegten Lindwurm wie ein erlegtes Wild am Halse in die Höhe gezogen hält. Weiterhin erscheint bei einem Gebet, das von der menschlichen Gebrechlichkeit handelt, im Zierwerk die scherzhaft aufgefaßte Figur eines Arztes, der mit wichtiger Miene durch seine Brille den im Glase befindlichen Krankheitsstoff seines Patienten betrachtet; unter ihm sitzt ein Häschen, und über ihm hängt eine Drossel in der Schlinge. Zu einem Gebet, das von der Verwandlung von Brot und Wein in Christi Fleisch und Blut spricht, hat Dürer den Heiland als blutenden Schmerzensmann gezeichnet. Bei einem in Todesnot zu sprechenden Gebet hat er ein sogenanntes Totentanzbild angebracht: der Tod — hier nicht wie auf dem Kupferstich von 1503 als wilder Mann, auch nicht wie auf dem berühmten Stich von 1513 als eine seltsam gespenstische Erscheinung, sondern als ein fast zum Gerippe zusammengeschrumpfter Leichnam gebildet — tritt mit dem Stundenglas einem prunkhaft aufgeputzten Kriegsmann entgegen, der gegen ihn umsonst das Schwert zu ziehen sucht; darüber sieht man eine Wetterwolke und einen vom Falken gestoßenen Reiher. Das Gebet für die Wohlthäter hat den Meister zur Verbildlichung der Wohlthätigkeit angeregt durch eine Darstellung des Pelikans, der sich die Brust aufreißt, um seine Jungen zu füttern, und durch einen wohlgekleideten Mann, der einem halbnackten Bettler eine Gabe spendet. Bei dem Gebet für die Verstorbenen zeigt er einen Engel, der eine Seele aus den Flammen des Fegefeuers zur Herrlichkeit Gottes emporträgt, während kleine Engel denen,[S. 89] die noch weiter büßen müssen, Kühlung zublasen; als Gegenbild ist dabei auch der Böse, der die Seelen einfängt für die Qual, angedeutet: unten schießt aus den Flammen ein Liniengebilde hervor, das sich zur Gestalt eines Drachen entwickelt, der mit langer Zunge einen umherflatternden Schmetterling einfängt. Darauf folgt im Text der 129. (130.) Psalm, und hier kniet König David mit der Harfe vor dem himmlischen Vater in der Höhe. Auf den Psalm folgt der Anfang des Johannesevangeliums. Dabei ist der Evangelist dargestellt, der mit seinem Schreibgerät in der Einsamkeit sitzt und zu der strahlenden Erscheinung der Himmelskönigin mit dem Christuskind em[S. 90]porschaut. Nachdem dann der 50. (51.) Psalm mit überwiegend ornamentalen Gebilden begleitet worden ist, kommt zu einer Anrufung der heiligen Dreifaltigkeit ein Bild des dreieinigen Gottes; oben schwebt eine Schar von Cherubim, und unten verwandelt sich der Kreuzesstamm, an dem Gott Sohn sich zeigt, in einen Weinstock mit Reben. Bei den nun folgenden Betrachtungen über verschiedene Heilige sehen wir den heil. Georg als Ritter zu Roß in voller Rüstung, der den Schaft seines Speeres, an dem das Banner mit dem Kreuzeszeichen weht, auf den Lindwurm aufstellt, der überwunden unter den Hufen des Pferdes liegt; dann die heil. Apollonia, die Apostel Matthias und Andreas und den heil. Maximilian, diese alle mit Hinzufügung von anderen, schmückender Raumausfüllung dienenden Bildchen, deren einige sehr bemerkenswerte Tierdarstellungen enthalten. Dann folgt eine prächtige Komposition zum 56. (57.) Psalm, der mit den Worten „Gegen die Mächtigen“ überschrieben ist. In den Wolken steht Christus mit der Weltkugel in der Linken, die Rechte zum Segen erhoben; „er sendet vom Himmel und errettet mich“: das ist dargestellt durch den herabstürmenden Erzengel Michael, der den Satan niederwirft; „und übergibt der Schmach meine Unterdrücker“: da sehen wir einen König auf einem Triumphwagen, gezogen von einem Bock, den ein Knabe auf einem Steckenpferde am Barte führt. Hierbei fehlt auch eine politische Anspielung nicht, die den Unterdrücker näher kennzeichnet: dieser König hat auf seinem Reichsapfel anstatt des Kreuzes den Halbmond. Bei zwei darauffolgenden Psalmen, welche die gemeinschaftliche Überschrift führen: „Zu sprechen, wenn man einen Krieg beginnen muß“, — es sind der 90. (91.) und der 34. (35.) Psalm —, ist unten jedesmal ein wildes Kampfgetümmel dargestellt, und darüber, am Seitenrande, schwebt betend ein Engel in himmlischer Ruhe. Auf der nächsten von Dürer geschmückten Seite kommt der Satz vor: „Wie die Juden erschreckt zu Boden fielen.“ Dazu illustriert der Künstler den Vers des Johannesevangeliums: „Als nun Jesus zu ihnen sprach: Ich bin es, da wichen sie zurück und fielen zu Boden.“ Und da ihm bei der Darstellung der Gefangennahme gleich das ganze Leiden Christi in die Vorstellung tritt, zeichnet er dazu an den Seitenrand Maria als Schmerzensmutter. Weiterhin gibt dem Zeichner das im Gebet vorkommende Wort „Versuchung“ das Thema zu der Einfassung der betreffenden Seite: ein im krausen Rankengeschlinge einherwandelnder Kriegsmann lauscht, halb arg[S. 91]wöhnisch, halb begehrlich, auf das Geraune eines seltsamen Vogels; und der Fuchs der Fabel lockt die Hühner mit Flötenspiel. Bei den Gebeten zu Ehren der Muttergottes ist die Darstellung der Verkündigung auf zwei gegenüberstehende Seiten verteilt; dabei ist hier der Zorn des Teufels, der mit Geschrei und Grimassen flüchtet, und dort die Freude der Engel, die einen Baum pflanzen, geschildert. Dann sehen wir bei einem Kirchenliede einen im Galopp dahersprengenden Ritter, den der Tod mit der Sense verfolgt und den ein aus den Ranken sich herablassender Teufel bedroht. Bei dem 8. Psalm musizieren die Hirten, und die Vögel jubeln in blumigen Zweigen zu den[S. 92] Worten: „Herr, unser Herr, wie wunderbar ist dein Name“; und ein Löwe, der unter den Augen eines Eremiten seine ganze Aufmerksamkeit einem schwirrenden Insekt zuwendet, deutet die Unterwerfung der Tiere unter die Füße des Menschen an. Was aber mag den Zeichner angeregt haben, beim 18. (19.) Psalm den Hercules an den Rand zu zeichnen, der die stymphalischen Vögel bekämpft? Vielleicht nur das Wort: „Frohlocket wie ein Riese“ —? Deutlicher erkennbar sind die Anregungen bei den nächsten Psalmenbildern: beim 23. (24.) Psalm ein indianischer Krieger, in des Künstlers Vorstellung getreten aus den Worten: „Der Erdkreis und alle, die ihn bewohnen“, die ihn an die bis vor kurzem noch unbekannten Länder jenseits des Oceans denken ließen; beim 44. (45.) Psalm ein Morgenländer mit einem Kamel, wohl aus dem Gedanken an „die Reichen des Volkes mit Geschenken“ hervorgegangen. Eine Säule, ein Engelknabe mit Früchten, ein spielender Hund, Vöglein in den Zweigen, ein behaglich schlafender Mann: das webt sich zusammen zu einem Stimmungsbild sicherer Ruhe, das die Worte des 45. (46.) Psalms einrahmt: „Darum fürchten wir uns nicht, wenn auch die Erde erschüttert wird.“ Nach einem bloß mit Phantasiespielen geschmückten Blatt folgen zwei Bilder, welche, ohne daß man bestimmte Anknüpfungspunkte in den von ihnen eingeschlossenen Psalmentexten finden könnte, den Gegensatz zwischen Stärke und Schwäche verbildlichen: hier Hercules und ein am Boden liegender Trunkenbold; dort ein gerüsteter Kriegsmann und eine bei der Arbeit eingeschlafene alte Frau. Köstlich ist das Bild zum 97. (98.) Psalm: „Singet dem Herrn ein neues Lied.“ Da hat sich eine ganze Kapelle zu feierlicher Musik auf der Wiese vor der Stadt versammelt; und eine freudig bewegte Stimmung klingt in den Schwingungen des emporsteigenden[S. 93] Rankenwerkes nach, das sich aus den Baumstämmchen, die auf der Wiese stehen, entwickelt. Im Text folgen nun wieder verschiedene Gebete. Bei einer Erwähnung der Jungfrau Maria hat Dürer diese als eine noch ganz jugendliche Gestalt, die zu kindlich frommem Gebet die Hände faltet, an den Rand gezeichnet; über ihrem Haupt hält ein Engel die Himmelskrone, und vor ihren Füßen singt ein entzückender kleiner Engelknabe zur Laute. Im Gegensatz zu dieser Verbildlichung der reinsten Gottseligkeit erscheint auf dem nächsten Blatt die Thorheit der Welt unter dem Bilde einer mit Markteinkäufen beladenen Frau, die mit beiden Füßen in ein Gefäß mit Eiern tritt, und auf deren Kopf eine Gans mit den Flügeln klatscht. In dem folgenden Bild ist eine ähnliche Gegensatzwirkung erzielt durch die Zusammenstellung eines unter Reben zechenden Silen, dem ein Faun auf der Pansflöte aufspielt, und eines in den Wolken betenden Engels. Dann folgt wieder ein Blatt, das nur Zierwerk enthält (Abb. 86). Darauf kommt ein wunderschönes Bild zum Beginn des Hymnus: „Herr Gott, dich loben wir.“ Seitwärts steht der heil. Ambrosius, eine feierliche Bischofsgestalt, als der Verfasser dieses Lobgesanges; und unten reitet das Christkind, dem ein Engel die Wege bereitet, über die Erde. Das nächste Bild zeigt einen Engel, der mit Inbrunst das Gebet: „Herr, eile mir zu Hilfe“ für einen geharnischten Ritter spricht, der auf einen sich ihm mit der Hellebarde entgegenstellenden wüsten Krieger einsprengt. Bei diesem Ritter denkt man unwillkürlich an Kaiser Maximilian selbst, auf dessen persönlicher Anordnung sicher die ganze Zusammenstellung der Ge[S. 94]bete beruht. Die folgende Seite, auf der wieder Psalmen beginnen, bringt einen herrlichen Christuskopf auf dem Schweißtuch der Veronika. Auf der nächsten Seite schließen Dürers Randzeichnungen mit einem Bild voll heiterer Fröhlichkeit in jeder Linie, mit zum Klange einer Schalmei tanzenden Paaren, das die Anfangsworte des 99. (100.) Psalms in Formen übersetzt: „Jubelt Gott, alle Lande! dienet dem Herrn mit Freuden!“ — Wie in der Eingebung des Augenblickes hingeschriebene Improvisationen voll Geist, Gemüt und Geschmack treten all diese mannigfaltigen Darstellungen vor das Auge des Beschauers. Aus dem leichten Spiel der Künstlerhand ist Blatt um Blatt ein Meisterwerk hervorgegangen. Wenn man mit Recht Dürers Allerheiligenbild neben Raffaels Disputa stellt, so ist man in gleicher Weise berechtigt, die Randzeichnungen in des Kaisers Gebetbuch das deutsche Gegenstück zu den vatikanischen Loggien zu nennen. In ihren figürlichen Darstellungen ist eine unerschöpfliche Fülle künstlerischer Schönheit enthalten. Ihre Ornamentik ist ganz frei und selbständig, von der spätgotischen Zierkunst ebenso unabhängig wie von derjenigen der damaligen italienischen Renaissance. Die Reinheit der feinen geschwungenen Linienzüge[S. 95] offenbart eine Leichtigkeit und Sicherheit der Hand, die an das Unbegreifliche grenzt. Man wird an die alte Erzählung von Apelles erinnert, der keinen Tag vorübergehen ließ, ohne sich im Zeichnen von Linien zu üben. Dürer soll die Fertigkeit besessen haben, mit haarscharfem Strich einen Kreis zu ziehen ohne die geringste Abweichung von der mathematischen Genauigkeit. Wer die Randzeichnungen in Kaiser Maximilians Gebetbuch gesehen hat, hat keinen Grund mehr, eine solche Thatsache zu bezweifeln.
