Project Gutenberg's Wie wir einst so glücklich waren!, by Wilhelm Speyer This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Wie wir einst so glücklich waren! Author: Wilhelm Speyer Release Date: April 1, 2019 [EBook #59186] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WIE WIR EINST SO GLÜCKLICH WAREN! *** Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This file was produced from images generously made available by The Internet Archive.
Wie wir einst
so glücklich waren!
Von Willy Speyer erschien bei Bruno Cassirer, Berlin 1907:
Ödipus, Roman
Novelle
von
Willy Speyer
Albert Langen
Verlag für Litteratur und Kunst
München
Auf meinem Lande ist es Herbst geworden. Ungefähr um drei Uhr morgens beginnt ein kalter Regen nieder zu gehen, der erst um fünf Uhr nachmittags aufhört. Zur Vesperzeit kommt plötzlich und kampflos die Sonne hervor; ein leichtes Blau webt mit einem Male in den herbstlichen Bäumen, deren genäßte Blätter von der Sonne farbenreich durchleuchtet werden. Am Spätabend ziehen über die feuchte Erde Nebel dahin, die des Nachts die verblassenden, leise rauschenden Wälder umfangen. Auf diesen Nebeln ruht zuweilen Mond- und Sternenlicht; goldene und silberne Wolken fließen unaufhörlich durch das Dunkel dahin, bis es zu einem nassen und schleichenden Morgen tagt.
Es ist seltsam zu sagen: Ich ziehe den Regen meinen anmutigen Herbstabenden vor. Während des ganzen Tages bleiben meine Fenster fest geschlossen, und ich finde ein Vergnügen darin, stundenlang im Zimmer auf und ab zu gehen, mit der Papierschere zu spielen, meine und meines Vaters Tagebücher zu lesen und immer wieder in hundertfachen Pausen dem Regen, dem grausamen, dem gänzlich hoffnungslosen zuzusehen. Keine Stimme redet zu mir aus dem strömenden Wasser, wie es bisweilen den Dichtern geschieht, und belustigt mich durch ihre Geschichten, – vielleicht durch kleine rührende Märchen, die meine Brust mit süßen Hoffnungen erfüllen könnten und dann ganz trostlos endigen, ... o nein, was mich unwiderstehlich zu dem erbarmungslosen Freunde dieser Tage hinzieht, ist nichts anderes als die nackte, von jeder Kunst entblößte Trauer und ihr schwermütiges Gefolge.
Es gibt Tage, wo der Regen auch vor der Vesperstunde nicht Halt macht, sondern in die finstere Nacht hineinrauscht und nimmer ruhen mag. Dann kommt die Zeit meiner tiefsten Ängste, und es erfassen mich Gefühle, die ich längst vergessen wähnte: Meine vollkommene, durch keine Gunst des Schicksals je gestörte Vereinsamung, meine frevelhafte, durch keinen leuchtenden Gedanken je geweihte Eigenmächtigkeit und meine tödliche, tödliche Sehnsucht.
*
Es ist wahr, ich bin grenzenlos einsam. Daß ich dies erst jetzt fühle, bereitet mir eine gewisse Genugtuung, zumal wenn ich daran denke, daß es Menschen gibt, die Tag für Tag an ihrer Einsamkeit leiden.
Aber nun, hier auf meinem Landsitz, ist es eingetreten, daß ich in den Regen schaue, eine ganze Weile, geruhig, mit einer leichten Traurigkeit im Herzen, und dann plötzlich der Gedanke mich zu Boden schmettert, daß es auf der ganzen Welt keine einzige Seele gibt, die mir am Tage oder in der dunklen Nacht je vertraut wäre.
O, ich weiß, daß viele Menschen ebenso wie ich zu sprechen pflegen, – aber bedenken diese auch, daß sie noch von der Kindheit her eine alte, gebrechliche Haushälterin besitzen, die sie rührend eifrig bedient und mit mürrischer Zärtlichkeit an ihnen hängt, oder einen Hund, einen kranken vielleicht, der mit guten, getrübten Augen zu ihnen emporsieht? Aber ich, ich kann nicht einmal solche Geschöpfe, die Geschöpfe des unteren Daseins, mein Eigen nennen. Meine Haushälterin versieht ihren Dienst mit gleichgültiger Sorgfalt, und die Hunde des Gutes lieben meinen Inspektor, nicht mich.
Ich habe freilich mit vielen Männern Handschlag und freundlichen Blick gewechselt, habe Umarmungen und Küsse mit manchen Frauen getauscht und bin in vieler Herren Dienst gestanden, – was blieb mir von alledem? Das Herz des Söldners, seine ruchlose Einsamkeit und seine undeutliche Erinnerung. Denn meinem Geist sind alle Geschehnisse zerronnen, wie der Regen zerrinnt auf den Schieferdächern meiner Scheunen.
*
Ich stehe ein wenig abseits vom Sinn und Gefüge der Natur, das sei zugestanden, auch trage ich eine spöttische Unbekümmertheit um ihren Gang zur Schau. Ich befinde mich außerhalb der Kreise, die von der Natur um die Dinge dieser Welt, um Menschen, Tiere, Blumen, ja, um die starre Öde des Gesteins gezogen ward und – ich will es nur aussprechen – ich befinde mich dort nicht allzu wohl. Ich fühle mich ausgeschlossen von der mütterlichen Güte der Natur, die selbst dann meine tiefste Sehnsucht erweckt, wenn sie den andern nur grausam und sinnlos erscheint. Ich zöge es vor, als ihr niedrigster Knecht in Ketten zu schmachten, als, ach – so frei zu sein, wie ich bin ...
*
Ich gehe an meine Bibliothek und nehme die römischen Elegien heraus. In dem Kupferstich auf der ersten Seite finde ich die Worte: „Wie wir einst so glücklich waren.“
Ich lese es und habe Tränen in meinen Augen.
„Wie wir einst so glücklich waren,
Müssen’s nun durch Euch erfahren.“
Es war auf einem deutschen Rittergut im Sommer, in einem Sommer voll gesegneter Tage; das Getreide stand hoch, vortreffliches Heu lag auf den Wiesen; der Himmel war am Morgen blau, mit einer glasigen Mondsichel über den Scheunen, und nachts leuchteten viel Sterne wie aus einem dunkeln, reichen und kostbaren Stoff. Ich liebte dort alle Menschen und ich betete mit einer jungglühenden Leidenschaft eine gewisse Dame an, – vielleicht war es ein Taugenichts von einer Dame. O, ich habe dies alles nie vergessen, ich entsinne mich sehr gut. Ich will diese Geschichte aufschreiben und sie dann einem Mädchen vorlesen, das irgendwo in der Welt lebt, einem schlanken Mädchen etwa von blondem Haar und weißen, milden Händen, und dieser Gedanke hat etwas unendlich Beruhigendes für mich. Ich erinnere mich dabei an gewisse Abendspaziergänge über die sanften Felder eines deutschen Rittergutes, an gewisse zärtliche und gütige Nächte und an die verworrenen Laute eines Fuhrmannes, der in der Dunkelheit den Hof erreichte und seine Pferde beim Schein der Laterne aus der Deichsel führte.
Ich schauderte, als ich zum ersten Mal mit einem Wagen durch die Straßen dieser Stadt fuhr, in der ich die zwei letzten Jahre meiner Schulzeit verbringen sollte. Von den häßlichen, kalkig-weißen oder gelben Mietshäusern, die mit dem läppischen Stuck einer nur auf die Nützlichkeit gerichteten Baukunst verziert waren, wandte sich der gekränkte Blick zu modischen Villen, die mitten in Arbeitervierteln durch ihren Prunk aufgeblasen, durch ihre ärmliche Umgebung unschicklich, ja frech erscheinen mußten. Ein verachteter, oftmals bespöttelter Fluß, das Zerrbild eines Flusses, führte sein dünnes, unruhiges und stets getrübtes Wasser durch das Weichbild der Stadt. In den lichtlosen Gassen aber duckten sich zuweilen jahrhundertalte ängstliche Giebelhäuser, die einer seelenvollen und klaräugigen Vergangenheit entstammten.
Der Knabe hatte seine erste Jugend auf einer Landschule zugebracht und war dort von erfahrenen Männern zusammen mit einer Schar unermüdlicher und redlicher Jungen erzogen worden. Nun stand er, einem begründeten Wunsche seines Vaters folgend, allein in dieser Stadt, ohne daß ihn irgend ein freundliches Gefühl an ihre Menschen gebunden hätte, dazu von einer auf dem Lande erlernten und geübten Sittlichkeit beschwert, die den Verkehr mit den leichtgesinnten Bewohnern der Städte verbot. So verschloß er sich nicht ohne einen gewissen Starrsinn den Freuden der Geselligkeit, gedachte mit Trauer der vergangenen Zeit und fand ein großes Gefallen daran, den alten Freunden in langen Briefen seine augenblickliche Lage mit den trostlosesten Worten zu schildern. Seine Stimmung ward durch den Umstand nicht verbessert, daß der Vater ihm Geldmittel von bedeutender Höhe zur Verfügung stellte, die weder dem Alter noch dem Verdienst des Sohnes ziemten.
Er verachtete mit zusammengepreßten Lippen und immer strengen Zügen die Lehrer und Schulkameraden des Gymnasiums und sprach mit keinem von ihnen mehr, als die Stunde verlangte. Ihre unerzogenen Körper und die schlechte Artung ihrer Seelen erschreckten ihn auf das heftigste und stießen ihn ab. Er, nur er allein war edlen, bis zu den Sternen erhobenen Geistes und nur er besaß die Schönheit schnellbewegter Glieder. Wer von ihnen erfaßte mit so reger Seele die donnernden Strophen engländischer Königsdramen, die knabenhaften und verwegenen Reden eines jungen Prinzen vor der Versammlung von Lancasterschen Herzögen oder den aufrührerischen Hohn der französischen Herolde? Wer ward beseligt durch das tönende Gold der achäischen Panzer, durch den silbernen Hufschlag der streitenden, leichtberittenen Götter und durch das blaue, blaue Griechenland?
Wie sehnte sich der bislang an Freiheit gewöhnte Knabe nach den Nachmittagen, die ihm durch keinen Zwang verfinstert waren! Ich denke besonders an gewisse regnerische Nachmittage des Herbstes. In einen trotzigen, der Kleidersitte widersprechenden Überwurf gehüllt, eine phantastische Mütze tief in das Gesicht gezogen, mit hohen schweren Stiefeln bekleidet, verließ er seine Wohnung und wanderte zum Stadttor hinaus. Bald gelangte er an den armseligen, im Regen blinden Fluß, an dessen Ufer er durch Weidengebüsch und dürftige Birkenwäldchen geradeaus schritt, um endlich die ersehnten Felder, die trüben, häßlichen und doch geliebten zu erreichen. Peitschte ihm der Sturm das Wasser in das emporgerichtete Antlitz, dann fühlte er, wie das heiß ersehnte und angebetete Leben seiner einsamen Brust günstig genähert war. Er warf die Kleider von sich, breitete den schützenden Mantel über sie und badete im kalten Fluß, während der Himmel seine frischen Regenstrahlen herniedersandte; vor Frost zitternd schwang er sich vielleicht auf einen Baum, um von dort in einer großartigeren als der gewöhnlichen Stellung Cassius in den verhängten Himmel zu heulen:
Und so umgürtet, Casca, wie ich bin,
Hab ich die Brust dem Donnerkeil entblößt,
um endlich mit geschundenem Körper, blau und naß in die Kleider zu steigen und gedrückt, traurig und fast ein wenig weinerlich über die eigene Narrheit im dunkelnden Nachmittag seinem Hause zuzuwandeln. In seinem Zimmer fand er dann bereits die Dämmerung vor, die vom Laternenschein am Fenster in zerrissenen Stücken erhellt war. Während vom unteren Stockwerk eine musikstudierende junge Dame ihre gleichmäßigen und süßen Variationen und Fugen erklingen ließ, schickte er sich an, den Tee zu bereiten und die Pfeife in Gang zu bringen. Von wundervollen Gefühlen überschlichen ließ er sich in einen Sessel nieder, eine angenehme Wärme durchströmte seinen Körper und seine Augenlider wurden schwer von Träumen. Aber sein der Wirklichkeit ebenso leidenschaftlich wie der Phantasie zugetaner Sinn richtete ihn bald aus seinen Träumen empor. Er setzte sich an den Schreibtisch, schlug seine Schulbücher auf und arbeitete, ohne seinen Gedanken eine Ablenkung zu gestatten, ernst und streng bis zum Abend.
Die letzte Unterrichtsstunde vor den großen Ferien war beendet. Plötzlich, ja scheinbar ganz ohne Zusammenhang begann man ungeheuer laut und angeregt zu reden, man lachte, sah einander in die Augen, schüttelte sich die Hände, und ein jeder wünschte dem andern in weitschallenden und überaus herzlichen Zurufen einen fröhlichen Sommer.
Ich stand wie immer abseits. Mir ward bei all dieser Freude, die wie ein heller Strom an mir vorbeifloß, ein wenig bedenklich zumute.
Ich nahm zerstreut meinen Strohhut vom Kleiderriegel und betrachtete mit Interesse meine Stiefelspitzen.
‚Jawohl,‘ dachte ich, ‚ich kann mir gut heute Nachmittag ein Paar neue Schuhe kaufen. Morgen reise ich ja fort. Wohin eigentlich? In meine Heimat? Zu meinem Vater? Er kreuzt mit seiner Jacht auf den nordischen Gewässern in Begleitung der schönen Anny Döring, und er hatte in seinem letzten Brief die Einladung für mich wohl vergessen, ... eigentlich hatte er einen ausgezeichneten Brief geschrieben, einen höflichen, zurückhaltenden und etwas frivolen Brief, und beigefügt war eine Bankanweisung von erstaunlicher Höhe. Jawohl, so war mein Vater. Übrigens war er ein vortrefflicher Herr.‘
Ich schickte mich an, den leeren Schulkorridor zu verlassen, als ein blonder, vornehm gekleideter Knabe auf mich zutrat.
Da er mein abweisendes Gesicht bemerkte, blieb er zögernd stehen und senkte die Augen. Darauf glitt ein Lächeln von großer Anmut über sein Antlitz, gleich als sei er über die eigene Schüchternheit belustigt.
„Meine Mutter und ich, wir würden uns sehr freuen, ... das heißt, wenn du Lust hast ...“
Eine Stille.
