Project Gutenberg's Der Deutsche Lausbub in Amerika (2/3), by Erwin Rosen

This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
www.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll have
to check the laws of the country where you are located before using this ebook.

Title: Der Deutsche Lausbub in Amerika (2/3)
       Erinnerungen und Eindrücke Zweiter Teil

Author: Erwin Rosen

Release Date: April 6, 2019 [EBook #59218]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER DEUTSCHE LAUSBUB IN AMERIKA, VOL 2 ***




Produced by Norbert H. Langkau, Matthias Grammel and the
Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net






[S. v]

Logo_001


[S. vi]

Memoiren
Bibliothek

IV. Serie
Siebter Band


Der Deutsche Lausbub
in Amerika

mark_001  2ter Teil  mark_001

von

Erwin Rosen

mark_002


[S. vii]

Der
Deutsche Lausbub
in Amerika

Erinnerungen
und Eindrücke
von Erwin Rosen

Zweiter Teil

Dritte Auflage

Verlag — Robert Lutz — Stuttgart


[S. viii]

Alle Rechte vorbehalten.

Druck von A. Bonz’ Erben in Stuttgart.


Copyright 1912
by Robert Lutz, Stuttgart.

[S. 9]

Inhalt

  Seite
Bei der amerikanischen Zeitung.

Bob bei den Münchner Neuesten Nachrichten. — Die armen Teufel von deutschen Journalisten. — Ein Münchner Zeitungspalast. — Im amerikanischen Reporterzimmer. — Wie das Zeitungsbaby sein Handwerk erlernte. — Das Geheimnis der Presse. — Im Presidio. — Ich lerne telegraphieren. — Die Sprache des Kupferdrahts. — Telegraphisches Lachen. — Vom großen Lebenswert.

21

Reporterdienst.

Was der Amerikaner von seiner Zeitung verlangt. — Der scoop. — Der verunglückte Dampfer Hongkong. — Die Männer der schnellen Entschlüsse. — Wie ein Reporterstück inszeniert wird. — Auf der Jagd nach der Sensation. — Im Maschinenraum. — Wie ich die Kunst des Zuhörens ausübte. — Der Dämon im Stahl. — Zeitungskönig Hearst. — Eine Anekdote von der gelben Gefahr des Kaisers und der Hearstschen Gelben Presse. — Ein schwarzer Tag.

38

Das Kommen des Krieges.

Vorgeschichte des spanisch-amerikanischen Krieges. — Die Guerillakämpfe zwischen Spaniern und kubanischen Insurgenten. — Die Glückssoldaten der Virginia. — Gespannte Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien. — Grausamkeiten. — Die kubanische Junta in New-York. — Der Untergang der Maine. — Der Racheschrei. — Kriegserklärung. — Meine große Idee! — Die große Idee funktioniert nicht! — Aber ich muß unbedingt nach Kuba.

56

Der Lausbub wird Soldat.
[S. 10]

Die verbogene Lebenslinie. — Ein schneller Entschluß. — Beim Oberleutnant Green vom Signaldienst. — Ich werde angeworben! — Abschied von Allan McGrady. — B Company des 1. Infanterieregiments. — Korporal Jameson. — Wiggelwaggeln. — Der sprechende Sonnenspiegel. — »Ich gehe nach Kuba!«

66

Das Sternenbanner auf dem Wege nach Kuba.

Der Krieg des Leichtsinns. — Aus Leutnants werden Majore. — Eine kleine Vergeßlichkeit. — Segenswünsche und Vorschußlorbeer. — Von lieben diebischen Mägdelein. — Die Armee in Hemdärmeln. — Das militärische Telegraphenbureau in Tampa. — Die spanische Gespensterflotte. — Admiral Cervera in der Falle von Santiago de Cuba. — Die Depeschenhölle. — Roosevelts Rauhe Reiter ohne Gäule! — Auf dem Meer. — Eine schwäbische Ueberraschung. — Von redenden Tuchfetzen und sprechenden Wolken. — Nachtalarm. — Beginn des Bombardements von Baiquiri.

77

Auf kubanischem Boden.

Die Küste wird bombardiert. — Theodore Roosevelt und seine Zahnbürste. — Die Landung. — Ein Tag ungeduldigen Fluchens. — Die Arbeit beginnt. — Tropenregen. — Meine Hängematte. — Nachtruhe à deux. — Hunger und Arbeit — aber ach, was waren das für schöne Zeiten! — Der Major stiehlt einen Karren. — Telegraphenbau-Arbeit. — Palmen und Kletterei. — Bei den toten rauhen Reitern von La Quasina. — Im Insurgentenlager. — Der Mangobauch. — Der Jesus-Christus-General.

94

Beim Jesus-Christus-General.
[S. 11]

Das Hauptquartier in der Vorpostenlinie. — General Shafter, Höchstkommandierender. — Die Trumpfkarte im Spiel. — Proviant her! — Ein sogenannter Spaziergang. — Die spanische Verteidigungslinie. — Die Nacht vor der Schlacht. — Das Telegramm nach Washington. — Die Regimenter ziehen dem Feind entgegen.

121

Die Schlacht vom San Juan Hügel.

Der Morgen vor der Schlacht. — Ein Schattenspiel im Nebel. — Die Schlacht beginnt. — Wir legen die Linie nach der Front. — Meine erste Granate. — Wie ich das Gruseln lernte. — Wie andere das Gruseln lernten. — Auf dem Weg zur Feuerlinie. — Die Furt. — Die Panik des 71. Regiments. — In der Feuerlinie am Waldrand. — Wir schießen mit. — Die Schützengräben im San Juan Hügel. — Der Gnadenschuß. — Der Angriff ohne Befehl. — Der San Juan Hügel wird im Sturm genommen. — Zusammenhänge der Schlacht. — Bei den spanischen Gefangenen. — Rum und Zigaretten. — Am Lagerfeuer. — Sie begraben die Toten.

136

Der Tag nach der Schlacht.

Am Lagerfeuer. — Vom Arbeiten in den Schützengräben. — Nächtlicher Tropenregen. — Auf dem Weg zur Front. — Die spanischen Scharfschützen. — Der stille Wald. — Verwesungsgeruch. — Das Tal der Toten. — Der Kopf. — Bloßgelegte Gräber. — Das Kommen des Grauens. — Das Leichenfeld. — Im Hauptquartier des linken Flügels. — Die Schützengräben auf dem Hügel. — Heftiges Gewehrfeuer in der Sternennacht. — Mein Maultierritt. — Vom Feuerschein beim Feind und dem Rätsel der Nachtattacke

169

Der Untergang der spanischen Flotte.
[S. 12]

Jubel in den Schützengräben. — Der Hafen von Santiago de Cuba. — Das Felsentor. — Castillo del Morro. — Das Warten, das Lauern! — Die Heldentat des Leutnants Hobson. — Durchbruch des spanischen Geschwaders. — Die Seeschlacht. — Die Hölle der fünfunddreißig Minuten. — Eine kleine Yacht schießt zwei Zerstörer in den Grund. — Eine Merkwürdigkeit in der Geschichte des Seekriegs. — Der Mann im Kommandoturm und der Mann hinter der Kanone. — Was von der Gespensterflotte übrig blieb.

193

In den Schützengräben.

Von Siegesberichten und Sorgen. — Ein Murren geht durch die Schützengräben. — Die Meinung des alten Sergeanten. — Ungeduld! — Der Humor der Front. — Krankheit und Schwäche. — Die berühmten kubanischen Leibschmerzen. — Fieber und Ruhr. — Stimmungen und Verstimmungen. — Ein Freudentag. — Freund Billy aus Wanderzeit und Eisenbahnfahrt. — Zwei Gefechtstage. — Wie ich ein Held sein wollte. — Der Friedensbaum. — Die Kapitulation von Santiago de Cuba.

207

Nach Santiago de Cuba.

Das Hauptquartier wird energisch. — Die Enttäuschung der Männer in den Schützengräben. — Die verbotene Stadt. — Wir werden nach Santiago beordert. — Das Legen der Linie. — In den spanischen Schützengräben. — Ein Tauschgeschäft mit den hungrigen Spaniern. — In der Stadt. — Die toten Gäßchen. — Von Licht und Schatten. — Das Hauptquartier des Siegers.

226

Im Kabelbureau.
[S. 13]

Der spanische Telegraphendirektor. — Unter Dach und Fach. — Wir requirieren Wäsche. — Der wundersame Patio. — Das große Baden. — Der brauchbare Antonio. — Wir rüsten ein Mahl. — »Caballeros telegraphistas!« — »Oh, der verdammte Speck!« — »Man muß ein Loch in die Uhr schießen!« — Das Feuerrad. — Im Dunkel.

239

Auf der Insel des gelben Fiebers.

»Ich bin gar nicht tot.« — Im Hafenhospital von Santiago. — Die gelbe Flagge im Boot. — Die Schmerzen im Leib. — Der sterbende Trompeter. — Warum ich den Neger erschießen wollte. — Schlafen, nur schlafen! — Das Dunkel zwischen Tod und Leben. — Dr. Gonzales. — Ich bin Sergeant geworden. — Das Haus des Elends. — Krankenpfleger und Totengräber. — Wie der Rauhe Reiter Himmelsblumen pflückte. — Eine nächtliche Schreckensszene. — Der Insel der Verdammten wird Hilfe. — Die Krankenschwestern.

255

In der Zeltstadt von Montauk Point.

Die Friedensbotschaft. — Ein brutaler Krieg. — Die böse Lage der amerikanischen Invasionsarmee. — Auf den General folgt der kaufmännische Organisator. — Wie die Zeltstadt von Montauk Point erstand. — Mein letzter Tag in Santiago de Cuba. — Im Gesundheitslager. — Die Komplimente des Trusts. — Wie mir ein Vermögen entging. — Die New Yorker Invasion. — Von begeisterten ladies. — Das Sicherheitsventil. — Wie Leutnant Hobson in der Welle der Hysterie ertrank.

287

[S. 15]

Vorwort

Ich bin der glückliche Besitzer eines kleinen Neffen, der sich bestimmt schon den Ehrentitel eines Lausbuben erobert hätte, verlebte er sein junges Leben in süddeutschen Landen. Da er das aber nicht tut und ein Hamburger Jung’ ist, so dünkt ihm der Begriff Lausbub fremd. Bald großartig und erstrebenswert, bald verächtlich und gemein. Es ist mir passiert, daß ein Haufen von Schulkindern mich achtungsvoll anstarrte, während mein Herr Neffe ihnen erklärte, das sei ein famoser Lausbubenonkel. Ich mußte es aber auch erleben, daß dieser Neffe mir bei passendem Anlaß feindselig entgegendonnerte: »Lausbub aus Amerika!« Nicht anders ist es mir ergangen mit großen Leuten. Da meinten die einen, dieser Lausbub sei etwas gar Lustiges. Die andern aber schüttelten die Köpfe: Wie kann man so geschmacklos sein und sich selber einen Lausbuben nennen!

So sei mir gestattet, ein Wörtchen dreinzureden. Wir alle kleben an der heimatlichen Scholle, seien wir nun Weltenwanderer oder niemals hinausgekommen über den Bannkreis der Vaterstadt; an jener Scholle, auf der wir als Kinder spielten. Und mir klingt es aus [S. 16] meiner Münchner Jugendzeit herüber: »Du ganz verflixter Lausbub!« »A solchener Lausbub!!« Wie lustig das tönt, weiß kein Mensch außer mir. So lustig kann es keinem sein, so viele auch gelacht haben mögen über das Wörtchen mit den verschiedenen Gesichtern. »Oh du herzig’s Lausbüble,« kost die süddeutsche Mutter. »Lausbub!« sagt der Vater, und der Ton bedeutet den Stock. Entrüstung kann in dem Wort liegen oder verblüffte Anerkennung einer besonderen Leistung jungenhaften Tobens oder ein Schelten oder eine Resignation. Auf gar keinen Fall aber ist ein Lausbub ein Musterknabe. Sondern einer, der eine tiefgewurzelte Vorliebe für dumme Streiche hat und einen dicken Schädel und rührige Ellbogen.

Lausbub! klingt es herüber aus meiner Jugend.

Und weil das Wörtchen noch ein weites Stück ins Leben hinein auch den Mann kennzeichnet, so sonderbar das klingen mag—dumme Streiche, dicken Schädel, rührige Ellbogen! — so gab es diesen Büchern ihren Titel.


An einem sonnigen Novemberabend im Jahre 1897 saß ich auf der Terrasse des Golden Gate Parks in San Franzisko, starrte aufs Meer hinaus, träumte von meiner Arbeit, wie das junge Menschen tun, denen die Arbeit noch andere Dinge ersetzt, und war stolz wie ein König als jüngster Reporter einer großen Zeitung. So unverrückbar stand es fest, das Große, das Bleibende: die Zeitung und ich — ich und die Zeitung [S. 17] — das war die Lebenslinie. Sie war es und sie blieb es. Wie krumm sie sich aber gestaltete, diese Lebenslinie, wie wackelig, wie verbogen und schief, das ist eines der humorvollsten Dinge in einem Leben reich an freiwilligem und unfreiwilligem Humor. Wenige Monate darauf war ja die Lebenslinie schon vergessen, und der überstolze Reporter steckte im blauen Rock der regulären Armee Onkel Sams. Es sollte ihm öfters noch ähnlich ergehen mit dieser Lebenslinie ...

Der Lausbub, Farmer, Apotheker, Arbeiter, Fischpökler, Professor, Reporter wurde also Soldat und machte den spanisch-amerikanischen Krieg auf Kuba mit. Was er dort erlebte und sah, schildert dieses Buch; so wie er es damals erlebte und damals sah im Zeichen junger Männlichkeit, überschäumend in der Begeisterung, ein Mann zu sein im Krieg.

Hamburg, im Sommer 1912.

Erwin Rosen. 
(Erwin Carlé).


[S. 20]

Zweiter Teil

[S. 21]

Bei der amerikanischen Zeitung.

Bob bei den Münchner Neuesten Nachrichten. — Die armen Teufel von deutschen Journalisten. — Ein Münchner Zeitungspalast. — Im amerikanischen Reporterzimmer. — Wie das Zeitungsbaby sein Handwerk erlernte. — Das Geheimnis der Presse. — Im Presidio. — Ich lerne telegraphieren. — Die Sprache des Kupferdrahts. — Telegraphisches Lachen. — Vom großen Lebenswert.

Ein Jahr mag es her sein oder zwei, als ich in meiner Vaterstadt München einen alten amerikanischen Zeitungsfreund auf der Straße traf. Wir gingen zunächst zum Frühschoppen ins Hofbräuhaus, und gegen Ende der zweiten Maß weinte Bob beinahe. Zu traurig fand er es, daß einer, dem es einmal vergönnt gewesen war, die Nase in die Welt der amerikanischen Zeitung zu stecken, sich nun für deutsche Zeitungen plagen und schinden mußte!

Er nahm die Münchner Neuesten Nachrichten vom Tisch und zerknüllte sie.

»You poor devil!« sagte er. »Du armer Teufel — du ganz armer Teufel. Euer Bier ist ein Wunder! Eure Gemütlichkeit ist prachtvoll! Eure Kunst ist grandios! Aber eure Zeitungen — großer Gott, Mann, das ist doch keine Zeitung — das ist ja ein Miniaturblättchen — damn it, das ganze Dings da, das sich eine Zeitung nennt, hat nicht einmal Raum genug für einen einzigen anständigen Prozeßbericht!«

[S. 22]

Worauf er des weiteren ausführte, daß es ihm ja an und für sich schon unverständlich sei, wie irgend jemand irgend wo anders leben könne als in God’s Country, im Lande Gottes, in den gottbegnadeten Vereinigten Staaten, denen zur absoluten Vollkommenheit nichts, aber auch nichts fehle, als das nicht weniger gottbegnadete Bier der Kunststadt München. Ein ewiges, mit sieben zolldicken Brettern vernageltes Geheimnis jedoch sei und bleibe es ihm, daß einer, dem es vergönnt gewesen sei — — usw. usw.

Ich lachte und führte ihn in das Gebäude der Münchner Neuesten Nachrichten.

Die Männer der Münchnerin sind allezeit gastfreundlich und gar liebenswürdig gegen ihre Mitarbeiter, wovon der, der dieses Buch schrieb, ein dankbar Lied zu singen weiß. Bob bekam manches zu sehen und manches zu hören. Wir plauderten mit dem Feuilletonredakteur über das Wesen des künstlerischen Feuilletons (das dem amerikanischen Journalisten ein Buch mit sieben Siegeln ist) — wir unterhielten uns mit dem Mann der inneren Politik über den Leitartikel (der den Zeitungen Amerikas etwas völlig Nebensächliches bedeutet) — wir suchten die Lokalredaktion heim, und ihr Schriftleiter benutzte natürlich die gute Gelegenheit, ein nettes Interview über die Münchner Eindrücke des amerikanischen Journalisten herauszuschinden.

»Gut!« sagte Bob draußen auf dem Korridor. »Verdammt gut! Die Leute verstehen ihr Geschäft. Sie haben ihre Arbeit lieb. Schade nur, daß den armen Teufeln so lächerlich wenig Zeilenraum zur Verfügung [S. 23] steht.« Dann blieb er kopfschüttelnd stehen. »Da sagt man immer, in Germany seien die Leute so überaus vorsichtig mit ihren Dollars!« brummte er. »Aber ich will gehängt werden, wenn’s bei uns eine einzige Zeitung gibt, die ihre Leute auch nur annähernd so luxuriös beherbergt wie das Blättchen da! It’s remarkable!«

Immer erstaunter wurde sein Kopfschütteln, je mehr der Räume der Redaktion er sah. Da waren Möbel, deren jedes Stück ein großer Künstler entworfen hatte, und Wunder von künstlerischen Schreibtischen und Beleuchtungskörper aus Bronze und kostbare Klubsessel und zauberhafte Tapeten und Perserteppiche und Jugendoriginale an den Wänden, und von der Hast und der Hetze des Zeitungslebens war äußerlich aber auch gar nichts zu sehen. Leise nur wie ein Summen drang das Dröhnen und Stampfen der riesigen Rotationsmaschinen aus dem betonumpanzerten Erdgeschoß. Dann plauderten wir wieder mit anderen Männern, und Bob sah, daß der Zeitungsgeist ein Weltgeist ist und die Zeitungsarbeit überall die gleiche, gewaltige, gigantische trotz aller Unterschiede der Art und des Formats. Er gluckste vor Wonne, als wir hinübergingen in das Reich der »Jugend« und Saal auf Saal der wundervollsten Kunstdruckmaschinen durchschritten, der vielen Dutzende stählerner Bilderzauberer, die noch viel wunderbarer sind als das größte Rotationsungetüm.

»Gut — gut — verdammt gut!« sagte Bob. »Aber wenn ich mich nicht sehr irre, so habt ihr doch eins nicht: Unseren amerikanischen Reporter ...«

Da lachte ich und gab keine Antwort.

[S. 24]

Denn meine Zeiten amerikanischen Reportertums sind mir wie ein liebes Märchen erster Jugendliebe, und ein gar verknöcherter Kritikus muß der sein, der Zeiten erster Liebe kritisch urteilend betrachtet. Ich glaube nicht, daß wir in der deutschen Zeitungswelt gerade amerikanische Reporterart haben. Ich weiß nicht einmal, ob es wünschenswert wäre, hätten wir sie. Ich weiß nur, daß mein eigenes Erleben als zwanzigjähriger Lausbub im amerikanischen Zeitungsdienst mir eines der Jugendmärchen bedeutet, von denen man zehrt in den Tagen der Reife.


Äußerlich war nichts Märchenhaftes daran.

Der Tag eines Reporters beim San Francisco Examiner begann mit Arbeit, war ausgefüllt mit Arbeit, endete mit Arbeit, und des Nachts träumte man von der Arbeit.

Als ich zum erstenmal meinen Platz an einem Ecktisch im Reporterzimmer einnahm, kam ich mir so unendlich hilflos, so geistesarm, so über alle Maßen unfähig vor, daß ich am liebsten wieder davongelaufen wäre. Ich starrte auf das weiße Papier, das vor mir lag, betrachtete das Tintenfaß, sah mißtrauisch auf die Schreibmaschine auf dem kleinen Tischchen neben mir und wunderte mich, was in Dreikuckucksnamen ich nun eigentlich anfangen sollte. Zwölf Männern, dem gesamten Reporterstab der Zeitung, war ich hintereinander vorgestellt worden, und ein jeder hatte gelächelt und [S. 25] ein jeder irgend etwas Liebenswürdiges gesagt, um sich dann in keiner Weise mehr um meine gräßlich verlegene Wenigkeit zu bekümmern. So saß ich da, mit dem krampfhaften Gefühl, daß es die Aufgabe eines Reporters war, irgend etwas zu schreiben. Aber was, zum Teufel?

Ueberall um mich klapperten Schreibmaschinen. Die Türe wurde fortwährend aufgerissen, und Leute kamen herein und gingen hinaus. Meine neuen Kollegen schwatzten und lachten — mitten in ihrer Arbeit. Wie es möglich sein konnte, in diesem Höllenlärm einen vernünftigen Gedanken zu Papier zu bringen, war mir vorläufig ein Rätsel.

Es roch nach frischer Druckerschwärze. Papier bedeckte knöcheltief den Boden, allerlei Papier, handbeschrieben, maschinenbeschrieben, bedruckt. Die Wände entlang standen zerschnitzelte und tintenbeschmierte Pulte und kleine Tischchen, auf denen blanke Schreibmaschinen thronten. Die eine Schmalseite des Zimmers nahm der Bücherständer ein mit seinen unzähligen Nachschlagewerken. Eine Notiz in roter Tinte besagte, daß der Sünder, der dabei ertappt würde, ein Buch nicht an seinen richtigen Platz zurückzustellen, zu Pön und Strafe jedem Anwesenden ein Glas Bier zu stiften habe. Da waren Telephone an den Wänden und der elektrische Meldeapparat der Feuerwehr und das Spezialtelephon zum Polizeihauptquartier und eine Karte von San Franzisko und ein Tisch stand in der Zimmermitte, fußhoch mit den neuesten Zeitungen bedeckt. Ueberall glitzerten elektrische Glühbirnen, denn der Raum war [S. 26] zu groß, als daß das einzige Fenster selbst am hellsten Sonnentag ihn hätte erleuchten können. Die geweißten Wände waren dicht bekritzelt. Gegenüber der Eingangstüre stand in großen Lettern:

»Fremdling, der du hier eintrittst, mach schleunigst, daß du wieder hinauskommst, denn unsere Zeit brauchen wir selber!«

Und darunter deutete eine roh hingezeichnete Hand auf den großen Schreibtisch in der Ecke beim Fenster:

»Allan McGrady, Lokalredakteur, Oberbonze, Hohepriester! Achtung, der Kerl beißt!!«

Und mit einemmal waren alle die Männer verschwunden und der Raum leer. Nur der Mann, der biß, war noch da. Er sah von seiner Arbeit auf und rief mich beim Namen.

»Mr. McGrady?«

Allan McGradys scharfe Augen blinzelten vergnügt über die Ränder der goldenen Brille hinweg. Ein Lächeln huschte über das scharfgeschnittene, glattrasierte Gesicht. »Sagen Sie lieber gleich Mac zu mir, mein Sohn,« meinte er grinsend, »denn in ein paar Tagen tun Sie es doch. Hier hat jeder seinen Spitznamen, und ich werde wohl Mac genannt werden bis zu meinem seligen Ende. Ihren Spitznamen kann ich Ihnen übrigens prophezeien: als jüngster Reporter sind Sie und bleiben Sie das baby bis Einer kommt, der noch jünger und noch dümmer ist wie Sie!«

Ich muß ein sehr verblüfftes Gesicht gemacht haben —

»Wenn ich sage dumm, so meine ich das natürlich [S. 27] nur im Reportersinn, und hoffentlich werden Sie auch in diesem Sinne in etlichen Monaten nicht mehr dumm sein. Und nun will ich Sie ein bißchen orientieren, mein Sohn. Hier gibt’s keine Herren und keine Knechte. Wir sind alle zusammen Arbeiter im Dienste der Zeitung, und in unserem Leben darf und kann es nichts Wichtigeres geben als die Zeitung. Sie ist es, die uns vereint. Wir sind eine große Familie. Wir teilen unsere Zigarren und unseren Whisky, manchmal sogar unser Geld — nun, Sie werden das sehr bald herausbekommen. Wir sind alle Blutsbrüder. Wenn Sie etwas nicht wissen, fragen Sie Ihren Nachbar. Wenn Sie etwas bedrückt, kommen Sie zu mir ... Halten Sie vor allem den Kopf hoch und lassen Sie sich nicht verblüffen! Sie werden ganz von selber sehen und hören und lernen — und weder ich noch irgend jemand kann Ihnen da viel helfen. Der Journalist muß einem im Blut stecken, und wer’s nicht in sich hat, wird’s nie! Und nun —«

Er teilte mir meine erste Arbeit beim Examiner zu.


Um neun Uhr morgens versammelte sich die Reporterschar im Reporterzimmer, während Mac schon eine Viertelstunde vorher sich an seinem Schreibtisch eingefunden hatte. Eine selbstverständliche Voraussetzung war natürlich, daß jeder der »Herren des Stabes« nicht nur das eigene Blatt, sondern auch die anderen Morgenzeitungen San Franziskos beim Frühstück gründlich [S. 28] gelesen hatte. Diese morgendliche Konferenz hatte immer eine lustige und eine etwas weniger lustige Seite. Man lachte und plauderte und spielte allerlei Schabernack, Mac so gut wie wir alle, bis er auf einmal zu Mr. Allan McGrady wurde und seine berühmte Geste der Ernsthaftigkeit annahm. Er pflegte dann die Hände in die Hosentaschen zu stecken.

Kurz, scharf, sacksiedegrob war seine Rede —

»Baby!« (Das war ich!) »der >Call< (das war eine Morgenzeitung San Franziskos) hat Ihre Geschichte über den Mann, der total betrunken im Citygefängnis eingeliefert wurde und in dessen Taschen man 15 000 Dollars fand, ebenfalls gebracht. Das ist traurig und von Ihnen unrecht. Wenn Ihnen ein Polizeisergeant — welcher war es?«

»McBride.«

»Aha — McBride. Wenn Ihnen McBride guten Stoff erzählt, so sorgen Sie gefälligst dafür, daß er von da ab seinen Mund hält und vor allem den Call-Leuten gegenüber nichts ausplaudert. Wie Sie das machen, ist mir egal!«

»Aber Mac, Sie haben neulich doch geschimpft wie unsinnig, als ich dem andern Sergeanten fünf Dollars gab, damit — — «

»Ganz richtig, mein Sohn! Das macht man auch nicht mit Geld, denn Geld ist rar, sondern mit Liebenswürdigkeit und Schlauheit. Mann, strengen Sie ihren Witz an! Bin ich vielleicht eine Amme und in alle Ewigkeit verdammt, Sie an dem Quell der simpelsten Weisheit lutschen zu lassen?«

[S. 29]

Ich war tief beschämt.

»Na, die Sache ist übrigens bei uns besser als im Call. Johnny (das war Chefredakteur Lascelles) läßt Ihnen sagen, die Geschichte sei fidel und nicht übel ...«

Das war McGradys Art der Anerkennung.

So wurde allmorgendlich Spalte für Spalte der Arbeit des vorhergehenden Tages durchbesprochen und einem immer wieder eingehämmert, daß es für den, der im Reporterzimmer hausen wollte, nichts auf der Welt gab und geben durfte als ein einziges Interesse und eine einzige Liebe: Die Zeitung und die Interessen der Zeitung. Erstens die Zeitung und zweitens die Zeitung und drittens überhaupt nichts als die Zeitung!

Der Lausbub fühlte sich in der Luft des Reporterzimmers bald so wohl wie ein Fisch im Wasser. Weil er jung war und einen Schuß Enthusiasmus im Blut hatte, schien ihm das, was in Wirklichkeit ernstes und hartes Schaffen war, ein lustiges, kinderleichtes Spiel. Immer neu und eigenartig. Immer lockend. Immer aufregend. Holtergepolter ging’s mit der Arbeit den ganzen Tag hindurch bis spät in die Nacht hinein. Das Zimmerchen in der Donnellystreet bei Madame Legrange sah mich nur zum Schlafen. Im Eifer merkte ich gar nicht, daß ich ein »hart gerittener Gaul« war und beim Examiner in einem einzigen Tag mehr lernen mußte, als das anspruchsvollste Professorenkollegium eines Gymnasiums in einem ganzen Wochenpensum verlangt hätte ...

Denn der gute Wille und das bißchen Talent taten’s noch lange nicht. Eine ungeheure Menge von [S. 30] Material mußte ich verdauen und einen Wust faktischen Wissens mir aneignen, vor dem ich entsetzt zurückgefahren wäre, hätte ich auch nur eine Ahnung gehabt, daß ich ja gar nicht spielte, sondern »büffelte«. Aber die Zeitung hatte ihre eigene Art, zu lehren und lernen zu lassen. Sie appellierte an Ehrgeiz und Ehrgefühl und Kraft, indem sie Vertrauen schenkte. McGrady ließ es mich nie fühlen, daß ich Anfänger und Lehrling war, und seine leitende Hand führte weiche Zügel. Vom ersten Tag an bekam ich wie alle anderen meine Aufgaben zugeteilt und arbeitete in allen Abteilungen des Nachrichtendienstes. Ich wurde aufs Polizeihauptquartier geschickt und zu den einzelnen Polizeisergeanten, assistierte bei der Berichterstattung in großen Kriminalfällen, wurde bei den lokalen politischen Größen eingeführt und im Hafendienst verwendet. Ein lächelnd gegebener Rat, wie von Gleichstehendem zu Gleichstehendem, als wortkarge Selbstverständlichkeit hingeworfen, eine lustige Derbheit, die niemals etwas Verletzendes hatte, ein Wort hier, ein Wink dort, die stete Fühlung vor allem mit Männern, die ihre Arbeit kannten und liebten und gute Kameraden waren, wie ich sie im Leben selten gefunden, zeigten mir bald die richtigen Wege.

Das Problem war einfach genug. Wer Nachrichten einholen wollte, durfte sich nicht auf Auge und Ohr verlassen, sondern mußte sehr genau wissen, wer die Männer waren, die Nachrichten geben konnten, und was die Nachrichten selbst bedeuteten.

»Die Hauptsache müssen wir immer schon wissen, [S. 31] ehe wir zu fragen beginnen,« pflegte McGrady trocken zu sagen.

Das war das Grundprinzip und leicht zu begreifen. Wenn ich zum erstenmal zu einem hohen Beamten der Stadt geschickt wurde, um eine wichtige Auskunft einzuholen, so mußte ich wissen, wer der Mann war, was er geleistet hatte, welche Tragweite die Angelegenheit in Frage hatte. Das Wissen lieferte die Zeitung selbst. Man drückte auf einen elektrischen Knopf, und einer der Pagen erschien. Der bekam einen Zettel. Auf diesen Zettel hatte man zum Beispiel geschrieben: John McAllister, Schatzmeister San Franziskos. Neubau der Wasserwerke. In wenigen Minuten kam der Page zurück, mit zwei blauen Aktenmappen, numeriert und überschrieben: Schatzmeister McAllister — Wasserwerke. Ihr Inhalt waren die Ausschnitte aus dem Examiner aus allen Nummern, in denen Artikel oder Notizen über McAllister und die Wasserwerke gebracht worden waren. Die überflog man und wußte nun über den Mann und die Sache, was zu wissen war. Ein Hilfsmittel von unschätzbarem Wert war diese ausgezeichnete Registratur, ein wahres Tischlein-deck-dich für den Zeitungsmann. Ein Redaktionssekretär hatte tagaus tagein nichts zu tun, als jede Zeitungsausgabe in ihren einzelnen Artikeln und Notizen zu klassifizieren, zu registrieren, und die Akten in musterhafter Ordnung zu halten. Nichts fehlte, von der großen Politik bis zu einer Statistik aller Großfeuer. So wurde jede einzelne Arbeitsaufgabe zu einer Quelle des Wissens. Man lernte jeden Tag, jede Stunde im Tag.

[S. 32]

Die vielen Menschen, mit denen ich zusammenkam, und die vielen Dinge, mit denen ich mich beschäftigen mußte, waren wie immer neu vorbeihuschende, farbenbunte, lebenspackende Bilder. Die Zeitung wurde zum Götzen; das Reporterzimmer zum Heim, in dem man oft aß, immer sein Glas Bier trank, wo man sich wohl fühlte wie nirgends. Ich würde jeden ausgelacht haben damals, der mir gesagt hätte, daß ich Zeitungsleben und Zeitungsarbeit auch nur auf eine kurze Spanne Zeit freiwillig aufgeben könnte. Und tat es bald darauf doch ... Es gibt noch stärkere Reize. Aber sie sind selten. Wenige Arten tätigen Schaffens wohl vermögen einen Menschen so mit Leib und Seele einzufangen wie der Zeitungsdienst. Ein Wirbel tollen Lebens war es, in dem ich stand. Wenn man arbeitete, hatte man die Wirklichkeit unter den Fingern; die Menschen, wie sie lebten, und die Dinge, wie sie sich zutrugen; immer neue Menschen und immer andere Dinge. Das Schauen und Erleben, das andere Männer der Arbeit in kargen Freistunden suchen mußten, gab die Zeitung im Dienst.

Das war das Geheimnis des San Francisco Examiners, und es ist und bleibt das Geheimnis der Presse — aller großen Zeitungen aller Länder und Sprachen. Die Zeitung bannt die Männer, die ihr dienen, in einen Zauberkreis. Sie verlangt Unerhörtes an Arbeitskraft und Hingebung, aber Unerhörtes gibt sie auch. Sie schenkt ihren Männern brausendes Leben und gewaltige Macht. Das flüchtig hingeschriebene Wort eines Zeitungsmannes spricht zu Hunderttausenden. Es vermag [S. 33] hunderttausend Meinungen zu beeinflussen, vermag Großes in Gutem und Bösem. Wem ihre Spalten offenstehen, der ist Führer und Lenker und Erzieher von Tausenden, ohne daß diese Tausende auch nur seinen Namen kennen —

»Wir sind Männer ohne Namen,« sagte Allan McGrady einmal lächelnd in einer abendlichen Plauderstunde. »In jedem von uns steckt ein Stückchen romantischen Narrentums. Wer kennt uns? Einige Verleger, einige Redakteure, einige Freunde vom Bau. Die große Masse, zu der wir sprechen, kennt uns nicht. Ob ich unter einen Artikel Allan McGrady schreibe oder Hans Jakob Ypsilon, ist ganz gleichgültig — von tausend Lesern sieht kaum einer nach dem Namen. Wir könnten ebensogut Nummern tragen. Die Zeitung verschluckt uns mit Haut und Haaren und Persönlichkeit.« Er lachte. »Und das bißchen Geld? Du lieber Gott, der Mann im Wolkenkratzer da drüben, der altes Eisen billig kauft und teuer verkauft, verdient zehnmal mehr als wir alle zusammen. Und wenn wir einmal alt werden und nicht mehr können, dann wirft man uns aus dem Zeitungstempel und setzt uns auf die Straße. Deswegen sind wir im Grunde alle Narren, liebe Kinder. Ich bin ein Narr, und du bist ein Narr, Jack Ferguson, und du bist auch ein Narr, baby

»Würdest du deine Arbeit an der Zeitung aufgeben, Mac, wenn du eine Million erbtest?« fragte grinsend Jack Ferguson, der älteste Reporter.

»Nein, natürlich nicht!«

»Siehst du!«

[S. 34]

»Well, das ist eben das Narrentum!« brummte Allan McGrady.

»Oh nein,« sagte Jack Ferguson fast feierlich. »Es ist mehr. Es ist das kuriose Etwas, das den Soldaten vorwärtstreibt. Es ist jenes sonderbare Etwas, das hoch über Geld und Geldeswert steht — — —«

»Schrumm, schrumm,« sagte Allan McGrady. »Prosit Kinder!«

Das kuriose Etwas war die Begeisterung. In ihr wurde die Arbeit zum Spiel. Zum Sport. Man tat eigentlich nichts anderes den ganzen lieben Tag, als nach Arbeit zu suchen und sich der Arbeit zu freuen. Unser Vergnügen sogar hing sicherlich irgendwie mit der Zeitung zusammen. Wenn man im Reporterzimmer plauderte, unterhielt man sich über die neueste Wendung in den politischen Verhältnissen oder über den letzten Kriminalfall oder den schwebenden, noch nicht ganz aufgedeckten Spitzbubenstreich der Stadtväter San Franziskos. Es war einem eben zur Manie geworden, sich nur für das zu interessieren, was die Zeitung interessierte.


Zu all der Arbeit in den Babyzeiten kam noch besonderes technisches Lernen, das in sonderbarer Zufälligkeit meine nächste Zukunft stark beeinflussen sollte. Ich lernte telegraphieren. Die Examinerleute hatten damals die Marotte, die Sprache des Kupferdrahtes gründlich zu erlernen, denn das konnte für die Zeitung sehr wichtig sein. Unser Lehrmeister war ein liebenswürdiger [S. 35] amerikanischer Offizier, Oberleutnant Green, der Chef des militärischen Signaldienstes im Departement von Kalifornien. Drei, viermal in der Woche fuhren wir zum Presidio, dem Fort beim Goldenen Tor, und arbeiteten dort im Signalbureau, bald mit dem Leutnant selbst, bald mit Mr. Hastings, einem alten Signalkorpssergeanten.

Nach den ersten Lektionen schon fesselten mich die Geheimnisse der Teufelei elektrischen Stromes gewaltig. Der Mechanismus der Instrumente war zwar sehr einfach. Die Wechselwirkung zwischen Taster, Strom und Magnet hatte nichts besonders Wunderbares. Das mühselige Formen von Buchstaben durch Punkte und Striche schien zuerst sogar langweilig. Aber sobald ich eine gewisse Fertigkeit erreicht hatte, übte das Telegrapheninstrument eine ganz merkwürdige Lockung auf mich aus. Denn nun wurde aus den toten Punkten und Strichen lebendige Sprache.

Im Gegensatz zu der in Europa üblichen Art des Telegrammlesens vom Papierstreifen oder durch Druckmaschine liest der amerikanische Telegraphist fast nur durch Gehör. Das Klicken des Magneten spricht zu ihm. Er schreibt das Gehörte nieder wie nach Diktat. Er erreicht dabei eine Geschwindigkeit von durchschnittlich 30 Worten in der Minute, die sich bei Benutzung der Schreibmaschine auf vierzig, ja sogar fünfzig Worte steigern läßt. Mein Ohr gewöhnte sich sehr rasch an die Sprache des Telegraphen. Was zuerst ein mühsames Zählen der Punkte und Striche gewesen war, um die einzelnen Buchstaben herauszuhören, wurde [S. 36] bald zum Begeistertsein über eine neue, klare, deutliche Schrift. Ich hörte, wie ein Telegraphist das lernen muß, nicht mehr die einzelnen Buchstaben, sondern deutlich erklang das ganze Wort. Es war genau so wie Lesen lernen. Zuerst mußte man sich um den Buchstaben mühen, um dann später eine ganze Zeile in einem einzigen Bild in sich aufzunehmen. Ein kleines Beispiel:

Wenn ein Telegraphist mit einem andern sich über den Draht hinweg unterhält und lachen will, dann klickt er: ha — ha — ha. Im Morsealphabet sieht das so aus —

.... .—ha .... .—ha.

Auf dem Papier sind die vier Punkte des h und der Punkt, Strich des a etwas Totes und Nichtssagendes. Sobald wir sie aber im Instrument erblicken, werden sie lebendig, sind charakteristisch, lösen sofort das antwortende Gelächter aus.

Das Telegraphieren war ein famoses neues Spiel. Der empfindliche Magnet reagierte so blitzschnell auf jeden Fingerdruck, daß sich die anscheinend so komplizierten Morsebuchstaben schneller formen ließen als auf dem Papier mit Tinte und Feder. Der Name Erwin in Telegraphenschrift sieht sehr verzwickt aus:

. Pause. .. Pause.— — Pause.. Pause —. Wortpause

Telegraphieren läßt er sich in drei Sekunden!!

Nach drei Wochen bereits erwies mir der alte Sergeant Hastings das Kompliment, mir lachend zu sagen, daß ich mich jetzt schon bald um eine Anstellung bei der Western Union (das war die große amerikanische [S. 37] Telegraphen-Kompagnie) bewerben könne. So vergnügt war er über seinen Lehrmeister-Erfolg, daß er mich dann in die unterirdischen Kasematten des Küstenforts führte.

»Aber ’s ist strikt privatim!« mahnte er.

So sah ich den berühmten Minentisch der Küstenverteidigung San Franziskos. Es war eine camera obscura. Auf eine ungeheure, in winzige Quadrate eingeteilte Tischplatte in der Kasemattenkammer reflektierten die Kameraspiegel ein Stück Meer. Es sah fast unheimlich aus, wenn die Segler und die Dampfer im Spiegelbild über die schwarzen Linien der Quadrate huschten, die alle Nummern trugen. Es war unheimlich! Denn in Kriegszeiten bedeutete jedes Quadrat entweder eine Torpedomine oder ein Schußfeld, auf das mehrere Geschütze sorgfältig einvisiert waren. Glitt nun ein feindliches Schiff über Quadrat 39, so drückte der Minenoffizier auf den elektrischen Knopf Nummer 39, und das feindliche Schiff flog in die Luft, von einer Mine in Stücke gerissen oder von riesigen Sprenggranaten zerfetzt. Theoretisch. Es sah sehr schön aus.

Und dann gingen wir in die Kantine.


Das Zeitungsbaby lernte die ersten Griffe seines neuen Handwerks ... Aber weit wichtiger als all das Praktische war der große Lebenswert, den die Zeitung wie im Spiel schenkte: Die Begeisterung für die Arbeit!

[S. 38]

Reporterdienst.

Was der Amerikaner von seiner Zeitung verlangt. — Der scoop. — Der verunglückte Dampfer Hongkong. — Die Männer der schnellen Entschlüsse. — Wie ein Reporterstück inszeniert wird. — Auf der Jagd nach der Sensation. — Im Maschinenraum. — Wie ich die Kunst des Zuhörens ausübte. — Der Dämon im Stahl. — Zeitungskönig Hearst. — Eine Anekdote von der gelben Gefahr des Kaisers und der Hearstschen Gelben Presse. — Ein schwarzer Tag.

Das Leben des Amerikaners ist Hast und Hetze, nicht aus der Lebensnotwendigkeit der Jagd nach dem Dollar nur, sondern weil Hasten und Hetzen ihm von Kindesbeinen an gar nichts zu Beklagendes, sondern etwas Wunderschönes bedeuten. Hustle! ist sein Motto — rühr’ dich, rege dich, nütze die Zeit! Und hustling verlangt er auch von der Zeitung. Der Mann, dem riesige Wolkenkratzer, donnernder Straßenlärm, jagende Eile im Stadtbild eine Art Kulturbedürfnis sind, verlangt von seiner Zeitung viel Lärm und gewaltigen Spektakel, und die grellen Farben, die sein Auge im Tagesleben überall erblickt. Zwei Zoll hoch müssen die Ueberschriften sein und gepfeffert in kräftigen Worten, so wie seine eigene Ausdrucksweise es ist; übertrieben, wie er gern übertreibt, der Mann, der sein Land das Land Gottes nennt, anstatt bescheidentlich vom Vaterland zu sprechen wie andere Leute. Die Eile, den [S. 39] raschen Entschluß, das schnelle Schaffen, die in seinem persönlichen Leben rumoren, will er auch in seiner Zeitung sehen. Ihm imponiert das Bild, die Tat, die große Schilderung, das Verblüffende; weise Worte möchte er nur gelegentlich und dann mit Vorsicht genießen! Rauschendes Leben muß an seinem inneren Ohr vorbeifließen, wenn er in den weichen Polstern der Hochbahn New Yorks die Zeitung überfliegt, auf daß seine Lektüre im Einklang mit dem Taktschlag seines Tages klinge. So ist aus dem hastenden Amerikaner heraus und seiner Liebe für grelle Lichter und lauten Lärm die amerikanische Zeitung entstanden.

Ihre Dollarjagd, ihre Hetzerei, ihr Sensationsdrang.

Sieht man aber näher zu und wühlt man sich durch den marktschreierischen Wortkram der Ueberschriften und der Floskeln in den Aufsätzen, so entdeckt man erstaunt, daß hinter der brutalen Sensation eine gründliche, ehrliche, bewunderungswürdige Arbeitsleistung von ganz gewaltigen Verhältnissen steckt und zwar häufig gerade da, wo der als so leichtsinnig verschrieene Reporter gearbeitet hat. Dieser Reporter, der so gut wie die Besten die jungfrische Kraft und den Unternehmungsgeist und den Bienenfleiß des Dollarlandes repräsentiert. Er ist es, der seiner Zeitung die großen Erfolge verschaffen muß, die man in der Zeitungssprache scoops nennt. Sie allein machen Eindruck auf den modernen Amerikaner; sie allein sichern dem Blatt ein rasches Emporschnellen der Zirkulation, ein Wachsen im Ansehen.

[S. 40]

Scoop heißt wörtlich eine große Schaufel. To scoop in bedeutet einheimsen, einschaufeln, einsacken, und im übertragenen Sinne will der spöttische Zeitungsausdruck besagen: Daß man eine hochwichtige Neuigkeit ganz für sich allein, ganz zu allererst eingeheimst, eingeschaufelt hat, während die betrübte Konkurrenz wehmütig dasteht und den kahlen Boden vierundzwanzig Stunden später nach schäbigen Resten absucht. Ich erlebte einen prachtvollen scoop beim Examiner. Und half mit dabei.


Frühmorgens war es. Noch hatte die Arbeit nicht begonnen und die Reporterfamilie auf der Jagd nach den Ereignissen des Tages sich über die Stadt zerstreut, als McGradys Telephon, das von der Examinerzentrale nur dann eingeschaltet wurde, wenn es sich um eine sehr wichtige Mitteilung handelte, rasselnd erklingelte. Mac nahm den Hörer ab:

»Examiner — Nachrichtendienst.«

— — — — — — — — — —

»Jawohl — Leuchtturmwärter — Station Goldenes Tor — ja — wie heißt der Dampfer — die Hongkong? — jawohl! Anscheinend verunglückt, jawohl Wird von einem Trampdampfer eingeschleppt?«

— — — — — —

Pause, lange Pause. Wir alle lauschten in atemloser Spannung. Dann fragte Mac weiter:

»Der Dampfer ist nur durch ein gutes Fernrohr sichtbar, sagen Sie?«

— — — — — — — — — —

[S. 41]

»Haben Sie die Nachricht einer anderen Zeitung gegeben? — Nein? — Schön. Erstatten Sie nur die Ihnen dienstlich vorgeschriebenen Meldungen an die Behörden und benachrichtigen Sie keine andere Zeitung. Ja? Danke. Sie erhalten von uns fünfundzwanzig Dollars. — Schluß.«

Das Telephon klingelte ab.

Allan McGrady hängte langsam und bedächtig den Hörer auf, ging zu seinem Schreibtisch, nahm sich eine Zigarette und zündete sie umständlich an, während wir schweigend dastanden. Dann wandte er sich um.

»Hayes! Telephonieren Sie doch, bitte, an die Schleppdampfergesellschaft. Wir brauchen den schnellsten Schlepper, den sie haben. Muß in einer halben Stunde unter Dampf sein. Examinerdienst, üblicher Charter für einen Tag. Nein — warten Sie. Nicht einen, sondern zwei Schlepper brauchen wir.«

»Zwei Schlepper — in einer halben Stunde!« wiederholte Hayes.

»Richtig.« Hayes ging zum Telephon und McGrady klingelte. »Ich lasse Mr. Lascelles bitten,« befahl er dem eintretenden Pagen.

Von uns sagte keiner ein Wort, denn jeder wußte, daß es sich um etwas Großes handelte; um rasches Denken, um schnelles Disponieren. Daß jede Minute und jeder gesprochene Satz kostbar waren. Der Chefredakteur kam augenblicklich. Wenn ein Redakteur den andern oder gar den Chef »bitten« ließ, anstatt sich selbst zu bemühen, so bedeutete das: Eile, Dringend, Expreß!

[S. 42]

Die beiden Herren schüttelten sich die Hände.

»Guten Morgen, Lascelles,« sagte McGrady, der nie ruhiger und kühler sprach, als wenn er sehr aufgeregt war. »Verzeihen Sie, aber wir haben hier eine Sache, die keinen Aufschub duldet.«

Lascelles nickte nur. McGrady fuhr fort:

»Der Leuchtturmwärter von der Goldenen-Tor-Station telephoniert, er habe soeben den Dampfer Hongkong der San Franzisko-China-Linie gesichtet. Der Dampfer werde von einem kleinen Honolulu-Trampdampfer eingeschleppt. Sie alle wissen, daß die Hongkong überfällig ist. Um was es sich handelt, läßt sich ja allerdings noch nicht sagen. Mr. Lascelles, ich habe zwei Schleppdampfer beordert —«

»Weshalb zwei?«

»Wir haben Eile. Ich möchte vorschlagen, daß wir die Nachmittagsausgabe zwei Stunden früher erscheinen lassen mit zwölf bis zwanzig Spalten Hongkong an erster Stelle. Ich persönlich bin dafür, alles andere Lokale hinauszuwerfen. Nur Hongkong, wichtige Politik, Börse, Vermischtes. In zwei Stunden frühestens hat der »Call« die Nachricht von den Behörden, auf jeden Fall aber nach uns. Selbst wenn es sich nur um eine Stunde oder auch eine halbe Stunde Differenz handeln sollte, so haben wir doch Vorsprung, und die Leute vom Call kommen sicher nicht auf den Gedanken, daß wir zwei Stunden früher erscheinen könnten!«

»Teufel — das können wir aber doch nicht, Mac!«

»Ich meine, es müßte eben gehen,« sagte Allan McGrady nachdenklich. »Wir lassen die Setzer und [S. 43] die Maschinenleute der Nachtschicht holen. Was Manuskript anbetrifft, so soll der zweite Schlepper die ersten Nachrichten übermitteln, sobald es nur irgendwie geht, und der Rest muß eben auch im Handumdrehen da sein — ich kann mich auf meine Leute verlassen.« (Es geschah sehr selten, daß McGrady dergleichen sagte, aber wenn es geschah, so hätten wir uns in Stücke zerreißen lassen für ihn!!)

»Die Möglichkeit des Gelingens ist da,« antwortete Lascelles rasch. »Allright, Mac. Disponieren Sie. Sie wissen, daß wir gute tausend Dollars Extraausgaben riskieren und der alte Mann uns die Hölle heiß machen wird, wenn die Sache schief geht. Verfrühte Ausgabe also. Wissen Sie was? Es ist neuneinhalb Uhr. Um zwölf Uhr, oder sagen wir halbeins, lassen wir ein Extra verteilen: Die Hongkong hilflos eingeschleppt. Eines der größten Schiffe der kalifornischen Chinalinie mit knapper Not dem Untergang entgangen. Eine Tragödie der See. Siehe ersten Bericht im Nachmittags-Examiner. Oder so ähnlich ...«

»Ausgezeichnet!« sagte Mc Grady. »Wenn wir den Anschluß erwischen, ist es eine große Sache. Meine Herren, der gesamte Stab geht auf den Schleppdampfer mit Ausnahme von Hayes. Hayes — weinen Sie nicht, Sie haben schwierige und verantwortungsvolle Arbeit genug; Sie müssen auf die Frisco-China-Linie und zu den Versicherungsgesellschaften. Orders kann ich Ihnen kaum geben, meine Herren. Ferguson als der Aelteste wird disponieren. Nur ganz allgemein: Wir wenden die natürliche Methode an. Die Ereignisse werden photographisch [S. 44] geschildert. Die Schilderung beginnt von dem Augenblick an, in dem Sie den Schleppdampfer betreten. Diesen ersten Teil soll Ferguson machen. Hetzfahrt und so weiter. Die Hongkong wird gesichtet — Beschreibung, bitte, wie der Kasten aussieht — man klettert an Bord« — (er lachte) »und wenn einer der Herren dabei ins Wasser fallen sollte, wär’ das eine schöne Sache —«

Schallendes Gelächter.

»— und wenn einer der Herren so gütig sein würde, dabei im Dienste des Examiners zu ertrinken, so wär’ das noch viel schöner vom Zeitungsstandpunkt aus!« (Das war Macs gruselige Art von Humor.)»Passagiere schildern also — sie interviewen — Kapitän, Offiziere interviewen — sehen, was los ist — sperrt sich der Kapitän, so wird ihm unter die Nase gerieben, daß der Examiner und die Öffentlichkeit sich nicht bluffen lassen — die Wahrheit kommt doch an den Tag. Los, meine Herren! Ich bitte mir aus, daß flott gearbeitet und beim Schreiben auf der Heimfahrt keine Zeit an stilistische Künsteleien verplempert wird. Das nötige Zurechtdeichseln besorgen Lascelles und ich hier auf der Redaktion. Los!«

»Einen Augenblick!« rief Lascelles. »Zeitungen mitnehmen! Ist gute Reklame. Die Passagiere werden sich freuen, nach sechzehn Tagen wieder eine Zeitung aus dem Lande Gottes zu sehen!«

Eine Minute später stürmten in Holtergepoltereile zehn Zeitungsmänner zum Hafen, und fünfundzwanzig Minuten darauf jagten in sausender Fahrt die [S. 45] Hochseeschlepper Furor und Golden Gate durch das Schiffahrtsgewimmel der inneren Bai dem Goldenen Tore zu. An den Flaggenstangen im Heck flatterten die Hausflaggen der Zeitung mit ihrer grellroten Inschrift auf weißem Grund: San Francisco Examiner. Das Fahrttempo war viel zu schnell für die innere Bai, aber der Examiner durfte bei seinen Beziehungen zur Hafenpolizei eine kleine Gesetzesübertretung schon riskieren. Die Schiffe, denen wir begegneten, wurden aufmerksam, und mehr als einmal schallten brüllende Megaphonfragen zu uns herüber, was in Dreikuckucksnamen denn eigentlich los sei. Unser Kapitän antwortete gewöhnlich: »Erkundigt euch beim nächsten Polizisten!« Oder grimmiger:

»Sind — in Eile — haben — — keine Zeit — — euch — was vorzulügen! Goodbye!!«

Alcatras Island, die winzige, mit Kanonen gespickte Felseninsel im Zentrum des Hafens, huschte vorbei; die schmale Bai wurde breiter, die Wogen gingen höher. Das Häusermeer verschwand im Dunstkreis. Die Fischerflottillen in der äußeren Bai waren bald überholt. Die nackten, felsigen Ufer schoben sich näher zusammen.

Wir dampften durch das Goldene Tor. Ferguson hatte, auf einen Decksessel hingekauert, schon längst zu schreiben begonnen. Nun sah er auf und gab uns seine Instruktionen, die auf eine genaue Verteilung der Arbeit hinausliefen. Mir wurde die Beschreibung des Maschinenraums zugeteilt, während Ferguson selbst das Interview mit dem Chefingenieur der Hongkong übernahm. [S. 46] Aber der blinde Glückszufall hatte mir, dem Jüngsten, eine lohnendere Aufgabe gegeben als ihm, dem Alterfahrenen ... In einer Viertelstunde wurden Rauchwolken sichtbar am Horizont, und bald darauf tauchte die schwarze Masse eines Riesenschiffes auf, geschleppt von einem winzigen Dampfer. Das war die fünf Tage überfällige Hongkong.


Die elektrischen Lampen glühten im Maschinenraum, aber die gewaltigen Feuerlöcher der Kessel lagen grau und leblos da und Stille herrschte. Ich kletterte mühselig von Plattform zu Plattform auf den schmalen stählernen Leitern.

»’n Morgen,« sagte unten ein alter Mann mit weißen Haaren im blauen Maschinistenkittel. Er betrachtete mich vergnügt aus blinzelnden Augen und schob bedächtig den Pfeifenstummel aus dem linken Mundwinkel in den rechten, während er mit der einen Hand die Lagerung eines sausenden Dynamos prüfend betastete und mit der andern ein frischgewaschenes Hemd näher an die Feuerung des kleinen Hilfskessels hielt. »Guten Morgen!«

»Erzählen Sie mir alles!« sagte ich.

»Zeitung?«

»Ja — Examiner.«

»Dacht’ ich mir,« grinste der Alte. »Ich bin der dritte Ingenieur dieses gesegneten Schiffes, und wie Sie sehen, beschäftige ich mich damit, ein bißchen elektrische [S. 47] Kraft zu fabrizieren und die Familienwäsche zu trocknen. Mann, hier ist nichts los! Der Laden ist zu. Wir haben das Geschäft aus Mangel an Betriebskapital aufgegeben.«

»Weiter!« bat ich geduldig.

»Weiter nichts.«

»Propellerbruch, wie ich höre, nicht wahr?«

»Propellerschaftbruch, junger Mann, fachmännisch ausgedrückt,« sagte der Alte und drehte seine trocknende Familienwäsche nach der anderen Seite. »Das heißt, daß ungefähr in der Mitte zwischen hier und Honolulu in zweitausend bis dreitausend Meter Tiefe auf dem Grunde des Meeres ein Propeller, ein drei Meter langes Stück Propellerschaft, ungefähr sechs Heckplatten mit Zubehör, dreiviertel eines Steuerruders und noch verschiedene andere belanglose Kleinigkeiten liegen, alles zusammen etwa achtzigtausend Pfund schwer und etliche hunderttausend Dollars wert. Das is’ alles!«

— — — — — —

»Wie das passiert ist?« Er spuckte kräftig auf den Boden. »Junger Mann, ich bin siebenundzwanzig Jahre lang Maschinist, und trotzdem weiß ich das ebensowenig wie Sie. Sehen Sie, ein Propellerschaft ist sozusagen ’n Luder! ’n dickes, langes Stück Stahl, das vor jeder Ausreise von einem halben Dutzend Ingenieuren und mindestens drei Behörden Zoll für Zoll abgeklopft und untersucht und begutachtet wird. Das wir während der Fahrt pflegen und hätscheln, ölen und salben, als wär’s ’n Baby. ’n Stück Stahl, das eine Krafteinwirkung [S. 48] von sechstausend Pferdekräften und Wasserwiderstände von achtzehntausend Pferdekräften auf seinem runden Buckel aushalten muß. ’n Stück Stahl, dem die Kräfte und die Widerstände hie und da — es kommt nicht häufig vor, dem lieben Gott sei Dank — zu viel werden. Dann geht’s knax, und der Teufel ist los!«

»Was passiert dann?«

»Oh, nichts von Bedeutung.« Er lachte schallend auf und schlug sich aufs Knie. »Es passiert das, was uns passiert ist. Ungefähr das, was geschieht, wenn man einer kleinen Katze plötzlich den Schwanz abschneidet — der Schwanz fällt herunter, nicht wahr, und die kleine Katze gebärdet sich ungewöhnlich lebendig und aufgeregt. Na, unser Propellerschwanz mit einigem Zubehör, das er im Vorbeigehen mitnahm, liegt — well, zwischen hier und Honolulu. Die Katze — — «

»Die Maschinen?«

»— jawohl — die Maschinen! — die Maschinen wurden aufgeregt. Das ist ungefähr so, als wenn vier Pferde aus Leibeskräften an einem schweren Sandwagen zerrten und plötzlich rissen sämtliche Stränge. Worauf die vier Gäule übereinanderpurzeln und mit den Beinen strampeln würden ... Um drei Uhr nachts ist es passiert. Ich hatte die Wache, Hand an der Drosselung. Drei Sekunden nach dem großen Krach hatte ich abgedrosselt und fünfzig Sekunden später das hintere mechanische Sicherheitsschott geschlossen. Die drei Sekunden jedoch genügten den Maschinen vollkommen, um übereinanderzupurzeln — Lagerungen verballert, [S. 49] Hochdruckzylinder verbogen, Kolben schief, als wären sie besoffen, alle Verbindungen gelockert, alle Schrauben heidi — ein Jammer, junger Mann, ein trauriger Jammer. Zum Weinen! Aber das verstehen Sie nicht — sind ja kein Maschinenmensch ...«

»Und dann?«

»Schloßen wir den Laden. Ließen Dampf ab, dichteten das Kollisionsschott, pumpten das Stück pazifischen Ozean aus, das in den Maschinenraum gedrungen war, und stützten unsere armen Maschinen mit allerlei Gebälk. Mann, sehen Sie nur hin! Der Hochdruckzylinder sieht aus wie ’n Baugerüst — pfui Deibel! Das erledigt, warteten wir auf die göttliche Vorsehung und den dreckigen Trampdampfer, der mit seinem bißchen Schleppen ein Riesenvermögen an uns verdient.«

»Darf ich den Maschinenraum ansehen?«

»Kommen Sie! Sie werden sich wundern! Er sieht ungefähr so aus wie ein Zwischendeck mit siebenhundert seekranken Chinesen am dritten Tag der Ausreise von Hongkong. To — tal ver — saut!!«

Seufzend hing er das schon beinahe getrocknete Hemd über eine blanke Kupferröhre und führte mich in das Allerinnerste der Hongkong. Ein beschwerliches Kriechen war es, schmale Gänge entlang und unter den Leibern stählerner Ungeheuer durch. Ein Gewirr von Balken stützte die einzelnen Teile der Riesenmaschinen, die der furchtbare Stoß der im Augenblick des Bruchs entfesselten widerstandslosen Kräfte völlig unbrauchbar gemacht hatte; zerbrochene, verbogene Röhren, geknicktes Gestänge, schiefe Stahlsäulen, abgesprungene [S. 50] Harteisenstücke, weißgrau an den Bruchrändern, lagen umher.