Im Jahre 1516 führte Dürer wieder einige Gemälde aus. Dieselben sind sämtlich von geringem Umfang, teils Bildnisse, teils Heiligenbilder. Eines der Bildnisse ist dasjenige von Dürers Lehrer Wolgemut. Da tritt uns der ehrenwerte Meister, der für sein hohes Greisenalter noch recht rüstig aussieht und dessen kluge Augen sich eine jugendliche Lebhaftigkeit bewahrt haben, mit einer Lebendigkeit entgegen, die uns die ganze Persönlichkeit vergegenwärtigt (Abb. 89). Wolgemut war nie ein großer Künstler[S. 96] gewesen, aber ein achtbarer Maler, der reichfarbige Altarbilder in biederer Komposition und fleißiger Ausführung angefertigt hatte. Dürer hatte von ihm eine gediegene Unterweisung in dem Handwerklichen seiner Kunst empfangen und bewahrte ihm eine dankbare Verehrung.
Während hier Dürers realistische Kunst voll in die Erscheinung tritt, zeigt ein in der Gemäldegalerie zu Augsburg befindliches[S. 98] kleines Marienbild — „Madonna mit der Nelke“ genannt —, das aus wenig mehr als den Köpfen der Jungfrau und des Jesuskindes besteht, den bei Dürer seltenen Versuch, zu idealisieren. Es mag sein, daß besondere Wünsche des Bestellers ihn zu einer Annäherung an das Herkommen der älteren Kunstweise veranlaßt haben; er hat hier auch, ganz gegen seine Gewohnheit, Lichtscheine um die beiden Köpfe gemalt. Aber befremdlich berühren einen in einem Dürerschen Werk diese unnatürliche Verschmälerung der Nase, diese Verkleinerung des Mundes. Im seelischen Ausdruck jedoch, in der unendlichen Liebenswürdigkeit dieser jungfräulichen Mutter ist das Bild ganz des großen Meisters würdig.
Als Idealköpfe kann man wohl auch die beiden Apostelbilder bezeichnen, die sich in der Uffiziengalerie zu Florenz befinden. Aber das Ideale ist in diesen prächtigen Greisenköpfen, welche die Glaubensboten Philippus und Jacobus, den weitgewanderten, vorstellen, nicht in einer vermeintlichen Veredelung der Form gesucht, sondern es ist aus dem Inneren der Persönlichkeiten heraus entwickelt; Charakterbilder zu schaffen, war die Aufgabe, die Dürer sich hier gestellt hatte (Abb. 87 und 88).
Im Jahre 1517 scheint Dürer die Malerei wieder ganz beiseite gelassen zu haben. Wenigstens findet sich diese Jahreszahl auf keinem seiner Gemälde. Im folgenden Jahre versuchte er sich noch einmal an der Aufgabe, eine lebensgroße unbekleidete Figur zu malen. Den Vorwurf hierzu nahm er, auf einen zehn Jahre früher gezeichneten Entwurf zurückgreifend, aus der römischen Geschichte, mit der sich in der Renaissancezeit ja jeder Gebildete beschäftigte. Er malte die Lucretia, die, an ihr Bett sich anlehnend, im Begriff steht, sich mit dem Dolch zu durchbohren[S. 99] (Abb. 91). Dieses Bild ist bedeutsam als ein Beweis von Dürers unausgesetztem Arbeiten an seiner eigenen Ausbildung. Denn es ist kaum anzunehmen, daß er zum Malen dieses Bildes einen anderen Grund gehabt habe, als die Absicht, sich zu üben durch die Bewältigung der Schwierigkeiten, die in der malerischen Wiedergabe der nackten Menschengestalt liegen. Die Bewältigung dieser Schwierigkeiten ist ihm indessen hier lange nicht so gut gelungen wie bei den früheren Bildern von Adam und Eva, denen die Lucretia in Bezug auf Malerei und Farbe ebensowenig ebenbürtig ist, wie in Bezug auf den Ausdruck. Doch bleibt die durchgebildete Modellierung der Formen, die dem Körper volle Rundung verleiht, sowie auch die Schönheit dieser Formen immer sehr beachtenswert.
Auch in seiner Lieblingskunst, dem Kupferstechen, schaffte und strebte Dürer immer weiter. Vollkommeneres zu erreichen, als ihm in den Meisterwerken von 1513 und 1514 gelungen war, das war innerhalb der angewandten Herstellungsart der Kupferstiche allerdings nicht mehr möglich. Aber nun sann er auf ein neues technisches Verfahren, das ihm die Möglichkeit verschaffen sollte, seine Gedanken in noch leichterer und frischerer Weise, als es die Arbeit mit dem Grabstichel gestattete, auf die vervielfältigende Platte zu bringen. Schon früher, etwa seit[S. 100] dem Jahre 1510, angestellte Versuche mit der sogenannten „kalten Nadel“, einem spitzigen, ganz feine Linien in das Kupfer einreißenden Instrument, hatten zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt. Das Hauptblatt dieser Gattung ist „der heilige Hieronymus mit dem Weidenbaum“, von 1512. Nur sehr wenige allererste Abdrücke geben einen Begriff davon, welchen außerordentlichen malerischen Reiz Dürer hier, mit der scharfen Nadel wie mit einer unendlich feinen Feder zeichnend, erstrebt und erreicht hat. In diesen ersten Abdrücken kommt die wundervolle Stimmung ganz zur Geltung, die Stimmung der tiefsten Einsamkeit, der Abgeschlossenheit von der Außenwelt, von der großen Stadt, die ein Blick durch die schmale Felsenspalte in weiter Ferne ahnen läßt, des Alleinseins mit Gott, dem der Kirchenvater sich hingibt in diesem verborgenen Winkel öden Gesteins, wo nur spärliches Gras und ein verkrüppelter Weidenbaum dürftige Nahrung finden (Abb. 72). Die späteren Abdrücke wurden so matt, daß sie von dieser Stimmung und von der Lebendigkeit der Zeichnung gar keine Vorstellung mehr gewähren. Nach den ungenügenden Erfolgen mit der kalten Nadel kam Dürer auf die Radierung, als deren Erfinder — wenigstens im Sinne künstlerischer Anwendung[S. 104] des Verfahrens — er wohl angesehen werden muß. Statt die Zeichnung mit dem Stichel in die polierte Metallplatte einzugraben, ritzte er sie mit der Nadel in eine auf die Platte aufgetragene Grundierung und ätzte sie dann mit Säuren, welche von dem Stoff der Grundierung nicht durchgelassen wurden und daher das Metall nur da angriffen, wo es durch die Striche und Punkte der Zeichnung bloßgelegt war, in die Platte hinein. Da das Kupfer dem Ätzverfahren Dürers Schwierigkeiten entgegenstellte, bediente er sich dazu eiserner Platten. Dürers Radierungen fallen, wie es scheint, sämtlich in die Jahre 1514 bis 1518. Später kehrte er zum Grabstichel, der ihm doch eine vollkommenere Befriedigung gewährte, zurück. Das berühmteste Blatt unter Dürers Radierungen ist „die große Kanone“, die Darstellung eines Nürnberger Geschützes, das unter der Aufsicht eines Stückmeisters und unter der Wache strammer Landsknechte auf einem die weite Landschaft beherrschenden Hügel aufgefahren steht und von einer Gruppe Türken mit sehr bedenklichen Mienen betrachtet wird. Das Blatt war gegen die herrschende Türkenfurcht gerichtet (Abb. 92).
Eine reizvolle Grabstichelarbeit aus dem nämlichen Jahre 1518, dem die Radierung der großen Kanone angehört, ist das liebenswürdige Marienbild, in welchem zwei schwebende Engel eine reiche Krone über dem Haupt der Jungfrau halten, die in stillem mütterlichen Behagen dasitzt und den Blick von dem Kinde hinweg mit ernstem Ausdruck dem Beschauer zuwendet. In dem landschaftlichen Hintergrund ist hier ein überaus anspruchsloses Motiv verwertet, ein einfacher Zaun; aber mit welcher feinen Schönheit klingen die Linien dieser Landschaft, deren Ferne zwischen den Zaunstecken durchblickt, mit dem Ganzen zusammen! (Abb. 93.)
Lose Holzschnittblätter streute Dürer fortwährend in die Welt, in denen er viel Schönes bot. Was für einen bezaubernd kindlichen, herzinnigen Ton hat er in dem entzückenden Mariengedicht gefunden, das er im Jahre 1518 auf Holz zeichnete! (Abb. 94.)