„Ich verstehe nicht, – wie?“
Der Knabe schlug sich mit der flachen Hand auf den Schenkel und begann sehr herzlich und sehr laut zu lachen.
„Zum Teufel, das war eine prachtvolle Einleitung!“
Er legte ungezwungen und weltmännisch seine Hand auf meinen Arm.
„Lieber Regnitz, man gibt heute nachmittag bei uns eine Gesellschaft. Es wird vermutlich ganz witzig werden ... Jungens und Mädchen ... Schokolade, Tanz und so ... Meine Mutter liebt das sehr, ... willst du uns das Vergnügen machen?“
Ich sah den Jungen erstaunt an; er gefiel mir außerordentlich. Aber ich hatte es mir bislang in solchem Maße zur Pflicht gemacht, die Schulkameraden abweisend und hochmütig zu behandeln, daß ich auch jetzt nicht vermochte, mein gewöhnliches Betragen mit einem freundlicheren zu vertauschen.
„Du bist sehr liebenswürdig ... Entschuldige mich, ich habe deinen Namen vergessen.“
„Ich heiße Wolfgang Seyderhelm.“
„Ich danke dir sehr für deine Einladung, Wolfgang Seyderhelm. Leider ist es mir nicht möglich, sie anzunehmen, da ich heute bereits eingeladen bin.“
Wolfgang Seyderhelm wurde etwas rot.
„Sehr schade,“ sagte er.
Er steckte eine Hand in die Hosentasche und wies mit der andern höflich auf die Schultreppe:
„Wir haben denselben Weg.“
Wir gingen die Stufen hinunter.
„Dein Bruder war Militärattaché in Athen, nicht wahr?“ fragte Wolfgang. „Meine Mutter glaubt, ihn dort kennen gelernt zu haben.“
„Jawohl, er war Militärattaché in Athen.“
Ich sah zur Seite.
„Was ist’s mit ihm?“ fragte Seyderhelm, der mich beobachtete.
„Er fiel in Südwest gegen die verdammten Schwarzen.“
„Oh.“
Vor dem Schulgebäude stand ein leichtgefügter eleganter Wagen mit zwei lebhaften Apfelschimmeln. Eine junge Dame saß darin; sie trug einen silbergrauen Schleier, der den weichen großen Hut an den Seiten niederbog und auf der Brust zu einem Knoten verschlungen war. Ihre schmalen Hände waren mit dänischem Leder bekleidet, und ihre von den Wimpern tief beschatteten Augen sahen etwas mokant zu Wolfgang hin.
„Ah, der Wagen!“ sagte Wolfgang Seyderhelm, der zögernd stehen blieb.
„Ah, deine Schwester!“ sagte ich beklommen.
„Nein, nicht meine Schwester.“
„Nicht deine Schwester?“
„Eine junge Dame unserer Bekanntschaft. Adieu, Walter Regnitz.“
Wolfgang Seyderhelm grüßte. Ich dankte nicht, sondern sah auf den Wagen. Der Kutscher legte die Hand an den Hut, Wolfgang sprach lächelnd einige Worte, warf seine Schulmappe auf den Bock und stieg ein. Die Schimmel zogen an und das Gefährt bog im Augenblicke um die Ecke ...
Ich eilte in den heftigsten Gedanken nach Haus.
An diesem Nachmittag ging ich nicht spazieren. Ich schritt unruhig in meinem Zimmer auf und ab. Ich hatte weder Lust zu arbeiten noch zu lesen. Immer wieder kam mir Wolfgang Seyderhelms Einladung in den Sinn. Und mit einem Male trat aus der Wirrnis widerstreitender Gefühle ein leuchtender Gedanke hervor: Die Sehnsucht nach Gesprächen, nach scherzhafter Rede und Gegenrede, nach Tanz und Schokolade und nach einer gewissen jungen Dame mit einem silbergrauen Schleier und mokanten, von den langen Wimpern tief beschatteten Augen.
Ohne Zögern kleidete ich mich um, lief zum Schuldiener und ließ mir Wolfgang Seyderhelms Adresse sagen. Bald fand ich mich abseits der Stadt vor einer großen, mitten in einem Park gelegenen Villa. Ich schellte, ward vom Diener ohne Verwunderung empfangen, durcheilte einige hellerleuchtete Gemächer und stand endlich im Eßzimmer.
Eine stattliche Anzahl von Knaben und Mädchen, unter ihnen einige Erwachsene, saßen an drei runden Tischen, vollführten den heitersten Lärm, und tranken mit großem Appetit Schokolade, wozu sie ungeheuer viel Kuchen aßen. Ich blieb befangen stehen und suchte Wolfgang Seyderhelm. Die Herrschaften verstummten allmählich, man begann mich zu bemerken. Da sah ich am Ende des letzten Tisches Wolfgang sich erheben, der mich verwundert anstarrte. Von einem andern Tisch her rief eine Dame:
„Nun, Wolfgang, willst du nicht deinen Gast begrüßen?“
Über Wolfgang Seyderhelms Gesicht glitt ein Zug von unendlicher Liebenswürdigkeit und fast frauenhafter Güte. Schnell kam er auf mich zu:
„Wie lieb, daß du kommst!“
Ich erwiderte kein Wort, drückte aber stürmisch und begeistert seine Hand. Er faßte mich am Arm und führte mich zu der Dame, die ihm vorhin zugerufen hatte. Glücklicherweise begann man an den Tischen sich wieder zu unterhalten.
„Dies hier ist mein Schulkamerad Walter Regnitz.“
Die Mutter, eine noch junge Frau von schlankem Wuchs, heiteren italienischen Augen und hoher reiner Stirne begrüßte mich lebhaft.
„Es freut mich sehr, daß Sie gekommen sind. Wolfgang hat mir viel von Ihnen erzählt.“
Wolfgang errötete.
„Ich denke, Herr Regnitz, Sie setzen sich neben mich. Hier ist noch ein Stuhl frei.“
Ich saß und fühlte meinen Sinn ein wenig umnebelt.
„Sind Sie verwandt mit einem Herrn Regnitz, der vor zwei Jahren in Athen Attaché war?“
„Das war mein Bruder, gnädige Frau.“
„Nicht möglich! ... Ihr Bruder ...!“
Und sie sprach von meinem Bruder, den sie in Athen vor zwei Jahren kennen gelernt hatte.
„Eigentümlich, wie Sie sich Schokolade eingießen!“ klang eine singende Stimme neben mir, während ich mich mit Frau Seyderhelm über meinen Bruder unterhielt, der in Athen vor zwei Jahren Attaché gewesen war. Ich wandte mich nicht um und konnte nicht erkennen, woher diese Stimme kam und ob sie mir galt. Ich sah viele Gesichter, darunter das von Wolfgang Seyderhelm, dessen Blick sich stets abwandte, sobald er den meinen traf. Ich empfand es sehr wohltuend, daß ich mich vorhin beim Eintreten nicht allzu ungeschickt benommen hatte und nun in ungezwungenem Tone mit Wolfgangs Mutter redete.
„Wo ist Ihr Herr Bruder jetzt?“
„Er ist im Kampf gegen die Neger gefallen.“
„Oh wie traurig! Als Offizier?“
„Jawohl, als Offizier.“
„Eigentümlich, wie Sie sich Schokolade eingießen!“ sang irgendwo eine Stimme.
„Und Sie sind hier in unsere Stadt gekommen, um das Abiturium zu machen?“
„Jawohl, ich war jahrelang auf dem Lande, nun will ich hier das Abiturium machen.“
„Wolfgang erzählt, Sie seien sehr fleißig.“
„Ich will mit der Schule schnell zu Ende kommen.“
„So –?“
Frau Seyderhelm wandte den Kopf nach einer anderen Richtung, da sie von dort gerufen wurde. Nun konnte auch ich mich umsehen.
Neben mir saß eine junge Dame, die auf ihrem hellblauen Kleid Schokoladenflecke mit der Serviette abrieb. Diese junge Dame hatte golden schimmernde, von den Wimpern tiefbeschattete Augen, kastanienbraunes Haar, einen spöttisch verzogenen Mund und lange schmale Finger, die auf irgendeine Art an die Kälte des Winters erinnerten, an Elfenbein und an die Heiligtümer indischer Völker.
Ich schwieg beklommen, seufzte tief auf und gewann endlich den Mut zu fragen: „Habe ich Ihr Kleid ...? Das heißt, bin ich daran schuld, daß Sie ...?“
Die junge Dame antwortete nicht, sondern reinigte emsig mit einer kleinen Serviette, die sie in warmes Wasser getaucht hatte, ihr hellblaues Kleid.
„Ich meinte nur ...“ sagte ich ratlos.
Da hob die junge Dame den Kopf in die Höhe, sah mir in die Augen, wobei sie sich ein wenig zur Seite neigte, und begann eine Tonreihe von silberhellem Klang zu lachen mit listigen, schmalen Augen, mit offenem Munde und vielen weißen Zähnen.
„Nein, zu dumm! Sie haben eine Art, sich Schokolade einzugießen! Sehen Sie, man macht es nicht so –“
Sie nahm eine Porzellankanne und ließ den Strahl von solcher Höhe in die Tasse fallen, daß alles um sie herum erschrocken und lachend zurückwich.
„– sondern so.“
Sie verkleinerte den Strahl und ließ ihn manierlich fließen.
Ich ward einem Sturm des Gelächters preisgegeben. Ein geistlicher Herr, der an einem andern Tisch seinen Platz gefunden hatte, beugte sich mit fröhlichem Augenblinzeln zur Seite und begann so herzlich zu lachen, daß er sein Taschentuch hervorziehen mußte. Einige Backfische kicherten und flüsterten, ein paar Jungens brüllten. Ja, die junge Dame mir zur Seite schien ein Tausendsassa zu sein, die eine ganze Gesellschaft mit ihren Späßen zu erheitern vermochte.
Ehe ich noch etwas erwidern konnte, wurden die Stühle mit großem Lärm gerückt und man erhob sich. Die junge Dame tat mit der Hand noch schnell eine sonderbare Geste, die ich mir nur so deuten konnte: „Ein dummer Junge, nicht wahr?“ Darauf hatte sie plötzlich, als sie von ihrem Stuhl aufstand, ernste und unbewegliche Züge. Die strengen Linien ihrer goldfarbenen Augenbrauen und Wimpern, der kunstvolle geschlossene Aufbau ihres kastanienbraunen Haares beherrschten mit einem Male das Antlitz. Die herabhängenden Arme waren eng an das Kleid gehalten und die Hände lagen wie erstarrt in den Falten.
Wolfgang Seyderhelm trat auf mich zu und bot mir sehr herzlich die Hand. Ich bemerkte, daß er enganliegende graue Hosen trug, Lackstiefel, ein Jackett, ähnlich wie es die englischen Midshipmen zu tragen pflegen, und einen umgebogenen Kragen, der seinen braunen Hals freiließ. Er schien stolz und glücklich zu sein und hatte das Aussehen und Betragen eines jungen Engländers und Weltmannes.
„Hast du dich mit deiner Tischnachbarin unterhalten?“ fragte er.
„Du meinst, mit deiner Mutter?“
„Nein, ich meine mit dieser jungen Dame dort.“
Er zeigte in den Salon.
„Kaum. – Wie heißt sie?“
„Nina.“
Ich mußte plötzlich an die Schneeberge und Weintrauben Kaukasiens denken, an die reine Stirne und den unvergleichlichen Gang der Kosakenmädchen.
„Was ist’s mit ihr?“ fragte ich.
„Sie ist Schauspielerin am Stadttheater. Eine Protegé meiner Mutter.“
„Achtzehn.“
Ich sah, daß man im Speisezimmer die Stühle an die Wand schob und den Teppich aufrollte. Ich blickte zerstreut an den Gobelins hinauf, deren streitende Helden sich in übermenschlichen Triumphen und Schmerzen gegenüberstanden. Wolfgang sprach noch, aber ich verstand nicht, was er eigentlich sagte. So, so ... so ... sie hieß Nina, ... welch ein süßer Gleichklang in ihrem Namen, ... welch ein Duft von ihrem Haar, ... ich begann Kopfschmerzen zu bekommen, ... wie zärtlich Wolfgang zu ihr hinblickte ...
„Du liebst sie ja!“ sagte ich laut und wußte nicht, ob ich wirklich gesprochen hatte.
Wolfgangs Antlitz sah plötzlich aus wie überströmt von Blut.
„Was sagst du?“
Frau Seyderhelm stand neben uns und unterhielt sich mit dem geistlichen Herrn. Frau Seyderhelm stand sehr gerade da, sprach achtungsvoll, mit verbindlich zur Seite geneigtem Haupt, gebrauchte sehr oft die Anrede: Herr Pastor und hatte zu gleicher Zeit ein etwas mitleidiges Lächeln um den Mund, da der geistliche Herr verlegen war und nicht ganz ungezwungene Bewegungen zeigte.
„Und morgen gehen Sie auf ihr Rittergut, meine liebe gnädige Frau?“ fragte der geistliche Herr.
„Ja, stellen Sie sich vor, Herr Pastor, – dieser Trubel! Alle Koffer sind schon gepackt ... es ist ja immer wie ein Umzug! ... Aber Wolfgang tut das Landleben so wohl ...!“
Frau Seyderhelm strich mit der Hand über ihr schwarzes Haar.
„Nina geht diesmal auch mit,“ sagte sie, lächelte dem Pastor sehr liebenswürdig zu und schritt ins Nebenzimmer.
„Wie schön von dir, daß du mich eingeladen hast,“ sagte ich zu Wolfgang, wurde ganz heiß vor Begeisterung und ging weg.
Eine Dame mit einem ungeheuren Hut betrat den Empfangsraum, ruderte durch die Luft auf Frau Seyderhelm zu, erfüllte das Gemach mit ihren Begrüßungen, ihren schnellen Handbewegungen, ihrer Rührung über die frohe Schar, legte die Arme auf Frau Seyderhelms Schultern, küßte ihr jede Wange und sagte oftmals: „Meine liebe Lina.“ Sie wurde von den Jungen mit ehrfürchtigen und ungeschickten Verbeugungen gegrüßt, von Wolfgang empfing sie einen Handkuß und von zwei Mädchen, vermutlich ihren Töchtern, sehr rasche und oberflächliche Umarmungen.
Ein junger Herr, ein Student, wie man annehmen durfte, ging quer durch den Raum, trug mit steifem Arm die Öffnung seines Zylinderhutes nach Außen in der mit braunem Glacé bekleideten Hand, erschreckte jedermann durch seine ruckartigen Verbeugungen, saß kurze Zeit darauf von einer lauten Gesellschaft umgeben an einem Tisch und versuchte sich in einem Kunststück mit zwei Gläsern, einer Teetasse und einem silbernen Löffel.