»Hübsch, nicht?« sagte der alte Mann. »Nun stellen Sie sich, bitte, vor, daß ein winzig kleiner Fehler, ein völlig unsichtbarer, unentdeckbarer Riß in einem runden Stück Stahl von zwanzig Zoll Durchmesser ausreichte, um für eine halbe Million Dollars Maschinen in drei Sekunden über den Haufen zu werfen!!«

Da beschloß der Lausbub, seinem Teil des Berichts die Überschrift zu geben: Der Dämon im Stahl!

Er fand das sehr schön!!

Während der Furor in einer Wolke von schwarzquellendem Rauch hafenwärts sauste, schrieb ich und schrieb und schrieb, denn es war ja so leicht. Hatte mir doch das Glück das Schönste und Packendste in einem großen Zeitungsereignis bescheert — den grimmigen düsteren Humor der Wirklichkeit ...

Unser scoop gelang glänzend. Mit flammenden Überschriften und sechzehn Spalten Hongkong erschien der Examiner zwei Stunden vor dem Call. In einer Gesamtzeit von sieben Stunden vom Einlaufen der Meldung bis zur Ausgabe der fertigen Zeitung war ein für die Hafenstadt unendlich interessantes Ereignis lebendig und exakt geschildert worden, in der Ausführlichkeit einer graphischen Darstellung von über dreitausend Zeilen Länge. Nichts fehlte. Das Aussehen der Hongkong — der Bericht des Kapitäns — die Schilderung der Leute des Schleppdampfers — die Szenen des Schreckens der Unglücksnacht.

[S. 51]

Es war einer der großen Tage der Zeitung gewesen.


Der Hongkongbericht war in gekürzter Form nach New York und Chicago an das New York-Journal und die Chicago-Dispatch telegraphiert worden, denn wir und jene beiden Blätter arbeiteten stets Hand in Hand. Gehörten »wir« doch einem gemeinsamen Eigentümer, dem Verleger des New York-Journal, William R. Hearst. Als wir uns am nächsten Morgen im Reporterzimmer einfanden, hielt uns Mac lachend eine Depesche entgegen. Wir lasen:

»Examiner, Frisco. — Komplimente, Mac. Gute Arbeit. Erwarte ausführlichen Bericht. — Hearst.«

Das war bezeichnend für William R. Hearst, dem nichts zu klein war im Zeitungsdienst, um sich nicht persönlich darum zu bekümmern, und nichts zu groß, sich mit seinen Zeitungen nicht daran zu wagen. Ich sah Hearst erst Jahre später. Aber im Reporterzimmer wimmelte es von Anekdoten über den »Alten«. Als Hearsts Vater, der Besitzer des New York-Journal, gestorben war und ihm die Zeitung hinterlassen hatte, wurde aus dem bedeutungslosen Jungen, der bisher nur durch modische Kleidung und grelle Kravatten aufgefallen war, mit einem Schlage ein Arbeiter. Er erklärte den redaktionellen und geschäftlichen Leitern seiner Zeitung, daß in Zukunft er der Herr sei und sonst niemand. Die wollten sich totlachen.

Dann kam das Entsetzen.

[S. 52]

Der junge Hearst gönnte sich nicht einmal die Zeit zum Essen — und anderen Leuten erst recht nicht. Zu schlafen schien er überhaupt nicht. Er war der Schrecken der Metteure. Er nächtigte im Setzersaale und schrieb bis aufs letzte — i — Pünktchen die Schriftarten vor, die die Ueberschriften der einzelnen Artikel anziehend machen sollten für Seine Majestät das Publikum.

Sein Leben gehörte seiner Zeitung. Das folgende wahre Geschichtchen illustriert seine Manier vortrefflich. Er gab ein Souper, das sich lange ausdehnte. Um drei Uhr morgens brachte ihm ein Bote die erste Kopie der Morgenausgabe des Journal, das soeben zur Presse gegangen war. Hearst sprang nach einem Blick auf die Zeitung wütend auf, ohne seinen verblüfften Gästen auch nur ein Wort der Erklärung zu geben, und rannte in die Nacht hinaus. Nach Luft schnappend, kam er im Journalgebäude an, ließ die Presse stoppen und telephonierte den Chefredakteur herbei.

Alles — weil die Überschrift des Leitartikels Hearst nicht zugkräftig genug war!

Er pflegte stundenlang der Länge nach ausgestreckt in seinem Privatkontor auf dem Teppich zu liegen, die Riesenseiten des Journal vor sich ausgebreitet, um die Wirkung der »Aufmachung« zu studieren. Den großen Eindruck brauchte er — für die große Masse. Die war sein Götze. Er gab Unsummen aus für Spezialdrähte, mietete einen Privatdraht zwischen New York und Washington, um die Kongreßdepeschen früher zu haben, gewann Generäle und Minister als Mitarbeiter. Er schlug die Zeitungen New Yorks wieder und wieder in [S. 53] der Schnelligkeit und Ausführlichkeit wichtiger Nachrichten. Der Erfolg bei der großen Masse kam fast augenblicklich. Die Auflagenziffern des New York-Journal schnellten zu verblüffender Höhe empor, und aus der einen Zeitung wurde ein Zeitungssyndikat in New York, Chicago und San Franzisko, mit Hearst als Alleinbesitzer. Damals entstand das Wort von der Gelben Presse.

Ueber seine Entstehung habe ich von amerikanischen Zeitungsfreunden folgendes Geschichtchen erzählen hören:

Als der deutsche Kaiser der gelben Gefahr sein Zeichentalent widmete und die Völker Europas warnte, ihre heiligsten Güter zu wahren, kam der Karikaturist einer Washingtoner Zeitung auf die hübsche Idee, die kaiserliche Zeichnung, die in Amerika großes Aufsehen und bei der Abneigung gegen die gelbe Rasse starken Beifall erregt hatte, polemisch zu verwerten. Er zeichnete in einem Bild einen messerschwingenden Chinesen, in einem andern Bild daneben den das Journal schwingenden Hearst, umgeben von tanzenden Teufelchen, die alle schrien: Sensation! Sensation!! Sensation!!! Das eine Bild trug die Ueberschrift: Die Gelbe Gefahr Europas! das andere: Die Gelbe Gefahr Amerikas! Die politische Welt der Vereinigten Staaten lachte und nannte den Zeitungsmann den gelben Hearst und seine Zeitungen die gelben Zeitungen. Die Gelbe Presse!

Wie nun das bissige Wortbild auch entstanden sein mag, es kennzeichnet mit seinem Vergleich mit der [S. 54] krassesten aller Farben, dem schreienden Gelb, den Hunger nach Sensation vorzüglich. Tut auch Unrecht, wie alle Schlagworte. Hearst hat starken Einfluß auf die Entwicklung der amerikanischen Presse ausgeübt und dem modernen Nachrichtendienst unvergeßliche Dienste geleistet. Und lange vor Roosevelt schon kämpfte er gegen die Trusts. Seine politische Stellung als einer der Führer der demokratischen Partei wird von Jahr zu Jahr stärker.


Nur einen einzigen Tag in jenen Monaten versäumte ich den Zeitungsdienst.

Das war an jenem Tag, als frühmorgens Madame Legrange klopfte und mir einen Brief brachte, einen Brief aus Deutschland. Ich freute mich gewaltig. Mein wortkarger Vater schrieb mir nur selten, aber zwischen den Zeilen der wenigen Briefe konnte ich lesen, daß meine jungenhafte Begeisterung im Dienste der Zeitung und mein naives Schildern des Lebens um mich ihn freuten. In knappen Worten sprach der Freund zum Freund. Nur dann und wann blitzte ein Rat, eine Warnung auf. »Du wirst vielleicht nie nach Deutschland zurückkehren, aber vergiß dein Land nicht, denn seine Art bleibt deine Art!« schrieb er mir einmal. »Du hast es sehr schwer, denn du bist niemand Verantwortung schuldig als dir selbst ...« hieß es ein andermal. Vor allem aber verblüffte mich die genaue Kenntnis der amerikanischen Verhältnisse, die aus diesen Briefen sprach; eine weit gründlichere und tiefere [S. 55] Kenntnis als die meinige, der ich doch im Lande lebte und schaffte. Das flößte mir gewaltigen Respekt ein. Wenn das deutsche Heimweh über mich kam, und das tat es manchmal, nahmen die Sehnsucht und die Träume die Form an, daß ich es mir erträumte, dem Vater einst als erfolgreicher Mann wieder gegenüberzutreten. Der Erfolgreiche dem Erfolgreichen. Der Freund dem Freund. Der Gleichberechtigte dem Gleichberechtigten.

Und nun las ich und saß erstarrt auf meinem Bett. Mein Vater war tot. Gestorben an einer fürchterlichen Krankheit, nach jahrelangem Siechtum, das mir auf seinen Befehl verheimlicht worden war. Sie hatten ihn vor Wochen schon begraben.

An jenem Tag der Verzweiflung begann ich zu ahnen, was Alleinsein im fernen Lande in Wirklichkeit war und was die Bande des Bluts bedeuteten, aber Jahre sollten noch vergehen, bis ich verstand, daß in dem Grab im Münchner Nordfriedhof mein Allereigenstes lag. Daß aus meinem Vater meine Kraft und mein Leichtsinn und meine Art stammte, und daß ich dem Mann, der als kriegsinvalider Offizier nach den Feldzügen der Jahre 1866 und 1870 frisch und kraftvoll nach einem neuen Leben gegriffen und sich als nationalökonomischer und wirtschaftlicher Geistesarbeiter einen reichen Wirkungskreis geschaffen hatte, alle Zähigkeit des Wollens und Willens verdankte.

[S. 56]

Das Kommen des Krieges.

Vorgeschichte des spanisch-amerikanischen Krieges. — Die Guerillakämpfe zwischen Spaniern und kubanischen Insurgenten. — Die Glückssoldaten in Viriginia. — Gespannte Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien. — Grausamkeiten. — Die kubanische Junta und New York. — Der Untergang der Maine. — Der Racheschrei. — Kriegserklärung. — Meine große Idee! — Die große Idee funktioniert nicht! — Aber ich muß unbedingt nach Kuba ...

Schweres Kriegsgewölk überschattete im Jahre 1898 die Neue Welt. Unten im Süden auf der Insel Kuba tobte seit Jahren ein Kleinkrieg zwischen Herren und Knechten, zwischen einer Rasse, die sich im Niedergange befand, und bösem Mischblut; zwischen Spaniern und Kubanern. Die reiche Insel, das Tabaksland, das Zuckerland war bitterarm geworden unter spanischer Mißwirtschaft, und unerträglicher Steuerdruck lastete auf ihm. Die spanisch-indianischen Mischlinge, die westindischen Neger und Halbneger, nie Freunde harter Arbeit, wurden durch das unfähige spanische Beamtentum mit seinem die Hände in den Schoß legenden mañana-Glauben noch gründlicher verdorben, als sie von Mutter Natur aus schon waren. Korruption war überall im Land. Hungersnot folgte auf Hungersnot. Bitteres Elend herrschte seit vielen Jahren. Da schlugen [S. 57] sich die Mischlinge in die Büsche, und langsam wuchs unter Führung von Abenteurern die national-kubanische Erhebung; ein Guerillakrieg, der von beiden Seiten mit einer Wildheit und einer Grausamkeit geführt wurde, die dem benachbarten Amerika den Atem stocken ließ und ihm eine altschmerzende Episode ins Gedächtnis rief, die in den Vereinigten Staaten böses Blut gemacht hatte: Das Sterben der Männer der Virginia.

Vor einem Jahrzehnt, denn solange schon wütete der Kleinkrieg zwischen Spaniern und Insurgenten, waren amerikanische Glückssoldaten in dem Schooner Virginia gen Kuba gesegelt und im Süden gelandet, sich in den Reihen der Revolutionäre Ruhm und Glück zu erkämpfen. Ein spanisches Kanonenboot fing den Schooner ab. Vierundzwanzig Stunden später knallten die Schüsse der spanischen Pelotons, und die Glückssoldaten der Virginia waren tot. Amerika zitterte vor Entrüstung, wenn auch das amtliche Washington sich wohl oder übel auf den Boden des internationalen Rechts stellen und erklären mußte, jene amerikanischen Abenteurer hätten den Schutz des Mutterlandes verwirkt, als sie sich auf ihre ungesetzliche Unternehmung einließen. Vergessen aber wurden die Männer der Virginia nie.

Schon zu Ende des Jahres 1897 waren die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien gespannt, denn Washington hatte wiederholt energisch darauf hingewiesen, daß in der Tabak-und Zuckerindustrie Kubas Millionen amerikanischen Geldes steckten und die unhaltbaren Zustände auf der Insel den wirtschaftlichen [S. 58] Interessen der Vereinigten Staaten schadeten. Da wurde der spanische General Weyler als Generalkapitän auf die Insel gesandt, und der Kampf gegen die Insurgenten begann im großen Stil. Der grimmige Soldat ersann das System der Blockhauslinien. In Fächerform wurden von den militärisch stark besetzten Zentren aus kleine Blockhäuser in das Innere des Landes vorgeschoben, um in stetig fortschreitender, geschützter Angriffslinie die Revolutionäre zusammenzudrängen und das Land Meile für Meile von ihnen zu säubern. Quer über die ganze Breite der Insel schob sich die trocha. Eine gewaltige Kriegsmaschine war es: Undurchdringbare Drahtverhaue verbanden die Blockhäuser. Vor diesem Gürtel kleiner Festungen lief eine zweite Linie von Wolfsgruben und Sprengminen, die eine bloße Annäherung an die trocha schon zu einem tödlichen Wagnis machten.

Ein furchtbares Gemetzel begann. Tier kämpfte gegen Tier, denn die halbverhungerten, verzweifelten, geächteten Menschen in den Wäldern waren zu Tieren geworden, die mit ihren Macheten jeden der verhaßten spanischen Soldaten, der ihnen in die Hände fiel, grausam abschlachteten, und die erbitterten Spanier zeigten sich nicht weniger grausam als jene. Sie schonten weder Weib noch Kind. So tobte der Kleinkrieg. Immer wieder wurden die trocha da und dort in Kämpfen bis aufs Messer von den Insurgenten durchbrochen; hatten doch diese menschlichen Gerippe, die wenig mehr besaßen als ihre Waffen, nichts zu verlieren und alles zu hoffen. Gefangene wurden von den Spaniern ohne [S. 59] weiteres erschossen; zu Dutzenden, zu Hunderten. In New York aber sorgte eine kubanische Junta, eine Vertretung der Insurgenten, getreulich dafür, daß die amerikanische öffentliche Meinung in Schrift und Bild jede Greueltat der spanischen Soldaten erfuhr, während über die Schandtaten der Revolutionäre klüglich geschwiegen wurde. Grelle Schilderungen von Hunger, Jammer und brutaler Unterdrückung aber verfehlen ihre Wirkung auf den Amerikaner nie.

Alles drängte zur Einmischung der Vereinigten Staaten. Der langsam erwachende Imperialismus, der eine Ausdehnung der amerikanischen Macht forderte und Taten verlangte; das Kapital und starke wirtschaftliche Interessen, die nicht nur ihre Geldanlagen auf der Nachbarinsel retten wollten, sondern auch von einem amerikanischen Kuba sich goldene Berge versprachen; der Zug der öffentlichen Meinung endlich, die die blutigen Greuel im Nachbarhause nicht mehr mit ansehen mochte.

Die Stimmung war gespannt zum Platzen.

Da flog am 15. Februar des Jahres 1898 abends 9 Uhr im Hafen von Havana der große amerikanische Kreuzer Maine in die Luft und sank augenblicklich. Die gesamte Besatzung von über sechshundert Mann ging zugrunde.

Jetzt jagten sich die Ereignisse.

Ein Schrei der Entrüstung gellte über Amerika. Rache für die Maine! durchbrauste es die Zeitungen; Remember the Maine! donnerte es in den Massenmeetings. Denn für jeden Amerikaner war es selbstverständlich, [S. 60] daß ein heimtückischer spanischer Torpedo die Maine und ihre 600 Amerikaner in die Luft gesprengt hatte.

Die kubanischen Insurgenten wurden von der Regierung der Vereinigten Staaten als kriegführende Partei anerkannt. Scharfer spanischer Protest in unziemlichen Ausdrücken. Kurzer Notenwechsel, der die Lage nur verschärfte. Am 25. April erklärte das amerikanische Repräsentantenhaus, der Senat und der Kongreß, den Kriegszustand mit dem Königreich Spanien.

Am selben Tage noch erhielt das amerikanische Geschwader in Ostasien unter Admiral Dewey telegraphische Instruktionen. Nach fünf Tagen war die spanische Philippinenflotte in der Seeschlacht von Manila am 1. Mai 1898 vernichtet.


Der Lausbub wäre nicht das Menschenkind voller Unrast und tiefgewurzeltem Drängen nach grellem Erleben gewesen, hätte sich nicht inmitten des Kriegslärms sein abenteuerliches Blut geregt. Das Soldatenblut vielleicht auch vom Großvater und Vater her, den alten Offizieren.

Ich verschlang die sich jagenden Nachrichten und brüllte mit in Jubel und Freude, als Lascelles mit der Depesche vom Siege bei Manila ins Reporterzimmer stürzte. Kein Stockamerikaner hätte begeisterter sein können! Wieder jagten sich die Ereignisse. Mit immer [S. 61] größerer Bestimmtheit trat die Nachricht auf, daß eine Amerikanische Armee von der Insel Kuba Besitz ergreifen sollte und — ich wurde sehr nachdenklich, ohne eigentlich zu wissen warum. Ich wurde zappelig. Wie schal und gleichgültig schien auf einmal das begeisternde Reporterleben! Ich wurde unzufrieden. Was scherte mich die Zeitung, wenn es Krieg gab! Krieg!! Blutigen Krieg! Kämpfe im tropischen Land!!!

Ich sah mich zwei Nächte hintereinander im unruhigen Traum als kolossal tapferen Offizier, der seine Leute im Sturm zum Siege führte ... Und am nächsten Morgen kam mir die große Idee! Man mußte die Gelegenheit beim Schopfe packen! Die Möglichkeiten des Berufs mußten ausgenutzt werden bis zum letzten! Kriegskorrespondent wollte ich sein — aber selbstverständlich — Kriegskorrespondent!!!

Ich drückte mich im Reporterzimmer herum, bis die Kollegen alle fort waren. Kaum war der langbeinige Ferguson mit seinen polternden Schritten als letzter aus der Türe gestiefelt, als ich schon auf den Schreibtisch in der Ecke zuschoß —

»Mac, haben Sie einen Augenblick Zeit für mich? Ich möchte gern in einer persönlichen Angelegenheit ...«

»Natürlich, mein Sohn,« unterbrach er mich lachend. »Allright! Wieviel brauchen Sie denn nun eigentlich?«

»Es — es handelt sich nicht um Geld, Mac,« stotterte ich.

»Nun, und wo brennt es dann?«

»Krieg — Kuba ...«

[S. 62]

»Kuba, eh? Was in der Hölle haben Sie denn mit Kuba zu tun?«

Aber ich ließ nicht locker. »Glauben Sie wirklich, Mac, daß wir in Kuba einfallen werden?«

Er nahm seine goldene Brille ab und putzte sie bedächtig.

»Nun, ich bin nicht der Kriegsminister!« meinte er. »Aber Sie können immerhin Ihren letzten Stiefel darauf verwetten, daß die Insel ein bißchen besetzt wird von uns, denn sie ist die große Wurst, um die man sich zankt. Die Geschichte wird übrigens so ziemlich in Ruhe und Frieden ablaufen, denke ich mir. Die Spanier wären Narren, wollten sie uns ernsthaften Widerstand entgegensetzen. Na, es kann auch anders kommen. Vor allem aber reden Sie jetzt ruhig heraus, lieber Junge! Was wollen Sie eigentlich, zum Teufel? Was haben Sie sich da wieder in den Kopf gesetzt??«

»Ich will nach Kuba!«

»Dachte ich mir, sonny

Ich wußte, daß ich puterrot geworden war und merkte, daß ich ungeschickt stotterte in der Aufregung, aber jetzt hieß es reden, reden, reden ... »Mac — helfen Sie mir, Mac! Sie wissen ja nicht, wieviel mir daran liegt!! Mein Vater war Offizier — und ich wollte als Junge immer schon Offizier werden und — Sie verstehen mich vielleicht ...«

Allan McGrady nickte ernsthaft vor sich hin.

»Legen Sie ein gutes Wort für mich ein beim Alten, Mr. McGrady! Ich will gewiß kein Geld verdienen dabei. Nur mitkommen —«

[S. 63]

»Pfui, wer wird auf die Preise drücken!«

»Oh, Mac, Sie wissen doch, wie ich es meine.«

»Ich weiß, ich weiß. Und nun Vertrauen gegen Vertrauen, Sie Mann der Tollheiten. Zwanzig Jahre bin ich im Zeitungsdienst. Mein Name ist nach meiner besten Ueberzeugung etwas wert in der Zeitungswelt und beim Alten. Nun sehen Sie: Ich würde drei Finger meiner linken Hand hergeben, wenn ich damit erreichen könnte, von Hearst nach Kuba geschickt zu werden! Drei Finger, mein Junge! Mit Vergnügen!! Mit wonnevoller Wonne!!!«

»Aber — « stotterte ich, aus allen Wolken gefallen. »Sie können das doch erreichen!«

Er lachte. »Es ist nett von Ihnen, mir das Unmögliche zuzutrauen. Ich könnte mir jedoch mit der gleichen Aussicht auf Erfolg es in den Kopf setzen, heute abend um sechs Uhr Präsident der Vereinigten Staaten sein zu wollen. Mann, Sie ahnen nicht, was es bedeutet, Kriegskorrespondent zu sein. Da schickt man die Auserlesensten der Auserlesenen hin. Leute von unermüdlicher Tatkraft, glänzende Federn — Männer, die in jeder Lage einen Ausweg zu finden wissen — Männer mit militärischen Kenntnissen ersten Ranges — ach du lieber Gott. Gibt es da unten wirklich ernsthafte Kämpfe, so sind die Hälfte der Kriegskorrespondenten für den Rest ihres Lebens gemachte Männer. Die Namen der Glücklichen — Glück gehört auch dazu! — werden beinahe so berühmt werden wie diejenigen der siegreichen Generale. Schlagen wir’s uns aus dem Kopf, mein Junge! Für unsere Zeitungen [S. 64] gehen selbstverständlich Davis und McCullock nach Kuba, kommt es so weit; Davis, der ein großer Schriftsteller und Hearsts Freund ist, und McCullock, der beim tollen Mullah im Sudan war! Das ist gar keine Frage!«

Da trat Lascelles ein.

»Good morning, Mac!« rief er. »Denken Sie mal, der Teufel ist endlich los! Washington telegraphiert die Mobilmachung der National Guard! Bedeutet natürlich, daß Onkel Sam nach Kuba marschiert. Und ich würde drei Finger drum geben, stände ich in McCullocks Schuhen!!«

Mac blinzelte mir zu.

Als wolle er sagen: »Siehst du! Da ist noch einer! Einer, der schon hoch geklettert ist auf den Sprossen der Zeitungsleiter und trotzdem das nicht erreichen kann, was du dir in den dicken Schädel gesetzt hast. Du blutiger Anfänger ... du!!«


Ich schlich mich fort. Miserabel schlecht arbeitete ich an jenem Tag, denn in meinem Kopf rumorte und lärmte und hämmerte es: Kuba — Kuba — Krieg ...

Kreuz und quer lief ich durch das flaggengeschmückte San Franzisko. Unter aufgeregten Menschen, die von nichts sprachen als vom Krieg und von Kuba. Teufel — Teufel — — Und immer lauter rumorte in mir das trotzige blinde Wollen des Augenblicks, wie es noch hundert Male rumort hat in meinem späteren Leben, [S. 65] zum Glück manchmal, manchmal zu meinem Unglück. Später, wenn man die wirkliche Kraft gefunden und sich rückschauenden Humor eingefangen hat, denkt man gern an solche Augenblicke der Tollheit. Hat man sie doch auf Heller und Pfennig bezahlt in der Münze des Lebens und das Recht auf fröhliche Erinnerung erworben, mag auch die Vernunft sich wehren mit ihrem: Es wäre doch besser gewesen, wenn ...

So lief ich umher in den Straßen.

Einem neuen Spielzeug nach, das hüpfende Teufelchen vor mir baumeln ließen und das ich nicht erhaschen sollte und das vielleicht nur deshalb so begehrenswert schien. Die Sehnsucht gestaltete sich zur fixen Idee. Sie wurde zum harten Wollen.

Der Lausbub dachte also nach. Dachte angestrengt nach, vernünftig. Ueber die Vernünftigkeit dieses Nachdenkens aber würde jeder andere Mensch sich krankgelacht haben: Es bestand im Wesentlichen darin, daß ich fortwährend dasselbe dachte — »Ich will aber nach Kuba! Zum Teufel, ich will aber doch nach Kuba!!«

Die kleinen Affären des Lebens, die links und rechts neben Kuba, und die schleierhafte Zukunft, die hinter Kuba lag, kümmerten mich furchtbar wenig. Sie waren nebensächlich. Erstens wollte ich mit in diesen Feldzug, und zweitens mußte ich mit, und drittens ging ich überhaupt auf jeden Fall mit! Darüber war ich mir nun klar, und damit schien mir die Angelegenheit erledigt.

Ich — mußte — unbedingt — nach — Kuba!!

[S. 66]

Der Lausbub wird Soldat.

Die verbogene Lebenslinie. — Ein schneller Entschluß. — Beim Oberleutnant Green vom Signaldienst. — Ich werde angeworben! — Abschied von Allan McGrady. — B Company des 1. Infanterieregiments. — Korporal Jameson. — Wiggelwaggeln. — Der sprechende Sonnenspiegel. — »Ich gehe nach Kuba!«

Daß meine Verhältnisse sich völlig ändern würden, der mühsam erarbeitete erste Lebenserfolg völlig über den Haufen geworfen wurde, die Zukunft sich anders gestalten mußte — an meine ganze schöne Lebenslinie dachte ich auch nicht einen Augenblick lang. Her nur mit dem praktischen Trotz, der törichte Wünsche in Wirklichkeit umsetzt!

Ich ging zum Oberleutnant Green ins Presidio.

»Hoffentlich kommen Sie nicht in beruflicher Angelegenheit,« sagte er lächelnd, als ich in das kleine Signalbureau im Adjutanturgebäude trat, »denn nicht ein Wörtchen könnte ich Ihnen in diesen Zeiten sagen. Befehl von Washington!«

»Das wäre an und für sich schon eine Neuigkeit im Zeitungssinne!« lachte ich. »Aber ich komme mit einer persönlichen Bitte ...« Und ich erzählte ihm, was ich mit Allan Mc Grady gesprochen hatte und erklärte, daß ich es mir nun einmal in den Kopf gesetzt [S. 67] hätte, den Feldzug mitzumachen. Der Offizier hörte aufmerksam zu.

»Sie wollen also Soldat werden?«

»Ja.«

»Und Ihr Beruf?«

»Auf den pfeif’ ich!«

»Hm. Haben Sie sich da in Ihrer Enttäuschung über die Kriegskorrespondentengeschichte nicht in eine Idee verrannt, deren Tragweite Sie nicht übersehen? Würden Sie sich unter allen Umständen anwerben lassen, auch wenn ich nicht helfe?«

»Ja, unter allen Umständen.«

»Schön. Wie alt sind Sie?«

»Zwanzig Jahre und drei Monate.«

»Hm. Das Gesetz schreibt zwar ein Alter von 21 Jahren vor, aber um der paar Monate willen wollen wir uns nicht streiten. Ich will Ihnen helfen. Sie scheinen ja ernstlich genug zu wollen, und des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Unter den besonderen Umständen wird Ihnen übrigens eine kurze Dienstzeit in der blauen Jacke Onkel Sams gar nicht schaden. Nun hören Sie, bitte, genau zu. Was ich Ihnen jetzt sage, ist vertraulich: Wir könnten Sie im Korps gebrauchen, und das wäre wohl auch das Beste für Sie, schon weil die Arbeit sehr interessant ist. Telegraphieren können Sie ja schon. Der Haken ist nur der, daß ich zur Anwerbung nicht autorisiert bin. Der Signalkorpsdienst der Vereinigten Staaten besteht augenblicklich nur aus etwa dreißig Offizieren und etlichen fünfzig Sergeanten. Mannschaft haben wir vorläufig gar nicht. Ich erwarte [S. 68] jedoch von Stunde zu Stunde die Order, die ein Signalkorps im größeren Stil für den Krieg organisiert. Sie lassen sich also jetzt für das hiesige Regiment, das 1. Infanterieregiment, anwerben. Ich werde dafür sorgen, daß Sie sofort zum Telegraphendienst abkommandiert werden, und sobald das neue Signalkorps autorisiert ist, werde ich Sie versetzen lassen. Abgemacht?«

»Ja.«

»Schön. Sie müssen sich auf drei Jahre verpflichten, aber eine vorherige Entlassung würde keinen besonderen Schwierigkeiten begegnen, wenn Sie eine solche nach Beendigung des Feldzugs wünschen.«

Ich horchte auf, denn das war es gerade, was ich wollte!

»Abgemacht?«

»Ja.«

»Well, ich hoffe, daß Sie den Schritt, den Sie heute unternehmen, nicht bereuen werden. Und nun wollen wir die Sache ins Reine bringen. Warten Sie hier einen Augenblick, bitte. Ich werde den Adjutanten verständigen, der Sie formell anwerben wird.«

Nach kurzer Zeit kam er wieder. »Kommen Sie mit, bitte!«

Wir gingen über den Korridor ins Adjutanturzimmer. Dort saß an einem Schreibtisch ein junger Leutnant, und an einem großen Tisch arbeiteten zwei Sergeanten. Fast gleichzeitig mit uns trat ein Militärarzt ins Zimmer, der mich in einen Nebenraum winkte. Ich mußte mich auskleiden und wurde untersucht. Das [S. 69] war in wenigen Minuten geschehen. Dann ging’s wieder ins andere Zimmer, und der Leutnant stellte mir die knappen geschäftsmäßigen Fragen der Anwerbung.

»Sie wollen freiwillig in den Kriegsdienst der Vereinigten Staaten treten?«


»Es ist keinerlei Zwang auf Sie ausgeübt worden?«


»Sie sind nicht verheiratet?«


»Sie sind im Besitz der amerikanischen Bürgerpapiere?« (Oberleutnant Green flüsterte da dem Adjutanten etwas zu, und ich glaubte zu verstehen: Ist allright — ich bürge für den Mann.) Der Werbeoffizier wartete keine Antwort ab. »Natürlich. Sie stammen aber von deutschen Eltern, nicht wahr?«

So kam ich um die Notwendigkeit herum, meine Absicht, Bürger der Vereinigten Staaten werden zu wollen, feierlich beschwören zu müssen. Da ich diese Absicht durchaus nicht hatte, so erfreute mich das ungemein. Wäre es aber notwendig gewesen, so hätte ich damals sieben Bürgererklärungen abgegeben und sieben Eide geschworen, nicht nur einen. Ich wollte doch nach Kuba!

Fünf Minuten später hatte ich dem Adjutanten die kurzen Worte des Fahneneids nachgesprochen und war Soldat in Company B, 1st Regiment, U. S. Infantry — bis um acht Uhr morgens des nächsten Tages beurlaubt, um meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.

[S. 70]


Allan McGrady fiel beinahe vom Stuhl —

»Heh? Sagen Sie das noch einmal!« schrie er.

»Ich habe mich im Presidio anwerben lassen. Ich wollte nun einmal nach Kuba ...«

»Ist also kein schlechter Witz?«

»Nein.«

»Sie Dickschädel — Sie ganz unglaublicher Dickschädel! Ich pflege mir meine Entschlüsse gerade auch nicht vier Wochen lang zu überlegen, aber das bricht doch den Rekord! Läuft das Söhnchen hin und wird Soldat! Mir nichts, dir nichts! Weshalb sind Sie denn eigentlich nicht zu mir gekommen? Hätten mir doch wenigstens sagen können, was Sie vor hatten! So viel Vertrauen zu mir hätten Sie doch wenigstens haben können!«

Ich versuchte, ihm zu erklären, daß das alles sehr plötzlich gegangen war.

»Verdammt plötzlich!« rief McGrady. »Verdammt unüberlegt. Sie haben sich in die Nesseln gesetzt! Aber ich werde dafür sorgen, daß Ihnen aus Ihrem Anstellungsvertrag mit dem Examiner keine Schwierigkeiten erwachsen. Schließlich hat jeder Dickkopf das Recht, sich den Schädel an derjenigen Mauer einzurennen, die ihm am besten gefällt!«

Er lachte und nickte vor sich hin. »Im Grunde verstehe ich Sie ja. Ich glaube überhaupt, daß in mir ein besonderes Verständnis ist für — nun, sagen wir, unschilderbare Sausewinde Ihres Schlags; die Götter mögen wissen, weshalb und woher. Also: Die Dummheit haben Sie nun einmal gemacht, denn eine Dummheit [S. 71] ist es vom Standpunkte der Vernunft. Eines möchte ich Ihnen aber sagen, mein Junge — sorgen Sie dafür, daß Sie so schnell als möglich wieder aus der Uniform schlüpfen, wenn die Geschichte vorbei ist! Sie sind viel zu jung, als daß man auch nur eine Ahnung haben könnte, was aus Ihnen noch werden wird, aber — well, das ist alles Unsinn! Lassen Sie von sich hören, sonny

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mac.«

Und der gereifte Mann, der mir stets ein väterlicher Freund gewesen war, schüttelte mir die Hand. Der Amerikaner hatte Verständnis für den abenteuerlichen Drang und dessen Wert im Leben. In der alten Heimat drüben hätten sie mich einen leichtsinnigen Narren genannt; mehr noch, einen Verlorenen, der eine gesicherte soziale Stellung um einer Laune willen wegwarf. Ich wollte aber auf meine eigene Fasson selig oder unselig werden ...

»Uebrigens wollte ich auch als Soldat für den Examiner schreiben über —«

Mac unterbrach mich. »Werden verdammt wenig Zeit und Gelegenheit dazu haben! Lassen Sie aber von sich hören. Kommen Sie wieder, so wartet hier ein Platz für Sie; gegen Zeilengeld im schlimmsten Fall.«

Noch ein Händedruck.

Ich habe Allan McGrady nie wieder gesehen.

[S. 72]


»B« Company des ersten regulären Infanterieregiments war auf voller Kriegsstärke und ich der einzige Rekrut. Meine Ausbildung drängte sich in Tage zusammen, und wenn der Lausbub auch Lust und Talent gehabt hätte, zu nachdenklicher Besinnung zu kommen, so würde er doch ganz gewiß keine Zeit dazu gehabt haben.

Ein neues Spiel begann. Ein Wirrwarr neuen Lernens. Der alte Korporal meiner »squad« wurde dazu abkommandiert, mich in seine besondere Obhut zu nehmen. Zum Uniformdepot ging es zuerst, und in einer Stunde war ich ein bewaffneter und uniformierter blauer Junge Onkel Sams geworden. Hellblaue Hosen, knappe dunkelblaue Jacke, Mütze. Alles neu, aus ausgezeichnetem Stoff, gut sitzend. Die Sparsamkeiten der Alten Welt, deren Armeen ihre Uniformen von Soldatengeneration auf Soldatengeneration vererben, liebt der Amerikaner nicht. Dafür bezahlt er für seine kleine Armee ein Militärbudget, das fast so hoch ist wie diejenigen der europäischen Mächte ... Mein Bett, die »bunk«, wurde mir angewiesen im Mannschaftszimmer, mit nagelneuen Wolldecken und nagelneuem Bettzeug. Dann marschierte mich der alte Korporal nach einem einsamen schattigen Fleckchen in einer Eichenallee beim großen Paradefeld des Presidio, und heiße Arbeit begann. Leibesübungen. Kommandodrill. Gewehrgriffe. Arbeit von morgens bis abends, aber Arbeit, die mir genau die gleiche Freude machte wie das Lernen auf der Texasfarm und in der Texasapotheke und bei der San Franziskozeitung, denn wie jenes weckte sie den [S. 73] Ehrgeiz, sich geschickt und rasch auffassend zu zeigen. Und dann war’s eine kleine Episode. Das Große lag im Kommenden. Fabelhaft rasch ging’s mit der Ausbildung. Korporal Jameson, der schnauzbärtige alte Kalifornier, verstand sein Soldatenmetier von Grund auf und hielt sich nicht mit langweiligen Wiederholungen auf, sobald er merkte, daß der neue Kompagnierekrut begriffen hatte.

»You’re allright,« sagte er. »Lesen Sie das Zeug selber!« Und gab mir sein Manual of Infantry-Drill, das Infanteriereglement. Da suchte ich mir die einfachen Anweisungen für den Kompagniedrill heraus, während er gemütlich seine Zigarette rauchte, und dann probierten wir’s praktisch.

Wenn ein einziger alter Unteroffizier sich Tag auf Tag einzig und allein nur mit der Ausbildung eines einzigen jungen Soldaten beschäftigt, der weder dumm noch faul ist, so können Wunder an Schnelligkeit erzielt werden. Zehn Stunden und mehr im Tag wurde gearbeitet. Zu dem Infanteriedrill kam während zwei Stunden des Nachmittags Unterweisung im Signaldienst durch den Signalsergeanten Hastings. In Flaggensignalen vor allem, denn so einfach auch der Code des »Wiggelwaggelns« war, so erforderte es doch viel Uebung des Auges und beim Gebrauch des Feldstechers. Aber es war sehr interessant. Die großen Signalflaggen, zwei Meter beinahe im Quadrat und an einer drei Meter langen Stange befestigt, bildeten die Buchstaben durch ein Geschwungenwerden nach rechts und nach links. Die rechte Seite hieß 2, die linke 1. So [S. 74] bedeutete ein einmaliges Schwingen nach rechts den Buchstaben c. Aber in der Signalsprache sagte man nicht c, sondern 2. Alle Buchstaben waren Kombinationen dieser beiden Ziffern. 22, also ein zweimaliges Schwingen nach rechts, bedeutete a; 11, ein zweimaliges Schwingen nach links, bedeutete n; 212, rechts — links — rechts war m. Eine Pause, ein gerades Emporhalten der Flagge vor dem Leib trennte die einzelnen Buchstaben. Ein gerades Niederschwingen der Flagge auf den Boden zeigte das Ende eines Wortes an; ein zweimaliges Niederschwingen den Schluß eines Satzes; ein dreimaliges den Schluß der Depesche. Die Flaggen, die je nach der Witterung, der Sichtigkeit und dem Hintergrund aus Rot mit weißem oder Weiß mit rotem Zentrum bestanden, waren auf sehr große Entfernungen sichtbar. Wir verständigten uns mühelos vom Presidiohügel nach dem Meeresstrand hinunter, eine Entfernung von fast zwei Kilometern.

Noch viel mehr Freude machte mir der Heliographendienst, denn hier konnte eine Geschwindigkeit erzielt werden, die dem Telegraphieren wenig nachstand. Es war ein raffiniertes kleines Instrument, dieser sprechende Sonnenspiegel — zwei auf einer stählernen Querstange angebrachte Spiegel, die sich durch ein Präzisionswerk von Schrauben nach jeder Richtung hin einstellen ließen. Der eine Spiegel wurde durch Korn und Kimme wie bei einem Gewehr scharf auf den Empfänger einvisiert, der andere so, daß er die Sonnenstrahlen direkt auffing. Die beiden Spiegel ergänzten sich und warfen nach den feststehenden Regeln [S. 75] der Lichtspiegelung und ihrer Brechungswinkel zusammen ein glänzendes Licht in Form einer großen künstlichen Sonnenscheibe nach dem anvisierten Punkt.

Vor den Spiegeln stand eine Deckplatte, die durch leichten Fingerdruck geöffnet und geschlossen werden konnte. Mit langen und kurzen Lichtblitzen übermittelte man so die Buchstaben des Morsealphabets.

Daneben kamen Uebungen im Legen und Verbinden von Telegraphen-und Telephonleitungen und das interessante Anzapfen, das »Melken« der städtischen Drähte auf offener Straße mit unseren Taschenapparaten.

Der Signalrekrut wurde auf den Krieg vorbereitet.

Holtergepolterarbeit war es, mit viel Aufregung und mit vielem Lernen. Und mir gefiel es immer besser im Soldatenrock.

Von meinen Freunden beim Examiner hörte ich nur ein einziges Mal.

Das war an einem Nachmittag, als ich auf Jamesons Kommandos voller Eifer mit Holzpatronen »schnellfeuerte«. Da tauchten am Alleerand zwei Gestalten auf, und als ich hinsah, erkannte ich Ferguson und Hayes. Gemütlich kauerten sie sich unter eine Eiche und sahen zu.

»Wohl Freunde von Ihnen?« fragte der Sergeant leise. »Ja? Dann wollen wir Schluß machen!« Wie alle Sergeanten witterte Jameson Bier!»Weggetreten!« kommandierte er.

Zwei Stunden später brachte ich meine Freunde zum Fortausgang.

[S. 76]

»Freund, Sie sind ein großer Narr!« sagte Ferguson. »Aber wenn ich so jung wäre wie Sie, hätte ich’s vielleicht auch so gemacht. Viel Glück!«

Ich aber dachte: »Der Narr bist du, guter alter Ferguson. Du mußt in San Franzisko bleiben — und ich gehe nach Kuba!«

[S. 77]

Das Sternenbanner auf dem Wege nach Kuba.

Der Krieg des Leichtsinns. — Aus Leutnants werden Majore. — Eine kleine Vergeßlichkeit. — Segenswünsche und Vorschußlorbeer. — Von lieben diebischen Mägdelein. — Die Armee in Hemdärmeln. — Das militärische Telegraphenbureau in Tampa. — Die spanische Gespensterflotte. — Admiral Cervera in der Falle von Santiago de Cuba. — Die Depeschenhölle. — Roosevelts Rauhe Reiter ohne Gäule! — Auf dem Meer. — Eine schwäbische Ueberraschung. — Von redenden Tuchfetzen und sprechenden Wolken. — Nachtalarm. — Beginn des Bombardements von Baiquiri.

Das Kriegsfieber schüttelte Amerika.

Ein guter Mann, so sagen kluge Frauen, muß wie ein Kind sein, in seinem Tiefsten, Innersten, Wahrsten. Unter der männlichen Oberfläche, die in der Welt draußen ein einheitliches Gefüge von Kraft und Arbeit scheint, versteckt sich das große Kind mit dem Lachen und Weinen des Kindes, dem aufstampfenden Trotz und der Weichheit, dem Begehren nach Spielzeug, dem begeisterten Haschen nach allem Neuen, dem Leichtsinn, den Ungezogenheiten. Dies Kindsein liegt tief in der Natur der Männer des amerikanischen Reichs; tiefer als in irgend einem anderen großen Volk. Das Draufgängertum, das Jungfrische, das Kindliche. Die Männer, die später die Kosten des Panamakanalbaus um die Kleinigkeit von 500 Millionen unterschätzten, weil sie viel zu begierig nach dem neuen Spielzeug waren, sich [S. 78] bei langweiligem Rechnen lange aufzuhalten, sprangen mit gleichem Unbekümmertsein in Kriegstrubel und Kriegsgefahr.

In Tagen wurde eine Armee aus dem Boden gestampft. Der Miliz mit ihrem ausgezeichneten Menschenmaterial fehlte es an Offizieren. Da beförderten die amerikanischen Kinder ganz einfach fast jeden Offizier der regulären Armee um einen, zwei, oft drei Grade, machten die Leutnants zu Majoren, die alterfahrenen Sergeanten zu Leutnants, und steckten sie in die Milizregimenter. Die Glückssoldaten holte man herbei, die in den südamerikanischen Revolutionen Truppen geführt und Pulver gerochen hatten. Ein Roosevelt pfiff auf sein Ministerportefeuille und wurde aus dem Unterstaatssekretär der Marine ein einfacher Reiteroberst, der Rauhe Reiter warb. Zeltlager erstanden überall im Land. Millionen von Goldstücken wurden mit vollen Händen hinausgeschleudert, den Kriegsbedarf über Nacht zu schaffen. Es fehlte an Torpedojägern, an Depeschenbooten. Da kaufte man für Unsummen die schnellsten Hochseeschlepper und die flinksten Privat-Yachten der amerikanischen Häfen, armierte sie mit Geschützen — und die Flottenergänzung war fertig. Man verschwendete Millionen an die Ausrüstung der Invasionsarmee — und die großen Kinder vergaßen ganz, ihr auch nur eine einzige Feldbäckerei, eine einzige Kaffeemühle zu beschaffen. Schiffszwieback, fetten Chicagospeck, ungebrannten Kaffee gab man ihr mit als Tropenkost! Hätten die Kämpfe um Santiago nur drei Wochen länger gedauert, so wäre auch der [S. 79] letzte Mann von Zwanzigtausend von der Speckruhr gepackt worden. Die leichtsinnigen Kinder, die sich auf die deckende Macht an Menschen und Gold ihres Landes verließen, rechneten ja gar nicht damit, daß der Feldzug länger als einige Wochen dauern könnte. Gelandet — gesiegt — die Spanier über den Haufen geworfen! So rechnete man! Beinahe — beinahe — wäre es anders gekommen!

Ein Krieg des Leichtsinns und des Optimismus.


General Shafter, der kommandierende General des Departements der pazifischen Küste, war zum Höchstkommandierenden der Invasionsarmee ernannt worden. Mein Oberleutnant Green zum Oberst und Chef des Signaldienstes. Zwölf Stunden nach Eintreffen der Marschorder zogen der Stab des Kommandierenden und das erste Infanterieregiment durch das flaggenwimmelnde, jubelnde San Franzisko, und auf der Southern Pacific ging es gen Süden und Osten, vom Stillen Ozean zum Atlantischen Meer, nach Tampa in Florida. Dort konzentrierte sich die Invasionsarmee.

Im Schlafwagen fuhren wir! Selten wohl ist eine Armee so teuer, so bequem, so schnell befördert worden. An den Hauptstationen hatten die begeisterten Bürger riesige Tische aufgestellt und sie mit guten Sachen beladen, und wenn der Zug hielt, dann konnte man sich einfach nicht retten vor händeschüttelnden Männern, die einem Zigarren in die Taschen stopften, und alten Damen, die einen mit Delikatessen und frommen [S. 80] Segenswünschen überschütteten. Es war wie eine Fahrt durchs Märchenland inmitten von lauter Knusperhäuschen, die man nur anzubeißen brauchte. Von den Härten kriegerischer Zeiten hat in jenen Tagen gewiß kein einziger Mann der Zwanzigtausend, die auf Schnellzügen nach Florida eilten, auch nur das Geringste verspürt. Nichts war zu gut und zu teuer für die blauen Jungens.

Es gab Vorschußlorbeer in gehäuften Massen. Wer eine Uniform trug, wurde verhätschelt — besonders von der jungen Weiblichkeit. Onkel Sams Töchter hatten es sich in ihrer glühenden Begeisterung in die Köpfchen gesetzt, sich wenigstens kriegerische Trophäen unter die Kopfkissen zu stecken und vom Krieg zu träumen, konnten sie selbst nicht kämpfen. In Scharen überfielen sie unseren Zug an jeder Haltestelle und geizten nicht mit Küssen und Versprechungen, für uns zu beten. Das war sehr angenehm. Ich bin leider nie wieder in meinem Leben von so vielen holdseligen Mägdelein geküßt worden.

Weniger angenehm jedoch war, daß die Frauenzimmerchen dabei stahlen wie die Raben! Sie mausten die Patronen aus den Gürteln und schnitten einem beim Küssen heimtückischerweise die blanken Knöpfe von der Uniform. Am zweiten Tag hatte ich überhaupt keine Knöpfe mehr am Rock und mußte mir Sicherheitsnadeln erbetteln, meine Blöße zu decken. Die farbiggestickten Flaggen an den Aermeln, das Abzeichen des Signalkorps, und die Messingflaggen an der Mütze gingen schon am ersten Tag heidi. Aber es war dennoch sehr schön.

[S. 81]

Knöpfe konnten ja telegraphisch nachbeordert werden.

So zogen wir gegen Tampa, den berühmten Winterbadeort der amerikanischen Millionäre, und — schnappten entsetzt nach Luft. Tampa mochte ja ein Traum von Schönheit sein im Winter — jetzt, im Sommer, konnte man es ein Vorgemach der Hölle nennen. Wir zogen uns schleunigst die Röcke aus und nahmen sie so bald nicht wieder in Gebrauch. Sobald — das heißt, vier Monate lang, denn kurz darauf in Kuba trug man erst recht keinen Rock. Man nannte uns schwitzende Gesellen die Armee in Hemdärmeln! Feuchtheiß war die Luft und heiß der gelbe Sand und lauwarm das Wasser des Meeres am Strand. Sengende Hitze lagerte über den Tausenden von Zelten, die das Städtchen umrahmten, und es mag ungemütlich genug gewesen sein in den winzigen Segeltuchhütten. Dagegen hatten wir vom Signaldienst das große Los gezogen. Wir wohnten vornehm im Tampahotel, das sonst nur Millionäre beherbergte.

Im Privatbureau des Hotelbesitzers war der militärische Telegraphendienst eingerichtet worden.

Dort hauste der Teufel der Aufregung.

Während der Tage des Wartens auf das Einschiffen lebten wir Telegraphisten in ständigem Hasten. Das Signaldetachement bestand aus Oberst Green, dem Major Stevens, vom Artillerieleutnant drei Grade höher befördert, dem Leutnant Burnell, vom Signalsergeanten befördert, sieben Sergeanten und vierzig [S. 82] Mann. Ich gehörte zu der Stabsabteilung von sechzehn Mann unter Major Stevens. Die übrigen, von denen wir völlig getrennt waren, bildeten das Ballon-Detachement. Wir Signalleute waren sehr selbständig, denn die Offiziere wurden durch den geheimen Nachrichtendienst, die Verhandlungen mit kubanischen Insurgenten, das Dechiffrieren ganz in Anspruch genommen. Die Verantwortung des eigentlichen telegraphischen Dienstes war uns ganz allein aufgehalst. Das Arbeiten mit den vorzüglichen Apparaten und der gut funktionierenden Linie bot freilich äußerlich keine Schwierigkeiten. Aber man lebte in einer Luft furchtbarer Aufregung. Wir sechzehn Mann, drei Sergeanten darunter, hatten vier Morseapparate und vier long distance Telephone zu bedienen. Die Arbeit hetzte. Es schwirrte von Depeschen aus Washington. Die Rapportmeldungen jagten sich, wurden doch alle Telegraphenleitungen, nach dem Norden sowohl wie besonders nach den kleinen Floridainseln, militärisch überwacht, um ein Anzapfen des Drahtes durch Spione zu verhindern, und die Führer der Patrouillen mußten sich in bestimmten Zeitabständen melden. Ein unbeschreiblicher Wirrwarr von Ausrüstungsfragen, Personalangelegenheiten, Chiffretelegrammen huschte über den Draht. Tag und Nacht arbeiteten wir im Schweiße unserer Angesichter. Kaum Zeit zum Schlafen fanden wir. Jeder Einzelne von uns war gewarnt worden, daß jede Nachlässigkeit im Aufnehmen von Meldungen durch ein Kriegsgericht schwer bestraft werden würde. Verrat von Telegrammen wurde mit Erschießen bedroht.

[S. 83]

Aber mit keinem Zeitungskönig hätt’ ich getauscht!

Denn keiner in der Armee außer den höchsten Offizieren konnte dem Pulsschlag der Ereignisse so lauschen wie wir Signalleute.

Unsere gierigste Neugier galt den Telephonen. Ueber sie kamen die wichtigsten Depeschen, telegraphisch abgeklopft zur Vorsicht, mit einem Bleistift am Schallbecher, im Armeecode, der sich vom üblichen Morse etwas unterschied. Die Meldungen der Flotte.

In den Tagen des Hangens und Bangens in Tampa galten alle Hoffnungen und alle Befürchtungen den Nachrichten vom Meer. Die spanische Flotte in Westindien war verschwunden. Man wußte, daß kurz vor Ausbruch des Krieges in den kubanischen Gewässern nur einige Stationsschiffe gewesen waren, ein starkes Geschwader aber unter Admiral Cervera auf hoher See kreuzte. Nach diesem spanischen Geschwader suchten seit vielen Tagen in nimmerendender Jagd die gesamten atlantischen Seestreitkräfte der Vereinigten Staaten. Torpedoboote und Torpedojäger huschten von kubanischem Hafen zu kubanischem Hafen. Die Linienschiffe patrouillierten den Ozean weithin ab. Cervera und seine Flotte blieben verschwunden — und waren doch wieder gegenwärtig wie ein aus dem Nichts drohendes Gespenst. Die Kenntnis ihrer Stellung, ihre Vernichtung war der Angelpunkt, um den alles sich drehte. Schien doch ein Transport von zwanzigtausend Mann in ungeschützten Schiffen selbst unter stärkster Flottenbedeckung ein va banque Spiel, solange die Gefahr bestand, daß Cervera die in sich selbst wehrlosen Truppenschiffe [S. 84] angreifen würde. Bis eine Seeschlacht geschlagen war, konnten alle Transportschiffe gesunken sein!

Tag für Tag kamen und gingen die Gerüchte und die falschen Meldungen. Da telephonierte ein Torpedojäger von einer der winzigen Floridainseln, siebzig Seemeilen südlich seien starke Rauchwolken gesichtet worden; Bericht folge. Drei Stunden später kam zum Herzbrechen enttäuschend die Aufklärung: Englischer Kohlentramp! Beschlagnahmt! Oder es hieß: Gestern gemeldeter Radius abgesucht. Erfolglos ...

Von Stunde zu Stunde stieg die Aufregung in Tampa. In dem kleinen Vorzimmer des Telegraphenraums warteten ständig Offiziere des Generalstabs auf die neuesten Drahtmeldungen, und selten verging ein halber Tag, in dem nicht die unsinnigsten Gerüchte umherschwirrten. Bald sollte ein spanisches Torpedoboot unweit Tampas gesichtet worden sein — bald gar eine entscheidende Seeschlacht geschlagen ... Draußen aber in Port Tampa an den riesigen Kais harrten in langen Reihen die schwarzen Kolosse der Transportdampfer, ständig unter Dampf.

Bis das Gespenst beschworen wurde.

An einem heißen Sonnenmorgen kam, wieder von einer der kleinen Inseln bei Key West, eine Depeschenboot-Meldung der Flotte übers Telephon:

Gesuchtes Santiago!

In den Hafen von Santiago de Cuba hatte sich die spanische Westindienflotte geflüchtet, um zu kohlen und zu reparieren. Und saß in der Falle! Jener Hafen lag weit inland, und seine Einfahrtstraße war so schmal, [S. 85] daß zwei Schiffe sie nicht gleichzeitig passieren konnten — vor dem Hafen aber lag nun das starke atlantische Geschwader der Vereinigten Staaten. Die spanische Flotte konnte nicht heraus. Die amerikanische nicht hinein. Die Spanier durften den Durchbruch kaum wagen, hätten sie sich doch einzeln Schiff für Schiff angreifen lassen müssen; die amerikanische Einfahrt hinderten Seeminen und die Kanonen des Morrokastells am Hafeneingang.

Sergeant Souder hatte die Depesche dem Kommandierenden gebracht. Eine Viertelstunde später stürmte ein Generalstabsoffizier herein, schloß vorsichtig die Türe und erklärte uns halblaut, daß derjenige um seinen Kopf rede, der auch nur den Namen Santiago de Cuba erwähnen würde. Als er gegangen war, sahen wir uns mit glänzenden Augen an, und der alte Sergeant Hastings ließ eisige Limonade bringen mit sehr viel Sodawasser und sehr wenig Sherry, denn er und wir alle wußten, daß jetzt harte Arbeit kam. Es dauerte auch nur Minuten, bis Oberst Green erschien und den telegraphischen Befehl an alle Hauptstationen gab: Draht nach Washington frei bis auf weitere Order! Damit war aller Privatverkehr und jeder amtliche Verkehr der Zwischenstationen ausgeschaltet. Eine Depesche konnte wenige Minuten nach Abgang von Tampa schon im Weißen Haus in Washington vom Präsidenten und vom Kriegsminister gelesen werden.

Während der nächsten zwanzig Stunden war das Telegraphenzimmer eine Hölle. Schweißtriefend saßen wir vor den Apparaten, uns jede halbe Stunde ablösend, [S. 86] und sandten und empfingen die endlosen Chiffretelegramme.

Die Würfel der Entscheidung waren im Rollen.


Shafters Armee sollte Santiago de Cuba angreifen. Wenn diese Festung fiel, war die spanische Flotte den vereinigten amerikanischen Streitkräften zu Wasser und zu Lande ausgeliefert.

Revolver umgeschnallt, den Krag-Jörgensen Karabiner zur Hand, Tornister neben uns, so arbeiteten wir bis zur letzten Minute, während die Armee sich einschiffte. Als die letzten gingen wir an Bord. Je zwei von uns waren auf ein Transportschiff zum Signaldienst während der Fahrt kommandiert worden. Den Namen meines Dampfers habe ich vergessen, das Schiff aber und seinen Kapitän nicht. Es war eines der kleinsten, vollbepackt mit Maultieren, die zum Lastentransport verwendet werden sollten; den einzigen Vierfüßlern der Invasionsarmee außer ganz wenigen Pferden für den Stab.

Die Pferde der Kavallerie mußten auf Shafters Befehl in Tampa zurückgelassen werden, weil unsere Kundschafter gemeldet hatten, daß Kavallerie in dem Kriegsgelände keine Verwendung finden könne. Teddy Roosevelt und seine Rauhen Reiter von Cowboys stellten sicherlich ein Kavallerieregiment dar, nach dem jeder Kavalleriegeneral sich die Finger geschleckt hätte, und ihren Weltruhm haben er und sein Regiment ehrlich [S. 87] und ernsthaft verdient. Aber komisch bleibt es doch, daß der berühmte Rauhe Reiter Name mit Gäulen so gar nichts zu tun hat. Als Infanteristen kämpften sie und fluchten sehr, weil der kurze Karabiner viel schlechter schoß als das Infanteriegewehr.

Sergeant Souder und ich kletterten über den schmalen Laufsteg an Bord unseres Dampfers und suchten, wie das selbstverständlich war, sofort den Kapitän auf. Während wir die Treppe zur Kommandobrücke hinaufstiegen, gellten die Dampfpfeifen, und die Transportflotte setzte sich in Bewegung.

»Runter mit euch!« schrie der Kapitän. »Hab keine Zeit! Auf der Kommandobrücke habt ihr überhaupt nichts zu suchen!«

»Ein nervöser Herr!« lächelte Souder, und wir stiegen wieder auf Deck.

Eine Stunde später — wir beobachteten durch unsere Feldstecher das majestätische Schauspiel der dahindampfenden Truppenschiffe und Kreuzer, über fünfzig an der Zahl — kam Mr. Kapitän auf Deck und sprach uns ungnädig an:

»Signalkorps?«

»Jawohl.«

»Auf meiner Kommandobrücke habt ihr nichts zu suchen — mein Signalisieren kann ich selber besorgen. Verstanden?«

Souder grinste.

»Ich fürchte, Sie irren sich,« sagte er gelassen. »Ich und mein Kamerad sind für den militärischen Signaldienst auf diesem Schiff verantwortlich und [S. 88] müssen schon bitten, auf die Kommandobrücke zugelassen zu werden. Vom Deck sind Flaggen nicht sichtbar. Sie haben doch sicherlich entsprechende Befehle erhalten, Herr Kapitän?«

»Hier kommandiere und signalisiere ich!« schrie der cholerische Herr.

In mir aber war ein großes Lachen, hatte ich doch den deutschen Akzent herausgehört und freute mich über den deutschen Dickschädel.

»Weshalb sind Sie eigentlich so wütend, Kapitän?« fragte ich ganz ernsthaft in deutscher Sprache.