Gemälde, Radierungen, fliegende Holzschnitte, das waren alles nur Nebenarbeiten in diesem Jahre. Das meiste von Dürers Zeit und Arbeitskraft war durch die vom Kaiser gestellte Aufgabe mit Beschlag belegt. Zwar waren mit den Zeichnungen zu dem Riesenholzschnitt „Kaisers Triumphzug“, der noch umfänglicher gedacht war als die Ehrenpforte und daher eine noch größere Anzahl von Holzstöcken erforderte, außer Dürer noch verschiedene andere Maler beschäftigt. Aber seine Aufgabe war schon umfangreich genug. Ihm war die Anfertigung der bedeutsamsten Abschnitte der langen Bilderreihe aufgetragen, die sich aus mancherlei Gruppen zu Fuß, zu Roß und zu Wagen zusammensetzen sollte und für die der Kaiser selbst die genauesten Angaben gemacht hatte. Unter anderem führte Dürer diejenige Abteilung aus, welche die Kriege Maximilians verbildlichte; nach der ursprünglichen Vorschrift des Kaisers sollten hier Landsknechte im Zuge einher[S. 105]schreiten, welche auf Tafeln die betreffenden Kriegsbilder trügen; dies erschien dem Meister zu eintönig, und er gefiel sich dafür in der Erfindung schön geschmückter künstlicher Fortbewegungsmaschinen, auf denen die Abbildungen der Schlachten, Festungen etc. bald als Gemälde, bald als plastische Bildwerke gedacht, vorgeführt werden. Ein besonders prächtiges Blatt schuf er in dem Wagen, darauf die Vermählung Maximilians mit Maria von Burgund zur Darstellung kam. Den Mittelpunkt des langen Zuges sollte der große Triumphwagen bilden, auf dem man den Kaiser mit seiner ganzen Familie erblickte. Der erste Entwurf, den Dürer zu diesem Wagen vorlegte, hat sich in einer in der Albertina zu Wien aufbewahrten Federzeichnung erhalten (Abb. 95). Aber Dürers Freund Wilibald Pirkheimer, der bei der inhaltlichen Ausarbeitung des Triumphzuges mitzuwirken sich berufen fühlte, fand diesen Entwurf ungenügend; denn er wollte, daß alle Tugenden des Kaisers in verkörperter Gestalt auf und neben dem Wagen zu sehen sein sollten. Einen hiernach angefertigten neuen ausführlichen Entwurf schickte Pirkheimer im März 1518 an den Kaiser. Ehe indessen dieses Hauptstück geschnitten wurde, fand das ganze Unternehmen einen plötzlichen Abschluß, da Maximilian am 12. Januar 1519 starb. — Vorher war es Dürer noch vergönnt, den ihm so wohlgesinnten kaiserlichen Herrn nach dem Leben abzubilden. Zu dem Reichstag, den Maximilian im Jahre 1518 nach Augsburg berief, begab sich auch Dürer mit den Vertretern der Stadt Nürnberg. Am 28. Juni saß ihm der Kaiser „hoch oben auf der Pfalz in seinem kleinen Stüble“. Hier entstand in sichtlich sehr kurzer Zeit jene in der Albertina aufbewahrte geistreiche Kohlenzeichnung, welche der Nachwelt ein so sprechendes Bild des „letzten Ritters“ überliefert hat (Abb. 96).
Nach dieser Zeichnung veröffentlichte Dürer das Bildnis des Kaisers in dem[S. 106] nämlichen Maßstab, etwas unter Lebensgröße, in zwei großen Holzschnitten. Das eine Blatt gibt das Brustbild ohne weitere Zuthat, nur mit einem Schriftzettel, darauf Namen und Titel des Kaisers geschrieben sind. Das andere, das nach des Kaisers Tode erschien, zeigt dasselbe in einer reichen Umrahmung, von verzierten Säulen eingefaßt, auf denen Greifen als Halter des Kaiserwappens und der Abzeichen des Goldenen Vließes stehen (Abb. 97). Dieselbe Zeichnung legte Dürer dann auch zwei Gemälden zu Grunde. Von diesen befindet sich das eine, das mit Wasserfarben auf Leinwand gemalt und durch die Zeit sehr getrübt ist, im Germanischen Museum zu Nürnberg,[S. 107] das andere, das in Ölfarben ausgeführt ist, in der Wiener Galerie. Auf ersterem ist der Kaiser im Mantel mit weißem Pelz, mit der Kette des Goldenen Vließes, auf dem anderen in schlichter Kleidung dargestellt (Abb. 98). Beidemal hält er einen Granatapfel in der Hand, wodurch auf eine sinnbildliche Bedeutung, die der Kaiser dieser Frucht beilegte, hingewiesen wird. Aus den Inschriften, welche Dürer den Bildnissen des Kaisers beifügte, fühlt man heraus, wie schmerzlich ihn dessen Hinscheiden ergriffen hatte.
Auf dem Augsburger Reichstag porträtierte Dürer auch den Kardinal Albrecht von Brandenburg, Primas und Kurfürst des Reichs, Erzbischof von Mainz und Magdeburg. Das mit Kohle gezeichnete Originalbildnis des erst 28jährigen Kirchenfürsten besitzt ebenfalls die Albertina. Im folgenden Jahre führte Dürer das Porträt in Kupferstich aus. Denn der Kardinal[S. 108] war eine bekannte und beliebte Persönlichkeit, deren Bild mancher gern besitzen mochte. Mit diesem prächtigen Blatt eröffnete Dürer die herrliche Reihe seiner Kupferstichbildnisse. Die Bildnisdarstellung beschäftigte ihn überhaupt von nun an am meisten. Es ist, als ob der Meister die ganze gesammelte Kraft seiner reifsten Jahre auf das eine Ziel gerichtet hätte, das menschliche Antlitz als den Spiegel des Charakters zu ergründen. — Von anderweitigen Arbeiten, die aus seiner nimmer rastenden Hand hervorgingen, zeichnet sich unter den Werken des Jahres 1519 noch der kleine feine Kupferstich aus, der eine reizvoll ausgeführte Ansicht einer Feste, welche an die Burg von Nürnberg erinnert, und davor im Vordergrund den heiligen Einsiedler Antonius zeigt; das Stadtbild, das sich in vielgliederigem Umriß von dem wolkenlosen Himmel abhebt, und das Bild des tiefsten Versunkenseins in dem Einsiedler, der den Kreuzstab neben sich in den Boden gepflanzt hat, klingen zu einer eigentümlich träumerischen Stimmung zusammen (Abb. 99).
Im Sommer 1520 trat Dürer eine Reise nach den Niederlanden an, die sich über Jahr und Tag ausdehnte. Den Anstoß zu diesem Unternehmen gab ihm zweifellos der Wunsch, mit Kaiser Maximilians Nachfolger Karl V, dessen Landung in Antwerpen bevorstand, zusammenzutreffen. Denn durch den Tod Maximilians war der Fortbezug einer Leibrente von 100 Gulden jährlich, die dieser ihm gewährt hatte, in Frage gestellt. Die Auszahlung eines Betrages von 200 Gulden, den der Kaiser ihm auf die Nürnberger Stadtsteuer angewiesen hatte, verweigerte der Rat von Nürnberg trotz der schon ausgestellten kaiserlichen Quittung und trotz aller Bemühungen Dürers. In diesen Angelegenheiten erhoffte er von dem neuen Kaiser Hilfe, wenn es ihm gelänge, demselben persönlich nahe zu kommen und sein Wohlwollen zu erwerben. Daneben trieb ihn sicherlich das Verlangen, die niederländische Kunst durch eigene Anschauung kennen zu lernen.
Am 12. Juli brach Dürer auf, von seiner Frau und einer Magd begleitet. Am 2. August traf er in Antwerpen ein. Gegen Ende des Monats begab er sich nach Brüssel, um sich der Statthalterin der Niederlande, Kaiser Maximilians Tochter Margareta, vorstellen zu lassen, damit diese sich bei dem jungen Kaiser, ihrem Neffen, zu seinen[S. 109] Gunsten verwende. Nach Antwerpen zurückgekehrt, wohnte er dem glänzenden Einzug Karls V bei. Er folgte dann, um eine Gelegenheit zum Überreichen seiner Bittschrift an den Kaiser zu finden, dem Zuge desselben zur Krönung nach Aachen und weiter nach Köln. Hier erlangte er am 12. November die kaiserliche Bestätigungsurkunde für den Fortbezug seines Jahrgehaltes. Auf die Auszahlung desjenigen Betrages von Kaiser Maximilians Schuld, die dieser auf die Nürnberger Stadtsteuer angewiesen hatte, mußte er indessen verzichten. Über Nymwegen und Herzogenbusch kehrte er nach Antwerpen zurück. Von hier machte er im Dezember einen Ausflug nach Seeland; im Frühjahr 1521 besuchte er Brügge und Gent und im Juni Mecheln. Im Juli trat er darauf die Heimfahrt an. — In einem kleinen Skizzenbuch, aus dem noch manche Blätter in verschiedenen Sammlungen bewahrt werden, und in einem ausführlichen Tagebuch hat der Meister die Eindrücke dieser Reise festgehalten. Dürers Reisetagebuch ist ein unschätzbares Vermächtnis, nicht nur in Hinsicht auf die Persönlichkeit des Künstlers, sondern auch auf die Kulturgeschichte seiner Zeit.