*
Eine Dame in einem schwarzen, bis an den Hals geschlossenen Kleide, die blaß und hübsch war und hungrige graue Augen hatte, wahrscheinlich die Gesellschaftsdame irgend eines der jungen Mädchen, ließ sich am Flügel nieder und begann einen Walzer zu spielen. Die Mädchen bekamen rote Köpfe und setzten sich ziemlich nervös auf die Stühle an der Wand. Die Knaben standen in den Türrahmen, ordneten ihre Krawatten, ihre Schuhbänder, ihre Frisuren und bemühten sich sorglos auszusehen.
Irgendeiner von ihnen, ein kecker Bursche, der den Teufel nach Rotwerden und Schüchternsein fragte, forderte als erster eines der Mädchen auf. Andere folgten. Wolfgang trat von irgendwoher auf Nina zu, lächelte, ohne sich zu verbeugen, und zog sie mit sich fort. Die Jungen tanzten mit vielen Sprüngen und Witzen, schlugen die Beine nach hinten aus, so daß man ihre Stiefelsohlen zu sehen bekam, und hielten ihre Tänzerinnen mit steifen Armen, da sie die Berührung des Fleisches fürchteten. Die Mädchen bewegten sich ruhiger und hatten versonnene Augen und ein süßliches Lächeln auf den Lippen. Wolfgang und Nina sahen jugendlich und glücklich aus; sie schienen schon oft miteinander getanzt zu haben, und waren ihrer Bewegungen sicher. Nina neigte ihr Haupt ein wenig zu Boden, was ihrem schlanken, hochgestellten Körper etwas Verträumtes und zugleich Preziöses gab.
Es war recht heiß. Ich fühlte mich elend und doch glücklich und trank sehr viel Limonade. Frau Seyderhelm stand mit einem Male vor mir, wie stets sehr gerade und beinah mädchenhaft schlank, die edlen Hände über der Gürtelschnalle gekreuzt, mit heiteren Augen und reiner Stirn. Sie nannte mich oftmals „mein lieber Herr Regnitz“ und blickte, da ich verwirrte Antworten gab, mütterlich lächelnd über die froh sich bewegenden Kinder hin.
Der Student tanzte jetzt mit Nina, nannte sie „mein gnädigstes Fräulein“ und benahm sich in jeder Beziehung wie ein Student, der zu einer Backfischgesellschaft geladen ist und dort mit der einzigen erwachsenen jungen Dame tanzt. Sein Zylinder stand irgendwo in der Ecke auf einem Stuhl und schwankte grinsend hin und her.
Der geistliche Herr erzählte der Dame mit dem großen Hut, daß Ihre Hoheit Prinzessin Clementine am vorigen Sonntag in der Kirche sehr blaß ausgesehen habe und augenscheinlich an Kopfschmerzen leide; welche Bemerkung seine Dame mit einem kurzen, nervösen Gähnen, einem verlegenen Hinunterschlucken und einem ehrfurchtsvollen „Gewiß, Herr Pastor“ erwiderte.
Irgendein Mädchen, ein braves Kind mit dickem lustigen Gesicht und roten Händen forderte mich auf, mit ihr zu tanzen; ich lehnte mit strenger Stirne und finsteren Blicken ab. Sie schüttelte den Kopf, lachte leis, so daß sich ihre Nase in viele Falten zog, sagte: „Nein, so etwas!“ und verschwand mit einem andern, wobei sie den Hals ihres Tänzers mit den Armen umschloß und die guten dicken Finger auf seinem Nacken faltete.
Wolfgang bat die Dame mit dem großen Hut und den exzentrischen Bewegungen um einen Tanz. Die Dame sträubte sich ein wenig, sprach sehr viel von ihrem Alter und vom Muttersein in die leere Luft und sagte endlich zu. Man klatschte im Takt zu ihrem Tanze und bereitete sich alsdann zur Quadrille vor.
Ich begann mich mit irgend jemandem über unsere Lehrer zu unterhalten; ich war witzig, der Bengel lachte und verbeugte sich darauf vor mir.
Wolfgang trat auf mich zu.
„Du tanzt nicht?“
„Nein. Danke.“
„Nie?“
„Magst du heute nicht?“
„Nein. Danke.“
Nina stand neben ihm.
Sie sah mich neugierig an.
„Sie tanzen nicht?“
„Nein, heute nicht.“
Ninas Augen waren stetig auf mich gerichtet. Ich betrachtete das kastanienbraune Haar und bemerkte, daß es im Schein der kristallenen Lustres leuchtete.
„Sie werden jetzt mit mir Quadrille tanzen. Warum stehen Sie immer an der Wand? Das schickt sich doch nicht für einen jungen Herren von Ihren Qualitäten!“
„Wollen Sie sich bitte nicht um mich bekümmern, wie?“
Wolfgang bekam große Augen.
„Aber Regnitz, bitte, was ist denn –?“
Nina lachte herzlich, zeigte ihre weißen Zähne, legte die elfenbeinerne Hand auf Wolfgangs Arm und sagte:
„Du, der ist aber grob!“
Darauf wandte sie sich mir zu, machte ein hochmütiges Gesicht, senkte die Lider, so daß es aussah, als ob sie schliefe, und sagte in einem näselnden Ton:
„Also bitte, – wollen Sie jetzt meinen Arm nehmen?“
Ich fühlte eine Schwäche in den Gliedern, während ich den rechten Arm bog.
„O, das ist nett!“ sagte Wolfgang mit seinem liebenswürdigen Lächeln. „Wir werden in einem Karree tanzen.“
Wir gingen in den Saal.
Der Student stürzte auf Nina zu.
„Aber, gnädigstes Fräulein haben mir ja ... das heißt, wenn Sie vorziehen ...“
Er schwitzte und verbeugte sich. Ich bemerkte, daß er nach Mediziner im zweiten Semester roch.
„Ach, Herr Doktor, ... ich hatte schon Herrn Regnitz vorher versprochen, die Quadrille mit ihm zu tanzen. Verzeihen Sie.“
Wir gingen weiter. Der Student war von diesem Augenblick an in jeder Beziehung erledigt. Er war fertig, hingerichtet, gleichsam mausetot ...
Die Dame am Klavier mit den hungrigen Augen spielte die Aufforderung zur Quadrille. Das Karree bildete sich. Ich steckte eine Hand in die Hosentasche und machte ein gleichgültiges Gesicht.
„Entschuldigen Sie,“ sagte ich.
„Bitte?“
Nina begann sich mit dem Geistlichen zu unterhalten, der plötzlich neben ihr stand. Sie schauspielerte Ehrfurcht und war sehr schüchtern. Ich wurde rot. Sie wandte sich um:
„Was sagten Sie eben?“
„Vielleicht hören Sie zu, wenn ich mit Ihnen spreche!“
„Sie sind manierlos.“
„Ich bat um Entschuldigung wegen vorhin.“
„Sie können gleich um Entschuldigung bitten ‚wegen jetzt‘.“
Ich schwieg. Mein Gott, warum war ich nur so ungezogen! Ein weinerliches Etwas stieg in meine Nase empor.
Wolfgang trat uns gegenüber und sprach mit seiner Cousine, einem schüchternen Mädchen von außergewöhnlicher Schönheit. Er winkte uns mit der Hand zu.
Die Quadrille begann.
Nina verbeugte sich tief vor ihrem Nachbarn, darauf vor mir. Ihre Lider bedeckten wiederum die Augen, die langen Wimpern berührten die roten und weißen Wangen, das feurige Haar warf seinen Duft zu mir, die elfenbeinernen Hände lagen wie unbeseelt in den Falten des blitzenden Kleides. Sie war im Augenblick, da sie sich neigte, ein Götterbild, das in Betrachtung zum Buddha versunken ist, eine indische Statue aus farbigem Stein ... Ich beugte mich noch tiefer, sah ihre blauen schmalen Schuhe und dachte: Süße Nina, süße Nina.
Ich gab fleißig acht und tanzte gut. Ich tat keine überflüssige Geste und bewegte mich ruhig. Von Zeit zu Zeit sagte Nina:
„Visite à gauche!“ oder „Jetzt dort!“ oder „Passen Sie auf, Sie können nur grob sein!“ Aber sie schien zufrieden.
„Es geht ja ganz gut,“ bemerkte sie einmal.
„Gewiß,“ erwiderte ich stolz.
Ich sah, daß Nina und Wolfgang sich beim moulinet des dames zulächelten, sobald sie sich trafen. Wolfgang sprach viel zu uns hin und unterhielt das ganze Karree. Er hatte das Aussehen eines vornehmen Pagen, der bei Hof die Schleppe der Königin hält.
Mich überfluteten, sobald ich Nina die Hand reichen mußte, Ströme von Zärtlichkeit und Anbetung. Ich beobachtete, daß ihr Fuß beim Auftreten die Form nicht veränderte. Ich liebte sie, – o mein Gott, wie ich sie liebte! Ich begann zu fiebern und wurde von Angst ergriffen. Ich dachte daran, daß ich heute abend allein in meinem Zimmer sein würde. Irgend etwas müßte bis dahin geschehen, irgend etwas, das mich mit einem unerhörten Glück erfüllte, ein Blick von ihr, ein Wort, ein Kuß ...
„Sie sind unaufmerksam. Passen Sie auf – vis-à-vis!“
Ich sah einem blonden Mädchen in die Augen, verbeugte mich und trat mit Nina zurück.
„Was spielen Sie?“
„Wie?“
Wir wurden getrennt.
„Ich meine, was Sie im Theater spielen?“
Ich tanzte an drei jungen Mädchen vorbei, gab einer jeden die Hand und verbeugte mich wieder vor Nina.
„Hebbels Clara.“
Ich kannte Hebbel.
Ich verbeugte mich vor Wolfgangs Tänzerin.
Dann stand ich wieder vor Nina.
„Kennen Sie Maria Magdalena?“ fragte Nina.
„Ja.“
Ich ging mit den drei Herren en avant und verneigte mich vor Nina.
„Sie sollten lieber Ihre Schulaufgaben machen.“
Ich begann zu lachen, wie verrückt zu lachen, zog das Tuch hervor, bekam Tränen in die Augen, fand mich albern, mußte aus der Reihe treten und störte den ganzen Tanz. Nina hob die Lider, und es war, als ginge der Vorhang im Theater auf.
„Was haben Sie?“
Ich begann zu beben und zu frieren, meine Zähne schlugen aneinander, ich hatte das Gefühl, daß ich totenblaß sei.
„Sie sind herrlich!“ sagte ich.
Ich wußte nicht mehr, was ich sprach. Ich hatte Fieber, nichts als Fieber, und Angst vor meinem einsamen Zimmer ...
Die Reihen ordneten sich wieder, man lachte, ärgerte sich und tanzte weiter. Die letzten Takte spielte die Dame am Klavier in rasendem Tempo. Man fand sich nicht mehr zurecht, und alles verwirrte sich. Ich lief umher, fühlte Schauer in meinem Körper und hatte das Bedürfnis, etwas zu zerbrechen. Der Quadrillenwalzer ertönte, man schloß sich in die Arme. Ich verbeugte mich vor Nina, aber sie dankte.
Ich führte sie aus dem Saal hinaus. Darauf ward es dunkel vor meinen Augen. Ich wurde schwindlig und hielt mich an einem Türpfosten. Mit einem Male war ein Bild vor mir: die Mittagssonne über einer teppichfarbenen Landschaft des mittleren Deutschlands, der Duft von Korn und gemähten Wiesen, und blaue Berge in der Ferne.
Nina lachte, ein singendes, verstehendes, unendlich grausames und süßes Lachen:
„Sie taumeln, Herr Regnitz! – Ist Ihnen schlecht?“
„Nina, ich liebe Sie.“
Ich sah sie an, – sie, dieses indische Götterbild mit den gesenkten, zur Betrachtung geneigten Augen, mit der unvergleichlich bleichen und edlen Stirne, mit den elfenbeinernen Händen und dem farbigen, wie von Edelstein und Gold blitzendem Gewande, sah diese Lippen aufeinander gepreßt, süß und streng, – bereit, Worte zu sprechen, die den Gläubigen vernichten oder aufheben:
„Sie sind verrückt.“
Sie ging fort, mit elastischem stolzem Schritt, wandte plötzlich den Kopf um, zeigte mir ein entzückend frisches und amüsiertes Mädchengesicht, lachte, lachte eine Reihe makelloser Töne, zog eine kleine goldene Uhr aus dem Gürtel, ließ den Deckel aufspringen und sagte:
„Es ist übrigens schnell gegangen. Sie sind um fünf Uhr gekommen; jetzt ist es vier Minuten vor sechs.“
Aus der Ferne, aus einer Schar lärmender Menschen heraus hörte ich sie noch einmal lachen ...
Wolfgang trat schnell auf mich zu.
„Ist dir etwas? Du siehst nicht wohl aus. Willst du den Wagen haben?“
Ich sah mich um und lächelte matt.
„Lieber, welch ein Gefühl!“
Ich gab ihm wie im Traum die Hand.
Plötzlich ermannte ich mich, stürmte hinaus, ohne Gruß, ohne Blick, riß den Hut im Korridor vom Riegel und erreichte den Park. Ich lief wie gejagt durch die Straßen und hielt mich endlich an einem Gitter fest. Atemlos, die Brust erfüllt von einem qualvollen Glück, begann ich wie ein Kind zu schluchzen, wie ein kleines, ungezogenes Kind.
Am nächsten Tage wachte ich um fünf Uhr morgens auf. Ich lief im Hemd ans Fenster. Die Straßen waren leer, aber auf den Dächern lag warmes Morgenlicht und in den Bäumen am Rande des Bürgersteiges zwitscherten die Spatzen.
O mein Gott, welch ein Gedanke, ich hatte Ferien, ich hatte fünf Wochen Ferien!
Ich eilte in das Badezimmer und öffnete dort die Brause. Da fiel mir mitten im kalten Wasser etwas ein ... Was war denn gestern geschehen? ... War nicht gestern etwas Besonderes vorgefallen? ... Ich war auf einer Gesellschaft gewesen ... bei Wolfgang Seyderhelm, ... dort befand sich eine junge Dame ... mit goldfarbenen Augen und feurigem Haar ... eine Art Gottheit ... ein Backfisch ... Wie hieß doch gleich diese Dame? ... Nun, wir wollen keine Komödie spielen, wir wissen sehr gut, wie diese Dame hieß ... Nina, ... jawohl, Nina hieß sie, ... und dann war ich aus der Gesellschaft weggelaufen ... und hatte mich blamiert, ... O weh! o weh!