»Jesses noi!« schrie er. Das kleine Männchen war wie umgewandelt. »Jetzt isch der Aff von ’m Signaliste au no deutsch — noi! Wo kommet denn Sie her?«

»Das ist eine furchtbar lange Geschichte,« sagte ich, wieder sehr ernsthaft. »Aber seien Sie doch friedlich. Wir tun hier nur unsere Pflicht. Es wäre Ihnen doch sehr unangenehm, wenn wir uns mit dem Flaggschiff in Verbindung setzen und uns beschweren müßten. Sie sind doch benachrichtigt worden, daß das Signalkorps den Signaldienst übernimmt?«

»Ha — freili! Wisset Se, i ha’ ja auch nix dagege’! I bin nur aus ’m Häusle g’wese, weil die Offizier’ mi chikaniert habe. Ha! Signalisiere Se, soviel Se wöllet! Ha! ’s freut mi!«

Um die Geschichte kurz zu machen — Mr. Kapitän war ein Württemberger, auf allerlei Umwegen in die Dienste einer New Orleans’er Reederei und jetzt als Kapitän des gecharterten Dampfers in die Dienste Onkel Sams geraten. Fortan aber schliefen Souder [S. 89] und ich in der besten Kabine und wurden genährt wie zwei Herrgötter in Frankreich — einschließlich gelegentlicher Flaschen Sekt. Der Lausbub hatte wiederum Glück gehabt!

Souder entweder oder ich, alle beide meistens, waren Tag und Nacht auf der Kommandobrücke. Wären wir nicht so begeistert, so aufgeregt, so gierig nach Nachrichten gewesen, so hätten wir wahrscheinlich furchtbar geflucht über das Unwesen des Signalisierens der Marine. Nie ließen die Flaggen einem Ruhe! Ich weiß nicht, wie das bei anderen Flotten gehalten wird, aber die Amerikaner jedenfalls waren darin ekelhaft. Entweder wollte man von uns wissen, wie’s um die Gesundheit der Maultiere stünde, oder man wiggwaggelte unter dem dringenden Alarmsignal, der Dampfer habe wenigstens fünf Meter zu wenig Kielabstand, oder irgend jemand sandte seine Komplimente und wünschte zu erfahren, weshalb das Antwortssignal auf die Depesche vorhin nicht prompter gegeben worden sei. Außerdem sausten beständig die flinken Torpedoboote um uns herum und trompeteten alle Augenblicke irgend etwas Ueberflüssiges durch ihre Megaphone, um auch ihren Senf dazu zu geben. Der cholerische Schwabe wurde beinahe verrückt vor Wut. Wir aber lernten Geduld und Humor und ärgerten gelegentlich das Flaggschiff, indem»Souder, 1st class sergeant U. S. Signalcorps im Auftrage des Kapitäns in Kommando des Truppenschiffs so und so« Anweisungen für die Behandlung eines fiktiven kranken Maulesels erbat, dem wir natürlich die scheußlichsten Symptome andichteten. [S. 90] Dann lachte die gesamte Flotte und signalisierte (durchaus unoffiziell zwar) schlechte Witze und gänzlich unausführbare Ratschläge. Die Kinder, die gute Männer doch sein sollen, wollten ihr Spielzeug haben, selbst in ernstesten Zeiten.

In hetzender Fahrt jagte die Transportflotte gen Süden.

Vier Tage lang dauerte die Meerfahrt, und jede Stunde der vier Tage war Aufregung und nichts als Aufregung. Mit jeder Minute geizten Souder und ich, die wir nicht oben auf der Brücke zubringen konnten; mit Essenszeit und Schlafensstunden. Jede Flagge, die an den Signalleinen emporstieg, war ein nervös erregendes Ereignis, das von unbeschreiblicher Wichtigkeit sein konnte, und jeder bloße Dienstrapport stellte eine bittere Enttäuschung dar, weil man ständig in atemraubender Gier auf das Große wartete.

Märchenhaft schienen mir die bunten Tuchfetzen der Signalflaggen. Sie sprachen und erzählten. Sie befahlen und lachten. Sie waren es, die den starren Schiffsmassen Leben einhauchten und der schwimmenden Stadt auf dem Meer die Gesetze diktierten. In den Nächten aber leuchtete und funkelte und glitzerte es tageshell in Fluten von Licht. Kein dunkles Fleckchen ließen die gewaltigen Scheinwerfer der Kriegsschiffe auf dem weiten Wasserkreis, in dem wir schwammen, und in unablässiger Bewegung hoben und senkten und kreuzten sich die weißen Lichtbündel, um dann auf einmal kerzengerade nach oben sich auf eine Wolke zu richten. Dann sprach die Wolke. Sie blitzte grell auf [S. 91] — lang — kurz — — — kurz ... kurz ... lang ... — und aus dem Aufleuchten formten sich, so leicht lesbar wie Schrift, die Buchstaben, die Worte, die Sätze, die Depeschen. Und wir starrten in das Licht um uns und suchten angstvoll nach dem tiefroten Aufglühen an den Schiffsmasten, das nach dem Geheimcode Gefahr bedeutete.

Nur einmal während der Fahrt wurde das nächtliche Alarmsignal gegeben. Souder schlief und ich hatte die Wache, als spät nach Mitternacht plötzlich fünfhundert Meter etwa vor uns die drei Gefahrlaternen wie winzige glühende Punkte aufflammten.

»Alarm!« schrie ich, und der Kapitän stürzte aus dem Steuerhaus.

Da begann der Scheinwerfer zu reden:

»Langsamste Fahrt — Indiana — Ponton verloren — Kollisionsgefahr —«

»Teufel —« schrie der Kapitän, und gellend hallten seine schrillen Kommandos in die Nacht, den Ausguck zu verdreifachen, während der erste Offizier auf der Brücke den Befehl zum Abstoppen der Maschinen hinunterklingelte.

Lange Minuten des Harrens. Wir alle wußten, um was es sich handelte. Der Kreuzer Indiana schleppte einen ungeheuren Landungsponton aus schweren Balken, der zum Ausschiffen der Geschütze benützt werden sollte. Oft genug hatten wir über das ungefüge Anhängsel des Kriegsschiffes gelacht. In dem hohen Seegang war die Schlepptrosse gerissen, und irgendwo inmitten der Flotte trieb nun die Holzmasse des Pontons, [S. 92] mächtig genug, im Zusammenprall ein Schiff leck zu stoßen. Die Truppenschiffe kamen zum Stillstand, und die Torpedojäger und Depeschenboote sausten im Scheinwerferlicht umher, nach dem Durchgänger zu suchen. Die Minuten vergingen. Dann auf einmal wimmelte es wieder von Signalen: Dem Befehl zur Weiterfahrt. Man gab den Ponton verloren, froh genug, daß er schon weit hinten im Kielwasser schwimmen mußte und wenigstens keine Gefahr mehr bedeutete.


Frühmorgens kurz nach Sonnenaufgang am fünften Tag tauchte, ein gelbgrauer Streifen, die Küste Kubas auf. Wir rannten wie besessen nach unseren Kabinen, Waffen und Tornister auf die Brücke zu holen, um jeden Augenblick zur Ausschiffung bereit zu sein. Doch die Eile war sehr überflüssig. Noch achtundvierzig Stunden lang kreuzte die Flotte an der Santiagoküste, untertags so nahe, daß die hellen Sandstreifen und die dunklen Wäldermassen klar zu unterscheiden waren; in den Nächten weit draußen im Meer. Am dritten Tag aber in der Frühe dampfte die Schiffsmasse in nächste Nähe der Küste, die Kriegsschiffe weit voran. Immer näher kamen wir.

»Anker werfen! Transportschiffe in Kiellinie!« befahlen jetzt die Flaggen.

Auf den Kriegsschiffen aber wurde es lebendig. Bunte Wimpel stiegen an den Masten empor, nur der Marine verständlich. In ungeheuren Kreisen dampften [S. 93] die Linienschiffe und die Kreuzer, Schiff dicht hinter Schiff, die Küste entlang. Umruderten uns, um sich in Gefechtsstellung zu entwickeln, kehrten wieder zurück. In ganz langsamer Fahrt. Ich suchte mit dem Feldstecher den Strand ab. Glatt und ruhig spielte das Meer an der schmalen, gelben Sandlinie, von der Hügel mit dichtem Buschwerk aufstiegen bis an den Horizont. Im Vordergrund überspannte eine eiserne Brücke eine kleine Schlucht von grellgelbem Gestein. Ihr Gittergefüge sah sonderbar zierlich und gebrechlich aus und schien zu schwanken, zu zittern in der flimmernden Sonnenglut. Auf der Brücke stand ein Frachtwagen, hoch beladen mit Felsblöcken. Links daneben ragte aus dem Buschwerk ein winzig kleines Häuschen.

Kreis auf Kreis zogen die Kriegsschiffe.

Da — eine weiße Dampfwolke schoß aus einem großen Kreuzer, und ein furchtbares Krachen ließ mich zusammenfahren ...

[S. 94]

Auf kubanischem Boden.

Die Küste wird bombardiert. — Theodore Roosevelt und seine Zahnbürste. — Die Landung. — Ein Tag ungeduldigen Fluchens. — Die Arbeit beginnt. — Tropenregen. — Meine Hängematte. — Nachtruhe à deux. — Hunger und Arbeit — aber ach, was waren das für schöne Zeiten! — Der Major stiehlt einen Karren. — Telegraphenbau-Arbeit. — Palmen und Kletterei. — Bei den toten Rauhen Reitern von La Quasina. — Im Insurgentenlager. — Der Mangobauch. — Der Jesus-Christus-General.

Dichter Rauch und greller Feuerschein quoll aus allen Kriegsschiffen. Ohrenbetäubend war das Krachen. Der Schiffsboden, auf dem ich stand, bebte und zitterte, trotzdem wir mehrere hundert Meter entfernt lagen. Schuß krachte auf Schuß. In das dumpfe Dröhnen der schweren Geschütze rasselte grell der hellere Klang der Schnellfeuerkanonen; wie grausiger Donnerschlag und hallendes Stahlklirren, als ob Riesenschmiede auf überirdischem Amboß hämmerten. Man konnte nicht denken — man mußte nur stehen und starren. Aus dem Dröhnen heraus gellte es schrill in scharfen Mißtönen; ein Surren, ein Zischen, ein Gebrause. Schuß — Schuß — Schuß — Dutzende, Hunderte von Explosionen ... Schuß — Schuß — — — und die Minuten wurden zu Ewigkeiten. Heulend jagten die Stahlmassen durch die Luft und stürzten sich auf den Sand und das [S. 95] Buschwerk da drüben, die so still dalagen wie ein wehrloses Ding, das ein Starker zu Boden geschlagen hat und nach Gefallen zerhämmert. Nichts regte sich. Nirgends war Bewegung an Land. Nur das Buschwerk duckte und zitterte und wand sich wie ein Getreidefeld im Hagelschauer unter dem Sturm von Geschossen. In ungeheuren Rissen zerfetzten die Granaten den Buschwald, und blanke Erdstreifen tauchten auf im schwarzen Busch, wenn Dampf und Staub der Explosionen verweht waren. Aeste wurden durch die Luft geschleudert. Erdmassen spritzten empor. Ueberall, an vielen Stellen zugleich.

Und dann wurde es mit einem Schlag still, und schwere Rauchschwaden, weiß und grau und fahlgelb, wälzten sich übers Meer, daß einem der beißende Pulvergeruch giftig und atembeklemmend in Augen und Lungen drang. An Land regte sich nichts.

Der kommandierende General signalisierte: »Befehle abwarten!«

Wir starrten und starrten, und auf einmal regte es sich auf dem Wasser. Die Dampfbarkassen der Kriegsschiffe schossen herbei, und Dutzende von Booten, in denen es von Waffen glitzerte, huschten dem Lande zu. Die landenden Truppen kamen alle von einem einzigen großen Transportschiff ... Souder sprang nach seiner Kabine und holte die Liste der Schiffe und Truppen.

»Roosevelt ist’s!« rief er. »Die Rauhen Reiter!«


So landete Theodore Roosevelt mit seinem Regiment [S. 96] als Erster auf kubanischem Boden. Er hatte es durchgesetzt, daß ihm die Ehre der Vorhut zugeteilt wurde. Man hat Roosevelt oft genug nachgesagt, daß er auch als Reiteroberst der praktische Politiker geblieben sei, der vortreffliche Regisseur, der sich und seine Leute geschickt in Szene zu setzen wußte mit vollberechneten Effekten. Sicherlich zu unrecht. Der Mann, der in sein Leben eine so gewaltige Fülle von Sehen und Schaffen und Erfolg hineindrängte, wie wenige Männer seiner Zeit, und einer der berühmtesten Präsidenten der Vereinigten Staaten werden sollte, ahnte damals gewiß nicht, daß jeder Schritt auf kubanischem Boden ihn dem Präsidentenstuhl näher brachte. Er lebte nur. Er lebte das tätige Leben. Er war mit Leib und Seele Soldat. Der Name der Rauhen Reiter, die erst für diesen Krieg angeworben waren, hatte in der Armee bereits Märchenklang. In Tampa schon waren sie berühmt geworden. Selbst die alten Regulären aus den Indianerkriegen hatten einen Heidenrespekt vor dem Regiment, das sich aus den besten Reitern und den sichersten Schützen des ganzen Landes zusammensetzte, den Cowboys, den westlichen Grenzern und — den Söhnen der amerikanischen Millionäre. Aber auch die mußten »Qualitäten« haben. Kein Mann wurde aufgenommen, der nicht vorzüglich ritt und besser schoß. Die jungen Millionäre warfen, und das schien den alten Regulären am märchenhaftesten, links und rechts mit Gold um sich, und wer in Tampa Tabak brauchte oder Durst hatte, der ging nur geruhig ins Rauhe Reiterlager. Ein sonderbares Regiment ... Um [S. 97] Roosevelt selbst kümmerte sich die Armee wenig. Berühmt machte ihn erst seine Zahnbürste!

Als er eingebootet wurde, schrie ihm sein Bursche nach: »Wie ist das mit Ihrem Gepäck, Herr Oberst?«

Roosevelt, der Brotsack und Offizierstornister umgeschnallt trug, wie jeder Soldat, rief zurück:

»Was zum Kuckuck soll ich mit Gepäck? Doch — eh — gib mir meine Zahnbürste!«

Diese nützliche Notwendigkeit eines reinlichen Menschen steckte Oberst Roosevelt grinsend in das Band seines Rauhen Reiterhuts und bemerkte dabei, das sei das einzig wirklich nötige persönliche Gepäck. Für alles andere müsse schon der Herr Generalquartiermeister sorgen! Und fortan trugen Kind und Kegel, Mann und Offizier der kubanischen Armee Onkel Sams als besonderes Symbol im Hutband die Zahnbürste.

Der Mann mit der Originalzahnbürste und seine Leute aber machten nicht nur ihrem Vorschußruhm große Ehre als tolle Draufgänger und zähe Kämpfer, sondern hatten auch unverschämtes Glück, denn überall waren sie dabei, wo es wirklich der Mühe wert war. Bei La Quasina, in der ersten Schützenlinie der Schlacht vom San Juan Hügel, und im Nahkampf um das Blockhaus. In den ersten Tagen dagegen entging das Rauhe Reiter-Regiment nur mit knapper Not einer Katastrophe. Die stürmisch vordrängende Roosevelt-Vorhut fiel in einen Hinterhalt wenige Kilometer vom Strand und hatte schwere Verluste, ehe es ihr nach kurzem Feuerkampf gelang, die Spanier zurückzuwerfen.

[S. 98]

Den ganzen Tag über waren die Boote hin und hergefahren zwischen Schiffen und Strand, in langen Ketten, von Barkassen geschleppt. Ein Regiment nach dem andern wurde gelandet; reguläre Kavallerie, zwei Infanterieregimenter. Bunt wie eine scheckige Kuh war die »Segurança«, das Transportschiff des kommandierenden Generals, von Flaggenwimpeln und flatternd geschwungenen Signalfahnen. Doch die Befehle galten stets anderen Schiffen.

»6tes Kavallerieregiment ausbooten!«

»7te Infanterie an Land!«

Für uns aber kam kein Befehl. Mit brennenden Augen sahen Souder und ich durch die Feldstecher und fluchten so grimmige Flüche, daß der kleine Schwabenkapitän uns schmunzelnd erklärte, er könne ja auch allerhand leisten, aber das sei der Limit! Wir verwünschten den kommandierenden General zehntausend Klafter tief unter den Boden, und seinem Generalstab flehten wir Pest und Verdammnis an den Hals. Dasitzen müssen an Bord der alten Maultierfähre! Warten müssen, während lumpige Freiwilligenregimenter an Land durften! Wir kochten vor Wut. Wir zappelten in kindischer Ungeduld und tanzten Tänze des Jähzorns auf der Brücke. Endlich hielt es Souder nicht mehr aus. Gegen Abend, als auf der Segurança eine Pause in dem ewigen Signalisieren eingetreten war, rief er privatim ihren Signaldienst an:

»Seg S O — P P P — Segurança Signal Office — Privat, privat, privat ...« »Sergeant Hastings [S. 99] hat Dienst!« sagte er zu mir. »Guter alter Junge, der Hastings. Wird uns schon sagen, was los ist —«

Seg S O antwortete prompt: »I — I — jawohl, jawohl!«

Worauf Souder flaggte:

»Privat! — Wann — geht — Signalstab — an — Land?«

Und sofort kam die bissige Antwort: »Hell knows — we do not — you — go — to hell — no time — to answer fools’ questions. — Das weiß die Hölle; wir nicht. Fahrt zur Hölle — wir haben keine Zeit, jedes Narren Fragen zu beantworten!«

Souder sprang kerzengerade in die Luft: »Ich bring Hastings um,« schrie er, »wenn ich ihn erwische! Ich schieß ihn tot! Sieben Löcher mach ich ihm in den Bauch! Aber ich hab es immer schon gesagt, daß Hastings ein gemeiner Kerl ist!«

Zu dem Schaden aber hatten wir noch den Spott, denn jedes gesegnete Schiff im Umkreis rief uns an und signalisierte: ha — ha — ha! Hahaha aber bedeutet auf telegraphisch ein ganz großes Gelächter. Woraus ersichtlich ist, daß Soldaten in Kriegszeiten keine Sonntagsschüler sind und sich nicht immer einer gewählten und einwandfreien Sprache befleißigen; man spricht scharf und handelt scharf in solchen Zeiten großer Aufregung. Und dann waren ja weder Damen noch geistliche Herren anwesend.

Und wir warteten. Wir warteten scheußlich lange. Eine Nacht noch und fast einen Tag. Während der Nacht aber konnten wir uns wenigstens — auf dem [S. 100] Umwege über Blinklampen — mit Hastings privatim unterhalten, der besserer Laune geworden war. Teile der Blockadeflotte hatten, so erzählte er, bei Cabañas und Aguadores in Scheinangriffen die Küste ebenfalls bombardiert — bei Cabañas waren sogar Truppen gelandet worden, um die Aufmerksamkeit der Spanier von uns abzulenken — die Rauhen Reiter sollten auf spanische Schützenlinien gestoßen sein und Verluste erlitten haben — ebenso reguläre Kavallerie. Da wurden wir natürlich noch zappeliger, und von Schlaf war gar keine Rede. Gestiefelt und karabinerumhangen hockten wir auf der Brücke, wartend, wartend, und tranken aus unseren Blechbechern die Flasche Mumm extra dry, die der gute Kapitän uns zum Abschied spendierte, so gleichgültig, als sei das edle Getränk Wasser gewesen.

Der Morgen verging. Der halbe Nachmittag noch. Souder und ich wurden hysterisch. Knurrten wie bissige junge Hunde und suchten verzweifelt uns die Augen fast aus dem Kopf nach dem Signal, nach dem verdammten Signal. Da plötzlich hob sich an Bord der Segurança die rote Korpsflagge mit dem weißen Innenquadrat wieder und rief uns an:

»Signaldienstbefehl — Signalkorps an Bord Segurança!«

»I — I — jawohl, jawohl!«

Seine Abschiedsgrüße mußte uns der lachende Kapitän nachschreien, in solch lächerlicher Geschwindigkeit sausten wir auf Deck und übers Fallreep in das längst wartende Boot — — —

[S. 101]

Auf der Segurança gab uns Oberst Green seine Anweisungen:

»Vier Kilometer östlich von hier ist,« so erklärte er ungefähr, »von der Marine das Haitikabel aufgefischt und die Verbindung mit Washington hergestellt worden. Telegraphisten der Marine sind dabei, die Linie unter Benützung der alten spanischen Leitung hierher zu verlängern. Den Kabeldienst übernehmen Kabelexperten. Unsere Aufgabe ist es, telegraphische und telephonische Verbindung mit der Vorpostenlinie herzustellen. Im Einzelnen habe ich euch nur zu sagen: Ich verlasse mich auf jeden von euch. Wir werden schwere Arbeit haben. Ihr werdet ganz selbständig arbeiten müssen. Eure Befehle erhaltet ihr über den Draht. Offizieren der Truppen werdet ihr im Notfalle sagen, daß ihr strengsten Befehl habt, Anweisungen nur von euren Signaloffizieren entgegenzunehmen. Depeschen dürfen nur angenommen werden, wenn der aufgebende Offizier, ganz gleichgültig welchen Ranges, sie schriftlich gibt und unterzeichnet. Mündliche Nachrichten werden unter keinen Umständen weder über den Telegraphen noch übers Telephon befördert. Kommandierenden Offizieren, denen ihr begegnet, werdet ihr melden, der Chef des Signaldienstes lasse sie bitten, dafür zu sorgen, daß die Truppen die Drähte nicht beschädigen. Das wäre alles. Noch eins — ich verbitte mir jede überflüssige Schießerei! Dazu seid ihr nicht da!«

Da kam sich der Lausbub kolossal wichtig vor.

[S. 102]


Die See ging hoch, und längs des Strandes hatte sich eine ungemütliche Brandungslinie entwickelt. Unsere Boote wurden umhergeschleudert, als wären sie Eierschalen. Geradeaus am Strand zu landen war unmöglich. So mußten wir uns der alten Landungsbrücke bedienen, und die lag gute zwei Meter über dem Wasserspiegel. Es war jedesmal ein Kunststück, sich von dem stampfenden Boot emporzuschwingen. Stunden brauchten wir, um die Hunderte von schweren Rollen dünnen isolierten Kupferdrahtes an Land zu schaffen, die Telephone, die kombinierten Telephon-und Telegraphenapparate, die Trockenbatterien, die Flaggen. Ein unbeschreiblicher Wirrwarr herrschte am Strand. Ueberall waren Säcke, Kisten, Munition aufgestapelt, und zwischen diesen Bergen von Kriegsmaterial rannten aufgeregte Offiziere umher, die den Proviant für ihre Schwadronen und Kompagnien haben wollten. Wir errichteten sofort dicht am Strand die Telegraphenstation mit einer Hauptbatterie und waren kaum fertig mit Zeltbauen und Aufstellen des Apparats, als urplötzlich die Dunkelheit hereinbrach und weiteres Arbeiten unmöglich machte. Mit der Dunkelheit kam Regen. Nein, nicht Regen — der Ausdruck ist viel zu schwach — sondern ein Wolkenbruch. Nein, nicht ein Wolkenbruch. Sondern es regnete, wie es in den Tropen regnet. Das waren nicht Wassertropfen, sondern dicke Wasserschnüre, Schnur an Schnur.

Souder und ich hatten vorher schon unser winziges Soldatenzelt aufgebaut, von dem er die Hälfte trug und ich die Hälfte, und kamen uns sehr schlau vor, als [S. 103] wir bei den ersten Tropfen schleunigst unter Dach krochen. Aber ach — was war ein Zelt gegen diese Wassermassen! Der angeblich wasserdichte Segeltuchstoff gab nach einer Minute schon den hoffnungslosen Widerstand auf ...

»Teufel — rück’ ein wenig!« schrie Souder. »Mir läuft ein Bach, ein richtiger, gesegneter Bach, am Hals herunter!«

»Reg’ dich nicht auf um Kleinigkeiten,« erwiderte ich erbost. »Ich — liege — in — einem — See! Rück’ du!«

Doch das konnte er ebensowenig wie ich. Wir füllten das winzige Zelt ja bis zum letzten Winkel. Oben regnete es herein. Von vorne und hinten kamen, klatsch, klatsch, die Güsse. Unten rieselte ein Bach.

»Oh hell!« sagte der Sergeant, sprang auf und warf dabei das Zelt um, daß unsere stützenden Karabiner ins Wasser plumpsten. »Nässer können wir doch nicht werden!«

Und ich sah erstaunt, wie er sich Rock, Hose, Stiefel, Gamaschen, Hemd herunterriß und splitternackt dastand. »Ich nehme ein Bad!« grinste er. »Gratis. Passende Gelegenheit. Ein kubanisches Brausebad — Shampooing obendrein — kost’ sonst einen Dollar fufzig ... Wie nett, daß der Regen hierzulande wenigstens warm ist!«

Ich machte es ihm schleunigst nach, und als kurz darauf unser Major Stevens, im Gummimantel, eine Magnesiumfackel in der Rechten, in dem Miniatursee einhertappte, riß er die Augen gewaltig weit auf.

»Eh — wer ist das? — eh, Souder — Carlé — [S. 104] seid ihr verrückt geworden? — na, Jungens, das ist nicht übel!« Wir splitternackten Kubakämpfer standen ganz mechanisch stramm!»Rührt euch, rührt euch, Kinder, bei allem was lustig ist! Und nun versucht eben, zu schlafen, so gut es geht. Ich habe für uns alle Gummiponchos besorgt, und das nächstemal seid ihr besser daran. Good night!«

Nach wenigen Minuten hörte der Regen auf, und erst als wir in unsere triefenden Kleider krochen, fiel mir Esel ein, daß ich mir ja in Tampa eine wundervolle, sündhaft teure Hängematte gekauft hatte! Aus Seide! So dünn, daß ich sie bequem in der Tasche tragen konnte. Sie sollte mir noch unschätzbare Dienste leisten. Später bekam ich heraus, daß in der ganzen Armee außer mir nur der kommandierende General noch so schlau gewesen war, für die so naheliegende Bequemlichkeit einer Hängematte zu sorgen. Ich band das seidige Ding an zwei Bäumchen fest und kletterte vergnügt hinein.

»Das ist Seide, nicht wahr?« fragte Souder, mich und meine Hängematte mit seiner Signallaterne bedächtig ableuchtend. »Stark? Fest?«

»Unzerreißbar!« sagte ich stolz.

»Very good!«

Und im gleichen Augenblick war er zu mir hineingeklettert, so entrüstet ich auch protestierte, und seine patschnassen, schwerbestiefelten Füße suchten sich mit göttlicher Ungeniertheit ihre Ruhepunkte in der Gegend meiner Ohren. So lagen wir und rauchten noch lange nassen Tabak aus nassen Pfeifen. Ach, was waren [S. 105] das für schöne Zeiten! Täte ich heute dergleichen, so würde ich mir wahrscheinlich keuchenden Husten, eine schwere Bronchitis und eine tödliche Lungenentzündung holen. Ach, was waren das für schöne Zeiten!!

Die Kavallerieschwadron im Dickicht nebenan leistete auch für uns die Dienste einer Weckuhr.

I can’t get ’em up,
I can’t get ’em up,
I can’t get ’em up in the morning!

»Sie stehen nicht auf, sie stehen nicht auf, sie stehen nicht auf des Morgens ...«

»Heiliger Moses!« keuchte Souder, als er hinplumpste.

»Großer Cäsar!« schrie ich und kollerte neben ihn.

Denn steif wie ein Stock war der eine wie der andere, er und ich; kaum bewegungsfähig, wie nässeverschimmelt, wie verrostet. Die Kleider mußten getrocknet sein über Nacht, aber sie waren schon wieder feucht und klebrig geworden im Morgentau. Wir stampften umher und stellten mit inniger Genugtuung fest, daß in nächster Nachbarschaft noch vierzehn andere Gestalten täuschend ähnlich schwankten und stampften, der Major darunter so gut wie der Leutnant. Geteilte Unbequemlichkeit ist halbe Unbequemlichkeit. Wir sahen freilich nur die Oberkörper der Gestalten. Ihre Beine sahen wir nicht. Die ahnten wir nur. Sie steckten wie auch die unsern in den dickgelben Schwaden des Bodennebels, aus dem stickige Moderluft heraufdrang, [S. 106] übelriechend, boshaft, giftig — in Rauch aufgelöste Pestilenz. Da kroch über das struppige Buschwerk ein glühendroter Fetzen Sonne —

»Wer — hat — eine Kaffeemühle?« schrie der alte Sergeant Hastings.

»Deine Großmutter — zu Hause!« war Souders prompte Antwort.

Aber das Lachen verging ihm bald, als wir selbander unsere Brotsäcke und Tornister untersuchten und entsetzt den breiigen Inhalt beguckten. Die hochfeinen sandwiches des guten Schwabenkapitäns hatten sich in ihre Moleküle aufgelöst — in Brei — Brei — fleischfaserigen Brei. Doch ein hungriger Magen macht erfinderisch, und wir gingen zum Bach. Der Brei schwamm fort. Als Niederschlag blieb, was sonst noch im Brotsack geblieben war: die vier Pfund fetten Specks der eisernen Ration, ihre zwei Dutzend Schiffszwiebacke, die selbst eine Nacht im Brei nicht hatte erweichen können, und ihre grünen Kaffeebohnen, ein halbes Pfund. Salz und Zucker dagegen waren beim Teufel. Wir nahmen unsere Feldbratpfanne, rösteten vorerst den grünen Kaffee über offenem Feuer (es wurde nichts Rechtes!) und unterhielten uns dabei gegen alle Disziplin darüber, wer wohl der verantwortliche Schafskopf sein könne — verantwortlich dafür, daß einer eisernen Ration grüne, ungeröstete Kaffeebohnen beigegeben wurden! Mit dem Rösten ging es ja noch halbwegs. Aber die Kaffeemühle! Der verantwortliche Schafskopf hatte obendrein vergessen, der Armee auch nur eine einzige Kaffeemühle mitzugeben! Souder [S. 107] zerklopfte kurzentschlossen seine Bohnen im Blechtopf mit einem Stein, und ich mußte anerkennen, daß es einen besseren Ausweg nicht gab. So bereiteten wir vier Wochen lang das unentbehrliche Getränk eines Soldaten im Krieg — wir und die gesamte Armee! Wenn die Flüche, die damals auf den commissary general, den Chef des Armeeverpflegungswesens, herabgeflucht wurden, wörtlich in Erfüllung gegangen wären, so hätten zwanzigtausend separate Teufel ihn siebenmal zwanzigtausendmal separat holen müssen ... Wir brieten uns Speck. Wir zerbissen die infam harten Zwiebacke.

Leutnant Burnell und sechs Mann blieben bei der Station zurück, um den Kabelleuten entgegenzuarbeiten. Major Stevens und zehn Mann (dabei waren Souder und ich) bildeten den eigentlichen Telegraphenbaudienst der Armee — elf — elf — Mann! Ganze elf Mann!! Wir waren am Aufbrechen, als ein Meldereiter für die Segurança herbeijagte, der sich bei uns einen Augenblick verschnaufte und erzählte, daß bei La Quasina, sechs Kilometer in Front etwa, gestern das erste Gefecht stattgefunden hatte. Nach schweren Verlusten hatten die Rauhen Reiter und reguläre Kavallerie unter General Young die Spanier aus ihrer ersten Verteidigungsstellung geworfen. Die Vorposten standen jetzt eine halbe englische Meile über La Quasina hinaus.

Wir brüllten uns heiser vor Begeisterung.

Der Major aber durchstöberte mit Hastings, dem dienstältesten Sergeanten, all das aufgestapelte Material [S. 108] zum Linienbau; den Haufen von Drahtrollen, die Telephone, die Kombinationsapparate, die Trockenbatterien, die Eisenstangen für die Erdleitung.

»Wo sind denn die Werkzeuge?« fragte er kopfschüttelnd.

»Wir haben keine!« antwortete der alte Hastings.

»Was?« rief der Major, »keine Drahtzwicker? Keine Klemmzangen? Keinen Gummi zum Isolieren?«

»Nix, Herr Major!« sagte Hastings. »Wir konnten in Tampa nichts geliefert bekommen. Wir haben keine Werkzeuge. Ich persönlich besitze eine Beißzange, die ich auf der Segurança — hm — gefunden habe ...«

»Na, hätten Sie da nicht noch mehr finden können?« brummte der Major.

Er kopfschüttelte immer mehr und betrachtete den Haufen von Drahtrollen und rechnete mit den Sergeanten, wieviel Kilometer Draht wir elf Mann außer den Instrumenten tragen konnten. Sechs bis acht Kilometer höchstens. Transportmittel gab es ja nicht in diesem Krieg von leichtsinnigen Kindern. Dann war er auf einmal verschwunden. Ebenso plötzlich aber kam er wieder, im Schweiße seines Angesichts einen großen Proviantkarren vor sich herschiebend.

»Los, Jungens!« keuchte er. »Los — ehe sie uns erwischen!«

Denn: Der Herr Major hatte unten am Strand den Karren — gestohlen!

Für die gute Sache! Von da ab hätten wir uns für diesen Mann totschlagen lassen. Das war ein Mann! Vielleicht erzähle ich später einmal, wie Major [S. 109] Gustave W. S. Stevens das Schatzamt des Signaldienstes bemogelte, um das Geld für die ersten Flugversuche der Armee zu schaffen, das der Kriegsminister und der Chef des Signalstabs nicht hergeben wollten. Aber das ist ja eine ganz andere Geschichte.

Der Major zog seinen Uniformrock mit den schön glänzenden Silberstreifen und den goldenen Adlern aus und arbeitete so hart wie wir daran, die Instrumente und den kostbaren Draht auf dem Karren zu verstauen. Unterdessen hatten Leutnant Burnell und seine Leute die ersten fünfzig Meter Draht gelegt und die Verbindung mit dem Stationsinstrument hergestellt.

Vorwärts ging es jetzt. Der Pfad, der den Hügel hinaufführte, war ein armseliges Weglein kaum zwei Meter breit und so tief verschlammt vom Regen der Nacht und den Fußtritten von Tausenden, daß man einsank bis zu den Knöcheln. Und vollgestopft von Truppen. Infanteristen. Batterien, deren Mannschaften langsam und mühselig Zoll für Zoll die Geschütze vorwärtsschoben, denn die Gäule konnten es nicht schaffen. Links und rechts aber vom Weg starrte der Buschurwald mit seinen verrankten, verschlungenen, verdornten Gewächsen, die so fest waren wie eine Mauer und uns keinen Schritt weit eindringen ließen.

»Platz!« schrie Major Stevens. »Spezialdienst. Signalkorps!«

Die Infanterie duckte sich an die Wegseite, und holtergepolter jagten wir vorbei mit unserem Karren. Wir hatten uns lange Stangen mit gabeligen Enden geschnitten und warfen den ausgezeichnet isolierten [S. 110] Leitungsdraht einfach über das Urgebüsch, nur alle hundert Meter spannend und festknüpfend. Rasch kamen wir vorwärts, rascher als die Infanterie. Die marschierte nur, während uns die Neugier vorwärtspeitschte. Dann kamen wir zu den Geschützen und wären beinahe stecken geblieben, konnten doch die schweren Stahlmassen in dem engen Pfad nicht ausweichen, wollten auch gar nicht, oder ihre Herren vielmehr wollten nicht, denn Offiziere und Kanoniere spuckten ohnehin schon Galle über den miserablen Weg und pfiffen natürlich auf Telegraphendrähte und derlei Belanglosigkeiten. Wie es uns gelang, an den Kanonen vorbeizukommen, ist mir heute noch ein halbes Rätsel. Ich weiß nur, daß der Major fluchte und puffte wie ein Hausknecht, daß wir den Draht und die Instrumente abluden und sie im Laufschritt vorwärtsschleppten, daß wir den gestohlenen Karren auseinanderlegten und ihn stückweise über die Köpfe der Artillerie hinwegtrugen. Dagegen weiß ich noch ganz genau, daß ich an einer Ecke einem unverschämten Artilleristen, der mich absichtlich behinderte, eine schwere Drahtrolle gewaltig um den Schädel schlug ... Wie roh das war! Wie leid mir das tut in der Erinnerung! Aber — ach, was waren das für schöne Zeiten!

Jetzt brannte die Sonne kerzengerade hernieder, als hätte sie sich das Weglein und nur das Weglein zum Heizen ausgesucht, und dampfende, ekelfeuchte Hitze hüllte uns ein, vermengt mit giftigen Modergerüchen aus dem tausendjährigen Dschungel zur Seite, dem Hexenkessel mit seinen häßlichen Dämpfen aus faulender [S. 111] Feuchtigkeit und schwärzendem Heißsein. Dicht, starr, stand der Urwald. Der Gedanke stieg in mir auf, wie es überhaupt möglich sein konnte, in dieser eingekeilten Enge einen Feind anzugreifen oder von einem Feind angegriffen zu werden; eine Schützenlinie zu entwickeln, vorwärtszustürmen. Da ich zwanzig Jahre alt und neugierig war, befragte ich den Major darüber, als er neben mir schritt. In Tampa hatten wir ihn kaum zu Gesicht bekommen. Aber die wenigen Stunden schon auf kubanischem Boden hatten zwischen ihm und uns jene eigentümliche Verbindung des Vertrauens hergestellt, die von Mann zu Mann überspringt nur in Zeiten männlicher Höchstleistung, wenn jeder, der Führer und der Geführte, hergibt, was in ihm ist. Er war unser und wir waren sein. Darüber redete man nicht. Das fühlte man. Man stand zusammen und man fiel zusammen. In unserem Schneid und unserer Arbeit lag seine Hoffnung auf Glück und Ehren — und aus seinen Händen nur konnte unser Lohn gegeben werden.

Die Disziplin litt nicht darunter, wenn auch die äußerlichen Unterschiede zwischen Mann und Offizier sich als äußerlich und belanglos verwischten.

»Well,« sagte er lächelnd, »es ist eine scheußliche Gegend, wie Sie ganz richtig bemerken. Ich bin von Hause aus Artillerist und kann mir lebhaft vorstellen, daß es höllisch unangenehm wäre, würden wir jetzt mit Schrapnell überschüttet!«

Ich wurde puterrot. »Ich hatte — aber — durchaus — nicht Angst!« stammelte ich.

[S. 112]

»Nein, mein Sohn. Weiß ich. Nebenbei bemerkt gibt es keinen Menschen, der unter Schrapnellfeuer nicht Angst haben würde. Und weiterhin nebenbei bemerkt sind wir nach meiner Karte in einer Viertelstunde aus dem Busch heraus. Well — haben Sie eigentlich Tabak? Ich muß vorhin mein Etui verloren haben —«

In Bächlein rannte der Schweiß an uns herab, und ich war kaum weniger naß als nach dem Wolkenbruch in der Nacht vorher. Wir segneten den schlauen Major und seine Karre aus dankbaren Herzen und schmissen alles, was nicht niet und nagelfest war, auf das Vehikel; Brotsäcke und Röcke und Tornister und Wolldecken und Telegraphenapparate. Aber es war noch immer zu heiß. Einer machte den Anfang, als wir einmal hielten und Luft schnappten, und die andern machten es ihm schleunigst nach: Ein schamhaftes Verschwinden hinter einen dicken Baum! Und — Strümpfe? Ueberflüssig, weg damit. Unterhemd? Lächerlich, weg damit. Unterhosen? Unglaublich bei dieser Hitze, weg damit. Jetzt war uns wöhler! Instinkt hatte uns wie zwanzigtausend anderen Simplizität in der Vereinfachung der Felduniform gelehrt, die in Zukunft aus Stiefeln, Gamaschen, Reithose, blauem Flanellhemd, Schlapphut bestand, und sonst aus nichts. Das war genug und übergenug! Viele von den Offizieren ließen sich die Schulterstreifen aufs blaue Flanellhemd nähen ... Nur keinen Rock in dem Backofen!

Jeder einzelne Mann tat sein Bestes. Sicherlich stellte es eine respektable Leistung dar, beim Linienbauen die marschierenden Truppen weit zu überholen. [S. 113] Der Draht funktionierte ausgezeichnet. Wir setzten uns jede halbe Stunde in Verbindung mit Leutnant Burnell in Baiquiri, der uns an Neuigkeiten meldete, daß der Hauptlandungspunkt von nun an Siboney sei, wenige Kilometer westlich von Baiquiri. Er lasse zwei Mann zum Stationsdienst zurück und werde mit den übrigen von Siboney eine Drahtlinie zum Kreuzungspunkt der beiden Straßen bei La Quasina legen.

Da weitete sich das Weglein, und der Busch wurde niedriger, dürftiger, bis plötzlich der Schlick des Pfades sich in weichen Moosboden verwandelte. Rings um uns reckten sich schlanke braune Stämme mit fächerigen Wipfeln empor; ein Hain von Kokospalmen.

»Teufel!« sagte Major Stevens.

»Tausend Teufel!« — sagten wir ...

Denn die luftige Schönheit machte auf uns nicht den geringsten Eindruck, sintemalen sie schwere und langwierige Arbeit bedeutete. War es doch nun vorläufig zu Ende mit dem wunderschön bequemen und schnellen Aufwerfen des Drahts auf den dichten Busch. Den Draht einfach auf den Boden zu legen, ging nicht. Die nachmarschierenden Truppen hätten ihn zertrampelt, zerrissen. Und nicht einmal Klettereisen hatten wir!

»Nun, dann klettern wir eben so!« sagte der Major. »Souder, holen Sie mir doch aus dem Baum da ein halbes Dutzend Kokosnüsse — und Sie, Hastings, telegraphieren, bitte, dem Leutnant Burnell, daß wir frische Kokosmilch trinken und lebhaft bedauern, ihn nicht einladen zu können.«

[S. 114]

Schallendes Gelächter. Die gute Laune war wieder da.

Es läßt sich außerordentlich schwer vorstellen, was es heißt, als todmüder, abgearbeiteter, hitzeerschöpfter Mensch mit schweren Drahtrollen Kokospalmen hinaufzukrabbeln; ich wenigstens packte mit Händen und Füßen und Knien ums liebe Leben zu und war schlapp wie ein nasses Handtuch nach dem dritten Baum. So lernten wir die relative Wichtigkeit der Werte für die Bedürfnisse des Augenblicks fein unterscheiden und waren entsprechend froh, als der dreckige Schlamm und der stinkende Dschungel wieder kamen. Bedeuteten sie doch flottes Vorwärtskommen für uns. Lichter aber war es. Man konnte wenigstens sehen. Man hatte Ausblick über den niedrigen Busch und das wuchernde Gras hinweg auf üppige Baumgruppen tiefen Grüns und sanftansteigende Hügel im Vordergrund.

In dem Schlamm des schmalen Weges aber, bei einem Grasbüschel hier, in einer kleinen Bodensenkung dort, an Baumstämmen glitzerten gelbmetallisch blanke Patronenhülsen und mehrten sich zu vielen Hülsenhäuflein, als wir uns vorwärtsarbeiteten. Unser Lachen und Geschwatze war plötzlich verstummt. Ein zertrampelter grauer Schlapphut lag am Weg — dort eine Wolldecke — dort ein Tornister, von dessen Segeltuchbraun tiefdunkel und bedeutungsvoll rostfarbene große Flecke scharf abstachen. Und da leuchtete aus tiefem Gras und dornigem Gestrüpp blanke Erde, frisch aufgeworfen, und aus den lehmigen Erdschollen ragte Griff und Klinge eines Offizierssäbels. Ungeschickte [S. 115] Hände hatten das Soldatengrab mit Steinen und Holzstückchen umrahmt. Man sah der Arbeit die hastende Eile an. Ein zweites Hügelchen frischer Erde kam, ein drittes; Dutzende jetzt auf einmal. Ein Hut lag auf dem einen, ein Reiterhandschuh auf dem andern, ein Symbol zum Wiedererkennen auf jedem ...

Feierlich und langsam erhob der Major die Rechte zum Hut und grüßte, hochaufgerichtet, kerzengerade, als sei er auf Parade, die Männer, die da unter dem Boden lagen, gestorben für ihr Land. Ein jeder von uns verstand. Alle Hände hoben sich zum Salut für die toten Rauhen Reiter.

Wir waren bei La Quasina.

Dicht bei den Gräbern kampierten wir in dieser Nacht. Im Dämmerungsgrauen, als ich die Wache beim Instrument hatte, meldete der Draht: »Der kommandierende General wird morgen sein Hauptquartier in die Vorposten verlegen. Das Signaldetachement erwartet den General auf der Straße von La Quasina-El Pozo, an einem Punkt, der telegraphisch mitgeteilt werden wird. Die Linie ist bis tausend Yards über La Quasina hinaus fertigzustellen.«

Ich weckte den Major.

»Das hätte Zeit gehabt bis zur Reveille ...« brummte er.


»Señor!«

»Señores!«

»Ich — Kohlenmann — Keywestdampfer ... drei Jahr, damn — ich fein Englisch sprechen — — «

[S. 116]

»Ein klein Biskuit, señor, please!«

»Eviva el Cuba Libre und gut’ Americanos« — und eine Skeletthand steckte mir eine kohlschwarze Riesenzigarre in den Mund.

»Plenty Hunger — Biskuits bueno, aber nix gut die amerikanisch’ Speck ... damn Speck —«

Sie zeterten und schrien und kreischten und gestikulierten. »Piff, piff!« zischte der eine, mit den Händen die Gebärde des Anlegens und Zielens machend, »hé — piff, piff, piff, piff ... o — hé. Espagnoles dort (er deutete in den Busch) — Americanos piff, piff, ’urrah, viel ’urrah, viel laufen, Espagnoles weg. Plenty bueno!« Ein anderer brüllte: »Da — da vorne — Señores werden sehen — der commandante — der große Garcia — el liberator ...«

Wir standen und starrten. Das also waren kubanische Insurgenten, und so sahen begeisterte Freiheitskämpfer aus und so schnatterten sie, die Heroen, die den Tod dem Knechttum vorzogen. Achtundvierzig Stunden später überzeugten wir uns, ein wie erbärmlich feiges und faules Gesindel diese berühmten, todesmutigen Freiheitskämpfer in Wirklichkeit waren. Aber wenn ich schaudernd an die traurigen Gestalten denke, so möchte ich die überharten Worte bedauern, mit denen wir vollsaftigen, kraftvollen Männer damals die ausgehungerten Männlein überschütteten. Sie taugten ja nicht zum Kämpfen und Arbeiten. Das waren keine Menschen mehr. Nicht einmal Tiere. Sondern wandernde Skelette. Sie hatten sich ein Lager in den Busch hineingehauen und aus Zweigen ein dürftiges Obdach [S. 117] zusammengeflickt. In Fetzen schlotterten ihnen die Jacken und die Hosen aus schmutziggrauem, dünnem Baumwollstoff um die abgemagerten Glieder, und viele hatten nicht einmal eine Jacke, sondern liefen mit bloßem Oberkörper umher. So winzig, so krank, so schwach sahen die kleinen Männlein aus, die viele Monate lang Tag für Tag gehungert hatten, daß ich mir dachte:

Ein einziger Faustschlag, und nicht einmal ein kräftiger, und Señor Insurgente ist außer Gefecht gesetzt!

Wie arme verkrüppelte Kinder sahen sie aus, die Krieg spielten — die man bemitleiden mußte ob des Gewichts des Säbels, den sie an einem Strick umgeschnallt trugen. Eine schwere und furchtbare Waffe war dieser Säbel, Machete genannt; eine Art zum Säbel verlängerten Messers, das nichts ähnlicher sah als dem biederen Küchenmesser deutscher Hausfrauen, freilich ins Riesenhafte vergrößert. Ein gerader Säbel mit plumpem Holzgriff und breiter Klinge, haarscharf geschliffen. Vorzüglich waren auch die Gewehre dieser Jammergestalten: Moderne Mauserschnellfeurer, deutsches Modell 88, und amerikanische Winchesters mit kupferumhüllten Geschossen. Die Männer aber hinter diesen Gewehren waren sicherlich nichts wert.

Die armen, armen Teufel!

Sie bissen gierig in die steinharten Schiffszwiebacke, die wir ihnen schenkten, und schnatterten dabei über Hunger und Elend. Eine Handvoll Reis, ein Brotfladen waren Seltenheiten gewesen monatelang; von Früchten und Beeren hatten sie sich ernährt.

[S. 118]

Ein Weib schlich herbei, mit gekrümmter Hand um einen Zwieback bettelnd. Um ihren Körper war rockartig ein Fetzen schmutzigen Baumwollstoffs geschlungen, die bloßen Brüste hingen schlaff und verdorrt weit herab, die hungrigen Augen lagen tief in den Höhlen. An den Rockfetzen aber klammerte sich ein fürchterliches menschliches Wesen.

Ein nacktes Kind, ein Mannkind, drei Jahre alt vielleicht, das — auf den dürren Zündholzbeinen des Elends einen fürchterlichen Falstaffbauch trug. Winzige Glieder, ein spitziger, magerer Kopf, und ein Zuckerhutleib, der in seiner Aufgedunsenheit den Nabel weit vordrängte. Ein Monstrum, ekelerregend, Mitleid heischend.

»Nix bueno — Mangobauch!« erklärte die Mutter.

Der Major, der Spanisch verstand, schenkte dem Weib einen blanken Silberdollar und sprach mit ihr. Er erklärte uns das Monstrum. Die Fruchtnahrung, die auf Erwachsene abmagernd wirkte, führte bei Kindern zu schweren Verdauungsstörungen, weil nur ungeheure Mengen den steten Hunger sättigen konnten. Daher der Bauch, das Aufgedunsensein. Obendrein war die häufigste Frucht, der orangenartige Mango, stark terpentinhaltig und wurde von einem kindlichen Magen schwer verdaut. Daher der Name Mangobauch. Zu Hunderten sahen wir später um Santiago die mißgestalteten kleinen Geschöpfe, die so ausgehungert waren, daß sie fraßen wie Tiere und an unseren Lagerfeuern Mahlzeiten hinabschlangen, die ein ausgewachsener hungriger Mann nie hätte bewältigen können.

[S. 119]

Noch lange kreischten sie uns nach, die kubanischen Insurgenten:

»Eviva los Americanos — Cuba Libre!«

Das arme Kind aber heulte zum Steinerweichen in gellenden Mißtönen. Verschwanden doch mit uns die schönen, schönen Biskuits; infam harte, kaum genießbare Schiffszwiebacke für uns, köstliche Leckerbissen für das im Walde gezeugte Geschöpf des Jammers.


Der Pfad war wieder das alte verschlammte, schmale Weglein, eingerahmt von undurchdringlichem Gestrüpp. Wir konnten den Draht wieder mit unseren Stangen aufwerfen und kamen rasch vorwärts. Da erschallte dumpfes Pferdegetrappel und drei Reiter trabten herbei.

»Der kommandierende General!« meldete der führende Korporal kurz, einen Augenblick seinen Gaul einzügelnd.

Bald darauf kam das Hauptquartier. General Shafter, der Höchstkommandierende, saß in einem winzigen Wägelchen, das zwei Maultiere zogen und ein Kavallerist lenkte. Der Stab ritt hinterdrein im Gänsemarsch, denn so schmal war der Saumpfad, daß zwei Pferde, die Reiter trugen, kaum nebeneinander schreiten konnten.

Die Kolossalgestalt des Generals lehnte erschöpft im Sitz. Auf Shafters Knien lag eine Karte. Der Wagen hielt, als der Major vortrat und seine Meldung erstattete:

»Ein Offizier, drei Sergeanten, sieben Mann des [S. 120] Signaldetachements. Linie von Baiquiri bis hierher vollendet und in guter Ordnung.«

Der kommandierende General nickte und sagte mit einer Stimme, die so kinderartig hell und schrill war, daß sie weithin gellte:

»Sehr — gut — Major. Bei Jesus Christus — das — haben — Sie — gut — gemacht, Major. Sie folgen, Major, und bleiben — im Hauptquartier — bis — auf — weitere Orders — Jesus Christus!«

Und das Wägelchen rollte weiter. Ein halber troop, eine halbe Schwadron der 6ten Regulären Kavallerie bildete die Eskorte des Höchstkommandierenden.

So sah ich zum erstenmal den Jesus-Christus-General.

[S. 121]

Beim Jesus-Christus-General.

Das Hauptquartier in der Vorpostenlinie. — General Shafter, Höchstkommandierender. — Die Trumpfkarte im Spiel. — Proviant her! — Ein sogenannter Spaziergang. — Die spanische Verteidigungslinie. — Die Nacht vor der Schlacht. — Das Telegramm nach Washington. — Die Regimenter ziehen dem Feind entgegen.

Auf einer Strecke von kaum einer halben englischen Meile passierte uns Unglück auf Unglück. Mit einemmal funktionierten die Apparate nicht mehr, als wir wieder Baiquiri andrahten wollten, und der Major mußte Hastings und zwei Mann zurückschicken, nach dem Schaden zu suchen. Sie fanden ihn zum Glück bald: ganz in der Nähe des Insurgentenlagers war der Draht zerrissen. Dann kamen fünfmal hintereinander lichte Waldstellen, die langwieriges Klettern und Drahtspannen erforderten. So wurde es Nachmittag, bis wir endlich das Hauptquartier inmitten der Vorposten erreichten, erschöpft, todmüde. Oberst Green mit dem ihm persönlich attachierten Signalsergeanten kam uns entgegen.

»Schlafen, Leute!« befahl er. »Myers, holen Sie Kaffee, da hinten beim Kochfeuer. Und dann wird sofort geschlafen!«

Das Signalzelt war bereits errichtet und das Instrument [S. 122] drinnen aufgebaut worden. Den Dienst übernahm der Sergeant Oberst Greens. Wir anderen aber tranken gierig heißen Kaffee, wickelten uns in unsere Decken und legten uns Mann neben Mann dicht um die Außenwand des Zeltes; in unseren feuchten, durchschwitzten Kleidern, den patschnassen Stiefeln, in die der Schlamm trotz allen festen Geschnürtseins eingedrungen war. Ich war so müde ... »Stiefel ausziehen!« rief die scharfe Stimme des Majors — »runter mit den Stiefeln!« Und widerwillig zog ich sie aus. Ich war so — — — Die Augen konnte ich kaum offenhalten und nicht der Mühe wert war es mir, den Wirrwarr um mich zu betrachten. Da standen riesige Zelte und Pferde wieherten im Hintergrund und viele Offiziere kamen und gingen und ... schlafen, nur schlafen! Ich schob mir den Tornister unter den Kopf und wickelte mich fest ein. Da begann das Instrument drinnen zu sprechen in scharfem Ticktack. Klick, klick, klick — klack, klack — kurz, kurz, kurz, — lang, lang — aber die klingenden Punkte und Striche flossen in ein nichtssagendes Geklapper zusammen für mein müdes Hirn — klick, klick, klack ... da war ich eingeschlafen.


Das Hauptquartier lag dicht am Weg, an dem ewigen Schlammpfad, den keiner der Männer von Kuba je vergessen wird. Gegenüber ragte der dornige Busch. Die Zelte standen in einer Lichtung, in der einmal ein Haus gewesen sein mußte, denn verwittertes Gebälk [S. 123] lag umher, und gegen das Weglein zu trotzte noch ein Stück Zaun aus verfaulten Pfosten und verrostetem Stacheldraht. Das Signalzelt war dicht beim Eingang aufgebaut. In Linie, nicht weit davon, schimmerte weißgrau das Dutzend Zelte des Stabes, und hinter ihnen erhoben sich die winzigen Segeltuchhütten der trooper der 6ten Kavallerie. In der Mitte, fünfzig Schritte vor uns, stand das Zelt des kommandierenden Generals. Zwei Pfostenpaare waren kreuzweise in den Boden geschlagen und eine Hängematte an ihnen befestigt. In dieser lag krank und mürrisch General Shafter, der Befehlshaber der Armee, der alte Indianerkämpfer, der Mann, den der amerikanische Reguläre niemals anders nannte als den »Jesus-Christus-General«. Es sind später viel Steine geworfen worden auf diesen Mann; einen Zauderer hat man ihn genannt und Schlimmeres in seinem Land. Ein Zauderer war er. Aber die Schimpfer vergaßen, daß auf seinen Schultern und nur auf seinen Schultern die ungeheure Verantwortung für das Leben von vielen Menschen und die Ehre einer Flagge ruhten, die gar arg bedroht waren durch den Leichtsinn, der in Hast und Aufregung die Sorge für eine Armee sehr leicht genommen hatte. Doch das verstand ich erst später. Wenn ich von General Shafter in diesen Seiten erzähle, so darf der Leser nicht vergessen, daß ich versuche, ganz einfach zu schildern, was der Lausbub im Soldatenrock damals sah — das wirkliche Sehen und Hören. Der Jesus-Christus-General hatte für mich Zwanzigjährigen im Lager damals und im Feld später nicht viel von der Glorie des Leiters [S. 124] einer kämpfenden Armee, sondern ich sah mit meinen jungen Augen nur das Allzumenschliche des Kranken und Uebererregten. Der Mann heute versteht. Daß jene Tage in Kuba dem amerikanischen Invasionsheer keine Katastrophe brachten sondern Siege, ist für den nüchternen Beurteiler ein Wunder. Und Shafter wußte das! Als einziger vielleicht. Er wußte, daß kein Proviant da war — er wußte, daß alle Vorteile des Geländes auf der Seite des auch numerisch starken Gegners lagen. Er wußte recht gut, weshalb er zauderte. Dennoch gebe ich meine Eindrücke ungeschminkt wieder, denn über das Persönliche weit hinaus zeigen sie etwas einzig Dastehendes in der modernen Kriegsgeschichte: Eine Schlacht, einen Feldzug, der nicht von Generalen gewonnen wurde, sondern von einzelnen Häufchen tapferer, zäher Männer, die in jungenhafter Begeisterung fröhlich drauf losgingen, ohne sich viel um Befehle zu scheren. Das Männliche, das Tüchtige des Einzelnen war Trumpf und gewinnende Karte in dem riskanten Spiel dieses sonderbaren Krieges.


Dutzende Male brachte ich dem General Shafter Depeschen an jenem 30. Juni des Jahres 1898, und jedesmal sagte er mit der gleichen dünnen, schrillen Falsettostimme, die einem durch Mark und Bein drang:

»Jesus Christus — was gibt’s?«

Es ist kaum möglich, das Scharfe, Ungeduldige wiederzugeben, das in dem ewig wiederkehrenden Ausruf [S. 125] lag, der dem General seinen Beinamen eingetragen hatte. Frömmlern gab es später nach dem Kriege, als von Shafters Eigenheiten erzählt und geschrieben wurde, Veranlassung, ihn als gotteslästerlichen Frevler zu verdammen.

»Lasse Oberst Green bitten — Jesus Christus — marsch, Mann — halten Sie sich nicht mit Salutieren auf — Jesus Christus!«

Immer Jesus Christus — —

Hunderte Male gellte es so. Und jedesmal fuhr ich zusammen, wenn die schneidende Stimme erklang.

General Shafter war ein Koloß. Aechzend lag die unförmliche Gestalt in der Hängematte, auf viele Kissen zurückgelehnt, fluchend wie ein Dragoner. Die Stimme gellte vor Wut und Ungeduld. Aber im nächsten Augenblick konnte sie, wenn auch schrill und nervös, liebenswürdig zu einem Adjutanten sagen: »Lassen Sie sich ablösen, lieber Jameson — Jesus Christus, Sie müssen ja todmüde sein!«

Der General war entweder schon vom Fieber gepackt oder wenigstens durch die tropische Hitze furchtbar mitgenommen. Seinen gewaltigen Schädel bedeckte ein Handtuch, auf dem Eisstücke lagen, und neben der Hängematte stand ein Kocheimer mit Eis gefüllt. Dennoch gönnte sich Shafter nicht einen Augenblick Ruhe an jenem 30. Juni. Es war ein Hetzen und Hasten, ein Kommen und Gehen. Stets umstanden Adjutanten die Hängematte, Bleistifte und Befehlsformulare in den Händen, und die hohen Offiziere des Generalstabs schienen fortwährend Vortrag zu halten. Wir hörten [S. 126] häufig ganze Sätze herüberhallen und verstanden, so schwer jede Kombination für einen Uneingeweihten auch war, daß es sich um Meinungsverschiedenheiten handeln mußte. Es lag wie Elektrizität in der Luft. Wie schwüle Spannung. Alle Augenblicke kamen Shafters Adjutanten gelaufen mit Telegrammen an den Generalquartiermeister in Siboney, die in schärfster Fassung Proviant und Munition verlangten. Einmal hieß es ungefähr so:

»Kommandierender General befiehlt Herbeischaffung Proviants für Front, ganz gleichgültig, ob Straße verstopft; Truppen müssen Straße freigeben — mitsendet energischen Offizier ...«

Schwer mußten Sorge und Verantwortung auf General Shafter liegen.


Major Stevens winkte von seinem Zelt. Ich sprang hinzu.

»Treten Sie ein,« befahl er. »So! Holen Sie sich unauffällig Karabiner, Revolver und Feldstecher. Tun Sie, als ob Sie das Gewehr putzen wollten. Gehen Sie langsam den Pfad aufwärts. Sie treffen mich etwa hundert Yards weiter oben. Verstanden?«

»Yes, sir.«

»Sie sprechen mit Niemanden über diese Sache. Verstanden?«

»Yes, sir.«

Klopfenden Herzens wartete ich an der bezeichneten Stelle, bis der Major aus dem Gebüsch trat.