Der Meister führte einen großen Vorrat von Kunstware, das ist von Holzschnitten und Kupferstichen, bei sich. Wir erfahren aus seinen Aufzeichnungen, wie er gleich[S. 110] nach Antritt seiner Reise sich das Wohlwollen des Bischofs von Bamberg durch das Geschenk eines gemalten Marienbildes, zweier seiner großen Holzschnittwerke und mehrerer Kupferstiche erwirbt; wie der Bischof ihn darauf in der Herberge als seinen Gast behandeln läßt und ihm drei Empfehlungsbriefe und einen Zollbrief, der sich bei der Weiterreise als sehr nützlich erweisen sollte, mitgibt. In Frankfurt bekommt er von Jakob Heller Wein in die Herberge geschickt. Auch an vielen anderen Orten findet er Bekannte und Bewunderer, die es sich angelegen sein lassen, ihm Freundlichkeiten zu bezeigen. Von Frankfurt an wird die Reise zu Schiff fortgesetzt. Auf dem Rheinschiff führt Frau Agnes eigene Küche. Dürers Name ist überall so bekannt, daß ihn in Boppard sogar der Zöllner frei passieren läßt, obgleich der Freibrief des Bischofs von Bamberg hier nicht mehr galt. Von Köln geht die Reise im Wagen auf der kürzesten Straße nach Antwerpen. In Antwerpen wird Dürer gleich am Abend seiner Ankunft von dem Vertreter des Augsburger Hauses Fugger zu einem köstlichen Mahl geladen. Am darauf folgenden Sonntag geben ihm die Antwerpener Maler ein glänzendes Fest, bei dem er wie ein Fürst geehrt wird und zu dem ihm auch der Rat von Antwerpen den Willkommstrunk sendet. Er besucht gleich in den ersten Tagen den Maler Quentin Massys; dann auch den gelehrten Erasmus von Rotterdam. In allen Kreisen erfährt er die größte Liebenswürdigkeit, besonders nehmen sich mehrere reiche Kaufleute verschiedener Nationalität seiner an. Er besichtigt die stolzen Bauwerke Antwerpens und bewundert die großartigen Vorbereitungen, die für den Einritt des neuen Kaisers getroffen werden. Ein Schauspiel, das ihn entzückt, ist die große Prozession am Sonntag nach Mariä Himmelfahrt mit ihren prunkvollen Aufzügen von Wagen und Schiffen mit lebenden Bildern, mit Reitern und mannigfaltigen Gruppen, deren Beschreibung Dürer schließlich mit den Worten abbricht, daß er alles das in ein ganzes Buch nimmer schreiben könnte. — In Brüssel, wo er von der Statthalterin mit der größten Leutseligkeit empfangen wird, staunt er die kostbaren Wunderdinge an, die aus dem neuen Goldlande jenseits des Oceans für den Kaiser geschickt worden sind, und sein Herz erfreut sich dabei über „die subtilen Ingenia der Menschen in fremden Landen“. Er bewundert das herrliche alte Rathaus und die Werke der großen Maler des vergangenen Jahrhunderts. Mit seinen lebenden[S. 113] Kunstgenossen tritt er auch hier in freundlichen Verkehr. Der Maler Bernhard van Orley gibt ihm und einigen vornehmen Herren vom Hofe ein Essen, dessen Aufwand den deutschen Meister in Staunen versetzt. — Beim Einzuge Karls V in Antwerpen weidet sich das Auge des Malers daran, wie der Kaiser „mit Schauspielen, großer Freudigkeit und schönen Jungfrauenbildern“ empfangen wird. Bei der Kaiserkrönung zu Aachen ist er zugegen und bewundert „all die köstlichen Herrlichkeiten, dergleichen kein Lebender etwas Prächtigeres gesehen hat“. Auf der Fahrt von Aachen nach Köln ist er der Gast der Nürnberger Gesandtschaft, welche die Krönungsinsignien nach Aachen gebracht hat. In Köln wohnt er dem glänzenden Fest bei, welches die Stadt zu Ehren Karls V veranstaltet, und sieht den jungen Kaiser auf dem Gürzenich tanzen. Dürer vergißt aber auch nicht zu vermerken, daß es ihm „große Mühe und Arbeit“ gemacht habe, die Bewilligung seines Bittgesuches zu erlangen. Von den[S. 114] Sehenswürdigkeiten Kölns erwähnt er das Dombild von Meister Stephan besonders, für dessen Aufschließen er zwei Weißpfennige entrichtete. — Die Winterreise nach Seeland unternahm Dürer lediglich, um einen gestrandeten Walfisch zu sehen; doch versäumte er auch hier das Aufsuchen der Kunstwerke nicht. Bei dieser Reise kam er einmal in Lebensgefahr. Er erzählt in sehr anschaulicher Weise diese Begebenheit, wie in Arnemuiden das Boot, in welchem er gekommen, durch ein großes Schiff vom Anlegeplatz losgerissen wird in dem Augenblick, wo die Mannschaft und die Mehrzahl der Passagiere dasselbe schon verlassen haben, während er sich mit noch einem Reisenden, zwei alten Frauen, einem kleinen Jungen und dem Schiffsherrn noch an Bord befindet; wie nun das Boot bei starkem Wind in die offene See hinaustreibt und eine allgemeine Angst entsteht; wie er dann dem Schiffsherrn zuredet, die Hoffnung auf Gott nicht zu verlieren, und wie sie vereint mit ungeübten Händen ein Segel so weit hoch bringen, daß der Schiffsherr dadurch die Lenkung des Boots wieder einigermaßen in die Hand bekommt, so daß es mit Hilfe herbeirudernder Schiffer wieder gelingt, das Land zu erreichen. — Während des nun folgenden mehrmonatlichen ruhigen Aufenthalts in Antwerpen führt Dürer ein geselliges, aber auch thätiges Leben. In der Fastnachtszeit wohnt er mit seiner Frau mehreren Lustbarkeiten bei, und Anfang Mai nimmt er an der Hochzeitsfeier des „guten Landschaftsmalers“ Joachim de Patenier teil, bei welcher zwei Schauspiele — das erste „sehr andächtig und geistlich“ — aufgeführt werden. — Die Reise nach Brügge und Gent dient ausschließlich dem Zwecke des Kunstgenusses; die Gemälde von van Eyck, Roger van der Weiden, Hugo van der Goes und Hans Memling finden gebührende Würdigung, besonders die „überköstliche, hochverständige Malerei“ des Genter Altars; auch das marmorne Marienbild von Michelangelo wird besichtigt. In beiden Städten veranstaltet die Künstlerschaft Festbankette zu Ehren Dürers. Ebenso wird er später in Mecheln gefeiert, wohin er sich hauptsächlich zu dem Zweck, die Erzherzogin Margareta noch einmal zu sprechen, begeben hat; er wird von der Fürstin sehr freundlich aufgenommen, findet aber mit einem Bild des Kaisers, das er für sie gezeichnet hat, nicht ihren Beifall. Nach der Rückkehr nach Antwerpen macht er die ihn sehr interessierende Bekanntschaft des als Kupferstecher[S. 117] mit ihm wetteifernden holländischen Malers Lucas van Leyden. — Am Ende seines Antwerpener Aufenthalts widerfuhr ihm noch eine große Ehre. König Christian II von Dänemark, Schweden und Norwegen, der, aus seinem Reich vertrieben, bei dem Kaiser, seinem Schwager, Hilfe suchte, schickte nach Dürer, um sich von ihm porträtieren zu lassen. Dürer bemerkt, daß der König als ein schöner und mutiger Mann ein Gegenstand der Bewunderung für die Antwerpener ist. Er zeichnet das Bildnis desselben in Kohle, speist mit dem hohen Herrn und begleitet denselben nach Brüssel, wo der Kaiser und die Statthalterin den König festlich empfangen. Darauf gibt König Christian dem Kaiser und der Statthalterin seinerseits ein Bankett, und Dürer ist geladener Gast in dieser hohen Gesellschaft. Zwischen den Festlichkeiten malt er das Bildnis des Königs in Öl mit geliehenen Farben.
Einen großen Raum nimmt in dem Tagebuch die Aufzählung der Geschenke von Kunstwerken ein, welche Dürer nach allen Seiten hin verteilt, bald als Gegengabe für etwas Empfangenes, bald auch, bei Höherstehenden, zu dem Zwecke, sich deren Wohlwollen zu gewinnen. Nicht ohne Bitterkeit ist in den Aufzeichnungen vermerkt, daß „Frau Margareth“, die Statthalterin, für das viele, das sie von ihm bekommen, gar nichts wiedergeschenkt habe. Sonst werden die mannigfaltigsten, zum Teil kostbaren Geschenke als von ihm empfangen aufgezählt; auch seiner Frau, die sich in Antwerpen ganz häuslich eingerichtet hat, fließen bisweilen Geschenke zu. Dürer erweist sich als ein leidenschaftlicher Sammler von Merkwürdigkeiten. Die Erzeugnisse einer fremdartigen Natur, die ihm die Kaufleute, welche mit überseeischen Ländern in Verkehr stehen, darbringen, sind ihm willkommene Gaben; auch benutzt er manche Gelegenheit, derartige Dinge käuflich zu erwerben. Aber auch Kunstwerke schafft er sich an. So tauscht er mit Lucas van Leyden eine große Anzahl seiner Blätter gegen dessen ganzes[S. 118] Kupferstichwerk aus. „Wälsche Kunst“, das heißt italienische Kupferstiche, kauft er gern, und nachdem er die Bekanntschaft eines Schülers von Raffael, Vincidor von Bologna, der ihn aufsuchte, gemacht, übergibt er demselben sein gesamtes Werk an Holzschnitten und Kupferstichen mit dem Auftrag, ihm dafür „das Werk Raffaels“, nämlich die Stiche des Marcantonio, aus Italien kommen zu lassen. Bei einem Besuch in der Werkstatt des berühmten Antwerpener Illuministen Gerhard Horebout erwirbt er eine von dessen Tochter gemalte Miniatur und bemerkt dazu: „Es ist ein groß Wunder, daß ein Frauenzimmer so viel machen kann.“ — Seine „Kunstware“ führt er übrigens nicht bloß zum Verschenken und Vertauschen mit sich, sondern er treibt auch einen lebhaften Handel damit; und nicht nur mit der eigenen, sondern er hat auch den Vertrieb von Blättern seiner Freunde, unter denen er den „Grünhans“ — Hans Baldung Grien — besonders nennt, übernommen. Wir erfahren aus dem Tagebuch, zu welch niedrigen Preisen die jetzt so kostbaren Stiche Dürers damals verkauft wurden. Denn über alle Einnahmen und Ausgaben — unter den letzteren eine wahre Unmenge von Trinkgeldern — ist sorgfältig Buch geführt; dabei sind einige kleine Verluste[S. 119] im Spiel ebensowenig vergessen, wie der Verlust, der dadurch entstand, daß Frau Agnes einmal der Geldbeutel abgeschnitten wurde. — Auch über Dürers künstlerische Thätigkeit ist Buch geführt. Von Malgerät hat er nur Wasserfarben, mit denen er sowohl auf Papier, als auch auf „Tüchlein“ malte, mitgenommen. Aber schon bald nach dem ersten Eintreffen in Antwerpen sieht er sich genötigt, sich von Joachim de Patenier Ölfarben und einen Gesellen zu leihen. Seine Kunstfertigkeit wird nach allen Seiten hin in Anspruch genommen; nicht nur durch das Zeichnen und Malen von Bildnissen, sondern auch durch mancherlei anderes: so muß er dem Leibarzt der Erzherzogin Margareta den Plan zu einem Haus anfertigen, den Goldschmieden in Antwerpen macht er Vorlagen für Schmucksachen und einer Kaufmannsgilde eine Vorzeichnung für eine in Stickerei auszuführende Heiligenfigur, er zeichnet Wappen für vornehme Herren und entwirft Maskenkostüme zu dem Fastnachtsmummenschanz.
Dürers Aufzeichnungen sind im allgemeinen ganz knapp und kurz gehalten, und doch ist bisweilen in den wenigen Worten ein lebendiges Bild von einer Person[S. 120] [S. 121] oder einem Vorgang gegeben. Zu ausführlicherem Bericht reizen ihn manchmal die Festlichkeiten; so schildert er namentlich das erste große Fest, das die Antwerpener Künstlerschaft ihm gab, mit vielem Behagen.