Verwirrt streckte ich die Arme nach dem Kelch der Brause aus, ließ mir das Wasser ins Gesicht laufen und rief beglückt in das Geplätscher hinein: Süße Nina, süße Nina.
Ich sprang in das Badetuch und zog mich an. Ich sah das Sonnenlicht sich langsam über die Häuser senken. Hallo, war ich nicht jung? Meine Heimat, – ach, meine Heimat war überall da, wo es warme Landstraßen gab mit schönem weißem Staub, Kirschbäume, schwere Kornfelder. Nina, – ach, Nina war irgend eine junge Dame, ein Spuk, ein Ding ohne Zusammenhang mit meinem Leben ...
Ich nahm meinen Ranzen, stopfte Hemden, Strümpfe, die „Versuchung des Pescara“, Taschentücher, zwei alte Brötchen hinein und lief die Treppe hinunter.
Noch waren die Straßen leer. Hier und da zeigte sich ein verschlafen aussehender Bäckergeselle mit listigem Gesicht, ein mürrischer Arbeiter auf dem Rad, ein von der Nachtkälte durchfrorener Polizist, sonst niemand. In den einsamen Gassen hörte ich nur den Klang meiner Schritte und meines Stockes.
Bald hatte ich die letzten Häuser erreicht und sah meine Felder sich im Sommermorgenlicht ausbreiten.
Ich ging mit leichtem Fuß und leichtem Herzen die Landstraße hinunter. Es kamen Bauernwagen, die zum Markte in die Stadt fuhren, und neben den Kutschern saßen eifrig bellende Hunde, es kamen ganz, ganz kleine Mädchen, die sich an der Hand hielten und mit putziger Eilfertigkeit in ihre Schule trabten; eine Bäuerin tauchte auf, trug einen Korb mit Eiern auf dem Kopf und sah wie eine Bäuerin aus dem Bilderbuche aus; darauf eine Horde Jungens, die alle ohne Ausnahme nackte Füße und geflickte Hosen hatten, und endlich auch ein Mann mit einer Kuh und einem Hündchen.
Schon war ich im ersten Dorf. Dort war bereits jedermann auf den Beinen. Ein Fuhrmann kam mit der Peitsche in der Hand aus der Schenke, wischte sich den Bart und kletterte mit vielen unverständlichen Worten auf den Bock; ein schlanker Terrier lief bellend auf mich zu, – als ich ihm ein Stück meines Brots zeigte, sprang er an mir hoch; ein Kind lachte irgendwo, und ich wanderte weiter.
Die Sonne stieg. Mir zur Seite erschienen Dörfer mit Kirchtürmen und leuchtend weißen Grabsteinen und verschwanden hinter teppichweichen Hügeln.
In einem schönen Kirchdorfe machte ich Halt. Ich ging zu einem Bäcker, der am Laden eine eiserne Brezel hatte, und kaufte mir Brot und Kuchen.
„Wohin geht’s, junger Herr?“
„Nach Fürstenau und immer weiter.“
„Und immer weiter – das ist ein gutes Stück Wegs. Na, wenn man junge Beine hat!“
Ich errötete, ich weiß nicht, warum, bezahlte, schüttelte ihm die Hand, sprang an den Brunnen, trank mit Begierde das kräftigschmeckende Wasser und marschierte weiter.
Es wurde heiß. Ich schlief einige Stunden im Schatten eines Baumes und wanderte dann in den schönen Nachmittag hinein. Über das weite hügelige Land glitten zeitweis tiefe und schnelle Wolkenschatten. Ein ganz leichter Wind erhob sich und kühlte mich wunderbar. Mir war, als trügen mich die Lüfte des Nachmittags über abwechselnd beglänzte und beschattete Gefilde. Lag ich nicht auf einer weichen Wolke und trug mich diese Wolke nicht in entferntere und schönere Gebiete?
Kurz nachdem die Sonne hinter einem Hügel entschwunden war und mit einem Mal die des Sonnenantlitzes beraubte Landschaft wie in einem ungeheueren Schrecken zu erbleichen, ja zu sterben schien, erblickte ich, der ich auf einem Berge stand, zu meinen Füßen eine Stadt. Ein alter Turm ragte in die starr-silberne Luft hinein, und seine Wächter schienen silbergraue Vögel, die mit bösem, hastigem Flügelschlage ihn umkreisten. Flache Hügel umgaben die Stadt, niedere Weinberge, die ein bescheidenes Landgetränk erzeugten; mitten unter den Reben lag der umgitterte Friedhof. Meinem Auge gegenüber wandte sich die Straße, die Stadt verlassend, nach Westen, lief an den hellen Bergen entlang und durch gläserne Wälder, stieg empor in den erblaßten Himmel und verlor sich in der offenen Landschaft, andere Städte mit neuen Türmen und späterem Lichte zu erreichen. Zwischen Kornfeldern und gleißenden Wiesen, die der zweiten Mahd harrten, sah ich Erntewagen der Stadt zustreben. Eine Glocke läutete, läutete unablässig, und es war, als sei diese Stadt, diese Höhenzüge, diese silberne Spätnachmittagsluft wie überschwemmt von schwellenden, sich auflösenden und wieder schwellenden Tönen.
Ein alter Mann stieg keuchend die Höhe zu mir herauf. Er trug einen schwarzen, eng anliegenden Taillenrock und eine graue großkarrierte Hose, die weit über die bestaubten Schuhe fiel. Er schien dem steilen Weg gram zu sein.
Ich lüftete den Hut.
„Ist dies da Fürstenau?“
Der alte Mann trocknete sich mit einem roten Tuch, einer Art Fahne, die Stirn.
„In der Tat, Herr, wenn ich mich recht erinnere, so ist es ganz bestimmt Fürstenau.“
Er lächelte böse und ging weiter.
‚Welch eine sonderbare Art sich auszudrücken!‘ dachte ich. ‚Spricht man so in unserer Zeit? „In der Tat, Herr, wenn ich mich recht erinnere, so ist es ganz bestimmt Fürstenau.“ So spricht man in einem Shakespeareschen Lustspiel!‘
Ich eilte den Berg hinab und empfand dabei die Freude eines Wanderers, der von der Höhe das Ziel seines Tages sieht.
Als ich durch das Tor in die Stadt trat, war mit einem Mal der silberne Zauber wie zerbrochen, und Abendrot lag auf den Gassen. Hochbepackte Erntewagen, in der golden durchleuchteten Fülle leise schwankend, fuhren darüber hin und zeitweis bog einer von ihnen in den Hof ein. Auf den Pferden saßen hübsche, nacktfüßige Bauernjungen, die mit den Peitschen knallten, an den Häusern emporsahen und nachlässig zu den offenen Fenstern hinaufnickten, zu den Mädchen ...
‚War es vor tausend Jahren hier anders?‘ dachte ich. ‚Ernte und Glockengeläut und Menschen? ... Die vor tausend Jahren waren, mich trennt nur ein weniges von ihnen, nur die Zeit ... Ach, was ist Zeit! ... Ich will hier bleiben! ...‘
*
Bald saß ich in einem Garten vor meinem Abendbrot und erfreute mich, sobald ich den Blick hinwegwandte, an den rosigen Bergen und den tiefer beleuchteten Gassen. Ein Mädchen mit braunen, zum Kranz geflochtenen Strähnen schenkte mir den Wein ins Glas und lächelte dazu mit frischem Munde ... Ein Gedanke kam mir ... fort damit ... Gespenster! ...
Ich stand alsbald auf, bestellte mir eine Kammer für die Nacht und ging nachlässig, die Hände in den Hosentaschen, durch die Stadt. Ich wünschte jedem Mädchen einen guten Abend, und begann mit einigen von ihnen dadurch ein Gespräch, daß ich mich nach allerhand Dingen erkundigte, die mir völlig gleichgültig waren, – wo der Schmied wohne, ob die Heuernte dieses Jahr gut gewesen sei. Ich war an diesem Abend ziemlich frech ...
Bei Anbruch der Nacht kehrte ich in mein Gasthaus zurück. Als ich die Stiege hinaufschritt, die von einem Windlicht schwach erhellt war, begegnete ich dem Mädchen mit dem Lächeln um die frischen, feuchten Lippen. Ich gab ihr die Hand, bezahlte gleich, da ich früh am Morgen aufbrechen wollte, und ging in mein Zimmer. Ich setzte mich auf den Rand des Bettes und grübelte. Mit einem Male kam eine tiefe Traurigkeit über mich, ich wußte nicht, woher. Ich trat ans Fensters. Da rauschte unter mir der tiefe Mühlbach, und über mir spannte sich der Sommerhimmel voll von Sternen. Noch hörte ich zwei Männer irgendwo miteinander sprechen, noch hörte ich eine Tür im Haus und einen späten Wagen auf der Gasse, dann ward es still um mich.
In dieser Stille breitete die Liebe ihre Flügel aus. Sie drückte mich an ihre Brust. Ich taumelte und fühlte einen Schmerz wie nie zuvor.
*
Ich weiß nicht recht, wie alles gewesen war. Ich weiß nur, daß ich plötzlich an Nina dachte, die ich den ganzen Tag vergessen hatte. Ich sah sie vor mir, sah ihr Haar, ihre Augen, ihren Gang, ihre Hände, sah sie tanzen, mit Wolfgang Seyderhelm tanzen, ... ich hatte Angst, ... das Zimmer war so eng und heiß, ... tödliche Angst ... Ich nahm Stock, Hut und Ranzen und stürzte hinaus in die dunkle Luft. Die Haustür war noch offen. Ein Hund knurrte leise, aber ich entlief ihm schnell. Ich rannte durch die Gassen, durch das Stadttor, die Straße entlang, dann einen Seitenweg, durch Gebüsch, einen Hügel hinauf, ... ich keuchte sehr, ... ich fiel zu Boden und blieb liegen.
... Ich war müde und gehetzt, ich war so müde! Ich fühlte meine Jugend von mir gleiten und hatte qualvolle Träume. Ich weiß noch, daß ich einmal im Halbschlaf emporfuhr: da lag unter mir die Stadt und das dunkle Land, der Mühlbach leuchtete hier und dort im Mondlicht auf, ... um meinen Hügel ging ein leichter Wind, ... ich sank zurück ... in Traum und Schlummer. Aber schlummernd sah ich immer wieder das dunkle Land mit der Stadt, die silbernen Stücke des Baches, ... Sterne, viel Sterne ... und Nina ...
Ich bin noch einige Tage so gewandert, aber ich wurde nicht mehr fröhlich. Ein Sonntag kam, ich sah die Bauern zur Kirche gehen, trat mit ihnen ein und hörte die Predigt, ich sah die Burschen und Mädchen hernach in ihren übermütigen Tänzen und empfand am Abend auf der Straße die feierliche Stille des scheidenden Sonntages. Aber das alles freute mich nicht. Der verworrene Geist war von der Liebesleidenschaft erfaßt und kannte nur noch Trauer, Eifersucht, Haß und Träumerei. Ich wollte nicht mehr an Nina und Wolfgang denken, ich wollte nie mehr an sie denken. Ich sagte mir Gedichte auf, hielt als ein Prinz vor der Versammlung von Fürsten eine verwegene Rede, dichtete eine Ode an den Kaiser, – aber selbst das erhabene Gewand der Majestät verwandelte sich mir bald, ward ein blitzendes, hellblaues ... mit Schokoladenflecken ...
Am vierten Abend meiner Wanderung zog ich mutloser denn je meine Straße entlang. Ich wollte an diesem Tage noch eine größere Stadt erreichen, dort einige Zeit verweilen, um dann dem nahen Gebirge zuzueilen. Aber irgend ein schöner Baum oder ein sehnsüchtig winkender Kirchturm hätte genügt, mich von meinem Wege abzulenken. Wer in der Welt fragte danach, ob ich einen Nachmittag unter schattigem Gesträuch verträumte und den „Pescara“ las oder irgendwo auf staubbedecktem Wege schritt?
Ich blieb vor einem Weiser stehen, der mir zur Seite in das offene Land hindeutete. Da war geschrieben: Nach Strelow 3 km, nach Wiesenau 4,5 km. Ich las die Worte gedankenlos. Irgend etwas lockte mich, von meiner Straße abzubiegen. Was aber war es? Strelow? Ich hatte diesen Namen nie gehört. Wiesenau? Ich hatte diesen Namen nie ... Wie? ... Eine Erinnerung ... Wiesenau ... Wiesenau ... da war schon wieder alles entwichen ... ich schüttelte den Kopf. Wohl zwanzigmal sprach ich nun das Wort Wiesenau aus, in der Hoffnung, die Erinnerung möchte mich noch einmal erleuchten. Doch jede Mühe war vergebens: es war ein totes Wort.
Schon war ich in die neue Landschaft eingebogen. Es hatte wohl die Wochen vorher geregnet, denn überall standen kleine schwarze Teiche, aus denen einzelne Bäume, Fichten und Birken, hervortauchten. Endlos langgezogene violette Abendwolken spiegelten sich in diesen Teichen und gaben ihnen von ihrer Farbe. Soweit mein Blick reichte, sah ich nichts anderes als bunte, prächtige Wiesen mit großen Blumen und die schwarzen und violetten Teiche, aus denen einsame Bäume hervorwuchsen. Krähen flogen zuweilen schreiend darüber hin, um noch vor Nacht die fernen Wälder zu erreichen.
Als ich durch Strelow kam, läutete die Glocke den Abend ein. Ich blickte durch ein Fenster; ein alter Bauer saß da, hatte die Brille auf der Nasenspitze und las in einer Zeitung. Eine Frau trug eine Bank in ihr Haus. Der Pfarrer ging durch den Ort und ward von allen gegrüßt; auch ich grüßte. Ein Trupp Jungens lief zu Gott weiß welchem Abendstreifzug ...
In einigen Zimmern brannte ein Licht. Sollte ich hier rasten? Es begann zu dunkeln. Draußen konnte ich nicht gut schlafen, der Boden schien feucht, auch war es ein wenig kühl. Aber die Lichter in den Häusern machten mich traurig, und ich fühlte, daß mich im Zimmer wieder meine Angst ergreifen würde.