[S. 127]

»So! Es wäre mir lieb, wenn Sie mich auf einem kleinen Spaziergang begleiten würden,« sagte er, »weil ich annehme, daß Sie nach Ihrer zivilen Stellung Augen im Kopfe haben, die sehen können. Nun hören Sie: Wir wissen im Grunde gar nichts. Wir wissen den Teufel, was da vorne los ist. Ich will aber was wissen. Offiziell ist ein Vorgehen über die Vorposten hinaus strengstens verboten. Wir gehen jetzt zusammen spazieren und werden uns über die Vorposten hinaus verlaufen. Verstanden?«

»Yes, sir.«

»Schön. Die Karte hier ist miserabel, aber immerhin geht daraus hervor, daß hier — sehen Sie? — bei El Pozo — das ist ’ne alte Zuckermühle — , wo unsere Spitze steht und das eigentliche Santiagotal beginnt, Plantagen sind, die ein Erklettern des Hügels da — sehen Sie? — gestatten sollten. Durch den Busch kämen wir nie hindurch!«

Da kam ich mir wieder kolossal wichtig vor ...

Wir marschierten in scharfem Tempo etwa zwei Kilometer weit den Pfad entlang, kamen in einen Mangowald, kreuzten einen kleinen Bach, passierten an Infanteriepatrouillen vorbei, wurden dutzende Male angerufen. Dann bogen wir scharf links ab. Wir waren jetzt inmitten hohen wuchernden Grases und mächtiger Baumgruppen. Hinter der zweiten Baumgruppe schon trat ein Kavallerieleutnant hervor, mit dem der Major leise sprach. Ich hörte den Leutnant sagen:

»Auf Ihre Verantwortung, Major. Meine Leute kann ich instruieren. Aber wenn Sie den Rückweg verfehlen, [S. 128] riskieren Sie, von anderen unserer Posten über den Haufen geschossen zu werden!«

Da kam ich mir noch viel wichtiger vor!

Nun begleitete uns der Leutnant.

Der lichte Wald wurde noch dünner, die Baumgruppen spärlicher. Vor uns lag eine schmale Fläche niederen Grases. Drüben war Gestrüpp.

»Halt!« rief eine Stimme.

»Freunde ...« antwortete der Leutnant. »Einer vor!« rief die Stimme wieder. Der Leutnant ging vor, um die Losung zu geben, die »Shafter und Santiago« lautete, und dann sahen wir eine Soldatengestalt aufspringen, die flach am Boden gelegen hatte. Der junge Offizier instruierte den Posten, daß der Herr Major und der Signalmann rekognoszieren würden und daß er auf unsere Rückkehr achten müsse. Wir würden am jenseitigen Gestrüpprand laut »Washington« rufen und dann aufrecht über die Grasfläche laufen.

»Los!« sagte der Major. »Ich wette meinen Kopf, daß innerhalb fünfhundert Yards überhaupt kein Spanier ist, sonst wäre die Schießerei schon längst losgegangen!«

Aber trotzdem verzichteten wir, ohne ein Wort darüber zu verlieren, auf falsches Schamgefühl und krochen sehr vorsichtig auf dem Bauch durchs Gras, uns innig und liebevoll an Mutter Erde anschmiegend.

»Sehen Sie was?«

»Nein, Major.«

Wir kamen der Gestrüpplinie näher und suchten Busch für Busch mit unseren Feldstechern ab. Vorne [S. 129] links, dreihundert Meter vielleicht entfernt, stieg ein Hügel empor, der erste einer sich weithin erstreckenden langen Hügelkette. Auf den steuerten wir zu, immer auf dem Bauche rutschend. Wir sahen nichts und hörten nichts. So gelangten wir bis zum unteren Hügelrand. Wohl eine Viertelstunde lang lagen wir hinter einem Baum und suchten den Weg durch die Gläser ab. Dann krochen wir wieder vorwärts, uns mit Händen und Füßen einkrallend, denn der Abhang war steil.

»Suchen Sie die Kuppe ab!« flüsterte der Major.

Ich machte einen Bogen hin, einen Bogen her. Sah nichts.

»Nichts?«

»Nein.«

»Großer Gott! Eine einzige spanische Batterie hier oben könnte uns den Teufel zu schaffen machen!«

»Es ist unglaublich!« Er kauerte hinter einen Busch und schob vorsichtig die Zweige auseinander. »So! ich kann sehen! Decken Sie mir den Rücken und achten Sie auf jedes Geräusch!« Ewigkeiten schien mir sein Schauen zu dauern. Auf dem Bauche liegend starrte ich um mich, daß mir die Augen tränten, bis endlich der Major leise pfiff und aus dem Busch zu mir kroch. »Nehmen Sie meine Stelle ein,« sagte er. »Sehen Sie sich zuerst die Karte an. Wir sind im Santiagotal ... Dies hier ist das San Juan Flüßchen. Auf diesem Hügel sind wir. Nun passen Sie auf: Sie werden in viertausend Yards Entfernung etwa in ganz unbestimmten Umrissen Gebäude sehen. Das ist Santiago de Cuba. Das Glitzernde zwischen den beiden Waldlisièren [S. 130] ist das Flüßchen. Suchen Sie das ganze Vorgelände ab, ob Sie Truppen oder irgend etwas Bewegliches entdecken können.«

Ich kroch in den Busch, mich im Blattwerk deckend, und guckte zuerst mit bloßen Augen, dann durch das Glas. Gestrüpp — Wald — helle Flecke — wellige kleine Hügel, die wie in Nebel eingehüllt zu sein schienen — ein grauer Streifen am Horizont, auf dem ich im Glas deutlich die Rote Kreuzflagge unterschied. Dann suchte ich, zitternd vor Aufregung, die hellen Flecke ab, und mir schien, als ob ich einmal oder zweimal auf dem Grasfleck vor einem der kleinen Hügel ein Glitzern sähe.

»Bei den Hügeln dort — dicht beim Flüßchen!« murmelte ich.

»Richtig!« sagte der Major. »Dort bewegen sich zweifellos spanische Truppen. Aber suchen Sie vor allem das nähere Vorgelände ab!«

Ich suchte und suchte, Busch bei Busch, Fleck bei Fleck. Das schmale Tal erstreckte sich, ein schwer übersehbarer Geländemischmasch von Gestrüpp und wirklichem Wald und hellen freien Grasstrecken in fast immer gleicher Breite von sechs-oder siebenhundert Metern, bis an den grauen Streifen, der Santiago bedeutete. Seine Breite trennte uns von unseren Vorposten, die drüben auf der welligen Talgrenze am Waldrand standen. Das Flimmern dort vorne konnte ich wieder deutlich wahrnehmen. Sonst sah ich nichts. Der Major war zu mir gekrochen.

»Noch etwas gesehen?«

[S. 131]

»Nein, Major.«

»Wie weit schätzen Sie die Entfernung bis zu der Wellenlinie, wo Sie das Flimmern sehen?«

»Dreitausend Yards.«

»Hm. Zweitausendfünfhundert!« brummte er. »Ich denke, wir haben genug gesehen.«

Dann ging es zurück. Ich war jetzt gründlich nervös geworden und ich glaube, dem Major ging es ebenso, denn im gleichen Impuls verzichteten wir auf das langsame Kriechen und rannten in langen Sprüngen von Baum zu Baum und von Busch zu Busch der auffälligen Gruppe von Mangobäumen zu, die wir uns wohl gemerkt hatten. Am Gestrüpprand brüllten wir laut:

»Washington!«

»Freunde ...« hallte es herüber, und wir schnellten uns vorwärts im Gras, so schnell uns nur die Beine laufen wollten, sehr froh, wieder im Schutze der Vorposten zu sein.

»Prosit!« sagte der Major und reichte mir seine Feldflasche. »Bitte, trinken Sie mit Andacht, denn das ist ewigalter Kentuckywhisky, und die Götter mögen wissen, wann uns ein solcher Trunk wieder beschert wird.«

Er lachte ein unfröhliches Lachen. »Uebrigens haben wir unsere Hälse umsonst riskiert. Die San Juan Verteidigungsstellung — das ist dort, wo wir das Flimmern sahen — ist dem Hauptquartier bekannt. Halten Sie nur den Mund über unseren Spaziergang, sonst werden wir auch noch ausgelacht! Ich hatte gehofft, [S. 132] auf der Hügelkette da drüben Artillerie zu entdecken — na, und damit ist’s Essig gewesen! Die Geschichte war also umsonst.«

Da kam ich mir gar nicht mehr wichtig vor.


Die Pechfackel auf dem alten Zaunpfosten warf feuerrotes, flackerndes Licht über die Zelte des Hauptquartiers. General Shafter saß auf einem Feldstuhl, gegen die Zeltwand gelehnt, und sah mit seinen scharfen grauen Augen von einem zum andern der Offiziere, die ihn umstanden. Auf großen Kisten links und rechts neben ihm brannten in Flaschenhälsen Kerzen. Um ein Uhr nachts übernahm ich den Hilfsdienst beim Instrument, zusammen mit Souder, und wenige Minuten später brachte ich dem General eine Depesche. Vom Generalquartiermeister in Siboney, der den Abgang eines Maultiertransports mit Infanteriemunition meldete.

»Jesus Christus, was warten Sie noch, Mensch!« herrschte Shafter mich an.

»Die Unterschrift, General.«

»Unterzeichnen Sie!« befahl er einem Adjutanten, der nun seinen Namen in mein Depeschenbuch kritzelte. »Marsch, Signalmann!«

Ein sacksiedegrober Herr, der Jesus-Christus-General!

Eine Viertelstunde verging. Da kam der Major zu uns ins Signalzelt gekrochen und sagte, gemütlich [S. 133] dahockend, auf den schwarzen Schnurrbart beißend, wie das seine Art war: »Hm — Souder — Carlé — nein, kann euch nicht brauchen — sollt bei mir bleiben. Sie können nachher Hastings wecken, Carlé, und ihn in mein Zelt schicken. Der rechte Flügel, Kinder, greift bei Tagesanbruch an, und General Chaffee braucht Flaggenmänner. Ich werde Hastings hinschicken und zwei Mann. Wir werden ebenfalls bei Tagesanbruch losmarschieren und die Linie im Santiagotal legen und bei Gott, ich glaube, wir haben das bessere Teil erwählt wie Martha in der Bibel. Müßte mich sehr irren, wenn sich die Hauptaffäre nicht bei unseren Hügeln« — er zwinkerte mir zu — »abspielt. Mund halten, Kinder! Ich bitte mir übrigens aus, daß morgen flott gearbeitet wird!«

» ... Jesus Christus!« gellte es herüber vom Zelt des Kommandierenden.

Und dann brachte ein Adjutant eine Depesche, die merkwürdigerweise nicht chiffriert war. So ungefähr lautete sie:

»Kommandierender General der Armee, Washington. — Greife bei Tagesanbruch an. Brauche Verstärkungen, Proviant, Hospitalschiff. — Shafter.«

Da schien es uns, als wollten die Minuten so gar nicht vergehen, und wir fluchten fürchterlich über den Kleinkram von Depeschen nach Siboney, die alle mehr Proviant, mehr Munition forderten. Souder, der ein Künstler im Bearbeiten des Tasters war, telegraphierte mit fabelhafter Geschwindigkeit, wollte er doch die Arbeit loswerden und schwatzen. Zwanzig Minuten lang [S. 134] hielt es der Sergeant in Siboney aus, dann unterbrach er:

»p p p Privat. Höll’ und Verdammnis, seid ihr verrückt geworden? Ich komm’ nicht mehr mit — hab doch keine Schreibmaschine hier — muß bleistiftkritzeln — lang — samer!!«

»Arbeite, mein Sohn!« antwortete Souder. »Und sei nicht so verdammt vertraulich. Wir sind in den Vorposten und du bist sicher vom Schuß — also arbeite wenigstens, Freund!«

»Warte — wenn ich dich erwische ...« kam es wütig klickend zurück.

Woraus hervorgehen mag, daß wir nicht etwa letztwillige Verfügungen trafen und uns gegenseitig letzte Lebewohlbriefe an unsere Bräute anvertrauten, wie das in frommen Bilderbüchern von Soldaten vor der Schlacht berichtet wird, sondern daß wir uns einfach bodenlos freuten — wie kleine Jungens, denen die Mama gesagt hat: »In fünf Minuten dürft ihr auf die Straße und Indianer spielen!«


Die tief heruntergebrannte Pechfackel loderte. Auf dem schlammigen Weglein draußen zog es immerwährend, ohne Aufenthalt, vorbei von Männern, so müde, daß sie gebeugt schritten. Regiment auf Regiment passierte. Mann hinter Mann, so schmal war der Pfad. Graubärtige Obersten — Rekruten mit Kindergesichtern. Bodenlos war das Weglein geworden, [S. 135] und die Füße der keuchenden Menschen machten bei jedem Schritt und Tritt ein merkwürdig plumpsendes, saugendes Geräusch, wenn sich die Stiefel aus dem zähhaltenden Schlick befreiten.

Regiment auf Regiment zog vorbei, dem Feind entgegen.

[S. 136]

Die Schlacht vom San Juan Hügel.

Der Morgen der Schlacht. — Ein Schattenspiel im Nebel. — Die Schlacht beginnt. — Wir legen die Linie nach der Front. — Meine erste Granate. — Wie ich das Gruseln lernte. — Wie andere das Gruseln lernten. — Auf dem Weg zur Feuerlinie. — Die Furt. — Die Panik des 71. Regiments. — In der Feuerlinie am Waldrand. — Wir schießen mit. — Die Schützengräben im San Juan Hügel. — Der Gnadenschuß. — Der Angriff ohne Befehl. — Der San Juan Hügel wird im Sturm genommen. — Zusammenhänge der Schlacht. — Bei den spanischen Gefangenen. — Rum und Zigaretten. — Am Lagerfeuer. — Sie begraben die Toten.

Die Nacht ging zu Ende. Graugelbe Bodennebel flossen über die Lichtung hin, in wellender, wogender Masse, wie Wasserfluten sich übers Land ergießen. Menschen und Zelte standen auf einem Nichts; auf dampfigem, zitterigem, schwadigem Rauch. Es war bitter kalt. In tiefer Stille lag das Hauptquartier, in dumpfes, nächtliches Grau noch gehüllt. Gleich trüben Schatten die Zelte. Totenstill war es. Nur in dem mächtigen gelben Fleck dort bei dem großen Mangobaum, dem Zelt des kommandierenden Generals, war schwaches Licht und lautloses Leben. Gespenstisch leuchtete dort Kerzenschein durch die Zeltwände, immer wieder unterbrochen von einem Schatten. Da drinnen ging ein Mann auf und ab in rastlosem Hin und Her.

[S. 137]

Das war General Shafter.

Langsam stiegen die Nebel. Schwaden auf Schwaden lösten sich, in weißgrauen Dunst verwallend. Wie Dampf umhüllte es die Zeltmassen und schwebte höher und höher. Wie dünner Regen fast fiel der Morgentau, und frostig schlichen Kälte und Feuchtigkeit in die Haut.

Da leuchtete warm und rot ein Feuer auf, draußen am Lagerrand.

»Gott sei dank!« Souder nahm unsere Blechbecher und ging.

»Kaffee!« sagte er, als er wiederkam. »Wollen zuerst die Feldflaschen füllen!«

»Gute Idee,« murmelte ich.

Ich holte noch zwei Becher. Der dampfendheiße Trank vertrieb uns rasch das nasse, klebrige Gefühl und die Uebernächtigkeit. Wir aßen einen Zwieback, zündeten die Pfeifen an. Immer mehr und mehr lichtete sich das trübe Grau. Da — da — was war das? — Souder und ich sprangen auf.

»Was war das?« flüsterte er.

»Still — still!«

Kaum hörbar, wie aus ewigweiter Ferne, gespenstisch leise, erklang es in dumpfem Schallen — krang — krang, krang ... tacktacktack..... leise, ganz leise, als ob Erbsen auf einen Blechteller geworfen würden. Ein wenig lauter nun, dann schwächer wieder, mit Pausen von Sekunden — jetzt in vollerem Klang, und doch schwach und ferne wie abgedämpfter Trommelwirbel. Gewehrfeuer. Deutlich erkennbares Geknatter. Nichts regte sich um uns. Jeder schien zu stehen und [S. 138] zu lauschen. Mäuschenstill war es. Bis die klare Stimme eines Offiziers schallend rief:

»Das ist General Chaffee!«

Und im gleichen Augenblick, als folge dem Blitz der Donnerschlag, ergellten schrill jauchzende Jubelrufe, geschrien von den Männern des Hauptquartiers ... hei — ih — hei — iiii — ih!

Aus der Stille wurde Bewegung, Wirrwarr.

Offiziere eilten hin und her, scharfe Kommandorufe befahlen das Satteln der Pferde. Unser Major kam gerannt, im Laufen eine Pappschachtel aufreißend und sich die Revolverpatronen in die Taschen stopfend.

»Signaldetachement — attention!« befahl er. »Myers und Bruning bleiben hier. Myers, Sie überbringen dem Stabssergeanten den Befehl, für unsere neue Linie gleichzeitig ein Telephon und einen Taschenapparat einzuschalten, die je nach Funktionieren ausgewechselt werden. Abtreten! Die übrigen — attention!« Er inspizierte uns rasch und lächelte, als er sah, daß wir uns alle Taschen mit Patronen für unsere Karabiner und Revolver gefüllt hatten. »Jeder Mann trägt eine Rolle Draht! Los!«

Und hinaus ging es auf den schlammigen Pfad, der jetzt öde und verlassen dalag; im Laufschritt, in langen Sprüngen, immer vorwärts mit dem Draht, den unsere Stangen hoch ins Gebüsch schleuderten. Nichts behinderte uns. Die Truppen waren schon in Front. So ging es rasch und glatt mit der Arbeit, und als wir nach den ersten tausend Yards die Linie prüften, war alles in Ordnung; das Hauptquartier meldete [S. 139] sich sofort. Weiter! Das dumpfe Geknatter des Feuergefechts in der Ferne hörten wir kaum noch in dem Lärm der Arbeit, als es auf einmal schrill und klar irgendwo vorne knallte — kreng, kreng ... in scharfem Gerassel — kreng, kreng, kreng — bing ...

»Vorwärts!« schrie der Major. »Vorwärts, Kinder — wir wollen dabei sein!«

Länger wurden die Sprünge. Keinem Menschen begegneten wir auf dem Weglein, obgleich das Feuern aus nächster Nähe zu kommen schien. Der Schlammpfad verbreiterte sich zu einem breiten Morast, in tausende von Löchern und Erhöhungen zertrampelt von Tausenden von Tritten, um eine Ecke ging es, und aus dem Halbdunkel, der Stille des Waldwegs wurde flutende Helle, dröhnender Lärm.

Von der Kuppe des Hügels da drüben schossen weiße Dampfwolken, und dumpfes Gekrache erschütterte die Luft. Nun Stille. In grellem Sonnenlicht lag breit der Weg da, frei und offen auf einer Strecke von mehreren hundert Metern, dann in dunkler Waldlinie sich verlierend. Grasland säumte ihn; ein Busch, ein Mangobaum hie und da. Dicht an der Wegbiegung floß träge ein Bach von schmutziggelbem Wasser, das San Juan Flüßchen. Zwei Bretter führten über das Wässerlein zu einem engen Pfad durch niedriges Gebüsch auf den Hügel. Rechts bog der breite Weg ab, das Tal entlang; links führte der Fußpfad zum Hügel. Zwischen beiden, ganz im Vordergrund, erhob sich verwittertes altes Gemäuer mit allerlei Maschinen, die Ueberreste der alten Zuckermühle von El Pozo. Im [S. 140] nächsten Augenblick jagten Reiter an uns vorbei auf das Gemäuer zu, sprangen ab, rissen Karten aus den Taschen. Das war der Generalstab.

Bang! krachte ein Geschütz auf dem Hügel.

»Ruhig, Kinder — ruhig!« sagte der Major. »Der Draht wird von dem Mangobaum dort über den Bach gespannt — — in dem Einschnitt drüben errichten wir die Station — Carlé, bringen Sie das Telephon hinüber und stellen Sie die Verbindung her!«

Ich nahm den Apparat und ging zum Steg. Auf den Brettern zauderte ich einen Augenblick, denn ich war wie ausgetrocknet vor Durst, hatte ich doch den Kaffee in der Feldflasche schon längst ausgetrunken und brannte ja die Sonne so glühend heiß herab trotz des frühen Morgens, daß der Schweiß in Strömen an mir herunterlief. Aber das Wasser da unten, pfui Teufel, nein, das Wasser da unten sah denn doch zu schmutzig aus. Ich zauderte — zauderte — — und der Durst siegte glatt mit sieben Längen über Appetitlichkeit und Vernunft, denn der Lausbub beugte sich schleunigst nieder, Blechbecher in der Hand; tauchte ein, lüpfte den gefüllten Becher empor und sah in maßlosem Erstaunen, daß aus den beiden Seiten dünne Wasserstrahlen spritzten. Links ein Loch, rechts ein Loch; eingebeult das eine, ausgebeult und zerfetzt das andere. Da — da war ja eine Kugel durchgefahren! Ich starrte verblüfft den Becher an und blieb wie angenagelt stehen. Eine Kugel durch meinen Becher gefahren! Während er an meiner Brottasche hing! Und ich hatte nichts gemerkt!

[S. 141]

»Schmeiß ’n weg — taugt nichts mehr!« rief Souder, als ob ich das nicht selber gewußt hätte.

Nachträglichen Schrecken aber empfand ich nicht und auch dann noch nicht, als es über meinem Kopf gellend daherfuhr, doch unwillkürlich duckte ich mich. Denn was das unheimliche Sausen da oben bedeutete, verstand ich sofort, und jeder andere hätte es verstanden — s — ss — sss — surrr — ssss — — — — N — nein, es läßt sich nicht wiedergeben, dieses sausende unheimliche Schwirren, dieses Surren, dieses gellende Dahergepfiffenkommen. Aber ich fürchtete mich ganz bestimmt noch nicht, sondern trug behutsam das schwere Telephon an seinen Platz, wenn ich auch gar zu gern auf irgend etwas losgeballert hätte, damit auch andere Leute es sausen und schwirren hörten. Ich nahm meinen Karabiner von der Schulter. Der Major sah mir lächelnd zu und zerkaute seinen Schnurrbart.

»Warten, warten!« sagte er leise. »Hat noch gar keinen Sinn. Wir kommen schon noch daran.«

Im gleichen Augenblick fror ihm das Lächeln fest und seine Augen wurden starr. Aber er blieb kerzengerade stehen. Ich fühlte, wie ich totenblaß wurde. Mit gellendem Geheul kam da etwas herangejagt, etwas Fürchterliches — sss — ssss — hui. iih.. iiiiih ... schrillend wie eine Dampfpfeife — entsetzlich — ich glaubte den Luftdruck zu verspüren — ich hatte so fürchterliche Angst, daß ich am liebsten hinausgebrüllt hätte in Furcht und Grauen wie ein wildes Tier, hätte ich nur gekonnt. Aber ich konnte nicht. Der Hals war mir wie zugeschnürt. In meiner Kehle steckte ein großes [S. 142] rundes Ding, das mich würgte und drosselte und ersticken wollte, während eine eiserne Faust mir auf den Schädel schlug. Ich — wollte — schreien — ich — konnte nicht!

Und es war herangeheult und schlug krachend ein. Flammen sprühten auf, und ich wurde zu Boden geschleudert ...

Ich spuckte die Erde aus.

»Pfui Deibel,« sagte der Major und diesmal lachte er nicht, »das war eine Granate!«

»F — f — furchtbar!« stotterte ich.

Und schämte mich nicht zum Sagen, als die klaren harten Augen des Majors mich scharf ansahen, denn ich hatte, als echter Junge, eine bodenlose Angst, er könne mir die blasse, schlotternde Furcht angemerkt haben. Heutzutage würde ich mich schleunigst und gänzlich sans gêne tief in Mutter Erde einkratzen, wenn Granaten in der Nachbarschaft umherheulten — aber — aber mir scheint, Krieg läßt sich doch am besten führen mit Zwanzigjährigen und den Urimpulsen, die vom Urmenschen her in junger Männlichkeit schlummern. In den nächsten dreißig Sekunden müssen gewaltige Erregungen an meinen jungen Nerven gezerrt haben. Ich weiß noch ganz genau, daß ich an allen Gliedern zitterte und am liebsten geheult hätte. Daß ich krampfhaft nach Luft schnappte. Daß mir zum Erbrechen übel war. Daß aber die Eitelkeit in mir sich auf einmal wehrte, und daß ich mich bolzengerade aufrichtete, als es wieder heulend daherkam — und doch war es nur [S. 143] eine Komödie, die ich mir selber vorspielte — denn ich fürchtete mich wirklich! Ich fürchtete mich schandbar!! Die Granate schlug ein. Ziemlich weit weg von uns diesmal.

Da kam der Umschwung.

Bang — bang — krachten die Geschütze der amerikanischen Batterie auf der Hügelkuppe dicht vor uns.

Fünfzig Meter hinter den Geschützen am Kuppenrand lag ein alter Stall, oder was das Ding sein mochte, ein halbzerfallenes, niedriges Holzgebäude jedenfalls, und auf dem flachen Dach drängte sich eine Menge halbnackter Kubaner, die bei jedem Schuß der Batterie ein infernalisches Freudengebrüll ausstießen und mit Händen und Beinen zappelten in unheiligem Vergnügen. Einen greulichen Skandal machten sie. Ich sah ganz mechanisch hin (dennoch schlotterte in mir die Angst!) und empfand ebenso mechanisch die Abneigung des weißen Mannes gegen derlei südländische Hanswurstiaden. Während ich guckte, kam es wieder dahergeheult und — schlug feuerspeiend und dampfsprühend mitten in das Dach, mitten in die gestikulierenden, tanzenden, schreienden Söhne der Perle des Südens hinein ... und den Bruchteil einer Sekunde später sah das Dach genau so aus wie das gute alte Sprungbrett im Ungererbad in Schwabing, wenn an heißen Augusttagen wir Jungens uns zum Sprung drängten: Die Señores hopsten. Sie machten die erstaunlichsten Kopfsprünge. Sie schienen in geradezu wahnsinniger Eile den interessanten Ausblicksort zu verlassen. Es schlenkerte nur so in der Luft von kubanischen Freiheitskämpfern. [S. 144] So schnell ist nirgends in der Welt jemals eine randalierende Galerie geräumt worden!

Da lachte ich, daß mir die Tränen in die Augen kamen, und lachte und lachte, und lachen hätte ich müssen, wenn auch der heulende Dämon aus der Maschine mit seinem grimmigen Kriegshumor zwanzig zeternden Hampelmännern den Garaus gemacht hätte. Merkwürdigerweise war aber nicht ein einziger der Spektakler verletzt worden, wie uns zehn Minuten später ein Artillerieleutnant lachend erzählte. Der Major lachte auch. Das ganze Detachement lachte. Und in diesem Lachen starb meine schlotternde Furcht eines rechtzeitigen Todes; man kann nicht lachen und sich fürchten zugleich. Aber in meinem Hals brannte und würgte etwas, und die Kehle war mir wie ausgedörrt. Ich sprang die wenigen Schritte zum Bachufer hin, warf mich in den zähen gelben Lehm auf den Bauch, steckte den Kopf ins Wasser und trank gierig wie ein Tier in langen Zügen das schmutzige, lauwarme Zeug —

»Carlé!« rief der Major scharf.

Ich trank und trank.

»Carlé! Lassen Sie den Unsinn! Sie holen sich bestimmt das Fieber!«

Er schüttelte mißbilligend den Kopf, als ich ein wenig beschämt zurückkam, mir den Schmutz von Hemd und Hosen reibend, und brummte irgend etwas über die verdammte Wassersauferei. Aber in seinen Augen war ein Lächeln ...

Die Batterie droben feuerte jetzt nur selten, vereinzelte Schüsse in langen Zwischenräumen, und die [S. 145] spanischen Geschütze schwiegen ganz. Hie und da summte und surrte es über unseren Köpfen. Im Wald knallten vereinzelte Schüsse.

Den schmalen, steilen Hügelpfad herab kamen Kanoniere, halb kletternd, halb rutschend, irgend etwas mit sich zerrend; ein graues bündeliges Etwas. Als sie die Krümmung im Gestrüpp erreicht hatten, wo der Pfad breiter und ebener wurde, hoben sie das graue Bündel auf ihre Schultern und schritten langsam näher, behutsam, als trügen sie eine schwere Last. Der eine, ein Korporal, salutierte den Major: »Kanonier von der Batterie Grimes, sir,« meldete er. »Kanonier Johnson, sir. Herzschuß. Ich habe Order, sir, den Toten am Hügelrand zu begraben.« Er schlug die Zipfel des Bündels zurück, und da lag in der grauen Armeewolldecke ein toter Mann. Aus dem bläulichen, furchtbar verzerrten Gesicht starrten weitoffen tiefbraune Augen, als könnten sie noch sehen. »Herzschuß, sir,« sagte der Korporal. »Stand neben mir. Sprang in die Luft und war tot.« Sie hatten dem Toten Jacke und Hemd aufgerissen, und der Korporal deutete feierlich auf den winzigen schwarzen Punkt unter der linken Brustwarze, der sich scharf von der weißen Haut abhob. Wir grüßten stumm, während die Kanoniere ihre Last wieder aufnahmen und im Gebüsch verschwanden.

Es war sonderbar still geworden; nur dann und wann kam das peitschenartige Schallen aus dem Wald. Ich sah mich um. Jede Farbe, jeder Gegenstand, jeder Schatten trat klar und scharf hervor im grellen Sonnenlicht; knallgelb der breite, verlassene Weg, hellgrün [S. 146] das üppige Gras am Wegrand, dunkler die mächtigen Wipfel der Gruppen von Mangobäumen, leuchtend dazwischen am Weg und im Gras allerlei bunte Flecke, blau und weiß und grau. Das weiße Segeltuch der Tornister und das Grau der Soldatendecken und das Blau der Uniformröcke, die überall umherlagen am Weg entlang. Die zur Front eilenden Truppen hatten alles weggeworfen, was sie irgendwie entbehren konnten, und mehr. Beim Gemäuer der alten verfallenen Zuckermühle, deren rostige Maschinenreste rot glänzten in der Sonne, standen in kleinen Gruppen die Generalstabsoffiziere, über Karten gebeugt. Ein Pferd wieherte leise. Weiter weg graste friedlich ein Maultier und wedelte krampfhaft mit dem geschorenen Schwanzstummel, sich die Fliegen zu verscheuchen. Da kam es wieder herangeheult und schlug in Dampf und Flammen ein, keine zwanzig Schritt weg von der nützlichen Mißgeburt aus Pferd und Esel, die ihre berühmte Indolenz sogar im Granatfeuer glänzend bewährte. Denn Mr. Maultier wedelte eifrig weiter mit dem Schwanz und ließ sich nicht eine Sekunde lang in der angenehmen Beschäftigung des Grasens stören.

»Bravo!« rief Souder. »Das is ’n richtiges, approbiertes, Geschützfeuer-stubenreines, verdammt famoses, altes Onkel-Sam-Maultier — hurräh — schert sich den Teufel um die alten Granaten — hurräh!!«

Schallendes Gelächter.

Oberst Green kam von der Zuckermühle herbeigeschritten, begrüßte unseren Major, flüsterte mit ihm und breitete eine Karte auf den Knien aus, hier und [S. 147] dorthin deutend. Ich verstand: »— spanische Batterie feuert mit rauchlosem Pulver — noch nicht entdeckt — jawohl, überhaupt nur ein einziger Weg — natürlich verstopft — nein, Major, hat vorläufig noch gar keinen Sinn — Sie kämen wahrscheinlich gar nicht durch mit Ihren Leuten — wie meinen Sie? — Hm ...« Dann sprach der Major eifrig auf ihn ein, und der Oberst nickte und ging wieder.

»Achtung!« befahl der Major laut. »Sergeant Ryan — Sie übernehmen die Station! Sie bleiben unter allen Umständen beim Apparat und sind mir für alle Meldungen verantwortlich. Den Befehl zur Verlängerung der Linie bis zum Waldrand dort erhalten Sie von Oberst Green persönlich und lassen dann den Draht von drei Mann über die Mangobäume den Weg entlang legen. Ich werde nun den geeigneten Platz zur Anlage der nächsten Station in der Feuerlinie feststellen. Mit mir kommen —« und suchend glitt sein Auge von einem zum andern.

Da sahen wir ihn hungrig an wie gierige Hunde, die lechzend darauf warten, wem wohl von ihnen der Herr den Brocken zuwirft.

»Mit mir kommen Souder und Carlé. Eine Signalflagge, Karabiner, Revolver, Feldflasche, Glas — sonst nichts!«

»Oh hell ...« murmelte einer der Enttäuschten.


In zehn Minuten hatten wir den Waldrand erreicht [S. 148] und marschierten nun wieder auf dem alten Dreckpfad, der uns schon so vertraut geworden war. Die starre Gebüschwand freilich war verschwunden, denn links und rechts lag zwar rankenversponnener Urwald, verwuchert von Schlinggewächsen, aber ein Stück weit wenigstens konnte man hineinsehen. Da und dort im Schlamm steckte ein Tornister, eine Wolldecke, ein Hut. Wir sprangen vorwärts, so rasch es gehen wollte in der dörrenden Hitze. Immer noch knallten nur vereinzelte Schüsse. Nach einigen hundert Metern kamen uns Verwundete entgegen mit blutigen Verbänden um Köpfe und Glieder, langsam zurückstolpernd, aber wir sahen kaum hin, denn brennende Neugierde und hetzende Ungeduld trieben uns vorwärts. Ein Toter lag am Wegrand, die Knie emporgezogen, die Arme lang ausgestreckt. Die glasigen Augen schienen starr in den Schlamm zu blicken. Der Pfad krümmte sich. An der Ecke, aus den Bäumen, flatterte die Rote Kreuzfahne, und am Boden kauerten stöhnende Gestalten, zwischen denen Aerzte hin und her eilten. Die Verbände glänzten grell weiß. Wir eilten weiter. Das Gewehrfeuer wurde heftiger und schien von überall zu kommen; von vorne und von links und von rechts; über unseren Köpfen sauste es zischend und surrend und dumpf aufklatschend in Laub und Bäumen. Ein Verwundeter blieb stehen, salutierte täppisch und riß die Kleider auf, uns in groteskem Stolz eine winzige Schußstelle im Bauch unter dem Nabel zeigend.

»Teufel,« sagte er. »Es tut gar nicht weh! Wo is — mm — das Hospital?«

[S. 149]

Ich deutete rückwärts. Und grinsend schritt der Schwerverwundete dahin, nachdem er sich noch Feuer für seine Pfeife von Souder hatte geben lassen ... »Good God!« sagte der Major leise.

Ah — und nun fing der Tanz an — racktacktacktack — rack — kreng, kreng ... schweres rollendes Feuer irgendwo da vorne, klar und hell dazwischen Salven. Ueberall um uns schlug es ein in die Bäume. Zu sehen aber war nichts — gar nichts ... Doch! Wieder krümmte sich der Weg, und zwischen den Bäumen schimmerte es blau und stählern von Truppen und dröhnte von Lärm und Geschrei.

»Laufschritt — Laufschritt ...« rief der Major.

Ein Leutnant hinkte herbei, eine blutige Binde um den Fuß.

»Schwer verwundet?«

»Nein, Herr Major. Knöchel kaputt.«

»Tut mir leid, tut mir sehr leid. Was sind das für Truppen?«

»71tes Freiwilligen-Regiment. Das New Yorker Regiment, Major.«

»Ich danke sehr.«

Und weiter ging es im Laufschritt, und nach drei Minuten waren wir mitten — in einem Tollhaus. Unter Wahnsinnigen, unter Menschen, die Waffen trugen und jung waren, und dennoch kreischten in fürchterlicher Angst wie Weiber. Sie stießen sich und drängten sich und schrien und duckten und hielten die Hände schützend vor die Köpfe, irgend eine unsichtbare Gefahr abzuwehren. Der Weg war völlig verstopft. Ein panikgeschüttelter [S. 150] Menschenhaufe wogte hin und her, den Offiziere vergeblich vorwärts zu treiben versuchten. Eine Kette hatten sie gebildet, die Kapitäne und Oberleutnants und Leutnants, und fluchten und schrien und hieben mit den flachen Säbeln drein. Ich starrte. Irgend etwas war da — irgend etwas ...

»Pack, Pack — verfluchtes Pack!« zischte der Major.

Da warf dicht vor uns ein Korporal mit gellem Schrei die Arme empor, stürzte schwer zu Boden, und die Soldaten um ihn wichen entsetzt zurück. »Revolver ’raus, Kinder!« schrie der Major. »Mir nach!«

»Platz!! Platz!!! Zurück in die Bäume!!

Was alle Drohungen und alles Gebrüll der eigenen Offiziere nicht vermocht hatten, erzielte das messerscharfe, schrille Kommando mit seiner klaren, bestimmten Weisung. Links und rechts von uns taumelte es in die Bäume, und langsam wurde der Weg frei.

Ich sah tiefen Schlamm — sonnenfunkelndes Wasser ... Wir drängten uns vorwärts. Der Pfad senkte sich abschüssig und verlor sich in einen breiten Bach schmutzigen Wassers. Mitten im Wasser lag ein toter Soldat, und dicht am Bachrand kauerten Leichen — drei — fünf — sieben — — im Knäuel, hingeschleudert von den Geschossen; das Flüßchen war unter scharfem feindlichem Feuer. Die New Yorker zeterten. Hinter uns kam es herangerasselt, und in scharfem Tempo jagte die Maschinengeschütz-Abteilung herbei, Reguläre im Laufschritt, drei Gatlingkanonen vorwärtsschiebend und stoßend und zerrend. Hop — hinein ins Wasser — hop — waren sie hinüber, ohne einen einzigen Mann [S. 151] verloren zu haben. Wir mit ihnen. Drüben ertönte eine laute Stimme:

»Re — gu — läre! — auf mein Kommando — zu Zweien reiht euch ein — im Laufschritt — vorwärts marsch ... marsch — eins, zwei — eins, zwei — eins, zwei ...«

Und in scharfem Takt trippelte, als sei sie auf Parade, eine halbe Kompagnie regulärer Infanterie heran, geführt von einem blutjungen Leutnant, trippelte im gleichen Takt hinein ins Wasser, trippelte heraus — Das panikbefallene New Yorker Regiment aber steckte immer noch unter den Bäumen.

Der tückische Zufall des Kriegs hatte es gefügt, daß scharfes, indirektes spanisches Feuer sich auf die von überall völlig unsichtbare San Juan Furt im Walde konzentrierte, gerade in dem Augenblick, als die New Yorker Freiwilligen ins Wasser marschierten. Die ersten waren weggefegt worden, in einem Haufen, und da und dort noch im Regiment stürzten Getroffene. Die Spitze drängte zurück und die Panik war da. Die Soldaten, die im Gedräng nichts mehr sehen, den unsichtbaren Feind nicht erblicken konnten, wurden wie toll vor Angst.

Der Major war stehengeblieben und kaute auf den Schnurrbart. »Sie erinnern sich doch,« sagte er, »an das Flüßchen, das wir gestern vom Hügel aus sahen?«

»Jawohl, Major.«

»Na, das hier ist’s. Haben Sie eine Ahnung, ob wir links abgekommen sind? Ich glaube, ja. Die erste [S. 152] Wegkrümmung war nach links, die zweite ebenfalls, nicht wahr?«

»Jawohl. Die Hügel, die wir sahen, müssen schräg vorne rechts sein.«

»Glaub’ ich auch. Hm. Sagen Sie einmal, wie ist Ihnen zumute?«

»Ich — ich möchte etwas sehen!« stotterte ich.

Er lachte. »Und Sie, Souder?«

»Wenn der Herr Major gestatten — ich finde, es ist eine verdammte Gemeinheit, da im Wald stecken zu müssen und beschossen zu werden und nicht ein einziges Mal selber schießen zu dürfen. Und ich bin froh, daß ich über dem Wasser bin!«

»Ich auch — Teufel, ich auch!« lachte der Major. »Na, Kinder, ich bin zufrieden mit euch und ich werde noch viel zufriedener sein, wenn ihr möglichst wenig plaudert. Wir hätten eigentlich schon längst zur Linie zurückkehren sollen und haben hier gar nichts zu schaffen. Ich muß mir da erst eine faustdicke Lüge ausdenken, um — na ja. Wollen uns noch ein bißchen umgucken!«

Und er lachte. Ein Spitzbubenlachen ...

Verschwunden waren die harten, energischen Linien aus seinem scharfgeschnittenen Gesicht, das der dichte schwarze Schnurrbart älter erscheinen ließ, als es in Wirklichkeit war, und verschwunden die abwehrende Würde des Aelteren und Befehlenden. So jung ich war, so begriff ich doch, daß in ihm das Gleiche vorging wie in mir; daß die Neugierde ihn plagte bis zum Bersten und die jungenhafte Sehnsucht, dabei zu sein. Ein Junge war er jetzt wie ich — wie Souder — — [S. 153] ein Junge, der es ebenfalls als eine »verdammte Gemeinheit« empfand, da im Wald zu stecken und — nicht sehen zu dürfen.

Fortgesetzt pfiff es über uns dahin.

Der Schlammweg war noch da, aber im Walddunkel blitzten helle Strecken auf im Sonnenlicht. Es wurde immer lichter. Die Bäume wichen auseinander und bildeten Gruppen, und scharfausgeprägte Lichtflecke im Gesichtskreis ließen freies Grasland ahnen. Da fuhr ich auf einmal zusammen, denn in das Knattern hinein dröhnte es in rasselnder Fürchterlichkeit.

»Die Gatlings!« schrie der Major. »Jungens, wir sind da!« Er riß das Glas hervor. »Rechts! Vorwärts — vorwärts!«

Wir stürmten zwischen den Bäumen dahin, stolperten über Wurzeln und Ranken, tappten im tiefen Gras und waren am Waldrand, mitten in langer Schützenlinie, umtost von einer Hölle dröhnenden Geknatters.

Mit blitzartiger Geschwindigkeit warfen wir uns zu Boden, denn jetzt pfiff es nicht mehr angenehm hoch oben in den Bäumen dahin, sondern dicht an den Ohren vorbei. Ich befühlte verstohlen meine linke Ohrmuschel — n — nein — es war nichts — aber es mußte scheußlich nahe gewesen sein! Dann räkelte ich mich und streckte mich und bohrte mit meiner Körperschwere, um mich der schützenden Erde so nahe anzuschmiegen, als es nur irgendwie möglich war.

Rechts lag der Major, links Souder. Schienen sich auch recht wohl zu fühlen am Erdenbusen, lagen wenigstens sehr flach da! Ich hob den Kopf ein wenig und [S. 154] sah — nichts. Dicht vor meiner Nase war eine winzige, wellenartige, grasbewachsene Bodenerhöhung, was mir sehr zweckmäßig schien, aber — zum Kuckuck, ich wollte doch etwas sehen! Langsam streckte ich die Hand vor, jeden Augenblick erwartend, daß eine Kugel hineinfuhr, und kratzte mir einen runden Ausschnitt in die schützende Deckung. Und nun vergaß ich auf einmal die wiedergeborene Angst und starrte wie gebannt in die Sonnenhelle hinaus. Zehn Schritte vor mir lag ein toter Regulärer, auf dem Rücken, zusammengekrümmt, das Gewehr noch in den Fäusten über dem Leib. Sein Schädel war eine einzige Blutmasse.

Vor mir konnte ich eine weite, freie Strecke überblicken. Gras, Gestrüpp, ein paar Bäume. Dahinter erhob sich, dreihundert Meter etwa entfernt, ein massiger Hügel, an den links und rechts sich andere Hügel anschlossen. Es war der San Juan-Hügel. Ich sah durch das Glas. Auf dem Hügel rührte sich nichts, aber ich konnte braune Linien entdecken, über denen Dunstfäden schwebten. Das waren Schützengräben. Dunst von rauchschwachem Pulver. Oben auf der Kuppe des Hügels, im Gestrüpp, stand ein Blockhaus.

Neben mir schoß etwas vorwärts; der Major war es, der in zwei Sätzen zu dem Toten sprang, sich neben ihn hinwarf — ah, jetzt griff er nach dem Gewehr in seinen Händen und hakte ihm den Patronengürtel aus, dann eilig mit seiner Beute zurückkriechend ... Da schob ich den Karabiner vor — bang — auf die braune Linie dort im Hügel — bang — bang.

Neue fünf Patronen. Auch der Major und Souder [S. 155] gaben Schuß auf Schuß ab. Ich feuerte und feuerte. Und unaufhörlich kam es herangesaust und schlug dumpf ein irgendwo.

Mein Karabinerlauf war heiß geworden. Ich sah um mich. Die Männer der Schützenlinie lagen im Gras nach links und nach rechts den Waldrand entlang, so weit man sehen konnte. In dichten Haufen hier, vereinzelt dort, feuernd, was die Gewehre hergaben. Links, zwanzig, dreißig Schritte vor mir, hockte hinter dem dicken Stamm eines Mangobaums ein Trompetersergeant, der mit rasender Schnelligkeit schoß. Die glänzende Signaltrompete auf seinem Rücken leuchtete wie flackerndes Licht. Und Lärm überall —

Stöhnen — Schreie — —

Jetzt ein Brüllen, daß der Atem mir stockte. Ein wahnsinniges Aufheulen — und ein Mensch sprang empor wie ein Ball und wälzte sich im Gras vor der Feuerlinie, sprang wieder auf und brüllte mit einer Stimme, die nichts Menschliches mehr hatte:

»M — mein L — leib — das bre — ennt! — oah.. oh ...«

Das furchtbare Ding tanzte und sprang und brüllte wie ein Tier — und dann gellte es auf einmal, so überlaut, so entsetzlich, als dränge alle Höllenpein und aller Schmerzensjammer sich in einen einzigen Aufschrei:

»K — i — ii — ll me! K — ii — ll me! Tötet mich — Freunde, tötet mich!«

Ich war auf die Knie geschnellt und hob den Karabiner, aber der Lauf zitterte und wackelte wie ein Grashalm im Wind. Das fürchterliche Ding vor mir schoß [S. 156] noch einmal auf, taumelte, brach zusammen und lag still da. Viele Gnadenschüsse hatten seinen Jammer geendet.

»Ruhe!« kommandierte eine scharfe Stimme.

»Zur Hölle mit der Ruhe!« schrie es in Antwort.

Und plötzlich, als sei das ein Signal gewesen, sprach und schrie ein jeder, daß das Stimmengewirr den Feuerlärm übertönte. Die überspannten Nerven waren am Zerreißen, und die Spannung machte sich Luft.

»’ran an die Bande da drüben!« schrie einer links. »Hier ist 6te Kavallerie.«

»Hier ist 1te Infanterie —«

»Bei Gott, sollen wir Reguläre uns hier verpfeffern lassen?«

Bajonette wurden herausgerissen und schnappten klirrend in die Federn an den Gewehrläufen ein. Der Major zog seinen Revolver.

»Schnellfeuer!!« schrie irgend jemand.

Rasselnd rollte das Feuer mit furchtbarer Geschwindigkeit aus dem Waldrand. Wie von selbst eine Pause nun. Da schrie der Trompetersergeant gellend:

»Jungens — Reguläre — gebt ihnen — Hölle —«

Und er sprang zehn, zwölf Meter weit vor und warf sich hin. Andere folgten — warfen sich hin — weiter unten andere — warfen sich hin, feuerten ... Auf einmal lag ich ebenfalls ein Stückchen weiter vorne und pumpte das Karabinermagazin leer. Noch weiter vorne sah ich den Major. Dann rannte es neben mir, und ich lief mit, die Augen immer auf dem Major, und [S. 157] holte ihn ein und warf mich hin, weil die anderen sich hinwarfen, und feuerte, weil die anderen feuerten.

»Gebt — ihnen — Hölle!« brüllte es.

Ich stolperte über Stacheldraht, fiel, sah, wie der Major und Souder wenige Schritte neben mir ebenfalls stürzten, griff in den Draht und riß mir die Hände blutig, kam frei, sprang wieder vorwärts. Neben mir Souder und der Major. Da, ganz in der Nähe, ragte es grasig steil auf, und braune und blaue Flecke krabbelten an Händen und Füßen empor; — da — brüllendes Geschrei ertönte, und vorwärts ging es mit den anderen.

In Grasbüschel krampften wir uns ein, und das niedrige Gestrüpp packten wir und schoben und zerrten uns hoch. Plumps — fielen wir in einen Schützengraben, fluchten, kletterten wieder —

und waren oben ...

Unten lag ein Tal voller Gestrüpp, und zwischen dem Gestrüpp sah ich zwei, drei weiße Hüte auftauchen, weit weg, und feuerte blindlings hinterdrein — — — auf die einzigen Spanier, die ich überhaupt deutlich zu Gesicht bekommen hatte!

»Lassen Sie die Schießerei!« sagte der Major. »Wir haben hier überhaupt nichts zu suchen und hätten gar nicht mitmachen dürfen. Jetzt aber ist es höchste Zeit, an unsere Pflicht und unsere Station zu denken!! Warten Sie hier auf mich!«

[S. 158]

So wurde die Schlacht vom San Juan-Hügel gewonnen. Nicht von einer Armee, nicht von Regimentern, nicht von Kompagnien einmal, sondern von einem Haufen, nein, von Dutzenden von Häuflein einzelner Männer, denen das anscheinend ergebnislose Schießen aus der Schützenlinie auf die Nerven fiel. Dazu kamen die schweren Verluste, gegen die man wehrlos war. Ich bin überzeugt, daß der arme Teufel mit dem zerschossenen Unterleib, der schreiend in seiner Qual vor der Front hin und her taumelte, sein gut Teil zu dem Siege beigetragen hat, zu dem mühelosen Siege, denn jenes anscheinend so tollkühne Anstürmen gegen den Hügel kostete nur wenige Menschenleben, so aufregend es war während der kurzen zehn Minuten des Vorwärtsjagens. Von einzelnen Männern wurde der Hügel genommen. Eine Feuerleitung existierte nicht, noch irgendwelche höhere Führung, in der entscheidenden Phase. Nicht aus Mangel an Disziplin, denn bei den Regulären wenigstens war die Disziplin vorzüglich, sondern aus Mangel an Geführtwerden. Gab es doch überhaupt keine Verbindung zwischen den einzelnen Verbänden. Man hatte sorglos Regiment auf Regiment in den engen Waldweg hineingestopft ohne eigentlichen Plan, und in natürlicher Notwendigkeit lösten sich die Regimenter sofort in kleine Trupps auf, als sie in die Feuerzone des schwierigen Terrains kamen, nach langem hilflosem Beschossenwerden im Urwald. Von da aus arbeitete sich eben Trupp für Trupp und Häuflein für Häuflein vorwärts; in echt amerikanischer Neugierde und in echt amerikanisch leichtsinnigem Selbstvertrauen. [S. 159] Jeder Mann fühlte sich als »weißer Mann« und Amerikaner von vornherein mindestens zwei Spaniern, zwei »Dagos«, gewachsen. Ein Spanier ist ja für den echten Sohn Onkel Sams nur drei Schattierungen besser als ein Chinese. Ein verachteter dago. Die moralische Ueberlegenheit war da; leicht genug einem Feind gegenüber, der sich auf die Defensive beschränkte und seine Sache für eine verlorene zu halten schien.

Diese Ueberlegenheit, und nur sie, gab den Ausschlag.

Die spanische Verteidigungslinie auf den Hügeln mit ihren vorzüglich angelegten Schützengräben war ganz ausgezeichnet und uneinnehmbar, wären Männer gleichen Selbstvertrauens es gewesen, die sie besetzt hätten. Der Spanier verfügte obendrein über ein besseres und schnellerfeuerndes Gewehr als es das dänische Krag-Jörgensen auf der amerikanischen Seite war, das deutsche Mausergewehr — er kannte alle Entfernungen — alle Vorteile waren auf seiner Seite. So siegte nur selbstvertrauender Leichtsinn in diesem exotischen Krieg des Leichtsinns. Die Schlacht vom San Juan-Hügel gewannen schneidige, leichtsinnige Jungens, die, auch die Regulären nicht, keine wirklichen Soldaten im modernen Sinne darstellten trotz aller persönlichen Tüchtigkeit, denn sie wurden nicht geführt wie Soldaten. Erst lange nach der Entscheidung griffen die ordnenden Hände höherer Führer ein.

Im Hauptquartier herrschte furchtbarer Wirrwarr.

Gegen den Willen des Höchstkommandierenden eigentlich wurden die Einzelkämpfe jenes Tags gekämpft [S. 160] und durchgeführt, dem die Kriegsgeschichte den Namen der Schlacht vom San Juan-Hügel gegeben hat.

Der alte General Chaffee hatte in den Nachmittagsstunden des 30. Juni ganz allein, nur von einem Adjutanten begleitet, das Gelände auf dem äußersten rechten Flügel rekognosziert und das Dörfchen El Caney stark besetzt gefunden. Mit dem Morgengrauen griff seine Brigade an, unter ähnlichen Verhältnissen wie beim San Juan-Hügel später, und während das heiße und langwierige Feuergefecht um das kleine Dorf tobte, erhielt er General Shafters Befehl, den Kampf sofort abzubrechen und der Brigade Hawkins bei den San Juan-Hügeln zu Hilfe zu eilen. Man fürchtete das Schlimmste im Hauptquartier. Die starken Verluste im Fernkampf (20 Offiziere und 100 Mann tot, 70 Offiziere und 700 Mann verwundet), zusammen mit Alarmmeldungen wie dem Versagen des 71. Regiments, hatten den Stand der Dinge in sehr bösem Licht erscheinen lassen, und über die Erfolge des Tages war niemand wohl erstaunter als der Generalstab. General Chaffee zögerte. Er fürchtete den demoralisierenden Eindruck eines Zurückgehens, das als Niederlage gedeutet werden mußte. Da machte sich die Sache eigentlich von selbst. Kleine Trupps stürmten vor, und er benützte diesen günstigen Augenblick, mit zwei Regimentern zu stürmen. In wenigen Minuten war das alte Steinkastell genommen, das Dorf besetzt und der Feind in wilder Flucht.

Gleichzeitig fast oder wenig später spielte sich der Endangriff auf den San Juan-Hügeln ab, gleichfalls gegen den Befehl des Höchstkommandierenden, der das [S. 161] Abwarten von Verstärkungen anbefohlen hatte. In ähnlich selbständiger Weise wurde der Hügel rechts vom Blockhaus von versprengten Truppen der Division Kent, der Hügel links vom Blockhaus von den Rauhen Reitern, Regulärer Kavallerie und Teilen des 1. und 9. Regiments unter Roosevelts Führung genommen. Alle fast gleichzeitig. Um drei Uhr nachmittags war die gesamte Hügellinie, die in weitem Bogen Santiago umschloß, im Besitz der Amerikaner.


Ich riß mein Flanellhemd herunter und wand es aus, wie eine Waschfrau ein Stück nasser Wäsche auswringt. So naß war es von Schweiß, als ob ich es nicht vom Leib, sondern aus dem Zuber Wasser gezogen hätte. Den letzten Rest schmutzigen San Juan-Wassers trank ich aus meiner Feldflasche und war glücklich, in meiner Tasche unter den Patronen noch ein Stückchen steinharten Zwiebacks zu finden. Unterdessen feuerte hie und da jemand. Die Spanier erwiderten das Feuer nur schwach, und den Männern auf dem San Juan-Hügel wurde die Geschichte sehr bald langweilig, wenn es ihnen auch nicht an Munition fehlte, da inzwischen ein Maultiertransport mit Patronenkisten nachgekommen war. Sie waren hungrig und durstig und müde. Und trösteten sich mit allerlei Spässen.

Witze flogen hin und her. Sie verloren den Humor nicht, diese zähen Regulären, wenn sie auch völlig erschöpft waren und zur Kräftigung nichts hatten als [S. 162] die jämmerlichen Reste verschmutzten Wassers in den Feldflaschen, ein paar harte Zwiebacke, ein Stück Speck im Tornister. Sie halfen sich selbst, wie sie unter höllischem Feuer sich selbst geholfen hatten; kratzten sich neue Schützengräben aus gegen den Feind zu mit ihren kurzen, breiten, praktischen Haubajonetten, und ruhten die einen, während die anderen arbeiteten, im schwachen, unregelmäßigen, abflauenden Gewehrfeuer. Dann eilten Offiziere hin und her und brachten langsam Ordnung in die aus allerlei Regimentern zusammengewürfelten Soldatenhäuflein und organisierten planmäßiges Arbeiten in den Schützengräben.

Der Brigadestab hatte sich hinter dem Blockhaus auf der sanft abfallenden Hügelkuppe versammelt. Während der Major mit den Offizieren sprach, gingen Souder und ich zu den gefangenen Spaniern hinüber, die in Trupps eben herbeigeführt wurden. Dreißig, vierzig Mann mochten es sein im ganzen. Sie wurden von einem halben Dutzend Regulärer bewacht, die ihnen die Mausergewehre, die Bajonette, und die Patronengürtel abgenommen und auf einen Haufen geworfen hatten. Zuerst standen die Spanier scheu da, als ob sie Mißhandlungen befürchteten. Als aber einer ihrer Wächter betrübt seine leere Feldflasche beguckte, trat ein Spanier vor und bot ihm die seine an. Das war in dem Augenblick, als wir hinkamen. Der Mann im braunen Khaki betrachtete die Flasche vergnügt.

»Wasser?« fragte er.

»Bueno — bueno!« grinste der Spanier.

Der Infanterist setzte die Flasche an den Mund, [S. 163] tat einen tiefen Zug, wurde krebsrot im Gesicht, tanzte auf einem Bein umher und hustete gewaltig.

»Verdammt, verdammt, verdammt ...« brüllte er, »das ist ja Rum — hättest’s mir nicht sagen können, daß das klarer Rum ist?«

Da lachten die kleinen Männlein, und Leben kam in sie. Allerlei riefen sie uns zu, und wir grinsten und sagten bueno — bueno, wenn wir auch kein Sterbenswörtchen verstanden; tranken aber mit um so größerem Verständnis einen kräftigen Schluck des brennenden Jamaikarums und ließen uns mit Vergnügen ein bißchen in die Feldflaschen schütten. Dabei redeten die Gefangenen schnatternd auf uns ein. Sie waren alle kleiner als wir und schienen sehr jung. Zuckerhutförmige, weiße Strohhüte trugen sie und lappige Segeltuchschuhe und sonderbare Uniformen aus weißem Baumwollstoff mit feinen blauen Streifen. Einer, ein kleiner Bursche, ein Kind fast noch, stellte sich vor uns hin, die Arme ausgestreckt, und erzählte in sprudelndem Wortschwall irgend etwas. Wir begriffen sehr bald, denn der temperamentvolle Südländer wußte sich in Gesten und Mienenspiel ganz ausgezeichnet auszudrücken. Ein Ausdruck furchtbaren Entsetzens kam in sein Gesicht und seine Augen sprühten.

»Bum — bum, bum, bum — « machte er. »Muy bum, bum!«

Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und tat als ob er stürze, und deutete auf den Boden, und machte eine werfende Handbewegung, einmal, zweimal, fünfmal —— sempre bum, bum, bum ... und die Arme [S. 164] ahmten die mähende Bewegung einer Sense nach. In seinem Schützengraben mußte es bös zugegangen sein.

»Er meint die Gatlings,« sagte der Major, der hinzugetreten war. »Maschinengeschützfeuer hat die Kameraden neben ihm weggemäht; kein Wunder, daß ihm das auf die Nerven gefallen ist, dem armen Teufel!«

Er sagte irgend etwas zu dem Burschen, der in raschem Stimmungswechsel lachend nickte und ein Päckchen Zigaretten hervorzog ... Zwei Päckchen, drei Päckchen. Zigaretten! Mir traten die Augen beinahe aus den Höhlen vor Neid. Teufel, die hatten Zigaretten, und in meiner Tasche waren nur noch ein paar Krumen nassen, schlechten Tabaks! Der Major mußte ähnliches empfinden, denn er nahm das Päckchen rasch und zündete sich sofort eine Zigarette an, gleich darauf Souder und mir eine anbietend. Ob ich zugriff! Ah — welch ein Labsal das war, so scharf die kubanische Zigarette auch schmeckte. Köstlich! Hunger und Durst und Müdigkeit waren vergessen. Da drängten sich auch schon die Gefangenen um uns und überschütteten uns mit Zigarettenpäckchen, die sie in Hülle und Fülle besaßen. Das Silberstück, das der Major dem jungen Burschen anbot, wurde zurückgewiesen. Er hielt es noch zwischen den Fingerspitzen, als ein Kubaner herbeistürzte, laut auf ihn einschreiend, und den silbernen Dollar mit der einen Hand wegriß, während er mit der anderen dem Major einen gelben Papierfetzen hinwarf. Dann rannte er Hals über Kopf davon und war [S. 165] verschwunden. Ein verblüffteres Gesicht, als es der Major machte, hätte kein Mensch machen können.