Überall blickt in dem Tagebuch der beobachtende Maler durch, dessen Augen immer beschäftigt sind. Bald ist es die Ansicht einer Stadt, bald die Aussicht von einem Turm, hier eine Gartenanlage, da ein Gebäude, was die Aufmerksamkeit des Meisters fesselt; hier hält er ein hübsches Gesicht und dort die zu Markte gebrachten stattlichen Hengste der Erinnerung für wert. Als echter Renaissancekünstler bemerkt er im Aachener Münster sogleich, daß die dort „eingeflickten“ antiken Säulen kunstrecht nach des Vitruvius Vorschrift gemacht seien.
Auch die weltgeschichtlichen Ereignisse, die damals Deutschland bewegten, nehmen seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Durch die Nachricht von Luthers Gefangennahme wird er tief erschüttert. An dem Tage, wo er hiervon gehört hat, flicht er ein langes inbrünstiges Gebet in seine Aufzeichnungen ein. Er läßt erkennen, daß er mit der ganzen Aufrichtigkeit und tiefen Frömmigkeit seines Herzens dem Unternehmen der[S. 122] Reformation zugethan ist, doch ohne zu ahnen, daß eine Kirchentrennung daraus hervorgehen würde.
Wenn wir lesen, wie unglaublich viel Albrecht Dürer während seines Aufenthaltes in den Niederlanden, zwischen all den Festlichkeiten, den Besuchen bei hoch und niedrig, dem Betrachten der Sehenswürdigkeiten, dem Hin- und Herreisen zu Wagen, zu Roß und zu Schiff, immer und überall für andere zeichnete und malte, so erscheint es uns kaum begreiflich, daß er immer noch Zeit fand, an sein eigenes Studium zu denken. Und doch hat er außer dem mit zum Teil höchst sorgfältigen Zeichnungen wohlgefüllten Skizzenbuch auch eine Anzahl mit allem Fleiße ausgeführter größerer Studienblätter mit heimgebracht. Treffliche Proben von Dürers Thätigkeit auf der Reise geben die in den Abbildungen 100, 102, 107 vorgeführten Blätter: die schnelle und scharfe Federzeichnung, durch die Dürer sich die Züge eines Mannes aufbewahrte, dessen Lautenspiel er bewundert hatte und mit dem er, wie eine spätere nochmalige Ausführung von dessen Bildnis beweist, näher bekannt wurde; die mit breitem Metallstift in großem Maßstabe kräftig ausgeführten Köpfe einer alten und einer jungen Seeländerin; die feine Stiftzeichnung, in der er die seltene Gelegenheit, eine Negerin zu zeichnen, mit eingehender Beobachtung ausgenutzt hat. Die Krone von Dürers auf der Reise gesammelten Studien ist der in schwarz und weiß, mit dem Tuschpinsel und der Schnepfenfeder auf grau getöntes Papier gezeichnete lebensgroße Kopf eines dreiundneunzigjährigen Alten (Abb. 105), der ihm zu Antwerpen mehrmals Modell gesessen hat. Es ist bezeichnend für des Meisters unermüdlichen Arbeitstrieb, daß er, wenn sich ihm gerade nichts anderes darbot, zu dem Nächstliegenden gegriffen und seine Frau porträtiert hat: eine große, mit dem Metallstift auf dunkel grundiertem Papier ausgeführte[S. 125] Zeichnung im Kupferstichkabinett zu Berlin zeigt uns Frau Agnes in dem niederländischen Kopftuch, das der Gatte ihr von der Reise nach Seeland mitgebracht hatte (Abb. 106). Aber nicht bloß Köpfe waren es, die er seinen Studienmappen einverleibte, sondern auch mancherlei andere Dinge zeichnete er auf, wie Ansichten des Hafens und der Kathedrale von Antwerpen oder auffallende Landestrachten (Abb. 101) oder einen Löwen, den er im Zwinger zu Gent beobachtete. Selbst auf der Fahrt blieb er nicht müßig. Ein Skizzenbuchblatt (im Berliner Kupferstichkabinett) zeigt eine vom Rheinschiff aus gezeichnete Ansicht der Uferhöhen bei Andernach und davor das Brustbild eines Reisegefährten; ein anderes, bei Boppard gezeichnet (in der kaiserlichen Hofbibliothek zu Wien), zeigt wiederum Frau Agnes, dieses Mal in dichte Kopftücher eingemummt. — Von den Gemälden, welche Dürer in den Niederlanden anfertigte, haben sich das Wasserfarbenbildnis eines alten Herrn mit roter Kappe (im Louvre) und das mit Ölfarben gemalte Porträt des Malers Bernhard van Orley (in der Dresdener Gemäldegalerie) erhalten.
Als Dürer im Sommer 1521, wohlversehen mit Geschenken für seine Freunde, heimgekehrt war, wurde ihm alsbald ein[S. 126] Auftrag von seiten seiner Vaterstadt zu teil. Der Rat übertrug ihm die Anfertigung der Entwürfe zur Ausmalung des Rathaussaales. Die dreifache Bestimmung des Saales, zu Reichstagen, Gerichtssitzungen und Festlichkeiten, war maßgebend für die Wahl der Gegenstände. Die kaiserliche Majestät ward verherrlicht durch jene für Maximilian angefertigte Komposition des „Großen Triumphwagens“, die Dürer jetzt dahin veränderte, daß der Kaiser allein, ohne seine Familie, in der allegorischen Umgebung erschien. In dieser Gestalt gab er den „Triumphwagen“ im Jahre 1522 auch in Holzschnitt heraus (daraus Abb. 109). Für die nächstgrößte Fläche der zu bemalenden Saalwand entwarf der Meister als Warnung vor vorschnellem Richterspruch eine Allegorie der Verleumdung, nach einer vielgelesenen Beschreibung eines Gemäldes des Apelles. Dieser Entwurf, eine ausgeführte Federzeichnung von 1522, wird in der Albertina aufbewahrt. Für das kleinere Mittelfeld zwischen den beiden großen Bildern ward eine lustige Darstellung bestimmt, die unter den Namen „der Pfeiferstuhl“ bekannte Gruppe von sieben Stadtmusikanten und sieben anderen volkstümlichen Figuren. — Dürer lieferte bloß die „Visierungen“ zu diesen Gemälden, die Ausführung geschah[S. 130] durch andere Hände. Die Wandgemälde sind noch vorhanden, aber roh übermalt und sehr schlecht erhalten.
Dürers Hauptwerke aber in dieser Zeit und in den nächstfolgenden Jahren waren Bildnisse. Mit der Jahreszahl 1521 bezeichnet ist ein auf unbekanntem Wege in den Besitz des Königs Philipp IV von Spanien gelangtes Brustbild eines älteren Herrn in Pelzrock und breitem schwarzen Hut (Abb. 108). Dieses Prachtbildnis, in dem man Hans Imhof den Älteren aus Nürnberg zu erkennen glaubt, hängt im Pradomuseum zu Madrid an bevorzugter Stelle zwischen den auserlesensten Meisterwerken der verschiedenen Nationen und Jahrhunderte, zusammen mit dem Selbstbildnis von 1498. Mit welcher Kraft Dürer sein Leben lang an seiner künstlerischen Vervollkommnung gearbeitet hat, das wird einem nirgendwo so deutlich wie hier, wo man die beiden Bildnisse, von denen das eine dem ersten, das andere dem letzten Jahrzehnt von des Meisters Thätigkeit angehört, bei einander sieht. Das jugendliche Selbstbildnis erscheint in dieser Umgebung dem verwöhnten Auge des Beschauers sehr hart. Das Bildnis von 1521 aber hält jede Nachbarschaft aus. Es ist etwas bedingungslos Vollkommenes. Es besitzt malerische Eigenschaften, durch die es sogar den höchstgefeierten Bildnissen, welche Dürer einige Jahre später malte, überlegen ist. — 1522 veröffentlichte Dürer das große prächtige Holzschnittbildnis des kaiserlichen Rates und Protonotars beim Reichskammergericht, Ulrich Varnbüler, eines dem Meister eng befreundeten Mannes. Später folgte das kleine Holzschnittporträt des Humanisten Eobanus Hessus. Wahrscheinlich bei Gelegenheit des Nürnberger Reichstages von 1522 bis 1523 porträtierte Dürer zum zweitenmal den Kardinal Albrecht von Brandenburg und dann auch seinen ältesten fürstlichen Gönner, Friedrich den Weisen von Sachsen. Beide Bildnisse stach er in Kupfer, das erstere (zum Unterschied von dem kleinen Porträt von 1519 „der Große Kardinal“ genannt, Abb. 111) im Jahre 1523, das letztere 1524 (Abb. 112).
Würdig schloß sich diesen herrlichen Kupferstichbildnissen dasjenige des allzeit getreuen Freundes Wilibald Pirkheimer an (gleichfalls 1524, Abb. 113), der nicht nur[S. 131] als Gelehrter, sondern auch als Staatsmann und Truppenführer seinen Namen berühmt gemacht hatte. Im Jahre 1526 entstanden dann die Kupferstichporträts des Erasmus von Rotterdam, den Dürer in den Niederlanden zweimal nach dem Leben gezeichnet hatte, und des Melanchthon (Abb. 117), der sich damals wiederholt in Nürnberg aufhielt, um die Einrichtung des neugegründeten Gymnasiums zu leiten, und den mit Dürer ein Band gegenseitiger Bewunderung und Zuneigung verknüpfte. — Das waren des Meisters letzte Kupferstiche.
In das Jahr 1526 fällt auch die Entstehung der letzten gemalten Bildnisse Dürers. Darunter ist dasjenige des Johann Kleeberger, des Schwiegersohnes des Wilibald Pirkheimer, das sich in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien befindet, befremdlich wegen der vom Besteller aus gelehrter Liebhaberei für das klassische Altertum gewünschten Darstellungsweise. Kleebergers Bildnis ist, in Anlehnung an altrömische Darstellungen, als Büste gedacht, die in einen Steinrahmen eingesetzt ist, und man sieht, daß Dürer mit der Lösung des Widerspruchs, daß er ein naturgetreues Porträt eines lebendigen Mannes malen und daß dieses Porträt zugleich den Eindruck eines bemalten Steinbildwerks machen sollte, nicht recht fertig geworden ist (Abb. 116). Um so dankbarer war für den Meister die Aufgabe, die charaktervollen Köpfe zweier älteren Herren zu malen, die in den höchsten Ämtern der Stadt Nürnberg standen und die beide mit ihm befreundet waren. Das sind die jetzt im königlichen Museum zu Berlin befindlichen herrlichen Bildnisse des Jakob Muffel, eines ernsten, bedächtigen, schon etwas lebensmüde aussehenden Mannes mit glattrasiertem Gesicht (Abb. 115), und des Hieronymus Holzschuher, aus dessen gesundfarbigem, von Silberlocken und weißem Bart umrahmten Gesicht die Augen mit Jünglingsfeuer herausblitzen (Abb. 118). Beide Bildnisse sind großartige Meisterwerke; aber die Erscheinung des alten Holzschuher hat für den Maler doch einen besonderen Reiz gehabt, so daß er in diesem im vollsten Sinne lebensprühenden Bilde eines seiner allervorzüglichsten Werke schuf.