Ich eilte zum Dorf hinaus. Allein bei den letzten Häusern blieb ich beklommen stehen: über die Landschaft hatte sich die Dämmerung gesenkt und mit tiefem, dunklem Blau die gespenstischen Bäume, das Weidengesträuch an den blinkenden Teichen und die Getreidefelder umhüllt; von oben leuchteten durch blaues Licht einige Sterne; nichts unterbrach die Stille als das trostlose Quaken der Frösche und das Flüstern des Kornes, wenn der Wind darin rauschte.
Ich ging durch die Dämmerung und fühlte mich liebevoll von der Straße fortgelockt, umsponnen mit einem blauen Netz. Ein Traum von großer Innigkeit berührte mich, mir war, als sei er alt und von jedermann zu irgendeiner Zeit geträumt. Um meine Augen legte sich ein Flor, meine Füße strauchelten oft ...
‚Könnt’ ich doch viele Stunden dieses blaue Licht durchschreiten! Wenn nur die Füße nicht ermüden wollten ...!‘
Aber ach, schon winkten ja am Wegesrand nächtliche Kastanien zu Schlummer und Traum! ... Ein Park begann, umgittert, ... eine Allee ... Und hier, – waren hier nicht bronzene Löwen, die in dreifach geteilte Becken silbernes Wasser spieen? War es nicht einschläfernd und süß?
Wie, stand dort nicht ein Haus vor mir, ein Schloß, mit einer erleuchteten Altane und bläulich schimmernden Stufen?
Bin ich nicht neugierig herangeschlichen, ... leise, ... ganz leise, ... und sah ich dort nicht all die Menschen, die ich liebte? ... Die Mutter ... mit dem Sohn ... und meine schöne Freundin Nina?
Mit pochendem Herzen und heißen Wangen stand ich im Dunkeln und blickte auf die Veranda. Nina arbeitete an einer festgespannten Stickerei und sprach dabei mit Wolfgang, der die Hände um ein Knie geschlungen hatte, eine Zigarette rauchte und zeitweise aus einem Glase trank. Frau Seyderhelm schrieb einen Brief. Manchmal hob sie den Kopf und warf einige Worte in die Unterhaltung der beiden ein. Ich konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde.
Ich sah Ninas Profil und ihre Hände. Wie zart sie war! Ja, war sie nicht anbetungswürdig? Süße Nina! ... Ich machte eine Bewegung.
Da rief Nina laut:
„Wolfgang, ich bitte dich, – draußen steht jemand.“
Ich hielt den Atem an.
‚Wenn ich hier entdeckt werde, ersteche ich mich.‘
Wolfgang beugte sich hinaus und rief:
„Es ist niemand hier ... Du bist recht schreckhaft!“
O – gerettet!
Frau Seyderhelm hatte ihren Brief beendet, man plauderte angeregt. Ich sah, wie die Mutter einmal ihrem Sohne lächelnd mit dem Finger drohte. Nach einer Weile legte Nina ihren Stickrahmen fort, packte ihre Nähsachen in einen Pompadour und stand auf. Sie gab erst Frau Seyderhelm die Hand, dann wechselte sie einige Worte mit Wolfgang, – sie schienen etwas zu verabreden, – ließ ihre Hände auf seinen Schultern ruhen, gab ihm einen leichten Backenstreich und trat in die Zimmer hinein. Wolfgang küßte seine Mutter, die ihm über das Haar strich; mir war, als sprächen sie von Nina, denn sie sahen nach der Türe; dann gingen beide hinaus. – Eine Magd erschien einige Augenblicke später auf der Veranda, räumte die Sachen auf, zog die Markise in die Höhe und stellte die Gartenmöbel zur Seite. Sie nahm die Lampe und verschwand.
Alles war finster um mich herum. Oben im Schloß sah ich mehrere erleuchtete Fenster. Ich hörte zuweilen Schritte, dann wurde alles still.
Langsam löste ich mich aus meiner Erstarrung und ging durch den Park. Ich empfand nicht viel: ein wenig Erstaunen, ein wenig Schmerz, ein wenig Müdigkeit und ein wenig Glück ... Ich wollte weiter wandern. Was sollte ich hier? Niemand würde mir glauben, daß ich zufällig hierher gekommen sei, ... aber da hörte ich wieder die süße, einschläfernde Melodie der plätschernden Brunnen. Gedankenlos legte ich mich nieder, zu Füßen eines bronzenen Löwen. Ich faltete die Hände hinter dem Kopf und blickte in den Himmel, wo die Milchstraße ihren Triumphbogen über das Firmament spannte. Ich fühlte, daß der Schlaf mich übermannen würde, und wollte doch wachen und nachdenken. Ich ward traurig und erinnerte mich der Worte des Herrn: „Könnet ihr denn nicht Eine Stunde mit mir wachen?“ – Noch einmal sah ich zu den erleuchteten Fenstern im Schloß, dann fiel ich in Traum. Schlafend spürte ich die Kälte der Nacht und zog mein Cape eng um mich. Und in meinen Traum drang immer wieder das Plätschern des Wassers, ... das Plätschern des Wassers.
Es mochte gegen fünf Uhr morgens sein, als ich erwachte. Mein erster Blick galt dem Schloß vor mir, in dessen Fensterscheiben die Morgensonne purpurrot leuchtete. Ich sprang empor; mein Gesicht und meine Kleider waren naß vom Tau. Ich machte einige Bewegungen mit den Armen und stampfte mit den Füßen, denn meine Glieder waren wie erstarrt. Dann wusch ich mich in einem der bronzenem Becken und klopfte die Kleider ab. Nur weiter, immer weiter, fort von hier ...
Als ich bereit war zu marschieren, lehnte ich mich an einen Baum; ich wollte noch einmal mit einem langen Blick dieses geliebte Schloß umfangen.
Da ... was war das? ... Ein Fenster öffnete sich, ... ich trat zurück ... Wolfgang, ... im leichten Morgenkleid. Er beschattete mit der Hand die Augen, sah zum Himmel und reckte die Arme in die junge Luft hinein. Dann verschwand er; bald jedoch erschien er wieder, nahm einen Stock und klopfte leise mit der metallenen Spitze an das benachbarte Fenster. Lange Stille ... Dann öffnete sich das Fenster ... Nina ... Sie gaben einander die Hände. Wolfgang setzte sich auf das Fensterbrett und deutete nach dem Horizont. Nina gähnte ein wenig und beide lachten.
Da war mir, als müsse ich einen Panzer von meiner Brust reißen. Ich bog mit beiden Händen die Sträucher auseinander, und meine helltönende Stimme rief den Aufhorchenden zu:
„An jedem Morgen, eh des Hahnen Krähn
Die Menschheit weckt, steh ich im tiefen Grunde,
Muß durch die Luft nach Burg und Felsen spähn.
Noch lieget Dunkelheit auf meinem Tal,
Da gibt von Osten das Gestirn mir Kunde,
Und in dem Fenster oben spielt ein Strahl.
Es taucht in Licht das trotzige Gestein,
Und wächst und starrt und höhnet meiner Qual,
Bald reckt es in den Himmel sich hinein –
Willst du dich heute nicht am Fenster zeigen,
In Morgenklarheit dich vom Traum befrein?
Willst du das Haupt nicht freundlich zu mir neigen?
Mich tötet dieses dunklen Tales Schweigen.“
Kaum hatte ich geendigt, als Nina ihrem Freunde mit hochgezogener Stirne langsam, ja perfide langsam das Antlitz über die Schultern zuwandte und die beiden Handflächen fragend, chokiert und spöttisch nach außen bog. Wolfgang aber schien sich nicht darum zu kümmern; er warf das Fenster heftig zu, ich hörte ihn eine Treppe herunterstürmen, und einen Augenblick später kam er – notdürftig mit einem Hemde, einer Hose und einem Paar Sandalen bekleidet – durch den Garten auf mich zugelaufen.
„Walter Regnitz! Lieber Walter Regnitz!“
Er umarmte mich stürmisch; er war blaß vor Erregung.
„Wo hast du nur die ganze Zeit gesteckt? Wir erwarten dich schon seit drei Tagen!“
Wie? Man erwartete mich?
Wir wandten uns zum Schloß.
„Ich habe eine Fußwanderung gemacht und diese Nacht im Garten geschlafen.“
Wolfgang legte erschrocken seine Hand auf meinen Arm.
„Du hast in unserm Garten geschlafen? Bist du toll?“
Und dann nach einer Pause, die er mit ratlosen Gebärden ausfüllte:
„Ja, warum bist du aber nicht ins Haus gekommen?“
Ich wurde etwas rot.
„Ja ... weißt du, ... ich kam spät hier an ... und da wollte ich nicht stören ...“
Ich grüßte zu Nina hinauf.
„Ah, sieh da!“ rief sie vom Fenster herunter. „Ein Dichter! Ein Troubadour! Sie verlangen gewiß Ihren Lohn!“
Sie nahm aus einem Wasserglas helle Rosen und zerblätterte sie mit den weißen Fingern. Mir fielen diese Blätter auf Kopf, Schultern und Hände, der ich betroffen, glücklich und verlegen in einem duftenden Blumenregen stand.
„Denk’ dir, Nina, er hat diese Nacht im Garten geschlafen!“
Nina lachte, – ihr singendes, gefährliches und verstehendes Lachen.
„Sie sind ein echter Minnesänger, Herr Walter von der Regnitz!“ rief sie und warf vier volle weiße Rosen zu mir herab. Ich fing eine von ihnen auf und führte sie höflich und gefaßt an meine Lippen.
„Und Sie, gnädiges Fräulein, eine echte Herzenskönigin.“
Ich hörte noch einmal, wie Nina tief belustigt lachte und darauf das Fenster schloß.
Wolfgang zog mich ungeduldig die Stufen zur Veranda hinauf.
*
Wolfgang stand halb angekleidet vor seinem Eimer und putzte sich eifrig und andauernd die Zähne.
„Wie findest du sie?“ fragte er mich, der ich auf einem Stuhl saß und ihm zusah.
„Wen?“
„Nina.“
Er nahm einen Schluck Wasser, gurgelte und spuckte kräftig.
Ich schwieg.
„Nun?“ fragte er.
„Oh, ganz nett!“ sagte ich endlich.
„Sie ist herrlich!“ rief er begeistert und begann von neuem zu gurgeln.
Plötzlich warf er die Zahnbürste fort, drehte sich schnell um und legte seine Hände auf meine Schultern.
„Was hast du neulich gesagt?“ fragte er.
„Ich? Wann?“
„Neulich, bei unserer Gesellschaft.“
„Ich habe vermutlich viel gesagt.“
„Nein, du hast gar nicht viel gesagt. Du lehntest dich an einen Türpfosten und fragtest mich, wie alt Nina sei. Und plötzlich ...“
„Nun?“
„Und plötzlich sagtest du, als ob du geistesabwesend seiest: Du liebst sie ja!“
Er wandte sein Gesicht schnell dem Spiegel zu und zog Kamm und Bürste aus der Lade.
Ich war erschrocken.
„Habe ich das wirklich gesagt?“
Wolfgang beschrieb mit dem Kamm eine weite phantastische Figur und erklärte begeistert:
„Du bist ein großer Menschenkenner, Walter! Ich habe sie wirklich sehr gern ... Hör’ mal, wie der Kamm knistert.“
Und er hielt seinen Kamm dicht an mein Ohr. Ja, wahrhaftig, der Kamm knisterte.
Wolfgang war mit seiner Toilette fertig. Er trug ein hellgraues, eng an den Hüften liegendes Sommerjackett mit schwarzen Kniehosen, dazu schmale Halbschuhe, ein weißes Sportshemde und eine leichte, seidene Krawatte. Er sah sehr frisch, sehr jugendlich und sehr vornehm aus.
Wir gingen durch einige Gemächer und betraten das Speisezimmer. Es fiel mir auf, daß dieses Schloß mit einer nahezu bäuerischen Freude an bunten Farben eingerichtet war.
Ein Diener erschien. Wolfgang bestellte Tee.
„Du bist hungrig, Walter?“ fragte er.
„O ja!“
„Also: hier ist Honig, Gelee, Sumpfdotterblumen, Schinken, Brot ... ach ...“
Er stand plötzlich auf, warf dabei seinen Stuhl hin und umarmte mich noch einmal:
„Wie schön, daß du hier bist!“
Natürlich errötete er, sprang an die Tür und schrie, der Tisch sei schlecht gedeckt. Der Diener kam und Wolfgang schlug sich an den Kopf.
„Ich Esel! Willst du ein Beefsteak?“
„Ein Beefsteak?“
„Es dauert gar nicht lange. Fritz, wie lange dauert ein Beefsteak?“
„Eine Viertelstunde“, war die Antwort.
„Ach, Unsinn“, protestierte ich. „Was soll ich denn jetzt um halb sechs mit einem Beefsteak?“
Wolfgang lachte und goß sich ein Glas Fachinger ein.
„Prost, Walter! Du kennst unsern Stil noch nicht. Wir leben nämlich hier den Stil englischer Peers. Morgens you take your steak,“ – er bediente sich hierbei einer manirierten Aussprache, – „mittags hungert man, das nennt man luncheon und abends ißt man im dinnerjackett alles das, was man am Mittag versäumt hat. Das hat Nina hier so eingeführt.“
Nina, immer Nina!
Ich fragte unvermittelt:
„Aus welcher Familie stammt sie eigentlich? Hat sie noch Eltern?“
Wolfgang warf nachdenklich zwei Stück Zucker in seine Teetasse.
„Weißt du, bei Nina muß man nicht fragen, woher sie kommt und wohin sie geht. Nina ist einfach da, – verstehst du? – einfach da.“
Ich sah Wolfgang aufmerksam an. Schau an, dachte ich, wie klug er ist! Was er da eben gesagt hatte, war mir nicht fremd. Nina war einfach da, ... sie war eigentlich ... seelenlos.
„Sie ist eigentlich seelenlos,“ sagte ich.
Wolfgang trank seinen Tee. Er stöhnte einige Male wie ein Kind in die Tasse hinein, setzte sie dann ab, sprang vom Tische auf und sagte:
„Jawohl, seelenlos, aber herrlich! – Bist du fertig?“
„Ja.“
„Gut. Wie wäre es, wenn wir jetzt aufs Feld gingen und arbeiteten? Ich lasse mir nämlich jeden Abend von unserm Inspektor ein Feld anweisen.“
Ich willigte in diesen Vorschlag ein. Wir zündeten uns jeder eine Zigarette an und gingen in den Hof. Dort holten wir uns aus einem Schuppen lange Forken und zogen darauf munter durch den Park.