»D — d — damn it!« stotterte er. »Nix Papier, nix Papier, nix gut Papier — hat der Kerl gesagt. Was beim Kuckuck soll das nun heißen?«

Sein Gesicht wurde noch verblüffter, als ich den gelben Fetzen aufhob, denn das nix gut Papier war ein nagelneuer, richtiger, korrekter, amerikanischer Zwanzig Dollarschein.

»Was?« rief der Major.

»Ein Zwanzig Dollarschein!«

»Was?« Er sah die Banknote an. »Der Esel! Der unbeschreibliche Esel!!« brüllte er, lachend wie nicht gescheit. »Will kein Papier — hartes Silber ist ihm lieber! Hat das Geld natürlich für irgend einen Dienst bekommen — Herrgott, was müssen diese Leute für schlechte Erfahrungen mit spanischem Papiergeld gemacht haben ... Stecken Sie ’n ein, stecken Sie ihn ein; trinken Sie Mumm extra dry dafür mit Souder, wenn wir wieder im Lande Gottes sind!«

So kostete ihm die Schlacht vom San Juan-Hügel einen Silberdollar, und uns brachte sie vier Flaschen Mumm goût americain, die wir im Restaurant des Kapitols in Washington drei Monate später getreulich tranken.

Da kam General Hawkins mit seinem Stab, und die spanischen Gefangenen wurden in Reih und Glied aufgestellt, um befragt zu werden. Der Major schloß sich dem Stab an.

[S. 166]

»Wir müssen zurück,« sagte er, als er wiederkam. »Die Linie muß nach vorne!«

Der Wald und der Schlammpfad nahmen uns wieder auf. Von den Hügeln her hallte schwaches Gewehrfeuer.


Es war Nacht geworden. Das Ballon-Detachement, das in aller Morgenfrühe nicht weit von der San Juan-Furt auf einer Walddichtung einen Aufstieg versucht hatte, mit dem Resultat geringer Erkundung, einiger Leichtverwundeter und eines zerschossenen Ballons, war bald darauf zurückgekommen und hatte schon begonnen, die Linie nach der Front zu legen. Wir kampierten beim El Pozo Hügel, auf der ersten Station, und sollten mit dem Morgengrauen Drahttransport und Linienbau aufnehmen. An Schlaf dachte lange niemand. Der Diensthabende am Instrument gab und empfing fortwährend Meldungen, denn die telegraphischen Nachrichten aus der Front wurden von unserer Station aus telephonisch weitergegeben. Was die Adjutanten, die wenigen Meldereiter und die Ordonnanzen der zweiten Station, die irgendwo im Wald steckte, an Depeschen brachten und durch uns dem Hauptquartier übermitteln ließen, war fast nie etwas anderes als lautes Drängen: Proviant — Proviant — Munition! Es fehlte am Nötigsten in den Schützengräben. Aber um zehn Uhr oder elf Uhr trampelte eine Karawane schwerbeladener Maultiere auf dem La Quasina-El Pozo Weg daher, die Mules störrisch, die Treiber fluchend über den furchtbar schlickigen Weg. Sie erkundigten sich bei uns, ob [S. 167] wir denn nicht glaubten, daß auch sie Gelegenheit bekommen würden, »ein bißchen mitzumachen«. Auch sie hatte das Schießfieber angesteckt.

In dem wunderschön handlichen Loch dicht bei der Station, das die neben uns platzende Granate am Morgen gerissen hatte — diese Granate und dieses Loch werde ich nicht vergessen, wenn ich auch sehr alt werden sollte! — zündeten wir aus allerlei gesammeltem Reisig und dürrem Holz ein gewaltiges Feuer an, kochten miserablen Kaffee und brieten schlechten Speck. Viele Wolldecken hatten wir uns aufgelesen — sie lagen ja überall umher — und saßen auf weichen Sitzen, Zigaretten rauchend. In hohem Ansehen bei den Kameraden, nicht etwa, weil wir hatten mit dabei sein dürfen, denn darüber machten sie nur schlechte Witze, sondern weil wir Rum mitbrachten, der den dünnen Kaffee merkwürdig verbesserte. Und Zigaretten! Wir sprachen nur wenig. Waren viel zu müde dazu. Zwei, drei Feuer flackerten auf der Fläche zwischen Hügel und Wald. Die Batterie hatte El Pozo schon längst verlassen, um auf einem der eroberten Hügel Stellung zu nehmen.

Einer nach dem andern wickelte sich in Decken und legte sich hin. Ich hätte gern geschlafen, aber ich war so unruhig, so aufgeregt, daß ich still am Feuer sitzen blieb und grübelte. An meinen Vater dachte ich, der mit Leib und Seele Soldat gewesen war, und an die wenigen Abende, an denen er sich herbeigelassen hatte, von Königgrätz oder von Vionville zu erzählen; kurz, knapp, unpersönlich, wie das seine herrische Art war. [S. 168] Wie er ganz sachlich davon gesprochen hatte, daß Artilleriefeuer stark demoralisierend wirke — und ich dachte an meine Granate ...


Da erklang es leise und zitterig irgendwo draußen in der stillen Nacht — tra — lalalah — tra — lalaah ... tara — rarah.... und die Wälder fingen den leisen Trompetenklang auf und erstickten ihn langsam, daß es noch leiser und noch wehmütiger schallte — tara — tara — ta — ra — la — ra — la — r — aaaa ... dumpf austönend in wehem, weichem Moll. Und zitternd erklang es wieder und wieder, da nun, dort jetzt. War eine Trompete ausgeklungen in leisem Hallen, setzte traurig eine andere ein — tara — lala — — — Immer und immer wieder zitterte er in die stille Nacht hinaus, der Zapfenstreich, der heute traurig erzählte: Gefallen auf dem Felde der Ehre!

Sie begruben die Toten.

[S. 169]

Der Tag nach der Schlacht.

Am Lagerfeuer. — Vom Arbeiten in den Schützengräben. — Nächtlicher Tropenregen. — Auf dem Weg zur Front. — Die spanischen Scharfschützen. — Der stille Wald. — Verwesungsgeruch. — Das Tal der Toten. — Der Kopf. — Bloßgelegte Gräber. — Das Kommen des Grauens. — Das Leichenfeld. — Im Hauptquartier des linken Flügels. — Die Schützengräben auf dem Hügel. — Heftiges Gewehrfeuer in der Sternennacht. — Mein Maultierritt. — Vom Feuerschein beim Feind und dem Rätsel der Nachtattacke.

Kühl und frostig kam der frühe Morgen.

Das Lagerfeuer war am Erlöschen, zusammengebrannt zu einem Haufen weißlich grauer Holzasche. Nur wenn ein Luftstoß daherstrich, leuchteten rote Glutpünktchen auf, und feine rote Feuerschlangen huschten wirr umher in dem kleinen Berge weißen Staubes. Zitternd schoß da und dort ein schwaches Flämmchen auf, flackerte ein wenig in rotgelbem Licht, löste sich los, schwebte sekundenlang über den huschenden Feuerschlangen und ward aufgesogen von der rings alles umhüllenden, schwarzen, tiefdunklen Nacht. Sekundenlang wurden die Schläfer in den Decken dicht am Feuer in gespenstisch verschwimmenden Umrissen sichtbar —

Dann und wann, wenn ein Windstoß die schweren Wolkenmassen zerriß, tauchten die Bäume und der nahe Waldrand in ungeheuren zackigen Schatten auf, scharf sich abzeichnend im matten, fahlen Licht des Morgendämmerns. [S. 170] Still war es überall, totenstill. Kein Laut klang in die Nacht hinein außer dem leisen, ganz leisen Klicken da drüben, zwanzig Schritte weit weg. Ein winziger Lichtstreifen, der Schein der Signallaterne bei den Instrumenten, zeigte undeutlich Gestalten am Telephon und am Telegraphenapparat, über Taster und Membranbecher gebeugt, eifrig schreibend.

Ich saß und lauschte. In dieser Nacht hatte ich kaum geschlafen. Das Klicken, das von der Front kam und zum Hauptquartier ging, erzählte in kurzen, knappen Meldungen an den kommandierenden General von Arbeit, Arbeit, Arbeit. Sie hatten arbeiten müssen wie Maulwürfe in dieser Nacht, die müden Männer auf den Hügeln. Tief in die Erde hatten sie sich eingegraben, Kilometer auf Kilometer von Schützengräben ausgehoben, Verschanzungen aufgeworfen. Hin und wider waren sie marschiert, bis die einzelnen Verbände sich nach dem Wirrwarr des Schlachttags wieder zusammengefunden hatten. Und in das Erzählen von harter Arbeit klang, in den scharfen Befehlen vom Hauptquartier, die Sorge —

Denn immer wieder befahl General Shafter neue Verschanzungen, und immer von neuem schärfte er den Kommandeuren der Front ein, um jeden Preis die Hügellinie zu halten und auf keinen Fall ohne ausdrücklichen Befehl über sie hinaus vorzugehen.

Nein, ich konnte nicht mehr schlafen.

So ging ich zu den Instrumenten hin und hockte mich neben Souder, der jetzt den Dienst am Fronttelephon hatte.

[S. 171]

»Ist nichts Besonderes los,« brummte er. »Weshalb schläfst du denn nicht?«

»Kann nicht — — « murmelte ich.

Gedankenlos hörte ich zu, wie der Sergeant mit halblauter, monotoner Stimme eine Meldung telephonisch weitergab — dringend, dringend, dringend. Vom Hauptquartier an die Generale Lawton, Kent, Chaffee, Bates ... Da klatschte ein Wassertropfen auf meine Hand, ein zweiter nun, ein dritter, und kaum war ich aufgesprungen, als es schon herabbrauste in schweren Wassermassen.

»Die Instrumente!« brüllte Souder.

Fluchend rumpelten überall um uns Gestalten in die Höhe. Alles rannte blindlings nach den aufgestapelten Tornistern, um tastend und tappend in der Dunkelheit die Gummidecken hervorzusuchen. Aber sie konnten nicht schützen gegen diese Fluten. Nach vieler Mühe gelang es uns, wenigstens ein Zelt für die Station zu errichten und es mit den Gummidecken halbwegs wasserdicht zu machen. Die Instrumente funktionierten. Die Männer aber, die den Dienst hatten, hockten mitten im Wasser, denn in Bächen kam es den Hügel herabgeschossen.

Es regnete und regnete. Nicht einzelne Tropfen fielen, sondern schwer und geschlossen sauste es herab, wie ein Strom fast aus geöffneter Schleuse. In die Haut drang uns das Wasser, und ins Mark hineinzuschleichen schien sich die Kälte. Frierend und zähneklappernd standen wir da und rührten uns nicht. Es wäre sinnlos gewesen, gegen diese Wassermassen Schutz [S. 172] suchen zu wollen. Flüssiger, breiiger Schlamm umspülte unsere Knöchel, und dampfig stieg es auf aus unseren ekelfeuchten Kleidern. Und es regnete und regnete; eine Viertelstunde lang, eine halbe Stunde.

Dann wurde es mit einem Schlage still. Ueber den Hügeln drüben tauchte ein Lichtstreifen auf, wurde breiter, leuchtete heller, und froh und warm ergoß sich der Sonnenschein übers Tal. Bald loderten die Kaffeefeuer auf, und nasse Menschen umstanden sie in dichten Knäueln. Der Dunst trocknender Kleider stieg muffig empor und mischte sich mit den Bodengerüchen des tropischen Fieberlandes.

Major Stevens trat zu uns und verteilte aus einem Glasröhrchen Chininpillen.


Es war um Mittag, und die Sonne brannte glühendheiß aus wolkenlosem Himmel auf den Weg zum Wald hernieder, auf dem Souder und ich dahinschritten, schwer bepackt ein jeder mit Taschenapparat, Flaggen, Waffen, Tornister und Decke. Die südliche Station bei der Brigade Bates auf dem linken Flügel — das Ballondetachement legte die neue Linie — war uns beiden zugeteilt worden.

Still lag der breite Lehmweg zum Wald da. Zu beiden Seiten, im Gras und im lehmigen Schlamm, auf dem die Gluthitze schon harte Krusten gebildet hatte, lagen noch in Haufen die Decken, die Tornister, die Mäntel, verregnet und verschmutzt. Nicht weit vom [S. 173] Weg unter einem Baum streckte ein totes Maultier in grotesker Starrheit die vier Beine in die Höhe. Der furchtbar aufgedunsene Bauch des Tieres sah aus wie eine große braune Kugel. Schwacher Verwesungsgeruch drang herüber; kaum bemerkbar, wäre der Kadaver nicht zu sehen gewesen, aber doch schon unerträglich in der eklen, heißen, überfeuchten Hitze.

Von den Hügeln her hallte unregelmäßiges Gewehrfeuer.

Es hatte mit Tagesanbruch begonnen und ununterbrochen den ganzen Vormittag gedauert. Nur vereinzelte Schüsse waren es, mit langen Pausen oft und seltenem lebhafterem Geknatter. Aus den Meldungen des Vormittags wußten wir, daß es nur Feuer aus den Schützengräben war und wahrscheinlich hüben wie drüben wenig Schaden anrichtete.

»Sagen sich gegenseitig Guten Tag!« brummte Souder. »Machen ein bißchen Spektakel! U — iih — wie ist das heiß! An mir ist kein trockener Faden mehr —«

Im gleichen Augenblick duckte er sich, denn eine Kugel zischte in unangenehmer Nähe über unseren Köpfen dahin. Wir rissen beide die Karabiner von den Schultern und spähten links und rechts in den Wald hinein, Baum für Baum mit den Gläsern absuchend.

»Ich sehe nichts!« sagte der Sergeant leise. »Wo der Kerl nur stecken mag?«

»Dort — in dem Baum dort!« flüsterte ich.

»Unsinn, Mann! Was du siehst, ist nur ein heller Lichtfleck ...«

[S. 174]

Wir waren gründlich angesteckt von der Scharfschützennervosität auf der amerikanischen Seite, die in jedem Sonnenfleck in einer Baumkrone einen spanischen Schützen sah. Nicht nur jeder Soldat, mit dem wir gesprochen hatten, wußte von Hunderten unheimlicher Scharfschützen zu erzählen, die sich hinter unserer Angriffslinie umhertrieben, sondern eine besondere Depesche vom Hauptquartier hatte sogar befohlen, die Wälder sorgfältig abzusuchen und die auf den Bäumen versteckten Spanier zu finden und unschädlich zu machen. Die Armeefama übertrieb. Aber doch war an den Gerüchten viel Wahres. So manchen Spanier hatten die amerikanischen Regulären nach langem Suchen in den Bäumen entdeckt und erbarmungslos herabgeschossen; denn die Truppen empfanden das heimliche Feuern aus Verstecken innerhalb der amerikanischen Linien als etwas Heimtückisches, Unerlaubtes. In Wirklichkeit befanden sich diese spanischen Scharfschützen sehr gegen ihren Willen auf verlorenen Posten. Sie hatten sich in dem Gelände vor der spanischen Verteidigungslinie in Baumkronen eingenistet, als Späher und Vorposten, ehe der amerikanische Marsch auf die Hügel begann. Dann waren sie durch das rasche Vordringen der amerikanischen Regimenter abgeschnitten worden.

Da blieben sie in ihren Verstecken. Höllenqualen der Angst müssen sie ausgestanden haben. Blieben, wo sie waren, in Todesangst — feuerten wohl auch auf vereinzelte amerikanische Soldaten in halbem Irrsinn — statt herabzuklettern und sich gefangen zu geben. Sie fürchteten sich zu sehr. Man hatte ihnen zu viel [S. 175] erzählt von den amerikanischen Barbaren, die gekommen seien, die Insel zu stehlen, und Gnade und Barmherzigkeit nicht kennten. Sie mochten bei der Madonna und allen Heiligen fest daran glauben, daß der Yankee seinen Gefangenen den Bauch aufschlitze, wie das die lieben kubanischen Insurgenten zu tun pflegten. So warteten sie zitternd und feuerten blindlings auf amerikanische Patrouillen und starben.

Trotz allen Spähens entdeckten wir aber nichts und stampften endlich weiter.

Der Pfad war heute noch schlammiger und noch tiefer eingelöchert von Tausenden von Menschentritten und Maultierhufen. Als wir um die Wegkrümmung bogen, sahen wir unter den Bäumen, ein gut Stück im Wald, ein großes weißes Hospitalzelt mit der Roten Kreuz-Flagge. Weiter vorne am Pfad hockten überall Verwundete, die zum Erbarmen elend aussahen mit ihren schlammbeschmutzten, blutbefleckten Verbänden und den über und über schmutzigen Kleidern und den blassen Gesichtern. Sie mußten warten, bis die Aerzte Zeit für sie fanden. An einem Busch war ein Packmaultier angebunden, und sein Führer verteilte aus einer großen Kiste Kautabak und Rauchtabak an die Soldaten.

»Mann, der Tabak ist gut!« hörten wir einen Verwundeten sagen. »Wenn du jetzt noch ein bißchen Whisky hättest, würd’ ich mir gern noch ein Loch in den Arm schießen lassen!«

Totenstille herrschte im Wald. Wo gestern die Kompagnien, die Regimenter, die Menschenmassen in der rasenden Eile und dem schreienden Drängen der [S. 176] Schlacht dahingestürmt waren auf dem schlammigen Pfad und den grasverwucherten Lichtungen, wo Granaten geheult und Kugeln gepfiffen hatten, da war es jetzt still und ruhig und friedlich wie auf einsamem Buschweg. Hinter uns lag der Verbandplatz; vor uns in der Ferne die Hügel. Auf dem Weg selbst begegneten wir keinem Menschen. Dann und wann nur tauchten abseits in den Lichtungen Soldatengestalten auf, die tiefgebückt mit Hacke und Spaten hantierten, und hie und da ertönte leise abgedämpfter Trompetenklang, als letzte Ehrung über einem Grab geblasen. Die verstreuten Toten, die ihr Schicksal auf versteckter Stelle im Dschungel ereilt hatte, wurden aufgesucht und begraben. Langsam tappten wir vorwärts. Der graugelbe Schlamm war oben schon verkrustet und verstaubt in der Gluthitze, aber unter der dünnen Schicht verbarg sich zähflüssiger Morast, in den man tief einsank bei jedem Schritt. Durch das Baumlaub drangen heiß und stechend die Sonnenstrahlen. Wie erstarrt schienen Bäume und Büsche. Kein Blatt raschelte, kein Grashalm regte sich —

Ich blieb stehen und trocknete mir den Schweiß von der Stirne. »So heiß haben wir’s noch nicht gehabt!« murrte ich. »Herrgott, die Hitze ist kaum zum Aushalten! Und wie dumpfig und sonderbar das riecht!«

Souder wechselte das schwere Telephon von der einen Schulter auf die andere und sah sich bedächtig um. »Weißt du was?« sagte er. — »Machen wir, daß wir aus dem alten Wald hinaus und zu unserer Station kommen!«

[S. 177]

Aber schon nach wenigen hundert Schritten blieben wir wieder stehen und sahen uns an. Einer den andern. Keiner wollte mit der Sprache heraus.

In der Luft lag fade, faulend, süßlich, leiser Verwesungsgeruch.

»Irgendwo im Gestrüpp müssen noch Tote unbeerdigt liegen,« sagte der Sergeant endlich. »Was es mit der Luft hier für eine Bewandtnis hat, ist klar genug.«

»Aber ein Mensch kann doch nicht von gestern auf heute in Verwesung übergehen,« wandte ich erstaunt ein.

»Warum denn nicht?« meinte der Sergeant achselzuckend. »Bei dieser Gluthitze! Denk’ doch an das Maultier, an dem wir vorbeigekommen sind, dicht bei der Station vorhin! Das war gestern auch noch lebendig! Wollen einmal nachsehen, wo der arme Teufel liegt —«

Der Weg war hier viel breiter und zerteilte sich in den lichten Waldstellen in winzige, in das Gras hineingetrampelte Pfade, voneinander getrennt durch niedriges Gestrüpp und kleine hügelige Graswellen. Dazwischen ragten breite Mangos und schlanke Kokospalmen mit ihren massigen Blättern, die wie große Fächer den Weg überschatteten und nur da und dort einen gelbglänzenden, sengenden Sonnenstrahl durchdringen ließen. Die Luft war heiß und dumpf und dampfig, und in die Schwüle hinein drängte sich der Aasgeruch und schien alles zu umschweben und an allem festzuhaften.

[S. 178]

»Dort drüben muß es sein!« rief Souder.

Wir stapften durch den Schlamm, bogen seitwärts ab, kamen in hohes Gras, und auf einmal trat ich auf etwas Weiches, Klebriges. Ich glitschte aus, rutschte und schlug der Länge nach schwer hin, mitsamt der Drahtrolle und dem Telephon, dessen Glocke leise klingend ertönte.

»Verdammt!« schrie ich wütend.

»Was gibt’s denn?« rief Souder, der einige Schritte voraus war, und kam zurück.

Er lachte laut auf, als ich mich brummend zwischen Draht und Instrument und Tornister emporarbeitete, aber das Lachen verging ihm bald — —»Mann — du bist dem — dem Ding da — auf den Kopf getreten!« stotterte er.

Aus der grasigen, welligen Erhöhung mit den verstreuten Lehmschollen, da, wo ich gestolpert war, ragte ein menschlicher Kopf aus dem Boden. Ein schwarzbehaarter Hinterkopf. Und mitten auf den armen Schädel mußte ich getreten sein. Mein schwerer Stiefel hatte die halbverweste Kopfhaut auseinandergerissen. Zwischen den schwarzen Haaren schimmerte es blutigbraun von ekelerregender Flüssigkeit.

Ich sprang entsetzt zurück und tanzte wie besessen zwischen den Grasbüscheln umher, mir krampfhaft die Stiefel abwischend. »Pfui Teufel!« brüllte ich in maßlosem Ekel. »Pfui Teufel!«

»Der arme Kerl spürt nichts mehr,« sagte der Sergeant. Aber er machte einen weiten Bogen um den Kopf, während er sprach, und kam zu mir herüber. [S. 179] Ich fuhr immer noch mit den Stiefeln im Gras hin und her —

»Kann die verfluchte Bande denn die Toten nicht tief genug hineinbegraben!« schrie ich außer mir.

Souder zuckte die Achseln. »Machen wir, daß wir weiterkommen!« sagte er gelassen. »Schön ist’s nicht, aber man muß sich nicht viel Gedanken darum machen. Tot ist tot — und lebendig ist lebendig. Zwischen einer toten Katze und einem toten Mann ist nicht viel Unterschied. Beide — — — aber machen wir, daß wir weiterkommen! Uebrigens kann kein Mensch was dafür. Wenn du gestern abend dazu kommandiert worden wärest, die Gefallenen zu beerdigen, so hättest du auch keine sechs Fuß tiefen Löcher gegraben in deiner Müdigkeit! Der Regen hat’s getan! Der hat die lose Erde weggewaschen — man sieht’s ja — guck’ nur hin!«

»Ich danke! Fällt mir gar nicht ein!!«

»Hab’ dich nicht so!« brummte der Sergeant. »Weiter — weiter!«

Und ich schämte mich über mein Getue, denn es schien mir unmännlich und unsoldatenhaft — jawohl, ich schämte mich! Aber ich ging mit sehr vorsichtigen Schritten und machte einen großen Bogen um jede Erhöhung, die ein Grab vermuten ließ.

Der Verwesungsgeruch war und blieb in der Luft.

Einmal sah ich einen Arm aus dem Boden ragen dicht am Weg, ein anderes Mal einen bestiefelten Fuß, der in grotesker Steifheit aus der Erde emporzuwachsen schien. Und der Aasdunst umfing uns fortwährend.

»Jetzt wird’s mir aber bald auch zu viel — — —« [S. 180] sagte Souder, sich sein schmutziges Taschentuch vors Gesicht haltend.

Kurz vor der ersten San Juan-Furt begegneten wir einem Korporal vom 5. Infanterieregiment mit sechs Mann, die Hacken und Schaufeln trugen. Der Korporal war ein graubärtiger alter Regulärer.

»Verdammt, Sergeant,« sagte er knurrig, »Ihr Signalmenschen habt’s besser als wir!«

»Das verstehst du nicht, mein Sohn!«

»So! Eh? Damn the whole damned — — Sieh mal her!« Er zog eine Handvoll Blechmarken aus seiner Tasche, wie jeder Soldat sie zur Identifizierung um den Hals trug. »Da! Siebenundzwanzig Mann haben wir begraben! Und sie waren nicht schön, die siebenundzwanzig Leichen! Da im Wald, dort im Wald, haben wir Löcher gegraben und die stiffs unter die Erde geschaufelt. Waren wir an einer Stelle fertig, so erwischte uns sicher hundert Schritt weiter ein Offizier, der uns an eine andere Stelle schickte. Sie liegen überall — und, Sergeant — es waren welche dabei — die wir nicht anfassen konnten — mit den Schaufeln haben wir sie in die Löcher gestoßen ...«

»Wir haben auch welche gesehen!« erklärte Souder trocken, und wir gingen weiter. Wir durchwateten die Furt, da, wo gestern die 71er gefallen waren, und sahen eine Leiche im Wasser liegen.

»Teufel — Teufel!« rief Souder und sprang in mächtigen Sätzen das Ufer hinan. Und ich wußte, daß er das fühlte, was ich fühlte. Was zuerst nur Ekel gewesen war, der Abscheu des lebendigen Menschen vor [S. 181] dem fürchterlichen Geruch des toten Menschen, wurde jetzt zu einem Grauen, zu entsetztem Grauen, was wohl die nächste Wegbiegung bringen konnte — zu einer Angst, zu atembeklemmender Angst. Ich sprach kein Wort und er sprach kein Wort. Aber ich sah, daß er scheu zur Seite blickte Schritt auf Schritt, und er merkte es, daß ich wieder in Furcht und Grauen mir jeden Fußbreit Weg, jedes Gestrüpp am Wegrand betrachtete. Der Pfad war eng. Undurchdringlicher Busch begrenzte ihn auf der linken Seite, während rechts niedriges Gestrüpp den Ausblick auf Baumgruppen und Grasland erlaubte.

Und jetzt wurde der Verwesungsgeruch stärker und immer stärker. Wir gingen ihm nach — instinktiv — ohne ein Wort zu sagen — — —

Dicht hinter dem Gestrüpp lag ein Stück nackten, lehmigen Erdlandes, auf dem kaum einige Grasbüschel wuchsen. Die kahle Fläche senkte sich in sanfter Neigung zu einem Bächlein voll trüben, schmutziggelben Wassergerinsels, das irgendwo in den San Juan fließen mochte. Ueber dem Bach stieg wellig eine üppige Grasfläche an mit vielen Mangobäumen, die scharfe Schlagschatten warfen im grellen Sonnenlicht. Das kleine Stück weichen Landes, das einst ein Feld, ein Acker gewesen sein mochte, war wie zerfetzt von Furchen und Rinnen und ausgetrockneten Tümpeln, gegraben von dem Regenstrom der Nacht im Suchen eines Weges zum Bach hinab. Auf diesem Stück Land waren gestern tote Männer beerdigt worden. Der Regensturm hatte das weiche, gelockerte Erdreich weggewaschen —

[S. 182]

Aus der Furche dort, keine fünf Schritte weit weg, ragten Finger empor. Eine rostbraune, verwesende Hand mit einem Stück Aermel, an dem gelbe Metallknöpfe schimmerten. Starr und steif reckten sich die nassen verwesenden Finger gen Himmel, weit auseinandergespreizt, wie anklagend, und an dem einen Finger schimmerte golden ein Ring. Der Fuß mit dem Stiefel stak festgeklebt zwischen zwei Erdschollen. Den Körper selbst bedeckte noch Erdreich. Wir waren entsetzt stehengeblieben, starrend, sprachlos. Dutzende von Gefallenen mußten in dem schrecklichen Leichenfeld da liegen. Eiförmig wuchsen die halb bloßgelegten Leiber zwischen den Furchen, aus den Erdschollen empor. Und der Geruch, der Pesthauch ... Finger sah man; man sah Hände, Arme, Füße, Körper. Ein Ellbogen hier, sonderbar gekrümmt, verrenkt, unnatürlich. Ein Hinterkopf dort. Der Hals über dem aufgerissenen Hemd glänzte bläulich und man sah — Herrgott, man glaubte wirklich, es zu sehen und es mitzuerleben — wie die Gluthitze ihre Verwesungsarbeit verrichtete. Wie es faulte. Wie Haut und Muskeln und Sehnen dahinschwanden. Eine braune Lache hatte sich gebildet, auf der es ölig glitzerte, und der Hals war nur noch eine blaubraune, verfallende Masse —

Drüben über dem Bach im Gras tauchte der Korporal mit seinen Leuten auf.

»Hierher!« brüllte Souder. »For Gods sake — kommt hierher!!«

Der Korporal sprang herbei und prallte zurück, als die Verwesungsluft ihm ins Gesicht schlug.

[S. 183]

»Wo — wo?« stotterte er.

Wir deuteten, und er sah die Greuel in der Erde.

»Schnell!« schrie er seinen Leuten zu. »Mein Gott — schnell, Jungens! Erde drauf!«

Und die Schaufeln der schweißbedeckten Soldaten fuhren in die Erde. Dicht neben Leibern und Gliedern. Sie arbeiteten wie Wahnsinnige. Sie arbeiteten für sich selber. Sie wollten befreit sein von dem Anblick, von der Unerträglichkeit. Ein großer Lehmklumpen fiel hart geworfen, schwer, klatschend auf den verwesenden Kopf nieder —

Da rannten wir zurück auf den Weg, der Sergeant und ich, und rannten weiter und liefen noch ein gutes Stück weit — bis uns der Atem ausging.

»Das — das waren gestern noch lebendige Menschen!« keuchte Souder, als wir einen Augenblick stehenbleiben und rasten mußten. »Junge — lebendige — Menschen — my God, my God, so könnten wir jetzt auch daliegen, du und ich! Und du müßtest dich vor mir ekeln, wenn ich es wäre, und ich mich vor dir, wenn es dich getroffen hätte — my God

Auf dem kurzen Weg zu unserer neuen Linie sahen wir noch vier halb bloßgelegte Leichen. Alle dicht am Weg. Unter den Bäumen und im Gestrüpp mußten noch Dutzende und Aberdutzende liegen; Hunderte vielleicht, denn der Verwesungsgeruch lag schwer überall in der Luft.

So sah es aus auf dem Feld der Ehre — am andern Tag ...

[S. 184]


Dicht am Fuß des San Juan-Hügels trafen wir auf die Linie. Die Ballonmannschaften waren bereits fertig mit ihrer Arbeit. Dem Draht folgend, der straff von Baum zu Baum gespannt war, hatten wir bald das Hauptquartier des linken Flügels erreicht und sahen zwischen den Zelten das Ende des Isolierdrahts von einem dicken Busch baumeln. Wir schalteten ein, meldeten uns und erfuhren, daß unsere Station dienstlich Nummer 4 heiße — S O 4. Die neue Blockhausstation war S O 3, El Pozo S O 2, das Hauptquartier, das nicht vorgeschoben wurde, sondern auf dem alten Platz verblieb, S O 1. Wir machten aus unseren Zeltwänden und den Gummidecken ein geräumiges Zelt zurecht. Umherliegende leere Munitionskisten gaben einen Tisch und Stühle.

Das Hauptquartier der Brigade lag auf einem schmalen Streifen Grasland mit vielen Bäumen, dicht an die steil aufragende Hügelwand gedrängt und binnen fünfzig Schritt vom San Juan-Flüßchen begrenzt, das in weiter Krümmung hinter dem Hügel dahinfloß. Unser Zelt stand auf einer schrägen Stelle dicht im Wasser, nicht weit von den beiden großen Zelten des Generals und seiner Adjutanten. Dann und wann krachte oben auf dem Hügel ein Schuß.

In die steile Hügelwand waren Stufen geschaufelt worden. Wir kletterten hinauf, um den General zu suchen, der irgendwo oben in den Schützengräben war, und uns bei ihm zu melden. Die rohe Treppe verlief in einen breiten Gang, so tief ausgegraben, daß die hohen Wände völligen Schutz vor feindlichem Feuer [S. 185] boten, wenn man sich ein wenig duckte. Andere Gänge mündeten rechts und links ab. Die Kuppe des Hügels war zerwühlt wie ein Ameisenhaufen. Der breite Hauptgang, in dem wir standen, verlief schnurgerade zum Kuppenrand und mündete dort in den eigentlichen Schützengraben, der sich weithin dehnte, dicht besetzt mit hingekauerten Soldatengestalten. Gut zwei Meter breit war der fast mannshoch ausgehöhlte Schützengraben. Eine breite Erdstufe an der Vorderseite erlaubte den Schützen, bequem im Liegen zu feuern. Sandsäcke in langen Reihen, markiert durch ausgestochene Rasenstücke und Gezweig, verdeckten und sicherten die Schützenstellung. Als wir den Kuppenrand erreicht hatten, kauerten wir uns vor eine der schießschartenartig ausgehöhlten Oeffnungen in der Grabenwand — sehr vorsichtig, denn alle Augenblicke zischte es surrend über unseren Köpfen dahin — und spähten durch die Gläser auf das sonnenbestrahlte Gelände.

Dort, halbrechts vor uns, in verblüffender Nähe anscheinend, lag Santiago de Cuba. Klar, scharf, grell traten einzelne Gebäude hervor; ein riesiges, langgestrecktes, schneeweiß glitzerndes Haus vor allem, über dem die Rote Kreuz-Flagge wehte. Andere Gebäude sahen selbst in meinem guten Glas undeutlich und nebelhaft aus. Ich schätzte die Entfernung auf vielleicht anderthalb Kilometer. Eher weniger. Zwischen Hügeln und Stadt erstreckte sich buschiges Gelände mit vereinzelten Grasflecken und Baumgruppen. Die Hügelwand senkte sich vom Kuppenrand dem Feind zu ziemlich steil in eine Niederung mit vielem Gestrüpp. In einer [S. 186] Entfernung von zweihundert Metern waren im Gras und zwischen den Büschen da und dort verdächtige Flecke zu sehen, bald gelblich hell, bald dunkel und schwarz. Das mußte Erde von Schützengräben sein, und dort mußte der Feind liegen.

General Bates, der Befehlshaber des linken Flügels, war im Schützengraben weiter rechts, wie uns ein Korporal sagte, den wir befragten. Wir liefen hinter den Schützenreihen entlang und meldeten uns bei dem General. Der alte Herr, der mit einigen Offizieren im Graben kauerte, grüßte dankend und sagte zu einem Adjutanten:

»Mr. Jameson, weisen Sie dem Signalsergeanten eine Ordonnanz zum Ueberbringen von Meldungen zu. Allright, Sergeant, Sie können zur Station zurückkehren. Senden Sie mir, bitte, sofort Nachricht, sobald Sie Privattelegramme nach den Vereinigten Staaten annehmen dürfen.«

Kaum waren wir wieder beim Instrument, so lief die erste Depesche ein:

»General Shafter wird um fünf Uhr die Stellung besichtigen und ersucht General Bates, einen Offizier zur Führung nach dem Blockhaushügel zu senden.«


Es war nach acht Uhr abends und still überall. Souder und ich saßen rauchend vor unserem Zelt, dicht am niederen Eingang; schweigend, damit wir das leise Anrufen des Taschenapparats sofort hören konnten. [S. 187] Ueber uns glitzerte und strahlte in unsäglicher Pracht der Sternenhimmel; milchig, sprühend in weißer Glut in Milliarden von zitternden, bebenden Lichtpunkten.

Da fiel ein Schuß. Ein zweiter, ein dritter ... In rascher Folge knallte es scharf dröhnend in der stillen Nacht. Und mit einemmal peitschte der Schall förmlich daher in donnerndem Klang, in Tausenden von Schüssen, in schweren Salven, in rasselndem Schnellfeuer.

Der General stürzte aus dem einen Zelt, die Adjutanten aus dem anderen, und Hals über Kopf rannten sie zur Hügelwand, zur Erdtreppe, laufend wie Jungens. Ich saß mit offenem Munde da, so überraschend plötzlich war der Höllenlärm gekommen. Hoch über meinem Kopf zischte es dröhnend, surrend, brausend daher.

Zwei Armeen schossen aufeinander in tiefer Nacht. Die Spanier griffen an. Ein schweres Nachtgefecht hatte begonnen.

Wir krochen ins Zelt und warteten in atemloser Spannung auf Nachrichten. Das Gewehrfeuer dauerte in ununterbrochener Heftigkeit fort. Souder griff wohl zehnmal nach dem Taster, zog aber immer wieder die Hand zurück, denn er wagte es nicht, in so ernster Zeit der Blockhausstation mit einer privaten Anfrage zu kommen. Endlich klickte es nach einigen Minuten, und eine Depesche vom Höchstkommandierenden an General Bates lief ein, mit dem Befehl, telegraphische Meldung über den Stand des feindlichen Nachtangriffs zu erstatten. Fast gleichzeitig kam ein Adjutant und brachte [S. 188] ein lakonisches Telegramm zur Weitergabe an General Kent, an die Blockhausstation:

»Was — bedeuten — die — Feuer?«

Als jedoch der Sergeant den Schlüssel öffnete und den Taster ergriff, klickten die metallenen Stäbchen nur matt, tonlos beinahe — die Verbindung war unterbrochen! Mit einem grimmigen Fluch schob er den Schlüssel wieder zu.

»Break in the line!« sagte er kurz. »Sind abgeschnitten! Bring’ dem General das Telegramm, melde ihm, daß die Linie nicht funktioniert, und bitte um Orders!«

In langen Sätzen sprang ich die Erdstufen hinan, eilte durch den tiefen Hauptgang und war in den Schützengräben. Dicht an die Wände gekauert lagen die regulären Infanteristen in langen Reihen da, und in endlosem Geknatter hallten ihre Schüsse in die Nacht hinaus. Offiziere rannten ab und zu und befahlen immer wieder gellend:

»Niedrig halten — niedrig halten, Leute! Zweihundert Yards — auf die schwarze Gestrüpplinie — dort, wo es am dunkelsten ist — niedrig halten!«

Und über die Wälle der Gräben kam es in schweren Lagen vom Feind dahergepfiffen, bald hoch in der Luft, wie es schien, bald verzweifelt nahe. Feuerschein rötete den Sternenhimmel. Weit rechts von der belagerten Stadt flammten am Himmelsrand wie glühende Sonnen gewaltige Feuer an drei Stellen, höher das eine als die beiden anderen. Unten im Tal leuchtete es dann und wann winzig auf wie Glühwürmchenschein ...

[S. 189]

»Fix bayonets!« brüllte irgend jemand irgendwo, und klirrend fuhren die Eisen auf die Gewehrläufe.

Am Ende des Hauptgangs fand ich den General. Er sah mich sofort und fragte kurz:

»Nachrichten? Was gibt’s, Mann?«

Ich überreichte die Depesche vom Hauptquartier und meldete die Unterbrechung der Linie.

»Was? Der Draht funktioniert nicht?« rief der alte Herr scharf. »Sie müssen sofort los und unter allen Umständen den Fehler finden. Die Verbindung muß schleunigst wiederhergestellt werden. Können Sie das?«

»Ich glaube ja, General. Die Linie bis zur Blockhausstation ist nur kurz und unschwer abzusuchen.«

»Im Dunkeln?«

»Wir haben Magnesiumfackeln.«

»Gut. Machen Sie sich unverzüglich an die Arbeit. Haben Sie Anschluß, so senden Sie General Shafter diese Depesche.« Die Meldung an das Hauptquartier, die mir der General nun diktierte, hatte ungefähr folgenden Inhalt: Nordwestlich von Santiago brennen drei große Feuer auf den Hügeln. Was diese Signale bedeuten, ist nicht bekannt. Das feindliche Gewehrfeuer scheint von den spanischen Schützengräben zu kommen. Wahrscheinlich steht ein Angriff bevor.

Ich kugelte beinahe die Erdstufen hinab, in solcher Eile war ich, denn die allgemeine nervöse Erregung da oben auf den Hügeln über das unheimliche nächtliche Gewehrfeuer hatte mich gründlich angesteckt. Souder hatte das Tascheninstrument und Ersatzdraht [S. 190] bereits hergerichtet. Dicht beim Adjutantenzelt stand, an einen Busch angebunden, ein Maultier.

»Nimm das Maultier!« sagte der Sergeant. »Du kommst schneller vorwärts dann!«

Und ich kletterte in den infam unbequemen hölzernen Packsattel, schlug dem Tier die Hacken in die Seite, und los ging es. Es war ein abscheulicher Ritt, wenn er auch nur eine knappe Viertelstunde dauerte. Wir hatten nur noch eine einzige Magnesiumfackel in unseren Tornistern gefunden, und die mußte aufbewahrt werden zur Arbeit an der Bruchstelle. So ließ ich alle paar Schritte ein Zündholz aufflammen und starrte in dem schwachen Lichtschein zur Linie hinauf, ob sie noch straff gespannt war. Dabei bockte das Biest von einem Maultier fortwährend. Obendrein war der eckige Holzsattel das reine Folterinstrument. Auf einmal —

»Halt! Ha — aalt!«

»Friend!« schrie ich.

»Losung!«

Zum Teufel — ich hatte die Losung nicht! In meiner Verwirrung dachte ich darüber nach, was ich antworten sollte ... da knallte es, und eine Kugel pfiff dicht an meinem Kopf vorbei.

»Du verdammter Lümmel!« brüllte ich in unbeschreiblicher Wut. »Wenn du noch einmal schießt, hau’ ich dir alle Knochen kaputt, you son — of — a — gun — du ballernder Sohn einer alten Kanone! Hier — ist — Signalkorps! Bei der Arbeit! Hörst du, du Narr!«

[S. 191]

Und auf dem ganzen Ritt hörte ich Kugeln pfeifen. Auf den Hügeln wurde geschossen, vom Feind her kam es, und hinter den Hügeln schoß man erst recht. Das nächtliche Feuern hatte die Menschen verrückt gemacht. Sie verloren den Sinn für Richtung. Sie witterten einen Feind in jedem Geräusch, ob das nun vor ihnen war oder hinter ihnen, und blafften schleunigst darauf los. Mindestens sechs, sieben Mal ist auf mich und das alte Maultier geschossen worden in jener Nacht.

Ziemlich in der Nähe der Blockhausstation erst fand ich den Bruch an einer niedrigen Stelle, zwischen zwei Büschen. In drei Minuten war der Schaden ausgebessert, und ich gab meine Meldungen auf. Klickend kam es:

»Von General Kent. — Feind greift nicht an. Nichts Neues.«

»Von General Lawton. — Nichts Neues. Falscher Vorpostenalarm.«

»Vom Hauptquartier. — Was — bedeuten — Feuer? Sofort Bericht!«

Langsam begann das Gewehrfeuer abzuflauen. In gestrecktem Galopp jagte ich zur Station zurück — — —


Was die flammenden Holzstöße auf den Bergen bei Santiago bedeutet hatten, erfuhren wir erst viele Wochen später. Es waren verabredete Signale, die die Ankunft von 3000 Mann Verstärkungen für die [S. 192] Spanier unter General Escario bedeuteten. Die Frage, ob es sich bei dem heftigen Feuer in der Nacht zum 3. Juli nur um nervöses Geschieße oder um den wirklichen Versuch einer Nachtattacke der spanischen Truppen handelte, ist nie gelöst worden.

[S. 193]

Der Untergang der spanischen Flotte.

Jubel in den Schützengräben. — Der Hafen von Santiago de Cuba. — Das Felsentor. — Castillo del Morro. — Das Warten, das Lauern! — Die Heldentat des Leutnants Hobson. — Durchbruch des spanischen Geschwaders. — Die Seeschlacht. — Die Hölle der fünfunddreißig Minuten. — Eine kleine Yacht schießt zwei Zerstörer in den Grund. — Eine Merkwürdigkeit in der Geschichte des Seekriegs. — Der Mann im Kommandoturm und der Mann hinter der Kanone. — Was von der Gespensterflotte übrig blieb.

Um elf Uhr nachts wurde es still oben in den Schützengräben und drüben beim Feind. Das Instrument klickte leise und perlte in eiligen Punkten und Strichen Wort auf Wort und Satz auf Satz hervor — Anfragen vom Hauptquartier, ob über die Bedeutung des Feuerscheins etwas bekanntgeworden sei; Befehle, die Vorposten zu verstärken und in keinem Fall die Schützengräben zu verlassen.

»Leg dich hin! In drei Stunden wecke ich dich!« brummte Souder.

In wenigen Minuten war ich eingeschlafen — und dann weckte mich der Sergeant — und dann träumte ich vor mich hin und die Stunden vergingen, ohne daß wir angerufen wurden — und dann weckte ich wieder ihn — und so trieben wir es bis in den hellen Morgen hinein, glückselig, endlich einmal gründlich schlafen zu können.

[S. 194]

Die Ordonnanz hatte uns Kaffee und gebratenen Speck und Zwiebäcke vom Kochfeuer des Stabs geholt. Die unteren Wände unseres kleinen Zelts schlugen wir hoch, Luft und Sonne hereinzulassen, denn prachtvolles Tropenwetter hatte dieser Sonntag Morgen gebracht, hell und sonnenfroh mit kräftigem Wind, der das Feuchte und Dumpfige der Hitze wie zaubernd hinwegfegte.

»hr hr hr!«

Wir beugten uns beide über den Apparat und lasen staunend die Depesche vom Hauptquartier, die kurz befahl, die Feindseligkeiten einzustellen, da der Höchstkommandierende Santiago zur Kapitulation aufgefordert und das Bombardement der Stadt angedroht habe! — Souder rannte nach dem Zelt des Generals.

Nun verging Stunde auf Stunde in gespanntem Warten. Da, Mittag mochte es sein, klickte es scharf und eilig — S O 4 — S O 4 — —

»hr — hr — rrrrrssssss — — hr!«

Und die Augen traten uns fast aus dem Kopf, denn das surrende Sausen im Magneten bedeutete, daß der Geber drüben auf S O 3 in fieberhafter Ungeduld den Taster tanzen ließ, und es sagte so deutlich, als hätte er es uns in die Ohren geschrien: Wichtig — aufpassen, aufpassen — wichtig über alle Maßen!

»Sie haben kapituliert!« flüsterte Souder.

Ganz langsam und klar kam es:

»General Bates. — Flottenmeldung. Das spanische Geschwader ist vernichtet. Cervera gefangen. Sämtliche [S. 195] feindlichen Schiffe sind zerstört. Die amerikanischen Geschwader haben weder Schiff noch Mann verloren. — Shafter.«

Wir starrten uns an und waren sekundenlang wie gelähmt von dem gewaltigen Eindruck der wenigen gewaltigen Worte. Dann riß der Sergeant das Telegrammformular an sich und sprang in mächtigen Sätzen zum Hügel, zum General, der kurz zuvor das Quartier verlassen und sich in die Schützengräben begeben hatte. Ich blieb im Zelt und wartete krampfhaft auf den nächsten Anruf. Aber der Klopfer rührte und regte sich nicht. Da erklang es leise wie fernes Brausen in dumpfem, undeutlichem Klang und doch machtvoll und stark, daß es einen im Innersten packte und klopfenden Herzens lauschen ließ. Lauter wurde der Schall und immer näher kam er. Und mit einem Male ergellte es droben auf unserem Hügel in furchtbar schrillendem Stimmenklang aus Tausenden von Männerkehlen in hellem Jubel — das wilde amerikanische Hurra, den Indianern abgelauscht in seinem schrillen Klang:

Ii — iii — iih ...

Urgewaltig. Furchtbar. Minutenlang dauerte das Gellen und das Gebrause. Der Siegesjubel der Männer in den Schützengräben. Ich stand vor dem Zelt und brüllte mit, wie betrunken, was Brust und Kehle nur hergeben wollten.

[S. 196]


Die Einfahrt zum Hafen von Santiago de Cuba ist einer der schönsten Flecke der Welt. Ungeheure Felsenmassen ragen aus tiefblauem Meer in tiefblauen Himmel empor, steil abfallend, und spalten sich in winziger Enge, einem Meeresarm Durchlaß zu gewähren, so schmal, daß zwei große Seeschiffe nicht nebeneinander die Einfahrt wagen können. Es sieht aus, als hätte das Meer einst in Arbeit von Jahrhunderten seinen Weg hineinfressen müssen in die Felsen und sich die lange schmale Wasserstraße bahnen, die erst nach vier Seemeilen sich zu der gewaltigen Bucht weitet, an deren Ostrand Santiago de Cuba liegt. Droben auf den Felsen bei der Einfahrt klebt in schwindelnder Höhe ein uraltes, spanisches Festungswerk, das Castillo del Morro, mit altertümlichen Bastionen und Felsentreppen und verwitterten Mauern.

Jetzt dröhnten um Felsennest und alte Burg und blaues Meeresgestade seit Wochen schwere Schiffsgeschütze.

In der Bucht von Santiago hatte das spanische Geschwader des Admirals Cervera Anker geworfen und ergänzte krampfhaft seine Kohlenvorräte aus den kümmerlichen Hilfsmitteln der verlotterten spanischen Hafenverwaltung, während in den Maschinenräumen die Ingenieure fieberhaft klopften, hämmerten, reparierten. Draußen aber vor der Felsenenge lagen Tag und Nacht die Panzer des amerikanischen Geschwaders — wartend, lauernd — lauernd, wartend ... Denn jeden Augenblick konnte die spanische Flotte zwischen den Felsenwänden hervorbrechen. Noch war die Gespensterflotte [S. 197] eine ständige Drohung und eine stete Gefahr.

Die Hafeneinfahrt zu erzwingen schien unmöglich. Wenn auch die altmodischen Geschütze des alten Kastells nicht viel taugten, so schützten die Einfahrt doch zwei moderne Batterien auf den Felsen und zahllose Seeminen. Die Amerikaner begnügten sich damit, die dicken Mauern des alten Forts und die Batterien immer wieder zu bombardieren, aber ohne viel Schaden anzurichten. Freilich machten sie schon in den ersten Tagen der Blockade einen tollkühnen Versuch, die schmale Hafeneinfahrt so zu versperren, daß dem spanischen Geschwader ein Passieren unmöglich würde.

Der Plan wurde von dem Marineleutnant Hobson erdacht und durchgeführt. Ein großer Kohlendampfer, der »Merrimac«, ein hundertundzwanzig Meter langes Schiff, sollte der Türriegel des Felsentors werden. Seine Unterwasserventile und besonders gebohrte Löcher unter der Wasserlinie wurden nur leicht geschlossen und durch hölzernes Hebelwerk so schwach gestützt, daß die Erschütterung einer schweren Explosion die Verschlüsse wegfegen und das Schiff sofort zum Sinken bringen mußte. Im Schiffsraum am Bug wurden Sprengladungen angebracht, die von der Brücke aus elektrisch entzündet werden konnten. Hobson wollte den »Merrimac« mitten in die Felseneinfahrt steuern, wenden, und das Schiff in der nur hundert Meter breiten und wenig tiefen Einfahrt sinken lassen. So daß es wie ein Querdamm die schmale Wasserstraße sperrte. Das Unternehmen mußte aller Voraussicht nach das Leben der [S. 198] Männer kosten, die diesen schwimmenden Türriegel lenkten.

Am 3. Juni kam der waghalsige Plan zur Ausführung. Der »Merrimac« mit Leutnant Hobson und sieben Freiwilligen bemannt, fuhr in voller Fahrt der Felsenenge zu und erhielt furchtbares Feuer von Morro, den Batterien auf den Felsen und dann, als er die Einfahrt erreichte, auch von zwei spanischen Kreuzern, die in einer Krümmung der Wasserstraße verborgen waren. Nur ein einziger Schuß traf. Aber dieser eine Schuß zerschmetterte das Steuerruder des »Merrimac« in dem Augenblick, als Hobson die Mine springen ließ. Die Wendung, die das sinkende Schiff ausführen sollte, wurde dadurch unmöglich, der »Merrimac« trieb noch ein Stück weit dem Felsenufer zu und sank dicht am Strand, die Fahrtrinne freilassend. Der Plan war mißglückt. Leutnant Hobson und die Mannschaft waren wie durch ein Wunder unverletzt geblieben und konnten in das Boot springen, das der »Merrimac« mit sich schleppte. Aber ein Entkommen war unmöglich, und sie mußten sich der Pinasse eines spanischen Kriegsschiffs gefangen geben.

Wieder begann das Warten und das Lauern, das Lauern und das Warten ...

Nach der Schlacht vom San Juan-Hügel wurde die Lage des spanischen Admirals unerträglich. Siegten die amerikanischen Truppen zu Lande, so mußte die Kapitulation von Santiago de Cuba die unrühmliche Uebergabe seines starken Geschwaders nach sich ziehen, ohne daß es sich ernstlich mit dem Gegner gemessen hatte.

[S. 199]

Admiral Cervera beschloß den Durchbruch.

Als im Morgengrauen des 3. Juli das Morrokastell meldete, daß das amerikanische Schlachtschiff »Massachusetts« verschwunden sei und der Panzer »New York«, das Flaggschiff des amerikanischen Admirals Sampson, nach Osten dampfe, hielt er die Gelegenheit für günstig.

Das spanische Geschwader bestand aus den vier großen Schlachtschiffen »Infanta Maria Teresa«, »Almirante Oquendo«, »Viscaya« und »Cristobal Colon«, sowie den beiden schnellen Torpedobootzerstörern »Pluton« und »Furor«. Die beiden amerikanischen Geschwader der Admirale Sampson und Schley aus den großen Schlachtschiffen »Massachusetts«, »New York«, »Iowa«, »Indiana«, »Oregon«, »Texas«, »Brooklyn« und einer Reihe von Hilfsschiffen. Die »Massachusetts«, die nach Guantanamo gedampft war, um ihre Kohlenvorräte zu ergänzen, und die »New York«, die Admiral Sampson zu einer Besprechung mit General Shafter in Siboney landen sollte, kamen für den Kampf vorläufig nicht in Betracht.

Vor der Felseneinfahrt lagen, zwei Seemeilen entfernt, in ungeheurem Bogen die amerikanischen Schlachtschiffe. Um halb zehn Uhr morgens erschien die »Maria Teresa«, das Flaggschiff des spanischen Admirals, in der Felseneinfahrt. In Abständen von 800 Metern folgten die übrigen spanischen Schlachtschiffe und viel später erst, aus irgend einem unerklärlichen Grunde, die beiden Torpedobootzerstörer. Sie brachen in rasender Fahrt hervor. Der Kesseldruck war vor dem Auslaufen [S. 200] durch künstliche Mittel aufs äußerste gesteigert worden, während die amerikanischen Schiffe unter kleinen Feuern dalagen, wie sie gelegen hatten seit vielen Wochen. In langer Linie wandte sich die spanische Flotte nach Westen und eröffnete sofort das Feuer.


Der Kampf, der sich nun abspielte, liest sich in unseren Zeiten der Dreadnoughts und des sorgfältigen Abwägens von Schiff gegen Schiff, Geschütz gegen Geschütz, Gefechtswert gegen Gefechtswert wie ein schwer zu glaubendes Märchen. Mag der Kriegswissenschaftler auch einwenden, daß die spanischen Schlachtschiffe vom Maschinenraum bis zu den Geschützen sich in einem Zustand schlimmer Vernachlässigung befanden, das Märchen bleibt. In seiner Gesamtheit war das Ende des Kampfes vielleicht vorherzusehen — in seinen erstaunlichen Einzelheiten niemals.

Die spanische Flotte ließ das amerikanische Geschwader bald weit hinter sich zurück, und nur ein einziges amerikanisches Schiff, die »Brooklyn«, hatte Dampf genug, zu folgen. Eine Viertelstunde lang schien es, als sei der waghalsige Durchbruch geglückt. Die »Brooklyn« ertrug das gesamte Feuer der vierfachen Uebermacht allein, und die Schüsse der anderen amerikanischen Schiffe mußten auf so große Entfernungen abgegeben werden, daß sie sehr wenig wirksam waren. Aber der künstlich gesteigerte Dampfdruck der Spanier ließ bald nach, während in den amerikanischen Maschinenräumen fieberhaft gearbeitet wurde. Langsam verringerten sich die Entfernungen, und die Schlacht begann. [S. 201] Die »Oregon« kam an die feindliche Linie heran, dann die »Texas«, und ein furchtbarer Granatensturm fegte über die spanischen Schiffe. »Maria Teresa« und »Almirante Oquendo«, die von ihren Genossen, der »Viscaya« und dem »Colon«, überholt worden waren und nun als letzte in der Linie dampften, standen in zwanzig Minuten lichterloh in Flammen, schwer getroffen, kampfunfähig. Treffer in den Geschütztürmen hatten ein entsetzliches Blutbad unter ihren Mannschaften angerichtet. Die beiden Schiffe waren verloren.

Langsam wandten sie sich der Küste zu und liefen auf den Strand, zerfetzt, zerschossen, brennend.

Das war fünfzehn Minuten nach zehn Uhr. Fünfunddreißig Minuten hatten den gewaltigen Kriegsmaschinen den Garaus gemacht. Fünfunddreißig Minuten in einer Hölle von Flammen und Verderben. Viele der spanischen Matrosen sprangen in ihrer Todesangst über Bord und versuchten, an Land zu schwimmen. Doch kubanische Insurgenten, die in der Nähe des Strandes kampierten, waren herbeigelaufen und feuerten erbarmungslos auf die Unglücklichen im Wasser, bis ein amerikanisches Schiff Mannschaften landete und die Bestien mit dem Bajonett vertrieben wurden.


Zwanzig Minuten nach den vier spanischen Schlachtschiffen waren die beiden schnellen Torpedobootzerstörer »Pluton« und »Furor« zwischen den Felsenwänden erschienen und von den amerikanischen Schlachtschiffen »Iowa« und »Indiana« beschossen worden, die aber ihr [S. 202] Hauptaugenmerk auf die großen spanischen Panzer richten mußten. Die Zerstörer wurden schwer beschädigt, waren aber nicht kampfunfähig. Vernichtet wurden sie durch — ein winziges, ungepanzertes, amerikanisches Schifflein, eine kleine Yacht, die eine einzige Granate zerfetzt hätte.

Admiral Plüddemann schreibt in seinem Werk »Der Krieg um Kuba«:

»Immerhin lag die Gefahr vor, daß sich die Zerstörer vermöge ihrer großen Schnelligkeit dem Feuerbereich der Schiffe bald entziehen würden. Da trat die >Gloucester< in Aktion. Dieses Fahrzeug war vor dem Kriege eine Privatyacht mit Namen >Corsair< gewesen, es hatte eine hohe Geschwindigkeit und war durch Armierung mit Schnell-Lade-Kanonen in einen, sozusagen, Hilfstorpedobootszerstörer verwandelt worden.

Als die ersten Schiffe in der Hafeneinfahrt erschienen, dampfte >Gloucester< mit mächtiger Fahrt darauf zu und ließ den Dampfdruck hoch gehen, da das Erscheinen auch der Zerstörer mit Sicherheit zu erwarten war. Als diese etwa zwanzig Minuten später herauskamen, dampfte sie mit 17 Knoten Fahrt darauf zu, engagierte die schon durch die Panzerschiffe schwer Beschädigten dann auf nahe Entfernung und zerschoß sie, ohne selber getroffen zu werden, dermaßen, daß der >Furor< 15 Minuten nach dem Auslaufen bei einem letzten Versuch, die Hafeneinfahrt wieder zu gewinnen, in sinkendem Zustande auf den Strand gesetzt wurde, während der >Pluton< wenige Minuten später in tiefem Wasser sank. >Gloucester< rettete, was noch an Menschenleben [S. 203] zu retten war und mit den Wellen kämpfte, und folgte dann den Panzerschiffen.«

Das Wunder war geschehen. Eine kleine ungeschützte Yacht, die trotz ihrer Schnellfeuerkanonen den Namen eines Kriegsschiffs nicht verdiente, und von der niemals mehr erwartet worden war, als das Aufbringen von Handelsschiffen mit Kontrebande, hatte zwei spanische Zerstörer in den Grund geschossen, die ihr einzeln schon in jeder Beziehung weit überlegen waren.

So hatte eine kleine halbe Stunde zwei Schlachtschiffe des spanischen Geschwaders und zwei schnelle Zerstörer von hohem Gefechtswert vernichtet. Uebrig blieben die Schlachtschiffe »Viscaya« und »Cristobal Colon«.

Der »Cristobal Colon« schien als einziges spanisches Schiff dem Verderben zu entrinnen, denn seine Geschwindigkeit wurde immer größer, und bald war er außer Gefechtsweite weit draußen auf dem Meer. Auf die unglückliche »Viscaya« aber konzentrierte sich nun das Feuer von drei amerikanischen Panzern: »Brooklyn«, »Oregon« und »Texas«.