Schon während des Aufenthalts in den[S. 132] Niederlanden hatte Dürer den Plan gefaßt, noch einmal — zum fünftenmal — das Leiden Christi in zusammenhängender Folge zu schildern. Das zur Ausführung in Holzschnitt bestimmte Werk kam als solches nicht zustande; auch von den Entwürfen wurde nur ein kleiner Teil fertig. Aber diese Entwürfe, Federzeichnungen in breitem Format, sind wieder kostbare Schöpfungen. Wie alle früheren Passionswerke sind sie durch eine einheitliche dichterische Stimmung miteinander verbunden. Die mehrfache Wiederholung eines und desselben Gegenstandes weist darauf hin, daß Dürer sich bei diesen Kompositionen nicht leicht entschließen konnte, eine für befriedigend zu erklären; und deswegen hat er wohl, in dem Gefühl, daß es ihm unmöglich sei, in diesem Werk sich selbst völlig Genüge zu thun, das Ganze aufgegeben. Die frühesten der Blätter sind zwei Darstellungen der Kreuztragung, beide im Jahre 1520, also noch in Antwerpen, gezeichnet und beide jetzt in Florenz befindlich. Die eine zeigt einen figurenreichen Zug, der eben das Stadtthor verläßt; das gaffende Volk drängt sich von beiden Seiten; die Roheit der Kriegsknechte, die dem Zuge Bahn machen, und die über die Stockung, die das Niedersinken des Christus verursacht, in Zorn geraten, ist mit unbarmherziger Wahrheit geschildert. Man sieht hier deutlich die Einwirkung niederländischer Kunstweise. Auch das andere Blatt zeigt eine dichte Menschenmenge, von so natürlicher Anordnung, daß man die Masse leben und sich bewegen sieht; aber jene Schroffheiten sind vermieden. Christus ist nicht im Augenblick des Niedersinkens dargestellt, sondern wie er mühsam unter der Last des schweren Kreuzes schreitet, — und das wirkt fast noch rührender (Abb. 103). Von 1521 sind drei Zeichnungen der Grablegung (eine in Florenz, eine in Frankfurt, eine im Germanischen Museum zu Nürnberg), die, bei sonstiger großer Verschiedenheit untereinander, das von der üblichen Darstellungsweise Abweichende gemeinsam haben, daß ein förmlicher Leichenzug an uns vorüberzieht. Auf dem Florentiner Blatt schreitet Joseph von Arimathia mit anderen Personen, welche Spezereien und Tücher tragen, dem heiligen Leichnam voraus; an die kleine Schar der Angehörigen und Getreuen, welche folgt und aus der nur Magdalena laut jammernd an die Seite des Toten herausgetreten ist, hat sich, aus dem Stadtthor kommend, ein Gefolge von Menschen angeschlossen, die, ebenso wie einige den Zug betrachtende Männer, nicht sowohl durch Verehrung für den zu Grabe Getragenen, als vielmehr durch Neugierde herbeigeführt worden sind (Abb. 104). Also auch hier Betonung eines naturgetreuen Volkslebens. Im Jahre 1523 zeichnete Dürer einen Entwurf zum letzten Abendmahl (in der Albertina), der ebenfalls von der üblichen Darstellungsweise in der Anordnung abweicht: Christus sitzt nicht in der Mitte, sondern am Kopfende der langen Tafel. In einer auf Holz übertragenen Zeichnung aus demselben Jahre aber hat Dürer die Komposition in einer Weise angeordnet, die derjenigen von Leonardo da Vincis Freskogemälde ähnlich ist. Dem Format und der Art der Zeichnung nach gehört zu dieser Folge von Bildern aus dem Leben des Erlösers auch das schöne Blatt in der Albertina, welches die Anbetung der heiligen drei Könige in einer so schlicht und herzlich empfundenen und zugleich so großartigen Komposition zeigt (Abb. 114). Zur Ausführung in Holzschnitt kam von alledem nur die erwähnte eine Darstellung des letzten Abendmahls.
Der letzte Holzschnitt religiösen Inhalts, den Dürer herausgab — im Jahre 1526 —, war eine heilige Familie: ein kleines, fein gezeichnetes liebliches Bild, von eigenartig poetischer Wirkung dadurch, daß die Glorienscheine, welche die Häupter der Mutter und des Kindes umleuchten, mit ihren Strahlen die ganze Luft erfüllen.
Der kirchlichen Malerei waren jene Jahre, in denen die Reformation in Nürnberg eingeführt wurde und die beunruhigten Gemüter hin und her schwankten, nicht günstig. Im Jahre 1523 wurde in Dürers Werkstatt ein kleines Altarwerk fertig. Die zerstreuten Bruchstücke dieses Werkes, das als der Jabachsche Altar bezeichnet zu werden pflegt, weil es während der längsten Zeit seines Bestehens die Hauskapelle der Familie Jabach in Köln schmückte, befinden sich in der Münchener Pinakothek, im städtischen Museum zu Köln und im Städelschen Institut zu Frankfurt. Dürer selbst hat daran wohl keinen Strich gemalt. Vielleicht war die Bestellung eben dieses Altars die[S. 135] Veranlassung, daß er überhaupt wieder Gehilfen annahm, deren er sich sonst, wie es scheint, seit dem Jahre 1509 nicht mehr bei der Ausführung seiner Arbeiten bedient hatte.
Im Jahre 1526 malte Dürer noch ein kleines Andachtsbild: die Jungfrau Maria — etwas mehr als Brustbild, wenig unter Lebensgröße —, mit dem Jesuskind auf dem Arm, für das sie einen Apfel bereit hält. Das Kind, das eine Kornblume im Händchen hält, ist in ganz unbefangener Kindlichkeit dargestellt. Die Jungfrau ist sehr lieblich in ihrem sanften und bescheidenen Ausdruck; aber der Versuch, die Form zu idealisieren, der in dieser späten Zeit des Meisters doppelt befremdlich wirkt, ist nicht ganz glücklich ausgefallen. Ein eigentümlich schwermütiger Ton liegt über dem Bilde (Abb. 119).
In dem nämlichen Jahre vollendete Dürer das letzte große Werk seiner Malerei: die beiden Tafeln mit den Aposteln Johannes und Petrus einerseits und Paulus und Marcus andererseits, die, bekannt unter dem Namen „die vier Apostel“ oder „die vier Temperamente“ jetzt in der Münchener Pinakothek prangen. Schon seit Jahren hatte er sich damit beschäftigt, die Apostel in Charaktergestalten zu verbildlichen. Fünf Apostelfiguren führte er in Kupferstich aus in den Jahren 1514 bis 1526; aber er führte die Reihe nicht zu Ende. Es drängte ihn, gleichsam ein großes Schlußwort seiner Kunst in den gemalten Apostelbildern auszusprechen, zu denen die Studien bis in das Jahr 1523 hinaufreichen. Seit dem Dezember 1520, wo er auf der Reise nach Seeland zum erstenmal von einem heftigen Unwohlsein ergriffen wurde, kränkelte Dürer. Jetzt fühlte er, daß die Tage seiner Schaffenskraft gezählt seien. Vor seinem Ende wollte er seiner geliebten Vaterstadt ein künstlerisches Vermächtnis übergeben, und dazu wählte er die Apostelbilder. Aus einer tiefernsten Stimmung heraus, aber mit jugendlicher Kraft schuf er diese mächtigen lebensgroßen Gestalten, in denen seine schöpferische Fähigkeit, Charakterbilder ins Dasein zu rufen, auf ihrer größten Höhe erscheint. Die ganze Liebe, die er auf eine sorgfältige Ausführung zu verwenden vermochte, hat er diesem Werke gewidmet, aber alles Kleinliche hat er vermieden. Er hat hier jene erhabene Einfachheit erreicht, die er, wie er einst Melanchthon voll Schmerz über seine Unvollkommenheit gestand, zwar als den höchsten Schmuck der Kunst erkannt, aber niemals erlangen zu können geglaubt hatte. In mächtiger Größe treten die Gestalten aus einem leeren schwarzen Hintergrund[S. 136] heraus. Die ganze Aufmerksamkeit des Beschauers wird auf die vier Köpfe gelenkt. Die beiden Gewänder, welche den größten Raum der Bildflächen einnehmen, der weiße Mantel des Paulus und der rote des Johannes, sind mit einer einfachen Großartigkeit angeordnet, die mit der Großartigkeit der Köpfe in vollem Einklang steht (Abb. 120 und 121). Die große Verschiedenheit der Köpfe hat schon zu Dürers Lebzeiten die Ansicht aufkommen lassen, daß hier zugleich die vier Temperamente dargestellt seien. Bei der großen Bedeutung, welche die damalige Wissenschaft den sogenannten Temperamenten oder Flüssigkeitsmischungen im menschlichen Körper, der „feurigen, luftigen, wässerigen oder irdischen Natur“ beilegte, ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß Dürer selbst auch an diese Unterscheidungen gedacht habe. Was der ernst sinnende Johannes, der ruhige Petrus, der lebhafte Marcus und der feurige Paulus dem Beschauer sagen wollen, das hat der Maler durch die Unterschriften erläutert, welche er den Bildern hinzufügte: „Alle weltlichen Regenten in diesen gefahrvollen Zeiten sollen billig acht haben, daß sie nicht für das göttliche Wort menschliche Verführung annehmen, denn Gott will nichts zu seinem Wort gethan, noch davon genommen haben. Darum hört diese trefflichen vier Männer Petrum, Johannem, Paulum und Marcum.“ Als „ihre Warnung“ werden nun die Stellen aus dem zweiten Brief des Petrus, aus dem ersten Brief des Johannes, aus dem zweiten Brief des Paulus an Timotheus und aus dem zwölften Kapitel des Marcusevangeliums angeführt, welche vor falschen Propheten und Sektierern, vor Leugnern der Gottheit Christi, vor Lasterhaften und vor hoffärtigen Schriftgelehrten warnen. Mit diesen mahnenden Unterschriften versehen verehrte Dürer die beiden Tafeln im Herbst 1526 seiner Vaterstadt zu seinem Andenken. Rührend ist die Bescheidenheit des Begleitschreibens, mit dem er dieselben an den Rat übersandte: „Dieweil ich vorlängst geneigt gewesen wäre, Eure Weisheit mit einem kleinwürdigen Gemälde zu einem Gedächtnis zu verehren, habe ich doch solches aus Mangelhaftigkeit meiner geringschätzigen Werke unterlassen müssen. Nachdem ich aber diese vergangene Zeit eine Tafel gemalt und darauf mehr Fleiß denn auf andere Gemälde gelegt habe,[S. 137] achte ich niemand würdiger, dieses zu einer Gedächtnis zu behalten, als Eure Weisheit, deshalb ich auch dieselbe hiermit Eurer Weisheit verehre, unterthänigerweise bittend, dieselben wollen dieses kleine Geschenk gefällig und gütig annehmen und meine günstigen gnädigen Herrn, wie ich bisher anbei gefunden habe, sein und verbleiben.“
Ein Jahrhundert lang hingen die beiden Gemälde in der Sitzungsstube der ersten Würdenträger von Nürnberg. Dann erwarb sie Kurfürst Maximilian von Bayern. Dieser ließ auf die Vorstellungen des Rats von Nürnberg die bedenklich erscheinenden Unterschriften von den Tafeln absägen und an die Kopien ansetzen, welche die Nürnberger anstatt der Originale behielten.