Einmal wandte ich mich um und blickte zu Ninas Fenstern hinauf. Sie waren fest verschlossen und die Vorhänge heruntergelassen.
„Das gnädige Fräulein pflegt bis neun Uhr zu schlafen,“ sagte Wolfgang, der meinen Blick bemerkt hatte.
Ich errötete und schwieg.
*
Wir sind auf dem Feld angelangt und ziehen unsere Jacken aus. Die Kornfelder stehen in der jungen gelbstrahlenden Sonne. Auf den heiteren grünen Wiesen und Weidegründen grasen die roten und braunen Kühe des Gutes und senden den Ton von tiefen Glocken durch das flüssige Licht. Am Horizont suchen auf noch beschattetem Hügel Schafe ihr Futter. Ein Schäfer mit einem großen Hut steht neben ihnen. Er hält den Hirtenstab in der ausgestreckten Hand auf die Erde gestützt, als sei er der Wächter dieses Tales und behüte seine Unschuld. Eine Wolke zieht langsam über den bleichen westlichen Himmel.
„So, nun stellen wir hier die Garbenbündel auf,“ sagt Wolfgang. „Du bist ja früher auf dem Land gewesen und weißt, wie man das macht. Immer zu sechs auf einen Haufen.“
„So ... na ja, wir nehmen immer sechs. Weiß der Teufel, warum. Bald kommen die ersten Leiterwagen vom Gut. Dann gehen wir dort auf das Feld, – siehst du es? – und packen das Korn auf. Das macht immer sehr viel Spaß.“
Wir arbeiten schweigend und mit gesammeltem Eifer. Die Ähren stechen unsere Hände wund und ihre Körner rieseln uns in Hemd und Hose. Wolfgang macht manchmal eine Bewegung, als habe ihm jemand kaltes Wasser in den Nacken gegossen.
Später singt er mit klarer Stimme und deutlicher Aussprache einen altfranzösischen Chanson. Da ist von einem Grafen die Rede, dem es nicht wohl erging, weil seine Gemahlin der Majestät von Frankreich allzusehr gefiel.
*
Bald vernehmen wir das Rollen und Klappern von Wagen, die über die Landstraße zu uns herauffahren. Wir haben unsere Arbeit gerade beendet, als wir die Rufe der Bauern hören, die mit ermunterndem Einsprechen ihre Pferde einige schwere Hügel erklimmen lassen. Dann ertönt das Dröhnen von Wagen, die über eine hölzerne Brücke fahren, und gleich darauf ziehen sie alle an uns vorbei. In einem der Wagen sind nur Frauen. Sie haben alle rote Tücher um die Köpfe geschlungen. Jedermann wünscht uns: „Guten Morgen!“ worauf wir beinahe feierlich unsere Mützen lüften und den Gruß erwidern. In einem Gefährt sitzt ein hübsches junges Mädchen. Ich nicke ihr zu, worauf sie verlegen zu Boden sieht. Ich bin sehr stolz, das erreicht zu haben.
Der letzte Leiterwagen wird von einem Bauernjungen gelenkt, der auf dem linken Pferde sitzt. Er grüßt uns, wie ein Souverain zu grüßen pflegt.
„He Hans!“ ruft Wolfgang. „Bleib du bei uns!“
Hans steigt vom Pferd. Wolfgang legt seinen Arm auf die Schultern des Jungen und führt ihn zu mir heran. Die beiden stehen der Sonne entgegen, blinzeln, sind wohlgestaltet, blond, und – seltsam – sie sehen einander ähnlich.
„Ich stelle dir hier meinen Freund Hänschen Kietschmann vor.“
Der Junge macht eine Verbeugung, eine leichte, weltmännische, garnicht zu tiefe Verbeugung, und bietet mir die Hand, die ich schüttle.
Er geht fort, um noch einige Bauern zu holen. Ich sehe ihm nach. Er ist schlank und groß gewachsen.
Wolfgang macht ein sonderbares Gesicht und lächelt.
„Nun?“
„Wie?“
„Ist dir etwas ... wie soll ich sagen ... aufgefallen?“
„Aufgefallen? ... Nein, ... das heißt ...“
Ich bin mit einem Male verwirrt.
„Er sieht dir ähnlich.“
Wolfgang nickt, sieht zum Himmel, zieht die Nase kraus, blinzelt, schluckt herunter und sagt:
„Er ist mein Halbbruder.“
„Wie –?“
Wolfgang bewegt seine Hand in einer sehr sprechenden, etwas frivolen Art.
„Mein Gott, ... wir vergessen, daß unsere Väter auch jung waren ... Mein Vater lebte hier allein ... na und ... wie das so kommt.“
Er geht mit graziösem Schritt fort, um die Gabeln vom Graben zu holen.
Ich schüttle den Kopf, wundere mich und vergesse im nächsten Augenblick alles.
Wir arbeiten schweigsam fort.
Hans Kietschmann steht zusammen mit einem Bauern oben auf dem Wagen und packt das Korn auf. Neben uns sind Weiber, die von Zeit zu Zeit miteinander sprechen. Ein leichter, von der aufsteigenden Sonne gewärmter Wind trägt aus der Richtung der anderen Wagen den Schall von Reden und Gelächter zu uns herüber.
Es beginnt allmählich heiß zu werden. Die Augen schmerzen ein wenig; ich sehe nichts als flimmerndes Gelb. Die Weiber riechen nach Schweiß. Die Ochsen sind von Fliegen geplagt und schlagen mit den Schwänzen kräftig umher. Ich fühle mich sehr wohl. Nina ist vergessen, vollkommen vergessen. Wie süß es ist, daran zu denken, daß ich Nina so völlig vergessen habe.
Es schlägt zwölf Uhr, wir hören mit der Feldarbeit auf, trinken Wasser und ziehen die Jacken an.
Ich gebe Wolfgang die Hand.
„Danke für den Vormittag, Wolfgang.“
Wolfgang lächelt und nimmt meinen Arm. Wir gehen als Freunde zum Schloß. Wolfgang ist zärtlich und spricht sehr viel.
Nachdem wir in unsern Zimmern Gesicht und Hände erfrischt hatten, betraten wir die Veranda, um dort zu lunchen.
Nina saß am Tisch. Sie schien sich zu langweilen und benahm sich wie ein kleines Mädchen, das auf seine Mahlzeit wartet.
Ich betrachtete Nina von der Seite. Sie hatte ein steifes weißes Kattunkleid an. Ihr Hals und ihre Arme waren nackt. Auf ihrer Brust trug sie eine Brillantenbrosche, an der linken Hand, der elfenbeinernen mit den langen schmalen Fingern, leuchteten vier herrliche Saphire von mildem Blau. Das kastanienbraune Haar war eine Pracht, eine Krone, ein Akkord von rauschenden, dunklen Tönen.
‚Mein Gott und dennoch, was ist denn Nina? Ein kleines Mädchen, das sich langweilt! Aber ein Mädchen, das ich liebe? Nun ja, was ist schon dabei? Viele Jungens lieben viele Mädchen. Da ist gar nichts dabei.‘
Ich fühlte mich Nina überlegen.
Ich setzte mich an den Frühstückstisch. Obwohl es sehr heiß war, hatte Nina einen Schnupfen, was mir ganz sonderbar vorkam.
Sie führte ihr Tuch an den Mund und fragte mit einer Stimme, die heute noch näselnder klang als sonst:
„Wo habt ihr denn eigentlich so lange gesteckt?“
In diesem Augenblicke wurde es mir recht deutlich, daß Nina gar nichts anderes war als eine große faule schöne Katze. Ich beugte mich spöttisch vor bis auf die Tischplatte und sagte von unten zu ihr aufblickend:
„Wir haben gearbeitet, – und Sie, was haben Sie getan?“
„Ich habe geschlafen.“
„Ah, Sie haben geschlafen ...“
„Jawohl; ich bin nämlich kein Troubadour, der wie ein Hase mit offenen Augen nachts im Felde schläft.“
Hier betrat Frau Seyderhelm die Veranda. Sie begrüßte mich sehr herzlich, schalt auf das freundlichste, daß ich die Nacht draußen zugebracht hatte, und sprach die Erwartung aus, daß ich nun doch die Ferien auf Wiesenau verleben würde.
Man frühstückte.
Es stellte sich im Lauf des Gesprächs heraus, daß Frau Seyderhelm mir am Tag nach der Gesellschaft einen Brief mit der Einladung nach Wiesenau in die Wohnung geschickt hatte, der nicht mehr in meine Hände gekommen war.
Nina begann mit einer Geschichte, die so komisch war, daß wir alle fürchterlich lachen mußten. Sie sprach lebhaft, mit vielen Gesten, erzählte vorzüglich und ward durch ihren Erfolg so angeregt, daß sich der Schnupfen zu verlieren schien.
Wolfgang machte seiner Mutter kopfschüttelnd Vorwürfe, daß die Gänseleberpastete schon seit einigen Tagen nicht mehr genügend auf Eis liege. Dann wandte er sich zu mir und fragte mit einer kindlich hohen, liebenswürdigen Stimme:
„Ißt du Radieschen gern?“
Man hörte von Frau Seyderhelm, daß die Gräfin Königsmarck heute morgen dagewesen sei; man sprach dann sehr lange über die Gräfin Königsmarck. Nina schien sie nicht zu lieben. Wolfgang behauptete, diese Dame röche nach wilden Tieren.
„Wolfgang, so spricht man nicht von einer Dame!“ sagte Frau Seyderhelm.
Nina jubelte und begann ohne den mindesten Zusammenhang eine Schilderung zu entwerfen, wie sie auf der Treppe meinen Ranzen gefunden und aufgemacht habe.
„Stellen Sie sich vor, Frau Seyderhelm: er reist mit einem zerrissenen Hemde, einer Zahnbürste, zwei alten Brötchen und dem Werther; den Werther hat er in seine Socken gepackt!“
Man lachte sehr. Mich erfaßte mit einem Mal der unbezähmbare Drang, Ninas Hand, die elfenbeinerne mit den spitzen Nägeln und der kühlen Haut, zu küssen. Ich bückte mich nach einer Serviette und berührte wie zufällig Ninas Finger mit meinen Lippen. Nina ließ es ruhig geschehen; sie tat, als habe sie nichts gespürt.
„Es war übrigens gar nicht der Werther,“ sagte ich, als ich wieder aufrecht saß. „Es war die Versuchung des Pescara.“
Ich bediente mich mit einer kalten Reisspeise und war von meinem Abenteuer so aufgeregt, daß ich kaum schlucken konnte.
„Oh, die Versuchung des Pescara,“ sagte Frau Seyderhelm. Und sie fing an, sich des längeren über „Huttens letzte Tage“ auszulassen.
Wolfgang zog ein gelangweiltes Gesicht und schlug Nina für den Nachmittag eine Tennispartie vor. Sobald er mit Nina sprach, war seine Stimme zart und fast unterwürfig.
Frau Seyderhelm hob die Tafel auf.
„Schreiben Sie mir später den Namen Ihrer Wirtin auf, lieber Walter,“ sagte sie. „Man soll uns Ihre Sachen nachschicken.“
Ich küßte Frau Seyderhelm die Hand und verbeugte mich vor Nina.
„Spielen Sie Tennis?“ fragte Nina.
„Ja, ein wenig.“
Sie fuhr mit ihrer Zunge zwischen den Lippen einher.
„Du reitest heute nicht mehr, Wolfgang?“
„Nein; es ist zu heiß.“
Ich spürte plötzlich den Duft von Ninas Körper. Ich sah ihren weißen Hals und erbebte.
Nina lächelte.
„Addio, meine Herren. Ich gehe in den Wald.“
„Addio.“
Wolfgang zog sich in die kühlen Räume zurück.
Ich blieb auf der Veranda und sah in den Park. Nina ging langsam die kiesbedeckte Allee entlang, blieb zuweilen stehen, betrachtete mütterlich ein Blättchen, das sie mit der kühlen Hand liebkoste, pflückte eine Rose vom Blumenbeet und befestigte sie an ihrer jugendlichen Brust. Darauf verlor sie sich – unvergleichlich ebenmäßig ausschreitend – im mittäglichen Gehölz.
Die Gutsglocke schlug ein Uhr. Malatesta, der Hofhund, dehnte sich schläfrig, beroch mißtrauisch seine Pfote und legte sich auf den Rasen. Der Diener räumte den Frühstückstisch ab.
*
Am Nachmittag lag ich irgendwo im Wald auf dem Rücken und träumte in den blauen Himmel hinein. Manchmal streichelte ich den schönen Malatesta, der mich begleitet hatte. Es war sehr heiß. Der Hund hob zeitweise den Kopf, stieß, von Wärme bedrückt, den Atem aus der Kehle, ließ die Zunge hängen und hatte feurige Augen. Mich plagten die summenden und stechenden Mücken. Ich begann unruhig und gestört zu schlafen. Böse Träume von großer Leidenschaft und überquellender Sehnsucht verfolgten mich. Ich sah, wie Nina zu mir, dem Schlafenden, trat, ihr mokantes Lächeln lächelte und mit einem Male mütterlich, mit drängenden Händen und junger weißer Brust sich neigte.
Der nahe Gong, der zum Tee rief, weckte mich auf. Die Sonne war tiefer herabgesunken; unter ihren schrägen Strahlen beruhigte sich die Welt und wurde kühl. Ein Wind ging durch die Bäume, der in den Blättern flüsterte und schluchzte. Der Hund war fortgelaufen. Ich fühlte, daß alles nutzlos sei und ich ewig einsam bleiben müsse.
*
Gegen Abend spielten wir Tennis.
Nina war biegsam, schmal in den Fesseln und schnellfüßig. Ihre Hand war sicher, der Schlag ihres Rackets ruhig.
Wolfgang, ihr Partner, war weißgekleidet, hatte den rechten Ärmel seines Hemdes aufgeschlagen und zeigte einen braungebrannten, schmalen und kräftigen Arm.
Ich gab streng auf das Spiel acht und hatte den brennenden Ehrgeiz, mich gut zu halten. Ich verlor das erste Match, trat beim Wechseln an das Netz, beglückwünschte Nina und küßte ihre Hand. Wolfgang sah mich ein wenig befremdet an. Nina lächelte, war unendlich liebenswürdig, legte einmal beim Gespräch ihre Hand auf meinen Arm und nannte mich Walter. Ich war rasend vor Glück, machte ein hochmütiges Gesicht und verdoppelte meine Anstrengungen.