Binnen wenigen Minuten kam das Ende, wie es kommen mußte. Das schwer verwundete Schiff schleppte sich brennend dem Strande zu und lief auf. In diesem Augenblick erfolgte eine furchtbare Explosion, die das vordere Drittel der »Viscaya« in Fetzen zerriß. Ein Torpedo entweder, der schußbereit im Lancierrohr lag, oder eine Munitionskammer war von einer amerikanischen Granate getroffen worden. Die gräßlichen Szenen beim Stranden der »Infanta Maria Teresa« und des [S. 204] »Almirante Oquendo« wiederholten sich. Halbverbrühte, schwerverwundete Männer, die beinahe wahnsinnig geworden waren in der Todesangst dieser Minuten in der Hölle, kämpften zu Hunderten in den Fluten — und aus den amerikanischen Feinden wurden warmherzige Lebensretter, die Hals über Kopf die Boote bemannten. Nicht nur fischten sie die Unglücklichen in den Wellen auf, sondern sie holten unter schwerster Lebensgefahr die armen Verwundeten aus den brennenden spanischen Schiffsräumen, deren Munitionskammern jeden Augenblick in die Luft fliegen konnten. Admiral Cervera, schwer verwundet, wurde unter feierlicher Stille an Bord eines amerikanischen Panzers geleitet und mit militärischen Ehren empfangen. Mannschaften und Offiziere salutierten stumm, als er seinen Degen dem Sieger hinreichte. Sämtliche Kommandeure der spanischen Schlachtschiffe waren verwundet worden; zwei, der Kommandant der »Maria Teresa« und der Chef der Zerstörerflottille, hatten den Tod gefunden.


Unterdessen war in jagender Fahrt die »New York« mit Admiral Sampson auf dem Kampfplatz erschienen. Sie folgte der »Brooklyn«, der »Oregon«, und der »Texas«, die Oel feuerten und in immer größerer Geschwindigkeit dem »Cristobal Colon« nachjagten. Ueber zwei Stunden dauerte die Verfolgung. Um 12 Uhr 50 Minuten waren die »Brooklyn« und die »Oregon« so nahe an den Feind herangekommen, daß das Feuer eröffnet werden konnte. Der Kapitän des »Colon« sah, daß das Schicksal seines Schiffes besiegelt war. Um [S. 205] den »Colon« dem Feind zu entziehen, ihn zu vernichten und doch die Mannschaft zu retten, wandte auch er und lief in sausender Fahrt auf den Strand. Der »Cristobal Colon« sank in sieben Meter tiefem Wasser.

So war die Seeschlacht von Santiago de Cuba geschlagen und das spanische Geschwader bis auf das letzte Schiff zerstört.

Hunderte von Menschenleben und Millionen und Abermillionen an schwimmendem Kriegsmaterial hatten die wenigen Minuten dem spanischen Königreiche gekostet. Die Tabellen der Verluste der beiden Flotten lesen sich wie eine Fabel. Vier gewaltige Panzer und zwei Zerstörer hatte der Tag Spanien geraubt — von den amerikanischen Schlachtschiffen war kein einziges schwer beschädigt oder auch nur so verletzt worden, daß es seine Gefechtsfähigkeit beeinträchtigt hätte! Sechshundert spanische Matrosen waren im Kampf getötet worden oder in den Fluten ertrunken, hundertfünfzig Schwerverwundete und vierzehnhundert Gefangene, von denen viele verwundet waren, nahmen die amerikanischen Schiffe auf.

Die Amerikaner aber hatten nur einen einzigen Toten und einen einzigen Verwundeten, beide auf der »Brooklyn«!

Ein Märchen. Ein Wunder. Eine kaum glaubliche Merkwürdigkeit in der Geschichte des Seekriegs, die gar nachdenklich stimmen mag. Nicht Panzerwerte und Geschützzahl allein sind es, die eine Seeschlacht entscheiden, sondern der Mann im Kommandoturm und der Mann hinter der Kanone.

[S. 206]

Zwei Monate später, als ich an Bord eines der letzten Truppendampfer, die Santiago de Cuba verließen, staunend die Schönheit von Felsennest und alter Burg und blauem Meeresgestade bewunderte, sah ich am Strand des Felsentors den »Furor«. Wenige Minuten später kamen die Wracks der »Viscaya« und des »Almirante Oquendo« in Sicht. Der »Cristobal Colon« war einige Tage nach der Schlacht völlig gekentert. Die »Infanta Maria Teresa« hatten die Amerikaner zwar gehoben und notdürftig ausgeflickt, aber während des Transportes nach den Vereinigten Staaten war sie bei den Bahamas gestrandet und gesunken.

Tropenfeuchtigkeit und Tropensonne hatten die armen Reste von zerschossenem Stahl und zerfetztem Eisen, die nur wenige Meter über das Wasser hervorragten, mit einem leuchtendroten Kleid von Rost überzogen. Spitzige, zackige Stahlfetzen und Eisentrümmer überall. Unförmliche verbeulte Stümpfe, die einst Schornsteine gewesen waren.

Schlechtes altes Eisen. Das war übrig geblieben von der Gespensterflotte.

[S. 207]

In den Schützengräben.

Von Siegesberichten und Sorgen. — Ein Murren geht durch die Schützengräben. — Die Meinung des alten Sergeanten. — Ungeduld! — Der Humor der Front. — Krankheit und Schwäche. — Die berühmten kubanischen Leibschmerzen. — Fieber und Ruhr. — Stimmungen und Verstimmungen. — Ein Freudentag. — Freund Billy aus Wanderzeit und Eisenbahnfahrt. — Zwei Gefechtstage. — Wie ich ein Held sein wollte. — Der Friedensbaum. — Die Kapitulation von Santiago de Cuba.

Die Armee auf den Hügeln jubelte.

Erst viele Wochen später, als Dampfer auf Dampfer Regiment auf Regiment nach der amerikanischen Heimat zurückbrachte und die Männer der Schützengräben sich gierig auf die alten Zeitungen stürzten, von ihren eigenen Taten zu lesen, erfuhren sie zu ihrem großen Erstaunen, daß die Ereignisse in den ersten Julitagen im Tal von Santiago de Cuba den Leuten zuhause im Lande Gottes nicht nur glorreiche und höchst übertriebene Siegesberichte gebracht hatten, sondern auch schwere Sorgen.

Sie lasen verblüfft, daß General Shafter nach der Schlacht am San Juan-Hügel am Abend des 2. Juli nach Washington gekabelt hatte, die Stellung des Feindes auf seiner zweiten Verteidigungslinie sei fast unangreifbar und die Lage außerordentlich ernst, denn ein [S. 208] Vorgehen müsse schwerste Verluste bringen — — — Sie lasen schmunzelnd, daß der General, der die amerikanische Gesamtarmee kommandierte, General Miles, dem kranken und überpessimistischen Shafter noch in der gleichen Nacht lakonisch geantwortet hatte, er möge vor allem — den spanischen Befehlshaber zur bedingungslosen Kapitulation auffordern! Das Bombardement der Stadt androhen, wenn General Toral sich weigere! Sie lasen lachend, wie glänzend dieser echt amerikanische Bluff gelungen war: Zwar hatten die Spanier die Uebergabe abgelehnt, aber Waffenstillstand trat ein am 3. Juli und es begannen Verhandlungen, die den Anfang vom Ende bedeuteten. Sie lasen noch manches mehr. Oft vielleicht mit einem recht unbehaglichen Gefühl. Wie der Hunger ihnen in der Schlacht geholfen hatte, ohne daß sie es wußten, denn die armen Teufel von Spaniern waren schon Ende Juni auf halbe Rationen gesetzt worden, weil das verrottete spanische Regierungssystem auf der Insel sich um die Kleinigkeit der Verproviantierung einer Armee zufällig nicht gekümmert hatte. Wie gewaltig stark die Drahtverhaue der zweiten spanischen Stellung waren. Wie furchtbar hoch die Krankenzahl in der amerikanischen Armee.

Und sie fingen zu Hause an, viele Dinge zu begreifen, die sie nicht begriffen hatten im Tal von Santiago de Cuba.

[S. 209]


Ein Murren ging durch die Schützengräben.

Hundertmal, wenn wir Depeschen auf den Hügel brachten, wurden Souder und ich von den schmutzstarrenden, verwahrlosten Gestalten im Graben angehalten und mit Fragen bestürmt, ob denn nichts sich rege im Hauptquartier und wie die Dinge stünden und wann endlich der Waffenstillstand zu Ende sein werde. Der verdammte Waffenstillstand!

Da drüben war der Feind! Dort lag die Stadt, dort waren Häuser, in die der Schandregen nicht eindringen konnte; dort gab es Betten, in denen man schlafen, und Herde, auf denen man kochen konnte! Warum, weshalb im Namen aller Vernunft verpfefferte man nicht drei Stunden lang das Gras und das Gestrüpp da drüben mit allem, was Gewehre und Patronengürtel nur hergeben wollten, und stürzte sich dann bergabwärts Hals über Kopf auf die kleinen Männlein, die schon davonlaufen würden wie sie davongelaufen waren von den Hügeln!

Ein alter Sergeant der 5. Regulären, der oft zu unserem Zelt kam, zu schwatzen, verkörperte die Stimmung in den Schützengräben ausgezeichnet:

»Höll’ und Teufel!« sagte er. »Ich werde nicht dafür bezahlt, mich mit höherer Strategie zu befassen. Das überlass’ ich dem jesuschristlichen Dicken! Wenn mir befohlen wird, im Dreck herumzusitzen und mir alle halbe Stunde die Jacke vollregnen zu lassen und so viel schlechten Speck zu fressen, daß ich zeitlebens keinem anständigen Schwein mehr ins Gesicht sehen kann, — dann halt ich’s Maul und gehorche. Aber verdammt will ich [S. 210] sein, wenn ich’s verstehe! Magazinfeuer, würd’ ich sagen — Bajonett auf das alte Schießeisen — und in fünfundzwanzig Minuten wäre die alte Geschichte erledigt. Aber der Dicke muß es ja wissen! Mir kann’s recht sein. Bye, bye, Jungens! Laßt euch euren Speck recht gut schmecken! Achtet auf eure Gesundheit!«

Worauf wir ihm ergrimmt Lehmklumpen nachwarfen. Wer in diesen Tagen von Speck und werter Gesundheit sprach, der war ein Raufbold, der boshaft an die wundeste aller wunden Stellen rührte, und forderte tätlichen Angriff heraus.

So murrten die Männer in den Schützengräben.

Ungeduldig waren sie wie Kinder und frech wie Spatzen. Aber das Schimpfen klang immer noch lustig, und niemals lag in ihm der Ton der Auflehnung. Man lachte mitten im Gezeter und nahm die harten Entbehrungen nicht ernst, wenn sie es auch im Grunde waren, die die Ungeduld gebaren. Man mußte warten — man begriff nicht, weshalb in Kuckucksnamen man solange warten mußte — aber es würde schon kommen, oh, es würde schon kommen ... Rührend war es in Wirklichkeit, mit welch prachtvollem, trockenem Humor diese Männer ein Leben ertrugen, das in seiner Härte so gar nichts Humoristisches hatte, und wie sie aus Jammer und Elend immer und immer wieder die lustige Seite herauszufinden wußten. Droben in dem breiten Hauptgang hatten sie einen Wegweiser aufgestellt, auf dem in derben Lettern stand:

»Revolver müssen beim Portier abgegeben werden (links — Dreckstraße Nr. 3), denn auf Befehl des kommandierenden [S. 211] Generals ist Schießen in diesem Vergnügungslokal nicht gestattet! Nur Herren mit garantiert anständigem und friedfertigem Benehmen haben Zutritt!« — in blutigem Hohn auf den Waffenstillstand.

Ein anderes Schild beim Eingang eines besonders sumpfigen Schützengrabens besagte grimmig: »Warnung! Angeln ist hier verboten!!« Im Hauptschützengraben hatten sie auf Brettchen von Munitionskisten mit irgend einer schwarzen Farbe, die sie gottweißwo aufgetrieben haben mochten, allerlei Sprüche gemalt und die Brettchen in die Lehmwand hineingesteckt wie Gedenktafeln:

»Erzähle mir nicht, o Freund, daß du Bauchweh hast! Deine Symptome interessieren mich nicht. Ich hab sie nämlich selber!« lachte ein Spruch.

»Und der Herr schuf Regen und Sonnenschein ... Für Kuba hat er seine Schaffensfreudigkeit verdammt übertrieben!« hieß es auf einer anderen Tafel. Ihre Nachbarin sagte:

»Bist du schlechter Laune, so haue einen Insurgenten. Das ist gesunde Bewegung für dich und macht aus dem Cubano vielleicht einen Menschen; der Stecken lehnt hinten in der Ecke.« Das gab die Einschätzung, in der Señor Insurgente bei der Armee stand, famos wieder!

So sah der Humor der Schützengräben aus. Grimmiger, harter, verkrustet trockener Humor war es, der ahnen ließ, wie zäh und kraftvoll die Männer sein mußten, die in Krankheit und Schwäche lachen und sich über ihren eigenen Jammer lustig machen konnten. [S. 212] Denn krank waren sie alle, zum mindesten nicht gesund.

Die Regenzeit Kubas hatte nun im Ernst begonnen. Tag für Tag, dutzende Male oft in einem Tag, regnete es in tropischer Gewalt in ungeheuerlichen Wassergüssen — und der Viertelstunde klatschenden Regens folgte ebenso ungeheuerliche Sonnenhitze, die mit der verdampfenden Feuchtigkeit alle Miasmen aus dem Boden zog und Menschen und Dinge in übelriechenden Dampf hüllte. Morgens und abends lagen stundenlang dick und gelb zähe Nebelschwaden über dem Boden, kalt, feucht und dumpfig. Selten verging eine Nacht ohne Regen, und dann schliefen die Männer in den Schützengräben auf nassem Boden in nassen Decken. Jetzt, in den Tagen der Waffenruhe, durfte zwar immer ein Teil der Regimenter auf dem Gelände hinter den Hügeln Zelte aufschlagen, aber die winzigen Soldatenzelte schützten nur wenig gegen diesen Regen und gar nicht gegen Bodenfeuchtigkeit und Nebel. Die Kleider faulten einem fast am Leib. Souder und ich schleppten zweimal im Tag Wasser herbei aus dem San Juan und wuschen unsere Körper und irgend ein Kleidungsstück, doch es nützte nichts. Seife hatten wir längst keine mehr. Was das Ausrinsen im Wasser gut machte, verdarben wieder in ein paar Stunden Regen und Schweiß. Starrer Schmutz war es, in dem man lebte. Widerlicher Schmutz. Die Männer in den Schützengräben, die nicht so viel Zeit und Gelegenheit zur Reinigung hatten wie wir, waren noch schlimmer daran. Schmutz, Schmutz, überall Schmutz ... Die Nässe verdarb rasch das Schuhzeug, so fest und derbe [S. 213] es war, und oft wurden Patrouillen nach rückwärts zu den Hospitälern geschickt, um die Stiefel der Schwerkranken und Gestorbenen zu holen.

Immer gleich blieb die Nahrung. Speck, Hartbrot, Speck. Man weichte die harten Zwiebacke auf, tat Zucker hinzu und Speckstückchen und briet sich den breiigen Mischmasch. Trank höllenstarken Kaffee dazu. Einmal kam eine Sendung Büchsenfleisch, aber es war verdorben. Derartig schlechte Behandlung läßt sich auf die Dauer kein Magen gefallen.

So rebellierten zuerst die Mägen. Langsam schlich sich Krankheit in die Schützengräben. Kaum einen Mann gab es in der Front, der nicht wenigstens an einer leichteren Form von Ruhr litt. Auch da noch half der Humor, das Abschüttelnwollen körperlicher Schwäche, wie es in junger Mannesart liegt. Die verschmutzten Männer lachten über die recht unangenehmen und schmerzhaften Aeußerungen ihrer gestörten Verdauung und machten lustige Witze, höchst unanständige Witze zumeist, über das viele Aufgesuchtwerden der primitiven Stellen, die man in der Zivilisation verengländert mit W. C. zu bezeichnen pflegt. Aber nach und nach verspürte ein jeder immer kräftiger die üblen Folgen der ewigen Magenbeschwerden und der Fieberanfälle, denen keiner entging. Die schlechten Witze fingen an, gequält zu klingen. Das lustige Lachen von gestern über das berühmte kubanische Bauchweh zog heute nicht mehr. Die Gesichter wurden blaß, und der energische, springige Gang der Regulären träge. Auf das Fieber hätte man schließlich gepfiffen — aber [S. 214] der Magen, der Magen! Bitter und gallig schmeckte der schlechtgeröstete Kaffee, weil die halbzerstampften Bohnen ewig lange sieden mußten. Der Speck schimmerte ölig und durchsichtig, denn die Sonnenhitze hielt ihn ständig in schöner brühwarmer Temperatur. Man konnte ihn bald nicht mehr sehen und nicht mehr riechen. Die Schiffszwiebacke waren trocken kaum zu essen, und der fade Brei, der sich höchstens aus ihnen bereiten ließ, wurde einem zum Ekel. Der Magen, der Magen! Er war es, aus dem die üble Laune kam.

Und die Stimmungen!

Wenn ich in den Schützengräben nach dem General oder irgend einem höheren Offizier suchte, schien es mir beinahe komisch, wie die sonst so unverwüstlich derben und unverwüstlich lustigen Regulären nun auf einmal Stimmungen unterworfen waren. Manchmal lagen sie faul und apathisch da und ließen einen ruhig über ihre Leiber hinwegsteigen, viel zu träge, sich zu rühren oder gar zu reden. Manchmal wieder konnte das leiseste Gerücht, das Hoffnung auf Soldatenarbeit gab, oder der unsinnigste Scherz sie blitzschnell aufrütteln. Als mich einmal ein Korporal fragte, was denn los sei (ich trug ein Telegramm in der Hand), antwortete ich ärgerlich:

»Es ist Dienstgeheimnis und du darfst es nicht weiter sagen: Washington telegraphiert, daß ein Dampfer mit einer neuen Speckladung abgegangen ist!«

»Pfui Deibel!« sagte der Korporal.

Die Männer links und rechts von ihm lachten wie toll und erzählten den mageren Witz weiter, der nun [S. 215] richtig die ganze Linie entlang schallende Heiterkeit auslöste.

Doch das Lachen war selten geworden. Ein jeder wußte, daß die Zeiten bitterernst waren und ein grimmiger Feind die Hügel bedrohte, ein schlimmerer Feind als die verachteten kleinen Männlein da drüben: Krankheit, Fieber, Ruhr, Malaria. Und ein jeder gab sich Mühe, auf das dumpfe Brausen in seinem Schädel frühmorgens im Nebel nicht zu achten und auf die Schmerzen in Magen und Darm nach den Mahlzeiten. Weil keiner krank werden wollte.


Souder und ich waren brummig oft, und übellaunig, und nicht weniger ungeduldig als alle anderen. Weder ihm noch mir blieben die grimmigen Leibschmerzen erspart, und er und ich wußten ganz genau, wie es war, wenn einem nach übelriechender Nebelnacht die Fieberfliegen im Kopf summten und man sich fluchend vom Sanitätssergeanten des Brigadequartiers gewaltige Dosen Chinin geben ließ, die einem die Ohren klingen machten. Aber die Linie, der Draht, das klappernde kleine Instrument versorgten uns stets mit so viel Arbeit und so starkem Interesse an Spannung und Erwartung, daß wir Kopfschmerzen und Leibgrimmen prompt zu vergessen pflegten. Waren die Depeschen in diesen Tagen auch selten wichtig, so wartete man doch wenigstens immer auf eine, die wichtig sein würde.

Da kam der 7. Juli. Der vierte Tag des [S. 216] Waffenstillstandes. Die Linie zu S O 3 war wieder einmal schadhaft geworden und die Reihe diesmal an uns, den Fehler zu suchen. Mißvergnügt machte ich mich mit Ersatzdraht und Zwickzange auf den Weg und fand den Schaden bald. Irgend ein Spitzbube in Uniform mochte zu irgend etwas ein Stückchen Draht gebraucht haben und hatte einfach einen halben Meter der Linie mit seinem Taschenmesser herausgesägt. Ich schimpfte, wie ein regulärer Signalmann über so lästerlich infame Schändung schimpfen mußte, und reparierte. Weil ich nicht weit von S O 3 war, beschloß ich, bei der Blockhausstation vorzugucken. Ich schlenderte den breitausgetretenen Pfad hinter den Hügeln entlang, auf dem es von Soldaten wimmelte, denn Zelt an Zelt reihte sich auf der Hügelseite. Hier kampierten die Rauhen Reiter. Plötzlich blieb ich stehen, und heiß und kalt überlief es mich.

War — das — ein Traum — ein Fiebergaukelspiel?

Eine klingende, metallische Stimme, eine liebe alte Stimme hatte mich gerufen bei meinem Namen aus alten Zeiten. Klar und hell —

»Ed! Ha — a — llooh — Ed!!«

Ich stand und starrte und wollte meinen Ohren nicht glauben.

»Halloh — Ed!«

Von einem Zelt nicht weit vom Weg kam ein Rauher Reiter-Offizier gelaufen, ein Leutnant. Unter dem graubraunen Feldhut mit dem glitzernden Regimentsemblem von gekreuzten Reitersäbeln leuchteten [S. 217] groß und lachend graublaue Augen — die alten Augen ...

»Billy!« schrie ich. »Halloh, Billy — Bi — i — illy!«

Und er sprang herbei, und wir schüttelten uns die Hände, denn sprechen mochte keiner ein Wort, und dann lachten wir wie unsinnig und dann schüttelten wir uns wieder die Hände und dann lachten wir wieder.

Billy war es, der alte Billy, der Billy aus Wanderzeit und Eisenbahnfahrt.

Billy in der Uniform eines First Lieutenant, eines Oberleutnants des Rauhen Reiter-Regiments. Gar kein Staunen verspürte ich über die silbernen Streifen auf seiner Schulter. Dieser Mann war einer der wenigen Menschen, die dazu geboren sind, zu führen und zu leiten unter allen Umständen. Seien sie arm oder reich. Die vornehm sein müssen und Herren über andere, mögen sie auch einen einzigen Rock nur ihr eigen nennen. In der alten Welt hätte man freilich aus Billy keinen Offizier gemacht. Sein Lebensgang wäre denn doch nicht einwandfrei genug gewesen — um die schöne Phrase zu gebrauchen. In Amerika sah man sich den Mann an und — griff zu. Billys Familie hatte ihm eigentlich gegen seinen Willen das Leutnantspatent bei den Rauhen Reitern erwirkt. In der entscheidenden Unterredung jedoch mit Theodore Roosevelt hatte Billy klipp und klar erklärt, daß er erwähnen müsse, er sei vor noch nicht langer Zeit als Tramp, oder als eine Art von Tramp zum mindesten, auf den Eisenbahnen herumvagabundiert.

[S. 218]

»You are allright!« war Roosevelts knappe Antwort gewesen.


»Komm’ in mein Zelt!« sagte Billy.

Wir hockten uns auf die Wolldecke hin am Boden, und Billy holte feierlich eine kleine Feldflasche aus einem Winkel hervor, erklärend, daß es unter den Rauhen Reitern komische Käuze von Millionären gebe, die sich durch ihre Privatyachten Zigarren und Whisky bringen ließen. Wir tranken in Andacht den goldigbraunen Bourbon. Rauchten eine Zigarette.

»Du bist also beim Signalkorps, eh?« begann Billy. »Haben sie nicht genug Verstand gehabt dort, dich wenigstens zum Sergeanten zu machen?«

»Anscheinend nicht!« lachte ich. »Uebrigens habe noch nicht einmal vorschriftsmäßig gegrüßt, Herr Leutnant!«

»Das ist allerdings schrecklich,« meinte Billy. »Kraft dieser schönen silbernen Schulterstreifen also befehle ich dir nun, sofort zu erzählen. In Colorado war’s irgendwo, als du verschwandest — und das hat mich damals mehr Kopfschmerzen gekostet als du ahnst, mein Junge. Drei Monate suchten wir nach dir, Joe und ich, bis wir es endlich aufgeben mußten. Erzählen, erzählen!«

Da berichtete ich von der Fahrt nach St. Louis und dem Erleben dort und von der Kupferhölle und vom Zeitungsdienst und von San Franzisko. Von Frank und von Allan McGrady. Lachende Linien kamen in das scharfgeschnittene, hagere, rassige Gesicht.

[S. 219]

»Und bei dieser Geschichte hier in Kuba mußtest du natürlich auch dabei sein!« rief er endlich und füllte lustig augenzwinkernd das winzige Feldflaschenglas fingerhoch ... »Aber natürlich! Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, mein Junge, daß du ein Narr wärest, würdest du die blaue Jacke nicht recht bald wegwerfen. Bleib du bei der Zeitung! Ich wünschte, ich wüßte so gut wie du es von dir wissen solltest, was ich zu tun hätte. Unter uns gesagt waren diese Schulterstreifen billig wie Brombeeren. Es gehörte nicht viel mehr dazu, aus dem alten Billy einen Leutnant zu machen, als sieben Wörtchen des alten Onkels van Straaten, der im Kongreß sitzt. Wenn diese nachgerade langweilige Affäre hier jedoch beendet ist — dann adieu, Leutnant Billy!«

»Weshalb machten sie dich gleich zum Oberleutnant?« lachte ich.

»Bin ich vorgestern erst geworden!« berichtete er vergnügt. »Telegraphisch. Von wegen der Schlacht. Teddy sorgt für seine Leute. Weiß der Kuckuck, wo Jack (das ist mein Putzer) den Oberleutnantsstern aufgegabelt hat. Aufgenäht hat er ihn mir jedenfalls auf die Jacke — und meine Würde erdrückt mich beinahe!«

Erzählen — erzählen ... Wir rechneten uns aus, daß wir beim Sturm auf den San Juan-Hügel keine hundert Meter voneinander entfernt gewesen sein konnten, und im Planters-Hotel in Tampa im gleichen Saal gegessen haben mußten, ohne es zu ahnen. Wie groß die Welt war und doch wie klein! Stunde auf [S. 220] Stunde verschwatzten wir, bis ihn und mich der Dienst rief.

Wochen später, als ich auf der Insel des gelben Fiebers aus dem Delirium erwachte und denken und verstehen konnte, gab mir der Arzt einen Briefumschlag. Fünf gelbe Banknoten steckten darin, zu zwanzig Dollars eine jede. Und ein Zettel:

»Lieber Ed. Unser Schiff dampft heute, den 30. Juli, nach dem alten Land. Der Doktor schreibt mir, du würdest durchkommen. Wußte, sie würden dich nicht unterkriegen, alter Junge. Das Geld kannst du vielleicht gebrauchen. Gib es mir zurück, wenn es dir paßt. Hörte von Major Stevens, du seiest zum Sergeanten ernannt worden. Auf Wiedersehen — Billy.«

Ich sollte ihn erst in einem Jahr wiedersehen, unter Verhältnissen, die noch viel merkwürdiger waren als das Begegnen im Tal von Santiago.


Die Krankheitsziffern in den Schützengräben stiegen zu erschreckender Höhe, und immer blasser und gelber wurden die Gesichter der Männer auf den Hügeln. Unerträglicher schien die Sonnenglut von Stunde zu Stunde fast und fürchterlicher die endlosen Regengüsse. Noch war die Zahl der schweren Erkrankungen an wirklicher Ruhr und Malaria verhältnismäßig gering, die Zahl der Leichtkranken jedoch ungeheuer groß. Den ganzen Tag über umringten sie das Doktorzelt, und der Sanitätssergeant verteilte im Schweiße seines Angesichts unablässig Chininpillen und Opiumpräparate.

[S. 221]

Die Befehle und Meldungen, die über unseren Draht gingen, zeigten zwar nur einen winzig kleinen Ausschnitt der allgemeinen Situation, aber sie ließen unschwer erkennen, daß die Führer der Truppen voll Besorgnis waren und daß alles nach einer Entscheidung drängte. Am 8. und 9. Juli gab es viel zu tun. Die Depeschen, die genaue Berichte über die Krankenzahl einforderten, jagten sich. In den Antworten der einzelnen Regimenter hieß es immer wieder: Allgemeiner Gesundheitszustand höchst unbefriedigend. Chefärzte kamen vom Hauptquartier und untersuchten die Truppen; lange Konferenzen fanden statt im Zelt des Generals.

Da telegraphierte am Abend des 9. Juli das Hauptquartier, daß mit Mitternacht der Waffenstillstand ablaufe. Die Wirkung auf die Truppen, die nun sofort in den Schützengräben konzentriert wurden, war verblüffend. Die gedrückte Stimmung schien wie weggeblasen. Die Aussicht auf Arbeit machte die Männer in den Schützengräben wieder frisch und kräftig. Ueberall von den Hügeln erklang an jenem Abend der Tingeltangelschlager, den die Soldaten im Uebermut des Sieges in der Kampfnacht gesungen hatten. Er war zum Schlachtlied der kubanischen Armee geworden —

When the bells go tinge — linge — ling
We’ll join hands and sweetly we shall sing —
There’ll be a hot time
In the old town
Tonight, my Darling!

[S. 222]

»Heut abend ist der Teufel los im Städtchen ...«

Mit dem Morgengrauen begann das Kleingewehrfeuer auf der ganzen Linie. Vom San Juan-Hügel her dröhnten Geschütze. Die Spanier erwiderten das Feuer nur schwach. Ein unbedeutendes Ferngefecht war es — wie auch am nächsten Tag.

Mir ist dieser 10. Juli eine lustige Erinnerung. Im Laufe des Nachmittags lief eine Depesche ein, in der Präsident McKinley unserem General Bates seine Ernennung zum Major General anzeigte, der höchsten militärischen Würde in den Vereinigten Staaten. Das war natürlich ein großes Ereignis. Ich machte mich sofort auf den Weg nach den Schützengräben, um dem General das Telegramm zu bringen. Ueberall knatterte es vorne auf dem Hügel, und dann und wann pfiff eine feindliche Kugel durch die Luft. Ich eilte durch den Hauptgang und erfuhr von der Stabsordonnanz, daß der General im Schützengraben rechts sei. Nach wenigen Schritten sah ich auch schon die Gruppe der Stabsoffiziere. Und — da packte mich eine ganz verrückte Idee ... Ein Held wollte ich sein! Auszeichnen wollte ich mich — auffällig auszeichnen — wunderbar tapfer sein ... Gedacht, getan. Mit einem Ruck richtete ich mich auf und stand kerzengerade da, daß Kopf und Schultern über die Brüstung des Schützengrabens hinausragten. Zischend surrte eine Kugel an meinem Ohr vorbei. Eine zweite. A — aah! So — ooh! So — oo — benahm sich ein Ritter ohne Furcht und Tadel im Kugelregen — so — olche Leute machte man zu Offizieren — in meinem Kopf wirbelte es von Tapferkeit und [S. 223] Todesverachtung — sans peur et sans reproche — a — aah — fais ce que dois, adviegne que pourrac’est commandé au chevalier ... und ganz langsam und bolzengerade stelzte ich über die Beine der feuernden Infanteristen hinweg auf den General zu. Begeistert war ich — von mir selber. Ich kam mir wirklich wahrhaft heldenhaft vor. S — sss — ssss — — zischte es. Und ich reckte mich noch höher auf und stellte mich stramm hin und meldete eiskalt:

»Depesche für Major General Bates!«

Der alte Herr, der im Graben kauerte, streckte die Hand nach der Depesche aus und sah mich scharf an.

Mich aber überlief ein leichtes Zittern. Jetzt — jetzt — jetzt mußte es kommen —

Der General sah mich noch immer scharf an und um seine Mundwinkel zuckte es. Dann sagte er leise, aber sehr deutlich:

»Get down, you fool!«

»Duck dich — du Narr!«

Da klappte ich zusammen wie ein Taschenmesser. Aus war’s mit dem Heldentum. Und zu meiner Ehre sei es gesagt, daß der Bruchteil einer Sekunde mir genügte, um zu erkennen, welch furchtbar lächerlicher Hanswurst ich soeben gewesen war.


Die kriegerischen Ereignisse im Tal von Santiago de Cuba nahten rasch ihrem Ende. Am 12. Juli begannen wieder die Verhandlungen. Am gleichen Tag traf der Höchstkommandierende der amerikanischen Armee, General Miles, in Siboney ein. Am 13. Juli [S. 224] hatten er und General Shafter eine Besprechung mit General Toral, dem spanischen Kommandierenden. Am 14. Juli kapitulierte Santiago de Cuba, und die spanische Armee gab sich kriegsgefangen.


Es war um Mittag des 14. Juli. Zwischen den amerikanischen und spanischen Linien, dreihundert Meter etwa rechts seitlich von unserem Hügel, hundertundfünfzig Meter in Front, stand inmitten einer weiten grasigen Fläche ein ungeheurer Mangobaum. Ein Riese. Der mächtige Stamm zeichnete sich im grellen Sonnenlicht scharf gegen das Grün und Gelb des Bodens ab. Die breitwipflige Krone ragte massig empor, wuchtig in ihrem Dunkel wie ein Gebäude. Da erzitterten Trompetentöne. Der Paraderuf, jedem Regulären wohlbekannt. Feierlich, gedehnt. Und die Männer in den Schützengräben sprangen auf die Brüstungen, kauerten sich hin und sahen schweigend zu, wie aus dem Bodeneinschnitt beim San Juan-Hügel Reiter in langsamem Schritt hügelabwärts ritten dem Baumriesen zu. Ich konnte durch mein Glas die Gestalten deutlich erkennen. General Miles war es, General Shafter, einige Offiziere, zwei Trompeter. Gleichzeitig glitzerte es drüben in den spanischen Linien von Epauletten und goldenen Borten und Pferden und Reitern in dunklen Umrissen.

Die beiden Reitertrupps kamen sich näher, hielten einen Augenblick. Dann sprangen die Offiziere von [S. 225] ihren Pferden, und Ordonnanzen brachten Feldstühle und stellten sie auf im Schatten des Mangoriesen. In den amerikanischen Schützengräben war es mäuschenstill. Fünfzehntausend Männer, sechzehntausend, siebzehntausend, warteten in tiefem Schweigen. Drüben beim Feind tauchten aus Gestrüpp und Dschungelgras in langer Linie weiße Strohhüte auf und Gestalten in hellen Uniformen. Still war es. Ganz still. Zwanzig Minuten lang, eine halbe Stunde vielleicht. Dann kam Bewegung in die Gruppe beim Mangobaum. Pferde wurden herbeigeführt, Reiter stiegen in die Sättel, und langsam ritten die beiden Trupps zu ihren Linien zurück. Die Männer in den Schützengräben schauten noch immer. Niemand sprach. Nichts rührte und regte sich.

Da blitzte ein Farbenfleck auf in dem tiefen Dunkel der Mangobaumkrone.

Rot — blau ... Er wurde deutlicher. Breitete sich aus. Und ich starrte und starrte, einer von Tausenden, und sah den Farbenfleck sich entfalten in grelle Streifen und winzige Punkte.

Ueber dem Friedensbaum flatterte das Sternenbanner.

Eine Sekunde lang noch war alles still. Dann ergellte wie aus einer einzigen Kehle brausend und donnernd ein furchtbarer Jubelschrei.

Santiago de Cuba war gefallen.

[S. 226]

Nach Santiago de Cuba!

Das Hauptquartier wird energisch. — Die Enttäuschung der Männer in den Schützengräben. — Die verbotene Stadt. — Wir werden nach Santiago beordert. — Das Legen der Linie. — In den spanischen Schützengräben. — Ein Tauschgeschäft mit den hungrigen Spaniern. — In der Stadt. — Die toten Gäßchen. — Von Licht und Schatten. — Das Hauptquartier des Siegers.

Der Klopfer des Instruments überschüttete uns mit Punkten und Strichen.

»Noch mehr?« fragte Souder zwischen zwei Telegrammen bei S O 3 an.

»Massenhaft mehr!« kam die Antwort.

Sergeant Hastings saß am Schlüssel drüben auf der Blockhausstation, der beste Sender des Korps, und unter seinen geschickten Fingern wurde das mechanische Klicken des Messingstängchens zum lebendigen Sprechen; so mühelos verständlich, daß der Sergeant und ich uns zwischen Schreiben und Lauschen fortwährend unterhalten konnten, wenn auch in abgerissenen Sätzen — — und jeder Satz ungefähr würde uns ein Kriegsgericht eingetragen haben, hätte der Generalstabsoberst, der »auf Befehl des kommandierenden Generals« die Depeschen zeichnete, all die Unverschämtheiten mit anhören können.

»Jawohl! Jaw — oohll! Reiß’ das Maul nur [S. 227] recht weit auf, mein Sohn! Schrei’ Befehle, daß dir die Hosenträger platzen! Denn du weißt es ja, daß jetzo tiefer Friede herrscht in dieser schönen Gegend — und du verstehst dein Metier und du weißt es ja, daß alle Kriegskunst im Frieden darauf hinausläuft, recht laut und recht viel zu kommandieren! Auf daß jedermann möglichst chikaniert werde! Hol’ dich der Teufel! — Was sagt er?«

»Es ist mit Strenge darauf zu achten, daß alles Trinkzwecken dienendes Wasser gehörig abgekocht wird — « klickte der Klopfer.

»Gehörig abgekocht wird!« höhnte Souder. »Du bist ja von vorgestern, Oberstchen. Wer jetzt nicht schon die Cholera im Bauch hat, kriegt sie nimmer. Kable lieber nach Washington und sorge dafür, daß sie uns endlich gar nichts schicken als immer nur Speck und Speck und Speck! — Was ist das?«

»Offizieren darf ohne Erlaubnis des kommandierenden Generals, der diese Erlaubnis nur in besonderen Fällen erteilen wird, Urlaub nach Santiago de Cuba nicht gewährt werden.«

»Aha! Die Schulterstreifen dürfen auch nicht hinein! Was dem Regulären recht ist, muß dem Leutnant billig sein. Der Reguläre könnte sich besaufen, und der Leutnant vielleicht auch, aber sicherlich der Herr Oberst. Also geht nur der Herr Oberst ins Städtchen, damit er mehr unter sich ist! Oh — hol dich der Teufel!«

Dabei lag natürlich in den telegraphischen Befehlen zielbewußte Vernunft, während die Kritik des Mannes hinter dem Gewehr purste Unvernunft darstellte. Begreifliche [S. 228] Unvernunft jedoch. Dem begeisterten Jubelgeschrei des Sieges war in einer kurzen Stunde ganz gewöhnliches Geschimpfe gefolgt in den Schützengräben. Die derben alten Regulären da droben auf dem Hügel drückten sich noch viel saftiger aus als der lustige Signalsergeant. Als sie die Fahne flattern sahen über dem Friedensbaum, hatten sie sich eingebildet, daß es ein paar Stündchen höchstens dauern könne, bis der Befehl gegeben würde, männiglich solle seine Siebensachen zusammenpacken zum Einzug in die Stadt. Hei — oh — zum Marsch in die Stadt! So mancher mochte zungenschnalzend kalkuliert haben, was für schöne Dinge die silbernen Dollars in der Tasche alle kaufen konnten — diese silbernen Dollars, die so völlig wertlos und vergnügungsbar gewesen waren seit Wochen im Drecklager.

Ausgerutscht!

Die Träume von netten Mahlzeiten, reinen Betten und dankbaren, vom spanischen Joch befreiten Mägdelein zerrannen in völliges Nichts. Es fiel dem Jesus-Christus-General gar nicht ein, seinen braven Truppen im Namen des dankbaren Vaterlandes begeistertes Lob und dergleichen zu spenden und sie einzuladen, sich doch Santiago gütigst anzusehen. Sondern er telegraphierte kurz und grob, jeder Mann, der ohne Paß in der Stadt angetroffen werde, würde vor ein Kriegsgericht gestellt und schwer bestraft werden! Das Hauptquartier telegraphierte des Ferneren, sämtliche Regimenter sollten sofort Zeltquartiere beziehen. Rund um jedes Zelt seien Abzugsgräben für das Regenwasser zu graben. [S. 229] Die Zeltgassen gehörig zu drainieren. Die Verpflegung der Truppen habe von nun an wieder durch die Kompagnieküchen zu geschehen. Die kommandierenden Offiziere wurden ersucht, für Reinigung der Wäsche und Uniformen ihrer Mannschaften zu sorgen. Und so weiter und überhaupt!

Die braven Regulären aber, die so gern in der Stadt des Feindes spazieren gegangen wären, fluchten abscheulich. Was wußten sie davon, daß Santiago de Cuba ein Fiebernest war mit primitivsten sanitären Verhältnissen und unmöglich als Quartier für tropenungewohnte Truppen, ehe Ströme von Karbol den Unrat weggefegt hatten! Was wußten sie davon, daß ein kommandierender General die Zügel der Disziplin fester in die Hand nimmt, ehe er eine siegesübermütige Armee in eine eroberte Stadt führt! Sie wußten nur, daß weiterkampiert wurde in Regengüssen und Sonnenbrand ——— Sie sollten nicht in wirklichen Betten schlafen können — nicht auf wirklichen gepflasterten Straßen wandeln — nicht wieder Menschen sehen, die keine Uniform trugen — nicht wirkliches Brot sich kaufen können — —

Hei — oh, wie wurde da geschimpft auf den Hügeln!

Wir schimpften mit.

Am nächsten Tag aber wandelte sich unser Schimpfen in freudige Ueberraschung. Ein Diensttelegramm befahl dem Sergeanten Souder und dem Signalisten Carlé kurz und bündig, sich sofort bei der Blockhausstation zu melden. Zum Linienlegen nach Santiago de Cuba.

[S. 230]

Zwischen drei und vier Uhr nachmittags brachen wir von der Blockhausstation auf, der Major Stevens, ein Kabeltelegraphist von Siboney, drei Sergeanten und zwei Signalisten. In fünfzehn Minuten hatten wir den Draht vom Hügelgipfel zum Friedensbaum gespannt. An diesem Tag kümmerte sich keiner von uns darum, daß die Sonne einem glühendheiß auf den Schädel brannte und das schweißige Hemd patschnaß am Leibe klebte und der Atem in kurzen Stößen kam und ging. Vorwärts, nur vorwärts! Nach Santiago de Cuba! Wir liefen nicht mehr mit den schweren Drahtrollen, sondern wir rannten. Mir war nicht wohl zumute dabei. Aber ich pfiff auf das sonderbare Flimmern vor den Augen und die eigentümliche Schwere und Benommenheit im Kopf. Mochten sie doch rumoren, die Magenkobolde und die Fieberteufel! Ich hatte an andere Dinge zu denken. Ich hatte Eile. Wir rannten. Durch das Gestrüpp der Hügelniederung, der gelben Linie zu, die die Straße nach Santiago de Cuba bedeutete.

»Links — links!« keuchte der alte Sergeant Hastings, der neben mir lief. »Nach dem Baum dort. Und ein bißchen langsamer. Ich bin mir in meinem Leben noch nicht so ausgepumpt vorgekommen. Sie sehen übrigens extra miserabel aus!«

»Mir fehlt nichts,« sagte ich.

»Na, mir auch nicht,« brummte er, »aber ich könnte gerade nicht behaupten, daß ich jünger und gesünder geworden bin!«

Weiter — weiter. Wir arbeiteten in kleinen Gruppen [S. 231] von je zwei und zwei Mann. In dem offenen Gelände mußte der Draht sorgfältig von Baum zu Baum gespannt werden. Ich erkletterte zwei Bäume, und sauer genug wurde mir das Steigen, so bequemen Halt auch die vielen Aeste der Mangos boten. Ein halbes dutzendmal fehlte nicht viel und ich wäre gefallen. Nein, gesünder war ich nicht geworden!

Da tauchten bei einer Baumgruppe Gestalten in amerikanischen Uniformen auf und eine laute Stimme befahl uns, zu halten. Der Leutnant, der den Posten von fünf Mann kommandierte, kam herbei, und wir mußten einige Minuten warten, bis der Major, der weiter hinten die Linie prüfte, erschien und dem Offizier unsere Pässe vorwies.

»Die spanischen Regimenter haben die Schützengräben verlassen,« meldete der Offizier, »und kampieren auf der Straße nach Santiago entlang, links und rechts vom Weg. Sie werden binnen wenigen hundert Schritten auf das erste spanische Lager stoßen, Herr Major. Ich habe Befehl, passierenden Offizieren und Mannschaften eine Anordnung des kommandierenden Generals zu übermitteln —«

»Weiß schon, weiß schon,« nickte der Major. »Signaldetachement — attention

Wir stellten uns erwartungsvoll in Reih und Glied. Der Leutnant las:

»Der kommandierende General befiehlt, daß jede herausfordernde Haltung den Spaniern gegenüber vermieden wird. Die Entwaffnung der spanischen Armee und die Besetzung von Santiago findet erst in einigen [S. 232] Tagen statt. Spanische Offiziere sind zu grüßen wie die eigenen Vorgesetzten. Besuch von Restaurants oder Wirtschaften in der Stadt ist verboten. Sie sind übrigens geschlossen.«

Der Major betrachtete uns vom Kopf bis zu den Füßen und sagte dann schmunzelnd: »Sergeanten und Signalisten! Ich habe in meiner militärischen Laufbahn noch niemals eine so verwahrloste und klapprige Gesellschaft gesehen wie euch. Sergeant Hastings — aus Ihrem rechten Stiefel guckt Ihr Zeh! Im übrigen weiß ich nicht, wer am schmutzigsten und abgerissensten ist. Ich bitte mir aus, Hastings, daß Sie als ältester Sergeant das in Ordnung bringen. Sie werden in der Stadt irgend einen englischsprechenden Kubaner auftreiben, es gibt deren genug, und ihn auf meine Kosten als Putzer für das Detachement anstellen. Die nötigen Einkäufe an Wäsche und so weiter besorgen Sie ebenfalls auf meine Kosten, Sergeant. Jeder Mann nimmt zweimal täglich ein Glas Whisky mit einem Chininpulver — für den Whisky und das Chinin werde ich sorgen. Achtet auf eure Gesundheit, Leute! Ich bin sehr zufrieden mit euch.«

Weiter ging’s. Mit verdoppelter Schnelligkeit. Wie mir ging es wohl jedem andern: Das Wasser lief einem einfach zusammen im Munde, wenn man an dieses Dorado von frischer Wäsche und kubanischem Putzer und Reinlichkeit dachte!

Wenige hundert Schritte nur hatten wir die Linie weitergelegt, als uns eine angenehme Ueberraschung wurde. Da, wo die eigentliche Straße begann, die in [S. 233] scharfem Bogen von Osten herkam, lagen im Gras eine umgestürzte Telegraphenstange und verwickelter Kupferdraht. Einige Meter weiter begann die Stangenreihe. Soweit wir es durch die Gläser erkennen konnten, war die Leitung dort intakt.

»Anschließen!« befahl der Major vergnügt. »Das Ding scheint zwar aus uralten Zeiten zu stammen, wird aber wohl funktionieren. Die Linie wird bei jedem zehnten Pfosten geprüft.«

So ging es sehr rasch vorwärts. Dicht hinter dem Gestrüpprand zweigten rechts und links von der Straße die spanischen Schützengräben ab. Sie waren viel flacher gegraben als die unsrigen auf den Hügeln und boten wirksamen Schutz eigentlich nur liegenden Truppen. Das Wunderbare aber war, wie die Spanier jede Baumgruppe, jede winzige hügelige Welle zu einer kleinen Festung gestaltet hatten. Wo Bäume standen, war inmitten der Baumgruppen der Boden tief ausgehöhlt worden, so, daß ein halbes Dutzend Schützen in der Höhlung kauern konnten. Viele Reihen stacheligen Drahts verbanden Baum mit Baum. Stacheldraht war überall. Scharfschützen in diesen Löchern mußten fast unerreichbar gewesen sein für Infanteriefeuer und hätten Dutzende von Angreifern, die der Stacheldraht behinderte, wegschießen können. Der Major schüttelte fortwährend den Kopf, und einmal platzte er heraus:

»Das wäre eine nette Bescherung gewesen — — «

Die Straße wurde breiter, der Boden ebener, wie festgestampft. Wir hörten Stimmen aus dem dünnen Gebüsch, das den Weg einsäumte, und ein spanischer [S. 234] Offizier trat auf die Straße; eine schlanke Gestalt in schneeweißer Uniform mit Goldlitzen an den Aermeln und am Kragen. Er blieb überrascht stehen, salutierte den Major in straffer Haltung, wandte sich rasch und verschwand wieder im Gebüsch. Einen Augenblick nur hatte ich in das tiefernste junge Gesicht gesehen, aber der Schmerz, der Haß in diesen Augen machten gewaltigen Eindruck auf mich. Der Gedanke schoß mir durch den Kopf, was ich wohl empfinden würde, wären wir besiegt worden. Was war mir Amerika! Mir, dem Fremden, der sein Leben zu Markte getragen hatte im Spiel! Und ich wußte, daß ich bitterunglücklich gewesen wäre, läge das Sternenbanner im Staub. In fröhlichem Uebermut und tollem Abenteurerdrang nur war das Spiel gespielt worden, aber es hatte Stärkeres ausgelöst, wie gutes Spiel es muß. Zusammengehörigkeit. Seit den Tagen im Tal von Santiago ist mir die Flagge der Vereinigten Staaten viel mehr gewesen als ein gleichgültiger Fetzen in Rot und Blau wie all die vielen anderen, die mich als Deutschen nicht kümmern. Es gibt Spiele, die man nicht vergißt.

In einem sonderbaren Gefühl von Mitleid beinahe und doch brennender Neugierde sah ich mich um. Das Gebüsch an den Wegseiten wurde lichter nach wenigen Schritten. Gestalten tauchten auf im Gezweig und tiefen Gras; helle Uniformen, Zelte. Mitten zwischen spanischen Truppen marschierten wir nun, und wenn wir hielten, um die Linie zu prüfen, umdrängten die Soldaten uns in Haufen.

Sie sahen alle bleich und abgemagert aus. Die [S. 235] dünnen Uniformen waren schrecklich abgerissen. Die meisten hatten keine Stiefel an den Füßen, sondern Segeltuchschuhe mit Sohlen aus Stricken. Sie trugen keine Waffen. Ihre Gewehre waren nicht ordentlich in Kompagniereihen zusammengestellt, sondern in großen Pyramiden aufgestapelt mit Haufen von Bajonetten daneben. Die Zelte waren erbärmlich; Stücke Segeltuch, an einen Baum oder einen Busch gebunden und dachartig schräg gegen den Boden gespannt. Viele Spanier lagen gleichgültig da, Zigaretten paffend. Andere schnatterten aufeinander ein mit vielem Gestikulieren. Manchmal sah uns einer finster an, aber die meisten schienen lustig genug und winkten uns zu. Wieder prüften wir die Linie. Ein spanischer Unteroffizier, an seinem Aermel wenigstens war eine schmale goldene Tresse, trat an mich heran und zog mir eine Patrone aus dem Gürtel. Dafür gab er mir einen Rahmen mit fünf Mauserpatronen.

»Pour souvenir!« sagte er in gebrochenem Französisch.

Im Augenblick folgten andere seinem Beispiel, und ein Handelsgeschäft mit Patronen entwickelte sich. Die Leute hatten alle Hunger! Das wußten wir und hatten uns auf der Blockhausstation Tornister und Taschen mit Speckstücken und Zwiebacken vollgestopft, die es im Ueberfluß gab. Die stets hungrigen armen Teufel von Cubanos waren ja wie besessen hinter einem Stück Hartbrot her. Als Trinkgelder und Dolmetscher hatten uns die Rationen Onkel Sams in Santiago dienen sollen. Nun wanderten sie in die Mägen der spanischen [S. 236] Soldaten am Weg. Die Spanier rissen uns die Speckstücke und die Zwiebacke aus den Händen, so schnell wir sie nur aus den Feldtaschen hervorholen konnten, drängten uns Zigaretten und kleine Flaschen mit Rum auf dafür und bissen verhungert in das Hartbrot hinein, als sei es ein köstlicher Leckerbissen.

An Regiment auf Regiment kamen wir vorbei. Pfade zweigten ab links und rechts, und zwischen den Bäumen leuchteten grelle Farben im Sonnenschein, weiße und gelbe und blaue, die ersten Häuser Santiago de Cubas. Dann verschwanden die Bäume, und aus dem Weg wurde eine breite Straße, die zwischen hölzernen Hütten hinführte, in denen die Aermsten von Santiago wohnten. Da und dort an einer Ecke lungerten Männer und Weiber in zerfetzten Kleidern, aber sie schlichen scheu davon, als wir näher kamen. Splitternackte Kinder mit schrecklich aufgedunsenen Bäuchen rannten schreiend in die Hütten.

Die alte Drahtlinie führte schnurgerade den Weg entlang in eine schmale Gasse von Steinhäusern. Dröhnend hallten unsere schweren Schritte auf dem holperigen Pflaster. Flache Dächer hatten die Häuser und klein und niedrig waren sie und grell und bunt angestrichen. Aber sie sahen uralt aus trotz der leuchtenden Farben. Die Steinstufen an den Toren waren tief ausgetreten.

Totenstill und verlassen lag das Gäßchen da. Was es an Leben barg, versteckte sich hinter massigen Türen mit bronzenen, kastilischen Löwen als Klopfern und vergitterten Fenstern. Auf die grellen Häuserwände warfen die Sonnenstrahlen blendendes Licht, und schwer [S. 237] und schwarz lag der Häuserschatten auf dem Pflaster. Aus den alten Mauern schien dumpfe Moderluft zu quellen. Still war es, so still, daß man leiser auftrat. Die Gäßchen und die Häuser schienen zu schlafen. Dunkel war es fast. Was die glühende Sonne an Lichtfreudigkeit auf die gelben und weißen Wände zauberte, löschten die vielen dunklen Schatten wieder aus, die lang und spitz und breit und stumpf in totem Schwarzviolett sich über die Gasse hinzogen und über Türen und Fenster krochen. Zwischen den spitzen Pflastersteinen wucherte Gras, und auf dem Fußsteig trat man in tiefe Löcher. Nirgends war ein Mensch zu sehen. Kein Gesicht zeigte sich hinter all den Gitterfenstern.

Mehr schmale Gäßchen. Mehr gelbe, blaue, weiße Häuserchen, alle alt und alle verwittert. Ueber einem flachen Dach ragte in der Ferne fein und zierlich der Kathedralenturm in das tiefe Blau.

An der Ecke, bei einem Brunnen, in dessen Steinwände viele Jahre und viele Wassertropfen große Löcher gefressen hatten, stand ein amerikanischer Kavallerist, Karabiner im Arm, und deutete nach vorwärts, wo das Gäßchen sich verbreiterte. Und bald wurde aus der Stille Lärm. Zwar sahen die kleinen Häuser noch immer über alle Maßen alt und verträumt aus, und vor Fenstern und Türen lagen hölzerne Läden, mit schweren Eisenstangen fest verschlossen. Aber Inschriften in gelben und goldenen Lettern über Türen und Schaufenstern zeigten, daß hier doch noch lebendige Menschen wohnen mußten, die arbeiteten und kauften und verkauften. Weiter oben standen sie, die lebendigen Menschen, [S. 238] in dichten Gruppen; einem knallgelben Haus gegenüber. Sie trugen spitze Strohhüte und dünne Hosen und Jacken, bald braun, bald weiß, bald farbig, aber immer zerfetzt. Weiber waren dazwischen mit wirrem Haar und kurzen Röcken, unter denen die braunen Beine hervorguckten, und neben ihnen kauerten nackte Kinder. Alle schrien und zeterten. Sie schrien nach Brot, denn unter der armen Bevölkerung von Santiago herrschte arge Hungersnot. Spanische Gendarmen drängten sie zurück. Vor dem knallgelben Haus scharrten und wieherten viele Pferde, von amerikanischen Regulären gehalten. Offiziere kamen und gingen. Es war das Hauptquartier des Siegers.

[S. 239]

Im Kabelbureau.

Der spanische Telegraphendirektor. — Unter Dach und Fach. — Wir requirieren Wäsche. — Der wundersame Patio. — Das große Baden. — Der brauchbare Antonio. — Wir rüsten ein Mahl. — »Caballeros telegraphistas!«—»Oh, der verdammte Speck!«—»Man muß ein Loch in die Uhr schießen!«—Das Feuerrad.—Im Dunkel.

Der Lehrer der französischen Sprache an dem bayrischen Gymnasium von Burghausen an der Salzach, in dem dickschädelige bayrische Bauersöhne in glänzenden schwarzen Hosen sich die erste wissenschaftliche Reife ersitzen und leichtsinnige Münchner Früchtchen gezwiebelt werden — Monsieur würde sich gewundert haben, hätte er gewußt, daß in diesem Augenblick der hinausgeschmissene Lausbub ihn im Kabelbureau von Santiago dankbar segnete. Mein Burghausener Französisch war zwar ein grammatikalisches Gerippe nur, aber es genügte. Bei Gott, es genügte!

Wir waren im Kabelbureau von Santiago de Cuba. Der Major stand breitspurig da, biß sich auf den Schnurrbart und bemühte sich offenbar, höflicher zu sein, als ihm der Sinn stand. Ihm gegenüber tänzelte ein kleines Männchen von einem lackbestiefelten Bein aufs andere. Sie waren das Schönste an ihm, diese prächtigen Lackstiefel, wenn auch der schneeweiße Leinenanzug [S. 240] ihnen einige Konkurrenz machte. Das Männchen war der spanische Telegraphendirektor. Der zappelige Spanier fuhr mit wohlgepflegten, ringgeschmückten Händen beschwörend auf den Major zu.

»Ich weiche der Gewalt!« sagte er. (Auf Französisch — daher mein Segnen!)

»Es handelt sich hier nicht um Gewalt, mein Herr,« antwortete der Major in einem sehr verständlichen aber entschieden gräßlichen Französisch, »sondern um eine ausdrückliche Abmachung der Kapitulation, wonach die Telegraphenlinien vorläufig zu militärischen Zwecken von uns übernommen werden. Wo sind Ihre Beamten, mein Herr?«

Die schönen Hände beschrieben wilde Kreise:

»Sie wichen der Gewalt.«

»Dann werden Sie selbst so freundlich sein müssen, mein Herr, mir die verschiedenen Verbindungen zu bezeichnen!«

»Ich — ich — habe schriftlich ...« stotterte das Männchen und deutete auf die Tische mit den Telegraphentastern. An jeden war ein Zettel gehängt, auf dem die Verbindungen und die Anrufszeichen angegeben waren.

»Sehr schön!« knurrte der Major mit einer ironischen Verbeugung. »Oh — hier haben wir ja die Santiagotal-Linie. Hastings, rufen Sie doch S O 3 an!«

Der Sergeant beguckte brummig den schweren, altmodischen Taster, der unseren modernen leichten Morseinstrumenten gegenüber so verächtlich war, wie es ein Mistwagen für ein Automobil sein würde, und begann [S. 241] zu klopfen. Die Blockhausstation meldete sich sofort.

»Es ist gut,« sagte der Major. »Ich mache Sie dafür verantwortlich, mein Herr, daß alle Apparate sich in Ordnung befinden. Die Instrumente des Kabels nach Jamaica werden gegenwärtig von meinem Kabelexperten geprüft ...«

»Ich lehne alle Verantwortung ab!« schrie der nervöse Telegraphendirektor.

»Aber durchaus nicht,« meinte der Major freundlich. »Sie werden im Gegenteil so liebenswürdig sein, sich heute abend um neun Uhr im Hauptquartier einzufinden. Dann werden wir festsetzen, unter welchen Bedingungen die Beförderung von Telegrammen und Kabelgrammen in spanischer Sprache übernommen wird. Ich mache Sie jetzt schon darauf aufmerksam, mein Herr, daß wir Ihrer und Ihrer Beamten für den Dienst bedürfen werden.«

»Ich gehorche der Gewalt,« zeterte das Männchen.

»Très bien,« sagte der Major. »Auf Wiedersehen also heute abend um neun Uhr im Hauptquartier!« Und der Herr Telegraphendirektor trippelte mit wutgerötetem Gesicht der Türe zu.

»Der verdammte Narr!« platzte der Major heraus. »So, Jungens. Ich muß ins Hauptquartier. Die Apparate im Kabelzimmer gehen euch vorläufig nichts an. Befördert werden von euch heute abend nur die Telegramme an S O 3, die ich durch Ordonnanzen sende. Richtet euch so gut ein als möglich, damit ihr mir morgen frisch seid, denn wir werden Arbeit in Hülle und Fülle haben. Stadturlaub gibt es heute noch nicht. [S. 242] Ihr habt hübsch hier zu bleiben. Das Nötige schicke ich euch.«

Dann ging er.

Wir aber waren schon außer Rand und Band, kaum daß der Major die Türe hinter sich geschlossen hatte. Karabiner, Revolver, Tornister, Feldtaschen schmissen wir in eine Ecke, daß es krachte, und lachten und schrien und spektakelten. Weil wir ein richtiges Dach über uns hatten und in einem wirklichen Zimmer waren; wieder einen Tisch sahen und Stühle zum Draufsitzen.