Mit dem an Meisterwerken so reichen Jahre 1526 war Dürers künstlerische Thätigkeit im wesentlichen abgeschlossen.
Sehr vieles und unendlich großes hatte er geschaffen als Maler, Kupferstecher und Zeichner für den Holzschnitt. Für die erhabensten Figuren der christlichen Kunst hatte er eine Gestaltung gefunden, welche seither maßgebend geblieben ist. Der von ihm geschaffene Christuskopf, namentlich der dornengekrönte, auch im Leiden majestätische (s. Abb. 76), wird niemals überboten werden können; nicht mit Unrecht ist ein erst nach Dürers Tode erschienener, aber zweifellos auf seiner Vorzeichnung beruhender Holzschnitt, der in einem Haupt Christi von doppelter Lebensgröße das qualvollste Leiden und zugleich die Überwindung des Leidens veranschaulicht, das Leiden als gewollte That darstellt, als das christliche Gegenstück des olympischen Zeus gepriesen worden (Abb. 122). Daneben hatte er es nicht verschmäht, die Größe seines Könnens auch scheinbar kleinen Dingen zuzuwenden. Er zeichnete prächtige Wappen und gab damit das Schönste, was die Renaissance auf heraldischem Gebiet hervorgebracht hat (Abb. 123). Er erfand Titelverzierungen für Bücher (Abb. 124) und entwarf geschmackvolle Buchzeichen („Ex-libris“) für die Bibliotheken seiner Freunde (Abb. 125 und 126). Er konstruierte Alphabete und trug durch seine mustergültigen lateinischen Buchstaben (vergl. Abb. 2) mit bei zur Renaissance der Schrift — eine Renaissance, die freilich in Deutschland unvollständig blieb, da wir ja heute noch an der augenverderbenden[S. 138] spätgotischen Schrift mit ihren kantigen kleinen und ihren wunderlich verschrobenen großen Buchstaben mit sonderbarer Hartnäckigkeit festhalten. Er bildete Naturmerkwürdigkeiten ab zur Befriedigung der öffentlichen Neugierde, und er fertigte Entwürfe architektonischer und kunstgewerblicher Art an, sowohl zum Zwecke allgemeiner Belehrung, als auch zu besonderen Zwecken für seine Bekannten. Maler und Bildner verdankten seiner Liebenswürdigkeit Vorbilder für ihre Werke. So gibt es von seiner Hand eine Skizze zu einem von Hans von Kulmbach ausgeführten Gemälde und eine solche zu einem von Peter Vischer gegossenen Grabmal (Abb. 90). Seine Gefälligkeit kam jedem an ihn gerichteten Wunsch entgegen; ein merkwürdiges Beispiel gibt die Zeichnung eines Affentanzes, die er in einem (im Museum zu Basel bewahrten) Brief an den Magister Felix Frey in Zürich schickte, mit der Entschuldigung, daß er die Zeichnung nicht besser habe machen können, weil er lange keinen lebenden Affen gesehen hätte (Abb. 110). Gern stellte Dürer, der emsige Forscher, seine Handfertigkeit in den Dienst der Wissenschaft, nicht nur wenn es sich um die bildliche Ergänzung der von ihm selbst verfaßten Fachschriften handelte; er hat auch für seinen Freund Stabius Erd- und Himmelskarten ausgeführt. Auch was er als Knabe in der Goldschmiedewerkstatt seines Vaters gelernt hatte, verwertete Dürer gelegentlich. So gravierte er zum Schmucke eines Schwertgriffs für den Kaiser Maximilian ein Goldplättchen mit der Kreuzigungsgruppe; das Plättchen selbst ist verschwunden, nur einige Abdrücke desselben, bekannt unter dem Namen „der Degenknopf“, sind noch vorhanden (Abb. 134). Für ein Kästchen, das einem Fräulein Imhof geschenkt wurde und welches sich heute noch zu Nürnberg im Besitz dieser Familie befindet, lieferte er ein in Silber gegossenes Relief, das eine anmutige weibliche Gestalt zeigt.
Um Dürer ganz kennen und würdigen zu lernen, muß man sich mit der Betrachtung seiner Handzeichnungen beschäftigen. Es haben sich deren sehr viele aus allen Zeiten seiner Thätigkeit erhalten. Sie sind freilich weit auseinander in öffentlichen und privaten Sammlungen verstreut, aber zum großen Teil sind sie durch treffliche Vervielfältigungen, namentlich durch die Braunschen Photographien, der Öffentlichkeit übergeben. Des Meisters unermüdlicher Fleiß, die Gewissenhaftigkeit seines Studiums und der Reichtum seiner Phantasie treten gleichermaßen in diesen in allen nur erdenklichen Arten der Technik bald flüchtig hingeworfenen, bald liebevoll durchgearbeiteten Studien und Skizzen zu Tage. An erster Stelle stehen hier die Köpfe. In diesen Abschriften der Wirklichkeit, mögen sie in großem oder in kleinem Maßstabe, mit dem Pinsel, der Feder, dem Stift oder der Kohle gezeichnet sein, lebt eine Naturfrische, die sich so ganz[S. 139] und voll nur selten in den ausgeführten Gemälden bewahren ließ. Wieviel manchmal durch die Übertragung in die Malerei verloren ging, zeigen besonders auch die Kinderköpfchen, die in den Gemälden meistens an einer gewissen Härte leiden, während sie in den Studienzeichnungen entzückend sind (Abb. 127). Den zu bestimmten Werken gemachten Studien, den Modellköpfen und den Bildnissen benannter Persönlichkeiten reiht sich eine große Menge von Bildnissen Unbekannter an, die nur durch die Zeichnungen, in denen sie uns mit greifbarer Lebendigkeit vorgeführt werden, fortleben (Abb. 128 ein um das Jahr 1520 gezeichnetes Bildnis). Ganz besonders fesseln diejenigen Blätter, auf denen die abgebildete Persönlichkeit nicht porträtmäßig zurechtgesetzt, sondern mit einem, man möchte sagen hochmodernen Realismus in scheinbar zufälliger — aber überzeugend charakteristischer — Stellung festgehalten erscheint (Abb. 129). — Wahre Wunderwerke sorgfältigster Naturnachbildung sind mehrere in Wasserfarben gemalte Blätter, Pflanzen- und Tierstudien, die Dürer augenscheinlich aus keinem anderen Grunde gemacht hat, als weil es ihn freute, sich mit liebevollem Eingehen in die Natur zu versenken; so eine tote Mandelkrähe und ein Flügel von demselben Vogel in der Albertina, auf geglättetes Pergament gemalt, mit einer unvergleichlichen Wiedergabe des Schillerglanzes der Federn, und ein Hase, bei dem sozusagen jedes einzelne Haar ausgeführt ist, in derselben Sammlung. — Einen nicht geringeren Genuß gewährt die Betrachtung der Kompositionsentwürfe, die meistens mit der Feder gleich in einem gewissen Grad von Vollendung gezeichnet sind (Abb. 36, 103, 104, 114, 130), bisweilen aber auch sich auf eine flüchtige Angabe beschränken (Abb. 1 und 131) oder nur mit wenigen leichten Linien die Grundzüge eines Bildes feststellen (Abb. 132). Auch hier besitzt die erste Niederschrift der künstlerischen Gedanken eine Frische und Herzlichkeit des Ausdrucks, deren Reiz in einer zeitraubenden Ausführung — selbst wenn die Ausführung in dem Dürers Hand am meisten zusagenden Kupferstich geschah — nicht mehr mit solcher Unmittelbarkeit zur Geltung kommen konnte. Eine große Zahl von Dürers erhaltenen Kompositionszeichnungen ist auch ganz ohne eine bestimmte Absicht späterer Ausführung, bloß um dem Schaffensdrange des Augenblicks zu genügen, entstanden. Auch befinden sich Blätter darunter, die schon Ausführungen sind und für sich selbst als abgeschlossene Kunstwerke betrachtet sein wollen. Das vorzüglichste in dieser Art sind neben der „Grünen Passion“ zwei zusammengehörige Bildchen (in der Albertina und im Berliner Kupferstichkabinett), die Auferstehung Christi und Simson im Kampf mit den Philistern darstellend, die mit der denkbar äußersten Feinheit und Vollendung in schwarz und weiß auf dunkel grundiertem Papier gezeichnet sind und die von Dürer selbst für wert gehalten wurden, mit seiner vollen Namensunterschrift bezeichnet zu werden. — Eine eigene Klasse von Zeichnungen bilden diejenigen, die wissenschaftlichen Untersuchungen dienen, indem sie die Grenzen der möglichen Verschiedenheiten in der menschlichen Gesichtsbildung feststellen wollen (Abb. 133) oder auf die Ermittelung der Gesetze harmonischer Verhältnisse ausgehen durch Einzeichnung von Maßen und Zirkelschlägen in Figuren von Menschen und Pferden.