Mir war, als ständen Nina und Wolfgang in abendrotem Dunst und rosafarbenem Nebel. Jedermann von uns spielte mit streng geschlossenen Lippen. Nichts unterbrach das Schweigen als nur das Aufschlagen des Balles, das Summen des festgespannten Rackets und zeitweis ein kleiner Ausruf der Überraschung oder des Ärgers. Niemand zählte laut, denn jeder von uns wußte, wie wir standen. Frau Seyderhelm trat ans Gitter; wir grüßten flüchtig und spielten weiter. Frau Seyderhelm sprach mit einem Gärtner, deutete einmal mit der Hand auf ein Blumenbeet und wandte sich über unsern Eifer lächelnd zum Gehen. Ich wurde gewahr, daß sich mein Spiel von Minute zu Minute verbesserte. Im letzten entscheidenden Set gewann ich alle sechs Spiele und war somit Sieger im Match. Nina sagte uff und fächelte sich mit ihrem Tuch kühle Luft ins Antlitz. Als wir uns die Hände schüttelten, sah sie mich wie zum erstenmal an. In ihren Augen leuchtete mir etwas Verlockendes und Gefährliches entgegen.
„Sie spielen gut,“ sagte Nina. „Reiten Sie?“
„Gewiß.“
„Wolfgang, wir werden morgen früh reiten.“
„O Nina, rede keinen Unsinn, das hast du schon zehnmal gesagt. Du stehst ja doch nicht um sieben Uhr auf.“
„Doch, ich werde ganz bestimmt um sieben Uhr aufstehen.“
Sie sah mich wieder mit ihren lockenden Augen an, wobei sie die Lider ein wenig zusammenzog. Mir war, als liebkosten mich die goldfarbenen seidenen Wimpern.
„Was wird Herr Regnitz für ein Pferd reiten?“
O weh, sie sagte wieder Herr Regnitz!
„Willst du einen ruhigen Gaul, Walter?“
„Nein, im Gegenteil.“
„Gut, du sollst die Moissi haben. Eine Rappstute, weißt du. Du bekommst den neuen Sattel, den mir Mama geschenkt hat.“
„Hören Sie zu, Walter, das ist eine unerhörte Gnade.“
O – sie sagte wieder Walter!
Ich spürte in diesem Augenblick den einzigartigen Duft von Ninas mädchenhaftem Körper. Ich sog ihn wissend und gekräftigt ein.
Der Teufel wird mir an diesem Abend wenig anhaben können. Ich habe mein Match gewonnen und morgen reite ich Moissi.
*
Die Damen zogen sich bald nach dem Abendessen zurück.
Wolfgang und ich, wir saßen noch eine Weile auf der Terrasse, fühlten eine angenehme Ermüdung in unsern Gliedern und tranken ein wenig Black and White mit sehr viel Sodawasser gemischt.
Wir sprachen nicht viel, sondern sahen zum reichbesternten Himmel empor und beobachteten die Sternschnuppen. Der Diener setzte einen Eiskühler neben den Tisch und verschwand.
„Nina reitet gut,“ sagte Wolfgang. „Ich werde ihr mal morgen den ‚Sekt‘ geben. Da kann sie was erleben.“
Und dann, nach einer Weile:
„Mama hat im vergangenen Jahr viel Sorge mit dem Stall gehabt. Weißt du, der Rotz ... Na, jetzt ist es vorbei ...“
„So?“
„Ja, jetzt sind sie wieder alle gesund. Einer ging ein. Na, meinetwegen, mir lag nichts an ihm. Ein Wallach.“
Ein Knecht schritt mit einer Laterne durch den Garten. Wir sahen dem unruhigen Licht nach.
„Komisch,“ sagte Wolfgang plötzlich, „wir kennen uns erst seit sechs Tagen.“
„Ja.“
Eine Stille.
„Du bist immer so hochmütig. Hast du was?“
„Nein. Garnichts.“
Eine Stille.
„Du mußt in den Herbstferien herkommen und hier mit uns jagen.“
„Danke. Ja.“
Mir stieg ein Gedanke auf.
„Jagt Nina auch?“
„Ja, sie schießt sehr gut. Sie hat gar keine Angst.“
„Wie schön.“
Ich sah ein Bild vor mir: Nina mit dem unvergleichlichen Gang der Kosakenmädchen durch den Wald schreitend, die Büchse in der Hand, mit spähenden Augen und grausamen Lippen.
„Wie schön,“ wiederholte ich.
Ein Stern glitt in mächtiger und graziöser Bewegung durch den erleuchteten Raum.
„Hast du dir etwas gewünscht?“ fragte Wolfgang.
„Ja.“
„Was denn?“
„Mehr Whisky.“
Wolfgang lachte und schenkte ein.
„Na, Mama wird morgen Augen machen über unsere Sauferei. Prost!“
„Prost!“
Wir schwiegen lange.
„Man muß das Leben mit gesunden Händen anfassen.“
Wolfgang sah mich unsicher an. Dann sagte er verlegen:
Wir beobachteten zwei Fledermäuse.
„Was denkst du über die Frauen?“ fragte ich.
„Über welche Frauen?“
„Ich meine ... fändest du etwas dabei, wenn Jungens wie wir ... ein Verhältnis haben?“
„Nein ... ja, das heißt ... es kommt darauf an!“
Wolfgang lachte ein wenig hilflos.
Ich stand auf und bot ihm die Hand.
„Wir sollten recht lange Zeit Freunde bleiben,“ sagte ich sehr herzlich.
Auch Wolfgang erhob sich. Er schüttelte meine Hand kräftig, und es lag in dieser Bewegung etwas eigentümlich Ritterliches.
„Ja, das sollten wir wirklich,“ erwiderte er in demselben Ton.
„Gute Nacht, Wolfgang.“
„Gute Nacht, Walter, – und danke für alles.“
Ich ging in mein Zimmer.
Wir reiten zu dritt im abgekürzten Galopp – von Hans Kietschmann gefolgt – über eine jüngst gemähte Wiese, deren Heu naß und ohne Duft ist. Wir reiten Schulter an Schulter und achten streng darauf, daß die Linie eingehalten wird. Jeder von uns beschäftigt sich schweigend mit seinem Pferde, beobachtet den gebogenen Tierhals und übt auf jeden Druck den Gegendruck der Schenkel aus.
Manchmal sehe ich zu Nina hin. Das feurige Haar lodert wie eine Flamme, wie ein Triumph unter dem schwarzen Hut hervor; die weißen Kinderzähne beißen auf die feuchte Unterlippe, die unbedeckten Hände erfassen die Zügel des unruhigen Pferdes mit freudiger Kraft. Unausgesetzt richtet Nina die verliebten Blicke auf den Kopf des Pferdes, das in großzügiger Bewegung galoppiert. Ich sehe mit Vergnügen, daß der schlanke Körper mit den säulenstarken hohen Beinen und der jugendlichen weichen Brust sich entzückt der Bewegung des schnaubenden und wiehernden Tieres hingibt und niemals die Verbindung mit ihm verliert.
Es geschieht einige Male, daß Sekt sich nahe an meine Stute drängt und Ninas Fuß den meinen berührt.
Hatte ich nicht die ganze Nacht von der einen Minute geträumt, in der Nina ihren Fuß auf meine Hand setzen würde, um das Pferd zu besteigen? Und war ich nicht, als sie es wirklich getan, verwirrt und mit pochendem Herzen davongestürzt?
Sekts Gangart wird von Augenblick zu Augenblicke länger. Der Schimmel und seine Herrin freuen sich des wie unbegrenzten Raumes, der morgendlichen Luft und der würzigen Gerüche des Feldes.
Ich sehe unsicher zu Wolfgang hin, der immerfort mit tiefer Stimme auf den Schimmel einspricht:
„Ruhe! – Sekt! – Ruhe! – Ohlala – Ohlala!“
Meine Moissi geht leichtfüßig mit. Wolfgangs nicht so belebtem Fuchs wird es schwer, die Linie einzuhalten.
„Ruhe, Fräulein Nina!“ sage auch ich jetzt. „Bitte abgekürzter Galopp!“
Aber Nina hört nichts. Sie sieht verzückt, mit nassem, erregtem Munde und blinkenden Augen auf den Schimmel und beißt mit den weißen Zähnen auf die Lippe.
„Gib auf die Sporen acht!“
In diesem Augenblick tut Sekt, den irgend etwas erschreckt hat, einen kleinen Sprung, Nina kommt mit den Sporen an die Weichen, der Schimmel wirft den Kopf mit einer schmerzlichen Gebärde in die Höhe und geht durch.
Moissi folgt sofort. Wolfgang und Hans Kietschmann bleiben zurück.
*
„So, Fräulein Nina ... jetzt Ruhe, nur Ruhe!“
Die Pferde rasen über das Feld. Die Morgensonne erhebt sich gelbstrahlend über einem Hügel und blendet uns.
„Rechte Kandare ziehen! ... Sekt, Ruhe!“
Nina richtet das Tier mit allen Kräften nach rechts.
Wenn ihr nur nichts geschieht! ... Nein, sie ist ruhig. Es geschieht ihr nichts.
„Mehr rechts, immer mehr rechts! ... Fort vom Stall! ...“
Sieh da, sie ist zufrieden, sie ist hingegeben dieser einzigartigen Geschwindigkeit, dieser goldenen Flucht durch den Morgendunst.
„Noch mehr rechts! ... Bravo, Fräulein Nina! Noch mehr!“
Wir beschreiben mit unserem Ritt eine Kurve.
„Reitpeitsche fortwerfen!“
Nina läßt die Peitsche fallen.
Ich bekomme über meine Stute Gewalt, meine Knie und Schenkel sind unausgesetzt an den Sattel gepreßt. Ich drücke den Rappen an Nina heran.
„Noch einmal nach rechts ... sehr gut! ... Noch einmal! ... Ah, er läßt nach ...“
Ich beuge mich vor und greife in Ninas Zügel. Der Schimmel erschrickt, bäumt sich, – ich packe den Halfter und der Schimmel steht.
Nina lacht, ein nervöses, schreiendes, jubelndes Lachen.
Ich steige von meinem Pferd, um Sekt liebkosend zu beruhigen. Ein unerklärlicher Gram erfaßt mich, ich spreche kein Wort, sehe Nina nicht an und bebe vor Schmerz und Zorn ...
Wolfgang erreichte uns endlich. Er lacht.
„Bravo Nina! – Nichts geschehen?“
Nina schüttelt den Kopf.
„Ein schöner Unsinn, dieses Biest da mit Sporen reiten zu lassen!“ sage ich scharf und böse.
Wolfgang zieht ein beleidigtes Gesicht.
„Nehmen Sie die Sporen ab!“ herrsche ich Nina an, ohne hinaufzusehen.
Wolfgang und Hans steigen von den Pferden.
„O – Sie sind zornig, Walter!“ ruft Nina.
Ich blicke auf. Ninas Augen lachen, aber sie ist blaß, sehr blaß, und ihre Lippen zittern nervös.
„Nehmen Sie jetzt bitte die Sporen ab.“
Hans befreit Nina von den Sporen und reitet zurück, um auf der Wiese die Reitpeitsche zu suchen. Ich stecke die Sporen in meine Tasche.
Wir reiten im Schritt weiter und erreichen ein belichtetes Gehölz. Unsere Tiere sind ermüdet und zufrieden. Sie gehen in großen Schritten durch den Wald und spähen an den stolzen Fichtenstämmen stolz vorbei. Wir sind schweigsam und schlecht gelaunt.
Mit einem Male streckt Nina die Hand nach mir hin. Da ich nicht in ihrer Nähe bin, fingert sie ungeduldig in der Luft herum. Ich nehme ihre Hand, beuge mich tief nach unten und küsse sie lange.
Wie ich mich emporrichte, sehe ich, daß Nina mit lächelndem Antlitz und feuchten goldenen Wimpern nach der andern Seite blickt. Wolfgang ist blaß geworden und hält die Augen gesenkt. Hans reitet irgendwo hinterher.
Wir erreichen, ohne ein Wort zu sprechen, nach einer Stunde den Gutshof. Die Pferde sind naß und wollen ihr Futter. Ich grüße Nina mit dem Hut und gehe ins Haus.
Wir fuhren am Abend mit einem leichten Jagdwagen ins Gebirge. Frau Seyderhelm war im Schloß geblieben, da sie Besuch erwartete.
Wir saßen auf der Terrasse eines vornehmen und einsam am Fluß gelegenen Hotels. Vor unseren Blicken zerflossen die kupferbraunen Abhänge und goldenen Bergeshäupter, die ein unaufhörlich gleitendes Licht belebte.
Ich stand, noch ehe die Mahlzeit bereitet war, im Stalle bei den Pferden und sorgte dafür, daß sie ihr Futter bekamen. Mein Kopf war benommen, und meine Augen brannten. Den ganzen Tag in Ninas Kreise zu leben, den Hauch ihrer Lippen zu spüren, im Wagen ihren Knieen nahe zu sein und ihrem duftenden Haar, zu sehen, wie der Wind das helle, sich innig an den Körper schmiegende Sommerkleid berührte, und mit verwirrten Sinnen zu ahnen, vieles zu ahnen, – ah, das alles war nicht ganz leicht zu ertragen.
Ein Kellner meldete, das Essen sei angerichtet. Ich stieg die steinerne Treppe der Terrasse langsam hinauf. Die unaufhörlich wechselnden Farben des Abends quälten mich; ein drohendes Verhängnis war in dieser Bewegung, eine Unruhe ohnegleichen, eine süße und unsäglich schmerzliche Hast, eine Flucht und ein Jammer ohne Trost ...
Als ich oben angelangt war, sah ich, wie Nina ihre Hand auf Wolfgangs Arm gelegt hatte. Sie schien ihn etwas zu fragen. Er beantwortete Ninas Frage, und sein Gesicht bekam den überaus liebenswürdigen und ritterlichen Zug, den ich an ihm liebte. Ein kindliches, verhaltenes Schluchzen stieg in mir empor.
Ich setzte mich an den Tisch, Nina und Wolfgang sahen mich an.
„Na Lieber? Wie gehts?“ fragte Wolfgang.
„Danke, die Pferde fressen.“
Nina lachte und blickte fort.
Ich wurde rot.
Nina sprach in näselndem Ton von Trüffeln.