»Meinetwegen kann’s jetzt Niagarafälle vom Himmel herunterregnen!« schrie Sergeant Souder und ließ sich mit voller Wucht in einen Stuhl fallen. »Hoh! Das also ist ein Stuhl! So sieht ein Stuhl aus? So sitzt es sich in einem wirklichen ehrlichen Stuhl — oah ...« Und er räkelte sich und reckte sich und streckte die Beine gewaltig lang aus, der Sergeant Souder.

Schreiend phantasierten wir einander vor, was wir in den nächsten vierundzwanzig Stunden alles essen wollten. Ungeheuerliche Genüsse dachten wir uns aus. Aber bald wurden wir des Spektakelns müde und gingen als gute Soldaten daran, die Oertlichkeit zu rekognoszieren. Den langen Telegraphentischen und den klobigen Instrumenten schenkten wir kaum einen Blick — die würden wir schon noch kennen lernen. Den Kabeltelegraphisten, der jetzt aus dem Nebenzimmer kam und uns erzählen wollte, daß die spanischen Kabeleinrichtungen durchaus nicht seinen Beifall fänden, schrien wir einfach nieder.

[S. 243]

»Morgen! Morgen, mein Sohn, wollen wir dein gesegnetes Kabel beschnüffeln — heute nicht!« knurrte der alte Hastings. »Heute müssen wir herausbekommen, wo man sich waschen kann und wie man etwas zu essen auftreibt und — o Lord, so viele schöne Dinge, wie ich sie alle notwendig brauche, gibt es überhaupt gar nicht! Jungens, dies Ding hier sieht aus wie eine Kirche!«

Kein übler Vergleich. In mattem Halbdunkel nur ließen die hohen, schwer vergitterten, buntbeglasten Fenster gedämpfte Lichtstrahlen in den riesigen Raum einströmen. Aus steinernen Fliesen war der Boden, und sonderbar hoch wölbte sich in vielen spitzen Bogen die weiße Decke. Alt und verträumt wie die Gäßchen draußen, war auch das Haus hier. Uralt schien alles. Die kunstvollen, eisengeschmiedeten Gitter, die uns von dem schmalen Schalterraum abschlossen, das buntbemalte Kruzifix in der Ecke, die sonderbaren eisernen Tintenfässer auf den Tischen, das Kupferschmiedewerk der Lampen, die aussahen wie Ampeln. Sogar die vielen an den Wänden angenagelten Verordnungen schienen aus einer anderen Zeit zu stammen mit ihrer schnörkeligen, verzierten, pretiösen Schrift.

An der einen Seitenwand des Raums waren vier Türen. Souder riß die erste auf und schrie: »Hierher, Jungens! Da steht ein Waschstand und da ist Seife, bei meiner armen Seele, und hier hängen Handtücher. Glory be to God. Könnt ihr euch überhaupt noch vorstellen, wie Handtücher aussehen?«

Wir stürzten herbei und jubelten.

[S. 244]

Dann ging’s zur nächsten Türe. Hinter ihr war eine Art Wandschrank, in dessen Fächern drei große Pakete lagen. Ritsche — ratsche — riß Hastings das dünne Papier von dem einen ... und seine Augen wurden groß und größer.

»Und führe uns nicht in Versuchung!« sagte er. »Kinder, es ist traurig, doch ich muß euch daran erinnern, daß das Zeug auf keinen Fall uns gehört, gehöre es, wem es mag. Finger weg!«

Aber wir hatten ihm die Stücke schon aus den Händen gerissen und tanzten begeisterte Kriegstänze. Es war ja nicht zu glauben — es war zu schön, um Wirklichkeit zu sein. Wäsche hielten wir in den Händen. Reine Wäsche — frisch von der Waschfrau! Seidene Wäsche darunter gar!! Hemden und Hosen und Kragen und Strümpfe und feine Leinenanzüge ... Irgend ein spanischer Telegraphenbeamter, der ein höchst verwöhntes und sehr feines Herrchen sein mußte, hatte sich aus irgend welchem Grunde seine Wäsche ins Bureau schicken lassen. Nein, nicht einer nur. Mehrere. Die Wäschestücke waren verschieden groß.

»Sie passen mir tadellos,« grinste Souder, der ein Paar Hosen prüfend vor sich hinhielt.

»Zum Teufel — laß das Zeug liegen,« rief Hastings. »Es ist Privateigentum.«

»Schrei nicht so,« antwortete Souder gemütlich. »Ich weiß schon, daß du hier Rangältester bist. Aber sag einmal, Freund, soll ich in diesem blutigen Krieg nicht einmal ein reines Hemd und eine saubere Unterhose erbeuten dürfen?«

[S. 245]

»Wir können uns doch Wäsche kaufen!« knurrte Hastings.

»Ganz richtig — vorläufig kaufe ich mir diese hier —«

»Und wenn der Major — — — «

»Laß mich zufrieden!« schrie Souder. »Wenn der Major so dreckig wäre wie ich, so würde er sich die feine Wäsche hier mit der gleichen Gemütsruhe stehlen, wie ich das zu tun gedenke. Pardon — requirieren würde sie der Major. Zum Kuckuck, wir sind doch keine Sonntagsschüler!«

Sergeant Hastings hielt ein Hemd in der Hand und sah es lange und liebevoll an.

»Ich habe eine Idee!« sagte er endlich. Er ging zum Tisch, nahm ein Telegrammformular und schrieb: »Die hier fehlenden Wäschestücke habe ich mir aus Gesundheitsrücksichten für mich und meine Kameraden angeeignet. Der Eigentümer erhält Bezahlung von mir. Hastings, Signalsergeant.«

Dieses merkwürdige Schriftstück legte er in den Schrank an Stelle der fehlenden Pakete und schloß ihn sorgfältig wieder zu, nachdem wir uns ein jeder ausgesucht hatten, was wir brauchten.

»Die Sache ist allright!« meinte der alte Sergeant schmunzelnd. »Ohne den Fetzen Papier wär’s Plünderung — mit dem Fetzen Papier ist’s dienstliche Requisition.«

»Vielleicht gibt’s noch mehr zum Requirieren!« lachte ich.

Die dritte Türe barg einen Aktenschrank mit allerlei [S. 246] Formularen. Die vierte ging in einen großen Raum, der nur durch das Türoberlicht vom Bureau her erleuchtet wurde. Er war gänzlich kahl und leer. Nur an den Wänden standen Ballen mit zusammengeschnürten Papieren. Eine offene Tür gegenüber zeigte ein kleines Gemach mit allerlei Gerümpel und einem Herd in der Ecke. Helles Licht strömte aus einer hohen und breiten Oeffnung in der Mauer. Ausgetretene steinerne Stufen führten zu einem kleinen Hof hinab, versteckt und still und wundersam. Von maurischen Hufeisenbögen getragen, gestützt von schlanken weißen Säulen neigte sich ringsum weit in den Patio hinein der dachartige Vorsprung. Verträumtes Plätschern klang rieselnd in die Stille. Rankenversponnen waren die Wände, und da und dort leuchteten blaue und rote Blüten aus dem tiefen Grün. In der Mitte stand der Springbrunnen mit einem gewaltigen Löwen von sonderbar eckigen Formen, aus dessen Maul ein dünner Strahl in das marmorne Bassin fiel. Uebergroß, schwarzdunkel sah das Brunnenbild aus im kühlen, gedämpften Licht der untergehenden Sonne. Aus roten Ziegelsteinen war der Boden. Rechts und links guckten flache Dächerreihen über die Mauern herein, und gegenüber ragte eine graue Häuserwand mit kreuzweis vergitterten Fenstern empor.

»Es geht nicht,« brummte Souder kopfschüttelnd und sah zu den Fenstern hinauf. »Nee — es geht nicht!«

»Was geht nicht?« fragte ich.

»In den Springbrunnen da hineinzusteigen, wie ich es gern möchte. Die Kleider herunter und hinein [S. 247] in den Brunnen! Aber die ladies könnten’s übelnehmen ...«

Da guckte ich mir den Brunnen an, und in meiner Seele stieg ein großes Wünschen auf nach einem großen Bad. Aber während ich noch guckte, wurde drüben in der grauen Häuserwand ein Fensterladen ein wenig geöffnet, und ein Frauengesicht sah neugierig auf uns herab, sofort wieder verschwindend, als ich lustig hinaufwinkte. Nein, es ging wirklich nicht! Aber es fiel mir ein, daß ich in der Küche in einem Winkel eine Art Zuber gesehen hatte. Den holte ich und warf ihn in den Brunnen, und Souder und ich holten ihn zusammen heraus, wassergefüllt.

»Halleluja!« rief der alte Hastings. »Ihr müßt aber ja nicht glauben, daß die alte Badeanstalt euch beiden allein gehört. Vorwärts, marsch, hinein mit der Badewanne ins Zimmer ...«

Und ein großes Baden hub an in dem leeren Gemach neben dem Bureau. Einen fürchterlichen Spektakel machten wir dabei. Im Nu hatten wir uns ausgezogen und kugelten übereinander; fünf Männer, die sich pufften und stießen, um in einem mittelgroßen Zuber und einer ziemlich kleinen Waschschüssel möglichst schnell, möglichst gründlich und möglichst gleichzeitig zu — baden.... Der Kabeltelegraphist, der ein langsamer Geselle war und sich beim Auskleiden nicht gesputet hatte, mußte auf allgemeine Einschreierei seine Hosen wieder anziehen und in der Waschschüssel ohn’ Unterlaß frisches Wasser herbeischleppen. Den Zuber zerrten wir ein halbes dutzendmal zur Küchentüre und [S. 248] stürzten ihn einfach um. Das Wasser würde ja schon irgendwohin ablaufen. In fünf Minuten waren die Küche und das Nebengemach ein kleiner See. Wir aber badeten. Wir spritzten wie nicht gescheit. Wir zankten uns um das einzige Stückchen Seife — und tanzten umher unter allerlei Kapriolen und pfiffen und schrien und schwelgten in Wasser und Seifenschaum. Ein Zuhörer würde uns reif fürs Tollhaus gehalten haben.

Da öffnete sich knarrend eine Türe und eine krähende Stimme rief: »Caballeros!«

»Still!« sagte Hastings. »Da ist jemand!«

»Señores!!«

»Oh, es ist nur ein Cubano,« lachte Souder und schrie laut: »Fahr’ zur Hölle — dies Bureau ist geschlossen!«

»Nix Hölle!« meckerte die Stimme in gebrochenem Englisch. »Mich geschickt von Señor Capitano mit einem Brief, Señores

Gleichzeitig schob sich eine Gestalt in die Türe, und ein kleiner Kubaner stand da, uns listig anfunkelnd aus den Fuchsaugen in dem mageren braunen Gesicht. »Ich Antonio!« erklärte der Magere. »Mich Generalagent sein für die caballeros telegraphistas

»Was?« schrie Hastings.

Der Kubaner grinste und gab ihm einen Brief.

Brummend wischte sich der splitternackte Sergeant den Schaum aus den Augen und las laut:

»Sergeant Hastings!« begann der Brief. »Der Ueberbringer heißt Antonio und ist ein Spitzbube. Aber [S. 249] er kann ein bißchen Englisch und wird Ihnen alles besorgen, was Sie brauchen. Inliegend zwanzig Dollars. Sehen Sie Antonio auf die Finger! — Stevens.«

Antonio mochte ein Spitzbube sein, aber für uns war er ein Juwel. Er hatte einen Sack mitgebracht, den er nun in die Küche schleppte und ausleerte. Ich guckte, faselnackt noch immer, neugierig zu, wie aus dem Sack allerlei Bratpfannen und Töpfe rollten und allerlei Proviant in Armeeverpackung: Zucker, Salz, Mehl.

»Mich fein kochen!« erklärte Antonio stolz. »Mich überhaupt alles!!«

»Bueno!« nickte ich — kletterte in eine seidene Unterhose und schlüpfte, o Wonne über Wonne, in ein batistenes Hemd. Die ganze Welt hätte ich umarmen können, so glücklich kam ich mir vor, wenn ich auch merkwürdig müde war und alle Glieder mich schmerzten. Zunächst äußerte sich meine Glücksstimmung darin, daß ich Antonio einen Silberdollar schenkte, den er mit einer tiefen Verbeugung und einem»gracias, Señor« grinsend einsteckte. Wahrscheinlich hielt er mich für verrückt. Aber Antonio war diesen Silberdollar unter Brüdern wert und ganz gewiß auch die fünfzig Prozent Spitzbubentaxe, die er ohne Zweifel auf jeden Einkauf draufschlug.

Ein Juwel war er, ein Wunder, ein Genie, das im Augenblick die Situation erkannt und es instinktmäßig begriffen hatte, daß den telegraphistas die Silberstücke locker saßen, so man sich ihnen nur nützlich zu machen wußte. Und Antonio setzte in ganz unspanischer [S. 250] und unkubanischer Weise seinen Intellekt und seine Beine in rapide Bewegung. Er zog ein Rasiermesser und einen Streichriemen aus der Tasche, erklärte, daß er in friedlichen Zeiten Barbier sei, wenn es auch jetzt mit dem Geschäft sehr faul stehe, und hatte im Handumdrehen uns alle ausgezeichnet rasiert. Er kam und ging, verschwand und war wieder da. Er schleppte bauchige Flaschen herbei voll schweren Rotweins und viele Zigaretten und viele Zigarren — und wir priesen dankbar die Güte der Götter, die uns in ein Land geführt hatten, in dem man für wenige Dollars so viele schöne Dinge bekommen konnte. Er brachte uns Arme voll alpergatos zum Aussuchen, und wir steckten unsere Füße in die wonnige, weiche Tuchbekleidung, auf deren Stricksohlen es sich so leicht ging, und wunderten uns, daß die Dinger kaum einen halben Dollar kosteten. Er brachte Holz und brachte Kohlen und machte Feuer an im Küchenherd und zauberte Eier herbei und rupfte Hühner, die er gottweißwo aufgetrieben hatte — und wenn’s dem Herrgott in Frankreich gut gegangen ist, so ging es uns armen Signalisten besser noch im kubanischen Land.

Antonio war überall. Er hatte auch seine Frau herbeigezaubert, die fünfmal so dick war wie ihr Gatte. Sie briet jetzt Hühner und rührte Omelettes, während er, allgegenwärtig, Uniformen mit Benzin putzte und unsere Flanellhemden wusch und doch sofort mit einem Zündholz da war, wenn man sich eine frische Zigarette nahm.

Oh, es ging uns ausgezeichnet; wir hatten es über [S. 251] alle Maßen gut! Lümmelig saßen wir da auf den bequemen Stühlen, streckten unsere Beine lang aus auf die Telegraphentische und waren sehr zufrieden.

»Antonio, eine Zigarre!«

Antonio flog.

»Antonio — ein Zündholz!«

»Si, si, Señor.«

»Antonio! Mach’ die Tür zu ...«

Wie Granden von Spanien kamen sie sich vor, die caballeros telegraphistas — — —


Als das Essen auf den Tisch kam, geschah etwas Sonderbares — wir aßen fast nichts. Ausgehungert hätten wir uns auf die allererste anständige Mahlzeit seit langen Wochen stürzen müssen, aber einsilbig saßen wir da und stocherten mißgestimmt auf den Tellern herum. Und der Kubaner hatte sich so große Mühe gegeben! Ein Tischtuch hatte er herbeigezaubert und wirkliche Teller und wirkliche Bestecke. Auf großen Platten prangten die Hühner und die Omeletten. Purpurrot schimmerte der schwere Wein in den Gläsern.

»Ihr eßt ja nichts!« brummte Hastings.

»Du ja auch nicht,« knurrten wir.

»Weiß der Teufel, was das ist,« sagte Souder.

Der Kabeltelegraphist legte Messer und Gabel vor sich hin. »Ich glaube, ich weiß, was es ist,« sagte er. »Als ich noch bei der Western-Union-Telegraphen-Company war, schickten sie mich einmal in ein verdammtes [S. 252] Nest in Arizona, wo es nur halbvergiftetes Wasser zu trinken gab, Wasser, das mehr Alkalisalze enthielt, als für einen Christenmenschen gut war. Vier Monate später wurde ich in St. Louis sehr krank — weil mir das Alkaligift fehlte, an das mein Magen sich gewöhnt hatte. Der Doktor hat mir das gesagt. So geht’s uns auch jetzt. Unsere Magen sind auf den verdammten Speck eingefuchst und können anständiges Essen noch nicht vertragen!«

»Der verdammte Speck!« brummte Souder.

Mißmutig saßen wir da, verdrossen und übler Laune. Da stand nun auf Platten und Tellern, wonach man sich wochenlang gesehnt — — — ja, der verdammte Speck!!

Um wenigstens etwas Leben und Freude in die gräßliche Mahlzeit zu bringen, brachten wir ein Hoch auf den Major aus und zerschmetterten unsere Gläser an der Wand, wie amerikanische Offiziere es tun in ihren Messen bei großen Toasten. Aber es war auch da kein rechter Zug in der Sache.

Antonio räumte kopfschüttelnd die Herrlichkeiten wieder ab.


Die anderen spielten Poker an dem runden Tisch in der Ecke. Ich war zu müde. Allein saß ich in der anderen Ecke, den Spielern gegenüber, auf einem Stuhl, den ich schräg gegen die Wand gelehnt hatte, um recht bequem zu sitzen. Es schien mir, als sei mir der schwere [S. 253] Wein in den Kopf gestiegen, so wenig ich auch getrunken hatte. Ein Glas nur oder zwei.

Furchtbar müde war ich, aber gar nicht schlafensmüde, eher überwach. Gliedermüde nur. Die Glieder schmerzten mich so. Die Arme und die Beine schmerzten mich, als ob irgend etwas in ihnen zerre und reiße. Dann wieder wurden sie mir bleiern schwer, und es kostete mich Mühe, die Zigarette zum Munde zu führen. Wie sonderbar sie schmeckte, diese Zigarette! Nach gar nichts, rein nach gar nichts. Weg damit!

»Antonio!«

»Si, señor.«

»Eine Zigarre, bitte ...«

Er schnitt die Spitze ab und gab mir Feuer, geräuschlos verschwindend. Ich rauchte und schüttelte den Kopf, denn auch die Zigarre schmeckte nach gar nichts ...

Wie die Uhr an der Wand gegenüber glitzerte und funkelte! Sie hatte ein gelbmetallenes Zifferblatt, und die glänzende Scheibe schien alles Licht im Zimmer an sich zu saugen und wiederzustrahlen. Sie blendete mich. Aber es war doch nicht der Mühe wert, aufzustehen. Und der Pendel der Uhr schwang immerwährend hin und her und der bestand auch aus einer glänzenden kleinen Scheibe und der leuchtete auch. Ich mußte immer wieder hinsehen.

Tik — tak — tik — tak ...

Laut wie Gehämmer war der Pendelschlag.

Dazwischen hörte ich deutlich meinen eigenen Pulsschlag in der Schläfe und der großen Halsader: eins, zwei, drei, vier — eins, zwei, drei, vier — vier [S. 254] Pulsschläge immer auf einen Pendelschlag ... Ach was, dummes Zeug. Wenn ich nur nicht so bleiern müde wäre ...

»Ich habe vier Könige, meine Herren! Das Geld ist mein!« sagte eine Stimme ganz weit weg.

»Vier Könige sind viel!« dachte es in mir.

Tik, eins, zwei, drei, vier — tak, eins, zwei, drei, vier ... Wie doch die infame Scheibe da drüben glitzerte und blendete! Ich machte die Augen zu, aber selbst mit geschlossenen Lidern sah ich Fluten von Licht.

Man mußte ein Loch in diese Uhrscheibe schießen — mitten hinein — und das gab dann einen dunklen Punkt — und dann konnte sie nicht mehr so leuchten ...

Tik — tak — —

Mitten hinein mußte man schießen!

Da begann die Scheibe sich langsam zu drehen, und dann bewegte sie sich immer schneller in funkelndem Kreis und wurde zum flammensprühenden Feuerrad, das mit fürchterlicher Geschwindigkeit sich sausend schwang.

Und immer noch schneller ...

Da barst es funkensprühend mit dumpfem Krachen und es wurde ganz dunkel ...

[S. 255]

Auf der Insel des Gelben Fiebers.

»Ich bin gar nicht tot!« — Im Hafenhospital von Santiago. — Die gelbe Flagge im Boot.—Die Schmerzen im Leib.—Der sterbende Trompeter.—Warum ich den Neger erschießen wollte. — Schlafen, nur schlafen! — Das Dunkel zwischen Tod und Leben. — Dr. Gonzales. — Ich bin Sergeant geworden. — Das Haus des Elends. — Krankenpfleger und Totengräber. — Wie der Rauhe Reiter Himmelsblumen pflückte. — Eine nächtliche Schreckensszene. — Der Insel der Verdammten wird Hilfe. — Die Krankenschwestern.

Viele Wochen später. Der Krieg war zu Ende.

Der Transportdampfer hatte mich auf amerikanischem Boden gelandet, in Montauk Point, dem Lager der aus Kuba zurückgekehrten Truppen. Lange mußte ich suchen, bis ich in den Zeltreihen das Signalkorps fand.

»Guten Tag, Kinder!« sagte ich, ins Sergeantenzelt eintretend, in dem Hastings, Souder und Ryan beisammensaßen. Die drei Männer fuhren empor wie aus der Pistole geschossen.

»Verdammt — er ist’s!« brüllte Souder.

»Teufel! Willkommen, Sergeant!« schrie Ryan.

»Du bist also nicht tot?« fragte der alte Hastings und riß den Mund weit auf vor Staunen.

»Ich bin gar nicht tot!« lachte ich seelenvergnügt. »Ich glaube es wenigstens nicht. Guten Tag, Kinder!«

[S. 256]

Dann ging’s an ein Beglückwünschen, und ein großes Erzählen hub an. Auf Soldatenart. »Ich war wütend auf dich!« grinste Souder. »Machen sie den Menschen zum Sergeanten,« sagte ich mir, »und der Esel geht hin und stirbt! Läßt Wochen und Wochen üppiger Kriegslöhnung im Stich. So ’was Dummes!«

»Wußtet Ihr denn nicht — —?«

»Nichts wußten wir. An dem Abend im Kabelbureau — du erinnerst dich?«

»Und ob!«

»Erinnerst du dich auch an Antonio?«

»Natürlich.«

»Den haben wir mitgenommen — na, du wirst ja sehen. An jenem Abend also bist du mit dem Stuhl zusammengeknaxt und hast mir damit eine wunderschöne Pokerhand verhunzt, die ich eben bekommen hatte. Das vergess’ ich dir sobald nicht ... Einen Augenblick!«

Er ging und kam wieder, einen Arm voll Bierflaschen herbeischleppend —

»Bums — lagst du am Boden. Wir waren so erschrocken, daß wir die Karten hinwarfen — Teufel, wenn ich an meine schönen drei Asse denke! — und dich schleunigst aufhoben, wobei du mir übrigens einen niederträchtigen Fußtritt gegeben hast, mein Junge. Du schriest wie besessen und erzähltest allerlei Blödsinn von einer Uhr. Zuerst dachten wir, es sei der Wein. Aber wir hatten doch gar nichts getrunken. Dann schickten wir den Antonio ins Hauptquartier zum Major, und ein Stabsarzt kam, der sagte, du seiest sehr krank, und am frühen Morgen brachten wir dich ins Hafenhospital. [S. 257] Als ich tags darauf dort wieder vorfragte, hieß es, du seist auf die Gelbfieber-Insel geschafft worden und wahrscheinlich schon tot. Du hättest Gelbes Fieber. Dann hieß es, du lägest im Sterben. Adieu, dachten wir uns. Der arme Teufel ist schon längst begraben!«


So also war es zugegangen an dem Abend im Kabelbureau. Ich wußte nichts davon. Die langen Stunden jener ersten Gelbfiebertage sind mir wie trübes undurchsichtiges Grau, aus dem nur da und dort grell und schrecklich das Erinnern leuchtet. Ich weiß, daß ich, erwachend, um mich sah und mich auf einer Matratze liegend fand, in einem großen hellen Raum, mit vielen anderen Soldaten, die auch am Boden lagen, auch auf Matratzen — und daß mir dies und alles andere unendlich gleichgültig war. Daß ich mich auch nicht mit einem einzigen Gedanken darum kümmerte, was eigentlich geschehen war mit mir, ob ich krank sei oder nicht, und wo ich mich befand. Weder etwas sehen wollte ich, noch etwas hören, noch etwas wissen. Nur schlafen, schlafen. Meinetwegen konnte geschehen, was da wollte, wenn man mich bloß schlafen ließ und meine Ruhe nicht störte. Schlafen, nur schlafen! Dem Zwang der bleiernen Müdigkeit gehorchend, die über mir lag wie schwerer Alp.

Eine Hand erfaßte meinen Arm, fühlte nach dem Puls, schob meinen Aermel zurück, griff mit harten Fingern in die Haut am Oberarm, zog sie empor, ließ sie zurückschnellen. Da und dort betastete mich die Hand. [S. 258] Sie riß meine Kleider auf und legte sich mir auf den Leib. Ich spürte das alles und wurde ärgerlich. Zu dumm, daß die — die Hand da einen nicht in Ruhe lassen konnte! Eigentlich hätte ich mir die dumme Hand ja ganz gern angeguckt, aber es war doch nicht ganz so einfach, die Augen zu öffnen. Es machte wirklich zu viel Mühe! Nein, lieber nicht.

»Wie fühlen Sie sich?« fragte eine Stimme.

»Du meinst wohl, ich werde dir antworten?« dachte ich. »Du bist ein großer Esel, wer du auch sein magst. Siehst du denn nicht, daß ich schlafen will?«

»Wie geht es Ihnen?«

»Zu dumm — die Fragerei,« dachte ich bloß.

Da betastete mich wieder die Hand. Ein Finger legte sich auf mein Augenlid, und eine Stimme, die laut zu dröhnen schien, schrie dicht an meinem Ohr:

»Tut das weh?«

»Geh weg!« brummte ich.

Und es wurde wieder hübsch still und dunkel. Nach langer Zeit dann schien es mir, als ob meine Matratze sich bewege und aufgehoben würde und fortgetragen. Ich hörte Stimmen und fühlte helles Sonnenlicht mehr als ich es sah. Da wachte ich endlich auf und öffnete wirklich die Augen. Ich war mitten auf dem Wasser, in einem großen Boot. Deutlich sah ich den breiten Rücken des Ruderers vor mir, sah wogendes Wasser, Häusermassen, grüne Hügel in der Ferne; sah eine große gelbe Flagge über mir flattern. Diese gelbe Flagge kam mir bekannt vor. Sie war es, die das erste halbwegs klare Denken in mir auslöste.

[S. 259]

Hm — ich wußte doch — natürlich! Gelbe Flaggen waren Krankheitsflaggen. Pest bedeuteten sie, Cholera, Gefahr der Ansteckung. Hm ja. Zu dumm. Halbbegriffen huschte mir der Gedanke durch den Kopf, daß ich also doch wahrscheinlich recht krank sein mußte. Aber — wenn man krank war, dann war man eben krank — andererseits — wie konnte man denn krank sein, wenn einem gar nichts fehlte als Schlaf? Zu dumm! Zu dumm, daß sie einen nicht schlafen ließen.

Und ich machte die Augen wieder zu.

Um nichts in der Welt hätte ich sie geöffnet, denn nun war es wunderschön still und ruhig. Leise nur und wie aus weiter Ferne hörte ich gedämpfte Geräusche, und undeutlich war das traumhafte Empfinden, daß irgend etwas mit mir geschah. Daß man mich trug — daß sie mich irgendwo hinlegten ...

Plötzlich fuhr ich empor.

Luft — Luft! Oh — der fürchterliche Schmerz im Leib! Das Brennen! Luft, zum Teufel!

Es war dunkel. Ich sah nichts. Wo war ich? Was war geschehen? Souder, der Tölpel, mußte gestolpert sein, als er ins Zelt kam in der Dunkelheit — auf den Bauch hatte er mich getreten mit den schweren Stiefeln — ah, wie das brannte. Ich preßte die Fäuste gegen den Leib. So, jetzt war’s besser. Wo bin ich? Was — ist — das?

Und wie mit einem Schlage kam durch den aufrüttelnden Schmerz die Kraft des Sehens in mein Auge, und in mein Hirn die Fähigkeit des Denkens. Ich sah die Männer auf dem Boden liegen, sah den [S. 260] Neger in der Uniform eines Sanitätssoldaten, begriff, daß es Schwerkranke waren, unter denen ich mich befand, und daß ich selbst sehr krank sein mußte. Mühsam richtete ich mich auf, die Fäuste immer noch gegen den Bauch gepreßt, denn das half.

»Heh, du!«

Der Neger kam einen Schritt näher.

»Was fehlt mir? Was ist das hier?«

»Inselhospital, Herr. Für Gelbes Fieber und Typhus. Bin selber erst heute früh mit den ersten Kranken hergeschickt worden. Morgen kommen die Betten —«

»Was — fehlt — mir?«

»Weiß ich nicht,« antwortete der Neger mürrisch. »Bißchen Typhus, denk ich mir, oder ’n bißchen Fieber. Is nich schlimm, Herr. Furchtbar viel Arbeit hier für mich. Ich bin ganz allein — —«

Angst packte mich, furchtbare Angst. Gel — bes Fieber — die Schmerzen im Leib — das schreckliche Müdesein — — — Regungslos hockte ich da und starrte um mich. Unter mir lag ein Strohsack. Ich war in einem kleinen Raum, der arg verwahrlost aussah vom roten Ziegelsteinboden bis zu den beschmierten Kalkwänden. Die schmutzigen Fenster ließen nur trübes Licht herein. Nackt und kahl war alles. An der einen Wand stand ein kleiner Tisch mit Gläsern und Flaschen und einem Stuhl davor. Links und rechts von mir und gegenüber lagen der Wand entlang auf Strohsäcken die Kranken. Wenige nur. Ich begann zu zählen — eins, zwei, zehn ...

[S. 261]

Wieder packte mich die Angst. Gelbes Fieber — die Schmerzen im Leib — die, die — — verdammt, es war ja gar nicht so schlimm mit den Schmerzen, wenn man nur die Fäuste ordentlich gegen den Bauch preßte —

Mein Auge hatte sich jetzt an das Halbdunkel gewöhnt. In der Ecke schräg gegenüber kauerte auf einem Strohsack, an die Mauer gelehnt, ein riesiger Trompetersergeant, die glitzernde Trompete noch umgeschlungen. Sein weißes Gesicht war nach vorne gebeugt, und ein gefrorenes Grinsen klebte auf seinen Zügen. Der Oberkörper bewegte sich ruckweise, in immer gleichem Takt, immer ein wenig vorwärts, immer ein wenig zurück. Mit jeder Bewegung kam und ging ein röchelndes Rülpsen aus seinem Hals, regelmäßig wie das Ticken einer Uhr. Ueber das Hellbraun seines Rocks und das Metallgelb der Trompete tropfte trickelnd ein schwarzrotes Blutbächlein. Immer gleich blieben sich das Grinsen und das Rülpsen. Bei jedem Ruck nach vorwärts floß ein wenig schwarzes, dickes Blut aus dem Mund.

Da verschwand auf einmal das Grinsen von dem Gesicht.

Die Augen öffneten sich weit, der Mund sperrte sich auf, daß er aussah wie ein schwarzes Loch, und etwas Rotschwärzliches schoß strömend hervor aus ihm, sich über Mann und Strohsack ausbreitend in dunkler Lache. Der Körper aber schnellte vorwärts in gewaltigem Ruck und sank dann langsam zur Seite. Auf dem Strohsack daneben hatte der schlafende Mann den [S. 262] Arm weit von sich gestreckt, und seine gelbe Hand lag flach mit gespreizten Fingern auf dem Ziegelsteinboden. Um diese Finger und diese Hand ging langsam der Blutstrom. Er kroch hinein zwischen die Finger. Wie ein gezackter, weißer Fleck ragte die Hand aus der Lache.

Es würgte mich.

Der Neger kam langsam und faul herbei, nahm gleichgültig eine Decke und warf sie über den toten Trompeter. Sonst rührte und regte sich niemand. Die Männer auf den Strohsäcken lagen still da, schweratmend die einen, wie tot die anderen. Der Neger ging wieder an den Tisch, setzte sich auf den Stuhl und blickte stumpf vor sich hin. Ueber mich kam wieder die alte Müdigkeit, großes Gleichgültigsein, willenlose Erschlaffung. Ich fiel zurück auf den Strohsack. Und es wurde Nacht um mich.

Müde, müde erwachten meine Sinne wieder. Ich schlug die Augen auf und sah, da links, im trüben Licht der Laterne in der Ecke, etwas glitzern. Neben mir. Die silbernen Schulterstreifen eines Offiziers waren es, eines Leutnants. Ich sah schärfer hin. Der Offizier lag ruhig da, lang ausgestreckt, und sein Leib hob und senkte sich im Auf und Nieder ganz langsamer, sehr tiefer Atemzüge. Aber —

Nein, es war nicht möglich! Ich sah Gespenster im Fieber. Herrgott, das gab es doch nicht!! Ich versuchte nachzudenken, aber es wollte nicht gehen. Herrgott, das konnte doch nicht sein! War ich schon wahnsinnig? Mit einem Ruck richtete ich mich auf — beugte [S. 263] mich hinüber — streckte tastend die Hand danach aus — mit schwachen, zitternden, täppischen Fingern — —

Denn etwas Furchtbares war da.

Mit leisem Gesurre umschwebten mich Hunderte und Aberhunderte von winzigen, schwarzen Pünktchen, wogten unruhig auf und ab, schwebten, sanken tiefer und ließen sich wieder dort nieder, von wo sie gekommen waren — in den starren, weit geöffneten Augen des Leutnants ...

Der Offizier lag im Sterben. Noch ging und kam sein Atem in langen Zügen, doch die Kraft, die Augen zu schließen, hatte er nicht mehr. Aber er lebte noch — er lebte noch! Und die Augen des Lebenden sahen schwarz aus wie Kohlensäckchen. Viele, viele kleine Fliegen wimmelten in entsetzlichem Gekribbel in den Höhlen des menschlichen Lichts. Auf den armen, wehrlosen Augen! Auf den Augen!!

Ich wollte aufschreien, aber aus dem Schrei wurde nur ein Stöhnen.

»Was gibt’s?« fragte brummig der Neger vom Tisch.

»Komm her, du schwarzer Hund!«

»Wa — as?«

»Komm her, du — schwarzer — Hund!!«

Ich hatte suchend herabgetastet an mir selber und wirklich im Gürtel den Revolver gefunden. Sie hatten ihn mir noch nicht abgenommen. Ich riß ihn aus dem Holster und nahm die Waffe in beide Hände und richtete sie auf den Neger —

»Komm her, du — —!«

[S. 264]

Seine Augen wurden groß und erschrocken, daß ihr Weiß sonderbar abstach gegen die schwarze Haut. Langsam schlich er herbei, die Augen starr auf den Revolver.

»Da! Die Augen!!« keuchte ich.

»Nicht schießen, Herr — Jesus Christus, nur nicht schießen!« stotterte der Schwarze.

»Die Fliegen!!«

»Er — spürt nichts mehr — ganz gewiß nicht ...«

»Du verfluchte Bestie! Nimm ein Tuch! Deck es über ihn!«

»Ich — ich hab aber kein Tuch, Herr —«

Da hob ich den Revolver. Der Neger riß sich mit furchtbarer Kraft ein Stück Hemd von der Brust, verscheuchte die Fliegen mit heftigen Schlägen und warf den Fetzen dem Sterbenden übers Gesicht ... Surre — surre — umschwirrte es mich. Langsam hob und senkte sich der Leib des Leutnants.

»Ruhe da drüben!« murmelte von einem Strohsack gegenüber eine Stimme. »Laßt einen doch schlafen ...«


Schlafen, nur schlafen.

Nichts mehr sehen wollen, nichts mehr denken müssen. Der Neger schlich zum Tisch zurück, plumpste auf den Stuhl, griff nach einer Flasche, aus der er etwas in ein Arzneiglas schüttete, und leerte es auf einen Zug. Ah! Das — Herrgott, das war Whisky —oder Rum—oder ... irgend etwas, das betäubte, [S. 265] Ruhe schenkte! In der Flasche dort steckte das Vergessen! Ich wollte aufspringen, aber ein furchtbarer Schmerz schoß mir durch den Leib. Schwer fiel ich zurück. Da drückte ich die eine Hand in den Bauch und wälzte mich vom Strohsack. Ich schob den Revolver vor mir her und kroch über den Boden hin. Der Neger flüchtete sich in eine Ecke. Endlich, endlich, war ich am Tisch. Packte ein Tischbein. Zog mich langsam, ganz langsam empor. Griff nach der Flasche —

»Nicht trinken, Herr!« schrie der Neger.

Gegen das Tischbein gelehnt, hob ich die Flasche mit beiden Händen, denn sie dünkte mich schwer, und trank; trank etwas, das im kranken Magen wie Höllenfeuer brannte. Der Revolver war klirrend zur Erde gefallen. Und ich trank und trank und ließ betäubt die Flasche aus den Händen gleiten und mußte gewaltig husten und war inmitten sprühender Lichtfluten und sah weißglühende Sterne tanzen. Dann wurde es wieder dunkel.


Stechender Schmerz über dem Herzen erweckte mich. Ich schlug die Augen auf und machte sie schleunigst wieder zu, denn das Licht blendete mich, schlug sie wieder auf und blinzelte verwundert auf die Gestalt, die sich über mich beugte. Hm ... verwirrter, verwilderter Haarschopf — braunes Gesicht mit warmen gütigen Augen hinter der goldberänderten Brille — hohe Stirn mit schwerer Hiebnarbe — massige Schultern in weißer Jacke — eine lange, schmale Hand, die etwas Glitzerndes [S. 266] hielt ... Die Hand senkte sich, und wieder verspürte ich den leise stechenden Schmerz in der Brust —

»Lassen Sie die Dummheiten!« murmelte ich ärgerlich und wunderte mich im gleichen Augenblick, wie sonderbar dünn und fade meine Stimme klang.

»Das sind keine Dummheiten!« sagte ein lachender Mund dicht über meinen Augen.

»Zu — dumm!«

»Pst — psst!« Die schmale Hand legte sich auf meine Stirn. »Sch ...! Wer wird so unhöflich sein! Wenn Sie es aber durchaus wissen wollen — die Dummheit war eine kleine Strychnineinspritzung, die Ihr Herz notwendig braucht. So! Nun wollen wir wieder schlafen!«

»Aber ...«

»Pscht! Sie haben auf der ganzen weiten Welt nichts zu tun jetzt als zu schlafen!«

Und ich machte gehorsam die Augen zu.

Am gleichen Tag noch folgte dem ersten Erwachen das zweite, und wieder kam die glitzernde Spritze, und abermals fühlte ich den stechenden Schmerz auf der Brust. Ein Löffel voll kondensierter Milch wurde mir eingeflößt.

»Pfui Deibel!« knurrte ich.

»Sagen Sie das lieber nicht!« meinte der Mann in der weißen Jacke lächelnd. »Denn diese nahrhafte Milch wird, ein Löffel jede Stunde, noch lange Ihr einziges Nahrungsmittel bilden.«

»Wieso denn? Ich — ich habe Hunger!«

»Aha! Hunger haben wir? Wir sind schon wieder [S. 267] ganz intelligent? Können reden und denken, nicht wahr? Schön. Wollen Sie mir versprechen, sofort wieder einzuschlafen, wenn ich Ihnen alles sage?«

»J — ja.«

Die sonderbar großen, warmen Augen sahen mich unverwandt an und die ruhige Stimme erzählte kurz, ich sei recht krank gewesen an gelbem Fieber. Jetzt aber könne ich mich wieder so gut wie gesund nennen, immer vorausgesetzt, daß ich recht viel schlafen würde in den nächsten Tagen. Ueberhaupt nur schlafen! Und recht geduldig sein und nicht murren. »Denn sehen Sie, wenn man vier Tage lang getobt und geschrien hat, dann ist der Körper arg mitgenommen und muß ausruhen. Schlafen Sie! Freuen Sie sich, daß Sie eine Krankheit, wie gelbes Fieber es ist, überstehen konnten!«

»Da hab ich wieder einmal Glück gehabt!« murmelte ich.

»Ganz gewiß!« sagte der Mann in der weißen Jacke. »Aber nun wollen wir wirklich schlafen!!«

Ich nickte nur.

Viele Stunden gingen noch hin in diesem Halbbewußtsein des arbeitsunfähigen Hirns, das mit dem geschwächten Körper litt und schwach war. Ich sah alles nur wie durch Schleier. Die Menschen, die Dinge um mich schienen Schatten zu sein. Dann aber regte sich gewaltig der ursprünglichste Lebensdrang: Hunger hatte ich! Fürchterlicher Hunger quälte mich. Im Wachen und Schlafen hatte ich keinen anderen Gedanken als den einzigen: Essen! Gebt mir doch zu [S. 268] essen! Wollt Ihr mich denn verhungern lassen? Wenn der Mann in der weißen Jacke sich blicken ließ, bat und bettelte ich um ein Stück Brot wie ein Kind, und meinen bittersten Feind sah ich in ihm, wenn er mit unerschütterlicher Ruhe mir immer erklärte, das gelbe Fieber habe meine Magenwände und meine Därme so beschädigt, daß jede andere Nahrung als flüssige mein Tod sein würde. Ich glaubte es ihm nicht. Denn ich hatte ja solchen Hunger!

Ich hörte nichts und sah nichts, sondern träumte nur vor mich hin und stellte mir vor, wie köstlich ein Butterbrot schmecken müßte — ein kleines Butterbrot. Ich träumte nicht etwa von üppigen Mahlzeiten mit vielen Gängen, sondern von Brot nur, einfachem Brot. Die Herrlichkeiten des Paradieses hätte ich dahingegeben für ein kleines Stück Brot. Ich hörte Menschen schreien in bitterer Leidensnot und wandte nicht einmal den Kopf. Die hatten ja nur Schmerzen. Ich aber hatte Hunger. Und dann kam der Tag, an dem ich vier oder fünf Löffel Suppe bekam, schlechte Tomatensuppe, aus einer Konservenbüchse zusammengepantscht, mit einem Stückchen oder zwei aufgeweichten Brots. Da dünkte ich mich glücklich und reich.

Mehr Suppe am nächsten Tag. Mehr aufgeweichtes Brot. Milch dann im Glas, nicht mehr im Löffel, dünnen Reisbrei — Suppe endlich mit viel Brot. Der Tag kam, an dem ich die zitternden Füße aus dem Bett streckte und hinauskroch und verlegen dastand, mich krampfhaft an den Eisenstangen des Betts festhaltend. Langsam fing ich an, die Dinge um mich wirklich [S. 269] zu sehen und wirklich zu begreifen. Mit tastenden Schritten ging es zurück ins Land der Gesundheit.


Eines Tages schlich ich hinter Doktor Gonzales her (das war der Mann in der weißen Jacke) und erwischte ihn gerade noch bei der Türe.

»Ich möchte entlassen werden,« bat ich.

Er lächelte, faßte mich am Arm und zog mich zur Türe hinaus in den grellen Sonnenschein. Kaum war ich im Freien, da merkte ich, wie schwach ich in Wirklichkeit war, denn sauer genug wurden mir die wenigen Schritte zu dem Zelt des Doktors, das auf dem Rasen vor dem gelben Gebäude aufgeschlagen war. Doktor Gonzales schüttete ein paar Tropfen Whisky in ein Glas, goß Sodawasser darauf und gab mir das Getränk. Hei, wie stark und hellhörig das machte —

»Von einem Zurückkehren zur Truppe kann keine Rede sein, Sergeant,« erklärte er. »In vier Wochen vielleicht!«

»Bin ich denn Sergeant?« fragte ich.

Da bekam ich Billys Brief und vom Doktor eine gedruckte Liste der Beförderungen im Signalkorps — ich war Sergeant ... Und ich las Billys Brief und mußte mich schleunigst hinsetzen, denn es wurde mir schwarz vor den Augen. Der Arzt lächelte.

»Sie sind noch lange nicht dienstfähig, Sergeant,« sagte er. »Zum mindesten nicht unter den Verhältnissen in Santiago. Dagegen glaube ich, daß Beschäftigung Ihnen gut sein wird. Sie können mir nützlich sein. Sie haben in Ihren Fieberzeiten Ihr ganzes Leben [S. 270] hinausgeschrien und — ich kann Sie brauchen.« Er wurde sehr ernst. »Die Zustände hier sind entsetzlich. Wir haben nur gelbes Fieber und Typhus in schwerster Form. Meine Hilfsmittel sind lächerlich gering. Es fehlt am Nötigsten. Ich kann weder Hilfskräfte noch Arzneimittel bekommen. Meine beiden Krankenwärter sind willig genug, aber ich müßte sechs haben nicht zwei. Ich werde Ihnen Arbeit geben, die Ihren Kräften entspricht. Sie sind also für die nächsten Wochen,« er lächelte ein wenig, »nicht mehr Sergeant erster Klasse des Signalkorps, sondern mein Assistent!«


Das kleine Inselchen mitten in der Santiagobai, die Gelbfieberinsel, war eigentlich die Quarantänestation des Hafens. Ein morscher Landungssteg führte vom Wasser auf ein Stück Rasen. Dann kam das Haus, eine echt spanisch verwahrloste Krankenbaracke. In den Mauern des niederen, langgestreckten Gebäudes klafften Risse. Es enthielt nur einen einzigen Raum und einen noch älteren Anbau, in dem die Wände von Wasser trieften und die Fußbodenbretter verfault waren. Hinter dem Haus lagen Bretterhütten; eine Kochhütte die eine, Kloaken die anderen, mit tiefen Löchern im Boden und Schwärmen von Fliegen. Dahinter erstreckte sich gelber Sand. Im Hause reihte sich Bett an Bett. Schwerkranke waren es alle, Sterbende viele. Hier kämpfte Tag und Nacht, in einem Alleinsein, das schrecklich gewesen sein muß, ein einziger Arzt für das [S. 271] Leben vieler Menschen. Als Hilfe hatte Doktor Gonzales nur zwei Krankensoldaten und mich und einen alten Kubaner, der kochen mußte und Eimer hinein und hinausschleppen und Gräber graben. Nicht einmal die nötigsten Kräftigungsmittel hatte der Arzt für die Kranken — nicht einmal reine Wäsche für sie — nicht einmal Arzneien in genügender Menge und Auswahl — nicht die Möglichkeit einmal halbwegs sorgfältiger Pflege ... Es war ein fürchterliches Krankenhaus.

»Wenn ich nicht wüßte, daß sich das hier bald ändern muß,« sagte Doktor Gonzales zu mir am ersten Tag der Arbeit, als wir einen Toten hinaustrugen, »so würde ich — ja, ich weiß nicht, was ich tun würde ... Aber das Hospitalschiff ist abgegangen von New York, und bei seiner Ankunft bekommen wir alles, was wir brauchen, im Ueberfluß.«

»Man könnte doch wenigstens Soldaten zur Arbeit herkommandieren!« wagte ich zu sagen.

»Damit sie sterben?« antwortete der Arzt scharf. »Sehen Sie sich doch die Kloaken an! Die Fliegenschwärme überall! Den Schmutz! Hier wimmelt es von Krankheitserregern in jedem Sonnenstäubchen. Sehen Sie sich die verfluchte gelbe Baracke nur an! Die Gelbfieber-und Typhuskeime, die in ihr stecken, könnten eine Armee auffressen. Nein, hierher kommt mir kein Gesunder! Deswegen lasse ich Sie arbeiten. Wer Gelbes Fieber gehabt hat, ist immun. Er ist gesalzen gegen Fieberkrankheiten, wie man zu sagen pflegt. Und in fünf, sechs Tagen, please God, ist das Hospitalschiff da, und dann wollen wir diesen Höllenfleck mit [S. 272] Karbol überschwemmen und — ja, dann wird’s anders werden!«

Wir begruben den Toten.

Der Kubaner hatte ein Loch in den Sand gegraben, hundert Schritte vom Haus, auf einem winzigen Hügel, von dem die gelbe Fläche sich in sanfter Neigung zum Meer senkte. Auf dem eisernen Feldbett trugen wir den toten Mann zu seinem Grab, der Arzt und ich und der Kubaner und der Neger. Wir stellten das Bett neben das Grab, packten die Zipfel der Wolldecke, auf der der Tote lag, und hoben die Last vorsichtig über die Graböffnung. So standen wir, an einer Ecke des Grabes ein jeder, und bückten uns und knieten dann und legten uns flach hin und ließen die Leiche hinabgleiten. Aber unsere Arme reichten nicht weit genug. Das Bündel in der Decke schwebte einen halben Meter hoch über dem Boden des Grabes.

»Loslassen!« befahl Doktor Gonzales.

Ich sah, daß es nicht anders ging, daß wir uns nicht anders helfen konnten — aber doch schüttelte mich ein unbezwingbares Grauen, als die Leiche plumpsend unten aufschlug und die Wolldecke sich verschob, das geistergelbe Gesicht bloßlegend, das nun aus der Tiefe gen Himmel zu starren schien. Der Arzt nahm rasch die Schaufel vom Sandhaufen, bückte sich und schob mit dem Stiel die Decke wieder über das tote Gesicht.

»Ruhe in Ehren!« sagte er leise. »Du bist für dein Land gestorben.«

Wir nahmen die Hüte ab, und der Kubaner schickte sich an, das Grab zuzuwerfen.

[S. 273]

Das war das Begräbnis.

Ein toter Mann wurde in der verschmutzten Wäsche, in der er gestorben war, in ein Loch geworfen — ein mürrischer Kubaner schaufelte Sand hinein — ein schwitzender Neger stand daneben und half, leise fluchend über die schwere Arbeit in der heißen Sonne. Roh war’s, fürchterlich roh, nicht zum Beschreiben brutal. Und doch hätte jeder Narr sehen müssen, daß es eben nicht anders ging in der Not der Verhältnisse. Weil ich so schwach war vielleicht, erschien mir alles noch roher und furchtbarer — der trostlos öde Sand — die niederen Grabhügel links und rechts mit ihren Holzstückchen, auf denen große Nummern standen — der schmutzige, gefühllose Totengräber ...

Der Arzt sah gedankenvoll auf die Grabhügel. »Fünfundzwanzig tödlich verlaufene Fälle bis jetzt!« sagte er zu mir. »Ein verhältnismäßig günstiges Resultat!!«

Wir gingen ins Haus, während Neger und Kubaner das Grab zuschaufelten. Von Bett zu Bett führte mich Doktor Gonzales. Er zeigte mir, wie man die Schnelligkeit der Atmung maß, und wie man ungebärdige Fieberkranke durch kräftigen Druck auf das Rückenmark beruhigte, während das Fieberthermometer eingeführt wurde. Das Ueberwachen der Temperaturen sollte meine Arbeit sein. Darauf kam es, so erklärte mir der Arzt, vor allem an, denn von seinem rechtzeitigen Eingreifen beim Steigen und Fallen der Fieberkurve hing Leben und Tod ab. Auf den Neger und den anderen Krankensoldaten konnte er sich nicht verlassen. [S. 274] Die Leute waren nicht nur beinahe zu Tode gearbeitet mit hunderterlei Pflichten, sondern es war auch ganz unmöglich, den einfachen Menschen beizubringen, daß ein Unterschied von wenigen Graden auf dem Thermometer der Unterschied zwischen Leben und Sterben war.

»Und ich kann ja nicht überall zugleich sein!« murmelte der Arzt, und etwas Trauriges kam in sein ruhiges, kraftvolles Gesicht.

Ich schrieb mir die Namen auf von Bett zu Bett und begann meine Arbeit, während er mir zusah und bald ein Fiebermittel gab, bald eine Strychnineinspritzung machte. Dabei erklärte er mir leise, daß er sich hier so starker Mittel bediene, wie sie so leicht kein Arzt anwenden würde.

»Wir wissen so wenig von den Erscheinungen dieser Krankheit. Ihre Bekämpfung ist sogar in geregelten Verhältnissen ein Problem. Hier aber muß ich mit Keulenschlägen auf das Fieber losschlagen. Es muß herunter um jeden Preis, steigt es auf vierzig Grad; und das Herz muß gezwungen werden zur Arbeit, koste es was es wolle an Kraft, fällt es bis zu fünfunddreißig Grad.«

So ging ich von Mann zu Mann und legte die Hand auf feuchte Leiber und lernte, mit unendlicher Geduld und vielen kleinen Kniffen, Fiebermessungen zu machen bei Menschen, die sich fortwährend hin und her wälzten und keinen Augenblick still hielten. Heiße, dumpfe, schweißgeschwängerte Luft erfüllte den Raum. Vierzig Menschen lagen in eisernen Feldbetten die [S. 275] Wände entlang. Einige wenige, die Glücklichen, hatten Nachthemden und weiße Jacken; die meisten aber lagen in den schmutzigen blauen Flanellhemden da, in denen sie gekommen waren. Die einen waren still und schienen ruhig zu schlafen. Die anderen lallten und schrien und tobten wie lärmende Kinder. Hier schrie einer nach seiner Mutter, dort johlte ein anderer ein Negerlied, dort gab einer mit dünner zitternder Stimme kreischende militärische Befehle: »Feuer aus dem Magazin — auf dreihundert Meter — Schne — eell — feuer!!« Der Neger und der Krankensoldat liefen fortwährend auf und ab. Bald halfen sie einem ins Bett, der im Fieberwüten herausgefallen war; bald unterstützten sie sich gegenseitig, einem sich verzweifelt Wehrenden ein wenig Milch im Löffel einzuflößen; bald liefen sie zur Türe und holten die Eimer, denn schon wieder hatte ein Kranker sein Bett beschmutzt.

Da rief mich der Arzt. Auf dem Bett, an dessen Fußende er stand, lag ein junger Mensch, der kaum achtzehn Jahre zählen mochte. »Corporal Clancey, F troop, Rough Riders« hieß es auf dem Zettel an der Wand über dem Bett. Das Gesicht, das in der Krankheit eine sonderbare, fast olivengelbe Farbe angenommen hatte, war von mädchenhafter Schönheit und Weiche. Die wunderbar großen, braunen Augen glänzten irre in feuchtem Fieberglanz. Der Arzt sah bald den Mann an, bald das Thermometer, das er in der Hand hielt, und schüttelte den Kopf.

»Helfen Sie mir, ihm den Mund öffnen,« sagte er.

Ich tat es mit einem Löffel, und der Arzt schüttete [S. 276] dem Kranken ein Pulver in den Rachen und träufelte ein wenig Wasser tropfenweise in den regungslosen Mund. Die Wirkung war eine fast augenblickliche. Der bebende, zitternde Körper streckte sich. Die Augen schlossen sich fast ganz, und die unruhig fuchtelnden Hände sanken kraftlos auf die wollene Decke.

»Der Mann hatte über vierzig Grad,« erklärte Doktor Gonzales. »Ich fürchte, er ist nicht mehr zu retten. Bleiben Sie bei ihm, messen Sie ihn alle zehn Minuten und rufen Sie mich sofort bei Untertemperatur.«

Ich holte mir eine Kiste aus der Mitte des Zimmers — amerikanische Munitionskisten waren die einzigen Stühle in diesem Krankenhaus — und setzte mich ans Bett. Nach zehn Minuten maß ich: Sechsunddreißig.

Der Kranke lag still da. Sein Mund war halbgeöffnet. Die glänzenden Augen schienen zwischen halbgeöffneten Lidern hervorzublinzeln. Da huschte plötzlich ein Lächeln über das weiche, schöne Gesicht, als träume der Knabe einen wunderschönen Traum. Die schlaffen Hände auf der Bettdecke begannen sich zu regen und leise auf und nieder zu bewegen in langsamem Tasten. Die Hände öffneten und schlossen sich und griffen wunderbar weich zu, als suchten sie etwas. Lächelnd betrachtete ich diese Hände. Wie schlank sie waren, wie kindlich fein, wie sie erzählten von guter Rasse und sorgsam gelernter Pflege! Und wie zierlich sie tasteten — husche, husche — zugreifend — fein, ganz fein — behutsam — wie die Fingerspitzen über [S. 277] die rauhen Deckenhaare glitten — als suchten sie etwas — als wollten sie greifen — pflücken — — —

Da sprang ich entsetzt auf. Was war das? Dieses Tasten, dieses Suchen! Hatte mir nicht einst die alte Kinderfrau in ihren gruseligen Dämmerstundengeschichten erzählt, daß Sterbende Himmelsblumen pflückten —

»Doktor Gonzales!« schrie ich.

Er kam mit raschen, geräuschlosen Schritten von gegenüber, beugte sich über das Bett, sah scharf auf die rastlos gleitenden Hände, zog die Spritze aus dem Ledertäschchen, füllte sie und stach ein über dem Herzen. Die Hände wurden sofort still. Ich starrte wie gebannt in das Gesicht auf dem Kissen und sah in fast unmerklichem Uebergang das Gelb sich langsam röten. Dann schoß plötzlich gesunde Blutfarbe in die Wangen. Das aufgepeitschte Herz tat seine Schuldigkeit. Eine winzige Gabe eines furchtbaren Gifts hatte einen Sterbenden von den Pforten des Todes zurückgerissen.

Da schnellte in jähem Wechsel der Körper mit gewaltigem Ruck empor. Die großen Augen starrten, der Mund wollte sich öffnen, wollte schreien — aber die Kehle brachte nur lallende Töne hervor. Die Hände wurden in die Höhe gerissen und schlugen wild nach links und nach rechts, und die Füße zuckten und stießen, daß die Eisenstäbe unten am Bett dumpf klirrten. In gewaltigen Stößen schnellte der Leib auf und nieder. Der Mann wäre aus dem Bett gefallen, hätten wir ihn nicht krampfhaft gehalten. Und während ich noch verspürte, wie unter meinen Händen die zuckenden Muskeln sich wehrten, sank der Rauhe Reiter steif [S. 278] zurück und lag still da. Sein Mund schien zu lächeln.

»Lassen Sie ihn hinaustragen!« sagte der Arzt ganz langsam und ganz leise.

Ich legte meine Hand auf seinen Arm. »Hat er schlimme Schmerzen leiden müssen?« fragte ich entsetzt.

»Nein!« antwortete Doktor Gonzales. »Nein — aber wir wissen diese Dinge ja nicht. Er mag in Himmelsseligkeiten geschwelgt haben oder Höllenqualen erlitten in seinen letzten Sekunden im lebendigen Leib — wir wissen es nicht. Unter anderen Verhältnissen hätte ich ihn vielleicht retten können. Durch sorgfältige, ständige Ueberwachung, durch mildere Mittel zur rechten Zeit. Nach meiner besten Ueberzeugung jedoch hat der Junge nicht gelitten. Das ist ja der einzige freundliche Fleck in diesem Höllenbild: Sie wissen es nicht, unsere Kranken, wie elend es ihnen geht! Sie wissen nicht einmal, wie krank sie sind!!«


Nein, sie wußten es nicht.

Ein Mitleid, wie ich es nie in meinem Leben gekannt hatte, packte mich, wenn ich von Bett zu Bett, von Mann zu Mann schritt; ein Mitleid, das mich stark machte, denn es ließ vergessen, wie schwach ich selbst noch war. Die Männer des Krieges waren zu Kindern geworden. Das unbegreifliche, geheimnisvolle Walten der Fiebermächte hatte den rauhen Soldaten alles genommen, was stark und männlich und roh und brutal an ihnen war. Nicht äußerlich hilflos nur [S. 279] waren sie geworden wie Kinder, sondern kindlich im Geist in allen ihren Lebensäußerungen. Weich und anschmiegend, dankbar über alle Maßen für ein gutes Wort, für ein Streicheln, das sie im Fiebertraum zu empfinden schienen und mit einem Lächeln beantworteten. Die wenigen, die auf dem Wege der Besserung waren, hatten alle Hunger. Aber sie fluchten nicht und zeterten nicht nach Soldatenart, sondern sie bettelten alle um Milch, sie baten um Brot — wie ein Kind seine Mutter bittet. Sie lachten lustig im Fieberlallen und sangen Lieder, die sie ganz gewiß nicht gesungen hätten bei gesunden Sinnen. Das nur und das nur allein machte die Hölle erträglich. Man sah selbst all das Furchtbare mit kindlichen Augen, ohne viel nachzudenken darüber ... Es mußte so sein — das mit den übelriechenden Eimern — das mit den schmutzigen Blechlöffeln, mit denen man von Mann zu Mann ging, Milch fütternd, ohne sie abzuwischen oder gar zu waschen — das mit den Kloaken draußen, die fürchterliche Pestluft in den Raum strömen ließen, wenn man im Ein-und Ausgehen die Türen öffnete. Es mußte so sein, denn es war nun einmal nicht anders.