Vom Jahre 1526 an war Dürer fast nur noch schriftstellerisch thätig. Schon 1525 hatte er ein Buch über die „Meßkunst“ (Perspektive) mit erläuternden Holzschnitten herausgegeben. 1527 widmete der vielseitig gebildete Künstler, der auch über Gymnastik und über Musik Abhandlungen geschrieben hatte, die er indessen nicht herausgab, dem König Ferdinand ein mit zahlreichen Illustrationen und mit einem schönen heraldischen Titelbilde geschmücktes Werk, durch das er dem von den Türken bedrohten Vaterlande nützen wollte, und das für die Folgezeit nicht ohne praktische Bedeutung geblieben ist: „Unterricht zur Befestigung der Städte, Schlösser und Flecken.“ Ein mit diesem Werke in innerem Zusammenhang stehender großer Holzschnitt, die Belagerung einer Stadt darstellend, war die letzte lediglich künstlerische Arbeit, welche Dürer der Öffentlichkeit übergab. — Es drängte den Meister noch, die von ihm auf dem Gebiete der Kunst gemachten Erfahrungen kommenden Künstlergeschlechtern mitzuteilen. Seine eigene Kunst schätzte der größte Künstler ganz klein; aber er glaubte, mit der Zeit würden die deutschen Maler „keiner anderen Nation den Preis vor ihnen lassen“. Zur Erlangung dieses Zieles wollte er nach Kräften beitragen, indem er auf die Notwendigkeit wissenschaftlicher Studien für den Künstler hinwies. Ihn dauerte die Unwissenheit vieler seiner Berufsgenossen, die, nur handwerksmäßig gebildet, ihre Werke zwar mit geschickter Hand, aber „ohne Vorbedacht“ malten. Die „Meßkunst“ sollte nur ein Teil seiner von[S. 141] ihm schon lange vorbereiteten umfassenden Unterweisung für junge Kunstbeflissene sein. Den Hauptbestandteil dieses Werkes sollte eine „Proportionslehre“ in vier Büchern bilden; Abhandlungen über Malerei und anderes sollten sich anschließen. Doch nur das erste Buch der „Proportionslehre“, die nachmals von seinen Freunden in ihrem ganzen Umfange druckfertig gemacht und herausgegeben und die später in viele Sprachen übersetzt wurde, vermochte er selbst endgültig fertig zu stellen.
Plötzlich und früher, als man erwartete, starb Dürer vor Vollendung seines 57. Lebensjahres eines sanften Todes. Er ward auf dem Johanneskirchhof zu Nürnberg in dem Erbbegräbnis der Familie Frey bestattet. „Dem Gedächtnis Albrecht Dürers. Was von Albrecht Dürer sterblich war, wird von diesem Hügel geborgen. Er ist dahingegangen am 6. April 1528.“ So lautet in klassischer Kürze die von Pirkheimer verfaßte lateinische Inschrift der Erzplatte, welche die Gruft bedeckt.
Zahlreiche Auslassungen geben uns Kunde von dem Schmerz, mit dem die Todesnachricht die größten Männer der Zeit erfüllte.
So hoch auch Dürer, den seine gelehrten Freunde den deutschen Apelles nannten, um seiner Kunst willen geehrt worden war, fast noch höher hatte man ihn um seiner menschlichen Tugenden willen geschätzt und bewundert.
Eine schöne Schilderung seiner Persönlichkeit hat uns Joachim Camerarius, der erste Leiter des von Melanchthon zu Nürnberg gegründeten Gymnasiums, in der Vorrede zur lateinischen Ausgabe von Dürers Proportionslehre hinterlassen. „Die Natur hatte ihm,“ heißt es darin, „einen in Bau und Wuchs ansehnlichen Körper gegeben, passend zu der schönen Seele, die er einschloß. Sein Kopf war scharf geprägt, die Augen leuchtend, die Nase wohlgeformt und kräftig geschnitten, der Hals ein wenig zu lang, die Brust breit, der Leib schlank, die Schenkel muskulös, die Unterbeine fest. Aber seine Finger — etwas Schöneres meinte man gar nicht sehen zu können. In seiner Rede lag ein solcher Wohllaut und ein solcher Reiz, daß den Zuhörern nichts unangenehmer war, als wenn er aufhörte zu sprechen. Seine Seele war von glühendem Verlangen nach vollendeter Schönheit der Sitten und der Lebensführung erfüllt, und er zeichnete sich darin so aus, daß er mit Recht für einen vollkommenen Mann gehalten wurde. Aber darum war er keineswegs von trübseliger Strenge oder von unangenehmem Ernst; im Gegenteil, alles, was als Beitrag zur Verschönerung und zur Erheiterung des Lebens[S. 143] gilt, ohne von Ehrbarkeit und Recht abzuweichen, das hat er nicht nur sein Leben lang nicht außer acht gelassen, sondern auch als Greis noch gut geheißen, wie seine nachgelassenen Schriften über Gymnastik und Musik darthun. Vor allem aber hatte die Natur ihn zur Malerei geschaffen, und darum hat er sich dem Studium dieser Kunst mit allen Kräften hingegeben und sich eifrig bemüht, die Werke berühmter Maler aller Nationen und den tieferen Grund ihrer Art und Weise kennen zu lernen, und was er davon für richtig hielt, sich anzueignen. Mit dem höchsten Recht bewundern wir Albrecht als den eifrigsten Hüter der Sittlichkeit und Züchtigkeit und als einen Mann, der durch die Großartigkeit seiner Malereien das Bewußtsein seiner Kraft kund gab, und bei dem doch auch von den kleineren Werken nichts gering geschätzt werden darf. Man findet in seinen Arbeiten keinen unüberlegt oder verkehrt gezeichneten Strich, keinen überflüssigen Punkt. Was soll ich von der Fertigkeit und Sicherheit seiner Hand sagen? Man möchte schwören, mit Lineal und Zirkel sei gezogen, was er ohne anderes Mittel als Pinsel, Stift oder Feder zum Verblüffen der Zuschauer hinzeichnete. Was soll ich davon sprechen, mit welcher Übereinstimmung von Hand und schaffendem Geist er oftmals die Verbildlichungen irgend welcher Dinge auf das Papier warf oder, wie die Künstler sagen, hinsetzte? Späteren Lesern wird es gewiß unglaublich erscheinen, daß er bisweilen eine Zeichnung an weit auseinander liegenden Stellen nicht nur einer ganzen Darstellung, sondern auch einzelner Figuren anfing, die dann, wenn er die Verbindung hergestellt hatte, so zusammenkamen, daß gar kein besserer Zusammenhang denkbar gewesen wäre. Mit dem Pinsel führte er auch die feinsten Sachen auf Leinwand oder Holztafel ohne vorherige Aufzeichnung aus, und zwar so, daß nichts daran zu tadeln war, daß vielmehr alles das höchste Lob fand. Das haben besonders die gefeiertsten Maler bewundert, die als die Sachverständigsten die Schwierigkeit kannten. — Wie sehr hoch Albrecht auch stand, so strebte er doch in seinem großen und erhabenen Geist immer noch weiter. Wenn überhaupt etwas an diesem Manne war, das einem Fehler ähnlich schien, so war es sein unbegrenzter Fleiß mit der oftmals bis zur Ungerechtigkeit getriebenen scharfen Selbstbeurteilung. — Nichts Unreines, nichts Unwürdiges kommt in seinen Werken vor, da von allen derartigen Dingen die Gedanken seiner keuschen Seele zurückflohen. Wie würdig war der Künstler seines großen Erfolgs!“
Dürers Künstlerruhm war schon bei seinen Lebzeiten nicht nur in Deutschland und den Niederlanden, sondern auch in Italien unbestritten. In Venedig sowohl wie in Antwerpen wurden ihm Jahresgehalte angeboten, um ihn dauernd zu fesseln; und nur sein vaterländischer Sinn widerstand den hinreichend verlockenden Anerbietungen. Als er von Venedig aus nach Bologna reiste, wurde er von der dortigen Künstlerschaft mit überschwenglichem Jubel[S. 144] begrüßt, in Ferrara wurde er durch Gedichte gefeiert. Raffael Santi tauschte Arbeiten mit dem deutschen Meister aus, „um ihm seine Hand zu weisen“. Von Raffaels Geschenksendung an Dürer, einer Anzahl von Zeichnungen, hat sich ein Blatt mit Aktstudien, durch einen Vermerk von Dürers Hand beglaubigt, erhalten (in der Albertina); das mit Wasserfarben auf ein Tüchlein gemalte Selbstbildnis, welches Dürer als Gegengabe schickte, und dessen Ausführung Raffael in Staunen versetzte, ist verschwunden. Der große Urbinate hat kein Bedenken getragen, einem seiner berühmtesten Gemälde, der unter dem Namen „Lo Spasimo di Sicilia“ bekannten Kreuzschleppung, das betreffende Blatt aus Dürers „Großer Passion“ zu Grunde zu legen. Auch andere italienische Meister haben von Dürer, dem sie unumwunden den Vorrang in Bezug auf die Erfindungsgabe zugestanden, Entlehnungen gemacht. Der unerschöpfliche Schatz seines Ideenreichtums wurde ihnen hauptsächlich durch die in Originalabdrücken und in italienischen Kupferstichnachbildungen verbreiteten Holzschnitte vermittelt. Die allgemeine Beliebtheit der Dürerschen Arbeiten wurde auch in der Heimat durch Nachdrucker und Fälscher ausgebeutet. Wiederholt mußte der Rat von Nürnberg sowohl bei Dürers Lebzeiten, als auch nachmals, da das Verlagsrecht an seine Witwe, die den Gatten um elf Jahre überlebte, übergegangen war, zum Schutze von Dürers geistigem Eigentum einschreiten. Später wurde die Fälschung ganz im großen getrieben. Sogar Werke, dergleichen Dürer wohl niemals gemacht hat, kleine Reliefs in Kelheimer Stein und Porträtmedaillen, wurden mit seinem Monogramm bezeichnet und als Arbeiten Dürers in den Handel gebracht. Seine größeren Gemälde wurden durch den Eifer fürstlicher Sammler, unter denen Kaiser Rudolf II obenan stand, fast alle von ihren ursprünglichen Bestimmungsorten entfernt. Erst als in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts der französische Kunstgeschmack in Deutschland herrschend wurde, ließ die Bewunderung des großen, so echt und ganz deutschen Meisters nach. Der erste, der dessen Bedeutung dann wieder erkannte und würdigte, war der junge Goethe. Der zog des männlichen Meisters „holzgeschnitzteste Gestalt“ der glatten Modemalerei seiner Tage vor und sprach zu einer Zeit, wo Künstler und Kunstverständige noch durchaus anderen Anschauungen huldigten, das Wort aus, daß Dürer „— wenn man ihn recht im Innersten erkannt hat — an Wahrheit, Erhabenheit und selbst an Grazie nur die ersten Italiener zu seinesgleichen hat“.