„Sieh mal, Wolfgang, wie witzig, hier gibt es gefüllte Trüffel. Raffiniert – nicht?“
„Nina, du redest wie ein Kavallerieoffizier,“ sagte Wolfgang, wandte mir sein Gesicht schräg zu und fragte in seinem kindlichen Ton:
„Spricht sie nicht wie ein Gardekürassier?“
Wir aßen danach Forellen. Nina verstand es gut, das zarte rosige Fleisch der Fische von den Gräten loszulösen. Die weißen, nun der Seele beraubten Tieraugen starrten ausdruckslos zu uns herauf. Nur um die Mäuler lag ein böser Zug, der von Todespein und letztem Kampf erzählte.
Um die Zeit der späten Dämmerung trat ein Hirsch aus dem Wald des gegenüberliegenden Berges hervor, äugte mit einer kühnen Gebärde des Kopfes nach dem Hotel hin und trank aus dem Fluß.
Der Geruch von Bergwasser und nassem Sand stieg zu uns empor. Allmählich entfaltete der dunkelnde Himmel die Schönheit der beginnenden Nacht vor unsern Augen. Die stolzen Gestirne wurden sichtbar; vor ihrer urweltlichen Starrheit wichen die wechselnden Farben des Abends besiegt zurück. Das Gebirge ward im funkelnden Schein groß und ehern.
Wir standen nach beendetem Mahle auf und gingen über die hölzerne Brücke des Flusses dem andern Ufer zu. Die Nacht gab mir mitleidsvoll von ihrer Kühle und besänftigte mich wunderbar. Nina schien mir schöner denn je, aber ihre Schönheit war meinen Sinnen und meinem undeutlichen Verlangen entfernt. Sie ging mit ihrem weißen Sommerkleid wie durchsichtig durch die Nacht dahin. Auf ihren Schultern lag ein bläuliches Orenburger Tuch. Ihr Haar war unbedeckt und bewegte sich ein wenig im Nachtwind.
Ein leises, sehnsüchtiges Tönen rief uns in den Wald. War es eine Flöte oder eines Mundes Klage? Wir folgten neugierig der oft entschwindenden und dann wieder genäherten Musik.
Vor einem Bretterverschlag, dem Sammelplatz der Tiere, machten wir Halt. Wir sahen die Gestalt eines Mannes zwischen sternhellen Bäumen einhergehen, wir sahen ihn in seine Schürze greifen und – einem Sämann gleich – Eicheln und Kastanien mit einer weiten Bewegung seines Armes über den Waldboden streuen. Dazu pfiff er eine Melodie, eine kleine, sentimentale, unbeholfene und doch unendlich rührende, süße, zärtlich lockende Melodie. Nach einer Weile schien es, als bewege sich der Wald. Unhörbar, aber mit großzügigen Bewegungen und bei jedem Schritt ein wenig mit den Häuptern nickend, kamen wie aus einem dunkel gewebten Teppich Hirsche und Rehe aus der Nacht hervor, beugten sich zu Boden und näherten sich langsam dem lockenden Freund der Tiere. Allmählich entfernte sich der Mann, umdrängt von seinen zärtlichen Geschöpfen, ferner und ferner klang die Musik seines Mundes und löste sich endlich auf im Rauschen des Waldes.
*
Wolfgang eilte voraus, um mit Hans die Pferde anzuschirren. Es zeigten sich Wolken am Himmel.
Ich ging mit Nina langsam den jäh erleuchteten Waldweg entlang. Nina hatte wieder ihren Schnupfen und führte das kleine Tuch oftmals an den Mund.
„Walter.“
„Ja.“
„Wie alt sind Sie?“
„Siebenzehn Jahre.“
„Siebenzehn Jahre,“ wiederholte Nina.
Eine Stille.
„Walter.“
„Nina?“
„Sie werden morgen fortreisen, – nicht wahr?“
Und da sie mein Gesicht sah, hob sie beschwörend die bittenden Hände empor und sagte in unvergleichlich rührendem Ton:
„Walter, – Sie sind siebenzehn Jahre!“
Ich hatte wieder solche Angst.
Ich werde mich töten, dachte ich.
Eine lange Stille.
„Sie werden reisen, Walter?“
„Ja.“
„Danke.“
Ich werde mich töten. Es wird noch diese Nacht geschehen.
*
Wir fuhren über Felder. Wolfgang kutschierte, wobei er manchmal einige Worte mit Hans wechselte. Ich saß mit Nina in der Break. Nina sprach viel und war nervös.
Es erhob sich ein Wind und trieb große, von den Sternen erhellte Wolken über den Himmel. In der Ferne leuchteten Blitze.
Nina klagte über den Sturm, der ihr Kopfschmerzen verursachte, und bat, man solle die Verschläge herunterlassen. Der Wagen hielt, die Pferde stampften ängstlich auf dem undeutlichen Feldwege, und Hans spannte die leinenen Gardinen auf.
Wir waren nun von den andern durch eine Wand getrennt und sahen die Welt einzig durch die Öffnung über der Türe. Wir hörten von irgendwoher kleine Bäche rauschen, den Wind im Korn und in entfernten Wäldern blasen, und aufgescheuchte Enten, die schreiend nach irgend einem wohlgeborgenen Teiche zogen.
„Sie frieren, Walter?“
„Nein. Danke.“
Nina hüllte sich fester in das weiche blaue Gewebe ihres Tuches.
Ein Blitz zuckte.
„Haben Sie den Hasen gesehen, Walter?“
„Ja.“
Wir fuhren über eine Brücke. Das Holz dröhnte.
„Sie haben noch einen Vater, Walter?“
„Ja.“
„Wo ist er?“
„In Skandinavien.“
„Allein?“
„Wie? – Die Soubrette?“
„Ja.“
„Ach –!“
Nina blickte mich verwundert und ängstlich an.
Wie liebte sie in diesem Augenblick meinen Vater. O Nina, Nina!
Ich sah lange Zeit hinaus und träumte. Ich fühlte, daß mich Nina unausgesetzt betrachtete. Später vergaß ich es.
Eine Hand lag auf der Decke. Es war Ninas Hand.
„Darf ich sie küssen?“ fragte ich.
Nina lachte mit einem hellen Ton. Es klang, als fiele ein kleiner silberner Hammer schnell auf Metall.
Ich küßte die Hand und dachte dabei an den Förster, der durch den Wald ging und Eicheln über die Erde streute. Ich küßte keine lebendige Haut, sondern Wildleder, dänisches Wildleder. Ich küßte dieses Leder noch einige Male und ließ die Hand dann fahren. Ich empfand kein besonderes Vergnügen dabei und wunderte mich. Wahrscheinlich träumte ich dies alles nur, sonst wäre ich doch wohl anders gewesen. Ich hätte vielleicht geschrieen ...?
Es begann langsam zu regnen. Ich streckte die Hand hinaus. Große warme Tropfen fielen hernieder.
„Wir werden morgen nicht Tennis spielen können,“ sagte ich schläfrig.
„Ja,“ erwiderte Nina verwundert.
Ach so, ich reise ja morgen fort, dachte ich. Wie ungeschickt!
Ich träumte fort, sah Steine, Wolken und Bäume vorbeieilen; oben sprach Wolfgang irgend etwas, was ich nicht verstand, und der Donner wurde stärker, immer stärker.
Nein, ich werde morgen nicht fortreisen. Ich werde mich heute Abend töten.
Schafe standen zusammengedrängt und fürchteten sich ... Sieh da, Schafe ... „Und es waren Hirten in derselbigen Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihrer Herde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herren leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude ...“ wie schön, – siehe, ich verkünde euch große Freude! Mir war mit einem Male, als sei mein Körper durchströmt von gutem warmem Blut. Es war ja alles gar nicht so schlimm! Denn ich verkünde euch große Freude ...
Da – was war das? Eine bebende Hand griff nach meiner. Mein Traum zerriß – –
„Nina!“
Ich schrie.
„Sei still, um Gottes willen ...“
„Hallo, was gibt’s?“ fragte Wolfgang.
„Nichts. Ninas Haar im Wind ...“
Ich riß Nina an mich, überflutete ihr Antlitz mit Küssen, umarmte ihre Kniee und biß in ihre Lippen und Hände ...
„Laß ... Laß ... Du bist verrückt.“
Sie stöhnte.
Ich flehte unverhüllt mit meinen fiebernden Lippen auf ihren Lippen, auf ihren Händen, ihrem Haar, ihren Augen und ihrer jungen, jungen Brust ...
O unerhörtes Glück des Aneinanderschmiegens, der verschlungenen Finger, der wirren, in die dunkle Luft hineingesprochenen Reden!
Und dann dieses wunderbare, einzigartige Ermatten, diese tränenreiche, gütige Müdigkeit, ... dieses bekümmerte Suchen der Hände, ... und endlich diese Ruhe, diese tiefe, tiefe Ruhe! ...
Wie wir einst so glücklich waren!
*
Um Mitternacht stürmten die gepeitschten nassen Pferde mit rasselndem Wagen in den Schloßhof. Frau Seyderhelm empfing uns in der Türe. Sie war ein wenig müde, aber freundlich und besorgt.
Ich stellte mich an das Fenster meines Zimmers und sah hinaus. Blitze spalteten Eichen und Kiefern, und über Wälder und weite Ebenen rollten ihre Donner. Aus den Ställen brüllten und wieherten geängstigte Tiere, und Malatesta saß mit glühenden Augen in seiner Hütte vor meinem Fenster und heulte.
Auch dies ging vorbei. Ein stetig und kühl strömender Regen spendete uns, den Fiebernden, Genesung. Gerüche von niegeahnter Kraft erfüllten die Luft, und die Tiere in den Ställen begannen ihren Schlaf. Zwei Uhr schlug die Glocke, aber der trübe Morgen war noch fern.
Ich setzte mich an den Tisch. Ich wollte etwas Unerhörtes schreiben, aber ach, – es wurden nur diese einfachen Zeilen:
Ist es denn möglich, daß wir diese Nacht
In einem Wagen über Felder fuhren?
Hab’ ich geträumt? Ich sah doch einen Wald!
Eilten nicht Steine, Wolken, Bäume, Sterne
An uns vorbei, und hast du später nicht
– So hab’ ich doch geträumt, – und hast du nicht
Mir abgewandten Blicks die Hand gereicht?
... Und küßte ich sie nicht?
Ich habe nicht geträumt. Wir fuhren nachts
In einem Wagen über weite Felder,
Es eilten stille Wolken, Bäume, Sterne
An uns vorbei ... Du gabst mir deine Hand ...
... Ich küßte sie ... So hab’ ich doch geträumt?
Ich packte meinen Ranzen, nahm das Blatt, stieg zu Ninas Zimmer hinauf, öffnete die erste ihrer beiden Türen und legte mein Gedicht auf ihre Diele. Dann schlich ich mich hinunter.
Ich trat auf den Hof, streichelte Malatesta und dachte: Frau Seyderhelm und Wolfgang ... ach, Frau Seyderhelm und Wolfgang!
Ich wanderte die Straße hinab, bis sich im Osten der bewölkte Tag ankündete. Auf einem Hügel blieb ich stehen und sah die verlassene bleiche Landschaft unter mir. Eine Starenkette flog durch die gereinigte Luft des Morgenrots.
Da schlug ich mit der Stirn auf einen Baum und stürzte nieder.
Albert Langen, Verlag für Litteratur und Kunst, München
Karl Borromäus Heinrich
Karl Asenkofer
Geschichte einer Jugend
Zweites Tausend
Geheftet 3 Mark 50 Pf., geb. 5 Mark
Süddeutsche Monatshefte, München: Wenn ich aber sagen sollte, welches erzählende Buch des letzten Jahres den stärksten und nachhaltigsten Eindruck auf mich gemacht hat, so müßte ich Karl Asenkofer von Karl Borromäus Heinrich nennen. Das ist mehr als Litteratur: jede Zeile ist erlebt, und was noch wichtiger, jedes Erlebnis ist behutsam aufbewahrt! noch hängt der ganze Flügelstaub an den leichten Schwingen. Ein Buch von packender Ehrlichkeit, die nichts hinzu tut, und so niemals den Eindruck des Beabsichtigten, Arrangierten aufkommen läßt. Die letzten Gymnasial-, die ersten Universitätsjahre sind kaum je so unmittelbar und überzeugend wahrhaftig dargestellt worden. Als Heldin steht von der ersten bis zur letzten Seite eine der ergreifendsten Muttergestalten da. Dies Buch ist so ausgezeichnet, daß man vor der Fortsetzung ganz Angst hat. Man möchte den Verfasser inständig bitten, mit dem zweiten Teile zu warten, bis er sich dem ersten an die Seite stellen kann: ja nicht zu früh, ja nicht zu viel über seine augenblicklichen Erlebnisse zu berichten, sondern in Gelassenheit und Demut geduldig zu warten, bis zum ersten meisterlichen Bande ein zweiter von selber in Stille und Sturm reif geworden ist. An dem Tag aber wollen wir uns mit ihm freuen, denn an dem Tag ist unsere Litteratur um ein bleibendes Werk reicher: um ein solches, das eine Generation weiter gibt an die andere.
Albert Langen, Verlag für Litteratur und Kunst, München
Korfiz Holm
Thomas Kerkhoven
Roman
Vierte Auflage
Flexibel geb. 5 Mark, steif geb. 6 Mark
„The Times“, London: „Thomas Kerkhoven“ belongs almost to the rank of classics like „Tom Jones“ or „David Copperfield“ or „Pendennis“.
Rudolf Herzog in den „Neuesten Nachrichten“, Berlin: Sicher ist, daß dieses Werk den besten Büchern beizuzählen ist, die in den letzten Jahren erschienen sind.
Wilhelm Hegeler im „Litterarischen Echo“, Berlin: Auf jeder Seite ist das Buch voll sprühender Lebendigkeit, von müheloser Anschaulichkeit, amüsant und glänzend von Anfang bis zu Ende.
„Münchener Neueste Nachrichten“: Es wird seinen Weg machen; denn es ist wert, den besten Dichtungen unserer Zeit an die Seite gestellt zu werden.
„Berner Bund“: Ganz „verflixt gut geschrieben“ ist es, mit einer geradezu bewunderungswürdigen Sicherheit in der Technik.
Druck von Hesse & Becker in Leipzig
Anmerkungen zur Transkription
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End of the Project Gutenberg EBook of Wie wir einst so glücklich waren!, by Wilhelm Speyer *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WIE WIR EINST SO GLÜCKLICH WAREN! *** ***** This file should be named 59186-h.htm or 59186-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/5/9/1/8/59186/ Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This file was produced from images generously made available by The Internet Archive. Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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