Und ich maß und maß und fütterte hilflose Menschen mit Milch und wusch beschmutzte Menschen aus einem schmutzigen Eimer mit einem schmutzigen Fetzen eines alten Hemdes. Ruhe gab es keinen Augenblick. Bald schritt der Arzt meine Bettseite ab, bald ich die seine. Dutzende Male mußte ich ihn rufen, weil die Fieberbilder sich fortwährend veränderten.

[S. 280]

Am Spätnachmittag war der Neger verschwunden. Doktor Gonzales und ich suchten endlich nach ihm und fanden den armen Kerl in einer Ecke bei einer Kloake, dumpf vor sich hinstarrend. Der Sandboden zeigte, daß er sich erbrochen haben mußte. Jetzt sah ich den Arzt zum ersten Male erregt.

»Herrgott, nimmt es denn kein Ende?« schrie er. »Neger sind doch sonst immun! Muß denn das verfluchte Fieber gerade den schwarzen Krankensoldaten packen, den ich brauche!«

Mit vieler Mühe trugen wir ihn hinein und legten ihn auf das Bett, auf dem vor kurzem der Rauhe Reiter gestorben war. Die Leiche hatten wir draußen in einer schattigen Ecke auf dem Boden liegen lassen müssen, um das Bett frei zu bekommen. Und wieder ging es an die Arbeit, mit einem Mann weniger. Gegen Abend wurden die Kranken ruhiger und die Fiebertemperaturen gleichmäßiger.

»Wir wollen schnell etwas essen,« sagte Doktor Gonzales, »— dann den Toten beerdigen — und dann müssen Sie Ruhe haben. Sie können in meinem Zelt schlafen, damit Sie wenigstens in frischer Luft sind.«

Wir aßen ein Gemengsel von Reissuppe und Brot und tranken dünnen Tee, und ich durfte eine halbe Zigarette rauchen, die mir wie ein Göttergeschenk erschien.

»Und jetzt müssen wir wieder Totengräber spielen!« sagte Doktor Gonzales, halb lächelnd, halb traurig.

Das Grab war gegraben. Er rief den Kubaner und den Krankensoldaten, und zusammen trugen wir [S. 281] den Knaben, der sich die Himmelsblumen erpflückt hatte, zu seiner Ruhestätte im heißen Kubasand. Tiefe Finsternis umhüllte die Insel des Gelben Fiebers, denn Nacht folgt auf Tag im kubanischen Land ohne Uebergang. Der Arzt, der neben mir schritt, trug eine Laterne, die trübe brannte und das Dunkel nur in winzigem Umkreis erhellte. Stolpernd, suchend, tappten wir vorwärts mit unserer Last, fanden den Sandhügel, fanden das Grab. Wir schlugen die Decke auseinander, faßten die Zipfel an, hoben den Körper über die schwarze Oeffnung im Sand, bückten uns —

Da fühlte ich, wie der Sand unter meinen Füßen nachgab, und griff mit der freien linken Hand in den aufgeworfenen Sandhaufen, mich zu stützen. Aber ich rutschte. Ich rutschte langsam. Ich rutschte immer mehr. Da packte mich jähes Entsetzen, und ich ließ den Zipfel der Decke los, mochte auch die Leiche hinabstürzen. Aber im gleichen Augenblick bröckelte der Boden unter meinen Füßen weg. Ich schrie gellend auf. Wie ein Tier brüllte ich. Ich hörte jemand fallen mit mir — hörte die Laterne klirren.

Und stand in furchtbarer Finsternis in einem tiefen Loch und schrie wie ein Verrückter und trampelte auf etwas entsetzlich Weichem herum und wußte, daß die Masse unter meinen Füßen der Rauhe Reiter war. Ich brüllte — ich brüllte in einem hysterischen Grauen ohne Grenzen. So schwach und elend war ich noch nach dem langen Kranksein. Mit den Nägeln krallte ich mich in die Sandwand ein und versuchte mich emporzuziehen, und sprang. Aber der lose Sand gab [S. 282] unter meinen Fingern nach, und ich prallte in hartem Stoß auf das nachgebende weiche Fleisch, das sich zu rühren und lebendig zu werden schien. Als ob der tote Mann nach mir greifen wollte — mich festhalten — —

»Hilfe!« brüllte ich.

Da flammte ein Zündholz auf, eine eiserne Faust packte mich, zog, half mir. Und ich sank erschöpft auf den Sand. Ich hörte, halb bewußtlos, wie das Grab zugeschaufelt wurde und spürte, wie der Arzt mich unter dem Arm faßte und mir aufhalf. Der Kubaner schritt mit der wieder angezündeten Laterne voran. Als wir in seinem Zelt waren, sprach Doktor Gonzales kein Wort, sondern goß nur mit zitternder Hand ein wenig Whisky in ein Glas und gab es mir zu trinken. Auch er trank. Dann setzte er eine kleine silberne Spritze an meinen Arm ...


Mit dem Morgen begann wieder das Tagewerk. Es setzte sich fort durch zehn Tage hindurch, im gleichen Raum, unter den gleichen Verhältnissen, im gleichen schrecklichen Einerlei der Hilflosigkeit, und viele Menschen sah ich sterben in diesen Tagen. Die einen schliefen ermattet ein, die andern starben in kämpfendem Sichaufbäumen. Aber sie kämpften im Fieber nur und wußten es nicht und erlitten keine Todesangst, denn der Fiebertod ist ein gütiger Tod. Und ich half die Lebenden füttern und in ihren Körpern nach dem geheimnisvollen, unberechenbaren Auf und Nieder der [S. 283] Fieberkobolde spüren, und oft dünkte es mich, als sei das kleine Quecksilberwerkzeug eines der großen Wunder der Welt. Gar schnell hatte ich mich an den Jammer und das Elend gewöhnt und sah stumpfe, alltägliche Notwendigkeit im alltäglichen Erleben von Grauen und Sterben. Heute, im rückschauenden Betrachten, weiß ich, daß es eine Hölle war, in der ich lebte damals. Eine Hölle —

Am zehnten Tag jedoch ward der Insel der Verdammten Hilfe. Boote landeten. Junge Frauen in schneeweißen Kleidern schritten über den Rasen vor dem gelben Haus. Sie sprachen nicht viel, sie fragten nichts, sondern packten Wäsche aus und bekleideten die Kranken und wuschen sie. Sie putzten und säuberten und pflegten.

Man stand da, wollte seinen Augen nicht trauen, glaubte, ein Wunder zu erleben. Kiste auf Kiste, Korb auf Korb, Sack auf Sack wurde aus den Booten an Land geschafft. Es war, als wollte das reiche Volk eines reichen Landes in verschwenderischem Geben gut machen, was die Not des Krieges an den armen Männern auf der Insel des Gelben Fiebers gesündigt hatte. Da waren schwere Weine in ungezählten Flaschen und teurer Schaumwein in ganzen Körben und feine Hemden und große Schinken und Fleisch und Eßwaren in sorgsam geschlossenen Blechbüchsen und weißes Brot. Zelte erstanden auf dem Rasen und auf dem Sand. Das gelbe Haus wurde mit Karbol überschwemmt und verlassen, denn die Kranken sollten nun in luftigen Zelten liegen.

[S. 284]

Wie ein Märchen war es.

Am Spätnachmittag führte mich der Arzt in sein Zelt. Er füllte zwei Gläser mit Schaumwein, trank mir zu und sagte mit lachenden Augen:

»Hier endet Ihre Arbeit, Sergeant!«

Zwei Wochen aber blieb ich noch im Aerztezelt, denn Doktor Gonzales verweigerte mir immer wieder lachend den Gesundheitsschein.


Die Wandlung war groß.

Nicht nur äußerlich veränderten sich die Dinge auf der Gelbfieberinsel: das Elend in Ueberfluß, der Schmutz in Sauberkeit, das ohnmächtige Zusehenmüssen in kraftvolles Eingreifen mit reichen Mitteln — sondern auch im Tiefsten. Die kleine Welt um uns schien anders. Es war, als liege ein gar fremdartiges, sonderbares Klingen in der Luft. Wie wiegender schmeichelnder Walzerklang.

In harter Männerwelt hatte man gelebt viele Wochen lang. Sich gebalgt mit dem Feind. Nicht viel Federlesens gemacht um Hunger und Strapazen und Wunden. Das ging einmal nicht anders. Man war marschiert und hatte gefochten — im Dreck kampiert, gefiebert auf den Hügeln — — — Der Tag brachte es mit sich. Was war weiter dabei!

Da tönte der neue Klang.

Was uns Selbstverständliches, Alltägliches gewesen war, schien den jungen Frauen, die uns pflegten, [S. 285] eine Wunderwelt. Sie waren freiwillige Krankenschwestern, aus guten amerikanischen Familien. Ideale Begeisterung hatte sie nach Kuba geführt, ihr Scherflein beizutragen im Krieg. Sie sahen keine Selbstverständlichkeiten; sie sahen die Dinge mit ganz anderen Augen an. Für sie waren die blassen genesenden Männer in den Zelten alle mitsammen Helden, die heldenhaft mit Tod und Teufel gekämpft hatten.

Sie setzten sich auf die Betten zu den Kranken, auf die Feldstühle vor die Zelte zu den Genesenden, und baten und bettelten so lange, bis ihnen die Geschichten von der Schlacht vom San Juan-Hügel und vom Lagerleben und vom Krankheitselend immer und immer wieder erzählt wurden. Dann glänzten ihre Augen, und sie wurden weich und wußten gar nicht, was sie einem alles Gutes antun sollten. Ich hab’s hundertmal selber erlebt und hundertmal mit angehört —

»Was mußt du gelitten haben, du armer Junge!«

»Hm — eh — ’s ist nicht so schlimm gewesen,« war gewöhnlich die verlegene Antwort.

»Oh, du armer Junge! Soll ich dir ein Schlückchen Wein bringen?«

»Oh yes, please. Thank you, miss!«

»Du mußt nicht Fräulein zu mir sagen. Ich bin Schwester Irene. Du — bist du denn nicht fast gestorben vor Angst, du armer Junge, als du den fürchterlichen Hügel hinaufstürmen mußtest?«

»Nee!«

»Aber es muß doch entsetzlich gewesen sein!«

[S. 286]

»Ja. Da kletterte einer vor mir« (der Erzähler war ein junger Sergeant der 5. Regulären), »der zappelte immer mit den Beinen und ich mußte höll — hm — sehr aufpassen, daß mir der verfl ... hem — der Kerl nicht ins Gesicht trat. Es war scheußlich!«

»Und die Todeskugeln!«

»Oh, an die Schießerei hatte man sich gewöhnt!«

Und keinen einzigen Mann gab es auf der Insel des gelben Fiebers, der nicht seinen wohlgefüllten Sack voller Heldenruhm eingeheimst hätte. Zuerst war das etwas Unbehagliches. So prahlhänsig kam man sich vor. Man horchte immer scheu zum Nachbar hinüber, ob der nicht lachte, wenn Schwester Irene oder Schwester Edith oder Schwester Lizzie einem dickgestrichene Heldenkomplimente machte. Aber gar bald wirkte die Bewunderung merkwürdig wohltuend. Es war doch sehr nett, in schönen Augen immer wieder lesen zu dürfen: du bist ja ein famoser Junge! Sie fanden sich prachtvolle Menschen gegenseitig, die bewundernden Frauen und die bewunderten Männer. Sie gingen miteinander spazieren im Inselland halbe Nächte lang, Genesende und ihre Pflegerinnen. Sie saßen immer zusammen und tuschelten und hatten sich schrecklich viel zu sagen. Man wurde arg verwöhnt auf der Gelbfieberinsel in jenen Tagen.

[S. 287]

In der Zeltstadt von Montauk Point.

Die Friedensbotschaft. — Ein brutaler Krieg. — Die böse Lage der amerikanischen Invasionsarmee. — Auf den General folgt der kaufmännische Organisator. — Wie die Zeltstadt von Montauk Point erstand. — Mein letzter Tag in Santiago de Cuba. — Im Gesundheitslager. — Die Komplimente des Trusts. — Wie mir ein Vermögen entging. — Die New Yorker Invasion. — Von begeisterten Ladies. — Das Sicherheitsventil. — Wie Leutnant Hobson in der Welle der Hysterie ertrank.

In einer Augustnacht war es.

Wir saßen vor dem Aerztezelt, der Doktor und ich, rauchten eine beschauliche Zigarette und schauten auf die Bai hinaus. Wundersam funkelten und glitzerten im Wasser die Sternenbilder. Da erklang ein dumpfes Brausen, wurde mächtiger, schwoll an zu Getöse. Eine Rakete zischte empor über der Stadt, eine zweite, eine dritte. Drüben über dem Wasser jubelten und schrien viele Menschen.

»Eine Schlacht in Portorico!« rief der Doktor aufspringend.

Ich widersprach ihm. Die letzten Nachrichten von der benachbarten spanischen Insel hatten besagt, daß die Besetzung Portoricos durch eine amerikanische Armee unter General Miles nach unblutigen Kämpfen nun vollendete Tatsache sei. Während wir noch hin und her sprachen, kam das Boot vom Hafenhospital. Der [S. 288] Kubaner, der es ruderte, sprang auf uns zu, aufgeregt mit den Armen in der Luft fuchtelnd.

»Cuba libre!« brüllte er. »Cuba libre, Señores!!«

Und er übergab dem Doktor einen Zettel. Das hektographierte Stück Papier enthielt die kurze Mitteilung des amerikanischen Gouverneurs von Santiago an die einzelnen kommandierenden Offiziere, daß heute, am 12. August, in Washington das vorläufige Friedensprotokoll zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien unterzeichnet worden sei. Spanien gab der Insel Kuba ihre Unabhängigkeit, trat Portorico an die Vereinigten Staaten ab und erklärte sich bereit, über einen Ankauf der Philippinen durch die Vereinigten Staaten zu unterhandeln. Die kriegsgefangenen Spanier wurden auf Kosten der Amerikaner nach ihrer Heimat zurückgesandt. Kriegsentschädigung verlangten die Vereinigten Staaten nicht.

»Cuba libre!« brüllte der Kubaner wieder und tanzte schreiend und jubelnd umher.

Doktor Gonzales aber streckte herrisch die Rechte aus, sagte irgend etwas auf Spanisch in scharfem Ton, und der überfreudige Patriot schlich brummend zu seinem Boot zurück.

»Was sagten Sie eben?« fragte ich neugierig.

»Oh nichts!« antwortete Doktor Gonzales und zündete sich eine frische Zigarette an. »Ich sagte ihm nur, er solle sich zum Teufel scheren ... Cuba libre! Kuba Blödsinn! Ein freies Kuba, regiert von freien Strolchen, die eigentlich in ein Zuchthaus gehörten! Es tröstet mich nur, daß unser guter alter Onkel Sam [S. 289] der Gesellschaft früher oder später einen gewaltigen Tritt vor den Hintern geben und einen amerikanischen Staat aus Kuba machen wird. Daß er es nicht gleich jetzt tut, ist Schwäche, Verschwendung, Hinauswerfen an Zeit und Geld!«

Da lachte ich leise vor mich hin, denn der Doktor war zwar amerikanischer Bürger und amerikanischer Offizier, stammte aber selber von kubanischen Eltern und mußte es ja wissen! Und dann gingen wir in die Zelte der Damen und in die Krankenzelte und lösten Hurrageschrei aus mit der großen Neuigkeit. Doch der Jubel über den Frieden bei uns in den Zelten hatte nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem urgewaltigen, donnernden, brausenden Siegesschrei, der von den Hügeln des Santiagotals gellte, als das Sternenbanner damals an dem Mangobaum emporstieg. Da hatte Mann über Mann triumphiert — jeder einzelne Mann im Santiagotal in die eigenen Hände das Göttergeschenk des schwer errungenen Erfolgs empfangen. Die große politische Friedensaktion aber am grünen Tisch interessierte die Armee sehr wenig.

»Recht nett!« sagte ein typhuskranker Infanterieleutnant der Regulären, als wir ihm die Friedensbotschaft vorlasen. »Nun wollen wir gemütlich sein und nach Hause gehen!«

»Goodbye Cuba! To hell with Cuba!!« riefen die Rekonvaleszenten in den Zelten.

Das war das Leitmotiv des Wiederhalls, den die Friedensklänge in den Männern der Armee von Kuba ertönen ließen:

[S. 290]

»Adieu Kuba! Hol dich der Teufel! Wir gehen nach Hause!«


So war denn der Krieg beendet.

Dieser wunderschön brutale Krieg mit seinen wunderschön klaren und einfachen Ursachen. Ein Krieg der Macht. Ein brutaler Faustkampf. Unmoralisch über alle Maßen. Der Große fraß den Kleinen — denn ich bin groß und du bist klein. Und doch wieder moralisch im höchsten Sinne. Unter dem starken neuen Herrn wurden in wenigen Jahren auf den Philippinen, auf Kuba, das immer eine Art amerikanischen Protektorats sein und nie ganz selbständig werden sollte, auf Portorico, überall in Westindien, ungeheure Werte geprägt, die in alle Ewigkeit brach gelegen hätten unter der spanischen Mißwirtschaft. Spanien aber, das gedemütigte, zu Boden geschlagene Spanien, das beraubte Spanien, das die Neue Welt entdeckt hatte und zum Dank bis in den Staub gedemütigt wurde von der Neuen Welt, erstarkte nur unter den Schlägen des Krieges. Es lernte. Seine kraftvolle Arbeit in Marokko während der nächsten zehn Jahre erstaunte jeden, der früher spanische Beamte und Gouverneure in spanischen Kolonien bei der Arbeit gesehen und sie höchstens für eine Operette tauglich befunden hatte. So wurde im letzten Ende Unmoral zu Moral.

Der unersättliche Große aber atmete erleichtert auf, als der kleine Gegner davonschlich. Teufel — es war doch gar nicht so einfach gewesen, und recht viel Glück [S. 291] hatte man nötig gehabt! Zwar ließ es sich leicht berechnen von Anfang an, daß man am Ende erfolgreich sein mußte. Die Siege der amerikanischen Flotte im pazifischen Ozean wie im westindischen konnten auf dem Papier auskalkuliert werden. Kein Sieg jedoch, kein Gebietszuwachs, keine neue imperialistische Weltmachtstellung hätten es in der öffentlichen Meinung des eigenen Landes gutmachen können, wenn amerikanische Männer zu Tausenden im Tal von Santiago zugrunde gegangen wären, weil der leichtsinnige Krieg sie in leichtsinniger Ausrüstung ins Fieberland geschickt hatte. Die Invasionsarmee war dezimiert von Fieberkrankheiten. In den ersten Tagen des August schon hatten, ein unerhörtes Geschehnis vom militärischen Standpunkt aus, ihre Generale in einem scharfen Schreiben an den Obergeneral Shafter die sofortige Zurückbeförderung der Armee nach den Vereinigten Staaten verlangt. Der Krankheitsstand lasse das Schlimmste befürchten. Das merkwürdige Vorgehen der hohen Offiziere, das wahrscheinlich mit General Shafter verabredet worden war, sollte starken Eindruck auf die obersten militärischen Behörden in Washington sowohl wie auf die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten ausüben. Daß ein solcher Schritt überhaupt notwendig wurde, beweist die Unsicherheit und Gefährlichkeit der Lage für die Truppen vor Santiago beim Ende des Krieges. Zwar war die spanische Flotte vernichtet, Portorico besetzt, die Provinz Santiago de Cuba erobert, eine spanische Armee von 23000 Mann kriegsgefangen. Damit hatte man gewaltige Erfolge errungen, [S. 292] war aber auch auf dem toten Punkt angelangt. Eine spanische Armee von über 80000 Mann, auf die verschiedenen Provinzen verteilt, hielt Kuba noch besetzt. Ein Vordringen der amerikanischen Invasionsarmee auf dem Landwege schien unmöglich — das Angreifen Havannas, des Herzens der Insel, durch die Flotte ein zum mindesten gewagtes Unternehmen.

So ergab sich eine beinahe lächerliche Lage: der tote Punkt. Die amerikanische Armee kampierte noch immer im Santiagotal und litt entsetzlich unter Klima und Fieber. Niemand wußte, was anfangen mit ihr. Der Leichtsinn, die Ueberhastung des ganzen Krieges rächte sich. In den Vereinigten Staaten regte sich scharfe Kritik. Schon zu Beginn des Krieges, als im Süden Amerikas die in rasender Eile zusammengetrommelten Freiwilligenregimenter in Feldlagern untergebracht wurden, in die bei dem völligen Mangel an allem Nötigen rasch der Typhus einzog, war die Regierung scharf angegriffen worden. Und jetzt das Fiebertal von Santiago! Noch sickerte die Wahrheit nicht ganz durch; noch wußte man im Heimatland nicht, daß seit dem Tag der Uebergabe der spanischen Armee mehr amerikanische Soldaten an Krankheiten gestorben waren, als die Gefechte an Menschenleben gekostet hatten. Die militärische Führung war ratlos.

Da kam der Friede.

Und es war, als ziehe der amerikanische Dollarmann jubelnd den Soldatenrock aus, der überall ein wenig drückte und nirgends so recht passen wollte, weil er in solcher Eile hatte zurechtgeschneidert werden müssen. [S. 293] Die Nation des Organisierens entsann sich ihres Berufs. Der Leichtsinn, die Ueberstürzung, das Ueberhasten verschwand im zauberischen Wechsel. Kühle Ueberlegung trat an ihre Stelle. Dem General folgte der kaufmännische Organisator — der echte Amerikaner, der mit Geld nicht knausert, wenn das Ziel der Mühe wert ist, und sich bei Kleinigkeiten nicht lange aufhält.

Das Klima des Santiagotals war unerträglich in dieser Jahreszeit? Dann weg mit der Armee! Sie ersetzt durch Regimenter von Negern und Weißen der Südstaaten, die gegen Fieberkrankheiten immun waren! Die Armee war krank? Dann in ein ungeheures Krankenhaus mit ihr, auf daß sie gesund werde! Ansteckungsstoffe waren zu befürchten in jedem Uniformrock, in jedem Hemd? Weg dann mit der gesamten Ausrüstung der Armee!

»Regardless of cost!« hatte Präsident McKinley kurz gesagt. »Der Kostenpunkt ist Nebensache!«

Die Amerikaner waren’s zufrieden. Sie, die keine direkten Steuern bezahlten und ihre Kriegskosten einfach durch eine Biersteuer und eine Schecksteuer aufbringen konnten, wußten recht gut, daß die über Nacht errungene Weltmachtstellung, die neue Ausdehnung des amerikanischen Reichs, Milliarden an kaufmännischen Dollars wert war. Niemand murrte, als die leitenden Hände in den reichen Yankeesäckel griffen. Ströme von Gold flossen dahin.

Eine ungeheure, kahle, sandige Fläche auf der Insel Long Island wurde zum Gesundheitslager der Armee erwählt. Dort war es kühl, jetzt im August schon. [S. 294] In allen Richtungen fegte Tag und Nacht vom Meer her der frische Wind. Der sollte sie wegblasen, die Fieberschlaffheit und das Tropenmüdesein. Die Zeltstadt von Montauk Point entstand. Gassen und Straßen schneeweißer Zelte. Die Gewerbe des Landes arbeiteten wie im Fieber, die Stadt zu erbauen. Jedes Zelt wurde aus neuem Segeltuchstoff neu zurechtgeschneidert, denn kein altes Schmutzstäubchen sollte Raum haben im Gesundheitslager. Jedes Zelt erhielt einen Fußboden aus sorgsam zusammengefügten und geglätteten Brettern, ein jedes einen kleinen eisernen Ofen, ein jedes neue schneeweiße Betten und Stühle und Regale. Die Straßen wurden sorgfältig ausgebaut und ein System von Abgußkanälen angelegt. Aerzte und Krankenpflegerinnen versammelten sich. Die Eisenbahnen schleppten gewaltige Mengen von Uniformen und Wäsche herbei. Um das Lager wurde ein Postenkreis von besonders ausgesuchten Regimentern gezogen, die keinen Menschen hinauslassen durften und keinen hinein, jede neue Ansteckung zu verhüten. Dampfertransporte mit den neuen fiebersicheren Truppen gingen nach dem Santiagotal; Frachtdampfer mit großen Mengen von Lebensmitteln, die sehr sorgfältig ausgesucht wurden; Hospitalschiffe, deren Aufgabe es war, das Schmutznest Santiago nach allen Regeln moderner Desinfektionskunst sauber zu machen. Dann dampften die Schiffe mit den kranken Regimentern heimwärts zum Gesundheitslager.

Und ein so großzügiges, ein so bewunderungswürdig zielbewußtes Arbeiten setzte ein auf der windumbrausten [S. 295] Sandfläche beim atlantischen Ozean, daß es alles wieder gut machte, was der Leichtsinn gesündigt hatte in Kuba. Mann für Mann der kranken Armee wurde betreut, gepflegt, gewaschen, gesäubert, neubekleidet wie ein Kindlein. Man stellte die Kompagnien in langen Linien auf, wenn sie vom Schiff kamen, und ließ sie sich splitternackt ausziehen und verbrannte auf großen Scheiterhaufen jeden Fetzen, den sie am Leibe getragen hatten; man badete sie, gab ihnen reine Wäsche, neue Uniformen, nagelneue Ausrüstung bis zum Tornister, erklärte ihnen, sie möchten sich um Gottes willen nur pflegen. Nichts auf der Welt hätten sie zu tun als ihre Waffen zu reinigen und instandzusetzen. Nicht einmal zu kochen brauchten sie. Dafür sorgten große Feldküchen, und Sachverständige wachten darüber, daß das Soldatenessen ja recht schmackhaft und wohlbekömmlich war. Im Land stritt man sich um die Ehre, Liebesgaben für das Gesundheitslager schenken zu dürfen. Damen der Gesellschaft zankten sich um den Vorzug, die Kranken zu pflegen.


Als das Ruderboot an einem der letzten Tage des August den Signalkorpssergeanten von der Gelbfieberinsel nach Santiago brachte, war dieser Sergeant kerngesund und wunderte sich sehr, wie ihm nach diesen Schlemmertagen das Soldatenleben wohl behagen würde. Sie hatten ihn schrecklich verwöhnt auf der Insel, der Doktor und die Frauen in Weiß, die so [S. 296] heroisch ihre Pflicht taten und doch immer Zeit und Lust übrig hatten für manches Gekicher und vielen Uebermut. Sie hatten dem Sergeanten gar noch einen großen Korb zurechtgepackt, in dem Schaumweinflaschen einträchtiglich neben altem Burgunder und allerlei guten Sächelchen in Blechbüchsen lagen, auf daß es Mr. Sergeant wohl ergehe auf dem Heimatsdampfer. Und ich beguckte mir gesättigt und gesund das tiefblaue Wasser und die grünen Berge über der Bai und das Städtchen mit seinen grellen Farbenflecken in rot und blau und gelb und meldete mich beim Gouverneur und empfing den Befehl, mit der »City of Galveston« noch am gleichen Nachmittag die Heimreise anzutreten — als einer der letzten der alten Armee vom Santiagotal.

Es war gerade noch Zeit zu einem kurzen Spaziergang die Plazza entlang und zu kleinen Einkäufen. Und in großer Wut schied ich von Santiago de Cuba!

Die grünen und gelben Scheine, die Billy mir geschickt hatte, knisterten so wunderschön in den Taschen, und eine Stunde nur wurde einem da gegeben, sich die Stadt zu begucken, die Stadt des Feindes, die so viele Wochen lang eine märchenhafte Vorstellung nur gewesen war! Hätte man sich da nicht einen Gaul mieten müssen und den Schlammpfad noch einmal abreiten! Die San Juan-Hügel erklettern! Sich bei der alten Zuckermühle das alte Loch betrachten, das jene Granate gerissen! Oh, zum Teufel mit dieser unanständigen Eile ... Höchst ärgerlich ging ich an Bord.


Der Laderaum des kleinen Dampfers war von [S. 297] oben bis unten vollgepfropft mit Waffen und Munition. Die Mausergewehre, die Bajonette, die Patronenvorräte der Kriegsgefangenen spanischen Armee wurden in das Arsenal von New York geschafft. Ein kranker Offizier, den eine Pflegerin begleitete, und ich waren die einzigen Passagiere. Als wir Long Island sichteten, fiel mir ein, daß ein Mausergewehr und ein Bajonett oder zwei recht nette Andenken sein würden.

»Sind die Dinger eigentlich abgezählt?« fragte ich den Kapitän beim letzten Mittagessen. »Ich meine, nimmt man es genau oder nicht so genau? Ich möchte gern ein paar von den spanischen Schießprügeln haben!«

»Ih wo!« antwortete der lachend. »Sie sind ja in meinen Laderaum nur so hineingeschaufelt worden.«

»Dann werde ich ein bißchen stehlen!« erklärte ich vergnügt.

»Meinetwegen,« grinste der Kapitän, »wenn Sie sich durchaus abschleppen wollen mit den alten Dingern. Nehmen Sie sich, so viele Sie wollen. Im übrigen ist’s gar kein Stehlen. Das verrostete Zeug ist wenig genug wert. Greifen Sie zu! Auf ein paar hundert Stück mehr oder weniger kommt’s nicht an.«

So ging ich an Land mit zwei Mausergewehren und zwei Bajonetten unterm Arm und warf sie irgendwohin im Sergeantenzelt des Signalkorps und verlebte einen langen Abend voller Erzählens mit meinen Kameraden. Die hatten mich ja für tot gehalten.

Ich konnte mich gar nicht fassen vor Erstaunen über die wundersame Zeltstadt —

»Der Soldat ist Trumpf heutzutage!« erklärte [S. 298] Souder lachend. »In der Armee von Kuba gewesen zu sein ist jetzt wertvoller als vier Asse beim Pokern. Menschenkind, ’s ist einfach ein Wunder, daß sie uns nicht auch noch in Watte packen!«

Mr. Soldat aus Kuba war tatsächlich Trumpf. Nicht nur die amtlichen Stellen hatten beschlossen, daß er eine Zeitlang leben sollte wie der Herrgott in Frankreich, sondern alle Welt wetteiferte obendrein, ihm gute Sachen zuzustecken. Die bösen Trusts sogar.

Ueberall in der weißen Stadt hatte die Amerikanische Tabakgesellschaft kleine Zelte errichtet, die große Plakate trugen: »Tabak für die Männer von Santiago! Kommt, Jungens, und greift zu!!« Trat man an das kleine Zeltfensterchen, so erkundigte sich ein liebenswürdiger Verkäufer so beflissen danach, was man zu haben wünsche, als sei man ein wertvoller alter Kunde. Zigaretten? Welche Sorte? Kautabak? Die neue Marke mit dem Champagnergeschmack sei besonders zu empfehlen! Pfeifentabak? Und alles war hübsch eingewickelt und auf jedem Päckchen stand: »Mit den Komplimenten der Amerikanischen Tabakgesellschaft.« Große Brauereien hatten Bierzelte eingerichtet und verschenkten ein besonders leicht eingebrautes »Krankenbier« in reizenden kleinen Flaschen — mit den Komplimenten der oder jener Brauereigesellschaft. Teufel, Teufel! Zwar taten sie’s nicht aus Liebe und Begeisterung allein, sondern es mochte auch ein bißchen Sinn für die famose Reklame dabei sein! Es gab Zelte mit Sodawasser; es gab Bonbons und Schleckereien; es gab Streichhölzer, Taschentücher, Bleistifte, Briefpapier, [S. 299] Briefmarken sogar — immer mit den verschiedensten Komplimenten. Auf den Briefmarken hatte der Spender seine Firma eingelocht — mit seinen Komplimenten. Mr. Soldat lebte vom Fetten des Landes.

Doch es sollte noch besser kommen, viel besser.

Am Tag meiner Ankunft war das Lager für seuchenfrei erklärt und die Sperre aufgehoben worden. Eine Stunde später verkündeten große Plakate in New York Vergnügungszüge der Long Island-Eisenbahngesellschaft zur Armee von Santiago. Um elf Uhr morgens am nächsten Tag kam die erste Invasion. Zwischen den Zelten der weißen Stadt flutete es schwarz von Menschen, dollarjagenden New Yorkern, die aber augenblicklich an gar nichts zu denken schienen, als einen Soldaten der Armee von Santiago zu erwischen und ihm die Hände aus den Gelenken zu schütteln. Fünf Minuten nach Ankunft des Zuges konnte man sich in unserem Sergeantenzelt überhaupt nicht mehr rühren, ohne einem eleganten New Yorker auf die Fünf-Dollar-Stiefel zu treten. Es regnete Zigarren, und aus den Fläschchen in den New Yorker Hüftentaschen ergossen sich schnäpsige Getränke.

»Good morning, good morning! Fine morning!!« redete ein New Yorker auf mich ein und packte meine Hand. Teufel, wie der Mensch drückte! Während ich mir noch überlegte, ob ich liebenswürdig lächeln oder ihm einen Stoß vor den Magen geben sollte, fiel sein Blick auf meine beiden Mausergewehre in der Zeltecke.

»Oh! Spanish guns!« rief er entzückt.

»Jawohl; Mausers!« antwortete ich.

[S. 300]

»Fine, fine! How much?«

Ich sah ihn verblüfft an, aber da hatte der Mann aus New York das Gewehr schon gepackt und mir einen Zwanzigdollarschein in die Hand gedrückt, und während ich noch nach Worten suchte, war das andere Gewehr auch schon weg und ein zweiter Zwanzigdollarschein da.

Teufel! Ich drängte mich durch die händeschüttelnde Gesellschaft und warf mich auf mein Bett und schalt mich siebenundzwanzigmal hintereinander den fürchterlichsten Esel seit Erschaffung der Welt. Eselhaft, begriffstützig, blödsinnig über alles erlaubte Maß hinaus. Niemals würde ich ein Amerikaner werden! Niemals würde ich Hornochse den Wert der Dinge und den Wert des Geldes wahrhaft begreifen lernen!

Welch ein Geschäft ging hier zum Teufel! Hundert Mausergewehre hätte ich an Land schleppen können, umsonst, zollfrei, geschenkt! — Hundert Stück zu zwanzig Dollars macht zweitausend Dollars — hundert Bajonette obendrein zum allermindesten — hundert Stück zu fünf Dollars macht fünfhundert Dollars, macht zusammen zweitausendfünfhundert Dollars.

Verdammt, verdammt, verdammt nochmal!

Ueber zehntausend Mark — heiliges Donnerwetter!

Durch die Hände schlüpfen lassen hatte ich mir mein erstes wirkliches »Geschäft« auf amerikanischem Boden. Den idealen amerikanischen business-job — den Humbugschlager — mit Intelligenz — ohne Kapital ———

[S. 301]

Ich Esel — ich Hornochse!

Doch nicht einmal ein junger Teufel frisch aus der Hölle hätte es übers Herz bringen können, inmitten dieser überliebenswürdigen, überfrohen, übergütigen Menschen auf längere Dauer zu fluchen. Sie, die harten New Yorker mit dem harten Dollarsinn, waren in der Laune, das Hemd vom Leibe wegzuschenken. Der sentimentale Romantiker kam zum Durchbruch, der in jedem richtigen Amerikaner steckt in merkwürdigem Gegensatz zu dem rohen Kampf ums Dasein in der Neuen Welt. Kein Südfranzose, kein italienischer Heißsporn, kein spanischer Leidenschaftsmensch hätte naiver und kindlicher begeistert sein können als diese gewitzten Männer aus der matter of fact Dollarwelt. Man sah es ja förmlich, wie diese Leute ihr Hirn anstrengten, einem etwas Gutes zu tun. Wie jungenhaft einfach und natürlich sie sich gaben — wie der warmblütige Mensch hervorguckte unter der abgeworfenen kühlen Geschäftsmaske — und wie doch wieder die Gewohnheit so stark war, daß sie nur in klingender Münze begeistert sein konnten, diese Männer New Yorks. Der leiseste Vorwand genügte ihnen, mit Geld um sich zu werfen. Sie ersannen sich ständig neue Vorwände, den Wohltäter zu spielen. Und im Grunde war das heilsam für die New Yorker Dollarmenschen, denn sie begriffen nun, daß man mit dreizehn Dollars Einkommen im Monat ein ganzer Mann sein konnte! — Sie wurden daran erinnert, daß es noch andere Werte auf der Welt gab als business!!

Auf einmal aber traten die Männer in dem dunkeln [S. 302] Grau oder Braun oder Blau der Herrenkleidung völlig und gründlich in den Hintergrund. Die wandelnden Träume im duftigen Weiß und den leuchtenden Farben in den Zeltstraßen nahmen die Zügel in die Hand. Das duftige Weiß regierte. Die Männer waren weg. Schlanke Frauengestalten erschienen.

»Goodbye, Johnny!« hauchte ein blauer Märchenhut. »Geh und amüsiere dich, Männchen! Um vier Uhr (das war geschlagene drei Stunden vordatiert) treffen wir uns bei der Station. Weißt du, ich muß mir von den Jungens alles, alles erzählen lassen und da kann ich dich doch nicht brauchen dabei. Goodbye, Johnny!!«

Und die zweite Invasion begann.

Die zweite Form von amerikanischer Begeisterung. Diese Mädchen und Frauen empfanden erstens das Bedürfnis, diesen unglaublichen und ihnen ganz ungewohnten Helden vom Santiagotal, an deren Ohren wirkliche, echte Todeskugeln vorbeigepfiffen waren, ihre dankbare Reverenz zu erweisen. Zweitens wollten sie sich aber amüsieren. Sie saßen auf unseren Betten, wippten mit allerliebsten Füßchen.

Rische-Rasche machten die seidenen Unterröckchen.

»Hast du dich gar sehr gefürchtet in der Schlacht vom San Juan-Hügel?« fragte mich ein Dinglein in roter Seidenbluse.

»Ach nein,« antwortete ich verlogen.

»Das Schwarz und Weiß deiner Sergeantenstreifen steht dir ausgezeichnet!« meinte das Dinglein in sonderbarem [S. 303] Gedankensprung — sonderbar für mich — damals ...

Ich war paff.

»Was bedeuten denn die komischen Flaggen auf deinen Aermeln?«

»Weißt du,« sagte der Lausbub (das war auch ein Gedankensprung)» — — — wenn hier nicht so viele Leute wären, so möchte ich dir einen Kuß stehlen!«

»Oh pfui!!« hauchte sie. Aber ihre Augen sagten gar nicht pfui.

Es war ein Idyll. Es war eine Orgie in Begeisterung. Es war praktischer Humor ersten Ranges, wie die gutgezogenen New Yorker Männer ihre Dollarfrauen dem Flirt überließen — und ich wunderte mich mehr als einmal, ob nicht mancher gute Ehemann das verfluchte Heldentum verdammt ungemütlich empfand. Sie saßen auf unseren Betten, die Mädelchen und die Frauen, und sie naschten mit großen verwunderten Augen Soldatenessen von unseren blechernen Soldatentellern. Sie waren sehr nett. Sie küßten wohl auch einmal — in dem erhebend moralischen Bewußtsein, daß sie durchaus unpersönlich küßten. Sie küßten Helden fürs Vaterland. Die Männer wollten ihre Dollars los werden. Die Frauen ihre Liebenswürdigkeit.

Ich plauderte lange mit dem Dinglein in der roten Bluse. Das war ein kluges Mädchen. Auch sie wollte Andenken haben, aber es fiel ihr nicht im Traum ein, mit teuren Dollars zu operieren wie die Männer. Sie machte süße Augen — und drehte mir einen vergoldeten Sergeantenknopf ab. Sie machte noch süßere [S. 304] Augen — und holte ein Scherchen aus der Handtasche hervor, um mir kaltblütig die kostbaren seidenen Sergeantenabzeichen von den Aermeln zu trennen. Sie schenkte einen Kuß — und stopfte sich alle Taschen voller Patronen und Messingflaggen, wie wir sie an den Mützen trugen, und den verschiedenen Dingen im allgemeinen, wie sie überall umherlagen.

»Hast du denn auch ein liebes kleines Mädel?« fragte die rote Bluse.

»N — nein!« flüsterte ich, mit tiefem und ehrlichem Bedauern, denn rote Blusen und die lieben kleinen Mädchen darin schienen mir gerade jetzt etwas besonders Reizendes.

»Ach du armer Junge!!« (bums dich — war wieder ein vergoldeter Knopf weg!)»Weißt du — ich möchte sehr gut zu dir sein!«

Und da führte ich sie durch unsere weiße Stadt und zeigte ihr all die Zelte und sah sie erschauern vor der Bedeutung des riesigen seidenen Sternenbanners, das vor dem Zelt des kommandierenden Generals im Windgebrause flatterte. Erschrecklich viel Limonade trank sie. Erschrecklich viele kleine Paketchen von Tabak und winzigen Bierfläschchen und Soldatenbonbons nahm sie mit als Andenken und versprach hoch und heilig, sie in Ehren zu halten für alle Ewigkeit. Ich aber wunderte mich, wie das kleine Persönchen es fertig brachte, all die gemopsten und geschenkten Sächelchen zu verstauen. Des Rätsels Lösung fand ich nicht. Und wir verzehrten noch mehr Süßigkeiten und tranken noch mehr Limonade und gingen eine lange Nachmittagsstunde [S. 305] am sandigen Strand spazieren, weit von der Zeltstadt, aber keineswegs in Einsamkeit, denn wo man auch hingeriet irgendwo um Montauk Point herum, ergingen sich reizende Frauen mit den Männern der Armee vom Santiagotal. Sie mußten sich Helden nennen lassen, die armen Männer, bis sie erröteten wie Backfische.

Es war eine Orgie.

»Adieu, lieber Junge!« sagte das Dinglein bei der Station, und ich hätte darauf geschworen, daß der feine vielsagende Händedruck sieben verschiedene Wahlverwandtschaften zum mindesten bedeutete. Doch im gleichen Augenblick schoß das gleiche Dinglein in der gleichen roten Bluse auf einen mageren Jüngling in korrektem Schwarz und allerneuestem korrekten New Yorker Hut zu und warf sich, jawohl, warf sich, an seinen Hals!

»Freddy,« jubelte sie — »ach, du lieber guter Freddy, es war ja so süß!«

Da begriff ich, daß ich im Erleben der roten Bluse eine ganz gewöhnliche Episode war. Ein Röhrchen war ich, ein lächerliches Sicherheitsventil, eine mechanische Vorrichtung, dem Hochdruck der Begeisterung der amerikanischen Frau Luft zu verschaffen. Er wäre sonst gefährlich geworden.

»Du verflixter kleiner Fratz!« murmelte ich.


Es dauerte aber gar nicht lange, so erreichte der Hochdruck der Begeisterung in Amerika das überspannte [S. 306] Stadium. Es wurde allerorten und in allem gewaltig übertrieben im Siegesjubel. Man war wie ein glücklicher Spieler, der im ersten Taumel des Gewinnens nicht weiß was tun vor Freude und links und rechts mit vollen Händen die Goldstücke hinausschleudert. Ein solches Schleudern war es im Dollarland damals!

Und bald wurde das echte, starke, wahre Gefühl der Begeisterung zum sentimentalen Gefühlskitsch.

Die Frauen vor allem machten lächerliche Dummheiten.

Eine Flutwelle der Hysterie ergoß sich über das Yankeeland. Zuerst natürlich erreichte die Welle das nahe New York. Die Zeitungen berichteten, lächelnd anfänglich, dann entrüstet, daß mit den Jungens in Blau eine Abgötterei getrieben werde, die in ihren Formen schon ein Unfug genannt werden müsse!

»Mann! Bringe mir heute abend zehn Helden zum supper!« befahl die New Yorker Ehefrau. Und Mr. Ehemann, wohldressiert von Kindesbeinen an, ging los, ob’s ihm nun besonders gefiel oder nicht, und gabelte gehorsam zehn Helden auf. Frisch von der Straße weg.

Heidi, es war lustig!

Mrs. Ix, die New Yorkerin und Milliardärin, gab schleunigst einen Soldatenball. Mrs. Ypsilon, gleichfalls Milliardärin, trumpfte über und erließ prestissimo die Einladungen zu einem Sergeantenball, bei dem es märchenhaft wohlhabend herging. Mrs. Zett, auch sie natürlich Milliardärin, fuhr von morgens früh bis abends spät mühsam überredete Helden in ihrem vornehmen [S. 307] Landauer in den Straßen New Yorks spazieren. Die großen Blumengeschäfte erhielten Anweisungen von Damen der Gesellschaft, jedem Soldaten Blumen zum Begeisterungsgeschenk zu machen — was reizend gewesen wäre, wenn die gütigen Spenderinnen nicht gar so deutlich dafür gesorgt hätten, daß ihre Namen in allen Zeitungen und an allen Blumenladenfenstern recht laut und kräftig in Erscheinung traten.

Die nervöse Welle lief weiter — wuchs an. In Washington wurde sie zur Sturmflut.

Eines Tages meldete sich in der Stadt des Kapitols ein junger Leutnant beim Marineminister. Er hieß Hobson und war ein Held. Hatte mannhaft Leib und Leben darangesetzt mit offenen Augen und war nur wie ein Wunder dem Tode entgangen, als er in der Santiago-Felsenenge den Merrimac in die Luft sprengte. Nun war der junge Leutnant der Held des Tages in Washington. Seine Kommandeure, der Marineminister, der Präsident der Vereinigten Staaten überschütteten ihn mit Glückwünschen und Danksagungen. Man gab einen Ball zu seinen Ehren.

Und damit fing das Unglück an.

Als Hobson den Ballsaal betrat, schritt eine junge Dame der Washingtoner Gesellschaft auf ihn zu, überreichte ihm einen großen Blumenstrauß und bestätigte ihm in wohlgesetzten Worten, daß er ein Held sei und sein Name unvergänglich auf den Tafeln des Vaterlandes leuchten werde. Dann kam ihr besonderer Dank. Im Namen der amerikanischen Frau; im Namen der fraulichen Gesamtheit; im Namen der Weiblichkeit:

[S. 308]

Schlanke, weiße Arme legten sich um des Leutnants goldbestickten Uniformkragen und ein amerikanischer Frauenmund küßte ihn lang und innig.

Vor versammeltem Mannsvolk und bewundernder Frauenschar.

Am nächsten Tag wurde das weihevolle Ereignis in vielen Zeitungsspalten geschildert. Die Gesellschaftsreporter fanden mühelos die richtigen Töne. Sie lachten sich zwar wahrscheinlich halbtot dabei im Redaktionssanktum bei Bier und Zigarette — aber die Töne fanden sie!

Sie sprachen ernsthaft und gediegen von allerhöchster Ehre. Sie flöteten zart vom symbolischen Weihekuß. Sie nahmen gedankenvoll das Konversationslexikon zur Hand und fanden auch glücklich klassische Vorbilder, die sich prachtvoll zu Vergleichen eigneten und die ganze sentimentale Geschichte auf ein anständiges Niveau hoben. Am nächsten Tag durcheilte die wichtige Nachricht Amerika.

Ueber das weibliche Amerika brauste ein Sturm der Begeisterung.

Das war groß. Edel. Ungeheuer. Das war Heldenlohn. Schöner und reicher als alle Schätze an Gold und Ehren.

Man gab einen zweiten Ball in Washington, wiederum zu Ehren des Leutnants, und wiederum begann er mit einem Weihekuß. Diesmal jedoch schlossen sich die anwesenden Damen der ersten Weiheküsserin ziemlich vollzählig an. Es schien ihnen wohl Anstandsgebot, einem wirklichen Helden wahrhafte Ehren auch [S. 309] reichlich genug zu erweisen. Es hagelte Küsse auf Hobson herab — und der arme Leutnant wurde verrückt! Der mannhafte Mann, der Held, der Todeskämpfer wurde zum Schwächling und eitlen Toren. Er wurde hysterisch, genau so hysterisch wie die »Küsserinnen«. Er ließ sich überallhin einladen, zu Dutzenden von Bällen in Washington allein, in Boston, in Baltimore, und wurde überall geküßt.

Es war tragikomisch. Nein, tragisch mehr als komisch. Der Amerikaner verträgt und ermutigt sogar sentimentale Dinge, wenn sie mit Frauen zusammenhängen, namentlich bis zu einem gewissen Punkt. Dann aber schnappt irgend etwas bei ihm.

Bei der Hobson Küsserei schnappte es! Noch einige Male berichtete die amerikanische Presse in nicht ganz echt klingender Begeisterung über die Hobsonbälle und die Weiheküsse. Dann war es aus. Eine New Yorker Zeitung machte den Anfang:

»Mr. Hobson läßt sich schon wieder küssen! Die Sache wird zur üblen Gewohnheit!!« überschrieb sie einen lustigen Bericht.

Und nun donnerte ein nimmer endenwollendes Gelächter herab auf den armen Hobson. Man nannte ihn den geküßten Hobson — den küssenden Hobson. Man erwog ernsthaft, ob eine Veränderung seiner Mundlinien zu befürchten sei durch die starke Inanspruchnahme der Lippen — man hieß ihn den bestgeküßten Mann der Welt — man zeichnete ihn in bissigen Karikaturen umdrängt von kußlechzenden Frauenantlitzen — man riet ihm ernsthaft, auch den Westen Amerikas abzugrasen. [S. 310] Ein besonders niederträchtiger Schreibersmann empfahl ihm das Erheben von Eintrittskußgeld. Ganz Amerika lachte drei Wochen lang.

Das Unglaubliche, das Brutale, das Tragische war geschehen. Ein braver Mann, der sich den Dank seines Vaterlandes ehrlich verdient hatte, war für alle Zeiten zu einer lächerlichen Hanswurstenfigur geworden. Heute noch löst der Name Hobson in Amerika ein vergnügtes Schmunzeln aus. Der Held der Santiagofelsenenge ist vergessen — der Vielgeküßte unsterblich geworden.

So ertrank Leutnant Hobson von der amerikanischen Marine in der Welle der Hysterie.


Im Sergeantenzelt türmten sich die Zeitungen. Sie lagen in Haufen in allen Ecken; sie stapelten sich in Ballen auf gegen die Zeltwand, da, wo mein Bett stand; sie bedeckten oft genug sogar den Fußboden, daß man so recht im knisterigen, raschelnden, dünnen Zeitungspapier watete. Die Kameraden schimpften.

»Du bist verrückt!« erklärte Souder.

»Werft ihn doch hinaus mitsamt seinen alten Zeitungen!« schlug Hastings gemütlich vor.

»Geht weg — geht doch weg — schert euch nur ja zum Kuckuck!« war gewöhnlich meine Antwort, brummend in knurrigem Ton gegeben, aber lachend gemeint.

Und doch wieder sehr ernsthaft. Die Mitbewohner des Zeltes wußten recht genau, daß es nicht erlaubt [S. 311] war, den Sergeanten Carlé beim Zeitungslesen zu stören (man mochte reden soviel man wollte, aber nicht mit ihm), oder gar auch nur eine einzige seiner kostbaren Zeitungen aus dem Zelt fortzunehmen, sofern man sich nicht Ungemütlichkeiten aussetzen wollte. So ließ man ihn gewähren. Wenn die New Yorker Invasion einen einmal nicht plagte, wurde Poker gespielt im Zelt, unglaublich viel und unglaublich hoch, denn männiglich hatte Geld in Menge und kein Mensch etwas zu tun, oder viel Bier getrunken, viel geplaudert, viel gelacht. Der Zeitungssergeant aber — so nannten sie mich — lag auf seinem Bett und las und las. Er war eben ein bißchen verrückt.

Das Zeitungsfieber hatte mich wieder gepackt.

Ich las und las. Spalte auf Spalte verschlang ich, und Stunde auf Stunde verrann. Für nichts hatte ich Sinn und alle Dinge waren mir gleichgültig seit dem Morgen, an dem die Post die bestellten Zeitungen gebracht hatte. Zwei gewaltige Pakete waren es gewesen. Alle Nummern des New York Journal und des New York Herald vom allerersten Beginn des Krieges bis zum heutigen Tag. Die Zeitungen des Krieges. Lückenlos. Und ich lag langgestreckt auf meinem Bett und kicherte selig, wenn in den Zeitungsspalten lustige Teufelchen der Uebertreibung tanzten, und atmete keuchend in heller Begeisterung, wenn ich die glänzenden Kriegsbilder las, die große Zeitungsmänner gemalt hatten. Murmelte in Gedanken wohl auch einmal irgend etwas vor mich hin.

»Er ist ohne Zweifel blödsinnig geworden!« behaupteten [S. 312] dann lachend die Sergeanten. Dabei stibitzten sie aber eifrig die Nummern, die ich gelesen hatte.

Begeistert war ich, gebannt. Gefangen im Zauberkreis der Zeitung. Ich suchte nach Namen, die ich kannte, nach Federn, die Meister waren in jener Zeit. Wie ein Kolossalgemälde entstand vor den lesenden Augen aus den Zeitungsspalten die Geschichte des Kriegs. In leuchtenden Farben. In kleinsten Einzelheiten gemalt. Und doch wieder in wunderbar großem Zug. Ein Irrtum war zwar da und dort einmal unterlaufen, ein gar zu greller Farbenfleck einmal hingekleckst. Im ganzen aber — welch ein Bild! Mit wenigem Aendern, mit Streichen, mit Ausscheiden und Zusammenziehen, bedeuteten die vielen Aufsätze mit den schreienden Ueberschriften in den Papierstapeln da neben meinem Bett die Geschichte eines Krieges, wie sie glänzender, lebendiger, wahrhafter nicht geschrieben werden konnte. Sie waren überall dabei gewesen, die Männer der Feder mit ihren sehenden Augen, die das Große stets vom Kleinen zu unterscheiden wußten. Lückenlos war der Krieg beschrieben von der fieberigen Aufregung in Tampa bis zum Flaggenhissen am Friedensbaum; vom Treiben in der Santiagostadt bis zum Elend in den Hospitälern. Kriegskorrespondenten waren auf Dampfyachten ständig hin und her geeilt zwischen Siboney und der nächsten Kabelstation auf Jamaica — McCulloch war mit unter den ersten gewesen beim Sturm auf den San Juan-Hügel — Richard Harding Davis hatte sich einen unsterblichen Namen errungen in der amerikanischen Zeitungswelt durch seine Schilderungen [S. 313] des Santiagotals. Ich sah die Einzelleistungen in diesen wunderbaren Schwarzdruckspalten und in ihnen die ungeheure Arbeit, die Begeisterung, die Energie, die vor nichts zurückgeschreckt war. Sah aber auch, als wäre ich dabei gewesen, die Arbeit der Zeitung selbst; das Sammeln der wichtigen Nachrichten aus vielen Quellen, das Ausscheiden, das Sichten, das Zusammenstellen — das Malen des Bildes von der reichen Farbenpalette.

Und oft lag ich stundenlang da in diesen Tagen und starrte träumend zur Zeltdecke empor.

Ich sah wieder die alten zerschnitzelten Tische im Reporterzimmer und die Männer an ihnen, zum Greifen deutlich, und roch frische Druckerschwärze und hörte dumpf und dröhnend gewaltige Rotationsmaschinen stampfen. Ich erlebte wieder im Traum die Hast und die Hetze, das berauschende Arbeitsstürmen und den stillen schweigenden Erfolgsjubel, die des Zeitungsmannes Teil sind. Große Sehnsucht kam über mich. Davonlaufen hätte ich mögen. Lächerlich schien mir die Uniform jetzt in den Zeiten des Friedens. Sie drückte mich. Sie wollte so gar nicht passen. Firlefanz waren die breiten Sergeantenstreifen in Schwarz und Silber nun; Tand die grellbunten Flaggen in weiß und roter Seide auf den Aermeln. Ein erledigtes Stück Leben schienen mir diese fünf Monate im Soldatenrock. Sie waren reich gewesen an farbigem Schauen und köstlich würden sie einst sein in der Erinnerung, aber sie durften beileibe nicht verlängert werden zu den langen drei Jahren, die der Pakt eigentlich vorschrieb.

[S. 314]

Eines Morgens ging ich zu Major Stevens ins Offizierszelt. Der Major war nur wenige Tage früher als ich im Gesundheitslager eingetroffen, nachdem er im Santiagoer Hospital eine bösartige Malariaerkrankung überstanden hatte.

»Was gibt’s, Sergeant?« fragte er knapp, gemessen, dienstlich, ganz Offizier. Mit der Gemütlichkeit war es jetzt vorbei.

»Ein persönliches Anliegen, Herr Major!«

»Oh!« Sein Ton veränderte sich. »Nehmen Sie Platz, Sergeant, was kann ich für Sie tun?«

»Ich möchte Sie bitten, Herr Major, meine Entlassung aus der Armee zu befürworten.«

Er kaute auf seinem Schnurrbart. Dann schüttelte er energisch den Kopf. »Geht jetzt nicht, Sergeant!« sagte er.

Die Worte trafen mich schwer.

Der Major lachte ein wenig. »Sie haben doch nicht etwa Grund zur Unzufriedenheit?«

»Nein. Aber —«

»Ich weiß, ich weiß. Sergeantenstreifen locken Sie wohl nicht besonders! Es war ein sehr gefährliches Experiment, Mr. Carlé, den Kopf in die reguläre Armee zu stecken, denn unter drei Jahren wird so leicht keiner losgelassen. Es wird aber gehen. Einige Monate jedoch müssen Sie warten. Ich würde mich lächerlich machen, wenn ich gerade jetzt ein derartiges Gesuch befürwortete. Außerdem würde es ohne Zweifel abschlägig beschieden werden. Also in Ihrem eigenen Interesse —«

[S. 315]

Und er erklärte mir, daß der Krieg die Notwendigkeit gezeigt habe, ein Signalkorps in größerem Stil zu organisieren. Wir würden in wenigen Tagen nach Fort Myer bei Washington kommandiert werden, um dort als Stammtruppe Hunderte von neuen Signalisten heranzubilden. Da nur gelernte Telegraphisten angeworben werden sollten, so würde diese Ausbildung sehr schnell gehen und die Leute bald nach den Philippinen und Kuba gesandt werden können, wo man sie brauchte.

»Unter diesen Umständen wird es dem Chef nicht einfallen, einem Sergeanten die freiwillige Entlassung zu gewähren. Wird Ihr Gesuch aber abschlägig beschieden, so können Sie es sobald nicht wieder einreichen. Sie müssen warten. In drei, vier Monaten, dann wird’s gehen. Solange werden Sie es recht gut aushalten können. Wir bauen eine Ballonhalle — wir beschäftigen uns mit dem Problem der Lenkbarkeit eines Luftschiffs — wir experimentieren mit der neuen Marconi-Telegraphie ohne Draht — wir bekommen elektrische Automobile — interessant genug wird’s werden. Ich bin übrigens zum Kommandeur des neuen Signalforts ernannt worden. Sie werden vorläufig mein Sekretär sein. Good morning, sergeant!«

Da ging ich zum Strand hinunter und lief lange auf und ab. Nicht zu ertragen schien mir mein Unglück ...


Ein lustiges Lächeln stiehlt sich über mich im Erinnern an jenen Abschnitt in den jagenden Lausbubenzeiten. [S. 316] Ich war in Wirklichkeit über alle Maßen unglücklich damals, daß ich den Sergeantenrock nicht abschütteln konnte — mit einem Halloh und einem Heidi, wie ich alles Unbequeme abgeschüttelt hatte in der Vergangenheit und abschütteln sollte in der Zukunft. Kreuzunglücklich bin ich gewesen. Und das Lächeln wird zu einem großen Lachen, wenn ich mich daran erinnere, wie prachtvoll die vier Monate meines Sergeantentums in Fort Myer bei Washington werden sollten. Und wie alles ineinandergriff. Wie ich durch das Signalkorps wieder zur lieben alten Zeitungsarbeit kam und wie es wieder dahinging in Hast und Hetze über den amerikanischen Erdteil, ein neues Wanderleben ...

Zeiten kamen und Verhältnisse, in denen kein Mensch geahnt haben würde, daß der Mann der Feder je ein simpler Sergeant der Regulären gewesen sein konnte — und Zeiten kamen wieder, da der Sergeant von dereinst sich auf das Soldatenblut besann und in einer der Venezuela-Revolutiönchen Glückssoldaten kommandierte. Wie sich das alles zutrug — ja, das ist eine andere Geschichte und so umständlich, daß sie leider noch in einem dritten Band geschrieben werden muß.

Ende des zweiten Teils.


Anmerkungen des Bearbeiters:

Gesperrter Text des Originals wird als serifenloser Text dargestellt.

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.

Unterschiedliche Schreibweisen wurden beibehalten.






End of the Project Gutenberg EBook of Der Deutsche Lausbub in Amerika (2/3), by 
Erwin Rosen

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER DEUTSCHE LAUSBUB IN AMERIKA, VOL 2 ***

***** This file should be named 59218-h.htm or 59218-h.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/5/9/2/1/59218/

Produced by Norbert H. Langkau, Matthias Grammel and the
Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net

Updated editions will replace the previous one--the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
specific permission. If you do not charge anything for copies of this
eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
performances and research. They may be modified and printed and given
away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
trademark license, especially commercial redistribution.

START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
Gutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
1.E.8.

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country outside the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

  This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  most other parts of the world at no cost and with almost no
  restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  United States, you'll have to check the laws of the country where you
  are located before using this ebook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    gbnewby@pglaf.org

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.